Islamische Gefangenenseelsorge: Verfassungsrechtliche Grundlagen und Praxis der gemeinschaftlichen Religionsausübung von Muslimen im Strafvollzug [1 ed.] 9783428587230, 9783428187232

Das Grundgesetz garantiert die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug. Aufgrund islamistischer Radikalisier

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German Pages 416 [417] Year 2022

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Islamische Gefangenenseelsorge: Verfassungsrechtliche Grundlagen und Praxis der gemeinschaftlichen Religionsausübung von Muslimen im Strafvollzug [1 ed.]
 9783428587230, 9783428187232

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Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Band 62

Islamische Gefangenenseelsorge Verfassungsrechtliche Grundlagen und Praxis der gemeinschaftlichen Religionsausübung von Muslimen im Strafvollzug

Von

Benedikt Plesker

Duncker & Humblot · Berlin

BENEDIKT PLESKER

Islamische Gefangenenseelsorge

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Ansgar Hense · Alexander Hollerbach Josef Isensee · Matthias Jestaedt · Paul Kirchhof · Joseph Listl (†) Wolfgang Loschelder (†) · Hans Maier · Paul Mikat (†) · Stefan Muckel Sebastian Müller-Franken · Wolfgang Rüfner · Christian Starck Markus Stoffels · Arnd Uhle

Band 62

Islamische Gefangenenseelsorge Verfassungsrechtliche Grundlagen und Praxis der gemeinschaftlichen Religionsausübung von Muslimen im Strafvollzug

Von

Benedikt Plesker

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 978-3-428-18723-2 (Print) ISBN 978-3-428-58723-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung konnten tatsächliche Entwicklungen in den Bundesländern, Rechtsprechung und Literatur bis zum 30. April 2022 berücksichtigt werden. Die Idee zu dieser Arbeit entstand aufgrund einer persönlichen Begegnung in der Justizvollzugsanstalt Mannheim. Nach dem islamistisch motivierten Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo im Januar 2015 war der Umgang mit radikalisierten oder anders psychisch auffälligen Gefangenen auch in deutschen Gefängnissen in den Fokus geraten. Der damalige baden-württembergische Justizminister besuchte deshalb im Mai 2015 die Justizvollzugsanstalt Mannheim und stellte sich in einem Pressegespräch mit dem hauptamtlichen katholischen Geistlichen und dem ehrenamtlichen muslimischen Seelsorger den Fragen der Öffentlichkeit. Darüber berichtete ich für die SWR-Rechtsredaktion. Die Begegnung mit den beiden Mannheimer Seelsorgern und deren grundlegend unterschiedlicher Status weckten auch mein rechtswissenschaftliches Interesse an der Organisation islamischer Gefangenenseelsorge. Dass daraus eine verfassungsrechtliche Untersuchung, Forschungsanfragen an alle Bundesländer und eine rechtsvergleichende Analyse – kurzum: dieses Buch – werden konnte, verdanke ich Professor Dr. Matthias Jestaedt, der diese Arbeit seit den ersten Ideen mit herausfordernden Diskussionen und wichtigen Denkanstößen betreut und gefördert hat. Dafür danke ich ihm sehr herzlich. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Professor Dr. Ralf Poscher. Es freut mich sehr, dass er sich dazu bereit erklärt hat. Denn die gute Zusammenarbeit der Fakultät mit dem Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht hat meine rechtsvergleichenden Forschungen für diese Arbeit erst ermöglicht. Für die Aufnahme in diese Schriftenreihe und wertvolle Hinweise bedanke ich mich bei Professor Dr. Ansgar Hense. Diese Arbeit wäre ohne die Unterstützung vieler weiterer Personen nicht möglich gewesen. Danken möchte ich zunächst allen Ansprechpersonen in den Landesjustizministerien und den Kriminologischen Diensten der Bundesländer, die teilweise während laufender politischer Veränderungen meine Forschungsanfragen beantwortet und regelmäßig aktualisiert haben. Wert-

6 Vorwort

volle Hinweise für die empirischen Aspekte meiner Arbeit verdanke ich Professor Dr. Jörg Kinzig. Für ihre islamwissenschaftlichen Anregungen gilt Dr. Rike Sinder, M. A., mein herzlicher Dank. Bei Dr. Somi Nikol und Ludger Meyering bedanke ich mich für ihre Unterstützung bei der Übersetzung französischer und niederländischer Quellen. Von den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus Freiburg, mit denen ich die wissenschaftlichen Grundlagen und manches Detail dieser Arbeit diskutieren und präzisieren konnte, danke ich besonders Harald Rothfuß und Dr. Felix Beck. Für den Anstoß zu der (journalistischen) Recherche, die in der JVA Mannheim begann und in diese wissenschaftliche Arbeit mündete, danke ich ganz besonders Gigi Deppe. Diese Arbeit ist während herausfordernder (Eltern-)Zeiten, beruflicher und örtlicher Veränderungen entstanden, in denen mir auch Anita und Walter Boscheinen eine wertvolle Stütze waren. Meinen Eltern, Reinhild und FranzJosef Plesker, danke ich für das Fundament, das sie mir gelegt haben und ihre Unterstützung in allen Lebensphasen. Ohne den bedingungslosen Rückhalt von Lisa und die ermutigende Aufmerksamkeit unserer Kinder wäre diese Arbeit weder begonnen noch beendet worden – Ihnen gilt mein größter Dank. Sankt Augustin, Juni 2022

Benedikt Plesker

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kapitel 1

Muslime in Deutschland – ein Überblick 

A. Anteil an der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schwierigkeiten statistischer Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bevölkerungsanteile in den Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anteil an der Haftpopulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 24 25 26

B. Muslimische Organisationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Kapitel 2

Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug 

30

A. Grundrechte und Gewährleistungen im deutschen Religions­ verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Anstaltsseelsorge gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV . . . . . . . . . 33 1. Das Bedürfnis nach Seelsorge und Gottesdienst . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Juristische Begriffsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Seelsorgeverständnis und Äquivalente im Islam . . . . . . . . . . . . . . 37 aa) Bedingungen der Koranauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Seele und Geist im Islam (nafs/rūḥ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 cc) Gebot der guten Taten (ịshān) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 dd) Ausführung durch einzelne, professionelle Seelsorger . . . . . 45 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Organisatorische Voraussetzungen für Religionsgemeinschaften . . . . 47 a) Klassische Begriffsauslegung nach Anschütz . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Besondere Voraussetzungen für Dachverbände . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2005 . 50 bb) Rezeption durch das OVG Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . 51 cc) Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.12.2018 . 52 dd) Allgemeiner Maßstab oder Bedingungen für Religions­ unterricht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 c) Sonstige Voraussetzungen an Religionsgemeinschaften . . . . . . . . 55

8 Inhaltsverzeichnis

II.

3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Individuelle Religionsausübungsfreiheit der Gefangenen . . . . . . . . . . . . 57 1. Abwehrrechtlich geschütztes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Schutzbereich und allgemeine Schranken der Religionsfreiheit . . 58 aa) Unterscheidung der Freiheiten des Gewissens, der Religion und Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Bestimmung des Schutzbereiches unter Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (1) Kollektive Überzeugungen als Prüfungsmaßstab? . . . . . 63 (2) Schutz nur für kultische Handlungen oder religiöse Handlungsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (3) Plausibilitätsanforderungen bei der Berücksichtigung des Selbstverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 cc) Schranken durch kollidierendes Verfassungsrecht . . . . . . . . . 68 b) Besondere Schranke durch Inhaftierung im Strafvollzug . . . . . . . 70 aa) Das frühere besondere Gewaltverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Institutionelle Funktionsfähigkeit als einschränkendes ­Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 cc) Neuere dogmatische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (1) Öffentlich-rechtliche Sonderbindung nach Loschelder . . 74 (2) Usurpationsgrenze und Nichtstörungsvorbehalt bei Kielmansegg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 dd) Zusammenfassung und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Folgerungen für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Unspezifische Anfrage nach religiösen Angeboten . . . . . . . . 80 bb) Konkretes Verlangen nach externem, religiösem Beistand . . 82 (1) … für Einzelgespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (2) … für Gruppenangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (3) … für die Teilnahme an gemeinschaftlichen religiösen Feiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (a) Selbstverständnis zu Gemeinschaftsgebeten . . . . . . . . 87 (b) Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs: Resozialisierungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 cc) Gemeinschaftliches Gebet mehrerer Häftlinge ohne Externen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Ansprüche aus dem status positivus der Religionsfreiheit? . . . . . . . . 91 a) Keine Konkretisierung staatlicher Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Kompensatorische Leistungsrechte für Gefangene . . . . . . . . . . . . 94 aa) Anspruch auf aktive Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Fürsorge-Anspruch nach Loschelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Anspruch auf Tätigwerden nach Kielmansegg . . . . . . . . . . . 98

Inhaltsverzeichnis9 dd) Anspruch auf geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Ermöglichung gemeinschaftlicher Grundrechtsausübung . . . 3. Freiwilligkeitsprinzip der negativen Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . III. Korporative Religionsfreiheit der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Individuelle Religionsfreiheit des religiösen Personals . . . . . . . . . . . . . . 1. Persönliche Sicherheitsbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeugnisverweigerungsrechte und Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . a) Religiös begründete Schweigepflichten im Islam . . . . . . . . . . . . . b) Einheitliches Berufsbild des religiösen Personals . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Verfassungsunmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht für Kernbereiche privater Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Anforderungen seitens der Vollzugverwaltung . . . . . . . . . V. Gleichheitsrechte und die Grundsätze der Neutralität und Parität . . . . . 1. Strenge Gleichheit und Neutralität beim Zutrittsanspruch . . . . . . . . . 2. Formale Gleichheit und Neutralität bei status positivus-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatliche Auswahl einzelner Kooperationspartner . . . . . . . . . . . . b) Staatliche(s) Personal(auswahl) für die Religionsausübung . . . . . aa) Die Diskussion um die Militärseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konsequenzen für die staatliche Organisation muslimischer Religionsausübung im Strafvollzug . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung: Seelsorge im Gefängnis im Rahmen des ­Religionsverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Völkerrechtliche Regelungen zur Religionsausübung in Haft . . . . . . . . . . I. United Nations Standard Minimum Rules for the Treatment of ­Prisoners (Nelson Mandela Rules) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules) . . . . . . . III. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz der Religionsfreiheit in Art. 9 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung zur gemeinschaftlichen Religionsausübung im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98 101 104 107 108 109 110 113 113 114 117 119 120 120 121 121 123 124 125 127 128 130 131 132 133

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Kapitel 3

Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug der Bundesländer 

138

A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 I. Rechte der Gefangenen zur Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Stellung des Seelsorgepersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

10 Inhaltsverzeichnis 1. Hauptamtliche Bestellung oder vertragliche Verpflichtung . . . . . . . . 2. Zulassung seelsorgerischer Betreuung „auf andere Weise“ . . . . . . . . 3. Einsatz freier Seelsorgehelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zuverlässigkeits- und Sicherheitsüberprüfung für Seelsorgepersonal . . . 1. Neuere Ermächtigungsgrundlagen im Justizvollzugsdatenschutz  . . . 2. Anwendbarkeit der Sicherheitsüberprüfungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . a) Definition des Anwendungsbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendbarkeit aufgrund spezialgesetzlicher Anordnung . . . . . . . 3. Regelungen für externe Mitarbeiter in Verwaltungsvorschriften . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schweigerechte und Offenbarungspflichten des Seelsorgepersonal . . . . 1. Regelungen der Strafvollzugsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungen in den Justizdatenschutzgesetzen der Länder . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143 144 146 147 148 150 150 151 154 155 157 158 158 160 162

B. Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe der Justizministerkonferenz . . I. Anregung der Deutschen Islam Konferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beauftragung der Arbeitsgruppe durch die Justizministerkonferenz . . . III. Abschlussbericht der Arbeitsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung und Bewertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern . . . . . . . . . I. Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kooperation mit dem Mannheimer Institut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ehrenamtliche Seelsorger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenarbeit mit örtlichen Integrationsvereinen . . . . . . . . . . . . . . 2. Hauptamtliche Beschäftigung verbandsunabhängiger Seelsorger . . . 3. Ehrenamtlich tätige (DİTİB-)Imame . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Berlin  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einzelne Angebote und gescheiterter Kooperationsversuch . . . . . . . . 2. Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter . . . . . . . 3. Rahmenvereinbarung mit Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deklaratorische Regelungen insbesondere für Religiöse Betreuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Orientierende Lösungshilfen insbesondere für Gebete und ­Gottesdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kooperationszusagen innerhalb eigener Kompetenzen für die Zulassung Religiöser Betreuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zulassungsverfahren der Berliner Rahmenvereinbarung . . . . bb) Mehrfache Mediatisierung des Einflusses der Islamverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis11 V. Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verträge mit muslimischen Verbänden und mit der Alevitischen Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesprächsangebote aufgrund von Dienstleistungsverträgen . . . . . . . . VII. Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Örtliche Angebote insbesondere in der JVA Wiesbaden . . . . . . . . . . 2. Landesweite Beschäftigung von Honorarkräften mit Dienstvertrag . VIII. Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarung mit Schura und DİTİB von 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Genese der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kündigung der Vereinbarung gegenüber DİTİB . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschäftigung von Honorarkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überarbeitete Vereinbarung für muslimische Seelsorge . . . . . . . . . . . a) Umsetzung der Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe . . . . . . . b) Neue Regelungen für Auswahl und Zulassung von Seelsorgenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fachliche Weiterentwicklung durch Beirat und Verbandsricht­ linien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. DİTİB-Imame als konsularische Religionsbeauftragte . . . . . . . . . . . . 2. Beschäftigung von Honorarkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergebliche Institutionalisierungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßnahmen zur Gewinnung von Honorarkräften . . . . . . . . . . . . . c) Musterverträge für die religiöse Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. DİTİB-Imame als konsularische Religionsbeauftragte . . . . . . . . . . . . 2. Einsatz religiöser Betreuer nach landesweitem Konzept . . . . . . . . . . a) Landeskonzept Religiöse Betreuung muslimischer Gefangener . . b) Musterverträge für Honorarkräfte und Arbeitnehmer . . . . . . . . . . 3. Verträge mit muslimischen Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Saarland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Örtliche Gemeinde- und ehrenamtliche Angebote . . . . . . . . . . . . . . . 2. Koordination und Finanzierung durch Landesmittel . . . . . . . . . . . . . XVI. Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186 188 189 191 193 193 195 197 198 199 199 200 204 206 207 208 209 210 211 211 213 213 215 217 218 219 220 220 222 224 226 226 227 227 227 228 229

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

12 Inhaltsverzeichnis Kapitel 4

Staatliche Handlungsformen zur Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge 

232

A. Staatlich organisierte Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemein­ schaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. Konsularische Zusammenarbeit mit einem anderen Staat . . . . . . . . . . . . 234 1. Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Religiöse Angebote als konsularische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Gesetzgebungsvorbehalt zum konsularischen Besuchsrecht . . . . . 239 2. Konsularische Zusammenarbeit mit Diyanet-Imamen in Österreich . 240 3. Entsendung ausländischer Seelsorger in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . 242 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Staatliche Beschäftigung von Seelsorgern durch Arbeits- oder Dienstvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Ausgestaltung der staatlichen Beschäftigung am Maßstab der Neutralität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Qualifikationsvoraussetzungen für die Personalauswahl . . . . . . . 246 b) Aufgaben und verwaltungsorganisatorische Einbindung . . . . . . . 247 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Vollzugsaufgaben und Eigenverwaltung des Chaplaincy Service in England und Wales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Religionsausübungsfreiheit der Gefangenen . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Gesetzliche und verwaltungsmäßige Regelungen . . . . . . . . . 252 (1) Prison Act 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (2) Prison Rules 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (3) Prison Service Orders und Instructions . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Entwicklung der staatlichen Beschäftigung muslimischer Seelsorger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) Verwaltungsorganisatorische Eingliederung der Muslim Chaplains in den Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 bb) Übertragung von Vollzugsaufgaben auf das multi faith Chaplaincy Team  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Mittelbare Beteiligung von islamischen Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . I. Varianten der mittelbaren Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mehrfach-mittelbare Beteiligung der Islamverbände in Berlin . . . . . 2. Vermittlung religiöser Interessen durch unabhängige Integrationsvereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Beteiligung der Dachverbände in Frankreich und Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261 261 261 262 262

Inhaltsverzeichnis13

II.

a) Mittelbare Beteiligung an staatlicher Eigenorganisation in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dachverband und Seelsorgebeauftragter als Vermittlungs­ instanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbare Beteiligung eines Dachverbandes in den Nieder­ landen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Gemeinsamkeiten der mittelbaren Beteiligung . . . . . . . . . . 1. Qualifikationsvoraussetzungen als Kooperationsbedingung . . . . . . . . 2. Finanzierung von Ausbildungsprogrammen als faktische Konsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Wahlmöglichkeiten der Beschäftigungsformen . . . . . . . .

263 263 264 265 267 268 269 270

C. Kooperationen mit Religionsgemeinschaften oder Islamverbänden . . . . . 272 I. Angebote von Ehrenamtlichen aus örtlichen Moscheegemeinden . . . . . 273 II. Verträge mit islamischen Religionsgemeinschaften und Islam­ verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 1. Rechtlicher Status der Vertragspartner als Vertragsschlusskriterium . 276 a) Rechtspraxis der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Rechtsstatus als religionspolitische Schwelle in Österreich und Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Seelsorgevertrag für anerkannte Gemeinschaften in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Gemeinsames Protokoll statt förmlichem Vertrag in Italien . 281 2. Regelungsgegenstände und Funktionen der Verträge . . . . . . . . . . . . . 283 a) Unterscheidung der Funktionen religionsverfassungsrechtlicher Verträge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Funktionen vertraglicher Regelungen für die Gefangenen­ seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 aa) Absicherung gesetzlicher Gewährleistungen in den ­Grundlagenverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 bb) Koordination des Zusammenwirkens in den SeelsorgeVerträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (1) Grundsätzlich freie Personalauswahl mit anschlie­ ßender Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (2) Religiöse Dienstleistung mit staatlichem Auftrag . . . . . . 288 cc) Förderung religiösen Wirkens durch besondere Gewähr­ leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Bindung des Gesetzgebers durch die Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Rechtsnatur religionsrechtlicher Verträge im Allgemeinen . . . . . . 291 b) Rechtsnatur der Verträge zur islamischen Gefangenenseelsorge . 294 c) Schlussfolgerungen insbesondere für die Selbstbindung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

14 Inhaltsverzeichnis Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

Einführung „Ich denke, dass Religion für viele sowieso eine große Bedeutung hat, gerade im Justizvollzug, weil man dann doch wieder mehr auf sich selbst konzentriert wird. Und viele finden innerhalb des Vollzugs wieder zu einer Art des Glaubens zurück.“ Winfried Gebhardt, stellvertretender Leiter der Justizvollzugsanstalt Celle (Niedersachen)1

Die Religionsausübung ist im Strafvollzug ein Rückzugsraum. Während die Freiheit des Alltags durch die Haft maximal eingeschränkt, jedenfalls streng reglementiert ist, bleibt die Ausübung der Religion für den einzelnen Häftling und die einzelne Gefangene ein Bereich persönlicher Freiheit. Dies ist bereits aus praktischen Gründen so: Das persönliche, stille Gebet kann nicht Gegenstand einer einschränkenden Regelung sein, kann doch ihr Tatbestand gar nicht sicher festgestellt werden. Doch das Recht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG schützt neben dem stillen Gebet auch die sonstige Religionsausübung durch gemeinschaftliche Aktionen, körperliches Handeln sowie jede sonstige religiös begründete Lebensweise. Vom gemeinsamen Gottesdienst bis zur öffentlichen Prozession, vom Kopftuchtragen bis zum Fastenbrechen – der Schutz für religiöse Handlungen reicht grundsätzlich denkbar weit. Dem steht jedoch ein gleichermaßen geschützter Anspruch des Staates entgegen: das Gewaltmonopol in der konkreten Ausprägung des Vollzugs einer Freiheitsstrafe. So steht die Religionsausübung von Häftlingen in einem verfassungsrechtlichen Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und Strafvollzug. Die Religion des Islams und besonders radikal-islamische Bewegungen stehen auch im Strafvollzug unter besonderer gesellschaftlicher und politischer Beobachtung. Den Justizvollzug und die Rechtsprechung der Strafvollstreckungskammern haben zunächst vor allem lebenspraktische Fragen der

1  Zitiert nach: Hollenbach, „Muslimische Gefängnis-Seelsorge – Was Imame in deutschen Haftanstalten bewirken können“, http://www.deutschlandfunk.de/musli mische-gefaengnis-seelsorge-was-imame-in-deutschen.886.de.html?dram:article_ id=329750 (abgerufen am 10.06.2022).

16 Einführung

Inhaftierung muslimischer Gefangener beschäftigt.2 Geändert hat sich dies jedoch durch die Inhaftierung von einzelnen islamistisch radikalisierten Tätern.3 Zuletzt ist der Umgang radikalisierter Häftlinge mit anderen Insassen als weiteres Problemfeld entstanden, das Vollzugsanstalten europaweit beschäftigt: Die Pariser Charlie Hebdo-Attentäter, Saïd und Chérif Kouachi, haben während ihrer Haftzeit den späteren Geiselnehmer in einem jüdischen Supermarkt, Amedy Coulibaly, kennengelernt und ihre Attentate gemeinsam geplant;4 der Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri ist zuerst in einer italienischen Haftanstalt radikal-islamisch aufgefallen;5 auch der Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt ist von einem mutmaßlich in der Haft in Deutschland und Frankreich radikalisierten Islamisten begangen worden.6 Als Reaktion darauf haben Frankreich, Deutschland und andere europäische Staaten eigene Projekte begonnen oder ausgeweitet, um Radikalisierungen im Strafvollzug vorzubeugen. Zudem wurde politisch beschlossen, muslimische Religionsgelehrte, Seelsorger oder Prediger im Strafvollzug einzusetzen. Bereits vor diesen aktuellen Entwicklungen hatten einige Bundesländer in Deutschland und manche Staaten in Europa Initiativen ergriffen, um die religiöse Betreuung muslimischer Häftlinge einzurichten oder zu fördern, meist als Modellversuch oder befristete Projekte. Dem steht inzwischen die Beobachtung gegenüber, dass muslimische Inhaftierte (im Jugendstrafvollzug) eine geringere Benachteiligung ihrer Religion empfinden, wenn muslimische Seelsorgende regelmäßig in einer Haftanstalt Dienst tun.7 Für Deutschland ist die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten ein Bereich der durch das Grundgesetz in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 141 WRV geregelten Anstaltsseelsorge. Diese wird traditionell als eine „Gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche“8 bezeichnet, deren Detailregelungen 2  Siehe exemplarisch zur Beachtung religiöser Speisevorschriften: OLG Koblenz, Beschluss vom 02. Dezember 1993 – 3 Ws 286/93 –, juris. 3  Vgl. zum Einzug radikal-islamischer Schriften bei einem Gefangenen: LG Marburg, Beschluss vom 20. Mai 2016 – 4a StVK 222/15 –, juris. 4  Callimachi/Yardley, „From Amateur to Ruthless Jihadist in France“, https://www. nytimes.com/2015/01/18/world/europe/paris-terrorism-brothers-said-cherif-kouachicharlie-hebdo.html (abgerufen am 10.06.2022). 5  Deutscher Bundestag, Drs. 19/30800 (21.06.2021), S. 277. 6  „Attentat à Strasbourg: qui est Cherif Chekatt, le suspect de la fusillade?“, https://www.lemonde.fr/police-justice/article/2018/12/12/toujours-en-fuite-le-tireurde-strasbourg-est-un-radicalise-au-lourd-passe-judiciaire_5396463_1653578.html (abgerufen am 10.06.2022). 7  Stelly/Lutz/Thomas/Bergmann/Bartsch, „Glaube und religiöse Praxis von (muslimischen) Jugendstrafgefangenen“, Forum Strafvollzug 2021, S. 200–205, 204. 8  Zum Begriff bspw. Unruh, Religionsverfassungsrecht (4. Aufl., 2018), S. 240.

Einführung17

sich nicht in der Verfassung oder den Strafvollzugsgesetzen finden, sondern in Verträgen des Staates mit den christlichen Kirchen.9 Bereits Art. 28 des Reichskonkordats vom 20. Juli 193310 regelt den Zugang einzelner Seelsorger zu Strafanstalten und die Organisation regelmäßiger Angebote im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde. Der Loccumer Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 19. März 1955, der Vorbild für viele weitere Staatskirchenverträge in der Bundesrepublik geworden ist, regelt in Art. 6 auch die hauptamtliche Einstellung von Pfarrern durch das Bundesland, um eine regelmäßige Seelsorge in Strafanstalten einzurichten.11 Der Islam kennt keine vergleichbare religiöse Institution, wie die christlichen Kirchen es sind. Für die Ausübung der Religion des Islams im Strafvollzug stellen sich deshalb gleich mehrere Probleme, die Grund und Gegenstand dieser Untersuchung sind: Dem Staat fehlen auf islamischer Seite die Vertragspartner für Regelungen zur Seelsorge in Haftanstalten. Zudem bezeichnen die in Art. 140 GG/141 WRV genannten Begriffe Gottesdienst und Seelsorge ursprünglich christliche, religiöse Praktiken, die den Verfassunggebern der Jahre 1919 und 1949 präsent waren. Kennt der Islam überhaupt eine Seelsorge oder welcher deutsche Begriff wäre dafür zu verwenden bzw. lässt sich die muslimische Praxis unter den Verfassungsbegriff der Seelsorge subsumieren? Welche Folgen hat es für muslimische Gefangene, wenn die Voraussetzungen des Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV nicht vorliegen? Hängt die Organisation religiöser Angebote im Strafvollzug vom Bestehen einer Religionsgemeinschaft nach dieser Vorschrift ab? Oder welche Rechte lassen sich dafür bereits aus dem Recht auf freie Religionsausübung in Art. 4 Abs. 1, 2 GG ableiten? Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, stellt sich die Frage, welchen Pflichten die Vollzugsverwaltungen bei der Umsetzung religiöser Angebote unterliegen, wenn auch noch das politisch ausgegebene Ziel Radikalisierungsprävention verfolgt werden soll? Welche Instrumente stehen den staatlichen Akteuren (neben dem Vertrag mit muslimischen Religionsgemeinschaften) zur Verfügung, um die Seelsorge in Haftanstalten zu organisieren oder die Organisation zu ermöglichen? Zusammengefasst: Diese Untersuchung sucht die (verfassungs-)rechtlichen Bedingungen einer gemeinschaftlichen Religionsausübung eines Gefangenen mit Angehörigen seiner Religionsgemeinschaft innerhalb der strengen Einschränkungen des Strafvollzugs zu ergründen. 9  Statt vieler Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III (3. Aufl., 2018), Art. 140 GG Rn. 49. 10  Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (Reichskonkordat) vom 20. Juli 1933 (RGBl. II S. 679). 11  Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 18.04.1955 (Nds. GVBl. Sb. I, 369).

18 Einführung

Wie bereits die öffentlich diskutierten Fälle von Radikalisierungen im Strafvollzug zeigen, stellt sich dasselbe Problem der Organisation islamischer Religionsausübung in Haftanstalten auch in anderen europäischen Staaten. Für diese gelten mit Art. 9 EMRK und Art. 10 Abs. 1 GrCh dieselben europäisch-menschenrechtlichen Grundlagen. Die jeweiligen religionsrechtlichen Systeme unterscheiden sich dennoch zum Teil grundlegend. Institutionalisierte Seelsorgeangebote in Haftanstalten gibt es aber unabhängig davon auch bei einer strikten Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften, wie etwa im französischen Laizismus, oder in einem Staatskirchensystem, wie etwa im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland.12 Daher stellen sich auch rechtsvergleichend einige Fragen, die Gegenstand dieser Untersuchung sein sollen: Bewirkt dies unterschiedliche Herangehensweisen und unterschiedliche Ergebnisse für das vergleichbare Problem der Institutionalisierung muslimischer Seelsorge? Oder taugen die bisherigen Einteilungen von Trennungsmodell, Kooperationsmodell und Staatskirche für die Regelung des islamischen Glaubenslebens vielleicht gar nicht mehr? Welche Vorbilder oder Negativerfahrungen lassen sich rechtsvergleichend in die deutsche Diskussion einbringen? Wissenschaftliche Untersuchungen zur Anstaltsseelsorge für muslimische Gefangene liegen bisher nur in der religionswissenschaftlichen Literatur13 vor. Die verfassungsrechtlichen Fragen der muslimischen Gefangenenseelsorge konnten die bisherigen rechtswissenschaftlichen14 und kriminologischen15 monographischen Studien noch nicht bearbeiten. Zwar bestehen neuere kriminologische Untersuchungen, diese befassen sich mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen allerdings nur am Rande.16 12  Dies als „europäisches Religionsgemeinrecht“ bezeichnend Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 237. 13  Zuletzt Jahn, Götter hinter Gittern – Die Religionsfreiheit im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland (zugl. Bochum, Univ., Diss., 2017); vgl. auch Becci, „Institutional Resistance to Religious Diversity in Prisons: Comparative Reflections Based on Studies in Eastern Germany, Italy and Switzerland“, International Journal of Politics, Culture, and Society 2014, S. 5–19. 14  Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug – Die Rechtsstellung von Strafgefangenen muslimischer Religionszugehörigkeit in Deutschland (zugl. Freiburg, Univ., Diss., 2005); Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge – Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug (zugl. Regensburg, Univ., Diss., 1993). 15  Funsch, Seelsorge im Strafvollzug – Eine dogmatisch-empirische Untersuchung zu den rechtlichen Grundlagen und der praktischen Tätigkeit der Gefängnisseelsorge (zugl. Tübingen, Univ., Diss., 2016). 16  Schaffer/Obergfell-Fuchs, „Evaluation zur Umsetzung der islamischen Gefangenenseelsorge in den Justizvollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg“ (2019); Bergmann/Bartsch/Lutz/Stelly/Thomas/Hibaoui, „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? – Ein Ergebnis- und Werkstattbericht zu aktuellen Forschungsprojekten über Muslime im Vollzug“, Zeitschrift für soziale Strafrechtspflege 2018, S. 18–31;

Einführung19

Die neuere religionsverfassungsrechtliche Literatur behandelt das Thema ebenfalls nur am Rande, weil die Fragen des islamischen Religionsunterrichts und der Organisationsform der Verbände oder des Vertrags als Regelungsform vorrangig thematisiert werden.17 In der Kommentarliteratur zu Art. 140 GG/Art. 141 WRV werden die Probleme inzwischen aber kurz angesprochen.18 Vereinzelt ist die Seelsorge für Strafgefangene als Teil der Anstaltsseelsorge besprochen worden.19 Im Detail hat sich bisher lediglich Markus Schulten für einen Vortrag vor der Deutschen Islam Konferenz mit der Gefangenenseelsorge für Muslime befasst.20 Bartsch/Bergmann/Stelly/Kinzig/Hibaoui/Schaffer/Stelzel, „Muslime im baden-württembergischen Justizvollzug – Ergebnisse einer Pilotstudie (Teil 1)“, Forum Strafvollzug 2017, S.  316–321; Bartsch/Bergmann/Stelly/Kinzig/Hibaoui/Schaffer/Stelzel, „Muslime im baden-württembergischen Justizvollzug – Ergebnisse einer Pilotstudie (Teil 2)“, Forum Strafvollzug 2018, S. 52–57; Stelly/Bartsch, „Muslime im Jugendstrafvollzug – dargestellt am Beispiel der JVA Adelsheim“, ZJJ 2017, S. 68–74. 17  Ungern-Sternberg, „Religionsfreiheit“, in: Herdegen/Masing/Poscher/Gärditz (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts (2021), S. 1335–1388 (1381 f.); ohne Erwähnung der islamischen Seelsorge: Schilberg, „§ 56 Krankhausseelsorge, Seelsorge im Strafvollzug und anderen Anstalten“, in: Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 (2020), S. 2343–2371; vgl. aus der neueren Literatur auch Heinig, „Religionsgemeinschaft/ Religionsgesellschaft: Herkunft, aktuelle Bedeutung und Zukunft einer religionsverfassungsrechtlichen Zentralkategorie“, ZevKR 64 (2019), S. 1–23; Heun, „Organisation von Religionsgemeinschaften aus juristischer Perspektive“, ZevKR 64 (2019), S. 24–46; Grzeszick, „Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen – Ein paradigmatischer Testfall für die Zukunftsfähigkeit des organisatorischen Staatskirchenrechts“, ZevKR 62 (2017), S. 362–388; Jacobs, „Staatsverträge mit nichtchrist­ lichen Religionsgemeinschaften – Chancen und Grenzen“, Kirche und Recht 2016, S. 1–13; Hense, „Staatliche Verträge mit muslimischen Akteuren – ein längerer, religionsverfassungsrechtlicher Zwischenruf zur Lage“, in: Thümler (Hrsg.), Wofür braucht Niedersachsen einen Vertrag mit muslimischen Verbänden? (2016), S. 187– 345; Lutz-Bachmann, Mater rixarum? Verträge des Staates mit jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften (zugl. Bonn, Univ., Diss., 2015), S. 442 ff. 18  Unruh, in: Mangoldt/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 3 (7. Aufl., 2018), Art. 141 WRV Rn. 14; sehr ähnlich auch in Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 244; Probleme andeutend bei Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III (3. Aufl., 2018), Art. 141 WRV Rn. 9/Fn. 45; Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz (9. Aufl., 2021), Art. 141 WRV Rn. 5. 19  Tabbara, „Rechtsfragen der Einführung einer muslimischen Krankenhausseelsorge“, ZAR 2009, S. 254–259. 20  Schulten, „Die Anstaltsseelsorge im religionsverfassungsrechtlichen Gefüge des Grundgesetzes – Struktur, Gestaltungsmöglichkeiten, Herausforderungen (Vortrag im Rahmen der Konstituierenden Sitzung des Arbeitsausschusses der Deutschen Islam Konferenz am 18. Februar 2016)“, abrufbar unter: https://www.deutsche-islam-konfe renz.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Sonstiges/20160307_vortrag_schulten_ anstaltsseelsorge.pdf (abgerufen am 10.06.2022); bereits Schulten, „Anstaltsseelsorge für Muslime – Eine verfassungsrechtliche Problemanzeige zu Art. 141 WRV“, Kirche und Recht 2014, S. 50–66.

20 Einführung

Die Praxis der Organisation muslimischer Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der deutschen Bundesländer ist in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht sehr verschieden. Für die Ermittlung der jeweiligen Praxis ist zunächst zu berücksichtigen, dass diese maßgeblich durch die jeweilige Justizverwaltung geprägt wird, solange es keine (staats-)vertraglichen Regelungen gibt, wie sie mit den christlichen Kirchen bestehen. Die Landesstrafvollzugsgesetze geben dafür mit der üblichen Formulierung „Den Gefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden“ einen weiten Spielraum für die Organisation des individuellen Zugangs von Seelsorgenden zu Gefangenen vor. Als Arbeitshypothese ist daher anzunehmen, dass die rechtliche Organisation institutionalisierter ­Angebote, die über die Organisation von Seelsorge-Kontakten im Einzelfall ­hinausgehen, durch untergesetzliche, möglicherweise vertragliche Regelungen mit einzelnen Seelsorgern oder islamischen Verbänden auf sehr unterschiedliche Weise erreicht werden könnte. Sofern es sich um Maßnahmen der Justizverwaltungen handelt, sind die rechtlichen Grundlagen deshalb nicht zwangsläufig öffentlich zugänglich. Hinweise ergeben sich aber anhand der politischen Diskussionen und parlamentarischen Informationen durch die Exekutive. In einem ersten Schritt sind daher für diese Studie die Landtagsdokumentationen bezüglich der rechtlichen Organisation der Seelsorge für muslimische Gefangene ausgewertet worden. Anhand dessen ist im zweiten Schritt anhand folgender Fragen die Rechtslage in den deutschen Bundesländern bei allen Landesjustizministerien durch Anfrage vom 04.07.2018 abgefragt worden: • Auf welcher Rechtsgrundlage werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt? • Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (inkl. Sicherheitsbzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fach- und Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie die Fundstelle mitteilen oder zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. • Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen: Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. • Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten?

Einführung21

Sofern sich landesspezifische Fragen aus der Auswertung der Landtagsdokumentationen ergeben haben, sind diese ergänzend den Landesjustizministerien zur Beantwortung zugeleitet worden.21 Auf diese Anfrage haben alle sechzehn Justizverwaltungen der Länder inhaltlich zwischen dem 12.07.2018 und dem 28.08.2019 geantwortet, vereinzelt waren dafür Genehmigungen des jeweiligen Kriminologischen Dienstes erforderlich.22 Teilweise erforderliche Rückfragen sind überwiegend beantwortet worden. Das Hessische Justizministerium hat die Beantwortung von Rückfragen abgelehnt. Mit der Beantwortung der Anfragen sind dem Verfasser durch vier Bundesländer Muster- oder Beispielverträge für die Kooperation einzelner Justizvollzugsanstalten oder des Ministeriums mit einzelnen Seelsorgern zur Auswertung zur Verfügung gestellt worden (Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz). Für die Bundesländer Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Bremen und Berlin lagen dem Verfasser die jeweils aktuellen Fassungen von Verträgen des Ministeriums mit islamischen Verbänden vor. Für Baden-Württemberg hat das Ministerium die Inhalte des textlich nicht zur Veröffentlichung reifen Vertrages dem Verfasser persönlich mitgeteilt. Nach einem kurzen Überblick über die Situation der Muslime in Deutschland allgemein (Kapitel 1), werden zunächst die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Gefangenenseelsorge in Deutschland und anhand der Europäischen Menschenrechtskonvention diskutiert (Kapitel 2). Nachfolgend wird die Praxis der deutschen Bundesländer in den Blick genommen (Kapitel 3). Zuletzt sind die aus der Praxis ermittelten Handlungsformen der Vollzugsverwaltungen zur Organisation gemeinschaftlicher Religionsausübung durch Muslime im Strafvollzug zu systematisieren und mit den Konzepten und Handlungsformen ausgewählter europäischer Staaten zu vergleichen, um abschließend die verfassungsrechtlichen Probleme und Lösungsmöglichkeiten zu benennen (Kapitel 4). Der Titel dieser Arbeit lautet Islamische Gefangenenseelsorge. Traditionell wird dieser Bereich der Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen als Gefängnisseelsorge bezeichnet. Für die Religion des Islams stellen sich somit zwei Fragen: Gibt es eine islamische Seelsorge im verfassungsrechtlichen Sinne bzw. was ist Seelsorge im Sinne des Grundgesetzes? Und an wen richtet sich eine islamische Seelsorge im Gefängnis? Es wird zu zeigen sein, dass es verfassungsrechtlich den religiösen Vereinigungen vorbehalten ist, zu definieren und zu formulieren, ob es eine islamische oder muslimische Seelsorge23 gibt 21  Siehe

Anschreiben vom 04.07.2018 im Anhang. Dokumentation der Antwortschreiben im Anhang. 23  Zur begrifflichen Differenzierung vgl. Erdem, „Seelsorge für Muslime? Fragestellungen, Ressourcen und Konzepte“, in: Badawia/Erdem/Abdallah (Hrsg.), Grundlagen muslimischer Seelsorge (2020), S. 13–35 (13 f.). 22  Siehe

22 Einführung

und was damit gemeint ist. Weil dies innerhalb des Islams inzwischen geschehen ist, wie zu zeigen sein wird, bestehen keine Bedenken gegen eine rechtliche Erfassung islamischer Seelsorge. Ebenso wird zu zeigen sein, dass grundrechtlich eine Gefangenen- statt einer Gefängnisseelsorge gewährleistet ist. Denn die Seelsorge im Gefängnis ist ein Recht der Gefangenen aufgrund ihrer Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG. Vergleichbares wird sich für die Religionsgemeinschaften aus der Religionsfreiheit nicht ableiten lassen, weil das Zutrittsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV sich ebenfalls auf das Recht zur Seelsorge für die Gefangenen stützt. Auch in der Praxis geht es (derzeit) ausschließlich um Seelsorgeangebote für muslimische Gefangene und nicht für das Vollzugspersonal oder Angehörige von Insassen. Weil Letzteres gleichwohl für die Zukunft denkbar ist und teilweise bereits heute gefordert wird, fragt diese Untersuchung im Sinne eines Oberbegriffes nach der gemeinschaftlichen Religionsausübung muslimischer Gefangener in Strafvollzugsanstalten und den dortigen Angeboten durch islamische Religionsverbände. Dabei werden Angebote von sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften sowie Angebote der Alevitischen Religionsgemeinschaft wie auch der Ahmadiyya Muslim Jamaat in den Blick genommen. Der Begriff der islamischen Seelsorge soll als Oberbegriff dienen und impliziert keine religiöse Verortung derjenigen Gruppierungen, bei denen die Zugehörigkeit zum Islam von verschiedenen Richtungen aus infrage gestellt wird. Dies vorausgeschickt, wird im Folgenden zwischen unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb und im Zusammenhang des islamischen Glaubensspektrums unterschieden.24 Die Alevitische Glaubensgemeinschaft und die Gemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat werden dabei ebenso betrachtet, weil diese aus dem Islam hervorgegangen sind. Aufgrund der größeren Eigenständigkeit der Lehre bleibt die Gemeinschaft der Bahāʾī außer Betracht. Soweit bei der Beschäftigung mit Glaubensinhalten des Islams der arabische Begriff oder Wortlaut zur Identifikation nützlich ist, wird dieser im Folgenden als Klammerzusatz mitgenannt und in der Folge bei Bedarf zur Bezeichnung verwandt. Die Transkription erfolgt nach den Regelungen der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft,25 sofern nicht Abweichendes wörtlich zitiert wird, beispielsweise aus der Encyclopaedia of Islam.26

24  Diese Differenzierung entstammt den Kapitel-Kategorien in Klöcker/Tworuschka (Hrsg.), Handbuch der Religionen – Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland und im deutschsprachigen Raum (2019). 25  Brockelmann/Fischer/Heffening/Taeschner, Die Transliteration der arabischen Schrift (1935). 26  Siehe Fleet/Krämer/Matringe/Nawas/Rowson (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam.

Kapitel 1

Muslime in Deutschland – ein Überblick In Deutschland lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes am 31.12.2019 rund 83 Millionen Menschen.1 Wie viele Muslime darunter sind, welcher muslimischen Glaubensrichtung sie angehören, wie sie organisiert sind und auch wie viele Muslime in deutschen Strafvollzugsanstalten einsitzen, lässt sich nur näherungsweise bestimmen.

A. Anteil an der Bevölkerung In Deutschland lebten im Jahr 2019 zwischen 5,3 und 5,6 Millionen Muslime. Dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 6,4 bis 6,7 Prozent und basiert auf einer Hochrechnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).2 Anders als bei den körperschaftlich organisierten Kirchen kann eine muslimische Religionszugehörigkeit nicht durch Mitgliedschaft in einer Organisation ermittelt werden. Daher hat das BAMF inzwischen zum dritten Mal nach 20083 und 20154 den Bevölkerungsanteil von Muslimen aufgrund der Ergebnisse des Mikrozensus und eigener Haushaltsbefragungen ermittelt (MLD-Studien). Dabei wird erstens der Anteil von Muslimen an der Gesamtzahl von Personen aus muslimisch geprägten Herkunftsländern auf Grundlage einer registergestützten Stichprobe errechnet. Anschließend wird der Gesamtbevölkerungsanteil muslimischer Personen anhand der Anteile der Herkunftsländer an der Gesamtbevölkerung berechnet werden.5

1  Statistisches Bundesamt, „Bevölkerungsstand“, https://www.destatis.de/DE/The men/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/zensus-ge schlecht-staatsangehoerigkeit-2019.html (abgerufen am 10.06.2022). 2  Pfündel/Stichs/Tanis, Muslimisches Leben in Deutschland 2020 (2021), S. 37. 3  Haug/Müssig/Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland (2009). 4  Stichs, „Wie viele Muslime leben in Deutschland? – Eine Hochrechnung über die Anzahl der Muslime in Deutschland zum Stand 31. Dezember 2015 (im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz)“ (2016). 5  Pfündel/Stichs/Tanis, Muslimisches Leben in Deutschland 2020, S. 17 ff.

24

Kap. 1: Muslime in Deutschland – ein Überblick

I. Schwierigkeiten statistischer Erfassung Eine genauere statistische Erfassung der Religionszugehörigkeit in Deutschland lebender Muslime ist aus mehreren Gründen nicht möglich:6 Der jährliche Mikrozensus erfasst die Religionszugehörigkeit nicht.7 Der Zensus 2011 erfasste im Wege der Haushaltsbefragung zwar gemäß § 7 Abs. 4 Nr. 19 Zensusgesetz 2011 auch das Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung, die Angabe war jedoch für die Befragten gemäß § 18 Abs. 1 S. 2 ZensG 2011 freiwillig. Aufgrund der hohen Anzahl freiwillig unterlassener Angaben, haben die ausführenden Statistischen Ämter des Bundes und der Länder nur Angaben zur Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft gemacht,8 wie sie gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 27 ZensG 2011 durch Abfrage der Meldebehörden erhoben werden konnten. Daher finden sich nur Angaben für diejenigen Religionsgemeinschaften, die gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 11 Bundesmeldegesetz von den Meldebehörden zu erfassen sind. Erfasst werden damit grundsätzlich zwar Religionsgemeinschaften verschiedener Rechtsformen, in der Praxis werden aber fast ausschließlich öffentlich-rechtliche Körperschaften erfasst.9 Außerdem war eine Antwort für Muslime nur durch Selbstauskunft der spezifischen Glaubensrichtung (sunnitisch, schiitisch, alevitisch) auf dem Fragebogen möglich.10 Nach nahezu übereinstimmenden Ergebnissen der MLD-Studie 2008 und des Religionsmonitors der BertelsmannStiftung aus dem Jahr 2008 bezeichnen sich aber fast ein Fünftel der befragten Muslime nicht einer dieser drei Glaubensrichtungen zugehörig,11 sodass für die freiwillige Optionsfrage beim Zensus 2011 eine hohe Verweigerungsrate bei Muslimen möglich erscheint. Daher erfolgt in den Zensusergebnissen keine Angabe zur Zugehörigkeit zu islamischen Glaubensgemeinschaften.12 6  Ausführlich dazu: Spielhaus, „Muslime in der Statistik – Wer ist Muslim und wenn ja wie viele?“ (2013), abrufbar unter: https://mediendienst-integration.de/ fileadmin/Dateien/Muslime_Spielhaus_MDI.pdf (abgerufen am 10.06.2022). 7  Vgl. § 6 Mikrozensusgesetz vom 7. Dezember 2016 (BGBl. I S. 2826). 8  Statistische Ämter des Bundes und der Länder, „Zensus 2011“, https://www. zensus2011.de/SharedDocs/Zensus %202011/Methode/Aenderungen_Religion.html? nn=3065474 (abgerufen am 10.06.2022). 9  Süßmuth, in: Süßmuth (Hrsg.), Bundesmeldegesetz-Kommentar, Bd. 2 (5. Lfg., 2016), § 3 BMG Rn. 45, 47, vgl. auch Anlage zum Datensatz für das Meldewesen (DSMeld) vom 01.11.2015, ebd. 10  Spielhaus, „Muslime in der Statistik“, S. 7. 11  Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), Religionsmonitor 2008: Muslimische Religiösität in Deutschland – Überblick zu religiösen Einstellungen und Praktiken (2008), S. 24. Haug/Stichs, „Muslimisches Leben in Deutschland – Zahl der Muslime, Arbeits­ marktintegration, Soziale Integration“, in: Rohe/Engin/Khorchide/Öszoy/Schmid (Hrsg.), Handbuch Christentum und Islam, Bd. I (2014), S. 72–128 (82). 12  Die erste Anerkennung einer islamischen Religionsgemeinschaft (Ahmadiyya Muslim Jamaat) als Körperschaft des öffentlichen Rechts erfolgte im Jahre 2013:



A. Anteil an der Bevölkerung25

Andere Erhebungen stützen sich entweder selbst im Wesentlichen auf die Daten der MLD-Studien13 oder berücksichtigen nur einen Teil der Bevölkerung. Beispielweise erfasst das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nur Erwachsene.14 Wesentliche Grundlage der Berechnung des Bevölkerungsanteils der Muslime in Deutschland ist daher, wie auch vor dem Zensus 2011, die Zahl der Migranten aus muslimisch geprägten Herkunftsländern,15 in Kombination mit empirischen Studien zur Ermittlung des Anteils von Muslimen an den Migranten aus den verschiedenen Herkunftsländern.16 Für die Haushaltsbefragung im Rahmen des Zensus 2021 ist die Abfrage der Religionszugehörigkeit sogar oder gerade wegen der zuvor beschriebenen Probleme gar nicht vorgesehen. Nach § 13 und § 5 Abs. 1 Nr. 28 Zensusgesetz 2021 erfolgt lediglich die Abfrage der Meldebehörden bezüglich der Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft.17

II. Bevölkerungsanteile in den Bundesländern Eine Sonderauswertung der MLD-Studie 2020 durch das BAMF gibt erstmals auch den Anteil muslimischer Religionsangehöriger in den einzelnen Bundesländern an. Die MLD-Studie 2008 hatte zwar die relative Verteilung der Muslime in Deutschland angegeben, nicht jedoch den jeweiligen Anteil an der Landesbevölkerung.18 Auch die MLD-Studie 2020 gibt selbst nicht den Anteil der muslimischer Religionsangehöriger mit Migrationshintergrund Hessisches Kultusministerium, Az.: Z.3 – 880.201.000-39, StAnz. 20/2013 vom 13.05.2013, S. 634. 13  Pew Research Center, „Europe’s growing muslim population“ (2017), S. 56, abrufbar unter: http://www.pewforum.org/wp-content/uploads/sites/7/2017/11/FULLREPORT-FOR-WEB-POSTING.pdf (abgerufen am 10.06.2022). 14  DIW Berlin, „4,3 Prozent der in Deutschland lebenden Erwachsenen sind Muslime“, https://www.diw.de/de/diw_01.c.582774.de/themen_nachrichten/4_3_prozent_ der_in_deutschland_lebenden_erwachsenen_sind_muslime.html (abgerufen am 10.06. 2022). 15  Ältere Schätzungen nehmen keine Anteilsberechnung für Muslime vor und setzen daher Staatsangehörigkeit mit Religionszugehörigkeit gleich, bspw. für 1999/2000 mit 2,8 bis 3,2 Millionen Muslimen in Deutschland in Deutscher Bundestag, Drs. 14/4530 (08.11.2000), S. 5; ebenso wurden für das Jahr 2007 auf dieselbe Weise 3,1 bis 3,4 Millionen in Deutschland lebende Muslime geschätzt, siehe Deutscher Bundestag, Drs. 16/5033 (18.04.2007), S. 6. 16  Stichs, „Wie viele Muslime leben in Deutschland?“, S. 10; so bereits ohne Berücksichtigung des Zensus mit deshalb stärkerer Berücksichtigung der eigenen empirischen Studie: Haug/Müssig/Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland. 17  Zensusgesetz 2021 vom 26. November 2019 (BGBl. I S. 1851). 18  Haug/Müssig/Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland, S. 106 f.

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Kap. 1: Muslime in Deutschland – ein Überblick

an, weil damit selektive Wanderungsprozesse innerhalb Deutschlands nicht berücksichtigt werden könnten.19 Mittels Konfidenzintervallen könne die unterschiedliche Verteilung der Muslime zwischen den Bundesländern aber berechnet werden.20 Demnach leben in den Flächenstaaten Hessen (9,7–10,2 Prozent) und Nordrhein-Westfalen 9,6–10,1 Prozent) die meisten Muslime im Vergleich zur Landesbevölkerung. Einen hoher Bevölkerungsanteil von Muslimen wird auch für Baden-Württemberg (8,3–8,7 Prozent) und das Saarland (7,4–7,8 Prozent) angegeben.21 Ebenfalls hohe Bevölkerungsanteile werden für die Stadtstaaten genannt: In Berlin sind 7,7–8,1 Prozent der Landesbevölkerung bekennende Muslime. In Hamburg/Bremen sind es 10,2–10,8 Prozent,22 wobei das BAMF die Haushaltsbefragungen in diesen beiden Stadtstaaten aus statistischen Gründen zusammenfasst (ebenso MecklenburgVorpommern und Brandenburg).23 Wird die regionale Verteilung muslimischer Religionsangehöriger weiter nach Herkunftsländern aufgeschlüsselt, zeigt sich, dass in den östlichen Bundesländern nicht nur eher wenige Muslime leben, sondern diese auch erst in den vergangenen Jahren als Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika hierhergekommen sind. Demgegenüber geben Muslime in westdeutschen Ländern häufig einen türkischen oder südosteuropäischen Migrationshintergrund an und lebten zumeist schon vor der Wiedervereinigung in Deutschland – dies hat auch Auswirkungen auf die Mitgliederstärke und den Festigungsgrad muslimischer Organisationen.24

III. Anteil an der Haftpopulation Für die Organisation der Gefangenenseelsorge ist Anteil von Muslimen an den Inhaftierten noch relevanter als der Bevölkerungsanteil. Weil die Angabe der Religionszugehörigkeit durch die Gefangenen freiwillig ist,25 gibt es alMuslimisches Leben in Deutschland 2020, S. 52. „Muslimisches Leben in Deutschland 2020 – Fact Sheet zur regionalen Verteilung muslimischer Religionsangehöriger mit Migrationshintergrund aus einem muslimisch geprägten Herkunftsland nach Bundesland“ (2021), S. 1, abrufbar unter: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/Kurz berichte/fb38-muslimisches-leben-factsheet.html?nn=403976 (abgerufen am 10.06. 2022). 21  Ebd., 2. 22  Ebd. 23  Pfündel/Stichs/Tanis, Muslimisches Leben in Deutschland 2020, S. 52. 24  Ebd., 54. 25  Vgl. BVerfGE 46, 266–268. Vgl. auch Art. 10 Richtlinie (EU) 2016/680 und die dazu erlassenen Justizdatenschutzgesetze der Länder. Siehe ausführlich unten Kapitel 3, A. III. 1. „Neuere Ermächtigungsgrundlagen im Justizvollzugsdatenschutz“, S. 148. 19  Pfündel/Stichs/Tanis, 20  Tanis,



B. Muslimische Organisationen27

lerdings auch dazu keine offizielle Statistik. Anhand der freiwilligen Angaben veröffentlichen manche Bundesländer aber ihre Daten, teilweise mit absoluten Angaben, teilweise nur mit Schätzwerten. Der so angegebene Anteil muslimischer Häftlinge liegt zwischen 7,7 Prozent in Niedersachsen,26 10 Prozent in Schleswig-Holstein27, 18 Prozent in Rheinland-Pfalz28 und 26,2 Prozent in Baden-Württemberg29. Im Jugendstrafvollzug wird zum Teil ein deutlicher höherer Anteil von Muslimen festgestellt. So hat die hessische Vollzugsverwaltung im Jahr 2018 angegeben, dass in den Jugendstrafvollzugsanstalten 47 Prozent der Jugendlichen muslimisch seien.30 Auf der Grundlage von acht Fallstudien in vier Bundesländern hat eine kriminologisch-islamwissenschaftliche Studie der Universität Tübingen jüngst ermittelt, dass Christen und Muslime insgesamt relativ gleich im Jugendstrafvollzug vertreten sind. In Baden-Württemberg und Hessen überwiegt jedoch weiterhin der Anteil der muslimischen Jugendlichen recht deutlich (50 bzw. 47 Prozent) gegenüber christlich bekennenden Häftlingen (je 37 Prozent).31 Die Tübinger Studie ist nicht repräsentativ, konstatiert aber im Vergleich mit der repräsentativen Shell-Jugendstudie für die untersuchten Jugendstrafanstalten eine „deutliche Überrepräsentation der Muslime im Jugendstrafvollzug“.32 Die Ursachen dafür sind Gegenstand weiterer Forschung der Tübinger Autorengruppe. Andeutungsweise wird die Überrepräsentation „insbesondere mit Unterschieden in der Lebenssituation (v. a. Schulbildung, Schichtzugehörigkeit) und den damit verbundenen Teilhabechancen einerseits und den Selektionspraktiken der Strafverfolgungsinstitutionen (z. B. Geflüchteten ohne feste Bindungen) andererseits“ erklärt.33

B. Muslimische Organisationen Für die Gestaltung der Kooperationen von Staat und Religionsgemeinschaften ist zudem der Organisationsgrad der Muslime in Deutschland generell und die Anerkennung großer Islamverbände als Vertretungsorganisation im konkreten relevant. Nach der MLD-Studie aus dem Jahr 2008 ist die Zugehörigkeit von Muslimen zu muslimischen Organisationen in Deutschland gering: lediglich 20 Prozent der Befragten gaben an, Mitglied in einem reli26  Niedersächsischer

Landtag, Drs. 18/540 (22.03.2018), S. 1. Landtag, Drs. 19/441 (25.01.2018). 28  Landtag Rheinland-Pfalz, Vorl. 17/6787 (23.07.2020), S. 2. 29  Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 16/3030 (21.11.2017). 30  Hessisches Ministerium der Justiz, LT-Drs. Rh-Pf. 17/2491 (08.01.2018), S. 12. 31  Stelly/Lutz/Thomas/Bergmann/Bartsch, Forum Strafvollzug 2021, S. 200, 201. 32  Ebd. 33  Ebd. 27  Schleswig-Holsteinischer

28

Kap. 1: Muslime in Deutschland – ein Überblick

giösen Verein oder einer Gemeinde zu sein.34 Für die im Jahr 2008 in der ersten Deutschen Islam-Konferenz (während der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, 2006–2009) vertretenen Organisationen hat die Studie zudem den Vertretungsanspruch auch unter Nicht-Mitgliedern ermittelt: weniger als ein Viertel der Muslime in Deutschland fühlten sich von der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (DİTİB), dem Zentralrat der Muslime (ZMD), dem Verein islamischer Kulturzentren (VIKZ), der Alevitischen Gemeinde in Deutschland (AABF), dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IR) oder dem Zusammenschluss dieser Verbände als Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) vertreten35 Neben diesen größeren vor allem durch die Herkunftsregionen und -traditionen geprägten muslimischen Verbänden, bestehen weitere Dachverbände, landesweite Zusammenschlüsse und unabhängige Moscheegemeinden. Nach den Ergebnissen einer durch die zweite Deutsche Islam Konferenz (17. Deutscher Bundestag, 2009–2013) beauftragten Studie gab es im Jahr 2011 insgesamt 2342 muslimische Gemeinden mit Gebetsräumlichkeiten in Deutschland.36 Von diesen Gemeinden gaben zunächst 36 Prozent an, keinem Verband anzugehören. Bei einer kleineren Gruppe, auch inhaltlich weitergehender befragten Gemeinden, beträgt der Anteil in dieser Studie unabhängiger Gemeinden noch zwölf Prozent.37 Trotz dieser Differenzen ist jedenfalls mit einer relevanten Anzahl nicht verbandlich-organisierter Moscheegemeinden auszugehen.38 Zur Kooperation mit staatlichen Stellen haben sich in einigen Ländern insbesondere kleinere Moscheegemeinden und Organisationen zu „Schuren“ (von arabisch „Schura“: Ratsversammlung, Beratungsgremium) gebildet, die sich auch zur Konferenz der Islamischen Landesverbände zusammengeschlossen haben.39 Neben dem Religionsunterricht als gewissermaßen klassischen Kooperationsfeld von Staat und Islamverbänden haben diese auch in einzelnen Ländern für die Gefangenenseelsorge Vereinbarungen abschließen können (bspw. in Hamburg, Bremen, Niedersachsen)40. Weitere multikonfessionelle Muslimisches Leben in Deutschland, S. 167. 173, 179. 36  Halm/Sauer/Schmidt/Stichs, Islamisches Gemeindeleben in Deutschland (Forschungsbericht im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz) (2012), S. 52. 37  Ebd., 55. 38  Die Autoren führen die Differenzen unter anderem auf unterschiedliche personelle Ressourcen für die einfache Existenzabfrage gegenüber der inhaltlichen Befragung zurück, wodurch bei ersterer den Antwortenden manche Verbandszugehörigkeit unbekannt geblieben sein könne, so ebd., 55 f. 39  Übersetzung u. Übersicht dazu bei Rohe, Der Islam in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme (2. Aufl., 2018), S. 124. 40  Dazu sogleich jeweils separat unter Kapitel 3, C. „Bestandsaufnahme: Vollzug­ liche Praxis in den Bundesländern“, S. 168 ff. 34  Haug/Müssig/Stichs, 35  Ebd.,



B. Muslimische Organisationen29

Zusammenschlüsse gibt es lokal wie überregional, teilweise auch mit besonderem Fokus auf die Wohlfahrtspflege, die sich explizit von den bestehenden Verbänden abgrenzen wollen bzw. für ihren spezifischen Interessenbereich Muslime jeder Herkunft oder Glaubensrichtung ansprechen wollen.41 Die innere Organisation und Professionalität der Moscheegemeinden und Verbände hängt in hohem Maße von deren finanziellen Ressourcen ab, sodass die großen Verbände trotz ihrer eingeschränkten Reichweite als Vertretungsorgane einen erheblichen Teil der „religiösen Grundversorgung“ leisten.42 Die Studie im Auftrag der zweiten Deutschen Islam-Konferenz zum Gemeindeleben der Muslime in Deutschland formuliert deshalb, dass „die großen Verbände die muslimische Organisationslandschaft weder vollständig dominieren, noch ein unbedeutender Faktor sind“43. In unterschiedlichem Maße, aber letztlich für verbandlich organisierte wie unabhängige Moscheegemeinden gleichsam, lässt sich dennoch beobachten, dass die Gemeinden stark von ehrenamtlichem Engagement getragen sind, und zwar auch dann, wenn hauptamtliche Religionsbedienstete vorhanden sind.44 Letzteres ist insbesondere Gemeinden der DİTİB der Fall: Der DİTİB-Bundesverband ist durch seine Vereinssatzung an die türkische Religionsbehörde Diyanet gebunden,45 die in großer Zahl Staatsbeamte zum Gemeindedienst nach Deutschland entsendet.46 Zusammenfassend sind vielfältige Organisationen islamisch-religiöser Gruppierung festzustellen, die weder in ihrer rechtlichen Verfassung noch in ihrer gesellschaftlichen Repräsentanz mit den religionsverfassungsrechtlich bisher relevanten Akteuren (Kirchen, Zentralrat der Juden, etc.) vergleichbar sind.

41  Siehe

überblicksartig Rohe, Islam in Deutschland, S. 126 f. Islamisches Gemeindeleben in Deutschland (Forschungsbericht im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz), S. 97. 43  Ebd., 40. 44  Für wöchentliche religiöse Dienste ist der Anteil ehrenamtlicher Kräfte in den Moscheen hoch und liegt nur bei DİTİB und VIKZ unter 50 Prozent, vgl. ebd., 267 ff.; aufgrund des weiten Spektrums religiöser Angebote wie Korankursen oder Feiern zum Fastenbrechen im Ramadan (Iftar-Essen) sowie nicht-religiöser Angebote wie Tee­ stuben oder Sprach- und Integrationskurse ebenfalls ebenfalls von einem hohen Ehrenamtlichen-Anteil der mehrheitlich als Vereinen verfassten Moscheegemeinden ausgehend, vgl. Haug/Müssig/Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland, S. 72, 74 ff. 45  Vgl. Deutscher Bundestag, Drs. 18/11576 (20.03.2017), S. 4. 46  Mehr als 80 Prozent der Imame in Ditib-Gemeinden gab an, hauptamtlich unbefristet beschäftigt zu sein und eine fast identische Anzahl von Imamen gab an, Beamter des Türkischen Staates zu sein, vgl. Halm/Sauer/Schmidt/Stichs, Islamisches Gemeindeleben in Deutschland (Forschungsbericht im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz), S.  267 ff. 42  Halm/Sauer/Schmidt/Stichs,

Kapitel 2

Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug Religiöse Angebote für Muslime in den deutschen Justizvollzugsanstalten betreffen das Verfassungsrecht des Bundes und der Länder sowie das Landesrecht. Zu berücksichtigen sind außerdem die Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Strafvollzug betreffende Regelungen auf völkerrechtlicher Ebene.

A. Grundrechte und Gewährleistungen im deutschen Religionsverfassungsrecht Die Seelsorge im Strafvollzug ist im Grundgesetz ausdrücklich in Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV erwähnt. Der dort geregelte Zulassungsanspruch der Religionsgemeinschaften zur Seelsorge in öffentlichen Anstalten bildet innerhalb des Verfassungstextes demnach den vermeintlichen Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für religiöse Angebote im Strafvollzug. Diese Regelung betrifft durch Bezug zur Religionsgemeinschaft aber nur die eine Seite der gemeinsamen Religionsausübung von Gemeinschaft und den ihr angehörenden Gefangenen. Grundlegend sind vielmehr die individuellen Freiheiten des Glaubens, des Bekenntnisses und der Reli­ gionsausübungen eines jeden Gefangenen und der sich zu diesem Zweck zusammengeschlossenen Gruppen gemäß Art. 4 Abs. 1, 2 GG. Auch die meisten Landesverfassungen enthalten entsprechende Regelungen oder Verweisungen auf das Grundgesetz oder beides.1 Nennenswerte Unterschiede zum Bundesverfassungsrecht bestehen – auch aufgrund von Art. 142 GG – kaum: Aufgrund der großen Bedeutung der Verfassungsrechtsprechung zu Art. 4 GG ist die praktische Bedeutung der Landesverfassungen gering.2 Daher konzentriert sich die folgende Darstellung auf die Verfas1  Vgl. dazu Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I (3. Aufl., 2013), Art. 4 GG Rn. 42 m. w. N.; Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes (zugl. Kiel, Univ., Habil., 2006), S. 166. 2  Mückl, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz (135. Akt., 2008), Art. 4 GG Rn. 203 f.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht31

sungsartikel des Grundgesetzes,3 an anderer Stelle erlangen dagegen landesrechtlichen Bestimmungen zum Strafvollzug und zum besonderen Datenschutz sowie die Verwaltungspraxis der Länder wesentliche Bedeutung.4 Der verfassungsrechtliche Rahmen ist durch die gemeinschaftsbezogene Regelung des Art. 140 GG/Art. 141 WRV und die individuelle Freiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG noch nicht vollständig erfasst: Der allgemeine und besondere Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1, 3 GG sowie die Gleichbehandlungspflicht in Bezug auf Religionsgemeinschaften als Folge der aus Art. 3 III, 4, 33 III GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 I, II, 137 I, V, VII GG abgeleiteten Grundsätze der Neutralität und Parität sind ebenso zu berücksichtigen. Ferner ist auch der Begriff der Religionsgemeinschaft aus Art. 7 Abs. 3 GG bzw. der meist identisch ausgelegte Begriff der Religionsgesellschaft aus den über Art. 140 GG inkorporierten Weimarer Verfassungsartikeln in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus berechtigen die Freiheiten des Art. 4 Abs. 1, 2 GG auch das im Strafvollzug tätige religiöse Personal. Innerhalb dieses Rahmens werden im Folgenden die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen muslimischer Angebote der Religionsausübung im Strafvollzug aufgezeigt. Anders als es für das historisch institutionell geprägte Religionsrecht des Grundgesetzes lange praktiziert wurde, wird dafür die grundrechtliche Blickrichtung aufgrund der Pluralisierung der Gesellschaft und der Vielfalt religiöser Bekenntnisse bedeutsamer.5 Dies gilt insbesondere für die Beschäftigung mit dem Islam: hier waren und sind es Konflikte um die individuelle Religionsausübung, wie etwa das Tragen eines Kopftuches durch eine Lehrerin6 oder Richterin7, das Töten eines Tieres durch Schächten8 3  Dazu Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 86 f., 223 ff.; und Ennuschat, Militärseelsorge – Verfassungs- und beamtenrechtliche Fragen der Kooperation von Staat und Kirche (zugl. Bochum, Univ., Diss., 1996), S. 149 ff. 4  Siehe unten Kapitel 3, S. 138 5  Vgl. bspw. Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive (zugl. Heidelberg, Univ., Habil., 2006), S. 195 ff., 200 f.; zum Ganzen vgl. auch die Auseinandersetzungen um den Begriff des Rechtsgebiets in Heinig/ Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? Ein begriffspolitischer Grundsatzstreit (2007). 6  Vgl. BVerfGE 108, 282–340; BVerfGE 138, 296–375; Nachweise zum umfangreichen Schrifttum und weiterer Rechtsprechung bei Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 96, Fn. 311, 312. 7  BVerfG, NJW 2020, 1049–1062; BVerfG, NJW 2017, 2333; Sinder, „Kopftuchverbot für Richterinnen“, Der Staat 57 (2018), S. 459–476; Häberle, „Vor einer „Kopftuch III“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts“, DVBl. 2018, S. 1263– 1268; zu neueren Neutralitätsgesetzen der Bundesländer vgl. Wißmann, „Neutrale Justiz in der pluralistischen Gesellschaft – Anforderungen an innere Haltung und äußere Erscheinung“, ZRP 2019, S. 218–220. 8  BVerfGE 104, 337–356; BVerwGE 112, 227–236; BVerwGE 99, 1–9.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

oder die Beschneidung eines männlichen Kindes als Zeichen für die Religionszugehörigkeit9, die den rechtlichen und öffentlichen Diskurs bestimmen. Der institutionelle Charakter der übernommenen Regelungen aus der Weimarer Verfassung wird für den Islam bei der Diskussion um den Körperschaftsstatus für islamische Verbände10 und den sogenannten „Gemeinsamen Angelegenheiten“11 deutlich. Letzteres wurde in der Vergangenheit vor allem für den Religionsunterricht relevant, denn dafür ist nach Art. 7 Abs. 3 GG erforderlich, dass eine islamische Organisation als Religionsgemeinschaft bewertet werden kann und damit eine gewisse institutionelle Dauerhaftigkeit garantiert ist, um einen Religionsunterricht im staatlichen Schulsystem anbieten zu können. Wie die danach erforderlichen Voraussetzungen auf islamische Verbände anzuwenden sind, ist weiterhin nicht abschließend geklärt.12 Gleiches gilt für die Voraussetzungen des Zutrittsrechts der Religionsgemeinschaften zur Anstaltsseelsorge nach Art. 140 GG/Art. 141 WRV. Auch die Anstaltsseelsorge wird unter den Begriff der „Gemeinsamen Angelegenheiten“ subsumiert, anders als beim Religionsunterricht sind aber wesentlich auch die Freiheitsrechte der Gefangenen und der Seelsorger betroffen. Um die daraus resultierenden Wirkungen und Bedingungen für das Verständnis der Anstaltsseelsorge im Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes herauszuarbeiten, müssen deshalb die verschiedenen verfassungsrechtlichen Beziehungen betrachtet werden: Nach einer Analyse von Art. 140 GG/Art. 141 WRV (I.) wird die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG für das Verhältnis des Inhaftierten als Gläubigen gegenüber dem Staat einerseits (II.) und andererseits für die Position einer Religionsgemeinschaft gegenüber dem Staat (III.) sowie des einzelnen Seelsorgers zum Staat (IV.) in den Blick genommen. Für die Institutionalisierung der muslimischen Seelsorge in Vollzugsan9  LG Köln NJW 2012, 2128–2129; vgl. zur Debatte und Einführung des § 1631d BGB zusammenfassend Rixen, „Das Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“, NJW 2013, S. 257–262. 10  Vgl. Heun, ZevKR 64 (2019), S. 24, 42 ff.; Hennig, Muslimische Gemeinschaften im Religionsverfassungsrecht – Die Kooperation des Staates mit muslimischen Gemeinschaften im Lichte der Religionsfreiheit, der Gleichheitssätze und des Verbots der Staatskirche (zugl. Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2010), S. 129 f., 156 ff.; Muckel (Hrsg.), Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates (2008), S.  268 f. 11  Kritisch erklärend dazu Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht – eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa (4. Aufl., 2006), S. 196. 12  BVerwG NVwZ 2019, 236–239; BVerwGE 123, 49–75; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.12.2003 – Az. 19 A 997/02 –; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.11.2017 – 19 A 997/02 –; zum Verfahren aus Sicht der Klagevertreterin siehe zu Hohenlohe, „Islamische Dachverbände als Religionsgesellschaften – ein Zwischenbericht“, ZevKR 64 (2019), S. 79–97; für die Kritik an der Rechtsprechung des BVerwG siehe Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht33

stalten sind darüber hinaus Wirkungen der Gleichheitsrechte des Art. 3 I, III GG und die abgeleiteten Grundsätze der Neutralität und Parität relevant (V.). Aufbauend darauf werden die Wirkungen dieser verfassungsrechtlichen Grundlagen nochmals mit Blick auf die Anstaltsseelsorge insgesamt betrachtet und allgemeine Anforderungen für die Organisation muslimisch-religiöser Angebote in Strafvollzugsanstalten formuliert (VI.).

I. Anstaltsseelsorge gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art.  141 WRV Die Seelsorge in Strafvollzugsanstalten ist einer von mehreren Bereichen, die mit dem Begriff Anstaltsseelsorge beschrieben werden und im Grundgesetz ausdrücklich in Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV geregelt sind: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“

Die Wortlaut-Auslegung dieser Regelung ist nicht mehr sonderlich umstritten,13 das Verhältnis zu Art. 4 GG und die dogmatische Einordnung der Anstaltsseelsorge allgemein werden hingegen weiterhin unterschiedlich beurteilt. Für die Organisation religiöser Angebote für muslimische Gefangene ist zunächst zu klären, ob und wie die Zutrittsregelung zur Anstaltsseelsorge gemäß Art. 140 GG/Art. 141 WRV für islamische Glaubensgemeinschaften Anwendung finden kann. Die Stellung der Anstaltsseelsorge im Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes ist dagegen erst nach genauerer Betrachtung der übrigen grundrechtlichen Vorgaben zu besprechen.14 Im Tatbestand verlangt der Zulassungsanspruch ein Bedürfnis zu Seelsorge und Gottesdienst, um als Rechtsfolge die Zulassung „zur Vornahme religiöser Handlungen“ in den genannten Anstalten auszusprechen. Das Bedürfnis für die Religionsausübung wird widerleglich vermutet, wenn Gefangene im Rahmen einer freiwilligen Abfrage15 eine Religionszugehörigkeit angeben.16 13  Dass dies einmal anders war, zeigen u. a. die Fragen von Pirson, „Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts“, in: Marré/Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 23 (1989), S. 4–31 (7). 14  Siehe unten Kapitel 2, A. VI. „Zusammenfassung: Seelsorge im Gefängnis im Rahmen des Religionsverfassungsrecht“, S. 125. 15  Vgl. BVerfGE 46, 266–268. 16  Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 11; Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 10; Muckel, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz (34. EL), Art. 140 GG/Art. 141 WRV Rn. 11; Korioth, in: Dürig/Herzog/ Scholz (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar (42. EL), Art. 141 WRV Rn. 7; Kästner, in:

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Auf das Bedürfnis der Religionsgemeinschaften kann es dabei nicht ankommen.17 Das Zwangsanwendungsverbot für die gemeinschaftliche Religionsausübung in öffentlichen Anstalten folgt bereits aus Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 4 WRV und der negativen Religionsfreiheit, die der Staat auch gegenüber in seinen Anstalten tätigen Religionsgemeinschaften zu gewähren hat.18 Unter dem Begriff der Strafanstalten in Art. 141 WRV werden alle Justizvollzugsanstalten verstanden.19 Als Rechtsfolge erlangen die Religionsgemeinschaften einen subjektiven Anspruch, der auch verfassungsprozessual durchsetzbar ist und sie zum Zutritt in die Anstalten berechtigt.20 Der Zutritt einzelner, von den Religionsgemeinschaften entsandter, Personen lässt sich daraus also nicht unmittelbar ableiten, sodass auch aufgrund der verschiedenen angesprochenen Anstalten der Anspruch ausgestaltungsbedürftig ist.21 Für den Strafvollzug ist das zunächst durch das Bundesstrafvollzugsgesetz und heute durch die Landesstrafvollzugsgesetze vorgenommen worden. Üblich sind auch vertragliche Regelungen, die sich auch in Konkordaten und Staatskirchenverträgen finden.22 Im Übrigen ergeben sich die Schranken des Zutrittsanspruchs aus der institutionellen Funktionsfähigkeit der jeweiligen Anstalten.23 Näherer Betrachtung bedürfen noch, insbesondere für die gemeinschaftliche Religionsausübung von Muslimen, die Tatbestandmerkmale Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz (144. Akt.), Art. 140 GG Rn. 695; Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar (7. Aufl., 2014), Art. 140 GG Rn. 2; Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 110 f.; ähnlich auch Ennuschat, Militärseelsorge, S. 116 f.; Schilberg, „§ 56 Anstaltsseelsorge“, in: Pirson/ Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 2, S. 2357. 17  A. A. Pirson, „Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts“, in: Marré/Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche, Bd. 23, S. 4, 12. 18  Für Art. 141 WRV vgl. Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 19; Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 115. 19  Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 6; Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 7; Friauf/Höfling/Muckel, Berliner Kommentar, Art. 140 GG/ Art. 141 WRV Rn. 11; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 5. 20  Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 16; Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 12; Friauf/Höfling/Muckel, Berliner Kommentar, Art. 140 GG/ Art. 141 WRV Rn. 12; ähnlich auch Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 16; Kahl/Waldhoff/Walter/Kästner, BK-GG, Art. 140 GG Rn. 688; Schilberg, „§ 56 Anstaltsseelsorge“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 2, S. 2354. 21  Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 12; ähnlich Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 6. 22  Dazu ausführlich Eick-Wildgans, „§  70 Anstaltsseelsorge“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II (1996), S. 995–1016 (235 ff.). 23  Dazu ausführlich noch unten Kapitel 2, A. II. 1. b) „Besondere Schranke durch Inhaftierung im Strafvollzug“, S. 70.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht35

„Seelsorge und Gottesdienst“ (1.) sowie die anspruchsberechtigten „Religionsgesellschaften“ (2.). 1. Das Bedürfnis nach Seelsorge und Gottesdienst Um die Bedeutung der Worte Seelsorge und Gottesdienst in Art. 141 WRV zu ergründen, ist zwischen der Auslegung der Wortbedeutung anhand der juristischen Auslegungsmethoden und der Bedeutung innerhalb des religiösen Selbstverständnisses zu unterscheiden. a) Juristische Begriffsauslegung Die rechtliche Definition von Seelsorge und Gottesdienst ist nach der Systematik des Art. 141 WRV nicht notwendig. Die Regelung verlangt ein Bedürfnis nach Seelsorge und Gottesdienst, um die Religionsgemeinschaften für die Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen. Demnach ist die Rechtsfolge nicht auf Seelsorge und Gottesdienst begrenzt, sondern ermöglicht jede Art von religiösen Veranstaltungen entsprechend dem Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft,24 das im Rahmen der korporativen Religionsfreiheit zu berücksichtigen ist.25 Das Bedürfnis nach Seelsorge und Gottesdienst im Tatbestand des Art. 141 WRV bezieht sich auf die Gefangenen, konkret deren (aufgrund der Religionszugehörigkeit vermuteten) Wunsch nach gemeinschaftlicher Religionsausübung mit einem (professionellen) religiösen Beistand oder in einer Gruppe. Es wäre daher systematisch widersprüchlich, den Tatbestand auf den Bedarf nach bestimmten Ausprägungen gemeinschaftlicher Religionsausübung zu begrenzen, wenn die Rechtsfolge auch andere Arten der Religionsausübung zulässt. Dass mit Gottesdienst und Seelsorge zwei christliche Handlungen erwähnt werden, ist auf die historischen Wurzeln des deutschen Religionsverfassungsrechts zurückzuführen und beschreibt die damalige Praxis26 und entfaltet für das Grundgesetz, bei dessen Verhandlungen im Parlamentarischen Rat die 24  Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 9; Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 7; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 8; Friauf/Höfling/Muckel, Berliner Kommentar, Art. 140 GG/Art. 141 WRV Rn. 12; Ennuschat, Militärseelsorge, S. 119. 25  Dazu ausführlich noch später Kapitel 2, A. II. 1. a) bb) „Bestimmung des Schutzbereiches unter Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses“, S. 60. 26  Mit Art. 141 WRV wurde ab 1919 die staatliche Anstalts- und Militärseelsorge religionsneutral privatisiert, siehe Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 2; Schilberg, „§ 56 Anstaltsseelsorge“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 2, S. 2348.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Regelung des Art. 141 WRV für die Inkorporation über Art. 140 GG gar nicht besprochen worden ist,27 keine beschränkende Wirkung.28 Die Begriffe Seelsorge und Gottesdienst werden daher auch als „säkulare Rahmenbegriffe“29 verstanden und sind religionsneutral auszulegen.30 Der semantische Ursprung des Wortes Seelsorge und die christliche Prägung dessen als „cura animarum“ seit der Regula pastoralis von Gregor dem Großen31 erklärt höchstens die Wortwahl im Verfassungstext, ändert an der Auslegung aber nichts. Die Begriffe Gottesdienst und Seelsorge dienen innerhalb von Art. 141 WRV als Beispiel und Benennung der wohl praktisch bedeutsamsten Varianten gemeinschaftlicher Religionsausübung in öffentlichen Anstalten. Aus diesen Gründen ist auch ein „gewisses staatliches Seelsorgeverständ­ nis“32 im Tatbestand der Norm nicht erforderlich. Ebenso ist ein „auch im staatlichen Recht handhabbarer Gottesdienstbegriff“ nicht hilfreich, schon gar nicht, wenn dieser „dem kirchlichen Verständnis weitgehend“ entsprechen soll.33 Eingrenzungen dieser Art können nur dazu dienen, den Arbeitsumfang des Seelsorgepersonals einzuschränken und bestimmte Tätigkeiten zu unterbinden. Dies betrifft aber die Schrankenebene und nicht bereits den Tatbestand des Zulassungsanspruchs nach Art. 140 GG/Art. 141 WRV. Aus demselben Grund sind Interpretationen zu weitgehend, nach denen Religionsgemeinschaften eine „Darlegungs- und Beweislast für die Seelsorgereigenschaft der von ihr entsendeten Person“ träfe, weil der Staat ohne eigenes Seelsorgeverständnis nicht beurteilen kann, ob der Beweis für die Seelsorge erbracht ist. Mit Art. 4 Abs. 1, 2 GG ist insofern nur eine Plausibilitätsprüfung zulässig, was die Darlegungslast der Religionsgemeinschaft aber nicht ausschließt.34. Wo Einschränkungen gegenüber der Person des Seelsorgers oder der Seelsorgetätigkeit zum Schutz der Anstaltssicherheit oder einzelner 27  Dreier/Morlok, Art.  141 WRV Rn.  3; Mangoldt/Klein/Starck et  al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 2; ausführlich zu den Beratungen in Weimar und Bonn Ennuschat, Militärseelsorge, S. 132, 139, 141 f. 28  Im Ergebnis ebenso Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S.  113 f. 29  Heckel, „Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht – Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, Bd. II (2001), S. 379–420 (382); vgl. auch Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 27. 30  Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 9; ähnlich Sachs/Ehlers, Art. 141 WRV Rn. 3; auch insoweit auf das Selbstverständnis der Berechtigten verweisend Schilberg, „§ 56 Anstaltsseelsorge“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 2, S. 2355 f. 31  Müller, Seelsorge, S. 383. 32  Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 113. 33  Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug, S. 225. 34  Siehe unten Kapitel 2, A. II. 1. a) aa) „Bestimmung des Schutzbereiches unter Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses“, S. 60.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht37

Gefangener erforderlich scheinen,35 braucht es daher eine Rechtsgrundlage zur Einschränkung der Religionsausübung im Strafvollzug und nicht einer tatbestandlichen Eingrenzung.36 Die erforderliche Rechtsgrundlage wird sich regelmäßig auch aus gesonderten Ausgestaltungsregelungen mit den Religionsgemeinschaften oder den (verfassungsrechtlichen) Regelungen des Strafvollzugs ergeben. Folglich ist auch die gemeinschaftliche Religionsausübung von Muslimen im Rahmen von Art. 140 GG/Art. 141 WRV zuzulassen. Dies ist in der Vergangenheit von Vigor Fröhmcke für die Seelsorge mit der These bestritten worden, dass der Islam keinen Religionsdiener kenne, der „in Abgrenzung seiner Aufgaben aus der Menge der Gläubigen herausgehoben ist, wie etwa der christliche Pfarrer“.37 Ein Imam erfülle keine „seelsorgerische Aufgaben im christlichen Sinne“ und auch für den Gelehrten des religiösen Rechts fällt „eine allgemeine seelsorgerische Betreuung (…) nicht in seinen Aufgaben­ bereich“.38 Wenn Fröhmcke gleichzeitig aber das Freitagsgebet mit Verweis auf das Tatbestandsmerkmal Gottesdienst zulassen möchte,39 ignoriert das den beispielhaften Charakter von Seelsorge und Gottesdienst im Tatbestand gegenüber der umfassenderen Rechtsfolge. Bereits deshalb, aber vor allem mit Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre in der islamischen Theologie bedarf die Interpretation des islamischen Seelsorge-Verständnis mindestens einer Aktualisierung. Deshalb ist zur Anwendung des ursprünglich christlichantiken Seelsorgebegriff auf die Religionsausübung von Muslimen, das islamisch-theologische Seelsorgeverständnis in den Blick zu nehmen. b) Seelsorgeverständnis und Äquivalente im Islam Der Begriff Seelsorge findet sich im Koran nicht,40 aber ebenso wenig ist er in der Bibel erwähnt.41 Äquivalente für den christlichen Dienst am Men35  Von der Prämisse ausgehend und deshalb Bedingungen für die „Person des Tätigen, seine subjektive Motivation und seine Tätigkeit“ formulierend aber EickWildgans, Anstaltsseelsorge, S. 113. 36  Ähnlich Arloth/Krä (4. Aufl., 2017), Rn. 2 zu § 53 StVollzG. 37  Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug, S. 215. 38  Ebd., 216; auf „zahlreiche Schwierigkeiten“ verweisend auch Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 115. 39  Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug, S. 227 f. 40  Takim, „Das islamische Menschenbild und die Seelsorge im Islam (Vortrag im Rahmen der Konstituierenden Sitzung des Arbeitsausschusses der Deutschen Islam Konferenz zum Thema Seelsorge am 18. Februar 2016)“ (2016), S. 1, abrufbar unter: https://www.deutsche-islam-konferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/ Sonstiges/20160307_vortrag_takim_seelsorge.pdf (abgerufen am 10.06.2022). 41  Müller, Seelsorge, S. 384.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

schen, die Sorge um die Seele, finden sich aber gleichwohl. Als christliches Seelsorgeverständnis wird im Rahmen dieser Untersuchung – im Bewusstsein konfessioneller und disziplinärer Unterschiede im Detail – das „Anliegen, Menschen in ihren spezifischen Situationen beizustehen“ verstanden, dass auch (aber nicht nur) als professionelle Aufgabe der Kirchen angesehen wird.42 Um dem islamischen Verständnis nachzugehen, sind zunächst die Bedingungen der Koranauslegung zu klären (aa)). Auf dieser Grundlage können sodann die Interpretationen der Seele (bb)), die daraus abgeleiteten religiösen Gebote an die Gläubigen zu Wohltaten (cc)) und schließlich theologische Begründungen für die Professionalisierung der Tätigkeit in besonderen Lebensbereichen (dd)) betrachtet werden, um diese in den verfassungsrechtlichen Diskurs einzuführen. aa) Bedingungen der Koranauslegung Der Koran bezeichnet „die Sammlung der von Mohammed empfangenen und öffentlich verkündigten Offenbarungen Gottes“.43 Diese sind „als mündlich vorzutragender Text offenbart und in der muslimischen Geschichte immer als Rezitationstext behandelt worden“44. So entstanden unterschiedliche Überlieferungen der unterschiedlichen Koranleser. Daran haben auch frühe schriftliche Fassungen nichts geändert. Im Gegenteil: Sie enthielten nur den „rasm“, den reinen Konsonantentext ohne die arabischen Kennzeichnungen für verschiedene Konsonantenlaute (diakritische Punkte) oder Kurzvokale.45 Mit Verweis auf die Überlieferungsgeschichte des Korans, wie sie der Damaszener Koranwissenschaftler Ibn al-Ǧjazarī (1350–1429) ermittelt hat, hat Thomas Bauer gezeigt, dass die frühen Schriftfassungen gerade das Ziel hatten, diese Vielfalt zu ermöglichen, die sich aus der mündlichen Überlieferung seit der Zeit des Propheten ergeben hatten.46 Laut Bauer habe sich daraus auch ein anderer kultureller Umgang mit Pluralität entwickelt.47 Aufgrund der (traditi42  Ebd.

Der Koran – eine Einführung (10. Aufl., 2018), S. 17. Die Kultur der Ambiguität – Eine andere Geschichte des Islams (5. Aufl., 2016), S. 61 m. Verw. auf Kermani, Gott ist schön, 2000; vgl. auch Bobzin, Der Koran – eine Einführung, S. 107 f. 45  Bobzin, Der Koran – eine Einführung, S. 111 f.; Bauer, Kultur der Ambiguität, S. 73. 46  Bauer, Kultur der Ambiguität, S. 75 ff.; anders aber: „Sicherlich hat auch das Aufkommen divergierender Lesetraditionen, die ein einheitliches Textverständnis erschwerten, das Bedürfnis nach der Schaffung eines verbindlichen Korantextes laut werden lassen.“, in Bobzin, Der Koran – eine Einführung, S. 110. 47  Vgl. die Erläuterung des Titels seiner Studie in Bauer, Kultur der Ambiguität, S. 16. 43  Bobzin, 44  Bauer,



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onell sieben) verschiedenen Lesetraditionen bezeichnet es Hartmut Bobzin als „charakteristische Eigenschaft des Islams (…), dem Prinzip der Pluralität Rechnung zu tragen, dies aber zugleich in der Weise einzugrenzen, dass daraus keine Tendenzen zur Spaltung entstehen“.48 Die Vielfalt der Lesarten des Korans wird so als Gnade Gottes verstanden, die den Menschen die Rezeption des Textes erleichtern soll.49 Die Lesartenwissenschaft und die Ausbildung zur Koranrezitation haben laut Bauer auch deshalb eine größere praktische Bedeutung als die islamische Theologie jemals hatte.50 Dies insgesamt hat zu berücksichtigen, wer nach dem islamischen Seelsorge-Verständnis fragt.51 Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass sich das islamische Verständnis von Seelsorge nicht auf eine vergleichbar einfache Formel, wie oben für das Christentum zitiert, bringen lässt: Der Begriff Seelsorge hat keine Entsprechung in der arabischen Sprache. Selbst wenn es dasselbe religiöse Phänomen im arabischen Sprachraum bzw. in der islamischen Kultur gäbe, würde es anders bezeichnet und würde aufgrund der koranischen Überlieferung möglicherweise auf verschiedene Weise bezeichnet werden. In der islamischen Welt, selbst im osmanischen Reich oder im Abbasiden- oder Umayyadenkalifat, existiert(e) auch keine Institution, die ähnlich der (katholischen) Kirche professionelle Strukturen sprach- und landesübergreifend hätte etablieren können. Im Rahmen dieser juristischen Untersuchung kann nicht – und soll (auch sprachlich bedingt) gar nicht erst versucht werden – die verschiedenen koranischen Lesarten und die sich darauf stützende islamische Theologie in ihren Entwicklungen, Varianten und Bedeutungen vollständig zu erfassen.52 Ebenso wenig kann die Praxis in islamisch geprägten Staaten nicht umfassend berücksichtigt werden,53 die erst seit Kurzem überhaupt international vergleichend betrachtet wird.54 Deswegen geht es an dieser Der Koran – eine Einführung, S. 112. Kultur der Ambiguität, S. 86, 91; andeutend Bobzin, Der Koran – eine Einführung, S. 119. 50  Bauer, Kultur der Ambiguität, S. 64. 51  Verschiedene Lesarten sind im Übrigen auch der Staatsrechtslehre nicht fremd: vgl. die Analyse der unterschiedlichen Interpretation des Böckenförde-Diktums im Laufe der Zeit im Kapitel „Rezeptionen und Lesarten“ bei Dreier, Staat ohne Gott – Religion in der säkularen Moderne (2. Aufl., 2018). 52  Vgl. dazu im deutschsprachigen Schrifttum bspw. Aslan/Modler-El Abdaoui/ Charkasi, Islamische Seelsorge – Eine empirische Studie am Beispiel von Österreich (2015), S.  73 ff. 53  Kurzdarstellungen für Türkei und Malaysia bspw. in Begić/Weiß/Wenz, Barmherzigkeit – zur sozialen Verantwortung islamischer Seelsorge (2014), S. 53 ff. 54  Die erste internationale Tagung dazu fand 2016 in Istanbul statt (International Congress on Religious-Spiritual Counselling & Care), die Folgetagung im Jahr 2018 befasste sich insbesondere mit Angeboten in Krankenhäusern und Haftanstalten, siehe https://mdrk.org/en (abgerufen am 10.06.2022). 48  Bobzin, 49  Bauer,

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Stelle lediglich darum, einige grundlegende Strukturen der sich auf islamischer Seite entwickelnden (theologischen) Seelsorgekonzepte skizzenhaft nachzuzeichnen. bb) Seele und Geist im Islam (nafs/rūḥ) Der Koran kennt zwei Begriffe, die mit „Seele“ übersetzt werden können oder mit dieser Bedeutung in Zusammenhang stehen: nafs und rūḥ. In der Encyclopaedia of Islam beschreibt Edwin E. Calverley die beiden Begriffe zwar gemeinsam, weist aber unterschiedliche Bedeutungsgehalte nach. Nafs hat demnach erst mit der Verwendung im Koran die Bedeutung „Seele“ erhalten, die linguistisch näherliegende Übersetzung „selbst“ entspricht der Bedeutung in früherer arabischer Literatur und findet sich in dieser Weise auch am häufigsten im Koran.55 Sofern nafs im Koran mit „Seele“ (human soul) zu übersetzen sei, ließen sich drei Charakteristika der Seele unterscheiden: die zum Bösen Anstiftende („ammāra bi-’l sūʾ, commanding to evil“), die Zurechtweisende („lawwāma, i.  e. it upbraids“) und die Friedvolle („muṭmaʾinna, tranquil“).56 Rūḥ werde im Koran auf verschiedene Weisen benutzt, die zumeist die Beziehung Allahs zu seinen Gesandten beschreiben: Durch Allahs rūḥ erhalte Adam das Leben, empfange Maria ihren Sohn Jesus („ʿĪsā“), sende Allah seine Engel zur Warnung aus, erhalten die Menschen ihr Wissen und werde Muhammads Herz zur Verkündung des Korans befähigt.57 Als wörtliche Übersetzungen wählt Calverley daher „breath of life“ oder „blew of his rūḥ“ (dt. sinngemäß: Geist/Leben einhauchen) und erklärt die Bedeutung als „special equipment from Allāh for prophetic service“.58 Semantisch und in ihrer Verwendung im Koran ähneln die Begriffe nafs (bzw. der Konsonantenstamm „n-f-s“) und rūḥ den hebräischen Begriffen næpæš (näphäsch) und rûaḥ59 und haben Vorläufer beispielsweise in altbabylonischen Sprachen, die „ein dem Tod entgegengesetzter Zustand“ bedeuten.60 Wie das arabische Pendant hat auch das hebräische næpæš mehrere Bedeutungsebenen, die allerdings im Rahmen der Übersetzungen ins Griechische (psychē), später ins Lateinische (animarum) und schließlich durch Martin Luther ins Deutsche (Seele) verloren gingen.61 55  Calverley, „Nafs“, in: Bearman/Bianquis/Bosworth/van Donzel/Heinrichs (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam (2012), S. VII:880a (1). 56  Calverley, „Nafs“, in: Bearman/Bianquis/Bosworth et al. (Hrsg.), IE², S. 2. 57  Ebd., 2 f. 58  Ebd., 3. 59  Nauer, Seelsorge (2014), S. 65 f. 60  Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 31. 61  Nauer, Seelsorge, S. 65.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht41

Wie in der christlichen Theologie sind auch in der islamischen Philosophie die griechisch-antiken Deutungen zum Verhältnis von Leib und Seele aufgegriffen worden.62 Die Ideen Platons und Sokrates sind in der christlichen Theologie jedoch weiter verbreitet, was auch an der gemeinsamen Verwendung des Griechischen, der Sprache des Neuen Testaments, liegen dürfte.63 Bis in das traditionelle, an den Koran angelehnte islamische Seele-Verständnis konnten sich die antiken Vorstellungen jedoch nicht durchsetzen: Wohl erstmalig hatte Platon in der „Apologie des Sokrates“ die Begriffe Seele und „(um etwas) sorgen“ verbunden.64 Auf Platon geht auch die Gegenüberstellung der Vernunft-Seele und den beiden leiblichen Seelen-Ausprägungen des körperlichen Triebs und des Willensdrangs zurück, die sich in der frühen islamischen Literatur bei Abū Yaʿqūb bin Isḥāq al-Kindī (800–873) wiederfindet.65 Ähnlich lässt sich auch die Dreiteilung der Seele in einen vegetativen, einen animalischen und einen rationalen Teil bei Abū ʿAlī al-Ḥusain bin ʿAbd Allāh ibn Sīnā (980–1037, auch: Avicenna) interpretieren, der eine Verbindung zu Gott über den menschlichen Intellekt (ʿaql) herleitet.66 Innerhalb der islamischen Theologie (kalām) verbreitet, aber nicht dominierend, ist das Seele-Verständnis von Abū Ḥāmid Muḥammad bin Muḥammad al-Ġazzālī (1058–1111). Das Herz (qalb) sei Kern des nafs und bilde mit ʿaql und dem göttlich beeinflussten rūḥ zusammen die Persönlichkeit, ohne dass die Seele vom Körper getrennt sei, aber auch nicht durch diesen begrenzt. Die im Koran aufgrund triebhafter und emotionaler Eigenschaften als „niedriger Teil in ihm“67 beschriebene menschliche Seele ist nach al-Ġazzālī durch bewusstes, vom Intellekt gesteuertes Handeln eingrenzbar.68 Als Grundlage des tradi­ tionellen islamischen Seele-Verständnisses gilt dagegen das Werk „Kitāb ­ar-Rūḥ“ von Ibn Qaiyim al-Ǧauzīya (1292–1350), der ein Schüler von Taqī ad-Dīn Aḥmad bin Taimīya (1263–1328) war. Demnach werden nafs und rūḥ gleichgesetzt und sind eine Seele eigener unsterblicher Substanz, die den Körper im Schlaf und für das erste Gericht nach dem Tod verlasse, sich aber danach wieder mit ihm vereinige.69 Dieses Verständnis lehnt sich eng an den 62  Vgl. zusammenfassend Hajatpour, „Islamische Seelenvorstellungen und die Herausforderungen der Moderne“, in: Badawia/Erdem/Abdallah (Hrsg.), Grundlagen muslimischer Seelsorge (2020) (76 ff.). 63  Nauer, Seelsorge, S. 71. 64  Ebd., 52 f. 65  Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 76, 78 m. Vw. auf Endreß, 1994; vgl. Calverley, „Nafs“, in: Bearman/Bianquis/Bosworth et al. (Hrsg.), IE², S. 8. 66  Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 80. 67  Ebd., 82. 68  Ebd., 82 f.; Calverley, „Nafs“, in: Bearman/Bianquis/Bosworth et al. (Hrsg.), IE², S.  9 f. 69  Calverley, „Nafs“, in: Bearman/Bianquis/Bosworth et al. (Hrsg.), IE², S. 12.

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koranischen Wortlaut in Sure 39, Vers 42 an und lässt sowohl Deutungen zur Einheit wie auch zur Trennung von Leib und Seele zu:70 Sure 39, Vers 42: „Gott beruft die Menschen ab zum Zeitpunkt ihres Todes, und die noch nicht gestorben sind, während ihres Schlafes. Und er hält die zurück, für die er den Tod beschlossen hat, und lässt die anderen bis zu einem genannten Zeitpunkt frei.“71

Überwiegend wird daraus aber (zumindest von deutschsprachigen Autoren im Rahmen der Beschäftigung mit islamischer Seelsorge) auf die Einheit von Leib und Seele geschlossen, gleichzeitig bleiben die verschiedenen Ausprägungen der Seele und deren Deutungen, wie jene von al-Ġazzālī, erkennbar.72 Die im Koran aufgeführten gegensätzlichen Charaktere der Seele bewirken nach beiden Deutungen, insbesondere wenn Körper und Seele als Einheit verstanden werden, eine Unausgeglichenheit des Menschen. Aus der Gleichzeitigkeit der Schwachheit des Menschen im nafs und des göttlichen Einflusses im rūḥ folgert etwa Abdullah Takim, dass die Menschen durch ihr eigenes Handeln zur Vollkommenheit des Lebens gelangen können: „Der Mensch, der seine sprachliche Reife erlangt und sich aus Körper und Seele zusammensetzt, macht eine geistige Entwicklung durch, die in der geistigen Reife ihren Höhepunkt erreicht. Das Gleichgewicht zwischen Vernunft (ʿaql), Herz (qalb), Triebseele (nafs) und Geist (rūḥ) trägt zu dieser geistigen Vollkommenheit durch tazkiyat an-nafs (Läuterung der Triebseele) bei, die zugleich der Ausdruck der religiösen Reife und der höchsten Freiheitsform ist.“73

Weil Glaube und Handeln im Islam eine Einheit bildeten, müsse sich der Glaube im Handeln ausdrücken. Damit verweist Takim als Mittel, um das Gleichgewicht der vier Elemente des Menschen herzustellen, auf die religiösen Gebote. Auch andere (deutschsprachige) Autoren stützen die Begründung islamischer Seelsorgekonzepte mit unterschiedlichen Akzentuierungen auf diesen Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 75, 83. nach Bobzin, Der Koran (3. Aufl., 2019). 72  Ausdrücklich jeweils Takim, „Das islamische Menschenbild und die Seelsorge im Islam“, S. 15, 21 f.; ähnlich auch Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 84 f.; allgemein gehalten bei Cimşit, „Islamische Seelsorge – Eine theologische Begriffsbestimmung“, in: Ucar/Blasberg-Kuhnke (Hrsg.), Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft – Von der theologischen Grundlegung zur Praxis in Deutschland (2013), S. 13–25 (21); eher traditionell al-Ǧauzīya folgend Hibaoui, „Islamische Seelsorge und Beratung im Kontext pluraler Gesellschaften – Das Beispiel Krankenhausseelsorge“, in: Noth/Schweizer/Wenz (Hrsg.), Pastoral and spiritual care across religions and cultures – Seelsorge und Spiritual Care in interkultureller Perspektive (2017), S. 101–114 (102); ähnlich insofern auch Horsch, „Barmherzigkeit als Grundlage der Seelsorge – Eine islamische Sicht“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit – zur sozialen Verantwortung islamischer Seelsorge (2014), S. 23–31 (23, 28). 73  Takim, „Das islamische Menschenbild und die Seelsorge im Islam“, S. 21. 70  Aslan/Modler-El 71  Übersetzung



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Aspekt: die Orientierung des eigenen Handelns am Vorbild des Propheten Muhammads. Diesem Zwischenschritt ist im Folgenden näher nachzugehen, weil aus Handlungsgebote für alle Muslime auch theologische Konzepte für institutionalisierte, professionelle Angebote abgeleitet werden können. cc) Gebot der guten Taten (ịshān) Die Bedeutung des eigenen Handelns, das nach islamischem Menschenbild jeder persönlich vor Gott zu verantworten habe,74 wird an zwei Begriffen des Korans verdeutlicht: taqwā (Gottesfurcht, Frömmigkeit oder „Bewusstsein von Gott“) und ịshān (Wohltun, Verrichtung guter Werke).75 Während taqwā als Beschreibung des Verhältnisses Gott-Mensch dienen kann, bezieht sich ịshān auf das irdische Verhalten und das Verhalten der Menschen gegenüber anderen Menschen.76 Die Bedeutungsgehalte im Korantext gehen jedoch aufgrund der verschiedenen praktizierten Lesarten über eine wörtliche Übersetzung hinaus. taqwā bezeichnet nach koranischer Verwendung das aus der Allgegenwart Gottes folgende Bewusstsein des Menschen für seine Verantwortung gegenüber Allah.77 Diese Bedeutung wird meist an zwei Versen verdeutlicht: Sure 5, Vers 2: „Steht euch einander bei in Frömmigkeit und Gottesfurch, nicht in Sünde und Feindseligkeit! Und fürchtet Gott!“ Sure 49, Vers 13: „Siehe, der gilt bei Gott als edelster von euch, der Gott am meisten fürchtet, Siehe, Gott ist wissend, kundig.“78

Esnaf Begić bezeichnet taqwā daher als „Grundprinzip zwischenmenschlicher Interaktion“, auf dem religiöse Handlungsgebote aufbauen und mit denen zusammen der islamische Glaube verwirklicht werde.79 Islamische Handlungsgebote leiten sich nicht abstrakt aus einer bestimmten Gottesvorstellung ab, sondern haben konkrete Vorbilder: Das Leben und die Ratschläge des Propheten Muhammads und früherer Propheten sind in den Hadithen (aḥādiṯ) und im Koran überliefert. Nach Ednan Aslan, Magda74  Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 91; Takim, „Das islamische Menschenbild und die Seelsorge im Islam“, S. 10 f. 75  Übersetzungen jeweils nach Begić, „Islamische Grundlage der Hilfe für den Menschen“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit  – zur sozialen Verantwortung islamischer Seelsorge (2014), S. 53–65 (60 f.). 76  Ebd., 60, 64. 77  Ebd., 60; Takim, „Das islamische Menschenbild und die Seelsorge im Islam“, S. 10. 78  Übersetzung nach Bobzin, Koran. 79  Begić, „Barmherzigkeit als Grundlage der Seelsorge“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 63 f.

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lena Modler-El Abdaoui und Danaen Charkasi sind deren Handlungen die Grundlage des Islams, die nun generell Wohltaten mit Gottesdienst gleichsetzen und dies allen Menschen auftragen.80 Zur Verdeutlichung dessen verweisen sie auf Sure 2, Vers 17781: „Die Frömmigkeit besteht nicht darin, dass ihr euer Angesicht gen Osten oder Westen wendet, vielmehr ist Frömmigkeit, an Gott zu glauben und den Jüngsten Tag und an die Engel, an das Buch und die Propheten; und das Geld, auch wenn man’s liebt, für die Verwandten, die Waisen und die Armen auszugeben und für den ‚Sohn des Weges‘ und die Bittenden und für den Sklavenfreikauf; und das Gebet zu verrichten und die Armensteuer zu entrichten.“82

Neben diesem Vers ist es vor allem der Gabriel-Hadith, in dem von Prophet Muhammad unter anderem die Säulen als zentrale Elemente des Islam herausgestellt werden,83 der zur Begründung religiöser Handlungsgebote herangezogen wird. Begić resümiert: Die „ethisch-moralische Vervollkommnung des Menschen in seinem ganzen Handeln, religiösen wie profanen (…) geschieht, indem der Glaube (īmān) sich durch die gottesdienstliche Praxis bestätigt (islām) und durch das gute Handeln, die Verrichtung der guten Werke bzw. des allgemein Guten verwirklicht (ịshān)“.84 In dieselbe Richtung, aber von einem anderen Standort aus, gehen die Begründungen von Aslan, Modler-El Abdaoui, Charkasi. Es brauche eine göttliche Rechtleitung für die Menschen (hidāya), um nicht den triebhaften, schwachen Eigenschaften des nafs zu folgen, sondern auf den Weg zur Vollkommenheit zu gelangen.85 Rechtleitung erhalte der Mensch demnach durch rituelle Gebete und die Offenbarung des Koran als Kontaktaufnahme Gottes sowie die Ratschläge und das Vorbild der Propheten als Gesandte Gottes. Demnach komme der Befolgung religiöser Gebote ein hoher Stellenwert zu.86 Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 98. bei Begić, „Barmherzigkeit als Grundlage der Seelsorge“, in: Begić/ Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 63; Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 98; Takim, „Das islamische Menschenbild und die Seelsorge im Islam“, S. 20; Özdemir, „Deutschland: „Allah ist barmherzig und bereit zu vergeben“  – Anmerkungen zur islamischen Seelsorge in Gefängnissen“, in: Begić/Weiß/ Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit – zur sozialen Verantwortung islamischer Seelsorge (2014), S. 99–108 (103); als Beispiel „allgemeiner ethischer Anweisungen“ auch wörtlich zitiert in Bobzin, Der Koran – eine Einführung, S. 93. 82  Übersetzung nach Bobzin, Koran. 83  Deutsche Übersetzung in Al-Buẖārī/Ferchl, Die Sammlung der Hadithe (1991), S.  43 f. 84  Begić, „Barmherzigkeit als Grundlage der Seelsorge“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 62. 85  Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 94. 86  Ebd., 101 ff., 110. 80  Aslan/Modler-El 81  Zitiert



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Silvia Horsch orientiert sich für die Benennung guter Taten mehr an den 99 Namen Gottes, die der Koran verwendet. Bereits die Einleitung jedes Verses verweist auf die Barmherzigkeit Gottes: „Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers.“87 Auch aus den verschiedenen Namen Gottes im Koran lasse sich ableiten, nach welchen Eigenschaften die Muslime streben sollten: der Gütigste (al-Barr), der Liebevollste (al-Wadūd), der Geduldige (aṣ-Ṣabūr), der Milde (al-Ḥalīm), der Allerbarmer (ar-Raḥmān), der Barmherzige (ar-Raḥīm).88 Diese Eigenschaften Gottes finden sich in zahlreichen Überlieferungen zum Leben des Propheten wieder. Takim listet in seinen Ausführungen zur islamischen Seelsorge einige der Hadithe auf und zieht daraus den Schluss, dass die guten Taten auch ein Almosen darstellen.89 Fürsorgliches Handeln, Unterstützung für Kranke und Schwache stehen damit auf derselben Stufe wie der zakāt, die Almosengabe als eine der fünf Säulen des Islam. So besteht für alle Muslime die Pflicht zu fürsorglichem Handeln, zu guten Taten gegenüber anderen Menschen. dd) Ausführung durch einzelne, professionelle Seelsorger Die islamische Überlieferung in Koran und Sunna bleibt nicht beim Gebot, gute Werke zu verrichten (ịshān), stehen. Denn schon ein Teil der empfohlenen guten Werke sei der Ratschlag und die freundliche Ansprache für andere Menschen, folgert Takim aus der Fülle einschlägiger Hadithe.90 Nach Aslan et al. lassen sich neben dem überlieferten Vorbild des Propheten noch weitere Aspekte finden, auf die sich Konzepte zur islamischen Seelsorge stützen könnten. Der Einsatz für andere Menschen, das Bemühen um Solidarität und Gerechtigkeit für andere, Hilfestellungen zur Selbsthilfe und die geistige Unterstützung in schwierigen Lebensphasen weisen die Autoren in den Verwendungen der koranischen Begriffe iršād, dalāla, da’wa und mūšawara nach.91 In diesem Zusammenhang ist auch bedeutsam, dass häufiger auf die Traditionen des Sufismus rekurriert wird, um Seelsorgetraditionen im Islam aufzuzeigen. Nach sufischer Lehre ist zur Vollkommenheit des Einzelnen die Unterstützung eines Lehrers/Meisters (muršid) erforderlich.92

87  Übersetzung

nach Bobzin, Koran. „Barmherzigkeit als Grundlage der Seelsorge“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 24, 26, 31. 89  Takim, „Das islamische Menschenbild und die Seelsorge im Islam“, S. 26. 90  Ebd., 27. 91  Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 112 ff. 92  Ebd., 81 f., 120; Seyyar, „Seelsorge in islamischer Tradition“, in: Wenz/Kamran (Hrsg.), Seelsorge und Islam in Deutschland (2012), S. 35–44 (42). 88  Horsch,

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Anhand dieser, durchaus vielfältigen, Fundamente in Koran und Sunna entwickeln inzwischen einige Autoren eigene Konzeptideen für die islamische Seelsorge. Überwiegend wird dabei auch das Wort Seelsorge benutzt, teilweise allerdings auch wegen der christlich besetzten Bedeutung begrifflich hinterfragt, endgültig entschieden wird die Begriffsfrage aber meist nicht.93 Auch die Krankenfürsorge in frühmittelalterlichen Kulturen und dem Osmanischen Reich dient etwa Abdelmalek Hibaoui als Begründung, insbesondere zur Unterstützung von Heilbehandlungen eine professionelle Seelsorge zu fordern. Er plädiert für den Einsatz theologisch und psychologisch ausgebildeter Seelsorger in Kliniken, Gefängnissen und anderen Einrichtungen.94 Historische Beispiele oder Vorbilder im Koran werden von den Autoren aufgegriffen, nicht um sie vollständig zu übernehmen, sondern um davon ausgehend in Zeiten veränderter Familienstrukturen, individualisierter Lebensentwürfe und fehlender Kenntnisse islamischer Überlieferungen (insbesondere für besondere Lebenssituationen) die Notwendigkeit professioneller Seelsorge zu begründen.95 Aslan u. a. folgern daraus, dass es Aufgabe islamischer Seelsorge sei, die Bedürfnisse der Menschen so aufzunehmen und zu begleiten, dass diese ihren persönlichen Weg zum Guten beschreiten können.96 Die Verkündigung muslimischer Religion dürfe nicht als Missionierung verstanden werden, sondern dürfe ausschließlich „zum Guten raten“.97 Cimşit definiert wörtlich: „Islamische Seelsorge ist als eine aus dem rechten Glauben an Gott folgende Bemühung zu verstehen, die eine rechtgläubige ganzheitliche Beziehung zu Gott zu eröffnen und aufrecht erhalten zu vermag“.98

93  So beispielsweise Takim, „Das islamische Menschenbild und die Seelsorge im Islam“, S.  4 ff.; Cimşit, „Islamische Seelsorge – Eine theologische Begriffsbestimmung“, in: Ucar/Blasberg-Kuhnke (Hrsg.), Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft, S. 12 f. 94  Hibaoui, „Islamische Seelsorge und Beratung im Kontext pluraler Gesellschaften“, in: Noth/Schweizer/Wenz (Hrsg.), Pastoral and spiritual care, S. 106 f., 109. 95  Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S.  117; Horsch, „Barmherzigkeit als Grundlage der Seelsorge“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 31; Hibaoui, „Islamische Seelsorge und Beratung im Kontext pluraler Gesellschaften“, in: Noth/Schweizer/Wenz (Hrsg.), Pastoral and spiritual care, S. 108; Horsch, „Barmherzigkeit als Grundlage der Seelsorge“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 31. 96  Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 116. 97  Ebd. 98  Cimşit, „Islamische Seelsorge – Eine theologische Begriffsbestimmung“, in: Ucar/Blasberg-Kuhnke (Hrsg.), Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft, S. 21.



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c) Zusammenfassung Professionelle islamische Seelsorge ist, anders als dies in der Vergangenheit dargestellt wurde,99 nicht vollständig ausgeschlossen. Im Gegenteil: Im Grundsatz ist die Sorge um geistig/seelische Bedürfnisse zwar allen Muslimen aufgetragen, daraus folgt aber nicht, dass es keine Konzepte und keine Vorbilder für professionelle Angebote gäbe. Das theologische Fundament steht – mit der gebotenen Zurückhaltung aus fachfremder Perspektive – bisher allerdings nur auf einzelnen Stelzen, statt auf einer zusammenhängenden Struktur. Noch gibt es keine wesentlich verbreiteten Seelsorgekonzepte100, aber die Plädoyers dafür werden lauter.101 Verfassungsrechtlich genügt das aber bereits, denn ein einheitliches Verständnis ist weder rechtlich erforderlich, noch ist es überhaupt wahrscheinlich. Innerhalb von Art. 140 GG/141 WRV ist lediglich Voraussetzung, dass eine Religionsgemeinschaft nach den Kriterien dieser Vorschrift religiöse Angebote machen möchte. Ob es eines gibt oder welchen Inhalt das dahinterstehende Seelsorgekonzept hat, ist staatlicherseits jedenfalls nicht allgemein als Eingangsvoraussetzung zu prüfen. Gleichwohl mag eine Struktur für Personalauswahl und -ausbildung helfen, um das Angebot möglichst breit zu streuen und generelle Regelungen mit staatlichen Stellen erreichen zu können. Verfassungsrechtlich zwingend ist das aber nicht. 2. Organisatorische Voraussetzungen für Religionsgemeinschaften Dem Wortlaut von Art. 141 WRV folgend werden Religionsgesellschaften zur Religionsausübung in öffentlichen Anstalten zugelassen. Mit dem Begriff der Religionsgesellschaft, der nach überwiegender Meinung mit dem Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG identisch ist,102 verbinden Muslime im Strafvollzug, S. 215. ausdrücklich Ucar, „Vorwort“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit – zur sozialen Verantwortung islamischer Seelsorge (2014), S. 7–11 (10). 101  Beispielsweise Erdem, „Seelsorge für Muslime?“, in: Badawia/Erdem/Abdallah (Hrsg.), Grundlagen muslimischer Seelsorge, S. 33: „Die Entwicklung hin zu einer professionellen Seelsorge ist notwendig und unabdingbar“. 102  BVerwGE 123, 49–75 (10); BVerwGE 110, 326–344 (342 f., Rn. 347); Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften – Studien zur Rechtsstellung der nach Art. 137 Abs. 5 WRV korporierten Religionsgesellschaften in Deutschland und in der Europäischen Union (zugl. Düsseldorf, Univ., Diss., 2003), S. 65; Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1, 5; Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S.  107 f.; Germann, in: Epping/ Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz (50. Ed., 2022), Art. 140 GG Rn. 14; Korioth, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar (42. EL, 2003), Art. 137 WRV Rn. 13; differenzierend Unruh, in: Mangoldt/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 3 (7. Aufl., 2018), Art. 137 WRV Rn. 15; eigene Kriterien 99  Fröhmcke, 100  So

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sich Voraussetzungen, die jene Gesellschaften von sonstigen religiösen Organisationen unterscheiden. Das bezieht sich jedoch nicht auf die jeweilige Rechtsform,103 sondern auf bestimmte organisatorische Kriterien, die sich aus dem Grundgesetz ableiten: Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 3 GG), Selbstverwaltungsrecht (Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 3 WRV), öffentlich- und privatrechtliche Rechtsformwahlfreiheit (Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 4, 5 WRV) und eben die Anstaltsseelsorge stehen nur Religionsgemeinschaften bzw. Religionsgesellschaften104 zu, anderen Organisationen nicht. Der Begriff der Religionsgemeinschaft ist daher „Grund- und Schlüsselbegriff“105, eine „Zentralkategorie“106 des Religionsverfassungsrecht. Während aus den Rechtsformen keine qualitative Abstufung der Organisationen folgt,107 heben sich Religionsgemeinschaften in ihrer organisatorischen – nicht in ihrer religiösen – Verfassung qualitativ von den Organisationen ab, die lediglich durch die korporative Religionsfreiheit berechtigt sind.108 a) Klassische Begriffsauslegung nach Anschütz Im Anschluss an die Formulierung von Gerhard Anschütz wird eine Religionsgemeinschaft definiert als „Verband, der die Angehörigen ein und desselben Glaubens oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zur allseitigen Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst“.109 Dafür genügt es nicht, das Bestehen einer Religionsgefür Art. 7 Abs. 3 GG entwickelnd Wittreck, „Muslimische Verbände als Religionsgemeinschaft und Körperschaften – Perspektiven“, in: Abmeier/Jacobs/Köhler (Hrsg.), Rechtliche Optionen für Kooperationen zwischen deutschem Staat und muslimischen Gemeinschaften (2019), S. 193–198 (196 f.). 103  Auf die rechtliche Verfassung als Körperschaft des öffentlichen Rechts kommt es für Art. 140 GG/Art. 141 WRV nicht an, so BVerfGE 102, 370–400 (Rn. 105). 104  Im Folgenden wird ausschließlich der modernere Begriff Religionsgemeinschaft verwendet, für den sich auch der Verfassunggeber des Grundgesetzes in Art. 7 Abs. 3 GG entschieden hat, vgl. dazu Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 137 WRV Rn. 19. 105  Hense, „Staatsverträge mit Muslimen – eine juristische Unmöglichkeit“, in: Mückl (Hrsg.), Das Recht der Staatskirchenverträge – Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach (2007), S. 115–173 (166). 106  Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1, 1. 107  Korioth, „§ 97 Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften“, in: Merten/ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. IV (2011), S. 617–662 (643); vgl. auch BVerfGE 102, 370–400 (385). 108  Aus soziologischen Gründen aber vor einem zu starken Fokus auf Organisationsaspekte warnend Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1, 8. 109  Anschütz, in: Anschütz (Hrsg.), Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Nachdruck der 14. Aufl.), Art. 137 WRV Rn. 2; BVerwGE 99, 1–9 (3); BVerwGE 123, 49–75 (52).



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sellschaft/Religionsgemeinschaft zu behaupten, sondern „es muss sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild“110 um eine solche handeln. Nach dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts aus der Bahā’ī- Entscheidung ist eine bestimmte rechtliche Form nicht erforderlich. Zu entscheidende Einzelfälle hängen vielmehr von tatsächlichen Abläufen und Strukturen innerhalb der Organisation ab.111 In Abgrenzung zu religiösen Vereinen zielgruppenspezifischen Zuschnitts ist erforderlich, dass eine Religionsgemeinschaft sich der umfassenden Erfüllung des ihr zugrundliegenden religiösen Bekenntnisses widmet.112 Nicht erforderlich ist aber, dass alle Angehörigen einer Religion in dieser Gemeinschaft zusammengefasst werden. Dem stünde andernfalls die negative Vereinigungsfreiheit Einzelner entgegen, von deren positiver Freiheit zur Vereinigung sich die rechtliche Existenz der Religionsgemeinschaft überhaupt erst ergibt.113 Deshalb hat auch Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 2 WRV keine eigenständige Bedeutung gegenüber der grundrechtlichen Vereinigungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG.114 Und mehr noch: Die individualrechtliche Grundlage der Religionsgemeinschaft bringt mit sich, dass das religiöse Selbstverständnis derjenigen Personen, die sich zusammenschließen, über die Reichweite des religiös-inhaltlichen Konsens, die Voraussetzungen der Mitgliedschaft sowie die Art und Weise interner Willensbildung bestimmt, aufgrund dessen der Zusammenschluss erfolgt.115 Der verfassungsrechtliche Begriff der Religionsgemeinschaft steht daher Doppelmitgliedschaften, konfessionsübergreifenden Vereinigungen und neuartigen Organisationsstrukturen nicht entgegen. Entscheidend ist die Rückbindung an die Individuen, das „personale Substrat“116 der Religionsgemeinschaften. Daraus ergeben sich weitere Anforderungen im 110  BVerfGE

83, 341–362 (353). zeigt sich in der Praxis u. a. an der Beauftragung religionswissenschaftlicher Gutachten vor Einführung islamischen Religionsunterrichts, vgl. exemplarisch Landtag Rheinland-Pfalz, Drs. 17/666 (28.11.2016); Klinkhammer, „Religionswissenschaftliches Gutachten über die Eigenschaft der Dachverbände ‚DITIB Landesverband Niedersachsen e. V.‘ und SCHURA Niedersachsen „Landesverband islamischer Gemeinschaften in Niedersachsen e. V.“ als Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG erstellt im Auftrag des Landes Niedersachsen“ (2015). 112  Ständige Rspr. seit BVerfGE 24, 236–252 (235 f.); aus der Literatur stellvertretend Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III (3. Auflage, 2018), Art. 137 WRV Rn. 29. 113  BVerwGE 123, 49–75 (54 m.  w.  N.); Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, GG, Art. 137 WRV Rn. 11. 114  BVerfGE 83, 341–362 (341  f.); Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, GG, Art. 137 WRV Rn. 11. 115  Vgl. BVerwGE 123, 49–75 (56); dies als „umfassende Organisationsfreiheit“ bezeichnend Dreier/Morlok, GG, Art. 137 WRV Rn. 31. 116  Weber, „Die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften“, ZevKR 1989, S. 337, 347. 111  Dies

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Detail, die insbesondere für die Anwendung auf islamische Verbände relevant werden. b) Besondere Voraussetzungen für Dachverbände Mit dem Maßstab der Bindung an die religiös bekennenden Individuen sind muslimische Dachverbände nicht vom Anwendungsbereich der Religionsgemeinschaft ausgeschlossen. Notwendig sind nach der Rechtsprechung weitere Voraussetzungen, um die personale Bindung an die einzelnen Grundrechtsträger zu sichern. aa) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2005 Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung zum islamischen Religionsunterricht im Jahr 2005 formuliert.117 Eine arbeitsteilige Erfüllung der bekenntnisgemäßen Aufgaben sei auch auf verschiedenen verbandlichen Ebenen möglich. Für die „unentbehrliche personale Grundlage“ einer Religionsgemeinschaft sei ausreichend, dass die „Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit durch ein organisatorisches Band zusammengehalten wird, das vom Dachverband an der Spitze bis zum einfachen Gemeindemitglied reicht“.118 Die Religionsgemeinschaft werde in diesem Fall vom „Gesamtorganismus“ gebildet, deren Rechte auch durch die Teilverbände außenwirksam geltend gemacht können.119 Durch Gottesdienste entfalte sich das „religiöse Gemeinschaftsleben“ auf der örtlichen Ebene, während Leitungsaufgaben typischerweise auf der obersten Ebene wahrgenommen werden.120 Gehören dem Dachverband aber „in erheblichem Umfang“ Mitgliedsvereine an, die religiöse Aufgaben „nicht oder nur partiell erfüllen“, könne es an der für Religionsgemeinschaften prägenden Ausrichtung auf den Glaubensvollzug fehlen.121 Auf Dachverbandsebene müssten außerdem „für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgaben“ wahrgenommen werden.122 Damit sollen die Dachverbände einer Religionsgemeinschaft von bloßen Koordinationsorganen abgegrenzt werden. Welche Aufgaben identitätsstiftend seien, bestimme sich nach dem Selbstverständnis der Gemeinschaft, wobei das Gericht das „Wirken eines geistlichen 117  BVerwGE 118  Ebd.,

57. 119  Ebd., 58. 120  Ebd. 121  Ebd., 61. 122  Ebd., 59.

123, 49–75.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht51

Oberhaupts“ als charakteristisch für die überörtliche Ebene bezeichnet.123 Ohne dass es auf hierarchische Strukturen ankäme, könne auf Dachverbands­ ebene „Autorität, insbesondere Lehrautorität ausgeübt und von den Gläubigen in den örtlichen Gemeinden respektiert und befolgt“ werden.124 Ins­ besondere die letztgenannten Anforderungen haben in der Rezeption ein „Eigenleben“125 entwickelt, weshalb das Verfahren bis heute noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.126 bb) Rezeption durch das OVG Nordrhein-Westfalen Nachgehend zum Revisionsurteil des Bundesverwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen für das Erfordernis „identitätsstiftender Aufgaben“ geprüft, ob die klagenden Verbände „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD) und „Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland“ nach ihren Satzungen für solche Aufgaben zuständig sind, die „für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentlich sind“. Als Tatsachengericht hatte es auch zu prüfen, ob die Verbände tatsächlich identitätsstiftende Aufgaben übernehmen. Das OVG konkretisiert in seinem Urteil vom 19.11.2017 den vom BVerwG formulierten Maßstab zudem dahingehend, dass die die Verbände über eine „satzungsgemäß vorgesehene mit Sachautorität und -kompetenz ausgestattete Instanz“ verfügen müssten und deren „Autorität in Lehrfragen in der gesamten Gemeinschaft […] reale Geltung“ hat.127 Für den ZMD hat der Senat sodann bereits die satzungsgemäße Zuständigkeit für Lehrfragen verneint, weil die verbindliche Bestimmung von Gebetszeiten und Feiertagen durch einen „islamischen Gelehrtenrat“ nicht als identitätsstiftende Aufgabe ausreiche und die in der Satzung vorgesehene „Erstellung von empfehlenden Leitlinien“ für den erforderlichen Grad an Verbindlichkeit nicht genüge.128 Beiden Verbänden fehle es nach Ansicht des Gerichts auch an der realen Geltung ihrer Lehrautorität, weil sie keine Standpunkte zu zentralen religiösen Konfliktfragen des Islam in Deutschland einnehme, wie etwa der Frage der Stellung der Frau.129

123  Ebd., 124  Ebd. 125  Ein

20.

60.

„bemerkenswertes Eigenleben“ anmerkend Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1,

126  Zur Verfahrensgeschichte zu Hohenlohe, ZevKR 64 (2019), S. 79; Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1, 16 f. 127  OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.11.2017 – 19 A 997/02 – (Rn. 32). 128  Ebd., 9 (Rn. 42). 129  Ebd., 10 (Rn. 47).

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Der 19. Senat des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen weicht mit dieser Entscheidung verengend von den revisionsgerichtlich formulierten Maßstäben ab. Autorität wird mit Verbindlichkeit gleichgesetzt, wenn eine identitätsstiftende Aufgabe nur vorliege, wenn eine satzungsmäßige Zuständigkeit für Lehrfragen besteht und den Vorgaben dieser Instanz auch tatsächlich Folge geleistet werden muss. Das berücksichtigt die denkbare Vielfalt religiöser Selbstverständnisse aber nicht ausreichend, sondern versucht Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes auf ein an das katholische Lehramt angelehntes Modell zuzuschneiden.130 Denn Autorität in Fragen der religiösen Lehre muss nicht bedeuten, dass daraus Pflichten für irgendjemanden entstehen. Die wörtliche Bedeutung des lateinischen Nomens auctoritas ist Einfluss oder Ansehen. Der Einfluss einer Instanz hängt jedoch von der tatsächlichen Befolgung gesetzter Normen ab, nicht von satzungsgemäßer Verbindlichkeit. Werden auch Empfehlungen oder Ratschläge tatsächlich befolgt, hat die empfehlende Instanz demnach Einfluss und ist eine Autorität im Wortsinne. Verbindliche Lehre braucht es dafür nicht, im Gegenteil: Dass tatsächlicher Einfluss und verbindliche Lehrautorität nicht deckungsgleich sein müssen, zeigt wiederum das Beispiel der katholischen Sexuallehre deutlich.131 cc) Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.12.2018 Auf die Nichtzulassungsbeschwerden der klagenden Verbände hat das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Berufungsgerichts im Dezember 2018 erneut aufgehoben. Dabei wurde die Voraussetzung der Wahrnehmung identitätsstiftender Aufgaben dahingehend präzisiert, dass „Leitungsaufgaben in Bezug auf das religiöse Bekenntnis“ gemeint seien, die beispielsweise durch Schriftauslegung sowie Lehren zum persönlichen Verhalten und Kulthandlungen ausgeübt werden könnten.132 Dafür müsse auf Dachverbandsebene entsprechende „theologische Kompetenz“ vorhanden sein, ohne dass staatlicherseits ein Qualifikationsniveau vorgegeben werden könne.133 Für die reale Geltung der Autorität in religiösen Angelegenheit dürfe dagegen keine Verbindlichkeit verlangt werden – die Vermittlung der beständig auszuübenden Lehre und die tatsächliche Orientierung der Gläubi130  Die offenbar christlich-kirchliche Vorprägung der Rechtsprechungsorgane beklagt auch die Prozessvertreterin der Islamverbände zu Hohenlohe, ZevKR 64 (2019), S. 79, 95. 131  Vgl. bspw. Delere/Roth/Roth, „Neue Formen des Hörens in der katholischen Kirche – Ergebnisse eines länderübergreifenden, empirischen Forschungsprojekts zur Familiensynode 2015“, Stimmen der Zeit 2015, S. 599–610. 132  BVerwG NVwZ 2019, 236–239 (Rn. 16). 133  Ebd., Rn. 17.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht53

gen daran (im Sinne eines mindestens „ernsthaft überdenken“) genüge.134 Die als zentrale religiöse Konfliktfragen bezeichneten Aspekte seien zudem ungeeignet, das Fehlen der Lehrautorität zu begründen. Stattdessen betreffen diese die Verfassungstreue, die bei Vorliegen einer Religionsgemeinschaft prüfen ist.135 dd) Allgemeiner Maßstab oder Bedingungen für Religionsunterricht? Die erneute Berufungsentscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen steht noch aus. Was identitätsstiftende Aufgaben sind und ob bzw. wie ihre Existenz im konkreten Fall festgestellt werden kann, ist damit auch fast 20 Jahre nach der ersten Entscheidung noch nicht rechtskräftig geklärt. Über den Einzelfall und den konkreten Verfahrensgegenstand hinaus, ist die Frage umstritten, ob das vom Bundesverwaltungsgericht eingeführte Merkmal der Wahrnehmung identitätsstiftender Aufgaben für Dachverbände allgemein oder nur als Bedingung für das Angebot des Religionsunterrichts im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG erforderlich ist. Soweit es mit der Rechtsprechung (nicht nur) für die Kooperation zum Religionsunterrichts gefordert wird, wird dies damit gerechtfertigt, dass der Staat als Schulträger nicht konkurrierende Lehren innerhalb einer Religionsgemeinschaft akzeptieren könne, die sich auf den Unterricht auswirkten.136 Richtigerweise wird dazu aber auch angemerkt, dass die Bestimmung der jeweiligen identitätsstiftenden Aufgaben dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften überlassen bleiben müsse.137 Deshalb weist beispielsweise Hans Michael Heinig darauf hin, dass der Kirchencharakter der EKD intern regelmäßig infrage gestellt werde und deren identitätsprägende Funktion für die Gliedkirchen nicht eindeutig beantwortet werden könne.138 Für den Bereich des Religionsunterrichts solle daher statt einer Lehrautorität eine „repräsentationsgewährleistende Willensbildung“ durch die Religionsgemeinschaften genügen.139 In dieser Weise auf den Zweck des Merkmals identitätsstiftender Aufgaben fokussiert, eröffnen sich Differenzierungsmöglichkeiten für andere Bereiche: 134  Ebd.,

Rn. 19. Rn. 23; dazu Rohe, „Religionsunterricht durch islamische Dachver­ bände – Anmerkung zu BVerwG v. 20.12.2018 6 B 94/18“, jM 2019, S. 297, 298. 136  Grzeszick, ZevKR 62 (2017), S. 362, 370. 137  Muckel, „Ein religiöses Lehramt in islamischen Religionsgemeinschaften? Bemerkungen zum Beschluss des BVerwG v. 20.12.2018 – 6 B 94.18 – zugleich zum Begriff der Religionsgemeinschaft im Grundgesetz“, Kirche und Recht 2019, S. 21– 31, 30. 138  Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1, 21. 139  Ebd., 22. 135  Ebd.,

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Auch wenn überwiegend die Identität der grundgesetzlichen Begriffe Reli­ gionsgesellschaft und Religionsgemeinschaft angenommen wird, muss sich daraus noch nicht Definitionsidentität für alle Bereiche ergeben.140 Dies gilt insbesondere für den Begriff der Religionsgemeinschaft, den die Rechtsprechung auch für die Erlaubnis zum Schächten gemäß § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG141 und in einer Entscheidung zum Berliner Schulgesetz142 abweichend definiert hat. Und selbst in der angesprochenen Entscheidung aus dem Jahr 2005 differenziert das Bundesverwaltungsgericht zwischen allgemeinen Anforderungen an die Religionsgemeinschaften und speziellen Voraussetzungen an dieselben für den Religionsunterricht.143 Daher sind die unterschiedlichen Wirkungsziele einer Norm und der Regelungskontext verstärkt in den Blick zu nehmen, bevor die zu Art. 7 Abs. 3 GG aufgestellten Maßstäbe auf die Anstaltsseelsorge gemäß Art. 140 GG/Art. 141 WRV übertragen werden können.144 Für den Religionsunterricht ist die Ausübung identitätsstiftender Aufgaben auf Dachverbandsebene entscheidend, um den Inhalt des Unterrichtsstoffs durch die staatlichen Schulträger „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft“ gemäß Art. 7 Abs. 3 GG festzulegen. Dies ist für die Anstaltsseelsorge nicht erforderlich. Die Sicherheitsanforderungen im Justizvollzug (oder auch im Militär) verlangen keine einheitliche religiöse Position, sondern eine rechtstreue und persönlich zuverlässige Arbeit des religiösen Personals.145 Diese könnte zwar durch organisatorische Bedingungen aufseiten der Religionsgemeinschaft einfacher gewährleistet sein, betrifft dann aber eher die Professionalität der Ausbildung und Personalauswahl. Daher kann eine Lehrverbindlichkeit als allgemeine Vorausset140  Muckel, „Rechtsgutachten für das Kultusministerium des Landes Niedersachen: Handelt es sich bei dem DITIB Landesverband Niedersachsen-Bremen e. V. und der SCHURA Niedersachsen Landesverband der Muslime e. V. um Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG und erfüllen beide Verbände die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, die an einen Kooperationspartner des Landes für die Erteilung von Religionsunterricht zu stellen sind?“ (2015), S. 9 f.; Hense, „Staatliche Verträge mit muslimischen Akteuren“, in: Thümler (Hrsg.), Vertrag mit muslimischen Verbänden?, S. 278. 141  BVerfGE 104, 337–356; BVerwGE 112, 227–236. 142  BVerwGE 110, 326–344, Rn. 16 f. 143  Dazu sogleich c) Sonstige Voraussetzungen an Religionsgemeinschaften, S. 55 144  So auch Wittreck, „Muslimische Verbände als Religionsgemeinschaft und Körperschaften – Perspektiven“, in: Abmeier/Jacobs/Köhler (Hrsg.), Kooperationen zwischen deutschem Staat und muslimischen Gemeinschaften, S. 196 f.; Isensee, „Rechtsgutachten zum bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterricht, der an hessischen Schulen in Kooperation mit dem DITIB-Landesverband Hessen erteilt wird“, S. 33. 145  Auf die „Aufrechterhaltung eines geordneten Strafvollzugs“ abstellend Arloth/ Krä, Rn. 2 zu § 53 StVollzG.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht55

zung für Religionsgemeinschaften nicht gefordert werden.146 Die Feststellung tatsächlichen Einflusses innerhalb der Religionsangehörigen, wie nun durch das Bundesverwaltungsgericht gefordert, wird aber als Mindestvoraussetzung gelten können. Denn daraus kann einfachrechtlich unterstellt werden, dass die Orientierung an der dachverbandlichen Lehre vermutet werden kann. Das ist im Rahmen eines Zutrittsanspruchs der Religionsgemeinschaften, den Art. 140 GG/Art. 141 WRV gewährt, verfassungsrechtlich geboten. c) Sonstige Voraussetzungen an Religionsgemeinschaften Speziell für den Religionsunterricht leitet das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23.02.2005 auch noch weitere Voraussetzungen aus Art. 7 Abs. 3 GG ab, die durchweg Zustimmung erfahren haben: Demnach ist die Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht notwendig, die materiellen Bedingungen des Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV müssten aber herangezogen werden, um für den Religionsunterricht eine verlässliche Kooperation zu gewährleisten. Religionsgemeinschaften müssen daher durch ihre Verfasstheit und Mitgliederstruktur die Gewähr der Dauer bieten.147 Die persönliche Mitgliedschaft der Schulkinder könne zwar auch über die Eltern vermittelt werden. Um die Schulpflicht für den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach aber sicher feststellen zu können, könne auf die Mitgliedschaft wenigstens auf der örtlichen Ebene nicht verzichtet werden.148 Auch hier kommt es für die Übertragung der Voraussetzungen für den Körperschaftsstatus auf den Begriff der Religionsgemeinschaft auf die Vergleichbarkeit der Interessenlage an. Für die Anstaltsseelsorge ist die Verlässlichkeit der Staat-Religionsgemeinschaft-Kooperation nicht in dem Maße entscheidend, wie für den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Die Gewähr der Dauer einer Religionsgemeinschaft ist mit Blick auf die Rechtsfolge, den Zutritt zu sehr sicherheitsrelevanten Anstalten des Staates, aber gleichwohl bedeutsam, weil damit der Gefahr missbräuchlicher Zutritte zumindest auch begegnet werden kann. Die Mitgliedschaftsstruktur ist hingegen nicht sonderlich entscheidend, da daraus für die Anstaltsseelsorge keine Pflicht für Gefangene oder Religionsgemeinschaft folgt. Selbst für den Zugang zu Militär und Justizvollzug genügt insofern ein organisatorisches Mindestmaß.149 Eine weitere Voraussetzung folgert die Rechtsprechung aus verfassungsimmanenten Grenzen und gilt demnach für alle Anwendungsbereiche des Begriffs der Religionsgemeinschaft. Aus der Einheit der Verfassung folge die Kirche und Recht 2019, S. 21, 26 f. 123, 49–75 (70). 148  Ebd., 71 f. 149  Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 9. 146  Muckel,

147  BVerwGE

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Pflicht der Anerkennung und Bewahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, wie sie durch Art. 79 Abs. 3 GG gewährt sei.150 So wie es für den Religionsunterricht nicht genügt, Lehrkräfte und Lehrinhalte auf ihre Verfassungstreue zu prüfen, ist auch die Prüfung der Seelsorger für die Anstaltsseelsorge nicht ausreichend. Den Religionsgemeinschaften wird im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts gewährt, die in den Anstalten tätige Personen selbst auszusuchen und diesen gemäß des Zutrittsrechts einen Zugang zu den Gefangenen zu verschaffen. Selbst wenn dies grundsätzlich noch ausgestaltungsbedürftig ist, rechtfertigt der subjektive Anspruch der Religionsgemeinschaft, auch diese an die Anerkennung und Gewährleistung der verfassungsmäßigen Ordnung von Grundrechten und Verfassungsprinzipien zu binden.151 3. Zusammenfassung Die religionsverfassungsrechtliche Regelung der Anstaltsseelsorge in Art. 140 GG/Art. 141 WRV findet grundsätzlich auch für islamische Religionsgemeinschaften Anwendung. Weder das (sich noch entwickelnde) islamische Seelsorgeverständnis, noch der Organisationsgrad islamischer Verbände stehen dem grundsätzlich entgegen. Ob allerdings ein islamischer Verband die Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft erfüllt, ist im Einzelfall rechtlich (anhand der Verbandsstrukturen) und insbesondere tatsächlich zu beurteilen. Dies kann und soll, nicht zuletzt aufgrund der mitunter landesspezifischen Organisationen, im Rahmen dieser Untersuchung nicht geleistet werden. Der Blick auf rechtswissenschaftliche und religionswissenschaftliche Begutachtungen zur Einführung von islamischem Religionsunterricht zeigt aber bereits, dass die Qualifikation islamischer Verbände als Religionsgemeinschaft auch unter den geltenden Anforderungen der Rechtsprechung keineswegs selbstverständlich ist. Das seit nunmehr über 20 Jahre laufende Verfahren, im Rahmen das besprochene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entstand, belegt dies eindrücklich. Daher soll im Rahmen dieser Untersuchung, die Feststellung genügen, dass der Zutritt zur islamischen Gefangenenseelsorge gemäß Art. 140 GG/ Art. 141 WRV denkbar ist, es aber dennoch womöglich anderer Regelungen 150  BVerwGE

123, 49–75 (72 f.); vgl. BVerfGE 102, 370–400 (392). Art. 141 WRV Rn. 9; Sachs/Ehlers, Art. 141 WRV Rn. 8; ein unkontrolliertes Zugangsrecht sei nicht gefordert, so Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 12, 20; in Anlehnung an die Voraussetzungen des Körperschaftsstatus auch Verfassungstreue i. S. v. Art. 79 Abs. 3 GG verlangend Mangoldt/Klein/ Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 20. 151  Dürig/Herzog/Scholz/Korioth,



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht57

erfordert, die sich maßgeblich auf die individuelle Religionsfreiheit der Gefangenen stützen müssten. Insofern geht es um Angebote „unterhalb der Schwelle“152 des Art. 140 GG/Art. 141 WRV.

II. Individuelle Religionsausübungsfreiheit der Gefangenen Trotz der ausdrücklich institutionellen Basis der Seelsorge im Strafvollzug durch die Übernahme von Art. 141 WRV in das Grundgesetz bleibt die Religionsausübung im Wesentlichen die Religionsausübung der Gefangenen. Deren religiöse Handlungen sind durch die Bedingungen des Strafvollzugs unmittelbar betroffen, möglicherweise eingeschränkt oder teilweise ausgeschlossen. In welchem Umfang diese Eingriffe in die individuelle Freiheit der Gefangenen verhältnismäßig sind und welche Maßnahmen andererseits zu treffen sind, um die Religionsausübung auch unter den Bedingungen des Strafvollzugs zu gewährleisten, ist für die verschiedenen Ausdrucksformen muslimischen Glaubens differenziert zu beurteilen. Für die individuelle Religionsausübung eines einzelnen Gefangenen ist dies durch Vigor Fröhmcke153 bereits vor einiger Zeit untersucht worden und soll hier nicht wiederholt werden. Stattdessen ist die gemeinschaftliche Religionsausübung einzelner Gefangenen mit einem externen (professionellen) Begleiter sowie mehrerer Gefangener mit oder ohne externe Unterstützung zu betrachten, die sich in Einzel- und Gruppengesprächen sowie religiösen Feiern vollziehen kann. Dazu sind die grundrechtlichen Gehalte des Abwehrrechts gegen staatliche Eingriffe (1.) von den positiven Gewährleistungen (2.) zu unterscheiden. 1. Abwehrrechtlich geschütztes Verhalten Dem Wortlaut nach schützt Art. 4 Abs. 1 GG die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses als „unverletzlich“, der nachfolgende Absatz 2 „gewährleistet“ die ungestörte Religionsausübung. Wie diese Freiheiten auszulegen, konkret also voneinander abzugrenzen, inhaltlich zu definieren, und in welchem Rahmen sie einschränkbar sind, wird sehr unterschiedlich beurteilt (a)). Auf Schrankenebene ergeben sich zudem Besonderheiten durch die Inhaftierung in Strafvollzugsanstalten (b)), die es zu berücksichtigen gilt, um den Schutz der Gefangenen für die gemeinschaftliche Religionsausübung zu bestimmen (c)). 152  So schon für den Religionsunterricht Hense, „Staatsverträge mit Muslimen“, in: Mückl (Hrsg.), Das Recht der Staatskirchenverträge, S. 155. 153  Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug, S. 91 ff.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

a) Schutzbereich und allgemeine Schranken der Religionsfreiheit Auch und gerade 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes besteht in Rechtsprechung und Wissenschaft kein Konsens über die Reichweite des grundrechtlichen Schutzes und der verfassungsmäßigen Einschränkungen der religiösen und weltanschaulichen Freiheitsrechte des Art. 4 Abs. 1, 2 GG. Die Differenzen beginnen mit der Definition des Religionsbegriffs und reichen bis zur Frage des Verhältnisses zu den Regelungen der durch Art. 140 GG inkorporierten Weimarer Verfassungsartikeln als besondere Vorbehaltsklauseln und institutionelle Garantien. aa) Unterscheidung der Freiheiten des Gewissens, der Religion und Weltanschauung Die Garantien aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das einheitliche Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit und das Grundrecht der Gewissensfreiheit. Demnach ist durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG „nicht nur die (innere) Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten, […] auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“154 geschützt. Zum anderen ist die „sittliche und unbedingt verbindliche Entscheidung über das ihm [dem Einzelnen, ergänzt durch Verf.] gebotene Verhalten“155 durch die Freiheit des Gewissens geschützt. Diese Unterscheidung von individuellsituationsbezogener Gewissensfreiheit und den auf Religion und Weltanschauung bezogenen Freiheiten wird auch ganz überwiegend in der rechtswissenschaftlichen Literatur geteilt.156 Für die Beschäftigung mit der islami154  BVerfGE 32, 98–111 (106); noch nicht ganz so weitgehend bzgl. der Ausübung der Religion: „ebenso die Freiheit des kultischen Handelns, des Werbens, der Propaganda“, BVerfGE 24, 236–252 (245). 155  BVerfGE 12, 45–61 (55). 156  Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 358 f.; Bethge, „§ 158 Gewissensfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII (2009) (671); Muckel, „§ 96 Schutz von Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. IV (2011), S. 541–615 (612); Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 58; Starck, in: Mangoldt/ Klein/Starck/Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd.  1 (7.  Aufl., 2018), Art. 4 GG Rn. 63; Heinig, „§ 14 Religions- und Weltanschauungsfreiheit“, in: Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 (2020), S. 599–613 (581); Mager, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar (7. Aufl., 2021), Art. 4 GG Rn. 20; Ger-



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schen Religion im Strafvollzug ist daher die Gewissensfreiheit nicht weiter zu betrachten, sondern sind allein die auf Religion bezogenen Freiheitsgarantien in den Blick zu nehmen. Für die Gewährleistungen zur Religion und Weltanschauung bestehen zwischen der vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Ansicht eines einheitlichen Grundrechts und den Ansichten in der Literatur mitunter starke Unterschiede. Der Beurteilung als einheitliches Freiheitsrechts des Glaubens, des Bekenntnisses und der Ausübung von Religion und Weltanschauung liegt die Prämisse zugrunde, dass die gedankliche Entwicklung eines Glaubens auch das öffentliche Bekenntnis desselben in der Kommunikation mit anderen und die praktische Ausübung dessen voraussetze.157 Zum selben Ergebnis führt auch die naheliegende umgekehrte Prämisse, dass das öffentliche Bekenntnis zunächst den persönlichen Glauben voraussetzt.158 Ebenso wird die generelle Schwierigkeit bei rituellen Handlungen eine eindeutige Zuordnung zum Bekennen oder Ausüben einer Religion vorzuneh­ men,159 als Argument für ein einheitliches Grundrecht angeführt. Dem wird entgegengehalten, dass die drei Varianten vom Verfassunggeber des Art. 4 GG nicht ohne Auswirkungen in zwei verschiedenen Absätzen platziert worden seien.160 Auch könnten die einzelnen Tatbestände definiert werden, „Glauben“ als forum internum und die Varianten „Bekenntnis“ und „Reli­ gionsausübung“ als Ausprägungen des forums externums in den jeweiligen Formen des Verkündens und des kultischen Handelns.161 Als problematisch stellt sich meist aber nicht die begriffliche Unterscheidung der drei Verhal-

mann, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz (50. Ed., 2022), Art. 4 GG Rn. 86; unklar hingegen die Formulierung „Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit“ im Vergleich zur weiteren Kommentierung ohne Bezug zur Gewissensfreiheit bei Campenhausen, „§ 157 Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII (2009) (620); anders die Differenzierung zwischen Gewissensfreiheit i. e. S. als Teil der Glaubensfreiheit und der eigenständigen Gewissensfreiheit i. w. S. bei Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BKGG, Art. 4 GG Rn. 56; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (20., neubearb. Aufl., 1995), S. 168. 157  Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 19; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 505. 158  Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 56. 159  Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 377 f.; Heinig, „§ 14 Religionsfreiheit“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 1, S. 581. 160  So etwa Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 584 f.; Kästner, in: Stern/Becker (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar (2. Aufl., 2016), Art. 4 GG Rn. 49 f. 161  Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 51; Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 584 f.

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tensweisen dar,162 sondern die Definition der für alle Verhaltensweisen identischen Gegenstände des Art. 4 Abs. 1, 2 GG: Religion und Weltanschauung. Relevant wird die begriffliche Differenzierung ohnehin nur dann, wenn mit ihr – wie meist163 – eine Begrenzung des Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit auf Kulthandlungen erfolgt, die dem Ziel dient, religiös motivierte Handlungen den Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG zu versagen und sie auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG zu verweisen.164 Entscheidend ist deshalb nicht die begriffliche Differenzierung zwischen den genannten Verhaltensweisen, sondern die Bestimmung des Schutzbereiches der grundrechtlichen Freiheit insgesamt. Denn bei Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses als Methode zur Bestimmung des Schutzbereiches wird sich zeigen, dass eine begriffliche Differenzierung zwar möglich, für den Schutzgehalt der Freiheitsgarantie aber unergiebig ist (sogleich unten b)). Daher ist mit dem Bundesverfassungsgericht und großen Teilen des Schrifttums165 von einer einheitlichen Religions- und Weltanschauungsfreiheit auszugehen, deren Umfang und Schranken im Folgenden betrachtet werden. bb) Bestimmung des Schutzbereiches unter Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses Vom Schutzbereich der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist nach der oben zitierten denkbar weiten Formulierung des Bundesverfassungsge-

162  Die begriffliche Differenzierung wird denn auch genauso von Vertretern eines einheitlichen Schutzbereiches vorgenommen, siehe Mangoldt/Klein/Starck et al./ Starck, Art. 4 GG Rn. 10 ff.; ebenso Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 76, 84, 87. 163  von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 1; Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BKGG, Art. 4 GG Rn. 57; in Ansätzen auch Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 584, 594 f.; Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 49 f., 62 f. 164  Vgl. Walter, Religionsverfassungsrecht, S.  500; von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 17. 165  Mangoldt/Klein/Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 12, 57; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S.  58 f.; Dreier, Staat ohne Gott, S. 124; Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 19; Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 54; Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 620; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 505; Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 377; wohl auch Classen, Religionsrecht (2. Aufl., 2015), S. 79 f.; a. A. Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 50; Kahl/Waldhoff/ Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 56; Muckel, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1 (51. Lfg., 2009), Art. 4 GG Rn. 3 ff.; Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 584 f.; Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht (2. Aufl., 2018), S. 61.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht61

richts aus der Rumpelkammer-Entscheidung166 jedes religiös begründete Verhalten erfasst. Begrenzt wird der Schutzbereich zwar vom Tatbestand der Religion und Weltanschauung, die Beurteilung der Religiosität eines bestimmten Glaubens steht jedoch im Widerspruch zur Gewährleistung der Freiheit eben jenen zu bilden, zu bekennen und auszuüben. Notwendige Konsequenz der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist demnach die staatliche Neutralität in Religionsfragen und Toleranz gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen.167 Gleichwohl gibt es beobachtbare Gemeinsamkeiten der gemeinhin als (Welt-)Religionen anerkannten Glaubensbekenntnisse, die sich auch auf Weltanschauungen übertragen lassen.168 Kennzeichnend für Religionen und Weltanschauungen ist demnach ein umfassendes System zur Deutung der Welt mit dem Unterschied, dass bei Religionen die deutenden Aussagen einen Gottesbezug aufweisen, der bei Weltanschauungen fehlt.169 Diese Beobachtungen können keine tatbestandliche Definition ersetzen, bilden aber ein Indiz für einen ersten objektiven Zugriff. Ferner muss das jeweilige Deutungssystem eine qualifizierte persönliche Bedeutung für den Grundrechtsträger haben, um als der persönliche Glauben im Sinne des Art. 4 Abs. 1, 2 GG gelten zu können.170 Die einfache Frage „Was glaubst du?“ ist für die Beurteilung des grundrechtlichen Schutzbereiches daher auf zwei Ebenen zu stellen: inhaltlich hinsichtlich dessen, was die Glaubensüberzeugung ist, und qualitativ bezüglich der Bedeutung innerhalb des Glaubenssystems für den Gläubigen persönlich. Anknüpfungspunkt ist folglich das Selbstverständnis des Grundrechtsrechtsträgers, das für den Schutz der Religionsfreiheit ein Verhalten als religiös kennzeichnen und begründen können muss.

166  Teilweise

auch „Lumpensammler“ genannt: BVerfGE 24, 236–252. zu dieser Folge des freiheitsrechtlichen Definitionsproblems auch mit Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG bei Dreier, Staat ohne Gott, S. 120 ff. 168  Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 392; Kahl/Waldhoff/Walter/ Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 70. 169  Mangoldt/Klein/Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 10; Kahl/Waldhoff/Walter/ Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 72, 77; Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 393 ff.; von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 25; di Fabio, in: Dürig/Herzog/ Scholz (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar (92. EL, 2020), Art. 4 GG Rn. 46; BVerfGE 105, 279–312 (293); BVerwGE 89, 368–383 (Rn. 22); gegen die Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz als Kriterien zur Unterscheidung von Religion und Weltanschauung aber Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 583; zweifelnd auch Heinig, „§ 14 Religionsfreiheit“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 1, S. 58. 170  Ausführlich Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 400  ff.; auf den Schutz der persönlichen Überzeugung abstellend von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 31; den Unterschied zwischen Art. 4 und 5 GG in der „Gewissheit über Bestand und Inhalt bestimmter Wahrheiten“ gegenüber „subjektiven Äußerungen und Werturteilen“ erkennend BVerfGE 32, 98–111 (107). 167  Ausführlich

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Über die Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses innerhalb des grundrechtlichen Schutzbereiches bestehen eher Missverständnisse als wesentliche inhaltliche Differenzen. Der pointiert ausgetragene Streit zwischen der objektiven Bestimmung des Schutzbereichs171 und der subjektiven Methode einer (weitgehenden)172 Gleichsetzung von Schutzbereich und religiösem Selbstverständnis173 ist – mit den Worten von Christian Walter – nur ein Streit um Unterschiede „hinsichtlich der Akzentuierungen der beiden Extrempositionen […], nicht aber im Grundsätzlichen“174. Denn im Ausgangspunkt besteht Einigkeit: Es ist Aufgabe staatlicher Organe, letztlich der Gerichte, den Anwendungsbereich einer Rechtsnorm im Einzelfall zu bestimmen. Aber es ist die grundrechtliche Freiheit jedes Einzelnen, einen Glauben zu bilden und danach zu leben. Die Quintessenz dieser gegensätzlichen Pole ist, dass der Vorgang der Rechtsanwendung keine exakte Definition mit anschließender Subsumtion ist, sondern ein Vorgang des logischen Nachvollziehens des behaupteten Selbstverständnisses im Einzelfall.175 Wie weit dabei dem vorgetragenen Selbstverständnis des Grundrechtsträgers zu folgen ist, bestimmt vor allem die Bedeutung des Grundrechts innerhalb des Rechtssystems. Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit zeichnet einen besonderen Bezug zur Menschenwürdegarantie aus, der über die allen Grundrechten immanente Stütze in der Würde der freien Person hinausgeht.176 Das Bundesverfassungsgericht beschrieb die Religionsfreiheit schon 1972 als „spezifischer Ausdruck“ der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG177 und ordnet inzwischen auch einzelne religiös begründete Handlungen, insbesondere das „seelsorgerische Gespräch“ dem „verfassungsrechtlichen Menschenwürdegehalt der Religionsausübung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG“178 zu. Dem schließt sich die wissenschaftliche Literatur weitgehend an.179 Daraus 171  Insbesondere

Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte? (1980). rein subjektive Position einer Bestimmung des Schutzbereichs allein durch das individuelle Selbstverständnis vertrete niemand, so Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 256. 173  Heinig/Morlok, „Von Schafen und Kopftüchern – Das Grundrecht auf Religionsfreiheit in Deutschland vor den Herausforderungen religiöser Pluralisierung“, JZ 2003, S. 777–785, 779. 174  Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 506 f. 175  Auf einen gewissen Pragmatismus in der Straßburger Rechtsprechung zur selben Frage verweisend, ebd., 509. 176  Erstmals wohl Scheuner, „Die Religionsfreiheit im Grundgesetz“, DÖV 1967, S. 585–593, 589; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar (55. EL, 2009), Art. 1 GG Rn. 26. 177  BVerfGE 33, 23–42 (28). 178  BVerfGE 109, 279–391 (322); BVerfGE 129, 208–268 (263). 179  Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 269 f.; Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 580; Dreier/Morlok, 172  Die



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht63

wird ganz überwiegend geschlossen, dass das religiöse Selbstverständnis vom Grundrechtsträger inhaltlich zu plausibilisieren ist und die (gerichtliche) Prüfung sich auf eine Evidenzkontrolle, dessen was im Rahmen der prozessualen Darlegungslast vom Grundrechtsträger vorgetragen worden ist, beschränkt.180 Es hat demnach in formeller Hinsicht eine objektive Kontrolle durch das staatliche Gericht zu erfolgen, die jedoch in materieller Hinsicht – aufgrund des allen Individuen gleichermaßen zustehenden Freiheitsrechts – ohne Identifikation des Staates mit einer Position geschehen muss und deshalb neutral das auf seine innere Konsistenz geprüfte Selbstverständnis zugrunde zu legen ist.181 (1) Kollektive Überzeugungen als Prüfungsmaßstab? Teilweise wird vertreten, dass im Rahmen der Plausibilitätsprüfung des individuellen Selbstverständnisses auf die Lehren der jeweiligen Religionsgemeinschaft zurückzugreifen ist. Nach Stefan Mückl müsse der Staat „auf einem objektivierbaren Nachweis“ des Selbstverständnisses durch den Grundrechtsträger bestehen, der durch „lehramtliche Äußerungen, unbestrittene theologische Lehrmeinungen, Übung und Tradition“ des gemeinschaft­ lichen Selbstverständnisses einer Religionsgemeinschaft erbracht werden könne.182 Für Ino Augsberg besteht gar ein genereller Vorrang der kollektiven Art. 4 GG Rn. 43; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz (9. Aufl., 2021), Art. 4 GG Rn. 3; Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 30; Heinig, „§ 14 Religionsfreiheit“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 1, S. 587; Dürig/Herzog/Scholz/di Fabio, Art. 4 GG Rn. 30 ff.; allgemein dazu auch Hong, Der Menschenwürdegehalt der Grundrechte – Grundfragen, Entstehung und Rechtsprechung (teilw. Freiburg, Univ., Habil., 2019), S. 465 ff., 475. 180  Ausführlich Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 251  ff.; Epping/ Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 18; Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 37; Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 89; Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 60, 92; Sachs/Kokott, Art. 4 GG Rn. 20; Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 578 f.; von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 31; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 68; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 505 ff.; grundlegend für die Prüfung des zu berücksichtigenden Selbstverständnisses war in der Rechtsprechung die Baha’i-Entscheidung in BVerfGE 83, 341–362 (553); ausdrücklich auf die „hinreichend plausible“ Zuordnung zum Schutzbereich abstellend BVerfGE 108, 282–340 (299); dazu auch BVerwGE 94, 82–94 (Rn. 20 (juris)); anders Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 59 f.; Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S.  60 f. 181  Zur Unterscheidung von formeller und materieller Prüfung: Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 263 ff. 182  Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 89; bei Abweichungen zwischen persönlicher Überzeugung solle dem Staat im Sinne eines „non liquet“ allerdings die Entscheidung über den Glaubensinhalt versagt, meint Mückl, „Religions-

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Glaubensfreiheit vor der individuellen Überzeugung.183 Der Schutzbereich soll nach der Auffassung von Dieter Classen „nicht schon durch rein subjektive Interpretationen religiöser Gebote eröffnet“ werden, sondern es müssten „Gebote einer Religionsgemeinschaft als solche“ bestehen.184 Dagegen ist eingewandt worden, dass das Grundrecht nicht von individueller Selbstbestimmung getrennt werden könne.185 Dem ist zuzustimmen. Im Übrigen ist diesen Ideen ihre offenbar christliche (oder eher katholische186) Prägung entgegenzuhalten. Gerade die Beschäftigung mit der Religion des Islam zeigt deutlich, dass es innerhalb einer Gruppe von Menschen mit (auf den ersten Blick) derselben Religionszugehörigkeit ganz erhebliche Differenzen im religiösen Selbstverständnis geben kann. Dies zeigt sich exemplarisch an der Zuordnung des Alevitentums: Theologisch wie religionswissenschaftlich bestehen abweichende Meinungen, ob das Alevitentum eine Strömung innerhalb des Islams ist oder nur historisch von diesem abstammt, aber nicht mehr zur islamischen Religion zu zählen ist.187 Ähnliche Schwierigkeiten bestehen für die Gemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat, denen ebenfalls teilweise die Zugehörigkeit zum Islam abgesprochen wird.188 Wo aber bereits innerhalb einer diversen Gruppe über die Zugehörigkeit zu dieser, keine einheitliche Position besteht, ist eine Bezugnahme auf das Selbstverständnis der Gruppe untauglich, um den individuellen Schutz eines Grundrechts zu bestimmen. Rhetorisch gefragt: Wollte etwa der Staat entscheiden, ob die Überzeugung des Einzelnen nun muslimisch oder alevitisch ist oder ist dieser Gegensatz schon verfehlt, weil die Aleviten eine Untergliederung innerhalb des Islams darstellen, wie dies für Sunniten und Schiiten gilt? Die Prämisse, dass es lehramtliche Positionen gibt, auf die zur Bestimmung des Schutzbereichs der Religionsgemeinschaft zurückgegriffen werden kann, ist religiösfreiheit und Sonderstatusverhältnisse – Kopftuchverbot für Lehrerinnen?“, Der Staat 40 (2001), S. 96–127, 115; bzgl. der Privilegierung kirchlich abgesicherter Glaubenspositionen ähnlich auch Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 4 GG (20 Lfg.) Rn. 105. 183  Augsberg, „Wer glauben will, muss zahlen? Erwerb und Aufgabe der Kirchenmitgliedschaft im Spannungsfeld von Kirchenrecht und Religionsverfassungsrecht“, AöR 2013, S. 493–535, 518 ff. 184  Classen, Religionsrecht, S. 45, 82 f. 185  Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 17. 186  Die Tauglichkeit der Thesen auf die katholische Kirche beschränkend Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 504. 187  Sökefeld, „Sind Aleviten Muslime? Die alevitische Debatte über das Verhältnis von Alevitentum und Islam in Deutschland“, in: Sökefeld (Hrsg.), Aleviten in Deutschland – Identitätsprozesse einer Religionsgemeinschaft in der Diaspora (2008), S.  195–218 (200 ff.). 188  Drover, „Ahmadiyya“, in: Klöcker/Tworuschka (Hrsg.), Handbuch der Reli­ gionen (2017), S. 1–5, Abschnitt V 1 (1, 12 f.).



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht65

weltanschaulich nicht neutral, sondern entlastet allein den katholischen Gläubigen von seiner Darlegungslast, die alle anderen Grundrechtsträger trifft. An den Definitionsproblemen für den Begriff der Religionsgemeinschaft, die seit über zwanzig Jahre bei der Auslegung des Art. 7 Abs. 3 GG bestehen,189 ist zu erkennen, dass auch in dieser Hinsicht die Bezugnahme auf Religionsgemeinschaften lediglich ein weiteres Problem in die Auslegung des grundrechtlichen Schutzbereichs hineinbringt, ohne dort zur Klarheit beizutragen. Es ist daher verfehlt, die theologischen Streitpunkte verschiedener (rivalisierender) Gruppen oder die organisatorischen Probleme in die Ebene des individuellen Freiheitsrechts zu übertragen. Anders gewendet: Die Zweifler innerhalb einer Religionsgemeinschaft unterscheiden sich grundrechtlich nicht von den Überzeugten, die für ihre Überzeugung eine Position ihrer Religionsgemeinschaft im Sinne der Definition des Grundgesetzes vorweisen können.190 Maßgebend kann nur das zu plausibilisierende Selbstverständnis des Einzelnen sein. (2) S  chutz nur für kultische Handlungen oder religiöse Handlungsfreiheit? Gegen die so entstehende „allgemeine Handlungsfreiheit für religiös und weltanschaulich motiviertes Verhalten“191 ist vielfach eingewandt worden, dass insbesondere der Schutzbereich für die Religionsausübung zu weit geraten würde. Kritik erfährt vor allem die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts wonach die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG „das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten“192 enthalte. Dagegen sind verschiedene Varianten zur Begrenzung des Schutzbereichs vorgeschlagen worden, die sich auf die religiösen Kulthandlungen fokussieren. Nach Ansicht von Josef Isensee markieren die „hergebrachten Formen des Christentums“ den Schutzbereich, den der historische Verfassunggeber gemeint hat und innerhalb dessen „nunmehr für christliche wie für nichtchristliche Religionsausübung Platz“ sei.193 Ähnlich sieht es Christian Starck, der 189  Siehe

S. 50.

Kapitel 2, A. I. 2. b) „Besondere Voraussetzungen für Dachverbände“,

190  Auf diesen Aspekt der Argumentation Mückls abstellend und gleichfalls ablehnend auch Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 502 f. 191  von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 34. 192  BVerfGE 24, 236–252 (245). 193  Diskussionsbeitrag, in: Listl/Hummel, Essener Gespräche: Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat (1985), S. 144.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Religion und Weltanschauung nur insoweit geschützt sieht, wenn die „Ausübungsmodalitäten den z. Z. der Entstehung des Grundgesetzes bekannten, in Deutschland praktizierten Religionen und Weltanschauung vergleichbar sind“.194 Beiden Ansätzen liegt vor allem eine historische Auslegung des Verfassungsbegriff „Religion“ zu Grunde, anhand derer unter anderem „Witwenverbrennung, kultische Menschenopfer und -quälereien“195 vom Schutzbereich ausgenommen sein sollen. Das Ziel, gesundheitsschädlichen oder gar tödlichen Handlungen keinen höheren grundrechtlichen Schutz zu gewähren, nur weil bzw. wenn sie religiös begründet werden, ist zwar nachvollziehbar. Die praktische Umsetzung ist allerdings zweifelhaft: Ein objektiver und neutraler Maßstab für die Frage, welche religiösen Praktiken zur Entstehung des Grundgesetzes in Deutschland bekannt waren und welche anderen Formen mit diesen vergleichbar sind, wird sich nur schwer finden lassen. Zudem besteht das Risiko einer Abwägung bereits auf Schutzbereichsebene, obwohl diese grundrechtsdogmatisch erst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Handlung erfolgt.196 Ein am plausibilisierenden Selbstverständnis ausgerichteter Religionsbegriff ist daher rechtspraktisch und grundrechtsystematisch überzeugender. Denn damit wird auch dem Risiko begegnet, dass der Religionsbegriff auf eine Art und Weise verengt wird, die nicht-christliche Ausdrucksformen einer erhöhten Begründungslast unterwirft.197 Öfter wird vorgeschlagen, den Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit auf kultische Handlungen zu begrenzen. Nach Ansicht von Ute Mager umfasst die ungestörte Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 2 GG nur den „Schutz spezifisch religiöser Handlungen“. Damit sollen gegenüber dem für andere Menschen öffentlichen Bekenntnis nach Abs. 1 nur solche Handlungen gemeint sein, die sich (gemeinschaftlich oder allein ausgeführt) an „(einen) Gott (Götter) oder anderes Heilige“ richten.198 Stefan Mückl zieht die Grenze ähnlich, wenn der Schutzbereich „allein Verhaltensweisen, die sich als Ausfluß der Religion (bzw. Weltanschauung) darstellen, indem sie die Aussagen den betreffenden Glaubens praktizieren und vollziehen“ erfassen soll.199 Karl-Hermann Kästner bezieht den Schutzbereich auf „konkret religionsbezogene Verhaltensweisen“ für die ein „konkreter, nicht nur peripherer, sondern genuiner und nachhaltiger Bezug zum jeweiligen religiösen Be194  Mangoldt/Klein/Starck

et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 60. 61. 196  Mit diesem Argument gegen den Ausschluss von Gewalthandlungen aus dem Schutzbereich ausdrücklich auch Dürig/Herzog/Scholz/di Fabio, Art. 4 GG Rn. 68, 81. 197  Vgl. Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 580, 594. 198  von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 71. 199  Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 99. 195  Ebd.,



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht67

kenntnis“ erforderlich sei.200 Diesen Vorschlägen ist gemeinsam, dass ein unmittelbarer Bezug der betreffenden Handlungen zum Kernbereich der jeweiligen Religion bestehen solle. Die in jeweils anderen Worten formulierten Kriterien sind im Konkreten jedoch genauso unscharf, wie es der zugrunde liegende Religionsbegriff auch ist. Welche Handlungen religionsbezogen (Kästner), religionsvollziehend (Mückl) oder religionsspezifisch (Mager) sind, hängt ausschließlich vom jeweiligen Selbstverständnis des Grundrechtsträgers ab und ist objektiv nicht feststellbar. (3) P  lausibilitätsanforderungen bei der Berücksichtigung des Selbstverständnisses Das Selbstverständnis zu berücksichtigen und die Plausibilität des vorgetragenen Verständnisses für das betreffende Verhalten zu prüfen, ist Aufgabe der verfassungsauslegenden Instanzen im Einzelfall, auch wenn dies zu Lasten einer grundsätzlich wünschenswerten Definierbarkeit geht. Aber der Kritik an der Formel aus der Rumpelkammer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist zuzustimmen, dass eine bestimmte Qualität des religionsbezogenen Handelns zu verlangen ist. Indes steht es aufgrund des bereits beschriebenen Dilemmas dem Staat nicht zu, die Religionsausübung qualitativ zu beurteilen. Das Bundesverfassungsgericht hatte aber formuliert, dass Art. 4 Abs. 1, 2 GG das Recht des Einzelnen enthalte, „seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“. Die darin zum Ausdruck kommenden Elemente „Glauben“ und „innere Überzeugung“ sind die als typische Kernelemente des Religionsbegriffs ausgemachten Elemente, die Grundlage für die Berücksichtigung des Selbstverständnisses sind.201 Diese bilden dann auch die Anforderungen an die Plausibilität des vorgetragenen Selbstverständnisses: Der vom Grundrechtsträger vorgetragene Glaube muss plausibel die in Rede stehende Handlung begründen können.202 Mit Martin Borowski sind jene Handlungen vom Schutzbereich erfasst, „welche von dem umfassenden System von Aussagen zur Deutung der Welt, die der einzelne für sich verbindlich betrachtet, geboten oder nahegelegt werden“.203 Etwas stärker 200  Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 64; ausführlicher diese Position darlegend Kästner, „Religionsfreiheit in Zeiten des religiösen Pluralismus“, ZevKR 60 (2015), S. 1–26, 10 ff. 201  Siehe oben Kapitel 2, A. II. 1. a) aa) „Unterscheidung der Freiheiten des Gewissens, der Religion und Weltanschauung“, S. 58. 202  Ebenso Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 595; Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 433, grundlegend dazu auch S. 276 ff., 285; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 512; Dreier/ Morlok, Art. 4 GG Rn. 92. 203  Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 433.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

die durch die religiös gebotene Handlung entstehende Kollision mit (religionsneutralen) staatlichen Ge- und Verboten in den Blick nehmend, nennt Christian Walter diese Verbindung „Konnexitätsgebot“ und sieht dadurch die Gefahr gebannt, aufgrund beliebiger religiös genannter Gründe „in der Rechtsordnung allgemein gültige Regeln ohne eine präzise Angabe der betroffenen Glaubenssätze zu unterlaufen“.204 Für die Plausibilitätsprüfung des vorgetragenen Selbstverständnisses ist demnach zu berücksichtigen, dass erstens der vorgetragene Glaube als Religion und Weltanschauung zu qualifizieren ist, was sich im Wesentlichen auf die Abgrenzung zum persönlichen Gewissen bezieht, welches nur einen konkreten Einzelfall betrifft. Und zweitens muss sich aus dieser persönlichen Überzeugung ein Handlungsgebot für das zu beurteilende Verhalten anhand eines vorgetragenen Glaubenssatzes plausibel ableiten lassen. cc) Schranken durch kollidierendes Verfassungsrecht Dem Wortlaut nach sind die Freiheiten des Art. 4 Abs. 1, 2 GG vorbehaltlos gewährleistet, im ersten Absatz heißt es sogar „sind unverletzlich“. Gegen diesen ersten Anschein gab es schnell Versuche, passende Schranken andernorts zu finden und zur Anwendung zu bringen. Insbesondere durch die Weite des Schutzbereichs hält ein großer Teil des wissenschaftlichen Schrifttums und bisher einmalig auch das Bundesverwaltungsgericht eine ausdrückliche Schrankenregelung für geboten und greift dafür auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV zurück. Anerkannt ist inzwischen, dass keine Schranken anderer Grundrechte übertragen werden können. Gegen die Anwendung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG oder der Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG205 hatte sich das Bundesverfassungsgericht bereits in der Gesundbeter-Entscheidung in grundsätzlicher Formulierung für alle vorbehaltlosen Grundrechte ausgesprochen.206 Dem wird auch in der Literatur nicht widersprochen, weil die Spezialität der einzelnen Freiheitsrechte dieser Idee grundlegend entgegensteht.207 Religionsverfassungsrecht, S. 512 f. noch Maunz/Dürig/Herzog, Art. 4 GG (20 Lfg.) Rn. 90 f.; anders nun Dürig/ Herzog/Scholz/di Fabio, Art. 4 GG Rn. 83; vgl. auch den historischen Überblick bei Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 483 m. w. N. 206  BVerfGE 32, 98–111 (107). 207  Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 47; Dreier/ Morlok, Art. 4 GG Rn. 124; Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 647; Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 205; von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 62; Mangoldt/Klein/ Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 15, 85 f.; Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 159; Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 485. 204  Walter, 205  So



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht69

Umstritten ist dagegen die Übertragung der Regelung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV als Schranke für Art. 4 Abs. 1, 2 GG. Nach Art. 136 Abs. 1 WRV werden die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Darin wird nach verbreiteter Ansicht eine Schrankenregelung gesehen, die über Art. 140 GG als „vollgültiges Verfassungsrecht“208 die Ausübung der Religionsfreiheit beschränkt.209 Diese Ansicht erfährt wachsende Zustim­ mung,210 befindet sich aber in Opposition zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses sieht in der Alleinstellung des Art. 4 GG im Grundrechtsteil der Verfassung, im Gegensatz zur Vorgängernorm des Art. 135 WRV, der nicht in das Grundgesetz übernommen worden ist, das entscheidende Argument für eine Ablehnung der Schrankenübertragung aus Art. 136 Abs. 1 WRV.211 Ferner spricht auch die Historie gegen die Anwendung des Art. 136 Abs. 1 WRV als Schranke für Art. 4 Abs. 1, 2 GG: Der Parlamentarische Rat hatte einen zuvor noch für Art. 4 GG formulierten Gesetzesvorbehalt nach Beratung letztlich wieder gestrichen, die Aufnahme des Art. 136 WRV über Art. 140 GG erfolgte hingegen ohne Diskussion wenige Tage vor der endgültigen Lesung des gesamten Grundgesetzes im Mai 1949.212 Aufgrund dieses zeitlichen Ablaufs insbesondere in der Schlussphase kann in der Einfügung von Art. 136 WRV eher keine Entscheidung für eine ausdrückliche Schrankenregelung gelegen haben.213 Die Formulierung des Art. 136 Abs. 1 WRV hatte zudem gemeinsam mit Abs. 2214 desselben Artikels zahlreiche Vorläufer in den Verfassungen des 19. Jahrhunderts, was am meisten noch einen Beleg für die Kontinuität des Staat-Kirche-Verhältnis durch Inkorporation der Weimarer Artikel bildet. Beide Normen dieses Artikels bilden die zwei Seiten derselben Medaille: keine Diskriminierung wegen 208  BVerfGE

19, 206–226 (219). et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 87 f.; Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 611; von Münch/ Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 63 ff.; Kahl/Waldhoff/Walter/Kästner, BK-GG, Art. 140 GG Rn. 218; Kästner, ZevKR 60 (2015), S. 1, 18; Schlaich (Hrsg.), Martin Heckel. Gesammelte Schriften (Bd. 4, 1997), S. 755; ebenso BVerwGE 112, 227–236 (231 f.); anders aber wieder BVerwGE 116, 359–364 (360); BVerwGE 121, 140–152 (148). 210  Zu diesem Befund kommen aufgrund ihrer umfangreichen Arbeiten Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 488; und Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 514. 211  BVerfGE 33, 23–42 (30 f.). 212  Ausführlich zur Entstehungsgeschichte beispielsweise Kahl/Waldhoff/Walter/ Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 3–5; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 514 f. 213  Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 503 f.; Kahl/Waldhoff/Walter/ Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 160 f. 214  Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 2 WRV lautet: „Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.“ 209  Mangoldt/Klein/Starck

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der Religion durch den Staat (Abs. 2) und keine Einschränkungen der staatlichen Gesetze durch die private Religion (Abs. 1).215 Das darin zum Ausdruck kommende Diskriminierungsverbot sollte daher auch nicht als Schranke des Grundrechts nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG herangezogen werden.216 Schranken des vorbehaltlosen Grundrechts können sich deshalb nur, aber eben doch, aus kollidierenden Verfassungsrechtsgütern, insbesondere anderer Grundrechte ergeben. Im Strafvollzug treten zwar möglicherweise auch Probleme aufgrund der Kollision zweier Grundrechte verschiedener Gefangener auf217, für die Organisation der gemeinschaftlichen Religionsausübung relevanter ist aber die Frage, inwieweit die Bedingungen des Strafvollzugs als solche Einschränkungen rechtfertigen können. b) Besondere Schranke durch Inhaftierung im Strafvollzug Die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG gilt als Grundrecht für Jedermann. Lange ist jedoch vertreten worden, dass Strafgefangene in einem besonderen Gewaltverhältnis stünden, in denen nicht dieselben Rechte wie im sonstigen Staat-Bürger-Verhältnis gelten. Auch nach Ablehnung dieser Rechtsfigur unter Geltung des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsrecht, haben sich verschiedene Varianten gehalten, wie Beschränkungen des Grundrechtsschutzes für Strafgefangene besonders gerechtfertigt werden. Ein genereller Ausschluss des grundrechtlichen Schutzes wird jedoch nicht mehr vertreten. aa) Das frühere besondere Gewaltverhältnis Aufbauend auf früheren Ideen218 hat Otto Mayer in seinem Werk zum Deutschen Verwaltungsrecht (Bd. 1: 1895, Bd. 2: 1896) mit der Figur des „besonderen Gewaltverhältnisses“ die Personen im staatlichen Innenbereich 215  Ausführlich Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 487 ff.; auch dazu Sachs/Kokott, Art. 4 GG Rn. 134 f. 216  Ebenso Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 123 f.; Walter, Religionsverfassungsrecht; Mager, in: Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1 (6. Aufl., 2012), Art. 4 GG Rn. 163; Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 47. 217  Zur negativen Religionsfreiheit des Einzelnen noch unter Kapitel 2, A. II. 3. „Freiwilligkeitsprinzip der negativen Religionsfreiheit“, S. 100. 218  Vgl. Erichsen, „Besonderes Gewaltverhältnis und Sonderverordnung“, in: Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts – Festschrift für Hans J. Wolff zum 75. Geburtstag (1973), S. 219–246 (221 ff.); Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis – eine Untersuchung zur Dogmatik des Sonderstatusverhältnisses (zugl. Mannheim, Univ., Habil., 2012), S. 32 ff.



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gegenüber denjenigen in allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnissen unterschieden.219 Durch den Eintritt in den Staatsdienst (Beamte, Richter, Soldaten) oder in eine staatliche Einrichtung (Gefangene, Schüler, Anstaltsnutzer) wurden demnach die betreffenden Personen unter die alleinige Regelungsmacht der Exekutive gestellt. Dies hatte zur Folge, dass bürgerliche Freiheiten keine Anwendung finden konnten. Für die Ordnung des staatlichen Innenbereichs galt auch kein Gesetzesvorbehalt, weil Rechtssätze sich nach damaligem Verständnis nur auf Eingriffe in Freiheiten oder Eigentum bezogen oder Kollisionen verschiedener Freiheitsinteressen regelten.220 Folglich waren auch die Rechtsschutzmöglichkeiten stark eingeschränkt. Die Mayersche Rechtsfigur wurde, trotz ihrer Herkunft und Verankerung in der konstitutionellen Monarchie,221 auch nach Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung mit ihrem Grundrechtsteil nicht grundsätzlich infrage gestellt.222 Erst unter dem Grundgesetz wandelte sich die Lage: Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte alle staatlichen Gewalten – ohne Bereichsausnahme für besondere (Gewalt-)Verhältnisse. Die Grundrechtsgeltung im besonderen Gewaltverhältnis wurde deshalb allgemein akzeptiert.223 Nach teilweise deutlicher, teilweise zweifelnder Kritik von Seiten der Rechtswissenschaft224 an der weiteren Anwendung des Rechtsfigur des Besonderen Gewaltverhältnisses und ihrer sichtbarsten Ausprägung im Fehlen von parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen insbesondere für den Strafvollzug,225 verlangte

219  Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht (1896), S. 335 ff.; zur Bedeutung der Begriffe ausführlich Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 17 ff. 220  Erichsen, „Besonderes Gewaltverhältnis“, in: Menger (Hrsg.), FS H.J. Wolff, S. 229. 221  Wenn auch mit Unschärfen bildete die Figur des besonderen Gewaltverhältnisses die „Machtstellung und spezifische Interessenlage der monarchischen Exekutive im Dualismus des konstitutionellen Systems“ ab, so Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 57. 222  Erichsen, „Besonderes Gewaltverhältnis“, in: Menger (Hrsg.), FS H.J. Wolff, S. 230; Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 60 f. 223  Peine, „§ 65 Grundrechtsbeschränkungen in Sonderstatusverhältnissen“, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III (2010), S. 406–437 (418, 423); Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 72; Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I (3. Aufl., 2013), Art. 1 III GG Rn. 65; Kokott, „§ 22 Grundrechtliche Schranken und Schrankenschranken“, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I (2004), S. 853–908 (882 f.). 224  Zur Modifizierung der Rechtsfigur bei gleichzeitiger Grundrechtsgeltung vgl. Erichsen, „Besonderes Gewaltverhältnis“, in: Menger (Hrsg.), FS H.J. Wolff, S. 236 f.; zusammenfassend mit zahlreichen Nachweisen auch Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S.  75 ff. 225  Vgl. exemplarisch Starck, „Plädoyer für ein Strafvollzugsgesetz“, ZRP 1969, S. 147–149.

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auch das Bundesverfassungsgericht 1972 als Folge des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts den Erlass eines Strafvollzugsgesetzes.226 bb) Institutionelle Funktionsfähigkeit als einschränkendes Kriterium Über die Reichweite des effektiven Grundrechtsschutzes und insbesondere den dogmatischen Standort, an dem Besonderheiten des Strafvollzugs, des Beamtentums oder des Militärdienstes zu berücksichtigen sind, war allein mit Ablehnung der früheren Rechtsfigur aber noch nichts entschieden. Teilweise wurde das besondere Gewaltverhältnis deshalb auch als „zu früh totgesagt“ bezeichnet.227 Wie die praktischen Besonderheiten dogmatisch gelöst werden sollten, ist weiterhin umstritten. Die Diskussion ist im ersten Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sichtbar geworden: Während die Senatsmehrheit ein verwaltungsrechtliches Verbot des Kopftuchtragens durch eine Lehrerin für unzulässig hielt und eine gesetzliche Grundlage zum Ausgleich zwischen staatlicher Neutralität, negativen Freiheiten der Schüler und Eltern sowie der positiven Freiheit der Lehrerin forderte, verwiesen drei Richter in einem Sondervotum auf die besondere Staatsnähe der Beamten wegen der sich diese „nicht in gleicher Weise auf die freiheitssichernde Wirkung der Grundrechte berufen“ könnte.228 Inzwischen dürfte sich aber eine wohl überwiegende Meinung gebildet haben, die auf die Erfüllung der jeweiligen Funktionen einer staatlichen Institution als einschränkendes Kriterium innerhalb der Rechtfertigungsprüfung abstellt,229 auch wenn dies höchst unterschiedlich bezeichnet wird. Die Funktionsfähigkeit der Institutionen war bereits von Rudolf Smend als entscheidendes Kriterium verstanden worden, das der freien Entfaltung grundrechtlicher Handlungsfreiheiten (von Beamten) entgegenstehen kann.230 In der Folge des Strafgefangenen-Beschlusses sehen die Rechtsprechung und 226  BVerfGE

33, 1–18. „Das besondere Gewaltverhältnis – ein zu früh totgesagtes Rechtsinstitut“, DÖV 1981, S. 933–941. 228  BVerfGE 108, 282–340 (315); zur gegenteiligen Mehrheitsmeinung ebd., 310 f. 229  In diese Richtung geht auch der Ansatz des Ersten Senats des BVerfG in der Kopftuch-Entscheidung vom 27.01.2015, wo eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens verlangt wird, siehe BVerfGE 138, 296–375 (341 (Rn. 113), anders aber mit Verweis u. a. auf staatliche Neutralität das Sondervotum der Richter Schluckebier/ Hermann, S. 367 (Rn. 314)); in letzterem Sinne dann auch wieder der jüngste Kopftuch-Beschluss zum Rechtsreferendariat, der aber auch explizit auf die Funktions­ fähigkeit der Rechtspflege abstellt, siehe BVerfG, NJW 2020, 1049–1062 (Rn. 91). 230  Smend, „Das Recht der freien Meinungsäußerung“, VVDStL 1927, S. 44–74, 54; vgl. auch Peine, „Sonderstatusverhältnisse“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. III, S. 416 f. 227  Ronellenfitsch,



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die überwiegende Zahl wissenschaftlicher Autoren in der freiwilligen (bei Beamten, Richtern und Soldaten) oder zwangsweisen (bei Inhaftierten und Schülern) Einbindung in eine staatliche Institution231 einen Rechtfertigungsgrund für im Übrigen verhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen, um der Funktionsfähigkeit der Einrichtung zur Durchsetzung zu verhelfen.232 Die Eingliederung in eine staatliche Institution bildet den rechtlichen Anknüpfungspunkt und nicht nur eine faktische Beschreibung. Denn die Eingliederung selbst ist von ihren Folgen zu unterscheiden und ist auch selbst verfassungsrechtlich: Strafgefangenen wird durch Urteil gemäß Art. 104 Abs. 2, 3 GG die Fortbewegungsfreiheit des Art. 2 Abs. 2 GG entzogen. Gleichzeitig sind sie dadurch aber auch in anderen Handlungsfreiheiten eingeschränkt. Zur Rechtfertigung dieser Einschränkungen bedarf demnach die jeweilige staatliche Institution einer verfassungsrechtlichen Grundlage, die für den Strafvollzug in Art. 104 Abs. 1, 2 GG oder bereits in der Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gesehen wird.233 Teilweise wird auch Art. 12 Abs. 3 GG bemüht.234 Das Meinungsbild ist im Detail aber sehr breit, inhaltliche Differenzen sind von nur begrifflichen Varianten zum Teil schwer zu unterscheiden.235 Verbreitet wird die beschriebene Eingriffsrechtfertigung im 231  Vgl. zur Eingliederung als Begründung gemeinsamer dogmatischer Strukturen Loschelder, „§ 202 Grundrechte im Sonderstatus“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX (2011), S. 1077– 1108 (1086 f.); ausführlich dazu auch Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S.  186 ff. 232  Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1 (6. Auflage, 2010), Art. 1 GG Rn. 298; Dreier/Dreier, GG, Art. 1 III GG Rn. 65; Peine, „Sonderstatusverhältnisse“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. III, S. 424, 428; Morlok, „Strafvollzug und Grundrechte“, in: Bemmann/Manoledakis (Hrsg.), Probleme des Strafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzugs (1989), S.  45–56 (49 f.); Schäfer, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz Bund und Länder (6. Aufl., 2013), Sechster Teil: Religionsausübung, Rn. 5 vor § 53; Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 933, 939; BVerfGE 33, 1–18, 13; aus der übrigen Rechtsprechung exemplarisch LG Aachen, Beschluss vom 25. Juni 2014 – 33i StVK 924/13 –, juris. 233  Dreier/Dreier, GG, Art. 1 III GG Rn. 65; Morlok, „Strafvollzug und Grundrechte“, in: Bemmann/Manoledakis (Hrsg.), Probleme des Strafens, S. 50; kritisch zur Heranziehung von Kompetenznormen als verfassungsrechtliche Grundlage für Grundrechtseinschränkungen: Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 166. 234  Mangoldt/Klein/Starck/Starck, GG, Art. 1 GG Rn. 298 (wobei die dort aufgeführten BVerfGE-Nachweise dies jedoch nicht tragen, möglicherweise sollen sich die Nachweise auf den Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in die Freizügigkeit beziehen); richtig ist aber, dass Art. 12 Abs. 3 GG die Existenz des Strafvollzugs voraussetzt, so Loschelder, „Grundrechte im Sonderstatus“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR, Bd. IX, S. 1078. 235  Diesen Befund ausführlich nachweisend Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S.  86 ff.

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Anschluss an Konrad Hesse durch den gesonderten Status von Beamten, Gefangenen oder Schülern begründet (Sonderstatusverhältnisse).236 Teilweise wird dasselbe ohne eigenen Statusbegriff als verfassungsimmanente Schranke bezeichnet und damit in die übliche Dogmatik zur Eingriffsrechtfertigung vorbehaltloser Grundrechte wie der Religionsfreiheit eingeordnet.237 cc) Neuere dogmatische Ansätze Zu den Rechtsverhältnissen von Beamten, Schülern, Strafgefangenen und anderen haben Wolfgang Loschelder (1982) und Sebastian Graf Kielmansegg (2006) in ihren Habilitationsschriften eigene dogmatische Ideen vorgelegt. (1) Öffentlich-rechtliche Sonderbindung nach Loschelder Loschelder238 analysiert, dass durch die tatsächliche Eingliederung eines Bürgers in eine staatliche Anstalt das Staatshandeln „nicht mehr ‚von außen‘ und begrenzt in den individuellen Lebenskreis“ eingreife, sondern diesen „nach allen Seiten von innen heraus“ betreffe.239 Die Grundrechte seien für die Beziehung von Staat und Bürgern in Distanz zueinander geschaffen, durch die Eingliederung in eine staatliche Anstalt oder den Staatsdienst ent236  Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 144; das Sonderstatusverhältnis als öffentlich-rechtliche Sonderverbindung beschreibend Loschelder, „Grundrechte im Sonderstatus“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR, Bd. IX; vgl. auch Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung (zugl. Bonn, Univ., Habil., 1982); Dreier/ Dreier, GG, Art. 1 III GG Rn. 65; Mangoldt/Klein/Starck/Starck, GG, Art. 1 GG Rn. 298; Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd.  VII, S.  114; Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art.  4 GG Rn. 28; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 1; Mückl, Der Staat 40 (2001), S. 96; Peine, „Sonderstatusverhältnisse“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. III; zur Begründung eines nur verwaltungsrechtlichen besonderen Gewaltverhältnis auch von einem Sonderstatus der Betroffenen sprechend, Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 933, 939; den Begriff verwenden auch die Richter Jentsch, di Fabio u. Mellinghoff im Sondervotum zu BVerfGE 108, 282–340 (316); Kokott, „Grundrechtliche Schranken“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. I, S. 881 ff.; Dürig/Herzog/Scholz/ Herdegen, Art. 1 GG Rn. 48. 237  Morlok, „Strafvollzug und Grundrechte“, in: Bemmann/Manoledakis (Hrsg.), Probleme des Strafens; Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 145; wohl auch Mangoldt/ Klein/Starck/Starck, GG, Art. 1 GG Rn. 298 f. 238  Im Folgenden wird oft auch auf den deutlich jüngeren Beitrag im HbdStR (2011) verwiesen, der inhaltlich wiederum auf der Monographie von 1982 aufbaut und diese umfangreich nachweist. 239  Loschelder, „Grundrechte im Sonderstatus“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR, Bd. IX, S. 1087.



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falle aber diese Prämisse. Zwischen der beiläufigen Eingliederung des Besuchers, den zweckentsprechend betroffenen Schülern, Patienten oder Häftlingen und den auf ein gesetzliches Amt verpflichteten Beamten, Richtern und Soldaten sei in einer Stufenfolge zu differenzieren.240 Da die Verfassung diese besonderen Konstellationen – Loschelder verwendet dafür den Begriff „öffentlich-rechtliche Sonderbindung“241 – billige und (jedenfalls für das Beamtentum) näher institutionalisiere, würden „Felder abweichender Freiheitsbedingungen“ und „abweichender Grundrechtswirkungsweise“ geschaffen, die Grundrechtsgeltung jedoch nicht tangiert.242 Die tatsächliche Eingliederung beschränke deshalb zugunsten der Anstaltszwecke die grundrechtlichen Freiheit der Betroffenen. Allerdings erfolge dies nicht schematisch, sondern müsse in jedem Einzelfall durch Abwägung von Privatinteressen und Staatsbelangen ermittelt werden, bei der ein schonender Ausgleich hergestellt werden müsse.243 Notwendig sei es mitunter auch, dass die Funktionserfüllung der Anstalt die grundrechtliche Freiheit vollständig verdränge. So könne sich insbesondere der Strafgefangene gar nicht auf die Freiheit der Person oder die Freizügigkeit berufen.244 (2) Usurpationsgrenze und Nichtstörungsvorbehalt bei Kielmansegg Sebastian Graf Kielmansegg sieht in den faktischen „Näheverhältnissen“245 von Staat und Bürger ebenfalls den Grund für eine besondere dogmatische Behandlung, leitet daraus aber noch keine Folgen ab. Stattdessen sei die Unterscheidung von Primär- und Folgebeeinträchtigungen für die Bearbeitung der Grundrechtsfragen entscheidend: Während die primären Beschränkungen sich auf die konstitutiven Elemente der Nähe von Staat und Bürger beziehen (hier: der Entzug der Fortbewegungsfreiheit und der Freizügigkeit durch die richterliche Anordnung des Freiheitsentzugs im Sinne von Art. 104 GG), beschreiben die Folgebeeinträchtigungen nur jene Grundrechtseinschränkungen, die nicht beabsichtigt sind, sich aber für die Durchsetzung des primären Ziels nicht vermeiden lassen.246 So ist während der Inhaftierung im 240  Ebd.,

1087, 1094. Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, S. 1. 242  Loschelder, „Grundrechte im Sonderstatus“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR, Bd. IX, S. 1090. 243  Ebd., 1090 f. 244  Ebd., 1093. 245  Diesen Begriff schon im Titel verwendend, auch wenn im Untertitel wieder die „Dogmatik der Sonderstatusverhältnisse“ angesprochen wird, Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis. 246  Ebd., 324 ff., 328. 241  Loschelder,

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Strafvollzug notwendigerweise das Recht auf Informationszugang oder die Teilnahme an der Mitgliederversammlung seines Vereins schwierig bzw. unmöglich. Im hiesigen Kontext: der Besuch eines Freitagsgebets in der örtlichen Moschee ist im geschlossenen Vollzug ausgeschlossen. Dies basiere, so Kielmansegg im Gegensatz zu Loschelder, aber nicht allein auf der faktischen Eingliederung, sondern sei eine Folge der Primärbeeinträchtigung, die grundrechtlich besonders zu behandeln sei. Kielmansegg schlägt deshalb für das „aufenthaltsbegleitende Verhalten“ die Anwendung eines Nichtstörungsvorbehaltes als grundrechtsimmanente Schranke vor. Demnach seien Beschränkungen des jeweiligen Grundrechts zulässig, wenn die Integrität der Abläufe und Strukturen der betreffenden staatlichen Einrichtung zur Er­ reichung ihres Anstaltszwecks objektiv beeinträchtigt ist.247 Der Vorbehalt entstamme den Handlungsfreiheiten und sei keine verfassungsimmanente Schranke mit der Folge herzustellender praktischer Konkordanz, weil das Verhalten des Einzelnen innerhalb einer staatlichen Einrichtung zwingend den Raum und eventuell die Ressourcen eines Dritten, hier des Staates, in Anspruch nimmt, was nur bis zur Grenze des vom Dritten im Übrigen verfolgten Zwecks überhaupt geschützt sei.248 Dem liegt die These einer Usurpationsgrenze der Grundrechte zugrunde, wonach die Freiheitsrechte mit Abwehrcharakter generell keine Inanspruchnahme der Rechtsgüter Dritter schützen, auch nicht die Inanspruchnahme der Rechtsgüter des Staates.249 Schon nicht vom Schutzbereich gedeckt sei daher der Gebrauch eines staatlichen Amtes oder eines staatlichen Raumes in einer Weise, die den staatlichen Zweck gänzlich verdränge und anstelle des Staates der handelnde Bürger Sachherrschaft erlange.250 Dies hat wenig praktische Relevanz im Strafvollzug, dient bei Kielmansegg aber beispielsweise der Lösung umstrittener Probleme der Religionsfreiheit von Beamten.251 In Abgrenzung dazu stehe das aufenthaltsbegleitende Verhalten während der Eingliederung in einer staatlichen Einrichtung, das dem grundrechtlichen Schutzbereich unterfalle, weil es Raum und Amt nicht über die anderweitig begründete Eingliederung hinaus beanspruche.252 Als Beispiel für nur aufenthaltsbegleitendes Verhalten kann hier die Nutzung des eigenen Haftraumes zum Gebet während der Einschlusszeit gelten, die nur aufgrund des Freiheitsentzugs an diesem Ort geschieht und sich im Rahmen des Widmungszwecks des Haftraumes hält. Anders liegt es, wenn der Flur vor den Hafträumen durch mehrere muslimi247  Ebd.,

388 f., 483 f. 389. 249  Ebd., 354 ff. 250  Ebd., 386. 251  Zu den Kopftuch-Fällen in diesem Zusammenhang siehe ebd., 404. 252  Ebd., 387. 248  Ebd.,



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sche Häftlinge gemeinsam und spontan zum Freitagsgebet genutzt wird.253 Hier kommt es nach Kielmansegg dann auf die Frage an, ob der sonstige institutionelle Zweck dieses Raumes durch die Nutzung gänzlich ausgeschlossen wird (dann greift die Usurpationsgrenze) oder nur gestört wird (dann greift der Nichtstörungsvorbehalt). dd) Zusammenfassung und Stellungnahme Unter verschiedenen Bezeichnungen und mit Nuancen im Detail wird die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtung als grundrechtsbeschränkender Faktor genannt. Diese ist als verfassungsimmanente Schranke zu verstehen, da wesentliche Institute mit einer Eingliederung von Bürgern in den staatlichen Bereich bereits in der Verfassung angelegt sind und das übliche System der Eingriffsrechtfertigung dadurch keiner Modifikation bedarf. Letzteres ist zwar kein Selbstwert, Abweichungen unterliegen dennoch einer höheren Begründungslast. Die faktische Eingliederung trägt soweit aber nicht, wie ein Beispiel von Loschelder zeigt: Für einen Sprung vom Beckenrand, der andere Besucher gefährde, verfüge der Anstaltsnutzer „nicht über ‚an sich‘ autonom beherrschtes Terrain“, so Loschelder254. Was ist aber, wenn der Besucher statt in die „Badeanstalt“255 beim nächsten Mal in das öffentlich zugängliche Schwimmbad eines Sportvereins geht? Steht ihm dann mangels Eingliederung in eine staatliche Einrichtung die Freiheit zum gefährdenden Beckenrandsprungs wieder zur Verfügung? Im Ergebnis wird das nicht so sein, denn die Freiheit wird durch die Baderegeln in der Hausordnung des Vereins eingeschränkt sein, sodass der Sprung vom Beckenrand hier wie dort verboten ist. Jedes Mal ist dies das Ergebnis einer Abwägung mit den Interessen der anderen Besucher und nicht, wie Loschelder verallgemeinert, mit den Staatsbelangen des staatlichen Betreibers. Andernfalls müssten auf Seiten des privaten Betreibers auch ausschließlich dessen Interessen in die Abwägung einfließen. Selbst wenn es aber als Interesse des Betreibers formuliert würde, dass dieser sich keinen straf- oder ordnungsrechtlichen Konsequenzen aussetzt und nur deshalb den Sprung vom Beckenrand untersagt, fehlt immer noch eine faktische Eingliederung. Die von Loschelder entwickelte Methodik ist demnach nicht in der Lage, die Besonderheiten der Eingliederungslage trennscharf zu erfassen und etwa von Schutzpflichten-

253  Vgl. die Variationen des Berliner Schulgebetsurteils bei ebd., 393 f.; vgl. OVG Berlin-Bbg. NVwZ 2010, 1310–1314. 254  Loschelder, „Grundrechte im Sonderstatus“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR, Bd. IX, S. 1092. 255  Ebd.

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Konstellation zu unterscheiden.256 Einen eigenen Sonderstatus für Situationen der Eingliederung in staatliche Bereiche braucht es nicht. Zu weit geht aber auch Kielmansegg, wenn er generell die Fähigkeit des Staates, seine Aufgaben störungsfrei wahrzunehmen, als grundrechtsimmanente Schranke (Nichtstörungsvorbehalt) konstruiert.257 Damit werden Bedingungen in die Grundrechte hineingelesen, die sich aus der historischen Analyse, dass die Grundrechte für Distanzverhältnisse von Staat und Bürgern geschaffen worden sind, nicht ohne Weiteres ergeben. Denn als solche sind die Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen konstruiert und diese Dimension geht nicht (auch nicht teilweise) durch die Eingliederung in den staatlichen Innenbereich verloren. Die Existenz der betreffenden staatlichen Institutionen und die Notwendigkeit ihrer Zweckerreichung lassen sich aber der Verfassung insgesamt entnehmen oder werden von dieser vorausgesetzt. Folglich kann deren Funktionsfähigkeit als verfassungsimmanente Schranken den Grundrechten entgegengehalten werden, begrenzt aber nicht schon die Grundrechte aus sich selbst heraus. Deshalb ist auch der Nachweis einer verfassungsrechtlichen Fundierung der staatlichen Einrichtung erforderlich. Dazu genügt es aber nicht, dass die Einrichtung in ihrer gesetzlichen oder verwaltungsförmigen Ausgestaltung einen verfassungslegitimen Zweck verfolgt.258 Die verfassungsrechtliche Legitimität staatlicher Zwecke wird auch sonst nicht positiv geprüft, stattdessen können illegitime Zwecke keine staatlichen Handlungen rechtfertigten, die in Grundrechte eingreifen. Die Verfassungsordnung verlangt stets legitime Zwecke für grundrechtsrelevantes Handelns, sodass daraus keine besondere Beschränkung abgeleitet werden kann. Es ist daher eine verfassungsrechtliche Stütze für die betreffende staatliche Institution erforderlich. Für die Religionsfreiheit ergibt sich das (nach hier vertretener Auffassung) aus der vorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistung, die nur durch kollidierendes Verfassungsrecht durchbrochen werden kann. Ein nicht-verfassungsrechtlich normiertes Rechtsgut kann daher keine Eingriffsrechtfertigung bieten, auch wenn sich eine staatliche Institution in ihrem Innenbereich darauf stützen möchte. Aufgrund der weitreichenden Betroffenheit eines Grundrechtsträgers innerhalb des staatlichen Innenbereichs ist aber auch allgemein eine verfassungsrechtliche Stütze für die Institution gerechtfertigt.

256  Ähnlich hierzu: Kielmansegg sieht bei Loschelder generell einen überzeichneten Gegensatz zwischen dem üblichen Distanz-Verhältniss von Staat und Bürger und den Sonderstatusverhältnissen, siehe Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 296. 257  Zusammenfassend dazu ebd., 483. 258  So aber ebd., 348.



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Sofern Kielmansegg kritisiert, die Annahme verfassungsimmanenter Schranken gehe zu weit, wenn ein materieller Maßstab der Funktionsfähigkeit im Sinne einer Fähigkeit zur Zielerreichung gelten würde, ist dies aber berechtigt. Die Funktionsfähigkeit der Institution muss als Rechtfertigungsgrund auf die Möglichkeit, das Ziel überhaupt erreichen zu können, beschränkt bleiben. Für den Strafvollzug ist das der Freiheitsentzug als Vollzug des staatlichen Strafanspruchs (äußere Anstaltssicherheit) und die Abwendung von (Gesundheits-)Gefahren für Personen oder Sachen in der Anstalt (innere Anstaltssicherheit).259 Gefahren und Beeinträchtigungen der verfassungsrechtlich vorgegebenen Aufgabe des Strafvollzugs, die Resozialisierung der Gefangenen,260 betreffen daher erst dann die institutionelle Funktions­ fähigkeit, wenn die Grenze strafbaren Verhaltens erreicht ist. Unterhalb dessen ist die Freiheitsausübung auch im Strafvollzug gewährleistet, solange jedenfalls die Grenzen der Anstaltssicherheit nicht eingreifen. Dass aus der Resozialisierungsaufgabe des staatlichen Strafvollzugs keine Grundrechtsbeschränkung ableitbar ist, ergibt sich im Übrigen auch aus systematischen Gründen: Das in § 2 S. 1 StVollzG und vergleichbaren Landesregelungen normierte Vollzugsziel der Resozialisierung basiert auf einem grundrecht­ lichen Anspruch des einzelnen Gefangenen.261 Der eigene grundrechtliche Anspruch kann nicht gegen das eigene Freiheitsrecht in Stellung gebracht werden bzw. stellt den Normalfall kollidierenden Verfassungsrecht dar, sofern die staatliche Schutzpflicht zur Gewährleistung des Resozialisierungsanspruchs Dritter betroffen ist. Letzteres ist aber gegenüber der Funktionsfähigkeit der Institution zu unterscheiden. Berücksichtigung finden muss ferner, ob es um primär durch den Zweck der Eingliederung in den Staatsbereich beschränktes Verhalten geht oder nur um solche Handlungen, die während der Eingliederung – sozusagen bei Gelegenheit – vorgenommen werden. Angesprochen ist damit die Differenzierung von Primär- und Folgebeeinträchtigungen nach Kielmansegg. Erst durch diese ist es möglich, das verfassungsrechtliche Fundament der Eingliederung entsprechend gegenüber den sonstigen Handlungsfreiheiten zu gewichten.262

259  Vgl. zur Unterscheidung von äußerer und innerer Sicherheit im Strafvollzugsrecht, Arloth/Krä, Rn. 2 zu § 81 StVollzG. 260  BVerfGE 35, 202–245 (235 f.); BVerfGE 45, 187–255 (238 f.); vgl. auch die Ausführungen der Strafvollzugskommission in BVerfGE 33, 1–18 (7). 261  Grundlegend BVerfGE 35, 202–245 (234). 262  Ähnlich differenzierend bereits Pirson, „Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts“, in: Marré/Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche, Bd. 23, S. 25.

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c) Folgerungen für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug Die soeben dargelegte dogmatische Struktur zur Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses im Schutzbereich und zur Einschränkbarkeit anhand der Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs als verfassungsimmanente Schranke muss sich auch in der Rechtspraxis als umsetzbar erweisen. Anhand einiger Anwendungsfälle aus der Rechtsprechung und der Diskussion um muslimische Seelsorge ergeben sich daraus Anforderungen und Grenzen der gemeinschaftlichen Religionsausübung muslimischer Häftlinge im Strafvollzug. Die gemeinschaftliche Religionsausübung von muslimischen Häftlingen in Deutschland mit externer Unterstützung ist aber bisher nicht Gegenstand der (veröffentlichten) Rechtsprechung gewesen. Folgende Aspekte sind daher anhand der bisherigen Rechtsprechung zu den einfachgesetzlichen Regelungen der §§ 53, 54 StVollzG zu untersuchen: die unspezifische Anfrage eines Gefangenen Ermöglichung religiöser Angebote (unten aa)), die konkrete Anfrage eines einzelnen Gefangenen nach gemeinsamer Religionsausübung mit einem externen (professionellen) Beistand (bb)) und schließlich die gemeinsame Ausübung des Glaubens durch mehrere Gefangene ohne externe Unterstützung (cc)). Zu berücksichtigen ist noch, dass die einfachgesetzliche Grundlage der gemeinschaftlichen Religionsausübung im Strafvollzug lange Zeit die Regelungen der §§ 53, 54 StVollzG waren. Diese wurden nach der Föderalismusreform 2006263 durch Landesgesetze abgelöst.264 Die inzwischen erlassenen Strafvollzugsgesetze der Bundesländer entsprechen hinsichtlich der Reli­ gionsausübung aber sehr weitgehend ihrem bundesrechtlichen Vorgänger.265 aa) Unspezifische Anfrage nach religiösen Angeboten Der grundrechtliche Schutz der (gemeinschaftlichen) Religionsausübung umfasst auch den Anschluss eines Einzelnen an eine Gruppe (religiöse Vereinigungsfreiheit). Dies ist im Strafvollzug nur möglich, wenn innerhalb der 263  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (BGBl. 2006 I S. 2034). 264  Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte Neubacher, in: Laubenthal/Nestler/Neu­ bacher/Verrel (Hrsg.), Strafvollzugsgesetze (12. Aufl., 2015), Abschn. A Einleitung Rn. 18. 265  Schwind/Böhm/Jehle et al./Schäfer, StVollzG Bund Länder, Sechster Teil: Religionsausübung, Rn. 20; zur Übereinstimmung des § 70 StVollzG-MusterE mit § 53 StVollzG vgl. Arloth/Krä, Rn. 1 zu § 70 SächsStVollzG.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht81

Vollzugsanstalt eine Religionsgemeinschaft dadurch präsent ist, dass sie eigene religiöse Angebote machen kann, so wie dies bei der christlichen Gefängnisseelsorge der Fall ist. Die Teilnahme an religiösen Angeboten außerhalb des Vollzugs ist durch den Freiheitsentzug gemäß Art. 104 Abs. 1, 2 GG ausgeschlossen. Die gerechtfertigte Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit und der Freizügigkeit durch ein freiheitsentziehendes Urteil ist nach hier vertretener Ansicht gegenüber dem Grundrecht der Religionsfreiheit das speziellere Regelungsregime, sodass jedenfalls die abwehrrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1, 2 GG nicht über die erforderlichen Wirkungen des Freiheitsentzugs hinweghelfen können. Denn das grundrechtliche Abwehrrecht sichert auch und gerade in Situationen, in denen Grundrechtsberechtigte dem staatlichen Zugriff besonders ausgesetzt sind, die Freiheit von staatlichem Zwang zu jeder Form der Religionsausübung. Dies betrifft insbesondere die Schule, für die dies vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen ausgedrückt worden ist. So heißt es etwa im Kruzifix-Beschluss, dass Art. 4 Abs. 1 GG dem Einzelnen keinen Anspruch gewähre, „ihrer Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen“266. Diese Wendung ist teilweise so verstanden worden, dass Beeinträchtigungen des Freiheitsrechts durch die Abläufe der staatlichen Einrichtungen (dort der Schule, hier des Strafvollzugs) andernfalls unverhältnismäßige Eingriffe darstellten. So sei nach Ute Mager nur „die Nichtbeschränkung privater Initiative“ geschützt, nicht aber sei eine „für- und vorsorgliche Unterstützung und Förderung über das aus privater Initiative Gewollte hinaus“ grundrechtlich geboten.267 Diese Position erschließt sich jedoch nur für den Bereich der Schule, denn im Strafvollzug ist dagegen die private Initiative von außen nahezu ausgeschlossen. Die ehrenamtliche Tätigkeit von Sozialvereinen im Strafvollzug ist zwar möglich, genießt aber keinen spezifischen Grundrechtsrechtsschutz der Religionsfreiheit. Daher kommt es gerade auf den Unterschied zwischen diesen Initiativen und religiösem Engagement an. Soweit Mager zur Begründung auf die Bedürfnisabhängigkeit des Zutrittsanspruchs der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV verweist, kann dies für die grundrechtliche Perspektive des Einzelnen ebenfalls nicht weiterhelfen: Scheitert der Zutrittsanspruch, wie bei den muslimischen Verbänden (derzeit noch), an anderen Voraussetzungen, besteht der grundrechtlich geschützte Bedarf des Einzelnen fort und wird nicht erfüllt. Ob und in welchem Umfang in dieser Situation der Staat verpflichtet ist, der Religionsausübung der Gefangenen durch Organisation von muslimischen

266  BVerfGE 93, 1–37 (16); vgl. auch BVerfG, NJW 2017, 2333 (2335); ähnlich bereits BVerfGE 41, 29–64 (49). 267  von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 54.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Angeboten im Strafvollzug Raum zu geben, ist dann aber keine abwehrrechtliche Frage mehr, sondern betrifft den „status positivus“ des Grundrechts.268 Die unspezifische Anfrage eines Gefangenen nach religiösen Angeboten ist daher zwar selbstredend von Art. 4 Abs. 1, 2 GG geschützt, daraus folgt aber keine Verpflichtung zur Organisation neuer Angebote für den Staat. Grundrechtlich genügt es daher, auf eine solche Anfrage wahrheitsgemäß mit dem Ist-Zustand zu antworten. bb) Konkretes Verlangen nach externem, religiösem Beistand Ausgehend vom weiten Schutzbereich unter Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses sind auch die Kontaktaufnahme und daraus resultierende Gespräche mit einem professionellen Vertreter der (potentiell zukünftig) eigenen Religionsgemeinschaft geschützt.269 Dieses übliche Angebot der christlichen Seelsorge besteht in der Regel in einer Moscheegemeinde nicht in institutionalisierter Form, sondern ist allenfalls vom persönlichen Engagement Einzelner abhängig.270 Dennoch lässt sich individuelle Seelsorge islamisch begründen.271 Anfragen an die christlichen Anstaltsseelsorger bestätigen auch das persönliche Bedürfnis der Inhaftierten nach einem solchen Angebot.272 Insofern ist an dieser Stelle das Selbstverständnis des einzelnen Gläubigen besonders relevant: Aus den empirischen Studien zur Religionsausübung von Muslimen in Haft ist bekannt, dass während der Haft bei vielen Inhaftierten erstmals eine geistige Hinwendung zu ihrer Religion er268  Ebenso Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 621; Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 170; Borowski, Glaubensund Gewissensfreiheit, S. 652; Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 131 ff.; zwischen Abwehrrecht und positiver Gewährleistung unterscheidend auch Sachs/Kokott, Art. 4 GG Rn. 88; grds. genauso, aber auch auf sonstige Unverhältnismäßigkeit verweisend Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 62, 65. 269  Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 24. 270  Seit 2008 existiert aber das Berliner Muslimische Seelsorge Telefon (MuTeS), dazu Rohe, Islam in Deutschland, S. 229 f. 271  Siehe Kapitel 2, A. I. 1. b) „Seelsorgeverständnis und Äquivalente im Islam“, S. 37. 272  Funsch, Seelsorge im Strafvollzug, S. 413 f.; aus den Anfragen an christliche Seelsorge oder konkret geäußerten Wünschen an die Anstaltsleitung kann jedoch noch nicht auf den tatsächlichen Bedarf geschlossen werden, den Gefangene häufig erst gegenüber einem muslimischen Ansprechpartner äußern würden, so die Ergebnisse der Gefangenenbefragungen von Schaffer/Obergfell-Fuchs, „Evaluation Islamische Gefangenenseelsorge“, S. 24; Bartsch/Bergmann/Stelly/Kinzig/Hibaoui/Schaffer/ Stelzel, Forum Strafvollzug 2017, S. 316, 319; Bergmann/Bartsch/Lutz/Stelly/Thomas/ Hibaoui, Zeitschrift für soziale Strafrechtspflege 2018, S. 18, 22.



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folgt.273 In dieser Situation kann der Wunsch nach einem Gespräch mit einem professionellen religiösen Gesprächspartner mehrere Ziele verfolgen. Von bloßer Information im Sinne religiöser Bildung bis hin zur gemeinsamen Vornahme religiöser Rituale sind viele Möglichkeiten denkbar, die der Inhaftierte durch den Kontakt erreichen möchte. Grundrechtlich entscheidend ist, dass die Bildung eines religiösen Bekenntnisses und die Ausübung desselben auch die Informationsbeschaffung und die Übung der religiösen Praxis gemeinsam mit religiös Erfahrenen ebenso einschließt. Andernfalls wären nur bereits religiös selbst kundige Menschen von dem Schutz des Art. 4 Abs. 1, 2 GG erfasst, wobei das bereits angesprochene Definitionsdilemma sich dann an der Frage festmachen würde, wann jenes Niveau erreicht ist. Dies würde die Berücksichtigung des (sich noch ausprägenden) Selbstverständnisses unterlaufen. Daher ist auch der Wunsch nach religiös-professionellem Kontakt vom Schutzbereich erfasst, selbst wenn dieser Wunsch durch die ihn betreffende Religionsgemeinschaft aufgrund deren Selbstverständnis nicht eingelöst werden kann.274 Für den muslimischen Inhaftierten bedeutet das, dass sein Verlangen nach seelsorgerlicher Betreuung durch einen Muslim seiner Religionsgemeinschaft gegenüber staatlichen Eingriffen grundrechtlich geschützt ist, gleichgültig ob die Gemeinschaft den Wunsch gemäß der derzeitigen islamisch-theologischen Entwicklungen zur Seelsorge bereits erfüllen kann oder nicht. Aus der Grundrechtsperspektive des einzelnen Gefangenen gilt differenziert nach den verschiedenen Wünschen Folgendes: (1) … für Einzelgespräche Die Kontaktaufnahme mit einem externen Dritten zum Zweck der Religionsausübung ist für den einzelnen Gefangenen grundrechtlich geschützt und darf auch im Strafvollzug nur sehr bedingt eingeschränkt werden. Insoweit ist die Nähe der religionsfreiheitlichen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1, 2 GG zur Menschenwürdegarantie besonders relevant, die den (professionellen) Kontakt und den Austausch zu Fragen der geistig-spiritueller Individualität besonders schützt.275 Gespräche religiösen Inhalts sind auch nicht durch den Zweck des Strafvollzugs primär ausgeschlossen, sondern müssen sich 273  Stelly/Bartsch, ZJJ 2017, S. 68, 70; Schaffer/Obergfell-Fuchs, „Evaluation Islamische Gefangenenseelsorge“, S. 25. 274  Zur Irrelevanz der Lehrpositionen der Religionsgemeinschaften für den grundrechtlichen Schutzbereich bereits oben Kapitel 2, A. II. 1. a) bb) (1) „Kollektive Überzeugungen als Prüfungsmaßstab?“, S. 63. 275  Vgl. auch Dürig/Herzog/Scholz/Herdegen, Art. 1 GG Rn. 91; BVerfGE 109, 279–391 (314 ff.).

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nur entsprechend der Funktionsfähigkeit des Vollzugs organisieren lassen. Das bedeutet, dass der Zutritt für einen Externen durch das Vollzugspersonal kontrolliert und begleitet werden muss, um die Sicherheit der Anstalt zu gewährleisten. Dies wird nicht zu beliebiger Zeit möglich sein, muss aber in verhältnismäßiger Form auch bei besonderen Haftbedingungen gewährt werden.276 Sonstige Zutrittsvoraussetzungen des Externen treffen wiederum nicht den kontaktsuchenden Gefangenen in seiner Position, jedenfalls solange nicht, wie die Zutrittsvoraussetzungen ihrerseits als nicht nur willkürliche Bedingungen gerechtfertigt sind. Folglich ist dem Gefangenen der Kontakt mit einem externen Dritten zur Religionsausübung in Form eines Einzelgesprächs/-besuchs aus grundrechtlicher Sicht in einem verhältnismäßigen Rahmen der Vollzugsabläufe zu ermöglichen.277 Die sich anschließende Frage führt mitten in die Selbstverständnis-Problematik hinein: Welcher externe Dritte ist gemeint? Konkreter aus der Perspektive des grundrechtlichen Abwehrrechts gefragt: Verletzt es den Gefangenen in seiner Religionsausübungsfreiheit, wenn dem Besuchswunsch durch eine bestimmte Person oder Gemeinschaft nicht entsprochen wird? Entscheidend für die Antwort darauf ist, dass das religiöse Selbstverständnis zwar zu berücksichtigen ist, aber nur sofern es selbst plausibel dargelegt wurde. Das bedeutet, dass das Verlangen eines bisher bekennend christlichen Gefangenen, von einem muslimischen Geistlichen besucht zu werden, bei Verweis auf eine Neu-Orientierung in religiösen Fragen nicht als unplausibel abgelehnt werden darf.278 Ferner ist die Wertung des Art. 140 GG/Art. 141 S. 2 WRV auch hier zu berücksichtigen, wonach kein Zwang zur Ausübung einer Religion, also auch nicht für eine bestehende, angewandt werden darf. Insofern würde es das Grundrecht eines Gefangenen verletzen, wenn sein Wunsch nach Kontakt mit einem externen religiösen Beistand gar nicht berücksichtigt würde, inhaltlich überprüft würde oder er (zunächst) nur Kontakt mit einem von der Anstaltsleitung bestimmten Dritten aufnehmen könnte.279 Auch „jeder nur tatsächlich oder mittelbar“ wirkende Druck ist unzulässig.280 Das bedeutet aber umgekehrt nicht, dass Beschränkungen durch die vollzugliche 276  Schwind/Böhm/Jehle et al./Schäfer, StVollzG Bund Länder, Sechster Teil: Religionsausübung, Rn. 9 zu § 53 StVollzG. 277  SaarlOLG KirchE 20, 129–131. 278  Vgl. Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 121  f.; Zum religionsfreiheitlichen Schutz von Briefen eines katholischen Gefangenen mit einem Vertreter der Mormonen siehe SaarlOLG NJW 1966, 1088. 279  Die Anerkennung der Religionszugehörigkeit eines Gefangenen darf nicht von der Bestätigung eines Religionsbeauftragten abhängig gemacht werden, so OLG Koblenz NStZ 1994, 207 (208). 280  Vgl. zum unzulässigen Alternativprogramm für Soldaten, die nicht an einer mehrtägigen Veranstaltung des Militärseelsorgers teilnehmen, BVerwGE 73, 247–252.



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Funktionsfähigkeit nicht denkbar wären.281 So könnte beispielsweise eine mehrmalige religiöse Neu-Orientierung in kurzer Zeit ein Indiz für ein nicht mehr plausibel zu machendes persönliches Religionsverständnis sein. Ebenso könnte die dauernde Ablehnung von mehreren im Vollzug tätigen Seelsorgern auf außer-religiöse Gründe für einen Besuchswunsch von Externen hindeuten. Schematische Antworten verbieten sich hier, allein der jeweilige Einzelfall ist anhand der Plausibilität des vorgetragenen Selbstverständnisses zu prüfen. Damit ist schon angedeutet, was sich in Bezug auf die positiven Gewährleistungen noch näher zeigen wird: Ein Anspruch auf Kontakt zu einem bestimmten religiösen Beistand besteht weder dem Grunde nach, noch hielte dieser den Anforderungen an die vollzugliche Funktionsfähigkeit stets stand. (2) … für Gruppenangebote Der Wunsch nach religiösen Angeboten kann sich auch auf gemeinsame Veranstaltungen zur religiösen Bildung oder gemeinsame Gespräche über religiöse Fragen beziehen. Diese sind insbesondere von gemeinschaftlichen Feiern zur Ausübung religiöser Kulte und Riten abzugrenzen. Bildungsveranstaltungen dienen der Ausbildung und Einübung der religiösen Praxis und sind daher ebenfalls grundrechtlich geschützt. Aus grundrechtlicher Sicht besteht kein Anlass, zwischen der Einübung und der Ausübung zu differenzieren – auch und erst recht nicht im Strafvollzug. Wie gesehen, entsteht das Bedürfnis nach Religion vielfach erst in der Haftsituation und verlangt umgekehrt daher verstärkt nach entsprechender Ausbildung.282 Dies ist auch für den Islam von Bedeutung: Nach islamischem Verständnis dient die Befolgung von religiösen Geboten und Handlungsanleitungen, seien sie ritueller oder lebenspraktischer Art, der Hinwendung zu Gott.283 Dies verdeutlicht insbesondere die Übersetzung des Wortes „Scharia“, was nach koranischer Terminologie „der (von Gott) gebahnte Weg“ oder „der Weg zur Tränke“ bedeutet.284 So verstandene Gottesnähe erfordert die Kenntnis der Gebote und Anweisungen. Ein Blick in die Praxis eines mehrheitlich muslimisch geprägten Landes stützt diese ebenfalls: Die türkische Religionsbehörde Di281  Eine Ausnahme bei Missbrauch auch schon im Leitsatz formulierend Saarl­ OLG NJW 1966, 1088; ähnlich auch OLG Koblenz NStZ 1994, 207 (208). 282  Praktische Erfahrungen muslimischer Seelsorger bestätigen dies, vgl. nur Meyer, „Muslimische Gefangenenseelsorge“, Forum Strafvollzug 2014, S. 20–24, 21; Bedarf nach religiöser Bildung und Übung religiöser Praktiken geben auch die Gefangenen selbst an, siehe Schaffer/Obergfell-Fuchs, „Evaluation Islamische Gefangenenseelsorge“, S. 24. 283  Siehe oben Kapitel 2, A. I. 1. b) cc) „Gebot der guten Taten (ịshān)“, S. 43. 284  Rohe, Das islamische Recht – Geschichte und Gegenwart (3. Aufl., 2011), S. 9.

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yanet legt in ihren Angeboten in Haftanstalten einen stärkeren Fokus auf die Bildung der Gefangenen, statt auf die persönliche (seelsorgerische) Beratung.285 Letzteres soll auch angeboten werden, aber die Erteilung von „Religionskultur- und Ethik-Unterricht“ hat eine größere praktische Bedeutung.286 Dieses Selbstverständnis ist maßgeblich. Entgegen zweier Entscheidungen des Oberlandesgericht Koblenz aus dem Jahr 1987 ist auch für die Auslegung des Begriffs der religiösen Veranstaltungen im Sinne von § 154 StVollzG bzw. der heutigen landesrechtlichen Nachfolgenormen287 von der jeweiligen Bedeutung einer Handlung für das religiöse Selbstverständnis auszugehen und nicht aus objektiven Erwägungen den Bereich der religiösen Veranstaltungen auf gottesdienstähnliche Feiern zu beschränken.288 Ein starker Fokus auf Gottesdienste als zentrale religiöse Ausdrucksform mag zwar dem Gesetzestext aus einer christlich dominierten Zeit entsprechen, ist aber grundrechtlich religionsoffen auszulegen. Die Ausbildung und Einübung religiös-praktischer Handlungen nach religiösen Geboten unter professioneller Anleitung eines anderen Gläubigen ist daher ebenso geschützt, wie gemeinschaftliches Gebet oder Gottesdienst. (3) … für die Teilnahme an gemeinschaftlichen religiösen Feiern Die Teilnahme an religiösen Feiern in der Gemeinschaft mit anderen und mit Unterstützung eines externen Geistlichen ist ebenfalls generell vom Schutzbereich der Religionsfreiheit umfasst und wird durch den Strafvollzug grundsätzlich nicht anders eingeschränkt als die vorhergenannten Angebote auch. Die Religionsausübungsfreiheit in ihrer abwehrrechtlichen Dimension gewährt aber keine Ausnahmen vom Vollzug einer Freiheitsstrafe. Besondere Lockerungen der Haft, die einen Besuch in der örtlichen Moschee während eines Freigangs ermöglichen könnten, sind allein aufgrund strafvollzugs285  Tosun, „Türkei: Religiös-spirituelle Seelsorge zwischen Lehre und Lebenshilfe“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit  – zur sozialen Verantwortung islamischer Seelsorge (2014), S. 79–87 (82 f.). 286  Tosun, „Seelsorge zwischen Lehre und Lebenshilfe“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 83. 287  Dazu ausführlich unten Kapitel 3, A. I. „Rechte der Gefangenen zur Seelsorge“, S. 139. 288  OLG Koblenz NStZ 1987, 525; OLG Koblenz, NStZ 1988, 47; kritisch dazu auch Robbers, „Teilnahme an Gesprächskreis des Anstaltspfarrers“, NStZ 1988, S. 573–574; Müller-Dietz/Sperling, „Anmerkung zu OLG Koblenz, Beschluß vom 30.03.1987 – 2 Vollz (Ws) 17/87 – (Teilnahme an Gesprächskreis des Anstaltspfarrers)“, NStZ 1987, S. 525–528; Stein, „Glaubensfreiheit im Strafvollzug“, ZevKR 33 (1988), S. 446–450; Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel (Hrsg.), Strafvollzugsgesetze (12. Aufl., 2015), Abschn. I Religion Rn. 23; Arloth/Krä, Rn. 3 zu § 54 StVollzG; anders auch OLG Hamm NStZ 1999, 591–592.



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rechtlicher Bewertung zu treffen, weil die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs betroffen ist.289 Folglich geht es nur noch um die Bedingungen der Teilnahme innerhalb der Strafvollzugsanstalt. Ein positiver Anspruch auf Organisation gemeinschaftlicher religiöser Feiern folgt aus der abwehrrechtlichen Dimension des Grundrechts noch nicht, so wie dies auch für die bereits besprochenen Angebote gilt. Dafür folgt aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG aber ein Teilnahmerecht des Gläubigen an den religiösen Feiern seiner Religionsgemeinschaft, wenn solche innerhalb des Strafvollzugs angeboten werden.290 Bezüglich der Neu-Orientierung zu einer (anderen) Religion gilt dasselbe wie für Einzelgespräche und sonstige Gruppenangebote, dass auch ein sich entwickelndes religiöses Selbstverständnis für den „suchenden Kontakt“291 berücksichtigt werden muss.292 Das Teilnahmerecht des einzelnen Gefangenen ist verhältnismäßig einschränkbar, soweit dies für die Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs erforderlich ist. Dies ist für die Religionsausübung der Muslime ein heikler Punkt, weil die vollzuglichen Arbeitszeiten häufig mit der religiös definierten Gebetszeit für gemeinschaftliche Gebete in Konflikt stehen. Dazu sind das religiöse Selbstverständnis und die Funktionsfähigkeit anhand des Resozialisierungsauftrags näher in den Blick zu nehmen. (a) Selbstverständnis zu Gemeinschaftsgebeten Das wichtigste gemeinschaftliche Gebet ist für Muslime das wöchentliche Freitagsgebet (ṣalāt al-ğumʿa), das für männliche, erwachsene Muslime verpflichtend ist. Neben rituellen Verbeugungen auf den Knien gehören auch zwei Predigten (ḫuṭbas) durch einen Imam dazu.293 Zwischen den verschiedenen Rechtsschulen des Islams294 variieren die Auslegungen zur Mindestanzahl von Gläubigen zwischen 40 (Šāfiʿiten, Hanbaliten), 12 (Malikiten) und zwei bis drei Gläubigen (Hanafiten).295 Teilweise wurde das Freitagsgebet nur für gültig gehalten, wenn es in einer Moschee durchgeführt 289  Vgl.

OLG Stuttgart NStZ 1990, 150. im Leitsatz als „Mindestgarantie […], die auch aus vollzugsorganisatorischen Gründen nicht in ihrem Wesensbestand angetastet werden darf“ bezeichnend, OLG Celle ZfStrVo 1991, 247–248 (= KirchE 28, 214–215). 291  Arloth/Krä, Rn. 6 zu § 54 StVollzG. 292  Vgl. Kammergericht StV 2018, 636–638 (Rn. 29 (juris)). 293  Katz, „Friday prayer“, in: Fleet/Krämer/Matringe/Nawas/Rowson (Hrsg.), ­Encyclopaedia of Islam, Edition Three. 294  Vgl. allgemein dazu Rohe, Das islamische Recht, S. 28 ff.; Überblick auch bei Kaweh, „Sunnitischer und schiitischer Islam – Grundlagen“, in: Klöcker/Tworuschka (Hrsg.), Handbuch der Religionen (2014), S. 1–40, Abschnitt IV 41.41 (10 ff.). 295  Katz, EI3, „Friday prayer“. 290  Dieses

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

wurde.296 Nach neuerer islamwissenschaftlicher Literatur ist das eine frühe Position der hanafitischen Rechtsgelehrten, die schon historisch von anderen Rechtsschulen nicht geteilt wurde.297 Verfassungsrechtlich entscheidend ist diese islamisch-theologische Frage aber ohnehin nicht, weil die Beantwortung dieser Fragen eine Angelegenheit des religiösen Selbstverständnisses ist. Für die Zulassung und Durchführung des Freitagsgebets in Strafvollzugsanstalten kommt es daher auf die Bedingungen nicht an, unter denen das Gebet nach religiösen Maßstäben (in einer Moschee) gültig ist, solange die jeweiligen Gläubigen ihr Verhalten für gültig halten. An diesem Punkt zeigt sich ein Unterschied zu der hier bereits oben298 entgegengetretenen Position der Bestimmung des Schutzbereiches anhand der Überzeugung der religiösen Gemeinschaften: Denn wenn Vigor Fröhmcke darauf abstellt, dass das Freitagsgebet nach islamischer Auffassung nur in einer Moschee und mit einer Mindestanzahl an männlichen Gläubigen stattfinden dürfe bzw. müsse, um als gültiges islamisches Gebet zu gelten und deshalb ohne Einhaltung dieser Bedingungen im Strafvollzug nicht dem Grundrechtsschutz unterfallen solle,299 bindet dies den Einzelnen an kollektive Überzeugungen. Diese Position würde hier konkret zu einer auch staatlich gesetzten Bedingung führen, nach der ein Gemeinschaftsgebet religiös gültig sein müsse. Zur Prüfung des Grundrechtsschutzes bräuchte es dann einer behördlichen Prüfung, ob die religiöse Bedingung eingehalten ist, von der staatlicherseits eine Rechtsfolge abhängt. Genau dagegen richtet sich die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG: Denn die Plausibilitätsprüfung des vorgetragenen Selbstverständnisses fordert lediglich die innere Widerspruchsfreiheit, nicht dagegen die Kongruenz mit Mehrheits- oder Lehrmeinungen einer bestimmten Gruppierung. An dieser Stelle zeigt sich, dass die Berücksichtigung kollektiver Maßstäbe zur Bestimmung des Schutzbereiches der Religionsfreiheit nicht zielführend ist, sondern den Staat zu einem religionsinternen Schiedsrichter machen würde, statt die Freiheit jedes Einzelnen zu gewährleisten. Das Freitagsgebet ist demnach eine gemeinschaftliche religiöse Veranstaltung, die mit dem christlichen Gottesdienst aufgrund des Nebeneinanders von Schriftauslegung durch einen religiösen Experten und rituellem Gebet aller Anwesenden vergleichbar ist und jedenfalls nach mancher Auslegung 296  Monnot, „Ṣalāt“, in: Bearman/Bianquis/Bosworth/van Donzel/Heinrichs (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam, Second Edition. 297  Katz, EI3, „Friday prayer“. 298  Siehe Kapitel 2, A. II. 1. a) bb) „Bestimmung des Schutzbereiches unter Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses“, S. 60. 299  So unter Berücksichtigung des vermeintlich einheitlichen kollektiven Selbstverständnisses: Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug, S. 227 f.



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auch innerhalb einer kleinen Gruppe muslimischer Häftlinge entsprechend der religiösen Maßstäbe durchzuführen ist. Soweit Rechtsprechung300 und Kommentarliteratur301 also insbesondere kultische Handlungen durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG geschützt sehen und dafür den kirchlichen Gottesdienst und Gebete als Beispiel anführen, lässt sich das muslimische Freitagsgebet ohne Weiteres subsumieren.302 Dasselbe gilt für ähnliche gemeinschaftliche Gebetszeremonien zu islamischen Feiertagen, etwa dem ʿĪd al-Fiṭr zum Abschluss des Fastenmonats Ramadan, dem Opferfest ʿĪd al-Aḍḥā oder dem nur schiitisch gefeierten Aschura-Tag sowie den meist nur sunnitisch gefeierten Neujahrstag.303 Ebenso geschützt ist der regelmäßig an Donnerstagen und bestimmten Feiertagen stattfindende alevitische Cem-Gottesdienst, dem ein männlicher Dede oder eine weibliche Ana vorsteht und dessen Ziel es ist, die Einheit von Gott und Gemeinschaft durch rituelle Handlungen (u. a. Gaben­ darbringung, traditionell auch mit Tieropfer) und Gebete zu erneuern und mögliche gemeinschaftliche Konflikte unter Berufung auf Gott zu lösen.304 (b) Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs: Resozialisierungsauftrag Wesentliches Element des Strafvollzugs zur Erreichung des Resozialisierungsziels sind Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung in einem geregelten Tagesablauf.305 Dies führt regelmäßig zu einer Kollision der Arbeitszeit bzw. des Endes der Arbeitszeit mit anschließender Rückführung der Gefangenen in die jeweiligen Hafträume einerseits und der islamischen Gebetszeit für das Freitagsgebet am Nachmittag. Nach hier vertretener Auffassung ist zur Einschränkung der Religionsfreiheit aber erforderlich, dass vollzugliche Funktionen gänzlich ausgeschlossen werden. Davon ist bei bloß zeitlichen Überlagerungen nicht auszugehen, denn diese entstehen überhaupt nur, weil der 300  BVerfGE

24, 236–252 (246). die Nachweise oben Kapitel 2, A. II. 1. a) bb) (2) „Schutz nur für kultische Handlungen oder religiöse Handlungsfreiheit?“, S. 65. 302  Dies voraussetzend offenbar auch Kammergericht StV 2018, 636–638 (Rn. 19); für die strafvollzugsrechtlichen Normen ebenso Laubenthal/Nestler/Neubacher et al./ Laubenthal, StVollzG, Abschn. I Religion Rn. 24 zu III; Arloth/Krä, Rn. 3 zu § 54 StVollzG; Müller-Monning, in: Feest/Lesting/Lindemann (Hrsg.), Strafvollzugsgesetze Kommentar (7. Aufl., 2017), Rn. 3 zu § 70 LandesR; Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug, S.  225 f. 303  Kaweh, „Sunnitischer und schiitischer Islam“, in: Klöcker/Tworuschka (Hrsg.), Handbuch der Religionen, S. 25 f. 304  Ausführlich beschreibend Aksünger-Kizil/Kahraman, Das anatolische Alevitentum (2018), S. 118 ff.; vgl. auch Kehl-Bodrogi, „Die Aleviten“, in: Klöcker/Two­ ruschka (Hrsg.), Handbuch der Religionen (2008), S. 1–12, Abschnitt V 12 (5). 305  Statt vieler Arloth/Krä, Rn. 1 zu § 37 StVollzG; vgl. auch BVerfGE 98, 169– 218. 301  Vgl.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Wochenlauf mit einem freien Sonntag einer mehrheitlich christlichen Gesellschaft entstammt. Die individuelle Religionsfreiheit Andersgläubiger zwingt aber zur Berücksichtigung deren Interessen. Es handelt sich also im Wesentlichen um eine organisatorische Frage, ob muslimischen Häftlingen eine zeitgerechte Teilnahme am Freitagsgebet ermöglicht werden kann. Unabhängig von den praktischen Schwierigkeiten der Neu-Organisation, sind aber keine Situationen ersichtlich, in denen das Angebot eines Freitagsgebets die freiheitsentziehende Funktion des Strafvollzugs ausschließen könnte. Für mehrheitlich unterhalb dieser Schwelle bleibende Beeinträchtigungen des Vollzugsalltags ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folglich ein Ausgleich durch mildere Mittel zu suchen. Denkbar sind etwa die flexible zeitliche Verschiebung des Gemeinschaftsgebet innerhalb der Gebetszeit306 oder die Freistellung der betreffenden Gefangenen ab einem bestimmten Zeitpunkt, um die gesicherte Führung in den Gebetsraum zu ermöglichen. Passende Lösungen dafür zu finden, obliegt den Anstaltsleitungen im Einzelfall, gegebenenfalls in Absprache mit externen Professionellen muslimischen Glauben. cc) Gemeinschaftliches Gebet mehrerer Häftlinge ohne Externen Denkbar sind auch Fälle, in denen ein Gefangener die Rolle des Vorbeters übernimmt, wenn sich eine Gruppe aus eigener Initiative zum gemeinschaftlichen Gebet zusammenfindet.307 Die (resozialisierende und überwachende) Funktion des Strafvollzugs kann jedoch nicht mehr gewährleistet werden, wenn die Häftlinge während der Feier, insbesondere der Predigt, in einer von den Vollzugsbeamten nicht zu verstehenden Sprache sprechen. Fremdsprachliche Verständigung unter den Gefangenen kann zwar im normalen Haftalltag nicht verhindert werden, dort aber kann die Bildung von Gruppen in und außerhalb der Hafträume durch vollzugliche Maßnahmen beschränkt werden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Würde dies bei Bildung einer Gruppe zur gemeinschaftlichen Religionsausübung anders sein, führte die Berücksichtigung des inhaltlich nicht zu kontrollierenden Selbstverständnisses zu einer unkontrollierbaren Sphäre. Zur Gewährleistung der institutionellen Funktionsfähigkeit ist daher eine Einschränkung gemeinschaftlicher Gebete auf Verwendung der deutschen Sprache insbesondere bei alleiniger Durchführung ohne externe (professionellen) religiösen Beistand grundrechtlich gerechtfertigt. Anderes muss für liturgische oder rituelle Elemente der Reli306  Die Feiertage und die Gebetszeiten richten sich nach dem Mondkalender und verschieben sich daher mit dem Mondlauf, siehe Kaweh, „Sunnitischer und schiitischer Islam“, in: Klöcker/Tworuschka (Hrsg.), Handbuch der Religionen, S. 25 f. 307  Zur korporativen Freiheit noch unter Kapitel 2, A. III. „Korporative Religionsfreiheit der Gemeinschaft“, S. 104.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht91

gionsausübung gelten, wenn nach dem jeweiligen Selbstverständnis die Verwendung dieser Sprache religiös erforderlich ist. Zur praktischen Abgrenzung dieser Aspekte braucht es demnach entweder Fremdsprachenkenntnisse oder Religionswissen bei den Vollzugsbeschäftigten. d) Zusammenfassung Der abwehrrechtliche Schutzbereich der individuellen Religionsfreiheit eines muslimischen Gefangenen ist anhand des zu plausibilisierenden Selbstverständnisses zu bestimmen. Einschränkungen können sich aus der institutionellen Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs als verfassungsimmanente Schranke ergeben. Deshalb sind einfache Beeinträchtigungen des Vollzugsablaufs oder der derzeitigen Anstaltsorganisation nicht ausreichend, um eine Einschränkung der Religionsfreiheit zu rechtfertigen. Durchsetzen muss sich die verfassungsimmanente Schranke aber stets dann, wenn der Vollzug des Freiheitsentzugs selbst durch eine religiöse Handlung betroffen wäre. Für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug ergibt sich daraus, dass die Einschränkungen für die Teilnahme an religiösen Angeboten außerhalb der Haft durch den verfassungsrechtlich gemäß Art. 104 Abs. 1, 2 GG gerechtfertigten Freiheitsentzug unabdingbar sind. Ferner besteht jedenfalls aus dem Abwehr-Charakter des Grundrechts auch kein Anspruch auf staat­ liche Organisation bestimmter religiöser Veranstaltungen. Wenn aber Gefangene Besuche eines religiösen Beistandes anfragen oder es bereits Angebote in einer Justizvollzugsanstalt gibt, bedarf es für Beschränkungen der Religionsausübung des einzelnen Gefangenen schon konkrete Anhaltspunkte missbräuchlichen Verhaltens oder einer Beeinträchtigung der Anstaltssicherheit. 2. Ansprüche aus dem status positivus der Religionsfreiheit? Neben dem Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe gewährt Art. 4 Abs. 1, 2 GG auch positive Ansprüche. Dies meint vor allem den Schutz gegenüber Beeinträchtigungen durch Dritte im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht für die Grundrechte.308 Für die Religionsfreiheit lässt sich der Schutzauftrag auch bereits aus der Formulierung des zweiten Absatzes von Art. 4 GG ablesen, wonach die ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird. Diese Gewährleistung bezieht sich nicht nur auf die abwehrrechtliche Dimension gegen staatliches Handeln, sondern auch gegenüber Einschränkungen sonstiger Art.309 308  Allgemein dazu etwa Calliess, „§  44 Schutzpflichten“, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II (2006), S. 963–992. 309  Mangoldt/Klein/Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 12.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Für den Strafvollzug ist diese weitere Dimension entscheidend: Wie gesehen, folgen aus der Inhaftierung keine abwehrrechtlichen Ansprüche für die Religionsausübung der Gefangenen.310 Die Beeinträchtigung der freien Religionsausübung durch den Strafvollzug sind aber auch keine Beeinträchtigungen durch Dritte, sondern sind staatlich geschaffen und abwehrrechtlich in weiten Teilen gerechtfertigt. Insbesondere folgt aus dem Abwehrrecht nur ein Anspruch auf Zugang eines religiösen Beistands bei einer konkreten Anfrage danach. Die üblichen Gewährleistungsgehalte der Grundrechte – Abwehrrecht und Schutzpflicht – ermöglichen den Gefangenen somit noch keine Befriedigung unkonkreter oder noch gar nicht geäußerter Bedürfnisse. Das Bundesverfassungsgericht sieht in Art. 4 Abs. 1, 2 GG neben dem individuellen Abwehrrecht und staatlichen Schutzpflichten gegen das Handeln Dritter zudem noch gewährleistet, dass der Staat „Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet“311 schaffe. Dies gelte vor allem in jenen Lebensbereichen, die „aufgrund sozialer Notwendigkeit oder politischer Zielsetzungen nicht dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte allein überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind“.312 Diese Maßstäbe hat das Gericht erstmals in der Entscheidung vom 17.12.1975 zur Simultanschule mit christlichem Charakter formuliert, die in BadenWürttemberg zeitweise als allgemeine Schulform festgelegt war. Im schulischen Kontext ist dieser Maßstab mehrfach wiederholt worden, unter anderem im Kruzifix-Beschluss und dem ersten Kopftuch-Urteil,313 und ist auch auf die Religionsausübung von Gefangenen im Strafvollzug angewandt worden.314 In der Literatur wird anhand der zitierten Wendung häufig auch die Existenz bestimmter institutioneller Garantien in den inkorporierten Weimarer Artikeln begründet, zu denen auch die Regelung zur Anstaltsseelsorge in Art. 141 WRV gezählt wird.315 In der Regel wird dabei betont, dass sich aus dem positiven Gehalt dieses Grundrechts aber (wie auch bei anderen Grundrechten) kein 310  Siehe

S. 57.

oben Kapitel 2, A. II. 1. „Abwehrrechtlich geschütztes Verhalten“,

311  BVerfGE 312  Ebd.

41, 29–64 (49).

313  BVerfGE 52, 223–255 (241); BVerfGE 93, 1–37 (16); BVerfGE 108, 282–340 (300); vgl. auch BVerwGE 141, 223–243 (Rn. 24); OVG Berlin-Bbg. NVwZ 2010, 1310–1314 (Rn. 31). 314  Nichtannahmebeschluss zu OLG Koblenz, Beschluss vom 28.09.1987, NStZ 1988, 47 siehe BVerfG, NStZ 1988, 573. 315  Sachs/Kokott, Art. 4 GG Rn. 89; Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 168; Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 621; Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 166  f.; Mangoldt/ Klein/Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 19.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht93

Leistungsrecht ableiten ließe.316 In welche Kategorie zwischen einklagbarem Leistungsrecht und grundrechtlicher Schutzpflicht die Gewähr des „Raum für aktive Betätigung geben“ einzuordnen ist, ist allgemein und für die Anstaltsseelsorge im Besonderen in vielen Varianten versucht worden, zu beschreiben. Für die Position eines muslimischen Gefangenen, dessen Religionsgemeinschaft nicht gemäß Art. 140 GG/Art. 141 WRV zum Zutritt berechtigt ist, ist aber die Abgrenzung von individuellen Leistungsanspruch und staatlich zu erfüllenden Schutzpflichten entscheidend. Die dogmatische Einordnung als Schutzpflicht führt jedoch auf falsche Pfade, die Anerkennung eines Leistungsanspruchs hat sich gleichwohl bisher nicht durchsetzen können. a) Keine Konkretisierung staatlicher Schutzpflicht Die Verpflichtung des Staates zum Schutz der Grundrechte jedes Einzelnen vor Beeinträchtigungen durch Handlungen von Privaten ist als weitere Grundrechtsdimension anerkannt. Die Grundlage dafür legte das Bundesverfassungsgericht bereits mit dem Lüth-Urteil im Jahre 1958: Das Grundgesetz mit den Grundrechten und vor allem der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG bildeten ein Wertesystem, das als „verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten“ müsse, heißt es in dieser frühen und wegweisenden Entscheidung des Karlsruher Gerichts.317 Daraus gründe sich auch die grundsätzliche Schutzverpflichtung des Staates, die Ausübung der Grundrechte zu gewährleisten, während sich das Maß anhand des jeweiligen Grundrechts bestimme, wie das Bundesverfassungsgericht später wiederholt entschieden hat.318 Diese Pflichten richten sich an die Adresse des Staates, wenn die konkreten Beeinträchtigungen der Grundrechte durch Dritte ausgingen.319 Dem werden im Schrifttum teilweise die Beeinträchtigungen durch staatliche Einrichtungen gleichgestellt, sodass die Gewähr, der aktiven Religionsausübung Raum zu geben, als Teil grundrechtlicher Schutzpflicht verstanden werden kann.320 Die Gleichsetzung staatlichen 316  Sachs/Kokott, Art. 4 GG Rn. 88; Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 622; anders aber Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 193; ähnlich auch BVerfGE 93, 1–37 (16). 317  BVerfGE 7, 198–230 (205). 318  BVerfGE 88, 203–366 (251); vgl. auch Calliess, „Schutzpflichten“, in: Merten/ Papier (Hrsg.), HGR, Bd. II, S. 966. 319  Vgl. Calliess, „Schutzpflichten“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd.  II, S.  966 f. 320  Vgl. die Einordnung von Art. 141 WRV als „bereichsspezifische Konkretisierung der staatlichen Schutzpflichtendimension“ durch Mangoldt/Klein/Starck et al./ Unruh, Art. 141 WRV Rn. 4; uneindeutig ist die Einordnung der Gewährleistung als Schutzpflicht für Situationen, in denen die Grundrechtsträger nicht ohne staatliche

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Handelns mit dem Handeln privater Akteure übersieht aber die unterschied­ lichen Rechtsrahmen: Solange die Grundrechte keine unmittelbare Geltung im Verhältnis zwischen zwei Privatpersonen beanspruchen, greifen dort andere Regelungen, als wenn der Staat in die Grundrechte eingreift. Auch wenn ein Eingriff durch private Dritte dem Staat als mittelbar-faktischer Eingriff zugerechnet werden könnte, müssen sich die Maßstäbe für die Rechtfertigung staatlichen Handelns gegenüber unmittelbar-finalen Eingriffen unterscheiden. Und wiederum von der negativen Abwehr von Grundrechtsbeeinträchtigungen zu unterscheiden, sind positive Maßnahmen des Staates, um bestehende Beschränkungen zu kompensieren. Irritierend ist es deshalb, dass das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Berliner Ladenöffnungszeitengesetz die „Raum geben“-Gewährleistung ebenfalls in den Schutzpflichten-Kontext gestellt hat.321 Zwar gibt es hier mit dem Handeln der Einzelhändler ein Verhalten Privater, das potentiell die in Art. 140 GG/Art. 139 WRV geschützte Sonntagsruhe beeinträchtigt. Dies hat der staatliche Gesetzgeber bei der Regelung der Laden­ öffnungszeiten abzuwägen. Um einen Bereich, den der Staat wie etwa die Schulen „in Vorsorge genommen hat“322, geht es beim Einzelhandel aber nicht, ganz im Gegenteil. Insofern ist es zwar richtig, dass der Staat im Rahmen grundrechtlicher Schutzpflichten dafür Sorge zu tragen hat, dass den Grundrechtsträgern auch ein Raum für die Betätigung ihrer Freiheiten bleibt.323 Daraus wird aber noch nicht jede Schutzpflichten-Situation mit den entschiedenen Fällen aus dem schulischen Kontext oder dem Strafvollzug vergleichbar, für die das entscheidende Moment die staatliche Institution ist, in der sich diese Grundrechtskonflikte ereignen. Die „Raum geben“-Gewährleistung ist daher von der grundrechtlichen Schutzpflicht zu unterscheiden. b) Kompensatorische Leistungsrechte für Gefangene Verbreitet wird bei der Beschäftigung mit der Anstaltsseelsorge des Art. 140 GG/Art. 141 WRV ein Anspruch des einzelnen Gefangenen auf Ermöglichung der Grundrechtsausübung angenommen.324 Der ZulassungsanHilfe zur Grundrechtsausübung in der Lage seien, was typischerweise für Strafgefangene und Soldaten gelte, so Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 132; unklar auch die wörtliche Zitierung der Schutzpflichten-These von Unruh, a. a. O., bei Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 5; während ders. zu Art. 4 GG von einem „leistungsstaatlichen Aspekt“ des Grundrechts ausgeht Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 169. 321  BVerfGE 125, 39–103 (78). 322  BVerfGE 41, 29–64 (49). 323  Ebenso Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 637. 324  Begriffsprägend zum Einfluss des status positivus für die Anstaltsseelsorge war der Diskussionsbeitrag von Isensee, in: Marré/Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht95

spruch für Religionsgemeinschaften wird dabei auch als komplementärer Anspruch zum positiven Recht des einzelnen Gefangenen bezeichnet.325 Für Art. 4 Abs. 1, 2 GG wird aber nur vereinzelt ein Leistungsanspruch für Gefangene zur Ermöglichung der Religionsausübung formuliert: Am weitesten geht Michael Germann, der einen Anspruch auf Vorsorge für die religiösen Bedürfnisse aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG mit dem Anspruch auf „Wasser und Brot“ aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gleichsetzt.326 Aber auch Martin Morlok zieht unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht den Schluss, dass ein „leistungsstaatlicher Aspekt“ in der Gewähr liege, für die Religionsausübung in staatlichen Einrichtungen Raum zu schaffen.327 Andere Kommentierungen beschränken sich auf die Wiedergabe der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts und (teilweise) einen Verweis auf Art. 140 GG/Art. 141 WRV, ohne den Inhalt der aus dem Individualrecht abgeleiteten staatlichen Verpflichtung gegenüber dem Zutrittsrechts der Religionsgemeinschaften zu konkretisieren.328 Der von Christian Starck geforderte Freistellungsanspruch der Soldaten für die Zeiten der Religionsausübung solle entsprechend auch für Strafgefangene gelten. Ein solcher Freistellungsanspruch geht aber über die abwehrrechtliche Dimension gar nicht hinaus, wenn Starck gleichzeitig die Aufgabenzuständigkeit der Religionsgemeinschaften betont, die der Staat zulassen, aber nicht übernehmen dürfe.329 Denn, wie gesehen, folgt der Anspruch auf Zulassung von Religionsgemeinschaften zur Seelsorge in staat­

zum Thema Staat und Kirche (Bd. 23), S. 37; Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII; Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 5; Sachs/Ehlers, Art. 140 GG Rn. 1 zu Art. 141 WRV; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 2; Eick-Wildgans, „§ 70 Anstaltsseelsorge“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HbStKR2, Bd. II, S. 1005; Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 143; ähnlich auch Pirson, „Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts“, in: Marré/Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche, Bd. 23, S. 26; ein Leistungsrecht für die Anstaltsseelsorge ohne genaue Verortung zu Art. 4 Abs. 1, 2 GG oder Art. 141 WRV annehmend Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 650 ff.; einen „Anspruch auf freie religiöse Entfaltung bzw. Betreuung“ annehmend Kahl/ Waldhoff/Walter/Kästner, BK-GG, Art. 140 GG Rn. 687. 325  Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 167; Dreier/ Morlok, Art. 141 WRV Rn. 5; Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 132. 326  Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 65. 327  Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 168; widersprüchlich dazu verhält sich aber im Anschluss an Unruh die Einordnung als bereichsspezifische Konkretisierung der Schutzpflichtendimension in Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 5. 328  Stern/Becker/Kästner, Grundrechte-Kommentar, Art. 4 GG Rn. 166  f.; Schilberg, „§ 56 Anstaltsseelsorge“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 2, S. 2349 f. 329  Mangoldt/Klein/Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 19.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

lichen Einrichtungen bereits aus dem individuellen Abwehrrecht des einzelnen Gefangenen.330 Damit zeigt sich, dass es für den Leistungsanspruch des Gefangenen weitgehend an einer Begründung fehlt,331 obwohl er weitgehend für Art. 140 GG/ Art. 141 WRV als komplementär vorausgesetzt wird.332 Auf den ersten Blick ist das erstaunlich, weil grundsätzlich große Vorbehalte gegen die Ableitung von Leistungsrechten aus primär abwehrrechtlichen Grundrechten bestehen.333 Dass dieser Ausnahmefall nur schwach bis gar nicht begründet wird, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass bisher kein praktischer Bedarf an einer Beschäftigung mit individuellen Ansprüchen der Gefangenen gesehen wurde. Den praktischen Bedarf an gemeinschaftlicher Religionsausübung in Haftanstalten konnten die Kirchen und Religionsgemeinschaften durch das Zugangsrecht gemäß Art. 140 GG/Art. 141 WRV erfüllen. Für die muslimischen Gefangenen, deren Religionsverbände meist (noch) keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes sind, ist aber genau das nicht möglich. Deshalb sind die bestehenden ausführlicheren Begründungen näher zu betrachten, insbesondere jene von Germann sowie (auch für den status positivus wieder) die dogmatischen Ideen von Loschelder und Kielmansegg zu den Besonderheiten der Eingliederung in staatliche Institutionen. aa) Anspruch auf aktive Kompensation Ein kompensatorischer Leistungsanspruch soll sich nach Michael Germann aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG ableiten lassen, um die Erschwernisse durch die Eingliederung in Sonderstatusverhältnisse aufzufangen.334 Inhalt des Anspruchs solle nach Michael Germann die aktive Kompensation sein, die über die passive Zulassung zu Gottesdienst und Seelsorge gemäß Art. 140 GG/ Art. 141 WRV hinausgehen müsse.335 Ähnlich weit zieht Susanne Eick330  Siehe oben Kapitel 2, A. II. 1. c) „Folgerungen für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug“, S. 80. 331  Auch Monographien zur Anstaltsseelsorge sind dazu nicht sonderlich ergiebig, vgl. die knappe Behauptung eines Leistungsanspruchs bei Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 143; wenig weiterführend ist insofern auch die Ablehnung eines Anspruchs auf Verschaffung religiöser Gegenstände aufgrund der Möglichkeit des Eigenerwerbs durch Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug, S. 240 ff.; lediglich die Bedingungen staatlichen Handelns, aber nicht positive Verpflichtungen im Rahmen der Anstaltsseelsorge behandelnd Ennuschat, Militärseelsorge, S. 253 ff. u. passim. 332  Siehe die Nachweise unter Fn. 324 333  Vgl. zusammenfassend Rüfner, „§  40 Leistungsrechte“, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II (2006), S. 679–708 (693 ff., insbes. S. 697). 334  Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 65. 335  Ebd.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht97

Wildgans die anspruchsbegründende staatliche Pflicht zur „Ermöglichung der Tätigkeit der Kirchen“.336 Begrenzt werde der Anspruch laut Germann durch den Zweck der staatlichen Institution und durch Praktikabilitätsbedingungen.337 Praktisch nicht umsetzbar sollen etwa Ansprüche sein, für die keine Kooperation mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft besteht oder eine bestimmte Nachfrage nicht erreicht wird. Der Zweck der Sonderstatusverhältnisse führe dagegen nicht zu grundsätzlichen Einschränkungen des Anspruchs, sondern nur zu Modifikationen aufgrund der Funktionsfähigkeit: „Nur in den Grenzen der Praktikabilität freilich ist der Anspruch begründet; (…) Der Zweck des Sonderstatusverhältnisses begrenzt den Anspruch nur hinsichtlich der Modalitäten, nicht aber im Grundsatz; denn weder bei den Zwecken der Freiheitsstrafe noch bei denen des Wehrdienstes geht es darum, die Religionsausübung zu erschweren.“338

bb) Fürsorge-Anspruch nach Loschelder Ebenfalls den kompensatorischen Charakter ansprechend, beschreibt Wolfgang Loschelder die Fürsorgepflicht des Staates gleichzeitig auch als grundrechtlichen Leistungsanspruch des Einzelnen.339 Insbesondere bei der staatlichen Fürsorgepflicht für Beamte (vgl. Art. 33 Abs. 4 GG, § 78 BBG, § 45 BeamtStG) werde deutlich, dass die Persönlichkeitsentfaltung als vorrangiges Ziel der Grundrechte gelte und dort gerade auch wegen der Indienstnahme des Beamten an notwendiger Stelle gefördert werde müsse.340 Für den Strafvollzug bedeute dies, dass Freiheitsförderung in einer Weise notwendig sei, die außerhalb des Strafvollzugs unzulässig sein könne. Maßgeblicher Unterschied sei, dass innerhalb des Vollzugs kein freier Zugang zur gemeinschaftlichen Religionsausübung möglich sei, während die Möglichkeit der Reli­ gionsausübung im Übrigen in der alleinigen Verantwortung jedes Grundrechtsträger stehe.341 Die Gewährleistung der Anstaltsseelsorge in Art. 140 GG/Art. 141 WRV sei daher ein Beispiel, dass auch der Verfassunggeber die Ausgleichsnotwendigkeit gesehen habe.342 336  Eick-Wildgans, „§ 70 Anstaltsseelsorge“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HbStKR2, Bd. II, S. 1005. 337  Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 65. 338  Ebd. 339  Loschelder, „Grundrechte im Sonderstatus“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR, Bd. IX, S. 1099; Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, S. 438. 340  Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, S.  339 ff. 341  Ebd., 443 ff. 342  Ebd., 436.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

cc) Anspruch auf Tätigwerden nach Kielmansegg Aus der staatlichen Verantwortung für Beeinträchtigungen, die von der Eingliederung weder gewollt noch gedeckt seien, leitet Sebastian von Kielmansegg einen „Anspruch auf Tätigwerden zum kompensatorischen Ausgleich“ ab.343 Die Eingliederungslage sei gerade der Sonderfall, der die positiven Gehalte der Grundrechte zu individuellen Ansprüchen verdichten würde, wenn sie nicht bereits gerechtfertigte Primär- oder Folgebeeinträchtigungen betreffen.344 So müssten im Strafvollzug beispielsweise die Beeinträchtigungen der Informationsfreiheit durch Nutzungsmöglichkeiten von Fernsehen und anderen Medien verringert werden. Der Gefangene habe deshalb einen Ermöglichungsanspruch gegenüber dem Staat.345 Der Zutrittsanspruch der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV sei auch deshalb grundrechtlich geboten, weil der freie Zugang zur Seelsorge unmöglich sei und die Haft potentiell mit „besonderen seelischen Nöten einhergehen“ könne.346 Der Staat habe folglich die grundrechtlich abgeleitete Pflicht, die Wahrnehmung der Freiheitsrechte organisatorisch zu ermöglichen.347 dd) Anspruch auf geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Ermöglichung gemeinschaftlicher Grundrechtsausübung Während Germann den Inhalt des Anspruchs auch über Art. 140 GG/ Art. 141 WRV hinausgehend beschreibt, stellen Loschelder und Kielmansegg den Zutrittsanspruch der Religionsgemeinschaften als Beispiel für die Kompensation von Grundrechtsbeeinträchtigung vor. Für die muslimische Reli­ gionsausübung stellt sich die praktische Frage, welche anderen Möglichkeiten noch jenseits dieses Beispiels bestehen. Grundrechtsdogmatisch ist diese Frage anders zu fassen: Woraus ergeben sich die anderen Möglichkeiten neben diesem Zutrittsanspruch aus Art. 141 WRV bzw. in wessen Kompetenz liegt die Regelung der anderen Möglichkeiten? Eine Antwort darauf geben mehrere Autoren: Kielmansegg liegt mit dem „Anspruch auf Tätigwerden“ in der Nähe der legislativen Einschätzungsprärogative für die Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten, die nur durch das Untermaßverbot begrenzt wird.348 Dass diese Analogie passt, bestätigt Kielmansegg durch die Einord343  Kielmansegg, 344  Ebd.

345  Ebd., 346  Ebd., 347  Ebd. 348  Vgl.

Grundrechte im Näheverhältnis, S. 474.

475 f. 476.

BVerfGE 88, 203–366 (254).



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht99

nung des Art. 141 WRV als „gebotene Kompensation“, was als Mindestleistung verstanden werden kann, die staatlicherseits erbracht werden muss und damit die Untermaßgrenze bildet. Der „Anspruch auf aktive Kompensation“ von Germann lässt sich ebenfalls so verstehen, dass damit vom Grundrechtsträger in erster Linie ein bloßes Tätigwerden verlangt werden kann und keine genau bestimmten Maßnahmen. Loschelders Fürsorgepflicht ist demgegenüber uneindeutig, die Ableitung dieser Pflicht aus dem Beamtenrecht steht einer entsprechenden Einordnung aber auch nicht im Wege. Auch Alexander Hollerbach bleibt uneindeutig, wenn er die Thesen Loschelders aufgreift und daraus eine „treuhänderische Verantwortung für die Erfüllung der religiösen Bedürfnisse, soweit diese durch die anstaltliche Ordnung gehindert sind, sie von sich aus in Freiheit zu erfüllen“ ableitet.349 Jedenfalls zieht auch Hollerbach nicht den eigentlich naheliegenden Schluss aus seiner Treuhand-Formulierung, dass der Staat nur als ausführender Verwalter für die Grundrechtsträger tätig würde und sich daraus ein konkreter Anspruch des Berechtigten gegenüber dem Treuhänder ergäbe. Die Treuhand-Formulierung ist deshalb, sowohl als Beschreibung des Regelungszwecks von Art. 140 GG/Art. 141 WRV, wie auch der Folgen des status positivus aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG unglücklich, weil sie konkrete Auswirkungen nahelegt, die offenbar so nicht intendiert sind.350 Gegen einen Leistungsanspruch auf konkrete Maßnahmen, die sich möglicherweise erst aus dem religiösen Selbstverständnis ergeben, lassen sich vor allem die rechtlichen Strukturen der Eingliederung in den staatlichen Bereich anführen. Wie gesehen, gelten die Grundrechte als Abwehrrechte im Strafvollzug, in der Schule und im Beamten- und Soldatenverhältnis weiterhin, können aber dem Zweck der Einrichtungen entsprechend eingeschränkt werden. Stünden dem Ansprüche auf konkrete Leistungen entgegen, würden diese Staatsbereiche großteils grundrechtlich determiniert. Anderseits ist aber auch der Befund richtig, dass abstrakt-generelle Regelungen für Eingliederungslagen aufgrund der Vielfalt der Situationen „auf Generalklauseln nicht werden verzichten können“351. Denn über diese ist der Einfluss grundrecht­ licher Vorgaben im Einzelfall gewährleistet. Aber Generalklauseln ermög­ 349  Hollerbach, „§ 140 Freiheit kirchlichen Wirkens“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI (2001), S. 595– 633 (601). 350  Die Formulierung Hollerbachs aufgreifend und klarstellend, dass daraus kein subjektives Recht des Gefangenen aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV folgt, aber deshalb auch noch nicht einen Leistungsanspruch aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG ableitend, Dürig/ Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 2. 351  BVerfGE 33, 1–18 (11); vgl. auch Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S.  525 f.; Loschelder, „Grundrechte im Sonderstatus“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR, Bd. IX, S. 1103.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

lichen in diesen Bereichen auch noch etwas anderes: den Erstzugriff der jeweiligen staatlichen Institution für die Regelung eines (Grundrechts-)Konflikts. Daher ist auch für die Organisation der gemeinschaftlichen Religionsausübung im Strafvollzug dem Gesetzgeber – und im Rahmen gesetzlicher Generalklauseln der staatlichen Verwaltung – die Einschätzung zu gewähren, ob und welche Maßnahmen zur Ermöglichung der Grundrechtsausübung angebracht sind. Im Anschluss an Germann ist dabei das „ob“ des Handelns nur von äußeren Faktoren, insbesondere dem tatsächlichen Bedarf, abhängig, während das „wie“ inhaltlich anhand des betroffenen Staatsbereichs zu konkretisieren ist.352 Für Ersteres besteht eine Einschätzungsprärogative, für Zweiteres steht dem Staat das Ermessen für die Auswahl sachgerechter Maßnahmen zu. Es besteht demnach ein Anspruch des Gefangenen, dass der Staat geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Ermöglichung der (gemeinschaftlichen) Grundrechtsausübung im Strafvollzug ergreift. Anspruchsadressaten sind nicht allein die Gesetzgeber, die durch die Regelungen zur Religionsausübung in den Landesstrafvollzugsgesetzen ihre Pflicht erfüllt haben, sondern ist die gesamte staatliche (Vollzugs-)Verwaltung. Der Anspruch geht dem Zutrittsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG/Art. 140 GG voraus, bildet gewissermaßen den freiheitsrecht­ lichen Grund dieser Regelung, die deshalb als Beispiel für die Erfüllung des individuellen Leistungsanspruch bezeichnet werden kann. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Stellung dieser beispielhaften Erfüllung, entfaltet der grundrechtliche Anspruch gegenüber dem einfachen Gesetzgeber und der Vollzugsverwaltung insbesondere dort sein Gewicht, wo der Anspruch der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV ins Leere geht. Genau dies ist aufgrund der fehlenden Anerkennung der meisten Islamverbände als Religionsgemeinschaften (momentan noch) der Fall. Deshalb sind erstrangig die Landesgesetzgeber und zweitrangig die Vollzugsverwaltungen grundrechtlich verpflichtet, Maßnahmen auszuwählen und umzusetzen, um muslimischen Gefangenen die gemeinschaftliche Religionsausübung zu ermöglichen. 3. Freiwilligkeitsprinzip der negativen Religionsfreiheit Die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG schützt als Abwehrrecht stets auch die Freiheit, sich zu keiner Religion zu bekennen oder keine Religion

352  Vgl.

Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 65.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht101

auszuüben.353 Diese grundrechtliche Gewährleistung wird auch durch die grundrechtsgleichen Rechte354 der Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3, 4, Art. 141 S. 2 WRV noch weiter abgesichert. Diese Regelungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „vollgültiges Verfassungs­ recht“355 und „funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt“356 sind, ohne Grundrechte zu sein357, lassen sich zu einem Prinzip der Freiwilligkeit verbinden, das für jegliches religiöses Bekenntnis und die Religionsausübung (nicht nur) im Strafvollzug gilt. Demnach darf niemand in irgendeiner Weise zur Offenbarung der eigenen Religionszugehörigkeit (ausdrücklich Art. 136 Abs. 3 WRV) oder zur Teilnahme an religiösen Veranstaltungen (ausdrücklich Art. 136 Abs. 4 WRV) oder seelsorgerlichen Kontakten (ausdrücklich Art. 141 S. 2 WRV) gedrängt oder verpflichtet werden. Die Rechtsprechung legt dafür teilweise einen recht engen Maßstab an, wenn es für die formularmäßige Abfrage der Religionszugehörigkeit die Kennzeichnung als freiwillige Angabe für geboten hält358 und die verpflichtende Alternative zu einer religiösen Veranstaltung unzulässig sein solle, sobald diese „aus der Sicht eines nicht überempfindlichen“ Betroffenen „besonders lästig ist“359. Für die Religionsausübung im Strafvollzug bedeutet dies, dass kein Gefangener zu einer gemeinschaftlicher Religionsausübung mit einem bestimmten professionellen Beistand verpflichtet werden 353  Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 69; Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 437; Mangoldt/Klein/Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 23 f.; Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 122; BVerfGE 93, 1–37 (15 f.); BVerfGE 108, 282–340 (301); BVerfGE 33, 23–42 (28); BVerfGE 32, 98–111 (106); BVerfGE 24, 236–252 (245). 354  Das Bundesverfassungsgericht hatte den Grundrechtscharakter der über Art. 140 GG inkorporierten Weimarer Verfassungsartikel abgelehnt in BVerfGE 19, 129–135 (135); jedenfalls aber für die Verfassungsbeschwerdefähigkeit behandelt es diese aber als Grundrechte, so etwa in BVerfGE 102, 370–400 (387); BVerfGE 125, 39–103 (73 f.); diesem Vorgehen schließt sich ein Teil der Lehre an, etwa Hollerbach, „§ 138 Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI (2001) (549); so auch ­Mager, in: Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2 (6. Aufl., 2012), Art. 140 GG Rn. 6; aus der widersprüchlichen Position des BVerfG wird aber verbreitet auch Grundrechtsgleichheit gefordert Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz (9. Aufl., 2021), Art. 140 GG Rn. 3; ebenso Korioth, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar (74. EL), Art. 140 GG Rn. 14; weitergehend sogar noch für Grundrechtscharakter: Dreier/Morlok, Art. 140 GG Rn. 30. 355  BVerfGE 19, 206–226 (219). 356  BVerfGE 102, 370–400 (387). 357  BVerfGE 19, 129–135 (135). 358  BVerfGE 46, 266–268. 359  Zur Militärseelsorge entschieden in BVerwGE 73, 247–252 (Rn. 28).

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kann. Daraus lassen sich zwei Konsequenzen ziehen: Erstens muss es jederzeit gestattet sein, den Kontakt mit einem Seelsorger abzubrechen und das Einzelgespräch zu beenden bzw. dessen religiöse Veranstaltung zu verlassen. Vollzugsorganisatorische Einschränkungen der Freiwilligkeit, etwa weil ein begleiteter Wechsel in einen anderen Bereich der Anstalt personalbedingt erst nach dem Ende der religiösen Veranstaltung möglich wäre, sind zu vermeiden. Insofern wird das Freiwilligkeitsprinzip gegenüber den vollzugsorganisatorischen Gründen regelmäßig überwiegen, da das Grundrecht nur durch die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs als verfassungsgemäße Schranke eingeschränkt werden kann. Diese wird in aller Regel nicht betroffen sein, wenn es nur darum geht, einen Gefangenen von einem Gemeinschaftsraum der Anstalt in einen anderen Bereich der Anstalt zu bringen. In Einzelfällen mag das aber anders sein können. Die Schranke der institu­ tionellen Funktionsfähigkeit bildet auch für die zweite Konsequenz den entscheidenden Maßstab. Aus dem Freiwilligkeitsprinzip folgt in Verbindung mit dem positiven Anspruch auf geeignete Maßnahmen zur Ermöglichung gemeinschaftlicher Religionsausübung, dass ein Gefangener bei Ablehnung des Kontakts mit einem in der Anstalt tätigen religiösen Beistand die Möglichkeit, Zugang zu einem anderen externen Beistand zu erhalten, nicht verliert. Eine individuelle Lösung für einzelne Gefangene muss grundsätzlich weiter möglich bleiben und darf nicht durch Verweis auf die bestehenden Kontaktmöglichkeiten innerhalb der Anstalt abgelehnt werden. Insbesondere für Muslime hat dies eine hohe Relevanz, da die unterschiedlichen religiösen und nationalen Strömungen des Islams zum Teil auch unterschiedliche Selbstverständnisse entwickelt haben. Grenzen ergeben sich einerseits bereits daraus, dass das jeweilige religiöse Selbstverständnis in­ soweit zu berücksichtigen ist, als es plausibel vorgetragen wurde. Schon daraus ergibt sich eine effektive Unterscheidung von ernst gemeinten und möglicherweise missbräuchlichen Kontaktwünschen der Gefangenen, da persönliches Empfinden nicht zu berücksichtigen ist, solange es nicht durch plausible religiöse Argumente begründet wird. Zwar ist diese Hürde nicht sonderlich hoch anzusetzen, da der Anstaltsleitung als Teil des religiös neutralen Staates die Bewertung der religiösen Argumente verwehrt ist. Gegen offensichtlichen Missbrauch bietet die Plausibilitätsprüfung aber eine Handhabe. Als zweite und wichtigere Grenze ist die institutionelle Funktions­ fähigkeit des Strafvollzugs anzuführen, die insbesondere für wiederholte Ablehnungen und Neu-Kontaktwünsche einen Ablehnungsgrund darstellen können. Auch gegen Kontaktwünsche „ins Blaue hinein“ lässt sich dies als Schranke einbringen. Es ist zwar grundsätzlich die Aufgabe des Staates die Grundrechtsausübung durch geeignete Maßnahmen zu ermöglichen, und die jeweilige Anstaltsleitung trifft daher auch die Pflicht, selbst bei Bestehen einer institutionellen Organisation der (muslimischen) Seelsorge im Straf-



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vollzug, in Einzelfällen andere Kontaktwünsche zu erfüllen. Aber daraus folgt nicht, dass die Anstaltsleitung für den Gefangenen auf Kontaktsuche gehen müsste. Ermöglicht die Anstalt die gemeinschaftliche Ausübung einer bestimmten Religionszugehörigkeit durch ein konkretes Angebot, darf die Anstaltsleitung die Gefangenen bei unkonkreten Anfragen grundsätzlich auf dieses verweisen. Folgt dem eine konkrete Anfrage auf Kontakt zu einem unbenannten anderen religiösen Beistand, ist es verhältnismäßig, diese abzulehnen und von dem Gefangenen eine konkrete Benennung (eventuell unter Hilfestellung des in der Anstalt tätigen religiösen Personals) zu verlangen. Weitere Konsequenzen ergeben sich aus der negativen Religionsfreiheit für die Religionsausübung im Strafvollzug nicht. Insbesondere besteht kein inhaltlicher Schutz gegenüber den Ansichten des religiösen Personals. Die negative Religionsfreiheit gewährt keinen Schutz gegen Konfrontationen mit anderen als den eigenen religiösen Überzeugungen.360 Anders ist es bei einer vom Staat geschaffenen Lage zwar, wenn „der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist“, so das Bundesverfassungsgericht im Kruzifix-Beschluss.361 Für die staatliche Schule entschieden, lässt sich dies auf den Strafvollzug als ebenfalls „vom Staat in Vorsorge genommene“362 Einrichtung übertragen. Die Organisation gemeinschaftlicher Religionsausübung im Strafvollzug ist auch eine vom Staat geschaffene Lage, gleichgültig ob der Staat aufgrund von Art. 140 GG/Art. 141 WRV eine Religionsgemeinschaft mit ihren Geistlichen zum Dienst in der Vollzugsanstalt zugelassen hat oder durch größere staatliche Initiative religiöses Personal ebendort tätig ist. Nach dem soeben dargelegten Freiwilligkeitsprinzip aber, stehen dem Gefangenen bei der Religionsausübung die erforderlichen Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung. Dies unterscheidet deren aktive Religionsausübung von der passiven Wirkung eines staatlich angeordneten Kruzifixes im Klassenzimmer und der staatlich geduldeten religiösen Kleidung seines Personals. Insofern kommt es auf die berechtigte Kritik an der Kruzifix-Rechtsprechung im hiesigen Kontext gar nicht mehr an: Worin eine abwehrrechtliche Beeinträchtigung bei staatlich veranlasster Konfrontation mit religiösen Symbolen liegt,363 ist unerheblich, wenn die Situation freiwillig begonnen und beendet werden kann. 360  Ausdrücklich so bspw. Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 655; Kahl/Waldhoff/Walter/Mückl, BK-GG, Art. 4 GG Rn. 90. 361  BVerfGE 93, 1–37 (16). 362  Ebd. 363  Verschiedene Varianten betrachtend Jestaedt, „Grundrechtsschutz vor staatlich aufgedrängter Ansicht – das Kopftuch der Lehrerin als Exempel“, in: Isensee/Rees/

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Grenzen der staatlich geschaffenen Lage ergeben sich jenseits des Freiwilligkeitsprinzips demnach nicht aus der negativen Religionsfreiheit des Einzelnen, aber möglicherweise aus der noch zu besprechenden objektiv-rechtlichen Dimension der staatlichen Neutralität.

III. Korporative Religionsfreiheit der Gemeinschaft Das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1, 2 GG gewährleistet nicht nur die individuelle Religionsausübung und die Teilnahme an gemeinschaftlicher Ausübung, sondern den organisatorischen Zusammenschluss mehrerer Gläubiger (Vereinigungsfreiheit) und die eigene religiöse Betätigung solcher Organisationen (korporative Freiheit). Die Vereinigungsfreiheit hat als Teil der individuellen Freiheit im Strafvollzug nur insoweit Bedeutung, dass es einem einzelnen Gefangenen möglich bleiben muss, sich einer (neuen bzw. anderen) Religionsgemeinschaft anzuschließen.364 Religiöse Organisationen sind nach differierenden Ansichten in Literatur und Rechtsprechung entweder über Art. 19 III GG365 oder unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG366 als Grundrechtsträger anerkannt. Damit sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht nicht nur Vereinigungen berechtigt, die sich der umfassenden Pflege des religiösen Bekenntnisses verschrieben haben, sondern auch jene Vereinigungen, deren Zweck nur einen Teil des Bekenntnisses betrifft.367 Es genügt daher, wenn sich eine Mehrzahl von Personen zur Verfolgung eines religiösen Zwecks auf längere Zeit zusammenschließen und eine Struktur des Willensbildungsprozesses aufweiRüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche: Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag (1999), S. 259–298 (270 ff., 277 f.). 364  Siehe oben Kapitel 2, A. II. 1. c) aa) „Unspezifische Anfrage nach religiösen Angeboten“, S. 80. 365  BVerfGE 105, 279–312 (293 m.  w.  N.); Sachs/Kokott, Art. 4 GG Rn. 11; BVerfGE 105, 279–312; von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 GG Rn. 6; Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 645; Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 586; Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 371 f.; Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 29. 366  BVerfGE 24, 236–252 (247); BVerfGE 83, 341–362; Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 89, 108; Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 118; Mangoldt/ Klein/Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 74 ff. 367  BVerfGE 24, 236–252 (246 f.); ebenso Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 118 f.; Dreier/Morlok, Art. 4 GG Rn. 108; Campenhausen, „Reli­ gionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 645 f.; Muckel, „Religion und Weltanschauung“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 587; Mangoldt/Klein/Starck et al./Starck, Art. 4 GG Rn. 79.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht105

sen.368 Vom Schutzbereich der korporativen Religionsfreiheit sind daher die muslimischen Verbände auch dann erfasst, wenn sie nicht als Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 140 GG/Art. 141 WRV zu qualifizieren sind. Da es um die gemeinschaftliche Religionsausübung von Muslimen durch und mit ihrer religiösen Vereinigung geht, ist auch die umstrittene Abgrenzung des Gewährleistungsgehalts der korporativen Freiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG mit dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 2 WRV nicht weiter relevant. Selbst bei differenzierter Auslegung der beiden Bestimmungen, ergäbe sich die Zugehörigkeit des hier zu betrachtenden Handelns als Teil der von Art. 4 Abs. 1, 2 GG geschützten Religionsausübungsfreiheit der Vereinigung.369 Wie bereits für die Gefangenen in früheren Zeiten durch die Figur des besonderen Gewaltverhältnisses, könnte erst recht für die außerhalb des Strafvollzugs stehende Gemeinschaft der Schutzbereich in der Weise begrenzt sein, das die Grundrechtsausübung innerhalb der Vollzugsanstalten keinen Freiheitsraum der Gemeinschaft bilde. Anders als bei den Gefangenen lässt sich diese Schutzbereichsgrenze nicht einfach durch Verweis auf Art. 1 Abs. 3 GG abweisen, zumal es um eine Begrenzung und nicht um die Ablehnung der Grundrechtsgeltung an sich handelt. Nach der von Sebastian von Kielmansegg entwickelten „Usurpationsgrenze“370, gewähren die Grundrechte generell keinen Schutz dafür, staatliche Einrichtungen und staatliches Eigentum für die eigene Freiheitsentfaltung zu nutzen.371 Im Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgericht wird dies in ähnlicher Weise (nach Wiederholung der bereits besprochenen „Raum geben“-Wendung) ebenfalls durch die Absage an einen Anspruch, der „Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen“ deutlich.372 Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im geschlossenen Strafvollzug ist nicht nur notwendigerweise mit dem Ausschluss der Freizügigkeit für Gefangene verbunden, sondern komplementär auch mit dem grundsätzlichen Ausschluss des Zugangs Dritter in den Vollzug. Der Resozialisierungsgrundsatz verpflichtet zu Abweichungen 368  Dreier/Morlok,

Art. 4 GG Rn. 108. die Differenzierung von organisatorisch-verwaltendem Selbstbestimmungsrecht und gemeinschaftlicher Bekenntnis- und Ausübungsfreiheit bspw. Campenhausen, „Religionsfreiheit“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 653 f.; die a. A. identischer Gewährleistungen vertritt u. a. Dreier/Morlok, Art. 4 GG; BVerfGE 125, 39–103 (80). 370  Dazu ausführlich oben Kapitel 2, A. II. 1. b) cc) (2) „Usurpationsgrenze und Nichtstörungsvorbehalt bei Kielmansegg“, S. 75. 371  Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 358; ähnlich bereits angedeutet bei Pirson, „Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts“, in: Marré/Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche, Bd. 23, S. 24 f. 372  BVerfGE 93, 1–37; vgl. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 358, Fn. 280. 369  Für

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

davon, allerdings erfolgen diese aufgrund des Anspruchs des jeweiligen Gefangenen auf eine entsprechende Vollzugsgestaltung.373 Subjektive Rechte externer Dritter helfen – bildlich gesprochen – nicht über die Gefängnismauern hinweg, nur subjektive Rechte der Gefangenen ermöglichen dies. So hat der Gefangene ein Besuchsrecht für seine Angehörigen oder nahestehende Personen, trotz grundrechtlichen Schutzes durch Art. 6 Abs. 1 GG hat die Familie dieses Recht aber nicht selbst.374 Daraus folgt, dass für religiöse Vereinigungen kein Recht aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG besteht, im Strafvollzug gemäß ihrer religiösen Zielsetzung tätig zu werden375. Dies schließt nicht aus, dass der Staat dennoch generelle Zutrittsmöglichkeiten schafft, insbesondere um die grundrechtlichen Ansprüche der Gefangenen zu erfüllen. Dann ergeben sich die Bedingungen dieser „überobligatorischen Zusammenarbeit“ aber nur noch aus den – jedes staatliche Handeln betreffenden – Grundsätzen der Gleichheitssätze, etwaige betroffene Grundrechte Dritter und dem rechtsstaatlichen Willkürverbot.376 Mit Art. 140 GG/ Art. 141 WRV enthält bereits die Verfassung die generelle Zutrittsregelung für Religionsgemeinschaften. Deren Voraussetzungen, das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge durch die Gefangenen einerseits und andererseits die organisatorischen Anforderungen für die Qualifizierung einer religiösen Vereinigung als Religionsgemeinschaft, können sich auf mehrere der genannten Bedingungen stützen: So bildet der Tatbestand der Religionsgemeinschaft prinzipiell eine inhaltsunabhängige Voraussetzung für die Differenzierung zwischen verschiedenen religiösen Vereinigungen. Auch wenn die Struktur christlicher Kirchen das Anschauungsobjekt der Verfassunggeber war und die Bedingungen muslimischen Lebens in Deutschland, insbesondere ihr traditionell geringer Organisationsgrad, nicht bedacht worden sind, ergibt sich dadurch zwar eine faktische Diskrepanz, aber noch keine rechtlich unzulässige. Denn entscheidend ist die anderweitige verfassungsrechtliche Absicherung der beiden Bedingungen des Art. 140 GG/Art. 141 WRV: die Voraussetzung eines Bedürfnisses der Gefangenen spiegelt den bestehenden Anspruch der Gefangenen sowie das Fehlen eines eigenen Anspruchs der Gemeinschaften und sichert nicht zuletzt auch die negative 373  Vgl. zur Konkretisierung des Resozialisierungsgrundsatzes durch Gewährung von Außenkontakten Arloth/Krä, Rn. 6 zu § 3 StVollzG; zum Resozialisierungsgrundsatz im Strafvollzug siehe BVerfGE 35, 202–245 (235); BVerfGE 33, 1–18 (7). 374  Arloth/Krä, Rn. 1, 5 zu § 24 StVollzG. 375  Siehe Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III (2. Aufl., 2006), Art. 141 WRV; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 2; Kahl/ Waldhoff/Walter/Kästner, BK-GG, Art. 140 GG Rn. 688. A. A. allerdings ohne Herleitung Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 5. 376  Vgl. zum Begriff „überobligatorische Zusammenarbeit“ und rechtlichen Folgerungen Hennig, Muslimische Gemeinschaften im Religionsverfassungsrecht, S. 131 ff.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht107

Freiheit der (nicht- oder anders-gläubigen) Gefangenen. Die organisatorischen Anforderungen an Religionsgemeinschaften dienen wiederum der Anstaltssicherheit. Insbesondere die Gewähr der Dauer und der Rechtstreue einer Organisation sind unerlässlich, wenn die Rechtsfolge dieses Tatbestandes ein subjektiver Anspruch auf Zutritt zu Justizvollzuganstalten ist. Nicht sonderlich entscheidend ist dagegen die Feststellbarkeit der Mitgliedschaft zu einer Religionsgemeinschaft, da insofern die aus der negativen Religionsfreiheit folgende Freiwilligkeitsmaxime für die Gefangenen und deren Recht auf religiöse Neu-Orientierung die Grenzen in zwei Richtungen durchlässig werden lässt. Ambivalent ist die Vorgabe realer Geltung der Lehrautorität muslimischer Dachverbände, die in ihren Details auch noch ungeklärt ist.377 Als Voraussetzung für einen Zutrittsanspruch zu Vollzugsanstalten ist dies zwar sicher hilfreich, um die Sicherheitsrelevanz konkreter Angebote einfacher zu bewerten. Insofern überspringt diese Anforderung auch bereits die Grenze des Willkürverbotes. Notwendig ist diese Voraussetzung gleichwohl nicht.378 Die Anstaltssicherheit macht ohnehin die Prüfung des handelnden religiösen Personals erforderlich, was durch die Lehrautorität eines Dachverbandes nicht überspielt werden kann. Für die Beurteilung der Anstaltssicherheit bei einem religiösen Angebot macht es jedenfalls keinen Unterschied, ob der Organisationsvertreter der Lehrmeinung seiner Gemeinschaft folgt oder nicht, solange Organisation wie Vertreter sich im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung halten. Folglich ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, wenngleich auch nicht ausgeschlossen, die Definition der Religionsgemeinschaft aus Art. 7 Abs. 3 GG auf andere Bereiche, wie etwa die Anstaltsseelsorge, zu übertragen. Bedenkenswert ist dagegen, die Statusvoraussetzungen für die Gemeinschaft eher schlank zu halten und bereichsabhängige Kooperationsvoraussetzungen zu verlangen.

IV. Individuelle Religionsfreiheit des religiösen Personals Wer als religiöser Beistand, als muslimischer Seelsorger oder Imam in der Moschee genauso wie an anderen Orten die Leitung von Gebeten übernimmt, Gesprächsangebote für mehrere Muslime oder Einzelgespräche anbietet, übt seine Religion aus und wird dabei durch die Bekenntnis- und Ausübungsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG geschützt.379 Aus der unterschiedlichen Rolle 377  Siehe

S. 50.

Kapitel 2, A. I. 2. b) „Besondere Voraussetzungen für Dachverbände“,

378  Kritisch dazu als allgemeine Anforderung an Religionsgemeinschaften insbes. Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1, 14 f., 19. 379  So ausdrücklich auch Epping/Hillgruber/Germann, BeckOK Grundgesetz, Art. 4 GG Rn. 24.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

des Gesprächsleiters oder Vorstehers ergeben sich für den Schutzbereich des Grundrechts keine Abweichungen von der Position einzelner Gläubiger. Das bedeutet nach der hier vertretenen Ansicht, dass externes religiöses Personal nicht aufgrund ihres eigenen Freiheitsrechts zur Tätigkeit im Strafvollzug berechtigt ist. Ebenso wie bereits bei der religiösen Gemeinschaft, begrenzt die grundrechtliche Usurpationsgrenze den Freiheitsraum dort, wo der Freiheitsraum eines Drittens oder der Hoheitsraum einer staatlichen Einrichtung vereinnahmt werden würde. Dies betrifft den Strafvollzug, für den der grundsätzliche Ausschluss der Freizügigkeit ebenso notwendig ist, wie der grundsätzliche Ausschluss des Zugangs Dritter.380 Wird der Freiheitsraum aber durch staatliche Zulassung zur Tätigkeit im Strafvollzug eröffnet, bildet die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs als staatliche Einrichtung die Schranke für die grundrechtliche Betätigung.381 Daraus ergeben sich Anforderungen hinsichtlich der persönlichen Sicherheitsbeurteilung eines Seelsorgers (unten 1.), der Zeugnisverweigerungsrechte und Offenbarungspflichten für bestimmte Gesprächsinhalte (2.) und der fortwährenden inhaltlichen Prüfung der Seelsorgetätigkeit im Strafvollzug durch die Vollzugsbehörden (3.). Für die Rechtsstellung des religiösen Personals ist dabei einfachrechtlich zwar stets der jeweilige arbeitsrechtliche Status entscheidend, für die Reichweite des grundrechtlichen Schutzes ist dies aber irrelevant. Dagegen löst die staatliche Auswahl des Personal­ status weitere allgemeine Fragen verfassungsrechtlicher Art aus, die im Anschluss in Bezug auf die staatliche Neutralität besprochen werden. 1. Persönliche Sicherheitsbeurteilung Die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs beschränkt die Grundrechte, um den staatlichen Strafanspruch für den Vollzug der Freiheitsstrafen zu gewährleisten. Wer zur Ausübung seiner Grundrechte im Strafvollzug tätig wird, hat daher persönliche Anforderungen zu erfüllen, mit denen sichergestellt werden kann, dass keine Beeinträchtigungen für die Durchsetzung der Freiheitsstrafen zu befürchten sind. Die Gewährleistung der Anstaltssicherheit, zu der auch noch die Sicherheit von Personen und Sachen innerhalb der Anstalt zählt, verlangt daher die präventive und sich wiederholende Prüfung persönlicher Voraussetzungen der im Strafvollzug tätigen Personen.382 Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßig380  Vgl.

Arloth/Krä, Rn. 1 zu § 24 StVollzG. oben Kapitel 2, A. II. 1. c) bb) (3) (b) „Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs: Resozialisierungsauftrag“, S. 89. 382  Vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 9; Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 18, 20; Sachs/Ehlers, Art. 141 WRV Rn. 8; Schilberg, „§ 56 An381  Siehe



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keit sind dafür aber verschiedene Stufen der präventiven Prüfung vorzusehen, die je nach Dauer und Häufigkeit des Zugangs festgelegt werden. Einmalige Besuche durch Seelsorger oder andere religiöse Beistände rechtfertigen daher in der Regel nur Einlasskontrollen. Bei weitergehender Zulassung kann die Einholung polizeilicher Informationen, die Abfrage amtlicher Register oder sogar nachrichtendienstlicher Informationen geboten sein. Letzteres wird insbesondere bei einer unbefristeten Zugangsmöglichkeit erforderlich sein, um die tatsächliche Einstellung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu prüfen.383 2. Zeugnisverweigerungsrechte und Offenbarungspflichten Die Grundrechte und insbesondere die negative Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG schützen grundsätzlich auch davor, gegenüber staatlichen Stellen die Inhalte von religiös motivierten Gesprächen preiszugeben. Im Strafvollzugsrecht bestehen jedoch gesetzliche Offenbarungspflichten für alle im Vollzug tätigen Personen, um die Anstaltssicherheit zu gewährleisten. Religiöses Personal wird von den besonderen Regelungen zur Offenbarungspflicht der Berufsgeheimnisträger zwar nicht erfasst, nach den auf § 182 Abs. 2 StVollzG folgenden Landesgesetzen trifft eine Offenbarungspflicht gegenüber der Anstaltsleitung nur Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und andere Berufsgeheimnisträger. Das bezieht sich aber nicht auf alle Personen, die in religiösen Angelegenheiten im Strafvollzug tätig sind, sondern belässt nur für diejenigen Seelsorger ein Schweigerecht, die gemäß der Strafvollzugsgesetze bestellt sind. Religiöse Beistände für Muslime werden häufig aber aufgrund der Regelungen für externe (ehrenamtliche) Mitarbeiter im Strafvollzug zugelassen. Dazu enthalten die Verwaltungsvorschriften stets Offenbarungspflichten der externen Mitarbeiter gegenüber der Anstaltsleitung.384 Ob die Pflicht, die Inhalte seelsorgerischer Gespräche zu offenbaren, durch die Schranke der Religionsfreiheit für den Strafvollzug gerechtfertigt ist, hängt zunächst allerdings davon ab, ob eine religiöse Schweigepflicht besteht. Rechtsprechung und Literatur hat diese Frage nicht für vollzugsrechtliche Offenbarungspflichten beschäftigt,385 sondern für prozessuale Zeugnisverweigerungsrechte wie § 53 Abs. 1 StPO. Auch dort kollidieren berufliche staltsseelsorge“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 2, S. 2363; ebenso für Seelsorgende Arloth/Krä, Rn. 1 f. zu § 53 StVollzG. 383  Vgl. mit Verweis auf Art. 79 Abs. 3 GG ähnlich wie für den Körperschaftsstatus der Gemeinschaften auch Sachs/Ehlers, Art. 140 GG Rn. 9. 384  Zu Beidem ausführlich unten Kapitel 3, A. „Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug“, S. 138. 385  Arloth/Krä, Rn. 4 zu § 182 StVollzG.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Schweigepflichten von Berufsgeheimnisträgern mit gesetzlichen Aussagepflichten in gerichtlichen Verfahren, sodass die dazu entwickelten Maßstäbe übertragbar sind. Während die vollzugsrechtlichen Offenbarungspflichten den Haftalltag häufiger betreffen dürften, lösen die seltenen Anwendungsfälle des Zeugnisverweigerungsrechts der Geistlichen gemäß § 53 Abs. 1 StPO größere Beachtung aus. So kommt es, dass die Seelsorgenden und ihre Religionsgemeinschaften selbst dem Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht eine sehr große Bedeutung beimessen.386 Ob eine Schweigepflicht aus religiösen Gründen (a)) auch gegenüber vollzugsrechtlichen und prozessrechtlichen Offenbarungspflichten bestehen kann, hängt mit der Rechtsprechung vom Berufsbild des religiösen Personals (b)) ab. In diesem Kontext ist zudem noch das verfassungsunmittelbare Zeugnisverweigerungsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu untersuchen (c)). a) Religiös begründete Schweigepflichten im Islam Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art. 4 Abs. 1, 2 GG auch solche Glaubenssätze, die eine Schweigepflicht für den Inhalt von religiösen Gesprächen begründen, wenn „es sich um eine zwingende Verhaltensregel handelt, von der der Betroffene nicht ohne innere Not absehen kann“.387 Dafür ist das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft im Rahmen der Darlegungslast des Grundrechtsträgers zu berücksichtigen und vom Rechtsanwender auf innere Plausibilität zu prüfen.388 Die Darlegung islamischer Glaubensregeln kann und soll hier nicht vorweggenommen werden, einige Aspekte können aber bereits eine Richtung andeuten. Die Anerkennung religiöser Schweigepflichten durch prozessuale und vollzugsrechtliche Schweige- und Zeugnisverweigerungsrechte dient wesentlich der Gewährleistung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses, wie es die christlichen Kirchen kennen, und damit dem Schutz des Vertrauensverhält386  Deutlich wird dies beispielsweise, in: Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, „Leitlinien für die Evangelische Gefängnisseelsorge“ (2009), S. 30 f.: „Die ganz eigene Position der Seelsorgerinnen und Seelsorger drückt sich am deutlichsten in ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung aus.“, abrufbar unter: https://www.gefaengnisseelsorge.de/wp-content/uploads/2021/06/Gefaengnisseel sorge-Leitlinien_01-komprimiert.pdf (abgerufen am 10.06.2022); vgl. aus dem Schrifttum etwa Schäfer, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz Bund und Länder (6. Aufl., 2013), § 157 StVollzG; Fischedick, „Das Beichtund Seelsorgegeheimnis“, DÖV 2008, S. 584–591; Radtke, „Der Schutz des Beichtund Seelsorgegeheimnisses“, ZevKR 52 (2007), S. 617–649. 387  BVerfG NJW 2007, 1865–1869 (Rn. 21). 388  Siehe oben Kapitel 2, A. II. 1. a) bb) „Bestimmung des Schutzbereiches unter Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses“, S. 60.



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nisses von Seelsorger und Gläubigen.389 Im Kontext strafbarer Handlungen geht es dabei nicht bloß um die Anerkennung des katholischen Beichtsakramentes, sondern insbesondere um die Anerkennung religiöser Reue und Sühne sowie (göttlicher) Vergebung, die auch den staatlichen Strafzweck und Resozialisierungsauftrag unterstützen können.390 Reue (tawba/tauba, wörtlich Umkehr391) und Vergebung sind auch koranische Begriffe, die deshalb in die klassische islamische Strafrechtslehre (ḥadd, Pl. ḥudūd) eingeflossen sind und werden auch in modernen Begründungen islamischer Seelsorge aufgegriffen. Genauer: Die koranische ḥadd-Strafe soll bei tätiger Reue ganz oder teilweise entfallen können.392 Reue verlangt nach Ansicht des bedeutenden islamischen Gelehrten al-Ġazzālī (1058–1111) das Wissen um die Schädlichkeit der Tat, den Zustand der inneren Reue darüber und den Vorsatz, diese nicht zu wiederholen.393 Für das islamische Strafrecht ist zwar nur singulär die Besserung des Täters (ta‘dīb) allgemein als Strafzweck benannt worden. Dass auf die Reue des Täters nicht gesondert eingegangen worden ist, mag aber auch daran liegen, dass die Strafzwecke für das koranische Strafrecht „fast nie“394 und für das nicht-koranische Recht (ta‘zīr) nur „vereinzelt“395 betrachtet worden sind. Im Koran folgt aus der Reue des Sündigen, die Vergebung Gottes. So heißt es in Sure 5, Vers 39: „Wer, nachdem er Unrecht tat, bereut und die Dinge wieder richtet, dem wendet sich Gott auch gnädig wieder zu.“396 Dieser Vers wird sowohl zur Begründung islamischer Seelsorge angeführt, wie auch für die strafrechtliche Beachtung der tätigen Reue herangezogen.397 Insbesondere der Freiheitsentzugs soll ein besonderer Anlass zur Sorge um die persönliche Reue der Gefangenen sein, die durch ex389  Radtke, ZevKR 52 (2007), S. 617, 630 f.; Schwind/Böhm/Jehle et al./Schäfer, StVollzG Bund Länder, § 157 StVollzG Rn. 22; vgl. zum EKD-Seelsorgegeheimnisgesetz Etzelmüller, „Wie lassen sich Begriff und die Praxis ‚Seelsorge‘ rechtlich fassen?“, Kirche und Recht 2011, S. 248–253, 250 f.; BVerfG NJW 2007, 1865–1869; BGH NStZ 2010, 646–649. 390  Vgl. Funsch, Seelsorge im Strafvollzug, S. 209, 261 ff. 391  Nicholson, „Tawba“, in: Bearman/Bianquis/Bosworth/van Donzel/Heinrichs (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam, First Edition (1913–1936). 392  Für verschiedene Delikte Rohe, Das islamische Recht, S. 124 f., 132, 134. 393  Ġazzālī/Gramlich, Muḥammad al-Ġazzālīs Lehre von den Stufen zur Gottesliebe – Die Bücher 31–36 seines Hauptwerkes (1984), S. 25 f. (A 25 ff.); vgl. auch die Übersetzungsvarianten zu tawba: „1. a conviction of sin, 2. remorse (nadam), 3. a firm resolution to abstain from sin in the future“ in Nicholson, EI¹, „Tawba“; vgl. weiter Bobzin, Der Koran – eine Einführung, S. 90. 394  Rohe, Das islamische Recht, S. 122. 395  Ebd., 137. 396  Übersetzung nach Bobzin, Koran. 397  Vgl. für die Gefangenenseelsorge Al-Masri, „Seelsorge im Islam und die Zusammenarbeit der monotheistischen Religionen“, in: Ucar/Blasberg-Kuhnke (Hrsg.), Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft (2013), S. 13–25 (36); und als

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

terne professionelle Kräfte ausgeführt werden sollte.398 Dabei erfolgt die Vergebung der bereuten Sünden allein durch Gott und nach al-Ġazzālī stets, wenn die genannten Bedingungen des Wissens, der Reue und des Vorsatzes gegeben sind.399 Das Wissen um die Schädlichkeit einer Handlung und die Einsicht dessen bedürfe aber gegebenenfalls der Aufklärung durch Religionsgelehrte, so wie es bei körperlichen Krankheiten einer Behandlung durch einen Arzt bedarf.400 Solcherlei Rat zu erteilen und die Menschen dafür anzusprechen, sei eine Pflicht jedes Religionsgelehrten und die Pflicht jedes Herrschers sei es, ausreichend Gelehrte an den Wohnorten der Menschen einzusetzen.401 Damit erfüllten die klassischen Religionsgelehrten eine Aufgabe moderner Seelsorge.402 So bietet die islamische Lehre jedenfalls Ansatzpunkte, vergleichbare Konzepte einer religiös begründeten Schweigepflicht für Gespräche über diese Fragen zu formulieren. Dies ist weiter von islamisch-theologischer Seite zu klären. Auf den ersten Blick spricht in rechtlicher Hinsicht nichts dagegen, wenn und soweit seelsorgerische Begleitung und religiöse Reue auch im Islam anerkannt werden, staatlicherseits dafür dieselben Rechtsfolgen wie für die christlichen Religionen anzuwenden.403 b) Einheitliches Berufsbild des religiösen Personals Zur Sicherung der Wahrheitsermittlung im Strafprozess verlangt die Rechtsprechung für eine Ausnahme vom Grundsatz der Zeugnispflicht ein einheitliches Berufsbild mit standardisierter Ausbildung, geschriebener Berufsordnung, Disziplinargewalt und einer berufstypischen Vertrauenssituation zwiNachweis eines Strafausschließungsgrundes für Diebstahls-Delikte Rohe, Das islamische Recht, S. 132. 398  Al-Masri, „Seelsorge im Islam“, in: Ucar/Blasberg-Kuhnke (Hrsg.), Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft, S. 35 f. 399  Ġazzālī/Gramlich, Muḥammad al-Ġazzālīs Lehre von den Stufen zur Gottesliebe – Die Bücher 31–36 seines Hauptwerkes, S. 48 (A80). 400  Ebd., 117 (A262 ff., insbes. A267); vgl. Arshad, „Schuld und Vergebung im Islam unter Berücksichtigung seelsorgerischer Konsequenzen“, in: Ucar/BlasbergKuhnke (Hrsg.), Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft – Von der theologischen Grundlegung zur Praxis in Deutschland (2013), S. 39–60 (58). 401  Ġazzālī/Gramlich, Muḥammad al-Ġazzālīs Lehre von den Stufen zur Gottesliebe – Die Bücher 31–36 seines Hauptwerkes, S. 118 (A268). 402  Arshad, „Islamische Seelsorge – Eine theologische Begriffsbestimmung“, in: Ucar/Blasberg-Kuhnke (Hrsg.), Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft, S. 58. 403  Die religiöse Neutralität der Begriffe in § 53 Abs. 1 StPO betont auch BGH NStZ 2010, 646–649.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht113

schen den betreffenden Personen und ihren Gesprächspartnern.404 Aufgrund dieser Rechtsprechung ist bereits für die christliche Seelsorge die kirchliche Ausübung ihrer dafür zuerkannten Definitionsmacht angemahnt worden.405 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die hauptamtliche Bestellung von Seelsorgenden durch die als Körperschaft formierten Kirchen genügen lässt und insofern die eigenen Voraussetzungen in Bezug auf Seelsorger nicht sonderlich streng handhabt,406 hat auch die beginnende Institutionalisierung der muslimischen Gefangenenseelsorge noch nicht zu einem derart einheitlichen Berufsbild für muslimische Seelsorger geführt. Erste Anzeichen in diese Richtung lassen sich aber in der Länderpraxis erkennen.407 Insbesondere dort, wo die Entwicklung eigener Lehrpläne durch Bundesländer aktiv gefördert werden und darauf basierende Ausbildungsgänge bereits abgeschlossen sind, dürfte ein solches Berufsbild bereits heute bestehen. c) Exkurs: Verfassungsunmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht für Kernbereiche privater Lebensgestaltung Beichtgespräche und Gespräche mit Beichtcharakter unterfallen nicht allein dem Schutz des Art. 4 Abs. 1, 2 GG, sondern gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darüber hinaus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung an.408 Dieser Kernbereich ist durch die Menschenwürdegarantie geschützt und bildet einen unverfügbaren Teil der personalen Handlungsfreiheiten, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.409 Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung steht der staatlichen Einsichtnahme prinzipiell entgegen, sodass beispielsweise Tagebuchaufzeichnungen oder die Aufzeichnungen höchstpersönlicher Gespräche im Rahmen polizeilicher Überwachungsmaßnahmen nicht staatlicherseits verwendet werden dürfen.410 Dem Schutz höchstpersönlicher Gespräche dienen ebenfalls die prozessualen Zeugnisverweigerungsrechte für nahe Angehörige und andere Personen, mit denen diese Gespräche typischerweise geführt werden, darunter auch Geistliche. Aufgrund des hohen grundrechtlichen Schutzes des

404  BVerfGE

33, 367–387 (Rn. 26, 28); BVerfG NJW 2007, 1865–1869 (Rn. 12). ZevKR 52 (2007), S. 617, 644 f., 649. 406  BVerfG NJW 2007, 1865–1869. 407  Siehe unten Kapitel 3, C. „Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern“, S. 168. 408  BVerfG NJW 2007, 1865–1869 (Rn. 18); BVerfGE 109, 279–391 (Rn. 136); Fischedick, DÖV 2008, S. 584, 585 f. 409  Grundlegend BVerfGE 6, 32–45 (41). 410  Vgl. BVerfGE 109, 279–391; BVerfGE 80, 367–383 (374 f.). 405  Radtke,

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Kernbereichs leitet die Rechtsprechung daraus aber auch ein verfassungsunmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht ab.411 Entscheidend ist aber auch hier die Feststellung, dass es sich um ein seelsorgerliches Gespräch mit einem Geistlichen handelt. Während Gespräche solchen Inhalts auch nach islamischem Verständnis denkbar sind, wird man für die Bewertung der jeweiligen Vertrauensperson nahezu denselben Maßstab des einheitlichen Berufsbildes anlegen müssen. Andernfalls würde der Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen erweitert und der Ausnahmecharakter der Verweigerungsrechte ginge verloren. Auch das protestantische „Priestertum aller Gläubigen“ führt nicht dazu, dass jeder Protestant zu einer verweigerungsberechtigten Vertrauensperson wird.412 Der doppelte Ausnahmecharakter des verfassungsunmittelbaren Zeugnisverweigerungsrechts lässt jedoch Spielraum, individuelle Vertrauensverhältnisse zu berücksichtigen, solange kein einheitliches Berufsbild nach den oben ausgeführten Kriterien existiert. Dies ergibt sich auch aus der Nähe der Zeugnisverweigerungsrechte zu verfassungsunmittelbaren Beweisverwertungsverboten, die auch stets anhand des Einzelfalls zu prüfen und abzuwägen sind. Es erscheint auch für die Beurteilung einer Person als Geistlichen in diesem Sinne nicht prinzipiell unpraktikabel, in den Extremfällen einer gerichtlichen Vernehmung muslimischer Seelsorger, dessen tatsächliche Stellung im Vollzug als Vertrauensperson sowie die jeweiligen Vorgaben zur Aus- und Fortbildung seitens seines Verbandes und der Vollzugsverwaltungen zu berücksichtigen. Auf diese Weise könnte im Einzelfall ein verfassungsunmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht für beicht-ähnliche Gespräche angenommen werden. 3. Inhaltliche Anforderungen seitens der Vollzugverwaltung Aus der institutionellen Funktionsfähigkeit als grundrechtlicher Schranke für die Religionsausübung im Strafvollzug folgt für die Durchführung von religiösen Angeboten durch Seelsorgende, dass die Grenze strafbaren Verhaltens nicht überschritten werden darf, um den Resozialisierungsanspruch nicht zu beeinträchtigen. Darüber hinaus können religiös-inhaltliche Anforderungen an die Tätigkeit der Seelsorgenden nicht durch die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs gerechtfertigt werden. Für die Zulässigkeit von inhaltlichen Anforderungen an die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug ist ein anderer Aspekt aber zusätzlich relevant: Für Religionsverbände und das religiöse Personal ist der Strafvollzug, kein Freiheitsraum zur Religionsausübung. Öffnet der Staat diesen 411  BVerfG 412  Radtke,

NJW 2007, 1865–1869 (Rn. 16). ZevKR 52 (2007), S. 617, 644.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht115

Bereich aber für sie, um den Gefangenen ihre Religionsausübung zu ermöglichen, erfolgt dies im Rahmen des Auswahlermessens für geeignete status positivus-Maßnahmen. Denkbar ist daher, dass der Staat die Angebotsträger stärker an den Resozialisierungsauftrag bindet, als dies allein im Rahmen grundrechtlicher Schrankenziehung möglich ist. Daher stellt sich die Frage so: Sind inhaltliche Anforderungen an die religiösen Angebote zulässig, wenn diese im Rahmen staatlicher Maßnahmen zur Grundrechtsermöglichung vorgenommen werden? Die Antwort darauf ergibt sich wesentlich aus der Gestaltung der jeweiligen Maßnahme. Für Art. 140 GG/Art. 141 WRV als verfassungsrechtlichem Zulassungsanspruch der Religionsgemeinschaften kann dabei davon ausgegangen werden, dass die Auswahl des religiösen Personals durch die Religionsgemeinschaften, die ihrerseits die dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, und die persönliche Sicherheitsbeurteilung als inhaltliche Anforderung genügen werden, um die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs zu gewährleisten und den Resozialisierungsanspruch zu fördern. Dies ergibt sich aus der korporativen Religionsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG sowie Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 1 WRV, ferner folgt dies aus dem inhaltlich bedingungslosen Zulassungsanspruch des Art. 140 GG/Art. 141 WRV. Für Maßnahmen unterhalb des Regelungsbereichs von Art. 140 GG/ Art. 141 WRV ist die Frage in ähnlicher Linie zu beantworten: Gewährt der Staat Religionsverbänden einen Zugang zur Religionsausübung im Strafvollzug, ohne dass der Verband als Religionsgemeinschaft zu qualifizieren wäre, so hindert ihn die korporative Religionsfreiheit auch dort an einer inhaltlichen Einflussnahme und steht einer materiellen Bindung an den Resozialisierungsauftrag entgegen. Die Einflussnahme in die religiöse Arbeit ist aufgrund des damit verbundenen Grundrechtseingriffs jenseits der Rechtfertigung durch die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs kein zulässiges Mittel, um den Resozialisierungsauftrag durchzusetzen. Stattdessen aber steht es dem Staat aber frei, den (verfassungsrechtlich nicht gebotenen) Zugang an besondere Bedingungen mit Bezug zum Resozialisierungsauftrag zu knüpfen. Verpflichtet sich ein Religionsverband oder einzelne Seelsorgenden aber im Rahmen einer Kooperation dazu, bestimmte inhaltliche Bedingungen in eigener Verantwortung zu erfüllen, stellt dies keinen staatlichen Einfluss auf die religiöse Arbeit dar, sondern bildet eben jene Zugangsbedingung, auf die sich ein Grundrechtsträger jenseits seines Schutzbereiches nicht einlassen muss – und sich faktisch auch keineswegs immer einlässt, wie die nachfolgende Analyse der Bundesländer-Praxis zeigen wird. Engagiert sich der Staat stärker selbst durch die Beschäftigung eigenen Personals oder die Kooperation mit nicht-religiösen Vereinen, die jeweils sodann die muslimische Religionsausübung organisieren, ermöglichen staatlicherseits geforderte Vertrags-

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

bedingungen auch in diesen Konstellationen einen inhaltlichen Einfluss für das Zustandekommen der Kooperation. Diese Maßstäbe verlangen für die islamische Gefangenenseelsorge besonderer Konkretisierung: Durch den wachsenden Einfluss einer salafistischen oder islamistischen Auslegung islamischer Gebote für die Rekrutierung islamistischer Terrororganisationen und für die individuelle Radikalisierung stellt sich die Frage, inwieweit bei der Organisation von muslimischer Religionsausübung im Strafvollzug der Resozialisierungsauftrag im Sinne einer Radikalisierungsprävention oder Deradikalisierung zur Geltung gebracht werden kann. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass es vom Selbstverständnis der religiösen Gruppierung und ihrer Einzelpersonen abhängt, ob und wie stark eine Abgrenzung zum religiös-extremistischen Terrorismus erfolgt – manche Gruppierungen oder Einzelpersonen artikulieren dies ausdrücklicher als andere, was jeweils bis zur Grenze der strafbaren Unterstützung einer terroristischen Vereinigung von der Meinungs- und Religionsfreiheit gedeckt ist. Die Strafbarkeit einer Handlung als Grenze ist insofern identisch mit der institutionellen Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs als Schranke der freiheitlichen Grundrechtsausübung. Der Zulassungsakt zur Seelsorge im Strafvollzug ist dagegen eine status positivus-Maßnahme, für die dem Staat das Auswahlermessen zusteht, welche der geeigneten Maßnahmen den Ausgleich zwischen dem Resozialisierungsauftrag des Strafvollzugs und der gemeinschaftlichen Religionsausübung am besten zu erfüllen vermag. Die Grenzen des Ermessens liegen dort, wo von einem Verband oder einzelnen Seelsorgenden religiös-inhaltliche Einstellungen gefordert werden, die keinen sachlichen Bezug mehr zum Strafvollzug als religiösem Betätigungsraum bzw. dem dort maßgeblichen Resozialisierungsauftrags haben. Denn die Grenzen staatlichen Ermessens ergeben sich grundsätzlich insbesondere aus dem Zweck der ermessensbegründenden Vorschrift (§ 114 S. 1 VwGO). Auch mit Blick darauf, dass der Staat im Rahmen der grundrechtlichen Schutzpflicht zu gewährleisten hat, dass Religionsgemeinschaften ihre religiösen Einstellungen nur bei einem sachlichen Bezug zum Tätigkeitsbereich ihrer Arbeitnehmer als Loyalitätsobliegenheit durchsetzen können,413 muss vom Staat als Auftrag- oder Arbeitgeber aufgrund des abwehrrechtlichen Anspruchs des einzelnen Seelsorgers erst recht verlangt werden, dass Beschäftigte im Rahmen des Auswahlermessens anhand sachlicher Gründe mit Tätigkeitsbezug ausgewählt werden. Der Resozialisierungsauftrag des Strafvollzugs bildet 413  Vgl. zu dieser engen Auffassung: EGMR, Schüth v. Germany (App. No. 1620/03); EGMR, Obst v. Germany (App.No. 425/03); EuGH NJW 2018, 3086– 3090 (Rn. 55); in der Maßstabsbildung hingegen weiter, weil der Tätigkeitsbereich nur im Rahmen der Abwägung für die Kenntnis der jeweiligen Loyalitätsobliegenheiten maßgeblich sein soll, BVerfGE 137, 273–345 (317).



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht117

jedenfalls einen sachlichen Grund, um bei einer staatlichen Beschäftigung von Seelsorgenden vorauszusetzen, dass Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung in Bezug auf religiös begründeten Extremismus aktiv unterstützt werden. Von den Voraussetzungen für den Beginn einer Beschäftigung sind vertragliche Pflichten für die Beschäftigungszeit zu unterscheiden. Während Beschäftigungsvoraussetzungen die Zulassung zur Grundrechtsausübung in einem grundrechtlich nicht per se geschützten Bereich betreffen, regeln dienst- oder arbeitsvertragliche Pflichten die Ausübung der seelsorgerischen Tätigkeit und betreffen damit unmittelbar die Religionsausübung des Seelsorgenden. Nach der hier vertretenen Auffassung können es weder ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit dem Staat noch der Einsatz in einer Einrichtung des Strafvollzuges rechtfertigen, wenn jenseits der Grenze der institutionellen Funktionsfähigkeit sonstige Eingriffe in das Grundrecht der Religionsfreiheit erfolgen. Daher verbleiben als Regulierungsinstrument lediglich die Personalauswahl und die allgemeinen Regelungen des Arbeitsrechts. Zu bedenken ist zudem, dass die negative Religionsfreiheit jedem Gefangenen das Recht gewährt, religiösen Angeboten fernzubleiben, die nicht seinem Bekenntnis entsprechen. Ob staatliche Maßnahmen für die muslimische Religionsausübung, die ausdrücklich mit den Aufgaben der Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung verknüpft werden, deshalb in der Praxis erfolgreich sein würden, ist deshalb mehr eine Frage der Akzeptanz und nicht der rechtlichen Zulässigkeit. Zusammenfassend ist aber festzuhalten, dass inhaltliche Anforderungen seitens der Vollzugsverwaltung als Abschlussbedingung an künftige Kooperationsvereinbarungen gestellt werden können. Inhaltlicher Einfluss außerhalb von Eingangsvoraussetzungen verletzen aber die grundrechtlichen Freiheiten des religiösen Personals.

V. Gleichheitsrechte und die Grundsätze der Neutralität und Parität Aus der Zusammenschau des Freiheitsrechts des Art. 4 Abs. 1, 2 GG und den Gleichheitsrechten der Art. 3 Abs. 3, 33 Abs. 3 GG und Art. 140 GG i.  V.  m. Art. 136 Abs. 1, 2 WRV sowie dem Verbot der Staatskirche in Art. 137 Abs. 1 WRV werden zwei verfassungsrechtliche Grundsätze abgeleitet, die auf objektiv-rechtlicher Ebene die subjektiven Rechte der individuellen und kollektiven Religionsfreiheit absichern: Neutralität und Parität. Diese Grundsätze sind ursprünglich politische und gesellschaftliche Kompromisse aus der Entwicklung des Staat-Kirche-Verhältnis in der Nach-Re-

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

formationszeit im Deutschen Reich.414 Sie lassen sich aber heute aus dem pluralistisch offenem Konzept der Grund- und Gleichheitsrechte ableiten – und mangels anderer textlicher Grundlage im Grundgesetz leiten sie sich auch allein daraus ab und bilden keine überverfassungsrechtlichen Prinzipien.415 Demnach hat der Staat alle religiösen Bekenntnisse und religiösen Organisationen gleichberechtigt zu behandeln und darf religiöse Inhalte und Einstellungen nicht bewerten oder sich damit identifizieren. Dies ist traditionell als religionsrechtliche Parität und religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates bezeichnet worden. Da es nicht mehr nur um die Parität der ­katholischen und evangelischen Kirche im Staat geht, wird inzwischen aber eher von einem Diskriminierungsverbot für religiöse Organisationen und von sachlicher Nichtidentifikation gesprochen.416 Die Gleichberechtigung religiöser Organisationen gebietet dabei nicht etwa, dass für alle dasselbe Ergebnis erreicht wird, sondern dass rechtliche Chancengleichheit für die Organisationen aller religiösen Bekenntnisse besteht.417 Der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität bzw. sachlicher Nichtidentifikation sichert die individuellen Rechte der Bürger, indem dem Staat jegliche Bevorzugung, Beeinflussung oder sonstige Parteinahme in religiösen Angelegenheiten untersagt ist, um – mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts – „Heimstatt aller Staatsbürger“418 zu sein. Im Konkreten formuliert das Bundesverfassungsgericht im Osho-Beschluss: „[D]ie parteiergreifende Einmischung in die Überzeugungen, die Handlungen und in die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften sind dem Staat unter­ sagt.“419 414  Vgl. die Zusammenfassung der Staatskirchenrechtsgeschichte diesbezüglich bei Korioth, „Deutsches Staatskirchenrecht im langen Schatten des deutschen Bikonfessionalismus – Steht das deutsche Staatskirchenrecht noch heute unbotmäßig unter dem Eindruck der Reformation?“, ZevKR 63 (2018), S. 14–29, 17 ff., 24 f. 415  Dreier, Staat ohne Gott, S. 96 f.; Unruh, in: Mangoldt/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 3 (7. Aufl., 2018), Art. 140 GG Rn. 20 f.; Dürig/ Herzog/Scholz/Korioth, Art. 140 GG Rn. 31; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III (2. Aufl., 2006), Art. 140 GG Rn. 37 f.; Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 728; siehe auch BVerfGE 19, 206–226 (216); BVerfGE 33, 23–42 (28); BVerfGE 93, 1–37 (16); BVerfGE 108, 282–340 (299); BVerfGE 138, 296–375 (338); wohl weitergehender ist die Auffassung, „dass das Neutralitätsgebot als allgemeines Gebot der Unparteilichkeit objektives Recht darstellt, das die öffentliche Hand unabhängig von Grundrechtspositionen strikt bindet“, in: Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, S. 9. 416  Vgl. Dreier, Staat ohne Gott, S. 100. 417  Heckel, „§ 20 Die religionsrechtliche Parität“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I (1994), S. 58– 622 (599, 612 f.); Dreier, Staat ohne Gott, S. 103 f. 418  BVerfGE 19, 206–226 (216). 419  BVerfGE 105, 279–312 (294).



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht119

Das schließt die Zulassung der Religionsausübung in staatlichen Einrichtungen wie der Schule oder dem Strafvollzug aber nicht aus, wie die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Religionsunterrichts (Art. 7 Abs. 3 GG) und der Anstaltsseelsorge (Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV) belegen. Der Neutralitätsgrundsatz führt daher nicht zu einer „religionsfreien Zone“420, sondern zur Offenheit des Staates gegenüber allen religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen (positive Neutralität).421 Im Detail sind Inhalt und Folgen des Neutralitätsgrundsatzes zwar durchaus umstritten,422 einige Konsequenzen ergeben sich aber bereits aus dem Grundsätzlichem: 1. Strenge Gleichheit und Neutralität beim Zutrittsanspruch Im Anwendungsbereich des Art. 140 GG/Art. 141 WRV gilt eine strenge tatbestandliche Gleichheit für alle Religionsgemeinschaften und die Verpflichtung, diesen verfassungsrechtlichen Anspruch nur mit religiös-neutralen Gründen zu beschränken. Das ergibt sich schon aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV („Soweit das Bedürfnis […] besteht, sind die Religionsgesellschaften […] zuzulassen“) und bedarf keines Verweises auf einen Neutralitätsgrundsatz, sondern stützt vielmehr die Ableitung des Grundsatzes aus den Verfassungsbestimmungen. Im Übrigen folgt dasselbe aus dem Gebot der Nichtidentifikation, wenn das Bundesverfassungsgericht für die staatliche Zusammenarbeit mit oder Förderung von Religionsgemeinschaften fordert, dass dies „nicht zu einer Identifikation mit bestimmten Religionsgesellschaften oder einer Privilegierung bestimmter Bekenntnisse führen“ dürfe.423 420  Ennuschat, „ ,Gott‘ und Grundgesetz – Zur Bedeutung der Präambel für das Verhältnis des Staates zu Religion und Religionsgemeinschaften“, NJW 1998, S. 953– 957, 956; Erwiderung darauf, aber nicht explizit zur zitierten Passage Czermak, „Gott im Grundgesetz?“, NJW 1999, S. 1300–1303. 421  Dreier, Staat ohne Gott, S. 92; Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 140 GG Rn. 28; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 140 GG Rn. 32. 422  Vgl. dazu nur die Kontroversen zwischen Begründungsneutralität, Identifika­ tionsverbot und den Zweifeln am den Nutzen des Grundsatzes selbst bei Möllers, „Referat Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität – Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates?“, in: 68. Deutscher Juristentag (Hrsg.), Verhandlungen des 68. Deutschen Juristentages Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, Bd. II/1 (2011), S. O39–O53; sowie Huster, „Erwiderung zu Hans Michael Heinig: Neutralität ohne Inhalt?“, JZ 2010, S. 354–357; Heinig, „Schlusswort: Verschleierte Neutralität“, JZ 2010, S. 357–360; Heinig, „Verschärfung der oder Abschied von der Neutralität? Zwei verfehlte Alternativen in der Debatte um den herkömmlichen Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität“, JZ 2009, S. 1136–1140; vgl. auch mit dem Plädoyer für einen „eigenen verfassungsrechtlichen Maßstab“ die Darstellung bei Dreier, Staat ohne Gott, S. 97 ff. 423  BVerfGE 123, 148–185 (178); vgl. dazu auch Dreier, Staat ohne Gott, S. 100.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

2. Formale Gleichheit und Neutralität bei status positivus-Maßnahmen Erfüllt der Staat jenseits des Zutrittsrechts für Religionsgemeinschaften seine status positivus-Verpflichtung, geeignete Maßnahmen zur Ermöglichung gemeinschaftlicher Religionsausübung zu treffen, erhält der Neutralitätsgrundsatz größere Bedeutung für verschiedene Teilaspekte. Zunächst ist festzuhalten, dass die Religionsverbände allein aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG kein Zutrittsrecht besitzen, die Gefangenen aber geeignete Maßnahmen verlangen können, ohne dabei allgemeine Bedingungen der Organisation bestimmen zu können. Nur bei Einzelfallregelungen können sie mit persönlichen Wünschen durchdringen.424 Der somit recht weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und der Vollzugsverwaltung wird aber insbesondere für die Wahl von Kooperationspartnern und Personal durch die Grundsätze von Neutralität und Gleichheit (Parität) begrenzt. a) Staatliche Auswahl einzelner Kooperationspartner Für die Organisation gemeinschaftlicher Religionsausübung von muslimischen Gefangenen müssten sich andere, in den Voraussetzungen geringere und in den Rechten begrenztere, Zutrittsmöglichkeiten für Religionsverbänden an denselben Kriterien messen lassen, die für Art. 140 GG/Art. 141 WRV bereits als strenge (tatbestandliche) Gleichheit erkannt wurde. Die Zutrittsmöglichkeiten, die einem einzelnen Verband eröffnet werden, müssen unter denselben formalen Voraussetzungen auch anderen Verbänden offenstehen, ohne dass es dafür auf eine bestimmte religiöse Wertung ankommen darf. Nicht ausgeschlossen sind deshalb Bedingungen mit sachlichem Bezug zum Strafvollzug, unter denen überhaupt erst eine Kooperation begonnen werden soll. Wie schon bei der staatlichen Beschäftigung von Seelsorgenden kann auch für die Kooperation mit einem oder mehreren Verbänden verlangt werden, dass diese den Resozialisierungsauftrag im Strafvollzug aktiv unterstützen. Dies umfasst auch die Unterstützung für präventive oder therapeutische Maßnahmen gegenüber religiös begründetem Extremismus. Indes darf dies nicht dazu verleiten, die materiellen Anforderungen zu überspitzen. Die Grenze religiöser Neutralität dürfte dort erreicht sein, wo statt formaler Zulassungskriterien die Glaubensüberzeugungen selbst auf die Vereinbarkeit mit Radikalisierungsprävention und Deradikalisierungsprogrammen geprüft würden.

424  Siehe oben Kapitel 2, A. II. 1. c) „Folgerungen für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug“, S. 80.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht121

Schwieriger ist es, wenn der Staat nicht mit einem Religionsverband kooperiert, sondern mit einer vermittelnden Organisation, die sich zur besseren Vertretung verschiedener religiöser Verbände für den Bereich der Anstaltsseelsorge gebildet hat. In diesem Fall besteht kein unmittelbarer Einfluss des Staates, dass weitere berücksichtigenswerte Organisationen ebenfalls Zugang zur privaten kooperierenden Organisation erhalten. Die grundsätzliche Offenheit des Staates, auch mit anderen Organisationen zu kooperieren, dürfte in so einer Konstellation praktisch bedeutungslos werden, weil keine neue Organisation einen vergleichbaren Vertretungsgrad wird vorweisen können, der eine vergleichbare Regelung sinnvoll erscheinen ließe. Gleichwohl ist der staatliche Kooperationspartner gehalten, mögliche Diskriminierungen durch Kooperationsbedingungen vorzubeugen. Kooperiert der Staat gar nicht mit einem religiösen Verband, sondern beispielsweise mit einem sozial-integrationsfördernden Verein, der auch gemeinschaftliche Religionsausübung organisieren mag, entsteht dagegen ein Gleichheitsproblem gar nicht erst. Wo kein vergleichbar durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG berechtigter Verband an der Kooperation unmittelbar beteiligt ist, besteht auch nicht die Gefahr einer Identifikation mit einzelnen religiösen Ansichten. Die Abgrenzung ist allerdings gerade für die islamische Religionsausübung praktisch schwierig, weil für islamische Kultur- oder Integrationsvereine der religiöse Bezug gleichzeitig kultureller Art ist und diesen Vereinen ihre religiöse Fundierung aber nicht abgesprochen werden darf. Daher ist im Einzelfall große Vorsicht geboten, wollte man sich auf diesem Wege den Anforderungen des Nichtidentifikationsgebots/Neutralitätsgrundsatzes entziehen. b) Staatliche(s) Personal(auswahl) für die Religionsausübung Die Auswahl und die Beschäftigung von religiösem Personal durch den Staat müssen auf den ersten Blick fast schon notwendigerweise eine unzulässige Identifikation mit religiösen Inhalten darstellen. Dabei kommt es aber auf die maßgeblichen Kriterien entscheidend an, wie sich an der Diskussion um die Neutralität der Seelsorge in der Bundeswehr zeigen lässt, bevor da­ raus Konsequenzen für die muslimische Religionsausübung im Strafvollzug gezogen werden können. aa) Die Diskussion um die Militärseelsorge Unter Verweis auf das Neutralitätsprinzip wird die Ausgestaltung der Militärseelsorge in Deutschland verbreitet als unvereinbar mit den Vorgaben

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

des Grundgesetzes angesehen.425 Nach den Regelungen des Art. 27 des Reichskonkordats426 und des (evangelischen) Militärseelsorgevertrags vom 22.2.1957 sowie dessen Umsetzungsgesetzes427 werden die Militärseelsorger auf Vorschlag des jeweils zuständigen Bischofs als Bundesbeamte auf Zeit ernannt. Sie unterstehen in inhaltlichen Fragen den kirchlichen Stellen, in dienstrechtlichen Belangen unterstehen sie den staatlichen Behörden im Zuständigkeitsbereich der Bundesministerin für Verteidigung.428 Gegen die Ernennung von Seelsorgern als Staatsbeamte wird vorgetragen, dass darin eine Identifikation des Staates mit den religiösen Aufgaben liege und dadurch staatliche und kirchliche Bereiche vermischt würden, was dem ausdrück­ lichen Trennungsgebot des Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 1 WRV widerspreche.429 Dies wurde ursprünglich anders gesehen, weil eine staatliche Identifikation erst bei „Hoheitsakten[n], die auf religiösen Prämissen beruhen oder religiöse[n] Realakte[n], hinter denen die staatliche Autorität steht“ eintrete.430

425  Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 12; Korioth, „Religionsgemeinschaften“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 660; Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 16; einen Verstoß gegen das (den Neutralitätsgrundsatz ebenfalls tragende) ausdrückliche Trennungsgebot des Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 1 WRV erkennend Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 250 f.; Sachs/Ehlers, Art. 141 WRV Rn. 7; a. A. Mückl, „§ 161 Freiheit kirchlichen Wirkens“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII (2009), S. 831–872 (869); Pirson, „Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts“, in: Marré/ Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche, Bd. 23, S. 21; Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 205; mit Verweis auf die vertragl. Vereinbarung des Ernennungsverfahrens im Ergebnis ebenso Friauf/Höfling/Muckel, Berliner Kommentar, Art. 140 GG/ Art. 141 WRV Rn. 23; Ennuschat, Militärseelsorge, S. 290. 426  Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (Reichskonkordat) vom 20. Juli 1933 (RGBl. II S. 679). 427  Gesetz über die Militärseelsorge (BGBl. II 1957, 701). 428  Zum Ganzen Mückl, „§ 161 Freiheit kirchlichen Wirkens“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 867 ff.; Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 25 ff.; monographisch Ennuschat, Militärseelsorge, S. passim; zu aktuellen Entwicklungen vgl. Ennuschat, „Militärseelsorge in Deutschland: Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Perspektiven“, ZevKR 64 (2019), S. 107–124. 429  Dreier/Morlok, Art. 141 WRV Rn. 16; Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 28; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 252; Sachs/Ehlers, Art. 141 WRV Rn. 7; Korioth, „Religionsgemeinschaften“, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, S. 660; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 141 WRV Rn. 13 f.; zur älteren Kritik vgl. Ennuschat, Militärseelsorge, S. 109 ff. 430  Pirson, „Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts“, in: Marré/Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche, Bd. 23, S. 21; sehr ähnlichMückl, „§ 161 Freiheit kirchlichen Wirkens“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 63.



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht123

bb) Konsequenzen für die staatliche Organisation muslimischer Religionsausübung im Strafvollzug Für die Bewertung der Neutralität der Militärseelsorge stehen sich folglich zwei unterschiedliche Prüfungsansätze gegenüber: Klassisch ist ein materiellinhaltlicher Maßstab angelegt worden, der die Organisationsform unbeachtet ließ. Inzwischen erfolgt die Bewertung aber eher anhand formell-organisatorischer Aspekte, um systemische Gefahren, beispielsweise Loyalitätskonflikte, erfassen zu können.431 Richtig ist aber auch, dass letztlich das Ziel der Unabhängigkeit von Anstaltsgeistlichen entscheidend ist und nicht allein die arbeits- bzw. dienstrechtliche Stellung.432 Die Positionen lassen sich daher vermittelnd zusammenführen: Der Staat hat sich bei der Personalauswahl und -beschäftigung in jedem Fall inhaltlich neutral zu verhalten, was einer staatlichen Indienstnahme bei entsprechenden weisungsrechtlichen Regelungen zugunsten der Religionsgemeinschaften dann nicht entgegen stehen muss. Der staatliche Beamtenstatus, der in manchen Bundesländern auch für Gefängnisseelsorger gewählt wurde,433 ist für die muslimische Religion nicht relevant. Eine muslimische Religionsgemeinschaft, der entsprechende inhaltliche Weisungs- oder Bestimmungsrechte zugestanden werden könnten, besteht meist auch nicht. Und wenn sie doch besteht, wie etwa mit der Ahmadiyya Muslim Jamaat, existiert der praktische Bedarf (bisher) nicht. Gleichwohl bestehen derzeit Formen staatlicher Personalauswahl bei der Organisation muslimischer Religionsausübung. Meist betrifft das Honorarkräfte, vereinzelt auch Angestellte.434 Dabei ist die staatliche Auswahl religiösen Personals gerade für die muslimische Religionsausübung äußerst heikel, weil innerhalb des Islam zwar verschiedene Denk- und Rechtsschulen sowie unterschiedliche Konfessionen bestehen, aber nur wenige Muslime (jedenfalls in Deutschland) sich selbst diesbezüglich positionieren und identifizieren können oder wollen. Die staatliche Auswahl von Personal unterliegt deshalb der erhöhten Gefahr, konfessionell nivellierend zu wirken und eine tenden­ ziell identifizierende Wertung vorzunehmen. Bezüglich der innerislamischen Positionierung verhält sich der Staat bei der Personalauswahl daher nur dann 431  Loyalitätskonflikte und Unabhängig als maßgebliche teleologische Argumente anführend Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 28. 432  Anhand der Rechtslage in den USA und Frankreich vor einer Überbewertung des Beamtenstatus warnend, jedenfalls solange die religiöse Unabhängigkeit gewahrt ist: Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 325 f. 433  Vgl. zum Beamtenstatus mancher Gefängnisseelsorger auch Mangoldt/Klein/ Starck et al./Unruh, Art. 141 WRV Rn. 36; Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S.  183 ff. 434  Zusammenfassend später Kapitel 4, A. II. „Staatliche Beschäftigung von Seelsorgern durch Arbeits- oder Dienstvertrag“, S. 245.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

religiös neutral, wenn die Berücksichtigung islamischer (konfessioneller) Vielfalt im eigenen Selbst- bzw. Arbeitsverständnis des Bewerbers als Kriterium angelegt wird. Das bedeutet, dass staatlich ausgewähltes Personal die Kompetenz nachweisen können muss, die im Islam traditionell bestehende Gleichzeitigkeit verschiedener Denkschulen methodisch für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug zu berücksichtigen. Dies dürfte in der Regel nur durch eine akademische Ausbildung gewährleistet sein. Jedenfalls kann eine konfessionell-orientierte Ausbildung innerhalb einer islamischen Strömung nicht ausreichen. 3. Zusammenfassung Der Grundsatz staatlicher Neutralität in Religionsfragen gebietet für die Organisation muslimischer Religionsausübung im Strafvollzug die Angebotsoffenheit für alle Religionsgemeinschaften im Rahmen des Art. 140 GG/ Art. 141 WRV bzw. alle Religionsverbände im Rahmen von status positivusMaßnahmen. Wählt der Staat selbst religiöses Personal aus und beschäftigt dieses, verlangt die Ambiguität islamischer Lehren außerdem in der Regel eine akademische Ausbildung der Beschäftigten. Insofern ergibt sich ein ambivalentes Bild: Greift der Staat stärker in die Organisation der „Seelsorge“ ein, drängt die staatliche Neutralität ihn zu einer multi-religiösen oder jedenfalls multi-konfessionellen Gestaltung, um nicht selbst religiös Partei zu ergreifen. Agiert der Staat nicht, so bleibt es beim Zutrittsanspruch für jede einzelne Religionsgemeinschaft gemäß Art. 140 GG/Art. 141 WRV und forciert damit eine konfessionell getrennte Organisation. Religionsübergreifende Strukturen zu organisieren ist dann ausschließlich eine Frage der Religionsgemeinschaften untereinander. Praktisch steht dem derzeit entgegen, dass die Ausgestaltung des Zutrittsanspruchs für die christlichen Kirchen vertraglich festgelegt ist, worauf diese wohl nicht verzichten werden wollen. Es verwundert daher, wenn von kirchlicher Seite eine stärkere „Konfessionalisierung“435 der Anstaltsseelsorge beklagt wird, weil darin offenbar eine Einschränkung ihrer Zuständigkeit436 gesehen 435  Feest/Lesting/Lindemann/Müller-Monning,

desR.

AK-StVollzG, Rn. 1 vor § 69 Lan-

436  Die christliche Seelsorge im Gefängnis richtet sich ausdrücklich an alle vom Vollzug betroffenen Menschen (Gefangene, Angehörige, Vollzugsmitarbeiter/innen) vgl. Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, „Leitlinien Evang. Gefängnisseelsorge“, S. 11 ff., 36 f.; Deutsche Bischofskonferenz, „Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen (Hebr 13,3) – Der Auftrag der Kirche im Gefängnis“ (2015), S. 22 ff., abrufbar unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/ veroeffentlichungen/deutsche-bischoefe/DB84.pdf (abgerufen am 10.06.2022).



A. Grundrechte und Gewährleistungen im dt. Religionsverfassungsrecht125

wird, und stattdessen eine multi-religiöse Gestaltung für die sich verändernde Haftpopulation vorgeschlagen wird.437 Eine multi-religiöse Seelsorge wür­de – wenn sie denn nicht von allen Religionsgemeinschaften gemeinsam organisiert würde – den staatlich-organisatorischen Einfluss stärken und die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften in einer (wie auch immer gestalteten) Organisationsform verschiedener gleichberechtigter Träger unter staatlicher Obhut mediatisieren. Die Konfessionalisierung religiöser Bekenntnisse und deren rechtliche Differenzierung ist auch keineswegs eine neuere Erscheinung, sondern gehört zur DNA des deutschen Religionsverfassungsrechts.438 Dies gebietet gerade die konfessionsverschiedene Berücksichtigung der Religionszugehörigkeit von Gefangenen, gleichgültig ob sie Muslime, evangelische oder katholische Christen sind.

VI. Zusammenfassung: Seelsorge im Gefängnis im Rahmen des Religionsverfassungsrecht Die Seelsorge in Strafvollzugsanstalten wird als ein Bereich der Anstaltsseelsorge, wie sie in Art. 140 GG/Art. 141 WRV geregelt ist, meist zu den sogenannten „Gemeinsamen Angelegenheiten“ gezählt. Während Einzelprobleme des Tatbestandes der Norm weitgehend geklärt sind, ist diese Einordnung stärkerer Kritik ausgesetzt. Vielfach wird diese Kategorisierung als „Gemeinsame Angelegenheit“ unter Betonung der grundrechtlichen Freiheiten als lediglich „deskriptiv“439 oder „Hilfsbegriff“440 bezeichnet. Die Kritik an dem Begriff bzw. dieser Kategorie ist berechtigt, weil die Anstaltsseelsorge ihren grundrechtlichen Ursprung in der individuellen Religionsfreiheit des Gefangenen hat und die kollektive Freiheit der Religionsgemeinschaften noch keinen Anspruch dazu begründen kann. Während staatlicherseits ein Anspruch des Einzelnen auf Religionsausübung zu erfüllen ist, sind die Gemeinschaften weder grundrechtlich berechtigt, noch verpflichtet, innerhalb des Strafvollzugs zur Religionsausübung beizutragen. Eine positive Aussage über die Stellung der Anstaltsseelsorge gemäß Art. 140 GG/Art. 141 GG innerhalb des Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes fehlt damit noch. Denn auch die neueren Ansätze einer grundrechtlichen Interpretation bieten 437  Feest/Lesting/Lindemann/Müller-Monning,

desR.

438  Vgl.

AK-StVollzG, Rn. 4 vor § 69 Lan-

Korioth, ZevKR 63 (2018), S. 14, 29. in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III (2. Auflage, 2006), Art. 137 WRV Rn. 24. 440  Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 196; Campenhausen/Unruh, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3 (6. Aufl., 2011), Art. 140 GG, Art. 141 WRV Rn. 6. 439  Morlok,

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

keine Erklärung für den alleinigen Fokus auf die Religionsgemeinschaften in Art. 140 GG/Art. 141 WRV. Für eine Einordnung, die individuelle grundrechtliche Ansprüche aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG mit dem institutionenbezogenen Charakter von Art. 140 GG/Art. 141 WRV verbindet, sind zwei Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen ist die Seelsorge für Gefangene in den christlichen Religionen theologisch auch anhand des sich über Jahrhunderte gewachsenen staatlichen Justizwesens entstanden.441 Zweitens ist erst mit dem Grundgesetz die damals bereits bestehende und etablierte Praxis auf grundrechtlichen Boden gestellt worden, ohne die institutionelle Prägung, wie sie sich auch noch in den Regelungen Weimarer Reichsverfassung ausdrückt, vollständig hinter sich lassen zu wollen.442 Dies berücksichtigend, lassen sich die bisherigen grundrechtlichen Erkenntnisse und der Regelungsgehalt des Art. 140 GG/Art. 141 WRV zusammenführen: Das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes gewährleistet, dass der Staat geeignete Maßnahmen ergreift, damit jeder Grundrechtsträger während des Strafvollzugs seine Religion (auch) gemeinschaftlich ausüben kann. Vorrangiges Beispiel für eine geeignete Maßnahme ist das Zutrittsrechts der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV.443 Nur in diesem Sinne ist Art. 140 GG/Art. 141 WRV der „normative Ausgangspunkt“ der Anstaltsseelsorge, weil es die einzige verfassungstextlich normierte Maßnahme zur Sicherung einer grundrechtlich durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG garantierten Freiheit ist. Dem verfassungsrechtlichen Zutrittsrechts und allen anderen denkbaren Maßnahmen, sofern dabei eine religiöse Organisation beteiligt wird, ist gemeinsam, dass sich ein Dreiecksverhältnis ergibt. Die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug bringt es denk­ notwendig mit sich, dass die beiden unterschiedlichen Zweier-Beziehungen Staat – Gefangener und Staat – Religionsgemeinschaft zusammengeführt werden. Denn die Gefangenenseelsorge betrifft einen Bereich, in dem es zwar um eine staatliche Kompensation für einen Grundrechtseingriff geht, die der religiös-neutrale Staat jedoch nicht selbstständig erbringen kann. Religiöse Angebote sind Aufgabe von religiösen Gruppen und Religions­ ­ gemeinschaften und Teil deren Freiheitsraums. Die Konsequenz staatlicher Neutralität im Dreieck Staat – religiöser Gruppe – Gläubiger ist, dass vom Staat nur die Rahmenbedingungen für die Zweierbeziehung Religionsgemeinschaft – Gefangener gesetzt werden dürfen und im Strafvollzug gesetzt Eick-Wildgans, „§ 70 Anstaltsseelsorge“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HbStKR2, Bd. II, S. 1010. 442  Vgl. Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 101 ff., 125 f. 443  Siehe oben Kapitel 2, A. I. „Anstaltsseelsorge gemäß Art. 140 GG i.  V. m. Art. 141 WRV“, S. 33. 441  Vgl.



B. Völkerrechtliche Regelungen zur Religionsausübung in Haft127

werden müssen. Dazu bedarf es in aller Regel einer gemeinsamen Grundlage aber nicht zwischen Staat und Häftling, sondern einer Form der Kooperation zwischen dem Staat und einer religiösen Gruppe oder Religionsgemeinschaft. Kurzum: Das Grundgesetz gewährleistet daher das Zusammenkommen zweier Grundrechtsträger unter den staatlichen Einschränkungen der Anstalt. Es geht also nicht um eine „Durchführungsverantwortung“ oder um ein „Selbstbesorgungsrecht“444 des Staates für die Seelsorge an sich, sondern um die Organisation der Durchführung der Seelsorge durch einen anderen. Demnach ist der Begriff „Gemeinsame Angelegenheit“ nicht einmal beschreibend exakt, weil es Staat und religiöser Gruppe/Religionsgemeinschaft nicht um dieselbe Angelegenheit geht, sondern um die Ausübung der eigenen Angelegenheit in der Sphäre des jeweils anderen.445 Das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes impliziert, dass beide Institutionen dafür kooperieren – einen eigenen Begriff braucht es dafür nicht, es ist schlicht ein paradigmatischer Anwendungsbereich des Kooperationsmodells, welches das Grundgesetz im Religionsrecht von anderen Verfassungen unterscheidet.

B. Völkerrechtliche Regelungen zur Religionsausübung in Haft Auf der Ebene des Völkerrechts werden die Rechte von Gefangenen durch Mindeststandards gewahrt. Für die Religionsausübung ergeben sich aus völkerrechtlichen Vereinbarungen aber nur relativ vage Verpflichtungen der Unterzeichnerstaaten und nur selten explizite, individualbezogene Rechte. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die dazu ergangene Rechtsprechung der Straßburger Organe (zunächst Menschenrechtskommission, nun Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) bilden eine gewisse Ausnahme, weil diesbezüglich ein Individualrechtsschutz besteht. Schon früh sind individuelle Ansprüche in Extremfällen anerkannt worden. Die aktuelle Rechtsprechung des EGMR lässt sich durchaus dahingehend interpretieren, dass ein konkreter Anspruch des Einzelnen auf Zugang zu einem Seelsorger besteht. Dagegen verbleiben die multilateralen Mindeststandards bei einer Empfehlung stehen, die gemeinschaftliche Religionsausübung aller Gefangenen insofern zu fördern, dass sie im Strafvollzug auch möglich gemacht wird. Völkerrechtlich sind drei Regelwerke für die Religionsausübung in Haft bedeutsam: Die sogenannten Nelson Mandela-Rules sind Mindestgrundsätze 444  Zu

beiden Begriffen ablehnend Dreier/Morlok, Art. 140 GG Rn. 13. diesem Sinne bereits Ehlers, „Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche“, ZevKR 32 (1987), S. 158–185, 179 f. 445  In

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen446, die erstmals 1955 erlassen wurden und 2015 von der UN-Generalversammlung in überarbeiteter Form verabschiedet wurden (I.). Speziell für Europa sind neben der Europäischen Menschenrechtskonvention (III.) auch die vom Europarat beschlossenen Europäischen Strafvollzugsgrundsätze relevant (II.).

I. United Nations Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners (Nelson Mandela Rules) Obwohl sie dem Titel nach lediglich Minimalstandards sein wollen, benennen die Mandela-Rules immerhin 122 Grundsätze für die Behandlung Gefangener. Die Vorgängerversion der Minimalstandards aus dem Jahr 1955 enthielt bereits 93 Grundsätze. Als Resolution der UN-Generalversammlung verabschiedet, konkretisieren sie die Erklärung der Menschenrechte für den Bereich des Strafvollzugs, ohne selbst bindendes Völkerrecht zu sein (sogenanntes „soft law“).447 Trotzdem darf ihre Bedeutung für die Praxis nicht unterschätzt werden, weil sie „in gewisser Weise […] also am zwingenden Charakter ‚harten‘ Rechts teil[haben], das sie konkretisieren“448. Nach dem Diskriminierungsverbot der Rule 2 betrifft bereits die vierte Regelung der Mandela-Rules die Religionsausübung im Strafvollzug: Um den Resozialisierungsgrundsatz (Rule 4.1) umzusetzen, sollen die Staaten den Gefangenen neben Bildung und Arbeit auch Gesundheitsvorsorge und Begleitung in spiritueller Hinsicht anbieten. Rule 4.2 […] forms of assistance that are appropriate and available, including those of a remedial, moral, spiritual, social and health- and sports-based nature.

Ganz ausdrücklich verlangt Rule 65 den Zugang von religiösem Personal zu den Gefangenen, gegebenenfalls auch als Vollzeitkräfte. Rule 65 1. If the prison contains a sufficient number of prisoners of the same religion, a qualified representative of that religion shall be appointed or approved. If the number of prisoners justifies it and conditions permit, the arrangement should be on a full-time basis. 2. A qualified representative appointed or approved under paragraph 1 of this rule shall be allowed to hold regular services and to pay pastoral visits in private to prisoners of his or her religion at proper times. 446  United

Nations General Assembly, Res. 70/175 (08.01.2016). Völkerrecht (2012), S. 112. 448  Laubenthal/Nestler/Neubacher et al./Neubacher, StVollzG, Abschn. A Einleitung Rn. 45. 447  Arnauld,



B. Völkerrechtliche Regelungen zur Religionsausübung in Haft129 3. Access to a qualified representative of any religion shall not be refused to any prisoner. On the other hand, if any prisoner should object to a visit of any religious representative, his or her attitude shall be fully respected.

Gegenüber anderen Mindeststandards ist die starke institutionsbezogene Formulierung auffallend. Während die Mandela-Rules einigermaßen häufig auf das Recht des einzelnen Gefangenen abstellen und dafür Formulierungen wie „Prisoners shall be …“ verwenden, enthält Rule 65 solch eine Wendung nicht. Es ist auch nicht bloß ein Synonym, ob ein Recht auf Zugang des Gefangenen zu religiösem Personal geregelt ist oder sich an den Staat das Gebot richtet, religiöses Personal einzusetzen. Dies hat sich bereits anhand der Unterschiede zwischen Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 140 GG/Art. 141 WRV im deutschen Verfassungsrecht gezeigt. Komprimiert enthält Rule 65 drei Voraussetzungen bzw. Bedingungen für die gemeinschaftliche Religionsausübung in Hafteinrichtungen: Erstens ist das Zugangsgebot („shall be“) bedarfsabhängig formuliert, ohne dafür eine harte Grenze zu markieren. Wann eine ausreichende Anzahl an Religionsangehörigen innerhalb der Hafteinrichtung erreicht ist („a sufficient number“), steht damit zunächst unter staatlicher Einschätzungsprärogative. Zweitens betrifft der Mindeststandard nicht jegliche Formen religiöser Angebote, sondern lediglich diejenigen bestimmter Qualität. Rule 65.2 erwähnt nur die Angebote von qualifiziertem religiösem Personal („qualified representatives“). In diesem Zusammenhang ist auch das Gebot der Rule 65.1 einzuordnen, bedarfsabhängig Vollzeitkräfte für religiöse Angebote in den Hafteinrichtungen einzusetzen. Offensichtlich sollen damit die historisch gewachsenen Angebote der Mehrheitsreligionen in den Staaten erfasst werden, nicht aber ein strikter Mindeststandard für Angehörige von Minderheitenreligionen formuliert werden. Allzu leicht fällt es ansonsten, aufgrund des völkerrechtsimmanenten Erstzugriffs der Staaten, die Auslegung dieser beiden Voraussetzungen so zu verengen, dass für Minderheitenreligionen aufgrund fehlenden Bedarfs und mangelnder Qualifikation kein Anwendungsbereich bleibt. Drittens gilt durch Rule 65.3 das Prinzip der Freiwilligkeit der Teilnahme an religiösen Veranstaltungen und individuellen Begegnungen. Erst dadurch bezieht sich der Mindeststandard auf die Religionsfreiheit des Einzelnen aus Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die die Mandela-Rules konkretisieren wollen. Ferner betrifft Rule 66 noch die Religionsausübung, wonach den Gefangenen nach Möglichkeit religiöse Gegenstände zum Gebrauch bei Veranstaltungen ihrer Konfession und religiöse Bücher zugestanden werden sollen. Zusammenfassend beschreiben die Mandela-Rules – unabhängig jedweder Organisationsformen religiöser Gruppen – das Zusammenkommen von Gefangenen und ihrer Religionsgemeinschaft. Dies allerdings ohne individuelle Rechte zu begründen, sondern in Form einer staatlichen Obliegenheit für die

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

organisatorischen Voraussetzungen gemeinschaftlicher Religionsausübung in Hafteinrichtungen.

II. Europäische Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules) Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze sind erstmals 1973 auf der Ebene des Europarates als nahezu wörtliche Übernahme der ersten Version der UN-Mindeststandards verabschiedet worden, stehen seit der Überarbeitung aus dem Jahre 2006449 aber eigenständig neben diesen. Als vom Ministerkomitee des Europarates verabschiedete „Recommendation (2006)2“ bilden die Grundsätze intergouvernementale Empfehlungen im Bereich des Europarates, die völkerrechtlich lediglich als Empfehlungen („persuasive authority“) zu verstehen sind450 und denen deshalb auch die politische Verbindlichkeit des „soft law“ fehlt.451 Deshalb entfalten diese ihre Wirkung ebenfalls nicht vorrangig im Individualrechtsschutz, sondern vor allem bei Neu-Kodifikationen, so beispielsweise in Osteuropa.452 Inhaltlich unterschieden sich die European Prison Rules trotz der eigenständigen Überarbeitung nur in einem Punkt von den UN-Mindeststandards: bei der gemeinschaftlichen Religionsausübung im Strafvollzug. Während die Mandela-Rules auch in der Version von 2015 ein bedarfsabhängiges Gebot statuieren, stellen die europäischen Grundsätze das Gebot unter einen weiten Möglichkeitsvorbehalt („so far as is practicable“). Wörtlich heißt es zur Religionsausübung: 29.1 Prisoners’ freedom of thought, conscience and religion shall be respected. 29.2 The prison regime shall be organized so far as is practicable to allow prisoners to practise their religion and follow their beliefs, to attend services or meetings led by approved representatives of such religion or beliefs, to receive visits in private from such representatives of their religion or belief sand to have in their possession books or literature relating to their religion or beliefs. 29.3 Prisoners may not be compelled to practice a religion or belief, to attend religious services or meetings, to take part in religious practice or to accept a visit from a representative of any religion or belief.

Mit Nr. 29.1 verweisen die European Prison Rules zwar auf die Religionsfreiheit aus Art. 9 EMRK. Im Übrigen gibt es keine Unterschiede zu den 449  Council

of Europe, Rec(2006)2 (11.01.2006). Völkerrecht, S. 64. 451  Anders aber Dünkel/Morgenstern/Zolondek, „Europäische Strafvollzugsgrundsätze verabschiedet!“, Neue Kriminalpolitik 2006, S. 86–89, 88. 452  Vgl. ebd., 86. 450  Arnauld,



B. Völkerrechtliche Regelungen zur Religionsausübung in Haft131

Mandela-Rules. Im Gegenteil: Nr. 29.2 der European Prison Rules ist als Zusammenfassung der Rule 65 und 66 zu verstehen. In der offiziellen Kommentierung der Prison Rules durch das Ministerkomitee des Europarates werden als Erläuterung zu Nr. 29.2 die entsprechenden Mandela-Rules wiederholt und dadurch ergänzt, dass es sich um eine „positive requirement“ für die staatlichen Vollzugsbehörden handele.453 Das in Nr. 29.3 niedergelegte Freiwilligskeitsprinzip soll demnach allerdings einen eigenen Stellenwert haben, denn damit und mit der Stellung der Regelungen zur Religionsausübung im Allgemeinen Teil der European Prison Rules werde die Unterscheidung zwischen vollzuglichen Behandlungsmaßnahmen zur Resozialisierung und der Organisation gemeinschaftlicher Religionsausübung verdeutlicht.454 Zusammenfassend bilden die European Prison Rules hinsichtlich der Religionsausübung im Strafvollzug auch einen Mindeststandard ab, gehen aber darüber nicht hinaus. In gewisser Weise bleiben sie sogar hinter den UNMindeststandards der Mandela-Rules zurück, wenn die Organisation die staatliche Obliegenheit zur Organisation gemeinschaftlicher Religionsausübung auf das im Einzelfall Mögliche beschränkt und nicht schlicht bedarfsabhängig formuliert ist. Praktische Differenzen dürften sich dadurch in Praxis aber wohl kaum ergeben, zumal beide Regelwerke keinen konkreten Individualrechtsschutz bieten und eher nur politischen Empfehlungscharakter haben.

III. Europäische Menschenrechtskonvention Individualrechtlich bedeutsam ist aber die Europäische Menschenrechtskonvention, die als völkerrechtlicher Vertrag auch innerstaatliche Wirkung entfalten kann und mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine eigene Prüfungsinstanz kennt. Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt mit Art. 9 auch die Religionsausübung während des Strafvollzugs. Die Rechtsprechung zur Europäischen Menschenrechtskonvention durch die frühere Kommission und den heutigen Straßburger Gerichtshof hatte sich häufig mit der Behandlung von Gefangenen in den Haftanstalten der Konventionsstaaten zu beschäftigen. Um die Religionsausübung von Häftlingen, zumal um die gemeinschaftliche Ausübung und den Zugang zu Gottesdiensten oder Seelsorgern, ging es dabei allerdings nur vereinzelt.455 453  Council of Europe, „Commentary on Recommendation Rec(2006)2 of the Committee of Ministers to member states on the European Prison Rules“, in: Council of Europe (Hrsg.), European Prison Rules (2006), S. 39–100 (58). 454  Ebd. 455  In der deutschen Kommentierung zu Art. 9 EMRK ist kein einziger Fall aufgeführt, vgl. Meyer-Ladewig/Schuster, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/Raumer (Hrsg.),

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

1. Schutz der Religionsfreiheit in Art. 9 EMRK In den Grundzügen unterscheidet sich die Interpretation der Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK wenig von derjenigen des Art. 4 GG: Bereits in den frühesten (ablehnenden) Entscheidungen der Kommission wird die Religionsausübungsfreiheit von Häftlingen ohne weitere Begründung auch in der Haftanstalt anerkannt, lediglich die (Darlegungs-)Voraussetzungen und Bedingungen des Freiheitsrechts hat die Kommission ausführlicher begründet.456 Die Reichweite religiös begründeter Handlungen ist ebenfalls vom Selbstverständnis des Gläubigen abhängig. Die Konventionsrechtsprechung verlangt aber ein „gewisses Niveau an Schlüssigkeit, Ernsthaftigkeit, Zusammenhalt und Bedeutung“,457 legt diese Voraussetzungen aber sehr weit aus.458 Eingriffe in diesen Schutzbereich sind nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung gerechtfertigt, sofern sie in einer demokratischen Gesellschaft notwendig unter anderem zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Freiheitsrechte anderer sind. Zur öffentlichen Sicherheit zählt nach der Rechtsprechung der EKMR und des EGMR auch die Funktionsfähigkeit einer Haftanstalt.459 Im Prüfungsmaßstab zu unterscheiden sind Eingriffe in das Abwehrrecht von sogenannten „positive obligations“. Dies sind Gewährleistungen zur Ermöglichung der Freiheit, bei denen generell ein weiterer Spielraum für die Konventionsstaaten besteht.460 Eine dritte Kategorie bilden in der Rechtsprechung die Einschränkungen der Religionsfreiheit aufgrund einer Eingliederung in den staatlichen Innenbereich, die auch in diesem Kontext gelegentlich mit dem Begriff „besonderes Nähe-

EMRK – Europäische Menschenrechtskonvention Handkommentar (4. Aufl., 2017), Art. 9 EMRK. 456  EKMR, X. v. Austria (App.No. 1753/63); EKMR, X. v. Germany (App.No. 2413/65; Collection 23, S. 1–9); EKMR, X. v. United Kingdom (App.No. 5442/72; D.R. 1, S. 41); EKMR, X. v. United Kingdom (App.No. 5947/72; D.R. 5, S. 8); EKMR, X v. United Kingdom (App.No. 6886/75; D.R. 5, S. 100); EKMR, X. v. United Kingdom (App.No. 8231/78; D.R. 28, S. 5); EKMR, S. v. United Kingdom (App.No. 13669/88; D.R. No. 65, S. 245). 457  EGMR, Leela v. Germany (App.No. 58911/00) (20). 458  Meyer-Ladewig/Nettesheim/Raumer/Meyer-Ladewig/Schuster, EMRK-HK, Art. 9 EMRK Rn. 3. 459  EKMR, X. v. United Kingdom (App.No. 5947/72; D.R. 5, S. 8); EKMR, X. v. United Kingdom (App.No. 8231/78; D.R. 28, S. 5); EGMR, Austrianu v. Romania (App.No. 16117/02). 460  EGMR, Jakóbski v. Poland (App.No. 18429/06); vgl. dazu auch allgemein Nußberger, „Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Lösung von Konflikten in multireligiösen Gesellschaften“, ZevKR 62 (2017), S. 419–439, 427, 434 f.



B. Völkerrechtliche Regelungen zur Religionsausübung in Haft133

verhältnis“ beschrieben werden.461 Der EGMR stellt jedoch für die Begründung von Einschränkungen der Religionsfreiheit innerhalb staatlicher Institutionen in seiner Entscheidung Kalaç v. Türkei auf den freiwilligen Eintritt in die türkische Armee ab,462 sodass Beschränkungen für Häftlinge kaum aufgrund eines (freiwilligen) „besonderen Näheverhältnisses“ begründet werden können. Überwiegend begründet der Gerichtshof seine Entscheidungen zur Religionsausübung im Strafvollzug anhand der Grundsätze zur Eingriffsrechtfertigung mit den in Art. 9 Abs. 2 EMRK genannten Rechtfertigungsgründen. 2. Rechtsprechung zur gemeinschaftlichen Religionsausübung im Strafvollzug Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die Kommission als Vorgänger-Spruchkörper haben in einigen Entscheidungen klargestellt, dass zur geschützten Religionsausübung im Strafvollzug auch der Zugang zu religiösen Veranstaltungen/Gottesdiensten und zu religiösem Personal zählt. So ist mehrmals der gesetzliche Ausschluss von Seelsorger-Besuchen bei Todesstrafen-Verurteilten in der Ukraine als grundsätzlich nicht gerechtfertigter Eingriff in Art. 9 Abs. 1 EMRK bewertet worden.463 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 hat der Gerichtshof diese Grundsätze ohne Einschränkungen auf Gefangene mit zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen übertragen.464 Auch die Verweigerung der Teilnahme an Gottesdiensten für Untersuchungsgefangene in Litauen stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshof einen nicht mehr gerechtfertigten Eingriff dar.465 In einer Entscheidung zur Verweigerung von vegetarischen Mahlzeiten für einen Buddhisten stützt der Gerichtshof sich aber auf die Verletzung einer Schutzpflicht.466 Inwiefern damit eine Weichenstellung zwischen Individualrecht und „positive obligation“ vollzogen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. So folgert Julian Rivers aus einem Vergleich auch mit anderen Bereichen des Haftalltags (Gesund461  Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention – Ein Studienbuch (6. Aufl., 2016), Rn. 121; ähnlich auch der Begriff „restricted institutional context“ bei Rivers, The Law of Organized Religions – Between Establishment and Secularism (2010), S. 228. 462  EGMR, Kalaç v. Turkey (App.No. 20704/92; Reports 1997-IV). 463  EKMR, Poltoratskiy v. Ukraine (App.No. 38812/97); EGMR, Poltoratskiy v. Ukraine (App.No. 38812/97; ECHR 2003-V); EGMR, Kuznetsov v. Ukraine (App. No. 39042/97). 464  EGMR, Mozer v. Moldova/Russia (App.No. 11138/10). 465  EGMR, Igors Dmitrijevs v. Latvia (App.No. 61638/00). 466  EGMR, Jakóbski v. Poland (App.No. 18429/06).

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

heitsvorsorge, Ernährung, u. a.) und anderen öffentliche Einrichtungen (Militär, Kliniken, u. a.), dass innerhalb staatlich geschaffener Institutionen die dadurch eingeschränkte Religionsausübung durch positive Maßnahmen des Staates bis zur Grenze von Sicherheit und Ordnung und der Rechte Dritter zu kompensieren seien.467 Insofern bestehe auch ein Recht der Einzelnen, auf Zugang zu einem Seelsorger, welches aber verhältnismäßig aufgrund der Zwecke der Institution eingeschränkt sei.468 Dies liegt recht nah an dem Mindeststandard, den die European Prison Rules und die Nelson MandelaRules formulieren und dabei ebenfalls institutionsbezogene Grenzen der staatlichen Handlungspflicht gelten lassen. Jeroen Temperman geht indes weiter und bilanziert insbesondere aus der Poltoratskiy-Entscheidung und darauf beruhender Rechtsprechung, dass Art. 9 EMRK ein individuelles Recht auf Zugang zu religiös-professionellem Kontakt enthalte.469 Zwar seien Häufigkeit, Dauer oder Form470 der Besuche nicht endgültig festgelegt, aus der Rechtsprechung ließen sich aber einzelne Bedingungen ableiten. So solle das Kontaktrecht nicht so weit gehen, dass jede religiöse Ausrichtung durch Kontakt zu einem Vertreter derselben garantiert sei471 oder Gefangene den Tag des Besuches frei wählen könnten472. Qualitative Voraussetzungen habe der Gerichtshof aufgestellt, indem jedenfalls ein privates, nicht vom Anstaltspersonal überwachtes Gespräch gefordert sei.473 Zusammenfassend ist festzustellen, dass inzwischen der Gerichtshof die eingeschränkte gemeinschaftliche Religionsausübung in Haft im Rahmen der üblichen Eingriffsrechtfertigung behandelt. Dies befreit zugleich etwas von einem spezifischen Problem der EMRK-Rechtsprechung in Religionsfragen: der weite Ermessensspielraum der Mitgliedsstaaten aufgrund der verschiedenen Regelungen zum Umgang mit Religion.474 Letzterer soll zwar auch nur im Rahmen gerechtfertigter Einschränkungen bestehen, was beispielsweise 467  Vgl.

Rivers, The Law of Organized Religions, S. 230 f. ebd., 232. 469  Temperman, „Freedom of Religion or Belief in Prison – A Critical Analysis of the European Court of Human Rights’ Jurisprudence“, Oxford Journal of Law and Religion 2017, S. 48–92 58. 470  Wörtlich: „what constitutes regular visits, how long those visits ought to last minimally, or, indeed, what should roughly be the quality of these inmate-clergy conferences“, ebd. 471  Vom Gerichtshof abgelehnt, weil vom anglikanischen Beschwerdeführer nicht ausreichend dargelegt worden war, warum der Kontakt zum evangelischen Gefängnispfarrer nach seiner religiösen Überzeugung nicht ausreiche, EKMR, X. v. Germany (App.No. 2413/65; Collection 23, S. 1–9). 472  EGMR, Andrei v. Romania (App.No. 33228/05). 473  Zum Ganzen Temperman, Oxford Journal of Law and Religion 2017, S. 48, 59 ff.; vgl. EGMR, Mozer v. Moldova/Russia (App.No. 11138/10) (Rn. 197). 474  Vgl. dazu etwa Nußberger, ZevKR 62 (2017), S. 419, 432. 468  Explizit



C. Zusammenfassung135

bei inhaltlichen Anforderungen an eine religiöse Gemeinschaft für die Anerkennung einer bestimmten Rechtsform nicht mehr angenommen wird.475 Während die völkerrechtlichen Standards als „soft law“ lediglich geringe Mindeststandards setzen wollen, schafft es der Gerichtshof mit der EMRK so immerhin ein etwas höheres Niveau zu garantieren. Es bleibt abzuwarten, ob Tempermans Analyse eines echten Individualrechts für Gefangene auf professionell-religiösen Kontakt durch die künftige Rechtsprechung weiter bestätigt werden wird.

C. Zusammenfassung Für muslimische Gefangene gewährleistet das Grundgesetz in Art. 4 Abs. 1, 2 GG auch die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Zugang der Religionsgemeinschaften gemäß Art. 140 GG/Art. 141 WRV führt (derzeit) jedoch nur wenig weiter. Denn es ist (immer noch) strittig, ob Islamverbände und/oder Moscheevereine die grundgesetzlichen Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft erfüllen. Auch wenn der Streit prozessual seit Jahren anhand von Art. 7 Abs. 3 GG ausgetragen wird, ist der Begriff Religionsgemeinschaft nicht grundsätzlich vom Begriff der Religionsgesellschaft in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 5, Art. 137 Abs. 3–5 und Art. 141 WRV zu trennen. Es können sich zwar sektoral unterschiedliche besondere Voraussetzungen ergeben, aber die allgemeinen Voraussetzungen (personales Substrat, umfassende Pflege des religiösen Bekenntnisses, Gewähr der Dauer, verfassungsimmanente Grenzen im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG) sind für alle Bereiche gleichermaßen bedeutsam und verfassungsimmanent begründbar. Nicht (mehr) überzeugend ist es, wenn für die islamische Religion grundsätzlich die Existenz von Seelsorge im Sinne des Art. 140 GG/Art. 141 WRV bestritten wird und deshalb kein Zutrittsanspruch islamischer Gemeinschaften bestehen soll. Die rechtliche Konsequenz ist schon normsystematisch nicht haltbar, weil die Zulassung der Gemeinschaften zur Vornahme religiöser Handlungen umfassender ist, als die vorgenannten Ausprägungen (Seelsorge und Gottesdienst) es vermuten lassen. Zudem ist es verfehlt, das christliche Seelsorgeverständnis auf den Verfassungsbegriff der Seelsorge zu übertragen. Aber auch theologisch ist es nicht überzeugend, der islamischen Religion vergleichbare Aspekte abzusprechen, nicht zuletzt, weil sich in jüngster Zeit entsprechende Konzepte entwickelt haben. 475  EGMR, Magyar Kereszentény v. Hungary (App.No. 70945/11 u. a.); vgl. Walter in Essener Gespräche 2017 (i. E.), zitiert nach Heinig, ZevKR 64 (2019), S. 1, 21, Fn. 61.

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Kap. 2: Rechtliche Voraussetzungen der Seelsorge im Strafvollzug

Auch als Abwehrrecht (status negativus ) aber sichert Art. 4 Abs. 1, 2 GG muslimischen Gefangenen grundsätzlich nur den Zugang zu bereits bestehenden Angeboten in Haftanstalten. Denn der gerichtlich angeordnete Freiheitsentzug rechtfertigt die damit notwendigerweise eingeschränkten Möglichkeiten, seine Religion auszuüben. Dies reicht aber nur soweit, wie die Einschränkungen auch tatsächlich erforderlich sind, um den Freiheitsentzug als Institut zu erhalten. Als verfassungsimmanente Schranke kann die Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs die Religionsausübungsfreiheit nicht vollständig verdrängen. Stattdessen können konkrete Anpassungen des Vollzugsalltags erforderlich sein, wenn die Anstaltssicherheit nicht tangiert ist. In seiner positiven Dimension (status positivus) gewährt das Grundrecht der Religionsfreiheit aber einen Anspruch der Gefangenen, dass der Staat geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Ermöglichung der (gemeinschaftlichen) Grundrechtsausübung im Strafvollzug ergreift. Dabei obliegt den staatlichen Stellen, den Bedarf einzuschätzen und die entsprechenden Angebote zur Religionsausübung durch religiöses Personal zu ermöglichen (Einschätzungsprärogative und Auswahlermessen). Gesetzgeber und Vollzugsverwaltungen sind verfassungsrechtlich nicht auf eine Organisationsform festgelegt, solange einige weitere Voraussetzungen erfüllt sind: Der Grundsatz der Nichtidentifikation mit religiös-weltanschaulichen Lehren (Neutralität) gebietet, dass religiöses Personal des Staates auch bei ihrer Tätigkeit die unterschiedlichen Strömungen und Richtungen des Islams jederzeit berücksichtigt. Dies wird in der Regel durch einen akademischen Abschluss als Qualifikationsvoraussetzung gewährleistet werden können. Wählt der Staat statt eigener Beschäftigter einen muslimischen Kooperationspartner, muss diese Möglichkeit allen vergleichbaren religiösen Gemeinschaften auch gleichermaßen offenstehen. Ein in der Praxis sensibler Aspekt ist das Zeugnisverweigerungsrecht, dass den christlichen Seelsorgern gemäß § 53 Abs. 1 StPO aufgrund der religiös begründeten Schweigepflicht gewährt wird. Auch wenn eine ähnlich begründete Schweigepflicht für muslimische Seelsorge an dieser Stelle nicht ausgeschlossen werden kann, besteht zumeist das ebenfalls erforderliche einheit­ liche Berufsbild (noch) nicht. In Einzelfällen kann aber ein verfassungsunmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund des grundrechtlichen Schutzes für den Kernbereich privater Lebensgestaltung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG anerkannt werden. Diese verfassungsrechtlichen Befunde werden durch Absprachen auf der Ebene des Völkerrechts und die Europäische Menschenrechtskonvention flankiert und ergänzt. Während die Nelson Mandela-Rules und die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze den Staaten empfehlen, für alle Gefangenen auch eine religiöse und spirituelle Begleitung zu ermöglichen, ergibt sich aus



C. Zusammenfassung137

Art. 9 EMRK nach der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs ein Individualrecht auf Zugang zur Seelsorge, jedenfalls sofern dies auch anderen Gefangenen gestattet wird. Sowohl in verfassungsrechtlicher Hinsicht wie auch auf Grundlage des Völkerrechts, ist daher zu bilanzieren, dass muslimischen Gefangenen ihre Religionsausübung während der Haft nicht nur zu gestatten, sondern zu ermöglichen ist. Dafür trägt (auch) der Staat eine Verantwortung, da die Inhaftierung nicht dem Zweck dienen soll, die Religionsausübung einzuschränken. Der staatliche Spielraum für seine Maßnahmen ist zwar relativ groß, aber nicht grenzenlos. Wie dieser Spielraum genutzt wird, zeigt die folgende Analyse der vollzuglichen Praxis in den Bundesländern.

Kapitel 3

Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug der Bundesländer Den Vollzugsverwaltungen steht nach den soeben dargestellten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen ein Gestaltungsspielraum für die Ermöglichung gemeinschaftlicher muslimischer Religionsausübung im Strafvollzug zu. Für Gefangene besteht aus grundrechtlicher Sicht ein Anspruch darauf, dass der Staat geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Ermöglichung der (gemeinschaftlichen) Grundrechtsausübung im Strafvollzug ergreift. Auch konventionsrechtlich besteht kein strengerer, subjektiver Anspruch auf bestimmte Maßnahmen durch die Konventionsstaaten. Daher sind die tatsächlichen, praktischen Regelungen im Strafvollzug der deutschen Bundesländer zu untersuchen. Bevor diese jeweils gesondert für jedes Bundesland aufgrund der im Rahmen dieser Untersuchung vorgenommenen Ermittlungen dargestellt werden (unten C.), bedarf es zunächst noch der Ergänzung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen um die einfachgesetzlichen Grundlagen in den Bundesländern (A.) und eines Blickes auf die Empfehlungen einer Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz für eine einheitliche Vollzugspraxis (B.).

A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug Seit der Föderalismusreform 2006 sind allein die Bundesländer für das Recht des Strafvollzugs zuständig.1 Die zuvor bestehende konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG aus der Ursprungsfassung vom 24. Mai 19492 war vom Bundesgesetzgeber in Folge des Strafvollzugsbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 19743

1  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (BGBl. 2006 I S. 2034). 2  BGBl. 1949 I, S. 1. 3  BVerfGE 33, 1–18.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung139

durch das Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 (StVollzG)4 ausgeübt worden. Inzwischen sind in allen Bundesländern eigene Landes­gesetze in Kraft getreten. Das StVollzG gilt jedoch weiterhin soweit den Bundesländer eine Gesetzgebungskompetenz fehlt, insbesondere für die Regelungen zu Rechtsbehelfen durch gerichtliche Verfahren (§§ 109–121 StVollZG).5 Durch die Strafvollzugsgesetze (oder Justizvollzugsgesetze) der Bundesländer ergeben sich für die Gefangenenseelsorge unterschiedliche gesetzliche Grundlagen für die Rechte der Gefangen und die Stellung des Seelsorgepersonals, die insbesondere für ehrenamtliche Mitarbeiter durch Verwaltungsvorschriften ergänzt werden (nachfolgend I. und II.). Zunehmende Bedeutung haben in jüngerer Zeit die Regelungen zum Datenschutz erlangt: In Umsetzung der europäischen Datenschutz-Richtlinie für Justizbehörden (EU) 2016/680, die parallel zur Datenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679 erlassen worden ist, sind in manchen Bundesländern eigene Datenschutzgesetze für den Justizvollzug entstanden. Diese sind aufgrund der Regelungen zu Personenprüfungen für die Zulassung externen Personals für die Seelsorge relevant (III.). Ebenso betreffen die Regelungen auch vollzugliche Schweige- und Offenbarungspflichten (IV.).

I. Rechte der Gefangenen zur Seelsorge Die Bundesländer haben den einfachrechtlichen Anspruch der Gefangenen auf Zugang bzw. Kontaktvermittlung zu einem Seelsorger ohne größere Änderungen des Wortlauts des früheren § 53 StVollzG übernommen. Etliche Landesregierungen haben das Bundesgesetz insgesamt als Grundlage ihres Gesetzentwurfes genommen.6 Auch der Musterentwurf eines Landesstrafvollzugsgesetzes, den eine Länderarbeitsgruppe erarbeitet hatte und der für diese Länder als Grundlage der Gesetzgebung diente, hat den Wortlaut des Bundesgesetzes hinsichtlich der Seelsorge-Regelung bis auf wenige Änderungen übernommen.7 So bestehen heute im Wesentlichen zwei Regelungen für die Seelsorge in den Landesgesetzen, die sich aber sehr ähnlich sind. In nahezu wörtlicher Übereinstimmung zu § 53 Abs. 1 StVollzG heißt es in den heutigen Landesgesetzen in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen: 4  Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 16. März 1976 (BGBl. 1976 I, 581; 1977 I, 436), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.10.2017 (BGBl. I 3618). 5  Arloth/Krä, Einleitung Rn. 5. 6  Ebd., Einleitung Rn. 6 f. 7  Ebd., Rn. 1 zu § 70 SächsStVollzG.

140

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

„Den Gefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf ihren Wunsch ist ihnen zu helfen, mit einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.“8

Im hessischen Strafvollzugsgesetz wird eine eher institutionenbezogene, aber ansonsten ähnliche Formulierung verwendet, wonach den Gefangenen „eine seelsorgerische und religiöse Betreuung durch ihre Religionsgemeinschaft zu ermöglichen“ und ihnen zu helfen sei, „mit der Seelsorge ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten“.9 Dem Vorschlag des Musterentwurfs entsprechend heißt es in den Landesgesetzen in Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen: „Den Gefangenen darf religiöse Betreuung durch eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf Wunsch ist ihnen zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger in Verbindung zu treten.“10

Etwas abweichend davon, verzichtet die brandenburgische Regelung auf den Zusatz „ihrer Religionsgemeinschaft“ im ersten Satz, enthält den Zusatz aber im zweiten Satz.11 Die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern verzichtet darauf sogar in beiden Sätzen.12 Insbesondere diese beiden Varianten in Brandenburg und MecklenburgVorpommern zeigen, dass alle Landesnormen sich nur anhand des Zusatzes „ihrer Religionsgemeinschaft“ unterscheiden – abgesehen von geschlechtsspezifischen Formulierungen. Auf den ersten Blick erfolgt durch den Zusatz eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Regelung. Denn im Umkehrschluss folgt aus dem Wortlaut aller Landesgesetze außer denen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, dass die religiöse Betreuung versagt werden darf, sofern es sich nicht um Betreuung durch die Seelsorger der eigenen Religionsgemeinschaft handelt. Fehlt der Verweis auf die eigene Religionsgemeinschaft in den zweiten Sätzen, wirkt der Anspruch auf Hilfeleistung für die Kontaktaufnahme ebenfalls umfassender, als wenn dies nur für den Kontakt zur eigenen Religionsgemeinschaft gilt. Vor allem wegen der Plurali8  § 29 Abs. 1 S. 1, 2 JVollzGB III BW; Art. 55 Abs. 1 BayStVollzG; § 54 HmbStVollzG („durch Seelsorgerinnen und Seelsoger“); § 53 Abs. 1 NJVollzG (durchgängige Singular-Form für beide Geschlechter); § 40 Abs. 1 StVollzG NRW. 9  § 31 Abs. 1 HessStVollzG. 10  § 78 StVollzG Bln (zuerst die weibliche Form benennend); § 70 BremStVollzG; § 79 LJVollzG RhPf; § 69 SaarlStVollzG; § 70 SächsStVollzG (nur männliche Form); § 80 Abs. 1 JVollzGB LSA (nur männliche Form); § 88 LStVollzG S-H; § 80 ThürJVollzGB. 11  § 81 BbgJVollzG. 12  § 69 StVollzG M-V.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung141

sierung religiöser Bekenntnisse der Inhaftierten ist es mitunter begrüßt worden, dass § 69 StVollzG M-V in beiden Sätzen auf diese Einschränkung verzichtet, weil damit der Weg zu einer multikonfessionellen und damit letztlich konfessionsunabhängigen Seelsorge ermöglicht werde.13 Dieser Schluss ist jedoch schon deshalb voreilig, weil auch die geltenden staatsvertraglichen Regelungen mit den christlichen Kirchen einer dementsprechenden Anpassung bedürften. Vor allem aber ist der Wortlaut „Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft“ bereits zu § 53 Abs. 1 S. 2 StVollzG verfassungskonform so ausgelegt worden, dass auch dem Suchenden der Kontakt zu Seelsorgern einer anderen Gemeinschaft zu gewähren ist.14 Diese Auslegung wird auch für die heutigen Landesgesetze übernommen.15 Damit stellt der Zusatz tatsächlich keine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Gewährleistung des S. 1 und des Kontaktanspruchs des S. 2 dar. Vielmehr stellt der Zusatz „ihrer Religionsgemeinschaft“ die verfassungsrechtliche Herkunft des Kontaktanspruchs des Gefangenen klar. Für welche Religionsgemeinschaft16 der hier vertretene grundrechtliche Anspruch des Gefangenen gilt, dass der Staat geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Ermöglichung der gemeinschaftlichen Religionsausübung ergreift, bestimmt sich nach dem zu plausibilisierenden Selbstverständnis jedes Einzelnen. Auf eine förmliche Mitgliedschaft zu einer Gemeinschaft kommt es daher nicht an, sondern auf das religiös begründete Interesse. Dieses Interesse unterscheidet sich etwa von bloßer Neugierde oder Fakteninteresse, auch wenn das im Einzelfall schwierig voneinander abzugrenzen sein mag. Die jeweils ersten Sätze der Regelungen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, in denen auf diesen Zusatz verzichtet wird, sind daher verfassungsrechtlich nicht geboten und einfachrechtlich auch ungenau: Denn aus diesen Normen ergibt sich nicht, dass die Religionsangehörigkeit (nicht aber die Person) des Seelsorgers allein vom Gefangenen zu bestimmen ist. § 81 S. 1 BbgJVollzG und § 69 S. 1 StVollzG M-V sind daher insofern verfassungskonform auszulegen, dass den Gefangenen jedenfalls die religiöse Betreuung durch die eigene Religionsgemeinschaft nicht versagt werden darf, selbst wenn andere Seelsorger (schneller) zur Verfügung stehen sollten. Der Verzicht auf den Zusatz „ihrer Religionsgemeinschaft“ in den jeweils zweiten Sätzen aller Landesgesetze, die sich am Musterentwurf orientieren, ist dagegen weniger kritisch, weil der Wunsch eines Gefangenen als Voraus13  Feest/Lesting/Lindemann/Müller-Monning, AK-StVollzG, Rn. 9 zu § 69 LandesR. 14  Arloth/Krä, Rn. 3 zu § 53 StVollzG; Laubenthal/Nestler/Neubacher et al./Laubenthal, StVollzG, Abschn. I Religion Rn. 16. 15  Vgl. bspw. Arloth/Krä, Rn. 1 zu § 29 JVollzGB III BW. 16  Der strafvollzugsrechtliche Begriff ist mit dem Begriff von Art. 7 Abs. 3 GG nicht identisch, vgl. ebd., Rn. 2 zu § 53 StVollzG; Laubenthal/Nestler/Neubacher et al./Laubenthal, StVollzG, Abschn. I Religion Rn. 15.

142

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

setzung der Kontakthilfe benannt ist. Daher wird nach diesen Regelungen die religiöse Orientierung des jeweiligen Gefangenen berücksichtigt. Klarzustellen ist aber auch hier, dass durch den Verzicht auf den Bezug zu einer Religionsgemeinschaft keine Wahlfreiheit der Vollzugsverwaltung bewirkt wird, Seelsorgepersonen unabhängig von der religiösen Orientierung zu vermitteln. Diese Auswahl obliegt allein den Gefangenen aufgrund ihrer eigenen Religionsfreiheit und ergibt sich rechtlich auch aus Art. 140 GG/Art. 141 Halbs. 2 WRV, wonach jeder Zwang (also auch mittelbar ausgeübter) fernzuhalten ist. Insgesamt ist daher in den jeweils ersten Sätzen der Seelsorge-Regelungen das grundrechtliche Abwehrrecht eines jeden Inhaftierten umgesetzt, dass gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug durch seelsorgerische Betreuung nicht ausgeschlossen werden darf. Die jeweils zweiten Sätze setzen den positiven Grundrechtsanspruch, geeignete Maßnahmen zur Ermöglichung zu ergreifen, um. Für beide Aspekte gilt, dass aufgrund der grundrechtlichen Basis dieser Regelungen die frei gewählte religiöse Orientierung der Gefangenen zu berücksichtigen ist.

II. Stellung des Seelsorgepersonals Die Regelungen zur Stellung des Seelsorgepersonals in den Landesgesetzen entsprechen im Wesentlichen dem bisherigen § 157 Abs. 1, 2 StVollzG. Anhand dieser Regelungen differenziert das Strafvollzugsrecht zwischen zwei Personalstatus für Seelsorgende: Nach den jeweils ersten Absätzen werden Seelsorgerinnen und Seelsorger im Einvernehmen mit den Religionsgemeinschaften im Hauptamt oder Nebenamt bestellt oder vertraglich verpflichtet (unten 1.). Davon abzugrenzen ist die Bestimmung der jeweils zweiten Absätze, wonach „seelsorgerische Betreuung auf andere Weise zuzulassen“ ist (unten 2.).17 Die Abweichungen der Landesgesetze von der bundesrechtlichen Vorgängerregelung sind eher marginal, etwa wenn das hessische Landesgesetz18 auf die Nennung der Bestellungsformen verzichtet. Allein die sächsische Regelung ist anders und regelt die Bestellung durch die Religionsgemeinschaften im Benehmen mit der Aufsichtsbehörde.19 Manchmal wird noch ergänzend 17  Identische Regelungen zu § 157 Abs. 1, 2 StVollzG enthalten: § 12 Abs. 7 S. 1, 3 JVollzGB I BW; Art. 178 Abs. 1, 2 BayStVollzG; § 111 Abs. 1 S. 2, 3 BbgStVollzG; § 98 Abs. 1, 2 BremStVollzG; § 106 Abs. 1, 2 HmbStVollzG; § 97 Abs. 1, 2 StVollzG M-V; § 179 Abs. 1, 2 NJVollzG; § 98 Abs. 1, 2 StVollzG NRW; § 108 Abs. 1, 2 ­LJVollzG Rh-Pf; § 97 Abs. 1, 2 SaarlStVollzG; § 110 Abs. 1, 2 JVollzGB LSA; § 135 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 LStVollzG S-H; § 109 Abs. 1, 2 ThürJVollzGB. 18  § 77 Abs. 1, 2 HessStVollzG. 19  § 11 Abs. 1 SächsStVollzG.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung143

geregelt, dass sich Näheres aus Vereinbarungen mit den Religionsgemeinschaften ergibt,20 die Seelsorge an der Behandlung der Gefangenen im Rahmen des Vollzugsdienstes teilhat21 oder Näheres zur Zulassung „auf andere Weise“ durch die Aufsichtsbehörde geregelt wird22. 1. Hauptamtliche Bestellung oder vertragliche Verpflichtung Die Stellung hauptberuflich tätiger Seelsorgerinnen und Seelsorger im Strafvollzug wird nicht vorrangig durch die Landesstrafvollzugsgesetze bestimmt, sondern hängt maßgeblich von Vereinbarungen der Länder mit den Religionsgemeinschaften ab. Dem Sinn der Strafvollzugsgesetze entspricht es aber, Seelsorger im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft als Vollzugsbeamte oder -bedienstete im Hauptamt zu verpflichten.23 Denn der Wortlaut lässt sowohl eine Ernennung als staatliche Beamte zu, wie auch die vertragliche Verpflichtung von Beschäftigten der Religionsgemeinschaften durch sogenannte Gestellungsverträge.24 Die Übernahme in das staatliche Beamtenverhältnis war insbesondere in den (süd-)westlichen Bundesländern üblich.25 Heute besteht weitgehend Einigkeit darin, dass die Eigenheiten der seelsorgerischen Tätigkeit besser durch Gestellungsverträge zwischen den Bundesländern und den Religionsgemeinschaften erfasst werden können. Zwischen den Seelsorgenden und der Vollzugsanstalt, in der sie tätig werden, wird dann ein Rechtsverhältnis eigener Art begründet.26 Unerheblich ist dabei, ob eine haupt- oder nebenberufliche Verpflichtung erfolgt, weil der Beschäftigungsumfang von der Beschäftigungsart der Seelsorgenden zu unterscheiden ist. Die gesetzliche Grundlage ermöglicht jedenfalls beides.27 Die Bestellung oder Verpflichtung „im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ lässt es nicht zu, dass der Staat eigenständig ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften auf dieser Grundlage Seelsorger beschäftigt. Dies stellt demgegenüber eine andere Form der Zulassung religiöser Betreuung im Strafvollzug dar. 20  § 12

Abs. 7 S. 2 JVollzGB I BW; ähnlich § 135 Abs. 1 S. 1 LStVollzG S-H. Abs. 4 BayStVollzG. 22  § 105 Abs. 1 S. 2 HS 2 StVollzG Bln. 23  Arloth/Krä, Rn. 2 zu § 157 StVollzG. 24  Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 179. 25  Überblick über die Praxis der Bundesländer Anfang der 1990er-Jahre: ebd., 190 ff. 26  Schwind/Böhm/Jehle et al./Schäfer, StVollzG Bund Länder, § 157 StVollzG Rn. 1; Feest/Lesting/Lindemann/Müller-Monning, AK-StVollzG, Rn. 8  ff. zu § 97 LandesR; ausführlich Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S.  183 ff. 27  Arloth/Krä, Rn. 2 zu § 157 StVollzG. 21  Art. 178

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

2. Zulassung seelsorgerischer Betreuung „auf andere Weise“ Nachrangig zur hauptamtlichen Bestellung oder vertraglichen Verpflichtung sehen die Landesstrafvollzugsgesetze im Anschluss an § 157 Abs. 2 StVollzG vor, dass seelsorgerische Betreuung auf andere Weise zuzulassen ist, wenn die geringe Zahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft keine haupt- oder nebenberufliche Beschäftigung rechtfertigt. Darunter wird insbesondere die ehrenamtliche religiöse Betreuung verstanden.28 Davon erfasst werden aber ebenso auch andere Formen der Beschäftigung externer Kräfte durch den Staat, beispielsweise als Mitarbeiter auf Honorarbasis. Je nach Wunsch des Gefangenen, kann auch eine nicht persönliche Form der Kontaktaufnahme zu einem Seelsorger der jeweiligen Religionsgemeinschaft ausreichen.29 Die Stellung dieser Seelsorger ist gegenüber denjenigen, die nach Abs. 1 hauptamtlich bestellt oder vertraglich verpflichtet werden, zu unterscheiden. Denn die Hauptamtliche oder vertraglich verpflichtete Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen „Teil des Vollzugs“30 sein. Teilweise ist dies in den Landesgesetzen auch weiterhin ausdrücklich geregelt, etwa wenn Art. 176 Abs. 2 BayStVollzG31 die Seelsorger in eine Reihe mit dem allgemeinen Vollzugsdienst, den Werkdienst, Ärzten, Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeitern stellt und die Vollzugsverwaltung verpflichtet, für jede Anstalt entsprechend ihrer Aufgabe die erforderliche Anzahl von Bediensteten dieser Berufsgruppen vorzusehen. Soweit in anderen Landesgesetzen diese Regelung nicht ausdrücklich enthalten ist, erfolgt durch die Regelungen zur Seelsorge aber auch keine Abkehr von der bereits nach § 155 Abs. 2 und § 157 Abs. 1 StVollzG geltenden Einbeziehung der Seelsorge in den Kreis der Vollzugsbediensteten. Dies kann jedoch nicht auf ehrenamtliche oder andere externe Seelsorgepersonen entsprechend der § 157 Abs. 2 StVollzG ablösenden Landesgesetze übertragen werden. Denn zum einen differenzieren die Landes­ gesetze im Anschluss an § 157 Abs. 1, 2 StVollzG zwischen der persönlichen Bestellung und Verpflichtung von Seelsorgern einerseits (Abs. 1) und der tätigkeitsbezogenen Zulassung seelsorgerischer Betreuung andererseits (Abs. 2). Der vollzugsrechtliche Begriff des (Anstalts-)Seelsorgers und der 28  Schwind/Böhm/Jehle et al./Schäfer, StVollzG Bund Länder, § 157 StVollzG Rn. 8; Arloth/Krä, Rn. 2 zu § 157 StVollzG; Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 180. 29  Vgl. Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, S. 180; ähnlich auch § 21 Abs. 2 S. 2 Verwaltungsvorschriften zu den hessischen Vollzugsgesetzen – ohne Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz – (HVV) (Az.: 4430 – IV/D1 – 2017/4583 – IV/B, JMBl. 2017, 249). 30  Arloth/Krä, Rn. 1 zu § 157 StVollzG. 31  Ähnlich auch § 7 Abs. 1 S. 1 JVollzGB I BW; § 105 Abs. 3 S. 2 JVollzGB LSA; § 108 Abs. 2 S. 3 ThürJVollzGB.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung145

(Anstalts-)Seelsorgerin ist demnach mit der Bestellung im Hauptamt oder vertraglichen Verpflichtung nach den jeweils ersten Absätzen der landesgesetzlichen Regelungen verbunden. Nur dafür wird außerdem das Einvernehmen mit den Religionsgemeinschaften verlangt, für die Zulassung „auf andere Weise“ ist ein Einvernehmen hingegen nicht erforderlich. Zum anderen wird auch im sonstigen Vollzugsrecht zwischen Beamten (§ 155 Abs. 1 S. 1 StVollzG), Bediensteten und vertraglich Verpflichteten (§ 155 Abs. 1 S. 2 StVollzG) und Ehrenamtlichen (§ 154 Abs. 2 StVollzG) unterschieden. Auch wenn im Kontext der Aufgabenübertragung auf externe Fachkräfte nach § 155 Abs. 1 S. 2 StVollzG auf die Mitarbeit ehrenamtlich tätiger Personen hingewiesen wird,32 folgt daraus keine Gleichstellung ehrenamtlicher Mitarbeiter mit Bediensteten oder vertraglich verpflichteten Mitarbeitern, weil die Rechtsgrundlagen der Aufgabenübertragung unterschiedlich sind. Diese Rechtslage ist durch die Landesgesetze nicht geändert worden, weil zumeist § 155 StVollzG wortgleich übernommen wurde.33 Außerdem bestehen daneben auch weiterhin eigene Regelungen zur Zusammenarbeit mit Ehren­ amtlichen,34 auch wenn diese mit dem Musterentwurf in den sogenannten Öffnungsgrundsatz für die Gestaltung des Vollzugsalltags aufgenommen wurde35 und nicht mehr eine § 154 Abs. 2 StVollzG entsprechende institutionelle Regelung besteht. Problematisch ist die Zuordnung von externen Fachkräften, die weder ständig vertraglich verpflichtet werden noch ehrenamtlich tätig sind, sondern für jeden einzelnen Einsatz honoriert werden. Anhand der im Anschluss an § 155 Abs. 2 StVollzG erlassenen Regelungen für die Aufgabenübertragung auf Vollzugsbedienstete werden externe Fachkräfte zumeist als vertraglich verpflichtete Mitarbeiter betrachtet: Neben Ärzten, Psychologen und anderen 32  Arloth/Krä, Rn. 3 zu § 155 StVollzG; Engelstätter, in: Graf (Hrsg.), BeckOK Strafvollzugrecht Bund, Bd. Stand: 18. Ed., 01.08.2020 (2020), § 155 StVollzG Rn. 5. 33  Art. 176 BayStVollzG; ähnlich § 12 Abs. 1, 2 JVollzGB I BW; § 104 S. 2, 3 StVollzG Bln; § 105 HmbStVollzG; § 76 Abs. 1 HessStVollzG; § 177 Abs. 1 NJVollzG, § 96 Abs. 1 StVollzG NRW, ähnlich § 132 f. LStVollzG S-H, § 108 Abs. 1 JVollzGB I LSA, § 100 Abs. 1 SächsStVollzG, § 108 Abs. 1 ThürJVollzGB. Auch ohne ausdrückliche Regelung in den anderen Landesgesetzen ergibt sich keine andere Rechtslage, vgl. Arloth/Krä, Rn. 1 zu § 100 BbgJVollzG, Rn.  101 zu § 197 Brem­ StVollzG, Rn. 101 zu § 196 StVollzG M-V, Rn. 101 zu § 107 LJVollzG Rh-Pf., Rn. 101 zu § 196 SaarlStVollzG. 34  Art. 127 BayStVollzG (für den Jugendstrafvollzug), § 16 Abs. 2 JVollzGB I BW, § 107 Abs. 1 HmbStVollzG, § 7 HessStVollzG, § 181 Abs. 1 NJVollzG, § 5 Abs. 2 StVollzG NRW. 35  § 8 Abs. 5 S. 2 JVollzG Bbg, § 3 Abs. 5 S. 2 StVollzG Bln, § 3 Abs. 6 Brem­ StVollzG, § 3 Abs. 6 S. 2 StVollzG M-V, § 3 Abs. 7 S. 2 LStVollzG S-H, § 8 Abs. 4 S. 2 LJVollzG Rh-Pf., § 8 Abs. 4 S. 2 JVollzGB I LSA, § 3 Abs. 6 S. 2 SaarlStVollzG, § 3 Abs. 6 S. 2 SächsStVollzG, § 8 Abs. 4 S. 2 ThürJVollzGB.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Angehörigen der Freien Berufen werden auch Seelsorger zu dieser Gruppe gezählt.36 Unter zwei Gesichtspunkten sind staatlich engagierte Seelsorger auf Honorarbasis aber nicht mit diesen externen Kräften vergleichbar: Denn die Beschäftigung als Honorarkraft schließt eine dauerhafte oder wenigstens langfristige Aufgabenübertragung regelmäßig aus und mit der Zulassung seelsorgerischer Betreuung auf andere Weise besteht für ihren Einsatz eine speziellere Regelung, die den Seelsorger-Begriff für die im Einvernehmen mit Religionsgemeinschaften tätigen Personen vorsieht. Es spricht daher Überwiegendes dafür, honorarmäßig allein durch den Staat beschäftigte Seelsorger nicht als vertraglich verpflichtete externe Fachkräfte im Sinne des Vollzugsrechts zu behandeln, sondern als andere seelsorgerische Betreuung entsprechend § 157 Abs. 2 StVollzG Bund. Somit ist die Unterscheidung zwischen hauptamtlicher Bestellung, vertraglicher Verpflichtung und ehrenamtlicher bzw. honorarbasierter Tätigkeit von Seelsorgerinnen und Seelsorgern nicht bloß begrifflicher Art, sondern verbindet die jeweiligen Personen mit der Stellung als Beamte, als Bedienstete oder als ehrenamtliche bzw. selbstständige Mitarbeiter. Insgesamt folgt daraus, dass weder ehrenamtlich tätige Seelsorgerinnen und Seelsorger noch Honorarkräfte als reguläre Vollzugsbedienstete beschäftigt werden und daher weder vollzugsrechtlich noch sicherheitsrechtlich mit diesen gleichgestellt sind. Es bedarf folglich auch eigener Haushaltsmittel, um den Aufwand ehrenamtlicher Mitarbeiter zu entschädigen oder Honorare zu begleichen.37 Zusammenfassend bedeutet die Zuordnung von hauptamtlich bestellten oder vertraglich verpflichteten Seelsorger als „Teil des Vollzugs“38, dass dies nicht für ehrenamtliche oder honorarbasiert tätige Seelsorgerinnen und Seelsorger gelten kann. 3. Einsatz freier Seelsorgehelfer Im Anschluss an § 157 Abs. 3 StVollzG haben alle Bundesländer auch Regelungen übernommen, wonach durch die hauptamtlich bestellten oder vertraglich verpflichteten Seelsorgenden und mit Zustimmung der Anstaltsleitung als Unterstützung sogenannte freie Seelsorgehelfer hinzuziehen können.39 Rn. 3 zu § 155 StVollzG. zur Aufwandsentschädigung bspw. Nr. 10 in Ehrenamtliche Mitarbeit in den Justizvollzugseinrichtungen des Landes Schleswig-Holstein (AV d. MJAE v. 18.7.2007 – II 202/4400-228 SH- (SchlHA S. 369), Gl.Nr. 4400-2), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 12.11.2015 (SchlHA 2015 Nr. 12, S. 490). 38  Arloth/Krä, Rn. 1 zu § 157 StVollzG. 39  § 12 Abs. 7 S. 4 JVollzGB I BW; Art. 178 Abs. 3 BayStVollzG; § 111 Abs. 3 BbgJVollzG; § 105 Abs. 3 StVollzG Bln; § 98 Abs. 3 BremStVollzG; § 106 Abs. 3 HmbStVollzG; § 77 Abs. 3 HessStVollzG („außenstehender Personen“ genannt); § 97 36  Arloth/Krä, 37  Vgl.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung147

Anders als die „auf andere Weise“ zugelassen Personen haben freie Seelsorgehelfer dieselben Rechte und Pflichten, wie hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger.40 Deshalb kommen nur bestimmte Personen als freie Seelsorgehelfer in Frage: Etwa seit der Zwischenkriegszeit waren in den katholischen Gemeinden seelsorglich tätige Frauen als Seelsorgehelferinnen bezeichnet worden, später hatte sich dafür die die Bezeichnung Gemeindereferentin durchgesetzt und war nicht mehr auf Frauen beschränkt.41 Als Seelsorgehelfer oder – helferin werden heute sowohl haupt- wie auch ehrenamtliche Mitarbeitende verstanden. So regeln die niedersächsischen Verwaltungsvorschriften zu § 157 StVollzG, die auch für § 179 NJVollzG weiter fortgeschrieben worden sind, dass als Seelsorgehelfer „haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter der Kirchen und in Ausnahmefällen auch besonders qualifizierte, ehrenamtliche Mitarbeiter der Kirche“ zugelassen werden können, wobei die Zustimmung der Anstaltsleitung von einer vorherigen Teilnahme an einem Einführungskurs in die vollzugliche Praxis abhängig gemacht werden kann.42

III. Zuverlässigkeits- und Sicherheitsüberprüfung für Seelsorgepersonal Die Bestellung oder vertragliche Verpflichtung von Seelsorgern erfolgt durch die Vollzugsverwaltungen. Diesen steht dabei in der Regel ein Prüfungsrecht hinsichtlich der Person der Seelsorger zu, da mit dem Zugang zu den Gefangenen ein sensibler Sicherheitsbereich eröffnet wird. Die Rechtsgrundlagen und der Umfang dieses Prüfungsrechts sind zwischen den Bundesländern unterschiedlich und der Abwendungsbereich hinsichtlich der Seelsorge keineswegs immer eindeutig. Wo es eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für Seelsorger und andere Externe im Strafvollzug (unten 1.) nicht gibt, ist zwischen den unterschiedlichen Beschäftigungsbedingungen zu unterscheiden: Für hauptamtlich tätige oder vertraglich bestellte Seelsorgende könnte als Vollzugsbedienste eine Prüfung im Rahmen der Sicherheitsüberprüfungsgesetze der Länder verpflichtend sein (2.). Anders ist es für soziale oder religiöse Mitarbeiter im Strafvollzug, die ebenso wie ehrenamtliche Mitarbeiter behandelt werden (3.). Abs. 3 StVollzG M-V; § 179 Abs. 3 NJVollzG; § 98 Abs. 3 StVollzG NRW; § 108 Abs. 3 LJVollzG Rh-Pf.; § 110 Abs. 3 JVollzGB I LSA; § 135 Abs. 3 LStVollzG S-H; § 97 Abs. 3 SaarlStVollzG; § 101 Abs. 3 SächsStVollzG; § 109 Abs. 3 ThürJVollzGB. 40  Arloth/Krä, Rn. 2 zu § 157 StVollzG. 41  Bischofskonferenz, In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche – Wort der deutschen Bischöfe zur Seelsorge (2022), S. 15. 42  Niedersächsische Ausführungsvorschriften für den Strafvollzug (NAV), AV d. MJ v. 17.10.2001 (Az. 4400-305.73, Nds. Rpfl. 2001 Nr. 12, S. 450), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 09.02.2018 (Nds. Rpfl. 2018 Nr. 3, S. 79).

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

1. Neuere Ermächtigungsgrundlagen im Justizvollzugsdatenschutz Die Umsetzung der Justiz-Datenschutzrichtlinie (EU) 2016/680 hat inzwischen in vielen Bundesländern zur Einführung einer Ermächtigungsgrundlage für die Zuverlässigkeitsüberprüfung bzw. Sicherheitsanfrage anstaltsfremder Personen vor deren Zutritt geführt. Die Richtlinie fordert eine solche Befugnisnorm nicht. Die Richtlinie dient nach Erwägungsgrund Nr. 7 vor allem dazu, ein gemeinsames Schutzniveau für den Datenaustausch der Justiz- und Sicherheitsbehörden der Mitgliedsstaaten untereinander zu schaffen.43 Davon ist der Datenaustausch zwischen Sicherheits- und Vollzugsbehörden auf rein nationaler Ebene aber mittelbar ebenfalls betroffen, weshalb die Landesgesetzgeber meist die Gelegenheit zu unmittelbaren Regelungen genutzt haben. Eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage war bereits im Musterentwurf für ein Justizvollzugsdatenschutzgesetz enthalten, der von einer Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz erarbeitet worden ist.44 Der vorgeschlagene § 15 JVollzDSG-ME sieht zunächst den Grundsatz vor, dass anstaltsfremden Personen nur der Zutritt gestattet werden darf, wenn keine Sicherheitsbedenken bestehen (Abs. 1 S. 1). Daneben enthält § 15 Abs. 1 S. 3 JVollzDSG-ME auch die Ermächtigungsgrundlage für eine Abfrage des Bundeszentralregisters, polizeilicher Erkenntnisse und im Einzelfall auch des jeweiligen Landesamtes für Verfassungsschutz im Rahmen einer Zuverlässigkeitsüberprüfung. Die Voraussetzungen für die Anwendung sollen – entsprechend der verfassungsrechtlichen Betroffenheit etwa bei Familienbesuchen – zwischen beruflich tätigen Personen (Abs. 1 S. 2), anderen Externen (Abs. 2) und privaten Besuchern (Abs. 3) differenziert werden.45 Diese Regelungen aus dem Musterentwurf sind nahezu ohne Änderungen in die Justizvollzugsdatenschutzgesetze von Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt übernommen worden.46 Ähnlich, aber deutlich ausführlicher hinsichtlich des Verfahrens sind die Regelungen in Hamburg und Nordrhein-Westfalen: § 15 43  Vgl. allgemein dazu Baier, „Neues zum Justizvollzugsdatenschutz – Teil 1“, Forum Strafvollzug 2019, S. 373–378; Baier, „Neues zum Justizvollzugsdatenschutz: Umsetzung der JI-Richtlinie – Teil 2“, Forum Strafvollzug 2020, S. 51–56. 44  Schulenberg, „Sicherheitsarchitektur und Rechtsstaat – Zur Zusammenarbeit von Justizvollzug und Sicherheitsbehörden nach dem Mustergesetz für ein Justizvollzugsdatenschutzgesetz“, Forum Strafvollzug 2018, S. 261–266, 263; allgemein zum Musterentwurf Paster/Bunge, „Musterentwurf für ein Justizvollzugsdatenschutzgesetz – Zur Umsetzung der EU-Datenschutz-Richtlinie für Strafverfolgungs- und -vollstreckungsbehörden (EU) 2016/680“, Forum Strafvollzug 2018, S. 359–366. 45  Schulenberg, Forum Strafvollzug 2018, S. 261, 263 f. 46  § 15 BremJVollzDSG, § 23 JVollzDSG M-V; § 15 LJVollzDSG Rh-Pf.; § 15 JVollzDSG Saarl.; § 16 SächsJVollzsDSG; § 25 JVollzDSG LSA.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung149

HmbJVollzDSG beschränkt die „Sicherheitsanfrage“ bei Polizei und Nachrichtendienst auf sicherheitsrelevante Erkenntnisse, die aber nicht abschließend legaldefiniert werden („bspw. extremistische oder gewaltorientierte Einstellungen, Kontakte zu derartigen Organisationen, Suchtproblematik“). Nach § 15 Abs. 6 S. 3 HmbJVollzGDSG ist die Sicherheitsanfrage aber nachrangig gegenüber den Überprüfungen auf Grundlage des HmbSÜGG. Von diesem Vorbehalt abgesehen ist die Regelung in § 21 JVollzDSG NRW ähnlich und enthält dagegen die Ermächtigung für die Landesregierung, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, in welchen Fällen regelhaft von einer Sicherheitsanfrage abzusehen ist. Die Landesgesetzgeber in Hessen und Baden-Württemberg haben Ermächtigungsgrundlagen mit derselben Zielrichtung, jedoch ohne Regelung des Verfahrens, in ihre Strafvollzugsgesetze aufgenommen. Nach § 58a HessStVollzG47 und § 46 JVollzGB I BW sind ebenfalls die Abfragen des Bundeszentralregisters sowie polizeilicher und nachrichtendienstlicher Datenbanken im Rahmen einer Zuverlässigkeitsprüfung möglich. Eine vergleichbare gesetzliche Regelung bestand in Nordrhein-Westfalen bereits seit 2017 bis zum Erlass eines eigenen Justizdatenschutzgesetz mit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für Sicherheitsanfragen zu anstaltsfremden Personen in § 109 StVollzG NRW. Diese hatte einen ministeriellen Erlass abgelöst, der eine Sicherheitsüberprüfung nach SÜG NRW für im Strafvollzug tätige Imame anordnete.48 In Niedersachsen und Thüringen besteht keine eigene vollzugdatenschutzrechtliche Ermächtigungsgrundlage. Aber dort kann jeweils eine vollzugsrechtliche Generalklausel herangezogen werden, um die Datenweitergabe an Polizei und Verfassungsschutz datenschutzrechtlich zu ermöglichen.49 Die Bundesländer Bayern, Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein haben weder eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Zuverlässigkeitsüberprüfung bzw. Sicherheitsanfrage bei der Umsetzung der Justiz-Datenschutzrichtlinie geschaffen, noch besteht eine Berechtigung zur Datenweitergabe an andere Behörden in Form einer Generalklausel wie in Niedersachsen und Thüringen.

47  Wortgleiche Regelungen finden sich § 58a HessJStVollzG, § 54a HUVVollzG und § 58a HSVVollzG. 48  Vgl. Verweis auf einen Erlass des nordrhein-westfälischen Justizministeriums vom 20.02.2017, Az. 4434 E IV 66/96, in Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/14783 (06.04.2017), S. 3. 49  §§ 192 Abs. 1 und 2, 200 Abs. 1 NJVollzG i. V. m. § 25 NDSG und § 3 Abs. 4 Nr. 4 LVerfSchG; §§ 120 Abs. 1, 125 Abs. 2 ThürJVollzGB i. V. m. § 21 LVerfSchG.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

2. Anwendbarkeit der Sicherheitsüberprüfungsgesetze Zum Schutz sicherheitsempfindlicher Bereiche regeln Sicherheitsüberprüfungsgesetze des Bundes und der Länder die Prüfungen von zutrittsberechtigten Personen. In der politischen Diskussion um persönliche Prüfungen muslimischer Seelsorger für Gefangene ist weit verbreitet gefordert worden, eine Sicherheitsüberprüfung vorzunehmen.50 Die Landessicherheitsüberprüfungsgesetze geben dies jedoch meist nicht her, weil Justizvollzugsanstalten vom Anwendungsbereich nicht erfasst werden (aa)). Im Übrigen liegen auch nicht für alle Gefangenenseelsorger die tatbestandlichen Voraussetzungen des Sicherheitsüberprüfungsrechts vor (bb)). a) Definition des Anwendungsbereiches Die Sicherheitsüberprüfungsgesetze der Länder und dasjenige des Bundes dienen dem Geheimnisschutz bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten und dem personellen vorbeugenden Sabotageschutz für lebens- und verteidigungswichtige Einrichtungen des Staates. Die erste Kategorie bezieht sich auf Personen, denen Zugang zu Verschlusssachen gewährt werden soll und ist für die muslimische Gefangenenseelsorge nicht von Bedeutung. Die zweite Kategorie ist erst nach den Terroranschlägen 2001 in das Bundesgesetz aufgenommen und seither auch in den Ländergesetzen ergänzt worden51 und soll die Einrichtungen vor Sabotage von innen heraus zu schützen.52 Lebenswichtige Einrichtungen im Sinne dieser Regelungen des Sicherheitsüberprüfungsrechts sind neben Einrichtungen, die für Leben und Gesundheit der Bevölkerung existenziell sind, auch diejenigen Einrichtungen, die für das Gemeinwesen unverzichtbar sind.53 Gemeinsam ist diesen Einrichtungen, dass ihr Ausfall oder Beeinträchtigung bei der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten und Dienstleitungen, zu einer konkreten Bedrohung der Grundsicherung führen würde.54 Teilweise wird weiter vorausgesetzt, dass dadurch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entsteht,55 50  Vgl. etwa die Debatten in Landtag Rheinland-Pfalz, PlPr. 17/33 (30.05.2017), S. 1817 ff.; Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 16/830 (Recht) (25.02.2015), S. 40 ff.; siehe auch Haase, „Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge – Länderoffene Arbeitsgruppe der 88. JuMiKo“, Forum Strafvollzug 2018, S. 268–267, 268. 51  Däubler, in: Sicherheitsüberprüfungsgesetz Kommentar (1. Aufl., 2019), § 1 SÜG Rn. 3, 33 f. 52  Nahezu wörtlich in § 1 Abs. 4 SÜG. 53  Bspw. § 1 Abs. 5 Nr. 1, 2 SÜG; § 2 Nr. 4 BlnSÜG. 54  Däubler, SÜG, § 1 SÜG Rn. 29. 55  Bspw. § 1 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 SÜG, § 1a Abs. 1 Nr. 2 HmbSÜGG.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung151

womit auch unmittelbar auf die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen Bezug genommen wird.56 Es ist das Ziel der Sicherheitsüberprüfungsgesetze diese Einrichtungen vor Sabotage von innen heraus zu schützen.57 Konkrete Einrichtungen werden in der Regel durch Rechtsverordnung aufgrund einer entsprechenden Verordnungsermächtigung in den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen benannt.58 Nur die Landesregierungen in Bayern,59 Hamburg,60 in Nordrhein-Westfalen61 und dem Saarland62 haben auf diese Weise auch Justizvollzugsanstalten in den Anwendungsbereich der Sicherheitsüberprüfungsgesetze einbezogen. In allen anderen Bundesländern scheitert eine verpflichtende Sicherheitsüberprüfung daher bereits am Anwendungsbereich des jeweiligen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes. b) Tatbestandliche Voraussetzungen Ist der Anwendungsbereich eröffnet, unterliegen nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 5 SÜG NRW und § 2 Abs. 2 S. 1 SaarlSÜG alle Personen einer Sicherheitsüberprüfung, die an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in den Justizvollzugsanstalten „beschäftigt“ sind. Etwas weiter geht § 3 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 BaySÜG i. V. m. § 1 S. 1 Nr. 5 BaySÜBV, wonach alle Personen erfasst werden, die im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz in einer für den Strafvollzug zuständigen Organisationseinheit „beschäftigt“ sind oder werden sollen. Der Wortlaut von § 1 Abs. 3 Nr. 5 HmbSÜGG ist anders und setzt voraus, dass eine Person dort „tätig ist oder wer56  Warg, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes (2. Aufl., 2019), § 1 SÜG Rn. 38. 57  Nahezu wörtlich in § 1 Abs. 4 SÜG. 58  Bspw. § 34 Abs. 1 SÜG; § 2 Abs. 2 BlnSÜG. 59  Art. 3 Abs. 5 BaySÜG i. V. m. Verordnung zur Bestimmung lebenswichtiger Einrichtungen des Freistaates Bayern (Bayerische Sicherheitsüberprüfungsbestimmungsverordnung – BaySÜBV), vom 19. Oktober 2004 (GVBl. S. 406, BayRS 12-3-1-I), zuletzt geändert durch § 1 Nr. 18 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl. S. 286). 60  § 34 HmbSÜG i.  V. m. Verordnung zur Bestimmung sicherheitsempfindlicher öffentlicher Bereiche für Sicherheitsüberprüfungen ohne Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach dem Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz, vom 17. Februar 2004 (HmbGVBl. S. 63), zuletzt geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom 29. September 2015 (HmbGVBl. S. 250). 61  § 2 S. 4 SÜG NRW i. V. m. Verordnung zur Bestimmung der lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen vom 3. November 1995, GV. NW. S. 1148; zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2015 (GV. NRW. S. 970). 62  § 36 SaarlSÜG i. V. m. Verordnung zur Feststellung der Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen des Saarlandes mit lebenswichtigen Einrichtungen (Saarländische Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung – SSÜFV), vom 25. Oktober 2005 (Amtsbl. 2005, 1170), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 12. November 2015 (Amtsbl. I S. 888).

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

den soll“. Ein sachlicher Unterschied ergibt sich aus den unterschiedlichen Verben (tätig sein bzw. beschäftigt sein) jedoch nicht, weil allein die räumliche Zutrittsmöglichkeit und damit die Möglichkeit des Informationszugriffs maßgeblich ist.63 Denn Voraussetzung ist weiterhin, dass die betroffene Person an einer sicherheitsempfindlichen Stelle der Einrichtung eingesetzt ist. Nach den Landesgesetzen ist eine sicherheitsempfindliche Stelle „die kleinste selbstständig handelnde Organisationseinheit innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung, die vor unberechtigtem Zugang geschützt ist und von der im Falle der Beeinträchtigung eine erhebliche Gefahr für ein […] Schutzgut ausgeht“ (§ 1a Abs. 3 S. 1 HmbSÜGG). Diese Stellen werden im Einvernehmen durch die Einrichtungen und die Aufsichtsbehörde bestimmt (§ 1a Abs. 3 S. 2 HmbSÜGG, § 2 Abs. 5 SÜG NRW, § 3 Abs. 5 S. 4 BaySÜG). Aufgrund dieser Voraussetzungen ist eine Sicherheitsüberprüfung ausgeschlossen, wenn trotz einer räumlichen Zutrittsmöglichkeit eine Beeinträchtigung für das gesetzliche Schutzgut ausgeschlossen ist: Dies gilt zunächst für Organe der Rechtsprechung und Gesetzgebung, die in den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen regelmäßig vom Anwendungsbereich explizit ausgenommen werden. Für das Bundesgesetz formuliert die dazu ergangene Allgemeine Verwaltungsvorschrift ferner, dass eine „Möglichkeit der Beeinflussung durch Zugang (zu Informationen), Zutritt (physischer Aspekt) oder Zugriff (elektronischer Aspekt)“ bestehen muss.64 Deshalb wird angenommen, dass aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer etwa Besucher oder auch staatliche Bedienstete anderer Behörden, die zu eigenen Zwecken in der sicherheitsempfindlichen Stelle tätig sind, keine Möglichkeit der Beeinflussung haben.65 Andererseits wird ein Beeinflussungspotential gerade für Beschäftigte von Fremdfirmen, insbesondere bei Handwerkern angenommen, weil diese Zugriff auf betriebstechnische Einrichtungen haben könnten.66 Das gesetzliche Ziel, lebens- und verteidigungswichtige Einrichtungen vor Sabotage von innen heraus zu schützen, würde auch nicht gewährleistet werden können, wenn beispielsweise Handwerker vom Anwendungsbereich grundsätzlich ausgenommen würden, nur weil diese als Beschäftigte eines anderen Unternehmens in der Einrichtung tätig sind. Soweit demnach für die Sicherheitsüberprüfung maßgeblich ist, ob durch muslimische Seelsorger eine Tätigkeit an einer sicherheitsempfindlichen 63  Vgl. Däubler, SÜG, § 1 SÜG Rn. 25 m. w. N.; Schenke/Graulich/Ruthig/Warg, Sicherheitsrecht, § 1 SÜG Rn. 22. 64  Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum personellen Geheimschutz und zum vorbeugenden personellen Sabotageschutz (SÜG-Ausführungsvorschrift – SÜGAVV), RdSchr. d. BMI v. 15.2.2018 (GMBl S. 270). 65  Zum Ganzen: Däubler, SÜG, § 1 SÜG Rn. 25. 66  Schenke/Graulich/Ruthig/Warg, Sicherheitsrecht, §  1 SÜG Rn. 22; Däubler, SÜG, § 1 SÜG Rn. 25.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung153

Stelle in einer JVA erfolgt, sodass eine Beeinträchtigung der Schutzgüter nicht ausgeschlossen werden kann, ist zwischen den verschiedenen Tätigkeitsfeldern anhand des Schutzzweckes der Sicherheitsüberprüfungsgesetze zu differenzieren: Wenn keine Möglichkeit der Beeinflussung durch Zugang, Zutritt oder Zugriff besteht, bedarf es keiner Sicherheitsüberprüfung. Dies gilt etwa, wenn muslimische Seelsorger nicht regelmäßig, sondern auf besonderen Wunsch eines Gefangenen als einmalige Besucher auch mit Besucherstatus in eine JVA kommen. Besteht eine, auch in Teilen unbegleitete Zutrittsmöglichkeit etwa für Seelsorger, die ausschließlich zur Ausrichtung von Gottesdiensten in eine JVA kommen, könnte der Anwendungsbereich eröffnet sein. Ob eine konkrete Möglichkeit besteht die sicherheitsrechtlichen Schutzgüter zu beeinträchtigen, hängt wesentlich von der Ausgestaltung der Tätigkeit ab und bedarf deshalb einer Prüfung im Einzelfall. Maßgeblich ist dabei, inwieweit eine Justizvollzugsanstalt in ihrem für das Gemeinwesen erforderlichen Zweck des Freiheitsentzugs zur Durchsetzung des Strafvollzugs beeinträchtigt werden könnte. Dies ist unter zwei Gesichtspunkten denkbar: Der Zweck des Freiheitsentzugs ist jedenfalls immer dann einer denkbaren Gefahr ausgesetzt, wenn sich Seelsorger innerhalb einer JVA mit einem eigenen Schlüssel frei bewegen können oder auch nur unbeobachtete Einzelgespräche mit Gefangenen führen können, ohne sich zuvor einer Eingangskontrolle unterziehen zu müssen. Denn in diesen Fällen kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Gefangenen in den Besitz verbotener Gegenstände gelangen oder der ausgehändigte Schlüssel missbräuchlich verwendet wird. Weitaus schwieriger ist es, aus einem Gefahrenpotential für den Resozialisierungsauftrag des Strafvollzugs eine Sicherheitsgefahr für die Justizvollzugsanstalt abzuleiten. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass aufgrund der Aussagen eines Seelsorgers in den Gesprächen mit Gefangenen die Resozialisierung negativ beeinflusst wird, folgt daraus noch nicht unmittelbar auch ein Gefahrenpotential für Sabotage aus dem Inneren einer Vollzugsanstalt. Denn der vorbeugende personelle Sabotageschutz schützt nicht vor Radikalisierungen während einer Haftzeit, die zu Sabotageakten von außen führen. Bezugspunkt des Sicherheitsüberprüfungsrechts ist es nicht, ob die Gefahren fehlgeschlagener Resozialisierungsbemühungen für die gesamte Gesellschaft und (bei extremistischen Tätern) staatliche Institutionen zu Beeinträchtigungen führen können. Stattdessen bedarf es eines Betätigungsraums im Inneren einer staatlichen Einrichtung, aus dem heraus eine Beeinträchtigung dieser Einrichtung möglich wäre und deshalb eine Gefahr für die gesamte Bevölkerung entstehen kann. Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung, ob Seelsorgende in einer JVA in den Anwendungsbereich des Sicherheitsüberprüfungsrechts fallen, sollte daher die eigenständige, nicht überwachte Durchführung von Einzelgesprächen mit Gefangenen sein. Nicht

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

vergleichbar damit ist dagegen die Durchführung von Gemeinschaftsveranstaltungen (etwa Freitagsgebete), die auch durch das Vollzugspersonal überwacht werden könnten und bei denen allenfalls ein (lösbares) Sprachproblem für die jeweiligen Beamten besteht. Folglich unterfallen islamische Seelsorger in einer Justizvollzugsanstalt der Pflicht zur Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung nur, wenn Ihnen ein Schlüssel ausgehändigt wird, vor Einlass keine Taschen- und Kleidungskontrolle erfolgt oder sie auch zur Durchführung nicht überwachter Einzelgespräche befugt sind. c) Anwendbarkeit aufgrund spezialgesetzlicher Anordnung Ein Sonderfall der Sicherheitsüberprüfung für die Gefangenenseelsorge besteht in Rheinland-Pfalz: Mit § 108 Abs. 4 S. 1 LJVollzG Rh-Pf.67 wird seit einem Änderungsgesetz vom 03.09.2018 die religiöse Betreuung von Gefangenen als eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit im Sinne von § 2 S. 1 Nr. 5 Landessicherheitsüberprüfungsgesetz (LSÜG Rh-Pf.) festgelegt. Daher ist für Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie andere religiöse Betreuer nach § 108 Abs. 4 S. 2, 3 LJVollzG Rh-Pf. eine einfache Sicherheitsüberprüfung gemäß § 10 LSÜG Rh-Pf. durchzuführen, sofern nicht die betreffende Person in einem EU-Mitgliedsstaat ausgebildet worden ist und innerhalb der vergangenen fünf Jahre ihren Wohnsitz oder Aufenthalt nicht länger als ein Jahr außerhalb eines EU-Mitgliedsstaates hatte. Das Tatbestandsmerkmal „religiöse Betreuung“ entspricht der Begrifflichkeit aus der Anspruchsnorm für Gefangene in § 79 Abs. 1 LJVollzG Rh-Pf., das innerhalb des § 108 LJVollzG Rh-Pf. bisher nicht verwendet wurde, weil in den vorherigen drei Absätzen die Stellung der hauptamtlichen Seelsorge, der anderweitig zugelassen seelsorgerischen Betreuung und der Seelsorgehelfer geregelt wird. Durch die Verwendung des Oberbegriffs „religiöse Betreuung“ bezieht sich die Anordnung der Sicherheitsüberprüfung demnach auf alle Beschäftigungsformen des Seelsorgepersonals. Die rheinland-pfälzische Regelung im Strafvollzugsrecht löst damit die zuvor beschriebenen Abgrenzungsschwierigkeiten anhand der konkreten Tätigkeiten durch eine spezifische gesetzliche Anordnung.

67  Ebenso in § 34 Abs. 4 LJAVollzG Rh-Pf. für den Jugendarrest und in § 98 Abs. 4 LSVVollzG Rh-Pf. für die Sicherungsverwahrung.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung155

3. Regelungen für externe Mitarbeiter in Verwaltungsvorschriften Bestehen weder gesetzliche Regelungen für eine Zuverlässigkeitsprüfung von Seelsorgekräften und ist auch das Sicherheitsüberprüfungsrecht nicht anwendbar, können regelmäßig tätige islamische Seelsorger als ehrenamtliche, externe Mitarbeiter einer Prüfungspflicht unterliegen. Vor der Föderalismusreform 2006 regelten die Länder in Verwaltungsvorschriften die persönlichen Voraussetzungen für externe Mitarbeiter gemäß § 154 Abs. 2 S. 2 StVollzG. Während der Übergangszeit bis zum Erlass eigener Landesstrafvollzugsgesetze galten diese Regelungen zunächst weiter. Teilweise sind die bestehenden Verwaltungsvorschriften aber auch nach Erlass eines Landesgesetzes nicht verändert worden oder nahezu wortgleich für die neue Gesetzeslage übernommen worden. So gilt auch das bisher in § 154 Abs. 2 StVollzG geregelte Kooperationsgebot weiter, wonach Vollzugsanstalten mit externen Stellen zur Unterstützung der Resozialisierung der Gefangenen zusammenarbeiten sollen.68 Mit Abweichungen im Detail sehen die Regelungen der Verwaltungsvorschriften zum Kooperationsgebot in allen Bundesländern weitgehend ähnliche Regelungen für die Zulassung ehrenamtlicher Mitarbeiter vor. Demnach werden zur Mitarbeit in der Regel Personen zugelassen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, in den vergangenen Jahren straffrei geblieben sind, nicht unter Bewährungs- oder Führungsaufsicht stehen, kein Ermittlungsoder Strafverfahren gegen ihn oder sie anhängig ist und keine persönliche Nähebeziehungen zu Gefangenen bestehen.69 Unterschiede zwischen den 68  Beispielhaft

etwa nun § 3 Abs. 6 S. 2 SächsStVollzG; § 107 HmbJVollzG. zu § 46 Absatz 2 Satz 1 des Berliner Strafvollzugsgesetzes vom 07.09.2020 (JustVA III A 10); Nr. 3 zu § 154 in Niedersächsische Ausführungsvorschriften für den Strafvollzug (NAV), AV d. MJ v. 17.10.2001 (Az. 4400-305.73, Nds. Rpfl. 2001 Nr. 12, S. 450), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 09.02.2018 (Nds. Rpfl. 2018 Nr. 3, S. 79); Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz zum Strafvollzugsgesetz vom 11.12.2001 (SächsVV), SächsABl.SDr. S. S 366; SVV zu § 154 in Ehrenamtliche Mitarbeiter in den Justizvollzugsanstalten (AV des MJ LSA vom 12.06.1991 – 4450 – 402.2), MBl. LSA 1991, S. 410; Ehrenamtliche Vollzugshelfer in den Justizvollzugsanstalten, Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums vom 11. Januar 1991 (4400-437/90), JMBl. Nr.  1 S.  11, zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 21.08.2018 (JMBl. 2018 Nr. 4, S. 85); Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums, des Innenministeriums und des Finanzministeriums für die Überprüfung von Personen, die in Justizvollzugsanstalten oder Abschiebungshafteinrichtungen tätig werden und in keinem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zum Land stehen (VwV Fremdpersonenüberprüfung) vom 25. Juli 2017 – Az.: 4434/0626 (Justizministerium), 3-0550.0/8 (Innenministerium), 4-3380.05-07/38 (Finanzministerium) –; VV zu 69  Verwaltungsvorschriften

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Landesregelungen betreffen insbesondere die Länge der Straffreiheit und die Möglichkeiten polizeiliche oder geheimdienstliche Datenbanken abzufragen. Oft wird auch verlangt, dass einer Sicherheitsüberprüfung bereits im Vorfeld zugestimmt werden muss, die aber nur bei Bedarf vorgenommen werden soll.70 Insgesamt sind die Anforderungen für ehrenamtliche Mitarbeiter aber fast immer formaler Natur. Dem Charakter von verwaltungsinternen Regelungen ohne Außenwirkung entsprechend, enthalten die Verwaltungsvorschriften konkrete, durch explizit benannte Nachweise belegbare Anforderungen. Gewissermaßen systemwidrig ist es daher, wenn nach Ziffer 5.3 VwV Fremdpersonenüberprüfung BW als Ausschlusskriterium der unbestimmte Rechtsbegriff der Gewaltneigung einer Person benannt wird.71 Denn in den umliegenden Ziffern wird stets auf gerichtliche Feststellungen Bezug genommen, sodass kein Wertungsspielraum für die Vollzugsverwaltung verbleibt. Dagegen passt es in das System nachweisgestützter Personenprüfungen, wenn die Abfragen bei Verfassungsschutzbehörden im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung von den Ergebnissen vorheriger polizeilicher und ZentralregisterAbfragen abhängig gemacht werden.

Art. 175 BayStVollzG in Verwaltungsvorschriften zum Bayerischen Strafvollzugsgesetz (VVBayStVollzG), Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 1. Juli 2008, Az. 4430-VII a-4696/08 (JMBl. S. 89); Ehrenamtliche Mitarbeit in den Justizvollzugseinrichtungen des Landes Schleswig-Holstein (AV d. MJAE v. 18.7.2007 – II 202/4400-228 SH- (SchlHA S. 369), Gl.Nr. 4400-2), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 12.11.2015 (SchlHA 2015 Nr. 12, S. 490). 70  Ziff. 1 Abs. 2 S. 2 lit. e) VV zu Art. 175 BayStVollzG in Verwaltungsvorschriften zum Bayerischen Strafvollzugsgesetz (VVBayStVollzG), Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 1. Juli 2008, Az. 4430-VII a-4696/08 (JMBl. S. 89); ähnlich: bedarfsabhängige Einwilligung zur Personenüberprüfung gemäß § 3 Abs. 4 LVerfSchG nach Nr. 2.2 der Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums, des Innenministeriums und des Finanzministeriums für die Überprüfung von Personen, die in Justizvollzugsanstalten oder Abschiebungshafteinrichtungen tätig werden und in keinem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zum Land stehen (VwV Fremdpersonenüberprüfung) vom 25. Juli 2017 – Az.: 4434/0626 (Justizministerium), 3-0550.0/8 (Innenministerium), 4-3380.05-07/38 (Finanzministerium) –; Nr.  I. 1.3 der Verfügung der Abteilung Justizvollzug Nr.  2017/4: Zutrittsberechtigung Dritter zu den Justizvollzugsanstalten (Vfg. Abt. Justizvollzug 2017/4, Az. 4434/6/6-1, 1031/11); Abs. 3 lit. e) SVV zu § 154 StVollzG in Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz zum Strafvollzugsgesetz vom 11.12.2001 (SächsVV), SächsABl.SDr. S. S 366; Nr. II 1. lit. e) der Ehrenamtliche Mitarbeiter in den Justizvollzugsanstalten (AV des MJ LSA vom 12.06.1991 – 4450 – 402.2), MBl. LSA 1991, S. 410. 71  In § 46 i. V. m. § 45 Abs. 1 S. 5 JVollzGB I BW ist dies auch nicht mehr als sicherheitsrelevante Erkenntnis für die Zuverlässigkeitsprüfung anstaltsfremder Personen enthalten.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung157

4. Zusammenfassung Mit der Einführung gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen für Zuverlässigkeitsüberprüfungen bzw. Sicherheitsanfragen ist eine grundrechtlich nicht länger überzeugende Praxis beendet worden. Es stellt einen gravierenden Grundrechtseingriff dar, eine ehrenamtliche Mitarbeit nicht nur von gerichtlich festgestellten, amtlich in Registern geführten, Erkenntnissen oder der Tatsache derzeit laufender Verfahren abhängig zu machen, sondern auch von sonstigen polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Erkenntnissen. Dafür ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetzesvorbehalt und dem Wesentlichkeitsgrundsatz hat der Gesetzgeber insbesondere bei einer staatlichen Regelung im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen.72 Auch für den Austausch von Daten zwischen Polizeibehörden und dem Justizvollzug ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine gesetzliche Rechtsgrundlage erforderlich, weil mit der Datenübertragung auch eine Zweckänderung der Daten erfolgt.73 Deshalb ist es verfassungsrechtlich geboten, dass gesetzliche Grundlagen bestehen, wenn als Voraussetzung der Mitarbeit in Justizvollzugsanstalten eine Personenprüfung mittels polizeilicher und geheimdienstlicher Erkenntnisse durchgeführt wird. Dies ist aus Anlass der Umsetzung europarechtlicher Datenschutzregeln auch von den allermeisten Landesgesetzgebern erkannt worden.74 Dies drückt sich nicht zuletzt in den gewählten Begriffen aus: Der Musterentwurf und im Anschluss daran etliche Landesgesetze nennen das eingeführte Verfahren eine „Zuverlässigkeitsprüfung“, wodurch eine Abgrenzung zu Sicherheitsüberprüfung erfolgt. Mit der Prüfung der Zuverlässigkeit im gewerberechtlichen Sinne nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO hat diese Prüfung jedoch nur gemeinsam, dass gemäß § 11 Abs. 3 GewO i. V. m. § 31 BZRG ebenfalls eine Abfrage des Bundeszentralregisters erfolgen kann.75 Vergleichbar ist die strafvollzugsrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung jedoch mit den ebenso benannten Prüfun72  Statt

vieler BVerfGE 49, 89–147 (126 f. m. w. N.). 109, 279–391 (375); BVerfGE 130, 1–51 (33); BVerfGE 141, 220–

73  BVerfGE

378 (324). 74  Vgl. die Rechtsprechungsnachweise zum Musterentwurf bei Schulenberg, Forum Strafvollzug 2018, S. 261, 262. 75  Die Benennung als Zuverlässigkeitsprüfung weist nicht auf die Vergleichbarkeit mit Zuverlässigkeitsprüfungen im gewerberechtlichen Sinne gemäß § 35 I S. 1 GewO hin, für die zwar mit § 11 Abs. 3 GewO, § 31 BZRG auch eine Rechtsgrundlage für die Abfrage des Bundeszentralregisters besteht, sonstige Datenerhebungen aber dem ordnungsrechtlichen Zweck der Prüfung zugeordnet sind und keine Abfrage polizeilicher oder nachrichtendienstlicher Erkenntnisse wie nach den Landesgesetzen zur Sicherheitsüberprüfung enthalten, vgl. Marcks, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Gewerbeordnung Kommentar, Bd. I (81. EL, 2019), § 11 GewO Rn. 7, 11.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

gen gemäß § 12b AtG und § 7 LuftSiG. Deren Abs. 3 sehen sogar noch umfangreichere Abfragen nachrichtendienstlicher Erkenntnisse vor, wenn neben dem Verfassungsschutz auch der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst beteiligt werden können. Es ist plausibel, die Eingriffsgrundlagen einer Zuverlässigkeitsprüfung für den Zugang zum Strafvollzug in der Mitte zwischen den Prüfungen für den Ausschank von alkoholischen Getränken und dem Zugang zum Sicherheitsbereich eines Flughafens oder einer atomrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage anzusiedeln. Wenn jedoch bereits die gewerberechtliche Prüfung gesetzlich normiert ist, bedarf es für Abfrage nachrichtendienstlicher Erkenntnisse unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsgebots erst recht einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Geschieht dies lediglich aufgrund eines ministeriellen Erlasses – so wie zwischenzeitlich in Nordrhein-Westfalen76 – kann dies dem Wesentlichkeitsprinzip nicht mehr genügen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass diesbezüglich nun aber in den meisten Bundesländern eine ausreichende gesetzliche Regelung für die Prüfung anstaltsfremder Personen vor deren Zutritt in eine Justizvollzugsanstalt besteht.

IV. Schweigerechte und Offenbarungspflichten des Seelsorgepersonal Auch die einfachgesetzlichen Regelungen zu Schweigerechten und Offenbarungspflichten von Seelsorgenden sind anlässlich der Umsetzung der Justiz-Datenschutzrichtlinie (EU) 2016/680 in vielen Bundesländern neu geregelt worden. Gerade die Vertraulichkeit eines seelsorgerischen Gespräches wird in der Praxis als wesentliches Element der Gefangenenseelsorge bewertet, weil damit innerhalb des Strafvollzuges eine seltene Möglichkeit der Privatsphäre eröffnet wird.77 1. Regelungen der Strafvollzugsgesetze Die Landesstrafvollzugsgesetze haben auch vor den Änderungen aufgrund der Justiz-Datenschutzrichtlinie die Pflichten einzelner Beschäftigter zur Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung geregelt. Dort, wo nicht ein voll76  Vgl. Verweis auf einen Erlass des nordrhein-westfälischen Justizministeriums vom 20.02.2017, Az. 4434 E IV 66/96, in Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/14783 (06.04.2017), S. 3. 77  Siehe oben Kapitel 2, A. IV. 2. „Zeugnisverweigerungsrechte und Offenbarungspflichten“, S. 109.



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung159

ständiges Justizdatenschutzgesetz erlassen worden ist, bestehen diese Regelungen weiterhin in den Normen zur vollzugsinternen Datenerhebung und -verarbeitung, die sich an § 179 ff. StVollzG orientieren. Danach gilt im Grundsatz innerhalb des Justizvollzugs eine Offenbarungspflicht gegenüber der Anstaltsleitung. Schweigerechte oder gar Schweigepflichten bestehen demgegenüber in der Regel nur für Ärztinnen, Psychologen und Schwangerschaftkonfliktberaterinnen als Berufsgeheimnisträger gemäß § 182 Abs. 2 S. 1 StVollzG i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5 StGB. Zur Abwehr erheblicher Gefahren für Leib und Leben von Gefangenen oder Dritten oder soweit erforderlich für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde, sind diese aber gegenüber der Anstaltsleitung dennoch zur Offenbarung von Informationen verpflichtet (vgl. § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG). Seelsorgende sind von dieser Vorschrift nicht erfasst. Strafvollzugsrechtlich ist bisher auch kein Bedarf für Regelungen zum Seelsorgepersonal gesehen worden, weil sich Schweigepflichten bereits aus kirchenrechtlichen Regelungen zum Beicht- und Seelsorgegeheimnis ergeben.78 Aus der Anerkennung dieser kirchenrechtlichen Verpflichtung für Zeugnisverweigerungsrechte in § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO, § 383 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und für strafrechtliche Anzeigeverpflichtungen in § 39 Abs. 2 StGB wird zumeist gefolgert, dass eine Offenbarungspflicht von Gefangenenseelsorgern allenfalls in extrem gelagerten Ausnahmefällen im Sinne von §§ 32, 34 StGB besteht.79 Aufgrund der Rechtsprechung zum Anwendungsbereich der Zeugnisverweigerungsrechte, wonach ein einheitliches Berufsbild und eine religiös begründete Schweigepflicht erforderlich ist,80 kann dies aber nicht (unmittelbar) auch für sogenannte Seelsorgehelfer oder für ehrenamtlich tätige Seelsorgende gelten.81 Bestehen weder religiöse Schweigepflichten noch ein einheitliches Berufsbild, gelten die allgemeinen Regelungen für Offenbarungspflichten vollzuglicher Mitarbeiter. Insbesondere die Verwaltungsvorschriften für die Zulassungen ehrenamtlicher Mitarbeiter verpflichten die auf dieser Grundlage tätigen Personen häufig dazu, Informationen gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren.82 Die Reichweite vollzuglicher Schweigerechte und Offenbarungspflichten wird daher durch den Personalstatus bestimmt.

78  Für die Katholische Kirche: can. 983 CIC/1983; für die Evangelische Kirche in Deutschland: § 2 Seelsorgegeheimnisgesetz vom 28.10.2009. 79  Arloth/Krä, Rn.  4 zu § 182 StVollzG; Schwind/Böhm/Jehle et al./Schäfer, StVollzG Bund Länder, § 157 StVollzG Rn. 22 f. 80  BVerfG NJW 2007, 1865–1869; BGH NStZ 2010, 646–649. 81  Schwind/Böhm/Jehle et al./Schäfer, StVollzG Bund Länder, § 157 StVollzG Rn. 22. 82  Vgl. Ziffer 1 Abs. 4 lit. c) VV zu Art. 175 BayStVollzG; Abs. 6 lit. c) SächsVV zu § 154 StVollzG.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Explizite Regelungen für Seelsorgende unabhängig vom Personalstatus gibt es in den Landesstrafvollzugsgesetzen nicht, denn der Begriff des Seelsorgers wird durch die vollzugsrechtlichen Regelungen zur Seelsorge bestimmt. Diese aber unterscheiden zwischen der hauptamtlichen Bestellung oder vertraglichen Verpflichtung als Seelsorger oder Seelsorgerin einerseits und der Zulassung der seelsorgerischen Betreuung auf andere Weise. So ist in Baden-Württemberg die Offenbarungspflicht für Seelsorger zwar gemäß § 51 Abs. 2 S. 4 JVollzGB I BW ausgeschlossen, allerdings steht diese Ausnahme im Zusammenhang mit der Offenbarungspflicht aller Fachdienste im Justizvollzug. Dadurch soll die besondere Stellung der Seelsorge im Justizvollzug unberührt bleiben.83 Es genügt daher für eine Ausnahme von der Offenbarungspflicht nicht, wenn eine seelsorgerische Betreuung für Angehörige von Minderheitsreligionen gemäß § 12 Abs. 7 S. 3 JVollzGB I BW „auf andere Weise“ zugelassen wird. Eine ähnliche Regelung enthält noch § 153 Abs. 1 Nr. 4, § 154 JVollzGB LSA, wonach Seelsorger nur für die innervollzugliche Schweigepflicht den Berufgeheimnisträgern gleichgestellt werden, deren Offenbarungspflicht aber für sie nicht gilt. Auch diese Regelung ist im Zusammenhang mit der Ernennungsregelung für Seelsorger in § 110 JVollzGB LSA zu sehen und gewährt Seelsorgenden kein Schweigerecht aufgrund ihrer Tätigkeit, sondern aufgrund ihres Personalstatus.84 Ein Schweigerecht als Ausnahme von der grundsätzlichen innervollzuglichen Offenbarungspflicht besteht somit nur für Seelsorgerinnen und Seelsorger im Sinne der Strafvollzugsgesetze. Andere Personen können sich auf Schweigerechte oder Schweigepflichten nicht berufen, auch wenn sie als Ehrenamtliche oder Honorarkräfte zu einer seelsorgerischen Betreuung zugelassen sind. 2. Regelungen in den Justizdatenschutzgesetzen der Länder Nicht erst mit der Umsetzung der Justiz-Datenschutzrichtlinie (EU) 2016/680 haben einige Bundesländer sämtliche Regelungen zum Datenschutz aus den Justizvollzugsgesetzen in eigenständige Justizdatenschutzgesetze überführt.85 Aber aus Anlass der Richtlinienumsetzung sind teilweise auch die Bestimmungen zu Schweige- und Offenbarungspflichten angepasst worden und Seelsorgerinnen und Seelsorger vom deren Anwendungsbereich erfasst worden. Ähnlich wie bei der Regelung in § 153, 154 des sachsen-anhalRn. 4 zu § 47 JVollzGB I BW. Regelung deshalb als „deklaratorisch“ bezeichnend ebd., Rn. 1 zu § 153 JVollzGB LSA. 85  Dies gilt für Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, vgl. Baier, Forum Strafvollzug 2019, S. 373. 83  Arloth/Krä, 84  Die



A. Rechtsgrundlagen für die gemeinschaftliche Religionsausübung161

tinischen Justizvollzugsgesetzbuch stellen die besonderen Datenschutzgesetze für den Justizvollzug im Land in Bremen, im Saarland und in SchleswigHolstein nun Seelsorgerinnen und Seelsorger nur für die Schweigepflicht mit den Berufsgeheimnisträgern gleich, nehmen sie aber von der Offenbarungspflicht aus.86 Die Justizvollzugsdatenschutzgesetze definieren den Begriff des Seelsorgers nicht. Weil der Anwendungsbereich dieser Datenschutzgesetze auf den Justizvollzug beschränkt ist, liegt es allerdings nahe, sich auch hier an den vollzugsrechtlichen Voraussetzungen für den Status von Seelsorgern zu orientieren und nicht allein auf die Ausübung einer seelsorgerischen Tätigkeit abzustellen. Dem stehen auch die Regelungen der Justiz-Datenschutzrichtlinie nicht entgegen, deren Anwendungsbereich zwar weiter gefasst ist und für alle diese Bereiche einen einheitlichen Mindeststandard schaffen will, aber in der dennoch zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug unterschieden wird. Gemäß Erwägungsgrund Nr. 11 der Richtlinie (EU) 2016/680 ist auch den Besonderheiten der verschiedenen Tätigkeiten Rechnung zu tragen. Sektorspezifische Regelungen sind deshalb nicht ausgeschlossen, solange jeweils der datenschutzrechtliche Mindeststandard nicht unterschritten wird. Auch wenn die Datenschutzregelungen den Justizvollzugsgesetzen entnommen worden sind, ist dadurch keine eigenständige Neubestimmung des Seelsorger-Begriffs in den Datenschutzgesetzen für den Justizvollzug gegenüber den Justizvollzugsgesetzen erforderlich. Nur in der Regelungstechnik, nicht aber im Regelungsgehalt unterscheidet sich daher das Berliner Justizvollzugsdatenschutzgesetz gegenüber denjenigen in Bremen, im Saarland und in Schleswig-Holstein: Gemäß § 60 JVollzDSG Bln unterliegen personenbezogene Daten, die ein Gefangener einem Seelsorger als Geheimnis anvertraut hat, auch gegenüber dem Justizvollzug der Schweigepflicht. Diese Regelung setzt das Bestehen einer Schweigepflicht voraus, was nur gewährleistet ist, wenn mit dem JVollzG Bln auf den Status als Seelsorger abgestellt wird. Nichts anderes gilt auch in Rheinland-Pfalz, obwohl § 42 Abs. 1 Nr. 4, 5 JVollzDSG Rh-Pf. die vollzugliche Schweigepflicht für Seelsorgerinnen und Seelsorger und religiöse Betreuerinnen und Betreuer87 regelt. Von der Offenbarungspflicht sind allerdings gemäß § 42 Abs. 2 JVollzDSG Rh-Pf. nur Seelsorgerinnen und Seelsorger ausgenommen, während für die religiösen Betreuer dieselben Regelungen zur Offenbarung relevanter Informationen gegenüber der Anstaltsleitung gelten, wie sie auch für Berufsgeheimnisträger 86  § 45 Abs. 1 Nr. 5, § 46 BremJVollzDSG; § 33 Abs. 1 Nr. 4, § 34 JVollzDSG S-H; § 45 Abs. 1 Nr. 5, § 46 SaarlJVollzDSG. 87  Dazu ausführlich unter Kapitel 3, C. XI. 2. a) „Landeskonzept Religiöse Betreuung muslimischer Gefangener“, S. 220.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

gelten. Demnach ist die Schweigepflicht nach den Datenschutzgesetzen für den Justizvollzug in Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Schleswig-Holstein ebenso wie nach den Landesjustizvollzugsgesetzen auf Personen beschränkt, die gemäß den vollzugsgesetzlichen Bestimmungen den Status eines Seelsorgers oder einer Seelsorgerin haben. 3. Zusammenfassung An den Regelungen zu Schweigerechten und innervollzuglichen Offenbarungspflichten zeigt sich, welche Auswirkungen es für die praktische Seelsorgetätigkeit haben kann, wenn Seelsorgende in zwei verschiedenen Personalstatus beschäftigt werden. Der sachliche Grund für die Differenzierung ist jedoch nicht die unterschiedliche arbeitsrechtliche Vertragsgestaltung, sondern die Beteiligung der Religionsgemeinschaften. Nur für im Einvernehmen mit Religionsgemeinschaften bestellte oder verpflichtete Seelsorgerinnen und Seelsorger besteht ein Schweigerecht. Dies steht grundsätzlich im Einklang mit der Rechtsprechung zu Zeugnisverweigerungsrechten aufgrund religiös begründeter Schweigepflichten. Denn eine religiöse Pflicht lässt sich für die Strafvollzugsverwaltung leicht feststellen oder überprüfen, wenn die Religions­gemeinschaft bei der Ernennung von Seelsorgenden beteiligt ist. Gleichwohl sind die Voraussetzungen für hierarchisch organisierte und institutionell verfestigte Religionsgemeinschaften leichter zu erfüllen als für weniger stark institutionalisierte Gemeinschaften. Verfassungsrechtlich ist das jedoch nicht zu beanstanden, weil im Einzelfall eine grundrechtlich begründete Schweigepflicht bestehen kann.

B. Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe der Justizministerkonferenz Für die Organisation religiöser Angebote für muslimische Gefangene in den Bundesländern gelten seit November 2019 die Empfehlungen einer länderoffenen Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz, die auf Vorschlag der Deutschen Islam Konferenz erarbeitet worden sind.

I. Anregung der Deutschen Islam Konferenz Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages hat sich schwerpunktmäßig mit islamischer Wohlfahrtspflege und Seelsorge beschäftigt. Ausweislich des im März 2014 verabschiedeten Arbeitsprogramms der DIK sollte in diesem Rahmen ein Erfahrungsaustausch zur „islamisch-religiösen Betreuung auf der Ebene des Bundes, der



B. Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe der Justizministerkonferenz163

Ländern und Kommunen (z. B.: Militärseelsorge, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten und Krankenhäusern)“ ermöglicht und Organisationsfragen erörtert werden.88 Neben den Beratungen in den Ausschüssen der DIK erfolgte ein interdisziplinärer und praxisübergreifender Erfahrungsaustausch zur Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen durch publikumsoffene Fachtagungen. Auch die rechtlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten für institutionalisierte religiöse Angebote für muslimische Gefangene sind erörtert worden.89 Zum Abschluss der Legislatur hat der Lenkungsausschuss der DIK im März 2017 die „Etablierung einer islamischen Gefängnisseelsorge als dringlich“ bezeichnet.90 Weil Gefängnisse auch ein Ort für Radikalisierungsprozesse sein könnten, habe der Einsatz theologisch und pädagogisch geschulter Seelsorger in den Gefängnissen einen präventiven Begleiteffekt. Grundsätzlich sei aber die Etablierung islamischer Gefängnisseelsorge unabhängig davon eine Frage der Gewährleistung von Religionsausübung. Weil sich große Unterschiede zwischen den Bundesländern gezeigt hätten, empfehle die DIK eine „länderoffene Arbeitsgruppe der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder einzusetzen“. Aus Sicht der DIK sollten dabei folgende Aspekte berücksichtigt werden: • Allgemeine Qualitätsstandards und individuelle Qualifikationsanforderungen • Vielfalt islamischer Glaubensrichtungen • Rechtsformen für die Institutionalisierung und seitens der islamischen Ansprechpartner • Beauftragung der Seelsorger • Sicherheitsüberprüfungen für den Justizvollzug • Finanzierung • Übergangsmodelle („z. B. in Form von religiöser Betreuung“) und Zeugnisverweigerungsrechte in diesem Rahmen91. Der Lenkungsausschuss der DIK hat zudem im Abschlussdokument zur „Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen“ festgehalten, dass seitens der in der DIK vertretenen islamischen Organisationen die „Entwicklung von theo88  Deutsche Islam Konferenz, Gemeinsames Programm zur Fortführung der Deutschen Islam Konferenz in der 18. Legislaturperiode: Für einen Dialog auf Augenhöhe. 89  Vgl. Schulten, „Die Anstaltsseelsorge im religionsverfassungsrechtlichen Gefüge des Grundgesetzes – Struktur, Gestaltungsmöglichkeiten, Herausforderungen (Vortrag im Rahmen der Konstituierenden Sitzung des Arbeitsausschusses der Deutschen Islam Konferenz am 18. Februar 2016)“. 90  Vgl. hier und nachfolgend: Deutsche Islam Konferenz, Abschlussdokument: Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen (14.03.2017). 91  Ebd., 9.

164

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

logisch fundierten Konzepten der islamischen Gefängnisseelsorge und Klärung der Frage eines Seelsorgegeheimnisses“ notwendig sei.92

II. Beauftragung der Arbeitsgruppe durch die Justizministerkonferenz Die 88. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat im Juni 2017 „in Kenntnis der Empfehlung der Deutschen Islam Konferenz […] eine länderoffene Arbeitsgruppe mit der Entwicklung von Empfehlungen und der Beschäftigung mit konkreten Praxisfragen für eine religiöse Betreuung muslimischer Gefangener im Justizvollzug“ beauftragt.93 Der Arbeitsgruppe mit dem Namen „Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge“ hatten sich seit Frühjahr 2018 unter der Leitung des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz die Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen angeschlossen. Als Themen hatte die Arbeitsgruppe bezeichnet, dass eine Aufgaben- und Begriffsdefinition formuliert werden sollte und die Bereiche Schweigerecht/Zeugnisverweigerungsrecht, Sicherheitsüberprüfung/Bewerberauswahl/Vertragsgestaltung, Abgrenzung zu Deradikalisierungsmaßnahmen und Extremismusprävention sowie Qualifikation/Aus- und Fortbildung bearbeitet werden sollten.94

III. Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Die länderoffene Arbeitsgruppe hat im Sommer 2019 ihren Abschlussbericht dem Strafvollzugsausschuss der Justizministerkonferenz vorgelegt. Die 90. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat im November 2019 den Abschlussbericht als „ausgewogenen und geeigneten Beitrag für die Weiterentwicklung der religiösen Betreuung und Seelsorge muslimischer Gefangener im Justizvollzug“ bezeichnet und ihrerseits der Deutschen Islam Konferenz weitergeleitet.95 Die DIK hat sich damit bisher nicht öffentlich befasst. 92  Ebd.,

10. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder, „Beschluss TOP II.10: Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge“ (2017), abrufbar unter: https://jm.rlp.de/de/themen/justizministerkonferenz-2017/beschluesseder-fruehjahrskonferenz/ (abgerufen am 10.06.2022). 94  Haase, Forum Strafvollzug 2018, S. 268. 95  90. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister, „Beschluss TOP II.15: Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge – Abschlussbericht der länderoffenen Arbeitsgruppe“ (2019), abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/ 93  88.



B. Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe der Justizministerkonferenz165

Als Grundsätze waren für die Arbeitsgruppe bei der Formulierung ihrer Empfehlungen leitend, dass „der hohe fachliche Standard der christlichen Seelsorge als Maßstab gelten“ und Seelsorge „stets klar von Extremismusprävention und Deradikalisierung“ abzugrenzen sei.96 Die Arbeitsgruppe empfiehlt, den Begriff „muslimische Seelsorge“ zu verwenden, weil dieser islamisch-theologisch begründet sei und sich in Theorie und Praxis durchsetze. Trotz rechtlicher Unterschiede solle nicht dauerhaft der Begriff „religiöse Betreuung“ verwendet werden, weil dies ein „niedrigeres Qualitätsniveau festschreiben und sich auf Status und Rolle der muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger hemmend auswirken“ könnte. Ziel der Empfehlungen ist es, dass die muslimische Seelsorge langfristig ein „integraler Bestandteil des Justizvollzugs“ wird, und damit auch die rechtliche Sonderstellung der Seelsorge für diese gilt. Es sei Aufgabe der muslimischen Seelsorge, für die Gefangenen eine religiöse Betreuung durch Gottesdienste, Feiertage und Gesprächsgruppen sowie Einzelgespräche in deutscher Sprache anzubieten. Die seelsorgerische Begleitung und Beratung soll ebenso wie die Mitwirkung an der Resozialisierung mittel- bis langfristig als Aufgabe hinzukommen.97 Als erforderliche Qualifikation formuliert die Arbeitsgruppe eine abgeschlossene akademische Ausbildung auf Masterniveau und der zusätzliche Abschluss einer Seelsorgeausbildung, um eine vergleichbare Fachlichkeit und Qualifikation wie bei der christlichen Seelsorge zu gewährleisten. „Insbesondere den Religionsgemeinschaften“ stehe das Vorschlagsrecht für muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger zu, wobei letztlich aber der Justizvollzug anhand des Anforderungsprofils zu entscheiden habe. Die Arbeitsgruppe empfiehlt, dass die Seelsorgenden die verschiedenen Glaubensrichtungen des Islams kennen sollten und ein Grundverständnis für die lebensweltlichen Bezüge und die konkreten Belange inhaftierter Menschen bestehen muss, um mit den Seelsorge-Angeboten Gefangene muslimischen Glaubens verschiedener Herkunft und Kultur zu erreichen.98 Bei den Seelsorgenden sei im Einverständnis der Betroffenen eine „Zuverlässigkeitsprüfung“ durchzuführen, die auch regelmäßig wiederholt werden müsse und nachrichtendienstliche Erkenntnisse ebenso wie eine förmliche Sicherheitsüberprüfung nach den SÜG einschließen könne.99 jumiko/beschluesse/2019/Herbstkonferenz_2019/II_15_Muslimische_Gefaengnisseel sorge_ohne.pdf (abgerufen am 10.06.2022). 96  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, „Abschlussbericht: Länderoffene Arbeitsgruppe ‚Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge‘ “ (2019), S. 2. 97  Ebd., 4 f. 98  Ebd., 6 f. 99  Ebd., 8.

166

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Die Arbeitsgruppe erkennt an, dass das Seelsorgegeheimnis ein „unverzichtbarer Bestandteil seelsorgerischer Tätigkeit“ ist. Weil aber der Islam „derzeit kein Seelsorgegeheimnis im Sinne der christlichen Kirchen“ kenne, könne kein unmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht oder eine Ausnahme von den vollzuglichen Offenbarungspflichten bestehen. Deshalb fordert die Arbeitsgruppe die islamischen Religionsgemeinschaften auf, als Voraussetzung für die rechtliche Anerkennung einer seelsorgerischen Schweigepflicht, ein religiöses Schweigegebot verbindlich zu formulieren. Die Gleichstellung muslimischer mit christlichen Seelsorgern hinsichtlich der Schweigepflichten sei aber wegen der Abgrenzung zur Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit anzustreben und übergangsweise durch eine Gleichstellung mit Berufsgeheimnisträgern in den Vollzugsgesetzen umzusetzen.100 Die Arbeitsgruppe spricht sich dafür aus, dass auf allen Ebenen des Justizvollzugs zwischen den Aufgaben der Seelsorge und denjenigen der Extremismusprävention und Deradikalisierung unterschieden wird. Auch wenn eine funktionierende muslimische Seelsorge präventive Effekte haben könnte, würde es aber dem „Sinn von Seelsorge widersprechen und sie letztlich zu einer Art Reparaturbetrieb degradieren“, wenn dies als unmittelbarer Zweck der Seelsorge verstanden würde. Deshalb müsste sich die Aufgaben- und Rollentrennung in den Geschäftsverteilungsplänen und einer personellen Trennung ausdrücken.101 Für eine dauerhafte Professionalisierung bedürfe es „gut ausgebildeter und hier sozialisierter muslimischer Seelsorgerinnen und Seelsorger“, für deren Vergütung, Supervision, Sachmittel sowie Aus- und Fortbildung die entsprechenden Haushaltsmittel seitens des Justizvollzugs bereitzustellen seien. Zur Personalgewinnung bedürfe es zudem „gezielter Anstrengungen“ unter anderem bei Universitäten und Verbänden.102 Für den Justizvollzug zieht die Arbeitsgruppe daher die Schlussfolgerung, dass langfristige Arbeitsverhältnisse am ehesten die genannten fachlichen Standards gewährleisten könnten, sodass durch Ehrenamtliche eine Ergänzung dieses Niveaus erfolgen könne. Ohne weitere Ausführungen empfiehlt die Arbeitsgruppe in ihrem Abschlussbericht auch, dass die Zulassung zur Seelsorge nur für konkrete Einzelpersonen nach Zuverlässigkeitsprüfung und Prüfung der fachlich-persönlichen Eignung erfolgen sollte.103 Für die muslimischen Verbände folgert die Arbeitsgruppe, dass sich diese „verstärkt um den Status einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft bemühen“, die 100  Ebd.,

9 f. 11. 102  Ebd., 13. 103  Ebd., 14. 101  Ebd.,



B. Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe der Justizministerkonferenz167

„Grundlagen für ein Seelsorgegeheimnis bzw. ein seelsorgerisches Schweigegebot“ geschaffen werden und ein „überkonfessionelles muslimisches Seelsorgekonzept“ sowie praktisch-theologische Ausbildungen entwickelt werden sollten.104

IV. Zusammenfassung und Bewertung Der Abschlussbericht der länderoffenen Arbeitsgruppe benennt für den Justizvollzug wegweisende Empfehlungen zur Organisation muslimischer Seelsorge. Insbesondere dort, wo es um die Vollzugspraxis der verschiedenen Bundesländer geht, sind die Empfehlungen klar, sodass die präzise formulierten, fachlichen und persönlichen Anforderungen zu einer einheitlichen länderübergreifenden Praxis führen könnten. Für die Justizvollzugsbehörden benennt der Abschlussbericht in teilweise undiplomatischer Deutlichkeit, welchen Stellenwert und welche Positionierung der muslimischen Seelsorge ressortintern zukommen sollte. Dies betrifft insbesondere die Abgrenzung gegenüber dem Aufgabenfeld der Extremismusprävention und der Deradikalisierungsarbeit. Aber auch gegenüber den Islamverbänden, an die der Abschlussbericht aufgrund der Anregung durch die DIK auch gerichtet ist, formuliert die Arbeitsgruppe klare Erwartungen, die eine langfristige Professionalisierung der Seelsorge in Justizvollzugsanstalten bewirken könnten. Es bleibt abzuwarten, wie die DIK, die einzelnen Verbände und die islamische Fachwelt auf die Forderungen nach überkonfessionellen und verbindlich formulierten Seelsorgekonzepten reagieren können und werden. Aber der Abschlussbericht deutet bereits an, dass es sich um eine langfristige Entwicklung handeln dürfte. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn die Arbeitsgruppe – aufgrund der selbst als langfristig prognostizierten Zeitphase – die erforderlichen Übergangsregelungen und Übergangslösungen stärker in den Blick genommen hätte. Insbesondere aber bei der Gleichstellung von Seelsorgern mit Berufsgeheimnisträgern für Schweige- und Offenbarungspflichten belässt es der Abschlussbericht bei etwas knappen Empfehlungen. Die derzeit bestehende rechtliche Unterscheidung zwischen Seelsorgern im Sinne der Vollzugsgesetze und der religiösen Betreuung durch muslimische Ehrenamtliche wird zwar erkannt, aber nur begrifflich und mit dem (langfristigen) Ziel der Gleichstellung thematisiert. In welcher Art und Weise und in welchem Ausmaß aber während der Übergangsphase bis zur Gleichstellung von muslimischer und christlicher Seelsorge durch gesetzliche Änderungen eine Angleichung erfolgen kann und soll, hätte näher erläutert werden dürfen. Unklar 104  Ebd.,

15.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

bleibt auch, was damit gemeint sein soll, dass islamische Verbände sich um den „Status einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft“ bemühen sollten, denn ein solcher Status ergibt sich weder eindeutig aus dem Religionsverfassungsrecht noch aus dem Strafvollzugsrecht. Es handelt sich dabei bisher immer noch um eine Rechtsfrage, weil die rechtlichen Voraussetzungen und insbesondere deren tatsächliche Erfordernisse für eine Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG und für eine Religionsgesellschaft im Sine von Art. 140 GG/Art. 141 WRV nicht abschließend geklärt sind. Auch deshalb hätte übergangsweise zu schaffenden Regelungen im Abschlussbericht eine größere Bedeutung beigemessen werden können.

C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern In welchem Umfang und in welcher Form für muslimische Gefangene eine gemeinschaftliche Religionsausübung in den Justizvollzugsanstalten der deutschen Bundesländer angeboten wird, ist insbesondere abhängig von dem Anteil muslimischer Häftlinge und im Übrigen auch von der Verfügbarkeit kooperationsfähiger religiöser Organisationen. Dadurch ergibt sich eine Vielzahl gänzlich unterschiedlicher rechtlicher Regelungen, die im Folgenden für jedes Bundesland einzeln vorgestellt werden.105

I. Baden-Württemberg Im baden-württembergischen Erwachsenenstrafvollzug sowie im Jugendstrafvollzug wird muslimische Seelsorge für eine beträchtliche Anzahl an Inhaftierten durch eine Kooperation mit einem verbandsunabhängigen islamischen Integrationsverein angeboten. Der Anteil von Muslimen in allen Haftarten beträgt nach Auskunft des Justizministeriums rund 27 Prozent zur Mitte des Jahres 2018.106 Dies ist eine leichte Steigerung gegenüber den Daten, die im Rahmen einer Studie des Kriminologischen Instituts der Universität Tübingen und des Kriminologischen Dienstes Baden-Württemberg veröffentlichtet worden sind, wonach aufgrund einer freiwilligen Angabe bei 105  Zur Ermittlung anstaltsinterner Regelungen oder nicht-öffentlicher Verwaltungskooperationen auf Landesebene sind im Rahmen dieser Arbeit alle Landesjustizministerien um Stellungnahmen zu (teilweise landesspezifischen) Fragen des Verfassers gebeten worden, auf die im Folgenden ebenfalls Bezug genommen wird, sofern keine öffentlich zugängliche Quelle gekannt werden kann. Vgl. zur Methode, Einleitung, oben S. 5 f. 106  Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg, Antwortschreiben an den Verfasser vom 19.07.2018 (per E-Mail).



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern169

Haftantritt zum Stichtag 31.03.2016 knapp 24 Prozent der Inhaftierten eine muslimische Religionszugehörigkeit angegeben haben und etwa 15 Prozent keine Angaben gemacht hatten.107 1. Kooperation mit dem Mannheimer Institut Das Ministerium für Justiz Baden-Württemberg hat im Jahr 2017 mit dem Verein „Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V.“ (im Folgenden: Mannheimer Institut) einen Rahmenvertrag über den Einsatz von Seelsorgenden in den baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten abgeschlossen, der zunächst bis Ende 2018 befristet war.108 Das Mannheimer Institut hatte bereits seit 2008 gemeinsam mit der Evangelischen Akademie der Pfalz ein Ausbildungsprogramm für islamische Krankenhaus- und Notfallseelsorge entwickelt,109 das zwischenzeitlich vom baden-württembergischen Integrationsministerium finanziell gefördert worden ist.110 Dem Vereinszweck entsprechend, die Zusammenarbeit der muslimischen Vereine in Mannheim zu koordinieren und Vermittler zwischen Moscheegemeinden, Bevölkerung und staatlichen Stellen zu sein, hat das Mannheimer Institut die Ausbildungsinhalte mit Islamverbänden abgestimmt.111 Davon ausgehend war das für Krankenhaus- und Notfallseelsorge erarbeitete Kurskonzept auch für den Einsatz in Gefängnissen und Altenpflegeeinrichtungen ergänzt worden.112 Nach Abstimmung der Kursinhalte mit dem Justizministerium ist das Ausbildungsprogramm für die Gefangenenseelsorge zunächst durch das Justiz- und Integrationsministerium finanziell gefördert worden.113 Mit dem Rahmenvertrag besteht nun auch eine Grundlage zum Einsatz der Absolventen durch das Manneimer Institut in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten.

107  Bartsch/Bergmann/Stelly/Kinzig/Hibaoui/Schaffer/Stelzel, Forum Strafvollzug 2017, S. 316, 317. 108  Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg, Antwortschreiben an den Verfasser vom 19.07.2018 (per E-Mail). 109  Vgl. dazu die Einleitung des Tagungsband zur Abschlusstagung des ersten Ausbildungsganges 2008–2010: Wenz/Kamran (Hrsg.), Seelsorge und Islam in Deutschland, S. 8 ff. u. passim. 110  Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 15/6596 (10.03.2015), S. 20. 111  Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V., „InfoBroschüre: Miteinander im Dialog, voneinander lernen, gemeinsam Brücken bauen“, S. 3 f., 15 (abgerufen am 02.11.2020). 112  Ebd., 13. 113  Vgl. Ministerium der Justiz Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 01.02.2016: „Ausbildungsprojekt zur islamischen Gefangenenseelsorge gestartet“.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Der Rahmenvertrag ist bisher jeweils jährlich verlängert worden.114 Nach dessen Regelungen schließt das Mannheimer Institut Arbeitsverträge mit den einzusetzenden Seelsorgerinnen und Seelsorgern und entsendet diese in die Justizvollzugsanstalten des Landes. Dort werden die Seelsorgenden als „ehrenamtliche Vollzugshelfer“ eingesetzt.115 Als Aufgaben der Seelsorgenden werden in dem Rahmenvertrag die Durchführung von „islamischen Gottesdiensten, Gesprächsgruppen über islamische Glaubensinhalte und Einzelseelsorge für Gefangene islamischen Glaubens“ bestimmt.116 Als persönliche Voraussetzungen sind festgelegt, dass die Seelsorgenden die muslimischen „Gefangenen unterschiedlicher Herkunft und Sprache erreichen“ können sollten, Deutsch sprechen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung vertreten, die verschiedenen Glaubensrichtungen des Islams berücksichtigen können und dem interreligiösen Dialog offen gegenüber stehen.117 Auf diese Weise werden inzwischen kon­ stant Seelsorgerinnen und Seelsorger in die Vollzugsanstalten entsandt: Im Juli 2018 waren es zwölf Personen,118 im Frühjahr 2020 wurden 13 Seelsorgende eingesetzt,119 im Jahr 2022 sind elf Männer und Frauen als muslimische Seelsorger tätig.120 Für die Finanzierung einer Aufwandsentschädigung der Mitarbeiter des Mannheimer Instituts stehen im Haushaltsjahr 2018/2019 im Justizetat 100.000 Euro zur Verfügung.121 Der Einsatz der Seelsorger aufgrund des Rahmenvertrages mit dem Mannheimer Institut wurde während der ersten Jahre durch den Kriminologischen Dienst des Landes evaluiert,122 nachdem bereits im Vorfeld im Rahmen einer Pilotstudie der (ehrenamtliche) Einsatz von muslimischen Seelsorgern unter114  Auskunft des Ministeriums für Justiz und Europa Baden-Württemberg an den Verfasser. 115  Bartsch/Bergmann/Stelly/Kinzig/Hibaoui/Schaffer/Stelzel, Forum Strafvollzug 2018, S. 52, 56. 116  Schaffer/Obergfell-Fuchs, „Evaluation Islamische Gefangenenseelsorge“, S. 3. 117  Ebd., 3 f. 118  Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg, Antwortschreiben an den Verfasser vom 19.07.2018 (per E-Mail). 119  Schaffer/Obergfell-Fuchs, „Muslimische Gefangenenseelsorge – Eine Evaluation im baden-württembergischen Justizvollzug“, Forum Strafvollzug 2020, S. 200– 204, 200. 120  Auskunft des Ministeriums für Justiz und Europa Baden-Württemberg an den Verfasser. 121  Ministerium der Finanzen Baden-Württemberg, S. 129 (Kapitel 0508 Justizvollzugsanstalten, Titel 0534 0574, Erläuterung Nr. 0502). 122  Schaffer/Obergfell-Fuchs, „Evaluation Islamische Gefangenenseelsorge“; inzwischen veröffentlicht in Schaffer/Obergfell-Fuchs, Forum Strafvollzug 2020, S. 200.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern171

sucht worden war.123 Wesentliche Erkenntnisse der Evaluation sind, dass anfänglich zwar ein Mehraufwand für die Bediensteten besteht und die Angebote bzw. die Begleitung der Angebote mit den sonstigen Vollzugsabläufen kollidieren. Der regelmäßige und zuverlässige Einsatz der Seelsorgenden des Mannheimer Instituts stelle aber gegenüber den ehrenamtlichen Angeboten eine Verbesserung dar. Überwiegend bieten die Seelsorger des Mannheimer Instituts Einzel- und Gruppengesprächsangebote an. Das Freitagsgebet wird häufig zusätzlich von örtlichen Imamen angeboten. Seitens der Seelsorger würde eine Ausweitung der zeitlichen Präsenz und eine stärkere Einbindung in die Vollzugsabläufe befürwortet. Von den Gefangenen wurden Kenntnisse des Vollzugsalltags für die Seelsorgenden als wichtig erachtet und die Vermittlung islamisch religiöser Praxis gewünscht.124 2. Ehrenamtliche Seelsorger Neben der Kooperation mit dem Mannheimer Institut besuchen in manchen baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten auch Imame der örtlichen Moscheegemeinden die Inhaftierten, insbesondere an Feiertagen.125 Für diese gelten im Wesentlichen dieselben rechtlichen Voraussetzungen, da die Mitarbeiter des Mannheimer Instituts seitens der Vollzugsverwaltungen als Ehrenamtliche bzw. externe Kräfte gelten. Nach Auskunft des baden-württembergischen Justizministeriums bestehen keine vertraglichen oder anderen rechtlich gesicherten Vereinbarungen zum Einsatz der ehrenamtlich in den Anstalten tätigen Imame, wobei es sich alleine aufgrund der zahlenmäßigen Relevanz überwiegend um Imame der örtlichen DİTİB-Moscheegemeinden handelt. Dem liege aber keine Vereinbarung auf Landesebene mit dem insoweit zuständigen Türkischen Generalkonsulat zugrunde.126 Im Rahmen der kriminologischen Pilotstudie gaben demgegenüber aber Anstaltsleitungen an, dass die Imame der DİTİBGemeinden auf Vermittlung des Generalkonsulats tätig seien.127

123  Bartsch/Bergmann/Stelly/Kinzig/Hibaoui/Schaffer/Stelzel, Forum Strafvollzug 2017, S. 316; Bartsch/Bergmann/Stelly/Kinzig/Hibaoui/Schaffer/Stelzel, Forum Strafvollzug 2018, S. 52. 124  Schaffer/Obergfell-Fuchs, Forum Strafvollzug 2020, S. 200, 201 ff. 125  Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg, Antwortschreiben an den Verfasser vom 19.07.2018 (per E-Mail). 126  Auskunft des Ministeriums für Justiz und Europa Baden-Württemberg an den Verfasser. 127  Bartsch/Bergmann/Stelly/Kinzig/Hibaoui/Schaffer/Stelzel, Forum Strafvollzug 2018, S. 52, 53 f.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

II. Bayern In Bayern werden religiöse Angebote durch ehrenamtliche und dienstvertraglich beschäftigte Mitarbeiter sowie durch bisher einen Vollzeit-Beschäftigten in mehreren Vollzugsanstalten angeboten. Teilweise bestehen Vereinbarungen mit örtlichen Integrationsvereinen für professionelle Seelsorge oder mit örtlichen Gemeinden für ehrenamtliche Seelsorgende. Vor einigen Jahren hatten dies noch überwiegend Imame der örtlichen DİTİB-Gemeinden auf Vermittlung des Türkischen Generalkonsulates übernommen. 1. Zusammenarbeit mit örtlichen Integrationsvereinen Für muslimische religiöse Angebote bestehen bei einigen Justizvollzugsanstalten Kooperationsverträge mit örtlichen Integrationsvereinen, die nicht den bundesweit agierenden Islamverbänden angeschlossen sind und sich insofern islamisch-religiös als unabhängig verstehen. Vorreiter ist diesbezüglich das Projekt „musa – Muslimische Seelsorge in Augsburg“, das auf eine Initiative der Stadt Augsburg zurückgeht, nachdem sich örtliche Moscheegemeinden nicht auf eine gemeinsame Krankenhausseelsorge haben einigen können.128 Das Projekt wird heute getragen durch den Verein „Institut für transkulturelle Verständigung (itv) e. V.“ und finanziell durch die Stadt Augsburg unterstützt, sowie für den landesweiten Ausbau einer muslimischen Krankenhausseelsorge durch das Staatsministerium für Arbeit und Soziales gefördert.129 Der Trägerverein itv bietet Ausbildungskurse für muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger an, dessen Absolventen vereinzelt auch in der Augsburger Justizvollzugsanstalt tätig waren und derzeit in zwei Vollzugsanstalten eingesetzt werden.130 Das Staatsministerium für Justiz benennt diese Kooperation auch in Zusammenhang mit Initiativen zur Extremismusbekämpfung durch die „Zentrale Koordinierungsstelle für Maßnahmen gegen Salafismus/Islamismus in Justizvollzugsanstalten“, die auch an der Vermittlung muslimischer Seelsorger beteiligt ist.131 Eine weitere Kooperationsvereinbarung einer Vollzugsanstalt besteht mit dem Verein „Begegnungsstube Medina e. V.“ in 128  Rohe/Jaraba, Islam in Bayern – Policy Paper für die Bayerische Staatsregierung im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (2018), S. 41. 129  Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Pressemitteilung vom 26.01.2017: „Sozialstaatssekretär Hintersberger: ‚Wir stellen 152.000 Euro für bayernweites Netzwerk zur Betreuung von Muslimen in Krisensituationen bereit‘ “; Bayerischer Landtag, Drs. 17/15399 (13.04.2017). 130  Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 16. Juli 2019 (Az. F 7 – 4407E – VIIa – 8243/2018), S. 4. 131  https://www.justiz.bayern.de/justizvollzug/extremismusbekaempfung/ (abgerufen am 10.06.2022).



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern173

Nürnberg.132 Dieser Verein setzt sich insbesondere für interkulturelle und interreligiöse Begegnungen ein und bietet unter anderem Moscheeführungen, Schulaktionen und religiöse Veranstaltungen in Seniorenheimen an.133 Die Kooperationsvereinbarung zwischen JVA und einem verbandsunabhängigen Integrationsverein regelt den Einsatz von „muslimischen Seelsorgeberatern“ für die „seelsorgerische Betreuung“ von muslimischen Gefangenen.134 Der jeweilige Verein hat demnach der Anstalt die einzusetzenden Personen zu benennen, für deren Einsatz die Anstaltsleitung das „notwendige Einverständnis gegenüber [dem Verein]135 unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs“ erklärt. Als Voraussetzung für das Einverständnis erklärt die Vereinbarung die Verwaltungsvorschrift für den Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter (Nr. 1 der VV zu Art. 175 BayStVollzG) für anwendbar. Nach Auskunft des Staatsministeriums sollen die Vollzugsanstalten bei der Auswahl der Personen auf eine theologische oder theologisch-pädagogische Ausbildung Wert legen.136 In dem durch das Ministerium für diese Arbeit beispielhaft mitgeteilten und anonymisierten Vertrag sind die als Seelsorgeberater einzusetzenden Personen bereits mit Namen, Geburtsdatum und Wohnort zu benennen. Eine Änderung dieser Personen bedarf nach den Regelungen der Vereinbarung „des Einvernehmens zwischen [dem Verein] und der Justizvollzugsanstalt“. Die vertragliche Konstruktion sieht keine eigene Bindung der Seelsorgeberater an die Vollzugsanstalt vor, stattdessen erfolgt eine Vergütung für die geleisteten Beratungsstunden nur im Rahmen der Vereinbarung an den jeweiligen Verein in Höhe von 13 €/Stunde. Über die vertragliche Verbindung des Vereins mit den eingesetzten Personen schweigt der Vertrag, abgesehen von der Verpflichtung zur gesetzmäßigen steuerrechtlichen Behandlung der Vergütungen. Im Übrigen gewährt die Vereinbarung die Zuweisung von Räumlichkeiten für die muslimische Seelsorgeberatung, die durch Einzel- und Gruppengesprächsangebote sowie die gemeinsame Feier der religiösen Feste geleistet wird.

132  Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 16. Juli 2019 (Az. F 7 – 4407E – VIIa – 8243/2018), S. 3. 133  https://medina-online.de/ueberuns/ (abgerufen am 10.06.2022). 134  Anonymisierter Vertrag mitgeteilt als Anlage zu Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 16. Juli 2019 (Az. F 7 – 4407E – VIIa – 8243/2018). 135  Im Original ist an dieser Stelle der vertragschließende Verein genannt. 136  Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 16. Juli 2019 (Az. F 7 – 4407E – VIIa – 8243/2018).

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

2. Hauptamtliche Beschäftigung verbandsunabhängiger Seelsorger Die Beschäftigung von Seelsorgern im Hauptamt, die im Einvernehmen mit der Religionsgemeinschaft bestellt oder vertraglich verpflichtet werden, stellt nach Art. 178 Abs. 1 BayStVollzG den Normalfall der Seelsorge in den bayerischen Justizvollzugsanstalten dar. Diesen versucht der Freistaat seit Kurzem durch die Anstellung eigener muslimischer Seelsorger herzustellen. Mit dem Haushalt 2019/2020 sind nach einem Antrag der CSU-Fraktion die Mittel für nebenamtliche Kräfte um weitere 75.000 € erhöht worden, um „zwei weltanschaulich neutrale muslimische Seelsorger“137 zu beschäftigen.138 Seit August 2019 ist erstmals bei einer Justizvollzugsanstalt ein Imam ohne verbandliche Anbindung hauptamtlich beschäftigt und für die religiöse Betreuung in mehreren Anstalten zuständig. Die politische Motivation für die hauptamtliche Beschäftigung liegt deutlich erkennbar in der Verbindung mit Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen: Zwar bezieht sich das Staatsministerium in der Begründung des Haushaltsentwurf noch allgemein auf die Ausweitung der muslimischen Seelsorge, für die gemeinsam mit Deutsch- und Integrationskursen sowie Maßnahmen zur Extremismusbekämpfung weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen.139 Die antragstellende CSU-Fraktion meint dagegen, der Einsatz „von zwei weltanschaulich neutralen muslimischen Seelsorgern reduziert infolge der dadurch möglichen strukturierten, dauerhaften und zuverlässigen Betreuung muslimischer Gefangener das Radikalisierungspotential im Justizvollzug erheblich und stellt ein sinnvolles Modul der Radikalisierungsprävention dar“.140 Diese Zielsetzung wurde auch in der abschließenden Plenumsberatung deutlich, wo die Vorsitzende des Rechtsausschusses als Maßnahmen, um Radikalisierungen zu verhindern, die „Vielzahl von Präventions-, Deradikalisierungs- und Seelsorgeprogrammen“ nannte.141 Ein Antrag der oppositionellen SPD-Fraktion mit einer weniger eindeutigen Verknüpfung des Ausbaus muslimischer Seelsorge mit Präventionsmaßnahmen im Justizvollzug war allerdings noch im Jahr 2018 abgelehnt worden.142 137  Bayerischer

Landtag, Drs. 18/935 (20.03.2019). weiteren Verfahren siehe Bericht und Beschlussempfehlung des Verfassungs- und Rechtsausschusses in Bayerischer Landtag, Drs. 18/1762 (27.03.2019); Beratung und Abstimmung des Justizhaushalts in Bayerischer Landtag, PlPr. 18/17, S. 1586. 139  Kap. 0405, Tit. 427 71 in Bayerischer Landtag, Drs. 18/346 (22.02.2019), S.  80 f. 140  Bayerischer Landtag, Drs. 18/935 (20.03.2019). 141  Bayerischer Landtag, PlPr. 18/17, S. 1580 f. 142  Bayerischer Landtag, Drs. 17/23136 (04.07.2018); Bayerischer Landtag, Drs. 17/24128 (27.09.2018). 138  Zum



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern175

Das Staatsministerium der Justiz sieht in der hauptamtlichen Beschäftigung eines verbandsunabhängigen Imams einen Fall von Art. 178 Abs. 1 BayStVollzG,143 obwohl danach die Seelsorger „im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ bestellt oder vertraglich verpflichtet werden. Die Einbindung eines islamischen Verbandes bzw. Religionsgemeinschaft steht der politisch gewünschten und haushaltsrechtlich beschlossenen Verpflichtung des verbandsunabhängigen Imams aber entgegen und ist offenbar auch nicht erfolgt. Deshalb stellt die Ausübung islamischer Seelsorge durch hauptamtliche Beschäftigte einen Fall von Art. 178 Abs. 2 BayStVollzG dar. 3. Ehrenamtlich tätige (DİTİB-)Imame Bis vor wenigen Jahren hatten ausschließlich ehrenamtlich tätige Imame in den bayerischen Vollzugsanstalten religiöse Angebote für Muslime organisiert. Trotz der beschriebenen Verfestigung durch Kooperations- oder Arbeitsverträge sind nach wie vor in vielen Anstalten örtliche Imame ehrenamtlich tätig.144 Neben einzelnen verbandsunabhängigen Imamen sind dies insbesondere die Imame der örtlichen Moscheegemeinden der DİTİB,145 die unter anderem auf Vermittlung des Türkischen Generalkonsulates in die Vollzugsanstalten entsandt werden.146 Über die Zulassung entscheidet auch der konsularisch entsandten Imame entscheidet nach den Regelungen für ehrenamtliche Mitarbeiter im Strafvollzug ausschließlich die einzelne Anstalt.147

III. Berlin Im Land Berlin hat sich nach gescheiterten früheren Versuchen seit wenigen Jahren eine deutschlandweit einmalige Konstruktion zur Organisation von islamischer Gefangenenseelsorge etabliert. Religiöse Angebote für die etwa zwanzig Prozent muslimischer Gefangener in Berliner Vollzugsanstalten148 – im Jugendstrafvollzug hatten aber bereits im Jahr 2011 über 35 Prozent die muslimische Religionszugehörigkeit angegeben149 – werden 143  Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 16. Juli 2019 (Az. F 7 – 4407E – VIIa – 8243/2018). 144  Ebd. 145  Bayerischer Landtag, Drs. 18/4320 (22.10.2019), S. 12 f. 146  Bayerischer Landtag, Drs. 17/5771 (17.04.2015), S. 2. 147  Ebd., 3. 148  Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, Pressemitteilung vom 12.02.2015: „Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz gründet den ‚Berliner Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter‘ “. 149  Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/13336 (20.02.2018), S. 3.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

derzeit von 17 Seelsorgern angeboten, die durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (im Folgenden: Senatsverwaltung für Justiz) nach Vorschlag von muslimischen Verbänden ernannt worden sind.150 Die Senatsverwaltung wird dabei von einem „Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter“ beraten. Maßgebliche Details zur Zusammenarbeit der Verbände mit der Senatsverwaltung sind in einer Rahmenvereinbarung festgelegt, die nicht mit den Verbänden selbst, sondern mit einem Trägerverein abgeschlossen worden ist. 1. Einzelne Angebote und gescheiterter Kooperationsversuch Teilweise bereits seit den 1990er-Jahren wurden in der Justizvollzugsanstalt Moabit Freitagsgebete für Gefangene muslimischen Glaubens durch arabisch-sprachige Honorarkräfte angeboten, die auch in anderen Bereichen im Vollzug tätig und „als besonders zuverlässig bekannt“ waren.151 Im Laufe der 2000er-Jahre entwickelten sich verschiedene „Angebote an religiöser Betreuung muslimischer Inhaftierter“ durch örtliche Initiativen und Islam­ verbände:152 So bot der Verein für Integrations- und Jugendhilfe Licht­ jugend  e. V. theologische und seelsorgerische Betreuung in einer Gesprächsgruppe an, der Verein Berliner Strafgefangenen- und Krankenhilfe e. V. organisierte Gesprächsgruppen besonders für türkische Gefangene. Außerdem gab es konfessionsübergreifende Angebote der christlichen Anstaltsseelsorger und das Türkische Generalkonsulat bzw. die Türkische Botschaft organisierte mit den in Deutschland in DİTİB-Gemeinden tätigen Imamen Feierlichkeiten zum Opfer- und Zuckerfest in den Vollzugsanstalten. In der Jugendstrafanstalt Berlin wurde über die Stationsfernsprecher der Kontakt mit dem Muslimischen Seelsorgetelefon, das von der deutschen Organisation der weltweit agierenden muslimischen Hilfsorganisation Islamic Relief getragen wurde, ermöglicht.153 Daneben gab es auch Einzelpersonen aus örtlichen Moscheegemeinden, die auf Eigeninitiative in Vollzugsanstalten tätig wurden.154 Mit den 2010er-Jahren bahnte sich aufgrund einer Anregung des Berliner Islamforums eine stärkere Kooperation der Senatsverwaltung für Justiz mit mehreren Islamverbänden an. Dazu gründete sich im Juni 2012 die Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge e. V. (AGMGS) als Zusammenschluss der Islamverbände Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Reli150  Senatsverwaltung für Justiz, Vorl. 18/173/01-V (11.09.2019), S.  127 (lfd. Nr. 176). 151  Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 15/12804 (25.09.2005). 152  Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 16/15486 (22.06.2011), S. 3. 153  Auch zum Vorherigen ebd., 3 f. 154  Abgeordnetenhaus Berlin, Wortprotokoll Recht 17/57 (29.04.2015), S. 3.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern177

gion e. V. (DİTİB), Islamische Föderation Berlin, Initiative Berliner Muslime (­IBMUS) der Deutsch-Arabische Kulturverein „Haus der Weisheit e. V.“, Lichtjugend e. V., Islamic Relief Deutschland und Gemeinschaft muslimischer Juristen e. V.155 Der Zweck des Vereins ist laut Satzung die „Förderung der islamischen Seelsorge für Strafgefangene […] und die Förderung der islamischen Religion“.156 Für die Zusammenarbeit mit der Vollzugsverwaltung war bereits ein Vertragsentwurf vorbereitet und ein Ausbildungsprogramm für 28 künftig tätige Seelsorger begonnen worden. Im Einklang mit dem Vertragsentwurf erfolgte während des Ausbildungsprogramms, noch vor Beginn der Tätigkeit eine Überprüfung der Personen durch den Verfassungsschutz. Dabei stellte sich heraus, dass teilweise Verbindungen zu salafistischen Bewegungen, den Muslimbrüdern oder der Islamischen Gemeinschaft Milî Göruş bestanden, sodass die Zusammenarbeit mit diesen Personen angelehnt wurde.157 Aufgrund dessen hat die Senatsverwaltung für Justiz die Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten Verein im August 2013 beendet und die Unterzeichnung des Vertrags abgesagt,158 woraufhin die Islamverbände ihre Teilnahme am Islamforum der Berliner Integrationsbeauftragten auch mit Verweis auf die Intransparenz der Verfassungsschutz-Bewertung zwischenzeitlich verweigerten.159 Zwar versprach der damalige Justizsenator unmittelbar auf die Suche nach einem tragfähigen Folgeprojekt mit den beteiligten Islamverbänden zu gehen,160 bis dahin vergingen aber fast zwei Jahre. 2. Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter Seit Februar 2015 erfolgt die Zusammenarbeit mit den Verbänden über einen Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter, der bei der Senatsverwaltung für Justiz angesiedelt ist. Nach der Gründung durch den Justizsenator agiert der Beirat nun aufgrund einer Beiratsordnung vom 20. April 2015, die am 2. Februar 2017 nochmals angepasst worden ist. Die Beiratsordnung regelt in insgesamt achtzehn dezimal gegliederten Normen die Aufgaben, die Mitgliedschaft und die Organisation des Beirats. Aufgabe des Beirates ist, die Senatsverwaltung „bei der Einführung, Durchführung und Fortentwicklung einer bedarfsorientierten religiösen Be155  Abgeordnetenhaus

Berlin, Drs. 16/15486 (22.06.2011), S. 1. 1 f. 157  Abgeordnetenhaus Berlin, Inhaltsprotokoll Recht 17/32 (04.12.2013), S. 1. 158  Ebd., 2; vgl. auch Plarre, „Muslime allein hinter Gittern“, http://www.taz. de/!5058745/ (abgerufen am 10.06.2022). 159  Islamische Föderation in Berlin/DiTiB Berlin u.  a., Pressemitteilung vom 12.11.2013: „Muslimische Vertreter sagen Islamforum ab“. 160  Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 17/20411 (27.09.2013). 156  Ebd.,

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

treuung muslimischer Inhaftierter und Verwahrter in den Justizvollzugsanstalten des Landes Berlin“ zu unterstützen und zu beraten (Nr. 1.1).161 Um eine „interessengerechte und bedarfsorientierte religiöse Betreuung“ zu bieten, soll der Beirat nach Bewertung und Gewichtung der Bedürfnisse muslimischer Gefangener dann der Senatsverwaltung entsprechende Maßnahmen empfehlen, wobei religiöse Inhalte die Glaubensgemeinschaften „bestimmen und verantworten“ (Nr. 1.3). Konkret berät der Beirat auch die Senatsverwaltung „bei der Auswahl geeigneter Imame, Religiöser Betreuer oder Gemeindevertretungen“ für den Einsatz in Vollzugsanstalten (Nr. 1.4). Voraussetzungen und Angebote „einer möglichst standardisierten religiösen Betreuung“ soll der Beirat begleiten, wobei insbesondere die Einhaltung muslimischer Verhaltens- und Speisevorschriften, der Besitz religiöser Schriften, die Ausübung der Tages- und Freitagsgebete und die Begehung hoher Feiertage sowie die seelsorgerische Betreuung Einzelner durch Religionsvertreter relevant ist (Nr. 1.6). Ferner soll der Beirat „in der Öffentlichkeit für Verständnis für die Belange einer religiösen Betreuung muslimischer Inhaftierter“ werben (Nr. 1.2), kann im Auftrag der Senatsverwaltung für Justiz einzelnen Mitgliedern Koordinationsaufgaben übertragen und wissenschaftliche Analysen und Evaluationen in Auftrag geben (Nr. 1.5), soll den Interessenausgleich zwischen Verbänden und Senatsverwaltung fördern (Nr. 1.7), in Einzelfällen vermitteln (Nr. 1.8), vertrauensvoll mit der Senatsverwaltung zusammenarbeiten und einen Austausch über Grundsatzfragen des Justizvollzugs ermöglichen (Nr. 1.9). Dem Beirat sollen gemäß Nr. 2 der Beiratsordnung zwölf bis 15 ehrenamtlich tätige Personen angehören, die durch die Mitgliedsverbände entsandt und von der Senatsverwaltung für den Zeitraum von zwei Jahren mit (zwei­ maliger)162 Verlängerungsmöglichkeit berufen werden (Nr. 3.1). Die Zusammensetzung soll eine angemessene Gewichtung von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Gruppierungen und Institutionen beachten (Nr. 2). Von Seiten der Muslime sind die muslimischen und alevitischen Verbände und Gemeinden in Berlin sowie andere „Initiativen und Vereine“ vertreten, von Seiten des Landes Berlin die Senatsverwaltung für Justiz, die Justizvollzugsanstalten sowie der Integrationsbeauftragte und der Beauftragte für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, ferner sind Religions- bzw. Islamwissenschaften vertreten. Bei seiner Gründung gehörten dem Beirat Vertrete161  Ordnung für den Berliner Beirat für religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter (Stand: 02. Februar 2017) mitgeteilt als Anhang zu Senatsverwaltung für Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 12. Juni 2019 (Gz. III A 10 – 4557/E/4/2018). 162  Die gemäß Nr. 3.1 geltende Befristung auf zwei Verlängerungen ist inzwischen aufgehoben worden (Mitteilung des Kriminologischen Dienstes für den Berliner Justizvollzug ggü. dem Verf. am 31.03.2022).



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern179

rinnen und Vertreter des Vereins Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge e. V. (AGMGS), der DİTİB, der islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands, das Semerkand Glaubens- und Kulturzentrum e. V., die Alevitischen Gemeinde Berlin, der Verein Berliner Strafgefangenen- und Krankenhilfe e. V. sowie das Berliner Islamforum an. Weitere Mitglieder des Beirats entstammen der Islamwissenschaften der Humboldt-Universität und der Freien Universität Berlins sowie dem Runden Tisch für ausländische Inhaftierte, der durch den Verein Freiabonnements für Gefangene e. V.163 und den Berliner Vollzugsbeirat getragen wird.164 Seither sind keine weiteren Verbände im Beirat vertreten.165 Vorsitzende des Beirates ist die Staatssekretärin für Justiz in der Senatsverwaltung für Justiz (Nr. 3.2), der Senatsverwaltung obliegt auch die Geschäftsführung (Nr. 3.5). Der Beirat soll bei Beschlüssen „Einmütigkeit“ anstreben, Mehrheitsbeschlüsse sollen nur ausnahmsweise getroffen werden und „gegen das einmütige Votum der Religionsgemeinschaften“ können keine Beschlüsse gefasst werden (Nr. 3.3). 3. Rahmenvereinbarung mit Verbänden Als „Orientierungshilfe“ für die Praxis haben wesentliche Beteiligte des „Beirates für religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter“ eine „Rahmenvereinbarung für die Religiöse Betreuung muslimischer und alevitischer Inhaftierter in den Justizvollzugsanstalten des Landes Berlin“166 geschlossen. Neben der Senatsverwaltung und der AGMGS sind an der Vereinbarung auch die Alevitische Gemeinde zu Berlin e. V. und die Berliner Justizvollzugsanstalten beteiligt. Gemäß der Vorbemerkung in § 1 der Berliner Rahmenvereinbarung (RhV Bln) zählen zu den Beteiligten auch der Berliner Beirat und der Verein Freiabonnements e. V., die alle gemeinsam „einen Beitrag für eine interessengerechte und kontinuierliche religiöse Betreuung muslimischer und alevitischer Gefangener/Verwahrter“ leisten möchten. Als weiterer Beteiligter ist inzwischen der Verein „Shems – Sozialnetzwerk europäischer Sufis“ aufgenommen worden.167 163  https://freiabos.de/der-runde-tisch-fuer-auslaendische-gefangene/ (abgerufen am 10.06.2022). 164  Abgeordnetenhaus Berlin, Wortprotokoll Recht 17/57 (29.04.2015), S. 4; Abgeordnetenhaus Berlin, 17/15902 (14.04.2015). 165  Senatsverwaltung für Justiz, Antwort per E-Mail auf Nachfragen des Verfassers am 12. Juli 2019 (Az. III A 10 (V) – 4557/E/4/2018). 166  Mitgeteilt als Anhang zu Senatsverwaltung für Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 12. Juni 2019 (Gz. III A 10 – 4557/E/4/2018). 167  Auskunft des Kriminologischen Dienstes für den Berliner Justizvollzug gegenüber dem Verfasser am 31.03.2022.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Die mit der Vorbemerkung insgesamt neun Paragraphen umfassende Vereinbarung regelt detailliert Art und Umfang der religiösen Betreuung, Qualifikationsvoraussetzungen und das Zulassungsverfahren der als Imame und alevitische Dedes bezeichneten religiösen Betreuer, die Einschränkungen aufgrund der Sicherheit und Ordnung in den Justizvollzugsanstalten, die Zusammenarbeit der Unterzeichner bei der Umsetzung der Vereinbarung und deren Anwendungsbereich sowie das Verfahren bei späteren Änderungen der Vereinbarung. Die Regelungen lassen sich in drei verschiedene Typen unterteilen: neben weitgehend deklaratorischen Wiederholungen der geltenden Rechtslage sind dies orientierende Lösungshilfen und Kooperationszusagen innerhalb der eigenen Kompetenzen.168 a) Deklaratorische Regelungen insbesondere für Religiöse Betreuer Viele Regelungen der Rahmenvereinbarung geben (lediglich) die geltende Rechtslage wieder. Zwar ist die Rechtslage mancherorts nicht derart eindeutig, dass sich die Anwendbarkeit auf die Religiöse Betreuung im Sinne der Rahmenvereinbarung bereits ausdrücklich aus dem Wortlaut ergeben würde. Aber die Regelungen der Vereinbarung schaffen ebenso keine gänzlich neue Rechtslage. Dies ist in dieser Form eines Vertrages der Verwaltung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ohne Transformation in Gesetzesrang gar nicht möglich. Die Kompetenz der Senatsverwaltung zur Regelung besonderer Zulassungsverfahren für Seelsorger ergibt sich zwar unmittelbar aus § 105 Abs. 1 S. 2 StVollzG Bln. Eine Möglichkeit zur Verpflichtung unbeteiligter Dritter durch Vertrag ergibt sich aber auch daraus nicht. Sofern daher die Rahmenvereinbarung auf vollzugsrechtliche Normen (Gesetze, Verwaltungsvorschriften, Anstaltsordnungen etc.) verweist, ist damit die Auslegungspraxis dieser Normen durch die Vollzugsbehörden offengelegt, ohne dass darin ein neuer Anwendungsbefehl liegen würde. Dies trifft in der Rahmenvereinbarung insbesondere auf Regelungen zu, die die Religiösen Betreuer verpflichten. Diese sind weder unterzeichnende Partei der Vereinbarung, noch hat die Vereinbarung gesetzlichen Rang. Daher sind die Regelungen zur Sicherheit und Ordnung (§ 4 Abs. 1–4, 7 RhV Bln sind der Berliner Ausführungsvorschrift zu § 154 Abs. 2 StVollzG169 und den §§ 52, 58, 59 168  Dazu näher siehe unten Kapitel 4, C. II. 2. „Regelungsgegenstände und Funktionen der Verträge“, S. 283; vgl. auch Anke, Die Neubestimmung des Staat-KircheVerhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge – Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments (zugl. Halle-Wittenberg, Univ., Diss., 2000). 169  Ausführungsvorschriften zu § 154 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, vom 11. August 2015 (JustV III A 10), abrufbar unter: https://www.berlin.de/justizvollzug/_assets/



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern181

JVollzDSG Bln ähnlich), zum Verbot der Annahme von Geschenken (§ 4 Abs. 5 RhV entspricht wesentlich § 42 Abs. 1 S. 1 BeamtStG und § 3 Abs. 3 S. 1 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom 12. Oktober 2006) und die Teilnahmemöglichkeit an Vollzugsplankonferenzen für Religiöse Betreuer mit Zustimmung des Gefangenen (§ 6 Abs. 4 RhV Bln entspricht § 59 JVollzDSG) als weitgehend deklaratorische Wiederholungen zu verstehen. b) Orientierende Lösungshilfen insbesondere für Gebete und Gottesdienste Der Charakter einer Orientierungshilfe für die Praxis (§ 1 Abs. 2 S. 1 RhV Bln) wird in denjenigen Regelungen deutlich, die Problemfelder der islamischen Religionsausübung im Strafvollzug benennen, den rechtlichen Rahmen darlegen und das dafür vereinbarte Ziel der Unterzeichner festlegen. Als Rechtsfolge folgt dabei stets die individuelle Absprache zwischen Justizvollzugsanstalten und Religiösen Betreuern. Neben den Regelungen zu muslimischen und alevitischen Festen (§ 2 Abs. 3 RhV Bln benennet das Ramadan-, das Opferfest, Ashura und Hizir, § 4 Abs. 6 RhV Bln erkennt das „Verteilen von alkoholfreien Lebens- und Genussmitteln an Gefangene/Verwahrte“ als „Ausdruck muslimischer und alevitischer Mildtätigkeit und Nächstenliebe“ zu hohen Glaubensfesten an) lässt sich dies insbesondere an den Regelungen zum Freitagsgebet nachweisen: § 2 Abs. 2 RhV Bln bestimmt, dass in den Berliner Justizvollzugsanstalten Freitagsgebete angeboten werden, mindestens alle drei Wochen (bei Freitagsgebeten wird ein zweiwöchiger Rhythmus „angestrebt“), aber unter dem Vorbehalt von „anstaltsspezifischen Gegebenheiten“. Dazu wird mit mindestens 60 Minuten ein „angemessener Zeitraum eingerechnet“ (§ 2 Abs. 2 S. 2) und es „wird ein angemessener Raum zur Verfügung gestellt“, der ein Mehrzweckraum aber kein christlich geweihter Kirchenraum sein dürfe und in dem „in Gebetsrichtung keine Abbildungen von Menschen oder Tieren angebracht“ sein sollten (§ 2 Abs. 2 S. 5, 6 RhV Bln). Aufgrund der Gebetszeit für das Freitagsgebet am frühen Nachmittag enthält die Rahmenvereinbarung eine differenzierte Beschreibung der dadurch entstehenden Probleme mit der gleichzeitig bestehenden Arbeitspflicht170 in der regulären Arbeitszeit in den Anstalten. Danach sind die jeweiligen Vollzugsanstalten und Religiösen Betreuer für die Festlegung der Gebetszeit zuständig („wird zwischen […] abgestimmt“, § 2 Abs. 2 S. 3 RhV Bln). Dabei sollen die „individuellen anstalts-organisatorischen Belange, senjustv/gesetze/verwaltungsvorschriften/stvollzg/av_zu_154_2_2_stvollzg.pdf gerufen am 10.06.2022). 170  Vgl. §§ 24–27 StVollzG Bln.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

insbesondere die Berücksichtigung der festgesetzten Arbeitszeiten der Inhaftierten in einem entlohnten Beschäftigungsverhältnis oder einer sonstigen Behandlungsmaßnahme (…) grundsätzlich Vorrang (haben)“. Für die dadurch entstehenden zeitlichen Verschiebungen des Freitagsgebets gibt die Rahmenvereinbarung sodann die Zielvorgabe vor, dass „seitens des Vollzugs die Verzögerung so kurz wie möglich zu halten ist“. Ähnlich sind auch die Regelungen zu mindestens dreiwöchentlich stattfindenden alevitischen Cem-Gottesdiensten in § 2 Abs. 3 RhV Bln. Die komplexe Einzelfallabwägung mit der regulären Arbeitszeit in den Vollzugsanstalten ist wegen der üblicherweise am Donnerstagabend terminierten Gottesdiensten aber nicht erforderlich.171 Ebenfalls vergleichbar sind die Zusagen für Religiöse Betreuer, die zur „liturgischen Durchführung“ der Gebete bzw. Gottesdienste „notwendigen Gegenstände und Hilfsmittel“ in Absprache mit den Vollzugsanstalten mitzubringen und aufzubewahren. Regelungstechnisch nicht vergleichbar, aber dennoch in diesem Zusammenhang praktisch relevant, ist auch die Festlegung der deutschen Sprache für die Gebete und Gottesdienste, insbesondere für die Predigt. Dagegen können Formeln und Koranzitate bzw. Lieder auch in arabischer bzw. türkischer Sprache erfolgen. Das Problem, regelmäßige Freitagsgebete während der regulären Arbeitszeit durchzuführen, wird folglich durch Benennung der Zuständigkeit von Anstaltsleitung und Religiösen Betreuern gelöst, denen durch die Rahmenvereinbarung das Ziel möglichst zeitnaher Ermöglichung der religiös terminierten Freitagsgebete vorgegeben wird. c) Kooperationszusagen innerhalb eigener Kompetenzen für die Zulassung Religiöser Betreuer Vereinbarungen über die Zusammenarbeit der unterzeichnenden Institutionen beschränken sich auf die Regelungen zur Auswahl und Zulassung der Religiösen Betreuer. Diese erfolgen jedoch nicht in Form von konkreten, gegenseitigen Handlungsvereinbarungen,172 sondern durch Kooperationszusagen im Rahmen der eigenen Kompetenzen. Dies gilt insbesondere für die Senatsverwaltung für Justiz. 171  Zum Gebetszeitpunkt vgl. Aksünger-Kizil/Kahraman, Das anatolische Alevitentum, S. 124. 172  Gegenseitige Zusagen finden sich in der Rahmenvereinbarung lediglich in § 6 Abs. 1 („Beteiligte arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen“), mehrfach gibt es auch programmatische Unterstützungszusagen der Senatsverwaltung für Justiz für die Belange der Religiösen Betreuer und der beteiligten Verbände, so in § 6 Abs. 2, 3 RhV Bln zur Information und Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern183

aa) Zulassungsverfahren der Berliner Rahmenvereinbarung Das in § 5 der Rahmenvereinbarung geregelte Zulassungsverfahren ist als fünfstufiges Verfahren unter Beteiligung der Senatsverwaltung, der Anstaltsleitungen, des Berliner Beirats für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter und des Vereins Freiabonnements für Gefangene e. V. sowie der im Beirat vertretenen Verbände gestaltet. Letztere erstellen im ersten Schritt eine Vorschlagsliste, die zweitens von der Senatsverwaltung nach Prüfung dem Beirat zur Ausübung seiner satzungsmäßigen Beratungskompetenz vorgelegt wird (§ 5 Abs. 1 RhV Bln). Der Prüfungsmaßstab der Senatsverwaltung ergibt sich dabei einerseits aus den Anforderungen an Religiöse Betreuer in § 3 RhV Bln in Verbindung mit der Regelungszuständigkeit für die Zulassung von Seelsorgerinnen in § 105 Abs. 1 S. 2 StVollzG Bln sowie aus der Ausführungsvorschrift über externe Mitarbeiter.173 Demnach müssen die Religiösen Betreuer über gute Deutschkenntnisse und eine vom vorschlagenden Verband bestätigte theologische Vorbildung verfügen (§ 3 Abs. 2 RhV Bln) sowie die üblichen Voraussetzungen externer Mitarbeiter erfüllen (über 18 Jahre alt, Straffreiheit innerhalb der vergangenen Jahre, keine Bewährungs- oder Führungsaufsicht, kein laufendes Ermittlungsverfahren und keine Nähebeziehung zu einem Gefangenen). Weitere sicherheitsrechtliche Überprüfungen erfolgen durch polizeiliche und nachrichtendienstliche Abfragen in einem nächsten Schritt, denn die vorgeschlagenen Betreuer haben dann in diesem Verfahrensstadium ihr Einverständnis zur einer erweiterten Sicherheitsüberprüfung gemäß §§ 11, 15 Abs. 2 BSÜG zu erklären (§ 5 Abs. 1 S. 2 RhV Bln). Außerdem haben sie die Teilnahme an der gemeinsamen „Vollzugsspezifischen Schulung“ der Senatsverwaltung und des FreiabonnementVereins nachzuweisen, bevor im dritten Schritt die Anstaltsleitungen in einem Gespräch und in Kenntnis der Sicherheitsüberprüfungsergebnisse die persönliche Eignung der Kandidaten einschätzen sollen (§ 5 Abs. 2 RhV Bln). Sofern auch dabei keine Bedenken festgestellt wurden, erfolgt die formelle Zulassung durch die Senatsverwaltung mit Ausstellung eines Betreuerausweises (§ 5 Abs. 3 RhV Bln). Zuletzt haben die Religiösen Betreuer mit dem Verein Freiabonnements für Gefangene e. V. einen Honorarvertrag abzuschließen (§ 5 Abs. 5 RhV Bln), der bereits durch Trägerschaft des Runden Tisches für ausländische Inhaftierte im Berliner Justizvollzug als externe Organisation tätig ist. Für die Finanzierung der Honorare174 erhielt der Verein im Haushaltsjahr 2017 eine Förderung durch Mittel der Senatsverwaltung 173  Verwaltungsvorschriften zu § 46 Absatz 2 Satz 1 des Berliner Strafvollzugsgesetzes vom 07.09.2020 (JustVA III A 10). 174  § 7 Abs. 4 RhV Bln stellt die „dauerhafte Umsetzung“ unter den Vorbehalt einer „auskömmlichen Finanzierung“ ohne den Finanzgeber ausdrücklich zu benennen, gemeint sein dürfte wohl nur die staatliche Finanzierung.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

für Justiz in Höhe von 35.000 €, in den Haushaltsjahren 2018/2019 erfolgt die Förderung gemeinsam mit derjenigen für den Runden Tisch für ausländische Gefangene in Höhe von insgesamt 77.500 €.175 Mit dem Haushaltsplan 2020/2021 stieg die gemeinsame Förderung des Runden Tisches und der Religiösen Betreuung auf 149.150 € (2020) bzw. 123.470 € (2021).176 Eine Abberufung eines Religiösen Betreuers aus religiösen oder anderen Gründen kann durch die beteiligten Verbände im Beirat eingebracht werden, der dieser bei voraussichtlich erfolglosem Einigungsversuch stattgibt. In kurzfristigen Angelegenheiten kann auch eine „vorübergehende Entbindung“ in Abstimmung mit der Senatsverwaltung erfolgen (§ 5 Abs. 4 RhV Bln). bb) Mehrfache Mediatisierung des Einflusses der Islamverbände Die Regelungen zur Zulassung der Religiösen Betreuer wirken vordergründig kooperativ, da sie den Verbänden ein Vorschlagsrecht und die Abberufungsmöglichkeit gewähren und außerdem durch den Beirat die Senatsverwaltung in der Zulassungsentscheidung beraten wird. Näher betrachtet zeigt sich jedoch, dass die Kooperation mehr auf gutem Willen, denn auf rechtlichen Verpflichtungen basiert. Die Beratungsfunktion des Beirates aus Nr. 1.4 der Beiratssatzung ist im Zulassungsverfahren nach § 5 der Rahmenvereinbarung nicht durch einen eigenen Verfahrensschritt abgebildet. Mehr noch: Während die Zulassung ohne verfahrensmäßige Beteiligung des Beirates auskommt, ist die Abberufung durch die Verbände nur unter eben solcher oder unter Beteiligung der Senatsverwaltung möglich. Auch in den übrigen Verfahrensschritten manifestieren sich die Entscheidungsspielräume der Vollzugsverwaltung bei gleichzeitiger Mediatisierung der Einflüsse muslimischer und alevitischer Verbände: Ein muslimischer Verband sunnitischer Ausrichtung vermittelt seinen Einfluss auf die religiöse Betreuung bereits durch die Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge, denn nur diese ist im Beirat vertreten und kann Betreuer vorschlagen. Ferner besteht das Vertragsverhältnis des vom Verband vorgeschlagenen Betreuers nur mit dem Verein Freiabonnements für Gefangene e. V., wobei die Honorare durch die Senatsverwaltung gegenfinanziert sind. Der Abschluss von Honorarverträgen mit dem nicht-religiösen Integrationsverein kann fast nur dem Ziel dienen, den unmittelbaren Einfluss der muslimischen Verbände durch Zwischenschaltung 175  § 1 Haushaltsgesetz 2018/2019 vom 19. Dezember 2017 (GVBl. S. 678) i. V. m. Haushaltsplan 2018/2019, Band 6, Einzelplan 06, Titel 068406, Fkt 056 in Abgeordnetenhaus Berlin, Anlage zu Drs. 18/0500, S. 22, 23. 176  Siehe Haushaltsplan 2020/2021, Band 6, Einzelplan 06, Titel 68406, Fkt 056 in Berlin, Vorlage zur Drs. 18/2020 (28.08.2019), S. 25.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern185

eines Mittlers zu begrenzen. Dies zeigt die letzte Norm der Rahmenvereinbarung zur Ausweitung der religiösen Betreuungsangebote. Denn § 9 Abs. 2 bestimmt, dass die Ausweitung der religiösen Betreuung einer schriftlichen Ergänzung der Rahmenvereinbarung bedarf, die auch als „Feststellung der Erweiterung der religiösen Betreuung (…) zusätzlich im Rahmen der Honorarverträge der Religiösen Betreuer und dem Verein Freiabonnements für Gefangene e. V.“ erfolgt. Mit dieser Regelung ist auch dem externen Verein die Hoheit über die Vertragsgestaltung genommen und bindet diese stattdessen an den Inhalt der Rahmenvereinbarung. So bestehen zwischen einem sunnitischen Verband innerhalb der AGMGS und der Vollzugsverwaltung bereits vier aufsteigende Stufen der Entscheidungsvermittlung, bei denen auf den drei oberen der staatliche Einfluss gesichert ist (Beirat, Honorarvertrag, Finanzierung). Für die alevitischen oder schiitischen Verbände im Beirat gelten diese drei letztgenannten Stufen, weil sich diese nicht der AGMGS angeschlossen haben. Zusammenfassend ist daher zu bemerken, dass die wenigen kooperativen Regelungen der Rahmenvereinbarung keineswegs die Kooperation zweier gleichberechtigter Partner regeln. Die Senatsverwaltung bedient sich vielmehr diverser Mittel, um die Entscheidungen religiöser Verbände zu kontrollieren. Gleichwohl muss auch klargestellt werden, dass an keiner Stelle eine unmittelbare Einflussnahme durch staatliche Stellen auf die Religionsverbände geregelt worden ist. Im Gegenteil: Vorschlags- und Abberufungsrecht sowie die Beratungsfunktion sind zwar vermittelnd ausgestaltet, die Beiratsordnung177 und die Rahmenvereinbarung178 markieren aber dennoch den religiösen Bereich als Grenze staatlicher Kompetenz und alleinige Zuständigkeit der Verbände.

IV. Brandenburg In Brandenburg, wo laut der MLD-Studie des Jahres 2008 nur 0,1 Prozent der Muslime in Deutschland leben179, besteht in den Justizvollzugsanstalten kein kontinuierlicher Bedarf an muslimischer Seelsorge für Inhaftierte, lediglich „in wenigen Fällen“ sei nach Auskunft des Justizministeriums ein Imam ausdrücklich gefordert worden.180 In solchen anlassbezogenen Einzelfällen orientiert sich die Zulassung des Seelsorgers nach Angaben des Justizminis177  Insbesondere wird mit Nr. 3.3 Beiratsordnung ein Beschluss gegen das gemeinsame Votum der Religionsverbände ausgeschlossen. 178  Beispielsweise erfolgt die Beurteilung der religiösen Vorbildung der Betreuer gemäß § 3 Abs. 2 RhV Bln ausschließlich durch die Religionsverbände. 179  Haug/Müssig/Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland, S. 107. 180  Landtag Brandenburg, Drs. 6/8962 (18.06.2018).

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

teriums an den Regelungen zur Besuchsdurchführung.181 Im Übrigen seien die Regelungen zum Umgang mit externen Mitarbeitern zu beachten, wonach die persönliche Eignung durch ein Gespräch, durch Prüfung eventuell anhängiger Ermittlungs-, Straf-, oder Disziplinarverfahren und potentieller Mitgliedschaften in verfassungsfeindlichen Organisationen sowie eines erweiterten Führungszeugnisses und eventuell persönlicher Nachweise festgestellt werden soll.182 Darüber hinaus findet bei nicht-christlichen Seelsorgern nach erfolgter Einwilligung auch eine Sicherheitsüberprüfung statt.183 Laut Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage im März 2015 bestand zu der Zeit allerdings kein Bedarf an einem Einsatz von muslimischen Anstaltsseelsorgern, wobei sich aus der Antwort nicht ergibt, ob damit auch einmalige Besuche bei muslimischen Gefangenen gemeint sein sollen oder ein stetiger (hauptamtlicher) Einsatz ähnlich der christlichen Seelsorger.184 Die Betreuung muslimischer Häftlinge erfolgt teilweise auch durch die in den Anstalten tätigen christlichen Seelsorger.185

V. Bremen In Bremen werden religiöse Angebote für muslimische Gefangene durch die Schura e. V., dem bremischen Dachverband muslimischer Gemeinschaften, aufgrund einer vertraglichen Regelung mit dem Senat der Hansestadt erbracht. Vertragspartner dieses Vertrages ist auch der Landesverband DİTİB für Niedersachsen und Bremen. Zuvor wurden religiöse Angebote für muslimische Gefangene in Einzelfällen mit Geistlichen organisiert, die vom Türkischen Generalkonsulat empfohlen worden waren.186 Am 15. Januar 2013 hat der Senat der Freien Hansestadt Bremen einen Vertrag mit drei islamischen Religionsgemeinschaften geschlossen,187 der unter anderem Regelungen zur „Religiösen Betreuung in besonderen Einrichtungen“ enthält und durch Zustimmung der Bürgerschaft am 24. Januar 2013 in Kraft getreten ist.188 Vertragspartner sind die Schura – Islamische Reli­ 181  Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 2. August 2018 (Az. (III.4) 4557-E IV.009/18), S. 2. 182  Ebd. 183  Landtag Brandenburg, Drs. 6/7408 (25.09.2017), S. 3 f. 184  Landtag Brandenburg, Drs. 6/1135 (20.04.2015), S. 3. 185  Ebd. 186  Senatskanzlei (17.09.2013), S. 5. 187  Vollständiger Vertragstext nach Unterzeichnung durch die Vertragspartner veröffentlich in Bremische Bürgerschaft, Drs. 18/727 (15.01.2013). 188  Namentliche Zustimmung mit 58 Ja-Stimmen, acht Nein-Stimmen und einer Enthaltung dokumentiert in Bremische Bürgerschaft, Plenarprotokoll 18/34 vom 24.01.2013, S. 2329.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern187

gionsgemeinschaft in Bremen e. V., der DİTİB-Landesverband der Islamischen Religionsgemeinschaften Niedersachsen und Bremen e. V.189 und der Verband der Islamischen Kulturzentren e. V. (VIKZ). Im Vertrag werden diese als Islamische Religionsgemeinschaften bezeichnet, woraus ersichtlich wird, dass die Hansestadt davon ausgeht, dass die beteiligten Verbände die Anforderungen des Grundgesetzes für Religionsgemeinschaften erfüllen. Mit den Zielen, die „gleichberechtige Teilhabe“ der islamischen Religions­ gemeinschaften am gesellschaftlichen Leben und „Teilhabe“ muslimischer Menschen zu fördern, haben sich die Religionsgemeinschaften und das Land Bremen auf einige allgemeine, die verfassungsrechtlichen Garantien wiederholenden, sowie weitere konkrete Artikel verständigt. Diese betreffen etwa den Moscheebau, das Bestattungswesen, Soziale und Bildungseinrichtungen, Feiertage und Gebührenbefreiungen. Zur Religionsausübung muslimischer Gefangener heißt es in Art. 7 Abs. 1 des Vertrages wörtlich: „Die Freie Hansestadt Bremen unterstützt die islamischen Religionsgemeinschaften, in öffentlichen Einrichtungen, wie Krankenhäusern, Heimen, Justizvollzugsanstalten und ähnlichen öffentlichen Einrichtungen sowie bei der Polizei unter Berücksichtigung der dienstlichen Belange und im Rahmen der räumlichen Möglichkeiten Gottesdienste und religiöse Veranstaltungen abzuhalten sowie seelsorgerlich tätig zu werden. § 53 StPO gilt auch für muslimische Geistliche.“

Ein ähnlicher Vertrag besteht seit dem 14. Oktober 2014, mit Zustimmung durch die Bürgerschaft vom 22. Oktober 2014,190 mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. und deren Vereinen und Untergliederungen in Bremen und Bremerhaven.191 Inhaltlich unterscheiden sich die Vertragstexte durch bekenntnisbedingte Abweichungen, so betrifft Art. 5 beispielsweise nicht den Moscheebau, sondern die Errichtung von Cem-Häusern. Ferner definiert Art. 13 den Geltungsbereich des Vertrags auch für künftige Organisationen der Alevitischen Gemeinde unabhängig von deren Rechtsform im Land Bremen, diese Regelung fehlt in dem Vertrag mit den drei islamischen Religionsgemeinschaften vom Januar 2013. Terminologische Unterschiede bezüglich der Geistlichen gibt es auch in der Regelung der „Religiösen Betreuung in besonderen Einrichtungen“ in Art. 7 des Vertrages: „Die Freie Hansestadt Bremen unterstützt die Alevitische Gemeinde in öffentlichen Einrichtungen, wie Krankenhäusern, Heimen, Justizvollzugsanstalten und ähnlichen 189  Diese Bezeichnung entspricht derjenigen des von der Senatsverwaltung mitgeteilten Vertragsentwurfes. Aktuell bezeichnet sich der Landesverband für Niedersachen und Bremen ausweislich der Internetseite des DİTİB-Zentralverbandes lediglich als „DİTİB Landesverband Niedersachsen und Bremen e. V.“, vgl. http://www.ditib. de/default1.php?id=12&sid=85&lang=de (abgerufen am 10.06.2022). 190  Bremische Bürgerschaft, PlPr. 18/68 (22.10.2014), S. 5016, 5075. 191  Vollständiger Vertragstext nach Unterzeichnung veröffentlicht in Bremische Bürgerschaft, Drs. 18/1582 (14.10.2014).

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

öffentlichen Einrichtungen sowie bei der Polizei unter Berücksichtigung der dienstlichen Belange und im Rahmen der räumlichen Möglichkeiten Gottesdienste und religiöse Veranstaltungen abzuhalten sowie seelsorgerlich tätig zu werden. § 53 StPO gilt auch für alevitische Geistliche (Dede, Ana, Zakir) und Seelsorger/innen.“

Den Verträgen gingen Sondierungen mit den islamischen Verbänden seit dem Jahr 2009 voraus, in denen die Regelungsgegenstände ausgewählt worden waren.192 Für die Organisation der Religionsausübung muslimischer und alevitischer Gefangener bestehen neben den zitierten vertraglichen Regelungen und den gesetzlichen Grundlagen keine weiteren Vereinbarungen zwischen den Vertragspartnern.193 So gelten die gesetzlichen Regelungen zum Strafvollzug sowie zum Justizdatenschutz für die Ernennung und Personenprüfung islamischer Seelsorger. Die vertraglich zugesicherte „Unterstützung […] unter Berücksichtigung der dienstlichen Belange und im Rahmen der räumlichen Möglichkeiten“ des Landes äußert sich in der Praxis durch regelmäßige Austauschtreffen mit den Anstaltsleitungen und feste Ansprechpartner für die Geistlichen auf Seiten der Vollzugsverwaltung.194 Die muslimischen Seelsorger, derzeit ist in der JVA Bremen nur ein von der Schura vorgeschlagener Geistlicher tätig, sind als Honorarkräfte beschäftigt und werden für ihre Tätigkeit mit 35 Euro pro Stunde vergütet.195 Weitere Seelsorger sind kürzlich in einem gemeinsamen Programm von Schura und Justizsenator ausgebildet worden.196

VI. Hamburg In Hamburger Justizvollzugsanstalten werden für die etwa 22 Prozent muslimischen Häftlinge (Stand: Dezember 2015)197 regelmäßig Einzel- und Gruppengespräche im Rahmen von Dienstleistungsverträgen mit islamischen Vereinen und ehrenamtlich auch Freitagsgebete angeboten (unten 2.).198 Mit der Schura, den Landesverbänden der DİTİB und des VIKZ besteht bereits seit November 2012 ein Vertrag mit grundlegenden Regelungen zu verschiedenen Bereichen, darunter auch die Betreuung muslimischer 192  Bremische

Bürgerschaft, Drs. 18/727 (15.01.2013), S. 1. für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Antwortschreiben an den Verfasser vom 19.03.2019 (Az. 4561-16-49), S. 1. 194  Ebd., 2. 195  Ebd. 196  Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Pressemitteilung vom 01.04.2019: „Muslimische Seelsorge in der Justizvollzugsanstalt Bremen – Ausbildung von Gefängnisseelsorgern erfolgreich beendet“. 197  Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drs. 21/2466, S. 3. 198  Freie und Hansestadt Hamburg Justizbehörde – Amt für Justizvollzug und Recht, Antwortschreiben an den Verfasser vom 8. August 2019. 193  Senator



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern189

Häftlinge. Ein nahezu wortgleicher Vertrag besteht auch mit der Alevitischen Gemeinschaft, ohne dass daraus bisher Angebote in Vollzugsanstalten entstanden sind (1.). 1. Die Verträge mit muslimischen Verbänden und mit der Alevitischen Gemeinde Als erstes Bundesland hat Hamburg im Jahr 2012 zwei Verträge mit islamischen bzw. alevitischen Verbänden abgeschlossen.199 In den Verträgen werden die Verbände Schura, DİTİB und VIKZ als Ergebnis von religionsund rechtswissenschaftlichen Gutachten200 als „islamische Religionsgemeinschaften“ bezeichnet. Der Senat geht aufgrund der Gutachten davon aus, dass die Verbände die Eigenschaften einer Religionsgemeinschaft im Sinne „der im Grundgesetz verwendeten Begrifflichkeit“201 erfüllen.202 Bezüglich der Alevitischen Gemeinde sieht der Senat der Hansestadt die Eigenschaft der Religionsgemeinschaft als geklärt an und verweist dazu auf religions- und rechtswissenschaftliche Gutachten, die das Land Nordrhein-Westfalen Anfang der 2000er-Jahre in Auftrag gegeben hatte und die in mehreren Bundesländern zur Einführung von alevitischem Religionsunterricht gemäß Art. 7 Abs. 3 GG geführt hatten.203 Die nahezu identischen Verträge bekräftigen die Anerkennung der durch das Grundgesetz geltenden Ordnung und regeln Ein199  Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren, Amtl. Anz. (Teil II HmbGVbl.) 2013, S. 997–1001; Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V., Amtl. Anz. (Teil II HmbGVbl.) 2013, S. 1001– 1004; mit Begründung veröffentlicht in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drs. 20/5830, S. 4 ff., bzw. 15 ff. 200  Ausführlich zur rechtlichen Notwendigkeit und zum politischen Umgang mit den Gutachten in Hamburg Hense, „Staatliche Verträge mit muslimischen Akteuren“, in: Thümler (Hrsg.), Vertrag mit muslimischen Verbänden?, S. 207 f.; vgl. auch LutzBachmann, Mater rixarum?, S. 450 ff.; Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste, „Zur Rolle religionswissenschaftlicher und staatskirchenrechtlicher Expertise im Prozess der rechtlichen Anerkennung des Islams in Deutschland“ (2016), S. 11 ff. 201  So für die Gutachtenfrage formulierend de Wall, „Rechtsgutachten über die Eigenschaft von ‚DITIB Landesverband Hamburg e. V.‘, „SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V.‘ und ‘Verband der Islamischen Kulturzen­ tren‘ e. V. Köln als Religionsgemeinschaften und weitere Aspekte ihrer Eignung als Kooperationspartner der Freien und Hansestadt Hamburg in religionsrechtlichen Angelegenheiten“ (2011), S. 1. 202  Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drs. 20/5830, S. 4. 203  Ebd., 2; dazu auch Aksünger-Kizil/Kahraman, Das anatolische Alevitentum, S. 139. Sökefeld, „Sind Aleviten Muslime?“, in: Sökefeld (Hrsg.), Aleviten in Deutschland, S.  208 f.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

zelaspekte des religiösen Lebens wie Feiertage, Bildung, Bestattung und religiöse Einrichtungen. Die Hamburger Bürgerschaft hat den Verträgen durch Beschluss zugestimmt und die gleichzeitig eingebrachte Änderung des Feiertagsgesetzes zur Umsetzung des Vertrages unter demselben Tagesordnungspunkt, aber in separater Abstimmung, beschlossen.204 Dadurch kommt den Verträgen nicht der Status von sonst üblicherweise durch Zustimmungsgesetz beschlossenen Staatsverträgen mit den Kirchen oder der jüdischen Religionsgemeinschaft zu. Senat und Bürgerschaft haben diese Besonderheit gesehen, sich aber offenbar aufgrund der politischen Wirkung des Vertragsabschlusses mit den Religionsverbänden für diese Form entschieden.205 Die tatsächliche Rechtsnatur der Hamburger Verträge ist ebenso strittig, wie bei der zu ähnlicher Zeit entstandenen Bremer Vereinbarung.206 Für die Religionsausübung in Justizvollzugsanstalten ermöglicht jeweils Art. 7 Abs. 1, 2 der Verträge den muslimischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde die religiöse Betreuung. Wörtlich „gewährleistet die Freie und Hansestadt Hamburg (…) das Recht zur religiösen Betreuung“. Die Islamverbände und die Alevitische Gemeinde sind nach S. 2 zu religiösen Veranstaltungen berechtigt. Die Einzelheiten des Zutritts zur Justizvollzugsanstalt, der das „Einverständnis der zuständigen Behörde zur Person der Betreuerin oder des Betreuers“ voraussetzt, soll durch eine Vereinbarung näher geregelt werden. Nach Auskunft der Hamburger Senatsverwaltung gibt für Justizvollzugsanstalten keine ausdrücklich darauf bezogene Vereinbarung mit den vertragsschließenden Verbänden, stattdessen aber ein Dienstleistungsvertrag mit der Schura für Gesprächsangebote in den Vollzugsanstalten.207 Ergänzend enthalten die Verträge „angesichts des Fehlen einer festen ‚Amtsstruktur‘ islamischer Funktionsträger“208 eine Protokollerklärung der Vertragspartner, nach der sich diese darüber einig seien, dass die Zutrittsgewährleistung sich nur auf vorab von den Gemeinschaften benannte Personen 204  Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, PlPr. 20/63 (13.06.2013), S. 4833. 205  Vgl. die Diskussion zwischen Abgeordneten und Vertretern des Senats, insbesondere dort Dr. Jürgen Schween („eine Stufe unterhalb dessen angesiedelt, was wir an Verträgen mit öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften gemacht haben“) in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Prot. VerfA 20/18 (26.03.2013), S. 4–6. 206  Ausführlich dazu noch unten Kapitel 4, C. II. 3. b) „Rechtsnatur der Verträge zur islamischen Gefangenenseelsorge“, S. 294. 207  Freie und Hansestadt Hamburg Justizbehörde – Amt für Justizvollzug und Recht, Antwortschreiben an den Verfasser vom 8. August 2019, S. 2. 208  Einzelbegründung zu Art. 7 des Vertrags mit Ditib, Schura und VIKZ in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drs. 20/5830, S. 12.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern191

bezieht. Für die Alevitische Gemeinde „soll“ die Anzahl der zu benennenden Personen laut der diesbezüglichen Protokollerklärung auf zwei Personen begrenzt sein. In der Praxis bestand aber seit Vertragsschluss noch kein Bedarf nach religiöser Betreuung alevitischer Häftlinge durch die Gemeinde.209 2. Gesprächsangebote aufgrund von Dienstleistungsverträgen Zwischen Radikalisierungsprävention und religiöser Betreung stehen die Angebote der Schura und eines freien muslimischen Vereins, die sie auf der Grundlage von Dienstleistungsverträgen mit der Justizbehörde der Hansestadt erbringen. Die angebotenen Gesprächsgruppen stehen neben den explizit religiösen Angeboten wie etwa dem Freitagsgebet, welche von den Islamverbänden auf der Basis des 2012 geschlossenen Grundlagenvertrages angeboten werden können. Auf der Grundlage eines Dienstvertrages bieten in vier der sechs Vollzugsanstalten Hamburgs von der Schura eingesetzte Betreuer für muslimische Gefangene Gruppen- und Einzelgespräche an.210 Damit soll laut § 1 des Vertrages der „Bedarf einer signifikant großen Gruppe von Gefangenen an spezifisch islamischer religiöser Betreuung“ begegnet werden, um damit gleichzeitig „religiös begründeten Radikalisierungsprozessen von Gefangenen vor[zu]beugen (Prävention)“. Diese Ziele sollen durch Gesprächsangebote erreicht werden, bei denen es darum geht, „die Persönlichkeit der betroffenen Gefangenen zu stärken, ihre soziale Integration zu unterstützen und eine verfassungskonforme Religiösität zu fördern“.211 Die angebotenen Gesprächsgruppen bilden diese Ziele in ihrem Namen ab: „Zusammenkommen und miteinander reden, diskutieren und beraten über Religion, Gesellschaft und das Leben“.212 Der zuletzt durch einen Änderungsvertrag vom 10.11.2018 geänderte Vertrag war zunächst nur für Angebote in zwei Vollzugsanstalten und der Untersuchungshaftanstalt geschlossen worden, mit Jahresbeginn 2018 ist das vertragliche Angebot auf die für Jugendliche und Frauen zuständige Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand erweitert worden. Die Laufzeit des Vertrages beträgt ein Jahr und verlängert sich bei ausbleibender Kündigung 209  Bürgerschaft

der Freien und Hansestadt Hamburg, Drs. 21/14110 (28.08.2018),

210  Bürgerschaft

der Freien und Hansestadt Hamburg, Drs. 21/15598 (08.01.2019),

S. 3. S. 4.

211  § 1 Abs. 1 S. 2, 3 Änderungsvertrag zum Dienstleistungsvertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und Schura „Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V.“ vom 10.11.2018 (dem Verfasser mit Schreiben vom 08.08.2019 mitgeteilt). 212  Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drs. 21/10987 (21.11.2017), S. 2.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

durch die Freie und Hansestadt Hamburg um ein weiteres Jahr, zunächst bis zum Frühjahr 2020.213 Die Schura stellt nach § 2 Abs. 1, 2 des Vertrages „in Abstimmung“ mit dem Amt für Justizvollzug und Recht in der Justizbehörde für jede Anstalt einen religiösen Betreuer zur Leitung der Gesprächsangebote als gemeinsames Team zusammen, sichert eine gegebenenfalls notwendige Vertretung, bereitet die Betreuer für ihre Tätigkeit vor und führt währenddessen regelmäßige Rückmeldegespräche zur Qualitätssicherung durch. Die Verteilung der Betreuer auf die einzelnen Anstalten erfolgt erneut „in Abstimmung“ mit dem Amt für Justizvollzug und Recht. Über die persönlichen Voraussetzungen zur Qualifikation, Zuverlässigkeit und Sicherheit trifft der Vertrag keine Regelungen. Die „Prüfung und Auswahl der Seelsorger*innen“ obliegt nach Auskunft der Justizbehörde allein der Schura, vor Zutritt in die Vollzugsanstalt führt die Behörde aber eine Sicherheitsüberprüfung gemäß § 34 HmbSÜG durch.214 Demnach erfolgt, wie für alle Beschäftigten im Justizvollzug, auch für die Betreuer der Schura eine Abfrage beim Landeskriminalamt über Strafverfahren, strafrechtliche Ermittlungsverfahren und sonstige sicherheitserhebliche Erkenntnisse und ausdrücklich keine Abfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz. Die Abfrage des Bundeszentralregisters erfolgt nur nachrangig.215 Die Angebote der Betreuer sollen innerhalb einer wöchentlichen Arbeitszeit von maximal vier Stunden erbracht sein, im Einzelfall kann eine Verlängerung vereinbart werden. Der Vertrag sieht eine Vergütung aller Leistung der Schura und deren Betreuer durch die Zahlung von 37,50 € pro geleistete Betreuerstunde vor. Über das Rechtsverhältnis der Betreuer zur Schura und eine damit verbundene Bezahlung trifft der Dienstleistungsvertrag keine Regelungen.

213  § 1 Abs. 2 Änderungsvertrag zum Dienstleistungsvertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und Schura „Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V.“ vom 10.11.2018 (dem Verfasser mit Schreiben vom 08.08.2019 mitgeteilt). 214  Freie und Hansestadt Hamburg Justizbehörde – Amt für Justizvollzug und Recht, Antwortschreiben an den Verfasser vom 8. August 2019, S. 1 f. 215  §  34 Abs. 1, 2 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen und den Umgang mit eingestuften Geheimnissen der Freien und Hansestadt Hamburg (Hamburgisches Sicherheitsüberprüfung- und Geheimschutzgesetz – HmbSÜGG), vom 25. Mai 1999 (HmbGVBl. S. 82), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 2. April 2013 (HmbGVBl. S. 121, 124); § 1 Nr. 3 Verordnung zur Bestimmung sicherheitsempfindlicher öffentlicher Bereiche für Sicherheitsüberprüfungen ohne Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach dem Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz, vom 17. Februar 2004 (HmbGVBl. S. 63), zuletzt geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom 29. September 2015 (HmbGVBl. S. 250).



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern193

Ein ähnlicher Vertrag besteht seit Oktober 2020 auch mit dem Fachrat Islamische Studien e. V., einem Zusammenschluss muslimischer Akademikerinnen und Akademiker.216

VII. Hessen In Hessen stehen nach Auskunft des Ministeriums der Justiz für alle Vollzugsanstalten bedarfsorientiert Imame zur religiösen Betreuung der musli­ mischen Gefangenen in Einzel- und Gruppenangeboten bereit.217 Zum 19.12.2017 bekannten sich 1220 Gefangene im hessischen Justizvollzug zum Islam, was einem Anteil von 25,8 Prozent von allen Gefangenen entspricht. Im Jugendvollzug lag am selben Tag der Anteil muslimischer Gefangener bei 47 Prozent (157 Gefangene).218 Während noch bis 2016 auch ehrenamtlich tätige Imame und Vorbeter örtlicher Moscheegemeinden in den Haftanstalten tätig waren,219 sind mindestens seit 2018 ausschließlich nebenamtlich angestellte Imame in der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener tätig, darunter auch ein Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat.220 1. Örtliche Angebote insbesondere in der JVA Wiesbaden Stetige Angebote für muslimische Gefangene hatte es bereits seit 2008/2009 in der JVA Wiesbaden gegeben, die sich auf Initiative der damaligen Anstaltsleiterin dem kommunalen Projekt „MUSE – Muslimische Seelsorge in Wiesbaden“ angeschlossen hatte und einen Projektmitarbeiter als deutschsprachigen Imam und Seelsorger, zunächst für das Freitagsgebet, gewinnen konnte.221 Aus den anfangs wöchentlichen Besuchen zur Leitung des Freitagsgebets ergab sich schnell der Bedarf nach weiteren seelsorgerischen Angeboten, der zunächst im Anschluss an das wöchentliche Gebet und bald durch weitere Besuche des Seelsorgers an anderen Wochentagen abgedeckt 216  Mitteilung durch die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz an den Verfasser am 02.05.2022. 217  Hessisches Ministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 23.10.2018 (Az.: 4557E – KrimD – 2018/12142 – IV/B). 218  Hessisches Ministerium der Justiz, LT-Drs. Rh-Pf. 17/2491 (08.01.2018), S. 12. 219  Hessischer Landtag, Drs. 19/5792 (05.02.2018), S. 7. 220  Hessisches Ministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 23.10.2018 (Az.: 4557E – KrimD – 2018/12142 – IV/B), S. 4; Hessischer Landtag, Drs. 19/5792 (05.02.2018), S. 7. 221  Zum Ganzen: Erdem/Tatari/Steng-Allam, Das Wiesbadener Modell Muslimischer Seelsorge – Eine Projektdokumentation (2017), S. 71; von der Initiative der Anstaltsleiterin berichtet der als Imam eingesetzte MUSE-Mitarbeiter, siehe Meyer, Forum Strafvollzug 2014, S. 20, 21.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

wurde.222 Das vom Europäischen Integrationsfonds und der Landeshauptstadt Wiesbaden geförderte Integrationsprojekt MUSE war 2008 gegründet worden, um eine institutionalisierte Krankenhausseelsorge für Muslime zu entwickeln223 und konnte auf eine relativ weit fortgeschrittene Integration muslimischer Gemeinden aufbauen. Bereits im Jahr 2004 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Stadtverwaltung beauftragt, alle in Wiesbaden ansässigen religiösen Gemeinschaften vertraglich auf die Ziele des kommunalen Integrationskonzeptes zu verpflichten. Neun von 13 muslimischen Gemeinden im Stadtgebiet haben im Jahr 2007 die aus breiten Beteiligungsprozess entstandene Integrationsvereinbarung der Stadt224 unterzeichnet, die sich zuvor schon zur Arbeitsgemeinschaft Islamischer Gemeinden in Wiesbaden als Ansprechpartner für die Zusammenarbeit mit der Stadt zusammengeschlossen hatten.225 Diese grundlegenden Vereinbarungen bildeten den Ausgangspunkt für die kommunale Trägerschaft des Projekts MUSE, das auf eine Idee der Arbeitsgemeinschaft Islamischer Gemeinden zurückgeht.226 Trotz des ursprünglichen Fokus auf die Krankenhausseelsorge, der sich auch in einer Selbstverpflichtung der Landeshauptstadt Wiesbaden zur Unterstützung bei der Zulassung der Mitarbeiter islamischer Gemeinden für die Klinikseelsorge in § 7 Nr. 10 der Integrationsvereinbarung ausdrückt, begann bereits im Gründungsjahr auch die Kooperation mit der JVA Wiesbaden.227 Der Schwerpunkt auf Seelsorge in Kliniken wurde aber bereits vor Ende der kommunalen Trägerschaft und Gründung eines eigenständigen Trägervereins wieder aufgegriffen, sodass die Seelsorgeangebote in der örtlichen Haftanstalt seit Ende 2010 nicht mehr Teil des Projekts MUSE waren.228 Stattdessen erfolgte schrittweise eine Übernahme der Finanzierung durch Landesmittel229 in 222  Erdem/Tatari/Steng-Allam, Das Wiesbadener Modell Muslimischer Seelsorge – Eine Projektdokumentation, S. 71 f. 223  Ebd., 1. 224  Landeshauptstadt Wiesbaden, „Musterentwurf einer Vereinbarung zur gemeinsamen Förderung der Integration durch Zusammenarbeit (Integrationsvereinbarung)“, abrufbar unter: https://www.wiesbaden.de/leben-in-wiesbaden/gesellschaft/migrationintegration/content/integrationsvereinbarung.php (abgerufen am 10.06.2022); ausführlicher dazu Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S. 481 ff. 225  Erdem/Tatari/Steng-Allam, Das Wiesbadener Modell Muslimischer Seelsorge – Eine Projektdokumentation, S. 9 f. 226  Ebd., 10. 227  Landeshauptstadt Wiesbaden, „Musterentwurf einer Vereinbarung zur gemeinsamen Förderung der Integration durch Zusammenarbeit (Integrationsvereinbarung)“. 228  Erdem/Tatari/Steng-Allam, Das Wiesbadener Modell Muslimischer Seelsorge – Eine Projektdokumentation, S. 2. 229  Vgl. zum Umfang der Haushaltsmittel (50.000 € seit 2012, 110.000 € seit 2015) die Stellungnahme der Justizministerin Kühne-Hörmann in Hessischer Landtag, PlPr. 19/42, S. 2810.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern195

Form einer Honorarbeschäftigung des als Imam tätigen MUSE-Mitarbeiters,230 der in der JVA Wiesbaden sowie zeitweise auch in der Jugendvollzugsanstalt Rockenburg und in Vollzugsanstalten in Weiterstadt und Frankfurt tätig war.231 2. Landesweite Beschäftigung von Honorarkräften mit Dienstvertrag Die hessische Vollzugsverwaltung hat seither die islamische Seelsorge für Gefangene mit Honorarkräften aufgebaut, sodass im Jahr 2018 inzwischen 15 muslimische Seelsorger in den 17 Vollzugsanstalten tätig waren.232 Die als Seelsorger eingesetzten Imame sind nach Auskunft des Justizministeriums nebenamtlich tätig, wozu die jeweiligen Justizvollzugsanstalten mit diesen freie Dienstverträge gemäß § 611 BGB abschließen. Musterverträge existieren dafür nach Aussage des Ministeriums nicht, stattdessen werden durch die Anstaltsleitungen mit den Seelsorgern individuelle Verträge vereinbart.233 Die Auswahl der Imame und deren fachlicher Betreuung erfolgt jedoch vorrangig durch die (islamwissenschaftlichen) Mitarbeiter der Stabstelle „Netzwerk Deradikalisierung im Strafvollzug“ (NeDiS). Die für Seelsorge in den Anstalten zuständige Leitung des Referats „Vollzugsgestaltung“ innerhalb der Abteilung für Justizvollzug im Hessischen Ministerium der Justiz, die jeweilige Anstaltsleitung und gegebenenfalls die dortige Sachgebietsleitung Sicherheitsdienst werden zum Vorstellungsgespräch nur bei konkretem Bedarf nach Seelsorge in einer bestimmten Anstalt hinzugezogen.234 Bereits vor einem Vorstellungsgespräch findet für die Bewerber eine Zuverlässigkeitsprüfung statt, wie sie in § 58a HessStVollzG, § 58a HessJStVollzG, § 54a HUVVollzG und § 58a HSVVollzG für alle anstalts- bzw. einrichtungsfremden Personen verpflichtend ist. Ziel des Vorstellungsgesprächs im Ministerium ist die Einschätzung der persönlichen Eignung für die Tätigkeit aufgrund des bisherigen Lebensweges und vorherigen Tätigkeiten sowie die 230  Vgl. dazu auch die Stellungnahme des Imams Husamuddin Meyers bei einer Anhörung der Innen-, Rechts- und Sozialausschüsse, Hessischer Landtag, Prot. INA/19/19 (22.01.2015), S. 99. 231  Meyer, Forum Strafvollzug 2014, S. 20, 21. 232  Hessisches Ministerium der Justiz, LT-Drs. Rh-Pf. 17/2491 (08.01.2018), S. 13. 233  Hessisches Ministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 23.10.2018 (Az.: 4557E – KrimD – 2018/12142 – IV/B), S. 4; die Existenz von Musterverträgen wird aber erwähnt in Hessisches Ministerium der Justiz, LT-Drs. Rh-Pf. 17/2491 (08.01.2018), S. 14. 234  Hessisches Ministerium der Justiz, LT-Drs. Rh-Pf. 17/2491 (08.01.2018), S. 13.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

persönliche Einstellung des Bewerbers zur „deutschem Gesetzes- und Werte­ orien­tierung“.235 Fachliche Voraussetzungen für die Übernahme einer Seelsorgetätigkeit für muslimische Gefangene sind der Abschluss eines Hochschulstudiums der Fächer Islamische Theologie, Islamische-Religiöse Studien und/oder Islamoder Religionswissenschaften sowie Erfahrung als Vorsteher von Freitagsund Festtagsgebeten oder sonstiger Gottesdienste und muslimischer Rituale. Ferner wird eine Zusatzqualifikation für die Seelsorge verlangt, die aber auch noch in späteren Fortbildungen erworben werden können. Sehr gute Deutschkenntnisse müssen, wenn nicht als Muttersprachler, durch ein Studium in Deutschland oder gegebenenfalls auch andere Nachweise des Sprachniveaus belegt werden können, außerdem werden gute Kenntnisse hinsichtlich der Lebenswirklichkeit von Muslimen in Deutschland vorausgesetzt. Die Seelsorger müssen für die Arbeit in einer Vollzugsanstalt, insbesondere für die Arbeit mit Gefangenen, geeignet sein und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik einstehen.236 Die dienstvertragliche Tätigkeit der Seelsorger in den hessischen Vollzugsanstalten wird nach Einsatzdauer und -häufigkeit mit einem Honorar von 40 € pro Stunde vergütet. Dazu stehen nach anfänglichen 50.000 € im Haushaltsjahr 2012237 inzwischen für den Doppelhaushalt 2018/2019 Haushaltsmittel in Höhe von 310.000 € als Sachkosten zur Verfügung.238 Die Einsatzstunden der Seelsorger variieren je nach Bedarf in der Haftanstalt: Für das Jahr 2016 gab das Ministerium in der Antwort auf eine Kleine Anfrage zwischen zwei und 30 wöchentlicher Einsatzstunden an.239 Für die Arbeit der Seelsorger als Gebetsvorsteher und religiöse Betreuer in Einzel- und Gruppengesprächen werden diese vertraglich dazu verpflichtet, die Freitagspredigten in deutscher Sprache zu halten, regelmäßig an Schulungen und Fortbildungen sowie einem Erfahrungsaustausch (auch mit anderen Vollzugsbediensteten und christlichen Anstaltsseelsorgern) teilzunehmen.240 235  Ebd.

236  Zu allen Voraussetzungen: Hessisches Ministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 23.10.2018 (Az.: 4557E – KrimD – 2018/12142 – IV/B), S. 3. 237  Hessischer Landtag, PlPr. 19/42, S. 2810. 238  Hessisches Ministerium der Justiz, LT-Drs. Rh-Pf. 17/2491 (08.01.2018), S. 14. 239  Hessisches Ministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 23.10.2018 (Az.: 4557E – KrimD – 2018/12142 – IV/B), S. 6 f. 240  Das Ministerium benennt diese Verpflichtungen als Beschäftigungsvoraussetzungen in ebd., 3; in der Stellungnahme gegenüber dem rheinland-pfälzischen Rechtsausschuss wird die Verpflichtung als Vertragsbestandteil des Mustervertrags genannt, vgl. Hessisches Ministerium der Justiz, LT-Drs. Rh-Pf. 17/2491 (08.01.2018), S. 14.



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Zugunsten der Anstaltsleitungen wird in den Dienstverträgen eine kurzfristige Kündigungsmöglichkeit bei Nichteinhalten dieser Verpflichtungen vereinbart.241 Der regelmäßige Erfahrungsaustausch vertraglich verpflichteter Seelsorger wird von der Stabstelle NeDiS organisiert und dient nach einer sachverständigen Stellungnahme des Hessischen Ministeriums der Justiz bei einer Anhörung des Rechtsausschusses des rheinland-pfälzischen Landtages auch der Optimierung der Betreuungsarbeit242 im Hinblick auf deren Beitrag zur Extremismusprävention.243 Die Verbindung von Extremismusprävention und Seelsorgearbeit wird auch durch einen weiteren Vorgang deutlich: Gegenüber dem rheinland-pfälzischen Rechtsausschuss wurde berichtet, dass eine Arbeitsgruppe der eingesetzten Imame unter Leitung eines der Islamwissenschaftler der Stabstelle NeDiS eine Auswahl „(unbedenklicher) muslimischer Literatur“ für die Gefangenenbüchereien der hessischen Vollzugsanstalten getroffen hat und diese regelmäßig überprüft und erweitert.244 Damit „wird sichergestellt, dass keine bedenkliche Literatur in die Hände von Gefangenen gelangt und so möglicherweise zu einer Radikalisierung beiträgt“.245 Zusammenfassend ist festzustellen, dass es Hessen mit einigem finanziellen Aufwand gelungen ist, landesweit religiöse Angebote für muslimische Gefangene machen zu können. Die enge Anbindung an die Stabstelle für Deradikalisierung führt jedoch zu inhaltlichen Bindungen, die den anfangs ermittelten Neutralitätsanforderungen nicht genügen können. Denn der verpflichtende Erfahrungsaustausch und die Mitwirkung bei Literaturprüfungen bewirken unmittelbare Einflussmöglichkeiten der staatlichen Islamwissenschaftler auf das religiöse Personal. Absicherungen der inhaltlichen Freiheit fehlen für die als Honorarkräfte in Hessen beschäftigten Imame und Seelsorgenden.

VIII. Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern besteht nach Angaben des Landesjustizministeriums im März 2019 kein Bedarf an eigenen religiösen Angeboten für muslimische Gefangene. Bei „allgemeinem Betreuungsbedarf“ werden die Angebote der evangelischen Seelsorge auch von muslimischen Gefangenen genutzt. Politisch ist mittelfristig jedoch angedacht, die Ergebnisse der im 241  Unter Verweis auf den durch das Ministerium erarbeiteten Mustervertrag, siehe Hessisches Ministerium der Justiz, LT-Drs. Rh-Pf. 17/2491 (08.01.2018), S. 14. 242  In diesem Zusammenhang wird lediglich von „Betreuungsarbeit“ gesprochen, nicht wie zuvor an derselben Stelle von „religiöser Betreuung“, vgl. ebd. 243  Ebd. 244  Ebd., 15. 245  Ebd.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Rahmen der Justizministerkonferenz gegründeten Bundesländer-Arbeitsgruppe zuerst in der Jugendarrestanstalt Neustrelitz umzusetzen.246 Die Angabe fehlenden Bedarfs erscheint vor dem Hintergrund eines insgesamt geringen Anteils ausländischer Gefangener in den Justizvollzugsanstalten mit 14 Prozent, der bereits geringer ist als allein der Anteil muslimischer Gefangener in anderen Bundesländer, sowie keiner Inhaftierung eines wegen §§ 89a, 129a, 129b StGB verurteilten Gefangenen in den Jahren 2012 bis 2018247 durchaus plausibel. Nach den Berechnungen des BAMF für das Jahr 2008 lebten auch nur 0,1 Prozent der Muslime in Deutschland in Mecklenburg-Vorpommern.248

IX. Niedersachsen In Niedersachsen ist die religiöse Betreuung Inhaftierter bereits seit 2012 vertraglich mit Islamverbänden geregelt. Mit dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V., der sich Schura Niedersachsen nennt, und dem DİTİB-Landesverband hatte das Landesjustizministerium eine Vereinbarung über den Einsatz muslimischer Seelsorger in Justizvollzugsanstalten als freie Seelsorge(helfer) geschlossen, nachdem ein umfassender Vertrag unter anderem auch über den Schulunterricht nicht zuzustande gekommen war. Die Vereinbarung über religiöse Betreuung in Justizvollzugsanstalten war allein für die Zusammenarbeit mit der DİTİB im Januar 2019 seitens der Landesregierung gekündigt worden. Mit der Schura bestand die Regelung zunächst fort.249 Im Herbst 2018 waren aufgrund dieser Vereinbarung 22 Seelsorger in den Vollzugsanstalten eingesetzt.250 Seither werden zunehmend muslimische Seelsorger als Honorarkräfte beschäftigt, im August 2019 bestanden für fünf Seelsorger Verträge mit den jeweiligen Vollzugsanstalten über 40 Stunden/ Monat.251 Zur weiteren Professionalisierung der Ausbildung und Arbeit der Seelsorger hat das Justizministerium auch mehrere Projekte, teilweise in Kooperation mit dem Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück angestoßen. Die erste Vereinbarung wurde zu Jahresbeginn 2022 durch eine überarbeitete – den Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe angepasste – Vereinbarung mit der Schura und einem weiteren Landesverband abgelöst. 246  Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern, Antwortschreiben an den Verfasser vom 14.03.2019 (Az. III-260b-4407E-257). 247  Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Drs. 7/2098 (25.05.2018), S. 5, 9. 248  Haug/Müssig/Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland, S. 107. 249  Niedersächsisches Justizministerium, Pressemitteilung vom 29.01.2019: „Vertrag mit DITIB über Seelsorge in Gefängnissen wird gekündigt“. 250  Niedersächsischer Landtag, Drs. 18/1250 (06.07.2018), S. 5. 251  Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244), S. 3.



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1. Vereinbarung mit Schura und DİTİB von 2012 Um flächendeckend in den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten in Niedersachsen eine religiöse Betreuung muslimischer Insassen anbieten zu können, hat das Justizministerium am 18. Dezember 2012 eine Vereinbarung mit den beiden landesweit agierenden Verbänden, Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V. (Schura) und DİTİB Landesverband der Islamischen Religionsgemeinschaft Niedersachsen und Bremen e. V., geschlossen.252 Aufgrund dieser wurden im Oktober 2014 erstmals 36 muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger durch das Justizministerium zum Einsatz in elf der insgesamt dreizehn Vollzugsanstalten berufen,253 von denen 25 bereits zuvor in einer Anstalt zugelassen waren.254 Vor Gültigkeit der Vereinbarung waren muslimische Seelsorger im Bedarfsfall durch Kontakte der christlichen Seelsorger und „über das türkische Generalkonsulat in Hannover“ vermittelt worden.255 a) Genese der Vereinbarung Der Vereinbarung über muslimische Seelsorge in den Vollzugsanstalten waren seit dem Jahr 2009 Gespräche der niedersächsischen Landesregierung unter Federführung des Sozialministeriums mit den Landesverbänden Schura und DİTİB über Themen möglicher gemeinsamer Vereinbarungen vorausgegangen. In diesem Rahmen erörterte eine Unterarbeitsgruppe aus Vertretern des Justizministeriums und der beteiligten Verbände die Regelungsmöglichkeiten für die muslimische Seelsorge in Justizvollzugsanstalten. Zunächst erfolgte dies mit dem Ziel, Regelungen in eine umfassendere Vereinbarung einfließen zu lassen, später unter Beachtung der Möglichkeit einer eigenständigen Vereinbarung.256 Neben der Seelsorge im Justizvollzug waren auch zum Religionsunterricht und zur Errichtung des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück eigenständige Vereinbarungen getroffen worden.257 Im Übrigen 252  Vereinbarung zur Seelsorge in den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten, 18.12.2012. 253  Niedersächsisches Justizministerium, Pressemitteilung vom 15.10.2014: „Mit offiziellem Auftrag – Justizministerin Niewisch-Lennartz beruft muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger“. 254  Niedersächsischer Landtag, Drs. 17/2146 (07.10.2014), S. 2. 255  Niedersächsischer Landtag, Drs. 17/2558 (04.12.2014), S. 3. 256  Niedersächsischer Landtag, Drs. 16/5434 (20.11.2012), S. 63 f. 257  Vgl. zum Ganzen die Stellungnahme der damaligen Sozialministerin Özkan in Niedersächsischer Landtag, PlPr. 16/152 (06.12.2012), S. 19846.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

folgten auf die seit 2009 geführten Gespräche seit 2013 förmliche Vertragsverhandlungen mit Schura, DİTİB und der Alevitischen Gemeinde, die trotz abgeschlossener Begutachtung und begonnener Abstimmung von Vertragstexten im Februar 2017 nach gemeinsamem Beschluss bis auf weiteres ausgesetzt wurden.258 Die Landesregierung benennt als Gründe in einer parlamentarischen Antwort, dass die „aufgrund von Terrorakten zunehmend kontroverse Diskussion über den Islam in Deutschland sowie die Belastungen im deutsch-türkischen Verhältnis und der erkennbare Einfluss der Türkei auf DİTİB Deutschland aller Voraussicht nach dazu geführt hätten, dass ein Vertragsschluss in Niedersachsen öffentlich gerade nicht als Schritt der Annäherung und Normalisierung wahrgenommen worden wäre“.259

b) Regelungsinhalte Die zehn Paragraphen lange Vereinbarung beginnt mit einem Vorwort, das die Seelsorge für muslimische Gefangene im Dezember 2012 als „noch nicht flächendeckend“ und „in der Regel auf wenige Stunden im Monat begrenzt“ beschreibt und das Bestreben formuliert, eine „bedarfsgerechte religiöse Betreuung“ durch die in der Vereinbarung geregelte Zusammenarbeit von Verbänden und Ministerium zu ermöglichen. Auf Seiten des Ministeriums war damit auch die Hoffnung verbunden, insbesondere ehrenamtlich tätige Helfer für die muslimische Seelsorge langfristiger an die Vollzugsanstalten zu binden.260 Die ersten beiden Paragraphen enthalten rechtliche und programmatische Grundlagen der Zusammenarbeit: In § 1 der Vereinbarung wird der rechtliche Rahmen der Seelsorge in Vollzugsanstalten unter Verweis auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV, die vom Ministerrat des Europarates empfohlenen Europäischen Strafvollzugsgrundsätze und die §§ 53, 54 NJVollzG, §§ 55–57, 117 Nds. SVVollzG und § 19 JAVollzO261 beschrieben. Zur Anerkennung eines Zeugnisverweigerungsrechts der Seelsorger gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1, 53a Abs. 1 StPO verweist § 1 Abs. 7 auf einen dazu ergangenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom April 2010.262 Der folgende § 2 erinnert an die 258  Niedersächsisches Kultusministerium, Pressemitteilung vom 09.02.217: „Vertragsverhandlungen mit DITIB und SCHURA sowie der Alevitischen Gemeinde“. 259  Niedersächsischer Landtag, Drs. 18/2116 (15.11.2018), S. 2. 260  Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244), S. 3. 261  Die Bundes-Jugendarrestvollzugsordnung in der Fassung vom 30.11.1976 (JAVollzO) ist inzwischen für Niedersachsen durch das Jugendarrestvollzuggesetz vom 17.02.2016 (NJAVollzG) ersetzt worden. Die Religionsausübung der Gefangenen und die Stellung der Seelsorger sind dort in §§ 29, 30 bzw. § 70 geregelt. 262  BGH NStZ 2010, 646–649. Vgl. dazu oben Kapitel 2, A. IV. 2. „Zeugnisverweigerungsrechte und Offenbarungspflichten“, S. 109.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern201

Beachtung der Besonderheiten des Justizvollzugs mit Blick auf die Sicherheit und Ordnung der Anstalt, wofür eine vertrauensvolle Zusammenarbeit „unerlässlich“ sei. Gemäß dem dritten Satz des Paragraphen „setzen sich [die muslimischen Verbände] dafür ein, dass […] die eingesetzten Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen“. Die Erstellung von Informationen über muslimische Seelsorgeangebote und die Weitergabe dieser Informationen in den Vollzugsanstalten regelt § 3 der Vereinbarung. Nach einer Wiederholung des Anspruchs auf Unterstützung bei der Kontaktaufnahme von Gefangenen mit Seelsorgern ihres Bekenntnisses aus § 53 Abs. 1 S. 2 NJVollzG und der entsprechenden Regelung für den Jugendarrest, formuliert der vierte Satz als Soll-Vorschrift für die muslimischen Verbände das Gebot, ein geeignetes Informationsblatt zu erstellen, fortzuschreiben und „möglichst auch die vor Ort tätigen muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger“ zu benennen. Die Vollzugsbehörden sind nach § 3 S. 5 der Vereinbarung verpflichtet, das Informationsblatt bekannt zu machen. Die zentrale Norm für die Zulassung muslimischer Seelsorger im Justizvollzug ist § 4 der Vereinbarung. Wesentliches Element der Regelung ist die Unterscheidung zwischen Seelsorgern und Seelsorgehelfern, wie sie auch in § 179 Abs. 1, 3 NJVollzG vorkommt und die Begründung eines eigenen Status für die muslimischen Fachkräfte als „freie Seelsorgerinnen und Seelsorger“ bzw. „freie Seelsorgehelferinnen und -helfer“. Das Ministerium unterscheidet die Gruppen anhand der Ausbildung: Personen mit islamisch-theologischem Hochschulabschluss sind Seelsorger, unterstützend tätige Laien werden als Helfer bezeichnet.263 Das Verfahren der Zulassung beider Gruppen und der Umgang mit sicherheitsrelevanten Konflikten regelt die Vereinbarung in § 4 wie folgt: „Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens und deren Helferinnen und Helfer werden vom Justizministerium als freie Seelsorgerinnen und Seelsorger und freie Seelsorgehelferinnen und -helfer im Einvernehmen mit den am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbänden berufen. Auswahl, Qualifikation und Fortbildung regeln die am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbände in eigener Verantwortung. Die Anstaltsleitung der betreffenden Vollzugsbehörde kann ihre Zustimmung zur Berufung davon abhängig machen, dass die betreffende Person an einer Einführung in die vollzugliche Praxis teilnimmt, die sich in Inhalt und Umfang an die Einführung hauptamtlicher Seelsorgerinnen und Seelsorger anlehnt. Sieht die Anstaltsleitung durch das Verhalten der Seelsorgerinnen und Seelsorger oder deren Helferinnen und Helfer Sicherheitsbelange der Anstalt gefährdet, strebt sie eine einvernehmliche Regelung mit den Betroffenen an. 263  Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244), S. 3.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Gelingt dies nicht, so trifft die Anstaltsleitung die ihr notwendig erscheinenden Maßnahmen und berichtet unverzüglich dem Justizministerium.“264

Demnach liegt neben der Personalauswahl auch die Formulierung von Auswahlkriterien (genannt ist lediglich die erforderliche „Qualifikation“) in der Zuständigkeit der beteiligten muslimischen Verbände. Die Berufung der Seelsorger durch das Justizministerium erfolgt zwar „im Einvernehmen“ mit den Verbänden, gegenüber der Auswahlzuständigkeit letzterer enthält § 4 aber keinen ausdrücklichen Vorbehalt des Justizministeriums (etwa zur Sicherheit und Ordnung oder für spezifische vollzugsbehördliche Normen, etwa der Anstaltsordnungen). Gesetzlich folgt ein Vorbehalt aber aus den Regelungen zu ehrenamtlichen Kräften im Justizvollzug oder zu den Voraussetzungen für freie Seelsorgehelfer. In der Praxis erfolgt das Einvernehmen von Verbänden und Ministerium durch ein mehrstufiges Verfahren: Der vom Verband vorgeschlagene Seelsorger führt zunächst ein Vorstellungsgespräch mit der jeweiligen Anstaltsleitung. Neben dem vorzulegenden polizeilichen Führungszeugnis prüft die Vollzugsverwaltung die polizeilichen und nachrichtendienstlichen Datenbanken auf entgegenstehende Erkenntnisse. Nach erfolgreicher Prüfung beginnt eine sechsmonatige Testphase, in der die neuen Seelsorger nur in Begleitung erfahrener Seelsorger oder sonstiger Vollzugsbediensteter in Kontakt mit Gefangenen treten dürfen. Erst danach erfolgt die förmliche Berufung gemäß § 4 S. 1 der Vereinbarung durch das Ministerium als „freie Seelsorger“ oder „freie Seelsorgehelfer“.265 Mit dem Status des freien Seelsorgehelfers wird ein Begriff aus § 179 Abs. 3 NJVollzG aufgegriffen, ohne aber ausdrücklich auf diesen zu verweisen. Überstimmend mit den darauf bezogenen (noch zum bundesrechtlichen § 157 StVollzG erlassenen) Ausführungsbestimmungen266 sieht § 4 S. 3 der Vereinbarung die fakultative Teilnahme an einem Einführungskurs für vollzugliche Praxis vor. Die Ausführungsbestimmungen beziehen sich allerdings entsprechend der tatsächlichen Situation bei ihrem Erlass nur auf freie Seelsorgehelfer der christlichen Kirchen und unterscheiden sich von den Voraussetzungen für sonstige ehrenamtliche Kräfte. Das Justizministerium orientiert sich für die sicherheitsrechtliche Überprüfung muslimischer Seelsorger aber an letzteren Regelungen, wenn es ein Führungszeugnis verlangt und eine Abfrage durch das Landeskriminalamt bzw. den Landesverfassungsschutz 264  Vereinbarung zur Seelsorge in den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten, 18.12.2012. 265  Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244), S. 4. 266  Siehe AV zu § 157 StVollzG in Niedersächsische Ausführungsvorschriften für den Strafvollzug (NAV), AV d. MJ v. 17.10.2001 (Az. 4400-305.73, Nds. Rpfl. 2001 Nr. 12, S. 450), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 09.02.2018 (Nds. Rpfl. 2018 Nr. 3, S. 79).



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern203

vornehmen lässt,267 so wie es Nr. 3.5 e) NAV zu § 154 StVollzG für ehrenamtliche Personen vorsieht. Eine Regelung zur Beendigung der Zusammenarbeit findet sich in der Vereinbarung nicht ausdrücklich. Bei Gefährdungen der „Sicherheitsbelange[n] der Anstalt“ durch das Verhalten der berufenen Seelsorger ist es aber der Anstaltsleitung im Rahmen der „ihr notwendig erscheinenden Maßnahmen“ auch nicht untersagt. Auch eine vorherige Rücksprache mit dem Ministerium als berufende Instanz ist nicht erforderlich, für diesen Fall besteht lediglich eine Berichtspflicht. Maßnahmen dieser Art waren bisher nach Auskunft des Ministeriums nicht erforderlich.268 Mit § 5 der Vereinbarung wird den Seelsorgern eine pauschale Aufwandsentschädigung von 12,00 € pro Tätigkeit gewährt. Die Aufwandsentschädigung ist begrenzt auf höchstens 144,00 € im Jahr, was bereits durch einen Einsatz pro Monat erreicht wird. Daneben werden aber Verdienstausfall, Nachteile bei der Haushaltsführung und Zeitversäumnisse nach den Regelungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) erstattet. Die folgenden Paragraphen regeln praktische Organisationsfragen der Religionsausübung im Vollzug für die Verbände und muslimische Gefangene: § 6 gebietet den Vollzugsanstalten, Räumlichkeiten für religiöse Veranstaltungen, Seelsorge- und Büro-Tätigkeiten der Seelsorger bereitzustellen. In diesem Zusammenhang wird auch geregelt, dass bei geeigneten Gefangenen der Besuch religiöser Veranstaltungen außerhalb der Anstalt als Vollzugslockerung möglich gemacht werden kann und die muslimischen Verbände zu Neubauvorhaben von Vollzugsanstalten in Bezug auf Seelsorge-Räumlichkeiten gehört werden sollen. § 7 erlaubt den Gefangenen den Besitz des Korans, des Tafsirs und der Hadithensammlung ohne Einschränkungen und unter dem Vorbehalt entgegenstehender Gründe der Sicherheit auch den Besitz eines Gebetsteppichs, erforderlicher Gebetskleidung und Kopfbedeckung, der Gebetskette (Misbaha) oder für Schiiten des Gebetssteins (Mohr). Bei sonstiger Literatur und sonstigen Gegenständen besteht eine Beratungspflicht der muslimischen Verbände hinsichtlich möglicher Gefahren für Sicherheit und Ordnung der Anstalt. Nach § 8 sollen gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen für muslimische Seelsorger und Vollzugsbedienstete entwickelt werden und stehen den Seelsorgern auch die sonstigen Fortbildungen des Justizvollzugs offen.

267  Niedersächsischer Landtag, Drs. 18/540 (22.03.2018), S. 2  f.; Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244). 268  Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244), S. 4.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Gemäß § 9 der Vereinbarung erfolgt die „Fortentwicklung und Evaluation der Zusammenarbeit“ der Vertragspartner durch eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Ministeriums sowie der Anstalten und der Verbände sowie der berufenen Seelsorger, die mindestens jährlich tagt. Tatsächlich hat sich die Arbeitsgruppe seit ihrer Gründung zu Anfang des Jahres 2014 bisher drei- bis viermal pro Jahr getroffen.269 Unter anderem hat sich aus der vom Ministerium als „vertrauensvoll und konstruktiv“270 bezeichneten Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe eine jährlich wiederkehrende interkulturelle Fortbildungsveranstaltung der Islamverbände, der christlichen Kirchen und des Justizministeriums entwickelt. In der Praxis erfolgt durch die Arbeitsgruppe auch die Festlegung der Einsatzorte und -frequenz für die zu berufenen Seelsorger.271 Ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund besteht nach § 10 für jeden Vertragspartner. Bei veränderten Rahmenbedingungen soll jedoch zunächst eine Anpassung der Vereinbarung erfolgen. c) Kündigung der Vereinbarung gegenüber DİTİB Mit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen türkische Imame in DİTİBGemeinden, mutmaßliche Anhänger der Bewegung des Predigers Fetullah Gülen zu bespitzeln und sie der türkischen Justiz gegenüber zu denunzieren,272 hat sich in der niedersächsischen Landespolitik eine Diskussion über den weiteren Umgang mit DİTİB auch in der Gefangenenseelsorge entwickelt. Noch im April 2017 hat die Landesregierung die Vereinbarung des Justizministeriums mit Schura und DİTİB als „bewährte“ Kooperation bezeichnet 269  Ebd., 270  Ebd.

5.

271  Niedersächsisches Justizministerium, Pressemitteilung vom 15.10.2014: „Mit offiziellem Auftrag – Justizministerin Niewisch-Lennartz beruft muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger“. 272  Vgl. zur Schilderung des Sachverhalts nach Kenntnis der Bundesregierung Deutscher Bundestag, Drs. 18/12470 (23.05.2017), S. 7 f.; ebenso zum Kenntnisstand der Sicherheitsbehörden und zur Strafanzeige durch Volker Beck MdB Deutscher Bundestag, Drs. 18/11576 (20.03.2017), S. 4 ff.; zu Durchsuchungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Pressemitteilung vom 15.02.2017: „18/2017: Durchsuchungen wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit“; zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Pressemitteilung vom 06.12.2017: „85/2017: Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Informanten der Türkei wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit eingestellt“; ausführlich zum Ganzen auch Rohe, „Gutachten zum Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen in Hessen in Kooperation mit DİTİB Landesverband Hessen e. V. nach Art. 7 Abs. 3 GG“ (2017), S.  84 ff.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern205

und darauf verwiesen, dass es „keinerlei Hinweise auf eine politische Einflussnahme seitens der bestellten Imame oder Seelsorgehelferinnen bzw. Seelsorgehelfer auf Gefangene“ gegeben habe und kein Personalwechsel in Zusammenhang mit politischen Veränderungen in der Türkei gebracht werden könne.273 Die Zusammenarbeit auch mit dem DİTİB-Landesverband sei „unproblematisch und konstruktiv“274. Mit der Verpflichtung von Honorarkräften, zusätzlich zu den im Rahmen der Vereinbarung mit den Verbänden berufenen Seelsorgern,275 erfolgten aber bereits zu dieser Zeit auch schon erste Schritte in eine neue Richtung (ausführlich dazu unter 2.). Gleichwohl waren schon seit Januar 2017 die Vertragsverhandlungen mit der DİTİB ausgesetzt worden, was im Herbst 2018 mit der satzungsmäßigen Einflussnahme türkischer Stellen auf die Organe des Landesverbandes begründet wurde.276 Der Rücktritt des Landesvorstandes der DİTİB Niedersachsen-Bremen im November 2018 löste allerdings erneut intensive Beratungen innerhalb der Landesregierung und parlamentarische Debatten über die Fortsetzung bestehender Kooperationen mit der DİTİB aus, da der bisherige Landesvorsitzende eine zunehmende Einmischung der Kölner Verbandszentrale und der Religionsattachés der diplomatischen Vertretungen der Türkei beklagt hatte.277 Nach Mitteilung der Staatskanzlei hatte sich die Mehrheit der Landesregierung für eine Fortsetzung bestehender Kooperationen etwa beim Religionsunterricht ausgesprochen, auch weil dort kein unmittelbarer Kontakt zwischen türkischen Staatsbeamten und Schülerinnen und Schülern erfolge.278 Weil dies durch den Einsatz von Imamen in Justizvollzugsanstalten, die als Beamte der türkischen Religionsbehörde Diyanet zum Dienst in deutsche Moscheegemeinden der DİTİB entsandt sind, anders sei und die türkischen Imame unmittelbar mit Gefangenen in Kontakt kommen, sodass die ausländische Einflussnahme im Strafvollzug nicht ausgeschlossen werden könne, kündigte das Justizministerium allerdings im Februar 2019 die Vereinbarung mit dem Landesverband der DİTİB einseitig gemäß § 10 der Vereinbarung.279 273  Niedersächsischer 274  Ebd., 275  Ebd.

12685.

276  Niedersächsischer

Landtag, PlPr. 17/126 (06.04.2017), S. 12684.

Landtag, Drs. 18/2116 (15.11.2018), S. 2. „Aus Protest: Niedersachsens Ditib-Chef tritt zurück“, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung (28.11.2018); Maestro/Riese, „Vorstand des Moscheeverbands Ditib: Abgang wegen Ankaras Einmischung“, in: taz – die tageszeitung (27.11.2018). 278  Niedersächsische Staatskanzlei, Pressemitteilung vom 25.01.2019: „Zukünftige Zusammenarbeit mit dem islamischen Dachverband DITIB – Landesverband Niedersachsen und Bremen e. V.“. 279  Niedersächsisches Justizministerium, Pressemitteilung vom 29.01.2019: „Vertrag mit DITIB über Seelsorge in Gefängnissen wird gekündigt“; weitere Begründung auch in Niedersächsischer Landtag, Drs. 18/3391 (27.03.2019), S. 2. 277  Berger,

206

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Zu diesem Zeitpunkt waren drei von der Diyanet entsandte Imame im Justizvollzug tätig.280 Keine Auswirkung hatte die Kündigung der Vereinbarung auf den Einsatz von insgesamt zwölf Seelsorgern deutscher Staatsangehörigkeit aus Gemeinden, die der DİTİB angehören und ehrenamtlich oder als Honorarkräfte in den Justizvollzugsanstalten tätig sind.281 Das Ministerium bezeichnet die Zusammenarbeit als „auf lokaler Ebene weiterhin partner­ schaftlich“282. 2. Beschäftigung von Honorarkräften Schon seit 2017 beschäftigt Niedersachsen auch Honorarkräfte für muslimische Seelsorge in Justizvollzugsanstalten. Zunächst sollte dies nur der Professionalisierung der Seelsorgeangebote durch die Verbände dienen und wurde daher mit deren Einvernehmen initiiert.283 Als Qualifikation wurde ein Studium an einem islamisch-theologischen Institut einer deutschen Universität verlangt, sodass auch die Entwicklung von Berufsfeldern für Absolventen dieser durch staatliche Förderung bestehenden Institute als Ziel angesehen werden kann.284 Seit der Kündigung der Vereinbarung mit der DİTİB entwickelt sich die Beschäftigung von Honorarkräften aber schneller und wird durch das Ministerium mit verschiedenen Maßnahmen forciert. So begann Anfang 2020 ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit dem Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück (IIT) zur Entwicklung von Standards muslimischer Gefangenenseelsorge, in dessen Rahmen eine berufsbegleitende modularisierte Ausbildung erprobt wird, regelmäßige Gruppensupervisionen für Honorarkräfte angeboten werden und Praktikumsmöglichkeiten für Studierende geschaffen werden.285 Für die Beschäftigung von Honorarkräften in der muslimischen Seelsorge hat das Ministerium auch einen Mustervertrag für freie Mitarbeit entwickelt. Demnach werden die Mitarbeitenden mit der „Wahrnehmung muslimischer Seelsorger für Gefangene“ der vertragschließenden Justizvollzugsanstalt be280  Niedersächsisches Justizministerium, Pressemitteilung vom 29.01.2019: „Vertrag mit DITIB über Seelsorge in Gefängnissen wird gekündigt“. 281  Niedersächsischer Landtag, Drs. 18/3096 (12.03.2019), S. 2. 282  Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244), S. 5. 283  Niedersächsischer Landtag, PlPr. 17/126 (06.04.2017), S. 12685. 284  Vgl. ebd.; in diesem Sinne auch Niedersächsischer Landtag, Drs. 18/2860 (19.02.2019). 285  Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244), S. 5 f.; vgl. auch Universität Osnabrück, Pressemitteilung vom 18.02.2020: „Professionalisierung muslimischer Gefängnisseel­ sorge“.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern207

auftragt.286 Als vertragliche Leistung wird „insbesondere die Durchführung des Freitagsgebets“ (§ 2 Abs. 1 S. 2) in einem regelmäßigen Rhythmus festgelegt. Weitere Aufgaben werden aber nicht erwähnt, sodass sich aus dem Mustervertrag nicht ergibt, ob und in welchem Umfang Gesprächsangebote oder anderes erfolgen sollen. Dem Charakter des Werkvertrages für freie Mitarbeit entsprechend stellt der Vertrag die zeitliche Festlegung der Anwesenheitszeiten in der Vollzugsanstalt in das Belieben des Mitarbeiters, verpflichtet diesen aber zur frühzeitigen Bekanntgabe dieser Zeiten gegenüber der Anstalt (§ 2 Abs. 2). Für diese Zeiten wird ein Stundenhonorar zuzüglich Fahrtkosten gemäß § 3 Abs. 1 des Mustervertrages in Höhe von 20 € pro Stunde gewährt, wobei für die Arbeitszeiterfassung auf die automatische Erfassung durch die Eingangspforte zurückgegriffen werden kann und auch Tätigkeiten außerhalb der Anstalt von dem Honorar für Anwesenheitszeiten abgegolten sind (§ 3 Abs. 2, 3). Darüber hinaus regelt der Mustervertrag vollzugs- und werkvertragstypisch die Befristungsdauer und außerordentlichen Kündigungsrechte, die Schweigepflicht, das grundlegende Verhalten innerhalb der Anstalt, die Verpflichtung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 VerpflG und enthält mit einer salvatorischen Klausel, einer doppelten Schriftformklausel und der Bezeichnung des Dienstortes als Gerichtsstand die üblichen Schlussbestimmungen (§§ 4–8). 3. Überarbeitete Vereinbarung für muslimische Seelsorge Auf der Grundlage des Forschungsprojekts mit der Universität Osnabrück und den Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe ist die bisherige Vereinbarung mit der Schura überarbeitet worden. Zum 1. Januar 2022 ist nun eine neue Vereinbarung zwischen dem Landesjustizministerium mit der Schura und dem Landesverband Muslime in Niedersachsen e. V. in Kraft getreten.287 Der letztgenannte Verband war nach dem Rücktritt des DİTİB-Landesvor­ standes gegründet worden, um eine herkunftsland-unabhängige Vertretung der Moscheegemeinden zu bilden.288 Die aktuelle Vereinbarung enthält gegenüber der Vorgängerfassung einige bekannte Regelungen, führt aber in teilweise enger Anlehnung an die Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe auch neue Abläufe und Bedingungen ein 286  § 1 in Niedersächsisches Justizministerium, Mustervertrag für freie Mitarbeit betreffend muslimischer Seelsorge vom 01.03.2017 (dem Verfasser mit Schreiben vom 28.08.2019 mitgeteilt). 287  Dem Verf. vom Niedersächsischen Justizministerium mitgeteilt am 22.03.2022; die Vereinbarung ist im Anhang abgedruckt. 288  „Gründung eines liberalen Islamverbands in Niedersachsen geplant“, in: Wolfsburger Nachrichten (27.11.2018); „Muslime gründen neuen Verband in Niedersachsen“, https://www.dw.com/de/muslime-gründen-neuen-verband-in-niedersachsen/a47254089 (abgerufen am 10.06.2022).

208

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

und geht in zwei Punkte eigene Wege, um bisherige Problemstellungen der islamischen Seelsorge zu bearbeiten. a) Umsetzung der Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe Die aktuelle Vereinbarung enthält zunächst in § 1 ebenso wie die Vorgängerfassung eine allgemeine Darstellung des Rechtsrahmens, der nun auch die international vereinbarten Ziele der Mandela Rules enthält. In Anlehnung an die Empfehlungen der Bundesländer-Arbeitsgruppe wird sodann in § 2 klargestellt, dass der Begriff „muslimische Gefängnisseelsorge“ rechtlich übernommen wird, weil dieser islamwissenschaftlich und islamtheologisch anerkannt sei. Gegenüber der Vorgängerfassung ist die Beschreibung der Aufgaben muslimischer Gefängnisseelsorge in § 3 neu hinzugekommen: Während die bisherige Vereinbarung in den Regelungen zu Kontaktmöglichkeiten für Gefangene, Räumen und zur Zusammenarbeit mit den Vollzugsanstalten nicht definiert, was unter Seelsorge und religiösen Veranstaltungen verstanden wird, werden nun die einzelnen Bestandteile benannt. Die aktuelle niedersächsische Vereinbarung folgt damit den Empfehlungen der Bundesländer-Arbeitsgruppe und setzt diese auch hinsichtlich der mittelfristigen Ideen um. So werden als Aufgaben nicht nur das Freitagsgebet, Feiertagsgebete und -feiern sowie Gruppen- und Einzelgespräche benannt, sondern auch Informationen für Bedienstete, Begleitung bei Freizeitgestaltung und Ausgängen von Inhaftierten und ganz allgemein soll die „Mitwirkung an einer sinnhaften und wertgebundenen Gestaltung des Vollzuges“ ebenfalls Aufgabe muslimischer Seelsorgenden sein. Die letztgenannten Aufgaben waren von der Länderarbeitsgruppe noch nicht als kurzfristig zu erreichende Ziele benannt worden, sodass die aktuelle niedersächsische Vereinbarung insoweit Maßstäbe setzt. Den Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe entspricht es auch, wenn durch die Grundsätze der Zusammenarbeit von Anstalten und Seelsorgenden in § 4 der Vereinbarung eine Gleichstellung mit christlichen Seelsorgenden erreicht wird. Anders als in der bisherigen Vereinbarung wird der Rechtsstatus der muslimischen Seelsorgenden jedoch nicht ausdrücklich benannt. Insbesondere durch die Mitwirkung an der Gestaltung des Vollzugs (§ 3 lit. i) und der Möglichkeit zur Teilnahme an Dienstbesprechungen (§ 4 Abs. 3) wird aber deutlich, dass die Stellung muslimischer Seelsorgenden § 179 Abs. 1 NJVollzG entsprechen soll. Darauf deutet auch die Regelung in § 8 der Vereinbarung hin, wonach die Seelsorgenden „auf der Grundlage von freien Mitarbeitsverträgen“ beschäftigt werden (Abs. 1), langfristig aber sozialversichungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse etabliert werden sollen (Abs. 2). Beide Varianten entsprechen § 179 Abs. 1 NJVollzG, der eine Bestellung im Hauptamt oder eine vertragliche Verpflichtung der Seelsorgenden



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern209

vorsieht. Die aktuelle Vereinbarung bewirkt somit gegenüber der Verpflichtung als freie Seelsorgehelfer im Sinne von § 179 Abs. 3 NJVollzG eine Aufwertung des Rechtsstatus muslimischer Seelsorgender. Teilweise aus der Vorgängerfassung bekannt sind die Regelungen zu Räumen (§ 9 Abs. 1), technischer Ausstattung (§ 9 Abs. 2), Informationsmaterial für Inhaftierte (§ 9 Abs. 3) und zu religiösen Gegenständen (§ 10). Diese Regelungen gehen nicht primär auf die Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe zurück, wesentlicher Veränderungsbedarf bestand aber vor dem Hintergrund der Empfehlungen nicht. Vielmehr gewährleisten diese Regelungen, was die Empfehlungen der Arbeitsgruppe fordern: Eine Gleichstellung mit anderen Seelsorgenden im Vollzug und eine angemessene Ausstattung für die praktische Durchführung muslimischer Seelsorge. b) Neue Regelungen für Auswahl und Zulassung von Seelsorgenden Gegenüber der bisherigen Vereinbarung sieht die aktuelle Regelung eine wesentliche Veränderung im Auswahl- und Zulassungsverfahren vor. Gemäß § 5 Abs. 1 der aktuellen Vereinbarung steht den beteiligten Verbänden – wie schon bisher – ein Vorschlagsrecht für die Personalauswahl zu. Wer davon berufen wird, entscheidet nun aber im „im Benehmen“ (bisher „im Einvernehmen“) mit den Verbänden das Niedersächsische Justizministerium und gewährt den jeweiligen Vollzugsanstalten das Letztentscheidungsrecht im Einzelfall. Hintergrund der nun stärkeren Stellung des Landes bei der Personalauswahl dürfte das universitäre Ausbildungsprogramm für Seelsorgende und die durch Landesmittel geförderten, verbandsunabhängigen Studienprogramme an der Universität Osnabrück sein. Die Regelung in § 5 Abs. 1 der Vereinbarung ermöglicht es jedenfalls, neben den vorgeschlagenen Personen noch weitere Seelsorgenden (insbesondere Absolventen der Osnabrücker Ausbildungen) theoretisch auch gegen den Willen der beteiligten Verbände einzusetzen. Dafür spricht auch die Regelung zur beruflichen Qualifikation der Seelsorgenden in § 6, wonach in der Regel eine akademische Ausbildung auf Masterniveau und eine praktische Seelsorgeausbildung erforderlich ist. Eine höhere Praxisrelevanz dürfte den weiteren Regelungen zur Zuverlässigkeitsprüfung zukommen, die mit der Abfrage polizeilicher und nachrichtendienstlicher Datenbanken sowie der Vorlage eines Führungszeugnisses und des Aufenthaltsstatus den Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe289 und der bisherigen Praxis290 entspricht. 289  Siehe oben Kapitel 3, B. „Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe der Justizministerkonferenz“, S. 162. 290  Niedersächsisches Justizministerium, Antwortschreiben an den Verfasser vom 28. August 2019 (Az. 4557 I – 303.244), S. 2.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

c) Fachliche Weiterentwicklung durch Beirat und Verbandsrichtlinien Die neue niedersächsische Vereinbarung stößt in zwei weiteren Punkten die Professionalisierung der islamischen Gefangenenseelsorge und führt neue Strukturen ein: Die Vereinbarung verpflichtet in § 6 Abs. 6 die beteiligten Verbände zur Erarbeitung von Richtlinien für die Gefangenenseelsorge, die auch eine religiös begründete Schweigepflicht betreffen sollen. Damit wird eine Feststellung aus den Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe aufgegriffen, dass die Religionsgemeinschaften bisher kein ausdrückliches Schweigegebot für Seelsorgende formuliert haben, welches ein Zeugnisverweigerungsrecht begründen könnte. Die niedersächsische Vereinbarung versucht diesen Schritt nun bei den beteiligten Verbänden anzustoßen, indem fachliche Richtlinien gefordert werden. Ob dies gelingt, bleibt zunächst abzuwarten. Aufgrund der Vorarbeiten durch das Forschungsprogramm des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück sind die Ausgangsbedingungen jedoch durchaus vielversprechend. Mit § 7 Abs. 1 bringt die Vereinbarung auch eine strukturelle Veränderung ein. Nach dieser Regelung wird das Niedersächsische Justizministerium bei der „Fachaufsicht über die muslimische Seelsorge“ durch einen Beirat unterstützt, in dem auch – aber nicht ausschließlich – die beteiligten Verbände vertreten seien sollen. Damit greift die niedersächsische Vereinbarung Elemente des Berliner Modell eines Beirats für die islamische Gefangenenseelsorge auf und integriert sie in das bestehende niedersächsische Modell. Denn im Unterschied zu den Regelungen im Stadtstaat Berlin ist die Einbindung des Beirates auf die Beratung der „Fachaufsicht“ beschränkt, während dort dem Beirat auch Funktionen bei der Auswahl und Zulassung der Seelsorgenden sowie bei der Entwicklung standardisierter Seelsorgeangebote zukommen.291 Unklar bleibt in der Vereinbarung jedoch, worauf sich die „Fachaufsicht über die muslimische Seelsorge“ beziehen soll. Gemäß § 179 NJVollzG sind Seelsorgende zwar Teil des Vollzugspersonals. Der Fachaufsicht des Ministeriums unterliegen gemäß § 184 Abs. 1 NJVollzG aber nur die Vollzugsbehörden, nach allgemeiner Auffassung unterliegen Anstaltsseelsorger aber hinsichtlich der Religionsausübung gerade keinen fachlichen Weisungen durch die Vollzugsbehörde bzw. die Anstaltsleitung.292 Die Fachaufsicht kann 291  Siehe oben Kapitel 3, C. III. 2. „Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter“, S. 177. 292  Arloth/Krä, Rn. 1 zu § 157 StVollzG; Schwind/Böhm/Jehle et al./Schäfer, StVollzG Bund Länder, § 157 StVollzG Rn. 13; Laubenthal/Nestler/Neubacher et al./ Laubenthal, StVollzG, Abschn. I Religion Rn. 2.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern211

sich somit nur auf diejenigen Tätigkeiten beziehen, in denen die Seelsorgenden allgemeine, vollzugliche Aufgaben übernehmen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die noch ausstehende Beiratsordnung die beratende Funktion der Islamverbände insoweit wird konkretisieren können.

X. Nordrhein-Westfalen In Nordrhein-Westfalen ließen sich in den vergangenen Jahren die größten Veränderungen für die Seelsorge und religiöse Betreuung muslimischer Gefangener beobachten. Die Zusammenarbeit mit Imamen aus den DİTİBGemeinden ist aufgrund politischer Veränderungen innerhalb kürzester Zeit fast vollständig zusammengebrochen, neue Wege der Organisation von Angeboten für muslimische Häftlinge werden derzeit noch ausprobiert. Zahlenmäßig sind die Veränderungen tiefgreifend: Während im März 2015 noch 122 Imame in den nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten tätig waren,293 waren es im November 2017 nur noch 25 Imame.294 Im Jahr 2018 kamen lediglich 13 neue Seelsorgekräfte hinzu.295 1. DİTİB-Imame als konsularische Religionsbeauftragte Über viele Jahre bestanden in Nordrhein-Westfalen, nahezu ausschließlich und weitgehend geräuschlos, religiöse Angebote für muslimische Gefangene in den Vollzugsanstalten durch Imame, die hauptberuflich in Gemeinden der DİTİB tätig waren. Diese wurden vom Türkischen Generalkonsulat, örtlichen Moscheegemeinden oder dem DİTİB-Landesverband entsandt.296 Der Weg über das türkische Generalkonsulat war dabei die, mit großem Abstand, am häufigsten gewählte Organisationsform: Dem Rechtsausschuss des Landtages berichtete das Justizministerium im März 2015 von 117 von 122 in den Vollzugsanstalten tätigen Imame, die „aufgrund ausdrücklicher Empfehlung durch das jeweilige zuständige Türkische Generalkonsulat“ in den Anstalten tätig seien und aufgrund konsularischer Verpflichtungen aus dem Wiener Konsularrechtsübereinkommen zu besonderer Verfassungstreue verpflichtet seien.297 Dabei handele es sich zumeist um türkische Beamte, die zum Gemeindedienst in DİTİB-Moscheen nach Deutschland versetzt seien, und in unterschiedlichen Rhythmen (wöchentlich bis monatlich) Freitagsgebete, re293  Landtag

Nordrhein-Westfalen, APr 16/851 (Recht) (11.03.2015), S. 6. Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/129 (25.09.2017). 295  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1458 (03.12.2018). 296  Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 16/830 (Recht) (25.02.2015), S. 35. 297  Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 16/851 (Recht) (11.03.2015), S. 6. 294  Landtag

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

ligiöse Gesprächsgruppen und Feste zu den Feiertagen (beispielsweise Opferfest und Zuckerfest) in den Vollzugsanstalten anbieten.298 Die Dominanz türkischer Staatsbeamter in der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener ist seit 2015 politisch zunehmend kritisch betrachtet worden. Als Auslöser dafür können Radikalisierungen von islamistischen Attentätern während vorheriger Haftzeiten, was insbesondere nach den Terroranschlägen im Januar 2015 in Paris bekannt geworden war,299 die Forderung nach Deradikalisierungsprogrammen für politischen und religiösen Extremismus auch im Strafvollzug300 und die Verschlechterung der politischen Beziehungen zur Türkei unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, auch wegen der Armenien-Resulotion des Deutschen Bundestages im Jahr 2016, gelten.301 Neben der Ankündigung eigener Initiativen zur Anwerbung nichtkonsularischer Imame und religiöser Betreuer für den Justizvollzug und der Kooperation mit anderen Islamverbänden bereits im Februar 2015,302 geriet vor allem die Prüfung muslimischer Seelsorger durch die Sicherheitsbehörden in den Fokus.303 In der Folge des Putschversuches in der Türkei und des Verdachts der Bespitzelung von Anhängern der Gülen-Bewegung304 verlangte das nordrhein-westfälische Justizministerium seit September 2016 von allen religiösen Betreuern, einschließlich der konsularischen Religionsbeauftragten, eine Sicherheitsüberprüfung unter Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz.305 Zu diesem Zeitpunkt waren von insgesamt 104 Imamen noch 92 als konsularische Religionsbeauftragte des Türkischen Generalkonsulats tätig.306 Innerhalb kürzester Zeit verringerte sich diese Anzahl auf 63 konsularisch entsandte Imame im Januar 2017 und bis zum März 2017 auf nur noch 12 türkische Konsularbeauftragte.307 Mit Erlass vom 20.02.2017 gewährte das nordrhein-westfälische Justizministerium nur noch denjenigen Einlass in den Vollzugsanstalten, die mit einer eigenen Sicherheitserklärung 298  Landtag

Nordrhein-Westfalen, APr 16/830 (Recht) (25.02.2015), S. 35. die Kleine Anfrage zweier CDU-Abgeordneten vom 22.01.2015 und die Antwort der Landesregierung in Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/7993 (25.02.2015). 300  84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister, „Beschluss TOP II.16: Maßnahmen gegen die Vernetzung von rechtsradikalen Gefangenen“ (2013), abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2013/fruehjahrskon ferenz13/TOP_II_16.pdf (abgerufen am 10.06.2022). 301  Rohe, Islam in Deutschland, S. 137. 302  Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 16/830 (Recht) (25.02.2015), S. 35 f. 303  Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 16/851 (Recht) (11.03.2015), S. 6 f. 304  Vgl. die Nachweise oben Fn. 272 305  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/4264 (26.09.2016), S. 4. 306  Ebd. 307  Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/14783 (06.04.2017), S. 3. 299  Vgl.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern213

an der erweiterten Sicherheitsüberprüfung gemäß SÜG NRW mitwirken.308 Die erforderliche Einwilligung zur Prüfung und die Mitwirkung durch Abgabe persönlicher Erklärungen309 wurde von „der überwiegenden Zahl der über die türkischen Generalkonsulate bzw. von der DİTİB entsandten Imame“ nicht erfüllt.310 Andere Imame lehnten die Sicherheitsüberprüfung hingegen nicht ab.311 Im November 2017 waren nur noch fünf Imame aus DİTİBGemeinden als konsularische Religionsbeauftragte im Justizvollzug tätig.312 2. Beschäftigung von Honorarkräften Nach dem Rückgang konsularisch entsandter Religionsbeauftragter für den nordrhein-westfälischen Justizvollzug haben vermehrt Honorarkräfte reli­ giöse Angebote für muslimische Gefangene übernommen. Auf verschiedenen Wegen haben Vollzugsanstalten und Ministerium versucht, geeignete Personen zu finden. Zunächst sollten durch Kooperationen mit anderen muslimischen Organisationen geeignete Fachkräfte rekrutiert werden. Gegenwärtig erfolgreich waren in Nordrhein-Westfalen aber die Schritte zu eigenverantwortlichen Beschäftigung von Honorarkräften durch die Vollzugsverwaltung. Waren im März 2015 lediglich fünf im Justizvollzug tätige Imame nicht durch das Türkische Generalkonsulat entsandt,313 waren es durch die verschiedenen Maßnahmen im November 2017 bereits 20314 und sind bis November 2018 nochmals dreizehn Honorarkräfte angeworben worden und weitere stehen zur Verpflichtung bereit.315 a) Vergebliche Institutionalisierungsversuche Als Ausweg aus der weit überwiegenden Kooperation mit DİTİB-Imamen als konsularische Religionsbeauftragte benannte die nordrhein-westfälische Landesregierung zunächst den Aufbau von Kooperationen mit anderen muslimischen Organisationen. Dem liegt zuvörderst die gängige Interpretation des Religionsverfassungsrechts des Grundgesetzes zugrunde. Aus verschie308  Siehe

Verweis auf Erlass vom 20.02.2017, Az. 4434 E IV. 66/96, in ebd. Mitwirkungspflicht durch Einwilligung und Angabe persönlicher Informationen ist auch geregelt in § 8 SÜG NRW. 310  Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/14783 (06.04.2017), S. 3. 311  Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 17/90 (22.11.2017), S. 33. 312  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/129 (25.09.2017), S.  4; Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 17/90 (22.11.2017), S. 33. 313  Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/14783 (06.04.2017), S. 2. 314  Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 17/90 (22.11.2017), S. 33. 315  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1458 (03.12.2018). 309  Die

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

denen parlamentarischen (schriftlichen) Äußerungen des Justizministeriums lässt sich die Ansicht entnehmen, dass aus religionsverfassungsrechtlichen Gründen, es den muslimischen Religionsverbänden obliege, für religiöse Angebot im Justizvollzug zu sorgen: Mehrfach verweist das Ministerium darauf, dass die muslimischen Verbände „rechtlich keine anerkannten Glaubensgemeinschaften“316 seien. Im Kontext von Art. 140 GG i.  V. m. Art. 141 WRV und der Gewähr eines Anspruchs der Gefangenen auf Kontaktaufnahme mit ihrer Religionsgemeinschaft im Landesvollzugsgesetz formuliert daher das Ministerium, dass die religiöse Betreuung muslimischer Gefangener „förderungswürdig sei“ und „gefördert wird“, aber es „auf Inhalt und Umfang der religiösen Betreuung sowie die Anzahl der tätigen Religionsbetreuer […] der Justizvollzug keinen Einfluss“ habe.317 Diese Rechtsansicht der nordrhein-westfälischen Landesregierung konkretisierte sich vor allem in zwei Maßnahmen: Das Ministerium der Justiz hat erstens im Frühjahr 2015 mit dem Koordinierungsrat der Muslime, der die vier großen Islamverbände DİTİB, Islamrat, VIKZ und ZDM vertritt, sowie mit der Alevitischen Gemeinde Deutschlands Gespräche mit dem Ziel des Aufbaus religiöser Betreuung in Vollzugsanstalten geführt.318 Daraus ergaben sich jedoch keine Kooperationen mit einem der genannten Verbände. Zweitens sollte in der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf Ende 2016 ein Pilotprojekt mit dem Namen „JVA Seelsorge“ begonnen werden, um Verfahren der Personalentsendung durch sonstige muslimische Vereine oder Verbände zu prüfen.319 Bis September 2017 konnte jedoch keine muslimische Organisation für eine vertragliche Vereinbarung zur Gestellung oder Entsendung von Imamen für die religiöse Betreuung gewonnen werden.320 Grund dafür war, dass zwar zwei Organisationen die Kriterien des eingeleiteten Vergabever­ fahrens erfüllen konnten. Deren Personal war aber entweder aufgrund einer „auffälligen Sicherheitsüberprüfung“, aufgrund der religiösen Weigerung zur Begrüßung von Frauen per Handschlag oder aufgrund widersprüchlicher Einlassungen zu Fragen nach fundamentalistischen Einstellungen nicht als für die Tätigkeit im Justizvollzug geeignet bewertet worden.321 Trotz dieser gescheiterten Bemühungen feste Angebote zu etablieren, bestehen aber vereinzelt Kooperationen auf Ebene der Justizvollzugsanstalten beispielsweise mit örtlichen Gemeinden oder dem in der ehrenamt­ lichen Betreuung engagierten Verein „Shems – Sozialnetzwerk europäischer 316  Wörtlich 317  Ebd.

318  Landtag

in Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/4264 (26.09.2016), S. 2.

Nordrhein-Westfalen, APr 16/830 (Recht) (25.02.2015), S. 23 f. Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/4264 (26.09.2016), S. 3. 320  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/129 (25.09.2017), S. 6. 321  Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 17/90 (22.11.2017), S. 32 f. 319  Landtag



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern215

Sufis“,322 deren Europazentrale in Köln ansässig und auch in weiteren Städten in Nordrhein-Westfalen vertreten ist.323 b) Maßnahmen zur Gewinnung von Honorarkräften Parallel zu den beschriebenen Versuchen, gemeinsam mit Islamverbänden institutionalisierte Angebote zu schaffen, wurden auch andere Maßnahmen für den verstärkten Einsatz von Honorarkräften vorangetrieben. Um einen finanziellen Anreiz zu bieten, wurden mit dem Haushalt 2016 rund 500.000 € zur Finanzierung religiöser Betreuungsangebote bereitgestellt.324 Per Erlass vom 18.02.2016 wurden alle Anstalten dazu ermächtigt, „mit den muslimischen Seelsorgern Vereinbarungen zu treffen, nach denen ein Stundenhonorar von 20 € gezahlt werden kann“.325 Zu diesem Zweck wurde den Anstalten auch ein entsprechender Mustervertrag bereitgestellt.326 Bis dahin hatten lediglich drei in den Anstalten in Gelsenkirchen und Münster tätige Imame eine Aufwandsentschädigung erhalten,327 die im Februar 2015 pro Termin 18 € betrug.328 Seit November 2018 besteht auch die Möglichkeit der Fahrtkostenerstattung329 im Rahmen des Muster-Honorarvertrags.330 Als Teil eines politischen Fünf-Punkte-Planes zur Reaktion auf Extremismus und Radikalisierung in Haft331 wurden auch vier zusätzliche Personalstellen für Islamwissenschaftler geschaffen332 und das Projekt „Prävention von Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten“ gestartet, in dessen Rahmen die Anstalten bei der Auswahl geeigneter Honorarkräfte unterstützt werden sollten.333 Inzwischen ist mit der Errichtung des „Zentrums für interkulturelle Kompetenz der Justiz“, politisch zunächst als Kompetenzzentrum „Justiz und 322  Landtag

Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/129 (25.09.2017), S. 4. die Selbstdarstellung unter http://www.shems.org/niederlassungen/ (abgerufen am 10.06.2022). 324  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/3189, S. II u. S. 31. 325  Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/11478 (15.03.2016), S. 3. 326  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/129 (25.09.2017), S. 6. 327  Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/11478 (15.03.2016), S. 3, 6 (Anlage). 328  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/3328 (26.10.2015), S. 4. 329  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1400 (19.11.2018), S. 3. 330  Vgl. detaillierte Darstellung der Musterverträge für religiöse Betreuung sogleich unter c) S. 217. 331  Vgl. die aufzählende Darstellung in Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 16/1010 (23.09.2015), S. 12; erstmals vorgestellt wurden die einzelnen Maßnahmen in Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 16/830 (Recht) (25.02.2015), S. 32. 332  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/3189, S.  II; Landtag NordrheinWestfalen, Vorlage 16/3328 (26.10.2015), S. 5. 333  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/4086 (29.06.2016), S. 7. 323  Vgl.

216

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

Islam“ bezeichnet,334 auch die institutionelle Anbindung der Islamwissenschaftler und des Präventionsprojektes erfolgt. Örtlich sind diese unmittelbar in der Justizvollzugsanstalt Remscheid tätig. Die dazu erlassene Allgemeine Verfügung des Justizministeriums vom 30.11.2017 sieht vor, dass die Mitarbeiter des Zentrums „Strategien zur Vermeidung von Radikalisierungen inhaftierter Personen“ erarbeiten, bei deren Umsetzung unterstützen und allgemein und anlassbezogen zu interkulturellen Fragen, Deradikalisierung und Extremismusbekämpfung beraten sollen.335 Der konkrete Auftrag zur Unterstützung der Anstalten bei der Auswahl geeigneter Imame findet sich in der ministeriellen Verfügung zwar nicht, ergibt sich aber aus der Zuständigkeit des Kompetenzzentrums für das genannte Präventionsprojekt (Nr. 4 der AV vom 30.11.2017) und der anfänglichen Projektbeschreibung vom September 2016336. Trotz dieser institutionellen Verknüpfung der Themenbereiche Prävention, Deradikalisierung und religiöser Betreuung durch muslimische Seelsorger, die zuvor auch schon in der politischen Diskussion häufiger erfolgte,337 betonen die im Kompetenzzentrum tätigen Islamwissenschaftler die grundsätzliche Trennung von Prävention und religiöser Betreuung, auch wenn diese „indirekt präventiv wirksam“ sei.338 Während und nachdem die Beschäftigung von Honorarkräften durch die Bereitstellung von Haushaltsmitteln zur Finanzierung eines Stundenhonorars finanziell lukrativer gestaltet und die Personalauswahl durch die Einbeziehung islamwissenschaftlicher Expertise zur Beratung der Anstalten professionalisiert wurde, hat das Ministerium auch auf verschiedenen Wegen die Anwerbung potentieller Honorarkräfte intensiviert: Einzelne Vollzugsanstalten haben versucht durch Kontaktaufnahme mit örtlichen muslimischen Verbänden Honorarkräfte zu gewinnen und für Studierende und Absolventen des Studiengangs an der Universität Münster hat mindestens eine Informationsveranstaltung stattgefunden.339 Primär dem fachlichen Austausch diente zwar eine Informationsveranstaltung für bereits im Vollzug tätige Imame und 334  Vgl. exemplarisch Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/4050 (24.06.2016),

S. 4.

335  Auswirkungen einer diversitären Gesellschaft auf die Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen – Einrichtung des Zentrums für interkulturelle Kompetenz der Justiz NRW – Integration, Deradikalisierung, Extremismusbekämpfung – AV d. JM vom 30.11.2017 (1025 – V. 143). 336  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/4086 (29.06.2016), S. 7. 337  Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 16/1010 (23.09.2015), S.  13; Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/3189, S. II; Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/4264 (26.09.2016), S. 3. 338  Doymuş/Radhan, „Aufgaben und Arbeit der Islamwissenschaftler im Justizvollzug“, Forum Strafvollzug 2017, S. 113–114. 339  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/129 (25.09.2017), S.  4; Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1400 (19.11.2018), S. 3.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern217

muslimische Betreuer des Kompetenzzentrums im September 2018 in Essen, gleichzeitig wurden die Teilnehmenden aber auch zur Ansprache geeigneter Personen im persönlichen Umfeld angeregt.340 c) Musterverträge für die religiöse Betreuung341 Seit Februar 2016342 und mit Änderungen seit November 2018343 stellt das nordrhein-westfälische Justizministerium den Anstalten zwei Musterverträge für die religiöse Betreuung bereit: einer erfasst die Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt,344 der andere in einer Jugendarrestanstalt.345 Inhaltlich sind beide Verträge, abgesehen von der unterschiedlichen Benennung der Einrichtung als Erfüllungsort, identisch. Die als Dienstleistungsverträge bezeichneten Muster tragen die Titel „Vertrag über die religiöse Betreuung von muslimischen Gefangenen bzw. Untergebrachten in der Justizvollzugsanstalt […]“ bzw. „Vertrag über die religiöse Betreuung von muslimischen Arrestantinnen bzw. Arrestanten in der Jugendarrestanstalt […]“. Vertragspartner soll neben dem Auftragnehmer persönlich das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch die jeweilige Anstaltsleitung, als Auftraggeber werden. Mit dem Titel ist zugleich der unter Nr. 1 geregelte Vertragsgegenstand weitgehend beschrieben: „Gegenstand des Vertrages ist die Durchführung religiöser Betreuung“ für die jeweiligen Anstaltsinsassen. Als vertragliche Pflichten sehen die Muster neben vollzugspezifischen Verpflichtungen vor, dass •• der Auftragnehmer wöchentlich oder zweiwöchentlich das Freitagsgebet in der Einrichtung übernimmt und außerdem in einem zu definierenden Wochenstundenumfang die Insassen religiös betreut (Nr. 2.1 S. 1, 2), • die Anstalt für die festgelegten Zeiten einen Raum und erforderlichenfalls Hilfsmittel und Sachgegenstände nach Absprache und gesonderter Verein340  Landtag

Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1400 (19.11.2018), S. 4. Abschnitt liegen zwei dem Verfasser durch das Ministerium der Justiz Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 20.12.2018 mitgeteilte Musterverträge mit dem Bearbeitungsstand 25.10.2017 zu Grunde, in der die erst ab 20.11.2018 geltenden Änderungen bereits enthalten sind. 342  Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 16/11478 (15.03.2016), S. 3. 343  Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1400 (19.11.2018), S. 3. 344  Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, Mustervertrag für die religiöse Betreuung von muslimischen Gefangenen und Untergebrachten (dem Verfasser mit Schreiben vom 20.12.2018 mitgeteilt). 345  Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, Mustervertrag für die religiöse Betreuung von muslimischen Arrestantinnen und Arrestanten (dem Verfasser mit Schreiben vom 20.12.2018 mitgeteilt). 341  Diesem

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

barung über sonstige organisatorische Maßnahmen zur Verfügung stellt, wobei das Hausrecht der Anstalt unberührt bleibt (Nr. 2.1 Abs. 2), • der Auftragnehmer, auch über die Tätigkeit hinaus, zur Verschwiegenheit über persönliche Verhältnisse von Insassen verpflichtet ist (Nr. 2.2 S. 1, 2), wobei er die ihm bekannt gegebenen Bestimmungen zu Sicherheit und Ordnung346 zu beachten hat (Nr. 2.2 S. 6), • der Auftragnehmer seine Leistungen selbstständig und höchstpersönlich erbringt, in seiner Tätigkeit unabhängig und nur dem Gesetz und dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften und Vollzugsordnungen verpflichtet ist (Nr. 3.1, 3.2). Als Honorar für die vom Auftragnehmer erbrachten Leistungen werden nach vierteljährlicher Rechnung 20,00 € pro Stunde gezahlt. Abgesehen von Fahrtkosten, die in Anlehnung an § 5 Abs. 2 Nr. 2 Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz (JVEG) erstattet werden, erfolgt keine Erstattung von Auslagen (Nr. 4.1). Die einjährige Laufzeit der Verträge mit Religiösen Betreuern soll sich nach Nr. 5.1 der Musterverträge nicht automatisch verlängern und kann ordentlich mit einer Frist von 14 Tagen schriftlich gekündigt werden (Nr. 5.2, 5.4). Eine Zusammenarbeit mit den Islamwissenschaftlern des Zentrums für interkulturelle Kompetenz der Justiz, eine Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, fachlichen Veranstaltungen oder Gremien zum fachlichen Austausch ist in den Musterverträgen nicht geregelt.

XI. Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz waren lange Zeit vor allem Imame der örtlichen DİTİBMoscheegemeinden in den Justizvollzugsanstalten tätig. Nach dem Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016 ergab sich eine neue Situation, weil die Gespräche der Landesregierung mit muslimischen Verbänden über den Abschluss ressortübergreifender Verträge zunächst ausgesetzt wurden und insbesondere mit Blick auf den Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG weitere Gutachten zum Status der Verbände angefordert wurden.347 Für den 346  Vgl. dazu etwa die Verpflichtung zur Mitteilung „besonderer Vorkommnisse und Tatsachen, die […] den Verdacht einer der in § 138 StGB aufgeführten Straftaten begründen oder die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt begründen könnten“, in Anlage 1 zur AV des JM vom 24. April 2015 (4450 – IV. 56): Ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer in den Justizvollzugsanstalten und Jugendarrestanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen – AV des JM vom 24. April 2015 (4450 – IV B. 56). 347  Landtag Rheinland-Pfalz, Drs. 17/0345 (22.09.2016), S. 2; Landtag RheinlandPfalz, Prot. Wissenschafts- u. Kulturausschuss 17/3 (31.08.2016), S. 9.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern219

Justizvollzug hat das Justizministerium sodann ein eigenes Konzept für die religiöse Betreuung muslimischer Gefangener erarbeitet, das vor allem auf den Einsatz von Honorarkräften setzt.348 Auf dieser Grundlage sind inzwischen Honorarverträge von den Vollzugsanstalten abgeschlossen worden und es bestehen inzwischen drei unbefristete Planstellen für festangestellte Seelsorger,349 um die circa 580 Gefangenen bzw. 18 Prozent Gefangenen muslimischen Glaubens in religiöser Hinsicht zu betreuen.350 Inzwischen sind Zielvereinbarungsgespräche mit muslimischen Verbänden wieder aufgenommen worden, um die Voraussetzungen für förmliche Vertragsverhandlungen zu klären.351 Mit der Alevitischen Glaubensgemeinschaft ist auch bereits ein Vertrag zustande gekommen, der auch die Religionsausübung in Haftanstalten betrifft.352 1. DİTİB-Imame als konsularische Religionsbeauftragte Über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren wurde die religiöse Betreuung von muslimischen Gefangenen in Rheinland-Pfalz ausschließlich durch die in den örtlichen DİTİB-Moscheegemeinden tätigen Imame übernommen. Die (zuletzt acht) Imame waren jedoch nicht durch die DİTİBGemeinden als Auftraggeber in die Vollzugsanstalten entsandt, sondern erhielten Zugang zu den Vollzugsanstalten als Religionsbeauftragte des Türkischen Generalkonsulats in Mainz aufgrund konsularischer Betreuung von Gefangenen mit türkischer Staatsangehörigkeit.353 Im Zusammenhang mit den politischen Diskussion über die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der DİTİB, insbesondere im Religionsunterricht aber auch in der Gefangenenseelsorge, hat das rheinland-pfälzische Justizministerium die Alleinzuständigkeit für türkische Staatsangehörige nochmals unterstrichen.354 Gleichwohl nutzen nicht alle türkischen Staatsangehörigen das Angebot der konsularischen Religionsbeauftragten, kurdisch-stämmige Gefangene lehnen eine Be348  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Konzept: Religiöse Betreuung muslimischer Gefangener im Justizvollzug Rheinland-Pfalz (30.11.2017). 349  Landtag Rheinland-Pfalz, Vorl. 17/6787 (23.07.2020), S. 2  f.; etwa ein Jahr zuvor bestand erst eine Planstelle, so Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 01.08.2018 (Az.: 4408E18-5-5), S. 2. 350  Landtag Rheinland-Pfalz, Vorl. 17/6787 (23.07.2020), S. 2. 351  Landtag Rheinland-Pfalz, Vorlage 17/4752 (29.04.2019). 352  Landtag Rheinland-Pfalz, Drs. 17/4333. 353  Landtag Rheinland-Pfalz, Drs. 17/2038 (11.01.2017), S. 2; Landtag RheinlandPfalz, Drs. 17/2698 (06.04.2017), S. 62. 354  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 07.06.2017: „Zugang zu türkischen Religionsbeauftragten nur für Gefangene türkischer Staatsangehörigkeit“.

220

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

treuung durch türkische Beamte jedenfalls in Rheinland-Pfalz regelmäßig ab.355 2. Einsatz religiöser Betreuer nach landesweitem Konzept Das rheinland-pfälzische Justizministerium hat Ende 2017 ein eigenes Konzept vorgestellt und einen Religionsbetreuer für die Justizvollzugsanstalt Diez als Honorarkraft eingesetzt,356 um eine religiöse Betreuung muslimischer Gefangener unabhängig von Nationalität oder innerislamischer Glaubensrichtung zu etablieren (aa)). Zur Umsetzung dieses Konzeptes wurden auch zwei Musterverträge für die Beschäftigung von Honorarkräften und Arbeitnehmern als religiöse Betreuer erarbeitet (bb)). a) Landeskonzept Religiöse Betreuung muslimischer Gefangener357 Das Konzept des Justizministeriums benennt Ziele, kurzfristige Umsetzungsschritte und langfristige Strategien für eine religiöse Betreuung aller muslimischen Gefangenen in den Justizvollzugsanstalten des Landes. Ziel sei es, eine Betreuung in religiösen Angelegenheiten in allen Anstalten zu gewährleisten, die sich an alle Muslime, gleich welcher Nationalität oder Glaubensrichtung, richtet und sich inhaltlich und strukturell von Programmen zur Deradikalisierung und Extremismusprävention abgrenzt.358 Die Benennung als „Seelsorge“ wurde bewusst vermieden, weil dieser Begriff gegenüber der religiösen Betreuung umfassender verstanden wurde, im Christentum verankert sei, es entsprechende Konzepte im Islam nicht gebe und sich auch nicht übertragen ließen.359 Wesentlicher Unterschied zwischen christlicher Seelsorge und religiöser Betreuung für Muslime sei der Aspekt einer Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrechts, was es für muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger nicht gebe.360 Das Konzept des Justizministeriums sieht vor, dass • alle Angebote grundsätzlich in deutscher Sprache stattfinden sollen, • die Betreuungspersonen sollen eine akademische theologische Ausbildung und eine Qualifikation im Bereich der Seelsorge besitzen und über ein vertieftes Verständnis für kulturelle Kontexte und Konflikte verfügen, 355  Landtag

Rheinland-Pfalz, Prot. Rechtsausschuss 17/9-1 (10.11.2016), S. 4. der Justiz Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 08.12.2017: „Ministerium der Justiz organisiert religiöse Betreuung muslimischer Gefangener neu“. 357  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Konzept: Religiöse Betreuung muslimischer Gefangener im Justizvollzug Rheinland-Pfalz (30.11.2017). 358  Ebd., 2. 359  Ebd., 3. 360  Ebd. 356  Ministerium



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern221

• die Betreuungspersonen aus Haushaltsmitteln bezahlt werden, • die persönliche Zuverlässigkeit im Hinblick auf demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze wird vor dem Einsatz geprüft wird, • in einem Einführungskurs grundlegende Kenntnisse des Justizvollzugssystems vermittelt werden, • fortwährend vollzugsspezifische Fortbildungsmaßnahmen und ein fachlicher Austausch mit christlichen Seelsorgern und anderen Vollzugsbediensteten erfolgen und • die Betreuungspersonen andere Vollzugsbedienstete zum Umgang mit muslimischen Gefangenen und zum Islam allgemein beraten.361 Die Auswahl der Betreuungspersonen soll nach einer Sicherheitsüberprüfung durch die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder und nach einem Bewerbungsgespräch im Ministerium der Justiz erfolgen, an dem das für Seelsorge zuständige Fachreferat, das Sicherheitsreferat sowie die Anstaltsleitung der jeweiligen Vollzugseinrichtung und eines Islamwissenschaftlers des Landeskriminalamtes teilnehmen.362 Von den Mitarbeitern werden neben theologischen Kenntnissen und einschlägiger Berufserfahrung auch „allgemeine Kommunikations- und Beratungskompetenzen“ sowie die Fähigkeit erwartet, auf lebenspraktische Fragen muslimischer Gefangener differenziert zu reagieren und eine eigene Meinungsbildung bei Gefangenen zu unterstützen.363 Auch eine Bereitschaft zur interreligiösen Zusammenarbeit sollen die Bewerber mitbringen.364 Mit Ausnahme liturgischer Bestandteile und der „Koranexegese“ sollen alle Angebote in deutscher Sprache stattfinden und allen Gefangenen einer Anstalt offen stehen.365 Ausgewählte Bewerber sollen in einem freien Dienstvertrag auf die näheren Rahmenbedingungen und den Umfang religiöser Betreuung verpflichtet werden, darunter die Pflicht zur Einhaltung der Regeln zu Sicherheit und Ordnung in der jeweiligen Anstalt sowie das Verbot politischer Betätigung im Rahmen der religiösen Betreuung.366 In dem Konzept angedacht sind auch verbindliche Curricula für Schulungen und Fortbildungen, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern, sowie ein regelmäßiger, landesweiter Erfahrungsaustausch mit anderen religiösen Betreuern, auch solcher von anderen Konfessionen.367 Bezüglich der alltäglichen Zusammenarbeit mit den Justiz361  Ebd.,

4. 5. 363  Ebd., 6. 364  Ebd. 365  Ebd. 366  Ebd., 7. 367  Ebd. 362  Ebd.,

222

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

vollzugsanstalten sieht das Konzept des rheinland-pfälzischen Justizministeriums vor, dass zwischen religiösen Betreuern und den Anstaltsleitungen und sonstigen Bediensteten regelmäßig Kontakt besteht und ein Austausch über allgemeine Fragen des Vollzugs wie auch spezifische Fragen bezüglich zum Islam besprochen werden sollen. Konkrete Einzelfälle sollen allerdings nur mit Einverständnis des jeweiligen Gefangenen besprochen werden dürfen.368 Zur Umsetzung dieses Konzeptes sind in den Folgemonaten die Vollzugsgesetze um eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Sicherheitsüberprüfung von Seelsorgern und religiösen Betreuern ergänzt worden369 und die Haushaltsmittel zur Vergütung von nebenamtlichen und nebenberuflichen Geistlichen gegenüber dem Haushalt 2017/2018 im Haushalt 2018/2019 um etwa 215.000 € erhöht worden.370 Die exakte Höhe des Honorars für die inzwischen eingesetzten Honorarkräfte oder die Vergütung des festangestellten religiösen Betreuers für muslimische Gefangene nennt das Justizministerium unter Verweis auf datenschutzrechtliche Gründe nicht.371 Inzwischen gibt es Ministerium an, dass die festangestellten Betreuer in TV-L E13 eingruppiert sind.372 b) Musterverträge für Honorarkräfte und Arbeitnehmer Neben dem Konzept für die religiöse Betreuung muslimischer Gefangener hat das Ministerium auch zwei Musterverträge für die Beschäftigung von Honorarkräften und festangestellten religiösen Betreuern erarbeitet. Demnach sollen die Verträge durch das Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch die jeweilige Anstaltsleitung und vorbehaltlich der Zustimmung durch das Ministerium der Justiz, mit den Auftragnehmern bzw. Beschäftigten geschlossen werden. Inhaltlich sind übereinstimmend in beiden Musterverträgen neben weiteren vollzugsspezifischen Verpflichtungen festgelegt, dass • der Vertragszweck die Übernahme der Aufgaben der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener gemäß des „Rheinland-Pfälzischen Landeskonzeptes für eine religiöse Betreuung von muslimischen Gefangenen im Justizvollzug“ ist (Nr. 1 bzw. § 1 S. 1),

368  Ebd.,

7 f. oben Kapitel 3, A. III. 2. „Anwendbarkeit der Sicherheitsüberprüfungsgesetze“, S. 150. 370  Kapitel 05 04, Titel 427 36, in: Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz, Vorlage 17/3805 (verabschiedete Fassung). 371  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 01.08.2018 (Az.: 4408E18-5-5). 372  Landtag Rheinland-Pfalz, Prot. Rechtsausschuss 17/44 (07.11.2019), S. 12 f. 369  Siehe



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern223

• der Auftragnehmer bzw. Beschäftigter in der Ausgestaltung der religiösen Betreuung grundsätzlich frei ist, solange keine politischen Ziele verfolgt werden (Nr. 3 S. 1 bzw. § 5 Abs. 2 S. 1), • eine Arbeit in Gruppen und Einzelbetreuung Gegenstand der religiösen Betreuung sein „soll“ (Nr. 3 S. 2 bzw. § 5 Abs. 2 S. 2), • Predigten, Gruppenveranstaltungen und grundsätzlich auch Einzelbetreuung in deutscher Sprache durchzuführen sind (Nr. 3 S. 3 bzw. § 5 Abs. 2 S. 3, 4).373 Darüber hinaus regelt der Dienstvertrag für Honorarkräfte, dass • die Aufgaben des Auftragnehmers sich aus den Landesvollzugsgesetzen im Allgemeinen und den Aufträgen der Anstaltsleitungen im Einzelfall ergeben (Nr. 2 S. 1), • neben einer allgemeinen Verschwiegenheitsverpflichtung der Anstaltsleitung aber Tatsachen zu offenbaren sind, die für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib und Leben von Gefangenen oder Dritten erforderlich sind (Nr. 5, 6), • keine Betreuung gegen den Willen des Gefangenen verlangt werden kann (Nr. 7), • der Vertrag auf ein Jahr befristet ist, sich aber bei Verstreichen einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende der Laufzeit um ein weiteres Jahr verlängert (Nr. 12 S. 1), • eine vorzeitige Kündigung bei Vorliegen von Tatsachen möglich ist, wegen derer unter Berücksichtigung des Einzelfalls und der Abwägung beider Vertragsteile die Fortsetzung des Vertrages dem Kündigenden nicht zugemutet werden kann (Nr. 12 S. 2).374 Der Muster-Arbeitsvertrag zur Festanstellung von religiösen Betreuern sieht, neben Verweisungen auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) in üblichem Umfang und über die mit dem Honorarvertrag gemeinsamen Regelungen hinaus, in § 5 Abs. 2 vor, dass der Einsatzort durch Weisung des Ministeriums auf eine andere Vollzugsanstalt geändert werden kann, die Beratung der Vollzugsbediensteten und der Aufsichtsbe-

373  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Mustervertrag Festanstellung Religiöse Betreuung (dem Verfasser mit Schreiben vom 01.08.2018 mitgeteilt); Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Mustervertrag Honorarkräfte für Religiöse Betreuung (dem Verfasser mit Schreiben vom 01.08.2018 mitgeteilt). 374  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Mustervertrag Honorarkräfte für Religiöse Betreuung (dem Verfasser mit Schreiben vom 01.08.2018 mitgeteilt).

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

hörde zum vertraglich festgelegten Aufgabenbereich gehört und das Ministerium weitere Aufgabenbereiche durch Weisung übertragen kann.375 3. Verträge mit muslimischen Verbänden Bereits die vorherige SPD-geführte Landesregierung in Rheinland-Pfalz hatte die Absicht, mit Islamverbänden Verträge zur Regelung verschiedener Bereiche wie Religionsunterricht, Hochschulen oder auch Anstaltsseelsorge zu schließen. Dazu hat sie seit 2015 Gespräche mit der Ahmadiyya Muslim Jamaat, dem DİTİB-Landesverband Rheinland-Pfalz, der Schura RheinlandPfalz, dem VIKZ sowie der Alevitischen Gemeinde Deutschland geführt.376 Für Durchführung des Religionsunterrichts durch die Verbände wurden Gutachten zu den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 GG eingeholt, die nach dem Putschversuch in der Türkei aus Sorge um ausländischen Einfluss auf die deutschen Verbände nochmals erneuert wurden.377 Nach strukturellen Veränderungen innerhalb einzelner Verbände, insbesondere bei der Schura, hat die Landesregierung im Frühjahr 2019 die Gespräche wiederaufgenommen.378 Nun sollen zunächst konkrete Zielvereinbarungen getroffen werden, um die Voraussetzungen für förmliche Vertragsverhandlungen sicherzustellen. Bedingungen für die Verhandlungen sind die Verfassungstreue und Autonomie von den Verbänden und ihren Mitgliedsorganisationen.379 Die Alevitische Gemeinde Deutschland e. V. ist nicht begutachtet worden, die Landesregierung sieht aber den Status der Religionsgemeinschaft als „bundesweit bestätigt“380. Bereits im Herbst 2018 sind die Gespräche wieder aufgenommen worden.381 Im Mai 2019 hat die Landesregierung einen Vertrag mit der Alevitischen Gemeinde abgeschlossen, der neben einigen bestätigenden Regelungen zur Religionsfreiheit und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auch konkrete Vereinbarungen zu Feiertagen, zu außerschulischen Bildungseinrichtungen, zum Religionsunterricht und zur „religiösen Betreuung in besonderen Einrichtungen“ beinhaltet.382 Zwar bezeichnet die Landesregierung den Vertrag nicht als Staatsver375  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Mustervertrag Festanstellung Religiöse Betreuung (dem Verfasser mit Schreiben vom 01.08.2018 mitgeteilt). 376  Landtag Rheinland-Pfalz, Vorlage 16/5454 (15.06.2015). 377  Landtag Rheinland-Pfalz, Vorlage 17/3646 (zu Vorlage 17/666) (28.08.2018); Landtag Rheinland-Pfalz, Drs. 17/666 (28.11.2016). 378  Landtag Rheinland-Pfalz, Vorlage 17/4752 (29.04.2019), S. 2. 379  Ebd., 3. 380  Prot. Ausschuss f. Wissenschaft 17/26 (05.12.2018), S. 29. 381  Landtag Rheinland-Pfalz, Drs. 17/4333. 382  Ebd., 2 f.



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern225

trag, hat aber wegen der „erheblichen[n] gesellschaftspolitische[n] Relevanz“ trotzdem den Landtag wie bei einem Staatsvertragsabschluss eingebunden.383 Der Vertrag orientiert sich an den Verträgen der Länder Hamburg und Bremen384 und erfasst die Religionsausübung im Justizvollzug ebenso wie diese in Artikel 7: „Religiöse Betreuung in besonderen Einrichtungen Das Land unterstützt die Vertragspartnerin in besonderen Einrichtungen, insbesondere in denen die Freiheit entzogen wird, bei der religiösen Betreuung von Personen, die persönlich Mitglieder der Vertragspartnerin sind, nach Maßgabe gesonderter Vereinbarungen mit dem jeweils zuständigen Ministerium.“385

Aus der Begründung ergibt sich weiter, dass unter besonderen Einrichtungen diejenigen Anstalten und Einrichtungen zu verstehen sind, die in Art. 48 der Landesverfassung erwähnt werden.386 Dies sind Krankenhäuser und Strafanstalten. Aus der Formulierung „unterstützt (…) nach Maßgabe“ ließe sich schließen, dass die praktische Unterstützung durch das für eine Einrichtung zuständige Ministerium erst von der Existenz einer weiteren Vereinbarung abhängt. Dem steht aber der Regelungsbereich des Art. 140 GG/141 WRV entgegen, wonach jedenfalls für den Zutritt zu den Einrichtungen ein Rechtsanspruch für die als Religionsgemeinschaft bewertete Alevitische Gemeinde besteht. Weitere Maßgaben ergeben sich auch aus geltenden Gesetzen, etwa den Regelungen zur Datenübermittlung oder Offenbarungspflichten gemäß §§ 10 Abs. 2, 31 Landesjustizvollzugsdatenschutzgesetz sowie der Pflicht zur erweiterten Sicherheitsüberprüfung gemäß § 108 Abs. 4 LJVollzG. Sonstige Unterstützung jenseits der Ermöglichung des Zutritts kann gesonderten Vereinbarungen vorbehalten bleiben, wobei insbesondere finanzielle Unterstützung dafür in Betracht kommen dürfte. Vor diesem Hintergrund ist daher auch die Formulierung „unterstützt (…) nach Maßgabe“ so auszulegen, dass nicht das Zutrittsrechts der Alevitischen Gemeinde als Religionsgemeinschaft gemäß Art. 140 GG/141 WRV von den Maßgaben weiterer Vereinbarungen abhängig ist, sondern nur für die weitere Unterstützung darüber hinaus neue Vereinbarungen erforderlich sind.

383  Landtag Rheinland-Pfalz, Vorlage 17/4636 ergänzend zu Vorlage 17/4333 (04.04.2019), S. 2. 384  Landtag Rheinland-Pfalz, Prot. Ausschuss f. Wissenschaft 17/26 (05.12.2018), S. 29. 385  Der Vertrag ist im Wortlaut veröffentlicht als Anlage zu Landtag RheinlandPfalz, Vorlage 17/4636 ergänzend zu Vorlage 17/4333 (04.04.2019), S. 3 ff. 386  Ebd.

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Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

XII. Saarland Für die circa 13 Prozent muslimische Gefangene in den Justizvollzugsanstalten des Saarlandes387 werden religiöse Angebote bei Bedarf durch Religionsbeauftragte des Türkischen Generalkonsulat in Mainz durchgeführt. Dieses entsendet Imame örtlicher DİTİB-Gemeinden, die als türkische Beamte in Deutschland tätig sind. In Einzelfällen besuchen auch Imame anderer örtlicher Moscheegemeinden die Häftlinge in den Anstalten, allerdings nicht aufgrund ständiger Vereinbarungen, sondern aufgrund persönlicher Anregung des Häftlings oder seiner Familie.388 Bei nicht-deutschsprachigen Veranstaltungen sollen die Anstalten einen Dolmetscher hinzuziehen.389

XIII. Sachsen In Sachsen besteht keine institutionalisierte Seelsorge für muslimische Gefangene in den Justizvollzugsanstalten. Lediglich in der Dresdener Vollzugsanstalt gibt es einen ehrenamtlich geleiteten Gesprächskreis für muslimische Gefangene, in anderen Anstalten schließen sich muslimische Gefangene den Angeboten der christlichen Seelsorger an.390 Der Dresdener Gesprächskreis wird von einer Sozialarbeiterin als ehrenamtlicher Mitarbeiterin der Anstalt geleitet und vom Ministerium nicht als Angebot einer muslimischen Seelsorge betrachtet.391 Ob und welche Maßnahmen zu institutionalisierten Angeboten in Zukunft erfolgen könnten, sollte nach Auskunft des Justizministeriums auch vom Abschlussbericht der diesbezüglichen Länderarbeitsgruppe auf Ebene der Justizministerkonferenz abhängig gemacht werden.392 Inzwischen ist geplant, in einer größeren Vollzugsanstalt eine befristete Stelle für die muslimische Seelsorge zu schaffen, um dort und durch ein aufzubauendes Netzwerk an ehrenamtlichen oder vertraglich tätigen Kräften Angebote der muslimischen Seelsorge zu etablieren.393

387  Landtag

des Saarlandes, Drs. 16/265 (26.02.2018), S. 1. der Justiz Saarland, Antwortschreiben an den Verfasser vom 20. Mai 2019 (Az. J 4400-E-029/18#001); hinsichtlich der Zusammenarbeit mit örtlichen Gemeinden daher undeutlich Landtag des Saarlandes, Drs. 16/266 (26.02.2018), S. 1. 389  Landtag des Saarlandes, Drs. 16/266 (26.02.2018), S. 1. 390  Sächsischer Landtag, Drs. 6/9990 (25.07.2017), S. 3. 391  Sächsisches Staatsministerium der Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 19.03.2019 (Az. 1410E/48/43-IV5), S. 3. 392  Ebd., 1. 393  Auskunft des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung an den Verfasser am 29.03.2022. 388  Ministerium



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern227

XIV. Sachsen-Anhalt In Sachsen-Anhalt besteht nach Auskunft des Ministeriums für Justiz aufgrund der geringen Anzahl muslimischer Inhaftierter kein Regelungsbedarf für die religiöse Betreuung von Muslimen. In den wenigen bisherigen Einzelfällen einer Nachfrage muslimischer Seelsorge konnte, teilweise unter Beratung und Unterstützung der christlichen Anstaltsseelsorger, ein Imam vermittelt werden. Sofern gewünscht, erfolgt eine Betreuung auch durch die christlichen Seelsorger.394

XV. Schleswig-Holstein In Schleswig-Holstein hat sich die Organisation religiöser Angebote für muslimische Häftlinge in den vergangenen Jahren von örtlich Initiativen hin zu einer landesweiten Koordinierung entwickelt. Auf der Grundlage der Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe finanziert das Land inzwischen einen hauptamtlichen Seelsorger der Türkischen Gemeinden Schleswig-Holstein, dessen Arbeit von einem Islamwissenschaftler im Landesjustizministerium begleitet wird.395 Zuvor wurden in einzelnen Vollzugsanstalten religiöse Bildungs- und Gebetsangebote für Muslime von einzelnen Honorarkräften und örtlichen Gemeinden organisiert. Der Anteil muslimischer Gefangener in den Justizvollzugsanstalten in Schleswig-Holstein wird seit mehreren Jahren gleichbleibend auf zehn Prozent geschätzt.396 1. Örtliche Gemeinde- und ehrenamtliche Angebote Vor einer landesweiten Koordinierung der Seelsorgeangebote waren diese auf einige örtliche Initiativen beschränkt. In der Justizvollzugsanstalt Lübeck haben verschiedene örtliche muslimische Verbände bzw. Moscheegemeinden für die muslimischen Gefangenen Einzelgespräche und „religiöse Freizeitgruppen“ im Umfang von insgesamt drei Stunden im Monat angeboten.397 Der Verein TÜRGEM e. V. hatte im Jahr 2006 begonnen, auf eigene Initiative und nach Zulassung durch den Anstaltsleiter, die muslimischen Gefangenen 394  Zum Ganzen: Ministerium für Justiz und Gleichstellung Sachsen-Anhalt, Antwortschreiben an den Verfasser vom 12.07.2018 (Az.: 4407 E-302.2563/2018). 395  Ministerium für Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 27.09.2018 (Az.: II 207/4557 E 16/18), S. 2 sowie ergänzende Mitteilung an den Verf. per E-Mail vom 26.10.2021. 396  Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 19/441 (25.01.2018), S. 1; SchleswigHolsteinischer Landtag, Drs. 18/4713 (14.10.2016), S. 9. 397  Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 19/441 (25.01.2018), S. 1.

228

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

in der JVA Lübeck anlässlich des Opferfestes zu besuchen. Daraus entwickelte sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit, die durch die Mitarbeiter des Vereins ehrenamtlich erbracht wird.398 Nach Angaben der Hansestadt Lübeck verfolgt der Verein TÜRGEM e. V. soziale und kulturelle Zwecke, wird von Menschen türkischer wie griechischer Herkunft sowie deutschen Staatsangehörigen vertreten und betreibt die „Förderung der Integration“ und setzt sich für „friedliches und gutes nachbarschaftliches Zusammenleben“ ein.399 An der Organisation der Angebote waren seit 2008 auch die Islamische Gemeinde Lübeck und die DİTİB Türkisch-Islamische Gemeinde zu Lübeck e. V. beteiligt, die jeweils Religionslehrer zur Durchführung der Angebote als ehrenamtliche Kräfte eingesetzt hatten.400 In der Justizvollzugsanstalt Neumünster und in der Jugendanstalt Schleswig wurden durch den DİTİB-Landesverband Nord regelmäßig islamischer Religionsunterricht angeboten. In der JVA Neumünster war dies auch mit der Durchführung des Freitagsgebet verbunden.401 Rechtliche Grundlage für diese Zusammenarbeit ist ein Vertrag zwischen den jeweiligen Vollzugsanstalten und dem DİTİB Landesverband Schleswig-Holstein e. V., der die Erbringung des Religionsunterrichts auf Honorarbasis regelt.402 Den Honorarkräften wird dabei ein Stundenhonorar von 80 € gezahlt.403 Die Landesregierung strebt an, die Verträge zu beenden und erarbeitet derzeit ein landesweites Konzept zur Islamischen Gefangenenseelsorge, das die örtlichen Angebote ablösen könnte.404 2. Koordination und Finanzierung durch Landesmittel Die Erfahrungen anderer Bundesländer und die Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe haben in Schleswig-Holstein eine zentrale Koordination und Steuerung der bisher lokalen Angebote angestoßen. Bereits während der Er398  Ministerium für Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 27.09.2018 (Az.: II 207/4557 E 16/18), S. 3. 399  Hansestadt Lübeck, „MigrantInnen-Selbstorganisationen in der Hansestadt Lübeck“ (2017), S. 19, abrufbar unter: http://www.migration-in-luebeck.de/fileadmin/ downloads/pdf/MSO-Broschuere_Stand_11-2017.doc.pdf (abgerufen am 10.06.2022). 400  Ministerium für Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 27.09.2018 (Az.: II 207/4557 E 16/18), S. 3. 401  Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 19/441 (25.01.2018), S. 2. 402  Ministerium für Justiz, Antwortschreiben an den Verfasser vom 27.09.2018 (Az.: II 207/4557 E 16/18), S. 2 ff. (Der Wortlaut der Verträge ist dem Verfasser nicht mitgeteilt worden). 403  Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 18/2921. 404  Ministerium für Justiz, Antwort an den Verfasser per E-Mail vom 17. Mai 2019 (Az.: II 204/4557 E 16/18).



C. Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern229

arbeitung der Empfehlungen hatte die Vollzugsverwaltung den Entschluss gefasst, die örtlichen Verträge zu kündigen und ein landesbezogenes Konzept für die muslimische Gefangenenseelsorge zu entwickeln.405 Zu diesem Zweck sind im Landesjustizministerium die Voraussetzungen für die Beschäftigung eines Islamwissenschaftlers geschaffen worden. Dieser hat in Anlehnung an die Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe fachliche Standards und persönliche Voraussetzungen für die muslimische Gefangenenseelsorge formuliert: So werden nun von den Seelsorgenden insbesondere theologische Fach- und Fremdsprachenkenntnisse verlangt, die durch Studienabschlüsse nachzuweisen sind. Ferner sollen berufliche Erfahrungen im Justizkontext bestehen und es ist eine Einwilligung zur Personenüberprüfung erforderlich. In fachlicher Hinsicht legt das schleswig-holsteinische Landeskonzept ebenfalls in Anlehnung an die Arbeitsgruppen-Empfehlungen fest, dass die Seelsorgenden Freitagsgebete und religiöse Feiertage für die Gefangenen sowie islamischen Religionsunterrichts und Einzelbetreuung der Inhaftierten und deren Angehörigen übernehmen sollen.406 Mit dem Haushaltsjahr 2022 stehen nun auch Mittel dafür bereit, die Kosten für eine vertragliche Vereinbarung mit der Türkischen Gemeinde in Schleswig-Holstein e. V. zur Erbringung der muslimischen Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten zu übernehmen.407 Auf dieser Basis wird inzwischen ein hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Türkischen Gemeinde durch Landesmitteln finanziert und in der Gefangenenseelsorge eingesetzt.408

XVI. Thüringen In Thüringen bestanden ehrenamtliche Angebote der religiösen Betreuung für muslimische Gefangene, die aufgrund der derzeit geringen Anzahl an Muslimen in den Vollzugsanstalten409 nicht fortgeführt werden. Bei Bedarf sollen die Angebote aber durch Honorarkräfte wieder aufgenommen werden.410 Die Auswahl der dafür eingesetzten Personen würde in diesem Fall 405  Ebd.

406  Mitteilung des Ministeriums für Justiz, Europa und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein an den Verfasser am 26.10.2021. 407  Ministerium für Justiz, zu Drs. 19/3200, S. 53 (Titel 533 510). 408  Mitteilung des Ministeriums für Justiz, Europa und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein an den Verfasser am 26.10.2021. 409  Zum Stichtag 31.12.2018 bekannten sich 153 Gefangene im thüringischen Justizvollzug zum muslimischen Glauben, siehe Thüringer Landtag, Drs. 6/6739 ­ (30.01.2019), S. 2. 410  Kriminologischer Dienst für den Justizvollzug in Thüringen im Bildungszentrum Gotha, Antwortschreiben an den Verfasser vom 03.09.2018 (Az.: 1601-6-4557/ E-17-1-24050/2018).

230

Kap. 3: Praxis religiöser Angebote für Muslime im Strafvollzug

durch das Justizministerium, den Kriminologischen Dienst, die Anstaltsleitungen erfolgen und einer Sicherheitsüberprüfung unter Beteiligung des Landesamtes für Verfassungsschutz unterzogen.411

D. Zusammenfassung Religiöse Angebote für muslimische Gefangene in den deutschen Bundesländern sind zunehmend professioneller geworden und haben sich gleichzeitig überwiegend von der Anbindung an Islamverbände gelöst. Dadurch entwickelt sich eine institutionalisierte islamische Gefangenenseelsorge, die mit der christlichen Gefängnisseelsorge strukturell nicht vergleichbar ist und in absehbarer Zeit vermutlich auch nicht werden wird. In nahezu allen Bundesländern, jedenfalls aber in den westdeutschen Bundesländern mit einem signifikanten Bevölkerungsanteil von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, sind religiöse Angebote anfangs durch ehrenamtlich in den Vollzugsanstalten tätige Imame der örtlichen Moscheen organisiert worden. Spätestens seit den Spitzelvorwürfen gegen Imame der DİTİB sind die Landesregierungen bestrebt, diese Angebote durch andere Träger oder eigene Kräfte zu ersetzen. Nicht zuletzt aus Gleichbehandlungsgründen bestehen hinsichtlich einer Kooperation für islamische Gefangenenseelsorge seither auch gegenüber anderen Islamverbänden erkennbare Vorbehalte. Lediglich in Bremen und Hamburg, in denen umfassendere vertragliche Vereinbarungen mit Islamverbänden bestehen, ist diese Skepsis nicht erkennbar, obwohl das Land Niedersachsen die Vereinbarung zur Gefangenenseelsorge mit dem DİTİB-Landesverband Bremen-Niedersachsen gekündigt hat. Als Folge dessen ist eine deutliche Tendenz zur staatlichen Eigenorganisation von religiösen Angeboten für muslimische Gefangene festzustellen. Zumeist zeigt sich dies durch die Beschäftigung von Honorarkräften (Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen), vereinzelt aber auch durch Einstellung hauptberuflicher Seelsorgende in den Vollzugsdienst (Bayern, ebenfalls Rheinland-Pfalz). Diese Organisationsformen haben sich jedenfalls in jüngster Zeit und als kurzfristige Lösungen gegenüber der Zusammenarbeit mit verbandsübergreifenden Islamorganisationen oder unabhängigen Integrationsvereinen durchgesetzt, die noch vor wenigen Jahren in einigen Bundesländern begonnen wurden und seither relativ geräuschlos bestehen (Berlin, BadenWürttemberg, teilweise auch Bayern). Vertragliche Kooperationen mit Islamverbänden haben sich trotz einzelner Vorbilder (Hamburg, Bremen, Niedersachsen) in den vergangen Jahren bisher nicht durchgesetzt, auch wenn in

411  Ebd.



D. Zusammenfassung231

Niedersachsen zuletzt eine Neuauflage der Vereinbarung erzielt werden konnte. Insgesamt zeigt sich daran, dass jedenfalls mittelfristig nicht die vertraglich fixierte Kooperationsstruktur von Staat und Kirchen auf die Kooperation mit islamischen Organisationen übertragen werden wird. Davon war aber noch die Deutsche Islam Konferenz bei ihrer Anfrage an die Justizministerkonferenz nach Empfehlungen für die islamische Gefangenenseelsorge ausgegangen. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe auf Ebene der Justizministerkonferenz beziehen sich dementsprechend auch eher auf langfristige Perspektiven. Die Praxis der Bundesländer zeigt aber, dass daneben und zunächst mittelfristige Lösungen umgesetzt werden müssen, um den Gefangenen ihre grundrechtlich geschützte Religionsausübung bereits jetzt zu ermöglichen. Die dafür derzeitig gewählten Handlungsformen gilt es daher im Folgenden rechtlich zu untersuchen.

Kapitel 4

Staatliche Handlungsformen zur Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge Der grundrechtliche Anspruch, geeignete Maßnahmen zur Ermöglichung der gemeinschaftlichen Religionsausübung im Strafvollzug zu ergreifen, wird durch die Vollzugsverwaltungen in den deutschen Bundesländern auf verschiedene Weise umgesetzt. Damit bestehen verschiedene Formen, wie die unterschiedlichen Strömungen und nationalen Prägungen innerhalb des Islams durch die Bundesländer organisatorisch erfasst werden. Die gewählten Handlungsformen lassen sich anhand der unterschiedlichen Beteiligung von Religionsgemeinschaften bzw. islamischen Verbänden drei Varianten staatlichen Handelns zuordnen: staatlich organisierte Angebote ohne Einbindung einer Religionsgemeinschaft (unten A.), mittelbare Beteiligung religiöser Gruppen (B.) und die unmittelbare Kooperation zwischen Staat und Islamverbänden auf vertraglicher Basis (C.). Teilweise finden sich die Handlungsformen auch in der Praxis europäischer Nachbarstaaten. Die gewählten Lösungswege in England und Wales, den Niederlanden, Frankreich sowie in Österreich und Italien werden im Folgenden ebenfalls mit in die Analyse einbezogen. Denn vielfach bestehen dort ähnliche praktische wie rechtliche Probleme, wie sie auch in Deutschland bestehen: ein steigender Anteil von Inhaftierten stammt aus muslimisch geprägten Herkunftsländern, islamische Extremisten und Terroristen bedrohen gleichermaßen den Staat außerhalb des Strafvollzugs wie auch den Resozialisierungserfolg in der Haft selbst und als mögliche Kooperationspartner stehen den Staaten eine zumeist nicht konsensfähige Vielzahl muslimischreligiöser Organisationen gegenüber. Die jeweiligen rechtlichen Lösungen dieser Problemlage eignen sich daher für einen Rechtsvergleich im Sinne eines „Problemlösungsvergleichs“1. Angesprochen ist damit die funktionale Rechtsvergleichung, bei der nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der verglichenen Rechtsordnungen und deren Rechtsinstituten und -grundsätzen für die Lösung eines Problems gefragt wird.2 Vergleichsgegenstand ist 1  Mössner, „Rechtsvergleichung und Verfassungsrechtspechung“, AöR 1974, S. 193–242, 197; ähnlich auch Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S. 175, 183. 2  Starck, „Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht“, JZ 1997, S. 1021–1030, 1028; Mössner, AöR 1974, S. 193, 241.



Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge233

der durch Normen geregelte Lebenssachverhalt, also die tatsächlichen Wirkungen (oder deren Fehlen) einer Rechtsnorm.3 Trotz unterschiedlicher religionsrechtlicher Systeme (Staatskirche in England/Wales, strikte Trennung von Staat und Religion in den Niederlanden und Frankreich, Kooperation zwischen den Staaten Italien und Österreich und den dortigen Religionsgemeinschaften) verbindet alle diese Staaten die individuelle Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK, wonach die Religionsausübung auch im Strafvollzug gewährleistet werden muss. Mit Deutschland verbindet die Staaten, dass muslimische Menschen zwischen fünf und zehn Prozent der Gesamtbevölkerung bilden.4 Diese Menschen bzw. ihre Eltern oder Großeltern sind weit überwiegend durch Einwanderung als Arbeitskräfte insbesondere in den 1960er und 70er-Jahren nach Europa gekommen.5 Vor allem der Bergbau, die Industrie und das Baugewerbe waren die Branchen, in denen un- und angelernte Arbeitsmigranten Arbeit fanden, weil einheimische Arbeitnehmer diese Tätigkeiten nicht mehr in ausreichender Anzahl durchführen konnten.6 Die Veränderung der Industriearbeit durch zunehmende Automatisierung, die gleichzeitige konjunkturelle Abschwächung und zunehmende Ausländerfeindlichkeit in der Gesellschaft führten zwar, mit der Ölkrise 1973 als politischem Auslöser, zum Ende der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer. Anders als möglicherweise politisch erhofft, kehrten die „Gastarbeiter“ jedoch vielfach nicht

Rechtsvergleichung, S. 180. die Länderberichte der „Encyclopedia of law and religion: Europe“ mit Verweis auf staatliche Statistiken (sofern vorhanden): van Bijsterveld, „Netherlands“, in: Robbers/Durham/Thayer (Hrsg.), Encyclopedia of law and religion: Europe, Bd. 4 (2016), S. 276–287 (276); Messner, „France“, in: Robbers/Durham/Thayer (Hrsg.), Encyclopedia of law and religion: Europe, Bd. 4 (2016), S. 120–139 (120); McClean, „United Kingdom“, in: Robbers/Durham/Thayer (Hrsg.), Encyclopedia of law and religion: Europe, Bd. 4 (2016), S. 437–447 (437); Ferrari/Ferrari, „Italy“, in: Robbers/Durham/Thayer (Hrsg.), Encyclopedia of law and religion: Europe, Bd. 4 (2016), S. 195–211 (195); Potz, „Austria“, in: Robbers/Durham/Thayer (Hrsg.), Encyclopedia of law and religion: Europe, Bd. 4 (2016), S. 15–21 (15); vgl. auch Pew Research Center, „Europe’s growing muslim population“, S. 4. 5  Oltmer, Migration – Geschichte und Zukunft der Gegenwart (2017), S. 192; Laurence, The emancipation of Europe’s Muslims: the state’s role in minority inte­gration (2012), S.  8 ff. 6  Oltmer, Migration, S. 191; Kritik zur Annahme, dass die angelernten Tätigkeiten auch von mehrheitlich jungen, gering qualifizierten Einwanderern ausgeübt wurden, mit Verweis auf einzelne Feldstudien in Unternehmen, wonach bei den ausländischen Arbeitskräften größere Altersspannen und verschiedene Familiensituationen bestanden, und Arbeitnehmerinnen circa ein Drittel der Arbeitsmigranten bildeten bei Oswald/Schönwälder/Sonnenberger, „Einwanderungsland Deutschland: A New Look at its Post-war History“, in: Ohliger/Schönwälder/Triadafilopoulos (Hrsg.), European encounters – migrants, migration and European societies since 1945 (2003), S. 19–37 (28 ff.). 3  Kischel, 4  Vgl.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

in ihre Herkunftsstaaten oder die ehemaligen Kolonialstaaten zurück. Vielfach erfolgte eine berufliche Neuorientierung und der Nachzug der Familie.7 Jonathan Laurence hat bereits aus politikwissenschaftlicher Perspektive nachgewiesen, dass die Herkunftsstaaten muslimischer Arbeitsmigranten auch erster Ansprechpartner für die Organisation der Religionsausübung waren („Embassy Islam“).8 Der Vergleich rechtlicher Lösungswege und Handlungsformen in ausgewählten europäischen Staaten wird zeigen, dass dieser Befund auch rechtlich gestützt werden kann. Weil in Deutschland erst seit Kurzem die zwischenstaatliche Zusammenarbeit aufgegeben wird, können die Bundesländer in den teilweise länger erprobten Strukturen in England und Wales, den Niederlanden, Frankreich, Österreich und Italien durchaus Vorbilder entdecken.

A. Staatlich organisierte Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften Zu den staatlich organisierten Angeboten ohne Beteiligung von Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes zählen die Bestellung von Seelsorgern als Religionsbeauftragte aufgrund konsularischer Zusammenarbeit mit einem anderen Staat, zumeist der Türkei, sowie die Beschäftigung von Seelsorgenden in Festanstellung oder auf Honorarbasis durch Vollzugsanstalten. Während der Einsatz von konsularischen Religionsbeauftragten in vielen Bundesländern lange üblich war (Nordrhein-Westfalen, Berlin, teilweise Baden-Württemberg) und teilweise noch ist (Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland), ist die staatliche Beschäftigung von muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern eine jüngere und fortlaufende Entwicklung, die in Hessen begonnen hatte und inzwischen auch in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Niedersachsen aufgegriffen worden ist.

I. Konsularische Zusammenarbeit mit einem anderen Staat Die Organisation religiöser Angebote im Strafvollzug durch konsularische Zusammenarbeit ist die älteste Form, muslimischen Gefangenen eine gemeinschaftliche Ausübung ihrer Religion zu ermöglichen. Zugleich ist die konsularische Zusammenarbeit ein Einzelfall innerhalb der vollzuglichen 7  Oltmer, Migration, S. 192, 195; Bade, Europa in Bewegung – Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (2000), S. 304 f., 311 f.; Faßmann/Münz, „Europäische Migration – ein Überblick“, in: Faßmann/Münz (Hrsg.), Migration in Europa (1996), S. 13–52 (23). 8  Laurence, The emancipation of Europe’s Muslims, S. 30.



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften235

Handlungsformen, weil ausschließlich mit der Türkei auf diese Weise reli­ giöse Angebote für Gefangene organisiert worden sind. Dies ist nur möglich, weil die in den Moscheegemeinden der DİTİB in Deutschland tätigen Imame türkische Staatsbeamte sind. Mit Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz und dem Saarland bestand bzw. besteht in allen bevölkerungsreichen westdeutschen Bundesländern eine konsularische Zusammenarbeit mit der Türkei. Unter Berücksichtigung der vertraglichen Kooperation mit den DİTİB-Landesverbanden in Hamburg, Bremen und Niedersachsen sowie örtlicher Kooperationen unter Beteiligung der DİTİB in Schleswig-Holstein (Lübeck, Neumünster), bestanden bzw. bestehen in allen westdeutschen Bundesländern Organisationsformen mit Bezug zur Türkei. Aufgrund der politisch angespannten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, spätestens seit dem Putschversuch 2016, hat die konsularische Zusammenarbeit als Handlungsform muslimischer Gefangenenseelsorge in Deutschland an Bedeutung verloren.9 Sowohl der Ausgangspunkt der Organisation gemeinschaftlicher Reli­ gionsausübung durch Herkunftsstaaten von Migranten wie auch zwischenstaatliche politische Differenzen als Auslöser für eine Abkehr davon, lassen sich ebenso in anderen europäischen Staaten, insbesondere in Frankreich und Österreich beobachten. Die konsularische Zusammenarbeit erweist sich daher als erste Vorstufe einer eigenständigen Institutionalisierung islamischer Gefangenenseelsorge. 1. Völkerrechtliche Grundlagen Die Imame der DİTİB-Moscheegemeinden werden als Religionsbeauftragte des jeweiligen Türkischen Generalkonsulates auf der Grundlage von Art. 36 Abs. 1 lit. c) des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK)10 in die Justizvollzugsanstalten entsandt. Nach dieser Regelung sind Konsularbeamte berechtigt einen Angehörigen des Entsendestaates aufzusuchen, der sich in Straf- oder Untersuchungshaft befindet oder dem anderweitig die Freiheit entzogen ist, mit ihm zu sprechen und zu korrespondieren sowie für seine Vertretung in rechtlicher Hinsicht zu sorgen. Gemäß Art. 36 Abs. 2 WÜK ist dies nach Maßgabe der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates auszuüben, wobei diese Gesetze es 9  Vgl. insbesondere die landesspezifischen Veränderungen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz oben unter Kapitel 3, C. „Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern“, S. 168. 10  Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (BGBl. 1969 II 59, 1587 ff.).

236

Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

aber ermöglichen müssen, die Zwecke der eingeräumten Rechte vollständig zu verwirklichen. Dem Übereinkommen sind seit dem Beschluss der Konferenz der Vereinten Nationen zu konsularischen Beziehungen am 22.04.1963 inzwischen 182 Staaten beigetreten.11 Die Bundesrepublik hat das Übereinkommen mit anderen Staaten gemeinsam bereits am 24.04.1963 unterzeichnet und der Bundestag hat nach Abschluss der Ratifikationsphase durch Gesetz vom 26.08.1963 zugestimmt.12 Die religiösen Dienste der Imame sind von der Definition der konsularischen Aufgaben nach WÜK umfasst (a)). Die Zulassung von DİTİB-Imamen in Justizvollzugsanstalten kann aber von sicherheitsrechtlichen Voraussetzungen abhängig gemacht werden (b)). a) Religiöse Angebote als konsularische Aufgabe In den Moscheegemeinden der DİTİB tätige Imame sind nach Art. 36 Abs. 1 lit. c) WÜK als Konsularbeamte zuzulassen, weil diese gemäß Art. 1 lit. d) WÜK „in dieser Eigenschaft mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben“ beauftragt sind. Aus Art. 36 Abs. 1 lit. c) WÜK ergeben sich keine Beschränkungen der konsularischen Aufgaben. Vielmehr orientiert sich der Umfang des Besuchsrechts an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der konsularischen Aufgaben und gestattet ein freies Gespräch mit dem Gefangenen.13 Eine konsularische Aufgabe ist es gemäß Art. 5 lit. e) WÜK auch, den Angehörigen des Entsendestaats, „Hilfe und Beistand zu leisten“. Ferner können die Entsendestaaten der konsularischen Vertretung gemäß Art. 5 lit. m) WÜK auch weitere Aufgaben zuweisen, sofern diese Aufgabe nicht gesetzlich durch den Empfangsstaat verboten wurde oder gegen die konsularische Praxis Einspruch erhebt. Deshalb sind nicht nur die staatlichen Beamten, die in einem Konsulat Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten bearbeiten, Konsularbeamten im Sinne der WÜK, sondern auch sonstige Mitarbeiter, die andere übertragene Aufgaben (etwa als Wirtschaftsbeauftragte oder Kulturbeauftrage) übernehmen.14 Abhängig von der Staatenpraxis sind auch Vertrauenspersonen erfasst, die für Angehörige des Entsendestaaten im Auf11  United Nations, „Status of Treaties: Vienna Convention on Consular Relations“, https://treaties.un.org/doc/Publication/MTDSG/Volume %20I/Chapter %20III/ III-6.en.pdf (abgerufen am 10.06.2022). 12  Gesetz zu dem Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen vom 26. August 1969 (BGBl. 1969 II 59, 1585). 13  Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen (2010), S. 199. 14  Ebd., 138.



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften237

trag der konsularischen Vertretung einzelne Unterstützungsleistungen er­ bringen.15 Aufgrund dieser Maßstäbe ergibt sich ein weiter Anwendungsbereichs des konsularischen Besuchsrechts für Gefangene, sodass dieses auch den Imamen der DİTİB-Gemeinden zukommt. Denn die dort tätigen Imame sind zu sehr großem Anteil Beamte der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die sie für mehrere Jahre nach Deutschland zum Dienst als Imame in DİTİBGemeinden entsendet.16 Weil die örtlichen Moscheevereine über die meisten Landesverbände und jedenfalls den DİTİB-Bundesverband satzungsmäßig an die türkische Religionsbehörde Diyanet gebunden sind,17 erfüllen die dort tätigen Imame ihren Dienst gegenüber dem türkischen Staat im Rahmen der Entsendung nach Deutschland. Weil anhand der Maßstäbe der WÜK weder der beamtenrechtliche Status im Entsendestaat noch der Aufenthaltsstatus im Empfangsstaat maßgeblich, ist es unerheblich, dass Diyanet-Imame in Deutschland als ausländische Arbeitnehmer betrachtet werden und auf Antrag einen Aufenthaltstitel gemäß § 18 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 Beschäftigungsverordnung erhalten und damit nicht als Berufskonsularbeamte gemäß „§ 18 KonsG, § 19 GVG behandelt werden.18 Maßgeblich ist nach dem Maßstab der WÜK, ob die übernommene Aufgabe nach den Regelungen des Entsendestaates eine konsularische Aufgabe ist. Dies trifft auf Imame aus der Türkei bei der Gefangenenseelsorge zu, denn als Beamte im Zuständigkeitsbereich der Religionsbehörde Diyanet erbringen sie in der Türkei ebenfalls religiös-spirituelle Dienstleistungen, wobei darunter insbesondere religiöse Bildung und Unterweisung sowie Rechts15  Ebd.,

139. einer von der Deutschen Islam Konferenz in Auftrag gegebenen Studie gaben im Jahr 2011 mehr als 80 Prozent der Imame in Ditib-Gemeinden an, hauptamtlich unbefristet beschäftigt zu sein und eine fast identische Anzahl von Imamen gab an, Beamter des Türkischen Staates zu sein, vgl. Halm/Sauer/Schmidt/Stichs, Islamisches Gemeindeleben in Deutschland (Forschungsbericht im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz), S. 267 ff. 17  Vgl. zur Dienstaufsicht für Diyanet-Imame und zum satzungsgemäßen Einfluss bei DITIB-Vorständen: Deutscher Bundestag, Drs. 18/11576 (20.03.2017), S. 4; Yaşar, Die DITIB zwischen der Türkei und Deutschland: Untersuchungen zur Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (zugl. Bamberg, Univ., Diss., 2012); Hür, „Satzung des Islamverbands DITIB – Türkische Funktionäre haben das Sagen in deutschem Verein“, http://www.deutschlandfunk.de/satzung-des-islam verbands-ditib-tuerkische-funktionaere.886.de.html?dram:article_id=375487 (abgerufen am 10.06.2022). 18  Vgl. Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste, „Kurzinformation: Rechtliche Grundlagen für die Entsendung türkischer Imame nach Deutschland“ (2017). 16  Nach

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

rat auf Grundlage des islamischen Rechts (Fatwā) verstanden wird.19 Diese Dienstleistungen erbringt die Diyanet auch in türkischen Gefängnissen. Seit 1986 besteht deshalb ein Protokoll zwischen dem türkischen Justizministerium und der Diyanet, dass die Erteilung von Religionskultur- und Ethik­ unterricht regelt und im Jahr 2001 in wesentlichen Punkten angepasst und 2011 nochmals ergänzt worden ist. Demnach dienen die Angebote der Diyanet in den Gefängnissen der „Wiedereingliederung der Gefangenen und Häftlinge, die sich in den Gefängnissen befinden, in die Gesellschaft durch Verbesserung ihrer religiösen und moralischen Gefühle“.20 Dafür wird auf Grundlage des intrabehördlichen Protokolls für mindestens zwei Wochenstunden Unterricht in religiöser Kultur und Ethik angeboten. Mindestens einmal im Monat soll durch die Diyanet-Beamten eine Predigt im Rahmen eines Gottesdienstes gehalten werden.21 Im Vordergrund der Diyanet-Angebot in türkischen Strafvollzugsanstalten steht daher die religiös orientierte Bildung und Beratung bzw. Lebenshilfe, weniger die gemeinschaftliche Religionsausübung in Form von Feiern und Zeremonien.22 Im Übrigen gehört es spätestens seit der Gründung einer Auslandsabteilung innerhalb der Religionsbehörde Diyanet im Jahr 1984 zu ihrem eigenen Auftrag, religiöse Bildungs- und Beratungsleistungen auch für türkische Staatsangehörige im Ausland zu erbringen.23 Folglich lassen sich die von Beamten der Diyanet in der Türkei erbrachten religiösen Dienstleistungen als staatliche Hilfe und Beistand im Sinne der WÜK verstehen, weil sich die in Art. 5 WÜK genannten Aufgaben stets daran orientieren, welche staatlichen Leistungen der Entsendestaat seinen Staatsan­ gehörigen grundsätzlich anbietet. Ist es einem Entsendestaat möglich, eine im eigenen Land zulässige staatliche Hilfeleistung auch im Empfangsstaat zu erbringen, ist anhand von Art. 1 lit. d) WÜK kein Grund ersichtlich, warum diese Hilfeleistung keine konsularische Aufgabe sein sollte. Einschränkungen ergeben sich weder aus Art. 5 lit. e) WÜK noch aus der Öffnungsklausel des Art. 5 lit. m) WÜK, weil religiöser Beistand in Gefängnissen in Deutschland nicht untersagt ist. Diese Auslegung wird auch dadurch gestützt, dass das deutsche Konsulargesetz in § 5 Abs. 1 S. 1 generalklauselartig die erforderliche Hilfe in einer Notlage als Aufgabe deutscher Konsularbeamten benennt. Damit hat der 19  Tosun, „Seelsorge zwischen Lehre und Lebenshilfe“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 79 f. 20  Ebd., S. 83; vgl. auch Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 177. 21  Tosun, „Seelsorge zwischen Lehre und Lebenshilfe“, in: Begić/Weiß/Wenz (Hrsg.), Barmherzigkeit, S. 84. 22  Vgl. ebd., 80, 83; vgl. allgemein dazu auch Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, Islamische Seelsorge, S. 175 ff. 23  Laurence, The emancipation of Europe’s Muslims, S. 61 f.



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften239

Gesetzgeber den Grundsatz konsularischer Schutz- und Beistandspflicht konkretisiert, aber die Hilfeleistung nicht auf eine bestimmte Art beschränkt, sodass umfassende Hilfeleistungen materieller und immaterieller Art ermöglicht werden. Nicht zuletzt wird die hier vertretene Auslegung der WÜK durch jahrelange Staatenpraxis der Vollzugsverwaltungen in den deutschen Bundesländern gestützt, die örtlichen DİTİB-Imame auf Benennung des Türkischen Generalkonsulates in den Justizvollzugsanstalten zugelassen haben. Die religiösen Angebote für muslimische Gefangene von Imamen, die auf Benennung des Türkischen Generalkonsulates in deutschen Justizvollzugsanstalten tätig werden, sind daher eine konsularische Aufgabe im Sinne von Art. 1 lit. d) i. V. m. Art. 5 lit. e) WÜK und unterfallen somit dem Besuchsrecht aus Art. 36 Abs. 1 lit. c) WÜK. b) Gesetzgebungsvorbehalt zum konsularischen Besuchsrecht Mit dem weiten Anwendungsbereich der konsularischen Aufgaben, die ein Besuchsrecht nach Art. 36 Abs. 1 WÜK begründen, korrespondiert das Recht des Empfangsstaates, die Modalitäten des Zugangs festzulegen. Nach Art. 36 Abs. 2 WÜK ist das Besuchsrecht nach Maßgabe der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates auszuüben, soweit diese es ermöglichen, die Zwecke vollständig zu verwirklichen. Daraus folgt, dass der Empfangsstaat das Besuchsrecht nicht durch nationale Normen praktisch vereiteln darf, etwa durch überlange Fristenregelungen.24 Demnach steht das WÜK der Anordnung einer Sicherheitsüberprüfung oder Zuverlässigkeitsprüfung nicht entgegen, wenn diese für alle anstaltsfremden Personen als Zugangsvoraussetzung zum Justizvollzug erforderlich ist. Dies ist inzwischen seit Inkrafttreten neuerer Justizdatenschutzgesetze in den Bundesländern gewährleistet. Werden konsularische Religionsbeauftragte hingegen aufgrund ihres wiederkehrenden Einsatzes wie ehrenamt­ liche Mitarbeiter behandelt und aufgrund dieser Regelungen einer persön­ lichen Prüfung unterzogen, wird dies dem völkerrechtlichen Besuchsrecht nicht gerecht. Eine Differenzierung zwischen den wiederkehrenden Besuchen der Religionsbeauftragten und den eher weniger häufigen Besuchen zur Wahrnehmung anderer konsularischer Aufgaben ist gleichwohl nicht ausgeschlossen. Denn es betrifft auch die Modalitäten der Ausübung des Besuchsrechts25, wenn anhand unterschiedlicher Auswirkungen von Anstaltsbesu24  Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S.  199 f. 25  Ebd., 200.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

chen unterschiedliche Sicherheitsanforderungen zu erfüllen sind. Ein nach Art. 36 Abs. 2 WÜK unzulässiger Substanzverlust des Besuchsrechts kann aber nicht bereits deshalb angenommen werden, weil die Zustimmung des Betroffenen zu einer Sicherheitsüberprüfung nach den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen der Länder erforderlich ist. Insofern wird nach der Art der konsularischen Aufgabe zu differenzieren sein: Durch die Länder-SÜG wird das Besuchsrecht nicht vollständig ausgeschlossen, weil nur für bestimmte sicherheitsrelevante Bereiche und sabotagegefährdete Tätigkeiten eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich ist. Diese Anforderungen sind bei den in Art. 5 WÜK außerhalb der General- bzw. Öffnungsklausel der lit. e) und lit. m) explizit genannten konsularischen Aufgaben nicht erfüllt, sodass für die weit überwiegenden Aufgabenbereiche jedenfalls keine Zustimmung zu Sicherheitsüberprüfungen erforderlich ist. Besteht zur Zulassung für einen Tätigkeitsbereich, der nicht in der WÜK ausdrücklich genannt ist, sondern aufgrund der im Entsendestaat geltenden Rechtslage eine konsularische Aufgabe darstellt, das Erfordernis einer Sicherheitsüberprüfung durch den Empfangsstaat, wird dadurch nicht das Besuchsrechts grundsätzlich vereitelt. Dauert eine Sicherheitsüberprüfung eines Religionsbeauftragten jedoch mehrere Monate, dürfte dies einem Substanzverlust des konsularischen Besuchsrechts nahekommen, selbst wenn Diyanet-Beamte für mehrere Jahre in Deutschland eingesetzt sind. 2. Konsularische Zusammenarbeit mit Diyanet-Imamen in Österreich Religiöse Angebote in Justizvollzugsanstalten, die von türkischen Beamten der Religionsbehörde Diyanet im Rahmen des konsularischen Besuchsrechts durchgeführt wurden, sind nicht auf Deutschland beschränkt (gewesen). Auch in Österreich hat das Türkische Generalkonsulat Bregenz für die Justiz­ anstalt Feldberg regelmäßig Besuche islamischer Seelsorge für Betreuungsgespräche vermittelt, bis im Jahr 2010 eine vertragliche Vereinbarung mit einem Verein für Gefängnisseelsorge abgeschlossen wurde, der der als öffentlich-rechtlichen Körperschaft konstituierten Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) zugehört.26 Dies überrascht weder mit Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse noch aufgrund des österreichischen Religionsrechts: In tatsächlicher Hinsicht verbindet Deutschland und Österreich, dass in den 1960er-Jahren Anwerbeabkommen zur Vermittlung von Arbeitnehmern mit der Türkei geschlossen 26  Nationalrat

S. 2.

der Bundesrepublik Österreich, 5961/AB XXIV. GP (07.09.2010),



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften241

worden sind.27 In beiden Staaten blieben nach Ende der Anwerbephase in den 1970er-Jahren die Arbeitsmigranten im Land und die ursprünglich angedachte Rückkehr in die Heimatstaaten erfolgte nicht, stattdessen kam es vielfach zum Familiennachzug.28 Wie in Deutschland gründeten sich in Österreich Moscheegemeinden verschiedener religiöser und ethnischer Orientierung.29 Seit 1990 besteht mit der „Türkisch-islamischen Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich“ (ATIB Union) das österreichische Pendant zur deutschen DİTİB, die in ähnlicher Weise mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden ist.30 In rechtlicher Hinsicht besteht mit der Religionsfreiheit nach Art. 14, 15 Staatsgrundgesetz (StGG) und Art. 9 EMRK und einem gesetzlichen Anspruch auf Zugang zu einem Seelsorger gemäß § 85 StVollzG ebenfalls im Grundsatz eine vergleichbare Lage, wobei einfachrechtlich ebenfalls zwischen förmlich bestellten Seelsorgern und Einzelfall-Zulassungen unterschieden wird31. Insofern ist es nicht überraschend, dass Gesprächsangebote in Einzelfällen für Inhaftierte mit türkischer Staatsangehörigkeit durch eine konsularische Zusammenarbeit mit Imamen der ATIB Union-Moscheegemeinden ermöglicht wurden. Seit es eine vertragliche Vereinbarung mit der IGGiÖ gibt,32 sind keine weiteren Fälle religiöser Betreuung durch vom Türkischen Generalkonsulat vermittelten Seelsorgern mehr bekannt geworden. Weil die ATIB Union seit dem Jahr des Vertragsschlusses 2010 ebenfalls auch nach einer Verfassungsänderung der IGGiÖ als verbandliches Mitglied angehört und dort erheblichen Einfluss besitzt,33 dürfte kein Bedarf mehr für eine Wahrnehmung des konsularischen Besuchsrechts zu Ermöglichung religiöser Gespräche bestehen. 27  Vereinbarung zur Vermittlung türkischer Arbeitnehmer nach der Bundesrepublik Deutschland vom 30.10.1962 (BArbBl. 3/1962, S. 69–71); Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Türischen Republik über die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte und deren Beschäftigung in Österreich vom 15.05.1964 (BGBl. Nr. 164/1964, S. 1061–1072). 28  Oltmer, Migration, S. 192; Karakaşoğlu, „Türkische Arbeitswanderer seit Mitte der 1950er Jahre“, in: Bade/Emmer/Lucassen/Oltmer (Hrsg.), Enzyklopädie Migration in Europa (2010), S. 1054–1061 (1055). 29  Karakaşoğlu, „Türkische Arbeitswanderer seit Mitte der 1950er Jahre“, in: Bade/Emmer/Lucassen et al. (Hrsg.), Enzyklopädie Migration in Europa, S. 1058. 30  https://de.wikipedia.org/wiki/ATIB_Union (abgerufen am 10.06.2022). 31  Drexler/Weger, Strafvollzugsgesetz (StVG) (4. Auflage, 2018), S. 179 f. (§ 185 Rn.  177 ff.). 32  Dazu ausführlich noch unten Kapitel 4, C. II. „Verträge mit islamischen Religionsgemeinschaften und Islamverbänden“, S. 274. 33  Hafez, „Muslimische Aggiornamenti und Denominationalismus in Österreich: Eine Analyse des Fallbeispiels Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“, in: Nautz/Stöckl/Siebenrock (Hrsg.), Öffentliche Religionen und Österreich, Bd. 12 (2013), S. 211–223 (215).

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

3. Entsendung ausländischer Seelsorger in Frankreich In Frankreich geht die konsularische Zusammenarbeit mit islamisch geprägten Staaten in inhaltlicher wie historischer Hinsicht weiter. Denn aufgrund der Kolonialgeschichte bestehen ähnliche Formen zwischenstaatlicher bzw. konsularischer Zusammenarbeit bereits länger als in Deutschland oder Österreich und erfassen inhaltlich nicht nur die Gefangenenseelsorge, weil insbesondere den Maghreb-Staaten darüber hinaus ein größerer inhaltlicher Einfluss zugestanden wurde. Gleichwohl ergibt sich dies im laizistisch geprägten Frankreich vor allem aus den tatsächlichen Bedingungen und weniger aus rechtlichen Regelungen, was sich anhand der historischen Entwicklung zeigen lässt. In den 1920er-Jahren hatte der französische Staat zum Gedenken an algerische Soldaten, die im Ersten Weltkrieg für die französische Kolonialmacht gekämpft hatten, die Errichtung der Grand Mosquée Paris und des daran angeschlossenen „Institut musulman de la Mosquée de Paris“ mitfinanziert.34 In der Folge waren algerische „agent du culte“ an diese und andere bedeutende Moscheen, etwa auch in Marseille, entsandt worden und auf Grundlage eines Dekretes aus dem Jahr 1907 für kulturelle Aufgaben teilweise vom französischen Staat finanziert worden.35 Zwar erlaubt das seit 1905 geltende Trennungsgesetz nur die Finanzierung der Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen, nicht aber sonstige Zuwendungen an die Kirchen oder Religionsgemeinschaften.36 Als Konsequenz dessen, vermischten sich aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg die (offiziell selbstständig oder aus dem Ausland ­finanzierten) religiösen Aufgaben und die staatlich geförderten Aufgaben der Sozialarbeit oder kultureller Art, die durch das „Institut musulman de la Mosquée de Paris“ wahrgenommen wurden.37 Die aus Algerien stammenden Imame der Grand Mosquée haben bereits früh auch seelsorgerische Dienste in den Pariser Gefängnissen angeboten.38 Dies erfolgte weithin aber nicht über die Entsendung der Konsulate auf Grundlage des Wiener Konsularrechtsabkommens. Denn 1947 gewährte Frankreich den Einwohnern des Kolonialgebiets in Algerien die französische 34  Davidson, Only Muslim – embodying Islam in Twentieth-Century France (2012), S.  37 ff. 35  Ebd., 92 f. 36  Art. 2 S. 2 Loi du 9 décembre 1905 concernant la séparation des Eglises et de l’Etat, vgl. dazu bspw. Messner (Hrsg.), Droit français des religions (2013), Rn. 1218. 37  Ebd., 384; vgl. auch Davidson, Only Muslim – embodying Islam in TwentiethCentury France, S. 94, 125. 38  Davidson, Only Muslim – embodying Islam in Twentieth-Century France, S. 126.



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften243

Staatsbürgerschaft und ermöglichte damit Migrationsbewegungen, die durch die Flucht und Umsiedlung von Algerien-Franzosen („Pieds-noirs“) und algerischen Kollaborateuren („Harkis“) aufgrund des algerischen Unabhängigkeitskrieg seit 1954 nochmals verstärkt wurden.39 Deshalb gab es in Frankreich unabhängig von der ebenfalls in den 1960er-Jahren beginnenden Arbeitsmigration unter anderem aus Südeuropa eine muslimische Bevölkerung mit französischer Staatsangehörigkeit. Auch wenn Art. 36 WKÜ für diese Personen nicht anwendbar ist, waren deshalb nicht andere muslimische Seelsorger in den Gefängnissen tätig. Vielfach hat es offenbar gar keine Angebote für Inhaftierte islamischer Religionszugehörigkeit gegeben,40 weil dies insbesondere vom persönlichen Engagement Einzelner abhängig war.41 Nach wie vor stammen die in Moscheen in Frankreich tätigen Imame mehrheitlich aus dem islamisch geprägten Ausland, neben den MaghrebStaaten stammen viele auch aus der Türkei.42 Insgesamt besteht auch nach der Zeit der Kolonialisierung ein überwiegend ausländischer Einfluss auf den Islam in Frankreich, obwohl es immer wieder Versuche gab und gibt43, den ausländischen Einfluss zurückzudrängen.44 Gerade wegen der insofern unterschiedlichen Ausgangslage zeigt sich somit in Frankreich ebenso deutlich, was in Österreich und Deutschland zu beobachten war: Zur ersten Ermöglichung religiöser Angebote in Vollzugseinrichtungen wird auf Seelsorger aus den Herkunftsländern der immigrierten Häftlinge zurückgegriffen. Erst seit dem Jahr 2005 bestehen für die muslimische Seelsorge in Gefängnissen und bei der französischen Armee staatliche Strukturen inklusive einer staatlichen Finanzierung, die seit einigen Jahren beständig ausgebaut wird, um muslimische Seelsorger in staatliche Beschäftigung zu übernehmen.

Migration, S. 189; Bade, Europa in Bewegung, S. 308. nach Statistik waren vor dem Jahr 2005 nur 39 bzw. 69 muslimische Seelsorger in allen französischen Haftanstalten tätig, obwohl nach einer religionssoziologischen Studie der Anteil muslimischer Häftlinge in den Anstalten teilweise auf mehr als 50 Prozent betrug: Beckford/Joly/Khosrokhavar, Muslims in prison: challenge and change in Britain and France (2005), S. 248, 284. 41  Ebd., 253, 277 f. 42  Sénat, Rapport d’Information 15/757 (05.07.2016), S. 36. 43  Siehe die jüngste Äußerung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Entsendung von Imamen aus dem Ausland beenden zu wollen: https://www. elysee.fr/emmanuel-macron/2020/02/18/proteger-les-libertes-en-luttant-contre-le-sepa ratisme-islamiste-conference-de-presse-du-president-emmanuel-macron-a-mulhouse (abgerufen am 10.06.2022). 44  Vgl. Messner (Hrsg.), Droit français des religions, S. 391 ff. 39  Oltmer, 40  Je

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

4. Zusammenfassung Gemeinschaftliche Religionsausübung in Haftanstalten wurde häufig und wird noch vereinzelt durch zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit einem muslimisch geprägten Staat ermöglicht. Dass ausländische Imame als konsularische Religionsbeauftragte ein Besuchsrecht auf Grundlage des Wiener Konsularrechtsübereinkommens wahrnehmen können, begründet sich jedoch hauptsächlich mit der besonderen Behördenstruktur der Türkei. Diese Handlungsform stellt daher einen Sonderfall dar, auch wenn auf diese Weise vielfach und staatenübergreifend Seelsorgeangebote für Gefangene geschaffen werden konnten. Eine über mehrere Einzelfälle hinausreichende Lösung kann damit auch nicht gefunden werden, weil das konsularische Besuchsrecht nur für die entsprechenden Staatsangehörigen gelten kann. Zugleich ist die Wahl dieser Handlungsform konfliktbehaftet, weil fremde innerstaatliche Probleme in ein innerdeutsches Grundrechtsverhältnis eingetragen werden können. Den Anfangsverdacht für strafbare Spionageaktivitäten braucht es dafür noch nicht einmal,45 denn bereits historisch begründete Konflikte können zu Akzeptanzproblemen bei Häftlingen führen: In Rheinland-Pfalz hatten kurdische Häftlinge aufgrund der innenpolitischen Spannungen in der Türkei die Angebote türkischer Imame abgelehnt.46 Gleichwohl zeichnen die frühen Organisationsformen in Deutschland, Österreich und Frankreich ein größeres Bild: Die Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts, seien sie ausgelöst durch Abkommen zur Arbeitsmigration oder eine Folge der Kolonialisierung, haben den Anteil von Muslimen in vielen europäischen Staaten erhöht, die sich auch in herkunftsstaatlich geprägten religiösen Gruppen zusammenfanden. Eine Folge davon war, dass die Herkunftsstaaten aufgrund zwischenstaatlicher Zusammenarbeit in den Aufenthaltsstaaten soziale und vor allem religiöse Angebote erbracht haben. Der amerikanische Politikwissenschaftler Jonathan Laurence hat dies als „Embassy Islam“ bezeichnet und damit die Rückkehr-orientierte Arbeitsmigrationspolitik europäischer Staaten einerseits sowie die identitätsstiftende Wirkung der religiös-kulturellen Angebote für die neu entstandenen Nationalstaaten im Maghreb und Nahen Osten andererseits als zwei Seiten derselben Medaille beschreiben.47 Diese Art der zwischenstaatlichen Zusammenar45  Vgl. zu den Spitzel-Vorwürfen gegenüber türkischen Imamen, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Pressemitteilung vom 06.12.2017: „85/2017: Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Informanten der Türkei wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit eingestellt“; Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Pressemitteilung vom 15.02.2017: „18/2017: Durchsuchungen wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit“. 46  Landtag Rheinland-Pfalz, Prot. Rechtsausschuss 17/9-1 (10.11.2016), S. 4. 47  Laurence, The emancipation of Europe’s Muslims, S. 30 ff.



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften245

beit wird jedoch inzwischen, so Laurence, durch staatliche Inkorporierung und Institutionalisierung abgelöst.48 Dem entspricht auch der rechtliche Befund hinsichtlich der Gefangenenseelsorge, weil diese Angebote auf dem konsularischen Besuchsrecht der WÜK als Rechtsgrundlage basieren und demgegenüber speziellere Regelungen zwischen den Kolonialstaaten und den neu entstandenen Nationalstaaten geschlossen wurden. Diese Rechtslage findet inzwischen nur noch vereinzelt Anwendung, zumeist bestehen inzwischen innerstaatliche Regelungen. Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten, dass die konsularische Zusammenarbeit als Handlungsform für die Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge zwar innerhalb religionsrechtlicher Optionen einen Sonderfall darstellt, aber innerhalb des größeren Zusammenhangs der Migrations- und Integrationspolitik in Europa zunächst eine übliche Variante zwischenstaat­ licher Kooperationen darstellte.

II. Staatliche Beschäftigung von Seelsorgern durch Arbeits- oder Dienstvertrag In der jüngsten Vergangenheit haben staatlich organisierte Angebote für die gemeinschaftliche Religionsausübung muslimischer Gefangenen zugenommen, bei denen weder eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes beteiligt noch ein anderer (islamisch geprägter) Staat involviert sind. Dieser Handlungsform bedienen sich inzwischen mehrere westdeutsche Bundesländer durch die Beschäftigung von Honorarkräften per Dienstvertrag gemäß § 611 BGB (Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz). Teilweise werden auch bereits Seelsorger als Vollzeit-Angestellte mit Arbeitsvertrag gemäß § 611 BGB i. V. m. den Regelungen des Tarifrechts im Öffentlichen Dienst in den Vollzugsanstalten eingesetzt (Bayern, RheinlandPfalz). Wesentliches Element dieser Handlungsform ist, dass die Bundesländer dadurch die Personalauswahl selbst bestimmen. Deshalb gehört es nicht in diese Kategorie, wenn in Schleswig-Holstein von Moscheegemeinden ausgesuchte Personen für den Religionsunterricht als Honorarkräfte durch die Vollzugsanstalten engagiert wurden. Sofern in anderen Bundesländern das religiöse Personal selbst ausgewählt und beschäftigt wird, sollen Qualifikationsvoraussetzung und inhaltliche Weisungsfreiheit die negative Reli­ gionsfreiheit der Gefangenen und der Seelsorgenden sowie den Grundsatz staatlicher Neutralität absichern. Insofern bestehen zwischen den Bundesländern aber beachtliche Unterschiede (1.). Hinsichtlich der inhaltlichen Freiheiten staatlicher Seelsorger lohnt ein Blick auf die Regelungen im Her Majesty Prison Service (HMPS) in Eng48  Ebd.,

133 ff.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

land und Wales. Denn dort gewährleisten Elemente von Selbstverwaltungsstrukturen innerhalb eines multireligiösen Seelsorgeteams (multi faith Chaplaincy) die Freiheit der Religionsausübung und ermöglichen gleichzeitig auch die Übernahme vollzuglicher Aufgaben. Den heute bestehenden Regelungen im englisch-walisischen Strafvollzug geht aber eine wechselvolle Entwicklung seit den 1990er-Jahren voraus (2.). 1. Ausgestaltung der staatlichen Beschäftigung am Maßstab der Neutralität Nach hier vertretener Auffassung folgt aus der negativen Religionsfreiheit zunächst ein umfassendes Freiwilligkeitsprinzip für die Teilnahme der Gefangenen an religiösen Angeboten jeder Art. Auf der anderen Seite schützt die Seelsorgenden ihre eigene individuelle Religionsfreiheit aber nicht vor persönlichen oder inhaltlichen Anforderungen des Staates, wenn Maßnahmen unterhalb der Schwelle des Art. 140 G/Art: 141 WRV getroffen werden. Im Gegenteil: Aufgrund der Vielfalt islamischer Glaubensrichtung verlangt es der Grundsatz der Neutralität – genauer: das Gebot der Nicht-Identifikation –, dass die Seelsorgenden die verschiedenen Denkschulen bzw. Glaubensrichtungen bei der gemeinschaftlichen Religionsausübung berücksichtigen. Dies gewährleistet in der Regel ein akademischer Bildungsabschluss als Qualifikationsvoraussetzung. Die negative Religionsfreiheit der Seelsorgenden verlangt zudem, dass keine religiös-inhaltliche Weisungsbefugnis staatlicher Stellen besteht, sondern allenfalls inhaltliche Anforderungen als Einstellungsvoraussetzungen sicherheitsrechtlich begründet werden.49 Anhand dieser Maßstäbe sind die Personalauswahl und die übertragenen Aufgaben sowie die institutionelle Bindung der staatlich beschäftigten Seelsorger in den Blick zu nehmen. a) Qualifikationsvoraussetzungen für die Personalauswahl Die Praxis der Bundesländer zeigt, dass für muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger überwiegend eine akademische Qualifikation in islamischer Theologie oder Islamwissenschaften ausdrücklich verlangt wird, wenn diese unmittelbar von den Bundesländern beschäftigt werden (Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz). Dies entspricht auch der Empfehlung der länderoffenen Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz. Auch für die in Bayern beschäftigten „verbandsunabhängige Seelsorger“ wird eine vergleichbare akademische Qualifikation vorausgesetzt, da diese vom Staatsministerium bereits 49  Siehe oben Kapitel 2, A. IV. 3. „Inhaltliche Anforderungen seitens der Vollzugverwaltung“, S. 114.



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften247

für die Zusammenarbeit mit verbandsabhängigen „Seelsorgeberatern“ empfohlen wird. Die Auswahl geeigneter Honorarkräfte erfolgt in NordrheinWestfalen zwar durch die Islamwissenschaftler eines Kompetenzzentrums der Vollzugsverwaltung, eine akademische Ausbildung wird für die religiöse Betreuung muslimischer Gefangener aber nicht ausdrücklich vorausgesetzt. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass die Möglichkeit dienstvertraglicher Verpflichtung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Wegfall religiöser Angebote der türkischen Religionsbeauftragten geschaffen worden ist. Weil für den kurzfristigen Ersatz von über 100 Seelsorgenden auf eine akademische Qualifikation als Beschäftigungsvoraussetzung verzichtet wurde, kann aber noch nicht auf ein langfristig niedrigeres Ausbildungsniveau geschlossen werden. Gleichwohl wird sich die – aufgrund der Vielfalt islamischer Glaubensrichtungen – erforderliche akademische Qualifikation nicht allein durch Fortbildungsveranstaltungen des landeseigenen Kompetenzzentrums erreichen lassen. Zur Gewährleistung des Grundsatzes der staatlichen Nicht-Identifikation mit religiösen Inhalten, gilt es diesen Umstand bei einer fortschreitenden Verfestigung zu berücksichtigen. Unterschiede bestehen zwischen den Bundesländern hinsichtlich der weiteren Beschäftigungsvoraussetzungen: Den Arbeitsgruppen-Empfehlungen entsprechend sollen die Beschäftigten in Hessen und Rheinland-Pfalz eine zusätzliche Qualifikation für die Seelsorge nachweisen oder jedenfalls im Rahmen von Fortbildungen erwerben. Die umfassendste Fortbildung dieser Art entsteht derzeit in Niedersachen durch die Kooperation mit dem Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück, die auch Grundlage der im Jahr 2022 abgeschlossenen Vereinbarung mit der muslimischen Verbänden in Niedersachsen geworden ist. Wiederum lediglich in Nordrhein-Westfalen bestehen weder zusätzliche Qualifikationsvoraussetzungen bezüglich der Seelsorgetätigkeit noch enthalten die (im Rahmen dieser Untersuchung mitgeteilten) Musterverträge für die religiöse Betreuung eine Fortbildungsverpflichtung, wobei auch insoweit die dortige Entwicklung der vergangenen Jahre für eine Übergangszeit zu berücksichtigen ist. b) Aufgaben und verwaltungsorganisatorische Einbindung Die Bundesländer beauftragen die dienst- oder arbeitsvertraglich beschäftigten Seelsorgerinnen und Seelsorger ausdrücklich mit der Durchführung von Freitagsgebeten und Gesprächsangeboten für einzelne Gefangene und Gruppen. Ein regelmäßiges Freitagsgebet wird in allen Bundesländern als Aufgabe explizit benannt, während Gesprächsangebote vom Beschäftigungsumfang der Seelsorgenden abhängig sind und deshalb nicht vorrangig, sondern dadurch bedingt von den Honorarkräften zu leisten sind.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

Anhand der Musterverträge sind die Seelsorgenden nicht in Programme zur Deradikalisierung oder Prävention religiös begründeten Extremismus eingebunden. In Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen sind dienst- bzw. arbeitsvertraglich verpflichtete Seelsorgerinnen und Seelsorger aber verwaltungsorganisatorisch mit den entsprechenden behördlichen Stellen zur Prävention und Deradikalisierung innerhalb der Vollzugsverwaltung verbunden. Zwar besteht in keinem der drei Bundesländer eine unmittelbare vertragliche Pflicht, Anweisungen der jeweiligen Stellen zu folgen, weil Vertragspartner jeweils zunächst die Justizvollzugsanstalten bzw. deren Anstaltsleitungen sind. In allen drei Bundesländern sind diese Stellen aber an der Personalauswahl beteiligt und stehen den Anstaltsleitungen inhaltlich-fachlich beratend zur Seite. Am Stärksten ist dies in Hessen ausgeprägt, wo die Personalauswahl landesweit zentral durch die Stabstelle NeDiS („Netzwerk Deradikalisierung im Strafvollzug“) erfolgt. Zudem wird der dienstvertraglich verpflichtende Erfahrungsaustausch zwischen den muslimischen Seelsorgekräften von der Stabstelle organisiert und von deren Islamwissenschaftlern fachlich begleitet. Auch das nordrhein-westfälische Zentrum für interkulturelle Kompetenz der Justiz soll gleichzeitig Präventionsprojekte erarbeiten und die Anstalten bei der Auswahl geeigneter Seelsorgekräfte unterstützten. Ähnliches gilt in Bayern für die „Zentrale Koordinierungsstelle für Maßnahmen gegen Salafismus/Islamismus in Justizvollzugsanstalten“. Die jeweiligen Stellen innerhalb der Vollzugsverwaltung sind demnach für zwei Arbeitsbereiche zuständig, die nach hier vertretener Auffassung für die islamische Gefangenenseelsorge nur bei der Personalauswahl im Zusammenhang stehen dürfen. Eine religiös-inhaltliche Einflussnahme von Seiten der für Prävention und Deradikalisierung zuständigen Stellen gegenüber muslimischen Seelsorgern ist nach hier vertretener Auffassung unzulässig, solange die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs nicht berührt ist. Allerdings lassen sich aus der nur mittelbaren Bindung über die Beratungszuständigkeit gegenüber den Anstaltsleitungen keine strukturellen Bedenken ableiten. Die unmittelbare Bindung an die Anstaltsleitungen führt sogar eher zum Gegenteil, weil die strafvollzugsrechtliche Weisungsmöglichkeit auf die gesetzlichen Zwecke beschränkt ist, sodass kein Unterschied zwischen staatlich beschäftigten Seelsorgern und jenen, die von einer Religionsgemeinschaft entsandt sind, ergibt. Anders ist dies aber in Hessen, wo mit dem verpflichtenden Erfahrungsaustausch eine unmittelbare Verbindung zur Stabstelle NeDiS ­ besteht und dabei explizit auch die Zwecke der Extremismusprävention ­ ­verfolgt50 werden. Damit widerspricht die hessische Verwaltungsstruktur diesbezüglich auch den Empfehlungen der Arbeitsgruppe der Justizminister50  Siehe oben Kapitel 3, C. VII. 2. „Landesweite Beschäftigung von Honorarkräften mit Dienstvertrag“, S. 195.



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konferenz, wonach „auf allen Ebenen des Justizvollzugs“ die Aufgaben Extre­mis­mus­prä­vention und Deradikalisierung von der Seelsorge zu trennen seien.51 Ob eine inhaltliche Einflussnahme tatsächlich erfolgt, lässt sich nur im Einzelfall nachweisen, jedoch bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, ob den Anforderungen der negativen Religionsfreiheit mit dieser verwaltungsorganisatorischen Verbindung zuverlässig entsprochen werden kann. c) Zusammenfassung Staatlich beschäftigte Seelsorgerinnen und Seelsorger, die ohne Beteiligung einer Religionsgemeinschaft ausgewählt und zur religiösen Betreuung islamischer Gefangener eingesetzt werden, befinden sich in einem Spannungsfeld der eigenen Grundrechtsausübung, der staatlichen Maßnahmen zur Ermöglichung gemeinschaftlicher Religionsausübung und dem Resozialisierungsauftrag des Strafvollzugs. Die Praxis der Bundesländer zeigt, dass die hier vertretenen verfassungsrechtlichen Anforderungen hinsichtlich des Ausbildungsniveaus der Seelsorgenden und der inhaltlichen Gestaltung ihrer Seelsorgetätigkeit weitgehend gewahrt sind. Insbesondere die politischen Erwartungen, wonach islamische Seelsorgeangebote als Bestandteil größerer Konzepte für Extremismusprävention und Deradikalisierung gesehen werden, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die rechtliche Ausgestaltung zumeist keine unmittelbare Bindung zwischen Präventionsarbeit, Therapie und Religionsausübung herbeiführt. Tatsächlich erweisen sich die politischen Erwartungen eher als Anlass, neben Prävention und Therapie für einzelne Gewalttäter auch die gemeinschaftliche Religionsausübung für alle Inhaftierten muslimischen Glauben beständiger als bisher zu organisieren. Aus verfassungsrechtlichen Gründen besteht bei einer fortdauernden Staatsbeschäftigung von Seelsorgern allerdings insoweit Änderungsbedarf, als bisher in Nordrhein-Westfalen auf verfassungsrechtlich gebotene Qualifikationsanforderungen verzichtet und in Hessen verwaltungsorganisatorisch bedenkliche Verbindungen zwischen Seelsorge und Deradikalisierung bestehen. Insbesondere hinsichtlich der verwaltungsorganisatorischen Eingliederung lohnt für die weitere Entwicklung in den Bundesländern ein Blick auf die sich seit zwei Jahrzehnten entwickelnde Praxis im englischen und walisischen Strafvollzug.

51  Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, „Abschlussbericht Länder-AG Muslimische Gefängnisseelsorge“, S. 11.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

2. Vollzugsaufgaben und Eigenverwaltung des Chaplaincy Service in England und Wales Im Strafvollzug des Her Majesty Prison Service (HMPS) in England und Wales sind seit den 1990er-Jahren muslimische Seelsorger in staatlicher Beschäftigung eingesetzt. Anfangs waren diese als „Prison Minister“ nur sporadisch und häufig als Honorarkräfte tätig. Im Jahr 2017 waren insgesamt 71 Muslim Chaplains, davon 37 in Vollzeit und 34 in Teilzeit, sowie 23 Managing Chaplains muslimischer Religionszugehörigkeit als leitende Anstaltsgeistliche tätig,52 um die 15,3 Prozent muslimischer Häftlinge zu betreuen.53 Die Muslim Chaplain genannten muslimischen Seelsorger sind heute gleichberechtigt mit den Seelsorgenden anderer Religionsgemeinschaften. Insbesondere sind sie gleichberechtigt mit den Chaplains der staatlichen Church of England in weitgehend selbstverwalteten Teams als „multi-faith-chaplaincy“ tätig und erfüllen teilweise vollzugliche Aufgaben. Wie in den deutschen Bundesländern, ergibt sich die konkrete Ausgestaltung aber erst aus untergesetzlichen Normen, während die parlamentsgesetzlichen Grundlagen aus einer Zeit deutlich geringerer religiöser Vielfalt stammen. a) Rechtsgrundlagen Rechtliche Grundlagen der gemeinschaftlichen Religionsausübung im Strafvollzug von England und Wales ergeben sich aus dem Human Rights Act 1998, der die Europäische Menschenrechtskonvention im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland zur Anwendung bringt, und den vollzugsrechtlichen Regelungen des Prison Act als Parlamentsgesetz sowie maßgeblich auch durch die dazu erlassenen untergesetzlichen Normen. Daraus ergibt sich, dass trotz der als Staatskirche bestehenden Church of England die religiöse Freiheit aller Menschen garantiert ist und die Religionsausübung unabhängig von der religiösen Orientierung im Strafvollzug staatlicherseits ermöglicht wird.

52  Ministry of Justice, „Freedom of Information Act (FOIA) Request 112352: Religious affiliation by grade of prison chaplains and of prisoners“ (2017). 53  Tab. 1.5 in Ministry of Justice, „Offender Management Statistics: Prison ­Population: 31 March 2017“ (2017), abrufbar unter: http://www.gov.uk/government/ uploads/system/uploads/attachment_data/file/610971/prison-population-31-mar-2017. xlsx (abgerufen am 10.06.2022).



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften251

aa) Religionsausübungsfreiheit der Gefangenen Art. 9 EMRK schützt die Freiheit der Religionsausübung auch von Gefangenen, woraus sich auch ableiten lässt, dass deren im Strafvollzug eingeschränkte Ausübungsmöglichkeiten durch positive Maßnahmen zu kompensieren sind.54 Diese Garantie gilt aufgrund des Human Rights Act 1988 seit dem 2. Oktober 2000 im Vereinigten Königreich als nationales Recht. Erst der Human Rights Act hat die Rechte der EMRK und des ersten Zusatzprotokolls, abgesehen vom Beschwerderecht des Art. 13 EMRK, in nationales Recht transferiert, obwohl das Vereinigte Königreich bereits 1951 die Konvention ratifiziert hatte. Bis dahin wurde die EMRK lediglich als Auslegungshilfe für nationale Gesetze durch die Gerichte angewandt.55 Auch wenn es im Vereinigten Königreich traditionell keine einheitliche Verfassungsurkunde und auch keinen geschriebenen Grundrechte-Katalog gibt, sind die Bürger nach klassischem Verständnis des liberalen Verfassungsrechts des Vereinigten Königsreichs vor Eingriffen der Exekutive durch Freiheitsrechte (civil liberties) geschützt. Die so verstandenen Residualfreiheiten, bei denen alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist, gelten ebenso für Gefangene.56 Auch die Freiheit der Religionsausübung ist dadurch anerkannt.57 Dennoch hat das Parlament mit dem Human Rights Act 1998 die EMRK in nationales Recht übernommen und damit erstmals einen geschriebenen Grundrechtekatalog zur Geltung gebracht, weil politische und rechtliche Veränderungen zu wachsender Kritik an der von Albert Venn Dicey begründeten Bürgerrechtslehre der civil liberties geführt hatten. Weil nach dieser Lehre nur ein Parlamentsgesetz taugliche Rechtsgrundlage für die Beschränkung der jedem Bürger zustehenden Freiheit sein kann, gleichzeitig aber das Parlament in seiner Kompetenz zur Rechtssetzung unbeschränkt ist, insbesondere nicht durch höherrangige oder früher erlassene Gesetze gebunden ist (Parlamentssouveränität),58 waren Freiheitsrechte eher politisch geschützt, einzelne Eingriffe aber keiner materiell-rechtlichen 54  Siehe oben Kapitel 2, B. III. 1. „Schutz der Religionsfreiheit in Art. 9 EMRK“, S. 132. 55  Loveland, Constitutional law, administrative law, and human rights – a critical introduction (4th ed., 2006), S. 668 ff. 56  Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 130; zur Meinungsfreiheit ausdrücklich etwa Raymond v Honey [1983] 1 AC 1 (HL). 57  Ausführlich zur Religionsfreiheit allgemein Ungern-Sternberg, Religionsfreiheit in Europa – die Freiheit individueller Religionsausübung in Großbritannien, Frankreich und Deutschland (zugl. Münster, Univ., Diss., 2008), S. 164 ff., 196; Bradley/Ewing/Knight, Constitutional and administrative law (16. ed., 2015). 58  Bradley/Ewing/Knight, Constitutional and administrative law, S. 49  f., 357 f.; Loveland, Constitutional law, S. 23 f.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

Kontrolle zugänglich.59 Die Einführung weiterer bürgerlicher Freiheiten durch Parlamentsgesetze,60 obwohl dies nach klassischer Lehre systemwidrig war, da die Freiheit den Bürgern ohnehin zustand, und maßgeblich die veränderte Rolle des Parlamentes, das heute mehrheitlich eine Regierung stützt statt Machtzentrale des Volkes gegenüber den Monarchen zu sein,61 führten schließlich zur gesetzlichen Inkorporierung der EMRK durch den Human Rights Act 1998.62 bb) Gesetzliche und verwaltungsmäßige Regelungen Die Religionsausübung im englischen und walisischen Strafvollzug wird parlamentsgesetzlich nur rudimentär geregelt, detaillierte Regelungen finden sich erst in verwaltungsinternen Regelwerken. Gesetzliche Grundlage des Strafvollzugs ist der Prison Act 1952.63 Wesentlich ergänzt werden dessen Regelungen durch die vom zuständigen Minister64 erlassenen Prison Rules 1999. Die tägliche Vollzugspraxis wird darüber hinaus maßgeblich durch verwaltungsinterne Regelungen bestimmt, bei denen zwischen langfristiger geltenden Prison Service Orders (PSO) und kurzfristiger zu aktualisierenden Prison Service Instructions (PSI) unterschieden wird. Aufgrund dieser verwaltungsinternen Regelungen weicht die heutige Praxis von der Rechtslage gemäß Prison Act entscheidend ab.

59  Becker, „§  291 Grundrechte in dem Vereinigten Königreich“, in: Merten/ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. X (2018), S. 185–232 (191). 60  Bspw. Diskriminierungsverbote durch Sex Discrimination Act 1975 und Race Relation Act 1976. 61  Dazu auch Loveland, Constitutional law, S. 24 f. 62  Vgl. Ungern-Sternberg, Religionsfreiheit in Europa, S. 152 m. w. N. 63  Alle zitierten Gesetze beziehen sich auf den Strafvollzug in England und Wales. Der Strafvollzug in den Landesteilen Schottland und Nordirland ist eigenständig. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Houses of Parliament besteht allerdings auch für Schottland, sodass mit dem Prison Act 1952 für England und Wales auch der Prison Act (Scotland) 1952 als eigenständiges Gesetz verabschiedet wurde. Für Nordirland gilt weiterhin der Prison Act (Northern Ireland) 1953, der vom 1972 aufgelösten Parliament of Northern Ireland erlassen und durch den Northern Ireland Act 1998 angepasst wurde. Zur Historie in Großbritannien vgl. Janssen, Entwicklung, Praxis und kriminalpolitische Hintergründe des Strafvollzugs in England, Wales und Schottland im nationalen und internationalen Vergleich (zugl. Greifswald, Univ., Diss., 2018), S.  11 ff. 64  Erst seit einer Reform im Jahr 2007 besteht die Zuständigkeit des Ministry of Justice, das bis dahin ein Teil des für Inneres zuständigen „Home Office“ war. Die Prison Rules sind daher vom „Secretary of State for the Home Department“ erlassen, vgl. Livingstone/Owen/MacDonald, Prison Law (5. ed., 2015), S. 5.



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften253

(1) Prison Act 1952 Der Prison Act enthält keine generelle Regelung zur Freiheit der Reli­ gionsausübung für Gefangene. Dies wird stattdessen vorausgesetzt und institutionell durch Organisations- und Aufgabenbestimmungen für Geistliche in den Hafteinrichtungen konkretisiert. In diesen Regelungen unterscheidet der Prison Act streng zwischen den Priester der Church of England bzw. Church of Wales (prison chaplain), die gemäß s. 7 (1, 4), 9 (1) Prison Act verpflichtend für jede Einrichtung zu beschäftigen sind, und den Geistlichen anderer Religionen, die gemäß s. 10 Prison Act nur je nach Bedarf beschäftigt werden sollen (prison minister) und andernfalls lediglich für einzelne Besuche zugelassen werden sollen (visiting minister).65 Die reguläre Beschäftigung der prison chaplains erfolgt ausschließlich durch arbeitsvertragliche Anstellung in Voll- oder Teilzeit in den Dienst des HMPS als Teil des öffentlichen Dienstes (civil service), wohingegen prison minister regelmäßig durch Abschluss eines Dienstvertrages mit Zahlung eines Stundenhonorars beschäftigt werden.66 Aus diesen Regelungen des Prison Acts zur Religionsausübung, die im Wesentlichen seit 1863 unverändert bestehen,67 folgt letztlich eine Führungsrolle der chaplains der Church of England gegenüber den prison minister anderer Religionen.68 (2) Prison Rules 1999 Die Unterscheidung von chaplains der Church of England und prison minister anderer Religionen besteht auch noch in den Prison Rules 1999. Gemäß der dort definierten Aufgaben sind die Geistlichen verpflichtet, die Religionszugehörigkeit der Gefangenen bei Haftantritt abzufragen, Gefangene im Krankheitsfall zu besuchen soweit dies nicht vom ihnen abgelehnt wird, sonstige Besuche bei Gefangenen durchzuführen, regelmäßige Gottesdienste zu feiern und gegebenenfalls bei Tod eines Gefangenen die religiösen Riten 65  Art. 10 Prison Act 1952: „(1) Where in any prison the number of prisoners who belong to a religious denomination other than the Church of England is such as in the opinion of the Secretary of State to require the appointment of a minister of that denomination, the Secretary of State may appoint such a minister to that prison.“ 66  Vgl. Naeem v Secretary of State for Justice [2017] UKSC 27 (Rn. 12); vgl. zur Entscheidung der Vorinstanz näher, Crilly, „Naeem v Secretary of State for Justice: [2015] EWCA Civ 1264 (Court of Appeal)“, Oxford Journal of Law and Religion 2016, S. 640–641; vgl. zur im Einzelfall streitigen Abgrenzung zwischen Arbeits- und Dienstverhältnis Rivers, The Law of Organized Religions, S. 218. 67  Rivers, The Law of Organized Religions, S. 215 f. 68  Beckford/Gilliat, Religion in prison: equal rites in a multi-faith society (1998), S.  63 ff., 87 f.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

vorzunehmen.69 Während aber die Geistlichen der Church of England neben den Gefangenen, die zu ihrer Kirche gehören, bei Abwesenheit eines anderen Geistlichen auch die Gefangenen jeder anderen Religionszugehörigkeit besuchen sollen,70 gilt dies für die anderen Geistlichen umgekehrt nicht. Stattdessen wird ihre Besuchsaufgabe mit dem Zusatz „as far as he reasonably can“71 auf das (im Rahmen der honorierten Arbeitszeit) Mögliche reduziert. Ähnliches gilt für die Aufgabe regelmäßige Gottesdienste zu feiern, die prison minster „as may be arranged“ im Gegensatz zu chaplains „every Sunday“72 anbieten sollen. (3) Prison Service Orders und Instructions Die heutige Beschäftigung muslimischer Seelsorger als „Muslim Chaplain“ ergibt sich erst aus den zur einheitlichen Gestaltung des Strafvollzugs erlassenen Verwaltungshandbüchern, bei denen zwischen langfristiger geltenden Prison Service Order (PSO, zuvor Standing Order) und kurzfristiger zu aktualisierenden Prison Service Instruction (PSI, zuvor Circular Instructions) unterschieden wird. Für die Religionsausübung innerhalb der Haftanstalten haben die obersten Vollzugsverwaltungen unter Geltung des Prison Acts 1952 vier Regelwerke erlassen: Auf die „Standing Order 7A: Religion“ aus dem Jahr 1989 folgten im Jahr 2000 die „PSO 4550: Religion Manual“, im Jahr 2011 die PSI 51/2011 „Faith and Pastoral Care for Prisoners“ sowie fünf Jahre später die gleichbenannte PSI 05/2016. Die heute geltende PSI 05/2016 regelt die Ernennung von Chaplains als Vollzugspersonal, für die gleichermaßen sicherheitsrechtliche Anforderungen gelte wie für andere Beschäftigte im Strafvollzug. Religionsspezifisch ist vorgesehen, dass ein „Faith Adviser“ innerhalb der Vollzugsverwaltung die fachliche Beurteilung für Chaplains übernimmt, bevor eine Einstellung erfolgen kann.73 Alle Chaplains einer Einrichtung bilden unabhängig von der jeweiligen Religionszugehörigkeit und Tradition innerhalb einer Glaubensrichtung ein „multi faith Chaplaincy Team“, das von einem Managing Chaplain geleitet wird.74 Durch die PSI 05/2016 werden verschiedene Aufgaben auf das multi faith-Team übertragen, bei denen nicht ausschließlich religiöse Dienste erbracht werden, sondern die auch der sozialen Betreuung von Ge69  rl.

14 (1), (2); 15 (1), (2); 16 Prison Rules 1999. 14 (3) Prison Rules 1999. 71  rl. 14 (2), 15 (2) Prison Rules 1999. 72  rl. 16 (2) Prison Rules 1999. 73  PSI 05/2016, Part 1, Nr. 1.1, 1.3. 74  PSI 05/2016, Part 1, Nr. 1.5, 1.8. 70  rl.



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften255

fangenen in besonderen Situationen dienen. Gleichzeitig obliegen diese Aufgaben dem Team als Ganzes, sodass die Aufgaben von alle Chaplains unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Gefangenen übernommen werden. Lediglich genuin religionsspezifische Tätigkeiten, insbesondere die Ausrichtung von Gebeten und Liturgien (Worship) obliegen jedoch jedem Chaplain für seine eigene Religion.75 b) Entwicklung der staatlichen Beschäftigung muslimischer Seelsorger Die Unterschiede zwischen dem nach wie vor geltenden Prison Act und dem jüngsten Verwaltungshandbuch PSI 05/2016 lassen nur erahnen, wie groß die Veränderungen innerhalb der Gefangenenseelsorge im englischen und walisischen Strafvollzug in den vergangenen 20 Jahren waren. Als Reaktion auf die steigende Zahl nicht-christlicher Gefangener zum Ende des 20. Jahrhunderts76 ist die Gefangenenseelsorge von einer fast monopolistischen Stellung der anglikanischen Kirche zu einem, sich maßgeblich selbstverwaltenden multi-religiösen Team umgebaut worden. Anhand der Entwicklungen der verwaltungsinternen Regelungen und der Verwaltungsorganisation lässt sich aber zeigen, dass die frühere Struktur unter Einbindung der Church of England als Staatskirche den staatlichen Aufbau einer muslimischen Gefangenenseelsorge durchaus begünstigt, weil die Seelsorge bereits in die Vollzugsverwaltung eingegliedert war. Unabhängig davon orientiert sich die Organisation der Seelsorge an den individuellen Freiheitsrechten und der Begleitung von Menschen in schwierigen Lebenslagen. aa) Verwaltungsorganisatorische Eingliederung der Muslim Chaplains in den Vollzugsdienst Als Staatsbeschäftigte und Geistliche der staatskirchlichen Church of England waren Prison Chaplain in die Vollzugsverwaltung eingebunden und unterstanden der Leitung eines Chaplain General des HMPS.77 Zur Koordination der Geistlichen anderer Religionen und Unterstützung der Anstaltsdirektionen im Umgang mit diesen wurde 1982 einer der Assistant Chaplain Ge75  PSI

05/2016, Part 2 ff. Jahr 1994 betrug der Anteil muslimischer Häftlinge noch fünf Prozent, vgl. HM Chief Inspector of Prisons, „Muslim prisoners’ experiences: A thematic review“ (2010), S.  9, abrufbar unter: https://www.justiceinspectorates.gov.uk/hmiprisons/ inspections/muslim-prisoners-experiences-a-thematic-review/ (abgerufen am 10.06. 2022); im Jahr 2017 betrug der Anteil 15,3 Prozent, siehe Tab. 1.5 in Ministry of Justice, „Offender Management Statistics: Prison Population: 31 March 2017“. 77  Rivers, The Law of Organized Religions, S. 217. 76  Im

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

neral der Church of England zum „Chaplain Advisor for Ethnic and Minority Faiths“ ernannt.78 Unter anderem nach öffentlichen Forderungen von Organisationen verschiedener Religionen zur gleichberechtigten Teilhabe an der institutionalisierten Seelsorge im Jahr 199679 hat der HMPS erstmals im Jahr 1999 einen „Muslim Adviser“ eingestellt, der zunächst nur die Direktoren der Anstalten und die sonstige Vollzugsverwaltung in Fragen muslimischer Religion beraten sollte.80 Obwohl die ebenfalls 1999 erlassenen Prison Rules weiterhin zwischen Chaplains und Prison Minister differenzierten, führt die im Jahr 2000 erlassene Prison Service Order 4550 erstmals den Begriff „Muslim Chaplain“ ein und definiert diesen als „Imam or Female Muslim Worker“.81 Unter anderem zur Unterstützung bei der Anstellung weiterer Chaplain wird mit der PSO 4550 auch der Posten des „Muslim Adviser“ offiziell geregelt und diesem die Aufgaben übertragen, religiöse Literatur und Informationen über die täglichen Gebetszeiten, jährliche Feiertage oder das angemessene Verhalten in Todesfällen für die Vollzugsanstalten aufzubereiten.82 Für die nicht-muslimischen Religionen übernahmen die in der Advisory Group vertretenen Organisationen auch die Aufgaben der Faith Adviser im HMPS, insbesondere die Beratung bei der Auswahl und Zulassung von Seelsorgern als Prison Minister oder Chaplain. Allerdings geschah dies nicht durch Anstellung eines Advisers im HMPS Headquarter, dies blieb zunächst den Muslimen vorbehalten, sondern erfolgte als unabhängige Organisation mit dem Titel „Religious Consultative Service (RSC)“.83 Auch für Muslime war diese Art der Kooperationen in der PSO 4550 vorgesehen, wobei der Kontakt mit dem National Council for the Welfare of Muslim Prisoners (NCWMP) über den Muslim Adviser erfolgen sollte.84 Der NCWMP war ein Zusammenschluss verschiedener muslimischer Organisationen, bei denen die Bildungsorganisation „Iqra Trust“ maßgebend war, die seit 1996 in Kooperation mit dem HMPS Fortbildungen für Prison Minister angeboten hatte.85 Das System der Advisory Group, deren Mitglieder jeweils die Aufgaben des Religious Consultative Service übernommen hatten, wurde mit der PSI 51/2011 wieder abgeschafft, sodass für Muslime damit auch die doppelte Religion in prison, S. 31. 32 f., 220. 80  Travis, „Prison service gets first Muslim adviser“, http://www.theguardian. com/world/1999/sep/08/religion.justice (abgerufen am 10.06.2022). 81  PSO 4550, Annex D, Part 1, No. 1.1. 82  PSO 4550, Ch. 1, Appendix 4, Annex D, Part 1, No. 1.1, 2.5, 6.3, 11.1. 83  PSO 4550, Ch. 3. 84  PSO 4550, Ch. 3, Nr. 3.4, 3.5, 3.7 (Hervorhebungen im Original). 85  Beckford/Joly/Khosrokhavar, Muslims in prison, S. 74 f. 78  Beckford/Gilliat, 79  Ebd.,



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften257

Struktur von Muslim Adviser in der Vollzugsverwaltung und dem NCWMP als externe Organisation in der Advisory Group beendet wurde.86 Mit der Abschaffung der Advisory Group ist auch die Position des (Muslim) Adviser durch den Erlass der PSI 51/2011 gestärkt worden: Für alle Chaplains ist seither eine Zulassung durch den jeweiligen Adviser seiner Religion erforderlich.87 Die frühere Differenzierung zwischen Chaplains und Minister ist mit den Regelungen in PSI 51/2011 gänzlich aufgegeben worden.88 Zum Chaplaincy Team gehören nun neben vollzeit- und teilzeitbeschäftigten Chaplains auch „sessionally paid Chaplains“ und „Volunteer Chaplains“, geführt von einem durch die Anstaltsdirektion zu ernennenden „co-ordinating chaplain“.89 Seit der PSI 05/2016 stehen dem nunmehr „multi faith Chaplaincy Team“ bezeichneten Geistlichen sogenannte Managing Chaplains vor, die Leitungsaufgaben und die Kommunikation mit der Anstaltsdirektion sowie die Koordination von Besuchen externer Geistlicher übernehmen sollen.90 Besuche externer Geistlicher als „Visiting Chaplains“ sind seit der PSI 05/2016 insbesondere für Muslime relevant, weil nun zwischen verschiedenen Traditionen oder Konfessionen einer Religion differenziert werden kann: Wenn erforderlich, können auch innerhalb einer Religion verschiedene Geistliche unterschiedlicher Kultur, Sprache oder Konfession auch kurzzeitig im Chaplaincy Team beschäftigt werden.91 Seither bestehen auch Angebote schiitischer Geistlicher, die als „visiting Shi’a Muslim Chaplain“ die Gefangenen ihrer Tradition besuchen.92 Verwaltungsorganisatorisch bilden die Chaplaincy Teams in den Haftanstalten zusammen mit dem Chaplaincy Headquarter der Faith Adviser nun die eigenständige Verwaltungseinheit General Chaplaincy Service im HMPS,93 sodass die Geistlichen eine eigene und eigenständige Verwaltungs­ einheit des Strafvollzugs bilden.

86  Aktuell übernimmt aber die Al-Khoei Foundation die Aufgaben des Faith Advisers für den schiitischen Islam, der aber nicht als eigene Religion geführt wird, gleichwohl aber seit der in PSI 05/2016 eingeführten Traditionen-Differenzierung auf diese Weise berücksichtigt wird, siehe PSI 05/2016, Part 2, Appendix H 16. 87  PSI 51/2011, Part 1, No. 1.3. 88  Vgl. zur vereinzelten Verwendung des Begriffs Chaplain für nicht-anglikanische Geistliche in der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zuvor Rivers, The Law of Organized Religions, S. 215 ff. 89  PSI 51/2011, Part 1, No. 1.4, 1.9, 1.13. 90  PSI 05/2016, Part 1, No. 7.1. 91  PSI 05/2016, Part 1, No. 1.8. 92  PSI 05/2016, Part 2, Appendix H 16. 93  PSI 05/2016, Part 1, S. 24.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

bb) Übertragung von Vollzugsaufgaben auf das multi faith Chaplaincy Team Die Teams der „multi faith Chaplaincy“ übernehmen in den Haftanstalten allgemeine religionsbezogene Aufgaben, aber wirken auch an der sonstigen Betreuung der Inhaftierten mit. Lediglich die spezifisch religiösen Aufgaben sind ausschließlich den Chaplains der jeweiligen Glaubensrichtung übertragen. Konkret bedeutet dies, dass überall dort, wo die Prison Rules und andere Prison Service Instructions lediglich die Mitwirkung eines Chaplain statt des jeweiligen Geistlichen derselben Religion eines Gefangenen verlangen, die Aufgabe vom multi faith Chaplaincy Team übernommen wird. Für einige Aufgaben ist also eine geistliche Betreuung gewährleistet, ohne dass diese durch eine bestimmte religiöse Orientierung erfolgt. Dies gilt für folgende Aufgabenbereiche: • Aufnahmegespräch mit Abfrage religiöser Orientierung und Information über vorhandene Seelsorgeangebote (bei Bedarf nach religiös-spezifischem Gespräch aber auch Information des betreffenden Chaplain innerhalb von 24 Stunden)94 • Einzel-Seelsorgegespräche mit Gefangenen (pastoral care), sofern von Gefangen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit gewünscht95 • Tägliche Besuche bei Gefangenen in Isolationshaft (segregation unit), sonfern nicht vom Gefangenen abgelehnt96 • Fakultative Teilnahme am Beurteilungsverfahren für isolierte Gefangene (segregation review board)97 • Tägliche Besuche bei Gefangenen auf der Krankenstation (health care unit)98 • Einzelgespräch vor der Entlassung eines Gefangenen, inkl. Kontakt zu (teilweise integrierten) Seelsorgeangeboten außerhalb der Haftanstalt (sog. Community Chaplaincy) und Teilnahme am multidisziplinären Übergangsmanagement99 94  PSI

05/2016, Part 1, No. 2.1, 2.5, 2.6. subjektives Recht der Gefangenen formuliert in PSI 05/2016, Part 1, No. 12.4: „Prisoners regardless of religious registration may apply to see any Chaplain.“; vgl. auch No. 12.1 zum generellen Zutrittsrecht der Chaplains zu allen Haftbereichen. 96  PSI 05/2016, Part 1, No. 13.1, 13.3. 97  PSI 05/2016, Part 1, No. 13.7; zur Zusammensetzung des „Segregation Review Board“ siehe: PSO 1700 Segregation, No. 2.4. 98  PSI 05/2016, Part 1, No. 14.1. 99  PSI 05/2016, Part 1, No. 15.1–15.4. 95  Als



A. Angebote ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften259

• Wöchentliche Besuche bei suizidgefährdeten Gefangenen100 • Unterstützung der Gefangenen bei der Organisation von Hochzeiten und Partnerschaften der Gefangenen101 • Leitungsfunktion für die (nicht-religiöse) ehrenamtliche Betreuung von Gefangenen102. Die grundsätzliche Trennung religiöser Orientierung ist auch bei der „multi faith Chaplaincy“ nicht aufgehoben. Verschiedene Aufgaben sind den jeweils betreffenden Geistlichen der Religion eines bestimmten Gefangenen („appropriate chaplain“) vorbehalten, ohne dass die Managing Chaplain diesbezüglich ein Zugriffs- oder Weisungsrecht haben. Den leitenden Geistlichen kommt lediglich die organisatorische Koordination der verschiedenen Angebote der jeweils allein zuständigen Seelsorge zu. Insbesondere gilt dies für die jeweils eigene regelmäßige Liturgie bzw. rituelle Feiern,103 aber auch für die Betreuung des Gefangenen bei lebensbedrohlichen Krankheiten (und unmittelbar in der Sterbephase auch zur Durchführung religiöser Rituale104) und die möglicherweise gewünschte Benachrichtigung der Familie sowie umgekehrt Benachrichtigung und Betreuung des Gefangenen bei schweren Krankheitsfällen oder Todesfällen in seiner Familie sind den Geistlichen derselben Religionsgemeinschaft vorbehalten.105 Dazu obliegen ihnen auch noch spezifische Aufgaben, die sich aus den Praktiken ihrer Religion ergeben. So sind muslim chaplains auch Ratgeber für Gefangene zum Fasten außerhalb des Ramadans106 sowie zuständig für die Bestimmung der genauen Feiertagstermine und des Fastenbeginns und -brechens im Ramadan.107 c) Zusammenfassung Die Entwicklung der Gefangenenseelsorge im Her Majesty Prison Service in England und Wales zeigt, dass die staatliche Beschäftigung von Seelsorgenden trotz der Einbindung in den Vollzugsdienst ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Neutralität bewahren kann. Die aktuell bestehende Selbstverwaltung der Chaplaincy Teams mit einem Managing Chaplains (aus den ei100  PSI

05/2016, Part 1, No. 18. 05/2016, Part 1, No. 19 mit Verweis auf PSO 4450 Marriage of Prisoners und PSO 4445 Civil Partnership Registration. 102  PSI 05/2016, Part 1, No. 20.6. 103  PSI 05/2016, Part 1, No. 4. 104  Vgl. dazu auch PSI 06/2016, Part 2, Appendix H 15. 105  PSI 05/2016, Part 1, No. 16, 17. 106  PSI 05/2016, Part 2, Appendix H 9. 107  PSI 05/2016, Part 2, Appendix H 11. 101  PSI

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

genen Reihen) und der strukturellen Anbindung an Faith Adviser im Chaplaincy Headquarter des HMPS ermöglicht eine Eingliederung in die Vollzugsverwaltung, ohne Teil anderer Dienste zu sein. Die Aufgabenfelder, die den multi faith-Teams übertragen sind, zeigen ebenfalls, dass es nach einer zwanzigjährigen Entwicklung gelungen ist, eine vollzugliche Einbindung zu erreichen, die die religiöse Eigenständigkeit respektiert. Denn für die Ausübung der eigenen Religion besteht sogar gegenüber dem Managing Chaplain als leitendem Anstaltsgeistlichen eine inhaltliche Freiheit. Begrenzt wird die religiöse Freiheit insbesondere durch recht präzise formulierte Aufgabenbeschreibungen, aus denen sich auch die Regelmäßigkeit der verpflichtenden Angebote ergibt. Inhaltlich ergeben sich Grenzen lediglich durch die sicherheitsrechtlichen Anforderungen, für die zwischen Chaplains und sonstigen Vollzugsbeschäftigten nicht unterschieden wird. Zudem ist – wie die inzwischen erfolgte Einbindung schiitischer Geistlicher belegt – die gewählte Struktur in zweierlei Hinsicht entwicklungsoffen: Die Verwaltungsgliederung mit Managing Chaplains und Headquarter ermöglicht auch eine Koordinierung kleinerer religiöser Gruppen, bei denen die Aufgaben des Faith Advisers von extern übernommen werden. Gleichzeitig ermöglicht die Position des Faith Advisers wahlweise eine Rückkopplung an eine Religionsgemeinschaft oder gerade den Ersatz dieser, wenn sich keine repräsentative (islamische) Organisation zur Kooperation finden lässt. Den Aufbau dieser multireligiösen Struktur hat es sicher befördert, dass anfangs mit dem General Chaplain der Church of England bereits eine unmittelbare Verwaltungseinbindung bestand. Aufgrund der sich verändernden Religionsverhältnisse im Strafvollzug war es jedoch gerechtfertigt, diese Struktur zu verändern. Dass in einem Staatskirchen-System keine (neu zu verhandelnden) Verträge mit den Religionsgemeinschaften bestehen, die neuen Entwicklungen und Veränderungen zunächst entgegenstehen, mag ebenfalls die weitreichenden Veränderungen im englischen und walisischen Chaplaincy Service begünstigt haben. Ein wesentlicher – nicht rechtlicher – limitierender Faktor dieses Systems staatlicher Beschäftigung von Seelsorgenden darf jedoch auch nicht ausgeblendet werden: die Finanzierung. Zwar ermöglichen die parlamentsgesetzlichen Regelungen und untergesetzlichen Normen auch den Einsatz externer (nicht staatlich finanzierter) Geistlicher im Rahmen des Chaplaincy Teams. Insgesamt wird die Religionsausübung im Strafvollzug des HMPS jedoch finanziell in nicht unerheblichem Umfang staatlich unterstützt, um die soeben dargestellten vielfältigen Angebote aufrechterhalten zu können.



B. Mittelbare Beteiligung von islamischen Vereinigungen261

B. Mittelbare Beteiligung von islamischen Vereinigungen Zwischen der staatlichen Eigenorganisation von religiösen Angeboten für muslimische Gefangene und einer langfristig durch Vertrag gesicherten unmittelbaren Zusammenarbeit von Staat und Religionsgemeinschaft lässt sich eine weitere Handlungsform beschreiben: Einige Länder wählen als Kooperationspartner islamisch geprägte Integrationsvereine oder Dachorganisationen von mehreren Verbänden. Während sich die Integrationsvereine zumeist selbstständig gegründet haben, weil zuvor unmittelbare Kooperationen mit Islamvereinen aus verschiedenen Gründen nicht zustande gekommen waren, ist die Gründung der kooperierenden Dachverbände mindestens auf staatliche Veranlassung oder sogar durch staatlichen Akt erfolgt. Diese Kooperationsformen zeichnet daher eine mittelbare Beteiligung von islamisch-religiösen Verbänden aus, wenngleich der Grad der Beteiligung äußert unterschiedlich ist.

I. Varianten der mittelbaren Beteiligung Formen mittelbarer Beteiligung finden sich landesweit in Baden-Württemberg und Berlin sowie örtlich auch für mehrere Justizvollzugsanstalten in Bayern. Die Organisation religiöser Angebote für muslimische Häftlinge erfolgt auch in Frankreich und den Niederlanden strukturell unter mittelbarer Beteiligung islamischer Verbände. 1. Mehrfach-mittelbare Beteiligung der Islamverbände in Berlin In Berlin erfolgt eine mittelbare Beteiligung der Islamverbände durch den Verein „Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge e. V.“, in dem sich mehrere Islamverbände zusammengeschlossen haben, um dem Land gegenüber mit einer Stimme auftreten zu können. Durch die Regelungen des Berliner Beirates für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter erfolgt aber auch keine unmittelbare Beteiligung der Arbeitsgemeinschaft, weil diese nur zur Mitwirkung in einem mehrstufigen Verfahren berechtigt ist. Dadurch erfolgt in mehrfacher Weise eine mittelbare Beteiligung der Islamverbände als Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft. Zwar benennt die Arbeitsgemeinschaft in einem ersten Schritt dem Justizsenator geeignete Kandidaten für die religiöse Betreuung in Form einer Vorschlagsliste und muss auch deren theologische Vorbildung bestätigen. Diese werden aber zusätzlich zur ­sicherheitsrechtlichen Prüfung auch im Übrigen durch den Beirat geprüft, in dem auch Islamwissenschaftler und andere Externe vertreten sind. Zudem

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

erfolgt dann auch die Beschäftigung der ausgewählten Seelsorgerinnen und Seelsorger durch den Gefangenenhilfe-Verein und damit über eine weitere Organisation.108 Insgesamt erfolgt im Ausgangspunkt zwar eine Beteiligung der Islamverbände an der Personalauswahl, diese wird aber so weit vermittelt, dass eben jener Ausgangspunkt nicht mehr sichtbar ist, sondern mit dem Beirat stattdessen ein multidisziplinär besetztes Gremium an die Stelle der Islamverbände tritt. Damit erfolgt in Berlin die mit Abstand stärkste institutionelle Mediatisierung innerhalb dieser Handlungsform. 2. Vermittlung religiöser Interessen durch unabhängige Integrationsvereine Ohne institutionelle Mediatisierung und nur mit gesellschaftlicher Vermittlung der religiösen Interessen des (verbandlichen) Islams werden religiöse Angebote organisiert, wenn die Vollzugsverwaltungen mit örtlichen Integrationsvereinen kooperieren. Die Vereine in Mannheim, Augsburg und Nürnberg, die Seelsorgeangebote in den Vollzugsanstalten in Baden-Württemberg insgesamt und in jeweils einzelnen Vollzugsanstalten in Bayern anbieten, verstehen sich ausdrücklich als unabhängig von den klassischen Islamverbänden und betonen die Offenheit gegenüber allen religiösen Richtungen innerhalb des Islams und gegenüber allen Kulturen.109 Es ist keine rechtliche Frage, in welchem Ausmaß durch diese Vereine ein repräsentatives Islamverständnis vermittelt wird. Verfassungsrechtlich ist maßgeblich, dass die alleinige Auswahl dieser Kooperationspartner jedenfalls so lange nicht zu beanstanden ist, wie keine islamische Religionsgemeinschaft zur Seelsorge zuzulassen ist. Durch das in zwei Richtungen integrierende Selbstverständnis der Integrationsverbände (innerislamisch und gesellschaftlich) werden jedoch die religiösen Interessen der Muslime insgesamt und auch jener, die in Verbänden organisiert sind, mittelbar berücksichtigt. 3. Gesetzliche Beteiligung der Dachverbände in Frankreich und Niederlande In Frankreich und den Niederlanden werden religiöse Angebote von staatlich beschäftigten Seelsorgerinnen und Seelsorgern angeboten, die aufgrund 108  Siehe

oben Kapitel 3, C. III. 3. „Rahmenvereinbarung mit Verbänden“, S. 179. die Selbstdarstellungen unter: https://www.itv-institut.de/ (abgerufen am 10.06.2022); https://medina-online.de/ueberuns/ (abgerufen am 10.06.2022); Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V., „Info-Broschüre: Miteinander im Dialog, voneinander lernen, gemeinsam Brücken bauen“. 109  Siehe



B. Mittelbare Beteiligung von islamischen Vereinigungen263

gesetzlicher Regelungen von den dortigen islamischen Dachverbänden vorgeschlagen werden müssen. Vertragliche Vereinbarungen des Staates mit den Islamverbänden gibt es nicht, sodass strukturell ebenfalls eine mittelbare Beteiligung der einzelnen Islamverbände erfolgt. Insbesondere die Regelungen in Frankreich sind von erheblicher praktischer Bedeutung und Brisanz, weil der Anteil junger Muslime an den Gefangenen stellenweise bis zu 70 Prozent beträgt110 und seit Langem Radikalisierungsprozesse beobachtet werden können.111 a) Mittelbare Beteiligung an staatlicher Eigenorganisation in Frankreich Die Regelungen zur Gefangenenseelsorge in Frankreich zeigen, dass auch ein laizistisch geprägtes Neutralitätsverständnis der staatlichen Beschäftigung von Seelsorgenden nicht entgegenstehen muss, wenn islamische Organisationen wenigstens mittelbar beteiligt sind. Denn bereits das Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche aus dem Jahr 1905 nimmt die Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen vom Verbot der Finanzierung religiöser Einrichtungen und Angebote aus.112 Somit bestimmen sich die Organisationsmöglichkeiten für die Religionsausübung in Haftanstalten auch hier von der Religionsfreiheit der Gefangenen aus, die als umfassende Garantie verfassungsrechtlich anerkannt ist.113 aa) Gesetzliche Grundlagen Die Anerkennung der Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen durch das Trennungsgesetz 1905 wird als Gewährleistung der Religionsausübungsfreiheit und als Verpflichtung des Gesetzgebers verstanden, entsprechend der Bedingungen der öffentlichen Einrichtung, die Anwesenheit von Seelsorgenden zu ermöglichen.114 110  Khosrokhavar, „The Constrained Role of the Muslim Chaplain in French Prisons“, International Journal of Politics, Culture, and Society 2014, S. 67–82, 68. 111  Khosrokhavar, „Radicalization in Prison: The French Case“, Politics, Religion & Ideology 2013, S. 284–306; siehe jüngst auch Micheron, Le jihadisme français: quartiers, Syrie, prisons (2020). 112  Art. 2 S. 2 Loi du 9 décembre 1905 concernant la séparation des Églises et de l’État: „Pourront toutefois être inscrites auxdits budgets les dépenses relatives à des services d’aumônerie et destinées à assurer le libre exercice des cultes dans les établissements publics tels que lycées, collèges, écoles, hospices, asiles et prisons“. 113  C.C., Décision n° 2010-613 DC du 7 octobre 2010; näher Classen, „Laizität und Religionsfreiheit in Frankreich“, ZevKR 62 (2017), S. 111–151, 114 ff. 114  Messner (Hrsg.), Droit français des religions, S. 731 mit Verweis auf Conseil d’Etat, 728. janv. 1955 [Aubrun et Villechenoux], Rec. CE 1955, S. 1950.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

Dies ist umgesetzt im französischen Strafvollzugsgesetz Loi pénitentiaire: Art. 26 gewährleistet die Garantie der Religionsfreiheit, stellt aber die Religionsausübung in Abhängigkeit von der Haftform unter den Vorbehalt der Sicherheit und Ordnung der Anstalt.115 Einzelheiten des Strafvollzugs regelt der französische Gesetzgeber seit Langem auch in der Strafvollzugsordnung Code de procédurale pénale. Darin wird neben der grundsätzlichen Bestätigung der Religionsausübungsfreiheit (Art. R57-9-3 C.p.p.) auch das Recht auf den Besuch von Gottesdiensten in Haftanstalten (Art. R57-7-40) C.p.p.) und das Recht zu Gesprächen mit Seelsorgern der eigenen Religionsgemeinschaft (Art. R57-9-6 C.p.p.) gesetzlich anerkannt. Seit 1959 hatte der Code de procédurale pénale wie das deutsche StVollzG die Bestellung von Seelsorgenden in nur einer Vorschrift geregelt. Demnach wurden Gefängnisseelsorger (aumôniers) ausschließlich durch die Anstaltsleitungen zugelassen.116 Seit 2010 besteht nun ein mehrschrittiges Zulassungsverfahren auf Ebene der regionalen Strafvollzugsdirektion: Die Ernennung von Seelsorgenden durch den „directeur interrégional des services pénitentiaires“ setzt zunächst den Vorschlag durch den nationalen Beauftragten für die Gefängnisseelsorge der jeweiligen Religion (aumônier national) voraus. Ferner ist die Beteiligung der unteren Zentralverwaltung durch eine Stellungnahme des „préfet du département“ vorgesehen. Erst danach und insbesondere anhand der Rückäußerungen, die die öffentliche Sicherheit betreffen können, entscheidet die Vollzugsverwaltung über die Zulassung.117 Nach einem Rundschreiben des Justizministeriums ist auch eine vorläufige Zulassung möglich, soweit bereits ein Auszug aus dem Strafregister (casier judiciaire) zur Prüfung vorliegt.118 bb) Dachverband und Seelsorgebeauftragter als Vermittlungsinstanzen Mit dem Vorschlag neuer Seelsorgerinnen und Seelsorger durch den einen aumônier national erfolgt eine zweifach vermittelte Beteiligung der islamischen Gruppierungen in Frankreich. Die Bestellung eines aumônier national 115  Art. 26 LOI n° 2009-1436 du 24 novembre 2009 pénitentiaire: „Les personnes détenues ont droit à la liberté d’opinion, de conscience et de religion. Elles peuvent exercer le culte de leur choix, selon les conditions adaptées à l’organisation des lieux, sans autres limites que celles imposées par la sécurité et le bon ordre de l’établissement“. 116  Art. D435 Code de procédure pénale, JORF 1959, 2309. 117  Art. D439 C.p.p.: „L’agrément des aumôniers est délivré par le directeur interrégional des services pénitentiaires après avis du préfet du département dans lequel se situe l’établissement visité, sur proposition de l’aumônier national du culte concerné“. 118  Circulaire du 20 septembre 2012 relative à l’agrément des aumôniers rémunérés ou bénévoles, des auxiliaires bénévoles d’aumônerie des établissements pénitentiaires et des accompagnants occasionnels d’aumônerie.



B. Mittelbare Beteiligung von islamischen Vereinigungen265

erfolgt ausschließlich auf Antrag der jeweiligen Religionsgemeinschaft, im Übrigen gelten dieselben Sicherheits- und Qualifikationsanforderungen wie für andere Seelsorgende im Strafvollzug.119 Erst die durch den damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy staatlich veranlasste Gründung des Dachverbandes Conseil français du culte musulman (CFCM) im Jahr 2003120 hat es ermöglicht, dass für die muslimischen Inhaftierten auf diesem Wege religiöse Angebote institutionalisiert werden konnten.121 Im CFCM sind gewählte Vertreter der Moscheegemeinden und der großen (nationalstaatlich) geprägten Islamverbände in Frankreich zusammengeschlossen.122 Die Zusammensetzung wird zwar als nicht repräsentativ kritisiert,123 auch ungeklärte Fragen der ausländischen Finanzierung und der Vertretung durch Geistliche aus dem Ausland führen zu einer geringen Anerkennung des CFCM in der französischen Öffentlichkeit.124 Trotzdem sind im Jahr 2005 für die Armee125 und den Justizvollzug auf Antrag des CFCM aumônier national ernannt worden.126 Die Ernennung von Seelsorgenden für die örtlichen Haftanstalten erfolgt dadurch nicht mit direkter Beteiligung der islamischen Gemeinschaften. Deren Interessen werden durch den CFCM als Dachverband und den aumônier national als zusätzliche, gesetzliche Instanz innerhalb der Vollzugsverwaltung vermittelt. b) Mittelbare Beteiligung eines Dachverbandes in den Niederlanden In den Niederlanden wird die religiöse Betreuung von Häftlingen durch einen überkonfessionellen staatlichen Dienst im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums erbracht. Der Ausgangspunkt ist auch hier die Religionsfreiheit, die in Art. 6 der Verfassung des Königreichs der Niederlande (Grondwet) und Art. 9 EMRK 119  Ebd.

120  Zur Entstehungsgeschichte vgl. Messner (Hrsg.), Droit français des religions, S.  418 f.; Fornerod, Annotated legal documents on Islam in Europe: France (2016), S.  10 f. 121  Messner (Hrsg.), Droit français des religions, S. 737. 122  Fornerod, Annotated legal documents on Islam in Europe: France, S. 11; vgl. für die Anteile der einzelnen Organisationen: Messner (Hrsg.), Droit français des religions, S. 419. 123  Vgl. zu dieser Kritik Fornerod, Annotated legal documents on Islam in Europe: France, S. 10; Classen, ZevKR 62 (2017), S. 111, 129 f. 124  Messner (Hrsg.), Droit français des religions, S. 419. 125  In der französischen Armee bestand – anders als im Justizvollzug – eine in­ stitutionalisierte muslimische Seelsorge, vgl. ebd., 734. 126  Ebd.

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garantiert ist. Die Gewährleistungen der EMRK haben als selbstausführende (self-executing) Normen des Völkerrechts Vorrang vor den Grundrechten der Verfassung, sodass auch die Rechtsprechung des EGMR in den Niederlanden ein hohes Gewicht hat.127 Daraus folgt etwa auch, dass den Grundrechten auch positive Gewährleistungen entnommen werden, etwa zur Ermöglichung der Grundrechtsausübung in Haftanstalten.128 So garantiert das niederländische Strafvollzugsgesetz im selben Artikel die Freiheit der Religionsausübung und regelt die Pflicht der Anstaltsleitung, für eine ausreichende Seelsorge (geestelijk verzorging) des jeweiligen religiösen Bekenntnisses der Häftlinge zu sorgen (Art. 41 Penitentiaire Beginselenwet, P.W.). Nach den Regelungen der untergesetzlichen Strafvollzugsregel müssen in jeder Haftanstalt mehrere geestelijk verzoger verschiedener Bekenntnisse verfügbar sein (Art. 24 Penitentiaire maatregel, P.m.). Dabei orientiert sich die Vollzugsverwaltung an einem Verteilungsschlüssel, der einen Seelsorger je 90 Häftlinge desselben Bekenntnisses zugrundlegt.129 Der multireligiöse Dienst Geestelijke Verzorging ist innerhalb der Vollzugsverwaltung zweistufig organisiert: Ebenso wie in jeder Haftanstalt jeweils mindestens ein Geistlicher des protestantischen und des römisch-katholischen Bekenntnisses sowie des Humanistischen Verbands tätig sein müssen, sind auch im Justizministerium jeweils die Position eines verantwortlichen Geistlichen zu besetzen (Art. 24, 25 P.m.). Durch diese erfolgt wiederum die mittelbare Beteiligung der jeweiligen Religionsgemeinschaften, weil die Ernennung neuer geestelijke verzorger nur auf Vorschlag des verantwortlichen Geistlichen des jeweiligen Bekenntnisses erfolgen kann (Art. 26 P.m.). Die Ernennung eines verantwortlichen Geistlichen innerhalb der Vollzugsverwaltung setzt daher voraus, dass eine religiöse Organisation vom Ministerium als Kooperationspartner (zendende instantie) anerkannt worden ist.130 Das niederländische Justizministerium hat im Oktober 2007 den islamischen Dachverband „Contactorgaan Moslims en Overheid“ (CMO) als zendende instantie anerkannt.131 Zwölf Islamverbände überwiegend herkunftsstaatlicher Prägung, insbesondere mit Bezug zur Türkei und Marokko, hatten sich drei Jahre zuvor als CMO zusammengeschlossen, um gegenüber dem niederländischen Staat gemeinsam agieren zu können. Der rechtliche Status 127  van Rossem, „§ 289 Grundrechte in den Niederlanden“, in: Papier/Merten (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte Bd. X (2018), S. 121–165 (132). 128  Ebd., 130, 132. 129  Tweede Kamer der Staten-Generaal, Kamervragen (Aanhangsel), 1666 (28.01.2011). 130  Kelk, Nederlands detentierecht (3., herziene dr., 2008), S. 297. 131  Ministerie van Justitie en Veiligheid, Pressemitteilung vom 23.10.2007: „Justitie erkent CMO als zendende instantie“.



B. Mittelbare Beteiligung von islamischen Vereinigungen267

des CMO ist in den Niederlanden allerdings nicht geklärt.132 Dem CMO nicht angeschlossen sind die Organisationen der Aleviten und der Ahma­ diyya, die sich mit anderen zur „Contactgroep Islam“ zusammengeschlossen haben.133 Für Muslime, Buddhisten und Hinduisten ist durch Ministerverordnung vom Mai 2007 allerdings kurz vor der Anerkennung der CMO als zendende instantie ein eigenes Ernennungsverfahren für geestelijke verzoger geschaffen worden, dass auf die Ernennung eines verantwortlichen Geistlichen im Ministerium verzichtet.134 Demnach erfolgt die Ernennung von geestelijke verzorger für Muslime durch den Leiter des Dienst Geestelijke Verzorging (DGV) gemeinsam mit den jeweiligen religiösen Organisationen. Der DGV wird dabei von einem neu geschaffenen Geschäftsbereich für andere (nicht christliche oder humanistische) Glaubensrichtungen beraten (Art. 4 Ministeriele Regeling).135 So erfolgt in den Niederlanden eine stärker zweifache Vermittlung als noch in Frankreich: Die Interessen einzelner Islamverbände werden nicht nur über den Dachverband vermittelt, sondern führen auch nicht unmittelbar zu einem berücksichtigenden Vorschlag. Stattdessen ist mit der gemeinsamen Entscheidung von CMO und DGV-Leitung im Justizministerium eine weitere, mediatisierende Ebene eingezogen.

II. Strukturelle Gemeinsamkeiten der mittelbaren Beteiligung Die mittelbare Beteiligung islamischer Gruppierungen zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass zwar die Personalauswahl mit Beteiligung islamischer Vereinigungen erfolgt, sämtliche Qualifikationsvoraussetzungen aber staatlicherseits alleine vorgegeben werden können (1.). Faktisch besteht bei dieser Handlungsform daher auch eine Verbindung zu staatlich (mit)finanzierten Ausbildungsprogrammen für Seelsorgende (2). Auf die rechtliche Beschäftigungsform der Seelsorgenden muss die mittelbare Beteiligung von 132  Szumigalska, Annotated legal documents on Islam in Europe: The Netherlands (2015), S. 18. 133  Ebd., 17. 134  Regeling functie-eisen en vergoeding geestelijk verzorgers overige stromingen, Staatscourant 2007, Nr. 89, S. 9. 135  Art. 4 Ministeriele Regeling 07.05.2007: „Het hoofd van de Dienst Geestelijke Verzorging werft geestelijke verzorgers na overleg met de portefeuillehouder overige stromingen en in samenwerking met de organisaties van de verschillende gezindten. De directeur van de inrichting wordt schriftelijk op de hoogte gesteld van het besluit dat er een kandidaat is gekozen en hoeveel uur hij aan de inrichting wordt verbonden“.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

islamischen Vereinigungen hingegen keinen Einfluss haben, auch wenn die Beschäftigung von Honorarkräften in der Praxis überwiegt (3.). 1. Qualifikationsvoraussetzungen als Kooperationsbedingung Die Bundesländer und ebenso die Gesetzgeber in Frankreich und den Niederlanden legen bei der mittelbaren Beteiligung islamisch-religiöser Gruppen die persönlichen Voraussetzungen für die Seelsorgenden eigenständig fest. Ohne unmittelbare (vertragliche) Einbindung islamischer Religionsgemeinschaften, die ihr religiöses Selbstverständnis gegenüber dem Staat grundrechtsgeschützt artikulieren könnten, sind die Qualifikationsvoraussetzungen des Seelsorgepersonals das maßgebliche Steuerungsinstrument des Staates. In Baden-Württemberg regelt der Rahmenvertrag mit dem Mannheimer Institut etwa, dass neben dem eigenen Ausbildungsprogramm auch die im Bundesland offensichtlich geschätzte Ausbildung im Studiengang „Islamische praktische Theologie“ an der Universität Tübingen als gleichwertig anerkannt wird. Damit wird zugleich (jedenfalls implizit) der Standard der Ausbildung durch das Mannheimer Institut vorgegeben. In Berlin benennt die Rahmenvereinbarung zwischen den im Beirat vertretenen Islamverbänden und dem Justizsenator zwar keinen verbindlichen Standard, sondern belässt es den Verbänden zunächst die konkrete Ausbildung des vorgeschlagenen Personals zu prüfen und zu bestätigen. Durch die auch islamwissenschaftliche Prüfung und Beratung der Vorschläge im Beirat und der anschließenden Alleinentscheidung der Vollzugsverwaltung ist die alleinige Steuerung der Qualifikationsvoraussetzungen gleichwohl gesichert. In Bayern besteht jedenfalls durch Weisung des Staatsministeriums für Justiz eine einheitliche Qualifikationsvoraussetzung für die akademische Ausbildung.136 Auch Frankreich geht inzwischen diesen Weg: Im Jahr 2017 ist per Dekret eingeführt worden ist, dass staatlich finanzierte Seelsorger ein staatsbürgerliches Bildungsprogramm nachweisen müssen (diplôme de formations civil et civiques),137 das vor allem an Universitäten angeboten wird.138 Auch 136  Einzelheiten siehe jeweils oben Kapitel 3, C. „Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern“, S. 168 f., 172 ff. 137  Décret n° 2017-756 du 3 mai 2017 relatif aux aumôniers militaires, hospitaliers et pénitentiaires et à leur formation civile et civique (JORF n°0106 du 5 mai 2017, texte n° 105); bestätigt durch Conseil d’État, 7ème – 2ème chambres réunies, 27/06/2018, No. 412039. 138  Arrêté du 5 mai 2017 relatif aux diplômes de formation civile et civique suivie par les aumôniers militaires d’active et les aumôniers hospitaliers et pénitentiaires



B. Mittelbare Beteiligung von islamischen Vereinigungen269

bereits als aumônier tätige Seelsorgerinnen und Seelsorger müssen nach den nun geltenden Regelungen des Art. D439 C.p.p. den Abschluss nach einer Übergangsphase vorweisen, sodass zum Teil auch langjährig tätige Seelsorgekräfte anderer Religionen von der Neu-Regelung betroffen sind. Der Conseil d’État hat dies aber auf die Klage der katholischen Kirche für rechtmäßig befunden, insbesondere, weil nach dem Trennungsgesetz von 1905 die staatliche Finanzierung von Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen nicht verpflichtend sei. Somit könne bei staatlicher Finanzierung auch ein Qualifikationsniveau für alle Seelsorgenden vorgegeben werden.139 Durch die Prüfung am Maßstab der Sicherheit und Ordnung für die Haftanstalt im Rahmen des Ernennungsverfahrens durch die Vollzugsverwaltung sowie den préfet de departement gilt dasselbe auch hinsichtlich der Sicherheitsanforderungen. In den Niederlanden ist durch die Ministerverordnung vom Mai 2007 auch geregelt, dass ein Hochschulabschluss bestehen muss, sowie Sprachkenntnisse und gegebenenfalls der Abschluss eines Einbürgerungsprogramm nachgewiesen werden müssen, um als geestelijk verzoger beschäftigt werden zu können.140 Daneben ist auch eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich (Art. 3 Ministeriele Regeling). 2. Finanzierung von Ausbildungsprogrammen als faktische Konsequenz Die Strenge bei Qualifikationsvoraussetzungen korrespondiert mit einem geringen Einfluss und Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der tatsächlich mehrheitlich vermittelten Ansichten, die über die mittelbar beteiligten Organisationen in die Vollzugsanstalten getragen werden (könnten). Ein Regelungsinstrument für diese Frage besteht in den vertraglichen Kooperationsvereinbarungen nicht. Stattdessen lässt sich aber in allen Bundesländern und ebenso in Frankreich und den Niederlanden eine faktische Konsequenz beobachten: Neben der mittelbaren Beteiligung erfolgt meist eine unmittelbare Finanzierung von Ausbildungsprogrammen, die für Gefangenenseelsorger vorgesehen sind. Selbst in Bayern, wo nur örtliche Kooperationen mit regional aufgestellten Integrationsvereinen bestehen, erfolgt eine finanzielle Förderung des Staates et fixant les modalités d’établissement de la liste de ces formations (JORF n°0109 du 10 mai 2017). 139  Conseil d’État, 7ème – 2ème chambres réunies, 27/06/2018, No. 412039. 140  Art. 3 in Regeling functie-eisen en vergoeding geestelijk verzorgers overige stromingen, Staatscourant 2007, Nr. 89, S. 9.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

für die Ausbildungsleistung dieser Vereine.141 Eine unmittelbare Verbindung besteht in Baden-Württemberg, wenn das Mannheimer Institut dort aufgrund des Rahmenvertrags für das eigene Ausbildungsprogramm eine Gegenleistung erhält und die Absolventen für die Gefangenenseelsorge eingesetzt werden sollen. In Berlin beschränkt sich die verpflichtende Qualifikationsvoraussetzung zwar darauf, dass eine „Vollzugsspezifische Schulung“ vor dem erstmaligen Einsatz in einer Haftanstalt zu absolvieren ist. Die Schulung, die vom Sozialverein Freiabonnements für Gefangene e. V. durchgeführt wird, ist aber ebenso vollständig vom Land Berlin gegenfinanziert.142 Soweit in den Niederlanden ein Hochschulstudium und in Frankreich das „diplôme de formations civil et civiques“ als Qualifikationsvoraussetzung verlangt wird, sind diese Bedingungen ebenso an die staatliche Finanzierung der öffentlichen Bildungseinrichtungen gekoppelt. Denn das französische Staatsbildungsdiplom wird insbesondere von Universitäten und öffentlichen Weiterbildungseinrichtungen angeboten.143 Die niederländische Ministerverordnung vom Mai 2007 sieht diesbezüglich ausdrücklich vor, dass ein Studienabschluss einer niederländischen Universität oder eine entsprechende niederländische Ausbildung erforderlich ist und ausländische Abschlüsse nur nach Einzelfallprüfung anerkannt werden können (Art. 4 lid 2 b), lid 3 Ministeriele Regeling). 3. Gesetzliche Wahlmöglichkeiten der Beschäftigungsformen Den engen Ausbildungsvorgaben für das Seelsorgepersonal durch staatliche Stellen stehen in den meisten Fällen auch auf der Rechtsfolgenseite weite Spielräume des Staates gegenüber. Seelsorgende, die unter mittelbarer Beteiligung von Islamverbänden ausgewählt und ernannt werden, können nach den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer und Frankreichs sowohl als Honorarkräfte wie als Angestellte in Voll- oder Teilzeit beschäftigt werden. In den Niederlanden ist zwar nur eine Beschäftigung als Honorarkraft gesetzlich möglich, allerdings bestehen dafür recht große finanzielle Spielräume. 141  Zur Förderung des Programms Musa – Muslimische Seelsorge in Augsburg durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales und die Stadt Augsburg, siehe oben Kapitel 3, C. II. 1. „Zusammenarbeit mit örtlichen Integrationsvereinen“, S. 172. 142  Siehe jeweils oben, Kapitel 3, C. „Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern“, S. 169 u. S. 179 f. 143  Arrêté du 5 mai 2017 relatif aux diplômes de formation civile et civique suivie par les aumôniers militaires d’active et les aumôniers hospitaliers et pénitentiaires et fixant les modalités d’établissement de la liste de ces formations (JORF n°0109 du 10 mai 2017).



B. Mittelbare Beteiligung von islamischen Vereinigungen271

Die Strafvollzugsgesetze der Bundesländer sehen eine mittelbare Beteiligung von Religionsgemeinschaften nicht vor. Das Leitbild der im Anschluss an § 157 Abs. 1, 2 StVollzG erlassenen Landesgesetze ist die Bestellung von Seelsorgenden „im Einvernehmen“ mit Religionsgemeinschaften. Davon weichen auch die zweiten Absätze nicht ab, wenn dort Seelsorge auf andere Weise zuzulassen ist. Denn dies bezieht sich auf den geringen Bedarf für eine bestimmte Religion, die eine Bestellung von hauptamtlich tätigen Seelsorgerinnen und Seelsorgern nicht rechtfertigt. Vorgaben hinsichtlich der Beschäftigung, wenn die Seelsorge auf andere Weise zugelassen wird, bestehen allerdings auch nicht.144 Daher ist es rechtlich nicht zwingend, dass in Baden-Württemberg, Bayern und Berlin die Seelsorgenden als Honorarkräfte beschäftigt werden. Die vertragliche Konstruktion, dass die Seelsorgenden per Dienstvertrag von den Vereinen beschäftigt werden, die wiederum mit dem Staat (vertraglich) verbunden sind, würde ebenso gut eine hauptberufliche Beschäftigung bei entsprechendem Bedarf und Finanzierung ermöglichen. In Frankreich ist nach den Regelungen des Code de procédurale pénale die nur kurzfristige Beauftragung von aumônier mit oder ohne Zahlung einer Aufwandsentschädigung möglich (Art. D439 p. 2 C.p.p.), wie auch die staatliche Beschäftigung in Voll- oder Teilzeit (Art. D439-1). Damit steht die Wahl der rechtlichen Form der Beschäftigung im Belieben der Vollzugsverwaltung, weil Art. D439-1 die Anstellung zwar von der Anzahl an Häftlingen abhängig macht, die ein Gespräch mit dem aumônier wünschen, dafür aber keine festen Werte benennt. So finden sich auch sämtliche Beschäftigungsformen für aumônier musulmane.145 Seit den islamistischen Attentaten des Jahres 2015 sind die finanziellen Kapazitäten jedoch massiv ausgeweitet worden, sodass auch die staatliche Beschäftigung von Seelsorgern zunimmt.146 In den Niederlanden ist zwar auch die staatliche Anstellung von geeste­ lijke verzorger vorgesehen, dies ist aber nur für die Seelsorgenden der christlichen Kirchen und des Humanstischen Verbandes zwingend (Art. 24 Penit. maatregel). Für Seelsorger anderer Glaubensrichtungen steht es der örtlichen Anstaltsdirektion gemäß Art. 27 Penit. maatregel grundsätzlich frei, auch eine andere Beschäftigungsform mit Aufwandsentschädigung zu wählen. Dies ist in der Regel die Verpflichtung durch einen Dienstvertrag.147 Bis zur 144  Siehe oben Kapitel 3, A. II. 2. „Zulassung seelsorgerischer Betreuung ‚auf andere Weise‘ “, S. 144. 145  Fornerod, Annotated legal documents on Islam in Europe: France, S. 98 f. 146  Sénat, Avis no. 170 (2015–2016), déposé le 19 novembre 2015, S. 18. 147  Kelk, Nederlands detentierecht, S. 296 f.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

Anerkennung des CMO als zendende instantie erfolgte die Beschäftigung islamischer Seelsorger als Honorarkräfte auf dieser Rechtsgrundlage.148 Dem seither für die Ernennung zuständigen Leiter des Dienstes Geestelijke Verzorging steht nach Art. 4 der Ministerverordnung vom 11.05.2007 aber auch die Bestimmung des Stundenumfangs der Beschäftigung zu. Zudem wird das Stundenhonorar nach Art. 5 dieser Ministerverordnung individuell anhand des Ausbildungsstandes des Seelsorgepersonals festgelegt und vorher bestehende Anstellungsverträge bleiben nach Art. 7 weiter bestehen.149 Somit besteht insgesamt auch in den Niederlanden eine große Bandbreite an Beschäftigungsformen. Insgesamt überwiegt in allen hier betrachteten Ländern die dienstvertragliche Verpflichtung von Seelsorgenden, die für ihre Tätigkeit ein Honorar bzw. eine Aufwandsentschädigung erhalten. Eine staatliche Beschäftigung des Seelsorgepersonals ist aber überall rechtlich möglich und erfolgt zumindest auch in Frankreich zunehmend.

C. Kooperationen mit Religionsgemeinschaften oder Islamverbänden Zu den kooperativen Angeboten, bei denen staatlicherseits die Angebote der Religionsgemeinschaften in Justizvollzugsanstalten unterstützt und durch Verfahren ermöglicht werden, zählen die Zulassung von Seelsorgenden örtlicher Moscheegemeinden als Ehrenamtliche und detailliertere Verträge zwischen Bundesländern und Islamverbänden. Die Zulassung ehrenamtlicher Mitarbeiter erfolgt bei geringem Bedarf ohne eine rechtlich gesicherte Vereinbarung (Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt, teilweise Saarland). Bei nicht nur vorübergehendem Bedarf ermöglichen vertragliche Vereinbarungen der Bundesländer eine stete Kooperation. Insofern ist zwischen den gewählten Vertragspartnern zu differenzieren: In Hamburg, Bremen und Niedersachsen sind bereits recht früh Verträge mit Islamverbänden geschlossen worden. Mit dem Vertrag der Alevitischen Gemeinde mit Rheinland-Pfalz besteht seit Kurzem ein weiterer Vertrag mit einer mehrfach als Religionsgemeinschaft anerkannten Vereinigung.

148  Ajouaou/Bernts, „Imams and Inmates: Is Islamic Prison Chaplaincy in the Netherlands a Case of Religious Adaptation or of Contextualization?“, International Journal of Politics, Culture, and Society 2014, S. 51–65, 51 f. 149  Regeling functie-eisen en vergoeding geestelijk verzorgers overige stromingen, Staatscourant 2007, Nr. 89, S. 9.



C. Kooperationen mit Religionsgemeinschaften oder Islamverbänden273

I. Angebote von Ehrenamtlichen aus örtlichen Moscheegemeinden Beim Einsatz von Ehrenamtlichen sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Ehrenamtliche Seelsorger im engeren Sinne sind nur jene, die keine Bezahlung für ihre Tätigkeit erhalten und sich aus eigener Motivation bei der religiösen Betreuung von Gefangenen einbringen. Ehrenamtliche Mitarbeiter im Strafvollzug sind als rechtliche Kategorie des Strafvollzugsrechts davon abzugrenzen, weil diese Personen nur für die Justizvollzugsanstalt den Status eines Ehrenamtlichen haben. Letzteres erfolgt in Abgrenzung zu anderen Staatsbediensteten oder Angestellten, weil ehrenamtliche Mitarbeiter keine Bezahlung vom Staat für ihre Leistung erhalten. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass diese Personen von anderer Stelle für ihre Tätigkeit vergütet werden, mangels anderer Rechtsgrundlagen aber als ehrenamtliche Mitarbeiter im Sinne des Strafvollzugsrechts gelten. Im Folgenden werden ausschließlich ehrenamtliche Mitarbeiter im engeren Sinne betrachtet, die vollzugsrechtlich mit dem Status eines ehrenamtlichen Mitarbeiters für die Tätigkeit in der Vollzugsanstalt zugelassen werden und es weder für deren Vergütung durch eine andere Stelle noch für die Tätigkeit überhaupt eine Vereinbarung mit der Strafvollzugsanstalt gibt. Ehrenamtliche in diesem Sinne waren und sind in vielen Bundesländern eingesetzt (Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen). Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern erfolgt eine Kontaktaufnahme zu muslimischen Seelsorgern zumeist nur im Einzelfall durch Vermittlung eines Kontakts zur örtlichen Moscheegemeinde. Weil ein so vermitteltes Gespräch mit einem Imam aber nicht ein Besuch im Sinne der Besuchsregelungen des Strafvollzugsrechts ist, erfolgt die Zulassung zum Eintritt in die Strafvollzugsanstalt als ehrenamtliche Tätigkeit nach den dafür geltenden Regelungen. In Baden-Württemberg und Bayern hatten einzelne Vollzugsanstalten auch regelmäßige Kontakte zu örtlich ansässigen Imamen in den Moscheegemeinden geknüpft, wodurch vereinzelt auch neben den neueren Zulassungsformen diese Imame weiterhin sporadisch als Ehrenamtliche Zutritt erhalten. Insgesamt ist der Einsatz von ehrenamtlichen muslimischen Seelsorgern die am wenigsten feste Handlungsform zur Organisation gemeinschaftlicher Religionsausübung im Strafvollzug. Denn die Rechtsgrundlage zur Zulassung ehrenamtlicher Mitarbeiter besteht ohnehin, sodass dies eine übliche und nicht auf die Religionsausübung begrenzte Handlungsform der Anstaltsleitungen ist. Im Einklang mit dem strafvollzugsrechtlichen Anspruch jedes Gefangenen, Hilfe bei der Kontaktvermittlung zu Seelsorgenden zu erhalten, ist diese Handlungsform daher der erste Weg, den Gefangenen die gemeinschaftliche Ausübung ihrer Religion zu ermöglichen.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

Diesen Befund bestätigt im Übrigen auch ein Blick in die europäischen Nachbarstaaten: In Frankreich waren bis Anfang 2015 noch mehr als ein Drittel aller Gefangenenseelsorger für Muslime als Ehrenamtliche tätig, bevor die Zentralregierung nach den Paris-Attentaten stärker auf staatlich beschäftigte Seelsorgerinnen und Seelsorger gesetzt hat.150 Auch in Italien werden Seelsorger als Ehrenamtliche eingesetzt, weil nach einem Modellversuch keine Vereinbarung mit einem Islamverband zustande gekommen ist.151 In Österreich waren vor Abschluss einer Vereinbarung im Jahr 2010 einige Seelsorger als Ehrenamtliche eingesetzt, während andere als konsularische Religionsbeauftragte tätig waren.152 Insgesamt erweist sich die Zulassung von muslimischen Seelsorgern als Ehrenamtliche damit in der Praxis als rechtliches Mindestniveau, um eine gemeinschaftliche Religionsausübung zu gewährleisten. In rechtlicher Hinsicht ist dies ebenfalls plausibel, weil andere Formen einer stärkeren staatlichen Institutionalisierung oder einer rechtsverbindlichen Kooperation mit einer Religionsgemeinschaft/Islamverband bedürfen, weshalb sich diese Handlungsformen nicht als Mindestniveau eignen. Der Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter ist hingegen im Strafvollzug üblich und als rechtliche Handlungsform etabliert. Daher stellt sich dies als rechtlich erforderliches Minimum dar, welches staatlicherseits aufgrund der positiven Verpflichtung zur Ermöglichung der gemeinschaftlichen Religionsausübung von muslimischen Gefangenen zur Verfügung stehen muss.

II. Verträge mit islamischen Religionsgemeinschaften und Islamverbänden Im Religionsrecht der Bundesrepublik Deutschland sind Verträge die bedeutendste Handlungsform für die Regelung der Beziehung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Denn diese sind längst kein Instrument mehr, das nur für die Beziehungen mit den christlichen Großkirchen genutzt wird. Zwar liegen die historischen Wurzeln dort, aber nicht zuletzt aus Gleichbehandlungsgründen ist der Vertrag als Handlungsform bereits seit den 1970erJahren auch für Regelungen mit kleineren Religionsgemeinschaften zur An150  Sénat

francais, Rép. min. n°14581: JO Sénat Q 07/01/2016, S. 59 (07.01.2016). „L’accesso dei ministri di culto islamici negli istituti di detenzione, tra antichi problemi e prospettive di riforma. L’esperienza del Protocollo tra Dipartimento dell’Amministrazione penitenziaria e UCOII“, Stato, Chiese e pluralismo confessionale 2018. 152  Nationalrat der Bundesrepublik Österreich, 5961/AB XXIV. GP (07.09.2010), S. 2. 151  Angeletti,



C. Kooperationen mit Religionsgemeinschaften oder Islamverbänden275

wendung gekommen.153 Nach der Wiedervereinigung wurden zudem durch die ostdeutschen Bundesländer ebenfalls Verträge zur Regelung der Beziehungen zu Religionsgemeinschaften geschlossen.154 Überwiegend in jüngerer Zeit entstanden sind auch Verträge mit jüdischen Gemeinschaften in einigen Bundesländern und auf Bundesebene,155 zuletzt etwa auch zur Seelsorge bei der Bundeswehr.156 Somit bestehen sowohl Verträge, die umfassend verschiedene Bereiche der Zusammenarbeit regeln, aber auch Vereinbarungen nur für einzelne Aspekte betreffen, etwa auch zur Seelsorge in Justizvollzugsanstalten.157 Mit Islamverbänden haben bisher lediglich die Stadtstaaten Hamburg und Bremen umfassende Verträge geschlossen, daneben besteht in Hamburg auch eine gesonderte Vereinbarung zur Seelsorge in Justizvollzugsanstalten. Auch in Niedersachen besteht eine Vereinbarung mit einem Islamverband ausschließlich für die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten. Wesentlicher Grund für die bisherige Zurückhaltung zum Vertragsschluss mit islamischen Gemeinden oder Verbänden ist trotz der jahrelangen Diskussion die weiterhin nicht abschließend geklärte Frage des Status einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetztes.158 Dass ein Vertragsabschluss politisch durchsetz153  Zu Verträgen u. a. mit der Freireligiösen Landesgemeinschaft Niedersachsen, der Altkatholischen Kirche, der Russisch-Orthodoxen sowie der Griechisch-Orthodoxen Kirche, vgl. Hollerbach, „§ 7 Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I (1994), S. 253–287 (262). 154  Anke, Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern. 155  Ausführlich dazu Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S. 215 ff. u. passim; auch rechtshistorische Analyse bei Demel, Gebrochene Normalität – die staatskirchenrechtliche Stellung der jüdischen Gemeinden in Deutschland (zugl. Gießen, Univ., Diss., 2011). 156  Gesetz zu dem Vertrag vom 20. Dezember 2019 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des Öffentlichen Rechts – zur Regelung der jüdischen Militärseelsorge vom 10. Juli 2020 (BGBl. 2020 I Nr. 35, S. 1664–1668); dazu auch Heimann, „Zukunftsperspektiven der Militärseelsorge“, ZevKR 64 (2019), S. 125–142, 125 f., 138. 157  Schleswig-Holsteinischer Landtag, Umdruck 19/2876 (22.08.2019); Schleswig-Holsteinischer Landtag, Umdruck 19/3858 (14.04.2020). 158  Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei auf folgende Diskussionsbeiträge verwiesen auf Hense, „Staatsverträge mit Muslimen“, in: Mückl (Hrsg.), Das Recht der Staatskirchenverträge; Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S. 442 ff.; Jacobs, Kirche und Recht 2016, S. 1; Bernard, „Bedeutung und Perspektiven von staatlichen Verträgen mit muslimischen Organisationen in Deutschland“, in: Graulich/Meckel/Pulte (Hrsg.), Ius canonicum in communione christifidelium – Festschrift zum 65. Geburtstag von Heribert Hallermann (2016), S. 647–663; Thümler (Hrsg.), Wofür braucht Niedersachsen einen Vertrag mit muslimischen Verbänden; aus dem Bereich der Religionspolitik vgl. exemplarisch Beck/Özdemir, „Den Islam und andere Religionen der Einwanderer ins deutsche Religionsverfassungsrecht integrieren – Gleiche Rechte

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bar ist, wenn diese Frage geklärt ist, zeigt der jüngste Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit der Alevitischen Gemeinde in Deutschland. Nach Hamburg und Bremen ist dies bereits der dritte Grundlagen-Vertrag mit der Alevitischen Gemeinde. Die religionsverfassungsrechtlichen Verträge sind als staatliche Maßnahme zur Ermöglichung der gemeinschaftlichen Religionsausübung im Strafvollzug hinsichtlich ihrer islamischen Vertragspartner und der Regelungsgegenstände zu unterscheiden. Nicht nur anhand der Praxis der Bundesländer, sondern auch anhand vertraglicher Vereinbarungen aus Österreich und Italien, lässt sich zeigen, dass vor allem für den Bereich des Justizvollzugs der rechtliche Status der islamischen Verbände der entscheidende Hinderungsgrund für langfristige Kooperationen ist (1.). Die Regelungsgegenstände der bestehenden Verträge der Bundesländer erfüllen grundsätzlich dieselben Funktionen, wie andere religionsrechtliche Verträge (2.). Insbesondere zum Zeugnisverweigerungsrecht ist aber ist auch relevant, welche Vertragsgegenstände einer parlamentarischen Zustimmung durch ein Gesetz zum Staatsvertrag bedürfen oder ob eine verwaltungsvertragliche Vereinbarung ohne förmliche Parlamentsbeteiligung ausreicht (3.). 1. Rechtlicher Status der Vertragspartner als Vertragsschlusskriterium Mit welchen religiösen Organisationen und ob überhaupt ein Vertrag zur Regelung der Beziehungen zum Staat abgeschlossen wird, obliegt der Entscheidung der Bundesländer. Denn ein grundsätzlicher Anspruch gegen den Staat auf Abschluss eines Vertrags besteht nicht, nach überwiegender Ansicht gelten dafür aber auch die Grundsätze der Gleichbehandlung von Religionsgemeinschaften durch den Staat (religionsrechtlich gesprochen: Parität).159 In der Rechtspraxis der Bundesländer ist häufig der rechtliche Status als Reli­ gionsgesellschaft bzw. Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG als maßgebliches Kriterium für den Abschluss eines Vertrages herangezogen worden. Über die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Begriffs der für Muslime, Aleviten und Jeziden!“, Kirche und Recht 2015, S. 129–141; überblicksartige Darstellung politischer Initiativen auf Landesebene in Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste, „Zur Rolle religionswissenschaftlicher und staatskirchenrechtlicher Expertise im Prozess der rechtlichen Anerkennung des Islams in Deutschland“, S. 6. 159  Mangoldt/Klein/Starck et al./Unruh, Art.  140 GG Rn. 73; Dreier/Morlok, Art. 140 GG Rn. 53; Sachs/Ehlers, Art. 140 GG Rn. 8; Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S. 459; Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 254; vgl. auch VG Berlin KirchE 48, 243–246; enger hingegen Mückl, „§ 159 Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 740.



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Religionsgesellschaft in Art. 140 GG/Art. 141 WRV und insbesondere deren Anwendung auf islamische Verbände besteht aber bisher keine Einigkeit, weder in der Rechtswissenschaft noch in der Praxis der Bundesländer. Das Beispiel Niedersachsen zeigt zudem, dass dies jedenfalls für Regelungen zum Justizvollzug auch anders gehandhabt werden kann, wenn gewisse Mindestvoraussetzungen eingehalten sind. Für den Bereich des Justizvollzuges zeigen aber auch die Entwicklungen in Österreich und Italien, dass der rechtliche Status (neben dem grundsätzlichen politischen Willen) maßgeblich dafür ist, ob der Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung religionspolitisch in Betracht kommt. a) Rechtspraxis der Bundesländer Die Bundesländer haben den Abschluss von Verträgen, die neben anderen Bereichen auch die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten für muslimische Gefangene regeln sollten, zumeist vom Status als Religionsgemeinschaft der beteiligten Islamverbände abhängig gemacht. Dafür sind anhand rechts- und religionswissenschaftlicher Gutachten die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG überprüft worden.160 Bisher ist es danach lediglich in Hamburg und Bremen zu einem Vertragsschluss mit mehreren Islamverbänden gekommen. Allein für die Alevitische Gemeinde in Deutschland nehmen inzwischen 160  Für Hamburg: Klinkhammer, „Religionswissenschaftliches Gutachten über die Eigenschaft der Dachverbände ‚Verband der Islamischen Kulturzentren e. V.‘ (VIKZ), ‚DITIB  – Landesverband Hamburg e. V.‘ und ‚SCHURA  – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V.‘ als Religionsgemeinschaften im Sinne der Betätigung in ‚umfassender Religionspflege‘ nach ihrem ‚geistigen Gehalt‘ und ‚äußeren Erscheinungsbild‘ “ (2012); de Wall, „Rechtsgutachten über die Eigenschaft von ‚DITIB Landesverband Hamburg e. V.‘, ‚SCHURA  – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V.‘ und ‚Verband der Islamischen Kulturzentren‘ e. V. Köln als Reli­ gionsgemeinschaften und weitere Aspekte ihrer Eignung als Kooperationspartner der Freien und Hansestadt Hamburg in religionsrechtlichen Angelegenheiten“; Landtag Rheinland-Pfalz, Drs. 17/666 (28.11.2016); für Niedersachsen: Muckel, „Rechtsgutachten für das Kultusministerium des Landes Niedersachen: Handelt es sich bei dem DITIB Landesverband Niedersachsen-Bremen e. V. und der SCHURA Niedersachsen Landesverband der Muslime e. V. um Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG und erfüllen beide Verbände die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, die an einen Kooperationspartner des Landes für die Erteilung von Religionsunterricht zu stellen sind?“; für Hessen: Seufert, „Teilgutachten über das türkische Präsidium für religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşlerı Başkanliği) in seiner Eigenschaft als Institution religiöser Orientierung für den DITIB-Landesverband Hessen e. V.“ (2017); Rohe, „Gutachten zum Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen in Hessen in Kooperation mit DİTİB Landesverband Hessen e. V. nach Art. 7 Abs. 3 GG“.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

mehrere Bundesländer übereinstimmend ohne größere Gutachten an, dass diese die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 GG erfüllen und deshalb geeignete Vertragspartner sein können.161 Verträge mit der Alevitischen Gemeinde bestehen so inzwischen in Hamburg, Bremen und Rheinland-Pfalz.162 Für diese bestehen insbesondere deshalb weniger Schwierigkeiten, die Voraussetzungen der Religionsgemeinschaft anzunehmen, weil es sich dabei nicht um einen Dachverband verschiedener eigenständiger Moscheegemeinden handelt. Neben der nicht vollständig geklärten Rechtsfrage, welche Anforderungen an die Wahrnehmung identitätsstiftender Aufgaben durch islamische Dachverbände zu stellen sind, haben in jüngerer Zeit zwei weitere Kriterien aus der Rechtsprechung zu Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG den Abschluss weiterer Verträge verhindert: Die Anerkennung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie sie in Art. 79 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt, und der Schutz vor ausländischen Einflüssen auf eine in Deutschland anerkannte Religionsgemeinschaft. Letzteres ist durch die Spitzelvorwürfe gegenüber Imamen der DİTİB relevant geworden. In rechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass der Einfluss der türkischen Religionsbehörde Diyanet zwar auch schon zuvor bestand, aber erst der Vertragsabschluss mit dem Verband als Religionsgemeinschaft zu nicht mehr vollständig überwachten und unmittelbaren Einflussmöglichkeiten türkischer Beamter führen könnte. Unter Verweis auf dieses Risiko anhand der politischen Entwicklungen in der Türkei sind die bereits entworfenen Verträge der Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz unter anderem mit den Landesverbänden der DİTİB nicht mehr abgeschlossen worden.163 Insbesondere hinsichtlich der Gefangenenseelsorge, wo zwar auch eine Freiwilligkeit für den Besuch religiöser Angebote gewährleistet sein muss, aber letztlich doch eingeschränkte Informations- und Wahlmöglichkeiten bestehen, ist die Annahme plausibel, dass eine staatliche Schutzpflicht besteht, die eigene Religionsausübung vor der Einflussnahme eines anderen Staates zu schützen.164 Bei allen zuvor genannten Verträgen handelt es sich aber um Verträge, die neben der Seelsorge in Justizvollzugsanstalten auch und insbesondere den Religionsunterricht zum Gegenstand haben. Dieser Bereich ist nicht nur deutlich mehr Menschen lebensnäher und damit öffentlich bedeutsamer, es bedarf gegenüber dem Zulassungsanspruch aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV auch genauerer Regelungen, um den Anspruch der Religionsgemeinschaften 161  Vgl.

die Erläuterungen in Landtag Rheinland-Pfalz, Drs. 17/4333, S. 1. jeweils oben Kapitel 3, C. „Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern“, 168 ff. 163  Vgl. Niedersächsischer Landtag, Drs. 18/2116 (15.11.2018); Landtag Rheinland-Pfalz, Vorlage 17/4752 (29.04.2019). 164  In diesem Sinne Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S. 452. 162  Siehe



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für den Religionsunterricht umzusetzen. Denn durch Art. 7 Abs. 3 GG wird ein regulärer Unterricht an den staatlichen Schulen ermöglicht, während dem Zulassungsanspruch zur Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen bereits mit dem regelmäßigen Zutritt im Einzelfall genügt werden könnte. Schon deshalb müssen für vertragliche Regelungen zur Gefangenenseelsorge für Muslime nicht dieselben Anforderungen an die Vertragspartner zu stellen sein, wie dies beim Religionsunterricht erforderlich ist. Anderes ergibt sich auch nicht aus den Strafvollzugsgesetzen, denn die Bestellung von Seelsorgenden „im Einvernehmen mit den Religionsgemeinschaften“ meint nicht, dass die Voraussetzungen des grundgesetzlichen Begriffs der Religionsgemeinschaft erfüllt sein müssen.165 Daher war es zulässig, dass in Niedersachsen die Vereinbarung zur Seelsorge in Justizvollzugsanstalten bereits vor Abschluss der Begutachtung der beteiligten Verbände abgeschlossen wurde. Die zwischenzeitliche Kündigung gegenüber dem Landesverband der DİTİB zeigt aber auch, dass verfassungsimmanente Grenzen auch für Verträge gelten, die nicht mit Religionsgemeinschaften geschlossen werden bzw. worden sind. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung gilt schließlich als Verfassungsgrundsatz für alle Bürgerinnen und Bürger und von ihnen geschlossenen Vereinigungen. Daher können auch nachträglich auftretende Zweifel an der Anerkennung dieser oder die durch Tatsachen belegte Annahme, dass ausländische Stellen über den staatlichen Vertragspartner unzulässigen Einfluss nehmen wollen, zur Kündigung eines Vertrages berechtigen. Dass die Verträge Hamburgs und Bremens trotz desselben Maßstabs und bei derselben Sachlage nicht gekündigt worden sind, bestätigt damit die bereits zuvor geäußerten Vorbehalte gegen umfassendere und symbolischere Verträge mit Islamverbänden, weil diese „aus politischen Gründen kaum kündbar“166 seien. Richtig ist aber auch, dass eine unmittelbare Möglichkeit der Beeinflussung durch türkische Beamte nur im Rahmen der Gefangenenseelsorge möglich ist, weil die Imame nicht selbst als Religionslehrer an staatlichen Schulen eingesetzt werden.167 Gleichwohl regeln die Verträge in Hamburg und Bremen die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten eben auch, ohne dass auch nur dafür Veränderungsbedarf gesehen worden wäre. Bei Vertragsschluss sollte daher den verfassungsimmanenten Grenzen besondere Beachtung geschenkt werden und die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Durchsetzung rechtlich bestehender Kündigungsmöglichkeiten abgewogen werden. 165  Siehe oben Kapitel 3, A. II. 1. „Hauptamtliche Bestellung oder vertragliche Verpflichtung“, S. 143. 166  Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S. 454. 167  Darauf stellt die niedersächsische Landesregierung ab, um die weitere Zusammenarbeit durch das Kultusministerium zu begründen, in: Niedersächsische Staatskanzlei, Pressemitteilung vom 25.01.2019: „Zukünftige Zusammenarbeit mit dem islamischen Dachverband DITIB – Landesverband Niedersachsen und Bremen e. V.“.

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b) Rechtsstatus als religionspolitische Schwelle in Österreich und Italien Ein bestimmter Status einer religiösen Organisation ist auch in anderen Staaten das maßgebliche Kriterium für den Abschluss einer langfristigen Vereinbarung zur Seelsorge in Justizvollzugsanstalten. Dies lässt sich anhand der Genese von vertraglichen Vereinbarungen der Justizressorts mit islamischen Organisationen in Österreich und Italien zeigen. aa) Seelsorgevertrag für anerkannte Gemeinschaften in Österreich In Österreich besteht seit 2010 ein Vertrag zwischen dem Justizministerium und der gesetzlich anerkannten Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), der unter anderem das Bestellungsverfahren, die persönlichen Voraussetzungen, Aufgaben und die Finanzierung der Seelsorgenden regelt.168 Damit wird zunächst der Anspruch der Inhaftierten auf Zugang zu einem Seelsorger aus § 85 StVollzG umgesetzt, seit Erlass des Islamgesetzes 2015169 dient der Vertrag aber auch der Umsetzung des Anspruchs der Gemeinschaft, religiöse Betreuung anzubieten (§ 11, 18 IslamG). Das Islamgesetz von 1912 enthielt eine vergleichbare Regelung noch nicht.170 Auf der Grundlage des Islamgesetzes ist neben der IGGiÖ, die seit 1979 eine anerkannte Religionsgesellschaft im Sinne des § 15 Staatsgrundgesetzes (StGG) ist, inzwischen auch die Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Alevi) als Religionsgemeinschaft im Sinne des Staatsgrundgesetzes anerkannt.171 Weil auch der Alevi damit der Anspruch auf religiöse Betreuung nach § 11 IslamG zusteht, haben die Gemeinschaft und das österreichische Justizministerium Verhandlungen aufgenommen, die zum Abschluss eines ähnlichen Vertrages wie mit der IGGiÖ führen sollen.172 Einen anderen Status nach österreichischem Recht besitzt die islamischschiitische Glaubensgemeinschaft (Schia). Neben der Anerkennung als Religionsgemeinschaft sieht das zur Umsetzung von § 15 StGG bereits 1874 er168  Veröffentlicht als Anlage zu Nationalrat der Bundesrepublik Österreich, 5961/ AB XXIV. GP (07.09.2010). 169  Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Religionsgesellschaften (BGBl. I Nr. 39/2015), Fassung vom 31.03.2015. 170  Gesetz vom 15. Juli 1912 betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams als Religionsgesellschaft (RGBl. Nr. 159/1912). 171  Potz/Schinkele, Religion and law in Austria (2016), S. 117. 172  Hofinger/Schmidinger, „Endbericht zur Begleitforschung: Deradikalisierung im Gefängnis“ (2017), S. 98.



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lassene Anerkennungsgesetz auch die Registrierung als Bekenntnisgemeinschaft vor, wenn die Voraussetzungen § 1 AnerkG nicht vorliegen.173 Als registrierte Bekenntnisgemeinschaft hat die Schia keinen Anspruch auf religiöse Betreuung nach § 15 IslamG. Mit der Shia besteht auch keine Vereinbarung für die Organisation religiöser Angebote in Justizvollzugsanstalten. Diese sind stattdessen auf der Grundlage eines Runderlasses zur Zulassung einer Einzelperson gemäß § 85 StVollzG möglich.174 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich das gestufte System der Registrierung bzw. Anerkennung von Religionsgemeinschaften in Österreich auch auf den Abschluss vertraglicher Vereinbarungen für die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten auswirkt. Detaillierte Regelungen, insbesondere auch zur Finanzierung, sind aufgrund der bestehenden Rechtspraxis in Österreich den anerkannten Religionsgesellschaften vorbehalten. bb) Gemeinsames Protokoll statt förmlichem Vertrag in Italien In Italien besteht weder für die islamische Gefangenenseelsorge noch überhaupt für die islamische Religion ein Staat-Religionen-Vertrag (intesa), der nach Art. 8 Abs. 3 der italienischen Verfassung (Legge costituzionale, L.c.) die maßgebliche Grundlage für die Regelung der Beziehung des Staates mit nicht-katholischen175 Religionsgemeinschaften sein soll. Obwohl die Gleichberechtigung aller religiösen Organisationen anerkannt ist und nach der Rechtsprechung des Corte costituzionale vom Abschluss einer intesa unabhängig ist,176 ist die Bereitschaft dazu in der Praxis von bestimmten Bedingungen abhängig: Der italienische Staat schließt praktisch nur dann eine intesa mit einer religiösen Organisation ab, wenn diese gesetzlich als nichtkatholische Religionsgemeinschaft registriert ist, gemäß Art. 8 Abs. 2 L.c. nicht gegen grundlegende Prinzipien der italienischen Verfassung verstößt und eine feste Organisationsstruktur hat.177 Diese Voraussetzungen verhindern den Abschluss einer intesa mit landesweit tätigen Islamverbänden, denn 173  Gesetz vom 20. Mai 1874 betreffend die gesetzliche Anerkennung von Reli­ gionsgesellschaften (RGBl. Nr. 68/1874); vgl. Potz/Schinkele, Religion and law in Austria, S.  31 f. 174  Hofinger/Schmidinger, „Endbericht zur Begleitforschung: Deradikalisierung im Gefängnis“, S. 98. 175  Für die Beziehungen zur Katholischen Kirche gilt mit Art. 7 L.c. eine eigene Regelung, die auf den Lateranpakt des Königreichs Italien mit dem Vatikanstaat von 1929 Bezug nimmt. 176  Ventura, Religion and law in Italy (2013), S. 84 m.Vw. auf Corte costituzionale, Urteil vom 27.04.1993, No. 1195 (1993), QDPE 1693. 177  Ebd., 102.

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bisher ist lediglich das Centro Islamico culturale d’Italia, das der Moschee in Rom angegliedert ist, als Religionsgemeinschaft nach den Regelungen des Gesetzes n. 1159/1929 registriert.178 Für die islamische Gefangenenseelsorge bestand aber von 2015 bis 2017 eine schriftliche Verfahrensabsprache, die explizit nicht den Namen einer vertraglichen Vereinbarung erhalten hat und – anders als eine intesa nach Art. 8 Abs. 3 L.c. – nicht durch Parlamentsbeschluss bestätigt, sondern durch Rundschreiben179 der Vollzugsverwaltung veröffentlicht worden ist.180 In der „Protocollo d’intesa“181 genannten Absprache hatten sich das Justizministerium und der größte Islamverband182, die L’Unione delle Comunità ed Organizzazioni islamiche d’Italia (U.CO.II.), auf ein einheitliches Verfahren zur Benennung von Imamen als Geistliche (Ministri di culto) und Kulturvermittlern (Mediatori culturali) für mehrere Haftanstalten verständigt. Durch die Verfahrensabsprache konnte erreicht werden, dass die Seelsorger nicht für jede Vollzugsanstalt einzeln zugelassen werden mussten.183 Mit dem Protocollo d’intesa wird nur das Verfahren geregelt, nicht jedoch der damit für die Seelsorgenden begründete Rechtsstatus. Dieser wäre aber relevant, weil das italienische Strafvollzugsgesetz (Norme sull’ordinamento penitenziaro, O.P.) und das dazu erlassene Ausführungsdekret (Regolamento recante, R.E.) drei verschiedene Wege bietet, nach denen Seelsorgende zugelassen werden könnten: Regulär werden Geistliche als Ministri di culto gemäß Art. 67 O.P/ Art. 58 R.E. zugelassen. Ohne intesa, in der Ausbildungswege für Geistliche geregelt werden könnten, bedarf es einer Anerkennung der Qualifikation im Einzelfall (Art. 116 R.E.), die für islamische Seelsorger in der Praxis problematisch ist.184 Möglich bleiben die Zulassung als Volontari gemäß Art. 17 O.P. oder als Mediatori culturali gemäß Art. 35 R.E., wobei beide Möglich-

Annotated legal documents on Islam in Europe: Italy (2016), S. 5. 2 dicembre 2015 – Protocollo d’intesa tra il Dipartimento dell’Amministrazione Penitenziaria e L’Unione delle Comunità ed Organizzazioni Islamiche in Italia (U.CO.I.I.). 180  Laut einer Mitteilung der U.CO.II. ist das Protokoll im Juni 2020 verlängert worden, eine förmliche Veröffentlichung durch das Ministero dello giustizia steht bisher noch aus, vgl. Unione delle Comunità Islamiche d’Italia, Pressemitteilung vom 05.06.2020: „Carceri, lʼUCOII sigla il rinnovo del protocollo con il DAP del Ministero della Giustizia“. 181  Protocollo d’intesa per favorire l’accesso di Mediatori culturali e di Ministri di Culto negli istituti penitenziari. 182  Ventura, Religion and law in Italy, S. 85. 183  Fabbri, „L’assistenza spirituale ai detenuti musulmani negli istituti di prevenzione e di pena e il modello del protocollo d’intesa: prime analisi“, rassegna penitenziaria e criminologica 2015, S. 71–96, 82. 184  Coglievina, Annotated legal documents on Islam in Europe: Italy, S. 84. 178  Coglievina, 179  Circolare



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keiten nicht originär für die Zulassung von Seelsorgern gedacht sind.185 Die Vereinbarung im Protocollo d’intesa entscheidet sich für eine Kombination der beiden letztgenannten Zulassungsarten, obwohl dies gesetzlich so nicht vorgesehen ist, um damit offenbar die Religionsausübung sowohl als kulturell wie auch sozial relevant zu qualifizieren.186 Insgesamt zeigt sich daran, dass vertragliche Vereinbarungen zur Zulassung von Geistlichen für die Gefangenenseelsorge auch in Italien einen bestimmten Status der religiösen Organisation erfordert. Auch wenn offenbar eine gestiegene praktische Relevanz ein einfacheres Verfahren der Zulassung von Imamen im Strafvollzug erfordert, erfolgt mit dem „Protocollo d’intesa“ begrifflich, rechtlich und dem Inhalt nach aber eine deutliche Abgrenzung zum verfassungsrechtlichen Instrument der intesa. 2. Regelungsgegenstände und Funktionen der Verträge Die Regelungsgegenstände der Verträge zwischen Bundesländern und Islamverbänden unterscheiden sich danach, ob es sich um einen Grundlagenvertrag oder eine gesonderte Vereinbarung zur Gefangenenseelsorge handelt. Die Verträge Hamburgs und Bremen, sowie alle drei Verträge mit der Alevitischen Gemeinde gehen nicht über die Bestätigung der geltenden Rechtslage hinaus. Die Regelungen der spezifischen Vereinbarungen in Niedersachsen und Hamburg mit den jeweiligen Landesverbänden der Schura enthalten auch koordinierende und verpflichtende Funktion und enthalten auch unmittelbare finanzielle Förderungsmaßnahmen. Damit erfüllen die hier zu untersuchenden Verträge sämtliche üblichen Funktionen von Verträgen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, wenn auch nicht jeder Vertrag im selben Maße. a) Unterscheidung der Funktionen religionsverfassungsrechtlicher Verträge Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften erfüllen meist ähnliche Funktionen. Insbesondere anhand der Verträge, die zwischen den neuen Bundesländern und den Körperschaften der katholischen und evangelischen Kirche nach der Wiedervereinigung geschlossenen worden waren, hat Hans Ulrich Anke vier Funktionen religionsverfassungsrechtlicher Verträge heraus­

185  Vgl. Fabbri, rassegna penitenziaria e criminologica 2015, S. 71, 79 ff.; Angeletti, Stato, Chiese e pluralismo confessionale 2018, 24 f. 186  Fabbri, rassegna penitenziaria e criminologica 2015, S. 71, 85 f.

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gearbeitet:187 Demnach dienen die Verträge der dauerhaften Sicherung wesentlicher Rechtsfragen und Gewährleistungen, die zumeist im staatlichen Recht ohnehin bestehen, aber durch die vertragliche Vereinbarung vor einseitigen Änderungen geschützt werden sollen (Absicherungs- und Perpetuierungsfunktion). Wo konkreter Regelungsbedarf besteht, insbesondere auch für die Durchführung der Seelsorge in staatlichen Anstalten, regeln Verträge die Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften (Kooperationsfunktion). Mit finanziellen Leistungsversprechen oder gezielten Vergünstigungen erfüllen die Verträge eine Förderfunktion und schließlich erfolgen auch jenseits der koordinierenden Regelungen weitere vertragliche Verpflichtungen der Religionsgemeinschaften insbesondere, die staatlicherseits nicht durch einseitige Regelungen möglich wären (Verpflichtungsfunktion)188. b) Funktionen vertraglicher Regelungen für die Gefangenenseelsorge Die spezifischen Vereinbarungen zur islamischen Gefangenenseelsorge in Niedersachsen und Hamburg dienen insbesondere der Kooperation und Verpflichtung sowie teilweise auch der konkreten finanziellen Förderung der islamischen Vertragspartner. Dasselbe gilt auch für die vertraglichen Vereinbarungen in Österreich und Italien. Die Grundlagenverträge dienen hinsichtlich der Gefangenenseelsorge dagegen vor allem der Absicherung gesetzlicher Gewährleistungen und regeln nur ansatzweise die Kooperation von Staat und islamischem Vertragspartner. Auf derartige absichernde bzw. wiederholende Regelungen verzichten die spezifischen Vereinbarungen für die Gefangenenseelsorge nahezu vollständig.

187  Zum Folgenden Anke, Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern, S. 68 ff., 218 ff., 316 ff., 353 ff.; im Anschluss daran auch Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 216; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 140 GG Rn. 28; Ehlers, „Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts“, ZevKR 46 (2001), S. 286–318, 312  f.; nur drei Funktionen erkennend Dreier/Morlok, Art. 140 GG Rn. 49. 188  Die Verpflichtungsfunktion der Verträge war zunächst nicht als eigene Kategorie gesehen worden, im Übrigen bestehen Ähnlichkeiten zu den drei Funktionen bei Hollerbach, „§ 7 Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HbStKR2, Bd. I, S. 286; Mückl, „§ 10 Verträge zwischen Staat und Kirchen sowie anderen Religionsgemeinschaften“, in: Pirson/Rüfner/Germann/ Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 (2020), S. 433–481 (44).



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aa) Absicherung gesetzlicher Gewährleistungen in den Grundlagenverträgen Die Grundlagenverträge der Länder Bremen, Hamburg und RheinlandPfalz mit der Alevitischen Gemeinde in Deutschland und diejenigen Bremen und Hamburgs mit den Landesverbänden von Schura und DİTİB enthalten neben den ganz grundsätzlichen Wiederholungen zur Religionsfreiheit auch hinsichtlich der Gefangenenseelsorge keine Regelungen, die über die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen hinausgehen. Die Verträge Bremens und Rheinland-Pfalz gewähren den Religionsgemeinschaften, dass sie bei der religiösen Betreuung in besonderen Einrichtungen durch das Land „unterstützt“ werden. In den Verträgen Hamburgs wird das Recht zur religiösen Betreuung in besonderen Einrichtungen „gewährleistet“ und festgestellt, dass die Religionsgemeinschaften zu „Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen, insbesondere zu den [islamischen/ alevitischen] Festtagen, berechtigt“ sind.189 Der Regelungsinhalt der Verträge entspricht damit dem Gewährleistungsgehalt von Art. 140 GG/Art. 141 WRV. Denn alle Länder erkennen die beteiligten Verbände bzw. die Alevitische Gemeinde als Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes an, sodass diesen der Zutrittsanspruch aus Art. 140 GG/Art. 141 WRV ohnehin zusteht. Auf welche Weise und durch wen der Zutrittsanspruch realisiert werden soll, regeln diese Verträge nicht. Art. 7 des Vertrags zwischen Rheinland-Pfalz und der Alevitischen Gemeinde verweist dafür sogar ausdrücklich auf „gesonderte Vereinbarungen“ mit dem zuständigen Ministerium.190 Bremen stellt die Unterstützung zudem unter den Vorbehalt der räumlichen Möglichkeiten und der Berücksichtigung dienstlicher Belange. Dies ergibt sich nach hier vertretener Auffassung aber schon aus der Grenze der Funktionsfähigkeit des Justizvollzugs als Usurpationsgrenze des grundrechtlichen geschützten Handelns, wobei allerdings das individuelle Grundrecht eines jeden Gefangenen die Justizverwaltung dazu zwingt, bei Raumnot geeignete Alternativen zu suchen.191 Letztlich erfolgt durch die Grundlagenverträge in Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz weder eine Erweiterung oder Konkretisierung des inhaltlichen (religiöse Betreuung insbesondere durch Gottesdienst und Seelsorge) oder örtlichen Anwendungsbereichs (Krankenhäuser, Justizvollzugsanstalten und andere öffentliche Anstal189  Siehe jeweils oben, Kapitel 3, C. „Bestandsaufnahme: Vollzugliche Praxis in den Bundesländern“, S. 186, S. 218 ff., S.  224. 190  Siehe oben Kapitel 3, C. XI. 3. „Verträge mit muslimischen Verbänden“, S. 224. 191  Vgl. oben Kapitel 2, A. II. 1. c) „Folgerungen für die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug“, S. 80.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

ten als besondere Einrichtungen) des verfassungsrechtlichen Zutrittsanspruch der Religionsgemeinschaften. Einziger Regelungsinhalt dieser Vertragsklauseln ist es daher, festzustellen, dass aus dem festgestellten Status der Verbände als Religionsgemeinschaft die Anwendung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Anstaltsseelsorge folgt. Mit Blick auf die uneinheitliche Praxis der Bundesländer und die weiterhin rechtlich nicht abschließend geklärte Anwendung der Kriterien für eine Religionsgemeinschaft ist dies dennoch eine wichtige Feststellung. Die vertragliche Vereinbarung bewahrt daher vor der Änderung dieser Rechtsauffassung und sichert somit eine sicherere Grundlage für die Zusammenarbeit, die noch an anderer Stelle konkretisiert werden muss. Vergleichbare Regelungen fehlen in den spezifischen Verträgen zur Gefangenenseelsorge, die Hamburg und Niedersachen mit dem jeweiligen Landesverband der Schura abgeschlossen haben. Die niedersächsische Vereinbarung des Jahres 2012 benennt in § 1 zwar den rechtlichen Rahmen der Religionsausübung im Strafvollzug, formuliert dies aber als neutrale Darstellung der Gesetzeslage und nicht als Leistung des staatlichen Vertragspartners für den islamischen Verband. Ähnlich ist § 1 S. 1 der Vereinbarung der Republik Österreich formuliert, wo die grundrechtlichen und einfachgesetzlichen Gewährleistungen als Grund des Vertragsschlusses benannt werden ohne selbst bestätigt zu werden (wörtlich: „Zur Sicherung der durch Art. 9 EMRK gegebenen Verpflichtung […] hat dieser Vertrag […] zum Gegenstand.“192) Die Protocollo d’intesa genannte Verfahrensabsprache zwischen der italienischen Vollzugsverwaltung und dem Islamverband U.CO.I.I. enthält eine allgemeine Bekräftigung der Religionsfreiheit sogar nur in der Präambel statt in einem der insgesamt sieben Artikel der Vereinbarung. Der Hamburger Dienstleistungsvertrag beschränkt sich völlig auf konkrete Regelungen zum Vertragsgegenstand, den Gesprächsangeboten der Schura in Justizvollzugsanstalten. bb) Koordination des Zusammenwirkens in den Seelsorge-Verträgen Detaillierte Regelungen zur Auswahl und Ernennung von Seelsorgenden bzw. religiösen Betreuern für muslimische Gefangene sowie zu deren Auf­ gaben im Justizvollzug enthalten die niedersächsische Vereinbarungen der Jahre 2012 und 2022 und der Dienstleistungsvertrag in Hamburg, welche mit dem jeweiligen Verein der Schura geschlossen wurden. Diese Regelungen dienen der Kooperation des Staates mit den Islamverbänden und gleichzeitig der Verpflichtung der Verbände zur Aufgabenerfüllung im Strafvollzug. Ge192  Siehe Anlage zu Nationalrat der Bundesrepublik Österreich, 5961/AB XXIV. GP (07.09.2010).



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meinsam mit den Vereinbarungen in Italien und Österreich lassen sich die Reglungen zur Personalauswahl und Aufgabenerfüllung unterscheiden anhand der Freiheiten der religiö­sen Organisation. (1) Grundsätzlich freie Personalauswahl mit anschließender Prüfung Die Vereinbarungen in Niedersachsen, Österreich und Italien ermöglichen den beteiligten Islamverbänden im Grundsatz eine freie Auswahl des Seelsorgepersonals. Allgemeine Qualifikationsvoraussetzungen benennt § 3 der österreichischen Vereinbarung (Beherrschung der deutschen Sprache, ausreichende Schulbildung). Die aktuelle niedersächsische Vereinbarung geht da­ rüber hinaus und verlangt eine spezifische akademische und seelsorgerliche Ausbildung. Im Übrigen gewähren die Vereinbarungen, dass die beteiligten Verbände das Personal auswählen und erst nach deren eigenständiger Benennung die Personenprüfungen durch die Vollzugsverwaltungen auf Grundlage eigener (gesetzlicher) Regelungen erfolgen können.193 Nur die aktuelle niedersächsische Vereinbarung schreibt dem Landesjustizministerium eine etwas stärkere Rolle zu, wenn bereits die Personalauswahl nach Vorschlag der Verbände nur noch „im Benehmen“ mit diesen erfolgen muss.194 Mit dieser Freiheit der Islamverbände bei der Personalauswahl geht einher, dass in diesen drei Vereinbarungen die konkreten Aufgaben der Seelsorge nicht benannt, sondern in die Freiheit der Verbände und deren Personal gestellt werden. Die österreichische Vereinbarung benennt zwar als Bedingung, dass Predigten in deutscher Sprache abzuhalten sind195 und regelt wie auch die niedersächsische Vereinbarung die Nutzung von Räumlichkeiten196 und den Gebrauch religiöser Gegenstände197, ob oder wie oft und welche Veranstaltungen oder Gesprächsangebote von den Islamverbänden durchgeführt werden, bleibt jedoch deren alleinige Entscheidung. Davon weicht auch die aktuelle niedersächsische Vereinbarung im Grundsatz nicht ab: Darin werden zwar die Aufgaben der Seelsorgenden (nicht abschließend) benannt, aber keine konkreten Verpflichtungen zur Anzahl und Häufigkeit der Angebote geregelt und die eigenverantwortliche Tätigkeit der Seelsorge betont.198 Auch 193  Vgl. explizit § 4 S. 2, 4 f. Vereinbarung Nds./Schura 2012; § 3 Abs. 2 Vereinbarung Österreich/IGGiÖ; Art. 2 Prot. d’intesa i.  V.  m. Dipartimenteo dell’Ammi­ nistrazione Penitenziaria, Circolare 2 dicembre 2015 (Circ. 3666/6116). 194  § 5 Abs. 1 Vereinbarung Nds./Schura 2022. 195  § 5 Abs. 2 Vereinbarung Österreich/IGGiÖ. 196  § 9 Vereinbarung Nds./Schura 2022; § 6 Abs. 2, 3 Vereinbarung Österreich/ IGGiÖ. 197  § 10 Vereinbarung Nds./Schura 2022; § 5 Abs. 3 Vereinbarung Österreich/ IGGiÖ. 198  §§ 2, 4 Abs. 2 Vereinbarung Nds./Schura 2022.

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Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

die staatliche Finanzierung der Seelsorgetätigkeiten ist nach den Vereinbarungen in Niedersachsen und Österreich nicht an ein zeitliches Mindestbudget gekoppelt.199 Ob der in Österreich gezahlte jährliche Pauschalbetrag von 15.320 Euro kostendeckend ist, darf jedoch bezweifelt werden.200 Die allenfalls symbolische Entschädigung von 12 Euro pro Tätigkeit in Niedersachsen, die auf maximal 144 Euro im Jahr (!) begrenzt wurde und damit eine faktische Begrenzung der Einsätze bewirkt haben dürfte, ist mit der aktuellen Vereinbarung entfallen. Ob die derzeitige Finanzierung ausreichend ist, bleibt zunächst abzuwarten, denn dies ist nicht mehr in der aktuellen Vereinbarung fixiert und damit von optionalen Zuschüssen oder Einzelverträgen mit Honorarkräften abhängig. Das italienische Protocollo d’intesa von 2015 enthält aufgrund einer für sechs Monate vorgesehen Erprobungsphase keine Regelungen zu Aufgaben oder Arbeitsbedingungen, sondern überlässt diese den Vorgaben der Vollzugsverwaltung und der weiteren Absprache mit dem Islamverband.201 (2) Religiöse Dienstleistung mit staatlichem Auftrag Der Dienstleistungsvertrags des Hamburger Amts für Justizvollzug und Recht ist von den zuvor beschriebenen Vereinbarungen nicht bereits deshalb zu unterscheiden, weil dieser ein zivilrechtlicher Vertrag ist: Ebenso wie § 6 des Hamburger Vertrages bestimmt, dass im Übrigen die Regelungen des BGB zum Dienstleistungsvertrag gelten und ein Arbeitsverhältnis nicht begründet werde, erklärt § 11 der österreichischen Vereinbarung die Regelungen zum Auftrag gemäß § 1002 ff. ABGB im Übrigen für anwendbar. Die inhaltlichen Unterschiede sind jedoch gravierend, sodass eine andere Einordnung erforderlich ist. Dem Verhältnis von Auftraggeber und Dienstleistungserbringer entsprechend enthält § 1 Abs. 1 des Hamburger Vertrages eine Zielbestimmung und benennt die dafür zu leistenden Tätigkeiten und Prioritäten. Demnach übernimmt die Schura als Dienstleister die „Durchführung von Gesprächsangebo199  § 9

GiÖ.

Vereinbarung Nds./Schura 2022; § 7 Abs. 1 Vereinbarung Österreich/IG-

200  Inzwischen ist der Pauschalbetrag anhand des Verbraucherpreisindex angepasst worden, wird aber dennoch überwiegend für Fahrtkosten aufgebraucht, so der Generalsekretär der IGGiÖ, zitiert in Hofinger/Schmidinger, „Endbericht zur Begleitforschung: Deradikalisierung im Gefängnis“, S. 100. 201  Art. 3 Prot. d’intesa: „In una prima fase, che durerà sei mesi, sarà avviata una sperimentazione in otto Istituti di Pena, individuati in separati accordi, in base alla forte presenza dei detenuti in argomento e dei locali adibiti a moschee e dove i volontari potranno fare accesso“.



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ten für muslimische Gefangene“, um „dem Bedarf einer signifikant großen Gruppe von Gefangenen an spezifisch islamischer religiöser Betreuung zu begegnen, um damit auch religiös begründeten Radikalisierungsprozessen von Gefangenen vorzubeugen (Prävention)“. Die Einzel- oder Gruppengesprächsangebote dienen deshalb dazu, „die Persönlichkeit der betroffenen Gefangenen zu stärken, ihre soziale Integration zu unterstützen und eine verfassungskonforme Religiosität zu fördern“202. Das „Betreuerteam“ stellen Schura und das Amt für Justizvollzug und Recht nach § 2 Abs. 1, 2 des Vertrages „in Abstimmung“ zusammen und die Honorierung der geleisteten Arbeit erfolgt folgerichtig auch stundenweise und hinsichtlich des Umfangs nur mit Zustimmung der Anstaltsleitung. Der österreichische Vertrag stellt hingegen in der Präambel klar, dass „übergeordnetes Ziel […] die Verwirklichung der Religionsfreiheit“ ist. Zudem regelt § 3 Abs. 3, dass die islamische Gefangenenseelsorge „in geistlichen Belangen der Leitung der Islamischen Glaubensgemeinschaft“ unterliegt. Die Hamburger Lösung, einen Grundlagenvertrag mit der Schura abzuschließen und diese gleichzeitig dienstvertraglich einzubinden, ist eine rechtliche Gratwanderung. Es ist zulässig, wenn die Vollzugsverwaltungen Einzelpersonen als Honorarkräfte beschäftigen oder mit Integrationsvereinen ohne unmittelbare Beteiligung von Islamverbänden eine honorierte religiöse Betreuung organisieren. Weiter ist es grundsätzlich als privatautonome Entscheidung zu akzeptieren, wenn sich ein Islamverband mit einem Dienstvertrag zivilrechtlich verpflichtet, religiöse Gesprächsangebote zu erbringen. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat denselben Verband aber als Religionsgemeinschaft anerkannt und hat diesem daher die freie Religionsausübung auch durch Zugang zu Justizvollzugsanstalten zu ermöglichen. Dies schließt der Hamburger Dienstleistungsvertrag zwar nicht aus und diese Vertragsform als solche ist – wie das österreichische Beispiel zeigt – auch keinen grundlegenden Zweifeln ausgesetzt. Anders als die österreichische Vereinbarung schafft der Hamburger Vertrag aber aufgrund seiner Zielsetzung und fehlender Regelungen zur inhaltlichen Freiheit der Schura aber ein Dienstleistungsangebot neben der freien Religionsausübung. Zudem sieht Art. 7 Abs. 2 S. 1 und 3 des Hamburger Grundlagenvertrages mit der Schura vor, dass der Zutritt zu einer Justizeinrichtung nur aus wichtigem Grund versagt oder widerrufen werden kann und Näheres durch eine Vereinbarung geregelt werden soll. Auf diese Vorschrift des Grundlagenvertrages nimmt der Dienstleistungsvertrag nicht Bezug und widerspricht diesem hinsichtlich der Personalauswahl „in Abstimmung“ sogar implizit. Auch dies rechtfertigt es, die als 202  Änderungsvertrag zum Dienstleistungsvertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und Schura „Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V.“ vom 10.11.2018 (dem Verfasser mit Schreiben vom 08.08.2019 mitgeteilt).

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vertragliche Dienstleistung angebotenen Einzel- und Gruppengespräche nicht als Teil der freien Religionsausübung zu qualifizieren. Es sind erhebliche Zweifel angezeigt, ob eine eindeutige Trennung beider Bereiche überhaupt möglich ist, weil es sich bei Gruppen- und Einzelgesprächen um prinzipiell mit der freien Religionsausübung identische Tätigkeiten handelt bzw. handeln kann. Sollten auch noch die handelnden Personen identisch sein, ist es nur schwer vorstellbar, dass eine praktische Differenzierung zwischen Gesprächsangeboten der Schura im eigenen Auftrag und Gesprächs­ angeboten der Schura im Auftrag der Justizbehörde gelingen kann. Die Gratwanderung, die der Hamburger Weg der dienstvertraglichen Verpflichtung der Religionsgemeinschaft darstellt, führt daher eher auf der Hangseite der unzulässigen Einmischung in religiöse Angelegenheiten der Gemeinschaft entlang als auf der gegenüberliegenden Hangseite der religiös-weltanschau­ lichen Neutralität des Staates. cc) Förderung religiösen Wirkens durch besondere Gewährleistungen Neben der Finanzierung der Islamverbände für ihre Tätigkeiten im Justizvollzug enthalten alle Verträge, die spezifisch die Gefangenenseelsorge betreffen, auch andere Formen der Förderung des religiösen Wirkens. So gewährt Niedersachsen etwa die kostenfreie Teilnahme an Supervisionsveranstaltungen des Justizvollzugs für die Seelsorgerinnen und Seelsorger.203 Eine besondere Form der Förderung erfolgt in den beiden Bremer Grundlagenverträgen: Art. 7 Abs. 1 S. 2 der Bremer Verträge bestimmt ausdrücklich, dass das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 StPO auch für muslimische bzw. alevitische Geistliche gilt. Ähnlich regelt die aktuelle Niedersächsische Vereinbarung, dass muslimische Seelsorgerinnen und Seelsoger von den Offenbarungspflichten nach § 195 Abs. 2 NJVollzG ausgenommen sind. Diese Regelungen können jedoch keine Rechtswirkung entfalten. Denn die Bestimmung eines Zeugnisverweigerungsrechtes im Strafprozess durch Landesrecht kann bereits deshalb nicht wirksam werden, weil der Bundesgesetzgeber die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das gerichtliche Verfahren gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG durch die Strafprozessordnung ausgeübt hat, ohne dass eine Abweichungskompetenz für die Bundesländer gemäß Art. 72 Abs. 3 GG besteht. Im Übrigen ist die rechtliche Wirksamkeit einer solchen Regelung davon abhängig, ob der Vertrag mit Gesetzeswirkung beschlossen worden ist. Dies ist bei den Bremer Verträgen jedoch nicht geschehen. Ähnlich liegt es bei der Niedersächsischen Vereinbarung, die ebenfalls den Anwendungsbereich eines Gesetzes durch eine vertragliche Regelung zu 203  § 8

Abs. 3 Vereinbarung Nds./Schura 2022.



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erweitern versucht oder jedenfalls eine entsprechende Gesetzesauslegung den Vollzugsbehörden vorzugeben scheint. Der eindeutige Wortlaut der vertraglichen Regelung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass § 195 Abs. 2 NJVollzG bereits tatbestandlich Seelsorgende aller Religionen nicht erfasst, sondern nur die in § 203 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 5 StGB genannten Personen, im Wesentlichen also Ärztinnen und Angehöriger anderer Heilberufe, von der Offenbarungspflicht ausnimmt. Soweit strafvollzugsrechtlich ein Schweigerecht von Seelsorgenden angenommen wird, folgt dies jedoch aus den religionsrechtlichen Schweigepflichten, die es im Bereich der christlichen Kirchen gibt.204 Selbst wenn man die Vertragsklausel als verwaltungsrechtliche Zusicherung im Sinne von § 38 VwVfG verstehen wollte, woran aufgrund des fehlenden Bezug zu einem konkreten Einzelfall erhebliche Zweifel bestehen, fehlt es ganz offensichtlich an den vollzugsrechtlichen Voraussetzungen dafür. Denn die Islamverbände werden durch denselben Vertrag erst dazu verpflichtet, verbindliche Richtlinien für religiöse Schweigepflichten aufzustellen.205 Als abstrakt-generelle Regelung erweist sich die Vertragsklausel daher rechtlich als wirkungslos. 3. Bindung des Gesetzgebers durch die Verträge Bei Verträgen des Staates stellt sich grundsätzlich die Frage, ob und in welchem Umfang sich daraus eine Bindung des Gesetzgebers ergeben könnte. Nicht nur durch die Bestimmung eines Zeugnisverweigerungsrechts im Bremer Vertrag, sondern auch die Wiederholungen der geltenden Rechtslage in den weiteren Grundlagenverträgen lassen dies relevant werden. Ob eine Bindung der Staatsgewalten im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG erreicht oder ob widersprechende Handlungen im Belieben des demokratisch legitimierten Gesetzgebers stehen, selbst wenn dadurch ein Vertragsbruch erfolgt, ist aber von der Rechtsnatur der Verträge zur islamischen Seelsorge abhängig. a) Rechtsnatur religionsrechtlicher Verträge im Allgemeinen Die Reichweite der Bindung von Verträgen zwischen Bundesländern und islamischen Verbänden ergibt sich aus ihrer rechtlichen Qualifizierung innerhalb der Normenhierarchie, mithin ihrer Rechtsnatur. Zwar wird die Qualität von Vereinbarungen des Staates mit Religionsgemeinschaften als echte, rechtlich bindende Verträge und deren grundsätzliche Zulässigkeit heute 204  Siehe oben Kapitel 2, A. IV. 2. „Zeugnisverweigerungsrechte und Offenbarungs­ pflichten“, S. 109. 205  Vgl. § 6 Abs. 6 Vereinbarung Nds./Schura 2022.

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nicht mehr bestritten.206 Die Einordnung solcher Vereinbarungen in die Kategorien des Völker-, Verfassungs-, Gesetzes oder Verwaltungsrechts ist dagegen nach wie vor streitig: Für die Rechtsnatur der Verträge ist zunächst nach den Vertragspartnern zu differenzieren. Verträge des Bundes oder der Länder mit dem Heiligen Stuhl, der traditionell als Völkerrechtssubjekt anerkannt ist,207 haben völkerrecht­ lichen Status.208 Auch wenn dies bisweilen aufgrund der nur traditionellen Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls209 oder aufgrund des nur stellvertretenden Handelns für deutsche Katholiken210 abgelehnt wird oder mit Verweis auf den vermeintlichen Ausschluss der Konkordate vom Anwendungsbereich der Wiener Vertragsrechtskonvention als Sonderfall eingeordnet wird211, ergeben sich aus der internationalen Staatenpraxis keine Zweifel an der weiterbestehenden Anerkennung.212 Weiter differenziert werden muss bei den übrigen Verträgen des Bundes und der Länder mit katholischen Bistümern, evangelischen Landeskirchen, jüdischen Gemeinden oder anderen Religionsgemeinschaften in der Form der Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 5 WRV. Gleichheitsrechtlich motivierte Versuche, eine völkerrechtliche oder quasi-völkerrechtliche Einordnung dieser Verträge vorzunehmen, haben sich zu Recht nicht durchsetzen 206  Hollerbach, „§ 7 Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HbStKR2, Bd. I, S. 272 m. w. N. zu historischen Positionen; Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286, 292; dies ebenfalls nicht bestreitend: Renck, „Der sogenannte Rang der Kirchenverträge“, DÖV 1997, S. 929–938; Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, S. 192; Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 140 GG Rn. 24; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 295. 207  Germelmann, „Heiliger Stuhl und Vatikanstaat in der internationalen Gemeinschaft Völkerrechtliche Praxis und interne Beziehungen“, AVR 2009, S. 147–186, 151 f.; Westendickenberg, „Holy See“, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (2006). 208  Hollerbach, „§ 7 Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HbStKR2, Bd. I, S. 273; Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286, 292 f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 223 f.; Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S.  107 ff.; Anke, Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern, S. 131; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 597; anders aber Dreier/Morlok, Art. 140 GG Rn. 52. 209  Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, S. 198 f. 210  Renck, DÖV 1997, S. 929, 931. 211  So Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 250; die Anwendbarkeit der WVK aber durch den Beitritt des Heiligen Stuhls trotz textlicher Anwendung nur für Staaten belegend aber Germelmann, AVR 2009, S. 147, 156. 212  Dazu auch Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286, 292 f.; den Heiligen Stuhl als Völkerrechtssubjekt aus Gewohnheit (nicht Gewohnheitsrecht) bezeichnend und beispielhaft auch auf diplomatische Beziehungen zu streng laizistischen Staaten für die internationale Anerkennung unabhängig von der Institution Katholische Kirche verweisend Germelmann, AVR 2009, S. 147, 155, 158.



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können, weil es neben der völkerrechtlichen Ordnung der anerkannten Völkerrechtssubjekte keine weitere ähnliche Ordnung im Sinne eines QuasiVölkerrechts gibt.213 Ebenso wenig durchgesetzt hat sich auch die Extrem­ position auf der gegenüberliegenden Seite, wonach Verträge mit Religionsgemeinschaften als dem staatlichen Recht unterworfene Akteure gewöhnliche öffentlich-rechtliche Verträge mit Wirkungen inter partes seien und die parlamentarischen Zustimmungsbeschlüsse oder gar gesetzliche Geltungsanordnungen unnötig seien.214 Auch die Einstufung der Verträge in eine vom staatlichen Recht zu unterscheidende Ordnung „sui generis“, in der sich Staat und Kirche gleichgeordnet aufgrund ihrer jeweils eigenen Rechtsmacht koordinieren,215 wird nur teilweise gefolgt.216 Unter den Prämissen der grundsätzlichen Einordnung in das staatliche Recht und der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Verträgen mit nicht-staatlichen Akteuren haben sich verschiedene Bezeichnungen für dieselbe Kategorie durchgesetzt, unter denen Verträge mit Religionsgemeinschaften überwiegend subsumiert werden. Allen gemeinsam ist die Notwendigkeit der parlamentarischen Zustimmung durch Gesetz, wie es Art. 59 Abs. 2 GG auch für Verträge zwischen den Ländern mit oder ohne Beteiligung des Bundes fordert, und die Begrenzung auf Verträge mit verfassungsrechtskonkretisierenden Inhalten. Überwiegend werden so die Verträge mit Religionsgemeinschaften den Staatsverträgen nach Art. 59 Abs. 2 GG gleichgestellt,217 teilweise aber begrifflich von diesen unterschieden und klassisch „Staatskirchenverträge“218 oder „staats213  Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286, 295; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 224; Campenhausen/Unruh, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3 (6. Auflage, 2011), Art. 140 GG Rn. 76; Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S. 115 f.; ähnlich auch Mückl, „Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 741. 214  So aber Renck, DÖV 1997, S. 929, 932, 938; Czermak/Hilgendorf, Religionsund Weltanschauungsrecht, S.  200 f. 215  Hollerbach, „§ 7 Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HbStKR2, Bd. I, S. 274 f. 216  Zustimmend Dreier/Morlok, Art. 140 GG; Mückl, „Grundlagen des Staatskirchenrechts“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, S. 741 f.; ablehnend LutzBachmann, Mater rixarum?, S. 105  f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 225; ­Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Art. 140 GG Rn. 23; grds. ablehnend, aber einen in der rechtlichen Wirkung undeutlichen „sui generis-Charakter“ annehmend Walter, Reli­ gionsverfassungsrecht, S. 599, 601; ähnlich mit andersartigem Verständnis seiner „suigeneris-Lösung“ auch Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 251. 217  Vgl. Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, S. 142; Rüfner, „Verwaltungsabkommen zwischen Staat und Kirche“, in: Grote/Härtel/Hain/Schmidt/Schmitz/Schuppert/ Winterhoff (Hrsg.), Die Ordnung der Freiheit – Festschrift für Christian Starck zum siebzigsten Geburtstag (2007), S. 1175–1189 (1176); Anke, Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern, S. 175. 218  Mückl, „§ 10 Verträge“, in: Pirson/Rüfner/Germann et al. (Hrsg.), HbStKR3, Bd. 1, S. 458 f.

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rechtliche Verträge“219, neuer auch „religionsverfassungsrechtliche Ver­ trä­ ge“220 oder „religionsrechtlicher Vertrag“221 genannt. b) Rechtsnatur der Verträge zur islamischen Gefangenenseelsorge Anhand der vorgenannten Maßstäbe liegt es nahe, zwischen der Rechtsnatur der Grundlagenverträge in Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz einerseits und der spezifischen Seelsorge-Vereinbarung in Niedersachsen sowie dem Hamburger Dienstleistungsvertrag zu differenzieren. Eine parlamentarische Zustimmung durch Gesetz fehlt allerdings für alle diese Verträge. Von den anderen Verträgen zu unterscheiden ist aber jedenfalls der zivilrechtliche Dienstleistungsvertrag Hamburgs mit der dortigen Schura, mit dem sich die Vollzugsverwaltung auf die Ebene des Privatrechts begeben hat und eine Bindung der Legislative von vorneherein ausgeschlossen ist. Weitgehend unproblematisch ist auch die Bewertung der niedersächsischen Vereinbarung, weil darin keine bekräftigenden Wiederholungen des Verfassungs- oder Gesetzesrechts enthalten sind und die Kooperation zwischen Verband und Justizvollzug zur Zulassung freier Seelsorgehelfer im Sinne von § 179 Abs. 3 NJVollzG durch das Ministerium führen soll. Letzteres ist eine hoheitliche Maßnahme, sodass diese Vereinbarung als Verwaltungsvertrag zu qualifizieren ist. Für die Grundlagenverträge in Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz gilt nichts anderes, auch wenn an diesen die jeweiligen Landesparlamente beteiligt waren. Die Beteiligung der drei Landesparlamente führte jedoch nicht zu einer Zustimmung durch Gesetzesbeschluss. Der einfache Zustimmungsbeschluss, den die Bürgerschaften Bremens und Hamburgs gefasst hatten,222 kann den Rechtsstatus der Verträge jedoch nicht beeinflussen, der Kenntnisnahmebeschluss des rheinland-pfälzischen Landtagsausschuss für Wissenschaft und Kultur223 erst recht nicht. Aufgrund des äußeren, den Staatsverträgen ähnlicher Charakter (insbesondere die Einleitung des parlamentarischen Verfahrens und die Regierungsbegründung zu einzelnen Artikeln des Vertrages) ist auch als „unbeachtliche Simulation“ bezeichnet worden.224 219  Sachs/Ehlers, Art. 140 GG Rn. 8; Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286, 298; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 226. 220  Walter, Religionsverfassungsrecht, S.  601; so auch Mangoldt/Klein/Starck/ Campenhausen/Unruh, GG, Art. 140 GG, Art. 141 WRV Rn. 50; Unruh, Religionsverfassungsrecht, S. 226. 221  Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 251. 222  Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, PlPr. 20/63 (13.06.2013), S. 4833; Bremische Bürgerschaft, PlPr. 18/34 (24.01.2013), S. 2329. 223  Landtag Rheinland-Pfalz, Prot. Wissenschafts-Auss. 17/28 (07.02.2019). 224  Demel, „Die Verträge Hamburgs mit islamischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde“, Kirche und Recht 2013, S. 93–106, 96.



C. Kooperationen mit Religionsgemeinschaften oder Islamverbänden295

Welche Rechtsnatur die von der Ministerialverwaltung beschlossenen Verträge aber tatsächlich haben, ist in der Literatur umstritten: Teilweise werden die Verträge wegen der Bedeutung der Regelungen im Sinne der Wesentlichkeitstheorie von Verwaltungsverträgen abgegrenzt und mangels anderer Vorbilder als „dritte Vertragsform sui generis“ bezeichnet, die gewissermaßen Platzhalter für spätere Vereinbarungen sein könnten.225 Teilweise werden diese als „unechte staatsrechtliche Verträge“ bezeichnet, wodurch eine neue Kategorie von politisch durch Parlamentsbeschluss aufgewerteten Verwaltungsverträgen geschaffen werden soll.226 Dieser Unterscheidung gegenüber sonstigen Verwaltungsverträgen bedarf es jedoch nicht, weil bereits anhand des Regelungsbereiches von §§ 54 ff. VwVfG feststellbar ist, dass zwischen staatsrechtlichen bzw. verfassungsrechtlichen Verträgen, die einen parlamentarischen Gesetzesbeschluss erfordern, und den gesetzlich geregelten Verwaltungsverträgen noch ein Bereich nicht gesetzlich geregelter Vereinbarung nicht verfassungsrechtlicher Art besteht. Denn § 54 VwVfG erfordert die Begründung, Änderung oder Aufhebung eines konkreten Rechtsverhältnisses auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts.227 Soweit Vereinbarungen aber eine Vielzahl von Fällen regeln und nicht die Regierungstätigkeit betreffen, sind Verwaltungsabkommen zwischen mehreren Bundesländern trotz des „QuasiNormcharakters“ und regelmäßig fehlender Drittwirkung als öffentlichrechtliche Verträge anerkannt.228 Sonstige rechtsnormersetzende Vereinbarungen sind daher ebenfalls Verwaltungsverträge, ohne jedoch insbesondere den Fehlerfolgen von §§ 54 ff. VwVfG zu unterfallen.229 Die Verträge der Stadtstaaten Bremen und Hamburg mit islamischen Religionsgemeinschaften sowie deren Verträge mit der Alevitischen Gemeinde und dem Vertrag der Landesregierung von Rheinland-Pfalz mit der Alevitischen Gemeinde sind somit Verwaltungsverträge.230 c) Schlussfolgerungen insbesondere für die Selbstbindung des Staates Aus der Qualifikation der Verträge als Verwaltungsverträge folgt, dass eine Selbstbindung des Staates nur noch durch die Verwaltungspraxis gemäß Mater rixarum?, S. 458. „Staatliche Verträge mit muslimischen Akteuren“, in: Thümler (Hrsg.), Vertrag mit muslimischen Verbänden?, S. 265, 267. 227  Siehe nur Bonk/Neumann/Siegel, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar (9. Aufl., 2018), § 54 VwVfG Rn. 66 f. 228  Ebd., 50, 69. 229  Ebd., 70 mit weiteren Beispielen; vgl. auch Korte, „§  54 Verwaltungsrecht­liche Verträge“, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht I (2017), S. 691– 725 (25). 230  Wie hier Demel, Kirche und Recht 2013, 96. 225  Lutz-Bachmann, 226  Hense,

296

Kap. 4: Ermöglichung islamischer Gefangenenseelsorge

Art. 3 Abs. 1 GG erfolgt. Die Legislative ist durch die verwaltungsrechtlichen Verträge der Exekutive hingegen nicht gebunden. Für das in den Bremer Verträgen angeordnete Zeugnisverweigerungsrecht gilt daher, dass diese Regelung auch aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung unwirksam bleiben muss. Denn für Verfahrensregelungen des Strafprozesses ist der Landesgesetzgeber bereits gar nicht zuständig, aber ohne gesetzliche Regelung scheidet die Erweiterung des gesetzlichen Anwendungsbereiches von § 53 Abs. 1 StPO ohnehin aus.

D. Zusammenfassung Die vergleichende Analyse der Handlungsformen deutscher Bundesländer und der Konzepte in England/Wales, Niederlande, Frankreich, Österreich und Italien hat gezeigt, dass bisher nur sehr selten eine langfristig bewährte Beteiligungsform für die Organisation religiöser Angebote mit bzw. durch islamische Organisationen gefunden werden konnte. Die bestehenden Verträge und Wege der mittelbaren Beteiligung sind noch relativ jung und insbesondere die mittelbare Beteiligung ist faktisch davon abhängig, ob den beteiligten Verbänden eine gemeinsame Positionierung dauerhaft gelingt. Angesicht der in fast allen Staaten bestehenden Schwierigkeiten mit ausländisch dominierten Islamverbänden muss erst die Zukunft zeigen, ob die hier analysierten Handlungsformen eine langfristige Perspektive sind. In rechtlicher Hinsicht ist zusammenfassend zu bemerken, dass sich die Muster zur Organisation islamischer Gefangenenseelsorge in Europa ähneln. Wie anfangs festgestellt, bestehen in vielen westeuropäischen Staaten aufgrund der Einwanderungsgeschichte ähnliche Ausgangsbedingungen hinsichtlich der islamisch sozialisierten Bevölkerung. Auch die gewählten Instrumente sind daher vergleichbar. So ist die Kooperation mit islamisch geprägten Herkunftsstaaten zumeist der erste Schritt gewesen, um religiöse Angebote zu ermöglichen. Aufgrund der gleichzeitigen Nationalisierung der Herkunftsstaaten im Maghreb und im Nahen Osten und der sich daraus entwickelnden Identitätsproblemen für die inländische Bevölkerung werden diese Kooperationsformen derzeit abgelöst. Aus rechtlicher Perspektive waren die Angebote des „embassy islam“ bzw. „islam consulaire“ stets problembehaftet: Die Regelungen des Wiener Konsularrechtsübereinkommens ermöglichen zwar auch regelmäßige Besuchsdienste, dauerhafte religiöse Dienste lassen sich damit aber nur unter der besonderen Bedingung ermöglichen, dass im Entsendestaat ebenfalls religiöse Dienste durch Staatsbeschäftigte angeboten werden. Dies steht – wie die staatliche Beschäftigung ohne Einbindung einer Religionsgemeinschaft in mehreren Staaten zeigt – zwar nicht zwangsläufig im Widerspruch zum europäischen Neutralitätsverständ-



D. Zusammenfassung297

nis, bringt aber doch Konfliktpotential mit sich. Wie sehr und wie schnell Religionsfragen zu zwischenstaatlichen Problemen führen können, zeigt jüngst erst der Streit zwischen Frankreich und der Türkei um den Umgang mit Mohammed-Karikaturen. Wenn sich staatliche Stellen stärker selbst engagieren, um religiöse Angebote für muslimische Gefangene zu ermöglichen, sind insbesondere Qualifikationsanforderungen an das Seelsorgepersonal ein gängiges Instrument. Unabhängig davon, ob die Vollzugsverwaltung das religiöse Personal selbst auswählt und beschäftigt oder sich (teilweise oder ganz) einer vermittelnden religiösen Organisation bedient, sollen Qualifikationsanforderungen zur Professionalisierung islamischer Seelsorge beitragen. Insbesondere die Praxis des Prison Service in England und Wales zeigt, dass die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates daneben noch durch eine verwaltungsorganisatorisch gesicherte Eigenständigkeit des Seelsorgepersonals sichergestellt werden kann. In Teilen werden diese beiden Kern-Instrumente auch bei der mittelbaren Beteiligung angewandt. Wesentliches Element, um in dieser Handlungsform eine Professionalisierung zu erreichen und verfassungsrechtliche Bedingungen gewährleisten zu können, ist aber die Verknüpfung mit Ausbildungsprogrammen für islamische Seelsorger. Vertragliche Vereinbarungen zwischen Bundesländern und Islamverbänden sind insbesondere für die Gefangenenseelsorge voraussichtlich der Endpunkt aufeinander aufbauender Handlungsformen des Staates. Denn die in anderen Handlungsformen bestehenden Instrumente zur Personalauswahl, der Qualifikation und der Aufgabenerfüllung des Seelsorgepersonal entfallen hierbei regelmäßig. Die Gründe, wegen der derartige Instrumente in anderen Konstellationen eingesetzt werden, müssen daher vor Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung entfallen sein. Das Beispiel Niedersachsens zeigt, dass aber auch eine einst positive Bewertung nicht langfristig Bestand haben muss. Nicht zuletzt deshalb, besteht in Italien bisher nur ein gemeinsames Protokoll in der Art eines Memorandum of Understatements, zumal religionsverfassungsrechtlich der Abschluss eines Vertrages (intesa) dort noch bedeutsamer als nach dem deutschen Grundgesetz ist. Der Versuch Hamburgs, einen Vertrag, der religiös-gemeinschaftliche Freiheitsrechte absichert, durch einen Dienstleistungsvertrag mit zivilrechtlichem Auftraggeber/Auftragnehmer-Verhältnis zu ergänzen, ist folglich religionsverfassungsrechtlich daher grundsätzlich bedenklich und löst die vertraglichen Gewährleistungen auch nicht ein. Insgesamt bedienen sich die Bundesländer und europäische Staaten demnach verschiedener Handlungsformen, die teilweise aufeinander aufbauen oder zumindest eine Stufenabfolge der Professionalisierung und Institutionalisierung bilden.

Fazit Muslimischen Gefangenen die gemeinschaftliche Religionsausübung im Strafvollzug zu ermöglichen, ist zugleich eine grundrechtliche Verpflichtung und ein dynamisches Feld der Religionspolitik. Unter dem Druck von Radikalisierungsprozessen und dagegen einsetzenden Präventionsprogrammen ist der Ruf nach verlässlichen Lösungen lauter geworden. Wo rechtlich stabile und persönlich verlässliche Ansprechpartner jedoch fehlen, braucht es Zwischenschritte, Übergänge und Mittelwege. Dabei kommen bewährte und neue Handlungsformen des Religionsrechts zur Anwendung. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen bleiben unverändert, bedürfen an manchen Stellen aber kleinerer Weiterentwicklungen. Die vollzugliche Praxis in den deutschen Bundesländern wie in einigen europäischen Staaten zeigt zudem, dass und wie sehr politische Einflüsse und örtliche Zufälle auch die rechtliche Gestaltung prägen können. So ergibt sich ein vielfältiges Bild der Handlungsformen zur Organisation religiöser Angebote für muslimische Häftlinge, an denen sich aber eine Stufenfolge der Professionalisierung und Institutionalisierung ablesen lässt. Die verfassungsrechtliche Analyse hat ergeben, dass das Grundgesetz jedem Inhaftieren einen Anspruch auf gemeinschaftliche Religionsausübung gewährt. Dieser wird nur durch die institutionelle Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs beschränkt. Religionsgemeinschaften steht jedoch kein Anspruch bereits aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG zu. Diese werden abhängig von ihrem Rechtsstatus als Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes erst durch Art. 140 GG/Art. 141 WRV zum Zutritt berechtigt. Wenn ein islamischer Verband die Voraussetzungen der Religionsgemeinschaft in diesem Sinne erfüllt, gewährt daher das Grundgesetz auch diesen den Zutritt zur Religionsausübung. Denn der islamischen Religion kann nicht grundsätzlich die Existenz von Seelsorge anhand des im Grundgesetz verwendeten Begriffs abgesprochen werden. Ob entsprechende Angebote auch im islamischen Kontext als Seelsorge bezeichnet werden, ist unerheblich, weil auch Art. 140 GG/Art. 141 WRV die Zulassung zur religiösen Betreuung in öffentlichen Anstalten regelt und damit über den Seelsorgebegriff hinausweist. Zudem bestehen auch im islamischen Kontext vergleichbare Konzepte, die vom christlich geprägten Begriff der Seelsorge erfasst werden können. Nicht aus dem grundrechtlichen Abwehrrecht aber aufgrund der positiven Grundrechtsdimension des Art. 4 Abs. 1, 2 GG ist der Staat verpflichtet, ge-

Fazit299

eignete und erforderliche Maßnahmen zur Ermöglichung der (gemeinschaftlichen) Religionsausübung im Strafvollzug zu ergreifen. Entsprechend dem weiten staatlichen Spielraum bei der Umsetzung grundrechtlicher Schutzund Leistungspflichten obliegt es den staatlichen Stellen auch für die Seelsorge in Vollzugsanstalten, den Bedarf einzuschätzen und die entsprechenden Angebote zur Religionsausübung durch religiöses Personal zu schaffen (Einschätzungsprärogative und Auswahlermessen). Bei der Umsetzung dieser grundrechtlichen Verpflichtung sind Legislative und Exekutive vor allem durch religionsverfassungsrechtliche Grundsätze beschränkt: Denn aus der negativen Religionsfreiheit der Betroffenen sowie dem auch daraus abgeleiteten Grundsatz staatlicher Neutralität in Religionsfragen folgt, dass Kooperationsmöglichkeiten grundsätzlich jeder Organisation offenstehen müssen, staatlich ausgewähltes religiöses Personal die unterschiedlichen Strömungen und Richtungen des Islams jederzeit berücksichtigen muss und dem Staat auch als Auftrag- oder Arbeitgeber kein religiös-inhaltlicher Einfluss gegenüber den Seelsorgenden zusteht. So wird in der Regel ein akademischer Abschluss als Berufsqualifikation vorausgesetzt werden müssen, wenn staatlich beschäftigte Seelsorgekräfte die Vielfalt des Islams berücksichtigen können sollen. Aufgrund des grundrechtlichen Schutzes für den Kernbereich privater Lebensgestaltung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG besteht jedenfalls im Einzelfall auch ein Zeugnisverweigerungsrecht für seelsorgerische Gesprächspartner von muslimischen Häftlingen. Der so umrissene Handlungsspielraum wird durch die Bundesländer vermehrt durch die eigene Organisation von religiösen Angeboten für Muslime in den Justizvollzugsanstalten genutzt. Die gewählten Handlungsformen beschreiben – auch im europäischen Vergleich – gewissermaßen eine Stufenfolge: beginnend mit der fremdstaatlichen Organisation von religiösen Angeboten über die eigenstaatliche Organisation, Formen mittelbarer Beteiligung von islamischen Vereinigungen bis hin zu einer umfangreichen Kooperation von Staat und Islamverbänden mit unmittelbarer Auswahlmöglichkeit des religiösen Personals durch die Verbände. In nahezu allen westdeutschen Bundesländern und verbreitet auch im westeuropäischen Ausland sind religiöse Angebote zunächst nur von Imamen erbracht worden, die aus dem Ausland finanziert wurden. In Deutschland, Österreich, den Niederlanden überwiegend und nicht unerheblich auch in Frankreich waren dies staatliche Beamte der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Vorbehalte gegen ausländischen Einfluss allgemein und zuletzt vor allem politische Entwicklungen in der Türkei sind politische Gründe, warum diese Handlungsform inzwischen aufgegeben wird. Die Suche nach Alternativen hat mehrere, ganz unterschiedliche Handlungsformen hervorgebracht, die sehr stark davon abhängig sind, wie Islamverbände in einem Bundesland oder in einem Staat organisiert sind oder welche praktisch erfolgreichen Ini-

300 Fazit

tiativen es aus der islamisch geprägten Zivilgesellschaft gibt. Letzteres hat die Formen der mittelbaren Beteiligung etwa in Baden-Württemberg und in manchen bayerischen Justizvollzugsanstalten erst ermöglicht, weil verbandsunabhängige und damit richtungsübergreifende Integrationsvereine beteiligt sind. Die vermittelnden Handlungsformen, mit denen in Berlin, Frankreich und den Niederlanden nun die islamische Gefangenenseelsorge organisiert wird, setzen voraus, dass sich die unterschiedlichen islamischen Gruppen zu einer Organisation zusammenfinden. Dies wird allerdings durch staatliche Verfahrensregeln durchaus erfolgreich ermöglicht, weil diese Handlungsformen im Wesentlichen geräuschlos seit einigen Jahren praktiziert werden. Das Beispiel Frankreichs zeigt aber auch, dass rechtliche Strukturen ohne ausreichende Finanzierung wertlos bleiben. Richtet sich der Blick auf beide Seiten jenseits dieser Mittelpositionen, lässt sich in jüngster Zeit eine Tendenz zur staatlichen Selbstorganisation beobachten. Vertragliche Vereinbarungen, wie sie Anfang der 2000er-Jahre in mehreren Bundesländern verhandelt wurden, hat es nur in Hamburg, Bremen und Niedersachsen gegeben. Seither ist es nur in Rheinland-Pfalz mit der Alevitischen Gemeinde zu einem neuen Vertragsschluss gekommen. Im Übrigen verzichten Bundesländer nach gescheiterten Verhandlungen nun auf die Kooperation mit Islamverbänden und setzen den bestehenden grundrechtlichen Anspruch mit Honorarkräften oder auch Angestellten in Eigenregie um. Dem seit Längerem sich entwickelnden Vorbild des Prison Service in England und Wales, wo das religiöse Personal mit Elementen der Selbstverwaltung in den Vollzugsdienst eingegliedert ist, folgen die Bundesländer bisher nicht. Teilweise geschieht das Gegenteil, wenn keine Abgrenzung von Religionsausübung und Radikalisierungsprävention erfolgt. An dieser Stelle sind allerdings die Empfehlungen der Bundesländer-Arbeitsgruppe erfreulich deutlich. Das berichterstattende Bundesland Rheinland-Pfalz hat im eigenen Konzept die Abgrenzung von Religion und Therapie, denn um nichts anderes geht es im Kern bei den Programmen zur Deradikalisierung, Extremismus- und Radikalisierungsprävention, ebenso deutlich hervorgehoben. Insgesamt ist für den weiteren Ausbau der islamischen Seelsorge in Vollzugsanstalten erforderlich, dass die grundrechtlich erforderlichen Sicherungen zur Qualifikation und inhaltlichen Neutralität beachtet werden. Denn auf der anderen Seite bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken gegen sicherheitsrechtlich begründete Anforderungen. Die Staatsbeschäftigung von Seelsorgenden ist demnach durchaus möglich und muss nicht strikten Bedenken begegnen, so wie dies bei der Militärseelsorge meist der Fall ist. Noch bleibt abzuwarten, ob die staatliche Eigenorganisation nur ein Zwischenschritt hin zu mehr Beteiligung der islamischen Vereinigungen ist oder sich daraus eine dauerhafte Handlungsform entwickelt. Die Stufenfolge, beginnend beim „embassy islam“ bzw. „islam consulaire“ über die staatliche

Fazit301

Eigenorganisation und eine mittelbare Beteiligung bis zum religionsverfassungsrechtlichen Leitbild der Kooperation durch Vertrag, beschreibt für die Islamische Gefangenenseelsorge als Modell und Zielvorstellung der Akteure den Ist-Zustand. Die hier unternommene Analyse der vollzuglichen Praxis und der Konzepte in europäischen Staaten haben aber gezeigt, dass sich die Realitäten bisweilen schneller ändern können, als Wissenschaft und Praxis erwarten und reagieren können. Die Handlungsformen des Staates bleiben somit eine Momentaufnahme, der grundrechtliche Anspruch bleibt bestehen. Denn auch die gemeinschaftliche Religionsausübung ist im Strafvollzug ein grundrechtlich geschützter Rückzugsraum.

Anhang Die folgenden Dokumente sind als Kopie dokumentiert: • Forschungsanfrage des Verfassers über Prof. Dr. Mathias Jestaedt, Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Albert-Ludwig-Universität Freiburg, vom 04.07.2018 an die Abteilungen für Strafvollzug in den Justizministerien der Bundesländer • Antwortschreiben von Prof. Dr. Frank Arloth, Bayerisches Staatsministe­ rium für Justiz vom 16.07.2019 ‒ Vereinbarung über die seelsorgerische Betreuung muslimischer Gefangener (als Muster) • Antwortschreiben des Ministeriums für Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg vom 02.08.2018 • Antwortschreiben der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Berlin vom 12.06.2019 ‒ Rahmenvereinbarung für die Religiöse Betreuung muslimischer und alevitischer Inhaftierter in den Justizvollzugsanstalten des Landes Berlin ‒ Ordnung für den Berliner Beirat für religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter • Antwortschreiben des Amts für Justizvollzug und Recht, Justizbehörde, Freien und Hansestadt Hamburg, vom 08.08.2019 ‒ Änderungsvertrag zum Dienstleistungsvertrag mit Schura – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V. • Antwortschreiben des Hessischen Ministeriums für Justiz vom 23.10.2018 • Antwortschreiben des Justizministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 14.03.2019 • Antwortschreiben des Niedersächsischen Justizministeriums vom 28.08. 2019 ‒ Vertrag über die freie Mitarbeit betr. muslimischer Seelsorge (als Muster) ‒ Vereinbarung zwischen dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V. (Schura Niedersachsen), dem DITIB Landesverband der Islamischen Religionsgemeinschaften Niedersachsen und Bremen e. V. und dem Niedersächsischen Justizministerium (2012)

Anhang303

‒ Vereinbarung zwischen dem Landesverband „Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V.“ (Schura Niedersachsen), dem Landesverband „Muslime in Niedersachsen e. V.“ und dem Niedersächsischen Justizministerium (2022) • Antwortschreiben des Ministeriums der Justiz für das Land NordrheinWestfalen vom 20.12.2019 ‒ Vertrag über die religiöse Betreuung muslimischer Gefangenen bzw. Untergebrachten in der Justizvollzugsanstalt … (als Muster) ‒ Vertrag über die religiöse Betreuung muslimischer Arrestantinnen bzw. Arrestanten in der Jugendarrestanstalt … (als Muster) • Antwortschreiben des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz vom 01.08.2018 • Antwortschreiben des Staatsministeriums der Justiz Sachsen vom 19.03.2019 • Antwortschreiben des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung SachsenAnhalt vom 12.07.2018 • Antwortschreiben des Kriminologischen Dienstes in Thüringen vom 03.09.2018 Aufgrund neuerer Entwicklungen haben die Landesjustizministerien BadenWürttemberg, Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein der Veröffent­ lichung ihrer Antworten auf die Forschungsanfrage vom 04.07.2018 nicht zugestimmt.

304 Anhang

Prof. Dr. Matthias Jestaedt, Universität Freiburg, D-79085 Freiburg i. Brsg.

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Rechtswissenschaftliche Fakultät

Prof. Dr. Matthias Jestaedt Direktor

Institut für Staatswissenschaft & Rechtsphilosophie – Abt. 3: Rechtstheorie – Dienstsitz Lehrstuhl & Forschungsstelle für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht: Hebelstraße 25 (Hinterhaus) 79104 Freiburg i. Brsg. Dienstsitz Hans-Kelsen-Forschungsstelle: Erbprinzenstraße 17a (2. OG) 79098 Freiburg i. Brsg.

Islamische Gefangenenseelsorge Hier: Bitte um Mitwirkung an wissenschaftlicher Studie

Postanschrift: Rechtswissenschaftliche Fakultät Universität Freiburg 79085 Freiburg i. Brsg. Tel. +49 761 203-97800 Fax +49 761 203-97802 [email protected]

Freiburg, 4. Juli 2018

Sehr geehrte Damen und Herren, im Rahmen eines unter meiner Betreuung durchgeführten Dissertationsvorhabens mit dem Arbeitstitel „Islamische Gefangenenseelsorge“ sollen die Rechtsgrundlagen der Seelsorge-Angebote und der religiösen Betreuung von muslimischen Häftlingen in den deutschen Bundesländern und ausgewählten europäischen Staaten ermittelt und verglichen werden. Vor längerer Zeit sind bereits die Rechtsgrundlagen christlicher Gefangenenseelsorge rechtswissenschaftlich untersucht worden. Die Ergebnisse der damals mit Hilfe der Landesjustizministerien ermittelten Rechtsgrundlagen sind veröffentlicht in: Eick-Wildgans, Susanne: Anstaltsseelsorge - Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug (Diss. Regensburg, 1993). Die deutschen Bundesländer und europäische Staaten bauen seit einigen Jahren die Seelsorge/religiöse Betreuung muslimischer Häftlinge aus. Dies geschieht auf sehr unterschiedliche Weise (Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften, Honorarverträge zwischen einzelnen Seelsorgern und Justizvollzugsanstalten, religiöse Betreuung im Rahmen der konsularischen Betreuung von Häftlingen). Die nationale und internationale Praxis ist bereits teilweise religionswissenschaftlich untersucht worden, eine rechtswissenschaftliche Untersuchung fehlt bisher indes noch. Daher sollen für die Dissertation die Rechtskonzepte der deutschen Bundesländer und einiger europäischer Staaten (Großbritannien, Niederlande, Österreich, Frankreich und Italien) ermittelt, die Regelungskonzepte verglichen und verfassungsrechtlich bewertet werden.

Anhang305 Anschreiben Prof. Jestaedt 4. Juli 2018 Seite 2 von 6

Mit Rücksicht darauf möchte ich Sie um Auskunft zu folgenden Fragen bezüglich der islamischen Gefangenenseelsorge bitten: ¥

Auf welcher Rechtsgrundlage werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt?

¥

Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (inkl. Sicherheits- bzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fach- und Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie die Fundstelle mitteilen oder zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten.

¥

Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen: Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten.

¥

Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten?

In Ergänzung und Konkretisierung der vorstehenden Frage möchte ich Sie außerdem bitten, die nachfolgenden landesspezifischen Fragen, soweit Ihr Bundesland betroffen ist, zu beantworten. Zu Ihrer Information und Orientierung sind nachfolgend sämtliche landessspezifische Fragen aufgelistet. Spezifische Fragen je Bundesland: BadenWürttemberg

Bayern

Berlin

¥ Besteht ein Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit Kooperationspartnern für die Ausbildung und den Einsatz von muslimischen Gefangenenseelsorgern? ¥ Bestehen einzelne (Honorar-)Verträge mit diesen Personen bzw. woraus ergibt sich deren „Stundenkontingent“ (vgl. Antwort 3 in Drs. 16/3030)? ¥ Gibt es (vertragliche) Vereinbarungen zwischen einzelnen Vollzugsanstalten und örtlichen Moscheegemeinden? ¥ Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die Unterstützung des Projekts „musa – Muslimische Seelsorge“? Umfasst dies lediglich die Ausbildung von Seelsorgern oder ist davon auch die eigenständige Durchführung religiöser Angebote in Vollzugsanstalten umfasst? ¥ Gibt es für die Kooperation eine (schriftliche) Vereinbarung mit dem Träger des Projekts, dem „itv Institut für transkulturelle Verständigung“, oder einer anderen Organisation? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Bestehen für die Organisation der ehrenamtlichen Angebote Vereinbarungen mit örtlichen Moscheegemeinden oder anderen Religionsverbänden? Welchen rechtlichen Anforderungen unterliegen die ehrenamtlich tätigen Imame, Vorbeter und Betreuer? ¥ Auf welcher Rechtsgrundlage arbeitet der Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter? ¥ Besteht eine Geschäftsordnung, Satzung oder sonstiges Organisationsrecht für die Arbeit des Beirats? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Wie ist die Arbeitsweise des Beirates? ¥ Gibt es Beschlüsse des Beirates bezüglich der Auswahl, Qualifikation und Aufsicht von muslimischen Gefangenenseelsorgern? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Wenn nein, gibt es solche Vorgaben durch die Justizverwaltung? Wenn ja, wür-

306 Anhang Anschreiben Prof. Jestaedt 4. Juli 2018 Seite 3 von 6

Brandenburg Bremen

Hamburg

Hessen

de ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Bestehen die örtlichen Kooperationen einzelner Vollzugsanstalten mit ehrenamtlich tätigen Seelsorgern auch nach Einsetzung des Beirats fort? — ¥ Wie viele muslimische Seelsorger/Betreuer sind in der JVA Bremen eingesetzt, wie viele davon aufgrund von Art. 7 der Staatsverträge mit muslimischen Verbänden? ¥ Auf welche Weise „unterstützt“ der Senat gem. Art. 7 der Staatsverträge die Religionsverbände bei der Organisation der Seelsorge in Justizvollzugsanstalten? ¥ Gibt es mit den Vertragspartnern weitere speziellere Vereinbarungen zur Gefangenenseelsorge über Art. 7 der Staatsverträge hinaus? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt eine Sicherheitsprüfung der von den Verbänden entsandten Seelsorger? ¥ Erfolgt eine Honorierung oder Aufwandsentschädigung der Seelsorger oder erfolgt eine (nicht notwendigerweise zweckgebundene) Finanzierung der Verbände zur Organisation der Gefangenenseelsorge? ¥ Besteht eine Vereinbarung mit den Vertragspartnern der Staatsverträge zur Gefangenenseelsorge gem. Art. 7 Abs. 2 S. 3 der Verträge? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Wenn nein, gibt es andere Normen zur Qualifikation der Seelsorger bzw. ermessenslenkende Richtlinien für die Einverständniserklärung gem. Art. 7 Abs. 2 S. 1, 2 der Verträge? ¥ Besteht die in Drs. 21/2466, S. 3 genannte Vereinbarung mit der Schura Hamburg über „Gesprächsangebote“ auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 S. 3 des Vertrages? Wenn nein, auf welcher Grundlage besteht diese? Ich würde mich freuen, wenn Sie die genannte Vereinbarung zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Erfolgt eine Honorierung oder Aufwandsentschädigung der Seelsorger oder erfolgt eine (nicht notwendigerweise zweckgebundene) Finanzierung der Verbände zur Organisation der Gefangenenseelsorge? ¥ Besteht für die derzeitige Praxis der Beschäftigung von religiösen Betreuern per Dienstvertrag oder neben dieser eine institutionelle Kooperation mit einer Religionsgemeinschaft bzw. einem muslimischen Verband? Wenn nein, aus welchen Gründen existiert eine solche Kooperation nicht? ¥ Welche fachlich-inhaltlichen Anforderungen an die Person und Arbeit der Seelsorger werden im Rahmen des Auswahlverfahrens durch die Stabstelle NeDiS gestellt, welche werde vertraglich für die Zeit der Tätigkeit festgeschrieben? Inwiefern unterscheidet sich der Mustervertrag für religiöse Betreuer/Seelsorger von denen für sonstige Honorarkräfte im Strafvollzug? Ich würde mich freuen, wenn Sie den Mustervertrag zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Was ist unter „fachlicher Begleitung“ durch die Stabstelle NeDiS zu verstehen (vgl. Sachverständige Stellungnahme zur Situation des Strafvollzugs in Hessen für Landtag Rheinland-Pfalz vom 08.01.2018, S. 14, Az. 4400 E – IV/D2 – 2018/613 -IV/B)? ¥ Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die Zuverlässigkeitsprüfung für nebenamtlich tätige Imame? ¥ Wie beurteilt die Landesregierung den Aufbau der islamischen Gefangenenseelsorge durch die Stabstelle „Netzwerk Deradikalisierung im Strafvollzug“, die auch für extremistische und terroristische Gefangene zuständig ist, mit Blick auf die individuelle Religionsfreiheit der Gefangenen und dem aus der Religionsfreiheit, den Gleichheitsrechten und dem Verbot der Staatskirche abgeleiteten

Anhang307 Anschreiben Prof. Jestaedt 4. Juli 2018 Seite 4 von 6

MecklenburgVorpommern Niedersachsen

NordrheinWestfalen

Grundsatz der Neutralität des Staates? ¥ Bestehen für die Organisation der ehrenamtlichen Angebote Vereinbarungen mit den örtlichen Moscheegemeinden? Welchen rechtlichen Anforderungen unterliegen die ehrenamtlich tätigen Imame, Vorbeter und Betreuer? ¥ Laut Drs. 19/5792 besteht ein Dienstvertrag mit einem Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat, die in Hessen als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert ist. Ist die Bewerbung, Auswahl und der Vertragsabschluss auf dieselbe Weise erfolgt, wie bei anderen sunnitischen Imamen bzw. ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat an der Auswahl oder Ernennung beteiligt gewesen? Besteht eine Vereinbarung über die Gefangenenseelsorge zwischen der Landesregierung und der Ahmadiyya Muslim Jamaat? — ¥ Wie viele Seelsorger sind auf Basis der am 18.12.2012 geschlossenen Vereinbarung zwischen der Landesregierung und DITIB sowie Schura eingesetzt worden, wie viele sind derzeit eingesetzt? ¥ Nach § 4 der Vereinbarung erfolgt die Auswahl der Seelsorger durch die muslimischen Landesverbände, die Ernennung durch das Justizministerium und die Berufung setzt eine Zustimmung der Anstaltsleitung voraus – wie gestaltet sich dieses Verfahren in der Praxis? Gibt es dazu Verwaltungsvorschriften, andere Richtlinien oder weitere Vereinbarungen? ¥ Wie häufig sind bisher Maßnahmen der Anstaltsleitungen nach § 4 S. 5 getroffen worden, weil sich bei der Gefährdung von Sicherheitsbelangen keine einvernehmliche Lösung gefunden hatte? ¥ Wie ist aus Sicht des Justizministeriums die Arbeit der gemeinsamen Arbeitsgruppe der Seelsorger aller Bekenntnisse zu bewerten? Welche Vorschläge zur Fortentwicklung der Zusammenarbeit hat die Arbeitsgruppe bisher gemacht und wie werden diese umgesetzt? ¥ Gibt es neben der Vereinbarung vom 18.12.2012 weitere Vereinbarungen jeglichen Rechtscharakters mit anderen muslimischen Verbänden, zum Beispiel mit der Alevitischen Gemeinde? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Welche Organisationsformen für die islamische Gefangenenseelsorge werden derzeit in Nordrhein-Westfalen praktiziert und wie häufig sind diese jeweils? ¥ Auf welche Weise erfolgt die Auswahl und Beauftragung von Honorarkräften nach dem Erlass/Informationsschreiben an den JVALeitungen vom 18.02.2016? Welche Anforderungen werden an die Honorarkräfte im Rahmen des Auswahlprozesses oder vertraglich gestellt? ¥ Auf welcher Rechtsgrundlage bzw. welchen Rechtsgrundlagen erfolgt(e) der Einsatz von DITIB-Imamen als Seelsorger in Vollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen? In anderen Bundesländern erfolgt(e) eine Entsendung ausschließlich als konsularische Religionsbeauftragte – war bzw. ist dies in Nordrhein-Westfalen auch so? Wenn nein, aufgrund welcher anderen Rechtsgrundlagen erfolgte eine Zusammenarbeit mit der DITIB zum Zwecke der Gefangenenseelsorge? (vgl. dazu die insoweit nicht ganz eindeutige Antwort d) zur Zusammenarbeit auf Ebene der Vollzugsanstalten in LT-Vorlage 17/129, S. 4, vom 25.09.2017) ¥ Auf welcher Rechtsgrundlage außerhalb des SÜG NRW erfolgten die Sicherheitsüberprüfungen für Imame bis zum Erlass vom 12.09.2016 (vgl. Antwort JM Kutschaty in APr 16/851, S. 7 mit Verweis auf „effektiven Instrumentenkoffer der Anstaltsleitungen“)? Aufgrund welcher Rechtsgrundlage waren die konsularisch entsandten Imame von der erweiterten Sicherheitsprüfung gem. SÜG bis zu den Erlassen vom 12.09.2016 und 20.02.2017 ausgenommen? Auf welcher Rechtsgrundlage basieren aktuell die Sicherheitsüberprüfungen für alle tätigen Imame, ist dies §§ 10, 2 IV SÜG

308 Anhang Anschreiben Prof. Jestaedt 4. Juli 2018 Seite 5 von 6

RheinlandPfalz

Saarland

Sachsen

Sachsen-Anhalt SchleswigHolstein

Thüringen

NRW i.V.m. Art. I der VO v. 3.12.1995? ¥ Bestehen für den Einsatz nicht-konsularisch entsandter Seelsorger vertragliche Vereinbarungen oder sonstige Absprachen jeglicher Rechtsqualität mit islamischen Verbänden, örtlichen Moscheegemeinden oder einzelnen (nicht als Honorarkräfte tätigen) Seelsorgern? ¥ Wird das Pilotprojekt „JVA Seelsorge“ in der JVA Düsseldorf noch fortgeführt und wenn ja, was ist Inhalt und Ziel des Projektes? Welche Art von „vertraglicher Verpflichtung einer Institution zur Gestellung von Imamen“ (vgl. Vorlage 17/129, S. 4) wird angestrebt? Inwieweit orientiert sich die Landesregierung dabei an Organisationsformen, die in anderen Bundesländern praktiziert werden? ¥ Ich würde mich freuen, wenn Sie den Mustervertrag für Honorarkräfte, die genannten Erlasse des Justizministeriums oder andere (nicht-öffentliche) relevante Rechtsgrundlagen, Anordnungen oder Vereinbarungen zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Warum hat sich die Landesregierung bei der Erstellung des Konzepts „Religiöse Betreuung muslimischer Gefangener“ für die Beschäftigung von Honorarkräften statt für sonstige Organisationsformen entschieden bzw. welche anderen Organisationsformen sind seitens der Landesregierung geprüft worden? ¥ Welche Rahmenbedingungen der religiösen Betreuung sollen durch Dienstverträge bestimmt werden? Sofern es bereits einen MusterDienstvertrag gibt, würde ich mich freuen, wenn Sie diesen zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Bei der Auswahl der Betreuer als Honorarkräfte ist in dem Konzept (bisher) keine Beteiligung eines muslimischen Verbandes vorgesehen – wovon macht die Landesregierung eine Kooperation jedweder Art bei der Gefangenenseelsorge abhängig? Ist das Konzept im Hinblick auf einen möglichen Vertrag mit einem islamischen Verband so zu verstehen, dass aus rechtlichen Gründen damit andere Organisationsformen vereinbart werden müssten oder ist auch eine Kooperation für die Auswahl von Honorarkräften denkbar? ¥ Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die Zuverlässigkeitsprüfung für konsularisch entsandte Religionsbeauftragte? ¥ Welche Art von rechtlicher Vereinbarung existiert für die Entsendung eines Seelsorgers in die JVA Ottweiler durch die islamische Gemeinde Neunkirchen? Sofern eine vertragliche oder andere schriftliche Abrede mit der Gemeinde oder dem von dieser gestellten Seelsorgers gibt, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Auf wessen Initiative ist der ehrenamtlich durchgeführte Gesprächskreis für muslimische Gefangene in der JVA Dresden entstanden? Gibt es dazu eine Kooperation mit einer islamischen Gemeinde oder einem Verband? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. — ¥ Auf wessen Initiative sind die ehrenamtlichen Freizeitangebote für muslimische Häftlinge in der JVA Lübeck entstanden? Gibt es dazu schriftliche Vereinbarungen mit den in Drs. 19/441 zu Frage 2 genannten örtlichen Verbänden oder sonstige rechtlich-bindende Kooperationsbedingungen? Wenn ja würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. ¥ Ich würde mich freuen, wenn Sie die von der JVA Neumünster geschlossene Vereinbarung mit dem DITIB-Landesverband Nord sowie den Honorarvertrag zwischen der Jugendanstalt Schleswig und der dort tätigen islamischen Religionsgemeinschaft zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. —

Anhang309 Anschreiben Prof. Jestaedt 4. Juli 2018 Seite 6 von 6

Die gestellten Fragen basieren auf einer Auswertung der öffentlich zugänglichen Parlamentsdokumentation. Die dort veröffentlichten Dokumente dürfen Sie daher als bekannt voraussetzen, sofern sich aus den Fragen nicht anderes ergibt. Für Rückfragen steht Ihnen der Autor der Untersuchung, Benedikt Plesker, unter folgenden Kontaktdaten gerne zur Verfügung: Benedikt Plesker Schlossbergring 28 79098 Freiburg [email protected] Mobil: 0176 – 20 364772 Mit bestem Dank für Ihre Kooperationsbereitschaft und mit freundlichen Grüßen

(Professor Dr. Matthias Jestaedt)

310 Anhang

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318 Anhang Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg | Heinrich-Mann-Allee 107 | 14473 Potsdam

Universität Freiburg Herrn Prof. Dr. Matthias Jestaedt 79085 Freiburg i. Brsg.

Heinrich-Mann-Allee 107 D-14473 Potsdam Bearbeiterin: Frau Derbach Telefon: (03 31) 8 66 - 0 Nebenstelle: (03 31) 8 66 33 49 Fax: (03 31) 8 66 30 80 und 8 66 30 81 E-Mail: [email protected] Internet: www.mdjev.brandenburg.de Aktenzeichen (bei Antwort bitte angeben): (III.4) 4557-E IV.009/18

nachrichtlich: Kriminologischer Dienst der Landesjustizverwaltungen Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen

Potsdam, 2. August 2018

Islamische Gefangenenseelsorge hier: Bitte um Mitwirkung an einer wissenschaftlichen Studie Ihr Schreiben vom 4. Juli 2018

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Jestaedt, Bezug nehmend auf Ihr Schreiben vom 4. Juli 2018 beantworte ich Ihre Fragen zum Thema der islamischen Gefangenenseelsorge für das Land Brandenburg wie folgt:

Anhang319

Seite 2

Frage 1: Auf welcher Rechtsgrundlage werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/ Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt? § 81 BbgJVollzG gibt dem Gefangenen ein Recht auf Zulassung zur religiösen Betreuung durch einen Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft. Gemäß § 81 Satz 2 BbgJVollzG ist die Vollzugsbehörde verpflichtet, dem Gefangenen dabei zu helfen, Kontakt zu einem Seelsorger (z.B. durch vermittelnde Hilfe durch einen hauptamtlich bestellten Seelsorger an der Vollzugsanstalt) aufzunehmen. Nach § 111 Absatz I BbgJVollzG werden die Anstalten mit der für die religiöse Betreuung der Gefangenen erforderlichen Anzahl von Seesorgerinnen/ Seelsorgern ausgestattet. Die Anstaltsseelsorgerinnen/ Anstaltsseelsorger werden von der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Einvernehmen mit der Aufsichtsbehörde berufen. Wenn es gemäß § 111 Absatz II BbgJVollzG die geringe Anzahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht rechtfertigt, eine Seelsorge nach Absatz I zu stellen, ist die seelsorgerische Betreuung auf andere Weise (durch vertraglich verpflichtete nebenamtliche bzw. ehrenamtliche Seelsorger/ -innen) zuzulassen. Frage 2: Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (inkl. Sicherheits- bzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fach-und Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Untergesetzliche Normen bzw. allgemeine Richtlinien zur Qualifikation und Auswahl islamischer Gefangenenseelsorger sowie deren Fach- und Rechtsaufsicht werden derzeit im Rahmen einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe (siehe Frage 4) erarbeitet. Im Allgemeinen orientiert sich die Sicherheitsüberprüfung von ehrenamtlichen Anstaltsseelsorgern/-innen in den Justizvollzugsanstalten an den hierzu erlassenen Regelungen zum Umgang mit externen Mitarbeitern bzw. - wird ein Seelsorger einer Religionsgemeinschaft anlassbezogen über die Anstalt vermittelt - jenen zur Besuchsdurchführung. Hinsichtlich der Regelung zum Umgang mit externen Mitarbeitern wird durch die JVA im Rahmen des Zulassungsverfahrens neben der Durchführung eines Gesprächs zur Prüfung der persönlichen Eignung des Betreffenden, bei dem u.a. das

Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz

320 Anhang

Seite 3

Vorliegen anhängiger Ermittlungs-, Straf-, und Disziplinarverfahren sowie die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen erfragt werden, ein erweitertes Führungszeugnis beim Bundesamt für Justiz als auch die Vorlage weiterer Unterlagen (z. B. Abschlusszeugnisse, Ausbildungsnachweise etc.) angefordert. Frage 3: Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen: Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge? Für die religiöse Betreuung muslimischer Gefangener in den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg bestehen keine Verträge mit islamischen Gefangenenseelsorgern. Frage 4: Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung/ Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten? In der 126. Sitzung des Strafvollzugsausschusses der Länder 2017 wurde der an die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder adressierten Empfehlung der Deutschen Islam Konferenz gefolgt, eine länderoffene Arbeitsgruppe zur Zusammenarbeit des Bundes und der Länder mit den islamischen Organisationen und Religionsgemeinschaften einzurichten, um sich dem Thema der islamischen Seelsorge im Strafvollzug zum Zwecke der Erarbeitung von (Mindest-) Standards in den Ländern weiter zu nähern. Für das Dissertationsvorhaben wünsche ich den Betreffenden viel Erfolg und gutes Gelingen. Für Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag Derbach-Jüpner

Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz

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342 Anhang Hessisches Ministerium der Justiz

Hessisches Ministerium der Justiz Postfach 31 69 ⋅ 65021 Wiesbaden

Universität Freiburg Rechtswissenschaftliche Fakultät Herrn Prof. Dr. Matthias Jestaedt 79085 Freiburg

Aktenzeichen:

4557E - KrimD - 2018/12142 - IV/B

Dst.-Nr.: Bearbeiter: Durchwahl: E-Mail:

0221 Dr. Kurze 0611 32-2891 [email protected]

Datum:

23. Oktober 2018

Islamische Gefangenenseelsorge Hier: Bitte um Mitwirkung an einer wissenschaftlichen Studie Ihr Schreiben an Frau Ministerialdirigentin Schröder vom 04.07.2018

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Jestaedt, Bezug nehmend auf Ihr Schreiben vom 4. Juli 2018 darf ich Ihnen nach Rücksprache mit der hiesigen Stabsstelle NeDiS Ihre Fragen zum Thema der islamischen Gefangenenseelsorge im hessischen Justizvollzug wie folgt beantworten: Im hessischen Justizvollzug wurde bereits frühzeitig mit der Etablierung und dem Ausbau zumindest einer systematischen religiösen Betreuung der muslimischen Gefangenen durch deutschsprachige Imame begonnen. Inzwischen sind sämtliche hessischen Vollzugsanstalten bedarfsorientiert mit Imamen versorgt, die die religiöse Betreuung der muslimischen Gefangenen einschließlich Gruppen- und Einzelbetreuung abdecken. 1. Auf welcher Rechtsgrundlage werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt? 65185 Wiesbaden ⋅ Luisenstraße 13 Telefon (0611) 32-0 Telefax (0611) 32 27 63 E-Mail: [email protected] ⋅ www.justizministerium.hessen.de Hinweise zur Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bzw. der Richtlinie (EU) 2016/680 erhalten Sie auf der o.g. Internetseite des Hessischen Ministeriums der Justiz. Auf Wunsch werden diese Informationen auch in Papierform zur Verfügung gestellt.

Anhang343 -2-

Antwort: Gemäß den § 32 (1) HStVollzG, ebenso den §§ 31 (1) HessJStVollzG, 24 (1) HUVollzG, § 32 (1) HSVVollzG und der parallelen vollzuglichen Regelungen ist den Gefangenen eine seelsorgerische und religiöse Betreuung durch Ihre Religionsgemeinschaft zu ermöglichen. Die entsprechende Vorschrift im Hessischen Strafvollzugsgesetz lautet wie folgt: § 32 HStVollzG Religionsausübung und Seelsorge (1) Den Gefangenen ist eine seelsorgerische und religiöse Betreuung durch ihre Religionsgemeinschaft zu ermöglichen. Auf ihren Wunsch ist ihnen zu helfen, mit der Seelsorge ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten. (2) Den Gefangenen sind Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu belassen. § 19 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Grundlegende religiöse Schriften dürfen ihnen nur bei grobem Missbrauch entzogen werden. (3) Die Gefangenen haben das Recht, am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen ihres Bekenntnisses teilzunehmen. Zu religiösen Veranstaltungen einer anderen Religionsgemeinschaft werden Gefangene zugelassen, wenn deren Seelsorgerin oder Seelsorger einwilligt. Gefangene können von der Teilnahme ausgeschlossen werden, wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt geboten ist; die Seelsorgerin oder der Seelsorger soll vorher gehört werden. (4) Für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse gelten die Abs. 1 bis 3 entsprechend.

Gefangene haben nach der genannten Vorschrift somit einen Anspruch auf Zulassung ihrer Religionsgemeinschaft zur Seelsorge und religiösen Betreuung in der Justizvollzugsanstalt. Grundsätzlich richtet sich der Anspruch der Gefangenen auf religiöse Betreuung nicht an die Vollzugsbehörde, sondern an ihre jeweilige Glaubensgemeinschaft. Es besteht lediglich ein Anspruch der Gefangenen auf pflichtgemäßes Ermessen der Vollzugsbehörde bei der Entscheidung darüber, wie die religiöse Betreuung organisiert wird. Ebenso besteht ein Recht auf Vermittlung eines Seelsorgers oder einer Seelsorgerin durch die Justizvollzugsanstalt, d. h. die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, den Gefangenen dabei zu helfen, eine religiöse Betreuung zu erhalten und mit ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.

344 Anhang -3-

2. Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (inkl. Sicherheitsbzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fach- und Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie die Fundstelle mitteilen oder zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Antwort: Voraussetzungen für die Tätigkeit als Imam ¥

Bewerber müssen ein Hochschulstudium in den Fächern Islamische Theologie, Islamisch-Religiöse Studien und/oder Islam- oder Religionswissenschaften sowie vertiefte theologische Kenntnisse und praktische Erfahrungen im Vollziehen der Festtags- und Freitagsgottesdienste sowie weiterer wichtiger Ritualpraxen vorweisen.

¥

Bewerber müssen über eine Seelsorger-Zusatzqualifikation oder über entsprechende Kenntnisse in der seelsorgerischen Praxis verfügen, ggf. die Zusatzqualifikation in Fortbildungen erwerben.

¥

Sehr gute Deutschkenntnisse werden vorausgesetzt (Muttersprache oder Studium in Deutschland; ggf. Nachweis des Sprachniveaus. Die Freitagspredigt muss in deutscher Sprache erfolgen.

¥

Die Bewerber müssen gute Kenntnisse der Lebenswirklichkeit der Muslime

¥

Voraussetzung ist auch für das besondere Arbeitsumfeld Vollzugsanstalt,

¥

Bewerber müssen für die Freiheitlich Demokratische Grundordnung einste-

¥

Die Teilnahme an Schulungen und Fortbildungen sowie die regelmäßige

in Deutschland haben. insbesondere für die Arbeit mit Gefangenen geeignet zu sein. hen. Teilnahme am Erfahrungsaustausch ist Pflicht. In regelmäßigen Abständen führt die Stabsstelle NeDiS mit den Imamen Erfahrungsaustausche durch, um deren Betreuungsarbeit weiterhin zu optimieren. Hierbei ist die Zusammenarbeit mit den Vollzugsbediensteten und auch den christlichen Anstaltsgeistlichen von Bedeutung.

Anhang345 -4-

Alle Imame werden gemäß § 58a HStVollzG/HessJStVollzG/HSVVollzG bzw. § 54a HUVollzG einer Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen. 3. Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen: Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Antwort: Die in den hessischen Justizvollzugsanstalten eingesetzten Imame sind nicht festangestellt, sondern auf der Grundlage eines zwischen der jeweiligen Justizvollzugsanstalt und dem Imam geschlossenen freien Dienstvertrages gemäß § 611 BGB nebenamtlich tätig. Die Leitungen der Vollzugsanstalten schließen mit den Imamen individuelle Dienstverträge ab.

4. Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten? Antwort: Nein. Während sich die christliche Gefängnisseelsorge über Jahrzehnte hinweg entwickelte und seit jeher von den christlichen Kirchen übernommen wurde, trifft dies für die religiöse Betreuung der muslimischen Gefangenen nicht zu. Im Islam gibt es keine vergleichbaren zentralen kirchlichen Strukturen; die vorhandenen muslimischen Verbände vertreten meist nur kleinere Gruppierungen der in Deutschland lebenden Muslime. Darüber hinaus gibt es zahlreiche kulturelle und inhaltliche Unterschiede.

346 Anhang -5-

Für das Dissertationsvorhaben wünsche ich Ihrem Autor Benedikt Plesker gutes Gelingen. Es würde mich freuen, wenn Sie uns zu gegebener Zeit über die Ergebnisse Ihres Vorhabens unterrichten könnten. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag

(Dr. Martin Kurze)

Anhang347

Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern

Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern 19048 Schwerin

Prof. Dr. Matthias Jestaedt

bearbeitet von: Annika Riebe Telefon:

0385 / 588-3262

Az:

III-260b-4407E-257

Schwerin,

14.03.2019

[email protected]

Genehmigung und Stellungnahme zum Forschungsvorhaben mit dem Thema „Islamische Gefangenenseelsorge“ Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Jestaedt, vielen Dank für Ihre Forschungsanfrage und das damit verbundene Interesse am Justizvollzug in Mecklenburg-Vorpommern. Das von Ihnen betreute Forschungsvorhaben mit dem Titel „Islamische Gefangenenseelsorge“ wird hiermit genehmigt. Für das Land Mecklenburg-Vorpommern beantworte ich die Fragen wie folgt: 1. Auf welche Weise werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt, um den Anspruch muslimischer Häftlinge aus § 69 StVollzG M-V zu erfüllen? In den Justizvollzugsanstalten Mecklenburg-Vorpommerns werden derzeit aufgrund fehlenden Bedarfes keine Imame oder anderen Personen islamischen Glaubens zur religiösen Betreuung oder Seelsorge muslimischer gefangener eingesetzt. Bei allgemeinem Betreuungsbedarf steht die evangelische Seelsorge zur Verfügung. Dieses Angebot wird von den Gefangenen auch genutzt. 2. Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (inkl. Sicherheits- bzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fach- und Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie die Fundstelle mitteilen oder zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Solche Normen existieren derzeit noch nicht. Mecklenburg-Vorpommern ist Mitglied der länderoffenen Arbeitsgruppe "Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge". Es ist geplant, die dortigen Empfehlungen dann auf für die spätere Implementierung einer muslimischen Gefängnisseelsorge im JustizvollHausanschrift: Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern Puschkinstraße 19-21 · D-19055 Schwerin

Postanschrift: Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern D-19048 Schwerin

Telefon: 0385 588-0 Telefax: 0385 588-3452 [email protected] www.mv-regierung.de/jm

348 Anhang

zug Mecklenburg-Vorpommern zu übernehmen. Hier ergibt sich zunächst mittelfristig ein Bedarf für die in der Teilanstalt JA Neustrelitz der JVA Neustrelitz untergebrachten jugendlichen und heranwachsenden männlichen Inhaftierten. 3. Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen: Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 4. Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten bzw. in Vorbereitung? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Ich bitte um Bereitstellung der Forschungsergebnisse in Form einer Übersendung der fertigen Dissertationsarbeit zu gegebener Zeit möglichst in elektronischer Form an [email protected]. Für den weiteren Verlauf des Forschungsvorhabens wünsche ich viel Erfolg! Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag gez. Justina Dzienko

2

Anhang349

Niedersächsisches Justizministerium  Postfach 201  30002 Hannover

- siehe Verteiler Bearbeitet von

Herrn Kühne

Ihr Zeichen, Ihre Nachricht vom

Mein Zeichen (Bei Antwort angeben)

4557 I – 303. 244

Durchwahl (0511) 120-

5241

Hannover

28. August 2019

Forschungsprojekt Islamische Gefangenenseelsorge; Bitte um Mitwirkung an wissenschaftlicher Studie Schreiben Prof. Dr. Matthias Jestaedt, Universität Freiburg, vom 04.07.2018 Ihr Schreiben vom 4. Juli 2018 Anlage

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Jestaedt, unter Bezug auf Ihr Schreiben vom 4. Juli 2018 beantworte ich Ihre Fragen zum Thema Islamische Gefängnisseelsorge wie folgt: Zu 1.: Auf welcher Rechtsgrundlage werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt? Die Seelsorge in den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten unterliegt dem Schutz des Art. 141 Weimarer Reichsverfassung (WRV), der gemäß Art. 140 Grundgesetz (GG) Bestandteil der Verfassung ist. Soweit danach seitens der Gefangenen und Arrestanten ein Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge besteht, haben die Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften einen Anspruch auf Zugang zu den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten sowie auf „Vornahme religiöser Handlungen“. Den Kreis dieser Handlungen bestimmt nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV die jeweilige Religionsgesellschaft bzw. Religionsgemeinschaft. Weitergehende Ausprägung haben diese Grundsätze in den Regelungen der §§ 53 bis 55 und § 179 Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz (NJVollzG) und der §§ 55 bis 57 und § 115 Niedersächsisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (Nds. SVVollzG)

350 Anhang -2gefunden, die auch den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – einer Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates – zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit Rechnung tragen. Für den Vollzug des Jugendarrestes bestimmt § 29 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Jugendarrestvollzugsgesetzes (NJAVollzG), dass Arrestanten eine religiöse Betreuung durch ihre Religionsgemeinschaft nicht versagt werden darf. Zu 2.: Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (inkl. Sicherheits- bzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fach und Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie die Fundstelle mitteilen oder zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. In Niedersachsen: nein. Allgemeine Empfehlungen zur Qualifikation und Auswahl islamischer Gefängnisseelsorgerinnen und – seelsorger sowie die Fach- und Rechtsaufsicht wurden im Auftrag der JUMIKO von einer länderoffenen Arbeitsgruppe erarbeitet und liegen zurzeit dem Strafvollzugsausschuss der Länder vor. Niedersachsen, Mitglied dieser Arbeitsgruppe, orientiert sich bereits eng an diesen Empfehlungen. Die vor einer Zulassung als muslimischer Seelsorgerin oder Seelsorge bzw. als Seelsorgehelferin oder -helfer in Niedersachsen durchzuführenden Abfragen beim Landeskriminalamt und Landesamt für Verfassungsschutz – siehe Antwort zu Ziffer 6 - erfolgen – mit Einverständnis der Bewerber - auf der Grundlage von §§ 192 Abs 1 und 2, 200 Abs. 1 NJVollzG in Verbindung mit § 25 Abs. 1 NDSG (Abfrage beim LKA) beziehungsweise § 3 Abs. 4 Nr. 4 NVerfSchG. Zu 3.: Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen, Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge, Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. In Niedersachsen sind zurzeit fünf Seelsorger auf der Grundlage eines Vertrages über freie Mitarbeit auf Honorarbasis beschäftigt. Vertragspartner sind die Justizvollzugseinrichtungen, in der diese Mitarbeiter tätig sind. In der Anlage ist ein Mustervertrag beigefügt.

Anhang351 -3Zu 4.: Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit den Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten? Zurzeit verhandelt das Justizministerium mit dem Landesverband Schura und dem neu gegründeten Landesverband „Muslime in Niedersachsen e. V“ über eine Novellierung der Ihnen bekannten Vereinbarung auf Dezember 2012. Der bestehende Vertrag würde gegenüber dem Landesverband Ditib gekündigt (siehe Ausführungen zu Ziffer 8). Zu 5.: Wie viele Seelsorger sind auf Basis der am 18.12.2012 geschlossenen Vereinbarung zwischen der Landesregierung und Ditib sowie Schura eingesetzt worden, wie viele sind derzeit eingesetzt? In der genannten Vereinbarung (und der Praxis) wird zwischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern und Seelsorgehelferinnen und –helfern unterschieden. Als Seelsorgerinnen und Seelsorger bezeichnen wir Personen, die eine akademische islamtheologische Ausbildung absolviert haben, als Seelsorgehelferinnen und –helfer Personen, die als Laien unterstützend seelsorgerlich tätig sind. Im Oktober 2014 wurden erstmals 19 Seelsorgerinnen (es handelte sich lediglich um eine Seelsorgerin/Theologin!) und Seelsorger sowie 18 Seelsorgehelferinnen und –helfer durch das Justizministerium berufen. Ende 2015 waren allerdings nur noch 11 Seelsorgerinnen und Seelsorger und 11 Seelsorgehelferinnen und- helfer im Vollzug tätig. Die Hoffnung, durch die förmliche Berufung sowie die Aufwandsentschädigung sowie durch das Angebot von Hospitationen in den Anstalten insbesondere ehrenamtlich tätige Seelsorgehelferinnen und -helfer stärker an die Justizvollzugsanstalten zu binden und auf diese Weise, den auch in der Vergangenheit häufigen Wechsel von islamischen Seelsorgepersonal zu minimieren, hat sich leider nur teilweise erfüllt. Zurzeit sind sechs Seelsorger und elf Seelsorgehelferinnen und –helfer in neun (von 14) Justizvollzugseinrichtungen tätig. Fünf der Seelsorger verfügen über einen Honorarvertrag im Umfang von ca. 40 Stunden pro Monat. Die Seelsorgehelferinnen und –helfer sind ehrenamtlich tätig.

352 Anhang -4Zu 6.: Nach § 4 der Vereinbarung erfolgt die Auswahl der Seelsorge durch die muslimischen Landesverbände, die Ernennung durch das Justizministerium und die Berufung setzt eine Zustimmung der Anstaltsleitung voraus – wie gestaltet sich dieses Verfahren in der Praxis? Für die islamischen Seelsorgerinnen und Seelsorger gilt folgendes Zulassungsverfahren: Sie müssen von den niedersächsischen Landesverbänden vorgeschlagen werden. Sodann führen sie ein Vorstellungsgespräch mit der Anstaltsleitung der jeweiligen Justizvollzugseinrichtung und haben ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen. Zudem wird durch Abfragen bei dem Landesamt für Verfassungsschutz und bei dem Landeskriminalamt überprüft, ob dort oder in den polizeilichen Verbunddateien Erkenntnisse vorliegen, die gegen eine Seelsorgetätigkeit sprechen. Sofern dies von beiden Stellen verneint wird, werden die Bewerberinnen und Bewerber über ihre Rechte und Pflichten förmlich belehrt und bestätigen dies durch eine schriftliche Verpflichtungserklärung. Es folgt eine mindestens sechsmonatige Kennenlernphase, in der die angehenden Seelsorgerinnen und Seelsorger nur in Begleitung von erfahrenen Seelsorgerinnen und Seelsorgern oder Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Kontakt zu Inhaftierten haben dürfen. Nach erfolgreichem Verlauf dieser Phase erfolgt die Bestellung als Seelsorgerin oder Seelsorger durch das Justizministerium. Nach weiteren sechs Monaten überprüft die jeweilige Justizvollzugsanstalt den Verlauf der Zusammenarbeit. Zu 7.: Wie häufig sind bisher Maßnahmen der Anstaltsleitungen nach § 4 S. 5 getroffen worden, weil sich bei der Gefährdung von Sicherheitsbelangen keine einvernehmliche Lösung gefunden hatte? Dies war bislang nicht der Fall. Zu 8.: Wie ist aus Sicht des Justizministeriums die Arbeit der gemeinsamen Arbeitsgruppe der Seelsorger aller Bekenntnisse zu bewerten? Welche Vorschläge zur Fortentwicklung der Zusammenarbeit hat die Arbeitsgruppe bisher gemacht und wie werden diese umgesetzt? Sofern sich die Frage auf die in § 9 der genannten Vereinbarung bezeichnete Arbeitsgruppe bezieht (unklar ist, was mit „Seelsorger aller Bekenntnisse“ gemeint ist), ist folgendes zu berichten:

Anhang353 -5Die Zusammenarbeit der Arbeitsgruppe, die sich seit Anfang 2014 drei- bis viermal pro Jahr trifft, gestaltet sich weitgehend vertrauensvoll und konstruktiv. Gleichwohl wurde am 28.01.2019 seitens des niedersächsischen Justizministeriums die Vereinbarung mit dem Landesverband Ditib gekündet. Anlass waren die Rücktritte des langjährigen, sich für eine größere Unabhängigkeit von der Türkei einsetzenden Landesverbandsvorsitzendes, des gesamten Landesvorstandes sowie der DITIB Landesjugend- und des Frauenverbandes im November 2018. Die damit verbundenen Presseerklärungen bestätigten den bereits zuvor gewonnenen Eindruck, dass es dem Landesverband nicht gelingt, sich von der Einflussnahme des türkischen Staates und des Bundesverbandes zu lösen und zu einer unabhängigen, in Deutschland verorteten Religionsgemeinschaft zu entwickeln. Zeitgleich wurde die Zusammenarbeit mit den letzten drei aus der Türkei entsandten Imamen, die bis Ende 2018 noch in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten tätig waren, beendet. Dessen ungeachtet gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Justizvollzugseinrichtungen und einigen örtlichen DitibMoscheegemeinden auf lokaler Ebene weiterhin partnerschaftlich. So arbeiten Seelsorgehelferinnen und –helfer aus diesen Gemeinden teilweise seit vielen Jahren ehrenamtlich im Vollzug mit. Folgende Schritte hin zu einer professionellen Gefängnisseelsorge konnten im Laufe der letzten fünf Jahre im Rahmen der Arbeitsgruppe initiiert und umgesetzt werden: 





Seit 2016 findet einmal jährlich eine gemeinsam vom Justizministerium, islamischen Landesverbänden und den christlichen Kirchen durchgeführte zweitägige Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Interkulturelle Kompetenz – muslimische Gefängnisseelsorge“ statt, bei der sich muslimische und christliche Seelsorgerinnen und Seelsorger über praktische und theoretische Fragen der Gefängnisseelsorge austauschen. Seit Mitte 2017 wurden erstmals muslimische Seelsorger auf der Basis von Honorarverträgen beschäftigt. Damit einher geht das regelmäßige Angebot von Freitagsgebeten in Justizvollzugseinrichtungen. In einer Anstalt gibt es seit 2017 eine eigene Moschee (JVA Hannover). Zurzeit sind fünf Honorarseelsorger im niedersächsischen Justizvollzug tätig. Seit Anfang dieses Jahres erhalten muslimische Seelsorge mit Honorarvertrag in vier- bis sechswöchigem Rhythmus Gruppensupervision durch einen in kultursensibler Seelsorge ausgebildeten externen Seelsorger.

354 Anhang -6





Die Zusammenarbeit mit dem Institut für Islamische Theologie (IIT) der Universität Osnabrück wurde seitens des MJ initiiert und fortentwickelt: Im August 2019 wurde der Vertag über ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt abgeschlossen, das eine anderthalbjährige teilnehmende Forschung von vier Masterstudierenden in vier bis fünf Justizvollzugseinrichtungen vorsieht. Kernauftrag ist es, Standards muslimischer Gefängnisseelsorge in Kooperation mit der christlichen Seelsorge und den Fachdiensten zu entwickeln. Seit 2017 erhalten Studierende des IIT im Rahmen der Studiengänge für Islamische Theologie die Möglichkeit, Studienpraktika in niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen zu absolvieren. Zurzeit wird in Kooperation mit den christlichen Kirchen, den muslimischen Landesverbänden und dem IIT eine berufsbegleitende modularisierte Ausbildung in muslimische Gefängnisseelsorge erarbeitet. Der Start ist Anfang 2020 geplant.

Zu 9.: Gibt es neben der Vereinbarung vom 18.12.2012 weitere Vereinbarungen jeglichen Rechtscharakters mit anderen muslimischen Verbänden, zum Beispiel mit der Alevitischen Gemeinde? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Dies ist nicht der Fall. Für die erheblich verzögerte Beantwortung Ihres Schreibens bitte ich um Entschuldigung. Den Promovenden wünsche ich gleichwohl für das Dissertationsvorhaben ein gutes Gelingen. Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Mit freundlichen Im Auftrag Dee Beglaubigt Angestellte

Anhang355

Justizvollzugsanstalt/Jugendanstalt/Jugendarrestanstalt 





Kopfbogen

    Aktenzeichen: 

  

 

zwischendemLandNiedersachsen,vertretendurchdieLeitungderJustizvollzugs anstalt/Jugendanstalt 

imFolgendenAuftraggeber

und  

imFolgendenfreieMitarbeiterin/freierMitarbeiter

  wirdfolgenderVertragübereinefreieMitarbeitgeschlossen:     (1)DieJustizvollzugsanstalt/Jugendanstalt/Jugendarrestanstalt________________ beauftragtdiefreieMitarbeiterin/denMitarbeiterabdem______________mitder WahrnehmungmuslimischerSeelsorgefürGefangeneder Justizvollzugsanstalt/Jugendanstalt/Jugendarrestanstalt_________.  (2)DieinAbsatz1bezeichneteDienstleistungwirdinderFormderfreienMitarbeit erbracht;einArbeitsverhältniswirdhierdurchnichtbegründet.  (3)DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeiterträgtdiealleinigeSorgefürihre/seine steuerrechtlichenundsozialversicherungsrechtlichenBelange.Diesistbeider KalkulationdesHonorarsberücksichtigt.  (4)EsstehtderfreienMitarbeiterin/demfreieMitarbeiterfrei,fürandereAuftraggeber tätigzusein.Sie/eristverpflichtet,durchseineanderweitigenTätigkeitendie seelsorgerlicheBetreuungderGefangeneninderinAbs.1genannten Justizvollzugsanstalt/Jugendanstalt/Jugendarrestanstaltnichtzubeeinträchtigen. 

356 Anhang



Seitevon 

   (1)DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeitererbringtdiemuslimischeSeelsorgemit einemUmfangvoninsgesamtStunden/WochefürGefangenederJustiz vollzugsanstalt/Jugendanstalt____________.Dazugehörtinsbesonderedie DurchführungdesFreitagsgebetsalle___Wochen. Der Auftraggeber stellt während der festgelegten Zeiten einen Raum und  soweit erforderlichtechnischeHilfsmittelundSachgeständeinAbsprachemitderfreien Mitarbeiterin/demfreieMitarbeiterzurVerfügung. (2)DieWahrnehmungdieserAufgabeerfolgtjeweilsinAbsprachemitdem Auftraggeber.DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeitergibtinsbesondere ihre/seineAnwesenheitszeitenwegenderorganisatorischenNotwendigkeiten innerhalbderAnstaltfrühzeitigbekannt. (3)DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeiteristfüreinenZeitraum,dersichnachder DauerdesgesetzlichenUrlaubsanspruchsgemäß§3Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)bemisst,vonderLeistungserbringungspflichtnachAbs.1Satz1und2 befreit.     (1)DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeitererhältfürihre/seineseelsorgerliche TätigkeiteinStundenhonorari.H.v.20,00€(inWorten:zwanzigEuro).FürdieAn undAbreisekannsie/erzudemeineWegstreckenentschädigunggemäß §5Abs.1NiedersächsischeReiskostenverordnung(NRKVO)beanspruchen.  (2)DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeiterrechnetüberihre/seineLeistungunter AngabederLeistungszeitab.DerAuftraggeberisteinverstanden,dassdiefreie Mitarbeiterin/derfreieMitarbeiterwegenderZeiterfassungaufdieautomatische ZeiterfassungderEingangspfortezurückgreift.Soweitsie/ermehrwertsteuerpflichtig ist,wirddieVergütungjeweilszuzüglichderMehrwertsteuergezahlt.Die MehrwertsteueristindiesemFallaufderRechnunggesondertauszuweisen.  (3)MitderVergütungsindsämtlicheAufwendungenderfreienMitarbeiterin/desfreien Mitarbeitersabgegolten.Leistungen,diesie/eraußerhalbderJustizvollzugsanstalt erbringt,sindmitderZeiterfassunginnerhalbder Justizvollzugsanstalt/Jugendanstaltabgegolten.  (4)BeiLeistungsverhinderung,gleichauswelchemGrund,stehtderfreien Mitarbeiterin/demfreienMitarbeitereinHonoraranspruchnichtzu.  (5)EinUrlaubsanspruchderfreienMitarbeiterin/desfreienMitarbeitersbestehtnicht.      (1)DiesesVertragsverhältniswirdfürdieZeitvom___bis___

Anhang357





Seitevon vonbeidenParteienabgeschlossenundverliertseineGültigkeit,ohnedasseseiner gesondertenKündigungbedarf.DiesesVertragsverhältniskannvonjeder Vertragsparteispätestensam15.einesMonatszumEndedesKalendermonats gekündigtwerden(vgl.§621BGB). AuswichtigemGrundkannauchohneEinhaltungeinerFristgekündigtwerden.Ein wichtigerGrundliegtinsbesonderebeieinemVerstoßgegendieRegelungender §§5und6diesesVertragesvor.

  (1)DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeiterverpflichtetsich,überdieihr/ihmim Zusammenhangmitihrer/seinerTätigkeitbekanntgewordenenbetrieblichenund geschäftlichenAngelegenheitendesAuftraggebersStillschweigenzubewahrenund zwarwährendderLeistungserbringungalsauchnachBeendigungdesVertrages. DiesgiltauchfürdiebekanntgewordenenDatenundpersönlichenVerhältnisseder Gefangenen.  (2)AufdieDatenschutzbestimmungendesNiedersächsischenDatenschutzgesetzesin derjeweilsgültigenFassungwirdhingewiesen.     DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeiterverpflichtetsichüber§5hinaus insbesonderezurEinhaltungfolgenderBestimmungen:   DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeitermusssichdurcheingültiges Ausweisdokumentausweisen.   DasEinbringenalkoholischerGetränke,DrogenodernarkotisierenderMittel istuntersagt.   DasEinbringenvonWaffen,FotoapparatenoderKamerasistuntersagt.   MobiltelefoneundFunkgerätesindanderAußenpforteabzugeben.   GegenständedürfennurmitErlaubnisdesAuftraggeberseingebracht werden.   DieMitnahmeoderWeitergabevonGegenständenallerArtimAuftragvon Gefangenensinduntersagt.   WeisungenderVollzugsbediensteten,diederAufrechterhaltungderinneren SicherheitundOrdnungdienen,istFolgezuleisten.     DiefreieMitarbeiterin/derfreieMitarbeiterwirdgemäß §1Absatz1Ziffer1Verpflichtungsgesetz(VerpflG)füreineBehördetätig.Sie/erist bereit,sichnachdiesemGesetzverpflichtenzulassen.

358 Anhang



Seitevon  

  (1)SolltensicheinzelneBestimmungendiesesfreienMitarbeitsvertragesalsungültig oderunwirksamerweisen,werdendieübrigenBestimmungendiesesVertrages dadurchnichtberührt.DieungültigeundunwirksameBestimmungistdurcheine anderegültigeBestimmungzuersetzen,diedemWillenderParteienbeiAbschluss diesesVertragessonahewiemöglichkommt.  (2)DieserVertragistinseinemRegelungsbereichabschließen.SämtlicheÄnderungen und/oderErgänzungenbedürfenderSchriftform.DieelektronischeFormist ausgeschlossen.MündlicheVereinbarungenüberdieAufhebungderSchriftform sindnichtig.   (3)GerichtsstandfüralleStreitigkeitenausdiesemVertragundüberseineWirksamkeit ist____________________________(.  (4)DieParteienbestätigen,jeweilseinExemplardiesesVertrageserhaltenzuhaben.                _______________________________________________________________ Auftraggebers  freieMitarbeiterin/freierMitarbeiter

Anhang359

Vereinbarung zwischen dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V., Schura Niedersachsen, vertreten durch Herrn Avni Altiner, dem DITIB Landesverband der Islamischen Religionsgemeinschaften Niedersachsen und Bremen e. V., vertreten durch Herrn Yılmaz Kiliç und dem Niedersächsischen Justizministerium, vertreten durch Herrn Minister Bernd Busemann

360 Anhang 2

Vorwort Seelsorge für Gefangene und Arrestanten muslimischen Glaubens wird in Niedersachsen noch nicht flächendeckend angeboten. Soweit Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens die Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten des Landes zum Zwecke der Seelsorge oder für religiöse Veranstaltungen aufsuchen, ist der Umfang dieser Tätigkeit in der Regel auf wenige Stunden im Monat begrenzt. In dem Bestreben, den Gefangenen und Arrestanten muslimischen Glaubens eine bedarfsgerechte religiöse Betreuung durch Seelsorgerinnen und Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft zu ermöglichen, regeln die nachfolgenden Bestimmungen die Zusammenarbeit zwischen den am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbänden und dem Justizministerium mit seinem vollzuglichen Geschäftsbereich. Darüber hinaus enthalten sie Empfehlungen zur Ausgestaltung der Zusammenarbeit vor Ort.

Anhang361 3

§ 1 Rechtlicher Rahmen Die Seelsorge in den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten unterliegt dem Schutz des Artikels 141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), der gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) Bestandteil der Verfassung ist. Soweit danach ein Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge besteht, haben die Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften einen Anspruch auf Zugang zu den Justizvollzugsund Jugendarrestanstalten. Weitergehende Ausprägung hat dieser Grundsatz in den Regelungen der §§ 53 bis 55 und § 179 des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG)1 gefunden, die auch den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – einer Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates – zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit Rechnung tragen. Der oder dem Gefangenen darf eine religiöse Betreuung durch eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer oder seiner Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf ihren oder seinen Wunsch ist ihr oder ihm zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger ihrer oder seiner Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten (§ 53 Abs. 1 NJVollzG). Die oder der Gefangene hat das Recht, am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen ihres oder seines Bekenntnisses in der Anstalt teilzunehmen (§ 54 Abs. 1 NJVollzG). Die oder der Gefangene kann nur dann von der Teilnahme am Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung geboten ist (§ 54 Abs. 3 NJVollzG). Entsprechend Nummer 29.2 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze ist das Vollzugssystem so weit wie möglich so zu organisieren, dass den Gefangenen gestattet ist, ihre Religion auszuüben und ihren Glauben zu folgen, Gottesdienste oder Zusammenkünfte, die von zugelassenen Vertretern oder Vertreterinnen dieser Religions- oder Glaubensgemeinschaft geleitet werden, zu besuchen, persönliche 1

Vgl. auch §§ 55 bis 57 und § 115 des vom Niedersächsischen Landtag am 5. Dezember 2012 beschlossenen Niedersächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes (Nds. SVVollzG-E) [LT-Drs. 16/4873, 16/5466], das am 1. Juni 2013 in Kraft treten wird.

362 Anhang 4

Einzelbesuche von solchen Vertretern oder Vertreterinnen ihrer Religions- oder Glaubensgemeinschaft zu erhalten und Bücher und Schriften ihrer Religions- oder Glaubensgemeinschaft zu besitzen. Für den Vollzug des Jugendarrestes bestimmt § 19 Abs. 1 der Verordnung über den Vollzug des Jugendarrestes (JAVollzO), dass eine geordnete Seelsorge zu gewährleisten ist. Werden Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens oder deren Helferinnen und Helfer als Geistliche oder deren Gehilfen im Sinne der §§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 53a Abs. 1 StPO tätig, sind sie zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15.05.2010, 4 StR 650/09, NStZ 2010, 646 ff., veröffentlicht bei juris). § 2 Grundsatz der Zusammenarbeit Die Seelsorge und Durchführung religiöser Veranstaltungen in einer Justizvollzugsoder Jugendarrestanstalt erfordert die Beachtung der Besonderheiten des Vollzuges. Aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aller mit den Gefangenen und Arrestanten in Kontakt stehenden Personen unerlässlich. Die am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbände setzen sich dafür ein, dass die im Justiz- und Jugendarrestvollzug des Landes Niedersachsen eingesetzten Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. § 3 Kontaktaufnahme mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern muslimischen Glaubens Gefangene sind auf Wunsch bei der Kontaktaufnahme mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern ihres Bekenntnisses zu unterstützen (§ 53 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG). Für Arrestanten gilt dies nach § 19 JAVollzO entsprechend. Hierfür ist es erforderlich, den Gefangenen und Arrestanten Informationen über Art und Umfang der Seelsorge und der religiösen Veranstaltungen ihres Bekenntnisses vor Ort zu geben. Zu diesem Zweck soll durch die am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbände ein

Anhang363 5

geeignetes Informationsblatt erstellt und bei wesentlichen Veränderungen fortgeschrieben werden, das möglichst auch die vor Ort tätigen muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger benennt. Die Vollzugsbehörden verpflichten sich, das Informationsblatt in geeigneter Weise bekannt zu machen. § 4 Status von Seelsorgerinnen und Seelsorgern muslimischen Glaubens Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens und deren Helferinnen und Helfer werden vom Justizministerium als freie Seelsorgerinnen und Seelsorger und freie Seelsorgehelferinnen und –helfer im Einvernehmen mit den am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbänden berufen. Auswahl, Qualifikation und Fortbildung regeln die am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbände in eigener Verantwortung. Die Anstaltsleitung der betreffenden Vollzugsbehörde kann ihre Zustimmung zur Berufung davon abhängig machen, dass die betreffende Person an einer Einführung in die vollzugliche Praxis teilnimmt, die sich in Inhalt und Umfang an die Einführung hauptamtlicher Seelsorgerinnen und Seelsorger anlehnt. Sieht die Anstaltsleitung durch das Verhalten der Seelsorgerinnen und Seelsorger oder deren Helferinnen und Helfer Sicherheitsbelange der Anstalt gefährdet, strebt sie eine einvernehmliche Regelung mit den Betroffenen an. Gelingt dies nicht, so trifft die Anstaltsleitung die ihr notwendig erscheinenden Maßnahmen und berichtet unverzüglich dem Justizministerium. § 5 Entschädigung Die freien Seelsorgerinnen und Seelsorger und deren Helferinnen und Helfer erhalten jeweils eine Pauschale in Höhe von 12,00 Euro für jede Tätigkeit in den Vollzugsbehörden, höchstens jedoch 144,00 Euro im Jahr. Eine Entschädigung für Zeitversäumnis, für Nachteile bei der Haushaltsführung und für Verdienstausfall wird gezahlt, soweit die Entschädigung die Pauschale übersteigt; die Regelungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter nach dem Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern,

364 Anhang 6

Zeuginnen, Zeugen und Dritten in der jeweils gültigen Fassung gelten entsprechend. Die freien Seelsorgerinnen und Seelsorger und deren Helferinnen und Helfer erhalten Reisekostenvergütung wie die Beamtinnen und Beamten des Landes. § 6 Räumlichkeiten In den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten soll dafür Sorge getragen werden, dass geeignete Räumlichkeiten zur Durchführung der Seelsorge und religiöser Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Werden diese Räumlichkeiten für verschiedene Zwecke (sogenannte Multifunktionsräume) genutzt, ist bei deren Vergabe und Ausstattung die Bedeutung des Grundrechts der Religionsausübung nach Artikel 4 Abs. 2 GG zu beachten. Geeigneten Gefangenen kann im Rahmen von Lockerungen der Besuch religiöser Veranstaltungen außerhalb der Anstalt ermöglicht werden. Seelsorgerinnen und Seelsorgern muslimischen Glaubens soll im Rahmen der vorhandenen baulichen Gegebenheiten möglichst ein Büro zur Verfügung gestellt werden, soweit der Umfang der seelsorgerischen Tätigkeit dies erfordert. Werden Justizvollzugs- oder Jugendarrestanstalten neu errichtet oder wesentlich umgebaut, sollen die am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbände vom Justizministerium zur Ausstattung der Räumlichkeiten zur Durchführung der Seelsorge und religiöser Veranstaltungen sowie zur etwaigen Anschaffung von Gegenständen zur Religionsausübung gehört werden. § 7 Gegenstände zur Religionsausübung Gefangene dürfen grundlegende religiöse Schriften besitzen (§ 53 Abs. 2 Satz 1 NJVollzG). Dazu zählen insbesondere der Koran, der Tafsir und die Hadithensammlung. Soweit nicht überwiegende Gründe der Sicherheit der Anstalt entgegenstehen, sind den Gefangenen auch sonstige Gegenstände zur Religionsausübung in angemessenem Umfang zu belassen (§ 53 Abs. 3 NJVollzG). Dazu zählen insbesondere ein Gebetsteppich, die für das Gebet erforderliche Bekleidung und Kopfbedeckung, die Misbaha (Gebetskette) und ein Mohr (Gebetsstein für Schiiten).

Anhang365 7

Können die Gegenstände nicht im Haftraum der oder des Gefangenen oder Arrestanten belassen werden, sollen diese von den Justizvollzugs- oder Jugendarrestanstalten sicher aufbewahrt werden. Ist nicht zweifelsfrei ersichtlich, ob es sich bei von Gefangenen oder Arrestanten gewünschten Texten um grundlegende religiöse Schriften handelt oder ob deren Inhalt die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden könnte, beraten die muslimischen Landesverbände die Vollzugsbehörden. Gleiches gilt für sonstige Gegenstände, bei denen nicht zweifelsfrei ersichtlich ist, ob sie zur Religionsausübung erforderlich sind. § 8 Fortbildungen Zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses werden die Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens und deren Helferinnen und Helfer bei ihren Bemühungen unterstützt, sich mit den Besonderheiten des Vollzuges und den hieraus resultierenden Rahmenbedingungen für die Ausübung der Seelsorge vertraut zu machen. Zugleich sollen den Justizvollzugsbediensteten Einblicke in die Besonderheiten muslimischer Seelsorge gewährt werden. Zu diesem Zweck sollen gegenseitige Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen entwickelt werden. Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens und deren Helferinnen und Helfer können an entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen des niedersächsischen Justizvollzuges teilnehmen. Die dafür entstehenden Kosten trägt das Land. § 9 Einrichtung einer Arbeitsgruppe Zur Fortentwicklung und Evaluation der Zusammenarbeit auf allen Ebenen soll eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung der niedersächsischen Justizvollzugsanstalten, der dort tätigen Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens sowie der am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbände und des Justizministeriums eingerichtet werden. Die Arbeitsgruppe kommt mindestens einmal im Jahr unter wechselnder Leitung der am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbände und des Justizministeriums zusammen.

366 Anhang 8

§ 10 Inkrafttreten Diese Vereinbarung ist unabhängiger Teil der in Aussicht genommenen Vereinbarung des Landes Niedersachsen mit den am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbänden. Die Vertragspartner können diese Vereinbarung aus wichtigem Grund kündigen. Verändern sich die der Vereinbarung zugrunde liegenden Rahmenbedingungen wesentlich, so sollen die Vertragspartner zuvorderst auf eine entsprechende Anpassung der davon betroffenen Bestimmungen hinwirken.

_____________________

_____________________

_____________________

Avni Altiner

Yilmaz Kiliç

Bernd Busemann

Landesverband der Muslime in

DITIB Landesverband der

Niedersächsisches Justizministerium

Niedersachsen e. V.,

Islamischen

Schura Niedersachsen

Religionsgemeinschaften Niedersachsen und Bremen e. V.

Anhang367

Vereinbarung zwischen dem Landesverband „Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V.“, Schura Niedersachsen, vertreten durch Herrn Recep Bilgen, dem Landesverband „Muslime in Niedersachsen e. V.“, vertreten durch Herrn Avni Altiner und dem Niedersächsischen Justizministerium, vertreten durch Frau Ministerin Barbara Havliza

368 Anhang

2 Vorwort Seit der ersten Vereinbarung zwischen dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V., Schura Niedersachsen und dem Niedersächsischen Justizministerium aus dem Jahr 2012 hat sich die Seelsorge für Gefangene, Sicherungsverwahrte, Abschiebungsgefangene und Arrestantinnen und Arrestanten (im Folgenden Inhaftierte genannt) muslimischen Glaubens in Niedersachsen in qualitativer und quantitativer Hinsicht weiterentwickelt. In der Mehrzahl der Justizvollzugseinrichtungen sind theologisch qualifizierte muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger auf der Grundlage von freien Mitarbeitsverträgen tätig. Regelmäßige Gruppensupervision und Fortbildungsmaßnahmen im Bereich der Gesprächsführung haben zu einer Anhebung der beruflichen Qualifikation geführt. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück wurden Anforderungen für professionelle Standards für die muslimische Gefängnisseelsorge formuliert, die in die vorliegende Novellierung eingeflossen sind. Angeregt durch die Deutsche Islamkonferenz hat eine länderoffene Arbeitsgruppe im Auftrag der Justizministerkonferenz der Länder Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge vorgelegt, die von der Justizministerkonferenz der Länder im November 2019 einstimmig gebilligt worden ist. Dieses Abschlusspapier enthält richtungsweisende Zielvorgaben für die Weiterentwicklung der muslimischen Seelsorge in Deutschland, welche bei der vorliegenden Neufassung der Vereinbarung berücksichtigt worden sind.

§ 1 Rechtlicher Rahmen Die Seelsorge in den Justizvollzugseinrichtungen unterliegt dem Schutz des Artikels 141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), der gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) Bestandteil des Grundgesetzes ist. Soweit danach ein Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge besteht, haben die Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften einen Anspruch auf Zugang zu den Justizvollzugs-einrichtungen.

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3 Weitergehende Ausprägung hat dieser Grundsatz in den entsprechenden Regelungen des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG), des Niedersächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes (Nds. SVVollzG) und des Niedersächsischen Jugendarrestvollzugsgesetzes (NJAVollzG) gefunden, die auch Nr. 29.1. und 29.2 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 – einer Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates – zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie Nr. 65 der Mandela Rules der Vereinten Nationen von 2015 Rechnung tragen. Der oder dem Inhaftierten darf eine religiöse Betreuung durch eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer oder seiner Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf ihren oder seinen Wunsch ist ihr oder ihm zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger ihrer oder seiner Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten. Die oder der Inhaftierte hat das Recht, am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen ihres oder seines Bekenntnisses in der Anstalt teilzunehmen. Gefangene und Arrestantinnen und Arrestanten können nur von der Teilnahme am Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung geboten ist. Sicherungsverwahrte können nur dann von der Teilnahme am Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit der Anstalt oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung des Gottesdienstes oder der religiösen Veranstaltung erforderlich ist. Entsprechend Nummer 29.2 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze ist das Vollzugssystem so weit wie möglich so zu organisieren, dass den Inhaftierten gestattet ist, ihre Religion auszuüben und ihrem Glauben zu folgen, Gottesdienste oder Zusammenkünfte, die von zugelassenen Vertretern oder Vertreterinnen dieser Religions- oder Glaubensgemeinschaft geleitet werden, zu besuchen, persönliche Einzelbesuche von solchen Vertretern oder Vertreterinnen ihrer Religions- oder Glaubensgemeinschaft zu erhalten und Bücher und Schriften ihrer Religions- oder Glaubensgemeinschaft zu besitzen. Der Regel 65 der Mandela Rules zufolge ist ein anerkannter Vertreter dieser Religionsgemeinschaft zu bestellen oder zuzulassen, wenn sich in der Vollzugsanstalt eine ausreichende Anzahl von Inhaftierten derselben Religionsgemeinschaft befindet. Wenn die Zahl der Inhaftierten es rechtfertigt und die Umstände es gestatten, soll er hauptamtlich bestellt werden.

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4 Dem bestellten oder zugelassenen anerkannten Vertreter ist zu gestatten, regelmäßig religiöse Zeremonien abzuhalten und zu geeigneten Zeiten seelsorgerische Einzelbesuche bei den Inhaftierten seiner Religionsgemeinschaft zu machen.

§ 2 Begriffsdefinition Für die religiöse Betreuung Inhaftierter durch muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger wird der Begriff „muslimische Gefängnisseelsorge“ verwendet, da dieser in zahlreichen islamtheologischen und islamwissenschaftlichen Publikationen theoretisch begründet und europaweit eingeführt ist.

§ 3 Aufgabenstellung Die Aufgabe muslimischer Gefängnisseelsorge umfasst vorrangig die religiöse Betreuung von Inhaftierten, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit. Dazu gehören insbesondere a) die Verrichtung des Freitagsgebets (inklusive Predigten) und der Ritualgebete, b) die Unterweisung in der islamischen Lehre nach Bedarf der Inhaftierten, c) das Begehen der islamischen Feiertage, d) die Durchführung seelsorgerlicher Gruppen- und Einzelgespräche, e) die Durchführung von Informations- und Fortbildungsveranstaltungen für Inhaftierte und Bedienstete, f) die Mitwirkung bei der Freizeitgestaltung der Inhaftierten, g) die Begleitung von Inhaftierten bei Ausgängen, h) die zusätzliche Begleitung bei Ausführungen aus seelsorgerlichem Anlass und i) die Mitwirkung an einer sinnhaften und wertgebundenen Gestaltung des Vollzuges.

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5 § 4 Grundsätze (1) Die Seelsorge und die Durchführung religiöser Veranstaltungen in einer Justizvollzugseinrichtung erfordern die Beachtung der Besonderheiten des Vollzuges. (2) Die Seelsorgerinnen und Seelsorger arbeiten in ihrer Tätigkeit mit den Vollzugsbediensteten eigenverantwortlich und vertrauensvoll zusammen. (3) Sie haben das Recht auf Teilnahme an den Dienstbesprechungen und Konferenzen, in denen die Seelsorge betreffende Belange erörtert werden. (4) Sie sollen vor zentralen die Religion berührenden Entscheidungen der Anstaltsleitung beteiligt werden. (5) Muslimische Gefängnisseelsorge fußt auf dem verfassungsrechtlich verankerten Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und muss klar von Extremismusprävention und Deradikalisierung getrennt werden. (6) Muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger sind wie christliche Seelsorgerinnen und Seelsorger von den Offenbarungspflichten nach § 195 Abs. 2 NJVollzG ausgenommen. (7) Die muslimischen Betreuungsangebote und Freitagspredigten sind grundsätzlich in deutscher Sprache abzuhalten. Ausgenommen hiervon sind Ritualgebete und andere liturgische Elemente, in denen die Rezitation in arabischer Sprache vorgeschrieben ist. (8) Ein regelmäßiger fachlicher Austausch zwischen muslimischen und christlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern innerhalb der Justizvollzugseinrichtung ist anzustreben.

§ 5 Auswahl- und Zulassungsverfahren (1) Muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger werden von dem Niedersächsischen Justizministerium im Benehmen mit den an der Vereinbarung beteiligten muslimischen Landesverbänden ausgewählt. Letzteren steht ein Vorschlagsrecht bei der Personalauswahl zu. Die endgültige Entscheidung über die Zusammenarbeit im Einzelfall trifft die Justizvollzugseinrichtung.

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6 (2) Da es sich bei den Justizvollzugseinrichtungen um einen besonders sensiblen Bereich des Staates handelt, ist bei allen muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern vor Aufnahme ihrer Tätigkeit eine Zuverlässigkeitsprüfung notwendig. Diese sieht folgende Elemente vor: a) die Vorlage eines einfachen Führungszeugnisses, b) der Nachweis über den Aufenthaltsstatus, c) die Abfrage beim Landeskriminalamt hinsichtlich Eintragungen in dem Polizeilichen Auskunftssystem (POLAS) und Staatsschutzdateien, d) die Abfrage beim Verfassungsschutz des Landes Niedersachsen, e) ein persönliches Vorstellungsgespräch bei der Anstaltsleitung und f) eine Hospitation in der Justizvollzugseinrichtung, deren Dauer sich nach dem angestrebten Status der seelsorgerlichen Tätigkeit richtet, jedoch eine Woche nicht unterschreitet. (3) Die Zuverlässigkeitsprüfung kann anlassbezogen wiederholt werden. (4) Die Zuverlässigkeitsprüfung gilt mit Ausnahme zu Abs. 2 lit e. und f. auch für ehrenamtlich tätige Seelsorgehelferinnen und Seelsorgehelfer sowie für Seelsorgepraktikantinnen und Seelsorgepraktikanten. Bei diesen kann das Vorstellungsgespräch durch von der Anstaltsleitung beauftragte Bedienstete durchgeführt werden.

§ 6 Berufsfachliche Standards (1) Muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger haben in der Regel eine akademische Ausbildung auf Masterniveau im Fach „Islamische Theologie“ oder in einem vergleichbaren Studiengang abgeschlossen. Ausnahmen von Satz 1 sind mit Genehmigung des Niedersächsischen Justizministeriums möglich. (2) Zusätzlich ist eine Seelsorgeausbildung erforderlich, die sich an den Standards der Klinischen Seelsorgeausbildung (KSA) orientiert. Diese kann auch berufsbegleitend nach Aufnahme der Seelsorgetätigkeit absolviert werden. (3) Die muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen die verschiedenen Glaubenstraditionen des Islam kennen und für den intrareligiösen und interreligiösen Dialog aufgeschlossen sein.

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7 (4) Die muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen regelmäßig an vollzugsund fachspezifischen Fortbildungen sowie an Super- und/oder Intervision teilnehmen. (5) Von muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern wird die aktive Teilnahme an

dem Leben einer Moscheegemeinde erwartet. (6) Über diese Standards hinaus haben die an der Vereinbarung beteiligten Landesverbände verbandsinterne Richtlinien für die Gefängnisseelsorge erlassen, die sich namentlich zu der seelsorgerlichen Schweigepflicht verhalten.

§ 7 Qualitätssicherung und Fachaufsicht (1) Bei der Fachaufsicht über die muslimische Seelsorge wird das Niedersächsische Justizministerium durch einen Beirat unterstützt. In diesem sind die an der Vereinbarung beteiligten Verbände vertreten. Näheres regelt die Beiratsordnung. (2) Zur Fortentwicklung der professionellen Standards muslimischer Gefängnisseelsorge und Qualitätssicherung wird die Zusammenarbeit mit deutschen islamtheologischen Fakultäten und entsprechenden Fortbildungseinrichtungen angestrebt.

§ 8 Beschäftigungsverhältnisse und Finanzierung (1) Muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger werden auf der Grundlage von freien Mitarbeitsverträgen beschäftigt. (2) Die Vereinbarungspartner setzen sich dafür ein, dass die muslimische Seelsorge auf der Grundlage von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen etabliert wird. (3) Für die Finanzierung von Intervision und Supervision ist in erster Linie das Niedersächsische Justizministerium verantwortlich.

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8 (4) Sofern Seelsorgehelferinnen und Seelsorgehelfer ehrenamtlich tätig sind, erhalten diese auf Antrag eine Entschädigung entsprechend den Regelungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) in der jeweils gültigen Fassung. Desgleichen erhalten sie auf Antrag Reisekostenvergütung wie die Beamtinnen und Beamten des Landes.

§ 9 Räumliche und technische Arbeitsbedingungen, Kommunikation (1) In den Justizvollzugseinrichtungen ist dafür Sorge zu tragen, dass geeignete Räumlichkeiten für die Durchführung der Seelsorge und religiöser Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Werden diese Räumlichkeiten für verschiedene Zwecke genutzt (sogenannte Multifunktionsräume), ist bei deren Vergabe und Ausstattung die Bedeutung des Grundrechts der Religionsausübung nach Artikel 4 Abs. 2 GG zu beachten. (2) Den auf vertraglicher Grundlage beschäftigten muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern soll durch die Justizvollzugseinrichtung ein eigener Arbeitsplatz mit Telefonanschluss und Personal-Computer zur Verfügung gestellt werden. Sie sollen Zugang zu der justizinternen Telekommunikation und dem Intranet erhalten und mit eigener Partnerkennung beziehungsweise Dienstadresse ausgestattet sein. (3) Inhaftierte sind nach den einschlägigen Vorschriften auf Wunsch bei der Kontaktaufnahme mit muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern zu unterstützen. Hierfür ist es insbesondere erforderlich, den Inhaftierten Informationen über Art und Umfang der muslimischen Seelsorge vor Ort zu geben. Zu diesem Zweck soll durch die an der Vereinbarung beteiligten muslimischen Landesverbände ein geeignetes Informationsblatt erstellt werden, welches bei wesentlichen Veränderungen aktualisiert wird. Die Vollzugsbehörden verpflichten sich, das Informationsblatt in geeigneter Weise bekannt zu machen. (4) Den muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern ist Gelegenheit zu geben, ihren Arbeitsbereich im anstaltsinternen Intranet und/oder in anderen digitalen Medien darzustellen.

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9 § 10 Gegenstände zur Religionsausübung (1) Inhaftierte dürfen grundlegende religiöse Schriften besitzen. Dazu zählen insbesondere der Koran, der Tafsir (Koranexegese) und die Hadithsammlungen.

(2) Weitere Gegenstände zur Religionsausübung können insbesondere ein Gebetsteppich, die für das Gebet erforderliche Bekleidung und Kopfbedeckung, die Misbaha (Gebetskette) und ein Mohr (Gebetsstein für Schiiten) sein. (3) Können die Gegenstände nicht im Haftraum der oder des Inhaftierten belassen werden, sollen diese von den Justizvollzugseinrichtungen aufbewahrt werden. (4) Ist nicht zweifelsfrei ersichtlich, ob es sich bei von Inhaftierten gewünschten Texten um grundlegende religiöse Schriften handelt oder ob deren Inhalt die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden könnte, beraten die muslimischen Landesverbände die Vollzugsbehörden. Gleiches gilt für sonstige Gegenstände, bei denen nicht zweifelsfrei ersichtlich ist, ob sie zur Religionsausübung erforderlich sind. Im Benehmen mit den an der Vereinbarung beteiligten muslimischen Landesverbänden können Empfehlungen zur Auswahl geeigneter religiöser Literatur als Hilfestellung für die Justizvollzugseinrichtungen erstellt werden.

§ 11 Inkrafttreten Diese Vereinbarung tritt am 01. Januar 2022 in Kraft. Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Vereinbarung in zweijährigen Abständen auf Änderungsbedarfe zu überprüfen. Die Kooperationspartner können diese Vereinbarung aus wichtigem Grund kündigen. Verändern sich die der Vereinbarung zugrundeliegenden Rahmenbedingungen wesentlich, so sollen die Vertragspartner zuvorderst auf eine entsprechende Anpassung der davon betroffenen Bestimmungen hinwirken.

Recep Bilgen

Avni Altiner

Barbara Havliza

Landesverband der Muslime in

Landesverband Muslime in Nie-

Niedersächsisches Justizministerium

Niedersachsen e. V.,

dersachsen (MIN) e. V.

Schura Niedersachsen

376 Anhang Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen - Elektronische Post -

Ministerium der Justiz Nordrhein-Westfalen, 40190 Düsseldorf

Herrn Benedikt Plesker Schlossbergring 28 79098 Freiburg

Seite 1 von 3 20.12.2018 Aktenzeichen 4561 E - IV. 226/89 Sdb. Islam bei Antwort bitte angeben Bearbeiter: Herr Dr. Cassone Telefon: 0211 8792-535

Wissenschaftliche Studie der Universität Freiburg zur Islamischen Gefängnisseelsorge Anschreiben von Herrn Prof. Dr. Jestaedt vom 04.07.2018 Anlage 1 Schriftstück

Sehr geehrter Herr Plesker, Bezug nehmend auf das vorbezeichnete Schreiben wurde im Hinblick auf Ihr Promotionsvorhaben um die Beantwortung von sowohl allgemeinen als auch landesspezifischen Fragen gebeten. Die allgemeinen Fragen beantworte ich wie folgt: a. Auf welcher Rechtsgrundlage werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt? Der Einsatz erfolgt im Erwachsenenvollzug vor dem Hintergrund des § 40 Abs. 1 StVollzG NRW. Dort heißt es: „Gefangenen darf die religiöse Betreuung durch eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf Wunsch der Gefangenen ist ihnen zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.“

Dienstgebäude und Lieferanschrift: Martin-Luther-Platz 40 40212 Düsseldorf Telefon: 0211 8792-0 Telefax: 0211 8792-456 [email protected] www.justiz.nrw

Öffentliche Verkehrsmittel: ab Hbf mit Linien U 76, U 78 oder U 79 bis Haltestelle Steinstraße / Königsallee

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Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen - Elektronische Post -

In der Sicherungsverwahrung ist diesbezüglich auf § 41 Abs. 1 SVVollzG NRW abzustellen. Dieser ist wie folgt gefasst: „Den Untergebrachten ist religiöse Betreuung durch eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft zu ermöglichen. Auf Wunsch der Untergebrachten ist ihnen zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.“ Im Jugendstrafvollzug und in der Untersuchungshaft heißt es unter § 64 Abs. 1 JStVollzG NRW bzw. § 44 Abs. 1 UVollzG NRW: „Seelsorgerinnen und Seelsorger werden im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hauptamt bestellt oder vertraglich verpflichtet.“ Im Jugendarrest heißt es in § 15 Abs. 1 S. 1 JAVollzG NRW: Den Jugendlichen darf seelsorgliche Betreuung nicht versagt werden. Auf Wunsch ist ihnen zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.“ Die Umsetzung erfolgt dadurch, dass muslimische Religionsbetreuer/Imame entweder ehrenamtlich oder dienstvertraglich auf Honorarbasis in den Justizvollzugseinrichtungen des Landes tätig werden (dürfen). Auch Besuchskontakte innerhalb und außerhalb der Justizvollzugseinrichtungen sind möglich. b. Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (inkl. Sicherheits- bzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fachund Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie die Fundstelle mitteilen oder zum Zwecke wissenschaftlicher Forschung zugänglich machen. Untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl sowie Fachund Rechtsaufsicht über diese Personen bestehen nicht. Es wird allerdings eine Sicherheitsüberprüfung gemäß § 10 d i. V. mit § 2 d SÜG NRW i. V. mit Artikel I Nrn. 1, 3 und 4 der VO zur Bestimmung der lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen vom 3. November 1995 durchgeführt.

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Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen - Elektronische Post -

c. Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen; Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Hier wird auf die anliegenden Musterverträge Bezug genommen (Anlagen 2 und 3). d. Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung /Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten? Dies ist aktuell noch nicht absehbar, zumal aktuell eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Religionsgemeinschaft in NRW nicht existent ist. Die landesspezifischen Fragen für NRW habe ich - sofern diese nicht bereits durch meine vorherigen Ausführungen bereits beantwortet sind zum Anlass genommen, Ihnen - über meine obigen Ausführungen hinaus - anliegend den Bericht der Landesregierung zur Rechtsausschusssitzung am 21.11.2018 zum Thema „Salafisten in der GefängnisSeelsorge“ beizufügen (Anlage 1). Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag Klaas

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Der Leiter / Die Leiterin der JVA…

Vertrag über die religiöse Betreuung von muslimischen Gefangenen bzw. Untergebrachten in der Justizvollzugsanstalt… zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Leiter /die Leiterin der Justizvollzugsanstalt … - nachfolgend „Auftraggeber“ genannt und Herrn/Frau …, … (Adresse) - nachfolgend „Auftragnehmer“ genannt wird folgender Dienstleistungsvertrag geschlossen:

1. Vertragsgegenstand Gegenstand des Vertrages ist die Durchführung religiöser Betreuung für muslimische Gefangene bzw. Untergebrachte in der Justizvollzugsanstalt … durch den Auftragnehmer als ….. 2. Leistungsbeschreibung 2.1 Der Auftragnehmer führt jede Woche / alle 2 Wochen das Freitagsgebet durch. Er betreut außerdem bis zu … Stunden wöchentlich die muslimischen Gefangenen bzw. Untergebrachten auf religiösem Gebiet. Der Gesamtumfang beträgt … Wochenstunden. Die zu einer sachgemäßen Leistungserfüllung notwendigen organisatorischen Maßnahmen werden gesondert vereinbart. Die Anstalt stellt während der festgelegten Zeiten einen Raum und – soweit erforderlich – technische Hilfsmittel und Sachgegenstände in Absprache mit dem Auftragnehmer zur Verfügung. Das Hausrecht des Auftraggebers bleibt unberührt.

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380 Anhang -22.2 Der Auftragnehmer verpflichtet sich, über die persönlichen Verhältnisse von Gefangenen bzw. Untergebrachten Verschwiegenheit zu wahren. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit besteht auch für die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses. Darüber hinaus hat der Auftragnehmer verantwortlich mit den Sicherheitsinteressen der Justizvollzugsanstalt umzugehen. Er darf insbesondere mit Gefangenen bzw. Untergebrachten keine Geschäfte eingehen, keine Nachrichten oder Aufträge vermitteln, weder für sie noch von ihnen Geld oder andere Sachen entgegen nehmen und nur genehmigte Gegenstände in die Justizvollzugsanstalt einbringen. Gegenüber Angehörigen und Freunden der Gefangenen und Untergebrachten sowie gegenüber Entlassenen und deren Angehörigen und Freunden übt er Zurückhaltung. Die ihm bekannt gegebenen Bestimmungen in Bezug auf Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder der Behandlung der Gefangenen und Untergebrachten wird er beachten. 3. Rechtliche Stellung und Erbringung der Leistungen 3.1 Der Auftragnehmer erbringt seine Leistungen selbständig und höchstpersönlich. Er steht zum Auftraggeber weder in einem Tarifbeschäftigtenverhältnis noch in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis. Der Auftragnehmer ist bei der Ausgestaltung seiner Tätigkeit unabhängig und nur dem Gesetz und den in Ziffer 3.2 genannten Bestimmungen verpflichtet. Ein Urlaubsanspruch kann aus der Tätigkeit nicht hergeleitet werden. 3.2 Die Aufgabenwahrnehmung unterliegt den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere den gesetzlichen Bestimmungen des Justizvollzuges NordrheinWestfalen, den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften und Vollzugsordnungen, namentlich den Bestimmungen betreffend die Behandlung der Gefangenen und Untergebrachten, sowie die Sicherheit und Ordnung in der jeweils geltenden Fassung. 4. Honorar und Zahlungsweise 4.1 Für die im Rahmen dieses Vertrages durch den Auftragnehmer erbrachten Leistungen wird ein Honorar von 20,00 Euro / Stunde (60 Minuten) zuzüglich Fahrtkosten in Anlehnung an § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG 1 gezahlt. Damit sind sämtliche Kosten abgegolten.

Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz)

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Anhang381 -34.2 Der Auftragnehmer stellt die im Rahmen des vereinbarten Umfangs tatsächlich geleisteten Einsatzstunden vierteljährlich in Rechnung. Die Vergütung wird 14 Tage nach Zugang der Rechnung fällig. Die Zahlung erfolgt nach Rechnungsstellung an den Auftragnehmer unbar auf ein von ihm zu benennendes Konto. 4.3 Vom Honorar werden keine Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge abgezogen. Für die Erfüllung etwaiger steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Verpflichtungen hat der Auftragnehmer selbst Sorge zu tragen. 5. In-Kraft-Treten, Laufzeit, Kündigungsfrist 5.1 Dieser Vertrag tritt mit Beginn des …. in Kraft und endet mit Ablauf eines Jahres. Eine stillschweigende Verlängerung des Vertragsverhältnisses im Sinne des § 625 BGB ist ausgeschlossen. 5.2 Das Vertragsverhältnis kann von beiden Parteien mit einer Frist von 14 Tagen gekündigt werden. 5.3 Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) bleibt unberührt. 5.4 Kündigungen nach Ziffern 5.2 und 5.3 bedürfen der Schriftform. 5.5 Arbeitsrechtliche Vorschriften, wie z.B. das Kündigungsschutzgesetz, finden keine Anwendung. 6. Salvatorische Klausel Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam oder nichtig sein oder werden, so berührt dies die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen dieses Vertrages nicht. Die Parteien verpflichten sich unwirksame oder nichtige Bestimmungen durch neue Bestimmungen zu ersetzen, die dem in den unwirksamen oder nichtigen Bestimmungen enthaltenen wirtschaftlichen Regelungsgehalt in rechtlich zulässiger Weise gerecht werden. Entsprechendes gilt, wenn sich in dem Vertrag eine Lücke herausstellen sollte. Zur Ausfüllung der Lücke verpflichten sich die Parteien auf die Etablierung Version:17.11.20 01:21:00 Druck:17.11.20 01:21:00 Seite 3 von 4

382 Anhang -4angemessener Regelungen in diesem Vertrag hinzuwirken, die dem am nächsten kommen, was die Vertragsschließenden nach dem Sinn und Zweck des Vertrages bestimmt hätten, wenn der Punkt von ihnen bedacht worden wäre.

(Ort), ___________

(Ort), ___________

Auftraggeber

Auftragnehmer

Der Leiter / Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt …

Herr/Frau…..

____________________

_____________________

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Anhang383

Der Vollzugsleiter / Die Vollzugsleiterin der JAA …

Vertrag über die religiöse Betreuung von muslimischen Arrestantinnen bzw. Arrestanten in der Jugendarrestanstalt… zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Vollzugsleiter / die Vollzugsleiterin der Jugendarrestanstalt … - nachfolgend „Auftraggeber“ genannt und Herrn/Frau … , … (Adresse) - nachfolgend „Auftragnehmer“ genannt wird folgender Dienstleistungsvertrag geschlossen:

1. Vertragsgegenstand Gegenstand des Vertrages ist die Durchführung religiöser Betreuung für muslimische Arrestantinnen bzw. Arrestanten in der Jugendarrestanstalt … durch den Auftragnehmer als ….. 2. Leistungsbeschreibung 2.1 Der Auftragnehmer führt jede Woche / alle 2 Wochen das Freitagsgebet durch. Er betreut außerdem bis zu … Stunden wöchentlich die muslimischen Arrestantinnen bzw. Arrestanten auf religiösem Gebiet. Der Gesamtumfang beträgt … Wochenstunden. Die zu einer sachgemäßen Leistungserfüllung notwendigen organisatorischen Maßnahmen werden gesondert vereinbart. Die Anstalt stellt während der festgelegten Zeiten einen Raum und – soweit erforderlich – technische Hilfsmittel und Sachgegenstände in Absprache mit dem Auftragnehmer zur Verfügung. Das Hausrecht des Auftraggebers bleibt unberührt.

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384 Anhang -22.2 Der Auftragnehmer verpflichtet sich, über die persönlichen Verhältnisse von Arrestantinnen bzw. Arrestanten Verschwiegenheit zu wahren. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit besteht auch für die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses. Darüber hinaus hat der Auftragnehmer verantwortlich mit den Sicherheitsinteressen der Jugendarrestanstalt umzugehen. Er darf insbesondere mit Arrestantinnen bzw. Arrestanten keine Geschäfte eingehen, keine Nachrichten oder Aufträge vermitteln, weder für sie noch von ihnen Geld oder andere Sachen entgegen nehmen und nur genehmigte Gegenstände in die Jugendarrestanstalt einbringen. Gegenüber Angehörigen und Freunden der Arrestantinnen bzw. Arrestanten sowie gegenüber Entlassenen und deren Angehörigen und Freunden übt er Zurückhaltung. Die ihm bekannt gegebenen Bestimmungen in Bezug auf Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder der Behandlung der Arrestantinnen bzw. Arrestanten wird er beachten. 3. Rechtliche Stellung und Erbringung der Leistungen 3.1 Der Auftragnehmer erbringt seine Leistungen selbständig und höchstpersönlich. Er steht zum Auftraggeber weder in einem Tarifbeschäftigtenverhältnis noch in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis. Der Auftragnehmer ist bei der Ausgestaltung seiner Tätigkeit unabhängig und nur dem Gesetz und den in Ziffer 3.2 genannten Bestimmungen verpflichtet. Ein Urlaubsanspruch kann aus der Tätigkeit nicht hergeleitet werden. 3.2 Die Aufgabenwahrnehmung unterliegt den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere den gesetzlichen Bestimmungen des Vollzuges des Jugendarrestes in Nordrhein-Westfalen, den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften und Vollzugsordnungen, namentlich den Bestimmungen betreffend die Behandlung der Arrestantinnen bzw. Arrestanten, sowie die Sicherheit und Ordnung in der jeweils geltenden Fassung. 4. Honorar und Zahlungsweise 4.1 Für die im Rahmen dieses Vertrages durch den Auftragnehmer erbrachten Leistungen wird ein Honorar von 20,00 Euro / Stunde (60 Minuten) zuzüglich Fahrtkosten in Anlehnung an § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG 1 gezahlt. Damit sind sämtliche Kosten abgegolten. Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz)

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Anhang385 -3-

4.2 Der Auftragnehmer stellt die im Rahmen des vereinbarten Umfangs tatsächlich geleisteten Einsatzstunden vierteljährlich in Rechnung. Die Vergütung wird 14 Tage nach Zugang der Rechnung fällig. Die Zahlung erfolgt nach Rechnungsstellung an den Auftragnehmer unbar auf ein von ihm zu benennendes Konto. 4.3 Vom Honorar werden keine Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge abgezogen. Für die Erfüllung etwaiger steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Verpflichtungen hat der Auftragnehmer selbst Sorge zu tragen. 5. In-Kraft-Treten, Laufzeit, Kündigungsfrist 5.1 Dieser Vertrag tritt mit Beginn des …. in Kraft und endet mit Ablauf eines Jahres. Eine stillschweigende Verlängerung des Vertragsverhältnisses im Sinne des § 625 BGB ist ausgeschlossen. 5.2 Das Vertragsverhältnis kann von beiden Parteien mit einer Frist von 14 Tagen gekündigt werden. 5.3 Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) bleibt unberührt. 5.4 Kündigungen nach Ziffern 5.2 und 5.3 bedürfen der Schriftform. 5.5 Arbeitsrechtliche Vorschriften, wie z.B. das Kündigungsschutzgesetz, finden keine Anwendung. 6. Salvatorische Klausel Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam oder nichtig sein oder werden, so berührt dies die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen dieses Vertrages nicht. Die Parteien verpflichten sich unwirksame oder nichtige Bestimmungen durch neue Bestimmungen zu ersetzen, die dem in den unwirksamen oder nichtigen Bestimmungen enthaltenen wirtschaftlichen Regelungsgehalt in rechtlich zulässiger Weise gerecht werden. Entsprechendes gilt, wenn sich in dem Vertrag eine Lücke herausstelVersion:17.11.20 01:21:00 Druck:17.11.20 01:21:00 Seite 3 von 4

386 Anhang -4len sollte. Zur Ausfüllung der Lücke verpflichten sich die Parteien auf die Etablierung angemessener Regelungen in diesem Vertrag hinzuwirken, die dem am nächsten kommen, was die Vertragsschließenden nach dem Sinn und Zweck des Vertrages bestimmt hätten, wenn der Punkt von ihnen bedacht worden wäre.

(Ort), ___________

(Ort), ___________

Auftraggeber

Auftragnehmer

Der Vollzugsleiter/Die Vollzugsleiterin der Jugendarrestanstalt …

Herr/Frau…..

____________________

_____________________

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Anhang387

- per E-Mail -

Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz | Postfach 32 60 | 55022 Mainz

" " (KOPFBOGENZUSATZ?)

" " (Hinweis auf Briefkopf) Herrn Benedikt Plesker Schlossbergring 28 79098 Freiburg

Ernst-Ludwig-Straße 3 55116 Mainz Zentrale Kommunikation: Telefon 06131 16-0 Telefax 06131 16-4887 [email protected] www.jm.rlp.de

über:

1. August 2018

Herrn Prof. Dr. Matthias Jestaedt Universität Freiburg Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie 79085 Freiburg " " (Verteiler) " " (per Doppelklick Office Organizer öffnen) Mein Aktenzeichen 4408E18-5-5 Bitte immer angeben!

Ihr Schreiben vom 04.07.2018 " " (fremdes GZ)

Ansprechpartner/-in / E-Mail Robert Haase [email protected]

Telefon / Fax 06131 16-4913 06131 16-4914

Islamische Gefangenenseelsorge hier: Bitte um Mitwirkung an wissenschaftlicher Studie 1 Konzept 2 Musterverträge Die mit Schreiben vom 04.07.2018 übersandten Fragen zur islamischen Gefangenenseelsorge werden für Rheinland-Pfalz weiter unten wie folgt beantwortet. Nach Abschluss der wissenschaftlichen Studie im Rahmen des Dissertationsvorhabens wäre ich für die Zurverfügungstellung der Ergebnisse dankbar. Von Interesse sind die in Ihrer Arbeit gewonnenen Erkenntnisse auch für die länderoffene Arbeitsgruppe „Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge“, die im Auftrag der 88. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister unter Federführung von Rheinland-Pfalz im Februar 2018 ihre Arbeit aufgenommen hat. 1/4 Kernarbeitszeiten 09:30 - 12:00 Uhr 14:00 - 15:00 Uhr Freitag: 09:30 - 12:00 Uhr

Verkehrsanbindung Bus ab Mainz-Hauptbahnhof Linie 6 bis Haltestelle Bauhofstraße

Parkmöglichkeiten Schlossplatz, Rheinufer für behinderte Menschen: Diether-von-Isenburg-Straße

388 Anhang

1. Auf welcher Rechtsgrundlage werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt? Grundlage für den Einsatz von Personen in der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener in Rheinland-Pfalz sind die §§ 79 bis 81 Landesjustizvollzugsgesetz (LJVollzG).

2. Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (Inklusive Sicherheits- bzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fach- und Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn Nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie die Fundstelle mitteilen oder zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Untergesetzliche Normen bestehen bislang nicht. Die Sicherheitsüberprüfung der Betreuungspersonen erfolgt ausschließlich mit Einverständnis der Kandidatinnen und Kandidaten.

3. Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen: Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Im Zusammenhang mit der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener in Rheinland-Pfalz gibt es Honorarverträge und inzwischen auch eine unbefristete Planstelle (in der Anlage befinden sich 2 Musterverträge, aus datenschutzrechtlichen Gründen ist keine Angabe über die Höhe der Vergütung bzw. die Ent-

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geltgruppe enthalten). Vertragspartner auf staatlicher Seite sind jeweils die Anstalten, in denen der Einsatz der Betreuungspersonen erfolgt.

4. Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten? Zu dieser Frage ist eine Prognose zum jetzigen Zeitpunkt kaum möglich. Die Verhandlungen der Landesregierung mit muslimischen Verbänden sind seit einiger Zeit ausgesetzt und die weitere Entwicklung ist noch nicht absehbar.

Spezifische Fragen für Rheinland-Pfalz: 5. Warum hat sich die Landesregierung bei der Erstellung des Konzepts „Religiöse Betreuung muslimischer Gefangener“ für die Beschäftigung von Honorarkräften statt für sonstige Organisationsformen entschieden bzw. welche anderen Organisationsformen sind seitens der Landesregierung geprüft worden? In Orientierung an der katholischen und evangelischen Gefängnisseelsorge wird mittel- bis langfristig angestrebt, die religiöse Betreuung muslimischer Gefangener auf einem vergleichbar hohen fachlichen Niveau zu etablieren. Ohne eine angemessene Bezahlung sind entsprechend qualifizierte Kräfte nicht zu finden. Ehrenamtliche Kräfte dürften daher nur in seltenen Ausnahmefällen diesen Anforderungen genügen.

6. Welche Rahmenbedingungen der religiösen Betreuung sollen durch Dienstverträge bestimmt werden? Sofern es bereits einen MusterDienstvertrag gibt, würde ich mich freuen, wenn Sie diesen zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten.

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Siehe Beantwortung der Frage 3.

7. Bei der Auswahl der Betreuer als Honorarkräfte ist in dem Konzept (bisher) keine Beteiligung eines muslimischen Verbands vorgesehen – wovon macht die Landesregierung eine Kooperation jedweder Art bei der Gefangenenseelsorge abhängig? Ist das Konzept im Hinblick auf einen möglichen Vertrag mit einem islamischen Verband so zu verstehen, dass aus rechtlichen Gründen damit andere Organisationsformen vereinbart werden müssten oder ist auch eine Kooperation für die Auswahl von Honorarkräften denkbar? Maßgeblich bei der Auswahl der Betreuungspersonen ist das im Konzept „Religiöse Betreuung muslimischer Gefangener im Justizvollzug Rheinland-Pfalz“ näher ausgeführte Anforderungsprofil. Im Hinblick auf die hohen Sicherheitsansprüche und die zahlreichen fachlichen Besonderheiten und Qualitätsanforderungen an Personen, die in der Situation des Freiheitsentzuges tätig werden, gilt dieses Anforderungsprofil gleichermaßen für muslimische Verbände als potentielle Vertragspartner der Landesregierung. Im Auftrag gez. Robert Haase

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SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Hospitalstraße 7 | 01097 Dresden

Herrn Professor Dr. Matthias Jestaedt Universität Freiburg [email protected]

Ihre Ansprechpartnerin Frau Dörte Löwigt Durchwahl Telefon +49 351 564-16454 Telefax +49 351 564-16409 poststelle@ smj.justiz.sachsen.de* Ihre Nachricht vom 5. März 2019 Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 1410E/48/43-IV5

Islamische Gefängnisseelsorge hier: Mitwirkung an wissenschaftlicher Studie

Dresden, 19. März 2019

Sehr geehrter Herr Professor, mit Bezug auf Ihr Schreiben vom 5. März 2019 beantworte ich die Fragen zur islamischen Gefangenenseelsorge für den sächsischen Justizvollzug wie folgt: Frage 1: Auf welche Weise werden in den Justizvollzugsanstalten Ihres Bundeslandes Imame oder andere Personen zur religiösen Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen eingesetzt, um den An-

Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium der Justiz Hospitalstraße 7 01097 Dresden

spruch muslimischer Häftlinge aus § 70 SächsStVollzG zu erfüllen? www.justiz.sachsen.de/smj

ung/Seelsorge von muslimischen Gefangenen eingesetzt.

Verkehrsverbindung: Zu erreichen mit Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8, 11

Frage 2:

Parken und behindertengerechter Zugang über Einfahrt Hospitalstraße 7

Derzeit werden keine Imame oder andere Personen zur religiösen Betreu-

Bestehen untergesetzliche Normen zur Qualifikation, Auswahl (inkl. Sicherheits- bzw. Zuverlässigkeitsprüfung) sowie Fach- und Rechtsaufsicht über diese Personen? Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Auswahl und Sicherheitsüberprüfung dieser Personen? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie die Fundstelle mitteiSeite 1 von 3

Hinweise zum Datenschutz erhalten Sie auf unserer Internetseite. Auf Wunsch senden wir Ihnen diese Hinweise auch zu. * Zugang für elektronisch signierte sowie für verschlüsselte elektronische Dokumente nur per EGVP, beBPo oder De-Mail; nähere Informationen zur elektronischen Kommunikation mit sächsischen Justizbehörden unter www.justiz.sachsen.de/EKommunikation.

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len oder zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Frage 4: Sind mittelfristig andere Regelungen, etwa Kooperationen mit Religionsverbänden, für die religiöse Betreuung/Seelsorge von muslimischen Häftlingen zu erwarten bzw. in Vorbereitung? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 2 und 4: Im Rahmen der der Frühjahrskonferenz 2017 in Deidesheim hat die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister die Einsetzung einer länderoffenen Arbeitsgruppe „Empfehlungen für eine muslimische Gefängnisseelsorge“ beschlossen, deren Ergebnisse vor der Einleitung weiterer Schritte abgewartet werden sollen. Frage 3: Sofern Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern bestehen: Wer sind die Vertragspartner auf staatlicher Seite? Gibt es Musterverträge? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. Es bestehen keine Verträge mit einzelnen Seelsorgern/religiösen Betreuern, deshalb wird Fehlmeldung erteilt. Frage 5: Auf wessen Initiative ist der ehrenamtlich durchgeführte Gesprächskreis für muslimische Gefangene in der JVA Dresden entstanden? Gibt es dazu eine Kooperation mit einer islamischen Gemeinde oder einem Verband? Wenn ja, würde ich mich freuen, wenn Sie diese zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machen könnten. In der Justizvollzugsanstalt Dresden besteht etwa seit dem Jahr 2012 ein muslimischer Gesprächskreis, der von einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin geleitet wird, die hauptberuflich als Sozialarbeiterin in der Integrationsberatung tätig und mehrere Jahre Vorstandsvorsitzende des Dresdner Ausländerrates war. Im Rahmen dieser FreizeitmaßSeite 2 von 3

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nahme treffen sich durchschnittlich etwa 10 Gefangene im Turnus von zwei Wochen, um sich zu religiösen Fragen auszutauschen. Zeitweise erfolgte dies auch gemeinsam mit Gruppen der kirchlichen Seelsorger. Die Maßnahme wird nicht als islamische Seelsorge betrachtet und ist auf Basis des ehrenamtlichen Engagements entstanden. Eine Kooperation mit einer Institution liegt nicht vor.

Mit freundlichen Grüßen gez. Bernd Schiebel Ministerialrat

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Stichwortverzeichnis Ahmadiyya Muslim Jamaat  22, 24, 64, 123, 193, 224, 267 Akademische Ausbildung  124, 136, 165, 209, 220, 246 f., 268, 287, 299 Alevitsche Gemeinde  22, 28, 64, 89, 178 ff., 189 ff., 200, 214, 219, 224, 225, 272, 276 ff., 280, 283, 285, 290, 294 f., 300 Anspruch auf Tätigwerden  98–99 Anstaltsseelsorge  16, 18 f. 32, 33–56, 92 ff., 107, 119, 121, 124, 125–127, 196, 210, 224, 227, 286 Anstaltssicherheit  36, 79, 91, 107–109, 136, Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge e. V. (AGMGS)  176, 179, 185 Arbeitsmigration  243 f. Aschura-Tag  89 Aufwandsentschädigung  203, 215, 271 f. aumônier  264 f., 268–271 Auswahlermessen  115–117, 136, 299 Bahāʾī  22 Beirat  176, 177–179, 183–185, 210 f., 261 f., 268 Berufsgeheimnisträger  109 f., 159, 161, 166 f. Besonderes Gewaltverhältnis  70–71 Bildungsveranstaltungen  85, 203, 218, 247 Bundeszentralregister  148 f., 157, 192 Cem-Gottesdienst  89, 182 Conseil français du culte musulman (CFCM)  265

Deradikalisierung  116 f., 121, 164–167, 174, 195, 197, 212, 216, 220, 248 f., 280 f., 300 Deutsche Islam-Konferenz  28, 162, 231 Dienstvertrag  172, 191, 195 ff., 221, 223, 245, 247, 248, 253, 271 f., 289 f. DİTİB  28 f., 49, 54, 171 f., 175–179, 186–190, 198–200, 204–207, 211, 213, 218 f., 224, 226, 228, 230, 235–239, 241, 247, 278, 279, 285 Diyanet  29, 205 f., 237–241, 277 f., 299 Ehrenamtliche Mitarbeiter  109, 139, 147, 156, 175, 239, 273 Ehrenamtliche Seelsorger  171 f., 273 Einschätzungsprärogative  99 f., 129, 136, 299, Einzelgespräch  83 f., 87, 102, 107, 153 f., 165, 191, 208, 227, 258, 290 Embassy islam  234, 244, 296, 300 Europäische Menschenrechtskonvention  127, 131–137, 250 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte  127, 132–135, 266 European Prison Rules  130–131, 134 Extremismus  117, 120, 164–167, 172, 174, 197, 212, 215 f., 220, 248, 249, 300 Fachaufsicht  210 Faith Adviser  254, 256–257, 260 Feiertage  51, 89 f., 165, 171, 178, 187, 190, 208, 212, 224, 229, 256 Freiabonnements für Gefangene e. V.  179, 183–185, 270 Freitagsgebet  37, 76 f., 87–90, 154, 171, 176, 178, 181 f., 188, 191, 193, 207 f., 211, 217, 228 f., 247

414 Stichwortverzeichnis Freiwilligkeitsprinzip  70, 101–104, 246 Funktionsfähigkeit, institutionelle  72, 79, 87, 102, 108, 114 f., 115, 248, 298 Gebetsraum  28, 90 Gebetszeit  51, 87, 89, 90, 181 f., 256 Gebot der guten Taten (ịshān)  43 Gemeinsame Angelegenheiten  32, 125 Gemeinschaftsgebet  87 f., 90 Generalkonsulat  171 f., 175 f., 186, 199, 211–213, 219, 226, 235, 239–241 Gleichheitsrechte  33, 106, 117–122, 292 Gottesdienst  15, 17, 33, 35–37, 50, 86, 88 f., 106, 132, 133, 153, 165, 170, 181 f., 187 f., 196, 238, 253, 264, 285 Grand Mosquée Paris  242 Grundlagenvertrag  191, 283–285, 289–291, 294 Grundrechtsermöglichung  94 f., 97 f., 102, 115, 120, 132, 136, 138, 141 Gruppengespräche  57, 188, 196, 290 ḥadd-Strafe  111 Hadith  43–45, 203 Hauptamt  17, 142, 143–147, 154, 160, 174 f., 186, 201, 208, 227, 229, 237, 271 Hauptberuf  143, 211, 230, 271 Her Majesty Prison Service (HMPS)  245, 250, 253, 255–260 Honorarkräfte  123, 146, 160, 176, 188, 195, 197–198, 205 f., 213, 215 f., 219 f., 223 f., 227–230, 245, 247, 250, 268, 270–272, 288 f., 300 Honorarvertrag  183–185, 215, 219, 223 Identitätsstiftende Aufgaben  51–54, 244, 278 Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück (IIT)  198, 206, 247 Institut für transkulturelle Verständigung (itv)  172

Institut musulman de la Mosquée de Paris  242 Integrationsverein  121, 168, 172–173, 184, 194, 230, 261 f., 269 f., 289, 300 islam consulaire  296, 300 Islamic Relief Deutschland  176 f. Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ)  240 f., 280, 287 f. Islamische Philosophie  40 Islamismus  16, 116, 217, 212, 248 Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IR)  28, 51, 187, 214 Islamwissenschaftler  197, 215 f., 218, 221, 227, 229, 247 f., 261 Jugendstrafvollzug  16, 27, 168, 175 Justiz-Datenschutzrichtlinie  Justizministerkonferenz  138, 148, 162–168, 198, 226, 231, 246, Kernbereich privater Lebensgestaltung  113, 137, 299 Kompensatorischer Leistungsanspruch  95 f. Konnexitätsgebot  68 Konsularbeamte  235–239 Konsularbeauftragte siehe Religionsbeauftragte Konuslarische Zusammenarbeit  211–213, 219, 234 ff., 240–245 Kooperationsmodell  18, 127 Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM)  28, 51 Kopftuch  15, 31, 72, 92 Koran  37–46, 85, 111, 182, 203 Koranauslegung  38 ff., 221 Kruzifix  81, 92, 103, 105 Kulturvermittler  282 Länderarbeitsgruppe  139, 162–167, 198, 207–210, 226–229 Landesverband Muslime in Niedersachsen e. V.  207

Stichwortverzeichnis415 Lehrautorität  51–53, 107 Loccumer Vertrag  17 Mannheimer Institut  169–171, 262, 268, 270 Mediatisierung  184, 262 Militärseelsorge  122, 163, 300 Ministri di culto  282 Mittelbare Beteiligung  232, 261–272, 289, 296, 301 MLD-Studie  23–27, 185 Moscheegemeinde  28 f., 82, 169, 171 f., 175 f., 193, 205, 207, 211, 218 f., 226 f., 235 f., 241, 245, 265, 272, 273, 278 multi faith Chaplaincy  246, 250, 254, 257, 258 f. Muslim Chaplain  250, 254–259 Muslimische Seelsorge in Augsburg (musa)  172, 270 Muslimische Seelsorge in Wiesbaden (MUSE)  193–195 Mustervertrag  20, 195, 206 f., 215, 217 ff., 220, 222–224, 247 f. National Council for the Welfare of Muslim Prisoners (NCWMP)  256 f. Nelson Mandela-Rules  128–134, 137 Netzwerk Deradikalisierung im Strafvollzug (NeDiS)  195, 197, 248 Neutralität  197, 245 f., 259, 263, 290, 296 f., 299 f. Nichtstörungsvorbehalt  75–78, 105 Offenbarungspflicht  108–110, 139, 158–162, 166 f., 225, 290 f. Opferfest  89, 181, 212, 228 Personalauswahl  47, 54, 117, 123 f., 202, 209, 216, 245 f., 248, 262, 267, 287, 289, 297 Plausibilitätsprüfung  36, 63, 68, 88, 102 positive obligations  132 Predigt  87, 90, 182, 196, 223, 238, 287

prison minister  250, 253, 256 Professionalisierung  28, 166 f., 198, 206, 210, 297 f. Protocollo d’intesa  282 f., 286, 288 Putschversuch (Türkei)  212, 218, 224, 235 Qualifikationsvoraussetzung  136, 180, 245–247, 267–270, 287, 299 Radikalisierung  16 ff., 116 f., 121, 153, 163, 174, 191, 197, 212, 215 f., 263, 289, 298, 300 Ramadan  29, 89, 181, 259 Raum geben-Wendung  92, 94 f., 105 Rechtsschule  87 f., 124 Reichskonkordat  17, 122 Religionsbeauftragte  84, 211–213, 219, 226, 234–240, 244, 247, 274 Religionsrechtlicher Vertrag  291, 294 Religionsunterricht  19, 28, 32, 48, 50, 53–57, 119, 189, 199, 205, 218 f., 224, 228 f., 245, 277–279 Religiöse Betreuer  20, 154, 161, 180–183, 196, 220 Resozialisierung  79, 87, 89, 106, 111, 114–117, 120, 128, 131, 153, 155, 165, 232, 249 Reue (tawba)  111 f. Sabotageschutz  150, 153 Scharia  85 Schura  28, 186–192, 198–200, 204, 207, 224, 247, 283, 285–290, 294 Schutzpflicht  77, 79, 91–95, 99, 116, 134, 278 Schweigepflicht  109–112, 136, 159–162, 166, 207, 210, 220, 291 Seele und Geist (nafs/rūḥ)  40–44 Seelsorgebegriff  37 ff., 298 Seelsorgehelfer  146 f., 154, 159, 201 f., 205, 209, 294 Selbstverwaltung  48, 246, 259, 300

416 Stichwortverzeichnis Shems Sozialnetzwerk europäischer Sufis  179, 214 Sicherheitsüberprüfung  20, 147, 149, 150–157, 163 ff., 183, 186, 192, 212 ff., 221 f., 225, 230, 239 f., 269 Sonderstatusverhältnis  74, 96 f. Sozio-ökonomisches Panel  25 Staatskirche  18, 117, 223, 250, 255, 260 Staatskirchenvertrag  17, 34, 293 Staatsvertrag  141, 190, 225, 276, 293 f. status positivus  82, 91, 94, 96, 99, 115 f., 120, 124, 136 Todesstrafe  133 Trennungsmodell  18 Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion siehe DİTİB Türkisch-islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich (ATIB Union)  241 Überobligatorische Zusammenarbeit  106

Usurpationsgrenze  75–77, 105, 108, 285 Verband der Islamischen Kulturzentren e. V. (VIKZ)  28, 187–190, 214, 224 Verfassungstreue  53, 56, 211, 224 Verwaltungsvertrag  276, 294 f. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen  235–240, 245 Zensus  23–25 Zentralrat der Muslime (ZMD)  28, 51 Zentrum für interkulturelle Kompetenz der Justiz NRW  248 Zeugnisverweigerungsrecht  108–114, 136 f., 159, 162–166, 200, 210, 220, 276, 290 f., 296, 299 Zulassungsanspruch  30, 33, 36, 115, 278 f. Zutrittsrecht  22, 32, 56, 95, 100, 120, 126, 225 Zuverlässigkeitsprüfung  20, 149, 155, 157 f., 165 f., 195, 209, 239