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German Pages 520 [549] Year 2021
Jan Winkler Gouvernementalität der Freundschaft
Sozial- und Kulturgeographie | Band 33
Für Laura und Luise
Jan Winkler, geb. 1986, lehrt am Institut für Geographie in Erlangen und forscht über Dynamiken und Transformationen von Integrations- und Migrationsverhältnissen in Deutschland und Europa, zu den Geographien von Emotion und Affekt und zu praxisund diskurstheoretischen Ansätzen.
Jan Winkler
Gouvernementalität der Freundschaft Lokale Praktiken, Technologien und Emotionalitäten im kommunalpolitischen Dialog mit Muslimen
Zugleich Dissertation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. »Gouvernementalität der Freundschaft ‒ Lokale Praktiken und Emotionalitäten im kommunalpolitischen ›Dialog mit Muslimen‹« (Promotion des Autors am Institut für Geographie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Jahr 2019; Vorsitz des Promotionsorgans: Prof. Dr. Georg Kreimer). Gedankt wird der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG für einen Zuschuss zu den Druckkosten.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Viviane Lahr-Kurten Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5047-1 PDF-ISBN 978-3-8394-5047-5 https://doi.org/10.14361/9783839450475 Buchreihen-ISSN: 2703-1640 Buchreihen-eISSN: 2703-1659 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Vorwort und Danksagung ...................................................................... 11 1.
Lokale Konfigurierungen von »Islam« und »Muslimen« und das Auftauchen des »Dialogs«............................................................................ 13
2.
Gouvernementalität Über das Regieren von Gesellschaft ...................................................... Michel Foucaults Instrumentarium für eine Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse: diskurs- und machtanalytische Perspektiven.......................... Das Regieren ............................................................................ Machtanalytik im Anschluss an Foucault: methodologische und analytische Perspektivierungen der governmentality studies .......................................... Die topologische Perspektive: der (geographische) Blick auf lokale Praxis und die Anwendungsfelder der Macht......................................................... Zusammenfassung und Reformulierung der Fragestellungen ..............................
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats ....................... »Islam« und »Muslime« als Objekte kulturalisierender Integrationspolitiken .............. Kultur, Community und Dialog ............................................................ Genealogie einer Regierungsweise: über das Auftauchen des »interkulturellen Dialogs« und des »Dialogs mit Muslimen« .......................... 3.4 Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) als bedeutende Kristallisationsform des Dialogs ................................................................................. 3.5 Der »Dialog mit Muslimen« als ein weites Feld des Regierens .............................
3. 3.1 3.2 3.3
25 25 30 43 53 69 73 74 82 86 95 117
»Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene ........................... 135 Produktion von Regierungswissen in integrationspolitischen Papieren und der anwendungsbezogenen Dialogforschung: ein erster methodischer Forschungsschritt..... 135 4.2 Allgemeine Zielsetzungen eines lokalen »Dialogs mit Muslimen« .......................... 137 4.3 Koordinaten lokaler Dialoge ............................................................. 138
4. 4.1
4.4 Die Qualität der Interaktion: die Ausbildung von Techniken zwischenmenschlicher Beziehungen und die Systematisierung von Kommunikationsabläufen und -orten.....................................................145 4.5 Der sensible und verständnisvolle Dialog »christlicher« Akteure ..........................150 4.6 Kritik am Dialog ......................................................................... 151 5. Methodologie und Methodik .............................................................155 5.1 Grundperspektive: zur Analyse des Regierens als diskursive Praxis .......................155 5.2 Methodologische Re-Reflexionen des Gegenstands »Dialog«, der Forschungsfragen und der Potenziale einer Perspektive auf lokale Praxis ............. 161 5.3 Methodisches Vorgehen ................................................................ 168 5.4 Methodologische Verwunderung: Potenziale und analytische Probleme einer Ethnographie des Regierens ............................................................. 199 6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
6.7 6.8
7.
Der lokale »Dialog mit Muslimen« Gegenstände, Mechanismen und Wissensproduktionen einer Regierungskunst............ 203 Institutionalisierungen des kommunalpolitischen »Dialogs« in Erlangen ................. 203 Die Entstehungskontexte der Dialoginstitutionen in Erlangen ............................ 207 Die (interreligiösen) Dialogkreise innerhalb der Integrationspolitik und -verwaltung ....... 219 Die Etablierung von Religionsunterricht, Identitätspolitik und die Institutionalisierung eines lokalen »Islam«: die Geschichte des Dialogs in Erlangen ... 223 Die Unterwerfung unter das Integrations- und Sicherheitsparadigma und die Widerstände gegen diese Mechanismen ................................................. 234 Integration als religiöse Pflicht und die Konstitution von »Muslimen« als »Sicherheitsberater/-innen«: Internalisierung von Erwartungen im Führungsund Selbstführungsfeld »Dialog«......................................................... 241 Der Fokus auf religiöse Identitäten und die Aufwertung des interreligiösen Dialogs im integrationspolitischen Feld in Erlangen: Sedimentierungen und Widerstände . 244 Reflexionen zur technologischen Form des Dialogs: erfahrbar gemachtes »Vertrauen« als lokale historische Praxis und als Hintergrundfolie gegenwärtiger Regierungsprozesse ..................................................... 255
Ethnographien des Dialogs: eine Analyse der Praktiken, Techniken und Konfliktdynamiken im lokalen Regieren von »Islam« und »Muslimen« .................. 261 7.1 Vorabanalyse I: die religiös-säkulare Doppelstruktur des Erlanger Dialogs, die Überkreuzung verschiedener Rationalitäten und die hybriden Subjekte des Dialogs ........ 261 7.2 Vorabanalyse II: Kernprogrammatiken in der gegenwärtigen Arbeit der Dialogforen....... 266 7.3 Ethnographische Analysen der Techniken, Praktiken und Interaktionsmuster in den Dialogarbeitskreisen am Beispiel der Bearbeitung »muslimischen« sozialpolitischen Engagements .......................................................... 271 7.4 »… dann müssen sie halt Glaubenssprache sprechen«: Kulturalisierung von Integration .. 294 7.5 Dialog als »Öffentlichkeitstraining« zwischen Unterstützung und Normalisierung und die Momente »muslimischen« Widerstands gegen die Politisierungspraktiken im Dialog ....................................................... 299
7.6
7.7
Zwischenkontextualisierung: die untersuchten Dialogarbeitskreise als ein »überlokales Phänomen« – Ergebnisse aus der Literatur und eigenen empirischen Studien.................................................................... 309 »Ein besonderer Dank geht an die Erlanger Muslime, die uns ihr Leben geöffnet haben« – museale Repräsentationen des lokalen »Islam« und die spannungsvolle Performativität ihrer Vermittlung......................................... 319
8.
»… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind« – lokale Beziehungsgeflechte, Mikroräume der Intervention und die Emotionalitäten im Regieren durch Dialog ....... 339 8.1 Dialog als lokales Wahrscheinlichmachen »kunterbunter Konstellationen« und die Methode der Kartierung lokaler Machtbeziehungen (Macht-Mapping) .................. 340 8.2 Mikroräume dialogischen Regierens und das beiläufige Regieren »muslimischer« Differenz: abendliche Philosophierkreise und sicherheitspolitische Abfragen beim Schuhebinden...................................... 346 8.3 Dialogexpert/-innen als »Schaltstellen«, die Dialoggruppen als informelle Netzwerke und die Etablierung eines tiefgehenden Zugangs zum »Islam« ................ 349 8.4 »Echte Freundschaften«, die Fühlbarmachung von Gemeinschaft und die Frage nach der Emotionalität des Dialogs: neue theoretische und methodologische Blickwinkel ........................................................... 354 9.
Gouvernementalität und Emotion Forschungsstränge und Perspektiven ................................................... 359 9.1 Emotion und Affekt als Perspektivierungen gesellschaftlicher Prozesse ...................361 9.2 Emotionalität als Praxis: Praktiken der Emotionalisierung als Analysegegenstand ................................................................. 366 9.3 Rationalitäten, Technologien und Emotionalitäten des Regierens ......................... 368 9.4 Fühlende und praktizierende Körper als Analysegegenstände – methodologische und methodische Reflexionen sowie neue Perspektiven auf die Machttechnologien des Dialogs ...................................................... 382 10. 10.1 10.2 10.3
10.4
10.5
Gouvernementalität der Freundschaft: Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst und deren Mobilisierungen des Lokalen .............................. 389 Über die Kunst eines lokalen Regierens überlokaler Spannungen: Praktiken des Miteinanders und das Experimentieren mit Orten ........................................ 390 Die therapeutische Dimension der Dialogtechnologie .................................... 398 Kritik unter Freunden: die Subjektposition des Freundes, die körperlichemotionalen Performanzen ihrer Hervorbringung und das Lokale als Resonanzraum des Dialogs ............................................................. 408 Erfrischende Ermächtigung: Emotionalitäten der (Selbst-)Führung, pädagogische Technologien und das selbstbewusste Auftreten der »muslimischen« Gemeinden am Beispiel der Aushandlungen um das »muslimische« Bildungswerk ....................................................... 429 Die »Territorien der Erfahrung«, die Expert/-innen des Dialogs und das Lokale als emotionalisiertes Feld politischer Wahrheiten: Machtanalytik und lokale Perspektive.. 454
11.
Emotion, Moral, Macht und Raum Lokale Geographien interkultureller und interreligiöser Dialoge .......................... 465
12.
Abkürzungsverzeichnis ................................................................. 481
13. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis .................................................. 483 14. Literaturverzeichnis ................................................................... 485
Für Laura und Luise
Vorwort und Danksagung
Ich möchte meiner Lebensgefährtin Laura von Herzen danken, dass Sie in der nicht immer einfachen Zeit der Promotion an meiner Seite war und blieb. Familie und Freunde müssen sicherlich manchmal einiges aushalten, gerade in der Endphase der Arbeit an einem Buch. Vielen Dank für die Unterstützung, liebe Laura. Vielen Dank für die Unterstützung, liebe Familie. Des Weiteren danke ich sehr herzlich Georg Glasze, dem Erstbetreuer meiner Dissertation, dem ich überaus viel verdanke. Ich habe von Georg sehr viel lernen können, was theoretisch-konzeptionelles Denken, wissenschaftliches Arbeiten und Reflektieren sowie Organisation angeht – und darüber hinaus empfand ich mich am Lehrstuhl und innerhalb der Arbeitsgruppe zu jedem Zeitpunkt aufgenommen, unterstützt und gefördert. Ich danke für ein fachlich und menschlich ausgezeichnetes Verhältnis. Darüber hinaus möchte ich mich auch explizit bei meinem Zweitbetreuer, Andreas Pott, bedanken. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Zweitbetreuer einer Dissertation so intensiv und stets mit offenem Ohr Hilfestellung bietet, wie es Andreas Pott in meinem Falle tat. Auch möchte ich mich bei vielen Kolleginnen und Kollegen bedanken (aus der Geographie in Erlangen und darüber hinaus), mit denen ich zahlreiche fruchtbare Gespräche führen durfte, ohne die die Dissertation nicht das geworden wäre, was sie wurde. Insbesondere danke ich an dieser Stelle auch Riem Spielhaus und Jörn Thielmann, die mir mit ihrer religions- und islamwissenschaftlichen Expertise sehr geholfen haben. Ferner danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die von 2016 bis 2020 das von Georg Glasze und Andreas Pott geleitete Forschungsprojekt »Konfigurierungen von Islam und Muslimen auf lokaler Ebene in Deutschland« gefördert hat. Im Kontext dieses Projekts entstand meine Dissertationsschrift, mit der ich 2019 am Institut für Geographie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg promovierte. Das vorliegende Buch stellt eine geringfügig veränderte Version meiner Dissertationsschrift dar. Nicht zuletzt danke ich herzlich meinen zahlreichen Gesprächspartner/-innen, deren Erfahrungen und Perspektiven diese Arbeit ermöglichten. Erlangen, April 2021 Jan Winkler
1. Lokale Konfigurierungen von »Islam« und »Muslimen« und das Auftauchen des »Dialogs«
»Wir brauchen einen Dialog mit dem Islam. Wir müssen einander verstehen lernen; das gehört dazu. Wir müssen im Übrigen darauf achten, dass wir unsere eigene Religion, das Christentum, ausreichend verstehen, soweit wir Christen sind – das gilt auch für andere, die anderen Religionen anhängen –, denn einen Dialog der Kulturen kann man nur führen, wenn man sich seiner eigenen Kultur auch wirklich bewusst ist.«1 »Wir wollen den Dialog und die Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verstärken. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die Integration der Muslime in Deutschland. […] Wir suchen das Gespräch mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften und ermutigen sie zum interreligiösen Dialog, denn das Wissen über Religionen, Kulturen und gemeinsame Werte ist Voraussetzung für ein friedliches Miteinander und gegenseitigen Respekt.«2 »Mit dem Dialog erreichen wir das Innere des Mitmenschen, die andere Erfahrung, darüber hinaus verleiht er der eigenen Erfahrung eine kritische Selbstreflexion. Dialog ist daher die Fähigkeit, sich zu öffnen und seine Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen […].«3 »Wenn wir uns einem Gemeinwesen zugehörig fühlen wollen, dann muß es etwas geben, was uns auf einer tieferen menschlichen Ebene miteinander verbindet: auf genau der Ebene, auf der auch Religion und Kultur, Werte und Identität angesiedelt
1 2 3
Aus einer Regierungserklärung von Angela Merkel vom 30.11.2005, kurze Zeit vor Etablierung der ersten Deutschen Islamkonferenz (zitiert in: Böhmer 2006: 210). Das Dialogparadigma im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2018 (Bundesregierung 2018: erster Zitatabschnitt: 119, zweiter Zitatabschnitt: 164). Deutung von »Dialog« in einer Arbeit des in Erlangen tätigen »muslimischen« Theologen Hajatpour (2005: 21).
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sind. […] Wie können wir dahin kommen, daß möglichst viele Muslime in Deutschland sich als deutsche Muslime fühlen […]?«4 Im Laufe der 2000er Jahre, seit die Frage der Integration von »Islam« und »Muslimen« die öffentlichen Debatten um Zuwanderung und soziale Probleme dominiert, zum (innen-)politischen Kernproblem erhoben und mit sicherheitspolitischen Motiven verknüpft wurde, ist ein recht eigentümliches Format wirksam geworden.5 Dieses Format ging mit dem Aufspannen eines diskursiven Feldes einher, in welchem seit den frühen 2000er Jahren bis heute das Wissen über »Islam« und »muslimische« Identität, über angenommene Schwierigkeiten deren gesellschaftlicher und politischer Integration und über Möglichkeiten der Auflösung solcher Schwierigkeiten produziert und plausibilisiert wird.6 Ein Feld zudem, in welchem machtvolle Interventionen gedeihen, die die gesellschaftspolitische Position der »muslimischen« Bevölkerung in Deutschland zu bestimmen und die weitere Entwicklung »muslimischer« Identitäten zu lenken suchen. Dieses Format und dieses Feld ist der »Dialog mit Muslimen«: ein integrationspolitisches und zugleich pädagogisches, ethisch-moralisches, religiöses und emotionales »Projekt«. In den in Deutschland geführten Debatten, die sich entlang der Frage nach der Integrierbarkeit von »Islam« und »Muslimen« ausrichten (Tezcan 2007; Spielhaus 2013), tauchte und taucht das Motiv eines zu moderierenden und zu fördernden, interkulturellen und interreligiösen »Dialogs mit Muslimen« mit Regelmäßigkeit auf. Dabei, so eine These dieser Arbeit, geht dieser »Dialog« mit spezifischen (identitätspolitischen) Machteffekten einher, die gerade vor dem Hintergrund der programmatischen Ausrichtung des Dialogs auf die Anerkennung von »Muslimen« sowie im Zuge einer solch involvierenden Bewegung eine besondere Form und Wirkungsweise erhalten.7 Die vorliegende Arbeit wird sich diesem »Dialog mit Muslimen« widmen. Dabei wird sie dezidiert auf die lokale und kommunale Ebene blicken und damit eine Forschungslücke angehen. Denn obschon »Dialoge mit Muslimen« in den letzten Jahren auch auf 4
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Aus einem 2006 erschienenen Beitrag des damaligen Innenministers Wolfgang Schäuble in der FAZ (»Muslime in Deutschland«), in welchem dieser über den »Dialog mit Muslimen« und die Islamkonferenz schreibt (Schäuble 2006). Aufgrund der in dieser Arbeit sehr häufigen Nennung der Identitätskategorie »muslimisch« wird der Einfachheit halber die maskuline Form »Muslime« verwendet, wobei damit potenziell stets beide Geschlechter gemeint sind/sein können. Ebenso wird mit »Christen« verfahren, während alle anderen, seltener vorkommenden Identitätskategorien konsequent genderübergreifend formuliert werden (in der Form: »Expert/-innen«, »Repräsentant/-innen« usw.). Da in dieser Arbeit gerade die diskursiven Herstellungs- und Aushandlungsprozesse v.a. »muslimischer« Identitäten analysiert werden, wird die Kategorie »muslimisch« in Anführungszeichen gesetzt, um den Herstellungscharakter zu betonen. Obschon dies prinzipiell alle Identitätskategorien betrifft, beschränkt sich das Setzen von Anführungszeichen in dieser Arbeit auf die Identitätskategorien »muslimisch« sowie noch auf andere religiöse Kategorien. Alle anderen Identitäten werden der Einfachheit halber ohne Anführungszeichen benannt. »Dialog« müsste als ein hergestelltes Phänomen in dieser Arbeit ebenso stets in Anführungszeichen gesetzt werden. Der Einfachheit halber wird auch darauf in den meisten Fällen verzichtet. In Aussagekontexten jedoch, in welchen die »Gemachtheit« von Dialog besonders stark ersichtlich wird, in welchen Dialog von (explizit oder implizit) zitierten Sprecher/-innen dezidiert (und »von außen«) als ein »Gegenstand« artikuliert wird oder in welchen eine sehr spezifische Verwendung dieses Begriffs vorliegt, werden weiterhin Anführungszeichen verwendet.
1. Lokale Konfigurierungen von »Islam« und »Muslimen« und das Auftauchen des »Dialogs«
lokaler und kommunaler Ebene an Bedeutung gewannen – und bis heute beibehielten (EZIRE 2018; Schmid et al. 2008; Schmid 2010a; DIK 2011; Miksch u. Hoensch 2011; KQI 2012) – wurde in der bisherigen Forschung wenig untersucht, wie ein »Dialog mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene konkret ausgestaltet und praktiziert wird. Vor allem fehlen Erkenntnisse darüber, welche Machteffekte »Dialoge« auf lokaler Ebene mit sich bringen. Die vorliegende Arbeit wird daher eine ethnographische »Tiefenbohrung« in einem exemplarisch ausgewählten lokalen Kontext leisten. Sie wird detailliert beleuchten, wie ein »Dialog mit Muslimen« auf lokaler Ebene in Praktiken und Maßnahmen übersetzt und konkret orchestriert wird, wie ein »Dialog mit Muslimen« als machtvolle ordnungspolitische Interventionspraxis in lokale gesellschaftliche Verhältnisse hineinwirkt, in kommunale Integrationspolitiken integriert wird und wie dabei »Islam« und »Muslime« auf lokaler Ebene konfiguriert werden. Die ethnographische Vorgehensweise wird neue Erkenntnisse über die lokalen Wirkungsweisen jenes bis heute relevanten diskursiven Formats zutage bringen. So wird die Arbeit zeigen, in welchen Mikrotechniken, Praktiken und Interaktionsmustern »Dialog« – auch in körperlicher und emotionaler Hinsicht – in lokalen Kontexten (be-)greifbar gemacht wird. Sie wird zeigen, wie durch Dialog »muslimische« Identitäten auf lokaler Ebene institutionalisiert werden. Sie wird zeigen, wie spezifische »Dialogexpert/-innen« auftauchen, die als lokalpolitisch verankerte Vertreter/-innen der Stadt und gleichzeitig als religionssensible Subjekte den »Dialog mit Muslimen« moderieren und lokale Machtbeziehungen etablieren. Nicht zuletzt wird der ethnographische Zugang die Emotionalitäten des Dialogs als eine politische Technologie verdeutlichen, die auf lokale Gemeinschaftlichkeit abzielt. In den letzten Jahren etablierte sich Dialog grundsätzlich als eine Zugangsform zu kultureller und religiöser Differenz, und hierbei v.a. zu »Muslimen«. Während »Islam« und »Muslime« seit den 2000er Jahren zu den Objekten integrations- und sicherheitspolitischer Diskussionen und Maßnahmen in Deutschland und Europa geworden sind (Schiffauer 2006a, 2008; Tezcan 2007; Silvestri 2010; Rodatz 2012; Mavelli 2013; Spielhaus 2013), erlangte auch der »Dialog mit Muslimen« im integrationspolitischen Kontext an Bedeutung. Kanzlerin Merkel äußerte schon im Jahr 2005, dass »wir […] einen Dialog mit dem Islam [brauchen]« (siehe Eingangszitate), ein Jahr später, 2006, wurde die erste Deutsche Islamkonferenz einberufen. Diese stellte ein staatlich initiiertes Forum dar, das einen strukturierten Dialog zwischen Staat, Gesellschaft und der »muslimischen« Bevölkerung in Deutschland anstrebte (vgl. Kapitel 3). Im Vorfeld dieses Ereignisses wurde bereits im damaligen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD festgehalten: »Wir werden einen intensiven Dialog mit den großen christlichen Kirchen und mit Juden und Muslimen führen. Ein interreligiöser und interkultureller Dialog ist nicht nur wichtiger Bestandteil von Integrationspolitik und politischer Bildung; er dient auch der Verhinderung und Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Extremismus. Gerade dem Dialog mit dem Islam kommt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle zu.« (Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11.11.2005; zitiert nach: Böhmer 2006: 211)
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Eine solche Hervorhebung des Dialogs wird bis heute fortgeschrieben – bspw. im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition von 2018 (siehe Eingangszitate). Auch die Deutsche Islamkonferenz arbeitet bis zum heutigen Tag an der Re-Justierung der Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und der Bevölkerungsgruppe der »Muslime«. Dabei fallen in den bisher zitierten Artikulationen von Dialog schnell die identitätspolitischen Prämissen des Dialogparadigmas ins Auge. Das »Wir« aus der zitierten Rede Merkels bspw. erscheint als ein »christlich« eingefärbtes »Wir«, während der Dialog grundsätzlich kulturelle und religiöse Identitäten benötigt und »stark machen« muss, um operieren zu können. Ferner zeigt sich der Dialog in eine ausgeprägte Problemperspektive eingebettet, da er letztlich immer auf die Verhinderung von Konflikten abzielt. So argumentierte die damalige Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer, zur Zeit der Gründung der Deutschen Islamkonferenz: »Wir brauchen einen langfristig angelegten Dialog der Kulturen, der allen Gesprächspartnern hilft, die Verunsicherung im Umgang mit kultureller und insbesondere religiöser Vielfalt zu überwinden.« (Böhmer 2006: 211) Auch diese Konfliktperspektive schreibt sich bis heute fort. 2018 veröffentlichte das Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ein »Policy Paper für die Bayerische Staatsregierung« mit dem Titel »Islam in Bayern«, das v.a. auf Beziehungen zwischen Politik, Gesellschaft und »Muslimen« auf kommunaler und lokaler Ebene zielt (EZIRE 2018). Hierbei wird der »Dialog mit Muslimen« als Konfliktprävention gerade für das lokale Zusammenleben vorgeschlagen. »In multi-religiösen, multi-kulturellen und multi-ethnischen Gesellschaften wie Deutschland ist Dialog zwischen den vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen wesentlich, um Konfliktpotentiale abzubauen, Probleme zu lösen und das gegenseitige Verständnis durch Kenntnis voneinander im täglichen Zusammenleben zu vertiefen […]. Interreligiöse und interkulturelle Begegnungsräume, die ja vor allem auf lokaler Ebene durch Dialoginitiativen eröffnet werden, sind in einer freiheitlichen, vielfältigen und demokratischen Gesellschaft, wie in Bayern und Deutschland, unverzichtbar für die Schaffung von gemeinsamen (Werte-)Grundlagen durch das gegenseitige Kennenlernen im Gespräch und gemeinsame Aktionen.« (EZIRE 2018: 41-42) Zum einen, so zeigen die bisherigen Zitate, scheint der Staat selbst in einen interreligiös und interkulturell eingefärbten Dialog mit »Muslimen« zu treten, zum anderen fördert er proaktiv Dialoge zwischen den Religionen und agiert dabei als Vermittler, Anstoßgeber und Moderator. Dabei fokussiert der politische Dialog vorwiegend auf das »muslimische« Subjekt, welches dazu aufgerufen ist, in einen wie auch immer gestalteten gesellschaftlichen Austausch zu treten (Tezcan 2006, 2007, 2012; Amir-Moazami 2011a, b; Radtke 2009, 2011; Schiffauer 2008; Dornhof 2012; Malik 2013; Klinkhammer et al. 2011; Hess, Binder u. Moser 2009; Mavelli 2013; Fortier 2007). Wie sich besonders im letzten Zitat widerspiegelt, erlangte der »Dialog mit Muslimen« auch auf lokaler und kommunaler Ebene an Bedeutung, die er bis heute beibehalten hat (vgl. die politische Handreichung des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa: EZIRE 2018; Schmid et al. 2008; Schmid 2010a; DIK 2011; Miksch u. Hoensch 2011; KQI 2012). Dabei gehe es vielfach darum, einen »stärkeren Austausch zwischen islamischen Gemeinden, Kommunen und gesellschaftlichen Akteuren vor Ort […]« zu fördern (aus
1. Lokale Konfigurierungen von »Islam« und »Muslimen« und das Auftauchen des »Dialogs«
einer gemeinsamen Erklärung der Oberbürgermeister der Städte Nürnberg und Göttingen im Vorwort einer Publikation der Deutschen Islamkonferenz zum Dialog mit »Muslimen«: DIK 2011: 11). In Bayern wird bspw. seit Januar 2019 eine neue »Islamberatungsstelle« eingerichtet, die sich an der seit 2015 bestehenden kommunalen Islamberatung in Baden-Württemberg orientiert. Dieses von der »christlich« geprägten, sich der Förderung interreligiöser Dialoge verschreibenden Eugen-Biser-Stiftung initiierte, von der Robert-Bosch-Stiftung finanziell und der bayerischen Landespolitik ideell unterstützte und nicht zuletzt vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa wissenschaftlich begleitete Projekt möchte unter Mobilisierung islambezogener Expertise zwischen Kommunen und lokalen »muslimischen« Organisationen und Gemeinden in Fragen des Zusammenlebens vor Ort vermitteln, bei möglichen Konflikten helfen und darüber die Beziehungen zwischen Kommunen und der lokalen »muslimischen« Bevölkerung stärken.8 Das Format eines »Dialogs mit Muslimen« enthält neben der integrationspolitischen Dimension noch weitere Dimensionen. So sind auch Momente einer politischen Ethik und nicht zuletzt (religions-)pädagogische Motive zu erkennen. Vielfach geht es im Dialog darum, »einander verstehen [zu] lernen« (Angela Merkel: Eingangszitat), »gegenseitiges Vertrauen zu schaffen« (EZIRE 2018: 39) sowie Austausch und Begegnung »auf einer tieferen menschlichen Ebene« (Schäuble: Eingangszitat) zu ermöglichen. Diese universalen Artikulationen imaginieren Dialog als grundlegende ethisch-moralische Aufgabe. Dies verdeutlichen auch die eingangs zitierten Aussagen des »muslimischen« Theologen Reza Hajatpour, die gleichzeitig die (religions-)pädagogische Perspektive auf Dialog verkörpern. Es geht darum, das religiös und kulturell geprägte Subjekt in eine Beziehung zum religiös und kulturell »Anderen« zu bringen, die resultierenden Austauschprozesse zu moderieren und dadurch Subjekte zu fördern, die in pluralen Gesellschaften navigieren und mit Differenzen umgehen können (Behr 2011). Letztlich, so die These, erwächst der »Dialog mit der muslimischen Bevölkerung« im Schnittfeld integrationspolitischer, religionspädagogischer, moralischethischer und (inter-)religiöser Diskursfelder und Traditionen (Dornhof 2012; Malik 2013; Amir-Moazami 2011b; Peter 2010; Tezcan 2007, 2009; Spielhaus 2013; Amirpur u. Weiße 2015; Behr et al. 2009; Behr 2012a; Engelhardt 2017; Schmid et al. 2008; Würth 2003; Rommelspacher 2012; Mavelli 2013; O’Toole et al. 2016; Rodatz u. Scheuring 2011). Die vorliegende Arbeit entstand derweil aus einer Beobachtung heraus, die zunächst nicht auf Dialog zielte. Am Anfang stand vielmehr die allgemeinere Diagnose, dass in der wissenschaftlichen Literatur der politische und gesellschaftliche Umgang mit »Islam« und »Muslimen« bislang überwiegend mit Blick auf nationale und supranationale Kontexte und Prozesse untersucht wurde (für Deutschland z.B. Schubert u. Meyer 2011; Halm u. Meyer 2013; Spielhaus 2011, 2013; Tezcan 2007; Malik 2013; Kortmann 2011; Lemmen 2002; Haug et al. 2009; für Frankreich: Mavelli 2013; für UK: Modood 2002; Meer u. Modood 2009; für den europäischen Kontext sowie vergleichend für verschiedene nationale Kontexte in Europa: Modood et al. 2006; Bader 2007; Silvestri 2010). Demgegenüber wurde bislang vergleichsweise selten der analytische Blick dezidiert auf 8
Vgl. den Beitrag in der SZ vom 06.12.2018: https://www.sueddeutsche.de/bayern/islam-beratung-k ommunen-1.4241923, (22.02.2019).
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die lokale und kommunale Ebene gerichtet. Entsprechend fokussierte auch die Forschung zu »Islam« und »Muslimen« in Deutschland vielfach auf Prozesse, Repräsentationen und Politiken auf nationaler Ebene. In den Blick gerieten bspw. Dynamiken der öffentlichen Wahrnehmung des Islam in Deutschland (Pollack 2013; Foroutan 2012; Bielefeldt 2009), Untersuchungen »islamischer« Verbände in Deutschland (Chbib 2011; Azzaoui 2011) oder Religionspolitiken in Europa und einzelnen europäischen Staaten (Koenig 2003, 2007; ferner z.B. Chbib 2008; Blätte 2011; Schmitt 2004, 2013; Schiffauer 2007; Tezcan 2012; Peter 2010). Auch Arbeiten, die den politischen Umgang mit »Islam« in Deutschland untersuchen, fokussieren v.a. auf die nationale Ebene, d.h. auf nationale Debatten und Politiken. Ein weites Forschungsfeld organisierte sich ferner entlang der Perspektive auf »Islam in Europa« (zum Forschungsstand: Haddad 2017: 19-58). Vor dem Hintergrund der eher dichotomisierenden Annahme, dass »Islam« und »Muslime« als neue Elemente in europäischen öffentlichen und politischen (vielfach säkularen) Räumen aufgetaucht sind, untersuchen diese Studien verschiedene Aspekte und Prozesse einer Sichtbarwerdung und Sichtbarmachung von »Islam« und »muslimischen« Identitäten, entsprechende »Kämpfe« um Identität, Zugehörigkeit und Teilhabe oder auch Aspekte und Ausprägungen der Religiosität und religiösen Praxis der »muslimischen« Bevölkerung in europäischen bzw. in einzelnen nationalen Kontexten und politischen Öffentlichkeiten. Hierbei werden teilweise auch einzelne lokale Kontexte diskutiert, es dominieren jedoch Perspektiven auf Diskurse, Identitätspolitiken und Aushandlungsprozesse auf nationaler Ebene (Jonker u. Amiraux 2006; Wohlrab-Sahr u. Tezcan 2007; Schmitz u. Işik 2015; Saleem 2015; Al-Hamarneh u. Thielmann 2008; Triandafyllidou 2010; Ammann u. Göle 2004). Teils werden auch einzelne »islamische« Gruppen und Organisationen, einzelne »islamische« Orte (Ceylan 2006) oder ein bestimmtes religiöses Personal (z.B. Imame) sowie deren Verhältnis zu »nicht islamischen« Gesellschaften untersucht (Jonker 2002; Kamp 2008; Schiffauer 2010; Beiträge in: Wohlrab-Sahr u. Tezcan 2007). Auf der anderen Seite des Spektrums existiert ein breites Feld an Arbeiten, die »muslimische« Identitätsbildung auf der Mikroebene von Individuen, Praktiken und Erfahrungen untersuchen. Diese Studien der Mikropolitiken der Subjektivierung leisten Einsichten in die Hybridität »muslimischer« Identitäten und in Formen eines gelebten »Islam« und beleuchten zugrunde liegende Diskurse (Dwyer 2000; Nökel 2004; Amiraux 2006; Schiffauer 2006b; Ehrkamp 2008; Jouili 2008; Hopkins 2008; Foroutan u. Schäfer 2009; Jeldtoft u. Nielsen 2012; Thielmann 2013; Kuppinger 2014). Hierbei werden einzelne lokale Kontexte mehr oder weniger intensiv betrachtet (Färber u. Spielhaus 2010; Schmidt 2011), wobei aber gerade lokal- und kommunalpolitische Kontexte und v.a. die Bedeutung kommunaler Integrationspolitiken unterbeleuchtet sind. Was in der bisherigen Debatte relativ wenig ausgearbeitet ist, ist eine Perspektive, die dezidiert auf lokale und kommunale Kontexte, Strukturen und Prozesse abzielt und diese auch theoretisiert. Eine spezifische Forschungslücke ergibt sich daraus, dass im Hinblick auf Fragen des gesellschaftlichen und politischen Umgangs mit »Islam« und »Muslimen« gerade kommunale Integrationspolitiken noch wenig beachtet worden sind. So entwickelte sich die vorliegende Arbeit anfangs entlang der Frage, wie »Islam« und »Muslime« – gedacht als diskursiv hervorgebrachte Identitäten und Subjektivierungsformate – in lokalen und kommunalen Kontexten sowie v.a. auch als »Objekte« kommunaler Politiken und Maßnahmen konfiguriert, d.h. spezifisch adressiert,
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mobilisiert, sichtbar gemacht und beeinflusst, werden. Die Forschungslücke der kommunalen und kommunalpolitischen Ebene ist derweil überraschend. So zeigt sich der gesellschaftliche und politische Umgang mit »Islam« und »Muslimen« stark integrationspolitisch geprägt. Die Prozesse der Thematisierung, Verhandlung und Sichtbarmachung von »Islam« und »Muslimen« sind vielfach an Fragen nach deren Integration gekoppelt. Verschiedentlich wird im Umgang mit »Islam« und »Muslimen«, explizit oder implizit, sowohl im Feld »offizieller« politischer Maßnahmen als auch in alltäglichen Interaktionen, die (Selbst-)Integration von »Muslimen« mitverhandelt (Spielhaus 2013; Tezcan 2007; Schiffauer 1997a, 2007, 2008; Hess, Binder u. Moser 2009; Schiffauer u. Bojadzijev 2009; Karakayali 2009; Schmitz u. Işik 2015; Schubert u. Meyer 2011; Halm u. Meyer 2013). Gleichzeitig ist zu beobachten, dass »Integration« als Gegenstand politischer Problematisierungen seit den 2000er Jahren verstärkt auf lokaler und kommunaler Ebene bedeutsam bzw. zur Bearbeitung auf eben diese Ebene überführt wurde. Die kommunale Ebene gewann in Bezug auf migrations- und integrationspolitische Fragen sukzessive an Relevanz, während Integration in lokalen Kontexten und durch kommunalpolitische Maßnahmen angegangen und »vor Ort« moderiert werden sollte. Die lokale und kommunale Ebene erfuhr eine Aufwertung als jene Domäne, in der Integration gelingen könne. So kann von einer »Entdeckung« der Kommunen in der Integrationspolitik gesprochen werden, die nun als »Testlaboratorien« neuer Steuerungsversuche ausgerichtet werden (SVR 2012; Gesemann u. Roth 2009a, b; Rodatz 2012, 2014; Pütz u. Rodatz 2013; Bade et al. 2001; Bommes 2003, 2008; Laurence 2008; BMVBS 2008). Kombiniert man diese Beobachtungen – die anhaltenden Debatten um »Islam« und »Muslime« im Kontext des Integrationsparadigmas sowie die Aufwertung der kommunalen und lokalen Ebene als Domäne integrationspolitischer Ansätze und integrationsrelevanter Aktivitäten –, so drängt sich für die Frage nach Prozessen der Konfigurierung von »Islam« und »Muslimen« die Analyse lokaler und kommunaler Kontexte geradezu auf. Vor dem Hintergrund dieser breiten Perspektiven auf Aushandlungsprozesse von »Islam« und »Muslimen« in Deutschland und Europa arbeiteten einige Studien für den deutschen Kontext dezidiert die gegenwärtige Bedeutung des »Dialogs mit Muslimen« heraus. Mehrere Autor/-innen deuteten diesen als ein integrationspolitisches Programm, das auf Integration durch Anerkennung und Involvierung setzt (Tezcan 2007; AmirMoazami 2011a, b; Dornhof 2012; Peter 2010; Schiffauer 2008; Radtke 2011). Diese Arbeiten, die in Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit diskutiert werden, vermochten es auch bereits, den Dialog als eine machtvolle Interventionsform zu beschreiben, die über die anerkennungslogische Programmatik integrationspolitisch-normativ die Eingliederung von »Muslimen« in die Gesellschaft forciert und dabei eine Neu-Ausrichtung kultureller und religiöser Identitäten anstrebt. Ich möchte in dieser Arbeit diese Perspektiven aufgreifen. Entgegen der alltagssprachlichen Konnotation und »liberal-egalitären« Prägung des Begriffs Dialog sowie auch entgegen einiger der zentralen »Versprechen« der politischen Dialogmaßnahmen (Amir-Moazami 2011a, b) möchte ich, der Perspektive Tezcans (2012) folgend, den Dialog keineswegs vorab als macht- und forderungsfreien Raum ergebnisoffener und konsensbezogener Begegnung begreifen. Auch möchte ich nicht in erster Linie danach fragen, ob »Muslime« durch Dialog »tatsächlich« anerkannt werden oder nicht. Vielmehr möchte ich die Macht- und Strukturierungseffekte identifizieren, die das Dialogprogramm gerade als eine auf Anerkennung und Involvie-
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rung zielende Technologie hervorbringt. Auch ist danach zu fragen, inwiefern die Praxis des Dialogs bestimmte Subjekt- und Gruppenidentitäten erst hervorbringt bzw. darauf abzielt, bestimmte Identitäten zu fördern und andere zu verdrängen. Folglich möchte ich Dialog als einen in politische Auseinandersetzungen eingebetteten identitätsund ordnungspolitischen Eingriff denken, der machtvoll auf die Neu-Konfigurierung gesellschaftlicher Verhältnisse und Beziehungen abzielt. Hierfür werde ich mich auf das Konzept des Regierens von Michel Foucault beziehen (Kapitel 2). Damit lassen sich verschiedene Praktiken und Interaktionen in gesellschaftlichen Kontexten als ein »Regieren«, d.h. als ein Beeinflussen und Vor-Strukturieren von Aktivitäten und Artikulationsoptionen, von Individuen begreifen. Die folgende Arbeit fragt nun insbesondere danach, wie ein »Dialog mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene konkret operiert, arrangiert und in Praktiken übersetzt wird. Denn auch die genannten Studien zum Dialogprogramm fokussierten vorwiegend auf die nationale Ebene und untersuchten primär identitätspolitische Prämissen und Effekte der Deutschen Islamkonferenz. Demgegenüber wurde das politische Programm des »Dialogs mit Muslimen« bislang noch wenig im Hinblick auf dessen konkrete Übersetzung, Materialisierung und Praktizierung in lokalen und kommunalen Kontexten untersucht. Auch hier drängt sich entsprechend die Frage auf, wie ein stark integrationspolitisch eingefärbtes Dialogprogramm auf lokaler und kommunaler Ebene aufgegriffen wird, wo ja gerade die Fragen nach der Gestaltung von »Integration« intensiv verhandelt werden. Die Vernachlässigung der lokalen Dimension im Hinblick auf die Adressierung, Mobilisierung und Beeinflussung von »Muslimen« durch Dialog ist auch deshalb ungünstig, da sich gerade auf lokaler Ebene die Beziehungen zwischen städtischer Zivilgesellschaft, Kommunalpolitik, Verwaltung und »muslimischen« Individuen, Gruppen und Organisationen besonders verdichten (Gesemann 2006b; FRA 2008; Schmid et al. 2008; Färber et al. 2012; Deutscher Städtetag 2013a). Auch werden Auseinandersetzungen und Aushandlungsprozesse um die Sichtbarkeit religiöser und kultureller Identitäten sowie um Teilhabe und politische Repräsentation vielfach in lokalen (und v.a. städtischen) Öffentlichkeiten verdichtet und prozessiert (Thielmann 2005; Amin 2002; Dirksmeier u. Helbrecht 2010). Nicht zuletzt sind lokale und städtische Bezüge für die Identitätsbildung (post-)migrantischer, als kulturell »anders« positionierter Individuen besonders relevant (Rodatz 2014, 2016; Schmidt 2011). Eine Analyse der lokalen Praktiken eines »Dialogs mit Muslimen« kann also auch untersuchen, wie sich das (Re-)Strukturieren lokaler gesellschaftlicher Verhältnisse durch Dialog mit lokalen Auseinandersetzungen um Identität, Lebensführung, Sichtbarkeit und Teilhabe verbindet, in welche »muslimische« Subjekte vielfach eingebunden sind. Es kann gefragt werden, wie der Dialog lokale Identitätspolitiken, Inklusions- und Exklusionsmechanismen und Subjektivierungsprozesse beeinflusst. Damit ist das Forschungsprogramm für die vorliegende Arbeit umrissen. In Anbetracht der Feststellung, dass der »Dialog mit Muslimen« grundsätzlich zu einem bedeutsamen Format avancierte, das die Aushandlungen um die Integration von »Islam« und »Muslimen« bis heute rahmt, und vor dem Hintergrund der Beobachtung, dass ein solcher Dialog gerade auch auf lokaler und kommunaler Ebene Niederschlag findet (vgl. Kapitel 3 und 4), verspricht eine Analyse der Praktiken und Maßnahmen lokaler »Dialoge mit Muslimen« weitreichende Einsichten im Hinblick auf die ursprünglich
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gestellte Frage nach gegenwärtigen Prozessen der Re-Konfigurierung von »Islam« und »Muslimen« in lokalen und kommunalen Kontexten. Gleichzeitig adressiert die Arbeit eine Forschungslücke in der bisherigen Debatte, indem sie ethnographisch die lokale Praxis von Dialog aufschlüsselt. Die Leitfragen der vorliegenden Arbeit sind dann: Wie werden »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler Ebene konkret praktiziert und inwiefern werden sie in kommunale Integrationspolitiken integriert? Wie werden »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler Ebene in Techniken des Regierens, in Verfahrensweisen und in Praktiken wirksam, die auf die Sicherstellung lokaler gesellschaftlicher Ordnungen zielen? Wie werden durch Dialog lokale gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse beeinflusst und inwiefern werden »Muslime« durch Dialog zu einem Element der lokalen Gesellschaft gemacht? Welche Formen »muslimischer« Identitäten werden dabei propagiert, welche verdrängt? Wie agieren »muslimische« Individuen, Gruppen und Organisationen im Kräftefeld des Dialogs, wie bringen sie sich ein, an welchen Maßnahmen beteiligen sie sich und wo entstehen Konflikte? Nicht zuletzt fragt die Arbeit danach, welche Bedeutung lokale und städtische Identitäten, Raumbezüge und raumbezogene Praktiken für ein Regieren von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog aufweisen können. In einer Kombination der lokalen Perspektive und Methodologie mit dem Foucault’schen Blickwinkel auf Gouvernementalität (Kapitel 2) möchte die Arbeit auch herausarbeiten, inwiefern das »Lokale« – d.h. die lokale Ebene als besondere Raumbeziehung und als ein besonderer, in diskursiver Praxis hervorgebrachter Realitätsbereich – als ein spezifisch aufgreifbares Interventionsfeld im Regieren durch Dialog bedeutsam wird und für eine Analyse des Dialogs theoretisch erschlossen werden kann. Mit dem Fokus auf lokale Praktiken, performative Vollzugsformen, Vollzugskontexte und materielle Einschreibungen eines »Dialogs mit Muslimen« trägt diese Arbeit dem aufkommenden »Interesse am ›doing‹ und ›making‹ von Geographien, an Performativität, Machttechniken, gelebter Praxis und verkörperten Subjekten« (Müller 2012: 179) Rechnung, wie es jüngst in Teilen der Politischen Geographie formuliert wurde. Damit möchte die Arbeit auch einen Beitrag zu einer »mehr-als-repräsentationalen« Politischen Geographie leisten (Müller 2015). In kultur- und sozialgeographischen sowie in politisch-geographischen Forschungsansätzen, die räumlich konfigurierte Prozesse der Herstellung und Transformation gesellschaftlicher und politischer (Macht-)Verhältnisse betrachten, verschob sich die Aufmerksamkeit im Hinblick auf »the concrete and close-at-hand« (ebd.: 418) vielfach von der Ebene der Repräsentationen und großmaßstäblichen symbolischen Wissensformationen hin zu (lokalen) Praktiken, Körpern und Materialitäten, Emotionen und Affekten (Müller 2009; Marquardt 2015; Dirksmeier u. Helbrecht 2010; Everts et al. 2011; Schurr 2013, 2014; Hutta 2015; Schurr u. Strüver 2016). Die gouvernementalitätstheoretische Perspektive auf konkrete und lokale Techniken und Orte des Regierens kann sich in dieses Erkenntnisinteresse einfügen (vgl. Füller u. Michel 2012). In dieser Arbeit werde ich argumentieren, dass sich mit dem »Dialog mit Muslimen« gerade auf lokaler und kommunaler Ebene eine besondere Technologie der Problematisierung von »Islam« und »Muslimen« etabliert hat, die in der bisherigen Forschung im Hinblick auf entsprechende Praktiken, Prozeduren und Maßnahmen sowie im Hinblick auf die lokal wirksam werdenden Macht- und Strukturierungseffekte noch wenig ana-
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lysiert wurde. Ich werde argumentieren, dass sich vor dem Hintergrund »überhitzter« und von Dichotomisierungen geprägter überlokaler Debatten um eine (vermeintlich) notwendige Integration »nicht integrierter Muslime« ein Dialogparadigma entwickelte, welches nun v.a. auf lokaler und kommunaler Ebene als »Antwort« auf jene überhitzten Islamdiskurse (Spielhaus 2013) und die darin erkannten Mechanismen der Exklusion einen auf »Verständnis«, »Anerkennung« und »Augenhöhe« zielenden Austausch zwischen der »muslimischen« Bevölkerung, der lokalen politischen Repräsentant/-innen und einer städtischen Zivilgesellschafft arrangieren möchte. Dabei, so argumentiere ich, artikuliert sich ein lokaler Dialog in einer teils de-politisierenden Bewegung vielfach als »machtfreie« Begegnung, die sich von normativen integrationspolitischen Forderungen an »Muslime« lösen und stattdessen einen offenen, forderungsfreien und konsensorientierten Austausch zwischen »Muslimen« und der Stadtgesellschaft, auf einer pragmatischen und »unaufgeregten« Ebene, etablieren möchte. Ich werde zeigen, wie diese Form des lokalen Dialogs in ausgeprägter Art und Weise als emotionalisierte Regierungspraxis operiert, die auf die Herstellung einer pluralen, interkulturellen und interreligiösen lokalen Gemeinschaftlichkeit abzielt. Diese Gemeinschaftlichkeit wird durch Techniken des Regierens an positive Empfindungen, Gefühle und Erfahrungen koppelbar, über die das Subjekt zum Teilhabenden an der affektiv-emotionalen Community des Dialogs wird. Genau eine solche Praxis, so argumentiere ich, geht mit spezifischen und oft eher »verschleierten« Macht- und Steuerungseffekten einher, deren besondere Wirkungen der eigentümlichen Form des Dialogs entspringen. Ein Dialog, der anerkennen und inkludieren, aber eben nicht formen und fordern »will«; der sich von den hierarchisierenden Effekten des Integrationsparadigmas (hinsichtlich der Position einer Mehrheitsgesellschaft gegenüber den als »migrantisch« bzw. als kulturell oder religiös »anders« gelesenen Minderheiten) lösen, aber letztlich dennoch eine bestimmte religiöse Minderheit in die Gesellschaft eingliedern möchte. Ich denke, dass es gerade vor dem Hintergrund der Selbstrepräsentation des Dialogs als liberale, ergebnisoffene und konsensbezogene Praxis umso notwendiger ist, die Machteffekte eines solchen Dialogs nicht aus dem Blick zu verlieren. Machteffekte, die, wie ich zeigen werde, vielfach mit einer spezifischen Emotionalität und dem Streben nach lokaler Gemeinschaftlichkeit verknüpft sind. Dieses Vorgehen ist notwendig, um eine kritische Reflexion gegenwärtiger Machtbeziehungen leisten zu können, in die »Muslime« auf lokaler Ebene eingebunden werden und in dessen Feldern die Integration von »Muslimen« immer wieder neu problematisiert wird. Die vorliegende Arbeit gliedert sich dabei wie folgt: Nach einer theoretischen Verortung in Michel Foucaults gouvernementalitätstheoretischen Arbeiten (Kapitel 2) wird in Kapitel 3 dargelegt, wie das Format eines »Dialogs mit Muslimen« im Kontext kulturalistischer integrationspolitischer Diskurse sowie vor dem Hintergrund eines Kulturparadigmas wirksam wurde, welches interkulturelle und interreligiöse Austauschformen als sinnvolle und notwendige Praktiken zur Sicherstellung gesellschaftlicher Kohäsion in als multikulturell und plural imaginierten Gesellschaften in Stellung brachte (Hess, Binder u. Moser 2009; Tezcan 2009; Radtke 2011). Gleichzeitig wird in diesem Kapitel der »Dialog mit Muslimen« in seinen Besonderheiten als Regierungsform betrachtet, wobei neben der Deutschen Islamkonferenz als Institution auf nationaler Ebene die Aufmerksamkeit auch auf verschiedene und heterogene gesellschaftspolitische Felder gelenkt wird, in denen Dialog eine Rolle spielt
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und in welchen ein dialogbezogenes Wissen aufgebaut wird. Anschließend wird in Kapitel 4 in einem ersten methodischen und analytischen Schritt dargestellt, inwiefern das auftauchende Format »Dialog mit Muslimen« dezidiert auch auf kommunaler Ebene angewandt wurde und wird. Die in Kapitel 3 diskutierten Arbeiten geben darauf zwar Hinweise, fokussieren aber meist nicht direkt auf die lokale Ebene. Daher werden in Kapitel 4 zusätzlich integrationspolitische Handreichungen, anwendungsbezogene Studien über die Potenziale von Dialogen und erfahrungsbasierte Praxisliteratur zur interreligiösen Kommunikation analysiert. Nach dieser ersten Skizze der Koordinaten eines dezidiert lokalen »Dialogs mit Muslimen« erarbeite ich in Kapitel 5 das methodologische und methodische Grundgerüst der vorliegenden Arbeit und der empirischen Forschung im Rahmen einer lokalen Fallstudie in der Stadt Erlangen. Ausgehend von einer methodologischen Perspektivierung auf lokale Regierungspraxis werden Methoden der qualitativen Sozialforschung und v.a. ethnographische Datenerhebungstechniken eingesetzt, um in einem lokalen Setting die Praktiken und Techniken des Regierens verfolgen zu können, durch deren Vollzugsformen und Einschreibungen »Dialog« hervorgebracht und prozessiert wird (Ott u. Wrana 2010). Sodann werden die Ergebnisse der exemplarischen Untersuchung dialogorientierter Praktiken und Maßnahmen in der Stadt Erlangen illustriert, wobei der »Dialog mit Muslimen« als ein kommunalpolitisches Regieren religiöser und kultureller Differenz aufgeschlüsselt wird. Kapitel 6 stellt die Institutionen und Akteure des Dialogs dar, skizziert Themen und Handlungsfelder und erarbeitet die lokale Geschichte des Dialogs. Es wird herausgearbeitet, wie »Islam« und »muslimische« Identitäten im Format des Dialogs in der Stadt Erlangen seit den 1990er Jahren spezifisch institutionalisiert wurden und wie dabei ein lokaler »Mythos« über »gewachsenes Vertrauen« wirksam werden konnte, der auch für gegenwärtige Praktiken bedeutsam ist. In Kapitel 7 wird die Praxis des Dialogs ethnographisch dargestellt. Hier geht es um die Machteffekte, aber auch um die Spannungen und Brüche, die im Vollzug der Techniken, Verfahrensweisen, Praktiken und Interaktionsformen auftauchen, die Dialog auf lokaler Ebene ausmachen. Kapitel 8 schließt daran konzeptionelle Reflexionen zur technologischen Form des Dialogs an und markiert sodann die empirisch abgeleitete Beobachtung, dass die Dialogpraxis in ausgeprägter Weise als eine emotionalisierte und emotionalisierende Praxis operiert. Um diese Dimension im lokalen Regieren »muslimischer« Differenz theoretisch konsistent fassen zu können, wird in Kapitel 9 die Perspektive der Gouvernementalität mit Perspektiven auf Emotion und Affekt zusammengebracht. Diese theoretische Integration ermöglicht es in Kapitel 10, den lokalen »Dialog mit Muslimen« als eine Gouvernementalität der Freundschaft zu rekonstruieren. Kapitel 11 schließt mit weiteren Reflexionen über die Machttechnologie des Dialogs. Um nun die Problemstellung dieser Arbeit theoretisch greifen zu können, werde ich im nächsten Kapitel Foucaults Arbeiten zu Gouvernementalität skizzieren und für die Analyse eines lokalen »Dialogs mit Muslimen« aufbereiten. Mit Foucaults Ansätzen lässt sich Dialog sowohl als Effekt historischer Repräsentations- und Wahrheitsregime verstehen und damit auf Ebene der Repräsentation begreifen als auch im Sinne einer konkreten, sich in lokale Kontexte einschreibenden Praxis der Intervention denken. So kann Dialog als diskursiv eingebettete, machtvolle Praxis der Beeinflussung lokaler gesell-
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schaftlicher Verhältnisse und »muslimischer« Identitäten und Praktiken beschrieben werden.
2. Gouvernementalität Über das Regieren von Gesellschaft
2.1
Michel Foucaults Instrumentarium für eine Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse: diskurs- und machtanalytische Perspektiven
In dieser Arbeit beziehe ich mich auf die machtanalytischen Überlegungen der späteren Arbeiten Michel Foucaults und hier vor allem auf sein Werk zur Gouvernementalität, das sich mit Rationalitäten und Techniken des Regierens beschäftigt. Gesellschaft bzw. gesellschaftliche Ordnungsprozesse erscheinen aus dem Blickwinkel der Gouvernementalität als Resultate des Regierens (im weiten Sinne): als Effekte verschiedener diskursiv konstituierter, gesellschaftlich etablierter und miteinander verketteter Mechanismen, Verfahrensweisen und Praktiken, über die menschliche Aktivitäten in verschiedenen Praxisfeldern in einer strukturierten Art und Weise in bestimmte Bahnen gelenkt werden. Mit der Heuristik der Gouvernementalität untersuchte Foucault gesellschaftliche (Selbst-)Steuerungsprozesse im Hinblick auf deren Einbettung in Machtverhältnisse. Eine Untersuchung von Machtbeziehungen und Formen der Machtausübung lässt sich sicherlich im gesamten Werk Foucaults wiederfinden, doch kristallisierte sich eine »Analytik der Macht« (Foucault 2005) im engeren Sinne erst in späteren Arbeiten Foucaults deutlicher heraus. In seiner diskursanalytischen frühen Phase, so in etwa in der »Archäologie des Wissens« (1981), spürte Foucault v.a. den Formationsregeln und diachronen Verschiebungen diskursiver Repräsentationszusammenhänge nach und analysierte letztere mit Blick auf deren historisch spezifische Wahrheitseffekte. Er konzeptionalisierte Diskurse als Repräsentations- und Wahrheitsregime, in denen jenes geltende Wissen produziert wird, mit dem sich eine Gesellschaft selbst beschreiben kann. Diskurse bedingen folglich die Arten und Weisen, wie Individuen denken, sprechen und praktizieren bzw. tätig sein können, sie rahmen bestimmte Varianten des Tuns und Sprechens anschlussfähig, erfahr- und kommunizierbar. Mit dieser Heuristik untersuchte Foucault, wie Diskurse das jeweils Sagbare und Sichtbare und damit die erfahrbaren »Gegenstände« temporär konturieren und von einem Bereich des Nichtintelligiblen abtrennen (Foucault 2003 [1966]; vgl. Reckwitz 2008: 23-39). Er beschrieb historisch situierte Wahrheitseffekte, die sich darin widerspiegeln, wie Subjekte sich selbst und
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die Gesellschaft begreifen und denken, und die sich gleichzeitig in den Praktiken ausdrücken, in denen die (Re-)Produktion gesellschaftlicher Ordnungen abläuft. Insofern Foucault im Zuge seiner Arbeiten (zunehmend) auch Praktiken als Modi der Reproduktion von Diskursen andachte (Wrana 2012; Baumann et al. 2015), deutet die Hegemonialisierung von Wissen im Diskurs immer auch darauf, dass bestimmte Aktivitätsmuster plausibler und wahrscheinlicher werden als andere. Diskursive Wahrheitseffekte liegen also auch den Mustern der praktischen Aktivitäten von Individuen zugrunde und finden ihren Widerhall darin, dass bestimmte Praktiken besonders anschlussfähig werden. Mit Foucault ist von einem Zusammenhang auszugehen zwischen einerseits den diskursiv produzierten Formationen geltenden Wissens und andererseits den Praktiken bzw. den Kompetenzen und Fähigkeiten von Subjekten, in einer Gesellschaft zu »praktizieren« (Glasze u. Mattissek 2009a, b, c; Wrana 2012; Ott 2011). In der diskursanalytischen Phase stellten sich Formen der Machtausübung primär als jene diskursiven Wahrheitseffekte dar. In dieser frühen Phase sah Foucault das Wirken von Macht also darin, dass über die Produktion von geltendem Wissen und über dessen Universalisierung alternative Wissensformen und Erkenntnisweisen verdrängt werden. In den späteren Arbeiten Foucaults jedoch tauchten immer spezifischere Auseinandersetzungen mit dem Machtbegriff auf, begleitet von diversen Theoretisierungen von Macht, Machtformen, Machtbeziehungen und Macht-Wissen-Relationen. So sprach Foucault in diesem Zusammenhang bspw. vom »Macht/WissensKomplex« (Foucault 2004 [1975]: 39), womit er das Ineinandergreifen von gesellschaftlichen Verhältnissen und diskursiven Wissensproduktionen markierte. Demnach fungiert das in den Diskursen konstituierte geltende Wissen immer auch als Grundlage machtvoller Interventionen in der Praxis. Erst im Aufgreifen geltenden Wissens in etwa erlangen Individuen als »positionierte Subjekte« ihre Sprecherpositionen und Aktionsmöglichkeiten, während die durch Individuen ausgeführten Tätigkeiten erst im Rekurs auf diskursive Wahrheiten identifizierbar, durchführbar und legitimierbar werden. Gleichzeitig kann sich geltendes Wissen immer nur im Feld bestehender Machtverhältnisse ausdrücken. Die diskursive Produktion von Wahrheit basiert also auch auf bestehenden Formen gesellschaftlicher Praxis, die bei Foucault stets als Machtbeziehungen in den Blick geraten. Es gibt folglich auch kein »neutrales« Wissen. Die Produktion von Wissen ist stets die Produktion eines immer schon praktisch eingesetzten Wissens; eines Wissens also, das entweder explizit im Hinblick auf bspw. ein bestimmtes Ziel generiert wird oder aber im weiteren Kontext gesellschaftlicher Beiziehungen und Interessen auftaucht und damit zumindest implizit immer schon ausgerichtet zu sein scheint. Wissen entsteht aus den Machtstrukturen heraus, während unter Rekurs auf dieses Wissen Machtbeziehungen wiederum gestärkt oder legitimiert werden (Kneer 2012; Rölli u. Nigro 2017). Darauf aufbauend erarbeitete Foucault ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre sukzessive theoretische Perspektiven, mittels welcher das Wirken von Macht – über den Fokus auf die Wahrheitseffekte von Repräsentationssystemen hinausgehend – im Strukturieren von Praxisfeldern bzw. im Wahrscheinlich-Machen bestimmter Praktiken verortet werden konnte. Die Effekte der Macht gelangten ins Zentrum des Interesses und wurden mit der Einführung eines machtanalytischen Vokabulars in den heterogenen Mechanismen der (Selbst)Strukturierung gesellschaftlicher Praxis beobachtbar, die Foucault seit den späten
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1970er Jahren als Regierung beschrieb (Foucault 2005; Füller u. Marquardt 2009). Innerhalb dieser Hinwendung zur Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse setzte sich Foucault auch stärker mit dem Machtbegriff selbst auseinander und erweiterte sein Verständnis von Machtausübung. Foucault ging davon aus, dass die (Re-)Produktion oder auch die Verschiebung gesellschaftlicher Verhältnisse als Resultate historisch auftauchender Prozesse und Techniken einer strukturierenden Einflussnahme auf die Bewegungen, Praktiken, Identitäten und Lebensführungen von Individuen und Gruppen zu begreifen sind. Diese Prozesse fasste er zunächst aus der Perspektive der Disziplin/Disziplinierung (Foucault 2004 [1975]), im weiteren Verlauf seiner Arbeiten dann jedoch zunehmend unter der breiteren analytischen Klammer der Gouvernementalität bzw. des Regierens (Foucault 2004 [1977-78], 2004 [1978-79]; Lemke et al. 2000). Gesellschaft wurde dabei nicht mehr »nur« über die Ordnungen des Wissens gedacht, sondern zuvorderst als Resultat diverser (Selbst-)Steuerungsmechanismen (politische und gesellschaftliche Interventionen, Maßnahmen, Praktiken und Verfahrensweisen sowie alle möglichen technologischen Handhabbarmachungen gesellschaftlicher Praxisfelder). Die verschiedenen (Selbst-)Steuerungsmechanismen können dabei aber erst vor dem Hintergrund diskursiver Repräsentations- und Wahrheitsregime plausibel werden (Lemke 2006 [2001], 2001; Lemke et al. 2000; McIlvenny et al. 2016a). Jedenfalls basiert Foucaults gouvernementalitätstheoretische Phase auf der Annahme, dass die in seinen früheren Arbeiten untersuchte »(machtvolle) Konstruktion geltender Wahrheiten und Bezeichnungen […] bloß ein[en] Aspekt eines größeren Prozesses gesellschaftlicher (Selbst-)Regierung [darstellt]« (Füller u. Marquardt 2009: 83; Herv. J.W.). Foucault arbeitete zusammenfassend verschiedene Modi der Machtausübung heraus: Souveränität, Disziplin und Regierung. Zumindest grob ordnete er jene Modi der Macht historischen Epochen zu, betonte aber, dass diese Machtformen letztlich auch gleichzeitig in bestimmten Konfigurierungen in den verschiedensten historischen Kontexten vorkommen und auch als analytische Perspektiven verstanden werden können (Foucault 2005 [1978]a). Souveränität verweist dabei auf eine juridische Machtkonzeption: das Machtausüben im Rekurs auf das Recht und sodann durch das Gesetz, durch das Verbot und über souveräne Verfügungsgewalt. Disziplin verweist auf eine kriegerische Machtkonzeption, die Machtausübung als unterwerfenden und normierenden Zugriff fasst. Dis Disziplin versucht, eine problematische menschliche Natur zu bändigen und in normierte Formen zu zwängen. Demgegenüber geht die Regierung als gouvernementale Machtkonzeption nicht primär von einem zu bändigenden Element aus, sondern (re-)konstituiert die zu regierenden Individuen (und Dinge) als aktive Elemente mit einem ihnen je eigenen Wert, woraufhin die Individuen so zu führen sind, dass sie ihre Potenziale entfalten können (Foucault 2004 [1977-78]: 78-79). Das Regieren ist also keine disziplinierende Zurichtung, sondern eher eine Einflussnahme auf dynamisch gedachte gesellschaftliche Verhältnisse – eine Einflussnahme, die, statt zu normieren, nach dem »Natürlichen« und »Normalen« sucht, in diesem Sinne über die Normalisierungsdispositive operiert und Individuen in ihren Aktivitäten und in ihrer »Freiheit« aufgreift und in bestimmte Bahnen lenkt. Die verschiedenen Machtkonzeptionen unterscheiden sich also im Hinblick darauf, über welche Kanäle Macht auf das Individuum einwirkt. Es galt Foucault nun herauszuarbeiten, wie diese Formen der Machtausübung in der Systema-
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tisierung praktischer gesellschaftlicher Beziehungen ihren Ausdruck finden konnten und wie sie sich in diverse historische Praktiken und Verfahrensweisen übersetzten. In seinen disziplinartheoretischen Arbeiten, den historisch-empirischen Analysen zur Mikrophysik der Macht in den Disziplinen (Foucault 2004 [1975]; 1977 [1976]), verortete Foucault Machtbeziehungen in den Praktiken und Techniken, die innerhalb institutionalisierter, auf Normierung gerichteter Felder (bspw. Kaserne, Schule, Fabrik, Gefängnis, Klinik) eine Kanalisierung der Verhaltensweisen von Körpersubjekten ermöglichten. Im Sinne jener »kriegerische[n] Konzeption der Macht« (Lemke 2006 [2001]: 478) zeigte Foucault, wie Individuen in solchen institutionellen Gefügen als entsprechend »gefügige«, angepasste Subjekte hervorgebracht werden, die die an sie herangetragenen Verhaltenserwartungen internalisieren (Foucault 2005). Durch diese Internalisierungen werden Individuen gleichzeitig als produktive und »wertvolle«, da ausgebildete und disziplinierte Subjekte hervorgebracht, die ihre Disziplin in Wert setzen können. Mit der Machtkonzeption der Disziplin konnte sich Foucault vom rechtlichen Machtmodell der Souveränität lösen. So machte er es möglich, Machteinwirkung nicht nur als gesetzesförmigen Eingriff zu denken, sondern auch jenseits der »üblichen« Domänen staatlicher und rechtlicher Interventionen rekonstruieren zu können. Foucault lieferte die Grundlagen, um Gesellschaft als Effekt machtvoller Disziplinierungsmechanismen zu beschreiben, die in den Institutionen, aber potenziell auch in ganz alltäglichen Kontexten und in der Form alltäglicher Selbstdisziplinierungen wirksam werden. Dabei musste die Disziplin jedoch als eine auf das Individuum zugreifende und selbiges zurichtende, folglich immer noch als eine primär repressive, Kraft erscheinen, die die Köper normiert (Foucault 2005 [1977], 2004 [1975]). Das Modell der Disziplin imaginierte Machtausübung als einen top-down wirkenden, allumfassenden Zugriff, der ein passives Subjekt unterwirft – vermittels Institutionen wie auch durch gesellschaftliche Normierungsmechanismen. In »Der Wille zum Wissen« (1977 [1976]) und »In Verteidigung der Gesellschaft« (2002 [1975-76]) erscheint Machtausübung als mannigfaltige und sich über zahlreiche Kanäle ausbreitende Kontrolle der Lebensführung. Wie Collier (2009) kritisiert, drängt sich in diesen Ansätzen (sowie in einigen Rezeptionen der an Foucault anschließenden governmentality studies) die Annahme auf, die gesellschaftlichen Verhältnisse seien gänzlich von einer einzigen, homogenen und epochalen Architektur der Macht bestimmt. Campbell spricht diesbezüglich von »Foucault’s one-dimensional focus on disciplinary power and forces of domination« (Campbell 2010: 39). Foucault selbst erkannte diese Problematik und stellte im weiteren Verlauf seiner Arbeiten fest, dass die Charakteristika der Machtverhältnisse – vor allem innerhalb »liberaler« Gesellschaften – von einer solchen Konzeption nicht adäquat eingefangen werden können (Lemke 2006 [2001]: 478; Foucault 2004 [1977-78]). So erarbeitete er im Zuge seiner Untersuchungen neuzeitlicher Regierungskünste das Konzept einer gouvernementalen, d.h. »die Regierung betreffenden« Machttechnologie (Foucault 2005 [1978]a, 2005) und erweiterte damit sein Verständnis von Machtausübung. Mit seinem bewusst weitgefassten Regierungsbegriff beschrieb er Machtausübung nun weniger als einen disziplinierenden und kontrollierenden Zugriff, sondern verortete Macht in den mannigfaltig geformten und in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen zu beobachtenden Versuchen der Beeinflussung des Verhaltens von Individuen. Dabei würde das Regieren eine Machttechnologie darstellen, die auf aktive Individuen abzielt, die sich immer be-
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reits in ihrer eigenen Bewegung befinden würden. Diese Bewegungen avancieren im Regieren zu den Objekten der Beeinflussung. Damit etablierte Foucault gewissermaßen ein »sanfteres« und »subtileres« Modell der Macht, mit dem der alte Fokus auf Disziplin und Dominanz überkommen wurde (Campbell 2010). Mit dem Regierungskonzept führte Foucault »eine neue Dimension in seine Machtanalyse ein, die es ermöglicht, Machtbeziehungen unter dem Blickwinkel von ›Führung‹ zu untersuchen, um sich gleichermaßen vom Modell des Rechts wie vom Modell des Krieges abzusetzen« (Lemke et al. 2000: 8). Diese Perspektive »recognises the multi-dimensionality of power relations« (Campbell 2010: 39). Denn um die verschiedenen Formen einer beeinflussenden Lenkung von als gegeben identifizierten Bewegungen und Aktivitätsräumen innerhalb der Gesellschaft zu verstehen, verabschiedete sich Foucault vom Konzept der beherrschenddominierenden, von oben herab zugreifenden Machtausübung (siehe nachfolgende Kapitel). Foucaults machtanalytische Ansätze (Foucault 2005), die er in seinen Studien zur Disziplin und später in den gouvernementalitätstheoretischen Reflexionen über das Regieren entwickelte, konzipieren das Ausüben von Macht als eine Praxis, die ihre Form »aus der Art und Weise [erhält], in der wir uns aufeinander beziehen« (Füller u. Marquardt 2009: 85). Die Physik der Macht(-ausübung) definiert sich also darüber, wie sich Individuen (und Dinge) in gesellschaftlich eingebetteten praktischen Arrangements aufeinander beziehen (können), wie sie aufeinander bezogen werden, wie sie damit ein Feld von Aktionsmöglichkeiten für sich und für andere mit- und vorstrukturieren und wie sie sich dabei mehr oder minder systematisch gegenseitig beeinflussen. Die Technologien der Macht sind dann genau jene Kräfte, die in diese heterogenen Beziehungen zwischen Elementen eingreifen und sie zu strukturieren suchen (Foucault 2005 [1982]). Macht gelangt folglich als eine mehr oder weniger strukturierte und strukturierende Praxis der Modellierung von Beziehungen ins Blickfeld, die sich selbst erst im bestehenden Beziehungsgeflecht des Gesellschaftlichen herausbildet (Foucault 2005 [1982]). Die Operativität einer so konzipierten Macht erscheint dann auch als etwas, dass sich in die Materialitäten, Architekturen, Institutionen, Praktiken, Verfahrensweisen und Körper einschreibt. Eine Foucault’sche Machtanalytik und v.a. das Konzept der Gouvernementalität lenken den Blick dabei auf die konkreten Formen der Regulierung von Lebensweisen bzw. auf die konkreten Mechanismen der Menschenführung (Füller u. Marquardt 2009; Füller u. Michel 2012; Bröckling u. Krasmann 2010). Foucaults »Analytik der Macht« (2005) fokussiert also nicht »nur« auf die diskursiven Prozesse der Herstellung und Stabilisierung von Wissen und Identität(-en), sondern auch auf die damit verknüpften, historisch emergierenden Varianten eines gestalterischen und materiellen Eingriffs in gesellschaftliche Verhältnisse. Ulrich Bröckling und Susanne Krasmann formulieren diese Perspektivierung auf ihre Weise, wenn sie schreiben, dass zwar sowohl »Gouvernementalitätswie Diskursanalysen […] nach den Verflechtungen von Wissens- und Machtdispositiven [fragen] […], Gouvernementalitätsanalysen […] dabei [aber] stärker am Machtpol, Diskursanalysen stärker am Wissenspol verortet [sind]« (Bröckling u. Krasmann 2010: 39). Die Operativität der Macht (der »Machtpol«) ist jedoch ohne eine Analyse der diskursiven Wissensformationen nicht zu entschlüsseln. Aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive interessiert somit stets zweierlei: »Wie Wahrheit ›produziert‹ wird
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und wie sich an diese Wahrheitsproduktion bestimmte Machttechnologien anschließen.« (Lemke 2000: 44) Gouvernementalitätsanalysen untersuchen die Konstruktion geltender Wahrheiten und Evidenzen und rekonstruieren gleichzeitig »das historischspezifische Netz von Kräfteverhältnissen, Interessen und Strategien […], das jene Evidenzen ermöglicht und stabilisiert hat« (Lemke et al. 2000: 21; vgl. Dzudzek 2016: 2340, 46-50). Regierungsprozessen sind stets diskursive Wissensbestände inhärent, doch drückt sich das Regieren nicht nur im Feld des Wissens, sondern auch über Praktiken und Techniken aus, die ihre jeweils eigene materielle Dynamik aufweisen (Rose et al. 2006; Li 2007; Miller u. Rose 2008; Dean 2010 [1999]; Lemke et al. 2000). So richtete Foucault in den Vorlesungen am Collège de France (2004 [1977-78], 2004 [1978-79]) den Blick u.a. auch auf das Auftauchen verschiedener Verfahrensweisen, Methoden, Maßnahmen, Prozeduren, Taktiken und Techniken, durch welche gesellschaftliche Verhältnisse beeinflusst und Individuen geführt werden (Foucault 2005 [1978]a, 2005 [1982]). Letztlich geht es in gouvernementalitätstheoretischen Ansätzen um eine Analyse »of the situation of human beings engaged in particular relations of force and meaning« (Rose 1999: 279; Herv. J.W.). So könnte danach gefragt werden, wie erst die (Re-)Produktion von Subjektidentitäten im Diskurs (meaning) regierbare Subjekte hervorbringt, die dann gerade durch diese Identitäten adressiert, mobilisiert und in ihren Aktivitäten beeinflusst werden können (force). Gouvernementalitätstheoretische Ansätze fragen nach Wissensproduktion und Intervention und arbeiten gerade deren wechselseitige Verschränkung heraus. All diese Perspektivierungen verdichten sich derweil im Begriff der Gouvernementalität, welcher auf die Bedingungen und Kontexte des Auftauchens von Regierung deutet: eine spezifische Machttechnologie und gleichsam ein spezifischer Modus des Agierens, den Foucault als historisches Phänomen und analytische Perspektive einführt.
2.2 2.2.1
Das Regieren Die (Un-)Wahrscheinlichmachung von Verhaltensweisen: der weite Regierungsbegriff
Foucault formulierte seine gouvernementalitätstheoretischen Perspektiven in Auseinandersetzung mit Fragen nach der Genealogie, der Ontologie und nach den historischen Transformationen moderner Staatlichkeit. Im Zuge dieser Unternehmung kleidete Foucault sein Interesse an der Gestaltung und Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse (die den Artikulationen von Staatlichkeit zugrunde liegen) in die neue konzeptionelle Terminologie des Regierens. Der zunächst in den Vorlesungen zur Gouvernementalität (Foucault 2004 [1977-78], 2004 [1978-79], 2005 [1982]) entwickelte Regierungsbegriff stellte fortan einen Leitfaden der Machtanalytik Foucaults dar (Lemke et al. 2000; Lemke 2006 [2001]; Sennelart 2004). Damit untersuchte er Maßnahmen, Verfahrensweisen, Techniken und die damit verknüpften Subjektivierungsformen (Foucault 2004 [1977-78]: 268), über die Gesellschaften in historischen Kontexten regierbar gemacht werden konnten (z.B., aber nicht nur, durch eine Form von Staat). Im Gegensatz zu Governance-Ansätzen, die Regierung und allgemein Machtausübung v.a. in Form von
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und wie sich an diese Wahrheitsproduktion bestimmte Machttechnologien anschließen.« (Lemke 2000: 44) Gouvernementalitätsanalysen untersuchen die Konstruktion geltender Wahrheiten und Evidenzen und rekonstruieren gleichzeitig »das historischspezifische Netz von Kräfteverhältnissen, Interessen und Strategien […], das jene Evidenzen ermöglicht und stabilisiert hat« (Lemke et al. 2000: 21; vgl. Dzudzek 2016: 2340, 46-50). Regierungsprozessen sind stets diskursive Wissensbestände inhärent, doch drückt sich das Regieren nicht nur im Feld des Wissens, sondern auch über Praktiken und Techniken aus, die ihre jeweils eigene materielle Dynamik aufweisen (Rose et al. 2006; Li 2007; Miller u. Rose 2008; Dean 2010 [1999]; Lemke et al. 2000). So richtete Foucault in den Vorlesungen am Collège de France (2004 [1977-78], 2004 [1978-79]) den Blick u.a. auch auf das Auftauchen verschiedener Verfahrensweisen, Methoden, Maßnahmen, Prozeduren, Taktiken und Techniken, durch welche gesellschaftliche Verhältnisse beeinflusst und Individuen geführt werden (Foucault 2005 [1978]a, 2005 [1982]). Letztlich geht es in gouvernementalitätstheoretischen Ansätzen um eine Analyse »of the situation of human beings engaged in particular relations of force and meaning« (Rose 1999: 279; Herv. J.W.). So könnte danach gefragt werden, wie erst die (Re-)Produktion von Subjektidentitäten im Diskurs (meaning) regierbare Subjekte hervorbringt, die dann gerade durch diese Identitäten adressiert, mobilisiert und in ihren Aktivitäten beeinflusst werden können (force). Gouvernementalitätstheoretische Ansätze fragen nach Wissensproduktion und Intervention und arbeiten gerade deren wechselseitige Verschränkung heraus. All diese Perspektivierungen verdichten sich derweil im Begriff der Gouvernementalität, welcher auf die Bedingungen und Kontexte des Auftauchens von Regierung deutet: eine spezifische Machttechnologie und gleichsam ein spezifischer Modus des Agierens, den Foucault als historisches Phänomen und analytische Perspektive einführt.
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Das Regieren Die (Un-)Wahrscheinlichmachung von Verhaltensweisen: der weite Regierungsbegriff
Foucault formulierte seine gouvernementalitätstheoretischen Perspektiven in Auseinandersetzung mit Fragen nach der Genealogie, der Ontologie und nach den historischen Transformationen moderner Staatlichkeit. Im Zuge dieser Unternehmung kleidete Foucault sein Interesse an der Gestaltung und Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse (die den Artikulationen von Staatlichkeit zugrunde liegen) in die neue konzeptionelle Terminologie des Regierens. Der zunächst in den Vorlesungen zur Gouvernementalität (Foucault 2004 [1977-78], 2004 [1978-79], 2005 [1982]) entwickelte Regierungsbegriff stellte fortan einen Leitfaden der Machtanalytik Foucaults dar (Lemke et al. 2000; Lemke 2006 [2001]; Sennelart 2004). Damit untersuchte er Maßnahmen, Verfahrensweisen, Techniken und die damit verknüpften Subjektivierungsformen (Foucault 2004 [1977-78]: 268), über die Gesellschaften in historischen Kontexten regierbar gemacht werden konnten (z.B., aber nicht nur, durch eine Form von Staat). Im Gegensatz zu Governance-Ansätzen, die Regierung und allgemein Machtausübung v.a. in Form von
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Gesetzen, Institutionen oder politischen Maßnahmen beleuchten (das wäre das Machtmodell der Souveränität), stellt das Regieren bei Foucault im allgemeinen Sinne eine Praxis der Beeinflussung und (Vor-)Strukturierung gesellschaftlicher Praxis dar. Formen des Regierens finden sich in den Praktiken und Prozessen abgebildet, durch welche die Aktivitäten des Selbst und der »Anderen« beeinflusst sowie gesellschaftliche Beziehungen und Aktionsfelder konfiguriert werden. Das Regieren stellt dann eine spezifische Verschränkung von Momenten der Ermöglichung und der Verunmöglichung von Optionen des Sich-Verhaltens dar, es wirkt »in einem Feld von Möglichkeiten für das Verhalten handelnder Subjekte« (Lemke 2006 [2001]: 478). Regierung strukturiert ein mehr oder minder offenes Feld möglicher Aktivitäten vor und operiert als (Un-)Wahrscheinlichmachung der Ausführung bestimmter Praktiken – bzw. der Anschlussmöglichkeiten von Praktiken an vorhergehende Praktiken (Foucault 2005 [1982], 2005 [1978]a). Oder, mit Bröckling und Krasmann: »Regieren bedeutet Kraftfelder zu generieren, die bestimmte Verhaltensformen wahrscheinlicher machen sollen als andere.« (Bröckling u. Krasmann 2010: 29) Macht wirkt im Regieren sodann als eine »technische«, d.h. in Verfahren gegossene Produktion von Verhaltens(-un-)möglichkeiten. Über einen solch weiten Regierungsbegriff wird der Blick auf die verschiedensten Formen der Beeinflussung des Verhaltens von Individuen innerhalb gesellschaftlich eingebetteter Interaktionskontexte gerichtet. Regierung erscheint dann allgemein als »die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels derer man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung« (Foucault 2005 [1980]: 116), als die »Gesamtheit von Prozeduren, Techniken, Methoden, welche die Lenkung der Menschen untereinander gewährleisten« (Foucault 1996 [1980]: 118-119). Folgt man dem Wortsinn, stellt eine Analyse der Gouvernementalität eine Untersuchung all jener Phänomene dar, die das Regieren betreffen (Gouvernementalität als »das die Regierung Betreffende«, vgl. Lemke 2005: 335). Eine solche »Analytik der Macht« (Foucault 2005) fokussiert in einer umfangreichen Bewegung auf »die Gesamtheit [der] Institutionen, […] Verfahren, Analysen und Reflexionen, de[r] Berechnungen und de[r] Taktiken, die es gestatten, diese […] komplexe Form der Macht auszuüben« (Foucault 2005 [1978]a: 171), die Foucault als Regierung beschreibt. Der Ansatz unterläuft dabei jede Vorstellung, eine zielorientierte, rational steuernde Politik zu rekonstruieren. Regierung ergibt sich demgegenüber eher als ein struktureller Effekt. Die dezidiert heterogen gedachten Formen der Beeinflussung/Machtausübung/Regierung (zur Deckungsgleichheit dieser Begriffe: Foucault 2005 [1982]) werden unter der analytischen Perspektive der Gouvernementalität als historisch eigentümlich ausgeprägte Verfahrensweisen rekonstruierbar, die ihre je spezifischen Machteffekte zeitigen, gesellschaftliche Verhältnisse prägen, dabei in allen möglichen gesellschaftlichen Feldern auftauchen und folglich bei Weitem nicht nur auf staatliche Bereiche beschränkt sind. Mithilfe des Regierungsbegriffs kann Foucault vielmehr danach fragen, »inwiefern Machteffekte einer ganzen Reihe von Ausdrucksformen gesellschaftlichen Zusammenlebens zu eigen sind« (Füller u. Marquardt 2009: 84). Es gilt dann zu zeigen, wie durch Aktivitäten des Regierens gesellschaftliche Verhältnisse und die darin verort- und artikulierbaren Identitäten und Subjektpositionen hergestellt oder verändert werden. Über das »Regierungshandeln« im engeren Sinne hinaus zeigt Foucault dabei, wie das Regieren sich auf eine »Gesamtheit der Machtbeziehungen« (Foucault 2005 [1978]b: 145) stützen muss, auf mannigfaltige »Machtbeziehungen, die zwischen
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den Geschlechtern bestehen, zwischen Erwachsenen und Kindern, in der Familie, in den Büros […]« (ebd.: 145). Folglich lassen sich mit dem Regierungsbegriff analytisch alle möglichen Formen der gestalterischen Einflussnahme auf gesellschaftliche Verhältnisse sowie alle möglichen (Selbst-)Steuerungsprozesse beschreiben, wobei sowohl die zugrunde liegenden Diskurse und Rationalitäten als auch die Methoden und Verfahren in den Blick geraten, in denen sich erstere konkretisieren (Miller u. Rose 2008; Füller u. Marquardt 2009). Der Regierungsbegriff vereint dabei, wie Füller und Marquardt (2009: 85) herausgearbeitet haben, verschiedene Ausdrucksformen und Ebenen der Machtbeziehungen. Das Regieren ist einerseits in die Arten und Weisen eingebettet, wie Gesellschaft sich selbst beschreibt. Es konstituiert sich vor dem Hintergrund der Diskurse und deren Wahrheitseffekte. Das Regieren ist andererseits eine Praxis, die sich in der (Re-)Konfigurierung der Arten und Weisen ausdrückt, in denen sich Individuen im fortlaufenden Tätigsein aufeinander beziehen (können) – dies ist die Ebene der praktischen (Macht-)Verhältnisse. Nicht zuletzt gelangen die Arten und Weisen in den Blick, in denen sich Individuen auf sich selbst beziehen. Die Strukturierung des Möglichkeitsfeldes wird partiell auch von den sich darin bewegenden Subjekten selbst vorgenommen, insofern sich diese den gesellschaftlich produzierten Subjektivierungsschablonen unterwerfen und damit spezifische Identitäten, Ziele und Verhaltensmuster internalisieren (Foucault 2005, 2005 [1982], 2004 [1977-78]; Burchell 1993; Füller u. Marquardt 2009). So sind es auch die Mechanismen der Selbstführung von Subjekten, die über den Regierungsbegriff gerade in ihrer Verschränkung mit den Fremdführungsmechanismen in den Blick geraten (Bröckling u. Krasmann 2010; Füller u. Marquardt 2009). Die (Re-)Produktion gesellschaftlicher Verhältnisse enthält immer auch eine (Re-)Produktion von Deutungsangeboten, die von Individuen – vermittelt über die Mechanismen der Selbstführung – aufgegriffen werden. Dadurch konstituieren sich selbige als identifizierbare und handlungsfähige Subjekte und können sodann als führbare/beeinflussbare Subjekte regiert werden (Foucault 2005 [1978]a, 2005 [1982]; Reckwitz 2008: 23-39; Bröckling et al. 2000; Lemke et al. 2000). Regierungsformen erwachsen somit aus der temporären Stabilität solcher Verschränkungen von (Fremd-)Führung, Selbstführung und Subjektivierung. Über die Analyse solcher Verschränkungen (oder über eine Analyse einzelner Dimensionen, die die Spezifik der Verbindungen im Blick behält) lassen sich gesellschaftliche Verhältnisse in gegenwärtigen liberalen Kontexten erklären, worauf vielfach Vertreter/-innen der governmentality studies hingewiesen haben (Rose u. Miller 1992; Rose 1993; Burchell et al. 1991; Dean 2010 [1999]). Die Verschränkungen von Fremd- und Selbstführung machen auch das Machtphänomen des Regierens aus: »The contact point, where the individuals are driven by others is tied to the way they conduct themselves, is what we call, I think, government.« (Foucault 1993: 203) Die Unterwerfung unter gesellschaftliche Bedingungen und die Selbstkonstitution als aktionsfähiges Individuum verschränken sich in jenen Praktiken, über die sich das Subjekt konstituiert (Foucault 2005 [1982]). Dabei betonte Foucault stets auch das Wirken von Gegenmacht als konstitutiv für die Herausbildung jeder Form des Regierens (Foucault 2004 [1977-78]: 508-512, 2005 [1982]; Lemke et al. 2000). Insgesamt, so ist festzuhalten, manifestiert sich das Regieren als ein »Zuschnitt des Bereichs möglichen Handelns« (Füller u. Marquardt 2009: 88), wobei nun »die-
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ser Zuschnitt […] in einem Zusammenspiel von Wissensformen, Machttechniken und Prozessen der Subjektivierung [abläuft]« (ebd.: 88).Das Regieren kann dabei in Bezug auf die dem Konzept inhärente prozessorientierte Perspektive auch als eine »Regierbarmachung der Gesellschaft« (Foucault 1992: 12) verstanden werden. Im Zuge einer solchen Regierbarmachung werden handhabbare Phänomene als solche identifiziert, gemäß eines sich formierenden Regierungswissens eingeordnet, durch Interventionen beeinflusst und damit als »reale« Phänomene immer wieder hervorgebracht.
2.2.2
Regierung als historisches Phänomen, als spezifischer Machttypus und als analytische Perspektivierung auf gesellschaftliche (Ordnungs-)Prozesse
Das Regierungskonzept weist in Foucaults Werk eine historische und zeitgleich eine analytische Dimension auf (2005 [1978]a). So entwickelte Foucault sein weites Verständnis von Regierung ausgehend von historisch-empirischen Untersuchungen neu auftauchender politischer Reflexionen über legitime Formen der Lenkung von Bevölkerung, wie sie seit der frühen Neuzeit (vorwiegend im europäischen Kontext) zu beobachten waren und bis in die Gegenwart des 20. Jahrhunderts zu verfolgen sind. Das Auftauchen der Machttechnologie des Regierens, die in Differenz zur Disziplin oder zur souveränen Machtausübung des »Fürsten« steht, erscheint bei Foucault also zunächst als ein historischer Prozess, über dessen Rekonstruktion er aber gleichzeitig analytische Perspektiven entwickelt, um damit auch gegenwärtige gesellschaftliche Prozesse beschreibbar zu machen. Vor dem Hintergrund mehrerer historischer Erschütterungen sedimentierter Wahrheiten (z.B. Reformation, Gegenreformation Aufklärung, Naturwissenschaften), zunehmender, auch schon sehr früh einsetzender Globalisierungsprozesse sowie dem Entstehen territorialer Verwaltungsstaaten in Europa seit dem 16. Jahrhundert rückten, so zeigen Foucaults historische Analysen (2005 [1978]a), die Fragen nach »Regierung« – und zwar nach einer guten, nützlichen, optimalen Regierung – in zunehmendem Maße in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit politischer Reflexion. Dies fand in den verschiedensten Abhandlungen über »Regierungskünste« Ausdruck, die seit Beginn der europäischen Neuzeit verfasst wurden. In diesem Feld der Reflexion der Regierungskünste etablierte sich vor allem ein Nachdenken über die Zusammenhänge zwischen staatlich-souveräner Steuerung und den vielen Formen der Selbstregierung und Selbstregulierung von Individuen, Gruppen und »natürlichen« Gegenständen. Diese Reflexion bezog sich also »nicht nur auf politische Strukturen und auf die Verwaltung der Staaten, sondern bezeichnete die Weise, in der die Führung von Individuen oder Gruppen gelenkt wurde: Regiment der Kinder, der Seelen, der Gemeinden, der Familien, der Kranken« (Foucault 1987 [1982]: 255). Gleichzeitig löste sich die politische Reflexion über die Fragen nach der Regierbarkeit der Bevölkerung und der Angemessenheit von Machtausübung »vom Problem der Souveränität« (Lemke 2006 [2001]: 476) sowie von jedweder »göttlichen Schöpfungsordnung« (ebd.: 476), sodass Regierung nun vielmehr als »Gegenstand eines rationalen Wissens« (ebd.: 476) erschien, welches entsprechend auch verstärkt generiert werden musste. Für Foucault ist es gerade diese neue Dynamik »in der Reflexion auf die Voraussetzungen, den Gegenstand und die Ziele von Regierung« (Lemke 2006 [2001]: 476), durch welche jener neue Machttypus des Regierens
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(Foucault 2005 [1978]a) begründet wurde. Dabei ging es um die Frage, wie und mittels welcher Techniken das »Leben« der Individuen sowie die Entwicklung sowohl der Bevölkerung als auch des Staates beeinflusst werden könnten. Für Foucault entwickelte sich das historische Nachdenken über das Regieren als ein Nachdenken über alle möglichen Formen einer rahmensetzenden, eher indirekten Beeinflussung gesellschaftlicher Verhältnisse sowie über deren Legitimität und Sinnhaftigkeit. In Verbindung mit dieser historischen Bewegung des Denkens konnte sich Regierung sukzessive als Machttechnologie etablieren und sich auch in eine historische »Vorrangstellung« (Foucault 2000b: 65) bringen. Dies bedeutet, dass Machtausübung von der frühen Neuzeit an zunehmend in der Gestalt des Regierens operierte: in der Gestalt der politischen Reflexion auf die Frage, wie die Individuen und Dinge so zu beeinflussen sind, dass sich das ihnen zugeschriebene Potenzial entfalten könne. Als allgemeinste Form der Einflussnahme (Strukturierung, Wahrscheinlichmachung) erscheint das Regieren als eine übergeordnete Operation, die sich im Hinblick auf spezifische Steuerungsprobleme der Disziplin (z.B. von Schüler/-innen in der Schule) oder der Souveränität (z.B. im Feld der Rechtsprechung) bedient (Foucault 2005 [1978]a), um ihr übergeordnetes Ziel zu verfolgen: die Sicherstellung einer »normalen«, von selbst laufenden Entwicklung der Bevölkerung. Als Zugriffsrationalität und spezifischer Machttypus fokussiert das Regieren keineswegs auf gänzlich passive und formbare, sondern auf aktive, produktive Individuen. Daran lässt sich wiederum die Abgrenzung zur kontrollierenden Disziplinarmacht festmachen. Das Regieren »schreibt nicht normativ bestimmtes Verhalten vor […], sondern begreift das Subjekt (wie im übrigen auch die Objektwelt) als eine aktivistische Instanz, deren Handlungsfluss zum Gegenstand des Hemmens und Förderns, der Abschreckung und des Anreizes wird« (Reckwitz 2008: 35-36). Das Subjekt wird also »weniger zum Objekt der Disziplinierung als zum Subjekt/Objekt einer Regierung« (ebd.: 34). Im Modus des Regierens werden Subjekte, Objekte »wie auch das Kollektiv einer ganzen Gesellschaft und ihrer Bevölkerung in ihre[n] (vermeintlichen) Eigendynamik[en] betrachte[t] und zugleich als solche eigendynamische[n] Entitäten zum Gegenstand einer Steuerung in die Richtung eines als wünschenswert angenommenen Zustands [gemacht]« (ebd.: 34). Zentral am Regieren ist somit, dass die entsprechenden Rationalitäten und Technologien von einer immer schon existenten und in einer spezifischen eigenen Bewegung begriffenen Bevölkerung ausgehen und folglich immer schon »einen lebenden, aktiven, produktiven Menschen« (Foucault 2005 [1981]: 212) voraussetzen, adressieren, lenken und verwalten. Das Subjekt, die Dinge und die Gesellschaft werden also als Elemente betrachtet, die nicht von Null an geformt, »nicht Gegenstand einer kompletten Neukonstruktion und Lenkung von außen« (Reckwitz 2008: 35) werden können. Das Besondere an der Machttechnologie des Regierens liegt genau in dieser Adressierung von Individuen als immer schon fähige Subjekte und in der Mobilisierung deren Kompetenzen, Interessen und Bedürfnissen als wichtige und existente Variablen des »Lebens«.1 1
Hierbei verweist Foucault auf die dem Regieren zugrunde liegende Pastoralmacht, die sich aus der »jüdisch-christlichen« Tradition heraus entwickelte, und sieht in derem Prinzip die Grundlagen für die Herausbildung jener Steuerungsform, die auf aktive, ablaufende Prozesse zielt. Über die
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Ziel des »guten« Regierens ist es dann, die Wohlfahrt der Gesellschaft sicherzustellen (Li 2007; Foucault 2005 [1978]a). Mit dem Konzept des Regierens löst sich Foucault radikal vom Machtmodell des »Souveräns«, und zwar in mindestens zweierlei Hinsicht. Erstens werden Machtbeziehungen nicht länger auf ein souveränes Zentrum der Macht zurück- und enggeführt, welches jede Machtausübung begründen würde. Es ist weder ausschließlich eine politische Machtposition (z.B. der »Fürst«), noch eine mächtige Gruppe (z.B. eine politische Elite) oder eine Institution (z.B. der Staat), die als primäre Machtquelle die gesellschaftlichen Verhältnisse gänzlich kontrollieren könnte. Machtbeziehungen und Formen der Machtausübung finden sich vielmehr überall in der Gesellschaft. Machtausübung lässt sich im Entscheidungsakt einer Person in einem politischen Amt genauso auffinden wie in der relativen Strukturiertheit der Praxis des Busfahrens. Bereits in der spezifischen Reglementierung des Feldes wie auch in den Selbstreglementierungen der »Praktiker/-innen« lassen sich Machtverhältnisse beobachten (z.B. in der gesellschaftlich akzeptierten Ordnung des Ein- und Aussteigens, des Ticketlösens, des »An-der-Bushaltestelle-Wartens« usw.). Zweitens erscheint das Regieren als eine Machttechnologie, innerhalb welcher Macht nicht als Selbstzweck Einsatz finden kann. Während der »Souverän« über sein Eigentum Verfügungsgewalt ausüben kann, wie ihm beliebt (und sich darin auch per se legitimiert vorfinden wird), geht das Auftauchen der Regierung mit einer politischen Reflexion darüber einher, wie die Bevölkerung zu ihrem Wohle bzw. zur Stärkung aller (der Bevölkerung, der einzelnen Individuen, aber auch des Staates) beeinflusst werden könne. Im Regieren zeige sich »die Herausbildung einer autonomen ›politischen Vernunft‹, die weder auf theologisch-kosmologische Prinzipien rekurriert noch von der Person des Fürsten abzuleiten ist […], sondern Gegenstand eines rationalen Wissens [wird]« (Lemke 2006 [2001]: 476). Entsprechend begründet sich das Regieren auf einer als notwendig erkannten, fortlaufenden Produktion von Wissen über die Eigenheiten der zu regierenden Objekte und ihrer Beziehungen untereinander; ein Wissen, das sich für die Individuen sowie für ihre Beziehungen zu sich selbst, zu anderen Individuen und zu den Dingen interessiere (Foucault 2005 [1978]a). Auf Basis eines solchen Wissens versucht sich das Regieren als eine Interventionsform zu rationalisieren, die die Dinge gemäß ihrem Wesen und ihrem inneren Sinn und Zweck nach anordnet und führt (Foucault 2004 [1977-78]). Im Regieren ist Machtausübung kein Selbstzweck, sondern wird als Mittel zur Schaffung einer »guten«, »natürlichen« sowie dem Wesen der regierten Objekte entsprechenden Ordnung etabliert. Regierungsformen stehen »im Dienst derer, die regiert werden« (Foucault 2000b: 55). Während der »Souverän« seinen Willen setzen kann, muss das Regieren sich wissensbasiert legitimieren, so Foucault: »Die Menschen regieren: das war sie an die Hand nehmen, sie zu ihrem Heil geleiten – mithilfe einer detaillierten Pastoralmacht schreibt er: »Die Macht des Hirten ist eine Macht, die nicht auf ein Territorium ausgeübt wird, sondern eine Macht, die per definitionem auf eine Herde ausgeübt wird, genauer auf eine Herde in ihrer Fortbewegung, in der Bewegung, die sie von einem Punkt zu einem anderen laufen läßt. Die Macht des Hirten wird wesentlich auf eine Multiplizität in Bewegung ausgeübt. Der griechische Gott ist ein territorialer Gott, ein Gott intra muros, er hat seinen bevorzugten Ort, sei es seine Stadt oder sein Tempel. Der hebräische Gott im Gegenteil ist sicherlich der Gott, der marschiert, der Gott, der sich fortbewegt, der Gott, der umherzieht.« (Foucault 2004 [1977-78]: 187188)
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Führungstechnik, die eine Menge Wissen implizierte: Wissen über – das Individuum, das man führte; Wissen über die Wahrheit, zu der man führte.« (1992: 50) Das Regieren benötige »gerade jene Kenntnis der Dinge, der Zielobjekte, die man erreichen kann, die man so einrichten muß, damit sie erreicht werden können« (Foucault 2004 [1977-78]: 151).2 Die Produktion von Wissen über die Bevölkerung muss auch deshalb als Grundlage des Regierens verstanden werden, als diese Machttechnologie prinzipiell auf die ganze Bevölkerung, ja auf das ganze Leben in all dessen Facetten fokussiert: »Distinct from discipline, which seeks to reform designated groups through detailed supervision in confined quarters (prisons, asylums, schools), the concern of government is the wellbeing of populations.« (Li 2007: 275; Herv. J.W.) Die Regierung der Menschen zielt auf die gesamte Lebensführung der Individuen und beginnt sich entsprechend für alles zu interessieren, wobei die Forcierung einer »angemessenen« Lebensführung in allen potenziellen und alltäglichen Lebensbereichen zum Ziel ihrer Sicherheitsdispositive wird: jener Mechanismen, die Normalität sicher-stellen. All das, was Individuen tun und tun können, was sie kreieren, schaffen und aufbauen, erscheint als ein potenzieller »Beitrag« für das Ziel, das Funktionieren von Staat und Gesellschaft zu gewährleisten. Gegenüber der Disziplin zielt Regierung »auf globale Gleichgewichtszustände und Regelmäßigkeiten« (Eser 2005: 159): »Mittels bestimmter ›Sicherheitsmechanismen‹ soll die Realität flexibel reguliert werden, um extreme Abweichungen zu verhindern.« (Ebd.: 159) Dies etabliert eine Perspektivenverschiebung in Bezug auf die Reichweite und die Domänen des Regierens: »Potentiell fällt jeder Bereich und jede Tätigkeit – von den seelischen Konflikten bis hin zu militärischen Manövern, von der Führung der Familie bis hin zu Fragen des Reichtums – in die Zuständigkeit von Regierung.« (Lemke 2001: 112) Das Leben der als produktiv und aktiv konstituierten Individuen wird für Regierungszwecke grundsätzlich interessanter, als es das Leben passiver Untertanen sein konnte. So seien über die Lebensgewohnheiten, Sitten, Vorstellungen und Fähigkeiten der Individuen Kenntnisse zu erlangen. Das Feld, worauf sich das Regieren bezieht, ist dann, im Gegensatz zum Ziel der Souveränität, »nicht das Territorium […], sondern eine Art aus den Menschen und den Dingen gebildeter Komplex. Das heißt überdies, diese Dinge, deren die Regierung sich annehmen muß, […] sind die Menschen, die Menschen jedoch in ihren Beziehungen, in ihren Bindungen und ihren Verflechtungen mit jenen Dingen, also den Reichtümern, den Ressourcen und der Subsistenz, gewiß auch dem Territorium in seinen Grenzen, mit sei-
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In diesem Sinne artikuliert Foucault Regierung als eine historisch mit der europäischen Neuzeit auftauchende Zugriffsrationalität, die insofern bereits liberale Aspekte in sich trägt, als sie die Interessen und Eigenheiten der »Regierten« erkennt und über diese zu regieren versucht (Foucault 2004 [1977-78], 2004 [1978-79]. Damit »sind die diskursiven Voraussetzungen für die Artikulation der ›liberalen Gouvernementalität‹ gegeben« (Eser 2005: 158). Nichtsdestotrotz formt sich die liberale Regierungskunst im engeren Sinne erst mit dem Aufkommen des Liberalismus seit dem 18. Jahrhundert vollständig aus. Erst dann entsteht eine politische Reflexion über die Notwendigkeit einer Beschränkung staatlicher Interventionen innerhalb jener Bereiche, die als natürliche und sich selbst regulierende Realitäten aufgefasst werden: Bevölkerung, Zivilgesellschaft, Familie, freies Individuum, Markt (Foucault 2004 [1977-78]; Rose 1993; Burchell 1993).
2. Gouvernementalität
ner Beschaffenheit, seinem Klima, seiner Trockenheit, seiner Fruchtbarkeit. Es sind die Menschen in ihren Beziehungen zu jenen anderen Dingen wie den Sitten, den Gepflogenheiten, den Handlungs- oder Denkweisen. Und es sind schließlich die Menschen in ihren Beziehungen zu jenen weiteren anderen Dingen, den möglichen Unfällen oder Unglücken wie Hungersnot, Epidemien, Tod.« (Foucault 2004 [1977-78]: 146)
2.2.3
Regierung als eine »Regierung vieler«: die Multiplizität der Machtausübung
Li (2007) deutet in diesem Zusammenhang an, dass das »ganze Leben« als Regulationsobjekt zu komplex ist, als dass eine Machtinstanz im rechtlichen oder disziplinarischkontrollierenden Sinne auf alle Aspekte dieses Objektes zu allen Zeiten und an allen Orten zugreifen könnte. Li schreibt: »At the level of population, it is not possible to coerce every individual and regulate their actions in minute detail. Rather, government operates by educating desires and configuring habits, aspirations and beliefs. It sets conditions […]. Persuasion might be applied, as authorities attempt to gain consent. But this is not the only course. When power operates at a distance, people are not necessarily aware of how their conduct is being conducted or why, so the question of consent does not arise.« (Li 2007: 275) Mit dem Leben der Bevölkerung konstituierte sich folglich ein Objekt der Regulierung, welches nicht lückenlos und direkt kontrolliert werden kann bzw. »that cannot be subject to sovereign law« (Collier 2009: 95). Ähnlich drücken es Niklas Rose und Peter Miller aus: »Government addresses a realm of processes that it cannot govern by the exercise of sovereign will because it lacks the requisite knowledge and capacities.« (Rose u. Miller 1992: 179-180) Das Regieren der Lebensgestaltung in all deren Beziehungen und Facetten setzt folglich die Integration von Individuen voraus, die sich in vielen verschiedenen Kontexten selbst führen können. Das Individuum wird in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern als eine Art »Co-Regent« gebraucht und eingesetzt (Foucault 2005 [1978]a). Erst über die Ausbildung (Li 2007) der zu regierenden Individuen, über das Aufgreifen deren Kompetenzen, Vorstellungen, Ziele und Bedürfnisse, können die gesellschaftlichen Verhältnisse »aus der Distanz« und über das »Sich-selbst-(Mit-)Regieren« der entsprechend ausgebildeten Individuen gelenkt werden (Li 2007; Rose u. Miller 1992). Regierung ist daher konsequent im Plural zu denken und reflektiert sich als Regierungskunst auch in diesem Sinne. So wird die angenommene Multiplizität der Regierungen in die Ausarbeitung neuer Regierungskünste integriert. »Regieren tun […] viele«, so Foucault (2005 [1978]a: 153), »der Familienvater, der Superior eines Klosters, der Erzieher und der Lehrer im Verhältnis zum Kind oder Schüler« (ebd.: 153). Es herrsche eine »Pluralität der Regierungsformen« (Foucault 2005 [1978]a: 154), wobei all diese Regierungen und die damit verknüpften Formen des Sich-selbst-Regierens (als Vater, als Eltern, als Händler usw.) für die Lenkung gesellschaftlicher Verhältnisse von Bedeutung werden. Dies geschieht mit dem Auftauchen der neuen politischen Reflexionen über Regierungskünste seit dem 16. Jahrhundert, als die mannigfaltigen (Selbst-)Regierungsweisen verschiedener Individuen und Gruppen als Elemente einer umfassenden Regierung der Menschen zunehmend in die politische Lenkung der Gesellschaft mit in-
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Gouvernementalität der Freundschaft
tegriert wurden. Foucault beschreibt dies unter Rekurs auf das Motiv einer »absteigende[n] Kontinuität« (Foucault 2005 [1978]a: 155): »Bei einer guten Regierung des Staates [wissen] die Familienväter ihre Familie, ihre Reichtümer, ihre Güter und ihr Eigentum gut zu regieren […], und […] die Individuen [lassen] sich lenken.« (Ebd.: 155) Für die Frage nach der angemessenen Regierung der Gesellschaft erscheint es also als bedeutsam, dass – im Beispiel Foucaults – ein »Vater« (oder: eine »Mutter«) seine/ihre Familie »gut« regieren kann – was gleichzeitig heißt, dass er/sie sich als »Vater«/als »Mutter« selbst zu regieren wissen muss. Das Regieren der gesellschaftlichen Verhältnisse benötigt folglich den »Familienvater«/die »Familienmutter«, der/die auch nachts in seinem/ihren eigenen Haus die Familie »richtig« behütet und damit ebenso zu einer spezifischen Form des Regierens in der Lage ist (Foucault 2005 [1978]a, 2005 [1982]). Das Regieren ist ferner davon abhängig, dass sich die Regierten »lenken lassen«, und muss in diesem Sinne durch die Interessen der Regierten hindurch operieren. Die Interessen der Regierten werden zur primären Angriffsfläche des Regierens (Foucault 2004 [1977-78], 2004 [1978-79]. Es dürften diese Theoretisierungen sein, auf deren Grundlage der in den governmentality studies zentrale Fokus auf Selbstführung (in dessen Verschränkung mit Fremdführung) aufbaut (während Foucault selbst die Mechanismen der Selbstführung eher nur indirekt anspricht). Im Regieren werden also zum einen die verschiedensten Praxisfelder als potenzielle Interventionsbereiche relevant, zum anderen kommen damit auch zahlreiche »Praktiker/-innen« – spezifisch subjektivierte und gesellschaftlich integrierte Individuen – ins Blickfeld der Mobilisierung. Auch adressiert Macht in der Gestalt des Regierens immer gleichzeitig sowohl das Ganze der Bevölkerung als auch jedes einzelne Individuum. Hier stellt sich das Prinzip des Regierens gemäß Foucault als eine Weiterentwicklung der christlichen Pastoralmacht einer »Führung der Seelen« dar (Foucault 2005 [1981]; vgl. auch: Lemke et al. 2000; Lemke 2006 [2001]). Aus der Regierung der Seelen im Pastorat wurde sukzessive die säkularisierte Regierung der Menschen, der Bevölkerung sowie mit dem Aufkommen des Liberalismus im 18. Jahrhundert der bürgerlichen Gesellschaft (Foucault 2004 [1977-78]: 502). In »der Regierung von Menschen im Unterschied zur Regierung der ›Seelen‹ [liege] das Eigentümliche dieser spezifisch modernen Formen von Regierung« (Lemke et al. 2000: 11; Lemke 2001). Durch die Integration der pastoralen Sorge um jedes Individuum operiert die Regierung der Menschen als eine »Matrix der Individualisierung« (Foucault 2005 [1982]: 248), indem sie jedes Individuum im Hinblick auf die Fragen des »guten Lebens« adressiert. Macht setzt im Regieren am individualisierten Subjekt an, wobei eine angemessen angeleitete Selbstführung desselben das Wohl der Gemeinschaft zu erhöhen habe (Foucault 2004 [1977-78]: 191-194; 521). Gemäß einer solchen Perspektive auf die Multiplizität des Regierens müssen dann bspw. staatliche Formen des Regierens lediglich als spezifische Regierungstechnologien unter vielen erscheinen. Die Macht des Staates zeigt sich dann verknüpft mit den »Machtbeziehungen […] zwischen den Geschlechtern […], zwischen Erwachsenen und Kindern, in der Familie, in den Büros, zwischen den Kranken und den Gesunden, zwischen den Normalen und den Anormalen« (Foucault 2005: 144). Damit der Staat als Effekt wirken kann, »muss es vom Mann zur Frau oder vom Erwachsenen zum Kind ganz spezifische Herrschaftsverhältnisse geben, die ihre eigene Konfiguration und ihre relative Autonomie haben« (Foucault 2005 [1977]: 130-131). Foucault betont, dass »der Regent
2. Gouvernementalität
und die Praktik des Regierens [im engeren Sinne; Anm. J.W.] einem Feld mannigfaltiger Praktiken angehören« (2005 [1978]a: 153-154]. Die verschiedenen Regierungen (z.B. des »Vaters«, des »Klostervorstehers« usw.) stehen auch nicht außerhalb des Staates, sondern neben ihm, sie sind Teil eines zusammenhängenden Feldes (ebd.: 154). Für Foucault geht es stets um die »analysis of accumulations« (Foucault 1972: 125) und nicht um einem »quest of origin« (ebd.), eine Suche nach dem letztbestimmenden Prinzip der Macht. Entsprechend gäbe es mannigfaltige, sich aneinander reibende oder sich verbindende Regierungen, die miteinander zusammenhängen können. Dieses Modell des Regierens verabschiedet sich auch vom Bild der einen Macht als festes Gefüge (Collier 2009). Zwar ergeben sich Regierungsformen aus temporär stabilisierten Verbindungen zwischen den verschiedenen Regierungen und Selbstregierungen (bspw. Verbindungen zwischen der Erziehung der Kinder durch die Eltern und staatlichen Maßnahmen der Erziehungsberatung usw.), doch sind nicht alle Prozesse und Praktiken im Vorhinein von einer Logik der Macht bestimmt. Die Bevölkerung und ihre inneren Bewegungen können nicht auf dieselbe Weise in ein solch »enges Korsett« einer Mikrophysik der Macht eingebracht werden, wie es die Kaserne für den Soldatenkörper ist. Das Regieren der Bevölkerung kann sich nur als eine rahmensetzende Technologie entfalten (Li 2007), die über den Einbezug der Regierten und aus der Distanz reguliert und in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sehr verschiedene Formen annehmen wird (Li 2007; Rose u. Miller 1992; Collier 2009).
2.2.4
Regierung als Führung (der Führungen) und Machtausübung als relationale Praxis
Regierung ist für Foucault letztlich mit Machtausübung gleichzusetzen. Das Regieren/Machtausüben zielt jedoch stets auf die Selbststeuerungsfähigkeiten der Individuen – im Unterschied zu Verhältnissen des Zwanges oder der Gewalt, in denen Individuen auf ein einziges Verhalten hin festgelegt werden. Machtbeziehungen – und damit Regierungsprozesse – würden auch nur dort existieren, wo eine gewisse Freiheit der zu beeinflussenden Elemente existent sei. Foucault definiert Machtausübung somit als das Einflussnehmen auf die Wahrscheinlichkeit bestimmter zukünftiger Aktionen von Individuen, denen mehrere Optionen offenstehen. Es ist ein solches Einwirken auf das Subjekt, dass sich dieses aus sich selbst heraus auf eine bestimmte Art und Weise verhält. Dabei ist Regierung/Machtausübung für Foucault eine Praxis bzw. ergibt sich erst in der Strukturierung sich vollziehender Praxis. Foucault konzipiert das Regieren als einen »Handlungsmodus, der auf Handeln einwirkt« (Foucault 2005 [1982]: 258). Macht existiere nur im Vollzug von Tätigkeiten, insofern diese Tätigkeiten auf zukünftige Tätigkeiten (der »Anderen«) einwirken. Diese sehr breite Bedeutung des Regierungsbegriffs zeigt sich am deutlichsten im Essay »Subjekt und Macht« (Foucault 2005 [1982]), welches einige Jahre nach den gouvernementalitätstheoretischen Vorlesungen erschien und den Regierungsbegriff noch stärker weitete. Hier ist Regierung mit Machtausübung gleichgesetzt und damit als jedwede Form der Beeinflussung von Aktivitäten bestimmt. Dies führt in eine Perspektive auf die situierte Komplexität heterogener Beeinflussungsbeziehungen, die sich in der Praxis entfalten. Foucault schreibt zunächst: »Die Frage lautet nicht, wie Macht sich manifestiert, sondern wie sie aus-
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Gouvernementalität der Freundschaft
geübt wird, also was da geschieht, wenn jemand, wie man sagt, Macht über andere ausübt.« (Foucault 2005 [1982]: 251) Macht verweist auf Machtbeziehungen und damit stets auf »Beziehungen zwischen Individuen (oder Gruppen)« (Foucault 2005 [1982]: 252). Das Ausüben von Macht und damit das Regieren besteht aus einem »Ensemble wechselseitig induzierter und aufeinander reagierender Handlungen« (ebd.: 252). Macht/Regierung stelle einen »Handlungsmodus [dar], der auf Handeln einwirkt« (ebd.: 258). Das heißt: Verhältnisse des Regierens und des Regiertwerdens sind »definiert durch eine Form von Handeln, die nicht direkt und unmittelbar auf andere, sondern auf deren Handeln einwirkt. Eine handelnde Einwirkung auf Handeln, auf mögliches oder tatsächliches, zukünftiges oder gegenwärtiges Handeln.« (Ebd.: 255) So strukturieren »bei der Ausübung von Macht die einen das mögliche Handlungsfeld der anderen« (ebd.: 258), wobei sie sich immer auch selbst anleiten. »[Machtausübung/Regierung] operiert auf dem Möglichkeitsfeld […], sie stachelt an, gibt ein, lenkt ab, erleichtert oder erschwert, erweitert oder begrenzt, macht mehr oder weniger wahrscheinlich; im Grenzfall nötigt oder verhindert sie vollständig; aber stets handelt es sich um eine Weise des Einwirkens auf ein oder mehrere handelnde Subjekte, und dies, sofern sie handeln oder zum Handeln fähig sind. Ein Handeln auf Handlungen.« (Foucault 1987 [1982]: 255) Diese Beziehungen des Regierens und Regiertwerdens sind dabei, so Foucault, »tief im sozialen Nexus verwurzelt und bilden daher keine zusätzliche Struktur oberhalb der Gesellschaft, von deren vollständiger Beseitigung man träumen könnte. In Gesellschaft leben bedeutet: Es ist stets möglich, dass die Einen auf das Handeln Anderer einwirken.« (Ebd.: 258) Sodann gilt es aufzuschlüsseln, wie solche Machtbeziehungen »in einer bestimmten Gesellschaft beschaffen und wie sie geschichtlich entstanden sind, was ihre Festigkeit oder Zerbrechlichkeit ausmacht und unter welchen Umständen [sie] verändert […] werden können« (ebd.: 258). Regierung erscheint beim späten Foucault also »als eine Art Grundtatsache menschlicher Gesellschaften« (Lemke et al. 2000: 18). Regieren stelle jede Form des Beeinflussens in einem Feld strategischer Machtspiele dar (Foucault 2005 [1982]). So nennt Foucault die alltäglichen und ubiquitären wechselseitigen Beeinflussungsimpulse »strategisch[e] Spiel[e] zwischen Freiheiten«, […] in denen die einen das Verhalten der anderen zu bestimmen versuchen, worauf die anderen mit dem Versuch antworten, sich darin nicht bestimmen zu lassen oder ihrerseits versuchen, das Verhalten der anderen zu bestimmen« (Foucault 2005 [1982]: 298). Die gouvernementale Konzeption fasst Machtbeziehungen innerhalb eines solchen Netzes des Regierens, Sich-selbst-Regierens und Regiertwerdens, des Beeinflussens und Gegenbeeinflussens von Aktivitäten (Foucault 2005 [1978]a, 1987; Lemke 2006 [2001], 2001, 2005; Lemke et al. 2000; Maurer u. Weber 2006). Aus gouvernementaler Perspektive sind alle Elemente (Individuen, Gruppen etc.) innerhalb gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse potenziell dazu in der Lage, andere Elemente zu beeinflussen. Regierungsformen liegen vor dem Hintergrund dieser »fluiden« Perspektive in der temporären Systematisierung und Stabilisierung der relationalen Beeinflussungsbeziehungen begründet. Für Lemke sind es die Regierungstechnologien, die eine temporäre Stabilisierung der relationalen Machtspiele/-beziehungen leisten (Lemke 2006 [2001];
2. Gouvernementalität
Lemke et al. 2000). Technologien verstetigen das dynamische Geflecht der Machtbeziehungen in Richtung eines Herrschaftszustands, ohne diesen je zu erreichen. »Die Rede von einer ›Gouvernementalität‹ impliziert also die systematisierte und regulierte Form der Regierungspraktiken [manchmal wird zwischen Regierungstechniken und Regierungspraktiken kaum unterschieden; Anm. J.W.] und verweist zugleich auf ein Element der Kalkulation […].« (Lemke 2006 [2001]: 479) Regierung verweist also auf Machtbeziehungen, »which might draw upon formal bodies of knowledge or expertise« (Dean 2010 [1999]: 25), oder – in Abschwächung des Begriffs »formal« – auf »Machtbeziehungen, die auf kalkulierte […] Programme oder Wissensformen rekurrieren und mit der Erfindung bzw. dem Einsatz von Verfahren zur Verhaltenssteuerung und -regulierung einhergehen« (Lemke 2006 [2001]: 479). Eine solche Analytik der Macht zieht die Analyse praktizierter Beziehungen in gesellschaftlichen Kontexten einer Untersuchung vor, die Macht nur innerhalb von Institutionen beleuchtet. Man könne Machtbeziehungen zwar zunächst auch »innerhalb bestimmter Institutionen analysieren. Das ist vollkommen legitim, denn diese Institutionen eröffnen besonders gute Möglichkeiten, die Machtbeziehungen in vielfältigen, konzentrierten, geordneten, und zu höchster Effizienz geführten Formen zu beobachten.« (Foucault 2005 [1982]: 257-258) Doch muss darauf geachtet werden, dabei nicht lediglich die institutionellen Reproduktionsmechanismen abzugreifen (d.h. die Selbsterhaltungstendenzen von Institutionen als Funktionsweise der Machtbeziehungen zu nehmen). Auch dürfen Institutionen nicht als Ausgangspunkt der Macht verstanden werden (ebd.: 258): »Man sollte Institutionen von den Machtbeziehungen her analysieren und nicht umgekehrt.« (Ebd.: 258) Aus diesem Grund beginnt auch diese Arbeit mit einer Analyse des Diskurses um Dialog und seiner Einbettung in gesellschaftliche Verhältnisse, bevor dann lokale Dialoginstitutionen als Kristallisationspunkte der Rationalität des Dialogs in den Blick genommen werden. Foucault führt in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Begriff ein, der all die dargestellten Spezifika des Machtausübens abbilden soll: den Begriff der Führung. »Der Ausdruck ›Führung‹ (conduite) vermag in seiner Mehrdeutigkeit das Spezifische an den Machtbeziehungen vielleicht noch am besten zu erfassen. ›Führung‹ heißt einerseits, andere […] zu lenken, und andererseits, sich (gut oder schlecht) aufzuführen, also sich in einem mehr oder weniger offenen Handlungsfeld zu verhalten. Machtausübung besteht darin, ›Führung zu lenken‹, also Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Verhalten zu nehmen. Macht gehört letztlich weniger in den Bereich der Auseinandersetzung zwischen Gegnern oder der Vereinnahmung des einen durch den anderen, sondern in den Bereich der ,Regierung‹ in dem weiten Sinne, den das Wort im 16. Jahrhundert besaß.« (Foucault 2005 [1982]: 256) Die Führung »Anderer« ist untrennbar damit verbunden, wie sich (a) die »Geführten« in diesem Zusammenhang selbst führen (wie sie sich aufführen und damit verbunden auch führen lassen), und wie sich (b) jene, die die »Anderen« führen, innerhalb dieser Tätigkeit ebenso selbst führen (Foucault 2005 [1982]). Damit verweist das Konzept des Führens stets auf ein Geflecht aus Fremd- und Selbstführung, auf ein Geflecht aus verschiedenen Beeinflussungspraktiken. Das Regieren ergibt sich für Foucault entsprechend im »Führen der Führungen und in der Schaffung der Wahrscheinlichkeit« (Foucault 1987
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Gouvernementalität der Freundschaft
[1982]: 255), es erwächst aus den mehr oder minder reflektierten und kalkulierten Versuchen einer Systematisierung der verschiedenen (Selbst-)Führungen (Rose u. Miller 1992; Li 2007; Lemke et al. 2000; Lemke 2006 [2001]; Dean 2010 [1999]). Die besondere Konzeption der Macht, die Foucault mit dem Regierungsbegriff einführt (Foucault 2005 [1982], 1987 [1982]), ergibt sich aus jener Vorstellung der Regierung als einer Führung der Führungen. Machtausübung ist eine beeinflussende, lenkende Intervention in einen ablaufenden (Selbst-)Führungsprozess. Das Regieren fokussiert auf die (Handlungs-)Freiheit der Subjekte und reproduziert damit das »freie Subjekt«, um dann gleichzeitig und aufbauend auf dieser Konstitution Möglichkeiten der Einflussnahme zu reflektieren, zu erproben und zu systematisieren (Foucault 2005 [1982]). Vor dem Hintergrund dieser relationalen Konzeptionalisierung gibt es dann auch »keine Machtbeziehungen ohne Widerstand« (Foucault 2005 [1982]: 261). Li erinnert an dieser Stelle daran, »[to] consider the limit to governmental power intrinsic to its characterization as a form of power rather than force. Power, as Foucault stressed, acts on actions: it is only power so long as the target of that power retains the capacity to act. Total control requires violence so extreme that it removes agency under threat of death, enslavement or torture.« (Li 2007: 276) Machausübung eröffnet Subjekten immer auch die Möglichkeit, als Teilelemente eines relationalen Gefüges zurück zu beeinflussen/zu regieren (Foucault 2005 [1982]). Über die Motive des Führens und Sich-Aufführens integriert die Perspektive des Regierens den Blick auf die Eigenleistung der Subjekte, die sich im Medium der Freiheit vollzieht. Freiheit ist integraler Bestandteil der Führung und wird im gouvernementalen Zugriff als eine immer bereits vorstrukturierte Freiheit (des als aktionsfähig konstituierten Subjekts) hervorgebracht. Das Prinzip der Führung eröffnet damit eine analytische Perspektive, »um eine Spezifik der Machtausübung in modernen, individualisierten Gesellschaften auszuloten« (Füller u. Marquardt 2009: 89). Die Art, wie Individuen ihre Selbstführung mit Fremdführungsmechanismen harmonisieren, wird dabei über die »Techniken des Selbst« (Burchell 1993) vermittelt: Formen des Arbeitens an den eigenen körperlichen und geistigen Haltungen und Fähigkeiten, die es ermöglichen, ein Subjekt der Gesellschaft zu werden – sei es nun ein unternehmerisches (Bröckling 2007), ein aktives (Ott u. Wrana 2010) oder ein kompetentes (Ott 2011) Subjekt. Individuen erfahren als regierte Subjekte entsprechend auch eine Ermächtigung, wenn sie sich gemäß den Regierungszielen ausrichten und die darin als erstrebenswert konstituierten Identitäten annehmen. Um als Objekte der Regierung adressiert werden zu können, müssen Individuen in einer Identität sichtbar werden, über die sie Sprech- und Handlungspositionen erlangen (Foucault 2005 [1982]; Lemke et al. 2000; Bröckling u. Krasmann 2010). Machtbeziehungen »ermöglichen [dann] individuelle und kollektive Erfahrungen […]« (Lemke 2006 [2001]: 473).
2. Gouvernementalität
2.3
Machtanalytik im Anschluss an Foucault: methodologische und analytische Perspektivierungen der governmentality studies
Foucaults Überlegungen zur Gouvernementalität sowie der von ihm entwickelte Begriff des Regierens wurden seither in den Sozial- und Kulturwissenschaften intensiv diskutiert und für machtanalytische Untersuchungen sehr heterogener Aspekte und Ebenen gesellschaftlicher Steuerungsprozesse fruchtbar gemacht. Das sich seit den 1980er Jahren herausbildende und mit dem Erscheinen des programmatischen Sammelbandes »The Foucault Effect« (Burchell et al. 1991) Anfang der 1990er Jahre weiter dynamisierende Feld der governmentality studies vermochte es, eine Vielzahl gegenwärtiger Transformationsprozesse in (neo-)liberalen Gesellschaften als Elemente der (Re-)Konfigurierung gesellschaftlicher Machtbeziehungen zu denken. Schon Foucault selbst beschäftigte sich in seinen Analysen mit der Frage nach gegenwärtigen Formen und Technologien eines (neo-)liberalen Regierens, d.h. mit der Frage nach Spielarten eines Regierens durch Freiheit (Rose 1999). Entsprechend diskutierten im Anschluss auch zahlreiche Vertreter/-innen der governmentality studies insbesondere Formen und Operationsweisen (neo-)liberaler Regierungskünste (Gordon 1991). Einige Studien rekonstruierten bspw. eine neoliberale Verantwortungsübertragung vormals staatlicher Aufgaben hin zu nicht staatlichen Akteuren als eine Transformation in der Regierung von Gesellschaft (siehe die Beiträge in: Miller u. Rose 2008). Andere Studien untersuchten spezifische Technologien der Versicherung und des Risikomanagements als neoliberale Steuerungsformen, wieder andere Arbeiten analysierten Formen biopolitischer Intervention, betrachteten Mechanismen des gouvernementalen Aufgreifens von Freizeit und Vergnügen bzw. der Regulierung von »Lifestyle«-Krankheiten oder erforschten die politische Konstitution einer »aktiven Gesellschaft« – um nur einige Beispiele zu nennen. Verschiedene Autor/-innen untersuchten die historischen Spezifika und Gegenstände der Mechanismen von Führung und Selbstführung in gesellschaftspolitisch liberalen Kontexten sowie die Verschränkungen zwischen politischer Macht und Autorität, Freiheit und Selbsttechniken (Burchell et al. 1991; Barry et al. 1996; Bröckling et al. 2010; Bröckling u. Krasmann 2010; Rose 1993, 2006; Burchell 1993; Jessop 2007; Ghatak u. Abel 2013; in der Geographie: Füller u. Marquardt 2009, 2010; Schreiber 2011; Strüver 2013; Marquardt 2014, 2015). Dabei gelangten nicht nur Entwicklungen im Bereich des Staates ins Blickfeld, sondern auch Transformationen innerhalb des ökonomischen Feldes, in der Gesellschaft oder in den gemeinhin als »privat« markierten Bereichen. Die dort zu beobachtenden (Selbst-)Ordnungsprozesse wurden in ihrer Verbindung mit Transformationen und Mechanismen staatlicher Machtausübung als Effekte weiter gefasster Machtbeziehungen beleuchtet. Im Folgenden möchte ich einige analytische Perspektivierungen aus dem Feld der governmentality studies aufgreifen. Zum einen werde ich analytische Begrifflichkeiten diskutieren, die eine differenzierte Ontologie und Aufschlüsselung von Regierung ermöglichen. Zum anderen werde ich auf die fruchtbare Perspektive der governmentality studies eingehen, Machtausübung und Regierung auch jenseits des Staates zu untersuchen.
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Gouvernementalität der Freundschaft
2.3.1
Methodologisierung I: Rationalitäten, Programme und Technologien des Regierens
Regierung ist bei Foucault als ein weitgefasster Prozess der Gestaltbarmachung und Beeinflussung gesellschaftlicher Verhältnisse zu denken (Bröckling u. Krasmann 2010; Huxley 2007; Lemke et al. 2000). Autor/-innen im Feld der governmentality studies entwickelten dabei analytische Begriffe, um die verschiedenen Dimensionen des Regierens zu untersuchen oder um konzeptionellen Diskussionen um das Verhältnis von Diskurs und Praxis sowie um den Stellenwert von Materialität Rechnung zu tragen. Dabei zeigte sich vor allem die Unterscheidung zwischen einerseits Rationalitäten und andererseits Technologien des Regierens als bedeutsam (Lemke 2000: 43). Hierbei wurden Rationalitäten tendenziell in den Bereichen der Repräsentation und des Wissens verortet, wohingegen Technologien und Techniken als Vollzugsformen sowie praktische Interventionen des Regierens konzipiert und eher den Bereichen der Materialität oder der Praxis zugeordnet wurden (Rose u. Miller 1992; Lemke et al. 2000; Li 2007; Ott u. Wrana 2010; Dzudzek 2016). Einige Autor/-innen entwickelten auch differenzierte Unterscheidungen, während andere die governmentality studies v.a. stärker praxeologisch ausrichteten. Letztlich lässt sich eine Vielzahl verschiedener Begrifflichkeiten ausmachen, die bei Weitem nicht immer einheitlich genutzt werden. Das Zitat von Huxley verdeutlicht diese manchmal etwas unscharfe terminologische Vielgestaltigkeit: »Studying ›governmentality‹ […] involves not only examination of practices and programmes aiming to shape, guide and govern the behaviour of others and the self, or the calculations, measurements and technologies involved in knowing and directing the qualities of a population; but also pays attention to the aims and aspirations, the mentalities and rationalities intertwined in attempts to steer forms of conduct.« (Huxley 2007: 187; Herv. J.W.) Im Folgenden soll genauer auf eine Taxonomie von Rose und Miller Bezug genommen werden, insofern diese Autoren zu den einflussreichsten Denkern der governmentality studies gehören. Rose und Miller (1992) trennen zwischen (a) politischen Rationalitäten – wobei dann auch von Regierungsrationalitäten gesprochen wird –, (b) Programmen des Regierens und (c) Technologien bzw. einzelnen Techniken des Regierens (vgl. auch: Miller u. Rose 2008). Politische Rationalitäten konstituieren das Möglichkeitsfeld denkbarer oder annehmbarer Ausdrucksformen politischer Macht – so wie bspw. der Liberalismus die politische Macht an die Wahrung der Freiheit des Individuums koppelt (Burchell 1993; Rose 1993). Im Gegensatz zu Regierungsprogrammen (siehe unten), die konkreter und kontextualisierter zu denken sind, verweisen politische Rationalitäten auf umfassendere diskursive Formationen, die grundlegende Vorstellungen über das »Wesen« von Gesellschaft, Staat und Subjekt(-en) enthalten und darauf aufbauend Wahrheiten über die Steuerbarkeit von Gesellschaft (was kann beeinflusst werden) sowie über die Angemessenheit von Steuerungsmaßnahmen ausbuchstabieren (was soll oder darf beeinflusst werden). Sie sind letztlich problematisierende Diskurse um die Steuerbarkeit der Dinge: »Government is a problematizing activity: it poses the obligations of rulers in terms of the problems they seek to address.« (Rose u. Miller 1992: 181; Foucault 1984) Ohne dass Rose und Miller hier eine klare Differenzierung setzen,
2. Gouvernementalität
sprechen sie auch allgemein von Regierungsrationalitäten. Dieser Begriff würde dann – so definiere ich das nun für mich – weniger auf allgemeine Reflexionen über »politische Kernprobleme« hindeuten (Freiheit des Individuums usw.), sondern das strukturierte politische Wissen benennen, das sich um die Frage nach der Gestaltbarkeit spezifischer Gegenstände herum formiert (z.B.: »Integration«, »Digitalisierung«). Der Begriff würde dann auf all jene Musterhaftigkeiten im Denken, Deuten, Argumentieren und Legitimieren verweisen, die mit der Praxis einer Regierungsform einhergehen. Regierungsrationalitäten enthalten dann »Annahmen über Ansatzpunkte, Wirkmechanismen und Zielsetzungen des Handelns« (Bröckling u. Krasmann 2010: 25) und weisen eine problematisierende, d.h. eine auf Steuerung ausgerichtete Form auf (Dean 2010 [1999]: 24; Rose u. Miller 1992; Dzudzek 2016). In einer Analyse von Rationalitäten geht es dann z.B. nicht nur darum, bestimmte dichotomische Repräsentationsstrukturen herauszuarbeiten (»Islam« vs. »Westen«), sondern auch darum, zu untersuchen, wie auf Grundlage solcher Formationen die Gestaltung von Gesellschaft zum Ziel gemacht wird. Im Gegensatz zu Programmen operieren Rationalitäten jedoch nach wie vor auf einer eher übergeordneten Ebene der Reflexion über allgemeine Zielsetzungen und sind weniger an Fragen der Machbarkeit gebunden. Politische Rationalitäten (des Regierens) haben eine epistemologische Wirkkraft, insofern sie »ihre« Objekte der Beeinflussung als solche erst in die Realität rufen. Rationalitäten »are articulated in relation to some conception of the nature of the objects governed – society, the nation, the population, the economy« (Rose u. Miller 1992: 179). Rationalitäten definieren die zu regierenden Elemente als spezifische Gegenstände – bspw. als »legal subjects with rights, children to be educated« (ebd.) – und leiten daraus »angemessene« Beeinflussungsmaßnahmen ab, die in der Gestalt konkreter Programme und Technologien die regierten Gegenstände immer neu hervorbringen. Politische Rationalitäten (des Regierens) rahmen »die Wirklichkeit vorstellbar und […] handhabbar, d.h. dem Kalkül und der Gestaltung zugänglich« (Bröckling u. Krasmann 2010: 25). Mit ihren Analysen politischer Rationalitäten und darauf rekurrierender Programme konnten die governmentality studies folglich vielfach aufzeigen, wie die Gegenstände des Regierens, die gerade in soziologischen Ansätzen meist als gegebene Realitäten verstanden werden – bspw. Arbeitslosigkeit oder Kriminalität – als Kategorien des Regierens konstruiert und in die Existenz gerufen werden (O’Malley et al. 1997; Dean 1991). Überdies sind »political rationalities […] articulated in a distinctive idiom« (Rose u. Miller 1992: 179; Herv. i.O.). Sie basieren also auf einer spezifischen Sprache, »as a kind of intellectual machinery or apparatus for rendering reality thinkable in such a way that it is amenable to political deliberations« (ebd.). Auch haben Rationalitäten, so Rose und Miller, »a characteristically moral form. They elaborate upon the fitting powers and duties for authorities. They address the proper distribution of tasks and actions between authorities of different types – political, spiritual, military, pedagogic, familial. They consider the ideals or principles to which government should be directed – freedom, justice, equality, mutual responsibility, citizenship, common sense, economic efficiency, prosperity, growth, fairness, rationality and the like.« (Rose u. Miller 1992: 178-179; Herv. i.O.)
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Diese Moralität ergibt sich bereits aus dem spezifischen Machttypus, den das Regieren nach Foucault grundsätzlich darstelle. So löse sich Regierung von dem Ziel, Gehorsam vor dem Souverän sicherzustellen, und operiere stattdessen im Namen des »guten« Regierens (Foucault 2005 [1978]a). Ergänzend sprechen Rose und Miller von Programmen des Regierens (vgl. auch: Bröckling u. Krasmann 2010: 24-25). Programme stellen eine Übersetzung diverser Rationalitäten dar, über die letztere in eine technologische Form gebracht werden und die sich auch mit Fragen der Umsetzung auseinandersetzt. Im Gegensatz zu Regierungsrationalitäten handelt es sich bei Regierungsprogrammen um vergleichsweise konkrete, kodifizierte Skripte oder ausgearbeitete (Handlungs-)Anweisungen, die mit routinierten Maßnahmen und Verfahren einhergehen und denen spezifische, auf abgegrenzte Steuerungserfordernisse abzielende Problemlösungslogiken zugrunde liegen. Während politische Rationalitäten allgemeine Wahrheitssätze über die Angemessenheit politischer Macht artikulieren, bilden sie die Grundlage für die Formulierung von Regierungsprogrammen, die im Rekurs auf Rationalitäten ein spezifisches Vorgehen ausbuchstabieren. Programme entsprechen damit »sets of calculated, reasoned prescriptions, in terms of which institutions are meant to be reorganized, spaces arrranged, behaviours regulated« (Foucault 1991: 80). Ein Beispiel für ein Regierungsprogramm wäre der »Dialog mit Muslimen«, welcher auf verschiedenen Rationalitäten und Diskursen basieren mag, z.B. auf Annahmen über eine kulturell differenzierte Welt oder auf liberalen Vorstellungen der Führung. Programme sind »[the] realm of designs put forward by philosophers, political economists, physiocrats and philanthropists, government reports, committees of inquiry, White Papers, proposals and counterproposals by organizations of business, labour, finance, charities and professionals, that seek to configure specific locales and relations in ways thought desirable« (Rose u. Miller 1992: 180). Hier zeigt sich auch, dass Regierungsprogramme nicht auf den Bereich staatlicher Institutionen, Instrumente und Akteure beschränkt sind, sondern zahlreiche gesellschaftliche Praxisfelder bespielen und verschiedene nicht staatliche Autoritätspositionen versammeln (vgl. nächstes Kapitel). Überdies benennen Rose und Miller (1992), wie auch andere prominente Autor/-innen (Lemke et al. 2000; Bröckling u. Krasmann 2010), in expliziter Anlehnung an Foucault die Technologien des Regierens, die nun auf die konkreten Verfahrensweisen, Prozeduren, Routinen und Maßnahmen deuten. Es gilt dann zu identifizieren, wie in historischen Kontexten Regierungstechniken als »Antworten« auf Steuerungsprobleme die Beziehungen zwischen Individuen (und Dingen) regelten. Eine Analyse der Gouvernementalität, so Li, »points to technique, since ›thought becomes governmental to the extent that it becomes technical‹ (Rose 1999: 51)« (Li 2007: 276; aus Roses Powers of freedom zitierend; Herv. J.W.). Einzelne Techniken des Regierens können dabei sehr verschiedene Formen annehmen, sei es die militärische Ausbildung in der Kaserne oder die Disziplin in der Schule (Foucault 2005 [198185]), die Etablierung der Statistik als Wissenschaft vom Staat (Foucault 2005 [1978]a) oder Maßnahmen zur Regulierung des Handels mit Nahrungsmitteln (Foucault 2004 [1977-78]: 466). Auch ein Verwaltungssystem wie die Buchführung (vgl. Rose u. Miller 1992) kann als Regierungstechnik erfasst werden, ebenso wie die Einrichtung »runder
2. Gouvernementalität
Tische« in kommunalpolitischen Ansätzen zur Involvierung »muslimischer« Organisationen (Winkler 2017). Techniken können sich aber auch auf der Mikroebene bspw. in Form systematisierter Interaktionsfiguren präsentieren – in etwa zwischen Vertreter/innen von Agenturen der Arbeitsförderung und ihren »Klienten« (vgl. Ott u. Wrana 2010; Solberg 2016; McIlvenny 2016a) – oder aber als kommunikative Taktiken operieren, bspw. zur Herstellung flacher Hierarchien in Arbeitsgruppen. Mal werden mit dem Technikenbegriff eher großmaßstäbliche Institutionalisierungen bezeichnet, in etwa »die Institution der Staatsbürgerschaft und [die] damit verbundenen Subjektpositionen […]« (Füller u. Marquardt 2009: 10), mal hingegen einzelne routinierte Abläufe und Praktiken, z.B. die »Passkontrolle an der Grenze« (ebd.: 10). Auch alltägliche Praktiken können »technologische« Bedeutung im Kontext von Regierungsfragen erlangen. Rose und Miller schreiben: »We need to study the humble and mundane mechanisms by which authorities seek to instantiate government: techniques of notation, computation and calculation; procedures of examination and assessment; the invention of devices such as surveys and presentational forms such as tables; the standardisation of systems for training and the inculcation of habits; the inauguration of professional specialisms and vocabularies; building designs and architectural forms – the list is heterogeneous and in principle unlimited.« (Rose u. Miller 1992: 183; Herv. J.W.) Gouvernementalitätsstudien würden ein besonderes Augenmerk auf die »technologischen Aspekte des Regierens« (Bröckling u. Krasmann 2010: 27) legen, auf den »Komplex von Verfahren, Instrumenten, Programmen, Kalkulationen, Maßnahmen und Apparaten, der es ermöglicht, Handlungsformen, Präferenzstrukturen und Entscheidungsprämissen von Akteuren im Hinblick auf bestimmte Ziele zu formen und zu steuern« (ebd.: 27). In den Fokus geraten all »die sanktionierenden, disziplinierenden, normalisierenden, ›empowernden‹, versichernden, präventiven usw. Verfahren, mit denen Menschen auf das Verhalten anderer Menschen oder auf ihr eigenes Verhalten einwirken« (ebd.: 27). So »öffnet die Metapher der Machttechnik den Blick für die verschiedenen Formen, in denen Machtverhältnisse auf uns wirken« (Füller u. Marquardt 2009: 100). Der Blick auf Techniken mache es auch möglich, »die nichtdiskursiven Apparaturen und diskursiven Verfahren, Institutionen und Repräsentationen zusammen zu denken« (ebd.: 100). Regierungstechniken koppeln dabei die »Selbstführungstechniken mit [den] Techniken zur Führung der anderen« (Lemke 2006 [2001]: 482). Wie erwähnt, sind es die Techniken des Regierens, die das relationale Geflecht aus Machtbeziehungen, die miteinander verknüpften »Führungen«, in eine temporär stabile Form zu bringen suchen. Die Analyse von Technologien kann dabei zutage fördern, wie sich Regierungsrationalitäten und Programme konkret und lokalspezifisch übersetzen und implementieren und wie in deren situierten Vollzugsweisen »Führung« stattfindet.
2.3.2
Zwischenresümee: Regieren als Repräsentation und Intervention
Eine Analyse des Regierens, so zeigte sich, ist eine Analyse des Zusammenwirkens der Repräsentationen und der Interventionen des Regierens. Allen gesellschaftlich eingebetteten (Selbst-)Steuerungsprozessen – den verschiedenen »Regierungen« – liegen dis-
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kursive Ordnungen der Erkenntnis und des Erkennens zugrunde, innerhalb welcher sich Steuerungsformen erst herausbilden, anbieten und legitimieren können (Foucault 2004 [1978-79], 2005; Füller u. Marquardt 2009; Huxley 2007). So sind »gouvernementale Interventionen […] immer nur innerhalb bestimmter Wahrheitsregime denkbar und akzeptabel« (Bröckling u. Krasmann 2010: 26). Es ist deshalb immer auch das Feld zirkulierenden Wissens zu bestimmen, innerhalb welchem sich Regierungsweisen artikulieren (Miller u. Rose 2008 [1990]). Die Rationalitäten, Programme und Technologien des Regierens sind als Elemente weiter gefasster Repräsentations- und Wahrheitsregime zu denken, gleichzeitig konstituieren sie aber auch selbst spezifische »discursive field[s] in which exercising power is ›rational’« (Lemke 2002: 55). Entsprechend wird in den governmentality studies »im Sinne eines weiten Diskursbegriffs […] betont, dass die Materialität konkreter Regierungstechniken eine Problematisierung und damit diskursive Mechanismen voraussetzt, die den zu regierenden Bereich als ein dem Verständnis zugängliches Feld erst konstituieren […]« (van Dyk et al. 2014: 348.). Im Regieren wird »Realität« auf eine solche Art und Weise darstellbar, dass sie für praktische Zugriffe empfänglich wird (Miller u. Rose 2008 [1990]: 29-31). Beide Dimensionen sind in die Analyse mit einzubeziehen. So stellen Miller und Rose fest: »Government, of course, is not only a matter of representation. It is also a matter of intervention.« (Miller u. Rose 2008 [1990]: 32; Herv. J.W.) Im Sinne Foucaults stellt eine Analyse des Regierens die Untersuchung einer Form der Machtausübung dar, die produktiv in das symbolisch-materielle Geflecht eingreift, »productive of meanings, of interventions, of entities, of processes, of objects, of written traces and of lives« (Miller u. Rose 2008: 9). Ähnlich heben Bröckling und Krasmann hervor: »Wenn Denkweisen wirksam sein, sich als Weisen des Regierens materialisieren sollen, müssen sie praktisch und das heißt auch technisch werden. Rationalitäten und Technologien des Regierens, Weisen des Denkens und der Intervention sind insofern unauflöslich miteinander verknüpft.« (Bröckling u. Krasmann 2010: 25-26; Herv. J.W.) Praktiken des Repräsentierens und Praktiken des Eingreifens bilden eine zu untersuchende Einheit (vgl. Li 2007: 276). Im Hinblick auf eine solche Ontologie schreiben Miller und Rose: »Describing a world such that it is amenable to having certain things done to it involves inscribing reality into the calculations of government through a range of material and rather mundane techniques […].« (Miller u. Rose 2008 [1990]: 31-32) Das Regieren ist als materiales und technisches Eingreifen zu verstehen, das auf hegemonialisierten Wissensständen basiert. Eine Diskursanalyse, die Wissensordnungen und ihre inneren Strukturierungen untersucht, ist in einer Analyse des Regierens enthalten – ob sie nun konkret methodisch durchgeführt oder indirekt über das Einbeziehen bestehender Forschungsarbeiten geleistet wird. Das folgende Zitat von Rose und Miller fasst die bisherigen Aspekte zusammen: »[Regierungsformen/forms of governing] may be analyzed, first of all, in terms of their political rationalities, the changing discursive fields within which the exercise of power is conceptualised, the moral justifications for particular ways of exercising power by diverse authorities, notions of the appropriate forms, objects and limits of politics,
2. Gouvernementalität
and conceptions of the proper distribution of such tasks among secular, spiritual, military and familial sectors. But, we suggest, problematics of government should also be analyzed in terms of their governmental technologies, the complex of mundane programmes, calculations, techniques, apparatuses, documents and procedures through which authorities seek to embody and give effect to governmental ambitions. Through an analysis of the intricate inter-dependencies between political rationalities and governmental technologies, we can begin to understand the multiple and delicate networks that connect the lives of individuals, groups and organizations to the aspirations of authorities in the advanced liberal democracies of the present.« (Rose u. Miller 1992: 175-176) Was nun auch dieses Zitat über die bisher diskutierten Fragen nach den analytischen Begrifflichkeiten hinaus verdeutlicht, ist, wie sich das Regieren in heterogenen Netzwerken sehr verschiedener Akteure und Institutionen konstituiert. Diese Perspektivierung soll nun als nächstes aufgegriffen werden.
2.3.3
Methodologisierung II: Regieren jenseits des Staates und die besonderen Charakteristika liberaler Regierungskontexte
Gerade um die Besonderheiten gesellschaftlicher und politischer Regulierung in liberalen Kontexten erfassen zu können, verorteten viele Vertreter/-innen der governmentality studies das Regieren als einen Prozess, der vielfach jenseits des Staates ablaufe und immer auch auf den Aktivitäten zahlreicher nicht staatlicher »Praktiker/-innen« beruhe, die als sich selbst führende Subjekte in die »liberalen« Regierungskünste integriert sind. Aus der Perspektive der Gouvernementalität ist Machtausübung ohnehin als eine dezentrierte und multizentrische, dispers verteilte Praxis zu denken, die sich erst aus den Verbindungen diverser staatlicher und nicht staatlicher Praktiken ergibt, die in verschiedenen Praxisfeldern als Techniken der (Selbst-)Führung wirksam werden (Rose u. Miller 1992; O’Malley et al. 1997; Jessop 2010). In diesem Sinne stellen O’Malley et al. die Kernerrungenschaft dieser Forschungsbewegung vor: »One of the most formative general principles underlying governmentality writings has been the rejection of the identification of government with the state, understood as a centralized locus of rule, and the identification of programmes and practices of rule in micro-settings, including those ›within‹ the subject.« (O’Malley et al. 1997: 501) Regierung kann folglich gleichermaßen in der Form staatlicher Programme wirksam werden wie auch bspw. in der individuellen Arbeit am persönlichen Selbstvertrauen oder in Gesundheits- und Wellnessaktivitäten (ebd.: 502). Entsprechend plädieren O’Malley et al. (1997) dafür, die Assemblagen aus Praktiken, Techniken, Aktivitäten, Routinen und beteiligten Akteuren zu untersuchen, die außerhalb staatlicher Einflussbereiche gesellschaftliche Verhältnisse regierbar machen (Collier 2009; vgl. nächstes Kapitel). Vor diesem Hintergrund konnten die governmentality studies mittels ihrer Analysen heterogener Mikrophysiken der Macht(-ausübung) in auch »kleinmaßstäblichen«, oft nicht staatlichen Kontexten hegemoniale binäre Unterscheidungen wie jene zwischen Staat und Zivilgesellschaft oder zwischen Privatheit und Öffentlichkeit
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überkommen. Diese Verschiebung war notwendig, um einen kritisch-analytischen Blick auf Steuerungsmechanismen und deren Machteffekte im Kontext (neo-)liberaler Gesellschaften zu behalten. Schließlich präsentiert sich der Staat – der »klassische« Lokus der Macht – in liberalen Gesellschaften als explizit »sich-selbst-begrenzend«. Die Wahrung der Selbstregulierungsfähigkeiten verschiedener nicht staatlicher Domänen, bspw. der Zivilgesellschaft oder der Ökonomie, wird in die Artikulation jedweder Formen staatlicher Machtausübung integriert, während Steuerungsverantwortung entsprechend an private, ökonomische und gesellschaftliche Instanzen delegiert wird. Gleichzeitig wird in liberalen Gesellschaften die Freiheit des Individuums als sicherzustellendes Gut hervorgehoben. In liberalen Regierungskontexten wird Machtausübung auch in expliziter Weise, in den politischen Reflexionen, primär an den »Staat« gekoppelt, um staatliche Macht sodann nach ihrer Angemessenheit befragen, begrenzen und bspw. einer »freien« Zivilgesellschaft gegenüberstellen zu können. Folgt man dieser »Erzählung«, droht aber z.B. aus dem Blick zu geraten, inwiefern staatliche Steuerungsmechanismen (z.B. Kindergeld) vielfach mit Aktivitäten in den vermeintlich »freien« Bereichen (z.B. dem Verhalten von Eltern »zu Hause«) verknüpft sein können. Um also die Transformationen im Kontext liberalen Regierens nicht vorschnell als Liberalisierung im Sinne einer Freiheitsmaximierung oder als Zurückdrängung von Machtausübung misszuverstehen, wurde die Perspektive auf das Regieren »jenseits des Staates« in Stellung gebracht. So ließen sich auch die Wirkungsweisen »›staatsferner‹, ›zivilgesellschaftlicher‹ oder ›informeller‹ Formen von Autorität und Kontrolle« (Lemke et al. 2000: 28) in den Bick nehmen. Es konnte gezeigt werden, wie auch die Entwicklungen in gesellschaftlichen und privaten Bereichen stets Machtausübung beinhalten und mit staatlichen Interventionen verknüpft sein können. Letztlich konnte beschrieben werden, wie in liberalen Kontexten durch Freiheit gesteuert werden kann (Burchell 1993; Rose 1993, 2006). Für liberale Regierungskünste sei nun gerade das Aufgreifen von Wissensbeständen und Fähigkeiten zentral, die innerhalb der Gesellschaft selbst generiert werden. Rose und Miller (1992) zufolge basiere Regieren in (neo-)liberalen Kontexten zunehmend auf den Fähigkeiten von »Expert/-innen« bzw. auf deren Expertise in Form von Wissen. Die Mobilisierung des Wissens und der Fähigkeiten auch nicht staatlicher Expert/-innen aus Wissenschaft, Pädagogik, Philosophie, Ökonomie, Moral oder Religion ermögliche es erst, die Lebensweisen der zu regierenden Individuen in Bezug auf alle möglichen Aspekte (Kindererziehung, Familienplanung, Berufswahl, Freizeitgestaltung usw.) zu lenken und auch in jene Bereiche eingreifen zu können, die als »natürliche« und »autonome« Realitäten mit je eigenen internen Dynamiken und Selbstregulierungskompetenzen vorausgesetzt werden: Gesellschaft, Gemeinschaft, Markt, Familie, Individuum (Rose u. Miller 1992; Rose 1993, 1996, 2000a, b; Burchell 1993; Foucault 2005 [1982]). Rose und Miller (1992) koppeln das Regieren analytisch an die beeinflussenden Aktivitäten einer Vielzahl von gesellschaftlich anerkannten ökonomischen, kulturellen, religiösen, moralischen oder wissenschaftlichen Autoritäten, die in komplexen Allianzen sowohl mit staatlichen Instanzen als auch untereinander die Aktivitätsmöglichleiten »anderer« vorstrukturieren (Miller u. Rose 2008). Eine »Autorität« wäre hierbei jegliche Position, die die Führung von Individuen strukturiert mitgestaltet (Lemke et al. 2000) – eine poli-
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tische Autorität genauso wie eine Streetworkerin im Quartiersmanagement (De Wilde 2015a). Gegenwärtige, liberale Formen des Regierens, so konstatieren Rose und Miller, »do not conceive of the regulation of conduct as dependent only upon political actions: the imposition of law; the activities of state functionaries or publicly controlled bureaucracies, surveillance and discipline by an all seeing police. Liberal government identifies a domain outside ›politics‹ and seeks to manage it without destroying its existence and its autonomy. This is made possible through the activities and calculations of a proliferation of independent agents including philanthropists, doctors, hygienists, managers, planners, parents and social workers. And it is dependent upon the forging of alliances. This takes place on the one hand between political strategies and the activities of these authorities and, on the other, between these authorities and free citizens, in attempts to modulate events, decisions and actions in the economy, the family, the private firm, and the conduct of the individual person.« (Rose u. Miller 1992: 180; Herv. J.W.) In gesellschaftlich eingebetteten Interaktionen lassen sich dann komplexe Formen solcher »Allianzen« ausmachen, die jenseits einer klaren Unterscheidung zwischen »Staat« und »Gesellschaft« stehen und gerade in diesem Sinne das (liberale) Regieren konstituieren. Man denke in etwa an die Arzt-Patient-Beziehung einer Mutter mit »ihrem« Kinderarzt, die zunächst nicht staatlich oder politisch erscheint. Jedoch mag nun die Mutter Fragen, Wünsche und Bedürfnissen in das Beratungsgespräch einbringen, die sich im Zuge ihrer Lektüre von Broschüren entwickelten, die vom Gesundheitsministerium herausgegeben wurden; der Arzt wiederum durchlief seine Ausbildung an einer staatlichen Universität. Regierungsverhältnisse konstituieren sich somit in und durch eine Multiplizität von Beziehungen, die auf etablierten Praktikenkomplexen basieren. Das Regieren gründet auf einer co-konstitutiven und wechselseitigen Orchestrierung und »In-Beziehung-Setzung« der Fähigkeiten und Erfahrungen sehr verschiedener, sich selbst und andere führender »Agent/-innen« (agents) aus sich wechselseitig überlagernden gesellschaftlichen, politischen und staatlichen Praxisfeldern. Die daraus resultierende Regierungskunst »seeks to shape conduct by working through the desires, aspirations, interests and beliefs of various actors […]« (Dean 2010 [1999]: 18). Staatliche Instanzen stellen folglich nur ein Element innerhalb dieses Geflechts dar, mögen aber durchaus eine privilegierte Position innehaben, wenn es um die Versuche geht, einzelne agents zu mobilisieren und die Konstellationen und Netzwerke spezifisch zu modellieren. Wie in den Zitaten anklang, wählen Autoren wie z.B. Rose und Miller vielfach das Stilmittel der Aufzählung, um die Heterogenität möglicher »Regierungspraktiker/innen« hervorzuheben. Es sind dann »politicians, intellectuals, philosophers, medics, military men, feminists and philanthropists« (Rose u. Miller 1992: 181), die die verschiedenen Orte der problematisierenden Regierungsinterventionen »bevölkern«. Innerhalb des dadurch aufgespannten Netzes konstituiert sich Regierung und mit ihr »politische Macht« (rule, vgl. Rose 1993). Auch Li (2007: 276) zählt in diesem Zusammenhang heterogene »Akteur/-innen« auf und betont, dass die Analyse deren jeweiliger Position im Regieren sowie allgemein das Erfassen von Regierung als Effekt komplexer Assemblagen helfen könne, die Rolle des Staates nicht zu überschätzen:
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»Understanding governmental interventions as assemblages helps to break down the image of government as the preserve of a monolithic state operating as a singular source of power and enables us to recognize the range of parties involved in attempts to regulate the conditions under which lives are lived. These parties include not only diverse state agencies with competing visions, mandates and techniques, but missionaries, scientists, activists and the so-called NGOs, both national and transnational, involved in arenas such as public health, welfare, agricultural extension, conservation, good governance and, increasingly, conflict management.« (Li 2007: 276; Herv. J.W.) Erst ein solches mehr oder minder orchestriertes Zusammenwirken verschiedener gesellschaftspolitischer Instanzen generiert überhaupt die notwendigen Fähigkeiten, um Gesellschaft steuerbar zu gestalten und komplexe Steuerungsprobleme angehen zu können (Rose u. Miller 1992: 180). Die relative Strukturierung jener Akteursnetzwerke und -konstellationen ermöglicht dabei ein »Regieren aus der Distanz«: Es öffnen sich Möglichkeiten des Intervenierens über die Autonomie, die Selbstregulierungsbewegungen und die Expertisen der verschiedenen Aktivitätsinstanzen: »Political forces have sought to utilise, instrumentalise and mobilize techniques and agents other than those of ›the State‹ in order to govern ›at a distance‹.« (Rose u. Miller 1992: 181) Es lässt sich resümieren: Liberale Programme und Technologien des Regierens konstituieren verschiedene Bereiche des Sozialen als »nicht politische« Domänen außerhalb staatlicher Einflussnahme, schaffen damit jedoch gleichzeitig die Bedingungen dafür, dass innerhalb dieser als »frei« konstituierten Bereiche eine Multiplizität staatlicher und nicht staatlicher, sich wechselseitig als autonom und »erfahren« konstituierender Instanzen vielfältige Verknüpfungen und Allianzen eingehen können (mit entsprechend neuen Kompetenz- und Aufgabenzuschreibungen), über welche die gesellschaftspolitisch als wünschenswert gesetzten Entwicklungslinien erreicht werden sollen. Eine solche Perspektive betont nicht nur die Heterogenität führender und sich selbst führender Individuen, Gruppen und Institutionen, sondern auch die Heterogenität der Orte und Kontexte des Regierens: »A whole variety of authorities govern in different sites.« (Rose et al. 2006: 85) So führt die Gouvernementalitätsanalyse in eine Rekonstruktion komplexer Assemblagen des Regierens: »To understand how we are governed in the present, individually and collectively, in our homes, workplaces, schools, and hospitals, in our towns, regions, and nations, and by our national and transnational governing bodies requires us to turn away from grand theory, the state, globalization, reflexive individualization, and the like. Instead, we need to investigate the role of the gray sciences, the minor professions, the accountants and insurers, the managers and psychologists, in the mundane business of governing everyday economic and social life, in the shaping of governable domains and governable persons, in the new forms of power, authority, and subjectivity being formed within these mundane practices. Every practice for the conduct of conduct involves authorities, aspirations, programmatic thinking, the invention or redeployment of techniques and technologies.« (Rose et al. 2006: 101, Herv. J.W.) Hieraus formulieren sich neue Fragen: »Who governs what? According to what logics? With what techniques? Toward what ends?« (Rose et al. 2006: 85) Gouvernementali-
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tätsstudien rekonstruieren ein Geflecht aus verschiedenen Elementen/Positionen, die je spezifische Formen von Autorität reproduzieren, und versuchen dann, unter Rekurs auf diese Arrangements regierender und sich selbst regierender Elemente »to diagnose an array of lines of thought, of will, of invention, of programmes and failures, of acts and counter-acts« (Rose 1999: 21). Letztlich leitet eine solche Modellierung von Regierungsprozessen in eine topologische Perspektive auf Regierung (Collier 2009), die in den nachfolgenden Kapiteln noch genauer erläutert werden soll. Li (2007) zufolge wäre nun gerade eine ethnographische Untersuchung von Regierung angebracht, um die Komplexität eines so gefassten Regierens herauszuarbeiten. Auch andere Autor/-innen sprechen sich für ein »ethnographic mapping« von Regierungspraktiken aus (Sharma u. Gupta 2006: 163), um die Operativität und die »assemblagenhafte« Komplexität von Regierung zu rekonstruieren. Unter anderem diese Fragen werden in den nächsten Kapiteln angegangen.
2.4
Die topologische Perspektive: der (geographische) Blick auf lokale Praxis und die Anwendungsfelder der Macht
Das folgende Kapitel versteht sich als eine erste Methodologisierung der in dieser Arbeit angewendeten Regierungsanalyse (die dann in Kapitel 5 fortgeführt wird). Da ich in dieser Arbeit neben einer Untersuchung der Diskurse, die das Auftauchen des »Dialogs mit Muslimen« rahmen, v.a. auf lokale Praktiken und Verfahrensweisen dialogischen Regierens abzielen möchte, ist danach zu fragen, wie eine solche Perspektive auf lokale Regierungspraxis ausgehend vom Foucault’schen Analysemodell zu konzeptionalisieren ist. Inwieweit ist eine Untersuchung lokaler Praktiken in Foucaults Arbeiten angelegt, inwiefern kann der Blick auf das Lokale als Methodologie der Machtanalytik verstanden werden und welche Potenziale ergeben sich daraus? Im Zuge der Erörterung dieser Fragen wird es auch möglich sein, einen genuin geographisch-räumlichen Blick auf lokale Topologien des Regierens in Position zu bringen.
2.4.1
Topologien des Regierens
Die bisher dargestellten Spezifika der Foucault’schen Perspektive auf Machtverhältnisse und Regierung lenken den Blick auf ein komplexes Feld heterogener Beziehungen. Das Regieren erscheint als Praxis, deren Analyse in mannigfaltige Gesellschaftsbereiche und in komplexe Geflechte wechselseitig verschränkter Beeinflussungspraktiken einführt. Diese Komplexität ergibt sich bereits aus der analytisch sehr breiten Konzeption von Regierung als einem Ensemble von auf Tätigkeiten gerichteten Tätigkeiten. So wurde gezeigt, dass Regieren auf gesellschaftlich allgegenwärtige, wenn auch mehr oder minder systematisierte, Beeinflussungspraktiken verweist, an deren Vollzug verschiedenste Individuen und Gruppen beteiligt sein können (Lemke 2006 [2001]; Lemke et al. 2000). Diese Bestimmung lässt das Regieren entschieden heterotop und formenreich erscheinen (Collier 2009). Macht ausüben »tun viele« (Foucault 2005 [1978]a), wodurch sich komplexe Topologien miteinander verknüpfter, voneinander abhängiger Formen und Praktiken
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tätsstudien rekonstruieren ein Geflecht aus verschiedenen Elementen/Positionen, die je spezifische Formen von Autorität reproduzieren, und versuchen dann, unter Rekurs auf diese Arrangements regierender und sich selbst regierender Elemente »to diagnose an array of lines of thought, of will, of invention, of programmes and failures, of acts and counter-acts« (Rose 1999: 21). Letztlich leitet eine solche Modellierung von Regierungsprozessen in eine topologische Perspektive auf Regierung (Collier 2009), die in den nachfolgenden Kapiteln noch genauer erläutert werden soll. Li (2007) zufolge wäre nun gerade eine ethnographische Untersuchung von Regierung angebracht, um die Komplexität eines so gefassten Regierens herauszuarbeiten. Auch andere Autor/-innen sprechen sich für ein »ethnographic mapping« von Regierungspraktiken aus (Sharma u. Gupta 2006: 163), um die Operativität und die »assemblagenhafte« Komplexität von Regierung zu rekonstruieren. Unter anderem diese Fragen werden in den nächsten Kapiteln angegangen.
2.4
Die topologische Perspektive: der (geographische) Blick auf lokale Praxis und die Anwendungsfelder der Macht
Das folgende Kapitel versteht sich als eine erste Methodologisierung der in dieser Arbeit angewendeten Regierungsanalyse (die dann in Kapitel 5 fortgeführt wird). Da ich in dieser Arbeit neben einer Untersuchung der Diskurse, die das Auftauchen des »Dialogs mit Muslimen« rahmen, v.a. auf lokale Praktiken und Verfahrensweisen dialogischen Regierens abzielen möchte, ist danach zu fragen, wie eine solche Perspektive auf lokale Regierungspraxis ausgehend vom Foucault’schen Analysemodell zu konzeptionalisieren ist. Inwieweit ist eine Untersuchung lokaler Praktiken in Foucaults Arbeiten angelegt, inwiefern kann der Blick auf das Lokale als Methodologie der Machtanalytik verstanden werden und welche Potenziale ergeben sich daraus? Im Zuge der Erörterung dieser Fragen wird es auch möglich sein, einen genuin geographisch-räumlichen Blick auf lokale Topologien des Regierens in Position zu bringen.
2.4.1
Topologien des Regierens
Die bisher dargestellten Spezifika der Foucault’schen Perspektive auf Machtverhältnisse und Regierung lenken den Blick auf ein komplexes Feld heterogener Beziehungen. Das Regieren erscheint als Praxis, deren Analyse in mannigfaltige Gesellschaftsbereiche und in komplexe Geflechte wechselseitig verschränkter Beeinflussungspraktiken einführt. Diese Komplexität ergibt sich bereits aus der analytisch sehr breiten Konzeption von Regierung als einem Ensemble von auf Tätigkeiten gerichteten Tätigkeiten. So wurde gezeigt, dass Regieren auf gesellschaftlich allgegenwärtige, wenn auch mehr oder minder systematisierte, Beeinflussungspraktiken verweist, an deren Vollzug verschiedenste Individuen und Gruppen beteiligt sein können (Lemke 2006 [2001]; Lemke et al. 2000). Diese Bestimmung lässt das Regieren entschieden heterotop und formenreich erscheinen (Collier 2009). Macht ausüben »tun viele« (Foucault 2005 [1978]a), wodurch sich komplexe Topologien miteinander verknüpfter, voneinander abhängiger Formen und Praktiken
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Gouvernementalität der Freundschaft
der Führung anderer sowie der Selbstführung ergeben (Collier 2009). Dass das Regieren die ganze Gesellschaft durchzieht, heiße nämlich nicht, so Foucault, dass »es ein erstes und fundamentales Machtprinzip gäbe, das die Gesellschaft bis ins letzte Element hinein beherrschte. Auf der Grundlage der mit jeder sozialen Beziehung koextensiven Möglichkeit, auf das Handeln anderer einzuwirken, definieren vielfältige individuelle Unterschiede, Ziele, an uns und anderen einzusetzende Mittel, mehr oder weniger sektorale oder globale Institutionalisierungen und mehr oder weniger bewusst konstruierte Organisationsformen jeweils verschiedene Machtformen […]. In einer Gesellschaft gibt es zahlreiche Formen und Orte des Regierens von Menschen durch andere Menschen. Sie überlagern, kreuzen und begrenzen einander, zuweilen heben sie sich gegenseitig auf, und in anderen Fällen verstärken sie sich wechselseitig.« (Foucault 2005 [1982]: 260; Herv. J.W.) Diese »Formen« und »Orte« des Regierens müssten nun empirisch in ihrer Komplexität nachgezeichnet und als »Feld[er] der Machtpraktiken« (Foucault 2004 [1977-78]: 359) rekonstruiert werden. Gerade für diese Aufgabe bietet sich dezidiert die geographische Perspektive an (Füller u. Michel 2012). Eine gouvernementalitätstheoretische Analyse jedenfalls, so Mitchel Dean, »wants to understand how different locales are constituted as authoritative and powerful, how different agents are assembled with specific powers, and how different domains are constituted as governable and administrable« (Dean 2010 [1999]: 39-40). Gouvernementalitätsanalysen, so Rose, fokussieren auf jene »multiplicity of places, planes and practices« (1998: 38) des Regierens, denn »in each of these assemblages, repertoires of conduct are activated« (ebd.: 38). Rose et al. (2006: 99) ziehen daraus die Konsequenz, dass die Aufgabe der governmentality studies keine »ideal typification, but an empirical mapping of governmental rationalities and techniques« ist. Nicht zuletzt aufgrund der machtanalytischen Spezifik des Regierungskonzeptes, der zufolge sich Regierungstechnologien mit dem Aktivitätsfluss der zu regierenden Gegenstände verschnitten zeigen, erscheint Regierung als eine Praxis, die nicht an jedem Ort und zu jeder Zeit gleich operiert, sondern sich je nach ihren Gegenständen, Kontexten und Orten verschiedentlich ausgestalten wird (Collier 2009). Insofern das Regieren zudem auf Formen der Selbstführung aufbaut, die in verschiedenen Feldern und auf verschiedenen Maßstabsebenen (Familie, Betrieb, öffentlicher Raum etc.) ablaufen, manifestiert es sich entsprechend heterogen. Die multiplen Regierungen folgen dabei immer auch ihren jeweils eigenen und lokalen Logiken und Dynamiken. Deshalb ist von komplexen »Topologien der Machtausübung« auszugehen (Collier 2009), denen empirisch nachzuspüren ist. Entsprechend sieht bspw. Osborne (2004) gouvernementalitätstheoretische Studien als dezidiert empirische Projekte, welche die Komplexe, bestehend aus »mundane programmes, calculations, techniques, apparatuses, documents and procedures« (Rose u. Miller 1992: 192), »schemas of analysis and material forms« (Collier 2009: 99) aufzuschlüsseln hätten. Diese Aufschlüsselung müsse »von den Praktiken der Gouvernementalität her« erfolgen (Foucault 2000a: 70). Sodann ist die Frage zu stellen, »how heterogeneous techniques, technologies, material elements, and instutional forms are taken up and assembled« (Collier 2009: 89), um Regierung als situierten Prozess zu begründen. Die Topologien des Regierens sind dann, wie gezeigt,
2. Gouvernementalität
nicht nur Repräsentation, sondern begründen sich auch in den komplexen Arrangements aus praktisch wirksamen Interventionen.
2.4.2
Regierungsweisen aus den Praktiken heraus rekonstruieren
An dieser Stelle soll diskutiert werden, inwiefern eine Analyse des Regierens in Foucaults Arbeiten wie auch in prominenten Ansätzen der governmentality studies als eine Analyse von Praxis bzw. von Praktiken ausbuchstabiert werden kann. Foucault selbst hob in Bezugnahme auf seine Untersuchungen der Technologien des Strafens die Praktiken als seinen primären Gegenstand hervor: »In this piece of research on the prisons, as in my other earlier work, the target of analysis wasn’t ›institutions‹, ›theories‹ or ›ideology‹, but practices.« (1991: 75; Herv. J.W.) Dabei betonte Foucault, »that these types of practice are not just governed by institutions, prescribed by ideologies, guided by pragmatic circumstances […], but possess up to a point their own specific regularities, logic, strategy, self-evidence and ›reason‹. It is a question of analyzing a ›regime of practices‹ – practices being understood here as places where what is said and what is done, rules imposed and reasons given, the planned and the taken for granted meet and interconnect.« (1991: 75; Herv. J.W.) Gegenstand des Interesses sind Praktiken der Machtausübung, die sich verselbstständigen, sich als evident präsentieren können und ihre eigenen Regelhaftigkeiten aufweisen. In diesem Sinne sind auch die Formen des Regierens von den Praktiken her zu rekonstruieren bzw. in einem weiten »Feld der Machtpraktiken« (Foucault 2004 [1977-78]: 359) anzusiedeln, die unter dem Gesichtspunkt einer Machtanalytik als verschiedengestaltige Führungstechnologien analysiert werden können. In Foucaults »Question of Method« (1991) fallen die zu untersuchenden »Regime von Praktiken« mit den Rationalitäten des Regierens zusammen. Letztere ergeben sich aus den Ordnungen der Praktiken heraus, Regierungsrationalitäten »correspon[d] to a whole series of diverse practices and strategies« (Foucault 1991: 81). Auch Lemke betont an Foucault anschließend explizit »Regierungspraktiken« (Lemke 2006 [2001]: 482) als ontologische Grundlage der Analyse. Erst aus deren inneren Logiken und wechselseitigen Verknüpfungen heraus würden sich Regierungsformen manifestieren (Lemke et al. 2000: 20). Bei Foucault spiegeln sich die Ordnungen des Wissens in den Ordnungen der Praktiken wider, wobei diese Dimensionen in der Analyse nicht klar getrennt werden können. Entsprechend würden seine Untersuchungen von Machtpraktiken darauf abzielen, »to study this interplay between a ›code‹ which rules ways of doing things (how people are to be graded and examined, things and signs classified, individuals trained etc.) and a production of true discourses which serve to found, justify and provide reasons and principles for these ways of doing things« (Foucault 1991: 79; Herv. J.W.). Der hier angesprochene »Code« müsse in den Regelmäßigkeiten des Praktizierens gesucht werden. Diese »praktische Rationalität« ist wiederum mit allgemeineren diskursiven Wahrheitseffekten verknüpft. So kann gefragt werden, »how […] one [can] analyze the connection between ways of distinguishing true and false and ways of governing oneself and others« (Foucault 1991: 82). Vor dem Hintergrund eines solchen Benennens
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Gouvernementalität der Freundschaft
von Praktiken erscheint es als plausibel, dass manche Autor/-innen auch die Ethnographie als günstige Methodik für die Analyse der Wirkungsweisen von Machtverhältnissen erachten (Li 2007; Ott u. Wrana 2010; aus geographischer Perspektive: Füller u. Marquardt 2009; Müller 2015; Marquardt 2015; Dzudzek 2016). Dennoch wurde dieser Weg noch vergleichsweise wenig beschritten: »The reluctance of scholars exploring governmental rationalities to conduct empirical studies of particular conjunctures introduces an odd inconsistency in their work: an interest in politics as a hypothetical possibility that is not carried into an interest in politics as a concrete practice.« (Li 2007: 277-278) Eine auf Praktiken bezogene Regierungsanalyse wurde noch vergleichsweise wenig ausgearbeitet (Li 2007; O’Malley et al. 1997; McIlvenny et al. 2016a). Die in den governmentality studies artikulierte Trennung zwischen einerseits Diskursen und Rationalitäten und andererseits Techniken oder auch Praktiken des Regierens (Miller u. Rose 2008) lässt sich auf die breit diskutierte Diskurs-Praxis-Differenzachse projizieren (vgl. Baumann et al. 2015). Letztlich ergeben sich somit verschiedene Heuristiken, die jedoch im Sinne der theoretischen Überlegungen Foucaults zu integrieren wären. Insgesamt spricht Lemke jedoch von einer »mangelhafte[n] Klärung des Verhältnisses von politischen Rationalitäten und politischen Technologien« (Lemke 2000: 43). Derweil scheint die Differenzierung zwischen Rationalitäten und Technologien (oder auch Praktiken) des Regierens bei Foucault auf verschiedene »fragments of reality« (1991: 82) hinzuweisen, die jedoch als »mutually constitutive« (Huxley 2007: 189) betrachtet werden und sich in der Analyse aufheben würden (ebd.: 81; Lemke et al. 2000). Regieren bestehe aus Praktiken, in denen sich ein diskursiv konstituiertes Regierungswissen konkretisiere. Für Dean, einen wichtigen Vertreter der governmentality studies, sei das Regieren in praxeologischer Hinsicht zunächst schlicht ein »do[ing] […] things in certain places and at certain times« (Dean 2010 [1999]: 31). Regierungformen begründen sich in den »more or less organized ways, at any given time and place, we think about, reform and practice such things as caring, administering, counselling, curing, punishing, educating and so on« (ebd.: 30; Herv. J.W.). Entsprechend beziehe sich auch »der Begriff der Rationalität […] auf historische Praktiken, in deren Kontext Wahrnehmungsund Beurteilungsstrategien generiert werden« (Lemke et al. 2000: 20). So sind auch Rationalitäten des Regierens der gesellschaftlichen Praxis immanent. Sie »sind selbst bereits ein Effekt gesellschaftlicher Verhältnisse und ein ›Einsatz‹ in ihnen« (Lemke 2000: 43). Rationalitäten würden sich entsprechend in den Mustern des Praktizierens und »Probleme-Angehens« materialisieren (Foucault 2004 [1977-78]: 176-177; Lemke et al. 2000: 20; Huxley 2007: 189; Li 2007; Dzudzek 2016). Das ihnen inhärente Wissen ist, so Bröckling und Krasmann, »stets ein praktisches Wissen: Es reflektiert die Praxis des Regierens, und es beansprucht, diese Praxis zu begründen und anzuleiten.« (2010: 24) Bröckling und Krasmann sehen daher die Aufgabe der Gouvernementalitätsanalysen darin, nachzuzeichnen, »wie die Dinge und das Denken über die Dinge sich in Praktiken wechselseitig konstituieren bzw. präziser: wie sie sich in beide Richtungen ineinander übersetzen« (2010: 24; Herv. J.W.). Wenn sich Regierungsweisen in den Praktiken manifestieren, dann manifestieren sie sich letztlich zwischen einem »Plan« (Skript, Modell, Repräsentation) und der »Umsetzung«:
2. Gouvernementalität
»Das Verhältnis von Rationalitäten zu Technologien markiert nicht die Konfrontation von Programm und Wirklichkeit, der Welt der Diskurse mit der Welt der Praktiken [und] stellt [auch] nicht einfach das Problem der Anwendung oder Übertragung. […] Die Geschichte [des Regierens; Anm. J.W.] ist nicht die Ausführung eines Plans, sondern das, was ›zwischen‹ diesen beiden Ebenen liegt.« (Lemke et al. 2000: 22; Herv. J.W.) Als Gegenstand der Gouvernementalitätsanalysen werden zwar vielfach Regierungsrationalitäten benannt, doch ist der Rationalitätsbegriff entsprechend ein spezifischer. Denn eine Regierungsrationalität »ist eine Rationalität der Politik und nicht eine Reflexion über Politik« (Lemke et al. 2000: 20; Herv. J.W.). Entsprechend richtet sich »das Interesse […] auf das den Praktiken immanente Wissen, die Systematisierung und ›Rationalisierung‹ einer Pragmatik der Führung« (ebd.: 20; Herv. J.W.). Regierungsrationalitäten erscheinen somit weniger als ideelle Skripte, sondern als fortlaufende Systematisierungen praktischer, in Techniken übersetzter Vorgehensweisen. Sie manifestieren sich in den Prozessen einer »generalization and interconnection of different techniques themselves designed in response to localized requirements« (Foucault 1991: 80). Eine Regierungsanalyse muss dann Begriffe zur Beschreibung von Regelmäßigkeiten und Verdichtungen in den Praktiken, Verfahrensweisen und Prozeduren des Regierens und Regiertwerdens bereithalten. Aus dieser Perspektive sei ferner angemerkt, dass Techniken und Praktiken »keine leere Form darstellen, in die sich […] Rationalitäten einschreiben; […] Technologien drücken Rationalitäten nicht [nur] aus, sondern sie haben eine ihnen eigene Materialität […].« (Lemke 2000: 43; Herv. J.W.; vgl. auch: Rose et al. 2006: 87) Gleichzeitig determiniert diese Materialität aber auch nicht ihre potenzielle Artikulierbarkeit. Mit diesem Fokus auf die Materialität der Techniken als ontologische Grundlage grenzen sich die governmentality studies sowohl von marxistischen Ansätzen ab, die eine »eigentliche« Logik hinter den Regierungsformen zu erkennen suchen (Klasseninteresse etc.), als auch von Ansätzen, die nach der eigentlichen Intention regierender Akteure fragen (O’Malley et al. 1997: 503; Jessop 2010; Füller u. Marquardt 2009). In diesem Zusammenhang erkennt Collier (2009) in Foucaults gouvernementalitätstheoretischen Arbeiten eine spezifische Konzeptionalisierung des Verhältnisses zwischen Rationalitäten und Praktiken/Techniken. So erscheinen Praktiken und Techniken nicht länger als Elemente, die durch Rationalitäten determiniert wären. Vielmehr werden Rationalitäten einerseits und Praktiken sowie Techniken des Regierens andererseits in ein kontingentes, nicht deterministisches Verhältnis gegenseitiger Durchdringung überführt. Jedwede Formen des Regierens manifestieren sich dann »in der Art und Weise, wie heterogene Machttechnologien versammelt werden« (Dzudzek 2016: 34; vgl. Foucault 1991: 75; Dean 2010 [1999]; Rose et al. 2006; Collier 2009).
2.4.3
Kartographien der Macht als »aufsteigende Analyse« und der Blick auf lokale Anwendungsfelder der Machtausübung
Die Foucault’sche Konzeptionalisierung von Machtbeziehungen bietet vielfach Optionen für eine Analyse von »Praktiken der Machtausübung im Vollzug« (Ott u. Wrana 2010). Da sich Macht bei Foucault in der Form komplexer Geflechte aufeinander Bezug nehmender Tätigkeiten manifestiert, kann sie auch von diesen Tätigkeiten her bestimmt
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werden. Macht ist dort zu untersuchen, »wo sie in direkter und unmittelbarer Beziehung zu dem steht, was man ganz provisorisch ihren Gegenstand, ihre Zielscheibe, ihr Anwendungsfeld nennen kann, da, mit anderen Worten, wo sie sich einpflanzt und ihre wirklichen Effekte hervorbringt« (Foucault 2003 [1976-79]: 237). Man solle also »die Frage der Macht gewissermaßen in ihrem eigenen Milieu […] stellen, dort, wo sie ausgeübt wird« (Foucault 1996 [1980]: 110). Füller und Marquardt sehen auch deshalb die Ethnographie und deren »Verfahren der teilnehmenden Beobachtung« (2009: 99) als interessanten Zugang zu Machtausübung als Praxis und damit zur Rekonstruktion von Regierungsweisen (vgl. nächstes Kapitel). Macht- und Regierungsanalyse, so die Autor/-innen, »hat […] auf dem Anwendungsfeld selbst zu erfolgen; sie hat danach zu fragen, wie Macht ausgeübt wird […] und sie hat in Rechnung zu stellen, dass es kein Zentrum der Macht gibt. Machtverhältnisse prägen unsere Anordnung der Dinge und Wissensbestände, unsere täglichen Interaktionen und unser Selbstverständnis.« (Füller u. Marquardt 2009: 99) Viele Studien würden »nicht auf dem Anwendungsfeld von Macht selbst an[setzen], sondern […] auf der Ebene der politischen Programme und der hier – zugegebenermaßen am einfachsten – aufzufindenden Rationalisierungen« (ebd.: 99). Dies habe »jedoch zur Folge, dass tendenziell vor allem die intendierten und nicht die tatsächlichen Effekte von Macht herausgearbeitet werden« (ebd.: 99). Die governmentality studies würden zu wenig beachten, »how […] techniques [of governing] are accomplished and negotiated amongst those who are governed« (McIlvenny et al. 2016b: 43). Um das konkrete Anwendungsfeld der Macht nicht aus dem Blick zu verlieren, so Füller und Marquardt, müsse gerade der Begriff der Techniken konsequent materialistisch und praxeologisch verstanden werden. »Mit der Konzeption Technik sind automatisch Fragen nach Funktionsort, Funktionsweise und Wirkung verbunden.« (Füller u. Marquardt 2009: 99-100) Die Vorstellung von Techniken der Macht als situierte Aktivitäten kann den Blick auf sehr verschiedene, alltägliche Praxisfelder lenken, in denen Individuen navigieren (McIlvenny 2016a, b). Dieser Blick auf Praxisfelder und auf die dort wirksam werdenden Regierungstechniken harmoniert auch mit einer räumlich-geographischen Rekonstruktion der Kontexte und Orte des Regierens, die für lokale Machtbeziehungen und entsprechende Beeinflussungsgeflechte sensibel ist (vgl. Füller u. Michel 2012). Füller und Marquardt (2009) sowie Füller und Michel (2012) arbeiten aus geographischer Perspektive eine solche raumsensible Machtanalyse heraus, die auf die empirischen Gegenstände und lokal verorteten Praktiken und Techniken fokussiert. Für diese Autor/-innen zeichnet sich der gouvernementalitätstheoretische Ansatz durch das stete Bemühen aus, »die Analyse sozusagen auf den empirischen Boden zu holen« (Füller u. Marquardt 2009: 100-101). Statt ausschließlich auf größere historisch-diskursive Entwicklungslinien zu blicken, ist »das empirische Feld als Topologie von Kräfteverhältnissen [zu] begreifen« (ebd.: 96), wobei »Machtverhältnisse empirisch auf die Ebene einzelner Machttechniken zurückzuverfolgen [wären]« (ebd.). Das Hauptaugenmerk bei der »Analyse konkreter Machtkonstellationen« (ebd.: 97) müsse dann darauf gelegt werden, »konzeptionell konsequent an der Mikrophysik der Macht anzusetzen« (ebd.) und auf »die konkreten Formen der Machtausübung, auf die practices of governance zu fokussieren (vgl. Vey-
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ne 1992)« (Füller u. Marquardt 2009: 97; Herv. i.O.). Machtbeziehungen würden sich »besser über die Positivität ihrer Verkettung untereinander, über ihre Anordnung und über ihre Beziehungen aufzeigen [lassen] als über eine historische Entwicklung oder das Nachvollziehen ihrer Abfolge« (ebd.: 97). Auch Thomas Lemke erkennt den Vorteil der Foucault’schen Machtanalytik in ihrer »starken empirisch-forschungsstrategischen Ausrichtung« (2000: 43). Dieser Fokus auf Empirie, Anwendungsfeld und Praxis sei auch als Potenzial einer geographischen, auf lokalräumliche Kontexte und Verdichtungen fokussierenden Gouvernementalitätsanalyse zu erarbeiten. Eine solche könne untersuchen, wie sich Rationalitäten und Technologien des Regierens »in konkrete lokale Kontexte und regional spezifische Praktiken einfügen« (Füller u. Marquardt 2009: 98) und zudem »andersherum« danach fragen, wie Regierungsformen erst aus lokalen Kontexten heraus entstehen. Hierzu merken Bröckling und Krasmann (2010) an, dass Gouvernementalitätsstudien »dem Prinzip der ›aufsteigenden Analyse‹ (Foucault 2003: 239) [folgen] und […] zunächst lokale Rationalitätsmuster und Praktiken des Regierens [untersuchen]« (Bröckling u. Krasmann 2010: 26) – wie auch die »historisch- und lokal-spezifischen Bedingungen ihres Auftauchens […]« (ebd.: 39). Ein solches Vorgehen zielt dann darauf ab, »die Kraftfelder des Regierens zu kartografieren« (ebd.: 28; Herv. J.W.). So führe das Analyseprogramm der Gouvernementaliät zur »identification of programmes and practices of rule in micro-settings, including those ›within‹ the subject« (O’Malley et al. 1997: 501). Foucault selbst postulierte, dass, »anstatt sich zu fragen, wie der Souverän oben erscheint« (Foucault 2003 [1976-79]: 237), das Ziel sein müsse, »herauszubekommen, wie sich ausgehend von der Vielfalt der Körper, der Kräfte, der Energien, der Substanzen, der Begierden und der Gedanken fortschreitend, real und materiell« (ebd.: 237) die (auf Subjektivierungsprozessen beruhenden) Möglichkeiten des Regierens von Gesellschaft konstituierten. Eine solche Perspektive auf die materielle und körperliche Praxis gesellschaftlicher und politischer (Selbst-)Steuerungsprozesse wird auch in einigen Arbeiten innerhalb der neueren Politischen Geographie eingefordert (für einen Überblick: vgl. Müller 2015). Dabei nehmen die Gouvernementalitätsstudien für jene »Kartografien von Regierungsregimen […] bisweilen eine gewisse methodische Freihändigkeit in Kauf« (Bröckling u. Krasmann 2010: 39). Das Credo lautet dann: »Heuristisches Experimentieren statt perfektionierter how-to-Anleitungen, lokale Kartografien statt general theory.« (Ebd.: 40) Erst über ein solch empirisches und lokales Kartographieren, über den Blick auf die lokalen Topologien und auf die dort vorzufindenden Praktiken und Techniken des Regierens kann eine Aufschlüsselung der Komplexität lokaler Machtverhältnisse geleistet werden (vgl. Ott u. Wrana 2010). In diesem Zusammenhang werden gerade Praktiken und Techniken des Regierens heuristisch als Analyseobjekte verstanden, deren Untersuchung die innere Heteronomie der Regierungsprogramme abbilden könne, die sich v.a. in den lokalen Implementierungen zeige (Dzudzek 2016). Osborne (2004) betont ferner, dass sich eine gouvernementalitätstheoretische Analyse auch methodologisch und methodisch nicht vorschnell begrenzen sollte. Die Auseinandersetzung mit dem empirischen Objekt stehe hierbei im Zentrum und müsse das methodische Vorgehen anleiten (Bröckling u. Krasmann 2010). Das Konzept der Gouvernementalität erscheine dann auch eher »as a set of analytical tools rather than a theory per se« (McIlven-
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ny et al. 2016b: 3). Derartige Perspektiven haben sich in den an Foucault anschließenden governmentality studies auch allmählich durchgesetzt (O’Malley et al. 1997; Rose et al. 2006; Collier 2009). Lange Zeit jedoch habe man, »statt ergebnisoffen nach Techniken, Programmen und Strategien zu suchen, […] zentrale Eckpunkte der aufzufindenden Regierungsweise, wie das Regieren durch Community […] oder das Regieren mittels Individualisierung […], von Anfang an fest[gesetzt]« (Füller u. Marquardt 2009: 95).
2.4.4
»The study of power should begin from below«?
Die bisher unter Rekurs auf Foucault wie auch auf Arbeiten der governmentality studies skizzierten Fokussierungen auf Praktiken, Techniken und lokale Anwendungsfelder führen nicht zuletzt auch auf die Frage hin, auf welcher Ebene oder Skala eine Analyse der Machtbeziehungen ansetzen könnte. Wie sind angesichts der Prämisse, dass Macht/Regierung kein Zentrum hat, »großmaßstäbliche« Phänomene wie bspw. »der Staat« zu erfassen? Wie ist das Verhältnis zwischen Mikro- und Makroebene zu denken? Wie gezeigt, formulierte Foucault seine Analytik der Machtverhältnisse verschiedentlich als eine Untersuchung von Machtpraktiken und deren Situierung in materiellen Kontexten (Kneer 2012). Einen solchen Ansatz entwickelte Foucault v.a. in seinen Abhandlungen über die Disziplin und damit zeitlich noch vor den Analysen der Gouvernementalität. Bob Jessop schreibt hierzu: »Foucault initially argued that the study of power should begin from below, in the heterogeneous and dispersed microphysics of power, explore specific forms of its exercise in different institutional sites, and then move on to consider how, if at all, these were linked to produce broader and more persistent societal configurations. One should study power where it is exercised over individuals rather than legitimated at the centre; explore the actual practices of subjugation rather than the intentions that guide attempts at domination; and recognize that power circulates through networks rather than being applied at particular points.« (Jessop 2010; Online-Version, o. S.) In diesem Sinne untersuchte Foucault überlokale und großmaßstäbliche Machtkonfigurationen, wie z.B. den »Staat«, als Effekte zum einen des Regierens und zum anderen des temporären Zusammenwirkens zahlreicher Praktiken und Prozesse (vgl. Jessop 2007). Der »Staat« wäre dann keine abgeschlossene und gegebene Entität und stellte auch keinen Ausgangspunkt des Regierens oder der Machtbeziehungen dar. »In this regard he argues that the intelligibility of a given social phenomenon does not depend on the search for a cause but on the study of ›the constitution or composition of effects‹. Thus we should ask ›[…] How is the state effect constituted on the basis of a thousand diverse processes?‹ […]. In short, Foucault was concerned with the ›state effect‹.« (Jessop 2010, Foucault zitierend; Online-Version, o. S.) All dies heißt aber nun keineswegs, dass großmaßstäbliche Fragen bspw. nach der Transformation von Staatlichkeit weniger bedeutend wären – vielmehr werden sie im Lichte einer Untersuchung von Prozessen nur anders formulierbar. Denn sicherlich stellte sich Foucaults Blickwinkel gerade in seinen gouvernementalitätstheoretischen Abhandlungen durchaus wieder stärker als eine Makroperspektive auf »größere« Zusam-
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menhänge dar – bspw. auf das Aufkommen des Neoliberalismus oder des Wissensfeldes einer politischen Ökonomie. Während Foucault in diesen Schriften (2004 [197778], 2004 [1978-79]) den Fragen nach Makrophänomenen zumindest auf der Ebene der »Gegenstände« einen gewissen Vorrang zukommen ließ, zieht sich (wie in obigen Zitaten deutlich wird) die analytische Verknüpfung von Mikro- und Makroperspektive sowie die damit einhergehende Hervorhebung von Prozessen und Effekten durch sein gesamtes machtanalytisches Werk (vgl. Foucault 2005). So erarbeitete Foucault eine methodologische »combination of micro- and macro-analyses« (Jessop 2010; Online-Version, o. S) und präsentierte bspw. »his later work on liberalism as a scaling up of his previous micro-analytics of power to macro-level questions about the state and political economy« (ebd.). Folglich ist Foucaults Analyse von Machtverhältnissen »scalable and can be applied to the state, statecraft, state-civil society, or state-economy relations just as fruitfully as to the conduct of conduct at the level of interpersonal interactions, organizations, or individual institutions« (Jessop 2010; Online-Version, o. S.). Entsprechend gelte die Aufmerksamkeit »den Mikro-Praktiken, deren Verknüpfung, Systematisierung und Homogenisierung erst die Analyse von Makrophänomenen ermöglicht« (Bröckling u. Krasmann 2010: 26; vgl. auch: Gordon 1991: 4). Ähnlich formuliert es Lemke, wenn er sagt, dass Gouvernementalitätsstudien »die Aufmerksamkeit […] auf die historisch-genealogische Analyse von Mikro-Praktiken [richten], deren Kopplung, Systematisierung und Homogenisierung die Herausbildung von Makrophänomen als ihren Effekt produziert« (Lemke 2000: 43).
2.4.5
Ethnographien des Regierens und die Analyse von Praktiken
Im Zusammenhang mit den bisher skizzierten Perspektivierungen arbeiteten einige Autor/-innen ein Plädoyer für eine Ethnographie der Gouvernementalität heraus (Li 2007; Stenson 2008; McKee 2009; Ott u. Wrana 2010; Füller u. Marquardt 2009; Dzudzek 2016; Watson 2017). Diese sollte Machtbeziehungen methodisch konsequent auf dem Anwendungsfeld untersuchen und von den Praktiken her fassen. Foucault selbst hatte sich derweil sicherlich nicht für eine »direkte« Untersuchung von Praktiken oder gar sozialer Praxis mittels bspw. ethnographischer Methoden ausgesprochen. Er sprach zwar vielfach über Praktiken, doch bildete sein Nachdenken über Praktiken eher einen Moment der methodologischen Reflexion auf die Genealogie und Transformation gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Foucault erwähnte gar, dass eine Untersuchung der »tatsächlichen«, sich vollziehenden Tätigkeiten nicht unbedingt notwendig sei, um die inneren Prinzipien der Prozesse der Machtausübung darzustellen (Foucault 1991). So untersuchte Foucault vorwiegend, wie Praktiken und Techniken in politischen Reflexionen problematisiert werden. Damit entwickelte er durchaus ein ausgeprägtes Interesse an den Praktiken des Regierens, denen er, ohne dezidiert ethnographisch zu arbeiten, in spezifischen Textsorten nachspürte: »Even though, as Walters (2012) notes, Foucault was not an ethnographer, his access to practices of the conduct of conduct came from a careful search of the archives for manuals, reports, guidebooks and treatises.« (McIlvenny et al. 2016b: 15; Herv. J.W.) In diesem Sinne wurden auch in zahlreichen Arbeiten der an Foucault anschließenden governmentality studies zwar vielfach Mikrobeziehungen und -kontexte der Machtausübung sowie auch »kleinmaßstäbliche« Praktiken und
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Techniken (des Selbst) thematisiert, aber meist nicht ethnographisch untersucht, sondern in ihrer Problematisierung in »Texten« betrachtet (kritisch dazu: O’Malley et al. 1997; vgl. auch Jessop 2010). Diese Ausblendung von Praxis wurde von einer Reihe von Autor/-innen kritisiert. So kritisierten O’Malley et al. (1997) die governmentality studies schon früh dafür, dass diese sich zu sehr auf die ausformulierten und »offiziellen« Programmatiken des Regierens beschränken würden. Dabei, so die Autoren, würden die konkreten Ausgestaltungen und die Heterogenität von Regierungsaktivitäten wie auch die im Verlauf der Regierungspraxis auftauchenden Brüche, Widerstände und konfliktvollen Auseinandersetzungen ausgeschlossen werden. Sie schreiben: »We deal with closely connected tendencies towards schematism and over-abstraction in the governmentality literature. Because of its emphasis on the programmatic nature of rule, and a concomitant methodological focus on texts of government rather than what they refer to as the ›messy actualities‹ of governance (Barry et al. 1993) or on the constitutive role of contestation and social variation, the literature tends to generate ideal typifications which often are in danger of being little more than the systematized self-representation of rule (Weir 1996).« (O’Malley et al. 1997: 504) Die Fokussierung auf Mentalitäten des Regierens, so die Autoren, »has led governmentality studies to be insensitive to social variation and social heterogeneity« (ebd.: 505). Erst wenn in der Rekonstruktion von Regierungsprogrammen auch die Dimension sozialer Praxis beachtet wird, so die Argumentation, könne nachgezeichnet werden, wie sich durch Regierungsprogramme Machtverhältnisse einschreiben, stabilisieren und auch wieder destabilisieren. Grundsätzlich könnten Regierungsformen nicht von ihrer Implementierung und Praxis getrennt werden, da sie ihre Implementierung und Praxis sind. Schon die Differenzierung zwischen einerseits dem Programm und dessen »Programmierern« und andererseits den »Anwendern« ist, so die Autor/-innen, nicht zu halten. Programme und Rationalitäten des Regierens existieren nur in der Anwendung (O’Malley et al. 1997; Collier 2009). Ferner erwähnen O’Malley et al.: »Closely linked to this is a consequent tendency to see programmes as if they are written by one hand, rather than multivocal, internally contested and thus, in a sense, always in change and often internally contradictory.« (O’Malley et al. 1997: 512) Um eine angemessene Beschreibung von Regierungsprozessen leisten zu können, müsse der Blick folglich auf die Materialisierungen der in der Praxis auftauchenden Widersprüchlichkeiten in den Regierungsweisen gerichtet werden. Hier wäre sogleich auf einen solchen »inneren Widerspruch« aufmerksam zu machen, der dem »Dialog mit Muslimen«, dem Gegenstand dieser Arbeit, inne zu liegen scheint (vgl. Kapitel 3, 4 und 5). Es ist der Widerspruch zwischen einerseits einer Rationalität der Anerkennung und Toleranz (Dornhof 2012; Peter 2010) – dem artikulierten Willen, »Islam« und »Muslime« in gewissem Sinne »so wie sie sind« anzuerkennen und »nur noch« durch Dialogmaßnahmen zu involvieren – und andererseits der integrationspolitischen Einhegung von Dialog – der Artikulation von Forderungen nach einer Anpassung von »Islam« und »Muslimen« gerade durch Dialog und Anerkennung (Tezcan 2012; Schiffauer 2008). Das Regieren scheint sich hier erst über die »Handhabbarmachung« solcher Widersprüche zu entfalten. Ich möchte in dieser Arbeit auch deshalb ethnographisch auf
2. Gouvernementalität
die Praxis des Dialogs blicken, um die Prozessierung solcher Widersprüche in einem lokalen Kontext verfolgen zu können. Zahlreiche Autor/-innen argumentierten dafür, den Fokus in der Rekonstruktion von Regierungsprozessen auf (a) die Praxis und Performativität des Regierens und/oder (b) auf die Einbettung von Regierungsprozessen in soziale Praxis zu legen. Erst darüber könnten die konkreten und lokalen Implementierungsformen erfasst werden, die das Regieren letztlich ausmachen (O’Malley et al. 1997; Dzudzek 2016). Die konkrete Gestalt, d.h. die empirische und greifbare Form, sowie die Machteffekte von Regierungsprozessen werden, so O’Malley et al. (1997), erst in der Praktizierung und Einschreibung offenbar. Es gilt daher, auf die lokalen Materialisierungsformen des Regierens innerhalb sozialer Praxis abzustellen und in diesem Sinne auf situierte Aktivitäten sowie auf das Zusammenwirken der verschiedenen beteiligten »Praktiker/-innen« (vor Ort) zu fokussieren (Li 2007; McKee 2009). Zudem gilt es danach zu fragen, welche auch alltäglichen oder zunächst »banal« erscheinenden Tätigkeiten es sind, die die Wirkungsweise der Rationalitäten, Programme und Technologien des Regierens überhaupt erst ermöglichen – oder aber auch herausfordern (vgl. Li 2007; Miller u. Rose 2008; Füller u. Marquardt 2009; Collier 2009; Ott u. Wrana 2010; McKee 2009; Watson 2017; vgl. auch die Beiträge in: McIlvenny 2016a). Für Ott und Wrana ist es gar ausschließlich die ethnographische Analyse von Praktiken in ihrem Vollzug, die der Komplexität und Relationalität lokaler Machtverhältnisse gerecht werden könne (2010). Eine solche Analyse könnte die Vielstimmigkeit und Multimodalität des Regierens aufgreifen sowie die Dynamik, Wandelbarkeit und den konfliktvollen Charakter einer Regierungspraxis darstellen, die stets in fortlaufenden Re-Justierungen befindlich sei (O’Malley et al. 1997; Li 2007; Dzudzek 2016; Collier 2009). Die zitierten Autor/-innen plädieren daher allesamt für eine empirischere, praxeologischere und in gewissem Sinne »realistischere« (hierzu: Stenson 2008; McKee 2009) Perspektive auf Regierung (wobei der Realismusbegriff meiner Ansicht nach problematisch ist). Gerade Li (2007) kritisierte Foucaults Methodologie ausführlich in der Form eines »mit Foucault gegen Foucault«. Li merkt an, dass Foucault selbst an einigen Stellen seiner Arbeiten verdeutlichte, wie sich Regierungsformen erst aus den vielen alltäglich und on the ground ablaufenden Aktivitäten verschiedener Individuen heraus komponieren; und wie die fortlaufende (Re-)Systematisierung und Stabilisierung von Regierungsformen ein Effekt fortlaufender Auseinandersetzungen mit diesen Aktivitäten sei (hierzu: Collier 2009). Jedoch habe Foucault diese Einsicht methodisch nicht weiter verfolgt und so die Komplexität der Praxis ausgeblendet (Li 2007; vgl. Foucault 1991). In Bezug auf Foucaults Untersuchungen der Technologie des Gefängnisses schreibt Li entsprechend: »Foucault describes the specificity of the historical conjuncture at which the prison system emerged – new forms of criminality, urbanization, a concern in France to consolidate the state apparatus. But surely one of the strands influencing how incarceration was revised, adjusted and made into a system that has endured for more than a century despite recidivism and other obvious failures, lies in the details of what actually happens inside prisons.« (Li 2007: 278-279) Li ist ohnehin als eine prominente Vertreterin einer gouvernementalen Ethnographie anzuführen (2007). Sie beginnt ihre Ausführungen zu einer dezidiert empirisch-ethno-
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graphischen, auf Praktiken abzielenden Analytik, indem sie neue, erkenntnisleitende Differenzierungen einführt. So unterscheidet sie nicht primär zwischen Rationalitäten und Techniken (wie in etwa Rose u. Miller 1992), sondern zwischen Regierungsprogrammen und Regierungspraktiken. Eine Analyse der Praktiken würde dann die impliziten praktischen Bedingungen wie auch die alltagspraktische Einbettung jedes Regierens (sowie die dabei auftauchenden Brüche) in den Blick nehmen. Welche (Alltags)Praktiken oder »Mikrotechniken des Alltags« (Lemke 2000: 40) ermöglichen folglich erst die Operativität von Regierungsprogrammen (vgl. zu dieser Frage auch Watson 2017)? Ein Programm ist für Li »the goal to be accomplished, together with the rationale that makes it thinkable, and the associated strategies and techniques« (Li 2007: 279). Li unterscheidet hier also zwischen a) den Strategien und Techniken des Regierens, die in einem Regierungsprogramm explizit repräsentiert, d.h. als dessen Elemente beschrieben sind, und b) den Praktiken, in deren Vollzug jedes Regieren erst Entfaltungsmöglichkeiten finden kann. Während man nun über Techniken im Grunde auch durch eine textualistische Analyse politischer Dokumente (policy paper) erfährt, seien Praktiken ethnographisch zu untersuchen. Bezüglich des Gegenstands »Dialog mit Muslimen« wäre in dieser Taxonomie eine Technik z.B. die Einrichtung eines Dialogforums, in welchem sich kommunale Vertreter/-innen und Sprecher/-innen lokaler »muslimischer« Organisationen treffen. Diese Technik könnte dann bspw. innerhalb eines Programms plausibel werden, das einen Austausch zwischen religiösen Gruppen als »Dialog« rationalisiert. Während nun die Einrichtung eines »runden Tisches« eine systematisierte, rationalisierte, transferier- und exportierbare Technik darstellt, wird diese Technik in ihrem Vollzug von zahlreichen einzelnen Praktiken flankiert, die sich verschiedentlich eingespielt haben: seien es Begrüßungen, Interaktionsmuster oder Redeund Selbstdarstellungsweisen. So sind also Praktiken gegenüber den Techniken als die konkreten und situierten Aktivitätsmuster und als Formen des »Sich-Verhaltens« zu verstehen, die von Individuen im Kontext des erwähnten Dialogforums verkörpert und ausgeführt werden; die sich also innerhalb, in und um diesen Dialogkreis stabilisieren (Watson 2017). All diese Praktiken können, müssen aber nicht, für die fortlaufende (Re-)Systematisierung von Regierungsprogrammen und -technologien bedeutsam werden. Es geht also um jene Aktivitätsmuster, aus denen die Technik des Dialogforums komponiert ist, die diese Technik reproduzieren, stützen oder verschieben, in jedem Fall aber performativ hervorbringen (vgl. Dzudzek 2016; Ott u. Wrana 2010). Derartige Praktiken, so Li, »constitute an arena of intervention and render it technical« (2007: 279) und sind deshalb »crucial to the formulation and implementation of a governmental program« (ebd.: 279). Die Praktiken basieren dabei auf kompetenten Körpern (Reckwitz 2003; Baumann et al. i.E.) und deren in Praxisfeldern erlangten Fähigkeiten. Potenziell können dabei alle möglichen Muster in den Aktivitäten von Individuen im Kontext von Regierungsfragen an Bedeutung erlangen. So ist der Übergang zwischen Praktiken und Techniken analytisch betrachtet auch eher fließend, da eine Praktik als konventionalisiertes Tätigkeitsmuster gleichzeitig eine rationalisierte Regierungstechnik werden kann: Sogar eine alltägliche Praktik wie ein bestimmtes Begrüßungsmuster im beruflichen Kontext kann je nach analytischer Perspektive als (Selbst-)Regierungstechnik gedeutet werden. Eine Analyse von Praktiken generiert für Li einen Mehrwert im Hinblick auf die Frage nach der Art und Weise, wie im Feld Macht ausgeübt wird.
2. Gouvernementalität
Einige neuere Arbeiten aus den governmentality studies weisen ebenso darauf hin, verstärkt auch die Dynamiken einzelner situierter Tätigkeitsmuster und Interaktionen in den Blick zu nehmen, um durch deren Analyse Einsichten in die Mikrooperativität von Regierung zu erhalten. So könnte das Gouvernementalitätskonzept Mechanismen der Führung als »discursive and interactional practices« (McIlvenny et al. 2016b: 15; 2016a) aufarbeiten und empirisch untersuchen. Arbeiten wie jene von O’Malley (1996), Li (2007) und Stenson (2008), oder auch die konzeptionelle Zusammenschau der governmentality studies in Rose et al. (2006), deuten darauf hin, dass Regierung keine ideale Verwirklichung eines Plans ist, sondern als ein sich fortlaufend (re-)systematisierendes »Umgehen« mit praktischen Gegebenheiten begriffen werden sollte. Regierungsprogramme würden in ihrer Performativwerdung vielfach auf verschiedenen praktischen »Kompromissen«, diversen Pragmatisierungsweisen und einem Austarieren von Hindernissen beruhen. Dabei, so Li, könne bspw. bereits die Praxis eines »Kompromisses« verschiedene Formen annehmen, die sich immer erst empirisch fassen lassen würden: »Compromise, for example, might take the form of the tacit agreement to look the other way when rules are broken, the failure to gather information that contradicts the premises upon which an intervention is planned, or the construction of data to demonstrate unerring ›success‹.« (2007: 280) Regierungspraxis ist somit ein steter Aushandlungsprozess, was die Ethnographie zeigen könne. Daneben fokussiert Li besonders auf jene Praktiken, die sich für die Widersprüchlichkeit des Regierens on the ground, d.h. für die Brüche, Risse und (Re-)Artikulationen, verantwortlich zeichnen. Letztlich schlägt Li eine gouvernementale Ethnographie vor, die sowohl (a) auf jene Praktiken abzielt, die ein bestimmtes Regieren ermöglichen, (be-)greifbar machen und lokal implementieren, als auch (b) auf solche, die »dagegen laufen«, wobei nun stabilisierende und destabilisierende Praktiken in ihrem Zusammenspiel zu analysieren wären: »Since there is always a gap between a plan and its realization, an ethnographic study of government would be attentive to the practices that form in, around, through or against the plan.« (Li 2007: 279; Herv. J.W.) O’Malley (1996: 311) zitierend, spricht Li darüber hinaus von »subterranean [unterirdische; Anm. J.W.] practices of government« (2007: 280): Praktiken, die das Regieren (mit) ausmachen oder tragen, aber in Bezug auf ihre Form so in keinem »Skript« repräsentiert sind – obschon sie trotzdem mit dem »Skript« in einer Beziehung stehen mögen. Die Ethnographie würde dann gerade auch solche »unsichtbaren« Praktiken als Grundlagen des Regierens beleuchten können. Es ist festzuhalten: Die dargestellte Fokussierung auf konkrete Aktivitäten des Regierens kann (a) die lokale Dynamik und konkrete Operabilität von Regierungskünsten beleuchten, (b) relevante, aber ggf. nicht in dieser Form in den »Skripten«/Programmen repräsentierte Führungstechnologien aufdecken und (c) Regierung als performative Vollzugsform abbilden, die vielfach gebrochen und konfliktvoll abläuft und keine nahtlose Verwirklichung der in Programmen und Rationalitäten (vor-)formulierten Ziele und Effekte darstellt (Rose et al. 2006). Eine solche praxeologische Analyse mag sich dann ebenso als eine Untersuchung der erwähnten Topologien des Regierens (Collier 2009) verstehen: Als Gegenstände ethnographischer Forschung können die zugrunde liegenden Assemblagen verschiedener Machtpraktiken in das Blickfeld des gouvernementalitätstheoretischen Interesses gelangen. In Kapitel 5 dieser Arbeit – dem metho-
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Gouvernementalität der Freundschaft
dologischen und methodischen Kapitel – werden noch einige weitere Prämissen und konzeptionelle Grundlagen einer »Ethnographie des Regierens« skizziert und dort dann auch verstärkt im Hinblick auf den konkreten Gegenstand »Dialog mit Muslimen« diskutiert.
2.4.6
Ein geographischer Blick
Die skizzierte Perspektive auf Praktiken und Techniken und damit auf konkrete materielle Aktivitäten leitet nicht zuletzt in eine »Rekonzeptionalisierung des Diskursbegriffs als eine Verschränkung von sprachlichen und nicht sprachlichen Aussagen« (Füller u. Michel 2012: 14), innerhalb welcher sich das Regieren als vielgestaltige Problematisierungspraxis formiert. Dieser Blickwinkel harmoniere, so Füller und Michel, mit einem geographischen Interesse für die Räume und Orte des Regierens, die als Verdichtungen heterogener sprachlicher und nicht sprachlicher Elemente und Aktivitäten bestimmte Regierungsweisen erst ermöglichen und/oder selbst zu Elementen des Regierens werden können (Füller u. Michel 2012). In der empirischen Nachverfolgung der materiellen Aktivitäten des Regierens, der Praktiken und Techniken, sind dann auch »Anordnung, Sichtbarkeit, Architektur und Materialität als zentrale Momente eines ›Spiel(s) der Kräfteverhältnisse‹ wahrzunehmen« (ebd.: 14-15). So lassen sich auch Orte und Räumlichkeiten als Dimensionen und Möglichkeitsbedingungen der Wirkungsweisen von Machttechnologien begreifen (vgl. auch: Sharp et al. 2000). Daran anknüpfend lässt sich eine dezidiert geographische Perspektive auf Gouvernementalität erarbeiten. Eine solche ließe sich als der Versuch beschreiben, aufzuschlüsseln, wie durch die (Re-)Produktion räumlicher Beziehungen und Ordnungen Gesellschaft oder einzelne gesellschaftliche Felder regierbar gemacht werden (Füller u. Michel 2012; daneben: Stenson 2008; Clarke 2008).3 Gleichzeitig kann eine geographische Analyse des Regierens im Sinne einer
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Huxley bspw. widmet sich in ihrem Beitrag dem Ziel, »to explore some of the ways space and environment can be seen as rationalities of government« (2007: 185). Geographische Studien nutzen das Konzept der Gouvernementalität, um verschiedene Aspekte der Konstitution von Raum und Territorium unter die Lupe zu nehmen. Hannah (2000) analysiert Konstitutions- und Transformationsprozesse moderner Staatlichkeit in den Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts und setzt diese in Relation zur Herausbildung bestimmter Subjektivierungsformen. Hunt (1996) und Joyce (2003) untersuchen liberale Techniken der Regierung von Stadt bzw. die Arten und Weisen, wie Stadt als »liberaler« Ort hervorgebracht wurde. Stuart Elden (2001, 2007) nutzt Foucaults Gouvernementalitätsansatz für die Formulierung einer Perspektive, die im Sinne einer spatial history einen geographisch-topologischen Analyserahmen an historisch-genealogische Perspektiven koppelt (vgl. Michel u. Füller 2012); andererseits betont Elden die Bedeutung von Territorialisierungsprozessen im Zusammenhang mit Fragen des Regierens und der Operativität politischer Macht. Osborne und Rose (1999) illustrieren die Konstitutionsprozesse materiell-symbolischer Arrangements und deren Funktion in der Regierung von Subjekten, aber auch von Orten, Städten und Territorien. Sie zeigen, wie bauliche, architektonische, planerische und symbolische Ordnungen städtischer Räume Verhaltensweisen von Individuen wahrscheinlicher machen. Füller und Marquardt (2008) wiederum zeigen auf, wie Stadträume konzipiert werden, die entlang der Rationalität des Konsumierens ausgerichtet sind und entsprechend dem konsumorientierten Subjekt »Räume« liefern.
2. Gouvernementalität
Aufschlüsselung jener skizzierten »Topologien der Macht« (Collier 2009) auf lokale Geflechte heterogener Elemente und Aktivitäten fokussieren (Verfahrensweisen, Praktiken, Institutionalisierungen, Architekturen, materielle Settings) und danach fragen, inwiefern diese Geflechte oder einzelne Elemente für die Entfaltung von Regierungstechnologien von Bedeutung sind – bzw. wie sich lokales Regieren aus solchen Geflechten und Verkettungen von Aktivitäten heraus materialisiert (Füller u. Michel 2012: 13). Die Artikulation von Gouvernementalitätsanalysen als empirische und praxisorientierte Studien führte stellenweise auch zu einer methodologischen Hervorhebung des Lokalen als primärem Erkenntnisbereich. Diese Bewegung spiegelt sich in den bislang diskutierten Perspektiven bereits vielfach wider. Explizit formuliert derweil Stenson (2008) in seinem Beitrag »Governing the local« ein Plädoyer für eine konkretere Gouvernementalitätsanalyse, die die Praktiken, Machtbeziehungen und AkteursKonstellationen vor Ort zum Ausgangspunkt der Untersuchung macht (ebenso Clarke [2008] in seinem »Response to Kevin Stenson«; zur politischen Aufwertung des Lokalen als ein Gestaltungsfeld: Clarke u. Cochrane 2013). In Stensons empirischer Studie zur Herstellung sicherer Gemeinschaften (community safety) in Großbritannien artikuliert der Autor das Motiv des governing the local im Hinblick auf mehrere miteinander verbundene Analyseprämissen. Zum einen könne eine Betrachtung von Regierungsprozessen auf lokaler Ebene exemplarisch das Wirken und die Effekte überlokal bedeutsamer, gesellschaftlicher Steuerungsprozesse aufschlüsseln (und z.B. die Effekte der Neoliberalisierung von Staat und Gesellschaft in einer englischen Kleinstadt verfolgen). Eine solche »In-Wert-Setzung« lokaler Studien als exemplarische Studien zur Beleuchtung umfassenderer Entwicklungen formulierte prominent bspw. Massey (1993) in ihrer Diskussion der geographischen locality studies. Zum anderen würde dann erst der damit verbundene Blick auf situierte Tätigkeiten und Prozeduren erfassen können, wie sich Regierungsprogramme jenseits ihrer Repräsentationen konkret entfalten und einschreiben. Die lokale Perspektive zeigt also nicht nur exemplarisch die Operativität überlokal bedeutsamer Regierungsprogramme auf, sondern lässt auch die Differenzen aufscheinen zwischen der Repräsentation von Regierung und dessen praktizierter Gestalt. Beides zusammen führe zu einem konkreteren Verständnis darüber, was das Regieren in seinen Materialisierungen ausmacht, welche Machteffekte wirken, welche Konstellationen und Allianzen zwischen Individuen und Gruppen als Effekte des Regierens vor Ort entstehen usw. Überdies betont Stenson nun, dass das Regieren immer auch auf eine besondere Art und Weise spezifisch lokale Kontexte und Beziehungen erst hervorbringt. Eine Analyse lokaler Regierungsprozesse würde also auch aufzeigen, wie das »Lokale« immer wieder als ein regierbarer Bereich (re-)konstituiert wird. Regierungsrationalitäten und -technologien schaffen sich also »ihre« lokalen Kontexte, innerhalb welcher sie überhaupt wirken können – und greifen damit potenziell in die Konfigurierung (bestehender) lokaler Bezüge und Identitäten ein. Diese Perspektive erscheint mir für manche Gegenstände und Fragestellungen fruchtbarer zu sein als für andere. Bezüglich des »Dialogs mit Muslimen« jedenfalls möchte ich sie aufgreifen. Denn ein »Dialog mit Muslimen« dürfte vielfach darauf abzielen, neue Formen eines interkulturellen und -religiösen »lokalen Miteinanders« zu schaffen (vgl. Klinkhammer et al. 2011; Radtke 2011; Haddad 2017). Dem Regieren durch lokalen Dialog liegt, so die These, immer auch die Produktion einer besonderen Form lokaler Gemeinschaft und
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Gouvernementalität der Freundschaft
damit einer besonderen und auch verortbaren gesellschaftlichen Beziehung zugrunde. In dieser Arbeit möchte ich solche Produktionsprozesse untersuchen. Die in diesem Kapitel dargestellten Betrachtungsweisen lokaler Topologien des Regierens spiegeln sich auch in neueren geographischen Arbeiten wider, die das Regieren auf der Ebene lokaler Praktiken untersuchen. So analysiert Bohle die Konstruktion des Sicherheitsrisikos »Hurrikane« im karibischen Raum und zeichnet nach, wie die entsprechend konstituierten risk-scapes sowie das Streben nach Sicherheit als Elemente eines Regierens operieren, das mit den Alltagspraktiken lokaler Bewohner/-innen zusammenhängt (Bohle 2018). Linnemann wiederum widmet sich dezidiert der »Gouvernementalität widerständiger Alltagspraktiken« (2018), während Marquardt (2015) in ihrer Untersuchung zur Regierung »wohnungsloser Subjekte« analysiert, welche Verfahrensweisen in kommunalen Kontexten Einsatz finden, um die »Wohnfähigkeit« von Individuen zu trainieren. Verschiedentlich nutzen solche geographischen Studien ethnographische Methoden zur Erfassung situierter Machtpraktiken (Ott 2011; Füller u. Marquardt 2010; Marquardt 2015; Dzudzek 2016). So erarbeitet Müller in seiner Untersuchung geopolitisch gerahmter Identitätsbildungsprozesse in der Praxis einer russischen Elite-Universität u.a. in Rückgriff auf Foucault einen ethnographischen Zugriff auf die Implementierungsweisen und -kontexte geopolitischer Diskurse (sowie damit verknüpfter Steuerungsformen). Er fragt danach, wie geopolitische Diskurse, Subjektivierungsprozesse und materielle Praktiken, Routinen und Institutionalisierungen zusammenhängen (Müller 2009). Dzudzek (2016) untersucht ethnographisch die Regierung von »Kreativität« im Kontext der Wirtschaftsförderungspraxis in Frankfurt a.M. und zeigt das konfliktvolle Ineinandergreifen verschiedener lokal vorhandener Skripte als Performativwerdung des Regierens. Über die Methoden des Beobachtens könne dabei die Unmöglichkeit spannungslosen Regierens (Dzudzek 2016: 46) illustriert werden, was ferner helfe, analytisch auch »die Widerstände, die unerwarteten Gebrauchsweisen und die Gegenprogramme als Praktiken« (Ott u. Wrana 2010: 159) zu fassen. Salla wiederum merkt an, dass der ethnographische Zugang in Interaktionsprozesse hineinführt, in denen eine gegenüber Texten dynamischere Operativität der Macht beobachtet werden kann (Salla 2009: 86). In konkreten Interaktionen können Identitätsbildungsprozesse, die die Grundlage des Regierens bilden, in ihrer situierten Umkämpftheit analysiert werden. Eine Ethnographie der Gouvernementalität helfe zudem, simplifizierte Diagnosen über vermeintlich »immer gleiche« und homogene Regierungsrationalitäten zu vermeiden (Füller u. Marquardt 2010: 156), und könne überdies die Bedeutung von Körpern, Performanzen und Emotionalitäten für das Regieren bestimmen (Langer 2008; Ott u. Wrana 2010; Schurr 2012, 2013; Marquardt 2015; Müller 2015; Winkler et al. i.E.). Wie in dieser Arbeit bspw. noch zu diskutieren sein wird, zeigt sich das dialogische Regieren von »Islam« und »Muslimen« von Praktiken der Emotionalisierung durchzogen. Welche Bedeutung die dadurch begründeten Emotionalitäten für die Regierungstechnologie eines lokalen »Dialogs mit Muslimen« haben, konnte erst durch den Blick auf Praktiken erschlossen werden.
2. Gouvernementalität
2.5
Zusammenfassung und Reformulierung der Fragestellungen
Analysen des Regierens untersuchen in einer integrativen Vorgehensweise, wie sich (a) allgemeine diskursive Wahrheitsproduktionen »mit (b) spezifischen Problemdiagnosen verbinden, denen (c) […] spezifische Strategien zu ihrer Bewältigung korrespondieren, an die dann (d) bestimmte Techniken und Verfahren anschließen, die ihrerseits (e) neue Objekte und Subjekte des Regierens hervorbringen können« (Bröckling u. Krasmann 2010: 24; Hinzufügung der Buchstaben: J.W.). Dabei können, je nach Fragestellung, potenziell die verschiedensten Mechanismen der Wissensproduktion wie auch die verschiedensten Praktiken und Aktivitätsmuster als Elemente von (Selbst-)Führung rekonstruiert werden (vgl. Lemke 2000; Miller u. Rose 2008; Kneer 2012; McIlvenny 2016a, b;). Die Perspektive des Regierens erscheint mir nun gerade für eine Analyse des »Dialogs mit Muslimen« und dessen Wirkung als integrationspolitische Maßnahme fruchtbar zu sein, weil damit die Machteffekte einer diskursiven Interaktionsschablone beschreibbar werden, die sich alleine schon im Hinblick auf die alltägliche Konnotation des Begriffs »Dialog« allzu leicht als eine tendenziell macht- und beeinflussungsfreie Maßnahme präsentieren mag. So findet Radtke zufolge im Dialogprogramm die politische Mobilisierung einer spezifischen »Redeform« (2011: 26) statt, die eine lange Tradition aufweist und von Redeformen in etwa des Monologs, der Predigt oder des Streits abgrenzbar scheint. Die Form des Dialogs basiert auf der Prämisse, dass die von den einzelnen Dialogparteien eingebrachten Beiträge grundsätzlich als legitim gelten sollen: »Die Eigenschaft der Dialogizität wird einer Kommunikation dann zuerkannt, wenn eine egalitär gedachte Wechselbeziehung gegeben ist, die in der Regel moralisch positiv konnotiert und mit Luhmann als ein ›Sozialmodell der Wahrheitsfindung‹ charakterisiert werden kann, das auf den allseits guten Willen zur Erkenntnis, vor allem aber zur Verständigung baut.« (Radtke 2011: 26) Das Dialogkonzept »idealisiert […] im politischen Sprachgebrauch eine Form der herrschaftsfreien Kommunikation und erklärt sie zur Aufgabe« (Radtke 2011: 27). Ein Dialog, der »Muslime« als gleichgestellte Partner involvieren will (Schmid et al. 2008), erscheint als Ort, an dem keine Macht ausgeübt wird. Dialog wird zudem als die Anerkennung eines gegebenen Elements und einer gegebenen Identität artikuliert, womit alle Prozesse der Produktion und Veränderung von Identitäten durch Dialog aus dem Blick zu geraten drohen. Wie v.a. noch in Kapitel 3 veranschaulicht werden soll, ist man folglich gut daran beraten, dieses Dialogideal nicht unkritisch zu übernehmen (Tezcan 2012; AmirMoazami 2011a, b), zeigt sich der Dialog doch in vielerlei Hinsicht von normativen integrationspolitischen Momenten durchzogen. Ohnehin ist mit Foucaults Machtanalytik die Vorstellung grundsätzlich zu verabschieden, dass es macht-, beeinflussungs- oder erwartungsfreie Beziehungen gibt (Foucault 2005). Es sollte daher nicht aus dem Blick verloren werden, inwiefern gerade auch der Anerkennungs- und Verständnisdialog eine politische Technologie darstellt, die nicht aus Selbstzweck das »offene Gespräch« sucht, sondern sich immer entlang bestimmter Zielvorstellungen und Problematisierungsmuster ausrichtet, die in Konfigurationen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse wie auch in spezifische Mehrheits-Minderheits-Konfigurationen eingebettet sind (AmirMoazami 2011a, b). Es darf auch nicht aus dem Blick geraten, inwiefern Dialog ein
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Gouvernementalität der Freundschaft
immer auch »zivilisierendes« Projekt ist. Als solches greift es zum einen in das Verhältnis zwischen »Muslimen« und Gesellschaft ein. Zum anderen verändert die Rationalität und Technologie des Dialogs die in den Dialog involvierten Positionen/Gruppen gerade durch jenen Akt der Involvierung – der mit Foucault gesprochen eine Veränderung der (Macht-)Beziehungen mit sich bringt. In diesem Sinne schafft sich der Dialog seine eigenen Subjekte (Radtke 2011; Tezcan 2012). »Die normative Aufladung des Begriffs [Dialog] [ist daher] für die Untersuchung der gesellschaftlichen Wirklichkeit hinderlich, weil derartige Basisannahmen alle Formen des agonalen Dialogisierens ausschließen […].« (Radtke 2011: 27) In den gegenwärtigen gesellschaftlichen Machtverhältnissen adressiert der Dialog primär die »muslimische Minderheitsbevölkerung«, ruft diese zur Partizipation auf und setzt sie so einer beeinflussenden Intervention aus. Bereits in der Vorstellung, überhaupt einen »Dialog mit Muslimen« führen zu müssen, drücken sich im weitesten Sinne integrationspolitische Momente aus: die Annahme der Notwendigkeit einer proaktiven Förderung gruppenübergreifender Interaktion im Hinblick auf bestimmte kulturelle und religiöse Identitäten, die im Dialog zu bearbeitungswürdigen Elementen gemacht werden. In diesem Zusammenhang fragt die gouvernementale Perspektive nach den spezifischen Machteffekten einer solchen dialogischen Involvierungs- und Anerkennungspraxis. Es müssen also auch jene Dialogformen, die auf offenen, verständnisorientierten Austausch und Konsens setzen, als politische Technologien verstanden werden, die gerade vermittels dieser Selbstausrichtungen eine spezifische Art der Lenkung von Gesellschaft darstellen und immer auch regierbare Identität(-en) herstellen und beeinflussen (vgl. Schiffauer 2008). Dialoge scheinen auf die Produktion einer Beziehung abzuzielen, innerhalb welcher Subjekte verschiedener religiöser und kultureller Identitäten auf bestimmte Weise handeln, denken und sich selbst begreifen. Die vorliegende Arbeit möchte die Regierungsform des »Dialogs mit Muslimen« auf der Ebene lokaler Kontexte und mit Blick auf lokale Praktiken aufschlüsseln und damit zum Verständnis darüber beitragen, wie vor dem Hintergrund eines breiten Diskurses um die Integration von »Islam« und »Muslimen« in Deutschland lokale gesellschaftliche Beziehungen (zwischen »Muslimen« und der Mehrheitsgesellschaft) in städtischen Kontexten durch Dialog (re-)konfiguriert werden. Dabei soll untersucht werden, wie durch lokale Praktiken ein spezifisches Diskurs- und Regierungsfeld des Dialogs (re-)produziert wird. Innerhalb dieses Feldes, so die These, werden Identitäten hergestellt und gleichzeitig die Subjekte, die sich entlang dieser Identitäten subjektivieren, spezifisch beeinflusst. Die praktizierte (Re-)Produktion des Diskurs- und Regierungsfeldes des Dialogs ist gleichzeitig als (Re-)Produktion einer Konstellation von Kräfteverhältnissen zu denken, innerhalb welcher bestimmte Praktiken wahrscheinlicher werden als andere und damit verbunden bestimmte Subjektentwürfe als besonders kompatibel mit der hegemonialen Praxis erscheinen. Nicht zuletzt ist herauszuarbeiten, wie das lokale Diskurs- und Regierungsfeld des Dialogs mit überlokalen Diskursfeldern verschnitten ist, die Dialog als Problemlösung artikulieren. Dabei soll Dialog jenseits einer reinen Programmanalyse als lokale Praxis untersucht werden, wodurch es möglich wird, die Macht- und Strukturierungseffekte von den konkreten Aktivitäten her zu erfassen, die sich in städtischen und kommunalen, teils auch alltäglichen Kontexten vollziehen. Die Leitfragen wären dann:
2. Gouvernementalität
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Wie wird das Regierungsformat eines »Dialogs mit Muslimen« auf lokaler Ebene konkret implementiert, praktiziert und in Technologien der Führung und Selbstführung übersetzt? Wie trägt ein solches Regieren zur (Re-)Konfigurierung gesellschaftlicher (Macht-)Verhältnisse in städtischen Kontexten bei? Wie wird durch Dialog versucht, »Islam« und »Muslime« zu Elementen einer – (re-)imaginierten – städtischen oder lokalen Gemeinschaft zu machen? In welcher Weise wird dabei Einfluss auf »Islam«, »muslimische« Identitäten, Subjektkonzepte und Lebensführungen genommen? Auf welche Arten und Weisen sind an diesen Mechanismen sowohl verschiedene »nicht muslimische« als auch verschiedene »muslimische« Subjekte, Gruppen und Organisationen beteiligt? Im Kontext welcher Aktivitätsmuster können sich welche »muslimischen« und »nicht muslimischen« Praktiker/-innen wie einbringen, um »Dialog« fortzuschreiben?
Im Sinne einer geographischen Heuristik ist dann auch dem Interesse an der räumlich-lokalen und materiellen Gestalt von Regierungsprozessen sowie an den zugrunde liegenden Raumbeziehungen Rechnung zu tragen (Füller u. Michel 2012). Ein solcher Fokus kann als Grundlage für den Einbezug materieller und praktischer Vollzugsformen, lokaler Institutionalisierungen und nicht sprachlicher Machttechniken dienen. Im Angehen der bisher formulierten Fragen möchte die vorliegende Arbeit auch dezidiert die Bedeutung von Raumbezügen, räumlichen Identitäten und Raumproduktionen für gegenwärtige Regierungen lokaler kultureller und religiöser Vielfalt ergründen. Hier sind weitere erkenntnisleitende Fragen formulierbar, die fruchtbare Synergien zwischen Geographie und Gouvernementalität ausloten können. In Bezug auf das Motiv eines governing the local (Stenson 2008; Clarke 2008) kann die lokale Methodologie zunächst darauf abzielen, die konkreten Effekte und Praktiken eines Regierungsprogramms zu beleuchten. Dieser Blickwinkel ist durch die oben formulierten Fragen abgedeckt. Die Untersuchung des Dialogs auf lokaler Ebene stellt dabei eine exemplarische Studie dessen dar, wie ein überlokal relevantes Regierungsformat vor Ort aufschlägt. Doch ist überdies noch die folgende Frage zu stellen: •
Wie wird in den vor Ort stattfindenden Aktualisierungen eines »Dialogs mit Muslimen« das »Lokale« – gedacht als eine besondere Raumbeziehung, die raumbezogene Identitäten reproduziert – immer erst hergestellt und zu einem regierbaren Bereich gemacht?
Hierbei ist nachzuzeichnen, wie die Versuche, vor Ort einen »Dialog mit Muslimen« zu führen, immer auch lokale gesellschaftliche Verhältnisse (re-)konfigurieren und dabei spezifisch lokale Bezüge und Identitäten, Örtlichkeiten oder räumlich vermittelte Erfahrungen hervorbringen. Es ist danach zu fragen, »what sorts of distinctions, divisions, identities and solidarities are in play in the articulation of the local […]« (Clarke 2008: 1), oder auch: in lokalen Artikulationen überlokaler, nationaler, globaler oder sozialer Bezüge (ebd.). Wie in Kapitel 4 dargestellt, wird der »Dialog mit Muslimen« auch als eine Maßnahme speziell für die lokale Ebene rationalisiert. Auf Grundlage dieser
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Perspektivierungen kommen weitere Aspekte in den Blick. Zum einen ist nach der lokalen Dimension des Regierens zu fragen: •
•
Inwiefern basiert Regierung auf lokalen Verdichtungen, Kopräsenzen und Versammlungen heterogener Elemente und inwiefern kann eine Analyse solcher lokalen Verknüpfungen und Verdichtungen dabei helfen, die konkrete Operativität und die Machteffekte eines Regierens von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog besser zu verstehen (vgl. zu einer entsprechenden Perspektive auf lokale Orte und Räume: Massey 1993)? Inwiefern sind (a) spezifisch lokale Kontexte oder auch (b) »das Lokale« im Allgemeinen – gedacht als besondere räumliche Beziehung – als Interventionsfelder des Regierens sowie als Möglichkeitsräume des Auftauchens bestimmter Machttechniken von Bedeutung (bzw.: analytisch zu fassen) (Bröckling u. Krasmann 2010; Füller u. Michel 2012)?
Ferner lassen sich dezidiert Fragen bezüglich räumlicher Identitäten und Raumproduktionen stellen: •
•
•
Inwiefern und im Vollzug welcher Praktiken werden im Kontext eines kommunalpolitischen »Dialogs mit Muslimen« raumbezogene, z.B. lokale oder städtische, Identitäten reproduziert? Welche Vorstellungen des Lokalen spielen im kommunalpolitischen Dialog eine Rolle? In welchen Formen werden lokale oder städtische (Raum-)Identitäten, spezifisch lokale Raumbezüge und raumbezogene Praktiken in die Regierungstechnologie eines »lokalen Dialogs mit der muslimischen Bevölkerung« integriert? Inwiefern stützen oder transformieren lokale Identitäten, Raumbezüge und Raumproduktionen ein Regieren durch Dialog? Welche auch überlokalen Identitäten und Raumbezüge werden im lokalen »Dialog mit Muslimen« bedeutsam (z.B. Euro-Islam, »deutsche Muslime« oder globale Religionen)?
Über das Angehen dieser Fragen soll der »Dialog mit Muslimen« als lokale Regierungspraxis im integrationspolitischen Kontext aufgeschlüsselt werden. Damit kann die gouvernementalitätstheoretische Debatte um Fragen nach Raum, Raumidentitäten und räumlichen Praktiken erweitert werden. Überdies leistet die angestrebte Analyse lokaler Praktiken des »Dialogs« einen Beitrag zu einer Politischen Geographie, die gesellschaftliche Ordnungsprozesse und politische Machtbeziehungen im Hinblick auf dessen situierte Einschreibungen und Materialisierungen untersuchen und dabei praxisanalytische Impulse integrieren möchte (dazu: Müller 2012, 2015).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
Dieses Kapitel ist als methodischer Schritt in einem gouvernementalitätstheoretischen Forschungsdesign zu betrachten, insofern es den diskursiven Kontext herausarbeitet, innerhalb welchem sich lokale Praktiken dialogorientierten Regierens von »Islam« und »Muslimen« formieren konnten. Gleichzeitig stellt das Kapitel einen State of the Art der Forschung dar, die den Zusammenhang zwischen Integrationspolitiken, Kulturalisierungsprozessen und dem Auftauchen eines »Dialogs mit Muslimen« behandelt. Zunächst werde ich beschreiben, wie »Islam« und »Muslime« zu den primären Objekten integrationspolitischer Debatten und Maßnahmen in Deutschland avancierten. Hierzu werden Bezüge zu Forschungsarbeiten hergestellt, die verschiedentlich eine Kulturalisierung von Gesellschaft beschreiben, vor deren Hintergrund Integrationspolitiken auf die Bearbeitung kulturell differenter, migrantischer Subjekte und Gruppen abzielen. Hierbei wird darzustellen sein, wie in diesem Zusammenhang zunächst das Paradigma des Interkulturellen und damit auch interkulturelle Dialoge an Bedeutung erlangten und das Feld für das Auftauchen eines »Dialogs mit Muslimen« bereits vorstrukturierten. Sodann wird herausgearbeitet, wie im Zuge der 2000er Jahre verstärkt »islamische« Differenz und damit nun auch religiöse Identitäten zu Gegenständen des integrationspolitischen Regierens avancierten und wie dabei, neben interkulturellen, zunehmend auch interreligiöse Dialoge als ordnungspolitische Ansätze konzipiert wurden. Im Sinne eines State of the Art werden jene Arbeiten vorgestellt, die dezidiert (interkulturelle und interreligiöse) »Dialoge mit Muslimen« analysierten. Vielfach fokussierten diese Arbeiten auf die Deutsche Islamkonferenz als eine besondere Institutionalisierung des Dialogparadigmas. Darüber hinaus wird aber auch darstellbar, wie Dialog als weitgefasstes Diskurs- und Regierungsfeld in verschiedenen Praxisbereichen Wirkung zeigt(-e). Diese Erkenntnisse stellen eine wichtige Kontextualisierung für die nachfolgenden Analysen lokaler Dialogprogramme und -techniken dar.
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3.1 3.1.1
»Islam« und »Muslime« als Objekte kulturalisierender Integrationspolitiken Die Dystopie der Desintegration, der Integrationsdiskurs und das Kulturparadigma
Spätestens seit den 2000er Jahren ist »Integrationspolitik« in Deutschland zu einem Kernelement des Regierens einer als kulturell und religiös differenziert (bzw.: sich pluralisierend) artikulierten Gesellschaft geworden (Vertovec 2007; Hess, Binder u. Moser 2009): »Von links bis rechts [ist] Integration in aller Munde […] und [wird] geradezu als Heilmittel für Problemlagen aller Art heraufbeschworen.« (Prodolliet 2006: 85) Der Integrationsdiskurs hat quer zu allen politischen Positionen hegemonialen Status erreicht und ermöglich das »politische […] Funktionieren des Multikulturalismus« (Karakayali 2009: 95) – jener diskursiven Formation, die auf der Vorstellung einer kulturell differenzierten Gesellschaft aufbaut, deren einzelne Teile in- und zueinander integriert werden müssten. Dass sich Migrant/-innen sowie gleichermaßen – als Ausdruck einer Kulturalisierung des Integrationsdiskurses – kulturelle und religiöse Minderheiten in die Gesellschaft integrieren müssen (und entsprechend Integrationsbedarf aufweisen würden), ist (beinahe) politischer und gesellschaftlicher Konsens und wird vielfach auch von migrantischen Gruppen und Individuen selbst reproduziert (Husseini et al. 2010; Weber 2013; Hess, Binder u. Moser 2009). Insofern »Integration […] die Lösung für das Problem namens Des-Integration [ist]« (Karakayali 2009: 95), schafft sich der Integrationsdiskurs bearbeitbare gesellschaftliche Problemlagen: Desintegration gilt dann per se als konflikthafter Zustand, der im Integrationsdiskurs seinen Ausdruck in den dystopischen Imaginationen potenziell gefährlicher, gesellschaftlichen »Sprengstoff« mit sich bringender Parallelgesellschaften findet (Ronneberger u. Tsianos 2009), die sich in den sozialen und ökonomischen Randbereichen der Gesellschaft entlang kultureller und religiöser Linien ausbilden und dort ggf. auch für verschiedene Radikalisierungsprozesse empfänglich werden würden. In diese Dystopie schreibt sich nun zunehmend auch der Subjektentwurf des nicht integrierten oder integrationsunwilligen »Muslims« ein, dessen Lebensführung sodann neu zu kalibrieren sei: »Auf der städtischen Ebene wurden neuerliche Schreckensmeldungen der scheiternden Integration nun zunehmend mit dem ›islamischen Kulturkreis‹ in Verbindung gebracht.« (Rodatz 2014: 41) In diesen Narrativen spiegelt sich die kulturalistische Geschichte »vom Scheitern der Integration« (Lanz 2009a: 107), welche »die Verantwortung dafür an Kultur und Verhalten der betroffenen Gruppen delegiert [und diese] als potenziell gefährliche, sich vorgeblich in räumlichen ›Parallelgesellschaften‹ abschottende Klassen [artikuliert]« (ebd.: 107). Diese Gruppen »problematischer Migrant/-innen«, zu denen v.a. jene aus »islamischen« Ländern gezählt werden, wurden entsprechend zu Objekten von Erziehungs- und Disziplinierungsmaßnahmen gemacht (Karakayali 2009; Hess, Binder u. Moser 2009; Lanz 2009a, b; Rodatz u. Scheuring 2011; Rodatz 2012)1 . Integrationspolitische Diskurssträn1
Karakayali (2009) zufolge werden Migrant/-innen derzeit in ähnlicher Weise zum »kulturellen« Problemsubjekt gemacht wie die Arbeiterklasse im Frühkapitalismus. Diese wurde im Zuge politischer und ökonomischer Verteilungsmechanismen in eine sozioökonomisch schwächere Position
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
ge, die Erfolg und Misserfolg von Integration zunehmend »vor Ort« ausmachen (BMVBS 2008), rekurrieren vielfach auf »urbane Verfallserzählungen, die aus der Perspektive des Sozialen beziehungsweise aus der Perspektive der nationalen Kultur eine städtische Gemeinschaft gemeinsamer Normen und Werte im Niedergang begriffen sehen« (Lanz 2009a: 108) und dabei »›andere‹ Einwanderer, also solche, die wie Muslime vorgeblich von ›unseren‹ Werten und Normen abweichen […], als Objekte eines Paternalismus [artikulieren], der in der sozialen Variante eher fürsorglich und in der nationalkulturellen eher repressiv erziehend agiert« (ebd.). So schreibt sich in integrationspolitischen Diskursen »das im Ursprung koloniale Phantasma fort, welches das ›Eigene‹ als Helferin und Erzieherin eines kindlichen oder barbarischen Anderen imaginiert, das als defizitär und einer speziellen Behandlung bedürftig erscheint« (ebd.). Integrationspolitik identifiziert die Problemlagen der Desintegration und versucht, diese mittels einer Reihe von Techniken zu lösen. Integration, wie sie z.B. im Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung (BR 2007) artikuliert wurde, bezeichnet eine »ganze Reihe sozial- und bildungspolitischer Maßnahmen, die bei der Sprachförderung beginnen und bis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses reichen, die Position von Frauen verbessern oder das ›friedliche Zusammenleben‹ sichern sollen (Bundesregierung 2007)« (Karakayali 2009: 96; sich auf ein Dokument der Bundesregierung bezüglich des Nationalen Integrationsplans beziehend). Dabei zeigt sich Integrationspolitik in den größeren Zusammenhang einer Kulturalisierung gesellschaftlicher Selbstbeschreibung eingebettet, wie sie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt zu beobachten ist (Fraser u. Honneth 2015 [2003]). Entsprechend zielt Integration vornehmlich auf die Eingliederung von kulturell oder religiös different konstituierten Subjekten ab, die in ihrer Lebensführung so zu lenken wären, dass sie sich in die gesellschaftlichen Verhältnisse einfügen können. Integration operiert dann als »Verhaltensregierung« (Karakayali 2009: 100): »Die Kämpfe der Migration [sind] heute nicht mehr nur um Fragen der gleichen sozialen und politischen Rechte zentriert, sondern sind auch und zunehmend Kämpfe um Regierung, wie Foucault sie verstanden hat […]. Es geht darum, welche Sprache
gebracht, wobei diese Position kulturalisierend gedeutet und legitimiert wurde. Im Zuge der sich ausweitenden industriellen Massenproduktion wurde das »Arbeitsproletariat« als gefährliche und unmoralische Bevölkerungsgruppe imaginiert, deren schlechte Moral, defizitäre Werteeinstellungen und problematische Kultur durch Disziplinierungsmechanismen korrigiert werden müssten. Ähnlich dieser Problematisierungen, so Karakayali, würden gegenwärtige, in der »Integrationsformel« (ebd.) gebündelte Formen des gesellschaftlichen und politischen Umgangs mit Migrant/innen selbige im Zusammenhang mit einer kulturell-ethnisierenden Deutung sozioökonomischer Unterschichtungsprozesse als neue problematische und gefährliche Bevölkerung konstituieren, deren Kultur das Problem sei. Der überdurchschnittlich hohe Anteil von Individuen mit Migrationshintergrund im geringqualifizierten Arbeitssektor sowie letztlich die sozioökonomisch schwächere Stellung von Zugewanderten und deren Nachkommen – Strukturen, die ihre Ursachen u.a. in historischen Migrationsbewegungen, einer spezifischen Steuerung von Migration und Integration sowie damit verbundenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen haben – werden im Integrationsdiskurs ethnisiert und u.a. als Effekt einer vermeintlich fremden, mit der gesellschaftlichen Ordnung nicht kompatiblen Kultur von Zugewanderten vor allem aus »islamischen« Ländern verstanden (ebd.: 96).
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auf dem Schulhof gesprochen wird, wie man sich anzieht, wie man sein Leben führt.« (Ebd.: 101) Die mehrheitsgesellschaftlichen Machtinstanzen identifizieren dann Praktiken wie »das falsche Befüllen von Mülltonnen, die falsche Erziehung der Kinder und die sich darin ausdrückende mangelnde Bereitschaft, sein Leben ›richtig‹ zu führen […]« (Karakayali 2009: 101; vgl. auch: zur Nieden 2009), wobei hier v.a. »muslimische« Migrant/-innen »in den Augen der Mehrheitsgesellschaft die Abweichung von der Norm der Anpassung und Unterwerfung unter die gesellschaftlich hegemonialen Leistungsideale [repräsentieren]« (ebd.: 101). Vor diesem Hintergrund sollen dann interkulturelle und interreligiöse Dialoge, die den Aufbau interkultureller und interreligiöser Kompetenzen forcieren, Integration sowie das Funktionieren der multikulturellen Gesellschaft sicherstellen (Lanz 2007; Radtke 2009, 2011; Hess, Binder u. Moser 2009; Weber 2013; Scherr 2009; Tezcan 2006, 2007; Schiffauer 1997b). Stets muss dabei jedoch der Kulturbegriff unscharf bleiben, er bleibt »durch seinen umkämpften semantischen Gehalt leer […]. Es handelt sich um einen klassischen ›leeren Signifikanten‹, eine Projektionsfläche für unterschiedliche Gesellschaftsentwürfe, Identitätsmodelle und Prototheorien.« (Karakayali 2009: 95) Karakayali (2009) identifiziert im 2006 erarbeiteten Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung (BR 2007) verschiedene Spannungsfelder. So lässt sich beobachten, wie sich »klassisch sozialkritische Argumentationsfiguren, wie die, dass es ›soziale Bedingungen und Barrieren‹ (NIP: 13) gibt, die Integration verhindern, […] mit solchen aus dem konservativen Repertoire [abwechseln], in [denen] ›Kultur eine wesentliche Grundlage unseres Zusammenlebens‹ ist« (Karakayali 2009: 96). Gemäß der letzteren Argumentation, der Kulturperspektive, sind im Hinblick auf eine erfolgreiche Integration kulturelle Unterschiede zu thematisieren und so zu bearbeiten, dass möglichst wenige Konflikte mit mehrheitsgesellschaftlichen Verhältnissen entstehen. Auch identifiziert Karakayali eine Spannung zwischen dem Paradigma der späteren 2000er Jahre, welches Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe fasse, und einer nach wie vor einseitigen Perspektive auf die zu fördernden Integrationsbemühungen von »kulturell differenten« Migrant/-innen. Teils wird argumentiert, dass in einer migrationsgeprägten Gesellschaft alle Individuen bspw. interkulturelle Kompetenzen erlernen sollten. Doch oft ist es dann wieder die kulturelle Integrierbarkeit von differenten Migrant/-innen, die in den Mittelpunkt gerückt wird. Karakayali schreibt: »Man kann dieses Changieren als Ausdruck der verschiedenen migrations- und gesellschaftspolitischen Perspektiven deuten, die sich in den Text einschreiben und es ermöglichen, dass Integration ›von links bis rechts‹ als catch-all-phrase funktioniert.« (2009: 96) Die Markierung kultureller und zunehmend auch religiöser Differenzen als Integrationsherausforderungen und das stete Verweisen auf die Notwendigkeit, für eine gelungene Integration interkulturelle und interreligiöse Beziehungen auszugestalten, zeigen sich jedenfalls als prägend für die integrationspolitischen Ansätze der 2000er Jahre (vgl. Kapitel 3.2; Radtke 2011). Seit etwa Mitte der 2000er Jahre lässt sich eine Neuausrichtung von Integrationspolitiken in Deutschland beobachten, in deren Zuge Migrant/-innen und kulturelle Differenz zunehmend auch als (ökonomische) Potenziale begriffen werden (Lanz 2009a; Gesemann u. Roth 2009a; Scherr 2009; Rodatz 2012; Pütz u. Rodatz 2013; Weber 2013).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
Diese potenzialorientierte Wende löst die Problemperspektive jedoch nicht ab, sondern ergänzt sie. Auch heute zielen integrationspolitische Maßnahmen nach wie vor darauf ab, im Sinne pädagogisierter Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen (Radtke 2009, 2011) die Lebensführung von als kulturell anders gedachten (vor allem »muslimischen«) Migrant/-innen so zu beeinflussen, dass sich selbige, unter der Bedingung ihrer Arbeitsmarktqualifikation, als gesellschaftliche und ökonomische Potenzialträger/-innen einbringen können. So lässt auch die potenzialorientierte Integrationspolitik nur wenig von der Vorstellung eines (zumindest noch) defizitären migrantischen Subjekts ab, das mit besonderen Anstrengungen und Maßnahmen auszurichten sei. Der problemorientierte, differentielle Integrationsdiskurs (Lanz 2009a) zeigt sich nach wie vor als wirkmächtig. Er definiert kulturelle Differenz als Problem (das bestenfalls über besondere Anstrengungen zu einem Potenzial werden könnte), koppelt kulturelle Differenz an Migrant/-innen und schließt letztere damit aus der nationalkulturellen Gemeinschaftserzählung aus (Gutiérrez Rodríguez 2003). Gerade in Reaktion auf die Versuche einer Modernisierung der Staatsangehörigkeitsgesetzgebung in den 2000er Jahren wurde in Deutschland ein solcher »Diskurs um ›Leitkultur‹ und um einen nationalen Wertekonsens in der Öffentlichkeit immer dominanter« (Hess u. Moser 2009: 18), wobei »Integration im Sinne einer assimilationistischen Forderung neu [aus]buchstabiert [wurde]« (ebd.: 18). »Migrant/-innen« und »Muslime« bleiben damit in allen integrationspolitischen Diskurssträngen die Objekte normativer staatlicher Steuerungsmechanismen.
3.1.2
Kulturalisierte Aktivierungspolitiken
Gegenwärtige Integrationspolitiken folgen besonders auch in ihren lokalen Implementierungsvarianten einem (neoliberalen) Aktivierungsparadigma des »›Fördern[s] und Fordern[s]‹, wobei Ersteres Hemmnisse für gesellschaftliche Eigentätigkeit abbauen soll und Letzteres meint, dass ›Bürger sich ihrer Verantwortung für das Gemeinwesen klar werden und von staatlicher Politik aufgefordert werden, sich zu engagieren‹ […] (zit. in Trube 2003: 179)« (gesamtes Zitat nach: Lanz 2009a: 111). Dieses Paradigma vermengt sich dabei mit dem beschriebenen Kulturdiskurs. So zeigt Lanz (2009b), wie bspw. lokale (quartiersbezogene) integrationspolitische Ansätze in Deutschland »kulturelle Kommunikationsbarrieren« (ebd.: 219) in Verbindung mit sozialen Abstiegsprozessen als Probleme benachteiligter städtischer Räume artikulieren (vgl. Weber 2013), innerhalb welcher dann über die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements der Bewohner/-innen und des Zusammenhalts vor Ort sowohl sozioökonomische Exklusion als auch kulturell-religiöse Spannungen bearbeitet werden sollen (Lanz 2009b; ähnlich für die Niederlande: De Wilde u. Duyvendak 2016). Aktivierende Integrationspolitiken rufen v.a. migrantische »Bewohner_innen der Stadtteile [dazu auf] ›Verantwortung‹ für ihre Lebenssituation [zu] übernehmen. Gefordert und gefördert wird dann, Teil einer sichtbaren lokalen Gemeinschaft zu sein, die zur Wertschöpfungskette der Stadt beiträgt. Andernfalls wird man als unproduktive oder nichtvernetzte ›Anti-Bürger/-in‹ (Rose 2000[c]: 103) zur Gefahr für eben diese Wertschöpfungskette erklärt.« (Rodatz 2014: 45)
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Ein solches Aktivierungsregime setzt gerade im Hinblick auf die lokale Ebene darauf, die Selbsthilfekapazitäten exkludierter migrantischer Individuen und Gruppen zu mobilisieren. Dazu werden letztere in lokale Communitys (Rose 2000a) involviert, um z.B. die Zirkulation von Informationen und gegenseitige Hilfestellungen zu ermöglichen (Lanz 2009a; Lanz 2009b: 219-220; Weber 2013). Teils werden Maßnahmen dieser Art sogar als Prävention von islamistischem Extremismus verstanden (Lanz 2009b). Kultur bleibt dabei eine relevante Variable im Regieren: Der Berliner Senat bspw. definierte in einer 1999 veröffentlichten Stellungnahme »interkulturelle Aus- und Abgrenzung« als grundlegendes Hindernis der Entwicklung migrationsgeprägter städtischer Orte bzw. der Etablierung lokaler Netzwerke (aus: Lanz 2009b: 219). Die kulturellen Prägungen von Migrant/-innen werden als Hindernisse für Beteiligungsprozesse vor Ort aufgefasst (Weber 2013; Lanz 2009a, b; Tezcan 2012). Verschiedene, in benachteiligten Stadtvierteln verortete Problemlagen exkludierter Gruppen (bspw. Zugangsschwierigkeiten zum Arbeitsmarkt, Diskriminierung im Bildungssektor und Bildungsmisserfolge, Gewalt unter Jugendlichen, Nachbarschaftskonflikte oder Erziehungsschwierigkeiten) werden oftmals als ethnisch-kulturell oder religiös bedingte Probleme gerahmt, d.h. kulturalisiert (Lanz 2009b: 221; Radtke 2011).2 »Muslime« geraten in besonderem Maße in das Blickfeld solcher Aktivierungs- und Vernetzungsmaßnahmen, da gerade sie unter den fortwährenden Verdacht gestellt werden, sich potenziell von der Gesellschaft abzuwenden und sich in ethnisch-religiöse Gemeinschaften zurückziehen (Karakayali 2009; Tsianos u. Ronneberger 2009; Hess, Binder u. Moser 2009; Schiffauer 2007; Rodatz 2012; Rodatz u. Scheuring 2011; Spielhaus 2013).
3.1.3
Der Islamdiskurs im integrationspolitischen Kontext und die Vermessung der »muslimischen« Bevölkerung
Für Lanz lässt sich daran, dass integrationspolitische Maßnahmen trotz der potenzialorientierten Neuausrichtung nach wie vor »fast nur muslimische Gruppen fokussier[en], [erkennen], welchen Grad der Dominanz ein westlich-islamisches Konfliktszenario im Einwanderungsdiskurs mittlerweile erreicht hat« (Lanz 2009a: 109). Ein Konfliktszenario, das auf eine jahrhundertealte diskursive Tradition zurückzuführen ist, in welcher »aus europäischer Sicht […] der muslimische Andere zunächst der gefährliche, später der schwache, zurückgebliebene Andere [war]« (Schiffauer 2007: 113). So findet zunehmend eine Differenzierung statt zwischen Personen mit Migrationshintergrund, »die aus einer dem Westen zugeordneten Region stammen und/oder sich zu ›westlichen Werten‹ bekennen – und damit nicht im Visier des Integrationsdiskurses stehen –, und [andererseits den] zu normalisierenden ›Anderen‹, die Stuart Hall zufolge (1994) dem Rest jenseits des Westens entsprechen und primär durch die Zugehörigkeit
2
Obwohl viele Autor/-innen aus der anwendungsbezogenen Integrationsforschung durchaus konstatieren, dass sich »viele als ,ethnisch‹ deklarierte Konflikte […] schnell als soziale und/oder strukturelle Problemlagen [erweisen] (z.B. fehlende Spiel- und Aufenthaltsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, zu kleine Wohnungen usw.)«(Krummacher u. Kulbach 2009: 391), wird dennoch vielfach in denselben Publikationen von »sich aus kultureller Vielfalt ergebenden Konflikten« (ebd.: 390) gesprochen (vgl. auch: Gesemann u. Roth 2009a).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
zum Islam charakterisiert sind« (Lanz 2009a: 106). Gerade diese Subjekte seien zu führen. Karakayali identifiziert hierzu im Hinblick auf den Nationalen Integrationsplan (BR 2007) eine enge »Verbindung zwischen kultureller Integration und ökonomischer und sozialer Partizipation, die den gesamten Integrationsdiskurs durchzieht [und] die Vermutung zu[lässt], dass nicht eigentlich Armut und nicht einmal Migration das Problem darstellen […] [und] sich die Debatte nicht um Migrantinnen und Migranten per se [dreht], zum Beispiel aus westeuropäischen oder anderen westlichen Ländern […], sondern um ganz spezifische Gruppen […]« (Karakayali 2009: 99). Bei diesen handelt es sich v.a. »um Migrantinnen und Migranten aus ›muslimischen‹ Ländern« (ebd.: 99). Im Sinne einer zugeschriebenen »Verschmelzung von Ethnizität und Klassenpositionierung« (ebd.: 99-100) bzw. einer »Ethnifizierung von sozioökonomischen Unterschieden« (ebd.: 100) erscheinen »muslimische« Migrant/-innen als sozioökonomisch schwache Gruppe, deren geringere Erfolge auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt zumindest auch in einer mangelnden kulturellen Integration verortet werden (diese Logik zeigt sich bspw. in: Gesemann 2006a; Brettfeld u. Wetzels 2007; Uslucan 2009). Indem »zum einen auf ein westlich-islamisches Konfliktszenario rekurriert und zum anderen auf soziale Ausgrenzungsprozesse verwiesen wird, die türkischund arabischstämmige Einwanderergruppen mehr als andere treffen, [wird] die Integration ebendieser als gescheitert« dargestellt (Lanz 2009a: 107). Schiffauer zeigt hierzu, wie im Kontext der öffentlich-politischen Problematisierung von Schulkonflikten und dem Lernverhalten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund soziale Probleme – sozioökonomisch schwache und bildungsferne Milieus, geringes Sozialkapital, Sprachprobleme aufgrund der Migrationsgeschichte etc. – in einer diskursiven Engführung primär auf »Islam« zurückgeführt werden (2007: 114). Zusammenfassend ist zu konstatieren: »Muslime« bzw. »muslimische« Migrant/innen sind spätestens seit den 1990er Jahren und verstärkt seit den 2000er Jahren in den Fokus jener auf dem Kulturparadigma basierenden Integrationspolitiken gelangt, die ihnen fortan mangelnde Integrationsfähigkeiten attestieren (Hess, Binder u. Moser 2009; für ähnliche Entwicklungen im UK: Meer u. Modood 2009; für Frankreich: Mavelli 2013). Als »overall subject der Integrationspolitik« (Tezcan 2011a: 92) wurde »die Figur des ›muslimischen Migranten‹ zum ›Migrationsanderen‹ (Mecheril 2009) schlechthin« (Spielhaus 2013: 174). In diesem Kontext wurde »die Frage der Werteauseinandersetzung zentral« (Schiffauer 2007: 114), wobei die Beziehungen zwischen »Muslimen« und der Gesellschaft immerzu als »Kultur- bzw. Wertekampf« (ebd.: 115) erscheinen. Obschon mit der Gastarbeitermigration vielfach Personen »islamischen« Glaubens nach Deutschland migrierten und sich schnell erste Gebetsräume etablierten, »ist deren Andersartigkeit in religiöser Hinsicht erst seit den späten 1990er Jahren ins Bewusstsein der deutschen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit gerückt. Bis dahin befassten sich vor allem Migrationssoziologen mit in Deutschland lebenden ›Gastarbeitern‹ und Flüchtlingen.« (Spielhaus 2013: 170; vgl. auch: Spielhaus 2006a, b) Sicherlich verstärkten Ereignisse wie der 11. September 2001 und die starke mediale Repräsentation von islamistischem Extremismus jene Deutungsmuster, durch die die Vorstellung der Existenz eines »muslimischen Subjekts« mit wesenhaften und vor allem problematischen
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Merkmalen zementiert wurde. Eines Subjekts, das im Kräftefeld des Integrations- und Sicherheitsdiskurses umso mehr auf seine Integrierbarkeit und kulturelle Anpassungsfähigkeit (an die Werte der »westlichen« Mehrheitsgesellschaften) hin beleuchtet wurde (Karakayali 2009; Tezcan 2007; Schiffauer u. Bojadzijev 2009). »Die Mehrheitsgesellschaft steht dabei für Säkularität, Liberalität, Demokratie, Geschlechtergleichheit; die Einwanderer hingegen stehen für Islam, Tradition und Unterdrückung der Frau.« (Lanz 2009a: 108-109) Dabei gerieten »Muslime« automatisch als »migrantische Muslime« in den präkonfigurierten Blick auf fremde Einwanderer. Wie Spielhaus beobachtet, hat sich »in der Bebilderung von Zeitungsartikeln und TV-Beiträgen wie auch von Fachliteratur zum Themenfeld Integration […] eine Ikonographie etabliert, die Kopftuchträgerinnen pauschal im Migrationsbereich verortet und als integrationsbedürftig darstellt« (2013: 173). Spielhaus zeigt, wie in Politik, Medien und Wissenschaft eine diskursive Verschiebung stattfand, woraufhin in den Diskussionen der mit »Migration« und »Integration« verknüpften Themen die »muslimische« Identität in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte (Allievi 2005; Radtke 2011; Işik 2015). Gleichzeitig konnten mit dieser Verschiebung Organisationen und Individuen, die als »muslimisch« auftraten (im Gegensatz zu »migrantischen« Positionen), seit den 2000er Jahren in zunehmenden Maße gesellschaftlich relevante Sprecherpositionen erlangen (Schiffauer 2006b; Yurdakul 2009; Malik 2010). Für Schiffauer (2007) kristallisiert sich die gesellschaftliche Angst vor dem Fremden derzeit in der islamophoben Ausgrenzung des »muslimischen« Subjekts (vgl. auch: Sayyid u. Vakil 2010; Kaya 2011). Letzteres wird unter den kaum auflösbaren Generalverdacht gestellt, einen Mangel an Loyalität gegenüber der Mehrheitsgesellschaft und ihren Werten aufzuweisen (Amir-Moazami 2011a, b), möglicherweise in einer Verbindung zu extremistischen Ideologien und Praktiken zu stehen (Rodatz u. Scheuring 2011) oder die säkulare Trennung von Staat und Religion (innerlich) abzulehnen (Tezcan 2011a). In jenem historischen Moment, in welchem sich kulturell und religiös artikulierte Minderheiten in Deutschland als aktive Subjekte gesellschaftlicher Mitgestaltung formierten, sowie in jenem Moment, als »Muslime« qua Einbürgerung oder – nach den Reformen des Staatsangehörigkeitsgesetzes zu Beginn der 2000er Jahre – qua Geburt in Deutschland zu deutschen Staatsbürger/-innen wurden, setzten neue kulturalisierende Exklusionsmechanismen an der »muslimischen« Identität an und hinterfragten dessen Zugehörigkeit zur kulturellen und politischen Ordnung der Mehrheitsgesellschaft (Schiffauer 2007, 2004a). In diesen Zusammenhang sind nicht zuletzt die wiederkehrenden Debatten um Leitkultur zu stellen. Gerade dem organsierten »Islam« der Islamverbände wird vielfach eine integrationsverhindernde, auf »nicht deutsche« (Herkunfts-)Kontexte ausgerichtete Gesinnung attestiert (Schiffauer 2007; Ausdrucksweisen dieser Perspektive z.B. in: Riedel 2007; teils auch in: Tezcan 2012: 67-78). Gelegentlich wird den »islamischen« Verbänden vorgeworfen, dass einige der von diesen als »muslimisch« verteidigten Praktiken – wie das Schächten oder das Tragen eines Kopftuches – nicht von allen »Muslimen« in Deutschland als notwendig angenommen werden. Das Kopftuch avancierte ohnehin zu einem zentralen Gegenstand innerhalb der gesellschaftspolitischen Aushandlungen um eine angemessene »islamische« Lebensweise in Deutschland und wurde immer wieder als Ausdruck kollektivistischer und politischer Religiosität sowie als Zeichen für Abgrenzung problematisiert (Amir-Moazami 2007; Schiffauer 2007).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
Schiffauer illustriert auch eine de facto praktizierte Ungleichbehandlung der »muslimischen« Organisationen, die besonders deutlich hervortritt, wenn als Vergleichsfolie das Verhältnis zwischen deutschem Staat, der Gesellschaft und den »christlichen« Kirchen genommen wird. So werden organisierte »Muslime«, die für die Entfaltung »islamischer« Identitäten eintreten, per se als illegitime Akteure einer vermeintlichen Islamisierung der Gesellschaft repräsentiert, anstatt bspw. eine grundsätzliche Diskussion über die (öffentliche) Position von Religion in einer religionspluralen Gesellschaft zu führen (Schiffauer 2007, 2004a, b). Der integrationspolitische Fokus auf »Islam« und »Muslime« ist auch als ein Moment eines breiten Sicherheitsdiskurses zu verstehen, der in verschiedenen europäischen Kontexten zirkuliert, »Islam« und »Muslime« mit Extremismusrisiken verknüpft und zu einem innenpolitischen Thema macht (Maussen 2006; Tezcan 2007; Silvestri 2010). In diesen, teils geradezu »paranoid« (Karakayali 2009) eingefärbten Diskursstrang um »islamistische« Bedrohungen fügen sich Praktiken einer zunehmenden Überwachung »muslimischer« Gemeinden und Milieus durch staatliche Sicherheitsorgane ein (Schiffauer 2006a, 2007, 2008; Wohlrab-Sahr u. Tezcan 2007; Rodatz u. Scheuring 2011). Die »Aufwertung der Arbeit des Verfassungsschutzes« (Schiffauer 2007: 118) als gesellschaftlich legitimiertes Frühwarnsystem, welches präventiv Risiken benennen solle, ging mit einer stärkeren Kontrolle »muslimischer« Organisationen einher, die bspw. nach verschiedenen internationalen Verbindungen hin befragt werden (vgl. Riedel 2007). Dabei kann eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz konkrete Nachteile für »muslimische« Organisationen haben (Probleme bei Einbürgerungsverfahren, beim Moscheebau oder in der Kooperation mit öffentlichen Stellen). Diese Sicherheitsrationalität setzt aber nicht ausschließlich auf Repression, sondern zielt seit den 2000er Jahren verstärkt auch darauf ab, über die Kooperation mit der »muslimischen« Bevölkerung die Probleme von Segregations- und Abgrenzungsdynamiken, kultureller und religiöser Konflikte sowie der Entstehung »islamistischer« Positionen zu lösen (Schiffauer 2006a, 2008; Peter 2008, 2010; Rodatz u. Scheuring 2011). Gerade der Dialog mit »Muslimen« erscheint dann als Teil dieser Bewegungen und bietet sich als Antwort auf Steuerungsprobleme an. Spielhaus identifiziert hierbei unter Bezug auf Sunier (2009) eine »Domestizierung des Islams mit ihren drei Dimensionen Integration, Sicherheit und nationale Identität« (2013: 174). »Muslimische« Identität wird als Phänomen konturiert, das a) integriert, b) sicher gemacht und c) mit der nationalen Gemeinschaft vereint werden muss. Unter jenen drei Gesichtspunkten wurden »Islam« und »Muslime« zu Objekten des Regierens gemacht, wobei gerade die 2006 vom Bundesinnenministerium initiierte Islamkonferenz ein Beispiel dafür ist, wie der Zugriff auf »muslimische« Identität sich im Zusammenspiel dieser drei Achsen konfiguriert. Der Islamdiskurs schreibt sich vielfach auch in die akademische Wissensproduktion ein und zeigt sich verknüpft mit der Förderung umfangreicher, v.a. quantitativer Studien über Leben, Wirken und Eigenschaften von »Muslimen« in Deutschland (Brettfeld u. Wetzels 2007; Haug et al. 2009; Halm et al. 2012). Im Sinne des Regierens wird hier ein Wissen über die »muslimische« Bevölkerung aufgebaut sowie eine politische Ökonomie des »Islam« begründet, um »muslimische« Lebensführung steuerbar zu gestalten (Rose u. Miller 1992). Diese quantitativen Studien erscheinen als eine »Vermessung« der »muslimischen« Bevölkerung und wurden dabei v.a. im Zusammenhang mit der
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Deutschen Islamkonferenz angestoßen (vgl. nächste Kapitel). Aber auch Studien, die weniger direkt an politische Ziele gekoppelt sind und »Islam in Europa« untersuchen, erscheinen vielfach als jene »Vermessung«, allein schon, wenn man einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis wirft.3 Hinsichtlich der Situation von »Muslimen« in Deutschland existieren Studien, die sich mit den sozialen, ökonomischen, kulturellen und religiösen Merkmalen sowie den Organisationsformen einer »muslimischen« Bevölkerung befassen, Interaktionen zwischen mehrheitsgesellschaftlichen und »muslimischen« Institutionen vorwiegend auf nationaler Ebene untersuchen oder auch mediale und öffentliche Debatten beleuchten (z.B. Lemmen 2002; Halm 2008; Kortmann 2011). Oft eher anwendungsbezogen wird nach Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen Integration von »Islam« und »Muslimen« gefragt, die sich im Zuge der Verhältnisbestimmung zwischen »Politik und Islam« (Schubert u. Meyer 2011) oder zwischen »Gesellschaft und Islam« (Halm u. Meyer 2013) vollziehen würde. Ferner scheinen auch Ansätze attraktiv geworden zu sein, die eine Klassifizierung und Typisierung der Identitätsmuster von in Deutschland (oder Europa) lebenden »Muslimen« entwickeln (z.B. Rohe 2015). Eine Zusammenfassung von Untersuchungen, die »muslimische« Identität tendenziell als feststehend denken und sodann nach Möglichkeiten der Integration selbiger fragen, liefert Spielhaus (2013). Vielfach sind diese Ansätze entlang der Problematisierungsmuster des hegemonialen Diskurses um »Islam und Integration« ausgerichtet. So resümiert Tezcan auf Basis einer breiten Literaturschau im Feld der Kultur- und Sozialwissenschaften mit der Feststellung, dass »die Thematisierung des Islam weitgehend im Rahmen der Fragestellung erfolgt, wie er im Verhältnis zur Moderne zu positionieren ist« (2003: 237). Dabei mündet »die politische Wendung der Thematik […] dann meist in die Frage, ob die Muslime integrierbar sind« (ebd.: 237). Literatur dieser Art setzt »muslimische« Identität voraus und vermag es nicht danach zu fragen, inwiefern »Muslime« durch jene Politiken und Maßnahmen, die auf sie zielen, immer auch erst als solche hervorgebracht bzw. spezifisch (re-)konfiguriert werden. Auch fehlt die Frage danach, inwiefern diese Herstellungsprozesse mit übergeordneten Rationalitäten der Herstellung gesellschaftlicher Ordnungen zusammenhängen. Es fehlt also eine Perspektive, die auch in den Blick nimmt, wie »Islam« und »Muslime« (re-)konfiguriert werden (vgl. zu diesem Argument: Haddad 2017).
3.2
Kultur, Community und Dialog
Die bislang beschriebene Verknüpfung zwischen der Vorstellung einer kulturell differenzierten Gesellschaft, dem Problem der Integration und dem zunehmenden Fokus 3
So z.B. der 600 Seiten starke Band zu »Muslimen« in Europa von Maréchal et al. (2003), welcher alle möglichen Aspekte »muslimischen« Lebens wie Religiosität, politische Partizipation, Organisationsformen oder Raumaneignung beleuchtet, die strukturelle, politische, historische und kulturelle Integration der »muslimischen« Bevölkerung darstellt, aber auch politische Aushandlungsprozesse zwischen »Muslimen« und europäischen Mehrheitsgesellschaften analysiert. Im Einleitungskapitel des Bandes »Muslims in 21st Century Europe: Structural and Cultural Perspectives« (Triandafyllidou 2010a) wiederum werden vielfach statistische und historische Daten über die »muslimische« Bevölkerung in Europa präsentiert (Triandafyllidou 2010b: 12-14).
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Deutschen Islamkonferenz angestoßen (vgl. nächste Kapitel). Aber auch Studien, die weniger direkt an politische Ziele gekoppelt sind und »Islam in Europa« untersuchen, erscheinen vielfach als jene »Vermessung«, allein schon, wenn man einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis wirft.3 Hinsichtlich der Situation von »Muslimen« in Deutschland existieren Studien, die sich mit den sozialen, ökonomischen, kulturellen und religiösen Merkmalen sowie den Organisationsformen einer »muslimischen« Bevölkerung befassen, Interaktionen zwischen mehrheitsgesellschaftlichen und »muslimischen« Institutionen vorwiegend auf nationaler Ebene untersuchen oder auch mediale und öffentliche Debatten beleuchten (z.B. Lemmen 2002; Halm 2008; Kortmann 2011). Oft eher anwendungsbezogen wird nach Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen Integration von »Islam« und »Muslimen« gefragt, die sich im Zuge der Verhältnisbestimmung zwischen »Politik und Islam« (Schubert u. Meyer 2011) oder zwischen »Gesellschaft und Islam« (Halm u. Meyer 2013) vollziehen würde. Ferner scheinen auch Ansätze attraktiv geworden zu sein, die eine Klassifizierung und Typisierung der Identitätsmuster von in Deutschland (oder Europa) lebenden »Muslimen« entwickeln (z.B. Rohe 2015). Eine Zusammenfassung von Untersuchungen, die »muslimische« Identität tendenziell als feststehend denken und sodann nach Möglichkeiten der Integration selbiger fragen, liefert Spielhaus (2013). Vielfach sind diese Ansätze entlang der Problematisierungsmuster des hegemonialen Diskurses um »Islam und Integration« ausgerichtet. So resümiert Tezcan auf Basis einer breiten Literaturschau im Feld der Kultur- und Sozialwissenschaften mit der Feststellung, dass »die Thematisierung des Islam weitgehend im Rahmen der Fragestellung erfolgt, wie er im Verhältnis zur Moderne zu positionieren ist« (2003: 237). Dabei mündet »die politische Wendung der Thematik […] dann meist in die Frage, ob die Muslime integrierbar sind« (ebd.: 237). Literatur dieser Art setzt »muslimische« Identität voraus und vermag es nicht danach zu fragen, inwiefern »Muslime« durch jene Politiken und Maßnahmen, die auf sie zielen, immer auch erst als solche hervorgebracht bzw. spezifisch (re-)konfiguriert werden. Auch fehlt die Frage danach, inwiefern diese Herstellungsprozesse mit übergeordneten Rationalitäten der Herstellung gesellschaftlicher Ordnungen zusammenhängen. Es fehlt also eine Perspektive, die auch in den Blick nimmt, wie »Islam« und »Muslime« (re-)konfiguriert werden (vgl. zu diesem Argument: Haddad 2017).
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Kultur, Community und Dialog
Die bislang beschriebene Verknüpfung zwischen der Vorstellung einer kulturell differenzierten Gesellschaft, dem Problem der Integration und dem zunehmenden Fokus 3
So z.B. der 600 Seiten starke Band zu »Muslimen« in Europa von Maréchal et al. (2003), welcher alle möglichen Aspekte »muslimischen« Lebens wie Religiosität, politische Partizipation, Organisationsformen oder Raumaneignung beleuchtet, die strukturelle, politische, historische und kulturelle Integration der »muslimischen« Bevölkerung darstellt, aber auch politische Aushandlungsprozesse zwischen »Muslimen« und europäischen Mehrheitsgesellschaften analysiert. Im Einleitungskapitel des Bandes »Muslims in 21st Century Europe: Structural and Cultural Perspectives« (Triandafyllidou 2010a) wiederum werden vielfach statistische und historische Daten über die »muslimische« Bevölkerung in Europa präsentiert (Triandafyllidou 2010b: 12-14).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
auf »Muslime« spiegelt sich auch in der community-orientierten Neuausrichtung integrationspolitischer Diskurse und Maßnahmen in Deutschland sowie in anderen europäischen Staaten wider. So fokussieren Integrationspolitiken zunehmend auf partikulare kulturelle und religiöse »Gemeinschaften«, die immer auch lokal (bspw. in städtischen Quartieren) verortet werden, wobei auch hier »muslimischen« Communitys besondere Aufmerksamkeit zukommt (Tezcan 2007; vgl. spätere Kapitel). In Anlehnung an Rose (2000a, b) lassen sich diese Steuerungsmechanismen als governing through community deuten. Dieser Mechanismus adressiert die zu integrierenden (migrantischen) Individuen und Gruppen primär in ihrer Zugehörigkeit zu spezifischen (lokalen) Gemeinschaften, deren innerer Zusammenhalt auf einer im weitesten Sinne kulturellen Identität basieren würde (Rose 2000a, b; vgl. Pütz u. Rodatz 2013; auch: Lanz 2009b; Rodatz 2012). Vor dem Hintergrund des skizzierten Kulturparadigmas (Fraser u. Honneth 2015 [2003]) fokussieren integrationspolitische Ansätze in Deutschland auf solche kulturellen (migrantischen, ethnischen, nationalen, religiösen) Communitys/Gemeinschaften, die als Realitätsbereich und als primäres Bearbeitungsobjekt integrationspolitischen Regierens hervorgebracht werden. Hierbei wird davon ausgegangen, dass a) kulturelle, migrantische Gemeinschaften existieren und eine spezifische Differenz aufweisen, b) kulturell geprägte Subjekte sich in erster Linie zu ebenjenen Gemeinschaften zugehörig empfinden und c) dieses Zugehörigkeitsempfinden, das damit verknüpfte Engagement von Migrant/-innen für »ihre« Gemeinschaften und damit auch die Gemeinschaften selbst anzuerkennen, zu unterstützen und zu ermächtigen sind. Die Bindungen kulturell geprägter (migrantischer) Subjekte zu »ihren« Communitys werden folglich »ernst« genommen und sollen, so die Logik, aufgegriffen und nutzbar gemacht werden. Die migrantische oder auch »muslimische« Community erscheint dann einerseits immer noch als potenziell problematische Parallelgesellschaft, andererseits aber auch als eine Gemeinschaftsform, die das migrantische oder »muslimische« Subjekt zu Eigenengagement antreiben und darüber integrieren kann (Rodatz 2012, 2014). Entsprechend sollen die identifizierten Zugehörigkeitsmuster, Identitäten und Engagementpotenziale auf eine solche Art und Weise aufgegriffen und umgeleitet werden (Rose 2000b), dass die Integration der einzelnen, als kulturell geprägt gedachten Subjekte sowie »ihrer« Gemeinschaften in eine (lokale) Gesamtgesellschaft sichergestellt ist. In diesem Moment werden auch »Dialoge«, »Austauschprozesse« und »Vernetzungen« relevant, sowohl zwischen den einzelnen Communitys (der als kulturell differenziert gedachten Gesellschaft) als auch zwischen diesen und der Gesamtgesellschaft. Genauso erlangen Vorstellungen über die Modellierung interkultureller und interreligiöser Beziehungen an Bedeutung. Die interkulturelle Öffnung gesellschaftlicher Bereiche in etwa oder die neu zu schaffenden interkulturellen Kompetenzen gesellschaftlicher Akteure und Institutionen sollen eine gesellschaftliche Teilhabe der verschiedenen »kulturellen Gemeinschaften« – bzw. ihrer »Mitglieder« – ermöglichen (vgl. BR 2007: 175). So heißt es im Nationalen Integrationsplan: »Die Länder halten eine Öffnung zum interkulturellen Dialog bei Vereinen, Verbänden, Kirchen, Religionsgemeinschaften und Migrantenselbstorganisationen für notwendig.« (BR 2007: 29; zu diesen Logiken: BR 2007; BMVBS 2008; BR 2011; Deutscher Städtetag 2013b; LZPB 2006) Diese Vernetzungs- und Dialogrationalität ist mit der Idee der Produktion eines übergeordneten Vergemeinschaftungsrahmens
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für verschiedene kulturelle Communitys eng verbunden (Rose 2000a). Diese Rationalitäten machen den Dialog als Instrument der Integrationspolitik bedeutsam. Insofern nun Integration zunehmend »vor Ort« (BMVBS 2008) zu gestalten sei, nimmt die politische Förderung differenz- und community-übergreifender Beziehungen, Netzwerke und Dialogstrukturen vor allem die lokale Ebene ins Visier. Betrachtet man z.B. die verschiedenen Best-Practice-Beispiele lokaler Integrationsansätze, die in der staatlichen integrationspolitischen Broschüre »Integration vor Ort« (BMVBS 2008) versammelt werden, so zeigt sich, wie hierbei einerseits partikulare, kulturelle und religiöse (Migranten-)Communitys in lokalen Kontexten als gegeben artikuliert und entsprechend zu Objekten involvierender Ermächtigung gemacht werden und wie andererseits immer auch ein lokaler Austausch zwischen den Communitys als Grundlage für die Stärkung einer weiteren Art von Community Einsatz findet: einer lokalen, pluralen, interkulturellen/interreligiösen Gemeinschaft, deren Elemente sich untereinander austauschen, füreinander einstehen und Solidarität produzieren (vgl. Lanz 2009b). Von Regierungsinteresse sind also lokale Gemeinschaften, die im Sinne kommunitaristischer Werte und Normen als »starke« und verantwortungsbewusste Gemeinschaften lokalen Zusammenhalt ermöglichen und fortan Subjekte beheimaten sollen, die auch über identitäre/kulturelle Differenzen hinweg füreinander einstehen und Verantwortung für das gemeinsame (plurale) Lebensumfeld übernehmen (Rose 2000a, b; Lanz 2009b; De Wilde 2015a, b). Auch dafür sei Dialog einzusetzen. All diese Mechanismen spiegeln sich auch in der konkreten Darstellung lokaler Integrationsprojekte in politischen Papieren wider. Bezüglich eines Integrationsprojekts in Berlin-Neukölln bspw. steht im policy paper »Integration vor Ort« (BMVBS 2008) geschrieben: »Bisher standen das gegenseitige Kennenlernen der Kulturen im Quartier und der Austausch zwischen den Kulturen im Mittelpunkt des ›Lokalen Integrationsprojektes‹. So wurden gemeinsame Tagesfahrten unternommen, Feste gefeiert, wie das muslimische Zuckerfest, Silvester und Nikolaus, und Kinder und Eltern unterschiedlicher ethnischer Gruppen erkundeten gemeinsam ihre Wohn- und Lebenswelten.« (Ebd.: 31) In einem Dossier des Deutschen Städtetags formuliert Michael Griesbeck, Vizepräsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, in ähnlicher Weise: »Zur Förderung einer Anerkennungskultur vor Ort muss der gleichberechtigte Dialog zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ermöglicht werden. Bürgerplattformen sind hierfür eine empfehlenswerte Möglichkeit. Sie können das kommunale Zusammenleben stärken, indem sich Bürger eines Stadtteils zusammen für ihre gemeinsamen Interessen einsetzen.« (In: Deutscher Städtetag 2013b: 33; Herv. J.W.) Die folgende Schilderung von Integrationsmaßnahmen in Duisburg kann als Musterbeispiel für jene »Umleitung« (Rose 2000b) betrachtet werden, über die das Engagement von Subjekten für die eigene kulturelle Community zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Teilhabe »vor Ort« gewandelt wird. »In der türkischen Community in Marxloh besteht seit vielen Jahren der Wunsch nach einer repräsentativen Moschee anstelle einer Hinterhofmoschee. Mit dem Wachstum
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
der Moscheegemeinde unter der Dachorganisation DITIB und neuem Raumbedarf für die Aktivitäten des Moscheevereins wurde eine ehemalige Werkskantine, die als Moschee genutzt wurde, zu klein. 1999 hat der Moscheeverein einen Bauantrag gestellt. Mit der Entscheidung für einen Neubau hat der Verein in Zusammenarbeit mit der Stadt Duisburg und der Entwicklungsgesellschaft einen intensiven Austausch mit Bewohnerinnen und Bewohnern und Akteuren im Stadtteil initiiert. Ein Beirat mit rund 30 Mitgliedern relevanter Stadtteileinrichtungen sowie Nachbarschaftsvertreterinnen und -vertretern wurde eingerichtet, der seither den Entwicklungsprozess begleitet und mitgestaltet. Ein Ergebnis des Dialogprozesses war die Entscheidung, den Moscheebau um eine für alle Duisburger Interessenten offene Bildungs- und Begegnungsstätte zu erweitern, die aus der Stadtteilförderung mitfinanziert wird. Der Bau der Begegnungsstätte wird im Rahmen des Ziel-2-Programms, eines Fonds der EU und des Landes NRW, gefördert.« (BMVBS 2008: 37; Herv. J.W.) Die Existenz einer »türkisch-islamischen« Community, deren Mitglieder sich primär für dessen Belange engagieren würden, wird anerkannt und gefördert, doch wird diese Förderung gleichwohl so gerahmt, dass das existierende Engagement für jene Community mit einem Engagement für die lokalen gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse einhergehen kann. Dabei deutet sich auch an, wie in diesem governing through community auf Dialog gesetzt wird. In dem Maße, in dem community-orientierte Technologien in das kulturalistisch ausgerichtete Regierungsfeld »Integration« Eingang fanden, konnte sich auch das spezifische Format eines »Dialogs mit der muslimischen Community« plausibilisieren. Der »Dialog mit Muslimen« erlangt somit als eine ausgewiesene Technologie der Community an integrationspolitischer Bedeutung (Tezcan 2007). Im Gegensatz zu Dialog im Allgemeinen setzt »Dialog mit Muslimen« nicht nur auf die Stärkung identitätsübergreifender Austauschprozesse, sondern zielt auf eine ganz bestimmte Gruppe. Es geht dann um die Lebensweisen, Einstellungen und Praktiken der »muslimischen« Bevölkerung. Der »Dialog mit Muslimen« ist ein Effekt allgemeiner Kulturalisierungsdiskurse (vgl. nächstes Kapitel) sowie mit dem Paradigma von Community verschnitten und gleichzeitig eine eigentümliche Regierungsform, die auf einer expliziten Problematisierung von »Islam« und »Muslimen« gründet. Er ist eine spezifische Art der Beziehungsaufnahme mit einer gegenwärtig besonders wichtigen Community. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, aus welchen Diskursen heraus das Format »Dialog mit Muslimen« entstehen konnte. Dazu sollen die bereits angesprochenen Kulturalisierungsdiskurse historisch noch weiter zurückverfolgt und umfassender kontextualisiert werden. Darüber wird sich zeigen lassen, wie integrationspolitische »Dialoge« sowie auch das Format eines »Dialogs mit Muslimen« in den multikulturalistischen Diskursen um interkulturelle Beziehungen vorbereitet wurden. Nachfolgend wird dann auch sukzessive die Bedeutung der diskursiven Tradition interreligiöser Kommunikation beleuchtet.
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Gouvernementalität der Freundschaft
3.3
Genealogie einer Regierungsweise: über das Auftauchen des »interkulturellen Dialogs« und des »Dialogs mit Muslimen«
3.3.1
Multikulturalismus und interkultureller Dialog
Es ist hier der Frage nachzugehen, »wie und aus welchen Kanälen überhaupt die Idee eines Regierungsdialogs [mit ›Muslimen‹] aufgekommen ist« (Tezcan 2012: 56). Während das Motiv des »Dialogs« als solches eine bis in die Antike zurückreichende Tradition aufweist, die von Dialogphilosophen wie z.B. Hans-Georg Gadamer aufgegriffen wird4 , ist der Dialog »als gesellschaftlicher Diskurs […] ein ziemlich neues Phänomen« (Tezcan 2012: 56). Neu ist jedenfalls die Dialogform als Instrument der Integrationspolitik und der Regulierung des Verhältnisses zwischen Bevölkerungsgruppen. Neu ist die Systematisierung des Dialogs als Regierungsform (Würth 2003; Tezcan 2006; APuZ 2006; Radtke 2011). Wie erwähnt, basieren gegenwärtige integrationspolitische Diskurse und Ansätze in Deutschland (wie auch allgemein in »westlichen« Einwanderungsgesellschaften) auf einem ausgeprägten Kulturparadigma (Fraser u. Honneth 2015[2003]), das die Sicherstellung von sozialer Kohäsion in hohem Maße davon abhängig macht, wie gut es gelinge, kulturell oder religiös differente Subjekte und Gruppen zu integrieren, untereinander zu vernetzen und in einen übergeordneten gesellschaftlichen Rahmen einzufügen. Dieses Kulturparadigma ist Element einer für das 20. Jahrhundert zu identifizierenden Kulturalisierung gesellschaftlicher Selbstbeschreibung (Tezcan 2011c), deren Auftauchen Fraser und Honneth u.a. auf das Ende der »Zwei-Welten-Teilung« (Kalter Krieg), auf zunehmende soziale Pluralisierungsprozesse wie auch auf die gesellschaftlichen Erfahrungen von Globalisierung und Migration zurückführen. Hierbei lässt sich ein Aufkommen von politischen Kämpfen um die Anerkennung von Lebensweisen beobachten, welche primär kulturelle und religiöse Identitäten ins Spiel bringen und dabei soziale Fragen sozioökonomischer Verteilung eher verdrängen (Fraser u. Honneth 2015[2003]). Wie auch Fraser und Honneth diskutieren, »bezieht die Rede von ›Kultur‹ ihre Plausibilität aus der Globalisierung, die Völker und Glaubensgemeinschaften in zuvor nie da gewesenem Maße zusammengeführt hat« (Tezcan 2006: 26). Die in diesen Kulturalisierungsprozessen versammelten Repräsentationen verdichteten sich sodann im Motiv der multikulturellen Gesellschaft. Jene diskursive Formation des Multikulturalismus, die im Hinblick auf die Muster gesellschaftlicher Selbstbeschreibung in »westlichen« Einwanderungsgesellschaften zunächst im angelsächsischen Raum bereits seit den 1970er Jahren und in Deutschland und Westeuropa im Laufe der 1980er Jahre eine hegemoniale Stellung erlangte, normalisiert eine Deutung von Gesellschaft als aus kulturellen und religiösen Gruppen komponiert, d.h. als kulturell differenziert (Radtke 2009, 2011; Scherr 2009; Hess, Binder u. Moser 2009; Ha 2009; Yildiz 2012).
4
Vgl. zu dieser Tradition des Dialogs als Philosophie des Fremdverstehens in etwa Hans-Georg Gadamers Werk über Dialog und Dialektik, das auf Platons dialogische Motive zurückgreift (Gadamer 1980), und hierzu bspw. die Dissertation von Lee (2007), die eine »Anerkennung durch Dialog« auf Basis »ethische[r] Grundlage[n] des Verstehens in Gadamers Hermeneutik« erarbeiten möchte (Zitate aus dem Dissertationstitel).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
Dabei erschien kulturelle Pluralität schon früh immer auch als politische Herausforderung. In der Formation des Multikulturalismus sind »›Kulturen‹ […] nun selbst zu homogenen Akteuren mutiert, die sich scheinbar auf der Weltbühne mehr oder weniger feindlich gegenüberstehen bzw. in Nationalstaaten um Anerkennung konkurrieren oder sich kennenzulernen versuchen. So wuchs auch in der Bundesrepublik beständig die Zahl der interkulturellen Begegnungsstätten, der interkulturellen Wochen, der Festivals der Kulturen, der Ansätze der interkulturellen Pädagogik. Und dementsprechend ging und geht es bei Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens stets um Fragen der kulturellen Anerkennung und des wechselseitigen interkulturellen und interreligiösen Dialogs, und sehr viel weniger um Fragen der rechtlichen und sozioökonomischen Einbindung von Zugewanderten.« (Kosnick 2016: o.S.) Im Reden über kulturelle Differenzen, das in Deutschland seit den 1980er und verstärkt seit den 1990er Jahren wirksam wurde, avancierte die Sicherstellung sozialer Kohäsion zum politischen Kernproblem. Diese Problematisierung prägt bis heute integrationspolitische Ansätze in europäischen Gesellschaften, in denen politisierte Debatten über Einwanderung und Integration geführt werden (Winkler et al. 2012; Weber 2013). Dobbernack (2014) zeigt für Deutschland, Großbritannien und Frankreich, wie seit den 2000er Jahren Integrationspolitiken aufkamen, die dezidiert auf die Stärkung sozialer Kohäsion zielten, um sowohl kulturelle und religiöse Differenzen als auch sozioökonomische Disparitäten zu bearbeiten. »Social cohesion has become a problem across much of Western Europe, and the term has been brought to bear on a surprisingly vast range of issues: the segregation of communities along ethnic or religious lines poses a challenge to cohesion, as does the presence of welfare recipients in Europe’s increasingly precarious systems of collective solidarity.« (Ebd.: 1) Auch Integrationspolitiken in Deutschland zielen auf jene Domänen, »in denen sich sozioökonomische Benachteiligungen mit Problemen des Zusammenlebens verschiedener Bewohnergruppen überlagern« (BMVBS 2008: 9.). Auf dem Basis solcher Problematisierungen erlangte die Vorstellung integrationspolitisch zu nutzender Dialoge, die auf die aktivierende Involvierung kultureller Gruppen abzielen, an Bedeutung (Radtke 2011). Auch der »Dialog mit Muslimen« lässt sich auf den Diskurs des Multikulturalismus zurückführen. Interkulturelle und interreligiöse Dialogmaßnahmen sollen die Beziehungen innerhalb der als plural aufgefassten Gesellschaft regeln. Gerade der interkulturelle Dialog lässt sich als eine historisch schon länger wirksame Schablone für die Regierung von Differenzen in multikulturell gedachten Gesellschaften verstehen. In die allgemeine Grundform des interkulturellen Dialogs – d.h. eines Dialogs zwischen Kollektiven, deren Lebensweise als je »anders« konstituiert wird – fügt sich der »Dialog mit Muslimen« ein. Dieser fokussiert auf eine solche Differenz in den Lebensweisen, dabei jedoch mit unterschiedlicher Intensität auch spezifisch auf Religion (Tezcan 2009, 2012; Peter 2010; Dornhof 2012).
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Gouvernementalität der Freundschaft
3.3.2
Clash of civilizations und der Dialog als Gegengift
Mit einem bereits 1993 veröffentlichten Artikel in Foreign Affairs und v.a. dann mit seiner 1996 erschienenen Monographie prägte der Politikwissenschaftler Samuel Huntington die Vorstellung eines clash of civilizations und konnte sich mit dieser Imagination wirkmächtig in den bereits laufenden Diskurs um eine kulturell differenzierte Welt einklinken. Die deutsche Übersetzung machte aus dem »Zusammenprall« (clash) einen umso dramatischeren »Kampf der Kulturen« (APuZ 2006; Radtke 2011: 12-13). Eine 2006 erschienene Sonderausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 2006) griff diesen »Kampf« auf und benannte mit dem Schlagwort »Dialog der Kulturen« (so der Titel der Ausgabe) sogleich das antagonistische Gegenmotiv. Im entsprechenden Editorial schreibt Golz: »Und doch geht spätestens seit dem 11. September 2001 das Schlagwort vom ›Clash of Civilizations‹ um. Unter dem Eindruck globalen islamistischen Terrors wird immer häufiger zu einem ›Dialog der Kulturen‹ aufgerufen – als Beitrag zur inneren und äußeren Sicherheit sowie zur Integrationspolitik. Vielerorts haben sich neue Dialoginitiativen und Islamforen zusammengefunden […]. Ein erfolgreicher ›Dialog der Kulturen‹ wäre ein Verständigungsversuch darüber, was die von Migration geprägte Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts zusammenhält.« (Golz 2006: 2; Herv. J.W.) Die problemorientierte Vorstellung globaler, nationaler und lokaler Konflikte, die sich entlang kultureller sowie, bei Huntington von großer Bedeutung, religiöser Linien entfalten, rief nach einem Antidot, das mit dem Konzept des interkulturellen Dialogs gefunden wurde. Die UN-Generalversammlung machte den »interkulturellen Dialog zwischen den Zivilisationen« 2001 zu ihrem Motto, nachdem ein solcher zivilisatorischer Dialog bspw. bereits 1998 vom damaligen iranischen Präsidenten Mohammad Chatami gefordert wurde (Radtke 2011: 12): »Es galt, dafür zu sorgen, dass die drohenden Konflikte im Medium sozialer Kommunikation ausgetragen würden.« (Ebd.) Damit war auch das im weitesten Sinne kommunikationstheoretische Paradigma des Dialogs gefunden: Reden, Verstehen, offen Kommunizieren. Mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 war das Bedürfnis nach interkulturellem und interreligiösem Dialog weiter angestiegen, wobei gleichzeitig auf allen räumlichen Maßstabsebenen interkulturelle und interreligiöse Konflikte erkannt wurden: sei es im »›multikulturellen‹ Stadtteil mit hohem Zuwandereranteil, wo es um Geräusch- oder Geruchsbelästigungen geht« oder »im Jugoslawien der Zeit nach 1989« (beide Zitate: Radtke 2011: 13). Auch die in den 1990er Jahren formulierten und im öffentlichen Diskurs sichtbar gemachten politischen Reden des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog verdeutlichen die große Bedeutung, die einem interkulturellen Zivilisationsdialog beigemessen wurde. In den verschiedenen Programmreden Herzogs der 1990er Jahre spiegelte sich der Aufruf wider, sich für das Verstehen v.a. der »islamischen« Lebensweise, Kultur und Religion zu engagieren, um über gegenseitiges Verständnis, den Aufbau von Wissen und eine entsprechende Sensibilität gemeinsame, auf Anerkennung basierende Handlungsgrundlagen erschließen zu können (Herzog 1995, 1997, 1999). Dabei war es auch schon in den 1990er Jahren v.a. der Konflikt zwischen dem »Westen« und dem »Islam«, der hervortrat und entsprechende Dialoge einforderte (Radtke 2011: 15). So wurde zunehmend »das Element
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
Religion [als besonders brisant erkannt], das jeder Zivilisation inhärent sei und strikte Abgrenzungen ermögliche« (Radtke 2011: 14-15, Herv. i.O.). Ende 2001 verabschiedete die UN die »Global Agenda for Dialogue amongst Civilisations«, während der damalige Generalsekretär Kofi Annan das Manifest »Brücken in die Zukunft« veröffentlichte, ein »Manifest für den Dialog der Kulturen« (Radtke 2011: 17) – in Deutschland unterstützt z.B. durch Richard von Weizsäcker. Die kulturalisierende und essenzialisierende Bewegung in der Konstruktion von Kulturkollektiven, die in einen Dialog miteinander treten können, wurde derweil wenig reflektiert. Ein »Dialog der Kulturen [erschien] allen Beteiligten alternativlos. In den folgenden Jahren wurde das Konzept auf allen Ebenen von Politik und Gesellschaft aufgegriffen und für außen- wie innen-, ja kommunalpolitische Zwecke adaptiert. So sah auch die Europäische Union […] im Dialog ein probates innenpolitisches Mittel, ›Brücken über Grenzen hinweg‹ zu schlagen.« (Radtke 2011: 18; Herv. J.W.; vgl. auch: Würth 2003) 2008 folgte durch das EU-Parlament und den Europäischen Rat die Etablierung des »Europäischen Jahrs des interkulturellen Dialogs«, welches, mit vielen Millionen Euro gefördert, als ein »volkspädagogisch« (Radtke 2011: 19) eingefärbtes Projekt politischer Bildung ausgestaltet wurde: Vor dem Hintergrund der Diagnose kultureller Vielfalt in Europa gelte es nun, »der Bevölkerung den interkulturellen Dialog (IKD) zu erklären; einen anhaltenden Ablauf von IKD-bezogenen Tätigkeiten in Gang zu setzen; einen tiefgehenden, stärker strukturierten Dialog mit der Zivilgesellschaft zu fördern; den Bürgern interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln; die Ansichten und Einstellungen möglichst vieler Menschen zu beeinflussen« (ebd.: 19). Der Europarat hat zum Jahr des interkulturellen Dialogs das »Weißbuch zum interkulturellen Dialog: Gleichberechtigt in Würde zusammenleben« veröffentlicht (Europarat 2008). Dieses Dokument umschreibt den interkulturellen Dialog mit im weitesten Sinne kommunikationstheoretischen, derweil auch »großen« und ethisch-moralisch aufgeladenen Begriffen als »Prozess des offenen und respektvollen Meinungsaustausches von Einzelnen und Gruppen unterschiedlicher ethnischer, kultureller, religiöser und sprachlicher Herkunft und Traditionen in einem Geist von gegenseitigem Verständnis und Respekt« (Europarat 2008: 16), wobei der Dialog stets in den vermeintlich universalen Werten von Menschenrechten und Demokratie verankert sein müsse (Radtke 2011: 20). Die Räume des Dialogs nun seien »reale Räume wie Straßen, Märkte und Geschäfte, Kindergärten, Schulen und Universitäten, soziokulturelle Zentren, Jugendklubs, Kirchen, Synagogen und Moscheen, Versammlungssäle in den Unternehmen und am Arbeitsplatz, Museen, Bibliotheken und andere Freizeiteinrichtungen oder auch virtuelle Räume wie Medien« (Europarat 2008: 26, zitiert in: Radtke 2011: 21). Der interkulturelle Dialog »soll also zu einem ubiquitären Ereignis werden« (Radtke 2011: 21). Auch diese Perspektive rekurriert auf ältere Argumentationslinien. 1997 schrieb Roman Herzog, dass man den »Dialog zwischen den Kulturen [brauche, um] das friedliche Miteinander […] und eben keinen ›Kampf der Kulturen‹ [zu sichern]«,
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Gouvernementalität der Freundschaft
wobei er »mit friedlichem Miteinander […] das Mehrfamilienhaus in Deutschland [meint], wo Familien unterschiedlicher Kultur und Religion wohnen, ebenso wie die friedliche Begegnung von Staaten mit unterschiedlichen kulturellen Fundamenten« – auf all diesen Ebenen könne man »nicht anders, als [sich] mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen« (alle Zitate: Herzog 1997). Ein weiteres Element einer sich etablierenden »Dialogindustrie« (Radtke 2011: 22) wäre bspw. das auf europäischer Ebene geförderte Projekt der intercultural city, das lokale Ansätze zur potenzialorientierten Nutzbarmachung kultureller Vielfalt in Städten entwickelt und miteinander vernetzt. Radtke verwendet dabei den Begriff der »Dialogindustrie« nicht primär despektierlich, sondern hebt damit zum einen hervor, dass »Dialoge« in ihrer konkreten Form keine universalen Kommunikationsmodi darstellen, sondern spezifische Resultate einer diskursiv konstituierten gesellschaftlichen Praxis sind. Zum anderen scheint er aber auch durchaus kritisch zu betrachten, dass »Kulturdialoge« allzu schnell zu einem »Allheilmittel« für alle möglichen sozialen und ökonomischen Probleme gemacht werden. Die Stadt Erlangen – Fallstudie der vorliegenden Arbeit – trat dem Programm der intercultural city am 28. Juli 2016 im Rahmen einer (von mir besuchten) feierlichen Zeremonie im Rathaus als 100. europäische interkulturelle Stadt bei.5 In den 2000er Jahren entstanden in Deutschland auch auf nationaler Ebene verschiedene Projekte, die zur Konfliktprävention programmatisch eine Art der Dialogkultur zu fördern suchten (Radtke 2011: 22). Das in Bonn angesiedelte Zentrum für europäische Bildung engagiert sich seit 2008 für interkulturellen Dialog, um durch die Forcierung von »Kulturkontakten« eine »Offenheit für das Fremde und Unbekannte« zu erzeugen (Zitate aus: Radtke 2011: 22), wobei sich die Bildungsaktivitäten auf Schulklassen konzentrierten. Beispielhaft sei auch auf die Aktivitäten des 1994 gegründeten »Interkulturellen Rats in Deutschland e.V.« verwiesen, der seit Anfang der 2000er Jahre vorwiegend mit Projekten zur Förderung eines »Dialogs mit Muslimen« auf sich aufmerksam machen konnte und dabei auf Bundes-, Länder-, aber vor allem auch auf kommunaler Ebene diverse Islamforen etablierte. Der Aufbau kommunaler Islamforen unter dem bis 2010 aktiven Programm »Dialog vor Ort: Kommunale Islamforen« erhielt dabei Unterstützung vom Bundesamt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Miksch u. Hoensch 2011). Viele dieser Initiativen sind als Vorläufer für die 2006 etablierte Deutsche Islamkonferenz zu betrachten (Radtke 2011: 34-35), deren Dialogansatz in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich behandelt wird. Auch in der sozialwissenschaftlichen (Integrations-)Forschung erschienen Kulturdialoge zunehmend als Instrumente der Konfliktbewältigung. Naika Foroutan in etwa konzeptionalisiert Kulturdialoge als prozesshaften Ablauf der Verständnisproduktion, in welchem durch »Konfliktregulierung und [den] Abbau von Denkbarrieren im Kulturkampfdogma zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft (auf nationaler Ebene) und zwischen verfeindeten Zivilisationen (auf internationaler Ebene)« (Foroutan 2006: 18; 25) politische Vergemeinschaftung erzeugt werden soll. Radtke analysiert, wie Foroutan den Dialog geradezu als ein technisches Instrument versteht und folglich zur sozialtechnischen Modellierung der Gesellschaft einsetzen möchte (2011: 30-32). Als Instrumente einer Sicherheits5
Vgl. die folgenden Links: https://www.coe.int/en/web/interculturalcities/, (31.10.2017) sowie: https: //www.coe.int/en/web/interculturalcities/-/erlangen-is-100-intercultural-city, (31.10.2017).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
politik seien Dialoge für Foroutan auf allen möglichen räumlichen Ebenen und in allen Bereichen der Bevölkerung zu installieren (ebd.). Der interkulturelle Dialog fand also innerhalb des Diskurses um eine multikulturelle Gesellschaft Eingang in die politische Reflexion und zielt seitdem auf die Schaffung eines mehr oder minder systematischen Austauschs zwischen im weiteren Sinne kulturellen Gruppen. So manifestierte sich der interkulturelle Dialog als Form des Regierens kultureller Differenz(-en) (Radtke 2011; Rose 2000a; Foroutan 2006; Nassehi 2006; Tezcan 2006). Diese auf Kohäsion und Integration zielenden Regierungsrationalitäten schafften auch die Bedingungen für die Emergenz des »Dialogs mit Muslimen«, der immer zentraler wurde. Die Dichotomie »Islam« vs. »Westen« tauchte schon bei Huntington prominent auf und stellte in den programmatischen Reden Herzogs ein Motiv dar. Herzog (1999) jedoch artikulierte »Islam« als eine »Kultur« (Würth 2003) und Lebensweise, die sich nicht nur in religiösen Praktiken erschöpfe. Der explizite Fokus auf Religion trat im Dialog erst in den 2000er Jahren deutlicher hervor (Tezcan 2006). Wie erwähnt, waren es v.a. die Jahre nach »9/11«, als der Fokus auf Religion innerhalb des interkulturellen Paradigmas geschärft wurde. Nun war es die »andere«, religiös geprägte Lebensführung der »Muslime«, die in einer auf Verständnis abzielenden Austauschbeziehung zwischen »Muslimen« und Gesellschaft reflektiert werden sollte.
3.3.3
Von Kultur- zu Religionsdialogen: die Politisierung religiöser Identitäten
Die Verknüpfungen zwischen »interkulturellen Dialogen«, Integrationspolitiken und einem zunehmend religionsbezogenen Fokus auf »Islam« wurden in ihren konkreteren Formen erst seit den 2000er Jahren manifest. Dies gilt genauso für die spezifische Form eines dezidiert integrationspolitisch aufgegriffenen und interreligiös eingefärbten »Dialogs mit Muslimen«. Während sich also der historisch ältere »Dialog der Kulturen« erst spät zum Format eines »Dialogs der Religionen« – sowie zum religionsbezogenen »Dialog mit Muslimen« – wandelte (Tezcan 2006), kam es bereits weit vor »9/11«, in den 1970er und 1980er Jahren, zu Prozessen einer »Deprivatisation of Religion« (Malik 2013: 499), einer Politisierung v.a. »islamischer« Identitäten, die die späteren Artikulationen von interkulturellen und -religiösen Dialogen (als Integrationsinstrumente) vorkonfigurierte. Global rezipierte Ereignisse wie die Islamische Revolution im Iran 1979 oder die Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie 1989 beförderten die Herausbildung einer politisierten »islamischen« Identität als Kategorie der Selbst- wie auch Fremdbeschreibung (Malik (K.) 2010; Malik (J.) 2013; Tezcan 2011a, b, c, 2012; Schröter 2016a). Malik (2010; vgl. auch: Würth 2003) sieht gerade in der Rushdie-Affäre der späten 1980er Jahre einen Auslöser einer frühen Religiosierung der Debatte um die multikulturelle Gesellschaft. Die Rushdie-Affäre stellte, so Malik, »einen Wendepunkt im politischen und kulturellen Leben des Westens dar. Durch sie kamen jene Themen zum ersten Mal auf die Tagesordnung, die bis heute die politische Debatte dominieren – Multikulturalismus, die Grenzen der freien Meinungsäußerung, der radikale Islam, Terrorismus. Und die Affäre veränderte auch unser Denken in diesen Fragen. Der Streit um die Satanischen Verse war in erster Linie politischer, nicht religiöser Natur. Da aber die These allgemeine Akzeptanz fand, der zufolge die Kontrover-
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Gouvernementalität der Freundschaft
se religiösen Ursprungs war und alle Muslime sich durch den Roman beleidigt fühlten, kamen viele Liberale nach der Rushdie-Affäre zu dem Schluss, dass erstens die Islamisten die wahren Vertreter des Islam wären und dass zweitens das soziale Miteinander in einer pluralistischen Gesellschaft eine gewisse Beschneidung der freien Meinungsäußerung erfordere.« (Malik 2010: o.S.) Starke Dynamiken einer Politisierung »islamischer« Identitäten zeigten sich später, z.B. auch 2005 im Zuge der Veröffentlichung von Mohammedkarikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten. Der imaginierte »Kampf der Kulturen« avancierte somit mehr und mehr zu einem »Kampf der Religionen« oder zumindest zu einem religiosierten Kampf der Kulturen (Malik 2013: 499; zudem: Tezcan 2006; Herzog 1999): »Die Frontlinien des ›Kampfes der Kulturen‹ […] [verlaufen] letztlich entlang religiösen Zivilisationsmarkierungen.« (Tezcan 2006: 26) Das Regieren von Differenzen über Religion erschien dabei insofern als praktikabel, als Religion, hier v.a. der »Islam«, »Dispositive [enthält], die mit Geboten, Körpertechniken, Autoritätsstrukturen, Sanktionen, Versammlungsorten tagtäglich das muslimische Subjekt hervorbringen« (Tezcan 2012: 53). Auch deshalb wurde religiöse Identität zunehmend zur bevorzugten Angriffsfläche eines zunächst einmal im Kulturparadigma des Multikulturalismus verankerten interkulturellen Dialogs, der sodann vor allem mit »Muslimen« zu führen war (Würth 2003; Radtke 2011). Insofern Kultur kaum greifbar sei, verdichte sie sich »mit Blick auf kollektive Identitäten und […] politische Operationalisierbarkeit […] im Begriff ›Religion‹, [die] mit klarer Dogmatik, ansprechbaren Akteuren, erkennbaren Zeichen und heiligen Orten und Plätzen […] zunehmend den Dialog der Kulturen [dominiere]« (Tezcan 2006: 26). Religiöse (»muslimische«) Identität mache, so Tezcan, »den Diskurs des Multikulturalismus für gesellschaftspolitisches Handeln operationalisierbar« (2006: 26) und werde »zum Vehikel, mit dem die multikulturelle Gesellschaft regierbar gemacht werden soll« (ebd.). Angesichts solch struktureller Vorteile eines Fokus auf religiöse Identitäten greift das gegenwärtige Regierungsprogramm »Dialog mit Muslimen« – 2006 in Form der Deutschen Islamkonferenz integrationspolitisch institutionalisiert – verschiedentlich auch auf Traditionslinien und Muster eines dezidiert interreligiösen Dialogs zurück. Dieser wurde vormals vor allem durch religiöse Akteure getragen, bereitete aber vielfach eine Art »dialogisches Grundskript« vor, auf welches nun rekurriert wird, um über Religion die pluralisierte Gesellschaft und deren Konfliktlinien zu regulieren (Tezcan 2006, 2007, 2012; Radtke 2011; vgl. auch: Kandel 2005; Klinkhammer et al. 2011; Dornhof 2012; Rommelspacher 2012; Malik 2013; Amirpur u. Weiße 2015). Für Tezcan wurde »der gouvernementale Dialog [gemeint ist das integrationspolitische Regierungsprogramm eines »Dialogs mit Muslimen«; Anm. J.W.] im interreligiösen Dialog vorbereitet« (Tezcan 2007: 66). Aus dem Feld des interreligiösen Austauschs heraus sei »er [der Dialog] auch in personaler Übermittlung in die Politik [gewandert]« (Tezcan 2012: 56). Interreligiöse Dialoge religiöser und kirchlicher Akteure stellten derweil die ersten strukturierten Formen eines mehrheitsgesellschaftlichen Zugangs auf »Islam« und »Muslime« in Deutschland dar (Neuser 2005a; Klinkhammer et al. 2011). Sie lieferten dem auf die »muslimische« Bevölkerung zielenden Regierungsdialog bereits existierende Praktiken und existierendes Wissen über »Muslime«. Diese Verknüpfungen zwischen dem
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
(integrations-)politischen Dialog und der interreligiösen Dialogtradition werden später noch diskutiert.
3.3.4
Der »Dialog mit Muslimen« und dessen Institutionalisierung in den 2000er Jahren
Vorbereitet durch die Paradigmen des Multikulturalismus etablierte sich der »Dialog mit Muslimen« in Deutschland im Verlauf der 2000er Jahre zum einen als ein diskursives Feld, innerhalb welchem jegliche Interaktion zwischen Gesellschaft und »Muslimen« die Form einer interkulturellen sowie in zunehmendem Maße auch einer interreligiösen Auseinandersetzung annehmen musste. Zum anderen implementierte sich ein solcher Dialog (innerhalb jenes diskursiven Feldes) in der Gestalt verschiedener politischer Programme und konkreter Regierungsmaßnahmen, die die Integration der »muslimischen« Bevölkerung sicherstellen sollten (Peter 2008, 2010; Schiffauer 2008; Schiffauer u. Bojadzev 2009; Rodatz u. Scheuring 2011; Tezcan 2006, 2007, 2011a, b, 2012; AmirMoazami 2011a, b; Dornhof 2012; Rommelspacher 2012; Malik 2013; Radtke 2011; Würth 2003). 2005 erschien das Motiv eines »Dialogs mit Muslimen« erstmalig prominent im damaligen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Selbiger zeigte sich ohnehin »besonders dialogbereit« (Radtke 2011: 32). Radtke schreibt: »Das Wort ›Dialog‹ steht ganz hoch im Kurs. Es kommt auf dem ca. 150 Seiten umfassenden Dokument mehr als 20mal vor. Neben dem interkulturellen bzw. interreligiösen Dialog sollen auch Dialoge auf allen Politikfeldern mit […] unterschiedlichen Partnern [geführt werden].« (2011: 32) Im damaligen Koalitionsvertrag steht geschrieben: »Wir werden einen intensiven Dialog mit den großen christlichen Kirchen und mit Juden und Muslimen führen. Ein interreligiöser und interkultureller Dialog ist nicht nur wichtiger Bestandteil von Integrationspolitik und politischer Bildung; er dient auch der Verhinderung und Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Extremismus. Gerade dem Dialog mit dem Islam kommt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle zu. Dabei ist es ein Gebot des wechselseitigen Respekts, auch Differenzen, die die Dialogpartner trennen, eindeutig zu benennen. Dieser Dialog wird nur gelingen, wenn wir insbesondere junge Muslime sozial und beruflich besser integrieren.« (Auszug aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11.11.2005; zitiert in: Böhmer 2006: 211) Die damalige Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer, schreibt ergänzend: »Wir brauchen einen langfristig angelegten Dialog der Kulturen, der allen Gesprächspartnern hilft, die Verunsicherung im Umgang mit kultureller und insbesondere religiöser Vielfalt zu überwinden. Die Deutsche Islamkonferenz bildet den Rahmen für diesen schwierigen Prozess.« (Böhmer 2006: 211; Herv. J.W.)Der »Dialog mit Muslimen« wird als Instrument für die Integration der »muslimischen« Bevölkerung artikuliert, das auch auf religiöse Identitäten fokussieren müsse. Religiöse Differenzen werden als Steuerungsprobleme gefasst, die durch Dialog anzugehen wären. Dabei sei Dialog auch ein Mittel zur Verhinderung von Extremismus, womit wiederum aufscheint, dass Dialog als Gegenmotiv zur Chiffre eines Kampfes der Kulturen operiert. Nicht zuletzt wird identifiziert,
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Gouvernementalität der Freundschaft
dass soziale und ökonomische Desintegration eine Hürde für die Dialogbereitschaft von »Muslimen« sowie ein Risiko bezüglich der Herausbildung von Extremismus darstelle (vgl. das Vorwort von Schäuble in: Brettfeld u. Wetzels 2007). Um Desintegration zu verhindern, sei nun auch eine Auseinandersetzung mit den kulturellen und religiösen Identitäten, Perspektiven und Praktiken der in den Dialog zu involvierenden Parteien, namentlich der »Muslime«, notwendig. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte 2005 in einer Regierungserklärung sowohl die Bedeutung eines Dialogs der Kulturen als auch eines Dialogs mit dem »Islam« und erhob dabei die Auseinandersetzung mit religiösen Identitäten zur allgemeinen Grundlage für gesellschaftliche Beziehungen: »Wir brauchen einen Dialog mit dem Islam. Wir müssen einander verstehen lernen; das gehört dazu. Wir müssen im Übrigen darauf achten, dass wir unsere eigene Religion, das Christentum, ausreichend verstehen, soweit wir Christen sind – das gilt auch für andere, die anderen Religionen anhängen –; denn einen Dialog der Kulturen kann man nur führen, wenn man sich seiner eigenen Kultur auch wirklich bewusst ist.« (Auszug aus der Regierungserklärung von Angela Merkel, 30.11.2005; zitiert in: Böhmer 2006: 210) Am Zitat lässt sich gut erkennen, wie das Paradigma des Dialogs die Gestaltung der Beziehungen zwischen Mehrheitsgesellschaft und »Muslimen« auf eine religiöse und kulturelle Subjektivierung gründet, die auch das »mehrheitsgesellschaftliche Subjekt« zu religiöser und kultureller Selbstbildung anreizt. In einem Interview in der FAZ vom 15.01.2015 erläutert die Bundeskanzlerin entsprechend, dass die gesellschaftliche Angst vor dem »Islam« mit einer Stärkung der »eigenen« christlichen Identität beantwortet werden könnte (die auch die Grundlage für Dialog sei)6 . Diesen Argumentationsweisen liegt somit eine gewisse Religiosierung der Gesellschaft zugrunde. Ferner verdeutlichen die Zitate den Fokus auf die Motive des »Verstehens«, der »Begegnung« und des »Kennenlernens«. Dabei wird die Begegnung mit »Muslimen« als »schwierige« Begegnung artikuliert und in einen normativen integrationspolitischen Kontext gestellt, der »Islam« mit Problemen verknüpft. So heißt es kurze Zeit später im Koalitionsvertrag: »Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern wird als wichtiger thematischer Schwerpunkt in die Maßnahmen zum interreligiösen Dialog aufgenommen. Zwangsverheiratungen können nicht geduldet werden. Wir wollen Zwangsverheiratungen verhindern und prüfen zu diesem Zweck alle geeigneten Instrumente.« (Auszug aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11.11.2005; zitiert in: Böhmer 2006: 211) Mit Problembeschreibungen dieser Art verschnitten, wird 2006 parallel zum ersten nationalen Integrationsgipfel die Deutsche Islamkonferenz (DIK) ins Leben gerufen, die dem »Dialog mit Muslimen« eine bis heute existierende Form gibt (Tezcan 2007, 2012). Die DIK sollte die Probleme und Risiken adressieren, die im Integrationsdiskurs mit
6
»Merkel: Christen brauchen mehr Selbstbewusstsein«. Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15.01.2015, Quelle: www.faz.net/aktuell/politik/inland/angela-merkel-im-interviewueber-islamisierung-in-deutschland-13371711.html, (letzter Aufruf: 26.10.2018).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
»Islam« und »Muslimen« verknüpft werden und »Muslime« als schwer integrierbar darstellen.7 Der problemorientierte Islamdiskurs rief den mit der DIK verkörperten Dialog als Lösung der Integrationsschwierigkeiten ins Leben. Die Integration der »Muslime« und die »Muslime« selbst sind folglich die Objekte der Problematisierung, der Dialog als Antwort konstituiert die Regierungsrationalität, während die DIK eine konkrete Technologie darstellt (Tezcan 2011a: 90; Peter 2010).
3.4
Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) als bedeutende Kristallisationsform des Dialogs
3.4.1
Nationaler Integrationsgipfel und Deutsche Islamkonferenz
Die Initiierung der DIK ging zeitlich mit dem ersten Nationalen Integrationsgipfel (ebenso 2006) einher und fiel damit in jene Phase, in der in Deutschland Integrationspolitik allgemein zur politischen »Chefsache« erklärt und als Lösung für Schwierigkeiten migrationsgeprägter Gesellschaften mobilisiert wurde. Bemerkenswerterweise schien aus der Perspektive der Bundesregierung der Integrationsgipfel alleine nicht zu genügen, um Integration zu gewährleisten. So wurde der Integrationsgipfel um die DIK ergänzt, die sich explizit der besonderen Gruppe der »Muslime« widmete (Tezcan 2012). Die Etablierung des Integrationsgipfels verdeutlichte bereits die neue politische Bedeutung von »Integration«, wie sie seit den 2000er Jahren Ausdruck fand (Gesemann u. Roth 2009a, b). Integration wurde als nationale und gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfasst (Griesbeck 2007), die alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens berühren müsse, um Migrant/-innen stärker einzugliedern.8 Dabei sollten integrationsfördernde Maßnahmen im Dialog mit Migrant/-innen und deren Organisationen 7
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Diese wären: eine der Integration abträgliche, autoritäre Erziehungsweise in konservativen »muslimischen« Familien; eine religiös begründete Ungleichbehandlung der Geschlechter; unzeitgemäße, konfliktfördernde Norm- und Wertevorstellungen bezüglich Geschlechterrollen und verhältnissen; »traditions-/religionsspezifische Gründe für Wertekonflikte und Integrationsdefizite […] [muslimischer Schüler/-innen]« (DIK 2009b: 7); aggressiv-dominantes Auftreten junger männlicher »Muslime« v.a. Lehrerinnen gegenüber (Gesemann 2006a); Anfälligkeit von »Muslimen« gegenüber extremistischen Positionen (ebd.; Brettfeld u. Wetzels 2007); Prozesse religiös bedingter gesellschaftlicher (Selbst-)Abgrenzung und religiöser Selbstaufwertung; dogmatische Religiosität (Uslucan 2009, 2011; DIK 2009a, b; Langenfeld 2009; El Mafaalani u. Toprak 2017; Gesemann 2006a; DIK 2012; Haug et al. 2009; Brettfeld u. Wetzels 2007; Nagel 2009; Behr et al. 2009). Oft wird Dialog auch als Möglichkeit angeführt, um mit »Muslimen« über Themen wie Demokratie, Säkularität, Gleichberechtigung und Menschenrechte zu sprechen, wobei sich die Annahme aufdrängt, »Muslime« würden hier von der Norm abweichen (DIK 2009a, b; Schäuble 2006). Ferner ist es v.a. islamistischer Extremismus, dessen Entstehungsbedingungen innerhalb der »muslimischen« Bevölkerung verortet werden, v.a. innerhalb ethnisch und religiös abgegrenzter/sich selbst abgrenzender, desintegrierter Parallelgesellschaften (Rodatz u. Scheuring 2011; Ronneberger u. Tsianos 2009). So gehöre zu den Aufgaben integrationspolitischer Bestrebungen, eine zielgruppenspezifische Eingliederung von Migrant/-innen in den Arbeitsmarkt und den Bildungssektor zu gewährleisten, die politische und gesellschaftliche Partizipation von Zugewanderten im gesellschaftlichen Bereich, in Entscheidungsstrukturen und im Vereinswesen zu stärken, kulturelle Angebote so zu ge-
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3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
»Islam« und »Muslimen« verknüpft werden und »Muslime« als schwer integrierbar darstellen.7 Der problemorientierte Islamdiskurs rief den mit der DIK verkörperten Dialog als Lösung der Integrationsschwierigkeiten ins Leben. Die Integration der »Muslime« und die »Muslime« selbst sind folglich die Objekte der Problematisierung, der Dialog als Antwort konstituiert die Regierungsrationalität, während die DIK eine konkrete Technologie darstellt (Tezcan 2011a: 90; Peter 2010).
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Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) als bedeutende Kristallisationsform des Dialogs
3.4.1
Nationaler Integrationsgipfel und Deutsche Islamkonferenz
Die Initiierung der DIK ging zeitlich mit dem ersten Nationalen Integrationsgipfel (ebenso 2006) einher und fiel damit in jene Phase, in der in Deutschland Integrationspolitik allgemein zur politischen »Chefsache« erklärt und als Lösung für Schwierigkeiten migrationsgeprägter Gesellschaften mobilisiert wurde. Bemerkenswerterweise schien aus der Perspektive der Bundesregierung der Integrationsgipfel alleine nicht zu genügen, um Integration zu gewährleisten. So wurde der Integrationsgipfel um die DIK ergänzt, die sich explizit der besonderen Gruppe der »Muslime« widmete (Tezcan 2012). Die Etablierung des Integrationsgipfels verdeutlichte bereits die neue politische Bedeutung von »Integration«, wie sie seit den 2000er Jahren Ausdruck fand (Gesemann u. Roth 2009a, b). Integration wurde als nationale und gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfasst (Griesbeck 2007), die alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens berühren müsse, um Migrant/-innen stärker einzugliedern.8 Dabei sollten integrationsfördernde Maßnahmen im Dialog mit Migrant/-innen und deren Organisationen 7
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Diese wären: eine der Integration abträgliche, autoritäre Erziehungsweise in konservativen »muslimischen« Familien; eine religiös begründete Ungleichbehandlung der Geschlechter; unzeitgemäße, konfliktfördernde Norm- und Wertevorstellungen bezüglich Geschlechterrollen und verhältnissen; »traditions-/religionsspezifische Gründe für Wertekonflikte und Integrationsdefizite […] [muslimischer Schüler/-innen]« (DIK 2009b: 7); aggressiv-dominantes Auftreten junger männlicher »Muslime« v.a. Lehrerinnen gegenüber (Gesemann 2006a); Anfälligkeit von »Muslimen« gegenüber extremistischen Positionen (ebd.; Brettfeld u. Wetzels 2007); Prozesse religiös bedingter gesellschaftlicher (Selbst-)Abgrenzung und religiöser Selbstaufwertung; dogmatische Religiosität (Uslucan 2009, 2011; DIK 2009a, b; Langenfeld 2009; El Mafaalani u. Toprak 2017; Gesemann 2006a; DIK 2012; Haug et al. 2009; Brettfeld u. Wetzels 2007; Nagel 2009; Behr et al. 2009). Oft wird Dialog auch als Möglichkeit angeführt, um mit »Muslimen« über Themen wie Demokratie, Säkularität, Gleichberechtigung und Menschenrechte zu sprechen, wobei sich die Annahme aufdrängt, »Muslime« würden hier von der Norm abweichen (DIK 2009a, b; Schäuble 2006). Ferner ist es v.a. islamistischer Extremismus, dessen Entstehungsbedingungen innerhalb der »muslimischen« Bevölkerung verortet werden, v.a. innerhalb ethnisch und religiös abgegrenzter/sich selbst abgrenzender, desintegrierter Parallelgesellschaften (Rodatz u. Scheuring 2011; Ronneberger u. Tsianos 2009). So gehöre zu den Aufgaben integrationspolitischer Bestrebungen, eine zielgruppenspezifische Eingliederung von Migrant/-innen in den Arbeitsmarkt und den Bildungssektor zu gewährleisten, die politische und gesellschaftliche Partizipation von Zugewanderten im gesellschaftlichen Bereich, in Entscheidungsstrukturen und im Vereinswesen zu stärken, kulturelle Angebote so zu ge-
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Gouvernementalität der Freundschaft
erfolgen, die als Partner in die gesellschaftliche Aufgabe »Integration« zu involvieren sind. Insofern war auch der Integrationsgipfel von Beginn an dialogisch ausgerichtet. Migrant/-innen und migrantische Organisationen sollten aktiviert und als verantwortungsvolle Mitglieder der Gesellschaft mobilisiert werden, indem ihnen politische Mitsprache in der Gestaltung von Integration gewährt wurde (vgl. BR 2007; BR 2011; BMVBS 2008). Der »Dialog mit Muslimen« erschien nun als Form der gesellschaftspolitischen Interaktion, die noch darüber hinaus in besonderem Maße zu fördern sei. Derweil schaffte der Dialog- und Islamdiskurs, der mit der Etablierung der DIK Ausdruck fand, die Bedingungen für die diskursive Operation einer Anerkennung des »Islam« und der »muslimischen« Präsenz in Deutschland, die nun zu einem politischen Motiv avancierte. Neben den Diskurssträngen um die Problematik des »Islam« wurde eine anerkennungspolitische Position geschaffen, die die Eingliederung »muslimischer« Identitäten in das nationale Gemeinweisen als Ziel markierte. Die bekannt gewordene Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulf, der »Islam« gehöre zu Deutschland, kann als Ausdruck dieser dialogischen Anerkennungslogik gedeutet werden. Dabei erfuhr dieser Anerkennungsakt viel Gegenwind, gerade von konservativer, christlich-demokratischer Seite, die eine Anerkennung des »Islam« in Konflikt mit leitkulturellen Ordnungsvorstellungen empfand (Tezcan 2012: 35-37; Zehetmair 2005a): »Eventuell auf diese Kritiken reagierend, mahnt der Bundespräsident knapp einen Monat später die Muslime zur Reflexion ihrer Religion an. Sie dürften die Verantwortung dafür ›nicht Gelehrten und Traditionen überlassen‹.« (Tezcan 2012: 36; Aussagen von Wulf in einem FAZ-Artikel von 2010 zitierend) »Islam« solle also über die DIK anerkannt werden, müsse sich dafür aber selbst reflektieren und ggf. verändern: Diese Logik prägt die gesamte Rationalität und Praxis des Dialogs. Die Diskussionen verdeutlichen ferner die zivilisatorische Dimension des Dialogs: Wulff artikuliert sich als Präsident auch der »muslimischen« Bevölkerung und »wendet sich an jeden einzelnen Muslim, wertet ihn auf als mündigen Gläubigen« (Tezcan 2012: 36). Die hierbei wirksame Regierungsrationalität definiert eine religiöse Bevölkerungsgruppe als Kollektiv, dessen Differenz bedeutsam genug sei, um diese Gruppe in ihrem Dasein zu führen. Der Appell, sich mit der eigenen religiösen Identität auseinanderzusetzen, wird nicht an die »islamischen« Verbände und Rechtsgelehrten gerichtet, sondern an alle »Muslime«. Eine solche Aufforderung lag, so Tezcan, schon länger »in der Luft […], im Bannkreis des von Huntington so beschriebenen Kulturparadigmas, in dem der Islam eine brisante Angelegenheit nicht nur für die Muslime, sondern offenbar für die ganze Welt geworden ist« (2012: 36). Nur eine Integration durch und über »muslimische« Identität würde zivilisatorischen Frieden mit »Muslimen« ermöglichen.
stalten, dass Migrant/-innen stärker angesprochen werden, sowie staatliche Sozialdienstleitungen und die Verwaltung interkulturell zu öffnen (Gesemann u. Roth 2009a, b).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
3.4.2
»Muslime in Deutschland – Deutsche Muslime«: der Dialog der Islamkonferenz als Technik zur Sicherstellung gesellschaftlicher Kohäsion auf einer »tieferen menschlichen Ebene«
In der vom damaligen Bundesinnenminister Schäuble verfassten und am 26.09.2006 in der FAZ erschienenen Grundsatzrede »Muslime in Deutschland«, in welcher Schäuble im Hinblick auf die gerade erst eingerichtete Islamkonferenz der Frage nachgeht »wie aus Muslimen in Deutschland deutsche Muslime werden können« (Schäuble 2006), artikulieren sich all jene Motive, die als Kernaspekte eines sich formierenden Regierungsskripts erachtet werden können (Amir-Moazami 2011a, b; Peter 2010). »Integration als eine der wichtigsten innenpolitischen Herausforderungen, das war und ist für mich einer der Gründe, warum ich zu dieser Konferenz eingeladen habe. Im Zentrum steht dabei für mich die Frage: Wie erreichen wir es, daß sich die Muslime in Deutschland noch stärker als deutsche Muslime verstehen, daß sie sich in diesem Land heimisch fühlen und sich noch stärker in seine gesellschaftlichen Belange einbringen und engagieren?« (Schäuble 2006: o.S.) Die Antwort darauf ist »Dialog«, denn um diese Fragen anzugehen, sei es notwendig »sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und darüber zu sprechen, was uns in unserer Verschiedenheit miteinander verbindet, und gleichzeitig ehrlich zu artikulieren, was uns trennt« (ebd.; Herv. J.W.). Der Problemhintergrund wird dabei recht komplex dargestellt: »In der Bundesrepublik leben heute mehr als drei Millionen Muslime. Die Mehrheit von ihnen lebt gerne hier, aber manchen ist Deutschland auch in der zweiten und dritten Generation immer noch fremd. Man tut sich schwer, die Sprache zu lernen, viele brechen die Schulausbildung ab, und entsprechend hoch ist die Arbeitslosenquote gerade unter Muslimen. Sie selbst und der Staat müssen darum alles tun, um ihre Integration gelingen zu lassen. Eine abgeschlossene Ausbildung und ein Arbeitsplatz sind die sicherste Grundlage für ein friedliches Miteinander, für gelingende Integration, weil sie im Ergebnis gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung durch Leistung bewirken. Und die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft muß ihr Bemühen verstärken, Vorurteile und Ängste und die daraus erwachsenden Diskriminierungen und Herabsetzungen abzubauen.« (Schäuble 2006) Eine spezifische Doppel-Perspektive durchzieht den gesamten Beitrag: Auf der einen Seite müssen »Muslime« sozioökonomisch gefördert werden, auf der anderen Seite aber müsse auch eine Wertedebatte ins Leben gerufen werden, die darauf abzuzielen habe, dass sich »Muslime« stärker mit der Mehrheitsgesellschaft identifizieren (Schäuble 2006). Schäuble erwähnt diese zwei Stränge, wenn er die Fragen stellt: »Wie können wir dahin kommen, daß möglichst viele Muslime in Deutschland sich als deutsche Muslime fühlen, sich mit diesem Land, seiner Sprache, seiner Kultur und seinen Gesetzen identifizieren, ohne dies als Widerspruch zu ihren religiösen Vorstellungen zu empfinden? Wie können wir die Arbeitslosigkeit gerade unter Muslimen senken und ihre Sprachfähigkeit und Landeskenntnis über Integrationskurse verbessern?« (Schäuble 2006; Herv. J.W.)
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Gouvernementalität der Freundschaft
Die DIK, die sich fortan explizit als »Dialog« bezeichnen wird, ist durch jene beiden komplementären Stränge gekennzeichnet. Das dystopische Imaginativ ist entsprechend die Vorstellung sozioökonomisch und kulturell-religiös segregierter »islamischer« Gesellschaften, in welchen sich sozioökonomische Probleme und kulturellreligiös bedingte Konflikte überlagern und verstärken und dessen »muslimische« Individuen sich – sowohl aufgrund des Erlebens von Diskriminierung und der eigenen benachteiligten Position als auch aufgrund religiöser Identitäten und Einstellungsmuster – von der Gesellschaft abgrenzen. In diesen segregierten, benachteiligten, religiös kodierten Gesellschaften mögen dann auch Extremismus und Fundamentalismus gedeihen. Das Risiko islamistischer Radikalisierung wird hierbei als eines der Kernprobleme betrachtet und regelmäßig im »muslimischen« Milieu in Deutschland verortet (Brettfeld u. Wetzels 2007; vgl. dort das Vorwort von Schäuble).9 Solche Vorstellungen rekurrieren auch auf die gängige Konfliktperspektive »Islam« vs. »Europa«, wenn es dann heißt: »Freilich verlief der Kontakt Europas mit dem Islam über Jahrhunderte ambivalent: Auf der einen Seite kam es zu einer geistigen, kulturellen, sozialen Befruchtung und Inspiration, auf der anderen Seite gab es aber immer auch Konflikte, oft genug gewaltsame.« (Schäuble 2006: o.S.) Obwohl »ein umfassender Kampf der Kulturen oder gar der Religionen […] nicht zu beobachten [sei]«, so Schäuble, sei es wahr, dass »manche Angehörige der muslimischen Bevölkerungsgruppen in Europa und in Deutschland Gefallen an islamistischen Botschaften gefunden haben, und leider [auch,] daß eine kleine Zahl sich zu terroristischen Gewaltakten berufen fühlt« (ebd.). Das Problem interreligiöser und interkultureller Konflikte sei, so Schäuble, »für Europa und Deutschland selbst nicht nur ein außenpolitisches« (ebd.). Es beziehe sich »nicht nur auf unser Verhältnis zur islamischen Welt, sondern wir müssen es auch innenpolitisch lösen« (ebd.). Hier kommt die Islamkonferenz ins Spiel. Schäuble schreibt: »Muslime in Deutschland sollen sich als deutsche Muslime fühlen können. Sie sollen als Bürger eines religiös neutralen, aber nicht religionsfreien demokratischen
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Diese Argumente sind in der durch die DIK initiierten Forschungsstudie von Brettfeld und Wetzels (2007) enthalten. Die Studie evoziert alleine schon durch die einzelnen Fragestellungen und das Forschungsdesign – die Frage nach politischen und ideologischen »Gesinnungen« von »Muslimen« – ein problemorientiertes Imaginativ: Das Bild traditionalistischer »islamischer« Religiosität und problematischer Moralvorstellungen, einer damit verbundenen religiös motivierten Selbstsegregation der »muslimischen« Gemeinschaften (die im schlimmsten Fall eine abwertende Haltung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft aufweisen könnten) und letztlich einer fehlenden Bereitschaft und/oder Fähigkeit von »Muslimen«, sich umfassend, vorbehaltslos und »erfolgreich« in die Mehrheitsgesellschaft einzubringen. Eine (mit den divergierenden Werten zwischen »Muslimen« und Gesellschaft verbundene) Nichtanerkennung von »Muslimen« durch die Gesellschaft und der damit einhergehende mangelhafte gesellschaftliche Erfolg von »Muslimen« würden sodann die Tendenz letzterer, sich in die »eigene« Gruppe zurückzuziehen, weiter verstärken. So sei auch eine gegenüber »Muslimen« diskriminierende Haltung der Gesamtgesellschaft für Abgrenzungsprozesse mit verantwortlich (Brettfeld u. Wetzels 2007). Die beiden Autor/-innen empfehlen Anstrengungen zur Verbesserung der gesellschaftlichen Integration von »Muslimen« (Bildungs- und Sprachförderung, Arbeitsmarktfördermaßnahmen), die aber von einer Debatte über Werte begleitet werden sollen, da die Desintegration eines Teils von »Muslimen« auch damit zusammenhänge, dass diese die Werte der Mehrheitsgesellschaft ablehnen.
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
Rechtsstaates gefeilt sein können gegen die Verlockungen und Irrwege terroristischer Extremisten.« (Ebd.) Integration wird hierbei zur Sicherheitsfrage (Rodatz u. Scheuring 2011; Tezcan 2007). Nur wenn »Muslime« sowohl sozioökonomisch in den Bildungs- und Arbeitsmarkt integriert als auch in einem identifikatorischen Sinne als »deutsche Muslime« willkommen geheißen werden, fallen gesellschaftliche Integration und Extremismusprävention günstig zusammen. Auch die in die DIK involvierten »muslimischen« Vertreter/-innen akzeptierten derweil im Großen und Ganzen die grundlegenden integrationspolitischen Motive der DIK. Sie begrüßten das staatliche Angebot des Dialogs, das ihnen wichtige Sprecherpositionen und Mitgestaltungsoptionen eröffnete, ohne freilich alle einzelnen Perspektiven, Ziele und Maßnahmen gutzuheißen (Tezcan 2012). Bekir Alboga bspw., DITIB-Dialogbeauftragter und damaliger Sprecher des neu gegründeten Koordinierungsrats der Muslime in Deutschland (KRM), sah in der DIK »die historische Gelegenheit, die Integrationspolitik für die kommenden Jahre mit den Muslimen abzustimmen und zu verbindlichen Vereinbarungen zu kommen« (Zitat von Alboga in einem FAZ-Artikel vom 10.04.2007; zitiert in: Tezcan 2012: 41). In der Praxis der Islamkonferenz erwies sich jener identifikatorisch-symbolische Strang eines »Welcoming Muslims into the nation« (Peter 2010) als dominant, wobei stets auch eine disziplinierende Komponente ausgespielt, d.h. die »Hausordnung« der Nation betont wurde (vgl. folgende Kapitel). Die DIK strebte dabei weniger religionsverfassungsrechtliche Vereinbarungen an als vielmehr einen umfassenden, auf »verbindliche[n] Absprachen« (Tezcan 2012: 40) beruhenden Gesellschaftsvertrag, der in der Form eines Suchens gemeinsamer Werte Ausdruck fand. Die DIK war und ist ein Wertedialog (Tezcan 2011b: 122): »The DIK seeks to create in the course of its long-term deliberations […] ›a collective will‹ which would facilitate and direct cooperation between state authorities and Muslims in the future decades. The DIK aims to ›elaborate agreements on important questions of living together. These cannot be agreements which are legally binding‹.« (Peter 2010: 129; die Zitate innerhalb des Zitats sind von Wolfgang Schäuble)10 Interessant ist der Fokus auf die inneren Dispositionen des Subjekts, auf dessen innere Werte, Überzeugungen, Einstellungen und auch Emotionen, die allesamt im Dialog zu modellieren sind. So fragt Schäuble: »Was bringt der beste Integrationskurs dem, der nichts Verbindendes finden will oder kann? Will man denn hier wirklich leben, wenn man die Sprache nicht erlernt? Darum reichen auch politische oder rechtliche Institutionen für gelingende Integration allein nicht aus.« (2006) Das erklärte Ziel der DIK ist es sodann, dass sich »Muslime in Deutschland […] als deutsche Muslime fühlen können« (Schäuble 2006; Herv. J.W.). So fokussiert der Dialog auf die emotionalen Dispositionen einer Bevölkerungsgruppe, wie es auch Peter beschreibt: »The DIK initiative
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So sagt Schäuble z.B. in einer Veröffentlichung der DIK in ähnlicher Weise: »Wir haben uns vorgenommen, Vereinbarungen zu wichtigen Fragen des Zusammenlebens zu erarbeiten. Das werden keine Vereinbarungen mit einer Verbindlichkeit in juristischem Sinne sein können. Aber als ergebnisoffener und zielgerichteter Prozess soll die Konferenz darauf hinarbeiten, einen gemeinsamen Willen herzustellen, der es Bund, Ländern und Kommunen ermöglicht, gemeinsam mit Muslimen zu handeln.« (Schäuble, in: DIK 2009a: 16)
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Gouvernementalität der Freundschaft
arises then, not out of a concern with respect of the German legal order by Muslims, but rather, out of a government attempt to target and transform emotional dispositions and habits of perception, thought and practice among Muslims.« (2010: 128-129) Diese Emotionalität des Dialogs, die sich in der (sprachlich) explizierten Dialogprogrammatik an einigen Stellen bereits andeutet, soll in dieser Arbeit genauer illustriert und mit der Frage nach dem Dialog als einer spezifischen Gouvernementalisierung von »Islam« und »Muslimen« verknüpft werden. In den oben und nachfolgend zitierten Analysen der DIK wird dieser Aspekt des Emotionalen derweil nur sehr knapp benannt und nicht analytisch aufgearbeitet. Es wird in dieser Arbeit noch zu zeigen sein, wie die Praxis lokaler Dialogprogramme Emotionalisierungspraktiken in die Techniken des Regierens integriert. Diese Bedeutung von Emotionalität für dialogisches Regieren wurde mir erst in der empirisch-ethnographischen Forschung zunehmend offenbar. Die bisher nur andeutbare Emotionalität wird daher in der vorliegenden Arbeit vor allem über die Darstellung der Feldforschung im lokalen Kontext als ein Ergebnis analytisch aufbereitet. Im Beitrag von Schäuble deutet sich jedenfalls auch an weiteren Stellen an, dass die angestrebte gesellschaftliche Eingliederung der »Muslime« emotionale Aspekte berühren würde. Schäuble schreibt: »Wenn wir uns einem Gemeinwesen zugehörig fühlen wollen, dann muß es etwas geben, was uns auf einer tieferen menschlichen Ebene miteinander verbindet: auf genau der Ebene, auf der auch Religion und Kultur, Werte und Identität angesiedelt sind.« (Schäuble 2006; Herv. J.W.) Ferner spricht er von »[der] ›Macht der Gefühle‹, die Europas Bürger miteinander verbinde und ihnen eine gemeinsame Identität geben könne« (ebd.). Die Integration von »Islam« und »Muslimen«, so Schäuble in einer anderen Publikation, müsse sowohl »im rationalen Bereich, also bei all den rechtlichen Regelungen und organisatorischen Strukturen, [als auch] im Emotionalen« (2009: 351) erfolgen. Hier avanciert der Dialog zu einem politischen Zugriff, der als »appeal to the emotional and ethical side of citizens‹ loyalty« (AmirMoazami 2011a: 8) in die »Seele«, in das Innere des Individuums zu greifen trachtet. Im Namen »echter« Vergemeinschaftung, »wirklich« harmonischen Zusammenlebens und »echtem« gegenseitigem Verständnis müssten sich alle gesellschaftlichen Gruppen – v.a. aber die »Muslime«, um die es in der DIK geht – auf emotionaler Ebene grundlegend mit den Werten einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung identifizieren sowie aus eigenem Wunsch heraus in die Alltagspraxis der (deutschen) Gesellschaft einfügen. Dies würde Integration und die Abwesenheit von Konflikten sicherstellen. Entsprechend dieser »gefühlvollen« Redeweise artikuliert sich die DIK-Programmatik im Gewand »großer«, ethisch-moralisch aufgeladener, auf Konzepte des »Guten« rekurrierender Begrifflichkeiten. Dies erinnert an die These von Rose und Miller (1992), der zufolge Regierungsrationalitäten oft moralische Imperative mobilisieren. Schäuble artikuliert: »Ich verbinde mit der Eröffnung des Dialogs mit den Muslimen die Hoffnung, dass alle verstehen, dass Muslime in Deutschland willkommen sind. […] Zu den Wirkungen, die diese Konferenz haben soll, gehört natürlich auch, dass unsere Gesellschaft stärker zur Kenntnis nimmt, dass Muslime Teil dieser Gesellschaft sind. […] Ich hoffe, dass es mit der Deutschen Islam Konferenz gelingt, nicht nur praktische Lösungen zu finden, sondern auch mehr Verständnis, Sympathie, Friedlichkeit, Toleranz und vor allen Dingen
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
mehr Kommunikation und Vielfalt zu schaffen und damit zur Bereicherung in unserem Land beizutragen.« (Wolfgang Schäuble, Rede auf der DIK, zitiert in: DIK 2009a: 19; Herv. J.W.) Zusammengefasst präsentiert sich der Dialog der DIK im Hinblick auf die gewählte »Sprache« als ein Projekt zivilisatorischen Ausmaßes. Es ist die Produktion »deutscher Muslime«, die, um zu solchen zu werden, die Vorzüge von Demokratie und Säkularität erkennen müssten. Reflexionen von Wolfang Böckenförde über den säkularen Staat zitierend, erklärt Schäuble: »Für die Christen hieße das, daß sie ›diesen Staat [den religionsoffenen säkularen Staat; Anm. J.W.] in seiner Weltlichkeit nicht länger als etwas Fremdes, ihrem Glauben Feindliches erkennen, sondern als die Chance der Freiheit, die zu erhalten und zu realisieren auch ihre Aufgabe ist‹. Dieser Satz gilt analog für die Muslime in Deutschland. Nehmen sie ihn ernst, werden sie deutsche Muslime.« (Schäuble 2006: o.S., zunächst Böckenförde zitierend; Herv. J.W.) Der angestrebte Gesellschaftsvertrag mit der »muslimischen« Bevölkerung impliziert dabei immer auch das Gegenteil, einen »Naturzustand, den Krieg aller gegen alle« (Tezcan 2012: 40). Der Dialog wird als notwendig artikuliert, damit es nicht zum Konflikt der Zivilisationen komme (APuZ 2006).
3.4.3
Zwischen der religionsrechtlichen Integration einer Religion und der bevölkerungspolitischen Integration von »Muslimen«: der Dialog als Führung
Im Folgenden soll jene Form des dialogbezogenen Regierens, die sich in der DIK ausdrückt, genauer auf ihre Rationalitäten untersucht werden. Die DIK stellt eine bedeutende Kristallisationsform der Regierungsform des Dialogs dar. Eine Linie innerhalb der Praxis der DIK manifestiert sich in der Bestrebung, »Islam« als Religion, d.h. als Ensemble von Praktiken, Traditionen, Wissensbeständen, moralischen Verhaltensanweisungen und religiösen Orten, zu integrieren und rechtlich sowie organisatorisch in Richtung einer Gleichstellung mit den »christlichen« Kirchen zu bringen. Diese diskursive Bewegung bringt Individuen nur dann »in ihrer muslimischen Existenz ins Spiel, sofern es um kultische Fragen geht (Beten/Gebetsräume, Religionsunterricht, Bestattung, Fasten etc.), die Gegenstand von religionsrechtlichen und politischen Regelungen sind« (Tezcan 2012: 42). Die in die DIK involvierten »islamischen« Verbände bevorzugten diesen Modus der Auseinandersetzung und erhofften sich darüber, ihre verfassungsmäßigen Rechte einfordern zu können, Gleichstellung mit den Kirchen zu erreichen und die Institutionalisierung des »Islam« in Deutschland voranzutreiben (Amir-Moazami 2011a: 10, b; vgl. auch die Beiträge in: Meyer u. Schubert 2011). Wie Tezcan jedoch zeigen konnte (2007, 2009, 2011a, b, 2012), dominierte in der Praxis eine andere Linie, nämlich die der Integration von »Muslimen« als Population. Dieser Modus definiert Individuen bezüglich ihres gesamten Daseins als »anders«, als »muslimisch« geprägt. Dieser Modus berührt folglich eine gewaltige Bandbreite an Themen des Zusammenlebens und der Lebensführung Einzelner. In diesem Modus fragt der Dialog der DIK vor allem,
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Gouvernementalität der Freundschaft
»ob die Einstellungen, Verhaltensweisen, Überzeugungen, die die Menschen aufweisen, gewisse Gefahren mit sich bringen« (Tezcan 2012: 45), und zielt damit auf die Integration großer Teile »der türkischen, arabischen, persischen (…) Bevölkerung« (ebd.: 41) ab, die nun als »Muslime« neu konfiguriert werden. Ein wichtiges Merkmal der Rationalität des Dialogs lässt sich in ebenjener diskursiven Form erkennen: der Integration von »Muslimen« als Bevölkerung. Genau an dieser Stelle erscheint der Dialog als eine Regierung im Sinne Foucaults (Tezcan 2012). Jenseits der rechtlichen Perspektive, die die »islamischen« Verbände einforderten, wurde also auf Initiative des Staates vornehmlich die kulturelle Kompatibilität einer religiösen Gruppe problematisiert. »Hence the various starting points reveal not only considerable asymmetries of power, but are also evidence of major miscalculations on the part of the negotiating partners as regards the aims, aspirations and demands of the Other.« (Amir-Moazami 2011a: 10) Viele Aspekte einer dezidiert religionsrechtlichen Inkorporation des »Islam« wurden schon lange vor der DIK thematisiert – seien es Fragen rund um Islamischen Religionsunterricht oder um Möglichkeiten der Anerkennung »islamischer« Verbände als Religionsgemeinschaften nach Artikel 7 Abs. 3 des Grundgesetzes (Dietrich 2006; BBMFI 2005). Wie Tezcan (2011b, 2012) darstellt, setzt der Dialog diesbezüglich bestenfalls einzelne Impulse. Grundsätzlich jedoch zielt er darauf ab, und dies ist das Neue an der Regierungsform, die Bedingungen für eine solche rechtliche Anerkennung neu zu eruieren und dabei der Frage nachzugehen, ob es unbedenklich sei, »islamische« Organisationen zu inkorporieren. Die DIK operiert über diese »Frage nach der Kompatibilität, Erwünschtheit, den praktischen Folgen dieses konservativen Islams [der involvierten Islamverbände; Anm. J.W.], der durch einen primär auf das Recht ausgerichteten Dialog enorme Unterstützung erhalten würde« (Tezcan 2012: 43). Diese »Prüfung« zeigt sich derweil mit dem artikulierten Wunsch nach Anerkennung (vgl. Peter 2010) eng verschnitten. Die DIK versucht dann, Einfluss auf den »Islam«, die »islamischen« Verbände und auf die von diesen (vermeintlich) repräsentierten »muslimischen« Milieus zu nehmen und strebt an, »Islam« und »muslimische« Lebensweisen auf eine solche Weise zu reformieren, dass rechtliche Institutionalisierungsfragen legitim werden (Schiffauer 2006a, 2008; Dornhof 2012). Den Hintergrund dafür bildet die Tatsache, dass die DIK primär »dem konservativen Islam, dem Islam der Verbände« (Tezcan 2012: 44) gilt. Gerade die »islamischen« Verbände werden als Organisationen artikuliert, »deren Achtungswürdigkeit in Frage gestellt wird« (Radtke 2011: 107). Insofern der Dialog der DIK als ein Dialog über Werte ausgerichtet wurde, erhielt er eine moralisierte Form, die letztlich die Anerkennbarkeit von Lebensformen (Radtke 2011: 107) verhandelt (Schiffauer u. Bojadziev 2009). Während nun der organisierte »konservative Verbands-Islam« in seiner weiteren Entwicklung geführt werden soll, werden Spielarten eines wie auch immer konfigurierten »säkularen, feministischen [oder] intellektuellen Islam« (Tezcan 2012: 44) – in der DIK durch die eingeladenen »muslimischen Individualisten« vertreten – aus staatlicher Perspektive eher als Bündnispartner gegenüber den traditionell organisierten Islamverbänden betrachtet. Die DIK widmet sich also vornehmlich jenem »wie auch immer geartete[m] Islam, welcher auf eine unbestimmte Weise mit dem sozial nicht verträglichen Verhalten der Schüler der Rütli-Schule, oder dem des Mörders von Theo van Gogh, oder dem des Ehrenmord-Täters etc. zusammenhängen könnte;
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
dem Islam, den man in der globalen Bilderflut unbeschwert – und nicht gänzlich zu Unrecht – in eine Assoziationskette mit der Burka, den Taliban oder der aufgeregten Masse der Karikaturen-Hasser bringen könnte.« (Tezcan 2012: 44; Herv. i.O.) Unter der »Sorge um die kulturelle Kompatibilität der Muslime« (Tezcan 2012: 46) operiert der Dialog als Instrument der Beeinflussung »muslimischer« Identität und damit als Regierung von Bevölkerung. Als Regierung wird Dialog durch jene Vorstellungen von »Islam« und »Muslimen«, die im obigen Zitat ausgedrückt sind, angetrieben. Es ist eine »von derartigen Ereignissen gezeichnete Situation, […] ein für diese Situation spezifisches Empfinden« (ebd.: 45), welches einen Dialog hervorruft, der diese Situation mit den »Muslimen« »klären« will. Die »islamischen« Verbände nahmen die in der Praxis der DIK vielfach eher implizit mitschwingende Infragestellung nicht nur ihrer Organisationsform, sondern des gesamten von ihnen repräsentierten Lebensentwurfs wahr und positionierten sich immer wieder auch durchaus kritisch gegenüber der DIK (Tezcan 2011b, 2012; Schiffauer 2008).
3.4.4
Sicherheitsrationalitäten und Wahrscheinlichkeitsannahmen im Regieren durch Dialog
In diesem Kontext wird derweil eine Versicherheitlichung von »Islam« und »Muslimen« angestrebt (Mavelli 2013), die dadurch erreicht werden soll, indem »Muslime« Anerkennung zugesprochen bekommen und durch Dialog in die (mehrheits-)gesellschaftlichen Verhältnisse involviert werden. Gesellschaftliche und politisch-symbolische Beteiligung, so die Logik, mache religiös und kulturell begründete Grenzziehungen und (Selbst-)Ausgrenzungen unwahrscheinlicher und gleichzeitig eine sukzessive Anpassung »muslimischer« Identitäten an gesellschaftliche Normalität wahrscheinlicher (Peter 2010; Rodatz u. Scheuring 2011). Die Integration in den Dialog, so Schiffauer »scheint der Königsweg dazu zu sein« (2008: 225), wobei sich der »Übergang von einer exkludierenden zu einer inkludierenden und kooptierenden Strategie […] in eine gesamteuropäische Sicherheitsstrategie ein[schreibt]« (ebd.). Tezcan (2012) und Schiffauer (2008) diskutieren hierbei, dass es gerade die im obigen Zitat (über »Karikaturen-Hasser« und »Rütli-Schüler«) ausgedrückte Wahrscheinlichkeitsannahme eines möglicherweise problematischen »Islam« ist, die die Form des Dialogs bestimmt. Würden die Zusammenhänge zwischen »Islam«, »muslimischer« Lebensführung und z.B. religiös begründeter Gewalt oder einer Integrationsunwilligkeit von »Muslimen« gänzlich entplausibilisiert werden, würde der Dialog in seiner jetzigen Form nicht existieren (stattdessen würde man bspw. einfach die rechtliche Gleichstellung »islamischer« Organisationen organisieren). Würden diese Zusammenhänge demgegenüber als zwingend und mit Sicherheit gegeben erachtet, so würden eher repressive Maßnahmen angewandt werden. Die gegenwärtige Problematisierungsweise von »Islam« und »Muslimen« jedoch greift Zusammenhänge zwischen »Islam«, Integrationsunfähigkeit oder religiösem Extremismus zwar auf, artikuliert diese aber als »lediglich« mögliche, partielle, diffuse, auf Verzerrungen des »Islam« basierende und/oder hinsichtlich ihrer Ursachen komplexe Verbindungen. Erst dadurch wird ein Dialog plausibel, der solche möglichen Problemzusammenhänge als Risiken konzipiert, sodann zusammen mit »Muslimen« bearbeiten
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Gouvernementalität der Freundschaft
will, dabei die Form des Gesprächs annimmt und »Muslime« dazu bringen möchte, die Möglichkeiten solcher Probleme ernst zu nehmen und aus eigenem Antrieb präventiv anzugehen. »Muslimen« werden somit Probleme, aber gleichzeitig auch die Fähigkeiten zugeschrieben, diese Probleme selbst zu lösen. Diese Positionierung der »Muslime« als Lösung ihrer eigenen Probleme ist als kennzeichnendes diskursives Moment des involvierend-anerkennenden und auf Ermächtigung setzenden Dialogs anzusprechen (Schiffauer 2008): »Durch Führung der Führung sollen Muslime als Muslime selbst für Ordnung, für berechenbare Verhältnisse in ihrem Milieu sorgen.« (Tezcan 2012: 53) Dies wird ihnen im Dialog zugetraut, wenn sie sich auf eine bestimmte Art und Weise ausrichten, die Unterstützung des Staates und der Gesellschaft annehmen und die Konfrontation mit »modernen«, »liberalen« und »säkularen« Varianten des »Islam« nicht per se scheuen (Tezcan 2012: 44-46, 2007, 2009; vgl. auch: Schiffauer 2006a, 2008; Rodatz u. Scheuring 2011; Rodatz 2012). Die soeben skizzierten Kraftlinien und Spannungen des Dialogs (Integration einer Religion durch Recht vs. Integration einer Bevölkerung; Anerkennung von »Muslimen« vs. Versuche, selbige an gesellschaftliche Verhältnisse anzupassen) werden in dieser Arbeit noch verschiedentlich diskutiert. So wird auch zu zeigen sein, inwiefern sich solche Spannungen in lokalen Dialogpraktiken manifestieren. In jedem Fall sind diese Spannungen von Relevanz für das Verständnis der Operabilität jener Regierungsform, die als »Dialog mit Muslimen« auch auf lokaler Ebene kulturelle und religiöse Differenz bearbeitet (vgl. Amir-Moazami 2011a, b). Im Folgenden soll auf die Organisationsform der DIK eingegangen werden. Dies geschieht im Aufgreifen der These, dass sich in der Ausgestaltung der DIK zentrale Merkmale, Ziele und auch Widersprüchlichkeiten der Regierungsform Dialog ausdrücken und daher eine weitergehende Analyse allgemeine Erkenntnisse über ein dialogisches Regieren von »Islam« generieren kann.
3.4.5
Die »Architektur« der Islamkonferenz und die Reformierung des »muslimischen« Feldes
Zur vorbereitenden Sitzung der ersten DIK im Jahr 2006 wurden seitens des Staates neben Vertreter/-innen der »islamischen« Verbände auch »muslimische« Einzelpersonen aus Wirtschaft, Journalismus, Kultur und Kunstwesen eingeladen, die bis dato wenig bis gar nicht als »Muslime« auftraten. Stattdessen schien ihre ethnisch-nationale Herkunft einen Islambezug ausreichend zu legitimieren (Tezcan 2012: 54). Bereits hier zeigt sich eine »Islamisierung« von Individuen sowie damit verknüpft eine staatliche Konturierung der »muslimischen« Bevölkerung in Deutschland. In ihrer ersten Form von 2006 bis 2009 setzte sich die DIK aus drei Arbeitsgruppen, einem Gesprächskreis und einem gemeinsamen Plenum zusammen. In den weiteren Phasen der DIK seit 2009 wurde dann weniger auf feste Arbeitsgruppen als auf einzelne Arbeitsausschüsse gesetzt, deren Mitglieder flexibler und themenbezogener immer wieder neu ausgewählt wurden (DIK 2009a).11 An der DIK partizipierten zusammengefasst folgende »Parteien« (nach Tezcan 2012: 54-55): staatliche Vertreter/-innen von Bund, Ländern 11
www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/DIK/01_UeberDieDIK/ueberdik-node.html;jsessionid=EA8E54DE4C2AD6191A3C6166852911A8.1_cid359, (04.04.2019).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
und Kommunen sowie Beobachter des parallel laufenden Nationalen Integrationsgipfels, Vertreter/-innen der »islamischen« Verbände in Deutschland, »nicht organisierte Muslime« (bspw. die islamkritische Publizistin Necla Kelek, die als »säkulare Muslimin« auftretende Anwältin Seyran Ateş, Unternehmer/-innen und Islamwissenschaftler/-innen wie auch Vertreter/-innen migrantischer Verbände) sowie nicht zuletzt eine Gruppe beobachtender Wissenschaftler/-innen – u.a. der in dieser Arbeit zitierte Levent Tezcan. Zu den »islamischen« Verbänden, die zur ersten DIK eingeladen wurden, zählten die mitgliederstärksten Dachverbände in Deutschland: zum einen die überwiegend »türkisch-muslimisch« ausgerichteten Verbände DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.), VIKZ (Verband der Islamischen Kulturzentren) und IR (Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland), deren größter Mitgliedsverband die IGMG (Islamische Gemeinschaft Millî Görüş) ist. Zudem partizipierten der ZMD (Zentralrat der Muslime in Deutschland), der in Bezug auf die Herkunftskontexte seiner Mitglieder eine pluralistischere Struktur aufweist (überwiegend nicht türkische, eher aus arabischen Staaten stammende »Muslime«) sowie zuletzt noch der AABF (Alevitische Gemeinde Deutschland e.V.). In späteren Phasen der DIK (von 2009 bis jetzt) kamen noch weitere Verbände dazu: der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland e.V. (ZRMD), die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e.V. (IGS), die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland e.V. (IGBD) sowie Ahmadiyya Muslim Jama̛at (AMJ).12 Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland war vertreten, jedoch nicht als islamischer Verband, sondern über Einzelpersonen, die interessanterweise als nicht organisierte »säkulare Muslime« in die Arbeitsgruppen involviert wurden (Tezcan 2012: 48). Die Wahl der Partizipanten war und blieb dabei ein Politikum. So wurde bspw. im Verlauf der DIK (zur zweiten Phase ab 2009) der Islamrat von der Konferenz ausgeschlossen, da Vertreter seiner Mitgliedsorganisation Millî Görüş einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterlagen oder sich in laufenden Verfahren befanden (Schiffauer 2006a, 2008). Die von der Regierung angebotene »ruhende Mitgliedschaft« wurde vom Islamrat abgelehnt (Tezcan 2012: 82). Daraufhin trat dann aus Protest auch der Zentralrat aus, der ohnehin eine Engführung der Konferenz auf Sicherheitsfragen sowie damit verknüpft eine allzu starke Problemperspektive auf »Islam« und »Muslime« bemängelte und keine echte Anerkennung der Verbände zu beobachten meinte (vgl. Beitrag im Deutschlandfunk vom 23.03.2014: »Islamkonferenz zwischen Dialog und Ausschluss«). Das Plenum der DIK setzte sich gemäß einer Logik der Symmetrie aus 15 Vertreter/-innen des Bundes, der Länder und der Kommunen (staatliche Seite) sowie aus 15 Vertreter/-innen der »Muslime« zusammen. Der DIK entsprang auch die Gründung des Koordinationsrates der Muslime (KRM) als Zusammenschluss von DITIB, ZMD, IRD und VIKZ. Gleichzeitig formierte sich aber auch »die Gruppe der ›nichtorganisierten Muslime‹ […]« (Tezcan 2012: 123). Denn um eine als angemessen erachtete Repräsentation des »Islam« in Deutschland zu gewährleisten, setzte die DIK hinsichtlich der »muslimischen« Dialogpartner auf eine gemischte Repräsentationsform. Entsprechend wurden sowohl die organisierten »Islam«-Verbände als auch nicht organisierte »muslimische« Individualisten eingeladen. Gemeinsam sollten die 12
www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/DIK/1UeberDIK/DIK2014Teilnehmer/dik2014teilnehmer-node.html, (18.08.2017).
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organisierten und nicht organisierten »Muslime« für die »muslimische« Bevölkerung sprechen. Diese Form wurde auch deshalb gewählt, weil die DIK nicht nur einen Dialog zwischen »Muslimen«, Staat und Gesellschaft, sondern auch einen innermuslimischen Dialog um Formen »muslimischer« Identität initiieren wollte. Viele der »muslimischen« Einzelpersonen artikulierten sich dabei als »liberale« und »säkulare« »Muslime«, betrachteten die »islamischen« Verbände als konservativ-orthodox und zeigten sich diesen gegenüber kritisch eingestellt. Gerade dies schien nun im Interesse der staatlichen Akteure zu liegen. Der Einbezug »muslimischer« Individualisten in den Dialog offenbarte sich als politisch mobilisierte Differenzlinie zwischen »säkularen Muslimen« und »konservativen Verbands-Muslimen«. Die DIK zielte dabei von Beginn an auf »materielle Erneuerungen in der muslimischen Milieustruktur« (Tezcan 2011b: 123). Innerhalb dieser staatlich evozierten innermuslimischen Auseinandersetzung sollte sich ein »gesellschaftsfähiges muslimisches Subjekt […] konstituieren« (Tezcan 2012: 64), welches eine pluralistische Haltung gegenüber »islamischer« Identität aufweist und nicht blind dem als konservativ-orthodox aufgefassten »Islam« der Verbände folgt. Hier zeigt sich wiederum, dass der Dialog trotz der Anerkennungsprogrammatik weniger auf die »Repräsentation einer fertigen Gruppe [zielt]« (ebd.: 64), sondern »auf die Bildung dieser Gruppe als eine repräsentierbare überhaupt« (ebd.: 64). Hierbei gestaltet sich die DIK als »Bildungsoffensive […], die das muslimische Subjekt kultivieren will« (ebd.: 65). Dies geschieht bereits über die staatliche Bearbeitung der Frage »Wer ist hier Muslim?« (Spielhaus 2011: Titel), d.h. über die Vergabe »muslimischer« Sprecherpositionen. Genau jener Mechanismus, der Anerkennung und (Re-)Formierung miteinander verbindet, erzeugt ein für den Dialog konstitutives Spannungsfeld, das in der vorliegenden Arbeit unter Rekurs auf die empirischen Untersuchungen zu lokalen Dialogpraktiken noch genauer beleuchtet werden soll. Natürlich kooperiert die DIK mit den »islamischen« Dachverbänden in Deutschland, die als religiöse Organisationen mit entsprechenden Angeboten (Gebetsräume, Einstellung von religiösem Personal usw.) und ihrer auf die Verbesserung der Möglichkeiten von Religionsausübung für »Muslime« zielender Agenda als Ansprechpartner erscheinen müssen. Entsprechend traten die Verbände selbst mit dem Anspruch auf, als legitime Repräsentanten der »muslimischen« Bevölkerung involviert zu werden (Tezcan 2011a, b, 2012). Die Verbände boten sich als »quasi-natürliche Ansprechpartner einer Regierungspolitik [an], die auf das Verhalten der Gläubigen Einfluss nehmen will« (Tezcan 2012: 68). Doch wurde gleichzeitig problematisiert, dass die Verbände nicht alle in Deutschland lebenden »Muslime« vertreten würden. Dieser Überlegung liegen Praktiken der Wissensproduktion zugrunde. Die politische Ökonomie, jene dem Machtmodus des Regierens zugrunde liegende Wissensform über die Zusammenhänge der Dinge (Foucault 2005 [1978]a), wird hier auf den Bereich der »muslimischen« Bevölkerung ausgeweitet. In der Anfangsphase der DIK galt es, ein Wissen über die innere Zusammensetzung und die Dynamiken der »muslimischen« Bevölkerung zu generieren. Die zu diesem Zweck initiierte Studie »Muslimisches Leben in Deutschland« (Haug et al. 2009) konnte aufzeigen, dass nur etwa ein Viertel aller »Muslime« in den Verbänden organisiert sind. Ergänzende Studien, wie etwa der Religionsmonitor 2008 der Bertelsmannstiftung, offenbarten ferner, dass nur etwa knapp die Hälfte der »Muslime« in Deutschland praktizieren, d.h. vor allem in die vielfach den Verbänden angehören-
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den Moscheen gehen würde (vgl. Tezcan 2012: 66). Vor diesem Hintergrund involvierte die Bundesregierung nicht organisierte »Muslime«, um den nicht praktizierenden »Muslimen« eine Stimme zu geben (Amir-Moazami 2011a, b). In der Folge »besetzen die Verbände ein Drittel der Sitze auf dem Plenum […], während der Rest den nicht-organisierten Muslimen zugesprochen wurde« (Tezcan 2011b: 124). Problematisch daran war, dass »die Beziehung der nicht-organisierten Muslime (auch genannt: Individualisten) zu der ›schweigenden‹ breiten Masse der ›nicht-organisierten Muslime‹ nur auf Mutmaßung basieren [konnte]« (ebd.: 124). Die Eingliederung von Personen wie Necla Kelek oder Seyran Ateş in die Gruppe der nicht organisierten »Muslime« erwies sich dabei als ein Politikum, als diese Personen öffentlich im Grunde vorwiegend als Islamkritikerinnen auftraten. Ateş oder Kelek wurden im Kontext der DIK als »säkulare muslimische Feministinnen« mobilisiert: Eine Subjektposition, die für die DIK sowie gegen die »islamischen« Verbände neu geschaffen wurde und aus der heraus bestimmte Werte und Normen vor allem hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses (individuelle Freiheit, keine Geschlechterapartheit) sowie eine säkulare und »modern-aufgeklärte« Haltung gegenüber Religion normalisiert werden sollten (Amir-Moazami 2011a, b). Gleichzeitig zeigte sich mit der Einladung nicht organisierter »Muslime« mit ihrem »in lebenspraktischer Hinsicht affirmativen Westbezug« (Tezcan 2012: 67), dass eine Reform der »islamischen« Verbände als notwendig erachtet wurde (ebd.; Amir-Moazami 2011a, b). Die »muslimischen« Individualisten bezogen dabei ihre Legitimität aus ihren »muslimischen« Biographien und definierten sich über ein »commitment to Western liberal notions of justice, autonomy, tolerance and individual rights« (Amir-Moazami 2011b: 15).
3.4.6
»Muslime« unter Bekenntnisdruck: Themen und Mechanismen der Führung »muslimischer« Lebensführung im Kontext der DIK
Amir-Moazami (2011b) und Tezcan (2012) zeigen, wie die Dialoginitiative der DIK jenseits von Fragen des Rechts auf die Führung der Lebensführung von »Muslimen« abzielt. Die in den Arbeitsgruppen der DIK behandelten Themen illustrieren eine »totale Perspektive, die die Initiative einnehmen will. Sämtliche Lebensbereiche werden zum Gegenstand der Verhandlungen erklärt.« (Tezcan 2012: 47) In den DIK-Arbeitsgruppen fanden sich über die Mitglieder des Plenums hinaus auch Wissenschaftler/-innen, Journalisten/-innen, politisch aktive Einzelpersonen und Expert/-innen aus diversen Handlungs- und Berufsfeldern ein. Die Arbeitsgruppe 1 fokussierte als Grundlagenarbeit einen anzustrebenden Wertekonsens zwischen »Muslimen« und Gesellschaft. Die Arbeitsgruppe 2 fokussierte auf Möglichkeiten religionsrechtlicher Institutionalisierung. Diese AG orientierte sich am stärksten an religionspraktischen Fragen und konnte Handlungsempfehlungen formulieren, die an frühere Regelungen und Verwaltungspraktiken andockbar waren. Die Arbeitsgruppe 3 fragte nach integrationsrelevanten Dimensionen in Wirtschaft und Medien. Hier ging es um die Benachteiligung von »Muslimen« auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt, um Engführungen in medialen Berichterstattungen sowie auch um mediale Kompetenzen von »Muslimen« (DIK 2009a). Die AG 3 empfahl letztlich allgemeine Maßnahmen der Sprach- und Bildungsförderung wie z.B. »die Einrichtung von Ganztagsschulen […] und [ein] verstärktes
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Werben bei muslimischen Eltern, ihre Kinder in Kindergärten/Vorschulen zu schicken [wie auch eine] Verbesserung der Betreuung bei diesen Einrichtungen« (Tezcan 2012: 50). Hier lässt sich nebenbei ein vielfach auftretendes Problematisierungsmuster erkennen, dem zufolge »muslimische« Eltern aufgrund religiöser Wert- und Moralvorstellungen wenig Vertrauen in öffentliche Bildungs- und Betreuungsinstitutionen hätten.13 Der sogenannte Gesprächskreis letztlich thematisierte sicherheitspolitische Aspekte rund um Islamismus und mögliche Präventionsansätze, wobei die »islamischen« Organisationen zur Mitarbeit in der Extremismusprävention angehalten wurden. Hierbei wurde eine islamistische Bedrohung innerhalb des »muslimischen« Milieus verortet (Rodatz u. Scheuring 2011). »[D]ie praktischen Verbindungen [der ›islamischen‹ Verbände; Anm. J.W.] zu anderen Ländern und das konservative Körperregime werden als besonders problematisch empfunden, sofern sie zugleich mit der Extremismus-Gefahr assoziiert werden können.« (Tezcan 2012: 78) Im »Gesprächskreis« verdichtete sich jenes diskursive Moment besonders deutlich, das »Islam« zum Sicherheitsrisiko erhebt (Mahmoud 2006; Tezcan 2007; Silvestri 2010; Mavelli 2013; Schiffauer 2008). Aufgrund des sensiblen Themas wurde diese AG bewusst als Gesprächskreis organisiert (DIK 2009a: 10). Die Sensibilität ist damit zu erklären, dass Vertreter/-innen der Sicherheitsorgane anwesend waren, das Thema auf Bedrohungslagen rekurriert und zudem die Verknüpfung von »Islam« und Extremismus konfliktvoll der Selbstbeschreibung der »islamischen« Verbände entgegensteht (Schiffauer 2008). Am Gesprächskreis nahmen auch Vertreter/-innen von Millî Görüş teil, einer Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde und dessen »legalistischer Islamismus [als] Vorfeld für weitere Radikalisierung« erachtet werde (Tezcan 2012: 51; dazu: Schiffauer 2008; Rodatz. u. Scheuring 2011). Aus den Diskussionen resultierte u.a. eine bundesweit operierende Clearingstelle, die Sicherheitsbehörden und »muslimische« Organisationen vernetzen, Sicherheitspersonal interkulturell schulen und »Experten für Dialogveranstaltungen […] vermitteln« sollte (Tezcan 2012: 52). Die Sicherheitsperspektive zielte dabei sowohl auf »islamistischen« Extremismus als auch auf islamophobe Tendenzen (Amir-Moazami 2011b: 19). Verknüpft mit dem Sicherheitsmotiv wurde im Zuge der DIK die Frage nach gemeinsamen Werten und Normen behandelt – mit auffälligem Schwerpunkt auf Geschlechternormen und Sexualmoral. Dies geschah v.a. in der AG 1. Es war diese »WerteAG«, die in besonderem Maße den Rahmen für jene Technologien stellte, in denen sich die dialogische Rationalität ihre Gestalt gibt: die Technologien des Gesprächs zur Schaffung einer Auseinandersetzung über die Werte des »Anderen« (Schiffauer 2008; Radtke 2011; Tezcan 2012; Amir-Moazami 2011a, b). Programmatisch zielt die Dialogpraxis dabei auf Vergemeinschaftung und Konsens. In den Diskussionen der AG 1 wurde »muslimische« Lebensführung jedoch vorab als deviant konstituiert, wobei bestimmte Einstellungen und Praktiken einem auf Normalisierungsprozessen beruhenden Anpassungsdruck unterworfen wurden (Radtke 2011). Dies geschah unter Bezugnahme auf
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Vgl. zu dieser Sorge die Studien von Uslucan (2009, 2011), Karakaşoğlu-Aydın (2000), Brettfeld und Wetzels (2007) sowie El Mafaalani und Toprak 2017; zudem: DIK 2009a; KQI 2012 (eine Handreichung des »kommunalen Qualitätszirkels zur Integration« zum Umgang mit religiöser Vielfalt); Gesemann 2006a.
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Werte und Normen, die trotz des dialogischen Anspruchs als unverhandelbar gesetzt wurden: z.B. das Primat individueller Freiheit gegenüber kollektiver religiöser Normativität oder Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit, die keine religiöse Ungleichbehandlung zulassen (Amir-Moazami 2011a, b). »These […] working groups have a logic inscribed onto them, which aims at generally examining and targeting Muslim behaviour, life conduct and corporal practices such as veiling.« (Amir-Moazami 2011b: 19) In einem DIK-Papier heißt es: »Die Kernfragen eines guten Miteinanders aller Menschen in Deutschland, gleich welchen Glaubens oder welcher Weltanschauung, und die Werteordnung des Grundgesetzes (GG) stehen im Zentrum der Arbeitsgruppe 1. Hier geht es beispielsweise um den Schutz der Grundrechte, die Säkularität als Ordnungsprinzip, die demokratische Willensbildung und die politische Teilhabe von Muslimen. Weitere Themenaspekte […] sind Erziehungsfragen sowie Wertevermittlung in der Familie oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Zu den ersten Maßnahmen dieser Arbeitsgruppe zählt ein Forschungsprojekt, das aussagekräftige Daten von Muslimen in Deutschland ermitteln soll.« (DIK 2009a: 8) In dem Moment, in dem staatliche Institutionen in eine Beziehung mit einer ganz bestimmten religiösen Gruppe treten und mit selbiger Fragen dieser Art diskutieren, muss jene Gruppe als problematisch erscheinen: als eine Gruppe, mit deren grundlegenden Werten ggf. etwas nicht stimmt, mit welcher offenbar noch Fragen diskutiert werden müssen, die im gesellschaftlichen Common Sense als beantwortet erscheinen. Hierbei wird dann auch das Motiv des Bekenntnisses zentral. »Muslime« sollen öffentlich anerkennen, dass, wie es in einem DIK-Papier heißt, »Deutschland […] sich als europäisch gewachsene Kulturnation [versteht] und […] ein freiheitlich verfasster demokratischer Rechtsstaat [ist]« (DIK 2009b: 6) – und sich dann zu dieser Ordnung bekennen. Von den Vertretern der »muslimischen« Verbände wurde erwartet, sich nicht nur zum Grundgesetz, sondern auch zu dessen Werteordnung zu bekennen. Ein Resultat dieser Wertedebatte war eine von »muslimischen« Vertreter/-innen unterzeichnete Stellungnahme, die sich auf den Wertekonsens bezog (DIK 2009b: 5-6) und in Übereinstimmung mit staatlichen Problembeschreibungen eine mangelhafte gesellschaftliche Integration der »Muslime« in Deutschland als Problem anerkannte (ebd.: 5). Wenig überraschend, war das Entwerfen gemeinsamer Ergebnispapiere von Konflikten bezüglich der Formulierungen geprägt (Tezcan 2012: 48; Schiffauer 2008). So stellte der Koordinationsrat der Muslime in einem Änderungsvorschlag fest, dass der deutsche Staat, »wie jeder moderne Verfassungsstaat seine Bürger nicht auf Werte fest[legt], nach denen sie ihr Leben gestalten« (zitiert in: Tezcan 2012: 111). Dennoch wurde darauf bestanden, dass sich die »islamischen« Verbände in gemeinsamen Ergebnispapieren einer Werteordnung des Grundgesetzes verschreiben. »In diesem Kontext wird sich bisweilen der umstrittene Begriff ›Leitkultur‹ aufdrängen, dann aber auch gleich wieder zurückgenommen werden, um letztlich doch im Hintergrund als Leitgedanke zu operieren.« (Tezcan 2012: 49) Das Bekenntnis an eine »deutsche Leitkultur« konnte nie allzu explizit eingefordert werden, da es innerhalb des auf Pluralismus und Anerkennung basierenden, liberal eigefärbten Dialogparadigmas keine volle Legitimität erhält (Schiffauer 2008; Tezcan 2012: 109-110, 118). Der Dialog der DIK bestand auf einem Bekenntnisritual gegenüber
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Werten, konnte es aber kaum begründen. Die »islamischen« Verbände sahen sich angesichts solcher Forderungen in ihrem »Recht auf Differenzpflege« (ebd.: 118) beschränkt (Amir-Moazami 2011a, b; Peter 2010; Malik 2013). Vielfach wurde in der DIK versucht, »autoritative Empfehlungen der muslimischen Vertreter« zu generieren (Tezcan 2012: 50), die »zur Regulierung des multikulturellen Alltags bei verschiedenen Fragen wie Schwimmunterricht, Klassenfahrt, Kopftuch etc. dienen sollten« (Tezcan 2011b: 129). Obschon die Themen der ersten DIK (2006-2009) formal vergleichsweise allgemein formuliert sind (Familie, Bildung, Geschlechtergerechtigkeit), enthielten sie, wie Amir-Moazami zeigt, konkrete Erwartungen an das Verhalten der »muslimischen« Bevölkerung (2011a, b). Ein Misstrauen gegenüber traditionellen religiösen Identitäten und »muslimischer« Frömmigkeit hätte fast alle Diskussionen durchzogen (Amir-Moazami 2011a: 7). »Islam« und »Muslime« wurden vielfach in ein antagonistisches Verhältnis zur freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung gestellt. Dabei übersetzten sich gerade die Motive der Geschlechtergleichheit und -gerechtigkeit »into preformulated topics and criteria such as the ›need for Muslim girls to participate in mixed sports classes at school‹, the ›behaviour of Muslim boys visà-vis non-Muslim girls‹ or the ›amelioration of the situation of Muslim women in Germany’« (Amir-Moazami 2011b: 19).14 Die Wunschvorstellung, dass möglichst alle »muslimischen« Kinder und Jugendliche an koedukativem Schwimmunterricht, Klassenfahrten und Sexualunterricht teilnehmen, und der Gedanke, dass dies für »Muslime« ein Problem sein könnte (Tezcan 2012: 49), zeigten sich als primäre Aufhänger für »dramatisierte« Wertediskussionen (Radtke 2011), die »Muslime« als Subjekte problematisierten, die sich entlang divergierender Moralvorstellungen von der Gesellschaft abgrenzen. Die Teilhabe bspw. an gemischtgeschlechtlichem Sportunterricht wurde dabei als Norm gesetzt (Amir-Moazami 2011b: 21). Unter Rekurs auf das Ideal der Geschlechtergleichheit definiert der »liberale« Dialog Abweichungen und rahmt diese als »in need of being reshaped through dialogue instead of through legal sanctions« (ebd.: 21). Christine Langenfeld, die für die DIK als wissenschaftliche Expertin involviert war, delegitimiert die religiös begründete Abwesenheit »muslimischer« Kinder vom Schwimm- und Sportunterricht mit soziologischem Blick auf die Segregationsproblematik. Sie schreibt: »Kann es sich ein islamischer Verband wirklich zur Aufgabe machen, Eltern systematisch dabei zu unterstützen, ihre Töchter vom schulischen Sportunterricht abzumelden und hierbei auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verweisen, das entschieden hat, dass Schülerinnen muslimischen Glaubens, die sich wegen der aus ihrer Sicht verbindlichen Bekleidungsvorschriften des Korans außerstande sehen, am koedukativen Sportunterricht teilzunehmen, einen Anspruch auf Befreiung vom Unterricht haben? Müssten die Verantwortlichen in den Verbänden hierbei nicht auch bedenken, dass damit Mädchen möglicherweise in eine Außenseiterrolle innerhalb des Klassenverbandes gedrängt werden?« (Langenfeld 2009: 202; in: DIK 2009a) Das Abmelden »muslimischer« Kinder sei ein Integrationsproblem, weil diese damit »erstens von dem Rest der Klasse isoliert Parallelwelten bilden [würden], und weil da14
Für Studien, die »muslimische« Gendernormen problematisieren, siehe: Gesemann 2006a; DIK 2012; El Mafaalani u. Toprak 2017; Schröter 2016a; teils auch: Behr et al. 2009.
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mit zweitens eine ethische Haltung gefördert wird, die auf Dauer ungünstig für eine moderne Geschlechterbeziehung [sei]« (Tezcan 2012: 117). Während der damalige Vorsitzende des Koordinierungsrates der Muslime, Axel Ayyub Köhler, die Pflicht religiöser Organisationen betonte, die Wünsche ihrer Mitglieder zu unterstützen, stellte die damalige Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer jede Diskussion als per se illegitim dar. Während kulturelle Vielfalt, so Böhmer in einem Artikel der WELT, grundsätzlich bereichernd sei, könne man im Hinblick auf Geschlechtergleichheit keine Kompromisse eingehen. Böhmer stellte Geschlechtergerechtigkeit als etwas dar, dass nur dann herrschen würden, wenn »muslimische« Mädchen an gemischtgeschlechtlichem Sportunterricht und an Klassenfahrten teilnehmen. So dürfe nicht zugelassen werden, »dass eine kleine Minderheit von Rückwärtsgewandten hier die Regeln ihrer Großväter zu installieren versucht«.15 Obschon gemischtgeschlechtlicher Sport- und Schwimmunterricht auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft nicht unumstritten ist (und auch nicht in jedem Bundesland praktiziert wird), wird eine Partizipation von »Muslimen« eingefordert (Amir-Moazami 2011b: 22; Tezcan 2011b, 2012). Die DIK schien durchweg vom dystopischen Imaginativ beeinflusst, »that Islamic sexuality and gender conceptions contradict liberal norms and ultimately support the Muslims‹ gradual segregation from society at large« (Amir-Moazami 2011b: 22; die Sorge vor Segregation drückt sich derweil auch in einer Reihe von Studien aus, die im Kontext der DIK entstanden sind und/oder mobilisiert wurden: DIK 2009b; Uslucan 2009, 2011; Nagel 2009; Langenfeld 2009).16 Die von manchen »Muslimen« verteidigte Geschlechtertrennung in spezifischen Kontexten avancierte zum Signifikanten für etwas Größeres, für eine grundlegende Inkompatibilität zwischen »Muslimen« und Mehrheitsgesellschaft. Jede Form religiöser (Selbst-)Zwänge oder (Selbst-)Beschränkungen wurde per se als illiberal aufgefasst und als Grundlage für die Konstruktion »muslimischer« Devianz mobilisiert, die fortan »is made responsible for a whole set of problems located within Muslim communities, but not within the structural conditions of society at large« (AmirMoazami 2011b: 22). Es zeigt sich, dass die im Dialog zitierten Paradigmen kultureller Vielfalt und Anerkennung von normativen Bedingungen der Anerkennung durchzogen sind, die »Muslime« erfüllen müssen, um als »healthy liberal subject[s]« (AmirMoazami 2011b: 22) zu gelten (Hess, Binder u. Moser 2009; Karakayali 2009). »Toleranz« und »Anerkennung« erscheinen hier als diskursive Mechanismen, die den Praktiken der Machtausübung zugrunde liegen, über die die Anpassung kultureller Minderheiten artikuliert wird (Dornhof 2012; Peter 2010; Yildiz 2012). Das Motiv des »Den-Anderenverstehen-Wollens« erscheint als Konstitutionslogik eines Raumes, in dem sich Normalisierungsprozesse entfalten. Dornhof schreibt: »In the field of integration policy, this rationality results in declaring Muslims the object of state tolerance, attaching conditions to their being accepted and thus creating links between processes of recogni15 16
https://www.welt.de/politik/article842814/Muslime-kritisieren-Innenminister.html, (14.08.2017). In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, dass in der DIK »weibliche Muslime« lediglich durch die Subjektposition säkularer muslimischer Feministinnen repräsentiert wurden (AmirMoazami 2011b: 14, a; Tezcan 2011a, b). Jene Gruppe »comprise a growing number of academics, activists and also politicians who challenge a conception of Islam as a normative form of life conduct from ›within‹ or who sometimes retreat from Islam as a discursive tradition altogether« (AmirMoazami 2011b: 15).
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tion, normalization, attribution of difference and marginalization.« (2012: 385) Solche Aushandlungsprozesse im Modus des Dialogs, so Amir-Moazami zusammenfassend, »are […] highly relevant to scrutinise as sites of the micro-political functioning of liberal democratic institutions and practices of state politics vis-à-vis minorities« (2011b:14). Die Regierungsform des Dialogs zielt, so ein Resümee, nicht vordergründig auf die Auslotung von Minderheitsrechten oder auf Möglichkeiten rechtlicher Sanktionierung (Amir-Moazami 2011b; Schiffauer 2007). Vielmehr manifestiert sich der Dialog der Islamkonferenz jenseits des Rechts als pädagogisch-erzieherische Regierungsform (AmirMoazami 2011b: 20; Tezcan 2012; Schiffauer 2006a, 2008), die als Normalisierung »muslimischer« Subjektivitäten ein Zusammenfallen »muslimischer« Lebensführung mit der Normativität der Gesellschaft wahrscheinlich machen soll (Peter 2010; Tezcan 2009, 2012; Dornhof 2012). Diese auf »Muslime« gerichtete Integrationspolitk sei »much more about normalising […] practices through dialogue and education« (AmirMoazami 2011b: 20; Herv. J.W.) und sei gezeichnet durch den »attempt to smoothly but authoritatively transform Muslims into liberal democratic subjects« (ebd.: 20). Es geht um Verhalten und Gesinnung der »muslimischen« Bevölkerung, womit die DIK als eine »politics of behaviour« (Rose 2000b) interpretiert werden kann. Obschon jedwede der in der DIK diskutierten Verhaltensweisen von »Muslimen« (Kleiderordnungen, Geschlechterapartheid usw.) nicht als Rechtsverstöße betrachtet wurden, unterwarf der Dialog diese Aspekte des Lebens der Frage nach Angemessenheit. Der Dialog problematisierte jene »intimate sphere of individuals« (Amir-Moazami 2011b: 20), in welcher sich »the inner logics of personal behaviour and life conduct« formieren (ebd.: 20). »Muslimische« Werte und Normen wurden als »somewhat disturbing« (ebd.: 20) artikuliert, »yet as not necessarily transgressing legality« (ebd.: 20). Viele in der Vergangenheit bereits rechtlich/gerichtlich bearbeitete Lebensführungsaspekte wurden in der DIK im Modus der Moral neu aufgeworfen.17 So ging es um Fragen »ideally detached from the domain of ›rights‹ in liberal thought« (ebd.: 20). Letztlich argumentierten gerade die »islamischen« Verbände vielfach dezidiert unter Rekurs auf die deutsche Rechtsordnung, so in etwa Repräsentant/-innen von Millî Görüş, die in der Frage gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterrichts auf das Grundrecht der Nichtverletzung religiöser Gefühle hinwiesen (Amir-Moazami 2011a: 11). In öffentlichen und politischen Debatten wie auch im Kontext der DIK wurde dieses Rekurrieren auf das Grundgesetz jedoch nicht als Integration der »Muslime« in das Rechtssystem aufgefasst, sondern als »Ausnutzen« des liberalen Rechts für illiberale Lebensweisen gedeutet (Schiffauer 2007; Amir-Moazami 2011a, b).
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»Muslimische« Organisationen haben in den letzten Jahren vielfach in juristischen Arenen ihre Rechte eingefordert. Gerichtliche Entscheidungen in Deutschland erlaubten es »Muslimen« bspw., Kopftücher an öffentlichen Schulen zu tragen oder rituelle Schächtungen durchzuführen (AmirMoazami 2011b: 20). Bezüglich der Teilnahme »muslimischer« Mädchen an gemischtgeschlechtlichem Sport- und Schwimmunterricht entschieden Gerichte in den 1990er Jahren, dass diese das Recht auf ihre Abwesenheit geltend machen dürfen. Nachdem aber diese Praktiken zu Gegenständen öffentlicher Integrationsdebatten wurden, mehrten sich seit den 2000er Jahren gerichtliche Gegenentscheidungen, die die Sonderrechte für »Muslime« als unzulässig markierten oder relativierten (ebd.).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
3.4.7
Die Formung säkularer Religiosität und die Frage nach Loyalität
Wie die Analysen von Amir-Moazami (2011a, b), Peter (2008, 2010), Schiffauer und Bojadziev (2009), Schiffauer (2008), Tezcan (2007, 2009, 2011a, b, 2012), Dornhof (2012) und Malik (2013) zeigen, enthält der »Dialog mit Muslimen« als Regierungspraxis eine Re-Konfigurierung von Religiosität. Die DIK zielte keineswegs auf alle »Muslime«, sondern vornehmlich auf die Ansprache des »konservativen Islam« der Islamverbände. Dieser wurde mit Milieus in Verbindung gebracht, in denen eine auf Abgrenzung gegenüber der Gesellschaft beruhende, konservativ-orthodoxe religiöse Haltung gedeihen würde. Den »islamischen« Verbänden wurde vorgeworfen, eine Religiosität zu fördern, die entlang der moralischen Unterscheidung rein/unrein operiert und das »muslimische« Subjekt dazu anleitet, diese Unterscheidung zum Orientierungspunkt im Umgang mit der Gesellschaft, mit »Nichtmuslimen« oder in der Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse zu machen (Tezcan 2012: 74-78; Amir-Moazami 2011a).18 Die nicht organisierten »Muslime« in der DIK warfen genau dies den »islamischen« Verbänden vor und assoziierten sich damit mit staatlichen Steuerungszielen. In diesem Zusammenhang nahm die Praxis der DIK durchaus auch auf Religion Einfluss. Denn jene Form der Religiosität, die eine »Sorge um Reinheit« betont, wurde zum Antagonisten gemacht und der Reform unterworfen. Aus integrationspolitischer Motivation heraus stellte sich die Frage, »inwiefern die gemischt-geschlechtlichen, multi-kulturellen sozialen Räume [der mehrheitsgesellschaftlichen Felder; J.W.] von den jungen Menschen [gemeint sind junge, organisierte ›Muslime‹ mit konservativer Religiosität; J.W.] ebenfalls als selbstverständlich gelebt oder eher als eine praktische Herausforderung erfahren werden und mit welchen Kulturtechniken sie die Spannungen bearbeiten« (Tezcan 2012: 77). Erreicht werden sollte »vornehmlich das Milieu von denjenigen konservativen Muslimen […], deren kulturelle Orientierung mehr oder weniger an den verschiedenen Konfliktthemen wie Kopftuch oder der Nichtteilnahme am Sport- und Schwimmunterricht, an der Klassenfahrt etc. ausschlaggebend ist« (Tezcan 2011b: 123), wobei es auch »dieses
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Tezcan schreibt (2012: 74-78), dass es zwar zunächst unklar sei, inwieweit es angemessen ist, anzunehmen, dass die »islamischen« Organisationen (DITIB, VIKZ, Islamrat, IGMG, ZMD) eine solche Religiosität vertreten würden. So gäbe es selbst innerhalb der konservativen bis fundamentalistischen Verbände (wie z.B. Millî Görüş) durchaus reformerische und integrationsoffene Ansätze der neuen Generationen. Gleichzeitig aber markiert Tezcan eine desintegrativ wirkende, orthodoxe »islamische« Religiosität durchaus als nicht unbedeutenden Strang im »islamischen« Feld sowie als Element der gemäß Tezcan konservativen Großverbände (vgl. auch: Schröter 2016a, b). Tezcan beschreibt die Wirkungsweisen eines »konservative[n] muslimische[n] Blick[s]« (2012: 75), aus dem heraus die westliche und moderne Welt als unmoralische Sphäre erscheinen würde – dies vor allem im Hinblick auf die Sexualmoral. Er konstatiert: »Als praktizierender Muslim orientiert man sein Leben größtmöglich und gemeinschaftlich an den Geboten der Schrift. Das Verhältnis zur Umwelt wird weitgehend durch die Sorge um Reinheit begleitet.« (2012: 75) Hinsichtlich der »islamischen« Verbände schreibt Tezcan: »Nahezu in allen Gruppierungen üben sich junge Menschen praktisch, mit unterschiedlicher Intensität und Konsequenz, in gleichgeschlechtlichen Milieus in ein reglementiertes Körper-/Diätregime ein, das mit dem Code ›rein/unrein‹ operiert.« (Ebd.: 77)
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Gouvernementalität der Freundschaft
Milieu [sei], bei dem eher ein geeigneter Boden für eine religiös motivierte Gewaltorientierung vermutet wird« (ebd.: 123). Das Problem aus Regierungsperspektive sei nun, dass dieses »muslimische« Milieu über den Einbezug der »islamischen« Verbände erreicht werden sollte, »die islamisch-konservative Orientierung dieser Verbände [jedoch] für diese Praktiken verantwortlich gemacht wird« (ebd.: 123).19 Somit drückte sich in der DIK sowohl aufseiten staatlicher Vertreter/-innen als auch der »muslimischen« Individualisten die Sorge aus, dass »die Einbeziehung dieser Gruppen und ihre Aufwertung als Repräsentanten des Islam genau die Produktion dieser Kultur fördern [könnte]« (ebd.: 123), von der angenommen wurde, dass sie Spielräume für Extremismen zulassen könnte (Rodatz u. Scheuring 2011). Auch deshalb involvierte die Bundesregierung ebenfalls die »muslimischen« Individualisten als »säkular-liberale« Sprecher/innen, die die Verbände fortan mit Reformimpulsen konfrontieren sollten. Die Involvierung »säkularer Muslime« redete v.a. jener Position das Wort, die Religiosität als innere Angelegenheit beschrieb, die öffentliches Zusammenleben nicht beschränken dürfe. Die DIK stimulierte folglich »die nicht-organisierte Religiosität als Subjektposition« (Tezcan 2012: 91). Die diskursive Artikulation »säkularer Muslime« rief derweil die Paradoxie hervor, eine Gruppe, die den Glauben als etwas Privates versteht, in ihrer religiösen Identität anzurufen und zu institutionalisieren. Die »säkularen Muslime« verteilten sich im Plenum auf zwei Drittel der für die »Muslime« reservierten Sitze und wurden direkt vom Staat ausgewählt. Die Subjektposition des »säkularen Muslims« wurde im öffentlichen Islamdiskurs teilweise bereits vorproduziert, indem Individuen mit bestimmter Familien- oder Migrationsgeschichte vielfach per se und jenseits der Frage nach praktizierter Religiosität öffentlich als »Muslime« auftraten (Spielhaus 2013; Tezcan 2012: 90-91).20 Die »säkularen Muslime« lehnen religiöse Repräsentation und Organisation ab. Deren »Islam« sei »kein kommunaler Islam« (Tezcan 2012: 94), und »sie fürchten sich vor einer Invasion der orthodoxen Religion« (ebd.: 95). Sie plädieren für eine Integration als
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Ein Beispiel hierfür wäre der Umgang mit Millî Görüş. Jene als legalistisch-islamistisch bewertete Organisation sollte den Zugang in die konservativ-muslimischen Milieus möglich machen, »die als anfällig gegenüber dem Extremismus betrachtet werden« (Tezcan 2012: 82; Schiffauer 2008; Rodatz u. Scheuring 2011). Natürlich nahm der Islamrat, dessen größte Mitgliedsorganisation Millî Görüş ist, diese staatliche Anrufung als vermeintlicher Repräsentant eines »extremismusanfälligen« Milieus nicht an, auch wenn diese »Qualifizierung« (Tezcan 2012: 82) der Organisation eine politische Sprecherposition verschaffen konnte. Viele »säkulare Muslime« forcieren eine Reform des »Islam« und der Verbände (z.B. Necla Kelek, Seyran Ateş oder die später zur DIK eingeladenen Hamed-Abdel Samad und Ahmad Mansour). Ateş in etwa »konzentriert sich […] auf eine sexuelle Revolution im Islam« (Tezcan 2012: 96), mittels welcher die (aus ihrer Sicht) auf exklusivistischer Gruppenbildung beruhenden Moralitätsdogmen der »islamischen« Verbände untergraben werden könnten. Necla Kelek hingegen bewegt sich hart an der Grenze zur gänzlichen »Islam«-Ablehnung, sieht sich selbst aber als Reformerin und »Muslimin«. Sie möchte »den repressiven Charakter der konservativen muslimischen Kultur, das Band zwischen den Rollenbildern einerseits, die zu Gewaltpraktiken, zur sexuellen Unterdrückung führen, und dem Islam der Verbände andererseits, bloßlegen« (Tezcan 2012: 97). Andere Vertreter/-innen wie z.B. Navid Kermani treten in gemäßigter Art und Weise für einen »Islam« jenseits festgefahrener Traditionsbewahrung ein, der selbstbewusst in der Gesellschaft auftritt (ebd.: 9499).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
Bürger/-innen und gegen das Übergreifen von Religion auf politische Handlungsfelder. »Muslimische« Identität sollte ihnen gemäß nicht politisiert werden. Den Verbänden und Moscheen werfen sie die »Etablierung islamistischer Rechtsnormen« (Tezcan 2012: 95) in einer säkularen Öffentlichkeit vor. Diese säkulare Position möchte das Innenministerium forcieren, da mit der Verinnerlichung und Individualisierung des Glaubens eine potenziell tolerantere, jedenfalls weniger dogmatische Haltung des gläubigen Subjekts verknüpft wird (Tezcan 2011a, b; Amir-Moazami 2011a, b; für teils ähnliche politische Zielsetzungen im US-amerikanischen Kontext: Mahmoud 2006; für Frankreich: Mavelli 2013; für UK: O’Toole et al. 2016; zur Neujustierung »islamischer« Religiosität im Kontext von Religionsunterricht: Schiffauer 1997a). Im Zuge der Reformierung des »Islam« setzt die DIK »auf die bereits bestehenden Stimmen der säkularen Migranten« (Tezcan 2012: 91) und »ermutigt sie dazu, ihre Stimmen im Religionsdiskurs zu erheben« (ebd.: 91). Seyran Ateş warf in einer Rede auf dem DIK-Plenum den Gedanken an jene paradoxe Organisation der »Nichtorganisierten« auf. Sie sprach: »Die säkularen Muslime sind aber nicht organisiert. Das stimmt! Weil es dem Verständnis, dem Selbstverständnis der säkularen, fortschrittlichen, modernen, zeitgemäßen – wie auch immer sie sich bezeichnen oder bezeichnet werden – Muslime und Musliminnen widerspricht. Frau Merkel hat es gerade erwähnt, der Glaube ist etwas sehr Persönliches. Das zu organisieren, gar zu institutionalisieren bedeutet für viele Muslime und Muslimminen ihre Religion zu politisieren. Sie wollen ihren Glauben nicht wie ein Schild vor sich herschieben und zeigen. Das wollen sehr viele Muslime nicht. Sie werden die schweigende Mehrheit genannt.« (Redebeitrag von Seyran Ateş auf dem vierten Plenum der DIK am 25.06.2009 in Berlin; zitiert in: Tezcan 2012: 91-92) In derselben Rede jedoch sagte Ates: »Nichtsdestotrotz sehen immer mehr säkulare Muslime, dass sich daran etwas ändern muss. Denn der Islam kann und darf nicht den existierenden Verbänden überlassen werden.« (zitiert in: Tezcan 2011b: 124-125) Entsprechend kam es zwischen den »praktizierenden Muslimen« der Verbände und den »Individualisten« zu den bedeutsamsten Auseinandersetzungen um die Frage nach einem angemessenen, zeitgemäßen »Islam« (Tezcan 2012: 65). »Die offenen Konflikte verliefen meistens zwischen Teilen der Individualisten […] und den Moscheeverbänden […], wobei das Ministerium bisweilen in die Rolle geriet, zwischen den muslimischen Gruppen zu moderieren.« (Tezcan 2011b: 125) Die Verbände kritisierten, dass ihnen Personen gegenübersaßen, die als »Muslime« eingeladen, aber als »Islamkritiker/-innen« gegen die »islamische« Tradition schossen. So sprachen die Verbände einigen »muslimischen« Individualisten ab, »Muslime« zu sein, und zeigten sich enttäuscht über die DIK-Agenda (Amir-Moazami 2011b: 14-15). Über die Technik der Mobilisierung der »Säkularen« jedenfalls wurde säkulare Religiosität normativ aufgewertet (Amir-Moazami 2011a: 9): eine Religiosität, die für soziales Miteinander möglichst irrelevant sein, keine Möglichkeiten differenzüberschreitender Kooperationen untergraben und einzelne Individuen in deren Freiheit nicht beschränken solle (Tezcan 2011a, b; vgl. zu säkularer Religiosität: Mandair u. Dressler 2011). Diese (Re-)Konfigurierung von Religiosität sollte die Grundlage für die Sicherstellung sozialer Kohäsion bilden (Schiffauer 2008). Es ging dabei beständig um die Frage: »Loyalität zum Koran und/oder Grundgesetz.« (Tezcan 2011b: 125) Tezcan resümiert, »dass die DIK […] mit dem Ziel ins Leben gerufen worden
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Gouvernementalität der Freundschaft
ist, Mechanismen zur Sicherung und Vergewisserung [der] Loyalität des muslimischen Subjekts zu entwickeln« (2011b: 126). Gerade die Loyalitätsfrage rekurrierte dabei in den Diskussionen der AG 1 auch auf religiöses Wissen: Sie wurde zur Frage der Religionsauslegung gemacht, auf die dann Islamwissenschaftler/-innen wie z.B. Tilmann Nagel Bezug nehmen konnten21 . In seiner Stellungnahme »Islamische autoritative Texte und das Grundgesetz«, »die er in der AG 1 abgegeben hat, konfrontiert Nagel muslimische Verbände mit der Frage, wie man mit den Stellen aus dem Koran und der Hadith (Tradition) umgehen soll, die in eklatantem Widerspruch zum Grundgesetz stünden. Für Nagel bestehen unlösbare Probleme an den Punkten wie ›[der] allgemeine[n] Herabwürdigung und Verächtlichmachung Andersgläubiger und Glaubensloser‹, ›Verwerfung der Pluralität‹, ›Verweigerung der Religionsfreiheit durch Bedrohung des Austritts aus dem Islam mit der Todesstrafe‹, ›koranische Strafen‹ usw., sofern die Muslime diesen Bestimmungen ›verpflichtenden Charakter‹ zumessen.« (Tezcan 2011b: 127; Nagel zitierend) In diesem Zusammenhang bildete sich eine Allianz zwischen staatlichen und islamwissenschaftlichen Autoritäten (Rose u. Miller 1992), die die »islamische« Tradition auch in theologischer Hinsicht zu reformieren suchte. Gegen den vorgebrachten »Einwand der Moscheeverbände, dass der Staat […] nicht seinen eigenen Islam zurechtzimmern sollte […], antwortete […] der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, dass der Staat selbstverständlich dem Islam, mit dem er reden will, ein Stück Aufklärung beibringen will (Beobachtungsprotokoll zur Klausurtagung der AG 1 in Pommersfelden am 26./27.03.2009)« (Tezcan 2011b: 129). In anderen Momenten sogar, wie Amir-Moazami darstellt, »some of the representatives of Islamic federations were asked to delete passages in the Qur’an, which potentially promote gender inequality« (2011b: 23). Es konnte gezeigt werden, dass Religiosität im Dialog zum zentralen Steuerungsproblem erklärt wurde. Dies reiht sich in die kulturalistische Perspektive im »Dialog mit Muslimen« ein, die gesellschaftliche Probleme auf Religion und Kultur zurückführt. In diversen Diskussionen im Kontext der DIK tauchte dann aber doch auch immer wieder die Frage auf, inwieweit religiöse oder eher soziale, ökonomische oder politische Faktoren als Ursachen bestimmter Wertehaltungen oder als »Trigger« gesellschaftlicher (Integrations-)Konflikte zu betrachten wären (Tezcan 2012). Der dominante Fokus auf religiöse und kulturelle Identitäten wurde von verschiedenen Seiten aus immer wieder herausgefordert. Aushandlungsprozesse um die Frage, ob religiöse oder soziale Aspekte für »muslimisches« Tun verantwortlich sind, ließen sich bspw. in den Diskussionen um die Ursachen für Fehlverhalten »muslimischer« Schüler/-innen an einer Berliner Schule beobachten. Hier waren es »muslimische« Verbandsvertreter/-innen in Allianz mit Erziehungswissenschaftler/-innen, die auf die Bedeutung sozialer Faktoren hinwiesen (Tezcan 2012).
21
Nagel weist eine überaus kritische Haltung gegenüber dem traditionellen »Islam« auf (Nagel 2005, 2009).
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
3.4.8
Der Dialog der DIK als Bevölkerungspolitik und dessen »unendliches« Themenfeld
Der »Dialog mit Muslimen« richtet als Regierungsprogramm die Islampolitik als Bevölkerungspolitik neu aus (Tezcan 2012: 40). Er greift dabei potenziell in ein »nahezu unendliche(s) Feld« (ebd.: 41) an Themen rund um »Islam« und »Muslime« ein. Damit der Dialog als Regierung funktionieren kann, muss zunächst eine zentrale »muslimische« Differenz konstruiert werden. Migrant/-innen aus bestimmten Herkunftskontexten, mit einem bestimmten Familienhintergrund oder mit sichtbaren Identitätsmarkern werden als »Muslime« (neu) konzipiert (Tezcan 2006, 2007). Während »muslimische« Belange vormals eher lokal, fallbezogen und (verwaltungs-)pragmatisch angegangen wurden, (re-)produziert die DIK die Vorstellung einer »anderen« Bevölkerung, mit der immer besonderes umzugehen sei (Radtke 2011). Der Dialog projiziert heterogene Aspekte gesellschaftlicher Praxis unter Ausblendung sozialer, ökonomischer und struktureller Dimensionen primär auf »muslimische« Lebensführung – Schwierigkeiten junger Menschen an Schulen (Gesemann 2006a), Erziehungsfragen, Integrationsund Sozialarbeit (DIK 2009a; Badawia 2007), bildungspolitische Fragen oder die Einrichtung islamisch-theologischer Institute (Amirpur u. Weiße 2015). Deren Steuerung erscheint als abhängig von der Regulierung religiöser Identität (Radtke 2011; Spielhaus 2013; Dornhof 2012; vgl. auch: Gutiérrez Rodríguez 2003). Die DIK ist dabei als Kristallisationsform eines Diskurses um die Notwendigkeit des »Dialogs mit Muslimen« zu sehen. Innerhalb eines solchen Diskurses werden dann auch Themen, die nicht per se mit »Islam« und »Muslimen« verbunden sind, aus dem Blickwinkel des (interreligiösen) Dialogs neu gelesen. So diskutieren Studien die Potenziale interreligiöser Kommunikation für die Radikalisierungsprävention (Kiefer 2015), den Religionsunterricht (Behr 2011, 2013a), die Etablierung einer »islamischen« Theologie (Behr 2012a, b, 2007) oder für Sozialarbeit mit Jugendlichen (Badawia 2007). Auch Fragen von Kunst und Ästhetik werden aus interreligiöser Perspektive re-konzipiert (Küster 2015).
3.5
Der »Dialog mit Muslimen« als ein weites Feld des Regierens
In diesem Kapitel soll explizit über die Islamkonferenz hinausgehend Dialog als ein weites Feld des Regierens rekonstruiert werden. Hierzu sind weitere Studien und Perspektiven einzuholen, die sich mit den Effekten eines Regierens von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog im Hinblick auf heterogene gesellschaftliche Felder beschäftigt haben. Dabei wird auch noch genauer zu zeigen sein, inwiefern der »Dialog mit Muslimen« auf das interreligiöse Paradigma rekurriert, religiöse Akteure und Expertisen mobilisiert und mit der Produktion von neuem Wissen einhergeht. Am Ende des Kapitels werden dann die Forschungsfragen dieser Arbeit aufgegriffen und reformuliert.
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3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
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Der Dialog der DIK als Bevölkerungspolitik und dessen »unendliches« Themenfeld
Der »Dialog mit Muslimen« richtet als Regierungsprogramm die Islampolitik als Bevölkerungspolitik neu aus (Tezcan 2012: 40). Er greift dabei potenziell in ein »nahezu unendliche(s) Feld« (ebd.: 41) an Themen rund um »Islam« und »Muslime« ein. Damit der Dialog als Regierung funktionieren kann, muss zunächst eine zentrale »muslimische« Differenz konstruiert werden. Migrant/-innen aus bestimmten Herkunftskontexten, mit einem bestimmten Familienhintergrund oder mit sichtbaren Identitätsmarkern werden als »Muslime« (neu) konzipiert (Tezcan 2006, 2007). Während »muslimische« Belange vormals eher lokal, fallbezogen und (verwaltungs-)pragmatisch angegangen wurden, (re-)produziert die DIK die Vorstellung einer »anderen« Bevölkerung, mit der immer besonderes umzugehen sei (Radtke 2011). Der Dialog projiziert heterogene Aspekte gesellschaftlicher Praxis unter Ausblendung sozialer, ökonomischer und struktureller Dimensionen primär auf »muslimische« Lebensführung – Schwierigkeiten junger Menschen an Schulen (Gesemann 2006a), Erziehungsfragen, Integrationsund Sozialarbeit (DIK 2009a; Badawia 2007), bildungspolitische Fragen oder die Einrichtung islamisch-theologischer Institute (Amirpur u. Weiße 2015). Deren Steuerung erscheint als abhängig von der Regulierung religiöser Identität (Radtke 2011; Spielhaus 2013; Dornhof 2012; vgl. auch: Gutiérrez Rodríguez 2003). Die DIK ist dabei als Kristallisationsform eines Diskurses um die Notwendigkeit des »Dialogs mit Muslimen« zu sehen. Innerhalb eines solchen Diskurses werden dann auch Themen, die nicht per se mit »Islam« und »Muslimen« verbunden sind, aus dem Blickwinkel des (interreligiösen) Dialogs neu gelesen. So diskutieren Studien die Potenziale interreligiöser Kommunikation für die Radikalisierungsprävention (Kiefer 2015), den Religionsunterricht (Behr 2011, 2013a), die Etablierung einer »islamischen« Theologie (Behr 2012a, b, 2007) oder für Sozialarbeit mit Jugendlichen (Badawia 2007). Auch Fragen von Kunst und Ästhetik werden aus interreligiöser Perspektive re-konzipiert (Küster 2015).
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Der »Dialog mit Muslimen« als ein weites Feld des Regierens
In diesem Kapitel soll explizit über die Islamkonferenz hinausgehend Dialog als ein weites Feld des Regierens rekonstruiert werden. Hierzu sind weitere Studien und Perspektiven einzuholen, die sich mit den Effekten eines Regierens von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog im Hinblick auf heterogene gesellschaftliche Felder beschäftigt haben. Dabei wird auch noch genauer zu zeigen sein, inwiefern der »Dialog mit Muslimen« auf das interreligiöse Paradigma rekurriert, religiöse Akteure und Expertisen mobilisiert und mit der Produktion von neuem Wissen einhergeht. Am Ende des Kapitels werden dann die Forschungsfragen dieser Arbeit aufgegriffen und reformuliert.
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Gouvernementalität der Freundschaft
3.5.1
Dialogorientierte (Neu-)Justierung des Umgangs mit »Islam« und »Muslimen« in Deutschland und Europa
Wie anhand der DIK aufgezeigt, erscheint der Dialog als ein Regieren, das vielfach auf die Prävention von Konflikten und damit im weitesten Sinne auf Sicherheit abzielt. Sicherheit verweist dabei auf die Sicherstellung gesellschaftlicher Kohäsion und damit auf die Abwesenheit gesellschaftsgefährdender (Selbst-)Abgrenzungen, Spaltungen und Spannungen, die sich entlang »muslimischer« Identität entfalten könnten (Ronneberger u. Tsianos 2009; Rodatz u. Scheuring 2011). So operiert der Dialog als Sicherheitsdispositiv (Foucault 2005 [1978]a), das Sicherheit durch Anerkennung anstrebt: »Das aufrichtige, vollständige Bekenntnis [der Muslime, Anm. J.W.] zu den Werten und dem Grundgesetz, die Regelung der praktischen Angelegenheiten, das Gefühl der Anerkennung und Toleranz (auch durch eine angemessene Berichterstattung), also alles, was den Eindruck vermittelt, dass muslimische Identitäten nicht verhindert werden, das alles wird letztlich […] einer breiter verstandenen Sicherheit im gesellschaftlichen Miteinander dienen. ›Sanfte Prävention‹, wie es Schäuble einmal nannte.« (Tezcan 2012: 52; Herv. J.W.) Eine ähnliche Perspektive findet sich auch in den Konzepten der Sicherheitsorgane wieder, so etwa in einem Positionspapier des Verfassungsschutzes, das ebenso »Integration als Extremismus- und Terrorismusprävention« versteht (Bf V 2007). Rodatz und Scheuring illustrieren, wie sowohl die DIK als auch die Sicherheitsorgane entlang jener Rationalität von »Integration als Extremismusprävention« (2011: 165) operieren und dabei gleichermaßen an die »Idee eines offenen Dialogs zwischen Staat und Religionsgemeinschaften« (ebd.: 165) geknüpft sind. Die Autor/-innen argumentieren, »dass der ›Dialog‹ zwischen staatlichen Repräsentant/-innen und Vertreter/-innen des organisierten Islam in Deutschland, den die Deutsche Islam Konferenz prominent inszeniert, im Kern einer [solchen] Programmatik der Versicherheitlichung und der Ethnisierung folgt« (ebd.: 164). Dem liegt »die […] Annahme [zugrunde], dass der Islam – und somit Muslimisch-Sein – prinzipiell Spielräume für ›islamische Extremismen‹ biete« (ebd.: 163). Der Dialog baut dann auf der Hoffnung auf, dass ein »transparentes, strukturiertes Milieu mit berechenbaren Muslimen, die sich aufrichtig zu den Werten und Gesetzen in Deutschland bekennen, [nicht länger] ein fruchtbares Feld sein [wird], in dem der Extremismus gedeihen könnte« (Tezcan 2012: 53-54). Die bereits zitierte Studie von Katrin Brettfeld und Peter Wetzels (2007), die die »muslimische« Wohnbevölkerung in deutschen Großstädten bezüglich ihrer politischen und religiösen Einstellungen befragt hat, macht sich als wissenschaftliche Legitimation der politischen Sicherheitsperspektiven geltend. Die Autor/-innen stellen dar, dass eine substanzielle Minderheit von »Muslimen« in Deutschland problematische Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und Pluralität aufweise. Sie sehen eine soziale, ökonomische, kulturelle und sprachliche Desintegration von »Muslimen«, (Selbst-)Ausgrenzungsprozesse und entsprechende Rückzugsbewegungen als Ursachen für die Herausbildung segregationistischer, teils auch fundamentalistischer Ansichten und Handlungsweisen, die den Boden für Radikalisierung bilden können. Eine mit Anerkennung verknüpfte Integration der »Muslime« sei damit ein wichtiger Schritt zur Prävention von Extremismus. Über die Förderung
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
von Integrations- und Sprachfördermaßnamen hinaus empfiehlt die Studie für das politische Handeln eine Involvierung von »Muslimen« in politisch-pädagogische Wertedebatten. Die Verknüpfung zwischen Dialog, Sicherheit und Integration avancierte – freilich auch über die DIK hinaus – zum Kernmoment integrationspolitischer Praxis der 2000er Jahre. »[Dialog] thus became an ›integration agency‹ with [a] logic of disciplinary prevention, within which the scope of general safety is of prime concern with the aim to lead to an arrangement between Muslim organisations and politics. By now the dialogue has developed a momentum and has become a constitutive element in the debate over social integration. This increases its popularity.« (Malik 2013: 501) Tezcan (2007) zeigt, wie sich das Regierungsfeld des Dialogs in den 2000er Jahren in mehreren europäischen Staaten etablierte, um unter sicherheitspolitischen Vorzeichen die gesellschaftliche Integration von »Muslimen« zu verbessern. So wurden sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden und im UK verschiedene Maßnahmen zur Förderung eines Dialogs mit »muslimischen« Communitys gerade auch auf lokaler und kommunaler Ebene bedeutsam (Für UK: O’Toole et al. 2016; für Deutschland: Lanz 2009b; Rodatz u. Scheuring 2011). Im Sinne eines governing through community (Rose 2000a, b) zielen diese Maßnahmen u.a. darauf ab, »muslimische« Gruppen und Organisationen in lokale Gemeinschaften und (zivil-)gesellschaftliche Netzwerke einzubinden. Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Form lokaler Gemeinschaft(-en) wird dabei an die Notwendigkeit von Austauschbeziehungen zwischen kulturellen und religiösen Gruppen geknüpft. Wie schon in Kapitel 3.2 gezeigt, liegt dem die Annahme zugrunde, dass, wenn »die verschiedenen Communities ohne produktiven Austausch nebeneinander her existier[en]« (Tezcan 2007: 58) und damit die lokale Community-Kohäsion bricht, Prozesse der Desintegration und Radikalisierung wahrscheinlicher werden. In Großbritannien, so Tezcan (2007), wird vielfach versucht, auf lokaler Ebene »muslimische« Communitys in kommunale Handlungsfelder zu involvieren und über eine Mobilisierung und Schulung der religiösen Repräsentant/-innen Entwicklungen innerhalb der Communitys anzustoßen, die der Integration dienlich wären (Tezcan 2006: 31; 2007). Ähnliche Ansätze lassen sich auch in Deutschland beobachten (vgl. Kapitel 4; Schmid et al. 2008; DIK 2011; KQI 2012). Es lässt sich eine »gouvernementale Rationalität [erkennen], die [u.a.; Anm. J.W.] in den Moscheen Anlaufstellen für die Schaffung einer übersichtlichen und berechenbaren Milieustruktur innerhalb der breiten, diffusen Masse von Migranten sieht« (Tezcan 2011a: 86). Ein solches Vorgehen »[is] transforming a scattered, loose association of Muslim people into a clearly demarcated community which participates in public affairs as a part of society« (Dornhof 2012: 387). Die Förderung lokaler Teilhabe »muslimischer« Communitys wird an sich bereits als sicherheitspolitische Unwahrscheinlichmachung von Radikalisierung artikuliert, wobei darüber hinaus auch explizite Strategien gegen Extremismus gemeinsam mit »muslimischen« Gruppen lokal implementiert werden sollen. Maßnahmen dieser Art, in welchen Integration, Sicherheit und Prävention sich verschränken, erlangen derweil hegemonialen Status (Peter 2008) und erscheinen als »on top of a rich seam of dialogue with Muslim communities« (O’Toole et al. 2016: 174): »The operational overlap between prevent and cohesion carried security concerns over into the implementation of cohesion and inte-
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Gouvernementalität der Freundschaft
gration strategies.« (Ebd.; dazu: Schiffauer 2006a, 2008) Insgesamt zeigt sich, dass auf »Muslime« zielende Dialogpolitiken auf lokaler und kommunaler Ebene relevant geworden sind, die Praxis solcher Dialoge auf lokaler Ebene aber noch wenig untersucht ist (Tezcan 2007).
3.5.2
Die integrationspolitische Bedeutung interreligiöser Dialoge
Es wurde gezeigt, wie sich der »Dialog mit Muslimen« im Verlauf der 2000er Jahren als ein weithin akzeptierter Modus etablierte, in welchem die Beziehungen zwischen Mehrheitsgesellschaft und »muslimischer« Minderheitsbevölkerung darstellbar und verhandelbar wurden (Schiffauer 2008; Peter 2010; Tezcan 2007). Dabei findet der »Dialog mit Muslimen« sowohl in jenen Initiativen und Programmen Ausdruck, die sich im Sinne des multikulturalistischen Paradigmas (Radtke 2009) als allgemein interkulturelle (integrations-)politische Dialoge ausformen. Dazu ist programmatisch die Deutsche Islamkonferenz ebenso zu zählen wie zahlreiche kommunale integrationspolitische Dialoginitiativen (Schmid et al. 2008; KQI 2012). Diese Maßnahmen sind keine interreligiösen Dialoge im engeren Sinne, problematisieren aber vielfach auch Religion. So ist zu konstatieren, dass innerhalb des Diskurses um einen »Dialog mit Muslimen« in zunehmendem Maße die interreligiöse Dimension Aufmerksamkeit erlangen konnte – ohne dass die Praxis des Dialogs in einer solchen gänzlich aufgeht. Einerseits integrieren interkulturelle Programme verstärkt den Fokus auf Religion, andererseits werden verschiedene, dezidiert interreligiöse Initiativen und Ansätze gestärkt und als integrationspolitisch bedeutsam artikuliert (Amir-Moazami 2011b): »Interreligious dialogue is […] declared an essential agent of integration efforts.« (Malik 2013: 495) Insofern der Dialog mit »Muslimen« auf eine religiös markierte Gruppe zielt, plausibilisiert er sich in vielerlei Hinsicht in Form einer interreligiösen Auseinandersetzung zwischen der religiösen Gruppe der »Muslime« und einer in kultureller wie auch religiöser Hinsicht »anders« geprägten Mehrheitsgesellschaft. Das geht dann z.B. damit einher, dass ein Dialogprogramm wie die DIK – obschon, wie gesagt, keineswegs interreligiös konzipiert – die interreligiöse Dimension immer wieder aufgreifen muss (Tezcan 2006; Dornhof 2012; DIK 2009a). Der interreligiöse Dialog avancierte so zur diskursiven Folie, vor dessen Hintergrund Auseinandersetzungen um Differenzen in der Einwanderungsgesellschaft sowie um Fragen politischer und gesellschaftlicher Identität und Zugehörigkeit neu formuliert und verhandelt werden konnten. Gerade Tezcan (2006, 2007, 2009) zeigte, wie die integrations- und sicherheitspolitischen Maßnahmen, die »Muslime« auf nationaler und lokaler Ebene in Dialogprozesse einzubinden suchen, vielfach auf religiöse Identitäten und Praktiken abzielen und sich auch zunehmend als interreligiöse Dialoge artikulieren. Das Auftauchen religiöser Kategorien wie »Islam« und »Muslime« als Sicherheitsrisiken (Rodatz u. Scheuring 2011) verstärkte ohnehin den Diskurs um die religiöse Identität von Migrant/-innen (Malik 2013). Während »Integrationsfragen [immer mehr] als religiös-kulturelle Fragen« erschienen (Tezcan 2006: 31; vgl. auch: Karakayali 2009; Ronneberger u. Tsianos 2009), konnten sich interreligiöse Dialoge zu attraktiven Instrumenten einer breiten Integrations- und Sicherheitstechnologie wandeln, insofern diese Dialoge darauf abzielen, den Umgang mit religiösen Differenzen zu bearbeiten und entsprechende Differen-
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
zen zu harmonisieren (vgl. Tezcan 2006, 2007; vgl. Schäuble 2006, 2009). Der »christlichislamische« Dialog in etwa schien »lange Zeit ein Randthema [zu sein], das vornehmlich in kleinen Gruppen behandelt wurde, bis er insbesondere nach dem 11. September 2001 in einer gesellschaftlich erregten Atmosphäre unmittelbar mit der Integrationsfrage und der Sicherheitspolitik verbunden wurde« (Tezcan 2006: 28). In dem Moment, als »Islam« und »Muslime« als »Sicherheitsrisiko auftauchten« (ebd.; vgl. auch: Mavelli 2013) und der »christlich-islamische« Dialog in Verbindung mit der Sichtbarkeit internationalen Terrorismus‹ »öffentlich mit der Aufgabe betraut [wurde], bei der Integration von (muslimischen) Einwanderern zu helfen, [war] er kein randständiges Thema mehr« (Tezcan 2006: 31; vgl. Klinkhammer et al. 2011: 24). Dabei würden »auch lokale Kulturdialoge […] mehr und mehr auf interreligiösen Dialog hinaus[laufen]«, so Tezcan (2006: 26; Herv. J.W.). Gerade der »christlich-islamische« Dialog, »in dem das Wissen voneinander und Manieren der wechselseitigen Behandlung ausprobiert werden, verlässt […] den ursprünglichen, exklusiven Ort der religiösen Gruppen und wird […] zu einem politischen Programm« (Tezcan 2009: 67; Herv. J.W.) eines auf Integration zielenden Managements von Differenz(-en). Auf kommunaler Ebene operieren interreligiöse Dialoge dann als Netzwerke (aus einer deskriptiven Perspektive: Miksch u. Hoensch 2011), an die verschiedene »Anfragen direkt […] gerichtet [werden]: Es kann z.B. sein, dass sich die Feuerwehr über kulturelle und religiöse Gepflogenheiten erkundigen will, da sie bei Einsätzen in den Moscheen spezifische Probleme erwartet.« (Tezcan 2006: 29) Solche Mechanismen sind jedoch mit Blick auf die lokale Ebene noch weitgehend unerforscht und daher auch Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Viele auch lokale interreligiöse und interkulturelle Dialoginitiativen, die auf »Muslime« fokussieren, richten sich grundsätzlich unter integrationspolitischen Erwartungen neu aus: »Hitherto locally and loosely structured interfaith groups since the late 1990s have increasingly linked their activities with normative goals. Parallel to the state attempts to institutionalise a structured conversation with Muslims in order to organise the ›conduct of conduct‹, local grassroots and pluralistically structured interfaith dialogue initiatives have begun to resettle their agendas, acting more and more as assistants for processes of integration.«(Amir-Moazami 2011b: 13-14) In einer Überblicksstudie diskutieren hierzu Klinkhammer und Kolleg/-innen die »unterschiedlichen Motive und Entstehungskontexte […] lokale[r] Dialoggruppen in Deutschland« (Klinkhammer et al. 2011: 20). So hätten sich »neue konkrete Anliegen wie ›Integration‹ und ›Zivilisierung‹ des Islams [ausgeprägt], [wobei] aber auch ›Antirassismus‹ und ›Solidarität‹ gegenüber MuslimInnen, und neue politische Kontexte wie rechtsradikale Anschläge auf MigrantInnen mit muslimischem Hintergrund […] oder die Golfkriege wichtige Motive von Einzelnen für ein Engagement im Dialog mit MuslimInnen [waren]« (ebd.: 20). Die Regierungsform einer Integration von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog wird also zunehmend auf lokaler Ebene relevant, doch sind lokale Praktiken, Techniken und Implementierungsweisen von Dialogansätzen noch vergleichsweise wenig untersucht.
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Gouvernementalität der Freundschaft
Dornhof (2012) und Malik (2013) zeigen – bei Dornhof unter Bezugnahme auf gouvernementalitätstheoretische Überlegungen –, wie die Deutungs- und Handlungsschablone interreligiöser Kommunikation in den 2000er Jahren in sehr verschiedene gesellschaftliche und politische Felder ausschwärmte und jeweils zur epistemologischen Grundlage des Umgangs mit der »muslimischen« Bevölkerung wurde. Die staatliche Integrationspolitik machte mit der Einrichtung der Islamkonferenz die religiösen Identitäten von Migrant/-innen bearbeitbar und integrierte, ohne sich explizit als interreligiöser Dialog auszurichten, die interreligiöse Dimension in ihr Regierungsskript. Die bestehenden interreligiösen Dialogaktivitäten bspw. der Evangelischen Kirche Deutschlands wiederum haben sich den integrationspolitischen Zielen des Staates und der DIK angeglichen, (re-)positionierten sich als Maßnahmen zur Integration »muslimischer« Migrant/-innen und wurden als solche auch politisch aufgegriffen und anerkannt. Nicht zuletzt griffen verschiedene mediale und öffentliche Debatten ebenso die diskursive Schablone interreligiöser Auseinandersetzungen auf, wenn es um integrationspolitische Themen ging. So wurde bspw. die »Sarrazin-Debatte« über vermeintliche Zuwanderungsprobleme stark unter Rekurs auf die Vorstellung interreligiöser Konfliktlinien geführt (Dornhof 2012). So begründet sich ein interreligiös eingefärbter »Dialog mit Muslimen« als ein umfassendes Feld des Regierens gerade in dieser Verdichtung verschiedener, in den heterogenen Arenen von Politik, Gesellschaft und Medien ablaufender Aushandlungsprozesse. Tezcan schreibt hierzu, dass sich »die Rede vom interkulturellen und interreligiösen Dialog zu verselbstständigen [scheint]. Neben den organisierten Dialogen der religiösen Akteure findet in der medialen Öffentlichkeit ein überbordender Diskurs statt, der nach sensationsträchtigen Gewaltakten wie den Terroranschlägen in Madrid und London oder dem Mord an Theo van Gogh [auflebt].« (Tezcan 2006: 28) So sei zu beobachten, dass »der organisierte Dialog in den medialen über[geht]« und fortan »jedes Thema, das mit türkischen oder arabischen Einwanderern zu tun hat, […] tendenziell zum Gegenstand des interkulturellen und interreligiösen Dialogs [wird]« (ebd.: 31). Innerhalb der Kräftefelder eines solchen Dialogs werden »muslimische« Subjektivitäten spezifisch beeinflusst und zu Gegenständen der sich in diesen Feldern konstituierenden Technologien des Regierens gemacht (z.B. Programme wie die DIK oder kommunale Dialogprojekte; für letztere vgl. Schmid et al. 2008; Miksch u. Hoensch 2011). Diese Entwicklungen finden auch auf kommunaler Ebene ihren Niederschlag. In einer Handreichung des »Kommunalen Qualitätszirkels zur Integrationspolitik« ist entsprechend zu lesen: »In vielen Kommunen wurden Dialog-Foren verschiedenster Art erprobt. Christlich-Muslimische Gesprächskreise, kommunale Islamforen, Räte der Religionen, interreligiöse Runde Tische und viele weitere Beispiele zeugen von diesem aktiven Bemühen [um gegenseitiges Verständnis, Anm. J.W.].« (KQI 2012: 5) »Das Subjekt dieser Politik«, wie Tezcan es darstellt (2007: 68), ist »der seiner selbst bewusste Muslim, [der] in der Schmiede des interreligiösen Dialogs geformt [wird], bevor er als ethisch/politisch verantwortbarer Kulturvertreter die politische Bühne betritt« (ebd.). Tezcan stellt im Hinblick auf einen integrationspolitisch überformten interreligiösen Dialog die These auf (genauso könnte von einem integrationspolitischen Dialog gesprochen werden, der Interreligiosität integriert), dass mit diesem »gewissermaßen
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
ein Trainingslager eingerichtet [wird], in dem muslimische Organisationen und die Politik durch die Vermittlung der christlichen Kirchen einander näher kommen« (Tezcan: 2007: 66). In einigen Arbeiten (Dornhof 2012; Malik 2013; Tezcan 2006, 2007) wird der »Dialog mit Muslimen« eher als ein diskursiv konstituiertes Aktionsfeld denn als eine konkret organisierte Regierungspraxis diskutiert, wobei nun die jeweiligen Organisationsformen und Praktiken, die sich innerhalb dieses Aktionsfeldes etablieren, als Objekte weiterer Forschung erscheinen. Andere Arbeiten (Tezcan 2012; Peter 2010; Schiffauer 2008; Amir-Moazami 2011a, b; Radtke 2011) untersuchen demgegenüber verstärkt auch konkretere institutionelle Sedimentierungen der Dialogrationalität, wobei vor allem die bereits dargestellte Deutsche Islamkonferenz untersucht wurde. Entsprechend kann Dialog also zunächst als ein weites Diskursfeld begriffen werden, das eine interkulturelle und interreligiöse Ordnung von Identitäten (re-)produziert und damit den Boden für die Herausbildung und Plausibilisierung verschiedener politischer Technologien und Praktiken (z.B. die DIK) bildet, die das Regierungsfeld des Dialogs aufspannen (vgl. Li 2007). Der interkulturelle und interreligiöse Dialog funktioniert dabei zusammengefasst als ein Regieren von »Islam« und »Muslimen« jenseits ausschließlich staatlicher Zugriffe: Das weite Diskurs- und Regierungsfeld des Dialogs, dass staatliche, gesellschaftliche und religiöse Akteure mobilisiert, verdeutlicht das Wirken einer »Political power beyond the state« (Rose u. Miller 1992: Titel; vgl. zu dieser These auch: Donhof 2012). Die dominante »logic of integrating through dialogue« (Amir-Moazami 2011b: 13) materialisierte sich prägnant in der Islamkonferenz, deutet aber auf einen »more general trend in other flourishing programmes designed for Muslims, for example, by church-based interfaith groups, or intercultural dialogue initiatives of political foundations. Although clearly diverse in scope and plural in the approaches, one common feature in these initiatives is their rising inscription into a teleological rationality that aims at solving societal, political and partly even economic problems and conflicts [through dialogue; Anm. J.W.].« (Ebd.) Hierbei ist auf das Forschungsdesiderat lokaler und kommunaler Praktiken und Institutionalisierungen eines interreligiösen und interkulturellen »Dialogs mit Muslimen« zu verweisen, v.a. im Hinblick auf die Frage, wie »Islam« und »Muslime« durch einen solchen regiert werden.
3.5.3
»The debate is heated: it uses religious language«
Es konnte skizziert werden, wie die integrationspolitische Debatte um »Islam« und »Muslime« auf religiöse Motive zurückgreift und diese in integrationspolitische Fragestellungen rund um einen zu führenden »Dialog mit Muslimen« integriert. Wie gezeigt, artikuliert die Regierungsform des Dialogs zunehmend die interreligiöse Kommunikation als bedeutenden Aspekt innerhalb der Aufgabe, »Muslime« in die deutsche Gesellschaft zu integrieren (Dornhof 2012; Malik 2013; aus dem Beitrag von Malik ist der Titel dieses Teilkapitels entnommen, vgl. Malik 2013: 496). In einem Ergebnispapier der Islamkonferenz bspw. (DIK 2009a) sind viele der am Ende skizzierten Best-PracticeBeispiele lokaler Dialoginitiativen als interreligiöse Ansätze anzusprechen (vgl. Kapitel
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Gouvernementalität der Freundschaft
4; DIK 2011). Daneben fällt v.a. der Beitrag von Wolfang Schäuble auf (2009; Titel: »Dialog zwischen Christen und Muslimen – die interreligiöse Dimension«, in: DIK 2009a), der explizit und systematisch den interreligiösen Dialog als wichtiges Element des integrationspolitischen Dialogs (nicht nur im Kontext der DIK) darstellt. Interreligiöser Austausch sei demnach allgemein für die gesellschaftliche Entwicklung von Bedeutung. Dabei werde die deutsche Gesellschaft immer wieder als »christlich« geprägte Gesellschaft enggeführt, die aus ihrer christlich-religiösen Erfahrung heraus den Dialog mit »Muslimen« (als einen interreligiösen) ausgestalten müsse. Dabei, so die Rationalität, könnten gerade die »christlichen« Kirchen und Organisationen bei der Integration von »Muslimen« durch interreligiösen Dialog helfen. »Muslime« erscheinen hier als jene Subjekte, deren gesellschaftliche Integration v.a. davon abhängen würde, wie gut es gelingt, sie in ein interreligiöses Lernfeld zu involvieren, in welchem dann die »christlichen« Kirchen den »Muslimen« Möglichkeiten der Selbstintegration in eine freiheitlich-demokratische und säkulare Umgebung aufzeigen (DIK 2009a: 347ff.; vgl. auch: Nagel 2009; Langenfeld 2009). Den »christlichen« Akteuren wird sogar zugesprochen, die »Muslime« dabei unterstützen zu können, »sich das Prinzip der freiheitlichen Demokratie und die Werte dieser Ordnung theologisch zu eigen [zu machen]« (Wolfgang Schäuble, in: DIK 2009a: 351; Herv. J.W.). Schäuble schreibt an anderer Stelle: »Wer, wenn nicht die christlichen Kirchen, könnte den Vertretern des Islams glaubwürdiger die Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte und die uns umgebende und bestimmende Religionsverfassungslage in Deutschland vermitteln?« (Schäuble 2006: o.S.) Das Motiv einer dezidiert interreligiösen Interaktion zwischen Gesellschaft und »Muslimen« zeigt sich in verschiedenen öffentlichen, politischen und medialen »Arenen« dominant (Dornhof 2012). Dornhof z.B. zeigt, wie die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Legitimität der Verleihung des Hessischen Kulturpreises an den »muslimischen« Schriftsteller Navid Kermani 2009 (der den Preis zunächst nicht, nach einigen Monaten dann aber doch erhielt) die Vorstellung eines interreligiösen Konflikts aufgriffen, um damit die Frage der Integration kulturell und religiös »anderer« Bevölkerungsteile neu aufzuwerfen (2012). Kermani sollte den Kulturpreis 2009 erhalten, geriet jedoch in die Kritik »christlicher« Führungspersönlichkeiten (u.a. Karl Kardinal Lehmanns), da er in einem früheren Artikel das christlich-religiöse Motiv des Messias am Kreuz auf eine vermeintlich despektierliche Art und Weise reflektiert hätte. Kermani reflektierte das Kreuz aus Perspektive subjektiver und ästhetischer Erfahrung als ein in gewissem Sinne barbarisches und negatives Motiv. Die aufgrund dieser Kritik zunächst ausgesetzte Verleihung des Preises wurde dann selbst kritisiert. In einem SPIEGEL-Artikel vom Mai 2009 heißt es dazu: »Der Zentralrat der Muslime bezeichnete die Reaktion der Kirchenmänner als ›unreif und kindisch‹. Der interreligiöse Dialog werde mit Füßen getreten, sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman A. Mazyek, dem in Berlin erscheinenden ›Tagesspiegel‹. Teile der Elite in Deutschland hätten ein ›obskures Verständnis‹ von Dialog: ›Man nehme zwei unterschiedliche Meinungen und sperre sie so lange in ein
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
Gesprächsverlies ein, bis sie ermüdet und ermattet zu einer Meinung geworden sind.‹ So funktioniere aber kein belebender, konstruktiv-kritischer Dialog.«22 In dem Zitat sowie in der gesamten Debatte wurde die Frage nach dem »Wesen« eines angemessenen interreligiösen Dialogs verhandelt und in einen integrationspolitischen Kontext überführt. Doch nicht nur »islamische Verbände«, auch kirchliche und andere gesellschaftliche Akteure verurteilten die (temporäre) Aberkennung des Preises und sahen darin einen leitkulturalistischen und intoleranten Bruch mit einem im Idealfall fruchtbaren interkulturellen und interreligiösen Dialog, der in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft notwendig sei. Die gesamte Debatte um den Kulturpreis, so konnte Dornhof (2012) zeigen, wurde diskursiv als interreligiöse und interkulturelle Auseinandersetzung gerahmt. Die Vorstellung interreligiöser Konflikte (in Deutschland) wurde als zentrale Integrationsherausforderung artikuliert und an die Frage geknüpft, wie weit Individuen mit Migrationshintergrund, die einer »anderen« Minderheitenreligion angehören, in ihrer Kritik an den (religiösen) Traditionen der Aufnahmegesellschaft gehen »dürfen«. Es ging also vor allem darum, dass ein »Muslim« »christliche« Traditionen kritisiert hat. In diesem Sinne zeigte sich die Debatte eingerahmt in exkludierende Diskurse über die vermeintliche Nichtangepasstheit von »Muslimen«. Die große mediale Aufmerksamkeit der Debatte, so Dornhof, spiegelte die hohe Bedeutung religiöser Identitäten wider. Auch die Aufmerksamkeit, die Buchttitel wie »Mohammed – eine Abrechnung« von Hamed Abdel-Samad oder die Diskussionen um MohammedKarikaturen unter integrationspolitischen Vorzeichen erhalten, verdeutlicht das Einfließen religiöser Motive und Figuren in den Integrationsdiskurs (Dornhof 2012; Rommelspacher 2011; Malik 2013). »The debate is heated: it uses religious language.« (Malik 2013: 496) In diesem Zusammenhang ist auch auf die in den letzten Jahren zu beobachtenden rechtspopulistischen Bewegungen und Programme in Deutschland (PEGIDA, AfD) zu verweisen, die die Konflikte zwischen Zugewanderten und Gesellschaft ebenso vielfach als interreligiöse Konflikte deuten. Der Fokus auf »Islam« provoziert im gesellschaftspolitischen Kontext die Hervorhebung einer vermeintlich »christlichen« Identität der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland (Malik 2013: 499). In Verbindung mit dem »Islamdiskurs« (Schmitz u. Işik 2015), der auch den »Dialog mit Muslimen« dynamisiert, scheint sich auch »die Mehrheitsgesellschaft immer mehr auf ihr christliches Erbe zu besinnen« (Rommelspacher 2012: 206). »Die Konstruktion ›des Anderen‹ als religiös Fremden macht das religiöse Eigene zwangsläufig zum Thema. Die Fremdstereotypisierung wirkt auf die Selbststereotypisierung zurück. Dementsprechend lässt sich eine (Re-)Christianisierung der Mehrheitsgesellschaft beobachten, so z.B., wenn in der Auseinandersetzung mit ›den‹ Muslimen oftmals eine Verwurzelung der Deutschen im christlichen Abendland beschworen wird und bei der Frage zum EU-Beitritt der Türkei oft wie selbstverständlich von einem christlichen Europa die Rede ist.« (Ebd.: 206)
22
SPIEGEL-Online vom 17.05.2009: »Hessische Kulturauszeichnung: Ministerpräsident Koch in Kritik wegen Preisaberkennung«; online unter: www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/hessischekulturauszeichnung-ministerpraesident-koch-in-kritik-wegen-preisaberkennung-a-625350.html, (15.09.2017).
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Gouvernementalität der Freundschaft
3.5.4
Religion und Gouvernementalität: die Bedeutung »christlicher« Akteure, der neuen »islamischen« Theologien und des Religionsunterrichts im Feld des Dialogs
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen positioniert der integrationspolitische Dialog zunehmend »christliche« Akteure bzw. die »christlichen« Kirchen als Integrationshelfer und als »gesellschaftliche Platzanweiser« (Rommelspacher 2012: 218) für »Muslime« (vgl. Dornhof 2012). In Bezug auf die katholische Kirche sagt in etwa ExInnenminister Schäuble: »Sie betreibt den Dialog mit dem Islam schon seit sehr langer Zeit. Hier erweist sich die Weitsicht einer Weltkirche.« (DIK 2009a: 351) Die »christlichen« Kirchen werden von politischer Seite als Integrationshelfer geadelt. Sie können sich dabei auch deshalb so effektiv als Integrationsakteure anbieten, da sie eine bis in die Anfänge der 1970er Jahre zurückreichende integrationspolitische Erfahrung bezüglich der sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Unterstützung von ausländischen Arbeitnehmer/-innen und hier dann v.a. auch »muslimisch-türkischen« Gastarbeitern vorweisen können (Jasper 2005; Neuser 2005a, b). Als vor allem »türkische Gastarbeiter« zur Zielgruppe kirchlicher »Ausländerhilfe« wurden, kam nach und nach auch die Religion der »Gastarbeiter« in den Blick. In den ersten Dialogbemühungen der Evangelischen Kirche Deutschlands bspw. zeigte sich eine enge Verknüpfung zwischen dem angestrebten Zugang zum organisierten (Moschee-)Islam der »Gastarbeiter« und eher allgemeinen Fragen bezüglich des Umgangs mit Zugewanderten (Orth 2005: 56). Vielfach waren es zunächst kirchliche Initiativen, die versuchten, »Muslimen« die Ausübung ihrer Religion zu ermöglichen und gleichzeitig die Bevölkerung über »Islam« und »Muslime« aufzuklären (Jasper 2005). Die kirchliche Sozial- und Gastarbeiterhilfe hob dabei bereits seit den 1970er Jahren die Dimension eines interreligiösen Austauschs hervor (Jasper 2005; Neuser 2005a): So sei »der christlich-muslimische Dialog […] aus einer anfänglichen Hilfestellung der Kirchen für muslimische Mitbürger_innen hervor[gegangen] und wurde zu einer dauerhaften Einrichtung, die sich weg von der sozialen Hilfestellung hin zum religiösen Austausch entwickelte« (Kuhla u. Szukitsch 2011: 10). So ist hervorzuheben, »dass die Kirche selbst sich schon seit vielen Jahren für die Migranten in Deutschland stark [macht]« (Nacke u. Skala 2010: 431), wobei sie in dieser Rolle von politischen Akteuren unterstützt und mobilisiert wird. Ohnehin sind die »christlichen« Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände in Deutschland auch im internationalen Vergleich seit Jahrzehnten als besonders relevante sozialpolitische Akteure profiliert (Schroeder 2017: 1-11, 27-29), die im Kontext von Integrationsarbeit schon vergleichsweise lange Zeit auf »Dialoge, Gespräche, Begegnungen, helfendes Handeln« setzten (Nacke u. Skala 2010: 431; vgl. auch: Hörner 2010). So konnten sich die Kirchen in den 2000er Jahren, als der »Dialog mit Muslimen« zum integrations- und sicherheitspolitischen Programm wurde, als historische Vorreiter in der Integration von »Islam« und »Muslimen« anbieten (Tezcan 2006, 2007; Dornhof 2012; Rommelspacher 2012). Die integrationspolitische Sprecher- und Handlungsposition nehmen die »christlichen« Kirchen gerne an und »betonen ihre Bedeutung als Integrationsmittler« (Tezcan 2006: 31; Dornhof 2012) – wobei sich in den letzten Jahren v.a. die evangelische Kirche programmatisch in Bezug auf den Nexus »Dialog und Integration« positioniert hat. Es ist eine Überschneidung der Zielsetzungen einerseits des staatlich induzierten Dialogs und an-
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
dererseits des interreligiösen Dialogs bspw. der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu identifizieren, die beide auf die Verbesserung der Integrierbarkeit von »Islam« und »Muslimen« abzielen. So lässt sich eine doppelte Annäherung ausmachen: Während die evangelische Kirche ihren interreligiösen Dialog mit dem »Islam« integrationspolitisch re-formuliert,23 greifen staatliche Positionen diese Reartikulation affirmativ auf (Dornhof 2012; Amir-Moazami 2011a, b; Tezcan 2006, 2007, 2009; Klinkhammer et al. 2011; Schmid 2010a; Malik 2013; Engelhardt 2017). Das Resultat dieser Überschneidungen ist eine dialogische Regierungsform mit einer Sensibilität für Religion. Wie genau eine solche religiöse Sensibilität im Dialog praktiziert und in lokale Techniken des Regierens integriert wird und inwiefern dies Praktiken der Machtausübung ermöglicht, möchte ich in dieser Arbeit noch genauer untersuchen (vgl. dazu: Winkler 2017). Im Zusammenhang mit den skizzierten religionsbezogenen (Re-)Justierungen ist auch auf die seit den 2010er Jahren mit Bundesmitteln realisierte Etablierung islamischtheologischer Zentren an deutschen Universitäten zu verweisen (in Münster/Osnabrück, Frankfurt/Gießen, Tübingen und auch Erlangen) (Engelhardt 2017; dazu: Amirpur u. Weiße 2015; Malik 2013; Tezcan 2007, 2009). Die Etablierung »islamischer« Theologien ist ebenso als eine politische Strategie zur Förderung eines interreligiösen und akademischen Dialogs zu deuten, in dessen Feld das neu generierte islamisch-theologische Wissen u.a. zur Unterstützung der Integration von »Islam« und »Muslimen« eingesetzt werden solle. Die in den Zentren ausgebildeten »islamisch«-theologischen Expert/-innen sollen dabei grundsätzlich »dialogfähig« sein. Der Aufbau einer »islamischen« Theologie orientiert sich nicht zufällig an den Prämissen der »christlichen« Theologien. Die neue »islamische« Theologie wird mit dem »Auftrag« betraut, eine historisch-kritische Perspektive auf »Islam« zu entwickeln, aus der heraus die eigene Tradition selbstkritisch hinterfragt werden kann. Entsprechend sollen »islamisch«-theologische Expert/-innen gefördert werden, die die Fähigkeit aufweisen, »islamische« Religiosität und Tradition in steter Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen sowie mit den Perspektiven und Entwicklungen der (»nicht islamischen«) Mehrheitsgesellschaft zu reflektieren und neu zu übersetzen (anstatt »nur« zu bewahren). Von der »islamischen« Theologie wird folglich erwartet, dass sie zur Ausbildung eines ganz bestimmten »muslimischen« Subjekts beitrage; eines Subjekts, welches sich gegenüber der Gesellschaft offen zeigt und sich in der eigenen Lebensführung nicht ausschließlich auf die »islamische« Tradition und deren materialen Schriftbestand (Koran, Hadithe, kanonisierte Lehrtexte) bezieht, sondern auch »nicht islamisches« Wissen, »nicht islamische« Traditionen, Expertisen und Professionen als ebenso wertige und ggf. zielführende Impulse anerkennt; als Impulse also, die das traditionelle »islamische« Wissen ergänzen und ggf. auch zu dessen (Re-)Konfigurierung beitragen können (seien es Perspektiven aus anderen religiösen Traditionen, sei es säkulares, in etwa wissenschaftliches Wissen, seien es psychologische, pädagogische, sozialwissenschaftliche Expertisen, poli-
23
Vgl. das EKD-Papier »Klarheit und gute Nachbarschaft« von 2006, das im Modus der Toleranz gegenüber »Muslimen« und damit aus einer mitschwingenden Position der Überlegenheit heraus integrationspolitische Forderungen an letztlich defizitär konzipierte »Muslime« formuliert (dazu: Dornhof 2012).
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tische Philosophien usw.) (Malik 2013). Die neue, in Deutschland verankerte theologische Intelligenz des »Islam« solle in diesem Sinne Dialogkompetenz verkörpern. Wenn, wie Schäuble es im Rahmen der Islamkonferenz im Hinblick auf interreligiöse Dialoge ausdrückte, »sich so viele qualifizierte, sprachfähige und dialogbereite muslimische Theologen mit christlichen Dialogpartnern treffen, dann drückt sich darin auch eine positive Entwicklung innerhalb der muslimischen Gemeinschaften in Deutschland aus« (DIK 2009a: 352-353). Hier spiegelt sich jedenfalls die Hoffnung auf einen reformierten »deutschen« oder »Euro-Islam« (Tibi 2005) wider sowie auf eine entsprechende »Fortentwicklung einer Islamischen Theologie in deutscher Sprache und im Kontext der deutschen Gesellschaft und ihrer Ordnung« (DIK 2009a: 353). In einem Dokument des Bundestags heißt es dazu: »Mit den Zentren hat der muslimische Glaube eine Heimat in der wissenschaftlich-theologischen Diskussion gefunden. Das ist nicht zuletzt auch ein wichtiger Beitrag für den Dialog der Religionen.« (Deutscher Bundestag 2016: 6) Dieser »Dialog der Religionen« wiederum wird – man denke an den Koalitionsvertrag von 2005 – als integrations- und sicherheitspolitisch relevant erachtet. Die »islamische« Theologie als neues Wissenschaftsfeld sei dann »Voraussetzung für einen interreligiösen Dialog in einer religiös pluralen Gesellschaft, der in seiner integrativen Wirkung von eminenter Bedeutung ist« (Schu 2012: 29). Dabei ist »interreligiöser Dialog« auch ein Forschungsgegenstand der neuen »islamischen« Theologien. Der »muslimische« Religionspädagoge Harry Harun Behr in etwa – der auch im Erlanger Dialogkontext aktiv war – sieht die Aufgabe einer pädagogisch-wissenschaftlichen »islamischen« Theologie darin, »sich dem Koran auch mit dem Hilfsmittel des ungläubigen Zweifels zu nähern« (Behr 2011: 16). Dies sei die gesellschaftliche Funktion der Theologie, die damit einen integrationsfördernden Dialog zwischen differenten, entdogmatisierten Perspektiven ermöglichen könne. Behr führt das Motiv des »Zweifelns« als Element einer neuen »islamischen« Theologie auf die »inter- und transreligiöse Dialektik« in pluralen Gesellschaften zurück. Innerhalb solcher Gesellschaften müssen Individuen ihre Perspektiven hinterfragen können, um dialogfähig zu werden (Behr 2007, 2011, 2012a, b, 2013a, b; Kandil 2008; Rochdi 2008; Hajatpour 2005). Die Einrichtung »islamischer« Theologien, aber auch die Förderung eines darauf aufbauenden Islamunterrichts an öffentlichen Schulen sind ebenso Teil einer breiten Integrations- und Sicherheitsstrategie, die auf die präventive Verhinderung von islamistischem Extremismus und auf die Schaffung dialogbereiter Subjekte abzielt (Tezcan 2007; Schmid 2010b; Malik 2013; Schiffauer 1997a, 2003, 2008; Deutscher Bundestag 2016: 4)24 . Die weitgefasste Präventionstech24
So ist in einem Bericht des Wissenschaftsrats zu lesen: »Die Ausgrenzung der Theologien in eigenständige kirchliche Institutionen kann der Abschließung der jeweiligen Religionsgemeinschaft gegenüber der Gesellschaft Vorschub leisten. Daher haben Staat und Gesellschaft auch ein Interesse an der Einbindung der Theologien in das staatliche Hochschulsystem. Die Integration der Theologien stellt sicher, dass die Gläubigen ihre faktisch gelebten Bekenntnisse im Bewusstsein artikulieren, von außen auch als historisch kontingent betrachtet werden zu können. Sie konfrontiert die Religionsgemeinschaften mit der Aufgabe, ihren Glauben unter sich wandelnden Wissensbedingungen und -horizonten immer neu auslegen zu müssen. Dies kann am besten unter den an Universitäten geregelten Bedingungen wissenschaftlicher Kommunikation und Erkenntnisproduktion gelingen. Damit beugen Staat und Gesellschaft auch Tendenzen zur Vereinseitigung und Fundamentalisierung von religiösen Standpunkten vor.« (Wissenschaftsrat 2010: 56-57; Herv. J.W.)
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
nologie des (interreligiösen) Dialogs schwärmt folglich in Bereiche auch jenseits der Integrationspolitik im engeren Sinne aus und etabliert sich hier z.B. in der Akademia. O’Toole et al. stellen hierzu fest, dass »there is potential for Prevent to leach into other policy areas due to the new strategy’s focus on institutions and sectors and its goal to charge front-line personnel in schools, universities, health services and charities with Prevent delivery« (2016: 174). So wird auch das universitäre Personal zu Mitstreiter/innen in Dialog und Extremismusprävention. Gleichzeitig lässt sich in diesen Mechanismen ein politischer Zugriff auch auf Fragen der Hermeneutik und der Exegese und somit eine »Komplizenschaft zwischen theologischer Hermeneutik und gouvernementaler Rationalität« (Tezcan 2007: 64) ausmachen. Theologie wird zum Relais und Zugriffspunkt sicherheits- und integrationspolitischer Programme. In dieser Arbeit wird noch zu zeigen sein, wie in kommunalen Kontexten die Integration von Theologie in die Techniken dialogischen Regierens Eingang findet. Neben anerkennungslogischen Argumenten gab es immer schon integrationspolitische Ziele in der Einrichtung »islamischer« Theologien (Tezcan 2007). Eine »massive Einmischung in theologische Angelegenheiten« (Tezcan 2009: 72) lässt sich nicht nur mit Blick auf Deutschland identifizieren. So zeigt Mahmoud in Bezug auf die US-amerikanische Politik des Muslim Word Outreach (Mahmoud 2006), wie »islamisch«-hermeneutische Wahrheitsfindung aus sicherheitspolitischen Gründen durch die Stärkung bestimmter theologischer Sprecherpositionen beeinflusst wird (für Frankreich: Mavelli 2013; für UK: O’Toole et al. 2016). Einerseits sollen »Muslime« gegen religiös-extremistische Positionen gefeilt werden, indem sie eine bestimmte religiöse Bildung erhalten. »The need for action in immigration policy is combined with questions of faiths and religious identity as well as security interests.« (Malik 2013: 500) Insofern im politischen und wissenschaftlichen Diskurs diagnostiziert wird, dass in der »muslimischen« Basis eine »gelegentliche Unsicherheit [herrsche]« (Rohe 2015: 27), da es »an inhaltlicher religionsspezifischer Argumentationsfähigkeit gegenüber extremistischen Positionen [mangele]« (ebd.: 27), werde »sehr […] begrüß[t], dass man in Deutschland nun den Weg geht, eine islamische Theologie nach dem geltenden Religionsverfassungsrecht zu etablieren, die auf hohem wissenschaftlichen Niveau authentische muslimische Selbstdefinition im Rahmen des säkularen, religionsoffenen Rechtsstaats ermöglicht« (ebd.: 27). Ferner wird eine säkulare, tolerante, reflexive und weniger gesetzesförmige »islamische« Religiosität gefördert (Tezcan 2011a, b, 2012), die religiös bedingte Konflikte unwahrscheinlicher machen solle (Deutscher Bundestag 2016; Mahmoud 2006; Mavelli 2013).
3.5.5
Thinktanks, Stiftungen und wissenschaftliche Einrichtungen: die heterogenen Felder und Orte dialogbezogener Wissensproduktion
Um als Regierung wirksam zu werden, (re-)produziert der Diskurs um Dialog die ethnisierende Vorstellung einer »muslimischen« Bevölkerung mit fester Identität, die sodann an diverse Probleme geknüpft wird (Rodatz u. Scheuring 2011; Schiffauer 2008). Im Feld des interkulturellen und interreligiösen Dialogs und unter Rekurs auf dessen Identitätsordnungen formiert sich derzeit ein breites integrationspolitisches, sozialwissenschaftliches, theologisches und religionspädagogisches Wissen über die religiösen und kulturellen Lebensweisen von Zugewanderten und ihren Nachkommen. Dabei
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130
Gouvernementalität der Freundschaft
wird »ein komplexes Wissensfeld über den Islam aufgebaut« (Tezcan 2007: 67), während »[d]as diskursive Format, in dem dieses Wissen produziert und zirkuliert wird, […] vornehmlich der Dialog mit dem Islam [ist]« (ebd.; vgl. Dornhof 2012; Amir-Moazami 2011a, b). Die nachfolgende Infobox illustriert hierzu die gegenwärtige dynamische wissenschaftliche Wissensproduktion zu interreligiösen Dialogen in den (i.w.S.) Religionswissenschaften sowie neue Formen der Institutionalisierung dieser Wissensproduktionen. Denn das Wissen über »Dialog« und »Islam« wird zunehmend »in professionellen wissenschaftlichen Einrichtungen produziert […]« (Tezcan 2009: 67). Das »sozialwissenschaftliche Aufgreifen des Dialogs, das diesen auf Sicherheits- und Integrationsfragen hin modelliert, klinkt sich als eine weitere Instanz in die Dialogdebatte mit ein« (ebd.). Auch ist auf diverse Expert/-innen-Netzwerke und Thinktanks hinzuweisen, in welchen sich das neue Wissen konzentriert. Tezcan führt als Beispiel die »AG Islam und Politik« an, eine »gemeinsam[e] Initiative des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik« (2007: 67). Es ist dieses Netzwerk, aus dem z.B. der Sammelband »Politik und Islam« (Meyer u. Schubert 2011) resultierte, welcher Möglichkeiten der rechtlichen, organisatorischen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Integration von »Islam« und »Muslimen« diskutiert. Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. und diverse politische Stiftungen (z.B. Friedrich-Ebert-Stiftung, KonradAdenauer-Stiftung) setzen sich vielfach für die politische Stärkung eines »moderaten Islam« auf globaler Ebene ein und fördern dafür einen Dialog mit »moderaten Muslimen« (KAS 2008a, b; DGAP 2013; Tezcan 2007). Es sind v.a. die diskursiven Formen interkultureller und interreligiöser Dialoge, die das Sprechen über reflexive und moderate religiöse Subjekte rahmen. Aus der Perspektive der Dialogrationalität ist »der Westen« im Modus einer »Völkerverständigung« dazu aufgerufen, sich einerseits seiner Vorurteile gegenüber dem »Islam« zu entledigen und auf »islamische« Lebenswelten mit lernbereitem Interesse zuzugehen, andererseits aber »Muslime« in normative Debatten über Demokratie, Säkularität, Pluralismus und universale Menschenrechte zu involvieren (vgl. die Reden von Ex-Bundespräsident Roman Herzog: Herzog 1995, 1997, 1999). Der Dialog könne über seine Instrumente der Anerkennung und Wertschätzung den Zugang zum religiös und kulturellen »Anderen« ermöglichen, auch auf globaler Ebene. Herzog schildert: »Bei meiner Reise nach Pakistan habe ich an der Universität Islamabad im Rahmen allgemeiner weltpolitischer Erörterungen auch davon gesprochen, daß es für uns Europäer hoch an der Zeit sei, uns ein realistisches – und das heißt zunächst einmal vorurteilsfreies – Bild des Islam und seiner kulturellen Traditionen zu machen. Das hat mir die Herzen und Ohren meiner Gesprächspartner geöffnet.« (Herzog 1997: o.S.)
Religionswissenschaftliche und -pädagogische Wissensproduktionen für das Regieren durch Dialog Dialog wird vielfach zum Gegenstand theologischer, religionswissenschaftlicher und religionspädagogischer Debatten (z.B. Hajatpour 2005; Behr 2011, 2013a, b; Kandil 2008). So ist die These aufzustellen, dass die Bestrebung, Dialog aus theologischen und reli-
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
gionswissenschaftlichen Perspektiven zu beleuchten und unter Rekurs auf ein entsprechendes Wissen zu fundieren, in die allgemeine integrationspolitische Regierung von »Muslimen« mit einbezogen wird. Als eines der Resultate im Anschluss an die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Förderung religiöser Pluralität an deutschen Hochschulen im Jahr 201025 ist der Sammelband »Religionen – Dialog – Gesellschaft« von Amirpur und Weiße (2015) zu werten, dessen religionswissenschaftliche, religionspädagogische und theologische Beiträge Impulse für die Herausbildung und Praxis »dialogischer Theologien« (Untertitel) sowie Potenziale interreligiöser Dialoge erkunden. Von einem konfliktvollen Verhältnis zwischen sich kulturell und religiös definierenden Gruppen ausgehend, fragen die Autor/-innen »nach den Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Religion und Kultur in unserer Gesellschaft« (Weiße u. Amirpur 2015: 7) sowie nach Möglichkeiten »wechselseitiger Verständigung« (ebd.). Der Band verortet sich in religionswissenschaftliche Analysen, die nicht länger von einem mit Säkularisierungsprozessen einhergehenden Rückgang von Religionen sprechen, sondern stattdessen von einer Pluralisierung religiöser Identitäten ausgehen (Berger u. Weiße 2010; Casanova 2014). Angesichts solcher Phänomene wie in etwa dem Islamischen Staat merken die Herausgeber/-innen an, dass es »genügend gesellschaftliche Anlässe [gäbe], die Fragen zur Bedeutung von Religion und zum Dialog oder zu den Aggressionen, die mit Religion begründet werden, aufkommen lassen« (Weiße u. Amirpur 2015: 7). Hierbei möchte der Band die »viele[n] Beispiele in unserer Gesellschaft [hervorheben], die ein gutes Neben- und Miteinander von […] Menschen unterschiedlicher Religion als selbstverständlich erscheinen lassen« (ebd.) und der Frage nachgehen, »welche Rolle […] wissenschaftliche Theologie für die Fragen von interreligiösem Dialog spielen [könne]?« (Ebd.). Ähnliche Anliegen finden sich bspw. auch in den Beiträgen der Sammelbände von Hedges (2015) sowie von Weiße (2009). Der Band »Religionen – Dialog – Gesellschaft« wiederum ist eingebettet in ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2013 für fünf Jahre finanziertes Projekt mit dem Titel »Religion und Dialog in modernen Gesellschaften«, das an der 2010 gegründeten Akademie der Weltreligionen an der Universität Hamburg angesiedelt ist. Ziel des Projekts wie auch des Sammelbands ist es, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen dialogische und interreligiöse Perspektiven zu erarbeiten, die zur Regulierung von Differenzen Einsatz finden sollen (Weiße u. Amirpur 2015). Hierfür »entwickelt ein interdisziplinär und interreligiös zusammengesetztes Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler» in einem an der Akademie der Weltreligionen angesiedelten ›Forschungslabor‹ Konzeptionen einer dialogischen Theologie« (Weiße u. Amirpur 2015: 9), die – ebenso wie neue interreligiöse Perspektiven – »in Bezug zu gesellschaftlichen Problemfeldern in modernen Einwanderungsgesellschaften erörtert [werden sollen], um einen praktischen Beitrag für das Zusammenleben in unserer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft zu leisten« (ebd.: 8). Hier zeigt sich der Band stark eingebettet in integrationspolitische Ziele und Erwartungen. So diskutiert der Band z.B. theologische Perspektiven zur Begründung von Dialogfähigkeit u.a. des »Islam«. »Islamischer« Dialogfähigkeit sind gleich zwei Aufsätze gewidmet (Amirpur 2015; Soroush 2015) – u.a. Amirpurs Vorstellung neuer Lesarten »traditionell-islamischer« Texte, aus der eine An-
131
132
Gouvernementalität der Freundschaft
erkennung des religiös Anderen (Amirpur 2015) ersichtlich werden mag. Grundsätzlich geht es um die Frage, »welche [religiös-theologischen; Anm. J.W.] Ansätze […] es [gibt], die nicht auf Abgrenzung gegen andere Religionen setzen, sondern die ihr Profil im Dialog mit anderen und nicht gegen andere Religionen gewinnen«(Weiße u. Amirpur 2015: 8). So heißt es: »Die Entwicklung einer dialogisch ausgerichteten Theologie erscheint uns als wissenschaftlich notwendig und kann zudem eine Ressource für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Hintergründe in unserer Gesellschaft bilden. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, Religionen seien eher auf Abgrenzung und Kampf gegen andere ausgerichtet, geht unser Forschungsprojekt von der Hypothese aus, dass es im theologischen Grundbestand aller Religionen Kernelemente gibt, die sowohl den Dialog als auch die Akzeptanz und die Anerkennung von Menschen anderer religiöser und kultureller Zugehörigkeit begründen. Die terminologische Verankerung, die Begründungsmuster und die Intensität des Dialogthemas fallen in den verschiedenen Weltreligionen zwar z.T. unterschiedlich aus; es gibt jedoch überall bislang zu wenig beachtete Potenziale, denen unser Forschungsprojekt nachgeht.« (Weiße u. Amirpur 2015: 9) Einer solchen Aufgabe wären auch die in Deutschland neu gegründeten »islamisch«theologischen Institute verpflichtet u.a. 2012 an der Universität Erlangen-Nürnberg (Fallbeispiel der Arbeit) (Malik 2013). Ein integrationspolitisches Ziel der neuen Forschungsfelder sei auch, »der Frage nach[zugehen], wie sich der interreligiöse Dialog zwischen und innerhalb von Religionsgemeinschaften sowie mit säkularen Akteuren im städtischen Raum (z.B. aus Politik, Stadtverwaltung, Vereinen, NGOs, zivilgesellschaftlichen Institutionen) praktisch vollzieht, um zu ermessen, welchen Beitrag dieser zur Verständigung und Friedensbildung auf städtischer Ebene leisten kann« (Weiße u. Amirpur 2015: 9). Nicht zuletzt interessieren sich die Autor/-innen des Sammelbands von Amirpur und Weiße (2015) für die Gestaltung von Religionsunterricht, den sie als Baustein zur Etablierung einer dialogischen Haltung erachten. Küster (2015) wiederum illustriert am Beispiel künstlerischer Aktivitäten in Indonesien die Ästhetik interreligiöser Begegnung und erarbeitet Potenziale eines verständnisorientierten Dialogs. Schmidt-Leukel (2015) diskutiert Möglichkeiten interreligiösen Lernens, die das Konfliktpotenzial von Religionen nicht ausblenden. Pickel (2015) untersucht die Wirkung von Kontakten auf die Integration von Menschen anderer Religionen, und Nagel (2015, vgl. auch 2013) zielt auf eine Systematisierung interreligiöser Aktivitäten. Ein weiterer Beitrag diskutiert den Dialog zwischen »Christen« und »Muslimen« »als Methode der Radikalisierungsprävention« (Kiefer 2015). Andere Arbeiten definieren einen Dialog der Kulturen und Religionen als politische Friedensmaßnahme und diskutieren Potenziale in der »islamischen« Tradition, eine freiheitlich-demokratische, säkulare und plurale gesellschaftspolitische Ordnung zu bekräftigen (Ucar 2008, 2011; Kiefer 2015). Auch hier erscheint der »Dialog der Religionen als probates Mittel für den gesellschaftlichen Frieden« (Ucar 2011: Titel). All diese Arbeiten manifestieren sich als ein Regierungswissen, das für den integrationspolitischen Zugriff auf »Islam« und »Muslime« von größter Bedeutung zu sein scheint.
3. Der »Dialog mit Muslimen« – Konturen eines Regierungsformats
3.5.6
Wahrhaftige Subjekte
Im Wissen um Dialog konstituieren sich auch die Subjekte des Dialogs (Tezcan 2006, 2007); als legitim und angemessen erscheinende Interaktionspartner/-innen als Vertreter/-innen von Kulturen und Religionen, die gegenwärtig v.a. auf »muslimischer« Seite etabliert werden, um qua Dialog die als kulturell und religiös differenziert und daher potenziell konfliktvoll imaginierte Gesellschaft neu zu ordnen (Dornhof 2012; Malik 2013; Würth 2003). Das »muslimische« Subjekt bleibt dabei auch im Anerkennungsdialog eines, dem misstraut wird. Die eingeforderten öffentlichen Bekenntnisse von »Muslimen« zu Demokratie und Rechtsstaat stehen unter dem Verdacht, nur Lippenbekenntnisse zu sein (Schiffauer 2007; Tezcan 2012). »Muslime« werden als doppeldeutige, janusgesichtige Subjekte konstituiert (Schiffauer 2007: 118) – der Entwurf ist hier jener des »undurchsichtigen Muslims« (ebd.: 124), der hinter der Fassade eine Islamisierung der Gesellschaft plant. Wenn nun »jede Praktik [einer] Gruppe (z.B. Ermunterung der Mitglieder zur Einbürgerung) als Tarnung eigentlicher Zwecke oder Ausbau der islamistischen Einflusssphäre gedeutet [wird]« (Tezcan 2012: 80), dann wird »Wahrhaftigkeit« (Tezcan 2009) zum Ziel der politischen Technologie, die einen Zustand erreichen muss, dem »Anderen« glauben zu können. Im Diskurs um »Islam« gehe es stets auch um die »Accountabilität [sic!]« (Tezcan 2009: 77) des »muslimischen« Subjekts: Und hier kommt der Dialog ins Spiel, der einen Zustand der Offenheit und des Vertrauens erreichen möchte, um den »Bedarf an Wahrhaftigkeit« (ebd.) zu decken. Mit Amir-Moazami (2011a, b) lässt sich das als eine Besonderheit des Dialogs werten (Tezcan 2007; Peter 2008): »Es [scheint] kein Zufall zu sein, dass in einer Situation, die über den Zusammenprall kultureller Werte definiert wird, die Wahrhaftigkeit zur zentralen Sorge der politischen Kommunikation wird.« (Tezcan 2009: 77)
25
,,Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen« vom 29. Januar 2010 unter: www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9678-l O.pdf.
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4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
Nachdem umfangreich der diskursive Kontext beschrieben wurde, vor dessen Hintergrund ein »Dialog mit Muslimen« auftauchen konnte, und nachdem letzterer in vielerlei Hinsicht als Regierungsprogramm im integrationspolitischen Kontext charakterisiert wurde, soll nun in Verbindung mit einem ersten empirischen Schritt genauer danach gefragt werden, inwiefern auch dezidiert lokale »Dialoge mit Muslimen« eine besondere Bedeutung erlangten – bzw. inwiefern und inwieweit die lokale und kommunale Ebene als dialogisches Regierungsfeld ins Blickfeld gelangte.
4.1
Produktion von Regierungswissen in integrationspolitischen Papieren und der anwendungsbezogenen Dialogforschung: ein erster methodischer Forschungsschritt
Um Regierungsprozesse aufzuschlüsseln, braucht es eine integrative Analyse der Regierungsrationalitäten einerseits und der konkret intervenierenden Praktiken und Techniken des (lokalen) Regierens andererseits (Miller u. Rose 2008 [1990]; Miller u. Rose 2008; van Dyk et al. 2014: 348). So sind die Formationen politischen Wissens zu rekonstruieren, die sich in Verschränkung mit Praktiken etablieren (Lemke et al. 2000; Li 2007). Neben der primären Aufgabe dieser Arbeit, den lokalen Praktiken dialogischen Regierens von »Islam« und »Muslimen« ethnographisch nachzuspüren, ist es zur Kontextualisierung notwendig, »größere« diskursive Formationen zu rekonstruieren. Dies wurde im vorigen Kapitel unter Rekurs auf die Arbeiten zahlreicher, teils auch mit Foucaults Ansätzen arbeitender Autor/-innen angegangen. Dabei wurden bislang überwiegend Eckpunkte der Regierungsprogrammatik des Dialogs analysiert, wie sie in nationalen Politiken und Maßnahmen manifest wurden. Demgegenüber wurde die lokale Ebene des Dialogs bislang nicht explizit thematisiert. Daher möchte dieses Kapitel im Sinne eines ersten empirischen Schritts ausgewählte integrationspolitische Papiere und Handreichungen sowie diverse anwendungsbezogene Studien untersuchen, die dezidiert lokale »Dialoge mit Muslimen« behandeln. Eine Analyse solcher Materialien
136
Gouvernementalität der Freundschaft
kann dann zum einen dokumentarisch aufzeigen, welche Dialogmaßnahmen auf lokaler und kommunaler Ebene überhaupt existieren, und zum anderen bereits analytisch programmatische Eckpunkte des Regierens durch lokale Dialoge herausarbeiten, insofern die untersuchten Studien und policy paper aus den vorgestellten Dialogmaßnahmen auch Programme ableiten. So sollen im Folgenden Kernmomente des Regierens durch lokale Dialoge rekonstruiert werden. Für diese Aufgabe habe ich folgende Materialsorten einbezogen und kategorisierend analysiert: (1) politische Programmpapiere und kommunalpolitische Handreichungen, (2) anwendungsbezogene Dialogforschung, und (3) erfahrungsbasierte Literatur aus dem Bereich »interreligiöser Dialoge«. Die verschiedenen integrationspolitischen Handreichungen, sowohl Papiere aus dem Kontext der DIK als auch Empfehlungen anderer integrationspolitischer Institutionen, werden im Fließtext jeweils kurz charakterisiert. In Bezug auf die anwendungsbezogenen Studien und die erfahrungsbasierte Dialogliteratur ist dabei vor allem auf die 2008 erschienene, von der Robert-Bosch-Stiftung geförderte und von (Landes)Politik und Kirchen unterstützte Studie von Schmid et al. (2008) zu verweisen (mit einem Vorwort u.a. des ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg). Diese Studie beschreibt kommunale Dialogstrukturen zwischen Politik, Gesellschaft und »muslimischen« Organisationen und Gemeinden in lokalen Kontexten in BadenWürttemberg und liefert daraufhin Anregungen für die Ausgestaltung von Dialogen auf lokaler und kommunaler Ebene. Auch die Studien von Klinkhammer et al. (2011) sowie von Hansjörg Schmid zum Zusammenhang von interreligiösen Dialogen und Integration (2010a) stellen Arbeiten dar, die integrationspolitisch motiviert Möglichkeiten der Dialogführung auf lokaler Ebene aufarbeiten. Hansjörg Schmid, Leiter des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG), hat vielfach selbst Erfahrungen im kommunalen Dialog mit dem »Islam« in Deutschland gemacht. So gestaltete er die soeben genannte Studie über kommunale Dialoge in Baden-Württemberg mit, war von 2012 bis 2015 im Beirat des Projekts »Muslimische Gemeinden als kommunale Akteure« des Goethe-Instituts und der Robert-Bosch-Stiftung sowie von 2008 bis 2010 im Beirat des Projekts »Interkulturelle Öffnung islamischer Vereine« der Stadt Stuttgart tätig.1 Seine Arbeiten erscheinen folglich als (ge-)wichtige Dokumente im Feld der anwendungsbezogenen Dialogforschung und als relevant für die Analyse der Produktion dialogischen Herrschaftswissens. Ferner wurde die Studie »Miteinander vor Ort – Kommunale Islamforen« einbezogen, die auf der Arbeit des Interkulturellen Rats in Deutschland basiert, sowie der von der Beratungsstelle für Christlich-Islamische Begegnung der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche von Westfalen geförderte Sammelband »Dialog im Wandel«, in welchem Autor/-innen, die an kirchlich (co-)initiierten, lokalen interreligiösen Dialogen mitwirk(t)en, selbige reflektieren. Derartige Literatur aus dem Bereich kirchlicher interreligiöser Dialoge wurde mit einbezogen, da im Rekurs auf die bisherigen Erkenntnisse angenommen wird, dass auch eine Analyse der Programmatiken interreligiöser Dialoge für das Verständnis des integrationspolitischen Dialogformats bedeutsam ist. Dabei sind es v.a. Reflexionen über lokale interreligiöse Praktiken, die in diesen Arbeiten auftauchen.
1
www.unifr.ch/szig/de/about/team/hansjoergschmid/, (31.05.2017).
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
Die ausgewählten Studien wurden nun im Hinblick auf das sich dort formierende Regierungswissen untersucht. Konkret wurde das Material danach befragt, wie »lokale Dialoge« gedeutet und beschrieben, welche Ziele mit »lokalen Dialogen« verknüpft werden und welche Rolle der lokalen Ebene zugeschrieben wird. In einem offenen kodierenden Verfahren (Glasze et al. 2009; Mattissek 2009) wurden Kategorien gebildet, um wiederkehrende Muster in der (sprachlich-programmatischen) Darstellung lokaler Dialoge zu benennen. Die Ergebnisse leisten einen Überblick über die Programmatik lokaler Dialoge.
4.2
Allgemeine Zielsetzungen eines lokalen »Dialogs mit Muslimen«
Handreichungen und Best-Practice-Beispiele zu lokalen Dialogen vor Ort sowohl interreligiöser als auch nicht explizit interreligiöser Art finden sich bspw. in einigen DIKPublikationen wieder. Die 2011 erschienene, vom Bundesinnenministerium geförderte Handreichung »Dialog – Öffnung – Vernetzung« bspw. liefert einen »Leitfaden für die gesellschaftskundliche und sprachliche Fortbildung von religiösem Personal und weiteren Multiplikatoren islamischer Gemeinden auf kommunaler Ebene« (Untertitel). Behandelt werden u.a. Formen der Involvierung »muslimischer« Gemeindevertreter/innen in spezifische Fortbildungen und Workshops auf kommunaler Ebene. Grundsätzlich werden Möglichkeiten eruiert, Dialogstrukturen zwischen Politik und Verwaltung, Gesellschaft und »muslimischen« Gemeinschaften auf lokaler Ebene aufzubauen und gemeinsame Bildungs- und Begegnungsinitiativen zu gestalten. Ziel ist, die »Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in Deutschland [zu fördern]« (DIK 2011: 19). Dabei wird das religiöse Personal dazu »befähigt, sich […] aktiv und fördernd für die Integration ihrer Gemeindemitglieder einzusetzen [und] mit der deutschen Gesellschaft, den staatlichen Einrichtungen und den anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland in einen konstruktiven Dialog zu treten« (ebd.). »Muslimische« Vertreter/-innen sollen so »zu einer stärkeren Öffnung der Gemeinden bei[tragen], um auch öffentlich als ein Teil Deutschlands wahrgenommen zu werden« (ebd.). Es ist letztlich eine programmatische Handreichung für dezidiert lokale Dialoge, über die die »muslimische« Bevölkerung qua Ausbildung ihrer Vertreter/-innen – z.B. »im Hinblick auf einen bestimmten religiösen Wortschatz oder rhetorische und interkulturelle Fähigkeiten« (DIK 2011: 32) – gesellschaftlich integriert werden soll. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass »die Verankerung der islamischen Gemeinden in das sie umgebende soziale und gesellschaftliche Umfeld […] nur in seltenen Fällen wirklich gelungen« (DIK 2011: 10-11) sei, soll die Handreichung dazu beitragen, »den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Staat, Mehrheitsgesellschaft und Muslimen vor Ort, d.h. auf kommunaler Ebene, praktisch zu verbessern« (ebd.: 86), Strategien »zur Intensivierung des Dialogs vor Ort« zu entwickeln (ebd.: 17) und damit ein »besseres Miteinander von Mehrheitsgesellschaft und Muslimen« (ebd.: 15) zu fördern, »die islamischen Gemeinden als aktive und konstruktive Akteure des Dialogs in einer kulturell und religiös offenen Gesellschaft vor Ort zu unterstützen« (ebd.: 17) sowie Maßnahmen »zur Öffnung von islamischen Gemeinden in ihr kommunales Umfeld und zu ihrer nachhaltigen Vernetzung mit kommunalen Akteuren« zu erschließen (letztes Zitat: damaliger Bundesinnenminister Hans-Peter
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4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
Die ausgewählten Studien wurden nun im Hinblick auf das sich dort formierende Regierungswissen untersucht. Konkret wurde das Material danach befragt, wie »lokale Dialoge« gedeutet und beschrieben, welche Ziele mit »lokalen Dialogen« verknüpft werden und welche Rolle der lokalen Ebene zugeschrieben wird. In einem offenen kodierenden Verfahren (Glasze et al. 2009; Mattissek 2009) wurden Kategorien gebildet, um wiederkehrende Muster in der (sprachlich-programmatischen) Darstellung lokaler Dialoge zu benennen. Die Ergebnisse leisten einen Überblick über die Programmatik lokaler Dialoge.
4.2
Allgemeine Zielsetzungen eines lokalen »Dialogs mit Muslimen«
Handreichungen und Best-Practice-Beispiele zu lokalen Dialogen vor Ort sowohl interreligiöser als auch nicht explizit interreligiöser Art finden sich bspw. in einigen DIKPublikationen wieder. Die 2011 erschienene, vom Bundesinnenministerium geförderte Handreichung »Dialog – Öffnung – Vernetzung« bspw. liefert einen »Leitfaden für die gesellschaftskundliche und sprachliche Fortbildung von religiösem Personal und weiteren Multiplikatoren islamischer Gemeinden auf kommunaler Ebene« (Untertitel). Behandelt werden u.a. Formen der Involvierung »muslimischer« Gemeindevertreter/innen in spezifische Fortbildungen und Workshops auf kommunaler Ebene. Grundsätzlich werden Möglichkeiten eruiert, Dialogstrukturen zwischen Politik und Verwaltung, Gesellschaft und »muslimischen« Gemeinschaften auf lokaler Ebene aufzubauen und gemeinsame Bildungs- und Begegnungsinitiativen zu gestalten. Ziel ist, die »Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in Deutschland [zu fördern]« (DIK 2011: 19). Dabei wird das religiöse Personal dazu »befähigt, sich […] aktiv und fördernd für die Integration ihrer Gemeindemitglieder einzusetzen [und] mit der deutschen Gesellschaft, den staatlichen Einrichtungen und den anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland in einen konstruktiven Dialog zu treten« (ebd.). »Muslimische« Vertreter/-innen sollen so »zu einer stärkeren Öffnung der Gemeinden bei[tragen], um auch öffentlich als ein Teil Deutschlands wahrgenommen zu werden« (ebd.). Es ist letztlich eine programmatische Handreichung für dezidiert lokale Dialoge, über die die »muslimische« Bevölkerung qua Ausbildung ihrer Vertreter/-innen – z.B. »im Hinblick auf einen bestimmten religiösen Wortschatz oder rhetorische und interkulturelle Fähigkeiten« (DIK 2011: 32) – gesellschaftlich integriert werden soll. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass »die Verankerung der islamischen Gemeinden in das sie umgebende soziale und gesellschaftliche Umfeld […] nur in seltenen Fällen wirklich gelungen« (DIK 2011: 10-11) sei, soll die Handreichung dazu beitragen, »den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Staat, Mehrheitsgesellschaft und Muslimen vor Ort, d.h. auf kommunaler Ebene, praktisch zu verbessern« (ebd.: 86), Strategien »zur Intensivierung des Dialogs vor Ort« zu entwickeln (ebd.: 17) und damit ein »besseres Miteinander von Mehrheitsgesellschaft und Muslimen« (ebd.: 15) zu fördern, »die islamischen Gemeinden als aktive und konstruktive Akteure des Dialogs in einer kulturell und religiös offenen Gesellschaft vor Ort zu unterstützen« (ebd.: 17) sowie Maßnahmen »zur Öffnung von islamischen Gemeinden in ihr kommunales Umfeld und zu ihrer nachhaltigen Vernetzung mit kommunalen Akteuren« zu erschließen (letztes Zitat: damaliger Bundesinnenminister Hans-Peter
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Gouvernementalität der Freundschaft
Friedrich im Vorwort der DIK-Broschüre: DIK 2011: 6). Die Hoffnung ist, dass »der Funke [des Dialogs; Anm. J.W.] nun auf viele Kommunen überspringt« (damaliger Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Vorwort: ebd.: 7). Ausgehend von den Beobachtungen, dass sich das Zusammenleben in deutschen Städten als ein Zusammenleben in Vielfalt ausgestaltet (DIK 2011: 10) und dass Stadtpolitiken den »kulturellen Potenzialen« (ebd.) von »Menschen mit Migrationshintergrund« (ebd.) Rechnung zu tragen haben, wird die Idee eines lokalen Dialogs zwischen Kommunen und »muslimischer« Bevölkerung propagiert. Dieser müsse »vor Ort, in den Städten und Gemeinden, in den sozialen Beziehungen und in der Nachbarschaft [erfolgen]« (ebd.). Der lokale Dialog könne sodann versuchen, die »auf Seiten der Gemeinden [u.a. vorzufindenden] sprachliche[n] Barrieren« (ebd.: 11) sowie »strukturelle Probleme […] aufzubrechen und über alle Unterschiede hinweg zu einem Miteinander der Menschen vor Ort zu kommen« (ebd.). Über die »Verankerung der [muslimischen] Gemeinden in der Stadtgesellschaft« (DIK 2011: 17) wird »für beide Seiten eine ›Win-Win-Situation’« angestrebt (ebd.). Ferner wird mit den Aussagen, dass die »Verschiedenheit in Kultur und Religion […] Respekt und Toleranz [erfordert] […], aber auch Kenntnis unterschiedlicher Prägungen, Offenheit und Bereitschaft zum Dialog voraus[setzt]« (ebd.: 11), die Programmatik des Dialogs bestimmt. Die Förderung des »interkulturelle[n] und interreligiöse[n] Dialog[s]« (DIK 2011: 11) sowie die Förderung einer »Vernetzung vor Ort« (ebd.) seien »wichtige Eckpfeiler für ein friedliches und konfliktfreies Zusammenleben« (ebd.; Anmerkung: Zitate aus den Seiten zehn bis elf der Broschüre »Dialog – Öffnung – Vernetzung« stammen aus einer gemeinsamen schriftlichen Rede von Ulrich Maly, OB der Stadt Nürnberg, und Wolfgang Meyer, OB der Stadt Göttingen, die für die an der DIK teilnehmenden Städte sprechen). Im Folgenden sollen zentrale Koordinaten des Diskurs- und Regierungsfeldes »lokaler Dialog« vorgestellt werden, wie sie sich in den programmatischen Dokumenten und praktischen Forschungsstudien ausdrücken.
4.3
Koordinaten lokaler Dialoge
Die folgenden programmatischen Achsen wurden aus dem erwähnten Materialkorpus herausgearbeitet.
Achse 1: Zusammen mit »Muslimen« praktische Fragen des Zusammenlebens regulieren Die Artikulation lokaler Dialogmaßnahmen als Möglichkeiten, konkrete und lokale Probleme des Zusammenlebens zu regulieren, drückt sich am ehesten in den integrationspolitischen Handreichungen aus. Der Kommunale Qualitätszirkel zur Integrationspolitik (KQI) in etwa – ein Zusammenschluss mehrerer Städte zum Austausch über Integrationsfragen – hebt zunächst die Bedeutung religiöser Identitäten hervor: »Religion ist […] eine nicht zu vernachlässigende Größe in der Einwanderungsgesellschaft und auch deshalb ein kommunales Thema.« (KQI 2012: 3) Religion sei »in all ihren vielen Ausprägungsformen wahrzunehmen und zu berücksichtigen« (ebd.: 3). Anschließend wird betont, dass es im Umgang von Kommunen mit Religionsgemeinschaften zu Konflikten
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Gouvernementalität der Freundschaft
Friedrich im Vorwort der DIK-Broschüre: DIK 2011: 6). Die Hoffnung ist, dass »der Funke [des Dialogs; Anm. J.W.] nun auf viele Kommunen überspringt« (damaliger Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Vorwort: ebd.: 7). Ausgehend von den Beobachtungen, dass sich das Zusammenleben in deutschen Städten als ein Zusammenleben in Vielfalt ausgestaltet (DIK 2011: 10) und dass Stadtpolitiken den »kulturellen Potenzialen« (ebd.) von »Menschen mit Migrationshintergrund« (ebd.) Rechnung zu tragen haben, wird die Idee eines lokalen Dialogs zwischen Kommunen und »muslimischer« Bevölkerung propagiert. Dieser müsse »vor Ort, in den Städten und Gemeinden, in den sozialen Beziehungen und in der Nachbarschaft [erfolgen]« (ebd.). Der lokale Dialog könne sodann versuchen, die »auf Seiten der Gemeinden [u.a. vorzufindenden] sprachliche[n] Barrieren« (ebd.: 11) sowie »strukturelle Probleme […] aufzubrechen und über alle Unterschiede hinweg zu einem Miteinander der Menschen vor Ort zu kommen« (ebd.). Über die »Verankerung der [muslimischen] Gemeinden in der Stadtgesellschaft« (DIK 2011: 17) wird »für beide Seiten eine ›Win-Win-Situation’« angestrebt (ebd.). Ferner wird mit den Aussagen, dass die »Verschiedenheit in Kultur und Religion […] Respekt und Toleranz [erfordert] […], aber auch Kenntnis unterschiedlicher Prägungen, Offenheit und Bereitschaft zum Dialog voraus[setzt]« (ebd.: 11), die Programmatik des Dialogs bestimmt. Die Förderung des »interkulturelle[n] und interreligiöse[n] Dialog[s]« (DIK 2011: 11) sowie die Förderung einer »Vernetzung vor Ort« (ebd.) seien »wichtige Eckpfeiler für ein friedliches und konfliktfreies Zusammenleben« (ebd.; Anmerkung: Zitate aus den Seiten zehn bis elf der Broschüre »Dialog – Öffnung – Vernetzung« stammen aus einer gemeinsamen schriftlichen Rede von Ulrich Maly, OB der Stadt Nürnberg, und Wolfgang Meyer, OB der Stadt Göttingen, die für die an der DIK teilnehmenden Städte sprechen). Im Folgenden sollen zentrale Koordinaten des Diskurs- und Regierungsfeldes »lokaler Dialog« vorgestellt werden, wie sie sich in den programmatischen Dokumenten und praktischen Forschungsstudien ausdrücken.
4.3
Koordinaten lokaler Dialoge
Die folgenden programmatischen Achsen wurden aus dem erwähnten Materialkorpus herausgearbeitet.
Achse 1: Zusammen mit »Muslimen« praktische Fragen des Zusammenlebens regulieren Die Artikulation lokaler Dialogmaßnahmen als Möglichkeiten, konkrete und lokale Probleme des Zusammenlebens zu regulieren, drückt sich am ehesten in den integrationspolitischen Handreichungen aus. Der Kommunale Qualitätszirkel zur Integrationspolitik (KQI) in etwa – ein Zusammenschluss mehrerer Städte zum Austausch über Integrationsfragen – hebt zunächst die Bedeutung religiöser Identitäten hervor: »Religion ist […] eine nicht zu vernachlässigende Größe in der Einwanderungsgesellschaft und auch deshalb ein kommunales Thema.« (KQI 2012: 3) Religion sei »in all ihren vielen Ausprägungsformen wahrzunehmen und zu berücksichtigen« (ebd.: 3). Anschließend wird betont, dass es im Umgang von Kommunen mit Religionsgemeinschaften zu Konflikten
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
kommen kann, die eine Regulierung benötigen.2 Grundsätzlich wirft die Handreichung im Hinblick auf religiöse Gemeinden implizit vielfach die Sorge um Segregation auf. Dialog ist hier – und in weiteren Arbeiten (DIK 2009a, 2011; Kuhla u. Szukitsch 2011; Schmid et al. 2008) – eine Möglichkeit, Bedürfnisse einzelner Gruppen im kommunalen Zusammenleben zu adressieren. Schmid et al. (2008), die Dialogstrukturen zwischen Politik, Gesellschaft und »muslimischen« Organisationen in lokalen Kontexten in Baden-Württemberg beschreiben, erkennen im Aufbau kommunaler Dialogstrukturen und entsprechender Kommunikationskanäle, »runder Tische« und Arbeitsgruppen die Möglichkeit, die »Integrationspotentiale islamischer Vereinigungen stärker […] in kommunale Prozesse einzubinden« (ebd.: 293). Der Aufbau solcher Dialogstrukturen sei bereits in vielen kommunalen Kontexten erfolgt. Auf Basis der Reflexion vieler bereits existierender Institutionalisierungsformen der Interaktion zwischen Kommunen und »muslimischen« Gruppen wird empfohlen, »über einzelne Anlässe hinaus[gehend] geregelte Kommunikationsformen [zu etablieren], die zur Klärung und zu einer größeren Partizipation islamischer Vereinigungen am kommunalen Leben beitragen« (Schmid et al. 2008: 293) sowie zur »Öffnung und Veränderung der [islamischen] Vereine führen [können] (ebd.: 286). Dieter Berg von der Robert-Bosch-Stiftung, die das Projekt von Schmid et al. förderte, schreibt: »Ziel sollte es sein, einen ehrlichen und fortwährenden Dialog zu führen, für eine verstärkte Öffnung und Einbindung islamischer Vereinigungen zu sorgen und die Mehrheitsgesellschaft über die notwendige Wahrnehmung und Anerkennung von Vielfalt hinaus für eine positive und bereichernde Aufnahmebereitschaft zu gewinnen.« (in: Schmid et al. 2008: 12) Hierzu wird empfohlen, v.a. Moscheevertreter/-innen der zweiten und dritten Generation, die in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert seien (ebd.: 293), in den Dialog einzubinden. Vielfach zielen lokale Dialoge auf die Ausbildung von Imamen zu Integrationsakteuren (DIK 2011; IOM 2013), da »die Ausbildung und das Profil der Imame […] noch vielfach von den Herkunftsländern geprägt [sei]« (Schmid et al. 2008: 295). Die Ausbildung von Imamen an deutschen Universitäten solle gefördert werden (ebd.: 296). Grundsätzlich brauche »die Öffnung islamischer Vereinigungen […] Resonanz von kommunalen oder kirchlichen Einrichtungen, um nicht ins Leere zu laufen« (ebd.: 294). 2
Diese können sein: Forderungen der Religionsgemeinschaften nach separater Behandlung in den Bereichen Schule, Gesundheit oder Arbeit, Konflikte um Bauvorhaben, Konflikte, die aus der Etablierung religiöser Schulen und Kindergärten als Konkurrenz zu öffentlichen Bildungseinrichtungen resultieren, Schwierigkeiten, Weigerungen »muslimischer« Eltern, ihre Kinder an Klassenfahrten, Schwimm-, Sport- und Sexualkundeunterricht teilnehmen zu lassen, die Skepsis »muslimischer« Eltern, ihre Kinder in städtische Kindertagesstätten zu schicken, Konflikte bezüglich »muslimischer« Feiertage vor dem Hintergrund des Schul- und Arbeitsrechts, Forderungen von »Muslimen« nach Gebetsräumen in Schule und Arbeit, Konflikte zwischen tierschutzrechtlichen Bestimmungen und der »muslimischen« Praxis des Schächtens, Herausforderungen der Kommunen im Hinblick auf die Identifizierung der Verfassungskonformität einzelner religiöser Organisationen, Schwierigkeiten, Kinder aus »streng religiösen Elternhäusern« (KQI 2012: 13) zu erreichen, beobachtete »Versuche einer Instrumentalisierung von Religion, um eine verfassungsfeindliche Radikalisierung von Jugendlichen zu legitimieren« (ebd.: 16), »Konflikte zwischen Jugendamt und religiös orientierten Einwandererfamilien« (ebd.: 15) sowie religiöse Radikalisierung (KQI 2012).
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Der Dialog müsse aufmerksam gegenüber Öffnungsprozessen sein. Die Regulierung von Problemen des alltäglichen Zusammenlebens wird als eine Praxis beschrieben, die im Dialog eine besondere Qualität wechselseitiger Interaktion aufweise. Der Dialog reguliere Probleme mittels spezifischer Sensibilitäten, Kommunikationstalenten und Reflexionsformen.
Achse 2: Vernetzung und dauerhafte Kontakte und Beziehungen vor Ort »Dialog schafft Netzwerke und neue institutionelle Einheiten, in denen Menschen verschiedener Gruppenzugehörigkeit gemeinsam als zivilgesellschaftliche Akteure auftreten. Dadurch werden Gruppengrenzen aufgebrochen. Dem kommt nicht nur eine hohe symbolische Bedeutung zu, sondern im Fall von Krisen können diese Einheiten auch moderierend in Bezug auf beide Seiten wirken.« (Schmid 2010a: 534) Stets wird im Hinblick auf die Förderung lokaler Dialoge angestrebt, »mehr Vernetzung, Austausch und Vertrauen zwischen Kommunen und muslimischen Organisationen« zu erreichen (DIK 2011: 16). Dadurch könne »die Kommune […] ihrerseits […] mehr Verständnis für muslimische Belange entwickeln« (ebd.: 28), womit eine »Nachhaltigkeit in den Beziehungen zu den Gemeinden gewährleiste[t]« (ebd.) sei. Im Hinblick darauf solle auch ein Interesse am »interkulturellen Austausch […] im Bereich der Daseinsvorsorge, beispielsweise der Krankenhäuser, Senioreneinrichtungen und Friedhofsverwaltungen« gestärkt werden (ebd.: 18). Das »›Brücken bauen‹ zwischen Moscheevereinen, der kommunalen Verwaltung und der […] Bevölkerung ist das Ziel« (DIK 2009a: 418) der in einer DIK-Publikation dargestellten Beispiele kommunaler Dialoginitiativen. So werden bspw. »vom Bundesministerium des Innern seit dem Jahr 2006 [die] Projekte ›Weißt du, woran dein Nachbar glaubt? – Musliminnen im Dialog‹ und ›Fragen stellen erwünscht – Im Dialog sich kennen lernen’« (ebd.: 394) gefördert. Grundsätzlich liege »in den Kommunen […] die Basis für ein friedliches und gleichberechtigtes Miteinander aller am Gemeinwesen Beteiligten« (Klaus Spenlen; in: DIK 2009a: 247). Voraussetzungen für den »Dialog mit Muslimen« seien auf »muslimischer« Seite »die Professionalisierung der Vereins- und Öffentlichkeitsarbeit [und] die Kenntnis kommunaler Integrations- und Beratungseinrichtungen« (ebd.: 418) sowie ferner »persönliche Kontakte zwischen Mitarbeitern der verschiedenen städtischen Einrichtungen und aktiven Mitgliedern der Moscheegemeinden« (ebd.; Herv. J.W.). Der lokale Dialog fokussiert den Aufbau von »Netzwerke[n] der Kommunikation und Kooperation« (ebd.: 403), die dauerhaften und „kontinuierlichen« Charakter aufweisen sollen (DIK 2011: 30). Dabei wird betont, dass der Dialog zwischen Kommunen und »Muslimen« als ein auf Freiwilligkeit basierender Austausch zu organisieren ist – dessen Notwendigkeit »je nach Standort« (ebd.: 9) zu identifizieren sei.
Achse 3: Lokale Dialoge als (vermeintlich) »machtfreie« Gemeinschaftsbildung Achse 3a: Dialog als authentische Begegnungserfahrung und als Instrument der Selbstreflexion Im Dossier »Drei Jahre Deutsche Islamkonferenz« werden lokale Initiativen vorgestellt, die »im interreligiösen Dialog einen Beitrag zum Erhalt des gesellschaftlichen Friedens zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens [erkennen]« (DIK 2009a: 395) und
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
dafür einer »authentischen und offenen Begegnung von Menschen unterschiedlichen Glaubens« (ebd.) den Weg bereiten möchten, insofern »durch persönliche Begegnungen […] pauschale Vorurteile beseitigt und […] eine tatsächliche Annäherung erreicht werden« (ebd.; Herv. J.W.). Hier zeigt sich die Idee, dass durch Dialog eine »wirkliche«, »authentische« Begegnung stattfindet. Diese schaffe idealerweise »Toleranz und Verständnis für andere Positionen und Handlungen« (DIK 2011: 26). Hansjörg Schmid theoretisiert vor allem diesen Punkt und sieht im Dialog »eine Prozedur des Umgangs mit Differenz« (Schmid 2010a: 533). In der »intensiven Begegnungserfahrung des Dialogs treten Differenzen deutlich zu Tage« (ebd.), die dann in »eine[r] friedliche[n] und geregelte[n] Form der Konfliktaustragung« (ebd.) bearbeitet werden können. Dialog, so Schmid, »baut Vorurteile ab und trägt zum Kennenlernen des Anderen bei. Selbst- und Fremdbilder werden in einen unmittelbaren Austausch gebracht […]. Wer sich in den Dialog begibt, gewinnt eine Sensibilität für sein Gegenüber und lernt dessen Perspektive auf verschiedene Gegebenheiten kennen« (ebd.: 533). Die authentische, wirkliche Begegnung solle dabei vor Ort stattfinden, im Lokalen (Schmid et al. 2008; DIK 2011). Insofern Dialog bewusst reflektiert sei, könne er von zufälligen Begegnungen abgegrenzt werden. Dialog erscheint als selbstverständliche, gute, normale, menschliche, ästhetische und ethische Praktik des »AufeinanderZugehens«, als Prozess, um »einander vor Ort wirklich besser kennen zu lernen und nicht auf einer abstrakten themenorientierten Ebene zu verharren« (Schmid et al. 2008: 212). Der Dialog fordert das Subjekt auf, »offen zu sein für Veränderungen« (ebd.: 291). Dialog erzeuge Selbstreflexion und Offenheit (ebd.). Der Dialog »wird hier als bewusst reflektierte, wechselseitige Interaktionsform verstanden, die eine Verständigung zwischen den Dialogpartnern zum Ziel hat und sich nicht auf verbalen Austausch beschränkt« (ebd.: 32), wobei »[d]as Bemühen, den anderen von innen heraus zu verstehen, Aufrichtigkeit und die Bereitschaft zur Selbstkritik […] notwendige Haltungen derjenigen [sind], die sich im Dialog befinden« (ebd.). In den skizzierten Reflexionen wird dabei meist im Unklaren gelassen, ob alle Dialogparteien gleichermaßen Veränderungsbereitschaft zeigen müssten und was genau Selbstreflexion bewirken solle.
Achse 3b: Dialog als Differenzierung und als Möglichkeit, den »ganzen Menschen« zu sehen Im Gegensatz zum exklusiven Fokus auf die »muslimische« Identität des Subjekts, wie er bspw. im Kontext der DIK auszumachen war, betonen einige anwendungsbezogene Studien die Notwendigkeit, im Dialog den »ganzen Menschen« zu sehen und diesen nicht auf eine Identität zu reduzieren. Dieser Akt der Reflexion drückt daher eine gewisse Ambivalenz aus. Schmid schreibt: »[Dialog] führt […] nicht zu einseitigen Erklärungsmustern, sondern ist auch ein Ort der Differenzierung. Menschen mit ihren multiplen Identitäten beteiligen sich am Dialog, sodass dort nicht nur religiöse, sondern auch soziale Anliegen und Erfahrungen zum Tragen kommen. Gerade auch die Folgen der vielfach schwierigen ökonomischen Situation von Muslimen in Westeuropa für deren Identifikation mit den Einwanderungsländern können im Dialog zum Thema werden.« (Schmid 2010a: 534)
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Es wird zwar betont, dass »Dialog […] eine ganzheitliche Wahrnehmung der Menschen fördert« (ebd.), doch geht es dabei stets um die zu involvierenden »Muslime« – und damit um religiöse Identität.
Achse 3c: Lokale Dialoge als die »natürlichere«, machtfreie Integrationsleistung Schmid diskutiert die Frage, inwiefern eine »Integration durch interreligiösen Dialog« (Schmid 2010a: 519) konzeptionell gefasst werden könnte, und unternimmt den »Versuch einer Verhältnisbestimmung« (ebd.) zwischen Dialog und Integration. Daraus entwickelt er ein Dialogverständnis, das sich von normativen oder fordernden (Integrations-)Politiken distanziert. Er artikuliert Dialog als einen möglichst offenen Austausch und sieht diesen gerade deshalb als integrationspolitisch bedeutsam. Der Dialog ist für Schmid gar »ein Ort der Ideologiekritik gegen verengte Integrationsverständnisse« (ebd.: 534). Schmid argumentiert hier unter Rekurs auf Erfahrungen aus lokalen Dialogforen. So möchte ich die These unterstreichen, dass es gerade lokale Dialoge sind, die das Idealmotiv einer unvoreingenommenen, jenseits politischer Erwartungshaltungen stehenden Begegnung zwischen Individuen verkörpern (vgl. DIK 2011). Diese wird als Weg zur Verbesserung des lokalen Zusammenlebens zwischen kulturellen Gruppen beschrieben. Um Dialog von integrationspolitischen Engführungen zu befreien, sei »eine einseitige Ausrichtung auf Muslime [zu] überwinden« (Schmid 2010a: 533) und Dialog sowie »die Einbeziehung islamischer Vereinigungen als Partner […] als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe« (Schmid et al. 2008: 292) zu praktizieren (Miksch u. Hoensch 2011). Schmid grenzt eine explizite Thematisierung von Integration im »Dialog mit Muslimen« von Integration als einer dem Dialoggeschehen inhärenten »Wirkung« ab (ebd.: 531). Diese Wirkung würde »auch ohne einen speziellen Fokus auf Integration bereits durch [den] spezifischen Charakter [des Dialogs] erreicht […], denn Dialog baut Brücken mit integrativer Kraft, indem er Personen und Institutionen miteinander in Beziehung bringt […]« (ebd.; Herv. J.W.). Doch scheinen auch in Schmids Dialogkonzept integrationspolitisch-normative Aspekte auf, wenn es z.B. heißt: »Die Sprache des Dialogs ist in der Regel Deutsch.« (Ebd.: 534)
Achse 4: Interreligiosität als Element kommunaler Dialoge Günther Oettinger, damaliger Ministerpräsident Baden-Württembergs, betont in seinem Vorwort zur Studie »Gesellschaft gemeinsam gestalten« (Schmid et al. 2008) die Leistungen »christlich«-kirchlicher Akteure im Aufbau eines interreligiösen und gleichzeitig gesamtgesellschaftlich eingebetteten Dialogs mit »Muslimen« (ebd.: 9). Die »christlichen« Kirchen hätten »in den letzten Jahren auf dem Feld des Dialoges mit Muslimen landes- und bundesweit Vorbildliches geleistet (Oettinger; in: Schmid et al. 2008: 9; Herv. J.W.). Die Kirchen werden als Initiatoren eines Dialogs hervorgehoben, der sowohl religiöse als auch gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Akteure zusammenführt. Ein solcher Dialog wird als integrationspolitisches Instrument gewürdigt. Oettinger identifiziert gerade den »Themenmix« (ebd.) des kirchlich initiierten Dialogs als dessen »Erfolgsgeheimnis« (ebd.), d.h. »theologische Fragen und gesellschaftliche Praxis, das Austragen von Konflikten und das Definieren gemeinsamer Ziele, universitäre Reflexion und Beiträge von Eltern, Lehrern, Praktikern, lokale,
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
nationale und auch internationale Perspektiven« (ebd.). Klinkhammer et al. wiederum identifizieren zahlreiche »nachbarschaftliche Dialoginitiativen, die das Klima des Miteinanders innerhalb einer Kommune im Blick haben, [und] oftmals ebenfalls auf einen Dialog [zielen], der nicht nur Religion oder Religiöses im Blick hat, sondern vor allem den Integrationsprozess vorantreiben und die soziale und politische Situation der ›Zugewanderten‹ verbessern helfen möchte« (Klinkhammer et al. 2011: 25). Schmid et al. (2008) unterscheiden dabei zwar zwischen kommunalen und interreligiösen Dialogen (die beide als Zugänge auf die »muslimische« Bevölkerung artikuliert werden), stellen aber fest, dass sich beide Bereiche in der Praxis überschneiden, letztlich auch nicht zu trennen sind und nicht gänzlich getrennt werden sollten. Der kommunale Dialog würde Fragen des alltäglichen Zusammenlebens aus integrationspolitischer Sicht behandeln, könne aber »auch Kirchen und religiöse Themen einbeziehen« (Schmid et al. 2008: 33). Der interreligiöse Dialog stelle zwar zunächst einen Dialog zwischen religiösen Akteuren dar, gleichwohl sei er »jedoch […] nicht auf Theologie und Glaubenssätze beschränkt und stell[e] einen Teilbereich des gesellschaftlichen Dialogs dar« (ebd.: 33-34). In interreligiösen Dialogen gehe es auch »nicht alleine um die religiösen Gemeinden und ihre Belange, sondern ebenso um Schulen, soziale Einrichtungen, staatliche Stellen, politische Gruppen« (ebd.: 34), während »[a]uch einige Kommunen […] sich am interreligiösen Dialog [beteiligen]« (ebd.; vgl. auch: Klinkhammer et al. 2011). Schmid et al. merken an, dass »eine Isolation ›rein religiöser Themen‹ […] nicht sinnvoll [ist]« (Schmid et al. 2008: 34). Religiös-theologische Fragen sollten in Verbindung mit Fragen sozialen Zusammenlebens in pluralen Gesellschaften behandelt werden (ebd.: 294). Die Autor/-innen stellen dabei fest, dass »Dialogerfahrungen im religiösen Bereich […] für andere Felder des Dialogs fruchtbar gemacht werden [können]« (ebd.). Dabei »sollten Muslime verstärkt Anstrengungen unternehmen, auch die theologische Basis des Dialogs zu klären« (ebd.). Die erwähnte Handreichung des Kommunalen Qualitätszirkels zur Integrationspolitik merkt hierzu an, dass der interreligiöse Dialog zwar »keine kommunale Aufgabe [sei], sofern es um Glaubensinhalte geht« (KQI 2012: 2), es »allerdings […] im kommunalen Interesse [sei], diesen Dialog aktiv zu fördern« (ebd.). Die Handreichung sieht sogar gute Möglichkeiten, »auf der Ebene des ›interreligiösen Dialogs‹ im Stadtteil […] eine erste Einbeziehung der religiösen Migrantenorganisationen [zu ermöglichen]« (ebd.: 20; Herv. J.W.). Im policy paper »Drei Jahre Deutsche Islamkonferenz« (DIK 2009a) sind zahlreiche der skizzierten Best-Practice-Beispiele lokaler Dialoginitiativen interreligiös eingefärbt. Auch das von der DIK herausgegebene Dossier »Öffnung, Vernetzung, Dialog« (2011) artikuliert lokalen interreligiösen Austausch als relevante Dimension. Im Kontext mit der angestrebten »gesellschaftskundliche[n] und sprachliche[n] Fortbildung von religiösem Personal« (DIK 2011: Untertitel) wird dann z.B. auf Imame fokussiert, die »bei entsprechenden Deutschkenntnissen Ansprechpartner für den interreligiösen Dialog [sind]« (ebd.: 79). Imame würden »Moscheeführungen [leiten], z.B. für Schulklassen oder interessierte Erwachsene, und […] an interreligiösen Veranstaltungen, z.B. überkonfessionellen Gebeten, Diskussionen, teil[nehmen]« (ebd.). Dabei kann gefragt werden, wieso eine Moscheeführung notwendigerweise interreligiös sein muss. Die in-
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terreligiöse Rahmung des Dialogs scheint hier jedenfalls immer wieder stark durch. Insgesamt erscheint der interreligiöse Dialog in den anwendungsbezogenen Studien, politischen Handlungsempfehlungen sowie in den Publikationen der DIK durchwegs als ein integraler, letztlich »natürlicher« und sich von selbst ergebender Bestandteil kommunalpolitischer Dialoge im Allgemeinen. Es wird als positiv betrachtet, dass sich im Dialog (inter-)religiöse Aspekte und politische Themen des Zusammenlebens überkreuzen. Die Dimension des Interreligiösen erscheint als relevant für das Ziel, über Begegnung gegenseitiges Vertrauen und Wissen aufzubauen und darüber Zusammenhalt zu erzeugen (vgl. Kapitel 4.3.5; Schmid et al. 2008; Schmid 2010a; Klinkhammer et al. 2011; Miksch u. Hoensch 2011; KQI 2012; Kuhla u. Szukitsch 2011; DIK 2011; Neuser 2005a, b).
Achse 5: Lokalität, Begegnung und die Produktion von Vertrauen im Dialog Die Handreichung der DIK (2011) ermutigt Kommunen und »muslimische« Gemeinden dazu, den »interreligiösen Dialog vor Ort mit[zu]gestalten. […] Voraussetzung dafür [sei] die Anerkennung religiöser Vielfalt und wechselseitiger Respekt. Um dies zu befördern, sollte in einem wohnumfeldbezogenen Fortbildungskonzept weniger die theoretische Beschäftigung mit Religionsgemeinschaften im Vordergrund stehen als vielmehr der Kontakt zu Gläubigen anderer Konfessionen im Stadtteil.« (DIK 2011: 41; Herv. J.W.) Hier zeigt sich die Idee, dass Vergemeinschaftung eher durch pragmatischen lokalen Kontakt entsteht als durch theoretische Diskussionen. Es müsse auf »direkte Begegnungen mit Akteuren aus dem unmittelbaren Umfeld« geachtet werden (ebd.: 69). Der Dialog sei ohnehin nicht nur verbal, er müsse stets auf Begegnung und Anwesenheit setzen. So definieren z.B. Schmid et al. kommunikationstheoretisch »schriftliche Informationen im kommunalen Kontext« (2008: 287) als etwas, das »unterhalb des Dialogs« stehen würde (ebd.). Weiter heißt es im DIK-Dossier: »Über gemeinsame Projekte und ortsbezogene Themen kann eine Vertrauensbasis geschaffen werden, auf der auch ›Tabuthemen‹ der jeweiligen Religion, bestehende Vorurteile und schwierige Erfahrungen angesprochen werden können.« (DIK 2011: 41-42) Hier wird eine Verbindung hergestellt zwischen (a) dem Motiv des Vertrauens, (b) dem Lokalen und sodann (c) dem integrationspolitisch eingerahmten Versuch, Identitäten und Formen des Zusammenlebens in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wie solche Verbindungen, die sich hier im Diskurs über lokale Dialoge andeuten, praktiziert und in Technologien des Regierens überführt werden, möchte ich in dieser Arbeit an einem lokalen Fallbeispiel noch genauer aufschlüsseln. Zunächst aber sollen zwei Aspekte lokaler Dialoge genauer betrachtet werden: die Rationalisierung von Kommunikationstechniken und die Ebene des Lokalen als ein dafür geeignetes Medium.
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
4.4
Die Qualität der Interaktion: die Ausbildung von Techniken zwischenmenschlicher Beziehungen und die Systematisierung von Kommunikationsabläufen und -orten
Das Dialogparadigma zeigt sich als eines, das insbesondere die Qualität der Interaktion bestimmen möchte. Diese interaktionstheoretische Rahmung von Dialog zeigt sich vielfach in der Studie von Schmid et al. (2008). Mit einem interaktionstheoretischen Vokabular erscheint es den Autor/-innen möglich, die Bedingungen für einen »echten«, ergebnisoffenen und partnerschaftlichen Austausch auf Augenhöhe zu formulieren. Schmid et al. zufolge ist »das Verhältnis der beiden Seiten, die im Dialog zusammenkommen, […] idealerweise das von Partnern« (2008: 34), wobei »Vereinnahmung, Paternalismus oder Gleichgültigkeit […] in einem dialogischen Verhältnis ausgeschlossen [sind]« (ebd.). Die Aktivierung »muslimischer« Gemeinden »sollte […] partnerschaftlich und nicht patriarchalisch oder majorisierend sein« (ebd.: 294). Grundsätzlich sei »mit Partnerschaft […] eine besondere Qualität des Dialogs verbunden« (ebd.: 34). Gemäß den Autor/-innen setze Partnerschaft folgende Verhältnisse voraus: Eine »gemeinsam[e] Orientierung der Partner«, eine »grundsätzliche Gleichberechtigung«, Kompromissbereitschaft, »wechselseitiges Vertrauen, die Klärung des Verhältnisses zwischen den beiden Partnern sowie die Auslotung von Gemeinsamkeiten, Unterschieden und gemeinsamen Zielen« (alle Zitate: ebd.). Voraussetzungen für Dialog seien ferner Klarheit und Offenheit. Es müsse vorab geklärt werden, welche Interessen »hinter« den Dialogbeteiligten stehen könnten, um offen und ehrlich miteinander sprechen zu können. Dabei geht die Studie also davon aus, dass es möglich sei, die »inneren« und »wirklichen« Motive und Interessen des »Anderen« zu durchschauen. Ohne »Aufrichtigkeit«, so die Logik, gehe nichts voran (Schmid et al. 2008: 287). Ein Misstrauen gegenüber Dialogteilnehmer/innen im Sinne der Vermutung, dass diese im Dialog möglicherweise ein anderes Gesicht zeigen als gegenüber ihren Organisationen oder Gemeinden, müsse offen und ehrlich angesprochen werden. Strukturelle Asymmetrien aufgrund von Unterschieden in der Ausbildung, Sprach- und Artikulationsfähigkeit sowie bezüglich der zeitlichen Kapazitäten, die bspw. zwischen den meist ehrenamtlich engagierten »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen und hauptamtlichen kirchlichen Theolog/-innen oder Dialogbeauftragten bestehen, müssten so gut es geht abgebaut werden. Es wird zudem, wie Miksch und Hoensch in ihrer Beschreibung kommunaler Islamforen darstellen, als wichtig erachtet, »Dialogprinzipien und Regeln der gemeinsamen Arbeit [zu] erstellen« (2011: 117). Gerade Gesprächsregeln werden als Bedingungen für gelingenden Dialog betont: »Exklusivitäts- oder Dominanzansprüche [müssen] zurückgestellt [werden], um den Austausch nicht zu behindern.« (Schmid et al. 2008: 289) Für das Gelingen »eines fairen und intensiven Austausches [sei] es unerlässlich, dass die Beteiligten dem Gegenüber ein Mindestmaß an Wertschätzung entgegenbringen […]« (ebd.), wobei »Gespräche partizipatorisch vorbereitet werden [sollten]« (ebd.) und »[g]emeinsame Regeln […] die Beteiligten vor Beliebigkeit und Missbrauch [schützen]« (ebd.). All diese Motive verdeutlichen den moralischen Charakter der Regierungsform Dialog. Die Regierungsrationalität beruht auf Kriterien, die letztlich dem Alltagsverständnis eines »guten Umgangs« miteinander entstammen und eher unscharf sind. Was »Wertschätzung« konkret bedeutet, ist Aushandlungssache.
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Gemäß einer Handreichung des Kommunalen Qualitätszirkels zur Integrationspolitik müsse in Bezugnahme auf die Konfliktfelder ein »ständige[s] Bemühe[n] um eine gelingende Kommunikation mit den Angehörigen der verschiedenen Religionen in einer Kommune« vorherrschen (KQI 2012: 5). In Konfliktfällen mit religiösem Hintergrund »kann die Einbeziehung religiöser oder anderer Persönlichkeiten, die Respekt in der Gemeinschaft genießen, von Vorteil sein. Dabei sollte man sich allerdings darüber im Klaren sein, welche Haltung diese Mittler/-innen zu den fraglichen Konfliktfeldern selbst einnehmen.« (Ebd.: 15) Dafür müssen religiöse Vertreter/-innen den Kommunen also auch persönlich bekannt sein. »Aus dieser Erkenntnis heraus [so die Handreichung; Anm. J.W.] wurden in vielen Kommunen Dialog-Foren verschiedenster Art erprobt. Christlich-muslimische Gesprächskreise, kommunale Islamforen, Räte der Religionen, interreligiöse Runde Tische und viele weitere Beispiele zeugen von diesem aktiven Bemühen. Gemeinsames Ziel bei all diesen Einrichtungen ist es, eine Vertrauensbasis aufzubauen, die als Grundlage für Aushandlungsprozesse dienen kann.« (KQI 2012: 5) Die Empfehlungen des KQI ermuntern Kommunen zur Einrichtung oder Moderation solcher Dialoginstitutionen. Es gehe darum, »aktiv auf die verschiedenen Religionsgemeinschaften zu[zu]gehen, das Gespräch [zu] suchen, ihre Aktivitäten in der Stadtgesellschaft sichtbar [zu] machen und positive gemeinsame Erfahrungen [zu] schaffen« (ebd.). Damit wird in Reflexion bisheriger Maßnahmen das kommunale Zugehen auf die lokale »muslimische« Bevölkerung als eine Art der Outreach-Arbeit betrachtet. Es gehe darum, »Einrichtungen [zu] besuchen, Dialoge [zu] führen und Interesse an einer Zusammenarbeit bei der Gestaltung des Zusammenlebens bzw. bei der Integrationsarbeit [zu] bekunden« (KQI 2012: 20). Hilfreich, so die Handreichung, »können auch Gespräche zwischen Oberbürgermeister und Migrationsreligionsgemeinschaften sein« (ebd.). Daneben werden konkrete Interaktions- und Kommunikationsformen empfohlen; ein Vorgehen, das die Rationalität des Dialogs auszuzeichnen scheint. »Sinnvoll ist hier, erste Gesprächskontakte nicht mit hochemotionalen und strittigen Themen wie Antisemitismus oder Heiratszwang etc. zu belasten, sondern Themen anzusprechen, die im allseitigen Interesse sind wie zum Beispiel: Erhöhung des Bildungserfolgs der Kinder, Gesundheitsförderung […].« (Ebd.; ähnlich in: Kuhla u. Szukitsch 2011; Miksch u. Hoensch 2011; DIK 2011; IOM 2013) Gleichzeitig manifestiert sich das Ziel, Gesellschaft, Politik und Verwaltung »für religiöse Bedingtheiten und Tabus zu sensibilisieren« (KQI 2012: 17). Dabei wird die Frage, wie in Kommunikation Vertrauen herzustellen ist, immer wieder angerissen (Miksch u. Hoensch 2011), denn »eine positive und vertrauensvolle Atmosphäre ist die Grundlage für fruchtbares Arbeiten und auch für die Auseinandersetzung mit kontroversen Themen« (DIK 2011: 69). Hierbei wird bereits die »Reihenfolge der Behandlung der Themenschwerpunkte« als essenziell für die Dialogführung betrachtet (ebd.: 33). Wichtig sei es, »für die Auseinandersetzung mit kontroversen Themen zunächst eine stabile und vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre herzustellen« (ebd.), wofür alltagsbezogene Themen denkbar sind (Miksch u. Hoensch 2011). Dabei seien »Einfühlungsvermögen und Standhaftigkeit gefragt, [um] unbequemen Themen nicht auszuweichen« (Schmid et al. 2008: 290). Mit Blick auf solche Themen – Schmid et al. zufolge bspw. Fragen nach dem Schriftverständnis der religiösen Gruppen – wird ein
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
durchaus strategisches Vorgehen vorgeschlagen. So sei »zu klären, ob bestimmte Fragestellungen zunächst im Dialoggeschehen ausgeklammert werden sollen«, wobei diese Fragen »unter Umständen […] zu einem späteren Zeitpunkt thematisiert werden [können], wenn das gegenseitige Vertrauen gewachsen ist« (ebd.). Dabei geht es den Studien (implizit) meist darum, kritische Aspekte des »Islam« anzusprechen. Ein kontroverses Thema wäre dann z.B. Säkularität, dessen Verinnerlichung aufseiten der »Muslime« in der Handreichung der DIK (2011) in Zweifel gezogen wird. In Bezug auf »das Verhältnis von Religion und Staat« ist im Hinblick auf »Muslime« von möglichen »innerlichen wie äußerlichen Konflikt[en]« die Rede (ebd.: 37), die in kultur- und religionsvergleichenden Foren besprochen werden könnten. In der vorliegenden Arbeit werde ich auch noch genauer analysieren, wie die angestrebte Vertrauensbildung zu einem technologischen Aspekt des Regierens avanciert. Lokale Dialoge werden vielfach auch in didaktisch-pädagogischer Hinsicht systematisiert, bspw. sollten »Themen [und] Methoden […] bedarfsgerecht und lebensweltorientiert gewählt werden« (DIK 2011: 69). Dabei sollte »methodisch gesehen […] auf Frontalunterricht verzichtet werden und viel Raum für Diskussionen und Gespräche gegeben werden« (ebd.: 68). So heißt es: »Aus den bisherigen Modellprojekten wurde deutlich, dass der persönliche Austausch […] der [an lokalen Dialogprojekten; Anm. J.W.] Teilnehmenden untereinander maßgeblich Qualität und Erfolg dieses auf Vernetzung vor Ort angelegten Projektes bedingen.« (Ebd.: 68-69) In den Handreichungen finden sich ferner auch Reflexionen über die Orte und ortsbezogenen Abläufe lokaler Dialoge, die darauf hindeuten, dass der Zugang zu »muslimischen« Gemeinden als etwas Besonderes verstanden wird. In etwa wird vorgeschlagen, zusammen mit lokalen »muslimischen« Gemeinden durchzuführende Fortbildungsund Dialogmaßnahmen in Moscheen stattfinden zu lassen, »da dort die Pflichtgebete unkompliziert verrichtet werden können« (DIK 2011: 66). Zudem wären in den meisten Moscheegemeinden »Kochmöglichkeiten vorhanden, sodass […] unter Mithilfe der Gemeindemitglieder oder Familien der Imame […] eine Moscheegemeinde durch seine Gastgeberrolle aktiv an dem Projekt beteiligt [wäre]« (ebd.). Das Bewirten wird hier als Tätigkeit konzipiert, mittels welcher eine Moscheegemeinde sich in die lokale Gesellschaft einbringen könne. Gleichzeitig wird kritisch angemerkt, dass »Räume innerhalb der Moscheen […] weniger Möglichkeiten für Aktionen und Kontakte mit der Mehrheitsgesellschaft zu[lassen]« (ebd.). Die Verortung des Dialogs in »muslimischen« Gemeinden wird somit ambivalent betrachtet. Grundsätzlich sei »die Berücksichtigung religiöser bzw. beruflicher Verpflichtungen der Teilnehmenden […] ein wesentlicher Aspekt für die Schaffung von Akzeptanz« (ebd.: 65). Es lassen sich in den verschiedenen Handreichungen immer wieder Tipps zur Raum- und Zeitplanung ausmachen. Im Hinblick auf den Wirkungsbereich lokaler Dialoge beschreiben Studien teilweise auch Taktiken des »Anlockens« bestimmter Zielgruppen (v.a. auch »muslimischer« Frauen) bzw. zielgruppensensible Involvierungstechniken (Miksch u. Hoensch 2011: 122).3 In der Rationalität
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Auch die 2013 von der Internationalen Organisation für Migration herausgegebene und vom Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge geförderte »Handreichung zu religions- und konfessionsübergreifenden Foren als Instrument der Integrationsförderung« (IOM 2013) diskutiert vielfach, wie Dialoge arrangiert werden können, und fokus-
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Gouvernementalität der Freundschaft
des Dialogs werden Steuerungsmöglichkeiten zudem als nicht planbar artikuliert, was mit der Wahrung der Autonomie des Gegenübers verknüpft ist: Hier erscheint die Dialogrationalität als »liberale Gouvernementalität« (Winkler 2017; Rose 1993, 1999; Foucault 2005 [1982]). Dialog sei ein offener Prozess (vgl. Foroutan 2006). »Es braucht Mut und Entschlossenheit, um in einen Dialog einzutreten, von dem man nicht genau weiß, wohin er führen wird«, so argumentieren Schmid et al. (2008: 286). Ferner wird dargelegt, dass »bei aller Zielgerichtetheit […] stets auch eine Prozess- wie Ergebnisoffenheit zweckmäßig [ist]« (ebd.: 291): »Da Dialog immer vom Gegenüber mitbestimmt wird, lässt er sich nie gänzlich im Sinne einer Seite planen und vorbestimmen. Es braucht daher […] ein Mindestmaß an Offenheit, das verhindert, dass der Dialog einsilbig und starr wird.« (Ebd.: 291) Schließlich lasse sich »die Einbindung von islamischen Vereinigungen in den Dialog […] nicht erzwingen« (ebd.: 294). Der lokale Dialog fokussiert also stark auf seine kommunikative Qualität: auf Interaktion, Kommunikation und die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen. Diese Fokussierung erscheint als Element des Regierens eines als »schwierig« artikulierten Feldes – die Beziehung zur »muslimischen« Bevölkerung und die Auseinandersetzung mit »Islam«. Dieser Fokus verdeutlicht, dass der Dialog, wie Radtke (2011) andenkt, als eine außerordentliche, jenseits der etablierten Mechanismen verortete Maßnahme konzipiert wird, die sorgfältig zu arrangieren sei. Die besondere Interaktionsqualität des Dialogs wird dabei vor allem auf die lokale Ebene projiziert. Diese wird als zentrale Domäne für die Gestaltung eines möglichst herrschaftsfreien, pragmatischen und eben nicht allzu politischen Dialogs markiert. »[Die lokale Ebene; Anm. J.W.] ist entscheidend für Dialog und Integration. Sie ist das primäre Bezugsfeld von Einzelpersonen und Vereinigungen; sie ist überschaubar und im Vergleich mit der nationalen Ebene weniger stark von medialen und parteipolitischen Diskussionen geprägt. Dies macht sie auch zu einem Experimentierfeld und Gestaltungsraum […].« (Schmid et al. 2008: 292) Der lokale Dialog erscheint hier als Chance der Kooperation im Angesicht überlokaler Problemdiskurse, geopolitischer Spannungen sowie pauschalisierender Berichterstattungen: »Aufgrund oftmals pauschaler Berichterstattung in den Medien sind die Kenntnisse in der Öffentlichkeit zum Thema »Islam« sehr undifferenziert und es besteht großer Bedarf an fachlicher und authentischer Information.« (DIK 2009a: 394) Auch sollen lokale Dialoge durch die Förderung der Begegnung von Menschen, die sich das lokale siert z.B. darauf, wie potenzielle Teilnehmer/-innen zu aktivieren und zu motivieren sind oder wie Gesprächsthemen und der Verlauf von Diskussionen gestaltet werden können. Generell gibt diese Handreichung Kommunen Anregungen dazu, religiöses Führungspersonal lokaler (v.a. »muslimischer«) Religionsgemeinschaften in Maßnahmen zur Integration einzubinden und als Brückenbauer zwischen Religionsgemeinschaften und lokaler Mehrheitsgesellschaft auszurichten. Dabei wird auf bestehende Projekte verwiesen. Die von der IOM propagierten Dialogmaßnahmen werden dezidiert nicht als interreligiöse Dialoge im engeren Sinne verstanden, da die Kommune an solchen nicht teilnehme. Die Handreichung fördert aber dennoch bspw. »interkulturelle und interreligiöse Kommunikation« (IOM 2013: 44, 73ff.). Vielfach geht es um allgemeines Kommunikationstraining sowie darum, ein nachhaltiges Funktionieren der Dialogforen und eine Akzeptanz selbiger zu sichern.
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
Lebensumfeld teilen, mögliche programmatische Konfliktpunkte (bspw. bestimmte Stellen im Koran, die als illiberal erscheinen mögen) innerhalb einer pragmatischen und praktischen Vergemeinschaftung und Kooperation vor Ort auflösen (DIK 2009a: 395; Miksch u. Hoensch 2011: 14). Fragen der Art, ob bspw. der Islam mit der »Moderne« vereinbar sei, sollen einem konkreten lokalen Austausch wie auch dem Versuch untergeordnet werden, gemeinsam lokales Zusammenleben zu gestalten (DIK 2009a, 2011; Schmid et al. 2008; Miksch u. Hoensch 2011; Neuser 2005a). Der Dialog soll dem Aufbau von »Kenntnissen über die konkreten Lebensweisen« (Schmid et al. 2008: 212) dienen, wobei die Bedeutung persönlicher Kontakte hervorgehoben wird (ebd.: 209-210; dazu: Miksch u. Hoensch 2011; Badawia 2007: 18-20). Weiter heißt es: »Durch informierte und dialogfähige Ansprechpartner vor Ort entsteht die Möglichkeit, in einen Diskussionsprozess über gegenseitige Erwartungen, aber auch Grenzen zu treten. [Dies] trägt zur Versachlichung der Integrationsdiskussion bei, die in vielen Fällen weniger vom Dialog, als von gegenseitigen Vorurteilen und Vorwürfen geprägt ist.« (DIK 2011: 17) Der »Dialog vor Ort« ist hier das Antidot zur Herausbildung von uninformierten Vorurteilen und Vorwürfen, die sich im überlokalen Diskurs etablieren. Die in den Integrationsdebatten zu beobachtenden »verallgemeinernde[n] Aussagen und negative[n] Stereotypen über Muslime« sollen in »einer realitätsnahen und sachorientierten Diskussion« angegangen werden (ebd.: 50). Diese Stärkung einer Art kommunaler »Vernünftigkeit« und »Sachlichkeit« als Gegengift zu nationalen, aufgeheizten Debatten drückt sich auch im policy paper des Kommunalen Qualitätszirkels zur Integrationspolitik aus (KQI 2012: 4). Solche Momente in der Rationalität lokaler Dialoge hinterfragen dann auch partiell die wiederum an anderen Stellen eingeforderte Integration religiöser Fragen. In einer Veröffentlichung des Interkulturellen Rats in Deutschland, in welcher Anstrengungen des Aufbaus kommunaler Islamforen in vielen lokalen Kontexten illustriert und auf programmatische Schlussfolgerungen hin befragt werden, heißt es, dass »theologische Inhalte […] nicht im Vordergrund [stehen sollten]« (Miksch u. Hoensch 2011: 115). Im lokalen Dialog »sollen vielmehr Fragen des Zusammenlebens gestellt und gemeinsam nach Lösungen gesucht werden« (ebd.). Dies wird aber wiederum herausgefordert, insofern gesagt wird, dass theologische Diskussionen »sinnvoll [bleiben], um das Miteinander einzuüben, religiöse Fragen zu behandeln, Projekte anzuregen und zu begleiten« (aus der »Arbeitsgrundlage für das Deutsche Islamforum« des Interkulturellen Rats, in: Miksch u. Hoensch 2011: 127). Ferner müssten die Erkenntnisse der Dialogpraxis stets auch in die lokale Gesamtgesellschaft und »in den öffentlichen Raum eingespeist« (Schmid et al. 2008: 291) werden. Wenn Öffentlichkeitsarbeit »nicht nur auf allgemeine Informationen über Islam beschränkt bleibt, sondern die konkreten lokalen Aktivitäten und Gegebenheiten vorstellt, trägt dies zur Vertrauensbildung und zu einem echten Kennenlernen bei« (ebd.: 295). Genau dies wurde auch in Erlangen, der Fallstudie der vorliegenden Arbeit, vielfach versucht. Lokale Dialoge werden zudem als Instrumente artikuliert, mit welchen es gar möglich wird, vom Verfassungsschutz beobachtete »muslimische« Organisationen zu involvieren. Denn auf lokaler Ebene sei dennoch ein (alltags-)praktischer Dialog möglich, auch wenn gegenüber den entsprechenden Organisationen dann Vorsicht angebracht sei. Eine lokale Involvierung in Dialogstrukturen
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Gouvernementalität der Freundschaft
könne dann auch Öffnungs- und Reformprozesse in solchen Organisationen und Gemeinden anstoßen (vgl. DIK 2011: 27; Schmid et al. 2008: 284; Miksch u. Hoensch 2011). Zwischenresümee: In den vielfach interaktionstheoretischen Konzeptionen von Dialog werden gesellschaftliche Kräfteverhältnisse teilweise de-thematisiert. Der Dialog soll ja gerade überlokale Machtverhältnisse für die Erprobung lokaler Verständigungstechniken ausklammern. Es wird hierbei Regierungswissen produziert, das den Dialog als angemessenes, da auf Offenheit und Gegenseitigkeit beruhendes Mittel positioniert, um »Muslime« möglichst reibungslos zu involvieren. Die Dialogrationalität lenkt den Blick auf die konkrete, lokale Situation des Aufeinandertreffens zwischen Individuen und auf die Möglichkeiten der Verständigung. Dialog erscheint gerade als ein Weg heraus aus gesellschaftlichen Machtverhältnissen, als Gegenmoment zu einseitigen medialen Berichterstattungen, politischen Ereignissen und sozialen Asymmetrien, die die Beziehung zwischen »Muslimen« und der Gesellschaft beeinträchtigen. »Den historischen Kontext, in dem Gespräche stattfinden, kann man sich nicht aussuchen. Ereignisse wie die Kriege im Nahen Osten oder Anschläge des internationalen Terrorismus prägen das Klima von Gesprächen.« (Schmid et al. 2008: 287) Die Gespräche selbst aber sind nun im Dialog zu arrangieren. Der »historische Kontext« erscheint als störendes Rauschen, das nun vom aktiven Subjekt des Dialogs, welches den Machtverhältnissens entfliehen könne, abgestellt werden müsse.
4.5
Der sensible und verständnisvolle Dialog »christlicher« Akteure
Der Fokus auf Dialog als eine besondere, sensible Kommunikationstechnik und damit als Formierung zwischenmenschlicher Beziehungen findet sich ausgeprägt auch in der erfahrungsbasierten Literatur über interreligiöse Dialoginitiativen. Diese Literatur lässt sich als eine Reflexion des Dialogs mit »Muslimen« beschreiben, die primär von »Praktiker/-innen«, d.h. von Personen, die selbst an Dialoginitiativen teilgenommen haben (meist »christliche« Akteure), geleistet wird. In diesen Publikationen werden Potenziale und Schwierigkeiten interreligiöser Dialoginitiativen in kommunalen Kontexten aus teilnehmender Perspektive reflektiert (vgl. die Beiträge in: Neuser 2005a; Amirpur u. Weiße 2015). In dieser Literatur wird das Dialogprinzip vielfach an konkreten Erfahrungsberichten dargestellt. Dialog erscheint in diesen Reflexionen als ein Akt der Anerkennung des »Anderen«, der stets auch damit einhergehen müsse, dass sich das Subjekt des Dialogs gegenüber Differenzen offen sowie v.a. auch sensibel und verständnisvoll hinsichtlich der Bedürfnisse und Ansichten des Gegenübers zeigt (Orth 2005; Rothe 2005). Sensibel müsse das »Dialogsubjekt« auch insofern sein, als nur mit einer Sensibilität für die Dynamik von Konflikten und für die dabei auftretenden Emotionen und Empfindlichkeiten das Beibehalten eines konstruktiven Gesprächs und somit Vergemeinschaftung möglich sei. Habe man diese Sensibilität und Kommunikationsfähigkeit nicht, verlaufe der Dialog allzu leicht destruktiv. Der Antagonist des dialogischen Subjekts, so zeigt es sich z.B. in den Beiträgen von Neuser (2005a), ist das Subjekt, das nicht fähig oder willens ist, auf einen Konsens hinzuarbeiten. Gemäß der Rationalität des Dialogs müsse stets gewährleistet werden, dass das Vorbringen von Kritik innerhalb einer Auseinandersetzung keine destruktive, d.h. vor allem, keine polarisierende,
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könne dann auch Öffnungs- und Reformprozesse in solchen Organisationen und Gemeinden anstoßen (vgl. DIK 2011: 27; Schmid et al. 2008: 284; Miksch u. Hoensch 2011). Zwischenresümee: In den vielfach interaktionstheoretischen Konzeptionen von Dialog werden gesellschaftliche Kräfteverhältnisse teilweise de-thematisiert. Der Dialog soll ja gerade überlokale Machtverhältnisse für die Erprobung lokaler Verständigungstechniken ausklammern. Es wird hierbei Regierungswissen produziert, das den Dialog als angemessenes, da auf Offenheit und Gegenseitigkeit beruhendes Mittel positioniert, um »Muslime« möglichst reibungslos zu involvieren. Die Dialogrationalität lenkt den Blick auf die konkrete, lokale Situation des Aufeinandertreffens zwischen Individuen und auf die Möglichkeiten der Verständigung. Dialog erscheint gerade als ein Weg heraus aus gesellschaftlichen Machtverhältnissen, als Gegenmoment zu einseitigen medialen Berichterstattungen, politischen Ereignissen und sozialen Asymmetrien, die die Beziehung zwischen »Muslimen« und der Gesellschaft beeinträchtigen. »Den historischen Kontext, in dem Gespräche stattfinden, kann man sich nicht aussuchen. Ereignisse wie die Kriege im Nahen Osten oder Anschläge des internationalen Terrorismus prägen das Klima von Gesprächen.« (Schmid et al. 2008: 287) Die Gespräche selbst aber sind nun im Dialog zu arrangieren. Der »historische Kontext« erscheint als störendes Rauschen, das nun vom aktiven Subjekt des Dialogs, welches den Machtverhältnissens entfliehen könne, abgestellt werden müsse.
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Der sensible und verständnisvolle Dialog »christlicher« Akteure
Der Fokus auf Dialog als eine besondere, sensible Kommunikationstechnik und damit als Formierung zwischenmenschlicher Beziehungen findet sich ausgeprägt auch in der erfahrungsbasierten Literatur über interreligiöse Dialoginitiativen. Diese Literatur lässt sich als eine Reflexion des Dialogs mit »Muslimen« beschreiben, die primär von »Praktiker/-innen«, d.h. von Personen, die selbst an Dialoginitiativen teilgenommen haben (meist »christliche« Akteure), geleistet wird. In diesen Publikationen werden Potenziale und Schwierigkeiten interreligiöser Dialoginitiativen in kommunalen Kontexten aus teilnehmender Perspektive reflektiert (vgl. die Beiträge in: Neuser 2005a; Amirpur u. Weiße 2015). In dieser Literatur wird das Dialogprinzip vielfach an konkreten Erfahrungsberichten dargestellt. Dialog erscheint in diesen Reflexionen als ein Akt der Anerkennung des »Anderen«, der stets auch damit einhergehen müsse, dass sich das Subjekt des Dialogs gegenüber Differenzen offen sowie v.a. auch sensibel und verständnisvoll hinsichtlich der Bedürfnisse und Ansichten des Gegenübers zeigt (Orth 2005; Rothe 2005). Sensibel müsse das »Dialogsubjekt« auch insofern sein, als nur mit einer Sensibilität für die Dynamik von Konflikten und für die dabei auftretenden Emotionen und Empfindlichkeiten das Beibehalten eines konstruktiven Gesprächs und somit Vergemeinschaftung möglich sei. Habe man diese Sensibilität und Kommunikationsfähigkeit nicht, verlaufe der Dialog allzu leicht destruktiv. Der Antagonist des dialogischen Subjekts, so zeigt es sich z.B. in den Beiträgen von Neuser (2005a), ist das Subjekt, das nicht fähig oder willens ist, auf einen Konsens hinzuarbeiten. Gemäß der Rationalität des Dialogs müsse stets gewährleistet werden, dass das Vorbringen von Kritik innerhalb einer Auseinandersetzung keine destruktive, d.h. vor allem, keine polarisierende,
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
dichotomisierende und Gräben vertiefende Dynamik erfährt. Der Dialog ist also stets um Konstruktivität bemüht (Orth 2005: 65-66). Konstruktivität wiederum heißt in der Sprache des Dialogs vornehmlich Vergemeinschaftung: eine trotz etwaiger Differenzen sichergestellte Vergemeinschaftung. Kritik, die Vergemeinschaftung verunmögliche, sei nicht konstruktiv und müsse vermieden werden. Demgegenüber sollte Kritik darum bemüht sein, Gemeinsamkeiten zu erkunden. Die Rationalität des Dialogs operiert dabei mit der Hoffnung, dass konstruktive Vergemeinschaftung trotz aller Differenzen (fast) immer im Bereich des Möglichen liegt; dass »gemeinsame Gespräche […] zu Lösungen [führen]« (Serap-Kuzu 2011: 30) und dass es keine unüberbrückbaren Differenzen gäbe, sondern nur mangelnde Dialogfähigkeit. Das dialogische Subjekt muss im aufgeheizten Diskursfeld »Islam« Prozesse polarisierender »Lagerbildung« verhindern, um das Gespräch aufrecht zu erhalten. Dialogische Subjekte sind »Sozialtechniker« (nach: Radtke 2011), deren Techniken Einfühlungs- und Moderationsvermögen sind. Der Dialog verkauft sich als eine Form des »guten« Gesprächs, das in gewisser Weise jenseits der Frage nach der Richtigkeit einzelner normativer Ansichten steht. Ein solcher Dialog läuft aber auch Gefahr, im Namen der Konstruktivität bestimmte Ansichten per se zu delegitimieren – z.B. weil diesen zugeschrieben wird, die »Harmonie« des Dialogs zu gefährden. Ansichten, die eine Lagerbildung bestärken (könnten), werden in gewissem Sinne unabhängig vom Inhalt als problematisch, da spaltend, verstanden. Es wurde also gezeigt, wie integrationspolitische Handreichungen lokale interreligiöse Aktivitäten als Möglichkeit des Zugangs zu »muslimischen« Gemeinden verstehen. Die in der Literatur artikulierte Sensibilität und Kommunikationsqualität des »dialogischen Subjekts« wird dabei, so die These, in das integrationspolitische Feld des Regierens religiöser Differenzen überführt (Tezcan 2006).
4.6
Kritik am Dialog
In den Beiträgen des Sammelbands von Neuser (2005a) lässt sich derweil auch erkennen, wie die Funktion des »Dialogs« durchaus kontrovers verhandelt wird. So setzt sich in etwa Rothe (2005) in seinem Beitrag mit der Kritik des damaligen EKDRatsvorsitzenden Bischof Huber auseinander, der in einer Diskussionssendung im Deutschlandradio im Jahr 2004 den interreligiösen Dialog als naiv kritisierte, da er Schieflagen und Probleme der »islamischen« Tradition nicht erkenne und/oder nicht kritisieren könne (Rothe 2005: 70). So resümierte Huber: »Dialog kann kein Kuscheldialog sein, bestimmte Formen der Naivität in diesem Dialog können nicht einfach fortgesetzt werden.« (Zitiert in: Rothe 2005: 74) In weiteren Argumenten Hubers wird die Perspektive einer starken eigenen, europäischen und gleichzeitig auch »christlichen« Identität offenbar, die im Dialog mit »Muslimen« stärker zu verteidigen und als Vorbild anzuführen sei. Rothe zitierte die Aussagen Hubers, um sich in Hinblick auf sein eigenes Dialogverständnis davon abzugrenzen. Er sieht in den islamkritischen Aussagen der EKD eine unhaltbar assimilationistische Perspektive, eine »Nichtanerkennung« von »Islam« und damit einen illegitimen Abbruch von Dialog. Demgegenüber setzt sein Dialogverständnis auf Differenzierung, wobei Rothe im Namen eines »echten« Dialogs jeder asymmetrischen und einseitigen Forderung nach Veränderung
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4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
dichotomisierende und Gräben vertiefende Dynamik erfährt. Der Dialog ist also stets um Konstruktivität bemüht (Orth 2005: 65-66). Konstruktivität wiederum heißt in der Sprache des Dialogs vornehmlich Vergemeinschaftung: eine trotz etwaiger Differenzen sichergestellte Vergemeinschaftung. Kritik, die Vergemeinschaftung verunmögliche, sei nicht konstruktiv und müsse vermieden werden. Demgegenüber sollte Kritik darum bemüht sein, Gemeinsamkeiten zu erkunden. Die Rationalität des Dialogs operiert dabei mit der Hoffnung, dass konstruktive Vergemeinschaftung trotz aller Differenzen (fast) immer im Bereich des Möglichen liegt; dass »gemeinsame Gespräche […] zu Lösungen [führen]« (Serap-Kuzu 2011: 30) und dass es keine unüberbrückbaren Differenzen gäbe, sondern nur mangelnde Dialogfähigkeit. Das dialogische Subjekt muss im aufgeheizten Diskursfeld »Islam« Prozesse polarisierender »Lagerbildung« verhindern, um das Gespräch aufrecht zu erhalten. Dialogische Subjekte sind »Sozialtechniker« (nach: Radtke 2011), deren Techniken Einfühlungs- und Moderationsvermögen sind. Der Dialog verkauft sich als eine Form des »guten« Gesprächs, das in gewisser Weise jenseits der Frage nach der Richtigkeit einzelner normativer Ansichten steht. Ein solcher Dialog läuft aber auch Gefahr, im Namen der Konstruktivität bestimmte Ansichten per se zu delegitimieren – z.B. weil diesen zugeschrieben wird, die »Harmonie« des Dialogs zu gefährden. Ansichten, die eine Lagerbildung bestärken (könnten), werden in gewissem Sinne unabhängig vom Inhalt als problematisch, da spaltend, verstanden. Es wurde also gezeigt, wie integrationspolitische Handreichungen lokale interreligiöse Aktivitäten als Möglichkeit des Zugangs zu »muslimischen« Gemeinden verstehen. Die in der Literatur artikulierte Sensibilität und Kommunikationsqualität des »dialogischen Subjekts« wird dabei, so die These, in das integrationspolitische Feld des Regierens religiöser Differenzen überführt (Tezcan 2006).
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Kritik am Dialog
In den Beiträgen des Sammelbands von Neuser (2005a) lässt sich derweil auch erkennen, wie die Funktion des »Dialogs« durchaus kontrovers verhandelt wird. So setzt sich in etwa Rothe (2005) in seinem Beitrag mit der Kritik des damaligen EKDRatsvorsitzenden Bischof Huber auseinander, der in einer Diskussionssendung im Deutschlandradio im Jahr 2004 den interreligiösen Dialog als naiv kritisierte, da er Schieflagen und Probleme der »islamischen« Tradition nicht erkenne und/oder nicht kritisieren könne (Rothe 2005: 70). So resümierte Huber: »Dialog kann kein Kuscheldialog sein, bestimmte Formen der Naivität in diesem Dialog können nicht einfach fortgesetzt werden.« (Zitiert in: Rothe 2005: 74) In weiteren Argumenten Hubers wird die Perspektive einer starken eigenen, europäischen und gleichzeitig auch »christlichen« Identität offenbar, die im Dialog mit »Muslimen« stärker zu verteidigen und als Vorbild anzuführen sei. Rothe zitierte die Aussagen Hubers, um sich in Hinblick auf sein eigenes Dialogverständnis davon abzugrenzen. Er sieht in den islamkritischen Aussagen der EKD eine unhaltbar assimilationistische Perspektive, eine »Nichtanerkennung« von »Islam« und damit einen illegitimen Abbruch von Dialog. Demgegenüber setzt sein Dialogverständnis auf Differenzierung, wobei Rothe im Namen eines »echten« Dialogs jeder asymmetrischen und einseitigen Forderung nach Veränderung
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einzig einer Dialogpartei eine Absage erteilt. Letztlich kritisiert Rothe als Dialogaktiver die Aussagen der Kirchenvertreter als Wasser auf den Mühlen islamophober Positionen. Der Dialog müsse potenzielle negative Effekte von Kritik und Pauschalisierung im Kontext historisch-politischer Situationen erkennen können und mit Kritik vorsichtig umgehen. Rothe wehrt sich dann auch gegen den Vorwurf eines »Kuscheldialogs«, indem er betont, dass es »[nicht nur] kuschelig war, sich durch das nicht erst seit dem 11. September 2001 verminte Feld der christlich-islamischen Beziehungen zu bewegen« (Rothe 2005: 71). Er verdeutlicht, wie allein schon die Diskriminierungserfahrungen (und auch Gewalterfahrungen!), die »Muslime« in Deutschland erleben müssten, das Feld des Dialogs zu einem schwierigen Terrain leidgeprägter Subjekte machen. Auch den Vorwurf der Naivität lässt er nicht zu.4 Im weiteren Verlauf seines Beitrags geht Rothe aber auch auf die Forderung des EKD-Vertreters ein, von »Muslimen« im Dialog eine Reflexion bestimmter »islamischer« Werte und Praktiken zu fordern: »Weil es kein Kuscheldialog war, konnte man in den Kollegs mit den Imamen (manchmal waren auch muslimische Theologinnen dabei) offen über kontroverse und schwierige Themen sprechen: interreligiöse Ehen etwa, die Gottesfrage, das Christusbekenntnis, Probleme bei Jugendlichen und in kleiner Gruppe sogar über Homosexualität. Die türkisch-muslimische Seite war bereit, ihre Tabuthemen anzusprechen – und die kirchliche?« (Ebd.: 72) Rothe lehnt zunächst ab, den Dialog als Medium von Anpassungsforderungen an »Muslime« zu betrachten, lässt sich dann aber doch darauf ein, diese Funktion darzustellen. Er »puffert« die dabei mit-artikulierte defizitäre Perspektive auf »Muslime« aber damit ab, dass er gleichzeitig »die kirchliche Seite« als dogmatisch, unbeweglich und dialogunfähig darstellt und die Problemzuschreibung damit verschiebt. Das Beispiel zeigt in der Summe die Umkämpftheit in der Artikulation der Bedeutung und Funktion von Dialog. Diese Umkämpftheit dürfte auch die Ausgestaltung lokaler Dialogansätze prägen. Grundsätzlich lassen sich auch zahlreiche sehr dialogkritische Stimmen u.a. auch in der wissenschaftlichen Literatur, ausmachen. Ein Beispiel für Dialogkritik in der anwendungsbezogenen Integrationsforschung ist der von Hans Zehetmair – bayerischer Staatsminister a.D. und ehemaliger Vorsitztender der CSU-nahen HansSeidel-Stiftung – sowie der Hans-Seidel-Stiftung im VS-Verlag herausgegebene Sammelband »Der Islam – zwischen Dialog und Konflikt (Zehetmair 2005a). Dieser basiert auf einem politisch konservativen »Thinktank« zum Thema »Islam« und Integration, der im Rahmen einer von der Hans-Seidel-Stiftung organsierten Tagung versammelt wurde. Das hier zusammengetragene Wissen über »Islam« lässt diesen als Integrationshindernis erscheinen, wobei die Autor/-innen diese »Erkenntnis« als notwendig für einen konstruktiven Dialog erachten. Die Beiträge setzen zwar zu Teilen nach wie vor auf einen politischen und gesellschaftlichen Dialog mit »Muslimen« in Deutschland, kritisieren die bisherigen Dialogbemühungen jedoch als Ausdruck eines naiven Multikulturalismus sowie als ein Programm, das aufgrund der Verwurzelung im Toleranz-
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Ein übrigens häufiges Argument von »Dialoggegnern«. Schmid et al. (2008: 287) resümieren, dass »Dialogbeteiligten in der Öffentlichkeit schnell ›Blauäugigkeit‹ vorgeworfen wird […]«.
4. »Dialoge mit Muslimen« auf lokaler und kommunaler Ebene
und Anerkennungsparadigma unfähig sei, die ihrer Meinung nach vorhandenen problematischen Aspekte des »Islam« zu identifizieren, zu kritisieren und zu reformieren. Die bisherige politische Dialogpraxis würde zudem den organisierten »islamischen« Verbänden allzu unkritisch politisches Gewicht und Einflussmöglichkeiten gewähren. Letztere seien aus der Perspektive der Autor/-innen als religiös konservativ-orthodoxe bis islamistische Organisationen mit den Werten und Rechtsgrundlagen der europäischen demokratischen Gesellschaften inkompatibel (Glagow 2005; Nagel 2005; Raddatz 2005; Zehetmair 2005b; Kandel 2005). Das Ziel des Bandes scheint die Neuformung eines Dialogs mit »Muslimen« zu sein, der selbige einem stärkeren Anpassungsdruck aussetzt. Einige Beiträge greifen das bislang dargestellte Paradigma des »Kennenlernens« durchaus auf. So schreibt Zehetmair, »die adäquate Antwort [sei] der auf Kenntnissen basierende und sich vertiefende Dialog mit den islamischen Gesellschaften« (Zehetmair 2005b: 281). Andere Beiträge enthalten wiederum pauschalisierende bis islamophobe Argumentationen. Für den Islamwissenschaftler Raddatz in etwa werde der Dialog durch ein »proislamisches Leitkartell« (Raddatz 2005: 59) der Dialogverfechter geführt, welches er sodann als »Sicherheitsrisiko« (ebd.: 47) für den säkular-demokratischen Rechtstaat darstellt. An manchen Stellen im Beitrag von Raddatz – immerhin Teil eines seriösen wissenschaftlichen Sammelbands – ist eine im Grunde verschwörungstheoretisch eingerahmte Kampfansage an jenes »Dialogkartell« zu vernehmen. Raddatz sieht ein »proislamisches Wissensverbot« (ebd.: 60) am Wirken, welches den politischen Alltag präge und beständig den Leitsatz hervorbringe »Der Islam ist nicht das Problem« (ebd.: 60).5 Die scharfe Ablehnung des bisherigen Dialogs, die sich hier zeigt, scheint genau auf jene Selbstbeschreibung des Dialogs zu reagieren, die diesen als verständnisorientierten Austausch artikuliert (Kandel 2005). Entsprechend gibt der Band dann einem »muslimischen« Intellektuellen wie Bassam Tibi eine Plattform, der mit seiner Vision eines aufgeklärten, moderaten Euro-Islam ein Gegengewicht zum global verbreiteten »Islam der Mehrheit« etablieren möchte, der aus seiner Sicht unzeitgemäß, orthodox und wenig gesellschaftsfähig sei (Tibi 2005). Die Stärkung solcher Positionen ist dabei als eine Einflussnahme auf die Entwicklung des »Islams« zu deuten. Insgesamt zeigt sich, dass in der erfahrungsbasierten wie auch integrationspolitisch-anwendungsbezogenen Dialogliteratur verschiedene Aushandlungsprozesse um die Funktion eines »Dialogs mit Muslimen« geführt werden. Während der Dialog auf der einen Seite als notwendige Vergemeinschaftungsstrategie artikuliert wird sowie als Weg zu gegenseitigem Verständnis und konfliktfreiem Zusammenleben, wird er andererseits von einigen Positionen aus als eine Praxis kritisiert, die gegenüber vermeintlich problematischen Aspekten des/im »Islam« hilflos sei. Diesen Aushandlungsprozessen 5
Das verschwörungstheoretische Moment bei Raddatz zeigt sich in voller Ausprägung wie folgt: »Innerhalb ihres undemokratischen Anspruchs offenbart diese Ideologie [des Dialogs; Anm. J.W.] ihre Herkunft aus den klassischen Institutionen des europäischen Staates und seinen gesellschaftlichen Strukturen. In Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Justiz, Medien, Kirchen, Kunst etc. hat sie unter Bezeichnungen wie Islambeauftragte/-r, Dialogreferent/-in etc. proislamische Fraktionen entwickelt, die sich zu einer bereichsübergreifenden Neo-Institution formieren und inzwischen staatverändernden Charakter angenommen haben.« (Raddatz 2005: 60) Raddatz Beitrag stellt eine der extremeren Positionen des Sammelbands dar, jedoch teilen auch die Beiträge von Glagow, Zehetmair, Kandel und Nagel in mancher Hinsicht diese Ansichten.
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Gouvernementalität der Freundschaft
auch auf lokaler Ebene nachzuspüren, wo die Fragen des Zusammenlebens als konkretes und alltagsrelevantes Problem besonders greifbar aufscheinen mögen, ist eine der Aufgaben der vorliegenden Arbeit.
5. Methodologie und Methodik
5.1 5.1.1
Grundperspektive: zur Analyse des Regierens als diskursive Praxis Regieren als diskursive Praxis und der praxeologische Zugang
Wie in Kapitel 2 dargestellt, formieren sich die Rationalitäten und Techniken des Regierens innerhalb diskursiver Felder, in welchen das Sag- und Sichtbare vom Nichtintelligiblen geschieden wird. Erst vor dem Hintergrund historisch spezifischer Repräsentations- und Wahrheitsregime können sich machtvolle Interventionstechnologien in ihrer spezifischen Form entfalten und in die gesellschaftliche Praxis einschreiben; erst unter Rekurs auf geltendes Wissen werden Regierungsweisen denkbar, artikulierbar und legitimierbar. So sind Regierungsweisen selbst als Elemente des Diskurses zu sehen. Dabei fasse ich in dieser Arbeit in Anlehnung an poststrukturalistische Theorien wie auch in Bezug auf Foucault »Diskurse« – und damit auch die sich im diskursiven Feld konstituierenden Rationalitäten und Technologien des Regierens – allesamt als diskursive Praxis und folglich als geordnete und ordnende Ensemble von Praktiken. Die Praktiken werden dabei konsequent als diskursive Praktiken ins Blickfeld genommen, insofern Praktiken nicht getrennt von den historischen Ordnungen des Wissens, Erkennens und Tuns betrachtet werden können und erst vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Macht- und Deutungsverhältnisse sowie in einer historisch spezifisch konfigurierten Relation zu anderen Praktiken ihre Intelligibilität und Identifizierbarkeit erlangen (Wrana 2012; Ott u. Wrana 2010; Ott 2011; Langer 2008; Baumann et al. 2015). Diskursive Praktiken sind dann als Muster sich sedimentierender Aktivitäten zu verstehen, die in Verkettungen mit weiteren, historisch spezifischen Aktivitätsmustern als Elemente umfassender Praktikenkomplexe (Reckwitz 2016) betrachten werden können, in welchen geltende Wissensbestände und Wahrheiten eingeschrieben sind. Diskursive Praxis stellt sich dann als eine mehr oder weniger geordnete Regelmäßigkeit in den potenziell benennbaren und legitimierbaren Aktivitäten dar (vgl. Laclau u. Mouffe 2006 [1985]; Foucault 1981, 1991, 2005; Glasze u. Mattissek 2009c; ferner: Ott u. Wrana 2010; Ott 2011: 87; Wrana 2012; van Dyk et al. 2014; Schäfer 2013, 2016; Baumann et al. 2015; Baumann et al. i.E.; Winkler et al. i.E.). Dabei sind es miteinander verwobene sprachliche und nicht sprachliche Aktivitäten, deren
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Gouvernementalität der Freundschaft
relative Anordnung das Diskursive bedingt: Diskurse als diskursive Praxis sind also als Muster des Tuns und Sagens zu verstehen, deren Erfassung über eine rein sprachlichrepräsentationale Ebene hinausweist. Für Ott stellt sich gerade der Foucault’sche Diskursbegriff »grundsätzlich gegen eine Gegenüberstellung von Sprache und Sache bzw. von Bezeichnung und Bezeichnetem […] und zielt darauf, die Verhältnismäßigkeit zu untersuchen, in der sich die Wörter und die Dinge befinden« (Ott 2011: 86). Dabei kann sich diese Verhältnismäßigkeit konsequenterweise erst in den Praktiken ergeben. Diskursive Praxis wird dann als spezifische Reproduktionsweise jenes bestimmten Verhältnisses zwischen Wörtern und Dingen gedacht. Allein schon im Zusammenhang mit solch ontologischen Überlegungen kann sich eine ethnographische Perspektive auf Praktiken lohnen, mit der die Mechanismen der Stabilisierung und Materialisierung wie auch die dynamisch-transformative Dimension einer so gefassten diskursiven Praxis betrachtet werden können (vgl. Schäfer 2013, 2016). Vor diesem Hintergrund werden auch die Potenziale einer Ethnographie der Diskurse diskutierbar (Winkler et al. i.E.; van Dyk et al. 2014). »Es kann in der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse als Konsens betrachtet werden, dass man es bei Diskursen auf die eine oder andere Weise mit ›diskursiven Praktiken‹ bzw. ›diskursiver Praxis‹ zu tun hat. Damit ist zumindest begrifflich eine Nähe von Diskursanalyse und Ethnographie hergestellt, insofern in einigen Ansätzen der Ethnographie der Begriff der ›Praktiken‹ eine zentrale analytische Kategorie ist.« (Wrana 2012: 185) Foucault zufolge gehe es »nicht mehr [darum,] die Diskurse als Gesamtheiten von Zeichen, sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (Foucault 1981: 74). Damit, wie Wrana anmerkt, sind Diskurse bei Foucault auch nicht als »abstrakte Wirklichkeiten und Regelsysteme [zu verstehen], die von ›den Praktiken‹ verschieden sind und ihnen ihr Gesetz aufdrängen würden, sondern [als] Ensembles diskursiver Praktiken [zu konzipieren]« (Wrana 2012: 191). Diskursive Ordnungen reproduzieren sich im Vollzug von Praktiken, die auf Horizonte des Wissens, des Erkennens und des (intelligibel) »Fortschreiten-Könnens« rekurrieren. Für Schäfer entwickelt Foucault vor diesem Hintergrund »ein methodologisches Prinzip der Analyse, das Paul Veyne […] als Verfahren beschrieben hat, ›Praktiken zu erklären, indem man nicht von einer einzigen Antriebskraft ausgeht, sondern von allen angrenzenden Praktiken, in denen sie verankert sind’« (Schäfer 2013: 374; Schäfer zitiert hier aus: Veyne 1992: 76). Damit wird Foucaults Macht- und Diskursanalyse als eine Rekonstruktion historisch-spezifischer Verkettungen von Praktiken bestimmt, innerhalb welcher Regelmäßigkeiten und Verschiebungen in den relationalen Beziehungen zwischen einzelnen Praktiken zu identifizieren sind. Für Schäfer liefert Foucault daher ein praxeologisches Programm, das die Genese, Form, Materialität und die Vollzugskontexte von zusammenhängenden Praktiken rekonstruiert – bspw. von spezifischen Technologien des Selbst. Zumindest implizit bringt Schäfer (2013) ein solches Programm in einen Dialog mit ethnographischen Ansätzen zur empirischen Nachverfolgung materieller Elemente und Praktiken, die er bspw. in Latours Arbeiten erkennt und sodann zusammen mit Foucaults Überlegungen im Hinblick auf eine kulturtheoretische Praxeologie diskutiert
5. Methodologie und Methodik
(vgl. auch: van Dyk et al. 2014). Auch Foucaults gouvernementalitätstheoretische Perspektiven auf Machtverhältnisse erscheinen in Schäfers Überlegungen (2013, 2016) als praxeologische Perspektiven auf die relationalen Geflechte heterogener Praktiken, die zu historischen Zeitpunkten die Machtverhältnisse konstituieren (vgl. zu ähnlichen Perspektiven: Watson 2017; Reckwitz 2016). Auch das Regieren im Sinne Foucaults lässt sich als eine diskursive Praxis konzeptionalisieren, genauer: als eine technologische, problematisierende Form diskursiver Praxis. Die Formen des intervenierenden Beeinflussens artikulieren sich innerhalb historisch (vor-)konfigurierter Felder miteinander verknüpfter, aufeinander Bezug nehmender diskursiver Praktiken – wobei im Vollzug des Regierens diskursive Praktiken verschiedentlich (neu) aufgegriffen und (re-)mobilisiert werden (Collier 2009; Füller u. Marquardt 2009). Diskursive Praktiken können als der ontologische (Grund-)Baustein einer Regierungsanalyse gesehen werden. Diese fokussiert auf spezifisch verkettete, sich aufeinander beziehende, in gesellschaftliche Machtverhältnisse eingebettete Praktiken, in deren Vollzug Macht – selbst als Praxis zu verstehen (Foucault 2005 [1982]) – auf eine technologische Weise ausgeübt werden kann. Folglich kann ein ethnographischer Blick auf Praktiken für eine Regierungs- und Diskursanalyse erschlossen werden, wie ich ausführlich an anderer Stelle diskutierte (Winkler et al. i.E.). Eine Ethnographie des Regierens bietet sich an, um die Komplexe an Rationalitäten und Interventionen des Regierens zu beobachten (Foucault 1991, 2005; Li 2007; Miller u. Rose 2008; McKee 2009; Ott u. Wrana 2010; Dzudzek 2016). Methodologisch ist zu konstatieren: Unter Rekurs auf Foucaults diskurs- und machtanalytische Perspektive auf Gesellschaft und Wissensproduktion (Foucault 2005) müssen (ethnographisch beobachtbare) Praktiken zum einen konsequent als diskursive Praktiken konzeptionalisiert werden (Wrana 2012), deren systematische Verkettung das Regieren begründet (Foucault 1991). Praktiken sind dann keine intentionalen Handlungsakte, sondern Musterhaftigkeiten in der Diskursreproduktion, die über das Sprachliche hinausgehen. Zum anderen geraten diskursive Praktiken gleichzeitig immer auch als Praktiken der Machtausübung in den Blick. Als solche strukturieren sie ein Feld möglicher Anschlusspraktiken vor und machen das Andocken bestimmter Folgepraktiken leichter oder schwerer, wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher (vgl. Schäfer 2016). Das Regieren als diskursive Praxis komponiert sich also aus Praktiken der Machtausübung, die jeweils eigene Konfigurierungseffekte auf ein Feld von Aktionsmöglichkeiten haben (Ott u. Wrana 2010; Ott 2011; Wrana 2012; Winkler et al. i.E.; van Dyk et al. 2014; Dzudzek 2016). Auch einige v.a. jüngere Ansätze in den governmentality Studies, so van Dyk et al. (2014: 348), richten ihren Analysefokus »ebenfalls im Sinne eines weiten Diskursbegriffs« aus. Solche Analysen des Regierens gehen über eine reine Programmanalyse hinaus und beziehen Techniken, Praktiken, materielle Kontexte, Artefakte, Räume und alle möglichen nicht sprachlichen Elemente mit ein (Füller u. Marquardt 2009; Füller u. Michel 2012) und/oder fokussieren auf die lokale Performativität, Dynamik und materiale Situiertheit des Regierens (Füller u. Marquardt 2009; Dzudzek 2016; Li 2007; Collier 2009). Entsprechend lassen sich die (diskursiven) Praktiken des Regierens erst dann auf eine theoretisch konsequente Weise (ethnographisch) rekonstruieren, wenn man Praktiken als in Wissensformationen eingebettete Aktivitäten denkt, die als überindividuelle Vorgehensmuster zur Verfügung stehen. Wenn
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Gouvernementalität der Freundschaft
Laclau und Mouffe (2006 [1985]: 145) diskursive Praxis beispielhaft in den sprachlichen und nicht sprachlichen Aktivitätsmustern auf einer Baustelle verorten, dann ist die von ihnen genannte Praktik des »Ziegelstein-Weitergebens« ein Element des Diskurses (als Praxis), der dieses »Ziegelstein-Weitergeben« sinnvoll rahmt, und gleichzeitig eine Art eingespielte und körperliche Aktivität von Individuen, die sich in einem materiellen Kontext als intelligibles praktisches Fortschreiten darstellt (vgl. Baumann et al. 2015). In diesem Sinne deute ich in dieser Arbeit materielle Praktiken, die ich ethnographisch beobachten kann, als Elemente umfassenderer diskursiver Praxisordnungen. Denn erst nachdem ich die in ihrer Materialität beobachtbaren Praktiken als Ausdrucksformen diskursiver Praxis gedeutet habe, arbeite ich sie diskursontologisch auf und kann dann danach fragen, inwiefern sie zu Elementen von Regierungsweisen werden (vgl. Ott u. Wrana 2010; Winkler et al. i.E.). Die ethnographisch zu fassenden Praktiken sind also im Kontext dieser Arbeit weder als intentionale Handlungen von Akteuren zu sehen noch primär nach ihrem impliziten Wissen oder sozialen Sinn zu befragen. Sie werden vielmehr in erster Linie als materielle Aktivitäten betrachtet, deren Institutionalisierung, Wiederholung und Regelmäßigkeit erkannt und deren Bedeutung für die Konstitutions- und Aushandlungsprozesse von Identitäten und gesellschaftlichen Strukturierungen (als Grundlagen des Regierens) theoretisch plausibel dargestellt werden muss. Aus dieser Perspektive sind dann auch die »Praktiken des Dialogs« als diskursive Praktiken der Machtausübung zu konzeptionalisieren, woraufhin die Operationsweisen des Regierens von diesen Praktiken ausgehend zu rekonstruieren wären. Dabei möchte ich auch auf die performativen Vollzugsformen der Praktiken abstellen. In Kapitel 10 bspw. wird der Fokus auf Praktiken der Machtausübung im Vollzug (Ott u. Wrana 2010) helfen, herauszuarbeiten, wie die Verfahrensweisen der Dialogtechnologie performativ Situationen begründen, in denen ein Modus der Macht Wirkung entfaltet, den ich als governing through friendship bezeichne. Dieser Fokus wird in Kapitel 10 sowohl bedeutsame Elemente des Regierens sichtbar machen, die in dieser Form nicht in den Programmen und »Skripten« formuliert sind, als auch die konkreten Aktualisierungen des Regierens in materiellen Kontexten untersuchen (Foucault 1991, 2004 [1977-78]; Dzudzek 2016: 32-40; Collier 2009; Lemke et al. 2000; Miller u. Rose 2008 [1990], 2008).
5.1.2
Die Erhebung heterogenen Datenmaterials für die Analyse diskursiver Regierungspraxis
Die soeben erfolgte ontologische und methodologische Perspektivierung von Regierungsprozessen eröffnet Möglichkeiten für den Einsatz verschiedener Methoden zur empirischen Untersuchung von Regierungspraxis. Letztlich müssen sowohl sprachliche Aussagen und Deutungen – z.B. via Interviews – als auch körperlich-materielle Praktiken und situierte Techniken – z.B. über Beobachtungen – in die Analyse einbezogen werden, wenn Regierung als diskursive Praxis begriffen und zudem lokal untersucht werden soll. Dabei müsste eine Analyse von Aussagen und Deutungen, Legitimationen und Argumentationsweisen, die vorwiegend auf sprachlich kodierten Daten basieren wird, mit einer Analyse von Praktiken zusammengebracht werden. Denn erst in praktischen Kontexten und aus der gesellschaftlichen Praxis heraus werden (sprachliche)
5. Methodologie und Methodik
Aussagen und Deutungen intelligibel (vgl. Baumann et al. 2015). Sprachliche Aussagen – bspw. über den Sinn und Zweck eines bestimmten Regierens – beziehen sich vielfach auf Praktiken und auf damit verknüpfte Erfahrungen, in welchen sich wiederum Wissensformen ausdrücken und reproduzieren. So stehen bspw. Aussagen über den Dialog in einem Verhältnis wechselseitiger Durchdringung mit situierten Dialogpraktiken (Langer u. Wrana 2007). Erst eine Analyse von Praktiken, die sich entsprechend in ein ethnographisches methodisches Vorgehen übersetzt, kann aufzeigen, wie durch und im Vollzug von Praktiken jene lokalen Verhältnisse und Beziehungen erst hervorgebracht werden, innerhalb derer bestimmte Aussagen und Argumentationsformen auftauchen, Einsatz finden, eingeübt werden und damit ihre Bedeutung und Wirkung entfalten können. In den durch Praktiken (re-)konstituierten Beziehungsfeldern können Identitäten (von Individuen und Gruppen) in einer bestimmten Form artikuliert und sodann problematisiert und beeinflusst werden. Die sich durch Praktiken reproduzierenden Felder bestimmen die Interventionsflächen des Regierens mit. Dabei können Regierungseffekte im Vollzug von Praxis explizit oder implizit artikuliert sein. Einerseits gehen bestimmte Praktiken, die ein Feld der Beziehungen konstituieren, vielfach mit expliziten Aussagen über Identitäten einher und/oder machen letztere wahrscheinlich(-er) und anschlussfähiger. Gleichzeitig sind Identitäten aufgrund der Konfigurierung von Praktiken in ihrer Artikulation immer bereits (vor-)positioniert. Praktiken generieren also auch Verhältnisse, in denen bestimmte Artikulationen und Positionierungen von Identitäten auf eine implizite Art und Weise (un-)wahrscheinlich(-er) werden (was wiederum mit der Streuung expliziter sprachlicher Aussagen und Deutungen verschnitten ist). So formen praktische Tätigkeiten und die resultierenden Verhältnisse die Möglichkeitsräume des Problematisierens und Regierens von Elementen/Identitäten mit aus. Um diese Zusammenhänge zu entschlüsseln, bietet sich ein ethnographisches Vorgehen an, das Textanalysen, qualitative Interviews und teilnehmende Beobachtungen miteinander kombiniert, um so verschiedene Praxen (van Dyk et al. 2014: 359) in deren wechselseitigen Beziehungen zu erschließen und daraus das Regieren als diskursive Praxis zu rekonstruieren. Die durch derartige Methoden generierten heterogenen Materialsorten werden dabei allesamt als Ausdrucksformen diskursiver Praxis verstanden, wobei keineswegs die eine Form diskursiver Praxis (bspw. die Argumente in politischen Dokumenten) eine andere (bspw. lokale Praktiken) determiniert. In dieser Arbeit möchte ich vielmehr drei Praxen als zusammenhängende Bereiche beleuchten: (1) Programmatische Texte, in welchen »Dialoge mit Muslimen« problematisiert werden (in Kapitel 4diskutiert); (2) beobachtete lokale Praktiken des Dialogs, in deren Vollzug Dialog greifbar (gemacht) wird; und nicht zuletzt (3) Interviews, gedacht als Praktiken, innerhalb welcher Subjekte ihre wahrgenommene Einbettung in einen lokalen Dialog darlegen und Dialog bzw. dessen Aspekte, Ziele und Maßnahmen interpretieren und legitimieren. Die drei Praxen sind entsprechend: Programmatiken in Textdokumenten, Deutungen und Erklärungen des eigenen Selbst und der eigenen Tätigkeit in Interviews sowie die materiellen Vollzugsformen in einem integrationspolitischen Feld (hierzu: van Dyk et al. 2014: 359). All diese Bereiche sind »in unterschiedlicher Weise diskursiv« (ebd.), wobei eine integrative Analyse dieser Praxen »die gegenseitigen Rahmungen herausarbeiten [kann], ohne dass man eine dieser Praxen als die begreifen müsste, die die Bedeutung konstruiert, und die andere als die, die damit umgeht, sie
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Gouvernementalität der Freundschaft
unterwirft oder widersetzt« (ebd.). Gerade ein ethnographisches Vorgehen ist nun zur Operationalisierung dieser Perspektive geeignet (ebd.). Mittels eines ethnographischen Zugangs zu Diskurs, Macht und Praxis, so verdeutlichen van Dyk et al. am Beispiel des Gegenstands »Menschenrechte«, könnte man z.B. versuchen, »Geschichten über Zusammenhänge zu konstruieren, und [nachzuzeichnen], aufgrund welcher Praktiken diese Unordentlichkeit [des Feldes] als Ordnung erscheint. Die teilnehmende Beobachtung ist ein zentrales methodisches Instrument, und so kann man […] beobachten, was die Dinge und Menschen tun: Was ›tut‹ – hier und jetzt – dieser Text, dieses Gebäude, diese Software, diese Person? Zu der Menschenrechtsfrage […] würde ich mir also die Texte anschauen, ich würde zu Pressekonferenzen gehen, mit JournalistInnen sprechen, mir die Arbeit des Freedom House anschauen. Schön ist es, zum Beispiel, zu beobachten, wie eine Story entsteht: Welche Journalistin spricht mit welchen Bekannten, welche Interviews führt sie? Wie findet sie die InterviewpartnerInnen? Welche Presseveröffentlichungen liest sie? Bei welchen nimmt sie Anleihen, wo kopiert sie? Was lässt sie weg, und wie begründet sie, was sie weglässt? Wer hat die Presseveröffentlichung geschrieben? Mit welchen Mitteln werden sie eventuell finanziert? Was kommt alles in der alltäglichen Praxis zusammen, um ein Ding namens ›Menschenrecht‹ zu konstituieren und zu reproduzieren?« (van Dyk et al. 2014: 360) Was hier am Beispiel der Menschenrechte diskutiert wird, lässt sich auch auf den Forschungsgegenstand eines lokalen »Dialogs mit Muslimen« übertragen. Was kommt alles in der lokalen Praxis zusammen, um den Gegenstand »Dialog« zu konstituieren? Was kommt zusammen, damit »Dialog« als »Dialog« operieren und seine Machteffekte entfalten kann? Hierbei sind im Rekurs auf eine »sich praxisanalytisch verstehende[n] Ethnographie« (Ott u. Wrana 2010: 167) Regierungsprozesse, ausgehend von den Tätigkeiten und den durch diese Tätigkeiten generierten Beziehungen, aufzuschlüsseln. Eine solche Ethnographie des Regierens (Winkler et al. i. E., 2020) analysiert situierte Praktiken, die in Verschränkung mit diskursiven Formationen und Problematisierungsregimen Wahrheitseffekte produzieren. Diskurstheoretisch informiert, muss eine Ethnographie des Regierens »ein Handlungsverständnis [überschreiten], das vom Sinn her konstruiert ist, indem [sie] die Aktion in den Fokus der Analyse stellt« (Ott u. Wrana 2010: 167). Ein solches Projekt zielt auf die Beobachtung von Regelmäßigkeiten in der Streuung von Aussagen/Praktiken (Foucault 1981: 58) und fragt danach, welche strukturierenden Machteffekte diese Regelmäßigkeiten haben und inwiefern deren Reproduktion mit einer systematischen Praxis des Intervenierens zusammenhängt. Letztlich führt eine ethnographische Untersuchung des Regierens in die Frage hinein, wie im Vollzug von Praxis »Beziehungen zwischen Bedeutungen, Gegenständen, Subjektivitäten und Materialitäten hergestellt [werden]« (Wrana 2012: 196) und wie das Regieren sich aus solchen Beziehungen heraus formiert (Füller u. Michel 2012). Sie untersucht, wie durch Praktiken Identitäten und Beziehungen in die Existenz gerufen, handhabbar gemacht und in ihrer weiteren Artikulierbarkeit beeinflusst werden.
5. Methodologie und Methodik
5.2
5.2.1
Methodologische Re-Reflexionen des Gegenstands »Dialog«, der Forschungsfragen und der Potenziale einer Perspektive auf lokale Praxis Die Perspektive auf lokale Praxis als geeigneter Zugang zum Gegenstand »Dialog«
Die vorliegende Arbeit interessiert sich – ganz im Sinne des gouvernementalitätstheoretischen Fokus auf die technologische Dimension der Machtausübung – nicht ausschließlich für die Inhalte und Themen, die unter dem Banner eines »Dialogs mit Muslimen« verhandelt werden, sondern auch für die praktische Form, in der diese organisiert und prozessiert werden. Wie schon Tezcan anmerkte, sind das Neue an der Regierungsrationalität des »Dialogs mit Muslimen« auch weniger »die Themen als solche, sondern die Form, in der sie in Angriff genommen werden« (Tezcan 2012: 38; Herv. J.W.). Dabei sei es nun analytische Aufgabe, diese Form »ernst, die erklärte Absicht zum Dialog beim Wort [zu] nehmen« (ebd.). Für Tezcan ist der »Dialog mit dem Islam oder der Dialog mit den Muslimen […] mehr als ein vorübergehender Schritt, mehr als eine Zwischenetappe auf dem Weg zu einem woanders liegenden ›Eigentlichen‹ hin« (Tezcan 2012: 38; Herv. i.O.). Der Dialog sei vielmehr, »wie es scheint, die Sache selbst. Geboren in der interreligiösen Kommunikation, ist er zu einem Diskursformat geworden, in dem sich die gouvernementale Rationalität artikuliert.« (Ebd.) Dabei folge ich Tezcans Foucault’schem Erkenntnisinteresse, demgemäß die interessante Frage nicht jene ist, ob »Muslime« durch den Dialog »die ihnen […] zustehende Repräsentation erhalten« (ebd.: 38-39) oder nicht. Auch soll es nicht (primär) um die Fragen gehen, »ob die Muslime [durch Dialog] ihre Rechte tatsächlich bekommen oder doch eher diskriminiert werden« oder »ob ein echter Dialog stattfindet, der nicht auf Machtausübung, sondern auf Kommunikation setzt« (Tezcan 2012: 39; Herv. J.W.). Stattdessen interessiert sich die vorliegende Arbeit methodologisch gerade für die Machteffekte jener dialogischen Form, die programmatisch auf die Anerkennung von »Muslimen« zielt, diese als gleichberechtigte Partner positioniert und entsprechend dem Dialogmotiv offene Kommunikation, Konsens und Ergebnisoffenheit zu politischen Zielen erklärt. Zumindest hinsichtlich seiner paradigmatischen Eckpunkte versucht der Dialog als Form die vielfach eher (ein-)fordernden Integrationsappelle an »Muslime« zu überkommen. Es handelt sich um eine Regierungsform, die »Muslime nicht skandalisiert, sondern sie durch einen Dialogprozess ermächtigen, ja als Teil Deutschlands verstehen will« (Tezcan 2012: 17) – ganz im Sinne eines »Welcoming Muslims into the nation« (Peter 2010). Eine Frage meiner Studie ist also die, wie die komplexe und widersprüchliche Form des Dialogs, die durch Anerkennung des Bestehenden eine neue gesellschaftspolitische Ordnung zu formen sucht, auf der in dieser Hinsicht noch kaum untersuchten lokalen Ebene als Machttechnologie Entfaltung findet und sich in Praktiken übersetzt (Schiffauer 2008). Wie operiert ein Dialog, der das »muslimische« Subjekt »in einem als Gefahrenquelle und […] Ansatzpunkt gegen diese Gefahr [adressiert]« (Tezcan 2012: 18; vgl. auch: Rodatz 2012: 89)? Die spezifische Form des Dialogs, dessen Praxis und Machteffekte wurden bislang überwiegend mit Blick auf die nationale politische Ebene und hierbei primär »pro-
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Gouvernementalität der Freundschaft
grammanalytisch« (Rodatz u. Scheuring 2011: 165) betrachtet (vor allem wurde dabei die DIK untersucht). Von Interesse waren die identitätspolitischen Grundlagen und Effekte des Dialogprogramms auf der Ebene nationaler Auseinandersetzungen um Integration, Sicherheit und Islam, die damit verknüpften Differenzziehungen und Identitätskonstruktionen sowie die resultierenden Kulturalisierungsprozesse. So konnten zahlreiche Aspekte eines Regierens durch Dialog aufgedeckt werden, obschon es auch hier Leerstellen gibt. Während z.B. beschrieben wurde, wie in Dialogdiskursen über Prozesse kultureller und religiöser Differenzierung Subjekte als Zugehörige eines bestimmten Kollektivs konstituiert werden, wurden kaum die spezifischen Qualitäten jener Subjektform beleuchtet, die man jenseits kultureller und religiöser Subjektivierungslinien als das »dialogische Subjekt« benennen könnte. In dieser Arbeit soll am Beispiel lokaler Dialogpraktiken folglich auch untersucht werden, wie die Herstellung eines solchen Subjekts mit der Fähigkeit zum Dialog funktioniert und mit jenen Kraftlinien verknüpft ist, die die (Re-)Konfigurierung »muslimischer« Identitäten umreißen. Verbunden mit der Tatsache, dass gerade die lokalen Ausprägungen von Dialogen bislang wenig untersucht worden sind, ist auch die Praxis des Dialogs noch vergleichsweise unterbeleuchtet: Gemeint ist hier die Praxis im engeren Sinne, die Perspektive auf konkrete und situierte Vollzugsweisen. Denn jenseits der »Programmanalysen«, die v.a. auf die Frage zielen, welche Identitäten wie mit welchen Problemen verknüpft werden, wurden die lokalen Praktiken und Verfahrensweisen dialogischen Regierens, die Instrumente, die Orte, die Abläufe, die sedimentierten Interaktionsmuster und damit die einzelnen Bestandteile des technologischen Operierens in den zitierten Studien bislang eher wenig betrachtet. Damit wird die Frage zentral, wie sich die gegenwärtige Interventionsform des Dialogs in Praktiken einschreibt, wie sie sich situiert und lokal vollzieht, materialisiert und greifbar macht. Dies ist mit der Forschungslücke der lokalen Ebene verknüpft. Denn entsprechend wurden gerade die lokalen Implementierungen von Dialog wenig untersucht (Ausnahmen bilden Darstellungen in: Klinkhammer et al. 2011) – v.a. nicht aus einer regierungsanalytischen Perspektive. So möchte ich in dieser Arbeit die Perspektive auf lokale (Mikro-)Kontexte dialogorientierten Regierens richten und darüber bspw. analysieren, wie die im Modus des Dialogs angestrebte Modellierung der wechselseitigen Umgangsweisen zwischen Individuen und Gruppen systematisiert und in Techniken des Regierens überführt wird. Wenn sich die dem Dialog zugrunde liegende »Gouvernementalität [darum] bemüht […], ordnungspolitisch die Identitäten miteinander zu vermitteln, die auf differenten Werten basieren« (Tezcan 2009: 77), dann möchte ich fragen, wie diese »ordnungspolitische Vermittlung« im Sinne der Gestaltung des lokalen Verhältnisses zwischen Bevölkerungsteilen eine Übersetzung in Verfahrensweisen des Regierens finden kann. Unter Rekurs auf die in Kapitel 4 dargestellten Besonderheiten der Rationalität lokaler Dialoge (bspw. deren kommunikationstheoretische Rahmung oder deren Artikulation als besondere Formen der Interaktion), stelle ich die Arbeitshypothese auf, dass man es beim Dialog mit einer politischen Technologie zu tun hat, die in besonderem Maße und offenbar gerade auch in ihren lokalen Ausprägungen die konkrete Modellierung zwischenmenschlicher und gruppenübergreifender Beziehungen vor Ort sowie auch des interaktiven Verhaltens von als spezifisch kulturell adressierten Subjekten in pluralen Kontexten zu ihren Gegenständen gemacht hat. In seiner technologischen Form
5. Methodologie und Methodik
scheint Dialog auf die Interaktionsformen und -fähigkeiten von Individuen abzustellen und sich als eine Systematisierung identitätsübergreifender Umgangsweisen zwischen Individuen darzustellen. Nicht zufällig fasst Liegle (2002) den »Dialog der Kulturen« gänzlich entwicklungspsychologisch und empfiehlt eine frühkindliche Erziehung zur Dialogfähigkeit. Denn es bestehe ein »Zusammenhang zwischen der Dialogfähigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen und der Dialogfähigkeit in den internationalen Beziehungen [bzw. im Dialog der Kulturen]« (Liegle 2002: 448; zitiert in: Radtke 2011: 23). Entsprechend gehe ich davon aus, dass es sich aufgrund der dem Dialog inhärenten Fokussierung auf den Aufbau lokaler Beziehungen und Kommunikationsformen in besonderem Maße lohnen dürfte, die praktische Übersetzung und Implementierung eines solchen Regierens auch einmal ethnographisch, lokal und über einen längeren Zeitraum hinweg zu untersuchen. Damit mag aufgeschlüsselt werden, wie der Dialog als »Beziehungsaufbau« in lokalen Kontexten (auch längerfristig betrachtet) operiert, wodurch die Machteffekte dieses Regierens in den Blick geraten. Eine ethnographische Analyse scheint mir jedenfalls eine angemessene analytische, methodologische und methodische Zugangsweise zu einer Regierungskunst zu sein, die »Beziehungen vor Ort« zum Gegenstand macht. Es geht dann um die Frage, in welche Techniken sich die angestrebte Modellierung zwischenmenschlicher Interaktionen übersetzt und wie dafür die lokale Ebene (re-)artikuliert wird. So leiste ich in dieser Arbeit eine fallstudienbezogene »Tiefenbohrung«, die in der Form ein Novum darstellt. Die Fragen, die sich teils vom Gegenstand her, teils aus methodologischen und teils aus Gründen der Forschungslücke ergeben, sind also: •
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Wie wird »Dialog mit Muslimen« lokal konkret praktiziert und durch welche (Mikro-)Praktiken, Routinen, Vollzugsformen und Vollzugskontexte (re-)produziert, implementiert und/oder transformiert sich Dialog als eine derzeit relevante politische Intervention vor Ort? Welche Techniken, Prozeduren und Verfahrensweisen geben Dialog auf lokaler Ebene seine Gestalt und machen ihn implementierbar, wie werden sie rationalisiert, systematisiert oder ggf. auch hinterfragt und transformiert? Welche Machteffekte haben Dialogpraktiken gerade auch in ihrem Vollzugsmodus (Ott u. Wrana 2010) und in ihrer körperlichen Performativ-Werdung (Dzudzek 2016) in lokalen Kontexten, in denen sich Regierungsformen in institutionelle Zusammenhänge einfügen, an etablierte Praktiken andocken und in Felder der Interaktion und Kopräsenz eingreifen?
Es geht hier um die Komplexität der Machtverhältnisse vor Ort (Ott u. Wrana 2010). Dabei interessiert mich stets, wie innerhalb dieser Machtverhältnisse und durch Dialogpraktiken »muslimische« Identitäten problematisiert und beeinflusst werden. Das »Lokale« ist hierbei ebenso als eine potenzielle Projektionsfläche für Identität von großem Interesse. Wie werden – in Abwandlung des Titels von Peter (2010) – die Versuche eines »Welcoming Muslims into the Local« sowie damit verknüpfte Aktivierungsmechanismen (Tezcan 2007; Schiffauer 2008) auf lokaler Ebene orchestriert und inwiefern werden dabei Identitäten und gesellschaftliche Ordnungen hergestellt und andere verdrängt?
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Gouvernementalität der Freundschaft
5.2.2
Innere Spannungen im »Regieren durch Dialog« und die Frage nach deren praktischer Handhabbarmachung – das spezifische Potenzial der Perspektive auf Praktiken
Ich argumentiere, dass die Perspektive auf Regierungspraktiken besonders gut dafür geeignet ist, um zu analysieren, wie zentrale Spannungsfelder und Widersprüche eines »Regierens durch Dialog« prozessiert und bearbeitet (aufgelöst oder bestärkt) und in diesem Sinne »handhabbar« gemacht werden. So lassen sich bereits auf programmatischer Ebene Widersprüchlichkeiten ausmachen, deren Übersetzung in ein praktisches Vorgehen genauer zu untersuchen ist. Eine zentrale, dem Dialog inhärente Spannung ergibt sich z.B. daraus, dass die Dialogrationalität zunächst kulturelle und religiöse Grenzen betonen muss, um dann anzustreben, diese zu überwinden (vgl. Überlegungen in: Klinkhammer et al. 2011: 373). »Muslime« werden im Dialogparadigma immer erst als besondere und »andere« Subjekte (re-)konstituiert, wobei dann gleichzeitig nach Gemeinsamkeiten zwischen »Muslimen« und der Gesellschaft gesucht wird, um Integration zu plausibilisieren. Eine weitere Grundspannung der Dialogrationalität ergibt sich daraus, dass, wie oben gezeigt, das Dialogkonzept auf der Vorstellung gleichberechtigter/gleichberechtigt sprechender »Partner« auf Augenhöhe aufbaut, die sich gegenseitig in ihrer Identität vollständig anerkennen, der Dialog aber gleichzeitig im integrationspolitischen Kontext immer auch auf eine Veränderung der Situation und der Dialogteilnehmer/-innen abzielt. Einerseits konnotiert Dialog »Anerkennung« – und dies durchaus als Vorbedingung (Tezcan 2012) –, andererseits bildet er aber einen Raum, in dem sich normative Erwartungen an das Verhalten des »Anderen« artikulieren. Diese Erwartungen von Integrationsbemühungen seitens der »Muslime« verweisen ja genau auf das Problem, welches den Dialog erst in die Existenz rief. Damit wird der »Andere« im Dialog also keineswegs vollständig anerkannt, insofern er/sie noch etwas leisten, sich verändern muss. Wie Amir-Moazami (2011a, b) unter Bezugnahme auf Überlegungen der politischen Philosophie und u.a. auf das dialogische Modell des herrschaftsfreien Diskurses nach Habermas kritisch diskutiert, wird die Schablone Dialog im hegemonialen Repräsentationsregime vielfach als dezidiert liberale politische Tradition artikuliert und mit den Motiven des politischen Konsens, der deliberativen Ergebnisoffenheit, der Symmetrie der Machtverhältnisse und der egalitären Gleichheit der Teilhabenden assoziiert. Wie erwähnt, erscheint der Dialog als besondere »Redeform« (Radtke 2011: 26) mit langer griechisch-europäischer Tradition, als eine Redeform, die Gleichheit symbolisiert und als »Philosophie der Verständigung« operiert. Entsprechend deutet es auch der Philosoph Julian Nida-Rümelin auf einer 2014 vom Goethe-Institut (in Kooperation mit dem Münchner Kompetenzzentrum Ethik der LMU) veranstalteten Vortragsreihe namens »Der Dialog« in seinem Vortragstitel.1 Wie 1
Quelle : www.julian.nida-ruemelin.de/wp-content/uploads/2014/03/Plakat_DerDialog.pdf,(18.04. 2018). Im Ankündigungstext der Reihe hieß es: »Das Reden vom Dialog ist allen Lebensbereichen gegenwärtig. In Kultur, Politik und Wirtschaft wird von ihm gesprochen. […] Bereits in der Antike war man der Auffassung, dass sich die wesentlich menschlichen Fragen am besten in der Form des Dialogs beantworten lassen. […] Auch in der jüdischen Tradition spielt das von wechselseitiger Anerkennung bestimmte Zwiegespräch eine zentrale Rolle. Martin Buber war der Überzeugung, dass die eigene Identität erst durch Begegnung und die Hinwendung zum Anderen entsteht.« (Ebd.)
5. Methodologie und Methodik
aber Amir-Moazami (2011a, b) und Malik (2013) andenken, konnotiert Dialog zwar jene egalitäre Auseinandersetzung zwischen gleichen und freien Subjekten, scheint aber andererseits, und wohl gerade dann, wenn er im integrationspolitischen Feld in Form eines staatlichen Dialogangebots Einsatz findet, im Hinblick auf Adressierungspraxis und Erwartungszuschreibungen eher asymmetrische Falllinien zu enthalten. Der Dialog operiert nicht im Machtvakuum, sondern wird als Lösung eines Problems eingesetzt, fordert damit einen bestimmten Einsatz und ist gleichzeitig vornehmlich an eine einzige Bevölkerungsgruppe gerichtet. Es ist der »Dialog mit Muslimen« und nicht etwa mit »Polen« oder mit »Zeugen Jehovas«, der derzeit als wichtig erachtet wird. Von »Muslimen« wird in besonderem Maße Engagement für das Angehen eines Problems sowie für die Schaffung der eigenen Dialogfähigkeit erwartet. Malik schreibt: »The expression ›Dialogue with Islam‹ already indicates that the state ›creates‹ its discussion partners […]. This is based on the implicit assumption that there is a problem, an incompatibility that can threaten the desired and intended peaceful interaction between the dialogue partners, if it is not resolved. Thus, the dialogue is intermingled with disciplining endeavours and securitization.« (Malik 2013: 500; Herv. J.W.) Die Etablierung eines Dialogs zielt also immer auf die Veränderung einer problematischen Situation. Der Dialog enthält dabei normative Erwartungen an das als angemessen erachtete Verhalten des in den Dialog involvierten Subjekts. Dieses ist dazu aufgerufen, die Lebensführung im Hinblick auf die gewünschte Dialogfähigkeit zu reflektieren, an die neue Situation anzupassen und Dialogbereitschaft zu entwickeln. Insofern der Dialog unter den Vorzeichen einer historischen Mehrheits-Minderheits-Figuration vornehmlich an die »muslimische« Minderheitsbevölkerung gerichtet ist und diese im Fokus der Integrationspolitik steht (Radtke 2011; vgl. Kapitel 3), sind es zuvorderst die »Muslime«, die durch den Eintritt in den Dialog eine Veränderung durchlaufen sollen – hin zu »deutschen Muslimen«, wie es Schäuble formulierte. »Muslime« sollen sich anders organisieren und repräsentieren als bisher, sie sollen auf eine neue Art und Weise mit der Mehrheitsgesellschaft interagieren, neue Themen und Problemfelder diskutieren, neue Perspektiven auf das Zusammenleben entwickeln, sich anderen gegenüber verständlicher darstellen, ein neues Selbstverständnis entwickeln, ihre Artikulationsfähigkeit anpassen, ihr Engagement stärken usw. Damit liegt eine Konfigurierung vor, die den Blick auf Praktiken wichtig werden lässt. Warum? Die Praxis des integrationspolitisch aufgegriffenen »Dialogs mit Muslimen« bestimmt sich grob gesagt dadurch, dass ein Regierungsskript – Dialog –, welches historisch auf sehr alte Motive rekurriert, mit liberal-egalitären Idealen assoziiert ist und natürlich nicht speziell für das jüngere politische Problem der Integration (bzw. im integrationspolitischen Diskursfeld) »entwickelt« wurde, nun in ebenjenem Feld einen neuartigen Einsatz findet (Tezcan 2012). Dies geht, so die These, mit Spannungen einher, da ein Konzept, das auf der Vorstellung gleichberechtigter Sprecher/-innen basiert, im tendenziell asymmetrisch organisierten »Integrationsprogramm« Anwendung finden muss, in welchem die Kompatibilität einer »neuen« und als kulturell/religiös anders konzipierten Gruppe mit den Mehrheitsverhältnissen verhandelt wird (vgl. Kapitel 3). Eine rein ideengeschichtliche (Programm-)Analyse des Dialogkonzepts wie auch eine ausschließlich auf Programmatiken, Ziele und Problematisierungsmuster abstellende
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Untersuchung integrationspolitischer Diskurse würden alleine noch nicht darstellen können, wie das spezifisch konnotierte Dialogkonzept als eine neue Integrationstechnik konkret eingesetzt, dabei ggf. auch transformiert und re-artikuliert wird. In dieser Arbeit habe ich integrationspolitische Diskurse bereits beleuchtet (Kapitel 3). Eine Ideengeschichte des Dialogs habe ich in dieser Form nicht geleistet, jedoch habe ich die besonderen Konnotationen des Dialogkonzepts angerissen und zudem aufgezeigt, wie Dialog auch noch in seiner Verschränkung mit Integrationsfragen jenen besonderen Fluchtpunkt beibehält, der sich in den Versprechen bspw. von »Augenhöhe«, »Gleichheit« und »Verständnis« zeigt (Kapitel 4). Nun sehe ich es aber als fruchtbar an, den Blick darüber hinausgehend dezidiert und ethnographisch auf Dialogpraktiken in situierten, lokalen Kontexten zu richten, um zu verstehen, wie Dialog unter integrationspolitischen Vorzeichen operiert und wie die genannten Spannungen prozessiert und handhabbar gemacht werden. Es ist hier also eine Perspektive von Vorteil, die es möglich macht, den Implementierungs- und Vollzugsmodi komplex gelagerter, kombinierter Regierungssystematiken nachzuspüren. Die hier vertretene Perspektive ist an einen Vorschlag von Ott und Wrana (2010) angelehnt, die eine ethnographische, auf Praktiken fokussierende Analyse von Machtverhältnissen und Regierungsprozessen methodologisieren und den Mehrwert einer solchen aufzeigen. In ihrer Studie zur Regierungspraxis aktivierender Arbeitsmarktpolitik (Ott u. Wrana 2010) argumentieren die Autor/-innen für einen ethnographischen Fokus auf Machtpraktiken im Vollzug. Sie begründen dies u.a. mit ihrem Gegenstand, wobei ich die Begründungsführung als Inspiration für die soeben ausgeführten Reflexionen zum Dialog angenommen habe. Konkret untersuchen die Autor/-innen, wie die Regierungstechnik Assesment-Center in einem »neuen« Kontext, nämlich der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, Einsatz findet (ein Kontext, für welchen sie nicht entwickelt wurde) und wie sie sich dabei auf neue Weise in jenes Feld einschreibt. Die Technik des Assesment-Center wurde ursprünglich im Zusammenhang der (Führungs-)Personalentwicklung und -optimierung entworfen, adressiert daher tendenziell Führungspersonal und zielt darauf ab, über die Förderung von Prozessen der Selbsterkenntnis die Selbstoptimierung des angesprochenen Subjekts zu moderieren. Dieses soll sich seiner eigenen Stärken bewusst werden und dadurch die eigene (hochqualifizierte) berufliche Praxis aktiv gestalten. Die Technik des Assesment-Center ruft also Subjekte mit vielversprechenden beruflichen Perspektiven und entsprechender Handlungsmacht an, die ihren beruflichen Erfolg in die eigene Hand nehmen und entlang ihrer Interessen und Fähigkeiten ausgestalten sollen. Im Kontext der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik adressiert diese Technik nun aber de facto Arbeitssuchende, für die nur eine begrenzte Auswahl an Jobs zur Verfügung steht und die nicht umfassend darauf bestehen können und sollen, einen möglichen Arbeitsplatz nach ihren eigenen Interessen auszusuchen. Ott und Wrana zeigen, wie sich die innere Logik des Assesment-Center im neuen Feld transformiert. Der Effekt des Assesment-Center im Kontext aktivierender Arbeitsmarktpolitik ist dann eher, dass Arbeitssuchende dazu angeleitet werden, gerade ihre prekäre Situation selbst zu erkennen und anzuerkennen – bspw. anzuerkennen, dass für sie nur eine begrenzte Auswahl an Arbeitsangeboten zur Verfügung steht. Dieser neue Effekt des Regierens (der so auch nicht direkt in den »Regierungsskripten« formuliert ist) ergibt sich dabei, so die Autor/-innen, erst im Vollzug konkreter Praktiken, durch die das Assesment-Center im neuen Kontext re-implemen-
5. Methodologie und Methodik
tiert wird und die die dabei auftauchenden Spannungen bearbeiten. Ott und Wrana gehen ethnographisch vor und können dadurch zeigen, wie die spezifischen Machteffekte eines »Assesment-Center-Rollenspiels« auf das »arbeitssuchende Subjekt« erst auf der Ebene sich vollziehender, diskursiv verfügbarer Praktiken und konkreter Interaktionsmechanismen sichtbar werden. Die Autor/-innen plädieren dafür, »die sozialen Praktiken in ihrem Vollzug« zu untersuchen, »die sich weder auf die Anleitungen zu ihrer Durchführung [Programme; Anm. J.W.] noch auf subjektive Sinnwelten reduzieren lassen« (Ott u. Wrana 2010: 157-158). Aus diesen Praktiken ergeben sich die lokalen Machtverhältnisse. Damit könne eine Ethnographie der Gouvernementalität untersuchen, wie Macht- und Regierungsverhältnisse in ihrer Komplexität gerade aus der Verschränkung der Praktiken und Interaktionsmustern »vor Ort« (sowie deren eigenen Dynamiken) mit den überlokalen Rationalitäten und Programmen erwachsen (wobei letztere ebenfalls Praktiken sind); demgegenüber könne die »reine« Programmanalyse »nur imaginieren, wie sich die Machtausübung […] vollzieht« (ebd.: 163; Winkler et al. i.E.). Ott und Wrana sehen den Mehrwert einer Perspektive auf Praktiken des Regierens aber nicht nur dann gegeben, wenn untersucht wird, wie ein bestimmtes Konzept in einem anderen Feld Einsatz findet. Die Kontrastierung und In-Bezug-Setzung zwischen den »Realfiktionen« der Regierungsprogramme (Handlungsanweisungen, Programmatiken) und den Praktiken, wie sie sich in lokalen Kontexten vollziehen, habe grundsätzlichen Mehrwert für die Rekonstruktion von Regierungspraxis: »Unser Argument, dass die Analyse des Vollzugs zur Erfassung der Komplexität der Machtverhältnisse nicht ausgeschlossen werden kann, gilt […] generell.« (Ott u. Wrana 2010: 163) In dieser Arbeit möchte ich eine solche Perspektive einnehmen, um die Prozesse der »Handhabbarmachung« und »Harmonisierung« jener Spannungen, Konflikte, Widersprüche und Inkompatibilitäten eines Regierens durch Dialog zu beleuchten, die ich oben diskutierte und die im Vollzug von Praxis »immer irgendwie« aufgelöst werden müssen. Die Frage wäre dann: Wie operiert die Mobilisierung einer »liberal-egalitären« Dialogtechnik (und dessen Logik der Gleichheit) konkret, wenn diese Mobilisierung in politische Bestrebungen eingebettet ist, die Integration einer als defizitär und (noch) nicht genügend integriert gedachten Gruppe zu fördern, die damit gleichermaßen als »Dialogpartner« und als problematische Gruppe in den Blick genommen wird? Mittels welcher Techniken wird diese Spannung lokal handhabbar gemacht, wie wird mit ihr verfahren? Die fortlaufende und als dynamisch zu betrachtende »Produktion einer ›Regierungskunst’« (Ott u. Wrana 2010: 180), hier der Regierungskunst des Dialogs, ergibt sich, so die Perspektive dieser Arbeit, erst aus den situierten Harmonisierungs-, Übersetzungs- und Implementierungspraktiken heraus (Foucault 1991; Li 2007; McKee 2009; Dzudzek 2016: 37; O’Malley et al. 1997; Lemke et al. 2000). Regierung ist als der Effekt praktisch prozessierter, lokal situierter »Anpassungsmechanismen« (Dzudzek 2016: 37) zu bestimmen, die dann wiederum re-rationalisiert und in die Kunst sowie in das politische Wissen des Regierens re-integriert werden können (Collier 2009). Gerade Ott und Wrana (2010) leisten dabei eine ethnographisch dichte Untersuchung des Regierens. Sie analysieren Interaktionspraktiken und schildern sogar die besonderen Dynamiken einzelner Konversationen und interpersonaler Auseinandersetzungen. Ott und Wrana deuten diese Interaktionsweisen und Mikropraktiken mit Bezug auf Foucaults Konzept der Gouvernementalität keineswegs als individualistische Ereignisse oder individuelle
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Handlungen, sondern als Elemente einer strukturierten und systematischen Regierungsweise, die sich eben auch in einzelne Interaktionen und Formen des interpersonalen »Umgangs« einschreibt – bzw., anders herum gedacht, sich aus diesen einzelnen Aktivitäten heraus ergibt. Die ethnographische Analyse ermöglicht es dann, Regierungsweisen zu kontextualisieren und dabei auch Mikropraktiken auf der Ebene von Interaktion und Kopräsenz in ihrer systematischen Bedeutung für die fortlaufende praktische Rationalisierung des Regierens zu diskutieren. In diesem Sinne strebt auch die vorliegende Arbeit an, den »Dialog mit Muslimen« von seinen Praktiken her zu bestimmen und die Kontexte seiner Implementierung zu analysieren. Dabei können auch einzelne Aktivitäten oder gar einzelne, in ihrer Situiertheit zu beobachtende Interaktionsformen zwischen Individuen als Ausdrucksformen einer übergeordneten Regierungsweise gefasst werden und zum Verständnis deren Implementierung beitragen (vgl. McIlvenny 2016a, b). Denn auch situierte Praktiken und Interaktionen können einbezogen werden, insofern beachtet wird »that any situated event is historically embedded« (McIlvenny 2016b: 22). Im Anschluss an die methodologischen Präzisierungen und Reflexionen des Forschungsgegenstands wird nun im Folgenden das konkrete methodische Vorgehen der Arbeit skizziert.
5.3 5.3.1
Methodisches Vorgehen Überlegungen zur Auswahl der Fallstudie für eine Untersuchung lokaler Dialogpraktiken: Charakterisierung der Fallstudie Erlangen
Hinsichtlich des methodischen Vorgehens musste zuallererst ein geeigneter Untersuchungskontext identifiziert werden, in welchem dialogorientierte Politiken und Praktiken beobachtet werden können und der auch in forschungspraktischer Hinsicht einen Zugang zu diesen Prozessen gewähren kann. Es musste eine Fallstudie gefunden werden, über die das Regieren von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog exemplarisch untersucht werden konnte. Dabei wurde als Fallstudie die im Norden Bayerns befindliche, »kleine Großstadt« Erlangen (110.000 Einwohner) ausgewählt. Die in Erlangen ausgestaltete integrationspolitische Praxis fokussiert explizit auf einen lokal zu führenden Dialog mit der »muslimischen« Bevölkerung. Auch hat sich das Dialogparadigma in Erlangen in konkreten Institutionen verdichtet (Dialogarbeitskreise, Initiativgruppen und Foren), welche teils schon lange existieren (die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft in etwa wurde 1996 auf Initiative städtischer Akteure gegründet), an denen bis heute städtische Repräsentant/-innen teilhaben und die entsprechend auch in die kommunale Integrationspolitik eingebunden sind. Gerade die von Repräsentant/-innen kommunaler Politik co-moderierte Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft (CIAG) stellt ein besonders programmatisches Beispiel des in Kapitel 3 herausgearbeiteten Dialogdiskurses dar: ein interreligiöses, jedoch in die staatliche/kommunale Integrationspolitik integriertes Dialogforum, dessen 1996 erfolgte Gründung, so das Narrativ, von Reden des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog über einen interkulturellen Dialog mit dem »Islam« inspiriert gewesen sei (Balleis 2008). Bereits im Zuge der ersten, noch explorativen Schritte meiner empirischen Arbeit – bspw. im Rahmen erster
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Handlungen, sondern als Elemente einer strukturierten und systematischen Regierungsweise, die sich eben auch in einzelne Interaktionen und Formen des interpersonalen »Umgangs« einschreibt – bzw., anders herum gedacht, sich aus diesen einzelnen Aktivitäten heraus ergibt. Die ethnographische Analyse ermöglicht es dann, Regierungsweisen zu kontextualisieren und dabei auch Mikropraktiken auf der Ebene von Interaktion und Kopräsenz in ihrer systematischen Bedeutung für die fortlaufende praktische Rationalisierung des Regierens zu diskutieren. In diesem Sinne strebt auch die vorliegende Arbeit an, den »Dialog mit Muslimen« von seinen Praktiken her zu bestimmen und die Kontexte seiner Implementierung zu analysieren. Dabei können auch einzelne Aktivitäten oder gar einzelne, in ihrer Situiertheit zu beobachtende Interaktionsformen zwischen Individuen als Ausdrucksformen einer übergeordneten Regierungsweise gefasst werden und zum Verständnis deren Implementierung beitragen (vgl. McIlvenny 2016a, b). Denn auch situierte Praktiken und Interaktionen können einbezogen werden, insofern beachtet wird »that any situated event is historically embedded« (McIlvenny 2016b: 22). Im Anschluss an die methodologischen Präzisierungen und Reflexionen des Forschungsgegenstands wird nun im Folgenden das konkrete methodische Vorgehen der Arbeit skizziert.
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Methodisches Vorgehen Überlegungen zur Auswahl der Fallstudie für eine Untersuchung lokaler Dialogpraktiken: Charakterisierung der Fallstudie Erlangen
Hinsichtlich des methodischen Vorgehens musste zuallererst ein geeigneter Untersuchungskontext identifiziert werden, in welchem dialogorientierte Politiken und Praktiken beobachtet werden können und der auch in forschungspraktischer Hinsicht einen Zugang zu diesen Prozessen gewähren kann. Es musste eine Fallstudie gefunden werden, über die das Regieren von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog exemplarisch untersucht werden konnte. Dabei wurde als Fallstudie die im Norden Bayerns befindliche, »kleine Großstadt« Erlangen (110.000 Einwohner) ausgewählt. Die in Erlangen ausgestaltete integrationspolitische Praxis fokussiert explizit auf einen lokal zu führenden Dialog mit der »muslimischen« Bevölkerung. Auch hat sich das Dialogparadigma in Erlangen in konkreten Institutionen verdichtet (Dialogarbeitskreise, Initiativgruppen und Foren), welche teils schon lange existieren (die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft in etwa wurde 1996 auf Initiative städtischer Akteure gegründet), an denen bis heute städtische Repräsentant/-innen teilhaben und die entsprechend auch in die kommunale Integrationspolitik eingebunden sind. Gerade die von Repräsentant/-innen kommunaler Politik co-moderierte Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft (CIAG) stellt ein besonders programmatisches Beispiel des in Kapitel 3 herausgearbeiteten Dialogdiskurses dar: ein interreligiöses, jedoch in die staatliche/kommunale Integrationspolitik integriertes Dialogforum, dessen 1996 erfolgte Gründung, so das Narrativ, von Reden des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog über einen interkulturellen Dialog mit dem »Islam« inspiriert gewesen sei (Balleis 2008). Bereits im Zuge der ersten, noch explorativen Schritte meiner empirischen Arbeit – bspw. im Rahmen erster
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Internetrecherchen und einer beginnenden Sichtung von Artikeln aus der lokalen Presseberichterstattung – fiel auf, dass Dialog bzw. ein »Dialog mit Muslimen« in Erlangen bedeutsam und sichtbar gemacht wurde und wird. Vor allem in meinem ersten, ebenfalls noch explorativ angelegten Interview mit der kommunalen Integrationsbeauftragten Erlangens (das zu einem Zeitpunkt geführt wurde, als die Auswahl der Fallstudie noch nicht hundertprozentig feststand), zeigte es sich deutlich, dass die Stadt im Hinblick auf den Umgang mit »Islam« und »Muslimen« explizit auf Dialog setzt und dabei, so die Aussagen der Integrationsbeauftragten, einen besonders intensiv und erfolgreich ablaufenden Dialog mit der lokalen »muslimischen« Bevölkerung etabliert hätte (Interview 1, siehe nachfolgende Tabellen). Schon als ich aus privaten Gründen im Jahr 2013 ein Gespräch mit einem in Erlangen tätigen »christlichen« Dekan führte, wurde mir von einem vor Ort vermeintlich besonders ausgeprägten Dialog zwischen den Religionen erzählt, den auch die Stadt unterstützen würde. Auch im Kontext der ersten explorativen Beobachtungen (TB 1, 2, 3, siehe nachfolgende Tabellen) wurde Dialog von verschiedenen Individuen (u.a. Vertreter/-innen des Ausländer- und Integrationsbeirats, »muslimische« Gemeindesprecher) als eine Praxis artikuliert, die in Erlangen fest etabliert sei und von der Stadt verfolgt werde. Insgesamt ist somit festzuhalten, dass sich die Fallstudie Erlangen dafür eignet, um das Programm »Dialog« genauer zu untersuchen. Auch erschien eine einzige Fallstudie für die Forschungsfragen dieser Arbeit als günstig, da diese auf eine möglichst tiefgehende und ethnographische Analyse der Praxis dialogorientierten Regierens zielen, wofür eine umfassende lokale »Tiefenbohrung« notwendig wird. Darüber hinaus erschienen noch zwei weitere Aspekte als Argumente für Erlangen: Die relativ überschaubare Größe der Stadt (110.000 Einwohner) und die übersichtliche Anzahl an institutionalisierten »muslimischen« Vereinen und Organisationen verweisen einerseits auf eine spezifische Erlanger Situation, stellen gleichzeitig aber auch grundlegend günstige Bedingungen dar, um den lokalen »Dialog mit Muslimen« mit ethnographischen Methoden entsprechend intensiv und detailliert zu untersuchen und dabei auch zumindest einen Großteil der lokal relevanten Akteure, Organisationen, Maßnahmen, Praktiken und Orte des Dialogs in eine Analyse mit einzubeziehen. Auch dass ich selbst während der Forschung in Erlangen ansässig war, kann in diesem Sinne als Vorteil einer ethnographischen Fallstudie erachtet werden. Die Spezifik der Erlanger Verhältnisse wird in dieser Arbeit an einigen Stellen behandelt. Hier soll aber das Argument in den Vordergrund gerückt werden, dass die Fallstudie es aus den bisher genannten Gründen in besonderem Maße ermöglicht, lokale Artikulationen und Effekte des gegenwärtig überlokal bedeutsamen Regierungsprogramms »Dialog mit Muslimen« zu untersuchen. In Kapitel 7.4 wird noch genauer dargestellt, dass die in Erlangen zu beobachtenden Politiken, Maßnahmen und Praktiken des Dialogs auch in anderen Städten in Deutschland zumindest in ähnlicher Form vorzufinden sind. Auch dadurch wird sich das Argument stärken lassen, dass mit der Wahl der Fallstudie Erlangen eine exemplarische Untersuchung der lokalen Materialisierungen des Regierungsskripts »Dialog« möglich wird. Die Stadt Erlangen (Anteil an Personen mit Migrationshintergrund: ca. 30 %) zeigt sich aufgrund der lokalen Siemens-Niederlassung wie auch aufgrund der vergleichsweisen großen Universität schon seit Jahrzehnten von Internationalisierungsprozessen und hochqualifizierter Migration geprägt, was – so die These – auch den Umgang
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mit kultureller Differenz und die Entwicklung kommunaler Integrationspolitiken beeinflussen mag. Vielfach zeigten sich in Erlangen auch Fragen religiöser Pluralität als politisch bedeutsam, während Aushandlungsprozesse um die Sichtbarkeit und Teilhabe von »Muslimen« im kommunalen und lokalen gesellschaftlichen Bereich an Dynamik gewannen (Güneysu 2006; Forssmann 2007; Husseini et al. 2010; Kerler 2008). Wie erwähnt, gestaltet die Stadt Erlangen gegenwärtig Varianten kommunaler islambezogener Politiken aus und setzt hierbei vielfach auf interreligiösen Dialog. Unter Rekurs auf das Stadtmotto »Offen aus Tradition«, welches an die Aufnahme französischer protestantischer Glaubensflüchtlinge im 17. Jahrhundert in Erlangen erinnert, stellt sich die Stadt vielfach als »multikulturell« und »multireligiös« dar, wobei das Motiv des interreligiösen Friedens bis heute politisch mobilisiert wird (Jakob, Horst u. Schmitt 2007). Dieses Motiv bildet eine diskursive Grundlage für die Repräsentationen der von der Stadtpolitik in ausgeprägter Weise unterstützen interreligiösen Dialogaktivitäten. Angesichts der hohen Dichte an Akademiker/-innen mögen in Erlangen, so eine These, auch überdurchschnittlich viele Personen ihre sozialen, kulturellen und lokalpolitischen Ressourcen für ein Engagement in lokalen interkulturellen und interreligiösen Dialogmaßnahmen mobilisieren: in etwa Wissenschaftler/-innen, die auch aus wissenschaftlichem Interesse an einem »Dialog mit Muslimen« teilnehmen, oder ausgebildete »christliche« Theolog/-innen als »Interessent/-innen« für einen interreligiösen Dialog. In Erlangen wurde schon 1974 der deutschlandweit erst dritte Ausländerbeirat gegründet, in welchen derzeit qua fest installierter Sprecherposition auch explizit die lokale »muslimische« Dachorganisation Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen e.V. (IRE) integriert ist. Seit 2008 – in einer Zeit, in der viele Städte in Deutschland Integrationspläne ausformulierten – etablierte die Stadt ihre Koordinationsstelle Integration, über die z.B. der jährlich stattfindende »interkulturelle Monat« als vielfaltspolitische Maßnahme organisiert wird. Als bedeutendes Resultat des städtischen Fokus auf Religion und Interreligiosität ist die 1996 von der Stadt mit initiierte Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft zu sehen (siehe oben). Die integrationspolitisch arbeitenden Dialognetzwerke in Erlangen bemühten sich ferner schon seit den späten 1990er Jahren um die Einführung von Islamischem Religionsunterricht (IRU). Dieser ließ sich letztlich in der Form des sogenannten »Erlanger Modells« an lokalen Schulen realisieren, was bundesweit nachgeahmt wurde (Güneysu 2006). In diesem Kontext tauchten Fragen nach »muslimischen« Repräsentant/-innen als Ansprechpartner/-innen für den Staat auf, deren Aushandlung bis heute lokale Nachwirkungen zeitigt. Die Problemstellungen rund um Islamunterricht motivierten auch die Gründung der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE) als lokale Dachorganisation der zwei lokal ansässigen Moscheevereine: der vielfach arabischsprachigen Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE) und der zu DITIB gehörenden Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen (TIG). Auch gründete sich 2002 im Zusammenhang mit der Frage nach Religionsunterricht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg das Interdisziplinäre Zentrum für Islamische Religionslehre (IZIR). Darüber hinaus zeigt sich »Islam« in Erlangen auch in der akademischen Landschaft in besonderem Maße verankert. Neben dem Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE, etabliert 2009) wurde 2012 mit dem Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) mit bundes- und landespolitischer Unterstützung die akademische Institutionalisierung des »Islam« in Form der Etablierung
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einer Islamischen Theologie eingeleitet. Wie in Kapitel 3 herausgearbeitet wurde, wird die Einrichtung einer Islamischen Theologie in Deutschland als Impulsgeber für integrationspolitische Entwicklungen sowie für das damit verknüpfte Feld interkultureller und interreligiöser Verständigung positioniert. Die Fallstudie Erlangen erscheint daher auch aufgrund solcher akademischen und bildungspolitischen Entwicklungen als interessanter Kontext für eine Untersuchung gegenwärtiger Dynamiken des Regierens von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog.
5.3.2
Der Einstieg in das Feld und Auswahl der Interviewpartner/-innen
Der Einstieg in das Feld erfolgte über einige teilnehmende Beobachtungen integrationspolitischer Aktivitäten in Erlangen (TB 1, 2, 3 u.a.). Ein zentrales erstes »Forschungsereignis« stellte dann das explorativ angesetzte Interview mit der Integrationsbeauftragten in Erlangen dar (Interview 1). Hierbei fragte ich noch möglichst allgemein und offen nach Formen der Interaktion zwischen der Kommune und der »muslimischen« Bevölkerung. Schnell offenbarte sich dabei die große Bedeutung, die dem Dialog beigemessen wurde. Die Interaktionen zwischen Stadt und »Muslimen« wurden als konstruktiv und erfolgreich sowie gleichzeitig als dialogorientierte Beziehung rationalisiert. Zudem machte mich die Integrationsbeauftragte auf zwei von der Kommune co-moderierte Dialogarbeitskreise aufmerksam, die Christlich-Islamische-Arbeitsgemeinschaft (CIAG) und den Freundeskreis der muslimischen Gemeinden in Erlangen (FMGE). Diese Arbeitsgruppen und Netzwerke würden die Beziehungen zwischen Stadt und »Muslimen« maßgeblich gestalten. Über die Integrationsbeauftragte wurde ich sogleich an die CIAG-Moderator/-innen vermittelt. Diese luden mich zu einer CIAG-Sitzung ein, die bereits einige Wochen später stattfand (TB CIAG 1; vgl. Tab. 3). So begann ich schon sehr früh in meiner Arbeit mit den teilnehmenden Beobachtungen in den Erlanger Dialogkreisen. Die sukzessive (Re-)Formulierung und Schärfung meiner Fragestellungen fand somit von Beginn an in Auseinandersetzung mit der lokalen Empirie statt. Über die ersten teilnehmenden Beobachtungen von Dialogsitzungen und Veranstaltungen, mit denen ich ab Mai 2014 begann, erhielt ich zunehmend Zugang zu den verschiedenen Netzwerken, Arbeitskreisen und Projektgruppen, die sich in Erlangen organisiert haben, um Integrationspolitik zu gestalten und einen Dialog mit der »muslimischen« Bevölkerung zu führen. Auch wurde ich schnell in entsprechende E-Mail-Verteiler und Listen aufgenommen, zunächst in die Verteiler der CIAG und des FMGE. Über diese Verteiler erhielt ich kontinuierlich Informationen über Veranstaltungen und Projekte, die entweder thematisch direkt im Feld Integration, Dialog, »Islam« und religiöse Pluralität angesiedelt waren und/oder die von Personen (mit-)organisiert wurden, die auch in den Dialogarbeitskreisen aktiv sind. Auch ließen sich über die schon früh begonnenen Beobachtungen vorteilhaft weitere Interviewpartner/-innen identifizieren. In der Auswahl der Gesprächspartner/-innen zielte ich zunächst auch primär auf jene Individuen, die (a) in irgendeiner Form an den Dialoginstitutionen teilhaben, und/oder (b) in einer Beziehung zu Individuen stehen, die an den Dialoginstitutionen beteiligt sind, und/oder (c) an weiterführenden Projekten und Maßnahmen vor Ort beteiligt sind, die Dialog lokal thematisieren und/oder mit den Aktivitäten der Dialogforen verknüpft sind. Mit zunehmender »Felderfahrung« konnte ich dann auch Individuen als
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Gouvernementalität der Freundschaft
bedeutsam identifizieren, die zwar nicht oder vergleichsweise selten an den lokal institutionalisierten Dialogformaten teilhaben, jedoch im lokalen Feld wie auch in den Dialognetzwerken als Akteure wahrgenommen werden (bzw. sich auch selbst entsprechend präsentieren), die in Erlangen den Dialog zwischen »Muslimen« und Gesellschaft mitgestalten. Letztlich identifizierte ich eine heterogene Ansammlung zu interviewender Individuen, die aus sehr verschiedenen Positionen heraus und entsprechend verschiedentlich am Dialog beteiligt sind. Aufseiten der Kommune sprach ich mit Vertreter/-innen der kommunalen Politik und Verwaltung, die im weiten Feld »Integration« navigieren. Dabei handelte es sich zunächst überwiegend um Personen, die auch mehr oder minder an den städtischen Dialogforen beteiligt sind. Später interviewte ich dann auch bewusst Personen aus der kommunalen Verwaltung, die nicht an den Dialogforen teilnehmen, um auch deren Perspektive auf das Geschehen mit einzubeziehen. Entsprechend der Zusammensetzung der Dialoginitiativen sprach ich zudem mit Vertreter/-innen der katholischen und evangelischen Kirchen sowie mit Aktiven aus deren Bildungswerken (Religionspädagog/-innen usw.), dazu noch mit »muslimischen« und »nicht muslimischen« Wissenschaftler/-innen, die in den Dialog involviert sind. Auch die Auswahl der »muslimischen« Gesprächspartner/-innen fokussierte primär auf jene Individuen, die als »Muslime« auftreten und dabei in irgendeiner Form an den Dialoginstitutionen oder an damit verknüpften Netzwerken, Projekten oder Initiativen teilhaben. Doch selbst innerhalb dieser Kriterien konnten äußerst heterogene »muslimische« Sprecher/-innen als Gesprächspartner/-innen gewonnen werden. So führte ich Interviews mit »muslimischen« Vertreter/-innen und Mitgliedern der eher »traditionellen« Moscheegemeinden, wobei manche Vertreter/-innen auch selbst in der kommunalen Politik tätig sind und in dieser Position dann auch »die Stadt« vertreten – die nichtsdestotrotz im Erlanger Feld meistens von »nicht muslimischen« Individuen repräsentiert wird. Damit zeigen bereits die Interviewpartner/-innen, dass sich die Grenze »muslimisch« und »nicht muslimisch« nicht nahtlos auf die Differenzierung zwischen staatlich-kommunalen (und »mehrheitsgesellschaftlichen«) Instanzen und einer kulturellreligiösen Minderheit übertragen lässt. Ich interviewte sowohl Vorstände als auch »einfache« Mitglieder der Moscheegemeinenden, sowohl Vereinssprecher/-innen im nicht religiösen Sinne als auch religiöses Personal, in dem Fall Imame. Ich interviewte Personen, die erst seit Kurzem in den Dialog involviert sind, sowie solche, die schon seit der CIAG-Gründung 1996 dabei sind. Über die Moscheegemeinden hinaus interviewte ich in Deutschland geborene »muslimische« Konvertit/-innen, die nicht in den Moscheegemeinden, jedoch in den Dialogforen aktiv sind; ich sprach mit »jungen muslimischen Akademiker/-innen« außerhalb des Gemeindeumfelds, die sich gleichzeitig gesellschaftspolitisch engagieren, lokale interreligiöse Initiativen gegründet haben oder in der »muslimischen Studierendengemeinschaft Erlangen« aktiv sind. Ferner sprach ich auch mit »muslimischen« Wissenschaftler/-innen des Departments für IslamischReligiöse Studien. In Tabelle 1 im nächsten Kapitel sind alle Interviewpartner/-innen chronologisch gelistet und knapp beschrieben.
5. Methodologie und Methodik
5.3.3
Forschungsgegenstände, eingesetzte Methoden und gewonnene Materialsorten
Zur Analyse von Dialogpraktiken wurde ein Mix an Methoden angewandt, dessen Zusammensetzung in der Summe als ethnographisches Arbeiten benannt werden kann (Hirschauer u. Amman 1997a; Watson u. Till 2010; Lüders 2000). Die Erhebung empirischen Materials erfolgte über drei methodische Register, wobei sich entsprechend auch das empirische Material der Arbeit in drei Materialsorten gliedert:
Erhebung und Analyse von Texten Kapitel 4 illustrierte bereits Ergebnisse der Untersuchung programmatischer Texte, die einen »Dialog mit Muslimen« als angemessene integrationspolitische Vorgehensweise problematisieren. Hierzu zählten integrationspolitische policy paper, anwendungsbezogene Studien zu den Potenzialen von Dialogen als Integrationsinstrumente und dialogorientierte Erfahrungsliteratur. Diese Texte wurden auf wiederkehrende und zentrale Motive und Argumentationsmuster befragt. Über diese Texte hinaus wurden im Zuge der Analyse lokaler Dialogpraktiken in Erlangen problem- und themenbezogen auch noch weitere Texte analysiert: Flyer und Informationsbroschüren, die »vor Ort« zirkulierten und/oder mir von Interviewpartner/-innen gegeben wurden, Internetseiten, bspw. der lokalen »muslimischen« Organisationen, einzelner Dialoginitiativen oder der Stadt, politische Dokumente (Stadtratsprotokolle, Dringlichkeitsanträge usw.), Berichte in der lokalen Presse, Protokolle von Integrationskonferenzen und Tagungen/Workshops oder PowerPoint-Folien von Vorträgen, die die Themen »Islam«, »Dialog« und »Integration« behandelten und von lokalen Akteuren gehalten wurden. Daneben analysierte ich zahlreiche Protokolle der Sitzungen der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft aus den Jahren 2009-2013. Diese Materialien gelangten im Zuge der empirischen Arbeit und der sukzessiv erfolgenden analytischen Kategorienbildung ins Blickfeld. Eingebettet in eine auf den Interviews und Beobachtungen basierende, kontinuierliche Herausarbeitung zentraler Fluchtpunkte dialogischen Regierens, konnten bestimmte Dokumente als relevant erfasst werden. Solche Dokumente wurden also auch insofern für die Analyse ausgewählt, als die in ihnen behandelten Themen und Motive von den Individuen aus dem Feld während der Interviews und/oder der teilnehmenden Beobachtungen als bedeutsam markiert wurden. Nachdem bspw. die Feldforschung aufzeigte, dass die in Erlangen 2012 erfolgte Etablierung eines Instituts für Islamische Theologie in den Dialogforen als wichtiger Impuls für die lokale Dialogpolitik gedeutet wurde, habe ich dementsprechend auch politische Dokumente einbezogen, die z.B. die Argumente der Stadt für die Einrichtung einer Islamischen Theologie illustrierten. So wurde themen- und gegenstandsbezogen ein Korpus aus heterogenen Texten aufgebaut. Die verschiedenen einzelnen Textdokumente werden jeweils separat in den noch folgenden Darstellungen und Diskussionen des empirischen Materials – dem Hauptteil der Arbeit – vorgestellt und in ihrer Bedeutung erläutert. Im Rahmen dieser Arbeit interessieren aber nicht nur die Rationalitäten, die sich in Programmtexten (Kapitel 4) sowie in gesellschaftlichen und politischen Debatten (Kapitel 3) ausdrücken. Vielmehr wird auch betrachtet, wie sich solche Rationalitäten zu-
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Gouvernementalität der Freundschaft
sammen mit anderen Modi des Regierens auf lokaler Ebene in der Praxis artikulieren. Erst der Blick auf das Performativwerden (Dzudzek 2016: 71-72) der Regierungsrationalitäten kann die Machteffekte auf lokaler Ebene erschließen (Ott u. Wrana 2010).
Interviews: problemzentrierte Interviews und informelle Gespräche als Methoden zur Generierung von Aussagen Insgesamt wurden 21 leitfadengestützte, problemzentrierte Interviews mit Individuen geführt, die auf verschiedene Arten und Weisen in Initiativen, Maßnahmen und Praktiken eingebunden sind, welche explizit oder implizit auf die Vorstellung eines »DialogFührens« mit »Muslimen« auf lokaler Ebene rekurrieren bzw. sich einem solchen Dialog zuordnen lassen. Die Interviews wurden im Zeitraum von Mai 2014 bis Dezember 2017 geführt. Problemzentrierte Interviews behandeln auf Basis eines Leitfadens bestimmte Themen und Kategorien und zeigen sich damit fokussierter als bspw. biographische oder narrative Interviews, bieten jedoch gleichzeitig mehr Offenheit als gänzlich leitfadenbezogene, vollstrukturierte Gesprächsführungen. In Bezug auf Foucault, der Regierung als eine intervenierende Praxis der Problematisierung zu beeinflussender Prozesse denkt, lässt sich anfügen, dass gerade problemzentrierte Interviews dafür geeignet sein können, dominante, dem Regieren zugrunde liegende Problematisierungsformen in ihrer situierten Artikuliertheit zu untersuchen. Dafür ist eine leitfadengestützte Fokussierung auf ein abgestecktes Feld oder eine bestimmte Problemstellung, bspw. »Dialog«, notwendig, gleichzeitig muss aber gewährleistet werden, dass die interviewten Subjekte in der Darstellung ihrer Perspektiven (die davon abhängig sind, wie sich Subjekte innerhalb diskursiver Praxisfelder subjektivieren) genügend Raum erhalten, um Diskurse und Problematisierungsformen in Bezug zu ihren Erfahrungen und Tätigkeiten zu bringen. Dafür eignen sich Interviews, die thematische Einschränkungen generieren, die möglichen Artikulationsformen des »Themas« aber nicht vorgeben (Flick 1995, 2000; Mayring 2002). Die durch die Interviews produzierten »Texte« stellen sich methodologisch betrachtet als Effekte von Aussagepraktiken dar, in deren Vollzug Dialog sowie auch die im Kontext von Dialog problematisierten Identitäten artikuliert, kontextualisiert und in Beziehung zu anderen Identitäten, Problemstellungen und normativen Vorstellungen gesetzt werden (vgl. Wrana u. Langer 2007; Glasze u. Mattissek 2009a, b; Ott u. Wrana 2010; Wrana 2012; Baumann et al. 2015). Die Aussagen in den Interviews spiegeln folglich wider, wie die Praxis eines »Dialogs mit Muslimen« gedeutet, legitimiert und aufgefasst wird, mit welchen Problemen sie verknüpft wird und welche Identitäten – »muslimische«, »christliche«, lokale, städtische Identitäten – in diesem Zusammenhang bedeutsam (gemacht) und in Bezug auf bestimmte Imaginationen von Gesellschaft verortet werden. Über die problemzentrierten Interviews ließen sich also die Problematisierungsweisen jener »Praktiker/-innen« rekonstruieren, die im Feld dialogbezogener Integrations- und Involvierungspolitiken tätig sind. Die Interviews erhalten zum einen Hinweise darauf, wie sich ebenjene Praktiker/-innen im Kontext eines zu führenden »Dialogs mit Muslimen« selbst verorten und als Subjekte darstellen (können); wie sie sich damit also auch im Verlauf des Interviews wiederholt subjektivieren. Die Analyse solcher Selbstdarstellungsweisen ist von Bedeutung, da im Sinne
5. Methodologie und Methodik
von Foucault die Subjektivierung von Individuen als ganz bestimmte Subjekte (als »Muslime«, »Muslime in Erlangen«, religiös interessierte Personen, dialogaktive Personen, tolerante Personen, als Mitglied einer Minderheit oder Mehrheit usw.) die Grundlage dafür bietet, dass Subjekte im Zuge von Regierungs- und Selbstregierungsprozessen adressiert und mobilisiert werden können. Zum anderen ließ sich über die Interviews untersuchen, wie jene Praktiker/-innen, ausgehend von ihrer subjektivierenden Einbettung in Praxisfelder, »Dialog« als einen Gegenstand von Interesse artikulieren, als Phänomen identifizieren, aufgreifen und im Hinblick auf diskursiv (re-)konstituierte Fragen der Steuerung von Gesellschaft aufbereiten. Auch konnte untersucht werden, wie die Problematisierung von »Dialog« mit anderen Problematisierungen, bspw. von »Islam« und »Muslimen«, verknüpft wird. Über die 21 von mir geführten Interviews hinaus wurden in die Analyse noch zwei weitere Interviews einbezogen, die Wolfgang Kerler im Rahmen seiner Studie über Islamunterricht in Erlangen (Kerler 2008) mit Erlanger Akteuren geführt und im Anhang seiner Arbeit vollständig transkribiert beigefügt hat. Diese umfänglich erhaltenen und damit einer Analyse zugänglichen Texte habe ich in meine Untersuchungen eingebunden. Dazu kamen noch zehn informelle Gespräche, die sich im Hinblick auf ihren Umfang und die Relevanz der gewonnenen Daten deutlich von den zahlreichen kürzeren (und hier nicht separat aufgeführten) Gesprächen unterschieden, die ich im Rahmen der ethnographischen Feldforschung ohnehin vielfach führte. Jene zehn längeren und intensiveren informellen Gespräche werden an dieser Stelle nach den »formalen« Interviews gesondert aufgeführt. Solche Gespräche fanden im Kontext von Veranstaltungen statt, die ich besucht habe. Nicht zuletzt führte ich auch einige spontan organisierte Telefonate mit relevanten Personen, auf die jedoch direkt im Fließtext der Ergebnispräsentationen verwiesen werden soll. Fast alle Interviews wurden aufgenommen und anschließend vollständig und im Wortlaut transkribiert, um für eine Analyse der Deutungs- und Aussagemuster aufbereitet zu sein. Die wenigen nicht aufgenommenen Interviews (zu denen auch die informellen Gespräche zählen), wurden direkt im Anschluss im Sinne eines Gedankenprotokolls verschriftlicht. Das heißt, es wurden zentrale Aussagen und Deutungen in eigenen Worten festgehalten, wobei es aber durchaus möglich war, besonders prägnante Aussagen »im Kopf zu behalten« und anschließend – meiner Ansicht nach – zumindest relativ wortgetreu schriftlich zu fixieren. Solche Aussagen verwende ich daher auch im Sinne von Zitaten, wobei aber immer markiert ist, dass es sinngemäße Zitate sind. In den Feldnotizen, die ich nach solchen Gesprächen anlegte, habe ich stets auch vermerkt, ob und inwieweit bestimmte Zitate »wortwörtlich« genommen werden können – um die Angemessenheit des späteren Zitierens zu gewährleisten. Die folgenden Tabellen listen alle Interviews und informellen Gespräche auf und geben hierzu Informationen.2 2
Für eine noch stärkere Anonymisierung, die angesichts einer ethnographischen Beschreibung des Dialoggeschehens in einer benannten Stadt notwendig ist, wird in den folgenden Auflistungen von Gesprächspartner/-innen teilweise das Geschlecht nicht oder anders angegeben. Auch im Fließtext wird dann diese Form der Anonymisierung weiter praktiziert. Ich versuche dabei jedoch, darauf zu achten, diese »Verdeckung« der Kategorie Geschlecht nur dann zu vollziehen, wenn dies die analytische Arbeit und die Erkenntnisse aus der Diskussion der Empirie nicht wesentlich verzerrt.
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Gouvernementalität der Freundschaft
Tabelle 1: Interviews Interview
Gesprächspartner/-in
Datum
Ort
Interview 1
Leiterin der kommunalen Koordinationsstelle Integration der Stadt Erlangen und des Büros für Chancengleichheit und Vielfalt
12.05.2014
Rathaus Erlangen
Interview 2
Eine langjährig im Vorstand einer der beiden lokalen Moscheegemeinden aktive sowie auch in der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE) engagierte Person »islamischen« Glaubens, ebenso in der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft (CIAG) und im Freundeskreis der muslimischen Gemeinden in Erlangen (FMGE) aktiv
14.11.2014
Eine der Moscheegemeinden
Interview 3
Eine »muslimische« Vertreterin und (teils) Co-Sprecherin der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft, engagiert auch in der IRE, kommunalpolitisch aktiv (u.a. Stadtratskandidatur)
12.01.2015
Institut für Geographie an der FAU
5. Methodologie und Methodik
Interview 4
„Doppelinterview« mit zwei »muslimischen« Vereinsmitgliedern der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen (TIG). Eine der Personen wurde später separat interviewt (Informationen hierzu: Interview 16). Die andere interviewte Person dürfte zu den bekanntesten »muslimischen« Vertreter/-innen im lokalpolitischen Feld Erlangens gehören, ist Mitglied und Vorstandsmitglied der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG, zu DITIB gehörend) sowie mit im Vorstand der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE). Sie war maßgeblich an der Etablierung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) an Erlanger Schulen seit den späten 1990er Jahren beteiligt und ist seit Langem in CIAG und FMGE aktiv sowie allgemein gesellschaftspolitisch lokal stark engagiert. Das Interview hielt ich zusammen mit Sophia Sauber, die auch den Großteil der Fragen vorbereitete und die Daten aus diesem Interview für ihre – von mir co-betreute – Bachelorarbeit verwendete. Vielen Dank an Sophia an dieser Stelle.
16.01.2015
Moscheeräume der TIG
Interview 5
Damaliges Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE); nicht in CIAG und FMGE involviert
24.01.2015
IGE
Interview 6
Kommunale Referentin/kommunaler Referent für sozial- und integrationspolitische Fragen in Erlangen, Co-Moderator/-in des Freundeskreises der muslimischen Gemeinden in Erlangen (FMGE), in der CIAG aktiv
03.03.2015
Rathaus Erlangen
Interview 7
Pfarrer einer evangelisch-reformierten Kirchengemeinde in Erlangen; in CIAG und FMGE aktiv, gesellschaftspolitisch lokal engagiert
18.03.2015
Evangelische Gemeinde
Interview 8
Städtischer (für die Stadt zu sprechen befähigter) Co-Moderator des Freundeskreises der muslimischen Gemeinden in Erlangen (FMGE), »christlicher« Co-Moderator der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft (CIAG), ehemaliger Kreisvorsitzender der SPD Erlangen, ehemaliges Mitglied des Erlanger Stadtrats, aktiv in der SPDStadtratsfraktion, dort u.a. Sprecher für Religion und religiöse Gemeinden, ehemaliger Landtagsabgeordneter, in der Zeit meiner Feldforschung zudem Co-Moderator des Islamforums Bayern. Ist 2017 nach schwerer Krankheit verstorben. Ich habe ihm im Hinblick auf die Feldforschung viel zu verdanken.
17.04.2015
Rathaus Erlangen
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Gouvernementalität der Freundschaft
Interview 9
Imam der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE), in die Dialogkreise involviert
27.05.2015
IGE
Interview 10
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) in Erlangen (mittlerweile nicht mehr), in der Muslimischen Studierendengemeinde Erlangen (MSG) aktiv, Mitgründer interreligiöser Initiativen und Lesekreise auf lokaler und überlokaler Ebene, Bundesvorsitzender eines interreligiösen Leseprojekts, Dialogbeauftragter beim bundesweit operierenden Rat muslimischer Studierender & Akademiker (RAMSA), Mitarbeiter beim Kompetenznetzwerk Deradikalisierung, im lokalen Kontext Erlangen vielfach gesellschaftspolitisch engagiert und »als Muslim« auftretend, zeitweise als »islamischer« Gefängnisseelsorger aktiv
03.06.2015
Büro im Department IslamischReligiöse Studien (DIRS) der FriedrichAlexanderUniversität ErlangenNürnberg
Interview 11
„Nicht muslimisches« FMGE-Mitglied, das sich für die Integration von »Muslimen« in Erlangen engagiert, langjährig auf kommunaler Ebene parteipolitisch aktiv
24.06.2015
Institut für Geographie an der FAU
Interview 12
Lehrender am Lehrstuhl für Christliche Publizistik an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg (FAU), Mitarbeiter in der Evangelischen Stadtakademie Erlangen und Leiter einer »christlichen« Bildungsinstitution, in CIAG und FMGE teilweise aktiv
26.06.2015
Evangelisches Bildungswerk Erlangen, im Garten
Interview 13
Geschäftsführer des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa (EZIRE), Islamwissenschaftler
24.11.2015
Privat
Interview 14
Ein ehemaliger Vorsitzender des Ausländerund Integrationsbeirats (AIB), städtischer Repräsentant im Freundeskreis FMGE, Mitglied einer lokalen Stadtratsfraktion (dort Sprecher für Integration), Migrationshintergrund, »nicht muslimischer« religiöser Hintergrund
25.11.2015
Rathaus Erlangen
Interview 15
Wissenschaftlicher Vertreter aus den IslamischReligiösen Studien und der Religionspädagogik am Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) in Erlangen
16.12.2015
Büro im DIRS
Interview 16
Ein »muslimisches« (Vorstands-)Mitglied der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (zu DITIB gehörend), kommunalpolitisch erfolgreich engagiert, in CIAG und FMGE aktiv, an dem seit 2018 bestehenden Muslimischem Bildungswerk Erlangen (MBE) partiell beteiligt
07.03.2016
Moscheeräume der TIG
5. Methodologie und Methodik
Interview 17
Mitarbeiter/-in in der städtischen Verwaltung und Projektkoordinator/-in im Kontext der Arbeit des kommunalen Büros für Chancengleichheit und Vielfalt
27.09.2016
Rathaus Erlangen
Interview 18
Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE), in die Bestrebungen um die Etablierung einer »muslimischen« Erwachsenenbildung teilweise involviert
17.10.2016
IGE
Interview 19
Mitarbeiter der Verwaltung im Büro für Chancengleichheit und Vielfalt (Koordinationsstelle Integration) im Arbeitsbereich »Antidiskriminierung«
20.07.2017
Rathaus Erlangen
Interview 20
Langjähriges Mitglied einer der beiden Moscheegemeinden, in CIAG und FMGE aktiv, bereits an der Gründung der CIAG 1996 mit beteiligt. Das Interview wurde nicht technisch aufgenommen.
13.09.2017
Eine der Moscheegemeinden
Interview 21
Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIRS an der FAU ErlangenNürnberg, in der Muslimischen Studierendengemeinschaft Erlangen (MSG) aktiv, »theologischer Berater/theologische Beraterin« in einer lokalen interreligiösen Lesekreisinitiative, Co-Sprecher/Co-Sprecherin einer lokalen »muslimischen« Bildungsinstitution. Das Interview wurde nicht technisch aufgenommen.
21.09.2017
Café in Erlangen
Interview 22
Dieses Interview entnahm ich in transkribierter Form der Publikation von Kerler (2008): Hierbei handelt es sich um ein – wohl 2006 geführtes – Gespräch mit einem langjährigen Vorstandsmitglied der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. Es ist dieselbe Person, die ich auch selbst im Rahmen von »Interview 4« befragte und deren Profil dort beschrieben wird.
2006
Nicht bekannt
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Gouvernementalität der Freundschaft
Interview 23
Dieses Interview entnahm ich in transkribierter Form der Publikation von Kerler (2008): Es handelt sich um ein – wohl 2006 geführtes – Gespräch mit Prof. Dr. Harry Harun Behr. Behr hatte seit 2006 die Professur für Islamische Religionslehre an der FAU Erlangen-Nürnberg inne, die im Kontext des Interdisziplinären Zentrums für Islamischen Religionsunterricht (IZIR) eingerichtet wurde. Später war Behr auch am 2012 an der FAU eingerichteten Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) aktiv. Maßgeblich war Behr, der zum Islam konvertierte, an der Entwicklung und Einführung Islamischen Religionsunterrichts (IRU) in Erlangen beteiligt.
2006
Nicht bekannt
Interview 24
Hierbei handelt es sich um ein Gespräch mit meinem Interviewpartner Nummer 2, welches Sophia Sauber im Rahmen ihrer Bachelorarbeit durchführte und welches mir transkribiert vorliegt. Die Bachelorarbeit wurde von Prof. Dr. Georg Glasze vom Institut für Geographie der Universität ErlangenNürnberg und mir betreut.
01.11.2015
nicht bekannt
5. Methodologie und Methodik
Tabelle 2: Herausragende informelle Gespräche Informelles Gespräch (IG)
Gesprächspartner/-in
Datum
Ort
Länge
Informelles Gespräch 1
Gespräch mit einem Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE) (Informationen zum Gesprächspartner siehe »Interview 2«) während einer Autofahrt von Erlangen nach München zum Bayerischen Islamforum (Hinfahrt)
06.11.2014
Im Auto
ca. 1h
Informelles Gespräch 2
Gespräch mit zwei kommunalpolitischen Vertreter/-innen der Stadt Erlangen während einer Autofahrt von München nach Erlangen nach dem Besuch einer Sitzung des Bayerischen Islamforums
06.11.2014
Im Auto
ca. 30 min.
Informelles Gespräch 3
Kürzeres Gespräch mit einem/einer Mitarbeiter/-in aus der kommunalen Koordinationsstelle Bürgerschaftliches Engagement im Rahmen der Eröffnung des Kompetenzzentrums Religion an der FAU
10.05.2016
Orangerie in Erlangen
ca. 10 min.
Informelles Gespräch 4
Längeres Gespräch mit »Interviewpartner 10« am Institut für Geographie in Erlangen
21.06.2016
Institut für Geographie an der FAU
ca. 30 min.
Informelles Gespräch 5
Gespräch mit »Interviewpartner 20« (»muslimisches« Gemeindemitglied) im Rahmen des Gründungssymposiums des CEOS (Centre for Euro-Oriental Studies) an der FAU
25.11.2016
Orangerie in Erlangen
ca. 20 min.
Informelles Gespräch 6
Langes Gespräch mit einer »muslimischen« CIAG-Vertreterin (Informationen zur Gesprächspartnerin siehe: »Interview 3«)
22.12.2016
Café in Erlangen
ca. 1h 30 min.
Informelles Gespräch 7
Gespräch mit »Interviewpartner 20«
19.07.2016
Moscheeräume der TIG
ca. 10 min.
Informelles Gespräch 8
Gespräch mit einem Mitglied einer der beiden Moscheegemeinden im Rahmen des Fastenbrechens in den Moscheeräumlichkeiten der TIG
19.06.2017
Moscheeräume der TIG
ca. 10 min.
Informelles Gespräch 9
Gespräch mit einem inhaltlich leitenden Mitarbeiter einer »christlichen« Erwachsenenbildungsinstitution in Erlangen im Rahmen des Fastenbrechens in den Moscheeräumlichkeiten der TIG
19.06.2017
Moscheeräume der TIG
ca. 10 min.
Informelles Gespräch 10
Weiteres langes Gespräch mit einer »muslimischen« CIAG-Vertreterin (Informationen zur Gesprächspartnerin siehe: »Interview 3«)
11.07.2017
Café in Erlangen
ca. 1h 15 min.
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Gouvernementalität der Freundschaft
(Teilnehmende) Beobachtungen und die Rekonstruktion von Praktiken Ferner wurden teilnehmende Beobachtungen durchgeführt, primär im Kontext von Sitzungen der institutionalisierten Dialogforen und Arbeitskreise (CIAG und FMGE) (Tab. 3), aber darüber hinaus auch im Rahmen weiterer, mehr oder minder explizit integrationspolitisch gerahmter Praktiken und Maßnahmen (Tab. 4): öffentliche Diskussionsabende, Netzwerktreffen, akademische oder auch auf eine breitere Öffentlichkeit zielende Workshops und Tagungen, Vorträge, Reden, Ausstellungen, Eröffnungen sowie verschiedene lokale, vielfaltspolitische, interkulturelle und interreligiöse Veranstaltungen. Die Beobachtungen fanden im Zeitraum von Mai 2014 bis Dezember 2017 statt. Die meisten Beobachtungen wurden in Erlangen durchgeführt, einige Beobachtungskontexte führten mich aber auch aus Erlangen heraus. Hierbei handelte es sich in der Regel um dialogbezogene, auf »Islam« zielende Veranstaltungen und Maßnahmen (z.B. das Islamforum Bayern), an denen jene Individuen beteiligt waren, die maßgeblich auch am Dialog in Erlangen partizipieren. Die Methode der teilnehmenden Beobachtung machte es möglich, die konkreten Praktiken, Routinen, Verfahrensweisen und Abläufe dialogorientierter politischer Maßnahmen zu untersuchen und im Anschluss danach zu befragen, inwiefern diese Praktiken sich als Techniken eines strukturierten und strukturierenden Regierens manifestieren (können) (zur teilnehmenden Beobachtung: Bachmann, G. 2009; Bachmann, V. 2011; Lamnek 2010). Die Beobachtung weiterer, über die Dialogforen hinausgehender lokaler Veranstaltungen erweiterte die Datengrundlage in Bezug darauf, welche Aussagen über die »Arrangierung« eines lokalen »Dialogs mit Muslimen« möglich wurden. Die Annahme ist, dass ein solcher Dialog erst im Vollzug von Praxis bspw. spezifischer Dialogforen, Arbeitskreise oder Veranstaltungen lokal (be-)greifbar gemacht wird und seine Machteffekte zeitigt. Die beobachteten Veranstaltungen mussten dabei »Dialog« und »Islam« nicht explizit thematisieren, um als Reproduktion dieser Regierungsform ins Blickfeld zu geraten. So luden bspw. Vertreter/-innen des Ausländer- und Integrationsbeirats 2014 zu einem Spaziergang durch das Erlanger Stadtviertel »Anger« ein (TB 1; vgl. Tab. 4), in dessen Vollzug sie die Geschichte des Stadtteils erläuterten und diesen als migrationsgeprägten Ort kultureller Vielfalt rahmten. Während des Spaziergangs wurde dann auch das interreligiöse Miteinander thematisiert. Die Motive Vielfalt und Migration wurden im Stadtspaziergang mit der Idee eines Dialogs der Kulturen/Religionen verknüpft, was erst die Beobachtung zeigte. Während der ethnographischen Beobachtungen der verschiedenen Sitzungen und Veranstaltungen fertigte ich handschriftlich detaillierte Verlaufs- und Beobachtungsprotokolle an. Ich notierte dabei einerseits sprachliche Aussagen der an den Sitzungen beteiligten Personen – bspw. Aussagen über den Dialog, über die Frage der Integration von »Muslimen« in Erlangen, Gespräche über konkrete Themen usw. Auch versuchte ich, so oft und so detailliert es mir möglich war, Gespräche in ihrer Interaktionsdynamik und konkreten Anordnung zu protokollieren, d.h. abzubilden, wer wann was zu wem gesagt, erwidert, gefragt und/oder geantwortet hat. So enthielten die Protokolle am Ende zahlreiche Aussagen sprachlicher Art, die ich als Deutungen, Argumente, Legitimationen und Bewertungen nach wiederkehrenden Mustern analysieren konnte. Daneben
5. Methodologie und Methodik
habe ich versucht, möglichst viele Elemente nicht sprachlicher Praxis zu notieren. Hier handelt es sich um Notizen über den Ablauf der Sitzungen, über die Redenanteile, die Sitzordnung, die Räumlichkeiten, über die Umgangsweisen der Beteiligten untereinander (auch: Mimik, Gestik, Intonationsweisen, nicht sprachliche Körperpraktiken), über identifizierbare Routinen und eingespielte Organisationsabläufe etc. Während der ersten Beobachtungen der Dialogsitzungen (oder diverser Veranstaltungen) versuchte ich, möglichst viel zu notieren und nach Möglichkeit jede Äußerung zu sichern – möglichst oft nahezu wortwörtlich. Dies war notwendig, um in der ersten Sondierungsphase ein möglichst umfassendes Bild der Dialogpraktiken und -themen zu erhalten und für die Analyse zu sichern. Selbstredend konnte dabei nicht in einem holistischen Sinne die gesamte Praxis einer Dialogsitzung erfasst werden, doch waren die handschriftlichen Protokolle anfangs bis zu 20 Seiten lang. Im Anschluss digitalisierte ich viele der Feldnotizen, wobei ich bereits beim »Abtippen« erste Analyse- und Deutungskategorien hinsichtlich der Spezifika des Dialogs entwickelte und in Verknüpfung mit den jeweiligen Textstellen notierte. Letztlich konnte ich so eine Datenbank aus den Feldbeobachtungen und den ergänzenden Notizen anlegen und mit der Datenbank der transkribierten Interviews verbinden. Die folgenden zwei Tabellen listen die wichtigsten Beobachtungen auf, wobei zuerst Beobachtungen der Dialogforen und anschließend Beobachtungen anderer Kontexte notiert sind. Es werden dazu kontextualisierende Informationen geliefert, die sich dem/der Leser/-in teils aber erst nach der Lektüre der Ergebnisse vollends erschließen dürften. So sind die Tabellen auch als eine Art »Nachschlagewerk« konzipiert. Weitere von mir besuchte Veranstaltungen sind in dieser Arbeit separat im Fließtext erwähnt und dort ausreichend erläutert. Die folgende Tabelle listet die teilnehmenden Beobachtungen in den in Erlangen institutionalisierten Dialogforen Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft (n=10) und Freundeskreis muslimischer Gemeinden in Erlangen (n=10).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Tabelle 3: Teilnehmende Beobachtungen der Sitzungen der CIAG und des FMGE Beobachtung
Kontext
Datum
Ort
TB CIAG 1
CIAG-Sitzung zum Thema »Religion und politische Verantwortung«
06.05.2014
Räume der evangelischen Erwachsenenbildung
TB CIAG 2
CIAG-Sitzung zum Thema »Religion und soziale Verantwortung«
16.07.2014
Seminarräume der evangelischen Kirchengemeinde
TB FMGE 1
FMGE-Sitzung zum Thema »Religion und Religionsfreiheit im säkularen Verfassungsstaat« mit Prof. Heiner Bielefeldt der FAU Erlangen-Nürnberg als Redner zum genannten Thema
04.11.2014
Räume in der »Blauen Moschee« der TIG
TB FMGE 2
FMGE-Sitzung; Themen: Etablierung einer »muslimischen« Erwachsenenbildung; Förderung des sozialen und politischen Engagements der »Muslime« bzw. der »muslimischen« Gemeinden in Erlangen; allgemeine Integrationsfragen; strategische Überlegungen in Bezug auf mögliche Kundgebungen und Erklärungen der »muslimischen« Gemeinden zu den islamistisch motivierten Anschlägen in Paris im Januar 2015; Gast u.a.: städtische Beauftragte für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement
10.02.2015
Räume in der Moschee der TIG
TB CIAG 3
CIAG-Sitzung zum Thema »Islam und Gewalt«; Gast: Prof. Dr. Tarek Badawia vom Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) in Erlangen
05.03.2015
Gemeindehaus der katholischen Pfarrei Herz-Jesu Erlangen
TB FMGE 3
FMGE-Sitzung, in welcher Ansätze gegen die Diskriminierung von »Musliminnen« mit Kopftuch auf dem (lokalen) Arbeitsmarkt diskutiert wurden
06.05.2015
IGE
TB CIAG 4
Zweite CIAG-Sitzung zum Thema »Islam und Gewalt«; Gast: Prof. Dr. Tarek Badawia vom Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) in Erlangen
21.07.2015
TIG
5. Methodologie und Methodik
TB FMGE 4
Erstes Vorbereitungstreffen zur Etablierung einer »muslimischen Erwachsenenbildung« im Rahmen einer FMGE-Sondersitzung
01.10.2015
IGE
TB FMGE 5
FMGE-Sitzung, in welcher ein weiteres Mal Strategien gegen die Diskriminierung von Musliminnen mit Kopftuch auf dem (lokalen) Arbeitsmarkt diskutiert wurde. Eingeladen waren ein lokaler Unternehmer und Arbeitgeber, Vertreter/-innen der Arbeitgeberverbände, der Kreishandwerkerschaft, der Agentur für Arbeit Erlangen sowie Stadträt/innen
15.10.2015
IGE
TB CIAG 5 (nicht direkt besucht)
CIAG-Sitzung, in welcher meine Interviewpartner 10 und 21 ein lokales interreligiöses Lesecafé vorstellten, in welchem sie aktiv sind. Ein weiteres Thema war Islamischer Religionsunterricht (IRU) in Erlangen. An dieser Sitzung habe ich nicht teilgenommen. Ich habe mich allerdings mit Mitgliedern nachträglich über die Sitzung unterhalten und das Protokoll gesichtet.
28.10.2015
Evangelische Studierendengemeinde Erlangen
TB CIAG 6
CIAG-Sitzung zur Frage, wie die Erlanger »muslimischen« Gemeinden nach den Ereignissen in der »Kölner Silvesternacht« 2015 (die in eine Debatte über problematische Männlichkeitsbilder und sexualisierte Gewalt unter »muslimischen« Flüchtlingen führten) ihre Öffentlichkeitsarbeit ausrichten sollten; weitere Themen: islamische Gemeinden und Fragen der (Kinder-)Erziehung; Initiativen für Frauen mit Migrationshintergrund
17.02.2016
IGE
TB FMGE 6
Zweites Vorbereitungstreffen zur Etablierung einer »muslimischen Erwachsenenbildung« im Rahmen einer FMGE-Sondersitzung
24.02.2016
Räume des lokalen Gemeindezentrums »Angertreff« in Erlangen
TB FMGE 7
FMGE-Sitzung zum Thema »Diskriminierung von Muslimen auf dem (lokalen) Arbeitsmarkt«; Gast: städtischer Referent für Rechtssicherheit und Personal; weiteres Thema: das Engagement der Erlanger »muslimischen« Gemeinden in der Integrationsarbeit mit Flüchtlingen vor Ort
01.03.2016
Räume der TIG
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Gouvernementalität der Freundschaft
TB FMGE 8
Drittes Vorbereitungstreffen zur Etablierung einer »muslimischen Erwachsenenbildung« im Rahmen einer FMGE-Sondersitzung
19.07.2016
TIG
TB FMGE 9
FMGE-Sitzung; Themen u.a.: Integration durch Sport; Integration von »Muslimen« in lokale Stadtteilbeiräte; Öffentlichkeitsarbeit der »muslimischen« Gemeinden (z.B. Stellungnahmen zu islamkritischen Artikeln in der Presse; Fragen der Selbstdarstellung); lokaler Umgang mit überlokalen Konflikten (v.a. die damalige Stellungnahme des Bundestags zum Genozid an den Armeniern durch das Osmanische Reich und die damit verknüpften Konflikte zwischen Deutschland und der Türkei bzw. im Hinblick auf die türkische Community in Deutschland)
20.10.2016
IGE
TB FMGE 10
FMGE-Sitzung; Themen: Involvierung von »Muslimen« in den lokalen Stadtteilbeirat »Bruck-Anger«; Möglichkeiten der Integration durch Sport bzw. über lokale Sportvereine (Hier wurde auch die Frage aufgeworfen, inwiefern der Imam der IGE Sportangebote in der »islamischen« Gemeinde bewerben und »muslimische« Jugendliche, v.a. Mädchen, zur Partizipation anleiten könnte. Ein Imam hat sich dafür bereits mit einem in der FMGE aktiven Mitglied zusammengefunden); Öffentlichkeitsarbeit der »muslimischen« Gemeinden; Gebetsräume auf dem Siemens-Campus
07.02.2017
TIG
TB CIAG 7
CIAG-Sitzung; zu dieser Sitzung wurden Vertreter/innen der städtischen Senioren- und Wohnberatung sowie der Pflegeberatung, Seniorenbetreuer/-innen in den lokalen Anlaufstellen und Vertreter/-innen eines lokalen Hospizvereins eingeladen, um den Mitgliedern der »muslimischen« Gemeinden die Angebote vorzustellen. Dabei wurde simultan in die türkische Sprache übersetzt.
18.07.2017
TIG
TB CIAG 8
CIAG-Sitzung zum Thema »muslimische Seelsorge« und/oder »Seelsorge für Muslime im Krankenhaus«; Gäste: eine evangelische Pfarrerin und Klinikseelsorgerin, eine Ärztin der Kinder- und Jugendklinik Erlangen, ein Pfarrer und evangelischer Klinikseelsorger aus Erlangen sowie eine Vertreterin eines ehrenamtlichen Betreuungsprojekts. In dieser Sitzung waren es v.a. »christliche« Aktive, die den »muslimischen« Vertreter/-innen vorstellten, wie eine Seelsorge praktiziert werden könnte.
13.09.2017
IGE
5. Methodologie und Methodik
TB CIAG 9
CIAG-Sitzung zur Frage nach der Zukunft der Dialogforen CIAG und FMGE: programmatische Diskussionen über Agenda, Themen, Ausrichtung und Arbeitsweise der Erlanger Dialoginitiativen. Auf dieser Sitzung präsentierte ich auch einige Ergebnisse und Reflexionen aus meiner Arbeit.
05.12.2017
Räume der katholischen Erwachsenenbildung im Pacelli-Haus
TB CIAG 10
Eine weitere CIAG-Sitzung zur Diskussion der bisherigen Arbeitsweisen und Themen der Dialogforen CIAG und FMGE. Diskutiert wurden v.a. Überlegungen, wie man über die Dialogforen mehr Menschen erreichen könnte als bisher – sowohl Personen aus den religiösen Gemeinden als auch allgemein die Stadtgesellschaft.
28.02.2018
Rathaus Erlangen
TB CIAG 11 (nicht direkt besucht)
CIAG-Sitzung im Erlanger Rathaus, in welcher ein Professor vom Erlanger Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) theologische Perspektiven auf die Integration von »Muslimen« in Deutschland formulierte. An dieser Sitzung habe ich nicht teilgenommen. Ich habe mich allerdings mit der »muslimischen« CIAG-Sprecherin nachträglich länger über die Sitzung unterhalten und das Protokoll gesichtet.
01.12.2016
Rathaus Erlangen
TB FMGE 11 (nicht direkt besucht)
Gemeinsame Sitzung von FMGE und CIAG im Rathaus Erlangen; Gespräch mit Vertreter/-innen der Erlanger Polizei. An dieser Sitzung habe ich nicht teilgenommen. Ich habe mich allerdings mit Mitgliedern nachträglich über die Sitzung unterhalten und das Protokoll gesichtet.
11.10.2017
Rathaus Erlangen
Die folgende Tabelle listet teilnehmende Beobachtungen dialogbezogener Veranstaltungen auf, die neben der Teilnahme an den Dialogforen CIAG und FMGE zusätzlich durchgeführt wurden (n=27).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Tabelle 4: Teilnehmende Beobachtungen dialogbezogener Veranstaltungen Beobachtung
Kontext
Datum
Ort
TB 1
„Integration am Anger«: öffentliche Führung durch ein Stadtviertel Erlangens durch Vertreterinnen des Ausländer- und Integrationsbeirats
16.03.2014
Erlangen, Stadtteil Bruck
TB 2
Diskussionsabend über »Islamophobie« im Rahmen der »Internationalen Wochen gegen Rassismus« in Erlangen (ca. 25 Besucher/-innen); Moderation durch einen Vertreter der türkischen Moscheegemeinde
21.03.2014
„Blaue Moschee« der TIG
TB 3
„Iftar«, Islamisches Fastenbrechen im Rathaus Erlangen: eine Veranstaltung der Stadt Erlangen (Einladung u.a. durch Integrationsreferent/-in) mit Teilnahme des Oberbürgermeisters (OB); Teilnehmende: Vertreter/-innen der organisierten »muslimischen« Gemeinden, der »christlichen« Gemeinden, der »jüdischen« Gemeinde, städtische Vertreter/-innen (aus Politik und Verwaltung), Vertreter/-innen der Polizei und der Medien
22.07.2014
Rathaus Erlangen
TB 4
Besuch des Workshops »Extremismus – Funktionen erkennen – Nährboden entziehen: Salafismus – Rechtsradikalismus und Co.« in den Räumen der Katholischen Hochschulgemeinde in Nürnberg; veranstaltet von »Brücke-Köprü« (interkulturelles und interreligiöses Dialogforum aus Nürnberg), Degrin e.V. und der Muslimischen Studierendengemeinde Erlangen
17.18.10.2014
Nürnberg, katholische Hochschulgemeinde, Räume in der Königstraße
TB 5
VHS-Veranstaltung »Al-Fatiha« im Rahmen des »Interkulturellen Monats« in den VHS-Räumlichkeiten in Erlangen; Dozent: Tarek Badawia, Professor für islamische Religionspädagogik am Erlanger Departement Islamisch- Religiöse Studien (DIRS); Thema des Vortrags: interreligiöse Gemeinsamkeiten zwischen »Christen« und »Muslimen«; Abendveranstaltung
21.10.2014
VHS-Räume, Erlangen, Friedrichstraße 19
5. Methodologie und Methodik
TB 6
Besuch einer Sitzung des Bayerischen Islamforums in München zum Thema Islamischer Religionsunterricht mit dem damaligen Kultusminister Ludwig Spaenle als Gast. Das Bayerische Islamforum ist eine Dialogplattform der evangelischen Kirche, die Vertreter/-innen der evangelischen Landeskirche Bayern, des Staates Bayern, diverser Kommunen (je nach Thema) sowie Sprecher/-innen sowohl lokaler als auch regional oder auf Landesebene organisierter islamischer Verbände und Organisationen zusammenbringt, um über integrationspolitische Themen zu debattieren. Das Bayerische Islamforum wurde zur Zeit meiner Feldforschungen von einem Vertreter der evangelischen Landeskirche, einem Imam und islamischen Gemeindevorsitzenden aus Penzberg sowie einem kommunalpolitischen Vertreter aus Erlangen moderiert, wobei letzterer (ehemaliger Landtagsabgeordneter, im Kontext des Islamforums »katholisch« positioniert) in den Erlanger Dialoginstitutionen engagiert ist (Co-Moderator von CIAG und FMGE). Einige weitere Aktive aus den Erlanger Dialogforen CIAG und FMGE waren ebenso anwesend.
06.11.2014
München
TB 7
„Interreligiöse Runde«: eine Dialogveranstaltung der Stadt Erlangen mit dem OB, Vertreter/-innen aus lokaler Politik und Verwaltung sowie der »christlichen«, jüdischen und »muslimischen« Religionsgemeinschaften Erlangens. Die Veranstaltung fand im Rathaus statt, geleitet durch die Moderator/-innen der CIAG sowie durch Vertreter/-innen der Stadt.
13.11.2014
Rathaus Erlangen
TB 8
Aktiver Besuch (mit Vortrag) der Veranstaltung »Begegnung von Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen« in Buckenhof (Nachbargemeinde von Erlangen, organisiert vom FliB e.V. – Flüchtlingsbetreuung in Buckenhof e.V.). Auf dem Podium war neben mir auch ein Vorstandsmitglied der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE) und der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE). Dieser sollte den anwesenden Bürger/-innen Besonderheiten im Umgang mit »muslimischen« Flüchtlingen erklären.
11.12.2014
Gemeindezentrum in Buckenhof (eine direkt östlich an Erlangen angrenzende Gemeinde)
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Gouvernementalität der Freundschaft
TB 9
Besuch der öffentlichen Diskussionsveranstaltung »Verfolgt! Verzweifelt! Verloren? Flüchtlingsschicksale zwischen Recht und Gerechtigkeit«. Teilnehmer/-innen der Podiumsdiskussion waren Vertreter/-innen der Stadt, des Bayerischen Flüchtlingsrats, der katholischen Erwachsenenbildung, lokaler »christlicher« und »muslimischer« Gemeinden aus Erlangen sowie der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Veranstaltung wurde von ca. 400 Menschen besucht. Veranstalter waren die katholische Erwachsenenbildung, die Volkshochschule, die Stadt Erlangen und das Zentralinstitut für Regionenforschung der Universität Erlangen-Nürnberg.
30.01.2015
Saal im Pacelli-Haus (katholische Erwachsenenbildung) in Erlangen
TB 10
Eröffnung der Ausstellungen »Muslime in Deutschland« und »Muslime in Erlangen« im Stadtmuseum Erlangen; Reden einer der Bürgermeister/-innen der Stadt Erlangen, des Leiters des Stadtmuseums Erlangen sowie der Kuratorinnen der Erlanger Ausstellung (u.a. eine »muslimische« Co-Moderatorin der CIAG), zudem musikalische Untermalung
01.02.2015
Stadtmuseum Erlangen
TB 11
Teilnehmende Beobachtung einer Führung durch die Ausstellungen »Muslime in Deutschland« und »Muslime in Erlangen« im Stadtmuseum Erlangen, die von einer »muslimischen« Co-Sprecherin der CIAG geleitet wurde und an welcher zahlreiche CIAG-Aktive teilnahmen.
05.03.2015
Stadtmuseum Erlangen
5. Methodologie und Methodik
TB 12
Besuch einer Sitzung des Bayerischen Islamforums in München zum Thema Islamischer Religionsunterricht. Einige Aktive aus den Erlanger Dialogforen u.a. städtische Vertreter/-innen Erlangens und »muslimische« Repräsentanten der Erlanger Organisationen IGE und IRE waren anwesend. Sprecher »islamischer« Verbände stellten auf der Sitzung Konzepte zur flächendeckenden Einführung von Islamunterricht in Bayern vor. Dies waren Sprecher/innen des bayerischen Landesverbandes der türkisch-muslimischen DITIB, der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland sowie der Islamischen Landesreligionsgemeinschaft Bayern e.V. (ILB), die von einem IRE- und IGE-Mitglied aus Erlangen mitgegründet wurde. Selbiger sowie eine »muslimische« Doktorandin des 2012 in Erlangen gegründeten Islamisch-Theologischen Instituts DIRS (die u.a. auch mit den lokalen Erlanger »islamischen« Gemeinden in Kontakt steht) stellten das Konzept der ILB vor.
06.02.2015
Münchner Forum Islam in München
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Gouvernementalität der Freundschaft
TB 13 (nicht direkt besucht)
Workshop »Freiheit gestalten – Religiöse Verantwortung für Politik und Öffentlichkeit in der Stadt«; veranstaltet von »Brücke-Köprü« (interkulturelles und interreligiöses Dialogforum aus Nürnberg), dem Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) und der Muslimischen Studierendengemeinde Erlangen (MSG). Diesen Workshop habe ich nicht direkt besucht, jedoch unterhielt ich mich nachträglich über die Veranstaltung mit meinem Interviewpartner Nummer 14, der auf dieser Veranstaltung ein Panel moderierte,sowie mit weiteren am Workshop teilnehmenden Personen.
24./25.04.2015
Nürnberg, katholische Hochschulgemeinde, Räume in der Königstraße
TB 14
Teilnahme am »Friedensweg der Religionen« in Erlangen, einem seit 2001 jährlich praktizierten, von kirchlich-«christlichen« Akteuren initiierten und von der Stadt Erlangen unterstützten öffentlichen Stadtrundgang, bei welchem ein Moderator Anregungen zum interreligiösen Miteinander in Erlangen gibt (ca. 80 Teilnehmer/-innen). Am Ende wurde gemeinsam gesungen, und Vertreter/-innen der »christlichen«, »jüdischen«, »islamischen« und »buddhistischen« Gemeinden in Erlangen hängten Friedenssymbole an einen Baum.
27.09.2015
Erlangen, Innenstadt
TB 15
Besuch des religionspädagogischen Studientags zum Thema »Religion und Gewalt«, der von der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg, dem FAUZentrum für Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie von den Lehrstühlen für »christliche« praktische Theologie und für evangelische Religionspädagogik organisiert wurde. Hier besuchte ich u.a. auch einen Workshop zum Thema »Religiöse Karikaturen«, der von meinem Interviewpartner 12 geleitet wurde.
16.10.2015
Universität Erlangen, Erlangen
5. Methodologie und Methodik
TB 16
Interreligiös eingefärbte öffentliche Veranstaltung auf dem zentral gelegenen Erlanger Schlossplatz, die sich dem thematischen Schwerpunkt »Flüchtlingsintegration und Willkommenskultur« widmete. Titel der Veranstaltung: »ADVENT – Ankommen in Erlangen«. Initiator war die Bürgerstiftung Erlangen, die sich seit 2003 für soziale Projekte in Erlangen einsetzt, als Schirmherr fungierte der OB Erlangens. Neben Essensangeboten (u.a. kochten geflüchtete Menschen aus Erlanger Unterkünften für die Besucher) und einem Kinderprogramm (u.a. ein interkulturelles und interreligiöses Figurentheater) gab es eine gemeinsame interreligiöse Feier im öffentlichen Raum, die vom OB eingeleitet wurde und auf welcher Vertreter/-innen der »christlichen« und der »muslimischen« Gemeinden sprachen.
20.12.2015
Erlangen, Schlossplatz
TB 17
Diskussionsveranstaltung mit dem Titel »Der Islam gehört zu Deutschland – aber welcher?«; Rednerin war die »muslimische« ehemalige Bundestagsabgeordnete Dr. Lale Akgün. Die Veranstaltung (ca. 200 Besucher) war eine Kooperation zwischen der VHS Erlangen und dem säkularistischen Verein Bund für Geistesfreiheit Erlangen.
04.03.2016
Räume der VHS in Erlangen (Saal)
TB 18
Besuch der Vernissage/Eröffnung einer öffentlichen Ausstellung über religiöse Karikaturen in den Räumlichkeiten der evangelischen Erwachsenenbildung Erlangens (Villa an der Schwabach). Das evangelische Bildungswerk (Bildung Evangelisch) in Erlangen erarbeitete in Kooperation mit der Katholischen ErwachsenenBildung (KEB) in der Stadt Erlangen, dem evangelischen und katholischen Dekanat Erlangen und mit Unterstützung der Stadt im Rahmen ihrer jährlichen Kunst- und Kulturinitiative »Comicsalon« eine Ausstellung über Religionskarikaturen sowie über bildliche, künstlerische und kritische Darstellungen religiöser Motive, die aus einem Seminar der Christlichen Publizistik der Universität Erlangen-Nürnberg heraus entstand. Zur Vernissage kamen etwa 30 Personen – u.a. Vertreter/-innen der lokalen Presse, der Stadt sowie der Kirchen.
14.04.2016
Räume der evangelischen Erwachsenenbildung (»Villa an der Schwabach«) in Erlangen
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Gouvernementalität der Freundschaft
TB 19
Fahrt nach Augsburg: gemeinsame Fahrt einiger CIAG-Mitglieder (sowohl Vertreter/-innen der Stadt Erlangen als auch der »muslimischen« Gemeinden) nach Augsburg zur Besichtigung des dort aktiven, teils »muslimisch« getragenen Interkulturellen Netzes Altenpflege (ina). Ziel war die Eruierung von Möglichkeiten zur Einrichtung ähnlicher Initiativen in Erlangen
19.07.2016
Augsburg (plus Autofahrten)
TB 20
Besuch einer Sitzung des Bayerischen Islamforums in Ingolstadt; Thema u.a.: Islamischer Religionsunterricht.
23.07.2016
DITIBGemeindezentrum, Ingolstadt
TB 21
Internationaler Workshop am Department Islamisch-Religiöse Studien in Erlangen zum Thema »Moderne Reformansätze im islamischen Denken«; dort ein Vortrag von Prof. Dr. Tarek Badawia vom DIRS (»Macht und Ohnmacht der Religionspädagogik im Reformprozess Islamischer Theologie«), welcher wiederholt zu CIAG-Sitzungen eingeladen wurde. In diesem Vortrag diskutierte Badawia die Notwendigkeit einer stärkeren Hinwendung zu »menschlichen Bedürfnissen« in der traditionellen »islamischen« Theologie.
29.09.01.10.2016
DIRS, Erlangen
TB 22
Besuch des Gründungssymposiums des Centre for Euro-Oriental Studies (CEOS) an der FAU; Gäste und Redner u.a. Wissenschaftler/-innen vom Erlanger Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS); ferner waren einige Vertreter/-innen lokaler »muslimischer Gemeinden als Zuhörer anwesend.
25.11.2016
Orangerie in Erlangen
TB 23
Besuch einer Sitzung des Bayerischen Islamforums in Ingolstadt zum Thema »Islamische Seelsorge«. Diskutiert wurden Möglichkeiten der Etablierung »muslimischer« Seelsorge- und anderer Wohlfahrts- und Sozialstrukturen. Eine »muslimische« Psychologin aus Augsburg stellte ihr Projekt einer (psychoanalytisch fundierten) Seelsorge von und für »Muslime« vor. Streitpunkte waren u.a. die Einbindung der »muslimischen« Verbände und Moscheevereine, die in dem genannten Projekt nicht gegeben war. Einige Aktive aus den Erlanger Dialogforen, städtische Vertreter/-innen Erlangens und »muslimische« Repräsentanten der Erlanger IGE waren anwesend.
14.01.2017
Ingolstadt
5. Methodologie und Methodik
TB 24
Anwesenheit am islamischen Iftar-Fest (Fastenbrechen), welches als interkulturelle und interreligiöse Veranstaltung gerahmt und von Vertreter/innen der Stadt Erlangen (u.a. auch dem OB) und ihrer Institutionen (z.B. Ausländerbeirat), der Kirchen, der lokalen Presse, der Universität, überregionaler »islamischer« Verbände (DITIB) und dem türkischen Konsul besucht wurde. Die Veranstaltung adressierte alle Personen des Erlanger Dialognetzwerks, war in diesem Sinne »halb-öffentlich« ausgerichtet und wurde von ca. 80 Personen besucht.
19.06.2017
Räumlichkeiten in der »Blauen Moschee, TIG, Erlangen
TB 25
Besuch einer Podiumsdiskussion zum Thema »Utopie Religionsfrieden? Gibt es ein Miteinander der Religionen?«, die im Rahmen des Erlanger UtopienFestes 2017 von der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft (CIAG) und dem evangelischen Bildungswerk Bildung Evangelisch organisiert wurde. Neben (hochrangigen) Vertreter/-innen aus der Erlanger Politik sprachen Wissenschaftler/-innen des islamisch-theologischen Instituts in Erlangen, Vertreter/-innen der Kirchen und eine »muslimische« CIAG-(Co-)Sprecherin.
12.07.2017
Evangelische Studierendengemeinde, Erlangen
TB 26
Besuch des öffentlichen, insgesamt dreitägigen und von vielen hundert Menschen besuchten Straßenfests »Miteinander leben – voneinander Lernen« der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG). Das Fest bot Essensstände, Spielstationen für Kinder, Musik- und Tanzvorführungen, aber auch verschiedene politische Reden von Vertreter/-innen der Stadt Erlangen, des Ausländerund Integrationsbeirats, der lokalen Parteien und der »türkisch-muslimischen« Gemeinde. Das Straßenfest fand auf einer Straße im Erlanger Süden rund um die »Blaue Moschee« der TIG statt.
15.07.2017
MichaelVogel-Straße, Erlangen
TB 27
Besuch einer Sitzung des Bayerischen Islamforums, die die Frage nach »(inter-)religiösen Konflikten unter Flüchtlingen in Aufnahmeeinrichtungen« diskutierte.
23.09.2017
Rathaus Erlangen
TB 28
Besuch eines Diskussionsabends von BildungEvangelisch mit dem Titel »Leitkultur – das wird man doch wohl noch fordern dürfen!«, moderiert durch meinen Interviewpartner 12, während mein Interviewpartner 16 als »Erlanger Muslim« über Integrationsprobleme sprach.
24.10.2017
„Kreuz+Quer Haus der Kirche«, Bohlenplatz, Erlangen
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Gouvernementalität der Freundschaft
5.3.4
Die Analyse der Daten, die Bildung von Kategorien und die Verschränktheit der Datenanalyse mit Prozessen weiterer Datenerhebung
Mein Vorgehen generierte verschiedene Datensorten – Interviewtranskripte, Beobachtungsprotokolle, Feldnotizen und Kommentare zu den Transkripten und Protokollen (teils noch im Feld angefertigt), policy paper und Medienberichte. All diese Daten sind als Elemente einer weitgefassten diskursiven Praxis zu denken, innerhalb welcher sich auch Regierungsrationalitäten und -technologien kristallisieren. Regierung (durch Dialog) basiert, so die Annahme, auf einem Zusammenspiel aus Aussagen, Praktiken, Texten, Artefakten und Materialitäten (Wrana u. Langer 2007; Ott 2011; Wrana 2012; Foucault 1981, 2005). In Auseinandersetzung mit diesen Daten wurden nun Kategorien entwickelt, um damit das empirische Material im Hinblick auf die Frage nach der Konfigurierung von »Islam« und »Muslimen« durch lokale Dialogpraktiken zu ordnen und aufzubereiten. Im Zuge der empirischen und analytischen Arbeit, d.h. im Zuge einer aufeinander aufbauenden Abfolge aus Beobachtungen, dem Anfertigen von Beobachtungsprotokollen, dem parallelen Durchführen von Interviews, dem Anfertigen der Transkripte, dem Durchlesen und Ordnen der Protokolle und Skripte und dem ergänzenden Sichten und Lesen weiterer Dokumente verschiedener Art, ließen sich sukzessive Kategorien rekonstruieren, über die die Dialogpraxis charakterisiert werden konnte. Hierbei orientierte ich mich am Vorgehen der grounded theory (Glaser u. Strauss 1979; Geiselhart et al. 2012), die einen spezifischen Forschungs- und Analysestil methodologisiert. Aus dieser Perspektive betrachtet, muss die Herausarbeitung von Kategorien zur Deutung der empirischen Daten in einem zyklischen Prozess verortet werden. Dieser ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen der theoretischen Vorbereitung (wozu in dieser Arbeit bspw. schon die in Kapitel zwei diskutierte gouvernementalitätstheoretische Perspektivierung gehört), der methodischen Datenerhebung und der analytischen Datenauswertung. Hierbei beeinflussen erste Ansätze der Datenauswertung und Kategorienbildung die weitere Datenerhebung, wobei beide Prozesse letztlich zu Erkenntnissen führen können, die eine Weiterentwicklung der zunächst angewandten theoretischen Modelle und Annahmen ermöglichen (was sich in dieser Arbeit bspw. in Kapitel 10 niederschlägt, in welchem auf Basis der empirischen Arbeit neue Aspekte zum gouvernementalitätstheoretischen Modell hinzugefügt werden). Diese zyklische Bewegung wurde im Sinne der grounded theory als ein Forschungsprozess anerkannt und in ein strukturiertes Vorgehen überführt (Geiselhart et al. 2012). So versuchte ich im Sinne des von Glaser und Strauss herausgehobenen theoretical samplings – vermittels bereits erhobener Daten, erster Felderfahrungen und Analyseerkenntnisse – die weiteren Schritte der Datenerhebung theoretisch zu fokussieren. Ein solches Vorgehen zielt auf die Strukturierung und Aufbereitung der Daten und basierte u.a. auf folgenden Schritten: •
Das mehrmalige Lesen, Kodieren und Analysieren bereits erhobener und verschriftlichter Daten. Hierbei stellte das Kodieren einen Prozess dar, bei dem durch Feldforschung generierte »Texte« im Hinblick auf den Forschungsgegenstand auf wiederkehrende bzw. auffällige Muster der sprachlichen Artikulation von Gegenständen und Zusammenhängen untersucht werden, die für die Forschungsfrage rele-
5. Methodologie und Methodik
•
vant sind. Diese Muster werden dann entsprechend kodiert, d.h. mit inhaltlichen und/oder analytisch-theoretischen »Etiketten« versehen, um später in Bezug zueinander gesetzt werden zu können. Das Kodieren ist dabei abhängig von der Fragestellung, die den Rahmen der Problematisierung und damit das Suchraster für die potenziell bedeutsamen Textstellen vorkonfiguriert (vgl. hierzu die diskustheoretisch ausgerichteten methodischen Beiträge in: Glasze u. Mattissek 2009c). Über die Erweiterung erster Codes, das In-Bezug-Setzen von früheren mit später angefertigten Codes (bzw. Textstellen) und das Kontrastieren von Codes mit theoretischen Modellen werden die zusammenhängenden Codes letztlich zu übergeordneten Kategorien verdichtet. Das Anfertigen von Metakommentaren und Notizen zu den empirisch generierten Primärtexten und Beobachtungsprotokollen. Hierbei wurden sowohl Beobachtungen und Anmerkungen zur beobachtbaren Empirie als auch theoretische Reflexionen und erste Deutungsangebote fixiert und sogleich mit spezifischen Stellen/Momenten im empirischen Material verknüpft. Auch erfolgte ein strukturiertes Anfertigen dezidiert theoretischer »Memos« während und im Prozess des oben beschriebenen Kodierens.
Die letztlich auf diese Weise herausgearbeiteten Kategorien zielten darauf ab, die zentralen Merkmale eines »Dialogs mit Muslimen« sichtbar zu machen. Die Kategorien teilten sich in mehrere Typen auf: •
•
•
Kategorien bezüglich der im Dialog auftauchenden Argumentationsweisen, in welchen markante und wiederkehrende Deutungen und Fragen benannt werden, sowie bezüglich der im Dialog verhandelten Themen und Gegenstände, z.B. thematische Kategorien wie »Islamunterricht«, »lokales Miteinander«, »Islamophobie«, »muslimische Bildungsarbeit« oder aber komplexere argumentative Kategorien wie (a) »Stadt, Gesellschaft, Kirchen und Muslime müssen lokal zusammenhalten«, (b) »der Dialog in Erlangen läuft besonders gut«, (c) »die ›muslimischen‹ Gemeinden sind in der Dialogarbeit überfordert«, (d) »Muslime müssen politisch und gesellschaftlich noch sichtbarer werden« etc. Kategorien in Bezug auf die Form der Dialogpraxis selbst, z.B. die hohe Bedeutung eines (inszenierten) Vertrauensverhältnisses oder die auffällige Informalität in den Dialogsitzungen Kategorien in Bezug auf die Machtverhältnisse im engeren Sinne, z.B. die Feststellung einer Dominanz »christlicher« und »städtischer« Dialogaktiver gegenüber »muslimischen« Teilnehmenden, was Redeanteile und Agenda-Setting angeht. Dies wäre dann z.B. mit der Kategorie »Dominanz christlicher Redner/-innen« ausgedrückt, die nun mit vielen verschiedenen Codes verknüpft sein kann (seien es Codes in den Protokollen, über die Beobachtungen einer bestimmten Interaktionsdynamik markiert wurden, oder Codes in den Interviewtranskripten, die auf explizite Erwähnungen einer »christlichen« Rededominanz hinweisen). Andere Kategorien, die sich auf Machtverhältnisse beziehen, wären z.B. »muslimische Redner/-innen« oder »Muslime als Beobachter/-innen«. Diese Kategorien deuten darauf hin, dass sich nur einige wenige »muslimische« Vertreter/-innen in den Dialogsitzungen re-
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Gouvernementalität der Freundschaft
gelmäßig äußern, während die meisten anderen tendenziell eher passiv »beobachten«. Nachdem solche und andere Kategorien entwickelt und zueinander in Beziehung gesetzt wurden, konnten anschließende empirische Erhebungen in Form von Interviews und/oder Beobachtungen gedanklich besser sortiert und hinsichtlich der intendierten Erkenntnisproduktion detaillierter vorstrukturiert werden. Dies hatte im Hinblick auf die Interviews den Effekt, dass ich zunehmend gezielter fragte und einzelne, bereits herausgearbeitete Kategorien (in etwa: »Vertrauensverhältnis vor Ort«, »Zugehörigkeit zu Erlangen« usw.) bei der Frageformulierung besonders herausstellte. In Bezug auf die teilnehmenden Beobachtungen wiederum hatte dies den ganz praktischen Effekt, dass ich auch zunehmend selektiver und fokussierter protokollierte. Schließlich konnten nun wiederkehrende Praxis- und Aussagemuster schneller kategorisiert werden, sodass ich zunehmend »nur« noch »neue« Beobachtungen verschriftlichte. Gleichzeitig entwickelte ich sukzessive auch analytische Perspektiven auf die Operationsweisen des Dialogs als einer Machttechnologie, die ebenfalls die weiteren Beobachtungen vorstrukturierten. Entsprechend konzentrierte ich mich in nachfolgenden Beobachtungen mehr und mehr auf ebenjene Perspektivierungen. So notierte ich in Dialogsitzungen oft »nur« noch Beobachtungen in Bezug auf spezifische, von den entwickelten Kategorien abhängige Aspekte: bspw. mit welchen Argumenten »muslimische« Akteure ein bestimmtes Thema (z.B. Öffentlichkeitsarbeit) einbringen, wie die Reaktionen der Dialogaktiven auf überlokale Konfliktdebatten (z.B. zwischen Deutschland und der Türkei im Jahr 2017) ausfielen, wann und in welchen Kontexten das Motiv »lokales Vertrauen« mobilisiert wird oder die analytische Frage, inwiefern es darstellbar ist, wie über dieses Motiv eine Emotionalisierung stattfindet. Letztlich reduzierten sich dabei die Feldnotizen von anfangs ca. 20 Seiten auf ca. 5-8 Seiten pro Beobachtung. Ich führte so lange Interviews und beobachtete so lange Praktiken, bis ich den Eindruck hatte, dass über die von mir entwickelten Kategorien ein Regieren von »Islam« und »Muslimen« durch Dialog spezifisch beschrieben und mit charakteristischen Attributen verbunden werden kann, und dass die einzelnen Kategorien mit genug empirischem Material unterfüttert sind. Dieser Eindruck stellte sich ungefähr zu dem Zeitpunkt ein, als mir die meisten Individuen, Gruppen, Netzwerke und Initiativen in Erlangen bekannt waren, die die Themen »Dialog«, »Islam« und »Integration« behandelten, sich um die Dialogforen herum versammelten bzw. mit diesen verknüpft waren und/oder auf welche meine Interviewpartner/-innen verwiesen. Auch hatte ich mit der Zeit verstärkt den Eindruck, die Position und Eingebettetheit der einzelnen Akteure, Gruppen und Initiativen innerhalb des lokalen Feldes eruieren zu können. Nicht zuletzt wiederholten sich in den Interviews, in welchen ich zumindest zu Teilen immer wieder ähnliche Fragen stellte, die Aussage- und Deutungsmuster. Im Zuge der Beobachtungen fielen zunehmend Muster und Wiederholungen bezüglich der Vorgehensweisen und Tätigkeiten auf. In diesem Sinne konnte ich letztlich eine theoretische Sättigung markieren (vgl. Geiselhart et al. 2012).
5. Methodologie und Methodik
5.4
Methodologische Verwunderung: Potenziale und analytische Probleme einer Ethnographie des Regierens
Vor dem Hintergrund der diskurstheoretischen Grundannahme der Kontingenz jeder Bedeutungsfixierung wie auch jeder Form von Praxis kann in einer diskurstheoretisch eingebetteten Ethnographie eine Form der methodologischen Verwunderung entwickelt werden. Eine »Verwunderung«, die auf der Annahme basiert, dass die beobachteten praktizierten Gegebenheiten immer auch anders sein könnten; dass es nicht notwendig ist, dass diese und jene Praktiken auf diese und jene Weise gestaltet sind und in dieser und jener Form ausgeführt werden (vgl. Winkler et al. i.E.; Haddad 2017: 124-129; Britzmann 1995). Mit dieser »neugierigen« Forschungshaltung ist das Besondere und Spezifische an einer bestimmten Praxis sichtbar zu machen. Im einleitenden Beitrag ihres Buches »Die Befremdung der eigenen Kultur« erläutern Hirschauer und Amman (1997a), wie sich die ethnographische Methode, historisch zur Erkundung »nicht westlicher« und »fremder Völker« entwickelt, in den Kultur- und Sozialwissenschaften zwar nach wie vor als eine Methode der »Entdeckungen« präsentiert, diese Entdeckungen aber nicht mehr in als »fremd« imaginierten Kulturen verortet werden. Vielmehr gehe es nun darum, alle möglichen, auch scheinbar vertrauten und alltäglichen, Praxiskontexte zu »befremden« und in diesem Sinne »alle möglichen Gegenstände ›kurios‹ [zu lesen], also zum Objekt einer ebenso empirischen wie theoretischen Neugier zu machen« (Hirschauer und Amman 1997b: 9). Die Ethnographie produziere folglich Entdeckungen, sie produziere neue »stories« (Britzmann 1995: 229), wobei diese »Geschichten« aber in der Verbindung ethnographischen Arbeitens mit einem Foucault’schen diskursund machtanalytischen Blick keine »Geschichten« über Kulturen oder tatsächlich existierende »cultural secrets« (ebd.) mehr sein können. Vielmehr sind es analytische »Geschichten« über Zusammenhänge, die zeigen, durch welche diskursiven Praktiken Phänomene in die Existenz gerufen und als Regierungsobjekte handhabbar gemacht werden (Ott 2011: 87; Winkler et al. i.E.). Im ethnographischen Forschen wird überdies die körperliche und sinnliche Anwesenheit der Forscher/-innen im Feld – und hier durchaus auch die längerfristige Anwesenheit – als Vorteil erachtet. Entsprechend wird dann auch scheinbar beiläufig im Feld erworbenes (Hintergrund-)Wissen als bedeutsam für das Verständnis lokaler Praxis und für die Fähigkeit der Einordnung beobachtbarer Szenen betrachtet (Hirschauer u. Amman 1997a, b; Breidenstein et al. 2013). In diesem Sinne sehe ich die Ethnographie als einen geeigneten Zugang, um der Vielgestaltigkeit des Regierens in lokalen Kontexten gerecht zu werden. Gerade über die ethnographisch-beobachtende Forschung lässt sich empirisch intensiv darstellen, wie »Islam« und »muslimische« Identitäten innerhalb eines komplexen Ensembles aus heterogenen Elementen – Praktiken, (alltägliche) Routinen, Interaktionen, Artefakte und materielle Settings wie auch damit verschränkte Aussagen und Deutungsmuster – spezifisch positioniert, aufgegriffen, beeinflusst und dabei immer in eine bestimmte Richtung bewegt, d.h. verändert werden (vgl. Winkler et al. i.E.; Li 2007; Watson 2017). Es lässt sich untersuchen, welche Position (und damit Bedeutung) ein Element/eine Identität in einem solchem Geflecht aus Elementen einnehmen kann. Gleichzeitig kann auch analysiert werden, welche Bedeutung bestimmte einzelne Teile (Praktiken, Deutungsmuster, Alltagsvorgänge) als »Stützpunkte« eines solch komplexen Ensembles von Aktivitäten
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Gouvernementalität der Freundschaft
sowie als Elemente des Regierens haben können. Aus der Perspektive der Gouvernementalität stellt sich der Blick auf Praktiken zuvorderst als ein Blick auf Machtpraktiken dar, der sich entlang der Frage schärfen wird, auf welche Weise welche Praktiken als Elemente des Regierens eines bestimmten Gegenstands bestimmt werden können. Dabei ist nun der analytische Blick im ethnographischen Vorgehen möglichst offen zu halten, um auch Praktiken, die nicht augenscheinlich als Machtausübung erscheinen mögen oder in der Regel nicht damit assoziiert werden, zumindest potenziell nach deren Beitrag für das Regieren befragen zu können. Es scheint mir gleichzeitig Vor- und Nachteil zu sein, im Kontext einer Ethnographie der Gouvernementalität potenziell »überall« Machtausübung sehen zu können. Sicherlich lässt es die Regierungsperspektive zu, die verschiedensten (alltäglichen) Tätigkeiten als Elemente der Einflussnahme zu rekonstruieren. Hier darf aber zum einen nicht vergessen werden, dass sich das Regieren erst durch ein mehr oder minder strukturiertes Arrangement verschiedener Tätigkeiten ergibt, wobei die Beziehungen der Tätigkeiten zueinander ebenfalls im Hinblick auf deren Strukturierungseffekte herauszuarbeiten sind. Erst dann kann plausibel von einer Regierungsform gesprochen werden, zu deren Entfaltung aber auch die verschiedensten alltäglichen Tätigkeiten ihren spezifischen Beitrag leisten mögen – auch wenn diese zunächst wenig an »Macht« denken lassen. Darüber hinaus ist an dieser Stelle ohnehin anzumerken, dass die Perspektive auf gouvernementale Machtausübung einen überaus spezifischen Machtbegriff enthält, der Machtausübung allgemein als jedwede Form der Beeinflussung eines Gegenstands benennt; als Versuch also, die Richtung einer Entwicklung zu verändern. Die potenziell überall zu erkennende Machtausübung verweist also auf eine »kleinere« und sanftere Macht(-ausübung). Im Grunde ist also die Regierung von »Islam« und »muslimischen« Identitäten potenziell in allen möglichen Tätigkeiten erkennbar, durch die »Islam« und »muslimische« Identitäten beeinflusst werden – jedoch unter der Bedingung, dass diese Beeinflussung als strukturierte und strukturierende Veränderungsbewegung beschrieben werden kann. Natürlich haben dann in einem so gedachten Regierungsfeld sowohl »nicht muslimische« als auch »muslimische« Individuen und Gruppen allesamt ihren Anteil an den verschiedensten, in den Vollzug gesellschaftlicher Strukturierungsprozesse eingeflochtenen Tätigkeiten, die mit einer Veränderung von »Islam« und »muslimischen« Identitäten zu tun haben. Das Regieren »muslimischer« Identitäten ist dann auch nicht mit einer Beherrschung von »Muslimen« im Sinne einer Macht über konkrete Individuen oder eine konkrete Gruppe gleichzusetzen. Unter Rekurs auf einen viel subtileren, allgemeineren und relationaleren Machtbegriff ist die Regierung von »Islam« und »Muslimen« vielmehr als Re-Konfigurierung, als strukturierte Veränderung von »Islam« und von »muslimischen« Identitäten, Wertvorstellungen und Lebensentwürfen zu benennen. Dies mag in einzelnen Situationen auch mit einer sehr direkten Einflussnahme auf »muslimische« Individuen einhergehen, ist aber grundsätzlich keine Herrschaft über Individuen. Diese Perspektive liegt im Regierungsbegriff selbst begründet. Das Regieren ist eine Einflussnahme auf einen durch das Regieren und Sich-selbst-Regieren erst konturierten »Gegenstand« – »Islam«, »muslimisches« Selbstverständnis usw. – und erst darüber sowie indirekt eine Einflussnahme auf Individuen im engeren Sinne. Dabei zeigt sich das Regieren eines Problems oder Gegenstands – z.B. »muslimisches« Selbst-
5. Methodologie und Methodik
verständnis in Deutschland – als ein Vorgehen, das all jene Subjekte verschiedentlich mit einbezieht, die mit diesem Problem oder Gegenstand in irgendeiner Weise verknüpft sind. So sind es natürlich auch »muslimische« Subjekte und Gruppen selbst, die an einer Re-Konfigurierung von »Islam« und »muslimischen« Identitäten teilhaben und vielfach konkrete Regierungspraktiken im Dialogfeld mit gestalten – mal überaus aktiv, mal eher passiv, z.B. über eine passive Teilnahme an einem bestimmten Projekt »der Stadt« oder »der Kirchen«. Innerhalb des Regierungsformats »Dialog mit Muslimen« regieren auch die »Muslime« selbst (durch Dialog oder ihre Teilnahme an Dialogmaßnahmen) ihre Identität, ihre Institutionalisierung und ihre lokale politische Präsenz mit. Dabei stehen »muslimische« Individuen und Gruppen in Beziehungen zu »nicht muslimischen« Individuen und Gruppen, wobei erst die Verbindung aller Aktivitäten im Sinne einer Koproduktion die Regierung von »Islam« und »Muslimen« ausmacht. Dies wird in den empirischen Illustrationen dieser Arbeit auch immer wieder deutlich. Doch ist es auch kein Zufall, sondern Resultat struktureller Asymmetrien vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, dass die in die kommunalpolitischen Dialogmaßnahmen involvierten »muslimischen« Vertreter/-innen oftmals weniger dominant auftreten als »nicht muslimische« und bspw. kirchliche oder kommunale Akteure. Zumindest in solchen Dialogforen, wie sie in dieser Arbeit fokussiert werden, beteiligen sich »Muslime« in geringerem Maße an der Ausarbeitung von Programmen. In Reflexion all solcher Überlegungen wird ein ethnographischer Zugang zu Gouvernementalität seine prinzipielle Offenheit dafür behalten können, um die Vielgestaltigkeit des Regierens sowie die Einschreibungsweisen von Macht auch in »banale« und alltägliche Aktivitäten nicht vorschnell aus dem Blick zu verlieren. Ohne von einer einzigen dominierenden Macht ausgehen zu müssen, kann eine Ethnographie des Regierens aufzeigen, wie in verschiedenen (Alltags-)Kontexten sowie unter Beteiligung »muslimischer« wie »nicht muslimischer« Praktiker/-innen immer auch Einfluss auf die Entwicklung des »Islam« im lokalen Kontext genommen wird, wobei die Strukturierungen dieser Einflussnahmen nachzuzeichnen sind (Winkler et al. i.E.). Nicht zuletzt sei angemerkt, dass, wie Haddad beschreibt, die Ethnographie es ermöglicht, »die Bildung temporärer, sozialer Bündnisse« (2017: 128) in lokalen Kontexten nachzuzeichnen. So kann untersucht werden, inwiefern Regierungsformen auf heterogenen Allianzen und Konstellationen staatlicher und nicht staatlicher Praktiker/-innen basieren – was der Perspektive der governmentality studies entspricht. In dieser Arbeit möchte ich aufzeigen, wie sich solche »Bündnisse«, die das Regieren von »Islam« und »Muslimen« bedingen, in verschiedenen Praxisfelder generieren: im Feld lokaler Integrationspolitik, im Feld des interreligiösen Dialogs, aber z.B. auch im Kontext musealer Ausstellungspraktiken oder bildungspolitischer Entwicklungen. Über die Auswahl der empirischen Beispiele in dieser Arbeit möchte ich das Regieren durch Dialog in Bezug auf solch unterschiedliche, aber miteinander verknüpfte Felder beleuchten. Entsprechend führte mich die ethnographische Arbeit in verschiedene Diskursstränge hinein, die teils auch in der bestehenden Literatur beschrieben sind (Kapitel 3 und 4). So zeigten sich in der Feldforschung folgende diskursive Stränge als besonders bedeutsam: das Motiv der Anerkennung von »Islam« (vgl. Meyer u. Schubert 2011); die Vorstellung einer notwendigen Integration von »Muslimen«, die im Kontext Dialog vorwiegend als anerkennend-involvierende Integration artikuliert wird (Peter 2010; Schiffauer 2008; Rodatz 2012); die Be-
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Gouvernementalität der Freundschaft
deutung des »Interreligiösen« (Tezcan 2006; Dornhof 2012; Winkler 2017) oder auch die Relevanz von islamischem Religionsunterricht (Schmid 2010b; Schiffauer 2003). Über das Forschungsdesign versuchte ich, diese Stränge in ihren Beziehungen zu untersuchen und aufzuzeigen, wie diese in einem lokalen städtischen Kontext prozessiert werden. Über die Kombination von Dokumentenanalysen, Interviews und Beobachtungen konnte ich der Frage nachgehen, wie im Vollzug verschiedener Aktivitäten, verschiedener Individuen und in Verknüpfung mit übergeordneten diskursiven Deutungspraxen wechselseitige Aushandlungsprozesse entstehen, in deren Kräftefeldern Formen eines »Erlanger Islam« – sowie Formen lokaler »muslimischer« Identitäten – reproduziert und zu Objekten intervenierender Maßnahmen gemacht werden. Im Zuge der Reflexion dieser Frage entstanden die Schwerpunktsetzungen der empirischen Arbeit, über die ich versuchte, heterogene Praktiken, Felder und Aushandlungsbereiche zu illustrieren, in welchen »Islam« und »Muslime« verhandelt werden. Hierbei sollte die Heterogenität der Akteure, Organisationen und Projekte dargestellt werden, die ein Regieren von »Islam« durch Dialog mit bedingen. So fokussierte ich nicht nur auf die Arbeit der Dialogforen, sondern bspw. auch auf museale Ausstellungen, akademische Workshops oder auf besondere Projekte wie die Etablierung einer »muslimischen« Erwachsenenbildung.
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen« Gegenstände, Mechanismen und Wissensproduktionen einer Regierungskunst
6.1
Institutionalisierungen des kommunalpolitischen »Dialogs« in Erlangen
Wie im Kapitel über die Fallstudie erwähnt, sind in der Großstadt Erlangen zwei Institutionen aktiv, die sich explizit einem Dialog mit der lokalen »muslimischen« Bevölkerung verschreiben: die 1996 primär von der Stadt initiierte Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft (CIAG) und der 2009 ebenfalls primär von städtischen Vertreter/innen gegründete Freundeskreis der muslimischen Gemeinden in Erlangen (FMGE). Beide Dialoginstitutionen verschreiben sich dem Ziel, die Integration der lokalen »muslimischen« Bevölkerung zu verbessern. Die »Aktiven« aus CIAG und FMGE sind vielfach im weiten integrationspolitischen Feld Erlangens engagiert, sodass es zahlreiche Schnittstellen zwischen den genannten Dialoginstitutionen und etablierten integrationspolitischen Organen wie bspw. der Koordinationsstelle Integration oder dem Ausländer- und Integrationsbeirat (AIB) gibt. In der vorliegenden Arbeit steht die Praxis und Wirkungsweise jener Dialoginstitutionalisierungen CIAG und FMGE im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Diese Dialogforen und die damit verknüpften Maßnahmen und Initiativen fokussieren vorwiegend auf die Ansprache, Mobilisierung und Unterstützung des lokal organisierten »Islam« – und das heißt vor allem der Moscheevereine in Erlangen. Vertreter/-innen anderer »muslimischer« Institutionen und Gruppen – bspw. von Hochschulgruppen wie der Muslimischen Studierendengemeinde Erlangen (MSG) – partizipieren zwar verschiedentlich an einzelnen Projekten, die von den städtischen Dialogkreisen CIAG und FMGE ausgehen, werden zu einzelnen Sitzungen eingeladen und sind ggf. auch Teil der entsprechenden Informationsnetzwerke, stehen aber nicht im Mittelpunkt der Adressierungspraxis (vgl. Kapitel 6.2.2.5; Interview 10). Einerseits sind die organisierten Moscheevereine als institutionalisierte Gruppen für die Dialogpolitik attraktiv, die hier identifizierbare Ansprechpartner/-innen und feste Vereins- sowie (soziale) Gemeindestrukturen vorfindet. Anderseits erscheinen aus »mehrheitsgesellschaftlicher« Perspektive gerade die traditionellen, organisierten und in ihrer religiösen Praxis ent-
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Gouvernementalität der Freundschaft
sprechend sichtbaren »muslimischen« (Moschee-)Gemeinden als jene Gruppen, die im Mittelpunkt integrationspolitischer Auseinandersetzungen stehen und daher besondere Bearbeitungswürdigkeit aufweisen. Auch werden die Moscheegemeinden tendenziell als migrantische Gruppen wahrgenommen und mit diversen Integrationsproblemen verknüpft (vgl. Kapitel 3). Aus diesen Gründen stellen die traditionellen Moscheevereine die primären Objekte der dialogischen Involvierungsbestrebungen dar. In der vorliegenden Arbeit wird es daher vielfach darum gehen, nachzuzeichnen, wie die organisierten Moscheevereine in Erlangen in das Dialogfeld involviert werden bzw. wie sie darin navigieren (können). In Erlangen existieren zwei organisierte Moscheevereine. Die bereits seit 1981 bestehende Türkisch Islamische Gemeinde zu Erlangen e.V. (fortan: TIG; bis 2013: DITIB-Türkisch-Islamischer Kulturverein e.V.) wurde der Selbstbeschreibung der Gemeinde nach »von der türkischen Gastarbeitergeneration« bzw. von Personen mit türkischem Migrationshintergrund gegründet (www.ditib-erlangen.de/über-uns/, 28.09.2018). Nachdem jahrelang ein provisorischer Gebetsraum in einem kleinen Gebäude in der »Westlichen Stadtmauerstraße« (im Zentrum Erlangens) als Moschee dienen musste, der lediglich ca. 80 Personen Platz zum Beten bot, wurde 2001 im Erlanger Stadtteil Bruck in einem Gewerbegebiet eine ehemalige Textilmaschinenhalle erworben und zu einer größeren Moschee umgewandelt. Das aufgrund des Farbanstriches »Blaue Moschee« genannte Gebetshaus fasst heute bis zu 1000 Personen und enthält neben einem großen Gebetsraum auch Räumlichkeiten für soziale Aktivitäten, Waschräume, eine Teestube, eine Cafeteria sowie Unterrichtsräume. Die Moschee befindet sich somit am Rand der Innenstadt von Erlangen. Die TIG umfasst laut eigener Darstellung 385 offiziell angemeldete Mitglieder, wobei weit mehr Personen die Gemeinderäume nutzen. Die Gemeinde gehört der DITIB an (bzw. dessen Unterabteilung DITIB-Nordbayern), der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (türkisch: Diyanet İşleri Türk İslam Birliği), einem »bundesweite[n] Dachverband für die Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der angeschlossenen ca. 1000 türkisch-islamischen Moscheegemeinden […]«, welcher »der dauerhaften Leitung, Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei [untersteht]« (beide Zitate: www.ditib-erlangen.de/überuns/, 28.09.2018). Obwohl potenziell für alle »Muslime« offen, wird die TIG von Personen mit türkischem Migrationshintergrund und sunnitischer Prägung dominiert, ist türkischsprachig ausgerichtet und beschäftigt einen von der DITIB gesandten Imam. Die arabischsprachig dominierte Islamische Gemeinde Erlangen (IGE) basiert auf der schon 1984 erfolgten Gründung des Islamischen Studentenvereins: »Das waren die ersten Studenten, die nach Erlangen gekommen sind [und] im Prinzip war’s nur eine Wohnung, wo, weiß nicht wie viele Studenten damals waren, zehn oder so, sich zusammen getroffen haben, zum Freitagsgebet.« (Interview 2) Junge »Muslime«, die sich als Studierende an der Universität Erlangen zu Bildungs- und Berufszwecken in Deutschland aufhielten, wie auch Personen, die über die schon früh international ausgerichteten Erlanger Siemensbetriebe als ausländische Fachkräfte (mit für Siemens zunehmend bedeutsamen Sprach- und Auslandskenntnissen) nach Erlangen kamen, beteiligten sich verschiedentlich an jenem Islamischen Studentenverein. Jahrelang unterhielt dieser keine eigene Moschee, sondern organisierte spontan und informell Ge-
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
betsmöglichkeiten. Nachdem dann viele Jahre (1985 bis 2000) eine kleine Wohnung in einer alten Bäckerei als Gebetsraum ausreichen musste und größere Veranstaltungen des stets wachsenden Vereins temporär verlegt wurden, kaufte der Verein über Spendenbeiträge der Mitglieder im Jahr 2000 eine Immobilie – ein größeres Wohnhaus mit Hof – im Erlanger Süden im Stadtteil Bruck, unweit der »Blauen Moschee« der TIG. Auch wurde der Name der nunmehr nicht nur von Student/-innen besuchten Gemeinde in Islamische Gemeinde Erlangen (IGE) umgeschrieben (der Verein nannte sich bis 2002 Islamischer Studentenverein an der Universität Erlangen-Nürnberg e.V.). Die neue Gemeinde änderte ihre Satzung, öffnete sich bewusst ethnien- und herkunftsübergreifend allen »Muslimen« und präsentierte die Gebetsräumlichkeiten fortan als »Friedensmoschee« (Interview 2; vgl. www.moschee-online.de/index.php/ueberdie-ige-e-v., 28.09.2018). Die IGE avancierte zum »Sammelbecken« für (traditionell »Moschee-orientierte«) »Muslime« mit heterogenen Hintergründen, die sich der türkisch dominierten TIG nicht zugehörig empfanden: So finden sich in der IGE »Muslime« aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens – dabei sunnitische wie schiitische Muslime, z.B. aus dem Iran –, und aus afrikanischen und südostasiatischen Staaten (bspw. aus Bangladesch). Eine Person aus dem Vorstandskreis der IGE, die auch an den Dialogforen beteiligt ist, vertritt zudem den Zentralrat der Muslime für das Bundesland Bayern. Ferner ist ein IGE-Vertreter Gründungsmitglied der Islamischen Landesreligionsgemeinschaft Bayern e.V. Durch diese personalen überlokalen Verbindungen erhält die IGE als lokale Institution mehr Gewicht, ist aber als Verein nur im lokalen Dachverband der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE) organisiert. Die IRE stellt den lokalen Zusammenschluss der zwei soeben genannten Moscheevereine dar und gründete sich Anfang der 2000er Jahre im Kontext der Einführung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) in Erlangen (vgl. nächstes Kapitel). Insgesamt existieren in Erlangen also nur zwei organisierte Moscheevereine (mit eigenen Räumlichkeiten), die beide in der Dachorganisation IRE organisiert sind. Damit liegen im Grunde »Idealbedingungen« für die Dialogpraxis vor, die programmatisch auf lokale Kommunikationsbeziehungen sowie die Stärkung von Kontakten und festen Ansprechpartner/-innen zielt. Neben den Moscheevereinen existieren in Erlangen innerhalb des »muslimischen« Feldes auf der institutionalisierten Ebene die Muslimische Studierendengemeinde Erlangen (MSG), ein Zusammenschluss vorwiegend junger »Muslime« aus dem akademischen Kontext, die sich vielfach gesellschaftspolitisch engagieren; die Arbeitsgruppe Café Abraham, die aus der MSG hervorging und nun interreligiöse Lesekreise in Erlangen organisiert, an denen überwiegend junge gläubige Leute aus dem akademischen Kontext teilhaben; daneben ferner einige »muslimische« Jugendgruppen, die jedoch wenig öffentlich in Erscheinung treten. »Muslimische« Institutionen wie die Muslimische Studierendengemeinde oder interreligiöse Projekte wie das Café Abraham kooperieren gelegentlich mit den Dialognetzwerken rund um die CIAG und den FMGE, sind aber eigenständig aktiv. 2018 hat die IRE in Kooperation mit dem 2012 in Erlangen an der Universität eingerichteten Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) ein »muslimisches« Bildungswerk etabliert, die Muslimische Erwachsenenbildung Erlangen (mit eigenem Beirat). Die dort aktiven (bei Weitem nicht nur »muslimischen«) Personen sind vielfach auch an den Foren CIAG und FMGE beteiligt. Ferner engagie-
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Gouvernementalität der Freundschaft
ren sich dort Wissenschaftler/-innen des DIRS sowie junge »muslimische« Gläubige aus dem akademischen Umfeld. Als Institutionalisierungen von Dialog existieren ferner der AK »Friedensweg der Religionen«, dessen teils auch in der CIAG aktive Mitglieder seit 2001 jährlich öffentliche interreligiöse Stadtspaziergänge anbieten. Zudem ist auf die regelmäßig stattfindenden Gespräche zwischen Oberbürgermeister und »christlichen«, »jüdischen« und »muslimischen« Vertreter/-innen hinzuweisen, die als »interreligiöse Runde« formalisiert wurden. Auch der Ausländer- und Integrationsbeirat (AIB) setzt auf einen »Dialog mit Muslimen«, insofern die IRE dort einen Sitz erhalten hat und somit explizit »muslimische« Stimmen eingebunden worden sind. Wie der »Dialog mit Muslimen« in die lokale Integrationspolitik eingebettet ist, wird in Kapitel 6.1.3 aufgezeigt. Die folgende Karte zeigt die Lage der beiden Moscheegemeinden in Erlangen. Der linke Ausschnitt verdeutlicht, dass die Moscheegemeinden südlich des Stadtzentrums liegen. Im rechten Ausschnitt wird ersichtlich, dass die »Blaue Moschee« der TIG in einem Gewerbegebiet liegt (braune Flächen entsprechen gewerblich genutzten Gebäuden), während die »Friedensmoschee« der IGE in einem Wohn-Gewerbe-Mischgebiet nahe an der Autobahn lokalisiert ist. Die Lage der Moscheegemeinden ist letztlich als »typisch« für die »Geographie der Moscheen« in Deutschland zu betrachten. Diese sind oft außerhalb der städtischen Zentren verortet, häufig in Gewerbegebieten und/oder nahe an Ausfallstraßen bzw. der Verkehrsinfrastruktur (vgl. Schmitt 2004). Es zeigt sich zudem, dass die beiden Moscheegemeinden in Erlangen räumlich relativ nahe beieinanderliegen: im Stadtteil Bruck und im Quartier »Am Anger«. Das Regierungsformat des Dialogs verdichtet sich in Erlangen folglich in einer institutionalisierten Art und Weise vorwiegend in den Arbeitskreisen CIAG und FMGE bzw. in deren Zugehen auf die lokal organisierten Moscheevereine. Darüber hinaus wird Dialog aber auch an vielen anderen »Orten« und in anderen Formen praktiziert. Vielfach finden außerhalb von CIAG- und FMGE-Sitzungen Veranstaltungen statt, die von verschiedenen Institutionen getragen werden (von kommunalen Stellen, »christlichen« Kirchen und Bildungswerken, städtischen Bildungsinstitutionen wie der Volkshochschule, Instituten der Universität, Vereinen und politischen Gruppen) und die dem Dialogparadigma zugeschrieben werden können. Ich habe im Rahmen der Feldforschung viele solcher Veranstaltungen besucht und werde sie in die Analysen einbeziehen. Dennoch möchte ich mich in dieser Arbeit zunächst auf die kommunalen Institutionalisierungen von Dialog konzentrieren, was im Hinblick auf die Fragstellungen der Arbeit und die anzugehenden Forschungslücken zunächst ausreichend ist. Ich beginne also zuvorderst mit einer Analyse der Arbeitsweisen der Dialogformate CIAG und FMGE und »schwärme« dann von dort, empirisch und analytisch geleitet, in weitere Bereiche eines lokalen Regierens durch Dialog aus.
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Abbildung 1: Lage der Moscheevereine in Erlangen
Entwurf: Stephan Adler, Institut für Geographie der FAU Erlangen-Nürnberg, 2018
6.2
Die Entstehungskontexte der Dialoginstitutionen in Erlangen
6.2.1
Gründung der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft und erste Dialogaktivitäten
1996 wurde auf Initiative des damaligen Erlanger Oberbürgermeisters und in enger Kooperation mit den »christlichen« Kirchen die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft (fortan: CIAG) gegründet (Balleis 2008; Kerler 2008), um das lokale Verhältnis zwischen einer als »christlich« geprägt gedachten städtischen Mehrheitsgesellschaft und der »muslimischen« Minderheitsbevölkerung zu harmonisieren. Wie im Protokoll einer CIAG-Sitzung vom 15.09.2006 notiert ist (in welchem die Geschichte der CIAG aufgearbeitet wurde), entstand die CIAG »als konkrete Folge der von der Stadt Erlangen angeregten Diskussionsveranstaltung […] ›Christentum und Islam im Gespräch‹ am
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6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Abbildung 1: Lage der Moscheevereine in Erlangen
Entwurf: Stephan Adler, Institut für Geographie der FAU Erlangen-Nürnberg, 2018
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Die Entstehungskontexte der Dialoginstitutionen in Erlangen
6.2.1
Gründung der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft und erste Dialogaktivitäten
1996 wurde auf Initiative des damaligen Erlanger Oberbürgermeisters und in enger Kooperation mit den »christlichen« Kirchen die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft (fortan: CIAG) gegründet (Balleis 2008; Kerler 2008), um das lokale Verhältnis zwischen einer als »christlich« geprägt gedachten städtischen Mehrheitsgesellschaft und der »muslimischen« Minderheitsbevölkerung zu harmonisieren. Wie im Protokoll einer CIAG-Sitzung vom 15.09.2006 notiert ist (in welchem die Geschichte der CIAG aufgearbeitet wurde), entstand die CIAG »als konkrete Folge der von der Stadt Erlangen angeregten Diskussionsveranstaltung […] ›Christentum und Islam im Gespräch‹ am
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Gouvernementalität der Freundschaft
26. März 1996 im Lesesaal der Stadtbibliothek«1 (vgl. auch: Interview 20). Die Kooperationsveranstaltung zwischen Stadt und v.a. den »evangelischen« und »katholischen« Bildungswerken wurde vom damaligen Oberbürgermeister moderiert. Podiumsgäste waren Vertreter/-innen der »muslimischen« Gemeinden in Erlangen, ein Pfarrer aus München sowie ein Islamwissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Text des 1996 verteilten Flyers (der mir von Interviewpartner 20 gegeben wurde) wird angemerkt, dass angesichts eines generellen Fundamentalismusverdachts gegenüber dem »Islam« sowie zahlreicher »Dialogverweigerer« auf »christlicher« Seite ein Austausch zwischen »Christen« und »Muslimen« notwendig sei. Schon 1996 schien demnach ein Diskurs wirksam zu sein, der radikale islamistische Entwicklungen als Problem markierte und entsprechende Debatten hervorrief. »Auf Initiative des Oberbürgermeisters« (Flyer 1996) würde das Podiumsgespräch darauf abzielen, gemeinsam über den »Kern christlichen und islamischen Selbstverständnisses« (ebd.) zu reflektieren sowie der Frage nachzugehen, »inwiefern eigene Glaubensvorstellungen durch die der jeweils anderen bereichert werden können« (ebd.). Eine maßgeblich durch die Kommune initiierte Veranstaltung zeigt sich also in hohem Maße auf Religion ausgerichtet. Hier deutet sich bereits der starke Religionsfokus in der kommunalen Integrationspolitik in Erlangen an. Ein langjähriges Mitglied der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE) sieht in einem Interview den »ersten Anstoß für [die] Öffnung der Muslime nach außen […] 1996 [in] der Gründung der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft« (Interview 2). Auf der Gründungsveranstaltung hätte sich offenbart, wie wenig man übereinander wisse. Die wahrgenommenen Wissensdefizite sowie die Beobachtung einer defizitären Lage der »muslimischen« Bevölkerung in Erlangen waren Grundlage für die weitere Arbeit (ebd.). Die Involvierung in die neu gegründete CIAG sei damals für die IGE ein Anlass gewesen, »mal nach außen zu gucken« (ebd.): »Vorher, wie gesagt, waren wir Studenten, die einfach gedacht haben, wir treffen uns zusammen, wir, äh, behalten dadurch unsere Kultur […] und wir kehren zurück.« (Ebd.) Erst die CIAG-Gründung habe eine auch politische Verankerung der »Muslime« in Erlangen bewirkt: »Nach der Gründung der Christlich-Islamische[n] Arbeitsgemeinschaft hat es die ersten Kontakte gegeben […] und […] Aktivitäten mit der Stadt […], [es gab] Kontakte zum Ausländerbeirat und so weiter.« (Ebd.) Auch forcierte die CIAG-Gründung eine materielle Erweiterung der IGE. Diese bemühte sich nun um größere Räumlichkeiten, um die sich seit 1996 mehrenden Veranstaltungen der Öffentlichkeitsarbeit, Moscheeführungen und »Dialog-Events« überhaupt unterbringen zu können (ebd.). Auch ein/-e Vertreter/-in eines »türkisch-islamischen« Moscheevereins merkte an, dass »Muslime« in Erlangen seit der CIAG-Gründung und den Entwicklungen der Folgejahre (städtisch
1
Gründungsmitglieder der CIAG waren: Erlangens Alt-Oberbürgermeister, Stadträt/-innen, Vertreter/-innen des Ausländer- und Integrationsbeirats (AIB), Vertreter/-innen der »katholischen« und »evangelischen« Kirchen sowie deren Bildungswerke, Vertreter/-innen der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG; damals: Türkisch-Islamischer Kulturverein Erlangen), Vertreter/innen des damaligen Islamischen Studentenvereins Erlangen, ein Vertreter der Islamischen Gemeinschaft Erlangen (die heute in der Form keine Bedeutsamkeit mehr hat) sowie Professor/innen der Universität Erlangen-Nürnberg aus den Bereichen Islamwissenschaften, »evangelische« Religionspädagogik und Theologie (CIAG-Protokoll vom 15.09.2006).
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
unterstützte Gründung des Dachverbands IRE 1999; Beginn des »Friedenswegs der Religionen« 2001) »nicht mehr als Menschen der dritten Kategorie, sondern auf gleicher Augenhöhe [behandelt wurden]« (Interview 4). Auch ein/-e weiter/-e Vertreter/-in dieses Moscheevereins empfindet, dass »der Dialog hier in Erlangen […] sehr gut [funktioniert]« (ebd.), während ein Imam resümiert, dass »die Stadt […] uns wirklich sehr [unterstützt] und äh, […] nah zu uns [ist]« (Interview 9). Die »Beziehung zwischen uns und der Verwaltung ist stark« (ebd.). Aus diesem Grund engagiere man sich auch: »Natürlich versuchen wir, diese Beziehung immer zu stärken, mitzuarbeiten.« (Ebd.) In den Interviews zeigt sich auffallend oft die Betonung einer »großen Zäsur« zwischen der Zeit vor und nach 1996 (CIAG-Gründung): »Von 1985 bis 1996 haben wir viele Veranstaltungen organisiert, um Kontakte zu Nichtmuslimen zu knüpfen, weitgehend ohne Erfolg«, so ein damaliger »muslimischer« Vertreter der TIG (Zitat aus: CIAG-Protokoll 15.09.2006). »Das änderte sich mit der Gründung der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft. Von da an haben wir Anerkennung bekommen. Statt nebeneinander, haben wir begonnen, miteinander zu leben. Das Erlanger Rathaus bis hin zum Bayerischen Landtag kamen uns mit Vertrauen entgegen und respektierten unsere Anstrengungen. Das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen ist besser geworden. Durch die Zusammenarbeit mit Mitgliedern und Freunden in der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft haben wir Muslime in Erlangen ein Heimatgefühl entwickelt.« (Damaliger »muslimischer« Vertreter der TIG, Zitat aus: CIAG-Protokoll 15.09.2006; dazu: Interviews 4, 20, 2; Aussagen »muslimischer« Sprecher/-innen in: TB 27) Auch das folgende Zitat eines/einer Vertreter/-in der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. verdeutlicht dies: »Und dann 96 hat [es] in Erlangen [den] politischen Wechsel gegeben […], die Stadt will mit den Muslimen [eine] Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft gründen und die Probleme von Muslimen erarbeiten. Da haben wir gesagt, machen wir gerne. Und dann haben wir diese Arbeitsgemeinschaft gegründet und da sind Mitglieder der katholischen Kirche, evangelischen Kirche, Universität, [die] haben unseren Problemen zugehört und Lösungen gesucht. Also von Grabfeldern bis Gebetsraum in Krankenhäusern und […] das Wichtigste: Islamunterricht in der Schule. [Das] hat das erste Mal in Erlangen stattgefunden und war auch ein Modell und Vorbild für den ganzen Rest von Deutschland. Und diese Islamkonferenz, alles was da gekommen ist, das ist – bin ich der Meinung – die Idee von Erlanger Arbeiten.« (Interview 4) Ein Referent für Integration und Soziales beschreibt die CIAG-Gründung als Beginn des strukturierten Dialogs, der über einzelne und problemabhängige Bearbeitungen »muslimischer« Anliegen hinausging: »Wo es wirklich zu einem spürbaren Engagement kam, das war als der AltOberbürgermeister 1996 die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft gegründet hat. Natürlich war der Islam vorher schon immer Thema im Ausländerbeirat […]. Ja 1996, […] dieses Datum ist mit Sicherheit das Datum, was man nennen kann, für den strukturierten Dialog […]. Weil [die] Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft hat
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Gouvernementalität der Freundschaft
ab dann regelmäßig und mit Protokollen getagt. Das heißt ab dann ist nachvollziehbar, mit welchen Themen hat man sich beschäftigt, wer war immer alles dabei und was ist daraus geworden.« (Interview 6) Die Frage, warum das Thema »Dialog« in Erlangen in der Mitte der 1990er Jahre aufkam, erklärt sich der städtische Vertreter damit, dass »viele engagierte Muslime bei uns im Rathaus im Ausländerbeirat [aktiv waren] […] und da […] das Thema ›Religion‹ – ähm– […] einfach [aufkam]« (ebd.). Die Begegnung mit »Muslimen« in Erlangen wird vom politischen Sprecher rückwirkend als ein »Abtasten« dargestellt, was den Dialog als »Lernprozess« ausmache. Die Stadt habe dabei noch vor der Hysterie der 2000er Jahre, aus dem Gedanken des interkulturellen und interreligiösen Dialogs heraus, die CIAG gegründet und sogleich die Einführung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) angestrebt: »Als dieser große, furchtbare Anschlag passierte, waren unsere Kommunikationsstrukturen schon etabliert.« (Ebd.) Die Ausrichtung der CIAG auf konkrete Projekte hätte Vertrauen und stabile Beziehungen geschaffen, da jenseits »überhitzter« Debatten im Hinblick auf konkrete Ziele zusammengearbeitet wurde (ebd.).
6.2.2
Die CIAG als Unterstützungsnetzwerk, Kontaktschmiede und Integrationsförderung
Grundsätzlich versteht sich auch heute »die CIAG als Informationsbörse, Veranstalter, Netzwerker, Ratgeber, Vermittler, Anstößer und Helfer« (Protokoll 15.09.2006). Gleichzeitig sei »stets [ein] guter Kontakt zur Stadtspitze, den Stadtratsfraktionen, den örtlichen Mitgliedern des Bayerischen Landtags und zu den Fraktionen des LT [Landtags], zum Kultusministerium und zur Schulverwaltung, zur Universität u. ihren Einrichtungen« (ebd.) zu halten. Dieser Protokollauszug verdeutlicht die gesellschaftspolitische Vernetzung der CIAG und ihrer Mitglieder. Zentrale Aufgabe sei »die gegenseitige Information« (ebd.) über Entwicklungen innerhalb der Stadtgesellschaft, der »muslimischen« und »christlichen« Gemeinden und in der lokalen Politik und Verwaltung. Diese Informationsarbeit zielt darauf ab, Akteure zu vernetzen und gemeinsame Veranstaltungen zu organisieren, seien es interreligiöse Maßnahmen, Kundgebungen gegen Gewalt und Extremismus, Informationsabende über »Islam« oder Diskussionsveranstaltungen zu integrationspolitischen Themen (Veranstaltungen dieser Art fanden im Forschungszeitraum dieser Arbeit 2014-2018 vielfach statt). Die Ziele solcher Aktivitäten sind einerseits der Versuch, eine in Bezug auf das Thema »Islam« verunsicherte Stadtgesellschaft in den Dialog zu bringen (Interview 1), sowie andererseits das gesellschaftspolitische Auftreten der »Muslime« zu verbessern (Interviews 3, 6, 8, 2, 11, 12, 14). Gleichzeitig versteht sich die CIAG als Vermittlungsforum von Hilfeleistungen, das auch außerhalb der Sitzungen in persönlichen Kontaktnetzwerken Entfaltung finden solle. So »werden Mitglieder natürlich auch außerhalb der […] Treffen […] in vielfältigsterweise um Rat, Vermittlung und Hilfe gebeten. Das langjährige Zusammenwirken hat hier ein Netzwerk entstehen lassen, das hin und wieder schnelle, pragmatische Hilfe möglich macht.« (Protokoll 15.09.2006) Gerade diese pragmatische Hilfe für die »muslimischen« Gemeinden hätte »das wichtigste Ergebnis unserer Arbeit« (ebd.) hervorgebracht, »das Vertrauen, das […] über
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
die Jahre zwischen uns entstanden ist« (ebd.). Vielfach nimmt die Unterstützung für die »muslimischen« Gemeinden die Form identitätspolitischer Kampagnen an. So versuche man im Dialog gemeinsam mit den »Muslimen«, verzerrte Darstellungen von »Islam« und »Muslimen« in Medien und Politik zu korrigieren. Während sich einige »muslimische« Vertreter/-innen gerade dieser Politisierung von »Islam« überdrüssig zeigen (Interview 20), werden die »muslimischen« Vertreter/-innen seitens der Stadt stets dazu ermutigt, sich öffentlich für das »richtige« »Islam«-Bild einzusetzen (Interviews 1, 2, 3, 18; TB FMGE 10). Beispielsweise bildete sich in einer Sitzung des FMGE ein »Team« aus einem »muslimischen« Vertreter und einem »nicht muslimischen« Dialogaktiven, um eine korrigierende Replik auf einen Artikel mit islamophoben Äußerungen in der lokalen Presse zu formulieren (TB FMGE 9). In einem anderen Fall organisierte die CIAG ein Treffen mit Vertreter/-innen des bayerischen Innenministeriums – an welchem auch lokale »muslimische« Gemeindevertreter/-innen teilnahmen –, um über die Problematik eines Flyers für ein politisches Programm zu sprechen, dessen Bildersprache »Islam« mit Islamismus gleichzusetzen schien (Interview 3). Der Fall zeigt, wie »muslimische« Vertreter/-innen durch Dialog in ein politisches und gesellschaftliches Netzwerk eingebunden werden. Teils erfahren die »muslimischen« Gemeinden auch sehr konkrete Unterstützungsleistungen. So lässt sich neben den in dieser Arbeit noch zu skizzierenden Fällen bspw. anführen, dass die Stadt Erlangen im Rahmen des Integrationsprogramms »Deutsch-Offensive« die Durchführung von Sprachkursen in Räumlichkeiten der »muslimischen« Gemeinden mitfinanziert und organisiert hat, was gerade den Kindern aus den Gemeinden zugutekommt (Interviews 3, 5). Diese Maßnahme, so ein »muslimisches« CIAG-Mitglied, sei in den Dialoggremien vorbereitet worden. Auch würde die Stadt z.B. einen Moscheeumbau unterstützen (Interview 3). Die öffentliche Selbstdarstellungsweise der CIAG drückt sich deutlich in einem Projektpapier/Flyer aus, welches in die offizielle Website der Stadt eingebettet ist und in welchem zentrale »Projekte« als Erlanger Erfolge des Dialogs hervorgehoben werden.2 Wie auch meine Interviews zeigten, können diese als »Errungenschaften« artikulierte Praktiken durchaus als die zentralen Themen im Erlanger Dialoggeschehen seit den 1990er Jahren gedeutet werden. Ein wichtiger Gegenstand ist in diesem Kontext der Islamische Religionsunterricht (IRU), der in den nächsten Kapiteln noch eingehend behandelt werden soll, da er eng mit der Geschichte des Dialogs in Erlangen verknüpft ist (und deshalb hier ausgespart wird). Eine weitere lokale Errungenschaft, auf die verwiesen wird, ist die Möglichkeit »Islamische[r] Bestattungen in Erlangen« (CIAG-Flyer). So wurde auf dem Erlanger Westfriedhof ein islamisches Grabfeld errichtet sowie die Möglichkeit geschaffen, in der Aussegnungshalle islamisch-rituelle Waschungen durchzuführen. Ein weiterer Punkt deutet auf die Herausforderungen von »Musliminnen und Muslime[n] im Krankenhaus« (CIAG-Flyer) sowie auf das Thema »Sterbebegleitung« (ebd.) hin. Hier wird aufgezeigt, dass »in offenen Gesprächen mit Verantwortlichen der Erlanger Kliniken […] für eine Vielzahl von Fragen und Wünschen von muslimischer Seite Lösungswege gefunden [wurden]« (CIAG-Flyer). So wurde Ende der 1990er Jahre beobachtet, dass »viele Musliminnen notwendige Klinikaufenthalte aus Angst vor 2
https://www.erlangen.de/Portaldata/1/Resources/030_leben_in_er/dokumente/Christlich_Islamisc he_Arbeitsgemeinschaft_Flyer_CIAG.pdf, (20.01.2019).
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Gouvernementalität der Freundschaft
der Untersuchung durch einen männlichen Arzt hinausschieben oder gar unterlassen« (CIAG-Protokoll 15.09.2006). In Gesprächen zwischen CIAG-Mitgliedern und der Universitätsklinik wurde sichergestellt, dass selbige personalpolitisch darauf achtet, Ärzt/innen mit einem bestimmten (in diesem Fall türkischen) Migrationshintergrund, mit sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen sowie mit einer biographisch begründeten Sensibilität für das Thema »Islam« einzustellen. Zugleich wurden Informationsveranstaltungen in den »muslimischen« Gemeinden organisiert, auf welchen sich jenes »islamsensible« Klinikpersonal vorstellen konnte. Auch gegenwärtig versucht die CIAG, Kontakte zwischen Krankenhäusern und lokalen »muslimischen« Gemeinden aufzubauen u.a. um bei seelsorgerischem Bedarf »muslimischer« Patient/-innen Ansprechpartner/-innen in den »muslimischen« Gemeinden zu etablieren, an die sich die Klinken wenden können. So sind in einigen klinischen Abteilungen Erlangens Kontaktdaten ehrenamtlicher Seelsorger aus den Gemeinden (u.a. der Imame) hinterlegt. Auch führten »muslimische« Gemeindevertreter/-innen unter Vermittlung der CIAG Schulungen in den Krankenhäusern durch (TB CIAG 8; CIAG-Protokoll 15.09.2006). Des Weiteren wurde auch die Einrichtung von Gebetsräumen in der Universität Erlangen unterstützt (Interview 2). Die genannten Bestrebungen werden bis heute von »muslimischer« Seite als große Anerkennungsakte verstanden (Interview 20). In diesem Sinne zeigt sich der Dialog stets als eine Politik der Institutionalisierung von »Islam« und »Muslimen« auf lokaler Ebene. Ein »christlicher« CIAG-Sprecher, FMGE-Co-Moderator und stadtpolitischer Vertreter erwähnte, dass man sich auch im Hinblick auf kommunale Verwaltungsstrukturen (Ämter, Beratungsstellen etc.) stets darum bemühe, dass in städtischen Institutionen auch Personen mit »muslimischem« Hintergrund angestellt sind/werden. Dabei versuche man, Kontaktbarrieren zwischen »Muslimen« und den städtischen Institutionen abzubauen (Interview 8; vgl. auch: Interview 6). All diese Maßnahmen operieren als Institutionalisierung »muslimischer« Präsenz in der Stadt. Zwischen 2013 und 2017 wurde in den Dialogkreisen CIAG und FMGE auch diskutiert, inwiefern »muslimische« Wohlfahrtsverbände und andere Formen »muslimischen« sozialpolitischen Engagements realisierbar seien (TB CIAG 1, 2; TB FMGE 2; TB 27), wobei konkret am Aufbau einer »muslimischen« Erwachsenenbildung gearbeitet wurde (vgl. Kapitel 9). Ein im Flyer der CIAG angesprochenes Thema ist auch die 2012 erfolgte Einrichtung des Departments für Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) an der Universität Erlangen-Nürnberg. Die CIAG, wie es heißt, »begleitete von Anfang an engagiert und konstruktiv die Bemühungen, diesen Studiengang an der Universität zu etablieren, und sie sieht eine wichtige Aufgabe darin, das DIRS mit dem interreligiösen Dialog in unserer Stadt zu vernetzen« (Flyer). Die Etablierung einer »islamischen« Theologie in Erlangen wird von einem/einer der Bürgermeister/-innen als Anerkennungsakt gesehen, da hierbei »Islam« zum Gegenstand staatlicher Bildung werde, dem »Allerheiligste[n]« (Interview 6). Gleichzeitig würden progressivere »islamische« Perspektiven entwickelt, die an die Verhältnisse in Deutschland gekoppelt sind (ebd.). Als letzte Errungenschaft wird das Thema »Vom Nebeneinander zum Miteinander« eingeführt. Hier gehe es darum, die »direkten Begegnungen zwischen den Muslimen und Christen in den Gemeinden zu intensivieren« (ebd.), aber bspw. auch »die Städtepartnerschaft Erlangen-Beşiktaş [Stadtteil von Istanbul; Anm. J.W.] auf der Ebene des interreligiösen Dialogs zu begleiten«. Es zeigt sich einmal mehr, wie der Dialog als Antwort auf eine »Konflikterzählung«
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
operiert. So heißt es im Flyer: »Angesichts der erschreckenden Entwicklung von Gewalt und Misstrauen in der Welt und auch in Europa macht den Dialog und das engagierte Bemühen um Integration dringender denn je [sic!].« Auch wird deutlich, dass sich der Dialog der CIAG integrations- und sicherheitspolitisch verortet (Interviews 2, 3, 8, 6, 14). Um »Gewalt« und »Misstrauen« einzudämmen und »Integration« zu sichern wird das Motiv des »Miteianders« mobilisiert, friedens- und integrationspolitisch eingebettet und als Bearbeitung der Risiken religiöser Differenzen artikuliert. Über die Förderung von Begegnung und Miteinander solle verhindert werden, »dass Menschen unterschiedlicher Glaubensvorstellungen in eine höchstgefährliche Antihaltung mit unkalkulierbaren Reaktionen und gewalttätigen Hassausbrüchen geraten« (Flyer). Vielfach wurden gegenseitige Abgrenzungen zwischen Gesellschaft und »Muslimen« sowie zwischen »Muslimen« und »Christen« identifiziert, die auch in Erlangen existieren würden und durch die Förderung eines »Miteinanders« anzugehen seien. So gäbe es auf allen Seiten fundamentalistische Haltungen, der Toleranzgedanke sei ausbaufähig, »Muslime« würden sich von der Gesellschaft abwenden und Jugendliche mit Migrationshintergrund auf Diskriminierung mit (Re-)Ethnisierungsprozessen reagieren, zudem seien manche jungen »Muslime« zu wenig mit dem säkularen Rechtsstaat vertraut (CIAGProtokoll 12.03.2013).
6.2.3
Sicherheitspolitische Spannungen, interreligiöse Solidarität und die Gründung des FMGE
Neben der CIAG zeigt sich in Erlangen seit 2009 der Freundeskreis muslimischer Gemeinden Erlangen (FMGE) als ein Dialogforum aktiv, das dezidiert als Schnittstelle zwischen Stadtpolitik, Gesellschaft und den »muslimischen« Organisationen wirken möchte. Der FMGE gründete sich, nachdem die Islamische Gemeinde Erlangen (IGE) Ende der 2000er Jahre unter Beobachtung durch den bayerischen Verfassungsschutz kam, da Verbindungen zwischen der IGE und als extremistisch eingestuften Organisationen angenommen worden waren (Interview 2). Ausgangspunkt war wohl, so mutmaßt ein Vorstandsmitglied einer »islamischen« Gemeinde, die Identifikation der IGE als Partnergemeinde der Islamischen Gemeinschaft Deutschland (IGD), die wiederum mit der Muslimbruderschaft in Verbindung gebracht wird. Die IGD habe auf einer Website wohl eigenmächtig »Erlangen« als einen »ihrer« Standorte aufgezählt (möglicherweise aufgrund von Einzelkontakten) (ebd.). Ein IGE-Vertreter schätzt, dass die IGD in ihrer Selbstdarstellung wahllos Kontakte und »Partnerstädte« aufzählte, um als gewichtige Organisation zu erscheinen (ebd.). In offenbar durch Kontakte dialogaktiver Personen aus dem CIAG-Netzwerk vermittelten Gesprächen u.a. mit Vertreter/innen der Sicherheitsbehörden kamen weitere Vorwürfe zutage, so eine angebliche Finanzierung der Vorgängerorganisation der IGE, des Islamischen Studentenvereins durch die IGD in den 1980er Jahren (ebd.). Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz generierte dabei konkrete Benachteiligungen für einzelne Mitglieder »bei Beruf und Aufenthaltserlaubnisverlängerung« (ebd.). Als das Einbürgerungsverfahren eines IGE-Vorsitzenden aufgrund der Beobachtung eingestellt wurde, entschieden Vertreter/-innen aus der kommunalen Politik einen Initiativkreis zur Unterstützung der »muslimischen« Gemeinden zu gründen, der in der CIAG vorbereitet wurde und dem
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Gouvernementalität der Freundschaft
sich viele bis dahin dort aktive Personen anschlossen; dieser besteht bis heute (Interviews 2, 6). Letztlich entstand eine schlagkräftige Unterstützungsinitiative aus Vertreter/-innen lokaler Politik und Verwaltung und der »christlichen« Kirchen, die sich öffentlichkeitswirksam dafür einsetzten, die IGE aus dem Verfassungsschutzbericht zu nehmen. Dabei wurde das Dialognetzwerk auch vielfach kritisiert, wie eine hochrangige städtische Vertreterin anmerkt: »Da ist es dann auch wirklich heiß hergegangen, weil da dann gerade der [Name] und ich auch ganz übel beschimpft wurden von den Medien hier in der Gegend – so nach dem Motto wir sind naive Idioten und ähnliche Vorwürfe.« (Interview 6) Aus dem politischen Bereich, auch in Erlangen, kamen Vorwürfe, die den Dialogaktiven riskantes »Gutmenschentum« attestierten (IG 2). Die Dialogaktiven würden die Risiken des religiösen Extremismus nicht erkennen und die Arbeit der Sicherheitsbehörden abwerten, so einige Argumentationen. Es zeigt sich, dass ein auf die Unterstützung der »muslimischen« Gemeinden zielender Dialog im sicherheitspolitischen Kontext auch viel Widerstand erfährt. »Ja, die [der Dialogkreis] haben sich sehr intensiv, da auch in München, dem Innenminister gegenüber vertreten«, so die Integrationsbeauftragte Erlangens (Interview 1), die die damalige Unterstützung als »interreligiöse Solidarität« rahmt: »Da wurden sie wirklich von allen Seiten auch sehr stark unterstützt – auch das war natürlich ein sehr positives Ergebnis dieses bestehenden Netzwerkes, dass man da auch einfach äh, interreligiös sich solidarisch zeigt, ja.« (Ebd.) Stets wurde öffentlichkeitswirksam auf die gute Integrationsarbeit der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE) verwiesen. Am 02.03.2011 wurde, maßgeblich durch CIAG-Aktive, die öffentliche Veranstaltung »Muslimische Gemeinden zwischen Integrationsarbeit und Überwachung durch den Verfassungsschutz« im Ratssaal Erlangen organisiert (CIAG-Protokoll 17.02.2011). Auch wurden persönliche Treffen zwischen »muslimischen« Vertreter/-innen und Repräsentant/-innen des bayerischen Innenministeriums sowie der Sicherheitsbehörden organisiert, um Verdachtsmomente auszuräumen (Interviews 2, 3, 6). Dabei halfen wiederum die etablierten Dialognetzwerke. Ein in der CIAG aktiver »christlicher« Pfarrer, der über sein Engagement in einer lokalen interreligiösen Initiative IGE-Mitglieder kennenlernte und zudem ehrenamtlich in der IGE Nachhilfeunterricht gegeben hatte, kannte eine/-n (hochranginge/-n) Vertreter/-in des bayerischen Innenministeriums aus seiner Pfarrgemeinde und half dabei, ein Treffen zwischen jener Person, Mitgliedern des Erlanger Dialognetzwerks (u.a. universitäre Fachleute), der »muslimischen« Gemeinden sowie der Sicherheitsbehörden zu organisieren (nach den Darstellungen eines »muslimischen« Vertreters: Interview 2). Dabei, so ein IGE-Sprecher, hatte die Gemeinde die Möglichkeit, aufzuzeigen, dass man sich an einem »moderaten Islam […] orientiert« (ebd.). Ohne an dieser Stelle abzuschätzen zu können, was derartige Treffen genau bewirkten, wurde die IGE jedenfalls letztlich aus dem Verfassungsschutzbericht herausgenommen – »[m]it Hilfe von unseren Freunden in der Stadt, [Name] und der Bürgermeisterin«, wie ein weiteres Mitglied der IGE resümierte (Interview 5; SPD-Pressemitteilung 2008). Die breite Unterstützung habe gewirkt, so eine »muslimische« Sprecherin der CIAG, »weil die in München gemerkt haben, dass man dahinter ist […], dass die Politik auch dahinter ist, ich mein das ist ja nicht irgendwer, wenn da [ein/-e zweite/-r Bürgermeister/-in] oder ein [CIAG-Mitglied und ehemaliger Landtagsabgeordneter] […], die dann
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
sagen, also Freunde so gehts nicht. Und das ist schon […] wichtig, dass man der Regierung oder den politisch Verantwortlichen zeigt, man ist dabei und auch nicht nur jetzt von muslimischer Seite […] Wenn jetzt nur die Muslime Krawall gemacht hätten, das hätte am Ende gar nicht so viel gebracht, sondern dass die Verantwortlichen sehen, schau mal, da ist wirklich die Stadtspitze dahinter.« (Interview 3) Die skizzierten Entwicklungen stellen den Gründungskontext des FMGE dar (CIAGProtokolle 04.02.2009, 19.05.2009). Bereits in der ersten von mir besuchten Sitzung der CIAG (im Juni 2014) zeigte sich, dass die erfolgreiche Unterstützung der IGE und die Gründung des FMGE zu Elementen eines Gemeinschaftsnarrativs gemacht wurden, über dessen Zitation die lokale Dialoggemeinschaft konstituiert und nach außen hin abgegrenzt werden kann. So erwähnte ein »christlicher« CIAG-Moderator in besagter Sitzung, dass eine bestimmte Person aus dem Verfassungsschutz dort nun aufgehört habe. Dies artikulierte er als »gute Neuigkeiten« und bescheinigte jener Person keine gute Arbeit. Diesem Beitrag folgten Klatschen und Lachen seitens der Teilnehmenden. Mehrere Personen erinnerten daraufhin an die schwierige Lage der IGE während der Beobachtung und an die erfolgreiche Unterstützung durch das Dialognetzwerk (TB CIAG 1). Der FMGE ist bis heute aktiv. Gegenüber der CIAG versteht er sich nicht als interreligiöses Forum, sondern als integrationspolitischer Initiativkreis zur Unterstützung einer religiösen Minderheit. Entsprechend wird der FMGE von den »muslimischen« Gemeinden sehr geschätzt. Ein Gemeindevertreter berichtet: »Es gibt einen Freundeskreis der Muslime, initiiert von [zählt politische Vertreter/-innen aus Stadt und Landtag auf]. Also wenn es irgendwelche Probleme gibt, wo wir ihre Unterstützung benötigen, wird es auch entsprechend angenommen und gelöst.« (Interview 4)
6.2.4
Förderung des »muslimischen« lokalpolitischen Auftretens
Vielfach zielen die Dialogarbeitskreise in Erlangen im Sinne »klassischer« integrationspolitischer Empowerment-Strategien darauf ab, »muslimische« Artikulations- und Selbstdarstellungsweisen zu schulen und »muslimisches« öffentliches Auftreten im (lokal-)politischen Feld zu stärken (CIAG-Protokoll 24.04.2012). Diese Mechanismen stellen sowohl eine Unterstützung der »Muslime« als auch eine machtvolle Normalisierungstechnologie dar, da »muslimisches« politisches Auftreten hierbei zum Gegenstand der Beeinflussung wird (vgl. Kapitel 7.2). Stets operiert der Dialog als Formung eines öffentlich »angemessen« auftretenden »Islam« und enthält dabei zahlreiche Praktiken einer »Imagepflege« für »Muslime« (Interview 3), die – wie eine »muslimische« CIAG-Sprecherin anmerkt – darauf abzielen, »ein […] besseres Bild in der Öffentlichkeit [zu] haben« (ebd.). In diesem Zusammenhang ist auch das Organisieren von Tagen der offenen Tür durch die »islamischen« Moscheegemeinden zu nennen – eine Praktik, die in den Dialognetzwerken unterstützt wird.3 Die Stärkung eines selbstbewussten Auftretens der »Muslime« geht stets mit einer Unterstützung 3
In Erlangen und in anderen Städten wird am 3. Oktober ein Tag der offenen Moschee praktiziert. Am 03.10.2016 bspw. referierten ein Mitarbeiter des DIRS Erlangen und der Imam der IGE im Rahmen des Tages der offenen Tür in den IGE-Räumlichkeiten über die »kulturelle Vielfalt im Islam«. Mit dem Vortrag sollte die Vorstellung eines monolithischen »Islam« durchbrochen und das Bild
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Gouvernementalität der Freundschaft
für jene »muslimischen« Akteure und Institutionen einher, die sich auf den Dialog mit Stadt und Gesellschaft einlassen. Eine wichtige Form der Unterstützung drückt sich in den Praktiken des gemeinsamen öffentlichen Auftretens von städtischen und »muslimischen« Vertreter/-innen aus (vgl. Abb. 2 und 3). So wurde bspw. in den »Rathausberichten« der Stadt ein gemeinsames Interview von einem »muslimischen« Vertreter der IRE und einer der städtischen Bürgermeister/-innen veröffentlicht, in welchem die Integrationserfolge der Erlanger »Muslime« hervorgehoben wurden (Stadt Erlangen 2015). Die Initiative dazu kam von der Stadt (E-Mail-Korrespondenz mit einem IRE-Vorstand, 2015). Die Bürgermeisterin trat in dem Beitrag für eine stärkere gesellschaftspolitische Involvierung von »Muslimen« ein. Gerade vor dem Hintergrund islamskeptischer gesellschaftlicher Tendenzen wird das gemeinsame Auftreten als Solidaritätspraxis ausgeführt, um »muslimischen« Sprecher/-innen den Rücken zu stärken und die »muslimische« Präsenz in der Öffentlichkeit zu legitimieren (Interviews 1, 3). Im Rahmen vieler verschiedener öffentlicher Veranstaltungen treten städtische und »muslimische« Vertreter/-innen gemeinsam öffentlich auf, um Solidarität sichtbar zu machen. Die folgenden Bilder zeigen den gemeinsamen Auftritt des Erlanger Oberbürgermeisters Florian Jannik und eines Vertreters einer der Moscheegemeinden im Rahmen einer Kundgebung gegen Krieg und Gewalt vor dem Rathaus Erlangen im Jahr 2016. Abbildung 2 und 3: Gemeinsames öffentliches Auftreten
eines »Islam« propagiert werden, der innerhalb des Rahmens einiger fester Satzungen vielfältige kulturelle Ausdrucksformen zulässt.
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Fotos: Jan Winkler 2016
»Muslime« sollen in den Dialognetzwerken dazu ermutigt werden, ihre Anliegen öffentlich vorzutragen – und bspw. gemeinsam mit der Stadt gegen antimuslimische Ressentiments vorzugehen (TB FMGE 10). Diese Ermächtigung wird von »muslimischer« Seite auch wahrgenommen (Interviews 12, 18). Die Dialogarbeitskreise operieren über die Mobilisierung einer lokalen »Lobby« für die »muslimischen« Gemeinden (vgl. CIAGProtokoll 12.03.2013). So erwähnten »muslimische« Gemeindevertreter/-innen den Fall eines Lehrers, der »sich sehr islamophob gegenüber Schülern [verhielt]« (Interview 4),
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Gouvernementalität der Freundschaft
sodass »Beschwerden von mehreren Schülern über diesen einen bestimmten Lehrer [aufkamen]« (ebd.). In solchen Fällen könne man nun den FMGE einschalten und »dann nehmen sich diese drei Herrschaften [Vertreter/-innen der Stadt] der Sache an und führen auch ein Gespräch mit der Schulleitung, und das wirkt mehr als wenn wir nur als Gemeinde dorthin gehen würden« (ebd.; vgl. auch: Interviews 2, 4, 5). Die Wirkung sei deshalb besser, »weil […] bei der Schulleitung schnell das Gefühl hochkommt, da fühlen sich wieder Muslime verletzt […], was soll das, sie können keine Kritik vertragen […]. Dann hat es eine andere Wirkung, wenn sich diese Herrschaften von der Stadtspitze dem Problem annehmen.« (Interview 4) Der Gemeindevertreter sieht die Schwierigkeit, als »typischer beleidigter Muslim« wahrgenommen zu werden, womit er auf eine problematische diskursive Kategorie des »Islamdiskurses« (Spielhaus 2013) hinweist. Erst mit einer stadtpolitischen Lobby im Rücken würden solche Positionen durchbrochen. Das Ziel der politischen Unterstützung der »Muslime« wird auch in wiederkehrenden Treffen zwischen Vertreter/-innen beider »islamischer« Gemeinden und der Erlanger SPD-Fraktion verfolgt (Interviews 2, 5, 8, 14, 18). In diesen Treffen hätte man sich z.B. auf einen Frauenbadetag in einem Erlanger Hallenbad geeinigt (Interview 5). Ein IGEMitglied wiederum konnte über diese Kontakte einen Beitrag über die Glaubensgrundlagen des »Islam« verfassen und in eine lokale SPD-Ortszeitschrift stellen (Interview 20).
6.2.5
Die Zusammensetzung der Dialoginstitutionen und die Überschneidung von Positionen
An den Dialogkreisen der CIAG und des FMGE nehmen insgesamt teil: Mitglieder und Sprecher/-innen der lokalen »muslimischen« Moscheegemeinden und Organisationen, Vertreter/-innen der »christlichen« Kirchen, Gemeinden und Bildungswerke, Akteure aus dem universitären Bereich, Vertreter/-innen lokaler Politik (Integrationsreferent/innen, Mitglieder des Stadtrats und der Parteifraktionen auf kommunaler Ebene) sowie der kommunalen Verwaltung (Mitglieder des Koordinationsbüros Integration, Mitglieder des Ausländer- und Integrationsbeirats). Sporadisch werden weitere Einzelpersonen aus kommunaler Politik, Verwaltung, aus Wissenschaft und Wirtschaft eingeladen: kommunale Personalreferent/-innen, Mitglieder kommunalpolitischer Ausschüsse und Beiräte, lokale Unternehmer/-innen, Arbeitgeber/-innen und Vertreter/-innen der Arbeitgeberverbände. Die CIAG wird jeweils von »christlichen« und »muslimischen« Sprecher/-innen moderiert und vom Integrationsbüro der Stadt mit verwaltet. Der FMGE wiederum wird als »städtisches Projekt« ausschließlich durch »nicht muslimische« Personen moderiert und verwaltet, die allesamt Vertreter der Stadt sind (u.a. auch ein »christlicher« CIAG-Moderator). Die städtischen Vertreter/-innen haben dabei sehr verschiedene Positionen inne: So nehmen an den Dialogkreisen städtische Vertreter/-innen teil, die lokalpolitisch hochrangige Positionen einnehmen (in die sie gewählt wurden) und/oder den Status kommunalpolitischer Referent/-innen aufweisen, aber auch Personen, die z.B. ehemals im Stadtrat aktiv waren und sich ihrer Selbstdarstellung folgend nun eher als Privatpersonen einbringen – gleichzeitig aber lokalpolitisch weiterhin aktiv und vernetzt sein mögen. In den Dialogkreisen sind auch einige Personen vertreten, deren formales kommunalpolitisches Engagement bereits zurückliegt.
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Auch sind die Grenzlinien zwischen der Position »städtisch-politische/-r« Vertreter/in und Positionen wie »Privatperson« oder »religiöse Person im interreligiösen Dialog« vielfach verschwommen. Einige Personen stellen ihre Partizipation am Dialog im Sinne eines privaten Engagements als Bürger/-in dar, werden aber als Vertreter/-innen »der Stadt« wahrgenommen, da sie eine Art kommunalpolitische Funktion innehaben oder früher einmal innehatten. Teils stellen sich die gleichen Personen in einigen Kontexten als Vertreter/-innen der Stadt, in anderen Kontexten wiederum als Privatpersonen oder religiös bewegte Menschen dar. Ein »christlicher« (Co-)Moderator der CIAG z.B. (ehemaliger Stadtrat und Landtagsabgeordneter) präsentiert sich im Kontext CIAG eher als ehrenamtlich engagierter »Christ«, in seiner Funktion als (Co-)Moderator des FMGE aber dezidiert als Repräsentant der Stadt – wobei er damit implizit die Position als Stadtvertreter auch innerhalb der CIAG einnimmt. Er engagiert sich auch nach wie vor in einer politischen Partei-Ortsgruppe und nutzt auch ein Büro im Erlanger Rathaus. So wird er, obschon in manchen Kontexten als »Christ« auftretend, ohnehin als städtischer Repräsentant wahrgenommen.
6.3
Die (interreligiösen) Dialogkreise innerhalb der Integrationspolitik und -verwaltung
Der (interreligiöse) Dialog und v.a. die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft (CIAG) werden innerhalb der lokalen Politik und Verwaltung in Erlangen als ein eher spezifischer, aber wichtiger Baustein der kommunalen Integrationspolitik positioniert. Wie zahlreiche andere Kommunen in Deutschland hat auch die Stadt Erlangen das Thema der »Integration« von Zugewanderten sowie die Aufgabe der Gestaltung einer inklusiven, pluralen Gesellschaft im Zuge der 2000er Jahre zur »Chefsache« gemacht (das Integrationsbüro ist direkt dem Oberbürgermeisteramt unterstellt) und als ressortübergreifende Querschnittsaufgaben definiert (Gesemann u. Roth 2009a, b; Lanz 2009a; Pütz u. Rodatz 2013). 2006 entwickelte Erlangen ein eigenes kommunales Integrationsleitbild, das 2007 verschriftlicht und als Leitlinie verabschiedet sowie 2017 leicht verändert wieder veröffentlicht wurde4 . Dieses Leitbild formuliert programmatische Ansatzpunkte, die darauf abzielen, über die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft die Teilhabe von Migrant/-innen zu verbessern sowie der angenommenen Pluralität der kulturellen und religiösen Identitäten in der Stadt Ausdrucksmöglichkeiten zu verschaffen (Stadt Erlangen 2017). Dabei werden »kulturelle Vielfalt und sprachlicher Reichtum [als] ein Gewinn für die Stadtgesellschaften« verstanden (ebd.: 11). Die Integrationspolitik Erlangens konkretisiert sich derzeit v.a. im Büro für Chancengleichheit und Vielfalt – Antidiskriminierung, welches den Sitz der seit 2006 existierenden Koordinationsstelle Integration darstellt. Diese hat die Aufgabe, in Absprache mit den politischen Referent/-innen »Integration« als Zielstellung in städtischen Handlungsfeldern zu etablieren. Daneben existiert bereits seit den 1970er Jahren der Ausländer- und Integrationsbeirat (AIB) als beratendes Gremium der Verwaltung, 4
https://www.erlangen.de/Portaldata/1/Resources/080_stadtverwaltung/koordinationsstelle_integr ation/Leitbild_Integration_Erlangen.pdf, (10.04.2018).
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6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Auch sind die Grenzlinien zwischen der Position »städtisch-politische/-r« Vertreter/in und Positionen wie »Privatperson« oder »religiöse Person im interreligiösen Dialog« vielfach verschwommen. Einige Personen stellen ihre Partizipation am Dialog im Sinne eines privaten Engagements als Bürger/-in dar, werden aber als Vertreter/-innen »der Stadt« wahrgenommen, da sie eine Art kommunalpolitische Funktion innehaben oder früher einmal innehatten. Teils stellen sich die gleichen Personen in einigen Kontexten als Vertreter/-innen der Stadt, in anderen Kontexten wiederum als Privatpersonen oder religiös bewegte Menschen dar. Ein »christlicher« (Co-)Moderator der CIAG z.B. (ehemaliger Stadtrat und Landtagsabgeordneter) präsentiert sich im Kontext CIAG eher als ehrenamtlich engagierter »Christ«, in seiner Funktion als (Co-)Moderator des FMGE aber dezidiert als Repräsentant der Stadt – wobei er damit implizit die Position als Stadtvertreter auch innerhalb der CIAG einnimmt. Er engagiert sich auch nach wie vor in einer politischen Partei-Ortsgruppe und nutzt auch ein Büro im Erlanger Rathaus. So wird er, obschon in manchen Kontexten als »Christ« auftretend, ohnehin als städtischer Repräsentant wahrgenommen.
6.3
Die (interreligiösen) Dialogkreise innerhalb der Integrationspolitik und -verwaltung
Der (interreligiöse) Dialog und v.a. die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft (CIAG) werden innerhalb der lokalen Politik und Verwaltung in Erlangen als ein eher spezifischer, aber wichtiger Baustein der kommunalen Integrationspolitik positioniert. Wie zahlreiche andere Kommunen in Deutschland hat auch die Stadt Erlangen das Thema der »Integration« von Zugewanderten sowie die Aufgabe der Gestaltung einer inklusiven, pluralen Gesellschaft im Zuge der 2000er Jahre zur »Chefsache« gemacht (das Integrationsbüro ist direkt dem Oberbürgermeisteramt unterstellt) und als ressortübergreifende Querschnittsaufgaben definiert (Gesemann u. Roth 2009a, b; Lanz 2009a; Pütz u. Rodatz 2013). 2006 entwickelte Erlangen ein eigenes kommunales Integrationsleitbild, das 2007 verschriftlicht und als Leitlinie verabschiedet sowie 2017 leicht verändert wieder veröffentlicht wurde4 . Dieses Leitbild formuliert programmatische Ansatzpunkte, die darauf abzielen, über die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft die Teilhabe von Migrant/-innen zu verbessern sowie der angenommenen Pluralität der kulturellen und religiösen Identitäten in der Stadt Ausdrucksmöglichkeiten zu verschaffen (Stadt Erlangen 2017). Dabei werden »kulturelle Vielfalt und sprachlicher Reichtum [als] ein Gewinn für die Stadtgesellschaften« verstanden (ebd.: 11). Die Integrationspolitik Erlangens konkretisiert sich derzeit v.a. im Büro für Chancengleichheit und Vielfalt – Antidiskriminierung, welches den Sitz der seit 2006 existierenden Koordinationsstelle Integration darstellt. Diese hat die Aufgabe, in Absprache mit den politischen Referent/-innen »Integration« als Zielstellung in städtischen Handlungsfeldern zu etablieren. Daneben existiert bereits seit den 1970er Jahren der Ausländer- und Integrationsbeirat (AIB) als beratendes Gremium der Verwaltung, 4
https://www.erlangen.de/Portaldata/1/Resources/080_stadtverwaltung/koordinationsstelle_integr ation/Leitbild_Integration_Erlangen.pdf, (10.04.2018).
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Gouvernementalität der Freundschaft
das migrantische Selbstorganisation und politische Partizipation stärken möchte. »Muslimische« Vertreter/-innen der IRE haben derweil einen ständigen Beisitz im AIB, was den »Dialog mit Muslimen« in den AIB trägt. Der (interreligiöse) Dialog und hier v.a. die CIAG werden dabei im Feld lokaler Politik und Verwaltung als wichtiger Baustein der kommunalen Integrationspolitik positioniert. Die Integrationsbeauftragte der Stadt (Leitung der Koordinationsstelle Integration) merkt hierzu an: »Die Stadt hat sich schon ab Anfang der 90er Jahre verstärkt auch mit dem Thema ›Muslime‹ beschäftigt – das war noch unter dem Alt-Oberbürgermeister […] – und als eine der ersten Städte in Bayern auch die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft gegründet, [die auf] ganz wichtige, zentrale Themen des Zusammenlebens von Muslimen und Christen [zielt].« (Interview 1) Die Stadt Erlangen vertrete »den Anspruch des interreligiösen Dialogs« (Interview 1) und habe »bestimmte Gesprächskreise [etabliert] oder auch die Einweihung von öffentlichen Gebäuden auf Vertreter der Muslime und auch der jüdischen Gemeinde erweitert« (ebd.). »Der interreligiöse Dialog«, so die Integrationsbeauftragte, habe dabei »[im Bereich Integration] seine Heimat« (ebd.). Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen könne eine säkulare Kommune das Feld des interreligiösen Dialogs nicht direkt bearbeiten. Zum anderen artikuliert die Integrationsbeauftragte »Muslime« primär als Zugewanderte. Nicht zuletzt würde ein solcher Dialog, wie oben schon erwähnt, zentrale Themen des Zusammenlebens und damit die Frage der Integration berühren. »Wir haben als Kommune […] nicht irgendwie ne Abteilung für religiöse Angelegenheiten«, erklärt die Integrationsbeauftragte zunächst (ebd.). Da Religion an sich kein Thema für Stadtpolitik sei, »ist natürlich die Frage des interreligiösen Dialogs bei mir hier verankert, weil es natürlich, das sind zugewanderte Muslime und es sind auch zugewanderte Juden […]« (Interview 1). Die Vertreterin erklärt weiter: »[Das Thema ›interreligiöser Dialog‹] ist mit dem Thema ›Integration‹ verknüpft, […] das ist keine eigene Dimension in der Stadtpolitik, sondern es ist angedockt an die Frage der Integration.« (Ebd.) Der »Dialog mit Muslimen« sei Teil einer Integrationspolitik, die die religiösen Belange von »muslimischen« Subjekten verstehen möchte (vgl. Interview mit einem ehemaligen Vorsitzenden des AIB: Interview 14). Der »Dialog mit Muslimen« habe sich, so die Erzählung der Integrationsbeauftragten, zum einen pragmatisch aus Fragen des alltäglichen Zusammenlebens entwickelt: »Wir [das städtische Umfeld] sind die Basis, die Leute wohnen hier, die kommen mit ihren Themen, die Wünsche nach Grabfeldern, nach Religionsunterricht, nach was auch immer, und dann muss man sagen, was machen wir damit.« (Interview 1) Zum anderen spielten programmatische Überlegungen in Bezug auf interkulturellen und interreligiösen Dialog eine große Rolle – konkret wurden in Erlangen die Reden Roman Herzogs über den Dialog mit dem »Islam« aus den 1990er Jahren aufgegriffen (vgl. Kapitel 3). »Und es war 1996, ich meine es war dieser Impuls für Herrn Dr. Hahlweg [Alt-OB Erlangens; Anm. J.W.], der ging damals sogar aus von der Rede vom damaligen Bundespräsidenten Herzog, wo er hinterher gesagt hat, ja, also er sieht das auch als sehr wichtiges Thema an, dass eben Muslime […], dass die natürlich auch eine Stimme haben.« (Ebd.)
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Der interreligiöse Dialog erscheint in Erlangen als ein etabliertes und in der lokalen Politik und Verwaltung wahrgenommenes und unterstütztes Instrument, das jedoch keineswegs die Erlanger Integrationspolitik dominiert. Hier ist entsprechend zu differenzieren. In einigen politischen Kontexten wurde der »Dialog mit Muslimen« durchaus als Leuchtturmprojekt der Erlanger Politik dargestellt. So artikulierte ein Erlanger Alt-Oberbürgermeister auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung den interreligiösen Dialog in Erlangen (v.a. die CIAG) als vorbildhafte, besonders erfolgreiche und in jedem Fall notwendige Integrationsmaßnahme (Balleis 2008). Auch in Dokumentationen der Erlanger Integrationskonferenzen wurde ähnlich argumentiert (Stadt Erlangen 2011, 2013). In anderen Kontexten jedoch erschien der interreligiöse Dialog als eine Maßnahme von vielen oder wurde nicht erwähnt.5 Wie aber werden die Dialoginstitutionen CIAG und FMGE in der integrationsbezogenen Verwaltung wahr- und angenommen, vor allem durch Personen, die nicht selbst an den Dialoggruppen partizipieren? Hier lässt sich zunächst zeigen, dass die Dialoginstitutionen auch in der Verwaltung eine hohe Sichtbarkeit erlangt haben. Eine »muslimische« Sprecherin der CIAG resümiert über diese: »Ich glaube, […], also in den Gremien, wo die Entscheidungsträger sitzen, wie man so schön sagt, also jetzt in der Stadt, im Stadtrat, ob jetzt zum Beispiel im Ausländerbeirat oder im Jugendamt und frag mich nicht wo alles, da sind wir [der interreligiöse Dialog] schon sehr gut bekannt.« (Interview 3) Die Integrationsbeauftragte der Stadt (Interview 1) sieht in den Dialogforen quantitativ betrachtet zwar eher kleinere Arbeitskreise, betont aber die hohe Bedeutung dieser Gruppen, insofern relevante politische Vertreter/-innen – z.B. Referent/innen für sozialpolitische Fragen – an den Arbeitskreisen aktiv teilnehmen. Dadurch seien letztere lokalpolitisch und mit der Verwaltung gut vernetzt, was mit Blick auf das komplizierte Thema »Islam« auch gut sei (Interviews 1, 17). Insofern also Personen, die den institutionalisierten »Dialog mit Muslimen« führen, mitunter hohe politische Ämter belegen, ist dieser Dialog als wichtiges Element der Erlanger Integrationspolitik zu sehen. So sagt ein Mitarbeitender im Diversity-Büro über den Oberbürgermeister und eine städtische Referentin: »Genau, und die haben halt festgelegt, dass interreligiöser
5
Im Integrationsleitbild von Erlangen bspw. (2007 veröffentlicht, 2017 wieder aufgelegt: Stadt Erlangen 2017) ist zwar davon die Rede, einen »kulturübergreifenden Dialog [zu] fördern« (ebd.: 5), wobei ein dialogisches Verhältnis als Grundlage des Zugangs zu Migrant/-innen artikuliert wird. Die Institutionen CIAG und FMGE tauchen hier jedoch nicht explizit auf. Erwähnt wird die Notwendigkeit, »Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Wahrung ihrer religiösen und kulturellen Identität« zu ermöglichen (Stadt Erlangen 2017: 8). Hier ist aber anzumerken, dass die Dialogorganisationen in Erlangen (CIAG und FMGE) programmatisch nicht auf Migrant/-innen, sondern auf »Muslime« als religiöse Gruppe fokussieren möchten (Interviews 3, 6) und vielleicht auch deshalb nicht prominent im auf Zuwanderung abzielenden Integrationsleitbild auftauchen. Auf den Erlanger Integrationskonferenzen wiederum wird jedes Mal über das Thema der nächsten Konferenz abgestimmt, wobei Personen aus Politik, Verwaltung und Gesellschaft die möglichen Themen festlegen und alle Teilnehmenden der Konferenz abstimmen. Innerhalb der von mir im Zuge meiner Forschung gesichteten Konferenzen der Jahre 2014 bis 2017 (die Konferenz 2015 habe ich besucht, die Dokumentationen der restlichen Konferenzen sind auf der Internetseite der Stadt erhältlich) wurde das Thema »interreligiöser Dialog« zwar stets vorgeschlagen, aber nach der Abstimmung nie als Kernthema gewählt.
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Dialog eine zentrale Rolle da drinnen spielt [in der Erlanger Integrationspolitik], und wenn es eine zentrale Rolle spielt, dass sie dann auch vertreten sind.« (Interview 17) Die Dialogarbeitskreise werden auch in der Verwaltung durchaus als wertvolle Informationsquellen über das lokale »muslimische« Leben geschätzt und genutzt (Interviews 1, 17, 19). Die Integrationsverwaltung der Stadt bearbeitet Religion zunächst als ein Thema von mehreren, welches zwar immer wieder bedeutsam, aber nicht immerzu herausgestellt wird – so ein Mitarbeiter im Diversity-Büro, der nicht direkt an den Dialoginstitutionen beteiligt ist (Interview 17). Die allgemeine Linie der Stadt, wie sie sich in den Verwaltungsstrukturen ausdrückt, stellt keine religiösen Gruppen heraus, sondern behandelt das Thema »Religion« bedarfsorientiert, fall- und kontextgebunden. In der Verwaltung sind es religiöse Belange von Bürger/-innen in bestimmten Kontexten, die bearbeitet werden, so die Perspektive (Interviews 17, 19, 1). Mitarbeitende aus der Integrationsverwaltung nehmen jedoch anerkennend wahr, dass es einzelne Personen im kommunalen Feld gibt, die über die Dialogkreise CIAG und FMGE einen (interreligiös eingefärbten) »Dialog mit Muslimen« führen. »Dann gibt’s ja natürlich noch die ganze Spalte sozusagen interkultureller […], äh interreligiöser Dialog, der durch die Frau [Name einer politischen Referentin der Stadt] koordiniert wird. Das ist aber erst einmal außen vor und wenn da [im interreligiösen Dialog] einzelne Themen aufschlagen, die dann hier [integrationspolitische Verwaltungsabteilungen] bearbeitet werden müssen in den Teams, dann wird das weitergeleitet.« (Interview 17) Die Dialogaktivitäten würden nicht die grundsätzliche Linie der Integrationsverwaltung darstellen und außerhalb »klassischer« Verwaltungsstrukturen stehen. Doch würden, so die Ansicht in den Interviews, die in den Dialogkreisen aktiven Akteure durch ihr Engagement ein wertvolles Wissen über den lokalen »Islam« generieren und in dieser Hinsicht in einem Austausch mit der Verwaltung stehen. Diese Aspekte werden in Kapitel 8.3.1 noch vertieft, sodass an dieser Stelle fortgefahren werden kann. CIAG und FMGE sind dabei keine Gremien, die in die Verwaltungsarbeit integriert werden müssten. Sie haben keine ordnungsgebende Funktion im rechtlichen Sinne. CIAG und FMGE sind weder durch kommunalpolitische Entscheidungen im formalen Sinne etabliert worden noch werden sie auf diese Weise in ihrer Arbeit gesteuert. Während Institutionen wie das Büro für Chancengleichheit und Vielfalt oder der Integrationsbeirat fest installierte Elemente der kommunalen Verwaltung sind, deren Etablierung, Ausgestaltung und Zielsetzung durch ordnungsgebende kommunalpolitische Gremien und Versammlungen (z.B. Stadtratsversammlung oder diverse Ausschüsse) bzw. politische Positionen (z.B. Referent/-in für Soziales und Integration) (mit-)bestimmt werden, stellen sich die CIAG und der FMGE als informell organisierte Arbeitskreise dar. Diese wurden zwar maßgeblich von Personen initiiert und werden maßgeblich von Personen moderiert, die kommunalpolitische Positionen innehatten und -haben und/oder in der kommunalen Verwaltung tätig waren/sind; sie stellen aber keine Organe der kommunalen Verwaltung dar, die einen eigenen Verwaltungsbereich und Verwaltungsbefugnisse aufweisen würden. In kommunalpolitischer Hinsicht handelt es sich bei CIAG und FMGE um Institutionalisierungsformen, deren Fortbestand auf einem tendenziell »zusätzlich« (oft auch ehrenamtlich) geleisteten sowie nicht
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
oder nicht direkt entlohnten Engagement von Einzelpersonen basiert sowie auch auf der Mobilisierung und Pflege themenbezogener Beziehungen und Kontaktnetzwerke im lokalen politischen Feld. In dieser Gestalt werden die Dialogkreise auch in der Verwaltung wahrgenommen, und auf diese Weise beschreiben und begreifen sie sich auch selbst: als Initiativkreise, die keine reglementierende und verordnende (Rechts)Gewalt schaffen oder innehaben, aber dennoch vielfach und über die verschiedensten Kanäle politische Impulse generieren, die dann über städtische Vertreter/-innen in die lokale Politik und Verwaltung einfließen (Interviews 3, 8, 14, 17). Diese eher informelle Organisation wird dabei auch als eine Stärke gesehen, die flexibles und ungebundenes Engagement ermögliche. Die lose Struktur sei sinnvoll, um komplexe Probleme lösen zu können, Kontaktnetzwerke zu managen und zudem Einzelpersonen nicht zu überfordern, sondern gemäß ihren Möglichkeiten zu mobilisieren. Der Verzicht auf feste Mitgliedschaft erscheint als Vorteil gegenüber »kommunaler Bürokratie«. Die Arbeitskreise CIAG und FMGE haben ferner auch keine Internetseiten, keine Satzungen und außer Moderator/-innen keine Verantwortungspositionen. Sie operieren und verstehen sich als Personennetzwerke mit flacher Hierarchie und einem konsensorientierten, egalitären und offenen Modus in Bezug auf die zu erarbeitenden Ziele. Sie sind zudem als Organisationen ohne öffentliche Rechenschaftspflicht anzusprechen; Organisationen, die aber regelmäßig in der lokalen Presse sowie über städtische Pressestellen sichtbar gemacht werden (TB CIAG 10). Der Netzwerkcharakter der Arbeitsgruppen verdeutlicht die Außerordentlichkeit eines »Dialogs mit Muslimen« (vgl. Radtke 2011), der quer zu etablierten Strukturen operiert (vgl. die Aussagen verschiedener Dialogaktiver in: TB CIAG 9, 10). Man denke hier an die These Radtkes, der zufolge das im Feld »Integration« bedeutsam gewordene Argument der Notwendigkeit interkultureller und interreligiöser Dialoge selbige als »außeralltägliche« Aufgaben rahmt (2011). Die Dialogarbeitskreise werden jedenfalls auch »von außen« als bedeutsame Impulsgeber beurteilt (Interview 17, informelle Gespräche mit jenem/-r Interviewpartner/-in).
6.4
Die Etablierung von Religionsunterricht, Identitätspolitik und die Institutionalisierung eines lokalen »Islam«: die Geschichte des Dialogs in Erlangen
Die Geschichte des Dialogs in Erlangen ist eng verbunden mit der bereits erwähnten Institutionalisierung der CIAG im Jahr 1996. Eines der ersten und sicher das wichtigste Projekt der CIAG war dabei der Versuch, in Bayern – und nach diversen Entwicklungen nur mehr in Erlangen – Islamunterricht an öffentlichen Schulen einzuführen. Die Gründung der CIAG, die damit angestrebte Verbesserung der Integration der »Muslime« in Erlangen und das Projekt »Islamunterricht« fielen vielfach zusammen und konstituierten eine Entwicklung, die heute als »Erfolg« des Erlanger Dialogs kommuniziert wird.
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6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
oder nicht direkt entlohnten Engagement von Einzelpersonen basiert sowie auch auf der Mobilisierung und Pflege themenbezogener Beziehungen und Kontaktnetzwerke im lokalen politischen Feld. In dieser Gestalt werden die Dialogkreise auch in der Verwaltung wahrgenommen, und auf diese Weise beschreiben und begreifen sie sich auch selbst: als Initiativkreise, die keine reglementierende und verordnende (Rechts)Gewalt schaffen oder innehaben, aber dennoch vielfach und über die verschiedensten Kanäle politische Impulse generieren, die dann über städtische Vertreter/-innen in die lokale Politik und Verwaltung einfließen (Interviews 3, 8, 14, 17). Diese eher informelle Organisation wird dabei auch als eine Stärke gesehen, die flexibles und ungebundenes Engagement ermögliche. Die lose Struktur sei sinnvoll, um komplexe Probleme lösen zu können, Kontaktnetzwerke zu managen und zudem Einzelpersonen nicht zu überfordern, sondern gemäß ihren Möglichkeiten zu mobilisieren. Der Verzicht auf feste Mitgliedschaft erscheint als Vorteil gegenüber »kommunaler Bürokratie«. Die Arbeitskreise CIAG und FMGE haben ferner auch keine Internetseiten, keine Satzungen und außer Moderator/-innen keine Verantwortungspositionen. Sie operieren und verstehen sich als Personennetzwerke mit flacher Hierarchie und einem konsensorientierten, egalitären und offenen Modus in Bezug auf die zu erarbeitenden Ziele. Sie sind zudem als Organisationen ohne öffentliche Rechenschaftspflicht anzusprechen; Organisationen, die aber regelmäßig in der lokalen Presse sowie über städtische Pressestellen sichtbar gemacht werden (TB CIAG 10). Der Netzwerkcharakter der Arbeitsgruppen verdeutlicht die Außerordentlichkeit eines »Dialogs mit Muslimen« (vgl. Radtke 2011), der quer zu etablierten Strukturen operiert (vgl. die Aussagen verschiedener Dialogaktiver in: TB CIAG 9, 10). Man denke hier an die These Radtkes, der zufolge das im Feld »Integration« bedeutsam gewordene Argument der Notwendigkeit interkultureller und interreligiöser Dialoge selbige als »außeralltägliche« Aufgaben rahmt (2011). Die Dialogarbeitskreise werden jedenfalls auch »von außen« als bedeutsame Impulsgeber beurteilt (Interview 17, informelle Gespräche mit jenem/-r Interviewpartner/-in).
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Die Etablierung von Religionsunterricht, Identitätspolitik und die Institutionalisierung eines lokalen »Islam«: die Geschichte des Dialogs in Erlangen
Die Geschichte des Dialogs in Erlangen ist eng verbunden mit der bereits erwähnten Institutionalisierung der CIAG im Jahr 1996. Eines der ersten und sicher das wichtigste Projekt der CIAG war dabei der Versuch, in Bayern – und nach diversen Entwicklungen nur mehr in Erlangen – Islamunterricht an öffentlichen Schulen einzuführen. Die Gründung der CIAG, die damit angestrebte Verbesserung der Integration der »Muslime« in Erlangen und das Projekt »Islamunterricht« fielen vielfach zusammen und konstituierten eine Entwicklung, die heute als »Erfolg« des Erlanger Dialogs kommuniziert wird.
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6.4.1
Die Einführung von Islamischem Religionsunterricht (IRU): eine lokale »Erfolgsgeschichte« und die erste »Vermessung« des lokalen Islam
Einer der »muslimischen« Pioniere der CIAG (und Vertreter der TIG) verdeutlicht in einem Interview die integrationspolitische Ausrichtung der CIAG sowie die Einführung von Islamunterricht als deren Ziel: »Von Anfang an habe ich überlegt: Wie kann man die Muslime integrieren? Denn auch die Muslime von meinem Verein, die hatten keine Lust zum Dialog. […] Und 1996 hat der ehemalige Oberbürgermeister Hahlweg und Kirchenvertreter und Universitätsvertreter und Vertreter der islamischen Vereine die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft gegründet. [Dort] haben wir überlegt, wie wir die Muslime integrieren können, und meine Idee ›Islamunterricht in der Schule‹ hat mich immer verfolgt.« (Vertreter der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V., aus: Kerler 2008: 39) In der Tat präsentierte sich die Einführung Islamischen Religionsunterrichts (IRU) an Erlanger Schulen nach dem sogenannten »Erlanger Modell« als das erste und wichtigste Projekt der neu gegründeten CIAG – ein Projekt, das sich bis heute als zentrales Anliegen des Erlanger Dialogansatzes darstellt. Eine kommunale Vertreterin betonte ebenso die große Relevanz von IRU und merkte an, dass dieses Thema schon »lange vor nine eleven« angegangen wurde (Interview 6). So lohnt es sich, die Entwicklung des »Erlanger Modells Islamunterricht« genauer zu beleuchten, um die Arbeitsweise und die heutige Bedeutung der CIAG sowie des Dialogs in Erlangen zu begreifen. Denn erst vor dem Hintergrund der Bestrebungen zur Einführung von IRU in Erlangen ist zu verstehen, inwiefern gerade die CIAG bis heute als ein Forum artikuliert wird, in welchem »echte« Vergemeinschaftung und Vertrauen zwischen Stadt, Gesellschaft, Kirchen und »muslimischen« Gemeinden herrsche. Gleichzeitig ist die Geschichte des durch die CIAG unterstützten Islamunterrichts auch eine Geschichte der Institutionalisierung von »Islam« in Erlangen. Der Modellversuch »Islamunterricht« begann 2003/2004 an einer Erlanger Grundschule und ergänzte die seit den 1980er Jahren durchgeführte religiöse Unterweisung türkischer Schüler muslimischen Glaubens, die zunächst weiterhin als Parallelveranstaltung beibehalten wurde (Dietrich 2006; Kerler 2008). Der Titel »Islamunterricht« des neuen Modells verwies darauf, dass es sich nicht um Religionslehre im Sinne eines verfassungsrechtlich geregelten konfessionellen Unterrichts handelte, wobei jedoch die Lehrpläne für diesen Unterricht in Zusammenarbeit mit den lokalen »islamisch«-religiösen Organisationen Erlangens erstellt wurden, sodass es sich auch nicht um eine rein staatlich vermittelte Islamkunde handelte (Kerler 2008: 10-11; Güneysu 2006). Der Islamunterricht in Erlangen sei, obwohl rechtlich nicht als konfessioneller Unterricht artikulierbar, in der Praxis »klar bekenntnisorientiert« (Kerler 2008: 11; vgl. Dietrich 2006: 121). Darauf deutet auch die Einbindung der 1999 mit Unterstützung des CIAG-Netzwerks eigens als staatlicher Ansprechpartner für den Islamunterricht gegründeten Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (fortan: IRE), ein Zusammenschluss der »türkisch-islamischen«, zu DITIB gehörenden Moscheegemeinde (TIG) sowie der vorwiegend arabischsprachigen Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE). Die neu gegründete IRE konnte nun
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als dezidiert religiöser Akteur in die Lehrplankonzeptionalisierung involviert werden. Die IRE »wird vom Bayerischen Kultusministerium nicht offiziell als Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes anerkannt, allerdings als Ansprechpartner für die Durchführung des Islamunterrichts akzeptiert. Den Lehrplan des Islamunterrichts in Erlangen erstellte eine Kommission des Kultusministeriums, deren Mitglieder durch das Ministerium selbst und die Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen bestimmt wurden.« (Kerler 2008: 11; Herv. J.W.)6 Die Einführung von IRU in Erlangen basierte demnach auf einer »informellen Akzeptanz der IRE« (Dietrich 2006: 122; zur rechtlichen Struktur der IRE: Dietrich 2006, Kapitel 4). Als Ansprechpartner für das Kultusministerium wurde die IRE 1999 gegründet. Sich aus Vorstandsmitgliedern beider Moscheevereine in Erlangen zusammensetzend, wurde sie als repräsentativ für alle »Erlanger Muslime« anerkannt. Die Einführung von Islamunterricht an staatlichen Schulen, eine schon seit den 1990er Jahren bundesweit vielfach und kontrovers diskutierte Maßnahme (Schiffauer 2003, 1997), zeigte sich in Erlangen durch die Gründung der IRE als Ansprechpartner des Staates mit einer ausgeprägten Institutionalisierung von »Islam« auf lokaler Ebene verknüpft: »Das Projekt [Islamischer Religionsunterricht (IRU)] in Erlangen hat seinen Ursprung nun in der Notwendigkeit einer strukturellen Verfestigung, einer Institution, sprich die Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen«, so konstatiert ein am Projekt beteiligter »muslimischer« Pädagoge (Interview mit selbigem, in: Kerler 2008: 49). Die Anfänge des »Erlanger Modells« »sind in der im Auftrag des Ausländerbeirats der Stadt Erlangen und in enger Absprache mit dem christlich-islamischen Arbeitskreis, dem städtischen Schulamt und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg für das Schuljahr 1999/2000 von Meltem Rudolph erstellten Studie zu sehen« (Dietrich 2006: 123; Herv. J.W.). Diese Studie zielte auf die Erhebung des Bedarfs nach Islamischem Religionsunterricht (IRU) in Erlangen und legte eine »Analyse von Zahl u. Struktur der muslimischen Kinder an Erlanger Schulen« vor (CIAG-Protokoll 15.09.2006; vgl. Dietrich 2006: 86, 123-124). Die Studie zeigte, »dass an einigen Erlanger Schulen mit hohem Anteil von muslimischen Schülern Bedarf an islamischem Religionsunterricht
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In Deutschland regelt Absatz 3 des Artikels 7 im Grundgesetz die Ausgestaltung bekenntnisorientierten Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Dabei müsse der Religionsunterricht in einer Kooperationsleistung zwischen Staat und der Religionsgemeinschaft konzipiert werden. Die Einführung von IRU benötigt daher eine als Religionsgemeinschaft anerkannte »islamische« Organisation – in der Regel auf Landesebene, da der Bildungsbereich auf Landesebene gestaltet wird. Diese »Regel« orientiert sich historisch an der Organisationform der »christlichen« Kirchen und zeigt sich im Hinblick auf die relativ lose Organisation von »Muslimen« (in Deutschland) problematisch (Kerler 2008: 10). Eine »islamische« Organisation, die als Religionsgemeinschaft anerkannt werden möchte, muss auf eine auf Dauerhaftigkeit abzielende Art und Weise organisiert sein, geregelte Organisationsstrukturen aufweisen (Mitgliederverwaltung, erkennbare Repräsentationsformen und Autoritäten etc.), die religiösen Belange von Gläubigen umfassend erfüllen, allein auf religiöse Zwecke ausgerichtet, verfassungstreu und im Hinblick auf die religiöse Bevölkerung ausreichend repräsentativ sein (Kerler 2008: 10; Dietrich 2006).
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bestand« (Kerler 2008: 13). Damit wirkte die Studie als Legitimation für weitere Institutionalisierungsbestrebungen im Hinblick auf Islamunterricht. Sie kann an dieser Stelle als eine Regierungstechnik verstanden werden, durch die Wissen über die lokale »muslimische« Bevölkerung produziert wurde. Auf Basis der Studie wurde sodann ein Antrag an das bayerische Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung zur Ausarbeitung von Lehrplänen für IRU gestellt, der jedoch »mit Hinweis auf den fehlenden Ansprechpartner in Form einer islamischen Religionsgemeinschaft (durchaus mit Bedauern) [abgelehnt worden ist]« (Dietrich 2006: 123). Aus diesem Grund wurde am 12.12.1999 die Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen e.V. gegründet, die daraufhin »die Einrichtung eines Schulversuchs an zumindest einer der nach dem Ergebnis der Studie in Frage kommenden Erlanger Grundschulen beantragte« (ebd.). Die kommunalpolitisch unterstützte und im CIAG-Netzwerk moderierte Studie (hier zeigt sich die Bedeutung des Dialogforums) wurde also noch im Vorfeld der IRE-Gründung durchgeführt, um die lokale »muslimische« Bevölkerung nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen bezüglich eines einzurichtenden Islamunterrichts sowie auch bezüglich einer zukünftigen lokalen »muslimischen« Vertretungsorganisation als Ansprechpartner für Staat und Schulamt zu befragen. Im Zuge dieser Bedarfserhebung wurden teils auch nicht organisierte »muslimische« Personen außerhalb der Moscheevereine identifiziert und danach gefragt, ob sie hinsichtlich des Ziels einer Repräsentation der »Erlanger Muslime« die Gründung einer neuen »islamischen« Organisation unterstützen würden, die die zwei bisherigen Erlanger Moscheevereine umfasst (Kerler 2008; Interview mit einem Vertreter der TIG und IRE, in: Kerler 2008; Dietrich 2006). Viele »muslimische« Eltern, die ihre Kinder auf Erlanger Grundschulen schickten, sprachen sich für einen Islamischen Religionsunterricht (IRU) aus und begrüßten eine dafür einzurichtende, auf Erlangen bezogene »islamische« Dachorganisation, die sich möglichst unpolitisch diesem Ziel verschreiben würde (Dietrich 2006; Kerler 2008). Überhaupt hätten sich viele der in der Studie befragten »muslimischen« Personen für staatlichen Religionsunterricht ausgesprochen, da sie den existenten »islamischen« Dachverbänden politische Motive unterstellten (Kerler 2008: 15). Gerade jene »muslimische« Personen, die nicht in den Moscheevereinen organisiert waren, wurden in Gesprächsabenden und Einzelbesuchen mit der Idee bekannt gemacht, in Erlangen eine unpolitische, rein religiös ausgerichtete und ethnisch-kulturell plurale »islamische« Dachorganisation zu gründen. Gemäß der Selbstdarstellung der IRE konnten damals viele nicht organisierte »Muslime« von der einzurichtenden IRE überzeugt werden – eine Erzählung, die auch von der lokalen Politik getragen wurde und wird (Kerler 2008: 14ff.; Dietrich 2006: 184ff.). Die IRE-Vertreter/-innen – gleichzeitig Vertreter/-innen der Erlanger Moscheevereine – heben (bis heute) hervor, »dass die ideelle Unterstützung der Gemeinschaft und ihrer Ziele durch die schiitischen und sunnitischen Erlanger Muslime bei nahezu 100 Prozent liegt« (Kerler 2008: 15; vgl. das Interview mit einem IRE-Vertreter, in: Kerler 2008). Vor allem die maßgeblich durch Vertreter/-innen der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) getätigte Outreach-Arbeit – die Befragung »muslimischer« Familien zum Thema »IRU« im Kontext der Sondierungsstudie und die Identifizierung und Einladung »muslimischer« Familien zu Gesprächen über eine zukünftige Organisationsgründung – brachte der IRE den Status als eine für die gesamte »muslimische« Bevölkerung Erlangens repräsentative Organisation ein. Die
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Technik der Outreach-Arbeit bildete folglich den Boden für die Legitimierungsstrategie der IRE. Diesen Status betonen deren Sprecher/-innen, aber auch städtische und in den Dialogforen aktive Vertreter/-innen bis heute. Schließlich seien »muslimische« Gemeindevertreter/-innen regelrecht »von Haus zu Haus« gegangen, um für die IRE als legitime Trägerin von Islamischem Religionsunterricht (IRU) zu werben; auf eine solche Praktik des »Von-Haus-zu-Haus-Gehens« verwiesen Vertreter/-innen der IRE und der lokalen »muslimischen« Gemeinden in einigen der von mir besuchten Dialogsitzungen sowie in informellen Gesprächen (dazu: Kerler 2008). Dietrich schreibt auf Basis von Interviews mit einem Vertreter der IRE und der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V.: »Zur Gründung der Gemeinschaft [IRE] hatte er [der »muslimische« Vertreter] ihm bekannten Muslimen einen Besuch abgestattet, um ihnen in einem persönlichen Gespräch die Zielsetzung und Ausrichtung der Gemeinschaft zu erläutern. Danach waren ausnahmslos alle Gesprächspartner Mitglied geworden.« (2006: 184-185; Herv. J.W.) Gespräche mit »ihm bekannten Muslimen« lassen zunächst darauf schließen, dass v.a. »Muslime« aus dem Gemeindeumfeld befragt wurden, insofern der entsprechende Vertreter in der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. aktiv war und es die organisierten Gemeinden waren, die den Zusammenschluss IRE anstrebten. Doch die an der Bedarfserhebung beteiligten »muslimischen« Gemeindesprecher/innen bemühten sich ferner auch darum, »vom Ausländerbeirat die Adressen [zu] bekommen, bei denen wir vermuteten, dass da auch Muslime dabei sind« (Interview mit einem »muslimischen« Gemeindevertreter, in: Kerler 2008: 39; Herv. J.W.). Die »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen luden die so identifizierten »Muslime« »zu einem Gespräch ein […], [wobei dann] [e]instimmig beschlossen [worden sei], dass wir eine Religionsgemeinschaft gründen (Interview mit einem »muslimischen« Gemeindevertreter, in: Kerler 2008: 39). Auch über eine solche Regierungstechnik der Identifizierung potenzieller »Muslime« über Nachnamen und Adressen wurde versucht, die IRE als Organisation auszurichten, die alle Erlanger »Muslime« adressieren könne. Dabei lief die Identifizierung von »Muslimen« letztlich über die Erfassung von Migrant/-innen, deren Herkunft und/oder Familienname eine »muslimische« Identität vermuten ließ. Diese Personen wurden angeschrieben und zu Gründungsveranstaltungen eingeladen, auch um die später institutionalisierte IRE gegenüber dem Kultusministerium als repräsentativ darstellen zu können. Das Argument, die IRE sei für alle »Muslime« in Erlangen repräsentativ, wurde im Zuge der ersten Erfahrungen mit der Etablierung von IRU und unter Rekurs auf erste »Feedbacks« aus dem »muslimischen« Milieu auch zunehmend plausibilisierbar. So hätte es bereits »bei [der] Einführung des dann nach zwei Wochen abgebrochenen Schulpraktikums an der Schule ›Brucker Lache‹ […] positive Rückmeldungen [gegeben]« (Dietrich 2006: 185), während »[v]on insgesamt 47 muslimischen Kindern […] 45 den Religionsunterricht [besuchten], obwohl weder die Kinder noch die Eltern Mitglied der IRE waren« (Dietrich 2006: 185). Diese »Eltern« und »Kinder«, die keine IRE-Mitglieder waren und geworden sind, konnten als Personen erscheinen (und kommuniziert werden), die wohl auch nicht in den »muslimischen« Gemeinden aktiv sind. Genau auf solche Beobachtungen jedenfalls rekurrierten fortan die organisierten »muslimischen« Vertreter/-innen. Die Erzählung war: Auch »nicht organisierte« Muslime würden beim IRU-Projekt der Erlanger »muslimischen« Organisationen mitmachen wollen. Die große (gemäß der Zählung »muslimischer« Kinder an Erlanger Schulen im
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Kontext der Bedarfsstudie sogar nahezu vollständige) Anzahl an Anmeldungen »muslimischer« Kinder an den ersten Islamunterrichtversuchen wurde ebenso als Hinweis auf die allgemeine Akzeptanz der IRE unter der »muslimischen« Bevölkerung Erlangens gewertet. Eine weitere Beobachtung war, dass sich auch »Eltern anderer Schulen meldeten […] und […] nach einer Möglichkeit [fragten], ihre Kinder ebenfalls zu dem Unterricht zu schicken« (Dietrich 2006: 185). Deshalb »geht Güneysu [›muslimischer‹ Gemeindevertreter aus Erlangen; Anm. J.W.] davon aus, dass, insofern dies notwendig sein sollte, die übrigen Erlanger Muslime ebenfalls Mitglieder der Religionsgemeinschaft werden würden« (Dietrich 2006: 185; Herv. J.W.). Auch für Lähnemann, ein früher regelmäßig in der CIAG aktiver Professor für evangelische Religionspädagogik, vertrete die IRE »die Breite der Erlanger Muslime« (2006: 159). Sie sei von keinem der zwei Erlanger Moscheevereine dominiert, nicht von überlokalen Verbänden beeinflusst, lokal ausgerichtet und würde zudem heterogene »islamische« Strömungen repräsentieren. Die »messbare« offizielle Mitgliederzahl blieb jedoch überschaubar.7 Aus der Perspektive der Stadtpolitik betrachtet, konnte die IRE demnach als perfekter Repräsentant des lokalen »Islam« aufgebaut und als Ansprechpartner für das Ministerium im Sinne der benötigten Religionsgemeinschaft für die Ausarbeitung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) stark gemacht werden. Die Erlanger Integrationsbeauftragte schildert: »Das war natürlich ein sehr pragmatischer und strategisch sehr kluger Weg, zu sagen, okay, das Ziel der islamischen Religionsgemeinschaft ist es, der Ansprechpartner für das Kultusministerium zu sein in Sachen islamischer Religionsunterricht, und hier ziehen wir an einem Strang, unabhängig, was wir sonst für unterschiedliche Auslegungen des Islams haben, ja?« (Interview 1) Über das gemeinsame Ziel eines Islamischen Religionsunterrichts (IRU) auf lokaler Ebene konnten zwei Moscheegemeinden mit heterogenen Mitgliedern (»Muslime« aus arabischsprachigen Staaten, aus dem asiatischen Raum, »türkische« Muslime, Sunniten und Schiiten) zusammengebracht werden, was die IRE aufwertete. Zu diesem Zeitpunkt ging es vorwiegend um den Erfolg des Projekts IRU, der ab 2003 an Erlanger Schulen auch eingeführt wurde. Damals störte noch wenig, dass die IRE überwiegend aus den beiden Moscheegemeinden bestand und damit »nur« den organisierten, tradi-
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Auch wenn die Anzahl fester Mitglieder überschaubar ist, ist die IRE sowohl im Hinblick auf die Herkunft als auch auf die »islamischen« Perspektiven ihrer Mitglieder heterogen zusammengesetzt, wie Dietrich herausgearbeitet hat: »Momentan gehören nur um die 80 von ca. 3.500 in Erlangen ansässigen Muslimen der IRE an. Die Mehrheit von ihnen ist türkischen Ursprungs, es finden sich aber auch andere Nationalitäten (von Bosniern und Albanern über Nordafrikaner bis hin zu Muslimen aus dem Nahen und Mittleren Osten und dem indischen Subkontinent sowie einige Deutsche ohne Migrationshintergrund) unter den Mitgliedern. Neben Sunniten hanafitischer Rechtsschule sind Süleymanci- und Nurculuk-Anhänger sowie Schiiten dem Verein beigetreten. Im Wesentlichen setzt er sich aus Mitgliedern der übrigen islamischen Vereinigungen Erlangens zusammen. Selbst Mitglieder des DITIB angehörenden Türkisch-Islamischen Kulturvereins e.V. sind vertreten.« (Dietrich 2006: 185) IRE-Vorstandsmitglied Güneysu betont hierbei, dass »die Akzeptanz des Vereines jedoch keinesfalls an der Zahl der Mitglieder gemessen werden [sollte]« (ebd.: 184, die Interviews mit Güneysu hielt und ihn auch namentlich nennt).
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
tionellen »Islam« vertrat. Dies sollte aber später noch ein Steuerungsproblem im Dialog werden (vgl. Kapitel 9.4). Sowohl die Studie zur Bedarfserhebung als auch die Outreach-Arbeit »muslimischer« Vertreter/-innen im Vorfeld der IRE-Gründung stellten eine erste »Zählung« der »muslimischen« Bevölkerung in Erlangen dar. Da »Muslime« nicht statistisch erfasst werden, basierten und basieren Angaben zur Größe der »muslimischen« Bevölkerung auf Schätzungen. Die bis heute genutzten Schätzungen gründen sich auf jenen Praktiken der »Vermessung« der lokalen »muslimischen« Bevölkerung, die im Rahmen der Einführung von IRU Anwendungen fanden (Dietrich 2006). So wird angenommen, dass in Erlangen ca. 3.500 Muslime leben, wobei die meisten (2.500 bis 3.000) türkischer Herkunft seien (Kerler 2008: 12).
6.4.2
Die »Erfolgsstory« Erlangen und die Bedeutung des Netzwerk-Triggers der CIAG
Der erste, 1999 gestellte Antrag der neu gegründeten IRE beim Bayerischen Kultusministerium auf die Durchführung von IRU ausschließlich in Erlangen (»Insellösung«) wurde zunächst auf Eis gelegt, da versucht werden sollte, eine bayernweite Lösung zu finden (Güneysu 2006). Die bayerische Regierung organisierte einen »runden Tisch«, an dem verschiedene auf Landesebene aktive »muslimische« Dachorganisationen wie auch die neue Erlanger IRE teilnahmen (letztere war zwar »lokal«, wurde aufgrund ihrer Vorarbeit in Sachen IRU aber eingeladen, so ein IRE-Vertreter in einem Interview mit mir; Interview 4). In der Konsequenz gründete sich 2001 unter Beteiligung Erlanger »muslimischer« Akteure die Islamische Religionsgemeinschaft Bayern, die den Anspruch formulierte, verfassungsrechtlich als Ansprechpartner für Islamischen Religionsunterricht (IRU) auf Landesebene anerkannt zu werden (Kerler 2008: 14). Das Kultusministerium lehnte diese Anfrage der neuen Organisation wiederum ab: »Hauptkritikpunkte waren Bedenken gegenüber der Verfassungstreue von Gründungsmitgliedern sowie die Organisationsstruktur, die nicht den juristischen Anforderungen an eine Religionsgemeinschaft genüge.« (Kerler 2008: 14) Auch eine Nichtteilnahme der DITIB wird als Grund gemutmaßt (Kerler 2008). Im Zuge gerichtlicher Auseinandersetzungen und diverser Sondierungsgespräche wurde letztlich ausgehandelt, dass die Islamische Religionsgemeinschaft Bayern ihren Antrag zurückzieht, dafür aber die lokale Erlanger IRE als Ansprechpartner auf Ebene der Stadt Erlangen akzeptiert wird und einen »Modellversuch Islamunterricht« erarbeitet, der ggf. auf andere Standorte übertragen wird (Dietrich 2006). Bei ihren Bestrebungen, auf städtischer Ebene für einen Schulversuch als staatlicher Ansprechpartner akzeptiert zu werden, erhielt die IRE viel Unterstützung durch die Dialoggemeinschaft der CIAG (Rechtswissenschaftler/-innen, Religionswissenschaftler/-innen und Pädagog/-innen, kirchliche und politische Akteure) (Güneysu 2006; Kerler 2008: 14-15; Dietrich 2006). Da, wie Kerler darstellt, die IRE »von allen Mitgliedern der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft unterstützt wurde, bestand von Anfang an ein gemeinsames Ziel von Oberbürgermeister, Kirchen, Universität und den Muslimen in der Stadt. Auf die breite Unterstützung der Erlanger Akteure konnten die Muslime schließlich auch bei der Zusammenarbeit mit dem Kultusminis-
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Gouvernementalität der Freundschaft
terium bauen. So konnte am Ende eine gemeinsame Lösung für Erlangen gefunden werden.« (Kerler 2008: 14-15; Herv. J.W.) »[Erlangen; Anm. J.W.] ist der Nachweis dafür, dass politische Deregulierung funktioniert. Wenn man also keinen bundesweiten Ansprechpartner findet, dass man trotzdem etwas auf der lokalen Ebene macht. Die Akteure sind da überschaubar und der Flurschaden ist geringer als bei einem Projekt auf Bundesebene, wenn es schief geht.« (Interview mit Behr, in: Kerler: 2008: 49)8 Dieser Pragmatismus bildete den Boden dafür, dass eine lokale »muslimische« Organisation aus Erlangen mit einer Aufgabe betraut wurde, die in der Regel auf Landesebene geregelt wird. Durch die daraus folgenden Kontakte zur Landespolitik wurde die Erlanger IRE als »muslimische« Organisation aufgewertet. Die Einlassung des Staates auf jenen »Versuch« war dabei der Startschuss für eine umfassende Institutionalisierung und symbolische Stärkung »muslimischer« Identität in Erlangen. Das »Erlanger Modell« wurde seitdem auch in weitere Kommunen Bayerns exportiert, wobei Erlangen und die »Erlanger Muslime« als Vorreiter artikulierbar wurden (vgl. Rede der Erlanger Integrationsreferentin, in: TB 10). An den Praktiken der Etablierung von IRU lässt sich auch die enorme integrationspolitische Bedeutung des lokalen interreligiösen Dialogkreises CIAG aufzeigen, der hochrangige politische Akteure versammeln konnte und das »Erlanger Modell« maßgeblich prägte. Dies zeigt gleichzeitig die Bedeutung des Regierungsformats »Dialog mit Muslimen«, der von der CIAG verkörpert wird. Die CIAG artikulierte IRU stets als einen Dialogbeitrag. All dies stellt letztlich die »Erfolgsstory« des Erlanger Dialogs dar. Mit dem Erfolgsnarrativ über einen unter gemeinsamer Anstrengung errungenen Islamunterricht als Akt der Anerkennung der Erlanger »Muslime« wird bis heute das gute Verhältnis zwischen Stadt, Gesellschaft, Kirchen und »Muslimen« (be)greifbar gemacht (TB 6, 10, 20; Interviews 2, 3, 4). Die Gründung einer »muslimischen« Erlanger Dachorganisation traf auf große Unterstützung, sowohl »bei den städtischen Verantwortlichen als auch bei lokalen Politikern und den Großkirchen« (Dietrich 2006: 123). Das schon mit der Gründung der CIAG hervorgehobene kommunalpolitische Ziel, »Muslime« zu einem Teil der Stadtbevölkerung zu machen, fand in der Unterstützung von IRU sowie einem dafür notwendigen »muslimischen« Lokalverband einen Ausdruckskanal, über welchen auch die Rationalität des Dialogs und das darin eingeschriebene Paradigma der Anerkennung von »Islam« (Peter 2010) vermittelt werden konnten. Es war insbesondere die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft, die als Nukleus eines breiten gesellschaftspolitischen Unterstützungsnetzwerks agierte und die die Netzwerkarbeit und die laufenden Aktivitäten der verschiedenen Akteure koordinierte, die in lokaler und überlokaler Politik, Verwaltung, in den Schulämtern, Medien, in wissenschaftlichen Einrichtungen sowie in den »christlichen« und »muslimischen« Gemeinden tätig waren (vgl. Güneysu 2006; Dietrich 2006; Kerler 2008; Behr et al. 2009; Balleis 2008; Interviews 2, 4). Gerade im Hinblick auf die 8
In einer anderen Publikation schreibt (u.a.) Behr: »Bis zum Jahr 2000 galt auch für Bayern die Devise: Keine Insellösungen. Hier haben sich die Verantwortlichen, die heute noch dieselben sind wie damals, durch die Empirie belehren lassen: Doch lieber Deregulierung, kleine Schritte in bestimmten Städten mit einer Sozialstruktur, für den ein Islamunterricht interessant sein könnte, mit dementsprechender Sollbruchstelle … warum nicht?« (Behr et al. 2009: 136)
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Involvierung der Kirchen und der Universität in das Projekt IRU spielte »die ChristlichIslamische Arbeitsgemeinschaft eine wichtige Rolle, weil sie eine gemeinsame Plattform dieser Gruppen und der Erlanger Muslime zur Verfügung stellte« (Kerler 2008: 17). Auch Dietrich konstatiert, dass sich gerade »die über den Christlich Islamischen Arbeitskreis entstandenen Kontakte zu der ortsansässigen Universität [als besonders bedeutsam für die Etablierung von IRU] entpuppen [sollten]« (2006: 123). So kam es gar dazu, dass »dem Arbeitskreis [der CIAG] angehörende Professoren […] zur wissenschaftlichen Begleitung des angestrebten Schulversuchs im Sommer 2002 das Interdisziplinäre Zentrum für Islamische Religionslehre (IZIR) an der Friedrich-AlexanderUniversität [gründeten]« (ebd.: 123). Damit machte die Universität Erlangen-Nürnberg – motiviert durch die CIAG, welcher Wissenschaftler/-innen aus den Bereichen Theologie, Religionswissenschaften, Religionspädagogik und Islamwissenschaften angehörten – einen »Aufschlag«, dem das Kultusministerium nun beinahe folgen musste. »Die Universität [nahm] ihre Arbeit im Bereich Islamunterricht bereits vor Beginn des Modellversuchs auf […]. Für das Kultusministerium und die anderen politischen Akteure dürfte die Entscheidung, das Erlanger Modell zu unterstützen, dank der schon bestehenden wissenschaftlichen Begleitung leichter gewesen sein.« (Kerler 2008: 17) Ab dem Wintersemester 2002/2003 wurde im Kontext des Interdisziplinären Zentrums für Islamische Religionslehre (IZIR) eine Gastprofessur eingerichtet, deren wechselnde Besetzungen religionspädagogische und theologische Grundlagen für die Ausbildung »islamischer« Religionslehrer/-innen an der FAU erkunden sollten (Güneysu 2006; Dietrich 2006: 123-124). Letztlich erfolgte »am 08. Oktober 2002 mit Genehmigung des städtischen Schulamtes und des Schuldirektors der betroffenen Schule unter der Leitung des damaligen Inhabers der Gastprofessur die Einrichtung eines Schulpraktikums an der Grundschule ›Brucker Lache‹, das die Unterrichtung der muslimischen Schüler in islamischer Religion nach einem von der IRE erstellten Lehrplan vorsah« (Dietrich 2006: 124). Aus Sicht eines damaligen IRE-Vorsitzenden ging das Engagement der Universität mit vertrauensvollen Gesprächen zwischen »Muslimen«, Kirchen, Stadt und universitären Akteuren einher, die fast alle im Rahmen der CIAG stattfanden (!) und dort moderiert wurden. Gerade die Perspektiven der »Muslime« konnten im interreligiösen Format der CIAG artikuliert werden (Interview mit Moscheevereinsvertreter Güneysu, in: Kerler 2008; Güneysu 2006; Lähnemann 2006; Balleis 2008; Behr et al. 2009; CIAG-Protokolle). Dietrich spricht von einem engen »gedankliche[n] Austausch zwischen den Professoren, den an einer Ausbildung zum islamischen Religionslehrer interessierten Studenten und den durch die IRE vertretenen lokalen Muslimen« (Dietrich 2006: 124), der ebenso durch das CIAG-Netzwerk entstanden sei. Diese positive Vorstellung von »Austausch« scheint sich zum »Master-Narrativ« über den damaligen Mehrwert der CIAG verdichtet zu haben. In einem Bericht des am »Erlanger Modell« beteiligten und schon früh am IZIR tätigen »muslimischen« Religionspädagogen Behr scheint auf, dass sich die Arbeit der CIAG u.a. an der folgenden Frage orientierte:
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Gouvernementalität der Freundschaft
»Wie wäre es, wenn sich die Universitäten aktiver in die verfahrenen Debatten um islamischen Religionsunterricht einschalten würden? Ließe sich nicht eine Schnittstelle bilden, in der die Fäden wissenschaftlichen, sozialpolitischen, muslimischen und schulbehördlichen Engagements sinnvoller und fruchtbarer zusammengeführt werden könnten als bis dato und andernorts?« (Behr et al. 2009: 136) Dieses »Zusammenführen« von »Fäden« erscheint als Credo des Erlanger Dialogs und der CIAG-Gemeinschaft. So wurde Islamischer Religionsunterricht (IRU) in Erlangen auf eine Weise forciert, die stark auf das Motiv einer dialogischen, »engen« Beziehung zur lokalen »muslimischen« Bevölkerung rekurrierte: die Gründung eines informell organisierten, interreligiös ausgerichteten Arbeitskreises, in dem religiöse (»islamische«) Identität überhaupt einmal thematisiert, mit lokaler Politik zusammengebracht und bedeutsam gemacht werden konnte, dazu das Bemühen um Netzwerkaufbau und Kommunikationsbeziehungen und die dadurch möglich werdende Inszenierung von Islamunterricht als »städtisch-christlich-muslimisches« Gemeinschaftsprojekt. In diesen Verfahrensweisen verdichtete sich jene Regierungsrationalität, die als ein Regieren von »Muslimen« durch (identitätspolitischen) Dialog anzusprechen ist. Dieses Regieren versuchte fortwährend, im Namen der Gleichstellung die Einflussmöglichkeiten der lokalen »muslimischen« Gemeinden innerhalb der Konzipierung von Islamunterricht zu sichern, was einerseits dem Anerkennungsparadigma entsprach und andererseits das »muslimische« Engagement für das Projekt »Islamunterricht« förderte – ein Projekt, in das auch das Ziel der Integration eingeschrieben war (Schmid 2010b; Balleis 2008; CIAG-Flyer; vgl. Interview 2; TB 6). Wie der interreligiöse Dialog selbst wurde auch die Etablierung von IRU in Erlangen stets von der Stadtspitze unterstützt. Der ehemalige SPD-Oberbürgermeister Dietmar Hahlweg unterstützte das Projekt ebenso wie sein CSU-Nachfolger, die beide auch (partiell) in der CIAG aktiv waren (siehe: Kerler 2008). Solche politische »Prominenz« prägte das Bild der CIAG als politisch bedeutsames Gremium, gerade auch auf »muslimischer« Seite. Auf einer Sitzung des Bayerischen Islamforums in etwa sagte ein »muslimischer« Gemeindevertreter aus Erlangen, die Erlanger »Muslime« seien durch die CIAG und das Projekt Islamunterricht »selbstbewusster geworden« (TB 27). Ein »muslimischer« Religionspädagoge, der am »Erlanger Modell« beteiligt war, berichtet von ebensolchen Ermächtigungserfahrungen. Die »muslimische« Seite hätte in Erlangen realisiert, dass auch mehrheitsgesellschaftliche politische Akteure für »muslimische« Belange offen seien, und daraus das Vertrauen geschöpft, sich zu engagieren: »Dass in den Kultusbehörden […] interessierte Fachleute sitzen, die sich durch gute Ideen nicht nur überzeugen, sondern sogar begeistern lassen, war für die beteiligten Muslime eine wichtige, Vertrauen stiftende Erfahrung.« (Behr et al. 2009: 136) Trotz der Unterstützung durch Stadt und Stadtspitze gab es aber auch »genügend gesellschaftliche Kräfte, die Art. 7 komplett aushebeln wollen« (Interview mit Behr, in: Kerler 2008: 50), d.h. die grundsätzlich gegen staatlichen Religionsunterricht und die damit verbundene politische Aufwertung von Religion waren (vgl. Interviews 3, 14; Güneysu 2008, in: Kerler 2008: 40). Einige politische Akteure, so erzählt ein »muslimischer« Gemeindevertreter (und nennt dabei z.B. die Fraktion der »Grünen« im Bayerischen Landtag), wollten keine religiöse Segregation von Kindern in der Schule zulassen (Interview 4). Durchgesetzt hat sich in
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Erlangen aber die religionsbezogene Anerkennungsagenda. Der Erlanger Dialog hätte solche Gegenstimmen nicht zugelassen. Es zeigt sich, wie stark die Idee einer Integration durch religiöse Identität alternative Formen der Involvierung verdrängte – bspw. eine Adressierung von Individuen primär als Staatsbürger/-innen. In Erlangen ging man den Weg einer Integration durch Religion. Dabei trieb die CIAG das »Erlanger Modell« vielfach vermittels informeller Netzwerkarbeit und persönlichen Bekanntschaften voran – in gewissem Sinne in der Form einer »hidden agenda«, wie der am Projekt beteiligte »muslimische« Religionspädagoge Behr formuliert (Interview 2008, in Kerler: 2008: 49). In diese »hidden agendas« wurden die Erlanger »muslimischen« Gemeinden eingebunden (CIAG-Protokolle 04.02.2009, 10.03.2010, 30.06.2010, 27.10.2010, 17.02.2011, 08.06.2011). Dabei konnten sich die CIAG und über diese die Erlanger »muslimischen« Vertreter/-innen sogar in bildungspolitische Entscheidungen einbringen – was auf »muslimischer« Seite bis heute gewürdigt wird. So gab es bspw. Probleme damit, dass in Erlangen tätige Islamlehrer/innen von den Schulämtern zu wenige Stunden für IRU genehmigt erhalten haben. Dies würde die »Verankerung des Projekts« und die »finanzielle Existenzgrundlage« der Islamlehrer/-innen gefährden, so die Diagnose der CIAG (Protokoll 30.06.2010). Dabei ging es v.a. um Islamlehrer/-innen, die die in Erlangen seit 2002 etablierte Ausbildung für Islamische Religionspädagogik am IZIR als »Pioniere« durchlaufen haben. Dass nun gerade diese Lehrer/-innen – als »Verkörperung« der Erlanger Expertise – auch von staatlicher Seite finanziell und organisatorisch entsprechend gewürdigt werden und Stellenverlängerungen erhalten, erhob die CIAG zum Ziel. Daraufhin formierten sich in der CIAG Interventionen, die von Vertreter/-innen der Stadt ebenso wie der Universität getragen wurden. Ein städtischer Vertreter schlug vor, »die Regierung von Mittelfranken wegen der Stundenzahl einzuschalten« (Protokoll 30.06.2010) und das staatliche Schulamt sowie die Bezirksregierung zu kontaktieren. »Sollte dies nicht weiterführen«, so heißt es, »so wird sich Herr [XY] [ein damaliges CIAG-Mitglied] für die CIAG direkt mit Kultusminister Spaenle in Verbindung setzen« (Protokoll 30.06.2010). Im Austausch mit der CIAG stehend, stellte der damalige Inhaber des Lehrstuhls für Islamische Religionspädagogik Islamlehrer/-innen ein Gutachten zum Einreichen beim Kultusministerium aus. Gleichzeitig sollten bisherige Tätigkeiten der Lehrer/-innen im Hinblick auf eine Stellenverlängerung »in einem Referenzpapier von Mitgliedern der CIAG gewürdigt werden« (Protokoll 10.03.2010), das dann ebenso an das Ministerium gehen würde. Es zeigt sich, wie ein informeller interreligiöser Dialogkreis zu einem bildungspolitischen Akteur avancierte, der sich in Einstellungsfragen zumindest einbringen kann. Letztlich konnten die Stundenzahlen von Islam-Lehrer/-innen auch erhöht werden (Protokoll 27.10.2010).9 9
Die CIAG beschäftigt sich bis heute mit dem Thema »IRU«, z.B. hinsichtlich der Ausweitung von IRU auf weitere Schulen, der nach wie vor nicht gelösten Frage der rechtlichen Anerkennung »muslimischer« Organisationen als Religionsgemeinschaften, der Zusammensetzung der »runden Tische« bezüglich der Lehrplanentwicklung und der Lehrer/-innen-Berufung oder im Hinblick auf die Standardisierung der Lehrerausbildung. Dabei wurden immer wieder Treffen zwischen »muslimischen« Vertreter/-innen und politischen Sprecher/-innen, auch auf Landesebene, organisiert. Ein »muslimischer« Vertreter aus Erlangen erinnert sich: »Bei einem Treffen im Rathaus, da war der Islambeauftragte der CSU, Dr. Spaenle [später Kultusminster Bayerns; Anm. J.W.], dabei, Joachim
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Gouvernementalität der Freundschaft
Die kollektive Artikulation der Interaktionen zwischen lokaler Politik, Kirchen, Universität und »muslimischen« Vereinen als ein »An-einem-Strang-Ziehen« konnte, so meine These, auch deshalb wirksam werden, weil sich die »muslimischen« Gemeinden im Kontext der Dialogbemühungen und der Einführung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) dem Integrations- und Sicherheitsparadigma unterwarfen (Tezcan 2007; Husseini et al. 2010). Gerade die »muslimische« Seite artikulierte IRU vielfach als Beitrag zur Integration und internalisierte dabei integrationspolitisches Wissen. So vermochten die »muslimischen« Repräsentant/-innen die Einführung von IRU als einen Akt zu rahmen, der nicht nur »Islam« in Erlangen stärken, sondern auch der Gesamtgesellschaft im Sinne einer Integrationsarbeit zugutekommen würde.
6.5
Die Unterwerfung unter das Integrations- und Sicherheitsparadigma und die Widerstände gegen diese Mechanismen
Der auf Deutsch gehaltene Islamunterricht nach »Erlanger Modell« behandelt religiöse Aspekte ebenso wie integrationspolitische Fragen. Beispielsweise »wird großer Wert auf die Probleme der Ausübung des islamischen Glaubens in einer nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft, den Umgang mit Nichtmuslimen und den auch dem Islam immanenten Wert ›Toleranz‹ gelegt« (Dietrich 2006: 122-123; Kerler 2008; Güneysu 2006). Immer wieder wird IRU als Instrument artikuliert, das Integration sicherstellen solle. In Bezug auf IRU »bestand auf Landesebene genereller Konsens darüber, dass Islamunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz langfristig ein Mittel zur besseren Integration der Muslime in Bayern sei. Dies zeigt ein Antrag aller Fraktionen des Bayerischen Landtags vom 26.10.2000, also der CSU-, SPD- und Grünen-Fraktion.« (Kerler 2008: 16) Auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Integrationspolitiken stellte der damalige Erlanger Oberbürgermeister Siegfried Balleis das »Erlanger Modell« vor und artikulierte die Einführung von IRU als eine von Erlanger »Muslimen« getragene Integrationsmaßnahme, die mit einer raumbezogenen Veränderung von »Islam« einhergehen würde. Er schreibt: »Langfristiges Ziel kann aus unserer Sicht jedoch nur sein, dass ein in Europa, Deutschland, Bayern entwickelte Inhalte [sic!] eines ›Euro-Islams‹ für alle Muslime (nicht nur für türkische) in deutscher Sprache von in Bayern ausgebildeten islamischen Religionslehrern vermittelt wird. Dazu hat Erlangen mit der IRE erste, und wie ich hoffe, richtige Schritte eingeleitet.« (Balleis 2008: o.S.) Ein solcher (bayerischer) »Euro-Islam« solle »Muslime« und Gesellschaft verbinden, die bisher noch »meilenweit voneinander entfernt« seien, wie Güneysu konstatiert (2006:
Herrmann [Bayerns Innenminister; Anm. J.W.], Landtagsabgeordneter Vogel [CIAG-Mitglied; Anm. J.W.] und auch der damalige Rektor [der Universität, Anm. J.W.] […].« (Interview mit R.G. 2008, öffentlich publiziert in: Kerler 2008: 40; dazu: CIAG-Protokolle 04.02.2009, 10.03.2010, 30.06.2010, 27.10.2010, 17.02.2011, 08.06.2011)
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Die kollektive Artikulation der Interaktionen zwischen lokaler Politik, Kirchen, Universität und »muslimischen« Vereinen als ein »An-einem-Strang-Ziehen« konnte, so meine These, auch deshalb wirksam werden, weil sich die »muslimischen« Gemeinden im Kontext der Dialogbemühungen und der Einführung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) dem Integrations- und Sicherheitsparadigma unterwarfen (Tezcan 2007; Husseini et al. 2010). Gerade die »muslimische« Seite artikulierte IRU vielfach als Beitrag zur Integration und internalisierte dabei integrationspolitisches Wissen. So vermochten die »muslimischen« Repräsentant/-innen die Einführung von IRU als einen Akt zu rahmen, der nicht nur »Islam« in Erlangen stärken, sondern auch der Gesamtgesellschaft im Sinne einer Integrationsarbeit zugutekommen würde.
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Die Unterwerfung unter das Integrations- und Sicherheitsparadigma und die Widerstände gegen diese Mechanismen
Der auf Deutsch gehaltene Islamunterricht nach »Erlanger Modell« behandelt religiöse Aspekte ebenso wie integrationspolitische Fragen. Beispielsweise »wird großer Wert auf die Probleme der Ausübung des islamischen Glaubens in einer nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft, den Umgang mit Nichtmuslimen und den auch dem Islam immanenten Wert ›Toleranz‹ gelegt« (Dietrich 2006: 122-123; Kerler 2008; Güneysu 2006). Immer wieder wird IRU als Instrument artikuliert, das Integration sicherstellen solle. In Bezug auf IRU »bestand auf Landesebene genereller Konsens darüber, dass Islamunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz langfristig ein Mittel zur besseren Integration der Muslime in Bayern sei. Dies zeigt ein Antrag aller Fraktionen des Bayerischen Landtags vom 26.10.2000, also der CSU-, SPD- und Grünen-Fraktion.« (Kerler 2008: 16) Auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Integrationspolitiken stellte der damalige Erlanger Oberbürgermeister Siegfried Balleis das »Erlanger Modell« vor und artikulierte die Einführung von IRU als eine von Erlanger »Muslimen« getragene Integrationsmaßnahme, die mit einer raumbezogenen Veränderung von »Islam« einhergehen würde. Er schreibt: »Langfristiges Ziel kann aus unserer Sicht jedoch nur sein, dass ein in Europa, Deutschland, Bayern entwickelte Inhalte [sic!] eines ›Euro-Islams‹ für alle Muslime (nicht nur für türkische) in deutscher Sprache von in Bayern ausgebildeten islamischen Religionslehrern vermittelt wird. Dazu hat Erlangen mit der IRE erste, und wie ich hoffe, richtige Schritte eingeleitet.« (Balleis 2008: o.S.) Ein solcher (bayerischer) »Euro-Islam« solle »Muslime« und Gesellschaft verbinden, die bisher noch »meilenweit voneinander entfernt« seien, wie Güneysu konstatiert (2006:
Herrmann [Bayerns Innenminister; Anm. J.W.], Landtagsabgeordneter Vogel [CIAG-Mitglied; Anm. J.W.] und auch der damalige Rektor [der Universität, Anm. J.W.] […].« (Interview mit R.G. 2008, öffentlich publiziert in: Kerler 2008: 40; dazu: CIAG-Protokolle 04.02.2009, 10.03.2010, 30.06.2010, 27.10.2010, 17.02.2011, 08.06.2011)
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
210), ein »muslimischer« Mitstreiter im »Erlanger Modell«. Die im Erlanger Dialog aktiven »muslimischen« und »nicht muslimischen« Akteure reproduzieren diese Rahmung von IRU als integrationspolitisches Instrument. Wie Kerler schreibt, erkennt Güneysu, ein zentraler Agenda-Setzer des »Erlanger Modells« und ein bis heute aktiver Vertreter einer »muslimischen« Gemeinde in Erlangen, »die Aufgabe des Islamunterrichts darin, einen erzieherischen Beitrag zur Integration auf der Basis des Grundgesetzes und der bayerischen Verfassung zu leisten« (Kerler 2008: 11). Als »muslimischer« Vertreter präsentiert sich Güneysu hier als eine Person, die umfassend über den Zusammenhang zwischen Religionsunterricht, Identitätspolitik und Integration nachdenkt. Für ihn habe IRU den Effekt einer gesellschaftlichen Integration durch Identitätsstärkung. »Die Kinder gehen jetzt bewusster aufeinander zu. Die Lehrkräfte haben in der Schule die Brückenfunktion übernommen. Von christlicher, aber auch von islamischer Seite. Die vermitteln den Kindern die Religionen so gut. Früher, wenn da auf der Straße zwei Gruppen von Türken und Deutschen aufeinander zu gegangen sind und irgendein Türke hat da Streit vorher mit den Deutschen gehabt, dann hat er zu den anderen gesagt: ›Mensch, helft mir doch! Was für Muslime seid ihr?‹ Ob die nach Islam leben oder nicht, das war kein Thema. Aber sie wussten, dass sie von islamischer Herkunft leben, und deswegen beziehen sie sich auf Islam. Ohne zu wissen warum. Aber jetzt lernen sie das. Und Ahmed weiß, dass neben ihm Peter sitzt, dass er ein Christ ist und eine andere Religion hat, und das muss er so akzeptieren, das lernt er auch. Und daher ist das Zusammenleben der Kinder besser geworden.« (Interview mit Güneysu, in: Kerler 2008: 46) Derartige auf »Unwissen« beruhende Mobilisierungen religiöser Identitäten im Kontext von Gruppenbildungsdynamiken sollen, so Güneysu, mittels einer Reflexion im Religionsunterricht abgebaut werden. Diese Reflexion zielt darauf ab, die Grundlage für einen interreligiösen und interkulturellen Dialog in einer pluralen Gesellschaft zu bilden. Daneben diene die Fundierung »islamischer« Identität im Kontext von IRU der Neuausrichtung selbiger als Teil einer »deutschen« Identität (Güneysu, in: Kerler 2008): »In den Medien wird ja öfter gefragt, ob der Islam mit dem Grundgesetz von Deutschland vereinbar ist. In diesem Unterricht zeigen wir, dass es vereinbar ist. Wir versuchen die Kinder nach dem deutschen Grundgesetz zu erziehen. Dass sie ihren islamischen Glauben in diesem Land sehr gut leben können.« (Güneysu, in: Kerler 2008: 47) Die Problembeschreibung, die der Erlanger »muslimische« Vertreter in einem eigenen Beitrag aus dem Jahr 2006 (re-)produziert, liest sich geradezu alarmierend: »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Seit die ersten Gastarbeiter vor 45 Jahren nach Deutschland kamen, gab es keine Anstrengungen zur Integration der Gastarbeiter in diese Gesellschaft. Um die versäumte Integration aufzuholen, müssen wir allmählich in den Schulen damit beginnen […]. Die Kinder sollen ihre Religion nicht in Vereinen hinter verschlossenen Türen, sondern unter staatlicher Aufsicht in den Schulen unterrichtet bekommen, damit Parallelgesellschaften wie in Frankreich vermieden werden.« (Güneysu 2006: 215) In einem namentlich veröffentlichten Interview ergänzte Güneysu:
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Gouvernementalität der Freundschaft
»Wir müssen mit der Erziehung in der Schule anfangen. Die Kinder sollen gegenseitig ihre Religion kennen lernen. Wenn wir von Anfang an den Kindern lernen, wie wir miteinander leben müssen, die anderen akzeptieren müssen, tolerieren müssen und auch zu den Grundgesetzen stehen müssen […]. Und meine 32-jährige Erfahrung in Deutschland zeigt: So was wird in den ausländischen Vereinen nicht gemacht. Versucht man den Kindern Religion beizubringen von Menschen, die aus dem Ausland kommen, die diesen Blick nach Westen nicht haben, die bringen den Kindern diese Integrationsarbeit nicht. Deshalb ist Islamunterricht ein guter Baustein der Integrationsarbeit, den man in der Schule benutzen soll […].« (Güneysu, in: Kerler 2008: 37) Es zeigt sich, wie sehr »Muslime« das Integrationsparadigma aufgreifen und über Integrationszusammenhänge Bescheid wissen (müssen), um politisch überzeugend agieren zu können. Der Erlanger »Islam«-Vertreter reproduziert die Vorstellung desintegrierter »Muslime« und steht im Einklang mit dem hegemonialen öffentlichen Diskurs (vgl. Kapitel 3) für eine Versicherheitlichung der »islamischen« Erziehung ein, die aber gleichzeitig, insofern sie in das Bildungssystem integriert wird, an eine Anerkennung »islamischer« Identität anschließen könne. Immer wieder weist er darauf hin, dass »der Islamunterricht […] einen erzieherischen Beitrag für die Integration der muslimischen Schülerinnen und Schüler […] in die Gesellschaft« (Güneysu 2006: 210) leistet: »Unter Integrationsarbeit verstehe ich, den Kindern ein Heimatgefühl zu vermitteln. […] Und auch zu vermitteln, dass sie hier in einem islamischen Kreis in einem christlichen Land leben. Und da muss man auch die Religion einbinden, [sonst] schwimmen die Kinder zwischen zwei Welten und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen.« (Güneysu 2008, in: Kerler 2008: 37) IRU würde auch die interreligiöse Kompetenz der Kinder stärken. So hätten »muslimische« Kinder in Erlangen seit der Einführung von IRU keine Probleme mehr damit, an Kirchenbesuchen in der Schulzeit teilzunehmen (Interview mit Güneysu, in: Kerler 2008: 43). »Muslime« bzw. »muslimische« Organisationen werden im Kontext ihrer Mitarbeit am Religionsunterricht vielfach dazu aufgerufen, ihre Glaubensperspektiven nicht nur im Rückgriff auf die »islamische« Tradition zu konservieren, sondern im Lichte neuer Fragen des interkulturellen und interreligiösen Zusammenlebens zu reflektieren (Schmid 2010b). Gesellschaft und Politik mobilisieren die Regierungstechnik des IRU, um »muslimische« Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, »sich mit ihrer muslimischen Identität in einer kulturell pluralistischen […] Welt zurechtzufinden« (Badawia 2012: 206), »[zu] lernen, sich mit ihrem nichtmuslimischen Umfeld zu verständigen« (Interview mit Behr, in: Kerler 2008: 54) sowie »in und durch die Aneignung der religiösen Grundlagen des Islam […] aktive Mitglieder der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu werden« (Schiffauer 2003: 123). Vielfach verschreiben sich die beteiligten »muslimischen« Vertreter/-innen genau diesen Zielen, indem sie, wie Schiffauer anmerkt, »[ihr] Engagement für einen Religionsunterricht in Deutschland in einer Sprache [artikulieren], die die politische Kultur der Republik reflektiert« (ebd.: 127). Insofern die Vermittlung zwischen säkularer Umwelt und »muslimischer« Identität als spannungsvoll imaginiert wird, sei es Aufgabe der Religionspädagogik, diese Spannung zu lösen, um gesellschaftsfähige »muslimische« Subjekte zu fördern, für
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
die ihr Glaube kein Hindernis im »erfolgreichen« gesellschaftlichen Partizipieren ist (Schmid 2010b: 138). Über religiöse Erziehung sollen »Muslime« jene säkulare, plurale, freiheitlich-demokratische Ordnung, in der sie leben, für sich verständlich machen und in ihren Glauben integrieren können (Rochdi 2008; Behr 2011, 2013a). Schmid betont die integrationspolitische Bedeutung von IRU und der sich im Aufbau befindlichen »islamischen« Theologie in Deutschland: »Für zahlreiche Fragen muslimischer Identitäten in säkularisierten Gesellschaften fehlte bislang ein Ort, an dem sie diskutiert werden konnten. Das hat sich mittlerweile geändert. So gesehen ist der Wunsch verständlich, dass es sich bei der islamischen Religionspädagogik, die sogar eine Art Leitfunktion für die in Deutschland im Entstehen begriffene islamische Theologie übernimmt, nicht um eine ›Sonderdisziplin für Sonderlinge‹ (Behr 39) handeln soll, sondern um ein gleichermaßen interdisziplinäres wie gesellschaftlich verwurzeltes Unternehmen. Die Öffnung zur Pädagogik und zur Interdisziplinarität ist auch ein Schritt zur Anerkennung säkularer Wirklichkeitsbereiche, die nicht von vornherein einer religiösen Deutungshoheit unterliegen […]. Der IRU trägt somit zur Verständigung und Artikulationsfähigkeit der Muslime in der Sprache des Einwanderungslandes und zu einer Kontextualisierung des Islams bei. Es geht nicht einfach um starre Traditionsweitergabe oder Anwendung der Glaubenslehre, sondern die hier lebenden Kinder und Jugendlichen werden als Subjekte in den Blick genommen. Da der IRU eben nicht in erster Linie reproduzierenden, sondern reflektierenden Charakter hat, eignet er sich zum Aufbau zeit- und ortsgemäßer muslimischer Identitäten. Spätestens im IRU wird der Islam nicht mehr primär den Herkunftskulturen zugeordnet, sondern klar dem Einwanderungsland selbst!« (Schmid 2010b: 138-139; Herv. J.W.) Die Etablierung Islamischen Religionsunterrichts (IRU) und einer »islamischen« Theologie werden als Grundlagen dafür erachtet, dass »Muslime« in Deutschland an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben können, wie z.B. auch in einem mir vorliegenden Dringlichkeitsantrag des Erlanger Stadtrats aus dem Jahr 2010 im Kontext der Bewerbung als Standort für ein »islamisch«-theologisches Institut ersichtlich wird. Mit Blick auf die religiöse Erziehung von »Muslimen«, so der an der Entwicklung des Erlanger Schulversuchs beteiligte Behr, »wollen [wir] die Dichotomie ›Muslime und die Anderen‹ [die Behr zufolge aus der islamisch-religiösen Tradition heraus bestärkt werden könnte; Anm. J.W.] komplett herunter brechen. Der Blick soll sich universal auf den Mitmenschen richten.« (Interview mit Behr, in: Kerler 2008: 54) Insofern die Mitmenschen »andere« Identitäten aufweisen mögen, müsse das »muslimische« Subjekt einen offenen Umgang mit Differenz in die eigene Identität einbauen können. Der Unterricht, so Behr, ist deshalb »interkulturell und interreligiös angelegt« (Interview mit Behr, in: Kerler 2008: 57), wobei »Interreligiösität […] Hauptprinzip im Lehrplan [ist]« (ebd.). Hier zeigt sich, wie der IRU Subjekte produziert, die sich in das Regierungsformat Dialog einfügen lassen. In diesem Zusammenhang müsse im IRU auch eine (historisch-)kritische Haltung gegenüber religiöser Wahrheit befördert werden: eine Haltung, die es dem Subjekt ermöglicht, religiöse Traditionen für (neue) Fragen der Partizipation an einer »nicht islamischen« Gesellschaft fruchtbar zu machen. Behr schreibt:
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Gouvernementalität der Freundschaft
»Deshalb legen wir Wert auf Diskursfähigkeit, deskriptiven und keinen normativen Unterricht, das Hinterfragen und die Historizität. Das sind Punkte, die frommen Muslimen wehtun können, weil man in gewisser Weise von einer anderen Seite an die Religion herangeht. Meine Studentenschaft honoriert das. Das sind Lernprozesse, aber die Studenten folgen diesem Prozess.« (Interview mit Behr, in: Kerler 2008: 53) Die integrationspolitische Rahmung von IRU ist immer auch eine sicherheitspolitische (vgl. Kapitel 3). So verschrieben sich die Erlanger Dialogaktiven wie auch die »muslimischen« Akteure den sicherheitspolitischen Erwartungen der Gesellschaft und zeigten sich nicht nur als »integrationskompetent«, sondern auch als »Expert/-innen« bspw. für Prozesse der Radikalisierung. Damit konnten sie der Forderung nach IRU Nachdruck verleihen und im Feld des Dialogs eine weitere Sprecherposition erlangen. Das Argument von IRU als Extremismusprävention war über die ganzen 2000er Jahre präsent. So steht in einer Mitteilung des Bayerischen Kultusministeriums vom 21.01.2015 in Bezug auf Aussagen Horst Seehofers, »der Islamunterricht sei ein Beitrag zur Integration und überall hoch anerkannt«.10 Seehofer zitierend, heißt es weiter: »Es geht nicht um klassischen Religionsunterricht, sondern um staatlich kontrollierte Aufklärung, damit sie nicht in falschen Händen stattfindet.« (Seehofer-Zitat, Quelle: siehe vorherige Fußnote) In einem Beitrag in den Nürnberger Nachrichten vom 27.06.2015 (»Der Wille fehlt« von Volkan Altunordu) heißt es, die »Religionsvermittlung im Klassenzimmer wird von vielen […] als […] Voraussetzung für eine gelungene Integration ins Feld geführt« sowie als Mittel, »um das Abdriften junger Muslime in den Extremismus zu verhindern«. In Erlangen war die sicherheitspolitische Rahmung ebenso dominant. Im CIAG-Protokoll vom 15.09.2006 wird das Thema »IRU« sicherheitspolitisch artikuliert, wenn geschrieben steht, »dass ein ordnungsgemäßer islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache verfassungsgemäß unter staatlicher Verantwortung […] die Gefahr der Fehlleitung junger Menschen durch unkontrollierte Indoktrination ausschließt, auf jeden Fall wesentlich mindert«. Ein »muslimischer« Vertreter der IRE argumentierte entsprechend, es läge »im Interesse aller Beteiligten, nicht zuletzt der Muslime selbst, dass etwaige extremistische Einflüsse von der Konzeption und Ausführung eines Islamischen Religionsunterrichts ferngehalten werden« (Güneysu 2006: 213). So basiert das »Erlanger Modell« auf Kooperationsformen, die »sowohl den Muslimen die Definitionshoheit über ihre Glaubenssätze [belassen] als auch die Sicherheitsbedürfnisse des Staates realisier[en]«, wie IRE-Vorstand Güneysu betont (2006: 213; vgl. auch: Balleis 2008). Es wurde von »muslimischer« Seite akzeptiert, dass »man dem Staat entgegen[komme], der immer wissen will, wer was unterrichtet (Fundamentalismus, Schläfer, Terroristen, menschenverachtende Ideologie)« (Interview mit Behr, in: Kerler 2008: 50). Behr und Rochdi, lokale (»muslimische«) Vorreiter im »Erlanger Modell«, schreiben in einem Aufsatz von »muslimische[n] Schüler[n], die mit der Kollision zwischen den tradierten Werten des Elternhauses und dem deutschen Schulalltag oft überfordert sind« (Behr et al. 2009: 139), und merken an, dass »der Islamunterricht […] ihnen Möglichkeiten
10
www.km.bayern.de/eltern/meldung/3200/bayern-geht-beim-islamunterricht-seinen-eigenenweg-weiter.html, (01.03.2016).
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
aufzeigen [kann], wie man in Deutschland gleichzeitig als guter Muslim und als mündiger Bürger leben kann […]« (ebd.). Hierbei haben die Autor/-innen »das Gefühl, dass die Zeit davonläuft und die verlockenden Angebote eines ideologisierten, schwarz-weiß zeichnenden Islam in dieses Vakuum vorstoßen wollen« (ebd.). Auch eine städtische Referentin aus Erlangen hob in einer gemeinsamen Stellungnahme mit einem »muslimischen« IRE-Vertreter den Religionsunterricht als Prävention hervor: »Durch den Islamunterricht an unseren Schulen werden sie [»muslimische« Kinder; Anm. J.W.] über ihren Glauben informiert. Sie werden gestärkt gegenüber Radikalen, die den Islam für Gewalt ausnutzen wollen und damit missbrauchen.« (Stadt Erlangen 2015) Ein »muslimischer« Gemeindevertreter artikulierte dabei in einem Interview mit mir die flächendeckende Einführung von Islamunterricht als sicherheitspolitische Notwendigkeit und legitimierte dies damit, »dass es momentan auf islamischer Seite kocht« (Interview 2): »Es kocht, und das Kochen im Inneren hat auf der Oberfläche das Thema ›Salafismus‹ gebracht.« (Interview 2) Es »koche« im »muslimischen« Feld, da sich viele junge »Muslime« gesellschaftlich ausgegrenzt fühlen und daher den Botschaften radikaler Islamisten verfallen, die eine Abgrenzung gegenüber einer vermeintlich islamfeindlichen Gesellschaft propagieren: »Das Ignorieren von Muslimen macht die jungen Leuten sehr wütend, und die sehen ihre Gefühle sozusagen, dass wir in der Gesellschaft abgelehnt werden, immer mehr und mehr bestätigt. […] [Dies erzeuge] Wutgedanken – ich würd nicht sagen Extremismus, weil Extremismus ist die nächste Stufte. Erst beginnt die Wut und dann kommt der Extremismus meistens.« (Ebd.; dazu auch: IG 1). Im Sinne dieser Argumentation sprachen sich »muslimische« und »nicht muslimische« Dialogaktive aus Erlangen auf einer am 06.11.2014 unter Anwesenheit des damaligen Kultusministers abgehaltenen Sitzung des Bayerischen Islamforums in München gemeinsam für den Islamunterricht als ein Mittel gegen islamistischen Extremismus aus (TB 6; das Islamforum wurde von einem Erlanger Co-Moderator der CIAG und des FMGE comoderiert und von einigen Erlanger Dialogaktiven besucht u.a. meine Interviewpartner/-innen 2, 6 und 8). Diese Argumentationsfigur wurde in den Erlanger Dialogkreisen vorbereitet, was die Verknüpfung zwischen den politischen Aktionsebenen illustriert. Die genannten Beispiele zeigen allesamt, wie sich »muslimische« Sprecher/-innen in Fragen von Extremismus und Radikalisierung bilden und kompetent als »Extremismusexpert/-innen« auftreten, um die Ziele der Institutionalisierung von »Islam« verfolgen zu können. Diese Internalisierung von integrations- und sicherheitspolitischen Zielen ist nicht auf das Handlungsfeld IRU beschränkt, sondern prägt bis heute das gesamte »muslimische« Engagement im politischen Feld des kommunalen und überkommunalen Dialogs. Ein auch in Erlangen wirksamer Diskurs, so kann resümiert werden, artikulierte religiöse Bildung und darüber eine »Klärung« und Stabilisierung kultureller und religiöser Identitäten als zentrales Mittel gegen Desintegration und Radikalisierung. Unter diesen Vorzeichen verfolgt der IRU das gleiche (pädagogische) Ziel wie die Regierungsform des »Dialogs mit Muslimen« im Allgemeinen (Peter 2010). Stets geht es um Identitätsstabilisierung durch einen identitätsübergreifenden Dialog, in welchem einzelne Identitäten anerkannt und als Teil eines gesellschaftlichen Ganzen verstehbar gemacht werden können. Die Technik IRU zielt wie das Regieren durch Dialog auf die
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Gouvernementalität der Freundschaft
Formung des sich »seiner-selbst-bewusste[n] Muslim[s]« (Tezcan 2007: 68). »Muslimische« Kinder, die IRU genossen haben, »wissen sich als Muslime zu erkennen zu geben« (Güneysu 2006), wie Güneysu darstellt. Und gerade dadurch werden sie dialogkompatibel. In diesem Sinne konnte die Einführung von IRU in Erlangen als eine Übersetzung des seit den 1990er Jahren mit der CIAG institutionalisierten Dialogprogramms begriffen werden. Um »erfolgreich« zu sein, müssen sich »Muslime«, die nach Institutionalisierung streben, in die Diskurse um die Ausgestaltung freiheitlich-demokratischer und aufgeklärter Gesellschaftsordnungen einbringen (Schiffauer 1997a, 2003; Badawia 2012). Gerade der Religionsunterricht wirkt hier als eine Machttechnologie zur Engführung von »Islam« als eine civil religion (Schiffauer 1997a): als moralische Grundlage zur Sicherstellung der bürgerschaftlichen Eignung von »Muslimen«. Die Rahmung von »Islam« als integrationsfördernde Religion taucht in den gegenwärtigen Diskursen um interreligiösen Dialog, Religionspädagogik und eine neue Islamische Theologie in Deutschland vielfach auf (Schiffauer 1997a; Schu 2012; Behr 2012a). Diese Rahmung überdeckt dann alternative Begründungslogiken für IRU, z.B. moral- oder demokratiephilosophische Argumente für eine Anerkennung des »Islam«. Stattdessen wird eine solche zum Integrationsinstrument gemacht. Die Tatsache, dass ein entsprechend integrationspolitisch argumentierender Aufsatz wie jener von Schmid (2010b) auf der Internetseite der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE) verlinkt ist (Stand 20.08.2018), zeigt, wie »muslimische« Gemeinden die integrationspolitischen Ziele mittragen (Kerler 2008; Schmid 2010a, b; CIAG-Protokoll 19.06.2012). Schließlich ist ein pädagogisch anschlussfähig formulierter, auf Gesellschaftskompatibilität geprüfter »Islam« in den Bildungsinstitutionen verankerbar, was eine enorme symbolische Anerkennung »muslimischer« Präsenz erzeugt, die alle Seiten anstreben (vgl. BBMFI 2005; Behr et al. 2009). Auf solche Anerkennungseffekte können sich, so meine These, »muslimische« und »nicht muslimische« Positionen trotz problematischer (da »Islam« mit Problemen verknüpfender) »Framings« einigen. Doch diese Einigungen zeigen manchmal auch Risse, insofern sich gegen solche integrationspolitischen Engführungen Widerstände identifizieren lassen. Schon die Beteiligten des »Erlanger Modells« selbst hätten damals lange Zeit darum gerungen, in dieser Hinsicht »eine gemeinsame ›Sprache‹ zu finden« (Behr et al. 2009: 137), die die religiösen und integrationspolitischen Perspektiven auf IRU integrieren könnte. Auf einer Sonderseite in den Nürnberger Nachrichten zum Thema Islamischer Religionsunterricht vom 27.06.2015, auf der die Situation in Nürnberg, in Erlangen sowie bayernweit diskutiert wurde, lassen sich deutliche Widerstände gegen eine sicherheitspolitische Vereinnahmung ausmachen.11 Die Motivation zur Einführung von IRU sollte eben nicht die Eindämmung von Extremismus, sondern eine Anerkennung des »Islam« sein, so eine Konrektorin einer Nürnberger Realschule. Hierzu schreibt Altunordu: »Ein Menschenrecht, das sich ohne Wenn und Aber aus dem deutschen Grundgesetz ergibt, wird somit degradiert zu einem politisch nützlichen Mittel zum Zweck.« (»Der Wille fehlt«, 11
Mit den Beiträgen »Wo Allah seinen Platz im Lehrplan hat«, »Der Wille fehlt« und »Essen statt erobern« von Volkan Altunordu sowie dem Artikel »Föderaler Flickenteppich: Von ›Islamkunde‹ bis ›Religion für alle’« (Nürnberger Nachrichten vom 27.06.2015).
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Nürnberger Nachrichten 2015) Entsprechend kritisierte ein DITIB-Funktionär auf einer Sitzung des Bayerischen Islamforums am 26.02.2016 in Nürnberg (an der auch Erlanger Dialogakteure partizipierten) die bayerische Regierung und warf dieser vor, im Kontext von IRU den »Muslimen« die Deutungshoheit über ihren Glauben zu nehmen und folglich Grundrechte zu missachten.12 Einige Erlanger Dialogakteure, z.B. ein am Erlanger Department Islamisch-Religiöse Studien arbeitender »muslimischer« Religionspädagoge, formulierten dazu jedoch Gegenkritik und mahnten an, dass für das Wohl »muslimischer« Kinder die »muslimischen« Verbände und Gemeinden staatliche Interessen nun mal integrieren müssten. Hier zeigt sich, dass die »muslimische« Seite in Erlangen sicherheitspolitische Anforderungen eher akzeptiert (Quellen: Interviews 15, 16; informelle Gespräche mit Interviewpartner 8; vgl. auch den Beitrag in den Nürnberger Nachrichten vom 29.02.2016 »Reguläre Islamklassen sollen Modellversuch ablösen« von Michael Kasperowitsch, in dem der genannte Konflikt beschrieben ist. Dieser Beitrag wurde auch via E-Mail-Verteiler innerhalb der Dialognetzwerke Erlangens verschickt.). Ferner äußerten in Erlangen einige »muslimische« Eltern gegenüber der Integrationsbeauftragten, dass ihnen der IRU-Lehrplan zu liberal sei. Hier hielt die Integrationsbeauftragte dagegen und artikulierte die Einführung von IRU als gewollte Liberalisierung eines konservativen »muslimischen« Milieus (Interview 1). Auch berichtet ein »muslimischer« Vertreter, der in der TIG Erlangen und in der IRE aktiv ist, dass innerhalb der Erlanger »muslimischen« Gemeinden durchaus die »Befürchtung [existiert], dass Nichtmuslime durch die Bestimmung von Lehrplaninhalten Einfluss auf die islamische Glaubenslehre nehmen können« (Güneysu 2006: 213). Nicht zuletzt artikulierten sich Widerstände gegen das Engagement für IRU aus einer Perspektive der Enttäuschung heraus. So scheinen einige »Muslime« aus den Erlanger Gemeinden derzeit der Ansicht zu sein, dass das ehrenamtliche und kraftraubende Engagement für IRU letztlich doch zu wenig einbringen würde, da »muslimische« Organisationen trotz nun vorhandenem Unterricht rechtlich nach wie vor nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt werden (Quelle: IG 6).
6.6
Integration als religiöse Pflicht und die Konstitution von »Muslimen« als »Sicherheitsberater/-innen«: Internalisierung von Erwartungen im Führungs- und Selbstführungsfeld »Dialog«
Die beschriebenen Prozesse der Internalisierung gesellschaftlicher Erwartungshaltungen durch »Muslime« sind nicht auf das Handlungsfeld IRU beschränkt, sondern durchziehen das weite Führungs- und Selbstführungsfeld des »Dialogs«. In vielen Kontexten arbeiten die im Erlanger Dialog aktiven »Muslime« an ihrer eigenen Integration und nehmen sich der Themen »Extremismus« und »Prävention« an (Interviews 3, 10). Die Problembereiche Integration und Sicherheit drängen sich quer zu den Themen und
12
Vgl. zu seinen Thesen und Kritikpunkten einen Beitrag auf seinem Blog, in welchem er anmahnt, dass im bayerischen Lehrplan für IRU sogar religiöse Glaubenssätze integrationspolitisch motiviert verändert werden: http://murat-kayman.de/2016/02/02/mia-san-verfassungswidrig/, (01.03.2016).
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6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Nürnberger Nachrichten 2015) Entsprechend kritisierte ein DITIB-Funktionär auf einer Sitzung des Bayerischen Islamforums am 26.02.2016 in Nürnberg (an der auch Erlanger Dialogakteure partizipierten) die bayerische Regierung und warf dieser vor, im Kontext von IRU den »Muslimen« die Deutungshoheit über ihren Glauben zu nehmen und folglich Grundrechte zu missachten.12 Einige Erlanger Dialogakteure, z.B. ein am Erlanger Department Islamisch-Religiöse Studien arbeitender »muslimischer« Religionspädagoge, formulierten dazu jedoch Gegenkritik und mahnten an, dass für das Wohl »muslimischer« Kinder die »muslimischen« Verbände und Gemeinden staatliche Interessen nun mal integrieren müssten. Hier zeigt sich, dass die »muslimische« Seite in Erlangen sicherheitspolitische Anforderungen eher akzeptiert (Quellen: Interviews 15, 16; informelle Gespräche mit Interviewpartner 8; vgl. auch den Beitrag in den Nürnberger Nachrichten vom 29.02.2016 »Reguläre Islamklassen sollen Modellversuch ablösen« von Michael Kasperowitsch, in dem der genannte Konflikt beschrieben ist. Dieser Beitrag wurde auch via E-Mail-Verteiler innerhalb der Dialognetzwerke Erlangens verschickt.). Ferner äußerten in Erlangen einige »muslimische« Eltern gegenüber der Integrationsbeauftragten, dass ihnen der IRU-Lehrplan zu liberal sei. Hier hielt die Integrationsbeauftragte dagegen und artikulierte die Einführung von IRU als gewollte Liberalisierung eines konservativen »muslimischen« Milieus (Interview 1). Auch berichtet ein »muslimischer« Vertreter, der in der TIG Erlangen und in der IRE aktiv ist, dass innerhalb der Erlanger »muslimischen« Gemeinden durchaus die »Befürchtung [existiert], dass Nichtmuslime durch die Bestimmung von Lehrplaninhalten Einfluss auf die islamische Glaubenslehre nehmen können« (Güneysu 2006: 213). Nicht zuletzt artikulierten sich Widerstände gegen das Engagement für IRU aus einer Perspektive der Enttäuschung heraus. So scheinen einige »Muslime« aus den Erlanger Gemeinden derzeit der Ansicht zu sein, dass das ehrenamtliche und kraftraubende Engagement für IRU letztlich doch zu wenig einbringen würde, da »muslimische« Organisationen trotz nun vorhandenem Unterricht rechtlich nach wie vor nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt werden (Quelle: IG 6).
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Integration als religiöse Pflicht und die Konstitution von »Muslimen« als »Sicherheitsberater/-innen«: Internalisierung von Erwartungen im Führungs- und Selbstführungsfeld »Dialog«
Die beschriebenen Prozesse der Internalisierung gesellschaftlicher Erwartungshaltungen durch »Muslime« sind nicht auf das Handlungsfeld IRU beschränkt, sondern durchziehen das weite Führungs- und Selbstführungsfeld des »Dialogs«. In vielen Kontexten arbeiten die im Erlanger Dialog aktiven »Muslime« an ihrer eigenen Integration und nehmen sich der Themen »Extremismus« und »Prävention« an (Interviews 3, 10). Die Problembereiche Integration und Sicherheit drängen sich quer zu den Themen und
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Vgl. zu seinen Thesen und Kritikpunkten einen Beitrag auf seinem Blog, in welchem er anmahnt, dass im bayerischen Lehrplan für IRU sogar religiöse Glaubenssätze integrationspolitisch motiviert verändert werden: http://murat-kayman.de/2016/02/02/mia-san-verfassungswidrig/, (01.03.2016).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Maßnahmen auch des gegenwärtigen Dialoggeschehens immer wieder auf. Die Internalisierung von Integrationsanforderungen drückt sich dabei in spezifischen Aussagen und Haltungen aus: »Wir arbeiten für unsere Integration«, so ein ehemaliges Vorstandsmitglied der IGE (Interview 5). »Wir versuchen immer mit den Leuten zu reden, dass sie sich in die deutsche Gesellschaft integrieren sollen.« (Ebd.) Die Gemeindevertreter/-innen würden ihre Mitglieder dazu motivieren, wählen zu gehen oder sich an gemeinsamen Aktionen mit den Kirchen zu beteiligen, z.B. an einer lokalen Aktion für die »saubere Stadt« (ebd.). Die IGE wie auch die TIG veranstalten Nachhilfeunterricht für Kinder und Jugendliche, Integrationskurse, Deutschkurse, Frauentreffen, Sportaktivitäten und religiösen Unterricht. Die Gemeinden beraten Interessierte – vielfach Migrant/-innen – in Fragen der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche oder in behördlichen Angelegenheiten, sie bieten Übersetzungsdienste an und organisieren zusammen mit anderen Akteuren Informationsveranstaltungen über Sozialberatungsangebote oder Jugendhilfe (Interviews 2, 5, 16, 18, 20; TB CIAG 6, 7). Im Organisieren von Deutsch- und Nachhilfekursen werden die Gemeinden organisatorisch von der Stadt unterstützt (Interviews 2, 5). In einem Interview mit einem weiteren IGE-Mitglied deutete dieser Integration sogar als eine »muslimische« und religiöse Pflicht (Interview 18). Hier zeigt sich, wie religiöse Praktiken und Wissensbestände mit den im Regierungsfeld produzierten politischen Anforderungen harmonisiert werden. Diese Harmonisierung bildet dann auch die Grundlage für spezifische Selbstführungstechniken von »Muslimen«, die sich mit einer integrationspolitisch konfigurierten Fremdführung von »Islam« und »Muslimen« verschneiden und so erst den Regierungseffekt konstituieren. Gleichwohl wird auf »muslimischer« Seite aber auch reflektiert, dass manchmal zu viel Integrationsarbeit erwartet wird (ebd.): »Wir haben andere Probleme, man kann von uns nicht erwarten, dass wir diese großartigen Dinge, großartige Veranstaltungen, wo es von dem ganzen deutschen Volk gesehen wird, alles machen. Wir sind immer noch vor allem finanziell sehr klein.« (Ein weiterer »muslimischer« Gemeindevertreter: Interview 2) Neben Integration ist auch das Bemühen um Prävention allgegenwärtig. In Gesprächen zwischen »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen und lokalen Parteifraktionsgruppen in etwa wurden Möglichkeiten diskutiert, Jugendarbeiter/-innen für die Gemeinden zu finanzieren, die junge »Muslime« v.a. auch im Hinblick auf Extremismusprävention betreuen könnten (Interview 5; informelle Gespräche mit Interviewpartner 2). Ferner kooperieren die Erlanger Moscheegemeinden mit dem Jugendamt und kirchlichen Einrichtungen bei der Organisation von Workshops und Vorträgen zum Thema »Radikalisierung und Prävention« und bewerben solche Veranstaltungen proaktiv im Gemeindeumfeld (so z.B. der am 28.01.2016 in Erlangen gehaltene Vortrag über die »Anziehungskraft salafistischer und jihadistischer Strömungen«, der die Stärkung von Familien hervorhob; vgl. Interview 18). Auch die Muslimische Studierendengemeinde Erlangen (MSG), deren Vorstandsmitglieder bisweilen mit der CIAG kooperieren, widmete sich dem Thema »Extremismusprävention« bspw. in der Form von Workshops (TB 4). Verschiedentlich arbeiten die Erlanger »muslimischen« Gemeinden auch mit der Polizei zusammen. Dabei gehe es sowohl um Bedrohungen der Moscheegemeinden durch rechte und antiislamische Hetze sowie Gewalt als auch um mögliche islamistisch-extremistische Tendenzen im »muslimischen« Umfeld. Hier werden die »muslimischen«
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Gemeinden zu entsprechender Wachsamkeit angehalten. Die Interaktionen mit der Polizei werden von »muslimischer« Seite aus ebenso als ein Dialog beschrieben, was die Wirksamkeit dieses Formats markiert. Vertreter der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) rationalisierten das Verhältnis zur Polizei gar als interkulturelle Vermittlung, in welcher man sich gegenseitig kulturelle Eigenheiten erkläre. Auch zeigt die Polizei auf Dialogveranstaltungen immer wieder Präsenz (Interviews 1, 2, 4, 24; TB 3). Im Sinne eines governing through community (Rose 2000a, b) werden die »muslimischen« Gemeinden im Vollzug dieser Praktiken als lokale Gemeinschaften ausgerichtet, innerhalb denen durch moralische Mikrobeziehungen »junge Muslime« Widerstandsfähigkeit gegen Extremismus erlangen sollen (vgl. Rodatz u. Scheuring 2011; für Erlangen vgl. auch: Interview 6). Die Interaktionen zwischen »muslimischen« Gemeinden, Stadtgesellschaft und Politik hätten dabei gerade seit den Anschlägen vom 11. September 2001 stark zugenommen (Interviews 1, 2). Die Gemeinden intensivierten ihre Dialogaktivitäten im Lichte sicherheits- und integrationspolitischer Interessen seit 2001 sehr stark (Interview 2). Dabei bestand der Dialog mit der Gesellschaft vielfach aus öffentlichen Statements der »muslimischen« Gemeinden. Der Kalender der IGE, so ein Vertreter, »war richtig voll mit Veranstaltungen, Schulbesuche, Kirchen, keine Ahnung. Des waren fast jeden Tag eine und, des äh, da von einer Seite war das Interesse so groß, von uns zu hören und von uns zu wissen, was da los ist und wie kann so was passieren, aber von uns auch, dass wir auf einmal unter die Lupe genommen werden.« (Interview 2) Die nach 2001 auftauchende Polizeipraxis, mutmaßlich »muslimische« Studierende in Erlanger Wohnheimen auf Verdacht zu kontrollieren, wurde damals von CIAGMitgliedern kritisiert u.a. auch von Vertreter/-innen der IGE, die teils im Ausländerund Integrationsbeirat (AIB) aktiv waren. Daraufhin wurde ein Treffen zwischen »muslimischen« Gemeindesprecher/-innen und der Polizei organisiert (ebd.). Einige Zeit später, vor dem Hintergrund des ausbrechenden Irakkrieges 2003 und einer als möglich erscheinenden Beteiligung Deutschlands an den Kriegshandlungen, gingen Polizeibeamte auf einen IGE-Vertreter zu, den sie aus dem oben erwähnten Treffen bereits kannten, und fragten ihn nach seiner Einschätzung bezüglich des Aufruhrpotenzials innerhalb der »muslimischen« Bevölkerung in Erlangen im Fall einer Teilnahme Deutschlands am Krieg. »Also er [der Polizeibeamte; Anm. J.W.] hat mich angerufen und sagte, wie sie sehen äh, es sieht so aus als ob die Amerikaner angreifen werden […]. Äh, wollten wir gern sehen ihre Einschätzung ob es, ob wir uns Sorgen machen sollten um die Sicherheit in Erlangen.« (Interview 2) Der »muslimische« IGEVertreter wurde folglich zu einem Sicherheitsexperten gemacht. Er nahm diese Rolle auch an und rationalisierte sie als »dialogische« Vertrauensbeziehung (ebd.). Gerade nach den Erfahrungen mit den Studierendenkontrollen sei ein Zugehen der Polizei auf die »muslimischen« Gemeinden ein positives Zeichen: »[Das] fand ich sehr gut und so hab ich mir auch die Zusammenarbeit gewünscht, dass man so Vertrauen aneinander hat, dass man, bevor man irgendwelche Aktionen plant, mit uns spricht.« (Ebd.) Obschon der IGE-Vertreter nicht viel über das Aufruhrpotenzial in der »muslimischen« Bevölkerung sagen konnte, nahm er die Rolle als Sicherheitsexperte an. Dies verdeutlicht die Machteffekte der identitätspolitischen Verteilung von Positionen im Dialog.
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Gouvernementalität der Freundschaft
6.7
6.7.1
Der Fokus auf religiöse Identitäten und die Aufwertung des interreligiösen Dialogs im integrationspolitischen Feld in Erlangen: Sedimentierungen und Widerstände Interreligiöser Dialog als »natürlicher«, alternativloser Weg
Der damalige Erlanger Oberbürgermeister Siegfried Balleis (CSU) stellte auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung das Erlanger Integrationskonzept vor und präsentierte dabei den »Dialog mit dem Islam« (Balleis 2008) als zentrale Besonderheit der Erlanger Integrationspolitik. Entlang der Leitfrage, was die Stadt »für die Integration von Muslimen leisten« könne (ebd.: o.S.), merkte Balleis an, wie seit Mitte der 1990er Jahre »vergleichsweise enge Kontakte unter verschiedenen muslimischen und kulturellen Organisationen in Erlangen [entstanden sind], unterstützt vom Ausländer/innenbeirat der Stadt« (ebd.). Als Erstes hob Balleis die 1996 erfolgte Gründung der CIAG hervor, die, so der Alt-OB, »im Nachgang auf die Rede des damaligen Bundespräsidenten Herzog [gegründet wurde], der zum interreligiösen Dialog aufrief« (ebd.). Die CIAG wurde sodann als Instrument für die »Lösung lokaler Probleme von Muslimen bei der Ausübung ihrer Religion« (ebd.) sowie als Beitrag zur Integration von »Muslimen« artikuliert. Balleis erwähnte seinen Vorgänger, Erlangens Alt-OB Dietmar Hahlweg, als Initiator und Moderator der CIAG (Stand 2008), in welcher »neben Vertretern der beiden Dekanate […] Vertreter der Muslime, aber auch Professoren der FAU […], Vertreter der Stadtspitze […] und der Verwaltung, des Ausländerbeirats und weitere interessierte Bürger« versammelt wären (Balleis 2008: o.S.). Als Maßnahmen der CIAG wurden Veranstaltungen genannt, »in denen beide Religionen vorgestellt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede diskutiert wurden« (ebd.), daneben der interreligiöse »Friedensweg der Religionen«, »Glückwünsche des Oberbürgermeisters zum Ende des Fastenmonats Ramadan an alle Vereine mit muslimischen Mitgliedern« (ebd.), der »Besuch des Oberbürgermeisters und der Fraktionen beim Iftar-Essen (Fastenbrechen während des Ramadans)« (ebd.), Besuche städtischer Vertreter/-innen zu »islamischen« Feiertagen sowie die Öffnung der Gesprächsrunde zwischen Oberbürgermeister und den »christlichen« Dekanen für die »muslimischen« und »jüdischen« Religionsvertreter/innen (Balleis 2008). In anderen Dokumenten zur Integrationspolitik Erlangens wird im Hinblick auf einen kultur- und religionsübergreifenden Austausch oftmals noch erwähnt, dass die Stadt zur Einweihung öffentlicher Gebäude Vertreter/-innen verschiedener religiöser Gemeinden – u.a. der »Muslime« – einlädt und eine entsprechend interreligiöse Zeremonie organisiert (Stadt Erlangen 2011, 2013; Interview 1). Integration findet in dieser Logik also nicht vordergründig über soziale und ökonomische Teilhabe und Sicherheit, sondern durch ein Kennen- und Schätzenlernen des »Anderen« statt. Balleis zufolge fördern »all diese Aktivitäten […] das gegenseitige Kennenlernen, den Dialog und die Integration der Muslime in unsere Gesellschaft. Es ist ein Ausdruck von gegenseitigem Geben und Nehmen und von Interesse aneinander.« (Balleis 2008: o.S.) Wertschätzung und das Interesse am Anderen werden als Bedingungen dafür verstanden, dass sich »Muslime« integrieren (vgl. Rede einer Integrationsreferentin in: TB 10). Gerade der interreligiöse Dialog der CIAG generiere jene Wertschätzung: »Nur wenn sich unsere muslimischen Bürgerinnen und Bürger wertgeschätzt fühlen, sind sie be-
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
reit sich zu öffnen, sich zu integrieren und ein Teil unserer Gesellschaft zu werden. Dies haben wir in Erlangen in großem Maße vorangebracht.« (Balleis 2008: o.S.; Herv. J.W.) Balleis artikuliert den interreligiösen, auf Religion fokussierenden Dialog als einzigen, offensichtlichen und alternativlosen Zugang auf die lokale »muslimische« Bevölkerung. Auf eine religiöse Gruppe müsse auch über Religion zugegangen werden. »Der Dialog [der CIAG; Anm J.W.], der vor 12 Jahren begonnen hat, zeigt sich als die einzig richtige Möglichkeit, Muslime zu integrieren, indem man ihnen die notwendige Offenheit und Achtung entgegenbringt. Die Muslime, die sich akzeptiert und ernst genommen fühlen, finden ihren Weg in die Mehrheitsgesellschaft, verstehen sich als ›Erlangerinnen und Erlanger‹ und werden sich dann auch zur deutschen Staatsbürgerschaft entschließen. Ich bin davon überzeugt, dass der christlich-islamische Dialog kein leichter Weg ist, aber der einzige, den wir haben.« (Balleis 2008: o.S.) Das Entgegenbringen von »Achtung« gegenüber der »muslimischen« Bevölkerung wird daran gekoppelt, dass auch deren religiöse Identität thematisiert werden müsse. Diese identitätspolitische Tradition wird in Erlangen auch in den folgenden Jahren noch praktiziert werden. So beginnt Balleis einen Beitrag über die Integrationspolitik Erlangens im Rahmen der Integrationskonferenz 2013 ebenso mit der Hervorhebung »eine[s] wesentlichen Baustein[s], dem interreligiösen Dialog« (Stadt Erlangen 2013: 16). Dabei wird die Stadt als ein aktiver Akteur im interreligiösen Dialog mit den »Muslimen« dargestellt. Sie erscheint in diesem Dokument implizit gar als »christliche« Stadt, die im Modus des Interreligiösen eine »neue« Religionsgemeinschaft zu involvieren sucht. Es sind die Erfahrungen mit »christlicher« Religiosität, eine vermeintlich »christliche« Geprägtheit der Stadtgesellschaft und die vermeintliche Normalität »christlicher« Präsenz, die zu Bezugspunkten der Involvierung von »Muslimen« gemacht werden (Stadt Erlangen 2011, 2013; Balleis 2008). Dieser Logik entsprechend wird in einer abgedruckten, die gesamte Stadtbevölkerung adressierenden Rede einer der Bürgermeister/-innen als Beispiel für die Integration der »Muslime« die Rede eines »muslimischen« Vertreters in einer Kirchengemeinde erwähnt, die »die Herzen der Gottesdienstbesucher berührt [habe]« (Stadt Erlangen 2011: 26). Das »gute Verhältnis« zwischen »Muslimen« und »Christen« reicht hier aus, um die allgemeine Integration von »Muslimen« in die Stadtgesellschaft zu belegen. So wird im Vollzug der Regierungsform des »interreligiösen Dialogs mit Muslimen« die Stadtgesellschaft religiosiert. In einem Interview betont ein Integrationsreferent ferner die in Erlangen besonders herausragende Stellung des interreligiösen Dialogs. Die Besonderheit sei »die Federführung durch den Oberbürgermeister, auch wenn es der ehemalige ist. [Dies] hat dem Ganzen schon gezeigt – das ist eben nichts, was nur auf der Ebene der Religionen diskutiert wird, sondern da steht die Stadtspitze, da steht die Politik dahinter, und wir haben auch immer dafür gesorgt, dass Vertreter der Fraktionen mit dabei sind.« (Interview 6) Es wird deutlich, dass der Dialog, wie er durch die CIAG materialisiert ist, einerseits als interreligiöse Auseinandersetzung begann und sogleich aber auch als »städtisches Projekt« aufgewertet wurde sowie bis heute kommunalpolitisch mitgetragen wird. Die kommunale Politik in Erlangen betont religiöse Identitäten folglich in besonderem Ma-
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Gouvernementalität der Freundschaft
ße. Die politische Schiene eines religionsbezogenen Dialogs artikuliert seit vielen Jahren religiöse Identitäten als bedeutsame Elemente der Stadtgesellschaft, stellt letztere dabei vielfach als »christlich geprägt« dar (TB FMGE 7; Interview 14) und kooperiert in der Frage der Integration von »Muslimen« stark mit »christlichen« Akteuren. Vor dem Hintergrund einer solchen identitätspolitischen Religionsbezogenheit der Stadt (Interviews 1, 6, 8) konnte sich die Dialogtechnologie in Erlangen in besonderem Maße als ein interreligiöses Projekt entfalten. Dies werden auch die weiteren empirischen Beispiele in dieser Arbeit verdeutlichen. Eine solche Religionsbezogenheit zeigte sich bspw. besonders deutlich, als die Stadt Erlangen die »muslimischen« Gemeinden am 22.07.2014 zum »islamischen« Fastenbrechenfest (Iftar) in das Rathaus einlud (TB 3). Gleichwohl wurde das Fest in der Praxis eher interreligiös ausgestaltet (so gab es eine Rede vom Imam und vom Pfarrer), was die Problematik eines staatlich organisierten »islamischen« Festes im Rathaussaal entschärfte. Diese Einladung der Stadt zu einem »islamischen« Fest wurde aber von Dialogaktiven selbst teils auch kritisiert. Dabei wurde nicht die Anerkennung von Religion/»Islam« problematisiert, sondern eine vermeintliche Auflösung fester Identitätsordnungen. Ein dialogaktiver städtischer Vertreter schildert: »Da hab ich mit [dem/der; Name eines/einer städtischen Vertreter/-in], da haben wir schon einen Dissens, würde ich sagen. Also ich als Christ muss nicht zum Fastenbrechen einladen, wenn die Stadt Erlangen einlädt, des halte ich, ich denk mir, wir könnten uns mal überlegen, ob ma zu einem adventlichen Nachmittag mal die Muslime einladen.« (Interview 8) Es wird hier eine feste Identitätsordnung verteidigt. Zum einen sollen »Christen« nicht zu einem »muslimischen« Fest einladen, womit jene Identitätsordnung gefestigt wird, auf der der Dialog beruht. Zum anderen zeigt sich, dass »die Stadt« als »christliche« Stadt gesehen wird, die nicht zum »Fastenbrechen«, wohl aber zum »Advent« ins Rathaus einladen dürfe – womit ausgeschlossen wird, dass eine Stadt ggf. zu gar keinem religiösen Fest (ins Rathaus) einlädt. Der Dialog als Regierungsform basiert, so zeigt sich, auf der (Re-)Produktion stabiler Identitätsbeziehungen, die sich in lokale Kontexte einschreiben (vgl. Kapitel 6.7.3).
6.7.2
Widerstände gegen das religionsorientierte Dialogparadigma
Auf Dialog fokussierende Maßnahmen und Arbeitskreise haben sich in Erlangen vor dem Hintergrund überlokaler Debatten über religiöse Konflikte entwickelt, wie ein städtischer Vertreter beschreibt: »Damals in den 90er Jahren, da war das Hauptthema ›Ausländer‹, es war die Frage, hast du einen deutschen Pass oder nicht, kommst du aus Deutschland oder nicht, des war die Hauptfrage […]. Heute ist die religiöse Frage viel weiter nach vorn gerückt, seit 2001 mit dem Anschlag in der USA. Meine persönliche Meinung ist, die Wende in der Richtung kam, gerade […] mit dem Zerfall der Sowjetunion damals, dass der Feind des Westens, des war damals die Sowjetunion […], und nach dieser Wende der neue Feind wurde plötzlich der Islam.« (Interview 14)
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
Der städtische Vertreter betont, dass das Thema des »Kampfes der Religionen« in Erlangen in einen »Dialog der Religionen« transformiert werden konnte. Man handelte seit den 2000er Jahren nach dem Motto: »Es wird keinen Frieden zwischen den Völkern geben, wenn es keinen Frieden zwischen den Religionen gibt.« (Ebd.) Der Diskurs um Religion wurde auch in der Kommunalpolitik Erlangens aufgegriffen, jedoch als »Dialog zwischen den Religionen« (ebd.) inszeniert. So wurde 2000 der erste »Friedensweg der Religionen« organisiert, der seitdem jährlich stattfindet: eine interreligiöse Veranstaltung mit u.a. Vertreter/-innen der »christlichen«, »islamischen« und »jüdischen« Gemeinden sowie weiteren Religionsgemeinschaften, die in der Form von Kundgebungen, interreligiösen Spaziergängen und Gebeten im öffentlichen Raum praktiziert wird (TB 14). Große Bereiche der politischen Community in Erlangen seien nun aber nicht sonderlich an Religion interessiert, sondern eher »laizistisch geprägt« (Interview 14), wobei »diese Tendenz oder diese Prägung […] in der SPD sehr stark [sei]« (ebd.), wie ein im Dialog aktiver Stadtrat und FMGE-(Co-)Moderator anmerkte (ebd.). Er selbst jedoch (in einer Erlanger Parteifraktion für Fragen rund um Religionsgemeinschaften zuständig) sieht Religion, ausgehend von seiner persönlichen Begeisterung für die »christliche« Theologie der Befreiung (die von Gläubigen sozialpolitisches Engagement einfordert), als einen »Teil der Soziokultur […]« (ebd.), der »auch als solche[r] in der Öffentlichkeit behandelt werden [muss]« (ebd.). Religiöse Identitäten seien als öffentliche Identitäten zu fördern (ebd.). Genau darüber habe er aber »innerhalb der [entsprechenden Partei; Anm. J.W.] auch sehr große Diskussionen geführt« (ebd.). Einige Lokalpolitiker/-innen in Erlangen gerade aus dem sozialdemokratischen Bereich hätten sich dagegen gesperrt, religiöse Identitäten innerhalb der politischen Öffentlichkeit zu behandeln oder gar zu institutionalisieren. Eine in der CIAG aktive »muslimische« Person bspw. charakterisiert beispielhaft einen ihr bekannten/eine ihr bekannte Lokalpolitiker/-in, der/die sporadisch am »Dialog mit Muslimen« partizipiert: »[Der/Die] ist jetzt selber nicht so, dass [er/sie] sagt: Religionen, juhu mal voraus.« (Interview 3) Die »muslimische« CIAGAktive erkennt eine gegenüber Religion distanzierte Haltung bei vielen Personen aus dem lokalpolitischen Feld (Telefonat mit selbiger, 03.12.2017). Auch die Einführung von Islamunterricht wurde in den frühen 2000er Jahren in Erlangen teils kritisch betrachtet. Eine der politischen Positionen betonte, dass Islamunterricht religiöse Grenzen in öffentlichen Einrichtungen überbetone und integrationshinderlich sei; andere Positionen aber hoben »das Recht des Islam auf Religionsunterricht« hervor (Interview 14). Viele dialogaktive städtische Repräsentant/-innen traten explizit für die Stärkung und Bewahrung der »islamischen« Identität von Zugewanderten in Erlangen ein; eine Identität, die durch Islamunterricht und interreligiösen Dialog gestärkt werden könne und über welche dann eine Integration der Individuen in die Gesellschaft funktionieren würde (Interviews 3, 6, 8, 14). Dabei ist diese Agenda einer auf Integration zielenden Stärkung »islamischer« Identität natürlich stets als eine spezifische Eingliederung religiöser Identitäten zu denken, die selbige immer auch zu formen sucht (Schmid 2010a, b). Im Laufe der 2000er Jahre jedenfalls akzeptierten dann mehr und mehr politische Akteure in Erlangen die integrationspolitische Bedeutung eines »Dialogs mit Muslimen«, so ein städtischer Sprecher (Interview 14). Dies stärkte sowohl eine Integrationsinitiative wie den FMGE als auch eine interreligiöse Maßnahme wie die CIAG. Heute sei der
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Gouvernementalität der Freundschaft
Dialog lokal »voll etabliert« (ebd.), es gäbe nur noch wenige, aber »immer noch einige [Akteure], die meinen, […] Religion hat [in der Politik] nix zu suchen« (ebd.). Hier sei »unter anderem der Bund für Geistesfreiheit« zu nennen (ebd.), ein humanistischlaizistisch ausgerichteter, politisch aktiver Erlanger Verein, der »deswegen auch diesen religiösen Dialog nicht mit unterstützt« (ebd.). Dass heute die meisten politischen Akteure den Dialog gutheißen, habe, so die Deutung des städtischen Vertreters, damit zu tun, dass im Dialog ein Mittel gegen die sich mehrenden Konflikte erkannt wurde (ebd.).
6.7.3
Die lokale Dialogtechnologie als Religionspädagogik – die Festigung und (An-)Ordnung von Identitäten als Basis des Dialogs
Im CIAG-Gründungstext vom 11.12.1996, der sich an der Agenda der bereits 1994 gegründeten Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft Augsburg orientiert (vgl. CIAGProtokoll 15.09.2006, wo Abschnitte des Textes zitiert werden), heißt es, dass die CIAG das »Verhältnis zwischen Christen und Muslimen verbessern [will]« und dafür »an die Stelle des Redens übereinander […] das Gespräch miteinander und die Bereitschaft [setzt], den jeweils anderen in seiner Religion und Kultur besser zu verstehen und zu akzeptieren«. Grundlage sei, »das Gemeinsame [zu] beton[en], das Unterschiedliche nach Möglichkeit so [zu] erklär[en] […], dass es nicht länger als trennend empfunden wird« (CIAG-Protokoll 15.09.2006). Damit ist nun auch eine Bedingung für Dialog benannt: Es muss Personen geben, die Religion sich selbst und dem »Anderen« erklären können – es braucht religiöses Wissen, religiöse Kompetenzen, Sensibilitäten und Reflexionen. In diesem Sinne zielt der Dialog auf die Stärkung religiöser Wissensproduktion, religiösen Interesses, religiöser Reflexionsbereitschaft und religiösen Selbstbewusstseins. Der Interreligiöse Dialog würde durch die Förderung gegenseitigen Lernens und Verstehens »eine Vertrauensbasis für die Erörterung wichtiger Aufgaben des öffentlichen Lebens in unserer Stadt [schaffen]« (CIAG-Protokoll 12.03.2013). Ausgehend von der eigenen religiösen Identität ist die jeweils »andere« Identität zu erfassen. Im Hinblick auf solche identitätspolitischen Ordnungseffekte ist folgender Textausschnitt aus dem CIAGProgrammschreiben bedeutsam, in dem der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl mit den Worten zitiert wird: »Je weniger fest jemand auf dem Boden seines Glaubens steht, desto mehr klammert er sich mit beiden Händen an das Dogma, das ihn von anderen Religionen trennt. Je fester jemand hingegen auf dem Boden seines Glaubens steht, desto eher hat er beide Hände frei, um sie jenen Mitmenschen entgegenzustrecken, die seinen Glauben nicht teilen können«. (CIAG-Flyer) Dieses Zitat ist zum visuell prägnant platzierten Kernzitat der einzigen Broschüre der CIAG geworden, die auf der Website der Stadt einsehbar ist. Das Zitat verdeutlicht ein Kernparadigma des interreligiös ausgerichteten »Dialogs mit Muslimen«. Das erwähnte »Glauben« verweist hierbei letztlich allgemein auf Identität/-en. Die religiösen Identitäten von Subjekten müssen, so die Logik, gebildet und gefestigt werden, um eine Identitätsordnung als Grundlage für den identitätsübergreifenden Dialog zu schaffen (ähnliche Argumentationsmuster in: Interviews 3, 10, 12). Die Verankerung des Sub-
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
jekts in dessen Identität ermögliche es selbigen erst, in einen Dialog mit »Anderen« treten zu können, so die Rationalität: »Nur wer ein religiöses Wissen über [die] eigene Religion hat, kann auch über andere Bescheid wissen.« (CIAG-Protokoll 12.03.2013) Entsprechend artikulierte eine politische Vertreterin Erlangens in einer Rede am 01.02.2015 (TB 10) das Prinzip des Erlanger Dialogs, Aussagen von Bundeskanzlerin Merkel über die Bedeutung interreligiösen Austauschs in der Gesellschaft zitierend: »Ich ende mit Angela Merkel: Vielleicht sollten wir Christen uns auch wieder mehr Gedanken über unsere Religion machen und mehr über das Christentum sprechen, als Angst zu haben vor dem Islam.« Performativ adressierte die Politikerin mit »wir Christen« die gesamte Erlanger Öffentlichkeit, welche sie damit religiosierte. Dies ist als ein Identitätseffekt des interreligiösen Dialogs zu deuten, wenn dieser als Regierungsprogramm artikuliert wird. Wie Tezcan feststellte, geht es im Dialog um die Produktion religiöser Subjekte, die sich ihrer selbst bewusst sind (2007, 2009). Als selbstbewusste Subjekte können sie in gesellschaftliche Austauschbeziehungen treten, in welchen sie sich dem jeweils »Anderen« verständlich machen. Es zeigt sich, dass sich Mechanismen der Subjektproduktion teils auch auf die Mehrheitsgesellschaft ausweiten (lassen). So ist für eine »muslimische« CIAG-Vertreterin der interreligiöse Dialog sinnvoll, »weil das die Menschen zusammenbringt. Wir sprechen über Themen […], über die man sich ohne diesen Kreis, glaube ich, nicht Gedanken machen könnte. Man sagt ja immer, man kann nur mit einem anderen über dessen Religion sprechen, wenn du dich auch ein bisschen auskennst. Also das hat einfach den positiven Effekt, dass du dich mit dem anderen auseinandersetzt, aber gleichzeitig auch mit dir selbst, und das ist einfach wichtig für diese Reflektiertheit über den eigenen und auch den anderen Glauben und unser Miteinander in der Gesellschaft.« (Interview 3) Ein »muslimischer« IGE-Vertreter ergänzt: »Dass wir voneinander durch diese Begegnung lernen, dass er mehr von mir erfährt oder ich von den anderen, mehr erfahre, als ich woanders lese.« (Interview 18) Das Subjekt im Dialog soll sich dem »Anderen« gegenüber lesbar zeigen. Es geht um ein »Sich-gegenseitig-Lesen« oder, um einen Begriff von Scott (1998) zu verwenden, um die Lesbarmachung des religiösen Subjekts. Einem ehemaligen Erlanger Dialogaktiven zufolge hätten sich »Muslime« im Dialog in einer Situation wiedergefunden, in welcher sie »ihren praktisch gelebten Glauben nun auch in Worten ausdrücken mussten, und zwar in deutschen Worten, so dass Nicht-Muslime sie verstehen können« (Forssmann 2006: o.S.). Der Autor fährt fort: »Und im Gegenüber zum Islam haben wir Christen unseren eigenen Glauben besser und tiefer verstanden und Sprache gewonnen, um Selbstverständliches zu erklären.« (Ebd.) Das Subjekt wird im Dialog dazu angehalten, eine öffentliche Sprachfähigkeit zur Artikulation von Identität auszubilden. Entsprechend ist religiöse Identität im Modus der Selbstreflexion weiterzuentwickeln. Der Dialog stärkt damit religiöse und »muslimische« Stimmen (Interview 3), (re-)formiert diese aber gleichzeitig im Hinblick auf die Produktion selbstreflexiver Identitäten. Auch wird ersichtlich, dass das Regieren von »Islam« durch Dialog ein Regieren ist, das religiöse Sensibilität hervorhebt. Gerade in solchen CIAGSitzungen, die dezidiert die Zukunft der Erlanger Dialogforen thematisierten und daher programmatisch geprägt waren (TB CIAG 9, 10), zeigte sich deutlich die Dominanz jener Annahme, dass es für eine gelungene Eingliederung von »Muslimen« in die Ge-
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Gouvernementalität der Freundschaft
sellschaft unabdingbar sei, sich wechselseitig die jeweiligen kulturellen und religiösen Identitäten verständlich zu machen, ein Wissen über Religionen aufzubauen und in die Gesellschaft zu tragen und vor allen Dingen ein Forum zu bewahren, in welchem »Muslime« sich in ihrer religiösen Identität ausdrücken können (vgl. das Interview mit Güneysu, in: Kerler 2008; Interviews 3, 10). In einem Telefonat (vom 03.12.2017) erwähnte eine »muslimische« CIAG-Sprecherin mir gegenüber, dass nur ein interreligiöser, religionsbezogener Dialog den »Muslimen« diese Ausdrucksmöglichkeiten geben könne. Die Integration von »Muslimen« brauche eine Vermittlung zwischen Identitäten, sie brauche den Kultur- und Religionsdialog. Es ist kein Zufall, so meine These, dass das Dialogprogramm in Erlangen mit seiner Institutionalisierung in der Form der CIAG 1996 sogleich ein religionspädagogisches Projekt, die Etablierung von IRU, in Angriff nahm. Denn im Konzept des Religionsunterrichts drückt sich genau jene dialogische Rationalität aus, die die Institutionalisierung religiöser und kultureller Identitäten und eine darauf aufbauende Förderung selbstbewusster Subjekte propagiert: Subjekte, die in ihrer eigenen Identität gefestigt sind und sodann die Fähigkeit aufweisen, sich ihren Mitmenschen gegenüber verständlich zu machen, über andere Identitäten zu lernen und somit in einem pluralen Umfeld zu navigieren (ohne sich Möglichkeiten sozialer Kooperation zu »verbauen«) (vgl. Interview mit Güneysu, in: Kerler 2008; sowie Beiträge über islamische Religionspädagogik, deren Autor/-innen teilweise auch im Erlanger Dialoggeschehen aktiv waren/sind: Kandil 2008; Rochdi 2008; Behr 2011, 2013a; Behr et al. 2009; Badawia 2012). Im Projekt Islamunterricht materialisierten sich förmlich die dialogischen Ideen einer Anerkennung »islamischer« Identität und einer Förderung von gegenseitigem Verständnis (Unterrichtspraxis, Lehrerausbildung, Institutionalisierung der »muslimischen« Gemeinden als Ansprechpartner usw.). Die Einführung von Religionsunterricht kann also als konkrete (Be-)Greifbarmachung der Dialogrationalität verstanden werden (die Idee, »islamische« Identitäten zu erfahren, zu erlernen, anzuerkennen und innerhalb der Gesellschaft zu verankern), wodurch sich der Erfolg des Religionsunterrichts in Erlangen und des Dialogs als Integrationsprogramm gegenseitig verstärkten. Über IRU jedenfalls konnte im Erlanger Kontext auch das Dialogprogramm in besonderem Maße etabliert werden. So schreibt ein Erlanger »muslimischer« Gemeindesprecher im Hinblick auf den Religionsunterricht, dass »die Kinder […] jetzt bewusster aufeinander zu[gehen]« (Güneysu, in: Kerler 2008: 46) und deshalb auch besser zusammenleben könnten (Interviews 2, 4; Behr 2011). Dieselben Ziele der Lesbarmachung von Identität und der »Fürandere-lesbar-Werdung« des Subjekts, wie sie dem Islamunterricht und der Erziehung von Kindern zugeschrieben werden, werden auch an den politischen Dialog »Erwachsener« geknüpft. Die mit jeder Lesbarmachung verbundene Lesbar-Werdung wird auf »muslimischer« Seite gar ausdrücklich gewünscht. Ein Sprecher der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) merkt an, dass sich »Muslime« und Mehrheitsgesellschaft v.a. in der CIAG überhaupt erst einmal kennengelernt hätten. In diesem Forum »haben die uns gewogen, die haben gelesen, was für Menschen wir sind, was wir erreichen wollen, was wir machen wollen« (Interview Güneysu, in: Kerler 2008; Herv. J.W). Es ist ebenso in diesen Zusammenhang zu stellen, mit welch großem Nachdruck das CIAG-Netzwerk (erfolgreich) versucht hat, die Einrichtung einer Islamischen Theo-
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
logie an der Universität Erlangen-Nürnberg zu ermöglichen. Dies geht aus einem an den Erlanger Stadtrat und den Oberbürgermeister gerichteten Antrag aus dem Jahr 2010 hervor, der von Stadtpolitiker/-innen und einem Vertreter einer lokalen Moscheegemeinde (allerdings in seiner damaligen Funktion als Stadtrat) unterzeichnet und von allen Fraktionen unterstützt wurde. Dort heißt es, »die Stadt Erlangen wünscht sich die Entwicklung eines Islam, der integriert in unserer Gesellschaft, gleichberechtigt, tolerant und auf den unverzichtbaren Werten unseres Grundgesetzes basierend agiert. Die Muslime in unserer Stadt haben vielfach bewiesen, dass sie diesen Weg gehen wollen.« (Stadtpolitischer Antrag 2010; vgl. oben) Die Etablierung einer Islamischen Theologie in Erlangen, so die Botschaft, würde die »Muslime« in ihren Integrationsbemühungen, in ihrem gesellschaftspolitischen Engagement vor Ort sowie in ihrer Dialogarbeit unterstützen. Die durch eine Islamische Theologie ermöglichte fundierte Auseinandersetzung mit »Islam« und die Stärkung zeitgemäßer, »an den aktuellen und tatsächlichen Lebensbedingungen ausgerichtete[r]« (ebd.) und damit authentischer »islamischer« Perspektiven, so die Logik des Antrags, sei ein Beitrag zu einer »pluralistische[n] Gesellschaftsordnung« (ebd.), innerhalb welcher »Muslime« mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in einem Austauschverhältnis stehen. Ein Zentrum für neue »islamische« Perspektiven wird als Beitrag zu Dialog, Pluralität und Integration artikuliert. Hier drückt sich ebenso die im Kern religionspädagogisch eingefärbte Rationalität aus, die das Ziel verfolgt, eine Stärkung »muslimischer« Identität mit der Sicherstellung der Gesellschafts- und Dialogfähigkeit von »Muslimen« zusammenfallen zu lassen und gleichzeitig eine »authentische muslimische Selbstdefinition im Rahmen des säkularen, religionsoffenen Rechtsstaats« (Rohe 2015: 27; selbst im interreligiösen Dialog Erlangen aktiv) zu unterstützen. In der Religionspädagogik wie auch in der Dialogtechnologie werden religiöse Identitäten stets auf eine ordnende Art und Weise gestärkt (vgl. Schiffauer 1997a; Schmid 2010b). Ein im »Dialog mit Muslimen« aktiver Erlanger Lokalpolitiker sagte im Hinblick auf die Etablierung eines Institituts für »islamische« Theologie: »Die Menschen, die hier sind, suchen eine Orientierung. Und diese Orientierung wird gegeben normalerweise von den Theologen, in der Religion, in den religiösen Fragen. Wenn ich keine Theologen hier habe, dann suchen sie woanders. Und dann bekomme ich Informationen, die vielleicht nicht unbedingt korrekt sind.« (Interview 14) Dabei konzipiert das Dialogparadigma »Muslime« per se als religiös bewegte Subjekte (Tezcan 2007). Es hebt religiöse Identität hervor und bringt diese in bestimmte Bahnen. Im Fall des oben zitierten kommunalpolitischen Antrags ist es dann z.B. ein »aufgeklärter Islam«, der mit einem »toleranten« und »gleichberechtigten« »Islam« äquivalent gesetzt wird. Es ist also zu konstatieren: Die Dialogpolitiken (in Erlangen) setzen primär auf die Bildung und damit auf eine spezifisch konfigurierte Stärkung »muslimischer« Identität – in der Schule, in der Universität wie auch innerhalb einer von den Dialoginstitutionen mitgestalteten lokalen politischen Öffentlichkeit. Ziel ist stets die Herstellung einer les- und verwaltbaren Identitätsordnung.
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6.7.4
Widerstände und Brüche von »innen« und »außen« (und deren Auflösung)
Die Paradigmen und Identitätsordnungen des Dialogs werden, wie schon an mehreren Stellen gezeigt, vielfach auch herausgefordert, sowohl von »außen« als auch von »innen«. Im Hinblick auf Widerstände von »außen« lässt sich bspw. der bereits erwähnte Erlanger Verein Bund für Geistesfreiheit anführen, der eine dezidiert humanistisch-säkulare (Bildungs-)Agenda verfolgt und einem politisch forcierten Dialog mit einer Religionsgemeinschaft kritisch gegenübersteht. Dieser Verein organisierte in Kooperation mit der städtischen Volkshochschule eine sehr gut (und auch von mir) besuchte Veranstaltung in Erlangen, auf der die ehemalige Bundestagsabgeordnete Dr. Lale Akgün, die sich selbst als liberale »Muslimin« präsentiert, kritisch über den politischen Dialog mit dem »Islam« in Deutschland sprach (TB 17). Im Sinne des Dialogparadigmas wurden hierzu auch Vertreter/-innen der lokalen »muslimischen« Gemeinden eingeladen, die dann auch kamen, allerdings teilweise demonstrativ früher gingen. Akgün kritisierte den »Islam« der organisierten Verbände und Moscheevereine scharf. Dieser sei konservativ, traditionalistisch und dogmatisch, würde Integration behindern, Abgrenzung befördern und problematische (bspw. patriarchalische) Werte vermitteln. Sie rief praktizierende »Muslime« auch dazu auf, explizit normative Handlungsanweisungen im Koran grundsätzlich auszublenden, da diese keine Geltung mehr hätten. Sie kritisierte dann auch den politischen Dialog mit dem »Islam«, da dieser in seiner Fokussierung auf organisierte Ansprechpartner/-innen gerade diesen konservativen »Islam« der Verbände stärken würde. Die Veranstaltung wurde von einigen Dialogaktiven besucht und später diskutiert. Insgesamt zeigte sich diese Veranstaltungspraxis definitiv im diskursiven »Außen« des Erlanger Anerkennungsdialogs, wie er durch CIAG und FMGE repräsentiert wird. Die Erlanger Dialogaktiven, mit denen ich sprach, erachteten die Argumente Akgüns tendenziell als nicht konstruktiv und pauschalisierend. Im Publikum (ca. 200 Leute) fanden Akgüns dialog- und islamkritische Argumente derweil viel Anklang. Mehrfach betonten anwesende Personen in Wortmeldungen, dass der »Dialog mit dem Islam« genauso wie der (im Dialog vorangetriebene) Islamische Religionsunterricht (IRU) unnötige religiöse Grenzen ziehen und Abgrenzungsprozesse befördern würden. Akgüns Positionen sowie zahlreiche Wortmeldungen griffen hierbei einen überlokal zirkulierenden Diskurs auf. So schreibt in etwa die Autorin Tanja Dückers in einem Beitrag für die ZEIT vom 04.09.2012 (»Kirche und Staat: Religion muss privat sein«) aus kritisierender Position, dass gegenwärtig »die Trennung von Staat und Kirche […] aufgeweicht [wird]. Muslimische Religionsgemeinschaften werden aufgewertet statt darüber nachzudenken, ob die Kirchen zu viel Macht haben.«13 Sie sieht die Anerkennung von »Islam« als illegitime Aufwertung der öffentlich-politischen Rolle von Religionen – was auch die Position von Akgün darstellt. Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf wiederum plädiert in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 16.05.2016 dafür, derzeit ankommende Geflüchtete aus »islamischen« Ländern nicht primär als »Muslime« zu kategorisieren und die Bedeutung von Religion für das Alltagsleben und die Integration von Individuen nicht überzubetonen. Es gilt dann, »nicht über Religion aus[zu]grenzen, sondern über Sprache und Bildung 13
https://www.zeit.de/gesellschaft/2012-09/kirche-staat-muslimische-feiertage, (04.09.2018).
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
[zu] integrieren«.14 Auf dem Boden solcher Argumentationen muss ein Anerkennungsdialog mit »Muslimen« problematisch erscheinen, da er religiöse Identitäten betont und politisiert. Die Veranstaltung mit Akgün ist dabei nicht das einzige Beispiel für eine Skepsis gegenüber einem »Dialog mit Muslimen«, die sich, so die Aussagen vieler Dialogaktiver in CIAG und FMGE, auch in Erlangen immer wieder ausdrücke. Auch in Erlangen gäbe es genügend Stimmen, die »muslimische« Identität nicht gestärkt sehen wollen (Interviews 5, 8, 14, 19; TB CIAG 10; vgl. Kapitel 7.4.1). Als eine der Erlanger Moscheegemeinden Umbaumaßnahmen an ihrer Moschee durchführte, riefen städtische Vertreter/-innen öffentlich (via Pressemitteilungen) zu einer Spendenaktion auf. Wie jedoch eine Vertreterin der Stadt in einer CIAG-Sitzung erzählte, habe dies »einen richtigen Shitstorm losgelöst« (TB CIAG 10). Ein Teil der Erlanger Bevölkerung schien aus einer islamskeptischen Haltung heraus abzulehnen, dass eine »islamische« Gemeinde politisch sowie indirekt finanziell gefördert wird. Die Dialogaktiven, so ist wiederkehrenden Aussagen selbiger zu entnehmen, würden nicht selten als naiv beschimpft, da sie sich wohlwollend auf eine religiöse Gruppe einlassen, die problematische Einstellungen vertreten würde (TB CIAG 10; informelle Gespräche mit Interviewpartner/-in 6). Widerstände gegen den Dialog oder zumindest Kritik an einzelnen Aspekten der Dialogpolitik artikulieren sich auch innerhalb der Dialogkreise selbst. Diese inneren Konflikte und Kritikpunkte werden in den Kapiteln dieser Arbeit noch verschiedentlich auftauchen und diskutiert werden. Hier seien nur kurze Beispiele angefügt. So merkte in etwa ein Mitarbeiter eines »christlichen« Bildungswerks in Erlangen mir gegenüber in informellen Gesprächen an, dass die »Harmoniebestrebungen« im Dialog eine manchmal notwendige Kritik am »Gegenüber« allzu sehr erschweren würden (Gespräch im Kontext von: TB 24). Ähnlich argumentierten dialogaktive Personen auf einer von der Stadt Erlangen mitorganisierten Veranstaltung über »interreligiöse Utopien« (TB 25). Ferner ließen sich auch dezidiert identitätspolitische Kritikäußerungen vernehmen, die das Dialogprogramm oder einzelne Ziele des Dialogs hinterfragten. In einer FMGE-Sitzung zu dem Problem der Diskriminierung von »muslimischen« Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt wurde einem hierzu eingeladenen Mitarbeiter aus dem städtischen Personalreferat vorgeschlagen, »als Stadt Erlangen« Werbekampagnen zu organisieren, um damit gezielt »Musliminnen« anzusprechen, zu einer Bewerbung um Stellen in der städtischen Verwaltung zu motivieren und »muslimische« Identitäten stärker als Potenzial für das Arbeiten im öffentlichen Dienst zu präsentieren. Auch wurde angedacht, bei Bewerbungsverfahren um städtische Stellen interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen stärker zu berücksichtigen – Kompetenzen, die in Deutschland lebenden »Muslimen« zugeschrieben wurden. Während letzteres auf Zustimmung stieß, lehnte der Vertreter des Personalreferats jedoch ab, eine bestimmte religiöse Gruppe bei der Bewerbung städtischer Berufsmöglichkeiten und der Ausgestaltung kommunaler Berufsfelder proaktiv herauszustellen und zu bevorzugen. Der beste Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, an der auch »Muslime« gleichberechtigt teilhaben könnten, so seine Argumentationsweise, sei es, kulturelle und religiöse
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https://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-heimat-schaffen-1.2996012, (04.09.2018).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Differenzen möglichst wenig zu betonen – und im Fall der Regulierung eines kommunalen Arbeitsfeldes primär auf fachliche Kompetenzen zu setzen (TB FMGE 7). Damit forderte er die Grundlogik des Dialogs heraus, welche partikulare Identitäten herausstellt. Ähnliche Spannungen materialisierten sich in einer Dialogsitzung des Bayerischen Islamforums im Erlanger Rathaus. Dort formulierte eine in den Erlanger Dialoggruppen engagierte städtische Vertreterin in Bezug auf die diskutierte Unterstützung eines zukünftigen Aufbaus »muslimischer« Wohlfahrtsverbände in einer ambivalenten bzw. polyphonen Art und Weise: »Auch wenn ich es in meinem Herzen ablehne, dass immer einzelne Gruppen segregiert ihre Institutionen aufbauen, so ist es eben doch manchmal wichtig, gezielt zu unterstützen.« (TB 27) Eine in der CIAG aktive »Muslimin« wiederum, so ein weiteres Beispiel, erwähnte mir gegenüber in einem Telefonat (am 03.12.2017), dass sie es durchaus als ein Problem erachte, dass der interreligiöse Dialog immer wieder die »muslimische« Identität hervorhebe, obschon »man manchmal vielleicht besser gar nicht so viel darüber reden sollte«. Sogleich aber fügte sie hinzu, dass sich »gerade die Muslime ja nur im interreligiösen Dialog richtig ausdrücken können« (ebd.). Nur ein solches Forum würde es ihnen ermöglichen »sich darzustellen und auch zu sagen, was ihnen wichtig ist« – und das sei »ja dann auch die religiöse Identität« (ebd.). Sie sagte: »Die brauchen den Dialog so, wie er ist.« (Zitate aus dem informellen Telefonat vom 03.12.2017) In einer Sitzung der CIAG (TB CIAG 9) ging es dann auch darum, ob man FMGE und CIAG in Zukunft zusammenlegen könnte. Dabei kam die Frage auf, wie das zusammengelegte Forum ausgerichtet sein sollte: als interreligiöser Dialog oder eher als integrationspolitischer Helferkreis? Dabei wurden (wie auch in: TB CIAG 10) durchaus Argumente dafür vorgetragen, den Religionsfokus zurückzunehmen. So wurde argumentiert, dass Begegnungen zwischen »Muslimen« und »Christen« oder zwischen »Muslimen« und Gesellschaft auf einer Alltagsebene zu fördern seien, bspw. in Sportvereinen, in welcher dann religiöse Identitäten keine große Rolle spielen. Denn während Begegnungen auf dieser Ebene spontan funktionieren, würde ein programmatischer interreligiöser Dialog komplizierter sein und mehr Wissen benötigen – was abschreckend sein könne. Eine »muslimische« CIAG-Sprecherin argumentierte, dass ein interreligiöser Dialog zudem für Leute unattraktiv sei, die sich generell nicht mit Religion beschäftigen wollen, und man somit die Ressourcen solcher Personen verliere (TB CIAG 10). Dennoch setzte sich am Ende die Ansicht durch, den Dialog auch in Zukunft als interreligiösen Dialog zu praktizieren. Die Annahme der Bedeutung religiöser Identitäten für das soziale Miteinander wurde letztlich wenig hinterfragt. Alternative Modelle der Integration von »Muslimen« – der Integration von »Muslimen« als Bürger/-innen, der Integration z.B. durch Umverteilungsmechanismen oder durch Maßnahmen der Involvierung benachteiligter Individuen in den Bildungsund Arbeitsmarkt – wurden der kulturalistischen Vorstellung der Notwendigkeit eines interreligiösen Austauschs untergeordnet. Die Argumente dafür lieferten v.a. religiöse Akteure, sowohl auf »christlicher« als auch auf »muslimischer« Seite. Nachdem ich mich selbst zu der Anmerkung hinreißen ließ, dass ein interreligiöses Forum religiöse Differenzen vielfach auch überbetont, argumentierte ein »muslimischer« Vertreter mit folgender Schilderung gegen mich (sinngemäßes Zitat aus dem Protokoll):
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
»Wenn z.B. Muslime am Abend nicht mit den Arbeitskollegen trinken gehen, weil sie keinen Alkohol trinken dürfen, dann kann das ein Problem sein im Zusammenleben. Und das hat mit Religion zu tun! Und man muss über Religionen lernen, um das aufzulösen. Wir brauchen ein interreligiöses Forum, um uns unsere Religionen zu erklären und über unsere Sorgen zu sprechen.« (TB CIAG 9) Auch würden viele »Muslime« mit Migrationshintergrund, so ebenjener »muslimische« Vertreter, »die Demokratie und Freiheit in Deutschland nicht [kennen], […] nicht [daran] gewöhnt [sein], [sie hätten] Ängste und Sorgen mit ihrem Leben hier. Da braucht es interreligiösen Dialog, um darüber zu sprechen.« (TB CIAG 9) Es zeigt sich also, wie Widerstände gegen die Dialogrationalität auftauchen, aber vielfach wieder gekittet werden.
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6.8.1
Reflexionen zur technologischen Form des Dialogs: erfahrbar gemachtes »Vertrauen« als lokale historische Praxis und als Hintergrundfolie gegenwärtiger Regierungsprozesse Das besondere Klima in der »Hugenottenstadt« Erlangen und die CIAG als »Ältestenrat«
Die kollektiv als »gemeinsamer Erfolg« inszenierte Etablierung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) an Erlanger Schulen etablierte ein bis heute wirksames Narrativ über gelungene Kooperation, das im Sinne einer Praktik der Gemeinschaftsstiftung in den von mir zwischen 2014 und 2017 besuchten Sitzungen der CIAG und des FMGE immer wieder reaktiviert wurde. Dieses Narrativ betont die enge Zusammenarbeit zwischen Stadt, Gesellschaft, Kirchen und »Muslimen«. Das Engagement der Erlanger Dialogkreise im Kontext IRU und während der Verfassungsschutzproblematik wird als eine Praxis gedeutet, die auf einzigartigen lokalen Beziehungen zwischen »Muslimen« und der Stadtgesellschaft beruhen würde. Gerade die CIAG wird als Ort »echter« Anerkennung artikuliert, die sich z.B. im gemeinsamen Streiten für Islamunterricht ausgedrückt hätte, wie der damals (teils) auch in der CIAG aktive, »muslimisch-gläubige« Pädagoge und Theologe Harun Behr ausdrückt (Behr et al. 2009: 135). Die Involvierung der »muslimischen« Gemeinden wurde, so Behr, im Dialog Wirklichkeit. In Bezug auf die Berufungsverfahren zur Professur für Islamische Religionslehre am IZIR bspw. sei »immer wieder der Konsens erneuert [worden], dass nur berufen werden kann, wer die ausdrückliche Zustimmung der Muslime erhält, die das Projekt mittragen« (ebd.). Das stete Hochhalten des Mitentscheidungsrechts der (verfassungsrechtlich nicht anerkannten) »Muslime« schien nicht allen Dialogakteuren zu gefallen, wurde aber zum Mantra eines »Anerkennungsdialogs« und zum Symbol des in CIAG und FMGE artikulierten »Miteinanders« in Erlangen (CIAG-Protokoll 15.09.2006). Behr zufolge schritten die Bestrebungen zur Einführung von IRU »vergleichsweise langsam voran, weil man sich von Beginn an auf ein gemeinsames Prozedere in kleinen Schritten verständigt hatte: Man sieht den Schlüssel zum Erfolg im Aufbau wechselseitigen, langfristigen und krisenfesten Vertrauens und nicht in medienwirksamen Schnellschüssen.« (Behr et al.
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6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
»Wenn z.B. Muslime am Abend nicht mit den Arbeitskollegen trinken gehen, weil sie keinen Alkohol trinken dürfen, dann kann das ein Problem sein im Zusammenleben. Und das hat mit Religion zu tun! Und man muss über Religionen lernen, um das aufzulösen. Wir brauchen ein interreligiöses Forum, um uns unsere Religionen zu erklären und über unsere Sorgen zu sprechen.« (TB CIAG 9) Auch würden viele »Muslime« mit Migrationshintergrund, so ebenjener »muslimische« Vertreter, »die Demokratie und Freiheit in Deutschland nicht [kennen], […] nicht [daran] gewöhnt [sein], [sie hätten] Ängste und Sorgen mit ihrem Leben hier. Da braucht es interreligiösen Dialog, um darüber zu sprechen.« (TB CIAG 9) Es zeigt sich also, wie Widerstände gegen die Dialogrationalität auftauchen, aber vielfach wieder gekittet werden.
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Reflexionen zur technologischen Form des Dialogs: erfahrbar gemachtes »Vertrauen« als lokale historische Praxis und als Hintergrundfolie gegenwärtiger Regierungsprozesse Das besondere Klima in der »Hugenottenstadt« Erlangen und die CIAG als »Ältestenrat«
Die kollektiv als »gemeinsamer Erfolg« inszenierte Etablierung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) an Erlanger Schulen etablierte ein bis heute wirksames Narrativ über gelungene Kooperation, das im Sinne einer Praktik der Gemeinschaftsstiftung in den von mir zwischen 2014 und 2017 besuchten Sitzungen der CIAG und des FMGE immer wieder reaktiviert wurde. Dieses Narrativ betont die enge Zusammenarbeit zwischen Stadt, Gesellschaft, Kirchen und »Muslimen«. Das Engagement der Erlanger Dialogkreise im Kontext IRU und während der Verfassungsschutzproblematik wird als eine Praxis gedeutet, die auf einzigartigen lokalen Beziehungen zwischen »Muslimen« und der Stadtgesellschaft beruhen würde. Gerade die CIAG wird als Ort »echter« Anerkennung artikuliert, die sich z.B. im gemeinsamen Streiten für Islamunterricht ausgedrückt hätte, wie der damals (teils) auch in der CIAG aktive, »muslimisch-gläubige« Pädagoge und Theologe Harun Behr ausdrückt (Behr et al. 2009: 135). Die Involvierung der »muslimischen« Gemeinden wurde, so Behr, im Dialog Wirklichkeit. In Bezug auf die Berufungsverfahren zur Professur für Islamische Religionslehre am IZIR bspw. sei »immer wieder der Konsens erneuert [worden], dass nur berufen werden kann, wer die ausdrückliche Zustimmung der Muslime erhält, die das Projekt mittragen« (ebd.). Das stete Hochhalten des Mitentscheidungsrechts der (verfassungsrechtlich nicht anerkannten) »Muslime« schien nicht allen Dialogakteuren zu gefallen, wurde aber zum Mantra eines »Anerkennungsdialogs« und zum Symbol des in CIAG und FMGE artikulierten »Miteinanders« in Erlangen (CIAG-Protokoll 15.09.2006). Behr zufolge schritten die Bestrebungen zur Einführung von IRU »vergleichsweise langsam voran, weil man sich von Beginn an auf ein gemeinsames Prozedere in kleinen Schritten verständigt hatte: Man sieht den Schlüssel zum Erfolg im Aufbau wechselseitigen, langfristigen und krisenfesten Vertrauens und nicht in medienwirksamen Schnellschüssen.« (Behr et al.
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Gouvernementalität der Freundschaft
2009: 136) Vertrauen avancierte zum Kernmotiv der Selbstbeschreibung des Dialogs. Auch das Narrativ über die Dialogforen als Zentren der Kommunikationsflüsse und der Vernetzung ließ sich im Zuge meiner Feldforschung in zahlreichen Aussagen von Erlanger Dialogaktiven in den von mir besuchten Sitzungen der CIAG und des FMGE herauslesen. Dieses Narrativ konnte in den skizzierten Praktiken des »Zusammenkommens« (v.a. im Kontext des »Erlanger Modells«) greifbar werden, die entsprechend als Vertrauensarbeit wahrgenommen wurden. Behr deutet den »Erlanger Dialog« als ein Feld, innerhalb welchem passionierte, sich gegenseitig unterstützende Akteure agieren. Dabei betont er die Rolle eines Vertreters einer lokalen Moscheegemeinde als emotional überzeugenden Mobilisator der »muslimischen« Bevölkerung für die gemeinsamen Dialogziele. Mit Blick auf die Einführung von IRU sagt Behr: »Man braucht auf muslimischer Seite wirklich eine Integrationsfigur, der die muslimischen Eltern vertrauen. Mit einem wissenschaftlichen Referat über die Vorteile des Islamunterrichts wird die Gemeinschaft nicht mobilisiert. Diese schwierige Aufgabe hat Herr Güneysu geleistet. Andere Religionsgemeinschaften in anderen Städten kriegen das nicht auf die Reihe.« (Behr, Interview in: Kerler 2008: 50-51) Die Erlanger Dialog-Community, so die These, fand (u.a.) in Güneysu eine Person, die den Zugang zur »muslimischen« Bevölkerung und damit das Projekt »der religiösen Integration« (Vorwort von Petra Bendel, in: Kerler 2008: 5) sicherstellen konnte. Bis heute wird jener »muslimische« Vertreter für seinen Einsatz im Kontext von IRU als Integrationsakteur und Vertrauensperson hervorgehoben (so z.B. auf der Vernissage zur Ausstellung »Muslime in Erlangen« im Erlanger Stadtmuseum in verschiedenen Reden: TB 10). Behr deutet den kollektiv wahrgenommenen Erfolg der Erlanger Dialogaktivitäten auch als Effekt eines »besondere[n] Klima[s] des Dialogs« in Erlangen (Zitat unten). Die Stadt Erlangen sei »insofern auch ein singuläres Ding, weil sie als Hugenottenstadt auf eine besondere geistige Tradition blickt, in der Freiheitlichkeit in weltanschaulichen Fragen eine besondere Rolle gespielt hat. Man hat hier ein besonderes Klima des Dialogs auch über schwierige Zeiten hinweg, was sich als tragfähig und krisenfest erwiesen hat. Dialogforen gibt es inzwischen ja unendliche zwischen Christentum und Islam. […] Aber sobald es kriselt, platzen diese Seifenblasen oft und Vertrauenskrisen entstehen durch Terroranschläge.« (Behr, Interview in: Kerler 2008: 51) Doch nicht so in Erlangen, argumentiert Behr. Er mobilisiert das mit dem Erlanger Stadtslogan »Offen aus Tradition« verbundene Stadtnarrativ der »Hugenottenstadt«, welches die Aufnahme protestantischer Religionsflüchtlinge aus Frankreich in der Neuzeit an die Vorstellung einer heutigen Toleranzkultur zu knüpfen sucht, um das besondere Dialogklima zu markieren, das den Boden für gemeinsame Projekte zwischen Stadt, Gesellschaft und »Muslimen« biete. In zahlreichen meiner Beobachtungen von Dialoginitiativen in Erlangen wurde dieses Narrativ von der »Hugenottenstadt« in diesem Sinne mobilisiert (TB 7, 16, 24). Auch an anderer Stelle erwähnt Behr im Hinblick auf die Etablierung von IRU
6. Der lokale »Dialog mit Muslimen«
»das besondere sozialpolitische Klima in Erlangen. Die sog. ›Hugenottenstadt‹ pflegt ihre libertas als eigene Tradition. Destruktive Grundsatzdiskussionen wurden gar nicht erst zugelassen, weil in einer Sache Konsens bestand: Zu einer positiven Integration gehört die gesellschaftliche Partizipation in allen Belangen und auf der inzwischen viel zitierten ›Augenhöhe‹. Islamischer Religionsunterricht muss sein. Dieser Konsens entstand zunächst im Ausländerbeirat, in dem auch der heutige Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinschaft in Erlangen, Remzi Güneysu, seinen Sitz hat. […] Der damalige Oberbürgermeister nahm sich der Sache engagiert an und holte die Kirchen, Medien, andere öffentliche Interessenverbände und die Universität mit ins Boot. Noch heute fungiert diese ›Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft‹ als eine Art Ältestenrat im Hintergrund des Projekts.« (Behr et al. 2009: 136-137; Herv. J.W.) Interessanterweise wird hier das gesamte lokale Beziehungsgeflecht zwischen universitären, politischen und gesellschaftlichen Akteuren, das sich im Kontext der Einführung von IRU entwickelte, mit der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft (CIAG) gleichgesetzt und damit als interreligiöse Zusammenarbeit artikuliert. Der interreligiöse Dialog in der Form der CIAG wird als Domäne dargestellt, die in besonderem Ausmaß in das stadtpolitische Feld integriert ist. Der interreligiöse Dialog erscheint gar als zentrales Netzwerk innerhalb des integrationspolitischen Handlungsfeldes. Die CIAG wird als ein »Ältestenrat« dargestellt, was einerseits dessen politische Relevanz und anderseits die hohe Bedeutung von lokalen Netzwerken und Bekanntschaften hervorhebt. Die große Bedeutung der CIAG – wie auch des jüngeren Freundeskreises der muslimischen Gemeinden in Erlangen (FMGE) – wird bis heute in Dokumenten der Stadt (z.B.: Stadt Erlangen 2011, 2013) und politischen Vorträgen zitiert (z.B.: Balleis 2008). Das nächste Zitat Behrs leistet eine Art Resümee zu den Arbeiten am »Erlanger Modell« wie auch zur Erlanger Dialogpraxis im Allgemeinen. Es spiegelt wider, wie der Dialog auch von »muslimischer« Seite wahrgenommen wurde und wird. »Voraussetzung für Vertrauen ist Kommunikation, also dass auf kurzen Wegen hierarchiefrei kommuniziert werden kann. Die Stadt Erlangen hat Foren geschaffen, wo sich die Leute auf Augenhöhe unterhalten können. Ohne dieses Anerkennen […] geht’s nicht. Und dann haben auch Muslime das Gefühl, man redet nicht über sie, sondern mit ihnen. Und da machen wir mit. Das Gefühl, dass man nicht ernst genommen wird, ist entwürdigend. Man kann also von Muslimen nicht verlangen, dass sie partizipieren, wenn sie […] als Reserverad mitgeführt werden. Und diesen Fehler haben die Erlanger von Anfang an nicht gemacht.« (Behr, Interview in: Kerler 2008: 51; Herv. J.W.; vgl. auch: Güneysu 2006; Interviews 4, 18; ähnliche Momente auch in diversen Dokumenten, z.B. einem Brief einer lokalen Moscheegemeinde aus dem Jahr 2015 »an alle Dialogpartner«) Ähnliche Narrative wurden mir gegenüber bereits im ersten Interview mit der Integrationskoordinatorin Erlangens (Interview 1) geäußert. Auch in meiner ersten besuchten CIAG-Sitzung (TB CIAG 1) betonten gleich zu Beginn »muslimische« und »nicht muslimische« Teilnehmende eine in Erlangen überdurchschnittlich gute Zusammenarbeit sowie das Vertrauensverhältnis in der Stadt. Diese Bekundungen hatten eine Art Ritualcharakter. Sie wurden am Anfang und noch einmal am Ende der Sitzung voll-
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Gouvernementalität der Freundschaft
zogen. Interessant ist in den oben zitierten Aussagen auch die diskursive Rahmung der Erlanger Dialogarbeitskreise als Foren, in denen »auf kurzen Wegen hierarchiefrei kommuniziert werden kann«. Mir scheint genau diese Beschreibung einen wichtigen programmatischen Fluchtpunkt in der Dialogtechnologie abzubilden, der sich in Techniken einschreibt, die in dieser Arbeit noch sukzessive auf ihre Machteffekte hin untersucht werden.
6.8.2
Inszenierung von Vertrauen und die Frage nach den Techniken
Es wurde dargestellt, wie sich (a) der interreligiöse Dialog in Erlangen im Kontext des Themas Religionsunterricht etablierte, wie (b) der Dialog vor dem Hintergrund der Verfassungsschutzproblematik mobilisiert und mit dem FMGE weiter institutionalisiert wurde und wie er (c) fortan als ein Dialog der Vertrauensbildung zwischen »Muslimen«, Politik und Gesellschaft beschrieben und erfahrbar gemacht wurde. Das Vertrauensnarrativ begründet dabei bis heute die zentrale »Story« über den Dialog in Erlangen (TB 3, 7, 24; Interviews 1, 2, 3, 6). Die Dialogpraxis drückt sich sodann als Versuch der Operationalisierung von Vertrauen aus. Sie scheint als Rationalisierung und Systematisierung von Beziehungsstrukturen zu operieren, die jene vertrauensvollen »kurzen Wege« zu etablieren suchen. Ohne sagen zu müssen, dass der Dialog in Erlangen »wirklich« ein Netzwerk einander vertrauender Individuen ist, kann angemerkt werden, dass sich der Dialog erfolgreich als ein solches Vertrauensnetzwerk inszenieren kann. Solche Aspekte sollen in dieser Arbeit noch vertieft diskutiert werden. Verankerbar zeigte sich das dominante Vertrauensmotiv in der als erfolgreich erlebten Etablierung von Islamunterricht samt Gründung und politischer Aufwertung der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE). Die Arbeit der CIAG brachte greifbare Ergebnisse und vielfältige Kooperationsformen hervor, die als Symbole jenes »vertrauensvollen« Verhältnisses artikulierbar wurden. Dass in diesem Kontext städtische, politische, kirchliche und »muslimische« Vertreter/-innen »an einem Strang ziehen« konnten, hing auch damit zusammen, dass sich die »muslimische« Seite mit der integrations- und sicherheitspolitischen Rahmung der Institutionalisierung von »Islam« versöhnlich zeigte – obschon diese Rahmung eine Problemperspektive auf »Islam« enthält. So konnte das Thema »IRU« seit den 1990er Jahren als gemeinsames Projekt gedeihen, in welchem heterogene Erwartungen und Ansprüche zusammen artikuliert werden konnten. Das Thema »IRU« eignete sich auch deshalb besonders gut als erstes Dialogprojekt sowie als Vergemeinschaftungstrigger, da das Eintreten für Religionsunterricht das Motiv der Anerkennung »muslimischer« Identität enthielt, was dem ohnehin religionspädagogisch eingefärbten Dialogparadigma entsprach. Die »muslimischen« Vertreter/-innen konnten innerhalb des Problematisierungsfeldes Islamunterricht stets auf die stabilisierende Bedeutung »muslimischer« Identität hinweisen und sich auch »als Muslime« einbringen. Die Förderung »muslimischer« Identitäten und Organisationen erschien dabei zunächst nicht als Segregation, sondern konnte als Ordnungsschaffung im Feld der Identitäten und damit als Integrationsbeitrag artikuliert werden. In den nächsten Kapiteln werde ich unter Rekurs auf ethnographische Feldforschungen aufzeigen, wie der Dialog in Erlangen gegenwärtig konkret praktiziert wird. Ich zeige, wie der Dialog in Erlangen strukturiert ist und wie die einzelnen Dialoginsti-
6. Ethnographien des Dialogs
tutionen zueinander stehen und gemeinsam auf eine besondere Art und Weise operieren. Ich werde mich dabei auch auf jene Mikroebene begeben, in welcher die Praktiken und Techniken des Regierens Wirksamkeit zeigen. So werde ich skizzieren, wie der Dialog im Vollzug einzelner Dialogsitzungen und Aktivitäten operiert. Damit wird sich illustrieren lassen, inwiefern ein auf Gemeinschaftsbildung und Solidaritätsbeziehungen setzender Dialog eine unter integrationspolitischen Vorzeichen ablaufende Regierung »muslimischer« Identitäten und Lebensführungen darstellt, die bis in die einzelnen Interaktionen hineinwirkt. Ich werde zudem beispielhaft aufzeigen, wie der Dialog explizit auch religiöse Identitäten bearbeitbar macht, um hinsichtlich der Integration von »Islam« eine neue »Andockfläche« des Regierens zu kreieren, und inwiefern im Dialog die Anerkennung von »Muslimen« mit Normalisierungseffekten einhergeht, die eine subtile Machtwirkung entfalten. Dabei wird u.a. zu diskutieren sein, wie das »muslimische« Subjekt im Dialog zu ganz bestimmten Formen gesellschaftlichen und politischen Engagements sowie zu bestimmten Arten und Weisen des öffentlichen Sprechens angehalten wird. In der Interpretation der Empirie wird sich auch darstellen lassen, wie die historisch konstituierte »Vertrauensbeziehung« im Dialog immer wieder neu verhandelt werden muss und wie die den »muslimischen« Vertreter/-innen Erlangens jahrelang zugeschriebene Position als integrationspolitische Partner/-innen und legitime »Islam«-Repräsentant/-innen im Kontext neuer Dialogpraktiken herausgefordert und brüchig wird (vgl. v.a. auch: Kapitel 10).
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7. Ethnographien des Dialogs: eine Analyse der Praktiken, Techniken und Konfliktdynamiken im lokalen Regieren von »Islam« und »Muslimen«
7.1
Vorabanalyse I: die religiös-säkulare Doppelstruktur des Erlanger Dialogs, die Überkreuzung verschiedener Rationalitäten und die hybriden Subjekte des Dialogs
Wie gezeigt, weist die Dialogpraxis in Erlangen eine institutionelle Doppelstruktur auf, bestehend aus zwei etablierten Arbeitskreisen: der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft (CIAG) und dem Freundeskreis der muslimischen Gemeinden in Erlangen (FMGE). Die CIAG ist programmatisch als interreligiöser Dialog ausgerichtet, behandelt jedoch vielfach auch integrationspolitische Themen jenseits religiöser Fragen im engeren Sinne. Gleichzeitig finden hier in unregelmäßigen Abständen aber durchaus auch theologische Debatten statt. Die CIAG wird in symmetrischer Weise von »muslimischen« Sprecher/-innen und »christlichen« Sprecher/-innen moderiert. Auch die Stadt war stets aktiv in der CIAG vertreten. Eine der »christlichen« Sprecher/-innen zeigte sich bspw. zugleich in einer lokalen Parteifraktion für Fragen rund um Religion und Integration zuständig, war ehemals im Stadtrat aktiv und könnte allgemein als eine »kommunalpolitische Koryphäe« bezeichnet werden. Sowohl die »muslimischen« als auch die »christlichen« Sprecher/-innen sind sehr aktiv und wählen Themen und Schwerpunkte aus. Anders nun als in der interreligiösen CIAG geht es im FMGE programmatisch um die Unterstützung der »muslimischen« Gemeinden im Sinne (säkularer) städtischer Integrations- und Empowerment-Politiken. Moderiert wird der FMGE folglich von »nicht muslimischen« städtischen Vertreter/-innen: ein kommunalpolitischer/eine kommunalpolitische Referent/-in, eine stadtpolitisch involvierte Person, die gleichzeitig auch in der CIAG für die »christliche« Seite spricht, sowie ein weiterer städtischer Vertreter. Beide AGs versammeln Repräsentant/-innen der Stadt, der »christlichen« Kirchen und Bildungswerke, der »muslimischen« Gemeinden und der Universität. Schon aufgrund personeller Überschneidungen kreuzen sich die programmatischen Ausrichtungen der AGs, werden aber in manchen Kontexten auch explizit getrennt.
262
Gouvernementalität der Freundschaft
Die Tatsache nun, dass die Dialogarbeitskreise in der Summe auch religiöse Fragen bearbeiten können – was primär natürlich für die dezidiert interreligiös ausgerichtete CIAG gilt – wird von städtischen Vertreter/-innen als notwendig und sinnvoll erachtet, um einen Zugang zu »Muslimen« zu finden und sich tiefgehend austauschen und verständigen zu können (Interview 14; TB FMGE 7). Ein städtischer Vertreter erklärt die zwei Dialoginstitutionen wie folgt: In der CIAG frage man danach: »Wie können wir, die Mehrheit der Christen, mit der Minderheit Islam in Erlangen zusammenarbeiten? […] Und was sind theologische [Aspekte], auch solche Fragen spielen eine Rolle.« (Interview 14) Im FMGE hingegen, in dem viele Personen aus der CIAG ebenso vertreten sind, »interessiert [uns], dass es eine Religion gibt in Erlangen, die nicht gleichbehandelt wird, […] und diese Gleichbehandlung ist, was wir suchen« (ebd.). Dabei »basieren unsere Diskussionen [hier] nicht auf der theologischen Diskussion, sondern auf der verfassungsrechtlichen« (ebd.). Der FMGE wird als wichtiger Baustein im Erlanger Dialog mit »Muslimen« betrachtet. Dadurch, dass er keine religiösen Fragen im engeren Sinne behandelt, biete er auch jenen Personen Möglichkeiten der Kooperation mit der lokalen »muslimischen« Bevölkerung, die sich nicht mit dem interreligiösen Ansatz der CIAG identifizieren – was durchaus ein Problem sein kann (Interview 14; TB CIAG 9, 10; Telefonat mit einer »muslimischen« CIAG-Vertreterin am 03.12.2017). So gäbe es, wie ein städtischer Vertreter und FMGE-(Co-)Moderator sagte, »das Problem, dass es Leute gibt, die kein Interesse haben, sich tief mit der Religion zu befassen« (Interview 14), wobei aber dieses »Sich-tief-Befassen« in der CIAG geleistet werde und insgesamt wichtig für den Dialog sei (Interviews 3, 14). Gerade die skizzierte Doppelstruktur des Dialogs wird bisweilen als besonders gelungen angesehen, da in der Summe einerseits eine intensive, auch religiöse Auseinandersetzung mit »Muslimen« und »Islam« möglich werde, andererseits aber auch »nicht religiöse« politisch aktive Personen via FMGE Möglichkeiten des Engagements vorfinden würden. Letztlich könne man in der CIAG auf religionsbezogener Ebene am grundlegenden »Einander-Verstehen« arbeiten und dann im FMGE umso vertrauter – und für Religionsfragen sensibler – politisch gemeinsam handeln (Interviews 14, 3, 8, 16). Dabei sagte mir ein FMGE-(Co-)Moderator und städtischer Vertreter, dass er und [Interviewpartner 8; ein städtischer und »christlicher« CIAG-Moderator] innerhalb ihrer lokalen Parteifraktion für das Thema »Religionsgemeinschaften« zuständig sind. Er selbst habe dann eine (Co-)Moderatorenfunktion im »säkularen« FMGE übernommen, sein Kollege in der »religiösen« CIAG: So könne man im Hinblick auf den Umgang mit »Muslimen« »alles abdecken« (Interview 14). Interessant ist, dass diese »Arbeitsteilung« nicht von vornherein geplant wurde, sondern sich erst im Verlauf der Praxis ergeben hat. Der Erlanger Dialog begann 1996 mit der CIAG als interreligiöses, aber kommunalpolitisch verwaltetes Projekt. Später wurde der FMGE gegründet, um einer sich bildenden Gruppe von Personen eine Plattform zu bieten, die die Islamische Gemeinde Erlangen (IGE) im Kontext der Verfassungsschutzproblematik unterstützen wollten. Hierbei spielten Überlegungen bezüglich Säkularität keine Rolle. Erst nachträglich erkannte man die Potenziale jener religiös-säkularen Doppelstruktur des Dialogs. Es zeigt sich, dass Regierungsformationen nicht als Regierungsrationalitäten im engeren Sinne vorab entworfen und programmiert werden, sondern sich erst im Vollzug einer historischen und lokalspezifischen Praxis als solche ergeben, stabilisieren und (re-)artikulieren – bzw. immer wieder (re-)rationalisiert werden. Die-
7. Ethnographien des Dialogs
se (Re-)Rationalisierung ist selbst ein praktischer Prozess, wie auch Foucault anmerkte (1991, 2004 [1977-78]; vgl. auch: Collier 2009). Wie gezeigt, geht die Dialogpolitik in Erlangen, die im Zugang auf die religiöse Gruppe der »Muslime« religiöse Identitäten bearbeitbar macht, teilweise mit Tendenzen einer Religiosierung von Stadt und Stadtgesellschaft einher. Die »Mehrheit«, die die Aufgabe habe, »Muslime« zu integrieren, erscheint sehr häufig als »christliche Mehrheit«. Ein städtischer Vertreter argumentiert: »Und äh, christlich-islamischer Dialog [ist] deswegen auch wichtig in der Stadt, weil die christlichen Strukturen, die die christlichen Kirchen hatten, diese Stadt schon prägen.« (Interview 14) Damit legitimierte er die aktive Teilnahme der Kommune an der interreligiösen Initiative CIAG. Eine der ersten Aufgaben der CIAG sei es z.B. gewesen, »Muslimen« eine »islamische« Bestattung zu ermöglichen. Genau solche Aufgaben rahmt der städtische FMGE-Sprecher als Aufgaben für eine »christlich«-religiöse Gesellschaft, die nun einer »neuen« Religion helfen müsse. Solche Aufgaben seien auf Basis der eigenen religiösen Erfahrungen zu moderieren: »Das [die Bestattung; Anm. J.W.] ist eine kommunale Frage, aber hat sehr viel mit Glaube zu tun.« (Ebd.) Deswegen sei ein »christlich-islamischer Dialog […] auch wichtig […]« (ebd.). Nachdem ich einmal in einem Interview anmerkte, dass doch aber die CIAG oftmals eher integrationspolitisch als wirklich interreligiös operiere (z.B. allgemeine Fragen der Öffentlichkeitsarbeit thematisiere), widersprach mir eine in der CIAG und im FMGE aktive Person, die auch als Vertreter/-in der Stadt anzusprechen ist, und sagte: »Also im Prinzip ist es so, dass sich das [die CIAG; Anm. J.W.] schon versteht als ein Gremium, was sich mit Fragen der Religion, aber im Kontext mit gesellschaftlichen, sozialen, politischen Fragestellungen befasst. Aber die Religion ist schon wichtig.« (Interview 6) Die Annahme, dass die Stadt mit den »Muslimen« auch über Religion sprechen muss, ist dabei an die Motive der Anerkennung und der Augenhöhe geknüpft. Anerkennung mache es notwendig, Religion, die dem »Gegenüber« nun einmal wichtig ist, zum Thema zu machen, was auch die »muslimischen« CIAG-Sprecher/-innen betonen (TB CIAG 9). Auch müsse die Aufgabe einer Integration von »Muslimen« stets zusammen mit den »Muslimen« angegangen werden und sich entsprechend deren Belangen öffnen (Interview 14). In einem Dialog nun, der »muslimische« Lebenspraxis thematisiert, weil er »im Namen des Verständnisses« daran ein Interesse entwickelt, können alle möglichen Aspekte »muslimischer« Lebenspraxis zur Projektionsfläche politisch-normativer Ansprüche und Erwartungen werden. Wie die nächsten Kapitel zeigen werden, ermöglicht der Religionsfokus des Dialogs (bzw. des Verständigungsparadigmas) auch neue Möglichkeiten, um dezidiert religiöse Identitäten zu regieren. Während der Feldforschung ließen sich in Bezug auf das Verhältnis, in welchem die interreligiöse CIAG und der »nicht religiöse« FMGE stehen, sowohl Praktiken der Trennung als auch Praktiken der Vermengung beobachten. Parallel dazu scheint der Dialog in seinem Kräftefeld hybride Subjektpositionen zu produzieren, die zwischen Integrationspolitik und Religionsdebatten wechseln. Teilweise werden die zwei Dialoginstitutionen explizit differenziert, v.a. um den »religionsfreien Raum« des FMGE aufrecht zu erhalten und damit das Engagement nicht religiöser Personen sicherzustellen. In der Praxis aber reiben sich hier letztlich zwei entgegenlaufende (Regierungs-)Rationalitäten: auf der einen Seite die Rationalität säkularer kommunaler Integrationspolitik und auf der anderen Seite jene übergeordnete Regierungsrationalität, die den »Dialog
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mit Muslimen« als Lösung von Problemen anbietet und dafür den Einbezug von Religion als Grundlage »echten« Dialogisierens befördern muss. Gerade der ethnographische Zugang zum Dialoggeschehen konnte entsprechende »Reibungspunkte« sichtbar machen (zu diesem Potenzial vgl. Li 2007; Dzudzek 2016). In einer Sitzung des FMGE (TB FMGE 2) wollte ein (»nicht muslimischer«) Teilnehmer über die Problematik religiös konnotierter Begriffe sprechen (z.B. »Islamismus«) sowie auch eine Diskussion über Fragen politischer Ethik aus »christlicher« und »islamischer« Perspektive anregen. Seiner Ansicht nach würden solche Diskussionen eine gute Grundlage für die gemeinsam mit den »muslimischen« Gemeinden anzugehende Formulierung fundierter öffentlicher Stellungnahmen schaffen. Obschon besagter FMGE-Teilnehmer gar nicht darauf abzuzielen schien, Religion im engeren Sinne zu thematisieren, wurden seine Aussagen jedoch von einem städtischen FMGE-Moderator auf diese Weise aufgefasst. Sodann delegitimierte der Moderator die Diskussionsvorschläge und begründete dies mit der säkularen Ausrichtung des FMGE. »Das will ich nicht diskutieren! Der FMGE ist kein theologischer Debattierklub, sondern ein Forum, wo wir uns überlegen, wie wir die muslimischen Gemeinden unterstützen können. Wie sich innermuslimisch irgendwelche religiösen Perspektiven entwickeln, da will ich mich hier nicht einmischen […], da haben wir im FMGE keine Zeit und das gehört hier nicht her […]. Aber wir werden uns demnächst in der CIAG noch mal mit islamisch-theologischen Perspektiven auseinandersetzen, z.B. mit der Frage nach Religion und Gewalt, und da sind alle herzlich eingeladen. […] Ich finde die religiösen Fragen auch sehr wichtig, aber die sind im FMGE fehl am Platz.« (Sinngemäßes Zitat, TB FMGE 2) Hier wird zunächst eine Trennung zwischen FMGE und CIAG stark gemacht. Auch in einem anschließenden informellen Gespräch mit ebenjenem Moderator artikulierte jener die oben erwähnte Perspektive: Die Trennung sei wichtig, um keine aktiven Personen aus dem FMGE zu »vergraulen«, die nicht über Religion sprechen wollen. Gleichzeitig aber, so zeigt die zitierte Redepraxis, wird die Trennung partiell unterlaufen, indem a) theologische Fragen explizit als wichtig artikuliert werden und indem b) performativ alle anwesenden FMGE-Mitglieder zu anstehenden Sitzungen der interreligiösen CIAG eingeladen werden. Somit wird das »religiöse Gespräch« zwar verdrängt, aber als eine Praxis beworben, die an anderer Stelle fortzuführen ist. Zudem ist auch allen bekannt, dass jener Moderator, der hier die theologische Diskussion abwürgte, gleichzeitig einer der »christlichen« CIAG-Sprecher ist. Performativ betrachtet macht allein die Tatsache, dass er es war, der hier sprach, die artikulierte Trennung sogleich wieder brüchig. Überhaupt wird diese Form der Trennung durch eingespielte Praktiken der Informationsverwaltung unterlaufen: Viele Info-E-Mails werden gleichzeitig über die Verteiler der CIAG und des FMGE versendet, wobei auch Informationen über Veranstaltungen religiöser Art an FMGE-Mitglieder verschickt werden.1 In einem Brief der
1
So z.B. in der Bewerbung des Workshops »Wort Gottes im Christentum und Islam« in einer E-Mail an CIAG und FMGE vom 02.10.2015. Auch in E-Mails von und an FMGE-Mitglieder wird folglich bisweilen eine »religiöse Sprache« eingebunden – bspw. in einer Oktober 2016 von den FMGE- und
7. Ethnographien des Dialogs
FMGE-Sprecher/-innen an den Oberbürgermeister aus dem Jahr 2015 heißt es wiederum, der FMGE hätte sich das Ziel gesetzt, den »muslimischen« Gemeinden dabei zu helfen, »ihre Aufgabe als gleichberechtigt anerkannte Gesprächspartner im interreligiösen Zusammenwirken unserer Stadt […] [zu] erfüllen«. Hier wird auch der FMGE in den Kontext eines interreligiösen Geschehens gestellt. Ferner informieren sich CIAG und FMGE stets gegenseitig über die jeweiligen Aktivitäten: In Sitzungen der CIAG wird in der Regel am Schluss aus dem FMGE berichtet und andersherum. Neben diesen eher impliziten Überschneidungen waren auch programmatische Aussagen zur Legitimation eines Ineinandergreifens von »religionsfreier« Integrationspolitik und interreligiösem Interesse zu beobachten. In einer Sitzung des FMGE (TB FMGE 7) wurde eine Person aus dem Personalreferat der Stadt als externer »Gast« eingeladen. In dieser Sitzung erklärte eine städtische Repräsentantin dem Vertreter der Personalverwaltung die Dialogstruktur in Erlangen. Sie erwähnte die CIAG und den FMGE, an denen jeweils auch »die Stadt beteiligt ist« (Zitat), und machte zunächst keinen Unterschied zwischen beiden Foren. Vielmehr seien beide Ausdruck eines lokalen interreligiösen Dialogs, der verschiedene Gruppen anspreche. Sie nannte: die »Muslime«, die »Christen«, die »jüdische Gemeinde«, aber auch »Menschen, die nicht so sehr Christen sind, aber christliche Wurzeln haben, dazu einen Bezug haben und am Christlichen interessiert sind« (TB FMGE 7). »Diese Menschen«, so fuhr die städtische Vertreterin fort, »werden vom Dialog ja auch vertreten« (ebd.). Auch hier ist wieder jene Religiosierung sozialer Beziehungen, Handlungs- und Politikfelder zu beobachten (dazu: Radtke 2011; Dornhof 2012; Tezcan 2007, 2012). So wurde »die Stadt« wieder einmal zu einer »christlich« geprägten Mehrheitsgesellschaft dazugerechnet und auf die »christliche« Seite der Identitätsordnung gestellt. Die gesamte Stadtgesellschaft habe »christliche« Wurzeln, sodass potenziell alle Bürger/-innen Erlangens in einen interreligiösen Austausch mit »Muslimen« treten sollten. Die politische Vertreterin griff dann auch Gegenperspektiven auf, verschob sie jedoch sogleich: »Also, nicht alle sind ja so richtig religiös, aber viele Leute in der Stadt haben ja schon ihre Wurzeln so im Christlichen.« (Ebd.) Im weiteren Verlauf trennte sie dann zwar einmal doch zwischen CIAG und FMGE: Die CIAG würde sich »mit so Sachen wie Religionsunterricht beschäftigen«, der FMGE »eher mit weltlichen Fragen«. Sie fügte jedoch hinzu: »Aber so genau kann und soll man das auch nicht trennen, das überschneidet sich und das ist ja auch gut so.« (Ebd.) Diese Aussagen beschreiben auch die konkrete Dialogpraxis. Denn in der Tat fanden manchmal auch im FMGE Diskussionen über religiöse Fragen statt. So wurde in einer FMGE-Sitzung zur Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt (TB FMGE 5) ein lokaler Arbeitgeber eingeladen, der vehement darauf hinwies, Frauen mit Kopftuch würden »im Verkauf« Kunden abschrecken. Dieser Arbeitgeber fragte dann die anwesenden »Muslime« nach der religiösen Bedeutung des Kopftuches und mutmaßte, dass im »Islam« das Tragen des Kopftuches doch keine Pflicht sei, wie er »gehört habe«. Daraufhin mussten sich »Muslime« im eigentlich »glaubensfragenfreien« FMGE bezüglich ihres Glaubens erklären, um die »theologische« Anfrage eines »nicht muslimischen« Unternehmers zu beantworten CIAG-Sprecher/-innen gemeinsam an alle Mitglieder von CIAG und FMGE versendeten E-Mail, die Glückwünsche zum »islamischen« Opferfest und einige religiöse Reflexionen enthielt.
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– was von den Moderator/-innen zugelassen wurde. Die Verhandlung religiöser Perspektiven »schwappt« somit auch in den FMGE über. Es ist also trotz gelegentlicher programmatischer Trennungen eher von einer übergeordneten Dialogpraxis auszugehen, die immerzu Räume für die Bearbeitung religiöser Identitäten öffnet und diese Öffnung unter dem Banner der Verständnisproduktion legitim rahmt. Dies konnte der ethnographische Zugang aufzeigen, da die Überkreuzungen der Rationalitäten sich in den Praktiken ergeben, durch die Dialog implementiert wird. Die Verschmelzung von »religionsfreier« Integrationspolitik (FMGE) und interreligiösem Interesse (CIAG) materialisiert sich auch in den Subjektivierungsprozessen. Ein städtischer Vertreter, der sowohl als FMGE-Moderator aktiv ist als auch die »christliche« Seite in der CIAG mit vertritt, erklärte mir, dass der FMGE eigentlich ein Kreis sei, in welchem »ich jetzt quasi so von der Ebene der Kommunalpolitik […] dazugekommen bin« und »in dem Religion in dem Sinne überhaupt keine Rolle spielt, also keine Auseinandersetzungen über religiöse Themen« (Interview 8). Er fährt fort: »In der CIAG aber ist natürlich schon ne andere Motivation da, und das ist dann, sage ich mal so, die zweite Komponente von mir, als Christ, dass ich gerne wissen möchte, was verbindet uns, was trennt uns, Christen und Muslime. Und äh, […], wie können wir gemeinsam dazu beitragen, dass man sich auch in seiner religiösen Gebundenheit in dieser Stadt wiederfindet. Und da geht’s natürlich auch um Glaubensinhalte.« (Ebd.; vgl. auch: Interviews 3, 12, 14) Im Zuge der Subjektivierung als »Subjekt des Dialogs« konstituiert sich selbiges gleichzeitig als (integrations-)politisch erfahrenes und engagiertes wie auch als religiös bewegtes Subjekt – wobei dann sogar von unterschiedlichen persönlichen Komponenten die Rede ist (siehe Zitat). Diese hybride Subjektivierung bildet die Grundlage für das Regieren durch Dialog und die zugrunde liegenden (Selbst-)Führungsweisen. Teils drückt sich die Vermengung eines Dialogs (inter-)religiös interessierter Subjekte und eines integrationspolitischen Dialogs auch in einzelnen »Versprechern« aus: In Bezug auf die Unterstützung einer lokalen Gemeinde in der Verfassungsschutzproblematik Ende der 2000er Jahre merkte ein im FMGE aktiver städtischer Vertreter an: »Daher war es wichtig, dass wir als Christen, als äh, Politiker, in Erlangen diese Haltung [an]genommen haben, zu sagen, wir stehen für die Muslime da.« (Interview 14)
7.2
Vorabanalyse II: Kernprogrammatiken in der gegenwärtigen Arbeit der Dialogforen
Im Zuge der skizzierten Entwicklungen in Erlangen und der Entfaltung und Etablierung des Dialogformats bildeten sich einige Kernmotive in Bezug auf die Rationalisierung des »Umgangs miteinander« aus, die regelmäßig mobilisiert werden. Diese Motive sind mit den Diskursen um Dialog verschnitten (vgl. Kapitel 3 und 4), gleichzeitig scheinen sich in diesen Motiven aber auch die bisherigen lokalen Erfahrungen bzw. deren Artikulation zu spiegeln. Im Folgenden werden zentrale diskursive Fluchtpunkte dargestellt, die sich in der Praxis als Wahrheiten des Dialogs sedimentierten.
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– was von den Moderator/-innen zugelassen wurde. Die Verhandlung religiöser Perspektiven »schwappt« somit auch in den FMGE über. Es ist also trotz gelegentlicher programmatischer Trennungen eher von einer übergeordneten Dialogpraxis auszugehen, die immerzu Räume für die Bearbeitung religiöser Identitäten öffnet und diese Öffnung unter dem Banner der Verständnisproduktion legitim rahmt. Dies konnte der ethnographische Zugang aufzeigen, da die Überkreuzungen der Rationalitäten sich in den Praktiken ergeben, durch die Dialog implementiert wird. Die Verschmelzung von »religionsfreier« Integrationspolitik (FMGE) und interreligiösem Interesse (CIAG) materialisiert sich auch in den Subjektivierungsprozessen. Ein städtischer Vertreter, der sowohl als FMGE-Moderator aktiv ist als auch die »christliche« Seite in der CIAG mit vertritt, erklärte mir, dass der FMGE eigentlich ein Kreis sei, in welchem »ich jetzt quasi so von der Ebene der Kommunalpolitik […] dazugekommen bin« und »in dem Religion in dem Sinne überhaupt keine Rolle spielt, also keine Auseinandersetzungen über religiöse Themen« (Interview 8). Er fährt fort: »In der CIAG aber ist natürlich schon ne andere Motivation da, und das ist dann, sage ich mal so, die zweite Komponente von mir, als Christ, dass ich gerne wissen möchte, was verbindet uns, was trennt uns, Christen und Muslime. Und äh, […], wie können wir gemeinsam dazu beitragen, dass man sich auch in seiner religiösen Gebundenheit in dieser Stadt wiederfindet. Und da geht’s natürlich auch um Glaubensinhalte.« (Ebd.; vgl. auch: Interviews 3, 12, 14) Im Zuge der Subjektivierung als »Subjekt des Dialogs« konstituiert sich selbiges gleichzeitig als (integrations-)politisch erfahrenes und engagiertes wie auch als religiös bewegtes Subjekt – wobei dann sogar von unterschiedlichen persönlichen Komponenten die Rede ist (siehe Zitat). Diese hybride Subjektivierung bildet die Grundlage für das Regieren durch Dialog und die zugrunde liegenden (Selbst-)Führungsweisen. Teils drückt sich die Vermengung eines Dialogs (inter-)religiös interessierter Subjekte und eines integrationspolitischen Dialogs auch in einzelnen »Versprechern« aus: In Bezug auf die Unterstützung einer lokalen Gemeinde in der Verfassungsschutzproblematik Ende der 2000er Jahre merkte ein im FMGE aktiver städtischer Vertreter an: »Daher war es wichtig, dass wir als Christen, als äh, Politiker, in Erlangen diese Haltung [an]genommen haben, zu sagen, wir stehen für die Muslime da.« (Interview 14)
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Vorabanalyse II: Kernprogrammatiken in der gegenwärtigen Arbeit der Dialogforen
Im Zuge der skizzierten Entwicklungen in Erlangen und der Entfaltung und Etablierung des Dialogformats bildeten sich einige Kernmotive in Bezug auf die Rationalisierung des »Umgangs miteinander« aus, die regelmäßig mobilisiert werden. Diese Motive sind mit den Diskursen um Dialog verschnitten (vgl. Kapitel 3 und 4), gleichzeitig scheinen sich in diesen Motiven aber auch die bisherigen lokalen Erfahrungen bzw. deren Artikulation zu spiegeln. Im Folgenden werden zentrale diskursive Fluchtpunkte dargestellt, die sich in der Praxis als Wahrheiten des Dialogs sedimentierten.
7. Ethnographien des Dialogs
7.2.1
Begegnung, Augenhöhe, personelle Kontinuität und die bewusste Wahl der »Dialogorte«
Vor dem Hintergrund einer als spannungsvoll gedachten Beziehung zwischen »Muslimen« und Mehrheitsgesellschaft und im Hinblick auf die Sicherung eines erfolgreichen Kooperierens in teils schwierigen Unterfangen (z.B. Islamunterricht) wird immer wieder die Relevanz eines Dialogs betont, der auf »Begegnungen« setze, wobei »Begegnung« durchaus mit konkreter körperlicher Anwesenheit in Verbindung gebracht wird (Interview 12). Der Dialog sei »klassische Begegnungsarbeit« (ebd.), und zwar im konkreten Sinne »auf der Ebene […] des Lebensgefühls, des Miteinanders« (ebd.). Stadt und Kirchen versuchen dann, Alltagsbegegnungen zwischen verschiedenen Menschen zu ermöglichen (ebd.) – bspw. wurden Treffen zwischen einer »christlichen« Gruppe und einer Moscheegemeinde vermittelt, nachdem sich einige »Christen« einer lokalen Gemeinde fragten, wie »Muslime« das Pilgern wahrnehmen. Hier konnte das Dialognetzwerk Kontakte für Treffen vermitteln. »Also diese Art von ansprechbar auf Alltagsebene, da versuchen wir etwas zu intensivieren.« (Ebd.) Solche Begegnungen sehen auch die Vertreter der »muslimischen« Gemeinden als Potenzial (Interviews 2, 16, 18). Über die lokale Dialogarbeit könne man hinsichtlich des Zusammenlebens mit »Muslimen« erfahren, »wie’s wirklich aussieht vor Ort«, so ein Vertreter einer der »christlichen« Erwachsenenbildungswerke Erlangen (Interview 12). Diese Erfahrung sei eine wichtige Ergänzung zu medialen und politischen Diskussionen. Der lokale Dialog wird hier als Gegenmoment zum überhitzten öffentlich-medialen Diskurs um »Islam« artikuliert. Die Treffen der CIAG fanden und finden derweil »im Wechsel in Moschee- u. kirchlichen Räumen, bei Stadt, Universität und in Privatwohnungen« statt (CIAGProtokoll 15.09.2006). In meiner Beobachtungsphase fanden die Treffen in »christlich«-kirchlichen Einrichtungen, in den Räumlichkeiten der beiden Moscheevereine oder in städtischen Räumen (z.B. im Rathaus) statt. Das Wechseln der Örtlichkeiten wurde oft (bspw. zu Beginn der Dialogveranstaltungen) als ein gewünschter Ausdruck für Gegenseitigkeit und Augenhöhe rationalisiert. In einer Sitzung des FMGE, in der eine städtische Co-Moderatorin einem externen »Gast« aus der kommunalen Verwaltung den Dialog erklärte, erwähnte sie jene wechselseitigen Besuche als Zeichen für eine Dialogkultur des Kennenlernens (TB FMGE 7). Im CIAG-Protokoll vom 15.09.2006 wird das »stete Bemühen aller Beteiligten um gleiche Augenhöhe und Fairness« betont und sodann angefügt, dass dazu »der regelmäßige Wechsel des Tagungsortes unter den Partnern [gehört]«. Hier zeigt sich, wie Orte zu einem Teil des Regierens durch Dialog werden. »Ich glaube dadurch, dass wir so viel wechseln den Ort, das hat schon viel Positives beigetragen«, so ein/-e Integrationsreferent/-in (Interview 6). Als Fluchtpunkte »guter« Dialogarbeit gelten neben »Augenhöhe und Fairness« auch »das breite und dabei dennoch überschaubar gebliebene Spektrum der Mitwirkenden« (CIAG-Flyer). Im letzten Punkt zeigt sich, dass die Etablierung eines vergleichsweise kleinen und vertrauten Personenkreises sowie persönliche Kontakte und Beziehungen als wichtig erachtet werden. »Vertrauen und gegenseitige Anerkennung« werden als zentrale Dialogmerkmale artikuliert (ebd.). Dafür sei eine »personell[e] Kontinuität der Gründungsmitglieder« essenziell (CIAG-Protokoll 15.09.2006). Es gehe um die Sicherstellung eines »über die Jahre meist präsenten Kern[s]« (ebd.). Der Dialog in
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Gouvernementalität der Freundschaft
Erlangen habe hier »personell eine sehr große Kontinuität« (Interview 6): »Vertrauen festigen als soft fact ist wichtiger als der hard fact neuer RU [Religionsunterricht; Anm. J.W.] an neuen Schulen!« (CIAG-Protokoll 12.03.2013) Auch solle die CIAG keine feste Vereinsstruktur haben, sondern als informeller Kreis umso flexibler handeln können (CIAG-Protokoll 15.09.2006; TB CIAG 9). Die Dialogaktiven verstehen ihre Aktivitäten als Beitrag zur Integration, jedoch nicht im Sinne eines fordernden Integrationsbegriffs. Integration und Sicherheit werden eher als implizite Effekte der als »natürlich« und »gut« gedeuteten Dialogpraktiken gedacht, als Effekte des »Sich-gegenseitig-Kennenlernens«, der Verständnisbemühungen und der Bestrebungen um Anerkennung (CIAG-Protokoll 15.09.2006; CIAG-Flyer). Der Dialog würde »Menschen die Möglichkeit [geben], an allen möglichen Teilen oder Dingen, die gesellschaftliches Leben betreffen, teilzuhaben« (Interview 3), und sei damit »natürlich Integration« (ebd.), so eine »muslimische« CIAG-(Co-)Moderatorin (Interview 3). »Und wenn du Menschen das Gefühl gibst teilzuhaben, dann sind die auch weniger anfällig dafür, zu sagen: Guckt mal, wir gehören hier gar nicht hin, wir werden permanent ausgegrenzt. Und das sind ja auch die Kandidaten, die anfällig für Extremismen sind. Von daher ist der Dialog natürlich auch eine Präventionsarbeit.« (Ebd.) Gleichzeitig würde man eine solche Agenda aber »jetzt nicht so explizit formulieren, weil das einfach den Menschen, die zu uns kommen, schon bewusst ist«, so die »muslimische« Sprecherin. Der Dialog sei Integrations- und Sicherheitsarbeit, ohne dass dies ständig betont werden müsste. Die »muslimische« CIAG-Aktive kritisiert an dieser Stelle das Konzept »Integration« als asymmetrisches Programm, welches sie mit einer konservativen politischen Linie (der CDU/CSU) konnotiert. Dagegen sei der Dialog in Erlangen auf »nicht muslimischer« Seite eher von Sozialdemokraten geprägt, die den Integrationsbegriff partizipativer verstehen würden. Auch ein/-e Integrationsreferent/-in merkt an: »Also die einen wollen assimilieren und die anderen sagen: Nein, wir wollen wirklich respektvoll miteinander leben.« (Interview 6)
7.2.2
Eine Grundspannung: praktische Fragen des Zusammenlebens oder theologische Debatte?
Das Lokale wird vielfach als Projektionsfläche vertrauensbildender Maßnahmen artikuliert. Die gemeinsame Behandlung konkreter lokaler Themen des Zusammenlebens wird dabei dem Führen von Grundsatzdebatten meist übergeordnet. So müsse man sich auf »Fragen und Probleme des täglichen Zusammenlebens [konzentrieren], um so gemeinsam konkrete Fortschritte zu erzielen und sich dabei kennen und vertrauen zu lernen« (CIAG-Protokoll 15.09.2006). Demgegenüber sollen »Grundsatzfragen und schwierige Themen […] in Sonderveranstaltungen oder in Veranstaltungen einzelner Mitgliedspartner behandelt [werden]« (ebd.). Grundsatzdebatten (über Religion, Werte, Kultur, Politik) müssen zwar einen »Ort« haben, so die Logik, aber im Dialogforum zumindest zurückgestellt werden. Im CIAG-Protokoll vom 15.09.2006 steht geschrieben: »Gemäß unserer Devise ›konkrete Problemlösungen vor Grundsatzdiskussionen‹ widmen wir uns von der ersten Zusammenkunft an vorrangig praktischen Fragen des
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Zusammenlebens.« Über das gemeinsame Angehen lokaler Themen würden »Muslime« »ihren Weg in die Mehrheitsgesellschaft [finden]« und sich »als Erlangerinnen und Erlanger [verstehen]« (Balleis 2008). Sicherlich war und ist die CIAG stärker mit integrationspolitischen Themen beschäftigt als mit religiösen Fragen und theologischen Debatten im engeren Sinne (vgl. CIAG-Flyer; CIAG-Protokoll 15.06.2006; TB CIAG 9; Interviews 2, 3, 6, 8). Dennoch aber wird das Sprechen über religiöse Unterschiede und Gemeinsamkeiten weiterhin als relevant angesehen (Interviews 3, 6, 7, 8, 14, 16). Somit sind widersprüchliche Positionen auszumachen. Einerseits wird versucht, Diskussionen über Möglichkeiten lokaler Kooperation theologischen Fachdebatten vorzuziehen. Andererseits wird aber gerade der theologische Austausch als wichtig für den Prozess wechselseitiger Verständigung erachtet – von »muslimischer« wie auch »nicht muslimischer« Seite (z.B. in: TB CIAG 9). So zeigten sich einige – auch städtische – Dialogaktive enttäuscht darüber, dass theologische Debatten in der Praxis der CIAG rein quantitativ betrachtet einen vergleichsweise geringen Stellenwert einnehmen (Interviews 3, 8). Auch das eher geringe »muslimische« Engagement im theologischen Bereich wurde von »christlicher« und städtischer Seite bemängelt (Interview 8). Die »muslimische« Seite betont zwar ebenso die Bedeutung eines anzustrebenden Verständnisses für die jeweils andere Religion, ist aber tendenziell weniger an theologischen Debatten interessiert als die »christliche« Seite und/oder als einige kommunale Vertreter/-innen (Interviews 16, 18, 3; IG 6; Gespräch mit einem »katholischen« Vertreter im Kontext von: TB 18). Das geringere »muslimische« Interesse an theologischen Debatten ist dabei ein Phänomen, das in Studien zu interreligiösen Dialogen in vielen Städten beobachtet wurde (Klinkhammer et al. 2011). Die Gründe dafür sind vielfältig. Viele am Dialog beteiligte »muslimische« Vertreter/-innen aus dem Umfeld des organisierten, traditionellen »Islam« der Moscheevereine weisen keine theologische Ausbildung im engeren Sinne auf, was im Kontext von Glaubensgesprächen eine (frustrierende) Asymmetrie bedingen kann. Zudem müssen die »muslimischen« Aktiven das Dialogengagement ehrenamtlich und entsprechend unter »außer-beruflichen« Anstrengungen absolvieren. So merkte ein »muslimischer« Gemeindevertreter an, dass viele »Muslime« nur noch wenig Energie für abendliche Dialogsitzungen oder gar für tiefgehendere Glaubensdiskussionen übrig hätten, »wo du um sechs von der Arbeit kommst und um acht Uhr [die Sitzung stattfindet; Anm. J.W.], mhm?« (Interview 18). Ein in der Kommunalpolitik etablierter »christlicher« CIAG-Sprecher bedauert dies: »Wenn ich mal die Menschen sehe, die sich in den islamischen Gemeinden engagieren, dann haben sie so eine Vielzahl von Aufgaben ehrenamtlich zu bewältigen, dass dafür [Glaubensdiskussionen; Anm. J.W.] kaum ein Freiraum bleibt.« (Interview 8) Ferner würden die »muslimischen« Dialogaktiven als Vertreter/-innen religiöser Gemeinden eher versuchen, Bedürfnisse der eigenen Gemeindemitglieder einzubringen (z.B. Schulprobleme »muslimischer« Kinder, fehlende Gebetsräume usw.; vgl. TB FMGE 10; vgl. auch: Klinkhammer et al. 2011; Schmid et al. 2008; IOM 2013) – auch um der eigenen Gemeinde den Dialog schmackhaft zu machen (Interview 18). Es gehe dann, wie eine »muslimische« CIAG-Sprecherin anmerkt, um »Themen, die halt irgendwie relevant für die Muslime sind, also Bildung, […], Asyl, Aufenthaltsfragen, Berufsfragen und dergleichen« (Interview 3). Darunter leide die Bereitschaft für religiöse Diskussionen, was sowohl ein »christlicher« CIAG-Moderator und Stadtvertreter als auch jene »muslimische« CIAG-Sprecherin bedauern. Letztere sagt:
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»Wir hatten ja letztes Jahr das Thema ›Religion und Politik‹. Was wir zwei unglaublich spannend und sehr relevant fanden, aber da waren wir anscheinend auch sehr [lacht] einzig mit dieser Meinung. Also theologische Themen, irgendwie ziehen die in diesen Kreisen nicht.« (Interview 3) Dabei wünsche man sich, »dass jetzt mal von der muslimisch-intellektuellen Seite gesagt wird, wir wollen uns jetzt mal mit euch Christen auf ner theologischen Ebene auseinandersetzen, das ist ja auch net da, ne?« (Interview 8). Ein in den Dialogkreisen aktiver Vertreter eines »christlichen« Bildungswerks (und Religionspädagoge) nennt in diesem Zusammenhang die Anschläge des 11. Septembers als eine Ursache für die Entwicklung eines Bedürfnisses nach einem auch theologischen Dialog mit »Muslimen«. Der 11. September begründete auch sein eigenes Interesse an der CIAG: »Ich habe begonnen, äh, in der Woche äh, wo 9/11 war. […] Und äh, ich weiß, damals, dass ich gesagt habe, wir werden auf jeden Fall brauchen, ein Gespräch zwischen Christentum und Islam, auch über die theologischen Fragen, also die grundsätzlich religiösen Fragen und die Kultur des Miteinanders. Und seit der Zeit begleitet mich diese Fragestellung Islam persönlich und in der Bildungsarbeit mit der Begegnung.« (Interview 12) Die angestrebte Vertiefung theologischer Debatten zur Förderung gegenseitigen Verständnisses ist dabei an Problematisierungsmuster geknüpft: »Ja! Ich würde sehr gerne intensiver über theologische Fragen diskutieren. Und ich würde auch liebend gerne ne Diskussion führen […] über die innerislamische Diskussion, das Verständnis von Aufklärung usw. […], auch da wissen wir sehr wenig.« (Interview 8, städtischer Vertreter) Verknüpft mit dem Motiv des »Kennenlernens« werden hier Räume für jenen Diskurs geöffnet, der der »islamischen« Tradition eine mangelnde Auseinandersetzung mit der Aufklärung attestiert (vgl. Kapitel 3; vgl. Zehetmair 2005a). Eingebunden in solche Praktiken ist dann immer auch ein Identifizieren »passender« Gesprächspartner/-innen, mit denen gut zusammengearbeitet und v.a. über strittige Fragen gesprochen werden kann. Wichtig, so ein »christlicher« Dialogaktiver, seien »muslimische« Dialogpartner, die »sprachfähig sind, die auch kritikfähig sind, sich einerseits zu artikulieren wissen, wenn blöde Anmachen und Anforderungen kommen, andererseits aber auch intellektuell sich mit, äh, z.B. der Militarisierung der Religion auseinandersetzen können« (Interview 12). Meine Beobachtungen in den CIAG- und FMGE-Sitzungen zeigten, dass dort religiöse Fragen und sogar theologische Aspekte letztlich doch recht regelmäßig auftauchten (vorwiegend in der CIAG) und dass auch die eigentlich zu vermeidenden »Grundsatzdiskussionen« über religiös eingefärbte Dauerkonfliktthemen (Islam und Extremismus usw.) immer wieder angestoßen wurden. Dies ist letztlich wenig verwunderlich, provoziert die auf religiöse Identitäten abzielende Rationalität eines »christlich-islamischen Dialogs« ja auch immer wieder jene »Grundsatz«-Diskussionen über religiöse und kulturelle Differenzen. In den Dialogkreisen werden also folglich soziale Fragen in Kombination mit religiösen Aspekten bearbeitet (siehe nachfolgende Kapitel). Ohnehin wird eingefordert, theologische Fragen über Nebenveranstaltungen einzubinden (CIAG-Protokoll 15.06.2006; Interview 14). Die existierende Spannung zwischen religiösem Grundsatzgespräch und Themen des praktischen lokalen Zusammenlebens prägte
7. Ethnographien des Dialogs
dabei vielfach die von mir besuchten Dialogsitzungen bzw. -veranstaltungen (z.B.: TB 25; TB CIAG 9). Im nachfolgenden Kapitel werde ich am Beispiel zweier aufeinanderfolgender Sitzungen der CIAG sowie zeitlich und inhaltlich korrespondierender Sitzungen des FMGE, die sich insgesamt mit der Frage nach politischem und sozialem Engagement von »Muslimen« in der Stadt beschäftigten, zentrale Themen und Ziele wie auch Abläufe, Verfahrensweisen und Praktiken der Dialogtechnologie skizzieren sowie darin enthaltene Konflikt- und Verhandlungslinien sichtbar machen.
7.3
Ethnographische Analysen der Techniken, Praktiken und Interaktionsmuster in den Dialogarbeitskreisen am Beispiel der Bearbeitung »muslimischen« sozialpolitischen Engagements
Grundsätzlich ist die Dialogpraxis bereits durch spezifische Praktiken der raumzeitlichen Organisation geprägt, was durch den ethnographischen Zugang untersucht werden konnte. Die »Dialoggemeinschaft« rotiert bspw. regelmäßig den Sitzungsort. Die von mir besuchten Sitzungen fanden abwechselnd in Räumlichkeiten kirchlicher Einrichtungen (Räume des Evangelisch-Lutherischen Dekanats, Gebäude der katholischen und evangelischen Bildungswerke), in Räumlichkeiten der beiden Moscheegemeinden oder aber der Kommune (z.B. Sitzungssaal im Rathaus) statt. Die in den nächsten Kapiteln skizzierten CIAG-Sitzungen wurden in Räumlichkeiten »evangelischer« Institutionen durchgeführt. Die jeweiligen »Gastgeber/-innen« bewirten dabei in der Regel die gesamte Dialogrunde, oft stehen Getränke, aber auch kleinere Speisen und Snacks auf den Tischen, vor allem in den Moscheegemeinden (vgl. Haddad 2017). Auf größeren, öffentlich beworbenen Dialogveranstaltungen, die von CIAG- und FMGE-Akteuren (mit-)organisiert werden (z.B.: TB 2, 3, 24, 27), ist meist ein reichhaltiges Büffet enthalten. In den Dialogsitzungen, die in Räumlichkeiten der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) abgehalten wurden, waren oft auch Frauen aus der Gemeinde während der Sitzungen damit beschäftigt, den anwesenden Personen Tee zu kochen und zu servieren oder kleinere Speisen zu verteilen (TB FMGE 10). Diese Praktiken werden von den Dialogteilnehmenden dann auch beobachtet und oft wertschätzend kommentiert. Manchmal liefen während Sitzungen in der TIG auch Kinder aus der Gemeinde umher, wurden von ihren Eltern spielerisch »verfolgt«, durchquerten die (in der TIG recht großen) Räume oder spielten im Hintergrund. Teils merkten Dialogteilnehmer/-innen an, dass es schön sei, während der Dialogsitzungen auch Einblicke in das »islamische« Gemeindeleben zu erhalten, oder führten am Anfang und Ende der Sitzungen Gespräche mit Gemeindemitgliedern: mit Personen also, die nicht direkt an den Sitzungen teilnahmen, aber anwesend waren. Ihre Anwesenheit wurde teils explizit als Element der angestrebten Atmosphäre der Informalität und Geselligkeit artikuliert. Diese Informalität des Dialogs soll später noch einmal angesprochen werden. Gemäß der Dialogrationalität wird ferner – und oft erfolglos – versucht, die Verteilung der Redeanteile symmetrisch zu gestalten, indem zumindest der Grundrahmen dialogisch ausgerichtet wird: So war es v.a. in der CIAG mehrmals der Fall, dass ein/-e Vertreter/-in der »Christen« und ein/-e Vertreter/-in der »Muslime« nacheinander inhaltliche
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7. Ethnographien des Dialogs
dabei vielfach die von mir besuchten Dialogsitzungen bzw. -veranstaltungen (z.B.: TB 25; TB CIAG 9). Im nachfolgenden Kapitel werde ich am Beispiel zweier aufeinanderfolgender Sitzungen der CIAG sowie zeitlich und inhaltlich korrespondierender Sitzungen des FMGE, die sich insgesamt mit der Frage nach politischem und sozialem Engagement von »Muslimen« in der Stadt beschäftigten, zentrale Themen und Ziele wie auch Abläufe, Verfahrensweisen und Praktiken der Dialogtechnologie skizzieren sowie darin enthaltene Konflikt- und Verhandlungslinien sichtbar machen.
7.3
Ethnographische Analysen der Techniken, Praktiken und Interaktionsmuster in den Dialogarbeitskreisen am Beispiel der Bearbeitung »muslimischen« sozialpolitischen Engagements
Grundsätzlich ist die Dialogpraxis bereits durch spezifische Praktiken der raumzeitlichen Organisation geprägt, was durch den ethnographischen Zugang untersucht werden konnte. Die »Dialoggemeinschaft« rotiert bspw. regelmäßig den Sitzungsort. Die von mir besuchten Sitzungen fanden abwechselnd in Räumlichkeiten kirchlicher Einrichtungen (Räume des Evangelisch-Lutherischen Dekanats, Gebäude der katholischen und evangelischen Bildungswerke), in Räumlichkeiten der beiden Moscheegemeinden oder aber der Kommune (z.B. Sitzungssaal im Rathaus) statt. Die in den nächsten Kapiteln skizzierten CIAG-Sitzungen wurden in Räumlichkeiten »evangelischer« Institutionen durchgeführt. Die jeweiligen »Gastgeber/-innen« bewirten dabei in der Regel die gesamte Dialogrunde, oft stehen Getränke, aber auch kleinere Speisen und Snacks auf den Tischen, vor allem in den Moscheegemeinden (vgl. Haddad 2017). Auf größeren, öffentlich beworbenen Dialogveranstaltungen, die von CIAG- und FMGE-Akteuren (mit-)organisiert werden (z.B.: TB 2, 3, 24, 27), ist meist ein reichhaltiges Büffet enthalten. In den Dialogsitzungen, die in Räumlichkeiten der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) abgehalten wurden, waren oft auch Frauen aus der Gemeinde während der Sitzungen damit beschäftigt, den anwesenden Personen Tee zu kochen und zu servieren oder kleinere Speisen zu verteilen (TB FMGE 10). Diese Praktiken werden von den Dialogteilnehmenden dann auch beobachtet und oft wertschätzend kommentiert. Manchmal liefen während Sitzungen in der TIG auch Kinder aus der Gemeinde umher, wurden von ihren Eltern spielerisch »verfolgt«, durchquerten die (in der TIG recht großen) Räume oder spielten im Hintergrund. Teils merkten Dialogteilnehmer/-innen an, dass es schön sei, während der Dialogsitzungen auch Einblicke in das »islamische« Gemeindeleben zu erhalten, oder führten am Anfang und Ende der Sitzungen Gespräche mit Gemeindemitgliedern: mit Personen also, die nicht direkt an den Sitzungen teilnahmen, aber anwesend waren. Ihre Anwesenheit wurde teils explizit als Element der angestrebten Atmosphäre der Informalität und Geselligkeit artikuliert. Diese Informalität des Dialogs soll später noch einmal angesprochen werden. Gemäß der Dialogrationalität wird ferner – und oft erfolglos – versucht, die Verteilung der Redeanteile symmetrisch zu gestalten, indem zumindest der Grundrahmen dialogisch ausgerichtet wird: So war es v.a. in der CIAG mehrmals der Fall, dass ein/-e Vertreter/-in der »Christen« und ein/-e Vertreter/-in der »Muslime« nacheinander inhaltliche
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Gouvernementalität der Freundschaft
Statements abhielten, während städtische Vertreter/-innen eher moderierten. Gerade die »muslimischen« Vertreter/-innen wurden regelmäßig dazu aufgerufen, die in den Sitzungen (von CIAG und FMGE) besprochenen Themen und Inhalte anschließend noch einmal »unter sich« zu diskutierten (wofür stets Zeit eingeplant wurde) und v.a. auch in die »eigenen« religiösen Gemeinden hineinzukommunizieren. Dies tun »muslimische« Dialogteilnehmende dann bspw. über die Techniken der Freitagspredigt, des Schwarzen Bretts, über Gespräche und über E-Mail-Verteiler (Interviews 9, 18). So entwickeln sich im Dialog eingeübte Kommunikationspraktiken. Ferner erhält in den Dialogsitzungen eine Haltung der Achtsamkeit gegenüber religiösen Befindlichkeiten eine besondere Stellung und drückt sich in bestimmten Praktiken aus. Eine CIAG-Sitzung zu sozialem Engagement (TB CIAG 2) z.B. fand während des Ramadan, des »islamischen« Fastenmonats, statt. Dabei kam die Frage des Fastens auf, woraufhin viele »nicht muslimische« Teilnehmer/-innen ihre Getränke demonstrativ unter den Tisch stellten, um es den »Muslimen« nicht unnötig schwer zu machen. Eine »muslimische« Vertreterin sagte dann aber lachend, dass es ihr nichts ausmache, wenn Getränke auf dem Tisch stehen. Gleichzeitig deutete sie auf die am Boden stehenden Getränke und bezeichnete diese als Ausdruck des gegenseitigen Verständnisses. In genau solchen Praktiken der Aufmerksamkeit scheint das programmatische Ziel des Dialogs materiell zu werden, »Integration« als Akt gegenseitigen Respekts zu verwirklichen. In einem Interview erklärte mir eine »muslimische« CIAG-(Co-)Sprecherin, dass Dialog für sie zwar eine Integrationsanstrengung bedeute, jedoch eine, die jenseits der üblichen normativ-fordernden Appelle der konservativen politischen Parteien stehe. Sie (re-)artikulierte den Integrationsbegriff in Abgrenzung zu konservativen Ansätzen als eine Anstrengung gegenseitiger »menschlicher« Achtsamkeit, wobei diese (Re-)Artikulation in Praktiken wie den obigen greifbar gemacht wird (Interview 3). Die beschriebenen Praktiken stabilisieren die Regierungsform des Dialogs im Zusammenwirken nicht sprachlicher und sprachlicher Aktivitäten – z.B. im »Zeigen« auf dadurch sichtbar gemachte Elemente (vgl. Winkler et al. i.E.; Winkler 2017).
7.3.1
Praktiken und Techniken der Förderung »muslimischen« Engagements und die Verknüpfung von Integrationspolitik und religiösem Wissen in den Dialogarbeitskreisen
Im Mai und Juli 2014 wurden angesichts anstehender »Religionsgespräche« mit dem neu gewählten Oberbürgermeister eng getaktet zwei inhaltlich verknüpfte CIAGSitzungen abgehalten, eine zum politischen Engagement von religiösen Menschen und eine zu Religion, Sozialethik und Sozialengagement. Anhand beider Sitzungen lassen sich Praktiken, Abläufe, Mechanismen, Themen und Verhandlungslinien des lokalen Dialogs aufzeigen. Die genannten Sitzungen zielten auf die (vergleichende) Erarbeitung »christlicher« und »muslimischer« Perspektiven auf sozialpolitische Themen sowie v.a. auch darauf, das gesellschaftspolitische Engagement von »Muslimen« in Deutschland zu diskutieren und mit religiösen und integrationspolitischen Argumenten zu begründen. Hierbei agierten städtische Vertreter/-innen als kommentierende Moderator/-innen. Ermuntert durch die CIAG-Moderator/-innen, referierte in der Sitzung zu »Politik und Religion« (TB CIAG 1) eine Religionspädagogin eines »christlichen«
7. Ethnographien des Dialogs
Bildungswerks in Anlehnung an Thesen »christlicher« Theologen zum Thema »Wer fromm ist, muss auch politisch sein«. Sie teilte dafür ausgedruckte Thesenpapiere unter den Teilnehmenden aus, die auch digital als Anlagen zusammen mit dem ebenfalls von »christlicher Seite« erstellten Sitzungsprotokoll an alle CIAG-Mitglieder versandt wurden (in keinem Fall meiner Beobachtungen wurde übrigens eine Sitzung von einer »muslimischen« Person protokolliert, v.a. auch aufgrund sprachlicher Defizite). Um die Verantwortung des religiösen Subjekts für die Gesellschaft zu begründen, bezog sich die Religionspädagogin auf theologische Modelle aus der »christlich-protestantischen« Debatte, z.B. auf die (auf Aussagen Luthers zurückgehende) »Zwei-Reiche-Lehre« über das Verhältnis zwischen dem weltlichen und dem göttlichen Bereich. Ferner wurden Überlegungen u.a. der Theologen Heinrich Bedford-Strohm und Dietrich Bonhoeffer aufgegriffen, um dieses Verhältnis zu diskutieren. In den zwei von der »christlichen« Vertreterin ausgeteilten Handouts waren mehrere Thesen schriftlich notiert. So brauche es »eine öffentliche Theologie«, eine »theologische Auseinandersetzung mit den aktuellen öffentlichen und gesellschaftlichen Themen«, die über ein »Netzwerk mit gut sichtbaren Knotenpunkten« zu etablieren sei. Deren Kennzeichen sei »ihre Zweisprachigkeit«: Öffentliche Theologie basiere einerseits auf religiösen Grundlagen, »andererseits bezieht sie sich ausdrücklich auf die Erkenntnisse in unserer Gesellschaft – sie sucht also den säkularen Diskurs […] in philosophischen, politischen oder ökonomischen Debatten«. Dabei sei es für religiöse Gemeinden »wichtig […], sich über bestimmte Themenbereiche gezielt ›Profil‹ zu erarbeiten«. Religionsgemeinschaften könnten ihre politische und gesellschaftliche Relevanz steigern, wenn sie (An-)Fragen aus der Gesellschaft ernst nehmen und sich diesen öffnen würden: »Um vom Einzelnen wahrgenommen werden zu können, muss ich seine Welt wahrnehmen wollen.« (Alle Zitate aus dem Thesenpapier; vgl. auch: Interview 12). Appelle dieser Art richteten sich strukturell bedingt insofern vorwiegend an die anwesenden »Muslime«, da diese (noch) keine derartig etablierten sozialpolitischen Infrastrukturen, Bildungswerke und Kulturangebote aufgebaut haben wie die Kirchen und sich entsprechend, so die Logik, erst noch nachholend als gesellschaftspolitisch engagierte Religion verwirklichen müssten. Dieses »Nachholen« kann im Sinne der im Dialog formulierten Zielvorgabe einer Herstellung von »Augenhöhe« zwischen »Christen« und »Muslimen« verständlich gemacht werden. Die »christlichen« (v.a. die »evangelischen«) Dialogteilnehmer/-innen präsentierten sich in der besagten Sitzung als Vertreter/-innen einer Religion, die bereits theologische Grundlagen und Impulse für sozialpolitisches Engagement ausgearbeitet hätte und sich auch bereits gesellschaftspolitisch aktiv zeigen würde (wobei aber auch angemerkt wurde, dass die »christlichen« Gemeinschaften insgesamt immer noch zu wenig politisches Engagement zeigten). Dass im Vollzug der soeben dargestellten Praxis eines »Referat-Haltens« durch »Christen« primär die »Muslime« adressiert werden, ist auch bereits durch die Identitätsordnung des Dialogs vorgegeben: In dessen Architektur eines identitätsübergreifenden Erfahrungsaustauschs sprechen »christliche« Vertreter/-innen immer in erster Linie zum religiösen »Gegenüber« – und andersherum. Während ihres Vortrags hielt die »christliche« Bildungsvertreterin auch vielfach Blickkontakt zu den »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen und zeigte sich sichtlich darum bemüht, von diesen verstanden zu werden.
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Gouvernementalität der Freundschaft
Mit ihren Thesen zur öffentlichen Theologie grenzte sie im weiteren Verlauf die Vision politisch engagierter Religionsgemeinschaften strikt von jedweder religiösen Mission ab.2 Religionsgemeinschaften sollten gesellschaftspolitisch aktiv werden, aber nicht, indem sie ihre religiöse Botschaft politisierten oder durchzubringen versuchten. Stattdessen seien sie dazu angehalten, sich außerhalb religiöser Normativität gesellschaftspolitisch zu engagieren und sich dabei auf jene Fragen einzulassen, die auch die Gesamtgesellschaft umtrieben – so wie es die »christlichen« Bildungswerke tun würden. Darüber könnten sie dann als Religionsgemeinschaften mehr Bedeutung erlangen (vgl. auch: Interview 12; IG 4; Badawia 2015). In dieser Artikulation des Verhältnisses zwischen Politik, Gesellschaft und Religion ist der »Wunsch« nach besser etablierten »muslimischen« Gemeinden vor Ort stets mit der Erwartung verknüpft, dass sich selbige stärker als bislang der Gesellschaft gegenüber öffnen. In dem ausgeteilten Handout ist dann auch die dezidiert an die »muslimische« Seite gerichtete Frage vermerkt: »Was kann das Profil einer muslimischen Gemeinde sein, außer muslimisch zu sein?« Die »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen hörten in der Summe also ein langes Referat über den Erfolg »christlicher« Religionsgemeinschaften, die in ihrer Theologie »weltorientierter« und dadurch bedeutsamer geworden seien. Die Sitzung verdeutlicht hierbei anschaulich, wie in den lokalen Dialoginstitutionen integrationspolitische Fragen (Engagement von »Muslimen«) in Anwesenheit städtischer Vertreter/-innen u.a. auch mit religiös-theologischem Wissen bearbeitet werden, auch wenn die theologischen Diskussionen meist eher oberflächlich bleiben. Die Sitzung schien dabei auf der vorab bestimmten normativen Setzung aufzubauen, dass religiöse Menschen sich grundsätzlich aus ihrem Selbstverständnis heraus für die Gesellschaft – und auch außerhalb der eigenen Gruppe – politisch engagieren müssten. In diese Richtung gingen auch Aussagen städtischer Vertreter/-innen (die in diesen Momenten aber eher als »religiöse Privatpersonen« auftraten). Vor dem Hintergrund dieser Setzung erschienen die »christlichen« Vertreter/-innen nach dem anfänglichen Impulsreferat bereits nach kurzer Zeit als ideale Verkörperung dieser Zielvorgabe. Darauf konnte die »muslimische« Seite letztlich nur reagieren, wobei die »Muslime« für diese Sitzung jedoch keinen Redebeitrag vorbereitet hatten, da man sich darauf einigte, nur die »christlichen« Impulse gemeinsam zu diskutieren. Grundsätzlich wird in den Dialogarbeitskreisen immerzu das Ziel verfolgt, neue religiöse Perspektiven auf aktuelle gesellschaftspolitische Themen zu erarbeiten, um dadurch religiöse Identitäten und Vielfalt in der lokalen Stadtgesellschaft sichtbarer zu machen. Dies soll dann v.a. auch den »Muslimen« helfen, sich gesellschaftlich zu etablieren (Interviews 3, 7, 8). Bezüglich dieses primären Ziels nun sind die »christlichen« Kirchen den ehrenamtlich arbeitenden »muslimischen« Gemeinden strukturell voraus. Damit ist die Vorreiterrolle ersterer im Dialog in der Regel zementiert und wird auch »staatlich«, d.h. seitens städtischer Vertreter/-innen akzeptiert oder gefördert. Da die »muslimischen« Teilnehmenden in der skizzierten CIAG-Sitzung zu »Politik und Religion« auch
2
Eine gewisse Spannung zwischen der Förderung von politischem Engagement von Religionsgemeinschaften und säkularer Ordnungsvorstellungen wurde aber bewusst aufrechterhalten. Im Protokoll wurde hierzu letztlich eine Frage vermerkt: »Die Entflechtung von Thron und Altar hatte durchaus ihren Sinn; wie ist es, wenn heute religiöse Gemeinschaften mit politischen Forderungen und Druck auftreten?« (CIAG-Protokoll 06.05.2014)
7. Ethnographien des Dialogs
einen deutlich geringeren Redeanteil hatten, manifestierte sich in sehr sichtbarer Weise eine asymmetrische Situation, innerhalb welcher die »Muslime« tendenziell die Position der »Lernenden« im Beziehungsgeflecht einnehmen mussten (vgl. zu ähnlichen Gedanken mit Blick auf die Deutsche Islamkonferenz: Schiffauer 2008).3 Von »muslimischer« Seite wurden in dieser Sitzung jedenfalls kaum Aussagen formuliert, die eine dezidiert »islamisch«-religiöse Perspektive auf das Thema etabliert hätten (TB CIAG 1). Es waren auch überwiegend »muslimische« Moscheevereinsmitglieder ohne formale religiöse Ausbildung anwesend, die in nicht religiösen Berufen aktiv sind und quasi »in ihrer Freizeit« einen Moscheeverein organisieren. Einzig der Imam der IGE durfte hierbei als religiöser Experte markiert werden. Jedoch sind die deutschen Sprachfähigkeiten vieler »muslimischer« Gemeindevertreter/-innen nicht auf einem Niveau, das flüssiges, konzeptionelles Diskutieren ermöglichen würde. Zudem ist der Imam kein »Theologe« in dem Sinne, wie es einige der »christlichen« Vertreter/-innen sind, die teils theologisch promovierten oder zumindest eine akademisch-theologische Ausbildung abgeschlossen haben. Im Hinblick auf Sprachfähigkeit, Geschultheit in (Selbst-)Präsentationstechniken und allgemein akademische, theologische, gesellschaftswissenschaftliche oder auch politische Expertise lässt sich in den Dialogkreisen eine Asymmetrie zuungunsten der »Muslime« ausmachen. Entsprechend wurde die Frage nach der politischen Verantwortung des religiösen Subjekts in Bezug auf (a) Redeanteile, (b) die Reihenfolge der Impulse (»christliche« Sprecher/-innen machten den »Aufschlag«), (c) den konzeptionellen Input und (d) die verteilten Materialien fast ausschließlich von »christlicher« Seite bearbeitet. Folglich wurden auch die »christlichen« Arbeitsmaterialien und Thesen »universalisiert«, d.h. als allgemeine Impulse für potenziell jedes religiöse Subjekt dargestellt. Von »muslimischer« Seite aus wurden weniger theologische Beiträge zum Thema als vielmehr Hinweise auf die erlebte schwierige gesellschaftliche Situation der »muslimischen« Gemeinden gegeben (vgl. auch: Klinkhammer et al. 2011; Schmid et al. 2008; Schmid 2010a). So machten die anwesenden »muslimischen« Vertreter/-innen darauf aufmerksam, dass sie auch deshalb zum Thema »politisches Engagement« nicht so viel sagen könnten, weil sie angesichts der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse in einer benachteiligten Position seien, was Möglichkeiten des politischen Engagements angehe. Ein »muslimischer« Vertreter merkte ferner an, dass die Gesellschaft derzeit jede Form des politischen Engagements von »Muslimen« allzu schnell als »Islamisierungsversuche« ablehnen würde. Auch seien viele »Muslime« durch die aufgeheizten Islamdebatten verunsichert. Ein »muslimischer« Vertreter erläuterte dies: Wenn ein »Muslim« seine persönliche Meinung äußere, werde dies im gegenwärtig aufgeheizten Diskurs sogleich als Perspektive des gesamten »Islam« bzw. aller »Muslime« gedeutet, da in den Debatten stark homogenisiert werde. Deswegen müsse man als »Muslim«
3
Die Sitzung zeigte sich verknüpft mit einer Defizitperspektive auf die »muslimischen« Gemeinden, die z.B. in den Interviews artikuliert wurde. Ein städtischer Vertreter bspw. sprach aus der Perspektive der Stadt und formulierte die Frage: »[Wie] kann es uns gelingen, Strukturen zu schaffen, neben den normalen Gemeindestrukturen, die einfach Muslime befähigen, sich noch stärker in diesen Dialog einzuschalten, also in diesen […] gesellschaftlichen Dialog über anstehende Aufgaben und Fragen?« (Interview 8)
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extrem aufpassen, was man äußere, was viele davon abhalte, sich politisch zu engagieren. Argumente dieser Art unterliefen nun den religionsbezogenen Rahmen der Sitzung. Denn das diagnostizierte und der Sitzung zugrunde gelegte Problem eines zu geringen politischen Engagements vieler »Muslime« wurde hier als etwas gerahmt, das auf gesellschaftlichen Exklusionsprozessen basiere und damit nicht zuvorderst durch theologische Reflexionen über das Verhältnis zwischen religiöser und politischer Identität – oder durch »christliche« Erfahrungsweitergabe – zu bearbeiten sei. Dennoch wurden in der Sitzung u.a. auch durch »muslimische« Vertreter/-innen selbst, kulturelle und religiöse Faktoren als Ursachen für mangelndes Engagement von »Muslimen« eingebracht, wodurch das religiöse Gespräch wieder legitimiert war. Sowohl in dieser als auch in der nachfolgenden Sitzung (TB CIAG 2) wurde die These artikuliert, dass viele »Muslime« aufgrund der Sozialisation in den gesellschaftspolitischen Ordnungen ihrer Herkunftsländer (und diese seien: keine Demokratien, teils totalitär, keine säkularen Kontexte, religiös homogen) wenig Erfahrungen damit hätten, in einer säkularen und pluralen Umgebung wie der deutschen Gesellschaft aus ihrem religiösen Selbstverständnis heraus als gesellschaftspolitisch profilierte Akteure aufzutreten (TB CIAG 1, 2). Insgesamt stellten die CIAG-Sitzungen eine Technologie des Regierens dar, die im Vollzug »gemeinsamer Reflexionsabende am runden Tisch« die Erhöhung der politischen Relevanz von Religion(-en) sowie spezifisch auch der lokalen Wirksamkeit der organisierten »muslimischen« Gemeinschaften in Erlangen zum Ziel erhebt und sodann über die Produktion bestimmter Wahrheiten über das zeitgemäße politische Agieren von Religionsgemeinschaften in säkularen Umgebungen die Wahrscheinlichkeiten dafür schafft, dass die »muslimischen« Gemeinden sich selbst »managen« und stärker mit der Gesellschaft auseinandersetzen, in der sie leben.
7.3.2
Politisch selbstbewusste »Muslime« und die Subjektposition des Mutmachers
In einem nachträglichen Interview mit mir kritisierte ein »christlicher« CIAGModerator und städtischer Vertreter die Aussage eines Moscheevertreters, dass »Muslime« es schwer hätten, politisch aktiv zu werden, weil die Gesellschaft dies/sie nicht akzeptiere. Er rahmte die Angelegenheit als ein Problem des politischen Selbstbewusstseins und gab die Verantwortung trotz gesellschaftlich wirksamer Exklusionsmechanismen primär an die »Muslime« weiter. Er artikulierte das Bild nicht genügend selbstbewusster, sich zurückziehender »Muslime«, die von »linksliberalen« Politiker/-innen lernen könnten (Interview 8). »Also diese Einschätzung von [Name des Moscheevertreters], dass die Gesellschaft es nicht gerne hören würde, also des würd ich mal sagen is, diese Gedanken müssen sich selbstbewusste Muslime net machen, also ich sag mal als, als jemand, der immer linke Politik betrieben hat: Ich glaub des gesagt zu haben, was ich für richtig halte, ob des jemand hören will oder net. Soll er halt weghören, wenn er’s net hören will, ne? Des ist ja Teil des Diskurses, des Diskurses in der Demokratie, ne? Und also insofern, denk ich mir, ist des eine Frage des Selbstbewusstseins.« (Ebd.)
7. Ethnographien des Dialogs
Das Ziel sei nun, »Muslime« selbstbewusster zu machen: »Wir können eigentlich Türen […] öffnen, aber wie können wir muslimische Gemeinden und Einzelpersonen so stark machen, dass sie durch diese Türen auch gehen? […] Das braucht Zeit.« (Ebd.) Dies beschreibt auch ein ehemals im Erlanger Dialog aktiver »christlicher« Wissenschaftler in einem Beitrag über den Erlanger Dialog und die Geschichte der CIAG. Seiner Ansicht nach sind die »nicht muslimischen« Dialogteilnehmer/-innen gegenüber den »Muslimen« »als Zuhörer gefragt, als Stichwortgeber und als Mutmacher« (Forssmann 2006: o.S.). Dabei sei man »froh [gewesen], dass die deutschen Muslime mündig wurden. Es war eine Freude und ein Gewinn, endlich Gesprächspartner zu haben.« (Ebd.) Man müsse, wie ein Mitarbeiter eines kirchlichen Bildungswerks sagte, die »Muslime« dabei unterstützen, dass sie »ihren Mund aufmachen« (Interview 12). Auch hier zeigt sich, dass es im Dialog immerzu um die »muslimische« Seite geht. Die »Christen« werden jedenfalls kaum zu Subjekten gemacht, deren Selbstbewusstsein zu stärken wäre. Hier scheint ferner eine geradezu therapeutische Komponente des Dialogs auf (Zuhören, Mutmachen), die auf das in dieser Arbeit noch sukzessiv zu erweiternde Motiv eines governing through friendship verweist. Der Dialog hat hiermit ein Ziel gefunden: die Produktion des politisch selbstbewusst auftretenden »Muslims«, welcher sich nicht zurückzieht, sondern öffentlich eine »muslimische« Stimme verkörpert, mit der sich die Gesellschaft auch auseinandersetzen kann.
7.3.3
Die zwei Register des Dialogs als Grundlage eines tiefgehenden Zugriffs auf »Islam« und »Muslime«: die Arbeitsteilung zwischen CIAG und FMGE
Wie gezeigt, macht es die Erlanger Dialogstruktur möglich, integrationspolitisch relevante Fragen rund um die gesellschaftliche Teilhabe der lokalen »muslimischen« Bevölkerung zweigleisig anzugehen: sowohl »klassisch« integrationspolitisch – hier ist der FMGE zu nennen – als auch über den Einbezug von religiösem Wissen (CIAG). Aus der Kombination von CIAG und FMGE heraus entfaltet sich der Dialog mit der »muslimischen« Bevölkerung als heterogene Regierungstechnologie. Der Einbezug von Religion ist dabei grundsätzlich gewünscht, da das Erkunden der religiösen Aspekte des Zusammenlebens als Voraussetzung nachhaltiger Vergemeinschaftung begriffen wird. Auch »Muslime« betonen die Notwendigkeit, für »ihre Integration« über Religion zu sprechen (TB CIAG 9; Interviews 8, 14, 10, 18). In Ergänzung zur skizzierten Erarbeitung des »gesellschaftspolitisch engagierten religiösen Subjekts« in der interreligiösen CIAG wurde »muslimisches« gesellschaftliches Engagement zeitlich (relativ) parallel auch im FMGE besprochen und dort durch eher »klassische« integrationspolitische Netzwerkarbeit und Ressourcenbildung gefördert – dabei in Anwesenheit einiger Personen, die gleichzeitig auch in der CIAG aktiv sind. So wurde in einer kurze Zeit später organisierten FMGE-Sitzung (TB FMGE 2) eine Mitarbeiterin der (v.a. als Reaktion auf die Flüchtlingsarbeit) neu gegründeten städtischen Koordinationsstelle Bürgerschaftliches Engagement eingeladen, damit diese die »muslimischen« Gemeinden kennenlerne. Es wurden sodann Möglichkeiten eruiert, inwiefern die städtische Mitarbeiterin den Gemeinden dabei helfen könnte, ihre verschiedenen ehrenamtlichen sozialen Aktivitäten in der Summe effektiver zu organisieren und zu koordinieren (um bspw. Überlastungen zu vermeiden; dabei ging es z.B.
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um Formen der sozialen und nachbarschaftlichen Hilfe unter Gemeindemitgliedern, um Maßnahmen der Nachhilfe für Kinder und Jugendliche und um andere Aktivitäten, die der Integration der Gemeinden und deren Mitglieder dienlich sein könnten). Die städtische Koordinatorin sollte auch dabei helfen, zusammen mit den »muslimischen« Gemeinden weitere Möglichkeiten gesellschaftlichen Ehrenamts zu erkunden, für die sich die Gemeinden ggf. interessierten und über welche sie ihre Sichtbarkeit in der Stadtgesellschaft verbessern könnten. So schilderte die kommunale Vertreterin in etwa: »An der Klinik in Erlangen engagieren sich muslimische Frauen – so was braucht es mehr, es muss koordiniert werden, und vielleicht gibt es für so was auch Förderung.« (Sinngemäßes Zitat) Sie bot entsprechend auch an, bei der Erarbeitung und Formulierung von Förderanträgen für Integrationsprojekte zu helfen. Damit könnten die Gemeinden die bereits vorhandenen ehrenamtlichen Tätigkeiten – Nachhilfeunterricht, Deutschkurse, die Dialogaktivitäten selbst, Tage der offenen Moscheen, öffentliche Veranstaltungen usw. – finanzieren, auf ein professionelleres Gerüst stellen und zukünftig verstetigen oder noch erweitern. Derzeit versprach man sich im Dialog v.a. von der Einrichtung einer »muslimischen« Erwachsenenbildung eine Erhöhung der Sichtbarkeit der »muslimischen« Gemeinden in der Stadtgesellschaft sowie Möglichkeiten der Ausweitung »muslimischen« gesellschaftspolitischen Engagements. Auch diesbezüglich wurde die Vernetzung zwischen »muslimischen« Gemeinden und der Person aus dem Ehrenamtsbüro bedeutsam. Letztere half in den kommenden Monaten bei Anträgen für eine Förderung des Erwachsenenbildungswerks (TB FMGE 2; Interview 21). In einer weiteren, später abgehaltenen FMGE-Sitzung wiederum wurden Vertreter/-innen eines Stadtteilbeirats eingeladen – jenes Stadtteils, in welchem beide Moscheegemeinden liegen –, um den »Muslimen« die Potenziale eines solchen lokalistischen Engagements vorzustellen (TB FMGE 10). So operierte der FMGE insgesamt als integrationspolitische Technik der Vernetzung lokaler Akteure mit dem Ziel der Stärkung »muslimischen« Engagements, während die theologischen Grundlagen dazu in der CIAG erarbeitet wurden. Auch die skizzierte Propagierung »selbstbewusster Muslime« wurde einerseits (in der CIAG) theologisch vorbereitet (vgl. vorherige Kapitel) und andererseits durch konkrete Unterstützungsmaßnahmen angestrebt. So sind z.B. die vielen Praktiken der symbolischen Solidarisierung zwischen städtischen Sprecher/-innen, »christlichen« Akteuren und »muslimischen« Gemeinden u.a. als Maßnahmen zu deuten, die die »Muslime« qua Gemeinschaftserfahrung politisch mobilisieren möchten. In Sitzungen der CIAG und des FMGE waren emotionalisierte Bekundungen städtischer Vertreter/-innen zu beobachten, die den »Muslimen« zusicherten, sie bei ihren Versuchen zu unterstützen, am gesellschaftlichen Geschehen zu partizipieren (und auftretende Widerstände gemeinsam anzugehen). In diesem Kontext ist v.a. der FMGE zu nennen, der dezidiert als eine solche Unterstützungsinitiative für die »muslimischen« Gemeinden etabliert wurde. Dies wird von letzteren auch anerkennend wahrgenommen. In einem 2015 per E-Mail verteilten Brief einer der beiden Moscheegemeinden »an alle Dialogpartner« artikuliert die »muslimische« Seite auf emotionale Weise: »Es ist ein wohltuendes Gefühl, ein Netzwerk wie ›Freundeskreis der Muslime‹ in unserer Stadt zu haben.« Die kontinuierliche Hervorhebung gemeinschaftlicher Solidarität sowie die Bildung lokaler Allianzen sind als integrationspolitische Maßnahmen deutbar, die u.a. darauf abzielen, »Muslime« poli-
7. Ethnographien des Dialogs
tisch selbstbewusster zu machen und darüber zu Engagement anzuhalten (Interview 3). Hier ist Dialog eine »klassische« aktivierende Integrationspolitik (Lanz 2009a, b; Weber 2013; De Wilde 2015a, b). Die Technologie des Dialogs operiert also auf den zwei skizzierten Registern. Während bspw. im FMGE Netzwerkarbeit praktiziert wurde, um Ressourcen für »muslimisches« Engagement zu generieren und die »Muslime« mit »Expert/-innen« für lokales Ehrenamt zusammenzubringen, wurden im interreligiösen Dialogkreis der CIAG theologische Grundlagen für »muslimisches« politisches Engagement in »nicht muslimischen« und säkularen Gesellschaften – und für entsprechende intrinsische Motivationen – erarbeitet. An beiden »Orten« finden sich dabei integrationspolitisch aktive staatliche Vertreter/-innen wieder. Beide Techniken enthalten Mechanismen einer normalisierenden Produktion des gewünschten religiösen Subjekts. Gerade das Zusammenspiel aus Netzwerk- und Empowerment-Praktiken und der theologischen Bestimmung »politischer Pflichten« des religiösen Subjekts bildet die Grundlage für die komplexen Machteffekte der Dialogtechnologie. Die Kombination aus »säkularer« Integrationspolitik und interreligiösem Austausch macht dabei, so die These, die Integration der religiösen Gruppe der »Muslime« regierbar. Gleichzeitig ist es jene spezifische Kombination, die einen besonders »tiefgehenden« und umfassenden Zugriff auf die lokale religiöse Gruppe der »Muslime« zu etablieren versucht. Der Dialog wird von städtischen Vertreter/-innen auch gerade in dieser Doppelform als sinnvoll erachtet – und als jener »umfassende« Zugriff attraktiv (Interviews 8, 14; TB CIAG 9, 10; informelle Gespräche mit Dialogaktiven). Dabei ist es v.a. das dialogische Paradigma des »VerstehenWollens«, welches es plausibel macht, integrationspolitische Praktiken um Praktiken des Reflektierens religiöser Selbstverständnisse zu ergänzen. Das Paradigma des gegenseitigen Verständnisses ist also immer auch die Grundlage für einen umfassenden Regierungszugriff auf Identität und Lebensführung einer religiösen Gruppe.
7.3.4
Einzelne Techniken des »Dialogisierens« in ihrem Vollzug und die Mikrokontexte und Mikromomente einer Performativität der Asymmetrie
Im Folgenden werde ich anhand der CIAG-Sitzung vom 16.07.2014, die das bisher dargestellte Thema »Religion und Politik« um Diskussionen über religiöse Sozialethik und Sozialengagement ergänzte, die Performativität der Asymmetrie im Dialog illustrieren und aufzeigen, wie die dadurch etablierten Falllinien der Macht den lokalen Dialog als Regierungsform in Stellung bringen. Dabei werde ich auch die Potenziale einer Ethnographie des Regierens aufzeigen (Li 2007; Ott u. Wrana 2010). In der entsprechenden Sitzung (TB CIAG 2) sollten »christliche« und »islamische« Perspektiven auf soziales Engagement in der Stadt erarbeitet werden. Bereits in der Sitzung davor (TB CIAG 1) sagte eine/-r der Moderator/-innen, dass es »schön wäre«, wenn »die muslimischen Gemeinden in sich gehen und für nächstes Mal ein Referat über das Konzept sozialer Gerechtigkeit im Islam formulieren [könnten]« (sinngemäßes Zitat). Ethnographisch wird sich nun zeigen lassen, wie dieses Thema ausgehandelt wurde und wie sich dabei Konflikte manifestierten, in deren Vollzug die Identitätsordnung des Dialogs performativ brechen musste (jenes am »runden Tisch« als Begegnung auf Augenhöhe orchestrierte Zusammenkommen zwischen »Christen« und »Muslimen« als Expert/-innen ihrer Religionen
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Gouvernementalität der Freundschaft
unter Beteiligung »der Stadt«). Das »Brechen« der angestrebten »Symmetrie« liegt bereits in der schon angesprochenen Tatsache begründet, dass die religiös-theologischen, aber auch die sprachlichen und bildungsbezogenen Kompetenzen zwischen »muslimischen« und »nicht muslimischen« Teilnehmer/-innen ungleich verteilt sind (Klinkhammer et al. 2011). Da die Dialogrationalität aber darauf angewiesen ist, den »christlichen« Expert/-innen »muslimische« Expert/-innen auf »Augenhöhe« buchstäblich »gegenüberzusetzen«, werden solche strukturellen Asymmetrien mitunter verdrängt, um die Dialogarchitektur aufrecht erhalten zu können. Wenn nun aber Aussagen »muslimischer« Vertreter/-innen über Theologie, Politik und Gesellschaft aus strukturellen Gründen nicht den akademischen und theologischen Reflexionsgrad der »christlichen« Teilnehmer/-innen erreichen, diese »muslimischen« Vertreter/-innen aber im Paradigma des Dialogs wiederkehrend als legitime Expert/-innen und Repräsentant/-innen ihrer Religion positioniert werden, können sich defizitäre Vorstellungen von »Islam« aufdrängen. Dies wiederum führt performativ zu Spannungen. Die Ausarbeitung »christlicher« und »islamischer« Perspektiven auf soziales Engagement (TB CIAG 2) wurde durch die im Dialog etablierte Verfahrensweise angegangen, einen »muslimischen« und einen »christlichen« Sprecher nacheinander Referate halten zu lassen. Bereits diese raumzeitliche Praktik konstituiert in Verbindung mit den Positionierungen von Körpern am gemeinsam geteilten Artefakt des Besprechungstisches die jeweils sprechenden Subjekte als Religionsexpert/-innen, die in einem symmetrischen Verhältnis zueinanderstehen. So wie es ein »muslimischer« Vertreter ausdrückte: »Deshalb gibt’s ja interreligiösen Dialog, heißt Dialog, das heißt, ich geb mein Statement, der andere gibt sein Statement, und wir versuchen, wie wir uns gegenseitig [erklären].« (Interview 18) Doch im konkreten Vollzug dieser Technik war dann der Beitrag des »christlichen« Pfarrers (wieder einmal) deutlich länger als der des »muslimischen« Gemeindevertreters; auch nahm der Pfarrer etwas stärker auf theologisch-theoretische Perspektiven Bezug und konnte auch mehr über konkrete lokale Sozialmaßnahmen der Kirche berichten als der »muslimische« Sprecher bezüglich seiner Gemeinde. Als Erstes referierte diesmal ein Vertreter des Moscheevereins IGE über Aussagen im Koran sowie in der Prophetengeschichte, die auf den hohen Stellenwert sozialer Gerechtigkeit im »Islam« hinweisen würden. So erwähnte der Gemeindevertreter bspw.: »Der Prophet sagte: Wer abends satt zu Bett geht, während sein Nachbar hungert, der handelt schlecht.« (Die zitierten Worte sind hier die Worte des Gemeindevertreters und nicht in etwa Zitate aus dem »islamischen« Schriftbestand). Des Weiteren erklärte er die »islamische« Spendenabgabe (Zakat) als eine der fünf Säulen des »Islam«. Ferner merkte er an, dass es in der »islamischen« Tradition »sieben oder acht Gruppen gibt, denen man Spenden kann« (TB CIAG 2), ohne jedoch diese Gruppen genauer zu beschreiben. Gerade dies interessierte aber einige Dialogteilnehmer/-innen, wobei der Moscheevertreter nur anmerken konnte, dass er »hier die Details nicht parat [habe]«. Grundsätzlich gäbe es im »Islam« bezüglich der Hilfe für Bedürftige Prioritätensetzungen: die Hilfe für die Familie, für Bekannte und Gemeindemitglieder sei am dringlichsten, dann kämen die Nachbarn und weitere Gruppen. Im Anschluss illustrierte der Gemeindevertreter, wen seine Gemeinde de facto sozial unterstütze: Dies seien vorwiegend Gemeindemitglieder selbst (»die islamischen Gemeinden sind selbst bedürftig [lacht]«, so seine Aussage)
7. Ethnographien des Dialogs
oder auch »muslimische« Student/-innen. Auch im Ramadan wird für die Gemeinde gesammelt. Im Anschluss daran sprach der »christliche« Vertreter ca. fünf Mal so lang. Auch er rekurrierte auf Motive und Aussagen in religiösen Schriften, in dem Fall der Bibel, um die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit zu betonen. Er gab Verweise auf das »Recht des Fremden« in Römer 12, erläuterte die sozialkritischen Impulse im Buch des Propheten Amos, der den »Gottesdienst« ein Stück weit vom Ritus entkoppelt und als Dienst am Menschen reformuliert habe, und erwähnte die Aufrufe zur Armenbeihilfe in den Büchern Mose. Diese Darstellungen führten dann in eine sehr breite und lange Schilderung des sozialethischen und sozialpolitischen Selbstverständnisses der evangelischen Kirche sowie der konkreten sozialen Aktivitäten der Kirche vor Ort – in Bezug auf welche die »Muslime« schlicht nicht »mithalten« konnten. So erzählte der Pfarrer von einem Sonderfonds der evangelischen Kirche gegen Armut und Obdachlosigkeit in Erlangen. Auch schilderte er, wie er durch sein persönliches Engagement mit der Direktion der Erlanger Stadtwerke aushandeln konnte, dass eine ihm aus der Sozialarbeit bekannte bedürftige Person von den Stadtwerken angestellt wird, während er im Gegenzug an einer von den Stadtwerken organisierten Werbung für Elektroautos teilnimmt. Der »christliche« Pfarrer sprach auch explizit davon, dass die Kirche auch »Muslimen« und »Nichtgläubigen« helfe, während gerade dieses religionsgrenzenübergreifende Momentum in der Rede des »muslimischen« Vertreters nicht expliziert wurde und sodann auch Fragen in der späteren Diskussion aufwarf (siehe unten). Das performative Aufeinanderfolgen dieser zuungunsten der »Muslime« ungleichen Referate musste vor dem Hintergrund der identitätslogischen Folie des Dialogs implizit die Vorstellung bedienen, es sei aus »islamischer« Perspektive zu einem wichtigen Thema weniger zu sagen. Die Reibung zwischen angestrebter Symmetrie und performativer Asymmetrie schien einige der anwesenden »muslimischen« Teilhabenden negativ zu affizieren (Hände verschränken, Seufzen). Entsprechend nahm ein »muslimischer« Vertreter im Anschluss an die Referate sogleich »Islam« und »muslimische« Identitäten in Schutz, ohne dass ein expliziter Angriff stattgefunden hätte. Er sah sich genötigt zu betonen, dass es nicht religiös, sondern strukturell (gesellschaftlich, organisatorisch, politisch, finanziell) bedingt sei, dass die »muslimischen« Gemeinden bisher weniger ausgeprägt als lokale sozialpolitische Akteure wirken konnten: »Wenn du [Name des Pfarrers] zu den Stadtwerken gehst, kannst du gleich ein Leuchtturmprojekt organisieren, wir nicht. Wir haben dieses Standing nicht.« (TB CIAG 2) Trotz dieser Relativierung der Rolle von Religion, was bereits eine Form des Widerstands gegen die Kulturalisierungen im Dialog darstellt, entfaltete sich in der Folge auf Grundlage der Beiträge eine tendenziell doch eher religionsvergleichende Debatte über den Zusammenhang zwischen sozialem Engagement und religiösen Identitäten in »Christentum« und »Islam« – was die Macht der Identitätsordnung des Dialogs aufzeigt. So wurden u.a. auch kulturelle und religiöse Aspekte als Ursachen für ein vermeintlich schwächer ausgeprägtes »muslimisches« Engagement aufgeworfen. Beispielsweise wurde von einer kulturell und/oder religiös aufgeladenen Nichtidentifikation von »Muslimen« mit der Gesellschaft gesprochen. Mehrfach wurde gar ein Mangel »muslimischer« Ehrenamtskultur diagnostiziert (dieses Argument scheint zu zirkulieren, eine ähnliche Problematisierung artikulierte auch eine/ein Verwaltungsangestellte/-r in
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einem Gespräch mit mir: IG 3). Die »Muslime« fanden sich also in einer unterlegenen Position wieder, aus der heraus sie nun verschiedentlich die Grundrationalitäten des Dialogs subvertierten. In etwa wurde angemerkt, dass nicht von dem »Islam« oder den »Muslimen« gesprochen werden sollte (die dann angeblich grundsätzlich weniger engagiert wären). Solche Akte der Subvertierung der Vorstellung fester Identitäten, auf welchen die Dialogtechnologie letztlich beruht, kommen regelmäßig vor, v.a. in Situationen, in welchen eine einzelne Gruppe rein defizitär artikuliert wird. Auch wurde die aufgeworfene Disposition zum Ehrenamt, die »Muslimen« fehlen würde, von »muslimischen« Sprecher/-innen als etwas bezeichnet, das v.a. von individuellen Wesenszügen abhänge. Hier wurde wiederum der Anspruch des interreligiösen Dialogs unterlaufen, primär über religiöse Identitäten zu sprechen, insofern individuelle Wesenszüge keine Diskussionen über »Islam« und »muslimische« Identitäten legitimieren können. Es ist jedoch anzumerken, dass in anderen Kontexten auch einige »muslimische« Gemeindevertreter/-innen selbst bisweilen von einer mangelnden »Ehrenamtskultur« sprachen. So ist im CIAG-Protokoll vom 12.03.2013 ein Vertreter eines Moscheevereins mit den Worten zitiert: »Ehrenamt ist unter Muslimen nicht über die Gemeinden hinaus verbreitet und bekannt, nur in den Gemeinden. Viele Muslime glauben, dass die Aufgaben, die Ehrenamtliche tun, eigentlich Aufgaben des Staates sind.« In der CIAG-Sitzung zu Sozialengagement jedoch wurde diese pauschal auf »Muslime« abzielende Diagnose wieder hinterfragt. Überdies erinnerten »muslimische« Vertreter/-innen auch mehrmals daran, dass sie eben keine theologischen Expert/-innen seien. Bezüglich der Aufgabe, »islamisch«theologische Ansichten auf gesellschaftliche Fragen zu formulieren, fehle manchmal einfach Wissen (Interview 18). Oft wäre eine Konsultation der – in dieser Sitzung nicht anwesenden – Imame notwendig, um auftretende Fragen beantworten zu können (wie in einem nachträglichen Interview angemerkt, in dem über die Sitzung gesprochen wurde: Interview 16). Mit solchen Aussagen unterlaufen »muslimische« Subjekte partiell ihre eigene Experten- und Sprecherposition, die ihnen im Dialog zugewiesen wird – in diesem Fall, um eine sich aufdrängende Defizitperspektive auf den »Islam« aufzulösen. Dies kann bereits in einzelnen Mikropraktiken des »Sich-selbst-Präsentierens« geschehen. So deutete der »muslimische« Vertreter kurz vor Beginn seines Referats auf einen Notizzettel in seinen Händen und sagte im Modus des »Herunterspielens«, den Zettel hin und her schwenkend, dass er »jetzt nur so ein bisschen was vorbereitet [hat], nichts Großes«. Der Zettel avancierte zum zeigbaren Symbol dieses Zustands. Solche Brüche in den Programmen des Regierens (Li 2007) konnten durch die teilnehmende Beobachtung erschlossen werden und sind auch erst im umfassenden Kontext des beschriebenen Konfliktes zu begreifen. Obschon der Dialog eine »symmetrische« Identitätskonstruktion verfolgt, entfaltet er sich oft als asymmetrisches Aufeinandertreffen von einer Mehrheit – »Stadt« und »Christen« – und einer Minderheit – der »Muslime«: In dieser Figuration rückt die defizitorientierte Frage nach der Integrierbarkeit der Minderheit in den Mittelpunkt. Die Dialogkreise sind dabei primär auf lokal organisierte islamische Moscheegemeinden ausgerichtet, deren Vertreter/-innen adressiert werden. Die Moscheegemeinden werden mit Defiziten in Verbindung gebracht, gleichzeitig aber als Verkörperungen des »eigentlichen« und traditionellen »Islam« gesehen. Keineswegs also werden im Kon-
7. Ethnographien des Dialogs
text der Dialogpolitiken alle verschiedenen »muslimischen« Milieus und Gruppen gleichermaßen adressiert. So agieren in Erlangen bspw. junge, akademische und engagierte »muslimische« Gruppierungen, die sicher nicht in der Form wie die Gemeinden zu Objekten einer Politik werden, die auf die Unterstützung defizitär konzipierter (Migranten-)Communitys zielt. Dies wird im nächsten Kapitel als Exkurs behandelt.
7.3.5
Exkurs: Der kommunale integrationspolitische Dialog mit Moscheegemeinden vis-à-vis der Dialogaktivitäten »junger, akademischer, politisch engagierter Muslime«
Die städtischen Dialogarbeitskreise CIAG und FMGE involvieren vorwiegend Mitglieder und Sprecher/-innen traditioneller religiöser Moscheegemeinden. Dabei handelt es sich nach wie vor vielfach um Personen mit Migrationshintergrund, die bspw. auch der Verkehrssprache nicht so mächtig sind wie ihre »Gegenüber«. Somit übernehmen in diesen Dialogkreisen »christliche« und städtische Vertreter/-innen oft die Diskussionsführung. Die Moscheegemeinden werden dabei sowohl von »muslimischer« (Interviews 3, 16) als auch von »nicht muslimischer« Seite (Interviews 6, 8, 14) vielfach als Verkörperungen eines »klassischen« und »traditionellen Islam« der praktizierenden Basis erachtet – einer Religion, die mit Migration verbunden und in Deutschland relativ »neu« sei. Damit kommen sie als Hauptzielgruppe der politischen Praxis »Dialog mit dem Islam« in den Blick. Aus der Perspektive der Dialogaktiven sind gerade die Mitglieder der »traditionellen« Moscheegemeinden jene Individuen, die gesellschaftlich am meisten exkludiert werden, um deren Integration sich Politik und Gesellschaft zu lange zu wenig gekümmert hätten und die migrationsbezogene Probleme aufweisen würden (wobei natürlich von »muslimischer« Seite im Dialog andere Problembeschreibungen getätigt werden als von »christlicher« oder »städtischer« Seite). All dies legitimiert den Fokus auf die Involvierung vornehmlich der organisierten Moscheegemeinden. Diese werden von einigen Dialogaktiven als zu wenig integriert und ferner auch als Gruppierungen eher konservativ-gläubiger Personen wahrgenommen, deren »Islam« Integrationsprobleme erzeugen kann (Interviews 3, 7, 8; IG 6). Der kommunalpolitische Dialog zielt also vorwiegend auf »traditionell« praktizierende religiöse (Migranten-)Gemeinden und, wenig verwunderlich, nicht in etwa auf eine Gruppe wie jene der »jungen, akademischen Muslime«, die in Erlangen aus eigenem Antrieb und außerhalb der städtischen Dialogkreise interreligiöse Leseprojekte gründen und integrationspolitische Workshops organisieren. An dieser Stelle soll jenes Feld der »jungen akademischen Muslime« in Erlangen charakterisiert werden, da es eine Vergleichsfolie zum integrationspolitisch-städtischen Dialog darstellen kann. Zu nennen wäre hier in etwa die Muslimische Studierendengemeinde Erlangen (MSG): eine Organisation junger »Muslime« an der Universität Erlangen, die sich – durchaus in gewisser Abgrenzung zu den als traditionell und konservativ erachteten Moscheegemeinden (Interview 10) – als Anlaufstelle für junge »Muslime« darstellt, die sich vernetzen wollen und/oder ein Interesse daran haben, sich als »Muslime« gesellschaftlich zu engagieren. Einer/eine der »muslimischen« Sprecher/-innen der MSG gründete vor einigen Jahren zusammen mit anderen religiös interessierten, an der Universität in Erlangen tätigen Personen einen interreligiösen Lesekreis, das Café Abraham (als Trialog zwischen »Juden«, »Christen« und »Muslimen«). Diese Lese-
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gruppe trifft sich einmal die Woche in Erlangen und ist bestrebt, via Textarbeit dezidiert interreligiöse theologische Diskussionen auf hohem Niveau zu führen. Der tiefgehend theologische Fokus wird dabei als Beitrag zum gegenseitigen Verständnis, als Ausdruck eines Interesses am »Anderen« und darüber hinaus als Mittel zur Stärkung von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt gesehen, wie es z.B. in dem Programmpapier »Café-Abraham – Konzept für interreligiösen Dialog in deiner Stadt« dargelegt ist (vgl. Interview 10).4 Das interreligiöse Leseprojekt konnte überzeugend als Demokratieförderung dargestellt werden und wurde im Rahmen eines Projekts des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in diesem Sinne aufgegriffen und gefördert.5 Das Café Abraham wurde inzwischen, ausgehend von Erlangen, in viele weitere Städte »exportiert« und als deutschlandweiter Dachverband neu ausgerichtet (IG 4). Die Protagonisten solcher Kreise und Projekte (MSG, Café Abraham, aber auch bspw. die Fachschaft der universitären »islamischen« Theologie am DIRS Erlangen) engagieren sich nicht primär für die Errichtung und Beibehaltung religiöser Infrastrukturen – wie z.B. Moscheevereine. Vielmehr konzentrieren sie ihre Aktivitäten darauf, Netzwerke und Institutionen als Grundlage für ein neues »muslimisches« gesellschaftspolitisches Engagement aufzubauen, das »Muslime« in einen Dialog mit der Gesellschaft bringen und neue »islamische« Perspektiven erschließen soll. Es geht ihnen um die Generierung »muslimischer« Impulse für die Gestaltung von Gesellschaft und Politik. Auch sensible Themen wie Radikalisierung und Extremismus werden bspw. von der MSG aktiv in der Form co-organisierter Workshops angegangen (Interviews 3, 10, 21; TB 4; vgl. das Programm des von der MSG co-organisierten Workshops »Freiheit Gestalten«6 ). Letztlich können jene »jungen, akademischen Muslime« als aktive Akteure auftreten, deren gesellschaftspolitisches Interesse ausgeprägter wirkt als jenes solcher Gruppen, die primär die Sicherung religiöser Dienstleistungen anstreben (vgl. Klinkhammer et al. 2011; Schmid et al. 2008). Auch zeigt sich bspw. die MSG reformorientiert: Es geht eher um Weiterentwicklung, nicht primär um Bewahrung »islamischer« Ansichten.7 Der wichtigste Unterschied zwischen den traditionellen Gemeinden und den Projekten der »jungen, akademischen Muslime« ist, wie oben angerissen, der Folgende: Die Mitglieder/-innen der Moscheegemeinden in Erlangen sind mit der ehrenamtlichen Organisation des Gemeindelebens bereits vielfach ausgelastet und ansonsten überwiegend in berufliche Tätigkeiten involviert, in welchen sie sich nicht mit den
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https://cafeabraham.com/2017/10/04/das-cafe-abraham-konzept-fuer-interreligioesen-dialog-in-d einer-stadt/, (27.12.2017). http://zusammenhalt-staerken.de/magazin/unser-ziel-ist-es-vorurteile-abzubauen, (24.07.2017). https://www.ezire.fau.eu/files/2016/04/Ver_Freiheit-gestalten_2015.pdf, (10.02.2018). Das Café Abraham Erlangen bspw. versucht, folgende Themenfelder im Rahmen eines Dialogs zwischen Religionsgemeinschaften und Gesellschaft zu bearbeiten:«Neo-salafistischer Extremismus, Deradikalisierung, Interreligiöser Dialog, Vergleichende Religionswissenschaft, Gefängnisseelsorge, Islam und Medien, Islamische Theologie, Christliche Theologie […], Philosophie, Islam und Recht, Islamwissenschaft, Dschihadismus, Juden in der arabischen Welt, Frühe islamische Geschichte, Geschichte der deutschen Orientalistik, Islamisch-systematische Theologie, Koranhermeneutik.« (https://derorient.com/interreligioeser-dialog/, 10.10.2017). Damit erfüllen jene »muslimischen« Akteure die Erwartungen des Diskurses um »Islam« und »Integration«, der von »Muslimen« kritische Auseinandersetzungen mit sozialpolitischen und religiösen Themen erwartet.
7. Ethnographien des Dialogs
Themen »Religion«, »Islam«, »Dialog« und »Integration« (oder mit anderweitigen sozialpolitischen Themen) beschäftigen (Interview 21). Vielmehr seien die Gemeindemitglieder zu großen Teilen in technischen Berufen verortet. Folglich fehle innerhalb der »muslimischen« Gemeinden nicht nur theologische und islam- sowie religionswissenschaftliche (vgl. Rohe 2015), sondern auch sozialpolitische, (sozial-)pädagogische und gesellschaftswissenschaftliche Kompetenz (IG 6, 10; Interview 21; TB 27). Allein deshalb engagieren sich viele Aktive aus den Moscheegemeinden nicht vergleichbar intensiv für eine Erarbeitung und Kommunikation gesellschaftspolitischer »muslimischer« Positionen, wie es seitens der Stadt gewünscht wäre und wie es die Aktiven der »jungen, akademischen« Dialognetzwerke tun. Im Gegensatz zu den Moscheegemeinden sind die Protagonist/-innen von Initiativen wie z.B. dem Café Abraham oder der MSG vielfach bereits beruflich und/oder studientechnisch in den thematischen Nexus »Islam«, »Integration«, »Politik« und »Dialog« involviert. Ein/-e Sprecher/-in der MSG (Interview 10; IG 4), maßgeblich auch am Café Abraham Erlangen und am Café Abraham Deutschland beteiligt sowie Mitglied im akademisch flankierten Deradikalisierungsund Dialognetzwerk derad, studierte Kulturgeographie, Nahoststudien und Islamwissenschaften, begann später eine Tätigkeit als wissenschaftliche/-r Mitarbeiter/-in an einem islamisch-theologischen Institut, beriet staatliche Stellen in Fragen von Dialog und Extremismusprävention und arbeitete als »muslimische/-r« Seelsorger/-in in Gefängnissen sowie als »Expert/-in« für Präventionsarbeit durch religiöse Bildung und interreligiöse Dialoge. Ein anderes Mitglied des Café Abraham Erlangen studierte Politikund Islamwissenschaften und ist u.a. als Blogger und Journalist, als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Orientalische Philologie und Islamwissenschaft sowie als Referent für Veranstaltungen zu den Themenbereichen »Islamwissenschaft, Vergleichende Religionswissenschaft [und] religiös begründeter Extremismus/Terrorismus« aktiv.8 Wieder andere Mitglieder des Café Abraham sind in religionspädagogischen oder sozialpädagogischen Bereichen involviert. Dazu gesellen sich junge »muslimische« Theolog/-innen sowie Studierende der Islamwissenschaften, Politikwissenschaften und der Theologien an der Universität Erlangen (Interviews 10, 21; IG 4; regelmäßige Sichtung der Einträge auf den Facebook-Präsenzen von Café Abraham, MSG und der Fachschaft des Instituts für »islamische« Theologie in Erlangen). Ein Mitglied der MSG ist gleichzeitig auch im Rat muslimischer Studierender und Akademiker aktiv, einer Organisation, die versucht, »Muslime« als fachlich kompetente Akteure in gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Feldern zu fördern und dabei »islamisches« Wissen und »Fachwissen« zusammenzubringen. Ein solches (Selbst-)Integrieren durch religiöse Identität entspricht genau der Rationalität des politischen Dialogs. Die »jungen, akademischen« Akteure erscheinen damit als Subjekte, die ihre Integration bereits vorbildlich »selbst in die Hand nehmen«. Ihre Fähigkeit zur Selbstintegration ist dabei Effekt spezifischer Interessen, Ausbildungswege sowie beruflicher und politischer Pfade. Dabei, so die These, sind es der gegenwärtige Diskurs um »Islam« und »Integration« sowie die sich darin konstituierende Regierungs- und Selbstregierungsform des Dialogs, die jene spezifischen Interessen sowie die Bereitschaft »muslimischer« (und auch »nicht muslimischer«) Subjekte mit 8
Vgl. seinen Blog, aus welchem auch das Zitat stammt: https://derorient.com/interreligioeser-dialo g/, (10.10.2017).
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erzeugen, die erwähnten Pfade zu begehen – und in etwa Islamwissenschaften oder Islamische Theologie zu studieren (vgl. Işik 2015). Insgesamt erscheint dann die Praxis des Dialogisierens bspw. im Kontext des Café Abraham weniger defizitär ausgerichtet als im städtisch moderierten Integrationsdialog. Im Café Abraham treffen sich Individuen, die in der Regel in Deutschland aufgewachsen sind und eine meist hochqualifizierte Ausbildung durchlaufen haben. In einem solchen Kreis ist weniger sichtbar, wo die Mehrheits-Minderheits-Grenzlinie verläuft. Es treffen sich Anhänger/-innen von Religionen, die nur für sich und nicht für dahinterstehende Gemeinden sprechen und die über ein gemeinsames persönliches theologisches Interesse zusammengekommen sind. Während es in den städtischen Dialogen um Integrationsfragen geht, treffen sich im Café Abraham Individuen ohne den Anspruch, Fragen der Integration einer Gemeinde oder einer Bevölkerung klären zu müssen (Interview 21).
7.3.6
Die Verräumlichung religiöser Solidaritätsverpflichtungen
In der CIAG-Sitzung zu Sozialengagement wurden u.a. auch die Fragen verhandelt, inwieweit »Muslime« »nur« innerhalb der eigenen Gemeinden sozial engagiert sind, inwiefern dies strukturell bedingt sei und welche Perspektiven auf (religionsübergreifendes) Engagement in »nicht muslimischen« Gesellschaften der »Islam« kenne. In den Diskussionen kam verschiedentlich die Vorstellung auf, dass sich praktizierende und in einer religiösen Gemeinschaft aktive »Muslime«, die entsprechend intensiv mit anderen Mitgliedern in Beziehung stehen, primär innerhalb der eigenen Gemeinschaft engagieren (alleine schon deshalb, weil sie dann auch eher über die Bedürftigkeiten in der eigenen Gemeinschaft informiert sind). Solche innergemeindlichen Hilfeleistungen praktizierender »Muslime« wurden mehrfach als wichtige und der Integration »migrantischer« Individuen dienliche Formen des gesellschaftlichen Engagements gewürdigt. Der Fokus auf die eigene Familie oder auf die eigene Gemeinde wurde mit der »islamischen« Vorstellung einer eher informell, spontan und individualisiert ausgerichteten Verpflichtung zur Unterstützung Bedürftiger in Verbindung gebracht: »Auf muslimischer Seite ist das informeller, spontaner, man hilft situativ Leuten, die zu einem kommen oder zur Gemeinde kommen«, so ein TIG-Vertreter (TB CIAG 2). Dieses Konzept wurde von einigen »muslimischen« und »nicht muslimischen« Dialogaktiven als Grundlage eines sozialen Engagements artikuliert, das im Gegensatz zur institutionalisierten »Hilfsmaschinerie« der Kirchen (Caritas, Diakonie), die den Gläubigen beinahe schon aus seiner individuellen Pflicht hebt, entsprechend authentisch(-er) und direkter sei. Gleichzeitig äußerte sich in den Diskussionen aber auch die Sorge, dass die »muslimischen« Gemeinden damit viele Bereiche der (Gesamt-)Gesellschaft nicht erreichen. Ein erklärtes Ziel war es ja, die »muslimischen« Gemeinden als sozialpolitische Akteure innerhalb der Stadt zu stärken und sichtbar zu machen. Dafür schien das im weiteren Sinne religiöse Konzept einer spontanen Hilfe für Nahestehende (die dann v.a. Gemeindemitglieder sein dürften) nicht gänzlich geeignet zu sein. Vor diesem Hintergrund jedenfalls, so meine These, ist die Vehemenz zu verstehen, mit der dann immer wieder die Pflicht des »muslimischen« Subjekts hervorgehoben wurde, sich lokal und für die Nachbarn oder die Nachbarschaft zu engagieren. Das Lokale und die Nachbarschaft wurden letztlich mit »Stadt« und mit »Erlangen« gleichgesetzt. Eine (konver-
7. Ethnographien des Dialogs
tierte, in Deutschland aufgewachsene) »muslimische« Person aus den Gemeinden fasste zusammen: »Also es geht auch um Nähe, man muss seinem Nächsten spenden oder helfen. Also ganz räumlich. Die Muslime in Erlangen müssen sich vor allem hier engagieren.« Diese Verräumlichung religiöser Solidaritätsverpflichtungen nahm zum einen die Funktion ein, zu klären, für »wen« sich die Gemeinden aus ihrem religiösen Selbstverständnis heraus sozial engagieren sollen. Welche Individuen und Gruppen sind die Zielobjekte, welchen Umfang soll das soziale Engagement haben, bezieht sich das Engagement nur auf »Muslime« oder auf die Gesamtgesellschaft? Die Strategie der Verräumlichung sollte genau in diesem Problemfeld Klarheit verschaffen und wurde nun mehrfach auch in Bezug auf theologische Aspekte hervorgehoben. Gerade der Aspekt der Nachbarschaft wurde auffällig oft betont. Ein im Dialog – vor allem in der CIAG – sehr aktiver und von städtischen Vertreter/-innen immer wieder für sein Engagement gelobter Imam erklärte mir in einem Interview, dass er in den Freitagspredigten die Notwendigkeit lokalen Engagements theologisch begründe und verkünde. Im »Islam«, so der Imam, gehe es »besonders [um] den Umgang mit der Gesellschaft, den Umgang mit der Umgebung, mit […] Arbeitskollegen, mit, äh, mit Nachbarn, das ist sehr wichtig und […] ist ein Teil von Islam« (Interview 9). »[Der] Islam versucht, dass man sich für die Umgebung interessiert.« (Ebd.) Die Freitagspredigten nutze er auch grundsätzlich, um Inhalte des Dialogs in die Gemeinden hinein zu kommunizieren (Interview 18). Eine muslimische Teilnehmende brachte während der Sitzung (TB CIAG 2) eine Aussage ein, in der sich das skizzierte Spannungsfeld anschaulich ausdrückt, wobei hier wiederum lokale und nachbarschaftliche Verantwortlichkeit von »Muslimen« hervorgehoben wird. Sie sagte: »Die Hilfe, die bei Muslimen abläuft, ist sehr nah – da geht’s um Familie, Gemeinde, Bekannte. Sie erfolgt automatisch, individualisiert. Wenn das aber z.B. Nachbarn betrifft, dann wird auch geholfen, egal ob Muslim oder nicht!« Die spontane Hilfe im »Islam« wird hier zunächst mit einer Hilfe von »Muslimen« für »Muslime« äquivalent gesetzt, während das »aber« dann eine Gegenperspektive markiert, die diese Engführung löst. Diese Lösung ist das Lokale. Gleichzeitig betont sie: »Ich weiß nicht, ob wir uns eine institutionalisierte Sozialhilfe wünschen sollten. Dann wird das Helfen so entpersonalisiert und bürokratisiert.«
7.3.7
Der weitere Einbezug von Theologie im Kontext einer Universitätsstadt
Zu einem späteren Zeitpunkt machte ein »christlicher« und städtischer CIAGModerator per Sammel-E-Mail an CIAG und FMGE auf eine vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) organisierte (vom Bundesinnenministerium angeregte) und in Nürnberg (Nachbarstadt von Erlangen) vom 03. bis 04.11.2015 abgehaltene Tagung aufmerksam, die das Thema »Islamische Sozialethik: Theologische Reflexionen, organisatorische Bedürfnisse und Praxisbeispiele« behandelte (Interview 13). Die Tagung versuchte, »Muslime« in Deutschland dabei zu unterstützen, eigene Formen sozialpolitischen Engagements zu entwickeln, theologisch zu begründen und in der Form eines professionellen, sich an berufsethischen und Fachstandards orientierenden Einsatzes für die Gesamtgesellschaft auszurichten (Interview 13; Badawia 2015). In der Tagungsbeschreibung, die der E-Mail angehängt war, wurden folgende Fragen formuliert: »Wie verorten Muslime und ihre Organisationen Wohlfahrtsaktivitäten in
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Gouvernementalität der Freundschaft
einer pluralen und säkularen Gesellschaft? Sollen diese binnenorientiert sein, also nur die eigene Gruppe und deren Bedürfnisse bedienen? Oder verstehen Muslime diese Wohlfahrtsaktivitäten als religiös begründeten Dienst an der Gesellschaft als ganzer?« Damit thematisierte die Tagung genaue jene Fragen, die auch in den skizzierten CIAG-Sitzungen wichtig wurden.9 Die Tagung wurde von einem städtischen CIAGund FMGE-Moderator in einer E-Mail an alle CIAG- und FMGE-Mitglieder (Oktober 2015) als Veranstaltung gewürdigt, über die, so hieß es, »wir uns alle nur glücklich schätzen [können]«. Die Veranstaltung wurde in der E-Mail beinahe euphorisch und emotional gelobt, und alle Dialogteilnehmer/-innen wurden zur Partizipation aufgerufen. In einer Universitätsstadt wie Erlangen sind es vielfach wissenschaftliche Tagungen und Workshops, in denen solche u.a. auch theologische, Debatten über »Islam« und Integration geführt werden. Diese Tagungen werden dann in den Dialogkreisen wahrgenommen, besprochen und beworben – nicht selten stehen deren Protagonisten ohnehin in Beziehung zu den Dialogkreisen. Es bestehen vielfältige Vernetzungen zwischen den kommunalen Dialogarbeitsgruppen und dem akademischen Feld. So moderierte z.B. einer der FMGE-Moderatoren ein Panel auf einem u.a. von der Muslimischen Studierendengemeinde Erlangen (MSG) und dem EZIRE vom 24. bis 25.04.2015 organisierten Workshop zur sozialpolitischen Verantwortung religiöser Menschen in der Stadt (Titel: »Freiheit gestalten«).10 Insgesamt zeigten die letzten Kapitel allesamt, wie die Dialogtechnologie auch Theologie integriert. Selbst wenn sich die an den kommunalpolitisch (mit-)getragenen Dialoginstitutionen beteiligenden städtischen Vertreter/-innen nicht explizit in theologische Debatten einmischen wollen (was gelegentlich betont wird: TB FMGE 2, TB CIAG 10), findet im 9
10
Dabei hielt der bereits mehrfach in die CIAG eingeladene Religionspädagoge und Theologe Tarek Badawia vom Departement Islamisch-Religiöse Studien in Erlangen am 04.11.2015 einen Vortrag über Möglichkeiten der theologischen Begründung »muslimischen« sozialpolitischen Engagements in Deutschland. Badawia, dessen Thesenpapier mir vorliegt (2015), argumentierte u.a., dass die »Inanspruchnahme der Einrichtungen der psychosozialen Versorgung durch Muslime […] gering [sei], und unter ›praktizierenden‹, den ›traditionellen Milieus‹ zuzuordnenden Muslimen noch geringer« (ebd.). Als Grund nennt er u.a. die auf »muslimischer« Seite zu beobachtende Einschätzung, »dass ›einheimische‹ Professionelle nicht in der Lage sind, den kulturellen Hintergrund […] sowie die ›fremde‹ Lebensweise so zu verstehen, dass sie […] Lösungswege […] aufzeigen können« (ebd.). Badawia konstatiert, dass zwar »der Leidensdruck extrem hoch [sei]. Andererseits hinder[e] ein ›falsch‹ verstandenes Verständnis von ›Schutz der Privatsphäre vor Fremden‹ Betroffene daran, sich für systemische Hilfe zu öffnen.« (Ebd.) Das »Verhaltensmuster der Hilfe-Suchenden« (ebd.) sei vielfach vom »Deutungsmuster ›Islam wirkt heilend‹ [ge]prägt« (ebd.). So werden »Imame/Hodschas […] faktisch bei allen Themen der ›seelischen Krisen‹ und Lebenskrisen um ›religiösen‹ Rat gefragt« (ebd.), was Badawia als unprofessionelles Handeln kritisiert (ebd.; vgl. Interviews 15, 21). Badawia legte in seinem Vortrag unter Rekurs auf Elemente »islamischer« Tradition sodann eine Theologie des Gemeinwohls vor. Diese solle das »muslimische« Subjekt dazu anleiten, sich sowohl bei eigenen, in der Gemeinde verorteten sozialen Problemlagen als auch im Hinblick auf das (von »muslimischen« Organisationen vielfach angestrebte) Sozialengagement für die Gesellschaft von den Beschränkungen eng gefasster religiöser Normativität zu lösen und damit auf eine »professionellere« Weise als sozialpolitischer Akteur zu agieren (auch in Kooperation mit »nicht muslimischen« Akteuren). »Muslime« sollen erkennen, dass der Einsatz für das Wohl der Gesamtgesellschaft (zumindest manchmal) über die Erfüllung religiöser Gesetze zu stellen ist. https://www.ezire.fau.eu/files/2016/04/Ver_Freiheit-gestalten_2015.pdf, (20.02.2018).
7. Ethnographien des Dialogs
breiten Regierungsfeld des Dialogs (Dornhof 2012) vielfach eine Problematisierung theologischer Entwicklungen statt – teils in den Dialogforen selbst (vgl. dazu Kapitel 10) und teils indirekt, z.B. indem theologische Auseinandersetzungen außerhalb der Dialogarbeitskreise in der »autonomen« universitären Sphäre verortet, dort gefördert und in den Arbeitskreisen wiederum beworben werden (vgl. Tezcan 2011a, b; Winkler 2017).
7.3.8
Kulturalisierende Problematisierungen und »muslimische« Widerstände
Den Problematisierungshintergrund der Maßnahmen zur Förderung »muslimischen« politischen Engagements bilden u.a. kulturalisierende Annahmen über eine vermeintlich mangelhafte demokratische Geprägtheit von »Muslimen«. Ein städtischer Vertreter bemerkte die manchmal geringe Aktivität der »Muslime« in den Sitzungen: »Warum sagen denn die Muslime nichts?« (Interview 6) Er bettete diese Beobachtung in eine Annahme über mangelnde politische Diskurskultur unter »Muslimen« ein. Wie auch ein »christlicher« Co-Moderator der CIAG erwähnte, hätten »Muslime« keine demokratische »Debattierkultur« und könnten noch nicht so gut mit Dissens und Kritik umgehen (Interview 8). Ein städtischer Vertreter argumentierte, »Muslime« seien es »einfach vielleicht nicht so gewöhnt, offen politisch zu diskutieren« (Interview 6). Er schilderte mit Blick auf die »muslimischen« Gemeinden: »Es ist auch natürlich nicht bei allen Menschen der politische Diskurs so, so geübt wie, wie er das bei uns ist«. (Ebd.) Auf ihm bekannte »Muslime« rekurrierend, sieht er zumindest die migrierte »muslimische« Bevölkerung auf einem noch nicht so ausgearbeiteten politischen Artikulationsniveau: »Also es ist gerade in [Schweigen], was wir manchmal in der Türkei erleben bei unseren Besuchen, also da denk ich manchmal, Jungs, ihr habt noch einen weiten Weg zu gehen, bis ihr wirklich, ähm. Mir hat das auch mal ein türkischer, ähm, der ist jetzt, der macht jetzt, also ich will gar nicht sagen Reiseveranstalter, weil der ist viel äh, macht viel intellektuellere Angebote als jetzt irgendwelche Rundfahrten. Der ist in der Türkei und in Deutschland aufgewachsen, der hat mir mal gesagt: In türkischen Schulen lernt man nicht zu reflektieren und zu diskutieren, und das ist schon manchmal schwierig; das klingt jetzt ganz überheblich, aber so ist es und trifft natürlich nicht für alle zu. Wir haben ganz hervorragende, rhetorisch brillante Redner aus dem muslimischen Bereich, aber so in der Breite ist diese Kultur noch nicht so ausgebreitet.« (Interview 8) Dieser »Blick« findet sich auch in anderen Interviews wieder (Interviews 3, 12, 14; IG 6, 10) und wird bisweilen auch von »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen selbst reproduziert. In einer Sitzung der CIAG (TB CIAG 9) sagte ein »muslimisches« Gemeindemitglied, dass viele »Muslime« aus autoritären und religiös homogenen Gesellschaften kommen würden und daher mit der Vielfalt und Freiheit einer demokratischen Gesellschaft nicht umgehen könnten. Dabei lässt sich die Zurückhaltung der »Muslime« in den Dialogsitzungen auch gänzlich anders deuten. Wie an anderer Stelle zitiert, erklärte ein »muslimischer« Gemeindevertreter diese Zurückhaltung damit, dass viele »Muslime« nur noch wenig Energie für die Sitzungen übrighätten, »wo du um sechs von der Arbeit kommst [und] um acht Uhr [die Sitzung ist; Anm. J.W.]« (Interview 18). Über die »Pflicht«, an Dialogsitzungen teilzunehmen, sagte ein IGE-Vertreter:
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Gouvernementalität der Freundschaft
»Also die Aktiven haben Familien, sind äh mit 40 Stundenverträge tätig und […], wenn du zusammenzählst, da kommt sehr viel zusammen. Also bist du in der Woche, wird es manchmal zwei-, dreimal nach der Arbeit direkt bis 21 Uhr draußen [gemeint sind hier Dialogsitzungen; Anm. J.W.]. Da kommst du nur eine Stunde, vielleicht siehst du die Kinder oder siehst du sie nicht. Und kommt noch dazu Wochenende oft, äh, Islamforum z.B., ähnlich auch und das ist natürlich, äh, wenn man vergleicht, die Leute vom Islamforum oder Kirchen, die sind meistens angestellt in der Kirche und in den kirchlichen Institutionen und das ist ihre Arbeit.« (Interview 2) Ein Vertreter der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) merkte bezüglich der Dialogarbeit an: »Ich mein, mich ärgert das sehr, weil ich muss die Moscheeführungen machen, in meiner Arbeitszeit, irgendwo aus den Rippen schneiden, ich muss diverseste Sachen machen.« (Interview 16) Teils wurde von »muslimischer« Seite vorgeschlagen, Gespräche über religiöse Perspektiven in Nebenveranstaltungen auszulagern und nicht in der CIAG zu führen, da dort zu wenig Zeit und Expertise für solche Debatten zur Verfügung stünde und man sich auf praktische Projekte zur Unterstützung der »Muslime« konzentrieren sollte. Es zeigt sich, dass CIAG-Sitzungen wie jene über soziales und politisches Engagement von »muslimischer« Seite teils auch kritisch gesehen werden. Die strukturellen Probleme ehrenamtlich agierender »muslimischer« Dialogteilnehmer/-innen, die »nach der eigentlichen Arbeit« im Dialoggeschehen partizipieren, werden dabei zwar wiederkehrend angesprochen, aber insgesamt doch in den Hintergrund gerückt, wenn »muslimische« Zurückhaltung in einer kulturalisierenden Bewegung primär als Ausdruck fehlender demokratischer Erziehung und »Diskurskultur« dargestellt wird (vgl. Radtke 2011).
7.3.9
Annahme der »Dialogpflichten« und materielle Veränderungen in den Gemeinden
Trotz struktureller Probleme und Überlastungserscheinungen nehmen die »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen die an sie gestellten Erwartungen grundsätzlich als notwendige »Dialogpflichten« an – auch wenn diese teilweise als überzogen kritisiert werden, vor allem, was Erwartungen an tiefgehende theologische Gespräche angeht (Interview 18). Gesellschaftliches Engagement sei ohnehin »muslimisch«: »Also wir als […] religiöse Gemeinde […], wir müssen ja helfen, also als religiöse Pflicht, ne?« (Ebd.) Ein IGE-Mitglied erklärte, dass er es als seine Aufgabe sehe, »Muslimen« in seiner Gemeinde beizubringen, dass sie zur deutschen Gesellschaft gehören. Viele »Muslime« seien in Deutschland aufgewachsen, aber trotzdem gebe es »diese Mauer in den Köpfen« (Interview 2), insofern sich »Muslime« in Deutschland nach wie vor als fremd empfinden. Ihnen müsse geholfen werden, sich als »deutsche Muslime« zu fühlen, so der Gemeindevertreter: »Deutschland ist die Heimat«, und »wir sind deutsche Muslime« (ebd.). Hier reproduziert ein lokaler Moscheevertreter explizit das Kernparadigma der Deutschen Islamkonferenz. Auch der Imam einer »muslimischen« Gemeinde erklärte mir, »Muslime« müssten »sich gemütlich fühlen und wohlfühlen in dem Land« (Interview 9) – erst dann würden sie sich stärker sozialpolitisch engagieren. Er sehe seine Aufgabe dann darin, »Muslime« beim »Heimisch-Werden« in Deutschland zu begleiten.
7. Ethnographien des Dialogs
Ein Vertreter der TIG sagte: »Mensch, ich bin Muslim, lebe in diese[r] Stadt, ich habe auch meine Pflichten, die ich erfüllen soll. […] Leute, wir müssen was unternehmen, wir müssen auch was für unser Umfeld tun, […] damit [es] Deutschland, Erlangen bessergeht.« (Interview 4) Auch eine »muslimische« CIAG-Sprecherin forderte mehr soziales Engagement: »Wo wir wirklich mehr, und das ist nicht nur eine Forderung, die jetzt der […] als christlicher Sprecher hat, die habe auch ich als muslimische Sprecherin: […] dass man stärker, was sozialpolitische Themen angeht, sich äußert, dass man sich stärker in gesellschaftliche Diskurse einbringt, zusammen mit den christlichen Kirchen. Zum Beispiel das Thema ›Flüchtlinge‹, da ist man auf der praktischen Ebene gut dabei, aber ich fände es nicht verkehrt, wenn die Muslime jetzt nicht nur in Erlangen, sondern auch in ganz Deutschland auch mal sagen: Freunde schaut mal her, bei uns ist das so und so, […] theologisch gesehen […], und dass man sich […] mehr in den gesellschaftlichen Zusammenhang einbringt.« (Interview 3) Die auch in den Dialogsitzungen ausgerufenen integrationspolitischen Ziele und Wünsche übersetzen sich folglich in spezifische Techniken des Selbst (Burchell 1993; Foucault 2005 [1982]), über die »Muslime« die Erwartungen an gesellschaftliches Engagement verinnerlichen, sich damit selbst bestimmte Aufgaben auferlegen, diese Aufgaben und Erwartungen aber auch reformulieren und anpassen. Damit verknüpfen sie ihre Selbstführung mit den Technologien der (Fremd-)Führung im integrationspolitischen Feld. Die »christlichen« Institutionen werden dabei von »Muslimen« als Ideen- und Beispielgeber akzeptiert – und in Erlangen in dieser Rolle v.a. auch durch städtische Vertreter/-innen mobilisiert (Interviews 3, 14): »Die christlichen Dialogpartner, die […] sehen die Muslime und denken, die können da jetzt von unserem Erfahrungsschatz, von unserem Wissen profitieren – und für uns ist das wichtig«, so eine »muslimische« CIAGVertreterin (Interview 3). Hier spricht jedoch eine konvertierte, in Deutschland aufgewachsene und kaum in den Moscheegemeinden aktive Person, die nicht von allen »Muslimen« aus den Gemeinden akzeptiert wird (vgl. Kapitel 7.7.1). So wird von »muslimischer« Seite durchaus auch kritisch angemerkt, dass es nicht sein könne, dass »Christen und Stadt die Muslime wie Kinder an die Hand nehmen« (»muslimische« Vertreterin, in: TB FMGE 6). Um die »Pflichten« des Sozialengagements zu erfüllen, vergrößern die »muslimischen« Gemeinden derweil ihre Vorstandsstrukturen. So informierte die TIG in einem Brief (2015) über die Ergebnisse der Vorstandswahl und einen Ausbau des Vorstands. Der »an alle Dialogpartner« gerichtete Brief – hier zeigt sich die Praxis der Benennung einer Dialoggemeinschaft – verdeutlicht auch das auf Transparenz zielende Informationsmanagement der Dialogtechnologie. Der Imam der IGE informierte mich ebenso über die Vergrößerung des Vorstands: »Jetzt haben wir einen neuen Vorstand, glauben wir, dass er […] breiter ist, neun Personen, damals waren drei bis vier […], dass die Sache ein bisschen organisiert wird […], dass nicht nur eine Person alles auf sich trägt […], die mit der Zeit erschöpft [ist].« (Interview 9) Es zeigt sich, dass die Technologie des Dialogs materielle Veränderungen in lokalen »muslimischen« Gemeinden erzeugt. Eine »muslimische« CIAG-Sprecherin bspw. denkt an, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Stelle für die Öffentlichkeitsarbeit der »muslimischen«
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Gouvernementalität der Freundschaft
Gemeinden zu beantragen: »Dass halt nicht einer von uns die [seufzt] Weihnachtsgrüße schreiben muss oder Stellungnahmen verfassen muss.« (Interview 3)
7.3.10
»Einstieg in die nächste Stufe«: die interreligiöse Runde mit dem Oberbürgermeister
Die skizzierten Sitzungen zu politischem und sozialem Engagement fielen zeitlich einige Wochen vor eine bedeutsame Zusammenkunft der Erlanger interreligiösen Runde, in deren Rahmen sich seit 2008 regelmäßig der jeweils amtierende Oberbürgermeister mit Vertreter/-innen der lokalen »christlichen«, »jüdischen« und »muslimischen« Gemeinden trifft (TB 7).
Abbildung 4: »Interreligiöse Runde mit dem OB«
Foto: Anne-Lore Maurer 2014 (diese machte das Foto auf meine Bitte und ließ es mir freundlicherweise zukommen)
Bis 2008 existierte das nur auf die Kirchen bezogene »Dekanatsgespräch«, welches fortan im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Integrationsleitbildes interreligiös geöffnet und erweitert wurde. Diese Maßnahme wurde von kommunalen Vertreter/-innen als eine Erlanger Besonderheit hervorgehoben (Interviews 1, 14, 17) und wird
7. Ethnographien des Dialogs
vor allem auch auf »muslimischer« Seite als große symbolische Anerkennung wahrgenommen: »Das war auch ein sehr gutes Zeichen, dass der Stadtoberste die Muslime und auch die Juden an einen Tisch holt mit Christen, das kann ein Fahrradweg, irgendeine Straße sein oder egal was [es] ist, wenn es um Erlangen geht, ist alles besprochen worden und [es wurde] auch [der] Meinung von uns zugehört.« (»Muslimischer« Vertreter der TIG, Interview 4) Mit diesen Gesprächen schreibt die kommunale Politik in Erlangen religiösen Identitäten und Präsenzen in der Stadt eine hohe Bedeutung zu. Innerhalb der Erlanger Integrations- und Vielfaltspolitiken ist der Fokus auf Religion und Interreligiosität ausgeprägt (Interviews 1, 2, 4, 5, 7, 18). Da 2014 ein neuer (SPD-)Oberbürgermeister ins Amt zog, stellte diese Sitzung (TB 7) das erste Gespräch des neuen OB mit den Religionsgemeinschaften dar. Man einigte sich darauf, die Fragen zu behandeln, welche Impulse der interreligiöse Dialog sowie einzelne Religionsgemeinschaften für kommunale sozialpolitische Fragen leisten könnten und was der neue OB vom interreligiösen Dialoggeschehen in der Stadt erwartete. Auf genau diese Fragen bereiteten sich die Religionsvertreter/-innen der »Muslime« und »Christen« unter Beteiligung städtischer Moderator/-innen in den oben skizzierten Sitzungen der CIAG und FMGE vor. So formulierte ein CIAG-Moderator die CIAG-Sitzungen als »Übungen für das Gespräch mit dem OB« (Zitat aus: TB CIAG 1). Die »interreligiöse Runde« (TB 7) fand dann im November 2014 in einem Sitzungssaal im Rathaus statt. In den Diskussionen wurden die Erfahrungen aus dem lokalen interreligiösen Dialog mit dem »Islam« vielfach als Muster für integrative kommunale Stadtpolitiken artikuliert und hervorgehoben. Der dialogische Umgang mit religiöser Vielfalt sei als Modell für das allgemeine Management von Differenzen in einer pluralen Stadt geeignet und verkörpere beispielhaft ein vorbildliches Kommunikationsethos. Konkret rief der Oberbürgermeister die anwesenden Vertreter/-innen der lokalen »christlichen«, »jüdischen« und »islamischen« Religionsgemeinschaften explizit dazu auf, sich stärker als bislang in die sozialpolitischen Debatten der lokalen städtischen Öffentlichkeit einzubringen – und dann bspw. eine »christliche« oder eine »muslimische« Stimme zu den Themen »Armut« oder »Stadtentwicklung« zu institutionalisieren. Diese Aussagen sind bemerkenswert: Ein Oberbürgermeister setzt sich in einer interreligiösen Sitzung im repräsentativen Sitzungsraum des Rathauses im 14. Stock (mit Blick auf die Stadt) dafür ein, dass religiöse Gruppen – v.a. die weniger etablierten »Muslime« – religiöse Perspektiven und Argumente in den lokalen Diskurs um sozialpolitische Fragen einbringen. Diese Praxis wertet religiöse Identitäten auf und verdeutlicht das in Erlangen ausgeprägte Religions- und Anerkennungsparadigma sowie die hohe Bedeutung, die in Erlangen religiösen Akteuren im kommunalpolitischen Feld zugewiesen wird. Das Religionsparadigma, das sich in der Idee des interreligiösen Dialogs spiegelt, wird auch im Kontext von Integrationspolitik operativ. Religiöse Subjekte, vor allem jene aus den »neu zugewanderten« religiösen Communitys, werden über ihre religiöse Identität anerkannt und damit als engagierte Subjekte aktiviert (vgl. dazu auch: Pütz u. Rodatz 2013; Gutiérrez Rodríguez 2003). Die Stadt Erlangen stärkte derweil auch mit weiteren Maßnahmen religiöse Identitäten. So wurden die Einladungen »muslimischer« Geistlicher zur interreligiösen Einweihung des »Stutterheim-
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Gouvernementalität der Freundschaft
Palais« 2008 oder zur interreligiösen Einsegnung des renovierten Rathauses (Interviews 1, 7) von »muslimischer« Seite als ermächtigende Zeichen der Anerkennung wahrgenommen, als »Einstieg in die nächste Stufe« und als »Schub nach oben«, wie ein IGEMitglied betont (Interview 2).11 Die Stadt verfolgt mit der Sichtbarmachung religiöser Identitäten u.a. das Ziel, das gesellschaftspolitische Selbstbewusstsein und damit die Integration der »muslimischen« Gemeinden zu stärken (Interview 1). Gleichzeitig scheint in dieser Praxis die Annahme durch, es sei in Bezug auf alle möglichen Themen (und sei es »Fahrradwegebau«) eine religiöse Perspektive formulierbar. Dagegen äußerten selbst religiöse Vertreter/-innen Bedenken. Ein/-e »christliche/-r« Vertreter/in sagte im Kontext der interreligiösen Runde: »Herr Bürgermeister, es gibt nicht zu allen sozialpolitischen Themen die christliche, die muslimische oder die jüdische Meinung.« (Aus: TB 7) Die nachfolgende Grafik verdeutlicht nun abschließend die in den vorherigen Kapiteln beschriebene »Dialogarchitektur« in Erlangen und hierbei v.a. die charakteristische Doppelstruktur.
7.4
»… dann müssen sie halt Glaubenssprache sprechen«: Kulturalisierung von Integration
Die dominante, diskursiv konstituierte Vorstellung, in einen »Dialog mit Muslimen« eintreten und darüber kulturelle und religiöse Grenzen harmonisieren zu müssen – ein Motiv, dass jene Grenzen beständig auch reproduziert –, prägt nicht nur die Arbeit der Dialogforen, sondern natürlich auch viele weitere integrationspolitische Maßnahmen in Erlangen. An diesen sind oft auch »dialogaktive« Personen und kommunale Vertreter/-innen beteiligt, während die Foren CIAG und FMGE ohnehin vielfach Impulse in die weitere Integrationspolitik und -verwaltung in Erlangen aussenden (Interview 17). Im Folgenden sollen einige weitere, auf »Muslime« zielende Maßnahmen jenseits der Dialogforen skizziert werden.
7.4.1
Die »Überbrückung« kultureller und religiöser Differenzen in sozialpolitischen Fragen
Wie u.a. gezeigt, wurde im Zeitrahmen meiner Forschung in den Sitzungen der CIAG und des FMGE vielfach auch die Frage behandelt, inwiefern die »muslimischen« Gemeinden in der Lage sind, ihre eigenen sozialen Problemstellungen zu bearbeiten. Hier tauchte auch die Problemdiagnose einer möglicherweise religiös eingefärbten Nichtinanspruchnahme bestehender städtischer und gesellschaftlicher Hilfsangebote durch
11
Hierbei, so der IGE-Sprecher, »wurden die Muslime neben den christlichen und jüdischen eingeladen und das war für mich ein symbolischer Akt, der eine neue Situation in dem Verhältnis geöffnet hat, weil dadurch sind die Muslime mit integriert in den höchsten Dingen als Religionsgemeinschaft, […] das war schon für uns der Einstieg in die nächste Stufe sozusagen« (Interview 2). Aus der Perspektive des IGE-Vorstands empfanden sich »Muslime« fortan stärker als Teil der Gesellschaft: »da haben wir nochmal einen Schub nach oben bekommen, dass wir wirklich als gleichberechtigte Partner auftreten können, ohne […] dass jemand ständig kommen und uns helfen muss« (ebd.).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Palais« 2008 oder zur interreligiösen Einsegnung des renovierten Rathauses (Interviews 1, 7) von »muslimischer« Seite als ermächtigende Zeichen der Anerkennung wahrgenommen, als »Einstieg in die nächste Stufe« und als »Schub nach oben«, wie ein IGEMitglied betont (Interview 2).11 Die Stadt verfolgt mit der Sichtbarmachung religiöser Identitäten u.a. das Ziel, das gesellschaftspolitische Selbstbewusstsein und damit die Integration der »muslimischen« Gemeinden zu stärken (Interview 1). Gleichzeitig scheint in dieser Praxis die Annahme durch, es sei in Bezug auf alle möglichen Themen (und sei es »Fahrradwegebau«) eine religiöse Perspektive formulierbar. Dagegen äußerten selbst religiöse Vertreter/-innen Bedenken. Ein/-e »christliche/-r« Vertreter/in sagte im Kontext der interreligiösen Runde: »Herr Bürgermeister, es gibt nicht zu allen sozialpolitischen Themen die christliche, die muslimische oder die jüdische Meinung.« (Aus: TB 7) Die nachfolgende Grafik verdeutlicht nun abschließend die in den vorherigen Kapiteln beschriebene »Dialogarchitektur« in Erlangen und hierbei v.a. die charakteristische Doppelstruktur.
7.4
»… dann müssen sie halt Glaubenssprache sprechen«: Kulturalisierung von Integration
Die dominante, diskursiv konstituierte Vorstellung, in einen »Dialog mit Muslimen« eintreten und darüber kulturelle und religiöse Grenzen harmonisieren zu müssen – ein Motiv, dass jene Grenzen beständig auch reproduziert –, prägt nicht nur die Arbeit der Dialogforen, sondern natürlich auch viele weitere integrationspolitische Maßnahmen in Erlangen. An diesen sind oft auch »dialogaktive« Personen und kommunale Vertreter/-innen beteiligt, während die Foren CIAG und FMGE ohnehin vielfach Impulse in die weitere Integrationspolitik und -verwaltung in Erlangen aussenden (Interview 17). Im Folgenden sollen einige weitere, auf »Muslime« zielende Maßnahmen jenseits der Dialogforen skizziert werden.
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Die »Überbrückung« kultureller und religiöser Differenzen in sozialpolitischen Fragen
Wie u.a. gezeigt, wurde im Zeitrahmen meiner Forschung in den Sitzungen der CIAG und des FMGE vielfach auch die Frage behandelt, inwiefern die »muslimischen« Gemeinden in der Lage sind, ihre eigenen sozialen Problemstellungen zu bearbeiten. Hier tauchte auch die Problemdiagnose einer möglicherweise religiös eingefärbten Nichtinanspruchnahme bestehender städtischer und gesellschaftlicher Hilfsangebote durch
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Hierbei, so der IGE-Sprecher, »wurden die Muslime neben den christlichen und jüdischen eingeladen und das war für mich ein symbolischer Akt, der eine neue Situation in dem Verhältnis geöffnet hat, weil dadurch sind die Muslime mit integriert in den höchsten Dingen als Religionsgemeinschaft, […] das war schon für uns der Einstieg in die nächste Stufe sozusagen« (Interview 2). Aus der Perspektive des IGE-Vorstands empfanden sich »Muslime« fortan stärker als Teil der Gesellschaft: »da haben wir nochmal einen Schub nach oben bekommen, dass wir wirklich als gleichberechtigte Partner auftreten können, ohne […] dass jemand ständig kommen und uns helfen muss« (ebd.).
7. Ethnographien des Dialogs
Abbildung 5: Doppelstruktur des Dialogs in Erlangen
Quelle: Eigene Darstellung
»Muslime« auf. So wurde im Dialog kontinuierlich versucht, die »muslimischen« Gemeinden mit städtischen Angeboten der psychosozialen Versorgung sowie mit professionellen Trägern im Bereich sozialer Arbeit zu vernetzen und vermeintliche Berührungsängste abzubauen (Interviews 8, 2, 18; IG 6, 10; TB FMGE 2, TB CIAG 2, 6, 7). Die Existenz sozialer Probleme in den »muslimischen« Gemeinden wurde immer wieder betont, auch von »muslimischen« Vertreter/-innen selbst, die damit Anfragen nach Unterstützungsleistungen legitimierten. Der Vertreter einer lokalen Moscheegemeinde erwähnte auf einer Sitzung des Bayerischen Islamforums in Erlangen (TB 27), dass es »viele Probleme in den Gemeinden gäbe, Familienkonflikte, Erziehungsfragen, andere Sorgen und kulturelle Konflikte«. Die kulturellen Konflikte würden derzeit auch daraus resultieren, dass man »mit den Flüchtlingen nun Menschen in den Gemeinden habe, die aus ganz anderen kulturellen Kontexten stammen, als wir es gewohnt sind« (ebd.). Anschließend erwähnte der »muslimische« Sprecher, dass die meisten »Muslime« in den Gemeinden in technischen Berufen verortet sind, während »wir keine sozial, psychologisch oder pädagogisch ausgebildeten Leute haben. Das muss sich noch ändern.« (Ebd.) Ähnlich argumentierte ein/-e in den »muslimischen« Gemeinden aktive/-r wissenschaftliche/-r Mitarbeiter/-in aus der Islamischen Theologie (Interview 21). Die Gemeinden bräuchten mehr Expertise v.a. im Bereich der Sozialpädagogik, sowohl um ihre internen Probleme bearbeiten zu können als auch um zukünftig als professionelle »islamische« Organisationen im sozialen Bereich gesellschaftlich aktiv zu werden.
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Gouvernementalität der Freundschaft
Auf »nicht muslimischer« Seite wurden derweil kulturelle und religiöse Differenzen als Ursachen dafür hervorgehoben, dass »Muslime« sich gesellschaftlichen Hilfsangeboten verschließen würden. So sprach ein städtischer Vertreter zunächst über seiner Ansicht nach problematische Einstellungen und Verhaltensweisen unter »Muslimen«: »Wie verhält sich eine muslimisch gläubige Familie in Fragen der Pubertät ihrer Kinder? Die Gemeinden geben da wenn, dann höchstens sehr orthodoxe Antworten drauf. Die Eltern sind allein gelassen und haben z.T. sehr verquaste Vorstellungen, wie bei Katholiken oder konservativen Protestanten oder so über Sexualerziehung, du weißt, was ich meine […].« (Interview 8) Deswegen gäbe es »zaghafte Ansätze […], dass man halt den Muslimen klarmacht, es gibt sowas wie ne, äh, Familienberatungsstelle« (ebd.). Der städtische Vertreter argumentiert weiter: »Mein Gefühl ist, dass die Gemeinden dem [den sozialen Beratungsangeboten der Stadt; Anm. J.W.] eher misstrauen. […] Weil des ja nicht muslimisch konnotiert [ist] […] in ihren Augen. Oder nicht – also es kann auch sein, dass ich jetzt da an manchen Stellen auch wirklich zu viele Klischees im Kopf hab, aber, äh, du hast ja ansatzweise vielleicht mitbekommen, die Skepsis […] in den Gemeinden.« (Ebd.) Etwaige eigene Vorurteile selbstkritisch anmahnend – eine durchaus hoffnungsvolle Technik des Selbst des dialogischen Subjekts –, reproduziert der städtische Vertreter dennoch die Vorstellung sich abgrenzender, »nicht aufgeklärter« (Interview 8) »Muslime« aus dem Gemeindeumfeld, welche mehrheitsgesellschaftliche Sozial- und Lebenshilfeangebote als »nicht muslimisch« ablehnen: »Und jetzt komm ich und sag, es gibt da ne Familienberatungsstelle oder ne Erziehungsberatungsstelle. Und dann sagen die: Ja was machen denn die, das ist ja nicht, sind die von uns?« (Ebd.)12 In mehreren Sitzungen der CIAG und des FMGE wurden »muslimische« Vertreter/-innen von städtischen Vertreter/-innen darum gebeten, sich mit den eigenen Gemeindemitgliedern abzusprechen und Termine auszumachen, an denen Mitarbeiter/-innen städtischer Sozialberatungsangebote (Erziehungs-, Familien-, Jugend- und Altenpflegeberatung) in die Moscheen kommen und ihre Angebote vorstellen könnten. Die Moscheevertreter/innen wurden gebeten, die Gemeindemitglieder zur Partizipation an solchen Abenden zu motivieren (TB CIAG 6). Teilweise enthielten diese »Bitten« gar eine bissige Note. Am Ende einer CIAG-Sitzung (ebd.) rief ein »christlicher« und städtischer CoModerator den bereits hinausgehenden »muslimischen« Vertreter/-innen zu, den angestrebten Termin mit dem Jugendamt nicht zu vergessen. Er habe gehört, dass einige männliche Gemeindemitglieder sagten, Erziehungsberatung sei nur für die Frauen aus den Gemeinden von Interesse. Allein das zeige ihm, so rief er etwas spöttisch, dass
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Auch in meinen Gesprächen mit einer »muslimischen« CIAG-Vertretrin (Interview 3; IG 6, 10) und in einigen Dialogsitzungen zirkulierten derartige Annahmen: »Muslime« seien eher verschlossen, würden unter sich bleiben und sich mit Sorgen und Krisen kaum an Außenstehende oder an professionelle Beratungsstellen wenden (Interview 21). Dies habe auch mit Ehrbegriffen und mit einer kulturell und religiös bedingten Schamkultur zu tun. Eine Beratung »von außen« würde als Einmischung in familiäre Angelegenheiten abgelehnt werden (vgl. Badawia 2015).
7. Ethnographien des Dialogs
es noch Beratungsbedarf für alle gebe. Letztlich realisierte die IGE in ihren Moscheeräumlichkeiten einen solchen Informationsabend, auf welchem Mitarbeiter/-innen des Jugendamtes sprachen (Interview 18). In einer Sitzung der CIAG (TB CIAG 7) wiederum wurden Vertreter/-innen städtischer Altenpflegeeinrichtungen und der Seniorenhilfe in die Räumlichkeiten der TIG eingeladen, um – mit türkischer Synchronübersetzung – zu ca. 40 Gemeindemitgliedern über ihre Angebote zu sprechen. Die Beschreibung des Problems, auf welches diese Vernetzungspraxis reagierte, lieferte mir ein Gemeindemitglied selbst in einem Gespräch auf dem Weg vom Parkplatz zur Moschee. Ich kannte die Person nicht, sie jedoch erkannte mich als jenen Wissenschaftler, der über Dialog forscht, und erklärte mir, dass das Thema »Altenpflege« wichtig sei und dass hier manche Probleme auch mit den Einstellungen der »muslimischen« Gemeinden zu tun hätten. Viele Muslime hätten Angst, so mein Gesprächspartner, ältere Personen aus ihren Familien an »deutsche Pflegehäuser« zu geben, da angenommen wird, dass die Familienmitglieder dort unangemessen behandelt werden könnten. Aber das stimme nicht, so das Gemeindemitglied, und gleichzeitig seien die Familien mit der Pflege oft überfordert. Um Kontaktbarrieren zu unterlaufen, setzte die Stadt Erlangen einige Jahre lang auf ein Sensibilisierungsprojekt namens »Mosaik«, das von zwei Personen mit »muslimischem« Hintergrund geleitet und von der Stadt gefördert wurde. »Mosaik« zielte darauf ab, über Gesprächsabende und Workshops »muslimische« Eltern mit der städtischen Erziehungsberatung zusammenzubringen und dabei Gesprächssituationen zu schaffen, in welchen sensibel auf Ängste und Sorgen auf beiden Seiten eingegangen werden konnte. »Muslimische« Eltern seien bei der Erziehung ihrer Kinder manchmal überfordert oder würden an nicht zeit- und ortsgemäßen Werten festhalten, was angegangen werden müsse (Interview 8, informelle Gespräche mit selbiger Person; CIAG-Protokoll vom 27.10.2010 samt Anlagen). Die Stadt Erlangen lagerte mit »Mosaik« integrationspolitische Vermittlungsaufgaben an ein zivilgesellschaftliches Projekt aus, dessen »muslimisch« geprägten »ProjektmitarbeiterInnen […] es aufgrund […] ihres sozialen und religiösen Hintergrundes möglich [sei], authentisch und vertrauensvoll in den islamischen Gemeinden zu arbeiten«, wie in einem städtischen Ausschussprotokoll festgehalten ist (Stadt Erlangen 2009: 3-4; Herv. J.W.). Die Projektleiter/-innen »waren auch akzeptiert, weil sie Muslime sind« (Interview 8). Hier zeigt sich, dass der Zugang auf »Islam« und »Muslime« als eine Aufgabe erachtet wird, die besondere religiöse und kulturelle Kompetenzen und Sensibilitäten erfordere. Eine solche Logik festigt damit die Vorstellung religiöser und kultureller Differenz. Die Betonung von Differenz zeigt sich auch darin, dass – wie bereits erwähnt – die Stadt personalpolitisch so gut es möglich ist darauf achtet, auch Personen mit »muslimischem« Hintergrund in sozialen Beratungsstellen zu beschäftigen: »Natürlich haben wir jetzt schon geschaut, dass da an der Erziehungsberatungsstelle eine Muslima angestellt ist und was weiß ich.« (Interview 8) Die Stadt versucht, personalpolitisch (inter-)religiöse Kompetenzen in der kommunalen Mitarbeiterschafft sicherzustellen. So ziele man darauf ab, in der »Familienberatungsstelle oder Erziehungsberatungsstelle« (ebd.) Personal einzustellen, das »zumindest, sag ich mal, die Fähigkeit zur interreligiösen und interkulturellen Kommunikation« (ebd.) habe: »Des is genauso wie du bei der Flüchtlingsberatung schaun musst, dass du Leut
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Gouvernementalität der Freundschaft
hast, die die Sprache sprechen, in dem Fall müssen sie halt Glaubenssprache sprechen.« (Interview 8)
7.4.2
Kulturalisierende Effekte im Identifizieren interkultureller und interreligiöser Konflikte
Einerseits werden hier unter Rekurs auf die Paradigmen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs »Islam« und »muslimische« Identitäten institutionalisiert. Es wird sichergestellt, dass »muslimische« Belange das sozialpolitische Feld zumindest in städtisch verantworteten Bereichen mitprägen. Andererseits aber werden »Muslime« als besonders different artikuliert und damit symbolisch exkludiert: als Subjekte, die nur mit besonderen kulturellen und religiösen Kompetenzen überhaupt zu erreichen seien. Hier zeigen sich Mechanismen einer Kulturalisierung und Religiosierung des Sozialen, insofern eine »Glaubenssprache« als notwendig für Tätigkeiten der Familien- und Erziehungsberatung artikuliert wird. »Muslime« müssten also stets als religiöse Subjekte angesprochen werden. Diese Logik wird aber im Dialog immer wieder auch herausgefordert. Beispielsweise sagte ein städtischer Repräsentant in einer FMGE-Sitzung (TB FMGE 2) im Hinblick auf einen zu organisierenden Beratungsabend: »Muslime haben mir von Problemen mit ihrer Jugend berichtet, [betont:] so wie wir sie natürlich alle mit unseren Kindern kennen […].« Damit wird zwar von spezifisch »muslimischen« Erziehungsproblemen geredet, deren Moderation eine »Glaubenssprache« benötige, gleichzeitig aber betont, dass solche Erziehungsprobleme nichts »Muslimisches« seien, womit sie im Grunde auch »sozial« angegangen werden könnten. Hier zeigen sich fortlaufende Aushandlungsprozesse um die Frage nach sozialen oder religiösen Ursachen von Integrationsproblemen (dazu auch: Radtke 2011; Tezcan 2012). Das Kultur- und Religionsparadigma des Dialogs provoziert aber immer wieder den Blick auf religiöse Ursachen für Konflikte. So wurde in einer Sitzung des Bayerischen Islamforums, die am 23.09.2017 symbolträchtig im Sitzungssaal des Erlanger Rathauses abgehalten wurde (TB 27), die vorab definierte Frage nach »(inter-)religiösen Konflikten unter Flüchtlingen in Aufnahmeeinrichtungen« diskutiert (Teilnehmende waren politische Vertreter/-innen Erlangens, Vertreter/-innen der »christlichen« Kirchen, der lokalen Moscheevereine sowie überregionaler »islamischer« Organisationen und des AIB sowie Islamlehrer/-innen). Die Frage nach interreligiösen Konflikten unter Geflüchteten setzte den Deutungsrahmen weitgehend fest. Hierbei wurden »Praktiker/-innen« aus der lokalen Flüchtlingsbetreuung eingeladen, um Berichte abzugeben. Dazu gehörten Vertreter/-innen lokaler Moscheevereine aus Erlangen, die sich für Geflüchtete einsetzen, Mitarbeiter/-innen des Erlanger Arbeiter- und Samariterbundes sowie eine »Muslimin«, die ein vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördertes Projekt vorstellte, welches in eine »interreligiöse Fraueninitiative« eingebettet ist und sich der Schwangerschaftsberatung für Frauen in Aufnahmeeinrichtungen widmet. Vielfach wurden »muslimische« Geflüchtete in dieser Sitzung als schwer zu erreichende Subjekte artikuliert, deren Ansprache religiöses und kulturelles Fingerspitzengefühl und damit v.a. auch ein Engagement der Moscheegemeinden erfordern würde. Die Schwangerschaftsberaterin betonte, wie sehr ihr erst die Tatsache, dass sie selbst sichtbar »Muslimin« ist (sie trägt Kopftuch), einen vertrauensvollen Zugang zu den »muslimischen« Geflüchteten
7. Ethnographien des Dialogs
und v.a. zu den Frauen ermöglicht habe. Die »Praktiker/-innen« schilderten nun aber auch mehrfach unter Rekurs auf eigene Beobachtungen, dass die wahrgenommenen, vermeintlich interreligiösen Konflikte (eine »muslimische« Frau hängt das Kreuz ihrer »christlichen« Zimmernachbarin ab; »muslimische« Jugendliche benutzen »Christ« als Schimpfwort u.a.) sich am Ende oft als eigentlich soziale Konflikte entpuppen würden. Deren Ursachen seien v.a. in den schwierigen Unterbringungsverhältnissen zu suchen (zu kleine Räume, keine Privatsphäre, Stress, jugendliches »Angeberverhalten«) und über soziale Maßnahmen anzugehen (Einüben von Verhaltensegeln, Wechsel von Zimmernachbarn, die sich nicht gut verstehen usw.). Dennoch wurde in der Sitzung die Frage nach interreligiösen Konfliktursachen v.a. von einem »christlichen« Co-Moderator immer wieder gestellt. Damit verbunden schien es im Zuge der Diskussion zum Konsens zu werden – ein Konsens, dem sich dann auch die »Praktiker/-innen« verschrieben –, dass ein stärkerer Einbezug religiöser Akteure bzw. der Moscheegemeinden und deren Personal (Imame) zur Moderation der Konflikte die beste Problemlösungsstrategie sei (ähnliche Argumentationen in: TB FMGE 7). Obwohl die »Praktiker/-innen« z.B. betonten, dass jene »muslimischen« Jugendlichen, die »Christ« als Schimpfwort verwendeten, keine fundierten Glaubenskenntnisse hatten und sich eher allgemein »jugendlich« verhielten, wurde daraus weniger der Schluss gezogen, diese an Religion vielleicht nicht interessierten Personen primär sozial(-pädagogisch) abzuholen. Vielmehr wurde die Strategie formuliert, die kaum vorhandenen religiösen Kenntnisse der Jugendlichen über religiöse Bildungsmaßnahmen zu erweitern, um einen friedfertig-toleranten »Islam« als Problemlösungsressource zu vermitteln. Dabei wurde angenommen, dass jene Jugendlichen aus »islamischen« Ländern auch grundsätzlich für religiöse (Weiter)Bildung empfänglich seien. »Muslimische« Differenz wird im kultur- und religionsfokussierten Dialog also stets hervorgehoben. Dies stärkt die Rolle religiöser Akteure in der Integrationsarbeit, auch wenn diese nicht sozialpädagogisch ausgebildet sein mögen. Ein solcher Religionsfokus mag auch alternative Lösungsvorschläge aus dem Blick drängen, seien es ein stärkerer politischer Einsatz für die Verbesserung der Bedingungen in Flüchtlingsunterkünften, Versuche der Akquise alternativer Unterkünfte oder die Schaffung von mehr Beschäftigungsangeboten für geflüchtete Jugendliche.13
7.5
Dialog als »Öffentlichkeitstraining« zwischen Unterstützung und Normalisierung und die Momente »muslimischen« Widerstands gegen die Politisierungspraktiken im Dialog
Es konnte ethnographisch gezeigt werden, wie im Dialog die Stärkung des gesellschaftspolitischen Auftretens der »Muslime« verhandelt wird. Auch schien auf, wie die Techniken des Empowerment das gesellschaftspolitische Auftreten von »Muslimen« immer auch normalisieren und an gesellschaftliche Erwartungen anpassen – wobei sowohl die Aktivitäten »nicht muslimischer« als auch »muslimischer« Individuen und
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Ähnliche Kritiklinien artikulierte die »muslimische« Ex-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün auf einer von der Volkshochschule mitorganisierten Veranstaltung in Erlangen (TB 17).
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7. Ethnographien des Dialogs
und v.a. zu den Frauen ermöglicht habe. Die »Praktiker/-innen« schilderten nun aber auch mehrfach unter Rekurs auf eigene Beobachtungen, dass die wahrgenommenen, vermeintlich interreligiösen Konflikte (eine »muslimische« Frau hängt das Kreuz ihrer »christlichen« Zimmernachbarin ab; »muslimische« Jugendliche benutzen »Christ« als Schimpfwort u.a.) sich am Ende oft als eigentlich soziale Konflikte entpuppen würden. Deren Ursachen seien v.a. in den schwierigen Unterbringungsverhältnissen zu suchen (zu kleine Räume, keine Privatsphäre, Stress, jugendliches »Angeberverhalten«) und über soziale Maßnahmen anzugehen (Einüben von Verhaltensegeln, Wechsel von Zimmernachbarn, die sich nicht gut verstehen usw.). Dennoch wurde in der Sitzung die Frage nach interreligiösen Konfliktursachen v.a. von einem »christlichen« Co-Moderator immer wieder gestellt. Damit verbunden schien es im Zuge der Diskussion zum Konsens zu werden – ein Konsens, dem sich dann auch die »Praktiker/-innen« verschrieben –, dass ein stärkerer Einbezug religiöser Akteure bzw. der Moscheegemeinden und deren Personal (Imame) zur Moderation der Konflikte die beste Problemlösungsstrategie sei (ähnliche Argumentationen in: TB FMGE 7). Obwohl die »Praktiker/-innen« z.B. betonten, dass jene »muslimischen« Jugendlichen, die »Christ« als Schimpfwort verwendeten, keine fundierten Glaubenskenntnisse hatten und sich eher allgemein »jugendlich« verhielten, wurde daraus weniger der Schluss gezogen, diese an Religion vielleicht nicht interessierten Personen primär sozial(-pädagogisch) abzuholen. Vielmehr wurde die Strategie formuliert, die kaum vorhandenen religiösen Kenntnisse der Jugendlichen über religiöse Bildungsmaßnahmen zu erweitern, um einen friedfertig-toleranten »Islam« als Problemlösungsressource zu vermitteln. Dabei wurde angenommen, dass jene Jugendlichen aus »islamischen« Ländern auch grundsätzlich für religiöse (Weiter)Bildung empfänglich seien. »Muslimische« Differenz wird im kultur- und religionsfokussierten Dialog also stets hervorgehoben. Dies stärkt die Rolle religiöser Akteure in der Integrationsarbeit, auch wenn diese nicht sozialpädagogisch ausgebildet sein mögen. Ein solcher Religionsfokus mag auch alternative Lösungsvorschläge aus dem Blick drängen, seien es ein stärkerer politischer Einsatz für die Verbesserung der Bedingungen in Flüchtlingsunterkünften, Versuche der Akquise alternativer Unterkünfte oder die Schaffung von mehr Beschäftigungsangeboten für geflüchtete Jugendliche.13
7.5
Dialog als »Öffentlichkeitstraining« zwischen Unterstützung und Normalisierung und die Momente »muslimischen« Widerstands gegen die Politisierungspraktiken im Dialog
Es konnte ethnographisch gezeigt werden, wie im Dialog die Stärkung des gesellschaftspolitischen Auftretens der »Muslime« verhandelt wird. Auch schien auf, wie die Techniken des Empowerment das gesellschaftspolitische Auftreten von »Muslimen« immer auch normalisieren und an gesellschaftliche Erwartungen anpassen – wobei sowohl die Aktivitäten »nicht muslimischer« als auch »muslimischer« Individuen und
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Ähnliche Kritiklinien artikulierte die »muslimische« Ex-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün auf einer von der Volkshochschule mitorganisierten Veranstaltung in Erlangen (TB 17).
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Gruppen im wechselseitigen Zusammenspiel diese Normalisierungsprozesse bedingen. Die Gleichzeitigkeit von (a) Unterstützung und (b) (Re-)Formierung prägt das Regierungsphänomen, das im Dialog Entfaltungsraum findet. Das folgende Kapitel verdeutlicht nun ein markantes Beispiel politischer Unterstützungspraxis. Anschließend werden Momente »muslimischer« Widerständigkeiten gegen einen Dialog skizziert, der »Islam« politisiert und »Muslime« zu öffentlichem Auftreten anleitet.
7.5.1
»Ich hatte seine Handynummer«: Identitätspolitiken, die Praxis öffentlicher Solidarisierung und die Bedeutung lokaler Kontaktnetzwerke – über die Organisation politischer Kundgebungen
Nach dem islamistisch motivierten Terroranschlag auf die Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo am 07.01.2015 wurden in Erlangen wie in vielen anderen Städten Gedenkveranstaltungen und Kundgebungen gegen Hass und Gewalt organisiert. Schnell wurden dabei die Kontakte zwischen Stadt, Kirchen und »muslimischen« Gemeinschaften mobilisiert, um Kundgebungen gemeinsam zu planen. Dabei schien auch immer von Bedeutung zu sein, gerade den »muslimischen« Vertreter/innen ein effektives »Podium« in der Stadtöffentlichkeit zu schaffen und sie bei deren Stellungnahmen zu unterstützen (Interviews 1, 5, 6). Die Organisation der Kundgebungen veranschaulicht die lokalen Dialogarrangements und die Versuche der Dialogpolitik, »muslimische« Vertreter/-innen als politische Sprecher/-innen zu mobilisieren. In Erlangen wurden zwei große Kundgebungen organisiert, eine am Samstag, dem 10.01.2015 und eine am Sontag, dem 11.01.2015. Die Kundgebung am Samstag wurde von einer »christlichen« zivilgesellschaftlichen Gruppierung initiiert, die unabhängig von den städtisch moderierten Dialogkreisen aktiv ist (der Initiator war einer städtischen Vertreterin jedoch aus Dialogveranstaltungen bekannt; Interview 6). Diese »christliche« Gruppe hat über E-Mails an städtische Vertreter/-innen auf ihre Veranstaltung aufmerksam gemacht und eine Teilnahme der »Stadt« erbeten, die dann über Auftritte des OB, einer Bürgermeisterin und mehrerer Parteifraktionsmitglieder erfolgte. »Und [wir] haben dann auch noch eine gemeinsame Stellungnahme erarbeitet für die Stadt«, so ein städtischer Referent (in FMGE und CIAG aktiv) (Interview 6). Gleichzeitig wurden die Dialogkontakte dafür genutzt, um auch »muslimische« Vertreter/-innen in die Samstagskundgebung zu integrieren. So hielt an diesem Tag ein damaliges Vorstandsmitglied der IGE eine Rede (Interview 5) – neben Reden des Oberbürgermeisters und einer der Bürgermeister/-innen –, der zudem vom Imam der IGE begleitet wurde. Die IGE erhielt die Informationen bezüglich der Kundgebung am Samstag von einer lokalen Politikerin mit »muslimischem« Hintergrund, die vielfach am FMGE partizipiert (Interview 5). Diese kam persönlich in der »islamischen« Gemeinde vorbei und gab dem Vorstand der IGE die Telefonnummer einer Person aus jener »christlichen« Gruppe, die die Kundgebung organisierte (ebd.). Am Sonntag, dem 11.01.2015 ging eine weitere große Kundgebung vom Deutsch-Französischen Institut (DFI) in Erlangen aus, dem auch eine »dialogaktive« städtische Integrationsreferentin angehört. Diese schildert den organisatorischen Ablauf wie folgt:
7. Ethnographien des Dialogs
»Das war eine sehr große Veranstaltung am Sonntag. Da war das so, dass der Vorstand des DFI sehr, äh, kurzfristig nach den Anschlägen gesagt hat, wir machen was, und hat zunächst gar nicht die Stadt gefragt, sondern hat zunächst mal über den Vorstandsverteiler DFI und über den Verteiler […] in die Region hinaus, haben einfach gesagt: Sonntag, 12 Uhr, Trauerkundgebung für Charlie Hebdo, und zwar am Institut, so wollten die das selber machen.« (Interview 6) Das Ordnungsamt der Stadt Erlangen schlug dann vor, die Kundgebung vor dem DFI zu beginnen, dann aber mit allen Personen zu einem zentralen, öffentlichen Platz in der Stadt (Hugenottenplatz) zu laufen. Gelichzeitig nahm das DFI Kontakt zur städtischen Referentin auf: »Die haben mich dann angerufen und gefragt, ob ich für die Stadt eine, ähm, ein Statement abgeben würde.« (Ebd.) Dieser Anruf wurde bereits am Tag des Anschlags, am 07.01.2015, getätigt. »Ich hab die gefragt«, so die städtische Vertreterin, »ob ich unsere Verteiler, Ausländerbeirat und Courage und was es eben alles gibt, auch aktivieren darf, und da haben die gesagt, ja natürlich« (ebd.).14 Die Kundgebung wurde sodann über alle möglichen Verteiler beworben, die ein städtischer Integrationsreferent unter dem Stichwort »Demokratie« archiviert hatte – dabei natürlich auch über die CIAG- und FMGE-Verteiler: »Da kamen […] unsere ganzen Verteiler im großen Verband ›Demokratie‹ […], ja über Ausländerbeirat und CIA und was es alles gibt.« (Ebd.; »CIA« ist ein interner »Kosename« für die CIAG) Am Tag darauf hat das DFI die Organisation der Kundgebung begonnen. Dabei wurden vom DFI auf Anraten einer städtischen Integrationsreferentin lokale »muslimische« Vertreter/-innen als Sprecher/-innen eingeplant. Eine städtische Integrationsreferentin erzählt: »Und im Prinzip habe ich dann mit der Direktorin […] des DFI besprochen, ähm, hab ich gesagt, es wäre doch ein sehr gutes Zeichen, wenn wir auch die Muslime sprechen lassen würden. Die Frau […] hat gesagt, sie möchte nicht viele Reden, und sie hat also gesagt, dann nur zwei Reden, einmal die Stadt und einmal die Muslime. Und dadurch haben die Muslime natürlich in dieser zweiten, sehr großen Kundgebung ein sehr starkes Gewicht bekommen.« (Interview 6) Die Bitte um eine Partizipation der »Muslime« habe die städtische Vertreterin proaktiv formuliert, »weil ich das wichtig fand […], und das Tolle war, dass die Frau [vom DFI] da […] überhaupt nicht gezögert, sondern die hat gesagt, super, das passt genau« (ebd.). Während die städtische Vertreterin mit der Vertreterin des DFI telefonierte, kam einer der Moderatoren der CIAG (ebenfalls bei der Stadt tätig) in ihr Büro, um sich über ein dialogbezogenes Thema zu unterhalten. Er hörte sodann das Gespräch der städtischen Vertreterin mit und konnte aus seinem eigenen Kontaktverzeichnis sogleich die Handynummer einer Person aus der IGE und der IRE weitergeben, die dann letztlich
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Gemeint ist das in Erlangen tätige Aktionsnetzwerk »Aktion Courage«, an dem die genannte städtische Integrations- und Sozialreferentin beteiligt ist und das sich als Netzwerk zur Mobilisierung von lokalen Demonstrationen und Kundgebungen gegen antidemokratische Praktiken versteht. Dieses Netzwerk habe über E-Mail-Verteiler viele Leute zur Teilnahme an den anschlagsbezogenen Kundgebungen wie auch zur Solidarität mit den lokalen »Muslimen« aufgerufen (Interview 6).
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am 11.01.2015 die »muslimische« Stellungnahme gegen Gewalt und Extremismus vorgetragen hat. Die städtische Referentin konnte dann die Handynummer gleich an die DFI-Vertreterin weitergeben (Interviews 5, 6; Telefonat mit Interviewpartner 8 über die Kommunikationsabläufe, Januar 2015). Es zeigt sich hier, wie innerhalb der Regierungstechnologie eines »lokalen Dialogs mit Muslimen« Kontakte verwaltet werden und konkret, in etwa Handynummern, schnell verfügbar sind. Die Dialogpraxis schafft solche Verfügbarkeiten und basiert sodann auf ebenjenen. Dabei kann auch angenommen werden, dass die Erfahrungen solcher Momente des »Schnell-kommunizieren-Könnens« – Erfahrungen, die innerhalb der Dialogtechnologie hervorgebracht werden – mit der im Dialoggeschehen regelmäßig zu beobachtenden Explizierung und Hervorhebung eines »vertrauten« und »engen« Verhältnisses zwischen Stadt, »Muslimen« und Gesellschaft in Verbindung stehen (z.B. Interview 18). Solche Erfahrbarkeiten des »Kommunizierens auf kurzen Wegen« scheinen ein Stück weit unabhängig vom »Inhalt« als gutes, dialogisches Verhältnis rationalisierbar. In etwa zeitgleich mit den bisher skizzierten Entwicklungen haben auch die Vertreter/-innen der Erlanger Moscheegemeinden in einer »Notsitzung« der IRE in Eigenregie eine Stellungnahme verfasst, die sie dann auf beiden Kundgebungen durch Interviewpartner 5 am 10.01.2015 und in veränderter Form durch Interviewpartner 2 am 11.01.2015 öffentlichen vortrugen (E-Mails zwischen mir und Vertreter/-innen der IRE). Die Stellungnamen enthielten eine Distanzierung von Gewalt und Extremismus sowie eine Trauerbekundung ebenso wie einen Aufruf an die Gesellschaft, solche Taten nicht pauschal auf den »Islam« zurückzuführen. Genau solche »Aufrufe« wird ein leitendes Mitglied einer »christlichen« Bildungsinstitution in einem späteren Interview mit mir als bewundernswert »selbstbewusstes« Auftreten der »muslimischen« Gemeinden deuten. Dieses Auftreten sei ein positiver Effekt des Erlanger Dialogs, wobei die selbstbewusste Haltung der »Muslime«, welche die an sie nach einem Anschlag herangetragenen Distanzierungserwartungen durchaus auch problematisierten, weiter zu fördern sei (Interview 12). Grundsätzlich, so der »christliche« Bildungsvertreter, müsste man die »Muslime« in ihrem öffentlichen Auftreten stets unterstützen, v.a. in solch aufgeheizten Kontexten, wie sie nach »islamistischen« Anschlägen zu bearbeiten sind. In Bezug auf frühere Kundgebungen nach »islamistischen« Anschlägen erklärte eine städtische Integrationsbeauftragte die entsprechende identitätspolitische Strategie der Stadt, die darauf abzielt, »Muslime« in ihren Distanzierungspraktiken nicht alleine zu lassen. Ob der gesellschaftlichen Erwartung an »muslimische« Repräsentant/-innen, sich nach religiös konnotierten Gewaltereignissen zu erklären, versuchen Repräsentant/-innen der Stadt, sich bei politischen Auftritten der »Muslime« öffentlich mit diesen solidarisch zu zeigen. Distanzierungen von Gewalt und Extremismus werden interreligiös und gemeinsam aufgeführt. Die Integrationsbeauftragte schildert: »Wir haben das auch im christlich-islamischen Arbeitskreis [CIAG; Anm. J.W.] diskutiert, wir haben natürlich auch drauf reagiert, wir ham Veranstaltungen gemacht, […] auch zum 10-jährigen Jahrestag von 9/11 ne interreligiöse öffentliche Veranstaltung im Bürgerpalais gemacht, die darauf Bezug genommen hat. Aber auch wieder interreligiös. Also, […] dieser Stigmatisierung [von »Muslimen«; Anm. J.W.] dann auch noch Raum
7. Ethnographien des Dialogs
zugeben, äh also – des ähm […] haben wir immer grundsätzlich abgelehnt, ich mein wir haben gesagt, […] das war ein Terrorakt und wir auf lokaler Ebene, wir pflegen den interreligiösen Dialog, deswegen werden wir auch gemeinsam, also die Stadt mit den Religionsgemeinschaften gemeinsam, eine Gedenkveranstaltung durchführen […]. Also unser Ansatz ist ganz stark ein dialogorientierter.« (Interview 1) Diese Praxis soll es den »Muslimen« erleichtern, in einem aufgeheizten Klima öffentlich aufzutreten und sich zu positionieren. Die Ermächtigung der »muslimischen« Stimme wird an das gemeinsame Miteinander auf lokaler Ebene geknüpft: Man müsse sich nicht unbedingt mit dem »Islam« oder allen »Muslimen« solidarisieren, wohl aber mit den »Erlanger Muslimen«. Der Dialog wird als Grundlage einer solidarischen, interreligiösen Gemeinschaft in Erlangen artikuliert. Die gemeinsam abgehaltenen Kundgebungen seien über die vorhandenen Kontaktnetzwerke effektiv organisierbar (Interview 1). Die Praxis der öffentlichen Solidarisierung zwischen Stadt und »Muslimen« wurde auch auf den Kundgebungen nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo bedeutsam. Auf der Kundgebung am 10.01.2015 kam es zu einer öffentlich vorgetragenen Kritik am »Islam« sowie auch am interreligiösen Dialog durch einen Vertreter des Erlanger »Bundes für Geistesfreiheit«, eines humanistisch-aufklärerisch ausgerichteten Bildungsvereins. Ein Vereinsvorsitzender (ein emeritierter Universitätsprofessor) argumentierte in seinem öffentlich gehaltenen Beitrag tendenziell dafür, einen »islamistischen« Anschlag wie jenen auf die Redaktion von Charlie Hebdo zum Anlass dafür zu nehmen, säkulare Werte zu stärken – und gerade nicht, wie es seiner Ansicht nach die Dialogaktiven versuchen, mit (mehr) interreligiösem Dialog zu antworten, auf (mehr) religiöse Bildung zu setzen und die »wahren« und vermeintlich friedlichen Religionen zu stärken. Auch forderte er, den »islamistischen« Anschlag zum Ausgangspunkt für fundierte Islamund Religionskritik zu machen. Seine Rede, so der Sprecher selbst in einem Beitrag des Humanistischen Pressedienstes (in welchem seine Rede im Wortlaut abgedruckt ist), habe sodann zu »Radau von religiöser Seite« geführt.15 Für diesen »Radau« dürfte sich u.a. ein Imam eines Erlanger Moscheevereins verantwortlich gezeigt haben (vgl. Interview 9), in Allianz aber mit Vertreter/-innen lokaler kommunalpolitischer Gruppen und mit städtischen Repräsentant/-innen. So heißt es in einem Beitrag der Erlanger Nachrichten: »Beinahe einen Eklat provozierte Theodor Ebert vom Bund für Geistesfreiheit. Zwar verurteilte er ebenfalls ›den feigen und verbrecherischen Mordanschlag in Paris‹. Für seine islamkritischen Worte gab es aber auch Buh-Rufe. Die SPD-Stadträtinnen Anette Christian und Barbara Pfister [im FMGE aktiv; Anm. J.W.] skandierten die Worte ›Versöhnen statt spalten‹.«16 Ein Imam einer der Moscheegemeinden habe sodann spontan, öffentlich und durch anwesende städtische Vertreter/-innen unterstützt auf die Rede des Professors reagiert. 15 16
Beitrag im Humanistischen Pressedienst: »Charlie Hebdo und der Islam«, https://hpd.de/artikel/1 0959, (22.01.2017). Bericht in den Erlanger Nachrichten: »Erlangen sagt: Nous sommes Charlie«, www.nordbayern.de/region/erlangen/erlangen-sagt-nous-sommes-charlie-1.4120352?rssPage=UmVnaW9u, (22.01.2018).
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Ein Mitglied der IGE war mit dabei und beschreibt dies im Interview: »Ein Mann, äh, er ist nicht gläubig, er glaubt nicht an Gott, […] hat eine Rede gehalten. Er ist Professor […] und ähm, bei der Rede hat was gegen Islam gesagt. Und das war nicht richtig.« (Interview 5) Der Imam selbst schilderte mir in einem nachträglichen Gespräch die Situation und erklärte, wie er spontan eine korrigierende Gegenrede hielt: »Ja, und [er] hat gemeint, dass also, wir können den, äh, den Koran nicht so einfach als unschuldig erklären in Bezug auf solche Attentate […], der Koran ruft die Muslime auf, die Ungläubigen zu töten und Nichtmuslime zu töten. Und […] [er sagte] unser Problem ist mit dem Islam im Allgemeinen, nicht mit etwa [dem] Verhalten von ein paar Personen.« (Interview 9) Daraufhin habe der Imam in seiner Gegenrede erklärt, dass sich solche problematischen Motive bei einer kontextualisierenden und ganzheitlichen Rezeption des Korans auflösen würden. Unterstützt wurden die »Muslime« im Vollzug solcher Konflikte von dialogaktiven städtischen Vertreter/-innen, was sie »der Stadt« nachträglich auch hoch anrechneten. Der Vertreter des Bundes für Geistesfreiheit zog aus dem Anschlag jedenfalls eine gänzlich andere Schlussfolgerung als in etwa Interviewpartner/-in 2, ein/e dialogaktive/-r lokalpolitische/-r Vertreter/-in. Dieser/diese forderte in seiner/ihrer ebenfalls öffentlich gehaltenen Rede (die er/sie mir schriftlich zukommen ließ) die Gesellschaft dazu auf, sich gerade nach einem solchen Anschlag, der auf einem falschen »Islam«-Verständnis beruhe, mit »Muslimen« solidarisch zu zeigen. Er/sie forderte die Bürger/-innen auf, davon Abstand zu nehmen, »Islam« zu verurteilen und vielmehr gerade jetzt dafür einzustehen, dass »Muslime« ihren Glauben in Deutschland frei ausleben können. Er/sie sagte: »Unsere Gedanken sind aber auch bei unseren muslimischen Mitbürgern, die wieder erleben müssen, wie gewissenlose Verbrecher ihre Religion missbrauchen. Ich rufe Euch zu: Wir in Erlangen werden alles uns mögliche tun, dass Ihr Eure Religion in Frieden leben könnt.« (abgedruckte Rede, die mir übergeben wurde, 2015) So antwortete er/sie auf den Anschlag mit einer Bestärkung von »Islam« und einem Aufruf zu Solidarität. Demgegenüber sah der humanistische Vertreter in dem Anschlag die Notwendigkeit für die Kritik eines intoleranten »Islam«. Er sagte: »Darum müssen sich auch die hier lebenden, die liberalen Muslime und ihre beredten Verteidiger unter den Nichtmuslimen fragen lassen, wie sie mit jenen Auffassungen im Islam umgehen wollen, die mit unseren rechtsstaatlichen Werten nicht im Einklang stehen. Wie steht es um das Recht, eine Religion auch zu verlassen? Wie mit den Rechten der Frauen?«17 Er argumentierte, dass Religionen nicht bedingungslos anerkannt werden sollten, und sprach sich für einen Staat aus, der die Rechte der Religionen einhegt. Implizit plädierte er für eine säkulare Religiosität, die sich den Rechten des säkularen Staats – z.B. der Rede- und Meinungsfreiheit – unterordnet. Der Dialog würde ein solches Ziel
17
Vgl.: http://bfg-erlangen.de/portal/content/redebeiträge, (22.01.2017); vgl. auch: Beitrag im Humanistischen Pressedienst: »Charlie Hebdo und der Islam«, https://hpd.de/artikel/10959, (22.01.2017).
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teilweise unterlaufen.18 Vor dem Hintergrund solcher Konfliktlinien erschienen die Reden einiger kommunaler (Dialog-)Repräsentant/-innen als »feurige« Verteidigung der lokalen »Muslime« gegen das Auflodern islamskeptischer Positionen. Über die Solidarisierung mit den lokalen »Muslimen« und einem öffentlichen Bekenntnis zum (friedlichen) »Islam« verkörperte bspw. ein/-e der Stadtspitze angehörende/-r Politiker/-in jene »Erlanger Dialoggemeinschaft«, in welche die »Muslime« involviert werden. Im Sinne des Regierens liegt einer solchen Praxis auch der Versuch inne, die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, dass sich »muslimische« Vertreter/-innen »trauen«, in einem nach Anschlagsereignissen besonders aufgeheizten öffentlichen Feld als politische Subjekte aufzutreten.
7.5.2
Normalisierungsmacht und der Widerstand gegen den politisierten Dialog
Wie bereits erwähnt, gehen gerade Praktiken der »Imagepflege« und des öffentlichen Auftretens immer auch mit Normalisierungseffekten einher. Als Regierungsform versucht der Dialog stets, die »muslimischen« Sprecher/-innen auf ein politisch »überzeugendes« Artikulationsniveau zu bringen, wobei es Gegenstand steter Aushandlungsprozesse ist, was »überzeugend« ist (TB FMGE 2, 9, 10; TB CIAG 3, 4, 6; Interviews 3, 6, 8, 11, 12; IG 10). Hierfür ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele anführen. In einer CIAG-Sitzung (TB CIAG 6) in etwa sollte gemeinsam eine »überzeugende« Stellungnahme zu den Ereignissen der »Kölner Silvesternacht« 2015 erarbeitet werden – ein Ereignis, das eine vielfach auch pauschalisierende Debatte über sexualisiertes und frauenfeindliches Verhalten mutmaßlich migrantischer und in »islamischen« Gesellschaften sozialisierter junger Männer zur Folge hatte. Ziel war es sodann, über eine öffentliche Stellungnahme der »muslimischen« Gemeinden die pauschalisierenden Momente zu korrigieren. Vergleichsweise unvermittelt meldete sich in dieser Sitzung ein »christlicher« Vertreter und argumentierte, dass die »Muslime« für eine Ausarbeitung einer Gegenstellungnahme eigentlich noch nicht bereit seien. Die »muslimischen« Gemeinden müssten erst noch umfassend über »islamische« Traditionen, Werte und Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen nachdenken und hierbei eine distanziert-reflektierte und historisch-kritische Perspektive auf den eigenen Glauben und die eigene Kultur einnehmen, um überhaupt fundierte Stellungnahmen zu einem komplexen Thema wie der »Kölner Silvesternacht« schreiben zu können. Daran schlossen dann vage Äußerungen eines CIAG-Moderators in der Form »doppelter Verneinungen« an: »Also ich denke schon, die Taten von Köln haben nicht unbedingt nichts mit Islam zu tun.« Daran knüpften Vergleiche an, z.B. die Verbindung zwischen »islamisch-patriarchalischer Kultur« und sexueller Aggressivität gegenüber Frauen mit der Verbindung zwischen priesterlichem Zölibat und sexuellem Missbrauch in »christlichen« Institutionen. Verknüpfungen zwischen »Islam«, »islamischer Kultur« und problematischen Geschlechternormen und verhältnissen tauchen gegenwärtig in (überlokalen) öffentlichen Debatten regelmäßig 18
Ähnlich argumentierte Dr. Lale Akgün, ehemalige Bundestagsabgeordnete »muslimischen« Glaubens, auf einer vom Bund für Geistesfreiheit Erlangen und der VHS Erlangen durchgeführten Veranstaltung (TB 17).
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auf.19 In der erwähnten CIAG-Sitzung wurden solche Verknüpfungen reproduziert, wobei dann von den »Muslimen« teilweise erwartet wurde, sich im Vorfeld der eigenen politischen Äußerung mit solchen Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Letztlich konnte dann ein sichtlich aufgebrachter Imam diese Diskussionen mit dem Verweis darauf erfolgreich beenden, dass man sich doch »schon lange aus Erlangen kenne« und »daher wissen sollte, dass Islam nichts mit solchen Handlungen zu tun hat« (sinngemäße Zitate, aus: TB CIAG 6). Diese Form der Mobilisierung des lokalisierten Vertrauensmotivs wird in späteren Kapiteln noch besprochen. In einer Sitzung des FMGE wiederum (TB FMGE 9) wurde den »muslimischen« Gemeinden ein Thesenpapier eines Vertreters einer »christlichen« Erwachsenenbildung (Religionspädagoge) nahegelegt. Die Schrift mit dem Titel »Muslim? Aber sicher! Ideen für eine Öffentlichkeitsstrategie der islamischen Gemeinden in Erlangen« enthielt Strategien der Selbstdarstellung für »Muslime«. Dabei wurde den »Muslimen« empfohlen, sich von traditionellen Repräsentationen zu lösen und bspw. in einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne junge »Muslime« darzustellen, die davon berichten, dass sie nach dem Beten gerne auf Partys gehen. Andere Techniken einer (Re-)Formierung »muslimischer« politischer Identitäten entfalten sich derweil regelrecht beiläufig. Auf einer öffentlichen Veranstaltung in einem Erlanger Vorort, die von einem im Erlanger Dialog aktiven »christlichen« Geistlichen moderiert und von Vorstandsmitgliedern der Erlanger Moscheegemeinden besucht worden ist, sprach ein (dialogaktiver) Wissenschaftler des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa (EZIRE) über »Islam in Deutschland« und wendete sich in seiner Rede in einem Moment dezidiert an die »Muslime«. Er sagte: »Auch wenn es völlig verständlich ist, wenn Muslime sagen, Extremismus und Gewalt habe nichts mit Islam zu tun, weil es ja auch mit ihrem Leben nichts zu tun hat, so sollten sie doch vielleicht eher sagen: Das hat mit meinem Islam nichts zu tun – das wäre überzeugender.« Dieser »Tipp« stellt den Aufruf dar, die Relativität religiöser Wahrheiten anzuerkennen und es sich mit Blick auf die kontrovers diskutierten Fragen nach religiösen Ursachen von Extremismus nicht zu leicht zu machen. Es ist hier eine Praxis beiläufig ablaufender erkenntnistheoretischer Justierungsversuche im Hinblick auf »muslimische« Verständnisse religiöser Wahrheit zu erkennen. Neben solchen »Justierungen« agieren gerade städtische Vertreter/-innen in den Dialogarbeitskreisen vielfach als »Politikberater/-innen«. In einer Sitzung des FMGE z.B. beklagten »muslimische« Gemeindevorstände das Fehlen eines Gebetsraumes in einer lokalen Niederlassung eines großen Betriebs, woraufhin um Unterstützung durch die Stadt gebeten wurde. Ein städtischer Vertreter jedoch antwortete, dass er in diesem Fall kaum Chancen sehe, und empfahl den »Muslimen«, sich zurückhaltend zu verhalten. Auch müsse man genau darauf achten, wie man die Forderungen vorbringt. Er agierte damit als Politikberater mit Blick auf die (Un-)Angemessenheiten politischer Forderungen. Immer
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Eine diskursive Verknüpfung der Taten der »Kölner Silvesternacht« mit »Islam« reproduziert dabei bspw. die Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter (2016a), in einem Statement auf der Website der Universität Frankfurt. Eine mit religiösen Moralvorstellungen verknüpfte patriarchale Differenzierung zwischen ehrbaren und ehrlosen Frauen in »islamischen« Gemeinschaften liefere die Grundlage für geschlechtlich kodierte Abwertung.
7. Ethnographien des Dialogs
wieder legten städtische Vertreter/-innen den »Muslimen« nahe, sich mit den Implikationen des eigenen Auftretens reflektierend auseinanderzusetzen: »Man muss immer genau auf die Wortwahl achten. Ich sag euch: Achtet immer genau auf eure Sprache.« (Städtische Vertreterin in einer FMGE-Sitzung: TB FMGE 10) Maßnahmen dieser Art sind allesamt Versuche, »Muslime« auf ein Artikulationsniveau zu bringen, das von der Dialog-Community als angemessen erachtet wird (vgl. Tezcan 2007). Ein im Erlanger Dialog aktiver »christlicher« Vertreter drückte es deutlich aus: Man müsse »gesprächsfähige Partner für den Dialog […] produzieren, da mangelt es uns« (Interview 7). Ein anderer »nicht muslimischer« Aktiver betont: »Es geht um die Sprachfähigkeit«, wobei gerade »der Ton […] ganz entscheidend [sei]« (Interview 12). Doch gegen genau diese Funktion des Dialogs als ein politisches »Training« regen sich Widerstände seitens der »Muslime«. Ein dialogaktives »muslimisches« Mitglied einer der beiden Moscheegemeinden kritisierte in einem Interview jene »Politisierung des Dialogs« (Interview X, Nummer wird hier nicht angegeben). Statt »konkrete, greifbare Projekte vor Ort anzugehen« (ebd.; sinngemäßes Zitat), würden städtische und »christliche« Dialogaktive und teilweise aber auch »muslimische« CIAGSprecher/-innen die Energien der Dialogteilnehmer/-innen lediglich darauf ausrichten, »Muslime« zu öffentlich-politischen Personen auszubilden, die jedes politische Ereignis zu kommentieren hätten. So würde man nur noch Distanzierungsstatements z.B. nach »islamistischen« Anschlägen verfassen oder korrigierende (differenzierende) Stellungnahmen zu islamophoben und pauschalisierenden Äußerungen politischer Akteure (in den lokalen Medien) erarbeiten (so geschehen etwa in: TB FMGE 9, 10). Nachdem bspw. der AfD-Politiker Alexander Gauland im August 2017 rassistisch und katastrophal despektierlich davon sprach, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, »in Anatolien [zu] entsorgen«20 , wurde von einigen Dialogaktiven sogleich angedacht (und entsprechend über die Netzwerke kommuniziert), auf diesen Angriff Gaulands eine Antwort im Namen der Erlanger »Muslime« zu erarbeiten (Interview 20). Der »muslimische« Gemeindevertreter sagte dazu jedoch (sinngemäß): »Was interessiert mich, was Gauland zu Özoğuz gesagt hat? Ist sie überhaupt Muslimin? Hat das ganze was mit Islam zu tun? Wir müssen doch nicht jedes Mal Fremdenfeindlichkeit auf der ganzen Welt bekämpfen, wir müssen hier in Erlangen was machen. Zum Beispiel das neue Erwachsenbildungswerk.« (Ebd.) Es würde nur noch darum gehen, »Muslime« politisch-öffentlich sprechen zu lassen. Dies würde aber schlicht zu wenig einbringen, da die Gesellschaft »ohnehin nicht zu belehren« sei (ebd.). Damit verbunden, so mein Interviewpartner, greife man dann im Dialog auch allzu sehr integrationspolitische »Dauerbrenner« und Reizthemen auf (z.B. das Kopftuchthema), anstatt jenseits solcher Reizthemen eine konkrete lokale Institutionalisierung von »Muslimen« voranzutreiben. Die in meinem Forschungszeitraum v.a. im FMGE vorangetriebenen Versuche, die Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt anzugehen (TB FMGE 5, 7), lassen sich bspw. zwar als Vorbereitungen konkreter Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der »Muslime« deuten. So wurde bspw. angedacht, in den
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Zitat aus: www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/afd-alexander-gauland-traeumt-von-entsorgung-aydan-oezoguz-15171141.html, (20.02.2018).
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Einstellungsverfahren für Stellen im öffentlichen Dienst in der Kommune und in städtischen Tochterunternehmen stärker die interkulturellen Kompetenzen von »Musliminnen« sowie deren interkulturelle Mittlerfunktion als messbare Kriterien zur Evaluation der Anstellbarkeit einzuführen. Jedoch transformierten Sitzungen dieser Art in vielen Momenten dann doch wieder zu einer politisierten Praxis des Befragens von »Muslimen« – bspw. bezüglich des Kopftuchs oder gar dessen religiöser Notwendigkeit. Solche Momente, so mein Eindruck, erscheinen dem interviewten Gemeindemitglied als nicht enden wollende Versuche der Verständnisschaffung bezüglich der, wie er sinngemäß sagt, »üblichen und leidigen Integrationsthemen«. Stattdessen sollte man greifbare Unterstützungsprojekte angehen, wie es etwa im Zuge der Einführung von Islamunterricht an Erlanger Schulen oder der Etablierung von medizinischen Ansprechpartner/-innen für »Muslime« an Erlanger Kliniken (vor allem in den frühen Jahren der CIAG) geschehen ist. Solche Projekte artikulierte das »muslimische« Gemeindemitglied als »wirkliche Dialogarbeit«, die dazu geführt habe, »dass Muslime sich in Erlangen besser und zu Hause fühlen« (ebd.; mitgeschriebenes Zitat, fast wortwörtlich). Gerade der Erlanger Dialog der 1990er und frühen 2000er Jahre erschien dem »muslimischen« Vertreter als eine ermächtigende politische Praxis, die die »Muslime« in Erlangen gestärkt und materiell institutionalisiert habe. Diesen Dialog vermisse er nun (Interview X). Sicherlich materialisierte sich in der Erlanger Dialogpraxis der ersten Jahre die Anerkennungslogik in einer sehr greifbaren Art und Weise. Gerade die Einführung von IRU machte die angestrebte Anerkennung »muslimischer« Identität fassbar. Vor diesem Hintergrund artikuliert sich gegenüber dem jetzigen Dialog zunehmend Enttäuschung auf »muslimischer« Seite, da der Dialog jene »Fassbarkeit« nicht mehr zu verkörpern scheint. Dies erkennt und bedauert auch eine »muslimische« CIAG-Sprecherin (auch wenn diese in den Augen des zitierten Gemeindemitglieds für den »unkonkreten« und politisierten Dialog mit verantwortlich sei). Auch sie aber reflektierte ähnliche Kritiklinien (IG 6, 10). Theologische Diskussionen oder auch »das viele Reden über Politik« (sinngemäßes Zitat: Telefonat am 03.12.2017) würden viele »Muslime« kaum mobilisieren, die Möglichkeiten der praktischen Unterstützung für die Gemeinden erörtern wollen. So erwähnte die »muslimische« CIAG-Vertreterin in einer Sitzung, dass gegenwärtig beide Moscheegemeinden Bauprojekte zur Erweiterung ihrer Räumlichkeiten verfolgen und sich eher wünschen würden, in den Dialogkreisen die Schwierigkeiten solcher Vorhaben zu diskutieren, anstatt z.B. Theolog/-innen einzuladen oder über Säkularität zu sprechen (Aussagen in: TB CIAG 9, 10). Ähnlich argumentierend, merkte ein »muslimischer« Dialogaktiver (Ex-Vorsitzender einer kommunalen integrationspolitischen Institution) auf einer öffentlichen Dialogveranstaltung (TB 25) kritisch an, dass in den oft auf »Harmonie« ausgerichteten Dialoggesprächen über Werte und Gemeinsamkeiten konkrete Fragen z.B. der rechtlichen Benachteiligung von (»muslimischen«) Migrant/innen oft untergehen würden.
7. Ethnographien des Dialogs
7.6
Zwischenkontextualisierung: die untersuchten Dialogarbeitskreise als ein »überlokales Phänomen« – Ergebnisse aus der Literatur und eigenen empirischen Studien
Wie bisher gezeigt, entfaltet sich die Regierungstechnologie eines »lokalen Dialogs mit Muslimen« in Erlangen vermittels komplex gelagerter, tendenziell halboffizieller, halböffentlicher, lokalpolitisch aber umfangreich eingebetteter Arbeitskreise und Initiativnetzwerke politisch engagierter, vernetzter und durchaus auch religiös interessierter Personen. CIAG und FMGE erscheinen dabei als Mischung aus lokalpolitischem Integrationsprojekt, zivilgesellschaftlicher Initiative und interreligiösem Gespräch. Genau als eine solche Mischung stellen die Dialogforen ein Format dar, das nicht nur in Erlangen zu beobachten sein dürfte. Als wichtige Zwischenkontextualisierung ist an dieser Stelle festzuhalten: Derartige Dialoggemeinschaften und Arbeitskreise, die (a) auf die Integration lokaler »muslimischer« Gruppen zielen, (b) eine kommunalpolitisch betrachtet eher informelle Institutionalisierungsform aufweisen bzw. quer zu etablierten Organen lokaler Politik und Verwaltung stehen, (c) heterogene Vertreter/-innen aus Kommunalpolitik und -verwaltung, Gesellschaft, Kirchen, »muslimischen« Organisationen, Medien und Wissenschaft versammeln und dabei (d) zwar nicht immer, aber vielfach interreligiös ausgerichtet sind, lassen sich, was Zielsetzungen, programmatische Eckpunkte und Entstehungskontexte angeht, in ähnlicher Form auch in anderen Städten in Deutschland auffinden (vgl. die Studien von Schmid et al. 2008; Klinkhammer et al. 2011; dazu der Überblick von Miksch u. Hoensch 2011; allgemein auch: Amir-Moazami 2011a, b; Tezcan 2006). Dialoginitiativen dieser Art haben vielfach auf geopolitische Ereignisse reagiert, die als Konflikte zwischen »Westen« und »Islam« erscheinen mussten (bspw. die »Rushdie-Affäre«, der Golfkrieg in den 1990er Jahren, die Anschläge des 11. September). In Kapitel 3 wurde bereits angerissen, dass das Dialogprogramm auch auf lokaler Ebene operativ zu werden scheint. In Kapitel 4 konnte dann herausgearbeitet werden, wie sich in integrationspolitischen Handreichungen und der anwendungsbezogenen Forschung ein politisches Wissen formiert hat, das die Etablierung von »Dialogen mit Muslimen« auch auf lokaler Ebene propagiert und unter Rekurs auf viele bestehende »Dialoginitiativen« die Optimierung selbiger als Lösungsstrategie für lokale Kontexte anbietet. Dialog ist folglich als überlokal bedeutsame Regierungsschablone zu betrachten, die in verschiedenen lokalen und kommunalen Kontexten Einsatz findet. Dies zeigen die Studien von Klinkhammer et al. (2011) und Schmid et al. (2008), die die Etablierung und Arbeit von Dialoginstitutionen in vielen Kommunen in Deutschland beschreiben (dazu: Miksch u. Hoensch 2011; DIK 2009a, 2011). Einige Studien zeigen auch, wie gerade lokale interreligiöse Dialoggruppen seit den 1990er Jahren das Feld rein (inter-)religiöser Fragen verließen, zunehmend gesellschaftspolitische Akteure aus verschiedenen Bereichen involvierten und sich entlang integrationspolitischer Diskurse entsprechend neu ausrichteten (Klinkhammer et al. 2011; Schmid et al. 2008; Rommelspacher 2012; Neuser 2005a, b; Miksch u. Hoensch 2011). 2014 bis 2015 führte ich im Rahmen einer Lehrveranstaltung zusammen mit Prof. Dr. Georg Glasze und Studierenden der Kulturgeographie am Institut für Geographie der Universität Erlangen-Nürnberg eine Untersuchung durch, in welcher mittels Telefoninterviews Beauftragte für Integration aus insgesamt 52 deutschen Großstädten (ab
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100.000 Einwohner) zum Umgang mit Religion und »Islam« befragt wurden (befragt wurden meist offizielle Integrationsbeauftragte aus der kommunalen Politik und Verwaltung, teils auch Vertreter/-innen integrationspolitischer kommunaler Institutionen wie der Ausländer- und Integrationsbeiräte, seltener politische Referent/-innen oder Vertreter/-innen integrationspolitisch aktiver Vereine, die dann aber mit der Kommune kooperieren und von kommunalen Vertreter/-innen selbst als Ansprechpartner/-innen vermittelt wurden). Eine weitere Lehrforschung 2017 und 2018 (wieder mit Georg Glasze), die in Kooperation mit einem von Prof. Dr. Andreas Pott, Laura Haddad und Ali Konyali geleiteten Masterseminar an der Universität Osnabrück bzw. am dortigen Institut für Migration und interkulturelle Studien (IMIS) durchgeführt wurde, ergänzte diese Daten um tiefer gehende qualitative Interviews mit städtischen Vertreter/-innen, Akteuren aus dem interreligiösen Dialog und »muslimischen« Repräsentant/-innen in acht Großstädten, die auf Basis der ersten Untersuchung ausgewählt wurden. Diese Interviews führten Masterstudierende aus Erlangen und vom IMIS in Osnabrück durch, wobei die Transkripte zur Analyse vorlagen. Den Studierenden beider Untersuchungen gilt daher mein großer Dank für die engagierte Arbeit. Über die Studien ließen sich zentrale Interaktionsfelder zwischen Kommunen und »muslimischen« Akteur/-innen und Institutionen herausarbeiten. Die Interaktionen manifestierten sich vielfach in diversen interkulturell und interreligiös ausgerichteten Initiativen und Projekten, in Maßnahmen der politischen Bildung, im Feld der Extremismusprävention, in der Öffentlichkeitsarbeit, in der Jugendarbeit und der Frauenförderung, im weiten Bereich Bildung (z.B. gemeinsame Anstrengungen im Hinblick auf Islamischen Religionsunterricht) oder im Kontext von Fortbildungsmaßnahmen für Religionspersonal aus Moscheegemeinden. Daneben spielten die »klassischen« Themen des kommunalen Versorgungsbereichs eine große Rolle, so in etwa die Zusammenarbeit bei Fragen rund um Moscheebau, »islamische« Begräbnisflächen oder »islamischer« Seelsorge (in Krankenhäusern) (vgl. Maussen 2006). Die diskursiven Kontexte dieser Interaktionen zeigten sich oft konfliktbezogen und verwiesen auf die Gefahren des religiösen Extremismus – und vielfach auch dezidiert von Salafismus – auf der einen Seite sowie auf Rechtsextremismus, Fremden- und Islamfeindlichkeit auf der anderen Seite. Hierbei argumentieren städtische Vertreter/-innen zumeist, dass zusammen mit lokalen »Muslimen« der (Stadt-)Gesellschaft aufgezeigt werden müsse, dass ein friedvolles Zusammenleben möglich ist. In diesem Kontext wird von lokalen »muslimischen« Gemeinden ein entsprechendes Engagement erwartet. Diese sollen sich an Maßnahmen zur Stärkung einer pluralen und toleranten Gesellschaft beteiligen. Meistens wurde die kommunale Auseinandersetzung mit »Muslimen« als einer von mehreren Strängen städtischer Integrationspolitiken verstanden, wobei »muslimische« Gemeinden meist auch als »Migranten«-Communitys artikuliert wurden. »Muslime sind Leute mit Migrationserfahrung«, so die Aussage eines Vertreters einer Stadt in Südwestdeutschland. Vielfach werden Religion und religiöse Gemeinschaften als Domänen des Zugriffs für städtische Integrationspolitik artikuliert. Eine Integrationsbeauftragte einer Stadt in NRW merkt an, dass »die Religionen […] in der Integration eine sehr wichtige Rolle [spielen]. […] Für viele Menschen, also für die, für die gläubigen Menschen, die aus dem Ausland zu uns
7. Ethnographien des Dialogs
kommen, ist ihre jeweilige Religionsgemeinde ein Stück Heimat«. So könne man dann »über die Kirchen, Religionsgemeinschaften, Moscheen die Menschen beteiligen an bestimmten Prozessen.« (Vertreterin einer Stadt in NRW) Ein kommunaler Zugang zu lokalen Religionsgemeinschaften sei »sehr wichtig für die Integration, weil […] ich als Integrationsbeauftragte [habe dann] die Möglichkeit, über die ganzen Religionsgemeinschaften natürlich Fragen, die sich stellen, zu klären« (ebd.). In diesem Sinne lassen sich kommunale, auf »Islam« zielende Politiken mit Rose (1996, 2000a, b) als ein governing through (»muslim«) community deuten. Es wird (a) versucht, »muslimische Migrant/-innen« über deren Beziehung zur religiösen Community zu erreichen. Gleichzeitig (b) zielen solche Techniken auf die Stärkung der Selbstführungs- und Organisationskompetenzen »muslimischer« Gemeinden (vgl. auch: Tezcan 2007, 2009). Nicht zuletzt (c) findet ein solches governing through (»muslim«) community im Versuch der Produktion einer neuen, spezifisch lokalen und pluralen Gemeinschaft Gestalt, wobei dann die Förderung interkultureller und interreligiöser Begegnungen vor Ort zum Programm wird. Dabei aktivieren kommunale Politiken »muslimische« Communitys als lokale Nährböden für die Herausbildung eines bestimmten »muslimischen« Subjekts, welches sich integriert, säkular, transparent und engagiert zeigen solle (Winkler 2017). Als ein zentrales Ergebnis der Studien ist derweil anzuführen, dass mehr als die Hälfte der untersuchten Städte über ihre integrationspolitischen Institutionen interreligiöse Dialoge aufgreifen, um religiöse und kulturelle Differenzen in der Stadt zu »managen« und dabei auch »Muslime« vor Ort anzusprechen und zu involvieren. Hier gibt es sowohl das Modell, dass Kommunen interreligiöse Dialoge zwar außerhalb der kommunalen Verantwortung verorten, aber fördern, mit einbeziehen und/oder sich über jene Aktivitäten informieren, als auch das Modell einer direkten Teilnahme der »Stadt« an interreligiösen Dialogen und Aktivitäten. In mehr als der Hälfte der Städte geschieht das Aufgreifen interreligiöser Dialoge zumindest in der Form, dass interreligiöse Aktivitäten vor Ort den Integrationsbeauftragten bekannt sind und ideell gefördert werden. 24 Städte wiederum, also immerhin fast die Hälfte der untersuchten Fälle, nutzen interreligiöse Dialoge proaktiv, d.h. sie fördern, verwalten und/oder (co-)moderieren interreligiöse Foren und Arbeitsgruppen bzw. nur einzelne interreligiöse Veranstaltungen und Aktivitäten, um darüber »Muslime« vor Ort einzubinden. Teils integrieren diese Städte auch konzeptionell interreligiösen Dialog in ihre Integrationsprogramme und arbeiten hier mit kirchlichen Akteuren zusammen. Vielfach sehen diese Kommunen im interreligiösen Dialog (explizit oder implizit) eine integrationspolitisch bedeutsame Interaktionsschablone. Dazu kommen noch einige weitere Städte, die auf einen »Dialog mit Muslimen« und auf entsprechende Dialogforen setzen, welche jedoch allgemeine Integrationsfragen behandeln sollen und thematisch nicht interreligiös ausgerichtet sind. Insgesamt lassen sich damit zumindest 28 Städte identifizieren (ca. die Hälfte), die einen (nicht immer interreligiösen) »Dialog mit Muslimen« aufgreifen und dabei mehr oder minder institutionalisierte Dialogforen, Arbeitskreise und Dialogaktivitäten, die auf die »muslimische« Bevölkerung zielen, initiieren, (co-)moderieren, koordinieren oder mit verwalten. Meistens sind diese Dialoge, wie erwähnt, auch interreligiös eingefärbt. In einer Stadt in Niedersachen etwa koordiniert eine städtische
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Stelle gemeinsam mit dem kommunalen Präventionsrat einen interreligiösen Arbeitskreis. In einer mitteldeutschen Stadt moderiert bspw. ein städtischer Integrationsbeauftragter einen interreligiösen Rat der Religionen. Eine ostdeutsche Stadt wiederum unterstützt proaktiv interreligiöse Aktivitäten. Die Integrationsbeauftragte einer Stadt in NRW stellt fest: »Also wir haben seit 2006 einen sehr aktiven Dialog der Religionen. Dieser Dialog der Religionen wird von mir als städtische Integrationsbeauftragte geleitet.« (Integrationsbeauftragte einer Stadt in NRW) In einer nordwestdeutschen Stadt wird ein christlich-islamischer Gesprächskreis »von der Stadt unterstützt«, denn »Religion ist wichtig für den Menschen, und wir müssen das gemeinsam mit dieser Stadt auch fördern und unterstützen« (Integrationsbeauftragter einer nordwestdeutschen Stadt). Ein Integrationsbeauftragter einer bayerischen Stadt stellt dar: »Wir haben zum einen den christlich-islamischen Dialog, den wir hier seit vielen Jahren pflegen. Da treffen sich die christlichen Gemeinden. Das heißt, es gibt ein Gremium, so muss ich anfangen. Das Gremium besteht aus zwölf Mitgliedern, sechs von christlicher Seite und sechs von muslimischer Seite. Der städtische Beauftragte des christlich-islamischen Dialogs, der lädt immer diese Gremiumsmitglieder ein, und ich als Integrationsbeauftragte bin auch ein außenstehendes, koordinierendes Mitglied sozusagen.« In einer Stadt in Südwestdeutschland gäbe es »einen seit vielen Jahren etablierten interreligiösen Dialog, den die Stadt, zwar nicht die Federführung hat, aber sich regelmäßig beteiligt und das auch organisatorisch unterstützt«. In einer Stadt im Ruhrgebiet wurde ein interreligiöser Arbeitskreis, an dem auch »muslimische« Vertreter/-innen teilhaben, in das kommunale Integrationsprogramm einbezogen. Dieser Kreis genieße einen hohen politischen Stellenwert und könne seine Anliegen über offizielle Kanäle wie auch über eher inoffizielle Beziehungen mit der Stadt und deren Vertreter/-innen artikulieren, so eine Integrationsbeauftragte. Selbige erläutert: »Also es ist nicht nur eine offizielle Zusammenarbeit, müssen Sie sich vorstellen, [Stadtname] hat, ich glaub um die [über eine halbe Million] Einwohner, das ist also eine sehr große Stadt. Der Oberbürgermeister, der hat seinen Terminkalender voll, […] bis Mitte nächsten Jahres. Wenn dieser Dialogkreis der Abrahamsreligionen sagt, du, wir haben hier das und das Thema, was uns wichtig ist, ne, ähm dann, äh, wird da ein Termin dazwischen geräumt. Also das ist schon so, dass die einen sehr hohen politischen und gesellschaftlichen Stellenwert auch haben […].« In einer Stadt in Niedersachen wiederum beschreibt ein Vertreter den Umgang mit »Muslimen«: »Und wir sehen das immer unter dem Aspekt interkultureller, interreligiöser Austausch. Und was wir versucht haben, war insbesondere den Austausch und den Dialog zu muslimischen, oder besser gesagt zu islamischen, Gemeinschaften aufzubauen, zu intensivieren.« Insgesamt zeigten die Studien somit, dass interreligiöse Dialoge auf kommunaler Ebene ein wichtiges Element bezüglich der Festigung von Kontakten zwischen Kommunen und der lokalen »muslimischen« Bevölkerung darstellen und in diesem Sinne vielfach in Integrationspolitiken eingebunden werden. Im Sinne der im obigen Zitat angesprochenen Intensivierung von Beziehungen argumentieren Kommunen, dass sie einen engen und intensiven Kontakt zum lokalen »Islam« sowie teils dezidiert persönliche Kontakte zu »muslimischen« Multiplikatoren und Schlüsselpersonen anstre-
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ben, was als Charakteristikum eines Regierens durch Dialog zu deuten ist. Solche Praktiken müssen nicht unbedingt interreligiös gerahmt sein, doch werden de facto vielfach interreligiöse Maßnahmen im Zusammenhang mit Praktiken der Kontakt- und Beziehungspflege genannt: »Ja das Ziel generell von diesem Ganzen besteht ja darin, den Kontakt zu den muslimischen Gemeinden zu suchen, persönliche Kontakte zu haben, den Dialog zwischen den christlichen und den muslimischen Gemeinden zu intensivieren.« (Vertreter/-in einer Stadt in Bayern) Eine Vertreterin aus einer ostdeutschen Stadt erzählt über das Ansprechen »muslimischer« Gemeinden: »Das läuft im Grunde alles über persönliche Kontakte. Also, entweder, weil ich die Menschen selbst, also ich die Menschen selbst kenne, oder weil wir Multiplikatoren haben, die gute Beziehungen haben. Also, zum Beispiel, eine Pastorin hat sehr gute Beziehungen in die jüdische Gemeinde rein. Oder wir kennen eben über den Integrationsbeirat Muslime, die jetzt nicht sich als Repräsentanten einer Glaubensgemeinschaft verstehen, auch eher jetzt nicht unbedingt dort in den Gemeinden zum Beten sind, aber die selbstverständlich dort Personen, Schlüsselpersonen kennen. Das heißt, es läuft alles über ja, über Multiplikatoren, über persönliche Kontakte.« Ein Vertreter aus einer Stadt in NRW erkennt ebenso einen »sehr enge[n] Kontakt« zu den lokalen »muslimischen« Gemeinden und hebt ebenso die Rolle interreligiöser Arbeitskreise hervor, wenn es um das Schaffen und Beibehalten persönlicher Kontakte zwischen städtischen und »muslimischen« Vertreter/-innen geht. In einer ostdeutschen Stadt, so zeigten Interviews der zweiten Studie im Jahr 2018, betont die Stadt die vermittelnde Rolle einer engagierten Muslimin, die städtischen Mitarbeiter/-innen persönlich bekannt ist, den Zugang zu den Moscheegemeinden erleichtern würde, der kommunalen Verwaltung ein Wissen um »Islam« bereitstelle und den interreligiösen Dialog befördere. Hier fungiert folglich eine Einzelperson als Schaltstelle eines informellen Dialognetzwerks, wobei die Kommune dieses »Modell« als gangbare Lösung wahrnimmt. Eine Integrationsbeauftragte aus einer Stadt in Baden-Württemberg wiederum merkt an, dass »wir eigentlich zu allen Gemeinden, zu den Vorsitzenden, informell immer einen guten Draht [haben] und […] uns auch in vielen Dingen im Dialog [austauschen]«. Auch hier wird Dialog als eine gute und enge Beziehung zu lokalen »muslimischen« Gemeinden betont, und zwar als eine Beziehung, die eher informellpersönlich sei und auf »Schlüsselpersonen« in der Kontaktpflege beruhe. Einige Integrationsbeauftragte praktizieren dezidiert Outreach-Arbeit, um einen Zugang zum lokalen »Islam« zu finden und um informelle, persönliche Kontakte herzustellen: »Ansonsten habe ich jetzt begonnen, die Muslime in ihren Moscheen zu besuchen. Das ist eine weitere Aktivität, um auch wirklich dort jetzt nach dem einen Jahr, was ich da bin, eine engere Beziehung aufzubauen.« (Vertreter/-in einer Stadt in Sachsen) Ein politisch hochrangiger städtischer Repräsentant einer westdeutschen Großstadt schildert ebenso (Interview aus dem Jahr 2018): »Also, ich lege erstmal viel Wert darauf […], in der Moscheeszene präsent zu sein, das gilt übrigens nicht nur für die türkische Szene, die allerdings die dominierende ist, sondern auch für die marokkanische oder bosnische […]. Einfach um das Gefühl auch rüberzubrin-
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gen, was ich für nen Ansatzpunkt von Migration halte: Wir sind alle in einer gemeinsamen Stadt.« Als Grund für dieses Vorgehen nennt er Segregationstendenzen unter »muslimischen« Migrant/-innen, die sich oft in »ihre« Viertel zurückziehen und die Stadt zu wenig erfahren würden. Im Hinblick auf den Umgang der Stadt mit »muslimischen« Organisationen und Gemeinden merkt ein anderer Vertreter derselben Stadt aus dem Praxisbereich Integration an: »Und dann ist mein Alltag geprägt durch ganz viele Gespräche, ob das jetzt mit dem Integrationsrat, ob das mit den Moscheegemeinden, ob das mit dem OB [ist].« (Interview 2018) Von einer ähnlichen Outreach-Praxis erzählt ein Integrationsbeauftragter aus einer weiteren Stadt in NRW: »Also ich bin jetzt dieses Jahr fünfmal in einer Moschee gewesen, dann gab es auch immer einen religiösen Dialog letztendlich, aber nicht nur ausschließlich.« Ein Vertreter einer Stadt in Hessen merkt an, dass man wissen wolle, welche Entwicklungen bezüglich Religion und Islam in der Stadt ablaufen, wozu Dialogaktivitäten nützlich seien. Ein Integrationsbeauftragter eines Stadtstaats spricht nachdrücklich von »sehr geübte[n] und intensive[n] Beziehungen« sowie von »regelhafte[n] Austauschstrukturen«. Im Kontakt zu »Muslimen« gäbe es »geübte Mechanismen, wo man gegenseitig aufeinander zukommt«. Sprecher/-innen des Referats für interreligiösen Dialog eines »christlichen« Kirchenkreises, die in einer Stadt im Ruhrgebiet im »Dialog mit Muslimen« aktiv sind, führen in diesem Kontext an, dass persönliche Begegnungen auch deshalb wichtig seien, weil viele »muslimische« Organisationen eher informell strukturiert sind. So hängen die Beziehungen »von persönlichen Begegnungen ab. Die haben uns irgendwo getroffen und erinnern sich an uns.« (Interview 2018) Ein Integrationsbeauftragter einer Stadt in Bayern erkennt in der intensiven Pflege persönlicher Kontakte zu Mitgliedern »muslimischer« Gemeinden sowie im resultierenden Kennen(-lernen) einzelner Personen die Bedingung der Möglichkeit, in seiner Kommunikation mit islamskeptischen Gruppen überzeugender argumentieren zu können, dass der lokale »Islam« keine Bedrohung darstelle. Er schildert: »Dann kann ich natürlich sagen, […] dass ich die Leute aus den muslimischen Gemeinden zwei- oder einmal im Monat sehe und dass ich natürlich, also warum soll ich Angst haben vor den Leuten, die ich wirklich gut kenne. Und das kann ich so auch recht gut glaubhaft versichern.« (Integrationsbeauftragter einer Stadt in Bayern) Insgesamt betonten in ca. einem Drittel der untersuchten Fälle städtische Vertreter/-innen mehr oder weniger häufig einen engen, intensiven und guten Kontakt zu lokalen »muslimischen« Gemeinden und Organisationen, der vor dem Hintergrund von Konflikten und »Islam«-Debatten auch sinnvoll sei. Gerade interreligiöse Dialoge werden dabei als Orte eines besonders tiefgehenden, bisweilen auch »ersten Kontakts« zwischen städtischer Verwaltung und »muslimischen« Gemeinden artikuliert, was sich vielfach schon an Erlangen zeigen ließ (dazu aber auch in mehreren anderen Städten). Ein Vertreter einer südwestdeutschen Stadt stellt hierzu besonders pointiert dar: »Durch die ersten christlich-islamischen Dialogkreise hat man so das Interesse gegenseitig entdeckt, und auch die Kommune hat sich da mehr auf die islamischen Gemeinden fokussiert.« In einer Stadt in Bayern, so zeigte die Forschung, wurden gegenseitige Einladungen zu religiösen Festen zwischen Stadt und »Muslimen« als ein wichtiger Anstoß für ers-
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te Begegnungen und Kontakte auch zwischen Mitarbeiter/-innen der Verwaltung und »muslimischen« Personen betrachtet (ähnliche Entwicklungen zeigten sich in zahlreichen weiteren Städten). Die Kommune, so eine städtische Beauftragte einer Stadt in Sachsen-Anhalt, solle ein Interesse an Religion und am »Islam« entwickeln, wobei Dialogmaßnahmen, die Religion thematisieren und einen interkulturellen und interreligiösen Austausch ermöglichen, das Wissen über »Islam« und »Muslime« vergrößern würden. Stadtpolitiken setzen vielfach auf »Vertrauensarbeit mit den Moscheen« (Aussage eines Integrationsbeauftragten aus einer Stadt in Baden-Württemberg) oder auch allgemein mit verschiedenen lokalen Religionsgemeinschaften. In der Auseinandersetzung mit einem wahrgenommenen Zuwachs an religiöser Pluralität in der Stadt wird vermehrt auf Dialog und interreligiöse Projekte gesetzt, durch welche sich dann die Interaktionen mit (migrantischen) Religionsgemeinschaften und auch mit »Muslimen« verbessern würden. Es wird reflektiert, »dass natürlich mit jedem Projekt und jedem Dialog und jedem Gespräch die Zusammenarbeit besser wird, weil einfach ein Vertrauensverhältnis wächst und entsteht« (Integrationsbeauftragter aus einer Stadt in Niedersachsen, der in diesem Kontext über ein von der Kommune initiiertes Projekt zur Gestaltung eines »interreligiösen Kalenders« berichtete). Aus kommunaler Perspektive werden also (u.a.) interreligiöse und interkulturelle Dialoge sowie entsprechende Austauschprozesse in Bezug auf vertrauensbildende Effekte – sowohl zwischen verschiedenen Religionsgruppen als auch zwischen diesen und den Kommunen – hervorgehoben. Auch werden solche Dialogansätze und -praktiken mit der Produktion einer »Vertrauensbasis« in Beziehung gebracht, auf deren Grundlage man dann »auch durchaus schwierige Themen ansprechen [könne]« (Vertreter einer hessischen Stadt; vgl. auch: Winkler 2017). Hier ist auf Kapitel 4 zurückzuverweisen, in welchem unter Rekurs auf integrationspolitische Papiere illustriert wurde, wie Kommunen Dialogforen und ähnliche Maßnahmen – teils auch interreligiöse Dialoge – mobilisieren, um mit lokalen »muslimischen« Subjekten qua Stärkung des Vertrauensverhältnisses in Diskussionen über kontroverse Fragen treten zu können (DIK 2011: 41-42; KQI 2012; Schmid et al. 2008). Das Anstreben eines Vertrauensverhältnisses wird auch als wichtig dafür erachtet, um komplizierte Kooperationen zwischen Stadt und »muslimischen« Organisationen kommunizierbar zu machen, die aufgrund ihrer Eigenlogik als Kontrollpraktiken erscheinen mögen. Ein Integrationsbeauftragter aus einer Stadt in Hessen erwähnte in etwa, dass es die lokalen Vertrauensbeziehungen ermöglicht hätten, »muslimischen« Organisationen zu erklären, dass ein angestrebtes Extremismuspräventionsprojekt zusammen mit den »muslimischen« Organisationen ausgestaltet werden soll und nicht lediglich in bspw. polizeiliche Überwachung münden wird/soll. Mehrere städtische Repräsentant/-innen betonen die Bedeutung von Vertrauen im Dialog allgemein im Hinblick auf mögliche Differenzen und Konflikte. Das nachfolgende Zitat verdeutlicht einen weiteren im Regierungsfeld des kommunalen »Dialogs mit Muslimen« relevanten Mechanismus: den Einbezug religiösen Wissens und religiöser Expertise. »Ich habe immer Wert darauf gelegt, dass Religion einen hohen Stellenwert hat. Und, das ist aber jetzt nur meine ganz persönliche Überzeugung, dass man da mal vernünftig hinguckt. Ich habe den Koran jedenfalls mal in weiten Teilen gelesen, da leiten sie nirgends einen Krieg draus ab.« (Vertreter einer westdeutschen Stadt, Interview aus dem Jahr 2018)Einerseits arbeiten Kommunen mit »christlichen« Akteu-
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ren zusammen (siehe weiter unten), um einen oft interreligiös ausgerichteten Dialog zu gestalten, andererseits schulen sich aber auch kommunalpolitische Vertreter/-innen selbst in religiösen Fragen (siehe obiges Zitat). Über seine persönliche Religiosität, so die These, wird der hier zitierte städtische Repräsentant zu einem effektiven Akteur im Dialogfeld, der auch Fragen religiöser Identität bearbeiten kann, was die Bedeutung von Religion im Dialog aufzeigt. Die Artikulation von religiöser Expertise als Potenzial im »Dialog mit Muslimen« spiegelte sich verschiedentlich auch in den bisherigen Darstellungen des Erlanger Dialoggeschehens wider und soll nun in den folgenden Kapiteln noch weiter aufgegriffen werden. Insbesondere die Verknüpfung zwischen religiöser Sensibilität und Vertrauensarbeit erscheint im Dialog, wie am Beispiel Erlangen noch gezeigt werden soll, als bedeutsam. Die Studien zeigen somit, dass ein Großteil der Großstädte in Deutschland in der einen oder anderen Form Dialognetzwerke mit Vertreter/-innen lokaler »muslimischer« Gemeinden aufbaut und pflegt. Die Bedeutung einer partnerschaftlichen Beziehung zu lokalen »islamischen« Gemeinden wurde oft betont. Definiert man, dass Dialogbestrebungen sich im politischen Reflektieren über Möglichkeiten der Etablierung einer auf lokalen Kontakten und Informationen basierenden (Vertrauens-)Beziehung zu einer spezifischen Gruppe (»Muslime«) innerhalb der Stadtgesellschaft abbilden, so kann man sagen, dass die meisten Kommunen gegenwärtig gewisse Dialogbestrebungen verfolgen. Im Zusammenhang mit der Artikulation religiöser Expertise als Potenzial für die Dialogpraxis konnten die Studien verschiedentlich aufzeigen, inwiefern Kommunen in ihrer »Dialogführung« dezidiert auf die Expertisen »christlich«-religiöser Akteure setzen, um Wissen über »Islam« zu generieren und einen Zugang in lokale »muslimische« Felder zu finden. Gerade diese Mobilisierung »christlicher« Akteure und deren Fähigkeiten und Dispositionen werden dabei als eine Möglichkeit betrachtet, um die oben angesprochenen persönlichen, besonders engen und intensiven Beziehungen zwischen Stadt, Gesellschaft und »Muslimen« zu realisieren. In einer Stadt im Ruhrgebiet, so zeigten Interviews der zweiten Studie aus dem Jahr 2018, verstehen sich kirchliche Akteure als Vermittler/-innen bei der Integration von »Muslimen« im Stadtteil und profilieren sich dabei über die Betonung ihrer religiösen Sensibilität. Vertreter/-innen der Kirchen besuchen dabei persönlich lokale »muslimische« Gemeinden und betonen die Bedeutung von Face-to-Face-Beziehungen für den Dialog. Die Stadt wiederum registriert und unterstützt diese Praxis. In einem Interview mit einer Quartiersmanagerin (aus dem Jahr 2018) bezieht sich diese auf die Aktivitäten zweier Pfarrer: »Finde ich auch total gut. Also finde ich total gut. […] Dialog mit den muslimischen Gemeinden im Stadtteil […]. Finde ich total gut irgendwie, finde ich auch richtig, auf der Ebene sich auseinanderzusetzten, zu schauen halt, was haben wir gemeinsam […]. Und auf der Ebene ist es völlig, irgendwie sinnvoll, super und wichtig, dass einfach so Gespräche stattfinden. Und an der Ebene merkt man auch halt, wo man dann an den Grenzen kratzt, ne? Und der Dialog nicht mehr erwünscht ist, weil dann vielleicht irgendwie […] stößt man an diese Grenzen zur Radikalität sozusagen, ne? […] Die Schulen machen, glaube ich, da nicht so sehr einen Dialog. Die versuchen da ihre staatliche Rolle einzuhalten. Ich finde, Kirchen können das total gut machen und die sollen das auch machen.«
7. Ethnographien des Dialogs
Hier zeigt sich ein »staatliches« Aufgreifen kirchlicher Akteure als »Agenten« eines interreligiösen Dialogs, durch welchen »Muslime« integriert werden sollen, indem unter dem Banner interreligiöser Kommunikation die Pflege informeller Kontakte im Stadtteil praktizierbar wird. Entsprechend dieser Logik schildert auch der offizielle Integrationsbeauftragte einer Stadt in Rheinland-Pfalz die Zusammenarbeit mit einem Beauftragten der »evangelischen« Kirche für den »christlich-islamischen Dialog«. Diese Person hätte einen »Einblick in die [muslimische] Szene« (nachträglich ergänzend geführtes Interview, 2019) und würde der städtischen Verwaltung ein umfangreiches Wissen über den lokalen »Islam« zur Verfügung stellen. Der »christliche« Dialogexperte würde das religiöse Personal in den lokalen »muslimischen« Gemeinden persönlich kennen und könnte städtische Vertreter/-innen in Fragen bezüglich »islamischer« Religiosität und des »muslimischen« Lebens vor Ort »informieren und beraten […], weil der wirklich da sehr intensiv arbeitet« (erstes Interview mit derselben Person, 2015). In einer Stadt in Nordostdeutschland wiederum wurde ein »Stadtkirchenvater bei der evangelischen Kirche« damit beauftragt, »diesen interreligiösen Dialog im Rahmen jetzt der religiösen Gemeinschaften […] für das Integrationskonzept der [Stadtname] [als] so ein[en] kleine[n] Passus zuzuarbeiten«. Auch in einer anderen Stadt in Ostdeutschland holt sich die Integrationsbeauftragte im Hinblick auf den Dialog mit »Muslimen« religiöses Wissen von »christlichen« Akteuren ein: »Und was ich halt einfach merke, ist, […] um die Interaktion auf gleicher Augenhöhe führen zu können, muss man eigentlich eine ganze Menge auch von Religion wissen. Das heißt, wenn man sich in diesen tatsächlich religiösen Diskurs reinbegibt, dann muss man da auch ein bisschen sattelfest sein. Und da bin ich froh, dass ich dann auch Kirchen und andere Religionsvertreter auch als Partner habe.« Es scheint, dass auf kommunaler Ebene eine neue Variante von »Dialogexpert/-innen« bedeutsam wird. Teilweise sind dies »christliche«, teils allgemein religiös informierte und manchmal auch »muslimische« Individuen, die als Schlüsselpersonen im lokalen Dialog navigieren und diesen moderieren können. Teils arbeiten diese Expert/-innen mit kommunalen Vertreter/-innen zusammen, teils scheinen kommunale Vertreter/innen selbst daran zu arbeiten, zu »Dialogexpert/-innen« zu werden, indem sie sich religiöses Wissen und/oder Wissen über Religion und religiöse Praxis aneignen. Die vorliegende Arbeit hat bereits – eher implizit – die Aktivitäten solcher Expert/-innen ethnographisch nachgezeichnet. In den folgenden Kapiteln soll nun in Bezugnahme auf das Material aus meiner Erlanger Fallstudie an verschiedenen Stellen auch explizit nach der Bedeutung solcher Expert/-innen für das Regieren durch Dialog gefragt werden. Nicht zuletzt verdeutlichten die deutschlandweiten Studien relevante Unterschiede hinsichtlich der Intensität, in der Kommunen Dialog aufgreifen, wie auch hinsichtlich der Frage, inwieweit Dialog als eine interreligiöse Praxis – oder gar als eine Thematisierung von Religion – als Gegenstand staatlich-kommunaler Politik und Verwaltung einbezogen werden kann/darf. So lehnten einige Städte bereits ein explizites und proaktives Zugehen auf eine einzelne religiöse Gruppe (»Muslime«) bzw. die Unterstützung einer einzelnen Gruppe aus der auf Säkularität verweisenden Begründung heraus ab, dass Kommunen die religiöse Neutralität des Staates zu bewahren haben und keine Religionsausübung fördern dürften. Obschon die meisten Interaktionen zwischen Kom-
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Gouvernementalität der Freundschaft
munen und »Muslimen« die Religionsausübung als solche in der Regel gar nicht direkt betreffen dürften (vgl. Maussen 2006), ließ sich in den Telefoninterviews auch regelmäßig eine Art des »Zurückzuckens« städtischer Beauftragter vor einem allzu intensiven Dialog mit der religiösen Gruppe der »Muslime« beobachten – eine Haltung, die auf den Diskurs um die Bedeutung säkularstaatlicher Ordnung rekurrierte. In mehreren Fällen wurden dann auch interreligiöse Dialoge als Maßnahmen problematisiert, an welchen eine Kommune zumindest nicht direkt teilhaben dürfe. Entsprechend argumentiert ein Vertreter einer Millionenstadt über interreligiöse Dialoge: »Da haben wir keinen Hut darauf. Das machen verschiedene Institutionen, das kriege ich zum Teil mit, aber da haben wir, sind wir in der Regel nicht involviert.« Interreligiöse Dialoge, so wiederum ein Vertreter einer süddeutschen Stadt, »gibt es, die führen wir aber als Kommune nicht. Wir halten uns aus dem interreligiösen Dialog raus, weil wir natürlich auch zur Neutralität verpflichtet sind und das auch so aufrechterhalten möchten. Aber es gibt natürlich den christlich-islamischen Dialogkreis.« Genau dieser wird dann aber doch, wie bereits oben zitiert, vom städtischen Vertreter als ein Forum betrachtet, über welches man »das Interesse gegenseitig entdeckt [hat] […]«. Interreligiöse Dialoge erscheinen also als Aktivitäten, in die sich die Kommunen nicht direkt einmischen dürfen, die aber durchaus gefördert oder co-moderiert werden können (so auch die Argumentation im Interview mit einer Vertreterin einer Stadt in Hessen). Teils setzt sich dann doch der Wunsch durch, interreligiöse Dialoge dafür zu nutzen, »ein Auge« auf das »islamische« Feld zu haben. Ein städtischer Vertreter aus einer anderen Stadt in Hessen argumentiert: »Da gibt es durchaus Städte, […] die da sehr skeptisch, eher bis ablehnend in dieser interreligiösen Arbeit, gerade mit muslimischen Gemeinden, stehen. Es gibt aber auch Städte, die jahrelang das nicht als ein Zuständigkeitsbereich für sich gesehen haben, die sich aber durchaus auch öffnen, weil sie diese Notwendigkeit zunehmend erkennen. […] Wir […] denken, das ist eine Notwendigkeit, und weil wir wollen halt wissen als Kommune, was passiert in dieser Stadt. Und in dieser Stadt passiert auch mit Religion eine Menge, und wir wollen einfach auch den Kontakt und die Ansprache zu diesen Gemeinden haben.« Zunächst werden hier (alle) Kontakte der Kommune zu »muslimischen« Gemeinden per se als »interreligiöse Arbeit« artikuliert. Dies ist eine Engführung, die als Effekt des recht dominanten Diskurses um Interreligiosität gedeutet werden kann. Daraufhin wird diese interreligiöse Arbeit als sinnvolles Instrument gedeutet, um das religiöse Feld in der Stadt zu beobachten. Gleichzeitig werden aber Konflikte bzw. ablehnende Haltungen gegenüber einer Thematisierung von Religion seitens der Kommune reflektiert. Teilweise wird die Involvierung der Kommune in interreligiöse Aktivitäten schlicht über einen Rekurs auf das Interesse der Bevölkerung normalisiert und legitimiert. Ein Vertreter einer Stadt in Westdeutschland (2015) argumentiert: »Es gibt natürlich auch Menschen, die sagen, dass im Prinzip unser Staat laizistisch sein sollte und dass möglichst keine Kommunikation oder Zusammenarbeit zwischen Religionsgemeinschaften und der Stadtverwaltung da sein sollte, aber, ähm, das, was wir machen, stößt eigentlich schon meistens auf Interesse, vor allem auch das, was auch die Religionsgemeinschaften machen, also die bieten ja im Regelfall die Formen
7. Ethnographien des Dialogs
des interreligiösen Dialogs. Eigentlich sind die schon immer ganz ordentlich besucht, wenn da Veranstaltungen im Rahmen des interreligiösen Dialogs sind.« In einer Stadt in Nordostdeutschland erläutert der Integrationsbeauftragte, dass die Integration von interreligiösem Dialog in das städtische Integrationsprogramm aus der Perspektive des säkularen Staates zwar konfliktvoll sei, man aber »je nachdem, wie die Zeiten und wie die Prioritäten sind«, solche Maßnahmen umsetzen müsse – dabei sieht er das Aufkommen von Religion im Zuge von Migrationsprozessen als jene »Zeit«, die ein kommunales Zugehen auf Religionsgruppen und Interreligiosität bedingen würde. Trotz dieser Argumentationsweisen steht jedoch der auftauchende »säkulare« Diskursstrang in einem antagonistischen Spannungsverhältnis zu der immer wieder artikulierten Notwendigkeit, einen engen Kontakt zu den »muslimischen« Gemeinden aufzubauen. Daneben problematisierten einige wenige Städte die identitätspolitischen Engführungen interreligiöser Dialoge, die Individuen zu sehr auf ihre religiöse Identität festlegen und Integrationsfragen illegitimer Weise zu religiösen Fragen erklären würden: »Also das Thema ›Integration‹ ist ja sehr vielfältig, und ich denke, viel zu viel wird über die Religion definiert – und gerade jetzt sind ja die Muslime, also sie waren früher Ausländer, jetzt sind sie Muslime, also man definiert sie auch ein bisschen zu stigmatisiert.« (Integrationsbeauftragter einer Stadt in Norddeutschland) Im selben Interview werden auch Segregationsprobleme angesprochen, die ein »Dialog mit Muslimen« in seiner Förderung »muslimischer« Praxis und Infrastruktur erzeuge: »Da ruft mich ein Moscheeverein an und sagt, wir wollen unbedingt hier einen eigenen Kurs jetzt organisieren, z.B. für Frauen. Dann sage ich aber, wir haben ja in [Stadtname] in unterschiedlichen Stadtteilen schon so viele Kurse alleine nur für Frauen […], ja? […] Warum nutzen Sie sie nicht?« (Ebd.) Die Studien konnten aufzeigen, dass in Deutschland in vielen Städten Dialogmaßnahmen vorzufinden sind, die – was programmatische und identitätspolitische Eckpunkte sowie organisatorische Aspekte angeht – den am Fallbeispiel Erlangen untersuchten Praktiken ähneln. Dies unterstreicht nochmals die Relevanz der in dieser Arbeit vorgelegten dichten Analyse lokaler Dialogpraktiken und hebt das Fallbeispiel Erlangen als exemplarisch für eine gegenwärtig verbreitete Regierungsform hervor. Bevor nun weitere Besonderheiten speziell bezüglich der technologischen Form eines lokalen Regierens durch Dialog analysiert werden, soll im folgenden Kapitel noch eine außergewöhnliche dialogische Maßnahme nachgezeichnet werden.
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»Ein besonderer Dank geht an die Erlanger Muslime, die uns ihr Leben geöffnet haben« – museale Repräsentationen des lokalen »Islam« und die spannungsvolle Performativität ihrer Vermittlung
Vom 1. Februar bis zum 26. April 2015 zeigte das Stadtmuseum Erlangen neben der »ausgeliehenen« Wanderausstellung »Muslime in Deutschland« (organisiert von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift zenith und der Stiftung Mercator) die eigens als eine lokale Ergänzung des Programms konzipierte Ausstellung »Muslime in Erlangen«. Letztere wurde maß-
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7. Ethnographien des Dialogs
des interreligiösen Dialogs. Eigentlich sind die schon immer ganz ordentlich besucht, wenn da Veranstaltungen im Rahmen des interreligiösen Dialogs sind.« In einer Stadt in Nordostdeutschland erläutert der Integrationsbeauftragte, dass die Integration von interreligiösem Dialog in das städtische Integrationsprogramm aus der Perspektive des säkularen Staates zwar konfliktvoll sei, man aber »je nachdem, wie die Zeiten und wie die Prioritäten sind«, solche Maßnahmen umsetzen müsse – dabei sieht er das Aufkommen von Religion im Zuge von Migrationsprozessen als jene »Zeit«, die ein kommunales Zugehen auf Religionsgruppen und Interreligiosität bedingen würde. Trotz dieser Argumentationsweisen steht jedoch der auftauchende »säkulare« Diskursstrang in einem antagonistischen Spannungsverhältnis zu der immer wieder artikulierten Notwendigkeit, einen engen Kontakt zu den »muslimischen« Gemeinden aufzubauen. Daneben problematisierten einige wenige Städte die identitätspolitischen Engführungen interreligiöser Dialoge, die Individuen zu sehr auf ihre religiöse Identität festlegen und Integrationsfragen illegitimer Weise zu religiösen Fragen erklären würden: »Also das Thema ›Integration‹ ist ja sehr vielfältig, und ich denke, viel zu viel wird über die Religion definiert – und gerade jetzt sind ja die Muslime, also sie waren früher Ausländer, jetzt sind sie Muslime, also man definiert sie auch ein bisschen zu stigmatisiert.« (Integrationsbeauftragter einer Stadt in Norddeutschland) Im selben Interview werden auch Segregationsprobleme angesprochen, die ein »Dialog mit Muslimen« in seiner Förderung »muslimischer« Praxis und Infrastruktur erzeuge: »Da ruft mich ein Moscheeverein an und sagt, wir wollen unbedingt hier einen eigenen Kurs jetzt organisieren, z.B. für Frauen. Dann sage ich aber, wir haben ja in [Stadtname] in unterschiedlichen Stadtteilen schon so viele Kurse alleine nur für Frauen […], ja? […] Warum nutzen Sie sie nicht?« (Ebd.) Die Studien konnten aufzeigen, dass in Deutschland in vielen Städten Dialogmaßnahmen vorzufinden sind, die – was programmatische und identitätspolitische Eckpunkte sowie organisatorische Aspekte angeht – den am Fallbeispiel Erlangen untersuchten Praktiken ähneln. Dies unterstreicht nochmals die Relevanz der in dieser Arbeit vorgelegten dichten Analyse lokaler Dialogpraktiken und hebt das Fallbeispiel Erlangen als exemplarisch für eine gegenwärtig verbreitete Regierungsform hervor. Bevor nun weitere Besonderheiten speziell bezüglich der technologischen Form eines lokalen Regierens durch Dialog analysiert werden, soll im folgenden Kapitel noch eine außergewöhnliche dialogische Maßnahme nachgezeichnet werden.
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»Ein besonderer Dank geht an die Erlanger Muslime, die uns ihr Leben geöffnet haben« – museale Repräsentationen des lokalen »Islam« und die spannungsvolle Performativität ihrer Vermittlung
Vom 1. Februar bis zum 26. April 2015 zeigte das Stadtmuseum Erlangen neben der »ausgeliehenen« Wanderausstellung »Muslime in Deutschland« (organisiert von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift zenith und der Stiftung Mercator) die eigens als eine lokale Ergänzung des Programms konzipierte Ausstellung »Muslime in Erlangen«. Letztere wurde maß-
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Gouvernementalität der Freundschaft
geblich von einem »muslimischen« Mitglied der CIAG entworfen und durchgeführt, in Kooperation mit einer Kuratorin vom Stadtmuseum. Es ist auch jene in der CIAG aktive »muslimische« Person, die zu einem späteren Zeitpunkt Mitglieder der CIAG durch die von ihr co-konzipierte Ausstellung führen wird. Die Praxis dieser Ausstellungsführung wird dabei, so zeige ich, Spannungen zwischen den »traditionellen« Moscheegemeinden und der restlichen CIAG-Community erzeugen, die ich in ihrer Performativität untersuchte. Um die lokalspezifische Konfigurierung zu verstehen, die jener Situation zugrunde lag, als die in der CIAG aktive »muslimische« Co-Kuratorin Mitglieder der traditionellen Moscheegemeinden unter Anwesenheit der Stadt durch die von ihr co-konzipierte »Islam«-Ausstellung führte, ist die besondere Position jener »muslimischen« CIAG-Aktiven zu beleuchten. Daher folgt nun ein Exkurs über die Subjektpositionen, die letztere einnimmt/einnehmen kann. Dies wird das Verständnis für die lokalen Machtbeziehungen erhöhen, die ich im darauffolgenden Kapitel am Beispiel der Ausstellung kartieren werde.
7.7.1
»Ich bin für die die Christin von der Stadt«: die besondere Position einer konvertierten »muslimischen« und in der CIAG aktiven Person sowie damit verbundene Spannungen
Eine Besonderheit stellt die Tatsache dar, dass jene »muslimische« Vertreterin der CIAG (eine in Deutschland aufgewachsene, vergleichsweise junge Konvertitin) trotz ihrer sehr aktiven Rolle in der CIAG nicht in die lokalen Moscheegemeinden bzw. in den traditionell praktizierenden »Islam« eingebunden ist (und in verschiedener Hinsicht in einer Differenzbeziehung zu den Gemeinden steht), obschon ja gerade die Gemeinden seit den 1990er Jahren die zentralen Ansprechpartner von CIAG und FMGE sind. Tatsächlich wird die »muslimische« CIAG-Vertreterin auch nicht von allen »Muslimen« aus den Gemeinden gänzlich akzeptiert. So äußerte bspw. ein in den Dialogkreisen aktives Mitglied einer der beiden Moscheegemeinden in einem informellen Gespräch mit mir (aus Gründen der Anonymisierung wird die Gesprächsnummer hier nicht angegeben) Unmut über jene »muslimische« Aktive sowie auch über die Stadt. Die »muslimische« Konvertitin sei nicht in den Moscheegemeinden aktiv und würde seines Wissens auch nicht regelmäßig zum Beten kommen. Damit, so das Gemeindemitglied, sei sie auch keine richtige (praktizierende) »Muslimin«. Nun wurde aber, so mein Gesprächspartner, jene konvertierte »Muslimin« auf Wunsch städtischer Vertreter/-innen zu einer wichtigen Sprecherin der Erlanger »Muslime« gemacht. Ein damaliger Oberbürgermeister hätte zum Ausdruck gebracht – so gab es das Gemeindemitglied wieder –, dass »er nur mit ihr sprechen wolle« (Zitat). Mit Blick auf die Vorgehensweisen städtischer Vertreter/-innen kritisierte die Person aus der »muslimischen« Gemeinde, dass hier letztlich »Nichtmuslime, die wenig über Islam wissen, einfach entscheiden, wer für die Muslime sprechen soll« (Zitat). Ich kann an dieser Stelle nicht rekonstruieren, wie genau die Etablierung der »muslimischen« CIAG-Vertreterin ablief. Aus der Perspektive des »muslimischen« Gemeindemitglieds jedenfalls wurde sie von städtischen Vertreter/-innen in einer wichtigen Position installiert oder zumindest unterstützt, was er als illegitime Einmischung in Fragen lokaler »muslimischer« Repräsentation wahrnimmt – dies v.a., insofern er das Islamverständnis der »muslimischen« CIAG-Teilnehmerin als nicht
7. Ethnographien des Dialogs
angemessen erachte (vgl. Interview und informelles Gespräch; Nummern werden hier nicht angegeben): »Nichtmuslime haben hier einfach entschieden, wer Islam in Erlangen vertreten soll«, so mein Interviewpartner. Es zeigt sich hier, dass einige »Muslime« den Erlanger Dialog als Machtpraxis kritisieren, obschon sie insgesamt selbst an jenem Dialog partizipieren und diesen grundsätzlich auch gutheißen. Die genannte »muslimische« CIAG-Aktive jedenfalls verkörpert sicherlich einen eher liberal-offenen und progressiven »Islam«, mit dem sich nicht alle Personen aus den »muslimischen« Gemeinden identifizieren. Damit korrespondieren entsprechende Differenzen in der Wahrnehmung und Bewertung verschiedener islambezogener Entwicklungen. Während bspw. einige »muslimische« Gemeindevertreter/-innen aus dem Dialogumfeld, mit denen ich sprach, das neue, 2012 in Erlangen gegründete DIRS (»islamisch«-theologisches Institut) teilweise skeptisch betrachten (Interviews 6, 8, 9, 16), sieht die »muslimische« Konvertitin in einer solchen Akademisierung von »Islam« vor allem Potenziale – und würde in Zusammenarbeit mit dem Personal des neuen Instituts bspw. »gerne einmal ein queer reading des Koran anstreben« (»muslimische« CIAG-Aktive, in: IG 6). Dies sei ihr lieber als – Zitat – »immer gleiche Veranstaltungen zu den Vorzügen der Ehe aus islamischer Perspektive« (IG 6). Mit solchen Artikulationen eines offen-liberalen »Islam« ist sie anschlussfähig an die Positionen vieler im Dialog tätiger städtischer Repräsentant/-innen (Interviews 6, 8, 11) wie auch an die Positionen einiger »muslimischer« Dialogaktiver aus dem eher akademischen Feld (Interviews 10, 21). Ein »christlicher« CIAG-Sprecher in etwa, gleichzeitig ein städtischer Vertreter, kritisiert die »muslimischen« Gemeindemitglieder als teilweise allzu konservativ-orthodoxe Gläubige, die sich dem mit viel politischem Aufwand in die Stadt geholten »islamisch«-theologischen Institut versperren würden (Interview 8).21 Gerade solche »Probleme« treten nun mit jener »muslimischen« Konvertitin nicht auf, was sie als Interaktionspartnerin »attraktiv« macht. Entsprechend möchte die »muslimische« CIAG-Vertreterin auch die sich derzeit im Aufbau befindliche »muslimische« Erwachsenenbildung für progressiv-liberale Themen nutzen: »Ich wünsche es mir, und der Wunsch ist auch nicht nur bei mir persönlich, sondern auch im Department [islamisch-theologisches Institut; Anm. J.W.], das hat die [Name einer Theologin] auch mal gesagt, also Themen diskutieren, die nicht so populär sind innermuslimisch, die hatten da glaube ich ein Thema out of the box, also wie gehen Muslime mit Homosexualität um?« (Interview 3) Die CIAG-Vertreterin sieht in den traditionellen Gemeinden zu wenig Bereitschaft, solche Themen anzusprechen, und kritisiert diese, das Potenzial wissenschaftlicher Theologie nicht zu erkennen – »weil du halt Migrant bist und es von deinem Heimatland her anders kennst […], dann musst du dich erstmal dran gewöhnen« (ebd.; IG 6, 10).
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Die neuen »islamischen« Theolog/-innen seien, so der Stadtvertreter in kritisierender Manier, »sehr allein gelassen […], auch weil sie sich mit Themen beschäftig[en], die [den Gemeinden; Anm. J.W.] dann wieder […] sehr suspekt sind, was weiß ich, Islam und Aufklärung, Islam und Homosexualität. Die Gemeinden denken dann: Was soll des? Die sollten doch eher uns traditionelle Glaubensinhalte vermitteln, ne?« (Interview 8)
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Gouvernementalität der Freundschaft
Die »muslimische« Konvertitin versucht intensiv, sich als »Muslimin« gesellschaftspolitisch zu engagieren sowie neue »islamische« Beiträge zu aktuellen gesellschaftlichen Themen zu erarbeiten: ein Engagement, das sie auch regelmäßig begründet und reflektiert, womit sie an integrationspolitische Debatten anschließen kann. Stattdessen »verzichtet« sie dann weitestgehend darauf, ihr Engagement in die Pflege und Bewahrung einer religiösen (Moschee-)Gemeinschaft zu investieren, was ihr mehr Zeit und Energie für die gesellschaftspolitische Agenda ermöglicht. Sie artikuliert sich selbst als Vorbild für in Deutschland lebende »Muslime«. Sie ist in Deutschland geboren, vor Jahren zum »Islam« konvertiert (schon zuvor war sie an Religion interessiert), ist entsprechend sehr gut der deutschen Sprache mächtig, promoviert derzeit in einem geisteswissenschaftlichen Fach, ist bestens ausgebildet, rhetorisch gewandt, selbstbewusst und lokalpolitisch sowie ehrenamtlich aktiv (»mit Leib und Seele Sozialdemokratin«, wie sie ferner betont: Interview 3). Während sie vor einigen Jahren im Rahmen der »Deutsch-Offensive« ehrenamtlich Deutschunterricht u.a. auch in den »muslimischen« Gemeinden gab, wurde sie von einer weiteren in der CIAG aktiven »Muslimin« dazu ermuntert, sich doch stärker als »muslimische« (Co-)Sprecherin in der CIAG zu engagieren. Sie wurde dann auch von »christlichen« und städtischen Dialogakteuren u.a. deswegen als geeignete »Kandidatin« erachtet, weil auf »muslimischer« Seite nicht genügend Frauen engagiert waren (und sind). Eine andere, in einer »muslimischen« Gemeinde aktive Konvertitin kam dann auf sie zu und »hat dann einfach mal gesagt, es ist wichtig, dass junge Frauen […] zu solchen Arbeitskreisen kommen, dass das nicht immer wieder ne reine Männerveranstaltung ist [lächelt] von muslimischer Seite. […] Und auch der Freundeskreis der Muslime, weil da halt immer die Frauenquote von den Muslimen her so schlecht ist.« (Interview 3) Daraufhin wurde sie als eine der CIAG-Sprecher/-innen vorgeschlagen und erhielt von Dialogaktiven und vor allem auch von der Stadt (Interview 20) genügend Unterstützung, um dieses Engagement anzunehmen. Insofern erschien die Stärkung der Position der »Konvertitin« innerhalb der CIAG ein Stück weit als ein Akt, der die Verhältnisse im »muslimischen« Milieu verändern sollte. Die »muslimische« Konvertitin glaubt selbst, dass sie als eine in Deutschland geborene, die deutsche Sprache perfekt beherrschende Person eine besondere Rolle habe und auch von der Gesellschaft positiv gesehen werden könne. Das stärke sie auch in ihrem Selbstbewusstsein als »Muslimin«, und genau dieses Selbstbewusstsein müsse sie pflegen, um sich im schwierigen Feld »Islam und Integration« zu behaupten. Man erkennt hier die Ausbildung von Techniken des Selbst (Burchell 1993; Foucault 2005 [1982]; Lemke 2006 [2001]), mittels welcher sich die Vertreterin als engagierte, integrierte »Muslimin« konstituiert und damit wertvoll für die Dialogtechnologie wird. »Ich frag mich dann immer, ob die Leute jetzt vielleicht offener auf mich zugehen, weil man mir ansieht, dass ich Deutsche bin. […] Oder ich werde für mein sehr gutes Deutsch gelobt, da freue ich mich natürlich [lacht] […]. Also ich glaub bei mir, vielleicht, weil ich – würde ich jetzt schon sagen – sehr zugänglich bin, trauen sich die Leute vielleicht mal eher noch Fragen zu stellen oder viele kennen mich dann auch aus irgendwelchen Veranstaltungen, wo ich gesprochen habe. Oder Leute, die sonst vielleicht nicht auf
7. Ethnographien des Dialogs
Muslime zugehen und mit mir dann aber sprechen. Das war ganz lustig im Kommunalwahlkampf, da kam ein älterer Mann zum Infostand samstags und hat immer mit mir über Gott und die Welt gesprochen. Dann beim letzten Infostand vor der Stichwahl kam der: Entschuldigen sie, dass ich sie die letzten Samstage immer zugelabert habe, aber sie sind der erste Muslim mit dem ich mal sprechen konnte und die Gelegenheit wollte ich nicht verstreichen lassen.« (Interview 3) Ferner schildet sie: »Ich finde es wichtig, dass die Muslime, für eine Gruppe mit einer sag ich mal schlechten Publicity, wie sie die Muslime nun mal haben, leider Gottes, ist es umso wichtiger zu zeigen: Ach guck mal, die sind ja überall, die machen ja alles. Und grade dann wiederum Frauen mit Kopftuch, finde ich, müssen sich besonders viel Mühe geben zu zeigen, dass man alles mit Kopftuch machen kann, dass man gebildet ist, dass man engagiert ist […]. Und für mich wars wichtig, also ich bin ja […] angesprochen worden, ob ich nicht bei der Kommunalwahl […] antreten möchte. Einmal weil ich schon sehr gut vernetzt bin, weil ich bekannt bin und weil ich auch sicher eine neue Wählergruppe erschließen würde, ist klar. Für mich war es wichtig zu zeigen, auch als Muslime, auch als Frau mit Kopftuch kannst du bei sowas mitmachen. Bei einer Kommunalwahl. Weil das ist auch Teil dieser Gesellschaft, und in der Demokratie muss jeder in dieser Demokratie auch irgendwie beteiligt sein. Deswegen war das für mich wichtig, da dran teilzunehmen […]. Aber das ist wichtig für unsere Gesellschaft, dass wir alle mit ins Boot holen, die hier leben, und da gebe ich mich gerne dafür her [lacht]. Auch Vorreiter zu sein für die Muslime.« (Ebd.) Mit ihrem Engagement möchte sie überwinden, dass viele »Muslime« aus dem religiösen Milieu ihre »muslimische« Identität immer noch von der deutschen Gesellschaft abgrenzen. Damit wird sie zur perfekten Vertreterin des Dialogs, der auf nationaler wie lokaler Ebene »Muslime« als gesellschaftlich integrierte Subjekte ausrichten möchte. Die CIAG-Vertreterin bedient genau jene Erwartungen an »Muslime«, die sowohl in gesellschaftlichen Diskursen als auch im Erlanger Dialog zirkulieren: Sie ist eine selbstbewusst auftretende »Muslimin«, die sich nicht »nur« der Organisation eines Moscheevereins und damit der Traditionspflege für die als »eigen« abgetrennte Gruppe verschreibt, sondern einen intensiven gesellschaftlichen und politischen Einsatz für die Gesamtgesellschaft zeigt (wofür sie dann auch Zeit haben kann). Gleichzeitig trägt sie ein Kopftuch und verkörpert damit im Sinne des Erlanger Dialogparadigmas eine selbstbewusste Sichtbarmachung religiöser Identität. Sie ist gebildet, sprachgewandt und vernetzt und kann damit aus ihrer Sicht »Muslimen« ein Vorbild sein: So nimmt sie es selbst war, und entsprechend dürfte sie auch von vielen anderen (auch städtischen) Dialogaktiven wahrgenommen werden (diesen Eindruck erhielt ich in zahlreichen informellen Gesprächen). Die »muslimische« Konvertitin artikulierte sich bis zu einem gewissen Grad als außerhalb der traditionellen »muslimischen« Gemeinden stehend: »Ich [bin] einfach nicht so sehr in den Moscheen verhaftet […], weil ich da auch durch mein DeutschSein nicht so nah an der Basis dran bin.« (Interview 3) In mehreren Aussagen stellte sie die »muslimischen« Gemeinden als tendenziell eher konservative und zumindest in Ansätzen und in bestimmten Situationen auch religiös-intolerante Gemeinschaften
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dar, die nach einer allzu eng gefassten religiösen Normativität leben würden. Innerhalb der Moscheegemeinschaften, so die CIAG-Vertreterin, hätten ferner vorwiegend Männer das Sagen. Somit würde sie selbst keinen richtigen Zugang zu den »muslimischen« Gemeinschaften finden. Die Gemeinden würden sie nicht gänzlich akzeptieren, weil sie a) kaum innerhalb der Gemeinden aktiv sei, b) eine Frau sei und c) als deutsche Konvertitin nicht als richtige »Muslimin« gelte. Immer noch präge die Vorstellung, »muslimische« Identität würde mit »deutscher« Identität nicht zusammengehen, das Denken vieler »Muslime« aus den traditionellen religiösen Milieus. Die »muslimische« CIAG-Aktive klagte auch über rigide Haltungen vieler »Gemeindemuslime«, z.B. was Kleiderordnungen, das Trinken von Alkohol und allgemein religiöse Gebote und Verbote angehe (IG 6; ähnlich: Interview 8). Sie selbst wurde auch schon von Gemeindemitgliedern angesprochen, dass sie »nicht genügend fromm [sei]«.22 Die konvertierte »muslimische« CIAG-Vertreterin grenzte sich im Gespräch also immer wieder von den Gemeinden und deren »Moschee-Islam« ab, für den sie aber in der CIAG ja durchaus auch einsteht. Sie erläuterte mir gegenüber ferner, dass sie auf Basis ihrer Mitgliedschaft im lokalen »islamischen« Dachverband IRE (in welchen sie sich, im Gegensatz zum konkreten Gemeindeleben in den Moscheegemeinden, einbringt) erfahren habe, dass viele »Muslime« sich gegenwärtig dem Dialog abwenden würden. Sie würden, so die CIAG-Vertreterin, zunehmend die Ansicht vertreten, dass der Dialog nichts bringe, d.h. die Stellung der »Muslime« nicht verbessere, dabei aber für die Aktiven arbeitsintensiv und belastend sei. Zudem würden nicht wenige »Muslime« aus den Gemeinden den Dialog als ein mehrheitsgesellschaftliches Projekt wahrnehmen, innerhalb dessen »Islam« nie gänzlich akzeptiert werden würde (ähnliches berichtete auch ein Mitglied eines lokalen Moscheevereins: Interview X; wird hier nicht angegeben). Einige würden den Dialog gar als Versuch sehen, »Muslime« und »Islam« zu christianisieren und/oder in irgendeiner Form zu verändern (vgl. Interview X). Als in einer IRE-Sitzung der derzeit in Erlangen angestrebte Aufbau eines »muslimischen« Erwachsenenbildungswerks diskutiert wurde, hätten, so die in der CIAG aktive »muslimische« Konvertitin, einige »Muslime« die Sorge geäußert, dass »die Christen« und »die Stadt« das Bildungswerk dazu nutzen könnten, um Islamkritiker/-innen und radikale »Islam«-Reformer/-innen wie z.B. Hamed Abdel-Samad einzuladen. Eine solche Angst zeige, dass viele »Muslime« dem Dialog misstrauen würden. Dabei, so die »muslimische« CIAG-Sprecherin, »würden wir [gemeint sind: sie selbst und einige städtisch-«christliche« CIAG-Sprecher/innen; Anm. J.W.] doch nie Abdel-Samad einladen wollen; dass die das nicht wissen, stimmt mich traurig« (sinngemäßes Zitat aus: IG 6). Gleichzeitig zeige dies, wie sie
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Die »Muslime« aus den Vereinen (so Einzelaussagen der »muslimischen« CIAG-Vertreterin) würden auch dazu tendieren, »unter sich zu bleiben« und etwaige Probleme innerhalb der Gemeinden nicht nach außen kommen zu lassen. Hier sei eine »Kultur der Scham und Überdeckung von Problemen« gegeben (IG 6). Im Zusammenhang mit der Tendenz, das »Gesicht zu wahren« und geschlossen als »muslimische« Gruppe aufzutreten, würden gerade offizielle Vertreter der Gemeinden eigene Probleme, Fehler und (Integrations-)Defizite nicht eingestehen, was auch damit einhergehe, dass die Gemeinden »keine demokratische Streit- und Dissenskultur haben« (ebd.). Dies führe auch dazu, dass ggf. vorhandene Ängste und Misstrauensempfindungen nicht richtig kommuniziert würden (ebd.).
7. Ethnographien des Dialogs
selbst von manchen »Muslimen« aus den Gemeinden wahrgenommen wird: als allzu liberale Islamreformerin. Trotz all dieser Differenzziehungen, die eine »Lagerbildung« zwischen (a) einer Allianz aus »Stadt«, »Christen« und einer konvertierten »muslimischen« CIAG-Mitstreiterin und (b) den »muslimischen« Moscheegemeinden aufscheinen lassen, sei an dieser Stelle aber auch gesagt, dass jene konvertierte »muslimische« CIAG-Vertreterin natürlich in vielerlei Hinsicht produktive Kontakte und gute Beziehungen zu Gemeindemitgliedern und -sprecher/-innen pflegt. Ausgegend von den soeben skizzierten Reflexionen dachte sie selbst auch darüber nach, wieder stärker auf die Bedürfnisse der Gemeinden zuzugehen.
Zwischendeutung: »Wertvolle« Subjekte im Problematisierungs- und Regierungsfeld Dialog Mit Begeisterung für neue Perspektiven auf »Islam« und »muslimische« Identitäten in Deutschland tritt eine konvertierte »muslimische« CIAG-Vertreterin gegenüber den Dialogaktiven in Erscheinung und kann dabei gut mit den »christlichen« und städtischen Repräsentant/-innen zusammenarbeiten (informelle Gespräche mit Dialogaktiven). Sie gilt als liberale, politisch aktive und gesellschaftlich engagierte, gut ausgebildete Person. In ihrer Ansicht, nach der die traditionellen »muslimischen« Gemeinden in mancherlei Hinsicht Reformen durchlaufen sollten, harmoniert sie mit den Perspektiven nicht weniger »christlicher« und städtischer Dialogvertreter/-innen (Interviews 1, 7, 8, 10; IG 3, 6, 9, 10). Diese Perspektivenkongruenzen produzieren einerseits bestimmte Allianzen und erzeugen andererseits Probleme. Die konvertierte »muslimische« Vertreterin, die in der CIAG eine der Sprecherpositionen einnimmt, resümiert scherzhaft-ernst: »Die [die Moscheegemeinden; Anm. J.W.] nehmen mich eh als Christin wahr, ich bin für die die Christin von der Stadt [lacht].« (IG 6) Aus einer diskurs- und regierungsanalytischen Perspektive sei angemerkt, dass es an dieser Stelle der Analyse nicht vordergründig um »personale Besonderheiten« eines Individuums geht, sondern darum, wie Individuen, die innerhalb eines diskursiven Problematisierungsfeldes Subjektpositionen einnehmen und damit auf bestimme Art und Weise wirken können (z.B. als »liberale Muslimin«), innerhalb dieses Feldes bedeutsam und für die sich in diesem Feld konstituierenden Regierungsformen »wertvoll« werden. Die »muslimische« CIAG-Vertreterin kann »erfolgreich« als Expertin und Moderatorin des kommunalen »Dialogs mit Muslimen« erscheinen. Sie ist in ihren Identitäten des »Muslim-Seins« und des »Deutsch-Seins« sowie in ihrem Auftreten als kommunalpolitisch engagierte Person als Vermittlerin repräsentierbar, die Beziehungen zwischen Politik, Gesellschaft und den lokalen »muslimischen« Milieus unterhält. Sie kann sich als »Brückenbauerin« darstellen und profilieren. Gleichwohl aber, so konnte gezeigt werden, ist ihre Position und Bedeutung im Dialog keineswegs unhinterfragt.
7.7.2
Lokale »Muslime« an lokalen Orten: museale Präsentation von »Muslimen in Erlangen«
Zur Vernissage der Ausstellung »Muslime in Erlangen« im Februar 2015 im Stadtmuseum Erlangen kamen rund 250 Besucher/-innen – auch einige dialoginvolvierte »muslimische« Personen aus den Moscheegemeinden (TB 10). Die Eröffnungsreden hielten
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eine »muslimische« CIAG-Sprecherin (Interviewpartnerin 3), der Leiter des Museums und eine/-r der städtischen Bürgermeister/-innen (Interviewpartner/-in 6). Die Ausstellung »Muslime in Deutschland« zielte darauf ab, »Menschen in ihrem Alltag, auf der Straße, im Beruf, in der Schule oder in der Freizeit« und damit »ein vielfältiges Bild von Alltag und Lebenswelt von Muslimen in Deutschland [zu zeigen]«.23 Daneben zeigte die Ausstellung künstlerische Fotografien, die den Fotopreis der islam- und nahostwissenschaftlichen Zeitschrift zenith gewonnen haben. Die Ausstellung »Muslime in Erlangen« konzentrierte sich ebenso darauf, »Muslime« bei alltäglichen, im Grunde »nicht islamischen« Handlungen sowie auch in privaten (z.B. familiären) Kontexten zu zeigen. Im Gegensatz zur Ausstellung »Muslime in Deutschland« präsentierte sie aber konkrete Erlanger »Muslime« samt Namen, persönlichen Angaben und Biographie. In einzelnen Stationen konnten Bilder aus dem Alltag der dargestellten Personen betrachtet werden, ergänzt durch Interviewzitate (die dargestellten Personen wurden vorab interviewt), einer Kurzbiographie, fest installierten Kopfhörern zum Nachhören von Interviewpassagen sowie durch die Präsentation ausgewählter persönlicher Gegenstände religiöser (z.B. Koran, Pilgergürtel) und nicht religiöser Art (z.B. Comics). Die Interviewzitate wurden ausschließlich von der »muslimischen«, in der CIAG tätigen Sprecherin und einer weiteren Co-Kuratorin vom Museum ausgewählt, wodurch bestimmte Perspektiven auf »Muslim-Sein« und »Islam« hervorgehoben wurden. Vielfach wurden Passagen zitiert, in welchen die Individuen über ihre gesellschaftliche Teilhabe als »Muslim/in« sinnieren, was die integrationspolitische Einbettung der Ausstellung aufscheinen lässt. Die Zitate im nachfolgenden Text beziehen sich auf diese Interviewausschnitte, die auch in der 2015 veröffentlichten Ausstellungsdokumentation zu finden sind (Stadtmuseum 2015). Die Bilder und Texte präsentierten in der Summe das Familien-, Berufsund Freizeitleben von acht »muslimischen« Bürger/-innen Erlangens. Die Bilder zeigten Szenen beim Essen, auf dem Fahrrad oder auf dem Weg zur Arbeit, einige Bilder und auch die Texte präsentierten Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements der »Muslime«, z.B. der ehrenamtliche Einsatz in der »Sicherheitswacht«, in der Jugendarbeit oder in Integrationsprojekten. Daneben lieferte die Ausstellung eher knapp Informationen zur Religion des Islam, zu »Muslimen« in Deutschland und zum Dialog in Erlangen. Beide Ausstellungen stellten zusammengenommen eine große Ausstellung des Stadtmuseums dar. Ein (von mir transkribierter) Beitrag im Frankenfernsehen vom 09.02.2015 rahmte die Ausstellung als eine emotionale Einsicht in persönlich-intime Lebenswelten und darüber als Beitrag zu gegenseitigem Verständnis und zur Integration.24 Die Darstellungen der Erlanger »Muslime« seien »bewegend« (Zitat aus dem Beitrag): »Durch die persönlichen Geschichten und Fotostrecken bekommen die Ausstellungsbesucher einen tiefen Einblick in das Leben der acht Muslime.« Dabei sei es wichtig, dass »jeder von ihnen eine andere Art hat, seinen Glauben zu leben«. Die »muslimische« CIAG-Sprecherin wurde in dem Beitrag interviewt. Sie erläutert: »Das Tolle is halt, dass die Protagonisten uns wirklich ins Leben gelassen haben, also ins Familienleben, wie
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https://www.hdg.de/stiftung/leih-ausstellung/muslime-in-deutschland/, (17.01.2018). »Gegen Pegida und Co: Ausstellung Muslime in Erlangen«, am 09.02.2015 online veröffentlicht: https://www.frankenfernsehen.tv/mediathek/video/gegen-pegida-und-co-ausstellung-musli me-in-erlangen/, (30.12.2017).
7. Ethnographien des Dialogs
man das hier sieht.« Genau dies formulierte auch eine städtische Referentin in ihrer (mir vorliegenden) Rede auf der Vernissage: »Ein besonderer Dank geht an die Erlanger Muslime, die uns ihr Leben geöffnet haben.« Ein präsentierter »muslimischer« Mann bspw. schildert die Flucht seiner Familie im Kontext des Bosnienkriegs. Die »muslimische« Co-Kuratorin (CIAG-Mitglied) erklärt: »Was mich besonders berührt hat, ist einfach die Art und Weise, wie er das erzählt. Und das können unsere Besucher dann auch auf Audiostationen nachhören, also sie hören richtig den Tonfall, wie er von dieser Geschichte berichtet.« (Frankenfernsehen 2015) Die Ausstellung präsentierte die »muslimischen« Personen als »normale« Bürger/innen Erlangens, die zwar der Religion des »Islam« angehören, ihre religiöse Identität jedoch auf eine unproblematische und unspektakuläre Art und Weise als eine Identität unter vielen leben (TB 10). Bemerkenswert waren tatsächlich die Alltäglichkeit und der mangelnde Religionsbezug vieler Bilder der Teilausstellung »Muslime in Erlangen«, die »Muslime« damit als Personen zeigte, die »Islam« nicht zum alles beherrschenden Lebensthema machen (Stadtmuseum Erlangen 2015: 4-6). So sah man eine Frau (deren »muslimische« Identität nur durch den Kontext identifizierbar war) beim Frühstücken, in der Hängematte, beim Work-out im Fitnesszentrum »Ladys first«, man sah Menschen beim Basketball- und Fußballspielen, beim Shisha-Rauchen, beim Essen zubereiten, bei der Arbeit und auf dem Spielplatz. Mit dieser Strategie sollte »islamische« Identität als Gegenreaktion zum überhitzen Islamdiskurs klein gemacht werden, sie sollte als Identität unter vielen erscheinen. Andererseits lief die Ausstellung stets auch Gefahr, »muslimische« Identität überzubetonen, indem alltägliche Handlungen unter dem Label »muslimisch« präsentiert wurden – als ob es eine »muslimische« Art des Basketballspielens gäbe. Vielfach wurden die dargestellten »Muslime« als gesellschaftlich und politisch engagierte Bürger/-innen präsentiert, die mit ihrem Engagement und ihren Fähigkeiten die lokale Gesellschaft positiv mitprägen.25 Die Ausstellung richtete sich zum einen an die Stadtgesellschaft. Dieser sollten »Islam« und »muslimisches« Leben nähergebracht werden. Vor allem sollte der Gesellschaft ein »normaler Islam« präsentiert werden sowie damit verbunden integrierte, engagierte und folglich »anerkennbare Muslime«. Hiermit, so die Rationalität, könnten islamskeptische Haltungen ab- und dialogorientierte Haltungen aufgebaut werden. Viele »Muslime« wurden in Bezug zu lokalen Örtlichkeiten dargestellt: auf lokalen Sportplätzen, bei der Arbeit im Siemens-Betrieb Erlangen oder in einem zentral gelegenen Restaurant, das von einer »muslimischen« Person betrieben wird und vielen Erlanger/innen bekannt sein dürfte. Gerade auch durch diesen Lokalbezug wurden »Muslime« zu Teilhabenden der Stadtgesellschaft gemacht, wobei »muslimische« Präsenz an bekannte Elemente geknüpft, als »Erlanger Realität« dargestellt und damit normalisiert wurde. Die Ausstellung richtete sich zum anderen aber auch an die »Muslime« in Erlangen
25
Eine der dargestellten »Musliminnen« arbeitete z.B. lange Zeit in einem von der Stadt geförderten Projekt, das traditionelle »muslimische« Familien mit kommunalen sozialpädagogischen Stellen aus dem Bereich der Jugend- und Erziehungsberatung zu vermitteln suchte. Hier wurde also eine »muslimische« Person präsentiert, die nicht als Mitglied einer traditionellen religiösen Gemeinde, sondern dezidiert als gesellschaftliche »Brückenbauerin« auftritt, und eine reflektierende (Außen-)Perspektive auf religiöse Gemeinschaft verkörpert.
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selbst. Sie sollte der »muslimischen« Bevölkerung vermitteln, dass diese in Erlangen anerkannt sei. Auch sollten »Muslime« durch die Ausstellung die »Größe« und Relevanz der eigenen Gruppe erleben – und sich dadurch auch ermächtigt fühlen. Die Tatsache, dass die Ausstellung von einer »muslimischen« Person mitkonzipiert wurde, brachte derweil Authentizitätseffekte mit sich. Die »muslimische« CIAG-Vertreterin und CoKuratorin schildert: »Ich glaube, das ist auch ein unglaublich positives Zeichen, wenn man sieht, dass das Museum eine Ausstellung über Muslime in Erlangen macht und dass das auch tatsächlich von einem Muslim mitgemacht wird [lacht]. Hätte ja auch anders laufen können.« (Interview 3) Doch kam die »muslimische« Bevölkerung noch auf eine andere Art und Weise als Adressatin der Ausstellung ins Spiel: So sollte die Ausstellung den »Muslimen« in Erlangen – und v.a. den »Muslimen« aus dem traditionellen Gemeindeumfeld – die lokale Vielfalt »muslimischer« Lebensweisen und auch Glaubensperspektiven vermitteln (Interviews 3, 8; IG 6, 10).26 Die Ausstellung rief »Muslime« dazu auf, sich mit den heterogenen »muslimischen« Lebenspfaden in Deutschland auseinanderzusetzen und darüber die eigene Position/Identität innerhalb der Gesellschaft zu reflektieren – was Impulse für die Selbstinvolvierung in den gesellschaftlichen Dialog generieren könnte und sollte. Über die Auseinandersetzung mit »muslimischer« Vielfalt würden (traditionelle) »Muslime«, so die Logik, ihre eigenen Ansichten und Lebensweisen hinterfragen lernen und ggf. auch dialogbereiter werden. Dabei zeigten sich die »muslimische« CIAG-Vertreterin und ein »christlicher« CIAG-Sprecher (zeitgleich Vertreter der Stadt) im Nachhinein enttäuscht darüber, dass einige »muslimische« Gemeindemitglieder die gezeigten Lebensentwürfe nicht als »islamisch«/»muslimisch« akzeptierten. Hier sei eine religiöse Intoleranz gegenüber abweichenden Lebensweisen zu erkennen, so eine zirkulierende Deutung (Interviews 3, 8; IG 6, 10; TB CIAG 9).
7.7.3
Normalität als Lokalität
Eines der integrationspolitischen Ziele der Ausstellung wurde in den Eröffnungsreden explizit kommuniziert: Die Stadtgesellschaft solle die vielen lokalen »muslimischen« Persönlichkeiten erleben, die authentisch als »Zeichen« für einen bereichernden, positiven und integrierten »Islam« stehen können (TB 10; IG 6, 10). Dabei wurden nun aber überwiegend Personen präsentiert, die nicht aus dem engeren Umfeld jener organisierten »islamischen« (Moschee-)Gemeinden stammen, mit deren Vertreter/-innen der institutionalisierte kommunale Dialog geführt wird. Es dürfte sich hier folglich die implizite Aussage aufdrängen, dass »praktizierende Muslime« aus den Gemeinden gesellschaftlich weniger »akzeptabel« erscheinen als »individualisierte Muslime« außerhalb der Gemeinden: eine implizite Aussage, die, so mein Eindruck, aufseiten der »muslimischen« Gemeinden durchaus wahrgenommen wurde und einen bitteren Beigeschmack
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Die »muslimische« CIAG-Vertreterin erzählt in einem Interview: »Also es zeigt ganz toll die Bandbreite an Muslimen, die wir in Erlangen haben. Da sind halt nicht nur türkisch- und arabischstämmige Muslime dabei, sondern wir haben auch eine Indonesierin dabei, wir haben einen Bosniaken, wir haben eine deutsche Muslimin, und das ist also wirklich richtig toll geworden.« (Interview 3)
7. Ethnographien des Dialogs
zu hinterlassen schien (siehe unten). Die Ausstellung präsentierte überwiegend »Muslime«, die in der Darstellung ihres Alltagslebens eher wenig auf die Bedeutung »islamisch«-religiöser Pflichten, Regeln oder Normen hinweisen. Sie wurden zudem im Vollzug von Handlungen dargestellt, die wenig mit »islamischer« Tradition zu tun haben. Auch betonten die dargestellten »muslimischen« Personen eher die Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen, zwischen religiösen und nicht religiösen Praktiken und zwischen »Muslimen« und der Gesellschaft. Die präsentierten Individuen verkörperten eine »muslimische« Identität, die in keinerlei Spannungsverhältnis zur Gesellschaft stehen würde, die keiner besonderen Orte, Befugnisse, (Ausnahme-)Regelungen und Anstrengungen bedürfe und die privat gelebt werden könne. Religion wurde überwiegend von der Idee einer exklusiven, zu bewahrenden Normativität und den damit verknüpften Grenzziehungen »befreit«. Diese Unsichtbarmachung der gesetzesförmig-rituellen Komponente religiöser Identität wird auch in einigen der zitierten Aussagen der dargestellten Personen deutlich, in welchen diese über religiöse Praktiken reflektieren. Eine »Muslimin« aus Indonesien in etwa reflektiert über das Beten und vergleicht dieses mit »Yoga«, womit das Gebet in eine profane Sprache übersetzt wird. Beten sei nicht in erster Linie ein Gespräch mit Gott sowie eine »islamische« Säule, sondern eine Entspannungsübung, wie sie andere Menschen auch tun: »Es ist ja eigentlich schon ein bisschen wie Yoga. Manche Leute machen Yoga, machen Meditation, um einfach in sich zu gehen. […] Ich habe meine Gebetszeiten und in den Zeiten kann man […] einfach abschalten […]. Ich glaube, das Konzept ist ja eigentlich ähnlich. Jeder Mensch will da so einfach nur an einem Tag zur Ruhe kommen […].« (Stadtmuseum 2015: 22) Das Gebet wird zur Ausdrucksform der ganz »normalen«, allen Menschen bekannten Praxis des Entspannens gemacht. »Islam« wird als etwas darstellbar, das in die gesellschaftlichen Verhältnisse »lautlos« integrierbar ist und keineswegs mit religiösen Grenzziehungen einhergeht. Eine andere dargestellte Person spricht davon, dass alle Religionen ähnlich seien, und dekonstruiert damit die Exklusivität des »Islam«. Dessen Differenz sei nicht wichtig: »Mensch ist Mensch, und für mich gibt es nur gute und schlechte Menschen. Da gibt es keine Unterschiede, ob jetzt jemand Moslem ist oder Katholik oder evangelisch oder was auch immer.« (Stadtmuseum 2015: 47; 42-47) Es sind solche, als »muslimisch« präsentierte Lebens- und Denkweisen, die als legitime Ausdrucksformen »muslimischer« Identität dargestellt und in diesem Sinne aufgewertet werden. Es sind diese – und keine anderen – »muslimischen« Identitäten, die in der Ausstellung als bereichernde Elemente der Stadtgesellschaft inszeniert werden. Insofern aber die Ausstellung den Anspruch erhebt, dezidiert »Muslime« und damit eine religiöse Gruppe zu zeigen, die mit »Islam« in Verbindung steht, findet durch die getätigten Entscheidungen für bestimmte und gegen andere Repräsentationen eine (Re-)Konfigurierung von »Islam« bzw. von Religiosität statt. Es sind dabei gerade die Vorstellungen religiöser Gemeinschaft bzw. gemeinschaftlicher religiöser Normativität, die implizit als Aspekte artikuliert werden, die für das »Muslim-Sein« nicht essenziell wären. Die Tatsache, dass ein Element wie z.B. die Pflege religiöser Kultpraktiken offensichtlich fehlen darf, ohne dass das »Muslimische« im Leben eines Menschen verschwindet, wird als gesetzt artikuliert und an die faktischen Gegebenheiten »muslimischen« Lebens in
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Erlangen geknüpft. Das »Normale« – das »Muslim-Sein« jenseits kollektivem Ritus – wird zeitgleich als das »Lokale« oder das lokal »tatsächlich« Vorhandene artikuliert. Diese Form der Normalisierung ist charakteristisch für die Machttechnologie des Regierens (Lemke et al. 2000), die hierbei Normalität an Lokalität knüpft. Die Ausstellung zeigte damit jedenfalls Formen von »Islam« und »Muslim-Sein«, die zu Teilen von jenen abweichen, die bspw. auf den Internetseiten der »islamischen« Gemeinden formuliert sind (oder zumindest in einem Spannungsverhältniss zu einigen dort artikulierten Aspekten stehen). So wird »Islam« bspw. auf der Internetseite der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) als »ein umfassendes Regelwerk für den Alltag« artikuliert.27 In den Erläuterungen der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE) wiederum wird »Islam« als Weg zu göttlichen Wahrheiten und Bestimmungen erklärt, wobei »muslimisches« Leben zuvorderst als regelgeleitete Selbstausrichtung des Individuums entlang dieser Wahrheiten göttlichen Ursprungs erscheinen muss (zu welcher regelmäßiges Beten und Koranstudium ebenso gehören wie Bekleidungsvorschriften).28 Viele der »muslimischen« Frauen auf den Bildern der musealen Ausstellungen (sowohl der »Erlanger« als auch der auf Deutschland bezogenen) tragen in etwa keine Kopfbedeckung. Auch wurde einer der dargestellten »Muslime« in seinem Erlanger Lokal gezeigt. Obwohl auf den Bildern kein Alkohol zu sehen war, verkauft er dort wohl Alkohol, wie er in einem Interview erwähnte, das in einem begleitend zur Ausstellung veröffentlichten Beitrag der Erlanger Nachrichten enthalten ist. Hier spricht der dargestellte »Erlanger Muslim« von anfänglichen Zweifeln, sich öffentlich als »Muslim« zu zeigen, weil vielen »Muslimen« womöglich nicht gefallen würde, dass er Alkohol ausschenkt.29 Auch hier deuten sich Konflikte an, die aufzeigen, dass das in der Ausstellung dargestellte »muslimische« Leben mit manchen »islamischen« Traditionen bricht. Auf den umkämpften Charakter der Ausstellung weist auch die Anmerkung einer lokalpolitisch engagierten, dialogaktiven »muslimischen« Person hin (die im Rahmen einer späteren Dialogveranstaltung fiel: TB 25), die darauf hinwies, dass sich im Kontext der Ausstellung sowohl manche »muslimischen« als auch »nicht muslimischen« Besucher/-innen fragten, »wo denn die orthodoxen Muslime mit Bart sind«. Offensichtlich wurde »die Normalität, die die Ausstellung zeigte, […] von einigen Leuten nicht gekauft« (sinngemäße Zitate, aus:
27
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Ein Imam einer lokalen Gemeinde wiederum erklärte, dass »Islam« den gesamten Alltag des »muslimischen« Subjekts präge. »Also der Islam ist äh, ist keine Religion in dem Sinne, Islam ist eine Lebensform, der gestaltet meinen Alltag.« (Interview 9) Eine ähnliche Definition von »Islam« fand sich auf der Internetseite der TIG wieder: »Der Islam bietet seinen Angehörigen ein umfassendes Regelwerk für den Alltag an. Neben den zentralen und so wichtigen Gebetsriten im Islam, lassen sich auch Bestimmungen finden, die seinen Anhängern Anleitungen geben, wie man auf schönste und sauberste Weise seine Notdurft verrichtet, bis hin zu Bestimmungen, die erläutern, wie die Rechte der Tiere zu wahren sind oder die Gemeinschaft sich für sozial Bedürftige einzusetzen hat. […] Der Islam spricht alle Lebensbereiche des Menschen an und bietet hilfreiche Regeln für diese.« (www.ditib-erlangen.de/der-islam/, 15.02.2016) www.moschee-online.de/moscheeonline/index.php?option=com_content&view=article&id=18&Itemid=22, (28.01.2018). Beitrag in den Erlanger Nachrichten vom 30.01.2015, www.nordbayern.de/region/erlangen/erlanger-schau-zeigt-muslimische-vielfalt-in-deutschland-1.4158470?rssPage=bm9yZGJheWVybi5kZQ==, (30.12.2017).
7. Ethnographien des Dialogs
TB 25). Besonders konflikthaft und paradox war die Darstellung eines Erlanger »Muslims«, der sich als nicht religiös bezeichnete. An der entsprechenden Station konnten die Besucher/-innen folgende seiner Aussagen nachlesen: »Ich persönlich bin nicht gläubig. Ich weiß, dass es einen Gott gibt, und es ist gut, dass man einen Gott hat […]. Ganz ehrlich gesagt, ich persönlich habe dieses Thema ›Religion‹ für mich abgeschlossen.« (Stadtmuseum 2015: 36) Abgeschlossen habe er, weil er negative Aspekte politischer Religiosität erlebt habe. Er formuliert auch eine Kritik an einem intoleranten »Islam« in bestimmten Ländern, die damit im Zuge der Ausstellung legitimiert wird: »Die in islamischen Ländern Regierenden, die behaupten auch, dass die Toleranz haben. […] Leider, meiner Meinung nach, ist das nicht der Fall.« (Ebd.: 41) Der »muslimischen« CIAG-Vertreterin und CoKuratorin zufolge wurde diese Person dargestellt, um zu zeigen, dass nicht alle »Muslime« praktizierend-religiös sind, sondern ggf. »nur« verinnerlichte spirituelle Motive verkörpern (TB 11) – oder im Laufe ihres Lebens ihre Religiosität ablegen. Durch diese Repräsentationspraxis wurde das Modell einer nicht praktizierten religiösen Identität als legitime »muslimische« Identität normalisiert. Im Kontext der Ausstellung fand also eine doppelte Normalisierung statt. Der Stadtgesellschaft wurden »Muslime« als »normale« Bürger/-innen dargestellt, um das Ziel einer Normalisierung der angespannten gesellschaftlichen Verhältnisse zu erreichen (Normalisierung 1). Gleichzeitig aber konnten »muslimische« Subjekte der Gesellschaft nur insofern als »normale« Subjekte präsentiert werden, insoweit ihre Lebensweisen den gesellschaftlich hegemonialen Normalitätsvorstellungen angepasst wurden. So wurde dann unter das »normale Muslim-Sein« bspw. subsumiert, beten als Entspannung (statt als Gottesdienst) zu denken oder aber stets über die eigene Integration zu reflektieren. Die Darstellung von »Muslimen« als normale Personen ging damit einher, selbige eben nicht als Subjekte mit besonderen religiösen Lebensweisen hervorzuheben. Damit wird letztlich auch normalisiert, was es heißt, ein »Muslim« in Erlangen zu sein (Normalisierung 2). Sicherlich »erinnert« eine solche Ausstellung die lokale »muslimische« Bevölkerung immer auch daran – wenn auch nur implizit –, wie man sich verhalten, denken und empfinden sollte, um als ein »bereicherndes Element« anerkannt zu werden, letztlich: um in einer derartigen Ausstellung »auftauchen« zu können. Sie setzte implizit fest, dass anerkannte »Muslime« gesellschaftlich engagierte »Muslime« sind, die ihre Religion nicht überbetonen.
7.7.4
Recht auf Tradition! Kritische Stimmen aus den »muslimischen« Gemeinden
Alle »muslimischen« Personen wurden auf der Ausstellung als Elemente einer inklusiven und vielfältigen städtischen Gemeinschaft präsentiert. Damit wurde jede Kritik an den Darstellungen jener Personen erschwert, funktionierten diese doch als Verkörperungen eines bereits anerkannten »Islam«. Dennoch erhoben sich kritische Gegenstimmen. Im Rahmen eines als Dialogveranstaltung inszenierten Fastenbrechenfestes in der »Blauen Moschee« der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG; TB 24) unterhielt sich ein (auch in den Dialoginstitutionen partizipierendes) Gemeindemitglied (aus einer der beiden Moscheegemeinden, aus welcher, wird hier nicht gesagt)
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mit mir über die Doppelausstellung »Muslime in Erlangen« und »Muslime in Deutschland«. Diese, so das Gemeindemitglied kritisch, habe einfach nur »normale Menschen« gezeigt – teilweise sogar samt ihrer Laster (so hätte es ein Foto mit Bierkästen im Hintergrund gegeben) – und somit den eigentlichen und positiven »Islam« übergangen. Dieses »Übergehen« hätte sich v.a. auch darin ausgedrückt, dass die Ausstellung die Errungenschaften und Schönheiten des »Islam« und der »muslimischen« Kultur ausblendete: »Wo waren die Moscheebauten, die Kunstwerke und die islamische Architektur, da kann man doch auch was aus anderen Ländern nehmen, aus der Türkei oder so.« (Sinngemäßes Zitat, aus: TB 24) Mein Gesprächspartner verortete jenen »prächtigen Islam« außerhalb Deutschlands und hätte sich dessen Darstellung für die Erlanger Bürger/-innen gewünscht. Dass dem nicht so geschah, deutete er als Ausdruck einer – seiner Ansicht nach teilweise auch im Erlanger Dialog zirkulierenden – Nichtanerkennung von »Islam«. Mein Gesprächspartner deutete das integrationspolitische Kalkül der Ausstellung kritisch um: Ziel sei gewesen, »islamisch«-religiöse Differenz abzuschwächen. Er merkte an, dass Politik und Gesellschaft den eigentlichen Islam »kleinmachen« wollen würden, um damit »die Muslime zu desorientieren« und »die muslimische Gemeinschaft zu zerstreuen« (Gesprächszitate, so genau wie möglich wiedergegeben, kurz nach dem Gespräch notiert). Es sei demnach eine bewusste Strategie, »Muslime« eben nicht als Gemeinschaft, sondern als Einzelpersonen darzustellen, um damit »Islam« in Deutschland zu schwächen. Man wolle den – Zitat – »schönen Islam nicht bewerben und stärken«, denn man »will nicht, dass er Fuß fasst« und »sieht keinen Platz für ihn«. So habe man den wahren »Islam« – für den die Gemeinden stehen würden – profan, alltäglich und unspektakulär präsentiert. Mein Gesprächspartner bezog sich in seiner Kritik vielfach auf die Ausstellung »Muslime in Deutschland«, zu Teilen aber auch auf »Muslime in Erlangen«. Er nannte noch verschiedene weitere Aspekte, die ihn an den Ausstellungen gestört haben: »Eine Frau muss im Islam Kopftuch tragen, hast du in der Ausstellung welche gesehen? Ein paar vielleicht.« Ferner beklagte das Mitglied einer der beiden Moscheegemeinden: »Warum hat man kein Gebet gezeigt? Nur Leute, die irgendetwas tun.« Die Gemeinden, so mein Gesprächspartner, hätten versucht, die Ausstellung zu beeinflussen, aber sie wurde ohne Absprache durchgeführt. Im lokalen Dialog spreche man von Augenhöhe, aber »die Christen und die Stadt machen oft, was sie wollen« (sinngemäßes Zitat). Letztlich, so der »muslimische« Sprecher, habe man sich jedoch dafür entschieden, im Vorfeld keine Kritik zu äußern, um die Dialogpartner nicht zu irritieren (vgl. auch: Interview X; ein weiteres Interview mit einem anderen »muslimischen« Gemeindevertreter, die Nummer wird hier nicht genannt). An dieser Stelle zeigt sich zumindest im Ansatz eine tendenziell depolitisierende, da stark auf das Harmoniemotiv rekurrierende Dialogrationalität. Auch ein anderes Mitglied aus dem Vorstand einer der beiden Moscheegemeinden kritisierte v.a. die Ausstellung »Muslime in Deutschland« – durch die die »muslimische« CIAG-Vertreterin und Co-Kuratorin eine Führung angeboten hatte, an welcher auch er/sie selbst teilnahm (TB 11; vgl. nächstes Kapitel). Dort seien fast ausschließlich und unkommentiert Menschen und Orte dargestellt gewesen, die man eher mit einem sozioökonomisch schwächeren Milieu assoziieren würde. Völlig zu Recht merkte der/die Moscheevertreter/-in an, dass hierbei »Islam« unkommentiert mit »städtischer Armut« assoziiert wurde – und dass bspw. Bilder von (teils heruntergekommenen) Plattenbausiedlungen keine Repräsentationen »muslimi-
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schen« Lebens darstellen: »Das hat mich furchtbar aufgeregt […], von wem wurden diese Bilder gemacht, sind das wirklich Muslime? […] Es wird einem etwas suggeriert im Unterbewusstsein.« (Interview X, die Person wird hier nicht genannt) Er/sie fährt fort: »Also Frauen, mit Bauchnabel sehend, im Gang einer Baracke, rauchend gegenüber […], das ist nicht muslimisch.« (Ebd.) Über jene in der CIAG aktive »Muslimin«, die die Ausstellung »Muslime in Erlangen« mitkonzipierte und zudem alle CIAG-Teilnehmenden durch beide Ausstellungen führte, sagte sie/er kritisierend (jedoch ihre guten Beziehungen »nach oben« hervorhebend): »Dass sie als gläubiger Muslim keine Kritik nach oben berichtet, gemacht hat, das hat mich schon gewundert.« Die Ausstellung »Muslime in Erlangen« wurde von dem/der Vereinsvertreter/-in im Vergleich zu »Muslime in Deutschland« zwar explizit als gelungener artikuliert, doch deutete sich im Gespräch verschiedentlich auch eine skeptische Haltung gegenüber dieser Ausstellung an: »Das ging noch, unten die Porträts, damit konnte ich mich teilweise noch identifizieren«, so seine/ihre wenig begeisterten Worte (Interview X). Einmal fragte ich explizit nach, inwiefern denn auch die Ausstellung »Muslime in Erlangen« den »Muslimen« nicht gerecht geworden sei. Der/die »muslimische« Vertreter/-in antwortete: »Weil das für mich die Muslime nicht repräsentativ gezeigt hat.« (Ebd.) Das eigentliche »muslimische« Leben wäre nicht repräsentiert gewesen, was der/die »muslimische« Vertreter/-in (ebenso wie mein weiter oben zitierter Gesprächspartner) als Ausdruck einer gesellschaftlichen Geringachtung des traditionellen »Islam« der praktizierenden Basis deutete. Für ihn/sie selbst sind »Muslime« »gläubige, praktizierende Muslime« (ebd.), wobei diese in der Ausstellung zu wenig vertreten gewesen seien. Der/die Gemeindevertreter/-in knüpfte im Interview seine/ihre diesbezüglichen Enttäuschungen an Schieflagen im lokalen Erlanger Dialoggeschehen. Im Hinblick darauf, dass viele der als »Erlanger Muslime« präsentierten Personen außerhalb des Moscheegemeindeumfelds standen, merkte er/sie an: »Solche Sachen passieren in dieser Gesellschaft immer mehr. […] Man hat den Eindruck, man möchte unter die Muslime auch Kräfte reinbringen, so nach dem Motto, äh, Muslim sein muss nicht gläubig sein.« (Interview X) Deutlich scheint der/die »muslimische« Sprecher/-in eine Art der Beeinflussung der eigenen Identität auch im Erlanger Anerkennungsdialog zu empfinden. »Immer diese Verfolgung [er/sie meint: das Verfolgen eines politischen Zieles; Anm. J.W.], einen anderen Islam zu schaffen als der Islam wirklich gelebt wird.« (Ebd.) Besonders scharf kritisiert er/sie die Entscheidung, eine Person als »Muslim« sprechen zu lassen, die zwar an die Existenz Gottes glaubt, aber Religion nicht praktiziert. Dies »unter dem Motto ›Muslime in Erlangen‹ zu präsentieren, ist einfach Bullshit« (ebd.). Der/die »muslimische« Gemeindevertreter/-in nahm das Gespräch mit mir zum Anlass, auch anderweitige Entwicklungen zu kritisieren, die er/sie auch mit dem Erlanger Dialog verknüpfte. So ärgere ihn/sie das ständige Gerede über einen gewünschten »europäischen Islam«. Bereits dies sei eine Form der Geringachtung des »eigentlichen« Islam, der ja kein europäischer zu werden brauche. Auch die stete Betonung von »Vielfalt« sei irreführend: »Was ist das, der sogenannte europäische Islam, so wie die Akgün [Lale Akgün, liberale »muslimische« Reformerin; Anm. J.W.] das sagt […]. Es gibt keinen europäischen Islam, es gibt keinen asiatischen, […] amerikanischen oder sonstigen Islam. Es gibt nur einen Islam.« (Interview X)
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Gouvernementalität der Freundschaft
7.7.5
Die Praxis und die Machteffekte einer Integrationspolitik des »Schauens« und der Kopräsenz
Nach Absprachen zwischen einem »christlichen« CIAG-(Co-)Sprecher (gleichzeitig städtischer Vertreter) und jener »muslimischen« CIAG-Aktiven, die die Ausstellung mitkonzipierte, wurde im Vorfeld einer CIAG-Sitzung (TB CIAG 3) für alle CIAGMitglieder eine Führung durch die Ausstellungen »Muslime in Erlangen« und »Muslime in Deutschland« organisiert. Diese wurde von der »muslimischen« CIAG-Vertreterin durchgeführt. An der Führung partizipierten Vertreter/-innen und Mitglieder/-innen beider »islamischer« Gemeinden, Vertreter/-innen der Kirchen wie auch integrationspolitisch aktive Repräsentant/-innen der Stadt. Auch ich nahm beobachtend an der Führung teil (TB 11). Die »muslimische« CIAG-Vertreterin präsentierte sich dabei performativ in der Rolle der Museumspädagogin und »Dozentin«. Sie erklärte alle Darstellungen von »Islam« und »muslimischem« Leben wertfrei und neutral, stellte Fragen und hörte sich Kritik seitens der Teilnehmenden ruhig an. Grundsätzlich artikulierte sie alle Elemente beider Ausstellungen als interessante Anregungen. Als Co-Kuratorin der Erlanger Teilausstellung hatte sie eine Expertinnenposition inne. Sie war es, die mit der Museumsdirektion zusammengearbeitet und pädagogisch-museale Standards erarbeitet hatte, und sie war es auch, die verschiedenste »muslimische« Persönlichkeiten konkret aufgesucht und interviewt hatte. Sie konnte sich damit nicht nur (wie üblich) als eine »muslimische« Vertreterin der CIAG, sondern darüber hinaus auch als jemand darstellen, der über das gesamte »muslimische« Feld in Erlangen gut Bescheid wisse. Dies generierte Autorität. Gegenüber den Vertreter/-innen der traditionell organisierten »muslimischen« Gemeinden konnte sie sich als jemand positionieren, der in gewissem Sinne »mehr« über »muslimisches« Leben wisse als jemand, der »nur« in den Gemeinden aktiv ist. Sie ging mit der CIAG-Gruppe von Station zu Station und erläuterte in positiv-wertschätzendem Gestus die vielfältigen Aspekte »muslimischen« Daseins und Wirkens in der Stadt. Am Schluss der Führung resümierte ein Mitglied einer Moscheegemeinde in einem eher kritisierenden Tonfall, dass die Ausstellung »eigentlich eine Ausstellung über kulturelle Vielfalt [sei] und nicht über den Islam« (Zitat) und zudem nicht immer »richtiges muslimisches Leben« zeige. Daraufhin erwiderte die »muslimische« Co-Kuratorin, dass die Ausstellung »natürlich die kulturelle Vielfalt zeigt, aber ja schon auch Muslime darstellt« (sinngemäßes Zitat). Obwohl die Deutung des Moscheevertreters im Grunde als eine überaus passende Formulierung der integrationspolitischen Strategie der Ausstellung akzeptiert werden könnte (»Muslime« nicht zu religiös darstellen), eckte dieser mit seiner Aussage, so mein Eindruck, bei einigen Dialogaktiven an. Eigentlich sehr treffsichere Kritiken dieser Art wurden bspw. in einem nachträglichen Interview, das ich mit einem während der Führung anwesenden städtischen Vertreter führte, als Hinweise dafür erachtet, dass die Mitglieder der Moscheegemeinden aufgrund ihrer vermeintlich dogmatischen und eng gefassten Vorstellung von Religion »gemeindeferne Muslime« nicht akzeptieren würden (Interview 8). Die Ausstellung schien mit dem Ziel verbunden worden zu sein, den »muslimischen« Gemeinden ein »muslimisches« Leben außerhalb traditioneller Gemeindeorientierung zu vermitteln und hierbei eine entsprechende Haltung der Toleranz einzuüben. Paradoxerweise schien an die »Ge-
7. Ethnographien des Dialogs
meindemuslime« die Erwartung gestellt worden zu sein, die aus integrationspolitischem Kalkül von religiöser Normativität befreiten Repräsentationen von »Islam« und »Muslimen« nicht nur als Resultate ebenjener integrationspolitischen Taktik, sondern dann doch wieder als angemessene Formen des »Muslim-Seins« zu akzeptieren. Diese Erwartung materialisierte sich so richtig erst während der Praxis der Ausstellungsführung. All dies ist vor dem Hintergrund dessen zu verstehen, dass den Moscheegemeinden ohnehin vielfach eine problematisch traditionalistische religiöse Haltung zugeschrieben wird (IG 6; Interview 8). Ein weiterer Konflikt entfaltete sich bei der Betrachtung eines Fotokunstwerks in der Ausstellung »Muslime in Deutschland«. In der Arbeit »We, Them and I« von Feriel Bendjama reflektiert die »muslimische« Künstlerin persönliche Erfahrungen mit dem Kopftuch und ihrer religiösen Identität. Zu sehen ist stets die gleiche verschleierte Frau (mit einem Tschador, einer Verschleierung, die nur das Gesicht frei lässt), jeweils einmal mit Krone, mit einem Koran auf dem Kopf, mit Trillerpfeife, Goldmedaille, mit einer Spritzpistole (die sie sich an die Schläfe hält), mit einem Schnuller im Mund, mit einer Art Gitter vor dem Gesicht, mit Atemschutz- und Karnevalsmaske, mit Augenklappe, rauchend mit Zigarette und mit einem Schnurrbart.30 Vor diesem Kunstwerk ging ein Raunen durch die Gruppe. Ein Mitglied einer »muslimischen« Gemeinde merkte an: »Das kann nicht aus einer muslimischen Perspektive gemacht worden sein, Entschuldigung.« Daraufhin (re-)agierte die eher liberal eingestellte »muslimische« CIAG-Vertreterin und Co-Kuratorin aus ihrer diskursiv konstituierten Position der »Lehrerin« heraus und fragte zunächst, warum dies denn nicht möglich sein sollte – bevor sie noch einmal betonte, dass diese Arbeit zwar ungewöhnlich sei, aber eben auf »Erfahrungen einer Muslimin« beruhe. Solche Situationen waren es, die einen ebenfalls anwesenden »christlichen« CIAG-Sprecher und zeitgleich integrationspolitischen kommunalen Vertreter in einem späteren Interview dazu veranlassten, über die Nichtintegration vermeintlich pluralitätsskeptischer (sich entlang strikter Identitäten abgrenzender) »Muslime« zu sinnieren, die man während der Führung gesehen hätte (Interview 8). Zu einer besonders konflikthaften Diskussion kam es, als die (konvertierte) »muslimische« CIAG-Vertreterin im Rahmen der »Personenbiographien« jenen Erlanger »Muslim« vorstellte, der zwar an die Existenz Gottes glaube, aber ansonsten nicht religiös sei und »mit Religion abgeschlossen« habe (Stadtmuseum 2015; TB 11). Ein »muslimischer« Gemeindevertreter erwähnte hierzu, dass eine solche Person »kein Muslim« sei und nicht für den »Islam« sprechen könne, und kritisierte die Konzeption der Ausstellung. Die »muslimische« CIAG-Vertreterin und ein städtischer Vertreter hingegen merkten an, dass auch diese Person eine Perspektive auf »muslimisches« Selbstverständnis anbieten könne. Sein Verhältnis zum Glauben sei einfach unbestimmt, aber darin zumindest zu akzeptieren – letztlich auch als eine Form möglicher »muslimischer« Identität. Sodann legitimierte auch ein Sprecher einer Moscheegemeinde jene Überlegungen, interessanterweise aus einer dezidiert theologischen Sichtweise, indem er anmerkte, dass nur Gott selbst – nicht einmal der Prophet – den Glauben der Menschen erkennen könne. Der Moscheevertreter zitierte grob aus »islamischen« Schriften (auf seinem Wissen basierend): »Jemand sagte: ›Der ist doch kein Muslim‹, doch der 30
https://foto.zenith.me/de/fotopreis/zenith-fotopreis-2011/einsendung/feriel-bendjama-we-they-a nd-i, (17.01.2018).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Prophet antwortete ihm: ›Hast du in sein Herz geschaut?’« So dürfe man als »Muslim« selbst einer sich explizit von Religion lossagenden Person nicht gleich absprechen, ein »Muslim« zu sein und/oder ein »gutes« Leben zu führen. Daraufhin merkte die »muslimische« CIAG-Vertreterin und Co-Kuratorin affirmativ an, dass dies ein interessanter Gedanke sei und es angesichts der vielfältigen Lebensweisen ohnehin schwierig wäre, das »Muslim-Sein« zu definieren. Diese kurze theologische Reflexion innerhalb der Praxis der Führung durch die Ausstellung enthielt folglich eine Aushandlung religiöser Haltungen. Sicherlich könnte hier auch plausibel argumentiert werden, dass eine »nicht gläubige« Person in der Ausstellung schlicht fehl am Platz sei (wie einige »Muslime« auch argumentierten: Interview X). Doch induzierte die Biographiestation eine kurze Reflexion über religiöse Toleranz und über die Bedeutung religiöser Traditionen. Am Ende zeigte man sich über die Diskussion erfreut und betonte die Notwendigkeit von Reflexionen über die Vielfalt individueller Glaubenszugänge. Hier zeigen sich die Effekte einer politischen Praxis, die immerzu auf die Produktion von »Räumen« abzielt, in welchen sich Subjekte mit ihren eigenen und anderen religiösen Identitäten auseinandersetzen und darüber die Fähigkeit erlangen sollen, kompetent mit Pluralität umzugehen. So avancierte eine Ausstellung, die zuvorderst auf die Anerkennung »muslimischer« Identität zielte, momenthaft zu einer Technologie der Normalisierung religiöser Toleranz. Im Hinblick auf die Vollzugsform der Machttechnologie (Ott u. Wrana 2010) ist ferner von Bedeutung, dass die normalisierende Inklusion des »nicht praktizierenden Muslims« performativ betrachtet in einer Art der intimisierten Auseinandersetzung mit einer konkreten Person und ihrem Leben stattfand. Der »nicht religiöse Muslim« präsentierte sich den Betrachter/-innen als eine Person, die sich geöffnet habe und die man auf eine persönliche Weise kennenlerne. In diesem Sinne wurde er der Gruppe durch die »muslimische« Co-Kuratorin »vorgestellt«. Der Versuch, religiöse Toleranz für einen »nicht praktizierenden Muslim« zu begründen, entfaltete sich performativ, während die Beteiligten ihre Blicke auf ein Plakat richteten, auf dem eine lächelnde Person als engagiertes Mitglied der Stadtgesellschaft präsentiert wurde. »Muslimische« Gemeindevertreter/-innen entwickelten zusammen mit den anderen Anwesenden ein kurzes theologisches Gespräch über religiöse Toleranz, das nicht primär durch ein Argument oder über Techniken des Textstudiums vermittelt wurde, sondern durch das Schauen auf das Leben eines lächelnden Menschen aus der »eigenen« Stadt. Dieselbe Technik einer intimisierten Darstellung »Anderer«, die auf die Produktion emotionaler Bindungen zwischen der Stadtgesellschaft und »ihrer muslimischen Bevölkerung« zielt (TB 10), operiert hier (implizit und situativ) als Versuch der Herstellung einer Bindung zwischen einem »nicht praktizierenden Muslim« und praktizierenden Gemeindevertreter/-innen. Dies ist eine Technik jenes Regierens, das ich sukzessive als Gouvernementalität der Freundschaft rekonstruiere.
7. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
Abbildung 6: Fotografie der Ausstellungsräume im Stadtmuseum Erlangen
Quelle: Stadtmuseum Erlangen 2015: 12
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8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind« – lokale Beziehungsgeflechte, Mikroräume der Intervention und die Emotionalitäten im Regieren durch Dialog
Die bisherigen Kapitel stellten dar, wie Dialog in Erlangen implementiert wurde, wie seine zentralen Praxiskomplexe – z.B. regelmäßige Sitzungen – prozessiert werden, welche Themen um und mit Dialog behandelt und wie dabei »muslimische« Identitäten zu Gegenständen integrationspolitischer Beeinflussung gemacht werden. In diesem Kapitel möchte ich mich nun stärker mit »querliegenden«, technologischen Aspekten des Dialogs beschäftigen (vgl. Kaiser et al. 2014). So soll es weniger um konkrete Themen, Debatten und Projekte gehen, sondern vielmehr um grundlegende Mechanismen eines dialogischen Regierens vor Ort. Ein solch technologischer Aspekt ist bspw. die Artikulation des Dialogs als ein »tiefgehender« Zugang zu »Islam« und »Muslimen«, der auf der Pflege persönlicher lokaler Kontakte und Beziehungen basiert. Hierbei erscheint der Dialog als Praxis eines vielfach informell ablaufenden Arrangierens lokaler interpersonaler Bindungen. Jener tiefgehende und persönlich-bekanntschaftsbasierte Zugang zu »Islam« und »Muslimen« eröffnet dann neue Möglichkeiten des Regierens: eines Regierens, das sich erst in den lokalen Mikrokontexten spezifisch entfaltet und dessen Machteffekte erst durch eine (ethnographische) Analyse dieser Mikrokontexte angemessen zu begreifen sind. In diesem Kapitel werde ich wie folgt vorgehen: Zuerst werden in exemplarischer Hinsicht die im vorherigen Kapitel illustrierten Praktiken der musealen Repräsentation von »Islam« im Hinblick auf die erwähnte technologische Form des Dialogs reinterpretiert. So werde ich Dialog als ein Regieren deuten, das auf dem (Re-)Arrangieren lokaler Beziehungen zwischen bestimmten Gruppen und Personen und in diesem Zusammenhang auch auf einem lokalen Wissen (über jene Gruppen und Personen) basiert. So wird dialogisches Regieren als eine Schaffung von Wahrscheinlichkeiten dahingehend verstehbar, dass in lokalen Kontexten sich bestimmte Beziehungen ausbilden oder bestimmte Begegnungen stattfinden. Hier werde ich das Vorgehen des von mir sogenannten Macht-Mappings anführen, welches solche lokalen Beziehungsgeflechte darstellen soll.
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Gouvernementalität der Freundschaft
Das heuristische Modell des »Arrangierens lokaler Beziehungen« ist dabei nicht zuletzt in der Lage aufzuzeigen, wie im Dialog die besonderen Raumbeziehungen des Lokalen sowie der darin erst artikulierbare »Nahbereich des Zusammenlebens« spezifisch aufgegriffen, (re-)produziert und als Interventionsbereiche oder Relais dialogischen Regierens nutzbar gemacht werden. Somit wird eine für Raumbeziehungen sensible Rekonstruktion von Regierungsprozessen entworfen. Daran anschließend werde ich zeigen, dass sich innerhalb dieser lokalen Beziehungsgeflechte, in deren Verdichtungen dialogisches Regieren erst möglich wird, Praktiken beobachten lassen, die als Formen eines »informell-beiläufigen« Regierens »muslimischer« Differenz gedeutet werden können. Dieser Aspekt der Informalität des lokalen Dialogs, die sich bereits in den Sitzungen der Dialogforen zeigt, wird dann noch genauer beleuchtet, da der »informell praktizierte« Dialog besondere Regierungstechniken entwickeln kann. Sodann wird erstmalig die für den weiteren Verlauf der Arbeit zentrale These vorgestellt, dass die vielfach informellpersönlich und bekanntschaftsbasiert ablaufende Dialogpraxis mit ausgeprägten Emotionalisierungsprozessen verknüpft ist. So öffnet der lokale Dialog Räume für die Artikulation freundschaftlicher Beziehungen. Derweil scheint die Informalität des Dialogs diesen freundschaftlichen Beziehungen Ausdruck zu verleihen. Ich werde zuletzt die analytische Frage formulieren, welche Machteffekte gerade eine solche Produktion freundschaftlicher Bindungen hat und wie diese Prozesse und Effekte der Emotionalisierung im Dialog überhaupt untersucht werden können. Sowohl die Deutung des Dialogs als ein bekanntschaftsbasiertes Arrangieren lokaler Beziehungsökonomien als auch die Dimension der Emotionalisierung werden in diesem Kapitel bereits als Machttechnologie einer Gouvernementalität der Freundschaft eingeführt.
8.1
8.1.1
Dialog als lokales Wahrscheinlichmachen »kunterbunter Konstellationen« und die Methode der Kartierung lokaler Machtbeziehungen (Macht-Mapping) Das Arrangieren lokaler Beziehungen und das Lokale als Projektionsfläche für die Herstellung intimisiert-persönlicher Beziehungen
Die im vorherigen Kapitel dargestellten Praktiken der Vermittlung einer Ausstellung über »Muslime« lassen bereits einige Reflexionen über jene Machttechnologie zu, die ich als Gouvernementalität der Freundschaft diskutieren will. Zum einen operierte der Dialog als Produktion lokaler Intimität: Einblicke in das Leben der religiös und kulturell »Anderen« sollten Vergemeinschaftungsprozesse in der pluralen Gesellschaft ermöglichen – sowohl zwischen »Muslimen« und der Gesellschaft als auch zwischen verschiedentlich religiösen »Muslimen«. Eine solche Produktion von »multicultural intimacies« (Fortier 2007) stellt einen Aspekt des Regierens durch Dialog dar. Das Lokale zeigte sich hierbei als Projektionsfläche für jene »Intimität«, für jenen Einblick in das Leben der »Anderen«, der Vergemeinschaftung wahrscheinlich(-er) machen soll. Daneben ließ sich zeigen, wie die Praxis der Führung durch die Ausstellung eine sehr besondere Personen- und Identitätskonstellation darstellte. Eine von integrationspolitisch agierenden städtischen Vertreter/-innen ermutigte, in Deutschland geborene »mus-
8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
limische« Konvertitin führte (so wahrgenommene) »migrantische Muslime« aus dem Umfeld der »traditionellen« Moscheegemeinden durch eine von ihr mitgestaltete Ausstellung über »muslimisches« Leben, welche selbiges säkularisiert darstellte und von religiöser Normativität tendenziell abkoppelte. Als ein governing through friendship übersetzt sich Dialog immer auch in eine solche Praxis der Ermöglichung und Plausibilisierung spezifischer lokaler Konstellationen einander bekannter Personen. Es ist die These aufzustellen, dass der lokale Dialog solche besonderen Konstellationen von Personen und Beziehungen wahrscheinlich macht, sich aus ihnen heraus ergibt und systematisiert: Konstellationen, die auf lokalen Bekanntschaftsnetzwerken beruhen, z.B. auf dem jahrelang aufgebauten Personennetzwerk der CIAG, deren Mitglieder dann auch erst via E-Mail-Verteiler zu einer gemeinsamen Führung eingeladen werden konnten. Auch ist das spezielle Verhältnis zwischen Vertreter/-innen der Stadt und jener in der CIAG aktiven »muslimischen« Konvertitin zu berücksichtigen, die die Ausstellung »Muslime in Erlangen« co-konzipierte und in ihrer Repräsentationsfunktion als »liberale Muslimin« gefördert wird. Die Konstellationen beruhen also auf Prozessen des »Sich-Kennens« und »Sich-gegenseitig-einschätzen-Könnens«. Der lokale Dialog ist dann weniger ein Regieren einer »anonymen« Größe bzw. Bevölkerung, er ist keine von »außen« erfolgende Einflussnahme auf deren Eigenheiten und Bewegungen (Foucault 2005 [1978]a), sondern v.a. ein konkretes, auf lokalem Wissen basierendes ReArrangieren von Personenbeziehungen. Diese Technologie geht personalisierter und individualisierter vor, sie muss »von innen« heraus operieren und auf lokale Bündnisse und Allianzen setzen. Dafür braucht der Dialog lokales Wissen über Individuen und Gruppen, das in den dialogischen Foren des Kennenlernens (CIAG, FMGE) produziert wird. Die städtischen Sprecher/-innen kennen die »muslimische« Konvertitin aufgrund ihres Engagements in der Lokalpolitik sowie aus der CIAG und wissen, dass deren Vorstellungen religiöser Identität günstig mit integrationspolitischen Bestrebungen zusammenfallen, eine säkulare und plurale Stadtöffentlichkeit sicherzustellen. Auch deshalb dürfte die Konvertitin Unterstützung erhalten haben. Sie teilt die Ansichten einiger städtischer und »christlicher« Vertreter/-innen, dass die Moscheegemeinden ein allzu konservatives Religionsverständnis aufweisen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass entschieden wurde, dass die »muslimische« Konvertitin die Moscheevereinsvertreter/innen durch die Ausstellung führt (Interviews 3, 8, 20).
8.1.2
Die Kartierung lokaler Machtbeziehungen: Macht-Mapping
Die Dialogtechnologie macht somit bestimmte lokale Arrangements differenzüberspannender Beziehungen wahrscheinlich(-er) und nutzt dafür lokalspezifische Positionalitäten und Expertisen (z.B. die »muslimische« Konvertitin und deren »liberales« Islamverständnis), Engagementformen (die Bereitschaft ebenjener, eine Führung anzubieten) und vorhandene Beziehungsgeflechte (z.B. die CIAG als etablierte Gruppe, die zu einer Führung eingeladen werden kann). Das Regieren selbst ergibt sich dann aus den vielen Versuchen, Individuen und Gruppen, die aus den dialogischen Foren bekannt und dort einschätzbar geworden sind, mit anderen Individuen und Gruppen in der Form integrationspolitischer Projekte zusammenzubringen. Die Kultivierung von Beziehungen – das Zusammenbringen von A mit B – wird im Dialog intelligibel und
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Gouvernementalität der Freundschaft
legitimierbar, insofern es stets um »Austausch« und »Kommunikation« geht. Dabei werden die Beziehungskonstellationen von allen Dialogteilhabenden mit beeinflusst. Solche Konstellationen sind einerseits Ausdruck überlokaler Diskurse und Regierungsweisen und andererseits immer auch lokalspezifisch. Eine Analytik der Macht (Foucault 2005), die »Topologien des Regierens« erkunden will (Collier 2009), muss diese besonderen Konstellationen beschreiben, sich über sie »wundern«, sie in ihrer Besonderheit »kartieren«. Die machtanalytische Kartierung, das »Macht-Mapping« der oben skizzierten Ausstellungsführung, wäre z.B. ein Text der folgenden Art. Dieser beruht zu Teilen auf meinen Feldnotizen (erster Satz und zu Teilen die letzten Sätze) und wurde später noch erweitert: Als gemeinsame Aktivität – quasi als »Ausflug« der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft (CIAG) – führt eine akademisch ausgebildete, in Deutschland geborene, politisch aktive »liberale muslimische Konvertitin« mehrere Vertreter/-innen der »muslimischen« Moscheegemeinden (die vielfach als »konservativ« artikuliert worden sind) zusammen mit »christlichen« und städtischen Vertreter/-innen durch eine Museumsausstellung, die sie mit Unterstützung der Stadt mitgestaltet hat, und stellt dort in der pädagogischen Rolle der »Lehrerin« dezidiert heterogene, teils kontroverse Darstellungen von »Islam« und »Muslimen« vor (die gerade auch die »Christen« sehr interessant finden, so die Aussage von Teilnehmer/-innen). Dies geschieht unter Beteiligung integrationspolitisch aktiver Repräsentant/-innen der Stadt, die einen »integrationspolitischen Blick« verkörpern. Dieser zeigt sich v.a. in späteren Interviews, wo in Bezug auf die Museumsführung und die Reaktionen der Moscheevertreter/innen tatsächlich über die Integrierbarkeit der »muslimischen« Gemeinden sinniert wird (Interview 3). Die »muslimischen« Gemeinden waren von der Konzeption der Ausstellung ausgeschlossen (IG 6, 8, 10), erhalten die Ausstellung aber durch eine Person vermittelt, die in der CIAG als »Muslimin« aktiv ist und als deren Vertreterin spricht – jedoch nicht in den organisierten Gemeinden aktiv ist. Es bildet sich eine Differenzlinie zwischen (a) den »Muslimen« aus den Gemeinden und (b) der »Allianz« aus städtischen Vertreter/-innen und der »muslimischen« Co-Kuratorin, die durch die Ausstellung führt. Diese Differenzachse wird aber aufgeweicht, da die Co-Kuratorin der Ausstellung als »Muslimin« auftritt. In dieser »Kartierung« lassen sich verschiedene Stränge des Zusammenbringens identifizieren: Städtische Vertreter/-innen, »Christen« und »Muslime« interagieren im Kontext einer gemeinsamen Unternehmung; Vertreter/-innen der Moscheegemeinden setzen sich mit einer progressiven »muslimischen« Konvertitin auseinander; in einem abstrakten Sinne interagieren die Gemeindesprecher/-innen aber auch mit den museal dargestellten »muslimischen« Persönlichkeiten. Die Förderung solcher Begegnungen, Beziehungen und Kontakte wird sodann als funktionierender lokaler Dialog rationalisiert. Für die Erlanger Integrationsbeauftragte übersetzt sich Dialog entsprechend in den Appell: »Macht was zusammen! Kreiert kunterbunte Konstellationen von Kirchengemeinden und Migrantenselbstorganisationen oder von verschiedenen Glaubensrichtungen, aber macht was zusammen. So lernt ihr euch besser kennen und, äh, ihr bringt auch
8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
ganz andere Leute zusammen […]. Und nur, wenn man eben mal mit einem etwas andere[n], äh, Partner kooperiert, […] gibt’s ganz neue Konstellationen, also des ist des, was ich unter interkulturellem Dialog auch versteh […]. Dass sich Leute, äh, die sich sonst eben vielleicht nicht, äh, so über den Weg laufen, dass man da mit solchen, mit solchen Maßnahmen [des Dialogs; Anm. J.W.] die Möglichkeit schafft, dass sich Leute begegnen, die sonst, äh, sich einfach nicht über den Weg laufen wollen. […] Also das ist auch ein ganz wichtiger Anspruch, den wir da pflegen und ähm, […] die Muslime haben sich da jetzt viele Jahre lang […] mit dem Tag der offenen Moschee beteiligt, der ja auch immer sehr gut genutzt wird.« (Interview 1)
8.1.3
Das Wahrscheinlichmachen bestimmter Begegnungen, Gespräche und körperlicher Kopräsenzen in lokalen Beziehungsökonomien
Das Zusammenbringen und Zusammenkommen bestimmter Personen erscheint mir als Praxis, durch die der lokale Dialog als Regierungstechnologie »lebt« und fortschreitet. Wie kann nun jene Idee, dass sich Leute begegnen sollen, »die sich sonst eben vielleicht nicht, äh, so über den Weg laufen« (Interview 1), als Element der Dialogtechnologie verstanden werden? Auf einem »islamischen« Fastenbrechenfest als Abschluss des Ramadan am 19.06.2017 in der »Blauen Moschee« der TIG, das als eine öffentliche Dialogveranstaltung inszeniert wurde (TB 24), stand ich neben einem Vertreter einer »christlichen« Bildungsinstitution, als sich dieser mit einer Vertreterin der TIG vergleichsweise ausgelassen über den wachsenden Anteil der Frauen im Vorstand des Moscheevereins unterhielt. Als ein Imam der TIG in die Nähe der beiden kam, fragte der »christliche« Vertreter die TIG-Sprecherin sogleich, ob sie diesen »kurz herholen könnte«, was selbige umgehend in türkischer Sprache tat (und sodann auch als Übersetzerin fungierte). Sie fragte: »Das ist unser Imam, kennen Sie ihn?« Daraufhin antwortete der »christliche« Vertreter: »Ja, wir haben uns schon einmal gesehen, und ich habe ihm sogar ein Buch geschenkt über das Weltethos und die Gemeinsamkeiten der Religionen. Spricht er denn schon deutsch?« (Sinngemäße Zitate, kurz nach der Beobachtung im Notizbuch gesichert) Daraufhin wurde festgestellt, dass der Imam noch kein Deutsch spreche. Der »christliche« Vertreter ließ noch fragen, ob der Imam das Buch gelesen oder sich darüber informiert hätte. Letzterer ließ via Übersetzerin antworten, dass er das Thema kenne. Daraufhin kam es zu einem kurzen Austausch über jenes »Weltethos«, wobei sich der »christliche« Vertreter und der Imam auf die Relevanz des interreligiösen Austauschs verständigten1 . Im Erlanger Dialog zirkuliert dabei durchaus die Ansicht, dass der »Islam« solche Perspektiven, wie sie in der Idee des interreligiösen 1
Die Idee des »Weltethos« geht auf den Theologen Hans Küng zurück. Er entwickelte die Vorstellung, dass für einen Weltfrieden auch ein Religionsfrieden erreicht werden müsse und die Religionen dafür ein gemeinsames ethisch-moralisches Gerüst zu entwickeln hätten. Dabei sollten gläubige und nicht gläubige Menschen eingebunden und miteinander in eine Beziehung gebracht werden. Küng entwickelte des Weiteren theologische Grundlagen für interreligiösen Dialog. Auch sollen Gläubige aus ihrem Religionsverständnis heraus erkennen, dass es eine übergeordnete Wertebasis geben muss, an der sie auch mit Nichtgläubigen zusammenarbeiten müssen (vgl. hierzu: www.weltethos.org; kurze Zusammenfassung bspw. unter: www.buecher.de/shop/ethik/projektweltethos/kueng-hans/products_products/detail/prod_id/04597756/, 18.12.2017).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Weltethos zu finden sind, nicht überzeugend genug formulieren könne (TB CIAG 3, 4; TB 21, 25; IG 9; Gespräch mit derselben Person im Kontext von: TB 18; Interview 7). Die konkrete Operativität der Macht im lokalen Dialog ergibt sich nun daraus, dass Situationen wie diese hervorgebracht werden, indem der Rahmen für solche Interaktionen modelliert wird (Foucault 2005 [1982]). Ich deute dabei die Machtoperativität in solchen Situationen als Teilelement eines governing through friendship. Dabei ist mit diesem Begriff gerade die Abhängigkeit der Machtoperationen von konkreten, interpersonalen und lokalen Begegnungen zu markieren; Begegnungen, die zudem als Ausdrucksformen eines auf Verständnis und Augenhöhe basierenden Dialogs rationalisiert werden. Ein solches governing through friendship ist damit grundsätzlich eine lokale Angelegenheit. Die konkreten interpersonalen und lokalen Begegnungen geben dieser Praxis der Machtausübung erst ihre materielle Form. Ferner verankert sich governing through friendship in bestimmten (lokalen) Subjektivitäten. Es basiert auf Subjekten des Dialogs, die sich als solche erst über die Internalisierung spezifischer Fähigkeiten und Dispositionen konstituieren. Fähigkeiten und die Bereitschaft, auf lokaler Ebene bestimmte Veranstaltungen und Orte überhaupt aufzusuchen und mit bestimmten Leuten das Gespräch zu finden. Erst dann kann sich eine Machtpraxis etablieren, die durch das strukturierte Zusammenkommen von Personen getragen wird, die allesamt davon ausgehen, sich etwas Bestimmtes sagen zu müssen. Das Zusammenkommen im obigen Beispiel ist dabei insofern strukturiert, als das Thema des verschenkten und besprochenen Buches (das interreligiöse Prinzip des Weltethos) zum Rahmen der gleichzeitig praktizierten Begegnung (»Christ« trifft »Muslim«) sowie zum entsprechenden sozialräumlichen »Setting« passt. Das Buchthema der Interreligiosität wird im Kontext eines »islamischen« Festes aufgeworfen, zu dem politische, gesellschaftliche und »christliche« Vertreter/-innen eingeladen wurden und welches folglich als interreligiöse Begegnung neu ausgerichtet wurde. Das Reden über das Buch ist ferner auch deshalb strukturiert, da es ganz im Sinne der Identitätsordnung des Dialogs ein »christlicher« Theologe ist, der diesen Buchtipp an einen »islamischen« Imam richtet, und es sich bei dieser Praxis also um eine Begegnung handelt, die als interreligiöser Erfahrungsaustausch sowie als logische Fortführung der etablierten »runden Tische« rationalisierbar ist. Diese Strukturierung ist wiederum in überlokale Problematisierungen, Diskurse und Regierungsformationen eingebettet, wie sie z.B. in den Kapiteln 3 und 5 diskutiert wurden. Der entsprechende Rahmen schafft die Plausibilität eines solchen Gesprächs rund um eine »Buchempfehlung«. Vor dem Hintergrund eines »muslimisches« Festes, das als dialogisches Event im Sinne interreligiöser Kommunikation geöffnet wurde, werden Gespräche über Interreligiosität ohnehin provoziert. Die konkrete Praktik des Verschenkens eines Buches über das Weltethos basiert also auf einer umfangreicheren Praxis des Dialogs sowie auf bereits bestehenden, als Dialog rationalisierten Beziehungen: Dass der »christliche« Vertreter überhaupt ein Buch verschenkte, basierte in etwa darauf, dass er sich selbst schon länger in einer interreligiösen Beziehung zu der entsprechenden »muslimischen« Gemeinde wähnt und viele Gemeindevertreter/-innen bereits kennt. Auch dem Imam wurde er bereits einmal vorgestellt – so wie es sich im Kontext Dialog eben eingespielt hat, dass die religiösen Gemeinden neues »Personal« den jeweils »anderen« Dialogparteien vorstellen. Sowohl die Praktik des »Bücher-Schenkens« als auch
8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
das Thema des Buches sind eingeschrieben in die Pflege lokaler Beziehungen, die als Bemühung um gegenseitiges Verständnis aufgefasst wird. Als governing through friendship entfaltet sich der Dialog in und durch solche »kleinen Praktiken« auf Ebene der Interaktion, wobei diese vorwiegend ethnographisch zu erfassen sind. Diese Praktiken und Interaktionen sind aber, wie gezeigt, keine individualistischen Ereignisse, sondern Elemente eines strukturierten Regierens. Dabei, so meine These, ergibt und stabilisiert sich die Regierungsform des Dialogs – und deren Machtform des governing through friendship (vgl. nächste Kapitel) –, indem die Erfahrungen aus solchen Interaktionen (über die in den Dialogsitzungen auch vielfach gesprochen wird) in die Gestaltung der Regierungskunst integriert werden. Über jene »kleinen Praktiken« wird Dialog erst kommunizierbar gemacht, wobei die Regierungskunst sich dann als Systematisierung und Rationalisierung solch »kleiner Praktiken« entfaltet. Im Vollzug der »kleinen Praktiken« (zwischen Imam und »christlichem« Vertreter), im nachfolgenden Reden über und im Erinnern solcher und ähnlicher Interaktionen in den Dialogsitzungen und in der dabei stattfindenden (Re-)Produktion gemeinschaftlicher Erfahrungshorizonte wird die Regierungskunst geschaffen. So sagte ein FMGEModerator in einer Sitzung: »Es ist gut, dass wir auch außerhalb der Sitzungen immer mal wieder Gelegenheiten finden, über unsere Glaubensansichten zu sprechen.« (Sinngemäßes Zitat, aus: TB FMGE 2) Ohne dass er hier konkrete Situationen nannte, lässt sich die These aufstellen, dass bereits solch kurze Begegnungen wie die oben skizzierte als jene »Gelegenheiten zum Austausch« rationalisiert sowie als Zeichen des guten Verhältnisses angeführt werden (können). Als Regierung materialisiert sich der lokale Dialog dann über die Wahrscheinlichmachung solcher »kleinen« Interaktionen, die auf der Ebene persönlichen Kennens ablaufen, sich als lokal vermittelte Face-to-FaceBegegnungen entfalten und im weiten Kontext einer als Dialog rationalisierten Machtbeziehung wirken können, innerhalb welcher der interpersonale Erfahrungsaustausch zum moralischen Prinzip eines Interesses am »Anderen« avanciert (was z.B. im Text von Forssmann [2006] zu erkennen ist, eines ehemaligen Erlanger Dialogaktiven). Der Dialog erhält Gestalt über das strukturierte Aufgreifen körperlicher Kopräsenzen in lokalen Beziehungsökonomien. Dabei basieren die Beeinflussungsimpulse weniger auf religiös-theologischen Argumenten als vielmehr auf der Kraft und Dynamik der körperlichen Begegnung selbst (plus Kontext), die performativ das Interreligiöse als Prinzip verkörpert und bejaht sowie mit dem Motiv der »guten« lokalen Beziehung zwischen »Christen« und »Muslimen« verknüpft ist. Der Zugriff auf »Islam« im Modus des Dialogs beeinflusst »muslimische« Identitätskonzepte folglich in indirekter Weise über die Generierung von Impulsen für ein Neudenken »islamischer« Identität durch das Zusammenbringen des »muslimischen« Subjekts mit anderen Subjekten. Abschließend sei methodologisch noch angemerkt, dass zwar natürlich jede Regierungspraxis immer auch auf lokalen Beziehungen beruht, die Regierungsform des »lokalen Dialogs mit Muslimen« jedoch in besonderem Maße und auch programmatisch auf lokale Beziehungen abzielt und diese systematisch integriert. Auch deshalb ist die analytische Annahme einer im Lokalen spezifisch wirksam werdenden Machttechnologie weiter zu verfolgen.
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Gouvernementalität der Freundschaft
8.2
Mikroräume dialogischen Regierens und das beiläufige Regieren »muslimischer« Differenz: abendliche Philosophierkreise und sicherheitspolitische Abfragen beim Schuhebinden
Die Ausrichtung des Dialogs als Praxis der Stärkung und Kultivierung persönlicher und lokaler Kontaktstrukturen eröffnet gerade auf der Mikroebene konkreter Interaktionen und alltäglicher Praktiken neue Räume, in denen sich integrationspolitische Steuerungseffekte entfalten können. Dies zeigte sich bereits am Beispiel der Unterhaltung zwischen »christlichem« Vertreter und Imam über das »Weltethos«. Dazu möchte ich einige weitere, besonders markante Beispiele einbringen, die das dialogische Operieren auf Mikroebene beleuchten und dabei aufzeigen können, in welchen verschiedenen informellen und »beiläufigen« Kontexten auch jenseits der Dialogsitzungen integrationspolitisch regiert wird. Ganz grundsätzlich werden lokale Beziehungen dafür genutzt, um die »muslimischen« Gemeinden effektiver in das gesellschaftspolitische Geschehen vor Ort einzubinden. Es sind lokal gewachsene Kontaktstrukturen, über welche eine fortlaufende Involvierung der »Muslime« in die Felder »Integration« und »Prävention« sichergestellt wird. Im Vorfeld eines geplanten Vortrags zum Themenfeld »Salafismus und Prävention« in einer Erlanger Schule hat ein Lehrer dieser Schule, der Personen aus der Islamischen Gemeinde Erlangen (IGE) aus Dialogveranstaltungen kannte, die Gemeinde per E-Mail über den Vortrag informiert, damit diese dort Präsenz zeigen könne. Ein IGEVertreter schildert: »Also die [E-Mail; Anm. J.W.] hat ein Lehrer rumgeschickt […]. Da kommen wir zum Thema ›Kooperation‹, weil da kommt jetzt praktisch eine Veranstaltung zu Prävention, und dann fehlt nur noch die Islamische Gemeinde. Also, schick mal eine Mail dahin […] mit der Bitte das […] zur Kenntnis zu nehmen, so läuft das.« (Interview 18) Daraufhin hat die IGE in ihren Räumen ein Plakat zur Bewerbung der Veranstaltung aufgehängt (ebd.). Diese Weitergabe von Informationen an eine Moscheegemeinde mit dem Resultat ihrer Partizipation an einem Salafismusvortrag wird vom IGE-Sprecher als Dialog rationalisiert: »Das ist Dialog.« (Ebd.) Im Dialog werden die »muslimischen« Gemeinden einerseits zu bedeutsamen Ansprechpartner/-innen gemacht, müssen dafür aber andererseits integrationspolitisches Engagement zeigen. Die Dialogpraxis operiert ferner als ein Netzwerk, das mobilisiert werden kann, wenn städtische oder (zivil-)gesellschaftliche Individuen und Organisationen in Erlangen Fragen über »Islam« oder »muslimisches« Leben haben (oder mit Problemen im Umgang mit »Muslimen« konfrontiert sind). Hier können sich v.a. die in den Dialogkreisen aktiven »Muslime« als kompetente Ansprechpartner/-innen profilieren, was gleichzeitig mit der Übernahme neuer Verantwortungsbereiche einhergeht. Ein »muslimischer« IGE-Vertreter erläutert: »Wir werden immer angesprochen, also praktisch sei es von der Volkshochschule, von der Stadt, d.h. also wir sind, das hat sich jahrelang eingestellt, Kooperation, da gibt es Stellen, die wissen praktisch, dass wir Partner sind, wenn die Fragen haben, in, also religiöse Fragen, sprachlich, sonst was, Siemens schickt uns auch, wenn die Mitarbeiter
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haben und die haben Fragen, wann wie was, wir sind immer so ansprechbar […]. Es hat sich so eingebürgert, dass wenn jemand Fragen hat […], wenden die sich an uns automatisch.« (Interview 18; dazu auch: TB FMGE 9, 10) Dass die »Muslime« als Ansprechpartner/-innen bereitstehen, wird als Ausdruck des guten Verhältnisses interpretiert: »Es gibt ein Vertrauen zum Bespiel, he? Es gibt, äh, die fragen uns zumindest, wir sind ein Ansprechpartner.« (Interview 18) Die Integration von »Muslimen«, so zeigt sich, wird über lokale Netzwerke und dabei stets in Form einer Koproduktion zwischen städtischen, mehrheitsgesellschaftlichen, kirchlichen und »muslimischen« Positionen regiert. Wie ebenso gezeigt werden konnte, bildet die Pflege interpersonaler Kontakte und Beziehungen »vor Ort« immer auch die Grundlage für Praktiken der Unterstützung der »muslimischen« Organisationen – man denke an die Unterstützung im Fall islamophober Äußerungen eines/einer Lehrer/-in oder an die identitätspolitischen Allianzen im Vollzug gemeinsamer Kundgebungen. Die Pflege auch persönlicher und informeller lokaler Kontakte und Beziehungen wird aber genauso für integrationspolitische Zielsetzungen nutzbar gemacht. Ein illustratives Beispiel hierfür wären z.B. die Versuche eines »nicht muslimischen« FMGE-Mitglieds, zusammen mit »Muslimen« aus den Gemeinden einen informellen abendlichen Lesekreis zu gründen, in welchem dann z.B. reformerische Impulse innerhalb »islamischer« theologischer Debatten diskutiert werden könnten (TB FMGE 2; Interview 11). Im Ankündigungstext, der intern an alle FMGE- und CIAG-Mitglieder versandt wurde und mir vorliegt, steht dann bspw.: »Wir werden uns also z.B. mit Goethe und Faust ums Bibelübersetzen ca. 1500 bemühen. Uns mit einem oder mehreren der vielen ›Luther des Islam‹, z.B. Abu Zaid […], sowie mit Wittgenstein ›Die Welt ist alles was der Fall ist‹ (Tractatus), seinen Nachfahren und Kritikern befassen.« Mal abgesehen von der Tatsache, dass hier sehr heterogene und komplexe Inhalte eines zukünftigen Lesekreises vermengt werden – meiner Meinung nach auch mit ein Grund dafür, dass der Vorschlag zunächst keinen Erfolg hatte –, ist auch hervorzuheben, wie der lokale Dialog als Grundlage dafür erachtet wird, »muslimische« Subjekte in die verschiedensten abendlichen Aktivitäten einzubinden, um neue religiöse und politische Perspektiven zu erarbeiten. Meine These an dieser Stelle ist: Schon das bloße »Auftauchen« eines solchen Vorschlags einer im Dialog aktiven Person, die mit Vertreter/-innen der Moscheegemeinden in privat organisierten Abendveranstaltungen über Wittgenstein und theologische Reformen zu philosophieren gedenkt, muss im Kontext einer Dialogpraxis gesehen werden, die sich den Partizipierenden in der Form gepflegter und zu pflegender, enger lokaler Beziehungen darstellt bzw. in dieser Form (be-)greifbar gemacht wird. Erst im Kontext einer solchen Praxis können derartige Ideen überhaupt gedeihen. Ein weiteres Beispiel stellt der bereits erwähnte Moment dar, als ein FMGEModerator aufkommende religiöse Diskussionen innerhalb einer FMGE-Sitzung unterband und argumentierte, dass religiöse Diskussionen zwar im FMGE keinen Platz hätten, jedoch grundsätzlich wichtig seien. Im Anschluss sagte der FMGE-Moderator nämlich noch Folgendes zu allen Anwesenden (sinngemäße Rekonstruktion): »Man muss natürlich kritisch über Religion diskutieren, ja! Ich habe da auch eine persönliche Meinung und bin auch kritisch gegenüber manchen Aspekten im Islam, und ich
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Gouvernementalität der Freundschaft
rede darüber auch immer wieder, auch mit einigen Muslimen hier aus den Gemeinden, die ich kennen gelernt habe, zum Beispiel mal in persönlichen Treffen, am Abend, oder auch beim Essen.« (TB FMGE 2) Interessant ist hierbei der »Ort« oder die Domäne jener kritischen Gespräche über Religion: Es sind persönliche Gespräche »beim Essen« – hier zwischen einem städtischen Vertreter und ihm aus der Integrations- und Dialogarbeit bekannten Mitgliedern »muslimischer« Gemeinden –, im Zuge welcher dann über »Islam« gesprochen werden kann und soll. Auch hier zeigt sich, wie die Praxis persönlicher Kontakte zum Vehikel und Element einer auch normativen Beeinflussung »islamischer« Identitäten wird. Zuletzt möchte ich noch ein sehr konkretes Beispiel anführen, das über den spezifisch ethnographischen Zugang zur Dialogpraxis erschlossen werden konnte. Am Ende einer Sitzung des FMGE, die in den Räumlichkeiten einer der Moscheegemeinden stattfand, gingen die Teilnehmer/-innen zum Schuhschrank am Eingang des Moscheeraums, um die vorher ausgezogenen Schuhe wieder anzulegen. Während ich mir nun selbst die Schuhe anzog, konnte ich ein Gespräch zwischen einer kommunalpolitischen Vertreterin der Stadt und einem Vertreter einer Moscheegemeinde mithören. Ich habe das Gespräch im Anschluss aus dem Gedächtnis heraus nachgesprochen und dabei mit der Memofunktion meines Smartphones aufgenommen. Die städtische Vertreterin fragte den Moscheevertreter beiläufig, ihn dabei duzend: »[Vorname], sag mal, ich bin neulich an eurer Moschee vorbeigelaufen, und da sind mir so junge Männer mit langen Bärten aufgefallen. Kennt ihr die? Wer sind die?« Daraufhin antwortete der Moscheevertreter lachend, die sich aufdrängende Problematisierung mit Gelassenheit bearbeitend: »Ah, das sind einfach Studenten, einfach nur Studenten, die kommen oft.« Die städtische Vertreterin erwiderte: »Naja, Studenten, das ist ja jetzt weder positiv noch negativ. Ich mein, wisst ihr, was die so, vom Islam her, treiben?« Daraufhin rief ein weiteres Mitglied der Moscheegemeinde, welches das Gespräch mithörte: »Nicht immer nur das Schlechte denken, Frau [Nachname]!« Die städtische Vertreterin: »Moment, lieber einmal zu viel gefragt als zu wenig, mich interessiert das eben.« Daraufhin merkte der erste Moscheevertreter nochmals auf beruhigende und freundliche Art und Weise an: »Nein, natürlich muss man fragen. Wir kennen diese Gruppe aber gut, die machen nichts, die sind Mitglieder wie alle anderen. Und die haben echt große Bärte [lacht, auch die städtische Vertreterin lacht].« Die städtische Vertreterin beendete die Szene sodann mit den Worten: »Okay, aber ihr habt das im Griff, [Vorname], richtig?« »Natürlich«, so der Moscheevertreter. Das Beispiel zeigt, wie im lokalen Dialog »ernste« sicherheitspolitische Themen, die, wie einige Autor/-innen darstellten (Tezcan 2007; Schiffauer 2008; Rodatz u. Scheuring 2011), den politischen Umgang mit »Islam« und »Muslimen« prägen, quasi nebenbei und im Modus des unverbindlichen Gesprächs einander duzender Bekannter problematisiert werden. Genau auf diese Weise wird, so die These, Sicherheitspolitik im lokalen Dialog bearbeitbar gemacht. Im Vollzug der beschriebenen, informell eingefärbten Praktiken konnte die Frage nach Sicherheitsbedenken gestellt werden und gleichzeitig das Ziel der Anerkennung von »Muslimen« gewahrt bleiben. Die Form der Praktiken in ihrer situierten Performativität (Ott u. Wrana 2010) hatte den Effekt, dass die dem Stellen einer sicherheitspolitischen Frage innewohnende Exklusion von »Muslimen« als »gefährliche Andere« performativ abgepuffert wurde, indem
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die Praktiken aufgrund ihrer Informalität gleichzeitig Gemeinschaft und Vertrauen repräsentieren konnten. So produziert der lokale Dialog Möglichkeiten des »beiläufigen Regierens« von »Islam«. Kurze Zeit nach dieser Situation führte ich ein Interview mit ebenjenem Moscheevertreter, der von der politischen Vertreterin nach den »bärtigen Muslimen« gefragt wurde. In diesem lobte er das enge Verhältnis zwischen Stadt und »muslimischen« Gemeinden und explizit auch das Engagement ebenjener politischen Vertreterin im »Dialog mit Muslimen«. Man habe »ein offenes Verhältnis, also mit der Stadt, man diskutiert über alles, und es gibt eine gute Kooperation. Das sieht man im Dialog, […] in den Treffen, […] in dem Kontakt zum Beispiel zur [Nennung ebenjener städtischen Repräsentantin], […] das ist […] gut.« (Interview X; da ich in Bezug auf das obige Beispiel die Moscheegemeinde aus Gründen der Anonymisierung nicht nennen möchte, kann ich hier auch nicht den Vertreter charakterisieren) Der Moscheevertreter artikulierte es als besonders positiv, dass man »über alles diskutiere« (ebd.). In einer späteren CIAGSitzung (TB CIAG 10) sagte ein »muslimischer« IRE-Vertreter, dass er es positiv und bemerkenswert finde, dass die »Muslime« in Erlangen per Du mit teils auch hochrangigen politischen Referent/-innen sind. Man kann hier durchaus die These aufstellen, dass auch Kontrollfragen der obigen Art eng mit der kollektiven Rationalisierung des Dialogs als »positives Vertrauensverhältnis« verschnitten sind – und dann auch von »muslimischer« Seite her zumindest partiell akzeptiert werden. Alle in diesem Kapitel skizzierten Praktiken symbolisieren im Grunde das in die Dialogpraxis eingelagerte Motiv des vertrauensvollen Kontakts auf lokaler Ebene, operieren aber gleichzeitig als integrationspolitische Kontrolltechniken des/der »Anderen«.
8.3
Dialogexpert/-innen als »Schaltstellen«, die Dialoggruppen als informelle Netzwerke und die Etablierung eines tiefgehenden Zugangs zum »Islam«
Der informell-bekanntschaftsbasierte Zugang zu »Islam« und »Muslimen« wird in den Dialogforen CIAG und FMGE sowie in den damit verknüpften Netzwerken vorbereitet und findet in diesen Gruppen einen Ankerpunkt. Darüber hinaus wird diese Form des Zugangs zum lokalen »Islam« auch in verschiedenen, als Dialog markierten Veranstaltungen praktiziert (TB 3, 24, 26). In den nächsten Kapiteln soll zunächst gezeigt werden, wie die Dialogforen als informelle Bekanntschaftsnetzwerke artikuliert werden und wie sie als solche auch in der lokalen Verwaltung Wertschätzung als Informationsquellen erfahren. Abschließend wird diskutiert, inwiefern diese Praxisform von Dialog mit einer spezifischen Emotionalisierung der Dialogbeziehungen zusammenhängt.
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8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
die Praktiken aufgrund ihrer Informalität gleichzeitig Gemeinschaft und Vertrauen repräsentieren konnten. So produziert der lokale Dialog Möglichkeiten des »beiläufigen Regierens« von »Islam«. Kurze Zeit nach dieser Situation führte ich ein Interview mit ebenjenem Moscheevertreter, der von der politischen Vertreterin nach den »bärtigen Muslimen« gefragt wurde. In diesem lobte er das enge Verhältnis zwischen Stadt und »muslimischen« Gemeinden und explizit auch das Engagement ebenjener politischen Vertreterin im »Dialog mit Muslimen«. Man habe »ein offenes Verhältnis, also mit der Stadt, man diskutiert über alles, und es gibt eine gute Kooperation. Das sieht man im Dialog, […] in den Treffen, […] in dem Kontakt zum Beispiel zur [Nennung ebenjener städtischen Repräsentantin], […] das ist […] gut.« (Interview X; da ich in Bezug auf das obige Beispiel die Moscheegemeinde aus Gründen der Anonymisierung nicht nennen möchte, kann ich hier auch nicht den Vertreter charakterisieren) Der Moscheevertreter artikulierte es als besonders positiv, dass man »über alles diskutiere« (ebd.). In einer späteren CIAGSitzung (TB CIAG 10) sagte ein »muslimischer« IRE-Vertreter, dass er es positiv und bemerkenswert finde, dass die »Muslime« in Erlangen per Du mit teils auch hochrangigen politischen Referent/-innen sind. Man kann hier durchaus die These aufstellen, dass auch Kontrollfragen der obigen Art eng mit der kollektiven Rationalisierung des Dialogs als »positives Vertrauensverhältnis« verschnitten sind – und dann auch von »muslimischer« Seite her zumindest partiell akzeptiert werden. Alle in diesem Kapitel skizzierten Praktiken symbolisieren im Grunde das in die Dialogpraxis eingelagerte Motiv des vertrauensvollen Kontakts auf lokaler Ebene, operieren aber gleichzeitig als integrationspolitische Kontrolltechniken des/der »Anderen«.
8.3
Dialogexpert/-innen als »Schaltstellen«, die Dialoggruppen als informelle Netzwerke und die Etablierung eines tiefgehenden Zugangs zum »Islam«
Der informell-bekanntschaftsbasierte Zugang zu »Islam« und »Muslimen« wird in den Dialogforen CIAG und FMGE sowie in den damit verknüpften Netzwerken vorbereitet und findet in diesen Gruppen einen Ankerpunkt. Darüber hinaus wird diese Form des Zugangs zum lokalen »Islam« auch in verschiedenen, als Dialog markierten Veranstaltungen praktiziert (TB 3, 24, 26). In den nächsten Kapiteln soll zunächst gezeigt werden, wie die Dialogforen als informelle Bekanntschaftsnetzwerke artikuliert werden und wie sie als solche auch in der lokalen Verwaltung Wertschätzung als Informationsquellen erfahren. Abschließend wird diskutiert, inwiefern diese Praxisform von Dialog mit einer spezifischen Emotionalisierung der Dialogbeziehungen zusammenhängt.
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Gouvernementalität der Freundschaft
8.3.1
»Erster Anlaufpunkt«: die Installation von Dialogexpert/-innen als »Schaltstellen« und Vertrauenspersonen und die Dialogarbeit als Querschnittsaufgabe
Ein Mitarbeitender der kommunalen Verwaltung, namentlich des Diversity-Büros Erlangen, spricht aus einer Außenperspektive über jene Arbeitskreise, die einen »Dialog mit Muslimen« anstreben, wie folgt: »Also […] das ist alles über die Frau [Name einer politischen Vertreterin der Stadt, die in beiden Dialogkreisen aktiv ist, Interviewpartnerin 6], weil die halt da die Netzwerke hat. Die ist im dauernden Austausch, auch wenn es irgendwelche Herausforderungen gibt oder wenn, was weiß ich, ein Kind geboren wird, wenn also so für den religiösen Alltag für die Leute was Wichtiges ist, und da […] also da hat die Frau [Name] einen sehr engen Kontakt. Aber das geht überhaupt nicht über mich, das heißt dieser ganze Bereich Religion, der zieht immer an mir vorbei und wird dann auf so einer sehr praktischen Ebene sozusagen direkt umgesetzt [durch die Dialogaktiven innerhalb der Stadt; Anm. J.W.]. Also die haben auch, die rufen sich einfach an, das ist ja eine kleine Stadt, und da ist der Draht wohl sehr eng.« (Interview 17) Nicht nur drückt sich hier der enge, auf persönliche Kontakte ausgerichtete Austausch zwischen Vertreter/-innen der Stadt und den religiösen, v.a. »muslimischen« Gemeinden aus; es zeigt sich auch, dass die Themen innerhalb dieser Austauschpraxis durchaus persönliche und familienbezogene Aspekte (Geburt eines Kindes, familiäre religiöse Feiern etc.) darstellen können. Im umfassenden Sinne wird hier der interreligiöse Dialog als eine solche persönliche Beziehung rationalisiert. Wie gezeigt, nimmt dabei insbesondere die CIAG die Funktion ein, Informationen zwischen Stadtverwaltung und den religiösen Gemeinschaften zirkulieren zu lassen. Eine Integrationsbeauftragte merkt an, dass »alle Themen, die Muslime hier natürlich beschäftigen können, […] in diesem Arbeitskreis [der CIAG] auch an uns [Integrationsbüro] herangetragen worden [sind]« (Interview 1). Über CIAG und FMGE können sich städtische und »muslimische« Vertreter/-innen unkompliziert und regelmäßig austauschen – so in etwa in der Frage der Gestaltung einer Aussegnungshalle auf einem Erlanger Friedhof, die in den frühen 2000er Jahren mit mobilen, abnehmbaren religiösen Symbolen ausgestattet wurde (Interview 1). Dabei sei der Dialog auch dadurch geprägt, so die Integrationsbeauftragte, dass die Stadtführung, die lokale Politik und Verwaltung, auf eine institutionalisierte Art und Weise »wichtige Symbole« (Zitat) an die »Muslime« senden, z.B. regelmäßige Glückwünsche zu religiösen Festen oder Solidaritätsbekundungen angesichts problematischer Entwicklungen in den öffentlichen Debatten über »Islam«. Dies wird getan, um »den Muslimen gegenüber […] zu zeigen, ja, wir sehen euch, ihr seid hier anerkannt, ihr seid wertgeschätzt, ihr seid Teil der Stadtgesellschaft« (Interview 1). Viele Dialogaktive auf »muslimischer«, »christlicher« und städtischer Seite (Interviews 1, 3, 6, 8, 12) betonen die Notwendigkeit persönlicher Beziehungen zwischen Vertreter/-innen der Stadt und der »muslimischen« Gemeinden für das Funktionieren des Dialogs und sprechen lobend von der Existenz solcher Beziehungen in Erlangen. So betonte ein ehemaliger Oberbürgermeister in einer abgedruckten Rede im Kontext einer städtischen Integrationskonferenz ausdrücklich die »persönlich[en] Gespräche mit den Vorsitzen-
8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
den des Türkisch-Islamischen Kulturvereins und der Islamischen Gemeinde« (Stadt Erlangen 2011: 7-8). Die Integrationsbeauftragte Erlangens hält es (exemplarisch) für bemerkenswert und positiv, »was für einen einfachen Zugang Herr [Name eines lokalen »muslimischen« Gemeindevertreters] hier in die Verwaltung und auch natürlich zur politischen Führung [hat]« (Interview 1). In einem informellen Gespräch während einer Autofahrt von München nach Erlangen (IG 2; nach gemeinsamem Besuch des Bayerischen Islamforums) erklärten mir zwei im Dialog aktive politische Vertreter/-innen Erlangens, dass sie sich selbst als »Schaltstellen« (Originalzitat) begreifen, die zwischen der »muslimischen« Bevölkerung in Erlangen, der Gesellschaft und der kommunalen Politik und Verwaltung vermitteln. Ganz in diesem Sinne werden die Dialogaktiven auch in der Verwaltung wahrgenommen (Interview 17). Gemäß der sich hier ausdrückenden Rationalität brauche es solche Personen, die eher informell und unkompliziert alle möglichen Themen, die die »Muslime« betreffen, zusammen mit diesen bearbeiten können. Zudem brauche es, so die Aussagen der politischen Vertreter/-innen, innerhalb der Stadt vertraute und kontinuierliche Ansprechpartner/-innen für die »Muslime« (IG 2). Hier drückt sich das politische Bestreben aus, »besondere« Beziehungen zwischen »ganzen/vollen« Individuen – auch auf privater Ebene – zu etablieren, um darüber die Integration von »Muslimen« zu regieren. Mit »ganzen/vollen« Individuen ist in analytischer Hinsicht gemeint: Statt »nur« sicherzustellen, dass die »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen je nach Sachlage und funktionalem Kontext entsprechend spezialisierte und wechselnde städtische (oder mehrheitsgesellschaftliche) Ansprechpartner/innen anlaufen können (z.B. bei Fragen des Moscheebaus im Bauamt, bei Fragen des Religionsunterrichts im Schulamt usw.), sollen »Muslime« v.a. vertraute Ansprechpartner/-innen vorfinden, die als zentrale Vermittler/-innen auf Basis persönlichen Kennens bei allen Fragen helfen oder diese weiterleiten können. Es werden also Ansprechpartner/innen konstituiert, die in einer individualisierten Art und Weise und als »ganze« Persönlichkeiten jenseits fachlicher und verwaltungstechnischer Engführungen stets erster Anlaufpunkt der »Muslime« sind und sich als Vertrauenspersonen profilieren können. Entsprechend wird als vorteilhaft rationalisiert, dass kommunale Vertreter/-innen in CIAG und FMGE einerseits »die Stadt« in den Dialog integrieren, sich aber andererseits eben nicht »nur« innerhalb eines eng abgesteckten, offiziell übertragenen Verantwortungsbereichs einbringen. Ein Referent für Soziales und Integration bspw. partizipiert an den Dialogkreisen als ebensolcher, aber darüber hinaus auch als jemand, der sich bereit zeigt, auch anderweitige (kommunale) Themenbereiche aufzugreifen, sowie nicht zuletzt auch als eine Privatperson, die daran interessiert sein mag, sich auch einmal mit einem eingeladenen »islamischen« Theologen auszutauschen. Die Etablierung solcher Schaltstellen entspringt der inneren Rationalität der Technologie des lokalen Dialogs, wodurch diese jedoch von Einzelpersonen abhängiger wird. Über jene »Schaltstellen« im »Dialog mit Muslimen« sagt eine Integrationsbeauftragte anerkennend: »Also jemand muss die Arbeit machen […], die politische Führung entsprechend briefen, wenn es da Leute gibt, die bestimmte [religiöse] Bedürfnisse haben. Und ich denke, die politischen Führungen sind in der Regel da offen dafür, aber es muss einfach jemand da sein, der des anmeldet und den Muslimen dann natürlich, auch anderen Religionsgemeinschaften, dann natürlich auch die Türen öffnet […]. Und dass man so was, äh,
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Gouvernementalität der Freundschaft
etabliert und institutionalisiert, dass die Zugänge da einfach möglich sind, von beiden Seiten.« (Interview 1)
Die Funktion des Dialogs als lokale Informationsquelle In der integrationsbezogenen Verwaltung der Stadt Erlangen – und hier auch seitens Personen, die nicht direkt an den Dialogforen beteiligt sind – werden die Dialogkreise CIAG und FMGE als wertvolle Informationsquellen bezüglich des lokalen »Islam« wahrgenommen und genutzt. Die in den Dialognetzwerken aktiven Personen werden in der Verwaltung als Akteure geschätzt, die in Bezug auf »Muslime« sozusagen »nah am Mann« bzw. »nah an der Frau« sind. Verwaltungsangestellte holen sich von den im interreligiösen Dialog aktiven Personen auch durchaus Informationen über »Islam« und »Muslime« ein – oder sie werden von den Dialogaktiven über religionsbezogene Aspekte informiert (Interview 17). Obschon bspw. ein/-e Mitarbeiter/-in aus dem Diversity-Büro einen expliziten Fokus auf »Islam« tendenziell abzulehnen schien, weil Religion kein explizites Thema für integrationsbezogene Politik und Verwaltung sei, artikulierte er/sie die (interreligiösen) Dialogkreise dennoch als wichtige Informationsquellen und damit als positiven Beitrag für integrationspolitisches Handeln (Interviews 17, 19). So erzählte er/sie z.B. davon, dass die Stadt Erlangen in Flüchtlingsunterkünften das Fastenbrechen organisiert hat und dafür mit Catering-Firmen zeitlich an den Ramadan angepasste Liefertermine aushandeln konnte. In Erlangen hätte es bereits ein großes Wissen über das »islamische« Fastenbrechen gegeben, und dies sei den im interreligiösen Dialog aktiven Personen zu verdanken: »Also es wird versucht, da drauf [religiöse Belange; Anm. J.W.] Rücksicht zu nehmen, und da ist ein sehr großes Bewusstsein in der Stadt. […] Ähm, also es gibt ja viele Städte, bei denen das dann irgendwie aufgeschlagen ist, als es zu spät war. Das ist, glaub ich, durch diese ganze Vorarbeit, die ja die Frau [dialogaktive politische Vertreterin; Interviewpartnerin 6] seit Jahrzehnten macht in dem Bereich interreligiöser Dialog, da gibt es halt ein viel größeres Wissen.« (Interview 17) Zusammenfassend ist zu konstatieren: Aus der Perspektive von Personen, die in der Verwaltung zu Integration aktiv sind, ohne direkt an den Dialogkreisen teilzuhaben (Interviews 17, 19), werden letztere als Arbeitsgruppen einiger weniger religionsinteressierter Akteure wahrgenommen, die im Vergleich zu etablierten Institutionen lokaler Politik und Verwaltung einen eher informellen Arbeitskreischarakter sowie die Funktion einer Beratungsinstanz aufweisen. Die Dialogaktiven werden als lokale »Expert/-innen« angesehen, die sich im Bereich »Religion« auskennen und Fragen über das lokale »muslimische« Leben beantworten können. Eine bestimmte politische Referentin z.B., so ein/e Vertreter/-in des Diversity-Büros, habe im Hinblick auf »Islam« und »interreligiösen Dialog« eine »total hohe Kompetenz und ein großes Wissen« (Interview 17), was damit einhergehe, dass sie, wann immer »im religiösen Alltag für die Leute was Wichtiges ist« (ebd.), in »einen sehr engen Kontakt« (ebd.) mit jenen religiösen Subjekten treten würde. Die Dialogaktiven werden als Personen gesehen, die wichtige Outreach-Arbeit in den lokalen religiösen Communitys praktizieren. Diese Outreach-Arbeit befähigt jene Dialogaktiven dann auch, an einer integrationspolitisch motivierten Modellierung lokaler Beziehungen zu arbeiten, wie sie in den vorherigen Kapiteln verschiedentlich
8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
dargestellt wurde. Insgesamt ist festzuhalten, dass im Regierungsfeld des Dialogs spezifische »Dialogexpert/-innen« aufgetaucht sind. Dabei können sowohl »städtische« als auch »christliche« oder »muslimische« Sprecher/-innen die Funktion jener »Dialogexpert/-innen« einnehmen – gerade auch eine »muslimische« CIAG-Teilnehmerin konnte sich bspw. vielfach als »Schaltstelle« und Moderatorin profilieren. Die Etablierung solcher »Dialogexpert/-innen«, die Bedingungen ihres Auftauchens und Wirkens, die damit verbundenen Praktiken, die Artikulation der Expert/-innen als Vertrauenspersonen und die dabei wirkenden Machteffekte sind allesamt Gegenstände von analytischem Interesse, die ab jetzt im Mittelpunkt stehen sollen.
8.3.2
Dialog als tiefgehender Zugang: Zusammenspiel von Rationalitäten und Praktiken
Meine These lautet, dass sich der Dialog als ein tiefgehender Zugang auf »Islam« und »Muslime« und damit als eine politische Praxis ausrichtet, die lokale Formen einer intensiven Beziehung/Bindung zwischen lokaler Gesellschaft, Stadt und »muslimischer« Bevölkerung anstrebt. Diese Konfigurierung der Dialogtechnologie entfaltet sich über zwei Register. Auf (a) Ebene der Praxis, der Routinen und Verfahrensweisen, konstituiert sich ein solcher Zugang über die Herstellung und Pflege kurzer Kommunikationswege, flacher Hierarchien und interpersonaler Kontakte, über die Sicherung einer zeitlichen Kontinuität von Ansprechpartner/-innen, über die skizzierte Forcierung personalisierter »Schaltstellen« in Politik und Verwaltung sowie ferner über eine ausgeprägte Praxis der Informalität (des informellen »Miteinander-Umgehens«), die weiter unten noch beschrieben wird (z.B. auffallend häufige Betonungen des freundschaftlichen Verhältnisses in den Dialogsitzungen, Praktiken sozialer Nähe wie Duzen, körperliche Interaktionen zur Begrüßung und zum Abschied, Berichten persönlicher, familiärer Erlebnisse, informelle Arbeitsatmosphäre usw.). Damit verknüpft, konstituiert sich der »tiefgehende Zugang« auch auf einer (b) symbolisch-programmatischen Ebene. Hier ist zum einen bereits auf die Integration des Gegenstands »Religion« in den Dialog zu verweisen, welche den Dialog als religionssensible und in diesem Sinne »tiefgehende« Technologie ausrichtet. In der Dialogpraxis wird vielfach ein Interesse an religiösen Praktiken und Erfahrungen kultiviert. Fragen des Glaubens sollen thematisierbar sein, insofern sie den adressierten religiösen Gruppen (»Muslime«) auch »am Herzen liegen« würden – was regelmäßig von »muslimischer« und »nicht muslimischer« Seite betont wird (z.B.: TB CIAG 9). Die Religionsbezogenheit des Dialogs soll es auch, so die Logik, den »Muslimen« ermöglichen, sich authentisch ausdrücken zu können (Telefonat mit Interviewpartnerin 3, 03.12.2017). Die Offenheit für religiöse Fragen wird mit der Herstellung von Verständnis und darüber mit Vertrauen und Zusammenhalt assoziiert: »Zusammenhalt über Verständnis«, wie ein IGE-Vertreter es ausdrückte (Interview 18). Die Möglichkeit, auch über religiöse Selbstverständnisse zu sprechen – und dies zudem mit einer gewissen religiösen »Musikalität« –, wird als Ausdruck eines verständnisorientierten und den »Muslimen« gegenüber aufgeschlossenen Dialogs verstanden, der über reine Toleranz hinausgehe. Letzteres wird dabei zum Programm: Statt bloße Toleranz sind tiefgehende Auseinandersetzungen notwendig, um Dialog sicherzustellen, wie es eine städtische Vertreterin in einer Rede auf der Vernissage zur
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Gouvernementalität der Freundschaft
Ausstellung »Muslime in Erlangen« ausdrückte (TB 10). Die Religionsoffenheit avanciert zur Grundlage des angestrebten ganzheitlichen Zugangs zu einer religiösen Gruppe, wobei die Pflege enger Kontakte und die Etablierung von Ansprechpartner/-innen als praktizierte Ausdrucksformen jener Programmatik (be-)greifbar werden können. Ein solch »tiefgehender« und religionsbezogener Dialog macht religiöse Identitäten und Praktiken bedeutsamer, ermöglicht aber gleichzeitig auch deren integrationspolitisch eingebettete Problematisierung. Die Rationalität der interreligiösen Stärkung gegenseitigen Verständnisses forciert den Aufbau von Wissen über das »muslimische« Leben in all seinen kulturellen und religiösen Ausprägungen, wodurch alle möglichen Aspekte »muslimischen« Lebens auch zu Objekten des Regierens werden können. Das programmatische »Verstehen-Wollen« des »Anderen« einerseits und die Praxis der Kultivierung persönlicher Beziehungen andererseits sind, so die These, zwei Seiten einer Medaille, die in der Summe den Boden für das dialogische Regieren bilden. Beide Aspekte etablieren gemeinsam jene Technologie der Macht, die den Dialog durchfließt und die ich in den nächsten Kapiteln als eine »Gouvernementalität der Freundschaft« diskutieren werde. Dafür soll nun der Blick auch auf die Emotionalitäten im Dialog gerichtet werden.
8.4
»Echte Freundschaften«, die Fühlbarmachung von Gemeinschaft und die Frage nach der Emotionalität des Dialogs: neue theoretische und methodologische Blickwinkel
Im Rekurs auf alle bislang beschriebenen Praktiken lässt sich eine weitere, sehr eigene Dimension des Dialogs anführen. Diese ist mit den beschriebenen Versuchen der Etablierung eines tiefgehenden Verhältnisses und mit der angestrebten Produktion einer lokalen Dialoggemeinschaft verbunden. Es handelt sich um die Dimension der Emotionalität. Die Dialogpraxis zielt immer auch auf die Produktion von Gemeinschaftlichkeit und sozialer Nähe vor Ort. Diese Produktionen sind, so möchte ich argumentieren, mit Emotionalitäten verschränkt, die mit spezifischen Macht- und Regierungseffekten einhergehen. Dabei scheint gerade die Praxis der Informalität mit Emotionalisierungspraktiken verknüpft.
Informalität, Gemeinschaft und die Praktiken sozialer Nähe Die ethnographische Beobachtung der Dialogpraktiken ließ mich im Verlauf meiner Feldforschung zunehmend die Überlegung aufgreifen, dass die Dialogpraxis mit der Herstellung einer emotional prozessierten »Atmosphäre des Miteinanders« einhergeht. Als politische Praxis, die persönliche Bekanntschaften zum Gegenstand erhebt, schien mir der Dialog eine solche Atmosphäre im Sinne lokaler Gemeinschaftlichkeit besonders zu fördern. So beobachtete ich in diesem Zusammenhang, dass die Dialogpraxis von einer auffälligen Informalität durchzogen ist. Alle Dialogteilnehmer/-innen duzen sich (auch lokalpolitisch »hochranginge« Personen duzen und lassen sich duzen), teils umarmen sich dialogaktive Personen zur Begrüßung und zum Abschied. Die Partizipant/-innen in den Sitzungen der CIAG und des FMGE praktizieren eine nicht hierarchische Sitzordnung, scherzen und lachen oft miteinander und pflegen einen Aus-
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Gouvernementalität der Freundschaft
Ausstellung »Muslime in Erlangen« ausdrückte (TB 10). Die Religionsoffenheit avanciert zur Grundlage des angestrebten ganzheitlichen Zugangs zu einer religiösen Gruppe, wobei die Pflege enger Kontakte und die Etablierung von Ansprechpartner/-innen als praktizierte Ausdrucksformen jener Programmatik (be-)greifbar werden können. Ein solch »tiefgehender« und religionsbezogener Dialog macht religiöse Identitäten und Praktiken bedeutsamer, ermöglicht aber gleichzeitig auch deren integrationspolitisch eingebettete Problematisierung. Die Rationalität der interreligiösen Stärkung gegenseitigen Verständnisses forciert den Aufbau von Wissen über das »muslimische« Leben in all seinen kulturellen und religiösen Ausprägungen, wodurch alle möglichen Aspekte »muslimischen« Lebens auch zu Objekten des Regierens werden können. Das programmatische »Verstehen-Wollen« des »Anderen« einerseits und die Praxis der Kultivierung persönlicher Beziehungen andererseits sind, so die These, zwei Seiten einer Medaille, die in der Summe den Boden für das dialogische Regieren bilden. Beide Aspekte etablieren gemeinsam jene Technologie der Macht, die den Dialog durchfließt und die ich in den nächsten Kapiteln als eine »Gouvernementalität der Freundschaft« diskutieren werde. Dafür soll nun der Blick auch auf die Emotionalitäten im Dialog gerichtet werden.
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»Echte Freundschaften«, die Fühlbarmachung von Gemeinschaft und die Frage nach der Emotionalität des Dialogs: neue theoretische und methodologische Blickwinkel
Im Rekurs auf alle bislang beschriebenen Praktiken lässt sich eine weitere, sehr eigene Dimension des Dialogs anführen. Diese ist mit den beschriebenen Versuchen der Etablierung eines tiefgehenden Verhältnisses und mit der angestrebten Produktion einer lokalen Dialoggemeinschaft verbunden. Es handelt sich um die Dimension der Emotionalität. Die Dialogpraxis zielt immer auch auf die Produktion von Gemeinschaftlichkeit und sozialer Nähe vor Ort. Diese Produktionen sind, so möchte ich argumentieren, mit Emotionalitäten verschränkt, die mit spezifischen Macht- und Regierungseffekten einhergehen. Dabei scheint gerade die Praxis der Informalität mit Emotionalisierungspraktiken verknüpft.
Informalität, Gemeinschaft und die Praktiken sozialer Nähe Die ethnographische Beobachtung der Dialogpraktiken ließ mich im Verlauf meiner Feldforschung zunehmend die Überlegung aufgreifen, dass die Dialogpraxis mit der Herstellung einer emotional prozessierten »Atmosphäre des Miteinanders« einhergeht. Als politische Praxis, die persönliche Bekanntschaften zum Gegenstand erhebt, schien mir der Dialog eine solche Atmosphäre im Sinne lokaler Gemeinschaftlichkeit besonders zu fördern. So beobachtete ich in diesem Zusammenhang, dass die Dialogpraxis von einer auffälligen Informalität durchzogen ist. Alle Dialogteilnehmer/-innen duzen sich (auch lokalpolitisch »hochranginge« Personen duzen und lassen sich duzen), teils umarmen sich dialogaktive Personen zur Begrüßung und zum Abschied. Die Partizipant/-innen in den Sitzungen der CIAG und des FMGE praktizieren eine nicht hierarchische Sitzordnung, scherzen und lachen oft miteinander und pflegen einen Aus-
8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
tausch auch persönlicher und familiärer Informationen und Geschichten, v.a. vor und nach den Sitzungen. Die Sitzungen sind vom steten Bemühen um eine lockere Umgangsweise geprägt; teils kommen einzelne Personen zu spät, was dann tendenziell mit allgemeinem Gelächter und witzigen Bemerkungen »quittiert« wird. Der beobachtende Zugang zum Dialog konnte aufzeigen, dass solche Praktiken sozialer Nähe in den Sitzungen durchaus viel Zeit in Anspruch nehmen und eine Art rituellen Anstrich erhalten. Die körperlichen Praktiken der Informalität und des »Miteinanders« werden in ebenso routinierten Redepraktiken vielfach auch explizit hervorgehoben und dabei sprachlich-diskursiv mit dem Motiv des vertrauensvollen Verhältnisses in Verbindung gebracht. So findet auch eine Art ritualhaftes Betonen des „guten« gegenseitigen Verhältnisses statt, das zudem auf eine »feierliche« Art und Weise im Sinne eines »gut Zuredens« praktiziert wird, während die Sprechenden mimisch und gestisch demonstrativ (Blick-)Kontakt mit der jeweiligen diskursiv konstituierten »Gegenseite« halten und mit betonender Intonation und anerkennender, warmer Stimme sprechen. Gerade die Ritualität ist im Dialog auffällig. Beobachten ließ sich in fast allen Sitzungen: ein ritualhaftes Erinnern gemeinsam erlebter lokaler Geschehnisse oder gemeinsam bewältigter Herausforderungen, die ritualhafte Betonung dessen, dass man sich hier in einem Arbeitskreis auf Augenhöhe befinde, das beständige Loben des Erscheinens von Personen (angesichts der Freiwilligkeit der Dialogteilnahme), das Reden über positive persönliche Eigenschaften und Eigenheiten einzelner Dialogteilnehmer/-innen (Person X sei immer so aufmerksam und engagiert, Person Y sei so angenehm aufgeschlossen usw.), das scherzhafte »Veralbern« von anwesenden Personen sowie das Artikulieren von heiteren Bemerkungen, bspw. bezüglich der Identität der teilnehmenden Personen. Als ein »muslimischer« Vertreter einige Minuten zu spät zu einer Sitzung erschien, sagte eine städtische Vertreterin: »Oh, jetzt steigt die muslimische Präsenz um weitere 20 Prozent«, was zu allgemeinem Gelächter führte (TB CIAG 10). Solche Rituale des Dialogs wurden v.a. am Anfang und am Ende der Sitzungen vollzogen (vgl. zu ritualisierten Praktiken der Gemeinschaftsherstellung: Sutter 2017). Oft beobachtbar waren in den Sitzungen gerade auch Praktiken der Metareflexion über den Wert enger, persönlicher Beziehungen. In einem Protokoll resümiert ein »christlicher« Dekan: »Versch[iedene] Religionen treffen sich auf unterer und oberer Ebene, Vernetzungen in persönlicher gegenseitiger Achtung, […] es gibt eine Kultur des Feierns, gegenseitige Grüße, [Erlangen] ist da weit im gepflegten Dialog. Auch vor Ort erfolgt Kontakt in den ›Quartieren‹, in versch. Gemeinden.« (CIAG-Protokoll 12.03.2013) Innerhalb dieser Verhältnisse bzw. innerhalb der Regierungspraxis, die diese Verhältnisse (re-)produziert, manifestiert sich nun, so die Arbeitshypothese, eine spezifische Emotionalisierung, die mit der angestrebten Produktion eines Miteinanders bzw. mit dem Gemeinschaftsnarrativ in Verbindung zu stehen scheint. Im Folgenden möchte ich genau diese Dimension des Emotionalen oder der Emotionalisierung auf ihre Macheffekte hin untersuchen, wozu ich governing through friendship als Perspektivierung verwenden möchte.
8.4.1
Emotionalisierte Sprache
Die Selbstbeschreibung des Dialogs findet vielfach in einer emotionalisierten Sprache statt, die von dialogaktiven Personen »gesprochen« wird. Während z.B. Personen aus
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Gouvernementalität der Freundschaft
der kommunalen Verwaltung, die nicht direkt in den Dialogarbeitskreisen aktiv sind, selbige als relevante Informationsquellen und Instrumente der Integrationspolitik erachten, artikulieren sie den Dialog jedoch nicht auf eine derartig moralisch aufgeladene, friedenspolitisch gerahmte und emotionalisierte Art und Weise wie die »Dialogaktiven« (siehe z.B.: Forssmann 2006; zudem: gesammelte teilnehmende Beobachtungen und Lektüre zahlreicher E-Mails). So beschreibt ein ehemaliger Erlanger Dialogaktiver den Dialog als eine Praxis, an der man als »Lernender und Liebender« (Forssmann 2006: o.S.) teilhat: als jemand, der den »Anderen« mit Neugierde ergründet, dies als bereichernd erlebt und gefühlvoll Anteil nimmt (ebd.). Im Dialog gilt es, »die Schätze des Anderen zu entdecken«, dies sei dann »gelebte Liebe« (Zitate aus einer an alle Dialogmitglieder weitergeleiteten E-Mail einer dialogaktiven »muslimischen« Person, 2015). Ein ehemaliger Dialogaktiver führt aus: »Wir führen […] den Dialog aus Gründen der guten Nachbarschaft […] und wir führen […] den Dialog im Blick auf den Weltfrieden.« (Forssmann 2006: o.S.) Das mit positiven Empfindungen verknüpfte Ergründen des religiös und kulturell »Anderen« wird als friedenspolitischer Beitrag verstanden. Der ehemalige Dialogaktive Forssmann schreibt: »Wir wollen gebildete, informierte, fromme Leute sein, die mit ihren Mitbürgern in guter oder sogar freundschaftlicher Nachbarschaft leben in einer Welt, die sich in Richtung Frieden bewegt.« (Forssmann 2006: o.S.) Eine derart starke und emotionalisierte Rahmung findet sich nicht in den Interviews mit politischen Vertreter/-innen außerhalb der Dialogarbeitskreise. In den Artikulationen vieler Dialogaktiver jedoch wird das Subjekt des Dialogs nicht nur dazu aufgerufen, sich für Integration einsetzen: Es wird vielmehr in einer deutlich »größeren« Geste dazu aufgerufen, das Richtige zu tun, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen und dabei persönliche, emotionale, offene Bindungen mit anderen einzugehen. Solche emotionalisierten Aufrufe zum Dialog operieren dabei immer auch, so die These, als Sicherstellung von Dialogengagement. Die Subjekte des Dialogs erinnern und ermuntern sich regelmäßig daran, dass ihre ehrenamtliche Dialogarbeit einem größeren Projekt der Friedensbildung diene und vorbildhaft sei (aus: zahlreiche, zwischen den Dialogaktiven zirkulierende E-Mails, 2014-2017, die mir über die Verteiler zugänglich waren; für teils ähnliche Reflexionen über emotionalisierte Motivationspraktiken, jedoch im Kontext ehrenamtlichen Engagements für Geflüchtete: Sutter 2017).
8.4.2
Echte Freundschaften?!
Die skizzierte Emotionalität wird bisweilen auch explizit wahrgenommen und artikuliert. Eine bedeutende kommunalpolitische und städtische Vertreterin (»nicht muslimisch«) rationalisiert die lokalen dialogischen Beziehungen zwischen Stadt, Gesellschaft und »Muslimen« wie folgt: »Das Besondere ist, glaube ich auch, dass […] dadurch, dass wir das schon so lange machen, dass es eben keine fachliche Arbeitsgemeinschaft ist, sondern dass da auch private Freundschaften entstanden sind, was ähm, was das Vertrauen, das man hat, natürlich nochmal verstärkt, also wenn man die Leute eben nicht nur bei den Arbeitskreistreffen sieht, sondern, ähm, sich auch mal privat einlädt oder etwas zusammen unternimmt oder wie auch immer.« (Interview 6)
8. »… weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind«
Auch eine »muslimische« Vertreterin, die in der CIAG aktiv ist, resümiert, dass der Dialog in Erlangen »nicht nur aus einer Überzeugung für einen Rechtsstaat, an dem alle teilhaben können – Muslime, Juden, Christen, Atheisten – [heraus] passiert, sondern weil das auch freundschaftliche Begegnungen sind. Und das macht das Ganze besonders.« (Interview 3) Es ist bemerkenswert, dass hier u.a. ein Mitglied der lokalen Stadtspitze (erstes Zitat) »persönliche Freundschaften« mit Vertreter/-innen der lokalen »muslimischen« Bevölkerung als Ressource für einen effektiven Zugang zu und Umgang mit »Islam« und »Muslimen« artikuliert. Vor dem Hintergrund islamophober Tendenzen und aufgeheizter Islamdebatten (Attia 2009) seien solche »Freundschaften« u.a. zwischen städtischen und »muslimischen« Vertreter/-innen – und damit eine gewisse emotionale Bindung – von Vorteil. Man brauche belastbares, lokales Vertrauen und Kommunikationskanäle, um Abgrenzungsprozesse zu verhindern. Sowohl die Programmatik des »gegenseitigen Verständnisses« als auch die Pflege enger Kontakte – und sogar Freundschaften – scheinen das Fundament dafür zu bilden, auf welchem in emotionaler Art und Weise Gemeinschaft inszeniert werden kann. In diesen Momenten kommt die Regierungstechnologie einer Gouvernementalität der Freundschaft besonders deutlich zum Ausdruck. Der Dialog strebt an, dass Freundschaften entstehen, bzw. die Dialogtechnologie zielt auf die Wahrscheinlichmachung der Emergenz freundschaftlicher Beziehungen, insofern diese das konflikthafte Feld »Islam« und »Integration« bearbeitbar machen würden. Dabei scheinen emotionalisierte Motive (z.B. »Vertrauen«) wiederkehrende Bedeutung zu haben. Ich argumentiere, dass solche Tendenzen mit einer Emotionalisierung einhergehen, die im Regierungsvollzug aufgegriffen wird. Wie dieses »Emotionale« im Kontext eines integrationspolitisch eingebetteten Dialogs als operativer Aspekt des Regierens verstanden werden kann und inwiefern die Emotionalität des Dialogs zum Element der (Re-)Produktion von Machtverhältnissen wird, möchte ich nun genauer untersuchen. Um diese ab jetzt zentralen Forschungsfragen anzugehen, bietet sich governing through friendship als Perspektivierung an.
8.4.3
Rejustierungen von Methodologie und Methodik
Nachdem ich nun im Zuge der Feldforschung kontinuierlich solche und ähnliche Beobachtungen machte und über die angesprochenen Phänomene reflektierte, refokussierte ich fortan auch methodologisch und methodisch zunehmend auf jene Aspekte einer emotionalisierten Dialogpraxis. Das Regieren durch Dialog erschien mir zunehmend als der Versuch, Gemeinschaftsempfindungen hervorzubringen und zu stärken, um dadurch eine bestimmte Entwicklung sicherzustellen. So fragte ich verstärkt danach, welche Bedeutung jene heterogenen Praktiken für die Dialogtechnologie als Regierungsform haben können, die dezidiert auf die Kultivierung, Inszenierung und Sichtbarmachung lokaler Gemeinschaftlichkeit und »guter Beziehungen« abzuzielen scheinen. Auch fragte ich mich, ob es sich nicht auch um eine Art der Fühlbarmachung von Gemeinschaft handeln könnte und wie eine solche analytisch zu fassen wäre. Im Verlauf meiner fortschreitenden Kategorisierung und Analyse bereits erhobener Daten im Sinne des Vorgehens einer grounded theory – die meine Perspektive auf neue Daten (oder »neu gelesene« alte Daten) beständig veränderte –, nahm ich z.B. die beschriebenen Dialogrituale immer detaillierter in den Blick. Methodisch bspw. achtete ich nun ver-
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Gouvernementalität der Freundschaft
stärkt auf körperliche, gestische, mimische und sprachbezogene (Intonation, Tonlage usw.) Aspekte in Bezug auf die Aufführung solcher Rituale und Praktiken des Dialogs. Dabei deutete ich letztere als Techniken, die auf die Herstellung sozialer Nähe sowie eines angenehmen, freundschaftlichen und vertrauten, in gewissem Sinne emotionalisierten Settings dialogischer Begegnung zielen. In den qualitativen Interviews wiederum begann ich Fragen zu formulieren, die Aussagen über das Arbeitsklima, die Atmosphäre und die (persönlichen) Beziehungen in den Dialogkreisen generierten, und fragte auch detaillierter nach Abläufen und Umgangsweisen im Dialog sowie nach der persönlichen Wahrnehmung der Dialogarbeitskreise durch meine Interviewpartner/-innen. Gerade die skizzierte Informalität schien mir zunehmend deutlich mit der Produktion eines emotionalisierten Miteinanders verbunden. Die als informell inszenierte Praxis des Dialogs, aber auch die vielen programmatischen (Sprech-)Rituale der Gemeinschaftsbekundung, so die Arbeitsthese, könnten im Sinne einer steten (Re-)Zitation und dann auch (Be-)Greifbarmachung jener »privaten Freundschaften« und Vertrauensbeziehungen operieren, von denen die oben zitierte politische Vertreterin sprach. Solchen Zusammenhängen galt es nun verstärkt nachzugehen. Sutter in etwa beschreibt in Anlehnung an eine Studie von Juris (2008: 62) über affektiv-emotionale Mobilisierungen von Gemeinschaftsempfindungen im Kontext von Antiglobalisierungsprotesten, wie sich gerade »rituelle Performanzen […] auf die Emotionalisierung und Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der körperlich beteiligten [Individuen]« richten (Sutter 2017:12). Perspektiven dieser Art erschienen mir im Verlauf des zusammenhängenden Prozesses von Datengewinnung, Datenaufbereitung und Analyse zunehmend fruchtbar. So warf ich aus gouvernementalitätstheoretischem Blickwinkel heraus zunächst folgende Fragen auf: Inwiefern operiert der Dialog (immer auch) als eine emotionalisierte Produktion von Nähe und Gemeinschaft und inwiefern ist eine solche Produktion Teil des Regierens von »Islam« und »Muslimen« auf lokaler Ebene? Welche Machteffekte erzeugt eine solche Praxis und inwiefern kann sie als Element einer übergeordneten Beeinflussungstechnologie verstanden werden? Welche Bedeutung können Emotionen, Gefühle und Empfindungen haben – bspw. Emotionen lokaler Gemeinschaftlichkeit oder einer informellen »Nähe«? An dieser Stelle wird auch wichtig: Wie können Emotionen oder Emotionalisierungsprozesse überhaupt theoretisch konsistent gefasst und mit Gouvernementalität zusammengebracht werden? Findet im gouvernementalen Feld des Dialogs eine Art der Emotionalisierung statt, inwiefern wird sie (be-)greifbar gemacht, wie drückt sie sich aus, inwiefern ist sie machtanalytisch relevant und wie kann sie überhaupt theoretisch beschrieben werden? Zur Beantwortung all dieser Fragen ist es nötig, sich ausführlicher damit zu beschäftigen, welche Ansätze bereits vorliegen, die die theoretische und konzeptionelle Integration von Gouvernementalität und einer Perspektive auf Empfindungen, Gefühle, Emotionen oder auch Affekte ermöglichen. Dem widmet sich das folgende Kapitel, das zuerst knapp die Gegenstände »Emotion« und »Affekt« in den Kultur- und Sozialwissenschaften (inklusive der Geographie) anreißt, um sodann ausführlicher eine Diskussion der Frage zu leisten, welche Perspektivenerweiterung die Auseinandersetzung mit »Emotion« und »Affekt« in einer Analyse des Regierens erzeugen kann.
9. Gouvernementalität und Emotion Forschungsstränge und Perspektiven
Die Konzepte »Afekt« und »Emotion« in der Geographie und die Perspektive auf Praktiken der Emotionalisierung Ausgehend von den im letzten Kapitel skizzierten Beobachtungen möchte ich fragen, inwiefern die auch in der Geographie zirkulierenden Perspektivierungen von Emotion und Affekt für eine Analyse des Regierens durch Dialog fruchtbar wären. Ich kann an dieser Stelle keine umfangreiche Darstellung der überaus facettenreichen kulturund sozialwissenschaftlichen Diskussionen um Emotion und Affekt leisten. Stattdessen möchte ich mich darauf beschränken, einige zentrale Begrifflichkeiten dieser Debatten zu klären, um sie in die Analyse des Dialogs einbeziehen zu können. Diese Begrifflichkeiten sind vor allem a) Affekte/Affektivität und b) Emotionen sowie darüber hinaus ein gewisser begrifflicher Nexus rund um das Fühlen, Empfinden bzw. die »Intensitäten des Fühlens« (Thrift 2004). Die bis in die 1970er Jahre zurückreichenden und gerade auch in der feministischen Theoriebildung schon länger geführten Diskussionen um Emotionen und Affekte wurden zunächst in der englischsprachigen Geographie seit den 1990er Jahren aufgegriffen – und auch durchaus »geographisch« erweitert – und fanden sodann in den 2000er Jahren sowie mit zunehmender Intensität in den letzten Jahren auch in die deutschsprachige Geographie Einzug. Für einen Überblick verweise ich auf zusammenfassende Beiträge, die auch aus geographischer Perspektive entsprechende Fragestellungen und Betrachtungsweisen verdeutlichen (Lorimer 2005, 2008; Schurr 2014; Müller 2015; Schurr u. Strüver 2016; Woodward u. Lea 2010; Simpson 2011; Hutta 2015). Die kulturwissenschaftlichen Debatten um Emotion, Affekt und Gefühl wurden in der Humangeographie in den letzten Jahren vielfach unter dem Schlagwort einer mehr-als-repräsentationalen Geographie versammelt und theoretisiert (Lorimer 2008; Simpson 2011; Schurr 2014; Schurr u. Strüver 2016). Solche mehr-als-repräsentationalen Geographien versuchen sich an der Etablierung neuer heuristischer Kategorien für die geographische Forschung und fokussieren auf Körper und Leiblichkeit, Praktiken und Alltag, auf Artefakte sowie auf dynamische Materialität und die Wechselbeziehungen zwischen materiellen Körpern (Schurr 2014: 148; Schurr u. Strüver 2016).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Einigen Theoretisierungen und Darstellungen von Emotion und Affekt in geographischen Arbeiten wurde derweil vorgeworfen, Fragen von Subjektivierung, Identität und Differenz allzu sehr außer Acht zu lassen (für die Diskussionen: Lorimer 2008; Woodwards u. Lea 2010; Schurr 2014; Müller 2015). Zum einen hätten gerade affekttheoretische Arbeiten in ihrer Hinwendung zu einer Analyse körperlich-materialer Kräfte soziale und diskursive Differenzierungen und Kategorisierungen teilweise zu wenig beachtet (Schurr 2014). Zum anderen würde ein Teil der geographischen Arbeiten, die sich mit Emotionen und Affekten beschäftigen, insbesondere auf die Mikrokontexte von Erfahrungen und Emotionen oder auf einzelne Praktiken, Körper und Performativitäten fokussieren und dabei makrostrukturelle Fragen der historischen, gesellschaftlichen und politischen Dimension von Praxis, Körper, Emotion und Affekt tendenziell zu wenig mit einbeziehen (Müller 2015). Diese Kritik mag im Hinblick auf einige (geographische) emotions- und affekttheoretische Perspektivierungen relevant sein. Jedoch ist insgesamt zu konstatieren, dass die Theoretisierung von Affekten und Emotionen in den sozial- und kulturwissenschaftlichen Debatten und hier v.a. in den feministischen Theoriedebatten (der 1980er und 1990er Jahre sowie bis heute) immer schon mit einer Sensibilität für gesellschaftliche Machtverhältnisse einherging. Eine Analyse von Emotionen und Affekten wurde eng an politische und epistemologische Projekte der Herausforderung »modernen« dualistischen Denkens geknüpft, wobei Emotionen und Affekte als körperliche, diskursive und gesellschaftliche Phänomene konzipiert wurden (vgl. z.B.: Braidotti 2011). Während die Verknüpfung von Untersuchungen zu Emotion und Affekt mit grundlegenden Fragen nach politischen und gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnissen (trotz der erwähnten Kritiken an einigen geographischen Rezeptionen) bereits vielfach geleistet und in jüngerer Zeit auch in der Geographie verschiedentlich angegangen wurde (Clough u. Halley 2007; Clough 2008; Rudnyckyj 2011; Schurr 2014; Hutta 2015; Gammerl, Hutta u. Scheer 2017), zeigt sich die spezifische Verbindung zwischen Emotion/Affekt einerseits und dem Foucault’schen Konzept der Gouvernementalität andererseits sowohl in der Geographie als auch in den Nachbardisziplinen vergleichsweise als theoretisches Neuland. Die vorliegende Arbeit möchte in diesem Zusammenhang also vor allem ausloten, inwiefern der Gouvernementalitätsansatz mit Emotion und Affekt zusammengedacht werden kann. Zum Zweck der Erarbeitung neuer Blickwinkel für eine Analyse von Regierungspraktiken mögen z.B. jüngere affekttheoretische Ansätze von Interesse sein (Clough u. Halley 2007; Clough 2008). Diese denken Affekte als überindividuelle Prozesse eines sich wechselseitigen Beeinflussens (= Affizierens) materieller Körper, innerhalb welcher die jeweiligen Aktivitätskapazitäten (= die Fähigkeit eines Körpers, andere/anderes zu beeinflussen) der involvierten Elemente transformiert werden. Diese Perspektive auf Affekte als überindividuelle (Körper-)Beziehungen und damit als ein auch sozial vorkonfiguriertes Phänomen lässt es zu, körperlich verankerte Intensitäten mit gesellschaftlichen Verhältnissen verknüpft zu behandeln. In diesem Kapitel werden solche und weitere Perspektiven diskutiert. Daraufhin soll vor allem die Frage nach einer Verknüpfung gouvernementalitätstheoretischer Ansätze mit den Perspektiven auf Emotion und Affekt aufgeworfen werden. Einige wenige Studien ausgenommen, erhielt diese Frage bislang noch kaum Aufmerksamkeit.
9. Gouvernementalität und Emotion
9.1
Emotion und Affekt als Perspektivierungen gesellschaftlicher Prozesse
Grundsätzlich lässt sich im Rekurs auf die skizzierten Debatten zwischen Affekt und Emotion unterscheiden, wobei jedoch beide Perspektiven eng zusammenhängen. Die Affektperspektiven lenken den Blick stärker auf transaktive1 Beziehungen zwischen materiellen Körpern und fragen danach, wie sich diese Körper innerhalb der Beziehungsgeflechte in ihren jeweiligen Aktionskapazitäten – den Kapazitäten, etwas tun und etwas bewegen zu können – gegenseitig beeinflussen, z.B. ermächtigen oder einschränken, können (Simpson 2011). Aus dieser Perspektive betrachtet, würde bspw. die von einem Individuum als ermächtigend erlebte und mit Empfindungen eines starken Selbstbewusstseins einhergehende Dynamik einer Gruppe von Aktivist/-innen auf einer Demonstration – deren Teil jenes Individuum wird, indem es sich körperlich in bestimmte Praktiken einfügt – auf affektiven Beziehungen sich beeinflussender Körper basieren. In diesem Sinne ist die Affektperspektive eine Perspektive auf materielle Körper und auf Modi der Kopräsenz. Affizieren heißt »Körper beeinflussen« und verweist auf Akte der Beeinflussung eines materiellen Elements durch ein anderes, in dessen Verlauf jene Fähigkeiten beider materieller Körper transformiert werden, selbst zu affizieren/beeinflussen und affiziert/beeinflusst zu werden. So lenkt die Affektperspektive die Aufmerksamkeit auf Formen und Emergenzen einer dynamischen und relationalen »transpersonal capacity which a body has to be affected (through an affection) and to affect (as the result of modifications)« (Anderson 2006: 735). Im allgemeinen Sinne, »affect can be seen to refer to the process of transition through which a body goes« (Simpson 2011: o.S.). Affekte sind sich zwischen Körpern manifestierende, überindividuelle Kräfte, die Veränderungen in allen beteiligten Körpern hervorrufen (Schurr 2014). Affekte sind materielle Beziehungsfelder, in denen die Fähigkeiten von Körpern, aktiv zu sein, generiert und transformiert werden (Clough 2008; Woodwards u. Lea 2010). Zum Zusammenhang zwischen Affekt, Affizierung, Gefühl und den damit verbundenen Veränderungen der Aktionsfähigkeiten schreibt Simpson: »Affects occur between objects or entities, and these interactions or affects are felt as intensities in the body, or find ›corporeal expression in bodily feelings‹ (Anderson 2006: 736), and in so being are manifest in an alteration in a body’s capacity to act.« (Simpson 2011: o.S., Herv. J.W.)Die Affektperspektive ist also primär eine Perspektive auf Körper, jedoch auf Körper im Plural. Es geht um die transaktiven Beziehungen zwischen Körpern (Subjekten und Dingen). Genau in diesen Beziehungen manifestieren sich Affekte (Thrift 2004; Clough u. Halley 2007; Clough 2008; Simpson 2011). Aus dieser Perspektive können Prozesse der (Re-)Produktion gesellschaftlicher Ordnungen als (Re-)Konfigurierungen affektiver Beziehungsgeflechte gedacht werden, die damit einhergehen, dass Individuen bestimmte Fähigkeiten erlangen oder verlieren können, sich und andere zu beeinflussen und beeinflusst zu werden. Dies geht dann auch mit der Erfahrbarkeit von Handlungsfähigkeit/Handlungsunfähigkeit einher, die grundsätzlich mit Gefühlsintensitäten verknüpft ist; so werde eine »starke« Handlungsfähigkeit von »positiven« Gefühlsintensitäten der eigenen Wirkmächtigkeit begleitet (vgl. Simpson 2011). So skizziert Simpson in Bezug u.a. auf Gilles Deleuze und Claire 1
Im Gegensatz zur Interaktion deutet Transaktion auf die Veränderung der transagierenden Elemente hin.
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Parnet (2006) die Mechanismen von »joy and sadness. Joy refers to a positive affection, a nutrition, an increased speed and motion, increasing our capacity to act. Sadness is a negative affection, a poisoning, a slowing down, that reduces our capacity to act.« (Simpson 2011: o.S.; vgl. auch: Woodward u. Lea 2010) Dieser Blick auf »joy« und »sadness« als affektive Modi könnte dann in etwa zulassen, bestimmte gesellschaftliche Ordnungen und Kräfteverhältnisse als von positiven oder negativen Affekten durchzogen zu rekonstruieren. So wären z.B. die Verbindungen zwischen gesellschaftlichen und politischen (Macht-)Verhältnissen, Inklusions- und Exklusionspraktiken sowie jenen »sad affective relations that reduce the capacity of a body to act« (Woodward u. Lea 2010: 162) zu diskutieren. Entsprechend ermöglichten es Affekttheorien, bspw. neue konzeptionelle Perspektiven auf die Operationsweisen und Effekte kapitalistischer Gesellschaftsordnungen einzunehmen: Perspektiven, die die körperliche Eingebettetheit des Individuums in die materiellen Praktiken und Institutionen kapitalistischer Produktionsund Reproduktionsverhältnisse sichtbar machen. Hierbei kann dann nach den Fähigkeiten des »kapitalistisch ausgerichteten Körpers« gefragt werden, seine Umwelt zu beeinflussen und durch sie beeinflusst zu werden, wobei Produktions- und Reproduktionsverhältnisse diese Kompetenzen verändern, erweitern oder reduzieren können. Individuen etwa, die den Mechanismen spätkapitalistischer Selbstausbeutung unterworfen sind, finden sich aus dieser Perspektive heraus betrachtet in spezifischen affektiven Topologien wieder, die ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten bestimmen – in diesem Fall vermindern –, mit ihrer Umwelt zu transagieren, und damit verknüpft auch den affektiven Antrieb der Individuen zur Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Mitwelt prägen (Woodward u. Lea 2010; Clough 2008). Stellt man sich wiederum eine Arbeiterin/einen Arbeiter am maschinellen Fließband in einer frühkapitalistischen Produktionsanlage vor, so mag die These plausibel werden, dass die affektiven Geflechte, die dieser Praxis inhärent sind, in diesem Fall mit einer Verarmung der Fähigkeiten und des Antriebs einhergehen, zu beeinflussen und beeinflusst zu werden – »sad relations«, sozusagen (vgl. Woodward u. Lea 2010; Clough 2008; Simpson 2011). Die Beiträge im Sammelband »The Affective Turn« von Patricia Clough und Jean Halley (2007) analysieren die Bedeutung von Affekten für die Organisation und (Re-)Produktion heterogener gesellschaftlicher Praxisfelder wie z.B. dem Bereich organisierter Prostitution, der Gesundheits- und Pflegearbeit oder der Model-Branche. Dabei wird davon ausgegangen, dass gesellschaftlichen Transformationsprozessen immer auch Veränderungen der affektiven Felder innerhalb des Sozialen inhärent sind. Die Studien in dem Sammelband untersuchen anhand verschiedener empirischer Gegenstände, wie die Aktionsfähigkeiten von Körpersubjekten, die Formen der Einflussnahme dieser Körpersubjekte auf andere Elemente (Subjekte, Dinge) und die dabei auftretenden Gefühlsintensitäten in gesellschaftlich eingebetteten Affektkomplexen kanalisiert werden. Affekttheorien liefern damit »new (and renewed) perspectives for describing the social, foregrounding those forces through which bodies bind and separate, attract and repel, and which thereby engender increases or decreases in their collective capacities to act. Affect is the medium through which bodies sustain and transform each other, and, as such, it is fundamentally social.« (Woodward u. Lea 2010: 157)
9. Gouvernementalität und Emotion
Gegenüber den Affekten nun verweisen Emotionen auf eine Art des »geformten« und symbolisch kodifizierten Fühlens, das sich in affektiven Feldern mehr oder minder konventionalisiert ausdrücken kann. »[A] subjective content, the sociolinguistic fixing of the quality of an experience which is from that point onward described as personal. Emotion is qualified intensity, the conventional, consensual point of insertion of intensity into semantically and semiotically formed progressions, into narritavizable action-reaction circuits, into function and meaning. It is intensity owned and recognized.« (Massumi 2002: 28, zitiert in: Simpson 2011: o.S.; Herv. J.W.) Emotionen beziehen sich daher stets auf diskursiv vorgefertigte Kategorien. Emotionen können damit (politisch) adressiert und mobilisiert sowie in die Ebene der Aushandlung überführt werden: Die (persönliche) Emotion wird benannt, verhandelt oder zum Referenzobjekt von Legitimationsstrategien gemacht. Gleichzeitig entwickeln sich hegemoniale »Marker« im Sinne körperlicher Ausdrucksweisen, die im Diskurs mit bestimmten Emotionen verknüpft werden. Die Adressierung und der Ausdruck von Emotionen gehen also damit einher, dass Gefühlsintensitäten in Form gebracht und kommunizierbar gemacht werden, was das Konzept der Emotion für eine Theoretisierung des Regierens als einer Technologie des Aufgreifens, Sichtbarmachens und der Modellierungen von Gefühlsintensitäten interessant werden lässt. Wenn Emotionen »qualified intensity« darstellen (obiges Zitat), dann können Regierungstechnologien als Versuche gedeutet werden, eine sehr spezifisch qualifizierte Intensität des Fühlens nutzbar zu machen. Insofern Emotionen auf ihre Vermittelbarkeit im Kontext historischer Repräsentationsregime angewiesen sind, erscheinen sie in der theoretischen Formulierung stärker diskursiv geprägt als Affekte, die wiederum stärker in ihrer Materialität betrachtet werden sollen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch Affekte und – im allgemeinen Sinne – »Gefühlsintensitäten« als Elemente einer diskursiven Praxis verstanden wissen. Die Diskussionen über die prädiskursive Natur von Affekten (Simpson 2011) werde ich entsprechend nicht gänzlich aufgreifen. Sicherlich deuten Affekte und Gefühlsintensitäten auf »mehr-als-repräsentationale Geographien« (Schurr u. Strüver 2016). Es handelt sich natürlich um Phänomene, die nicht gänzlich in der Ontologie symbolischer Verweisungszusammenhänge aufgehen können. Affekte und Gefühlsintensitäten sind materielle Phänomene mit eigener Dynamik, doch müssen sie dabei keineswegs als präsozial oder prädiskursiv verstanden werden. Denn auch die affektiv erzeugten Intensitäten des Fühlens finden erst als Gegenstände des Diskurses Eingang in jene diskursiv konstituierten Erfahrungshorizonte von Subjekten, die sich dann mit gesellschaftlich bedeutsamen Aushandlungsprozessen um Identität und Wahrheit verbinden (können) – bzw. die solchen Aushandlungsprozessen zugrunde liegen (vgl. dazu: Wrana u. Langer 2007). Aus einer diskurstheoretisch informierten praxeologischen Perspektive heraus betrachtet (Baumann et al. 2015) möchte ich konstatieren, dass Affekte und Gefühlsintensitäten zwar auf Beziehungen zwischen materiellen Körpern basieren und entsprechend nicht im Symbolischen aufgehen, die Entstehungsbedingungen von Affekten und Gefühlen jedoch diskursiv konfiguriert sind. Die konkreten Arrangements jener materiellen Körperbeziehungen, aus denen Affekte und Gefühle erwachsen, sind als Effekte diskursiver Praxis zu denken – und damit natürlich immer auch als gesellschaftliche
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Phänomene zu beschreiben. Folglich sind Affekte und Gefühlsintensitäten, genauso wie Emotionen, immer auch in diskursiv konstituierte Gesellschaftsordnungen eingebettet. Die Formen, Intensitäten und Richtungen von Affekten, Gefühlen und Emotionen können sich erst innerhalb der (Re-)Produktion diskursiver Praxis konkret ausbilden (Woodwards u. Lea 2010; Clough 2008; Simpson 2011; teils auch: Lorimer 2005, 2008; zum Verhältnis Affekt und Diskursivität: Wrana u. Langer 2007; Wrana 2012; Winkler et al. i.E.). Nichtsdestotrotz weisen Affektbeziehungen sowie v.a. das »Beeinflusstwerden« durch kopräsente Körperlichkeit und Materialität eine besondere Qualität und Dynamik auf. Diskursivität und Machtverhältnisse sind in Affekten, Gefühlsintensitäten und Emotionen auf eine besondere und je verschiedene Art und Weise »eingelagert« (van Dyk et al. 2014). Zusammenfassend ist also zu konstatieren: Affekte werden als (zwischen-)körperlich vermittelte Kräfte oder Intensitäten gefasst, die überindividuellen Charakter aufweisen, da sie erst innerhalb der Transaktion von Körpersubjekten mit anderen materiellen Elementen emergieren und daher keine Eigenschaft des Individuums darstellen. Die Spezifik des Affektbegriffs ist sein Verweis auf dynamische und materielle Beeinflussung und Beziehung. Das Konzept »Affekt« ermöglicht es, gesellschaftliche Verhältnisse aus der Perspektive wechselseitiger körperlicher Einflussnahmen zu betrachten. Damit können gesellschaftliche Machtverhältnisse und Transformationsprozesse daraufhin befragt werden, wie diese (a) sich auf Körper auswirken, (b) Gefühle hervorrufen und dabei (c) Möglichkeiten des Beeinflussens und Beeinflusstwerdens prägen. Emotionen wiederum sind kanalisierte, in Form gegossene Gefühlsintensitäten (»Freude«, »Trauer«, »Sorge« etc.), wobei der hier vertretenen Perspektive nach diese »Formung« schon immer bereits abläuft. Emotionen konstituieren sich als artikulierbare, immer schon in einen Bedeutungszusammenhang gebrachte, kommunizier-, erzähl- und verhandelbare Phänomene, die als solche (in einer diskursiven Operation) an das »Erleben« einzelner Subjekte gekoppelt werden. Damit sind Emotionen natürlich nicht »nur« Symbolisches. Sie sind gleichzeitig auch Intensitäten des Fühlens – und damit auch affektiv bedingt, d.h. in und durch affektive Beziehungen hervorgebracht. Emotionen werden von einzelnen Subjekten durchlebt und im Subjekt verkörpert, sind aber – genauso wie Affekte – nicht als »Besitz« oder Effekt eines einzelnen Subjekts denkbar. Sie emergieren ebenso aus den Beeinflussungs- und Impulsgeflechten materieller Körper und sind daher ebenso überindividueller Natur. Emotionen können zu Gegenständen sozialer Aushandlungs- und Reflexionsprozesse werden. Das Reden über »Freude« und andere »gute Gefühle« an einem gemeinsamen Abend »unter Freunden« bspw. erscheint als kollektiv orchestrierte soziale Praxis, in welcher Emotionen und damit Formen des Fühlens immer erst hergestellt und spezifisch (be-)greifbar gemacht werden. Dabei sind diese in der Praxis ablaufenden Prozesse der Plausibilisierung bestimmter Emotionen und die Dynamiken der Sichtbarmachung und Aushandlung von Emotionen mit den körperlich-affektiven Feldern und Intensitäten verschnitten, die das Arrangement der Körper durchfließen. Die Praktiken des Ausdrückens von Emotionen – bspw. das »Reden über Emotionen« oder aber gestische und mimische Aktivitäten – wirken dann auf die transpersonal zirkulierenden Gefühlsintensitäten zurück, wirken also selbst wieder affizierend, können ermächtigen oder entmächtigen, bewegen oder lähmen (Simpson 2011). Somit kann auch formuliert werden, dass praktizierte Emotionen affizieren. Wenn
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z.B. Carolin Schurr in ihrer geographischen Studie räumlich situierter Wahlkampfpraktiken resümiert, »that electoral geographies need to be more attentive to the emotional dimension of electoral spaces to understand the affective dimension of contemporary populist politics« (Schurr 2013: Abstract-Text; Herv. J.W.), dann zeigt sich jene analytische Beziehung. Die emotionale Dimension verweist hier auf Praktiken, in deren Vollzug die Sichtbarkeit und Durchlebbarkeit von (diskursiv kanalisierten) Emotionen hervorgebracht wird. Über bestimmte Praktiken werden Emotionen »zur Schau gestellt«, inszeniert und an körperliche Ausdrucksweisen gekoppelt. Diese praktizierten, an materielle Praktiken oder auch an Orte geknüpften Emotionen wirken dann auf die Beziehungen zwischen den Elementen und auf die dabei auftretenden Gefühlsintensitäten ein. Das Sichtbarmachen und Sichtbarwerden von immer auch diskursiv kodierter Emotionalität wirkt affizierend. Ich möchte abschließend hervorheben, dass die Perspektivierungen von Affekt und Emotion letztlich zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen. So möchte ich in dieser Arbeit den Unterschied zwischen Affekt und Emotion nicht überbetonen, sondern vielmehr ebenjene Gemeinsamkeiten herausstellen. Beide Perspektiven – sowohl Affekt als auch Emotion – lenken den Blick auf dynamische Materialität, Körperlichkeit und auf wechselseitige Beziehungen und Impulse zwischen materiellen Elementen. Beide Perspektiven fokussieren auf körperlich verankerte Intensitäten des Fühlens (Thrift 2004) – meiner Ansicht nach ein guter »Sammelbegriff« (vgl. auch: Gammerl, Hutta u. Scheer 2017) – und betonen die Bedeutung des körperlichen Fühlens für die Konfigurierung gesellschaftlicher Prozesse. Beiden Perspektiven kann ein Interesse am fühlenden Individuum entnommen werden – sowie auch an dessen Gemachtheit und Formbarkeit. Beide Konzepte heben hervor, dass Individuen mit der Fähigkeit zu fühlen im Vollzug von Praxis spezifisch bewegt werden – worauf nicht nur der Affektbegriff, sondern auch der Begriff der Emotion hinweist. Diese Bewegung wird als körperlich spürbare Kraft gedacht. Aus beiden Perspektiven heraus betrachtet entstehen Gefühlsintensitäten und Empfindungen erst im transaktiven Zusammenspiel aus verschiedenen (menschlichen und nicht menschlichen) Elementen, sodass Gefühlen ein überindividueller Charakter zugeschrieben wird. Erst innerhalb spezifischer Arrangements aus materiellen Körpern können Gefühlsintensitäten erwachsen, körperlich gespürt und (sozial) bedeutsam (gemacht) werden. Nicht zuletzt müssen sich beide Perspektivierungen mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern die an die Körper gebundenen Intensitäten des Fühlens vor dem Hintergrund größerer gesellschaftlicher und/oder diskursiver Konfigurierungen sowie als Elemente gesellschaftlicher Praxis zu begreifen sind. Im Folgenden werde ich der Einfachheit halber primär von Emotionen und Emotionalitäten sprechen. Damit möchte ich einerseits allgemein auf körperliche Gefühlsintensitäten und die entsprechenden »bewegenden Kräfte« verweisen, die sich in materiellen und affektiv-emotionalen Konfigurierungen entfalten können. Andererseits möchte ich damit hervorheben, dass diese Intensitäten in dem Moment, in dem sie bedeutsam für gesellschaftliche Prozesse werden (können), immer auch eine symbolischrepräsentative Komponente enthalten bzw. sich mit diskursiven Repräsentationsregimen verknüpft zeigen – auch wenn sie nicht im Symbolischen aufgehen (vgl. nächstes Kapitel). Dabei möchte ich im Folgenden v.a. eine Perspektive auf die materielle Praxis von Emotionalisierungsprozessen herausarbeiten, was einem Blick auf Prozesse der Ge-
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fühlsproduktion und Gefühlskanalisierung im Vollzug von Praktiken entspricht. Daran anknüpfend kann eingehender betrachtet werden, wie praktisch prozessierte Emotionalisierungsprozesse und damit kanalisierte Gefühle in Regierungstechnologien integriert sein/werden können.
9.2
Emotionalität als Praxis: Praktiken der Emotionalisierung als Analysegegenstand
Auf Basis der bisherigen Überlegungen lässt sich fragen, inwiefern bestimmte Praktiken bestimmte Gefühlsintensitäten hervorbringen und modellieren, gerade weil und insofern sie Beziehungen zwischen Körpersubjekten (re-)konfigurieren. Die anschließende Frage wäre, inwiefern im Kontext des Regierens Formen eines mehr oder minder systematisierten Eingreifens in Körperbeziehungen und damit auch in Intensitäten des Fühlens beobachtbar sein können. Die Affektperspektive basiert dabei auf der Annahme einer Impulsweitergabe zwischen Körpern. Auch wenn, wie ich skizzierte, man durchaus annehmen kann, dass die Form von Affekten nicht außerhalb diskursiver Praxis steht, verweist die Perspektive von Affekt doch zumindest auf die Existenz sehr grundlegender materieller Vorgänge (Braidotti 2011). Das Problem an der Affektperspektive ist dann jedoch, dass die in den Blick kommenden Intensitäten des Fühlens letztlich in ihrer Form unbestimmbar bleiben; sie erscheinen als Impulse und Intensitäten jenseits einer identifizierbaren Form (Emotion). Ich möchte in dieser Arbeit jedoch die Modellierung von Gefühlsintensitäten im Kontext von Regierungstechnologien (spezifische Praktiken) in den Fokus stellen, womit also Gefühlsintensitäten im Grunde als Emotionen oder Emotionalitäten ins Blickfeld gelangen. Daher möchte ich, wie oben angerissen und ausgehend von der grundlegenden Affektperspektive, im Hinblick auf die folgenden Analysen eher von Emotionen, Emotionalisierungen und Emotionalitäten sprechen. Diese Begriffe zielen ebenso wie Affekt auf Intensitäten des Fühlens, auf körperliche Zustände und auf deren Auftauchen im Vollzug überindividueller Praktiken, weisen aber stärker darauf hin, dass jene Intensitäten immer schon in eine bestimmte, potenziell (be-)greifbare (wenn auch nicht zwingend explizierte) Form gebracht werden/worden sind. Die Emotionsperspektive fasst Intensitäten des Fühlens als produzierte körperliche Zustände, die erst im Vollzug ihrer (Be-)Greifbarmachung für gesellschaftliche Praxis von Bedeutung werden (und damit als Emotionen anzusprechen sind). Man denke z.B. an jene Praktiken des Dialogs, die ich am Ende von Kapitel 8 skizziert habe: Praktiken des »Sich-Umarmens«, Praktiken des »Duzens«, Praktiken der Informalität oder Praktiken wie jene des »Lobrede-Haltens«, in deren Vollzug einzelnen Dialogteilnehmer/-innen öffentlich für ihr Engagement gedankt wird. Es scheint mir grundsätzlich nachvollziehbar, davon auszugehen, dass solche Praktiken materielle Beziehungen etablieren, Körper positionieren und Gefühlsintensitäten produzieren (Affekt). Für mich ist aber vor allem von Interesse, wie im Vollzug solcher Praktiken ein bestimmtes Fühlen (be-)greifbar und auch politisch kommunizierbar (gemacht) wird. Mich interessiert, wie Intensitäten des Fühlens im Vollzug solcher Praktiken als modellierte Intensitäten und damit als Emotionen adressierbar und im Kontext des Regierens mobilisierbar gemacht und »ins Spiel« gebracht werden. Wenn ein CIAG-Moderator
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fühlsproduktion und Gefühlskanalisierung im Vollzug von Praktiken entspricht. Daran anknüpfend kann eingehender betrachtet werden, wie praktisch prozessierte Emotionalisierungsprozesse und damit kanalisierte Gefühle in Regierungstechnologien integriert sein/werden können.
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Emotionalität als Praxis: Praktiken der Emotionalisierung als Analysegegenstand
Auf Basis der bisherigen Überlegungen lässt sich fragen, inwiefern bestimmte Praktiken bestimmte Gefühlsintensitäten hervorbringen und modellieren, gerade weil und insofern sie Beziehungen zwischen Körpersubjekten (re-)konfigurieren. Die anschließende Frage wäre, inwiefern im Kontext des Regierens Formen eines mehr oder minder systematisierten Eingreifens in Körperbeziehungen und damit auch in Intensitäten des Fühlens beobachtbar sein können. Die Affektperspektive basiert dabei auf der Annahme einer Impulsweitergabe zwischen Körpern. Auch wenn, wie ich skizzierte, man durchaus annehmen kann, dass die Form von Affekten nicht außerhalb diskursiver Praxis steht, verweist die Perspektive von Affekt doch zumindest auf die Existenz sehr grundlegender materieller Vorgänge (Braidotti 2011). Das Problem an der Affektperspektive ist dann jedoch, dass die in den Blick kommenden Intensitäten des Fühlens letztlich in ihrer Form unbestimmbar bleiben; sie erscheinen als Impulse und Intensitäten jenseits einer identifizierbaren Form (Emotion). Ich möchte in dieser Arbeit jedoch die Modellierung von Gefühlsintensitäten im Kontext von Regierungstechnologien (spezifische Praktiken) in den Fokus stellen, womit also Gefühlsintensitäten im Grunde als Emotionen oder Emotionalitäten ins Blickfeld gelangen. Daher möchte ich, wie oben angerissen und ausgehend von der grundlegenden Affektperspektive, im Hinblick auf die folgenden Analysen eher von Emotionen, Emotionalisierungen und Emotionalitäten sprechen. Diese Begriffe zielen ebenso wie Affekt auf Intensitäten des Fühlens, auf körperliche Zustände und auf deren Auftauchen im Vollzug überindividueller Praktiken, weisen aber stärker darauf hin, dass jene Intensitäten immer schon in eine bestimmte, potenziell (be-)greifbare (wenn auch nicht zwingend explizierte) Form gebracht werden/worden sind. Die Emotionsperspektive fasst Intensitäten des Fühlens als produzierte körperliche Zustände, die erst im Vollzug ihrer (Be-)Greifbarmachung für gesellschaftliche Praxis von Bedeutung werden (und damit als Emotionen anzusprechen sind). Man denke z.B. an jene Praktiken des Dialogs, die ich am Ende von Kapitel 8 skizziert habe: Praktiken des »Sich-Umarmens«, Praktiken des »Duzens«, Praktiken der Informalität oder Praktiken wie jene des »Lobrede-Haltens«, in deren Vollzug einzelnen Dialogteilnehmer/-innen öffentlich für ihr Engagement gedankt wird. Es scheint mir grundsätzlich nachvollziehbar, davon auszugehen, dass solche Praktiken materielle Beziehungen etablieren, Körper positionieren und Gefühlsintensitäten produzieren (Affekt). Für mich ist aber vor allem von Interesse, wie im Vollzug solcher Praktiken ein bestimmtes Fühlen (be-)greifbar und auch politisch kommunizierbar (gemacht) wird. Mich interessiert, wie Intensitäten des Fühlens im Vollzug solcher Praktiken als modellierte Intensitäten und damit als Emotionen adressierbar und im Kontext des Regierens mobilisierbar gemacht und »ins Spiel« gebracht werden. Wenn ein CIAG-Moderator
9. Gouvernementalität und Emotion
zu Beginn der Sitzung das gute Verhältnis zwischen »Muslimen« und der Stadt betont und ein Sprecher einer »muslimischen« Gemeinde dies bestätigt und wiederholt, dann müssen dabei Emotionen nicht explizit benannt werden (es muss nicht explizit von Freude, Vertrauen, Nähe, Glück, Hoffnung usw. gesprochen werden), um aus analytischer Perspektive die These aufzustellen, dass solche Praktiken bereits aufgrund ihrer Form potenziell (be-)greifbare Emotionalitäten wie Nähe, Vertrauen, Freude oder Hoffnung heraufbeschwören und folglich auch innerhalb einer hegemonialen emotionalen Landkarte verortbar sind. Praktizierte bzw. an Praktiken gekoppelte Gefühlsintensitäten sind also bis zu einem bestimmten Grad immer schon ausgeformte Intensitäten – und damit als Emotionen zu bezeichnen. In diesem Sinne möchte ich Praktiken der obigen Art als Praktiken der Emotionalisierung bezeichnen. Sutter bspw. stellt in seiner Studie über Praktiken des ehrenamtlichen Engagements für Geflüchtete genau jene Frage nach den Techniken und Praktiken der Emotionalisierung innerhalb politischer Aktionsfelder. Er fragt danach, »mittels welchen Umgangs mit Dingen, durch welche performativen Praktiken und […] Repräsentationen« (Sutter 2017: 6) eine solche Emotionalisierung stattfindet. Dies setzt, so Sutter, »ein praxeologisches Verständnis von Emotionen voraus« (ebd.), welches er in Anlehnung an Arbeiten von Scheer propagiert (vgl. Scheer 2012, 2016). Eine solche Perspektive hebt die Wirkungsweisen von »Emotionspraktiken« (Scheer 2016: 29) hervor und konzipiert diese als Aktivitäten, die »auf die Erzeugung von Emotionen abzielen« (Sutter 2017: 6). Emotionspraktiken »treten immer in ›Praxiskomplexen‹ auf« (ebd.), sie sind eingebettet in weitere Praktiken, innerhalb welcher sie erst als Emotionspraktiken wirken, d.h. als »Verknüpfungen von Dingen und Bedeutungen […] auf die Mobilisierung und Kommunikation von Emotionen ab[zielen]« können (Sutter 2017: 7). Hierbei werden Emotionen, Gefühle und Empfindungen – genauso wie die körperlichen Affektbeziehungen, die den emotionalen Ausdruckskanälen zugrunde liegen – immer erst im Vollzug gesellschaftlicher Praxis emergent und bedeutsam, sodass von einem »doing emotions« (ebd.: 6; Scheer 2016: 16) gesprochen werden kann. Sutter zufolge (der Scheer indirekt zitiert) sind dabei »innere Erfahrungen von Emotion nicht von deren ›äußerer‹ Repräsentation in Worten, Gesten und Handlungen zu unterscheiden (Scheer 2016: 16). Produktion und auch Rezeption von Emotionen sind außerdem sozial erlernt, diskursiv geprägt und folgen sozialen und kulturellen Regeln, Skripten und Logiken.« (Sutter 2017: 6; vgl. hierzu auch: Schurr 2012, 2013)Eine Konzeptionalisierung von Emotionalität als Praxis findet sich bspw. auch in Schurrs geographisch-ethnographischer Analyse der Performativitäten von Wahlkampfauftritten in Ecuador, in der die Kulturgeographin die performative Inszenierung von Emotionen herausarbeitet. Schurr argumentiert, dass ein performativitätstheoretisches Verständnis von Emotionen aufzeigen kann, wie Emotionen und Gefühle durch Praktiken erst greifbar gemacht und dabei auch an bestimmte Orte, Pfadabhängigkeiten, Körper und wahrgenommene Kollektive geknüpft werden (Schurr 2013; vgl. auch: Schurr u. Strüver 2016). Gefühlsintensitäten und Emotionen entstehen durch körperliche Aktivitäten, sie erhalten in und durch tätige Körper ihre Form und werden dann auch bestimmten, nach Differenzkriterien identifizierten Körpern zugeschrieben (Schurr 2013; Tuori 2009). Dabei ist die Produktion von Emotionen und Gefühlshorizonten in gesellschaftliche Machtverhältnisse eingeschlossen. Schurr zeigt dann, wie durch die »emotional performances« der Wahlkampfpraktiken (Schurr
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2013: Abstract-Text) – man könnte hier auch sagen: durch jene Performativitäten, die unter bestimmten diskursiven Bedingungen als emotional wahrgenommen werden – Gemeinschaftlichkeit und raumbezogene politische Zugehörigkeit produziert wird. Auch der Gegenstand meines Interesses in der Analyse des Dialogs sind Praktiken, die unter bestimmten diskursiven Bedingungen spezifische Gefühlsintensitäten evozieren und als Emotionen kodiert werden (können). So ist danach zu fragen, inwiefern Emotionen – mittlerweile verstanden als Praktiken der Emotionalisierung und damit der performativen Modellierung von Gefühlen – zu Elementen des Regierens kultureller und religiöser Differenzen werden können. Nach der bislang erfolgten grundlegenden Begriffsklärung sollen deshalb im Folgenden die (bisher wenigen) Ansätze diskutiert werden, die dezidiert eine Verknüpfung von Emotion/Affekt mit Gouvernementalität behandeln.
9.3 9.3.1
Rationalitäten, Technologien und Emotionalitäten des Regierens »The emotional life of governmental power«
In »The emotional life of governmental power« (2010) diskutiert Elaine Campbell die Bedeutung dessen, was sie (übersetzt) als die Emotionalitäten des Regierens (»emotionalities of rule«, Campbell 2010: 35) bezeichnet. Sie argumentiert, dass in den governmentality studies eine Überfokussierung auf die »rationalities of rule« (Campbell 2010: 35) zu verzeichnen ist, wobei der Bereich der emotionalities zu wenig Beachtung erhalten habe. Dies ist eine Diagnose, die in der deutschsprachigen Diskussion vor allem Thomas Lemke teilt, der darauf hinweist, dass die governmentality studies »die politische Bedeutung expressiver und emotionaler Faktoren zugunsten bewußter Kalküle und rationaler Konzepte [vernachlässigen]« (Lemke 2006 [2001]: 488). Zwar würden Emotionen und Affekte in den governmentality studies durchaus auftauchen, doch seien sie analytisch und theoretisch kaum aufbereitet und ausgearbeitet (D’Aoust 2014: 267). Im Rekurs auf die Arbeiten von Nikolas Rose schreibt Campbell beispielsweise: »Rose acknowledges that desire, passions, sentiments and emotions are integral to […] technologies, but he does not explicate this theoretically and provides no conceptual tools for understanding the governmental relations of affective life.« (Campbell 2010: 36) Unter Rückgriff auf Foucault fragt Campbell, inwiefern Technologien des Regierens auf die Sphäre des affektiv-emotionalen Selbst zurückgreifen und diese als »a key site for the exercise of governmental power« (ebd.) konstituieren. Dabei unterscheidet Campbell nur unscharf zwischen Emotion und Affekt. Reformuliert fragt die Autorin danach, inwiefern affektive Beziehungen, in welche Subjekte eingebunden sind, sowie die dabei entstehenden Gefühlsintensitäten zur Angriffs- und Bearbeitungsfläche von Regierung werden – d.h. wie politische Technologien »work to capture hearts as well as minds, and how [this] may promote an ›emotionalised‹ art of government« (ebd.: 37). Dabei kritisiert Campbell die Debatten um Affekt und Emotion, insofern deren potenzieller Beitrag für eine Theoretisierung der affektiv-emotionalen Dimension von Machtverhältnissen und Regierungsprozessen lange Zeit dadurch gehindert wurde, dass Affekte und Emotionen tendenziell als etwas Präsoziales verstanden wurden (Campbell 2010: 36; vgl. auch: Clough u. Halley 2007). Spätestens jedoch seit dem Sammelband »The Affective Turn«
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2013: Abstract-Text) – man könnte hier auch sagen: durch jene Performativitäten, die unter bestimmten diskursiven Bedingungen als emotional wahrgenommen werden – Gemeinschaftlichkeit und raumbezogene politische Zugehörigkeit produziert wird. Auch der Gegenstand meines Interesses in der Analyse des Dialogs sind Praktiken, die unter bestimmten diskursiven Bedingungen spezifische Gefühlsintensitäten evozieren und als Emotionen kodiert werden (können). So ist danach zu fragen, inwiefern Emotionen – mittlerweile verstanden als Praktiken der Emotionalisierung und damit der performativen Modellierung von Gefühlen – zu Elementen des Regierens kultureller und religiöser Differenzen werden können. Nach der bislang erfolgten grundlegenden Begriffsklärung sollen deshalb im Folgenden die (bisher wenigen) Ansätze diskutiert werden, die dezidiert eine Verknüpfung von Emotion/Affekt mit Gouvernementalität behandeln.
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Rationalitäten, Technologien und Emotionalitäten des Regierens »The emotional life of governmental power«
In »The emotional life of governmental power« (2010) diskutiert Elaine Campbell die Bedeutung dessen, was sie (übersetzt) als die Emotionalitäten des Regierens (»emotionalities of rule«, Campbell 2010: 35) bezeichnet. Sie argumentiert, dass in den governmentality studies eine Überfokussierung auf die »rationalities of rule« (Campbell 2010: 35) zu verzeichnen ist, wobei der Bereich der emotionalities zu wenig Beachtung erhalten habe. Dies ist eine Diagnose, die in der deutschsprachigen Diskussion vor allem Thomas Lemke teilt, der darauf hinweist, dass die governmentality studies »die politische Bedeutung expressiver und emotionaler Faktoren zugunsten bewußter Kalküle und rationaler Konzepte [vernachlässigen]« (Lemke 2006 [2001]: 488). Zwar würden Emotionen und Affekte in den governmentality studies durchaus auftauchen, doch seien sie analytisch und theoretisch kaum aufbereitet und ausgearbeitet (D’Aoust 2014: 267). Im Rekurs auf die Arbeiten von Nikolas Rose schreibt Campbell beispielsweise: »Rose acknowledges that desire, passions, sentiments and emotions are integral to […] technologies, but he does not explicate this theoretically and provides no conceptual tools for understanding the governmental relations of affective life.« (Campbell 2010: 36) Unter Rückgriff auf Foucault fragt Campbell, inwiefern Technologien des Regierens auf die Sphäre des affektiv-emotionalen Selbst zurückgreifen und diese als »a key site for the exercise of governmental power« (ebd.) konstituieren. Dabei unterscheidet Campbell nur unscharf zwischen Emotion und Affekt. Reformuliert fragt die Autorin danach, inwiefern affektive Beziehungen, in welche Subjekte eingebunden sind, sowie die dabei entstehenden Gefühlsintensitäten zur Angriffs- und Bearbeitungsfläche von Regierung werden – d.h. wie politische Technologien »work to capture hearts as well as minds, and how [this] may promote an ›emotionalised‹ art of government« (ebd.: 37). Dabei kritisiert Campbell die Debatten um Affekt und Emotion, insofern deren potenzieller Beitrag für eine Theoretisierung der affektiv-emotionalen Dimension von Machtverhältnissen und Regierungsprozessen lange Zeit dadurch gehindert wurde, dass Affekte und Emotionen tendenziell als etwas Präsoziales verstanden wurden (Campbell 2010: 36; vgl. auch: Clough u. Halley 2007). Spätestens jedoch seit dem Sammelband »The Affective Turn«
9. Gouvernementalität und Emotion
von Patricia Clough und Jean Halley (2007), so Campbell, »affect is theorized as having political potential within relations of power« (Campbell 2010: 36) – wobei an dieser Stelle auf schon viel ältere feministische Ansätze zu verweisen wäre, die Affekt mit dem Politischen verknüpfen (zur Diskussion: Braidotti 2011; Schurr 2014). Campbell verweist nun auf verschiedene diskurs- und subjekttheoretische Ansätze, bspw. jene von Judith Butler (1997), die Prozesse der Subjektkonstitution als grundsätzlich affektiv deuten. Campbell erschließt damit ein vielfach psychoanalytisches Nachdenken über Diskurs, Subjekt und Affekt, das für die Fragen der vorliegenden Arbeit bedingt bzw. nicht direkt verwendbar scheint. Subjekte würden aus dieser Perspektive im Zuge einer paradox anmutenden Subjektivierung, die erst durch die Unterwerfung unter diskursive Machtbeziehungen vollzogen wird, unentwegt nach attraktiv erscheinenden Identitäten streben, ohne diese jemals vollständig erlangen oder erfahren zu können. Die angestrebten, jedoch niemals gänzlich zu haltenden »vollen« Identitäten geben Subjekten zumindest temporär das Gefühl von Ermächtigung, ermöglichen eine genussvolle (Selbst-)Erfüllung und versprechen eine Vervollkommnung der leidvoll erfahrenen, konstitutiven identitären Unvollkommenheit/Unsicherheit (vgl. Laclau 2000; Butler, Laclau u. Žižek 2000). In diesem Sinne investieren (Laclau 2000) Subjekte affektiv in »ihre« Identitäten, die als diskursive Identitätspositionen zu begreifen sind. Die emotional-affektive Dimension dieser Prozesse ist folglich in die diskursive Konstitution von Identität und Wahrheit eingebettet. Unter Rückgriff auf psychoanalytische Konzepte illustriert Butler (1997), wie jede temporäre Subjektivierung vermittels der Unterwerfung unter Identitäts- und Wissensordnungen zum einen niemals als abschließend erlebt werden kann und zum anderen stets alternative, potenziell ebenso mögliche Subjektivierungen verdrängt. Dabei erzeugen diese Verdrängungsprozesse im Subjekt Zustände eines melancholischen Nachtrauerns der verpassten Identitäten (durchaus im Sinne einer körperlich spürbaren Intensität), wobei dann diese »Zustände« Teil der konstitutiven Instabilität von Subjektidentitäten werden (Reckwitz 2008; Campbell 2010). Für Campbell sind nun aber solch psychoanalytische Ansätze eher wenig dafür geeignet, um die Perspektiven auf Emotion und Affekt mit Gouvernementalität zusammenzudenken. Zumindest aber erscheint es auf Basis solcher Überlegungen zur affektiven Grunddynamik des Diskursiven (Laclau 2000) als plausibel, auch Regierungsformen im Sinne Foucaults als Beeinflussungspraktiken zu denken, die in ihrem steten Aufgreifen des »zu regierenden Subjekts« immer auch jene affektiv-emotionale Dimension der Subjektivierung und damit der Konfigurierung von Identitätsordnungen bearbeiten (müssen). Aus dieser Perspektive betrachtet wäre natürlich im Grunde jeder Akt des Regierens/Beeinflussens immer auch ein Eingriff in die Prozesse des affektiven Investierens von Subjekten in bestimmte Identitäten, wobei nun jedoch spezifischer danach zu fragen wäre, »how that ›affective dimension‹ […] is mobilised as an exercise of power« (Campbell 2010: 40; Herv. J.W.); wie also spezifische Formen der Machtausübung in je besonderer Weise diese affektive Dimension bespielen und für sich nutzbar machen. An dieser Stelle möchte ich also anfügen, dass ich mich in dieser Arbeit weniger dafür interessiere, wie – im ontologischen Sinne – grundsätzlich jeder Akt der Subjektivierung und damit auch jede Praktik des Regierens affektiv ist. Entsprechend möchte ich Dialog auch nicht deswegen nach Emotion und Affekt befragen, um eine Ontologie von
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Emotion und Affekt zu entwickeln oder weil ich davon ausgehen würde, dass Emotion und Affekt immer als fruchtbare Perspektiven auf alle möglichen Steuerungsphänomene anzuwenden wären (was ich gleichzeitig auch nicht bestreite). Vielmehr fokussiere ich auf Emotion und Affekt, weil meine Feldforschungserfahrungen und ersten Analysen nahelegten, dass der »Dialog mit Muslimen«, den ich als Regierungskunst analysiere, als eine besonders emotionalisierte Praxis prozessiert wird, in der sich meiner Ansicht nach vielfach Aufrufe an das emotionale, fühlende, Bindungen eingehende Subjekt manifestieren. Vor diesem Hintergrund scheint es mir dann relevant, genauer zu untersuchen, inwiefern und unter welchen (mikro-)situativen Bedingungen im Zusammenhang mit einem bestimmten Steuerungsproblem – der Integration von »Islam« und »Muslimen« – und damit im Vollzug einer bestimmten Regierungsform, dem Dialog, eine mehr oder minder systematisierte (explizit oder implizit ablaufende) Mobilisierung und Kanalisierung von Gefühlsintensitäten ihre Übersetzung in Regierungstechnologien finden kann (die sich als Lösungen für jene Steuerungsprobleme anbieten). Ich diskutiere damit die Bedeutung von Emotion und Affekt im Kontext spezifischer Regierungsantworten, die meiner Ansicht nach auf die Ebene des Emotionalen und der Gefühle zu zielen scheinen. Natürlich basiert dieses Erkenntnisinteresse auf der allgemeineren Annahme, dass diskursive Praxis – d.h. die (Re-)Produktion gesellschaftlicher (Macht-)Verhältnisse und der sie legitimierenden Wahrheitssysteme sowie die sich dabei entfaltenden Verkörperungen von Identität(-en) – grundlegend auch eine emotional-affektive Dimension aufweist. Diese grundontologische Annahme macht das spezifischere Vorgehen erst plausibel, Regierung als einen Eingriff in die affektiv-emotionalen Ökologien des Subjekts zu deuten.2 Daraufhin ist aber zu fragen, wie genau sich so gedachte Eingriffe im Kontext bestimmter Problematisierungen entfalten (können), ob und inwiefern sie in Regierungstechnologien systematisiert werden und inwieweit dezidiert versucht wird, Intensitäten des Fühlens zu Objekten des Regierens zu machen (vgl. aus geographischer Perspektive: Marquardt 2015; zudem: Fortier 2010; De Wilde 2015a). Genauso ist danach zu fragen, inwiefern bestimmte Praktiken des Regierens in besonderem Maße als Bearbeitung von Gefühlsintensitäten zu wirken scheinen. Natürlich lässt sich z.B. im Sinne von Schatzkis Teleoaffektivität (vgl. letzte Fußnote) annehmen, dass jede Praktik – das »Telefonieren« genauso wie das »Schreiben« – von Intensitäten des Fühlens begleitet wird. Wie aber sehen Praktiken des Regierens aus, die in besonderem Maße Emotionen als
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Eine allgemeine Grundontologie, die Affekte und Emotionen als ubiquitäre Elemente von Praxis fasst, lässt sich auch in Schatzkis Konzept der Teleoaffektivität erkennen (Everts et al. 2011). Jeder Praktik ist ein auf die Zukunft gerichtetes Zielmotiv inhärent, das im Vollzug der Praktik anvisiert wird und selbiger eine Richtung gibt. Der Antrieb des Individuums, eine Praktik auszuführen und zu Ende zu bringen, erscheint dann immer auch als im weitesten Sinne emotional geladen, d.h. als von Gefühlsintensitäten durchdrungen. Diese Gefühlsintensitäten erhalten durch die spezifisch materielle Form einer Praktik auch selbst ihre Form, ihre Richtung und ihre spezifische Dynamik, sie werden im Vollzug der Praktik kanalisiert. Das praktizierende – materiell-körperlich eingefasste – Individuum bleibt dann im Fluss der sich vollziehenden Praktik auch deshalb mehr oder minder stabil integriert und »eingepasst«, weil es einen »Zug« erfährt, fortzufahren und die Praktik zu Ende zu bringen, der auf ebenjener inhärenten Kanalisierung der »intensities of feeling« (Thrift 2004) basiert. Aus der Perspektive der Teleoaffektivität hat dann jede Praktik eine affektive Dimension.
9. Gouvernementalität und Emotion
solche mobilisieren, wie sind sie komponiert und welche Effekte haben sie? An welchen Stellen und in welchen Kontexten erfolgt die Integration solcher Praktiken in umfassendere Regierungstechnologien? Wann und wo versucht Regierung, auf Intensitäten des Fühlens Einfluss zu nehmen (Ott u. Wrana 2010; Baumann et al. 2015)? Campbell zufolge spiegeln sich in Machtverhältnissen immer auch spezifische Emotionalitäten des Führens und Geführtwerdens wider (Campbell 2010). Das Subjekt – Campbells primäre Kategorie, an welcher sie die Emotionalitäten des Führens diskutiert – entsteht hier im Sinne der Foucault’schen Theorie durch eine Internalisierung der Machtverhältnisse. Im Rückgriff auf eine von Dean (1996) genutzte Metaphorik von Deleuze (1995) argumentiert Campbell, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse das Subjekt hervorbringen, indem sie sich (Zusammen-)Falten (folding/enfolding) und dadurch eine Domäne des Subjekts erschaffen. Innerhalb dieser Domäne kann das Subjekt als solches aktiv werden, doch ist das Subjekt »at the same time […] simply the inside marked out by that folding« (Dean 1996: 222, zitiert in: Campbell 2010: 43). Die Domäne des partiell freien Subjekts ist damit konstitutiv mit den äußerlichen gesellschaftlichen Machtverhältnissen verschnitten. Campbell zufolge fehlt nun jedoch in diesem Modell eine Einbeziehung »[of] the enfolding of ›emotionalities of rule’« (Campbell 2010: 43). Das Subjekt würde also auch durch die Internalisierung oder »Faltung« hegemonialer und normalisierter Emotionen entstehen – im Sinne emotionaler Ausdrucksmodi bzw. »Landkarten«. Erst wenn das Subjekt auch solch modellierte Ausdrucksweisen und Modi des Fühlens aufgreift, könne es als Subjekt handlungsfähig werden. Das Regieren, das auf der (Re-)Konstitution des zu regierenden Subjekts basiert, führt das Subjekt damit auch in dessen emotionalen Dispositionen. Dies zeigt in etwa Marquardt (2015), die aus geographischer Perspektive herausarbeitet, wie politische Maßnahmen zur Anleitung von Wohnungslosen zur »Wohnfähigkeit« (bspw. im Kontext betreuten Wohnens) darauf abzielen, die Arten und Weisen zu prägen, wie Subjekte gegenüber ihrer Wohnung, ihren Mitbewohner/-innen oder auch einem bestimmten Ort fühlen. Grundsätzlich begannen also auch in der Geographie Autor/-innen damit, die Perspektive auf Emotion und Affekt in analytische Überlegungen über die Zusammenhänge zwischen Identität, Subjektivierung und Machtverhältnisse einzubetten – eine Einbettung, die jedoch zukünftig nach wie vor stärker verfolgt werden sollte (vgl. Müller 2015). Pain et al. (2010), um weitere Beispiele zu nennen, analysierten in etwa die Mobilisierung von »Angst« für die Legitimierung politischer und militärischer Interventionen vor dem Hintergrund der geopolitischen Konfigurierungen der Phase nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001. Die Autor/-innen konnten eine Perspektive auf Emotionen mit Fragen nach geopolitisch eingebetteten Identitätspolitiken verknüpfen (vgl. auch: Pain 2009).
9.3.2
»Becoming other« und »Ethopower«: Moralität und Ethiken des (Sichselbst-)Regierens
Campbell diskutiert, wie die Produktion (oder »Faltung«) des regierbaren Subjekts stets auch Aufrufe an das Subjekt enthält, »anders« zu werden, sich weiterzuentwickeln. Regierung appelliert somit vielfach an die Selbsttransformation, die Veränderung des Subjekts. Gerade dieser Aspekt des Regierens entfaltet sich gemäß Campbell vielfach
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Gouvernementalität der Freundschaft
als ein Regieren durch Emotion/Emotionalisierung – bzw. als eine »emotionale Gouvernementalität« (Bargetz u. Sauer 2010: 150). »It is this notion of ›becoming-other‹ as an ›enfolding‹ of ›emotionalities of rule‹ that I want to unpack.« (Campbell 2010: 43) Diese Überlegungen harmonieren mit Rose und Miller (1992), die den Modus des Regierens als grundlegend moralische Angelegenheit denken; als eine Praxis somit, die an das Subjekt über moralisch-ethische Register die Forderung nach dessen eigener Regierbarkeit stellt und dabei ethisch-moralische Kompetenzen einfordert. Dean (2010 [1999]: 18) bezeichnet Regieren gar als eine »intensely moral activity«. Regierung erscheint als eine Aktivität, die auf solche Ziele ausgerichtet sein sollte, die in irgendeiner Form als moralisch »gut« artikulierbar sind. Regierungsprogramme und -techniken greifen damit verschiedentlich auf die ethisch-moralische Selbstführung des Subjekts zurück und rufen dieses dazu auf, sich auf eine moralisch »gute« Art und Weise zu verhalten (vgl. McIlvenny et al. 2016b: 40-44; Burchell 1993; Rose 2000a, b; Foucault 2005 [1978]a). Regierungsformen forcieren damit Spielarten eines »ethical citizenship« (Rose 2000b: 1398) und versuchen, das Verhalten von Individuen durch ethisch-moralische Injektionen zu steuern. Rose bezeichnet diese moralische Dimension des Regierens auch als Ethopower (2000b) und argumentiert: »Human beings are now considered to be, at root, ethical creatures. The problems that human societies are undergoing are increasingly made intelligible as ethical problems, and new ways are emerging for governing the behavior of individuals through acting on this dimension of ethics.« (Rose 2000b: 1398) Diese Form des Regierens »seeks a way of acting on the ethical formation and selfmanagement of individuals to promote their engagement in their collective destiny, in the interests of economic advancement, social stability, and even justice and happiness« (ebd.; Herv. J.W.). Insofern dann auch Motive wie »Gerechtigkeit« und »Glück« zu Fluchtpunkten des Regierens werden, lässt sich mit Campbell (2010) und Rose (2000a, b) argumentieren, dass gerade solch moralisierte Motive im ethischen Regieren auch besonders emotional aufgeladen sind; dass also gerade die moralische Dimension der Lebensführung mit den emotionalen Fähigkeiten des Subjekts verknüpft wird. Dies gemäß der Logik: Um moralisch »gut« zu leben und die Gesellschaft zum »Glück« zu führen, müsse man auch auf bestimmte Art und Weise fühlen und gegenüber sich und den Anderen empfinden können. Die ethisch-moralischen Koordinaten des Regierens und Sich-selbst-Regierens erscheinen als emotionalisierte Fluchtpunkte, über die sich letztlich die Frage nach einer »guten« Regierung stellen kann. Campbell verdeutlicht dies an einem empirischen Beispiel, das aufzeigt, wie in konkreten Regierungsprogrammen die affektiven Domänen von »Vertrauen«, »Zuversicht« und »Respekt« mobilisiert werden, um Subjekte zu produzieren, die gegenüber anderen, ihren Communitys und gegenüber dem Staat auf eine bestimmte Weise empfinden – bspw. dem Staat vertrauen – und gerade darüber zu regierbaren Subjekten werden. Die genannten Domänen sieht Campbell als emotional aufgeladene Motive, über die das Fühlen/Empfinden des Subjekts problematisiert wird. Campbell analysiert eine in den frühen 2000er Jahren in Großbritannien unter Federführung des Innenministeriums durchgeführte Awareness-Kampagne zur Schaffung von »Confident [zuversichtlichen; Anm. J.W.] Communities in a Secure Britain« (2010: 44) und zeigt auf, wie diese Kampagne das affektive Subjekt adressiert und dessen Gefühlskoordinaten so auszurichten sucht, dass es in einer Beziehung des Vertrauens
9. Gouvernementalität und Emotion
und der Zuversicht gefestigt werde. Als Gegenmotive hierzu erscheinen die dystopischen Imaginationen des Verfalls sozialer Kohäsion, neuer Risiken und Gefahren (z.B. Terrorismus) sowie allgemeiner Unsicherheit. Auch die Mobilisierung solch »negativer« Motive sieht Campbell als affektive Strategien, die Subjekte dazu bewegen sollen, ein bestimmtes Verhalten zu verinnerlichen. Ferner untersuchte Campbell eine 2005 induzierte Kampagne für »Respekt«: »In September 2005, the UK government set up a Respect Task Force, appointing both a Government Co-ordinator (Louise Casey) and a Minister for Respect (Hazel Blears) to oversee its progress.« (Campbell 2010: 50) Hier ging es um die Förderung einer Haltung, aus der heraus Subjekte die als »anders« erlebten Lebensweisen ihrer Mitbürger/-innen in lokalen Kontexten respektieren sollen; es ging darum »[to] enhance ethicality, mutuality and sociality« (ebd.). »Respekt« und »Vertrauen« stellen dabei, so Campbell, jene Emotionalitäten des Führens dar, »preferred and promoted sensibilities which are nurtured, en-gendered and enfolded through specific governmental technologies and practices« (ebd.: 52). »Respekt« wird als Handlungsdisposition gefördert (die dann z.B. damit verbunden sei, dass man »antisoziales« Verhalten umgehend an die Behörden meldet) sowie als eine ästhetische und ethische Lebensweise inszeniert, deren Verinnerlichung auf Gefühlen basieren müsse und Gefühle erzeugen solle. Campbell beschränkt sich dabei methodisch auf eine policy-paper-basierte Programmanalyse im klassischen Sinne, wobei sie gewisse Motive und Ziele politischer Programme als Instrumente einer auf die Stärkung emotionaler Subjektbeziehungen gerichteten Führungsform reformuliert (ähnlich: Fortier 2007, 2010). Demgegenüber möchte ich in dieser Arbeit über den Fokus auf Programme hinaus die Campbell’schen »emotionalities of rule« von den Praktiken her aufschlüsseln. Abschließend sei zusammengefasst, dass die soeben skizzierte Perspektive die für meine Analysen interessante Frage aufkommen lässt, »how passion can prompt (or not) an identification with governmental programmes; and how ›emotionalities of rule‹ propose and suggest ways of feeling about the world – how we should feel about ourselves and others, how we participate in, cultivate and enact an aesthetic life, and how we seek to govern and be governed in sentient, expressive ways« (Campbell 2010: 52).
9.3.3
Governing through community als affektiv-emotionales Projekt: das Auftauchen von Emotion und Affekt in »klassischen« Arbeiten der governmentality studies
Obschon gerade Campbell (2010) hier eher anderer Meinung ist, sehe ich gerade in den Arbeiten von Nikolas Rose bereits einige relevante Überlegungen zu den Verbindungen zwischen Gouvernementalität, Affekt und Emotion. Rose denkt verschiedentlich an, inwiefern Regierungstechnologien auf die Ausbildung der »emotional and intellectual capacities and techniques of individuals« (Rose 1993: 287) zielen. Wie schon in Kapitel 3 erwähnt, identifiziert Rose (1999, 2000a, b) bspw. ein governing through community als bedeutsame Technologie liberalen Regierens, die das zu regierende Subjekt als »Mitglied« einer bestimmten ethnischen, kulturellen, religiösen, lifestyle- bzw. interessensbezoge-
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Gouvernementalität der Freundschaft
nen oder auch lokalen Gemeinschaft/Community adressiert und darüber mobilisiert. Die politische Technologie der Community adressiert das Subjekt also zum einen (a) als Mitglied einer je spezifischen Gruppe mit spezifischer Identität, zum anderen aber auch (b) als Subjekt mit der allgemeinen Fähigkeit zur Vergemeinschaftung: als ein Subjekt mit der Fähigkeit, Bindungen mit »anderen« einzugehen und Verantwortungsgefühle gegenüber »anderen« zu entwickeln (Rose 2000b). In dieser Adressierungspraxis ist die (Re-)Konstitution des dezidiert »emotionalen Subjekts« sowie der Community als emotionales Terrain zu erkennen (siehe nachfolgende Diskussionen). Rose weist nun auf diese Dimension mehrfach hin, ohne aber Emotion und Affekt genauer zu konzeptionalisieren (vgl. De Wilde 2015a, b). Im governing through community zeigt sich Rose zufolge »eine neue Art und Weise, einen Bereich des Regierens abzugrenzen, dessen Kräfteverhältnisse mobilisiert, integriert und in neuen Programmen und Techniken genutzt werden konnten. Diese beruhen auf der Instrumentalisierung persönlicher Loyalitätsbeziehungen und der Bereitschaft, aktiv Verantwortung zu übernehmen: Regieren durch Community.« (Rose 2000a: 81) Das Subjekt erscheint hierbei als eines, das »in Gemeinschaft […] nunmehr gleichermaßen eigenverantwortlich und auf emotionale Bindungen verwiesen [ist]« (Rose 2000a: 83; Herv. J.W.). Diese erstrecken »sich auf ein umgrenztes ›Netz‹ aus anderen Individuen […], welche durch Familienbande, lokale Verankerungen oder das Engagement für Umwelt- oder Tierschutz miteinander verbunden sind« (ebd.: 83-84). Im Adressieren des Subjekts als eines mit Bindungen zu »anderen« soll dieses zu solidarischem Gemeinschaftshandeln angeleitet werden. Emotionale Bindungen werden zur Grundlage des ethischen Subjekts und sind in Bezug auf den Resonanzraum der Gemeinschaft zu fördern. Es geht dann stets um »den Aufbau verantwortlich handelnder Gemeinschaften, […] in denen jeder bereit sein müsse, sich selbst einzubringen« (ebd.: 81). Dadurch, so die Logik, werde »die Gesellschaft erneuert und soziale Gerechtigkeit maximiert« (ebd.). Governing through community nimmt also an, dass sich das Subjekt vornehmlich für die eigene Community engagiert, und versucht nun, dieses Engagement für die Gesellschaft (als Ganzes) nutzbar zu machen. Dies basiert auf der Annahme, dass es weniger gesamtgesellschaftliche Mechanismen sind, deren Modellierung gesellschaftliche Probleme auflösen könnte. Demgegenüber kommen konkrete, alltäglich gelebte Beziehungen in den Blick, die Subjekte mit anderen Subjekten eingehen, wenn sie Gemeinschaften bilden. Die Community als Ort mikromoralischer Beziehungen und Bindungskräfte zwischen Individuen erlangt im integrationspolitischen Kontext als ein Relais des Regierens an Bedeutung. In der Community lägen die zivilgesellschaftlichen Tugenden und kommunitaristischen Werte der Solidarität begründet, die zu nutzen sind (Rose 2000b). Rose schreibt über die Technologie der Community: »If political strategies are to depend on the enactment of individual freedom, they can and must act on this freedom indirectly. They should try to intensify and redirect the forces that bind individuals into such groupings and relations – shame, guilt, responsibility, obligation, trust, honor, and duty. This, it is thought, will intensify the virtuous consequences of such bindings – reciprocity, mutuality, cooperation, belongingness, and iden-
9. Gouvernementalität und Emotion
tity. In these ways, perhaps, free and autonomous individuals can be governed through community. I term this new politics of behavior ethopolitics.« (Rose 2000b: 1398-1399; Herv. J.W.) Hier zeigt sich wieder das »doppelte Spiel« der Technologie der Community: Die Bindung des Subjekts zur partikularen, identitätsbasierten, im weiteren Sinne kulturellen Gruppe ist anzuerkennen und zu fördern, aber gleichzeitig bei Bedarf und im Hinblick auf spezifische Steuerungsprobleme als allgemeine Solidaritätsfähigkeit zu rekanalisieren.3 Das regierbare Subjekt ist sowohl eines mit Bindungen zur spezifischen Community als auch eines mit allgemeiner Solidaritäts- und Vergemeinschaftungsfähigkeit. Die Ethiken der Zugehörigkeit und Solidarität verweisen zudem auf die emotionale Dimension von Community. »This strategy to sustain civility through community actually seeks to inscribe the norms of self-control more deeply into the soul of each citizen than is thought possible through either disciplinary technologies such as mass schooling or through social technologies such as those of welfare states.« (Rose 2000b: 1409) Dabei können mit Community grundsätzlich sehr verschiedene Gemeinschaften gemeint sein. Individuen würden sich nicht primär dem »Staat« oder der »Gesellschaft« zugehörig empfinden: »Heute ist man dagegen der Auffassung, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt aktuell oder potenziell durch eine Vielzahl von ›Gemeinschaften‹ bestimmt wird: (religiöse, ökologische oder feministische) Überzeugungsgemeinschaften, Habitusgemeinschaften (die sich über ihre Geschmacksvorlieben, ihre Modevorstellungen oder Lebensformen definieren), Betroffenengruppen (Behinderte, Selbsthilfegruppen bei speziellen Krankheiten, Bürgerinitiativen) und so weiter. Gelegentlich werden sie nach den geografischen Koordinaten definiert, die sich auf winzig kleine Räume beziehen. In anderen Fällen handelt es sich um ›virtuelle Gemeinschaften‹, die […] durch ein Netz kommunikativer Relais, wie etwa Symbole, Bilder, Moden und sonstige Formen der Identifikation, miteinander verbunden sind: die Schwulenszene, die Behindertenszene oder die asian community.« (Rose 2000a: 82) Daneben können Communitys auch lokale Gemeinschaften sein, die sich über lokale Bezüge konstituieren und deren Mitglieder Identität bspw. als »Bewohner eines Dorfes 3
Die Rekanalisierung (Rose 2000b) der Bereitschaft des Subjekts, Verantwortung für andere zu übernehmen, zielt u.a. darauf ab, diese Verantwortungsübernahme zu optimieren oder den Verantwortungsbereich zu erweitern. Einerseits wird versucht, dezidiert das Engagement des Subjekts für die eigene (z.B. kulturelle) Gruppe zum gesamtgesellschaftlichen Vorteil zu nutzen (und wenn es nur darum geht, über die Förderung community-spezifischen Engagements von Subjekten die gesellschaftliche Integration und Position jener Community zu verbessern und somit Effekte von Desintegration aufzulösen, die letztlich die Gesamtgesellschaft belasten). Andererseits mag das Subjekt aber auch dazu angehalten werden, sich nicht länger »nur« für die eigene (z.B. religiöse, kulturelle etc.) Community zu engagieren. Die vorhandene Engagementbereitschaft könne doch auch, so die Logik, der Stärkung der gesamten lokalen Gesellschaft (des Viertels, des Quartiers etc.) zugutekommen, dessen Teil die jeweils eigene Community schließlich sei. Ein Engagement für die lokale Gesamtgesellschaft wird dann als etwas gerahmt, das gleichzeitig auch ein Engagement für die »eigene« Gruppe ist, insofern die (lokale) Gesamtgesellschaft als Entfaltungsraum für die eigene Community zu denken sei.
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Gouvernementalität der Freundschaft
oder eines Vorortes« (ebd.: 85) oder aus sonstigen »lokalen[n] Verankerungen« (ebd.: 83-84) gewinnen. Community und dabei v.a. auch die lokale Community wird zum Bezugspunkt solidarischer Einbindung (De Wilde 2015a, b; Lanz 2009b) und bietet eine Beziehung an, »die weniger ›abgehoben‹ und ›unmittelbarer‹ erscheint, die sich nicht im ›künstlichen‹ politischen Raum der Gesellschaft abspielt, sondern sich in einem Gespinst der Affinitäten zur Geltung bringt, das allemal natürlicher erscheint« (Rose 2000a: 84; Herv. J.W.). Rose schreibt: »Die Gemeinschaften, denen man angehört, sind nicht mehr – und auch nicht weniger – als ebensolche Netze der Loyalität, mit denen man sich existenziell, traditionell, emotional und spontan und allem Anschein nach jenseits und vor aller kalkulierten Abschätzung des Eigeninteresses identifiziert.« (Ebd.; Herv. J.W.) Rose zeigt, wie Community als ein Raum der emotionalen, körperlichen und faktischen Beziehungen imaginiert wird. Auf genau diese Weise wird Gemeinschaft im Kontext politischer Maßnahmen aufgegriffen. Rose spricht hier auch von einer Reterritorialisierung des »Lebens«: »A particular territorialization of life dominates these contemporary discussions of the politics of behavior. The person[s] whose conduct is to be governed […] are understood as citizens, not of societies as national collectivities, but of neighborhoods, associations, regions, networks, subcultures, age groups, ethnicities, and lifestyle sectors – in short, communities. It is from these communities that autonomous, freedom-aspiring individuals are thought to derive the guidelines, techniques, and aspirations by which they think about and enact their freedom.« (Rose 2000b: 1398) Die lokale Ebene spielt dabei eine große Bedeutung. So spricht Rose von einem regierungstechnologischen Aufgreifen »einzigartige[r], lokale[r] und spezifische[r] Bindungen [des Subjekts; Anm. J.W.] an seine Familie und seine besondere Überzeugungs- und Wertegemeinschaft« (Rose 2000a: 84). Auch wenn hier also von »Wertegemeinschaften« die Rede ist, so ist es dennoch die Domäne des Lokalen, innerhalb welcher Bindungen (des Individuums an andere) überhaupt stattfinden, greifbar werden und sodann für die Steuerung der Gesellschaft zu nutzen sind (Rose 2000b). Dabei geht es im governing through community natürlich nicht primär darum, partikulare Gruppen zu stärken, sondern darum, Subjekte, von denen angenommen wird, dass sie communitybezogen denken und praktizieren, über die Involvierung »ihrer« Gruppen gesellschaftlich zu integrieren. Die Stärkung einer partikularen Gruppe bedeutet dann also immer auch die Stärkung ihrer gesellschaftlichen Position und damit ihrer Integration. Regierungsformen, die über Communitys operieren, sind gleichzeitig immer auch mit dem Problem (gesamt-)gesellschaftlichen Zusammenhalts konfrontiert. Das Regieren durch Community muss immer auch Möglichkeiten mitdenken, die verschiedenen Communitys untereinander in eine Beziehung zu bringen, und dabei die »gesellschaftliche Kohäsion zwischen den Gemeinschaften« (Tezcan 2007: 60) sicherstellen, um keine segregierte Gesellschaft zu riskieren. Dieses Problem ist in der Regierungsrationalität der Community bereits angelegt, wie Rose diskutiert: »Gerade weil in der Redeweise von der ›Community‹ die vereinzelten Gemeinschaften häufig in einem größeren Kollektiv der Nation, der Gesellschaft und sogar dem Planeten insgesamt verortet werden, stellt sich inzwischen immer häufiger die Frage
9. Gouvernementalität und Emotion
nach der Natur ebendieser Einbindung in eine solche übergeordnete Struktur. Daraus erklären sich die Auseinandersetzungen über ›Multikulturalismus‹ ebenso wie die sich häufenden politischen Kontroversen über mögliche Folgen des ›Pluralismus‹ ethnischer Zugehörigkeiten, religiöser Bekenntnisse, sexueller Orientierungen oder körperlicher Begabungen und Behinderungen und in Verbindung damit die Konflikte, die sich an konkurrierenden und einander ausschließenden ›Rechten‹ und ›Wertvorstellungen‹ zwischen den verschiedenen Gemeinschaften entzünden.« (Rose 2000a: 8283) Vor dem Hintergrund postmoderner kultureller Pluralisierung sowie im Zuge von Globalisierungs- und Migrationsprozessen wird eine Differenzierung von Lebensentwürfen sichtbar(-er) (Fraser u. Honneth 2015 [2003]), welche die »politics of conduct« mit einem neuen Problem konfrontiert, einem »acting on the ethical self-government of human behavior in this new plural field« (Rose 2000b: 1402). Community – vor allem auch, wie Rose zeigt (2000b), die lokale und kommunitaristisch konnotierte Community – erscheint dann als eine Möglichkeit der »Schließung von Differenz«. »Rather than recognizing the possibilities and ethical dilemmas presented by the contemporary pluralization of cultures and ethics, this version of the politics of community seeks to foreclose the problems of diversity by propagating a moral code justified by reference to values that purport to be timeless, natural, obvious, and uncontestable.« (Rose 2000b: 1409) Letztere mögen sein: »respectability, moderation, charity, probity, fidelity, and the like« (ebd.). Diese Steuerungsform, so Rose, erlangte innerhalb verschiedener, auf gesellschaftliche Kohäsion abzielender und in diesem Sinne integrationspolitischer Programme in »westlichen« Einwanderungs- und Industriegesellschaften spätestens seit den 1990er Jahren an Bedeutung. Das Lokale wurde dabei als ein mögliches Feld artikuliert, auf welchem eine Mobilisierung jener »emotionale[n] Bindungen« (Rose 2000a: 83) zwischen heterogenen Individuen und Gruppen gelingen könnte, und zwar auf eine solche Art und Weise, dass das Problem verschiedener Communitys bzw. kultureller Differenzen über Formen lokalen Zusammenhalts gelöst werden könnte. Darauf deuten (stärker als Rose selbst) verschiedene u.a. auch mit Roses Ansätzen arbeitende Studien hin. Diese können zeigen, wie gerade in integrationspolitischen Kontexten und mit dem Ziel der Regierbarmachung kultureller Differenzen Techniken entwickelt werden, die auf die Produktion lokaler, pluraler und differenzüberspannender Gemeinschaftlichkeit abzielen. Solidaritätsbeziehungen und moralisierte Bindungen vor Ort werden als Lösung des Steuerungsproblems einer u.a. migrationsbedingten gesellschaftlichen Pluralität artikuliert (De Wilde 2015a, b; De Wilde u. Duyvendak 2016; Fortier 2007, 2009; Zembylas 2014; Lanz 2009a, b; Winkler et al. 2012; Weber 2013; Rose 2000b). Dabei wird gegenwärtig mit Nachdruck versucht, gerade »muslimische« Gruppen in solche lokalen Netze zu integrieren, um z.B. Risiken von Extremismus und Abgrenzung zu minimieren (Tezcan 2007; Lanz 2009b). Hier kommt der Dialog ins Spiel, der die verschiedenen (kulturellen, religiösen) Communitys in eine produktive Beziehung bringen möchte. So setzt sich die Regierungsrationalität des Dialogs mit ähnlichen Fragen auseinander wie das governing through community und artikuliert sich, so meine These, ebenso
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als eine Regierbarmachung von Differenz(-en), die über den Einsatz von Techniken der Gemeinschaftsbildung operiert. Es ist festzuhalten, dass das governing through community bei Rose eine Technologie darstellt, die die als emotional konstituierten Beziehungen zwischen Verantwortung übernehmenden und sich vergemeinschaftenden Subjekten zu stärken sucht. So erlangt »Gemeinschaft« aus Regierungsperspektive als ein dezidiert emotionales Terrain an Bedeutung und wird folglich zu einem Interventionsfeld, innerhalb welchem Regierungstechnologien zur Produktion eines Subjekts Anwendung finden, das in erster Linie emotional-affektive Beziehungen zu seiner Mitwelt eingehen soll. Dieses Subjekt wird innerhalb der Community »gesucht« und mobilisiert (Fortier 2007, 2010; De Wilde 2015a; De Wilde u. Duyvendak 2016; Marquardt 2015; Miller u. Rose 2008). Die durch Technologien (re-)produzierte »community is thus an affective and ethical field [bzw. wird als ein solches Feld konstituiert; Anm. J.W.], binding its elements into durable relations. It is a space of emotional relationships through which individual identities are constructed.« (Rose 2000b: 1401; Herv. J.W.) Insofern »das Vokabular der ›Community‹ […] eine Psychologie der Identifikation [impliziert]« (Rose 2000a: 84), wird der Fokus auf Bindungen und Zugehörigkeitsgefühle gerichtet – auf einen »sense of community« (De Wilde 2015a: 127). Jener »re-territorialising and re-moralising emphasis on community, locality and familiarity, expresses a manifestation of an ›ethopolitical‹ (Rose, 1999) form of governance, that has been a trend in territorial governance in Western Europe over the past twenty years« (De Wilde 2015b: 179). Jene Regierungstechniken, durch welche die »subjects of government are collectivized« (Rose 2000b: 1401), entfalten sich sodann als emotionalisierte Techniken. Darauf weisen die Arbeiten von De Wilde (2015a), De Wilde und Duyvendak (2016), Fortier (2010) und Marquardt (2015) hin. Zwischenresümee: Der Diskussion um governing through community ist nun zweierlei zu entnehmen. Zum einen (a) ist im Sinne einer Kontextualisierung festzuhalten, dass jene politischen Technologien, die Aspekte von Gemeinschaft bearbeiten und entsprechende Identitätspolitiken operationalisieren, im Hinblick auf das gegenwärtige integrationspolitische Regieren auch in Deutschland von großer Bedeutung sind (vgl. Pütz u. Rodatz 2013; Rodatz 2012; Lanz 2007, 2009a, b; Weber 2013; KiepenhauerDrechsler 2013). Das Modell ermöglicht es auch, die identitätspolitischen Prämissen und Effekte einer auf »Muslime« gerichteten Dialogtechnologie beschreiben zu können, insofern diese ebenso auf die Aktivierung von Identitätsgemeinschaft(-en) setzt, eine religiöse Community involviert und gleichzeitig eine »neue«, lokale interreligiöse/interkulturelle Community zu schaffen sucht. Zum anderen (b) konnte mit der Diskussion von governing through community in analytischer Hinsicht gezeigt werden, wie Emotion und Affekt als mehr oder minder reflektiert in das integrationspolitische Regieren einbezogene Gegenstände einer politischen »Technologie der Gemeinschaft« verstanden werden können. Hier scheint es mir lohnenswert, auch die Regierungstechnologie des Dialogs (u.a.) als eine solche Technologie der Gemeinschaft zu deuten und nach jener emotional-affektiven Dimension hin zu befragen. Damit könnte das spezifische Vergemeinschaftungsmomentum im Dialog, das meiner Ansicht nach mit einer Emotionalisierung des Feldes einhergeht, als Regierungsform beschrieben werden. Die bisherigen Diskussionen ließen bereits konzeptionell andenken, inwiefern sich Regierung
9. Gouvernementalität und Emotion
über emotional-affektive Register entfalten kann (vgl. Marquardt 2015). Hier sehe ich einen Mehrwert in Hinblick auf die Analyse des lokalpolitischen Dialogs. Um diese Perspektive auf Regierung und Emotion noch zu vertiefen, sollen im nachfolgenden und letzten Abschnitt noch einige Erkenntnisse aus Studien dargelegt werden, die sich dezidiert mit lokalen Techniken emotionalisierter Gemeinschaftsbildung beschäftigen. Wenn also »emotionale Bindungen« (Rose 2000a: 83) zur Grundlage des sich selbst führenden, ethischen Subjekts gemacht und im Resonanzraum der »Gemeinschaft« verortet werden, stellt sich die Frage, über welche konkreten Techniken, Verfahrensweisen und Praktiken die Förderung solcher Bindungen sichergestellt werden soll.
9.3.4
Engineering community spirit und affective citizenship in Integrationspolitiken
Einige Studien zeigen in Bezug auf verschiedene nationale Kontexte, wie Techniken eines governing through community darauf abzielen, lokale Gemeinschaftlichkeit zu produzieren, die eine gruppen-, identitäts- und differenzübergreifende Interaktion und damit gesellschaftliche Integration sicherstellen soll. Dafür werden einzelne (kulturelle) Gruppen als solche angesprochen, gestärkt und sodann als Elemente einer im weiteren Sinne interkulturellen lokalen Community neu ausgerichtet (für die Niederlande: De Wilde 2015a; De Wilde u. Duyvendak 2016; für Großbritannien: Campbell 2010; Fortier 2007, 2010; Rose 2000b; für Deutschland: Lanz 2009b; teils auch Pütz u. Rodatz 2013; Weber 2013). Gerade lokale und kommunale Integrationspolitiken setzen vielfach auf die Stärkung lokaler, an kommunitaristischen Normen des Zusammenhalts orientierter Gemeinschaften, deren als kulturell heterogen imaginierte Mitglieder aufgerufen sind, »füreinander einzustehen« (Lanz 2009b) und für das gemeinsame Lebensumfeld Verantwortung zu übernehmen. In diesem Zusammenhang werden politische Techniken eines »Engineering community spirit« (De Wilde u. Duyvendak 2016: Titel) als Lösungen sowohl für sozioökonomische Problemlagen als auch für vermeintliche interkulturelle oder interreligiöse Spannungen vor Ort plausibilisiert. Die Lösung für einzelne (Stadt)Quartiere und lokale Kontexte wird in der Schaffung einer »specific locality« gesehen, »enacted as a localised, collective sphere of belonging« (De Wilde u. Duyvendak 2016: 977). Diese solle immer auch eine dezidiert multikulturelle (und multireligiöse) Sphäre des Dialogs und der Zusammenarbeit innerhalb pluraler Gesellschaften darstellen (De Wilde 2015a, b; Lanz 2009a, b; Weber 2013; Zembylas 2014). Die Technologie der Community erscheint damit als Bearbeitung von »issues attendant to mass immigration and the integration of ethnic minorities into mainstream society« (De Wilde u. Duyvendak 2016: 974). »Zusammenhalt vor Ort« soll dann v.a. jene lokalen Gesellschaften steuerbar gestalten, denen eine u.a. migrationsbedingte Pluralität und Fragmentierung zugeschrieben wird und die deshalb als konfliktgefährdet und »entwurzelt« gedacht werden (De Wilde u. Duyvendak 2016; Tezcan 2007). Governing through community ist hier als Technologie der Gemeinschaftsbildung zu deuten, die »kulturelle Differenzen« steuerbar macht (Rose 2000b), »ethnic relations« gestaltet und so das »multicultural drama« aufzulösen sucht (die letzten zwei Zitate: Wilde u. Duyvendak 2016: 977; dazu: Fortier 2007; Tuori 2009). Fortier z.B. rekonstruiert in ihrem Aufsatz »Love thy neighbour« am
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Beispiel von Integrationsprogrammen in Großbritannien Taktiken und Strategien eines »management of multicultural intimacies« (Fortier 2007: 104). Dabei diskutiert sie diese Prozesse explizit auch als ein »governing through affect« (Fortier 2010: 17). Die integrationspolitische Bedeutung der Technologien der Community bildet auch den Boden für die Entwicklung von Verfahren lokaler interkultureller und interreligiöser Dialoge, die als Technologien der Gemeinschaft gedeutet werden können. Für den deutschen Kontext hat insbesondere Lanz (2009b) ähnliche Technologien des Regierens lokaler »migrationsgeprägter« Gesellschaften aufgezeigt und sich dabei auf Roses Modell bezogen. Am Beispiel integrationspolitischer Maßnahmen des Quartiersmanagements in Berlin illustriert Lanz, wie die Bewohner/-innen benachteiligter Stadtquartiere und hierbei v.a. migrantische sowie explizit auch »muslimische« Individuen und Gruppen in die Produktion solidarischer und kommunitaristisch ausgerichteter Gemeinschaften eingebunden werden, deren Elemente »füreinander« (Lanz 2009b) einstehen sollen. Die Einbindung von Migrant/-innen und »Muslimen« in lokale zivilgesellschaftliche Solidaritätsbeziehungen soll die gesellschaftliche Integration jener Gruppen befördern und verhindern, dass diese ob etwaiger Exklusionserfahrungen ihre Moral verlieren, in Resignation verfallen oder sich in die als »eigen« erlebten kulturellen Gruppen zurückziehen, wo sie dann ggf. (islamistischen) Radikalisierungsrisiken ausgesetzt wären (Lanz 2009b: 223; Rodatz u. Scheuring 2011; Rose 2000b; Rodatz 2012, 2014; Weber 2013).4 Die Arbeiten von De Wilde (2015a, b) sowie De Wilde und Duyvendak (2016) sind für meine Arbeit von besonderem Interesse, da deren Studien – unter Rekurs auf Rose – die Herstellung lokaler Gemeinschaft dezidiert als affektiv-emotionales Projekt interpretieren (ähnlich: Fortier 2007, 2010). Sie greifen damit die bereits bei Rose angelegte Deutung von Community als emotionales Terrain auf, arbeiten aber expliziter die Emotionalitäten jener Technologien der Gemeinschaftsbildung heraus. De Wilde zeigt, wie in quartiersbezogenen Integrationsmaßnahmen in den Niederlanden die Erfindung und Mobilisierung eines »localized sense of community« (De Wilde 2015a: 127) mit der Kreierung einer auf Vergemeinschaftung zielenden »cozy atmosphere« (ebd.) – einer gemütlichen Atmosphäre – einhergeht. Sie zeigt, wie stark Quartiersmanager/-innen auf die Schaffung einer positiven »Quartiersatmosphäre« abzielen und dafür Techniken der Informalität nutzen, die denen ähnlich sind, die ich bereits für das Dialoggeschehen identifiziert hatte: persönliche Beziehungen zu Quartiersbewohner/innen knüpfen, flache Hierarchien pflegen, Loben, Ermuntern und Wertschätzen (vgl. auch: De Wilde u. Duyvendak 2016). Über »sensitising policy techniques« (De Wilde u. Duyvendak 2016: 979) wie z.B. »face-to-face contact, friendly chats and intimate interactions« (ebd.) versuchen Quartiersmanager/-innen, »kindling feelings of community« 4
Lanz (2009b) kritisiert dabei, dass solche Community-Maßnahmen gesellschaftliche Exklusion vorwiegend über die Aktivierung von Eigenengagement abzumindern suchen und dabei weder ein Konzept sozialer Gerechtigkeit aufweisen noch in relevanter Höhe Ressourcen umverteilen. Die Studie von Lanz thematisiert im Gegensatz zu De Wilde (2015a, b) nicht explizit Fragen von Emotion und Affekt. Trotzdem kann sie zeigen, wie die Involvierung von Subjekten in Gemeinschaften in hohem Maße über ethisch-moralische Register operiert. Darauf deuten bereits die von Lanz verwendeten Begrifflichkeiten, insofern er die emotional konnotierte Vorstellung eines »Füreinander Leben[s]« (2009b: 219) als angemessene Beschreibung der integrationspolitischen Maßnahmen einführt.
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(ebd.) zu erzeugen (vgl. auch: Kiepenheuer-Drechsel 2013). De Wilde (2015a, b) sowie De Wilde und Duyvendak (2016) illustrieren ethnographisch verschiedene Maßnahmen, die allesamt darauf abzielen, Quartiersbewohner/-innen zu einem bestimmten Empfinden gegenüber ihrem Quartier und den Mitbewohner/-innen anzuleiten. Kulturelle Differenzen werden dabei von Quartiersmanager/-innen als Potenziale des Quartiers und hierbei v.a. als Chancen für Kommunikation artikuliert. So werden einzelne Individuen als Mitglieder ihrer Kultur oder Religion angesprochen und anerkannt und sodann dazu ermutigt, auf Basis ihrer kulturellen Prägungen »Kulturangebote« für alle Bewohner/-innen des Quartiers anzubieten – und z.B. einen Kunsthandwerkskurs zur Herstellung traditionellen »türkischen« Papiers zu gestalten. In öffentlichen Quartierssitzungen oder auf Veranstaltungen werden dann Individuen, die sich dermaßen einbringen, öffentlich von Quartiersmanager/-innen für ihr Engagement und ihren Beitrag zu einem multikulturellen Miteinander gelobt. Kulturelle Differenzen werden auf emotionalisierte Art und Weise als Potenziale des Quartiers inszeniert und interpersonale Bindungen als Notwendigkeit hervorgehoben. Solche Techniken des Regierens von Differenz und Prekarität deutet De Wilde als ein Regieren durch Emotionen (2015a: 127). Die illustrierten Community-Techniken »recogniz[e] some emotions, and public conduct arising from it, more than others« (ebd.). De Wilde erkennt in Roses Abhandlungen über Community (Rose 2000a, b, 1999) die These, dass jene politischen Praktiken der Subjektivierung, die das Individuum als Teil einer Gemeinschaft adressieren, »have become increasingly more affective as a community can be seen as ›a moral field‹ and ›a space of emotional relationships […]‹ (Rose 1999, p. 172 […])« (De Wilde 2015a: 128; Rose zitierend). Die in der Community-Terminologie adressierten Individuen »become relational, affective subjects in search of attachments to a greater good« (De Wilde u. Duyvendak 2016: 974). Dies »raises the question how governments address people as individuals with emotional bonds of affinity to other people and how they try to influence them to assemble these bonds in a new way« (De Wilde 2015a: 128-129; Herv. J.W.). Daran reihen sich die Fragen, »how governments utilize and mobilize emotions as a productive force for community involvement« (De Wilde 2015a: 128-129) sowie »how governments acknowledge, harness, and try to influence citizens‹ emotions and intimate relationships« (De Wilde u. Duyvendak 2016: 975). Diese Fragen erscheinen auch im Hinblick auf Dialog bedeutsam. De Wilde (2015a) sowie De Wilde und Duyvendak (2016) führen nun den Rose’schen Gedanken von Community als affektiv-emotionaler Sphäre weiter, indem sie das Konzept des affective citizenship einführen. De Wilde u. Duyvendak verstehen »affective citizenship as a technology of governance – an ›affective register‹ (Muehlebach 2012, 44) of techniques that seek to instrumentalize personal bonds, intimate relations and emotions in order to ›sensitize‹ citizens into the spirit of community engagement« (2016: 975). Im affective citizenship entsteht Zugehörigkeit nicht über formale politische (Staats-)Angehörigkeit, sondern über ein Zugehörigkeitsempfinden (zu einer lokalen Gemeinschaft), das mit der Stärkung von Erfahrungen von Handlungsfähigkeit bzw. eines Beeinflussen-Könnens der eigenen Mitwelt verknüpft ist. Affective citizenship verweist auf politische Technologien, die eine »fühlbare Mitgliedschaft« und Partizipation erzeugen und greifbar machen und dann versuchen, (Orts-)Zugehörigkeit über emotionale Bindungen zu (re-)produzieren. Affective citizenship ist damit eine
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»technology of social cohesion: an affective register of strategies, techniques and procedures which local politicians, policy administrators and practitioners use to stimulate in residents the capacity to feel and to act upon these feelings in order to construct a neighbourhood community« (De Wilde 2015b: 35; dazu: 182). Es ist eine Technologie, die Einflussmöglichkeiten erfahrbar machen will, um so Zugehörigkeitsempfinden zu einer Community oder einem Ort wahrscheinlich zu machen. Affective citizenship lässt sich entsprechend in sensibilisierenden Regierungstechniken wiederfinden, die die Produktion von Zugehörigkeitsempfindungen forcieren (Marquardt 2015), und adressiert »the community as a productive force for participation through the instrumentalisation of personal bonds, intimate relations and emotions, all with the aim of creating a locally, embedded sphere of belonging« (De Wilde 2015b: 35). Die Mobilisierung von affective citizenship erscheint dann als ein »governing through affect«, wie Fortier (2007, 2010) es bezeichnet. Dabei verzichtet De Wilde im Aufgreifen des Konzepts von affective citizenship auf eine ontologische Klärung des »Wesens« von Emotionen und Affekten und konzeptionalisiert letztere als Intensitäten, die politischen Technologien inhärent sind. Ich greife diese Perspektive auf und fasse emotionalaffektive Intensitäten als Phänomene, die nicht unabhängig von politischen Technologien zu betrachten bzw. von Interesse sind.
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Fühlende und praktizierende Körper als Analysegegenstände – methodologische und methodische Reflexionen sowie neue Perspektiven auf die Machttechnologien des Dialogs
Den Perspektiven auf Affekt, Gefühlsintensitäten und Emotionen sowie konkreter auch dem Konzept der »affektiven Teilhabe« (De Wilde 2015a, b) entnehme ich die Möglichkeit, gesellschaftliche Prozesse – und damit auch Regierungsprozesse – als Transformationen von (Körper-)Beziehungen zu denken, die mit einer (Re-)Konfigurierung von Gefühlshorizonten verbunden sind und bestimmte Empfindungen zu justieren suchen. Vor diesem Hintergrund kann gefragt werden, inwiefern Regierungstechnologien als mehr oder minder systematisierte Zugriffe auf das fühlende Subjekt wirken und dabei die Fähigkeiten dieses Subjekts, zu empfinden (Marquardt 2015), neu auszurichten versuchen. So kann auch der »Dialog mit Muslimen« im Lichte seiner Materialität betrachtet und danach befragt werden, inwiefern er als ein Arrangieren körperlicher Verhältnisse und sodann als ein Kanalisieren und Konfigurieren von (Körper-)Beziehungen operiert, was das Auftauchen bestimmter Gefühlsintensitäten wahrscheinlicher macht; Gefühlsintensitäten, die aber immer schon als artikulierbare Emotionen ins Spiel gebracht worden sind, die wiederum an identifizierbare Praktiken gekoppelt sind. Wie die (Be)Greifbarmachung von Empfindungen im Dialog funktioniert, wie die Dialogtechnologie auf einer Justierung von Empfindungen (in etwa der Zugehörigkeit) basiert und welche Machteffekte damit einhergehen, sind allesamt Fragen, die ich unter Rekurs auf dieses Kapitel (9.2) nun besser fassen kann. Dabei ist gerade die Verschränkung von programmatisch formulierten Rationalitäten mit Techniken und Emotionalitäten des Regierens durch Dialog in den Blick zu nehmen. Hier können v.a. die Perspektiven auf
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»technology of social cohesion: an affective register of strategies, techniques and procedures which local politicians, policy administrators and practitioners use to stimulate in residents the capacity to feel and to act upon these feelings in order to construct a neighbourhood community« (De Wilde 2015b: 35; dazu: 182). Es ist eine Technologie, die Einflussmöglichkeiten erfahrbar machen will, um so Zugehörigkeitsempfinden zu einer Community oder einem Ort wahrscheinlich zu machen. Affective citizenship lässt sich entsprechend in sensibilisierenden Regierungstechniken wiederfinden, die die Produktion von Zugehörigkeitsempfindungen forcieren (Marquardt 2015), und adressiert »the community as a productive force for participation through the instrumentalisation of personal bonds, intimate relations and emotions, all with the aim of creating a locally, embedded sphere of belonging« (De Wilde 2015b: 35). Die Mobilisierung von affective citizenship erscheint dann als ein »governing through affect«, wie Fortier (2007, 2010) es bezeichnet. Dabei verzichtet De Wilde im Aufgreifen des Konzepts von affective citizenship auf eine ontologische Klärung des »Wesens« von Emotionen und Affekten und konzeptionalisiert letztere als Intensitäten, die politischen Technologien inhärent sind. Ich greife diese Perspektive auf und fasse emotionalaffektive Intensitäten als Phänomene, die nicht unabhängig von politischen Technologien zu betrachten bzw. von Interesse sind.
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Fühlende und praktizierende Körper als Analysegegenstände – methodologische und methodische Reflexionen sowie neue Perspektiven auf die Machttechnologien des Dialogs
Den Perspektiven auf Affekt, Gefühlsintensitäten und Emotionen sowie konkreter auch dem Konzept der »affektiven Teilhabe« (De Wilde 2015a, b) entnehme ich die Möglichkeit, gesellschaftliche Prozesse – und damit auch Regierungsprozesse – als Transformationen von (Körper-)Beziehungen zu denken, die mit einer (Re-)Konfigurierung von Gefühlshorizonten verbunden sind und bestimmte Empfindungen zu justieren suchen. Vor diesem Hintergrund kann gefragt werden, inwiefern Regierungstechnologien als mehr oder minder systematisierte Zugriffe auf das fühlende Subjekt wirken und dabei die Fähigkeiten dieses Subjekts, zu empfinden (Marquardt 2015), neu auszurichten versuchen. So kann auch der »Dialog mit Muslimen« im Lichte seiner Materialität betrachtet und danach befragt werden, inwiefern er als ein Arrangieren körperlicher Verhältnisse und sodann als ein Kanalisieren und Konfigurieren von (Körper-)Beziehungen operiert, was das Auftauchen bestimmter Gefühlsintensitäten wahrscheinlicher macht; Gefühlsintensitäten, die aber immer schon als artikulierbare Emotionen ins Spiel gebracht worden sind, die wiederum an identifizierbare Praktiken gekoppelt sind. Wie die (Be)Greifbarmachung von Empfindungen im Dialog funktioniert, wie die Dialogtechnologie auf einer Justierung von Empfindungen (in etwa der Zugehörigkeit) basiert und welche Machteffekte damit einhergehen, sind allesamt Fragen, die ich unter Rekurs auf dieses Kapitel (9.2) nun besser fassen kann. Dabei ist gerade die Verschränkung von programmatisch formulierten Rationalitäten mit Techniken und Emotionalitäten des Regierens durch Dialog in den Blick zu nehmen. Hier können v.a. die Perspektiven auf
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Körper und auf Praktiken sowie ein ethnographisches Vorgehen helfen, wie D’Aoust in einem der wenigen Aufsätze über Emotion und Gouvernementalität beschreibt: »Paying attention to governmentality allows us to examine how emotions and rationality actually intermingle, notably by putting the body at the centre of analysis in ways that do not make it the locus of a pre-social affect.« (D’Aoust 2014: 267) Der fühlende und praktizierende Körper wird methodologisch zum Objekt des Forschungsinteresses, von dem ausgehend die Gouvernementalität eines »lokalen Dialogs mit Muslimen« zu rekonstruieren sein wird. Diese Perspektive wird in den nächsten Kapiteln die Aufbereitung der empirischen Daten leiten. Die Integration von Emotionalität und Affekt in die Perspektive auf Techniken des Regierens sehe ich dabei als eine in der Auseinandersetzung mit dem empirischen Gegenstand »Dialog« erfolgte Weiterentwicklung des Gouvernementalitätsansatzes. Damit wäre ein oftmals zu wenig eingelöster Anspruch der Gouvernementalitätsforschung erfüllt, dem gemäß Analytiker/-innen der Machtbeziehungen ihre Kategorien stets am empirischen Gegenstand re-justieren sollten (Füller u. Marquardt 2009). So merken in etwa Bröckling und Krasmann kritisch an, dass »Gouvernementalität als theoretisches ›Passepartout‹ für beliebige Untersuchungsgegenstände und -ziele eingesetzt [wird], ohne das Konzept einer Überarbeitung, Weiterentwicklung oder Korrektur zu unterziehen […]« (Bröckling u. Krasmann 2010: 32) – und dies obschon »Foucault seine Analyseinstrumente jeweils im Hinblick auf die von ihm untersuchten historischen Objekte (Wahnsinn, Delinquenz, Sexualität etc.) entwarf, ohne daraus eine allgemeine Theorie abzuleiten« (ebd.; vgl. auch: McIlvenny et al. 2016a; O’Malley et al. 1997; Rose et al. 2006). So gehe es in den Gouvernementalitätsstudien »um ein spekulatives Denken über die Regierung unserer Fähigkeiten und Vermögen und nicht um die Produktion lehrbuchfähiger Aussagen über das Funktionieren von Gesellschaften im Allgemeinen« (Osborne 2004: 35). Entsprechend versuche ich, über die Kategorie der »Emotionalitäten des Regierens« (Campbell 2010) die Machttechnologie des lokalen Dialogs angemessener fassen zu können. Wie nun ist die neue Perspektive auf Emotionalitäten ontologisch und konzeptionell in eine Foucault’sche, diskurstheoretisch eingefärbte Regierungsanalyse einzubetten? Hierzu kann zunächst zwischen verschiedenen heuristischen Perspektiven unterschieden werden. Die eine Frage wäre: Wird das in das Dialoggeschehen involvierte Individuum »tatsächlich« auf eine bestimmte Weise affiziert? Wie sieht diese Beeinflussung dann aus? Und fühlt das affizierende und affizierte Individuum im Dialog »tatsächlich« ganz bestimmte Empfindungen? Dies wären Fragen nach der ontologischen Realität von Affekten, Beeinflussungsimpulsen und Gefühlen. Eine andere Frage wäre hingegen: Inwiefern zielt die Regierungspraxis des Dialogs darauf ab, die Kapazitäten von Körpersubjekten, beeinflusst zu werden und zu beeinflussen (Affekte), und entsprechend die damit verbundenen Gefühle/Empfindungen greif- oder vermittelbar zu machen? Das gouvernementalitätstheoretische Erkenntnisinteresse führt nun eher von den ersten Fragen weg und leitet in die letzte Frage hinein. Mit den in dieser Arbeit genutzten Kategorien kann ich nicht klären, ob ein Individuum im Dialoggeschehen »wirklich« affiziert wurde bzw. damit einhergehende Empfindungen durchlief. Ich kann aber dem Phänomen nachspüren, inwiefern die Technologie des Dialogs auf die Produktion von Erfahrungs- und Erlebnishorizonten setzt, in denen z.B. Gemeinschaft und Zugehörig-
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keit und darüber Handlungsfähigkeit an die beteiligten Individuen vermittelt werden. Daraufhin kann diskutiert werden, wie diese Versuche einer Erfahrungsproduktion sich in Praktiken und Techniken übersetzen und wie diese Praktiken und Techniken »angenommen« werden, welche Anschlusspraktiken mit ihnen einhergehen, wie also Subjekte sich in Bezug auf die Versuche einer emotionalisierten Gemeinschaftsproduktion im Dialog verhalten. Am Beispiel der »Praktiken der Informalität« und der »sozialen Nähe« soll diese neue Perspektive auf Dialog kurz diskutiert werden. Wie in Kapitel 8 gezeigt, lassen sich einige der beobachteten Dialogaktivitäten als Praktiken deuten, die in den Dialogsitzungen einer tendenziell informell-persönlichen und vertrauten Atmosphäre Ausdruck verleihen sollen. Die Technologie des Dialogs, die sich durch solche Praktiken fortschreibt, wäre aus der neuen Perspektive heraus betrachtet eine (Re-)Konfigurierung von Körpern in deren wechselseitigen Beziehungen und damit von Geflechten wechselseitiger Impulse und Beeinflussungen. Diese Beziehungen wie auch die Gefühle, die in selbigen entstehen, sind nun durch die Methoden der Beobachtung und der Interviewführung nicht direkt darstellbar. Wie ein Individuum im Vollzug einer solchen Praxis der Informalität affiziert wird und/oder empfindet, ist nicht direkt zu erfassen. Somit handelt es sich hierbei zunächst einmal »nur« um eine Grundperspektive auf die Dialogpraxis, der zufolge selbige auf körperlichen Beziehungskonfigurierungen beruht, aus denen Gefühlsintensitäten erwachsen. In Verbindung mit konventionalisierten Deutungen und Wahrnehmungsmustern der Dialogpraxis können diese Empfindungen dann auch als konkrete Emotionen (»Freude«, »Gemeinschaftsgefühl«) kommuniziert und erfahrbar gerahmt werden. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass Praktiken mit der Bevorzugung bestimmter Gefühlsintensitäten gegenüber anderen einhergehen (vgl. Marquardt 2015; De Wilde 2015a; Schatzki 2002), kann formuliert werden, dass die erwähnten Dialogpraktiken der Informalität auf die Greifbarmachung bestimmter Gefühle – bspw. »Vertrautheit«, »Gemeinschaftlichkeit« oder »Zugehörigkeit« – und damit auf die Produktion einer informell-vertrauten Beziehungen abzielen. Die im Vollzug der Praktiken modellierten und dadurch erst konkretisierten Gefühlsintensitäten (z.B. »Vertrautheit«, »Nähe«) wären dann als Emotionen zu beschreiben, die als benennbare »positive« Empfindungen Bedeutung für das Regieren erlangen. Wenn ich nun sage, dass die Dialogpraxis auf die Produktion solcher, als Emotionen geformter Gefühle (der Zugehörigkeit) abzielt – und dies weiter untersuchen will –, dann nutze ich hier den Begriff »abzielen«, weil die Methoden der Beobachtung und der Interviewführung Gefühle und Emotionen als »Erlebtes« nicht direkt darstellen können. Eine ontologisch »realistischer« formulierte These wäre ja, dass die Dialogpraxis Gemeinschaftserfahrungen und Zugehörigkeitsempfindungen produziert und eben nicht »nur« darauf abzielt. Dies führt aber in die Frage, was Zugehörigkeitsempfindungen und Emotionen sind, was mit den hier vewendeten Methoden nicht fassbar ist. Dennoch kann aber über die genannten Methoden plausibel gemacht werden, dass bestimmte Praktiken Empfindungen – bspw. »sozialer Nähe« oder der »Zugehörigkeit« – zu ihren Gegenständen machen, kontinuierlich bearbeiten und in diesem Sinne mit hervorbringen. Manchen Praktiken, wie z.B. der Praktik des »Umarmens«, kann auch plausibel zugeschrieben werden, dass sie auf die Modellierung interpersonaler Empfin-
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dungen von Nähe und Zugehörigkeit gerichtet sind.5 Wenn Individuen dann sprachlich über ihre Gefühle berichten und bspw. Aussagen tätigen, dass sie sich über die Existenz der Dialogforen in Erlangen freuen und es sich gut anfühle, im Dialog Unterstützung zu erfahren (Aussagen, die in vielen Sitzungen getätigt wurden), dann sind hier natürlich keine Empfindungen direkt dargestellt. Die Aussagen sind aber dennoch als Hinweise darauf zu werten, dass die Regierungspraxis des Dialogs Subjekte hervorbringt, die bestimmte Gefühle (der Zugehörigkeit) verkörpern, aufgreifen und prozessieren (können); oder zumindest auf eine anschlussfähige Art und Weise darstellen und in die kollektiv produzierten Wahrnehmungsmuster einspeisen (können). Entsprechend würde sich die These aufstellen lassen, dass das Regieren durch Dialog eine Fühlbarmachung von Zugehörigkeitsempfindungen integriert. Man kann folglich, obschon Gefühlsintensitäten methodisch nicht direkt darstellbar sind, durchaus von der Existenz selbiger ausgehen und darauf aufbauend theoretisch informiert annehmen, dass eine Praxis, z.B. die des Dialogs, Gefühlsintensitäten aufgreifen und modellieren kann. Erst als »modellierte (Gefühls-)Intensitäten« (Winkler 2017: 308) und somit als Elemente einer diskursiv vermittelten Praxis (des Dialogs) können diese Intensitäten/Gefühle Ausdruck finden und als Emotionen (be-)greif- und fühlbar werden. Sie werden damit, so die weitere Annahme, als Emotionen erst in der Praxis hergestellt, was eine essenzialisierende Perspektive auf Emotionen vermeidet (vgl. Campbell 2010; Marquardt 2015; Scheer 2012, 2016; Sutter 2017; Winkler 2017). Damit würde man die Frage nach der Ontologie der Gefühle »an sich« verschieben, jedoch bestimmten Praktiken (des Regierens) über eine Analyse ihrer Form und Situiertheit den Effekt einer Modellierung von Gefühlsintensitäten zuschreiben, die die Auswirkung habe, bestimmte »Fühlbarkeiten« (von z.B. Zugehörigkeit) wahrscheinlicher zu machen als andere. Man würde damit Gefühle und Empfindungen keineswegs als wesenhafte Gegenstände essenzialisieren, sondern als praktisch hervorgebrachte Zustände und damit Effekte diskursiver Praxis denken. Die analytischen Begriffe Sutters (2017: 4, 7)
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Grundsätzlich sind manche Praktiken auf eine solche Art und Weise komponiert, dass sich in ihnen der Versuch zu verkörpern scheint, andere Individuen in ihren Empfindungen zu affizieren; Praktiken, die so gestaltet sind, dass üblicherweise angenommen werden kann, dass sie Empfindungen/Intensitäten hervorrufen und mit prägen (»Umarmen«, »Motivieren« usw.); Praktiken, deren Genealogie und Form mit dem Ziel, Gefühlsintensitäten zu berühren, zusammenhängen. Eine Praktik wie jene des »Motivationsrede-Haltens« bspw. – man denke an eine nach bestimmten Aspekten gestaltete, von starker Gestikulation begleitete Motivationsrede auf einer Veranstaltung – wäre dann entlang gewisser körperlich sichtbarer Kriterien identifizierbar und unter den Bedingungen der dominanten, kollektiv geteilten Deutungsverhältnisse und Erfahrungshorizonte plausibel als eine Praktik zu interpretieren, die auf die Mobilisierung von Empfindungen abzielt (vgl. Scheer 2016). Ob sie darin dann »erfolgreich« ist, ist eine andere Frage, die vermittels der Beobachtung von Anschlusspraktiken zwar diskutiert, aber, so meine Perspektive in dieser Arbeit, nicht abschließend beantwortet werden kann. Mich interessieren also jene (Regierungs-)Praktiken, die als solche Praktiken repräsentierbar erscheinen (oder sich teils auch selbst als solche Praktiken darstellen), die auf Gefühle zielen. Natürlich bleibt die Identifikation solcher Praktiken ein interpretativer Akt. Ich schreibe manchen Praktiken – z.B. dem »Sich-Umarmen« – die Eigenschaft zu, in besonderem Maße auf die Modellierung von Gefühlsintensitäten zu zielen und sich im Versuch einer solchen Modellierung zu entfalten, auch wenn dieser Aspekt dem praktizierenden Subjekt nicht notwendigerweise immerzu präsent sein muss.
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verwendend, kreieren Praktiken immer einen bestimmten Deutungsrahmen, der »den Rezipientinnen bestimmte ›Lesarten‹ […], aber auch Fühlweisen nahe[legt]« (Sutter 2017: 7, sich auf Stuart Hall beziehend; Herv. J.W.). In seiner Analyse lokalen gesellschaftlichen Engagements für Geflüchtete spricht Sutter davon, dass bestimmte Praktiken Verhältnisse schaffen können, in welchen sich dann solche »emotionalisierende[n] und emotionalisierte[n] Sichtweisen [etablieren]« (ebd.: 4). Entsprechend möchte auch ich von produzierten Fühlweisen bzw. Fühlbarkeiten sprechen. So betrachtet, begünstigt die Dialogpraxis als Regierungstechnologie die Erfahrbarkeit bestimmter emotionaler Gefühlszustände (z.B. erlebter lokaler Gemeinschaft) und beeinflusst damit auch Subjektivierungsprozesse. Wie ich an anderer Stelle argumentierte, wäre dann, »ohne […] eine Ontologie des Affekts leisten zu können, […] mit Campbell (2010) an[zu]denken, dass Regierungstechnologien spezifische ›Emotionalitäten des Regierens‹ inhärent sein können, die als modellierte (Gefühls-)Intensitäten Subjektivierungsprozesse kanalisieren« (Winkler 2017: 308). Wenn ich sage, der Dialog zielt auf die Herstellung von Zugehörigkeitsgefühlen, dann distanziere ich mich, wie gezeigt, mit dem Begriff »zielen« zwar von der Vorstellung, Zugehörigkeitsgefühle direkt nachweisen zu können, bewege mich aber, was mein Erkenntnisinteresse angeht, dennoch bereits außerhalb einer rein semantisch-sprachlichen Analyse bspw. der Verwendung emotional konnotierter Signifikanten. Es ist bereits ein Interesse an dem Phänomen »Zugehörigkeitsgefühle« (oder an anderen Gefühlen) vorhanden. Wenn ich sage, der Dialog zielt auf die Herstellung von Zugehörigkeitsgefühlen, dann denke ich an konkrete Praktiken, von denen ich ausgehe, dass sie – anders als andere Praktiken – in besonderem Maße mit Zugehörigkeitsgefühlen in Verbindung zu bringen sind. Mit dem Begriff »abzielen« markiere ich zwar eine erkenntnistheoretische Distanz in Bezug auf die endgültige »Klärung« des Wesens von Gefühlen, stelle aber die These auf, dass ein Regieren durch Dialog die Herstellung bestimmter Zugehörigkeitsgefühle und deren Materialisierung in körperlichen Subjekten (= Fühlbarwerdung) zumindest wahrscheinlicher macht. Der Dialog, so die These, »verbessert« die Bedingungen für das Auftauchen bestimmter Empfindungen und forciert Situationen der Erlebbarkeit selbiger. Damit wäre die Aussage, der Dialog produziere Empfindungen, durch die dynamischere, auf mehr Produktionsebenen verweisende Formulierung zu ersetzen, der Dialog produziere Fühlbarkeiten. Das Fühlen sowie die Situationen, die dieses ermöglichen, wären dann auch selbst als produktive Praktiken zu denken, die nur im Kontext einer weiter gefassten diskursiven Praxis (Wrana 2012) des Dialogs wirken können. Der Blick auf die Praktiken des Dialogs über die Kombination aus Interviews und Beobachtungen kann dann Thesen darüber generieren, wo, also an welchen Orten und im Zuge welcher Praktiken, die Erlebbarkeit bestimmter Gefühle begünstigt wird (Campbell 2010; Marquardt 2015; Scheer 2012, 2016; Sutter 2017; Winkler 2017). Methodisch erfordert die Perspektive auf Affekt und Emotion gewisse ReJustierungen der Aufmerksamkeit. Entsprechend versuchte ich in den von mir geführten qualitativen Interviews mit Dialogaktiven zunehmend auch Fragen zu stellen, die solche Aussagen generieren würden, in denen der Dialog in Bezug auf die eigene Person sowie in Bezug auf persönliche Gefühle und Wahrnehmungen reflektiert
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wird. In den Beobachtungen wiederum achtete ich nun auch verstärkt auf körperliche Aktivitäten und Ausdrucksformen, die sich als Elemente einer Emotionalisierung deuten ließen (zu dieser Deutungspraxis siehe weiter unten). Grundsätzlich habe ich an anderer Stelle geschrieben: »Unter der Annahme, dass Emotionalität vielfach über körperliche Ausdrucksformen eine unter bestimmten diskursiven Bedingungen plausible Repräsentanz erhält, [sind] folglich nicht-sprachliche Aspekte besonders [zu] beachte[n]. Körperbewegungen, mimische, gestische und akustische Aspekte (z.B. Intonationsweisen) sowie das räumlich-körperliche Arrangement der Dialogpraxis [finden] in die Beobachtungsprotokolle Einzug.« (Winkler 2017: 306) So kann »Emotionalität als Attribut und Effekt situierter Interaktions-Arrangements fassbar [werden]« (ebd.). Auch achtete ich in den Beobachtungen verstärkt auf jene – zunächst sprachlichen – Momente, in denen explizit Aussagen über den Dialog artikuliert wurden, und versuchte aber darüber hinaus mit aufzunehmen, welche körperlichen Praktiken, Ausdrucksformen (z.B. mimischer und gestischer Art) oder phonetische Intonationsmodi in diesen Momenten mit jenen Aussagen über den Dialog verknüpft wurden. So ließen sich entsprechende Gesamtkontexte rekonstruieren, z.B. eine »sorgenvolle« Diskussion über die schwierigen Versuche, den Dialog stärker in die Gesellschaft zu tragen, oder eine »feierlich« vorgetragene Lobrede auf das Dialogengagement der Anwesenden, samt entsprechender Körperperformance. Letztlich versuchte ich, bestimmte körperliche Ausdrucksformen mit Bedeutungskonzepten in Verbindung zu bringen – unter der Annahme, dass sich körperliche und sprachliche Praktiken in einem Verhältnis wechselseitiger Durchdringung befinden (Wrana u. Langer 2007; Ott u. Wrana 2010; Wrana 2012; van Dyk et al. 2014; Winkler et al. i.E.). Dies stellt natürlich einen interpretativen Akt dar. Jedoch versuchte ich, die von mir getätigten Verbindungen im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung zu »prüfen«. Wenn ich bestimmte beobachtete Aktivitäten, bspw. die Aktivität eines »Gemeinsam-über-Witze-Lachens« in einem Dialogkreis, als Tätigkeiten interpretierte, die z.B. »Gemeinschaftlichkeit« ausdrücken würden, dann versuchte ich daraufhin auch möglichst genau zu erheben, ob a) andere Teilnehmer/-innen in der beobachteten Sitzung möglicherweise diese von mir angenommene Bedeutung auch explizit artikulierten/mit der beobachteten Situation zusammenbrachten (möglicherweise auch zu einem späteren Zeitpunkt), ob b) in meinen Interviews Aussagen über solche oder ähnliche Momente (des »Witze-Erzählens« usw.) existieren und wie diese dort gedeutet werden, wie c) die beobachtete Tätigkeit mit anderen Tätigkeiten zusammenhing und wie sie materiell situiert war und wie d) die körperliche (gestische, mimische) Eingebundenheit der Individuen in diese Aktivitäten beschaffen war (was bestimmte Deutungen ermöglicht). Insgesamt versuchte ich damit, bestimmte Aktivitäten, die mir auf die Modellierung von Empfindungen zu zielen schienen (z.B. jenes »Gemeinsam-über-Witze-Lachen«), stärker zu kontextualisieren und somit nachzuspüren, auf welche Weise Individuen in der kollektiven Praxis des Dialogs an solchen Aktivitäten körperlich partizipieren und wie dies damit verschränkt ist, dass Individuen diesen Aktivitäten auch bestimmte Empfindungen zuschreiben. Dazu habe ich ferner in nachfolgenden Interviews oder informellen Gesprächen bestimmte bereits früher beobachtete Praktiken immer wieder auch angesprochen und
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gemeinsam mit den Gesprächspartner/-innen reflektiert. So versuchte ich zu kontrollieren, inwieweit meine eigene Deutungsleistung Ähnlichkeiten mit den Deutungsleistungen anderer aufweist – und womöglich Ausdruck einer Deutungsgemeinschaft ist, die sich innerhalb der Dialogpraxis konstituiert. Teilweise vertraute ich auch darauf, dass meine Deutungsleistungen einen Common Sense widerspiegeln würden, den auch die beobachteten Individuen teilen. Dass z.B. Praktiken des »Lachens« oder des »Sichpersönliche-Lebensgeschichten-Erzählens« als vertraut und gemeinschaftlich gedeutet und erfahren werden, setzte ich ebenfalls als gegeben voraus. Nach Sutter würden solche Praktiken z.B. des »Umarmens« oder »Zusammen-Lachens« zu den »weit verbreitete[n] und mit Emotionen verbundene[n] Alltagspraktiken« gehören (Sutter 2017: 10), die innerhalb der Deutungsverhältnisse als emotional wirken können. Ich nahm dann auch an, dass bestimmte Praktiken (Umarmen, Lachen) aufgrund ihrer hegemonialen Symbolwirkung zumindest potenziell eine Art affizierenden Vergemeinschaftungsimpuls aussenden können, der aber natürlich in verschiedenen Situationen verschiedentlich aufgegriffen werden kann. In dem Moment jedenfalls, in dem bestimmte Praktiken, die unter hegemonialen Deutungsbedingungen mit Emotionen der Zugehörigkeit, Gemeinschaft oder Nähe verknüpft werden, für die Dialogpraxis wichtig zu werden scheinen, und erst recht, wenn solche Praktiken auch Eingang in die Selbstsystematisierung der Dialogpraxis finden (benannt, reflektiert, hervorgehoben werden), würde ich davon ausgehen, dass ein so praktizierter Dialog entsprechend auch jene Nähe und Zugehörigkeit als emotional erlebbar rahmt und Vergemeinschaftungsempfindungen wahrscheinlicher macht. Letzteres insofern, als ich es für wahrscheinlich halte, dass Praktiken Vergemeinschaftungsempfindungen an Individuen vermitteln können, vor allem, wenn Individuen an den Praktiken partizipieren – was nun ein empirisches Ergebnis teilnehmender Beobachtungen sein kann. Wenn z.B. ein Individuum zu lachen beginnt, sich gleichzeitig körperlich an andere Individuen wendet und diese dann mitzulachen beginnen, dann deute ich dies als Form der Partizipation jener »Mitlachenden« an einer Praxis, die als Koproduktion Nähe und Gemeinschaft (be-)greifbar macht – und natürlich in anderen Fällen auch scheitern könnte. Insgesamt, so ließ sich zeigen, können Machtpraktiken und Regierungstechniken über die Heuristiken von Emotion und Affekt als Formen der Beeinflussung der emotionalen Dispositionen »regierter Individuen« analysiert werden. Vor diesem Hintergrund werde ich nun im folgenden Kapitel weitere Praktiken und Maßnahmen dialogischen Regierens auf lokaler Ebene ethnographisch informiert illustrieren und dabei verstärkt auf die sich darin entfaltenden Emotionalitäten des Führens und Geführtwerdens hin untersuchen. So werde ich den Dialog als ein Führen durch Freundschaft rekonstruieren.
10. Gouvernementalität der Freundschaft: Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst und deren Mobilisierungen des Lokalen
Dieses Kapitel skizziert vier verschiedene Momente dialogischen Regierens, in welchen sich jeweils besondere Emotionalitäten des Führens, Geführtwerdens, Sich-führen-Lassens und Sich-selbst-Führens operativ werden. Dabei wird auch zu diskutieren sein, wie das Lokale bzw. die besonderen Raumbeziehungen des Lokalen als Grundlage dieser Emotionalitäten konfiguriert werden und welche Bedeutung hierbei Orte, räumliche Praktiken wie auch lokalspezifische Verhältnisse aufweisen können. In Kapitel 10.1 illustriere ich am Beispiel des lokalen Umgangs mit den sich im Jahr 2017 verschärfenden Konflikten zwischen »Deutschland« und der »Türkei« die Kunst des lokalen Regierens überlokaler Spannungen, die sich in Praktiken des Miteinanders (Feste feiern, essen usw.), im Experimentieren mit Orten und im Beschwören lokaler Gemeinschaftlichkeit ausdrückt. Anschließend diskutiere ich in Kapitel 10.2 die therapeutische Dimension der Dialogtechnologie. Ich zeige, wie auf Grundlage der Annahme einer besonderen Emotionalität von Religion der Dialog als ein »Management von Emotionen« und als Instrument der Schaffung emotionaler Sicherheiten vor Ort eingesetzt wird. Dem Dialog als entdeckende »Psychotherapie« korrespondieren dabei, so zeige ich, Mikropraktiken der aufmerksamen Beobachtung des »Gegenübers«. Nicht zuletzt wird sich zeigen lassen, wie »Muslime« im Dialog einen Raum auffinden, in dem sie auch als Kritiker/-innen »christlicher« oder mehrheitsgesellschaftlicher Umgangsweisen mit Religion auftreten und Reflexionen anstoßen können. In Kapitel 10.3 illustriere ich, wie innerhalb der Praxis des Dialogs die emotionalisierte Subjektposition des/der »Vertrauten« hervorgebracht wird und wie über diese Subjektposition eine integrationspolitisch anschlussfähig formulierte Kritik am »kulturell Anderen« legitimiert wird. Ich zeige, wie die Praktiken und Motive des lokalen Vertrauens und Miteinanders als Grundlagen für die Konstitution eines dialogischen »Schutzraums« wirken, in welchem die Subjektposition des »Vertrauten« auf spezifische Weise kritische Debatten über »Islam« wahrscheinlich machen kann. Ich werde darstellen, wie gerade die körperliche und emotionalisierte Performanz jener Sub-
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Gouvernementalität der Freundschaft
jektposition eine Beeinflussung von »Islam« im Modus einer »Kritik unter Vertrauten« ermöglicht. Dabei wird zu zeigen sein, inwiefern jener dialogische »Schutzraum« als ein Ort der Kritik über Praktiken affektiver Arbeit (re-)konstituiert wird und wie wiederum das Lokale sowie die kollektiv inszenierten, lokal verorteten Raumerfahrungen als Projektionsflächen einer emotionalisierten Atmosphäre differenzüberschreitender Verbundenheit Einsatz finden. Am Beispiel von Diskussionen über das Verhältnis von Religion und Gewalt innerhalb der Dialogforen werde ich zudem über ein weiteres Macht-Mapping darstellen können, wie die neu etablierten »islamischen« Theologien integrationspolitisch auf lokaler Ebene Einsatz finden und in die affektive Praxis des »dialogischen Schutzraums« integriert werden. Zuletzt verdeutliche ich in Kapitel 10.4 am Beispiel der deutschlandweit ersten Etablierung eines »muslimischen« Erwachsenenbildungswerks (nach »christlichem« Vorbild) verschiedene Mikropraktiken einer Führung durch Freundschaft: Einer Führung, die keine Führung sein »will« und die Autonomie der Geführten zu wahren sucht. Dabei wird sich zeigen lassen, wie (a) ein lokalspezifisches Steuerungsproblem auftauchte – namentlich der Bruch mit der in Erlangen lange Zeit aufgebauten und zelebrierten Position der Islamischen Religionsgemeinschaft IRE als Vertreterin aller Erlanger »Muslime« –, wie (b) dieses Steuerungsproblem im Vollzug spezifischer Techniken emotionalisierten Regierens partiell wieder aufgelöst bzw. partiell bearbeitbar gemacht wurde und inwiefern (c) trotzdem diverse Widersprüchlichkeiten und Spannungen persistieren mussten. Dabei wird sich auch zeigen lassen, wie die Repräsentant/-innen des lokal organisierten »Islam« im Dialog ein Feld vorfinden, in dem sie als selbstbewusste politische Akteure auftreten und argumentativ fundiert ihre eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse – teils auch gegen die Vorstellungen z.B. städtischer Vertreter/-innen – durchsetzen können. Nicht zuletzt werden in diesem Kapitel die Potenziale einer dezidiert lokalen Forschungsperspektive auf das Regieren erörtert.
10.1 10.1.1
Über die Kunst eines lokalen Regierens überlokaler Spannungen: Praktiken des Miteinanders und das Experimentieren mit Orten Die Verhandlung lokalen Vertrauens in den Dialogkreisen
Vielfach zeigten sich die Praktiken des Dialogs als Versuche, überlokal aufkommende (geo-)politische Spannungen auf lokaler Ebene durch die Pflege und Inszenierung einer »Kultur des Miteinanders« zu entschärfen. Seit 2016 zeigten sich insbesondere die »deutsch-türkischen« Beziehungen angespannt. Im Juni 2016 beschloss der Deutsche Bundestag in einer Resolution, den Völkermord an den Armeniern durch das Osmanische Reich Anfang des 20. Jahrhunderts als einen solchen anzuerkennen, was eine Kritik der türkischen Regierung nach sich zog, die sich vor allem an türkischstämmige deutsche Politiker/-innen richtete. Die türkische Regierung lehnte es strikt ab, von einem Völkermord an den Armeniern zu sprechen, und artikulierte gegenteiliges Vorgehen als illegitimen »Türkei-feindlichen« Akt der Untergrabung einer positiven türkischen Nationalidentität. Nach dem Putschversuch des Militärs gegen die Regierung von Präsident Erdoğan in der Türkei im Juli 2016 entzündeten sich weitere Konflikte.
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
So ging die türkische Regierung gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor, die von der türkischen Regierung für den Putsch verantwortlich gemacht wurde. Die in diesem Zusammenhang zu beobachtenden autoritären Maßnahmen, die Festsetzung auch deutscher Staatsbürger/-innen sowie die von Erdoğan in diesem Kontext angestrebte Verfassungsänderung, die eine Ausweitung von Machtbefugnissen enthielt, wurden in Deutschland vielfach als undemokratische und autoritäre Entwicklungstendenzen kritisiert, die europäischen Werten widersprechen würden. Die hohe Zustimmung von in Deutschland lebenden Personen türkischer Abstammung für Erdoğans politische Linie sowie für die angestrebte Verfassungsänderung wurde derweil als Ausdruck undemokratischer Werthaltungen unter Migrant/-innen interpretiert, womit die Integration von in Deutschland lebenden türkischstämmigen Personen als gescheitert problematisiert wurde. Auch wurden die Versuche einer politischen Mobilisierung von in Deutschland lebenden Personen mit türkischem Migrationshintergrund für politische Ziele in der Türkei durch die Regierung Erdoğans von deutschen Politiker/-innen und Kommentator/-innen als integrationshinderliche Praxis bezeichnet. Erdoğans Beschwörung einer »türkischen« und gleichzeitig »muslimischen« Gemeinschaftsidentität, in die auch »deutsche Türken« eingegliedert werden sollten, wurde als religiös aufgeladene und völkisch konnotierte Identitätspolitik problematisiert. Hauptsorge war, dass sich durch Erdoğans Identitätspolitiken in Deutschland lebende Personen mit türkischem Hintergrund von der Mehrheitsgesellschaft abwenden würden, insofern die politische Hervorhebung ihrer »islamischen« Identität bei gleichzeitiger Kopplung selbiger an die »islamische Türkei« eine Abwendung von »Deutschland« mit sich bringen könnte. Im August 2017 rief Erdoğan »deutsche Türken« gar dazu auf, nicht länger für die etablierten »Volksparteien« in Deutschland zu stimmen, da diese gegen das türkische Volk gerichtet seien.1 Solche symbolisch-politischen »deutsch-türkischen« Konflikte schlugen sich auch im Erlanger Dialog nieder. Nachdem darüber berichtet wurde, dass DITIB-Imame (türkische Beamte) im Auftrag des türkischen Staates in »türkischislamischen« Religionsgemeinden in Deutschland Mitglieder im Hinblick auf mögliche Sympathien für die Gülen-Bewegung bespitzelt haben sollen, manifestierte sich unter Erlanger Dialogaktiven die Erwartung, dass die Vertreter/-innen der zu DITIB gehörenden Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) sich diesbezüglich erklären sollten (Quelle: informelle Gespräche). In einer Sitzung des Freundeskreises der muslimischen Gemeinden in Erlangen (TB FMGE 9) schilderte ein »nicht muslimischer« Teilnehmer, dass er die Kritik der türkischen Regierung an der Armenienresolution des Bundestags sowie allgemein den Kurs der Regierung Erdoğans nicht nachvollziehen könne und von der DITIB erwarte, dass sie sich auf die Seite des Deutschen Bundestags und der deutschen Politik stelle – wohingegen er gelesen hätte, dass sich einige DITIBFunktionäre bisher tendenziell auf die Seite der türkischen Regierung schlagen würden. Es würde hierbei um historische Wahrheit und demokratische Werte gehen. Das FMGE-Mitglied sagte sodann, dass er auch von der Erlanger TIG eine Positionierung (gegen Erdoğans Linie) erwarte, sonst »stehe etwas zwischen uns« – und »wenn etwas 1
Quellen (Details im Literaturverzeichnis): Deutschlandfunk (02.06.2016, 09.03.2017); SPON (31.05.2016, 18.08.2017, 19.04.2017, 16.02.2017); Süddeutsche Zeitung (13.06.2016); ZEIT (17.04.2017); für die lokale Situation: Nürnberger Nachrichten (15.07.2017).
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Gouvernementalität der Freundschaft
zwischen uns steht, dann kann man nicht zusammenarbeiten, und wir wollen doch hier in Erlangen gut weiter zusammenarbeiten« (sinngemäße Zitate aus: TB FMGE 9). Im Anschluss an diese Aussagen formulierte ein städtischer FMGE-Moderator sehr deutlich eine Gegenperspektive: »Nein«, rief er sichtlich affiziert, »wir werden uns hier nicht in solchen Themen zerreiben, die ganz woanders angefangen haben, die nicht in Erlangen passieren.« Er führte fort: »Ich und [Vorname eines Vertreters der TIG] haben teilweise komplett andere politische Meinungen und werden da nie zusammenkommen, aber ich kenne den [Vorname] und weiß, dass wir trotzdem zusammen sinnvolle Dinge tun können. Wir müssen darauf achten, dass wir hier auf der Ebene des Zusammenlebens miteinander auskommen. Deswegen will ich jetzt nicht diskutieren, was die Türkei macht oder die DITIB. Ich denke, das halten wir aus, dass es auch hier bei uns abweichende Meinungen gibt.« (Sinngemäßes Zitat aus: TB FMGE 9) Sehr bestimmt beendete der Moderator die Diskussion und re-installierte die gewohnte dialogische Ordnung des lokalen Vertrauens vis-à-vis überlokaler Konflikte – er tat dies ruhig, betont und einfühlsam sprechend bzw. intonierend. Es erschien gar als ein moralisches Prinzip, das lokale Verhältnis zu Personen, die man kennt, über etwaige politische Konflikte zu stellen und die Tatsache, dass man vor Ort bislang »erfolgreich« zusammenlebte, trotz abweichender politischer Meinungen zu erkennen und zu schätzen. Ein Vertreter der TIG hob im Anschluss an die Aussagen des städtischen Vertreters zunächst einmal den »Konflikt« hervor, indem er darauf hinwies, dass »nicht wenige aus der Gemeinde dem [Vorname des FMGE-Moderators, gleichzeitig ein »christlicher« CIAG-Vertreter] Hausverbot erteilen wollen« – dies v.a. deshalb, weil sich selbiger in einem Verein engagiert, der Unterstützungsleistungen für Armenien organisiert, und sich auch dafür einsetzt, den Völkermord an den Armeniern politisch als solchen anzuerkennen. Dies werde in der TIG als Provokation gesehen (Interview 8). Doch schilderte sodann auch der TIG-Vertreter, dass er persönlich »alles dafür [tue], den Dialog trotzdem aufrechtzuerhalten, auch wenn ich dann von Gemeindemitgliedern auf den Deckel kriege« (sinngemäßes Zitat aus: TB FMGE 9). Er brachte sich damit in die Subjektposition des »Dialogverteidigers«, die ihm dann auch ermöglichte, wiederum eigene Erwartungen zu formulieren. Dafür, dass er sich innerhalb der Moscheegemeinde für die Akzeptanz eines städtischen FMGE-Moderators und allgemein der Dialogarbeit einsetze, erwarte er, dass im Gegenzug auch bestimmte politische Ansichten der »türkischen Muslime« bezüglich der politischen Linie der türkischen Regierung akzeptiert werden sollten. Man habe jedenfalls »das Vertrauen, dass der Dialog weitergeht« (ebd.). Solche »strategischen Machtspiele« (Foucault 2005 [1982]) wurden in der besagten Sitzung von einem wiederholten Aufgreifen des Vertrauensbegriffs flankiert, mit welchem das lokale Kooperationsverhältnis bekräftigt wurde. Die besorgte Haltung des FMGE-Mitglieds über die politischen Positionen der »türkischen Muslime« in Erlangen wurde eher delegitimiert: Vielmehr wurde das Mitglied dazu angehalten, seine Sorgen »auszuhalten« (Zitat oben) und stets die »Menschen« hinter politischen Ansichten zu erkennen. Man dürfe sich nicht in solchen Konflikten verlieren, sondern müsse den Dialog und den gegenseitigen Respekt bewahren, so ein FMGE-Moderator. Die Artikulation solch moralisierter, auf Vorstellungen des »guten« Umgangs zwischen Menschen rekurrierender Motive lud
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
die Aushandlungssituation auch emotional auf: Stets schien es darum zu gehen, dass man sich nicht von politisierten (negativen) Emotionen beherrschen lassen sollte. Es ging darum, die Verbindung mit dem jeweils »Anderen« aufrechtzuerhalten. Hierfür wurde aber weniger auf politische Diskussion und Auseinandersetzung gesetzt, sondern vielmehr auf die Mobilisierung von Emotionen der Gemeinschaftlichkeit, die sich in ritualisierten Praktiken des Erinnerns und Gedenkens an das Gemeinsame und Verbindende entfaltete – bspw. an lokale Erfolgserlebnisse (Kapitel 6). Letztlich wurde in der FMGE-Sitzung versucht, Einfluss darauf zu nehmen, wie die Subjekte des Dialogs gegenüber dem jeweils »Anderen« empfinden: Über die Praxis des Erinnerns lokaler Solidarität sollten emotionale Bindungen gestärkt werden. So ist eine auf emotionale Dispositionen setzende Technologie zu beobachten. Dabei zeigte sich, wie gerade die Frage lokalen Vertrauens im Angesicht überlokaler Spannungen immer wieder neu verhandelt wird. Gleichzeitigt ist hier auf eine gewisse Depolitisierung zugunsten emotionaler Gemeinschaftsbeschwörung hinzuweisen.
10.1.2
Der Dialog als »Ehe«: Vergemeinschaftung durch Essen, das politische Aufgreifen individuell-persönlicher Beziehungstechniken und die Produktion eines apolitischen Dialogs
Die normativ-politische Differenzierung zwischen (a) Kritiker/-innen der türkischen Regierung und (b) »Erdoğan-Verteidigern« schlug auch im Erlanger Dialogfeld auf. Dabei zeigten sich viele Mitglieder der TIG darüber bestürzt, dass ihre politische Meinung (»Pro-Erdoğan«) nicht akzeptiert werde. In einem Interview in der Bayerischen Staatszeitung vom 24.02.20172 sowie in einem Interview im Bayerischen Rundfunk am 27.03.20173 verteidigte ein Vorstandsmitglied der TIG die Regierung Erdoğans und in diesem Kontext auch die DITIB (der vorgeworfen wurde, die Politik Erdoğans zu unterstützen und sich der deutschen Politik entgegenzustellen). Der TIG-Vertreter verteidigte Erdoğans Regierung als »beste Alternative für die Weiterentwicklung des Landes« und gab der deutschen Gesellschaft die Schuld daran, dass viele türkische »Muslime« sich nicht mit Deutschland identifizieren und sich eher für die Türkei interessieren würden (bzw. sich im deutsch-türkischen Konflikt auf der türkischen Seite verorten). Ursache dafür sei eine Gesellschaft, die »Muslime« nicht anerkenne. Aufgrund von Exklusionserfahrungen würden »türkische Muslime« die gegenwärtigen Debatten um eine vermeintlich problematische »Türkei« als Ausdrucksformen der immer gleichen, diskriminierenden antitürkischen Haltung erachten (Radiointerview). Auch er selbst, so der TIG-Vertreter, würde in dem gegenwärtigen politischen Klima bekannte Diskriminierungsmuster von »Türk/-innen« wie auch »Muslimen« erkennen. Grundsätzlich provozierten die überlokalen politischen Spannungen spezifische, teils überzogene Erwartungshaltungen, Aufmerksamkeitsverschiebungen und damit verbundene Grenzziehungen in der Erlanger Dialoggemeinschaft. Vor allem störten
2 3
www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kommunales/detailansicht-kommunales/artikel/will-der-deutsche-staat-lieber-extremistische-imame.html, (17.01.2018). Interview im Bayerischen Rundfunk mit einem Vertreter der TIG (zu hören als Podcast). Titel: »Türkei-Referendum: Pro und Contra der Verfassungsänderung«, ausgestrahlt am 27.03.2017.
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sich viele Dialogaktive wieder vermehrt am vermeintlichen religiösen Nationalismus der (Erlanger) türkischen »Muslime« und einer damit verknüpften, den türkischen Muslimen zugeschriebenen unkritischen und undemokratischen Haltung in Bezug auf Entwicklungen in der Türkei.4 Ein Mitarbeiter einer »christlichen« Erwachsenenbildung erläuterte mir in einem Gespräch seine Enttäuschung über die Haltungen der »türkischen Muslime« und sprach davon, dass »der Dialog offenbar nichts bring[e]«, man zukünftig stärker die »Differenzen benennen [müsse]« und auch »darauf hinweisen [sollte], dass manche politischen Ansichten unter Muslimen nicht zu akzeptieren sind« (IG 9). Hier drücken sich Brüche im Dialogregieren aus, insofern dialogaktive Subjekte den Dialog als zu unkritisch gegenüber vermeintlich problematischen Tendenzen unter einigen teilnehmenden Gruppen erachten. Dass der Dialog »nichts gebracht hat«, wurde im Zuge der skizzierten Konflikte auch auf »muslimischer« Seite artikuliert. Ein Mitglied der TIG schilderte im Rahmen eines als Dialogveranstaltung inszenierten Fastenbrechens: »Die Stadt redet von Respekt und Demokratie, aber eine Pro-AKP-Haltung akzeptiert sie nicht. Der Dialog ist oberflächlich und bringt nichts.« (TB 24) Alle Parteien erwarten also vom Dialog eine Anerkennung ihrer Ansichten. In den Moscheegemeinden wurden derweil Gerüchte laut: »Die Stadt fragt Muslime bei Einstellungsgesprächen, wenn es Stellen bei der Stadt gibt, wie sie Erdoğan finden! Und wenn man sagt, ich finde seinen Kurs gut, kriegt man den Job nicht.« (sinngemäßes Zitat aus IG 8, im Kontext von TB 24)Weiter wurde argumentiert: »Die AKP ist doch wie die CSU, konservativ und steht für Religion, deswegen bin ich für sie – warum ist das nicht erlaubt?« (IG 8) Die erwähnten Spannungen wurden auch auf dem Straßenfest der TIG im Zuge von Redebeiträgen von TIG-Vertreter/-innen sowie einer städtischen Referentin aufgegriffen (TB 26). Die politischen Konflikte wurden jedoch im Kontext des Festes – ähnlich wie in der oben skizzierten FMGE-Sitzung – stark von Gemeinschaftsinszenierungen begleitet und damit performativ wieder »entschärft«. So artikulierte sich in den Reden zwar einerseits Kritik (v.a. ein TIG-Vertreter wies ein weiteres Mal auf Exklusionsmechanismen im lokalpolitischen Feld hin, die Personen treffen würden, die eine »ProErdoğan-Haltung« vertreten), aber andererseits auch die Botschaft, dass man trotz politischer Differenzen lokal »miteinander feiern« könne. Dies sei möglich aufgrund eines »Sich-Kennens« und »Sich-Schätzens«. Die Mechanismen der Problembearbeitung im lokalen Dialog definieren sich immer wieder über die Mobilisierung der »menschlichen Ebene«, d.h. über den Appell, auf lokaler Ebene als Menschen zusammenzukommen, die sich trotz politischer Konflikte persönlich kennen und schätzen lernen. Dies war auch die Botschaft an die anwesende Straßenfest-Gemeinschaft. Eine solche Artikulation konnte im spezifischen praktischen Kontext »interkulturelles Straßenfest« –
4
Wiederholt wurde im Erlanger Dialog ein »türkisch-islamischer« Religionsnationalismus problematisiert. So seien die »türkischen Muslime« in Erlangen »viel zu staatstreu« (Aussage eines stadtpolitischen Vertreters in einem informellen Gespräch), was auch mit einer »problematischen Verbindung von religiöser und nationaler Identität« zu tun hätte (Gespräch mit Interviewpartner 8 im Kontext von: TB 19). Die Erlanger »türkischen Muslime« würden den »türkischen Islam« als einzig wahren »Islam« auffassen und aufgrund einer religiösen Überhöhung der »Türkei« eine tendenziell unreflektierte und unkritische Haltung gegenüber der türkischen Regierung aufweisen (IG 6, 10, 20).
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
Praktiken des Essens, Tanzaufführungen, Musizieren etc. – vorteilhaft verankert werden und entsprechende Überzeugungskraft entfalten. Im skizzierten Konfliktkontext besuchte dann auch der Oberbürgermeister Erlangens am 19.06.2017 das als öffentliche Dialogveranstaltung inszenierte Fastenbrechenfest zum Ende des Ramadan in der »Blauen Moschee« der TIG (TB 24) und eröffnete das Fest mit einer Rede. Er stand auf und sprach mit versöhnlicher Stimme: »Es ist wichtig, im Umgang miteinander achtsam zu sein und mit Gespür zu arbeiten.« Er verglich den »Dialog mit Muslimen« mit einer persönlichen Beziehung. Dies, so die These, ist eine wiederkehrende Praktik, die den lokalen Dialog charakterisiert, intimisiert und als emotionale Arbeit an zwischenmenschlichen Bindungen ausweist. Der OB fuhr fort: »In welcher Beziehung, egal ob mit Freunden, Bekannten, mit dem Ehepartner, ist man schon jemals immer einer Meinung? [Allgemeines Gelächter] Wir in Erlangen reden noch, das ist wichtig. Wir haben keine Alternative dazu, unsere Konflikte anzugehen und immer auf die Gemeinsamkeiten zu bauen, denn wir [betont] leben ja hier in Erlangen zusammen.« (Die Zitate des Oberbürgermeisters basieren auf Feldnotizen und sollten nicht als wortwörtlich genommen werden) Der lokale Nahbereich und die daran geknüpften Raumbeziehungen des Zusammenlebens werden hier zu Projektionsflächen eines emotional geladenen, da stark personalisierten Imaginativs lokaler Gemeinschaft gemacht (»Beziehung«, »Freunde«, »Ehe«), das entsprechend affizierend wirken bzw. über die Kultivierung persönlicher Bindungen wie auch Ortsbindungen »affektive Teilhabe« (De Wilde 2015a, b) produzieren soll. In der darauffolgenden Rede eines Vertreters der TIG wurde dieses Narrativ besonders pointiert aufgegriffen und erweitert. Der »muslimische« Sprecher stand auf und sagte: »Wir kommen politisch nicht auf einen Nenner. Also konzentrieren wir uns auf die gemeinsame Arbeit vor Ort, auf das, was wir gemeinsam tun können in Erlangen, und sprechen wir nicht länger über Politik. Blicken wir auf etwas wie diesen Abend, auf das Zusammensein und auf das Essen, und vergessen wir die Differenzen.« Dabei eröffnete dieses depolitisierende Narrativ dem »muslimischen« Vertreter letztlich doch auch den Raum für spezifische politische Unterstützungsanfragen. Die performativ ablaufenden, lokalistischen Gemeinschaftsnarrative lieferten ja gerade die Legitimation dafür, nochmal zu betonen, dass die Stadt Erlangen den lokalen »Muslimen« – hier: den »türkischen Muslimen« – gerade in Zeiten des Konfliktes stärker helfen sollte, um Zeichen gegen überlokale Spannungen zu setzen. Der TIG-Vertreter erwähnte hier eine geplante bauliche Erweiterung der Moschee. Das dazu benötigte benachbarte Grundstück sei im Besitz der GEWOBAU Erlangen – Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Erlangen mbH, sodass der Moscheevertreter den OB dazu aufrief, der Moscheegemeinde über die politische Schiene einen guten Preis zu ermöglichen: »Herr Oberbürgermeister, denken Sie nicht nur an Profit. Wenn sie uns nicht helfen, bricht hier Chaos aus, dann beten die Leute auf der Straße.« Die emotionalisierte Praxis des Dialogs und dessen Inszenierung als freundschaftliche Vertrauensbeziehung vor Ort liefern somit den Boden für das Anmahnen von Unterstützungsleistungen. Der Oberbürgermeister zeigte sich auch tendenziell offen für eine diesbezügliche lokale Kooperation mit der Erlanger TIG. Das ganze Beispiel zeigt auch, wie im Dialog zwischen Depo-
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litisierung und Politisierung hin und her gewechselt wird bzw. wie dieses Wechseln ein Element politischer Taktiken werden kann: Mal wird das scheinbar apolitische, einfach nur »gute« und »menschliche« Verhältnis im lokalen Kontext betont, das nicht von »politischen« Spannungen zerstört werden dürfe, mal wird genau dieses Verhältnis zur Grundlage politischer Forderungen gemacht bzw. politisiert (für ähnliche Reflexionen: Sutter 2017; Bargetz u. Sauer 2010).
Abbildung 7: Mitglieder der TIG mit dem OB Erlangens beim Iftar-Fest in der Moschee der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V.
Foto: Winkler 2017
Das Motiv des lokalen Vertrauens avancierte in obigen Beispielen zum Charakteristikum der Emotionalitäten des Dialogs im Sinne Campbells (2010). Dabei wurden beim Fastenbrechen wie auch auf dem Straßenfest die Vergemeinschaftungspraktiken des Essens und des körperlichen Beisammenseins als spürbare und körperlich erfahrbare Gegenpraktiken zu den schwellenden überlokalen Konflikten mobilisiert und damit auf eine körperlich-affektive Weise in die Regierungstechnologie des Dialogs integriert. Praktiken dieser Art zielen auf die Produktion von affective citizenship (De Wilde 2015a).
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
Ein auch in der CIAG sporadisch aktives »muslimisches« TIG-Mitglied, das sich mit mir auf dem Fastenbrechenfest unterhielt (IG 8), »lebte« bzw. verkörperte regelrecht die Idee einer Vergemeinschaftung durch Essen. Während wir beide aßen, drückte er mich am Arm, deutete auf das Essen auf den Tellern, sprach davon, wie schön es sei, dass sich trotz aller Konflikte die kulinarischen Traditionen verbinden, roch demonstrativ am Essen und präsentierte es als einen Akt der Versöhnung. Solche, in der jeweiligen Situation immer auch individuell ausgestaltete Aktivitäten (die natürlich nicht von jeder Person ausgeführt werden), können insgesamt dennoch als überindividuell bedeutsame Praktiken des politischen Dialogs und gleichzeitig als sich etablierende Techniken des Regierens und Sich-selbst-Regierens verstanden werden. Derartige Verhaltensweisen, so die These, strömen aus der Domäne des Individuellen aus und stabilisieren sich als Techniken des Dialogprogramms. Letztere sind in überlokale Problematisierungen eingebunden, versuchen aber gleichzeitig, die Wirkung einer individualisierten und situierten Beziehung (»beim Essen«) beizubehalten. Individuell-persönliche Formen der Beziehungspflege transformieren sich in Techniken des Regierens. Dabei konstituiert die individuell-persönliche Dimension solcher Techniken die dialogischen Emotionalitäten des Führens. Bezüglich dieser individuell-persönlichen Beziehungstechniken spielen nun auch Räume im Dialog eine besondere Rolle.
10.1.3
Das Experimentieren mit Orten und die Wahrscheinlichmachung von Freundschaften
Im Hinblick auf das dialogische Ziel der Stärkung eines lokalen interkulturellen und interreligiösen Miteinanders wurde vielfach auch mit Raum und Ort »experimentiert«. Im Protokoll der CIAG vom 15.09.2006 sind dazu einige Überlegungen dokumentiert. Vor dem Hintergrund der Beobachtungen, dass gerade »muslimische« Frauen und Kinder kaum zu den institutionalisierten Dialogtreffen der CIAG kommen und auch das weitere Feld der religiösen Gemeinden wenig erreicht werde, beschloss man z.B., ein CIAG-Treffen versuchsweise »im frauenfreundlichen Rahmen« und »zu frauenfreundlicher Zeit« in der privaten Wohnung eines an der CIAG beteiligten Universitätsmitarbeiters abzuhalten – wobei dessen Lebenspartnerin sich der Kinderbetreuung annahm. Die Regierungstechnologie des lokalen Dialogs beschäftigt sich stark mit der Frage, wie überhaupt ein Zugang zu einer kulturellen oder religiösen Gruppe gestaltet werden kann und wie dabei ein ungezwungenes Miteinander zu arrangieren ist. Hierbei geht es immer auch um die passenden Räume des Vertrauens. So wurde in ebenjenem Protokoll konstatiert, dass obige Maßnahmen gefruchtet hätten und im privaten Miteinander in der Wohnung ein »sehr freimütige[s] Gespräch über die unterschiedlichen Facetten des Zusammenlebens« stattgefunden habe. Auch bereits kurz nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 wurde ein »Familientreffen im Areal der Hugenottenkirche« (CIAGProtokoll vom 15.09.2006) organisiert. Am 29.06.2004 wiederum wurde ein Treffen der CIAG »im Garten der Familie [Name einer Familie aus einer lokalen Moscheegemeinde] in [Ortsangabe]« abgehalten (ebd.), um eine möglichst angenehme Atmosphäre zu gestalten, die dann auch Personen aus den religiösen Feldern zum Kommen bewegt. Im Hinblick auf das Ziel des Miteinanders wurden ferner Vertreter/-innen lokaler Sportvereine, Kindergärten, Schulen und Betreuungseinrichtungen in die CIAG eingeladen,
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um das interreligiöse Miteinander in Erlangen zu evaluieren. Die Vertreter/-innen berichteten über die Qualität des Miteinanders v.a. zwischen »Muslimen« und »Christen«. Sie berichteten »übereinstimmend, dass das Miteinander der Kinder und Jugendlichen im Verein, in Kindergarten und Schule sich relativ problemlos gestaltet, Freundschaften mit gegenseitigen Besuchen in der Familie aber selten sind und die muslimischen Eltern bei Elternveranstaltungen und Festen eher unter sich bleiben« (CIAG-Protokoll vom 15.09.2006). Zudem, sei »[d]ie Zahl der Mädchen in den Sportvereinen […] sehr gering« (ebd.). Hier taucht in einer recht plakativen Spielart jenes Regieren auf, das ich als Gouvernementalität der Freundschaft bezeichne: Die CIAG versucht, »Freundschaften« zwischen »Muslimen« und »Christen« wahrscheinlicher zu machen. Die oben skizzierten Versuche, passende Orte der Vergemeinschaftung zu finden, sind in diesen Regierungszusammenhang zu stellen. Grundsätzlich, so ein ehemaliges CIAG-Mitglied, »führen [wir] den Dialog aus Gründen der guten Nachbarschaft, um vor Ort in unserer Stadt und unserem Land besser gemeinsam leben zu können« (Forssmann 2006). Im Folgenden soll ein weiterer wichtiger Aspekt lokalen dialogischen Regierens illustriert werden, der auf die therapeutische Dimension der Dialogtechnologie verweist. Diese Dimension verdeutlicht besonders gut, inwiefern eine spezifische Emotionalität in die Dialogtechnologie eingeschrieben ist.
10.2 10.2.1
Die therapeutische Dimension der Dialogtechnologie Die Wahrnehmung des emotionalen Lebens des »Anderen«
Ein an den Dialoggruppen beteiligter Vertreter einer evangelischen Bildungsinstitution (und universitärer Religionspädagoge) sieht die Dialoginitiativen als Möglichkeit, die Empfindungen und Wahrnehmungsmuster von »Muslimen« zu erfahren. »Muslime« würden in der Gesellschaft einen schweren Stand haben und seien dem Generalverdacht ausgesetzt, extremistische Ansichten zu verkörpern. Über den Dialog müsse man nun versuchen, zu verstehen, wie es sich überhaupt anfühle, ständig einem Verdacht ausgesetzt zu sein. Dialog sei ein Instrument zum Verstehen einer Minderheit: »Was macht das mit der Identität von Menschen vor Ort, vor allem Minderheitssituationen […], Lebensalltag, wie, wie kann man sich, äh, wie kann man ganz normal leben, in die Schule gehen und seine Arbeit machen und ist dann auch noch ein Muslim?« (Interview 12) So könne es bspw. um die Frage gehen, »welche Erfahrungen […] Frauen [machen], die verschleiert sind, hier« (ebd.). Ein solches Verständnis von Dialog – Dialog als Fenster zu den (leidvollen) Empfindungen des »Anderen« – ist vielfach auch auf »muslimischer« Seite zu beobachten (z.B.: TB CIAG 9). Der evangelische Vertreter resümiert, der Dialog müsse darauf abzielen, »Bewusstsein [zu] schaffen für Alltagserfahrungen der Muslime« (Interview 12). Es gehe darum, neben der »Bildung« auch »mehr Wahrnehmung« zu schaffen bzw. »die Wahrnehmungsmuster stärker präsent zu machen« (ebd.). Hier zeigt sich die kommunikationstheoretische Einbettung des Dialogs. Dabei geht es um
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um das interreligiöse Miteinander in Erlangen zu evaluieren. Die Vertreter/-innen berichteten über die Qualität des Miteinanders v.a. zwischen »Muslimen« und »Christen«. Sie berichteten »übereinstimmend, dass das Miteinander der Kinder und Jugendlichen im Verein, in Kindergarten und Schule sich relativ problemlos gestaltet, Freundschaften mit gegenseitigen Besuchen in der Familie aber selten sind und die muslimischen Eltern bei Elternveranstaltungen und Festen eher unter sich bleiben« (CIAG-Protokoll vom 15.09.2006). Zudem, sei »[d]ie Zahl der Mädchen in den Sportvereinen […] sehr gering« (ebd.). Hier taucht in einer recht plakativen Spielart jenes Regieren auf, das ich als Gouvernementalität der Freundschaft bezeichne: Die CIAG versucht, »Freundschaften« zwischen »Muslimen« und »Christen« wahrscheinlicher zu machen. Die oben skizzierten Versuche, passende Orte der Vergemeinschaftung zu finden, sind in diesen Regierungszusammenhang zu stellen. Grundsätzlich, so ein ehemaliges CIAG-Mitglied, »führen [wir] den Dialog aus Gründen der guten Nachbarschaft, um vor Ort in unserer Stadt und unserem Land besser gemeinsam leben zu können« (Forssmann 2006). Im Folgenden soll ein weiterer wichtiger Aspekt lokalen dialogischen Regierens illustriert werden, der auf die therapeutische Dimension der Dialogtechnologie verweist. Diese Dimension verdeutlicht besonders gut, inwiefern eine spezifische Emotionalität in die Dialogtechnologie eingeschrieben ist.
10.2 10.2.1
Die therapeutische Dimension der Dialogtechnologie Die Wahrnehmung des emotionalen Lebens des »Anderen«
Ein an den Dialoggruppen beteiligter Vertreter einer evangelischen Bildungsinstitution (und universitärer Religionspädagoge) sieht die Dialoginitiativen als Möglichkeit, die Empfindungen und Wahrnehmungsmuster von »Muslimen« zu erfahren. »Muslime« würden in der Gesellschaft einen schweren Stand haben und seien dem Generalverdacht ausgesetzt, extremistische Ansichten zu verkörpern. Über den Dialog müsse man nun versuchen, zu verstehen, wie es sich überhaupt anfühle, ständig einem Verdacht ausgesetzt zu sein. Dialog sei ein Instrument zum Verstehen einer Minderheit: »Was macht das mit der Identität von Menschen vor Ort, vor allem Minderheitssituationen […], Lebensalltag, wie, wie kann man sich, äh, wie kann man ganz normal leben, in die Schule gehen und seine Arbeit machen und ist dann auch noch ein Muslim?« (Interview 12) So könne es bspw. um die Frage gehen, »welche Erfahrungen […] Frauen [machen], die verschleiert sind, hier« (ebd.). Ein solches Verständnis von Dialog – Dialog als Fenster zu den (leidvollen) Empfindungen des »Anderen« – ist vielfach auch auf »muslimischer« Seite zu beobachten (z.B.: TB CIAG 9). Der evangelische Vertreter resümiert, der Dialog müsse darauf abzielen, »Bewusstsein [zu] schaffen für Alltagserfahrungen der Muslime« (Interview 12). Es gehe darum, neben der »Bildung« auch »mehr Wahrnehmung« zu schaffen bzw. »die Wahrnehmungsmuster stärker präsent zu machen« (ebd.). Hier zeigt sich die kommunikationstheoretische Einbettung des Dialogs. Dabei geht es um
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
die Wahrnehmungen der Antriebskräfte des »Anderen« – v.a. der »Muslime« – auf intellektueller wie auch auf emotionaler Ebene: »Was treibt Muslime in Erlangen eigentlich um? Diese Frage, diese Fragestellung herauszufinden, diese Fragestellungen umzusetzen, äh in einem Vertrauensraum, wo man sagt, wir können drüber diskutieren.« (Interview 12) Der Dialog müsse jenen »Raum« produzieren, in welchem über private Empfindungen und Wahrnehmungen gesprochen werden kann und in welchem auch Aspekte angesprochen werden dürfen, die einem selbst am (oder dem) jeweiligen »Gegenüber« befremdlich erscheinen (ebd.; vgl. Kapitel 10.3). In der Tat ließ sich in mehreren Dialogsitzungen und -veranstaltungen beobachten, dass v.a. Mitglieder der »muslimischen« Gemeinden über leidvolle Alltagserfahrungen der Exklusion, über diverse soziale Probleme in den Moscheegemeinden und manchmal auch über persönliche Konflikte und Ängste oder z.B. über Konflikte und Identitätsprobleme der eigenen Kinder sprachen (TB 2; 25, 28; TB FMGE 5; TB CIAG 6, 9). Diese Praktizierung des Dialogs als Ort einer beinahe therapeutischen Aussprache ist in integrationspolitische Kräftefelder eingebunden. »Was treibt Muslime in Erlangen eigentlich um?« (Interview 12), wird als Frage gedacht, deren Beantwortung für die Gestaltung eines konfliktfreien Zusammenlebens notwendig sei (Interviews 3, 8, 11, 12). Gerade auch die angestrebte »muslimische« Erwachsenenbildung (Kapitel 10.4) wird in diesem Kontext als Instrument gesehen, das die Erfahrungen von »Muslimen« vor Ort zutage befördern und für den Dialog fruchtbar machen könnte (Interview 12).
10.2.2
»Der Nerv«: Praktiken des Vorfühlens und des Emotionsmanagements
Das evangelische Bildungswerk in Erlangen, Bildung Evangelisch, erarbeitete im April 2016 in Kooperation mit der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) in Erlangen, dem evangelischen und katholischen Dekanat Erlangen und mit Unterstützung der Stadt (im Rahmen der im zweijährigen Rhythmus in Erlangen organisierten Kunst- und Kulturinitiative »Comicsalon«) eine Ausstellung über Religionskarikaturen sowie über bildliche, künstlerische und kritische Darstellungen religiöser Motive. Die Ausstellung entstand aus einem Seminar der Christlichen Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Konzeptionalisierung und Durchführung einer solchen Ausstellung fügte sich genau in das skizzierte Paradigma ein, über Dialog die Wahrnehmungsmuster des »Anderen« zu erkunden. Ein Co-Initiator der Ausstellung knüpfte selbige zunächst an allgemeine Fragen bezüglich des Umgangs mit religiösen Bildern im »Islam« bzw. bei »Muslimen« an sowie auch an ein Interesse an der »muslimischen« Wahrnehmung »christlicher« Symbole in einer »christlich« dominierten Umgebung: »Eben das Wahrnehmen ist wichtig. Wie Leute das wahrnehmen, ganz selbstverständlich ham die Muslime, die sehen was, die sehn ein Kreuz, die sehn äh, ne Gottesdarstellung und äh, sie können schon den Mohammed ned verkraften, und dann sag ich jetzt, schaut mal Gott an.« (Interview 12) Hier taucht die Vorstellung auf, »Muslime« könnten in alltäglichen Lebenszusammenhängen den Anblick eines »Kreuzes« oder allgemein »christlicher« Gottes- und Pro-
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Gouvernementalität der Freundschaft
phetendarstellungen als befremdlich empfinden. Deshalb müsse es Foren geben, wo sie über solche Empfindungen sprechen können. Auch hier sei die lokale Ebene von Bedeutung. Es gehe nicht nur um theologische Reflexionen: »Mich interessiert mehr, dass irgendein Muslim […], der hier lebt, dass der plötzlich ne Kirche sieht und in der Kirche ist ein Kreuz, sag ich schlicht. Also ist das schon erträglich?« (Ebd.) Ursprünglich sollten auch die 2005 in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten erschienenen Mohammed-Karikaturen sowie die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo aus den 2010er Jahren gezeigt werden, um dann v.a. auch mit den Erlanger »Muslimen« darüber zu reflektieren. Der Co-Initiator organisierte dazu im Vorfeld ein im privaten Rahmen geführtes Sondierungsgespräch zwischen »christlichen« Vertreter/innen und Vertreter/-innen der beiden Erlanger Moscheegemeinden. Dort wollte er mit den »Muslimen« die Frage diskutieren: »Wie kann man dieses Thema der MohammedKarikaturen, also nicht die Mohammed-Karikaturen als solche, sondern die Thematik der Karikaturen, in eine Ausstellung über Religion und Karikaturen integrieren?« (Interview 12) Er betonte: »Wir werden sicher nichts machen, was in irgendeiner Weise die Moslems unter Druck setzt, was sie nicht akzeptieren können. […] Aber vielleicht finden wir einen Modus.« (Ebd.) Es ging dem Co-Initiator nicht um die Karikaturen an sich, sondern um die Erkundung der emotionalen Dimension religiöser Empfindungen und des »Verletzt-Seins«. Es ging ihm um den »Nerv«: »Wie nimmt man Karikaturen wahr, welcher Nerv wird da eigentlich getroffen? […] Wird der Nerv getroffen oder ist das nur medial inszeniert? Wie kann man den Nerv, nicht die Karikaturen, sondern den Nerv, der getroffen wird, wie kann man des darstellen? Also es geht wieder um Wahrnehmung.« (Ebd.) Diese Fragen sollten im Kontext der Ausstellung bearbeitet werden, und genau darüber sei auch mit den »muslimischen« Gemeinden noch vor der Ausstellungskonzeption in einem Sondierungstreffen zu sprechen: »Also ganz klar, sie werden nicht akzeptieren, dass MohammedKarikaturen ausgestellt werden […], aber wie kann man so was irgendwie noch mal präsent machen?« (Ebd.) Die Tatsache, dass man vorab gefragt wurde, wie man eine zukünftige Karikaturenausstellung empfinden würde, wurde von »muslimischer« Seite als positives Zeichen der Erlanger Dialogstrukturen wahrgenommen: »Er hat uns auch gefragt, wie meint ihr das und das […]. Wir wurden gefragt, und das ist ja schon mal was. Nicht ignoriert oder vernachlässigt zu sein.« (Interview 18; »muslimischer« Gemeindevertreter) Hier zeigt sich, dass der Dialog neben den re-formierenden und auf die Veränderung »muslimischer« Identitäten zielenden Impulsen immer auch den Effekt innehat, die »muslimischen« Vertreter/-innen als »Partner« zu ermächtigen und damit anzuerkennen. In gewissem Sinne artikulierte der Co-Initiator der Karikaturenausstellung selbige als ein Instrument zur Stärkung der Verhaltenskontrolle religiöser Subjekte: »Es geht darum, wie geh’n wir mit, äh, Wahrnehmung und unseren eigenen Grenzen um?« (Interview 12) Erst wenn Subjekte sich im Hinblick auf religiöse Empfindungen ihrer Dispositionen und (Toleranz-)Grenzen bewusst sind und die empfundenen Grenzüberschreitungen bzw. die dabei auftretenden Gefühle auch selbst verstehen, ausdrücken und mit anderen diskutieren können, würden sich Konflikte lösen lassen. »Und des möcht ich gerne ausloten. Und wenn man so diesen Punkt hat [an dem religiöse Empfindlichkeiten ausgelöst werden; Anm. J.W.], dann kann man dem ja nachgehen und sagen,
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
was kann ma draus machen. Wie kann man die Sensibilitäten darstellen. Darum geht’s mir.« (Ebd.) Ähnlich argumentierte auch ein Imam einer der Moscheegemeinden auf einer späteren Abendveranstaltung am 28. Mai 2016 im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt schon einige Wochen gezeigten Karikaturenausstellung – die einzige realisierte Involvierung der »muslimischen« Gemeinden in diese Ausstellung: Dialog sei wichtig, um zu verstehen, wann und warum das »Gegenüber« bei bestimmten Themen sensibel reagiere. Der »christliche« Ausstellungsinitiator versprach sich bereits von dem vorab geführten, privaten Sondierungsgespräch eine Möglichkeit, die intellektuelle Ebene zu verlassen und den »Anderen« zu erkunden: »Es soll [in dem Sondierungsgespräch; Anm. J.W.] niemand sagen, dass der Koran sagt, man darf den [Propheten] nicht darstellen, des ist einfach, des, ja, stimmt oder es stimmt ned, ja, des ist ja ne Reflexionsebene […]. Ich möcht aber eher ne emotionale Ebene.« (Interview 12) Anstatt über religiöse Normen und über die Exegese von religiösen Texten und Quellen zu sprechen, sollten persönlichemotionale Perspektiven und Gefühle religiöser Individuen ergründet werden. Religion wurde dabei im Interview grundsätzlich als ein emotionales Feld artikuliert, wobei diese Emotionalität von Religion in jenem dialogischen »Schutzraum« (ebd.; der zweite Begriff neben »Vertrauensraum«) zu verwalten sei. Das private Sondierungsgespräch wurde als ein solcher Schutzraum konzipiert.5 Im Kontext einer späteren universitären Bildungsveranstaltung (TB 15) reflektierte ein Vertreter einer evangelischen Bildungsinstitution, der die Karikaturenausstellung mit initiierte, weitergehend: »Ich bin mir sicher, in der Zukunft werden religiöse Gefühle wichtiger werden. Ich will dafür sensibilisieren. Man muss im Voraus über seine religiösen Gefühle nachdenken, darüber reflektieren und darüber reden, wo die eigene Schmerzgrenze ist – und wo die des anderen ist.« (Interview 12) Für die Zukunft, die hier als eine Zukunft emotionaler religiöser Auseinandersetzungen imaginiert wird, müsse das religiöse Subjekt lernen, mit verschiedenen Formen der Kritik an Religion – z.B. religiösen Karikaturen – auszukommen. Aus diesem Grund wurde die Ausstellung über religiöse Karikaturen konzipiert. Gläubige Menschen müssten sich an (auch provozierende) Religionskarikaturen gewöhnen und diese als Angebote zur Reflexion verarbeiten können. Sie müssten einerseits die blinden Flecken und Probleme der eigenen Religion erkennen, auf die »gute« Karikaturen hinweisen würden, und gleichzeitig aber flache, lediglich provozierende Karikaturen identifizieren sowie diese differenziert beschreiben und damit auch überzeugend ablehnen können. Ein solches »Training« im Umgang mit religiösen Karikaturen würde gerade die »muslimischen« 5
Die Annahme einer besonderen Emotionalität von Religion spielte auch in verschiedenen anderen Situationen eine Rolle. So wird in Kapitel 10.4 noch aufscheinen, wie die Aushandlungen um eine »angemessen« arbeitende und konzipierte »muslimische« Erwachsenenbildung in Erlangen vor dem Hintergrund der Annahme einer grundlegenden Sensibilität des Feldes »Religion und Glaube« prozessiert wurden – und folglich mit konfliktentschärfenden, sensiblen Praktiken einhergingen, in dessen Vollzug sich v.a. »christliche« und städtische Sprecher/-innen als Subjekte konstituierten, die den »Muslimen« zwar »Tipps« geben, ihnen aber keineswegs eine bestimmte Agenda »aufdrücken« wollen (vgl. Kapitel 10.4).
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Gemeinden politisch kompetenter machen (TB 15; Interview 12). Übergeordnetes Ziel der Karikaturenausstellung sei u.a., die Fähigkeit des religiösen Subjekts zu stärken, sich selbst relativieren und über sich selbst bzw. über die eigene Religion lachen zu können. Der Dialog zeigt auch hier seine therapeutische Seite, indem »Lachen« und Humor als Mittel gegen religiöse Konflikte und Integrationsprobleme in Anschlag gebracht werden. Im offiziellen Ankündigungstext auf der Internetseite des »evangelischen« Erwachsenenbildungswerks Erlangen stand in Anlehnung an den Karikaturisten Ronald Searle geschrieben, dass Karikaturen »optisches Juckpulver« seien, »das die Betroffenen zwingt, sich zu kratzen« (https://www.bildung-evangelisch.de/theologie/, 07.04.2016) – wobei »dieses Juckpulver […] umso kräftiger ist, wenn es um die Religion geht« (ebd.). Die Veranstaltung wolle »Glaubens- und Sehgewohnheiten aufbrechen« (ebd.), wobei es darum gehe »die eigene und die Religion der anderen neu sehen und verstehen [zu] lernen« (ebd.). Zum Schluss heißt es: »Es könnte jucken und dann sollte man kratzen an der Oberfläche des Religiösen, augenzwinkernd und am besten mit befreiendem Lachen – damit Juckpulver nicht Schießpulver wird.« (Ebd.) Auf dem erwähnten (TB 15) religionspädagogischen Studientag zu »Religion und Gewalt«6 am 16.10.2015 in Erlangen führte ein Vertreter einer »christlichen« Bildungsinstitution, der die Karikaturenausstellung mitgestaltete (Interview 12), einen auch von mir besuchten Workshop zu »Religion und Karikatur« durch. In diesem sprach er vielfach über die zu diesem Zeitpunkt gerade geplante Erlanger Karikaturenausstellung, das Verhältnis zu den lokalen »muslimischen« Gemeinden und v.a. auch über die Ergebnisse des oben schon erwähnten Sondierungsgesprächs. So verlautbarte er, dass er auf der geplanten Ausstellung keine Prophetenkarikaturen zeigen werde, zumindest nicht direkt, da die lokalen »Muslime« dies nicht gewollt hätten. Jedoch, so erzählte er vom »Vorabgespräch« mit den »muslimischen« Vertreter/-innen, würden diese auch ohne die Prophetenkarikaturen definitiv nicht an der Ausstellung mitmachen wollen. Die »muslimischen« Vertreter/-innen hätten derweil auch in Bezug auf eine geplante Präsentation provozierender und vulgärer Karikaturen über das Christentum entgeistert reagiert: »Die Muslime fragten mich: Habt ihr denn alle religiöse Sensibilität verloren?« (Interviewpartner 12 im Kontext von: TB 15)7 Letztlich baten die »Muslime« den 6
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Der religionspädagogische Studientag zum Thema »Religion und Gewalt« wurde von der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), dem FAU-Zentrum für Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie von den Lehrstühlen für Praktische Theologie und für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts organisiert. Er richtete sich u.a. an »christliche« Religionslehrer/-innen, wurde aber öffentlich konzipiert. Der Studientag war integrationspolitisch ausgerichtet und kann als Beispiel dafür gesehen werden, wie die »christlichen« Kirchen mit dem Anspruch auftreten, durch moderierte Reflexionsleistungen wie ebenjenem Studientag religiös eingefärbte Konflikte zu bearbeiten, zu einem Ideengeber für das Angehen von Schieflagen im »Islam« (Verhältnis zu Gewalt usw.) zu werden und »Muslimen« bei »deren« Aufgabe der Integration »islamischer« Identitäten Hilfe zu leisten. Ein Workshop auf dem Studientag thematisierte bspw. »hermeneutische Zugänge zu schwierigen Stellen in Bibel und Koran«. Dieser als interreligiöser Austausch konzipierte Workshop wurde von einem Pfarrer und einem »muslimischen« Vertreter geführt, hier von einem Mitglied der Muslimischen Studierendengemeinde Erlangen (MSG) (Interviewpartner 10). Auf der Ausstellung sollten auch die (emotionalen) Grenzen der »christlichen« Besucher/-innen ausgelotet werden. Entsprechend war der Plan, auch scharfe Karikaturen des Christentums aus-
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»evangelischen« Vertreter gar, die Ausstellung gänzlich zu unterlassen. Die Gemeindevertreter/-innen fürchteten soziale Spannungen in Erlangen; sie fürchteten, dass sich einige »Muslime« aus den Gemeinden über die Ausstellung aufregen würden, was wiederum Gegenreaktionen aus der Gesellschaft mit sich bringen könnte. Diese Konflikte sollte man grundsätzlich vermeiden, so die Logik der »muslimischen« Anfrage nach einer Unterlassung der Ausstellung. Eine Besucherin des Workshops merkte nach dieser Darstellung aufgebracht an: »Nur weil die Muslime eine Ausstellung über Karikaturen nicht wollen, sollten wir uns das nicht verbieten lassen.« (Zitat aus: TB 15) Sie fragte auch, warum denn die »Muslime«, selbst wenn Prophetenkarikaturen vermieden werden, immer noch nicht partizipieren wollen würden. Der Vertreter einer evangelischen Bildungsinstitution antwortete, die »muslimischen« Gemeinden könnten eben mit dem Thema einfach nicht umgehen, und dies hätte »was mit Diskurskultur zu tun« (Zitat, TB 15). Er ergänzte: »Die Muslime sagten mir, dass das die Leute in den Gemeinden einfach zu sehr aufregen wird, auch ohne Bilder, einfach das Thema, das würde Gefühle verletzten.« (TB 15) Der »evangelische« und universitäre Vertreter zeigte sich darüber enttäuscht, artikulierte für die »muslimische« Position aber auch Verständnis. Diese, so reflektierte er, sei nun mal das Resultat der Machtverhältnisse, innerhalb welcher sich »Muslime« als eine »schwache Minderheit« wiederfinden und aus welcher heraus sie »nicht so locker« (Zitat) mit Reizthemen umgehen können würden. »Muslime« seien als diskriminierte Minderheit eben »anfälliger für Verletzungen« (Zitat). Trotz dieser Überlegungen artikulierte der »evangelische« Bildungsvertreter letztlich dennoch seine Enttäuschung darüber, dass die Gemeinden nicht trotzdem die reflektierte Distanz hätten, das Projekt zu unterstützen (so seine Ansicht). Das hier skizzierte Beispiel zeigt nebenbei, wie universitäre Veranstaltungen und Workshops genutzt werden, um integrationspolitisch bedeutsam gemachte lokale Entwicklungen zu diskutieren. Die »muslimischen« Vertreter/-innen der Erlanger Gemeinden enthielten sich tatsächlich überwiegend der Organisation, Veranstaltung und Bewerbung der Ausstellung. Das »evangelische« Bildungswerk kooperierte derweil mit der Stadt und bettete die Ausstellung in den »Comic Salon Erlangen« ein, eine städtische Kunstinitiative. Eine Ausnahme bildete der erwähnte Diskussionsabend mit einem lokal (und im Dialog) tätigen Imam – der aber sogleich nochmal betonte, dass die »muslimischen« Gemeinden nicht direkt an der Ausstellung teilhaben.8 Nach der Kritik seitens »muslimischer« Vertreter/-
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zustellen. Der Co-Initiator erzählt von einer solchen (I. = Interviewpartner; J.W. = Jan Winkler): »[I.] »Aber da gibt’s schon noch andere Hämmer. [J.W.] Ok. [I.] Also, eine Karikatur, die äh, Jesus hängt am Kreuz und, eine Stimme Gottes kommt vom Himmel: ,I fucked your Mother.‹ [J.W.] Ok. [I.] Des ist hochtheologisch, ne? [J.W.] Des ist sogar theologisch. [I.] Ist hochtheologisch, erstmal denkst, ey. […] Es ist klasse, also von der intellektuellen Leistung her, es ist Wahnsinn. [J.W.] Ja. [I.] Aber. [J.W.] Es ist schon knallhart. [I.] Es geht nicht.« (Interview 12) Es handelte sich um die am 28.05.2016 von Bildung Evangelisch organisierte Podiumsdiskussion »Religion & Karikatur – Anstöße und Verstöße« im Kontext der genannten Ausstellung. An diesem Abend hatte ein Imam einer Erlanger Gemeinde die Möglichkeit, zusammen mit einem Moderator von BildungEvangelisch (Interviewpartner 12) eine fundierte Legitimation der »muslimischen« Ablehnung der Karikaturenausstellung zu formulieren. Die Argumentation des Imams ähnelte letztlich den machtanalytischen Argumenten, die jener Vertreter einer »evangelischen« Bildungsinstitution auf dem Studientag »Religion und Gewalt« entwickelte (TB 15). Man müsse ein gewisses Verständnis für das »muslimische« Aufbegehren gegen »Islam«-Karikaturen aufbringen, insofern
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innen im erwähnten Sondierungsgespräch wurde auch weitgehend darauf verzichtet, Mohammed-Karikaturen darzustellen. Die von mir besuchte Ausstellung enthielt zwar letzten Endes Infostände, die Mohammed-Karikaturen sowie die anschließenden politischen Konflikte thematisierten, jedoch wurden aus den dargestellten Karikaturen die Prophetendarstellungen herausgeschnitten. Auf der Vernissage der Ausstellung jedoch (TB 18) am 14.04.2016 lagen auf einem kleinen Tisch in der Ecke des Ausstellungsraumes Exemplare einer Charlie-Hebdo-Zeitschrift mit einer Mohammed-Darstellung auf dem Titelblatt. Darauf wollte man wohl nicht verzichten. Auf der Vernissage waren derweil keine »muslimischen« Vertreter/-innen anwesend.
10.2.3
Der Dialog als entdeckende »Psychotherapie« und die Mikropraktiken der aufmerksamen Beobachtung des »Gegenübers«
Im Interview mit dem Co-Initiator der Karikaturenausstellung artikulierte dieser die – paternalistische – Ansicht, dass »Muslime« oft selbst nicht wissen oder erkennen würden, dass sie »Islam«-Karikaturen eher aufgrund der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und damit verknüpfter (erlebter) Exklusionserfahrungen als emotional belastende Provokation erleben würden als aufgrund theologischer Gesetze/Normen allein (z.B. Bilderverbot im »Islam«, theologische Ablehnung von Islamkritik etc.). Die emotionalisierte »muslimische« Aufregung über »Islam«-Karikaturen hätte also in Wahrheit soziale Ursachen, sei aber religiös aufgeladen (und werde vielfach religiös erfahren), wobei nun genau über solche Zusammenhänge reflektiert werden müsse. Mein Interviewpartner wollte mit der Karikaturenausstellung (und den lokalen Debatten, die er sich von dieser versprach) aufzeigen, dass der »Groll« in der »islamischen« Welt nach manchen religiösen Karikaturen nicht primär theologisch bestimmt sei, sondern seinen Ursprung in gesellschaftspolitischen Konfigurierungen habe. »Muslime« würden als gering geschätzte Minderheit ihren Frust entladen, die impliziten Ursachen jedoch nicht erkennen oder formulieren können. Man müsse daher die religiöse Aufladung durch intensivtiefgehende Gespräche überwinden. Das dialogische interreligiöse Gespräch müsse zu den Exklusionserfahrungen als Ursache für die Schärfe der Konflikte durchdringen. Gerade hier erhält der Dialog etwas »Aufdeckendes« und Therapeutisches – der Dialog wird zur Gesprächstherapie. Könnte man nun, so die Logik, im Dialog die »wahren« Ursachen aufdecken, dann würden jene Karikaturist/-innen, die den Propheten kritisieren, auch nicht länger als »Feinde Gottes«, sondern »nur« noch als »Diskriminierer« erscheinen, die man politisch angehen kann. Demgegenüber jedoch würden »Muslime« Karikaturen allzu oft mit religiösem Eifer bekämpfen, das Phänomen unnötigerweise religiös aufladen und sich im Kampf mit »Gotteslästerern« verstehen (Interview 12). im Kontext der herrschenden, »kolonialistischen« (Zitat aus der Rede des Imams) Machtverhältnisse »Muslime« grundsätzlich unterdrückt und vielfach geringgeschätzt werden, was emotionale Gegenreaktionen mit sich führe. Insgesamt delegitimierte der Imam tendenziell »westliche« »Islam«-Karikaturen als meist bewusste Provokationen medialer Akteure und Verleger/-innen. An anderen Stellen seiner Aussagen bekräftigte er aber auch eine mögliche kritische Funktion religiöser Karikaturen als Denkanreger (Quelle: Protokoll der Abendveranstaltung, die ich selbst nicht besuchen konnte. Ich danke Charlotte Liebel, studentische Hilfskraft, für den Besuch und die Protokollierung der Gespräche).
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
Im Rahmen seines Workshops auf dem Studientag zu Religion und Gewalt (TB 15) erzählte mein Interviewpartner, wie während des Sondierungstreffens mit Erlanger »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen auf dem Tisch, an dem gemeinsam gesessen wurde, Prophetenkarikaturen offen herumlagen – er selbst habe diese mitgebracht (ein Stück weit schien er damit die »Muslime« testen zu wollen). Diese herumliegenden Bilddarstellungen des Propheten (der im traditionellen »Islam« nicht dargestellt werden soll), seien aber, so seine Beobachtung, für die anwesenden »muslimischen« Personen »offenbar gar nicht schlimm gewesen« (Zitat, TB 15). Der Vertreter einer »evangelischen« Bildungsinstitution beobachtete die Reaktionen und das Verhalten der »muslimischen« Gemeindesprecher/-innen und meinte zu sehen, dass die »Islam«-Karikaturen und Prophetenbilder im »Schutzraum« des Sondierungsgesprächs in kleiner Runde (in welcher die Zwänge, öffentlich für etwas einzutreten, nicht vorhanden sind) keinerlei körperliche Regungen bei den anwesenden »Muslimen« erzeugten – so drückte der »evangelische« Vertreter es aus. Es ging den »Muslimen«, so seine Deutung, stets eher um den möglichen »sozialen Sprengstoff« einer Karikaturenausstellung als um theologische Selbstführung und Empfindlichkeit im engeren Sinne: »Da hat keiner die Augen vor den Bildern verschlossen!« (TB 15) Es zeigt sich, dass die Regierungstechnologie des Dialogs, insofern sie die »tiefgehende Begegnung« hervorhebt, in den Mikropraktiken ihres Vollzugs eine aufmerksame und intensive Beobachtung des »Anderen« plausibilisiert und sich durch solche Praktiken der Beobachtung und Aufmerksamkeit fortschreibt und greifbar macht. Der Vertreter einer »evangelischen« Bildungsinstitution erzählte auf dem Workshop (TB 15) seine Geschichte in etwa wie folgt weiter: Angesichts dessen, dass diverse Bilder und Karikaturen religiöser Motive ohnehin bereits offen auf dem Tisch lagen, habe man dann auch damit anfangen können, entsprechend offen darüber zu reden. Auch habe man gemeinsam darüber reflektieren können, dass das Bilderverbot im »Islam« ja nicht unumstritten und Religionskritik dem »Islam« nicht per se fremd sei. Das ruhige Gespräch unter vier Augen und das neugierige Nachfragen im »Schutzraum« hätten hier, so der »evangelische« Vertreter, interessante (neue) Erkenntnisse über das religiöse Verständnis des »Gegenübers« zutage treten lassen. Dem »evangelischen« Bildungsvertreter zufolge könnten derartige Reflexionen über »Islam« und Karikaturen zukünftig und v.a. unter »Muslimen« bspw. zu der Einsicht führen, dass das immer wieder hochgehaltene, religiös begründete Bilderverbot im »Islam« theologisch letztlich nicht dermaßen wichtig sei, wie es im Zuge politisierter Konflikte erscheinen muss (TB 15; Interview 12).
10.2.4
Die innere Sicherheit, der intime Dialog und die Modellierung von Beziehungsfähigkeit
Zusammenfassend kann folgende analytische Deutung vorgenommen werden: Die in diesem Kapitel skizzierten Praktiken zielen darauf ab, das religiöse Subjekt auf ein Übungsfeld zu führen, wo es die Offenlegung der eigenen Gefühlswelten einüben kann. Die »innere Sicherheit« des religiös »(über-)bewegten Subjekts«, die nur im Dialog zu erreichen sei, wird als notwendig auch für die innere Sicherheit des Staates und der Gesellschaft gesehen (vgl. Winkler 2017, wo ich dieses Beispiel ebenso thematisierte).
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Gouvernementalität der Freundschaft
Die Expert/-innen bzw. Moderator/-innen des »Dialogs mit Muslimen«, der im Sinne einer Gouvernementalität der Freundschaft operiert und die Machtform des governing through friendship enthält, definieren sich entsprechend darüber, dass sie kompetent über eigene religionsbezogene Erfahrungen reden und damit eine Öffnung des »religiösen Gegenübers« erreichen können. Das Beispiel der Karikaturenausstellung zeigt auf, wie stark der Dialog auf das Innenleben von Individuen abzielt und somit eine Intimisierung aufweist, die über die Motive des »Vertrauens« und der »Freundschaft« sowie deren Kopplung an das Integrationsparadigma rationalisierbar wird. Der am interreligiösen Dialog in Erlangen zumindest »ideell-intellektuell« teilhabende Theologe Reza Hajatpour vom neuen Erlanger Departement für Islamisch-Religiöse Studien schreibt: Mit dem Dialog wird »das Innere des Mitmenschen [erreicht], die andere Erfahrung, darüber hinaus verleiht er der eigenen Erfahrung eine kritische Selbstreflexion. Dialog ist daher die Fähigkeit, sich zu öffnen und seine Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen und kritisch zu begleiten.« (Hajatpour 2005: 21)Die Betonung der Bedeutung persönlicher Kontakte und teilweise gar ein Streben nach Kenntnis über tendenziell private Aspekte des jeweiligen »Gegenübers« sind ohnehin als Kernmomente der dialogischen Praxis zu erkennen (vgl. Interview 10; vgl. Kapitel 7.5 und die dort genannten Studien). Im Dialog moderieren integrationspolitisch aktive und gleichzeitig als religionssensibel auftretende Repräsentant/-innen der Stadt in Kooperation mit »christlichen« Akteuren und ehrenamtlich engagierten, sich reformbereit und undogmatisch zeigenden »Muslimen« – nicht zuletzt auch unter Mobilisierung wissenschaftlicher Religionsexpert/-innen – solche (Selbst-)Öffnungsprozesse; sie tun dies dabei tendenziell vis-à-vis der organisierten Moscheegemeinden, denen tradierte Religiosität und Selbstabgrenzung zugeschrieben wird. Die Dialogtechnologie bedient sich dabei vielfach aus dem Wissensfeld der Religionspädagogik: Gerade diese, so Harun Behr (bis 2014 Professor am Erlanger Zentrum für Islamischen Religionsunterricht sowie sporadisch im Erlanger Dialog aktiv), helfe dem religiösen Subjekt, »sich selbst seiner eigenen Absichten bewusster zu werden« (Behr 2011: 17). Das sei dann »die Voraussetzung dafür, Kontrolle über das eigene Verhalten zu erlangen und zu lernen, sich mit seinen Mitmenschen […] auszutauschen« (ebd.). Denn »jede Unaufrichtigkeit und Unklarheit in dieser Verständigung führ[e] zu […] Konflikten« (ebd.). Die Steuerung der inneren Dispositionen des religiösen Subjekts zum Zwecke seiner Befähigung, mit »anderen« auszukommen, stellt ein Momentum dar, das Dialog als governing through friendship markiert: als eine Technologie der Modellierung zwischenmenschlicher Beziehungsfähigkeit von Subjekten im Kontext eines lokalen Managements kultureller und religiöser Pluralität (vgl. Fortier 2007).
10.2.5
»Muslimisch-christliche« Koproduktionen religiöser Selbstachtung und die selbstbewusste politische Position des »zu Recht entrüsteten Muslims«
Auf der Vernissage der Karikaturenausstellung, die am 14.04.2016 in Erlangen stattfand, hielten »christliche« Vertreter (ausschließlich Männer) die Eröffnungsreden, während »muslimische« Vertreter/-innen nicht anwesend waren. Hierbei begannen die »christlichen« Vertreter damit, zu rekapitulieren, wie die »Muslime« sich gegen diese Ausstel-
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lung aussprachen und auch durchgesetzt hätten, dass bestimmte Prophetenkarikaturen zensiert worden sind. Dies habe zu Unmut u.a. in den »christlichen« Gemeinden geführt. Einige Personen klagten über die »Selbstzensur« der Ausstellungskurator/-innen aufgrund »muslimischer« Empfindlichkeiten sowie über eine vermeintlich mangelnde Fähigkeit der »Muslime« zur selbstkritischen Auseinandersetzung. Dies gesagt, warben die »christlichen« Redner jedoch öffentlich für mehr Verständnis für die »muslimischen« Gemeinden und rahmten dies mit einer Erzählung über interreligiöse Vergemeinschaftungsmomente. Sie schilderten Begegnungen im Kontext von vorab durchgeführten Sondierungsgesprächen und betonten, dass die »Muslime« nicht nur deshalb gegen die Ausstellung waren, weil sie (provokative) Prophetendarstellungen ablehnen, sondern auch deshalb, weil sie sich gegen beleidigende Darstellungen »christlicher« Propheten und Motive stellten. Hier wurde auch wieder die »muslimische« Äußerung zitiert, ob denn die »christlichen« Gemeinden »alle religiöse Sensibilität verloren hätten?«9 Sodann schilderte ein »christlicher« Sprecher, die »Muslime« hätten in den Vorabgesprächen »den christlichen Glauben, also unseren Glauben verteidigt, quasi gegen uns selber!« (sinngemäßes Zitat). Dies wurde als bewegender und emotionaler Moment beschrieben, der aufzeigen würde, wie sich »Muslime um uns Sorgen machen« (sinngemäßes Zitat), wie sie die religiöse Würde verteidigen, die beim Anblick so mancher Karikatur als angegriffen betrachtet werden sollte, und wie sie dabei die »Christen« an religiöse Sensibilitäten erinnern. Die Sondierungsgespräche hätten damit Vergemeinschaftung zwischen »Christen« und »Muslimen« repräsentiert und seien zudem, so die Sprecher, Ausdruck eines wahrhaftigen interreligiösen Austauschs gewesen. Dies sollte man sehen und nicht die Meinungsverschiedenheiten. Letztlich konnten sich die »Muslime« auf der Vernissage über die »christlichen« Vertreter als politische Subjekte »erklären«. Als Stellvertreter der »Muslime« rehabilitierten die »christlichen« Sprecher die »muslimische« Ablehnung der Ausstellung vermittels einer Erzählung bewegender Momente. Basierend auf u.a. folgenden Praktiken, a. den Sondierungsgesprächen zwischen Vertreter/-innen »christlicher« (und akademischer) Institutionen und »muslimischen« Gemeindesprecher/-innen (allesamt Akteure, die auch mit der Stadt in Kontakt stehen), b. einem Gesprächs- und Reflexionsabend unter Mitwirkung eines Imams sowie c. den Reden »christlicher« Vertreter auf der Vernissage,
ist damit insgesamt festzuhalten, dass in der Form einer komplexen Koproduktion eine »muslimische« politische Position geschaffen und als legitim gerahmt wurde: die Position des zu Recht kritisierenden und auf religiöse Gefühle verweisenden »Muslims«, der den »Christen« Impulse für deren religiöses Selbstverständnis gibt. Dies zeigt auch noch
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Eine Äußerung, die ohnehin »Karriere« machte. So wurde eine am 21.04.2016 u.a. von der katholischen Erwachsenenbildung Erlangen durchgeführte Veranstaltung im Erlanger Pacelli-Haus zum Thema »Blasphemie und Meinungsfreiheit«, die auf der Internetseite von BildungEvangelisch Erlangen beworben wurde, mit dem Titel »Ist euch denn nichts mehr heilig? Satire zwischen Blasphemie und Meinungsfreiheit« versehen. Ich nehme an, dass diese Formulierung auf Grundlage der Gespräche mit den »muslimischen« Vertreter/-innen gewählt wurde.
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einmal die doppelte Fallrichtung der Macht in der Technologie des lokalen »Dialogs mit Muslimen«. Diese ist einerseits ein formender Regierungszugriff, der die Identitäten und Lebensführungen der als »traditionell« erachteten »muslimischen« religiösen Gemeinden zu beeinflussen sucht, aber gleichzeitig auch eine Praxis der Ermächtigung und Rehabilitation der lokalen »muslimischen« Bevölkerung, die im Dialog als selbstbewusste religiöse Gruppe ihre Ansichten formulieren kann. So lassen sich die »christlichen« Positionierungen zur Ausstellung (d.h. die auf der Vernissage gehaltenen Reden, die artikulierten Botschaften) ganz wesentlich darauf zurückführen, dass »muslimische« Gemeindevertreter/-innen im Kontext dialogorientierter Praktiken (Vorabtreffen, Gespräche) ihre Perspektiven auf religiöse Selbstachtung effektiv zu platzieren vermochten. Innerhalb der Praxis des Dialogs konnten »muslimische« Gemeindevertreter/-innen in privat organisierten, auf persönlicher Ebene abgehaltenen Vorabgesprächen mit »christlichen« und universitären Vertreter/-innen (somit implizit auch mit Vertreter/-innen einer »Mehrheitsgesellschaft«) »im kleinen Kreis« über die geplante Karikaturenausstellung diskutieren. Innerhalb der dort wirkenden Mikrophysiken der Macht kritisierten die »muslimischen« Sprecher/-innen selbstbewusst den »christlichen« und mehrheitsgesellschaftlichen Umgang mit Religion und v.a. auch der »eigenen« religiösen Identität. Da die »christlichen« und akademischen Initiator/-innen – in Kooperation mit der Stadt – im Rahmen der Ausstellung auch sehr scharfe, vulgäre und verletzende Karikaturen über (u.a. auch die »christliche«) Religion zur Reflexion stellen wollten (und damit aufwerteten), formulierte die »muslimische« Seite die kritische Anmerkung, ob denn die Mehrheitsgesellschaft und die »Christen« jegliche religiöse Sensibilität verloren hätten. Die »muslimische« Seite mahnte die »christliche« Seite zu mehr Pietät und religiösem Taktgefühl an, wobei in diesem Kontext das »Christentum« von den »Muslimen« verteidigt wurde. Letztlich konnten die »Muslime« die »christliche« Seite zum Reflektieren anregen. Die an der Ausstellung beteiligten Individuen aus dem kirchlichen und universitären Umfeld erkannten in den Gesprächen mit den »Muslimen« einen fruchtbaren interreligiösen Erfahrungsaustausch sowie bewegende Momente. Dies stellten sie dann in den öffentlichen Reden zur Vernissage entsprechend dar (siehe oben). Dort verteidigten sie auch die »muslimische« Skepsis gegenüber der Ausstellung oder zumindest gegenüber einigen Karikaturen. Die »christliche« Seite könne vielmehr, so eine der Aussagen, von der »muslimischen« Seite etwas über religiöse (Selbst-)Achtung und die Relevanz von Religion(-en) lernen.
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Kritik unter Freunden: die Subjektposition des Freundes, die körperlich-emotionalen Performanzen ihrer Hervorbringung und das Lokale als Resonanzraum des Dialogs
In Kapitel 10.1 wurde gezeigt, wie die Praktiken der Inszenierung lokaler Gemeinschaftlichkeit darauf abzielen, überlokal zirkulierende Konfliktnarrative zu entschärfen. So solle die Festigung lokaler Gemeinschaftlichkeit die (zugeschriebenen) problematischen Aspekte am »Gegenüber« aushaltbar machen. In diesem Kapitel nun werden solche Mechanismen noch einmal diskutiert, jedoch wird diesmal aufgezeigt, wie die dialogische Praxis lokalen Vertrauens auch für das »Gegenteil« nutzbar gemacht werden kann – und
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einmal die doppelte Fallrichtung der Macht in der Technologie des lokalen »Dialogs mit Muslimen«. Diese ist einerseits ein formender Regierungszugriff, der die Identitäten und Lebensführungen der als »traditionell« erachteten »muslimischen« religiösen Gemeinden zu beeinflussen sucht, aber gleichzeitig auch eine Praxis der Ermächtigung und Rehabilitation der lokalen »muslimischen« Bevölkerung, die im Dialog als selbstbewusste religiöse Gruppe ihre Ansichten formulieren kann. So lassen sich die »christlichen« Positionierungen zur Ausstellung (d.h. die auf der Vernissage gehaltenen Reden, die artikulierten Botschaften) ganz wesentlich darauf zurückführen, dass »muslimische« Gemeindevertreter/-innen im Kontext dialogorientierter Praktiken (Vorabtreffen, Gespräche) ihre Perspektiven auf religiöse Selbstachtung effektiv zu platzieren vermochten. Innerhalb der Praxis des Dialogs konnten »muslimische« Gemeindevertreter/-innen in privat organisierten, auf persönlicher Ebene abgehaltenen Vorabgesprächen mit »christlichen« und universitären Vertreter/-innen (somit implizit auch mit Vertreter/-innen einer »Mehrheitsgesellschaft«) »im kleinen Kreis« über die geplante Karikaturenausstellung diskutieren. Innerhalb der dort wirkenden Mikrophysiken der Macht kritisierten die »muslimischen« Sprecher/-innen selbstbewusst den »christlichen« und mehrheitsgesellschaftlichen Umgang mit Religion und v.a. auch der »eigenen« religiösen Identität. Da die »christlichen« und akademischen Initiator/-innen – in Kooperation mit der Stadt – im Rahmen der Ausstellung auch sehr scharfe, vulgäre und verletzende Karikaturen über (u.a. auch die »christliche«) Religion zur Reflexion stellen wollten (und damit aufwerteten), formulierte die »muslimische« Seite die kritische Anmerkung, ob denn die Mehrheitsgesellschaft und die »Christen« jegliche religiöse Sensibilität verloren hätten. Die »muslimische« Seite mahnte die »christliche« Seite zu mehr Pietät und religiösem Taktgefühl an, wobei in diesem Kontext das »Christentum« von den »Muslimen« verteidigt wurde. Letztlich konnten die »Muslime« die »christliche« Seite zum Reflektieren anregen. Die an der Ausstellung beteiligten Individuen aus dem kirchlichen und universitären Umfeld erkannten in den Gesprächen mit den »Muslimen« einen fruchtbaren interreligiösen Erfahrungsaustausch sowie bewegende Momente. Dies stellten sie dann in den öffentlichen Reden zur Vernissage entsprechend dar (siehe oben). Dort verteidigten sie auch die »muslimische« Skepsis gegenüber der Ausstellung oder zumindest gegenüber einigen Karikaturen. Die »christliche« Seite könne vielmehr, so eine der Aussagen, von der »muslimischen« Seite etwas über religiöse (Selbst-)Achtung und die Relevanz von Religion(-en) lernen.
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Kritik unter Freunden: die Subjektposition des Freundes, die körperlich-emotionalen Performanzen ihrer Hervorbringung und das Lokale als Resonanzraum des Dialogs
In Kapitel 10.1 wurde gezeigt, wie die Praktiken der Inszenierung lokaler Gemeinschaftlichkeit darauf abzielen, überlokal zirkulierende Konfliktnarrative zu entschärfen. So solle die Festigung lokaler Gemeinschaftlichkeit die (zugeschriebenen) problematischen Aspekte am »Gegenüber« aushaltbar machen. In diesem Kapitel nun werden solche Mechanismen noch einmal diskutiert, jedoch wird diesmal aufgezeigt, wie die dialogische Praxis lokalen Vertrauens auch für das »Gegenteil« nutzbar gemacht werden kann – und
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bspw. gerade der Legitimation einer integrationspolitischen Kritik am »kulturell Anderen« dienen kann. Ich zeige folglich ethnographisch detailliert, wie »lokales Vertrauen« und »Miteinander« der Produktion eines »Schutzraums« zugrunde gelegt werden, in welchem dann gerade kritische Debatten über »Islam« geführt werden sollen. Ich werde zeigen, wie die Praktizierung lokaler Gemeinschaft eine spezifische Beeinflussung von »Islam« im Modus einer »Kritik unter Freunden« oder »unter Vertrauten« ermöglicht und welche Rolle dabei die Emotionalitäten des Dialogs spielen. Am Beispiel zweier thematisch zusammenhängender und aufeinander aufbauender CIAG-Sitzungen möchte ich im folgenden Kapitel aufzeigen, wie im Dialog die Subjektposition des »vertrauten Freundes« (re-)konstituiert sowie performativ verkörpert wird, wie diese Verkörperung ethnographisch gefasst werden kann und wie diese Subjektposition mit den Emotionalitäten der Dialogtechnologie verknüpft ist. Darauf aufbauend diskutiere ich, wie diese Subjektposition mit Praktiken der machtvollen (Re-)Konfigurierung »islamischer« Identitäten zusammenhängt. Letztlich kann hier von einer spezifisch dialogischen Subjektposition des »kritisierenden Vertrauten« gesprochen werden, die jedoch auch Widerstände erzeugt. Nicht zuletzt wird zu zeigen sein, wie jene Subjektposition des »kritisierenden Vertrauten«, deren machtvolles Operieren und die damit verknüpften Versuche, einen neuen und toleranten »Islam« zu produzieren, eng in emotionalisierte Prozesse der Herstellung lokaler Gemeinschaft eingelassen sind.
10.3.1
Inhaltliche Fluchtpunkte der theologischen Debatten im integrationspolitischen Dialog
In einer CIAG-Sitzung (TB CIAG 3; im Anschluss an die Führung durch die Ausstellung »Muslime in Erlangen«) wurde zum ersten Mal ein »islamischer« Theologe vom neuen Department Islamisch-Religiöse Studien eingeladen, um gemeinsam das Thema »Religion und Gewalt« zu besprechen. Leitthemen der Sitzung waren – mal wieder – die Fragen nach möglichen Zusammenhängen zwischen »Islam«, Extremismus und Gewalt sowie nach Möglichkeiten der theologisch-religiösen Entschärfung und Prävention extremistischer Deutungen des »Islam«. Ein städtischer CIAG-Moderator sagte zu Beginn der Sitzung: »Politisch haben wir mit dazu beigetragen, dass ihr von der Uni hier euren Job habt [lacht]! […] Dem Ministerium haben wir gezeigt, dass eine ganze Stadt hinter dem DIRS steht.« (TB CIAG 3) Jetzt freue man sich, dass »islamische« Theolog/innen die Dialogsitzungen bereichern würden. Dies zeigt, wie die Stadt Erlangen nun damit beginnt, das wissenschaftliche Personal des DIRS in den Dialog zu integrieren. Die in den Sitzungen diskutierten »islamisch«-theologischen Perspektiven zur Delegitimation von religiöser (Selbst-)Ausgrenzung, fundamentalistischer Einstellungen und Gewalt sollten u.a. auch dem religiösen Personal (z.B. den Imamen) aus den Gemeinden Impulse für die alltägliche Präventionsarbeit geben (Interview 9). In dieser Sitzung nun machte der »islamische« Theologe den Anfang. Grob gesagt, leistete er einen »Spagat«: Er konstatierte ein Extremismusproblem im »Islam«, formulierte aber gleichzeitig Lösungen dezidiert aus der »islamisch«-theologischen Tradition heraus. Dabei präsentierte er als Antwort auf extremistische Formulierungen des »Islam« – sowie auch auf jene enggeführten, rechts- und gesetzesförmigen Islamverständnisse, die Extremismus den Boden bereiten könnten – seine Variante eines toleranten, dialogorientierten, interre-
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ligiös offenen »Islam«. Dieser »Islam« könne auf einer universalen ethischen Haltung basieren, über die »Muslime« mit anderen Perspektiven zusammenkommen könnten und die dennoch gleichzeitig »islamisch« sei: »Ich möchte«, so der Theologe, »erstmal eine religiös-ethische Haltung als eine Universalie etablieren, jenseits der Betonung von Religionsgrenzen oder dem ständigen ›wir Muslime und ihr anderen‹.« (TB CIAG 3) Auf Nachfrage einer »christlichen« Dialogaktiven ergänzte er: »Diese Haltung ist eine interreligiöse, ja.« (Ebd.) »Muslime« und »Christen« könnten zusammen eine gemeinsame religiös-ethische Haltung entwickeln, um sie gegen die Perspektiven von Extremisten einzusetzen. Solche Themen »könnten sensibel miteinander besprochen werden«, so eine »muslimische« CIAG-Co-Moderatorin. Etwaige problematische Stellen im Koran, die zu einem Kampf gegen Ungläubige aufrufen, reinterpretierte der Theologe in historisch-kritischer Manier. Schon etymologisch, im Hinblick auf Wortbedeutung und Übersetzung, zeigte er auf, dass es sich ohnehin nicht um einen Krieg gegen »Ungläubige«, sondern gegen »gewalttätige Feinde des Islam« handele – darüber hinaus seien auch diese Kämpfe nur in den damaligen Kontexten legitim gewesen. Auch der Begriff Dschihad verweise nicht auf gewalttätigen Kampf, so der Theologe im Zitieren »islamischer« Gelehrter, sondern auf spirituelle Anstrengungen. An solchen Stellen wurde ebenfalls angemerkt, dass derartige Argumente den »muslimischen« Gemeinden bei ihrer öffentlichen Selbstdarstellung helfen könnten. So lieferte der DIRS-Vertreter bspw. Aussagen aus dem Koran, die seiner Ansicht nach »Muslime« dazu aufrufen, stets in friedlicher Koexistenz auch mit »Nichtmuslimen« zu leben und niemanden zur Konversion zu zwingen. »Muslime« wären auch dazu angehalten, danach zu streben, mehr als alle anderen für die Gerechtigkeit und das Gute einzustehen und damit vorbildhaft zu sein. Nichtsdestotrotz sei aber am Koran herausfordernd, so der Theologe, dass dort »einerseits im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes allgemeine Prinzipien formuliert sind, ethische und moralische Fragen, andererseits aber auch Mikrobeispiele drin sind, Szenen zwischen dem Propheten und seiner Frau, wo man sich denkt: Und was ist das jetzt? Was nehmen wir da jetzt raus, was auch allgemeinere Gülktigkeit haben kann?« (Fast wortwörtliches Zitat aus der Mitschrift) Darüber hinaus ergänzte der Theologe weitere Probleme: »Im Koran liest man: Hier steht alles drin! Das lässt Leute fälschlicherweise annehmen, dass eigenes Denken und dann auch vielfältige Perspektiven und Deutungen ein Problem seien.« (TB CIAG 3) Auch sei ein Problem, dass im Koran viele nicht religiöse Handlungsfelder (der Theologe nennt hier: »Sozialpolitik, Kriegsrecht«) auftauchen, wodurch sich der Eindruck verfestigen kann, der »Islam« beanspruche das gesamte gesellschaftliche Feld und breche mit den Prinzipien von Demokratie und Säkularität. »Im Koran steht vielleicht zu viel drin«, so der Theologe. Aber, so selbiger, da »Muslime« theologisch stets zur Bewahrung sozialen Friedens aufgerufen sind (er zitiert einen Koranvers), erscheint gerade eine demokratische und plurale Gesellschaftsordnung aus »islamischer« Perspektive als erstrebenswert, da diese im Kontext von Pluralität sozialen Frieden ermögliche. In der Folge präsentierte der Theologe eine »islamisch«-theologisch abgeleitete Perspektive, der zufolge »die Vielfalt als Ausdruck Gottes Barmherzigkeit« zu denken ist – so formuliert er es in seiner PowerPoint-Präsentation während der CIAG-Sitzung (TB CIAG 3). In der darauffolgenden, das Thema aufgreifenden Sitzung sagte er weiter: »Es kann nicht
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sein, dass Gott Vielfalt zulässt und dann rassistisch ist, nur ein Volk erwählt.« (TB CIAG 4) Vielfalt zu tolerieren und auch zu bejahen, müsse stärker als explizites »islamisches« Prinzip hervorgehoben werden; gleichzeitig sei Vielfalt auch schon deshalb zu akzeptieren, weil der »Islam« nicht als striktes (Verhaltens-)Regelwerk verstanden werden sollte, das Abweichungen sofort identifizierbar machen würde (TB CIAG 4). Der eingeladene Theologe etablierte hier eine Perspektive, wie sie in etwa auch der »islamische« Theologe Fuad Kandil, der in Erlangen eine Gastprofessur am Interdisziplinären Zentrum für Islamische Religionslehre (IZIR) innehatte und einigen Dialogaktiven bekannt sein dürfte, in Bezugnahme auf den Koran auf eine klare Formel gebracht hat: Es geht um die »Bejahung von Pluralität durch das subjektfähige Individuum [als] ein Grunderfordernis für den sozialen Frieden« (Kandil 2008: 18), wobei es »islamisch« sei, aus dieser Bejahung heraus sozialen Frieden anzustreben. Auch die Vielfalt menschlicher Umgangsweisen mit dem Glauben an sich und die daraus resultierenden Auseinandersetzungen, ja sogar der Unglaube, seien zu begrüßen: Im Kontext seiner Exegese »islamischer« Schriftbestände argumentiert Kandil: »Die Vielfalt der Modi, in denen Menschen mit der Gottesfrage umgehen, auch ihr Recht auf Ablehnung oder Unentschiedenheit, sind nicht nur normal, sie sind gut.« (Ebd.) Auch der eingeladene Theologe vom DIRS zitierte in seiner PowerPoint-Präsentation direkt aus dem Koran, um die Bedeutung des »sozialen Friedens« im »Islam« zu belegen. Dermaßen pointiert wie Kandil formulierte er sein Toleranzverständnis jedoch nicht. In seiner Rede war im Gegensatz zu Kandils Thesen nicht immer ganz klar, ob der »Islam« Vielfalt »nur« zulasse oder aber affirmativ bejahe. Das Einüben friedlicher Koexistenz mit »anderen« jedenfalls, das Bündnisschmieden über Differenzen hinweg sowie das Tolerieren abweichender Lebensweisen sind für Kandil wie auch für den eingeladenen Theologen »islamische« Verpflichtungen, ebenso wie die Aufgabe, einen »Dialog der Religionen unter Lebensbedingungen der Vielfalt [zu] fördern!« (Zitat aus der PowerPoint-Präsentation). Eine solche Perspektive geht dann auch damit einher, dass die Identifizierung und Bewahrung religiöser Wahrheit – der einen religiösen Wahrheit – dem religiös begründeten Bekenntnis zur Pluralität und der steten Anstrengung um die Gestaltung eines positiven Zusammenlebens tendenziell untergeordnet wird. Gläubige »Muslime« sollten sich weniger über das Einhalten »islamisch«-religiöser Gesetze als vielmehr darüber definieren, in einer pluralen Gesellschaft für den sozialen Frieden einzustehen. »The Qur’an does not demand being a muslim from every human, but it demands being a human from every muslim«, so der zeitweise auch im Erlanger Dialog aktive Theologe und Religionspädagoge Behr (2013b: 58), dessen inhaltliche Arbeit der eingeladene Theologe übernahm. Auch letzterer betonte, dass es ein den »Islam« als Religion übersteigendes, größeres, menschliches Gut gäbe (bspw. soziale Gerechtigkeit), welches anzustreben eine »islamische« Erwartung an die »Muslime« sei (TB CIAG 3, 4; TB 21; Badawia 2015) – wiederum ohne die Radikalität und Prägnanz der Behr’schen Formulierung zu erreichen. Dabei artikulierte der »islamische« Theologe das lokale interreligiöse Zusammenkommen in Erlangen (bzw. die entsprechenden Arbeitskreise) als »Orte« der Genese solcher neuer Perspektiven: »Sowas wie die CIAG ist der beste Ort, um neue Perspektiven zu entwickeln, islamische Perspektiven, die aber von Anfang an auch interreligiös sind, die den Austausch mit anderen Menschen und Perspektiven zum eigenen Prinzip machen.« (TB CIAG 3, fast wortwörtliches Zitat) Als der Theologe in der darauffolgenden
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Sitzung in den Räumlichkeiten der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V. (TIG) eine ähnliche These wiederholte, deutete er dabei gleichzeitig auf die in der »Blauen Moschee« nebeneinander aufgehängten Flaggen von Deutschland, der Türkei und der DITIB. So wurde die Perspektive einer dialogischen Religion auch durch das Zeigen auf Dinge greifbar gemacht (TB CIAG 4). Religiöse Perspektiven jener Art, wie sie der Theologe präsentierte – Perspektiven also, die die »Bejahung von Vielfalt« markieren, das »islamische« Gesetz in gewissem Sinne relativieren und die Bewahrung religiöser Wahrheit ein Stück weit unwichtiger machen –, können sicherlich als Denkweisen betrachtet werden, die sich mit traditionellen und alltäglichen Religionsverständnissen (im »Islam« genauso wie im »Christentum«) reiben können (Mahmoud 2006). In den skizzierten CIAG-Sitzungen (TB CIAG 3, 4; Interview 15) wurden solche Perspektiven dargelegt, aber allein schon aus Gründen des Zeitmangels nicht tiefgehender begründet oder mit den Anwesenden aus den »islamischen« Gemeinden diskutiert. Letztlich mussten die Dialogteilnehmenden die Sinnhaftigkeit solcher Perspektiven sowie die Annahme, dass diese aus den »islamischen« Kernschriften auch ableitbar sind, einfach hinnehmen. Das Beispiel zeigt auch, wie religiös-theologische Praktiken der Exegese und integrationspolitische Praktiken ineinandergreifen. Es wurden exegetische Anstrengungen unternommen, um eine Theologie der Vielfalt und Toleranz abzuleiten – gemäß der Formel »in der Wahrheit des Anderen steckt auch was Gutes drin« (Zitat aus TB CIAG 4) –, wobei diese Ansätze v.a. auf die Sicherung des lokalen Zusammenlebens zielten. Kapitel 10.4 wird noch aufzeigen, wie ganz andere Maßnahmen, z.B. die Etablierung eines »muslimischen« Bildungswerks, als integrationspolitische Versuche operieren, um auf »praktischer« Ebene ein »muslimisches« Subjekt zu fördern, dass die hier ausgearbeitete Theologie der Vielfalt entsprechend verinnerlichen könne.
10.3.2
Performative Verkörperungen der Subjektposition des »vertrauten Freundes« und die Emotionalitäten dialogischer Machtbeziehungen aus ethnographischer Perspektive
In der ersten CIAG-Sitzung zu »Islam und Gewalt« forderte ein Vertreter einer »christlichen« Bildungsinstitution wiederkehrend die Argumente des »islamischen« Theologen (sowie einiger »Muslime«) heraus. Er identifizierte sich zwar mit der »Islam«-Version des Theologen, doch diese schien ihm unrealistisch. Auch schien ihm der Theologe nicht direkt genug auf (vermeintliche) Schwachstellen in der »islamischen« Tradition einzugehen. Es sei, so sagte der »christliche« Vertreter, »schön und gut, dass der Islam Vielfalt zulasse, aber wo sind ganz klare Antworten auf die Fragen: Wie verorten Muslime in der Vielfalt ihre eigene Religion? Wie gehen sie mit anderen Religionen und mit Minderheiten um? Wird die eigene Religion dann doch über andere gestellt? Oder sind Muslime bereit, von anderen Perspektiven zu lernen?« (Fast wortwörtliches Zitat) Auch wurde seiner Ansicht nach immer noch zu wenig über rein theologische (und gerade nicht: soziale) Ursachen für »islamistischen« Extremismus gesprochen. Er sehe theologische Probleme im »Islam«, die von »Muslimen« immer noch zu wenig erkannt werden. Der »islamische« Theologe griff dabei die Kritikpunkte des »christlichen« Ver-
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treters auf eine sensible Weise auf. Er bestätigte, dass »es Probleme gäbe«, sprach dabei mit ernster, verständnisvoller Stimme, sah den katholischen Vertreter lange Zeit an, nickte beim Sprechen deutlich mit dem Kopf in dessen Richtung – all dies im Sinne einer Körperhaltung, die signalisiert, dass das »Gegenüber« ein ernstes Problem erkannt hat. Dazu passte die in der Sitzung getätigte Aussage einer »muslimischen« CIAGVertreterin, dass man »insgesamt mehr Verständnis gegenüber jenen Menschen entwickeln müsse, die vom Islam irritiert sind« (TB CIAG 3). Man müsse »auf diese Menschen zugehen.« (Ebd.) Die anwesenden »muslimischen« Gemeindesprecher/-innen zeigten zunächst eher wenig Verständnis für die »Islamkritik« des »christlichen« Vertreters und forderten ihn auf, seine Position zu überdenken. »Ich denke, [Name] beachtet zu wenig die soziale Dimension von Extremismus«, so eine Aussage. Demgegenüber wurde der »islamische« Theologe, der ebenfalls vielfach die »islamische« Tradition kritisierte, von den Gemeindevertreter/-innen nicht derartig angesprochen. Der »christliche« Vertreter versuchte in der Sitzung (TB CIAG 3) auf eine besondere Art und Weise, seine Position zu etablieren. Zunächst drückte er eine deutliche und pointierte Kritik am »Islam« aus: Seiner Ansicht nach weise das »christliche« Motiv der »Feindesliebe« eine politische und friedensethische Radikalität auf, die er im »Islam« vermisse. Dieser hebe die Idee des Rechts auf Verteidigung des Glaubens im Fall der Bedrohung hervor, wie auch der »islamische« Theologe bestätigte. Dieses Recht sei, so der »christliche« Vertreter, eine zu heikle Angelegenheit. »Wo ist die friedensethische Radikalität im Islam?«, so seine Frage. Er merkte an: »Der Islam ist vielleicht realistischer und das Christentum utopischer. Das kann sein. Aber wollen wir nicht diese Utopie des radikalen Friedens?« (TB CIAG 3) Der Punkt ist nun, dass er sich im Verlauf der Sitzung sichtlich unwohl damit zu fühlen schien, mit der Formulierung einer solchen Kritik der einzige »Islamkritiker« der Runde zu werden. Er schien ein Unbehagen bezüglich der sich an ihn heftenden Subjektposition des »Islamkritikers« zu verspüren, die tendenziell im diskursiven Außen des Dialogs steht – insofern sich dieser vielfach von einer (allzu) islamkritischen Mehrheitsgesellschaft abgrenzt und darüber Profil gewinnt. Der »Islamkritiker« schien ob dieser Situation verstimmt zu sein; teils schien er eher verärgert, in einigen Momenten machte er aber auch, was Mimik und Gestik anbelangt, einen beinahe etwas beschämten oder zumindest selbstkritischen Eindruck, während er seine Positionen ausdrückte und/oder verteidigte. Er sprach dann eher defensiv, mit gesenktem Blick, und formulierte seine Kritik in Verbindung mit beschwichtigenden, verständnissuchenden Gesten. Mehrmals nahm er auch direkten Blickkontakt zu den anwesenden »Muslimen« auf, sprach dabei (zu diesen) in einer eher versöhnlichen Intonation und zielte damit darauf ab, seine kritische Position gegenüber den »Muslimen« zu erklären und um Verständnis zu werben (eine solche körperliche Haltung und eine solche Form des verständnissuchenden und vorsichtigen Kritisierens ließen sich später vor allem noch in der darauffolgenden CIAG-Sitzung beobachten, in welcher der »christliche« Vertreter seine Islamkritik ausführlicher äußerte). Hier ist zunächst besonders jener Moment von Interesse, als der »Kritiker« sein Auftreten mit einem Rekurs auf eine spezifisch dialogische Subjektposition zu legitimieren versuchte. So wies er darauf hin, dass man »hier doch im Vertrauen und unter Freunden sei« und »ehrlich miteinander reden könne und müsse« (sinngemäße Zitate, auf Mitschriften basierend; die Legitimation der Kritik wurde so oder so ähnlich ausgedrückt; TB CIAG 3). Er legitimierte
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seine Kritik mittels institutionalisierter Freundschaft- und Vertrauensmotive und artikulierte sich in die Subjektposition des »Vertrauten«, die im Vollzug der Dialogpraxis plausibilisiert und als spezifisch emotionalisierte Sprecherposition angeboten wird. Während er mit diesem Argument seine Kritik am »Islam« legitimierte, konnte er gleichzeitig sichtbar machen, dass er sich um Gemeinschaftlichkeit und um die guten Beziehungen sorgt. Seinen oben zitierten Worten ist damit grundsätzlich eine Emotionalität des »Miteinanders« inhärent, die die von ihm formulierte Kritik annehmbarer macht. Auch während er das obige Argument mit der »vertrauten Dialogrunde« aussprach, wendete er sich mit verständnissuchenden Blicken und Gesten direkt an die anwesenden »Muslime«. Aufgrund der performativen Gleichzeitigkeit der artikulierten Legitimation von Kritik (die »unter Freunden« erlaubt sei müsse) und einem sich körperlich ausdrückenden Bedauern, diese Kritik aussprechen zu »müssen«, konnte der Dialogteilnehmer als ein ehrlich sprechender »Verbündeter« erscheinen; ein Verbündeter, der sein Gegenüber zwar kritisiert, aber selber – überspitzt gesagt – »leidet«, insofern er das gute Verhältnis zu seinem Gegenüber stets achten und bewahren sowie mit seiner eigenen Kritik nicht gefährden möchte. Vor allem in der darauffolgenden, das Thema nochmals aufgreifenden CIAG-Sitzung (TB CIAG 4), in welcher der »christliche« Vertreter seine Islamkritik letztlich ausführlicher darlegen konnte, fand diese Spannung einen körperlichen Ausdruck. In seinen Bewegungen drückten sich im Vollzug des Formulierens islamkritischer Thesen ein »Werben um Verständnis« gegenüber dem »Anderen« sowie auch eine Art der Haltung des Respekts gegenüber dem »Anderen« aus (die mit einer Haltung der Demut in Bezug auf das eigene Handeln einhergeht). Es zeigte sich der Versuch, die Ansichten, Gefühle und Empfindungen des »Anderen« trotz der eigenen Kritik am »Anderen« gleichzeitig zu schonen und zu respektieren, um die guten und vertrauten Beziehungen im Dialog nicht zu gefährden, die man selbst sehe und bewahren möchte (während »man« sich selbst als Teilnehmer/-in der dialogischen Gemeinschaft wähnt). Gestik, Mimik, Körperhaltung und Tonfall stärkten performativ den Eindruck, dass der »Kritiker« trotz seiner Kritik die kritisierten Gesprächspartner/-innen als Partner/-innen im Dialog grundsätzlich wertschätzt und auch deren Ansichten und Bedenken grundsätzlich (be-)achten und mit einbeziehen möchte. Vorstellungen von Nähe, Verbundenheit und Respekt erhielten damit letztlich auch im Akt des Kritisierens selbst Greifbarkeit. Der »christliche Kritiker« konnte sich über seine körperliche Performanz plausibel als jemand darstellen, der zwar kritisiert, aber die »Kritisierten« auf einer zwischenmenschlichen Ebene grundsätzlich wertschätzt und würdigt, an ihnen als Personen wie auch an der gemeinsamen Zusammenarbeit ein Interesse hat und persönlich stets um sein gutes Verhältnis zu den »Kritisierten« besorgt ist. Dies zeigte sich v.a. auch darin, dass er sich direkt und körperlich an die anwesenden »Muslimen« wendete. Er zeigte, dass es ihm nicht egal war, wie die von ihm »Kritisierten« über seine Kritik und über ihn denken (würden). Damit konnte er gleichzeitig Kritik und »Gemeinschaft« signalisieren. Im Zuge seiner körperlichen Performanzen (Intonation, Gestik, Mimik) bot sich die Lesart an, im »christlichen Kritiker« eine Person zu sehen, die eher ungern kritisiert und sich auch gut überlegt, ob sie kritisieren sollte. So sah der »christliche« Vertreter den expliziten Rekurs auf das »gegenseitige Vertrauen« ja auch als eine notwendige Rechtfertigung an. Über das »gegenseitige Vertrauen« sprach er in diesem kurzen Moment dann auch mit besonders nachdrücklicher, verständnisori-
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entierter und versöhnlicher Stimmlage. Insgesamt ließ sich eine solche performative Selbstdarstellung in beiden CIAG-Sitzungen beobachten, die das Thema »Islam und Extremismus« behandelten (TB CIAG 3 und 4). Es ist letztlich auch eher die Gesamtheit aus vielen verschiedenen und raumzeitlich auf mehrere (Sitzungs-)Kontexte verteilten körperlichen Aktivitäten und »Regungen«, die die »Wahr«-Nehmung eines bestimmten Bildes jenes »christlichen« Vertreters wahrscheinlicher macht. Die These ist, dass die Technologie des Dialogs, welche die stete Neuverhandlung der Möglichkeiten von Kritik beinhaltet, ebensolche körperlichen Darstellungsweisen erzeugt und sich über diese fortschreibt. Diese körperlichen Performanzen scheinen dabei affizierende Wirkungen zu haben. Sie scheinen die Fühlbarkeit bestimmter Emotionen zu begünstigen, insofern es wahrscheinlich ist, so die These, dass diese Körperaktivitäten als legitime Ausdrucksformen bspw. einer emotionalen Gemeinschaftsempfindung gedeutet werden können (die dann dem »Kritiker« zugeschrieben wird im Sinne eines »er fühlt offenbar Zugehörigkeit zum Dialog«) und die Existenz authentischer, gefühlsmäßiger Bindungen innerhalb der Dialog-Community repräsentierbar und greifbar machen können. Entsprechend der affizierenden Wirkungen schien die Performance des »Kritikers« auch durchaus erfolgreich zu sein. Nach den grundsätzlich eher vorsichtig, »vortastend« und defensiv ausgeführten und zumindest in einigen Momenten verständnissuchend und sensibel artikulierten Kritikäußerungen des »christlichen« Vertreters griffen die Moderator/-innen zunehmend ein und stützten letzteren: »[Name], du hast schon Recht, deine Fragen zu formulieren, das ist ja auch wichtig, dass wir drüber sprechen«, so ein »christlicher« und gleichzeitig kommunalpolitischer Co-Moderator, dem in diesem Punkt auch der »islamische« Theologe beipflichtete. Daran reihten sich diverse weitere Vergemeinschaftungspraktiken an. Alle Dialogteilnehmenden und auch die »muslimischen« Sprecher/-innen erkannten sogleich an, dass man in der vertrauten Runde alles sagen dürfe. Es wurde sogar ausgemacht, dass der »Kritiker« in der nächsten CIAGSitzung ein eigenes Statement halten solle, um sich »auszusprechen« (Worte eines Moderators), wobei der »islamische« Theologe wieder eingeladen wurde, um dann zu antworten. Ein »christlicher« CIAG-Moderator und Stadtvertreter ermutigte den »christlichen« Vertreter dann auch explizit zur Formulierung seiner kritischen Fragen. Gleichzeitig aber hielt der Moderator letzteren dazu an, seine Fragen fundiert vorzubereiten – und sozusagen keinesfalls oberflächlich zu kritisieren. Der Co-Moderator erklärte in einem nachträglichen Interview, in dem ich mit ihm über diese Sitzungen reflektierte: »Wobei ich ja jetzt einfach den Spieß umdrehen wollte. Und sag, also gut jetzt, [Name des »christlichen« Vertreters], wenn du noch so viele Fragen hast, […] dann formulier doch mal und begründe mal deine Fragen auch.« (Interview 8) Fundierte Kritik am »Islam« sei im Dialog erlaubt, wodurch sich dieser von den öffentlich-medialen Debatten abgrenzt. Folglich wird hier auch die »christliche« Seite zu einem bestimmten Verhalten angeleitet – auch aus »muslimischer« Position heraus (Interview 16; TB CIAG 3 und 4). Ein städtischer Vertreter und »christlicher« CIAG-Co-Moderator adelte zudem die ganze Gruppe für die offene Aussprache – und freute sich auf die folgenden theologischen Gespräche. In einem späteren Interview erzählte er: »Ich fands ja sehr interessant das letzte Mal […] mit dem [Name des »islamischen« Theologen]. Und dass das jetzt weitergeht. Da sind wir jetzt vielleicht mal an einem Punkt, wo ein Umbruch kommt.« (Interview 8)
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In der ersten CIAG-Sitzung zu »Islam« und Extremismus (TB CIAG 3) zielten zudem wohlplatzierte Witze auf die rechtzeitige Auflockerung der durch die Kritik doch etwas angespannten Stimmung. So fragte ein »muslimischer« Gemeindevertreter den »Kritiker«, ob er sein Referat »auswärts oder als Heimspiel« halten wolle – d.h., ob in einer »islamischen« Gemeinde oder nicht. Mit solchen Witzen halfen die anwesenden »Muslime« aktiv mit, die Situation zu entschärfen und damit auch eine Situation zu schaffen, in der eine bestimmte, »abgepufferte« und eingehegte Kritik am »Islam« möglich werden konnte. Auch zeigten die »Muslime« damit, dass sie den »Islamkritiker« trotz seiner Kritik weiterhin im Dialog willkommen heißen. Es wurde dann sogar eine »islamische« Gemeinde gewählt, womit die »Muslime« entsprechend guten Willen zeigten. Dies wiederum konnte als eine Bestätigung für den »christlichen« Kritiker (und für alle Anwesenden) erscheinen, dass im Dialog eine vertrauensvolle und gute Beziehung herrscht, um die man sich auch sorgen und kümmern müsse. Letztlich wirkte der »christliche« Vertreter ob der Tatsache, dass die »Muslime« ihn und seine Kritik akzeptierten, gegen Ende der ersten Sitzung tendenziell erleichtert und wieder zufriedener. Er beteiligte sich dann auch teilweise an den heiteren Bemerkungen und drückte auch dadurch wieder im Zusammenspiel mit den anderen Anwesenden »Gemeinschaft« bzw. einen Willen zur Vergemeinschaftung aus. Am Ende der ersten Sitzung und im Vollzug weiterer Witze und Gemeinschaftspraktiken wurde noch viel gelacht, und auch der »christliche« Vertreter war sowohl mit dem »islamischen« Theologen als auch mit einigen »muslimischen« Gemeindemitgliedern in informellen und vertraut wirkenden Gesprächen zu sehen. Diese Vergemeinschaftungsrituale, so meine These, stellen nicht ausschließlich situationistischen Momente dar, sondern entstammen auch dem Archiv der Regierungstechnologie des Dialogs – einer Technologie, die spezifische Taktiken der Abpufferung kulturell und religiös gedachter Konflikte und darauf aufbauend der Bearbeitung kultureller und religiöser Differenzen entwickelt. Auch ein anderer Dialogaktiver erwähnte in einem Interview, dass der Dialog ein »Schutzraum« (Interview 12) sowie ein »Vertrauensraum« (ebd.) sein müsse, in dem man über das sprechen können sollte, was am »Anderen« irritiert. Das obige Beispiel zeigt auf, wie diese Programmatik konkret praktiziert wird. Bedeutsam für die Operativität der Vergemeinschaftungsrituale zeigte sich eine in die Praxis des interreligiösen Dialogs eingebettete »Sichtbarwerdung emotionalisierter Körper« (Winkler 2017: 307) (verständnissuchende Blicke, beschwichtigende Gesten etc.), die die Begegnung als eine »authentisch-ehrliche« rahmte. Der Dialog operiert insofern immer auch über die Schaffung von Bedingungen für die Praktizierung und körperliche Aufführung spezifisch wahrnehm- und repräsentierbarer (Gemeinschafts-)Emotionen (vgl. für eine ähnliche Perspektive auf Emotionalität als Performativität: Schurr 2013) und damit auch für die Entfaltung der Technologie der »affektiven Teilhabe« (De Wilde 2015a, b) an einer imaginierten und spürbar gemachten lokalen Dialoggemeinschaft. In ihrem Kräftefeld werden dann »islamische« Identitäten beeinflusst, indem sie zu Gegenständen kritischer Reflexionen »unter Freunden« gemacht werden. Dies ist die Regierung des governing through friendship, und hier zeigen sich auch die Emotionalitäten des Regierens (Campbell 2010). Als Element von Praxis, das sich in körperlichen doings und sayings (Schatzki 2002: 71) ausdrückt, wird Emotionalität für die Regierung religiöser Pluralität bedeutsam (vgl. auch: Bargetz u. Sauer 2010; Müller
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
2015). Im Kontext der skizzierten Regierung durch Dialog, so zeigt das Beispiel auch, setzen kommunale Politiken auf eine Praxis, in deren Verlauf einzelne Dialogteilnehmer (»Christen«) – unter städtischer Moderation – emotional legitimiert kritische Fragen an »Muslime« stellen. Diese Praxis zielt dann auf die Schaffung der Bedingungen für die Herausbildung eines kritisch-selbstreflexiven religiösen – vielfach »muslimischen« – Subjekts ab (welches als Grundlage einer pluralen und integrierten Gesellschaft verstanden wird; vgl. Tezcan 2007, 2009). Vertreter/-innen von Politik und Verwaltung sind dabei durchaus aktiv an Auseinandersetzungen um Glaubensperspektiven und Religion beteiligt. Die Technologie des governing through friendship entfaltet sich nun aber um einen spezifischen Kippmechanismus herum und wirkt in verschiedene Richtungen. Der Verweis auf »Freundschaft« ermöglicht eine bestimmte Kritik (hier: am »Islam«), erschwert andererseits aber auch Gegenkritik (an der Unangemessenheit ersterer). »Freundschaft« konstituiert eine entsprechend emotional aufgeladene Verpflichtung, die Kritik »eines Freundes« auch anzunehmen. Gleichzeitig aber konnten sich »muslimische« Vertreter/innen gerade im Rekurs auf »Freundschaft« diverser Kritikpraktiken auch entledigen. Als in einer CIAG-Sitzung über Möglichkeiten korrigierender Stellungnahmen zur Debatte um vermeintlich »muslimische« Migrant/-innen nach der »Kölner Silvesternacht« 2015 (TB CIAG 6) diskutiert wurden – und dabei auf eine oft diffuse und unklare Art und Weise Verbindungen zwischen »Islam«, Sexualmoral und frauenfeindlich-patriarchalen Einstellungen hergestellt wurden –, konnte der Imam einer lokalen Moscheegemeinde mit einer zu diesem Zeitpunkt verständlichen »Brandrede« jene Diskussionen wieder beenden. Sichtlich aufgebracht legte er dar, dass er »die Beziehungen, die hier besprochen werden, nicht nachvollziehen [könne] und […] [nicht] verstehe […], wieso, obwohl wir uns in Erlangen schon so lange kennen, hier wieder gedacht wird, dass sexuelle Gewalt irgendwie islamisch ist« (sinngemäßes Zitat, aus: TB CIAG 6). Nach dieser »Brandrede« wurde einfach weiter an der Frage gearbeitet, über welche Kanäle ein korrigierendes Statement zu »Köln« platziert werden könnte. Diese Momente zeigen zunächst, wie die Unterstützung »muslimischer« Öffentlichkeitsarbeit immer auch mit Problematisierungen von »Islam« verknüpft ist. Die damit verknüpfte Form des Regierens wurde hier aber mit effektivem Widerstand konfrontiert, indem ein »muslimischer« Vertreter jene Problematisierungen von »Islam« über einen Rekurs auf »lokales Vertrauen« und »gegenseitiges Kennen« verdrängen konnte. Dies stellt ebenso ein governing through friendship dar, über welches Kritik am »Islam« delegitimiert werden kann. Auch hier zeigt sich das governing through friendship als ein Beeinflussen von Aushandlungssituationen durch emotional vorgetragene Rekurse auf lokale Gemeinschaftlichkeit. Ferner festigt das Freundschaftsparadigma grundsätzlich die politische Sprecherposition der »Muslime« und ihren Status als »Partner/-innen«. »Muslime« können über den Verweis auf »gegenseitiges Vertrauen« z.B. Unterstützungsleistungen einfordern (TB 24). Ein »muslimischer« Vertreter, mit dem ich nachträglich sprach, bezog sich auf die oben skizzierte Sitzung und zeigte grundsätzlich Verständnis für die kritischen Fragen des »christlichen« Sprechers. Solche Auseinandersetzungen würden einen konstruktiven Dialog charakterisieren, an dem »Muslime« teilnehmen sollten (Interview 18). Gleichzeitig aber merkte der Vertreter strukturelle Probleme zuungunsten der »Muslime« innerhalb des Dialogs an, die ihm zu wenig beachtet werden: fehlende theologi-
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sche Expertise, Überlastung sowie ein Sitzungsformat, das zu wenig Zeit für schwierige Fragen lasse und als Abendveranstaltung überfordere.10 Die emotionalisierte Involvierung von »Muslimen« in das theologische Streitgespräch trifft auch hier auf Beschränkungen und Widerstände. Einige »muslimische« Vertreter/-innen sind dabei über die Präsenz »islamischer« Theolog/-innen vom DIRS erfreut, die nun für die »muslimischen« Gemeinden sprechen könnten (Interview 18). Andere »muslimische« Vertreter/innen stehen der »islamischen« Theologie skeptischer gegenüber (Interview 16). Die teilnehmende Beobachtung jedenfalls machte es möglich, körperliche Aspekte wie Mimik und Gestik im konkreten Interaktionsvollzug zu erfassen. Sie warf die weiterführende Frage auf, inwiefern »Emotionalität […] über körperliche Ausdrucksformen eine unter bestimmten diskursiven Bedingungen plausible Repräsentanz erhält« (Winkler 2017: 306) – und darüber zu einem Element der Dialogtechnologie werden kann. Diese operiert durch bestimmte Verknüpfungsleistungen. So wird die Sichtbarwerdung körperlicher Ausdrucksformen (eine gewisse Nervosität des »Islamkritikers«, verständnissuchende, beschwichtigende Blicke, Intonationsweisen und Gesten) mit spezifischen Emotionen und Symbolen verknüpft (»Vertrauen«). Über den ethnographischen Zugang konnte die Rekonstruktion von Emotionalisierungspraktiken (Scheer 2016) und deren Verortung im Kontext gouvernementaler Machttechnologien gelingen. Dies kann die Debatten über die Bedeutung von Affekten und Emotionen im Kontext politischer Geographien bereichern (Hutta 2015; Müller 2015; Marquardt 2015).
10.3.3
»Ein neuer Islam, hier in unserer Stadt«: Praktiken der Emotionalisierung, die Inszenierung des Lokalen als Ort der Vergemeinschaftung und die Förderung eines »neuen« Islam als raumbezogenes Projekt
Seine kritischen Fragen stellte der »christliche« Vertreter dann in der nächsten CIAGSitzung zusammen mit einer weiteren »christlichen« Vertreterin (TB CIAG 4). Beide begannen mit einem Referat und brachten dazu auch Handouts mit, der »islamische« Theologe vom Erlanger DIRS antwortete dann auf das erste Impulsreferat. Anschließend war nur noch wenig Zeit für eine Diskussion, die »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen fanden sich also wieder einmal überwiegend in der Rolle der Zuhörer/innen wieder. Besonders viel Aufwand wurde von »christlicher« Seite darauf verwendet, 10
Der »muslimische« Vertreter sprach: »Also Dialog – wir sind hier nicht, um Kaffee zu trinken. Natürlich wird, äh, ja, viel Kaffee [getrunken] und schön reden, ja. Meiner Meinung nach aber, natürlich kann man ja alles auf den Tisch, weil wir wollen hier nicht nur schön reden. […] Was er [der islamkritische katholische Vertreter; Anm. J.W.] erwartet, find ich in Ordnung, aber muss man ja komplett alles, komplett die Struktur komplett, […] planen, ein Thema, das eben kritisiert, aber in Sitzung sagen ok, wir laden die richtigen Personen, die damit können – und dann kann man sich mit dem Thema auseinandersetzen. Also ich finde, Islam und islamische Gemeinde hat keine Scheu für keine Thema, und wir diskutieren über alles, wir können über alles diskutieren […]. Also das kann ich versichern. Muss man nur bloß die richtigen Personen mit einem richtigen Vortrag und einer richtigen Diskussion, äh, praktisch vorbereiten, das kann man nicht in diese Freundeskreis der Muslime erwarten, in diese eineinhalb Stunde, wo du um sechs von der Arbeit kommst. Und um acht Uhr [die Sitzung; Anm. J.W:]. Da muss man ja eine Runde praktisch um 15 Uhr machen, mit mehr Zeit, mit einem Vortrag, mit Diskussion. Praktisch Workshop, wie in der Uni halt.« (Interview 18)
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
vor der eigentlichen Kritik am »Islam« die grundlegenden Gemeinsamkeiten der Religionen zu betonen. Dies zielte auf die Produktion von Gemeinschaftlichkeit als Grundlage der späteren Kritik ab, ein Kernmomentum der Dialogtechnologie, und geschah sowohl unter Rekurs auf religiöse Motive – erwähnt wurden Abraham als Stammvater aller Buchreligionen, Noah als wichtige Persönlichkeit auch im »Islam« sowie der durch das Bundeszeichen des Regenbogens ausgedrückte Bund Gottes mit allen Menschen im Kontext der Sintflutgeschichte – als auch unter Rekurs auf anthropologische Motive, erwähnt wurde hierzu Religiosität als Grundbedürfnis aller Menschen. Der »christliche« Vertreter sah, als er von Noah sprach, ein Vorstandsmitglied der IGE an und fragte eindringlich: »Noah ist ja auch im Islam wichtig, oder?« (TB CIAG 4) Daraufhin nickte der »muslimische« Vertreter, und der »christliche« Vertreter lachte. Diese Erzählungen des Gemeinsamen dauerten ca. acht Minuten, nicht viel kürzer als die anschließenden »kritischen« Fragen, was die hohe Bedeutung solcher Praktiken der Betonung von Gemeinsamkeiten aufzeigt, die zusätzlich noch von den die Sitzungen einleitenden Praktiken des Erinnerns des »guten Verhältnisses« in Erlangen ergänzt wurden. Die Erzählung über die (auch anthropologischen) Gemeinsamkeiten der Religionen enthielt neben der gemeinschaftsproduktiven Wirkung bereits Aspekte der nachfolgenden Kritik. Denn es wurde dem »Islam« u.a. vorgeworfen, sich selbst als zu exklusiv und einzigartig zu betrachten. Die nachfolgende »kritische Rede« hob entsprechend hervor, dass man die Geschichtlichkeit religiösen Denkens anerkennen und auch auf die eigene Religion kritisch blicken müsse; während die »christlichen« Kirchen dies mittlerweile in einer selbstreflexiven und historisch-kritischen Bewegung verinnerlicht hätten, wünsche man sich dies nun auch vom »Islam«. Die »Christen« fragten die anwesenden »Muslime« dann auch, wie sie denn die Offenbarung verstehen würden und ob sie bereit seien, »den Koran historisch-kritisch zu lesen, zu hinterfragen und sich von der Vorstellung des Korans als wortwörtliche Verbalinspiration zu lösen« (fast wortwörtliches Zitat, aus: TB CIAG 4). Die katholische Kirche hätte sich im Zweiten Vatikanischen Konzil (Thema eines Handouts) ihrer eigenen Geschichtlichkeit geöffnet und zudem auch eine »Öffnung zur Welt« (Zitat aus dem Handout) sowie gegenüber anderen Religionen durchlaufen. Wo bleibe Vergleichbares im »Islam«? Nervös lächelnd und beschwichtigend fügte die »christliche« Vertreterin sodann hinzu, dass es »aber nicht um eine Religions-Competition gehen soll«, wobei natürlich eine ebensolche just etabliert worden war. Der »islamische« Theologe antwortete auf das Referat der »Christen«, indem er zunächst laut lachte und sagte: »Nun, was soll ich machen, soll ich in Richtung Harmonie gehen oder in die Differenz? Ihr Vortrag war spannend.« Praktiken dieser Art zielen auf die Auflockerung einer Situation, in die sich das global zirkulierende Motiv eines Konflikts zwischen den Weltreligionen einzuschreiben drohte. Der »islamische« Theologe zeigte sich in seiner »Antwort« dann auch durchaus wieder islamkritisch. Der »Islam« habe »eine Kultur der Vielfalt verloren«, rigide und gesetzesförmige Islamversionen hätten unter den »Muslimen« Konjunktur, die »islamischen« Debatten würden es nicht schaffen, dies zu unterlaufen. Auch sei der »Islam« anfällig für eine Vermengung von Politik und Religion. Der Theologe wandte sich daraufhin mit seinem Körper deutlich zu den anwesenden »Muslimen« (aus den Gemeinden) und sagte: »Ich sage es offen, unter Anwesenheit der Muslime, ich halte dies für eine Schwäche des Islam.« (sinngemäßes Zitat, aus: TB CIAG 4) Damit nahm er die »christlichen« Referent/-innen
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mit, die wiederholt bestätigend nickten. Genau bei diesen Sätzen verließ hingegen jener »muslimische« Gemeindevertreter für ca. fünf Minuten den Raum, der am Ende der Sitzung die kritischen Anfragen der »Christen« delegitimieren würde, indem er sagte: »Ihr kritisiert den Islam. Aber es ist nicht der Islam, sondern die Menschen, die man verändern muss.« Er schien damit unzufrieden, dass das kritische Referat der »Christen« wieder einmal dazu führte, dass ein »Muslim« (der Theologe) über Islamprobleme reden muss. Nach seinem »Eingeständnis« an die »Christen« hob der »islamische« Theologe aber ein weiteres Mal Potenziale im »Islam« hervor, welche alle angesprochenen Probleme erfolgreich lösen könnten. Er präzisierte dabei seine Gedanken aus der ersten Sitzung und propagierte das Bild eines offenen, auf möglichst allgemeinen ethischen Prinzipien aufliegenden »Islam«, während er die Vorstellung eines normativistischen und strikt handlungsanweisenden »Islam« kritisierte. Der zunehmenden Verrechtlichung des »Islam« sei die Förderung einer subjektiv verinnerlichten, allgemeinen ethisch-religiösen Haltung als Grundlage des »muslimischen« Subjekts entgegenzustellen. Der Theologe setzte hier die Grundimpulse, während Vertreter/-innen der Stadt und einige Sprecher/-innen der »christlichen« Kirchen und Bildungswerke diese Ideen nun überwiegend lobend kommentierten. Auch städtische Repräsentant/-innen bezogen sich dabei auf exegetische und »islamisch«-theologische Motive: so auf das Motiv des »Islam« als Baum, dessen Zweige (= Traditionen) kultiviert (ggf. weggelassen) werden dürfen und dessen Stamm einen universal-humanistisch ausgerichteten, ethischen Kern im »Islam« darstelle. Über den Fokus auf jene allgemein-ethische Haltung im Gegensatz zur Selbstausrichtung an strikten und abfragbaren Regeln könne »Islam« als rituelle Praxis überkommen und das »islamische Subjekt« zu einem Zugehen auf »nicht islamische« Positionen befähigt werden. Die Dialogteilnehmer/-innen, auch städtische Vertreter/innen, markierten solche theologischen Exegesen mit Worten wie »inspirierend«, »erhellend« oder »ermutigend« (TB CIAG 4). Die vom »islamischen« Theologen formulierte »muslimische« Identität solle sich also grundlegend dialogorientiert zeigen, den interreligiösen Austausch verinnerlichen und sich aus dem interreligiösen und gesellschaftlichen Dialog heraus weiterentwickeln. Er artikulierte »Islam« per se als eine Religion des Dialogs und das »muslimische« Subjekt als eines, welches seine/ihre Identität erst aus dem Umgang mit der Welt heraus gewinne. Diese Entwicklung könne der »Islam«, so der Theologe, gerade in Deutschland durchlaufen. Er wandte sich an die anwesenden »Muslime« und sagte feierlich: »Wir haben hier in Deutschland eine wunderbare Atmosphäre, eine Situation des Friedens und der Pluralität. Hier ist Islam nicht in politische Kämpfe verwickelt. Nutzt diese Atmosphäre und die Möglichkeiten des Dialogs, um ›Islam‹ hier zu etablieren. In keinem Buch steht so viel Aufforderung zum Dialog wie im Koran!« (TB CIAG 4) Die Vision ist die eines entpolitisierten »Islam«, der in Deutschland in der Situation von Frieden und Freiheit sein dialogorientiertes Wesen besser entfalten könne, offener für Differenz werde und dann auch mehr Anerkennung erhalte. Dieser dialogorientierte »Islam« wäre dann auch insofern ein säkularer »Islam«, als er das Subjekt dazu aufrufe, stets gemeinsam mit »anderen« (»Nichtmuslimen«, »Nichtgläubigen«) die geteilte Lebenswelt zu gestalten. Wenn der Aufruf zum Dialog im »Islam« zentral sei, dann könne es nicht vordergründig darum gehen, eine »islamische« Gesellschaft zu verteidigen
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oder innerhalb einer »nicht islamischen« Gesellschaft »islamische« Räume zu bilden. Ein dialogischer »Islam« suche die gesellschaftliche Mitgestaltung und sei sodann »weniger geeignet« für politisierte Grenzziehungen und in diesem Sinne säkular (vgl. dazu auch: Mahmoud 2006). Diese Vision des dialogorientierten »deutschen Islam« wurde nun vielfach auf das Lokale projiziert. So sei »Erlangen eine Stadt, in der der Dialog machbar ist« und »die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft […] der Ort, an dem ein neuer Islam entstehen könne« (fast wortwörtliche Zitate des Theologen, aus: TB CIAG 4; vgl. auch: Interview 15). Auch andere anwesende Personen merkten an, dass die »Atmosphäre«, von der der Theologe sprach, gerade Erlangen widerspiegele. Eine »muslimische« Vertreterin sagte nach dem Vortrag: »Was wir jetzt sehen, hier bei uns, ist bemerkenswert. Wir diskutieren miteinander, sind auf einem Niveau, Fragen zu stellen, wir stellen uns den existierenden Problemen und sind bereit, uns weiterzuentwickeln. Und das in genau dieser Atmosphäre des Friedens, die wir hier aufgebaut haben.« (Fast wortwörtliches Zitat, aus: TB CIAG 4) Auch eine stadtpolitische Referentin stellte auf eine emotionalisierte Art und Weise fest: »Ich bin zutiefst bewegt und dankbar, dass wir hier über religiöse Fragen überhaupt so reden können, da bin ich allen Teilnehmern dankbar. Früher war das ›Christentum‹ problematisch, heute hat halt der Islam so seine Probleme, so ist das eben, aber wir können hier gemeinsam was tun. Unser Dialog muss noch mehr in die Stadtgesellschaft hinein.« (Sinngemäßes Zitat, sicherlich nah am Wortlaut, aus: TB CIAG 4)
10.3.4
Das spannungsvolle Regieren durch Emotion, Freundschaft und (Religions-)Sensibilität und die Produktion lokaler Gemeinschaftlichkeit
Eine städtische (Integrations-)Referentin hielt eine besonders emotionale Rede (aus der gerade oben zitiert wurde) und merkte an, wie sehr sie sich darüber freue, dass ein derartiges Modell eines ethisch-dialogischen »Islam« »hier in Erlangen, in unserer Stadt« entstehe (TB CIAG 4). Darin würden sich das gegenseitige Vertrauen und das enge gegenseitige Verhältnis ausdrücken. Zudem, so wurde unter Rekurs auf das Erlanger Stadtmotto »Offen aus Tradition« erwähnt, würden interreligiöse Diskussionen dieser Art zeigen, dass Erlangen eben »tatsächlich offen aus Tradition ist« (Zitat der städtischen Vertreterin). Die Vertreterin der Stadt sagte in feierlicher Geste, dass sie »richtig berührt« sei, wenn sie sehe, »wie respektvoll wir hier miteinander umgehen«. Aus gouvernementalitätstheoretischer und gleichzeitig auf die Ansätze von Emotion und Affekt rückgreifender Perspektive lässt sich die These aufstellen, dass solche Aussagen und Praktiken in besonderem Maße auf die »Produktion eines Gemeinschaftsgefühls« (Sutter 2017: 9) abzielen und versuchen, »Wohlbehagen oder gar Freude zu erzeugen« (ebd.: 8; Sutter entwickelte diese Begrifflichkeiten in seiner Analyse lokalen Engagements für Geflüchtete). Die städtische Vertreterin sprach gleichzeitig ein Lob an die »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen aus, die die Bereitschaft gezeigt hätten, an einer solchen Diskussion zu partizipieren, die kritische Anfragen an den »Islam« enthielt. Sie artikulierte eine solche Bereitschaft als Grundlage einer offenen
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Gouvernementalität der Freundschaft
Stadtgesellschaft. Eine »muslimische« Co-Sprecherin der Runde bekräftige diese Aussagen ebenso. Zu beobachten waren also verschiedene »Praktiken des Lobens« einer als (moralisch) vorbildhaft artikulierten Dialoggemeinschaft. Praktiken dieser Art, so die emotionstheoretisch reformulierte gouvernementalitätstheoretische Interpretation, zielen darauf ab, die Emotionalität der im Archiv des Dialogs bereits vorhandenen Vertrauens- und Gemeinschaftsmotive zu erwecken und dadurch die interreligiöse Zusammenkunft als einen »Ort« positiver Energien zu rationalisieren. Es ist die Stadt Erlangen, die zu jenem Ort gemacht wird, an welchem ermächtigendes Vertrauen und freundschaftliche Begegnungen existierten. Das Rekurrieren auf die städtisch-lokale Identität macht dabei die Motive von »Freundschaft« und »Vertrauen« besonders (be)greifbar. Über diese Praktiken sollen die wechselseitigen, emotional-affektiven Bindungen sowohl der anwesenden Dialogteilnehmer/-innen untereinander als auch deren Bindungen zu der nun lokal verorteten Dialoggemeinschaft im Sinne eines »affective citizenship« (Fortier 2007) gestärkt werden. Hierbei sind folglich »affective intensities […] at play that allow one to nest within [or] open up to […] spaces« (Hutta 2015: 301). Teilweise sprach die »lobende« städtische Vertreterin dabei als »Christin«, indem sie etwa sagte, dass sie aus eigener Erfahrung wisse, dass es manchmal nicht leicht sei, mit anderen Personen über den eigenen Glauben zu sprechen; oder als sie sagte, dass sie in den Ausführungen des »islamischen« Theologen Anknüpfungspunkte zum eigenen Glauben sehe. Teilweise sprach sie aber auch als integrationspolitische Akteurin, indem sie die gesamte Diskussion jenes Abends und die erarbeiteten Perspektiven als Impulse für das Zusammenleben in der Stadt Erlangen artikulierte oder gemeinsam mit einem städtischen CIAG-Co-Moderator darüber sprach, dass man »als Stadt« mehr dafür tun müsse, solche Dialogmomente in die lokale Gesellschaft zu tragen. Der potenzielle »Wechsel« der Positionen/Identitäten der städtischen Vertreter/-innen hat dabei performativ auch den Effekt, dass eine denkbar werdende, vor dem Hintergrund säkularer Staatlichkeit problematisch erscheinende städtische Einflussnahme auf »Islam« unsichtbar (gemacht) wird, da die Stadtvertreter/-innen zumindest auch als »Christen« anwesend sein können. Ich stelle somit die These auf: Die städtische Vertreterin sowie ein »christlich«-städtischer CIAG-(Co-)Sprecher und auch dessen Partner/-innen in der Architektur des Dialogforums, die (lokalpolitisch aktiven) »muslimischen« CIAG-(Co)Sprecher/-innen, agieren hier allesamt und in temporärer Allianz mit dem »islamischen« Theologen als (städtische) postsäkulare Dialogexpert/-innen: kommunalpolitische Vertreter/-innen der Stadt und gleichzeitig religiös bewegte Individuen, die die Zusammenführung von (inter-)religiösen Gesprächen und integrationspolitischen Reflexionen über lokales Zusammenleben moderieren und kommentieren können (vgl. dazu: Winkler 2017). Deren (den Dialog prägendes) polyphones Sprechen und Auftreten als kommunalpolitische Repräsentant/-innen und gleichzeitig als persönlich »gläubige Menschen« hat auch den Machteffekt der Vertrauensbildung inne, da hier kommunale Vertreter/-innen den »muslimischen« Gemeinden als Personen erscheinen können, die an Religion und »Islam« interessiert oder davon sogar bewegt sind. Dies mag auf spezifische Weise die Autorität und das »Standing« der Stadtvertreter/-innen verbessern. Auch dies ist ein Element der umfassenden (Re-)Produktion eines »guten Verhältnisses vor Ort« – jener Imagination, die auch die Verpflichtungen der Dialogsubjekte plausibilisiert, an kritischen Debatten über eigene Traditionen und Glaubensinhalte teilzu-
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
nehmen. In der Praxis der Inszenierung des »guten lokalen Verhältnisses« wurde selbiges jedenfalls an ganz bestimmte religiöse Inhalte geknüpft. Es waren die exegetischen Ansätze des »islamischen« Theologen, sein Sprechen über »Islam« und seine spezifischen Ausdrucksweisen, die im Regierungsvollzug als Symbole des guten und von allen gewollten interreligiösen Miteinanders repräsentiert und an die emotionalisierte Inszenierung der Vision eines friedlichen, auf interreligiöser Verständigung basierenden Miteinanders vor Ort geknüpft (oder gar zu dessen Bedingung gemacht) wurden. Diese Vision wurde wiederholt aufgegriffen, und zwar im Vollzug von Praktiken, die stets auf die Herstellung verortbarer Gemeinschaftlichkeit und sozialer Nähe zielten und in diesem Sinne mit Sutter (2017) als Praktiken der Emotionalisierung wirkten: Praktiken des Sich-Bedankens, des Lobens und Ermunterns des Gegenübers, der Motivation und der steten Bündnisbekundung. Praktiken also, die in einer diskursiv als interreligiöse Begegnung und Verständigungsleistung konstituierten Situation wirken können und zwischenmenschliche Bindungskräfte zu ihren Gegenständen machen (De Wilde 2015a, b; Fortier 2010; Campbell 2010; Rose 2000a, b). Solche Praktiken wie das Loben und Ermuntern, das Zusichern von Unterstützung oder das Betonen von Gemeinschaft erscheinen zunächst als allgemeine soziale Formen interpersonaler Kommunikation. Dennoch können sie als strategische Machtspiele (Foucault 2005 [1982]; Lemke 2001) aufgefasst werden, die als Praktiken des Regierens und Regiertwerdens auf Ebene der Interaktion stattfinden. Die These ist, dass diese interpersonalen Umgangsformen unter dem Vorzeichen einer integrationspolitischen Sorge um Dialog in strukturierter Art und Weise zu Elementen einer Regierungstechnologie avancieren. Zwischendeutung: Wenn spezifische (spezifisch formulierte) religiöse Inhalte, Perspektiven und Identitätsentwürfe dermaßen eng an die Materialität und Affektstruktur genau jener Praktiken gekoppelt und in genau jene Praktiken integriert werden, die besonders deutlich die emotionale Begeisterung für das »gemeinsame Projekt« der Schaffung interreligiöser, lokaler Gemeinschaftlichkeit ausdrücken, dann werden »emotionale Disposition[en]« (Marquardt 2015: 176) forciert, die die Zustimmung der Anwesenden zu jenen spezifischen religiösen Inhalten wahrscheinlicher machen: governing »Islam« through emotion (Bargetz u. Sauer 2010) oder – in Kombination mit der herausgearbeiteten Subjektposition – through friendship. Dabei gab es durchaus kritische Anfragen, ob jene Konzepte eines dialogorientierten und säkularen »Islam« in der »muslimischen« Basis überhaupt mehrheitsfähig seien (dies war auch die Grundsorge des kritisierenden »christlichen« Vertreters). »Ist das überhaupt eine echte Strömung im Islam, die du [Name des »islamischen« Theologen] uns hier vorstellst?«, so dann auch die Frage eines integrationspolitischen Vertreters. Ein CIAG-Moderator ergänzte (die »Muslime« an ihre »Aufgabe« erinnernd, Dialogerkenntnisse immer in die lokalen Gemeinden zu tragen): »Wenn ihr später in die Gemeinden zurückgeht und dann sagt, so wie wir hier im Dialog lernen, ist der Islam zu denken, glauben die euch das dann überhaupt?« (Beide Zitate aus: TB CIAG 4) Daraufhin wurde geantwortet, dass neue Ideen eben Zeit brauchen. In gewisser Weise wurden hier die »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen gegen ihre eigene Basis ausgespielt und damit gleichzeitig vereinnahmt. Insgesamt zeigte sich jedenfalls, dass jene in den Sitzungen zelebrierte »Islamversion« sicherlich keine gänzlich unumkämpfte und ohne Weiteres in dieser Form kommunizierbare »Islamversion« zu sein scheint. Ei-
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ne doch eher spezifische Exegese des »Islam«, die spezifische Schwerpunkte im Denken »muslimischer« Identität setzt und auf spezifischen Formulierungen und Motiven basiert (»Islam« als dialogische Religion), wurde zur allgemein erstrebenswerten »islamischen« Denkweise gemacht. In der aggregierten Wirkung der verschiedenen, durch die Praxis des Dialogs konkret »in einem Raum« versammelten und in wechselseitige Allianzen gebrachten Autoritäten und Expert/-innen (die »religionsoffenen« städtischen Dialogexpert/-innen, die die Arbeitskreise mit moderieren, der akademische »islamisch«-theologische Experte, die promovierten »christlichen« Sprecher/-innen) ist der Versuch zu erkennen, ein bestimmtes religiöses Wissen in das lokale »muslimische« Gemeindeumfeld hineinzutragen (welches das primäre Zielmilieu des Dialogs ist). Die illustrierten Praktiken der Emotionalisierung wirken dabei in gewissem Sinne als eine Form »affektiver Arbeit«, um einen Begriff von Michael Hardt (2002) in einem anderen Kontext anzuwenden. Es wird in jedem Fall über die Mobilisierung emotionaler Bewegtheit und emotionaler Bindungen versucht, ein politisches Projekt sicherzustellen und eine Community zu schaffen (Sutter 2017: 15). Im obigen Kontext zielte die affektive Arbeit an lokaler Gemeinschaftlichkeit einerseits darauf ab, eine Zustimmung zu religiösen Perspektiven zu generieren, die in dieser Form neu oder ungewöhnlich sein mögen, sowie andererseits – im praktischen Sinne – darauf, das Engagement der »Muslime« für den Dialog aufrechtzuerhalten. Wie gesagt, weisen viele Mitglieder »muslimischer« Gemeinden kein ausgeprägtes Interesse an theologischen Debatten auf (zumal sie sich in solchen Debatten oft tendenziell aus einer Defizitposition heraus verteidigen müssen) oder können aufgrund mangelnder Theologiekenntnisse nicht an solchen teilnehmen. Das emotionalisierte Bestreben, Begeisterung für solche Debatten zu erzeugen, ist vor diesem Hintergrund als eine Form von Ethopower (Rose 2000b) zu deuten sowie als Steuerungs- und Stabilisierungstechnik des Dialogs, die im Rekurs auf das interreligiöse Kommunikationsparadigma rationalisiert werden kann. Vor dem Hintergrund einer solch kontinuierlichen Heraufbeschwörung des Imaginärs des Zusammenkommens einander vertrauter und anerkennender Menschen in Erlangen kann der potenzielle Führungsanspruch, der in der bevorzugenden Propagierung und Attraktivsetzung eines bestimmten religiösen Wissens enthalten sein muss, absorbiert werden; und zwar indem sich Führungsansprüche in einem praktizierten »Klima« interreligiöser Gemeinschaftlichkeit leicht in die Form wohlmeinender Ratschläge übersetzen (vgl. nächste Kapitel) oder auch »verdecken« lassen, wenn sie ein vermeintlich »von allen gewolltes«, apolitisches, einfach nur »gutes« Ziel anvisieren: das kaum zu hinterfragende Ziel interreligiöser Solidarität vor Ort. Eine Praktik wie die skizzierte »Lobrede« einer städtischen Repräsentantin lässt sich dann als eine Technik der Ordnungsschaffung deuten, die als angemessen geltende Identitäten und Verhältnisse festsetzt. Eine solche Rede kann widersprüchliche Effekte haben. Sie erscheint einerseits als eher paternalistische Praxis, in deren Vollzug »muslimische« Gemeindevertreter/-innen gerade auch über die emotionalen Register zur kritischen Reflexion ihrer Religion angehalten werden. Eine solche Rede operiert dann als ethopower (Rose 2000b), als Machttechnik, die das moralisch-ethische Verhalten von Subjekten beeinflusst und damit verknüpft auf eine emotionalisierte Art und Weise ein bestimmtes Verhalten als angemessen rahmt – namentlich die affirmative Bejahung von Selbstreflexion als Bedingung pluraler und lokaler Gemeinschaftlichkeit. Andererseits investiert
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
eine solche »Lobrede« aber immer auch in die kontinuierliche und kollektive Arbeit an den lokal verankerbaren Mythen von »Vertrauen« und »Freundschaft«, die durch die Lobrede entsprechend fortgeschrieben werden; Mythen, die – betrachtet man zahlreiche bereits zitierte Aussagen und empirische Beispiele – besonders auf »muslimischer« Seite insgesamt als ermächtigend und unterstützend erfahren werden. Ethopower operiert folglich gerade in Verbindung mit den Emotionalisierungsprozessen gleichzeitig als Ermächtigung und als Normalisierung. Es ist also v.a. auch im Hinblick auf die Emotionalitäten der Dialogtechnologie nach deren ambivalenten politischen Effekten zu fragen. Etabliert der »emotionale Dialog« Räume für konstruktiv-agonistische oder gar emanzipative Auseinandersetzungen (Mouffe 2007), innerhalb welcher über die Produktion der Bedingungen für eine kollektiv geteilte Wahrnehmung und Artikulation »positiver« Gemeinschaftsemotionen Machtverhältnisse auch unterlaufen und authentisch-konstruktive Kritikformen formuliert werden können? Setzt der »emotionale Dialog« gerade bei »muslimischen« Teilnehmenden emanzipative Energien frei, insofern »muslimische« Teilnehmende qua Gemeinschaftsmythos, d.h. über die vielen praktizierten und emotional aufgeladenen Rekurse auf lokale Solidarität und zurückliegende, »als erfolgreich erinnerte« gemeinsame Anstrengungen, ein neues politisches Selbstbewusstsein finden und auf neue Weise öffentlich sprechen? Oder aber ist der »emotionale Dialog« eine Postpolitik (Ranciere 1995; Crouch 2004), die eher durch einen Formalismus beschworener Gefühle getragen zu werden scheint als durch die Austragung von Dissens (Bargetz u. Sauer 2010)? Eine Politik, die durch Techniken der Emotionalisierung und unter dem Banner des »guten Verhältnisses« Uneinigkeiten verdrängt und Machtansprüche verdeckt? Die Dialogtechnologie, so meine These, vereint beides gleichzeitig, was die widersprüchlichen Momente des governing through friendship spiegelt. Es ist dabei die praxeologische Perspektive auf Regierung (Li 2007; Dzudzek 2016; Winkler et al. i.E.), die es ermöglicht hat, sich auf diese spezifische Form und Dynamik von Praktiken einzulassen, sie zu beschreiben und davon ausgehend deren heterogene Effekte anzudenken. So ist festzuhalten, dass – wie viele der bisher skizzierten empirischen Fälle aufzeigen – die Dialogtechnologie nicht ausschließlich den Versuch einer beeinflussenden Formung der »muslimischen« Bevölkerung darstellt, sondern ebenso Effekte der Ermächtigung und Anerkennung selbiger aufweist. Dass die beschriebene Praxis der Emotionalisierung (Sutter 2017; Scheer 2012, 2016) brüchig ist und keineswegs ein »glattes Durchregieren« durch Emotionen darstellt, zeigte sich am Ende der CIAG-Sitzung (TB CIAG 4), als ein »muslimischer« Vertreter die für die gesamte Sitzung konstitutive Frage nach Verbindungen zwischen »Islam«, Extremismus und Gewalt grundlegend ablehnte, sich über die Sitzung verärgert zeigte und damit Widerstand gegen den moralisierten Appell verkörperte, über »alles zu reden«. Er widersetzte sich gegen jene dialogische Rationalität/Emotionalität (der Schrägstrich verdeutlicht die Verwobenheit), die das »Sich-gegenseitig-Kritisieren« und das »Probleme-Ansprechen« zu Symbolen der Vertrauensbildung und der positiven Vergemeinschaftung vor Ort macht und als immer legitim rahmt. Diese Ablehnung zeigt die begrenzte Operativität von Praktiken der Emotionalisierung auf. In einem späteren Interview, in welchem ich mit jenem »muslimischen« Vertreter über genau diese Situation reflektierte, stellte er die kritischen Fragen der »christlichen« Seite als nicht aufrichtig dar. Interessanterweise mobilisierte auch er genau jenes emotionalisierte Motiv des
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»freundschaftlichen Umgangs«. Er delegitimierte damit aber das konkrete Verhalten der Gegenseite im obigen Fall. »Wenn wir Freunde sind – in den meisten Fällen glaube ich das –, ist es richtig, da darf man auch kritische Fragen fragen […]«, so der Vertreter, »wenn der Dialog passt und Vertrauen existiert«; aber diese kritischen Fragen sollten »wirklich aus dem Herzen [kommen], weil [man] was lernen will«, und nicht nur »provokativ« sein (alle Zitate aus: Interview 16; vgl. auch: Interview 18). Der »muslimische« Vertreter wirft der Gegenseite vor, dass diese nicht »mit dem Herzen« vorgegangen ist und das neugierige »Lernen-Wollen« der »Provokation« und Selbstprofilierung unterordnete. Damit werden die Aussagen der »christlichen« Seite über Bezüge auf Fragen zwischenmenschlicher Umgangsformen delegitimiert. Gleichzeitig mobilisiert der »muslimische« Vertreter das Freundschaftsmotiv für Gegenkritik (an der Sinnhaftikeit der »christlichen« Kritik): »Wenn wir Freunde sind […], da darf man auch kritische Fragen fragen […]. Und da muss man sich aber auch kritische Antworten anhören.« (Interview 16) Hier sieht man eindrucksvoll, wie emotionalisierte Motive Einsatz finden und inwiefern die Dialogtechnologie auf Aushandlungsprozessen über die Angemessenheit von Formen zwischenmenschlichen Umgangs basiert. Im Dialog werden in besonderem Ausmaß interpersonale Beziehungen zum Gegenstand steter (Re-)Rationalisierungen gemacht, wobei immer auch Kritik(-un-)möglichkeiten verhandelt werden.
10.3.5
Lokale Effekte der politischen Mobilisierung von »islamischer« Theologie in Deutschland und die Arrangements dialogischen Regierens vor Ort
Meine Arbeit konnte an dieser Stelle auch aufzeigen, wie sich die bspw. von Malik (2013) skizzierte integrationspolitische Etablierung einer Islamischen Theologie in Deutschland (als Impuls für den integrationspolitischen Dialog) in konkrete lokale Praktiken und Verfahrensweisen übersetzt bzw. welche praktischen Effekte eine solche Integrationspolitik hat. In dieser Hinsicht leiste ich eine praxeologische Ergänzung der bisherigen Debatte um Dialog und die Integration von »Islam« und »Muslimen«, indem ich konkrete Arrangements dialogischen Regierens vor Ort analysiere. Hierfür soll an dieser Stelle wiederum ein situatives »Macht-Mapping« erfolgen, wie es bezüglich der Führung durch die Ausstellung »Muslime in Erlangen« erarbeitet wurde. Der lokale Dialog entfaltete sich als das Arrangieren einer spezifischen Konstellation. In (a) Antwort auf die islamkritischen Fragen der »christlichen« Vertreter/-innen und in (b) Anwesenheit sowie unter der Moderation städtischer, integrationspolitischer Sprecher/-innen, die die »christlichen« Vertreter/-innen zu ihrer Kritik und alle Beteiligten zur Auseinandersetzung ermutigten, propagierte ein »islamischer« Theologe einen spezifischen Entwurf »muslimischer« Identität. Die anwesenden »Muslime« wurden dabei sozusagen in die Position gebracht, die Perspektive des »islamischen« Theologen – seine Ideen, seine Sprache und seine Exegesen – grundlegend eher gutzuheißen oder sich positiv auf diese beziehen zu müssen, da dieser zu ihrem »Verteidiger« oder Bündnispartner gegenüber den »christlichen Islamkritiker/-innen« gemacht wurde. Vor dem Hintergrund dessen, dass sich die »muslimischen« Gemeinden nicht zugetraut hatten, dem »christlichen« Theologen fundiert antworten zu können (Interviews 16, 18), nahm der
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»muslimische« Theologe die Position des Sprechers der Gemeinden an, um für die »Muslime« auf die Fragen zu antworten. Damit wurde ein Band zwischen den Gemeinden und dem Theologen erzeugt – ein Bündnis, das man sich vielfach auch wünschte (vgl. Interviews 8, 18, 21; IG 6, 10). Die skizzierte Konstellation ist dabei ganz im Sinne der derzeitigen politischen Agenda des interreligiösen und interkulturellen Dialogs, welche über die in den letzten Jahren mit Bundesmitteln etablierten Institute für Islamische Theologie die Ausbildung theologischer Expert/-innen als neue »Vorsteher/-innen« der »muslimischen« Bevölkerung anstrebt (Tezcan 2009; Malik 2013). Insgesamt schien es dann in der Tat auch so, dass die durchaus vorhandenen »traditionskritischen« Überlegungen des »islamischen« Theologen von den »muslimischen« Gemeindesprecher/innen noch eher akzeptiert wurden als die kritischen Äußerungen der »Christen« – so wurden erstere jedenfalls nicht direkt herausgefordert. Dabei schien es auch zwischen dem Theologen und den Gemeindesprecher/-innen Differenzen bezüglich der Frage zu geben, wie weit »Islamkritik« gehen sollte. Der Theologe sprach ja sogar von Problemen im/des Koran und kritisierte damit das angenommene Wort Gottes (bspw. als ein Buch, das »vielleicht etwas zu viel will«). Solche Anmerkungen jedenfalls griffen die »muslimischen« Gemeindesprecher/-innen – im Gegensatz zu den Anmerkungen der »christlichen« Aktiven – in keinster Weise auf. Einigen Gemeindevertreter/-innen schien der Theologe nicht entschieden genug darzustellen, dass Extremismus und Gewalt keine »islamischen« Probleme seien. Dies wurde von Gemeindevertreter/-innen am Schluss auch noch einmal hervorgehoben. Überhaupt wird das Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) in den lokalen »muslimischen« Gemeinden vielfach auch kritisch gesehen. In einem Interview betonte bspw. ein Imam einer lokalen Gemeinde im Hinblick auf das DIRS eine gewisse Gefahr einer Verwissenschaftlichung religiöser Traditionen – das Bearbeiten theologischer Fragen mit islamwissenschaftlichen und literarischen Methoden –, die daraus resultiere, dass man für die »islamische« Theologie bislang nur Islamwissenschaftler/-innen zur Verfügung habe. Auch sprach der Imam explizit differente Glaubensperspektiven zwischen einigen akademischen »muslimischen« Wissenschaftler/-innen und der Gemeindebasis an (Interview 9). Ein/-e Moscheevertreter/-in wiederum empfand viele »islamische« Theolog/-innen gar als »abgehoben« und »ohne Kontakt zur Basis« (Interview 16): »Wir beobachten das Ganze ein bisschen mit einem gewissen Argwohn.« (Ebd.) Wenn die »islamischen« Theolog/-innen vom DIRS den Zugang in die Moscheegemeinden nicht suchen würden, »dann werden sie teilweise auch nicht als Muslime in diesem Sinne wahrgenommen – das ist denen anscheinend aber wurscht« (ebd.). Ferner gab es Konflikte bei den Berufungsverfahren für die Lehrstühle. Ein/-e städtische/-r Vertreter/-in erzählte, dass die »muslimischen« Gemeinden, die über einen Beirat auf lokaler Ebene beteiligt wurden, eher auf die Wahrung ihrer eigenen kulturellen und religiösen Traditionen fokussierten als auf die wissenschaftliche Eignung der Kandidat/-innen (Interview 6). Dabei sei z.B. »die türkische Community […] mehr als enttäuscht [gewesen] […], dass kein türkischer Professor dabei ist« (ebd.). Andererseits artikulierten einige Moscheevertreter/-innen durchaus auch die Bereitschaft, mit der »islamischen« Theologie zukünftig stärker zusammenzuarbeiten – wobei z.B. auf existierende Kooperationen mit theologischen Doktorand/-innen verwiesen wurde (Interviews 18, 21). Auch würden sich die »muslimischen« Gemeinden vom DIRS die Ausbildung deutschsprachiger Imame (Interview 18, 5) erhoffen. Bezüglich religiö-
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Gouvernementalität der Freundschaft
ser Impulse einer wissenschaftlichen Theologie für die Gemeinden könne man aber keine Prognose abgeben, da nicht klar sei, in welche Richtung das Personal des DIRS denken werde: »Wir warten ab«, so ein IGE-Vertreter (Interview 18). An dieser Stelle ist wiederum eine Distanz zum DIRS zu erkennen, wobei ein Imam anmerkte, dass auch das Personal des DIRS den »muslimischen« Gemeinden gegenüber teils skeptisch eingestellt sei (Interview 9). Auch in der skizzierten CIAG-Sitzung (TB CIAG 3) wurde die Sorge geäußert, dass die Perspektiven des DIRS-Theologen in den »islamischen« Gemeinden vielleicht keinen Anklang finden würden, da sie in ihrer Formulierung traditionelle Religionsverständnisse nicht widerspiegelten. All dies verweist auf potenzielle Konflikte zwischen der akademischen Theologie und den Gemeinden. Da der »islamische« Theologe jedoch die »muslimische« Seite vor den stets ein Stück schärfer formulierten Kritikpunkten der »christlichen« Gegenseite verteidigte, seine eigene Kritik an einer gesetzesförmig gelebten »islamischen« Tradition (sein Bindemoment zu den »Christen«) stets mit der Hervorhebung »islamischer« Potenziale vermengte und grundsätzlich ja auch eingeladen wurde, um für die »Muslime« zu sprechen, wurde eine Grundallianz zwischen ihm und den »muslimischen« Gemeinden meist dennoch beibehalten. Der »islamische« Theologe präsentierte sich als Vermittler zwischen (a) den »Christen« und den an der »christlichen« Kritik interessierten »städtischen« Vertreter/-innen und (b) den »muslimischen« Gemeinden (Interview 15). Er nahm genau die Rolle ein, die die Dialogtechnologie vorkonfiguriert. Als Verteidiger der »Muslime« gegenüber allzu scharfen Formen der Islamkritik auftretend, formulierte er auf eine »sanftere«, lösungsorientierte Weise ebenfalls Perspektiven auf Problemfelder im »Islam« (TB CIAG 3, 4). In einem nachträglichen Interview sagte mir ein »muslimischer« Gemeindevertreter, dass er ob der Anwesenheit des »islamischen« Theologen froh war, da man sonst keine Expertise hätte (Interview 18). Ein solches, sich angesichts der kritischen Anfragen der »Christen« generierendes Bündnis zwischen »Muslimen« und der »islamischen« Theologie macht es für die »muslimischen« Gemeinden jedoch schwieriger, Kritik an den Ideen des Theologen zu formulieren. Demgegenüber wird wahrscheinlicher gemacht, dass die Perspektiven des »islamischen« Theologen von den Moscheegemeinden angenommen werden. Solche Konfigurierungen von Allianzen, die programmatisch auf Dialog abzielen, die »muslimischen« Teilhabenden jedoch in neue Abhängigkeiten bringen, deute ich als ein lokales Regieren durch a) strukturierte Netzwerk- und Bündnisbildung, b) die stete Inszenierung lokaler Gemeinschaft und c) moralisierte und emotionalisierte Aufrufe an das Subjekt, den neuen Bündnissen gegenüber offen zu sein. Ich deute dieses Regieren als Gouvernementalität der Freundschaft: eine Form des Regierens lokaler Bündnisdispositionen von Subjekten, die mit emotionalisierten und auf lokale Beziehungen rekurrierenden Vergemeinschaftungspraktiken einhergeht. All die bisher skizzierten Praktiken der Emotionalisierung wie auch die damit verbundenen emotional-affektiven Situationen im Dialoggeschehen sind als Elemente und Effekte einer politischen Technologie zu deuten, die danach strebt, ein als besonders »aufgeheizt« und konfliktvoll wahrgenommenes Feld regierbar zu machen – jenes Feld, in welchem die Integration von »Muslimen« in die Gesellschaft verhandelt wird. Genau dafür werden jene emotionalisierten Gemeinschaftspraktiken mobilisiert, womit sie als Regierungstechniken zu deuten sind.
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
10.4
Erfrischende Ermächtigung: Emotionalitäten der (Selbst-)Führung, pädagogische Technologien und das selbstbewusste Auftreten der »muslimischen« Gemeinden am Beispiel der Aushandlungen um das »muslimische« Bildungswerk
Das Kapitel rekonstruiert die in Erlangen seit 2015 in den Dialogforen moderierte Etablierung des bundesweit ersten »muslimischen« Erwachsenenbildungswerks. Hierbei wird zunächst die integrationspolitische Einbettung des Projekts skizziert. Nachdem dann die vielen Konflikte zwischen Kommune, »Christen« und »muslimischen« Gemeinden im Hinblick auf Fragen der Organisation und der inhaltlichen Ausrichtung des Erwachsenenbildungswerks beleuchtet wurden, wird zu zeigen sein, über welche Machttechniken diese Konflikte und Steuerungsprobleme angegangen werden (Kapitel 10.4.1 bis 10.4.3). Dabei wird gerade die Analyse der »Handhabbarmachung« solcher Konflikte weitere Aspekte einer dialogischen Emotionalität des Führens illustrieren (ab Kapitel 10.4.4). Nicht zuletzt werden zusätzliche Reflexionen über die Potenziale der lokalen Forschungsperspektive geleistet.
10.4.1
Kontextualisierung: die integrationspolitische Einbettung des »muslimischen« Erwachsenenbildungswerks und das Auftauchen eines »neuen Regierungsproblems«
Das geplante »muslimische« Erwachsenenbildungswerk – im Folgenden mit dem Projektnamen »Bildung Muslimisch« bezeichnet – solle, so ein Dialogmoderator und städtischer Vertreter in einem Interview, mehrere zusammenhängende Ziele erfüllen. »Im Idealfall« sieht er hier ein Pendant zur evangelischen und katholischen Erwachsenbildung, d.h. eine Bildungsinstitution, »die eine breite Diskussion [leistet], theologische Inhalte auf der einen Seite, aber auch die breite Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen vor dem Glaubenshintergrund, […] also die verschiedenen Fragen menschlichen Zusammenlebens […] auf der Glaubensebene reflektiert« (Interview 8). Entsprechend solle »Bildung Muslimisch« die »muslimischen Gemeinden« (und ggf. auch nicht organisierte »Muslime«, siehe unten) mit der Mehrheitsgesellschaft in einen Austausch bringen. Fragen »muslimischer« Identitäten sollen zusammen mit der Gesellschaft kritisch reflektiert werden, wobei solche Prozesse dann auch neue, lokal stärker eingebettete und an die gesellschaftliche Realität rückgebundene religiöse Identitäten und Selbstverständnisse hervorbringen sollen (Interviews 8, 21; IG 6, 10). Problematisch sei aber, dass man bislang einzig mit den organisierten Moscheegemeinden an dem Projekt arbeite. Dies sei einerseits unumgänglich, schließlich würden die Gemeinden ja einen relevanten Teil der Erlanger »Muslime« vertreten. Zudem seien die Gemeinden bereits seit Langem und mit Unterstützung des Dialognetzwerks auf lokaler Ebene gesellschaftspolitisch aktiv und damit auch entsprechend bekannt. Sie sind organisiert und könnten daher als Trägerverein fungieren, zudem seien sie nun mal die einzigen, mit denen man im Dialog stehe. Jahrelang, so meine These, wurden die Moscheegemeinden als die (einzig) legitimen »Islam«-Repräsentant/-innen in Erlangen aufgebaut, in ihnen fand die Erlanger Dialog-Community vertrauensvolle Ansprechpartner/-innen bzw. die Gemeinden wurden als solche (re-)konstituiert. Dieser Status als vertraute und legiti-
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Gouvernementalität der Freundschaft
me »Islam«-Vertreter/-innen verfestigte sich im Zuge zahlreicher gemeinsam durchgeführter und als erfolgreich erachteter Projekte zur Stärkung »islamischer« Identität in Erlangen sowie v.a. im Zuge des Aufbaus der Gemeinden – bzw. der IRE als Gemeindezusammenschluss – als rechtliche Ansprechpartner für die Etablierung von Islamunterricht an Erlanger Schulen. Vor diesem Hintergrund erschien es immer als völlig klar, dass die Gemeinden auch »Bildung Muslimisch« angehen und dass »Bildung Muslimisch« scheitern würde, wenn es nicht gemeindebasiert sei. Doch in diese Erzählung mischte sich nun zunehmend die Identifizierung eines neuen (Steuerungs-)Problems. Es handelt sich um die Beobachtung, dass es, wie es ein städtischer Vertreter ausdrückt, »genügend Muslime in dieser Stadt [gibt], die [sich] auch durch die Moscheegemeinden nicht repräsentiert [fühlen] – und das vergessen, glaube ich, unsere Moscheegemeinden manchmal auch« (Interview 8). Viele »Muslime« seien sozusagen keine »Kirchgänger« (ebd.). Zu den Veranstaltungen in etwa von Bildung Evangelisch würden oft auch kirchenkritische Personen kommen, ebenso zu jenen der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB). Dies sieht der städtische Vertreter als wichtigen Impuls für eine kritischreflexive Debatte unter »Christen« sowie zwischen »Christen« und Gesellschaft, die das religiöse Subjekt offener, kritischer und kompetenter im Umgang mit Differenz und Dissens mache. Hier sei bereits ein Ziel für eine »muslimische« Erwachsenenbildung auszumachen: »Also wir würden auch dadurch, sage ich einmal, dieses traditionelle Moscheeumfeld bisschen aufbrechen. Ob das natürlich die Gemeinden wieder wollen, das ist natürlich wieder eine andere Frage.« (Interview 8)Genauso argumentierte ein Vertreter einer »christlichen« Erwachsenenbildung: »Also, wenn es da gelingt, von der muslimischen Bildung aus zu sagen, das sind unsere Muslime […], die gehen nicht, äh, in die Moschee, nicht regelmäßig, aber mit denen kommen wir trotzdem zusammen, das wäre […] interessant […], um herauszufinden, was muslimisch eigentlich ist.« (Interview 12) Die Mitglieder der traditionellen Gemeinden sollen mit »moscheekritischen Muslimen« zusammengebracht werden, indem über Veranstaltungen auch solche Themen angeboten werden, die »moscheekritische Muslime« ansprechen. Dies sei wichtig, um die in den Moscheegemeinden vermeintlich weitverbreitete Annahme aufzubrechen, den einzig wahren »Islam« zu vertreten. Eine traditionalistische und orthodox-dogmatische Haltung hätte auch dazu geführt, dass viele »Gemeindemuslime« die Ausstellung »Muslime in Erlangen« nicht akzeptiert hätten, so ein städtischer Vertreter (Interview 8). Zu beobachten ist hier das Auftauchen eines für Erlangen neuen Regierungsproblems. Viele Jahre lang wurden die Erlanger »muslimischen« Gemeinden als gewünschte Partner in den Feldern der Integrations- und Sicherheitsarbeit artikuliert, deren Islamverständnis konstruktive Zusammenarbeit ermögliche und Integration und Sicherheit gewährleisen würde. Sie wurden als Gemeinschaften erachtet, die mit ihren Perspektiven über den »richtigen« und »friedlichen« Islam aufklären können, deren Religionsverständnis als Grundlage für Religionsunterricht geeignet sei oder religiöse Konflikte (in Flüchtlingsunterkünften, in Schulen etc.) auflösen könnte (TB 9, 23, 27; TB FMGE 7; Interviews 2, 6; Stadtmuseum 2015). Die Gemeinden wurden als legitime »Islam«-Vertreter/-innen gestärkt, während genau diese Position im Kontext der Erwachsenenbildung nun zu bröckeln begann. Städtische, »christliche« und einige »muslimische« Sprecher/-innen brachten eine Kritiklinie in den lokalen Dialog, die auch im Kontext der Deutschen Islamkonferenz auftauchte und in Kapitel 3 beschrieben wurde. Es geht um die Sorge,
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
durch einen Dialog, der primär auf den organisierten »Islam« der Moscheevereine (im Kontext der DIK: der Verbände) fokussiert, alternative, möglicherweise gerade eher offen-liberale »islamische« Stimmen zu verdrängen. Diese Kritik formulierte auch die sich als »liberale Muslimin« darstellende ehemalige Bundestagsabgeordnete Dr. Lale Akgün auf einer 2016 vom »Bund für Geistesfreiheit« co-organisierten Diskussionsveranstaltung in der Erlanger Volkshochschule (TB 17). Diese Veranstaltung erschien mir während der Teilnahme beinahe als ein diskursives Außen zum sonstigen Dialog in Erlangen. Die genannte Kritiklinie am Dialog mit dem organisierten »Islam« ist und war also auch in Erlangen vertreten, wurde aber lange Zeit zumindest aus den Dialoginstitutionen verdrängt. Nun aber formulierte auch der institutionalisierte lokale Dialog diese Kritik deutlich prägnanter als sonst – eine Kritik, die nun mit dem Anerkennungsparadigma harmonisiert werden musste. Welche Techniken des Regierens dies erzeugt, werden die nächsten Kapitel zeigen. Insgesamt solle »Bildung Muslimisch«, so ein städtischer Vertreter (Interview 8), ein lokales Forum schaffen, in welchem sich die Vielfalt des »Islam« selbst begegnet und in welchem das »muslimische« Subjekt über die Begegnung mit anders denkenden und anders praktizierenden »Muslimen« die eigene Position zu hinterfragen lernt sowie allgemeine Kompetenzen im Umgang mit Differenz ausbildet – was für das Navigieren in einer pluralen Gesellschaft sinnvoll sei (diese Gedanken waren auch in einem 2015 und 2016 intern zirkulierenden Konzeptpapier enthalten, an welchem ich in geringem Ausmaß mitarbeitete). Man brauche »Offenheit« (Interview 12) gegenüber den institutionskritischen Gläubigen. Ein Vertreter einer »christlichen« Bildungsinstitution sagte: »Wir müssen auch die Kritik an unserer Institution ertragen, im evangelischen Bereich […]. Man darf nicht institutionell eng machen, sonst wird’s schwierig.« (Ebd.) Gleichzeitig würden die »muslimischen« Gemeinden durch ein derartiges Forum die Bedürfnisse vieler »Muslime« kennenlernen, die sie bislang nicht erreichen konnten. »Ob die immer wissen voneinander, was sie wirklich umtreibt?«, so der Religionspädagoge über das innermuslimische Feld (ebd.). Im Hinblick auf »Bildung Muslimisch« fügt dieser hinzu: »Die Institution lebt von Leuten, die sagen, das ist mir wichtig, das will ich. Darauf kann man hören und darauf kann sich auch etwas verändern.« (Ebd.) Von den »muslimischen« Gemeinden wird erwartet, reformbereit heterogene »muslimische« Stimmen einzubeziehen. Dann nämlich würden sie sich auch selbst weiterentwickeln und gesellschaftlich bedeutsamer werden. Gleichzeitig würde dies eine inklusivere Gesellschaft und einen pluraleren Dialog ermöglichen. Ein städtischer Vertreter stellt dar: »Es gibt ja, wenn ich jetzt an […] die nicht muslimische Stadtgesellschaft [denke], da gibt es ja eine Vielzahl von Ebenen, […] wo sich Kirchgänger und Nichtkirchgänger sage ich jetzt mal treffen und diskutieren. Das gibt es auf der muslimischen Seite in der Form noch nicht. Also, äh, auch des könnte so ne muslimische Erwachsenenbildung sein.« (Interview 8) Die Involvierung »gemeindeferner Muslime« soll nicht nur solche Öffnungs- und Reflexionsprozesse in den »muslimischen« Gemeinden (oder: auf beiden Seiten) anstoßen, sondern auch jenen »gemeindefernen«, bislang kaum in den Dialog involvierten »Muslimen« eine Möglichkeit geben, sich auf lokaler Ebene (politisch) auszudrücken und sich in der eigenen Identität gesellschaftlich einzubringen. Die »nicht organisierten Musli-
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me« sollen zum ersten Mal systematisch durch bestimmte Veranstaltungsformate »abgeholt« werden, damit sie sich ebenso als Teil der Stadtgesellschaft empfinden können. Hier zeigt sich die Dialogtechnologie als Identitätspolitik, die den »Raum« der Stadt für weitere Identitäten öffnen will. Ein städtischer Vertreter und CIAG-Co-Moderator erklärt: »Die Schwierigkeit ist ja, dass die […] Muslime außerhalb der Gemeinden […] in dieser Stadt eben noch keine Form gefunden haben, wie sie miteinander die Diskussion suchen und sich ausdrücken.« (Interview 8) Es gäbe also »[in] dieser Stadtgesellschaft einen Teil von Menschen, die haben auf der Ebene der intellektuellen Auseinandersetzungen, mit dem was sie da einzubringen haben, von ihren Wurzeln, keine Ebene« (ebd.), wobei nun integrationspolitisch »die Gesellschaft so zu gestalten [sei], dass die verschiedenen Wurzeln und Komponenten, die den Menschen wichtig sind, dass die sie auch entfalten können« (ebd.). Die »moscheefernen Muslime« könnten genau dies »nicht innerhalb dieser Moscheegemeinden zum Teil machen« (ebd.). Der Dialog avanciert hier mit seinen Maßnahmen zur Führungsinstanz: Erwachsenbildung helfe »den Menschen […] dabei, ihren Weg zu finden« (ebd.). Zu guter Letzt solle »Bildung Muslimisch« natürlich auch der Mehrheitsgesellschaft »Islam« näherbringen, wichtige Kompetenzen der Differenzierung (in etwa zwischen extremistischen Formen und dem friedlichen »Islam« der meisten »Muslime«) fördern und Berührungsängste abbauen. Zusammenfassend geht es also um die folgenden drei Probleme: »Die Gesellschaft setzt sich […] nicht mit den Muslimen auseinander. Was ist das für ein Geschrei, spätestens nach der dritten Halben [dem dritten Bier; Anm. J.W.], wenn du sagst, wir müssten bei uns eigentlich auch muslimische Feiertage […] respektieren. […] Die Mehrheitsgesellschaft setzt sich nicht mit dem auseinander, was muslimische Identität ist [Problem 1], bei den Muslimen ist ein sehr, bei den muslimischen Gemeinden ist ein sehr eingeengtes Verständnis da [Problem 2] […], und für die Menschen, die muslimische Wurzeln haben, sich in den Gemeinden aber nicht zu Hause fühlen, wo sind denn die eigentlich in dieser Gesellschaft dann [Problem 3; Anm. J.W.]?« (Interview 8) Eine von den »muslimischen« Gemeinden aus Gründen der Anerkennung (mit-)getragene, aber auch gemeindeferne »Muslime« integrierende, plural ausgerichtete »muslimische« Erwachsenenbildung wird als Regierungstechnik in Stellung gebracht, die diese Probleme steuer- und lösbar machen soll. Damit verknüpft, so ein städtischer Vertreter, solle ein »muslimisches« Erwachsenbildungswerk die bislang oft zu kurz kommende theologische Dimension des Erlanger Dialogs weiter stärken. Die theologischen Aspekte des Zusammenlebens zu erkunden, wird als Mittel zu mehr Verständnis artikuliert. »Natürlich hat es immer auch wieder in der Vergangenheit Seminare oder Vortragsabende gegeben über Abraham in der Bibel und im Koran und so, aber ich sag mal, diese rein theologischen Fragen, Glaubensfragen wurden nicht diskutiert. Wir sind über eine Informationsebene kaum rausgekommen. Und auch wenn so Fastenbrechen ist oder so was, […], also ich sag’s mal so, ich hab das Gefühl, das hat manchmal folkloristischen Charakter.« (Interview 8) Wie bereits erwähnt, existieren jedoch strukturelle Gründe für das geringere Interesse an theologischen Diskussionen gerade auf »muslimischer« Seite: mangelnde theologische Bildung, Auslastung »muslimischer« Vertreter/-innen aufgrund ehrenamtli-
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
cher Dialog- und Moscheevereinsarbeit, Sprachbarrieren oder die Skepsis bezüglich des Mehrwerts theologischer Debatten angesichts konkreter lebenspraktischer Probleme »muslimischer« Migrant/-innen. Ein dialogaktiver städtischer Vertreter hingegen (Interview 8) verknüpft eine vermeintlich fehlende Bereitschaft von »Muslimen«, sich kritisch mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen, mit Charakteristika des »Islam«: »Ich glaub das liegt wirklich einfach […] am Grundverständnis von Islam und Christentum, denke ich mir, weil, ich weiß nicht, ob ein Muslim, der sich ja sehr viel individueller, selbstständiger seine Glaubensorientierung suchen kann als es beim Christ ist, der aufgrund von Amtskirchen oder so, ob er gleichzeitig auch sich dazu zwingt, über manche Sachen so kritisch nachzudenken. Also ich hab natürlich in meiner katholischen Sozialisation und Geschichte, bin ich immer wieder gezwungen worden, mir Gedanken drüber zu machen über des, was die Kirche von mir erwartet, und ob ich des auch will, und ob des was mit meinem Glauben zu hat. Und muss es mir gegenüber rechtfertigen, warum ich halt manche Sachen nicht glaub oder manche Sachen net für richtig halte, aber das ist eigentlich bei Muslimen auf der Ebene net so nötig.« (Interview 8) Die heutigen kirchlichen (Bildungs-)Institutionen würden dem »christlichen« Subjekt eine kritische Selbstreflexion über Glaubensfragen abverlangen. »Muslime«, denen solche Impulse fehlen würden und die gerade in Deutschland bzw. »in der Migration«, wie ein/-e »islamische/-r« Theolog/-in anmerkte (Interview 21), wenig Anbindung an internationale innermuslimische Religionsdebatten hätten, würden letztlich für sich persönlich einen partikularen Glaubenszugang finden und diesen dann häufig »ohne Anleitung« als wahren Glauben annehmen und praktizieren. Dabei würden viele »Muslime« anderen »Muslimen« allzu schnell ihre »muslimische« Identität absprechen: »Da sind wir wieder an der Stelle: Es gibt letzten Endes keine Glaubensinstanz bei den Muslimen, also hat jeder Muslim, jede Muslima, ihre eigenen Vorstellungen von dem, was wichtig ist. Und in dem Augenblick, wo da jemand andere Vorstellungen hat, maßt man sich an – auch wenn es dem Koran widerspricht – zu sagen, des ist richtig oder falsch.« (Interview 8) Dies gäbe es unter »Christen« nicht mehr so oft: »Es würde einem evangelischen Christen nie einfallen, wenn er einen Professor hier von der Uni hört und der erzählt was, was ihm entweder zu konservativ oder zu progressiv oder Gott weiß was ist, dem abzusprechen, er wär kein evangelischer Christ […].« (Ebd.) Dies hätte, so der »christliche« Stadtvertreter und Dialogaktive, »auch sehr viel mit Aufklärung zu tun, [mit der Frage,] wie gehe ich mit einem Dissens um und, äh, wie kann ich einen rationalen Diskurs führen« (ebd.). Diese Kompetenzen spricht er frommen »Gemeindemuslimen« tendenziell ab. Auch in den FMGE-Sitzungen, die sich mit »Bildung Muslimisch« beschäftigten (TB FMGE 4, 6), schwang in vielen Fragen gerade auch »städtischer« Vertreter/-innen jene Skepsis mit, ob die »muslimischen« Gemeinden die angestrebte Vielfalt »islamischer« Themen im Kontext eines Bildungsprojekts überhaupt leisten könnten. Über solche Problematisierungen legitimiert die Stadt die kommunale Förderung von Maßnahmen wie »Bildung Muslimisch«, die einen »kritischen Diskurs« (Interview 8) zwischen »Muslimen« untereinander, zwischen »Muslimen« und anderen Religionen sowie zwischen »Muslimen« und der Gesellschaft anreizen sollen.
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Aus Sicht der »muslimischen« Gemeinden wiederum solle »Bildung Muslimisch« v.a. das »Islam«-Bild in der Öffentlichkeit verbessern (Interviews 16, 18, 21; TB FMGE 4, 6). Mit diesem Argument wolle man das Projekt auch den (Moschee-)Gemeindemitgliedern schmackhaft machen (Interview 18). Über die Erwachsenenbildung, so die Hoffnung der »muslimischen« Gemeinden, könnten Missverständnisse über »Islam« ausgeräumt, die gesellschaftliche Stellung der »Muslime« gestärkt und »muslimische« Präsenz in der Stadt als Potenzial etabliert werden. Ein/-e am Projekt beteiligte/-r Mitarbeiter/-in des »islamisch«-theologischen Instituts (DIRS) trennte in einem Interview mögliche zukünftige »Bildung Muslimisch«-Veranstaltungen in »innen- und außenperspektivische Bildungsseminare« (Interview 21). Erstere würden sich an die »Muslime« selbst richten. Hier könne es z.B. darum gehen, den »islamischen« Gemeinden städtische Beratungsangebote vorzustellen, Sorgen und Bedürfnisse aus den Gemeinden aufzunehmen und Hilfe zu vermitteln (Interview 8). Auch Integrationsfragen seien anzugehen: Zum Beispiel könnte man »den Muslimen erklären, warum Wählen eine religiöse Pflicht ist« (Interview 21), oder der »muslimischen« Jugend dabei helfen, zwischen »Islam« und Extremismus zu unterscheiden. Die »außenperspektivischen« Bildungsseminare wenden sich demgegenüber an die Gesellschaft und setzen auf Informationen über »Islam«, aber auch auf die Diskussion »islamischer« Perspektiven auf gesamtgesellschaftliche Fragen, die zusammen mit der lokalen Stadtgesellschaft zu erfolgen hätte. Der/die »islamische« Theolog/-in sieht ferner in der Adressierung »moscheeferner Muslime« auch eine Chance für die Gemeinden, neue Mitglieder zu erhalten. Er/sie merkt gleichzeitig an, dass es hierbei aber nicht um Missionierung, sondern v.a. darum gehen sollte, mehr »Muslime« in die sozialen Aktivitäten der Gemeinden zu involvieren: »Die Gemeinden könnten […] Muslime von außerhalb involvieren. Nicht, damit diese dann regelmäßig beten, aber damit diese sich zusammen mit den Gemeinden sozial engagieren.« (Interview 21) Auch einzelne Vertreter der Moscheegemeinden sehen es durchaus als positiv an, mit einer Erwachsenenbildung, die religiöse Themen weniger traditionell-normativ behandele, mehr Leute erreichen zu können – z.B. solche, die niemals in eine Moschee, aber z.B. in eine Volkshochschule kommen würden. Dies sei »mehr Marketing« (Interview 18) für die »muslimischen« Gemeinden. Nicht zuletzt erkennen die Gemeinden in einer Erwachsenenbildung verständlicherweise die Möglichkeit, Fördermittel zu erhalten. Es gehe dann darum, »mit Finanzierung durch öffentliche Mittel etwas auf die Beine [zu] stellen, dass endlich mal außer den Imamen noch weitere […] Personen angestellt werden, die den Islam nach außen vertreten« (Interview 2).
10.4.2
Diskussionen über Entscheidungsstrukturen und den Trägerverein
Vor dem Hintergrund der skizzierten Problemstellungen hat die Stadt Vertreter/-innen der lokalen »christlichen« Erwachsenenbildungsinstitutionen gebeten, den »muslimischen« Gemeinden in insgesamt drei Konzeptsitzungen (TB FMGE 4, 6, 8) zu zeigen, wie Erwachsenenbildung verstanden und organisiert werden kann. Die Kernbotschaft war stets folgende: Um »kritischen Diskurs«, Reflexion von Glaubensinhalten und damit Bildung sicherzustellen, muss das Milieu der (alltags-)religiösen Gemeinden manchmal auch verlassen und eine Reibungsfläche zum traditionellen »Moscheegängertum« eta-
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
bliert werden. Eine »christliche« (Bildungs-)Vertreterin brachte es in ihrem Impulsreferat unter Rekurs auf »christliche« Erfahrungen auf die Formel: »Bloß nicht nachplappern, was der Pfarrer sagt.« (TB FMGE 6) Ähnlich führte in der ersten »Bildung Muslimisch«-Brainstormingsitzung ein städtischer Co-Moderator aus, dass zwar z.B. »die kirchlichen Bildungswerke den Kirchen ja auch nicht inhaltlich entgegenlaufen«, man sich gleichzeitig aber »überlegen [müsse], dass man nicht im Vorhinein Themen oder Perspektiven ausschließt« (Zitate aus: TB FMGE 4), nur weil diese nicht den Ansichten in den religiösen Gemeinden entsprechen. Eine reflektierte Erwachsenenbildung sei keine Predigt des wahren Glaubens, sondern eine gemeinsame Reflexion verschiedener »islamischer« Stimmen. Während städtische Vertreter/-innen solche Thesen aussprachen, nickten auch zur Sitzung eingeladene »muslimische« Theolog/-innen affirmativ mit dem Kopf. Die pädagogisch-reflexive Ausrichtung eines Bildungswerks sei auch, wie eine »christliche« religionspädagogische Vertreterin den »muslimischen« Vertreter/-innen erläuterte, Voraussetzung für eine Förderung durch den Staat oder durch Stiftungen. Entsprechende Auszüge aus dem Erwachsenenbildungsförderungsgesetz wurden per E-Mail an Vertreter/-innen der »muslimischen« Gemeinden verschickt (TB FMGE 4, 6). Nachdem eine Religionspädagogin eine Datei mit Förderoptionen zusammengestellt und an alle verschickt hatte (TB FMGE 4), wurde eine städtische Beauftragte für Ehrenamt involviert, um bei einem Förderantrag zu helfen. Jene Beauftragte sowie ein CIAG- und FMGE-Co-Moderator favorisierten einen Antrag bei der Robert-BoschStiftung, der »Bildung Muslimisch« als integrationspolitisches Projekt bewerben sollte (Interview 21; Telefonate mit Interviewpartner 8). Viele Diskussionen wurden darüber geführt, wie ein zukünftiger Trägerverein von »Bildung Muslimisch« konzipiert werden sollte (Interviews 8, 16, 18, 21; IG 6, 10; TB FMGE 4, 6, 8). Mit Blick auf das »Design« eines solchen Trägervereins wurde angedacht, dass dieser auch Nichtgemeindemitglieder und womöglich auch »Nichtmuslime« umfassen sollte, ggf. auch im Vorstand. Nichtsdestotrotz sollten die »islamischen« Gemeinden in Erlangen die Mehrheit eines zukünftigen Vereins ausmachen, so ein städtischer Moderator (TB FMGE 6). Es sei sodann ein Satzungsmodell zu entwickeln, um diese Ziele zu ermöglichen. »Christliche« und »muslimische« CIAG-Sprecher/-innen, Vertreter/-innen der Stadt sowie auch ein/-e am Projekt beteiligte/-r »islamische/-r« Theolog/-in (Interview 21) sprachen sich zunächst für einen neuen eigenen Verein aus, um die größtmögliche Unabhängigkeit des Projekts von den Moscheegemeinden und dem Dachverband IRE zu gewährleisten und eine »Perspektivenerweiterung zu ermöglichen« (Interview 21). Die andere diskutierte Alternative war die Einrichtung einer Unterabteilung »Bildung Muslimisch« innerhalb der IRE. Die »muslimischen« Gemeinden favorisierten diese Lösung, insofern sie »Bildung Muslimisch« als Projekt erachteten, das unter ihrer Verantwortung – und damit unter dem Dachverband IRE – laufen sollte, nicht zuletzt um in der lokalen »muslimischen Basis« Rückhalt zu finden. Daneben wünschte man sich auch inhaltliche Kontrolle. »Es kann nicht sein«, so ein Vertreter eines Moscheevereins, »dass dann irgendwelche Leute was über den Islam sagen, was wir Gemeinden nicht mittragen« (TB FMGE 4). Die Gemeinden gingen ohnehin davon aus, dass sie für die »muslimische« Bevölkerung in Erlangen repräsentativ seien; ein Narrativ, dass im Dialog lange Zeit gestärkt wurde. Die Moscheegemeinden und die IRE waren stets erste Ansprechpartner der Stadt in Bezug auf die Themenfelder »In-
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Gouvernementalität der Freundschaft
terreligiöser Dialog« und »Integration«. Die »muslimischen« Gemeinden zeigten sich in den Sitzungen davon überzeugt, das Projekt einer Erwachsenenbildung thematisch gestalten und zukünftig auch stets relevante Themen für die entsprechenden Veranstaltungen identifizieren zu können (TB FMGE 6). Den in dieser Hinsicht selbstbewussten Gemeinden standen jedoch skeptische städtische Vertreter/-innen gegenüber, die wiederholt versuchten, hinsichtlich der Themenfindung Kooperationen zwischen den Moscheegemeinden und gemeindefernen Akteuren anzuregen. Nicht zuletzt sah ein für die Sitzungen hinzugezogener Rechtsanwalt in der Etablierung einer Unterabteilung innerhalb der IRE schlicht weniger Verwaltungsarbeit, sodass sich letzten Endes diese Version durchsetzte (Interview 21). Gleichzeitig einigte man sich aber darauf, einen (u.a. auch wissenschaftlichen) Beirat bzw. ein Kuratorium zu etablieren, das die IRE-Unterabteilung »Bildung Muslimisch« berät. In diesen Beirat wurden sogleich einige Dialogaktive fest eingeplant – mehrere Vertreter/-innen »christlicher« Bildungsinstitutionen, ein/-e Mitarbeiter/-in des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa (EZIRE), Vertreter/-innen des DIRS sowie »christliche« und »muslimische« CIAG-Sprecher/-innen. Die Zuordnung des Projekts »Bildung Muslimisch« unter den institutionellen Einfluss des organisierten Erlanger »Islam« (IRE) durch die Gründung einer IRE-Unterabteilung bei gleichzeitiger Entwicklung eines beratenden, (religiös) plural besetzten Beirats wurde als »Kompromiss« wahrgenommen (Interview 21). Des Weiteren gab es Überlegungen, über den Beirat hinaus via flexibel einzurichtender Arbeitskreise verstärkt auch »gemeindeskeptische Muslime einzubinden«, so ein/-e beteiligte/-r »muslimische/-r« Theolog/-in (Interview 21). Man hätte hier auch bereits »interessante Leute« (ebd.) identifizieren können, die die Bereitschaft zeigten, neue Konzepte zu diskutieren. Diese Leute aber »wollten nicht mit der IRE konnotiert werden« (ebd.). So versuchten bspw. zwei in der CIAG aktive »Musliminnen«, eine »muslimische« Person aus dem Iran in die Erwachsenenbildung zu involvieren, um über diese Person neue Impulse einzubringen. Diese Person jedoch wollte »nichts mit den Gemeinden zu tun haben« (Interview 21). Das Problem sei also, dass man »solche Leute« verliere, wenn das Bildungsprojekt zu eng an die IRE gekoppelt ist.11 Aus Gründen dieser Art wurden Anregungen für verschiedene »Öffnungsvarianten« formuliert. Die eine Variante propagierte, wie gezeigt, die Errichtung eines eigenen und neuen Trägervereins für »Bildung Muslimisch«, setzte sich jedoch nicht durch. Ein anderes Modell ließ andenken, »nicht muslimischen« Personen eine Mitgliedschaft in der IRE und darüber die Möglichkeit zur Mitarbeit an »Bildung Muslimisch« im Kontext einer neuen IRE-Unterabteilung zu ermöglichen. Auch wurde die abgeschwächte Option diskutiert, Nichtmitgliedern der IRE (allerdings »muslimischen« Glaubens) Zugang zur innerhalb der IRE verorteten Unterabteilung »Bildung Muslimisch« zu verschaffen. Alle Modelle zielten verschiedentlich darauf ab, dass sich auch Personen außerhalb der
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Demgegenüber argumentierte ein Sprecher eines Moscheevereins, dass die IRE zwar die Moscheegemeinden IGE und TIG umfasse, aber gleichzeitig nicht an eine einzelne Gemeinde gekoppelt und somit potenziell offen sei. Das Engagement von Personen in einer »Bildung Muslimisch«Unterabteilung sollte zwar an eine IRE-Mitgliedschaft gebunden sein, müsse aber damit nicht mit einer Teilhabe am Gemeindeleben einhergehen (Interview 18).
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
IRE und der organisierten Gemeinden sowie ggf. sogar »Nichtmuslime« in irgendeiner Form an einer Trägerorganisation für das Bildungswerk beteiligen können. Diese Modelle konnten jedoch kaum verwirklicht werden u.a. auch, weil die »muslimischen« Gemeinden diese Optionen nicht wirklich guthießen12 . Von Bedeutung war auch, dass die IRE aufgrund ihrer historisch bedingten Funktion und damit aus vereinsrechtlichen Gründen nicht ohne Weiteres Personen ohne Mitgliedschaft oder gar »Nichtmuslime« an einer internen Unterabteilung teilhaben lassen (oder »Nichtmuslime« zu Mitgliedern machen) konnte. Die IRE wurde seit den späten 1990er Jahren als lokale »islamische« Organisation aufgebaut, die für die Erlanger »muslimische« Bevölkerung repräsentativ sein, ausschließlich religiöse Zwecke verfolgen und von »Muslimen« getragen werden müsse, um damit ein legitimer Ansprechpartner für den Staat v.a. in Fragen des Religionsunterrichts zu werden (Dietrich 2006). Vor diesem Hintergrund musste der Wunsch nach einer Mitgliedschaft »nicht muslimischer« Personen problematisch erscheinen, da die IRE ihren Status als Ansprechpartner für staatliche Instanzen nicht verlieren sollte. Ein »christlicher« CIAG-Sprecher merkte deshalb an, zusammen mit einem IGE-Vorstandsmitglied einen Rechtsanwalt zu konsultieren. Resultat war, die IRE-Mitgliedschaft weiterhin nur »Muslimen« vorzubehalten (TB FMGE 4, 6, 8; Interview 21; IG 6, 10). So integrierte die IRE die Erwachsenenbildung über das Modell einer Unterabteilung in die eigene Organisationsstruktur. Nachdem zunehmend klar wurde, dass »Bildung Muslimisch« nicht auf einem eigenen, plural komponierten Trägerverein basieren, sondern vom IRE-Dachverband – und damit im Hinblick auf die dort aktiven Personen de facto von den Moscheegemeinden – organisiert werden würde, bemühten sich Vertreter/-innen der Stadt sowie die »christlichen« und »muslimischen« CIAG-Sprecher/-innen darum, dass die entsprechende IRE-Unterabteilung zumindest möglichst unabhängig von den Gesamtstrukturen der Gemeinden und der IRE (z.B. von dessen Vorstand und den Mitgliederversammlungen) agieren und entscheiden könne (IG 6, 10). Immer wieder schien der implizite Antagonist einer »muslimischen« Erwachsenenbildung in der Figur des dogmatischen religiösen Subjekts auf, welches offene Diskussionen verhindere. Einige Aspekte der organisationalen Struktur von »Bildung Muslimisch« schienen gerade auf die Unwahrscheinlichmachung des Wirkens eines solchen Subjekts abzuzielen. Der eingeladene Rechtsanwalt bspw. las aus einem Paragraph der von ihm neu ausgearbeiteten IRESatzung vor, die er ausgedruckt mitgebracht hatte und die vor allem die Funktion der neuen Unterabteilung »Bildung Muslimisch« innerhalb der IRE definierte (TB FMGE 8). In einer Passage der Satzungsänderung ging es um Finanzen und Spendengelder: »Die 12
Eine »muslimische« CIAG-(Co-)Sprecherin sowie diverse städtische Vertreter/-innen versuchten stets zu erreichen – wenn schon statt einem gemeindeunabhängigen neuen Trägerverein lediglich eine IRE-Unterabteilung »Erwachsenenbildung« etabliert wird –, dass an dieser auch Personen teilnehmen können, die nicht Mitglied der IRE sind. Dies wurde von den »muslimischen« Gemeinden abgelehnt (IG 6, 10; E-Mail-Austausch mit Interviewpartnerin 3, Januar 2018; Interview 21). Letztlich können jetzt nur IRE-Mitglieder in die Unterabteilung »Erwachsenenbildung« eintreten. Gleichzeitig ist der IRE-Vorstand automatisch Mitglied der Abteilung. Der unabhängige Beirat, der die Unterabteilung berät, soll zudem direkt den Vorstand der IRE mitberaten. Insgesamt sicherten sich die »muslimischen« Gemeinden qua Dachverband IRE die Aufsicht über die Unterabteilung »Erwachsenenbildung«.
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Abteilungssprecher [der neuen IRE-Unterabteilung »Bildung Muslimisch«] können jederzeit die Kasse oder Teile hiervon an den allgemeinen Haushalt der IRE zurückgeben.« Sofort nach dem Vorlesen dieses Satzes äußerte ein städtischer Co-Moderator Besorgnis: »Oh, das könnte Probleme geben«, so der Co-Moderator, »denn ich konstruiere mal einen Fall: Ein Abteilungssprecher ist mit einem religiös inhaltlichen Punkt unzufrieden, mit einem geplanten Vortrag oder so, aber nur er, und er möchte dann das Fördergeld lieber für allgemeine Gemeindezwecke ausgeben. Solche Fälle müssen verhindert werden! Deswegen sollte die Passage eher heißen: Die Abteilungssprecher können auf Beschluss der Abteilungsversammlung die Gelder der IRE rückführen.« (sinngemäßes Zitat, aus: TB FMGE 8) Das zu verhindernde Problem schien hier nicht nur die allgemeine Tatsache zu sein, dass es immer Gegenmeinungen gibt, die dann natürlich nicht alleine ein ganzes Projekt gefährden sollten. Vielmehr zielten solche Mechanismen auch darauf ab, das angenommene Wirken »religiös-konservativer Muslime« (die progressive Projekte ausbremsen) einzuhegen (Interview 12). Ein anderes in den Sitzungen verfolgtes Ziel schien zu sein, die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, dass jene »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen, die im Dialog besonders engagiert und der Stadt gut bekannt sind, sich im zukünftigen Projekt nicht durch »noch unbekannte«, womöglich dogmatische Gemeindemitglieder aushebeln lassen. Aus diesem Grund wollte man für die neue IRE-Unterabteilung für Erwachsenenbildung nicht zu viele Sprecher/-innen bestimmen. Eine kleine Gruppe aus den bisher (dialog-)aktiven Personen würde, so die Logik, ausreichen. Die dahinterstehende integrationspolitische Überlegung bekräftigte auch ein »muslimischer« Gemeindevertreter, als er anmerkte, dass »manche [aus den Gemeinden] mit bestimmten Themen aus religiösen Gründen Bauchweh haben könnten, was ein Problem ist« (TB FMGE 8). Im Kontext dieser Diskussionen wurde die neue IRE-Unterabteilung in der vom Anwalt ausgearbeiteten Konstruktion auch mit eigenen Kompetenzen und Befugnissen ausgestattet, z.B. was die Verwaltung des Beirats angeht, der die IRE und die Unterabteilung inhaltlich berät und auch »Nichtmuslime« umfasst. Wie erwähnt, artikulierten viele Dialogaktive den Wunsch, dass eine neue IRE-Unterabteilung gegenüber der IRE und ihrem Vorstand möglichst unabhängig agieren sollte. Dies wurde auch von einigen »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen bekräftigt, obschon die »muslimischen« Gemeinden insgesamt doch eher eine Kontrolle der Unterabteilung durch die IRE anzustreben schienen (TB FMGE 8; IG 6, 10; informelle Gespräche). Einer »muslimischen« CIAG-Aktiven zufolge konnte das Ziel der Unabhängigkeit der Unterabteilung letztlich nur partiell erfüllt werden (IG 10; E-Mails mit selbiger, 2018). Das häufige Artikulieren der Sorge vor einem religiösen Traditionalismus innerhalb der »muslimischen« Gemeinden sowie vor möglichen Vetos einzelner »besorgter Muslime« ließ in den Diskussionen stets die Vorstellung aufkommen, dass »Bildung Muslimisch« wohl ein Projekt werden solle, welches für einige »Muslime« zumindest herausfordernd sein dürfte und wohl auch gegen die Ansichten einiger »Muslime« durchgebracht werden müsse. Es verwundert daher nicht, wenn auf »muslimischer« Seite eine gewisse Skepsis und Verunsicherung bezüglich der Frage herrschte, was »die Stadt«
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und die »christlichen« Vertreter/-innen mit dem Projekt eigentlich von den »muslimischen« Gemeinden wollen – wie eine »muslimische« CIAG-Aktive mir erzählte (IG 6, 10). Hier sei auf die in leicht süffisantem Ton getätigten Aussagen eines »muslimischen« Gemeindevertreters verwiesen, der anmerkte, dass man sich bezüglich »Bildung Muslimisch« erst noch in den Gemeinden absprechen müsse, da man »hier also offenbar über den Tellerrand schauen solle« (TB FMGE 4). Die sich stets aufdrängende Vorstellung, »Bildung Muslimisch« und der weltanschaulich plural komponierte Beirat würden mit traditionellen religiösen Ansichten brechen, ging mit Sorgen der Gemeindevertreter/innen einher, dass der innere Zusammenhalt in den religiösen Gemeinden gefährdet werden könnte (Interviews 16, 20). In einer Sitzung der IRE zirkulierte gar die Sorge, dass »die Stadt« und »die Christen« über »Bildung Muslimisch« bekannte islamkritische Personen wie z.B. Hamed Abdel-Samad einladen könnten (Informationen aus: IG 6). Auch ein/-e am Projekt beteiligte/-r »islamische/-r« Theolog/-in merkte an, dass die »muslimischen« Gemeinden die »Angst haben, dass in ›Bildung Muslimisch‹ nur so die exotischen Formen des Islam gezeigt werden, nur Vielfalt, Differenzen, Spielarten, und dann, ja, der eigentliche Islam, wie er der Basis wichtig ist, verschwindet« (Interview 21). Hierzu hätte es in der IRE »viele Diskussionen« gegeben. Der/die »islamische« Theolog/-in tritt deshalb dafür ein, »Bildung Muslimisch« als Brücke zwischen traditionellen Gemeinden und Akademia zu gestalten, und sieht sich als »Vermittler/in« zwischen Stadt, Gesellschaft und Gemeinden (ähnlich: Interview 15). Die kritische Diskussion dürfe »nicht allzu aggressiv mit der islamischen Tradition brechen, sonst […] verliert [man] zu viele Leute« (sinngemäßes Zitat aus: Interview 21). Er/sie ergänzt: »Wir wollen weder sagen, dass auch Kranke fasten müssen, noch wollen wir Referenten einladen, die sagen, man müsse gar nicht fasten.« (Ebd.)
10.4.3
Taktiken des »Wer mit Wem« und das Konfigurieren von Kooperationen
In der zweiten Brainstormingsitzung wurde ein »Bildung Muslimisch«-Thinktank gebildet, der das weitere Konzept erarbeiten sollte und dessen personelle Zusammensetzung letztlich den wiederholten Vorschlägen eines FMGE-Moderators und städtischen Vertreters (Interviewpartner 8) entsprach. Der Arbeitsgruppe gehörten an: ein Imam aus einer Gemeinde, eine »evangelische« Religionspädagogin, eine »muslimische« Vertreterin der TIG, ein städtischer Vertreter sowie ein/-e »islamische/-r« Theolog/-in vom Erlanger DIRS. Als ein städtischer Vertreter die Involvierung jener Religionspädagogin vorschlug, begrüßte dies ein Mitglied einer »muslimischen« Gemeinde, da sie sich als »Christin« mit Erwachsenenbildung bereits auskenne und entsprechend helfen könne (TB FMGE 6). Genauso argumentierte der Imam: »Also ich weiß nicht, wie das geführt wird in der Kirche, deswegen haben wir die [Name der Religionspädagogin] mitgehabt, die hat Erfahrung.« (Interview 9) Dies zeigt, dass »Muslime« die »christliche« Führungsrolle im Dialog vielfach auch anerkennen (Interviews 2, 8, 18). In einem Gespräch (IG 6) erzählte mir eine »muslimische« CIAG-Co-Sprecherin, die eng mit städtischen Vertreter/-innen zusammenarbeitet, dass sie zunächst ebenfalls in der Konzeptgruppe mitmachen wollte. Nach Absprache mit einem »christlichen« und gleichzeitig städtischen CIAG-Mitglied zog sie sich jedoch wieder aus der Gruppe zurück. Der Grund dafür war, dass einige »Gemeindemuslime« jene »muslimische« CIAG-Co-Sprecherin
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als zu liberal, zu wenig praktizierend oder gar als »eigentlich christlich« wahrnehmen würden. Ihren Rückzug begründete sie dann damit, das Engagement der »muslimischen« Gemeinden für das Projekt »Bildung Muslimisch« nicht zu gefährden. Es wurde letztlich vereinbart, dass sie sich »nur« über den zukünftigen Beirat engagieren solle: »Wir haben uns überlegt, dass ich dann ja immer noch über das Kuratorium mitmachen kann, und dann wohl als Christin [Lachen], denn dort dürfen die ja mitmachen«, merkte sie ironisch-lachend, aber enttäuscht an. Das Beispiel zeigt, wie der lokale Dialog von einem identitätspolitischen Taktieren bezüglich der Fragen geprägt ist, wer an welchem Projekt mitmachen kann oder soll und wer nicht. Ziel ist immer, das Engagement der (»muslimischen«) Dialogteilnehmenden nicht zu gefährden. Dabei treten gerade kommunalpolitische und städtische Vertreter/-innen besonders ausgeprägt sowie mit einer gewissen Autorität als »Agenda-Setzer/-innen« auf und schlagen Personen für die Mitarbeit in Arbeitsgruppen vor oder sprechen diese an. So auch im Fall eines/-r »islamischen« Theolog/-in. Diese/-r (Interview 21) studierte an einer »islamisch«theologischen Universität außerhalb der EU und kam danach ans Erlanger Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS). Seit er/sie in Erlangen ist, hat er/sie einerseits Kontakt zu den religiösen Moscheegemeinden gesucht, vor allem jedoch auch im jungen »muslimisch«-akademischen Feld Leute kennengelernt: So traf er/sie an der Universität Mitglieder der Muslimischen Studierendengemeinde Erlangen (MSG), in welcher er/sie sich sodann engagierte und über die er/sie auch in einen lokalen interreligiösen Lesekreis involviert wurde. Als die städtisch co-moderierte CIAG einen der Mitbegründer des interreligiösen Lesekreises (gleichzeitig Mitglied der MSG), mit welchem schon länger Kontakt bestand, darum bat, jenen Lesekreis in einer Sitzung vorzustellen, kam der/die dort ebenso aktive »islamische« Theolog/-in einfach mit (TB CIAG 5). Daraufhin war er/sie davon beeindruckt, dass es in Erlangen einen Arbeitskreis gibt, der sich mit »Islam« und interreligiösem Miteinander beschäftigt, traditionelle Moscheegemeinden mit einbezieht und gleichzeitig von stadtpolitischen Vertreter/-innen besucht wird. Sowohl aus »wissenschaftlichem Interesse«, aber auch, »um zu verhindern, dass wir Theolog/-innen nur im Elfenbeinturm bleiben« (Interview 21), nahm er/sie von nun an auch an der CIAG teil und vertiefte darüber seine/ihre Beziehungen zu den Moscheegemeinden. In diesem Kontext lernte er/sie auch einen »christlichen« Co-Moderator der CIAG kennen, der ihn/sie alsbald ansprach: »Er kam zu mir und sagte, ich könne doch bei der Erarbeitung eines Konzepts für ›Bildung Muslimisch‹ mitmachen, das kann er sich gut vorstellen, da ich im Gegensatz zu den Gemeinden akademische und theologische Expertise habe, und man wolle bei dem Projekt sowieso stärker mit dem DIRS zusammenarbeiten.« (Interview 21) Vor dem Hintergrund, dass »die in den muslimischen Gemeinden alles Techniker und Siemens-Leute sind, war ich als Theolog/-in eben besonders gefragt« (ebd.). Unter Rekurs auf die Berufsfelder der Moscheegemeindemitglieder wurde folglich ein Defizit konstruiert, das die Involvierung akademischer und geisteswissenschaftlich ausgebildeter Akteure in das Erwachsenenbildungsprojekt legitimierte – ein Projekt, das eigentlich als Projekt der »muslimischen« Gemeinden artikuliert wurde. Doch da mehrere Dialogaktive letzteren die Leitung einer Erwachsenenbildung nicht zutrauten, wurden lokale theologische Expert/-innen aus dem erweiterten Dialognetzwerk identifiziert und
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
mobilisiert. Hier war es ein »nicht muslimischer« städtischer Dialog-Co-Moderator, der eine/-n soeben kennengelernte/-n »islamische/-n« Theolog/-in, der/die ähnliche Vorstellungen über kritische Glaubensreflexionen hatte, zum Mitmachen einlud. Es zeigt sich wieder, wie sich die Technologie des lokalen Dialogs als ein »Zusammenbringen von Personen« und als »Konfigurieren von Konstellationen« entfaltet, woran dann Praktiken der nachträglichen Rationalisierung geknüpft sind, wie sich im folgenden Zitat zeigt: »Das ist das Tolle an Erlangen, dass sich hier verschiedene Leute im Dialog einfach kennenlernen und man zum Beispiel gleich in einem Projekt mitmachen kann.« (Interview 21) Es ist stets von Bedeutung, wer wen anspricht und für was mobilisiert. Solche Beziehungsarbeiten im Dialog werden dann als Ausdrucksformen lokaler Gemeinschaftlichkeit erlebbar gemacht, die mit positiven Emotionen verknüpft wird. Der/die »islamische« Theolog/-in äußerte seine/ihre Freude darüber, dass er/sie sogleich angesprochen und »gebraucht« wurde. Für ihn/sie symbolisiere dies einen funktionierenden »lokalen Dialog«. Eine solche Rationalisierung von Gemeinschaft, die auf die Stärkung von Zugehörigkeitsempfindungen und Empfindungen des »Gebrauchtwerdens« zielt, kann dabei verdecken, dass es stets sehr spezifische Allianzen sind, die gebildet werden – Allianzen, die immer auch Ausschlüsse produzieren.
10.4.4
Die erfrischende Rationalität der Ermächtigung: die entwicklungspsychologisch gerahmten Verknüpfungen von Ermächtigung, Selbsterkenntnis und Spaß im governing through friendship
Immer wieder dankten die Religionspädagog/-innen und die städtischen FMGEModerator/-innen den »muslimischen« Anwesenden für ihre Bereitschaft, am Projekt »Erwachsenenbildung« mitzuarbeiten. Auch in E-Mails wurde ausgerückt, wie sehr man sich über das »muslimische« Engagement freue, womit die Empfindung der »Freude« zentral gemacht wurde. Das »muslimische« Engagement wurde stets an die Idee einer »guten lokalen Gemeinschaft« geknüpft. Ein/-e städtische/-r Vertreter/-in schrieb in etwa an alle Teilhabenden des »Bildung Muslimisch«-Projekts, wie sehr sie/er sich »freue, dass wir diesen großen Schritt geschafft haben«. Er/sie dankte sodann den »muslimischen Freundinnen und Freunden, die die Impulse gegeben haben, die sich mit Entschlossenheit und Begeisterung für das wichtige Vorhaben einsetzen und die sich bereit erklären, diesen Weg zu beschreiten« (beide Zitate aus einer E-Mail, 2016). Diese Worte zeigen sich eingerahmt in eine Erzählung über drohende Konflikte. So wurde in ebenjener E-Mail auf Hass und Gewalt in der Welt verwiesen, während das »muslimische« Bildungswerk als Beitrag zu Dialog und Frieden artikuliert wurde. In einer weiteren E-Mail an alle FMGE- und CIAG-Mitglieder, die das Projekt der »muslimischen« Erwachsenenbildung als attraktiv darstellte, stand geschrieben, dass der kommende Diskussionsabend »Lust […] auf das Projekt [machen], aber auch Raum für […] Fragen bieten [soll]«. Auch wurde die Frage gestellt: »Was ist möglich, was macht Spaß […]?« (Zitate: E-Mail, 2016) Auch hier ist eine motivierende Rhetorik auszumachen. Überhaupt wird das Projekt »Bildung Muslimisch« strukturell bedingt in einer Gruppe angegangen, deren »muslimische« und »nicht muslimische« Mitglieder sich kennen, sich duzen und gemeinsam für die Stärkung »muslimischer« Präsenz in
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der Stadt einstehen. Es sind hier wieder jene emotionalen Praktiken zur Sicherstellung eines »Projekts« zu beobachten (Sutter 2017: 15), womit die hohe Bedeutung solcher Praktiken für die Regierungstechnologie des Dialogs ersichtlich wird. Das vollständig ehrenamtlich zu leistende Engagement der »Muslime« für das integrationspolitisch artikulierte Erwachsenenbildungswerk soll durch die Mobilisierung positiver Emotionen gesichert werden, ganz im Sinne einer motivierenden Aktivierung von Eigenleistung (ebd.). Dabei haben »muslimische« Vertreter/-innen immer wieder auf Überlastungserscheinungen hingewiesen (TB FMGE 4, 6, 8). Ferner zielt die emotionale Mobilisierung von »Spaß« und »Freude«, wie im vorherigen Kapitel gezeigt, darauf ab, dass die im Projekt enthaltene integrationspolitische (Re-)Konfigurierung religiöser Identitäten ihre Implementierung finden kann. Denn die Propagierung religiöser Subjekte, die aus ihrem religiösen Selbstverständnis heraus den Dialog mit »anderen« suchen und kritischen Austausch als positive Weiterentwicklung des eigenen Glaubens (ein-)schätzen (siehe nachfolgende Kapitel), führt in diskutierbare Grundfragen um religiöse Identität und den Wert religiöser Traditionen. Die Mobilisierung von Emotionen und »Spaß« kann an dieser Stelle Gegenstimmen zum gewünschten Subjektentwurf des »selbstreflexiven Gläubigen« überdecken. Der/die »dogmatische Gläubige« jedenfalls wird mit negativen Emotionen und Empfindungen verknüpft, der/die »reformbereite, offene Gläubige« mit positiven Ermächtigungsempfindungen. So ging es in den drei »Bildung Muslimisch«-Sitzungen des FMGE vielfach darum, die Vorstellung zu bedienen, dass eine möglichst plural organisierte Erwachsenenbildung das religiöse (»muslimische«) Subjekt ermächtige, persönlich weiterbringe und letztlich auch Spaß machen könne. Ermächtigung, Selbsterkenntnis und Spaß wurden zusammen artikuliert, d.h. über Praktiken des Sprechens und Tuns in eine diskursive Beziehung gebracht. Diese Rationalität der Ermächtigung und des Selbstbewusstseins ist für das Dialogparadigma bezeichnend. Alle Dialogparteien wünschten sich einen »Islam«, der in der Stadtgesellschaft verankert und respektiert ist und mit dem sich gleichzeitig auch die »muslimischen« Gemeinden identifizieren. Damit jedoch »Islam« in der Stadtgesellschaft anerkannt sein könne, so die damit verknüpfte Erwartung, müssten die »Muslime« »islamische« Perspektiven zusammen mit der Gesellschaft (neu) reflektieren und sich dabei immer auch ein Stück weit auf die Ansichten des jeweils »Anderen« einlassen und diese ernst nehmen (damit »Bildung Muslimisch« Rückhalt in der gesamten Gesellschaft finden kann). Nur ein selbstkritischer und gesprächsbereiter »Islam«, der die Bereitschaft zur Reflexion der eigenen Tradition aufweist und auch Themen angeht, die sich aus traditioneller Perspektive heraus betrachtet mit religiösen Normen und Praktiken reiben mögen, könne, so die Logik, ein auch anerkannter und innerhalb der lokalen Gesellschaft »starker« »Islam« sein (TB CIAG 1).Vor allem der an die »muslimischen« (Moschee-)Gemeinden gerichtete Appell, gegenüber den heterogenen Perspektiven von »Muslimen« auch außerhalb »der eigenen Reihen« offen zu sein, zeigte sich stets an die Versprechen einer Bedeutungssteigerung und Weiterentwicklung der »muslimischen« (Moschee-)Gemeinden gekoppelt. In einer an alle Dialogaktiven gerichteten, von einem/einer Vertreter/-in der Stadt mit formulierten E-Mail bezüglich »Bildung Muslimisch« hieß es, dass »der Rückhalt des Projekts in den muslimischen Gemeinden und in der Stadtgesellschaft [umso größer] sein [wird]«, je »breiter die Musliminnen und Muslime in unserer Stadt – Männer und Frauen, Jun-
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ge und Alte, vielfältige Glaubensvorstellungen innerhalb des Islam usw. – von Anfang an mitdenken, mitplanen«. Es gehe dabei »nicht um Beliebigkeit, sondern um die vielen individuellen Zugänge, die Menschen zu ihrer Religion […] haben können«. Die Involvierung heterogener »muslimischer« Perspektiven sei ein Weg zum Auffinden relevanter gesellschaftlicher Fragen und Bedürfnisse, die man sonst »übersehen« könnte. Dies sei für die »Muslime« ein Weg in Richtung Relevanz. Ein Religionspädagoge aus dem Dialogkreis sagte: »Wenn Muslimen das gelingt, mit dieser Bildungsarbeit, einen Bereich zu schaffen, über die Moscheebesucher hinaus, im Islam, und von dort aus dann in gesellschaftliche Fragestellungen kommen, dann ham’se auch die Autorität.« (Interview 12; vgl. auch: 8) Dabei wünsche man sich stets selbstbewusste »muslimische« Gemeinden. Wie schon in früheren Kapiteln gezeigt, scheint gerade dieser Begriff des »Selbstbewusstseins« im Dialog eine herausragende Stellung einzunehmen (vgl. Tezcan 2007). Das angestrebte »selbstbewusste« religiöse Subjekt ist jenes, das reflektierend und im Austausch mit »anderen« zu seinem/ihrem Glauben gefunden hat und diesen gegenüber der Gesellschaft dann auch bewusster vertreten und erklären kann. Genau damit wiederum kann dieses Subjekt auch Erfolg haben, d.h. es kann sich ihre/seine Position in der Gesellschaft schaffen. Genau an dieser Stelle folgt die Terminologie einer spezifischen Ermächtigungsrationalität. Eine undogmatische Öffnung gegenüber Andersdenkenden und die gemeinsame Reflexion würden eine Religionsgemeinschaft »leben« oder »lebendig« werden lassen (Interview 12), seien »erfrischend« (städtischer Vertreter, in: TB FMGE 6), würden »Spaß« (ebd.) machen, seien »befreiend« (ebd.) und würden das religiöse Subjekt »selbstbewusst« im doppelten Wortsinn werden lassen: Es wird sich (a) bewusster selbst erkennen, dies als ermächtigend erleben und in der Folge auch (b) gesellschaftlich selbstbewusster und erfolgreicher auftreten. Das Subjekt wird »selbstbewusst« im Sinne von reflektiert, aber auch in dem Sinne, dass es »zu sich selbst« und damit zu innerer Stärke gefunden hat. Über kritische Selbstreflexion erarbeite man sich also Positionen, zu denen man dann auch stehen könne (vgl. Aussagen in: TB FMGE 4, 6; Interview 8). Am Austausch mit Andersdenkenden würde man selbst wachsen, die damit verknüpften Prozesse der Selbsterkenntnis seien ein persönlicher Gewinn mit dem ermächtigenden Effekt eines stärkeren religiösen Selbstbewusstseins (so die Botschaft eines städtischen und »christlichen« Dialogvertreters in: TB FMGE 4, wobei Perspektiven dieser Art in allen Sitzungen aufgeworfen wurden: TB FMGE 4, 6, 8).13 Der Austausch mit »anderen« hätte für das religiöse Subjekt »seinen Wert in sich (sic!)« (Interview 12), so ein dialogaktiver Religionspädagoge, »weil Menschen solche Kommunikationspunkte brauchen« (ebd.). Hier wird die kommunikationstheoretische und pädagogisch-entwicklungspsychologische Dimension der Dialogtechnologie sichtbar. Die skizzierte Rationalität der Selbsterkenntnis und Ermächtigung scheint
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Sinngemäß (ich konnte nicht alles mitschreiben) sagte ein städtischer Vertreter (in: TB FMGE 4): »Ich wünsche mir, dass die muslimischen Gemeinden durch ›Bildung Muslimisch‹ selbstbewusst und gefestigt in ihrem Glauben auftreten können, dass man Anregungen findet, die den Einzelnen persönlich weiterbringen, und dass die ›Muslime‹ mit dem Projekt ihren Platz in der Stadtgesellschaft finden und auch der Gesellschaft etwas geben.« „
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alle Ziele der am Dialog beteiligten Parteien versammeln zu können: (1) Die »muslimischen« Gemeinden sind im Dialog aktiv; (2) dieser bedinge die Reflexion des eigenen Selbst, sodass »Muslime« ein stärkeres Bewusstsein über sich selbst, ihre religiöse Prägung und Identität erlangen und dies (3) auch persönlich als ermächtigend erleben; (4) damit können sie sich besser artikulieren, werden für die Gesellschaft verstehbar und damit stärker akzeptiert/integriert (TB FMGE 4, 6; Interviews 3, 8, 12, 14, 18). Der Versuch, »muslimische« Identitäten zu (re-)konfigurieren (dialogbereiter zu machen), fällt mit dem Versuch, »Muslime« in Deutschland zu ermächtigen, gänzlich zusammen. Daher können sich Formen der Beeinflussung »muslimischer« Identitäten im Kontext diverser lokaler Dialog-, Integrations- und Bildungsprogramme stets als Koproduktionen zwischen »muslimischen« Vertreter/-innen, Stadt und Gesellschaft – und damit besonders machtvoll – implementieren.
10.4.5
Rationalität/Emotionalität und die Performativität des Ermächtigungsparadigmas
Die in den »Bildung Muslimisch«-Sitzungen artikulierte Kernbotschaft, dass Selbstreflexion und Pluralitätsbereitschaft das religiöse Subjekt persönlich weiterbringen und ermächtigen würde, wurde durch involvierte »christliche« Religionspädagog/-innen in ihren Impulsreferaten über Möglichkeiten einer religiösen Erwachsenenbildung entsprechend körperlich performt (enacted): begeisternde Sprache, Körpereinsatz und motivierende Gesten. Eine Religionspädagogin sprach im Stehen, hin und her laufend, stark gestikulierend und mit motivierender Stimme und Intonation darüber, dass Erwachsenbildung »Spaß macht«, weil eine Religionsgemeinschaft dadurch »neue Leute kennenlernt«, »eine neue Dynamik erhält« und »sich auch verändert, was spannend ist« (Zitate und Beobachtungen aus: TB FMGE 6). Im performativen Vollzug ihres elanvollen Referats wurde in Richtung der »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen die Botschaft formuliert, dass man beim »Brainstormen« (das war der Begriff der Religionspädagogin) für potenzielle Themen eines religiösen Erwachsenenbildungsprogramms unbedingt kreativ sein sollte: Sie empfahl den »Muslimen« gar, hierbei »ruhig etwas rumzuspinnen«, da »das Diskutieren verschiedener Glaubensansichten ja auch Spaß machen kann« (TB FMGE 6). Dabei lachte sie viel und zeigte sich betont locker und offen. Immer wieder verwies die Religionspädagogin auf die Erfahrungen der »christlichen« Bildungswerke: Auch diese würden sich mit der Erwachsenenbildung manchmal in ein Terrain vorwagen, in welchem sogar »christliche« Grundsätze diskutiert werden. Während sie solche »Probleme« erwähnte, lachte sie jedoch vielfach, präsentierte sich als jemand, der »darüber steht«, und stellte damit solche »Probleme« allein über ihre körperliche Aufführung als etwas dar, das man mit »Augenzwinkern«, Humor und Selbstbewusstsein ruhig ertragen sollte (vgl. auch: Interview 12). Letztlich könne eine Religionsgemeinschaft durch solche Öffnungsprozesse ohnehin nur profitieren. Die körperlich aufgeführte Begeisterung für das »Brainstormen« und »Rumspinnen« in Bezug auf zukünftige Themen eines religiösen Bildungswerks zielte als emotionalisierte und verkörperlichte Technologie des Regierens implizit darauf ab, den Entwurf des »selbstreflexiven gläubigen (muslimischen) Subjekts« mit positiven Empfindungen zu verknüpfen und in diesem Sinne die Teilhabenden zu affizieren. Aus der Perspektive
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
von Emotion und Affekt ist an dieser Stelle die Aufmerksamkeit darauf zu richten, inwiefern hier »Prozesse der Subjektivierung [immer auch als] Versuche der Erzeugung und Justierung von Gefühlen« (Marquardt 2015: 176) operieren. Das als attraktiv gerahmte, selbstreflexive religiöse Subjekt (Tezcan 2007) empfindet das stete Reflektieren des »Eigenen« als erweiternd. »Muslimische« Subjekte werden in performativer und emotionaler Weise dazu aufgerufen, das religiös und kulturell »Andere«, d.h. ihr »Gegenüber« in einer pluralen Gesellschaft, als eine Ressource schätzen zu lernen, die es ihnen ermöglichen würde, sich selbst in »erfrischend« neuen Weisen zu erleben (Aussagen eines städtischen Vertreters, in: TB FMGE 6) und in diesem Zuge ermächtigende Erfahrungen der religiösen Selbsterkenntnis zu durchlaufen (vgl. den Beitrag des am Erlanger DIRS arbeitenden, im Dialog teilweise bekannten Wissenschaftlers Reza Hajatpour [2005]). Das religiöse Subjekt in der pluralen Gesellschaft, so die Rationalität/Emotionalität des Dialogs, sollte gegenüber »dem/der Andersdenkenden« beinahe so etwas wie Dankbarkeit empfinden. Diese Perspektivierungen lassen je eigene Emotionalitäten widerhallen, wobei Subjekte immer auch emotional ausgerichtet werden, »they are stimulated to feel [specifically] about others and themselves in the public sphere« (De Wilde 2015a: 129). Auch im Kontext »Bildung Muslimisch« ging es um die Formung eines Subjekts, das Differenzen wertschätzt, während der Antagonist im religiös, kulturell oder politisch dogmatischen Subjekt verortet wird. Das gewünschte Subjekt ist dann insofern ein »affective citizen« (Zembylas 2014: 5), als es emotional Differenzen »umarmen« (»embrace«) kann und will (ebd.). Die aufscheinende Produktion von »affective citizenship in multicultural societies« (ebd.) operiert über »widespread emotional injunctions in such societies: the calls for ›embracing the other‹ and ›coping with difference’« (ebd.). Dabei handelt es sich um affektive Aufrufe, die auch in den Diskussionen um die Erwachsenenbildung auftauchten und im governing through friendship des Dialogs vielfach enthalten sind. Der Aufruf, Differenz zu »umarmen«, wurde dabei oft auch an persönliche Erfahrungen geknüpft.
10.4.6
Die Artikulation persönlicher Erfahrungen als Technologie
Die vielfach geäußerten Ratschläge, in einen zukünftigen Trägerverein für »Bildung Muslimisch« auch »nicht muslimische« und/oder andersdenkende »muslimische« Ideengeber/-innen zu involvieren – und/oder ein entsprechend multiperspektivisches Kuratorium aufzubauen und mit institutionellem Gewicht auszustatten –, wurden in einer der Vorbereitungssitzungen von einem Vertreter der Stadt (und Co-Moderator des FMGE) mit Verweis auf seine eigenen Erfahrungen als »Katholik« legitimiert (TB FMGE 6). Ausgehend von Erzählungen über sein persönliches Engagement als »Katholik« im beratenden Kuratorium (bzw. Beirat) von Bildung Evangelisch (!) schilderte der integrationspolitisch bedeutsame kommunalpolitische Vertreter die Erfahrung, wie »erfrischend und spannend« es sei, »auch einmal eine Außenperspektive auf den eigenen Glauben zu erleben«. Erfahrungen dieser Art, so der städtische Vertreter in Übereinstimmung mit Religionspädagog/-innen, würden einerseits die eigene, persönliche religiöse Entwicklung und das eigene religiöse Selbstbewusstsein stärken und bereichern – dies könne er persönlich bestätigen – und andererseits auf kollektiver Ebene die gesellschaftliche Integration der »muslimischen« Religionsgruppe fördern (da letztere ver-
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Abbildung 8: Religionspädagogischer Vortrag und die Technik des gemeinsamen Erstellens einer Mindmap
Foto: Winkler 2016
mittels solcher Erfahrungen ihre Fähigkeit zum konstruktiven Austausch mit »anderen« in einer pluralen Gesellschaft einübt). Diese Form der Stärkung der gesellschaftlichen Position von »Muslimen« sei auch »Herzenswunsch« der Dialoggemeinschaft (TB FMGE 6). Der städtische Co-Moderator des Freundeskreises erschien gegenüber den »muslimischen« Sprecher/-innen auch hier wieder gleichzeitig als Vertreter der Stadt und als »Christ«. Wenn er von der Selbstreflexion persönlicher Glaubensansichten sprach, so begründete er dies entsprechend mehrgleisig: Letztere würde das religiöse Subjekt selbstbewusster machen – das religionspädagogische Argument des »Christen«. Gleichzeitig würde Selbstreflexion sicheres Handeln in pluralen Stadtgesellschaften ermöglichen – das integrationspolitische Argument des kommunalen Sprechers. Durch die Präsenz von Vertreter/-innen »christlicher« Bildungswerke – u.a. studierte und mit der »christlichen« akademischen Theologie vernetzte Religionspädagog/-innen – erhielten die Schilderungen des städtischen Vertreters über Selbstreflexion und Integration automatisch einen religionspädagogisch-wissenschaftlichen Anstrich. Im Vollzug des oben genannten elanvollen Referats einer Religionspädagogin wurde diese »Theorie« der ermächtigenden Selbstreflexion effektiv verkörpert. Daneben merkte ein städtischer Vertreter auch an, dass das die Gemeinden beratende Kuratorium viele neue Kooperationen ermöglichen werde, wenn es auch »nicht muslimische« Perspektiven integriere, z.B., wie er sagte, »auch mit jemandem von Siemens oder der IHK, die dann ja auch womöglich im Kuratorium hocken« (TB FMGE 6). Sowohl von »muslimischer« als auch von »nicht muslimischer« Seite wurden auch »islamisch«-theologische Konzepte wie z.B. iǧtihād (Anstrengung im Denken) und fikr (Denken, Rationalität) mobilisiert, um kritisches (Re-)Interpretieren von Glaubensge-
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wissheiten sowie eine zu akzeptierende Normalität der Interpretationsvielfalt als Elemente religiöser Identität zu festigen und als Grundlagen für »Bildung Muslimisch« zu mobilisieren (zu iǧtihād vgl. Amin Rochdi [2008], der vielen CIAG-Teilnehmern bekannt ist). Nachdem ein »muslimischer« Vertreter beisteuerte, dass einige Mitglieder der »muslimischen« Gemeinden der Ansicht seien, »im Koran stehe bereits alles [zur Lebensführung notwendige; Anm. J.W.] drin«, und nachdem er diese Diagnose selbstkritisch als Problem dogmatischen Denkens artikulierte, wurde dieses Statement affirmativ aufgegriffen und »Bildung Muslimisch« als Lösung solcher Engführungen betont. Mit solchen Aussagen über »Probleme im eigenen Milieu« harmonisieren »muslimische« Vertreter/-innen ihr eigenes Interesse am Aufbau einer religiösen Infrastruktur, die mit finanziellen Ressourcen und festen Stellen im Kontext »muslimischen« Sozialengagements einhergeht und die Sichtbarkeit der »muslimischen« Gemeinden in der Stadtgesellschaft erhöhen soll, mit den Erwartungen der »Stadt« und einiger »christlicher« Bildungsvertreter/-innen.
10.4.7
»Nochmal über sich selbst nachdenken, während die Muslime beten«: die Techniken der Selbstreflexion im governing through friendship als Ethos politischer Autorität
Als der über Lautsprecher in den Seminarraum einer der Moscheegemeinden übertragene Gebetsruf des Imams das in der Moschee stattfindende erste »Bildung Muslimisch«-Treffen unterbrach (TB FMGE 4), fanden sich die »muslimischen« Teilnehmenden der Arbeitsgruppe ein Stockwerk tiefer zum Gebet ein. In dieser Situation – lediglich eine »muslimische« CIAG-Co-Sprecherin ging nicht zum Gebet – nahm ein städtischer Co-Moderator des Freundeskreises Bezug auf die bereits in dieser Sitzung vielfach geäußerten Ratschläge an die »muslimischen« Gemeinden und fragte daraufhin sichtlich besorgt die anderen Anwesenden: »Sagt mal, meint ihr, wir drücken denen hier was auf?« (TB FMGE 4) Die anderen Teilnehmer/-innen schienen sofort zu verstehen, was er meinte. So kam es zu einem kurzen Austausch darüber, wie Vorschläge für die Konzeption von »Bildung Muslimisch« gemacht werden könnten, für die man auch einstehe, ohne aber den »muslimischen« Vertreter/-innen die eigenen Ideen oder sogar »christliche« Modelle zu sehr aufzudrängen. Als die »muslimischen« Gemeindemitglieder wieder zurück waren, rekapitulierte der Moderator die Ergebnisse dieser »Zwischenberatung« und praktizierte damit einen Akt der Selbstreflexion und der Selbstbeschränkung. In einer entschuldigenden Geste sagte er eindringlich: »Hört mal, wir wollen euch nichts aufdrücken. Wir zeigen euch, wie es gehen könnte, aber das ist nicht die einzige Möglichkeit. Vermittelt bitte den Gemeinden, dass wir uns aus tiefstem Herzen wünschen, dass hier etwas entsteht, das […] euch [Muslime] in eurem Selbstverständnis und -bewusstsein stärkt […]. Nehmt euch Zeit, darüber nachzudenken, ob ihr das so wollt.« (TB FMGE 4) Im Vollzug dieser Rede (ent-)faltete (Campbell 2010: 42) sich das – quer zu kulturellen und religiösen Linien anzusiedelnde – emotionale Subjekt des Dialogs, das mit dem »Gegenüber« fühlt. Dieses Subjekt konnte in den gewählten Worten, den emotionalisierten Motiven und in der Sprechweise Ausdruck finden sowie vor allem auch darin,
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dass die hier praktizierte Selbstbeschränkung vermittels der Körperperformanz als eine vom artikulierenden Subjekt selbst gewünschte Selbstbeschränkung wirken konnte. Der städtische Vertreter stellte sich als jemand dar, der sich gerne zurücknimmt. Die Autonomie des »Gegenübers« sei zu wahren, und darüber freue man sich nun auch (mit dem »Gegenüber«). Dies sei, so drückte es sich mal explizit, mal eher implizit in verschiedenen Aussagen aus, der »Erlanger Weg« bzw. die besondere dialogische Situation in Erlangen, die eben von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt sei. Die an diese Szene anschließenden Praktiken/Aussagen verdeutlichen weiter, wie die entfalteten Emotionalitäten der (lokalen) Dialogtechnologien fortschreitend operieren. »Das wissen wir doch, du drückst uns nichts auf«, war die mit versöhnlicher Intonation vorgetragene Replik eines Moscheevereinsvertreters, worauf seitens der »Stadt« erwidert wurde: »Das ist nett, aber wirklich, richtet aus, wir wollen nichts aufdrücken.« (TB FMGE 4) Auch in einem späteren Interview zeigte sich genau diese Ausdrucksweise: »Also wir wolln ja […] ned den Muslimen was aufpfropfen, […] die solln ja des Programm bestimmen, […] aber dass sie halt zunehmend in diesen Diskurs eingebunden werden, der nötig ist, darüber, was es so für verschiedene Ansichten gibt.« (Interview 8) Diese Rede eines städtischen FMGE-(Co-)Moderators wurde auf »muslimischer« Seite auch entsprechend als Bestärkung der eigenen Autonomie wahrgenommen. So habe ich mit in dieser Situation anwesenden »muslimischen« Gesprächspartner/-innen explizit über diese Szene reflektiert und konnte damit die Daten der Beobachtung mit Interviewdaten ergänzen. Auf den Moment angesprochen, erläuterte ein IGE-Vertreter in einem Interview: »Ein muslimisches Bildungswerk [hat den] Schwerpunkt muslimisch […], deshalb hat er das gesagt, äh, es darf nicht der Eindruck erweckt werden, wir wollen euch [›Muslime‹] praktisch […] kontrollieren, damit ihr besser werdet […], was ihr machen sollt oder nicht, im muslimischen Bildungswerk. Ich glaub, so wollte er [der städtische Vertreter; Anm. J.W.] das sagen.« (Interview 18) Dass der IGE-Vertreter das Motiv des »Kontrollierens« überhaupt in den Raum des Sagbaren überführt, zeigt bereits, dass jenes Kontrollieren (der »Muslime« durch die Stadt) als etwas gedacht und wahrgenommen wird, das durchaus existiert, das passieren kann und das man aber verhindern müsse. Der IGE-Vertreter grenzte sich vielfach von bestimmten Umgangsformen ab, die er damit aber auch problematisierte und hervorhob (ähnlich in: TB FMGE 6). Die Stadt solle »Muslime« bspw. nicht »erziehen«, so seine Wortwahl (Interview 18). Genau hier hätte aber der FMGE-Moderator mit seiner Rede über das »(Nicht-)Aufdrängen« korrekterweise eingegriffen, was nun auch der »muslimische« Vertreter der Islamischen Gemeinde als ein Charakteristikum des lokalen Erlanger Dialogklimas rationalisierte (ebd.). Es zeigt sich hier, dass der Gegenstand der Selbstbestimmung der »muslimischen« Gemeinden häufig zum Thema gemacht, d.h. problematisiert wird. So auch in einem Gespräch mit einem anderen FMGE-Moderator und kommunalpolitischen Vertreter, der ebenfalls während der obigen Rede anwesend war. Jener sagte mir, der Dialog müsse stets danach fragen, »was brauchen die Muslime von uns, und nicht unbedingt […] sagen, ihr müsst in diese Richtung euch bewegen« (Interview 14). Auch er problematisierte die Spannung zwischen einerseits den integrationspolitischen Zielen des kommunalen Dialogs (die er an einigen Stellen auch expli-
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zit verteidigte, indem er von einer seiner Ansicht nach verständlichen staatlichen Einflussnahme auf die Entwicklung von Religionen sprach) und andererseits der Selbstbestimmung religiöser Gemeinden. Man dürfe aber keineswegs etwas einfordern, »indem man sagt, ihr müsst das und das und das machen« (Interview 14), weil man dann »den Fehler macht, nicht zu erklären, warum man auf diese Idee kommt« (ebd.). Hier zeigt sich die pädagogische Ausrichtung des Dialogs als einer Technologie des »MiteinanderUmgehens«. Wenn man den »muslimischen« Gemeinden erkläre, warum eine auch in religiöser Hinsicht zu erfolgende Öffnung gegenüber der Gesellschaft die eigene religiöse Gemeinde voranbringe und gesellschaftlich bedeutsamer mache – die Erfahrung »christlicher« Organisationen –, sei die Weitergabe der eigenen »Erfahrung« (ebd.) legitim, so implizit die Argumentation des FMGE-Moderators (ebd.). Man sei von der »christlichen« Herangehensweise an religiöse Bildungsarbeit überzeugt und müsse die »Muslime« bei der Übermittlung dieser Herangehensweise abholen: »Es ist tatsächlich sehr schwierig, so was ohne den anderen bevormunden zu wollen, äh, die eigene Erfahrung reinzubringen […], und äh, wir haben in diesem Kreis Leute, die sehr lange sehr intensive Erfahrung haben, mit solchen Problemen.« (Ebd.; vgl. auch: IG 6). Hier artikuliert der FMGE-Sprecher die Vorstellung erfahrener Dialogexpert/-innen, die ein zwischenmenschlich sensibles Feld managen könnten. Diese »christlichen« und »städtischen« Dialogmoderator/-innen hätten, so der FMGE-Sprecher, auch aufgrund ihrer beruflichen und politischen Ausbildung im Vergleich zu vielen »Muslimen« aus den Gemeinden eher die Fähigkeit, religiöse Bildung auf eine »angemessene« Weise zu sichern (Befähigung zu religiöser Reflektiertheit statt dogmatischem Glauben usw.): »Auch mit der Frage der Bildung, also der [Name jenes FMGE-Moderators, der den »Muslimen« »nichts aufdrücken« wollte] war Lehrer in der Schule […], und da hat man andere Herangehensweisen als ein paar Ingenieure, die da sitzen und die sich jetzt auch mit der Frage [von »Bildung Muslimisch«; Anm. J.W.] befassen.« (Interview 14) Mit den »Ingenieuren« sind die »muslimischen« Vertreter/-innen im Hinblick auf ihre Berufe gemeint, die im Kontext religiöser Bildung vermeintlich noch »geschult« werden müssten. In die Dialogtechnologie ist die Warnung an sich selbst, es mit der Erfahrungsweitergabe an »andere« nicht zu übertreiben, dennoch fest integriert: »Aber da, glaube ich, ist es Gott sei Dank, weil uns eine kritische, selbstkritische Haltung schon liegt […]. Die haben wir, und die haben wir auch immer gefordert.« (Ebd.) Die an die »Muslime« gerichtete Forderung nach Selbstkritik wird zur Selbstkritik an der eigenen Vorgehensweise gemacht. Dies ist eine Technologie des Selbst (Burchell 1993; Füller u. Marquardt 2009) innerhalb des governing through friendship, die hier auf »christlicher« und städtischer Seite gepflegt wird. Das »Nichtaufdrücken« wird hier folglich zur Technik. Entsprechend ist der Dialog von Frageritualen geprägt: »Was erwartet ihr [›Muslime‹] vom Projekt, von der Stadt, vom Dialog?« (Zusammengefasste Zitate, aus: TB FMGE 4, 6) Solche Fragen eröffnen Mitspracheoptionen und wirken aber gleichzeitig als Formung eines sich »seiner selbst bewusste[n] Muslim[s]« (Tezcan 2007: 68; Schiffauer 2008), der für die liberale Regierungskunst benötigt wird (Rose 1993). Ein Ziel des Dialogs ist stets, »muslimische« Gemeinden »zu haben«, die genau dies auch selber wollen, was städtische und »christliche« Erfahrungsweitergeber/-innen formulieren. Immer wieder tätigten »nicht muslimische« Dialogaktive die Aussage, dass der Dialog »Zeit brauche« (Interview 8). Man ist bereit, darauf zu warten, dass die »Muslime« aus den Gemeinden all
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das auch selber vertreten, was man »für sie« will. Der Dialog verschreibt sich als »gute« Lokalpolitik dem Zeitaufwändigen und Geduldigen. Wie ich an anderer Stelle unter Rekurs auf das soeben skizzierte empirische Material formuliert habe, können jene Praktiken der (Selbst-)Reflexion über wechselseitige Umgangsformen und über das »Aufdrücken« von Erwartungen als ein governing through friendship gedacht werden, und damit als »[eine] Technologie der (Selbst-)Führung, die in verhältnismäßig selbstreflexiven und sich selbst relativierenden Formen politischer Einflussnahme ihren Ausdruck findet. Dabei liegt jener Praxis der Selbstreflexivität selbst eine einflussnehmende, formende Kraft inne, gerade weil sie am emotional aufgeladenen Vertrauensmotiv ansetzt und an diesem arbeitet. In dieses Motiv wird von allen Seiten investiert und dazu gehört die beständige Metareflexion des ›guten‹ Umgangs miteinander, eine Form institutionalisierter Sorge. Im Vollzug solcher Techniken konstituieren sich die DialogTeilnehmenden performativ als Vertraute und Ratgeber, die es mit ihrem Gegenüber gut meinen. Diese – das Subjekt qua Gemeinschaftserfahrung ermächtigende – Art der Beratung erhält etwas Persönliches, bisweilen auch Paternalistisches.« (Winkler 2017: 309) Aus solchen Praktiken der Selbstreflexion erwachsen neue Formen, ein neuer »Ethos« politischer Autorität, der für liberales Regieren wesentlich wird: »It is also a matter of a certain ethos of authority – its distinctive character, spirit, and manner of reflecting upon itself and its practice.« (Rose 1993: 287)
10.4.8
Analytisches Fazit zum Zusammenhang von Macht und Emotion: die Emotionalitäten des Dialogs und die Auflösung der Spannungen »liberalen« Regierens
Der städtische Co-Moderator, der »nicht aufdrücken will«, führt sich in diesem Moment auf eine bestimmte Weise selbst (Foucault 2005; Lemke et al. 2000) und bearbeitet damit ein Steuerungsproblem des Dialogs. Denn einerseits sind »dialogfähige Subjekte« zu formen, womit auf den »Anderen« entsprechender Einfluss genommen werden muss, während anderseits die Prinzipien der Augenhöhe und der Anerkennung zu wahren sind. Solche Spannungen werden durch die skizzierten Techniken der Selbstreflexion bearbeitbar gemacht, insofern diese auf die Harmonisierung dieser Spannungen zielen. Dadurch jedoch entstehen neue Machteffekte, was die Komplexität und Relationalität der Macht aufzeigt (Foucault 2005 [1982]) und in diesem Fall mit spezifischen Emotionalitäten der (Selbst-)Führung einhergeht (Campbell 2010). Was erst im performativen Vollzug (Ott u. Wrana 2010) der oben beschriebenen Praktiken stattfand, ist zunächst eine Umkehrung bestimmter Falllinien der Macht: Die gewünschte Re-Formation »muslimischer« Identitäten unter integrationspolitischen Vorzeichen – sicherlich eine dominante Falllinie der Macht (vgl. Tezcan 2007) – kann nicht »aufgedrängt« werden und ist zunächst blockiert. Sogleich aber etablieren sich neue emotionalisierte Machtbeziehungen: im obigen Fall die implizite Konstitution des »sich selbst reflektierenden« Dialogmoderators als wohlmeinender politischer Akteur und Verbündeter (sowie als ein an der Stärkung von Religion interessierter »Gläubiger«,
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
siehe nächste Kapitel), der gerade durch die Praxis des »Sich-selbst-Reflektierens« innerhalb des Dialogparadigmas eine spezifische Autorität erhalten kann. Diese neue Autorität des fürsorgenden Verbündeten (vgl. Solberg 2016) kann dann qua ihrer neuen Machtwirkung doch wieder auf die Sicherstellung integrationspolitischer Ziele abstellen. Die Form der Analyse illustriert an dieser Stelle die komplexe Art und Weise, »in which emotions partake in relations of power, sometimes to the point where individuals can become emotionally attached to regimes of power that hurt them« (D’Aoust 2014: 267). Es geht um die Art und Weise, in der ausdrückbare Emotionalitäten Machtverhältnissen inhärent sind (ebd.). Insofern Emotionen in Machtverhältnisse eingebettet sind, werden ihre Ausdrucksformen, Fühl- und Erfahrbarkeiten sowie ihre Effekte immer auch durch diese Einbettung mitbestimmt und sind damit aus einer Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse heraus zu untersuchen (vgl. dazu aus geographischer Perspektive: Pain et al. 2010). Die skizzierten Techniken des Dialogs (re-)artikulieren dabei in erster Linie etablierte Momente liberalen Regierens. Als »fundamental in shaping the governmental rationalities of the West« (Rose 1993: 290) manifestiert sich liberale Regierungskunst in der Frage nach dem »zu viel« politischer Einflussnahme (Foucault 2005; Miller u. Rose 2008). Diese integrale Kontrollfrage liberalen Regierens beschränkt und (re-)installiert gleichzeitig politische Macht (Rose u. Miller 1992; Rose 1993, 1999). Liberales Regieren operiert damit grundlegend als selbstbefragende und selbstreflexive Form der Machtausübung (Rose 1993: 292), wobei der liberale Impetus, möglichst wenig direkt zu regulieren, auf die »freie« Ökonomie genauso abzielt wie auf die Domäne der Zivilgesellschaft (Burchell 1993), auf die Sphäre des (durch seine Freiheit zu regierenden) Individuums (Rose 2006: 147) oder zunehmend auch auf die (religiöse, kulturelle) Community (Rose 2000a, b). Die Selbstregulierungskompetenzen all dieser als Realitäten hervorgebrachten Bereiche sollen dann durch Anreizsystematiken in »gewünschte Richtungen« (Rose 1993: 290) gelenkt werden. Governing through friendship als Machttechnologie der Dialogregierung ist ebenso dem Kalkül einer liberalen Gouvernementalität unterstellt, »innerhalb [deren] Kräftefelds Führung keine Verordnung sein kann« (Winkler 2017: 310). Doch lassen sich darüber hinaus Besonderheiten ausmachen. Denn die Partizipierenden des Dialogs stehen sich nicht nur als politische Akteure gegenüber, die das gemeinsame Ziel »Integration« verfolgen (zur potenzialorientierten, involvierenden Integrationspolitik: Carstensen-Egwuom 2011; Rodatz 2012; Roth 2009). Vielmehr konstituieren sie sich gegenseitig immer auch als Vertrauenspersonen, die persönliche Beziehungen eingehen. Deshalb, wie ich formulierte, wird »im governing through friendship […] jene liberale Selbstreflexivität und Selbstbeschränkung – die Frage »Regieren wir euch zu viel?« – zu einer moralischen Verpflichtung und darüber zur emotionalisierten, bisweilen ritualisierten Praktik. Die [resultierende] »Führung unter Freunden« erscheint dann auch nicht länger als Führung, insofern sich Führungsansprüche als wohlmeinende und fürsorgliche ›Ratschläge‹ übersetzen (vgl. Solberg, 2016).« (Winkler 2017: 310) Die Spannung zwischen der Anerkennung des »Anderen« und den integrationspolitischen Erwartungen an eine Re-Formation des traditionellen »Islam« wird durch die skizzierten Praktiken aufgehoben, indem die Erwartungen beibehalten, aber als »Ratschläge unter Vertrauten« gerahmt werden können. Diese Aufhebung ist untrennbar
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mit den Emotionalitäten der Dialogtechnologie verschnitten und gerade deshalb immer auch an die lokale Ebene gebunden, die als räumliche Projektionsfläche jener emotionalisierten Atmosphäre des »Miteinanders« und der (differenzüberschreitenden) sozialen Verbundenheit dient (vgl. De Wilde 2015a, b), innerhalb welcher die dialogischen Praktiken erst wirken können. Grundsätzlich wird hierbei »der Dialog [auch] de-politisiert, insofern sein Verlauf und seine Resultate sich als quasi-natürliche Prozesse eines ›Miteinander-Sprechens‹ präsentieren« (Winkler 2017: 310).14
10.4.9
Das selbstbewusste Auftreten der »Muslime« zwischen Zielerfüllung und Steuerungsproblem: Brüche und (Re-)Rationalisierungen im Verlauf von Regierungspraxis
Letztlich wurde in den Aushandlungen um »Bildung Muslimisch« eine Art Kompromiss erzielt. Städtische Vertreter/-innen betonten stets, dass das Projekt nur über den Einbezug möglichst vielfältiger religiöser Positionen gesamtgesellschaftlichen Rückhalt genießen würde. Während manche »muslimischen« Moscheesprecher/-innen dies bekräftigten, fügten andere mahnend an, dass »Bildung Muslimisch« vollständig vom Führungspersonal aus den lokalen Moscheegemeinden verantwortet werden müsse, da das Projekt nur dann jene »street credibilty innerhalb der Gemeinden« (Zitat einer Moscheevertreterin) haben könne, die doch gewünscht sei (TB FMGE 6). Die Moscheevereine hätten zudem ihre Kooperationsfähigkeit schon oft bewiesen und gezeigt, dass ihr »Islam« der authentische und gewünschte »Islam« sei. Letztlich wurde ausgehandelt, dass der Trägerverein der Erwachsenenbildung – und das hieß am Ende: eine »unabhängige Unterabteilung« der IRE – gemeindegetragen und auch »100 Prozent muslimisch« (Originalzitat aus: TB FMGE 6) sein müsse, jedoch zusätzlich, wie erwähnt, ein beratendes Kuratorium anderweitige (»nicht muslimische« und ggf. auch »moscheeferne«) Perspektiven integrieren solle. Darüber hinaus wurde versucht, die neue IRE-Unterabteilung zumindest in einigen Gestaltungsfragen vom Vorstand der IRE zu entkoppeln und damit autonomer zu gestalten. Auch wurde angedacht, über flexibel einzurichtende Arbeitsgruppen punktuell, d.h. themen- und projektabhängig, Personen in einzelne Veranstaltungen einzubinden, die sonst keine festen Mitglieder der IRE und ihrer Unterabteilung sind. All dies stellte in der Summe eine Art Kompromiss zwischen Stadt, »Christen«, »muslimischen« Reformer/-innen und »traditionellen« Moscheegemeinden dar. Dennoch ist zu konstatieren, dass letztere die zukünftige Gestaltung des Projekts institutionell doch recht stark in den eigenen Verantwortungsbereich (der IRE) überführen konnten. Für die »muslimischen« Vertreter/-innen von IGE und TIG stellt der organisierte »Islam« der Moscheen den legitimen Repräsentanten der »muslimischen« Bevölkerung in Erlangen dar (Interviews 9, 16, 18). Ein »muslimischer« Vertreter argumentierte, dass die Erlanger Moscheegemeinden de facto den meisten »Muslimen« zusprechen würden, sodass es »ganz normal« sei, »die Gemeinden
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Einige Autor/-innen identifizieren teilweise ähnliche Momente in integrationspolitischen Ansätzen. Dabei scheinen Motive wie z.B. »Respekt«, »Begegnung« und »Empathie« in lokalen Integrations- und Vielfaltspolitiken bedeutsam zu werden (z.B.: Kiepenhauer-Drechsler 2013; Fortier 2007; De Wilde 2015a, b; Sutter 2017).
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
als Erstansprechpartner« für das Bildungsprojekt zu nehmen (Zitate aus: Interview 16). »Die letztgültige Entscheidung müssen […] die muslimischen Gemeinden hier vertreten. Weil es geht schließlich um Islam.« (Ebd.) Andere »muslimische« Vertreter/-innen erkannten in der Verantwortungsübernahme der »muslimischen« Gemeinden, die das Bildungswerk weitgehend als ihr eigenes Projekt konfigurierten, einen Ausdruck der im Dialog gewünschten Stärkung des politischen Selbstbewusstseins der lokalen Moscheegemeinden. Während die »muslimischen« Gemeinden die Idee eines beratenden Kuratoriums akzeptierten, lehnten sie ab, dass »Nichtmuslime« oder »gemeindeferne Muslime« in einer »Bildung Muslimisch«-Gruppe eine über die Beratung hinausgehende Entscheidungsgewalt haben könnten. Ein IGE-Mitglied sagte: »Ich find’s, ehrlich gesagt, […] diese Frage hat sich erübrigt. Muslimisches Bildungswerk ist von Muslimen, ganz einfach [lacht] […]. Okay, ein Beirat, der wissenschaftlich [vorgeht], […] find ich auch sehr gut. […] Aber […] letztendlich muss muslimische Bildung von Muslimen [sein], praktisch den Vertretern. Und die muslimischen Vertreter sind ja praktisch die Gemeinden.« (Interview 18) Diese Ansicht wurde seitens der Stadt am Ende akzeptiert. Dass die Vertreter/-innen der Moscheegemeinden »Bildung Muslimisch« an sich nehmen und dabei auf ihre Positionen als (a) legitime Repräsentant/-innen der »Muslime« in Erlangen, (b) Vertreter/innen eines gewünschten »Islam« sowie (c) vertrauenswürdige und verdiente Ansprechund Integrationspartner/-innen der Stadt verweisen konnten, ist als Effekt der bisherigen Dialogpraxis zu deuten, die gerade die organisierten Moscheegemeinden stets in diesen Positionen stärkte – bspw. im Kontext der Einführung von Islamunterricht und des Aufbaus »muslimischer« Ansprechpartner/-innen für Staat und lokale Schulämter (auch in einem »Dringlichkeitsantrag für den Stadtrat« aus dem Jahr 2010, in welchem städtische Vertreter/-innen für die Etablierung einer »islamischen« Theologie in Erlangen werben, wurden die »muslimischen« (Moschee-)Gemeinden als Träger eines gewünschten »Islam« benannt). Die »muslimischen« Gemeinden stellten stets die Objekte der Anerkennung dar, wurden als »Partner auf Augenhöhe« etabliert und in ihrer Position als politisch selbstbewusste und engagierte Gruppen gefördert (Interview 8). Folglich stellte das »selbstbewusste« Auftreten der Gemeindevertreter/-innen, die sich in der Lage sahen, ein Bildungsprojekt zur Zufriedenheit aller zu realisieren (und dabei den Willen zeigten, sich ehrenamtlich zu engagieren), eine ideale Verkörperung der Dialogziele dar. Die für den Dialog essenzielle und an den Gemeinden exerzierte Rationalität der Anerkennung verunmöglichte es dabei, allzu offensiv die Eignung der »muslimischen« Gemeinden für die Leitung des Bildungsprojekts infrage zu stellen. Eine allzu explizite Einforderung z.B. der Involvierung »gemeindeferner Muslime« in den Verantwortungsbereich für »Bildung Muslimisch« oder gar eine Kopplung von Unterstützungsleistungen an entsprechende Bedingungen hätten im Widerspruch zur Anerkennung der »muslimischen« Gemeinden gestanden. Letztlich wurde dann das »Scheitern« des Ziels, »Bildung Muslimisch« institutionell aus den traditionellen Gemeinden herauszuheben, von einer der »muslimischen« CIAG-Sprecher/-innen zwar einerseits bedauert, aber gleichzeitig als eine zu akzeptierende Entwicklung aufgefasst, die auch Potenziale in sich trage:
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»Die Erwachsenenbildung ist nicht so unabhängig von den Gemeinden, wie [Name eines ›christlichen‹ CIAG-(Co-)Sprechers] und ich uns das damals gewünscht hätten. […] Das haben wir uns nicht so vorgestellt, dass die Gemeinden das Projekt so stark einnehmen […]. Aber es ist ja gut, dass die Gemeinden sich um das Projekt jetzt so intensiv kümmern.« (IG 10) Es sei positiv zu bewerten, dass die Gemeinden überhaupt Engagement zeigen und ein Erwachsenenbildungswerk anstreben – mittels welchem sie ja ohnehin, so die Logik, in eine stärkere Beziehung zur lokalen Gesellschaft gebracht werden (Interview 8). Die Akzeptanz des Gegebenen und die Wertschätzung der Selbstbestimmtheit der »muslimischen« Organisationen sind vorhanden und charakterisieren die dialogische Beziehung. Das »Scheitern« der Strategie, die Erwachsenenbildung zu öffnen, wird gleichzeitig als »Erfolg« des Dialogs artikulierbar, der politisch selbstbewusste »muslimische« Organisationen hervorbrachte. Diese würden sich dann, was Inhalte und No-Gos einer Erwachsenenbildung angeht, an den Perspektiven der eigenen Gemeindemitglieder ausrichten. Dies mag zwar Engführungen produzieren, zeige aber auch, dass die »muslimischen« Vertreter/-innen Verantwortung für ihre Communitys übernehmen (IG 10; Interviews 8, 16). Die Gemeinden sollen ja die traditionelle Basis »abholen« (Interviews 12, 15, 21). Somit erhält das Argument der Gemeindesprecher/-innen, die Gemeindetraditionen beachten zu müssen, Gewicht. Obschon die Moscheegemeinden das Projekt an sich nahmen, erfolgte die Integration von als alternativ-progressiv wahrgenommenen »islamischen« Impulsen letztlich zumindest teilweise, insofern eine Person aus der akademischen »islamischen« Theologie, die sich auch den Moscheegemeinden verbunden sieht, in die IRE-Unterabteilung »Erwachsenenbildung« integriert wurde und auch eine Sprecherfunktion im neuen Bildungswerk erhielt (IG 6, 10).
10.5
Die »Territorien der Erfahrung«, die Expert/-innen des Dialogs und das Lokale als emotionalisiertes Feld politischer Wahrheiten: Machtanalytik und lokale Perspektive
Im Lichte der bisherigen Reflexionen möchte ich die Technologie des lokalen Dialogs und dessen Zugriffsweisen auf die lokale »muslimische« Bevölkerung im Hinblick auf das Agieren jener spezifischen Dialogexpert/-innen analysieren, die sich im Dialogfeld etablieren konnten. Ferner möchte ich weiterführend analysieren, inwiefern der Dialog die lokale Ebene zu seinem Interventionsfeld macht und dabei gerade die Besonderheiten räumlich-lokaler Koexistenz vor Ort hervorhebt und mobilisiert.
10.5.1
Expert/-innen des Dialogs und die »Territorien der Erfahrung«: die Erlebbarmachung von Wissen und Wahrheit im spezifisch räumlichen Erfahrungshorizont des Lokalen
Ich möchte den lokalen Dialog abschließend als eine Technologie des Regierens diskutieren, die ein Feld aufspannt, in welchem spezifisch gelagerte Dialogexpert/-innen agieren können: Dialogexpert/-innen, deren Aktivitäten wiederum den Dialog als Technolo-
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»Die Erwachsenenbildung ist nicht so unabhängig von den Gemeinden, wie [Name eines ›christlichen‹ CIAG-(Co-)Sprechers] und ich uns das damals gewünscht hätten. […] Das haben wir uns nicht so vorgestellt, dass die Gemeinden das Projekt so stark einnehmen […]. Aber es ist ja gut, dass die Gemeinden sich um das Projekt jetzt so intensiv kümmern.« (IG 10) Es sei positiv zu bewerten, dass die Gemeinden überhaupt Engagement zeigen und ein Erwachsenenbildungswerk anstreben – mittels welchem sie ja ohnehin, so die Logik, in eine stärkere Beziehung zur lokalen Gesellschaft gebracht werden (Interview 8). Die Akzeptanz des Gegebenen und die Wertschätzung der Selbstbestimmtheit der »muslimischen« Organisationen sind vorhanden und charakterisieren die dialogische Beziehung. Das »Scheitern« der Strategie, die Erwachsenenbildung zu öffnen, wird gleichzeitig als »Erfolg« des Dialogs artikulierbar, der politisch selbstbewusste »muslimische« Organisationen hervorbrachte. Diese würden sich dann, was Inhalte und No-Gos einer Erwachsenenbildung angeht, an den Perspektiven der eigenen Gemeindemitglieder ausrichten. Dies mag zwar Engführungen produzieren, zeige aber auch, dass die »muslimischen« Vertreter/-innen Verantwortung für ihre Communitys übernehmen (IG 10; Interviews 8, 16). Die Gemeinden sollen ja die traditionelle Basis »abholen« (Interviews 12, 15, 21). Somit erhält das Argument der Gemeindesprecher/-innen, die Gemeindetraditionen beachten zu müssen, Gewicht. Obschon die Moscheegemeinden das Projekt an sich nahmen, erfolgte die Integration von als alternativ-progressiv wahrgenommenen »islamischen« Impulsen letztlich zumindest teilweise, insofern eine Person aus der akademischen »islamischen« Theologie, die sich auch den Moscheegemeinden verbunden sieht, in die IRE-Unterabteilung »Erwachsenenbildung« integriert wurde und auch eine Sprecherfunktion im neuen Bildungswerk erhielt (IG 6, 10).
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Die »Territorien der Erfahrung«, die Expert/-innen des Dialogs und das Lokale als emotionalisiertes Feld politischer Wahrheiten: Machtanalytik und lokale Perspektive
Im Lichte der bisherigen Reflexionen möchte ich die Technologie des lokalen Dialogs und dessen Zugriffsweisen auf die lokale »muslimische« Bevölkerung im Hinblick auf das Agieren jener spezifischen Dialogexpert/-innen analysieren, die sich im Dialogfeld etablieren konnten. Ferner möchte ich weiterführend analysieren, inwiefern der Dialog die lokale Ebene zu seinem Interventionsfeld macht und dabei gerade die Besonderheiten räumlich-lokaler Koexistenz vor Ort hervorhebt und mobilisiert.
10.5.1
Expert/-innen des Dialogs und die »Territorien der Erfahrung«: die Erlebbarmachung von Wissen und Wahrheit im spezifisch räumlichen Erfahrungshorizont des Lokalen
Ich möchte den lokalen Dialog abschließend als eine Technologie des Regierens diskutieren, die ein Feld aufspannt, in welchem spezifisch gelagerte Dialogexpert/-innen agieren können: Dialogexpert/-innen, deren Aktivitäten wiederum den Dialog als Technolo-
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gie und als Machtverhältnis (re-)produzieren. Hierzu beziehe ich mich auf den gouvernementalitätstheoretischen Expertenbegriff, wie er in etwa von Rose und Miller (1992) konzipiert wurde. Demzufolge vermitteln Expert/-innen über lokale Taktiken des Anreizes, der Bildung und der Ermächtigung zwischen (a) politischen Regierungszielen und (b) den Alltagswelten der regierten Subjekte (Rose u. Miller 1992: 175). Dabei verkörpern Expert/-innen legitimes und geltendes – z.B. wissenschaftlich produziertes oder in religiös-moralischer Tradition verankertes – Expertenwissen, das sich für Fragen der Regierung gesellschaftlicher Verhältnisse einsetzen lässt und von staatlichen Instanzen verschiedentlich (re-)mobilisiert werden kann. Dieses Wissen operiert daher im »Territorium der Wahrheit«: »Experts hold out the hope that problems of regulation can remove themselves from the disputed terrain of politics and relocate onto the tranquil yet seductive territory of truth.« (Ebd.: 188) Diese Wahrheit der Expert/-innen ist für die Praxis liberaler Regierungsformen von grundlegender Bedeutung, denn liberales Regieren kann kein Regieren sein, das nur den Willen eines Souveräns ausdrückt. Es muss ein Regieren sein, das die Dinge »angemessen« regiert (Foucault 2005 [1978]a); und um zu wissen, was »angemessen« ist, muss das liberale Regieren auf z.B. wissenschaftlichen Wahrheiten und Expertisen basieren, die es legitimieren. Lassen sich Subjekte vermittels dieser Wahrheiten zu einem bestimmten Verhalten anleiten, so folgen sie in der Rationalität des Regierens lediglich »sinnvollen«, »guten« und »richtigen« Erkenntnissen – und dies untergrabe die eigene Freiheit vermeintlich weniger als das Befolgen der Anordnungen eines/einer Regent/-in (ebd.). So operiert liberales Regieren über die Produktion von Wissen über Menschen und die Bevölkerung (vgl. Rose 1993, 2006; Miller u. Rose 2008). Das Motiv des/der Expert/-in scheint mir für meine Analysen fruchtbar, gerade auch weil es sich als Motiv um eine Personifikation handelt. In Erweiterung des Ansatzes von Rose und Miller (1992) möchte ich bezüglich des Konzepts des/der Expert/-in das Augenmerk auf die durch dieses Konzept symbolisierte Verkörperung legen, um das »Expertentum at work« in dessen körperlichen, emotionalaffektiven Ausprägungen fassen und als etwas repräsentieren zu können, das immer auch über interpersonale Interaktionen in lokalen Kontexten vermittelt wird. Vor diesem Hintergrund kann governing through friendship als eine Technologie politischer Einflussnahme gedeutet werden, die sich im Wirken eines sehr spezifischen Expert/-innen-Typus materialisiert und dabei in den räumlich-sozialen Bedingungen des Lokalen ihre Materialisierungs- und Gestaltungsbedingungen vorfindet – das Lokale also als ein spezifisch-räumliches Interventionsfeld nutzt. Der/die Expert/-in des governing through friendship generiert seine/ihre Autorität nicht nur aus formalisierten Wissenszertifikaten, d.h. einer Expertise im engeren Sinne, wie tendenziell bei Rose und Miller (1992; vgl. auch: Rose 1993). Vielmehr gewinnt er/sie Autorität gleichzeitig auch daraus, dass er/sie auf jahrelange und lokalspezifische Prozesse des Kennenlernens einer religiösen Gruppe verweisen und daher als Vertrauensperson auftreten kann. Expert/-innen dieser Couleur schöpfen Autorität aus informeller Erfahrung, lokalspezifischem Wissen und Einfühlungsvermögen. Sie verkörpern die Fähigkeit, einen persönlichen Zugang zu einer religiösen Minderheit vor Ort etablieren und pflegen zu können. Sie zeigen sich selbstkritisch und einsichtig und wahren die Selbstbestimmtheit des religiös »Anderen«, was ihre Autorität eher noch erhöhen mag. In der Sphäre des Lokalen, die spezifische Praktiken und Wahrnehmungsmuster sozialer Beziehun-
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gen ermöglicht, finden diese Expert/-innen das Feld vor, in welchem sie sich plausibel ausdrücken können. Die geltende »Expert/-innen-Wahrheit« über Mensch und Bevölkerung (Rose u. Miller 1992) stellt im obigen Fallbeispiel der Diskussionen über eine angemessene Erwachsenenbildung zunächst einmal jene »Theorie« dar, die das Hinterfragen eigener Glaubenssätze als etwas artikuliert, das Gläubige in ihrer Persönlichkeitsbildung weiterbringt und selbstbewusster macht. Solche religionspädagogisch und entwicklungstheoretisch eingefassten Perspektiven finden dabei im Erlanger Dialogfeld einen geeigneten Nährboden vor, insofern die Dialoginitiativen CIAG und FMGE vielfach mit dem lokalen Personal der »christlich«-theologischen und religionspädagogischen Fachbereiche, des früheren Interdisziplinären Zentrums für Islamischen Religionslehre (IZIR) sowie des neuen »islamisch«-theologischen Instituts (DIRS) im Austausch standen und stehen. Ohnehin zirkulieren religionspädagogische Ansichten in einem Dialogumfeld besonders stark, das sich über das Projekt »Islamunterricht« profiliert hat. Im Dialog wird die Annahme, dass sich Religionen nur über kritische Selbstreflexion gesellschaftlich integrieren können, also durch verschiedene Expert/-innen wissenschaftlich legitimiert (z.B. durch meinen Interviewpartner 12). Durch die Verweise z.B. eines städtischen Vertreters auf seine eigenen Erfahrungen als religiös bewegter Mensch werden diese wissenschaftlichen Theorien nun zusätzlich greifbar gemacht, indem sie an die »Geschichten« und Identitäten körperlich anwesender »Dialogpartner/innen« geknüpft werden, die – zur religiösen Selbstführung offensichtlich fähig – den Wert der Selbstreflexion religiöser Identitäten verkörpern können. Die Verbindung aus dargestellter Erfahrung und wissenschaftlicher (religionspädagogischer) Theorie lässt Argumente dann umso wirkungsvoller werden. Dabei sind es die Expert/-innen des governing through friendship, die genau dies schaffen (wollen): die also Wahrheit, Wissen und persönliche Erfahrung miteinander verbinden und in dieser Verbindung an die lokale Dialogpraxis anknüpfen und effektiv kommunizieren können. Diese Verbindung wird im spezifisch räumlichen Erfahrungshorizont des Lokalen auch besonders plausibel, denn in dieser Domäne können (an »Muslime« gerichtete) Annahmen über Gesellschaft, den Menschen und seine religiöse Identität(-en) als etwas erscheinen, das nicht einfach nur abstrakten politischen oder wissenschaftlichen Debatten entspringt, sondern auch auf Erfahrungen von konkreten Personen basiert, die sich mit den »Muslimen« zusammen die lokale Lebenswelt teilen. Das Lokale kann also als Projektionsfläche einer Konkretisierung und Verkörperung abstrakten Wissens operieren, was im Dialog dann auch nutzbar gemacht wird. Die »pädagogische Wahrheit« in etwa, dass kritische Religionsreflexionen ermächtigend sind, kann an lokal ansässigen Persönlichkeiten (jener städtische »Katholik«) sowie an lokalen Praktiken und Institutionen (z.B. die in Erlangen erfolgreichen »christlichen« Bildungswerke) erlebbar gemacht werden. Es ist die Ausrichtung des Dialogs als governing through friendship, als »Dialog der Vertrauten«, die damit einhergeht, dass Fragen von Identität und Lebensführung nicht ausschließlich auf dem »Territorium der (technischen) Wahrheit«, sondern auch auf dem »Territorium der persönlichen Erfahrung« verhandelt werden (Winkler 2017): einem Territorium der persönlichen Erfahrungen mitlebender und lokal kopräsenter Menschen. Auf diesem Territorium herrscht eine eigene Mikrophysik der Macht (Foucault 2005), insofern sich Beeinflussungsimpulse stets in wohlmeinende Ratschläge übersetzen lassen (von steten Nachfragen nach der Angemessenheit der Situation
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
flankiert). Dabei wird das Ausdrücken eigener Empfindungen und Erfahrungen durch die Dialogtechnologie als eine erwünschte Praxis gerahmt und mit der Vorstellung jenes freundschaftlichen Verhältnisses verknüpft, welches als lokales »Gegengift« zu den pauschalisierenden und hysterischen Debatten um »Islam« sowie als angemessener Rahmen für die Emotionalität von Religion große Bedeutung erlangte. Governing through friendship, wie ich an anderer Stelle formulierte, »zeigt sich durch diesen Austausch persönlicher Erfahrungen geprägt, wobei dieser Austausch zu einem Vehikel der Rationalisierung religiöser Identität(-en) wird« (Winkler 2017: 311).
10.5.2
Lokale Authentizitätsexpert/-innen: neue Autoritäten, Machtpositionen und Beziehungen
Regieren, so Rose und Miller, ergibt sich aus den Aktivitäten vielfältiger Akteure (in diskursiven Feldern temporär als Akteure hervorgebrachte, handlungsermächtigte Subjekte), »that seek to configure specific locales and relations in ways thought desirable« (Rose u. Miller 1992: 180; Herv. J.W.). Als die »Konfigurierung spezifischer Lokalitäten und Beziehungen« (ebd.; Übersetzung: J.W.) stellt das Regieren immer auch eine räumliche Praxis dar (Füller u. Michel 2012). Regierungskünste basieren auf den »activities and calculations of a proliferation of independent agents including philanthropists, doctors, hygienists, managers, planners, parents and social workers. And it is dependent upon the forging of alliances. This takes place on the one hand between political strategies and the activities of these authorities and, on the other, between these authorities and free citizens, in attempts to modulate events, decisions and actions […].« (Rose u. Miller 1992: 180) Der lokale Dialog mit »Muslimen« basiert dabei auch programmatisch auf der Vorstellung, lokale Beziehungen zu (re-)konfigurieren und »dialogisch« zu gestalten. Mit der Analyse des lokalen Dialogs konnte ich bislang zeigen, welche vielfältigen Allianzen zwischen heterogenen Expert/-innen mit verschiedenartigen Autoritäten den Dialog fortschreiben und seine Machteffekte bedingen. Städtische Vertreter/-innen und weitere lokalpolitisch aktive Personen (wie z.B. auch jene in der CIAG aktive »Muslimin«, die die Ausstellung »Muslime in Erlangen« mit konzipierte) mobilisieren als etablierte Dialogexpert/-innen »islamische« Theolog/-innen des neuen »islamisch«-theologischen Instituts (DIRS) in Erlangen (akademisch-theologische Expert/-innen) sowie Religionspädagog/-innen (religionspädagogische Expert/-innen) für ein Engagement in der »muslimischen« Erwachsenenbildung. Zur Unterstützung der »muslimischen« Gemeinden in der Organisation des Bildungswerks wird eine städtische Expertin für bürgerschaftliches Engagement mobilisiert, ferner wird ein Rechtsanwalt hinzugezogen. An anderer Stelle orchestrieren »muslimische« und »christliche« Dialog-Moderator/-innen – alle lokalpolitisch (auch parteipolitisch) aktiv und in der Verwaltung vernetzt – ein Zusammentreffen »islamischer« und »christlicher« Theologieexpert/-innen zur Erörterung integrationspolitisch gerahmter religiöser Fragen in Anwesenheit der »muslimischen« Gemeinden, die wiederum in eine Allianz mit »islamischen« Theolog/-innen gebracht werden (usw.). Die politische Praxis des lokalen Dialogs entfaltet sich also als Mobilisierung verschiedener Typen von Expert/-innen (vgl. Rose u. Miller 1992; Rose 1993)
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Gouvernementalität der Freundschaft
und verschiedener Autoritätskonstruktionen im Hinblick auf die Produktion spezifischer Beziehungsarrangements vor Ort. So operiert der Dialog in dem Maße als Beeinflussung von »Islam« und »muslimischen« Identitäten, wie »muslimische« Dialogteilnehmende in solche Beziehungs- und Autoritätsarrangements eingebunden werden bzw. sich selbst einbinden. Im Erlanger Fall sind es dann z.B. religionspädagogische und bildungspolitische Expert/-innen (der »christlichen« Bildungswerke), theologische Expert/-innen auf »christlicher« wie auch auf »muslimischer« Seite und begleitend zudem rechtliche und sozialwissenschaftliche Expert/-innen, die im Dialoggeschehen im Namen ihrer fachlichen Expertisen (und unter Mobilisierung theologischer, religionspädagogischer oder politisch-theoretischer Wahrheiten) agieren und vielfach durch die (»muslimischen« und »nicht muslimischen«) Moderator/-innen von CIAG und FMGE (»Dialogexpert/-innen«) zu bestimmten Sitzungen eingeladen, vernetzt, zu Engagement ermuntert und immer auch in projektbezogene Kooperationsbeziehungen mit »muslimischen« (Gemeinde-)Vertreter/-innen gebracht werden. Dabei verkörpern gerade die Moderator/-innen der Dialogorganisationen CIAG und FMGE selbst einen bestimmten Typus der Expertise: Sie alle sind lokalpolitisch aktiv und erfahren – drei von ihnen auch plausibel als Vertreter/-innen der Stadt ansprechbar (die vierte Personen zumindest kontextspezifisch auch) – und haben gleichzeitig ein persönliches Interesse an Religion (sind meines Wissens auch alle selbst gläubig). Als religionsinteressierte und stadtpolitisch vernetzte Individuen haben sie ein Wissen über lokale bzw. lokal verfügbare (religions- oder islambezogene) Akteure, Positionen und Institutionen entwickelt. Sie üben sich darin, diese Akteure im Kontext bestimmter Projekte in der Form spezifischer Allianzen zu organisieren, Akteursbündnisse zu schmieden und gleichzeitig sowie in steter Absprache mit den »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen letztere in eine als konstruktiv und dialogisch artikulierbare Beziehung zu den verschiedenen lokalen Expert/-innen zu bringen. Zwei der Moderator/-innen bspw. sind persönlich gläubige »Christen«, die ihren Glauben auch kommunizieren und sich stadtpolitisch viel mit Religion beschäftigen. Beide Personen setzen sich für die Anerkennung von »Muslimen« ein und zeigen sich um die Integration von »Muslimen« besorgt bzw. problematisieren diese. Wie anhand einiger ihrer Aussagen entnommen werden kann (Interviews 8, 14; vgl. auch: TB 27), gehen beide davon aus, dass viele »Muslime« eine (religions-)plurale Gesellschaft nicht gewöhnt sind und deshalb darin unterstützt werden müssten, kompetent in einer solchen zu navigieren. Ebenso gehen beide davon aus, dass »Muslime« aus diesen Gründen in einen interkulturellen und interreligiösen Dialog zu involvieren sind, der gleichzeitig auch die Mehrheitsgesellschaft in die Lage versetzen soll, »Muslime« anzuerkennen. Meine These ist, dass Personen, die (a) selbst religiöse Identität verkörpern (z.B. gläubig sind) und dazu noch (b) aktiv und aus der Position kommunalpolitischer Expertise heraus eine integrationspolitische Agenda im Hinblick auf »Islam« formulieren, als entsprechende Expert/-innen eines (interreligiösen) Dialogs vor Ort wirken können sowie in dieser Funktion auch gesellschaftliche und politische Unterstützung erhalten – schließlich scheinen genau solche Subjekte dann auch dazu in der Lage zu sein, die als wichtig erachtete interreligiöse Dimension des integrationspolitischen Dialogs zu bespielen (Tezcan 2006; Malik 2013). Als an Religion interessierte Vertreter/-innen kommunaler Politik werden sie zu lokalen Autoritäten der Integration von »Islam« und erlangen als »Sozialtechniker« (Radtke
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
2011) des Dialogs im kommunalen integrationspolitischen Feld an Bedeutung. Solche kommunalen Expert/-innen und Moderator/-innen des lokalen Dialoggeschehens sind Expert/-innen aufgrund ihrer lokalen Erfahrung und religiösen Sensibilität – anders als z.B. »islamische« Theolog/-innen, die als formale Religionsexpert/-innen auftreten. Hinsichtlich der Technologie des governing through friendship ist es aber auch eher jene informelle, auf persönlicher Ebene verankerte Religionsoffenheit in Kombination mit weiteren Faktoren – allen voran kommunalpolitische Erfahrung/Autorität und lokales Wissen –, die die städtischen Expert/-innen zu anerkannten »Agendasetzer/-innen« und Bündnispartner/-innen der »muslimischen« Bevölkerung in der Stadt macht. Dabei artikulieren jene religionssensiblen Dialogexpert/-innen die entstehenden und entstandenen Allianzen, Austauschbeziehungen und Projekte vielfach als Symbole einer Gemeinschaft des Dialogs, deren Zusammenhalt regelmäßig auf emotionalisierte Art und Weise beschworen wird. Der Dialog entfaltet sich somit als ein Schmieden von Allianzen, wobei spezifische Allianzen und die spezifischen inhaltlichen Impulse, die diese wahrscheinlicher machen, oft als allgemeine Ausdrucksformen eines offenen Miteinanders dargestellt werden. Der Dialog zeigt sich dadurch geprägt, dass dem Arrangieren von Allianzen immerzu eine Emotionalität der Führung (Campbell 2010) inhärent ist, die sich in der Verknüpfung der angestrebten Bündnisse mit jenem emotionalisierten Appell materialisiert, den drohenden »Kampf der Religionen« durch die eigene Bereitschaft zu überkommen, am Projekt des Dialogs teilzuhaben. Eine Handreichung des Netzwerks Integration Bayern beschreibt den kommunalpolitischen Umgang mit Religion sowie das Verwalten und Führen religiöser Pluralität und interreligiöser Beziehungen vor Ort als eine Tätigkeit, die »nicht von jedem« (Kuhla u. Szukitsch 2011: 14) getätigt werden könne und auf »persönliche[r] Kontaktaufnahme und -pflege« sowie »Vertrauensbeziehung[en]« (ebd.: 16) basieren sollte. In einer vom Kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik veröffentlichten Handreichung wiederum steht geschrieben, dass »der Umgang mit religiöser Vielfalt in den Kommunen […] eine große Herausforderung [bleibt]. Gerade beim Thema ›Religion‹ sind alle Beteiligten auch emotional berührt.« (KQI 2012: 21) Somit seien »Flexibilität [und] Ideenreichtum« (ebd.) gefordert. Genau in diesem Sinne haben sich in Erlangen Expert/-innen des Dialogs ausgebildet. In Bezug auf den Aspekt »religiöser Sensibilität« denke man in etwa an die vielen Praktiken der Informalität zurück, die im Dialog gepflegt werden, oder an die Art und Weise, wie die sensiblen Moderator/-innen der Dialogkreise oft sprechen: mit auffällig einfühlsamer, betonter, teils sanfter und beschwichtigender, teils ermutigender Sprache, emotionalisierte Motive verwendend und durch den Sprachton und die Gestik »Gemeinschaft« ausdrückend. Hinzu kommt die gepflegte Regelmäßigkeit der – in Bezug auf die körperliche Performance recht feierlich aufgeführten – Bekenntnisse zur lokalen interreligiösen Gemeinschaft wie auch zur Bedeutung von Religion und »Islam« als Ressourcen in der Stadt. Religionen und »Islam« wurden in fast allen Sitzungen immer wieder als wichtige Wertegeber und als potenziell ordnungsstiftende Elemente artikuliert. Es ist kein Zufall, dass viele städtische Vertreter/-innen im Dialog, die diese Aufgaben pflegen, sich auch selbst als religiös verstehen. An anderer Stelle habe ich in diesem Kontext gar von »postsäkularen Expert/-innen« gesprochen (Winkler 2017). Man denke zudem auch an die Praktiken der Gegensteuerung, über welche städtische Vertreter/-innen unter dem Eindruck zu vie-
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ler Ratschläge für die »Muslime« regelmäßig klarmachen, dass die religiöse Autonomie der »Muslime« gewahrt bleiben müsse. Immer wieder betonten städtische Vertreter/innen, dass die »Muslime« selbst den »Islam« bestimmen müssen (TB CIAG 10). Diese regelmäßigen Bekundungen religiöser Selbstbestimmung scheinen in das Repertoire eines sensiblen Umgangs mit einer Religionsgemeinschaft integriert worden zu sein. Die Dialogexpert/-innen meinen zu wissen, wann Erwartungen an religiöse Entwicklungen den Bogen überspannen und wann nicht. Sie entwickeln entsprechende modi vivendi und scheinen dabei durch ihre eigene religiöse Identität beeinflusst. Ihre Autorität und »Eignung« generieren sie weniger aus formalisierten Zertifikaten (pädagogische, psychologische, theologische Bildung), sondern vielmehr aus einer Kombination mehrerer »weicher« Faktoren, deren Wirkmächtigkeit erst im Vollzug eines langjährigen Praktizierens Entfaltung findet. Sie erlangen ihre (Macht-)Position aus: •
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… der elementaren Tatsache, dass sie entweder als offizielle städtische Vertreter/innen anzusprechen sind und/oder zumindest kommunalpolitische Erfahrungen sowie ein lokales, teils auch überlokales politisches »Standing« aufweisen. Damit können sie gegenüber einer religiösen »Minderheit« als etablierte Mitglieder der »Mehrheitsgesellschaft« und folglich als Personen erscheinen, die »tatsächlich« in der Lage sind, den »muslimischen« Organisationen und Gemeinden zu helfen (das gilt sowohl für die »christlich«-städtischen als auch für die »muslimischen« Moderator/-innen der CIAG, die lokalpolitisch aktiv sind). … ihrer eigenen religiösen Identität und religiösen Sensibilität, die ihnen einen authentischen bzw. authentisch erscheinenden Zugang zu »Islam« und der religiösen Gruppe der »Muslime« ermöglicht – ein Zugang, der von »muslimischer« Seite als ein persönliches Interesse an Religion wahrgenommen werden kann. Im Vollzug der Dialogpraxis konnten diese Expert/-innen die Fähigkeit ausbilden, ebenjene angemahnte Sensibilität im interreligiösen Umgang effektiv verkörpern und plausibel vermitteln zu können. Damit werden sie auch innerhalb lokaler Politik und Verwaltung wertvoll (vgl. Interview 17). … dem querliegenden Aspekt ihres jahrelangen Engagements im Dialog, durch welches sie sich als kontinuierliche, interessierte und vertraute Ansprechpartner/-innen der »muslimischen« Gemeinden konstituieren (können).
Über die Kombination dieser Faktoren konstituieren sich die Expert/-innen des Dialogs als Partner/-innen der »muslimischen« Gemeinden, die – insofern die »christliche« Seite integriert wird – bereits Erfahrungen mit der Institutionalisierung und Organisation von Religion sowie mit der Gestaltung der Beziehungen zwischen Religion und Gesellschaft aufweisen. Den »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen müssen jene Expert/-innen als Subjekte erscheinen, die für Religion und für »Islam« zu begeistern sind, die den Willen zeigen, kontinuierlich in Kontakt mit den »muslimischen« Gemeinden zu bleiben, dies an die Ziele der Anerkennung knüpfen und gleichzeitig lokalen politischen Einfluss haben. So erscheinen die Expert/-innen als Personen, deren Ratschläge als bedeutsam zu nehmen sind. Die Technologie des Dialogs, so die These, setzt auf ebensolche (städtische) Expert/-innen, bringt diese Expert/-innen hervor, schafft ihnen ihre Räume und reproduziert sich durch deren Agieren. Der »Dialog
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
mit Muslimen« operiert als ein Arrangieren lokaler Allianzen, das vornehmlich durch ebenjene Expert/-innen vorangetrieben wird, und als Involvierung der »muslimischen« Bevölkerung in diese Allianzen – in Verbindung mit dem Versuch, diese Allianzen über emotionalisierte Praktiken lokalen Zusammenhalts als Ausdrucksformen interreligiöser Gemeinschaftlichkeit zu artikulieren. Im Dialog werden Expert/-innen dann teils als fachliche Expert/-innen (die Domäne der Wahrheit) und teils auch als, wie ich es nennen möchte, lokale Authentizitätsexpert/-innen (die Domänen von Vertrauen und Erfahrung) bedeutsam (gemacht), angesprochen und mobilisiert. Als lokale Authentizitätsexpert/-innen beziehen sie ihre Expertise daraus, dass sie schon lange eine Beziehung zu den »muslimischen« Gemeinden pflegen und diese (vermeintlich) kennengelernt sowie anerkannt haben. Expertise erwächst also auch daraus, dass jene Expert/-innen als »religiös musikalisch« (vgl. Henkel 2011) erscheinen, bereits Jahre am Dialog partizipieren und sich als vertraute und religionsoffene Partner darstellen (können), die für die Unterstützung der »Muslime« Einsatz finden und zur lokalen Gemeinschaftlichkeit des interreligiösen Dialogs beitragen. Die Subjektposition der Vertrauensperson wird dabei in verschiedenen Praktiken immer wieder aufgeführt, kultiviert und gestärkt.
10.5.3
Die Potenziale einer lokalen Forschungsperspektive auf das Regieren: abschließende Reflexionen zu Raum und Gouvernementalität
In der Verbindung eines geographischen Interesses an der Konzeptionalisierung von Räumlichkeit(-en) und der Foucault’schen Perspektive auf Technologien und Praktiken des Regierens lässt sich, grob angelehnt an die Ideen von Füller und Michel (2012) und in Reflexion der theoretischen Überlegungen der letzten Kapitel, folgender Deutungsrahmen im Schnittfeld Raum und Gouvernementalität formulieren. Die spezifische Regierungstechnologie eines »Dialogs mit Muslimen« (die vielfach auch programmatisch auf die lokale Ebene abzielt) entsteht aus und gewinnt ihre Form und Wirkung erst innerhalb lokaler Verdichtungen aus Praktiken, Routinisierungen, Materialitäten und damit verknüpften Subjektivierungsformen. Die Regierungstechnologie des Dialogs ist auch nur dann angemessen zu verstehen, wenn analysiert wird, wie sie sich aus solchen lokalen Verdichtungen und überkreuzten Entwicklungspfaden heraus entfalten kann. Erst über die Analyse der konkreten Operativität einer Regierungskunst und deren Einbettung in die lokalen Verdichtungen von Praktiken, Routinen, Orten und Beziehungen konnte ich bspw. das governing through friendship als spezifisch systematisierte Machtform rekonstruieren. Die Praxis einer vor Ort stattfindenden Einrichtung und Pflege »runder Tische« und Dialogarbeitskreise (davon ausgehend auch einzelner »Thinktanks« und Arbeitsgruppen), so ließ sich zeigen, operiert als Produktion von Begegnungs- und Kooperationsmöglichkeiten sowie von Begegnungs- und Kooperationsorten, die zeitgleich integrationspolitisch ausgerichtet sind. Das routinierte »Sich-Treffen« in wechselnden Örtlichkeiten u.a. auch bewusst in Räumen lokaler Moscheegemeinden, macht den Zugang zu bestimmten Personen oder Begegnungen zwischen bestimmten Personen wahrscheinlicher und zudem moderier- und gestaltbar. Aus diesen Praktiken und den dadurch geschaffenen Institutionen, Routinen und Orten des lokalen Dialogs heraus wird es für die Regierungsform Dialog dann möglich, auch weitere und neue Institutionen, Praxisfelder und die sich darin konstituie-
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Gouvernementalität der Freundschaft
renden Subjekte zu identifizieren, anzusprechen und zu mobilisieren. So setzte sich bspw. die Erlanger Dialog-Community politisch für die Etablierung eines »islamisch«theologischen Instituts an der lokalen Universität ein – und zwar mit dem Verweis auf die bestehenden Dialogkreise CIAG und FMGE sowie auf deren Bedürfnis nach lokaler theologischer Expertise. Nach seiner Gründung im Jahr 2012 wird nun versucht, die Wissenschaftler/-innen des DIRS in die bestehenden Dialogarbeitskreise einzubinden, was auch damit begründet wird, dass sich sowohl die Dialogkreise als auch das »islamisch«-theologische Institut (DIRS) gleichermaßen um eine Integration von »Muslimen« bemühen würden. Ein Mitarbeiter vom DIRS adelte in einer Sitzung der CIAG selbige gar als den »Ort neuer theologischer Perspektiven« und bekräftigte damit die Notwendigkeit zukünftiger Kooperationen (TB CIAG 4). Die bisherige Dialogpraxis der »runden Tische« konnte sogleich mit der neuen, vor Ort entstehenden akademischen Theologie harmonisiert werden, die sich ebenso stark interreligiös und integrationspolitisch interessiert darstellte. In einem weiteren Beispiel wurde angerissen, wie »Muslime«, die nicht in den Moscheegemeinden aktiv sind oder sich von diesen gar abgrenzen, zu Sitzungen der IRE eingeladen wurden, um neue Ideen für das »Bildung Muslimisch«-Projekt zuzulassen (Interview 21). Auch dieses »Zusammenbringen« basierte auf vorhandenen Entwicklungspfaden, Routinen und Orten der »Zusammenkunft«, die im Dialog geschaffen und plausibilisiert wurden: auf (a) bereits vorhandenen Kontakten zu »moscheefernen« Muslimen in etwa, die eine »muslimische« CIAG-(Co-)Sprecherin durch ihre kurz vorher vollzogene Arbeit an der Ausstellung »Muslime in Erlangen« generieren konnte, sowie auf (b) bestehenden Dialogstrukturen, z.B. die IRE-Mitgliedersitzungen, die besondere strukturelle Merkmale aufweisen – zum einen sind dort gleichzeitig alle Vertreter/-innen beider Moscheegemeinden adressierbar, zum anderen sind in diese Sitzungen potenziell stets auch »solche Muslime« legitimerweise involvierbar, die außerhalb der Gemeinden stehen, da die IRE in ihrer lokalspezifischen Entwicklung als Ansprechpartnerin für den Staat in der Causa Islamunterricht nach »Erlanger Modell« ja stets mit dem Anspruch auftrat, im Zweifel auch alle Erlanger »Muslime« vertreten zu wollen/können. Manchen Vernetzungsereignissen schienen auch zufällige Begegnungen zugrunde zu liegen – wie im Fall eines/einer »islamischen« Theologe/-in, der/die nun maßgeblich an »Bildung Muslimisch« mitarbeitet. Diese/-r wurde nicht im Vorhinein programmatisch für »Bildung Muslimisch« identifiziert, sondern besuchte sowohl aufgrund seines/ihres Engagements in einer »muslimischen« Hochschulgruppe als auch aufgrund seiner/ihrer Kontakte zu den Moscheegemeinden zum ersten Mal eine in den Räumen der IGE stattfindende CIAG-Dialogsitzung, wo er/sie dann städtische Dialogaktive kennenlernte. Die Dialogtechnologie »lebt« dabei von solchen vermeintlich »zufälligen« Begegnungen, die sie immer auch mit hervorbringt und zu systematisieren sucht. Der Dialog schafft die Wahrscheinlichkeiten für solche auf lokalen Netzwerken und Informationsflüssen basierenden Begegnungen sowie auch für deren Moderierbarkeit. Es ist festzuhalten, dass die räumliche Perspektive auf lokale Verdichtungen es erst möglich macht, die Zusammenhänge, Beziehungen und Praktiken genauer zu beleuchten, aus denen sich dann die Möglichkeitsräume des Regierens ergeben. Über diese Perspektive auf lokale Praktiken und die durch diese geöffneten Möglichkeitsräume des Regierens können dann z.B. bestimmte (beobachtete) Begegnungsereignisse, die zu-
10. Fluchtpunkte einer emotionalisierten Regierungskunst
nächst als zufällig erscheinen mögen, als »provozierte«, d.h. als systematisierte und in praktisch-routinierte Systematiken des Regierens eingebettete Ereignisse herausgearbeitet werden. Über die lokale Perspektive und eine lokale, sich in ethnographisches Vorgehen übersetzende Methodologie konnten in dieser Arbeit die Spezifika einer Regierungsform genauer erfasst werden, die die lokale Ebene ohnehin vielfach »benötigt« und mobilisiert, da sie – als Dialog rationalisiert – in ausgeprägter Weise auf Praktiken einer vor Ort stattfindenden Ansprache »kultureller« und »religiöser« Individuen und Gruppen sowie auf die Modellierung konkreter, lebensweltlich situierter sozialer Beziehungen setzt.
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11. Emotion, Moral, Macht und Raum Lokale Geographien interkultureller und interreligiöser Dialoge
Im Januar 2016 präsentierte ich auf einer Tagung in Graz einige meiner Thesen und Beobachtungen zum »Dialog mit Muslimen« und deutete diesen als eine Technologie der Produktion lokaler Gemeinschaftlichkeit, die vielfach auf die Stärkung persönlicher und emotionaler Bindungen setzt. Entsprechend arbeitete ich in diesem Vortrag die Bedeutung von Emotionalität für das Regieren durch Dialog heraus (vgl. Winkler 2017). Nach der Präsentation meldete sich ein in der Sozial- und Kulturgeographie profilierter, in diskurstheoretischen Forschungszusammenhängen versierter Tagungsbesucher, dankte mir für den Vortrag und stellte sodann eine interessante Frage zu den von mir skizzierten Emotionalisierungspraktiken und Machttechniken im Dialog. Seien die Dialogpraktiken, so seine Frage, nicht einfach deshalb so beschaffen und derartig emotional eingefärbt, weil die Partizipant/-innen in den lokalen Dialogforen »nun mal einfach tatsächlich Freunde sind« (sinngemäßes Zitat)? Das Interessante an dieser Frage ist nun, dass sie implizit eine Differenz markiert zwischen einerseits einem Bereich »tatsächlicher« Phänomene auf der Ebene persönlicher Erfahrungen und Beziehungen (Freundschaft) und andererseits einem Bereich der (strukturierenden) Diskursivität und der gesellschaftlichen Machtbeziehungen, der den Gegenstand einer Foucault’schen Macht- und Wissensanalytik darstellt. Aus einer solchen diskurs- und machtanalytischen Perspektive betrachtet, so impliziert die Frage, kommen die Praktiken und Techniken des Regierens als Effekte diskursiver Beziehungen bzw. als Elemente diskursiver Praxis ins Blickfeld. Könnte nun demgegenüber angenommen werden, dass bestimmte Praktiken bspw. aus faktisch existierenden »Freundschaften« oder anderen sozialen (Mikro-)Beziehungen resultieren, so sei der Sachverhalt zum einen in gewissem Sinne »bereits geklärt« und zum anderen würde man sich mit dieser Beobachtung tendenziell außerhalb eines diskurs- und machtanalytischen Erkenntnisinteresses bewegen. Die Antwort, die ich in der Diskussion auf diese Frage gab, entsprach dann in etwa der folgenden Argumentation. Ohne dass ich in meiner Arbeit endgültig klären könnte, ob im Dialog »tatsächlich« Freundschaften entstehen, und ohne dass meine Arbeit eine Soziologie sozialer Beziehungen enthalten würde,
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generiert eine solche Arbeit Impulse, um auch körperliche Praktiken und Zustände, Materialitäten, Emotionen, situierte Interaktionen und damit auch Phänomene wie »Freundschaft« als Elemente einer diskursiv eingebetteten Machtpraxis (des Dialogs) zu denken. Die Arbeit generiert eine Perspektive, aus welcher heraus so etwas wie eine »freundschaftliche« oder »enge« Beziehung als ein diskursiv hervorgebrachtes, praktiziertes und dann auch ganz materiell und gegenständlich wirksam werdendes Phänomen gedacht werden kann; als ein körperliches und erfahrbares Phänomen, welches Teil einer aus sprachlichen und nicht sprachlichen Elementen komponierten diskursiven Praxis ist und zu einem »Ankerpunkt« von materiellen Regierungstechnologien werden kann. Viele meiner ethnographischen Beobachtungen legen – jenseits eines jeden Beweises – durchaus nahe, dass im kommunalen »Dialog mit Muslimen« echte Freundschaften entstanden sind (bspw. zwischen »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen und »christlichen« Sprecher/-innen der Stadt). Und diese Beobachtung, so argumentiere ich, führt nun keineswegs aus einer diskurs- und machtanalytischen Betrachtungsweise heraus, sondern sollte im Gegenteil als eine Beobachtung betrachtet werden, die eine diskurs- und machtanalytische Perspektive bereichern kann. So deutete ich den »Dialog mit Muslimen« in dieser Arbeit als eine diskursiv konstituierte Technologie des Regierens, deren Effekte u.a. in der Wahrscheinlichmachung »echter« freundschaftlicher Beziehungen zu finden sind: Beziehungen, die im Kontext der politischen Problematisierung einer »Integration von Muslimen« auf eine bestimmte Weise positioniert und wirksam werden (können) und die selbst spezifische Machteffekte zeitigen, die im Regieren durch Dialog immer wieder der Reflexion und (Re-)Systematisierung unterliegen. In genau diesem Sinne versuchte die vorliegende Arbeit, die Potenziale einer mehrals-repräsentationalen Politischen Geographie zu erkunden (dazu: Müller 2015). Ein solches Unterfangen ermöglicht eine vertiefende Perspektive auf die lokalen Zusammenhänge, Verdichtungen und Beziehungsgeflechte, in welche Individuen, Körper, Artefakte, Materialitäten und Praktiken involviert sind und innerhalb welcher sich lokale politische Geographien wie auch Regierungstechnologien erst herauskristallisieren. So lässt sich dann auch die Bedeutung von Körper, Affekt und Emotion für Prozesse der (Re-)Produktion gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse diskutieren (Müller 2015; Schurr u. Strüver 2016; Marquardt 2015; Füller u. Michel 2012; Woodward u. Lea 2010). Mit den Analysen der vorliegenden Arbeit konnte ich zu diesen neueren Erkenntnisinteressen beitragen. So verfolgte die Arbeit vielfach eine Perspektive auf Praktiken, auf körperlich vermittelte und situierte Interaktionen sowie auf die dabei wirksamen Emotionalitäten. Damit konnte gezeigt werden, wie eine Gouvernementalität der Freundschaft (Kapitel 10) in und durch lokale Beziehungsgeflechte entsteht und als ein Arrangieren und Modellieren von lokalen Verhältnissen (zwischen bestimmten Subjekten und Gruppen), lokalen Kopräsenzen und interpersonalen Beziehungen wirksam wird. Am Beispiel der Ausgestaltung eines »Dialogs mit Muslimen« in der Stadt Erlangen konnte in dieser Arbeit exemplarisch herausgearbeitet werden, wie ein integrationspolitisch aufgegriffener interreligiöser und interkultureller Dialog zur primären Domäne des kommunalen Regierens von »Islam« und »Muslimen« werden konnte. Der interreligiöse Dialog profiliert sich dabei über sein Versprechen, eine Integration von »Muslimen« leisten zu können, die – in Abgrenzung zu »überhitzten« öffentlichen Debatten – auf lokaler Vertrauensbildung und Verständnisproduktion aufbaut (Winkler 2017).
11. Emotion, Moral, Macht und Raum
Die Arbeit verdeutlichte, wie solche Motive mit der Herstellung lokaler Gemeinschaftlichkeit verknüpft werden und mit der Praktizierung emotionalisierter Aushandlungsräume einhergehen. Mit dem Ziel, die »Integration von Muslimen« auf lokaler Ebene gestaltbar zu machen, fördern kommunale Integrationspolitiken die Etablierung solcher dialogischen Arbeitskreise und Foren, in welchen dann religionssensible, lokal und kommunalpolitisch erfahrene »Expert/-innen« Vertrauensarbeit zwischen Stadt, Gesellschaft und einer »muslimischen« Bevölkerung (v.a. den Moscheegemeinden) orchestrieren. Es wurde gezeigt, wie sich dieser Dialog als ein »Schutzraum« arrangiert, in welchem »sensible Themen« bezüglich religiöser Lebensführung integrationspolitisch motiviert ansprechbar werden, und wie dieser Schutzraum damit den Nährboden für neue Regierungspraktiken bildet. So entstand mit dem Dialog ein integrationspolitisches, pädagogisches und ethisch-moralisches Projekt lokaler Vergemeinschaftung, in dessen Kräftefeldern und über dessen Emotionalitäten auch die Einfügung des »muslimischen« Subjekts in lokale zivilgesellschaftliche und politische Ordnungen problematisiert und gestaltbar gemacht wird. An diesem »Projekt«, so zeigte die Arbeit, sind städtische, kommunalpolitische, gesellschaftliche, »christlich«-kirchliche und »muslimische« Individuen und Gruppen allesamt aktiv beteiligt. Insgesamt rekonstruierte die vorliegende Arbeit politische Geographien des interkulturellen und interreligiösen Dialogs auf lokaler Ebene. Dabei veranschaulichte sie die Praktiken und Techniken, die lokalen Räume und Beziehungen, die Verhandlungen und Konflikte, die Identitätsbildungsprozesse und die Machteffekte, die diesen Geographien innewohnen. Über empirische Analysen des kommunalpolitischen Umgangs mit »Islam« und »Muslimen« in der Stadt Erlangen wurden die Operationsweisen einer eigentümlichen und genuin lokal ausgerichteten Gouvernementalität begreifbar. Im Rückgriff auf Foucaults gouvernementalitätstheoretische Heuristiken wurden Rationalitäten und Praktiken des Regierens im Sinne einer Analyse »lokale[r] Kartographien« (Bröckling u. Krasmann 2010: 40) der Machtausübung offengelegt. Im Hinblick auf das Regieren von »Islam« und »Muslimen« im kommunalpolitischen und lokalen Kotext wurde sukzessive eine Gouvernementalität der Freundschaft als spezifische Spielart liberalen Regierens herausgearbeitet sowie als eine Machttechnologie beschrieben, die auf die Involvierung und (Re-)Konfigurierung »muslimischer« Identitäten und Selbstführungen zielt. Die Arbeit diskutierte dieses governing through friendship als eine Regierungstechnologie, die an bestimmte, im hegemonialen Integrationsdiskurs zirkulierende Probleme, aber teils auch an lokalspezifische Pfade, Praxisfelder, Wissensproduktionen und Orte geknüpft ist. Der Regierungsmodus einer Gouvernementalität der Freundschaft geht, so ließ sich im Hinblick auf die untersuchten Mikrosettings zeigen, mit spezifischen Interaktionsmustern einher und wirkt im Schnittfeld von Integrations-, Vielfalts- und Anerkennungspolitiken. Auch ließ sich auf Spezifika eines Dialogs mit dem »religiösen Subjekt« verweisen, dem zugeschrieben wird, auf besonders emotionales Terrain zu führen. Doch auch über diese Artikulation hinausgehend konnte die Figur und Perspektivierung einer »Gouvernementalität der Freundschaft« – die »Führung unter Freunden« (Winkler 2017) – den analytischen Blick für die Bedeutung der emotional-affektiven Dimension in der lokalen Regierbarmachung von »Islam« und »Muslimen« schärfen. Dabei ließ sich vermittels der lokal ausgerichteten Methodologie und über den ethnographischen Zugang zu Praxis ein komplexes Geflecht eines »Sich-aufeinander-Beziehens«
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heterogener Elemente (Individuen, Gruppen, Institutionen, Praktiken, Materialitäten) (Füller u. Marquardt 2009) aufschlüsseln: ein Beziehungsgeflecht, das im Vollzug situierter Praktiken, Techniken und Verfahrensweisen reproduziert wird und die Aktionsmöglichkeiten von Individuen vorstrukturiert (Füller u. Michel 2012). Hierfür erwies sich die geographisch-raumsensible Perspektive auf Kontexte, Situierungen, Lokalitäten und räumliche Zusammenhänge des Regierens als fruchtbar. Eine in diesem Sinne »topologische« (Collier 2009) Analyse lokaler gesellschaftlicher Machtverhältnisse und der sie konfigurierenden (Selbst-)Steuerungsprozesse ließ entsprechend eine Untersuchung »kleinteiliger Machtverhältnisse« (Füller u. Michel 2012: 11) möglich werden (Ott u. Wrana 2010). Eine solche Untersuchung lokaler Verdichtungen und Verflechtungen konnte dann auch die gouvernementale Bedeutung bestimmter Praktiken, Aktivitätsund Interaktionsmuster bestimmen, die sich in materiellen Kontexten und in Konfigurierungen körperlicher Kopräsenz entfalten. Auch konnten erst über diese Perspektive die Spezifika eines auf lokaler Ebene eingesetzten »Dialogs mit Muslimen« sichtbar gemacht und bspw. die Bedeutungen der Emotionalisierungsprozesse in Verbindung mit den Praktiken des Dialogs herausgearbeitet werden. So zeigte die ethnographische Rekonstruktion von Regierungspraxis, wie der lokale Dialog als emotionalisierte und emotionalisierende Technologie operiert und wie sich dabei bestimmte Machteffekte auf Emotionalisierungspraktiken gründen. Es wurde dargestellt, wie Emotionalisierungen im »Raum des Dialogs« als Zustände des Körpers kollektiv sichtbar gemacht, moderiert und konfliktvoll verhandelt werden. Im Zuge dieser Analysen konnten die in der Politischen Geographie erst in jüngerer Zeit thematisierten Perspektiven von Affekt und Emotion für eine Untersuchung gesellschaftlicher Steuerungsprozesse und politischer Praktiken fruchtbar gemacht werden (vgl. Müller 2015). Ferner ließ sich mit der lokalen Perspektivierung aufschlüsseln, wie ganz »alltäglich« konnotierte Techniken und Praktiken des »zwischenmenschlichen Umgangs« und der Beziehungspflege im integrationspolitischen Dialog zwischen Kommunalpolitik, Gesellschaft und »Muslimen« zu Elementen des Regierens werden. Im Zuge einer solchen analytischen Vorgehensweise vermochte es die Arbeit nicht zuletzt auch, die Bedeutung von Raum, von räumlichen Bezügen, Identitäten und Beziehungsformen sowie von Praktiken der Raumproduktion zu untersuchen. So wurde im Dialog vielfach die Vorstellung einer dezidiert lokalen interreligiösen und interkulturellen Gemeinschaft mobilisiert, in welcher »Muslime« Anerkennung und Unterstützung erfahren würden. Diese lokale Gemeinschaft im Sinne eines »interreligiösen Wir« wurde an lokale und städtische Identitäten und Narrative geknüpft und damit als lokaler Erfahrungsbereich sowie als ein »bespielbares« Feld für Regierungsinterventionen immer auch mit hervorgebracht. Dabei zeigten die Analysen, wie die Versuche der Involvierung von »Muslimen« in eine solche lokale Gemeinschaft mit der Problematisierung bestimmter, als inkompatibel artikulierter Formen »muslimischer« Identität einhergingen. Ferner verdeutlichte die Arbeit, wie die besonderen Raumbeziehungen des Lokalen im Regieren durch Dialog aufgegriffen werden. Der Dialog mobilisiert vielfach lokale Beziehungen, (re-)arrangiert und systematisiert lokale Begegnungen sowie Austauschformen »vor Ort« und setzt auf die Dynamik wie auch die emotional-affektive Wirkung von (strukturierten) Arrangements der Kopräsenz. Als Form des Regierens plausibilisiert und legitimiert sich Dialog gerade in der Praxis und in der Reflexion einer lokalen »Beziehungspflege«. Dialog erschien somit grundsätzlich
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als eine »lokale Angelegenheit«; als Machtpraxis, dessen Plausibilität und Operativität erst in den lokalen Beziehungsgeflechten, Kopräsenzen und Erfahrungshorizonten (geteilte Bezugnahmen auf lokale Ereignisse, Erfahrungen, kollektiv artikulierte, in der Stadt verortete Elemente usw.) generiert werden. Im Lokalen, d.h. in der Mobilisierung lokaler Bezüge, Identitäten und Beziehungen, kann der Dialog seine Programmatik der Begegnung, des Austauschs und des Überbrückens von Differenz (be-)greifbar machen. Eine solche Analyse der Bedeutung raumbezogener Identitäten und spezifisch lokaler Raumbeziehungen für die Techniken des Regierens, wie auch allgemein die lokale Situierung von Regierungsprozessen, liefern dabei Impulse sowohl für die Geographie als auch für die governmentality studies (vgl. Bröckling u. Krasmann 2010; Angermüller u. van Dyk 2010). Der lokale »Dialog mit Muslimen« kann nun vielfach im Hinblick darauf reflektiert werden, inwiefern er die in den Dialog involvierten »Muslime« ermächtigt und gesellschaftlich stärkt – bspw. indem den vielen Versuchen von »Muslimen«, sich aktiv gesellschaftspolitisch zu etablieren, ein lokalpolitischer Nährboden bereitet wird. So konnte in dieser Arbeit verschiedentlich illustriert werden, wie »Muslime«, v.a. die in den Dialog involvierten »muslimischen« Gemeindevertreter/-innen, über lokale Dialognetzwerke Unterstützung und Solidarität erfahren haben, soziales und politisches Kapital erlangen sowie auch in die Lage versetzt werden konnten, ihre Bedürfnisse und Anliegen vorzutragen und damit an der Gestaltung der lokalen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse mitzuwirken. Gerade auch im Rekurs auf das Kernparadigma des »lokalen Vertrauens« sowie auf das stets hervorgehobene »gute« und »freundschaftliche Verhältnis« können (»muslimische«) Erwartungen artikuliert und Anliegen legitimiert werden. Mit dem kommunalpolitischen Dialog finden »muslimische« Vertreter/-innen ein Feld vor, innerhalb welchem sie sichtbar werden, als politische Sprecher/-innen auftreten und sich in dieser »Rolle« profilieren können. Auch bietet der Dialog einen Rahmen für die Ausgestaltung »muslimischen« sozialpolitischen Engagements. Insgesamt können »muslimische« Repräsentant/-innen im Dialogfeld als gesellschaftliche und politische Akteure aktiv agieren und werden dabei verschiedentlich unterstützt. Der dialogische Fokus auf zwischenmenschliche Beziehungen, Vertrauensbildung und konstante interpersonale Beziehungen »vor Ort« kann zudem Verhältnisse schaffen, in denen Krisensituationen (bspw. ein religiös konnotierter Anschlag und die daran anschließenden Abwehrbewegungen gegen »Islam«) effektiver abgepuffert werden können. Vielfach setzt der Dialog auf den Aufbau und die Pflege verstetigter lokaler Kommunikationskanäle und -beziehungen, was in Krisensituationen mobilisiert werden kann. Die Praxis des Vertrauens und der lokalen Beziehungspflege kann zudem die gesellschaftliche Stellung zumindest der dialogaktiven »muslimischen« Sprecher/innen stärken. Es ließ sich verdeutlichen, wie Vertreter/-innen der organisierten Moscheevereine über das Dialognetzwerk einen informellen und unkomplizierten Zugang zu kommunalpolitischen Akteuren sowie gesellschaftlich etablierten Individuen und Gruppen erhalten. Zudem können die Stärkung interpersonaler Beziehungen und die damit verknüpften, auf persönlicher Ebene angesiedelten Erfahrungen ein wichtiges Korrektiv zu den vorurteilsbeladenen Debatten um »Islam« darstellen. Dabei kann über die Dynamik lokaler Begegnungen ein bestimmtes enggeführtes Verständnis von Integration
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herausgefordert werden, das einseitig die Anpassung einer zu integrierenden Gruppe fordert. Gleichzeitig aber zeigt sich die Dialogpraxis in asymmetrische gesellschaftliche Machtverhältnisse eingebettet und von normativ vorkonfigurierten Steuerungsimpulsen und Machtpraktiken durchzogen, die bestimmte Aspekte der (religiösen) Lebensführung der in den Dialog involvierten Subjekte fördern und andere hemmen. Auch basiert der Dialog auf der Vorstellung der Gegebenheit bestimmter Identitäten. Entsprechend sind dem Dialog verschiedene Schieflagen, Konflikte und Spannungen inhärent. Da der »Dialog mit Muslimen« auf die Mobilisierung von Subjekten angewiesen ist, die als Repräsentant/-innen des »Islam« auftreten können, nimmt die Dialogtechnologie durch die Etablierung von Sprecherpersonen identitätspolitischen Einfluss auf das »muslimische« Feld. Über die Involvierung bestimmter »muslimischer« Repräsentant/-innen werden bestimmte »muslimische« Identitäten politisch sichtbar gemacht, alternative Repräsentationen von »Islam« und »Muslimen« jedoch verdrängt – Mechanismen, die auch im »muslimischen« Feld Konflikte auslösen können (Spielhaus 2011). Damit verbunden, ist der Dialog ohnehin als eine kulturalisierende politische Praxis zu interpretieren. Im Dialog werden Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie einer zu fördernden gesellschaftlichen Teilhabe von »Muslimen« primär als Fragen interkultureller und interreligiöser Beziehungen gelesen. Damit werden soziale, politische und ökonomische Aspekte der Lebenssituation und Teilhabe von »Muslimen« in Deutschland tendenziell aus dem Blickfeld gedrängt und soziale Konflikte vorwiegend als Probleme kultureller und religiöser Differenzen markiert. Gleichzeitig gelangen Individuen »islamischen« Glaubens im Dialog primär als religiöse Subjekte in den Blick, was alternative Identitätsmuster ausblendet. Letztlich hebt eine solche Perspektive kulturelle und religiöse Differenzen immer wieder hervor. Auch essenzialisiert der Dialog »Muslime« als vermeintlich homogenes und von der Mehrheitsgesellschaft differentes Kollektiv. Im Dialog müssen kulturelle und religiöse Differenzen immer erst hergestellt und gefestigt werden, bevor ein harmonisches Verhältnis zwischen den Kulturen und Religionen angestrebt werden kann (Klinkhammer et al. 2011; Tezcan 2012; Fortier 2007: 111). Als Regierungsform gründet sich der »Dialog mit Muslimen« vielfach auf einer politisch-symbolischen, »rationalistischen« Agenda der Anerkennung. Im Feld des Dialogs wird primär versucht, eine bestimmte »Geisteshaltung« der Toleranz und Anerkennung zu entwickeln und darüber die Diskriminierung und Exklusion von »Muslimen« aufzulösen. So fokussiert der Dialog auf die Auseinandersetzung mit kulturellen und religiösen Identitäten und in diesem Zusammenhang auf die Förderung gegenseitigen Verständnisses als Lösung sozialer Probleme. Im Dialog »ging und geht es bei Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens stets um Fragen der kulturellen Anerkennung und des wechselseitigen interkulturellen und interreligiösen Dialogs, und sehr viel weniger um Fragen der rechtlichen und sozioökonomischen Einbindung von Zugewanderten« (Kosnick 2016). So läuft das Dialogparadigma Gefahr, Aspekte der rechtlichen und sozioökonomischen Involvierung (und Benachteiligung) verschiedener exkludierter Gruppen (nicht nur von »Muslimen«, sondern bspw. auch allgemein von Menschen mit Migrationshintergrund) aus dem Blick zu verlieren und Aspekten der Anerkennung und des »wechselseitigen Verstehens« unterzuordnen (vgl. auch: Radtke 2011; Fraser u.
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Honneth 2015 [2003]; Fortier 2007). Überspitzt gesagt, ist der Dialog geprägt von »injunctions of love and understanding that neglect the relations of distance, power, and conflict that living with difference is embedded in« (Fortier 2007: 111) – zumindest lässt der Fokus auf das »rationalistische« Verstehen des »Anderen« und auf das Befördern von Wissen über andere Kulturen und Religionen eine tiefgehendere Auseinandersetzung mit den sozialen, politischen und ökonomischen Fragen struktureller Exklusion teilweise in den Hintergrund treten. Die »Illusion«, wie Fortier es kritisch benennt (ebd.), die im Anerkennungsparadigma stecke, »is that power relations and conflicts will be somehow suspended through dialogue and intimacy, and that the distance and hierarchy between those who tolerate and those who are tolerated will dissolve« (ebd.). Diese Probleme mögen sich angesichts dessen, dass der Dialog vielfach in einer moralisierenden und emotionalisierenden Art und Weise als eine im Grunde apolitische oder überpolitische, »menschliche« und humanistische Praxis der Anerkennung und des Verständnisses aufgeführt wird, noch weiter verschärfen. Als ein emotionales Projekt der Förderung von »Begegnungen zwischen Menschen« kann der entsprechend depolitisierte Dialog die komplexen sozialen, politischen und ökonomischen Strukturen und Prozesse, die den Praktiken einer kulturalisierenden und/oder rassifizierenden Exklusion von Gruppen zugrunde liegen können, nicht adäquat thematisieren (vgl. dazu: Gutiérrez Rodríguez 2003; Hess, Binder u. Moser 2009; Karakayali 2009; Rodatz 2012, 2016). Vor dem Hintergrund solcher Problematiken ist anzumerken, dass ein Dialog, welcher sich primär als politisch-symbolische, bewusstseinsbildende »Anerkennungskampagne« ausgestaltet, zwar die Anerkennung von »Muslimen« auf Ebene der politischen Repräsentativität vorantreiben und auch in der lokalen und alltäglichen Praxis Räume der (faktischen) Teilhabe für »Muslime« vergrößern kann, jedoch in der Tendenz nicht ausreichend dazu in der Lage sein mag, die konkrete politische und rechtliche Verankerung und Kodifizierung dieser »Anerkennung« zu begründen. Die in dieser Arbeit untersuchte Dialogtechnologie fokussiert primär auf den organisierten »Islam« der lokalen Moscheevereine, der als kollektivistischer »Islam« einer »traditionell« ausgerichteten und religiös praktizierenden »muslimischen« Bevölkerung ins Blickfeld integrationspolitischer Maßnahmen gerät. Damit fokussiert der Dialog letztlich auf Individuen, die nach wie vor häufig einen Migrationshintergrund aufweisen und aus verschiedenen strukturellen Gründen in der Ausübung sozialer Rechte benachteiligt werden. Gerade der auf das »Kennenlernen« von Kulturen und Religionen zielende Anerkennungsdialog generiert nun aber zu wenige (politische) Räume, in denen Auseinandersetzungen im Hinblick auf die Verbesserung des rechtlichen Status von »Migrant/-innen« geführt werden könnten. Ein anderes Beispiel wäre die in dieser Arbeit ausführlich beschriebene Einführung von Islamischem Religionsunterricht (IRU) in der Stadt Erlangen, die in den lokalen Dialogkreisen vorangetrieben wurde. Hierbei wurde de facto eine Situation geschaffen, die es den lokalen Moscheegemeinden erlaubt, an der Konzeption und Durchführung eines lokalen Islamunterrichts an Erlanger Schulen teilzuhaben. Gleichzeitig haben es die Dialognetzwerke aber nicht geschafft, die provisorisch und modellhaft etablierten Formen von Islamunterricht auf lokaler Ebene in eine rechtliche Anerkennung der »Muslime« bzw. bestimmter »muslimischer« Organisationen als Religionsgemeinschaft nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes zu überführen. Hierbei ist den Dialoginstitutionen und den beteiligten Praktiker/-innen keineswegs der Vorwurf
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zu machen, dass dieses Ziel nicht verfolgt wurde – es wurde verfolgt und auch immer wieder politisch artikuliert. Es ist aber die These aufzuwerfen, dass der Dialog für das Ziel einer rechtlichen Anerkennung der »Muslime« als Religionsgemeinschaft anderen politischen Artikulationen und Kämpfen mehr Raum geben müsste: Statt auf »Begegnung« und »Austausch« zwischen Kulturen und Religionen sowie auf ein »Kennenlernen« des »Islam« zu setzen, müssten stärker und expliziter die Rechte von »Muslimen« als Bürger/-innen eines politischen Gemeinwesens zum Gegenstand der Auseinandersetzungen gemacht werden. Die (Über-)Betonung von kulturellen und religiösen Identitäten und Kollektiven, die im Dialog stattfindet, kann die Versuche der rechtlichen Anerkennung von (»muslimischen«) Bürger/-innen letztlich behindern – nicht zuletzt, weil die durch einen solchen Kulturdialog sichtbar gemachten »Muslime« von der Gesellschaft allzu schnell als kulturell und religiös »anders« wahrgenommen werden. Dies kann dann in mühevolle und schwer auflösbare Debatten um Fragen einer kulturellen und wertebasierten Integration einleiten und von Fragen politischer (Bürger-)Rechte wegführen (Radtke 2011). Nicht zuletzt müsste der Einsatz für eine rechtliche Anerkennung stärker von der lokalen Ebene in überlokale Bereiche getragen werden. Obschon bspw. die Erlanger Dialogkreise durchaus auch in überlokale politische Arenen hineinzuwirken versuchten, basiert die Dialogtechnologie tendenziell auf einer ausgeprägten (Über-)Betonung der lokalen Ebene als »Ebene der Begegnung«, des »Austauschs« und des wechselseitigen »Kennenlernens«. Das Problem einer mangelhaften rechtlichen und politischen Verankerung und Kodifizierung der Teilhabe exkludierter Gruppen – z.B. von »Muslimen« oder »muslimischen Migrant/-innen« – liegt nun auch darin begründet, dass die politisch-symbolischen und ideellen Formen der »Anerkennung« oder die eher auf lokaler und alltäglicher Teilhabe basierenden Formen der Inklusion benachteiligter oder diskriminierter Gruppen im Fall einer gesellschaftspolitischen »Stimmungsschwankung« allzu schnell wegbrechen können, ohne dass eine rechtliche Verankerung der Teilhabe übrig bleiben würde. Nach Ereignissen wie z.B. der »Kölner Silvesternacht« 2015 oder nach islamistisch kodierten Gewaltakten mag ein mehr auf moralischen und emotionalen Dispositionen als auf politischen Forderungen basierender Anerkennungsdialog brüchig werden, ohne dass die Rechte »muslimischer« Bürger/-innen ausreichend verfolgt wurden. Ähnliche Reflexionen und Kritiklinien, wie sie hier auf den »Dialog mit Muslimen« bezogen werden, finden sich derweil in Arbeiten wieder, die die ebenso vielfach depolitisierte, als rein humanitäre Hilfe artikulierte Unterstützung für Geflüchtete untersuchten. Die Reflexionen dieser Studien lassen sich teils auch auf den Dialog beziehen (Sutter 2017; van Dyk u. Misbach 2016; Karakayali 2016; Rodatz 2016). Grundsätzlich zeigt sich die Dialogpraxis zudem von einem zentralen inneren Widerspruch geprägt, der sich aus der Spannung zwischen Anerkennung und Steuerung ergibt. Das im Dialog aktive »muslimische« Subjekt soll (vorab) anerkannt werden, sich aber gleichzeitig an den vielen integrationspolitisch eingefärbten Erwartungen neu ausrichten, die sich im Dialog explizit oder implizit artikulieren. Einerseits werden die in den Dialog involvierten und dort aktiven »muslimischen« Subjekte in ihrer Autonomie gestärkt und als »Partner« mobilisiert, anderseits aber in einer asymmetrischen Bewegung und Falllinie der Macht den Erfahrungen, Vorstellungen und »Ratschlägen« der Community des Dialogs ausgesetzt. Innerhalb dieser widersprüchlichen
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Spannung zwischen Anerkennung und Lenkung entfaltet sich der Dialog als eine Praxis, in deren Kräftefeldern Machtausübung nur allzu leicht verschleiert werden kann. Insofern sich der Dialog als eine Praxis der »Augenhöhe«, der »Partnerschaft«, der »Offenheit«, der »Begegnung« und des »Austauschs« sowie der wechselseitigen »Anerkennung« präsentiert und sich damit auch von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzt, mag er leicht als eine Interaktionsform erscheinen, die in gewissem Sinne außerhalb des Politischen stehen würde. Der Dialog präsentiert sich als ein Feld, in dem keine Macht ausgeübt, sondern »nur« Kooperation und Verständigung herrschen würden. Demgegenüber zielte die vorliegende Arbeit darauf ab zu untersuchen, wie »muslimische« Identitäten und Selbstführungen gerade durch die im Dialog angestrebten Formen von Kooperation und Verständigung sowie gerade durch die Mechanismen der Anerkennung, der Involvierung, der lokalen Begegnung und des Austauschs zu Gegenständen einer sehr spezifischen Machtausübung werden. Dabei, so die Beobachtung, »verschleiern« und dethematisieren gerade die vielfach illustrierten Praktiken der Emotionalisierung (die sich für das Regieren durch Dialog als prägend erwiesen) Machtverhältnisse, Interessenskonflikte sowie den »Willen« und die Fähigkeit zur Artikulation von Konflikt und Widerstand. Insofern sich der Dialog in einer emotionalisierten Art und Weise als ein moralisches Projekt der Vergemeinschaftung darstellt, wird es umso schwieriger, Nein zu sagen zum Dialog bzw. zumindest zu dessen einzelnen Prämissen, Setzungen, Programmen und Operationsweisen (vgl. Tezcan 2012). Doch ist es sehr wichtig, so die These, Reflexionsräume zu eröffnen, in denen Dialog bzw. die sich darin entfaltenden Vorgehensweisen auch hinsichtlich ihrer (identitätspolitischen) Macht- und Subjektivierungseffekten kritisch hinterfragt werden können. Dies ist deshalb von Relevanz, da der »Dialog mit Muslimen« – wie die Arbeit zeigte – von zahlreichen Konflikten und Spannungen durchzogen und mit verschiedenen normativen, integrationspolitisch eingebetteten (Ordnungs-)Vorstellungen verknüpft ist. Gerade der organisierte »Islam« der Moscheevereine wird im Dialog vielfach mit Problemen verknüpft und in seiner Entwicklung und Organisation zum Gegenstand von Interventionspraktiken gemacht. Dabei fördert der Dialog stets bestimmte »muslimische« Identitäten und Lebensweisen und verdrängt demgegenüber andere. Letzteres betrifft vor allem solche »muslimischen« Identitäten, die mit einer eher gesetzesförmigen und normativen Religiosität konnotiert werden, an bestimmten Dogmen festzuhalten scheinen, Religion nicht genügend historisch-kritisch betrachten würden und allgemein eher »traditionell« und kollektivistisch ausgerichtet seien. Diese Formen der Identität werden im Anerkennungsdialog zwar involviert, doch beständig und vielfach subtil diversen Anpassungsforderungen ausgesetzt. Dennoch aber erhalten auch solche eher »traditionell« ausgerichteten Formen religiöser Identität durch ihre Involvierung in den Dialog eine Ermächtigung und eine legitime Sprecherposition. Gerade die Aushandlungen um die »muslimische« Erwachsenenbildung zeigten, dass sich hier durchaus auch Akteure eines »traditionellen«, verbandsorientierten »Islam« in selbstbewusster und kreativer Art und Weise durchsetzen konnten. Im Dialog kann folglich auch niemals ein ganz bestimmter Islam »geschnitzt« werden. Die verschiedenen Formen der Machtausübung jedenfalls schreiben sich oftmals implizit in die Techniken und Praktiken des »Dialogisierens« ein. So legte diese Arbeit ihren Fokus v.a. darauf, aufzuzeigen, in welchen vielgestaltigen Formen der Dia-
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log als machtvolle Beeinflussung und Strukturierung operiert und wie dabei »Islam« und »Muslime« (re-)konfiguriert werden. Es wurde versucht, spezifisch dialogorientierte Formen der Beeinflussung auf der Ebene situierter Praktiken und Interaktionen nachvollziehbar zu machen. So konnte dann skizziert werden, wie auch im »Anerkennungsdialog« sowie in den damit verbundenen Begegnungs- und Austauschbeziehungen Machtverhältnisse und Machttechnologien wirken und sich bis in einzelne Interaktionen und Aktivitäten hinein fortschreiben. Eine solche Analyse macht die Mechanismen der Macht sichtbar(-er) und ermöglicht damit, Konflikte und Spannungsfelder besser zu erkennen, zu reflektieren und in Bereiche der Neuaushandlung zu überführen, normative Setzungen und Steuerungsformen offenzulegen und zu kritisieren sowie Alternativen zu etablierten Praktiken zu denken. In mehreren Analysen dieser Arbeit wurde davon ausgegangen, dass eine hegemoniale Mehrheits-Minderheits-Figuration als historisch entstandenes asymmetrisches Verhältnis existiert und dass »Muslime« in Deutschland derzeit vielfach als eine kulturell differente und »zu integrierende Minderheit« positioniert werden. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen über dominante Falllinien der Macht wurde dann danach gefragt, in welchen auch subtilen und impliziten Formen gegenwärtig versucht wird, die Entwicklung »muslimischer« Identitäten und Lebensführungen zu lenken und an hegemoniale Wahrheiten und Praktiken zu koppeln. Aus einer solchen Perspektive heraus erschienen »Muslime« in einigen der Illustrationen womöglich tendenziell als passiv bzw. als »Objekte« des Regierens. Dies wurde bis zu einem gewissen Grad in Kauf genommen, um zunächst einmal aufzuzeigen, wie der Dialog auf die (Re-)Formation »muslimischer« Selbstführung(-en) abzielt und verschiedene Erwartungen an die Entwicklung »muslimischer« Identität stellt. Doch verdeutlichten die empirischen Darstellungen ebenso, wie »Muslime« im Dialog aktiv agieren, die verschiedenen Programme und Maßnahmen mitprägen und auch kritisieren sowie an entsprechenden Aushandlungsprozessen beteiligt sind. Ebenso zeigte sich, wie die im Dialog agierenden »Muslime« diverse Formen einer integrationspolitisch motivierten (Re-)Formation »muslimischer« Identitätsentwicklung wie auch Maßnahmen der Einfügung von »Islam« in hegemoniale Strukturen aktiv mittragen und mit entwerfen. Dabei sind auch Konflikte zwischen »muslimischen« Dialogaktiven zu beobachten, insofern es unter »Muslimen« divergierende Ansichten über die gewünschte Entwicklung »muslimischer« Identität in Deutschland gibt. Im Sinne Foucaults jedenfalls wirkt die Machttechnologie des Dialogs keineswegs direkt auf »muslimische« Individuen ein, sondern beeinflusst Lebensführungen und Identitäten: ein Prozess, an dem »Muslime« vielfach selbst beteiligt sind. Gerade das Motiv einer Gouvernementalität der Freundschaft betont an dieser Stelle, dass die in den Dialog involvierten Individuen und Gruppen wechselseitig als »Partner«, »Verbündete« und »Vertraute« konstituiert werden. Damit erhalten die Dialogteilhabenden – und somit auch die in den Dialog involvierten »Muslime« – wichtige Sprecher- und Aktionspositionen, aus denen heraus sie aktiv und kreativ agieren und mit beeinflussen können. Im Rahmen der Dialogparadigmen erfahren die »muslimischen« Dialogteilnehmenden Unterstützung und Solidarität, was ihr selbstbewusstes Auftreten als (lokale) politische Akteure erleichtert und dynamisiert.
11. Emotion, Moral, Macht und Raum
Dialog, Moralisierung und Emotionalisierung: ergänzende Reflexionen In ihrem Fokus auf Praxis, auf körperliche Performativitäten sowie auf die auch emotionalen, ethischen und moralischen Aspekte des politischen Dialogs veranschaulichte die Arbeit komplexe Prozesse der Aushandlung und (Re-)Konstitution sowohl kollektiver politischer Identitäten (einer lokalen oder städtischen Gemeinschaft, einer Gemeinschaft »dialogbereiter« Subjekte, einer nationalen Mehrheitsgesellschaft usw.) als auch individueller, performativ hervorgebrachter Subjektidentitäten. Die Arbeit zeigte dabei u.a., wie solche Prozesse der Identitätsherstellung in Verschränkung mit Mobilisierungen politischer und moralischer Gemeinschaftsvorstellungen durch verschiedene »emotionale und emotionalisierende Injektionen« (übersetzt nach: Fortier 2007; Zembylas 2014) geprägt sind: sei es der (kulturalisierende) Appell, gegenüber »kulturell anderen« Empathie, Interesse und Lernbereitschaf zu empfinden, sich kulturellen Differenzen gegenüber offen zu zeigen und diese zu »umarmen« (dazu: Fortier 2007); sei es der Aufruf, eine Haltung der Toleranz einzuüben, oder der Appell, gerade auf lokaler Ebene zusammen mit lokalräumlich »nahen« Individuen eine plurale Gemeinschaftlichkeit zu begründen (Fortier 2007; De Wilde 2015a). Solche »emotionalen Injektionen« bzw. die entsprechenden Emotionalisierungen beeinflussen die komplexen und widersprüchlichen Aushandlungsprozesse um Identitäten, Werte, erwünschte emotionale Dispositionen sowie um moralische und politische Zugehörigkeit(-en). Entsprechend legten die Analysen dieser Arbeit nahe, in der Rekonstruktion der Machteffekte des »Dialogs mit Muslimen« die Emotionalitäten und Moralitäten des Regierens zu beachten (vgl. Rose u. Miller 1993), um die Dynamiken der Aushandlungsprozesse, Konflikte und (Selbst-)Führungsmechanismen besser zu verstehen. Dabei zeigte sich v.a., wie bestimmte emotionale Injektionen Teil einer Regierungspraxis werden, die die (Re)Konfigurierung von bestimmten »muslimischen« Lebensweisen anstrebt. Die mehrheitsgesellschaftlichen Subjekte des Dialogs, die sich in der asymmetrischen Position wiederfinden, eine kulturelle/religiöse Minderheit zu tolerieren, konstituieren sich (implizit) selbst als »moralisch gute«, da tolerante und Differenzen gegenüber offene Subjekte. Als solche fühlen/empfinden sie in gewissem Sinne gar »Stolz« in Bezug auf die eigene moralische Praxis: die Praxis der Toleranz, die Kapazität zur Dialogführung sowie die praktizierten Fähigkeiten, kulturelle und religiöse Differenzen anzuerkennen und in eine multikulturelle bzw. multireligiöse Gemeinschaft zu involvieren. Überspitzt gesagt, mögen mehrheitsgesellschaftliche Dialogsubjekte gegenüber den als »eigen« artikulierten dialogisch-toleranten Werthaltungen nicht selten eine womöglich gar stärkere Empathie entwickeln als gegenüber den im Dialog anzuerkennenden Subjekten – die aber natürlich ebenfalls als »Objekte« der Anerkennung und Empathie positioniert werden. Gemäß der moralisch-emotionalen Figur eines »embracing the other« (Fortier 2007) fungiert die »muslimische« Seite im Dialog als »legitimate object of embrace« (Zembylas 2014: 12), an welchem die Mehrheitsgesellschaft im multikulturalistisch artikulierten Kontext ihre eigene Toleranz exerzieren und sich damit auch moralisch erhöhen kann (Yildiz 2012). Doch in den Rationalitäten/Emotionalitäten (Campbell 2010) des Dialogs werden die anerkannten, tolerierten und »umarmten« Subjekte dann stets auch danach befragt – sowie moralisch daran gemessen –, inwiefern sie selbst die Fähigkeit und den Willen zeigen, zurück zu umarmen (vgl. Zembylas 2014), den Dialog
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und seine Werte aufzugreifen, fortzuführen und in das eigene kulturelle und religiöse Selbstverständnis zu integrieren. Nur dann, so das Regierungsmomentum, kann das »muslimische« Subjekt es sich »verdienen«, dass man gegenüber ihr oder ihm ebenso (positiv) fühlen mag, wie man gegenüber der Dialog-Community als solcher fühlt; der Dialog-Community als Wertegemeinschaft, als Ideal, als Verkörperung von Toleranz. Die vorliegende Arbeit konnte verschiedentlich aufzeigen, wie sich solch ambivalente Figurationen von Inklusion und Exklusion im Dialog im Hinblick auf die Dimensionen von Moralisierung und Emotionalität anordnen. Die Subjekte im Dialog heben in Verbindung mit emotionalisierten Praktiken der Gemeinschaftsherstellung ihre dialogische Haltung der Toleranz und Offenheit als moralisch »gute« Eigenschaft hervor. Diese Haltung der Toleranz und Offenheit wird nun (implizit) vielfach als etwas aufgefasst, das aus der Mehrheitsgesellschaft heraus gedeihen konnte. Dadurch wird die »nicht muslimische« Mehrheitsgesellschaft trotz der registrierten islamophoben und/oder allgemein fremdenfeindlichen Strömungen implizit ebenso als (potenziell) moralisch »gute« Gesellschaft artikulierbar, der gegenüber man positive Empfindungen haben dürfe oder sollte (vgl. Fortier 2007), da diese Gesellschaft dialogwillige Subjekte hervorbringen konnte, die die Anerkennung und Inklusion von »Islam« und »Muslimen« vorantreiben. Jene moralisch erhöhte Gesellschaft, die (vermeintlich) dialogwillige Subjekte produziert, wird dabei von den Dialogteilhabenden eher selten als »deutsche« Gesellschaft artikuliert, da eine solche Artikulation vor dem Hintergrund der Diskursstränge um Integration und »Leitkultur« (Hess, Binder u. Moser 2009) als assimilatorische Praxis der hochgehaltenen Toleranz und Offenheit entgegenstehen würde. Doch auch ohne den Bezug auf eine explizit nationale Identität wird hierbei eine Mehrheitsgesellschaft im abstrakten Sinne imaginiert, deren Werte – bspw. liberale, demokratische, säkulare oder aufklärerische Werte – Dialog möglich gemacht hätten. Diese Gesellschaft wird im Sinne eines »Regierens durch Affekt« (Fortier 2007, 2010) zum legitimen Empfänger positiver Empfindungen gemacht. Das »dialogbereite Subjekt«, welches hier einer spezifischen Form von Ethopower (Rose 2000b) ausgesetzt ist, ist dann dazu aufgerufen, diese Empfindungen zu fühlen (und dies auch zu zeigen), um als »affektives Subjekt« (Fortier 2007; Zembylas 2014) bzw. in der Form eines »affective citizenship« (De Wilde 2015a) an der politischen Gemeinschaft des »Dialogs« teilhaben zu können. Die Art und Weise nun, wie gerade die »muslimische« Bevölkerung im Dialog in eine Relation zu diesen Prozessen der Konstitution emotional-affektiver Topologien und politischer Identitäten gebracht wird, ist ambivalent. Einerseits (a) wird – aus der Perspektive einer hegemonialen »Mehrheit« betrachtet – als moralische Aufgabe definiert, »Muslime« als Teil jener dialogischen und toleranten Gesellschaft zu verstehen und zu inkludieren. Auch wird betont, dass die »muslimische« Seite natürlich ihren Anteil an der Produktion einer tolerant-dialogischen (lokalen) Gemeinschaft leistet. Damit verknüpft, stellt auch die Anerkennung von »Islam« und »Muslimen« einen gewichtigen Fluchtpunkt im Selbstverständnis »mehrheitsgesellschaftlicher Dialogsubjekte« dar. Das Motiv der Anerkennung und sodann auch die Vision einer gemeinsam mit »Muslimen« geschaffenen (oder zu schaffenden) inklusiven und offenen Dialog-Community werden auf allen Seiten als ermächtigend und erfüllend erlebt und in emotionalisierten und moralisierten Praktiken zu Idealzielen des Dialogs erhoben. Auf dieser positiven und hoffnungsvollen »Seite« im Kräftefeld des Dialogs – d.h., innerhalb dieser anerkennungslogischen, moralischen
11. Emotion, Moral, Macht und Raum
Bewegung – sind auch die vielen Beobachtungen zu verorten, die mich letztlich zur Aussage verleiteten, dass im Dialog durchaus Freundschaften entstehen (können). Die Moral und Emotionalität der Anerkennung und Toleranz bedingen eine Praxis des Dialogisierens, die gegenwärtig auf die Integration von »Muslimen« zielt und dabei lokale Vertrauensbeziehungen wahrscheinlicher macht. Diese wiederum befördern die aktive gesellschaftliche Partizipation »muslimischer« Subjekte und begründen für letztere in einer hoffnungsvollen Bewegung wichtige Ermächtigungserfahrungen. Andererseits aber (b) schafft es die Dialogpraxis nicht, sich jenes Mechanismus zu entledigen, der die Werte und Haltungen von Dialog, Toleranz und Offenheit (gegenüber dem »Anderen«) als Eigenschaften einer (vermeintlich) liberalen »Mehrheitsgesellschaft« definiert, aus der der Dialog ja erwachsen sei. In dieser Bewegung wird die Schaffung einer toleranten und vielfaltsbejahenden politischen Gemeinschaft des Dialogs bisweilen gegen die neu zu inkludierende Gruppe der »Muslime« gewendet. So werden »Muslime« – im hegemonialen Diskurs stets als eine Gruppe mit partikularen religiösen und kulturellen Ansichten, Prägungen und Bedürfnissen adressiert – vielfach in einer exkludierenden Bewegung danach befragt, ob sie selbst auch genügend tolerant und vielfaltsbejahend sind, um Teil dieser (moralisch »guten«) Dialoggemeinschaft zu werden. In dieser Bewegung ist das ebenso moralisierte Ziel weniger die Anerkennung und »Umarmung« (Fortier 2007) einer religiösen Minderheit, sondern die Sicherstellung, dass »Muslime« jene dialogisch-tolerante Haltung, von der sie selbst profitieren würden, auch in die eigene Identität integrieren. Genau dies ist im Dialog ein zentraler, wenn auch oft eher implizit artikulierter Wunsch, wobei stets der Verdacht auftaucht, dass »muslimische« Subjekte dies noch nicht zur Genüge getan hätten. Somit lassen sich zwei teils entgegenlaufende emotionalisierte Praxen identifizieren, die hier v.a. das »mehrheitsgesellschaftliche Subjekt« im Dialog erfassen und widersprüchliche Effekte zeitigen: der emotionalisierte Aufruf, »Islam« anzuerkennen, und der emotionalisierte Aufruf, eine tolerante Gesellschaft zu schaffen, die dann entsprechend einen »toleranten Islam« benötigt, dessen Existenz aber vor dem Hintergrund hegemonialer Problematisierungen immer wieder infrage gestellt wird. Diese Ambivalenzen sind auch mit dafür verantwortlich, so die These, dass sich im Dialog oft dermaßen implizite, »verklausulierte« und subtile Formen der Kritik und Gegenkritik entfalten – bzw. dass Kritik im Dialog ohnehin eine spannungsvolle Praxis ist (vgl. Kapitel 10). Auf »muslimischer« Seite erzeugen solche Ambivalenzen in der (emotionalen) Artikulation von Identität, Zugehörigkeit und Ausschluss Unsicherheiten und ein gewisses »Unbehagen« gegenüber dem Dialog. Im Hinblick auf Fragen nach dem gesellschaftspolitischen Umgang mit Integration und Migration sowie nach Formen des »Managements« von Differenz(-en) in pluralen Gesellschaften lässt sich derweil auch über diese Thesen hinausgehend argumentieren, dass eine Untersuchung von Emotionalisierungs- und Moralisierungsprozessen im Rahmen künftiger Forschungsarbeiten lohnend sein dürfte (Fortier 2007; De Wilde 2015a; Sutter 2017). Der »Dialog mit Muslimen« stellt vor dem Hintergrund islamophober und islamskeptischer Tendenzen sowie eines Erstarkens politisch rechter Ansichten und Praktiken ein wichtiges politisches Signal der Anerkennung von »Islam« und »Muslimen« dar. Die Dialogprogrammatik setzt ein sichtbares Zeichen gegen Ausgrenzung und pauschale Islamkritik. Die Praktiken des Dialogs kreieren lokale Kommunikationskanäle,
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Gouvernementalität der Freundschaft
die gerade in Krisensituationen Konflikte abpuffern und entschärfen können. Nicht zuletzt gibt der Dialog den involvierten »muslimischen« Vertreter/-innen die Möglichkeit, sich aktiv und kreativ gesellschaftspolitisch einzubringen – wobei dies natürlich nur jene »muslimischen« Vertreter/-innen betrifft, die von den entsprechenden Politiken identifiziert und adressiert werden. Dennoch fördert der Dialog vielfach »muslimische« Repräsentationen und arbeitet für deren Etablierung innerhalb der lokalen (Stadt-)Gesellschaft. Wie diese Arbeit aber vielfach gezeigt hat, weisen die Praktiken und Maßnahmen eines »Dialogs mit Muslimen« neben solchen Potenzialen auch verschiedene Probleme, (unaufgelöste) Machtasymmetrien, Schieflagen und Konflikte auf. Diese Konflikte standen letztlich auch im Fokus der Arbeit. Zeitlich bereits nach dem »Redaktionsschluss« für die Empirie dieser Arbeit berichtete mir eine »muslimische« Teilnehmerin des lokalen Dialogs in einem Gespräch (Anfang 2019), dass ob allgemeiner Ermüdungserscheinungen und gewisser Frustrationen unter den Dialogaktiven – und auch innerhalb der »muslimischen« Gemeinden – die Überlegung auftauche, die Anzahl der Sitzungen der CIAG zu beschränken und zukünftig stärker auf konkrete Projekte zu setzen, die auch nicht unbedingt immer auf (inter-)religiöse Themen und Identitäten zielen müssen und von flexibel einzurichtenden Arbeitsgruppen bearbeitet werden. So könnten »muslimische« Individuen und Organisationen auch jenseits der Themen »Religion« und »Interreligiosität« als städtische und gesellschaftspolitische Teilhabende agieren. Diese Variante erscheint mir durchaus sinnvoll, um einige der Probleme des Dialogs anzugehen und ggf. auch potenziell mehr Personen mit den verschiedenen Aktivitäten ansprechen zu können. Ein Dialog, der auf sach- und themenbezogene Kooperationen im Rahmen kleiner Arbeitsgruppen setzt, schafft Räume, in welchen jenseits einer allzu programmatischen und »bedeutungsschwangeren« Begegnung zwischen Vertreter/-innen von »Kulturen« und »Religionen« Individuen in ihren heterogenen und multiplen Identitäten interagieren können. In solchen Beziehungen können dann einzelne Identitäten, die im hegemonialen Diskurs überbetont werden – z.B. die religiöse Identität »muslimisch« – in der Tendenz weniger sichtbar werden: d.h. einzelne, überbetonte Identitäten mögen dann weniger stark als Differenzmarker wirken. Zudem würden »Muslime« in einem Dialog, der eher auf konkreten sach- und themenbezogenen Kooperationen basiert, womöglich nicht so stark wie in den hier untersuchten Formaten mit den Erwartungen konfrontiert werden, explizit und programmatisch ihre Religion/religiöse Identität zu erklären, zu verteidigen oder gar in gewissem Sinne anzupassen (vgl. Radtke 2011). In der Tat wurde von »muslimischen« Repräsentant/-innen in den hier untersuchten Formaten eines Kultur-, Religions- und Wertedialogs teilweise (und oft implizit) auch erwartet, ihre Religion auf programmatischer Ebene selbstkritisch zu reflektieren und einzelne Aspekte auch neu zu denken. Nicht nur deshalb, weil viele dialogaktive »Muslime« keine ausgeprägte theologische Ausbildung besitzen, erscheint ein solches Unterfangen problematisch. Es verdeutlicht gleichzeitig die asymmetrische Konfigurierung des Dialogs, in welchem Vertreter/-innen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber einer als Minderheit positionierten Gruppe ihre Erwartungen formulieren: Erwartungen, die in dieser Form kaum erfüllbar erscheinen sowie auch – im Sinne eines Rechts auf Tradition und Glauben – nicht vollends erfüllt werden müssen. Man kann eine (Re-)Reflexion bestimmter Aspekte im »Islam« natürlich als sinnvoll erachten, doch es kann nicht erwartet wer-
11. Emotion, Moral, Macht und Raum
den, dass solche Veränderungsprozesse in einem programmatischen Gespräch über Religionen zu induzieren oder gar zu erzwingen wären; ebenso wenig kann erwartet werden, dass sich die Anhänger/-innen einer Religion an solchen Gesprächen dann motiviert beteiligen. Veränderungsprozesse passieren in der Praxis, ihre explizite Formulierung kann demgegenüber nicht am »runden Tisch« erzwungen werden. Ferner provoziert ein Kultur- und Religionsdialog grundsätzlich »endlose« und schwer auflösbare Debatten über divergierende »kulturelle« Werte und Lebensweisen: Werte, die dann von der einen Seite kritisiert und von der anderen Seite verteidigt werden (vgl. hierzu: Radtke 2011). Auch erscheint das im Dialog angestrebte »Fremdverstehen« in programmatischen Auseinandersetzungen auf intellektuell-rationalistischer Ebene schwierig. Demgegenüber könnte »Fremdverstehen« eher im praktischen Interagieren im Kontext konkreter Fragestellungen verortet werden: Das gemeinsame Bearbeiten praktischer Fragen im Zuge themenbezogener Kooperationen könnte womöglich mehr Zusammenhalt produzieren als die Debatten über religiöse Identitäten am »runden Tisch«. Gleichzeitig ist aber anzumerken, dass gerade jenes (interreligiöse) Format, das die programmatische Begegnung der »Religionen« enthält, »muslimischen« Repräsentant/-innen in besonderem Maße gesellschaftspolitische Sichtbarkeit und Aktionspositionen bieten kann. Grundsätzlich argumentiert die vorliegende Arbeit, dass im Zuge von Untersuchungen der verschiedenen Formen und Formate, in denen »muslimische« Identitäten derzeit verhandelt und sichtbar gemacht werden, eine analytische Achtsamkeit für die jeweils inhärenten Machtverhältnisse, Konflikte sowie für die spezifischen Tendenzen, Bewegungen und Neigungsflächen gouvernementaler Beeinflussung zu entwickeln ist. Dies gilt (gerade) auch dann, wenn es um Dialog und damit um eine Form der Interaktion geht, die als »machtfreier Austausch« artikuliert wird. Machtanalyse darf nicht dort aufhören, wo Machtausübung involvierend, unterstützend oder »fürsorglich« wird (vgl. Solberg 2016). Die subtilen Normalisierungstechnologien gerade liberaler Gesellschaften würden andernfalls sukzessive aus dem Blick geraten. Mag der Dialog als konkurrenzlos sinnvoll oder normal erscheinen, so ist er doch als Machttechnologie lesbar, die auf die Normalisierung und Rationalisierung religiöser Identitäten zielt. Hier versuchte die vorliegende Arbeit, entsprechende Reflexionsmomente zu befördern. Über ein besseres Verständnis der Mechanismen der Normalisierung und Rationalisierung religiöser und kultureller Identitäten, wie sie derzeit im »Dialog mit Muslimen« prozessiert werden, können dann auch allgemein die hegemonialen, aber oft nicht explizierten moralisch-ethischen und politischen Koordinaten offengelegt werden, die das Regieren gegenwärtiger Gesellschaft prägen und »gute« Lebensweisen von »schlechten« scheiden möchten.
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12. Abkürzungsverzeichnis
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13. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Lage der Moscheevereine in Erlangen, 207 Abbildung 2 und 3: Gemeinsames öffentliches Auftreten, 216, 217 Abbildung 4: »Interreligiöse Runde mit dem OB«, 292 Abbildung 5: Doppelstruktur des Dialogs in Erlangen, 295 Abbildung 6: Fotografie der Ausstellungsräume im Stadtmuseum Erlangen, 337 Abbildung 7: Mitglieder der TIG mit dem OB Erlangens beim Iftar-Fest in der Moschee der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Erlangen e.V., 396 Abbildung 8: Religionspädagogischer Vortrag und die Technik des gemeinsamen Erstellens einer Mindmap, 446 Tabelle 1: Interviews, 176 Tabelle 2: Herausragende informelle Gespräche, 181 Tabelle 3: Teilnehmende Beobachtungen der Sitzungen der CIAG und des FMGE, 184 Tabelle 4: Teilnehmende Beobachtungen dialogbezogener Veranstaltungen, 188
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Geographie Lisa Maschke, Michael Mießner, Matthias Naumann
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Geographie Lynn Berg, Jan Üblacker (Hg.)
Rechtes Denken, rechte Räume? Demokratiefeindliche Entwicklungen und ihre räumlichen Kontexte 2020, 286 S., kart., 29,00 € (DE), 978-3-8376-5108-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5108-3
Bastian Lange, Martina Hülz, Benedikt Schmid, Christian Schulz (Hg.)
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Manuel Trummer, Anja Decker (Hg.)
Das Ländliche als kulturelle Kategorie Aktuelle kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Stadt-Land-Beziehungen 2020, 330 S., kart., 39 SW-Abbildungen 39,00 € (DE), 978-3-8376-4990-1 E-Book: PDF: 38,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4990-5
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