Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht: Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag [1 ed.] 9783428494989, 9783428094981

Günther Kaiser, der am 27.12.1998 sein 70. Lebensjahr vollendet hat, gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Krimin

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Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht: Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag [1 ed.]
 9783428494989, 9783428094981

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Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht Erster Halbband

,

Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag

herausgegeben von Hans-Jörg Albrecht . Frieder Dünkel Hans-Jürgen Kerner· Josef Kürzinger . Heinz Schöch Klaus Sessar· Bernhard Villmow

Erster Halbband

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht: Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag I hrsg. von Hans-Jörg Albrecht ... Berlin : Duncker und Humblot. ISBN 3-428-09498-0 Halbbd. 1. - (1998)

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-09498-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Günther Kaiser zum 27. Dezember 1998 FredaAdler Hans-Jörg Albrecht Gunther Arzt Roberto Bergalli Antonio Beristain Werner Beulke Michael Bock Ulla V. Bondeson Reinhard Böttcher Kazimierz Buchala Anthozoe Chaidou Dieter Dölling Frieder Dünkel Albin Eser Cyrille Fijnaut Detlev Frehsee Wolfgang Frisch Andrzej Gaberle Uberto Gatti Winjried Hassemer Wolfgang Heinz Thomas Hillenkamp Brunon Holyst RogerHood Tibor Horvath Ferenc Irk Jörg-Martin Jehle J91rgen Jepsen Hans-Heinrich Jescheck Kate Joyce Heike Jung Hans-Jürgen Kerner UzszLO Korinek

Krzysztoj Krajewski Günther Kräupl Arthur Kreuzer EdwinKube Hans-Heiner Kühne Karl-Ludwig Kunz Helmut Kury Josej Kürzinger Reimo Lahti Effi Lambropoulou Klaus Lüderssen Adelmo Manna Bernd-Dieter Meier Jürgen Meyer Wolf Middendorff Gerhard O. W. Mueller Heinz Müller-Dietz Angelika Pitsela Gerald Prein Jörg Rehberg Manfred Rehbinder Peter Rieß Phi lippe Robert Klaus Rolinski Dieter Rössner Claus Roxin Irene Sagel-Grande Hartmut Schellhoss Dmitrij A. Schestakov Ellen Schlüchter Hans Joachim Schneider Heinz Schöch Horst Schüler-Springorum

VI Karl F. Schumann Hans-Dieter Schwind Klaus Sessar Lydia Seus Joanna Shapland Shlomo Giora Shoham Calliope Spinellis Dionysios Spinellis Wiebke Steifen Franz Streng Knut Sveri Denis Szabo Klaus Tiedemann

Tabula Gratulatoria

Michael Tonry Herbert Trändie Helena Vdlkowi Bernhard Villmow Andrzeij Wqsek Michael Walter Rudolf Wassermann Thomas Weigend Keiichi Yamanaka Toshio Yoshida Liling Yue Eleonora Zielifzska Dirk van Zyl Smit

Vorwort Die vorliegende Festschrift will in gebührender Weise das beeindruckende wissenschaftliche Schaffen von Günther Kaiser anläßlich seines 70. Geburtstages würdigen. Ihm zu Ehren haben sich Kriminologen und Strafrechts wissenschaftler, Kollegen und (ehemalige) Mitarbeiter aus vielen Ländern mit Beiträgen zu Wort gemeldet, die auch einen Eindruck von der Fülle der Themen, die Günther Kaiser in seinen Schriften bewegt haben, vermitteln. Das Werk des Jubilars ist dank seiner ungebrochenen Schaffenskraft weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein. Dennoch läßt sich schon heute sagen, daß es auf vielerlei Weise die Kriminologie der vergangenen drei Jahrzehnte besonders in Deutschland, aber auch international geprägt hat. So drückt sich im Mitwirken an diesem Werk auch die Anerkennung der Tatsache aus, daß der Jubilar - mit anderen - mitgeholfen hat, der deutschen Kriminologie in der internationalen wissenschaftlichen Diskussion Sitz und Stimme zu geben. Festschriften sind ohne die Mitarbeit vieler nicht möglich. So danken die Herausgeber neben den Autoren der Beiträge vor allem auch denen, die an den vielfältigen Arbeiten bei der Herstellung der Festschrift beteiligt waren. Unser Dank gilt hier vor allem Frau Ulrike Auerbach und Herrn Michael Knecht, die in vorbildlicher Weise die Festschrift redaktionell betreut haben. Zu Dank verpflichtet sind wir Frau Beate Lickert, die einzelne Beiträge bearbeitet hat, und Frau Jacqueline Kaspar, die uns bei der Organisation der Herausgabe behilflich war. Nicht versäumen möchten wir, Frau Elisabeth Wynhoff für die Erstellung des Schriftenverzeichnisses zu danken. Dies war bei der Fülle der anfallenden Titel keine einfache Aufgabe. Ein besonderes Anliegen ist uns, Frau Gudula Diesch für ihr Engagement bei der Erstellung der Druckvorlagen Dank zu sagen. Last but not least möchten wir unserem Verleger, Herrn Professor Dr. Norbert Simon, herzlich dafür danken, daß er es in diesen nicht leichten Zeiten ohne Zögern übernommen hat, die Festschrift in seinem Verlag erscheinen zu lassen. Dies wissen wir ganz besonders zu schätzen.

Freiburg, im September 1998 Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis Erster Halbband Günther Kaiser und das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (Freiburg im Breisgau) Josef Kürzinger, Freiburg im Breisgau Günther Kaiser zum 70. Geburtstag .................................................................................................. 1 Hans-Heinrich Jescheck, Freiburg im Breisgau Kriminologie und Strafrecht im Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Jahre gemeinsamer Arbeit mit Günther Kaiser ................................................................ 9

Kriminologie Kriminologische Theorie und Forschung Antonio Beristain, San Sebastian hodierna puede prescindir de los valores religiosos? ......................................... 31

i,La Criminologfa

Reinhard Böttcher, Bamberg Die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden. Wie es dazu kam ........ ...................................... 47 Ulla V. Bondeson, Kopenhagen Reflections on the Interplay between Criminological Research and Criminal Policy .................... 57 Uberto Gatti, Genua Problems in Evaluating Psychosocial Intervention in Criminology ............................................... 71 Wolfgang Heinz, Konstanz Die Staatsanwaltschaft. Selektions- und Sanktionsinstanz im statistischen Graufeld ..................... 85 Brunon Holyst, Warschau Die Einstellung der Polen zu den gegenwärtigen Gefahren für das Land und seine Menschen ... 127 Hans-Jürgen Kerner, Tübingen Vom Ende des Rückfalls. Probleme und Befunde zum Ausstieg von Wiederholungstätern aus der sogenannten Kriminellen Karriere .................................................................................... 141 Laszl6 Korinek, Budapest Zur Furcht vor Kriminalität in Ungarn .......................................................................................... 177 Günther Kräupl, Jena Kriminologische Begleitforschung gesellschaftlicher Transformation. Erwartungen, Grenzen, Überlegungen ................................................................................................................ 195 Arthur Kreuzer, Gießen Kain und Abel. Kriminalwissenschaftliche Betrachtungen zu einem Menschheitsthema ............ 215

x

Inhaltsverzeichnis

Helmut Kury, Freiburg im Breisgau Zur Sanktionseinstellung der Bevölkerung ................................................................................... 237 Wolf Middendorff, Freiburg im Breisgau Andrew Jackson. Rechtsanwalt - Oberrichter - General - Präsident der USA. Eine historischkriminologische Studie ................................................................................................................. 269 Heinz Müller-Dietz, SaarbrückeniSulzburg Kriminologie und Zeitgeschichte ....................................................................................... .. ......... 287 Philippe Robert, Paris/Guyancourt Loi penale et rapports sociaux ............................................... ...................................... ................. 303 Klaus Rolinski, Regensburg Kriminologie auf der Suche nach dem Verhaltensparadigma ....................................................... 317 Dieter Rössner, Marburg Familiale Sozialisation und Gewalt. Ein Beitrag zur Biographieforschung in der Kriminologie ................................................................................................................................ 339 Ellen Schlüchter, Bochum Kleine Kriminologie der Fahrlässigkeitsdelikte ................................................................... ......... 359 Hans Joachim Schneider, Münster Die Situation des Vergewaltigungsopfers. Fortschritte und Probleme der ViktimologieForschung ...................................................................................................................................... 377 Hans-Dieter Schwind, Bochum Zum sogenannten Non-helping-bystander-Effekt bei Unglücksfällen und Straftaten. Überlegungen im Kontext (aktueller) Medienberichte und Experimente ............................................. 409 Klaus Sessar, Hamburg Zum Verbrechensbegriff .............................................. ................ ...................... .. .............. .......... .427 Shlomo Giora Shoham, Tel Aviv The Mythogenic Structure of Normative Reality ......................................................................... .455 Denis Szabo, Monueal Psychiatrie et Criminologie applique: Pour un Dialogue critique ............... ...................... .. .......... 483

Verbrechen und Gesellschaft Gunther Arzt, Bem Filz statt Kriminalität ........ ....... .. ...... ................. ........... ...... ................. .. ...... .. .............. .. ............... .495 Cyrille Fijnaut, Löwen Organisierte Kriminalität: eine wirkliche Bedrohung für die Europäische Union? ...................... 509 Andrzej Gaberle, Krakau Gruppenkriminalität in Polen als kriminologische und strafrechtliche Erscheinung .................... 527 Roger Hood und Kate Joyce, Oxford Three Generations: Oral Testimonies on Crime and Social Change in London's East End ......... 541 Jl'lrgen Jepsen, Aarhus "The Great Danish Rocker War" and Societal Reactions - A Moral Panic? ................................ 573

Inhaltsverzeichnis

XI

Hans-Heiner Kühne, Trier Kriminalitätsimport .................................. ..................................................................................... 609 Klaus Lüderssen, Frankfurt am Main Verbrechen im Film - Die neue Routine des Nicht-begreifen-Wollens ....................................... 623 Jürgen Meyer, Freiburg Organisierte Kriminalität: Erscheinungsformen, Präventions- und Bekämpfungsstrategien im Spiegel deutscher Parlamentsinitiativen .................................................................................. 633 Hartmut Schellhoss, Köln Strafverfolgungsstatistik und Ausländerkriminalität ........................................................... ......... 657 Wiebke Steffen, München Problemfall "Ausländerkriminalität" ........... ........ .......... .. .............. .. ..... .. ..... .. ............. .. ...... .. ........ 663 Knut Sveri, StockholmlEnebyberg The Gun and the Police Officer ................................................ ............. .. ..... .. ...... .. ........ ..... .. ....... 681 Kriminalpolitik und Kriminalprävention

Freda Adler und Gerhard O. W. Mueller, Newark, NJ Not in the Graveyard ... or the Schoolyard! Spatial and Temporal Sentence Enhancements ....... 691 Michael Bock, Mainz Abgründe der Drogenpolitik. Ein Beitrag zur Interdisziplinarität des Nichtwissens .................... 699 Kazimierz Buchala, Krakau Rückfall und Strafzumessung ....................................................................................................... 717 Anthozoe Chaidou, Athen Modeme Technologie und soziale Kontrolle ................................................................................ 727 Detlev Frehsee, Bielefeld Politische Funktionen Kommunaler Kriminalprävention ............ ................................................. 739 Wolfgang Frisch, Freiburg im Breisgau Individualprävention und Strafbemessung. Zur unterschiedlichen Angewiesenheit strafrechtlicher Normprogramme auf empirische Befunde .................................................................. 765 Winfried Hassemer, Frankfurt am MainIKarlsruhe "Zero tolerance" - Ein neues Strafkonzept? ................................................................................. 793 Ferenc Irk, Budapest Verkehrsdelinquenz und Generalprävention. 30 Jahre danach ..................................................... 815 Krzysztof Krajewski, Krakau Drogenpolitik zwischen Kriminalisierung und Legalisierung ...................................................... 829 Edwin Kube, Wiesbaden Städtebau als Aspekt kommunaler Kriminalprävention .................... .. ............. .. ..... .......... ............ 847 Karl-Ludwig Kunz, Bem Liberalismus und Kommunitarismus in Straftheorie und Kriminalpolitik .................................... 859

XII

Inhaltsverzeichnis Zweiter Halbband

Raimo Lahti, Helsinki Neoklassizismus und danach. Zur neuesten Entwicklung der finnischen Kriminalpolitik ........... 873 Claus Roxin, München Zur kriminalpolitischen Fundierung des Strafrechtssystems .............................................. .......... 885 Dmitrij Schestakov, Sankt Petersburg Familie und Kriminalprävention. Probleme der Familienkriminologie in Rußland .......... ........... 897 Joanna Shapland, Sheffield Victims and Criminal Justice: Should the Criminal Justice System Move Towards a Public Service Ethos? .............................................................................................................................. 907 Franz Streng, Erlangen Wie weit trägt das broken windows-Paradigma? Annäherungen an einen aktuellen kriminalpolitischen Ansatz ......................................................................................................................... 921 Michael Tonry, Minneapolis, MN Transfer of Criminal Justice Policies Across National Boundaries ...... .. ...... ........ ........................ 943 Helena V:ilkov:i, Prag Probleme der Kriminalpolitik in der Tschechischen Republik .............. .. ..... ................................ 961 Michael Walter, Köln Über die Abhängigkeit der Kriminalpolitik von Moden. Mit einigen Bemerkungen zur Neuentdeckung von Prävention ........................................................................................................... 979 Keiichi Yamanaka, Osaka Neue Bekämpfungsstrategien gegen die organisierte Kriminalität in Japan. Hintergrund und Bilanz des Boryokudan-Bekämpfungsgesetzes .......................................................................... 1001 Eleonora ZieliIlska, Warschau Gewalt gegen Frauen in Polen .................................................................................................... 1019 Jugendkriminalität und Jugendstrafrecht Heike Jung, Saarbrücken Zur Entwicklung internationaler Standards im Jugendkriminalrecht.. ...... .................................. 1047 Bernd-Dieter Meier, Hannover "Neue Armut" und die Entwicklung der Jugendkriminalität - besteht ein Zusammenhang? ..... 1069 Angelika Pitsela, Thessaloniki Jugendgerichtsbarkeit und Jugenddelinquenz in Griechenland .................................................. 1085 Karl F. Schumann, Gerald Prein und Lydia Seus, Bremen Lebensverlauf und Delinquenz in der Jugendphase. Ergebnisse der Bremer Längsschnittstudie über Abgängerinnen aus Haupt- und Sonderschulen ....................................................... 1109 Strafvollzug und Strafvollzugsrecht Hans-Jörg Albrecht, Freiburg im Breisgau Die Untersuchungshaft in Deutschland angesichts neuerer Entwicklungen der Kriminalität und der Maßnahmen zur Reduzierung der Anordnung und Vollstreckung von Haftbefehlen .... 1137

Inhaltsverzeichnis

XIII

Frieder Dünkel. Greifswald. und Dirk van Zyl Smit. Kapstadt Arbeit im Strafvollzug - Ein internationaler Vergleich ................................................ .............. 1161 Jörg-Martin Jehle. Göttingen Stationäre Maßregeln: Krise oder Konjunktur? ...................... ........ ............... .. ...... .. ............... .... 1201 Effi Lambropoulou. Athen Soziale Funktionen der Gefängnisorganisation und die Reform des Strafvollzugs ........ ...... .. .... 1219 Heinz Schöch, München Kriminologische Grenzen der Entlassungsprognose ............................... .. .............. .. ..... .. ........... 1239 Horst Schüler-Springorum, München "Strafvollzug 2007"? Probleme einer Institutionsprognose ............................. .. .............. ........... 1257 Calliope D. Spinellis, Athen Attacking Prison Overcrowding in Greece: A Task of Sisyphus? ............ .. ................................ 1273 Bemhard ViIImow. Hamburg Kurze Freiheitsstrafe, Ersatzfreiheitsstrafe und gemeinnützige Arbeit. Erfahrungen und Einstellungen von Betroffenen .................................................................................................... 1291

Strafrecht Roberto Bergalli, Barcelona Das Legalitätsprinzip: Fundament der Modeme ........................ ........ .......... ...... .. ............ ........... 1325 Dieter Dölling, Heidelberg Begutachtung der Schuldfdhigkeit und Strafurteil ....... .. ..... ........ ....... .. ...................... .. ............... 1337 Irene Sagel-Grande, Leiden Das Opfer von Straftaten und die trias iuridica ............................ .. ...................... .. ..................... 1357 Klaus Tiedemann, Freiburg im Breisgau Computerkriminalität und Strafrecht ............................................................. ...... .. ..................... 1373 Herbert TrändIe, Waldshut-TiengenlFreiburg im Breisgau "Beratungsschutzkonzept", ein Tabu für die Kriminologie? .................................. .................... 1387 Rudolf Wassermann, Goslar System- und Exzeßtäter. Zur strafrechtlichen Aufarbeitung des DDR-Justizunrechts ............... 1405

Strafverfahrensrecht Werner Beulke, Passau Die Beratungsauflage im Kreuzfeuer der Kritik. Zwölf Fragen an das "Passauer Modell" ........ 1419 Thomas HiIIenkamp, Heidelberg Zur Teilhabe des Laienrichters ........... .. .......................................................... ............. .. .............. 1437 Peter Rieß, Bonn Die Annahmeberufung - Ein legislatorischer Mißgriff? ....... .. ........................................... .. ....... 1461 Thomas Weigend, Köln Schutzbedürftige Zeugen im Strafverfahren ............................................................................... 1481

XIV

Inhaltsverzeichnis Ausländisches Straf· und Strafverfahrensrecht Strafrechtsvergleichung

Albin Eser. Freiburg im Breisgau Funktionen. Methoden und Grenzen der Strafrechtsvergleichung .............................................. 1499 Tibor Horvath. Miskolc The Right to Life and Some Legal Problems of the Constitutional Regulation in Hungary ....... 1531 Adelmo Manna. Rom Die Reform des italienischen Strafrechts .................................................................................... 1547 Jörg Rehberg. Zürich Strafzumessung aus der Sicht des Schweizerischen Bundesgerichts ............. .. ...... ........ ............. 1561 Manfred Rehbinder. Zürich Urheberrechtsschutz und strafrechtliche Inhaltskontrolle. Zur rechtshistorischen Entwicklung einer Grundsatzfrage ................................................................................................................... 1575 Dionysios Spinellis. Athen Die Bekämpfung von Folter und unmenschlicher Behandlung in der griechischen Gesetz· gebung. Rechtsprechung und Praxis ........................................................................................... 1593 Andrzej W~sek, Lublin Straftaten gegen die Gewissens- und Glaubensfreiheit im reformierten polnischen Strafrecht ............................................................................................................................................ 1617 Toshio Yoshida. Sapporo Der Gesetzentwurf zum japanischen Strafvollzug im Lichte der modemen Gesetzgebung im deutschsprachigen Raum ............................................................................................................. 1631 Liling Yue. Peking Neue Entwicklungen in der strafrechtlichen und strafprozeßrechtlichen Gesetzgebung der Volksrepublik China ................................................................................................................... 1651 Verzeichnis der Schriften von Günther Kaiser

1669

JOSEF KÜRZINGER

Günther Kaiser zum 70. Geburtstag

Am 27.12.1998 vollendet Günther Kaiser sein 70. Lebensjahr. Geboren in Walkenried am Harz, wird er dort 1935 eingeschult und besucht anschließend bis zum Erwerb der Mittleren Reife im Frühjahr 1945 die Mittelschule in EllrichlHarz. In den letzten Kriegswochen wird er als 16jähriger noch zum "Volkssturm" eingezogen. Als Voraussetzung für die Erfüllung seines damaligen Berufswunsches, Bauingenieur zu werden, beginnt Kaiser 1945 eine Maurerlehre, die er 1948 mit der Gesellenprüfung abschließt. Das frühere Berufsziel verfolgt er nun nicht mehr. Ab 1949 besucht Kaiser das BraunschweigKolleg in Braunschweig und erwirbt 1951 die Hochschulreife. Im seI ben Jahr folgt das Studium Generale am Leibniz-Kolleg der Universität Tübingen. Dem schließt sich 1952 das Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Tübingen und Göttingen an. 1956 legt der Jubilar die Erste juristische Staatsprüfung in Baden-Württemberg ab. Dem anschließenden Vorbereitungsdienst folgt 1960 die Zweite juristische Staatsprüfung. 1960 beginnt auch Kaisers Tätigkeit im Höheren Justizdienst, zuerst als Zivil-, dann als Strafrichter. Die Ämter führen ihn an die Amtsgerichte Göppingen, Ludwigsburg und Ulm und schließlich zur Staatsanwaltschaft Stuttgart. 1962 wird er mit einer Dissertation über die "Randalierende Jugend" bei Professor Eduard Kern an der Universität Tübingen zum Doktor der Rechte promoviert. 1963 - schon 34jährig - beginnt der Jubilar seine sich später als so glanzvoll erweisende wissenschaftliche Laufbahn am neu gegründeten Tübinger Institut für Kriminologie unter Leitung von Professor Hans Göppinger, zuerst als wissenschaftlicher Assistent, später als Akademischer Rat. Dreißig Jahre danach wird Kaiser in einer Abschiedsrede diese Zeit als seine "siebenjährige Lehrzeit" bezeichnen. 1969 folgt die Habilitation in Tübingen mit einer Abhandlung über "Verkehrsdelinquenz und Generalprävention"; die Universität erteilt ihm für die Fächer Kriminologie und Strafrecht die venia legendi. Bereits 1970 wird er Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg im Breisgau, das zu dieser Zeit unter der Leitung von Professor Hans-Heinrich Jescheck steht. Rufe auf Lehrstühle an den Universitäten Bonn und Münster lehnt Kaiser ab. 1971 erfolgt die Ernen-

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losef Kürzinger

nung zum Honorarprofessor für Kriminologie und Strafrecht an der Universität Freiburg im Breisgau. Auch Rufe auf Lehrstühle an den Universitäten Berlin und Würzburg 1973 nimmt der Jubilar nicht (mehr) an. Noch im selben Jahr wird er zum Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht ernannt und mit der Leitung der neuen Forschungsgruppe Kriminologie, deren Einrichtung Professor Jescheck zielstrebig betrieben hatte, betraut. 1982 ernennt die Universität Zürich Kaiser zum Extraordinarius ad person am für Strafrecht und Kriminologie. 1991 erfolgen Ehrenpromotionen durch die Universitäten Miskolc (Ungarn) und Breslau (Polen), 1992 durch die Baskische Universität in San Sebastian (Spanien); 1996 schließlich auch durch die Asien-Universität (Tokio) und die Panteio-Universität für Sozial- und Politikwissenschaft (Athen). Das Wirken Kaisers als Universitätslehrer ist beeindruckend. In den Jahren 1969 und 1970 lehrt er in Tübingen, 1970 in Münster (Westfalen), seit 1970 in Freiburg, von 1971 bis 1979 an der Universität Basel, von 1973 bis 1976 an der FU Berlin und von 1982 bis zu seiner Entpflichtung 1997 an der Universität Zürich. Zahlreiche wissenschaftliche Vortragsreisen, Gastaufenthalte und Beteiligungen an internationalen Tagungen führen Günther Kaiser nicht nur durch ganz Europa, sondern buchstäblich um die ganze Welt: so etwa nach Ägypten, Australien, Brasilien, China, Japan, Jordanien, Korea, Mexiko, Neuseeland, Syrien und in die USA sowie nach Venezuela. Weniger bekannt dürfte sein, daß Kaiser schon sehr früh an Kongressen teilnimmt, die internationale Verbindungen aufbauen und fördern. So ist er 1972 Teilnehmer des ersten Symposiums amerikanischer und europäischer Kriminologen auf der Reisenburg. Im sei ben Jahr besucht er in Londrina den ersten brasilianischen Kongreß für Kriminologie und 1974 schließlich das erste internationale Symposium für Kriminologie in Sao Paulo. Von 1964 bis 1965 ist Kaiser Berater beim Europarat im Small Committee of Research Workers on the Short Term Treatment of Young Offenders, 1969 bis 1972 in gleicher Funktion beim dortigen Sub-Committee on Short Term Treatment of Adult Offenders tätig. 1971 wirkt er als Berater des Europarates im Sub-Committee on Distribution of Criminal Sanctions against Adult Offenders in Germany mit und 1974 bis 1978 schließlich im Sub-Committee on Social Change and Juvenile Delinquency. 1984/85 ist Kaiser Berater der UNO zum Thema "Alternatives to Imprisonment and Measures for the Social Resettlement of Offenders", 1987/88 Experte für die Erstellung der UN Standard Minimum Rules for the Administration of Juvenile Justice und schließlich 1989 Berater für die UN Draft Rules for the Protection of Juveniles Deprived of Their Liberty. Kaiser ist seit 1987 Mitglied im Schulrat des Schweizerischen Ausbildungszentrums für das Strafvollzugspersonal (Bern). Er ist daneben Mitglied des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (Hannover),

Günther Kaiser zum 70. Geburtstag

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der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau, Beirat in der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, Mitglied des Scientific Committee am International Centre of Sociological, Penal and Penitentiary Research and Studies (Messina), Kommissionsmitglied des Kriminalistischen Instituts bei der Direktion der Justiz im Kanton Zürich und Mitglied im Nationalen Drogenrat der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem ist Kaiser 1974 Berater der UNSDRI (Rom) sowie Sachverständiger beim Deutsch-spanischen Seminar für Strafrechtsreform und Wirtschaftsstrafrecht (Madrid). 1988/89 ist er Mitglied der deutschen "Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt", 1990 Berichterstatter bei einem europäischen Workshop zu Fragen der Ethik (Kopenhagen). Von 1990 bis 1998 gehört der Jubilar als deutscher Vertreter dem Europäischen Ausschuß zur Verhinderung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Straßburg) an. Günther Kaiser ist Herausgeber einer Reihe von deutschen und ausländischen Serien und Zeitschriften; bei einigen wirkt er als wissenschaftlicher Berater mit. Zu den angesprochenen Veröffentlichungen zählen "Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft", "Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform", "Recht der Jugend und des Bildungswesens", "British Journal of Criminology" (Oxford) , European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice" (Dordrecht) und "Revista de Derecho Penal y Criminologfa" (Madrid). Bei den Buchreihen nimmt Kaiser diese Funktionen vor allem bei den "Kriminologischen Gegenwartsfragen", bei "Strafrecht und Kriminologie", den "Kriminologischen Forschungsberichten aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht", der "Forschungsreihe des Bundeskriminalamtes" und den "Studies on Crime and Crime Prevention" (Stockholm) wahr. Die Liste der Publikationen des Jubilars ist umfangreich und thematisch vielfältig. So finden sich neben den monographischen Werken (teils allein, teils gemeinsam verfaßt) eine große Anzahl von Aufsätzen in Zeitschriften und Sammelwerken. Die bedeutendste Monographie Kaisers ist seine "Kriminologie", die inzwischen als (kürzere) Taschenbuchausgabe in 10 Auflagen (die letzte aus dem Jahre 1997) , als "großes Lehrbuch" in 3 Auflagen vorliegt. Die erste Auflage erscheint 1971 als "Einführung in die Grundlagen" mit einem Umfang von 197 Seiten; die dritte Auflage des Lehrbuches 25 Jahre später (1996) mit einem Umfang von 1287 Seiten. In Rezensionen und persönlichen Mitteilungen an Kaiser wird das Werk nahezu einhellig positivaufgenommen. Es wird an ihm vor allem der deutlich empirische Ansatz seines kriminologischen Denkens gerühmt. Man werde durch das Buch zuverlässig, umsichtig und pluralistisch informiert. Es zeige Ausgereiftheit, Dichte und Vollständigkeit. Selbst in seinem Stil sehe man die Neutralität des Verfassers, der Verfech2 Festschrift für G. Kaiser

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Josef Kürzinger

ter einer pragmatiscl:!en Kriminologie sei. Die Arbeit sei eine ausgewogene Gesamtdarstellung des Faches und treibe den Selbstfindungsprozeß der Kriminologie als einer empirischen, interdiziplinären Wissenschaft voran. Dabei habe es einen deutlichen Praxisbezug. Gelegentlich wird die Meinung vertreten, Kaiser sei ein Anhänger einer im Grundsatz täterorientierten Kriminologie (1982), seine Position sei die der Mitte. Freilich soll nicht verschwiegen werden, daß sich unter der Vielzahl der positiven Rezensionen und Stellungnahmen zu diesem Buch auch eine 1982 veröffentlichte deutlich negative Kritik findet. Hierin wird ausgeführt, daß sich das Werk an den anderen bereits vorhandenen kriminologischen Standardwerken messen lassen müsse; es herrsche längst kein Mangel mehr an einschlägiger Grundlagenliteratur. Nach weiteren Rügen kommt die Rezensentin zu dem Schluß, daß andere kriminologische Werke bei gleichem Preis noch mehr böten. Bemerkenswert an dieser Besprechung ist nicht etwa, daß sie sich so deutlich von anderen Kritiken der Fachwelt unterscheidet und weitgehend polemisch formuliert ist. Delikater ist der Umstand, daß gerade in der kritisierten Auflage des Lehrbuches Kaiser der Rezensentin nachweist, daß deren Dissertation gravierende Fehler enthält. Kaisers "Kriminologie" ist bisher in sieben Sprachen übersetzt: ins Spanische (Madrid 1978, 1983, 1988), Russische (Moskau 1979), Chinesische (1989), Italienische (Mailand 1984), Japanische (Tokio 1987), Tschechische (1994) und Mazedonische (Skopje 1996). Neben seinem Lehrbuch "Kriminologie" verfaßt Kaiser noch folgende Monographien als Alleinautor: "Randalierende Jugend" (1959), "Verkehrsdelinquenz und Generalprävention" (1970; spanisch 1979), "Strategien und Prozesse strafrechtlicher Sozialkontrolle" (1972), "Jugendrecht und Jugendkriminalität. Jugendkriminologische Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Gesellschaft, Jugendrecht und Jugendkriminalität" (1973), "Stand und Entwicklung der kriminologischen Forschung in Deutschland" (1975), "Jugendkriminalität. Rechtsbrüche, Rechtsbrecher und Opfersituationen im Jugendalter" (1977, 1978, 1982), "Gesellschaft, Jugend und Recht. System, Träger und Handlungsstile der Jugendkontrolle" (1977), "Strafvollzug im europäischen Vergleich" (1983, chinesisch 1989, englisch 1984) und "Befinden sich die kriminalrechtlichen Maßregeln in der Krise?" (1990). Daneben veröffentlichte Kaiser eine Reihe von Monographien in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern: "Strafvollzug" (mit H. Schöch, H.-H. Eidt, H.-J. Kerner 1974, 1982, 1991, 1992), "Juristischer Studienkurs Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug" (mit H. Schöch 1979, 1982, 1987, 1994), "Die Vergleichung als Methode der Strafrechtswissenschaft und der Kriminologie" (mit H.-H. Jescheck 1980), "Einführung und Fälle zum Strafvollzug" (mit H. Müller-Dietz, H.-J. Kerner 1985). Kaiser ist außerdem (Mit-)Herausgeber einer Reihe von Büchern. Zu den wichtigsten zählt zweifellos das bereits in drei Auflagen vorliegende "Kleine Kriminologische Wörterbuch" (1974, 1985, 1993, zusammen

Günther Kaiser zum 70. Geburtstag

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mit H.-J. Kerner, F. Sack, H. Schellhoss); daneben verdienen die Monographien "Criminological Research Trends in Western Germany" (1972, zusammen mit Th. Würtenberger), "Crime and Criminal Justice" (1988, zusammen mit I. Geissler), "Crime and Criminal Policy in Europe" (1990 zusammen mit H.-J. Albrecht), "Deutsch-ungarisches Kolloqium über Strafrecht und Kriminologie (1990, zusammen mit A. Eser), "Politisch-gesellschaftlicher Umbruch, Kriminalität, Strafrechtspflege" (1993, zusammen mit J.-M. Jehle), "Kriminologische Opferforschung. Neue Perspektiven und Erkenntnisse", 2 Bände (1993, 1995, zusammen mit J.-M. Jehle) besondere Erwähnung. In seinen Aufsätzen beschäftigt sich Kaiser seit 1957 mit einer Vielzahl von Themen, wobei Arbeitsschwerpunkte festzustellen sind. Sie betreffen - außer Strafrecht, Jugendstrafrecht, Kriminologie und Strafvollzug im allgemeinen die Themenbereiche Strafrechtsvergleichung, Behandlungsforschung, Fragen der Entkriminalisierung, Gewaltkriminalität, Kriminalpolitik, Kriminalprävention, Kriminologische Forschungsfragen und vergleichende Kriminologie, Maßregeln der Besserung und Sicherung, Menschenrechte im Strafvollzug, Opferforschung einschließlich des Täter-Opfer-Ausgleichs, Sanktionensysteme, Strafrechtsrefom, Verbrechenskontrolle, Verkehrsdelinquenz und Wirtschaftskriminalität. Daneben gibt es weniger zentrale Themen, mit denen sich der Jubilar gelegentlich auseinandersetzt. Hierzu zählen etwa Abolitionismus, Amnestie und Begnadigung, Machtmißbrauch und Korruption, Biokriminologie, Datenschutz, Eugenik, Genetik, Interdisziplinarität der Wissenschaft, Juristenausbildung, Okkultismus und Religion, Prognose, Suizid, Prostitution und Transplantation. Auch zu den Bereichen Gastarbeiter-, Gruppen-, Kinder-, Frauen- und Massenkriminalität finden sich Veröffentlichungen. Daneben publiziert Kaiser Aufsätze über einzelne Erscheinungsformen der Kriminalität (etwa Erpressung, Kindesmißbrauch und -mißhandlung, Mord, Pornographie, Schwangerschaftsabbruch, Terrorismus sowie Vandalismus). Der Jubilar ist auch Verfasser der Einführung zur Textausgabe "Strafvollzugsgesetz", die in bisher 13 Auflagen vorliegt. Besondere wissenschaftliche Verdienste erwirbt sich Kaiser auf dem Gebiet der Kriminologie in Deutschland. Hier ist seine Arbeit bahnbrechend. Um dies zu belegen, muß etwas ausgeholt werden. In Deutschland ist nach deutlichen Qualitätsverlusten in den dreißiger und vierziger Jahren (unter dem Einfluß des Nationalsozialismus) die Kriminologie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Fach nahezu zur wissenschaftlichen Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Zwar gibt es schon in den fünfziger Jahren an einigen Universitäten Versuche, kriminologische Themen in Dissertationen zu bearbeiten, doch kommen diese Bemühungen über methodisch problematische phänomenologische Bestandsaufnahmen nicht hinaus. Erst zu Beginn der sechziger Jahre findet eine "Wiedergeburt der Kriminologie" an den Universitäten mit der Einrichtung der er2*

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loser Kürzinger

sten Lehrstühle für Kriminologie (Heidelberg und Tübingen) statt. Diese Erneuerung der Kriminologie ist gekennzeichnet durch eine in ihren Intentionen täterzentrierte Wissenschaft. Dazu trägt bei, daß die bei den ersten Lehrstuhlinhaber von Hause aus mehr Mediziner als Juristen sind. Dies bedeutet in der Praxis zwar eine Hinwendung zur Empirie ("Wertfreiheit"), engt aber den Blickwinkel der neu belebten Disziplin sichtbar ein. Freilich zeigt sich unter maßgeblicher Beteiligung des Jubilars, daß vor allem in Tübingen eine zwar täterzentrierte Kriminologie betrieben wird, dabei aber auch umfangreich soziale Faktoren untersucht werden. Damit wird aber nicht das erreicht, was Kaiser selbst - vor allem nach Gründung der Forschungsgruppe Kriminologie am Max-Planck-Institut in Freiburg - als forschungsleitend artikuliert. Kaiser ist der Auffassung und setzt dies auch in seine Forschungspraxis um, daß das Gesamtsystem der Verbrechenskontrolle, dessen Träger und die von ihm Betroffenen, erfaßt werden müßte. Damit erweitert er den herkömmlichen Bereich kriminologischer Betrachtungsweise. Der Jubilar erwartet von einer so ausgerichteten Forschung einen Beitrag zur Erfassung der privaten und staatlichen Verbrechenskontrolle auch in Bezug auf Verbrechensangst, Dunkelfeldproblematik, Anzeigefreudigkeit und Anzeigeerstattung. Diese Erweiterung des Forschungsspektrums korrespondiert nicht mit den Intentionen des Ende der sechziger Jahre auch in Deutschland rezipierten labeling approach, der - vor allem in seiner radikalen Formulierung - allein auf die Reaktion der Gesellschaft abstellt. Bei ihm ist Kriminalität zur schlichten Frage der Definition geworden, losgelöst vom realen Akt der Gesetzesverletzung. Angesichts dieser gegensätzlichen Sichtweisen kriminologischer Inhalte - täterzentriert versus kontrollbestimmt - versucht der Ansatz des Jubilars, den Mittelweg zu gehen. Die auf der theoretischen Grundlage des labeling approach basierende Kriminologie begreift sich selbst zwar als empirisch; von außen besehen ist sie doch wohl eher Kriminalpolitik. Diese Einschätzung sollte sich im Laufe der Zeit auch bestätigen. Damit aber ist der Weg zu einer empirischen Wissenschaft freilich versperrt. Obwohl Kaiser diese Position nicht teilt, wenden sich gerade die Untersuchungen am Max-Planck-Institut der Tätigkeit der Kontrollinstanzen zu. Es ist daher nur folgerichtig, daß Kaiser auch dem Strafvollzug seine besondere Aufmerksamkeit schenkt. Seine Sichtweise bringt Kaiser auch in eine Gegenposition zur tradierten Täterkriminologie, die notwendigerweise die Prozesse der Verbrechenskontrolle vernachlässigen muß, um das eigene Selbstverständnis nicht zu gefährden. Schon Kaisers Auffassung einer empirischen Kriminologie steht immer auch im Zentrum der Kritik. So stellt der dezidierte Vertreter einer täterorientierten Kriminologie, Hans Göppinger, schon 1980 fest, daß wir uns wohl daran gewöhnen müßten, daß es in Zukunft eine juristische Kriminologie - damit war die Kaisers gemeint - und eine erfahrungswissenschaftliche Kriminologie im engeren Sinne - nämlich Göppingers eigene geben werde. bis eines Tages der Zeitgeist beide wieder zusammenführe.

Günther Kaiser zum 70. Geburtstag

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Göppinger sieht dies als weniger in der Sache selbst liegend als eher durch die methodischen Möglichkeiten der einzelnen Kriminologen bedingt an. Die Kritik an Kaiser durch eine Anzahl von Vertretern des labeling approach ist weitaus heftiger, was nicht selbstverständlich erscheint, wird sie doch vor allem im Kriminologischen Journal, dem Sprachrohr der Arbeitsgemeinschaft Junger Kriminologen, zu dessen Gründungsmitgliedern Kaiser gehört, formuliert. Als deutlich wird, daß Kaiser keineswegs der Linie des sich emanzipatorisch verstehenden labeling approach folgt, häufen sich die Angriffe gegen ihn im Kriminologischen Journal. Sie erreichen 1979 einen gewissen Höhepunkt in einem polemischen Artikel, der die Inkongruenz beider Richtungen der Kriminologie bestätigt. Den Vertretern des labeling approach - oder wie sie sich nunmehr teilweise auch nennen, einer "Kritischen Kriminologie" - bleibt die Kriminologie Kaisers ebenso fremd, wie Kaisers Vorstellung einer empirischen Kriminologie sich mit deren Verständnis zur Deckung bringen läßt. Dies hat vor allem damit zu tun, daß Kaisers Kriminologie als theorielos verstanden wird, offensichtlich, weil sie bestimmte Annahmen zu machen nicht bereit ist und - trotz der Erweiterung um den Aspekt der Verbrechenskontrolle - im Kern zwar keine täterzentrierte, aber doch eine täterbezogene Kriminologie sein will, wobei freilich kriminalsoziologische Überlegungen dominieren. So steht die Kriminologie Kaisers - kategorisiert man etwas vereinfachend - zwischen beiden Positionen. Kaiser wird im Kriminologischen Journal spöttisch eine "Vorliebe für das Moderne, fürs Zeitgemäße" vorgeworfen. Diese Einschätzung trifft nur zum Teil das Richtige. Kaiser folgt in seiner Auffassung von empirischer Kriminologie keineswegs den Zeitläufen. Täte er dies, schlüge er sich den jeweils herrschenden Moden zu; diese haben in den letzten dreißig Jahren in der Kriminologie in Deutschland durchaus gewechselt. Der jeweils "herrschenden" Richtung der Kriminologie - sollte es sie in diesem strengen Sinne gegeben haben ist Kaiser nur teilweise gefolgt. Daß er dabei "konservative" Strömungen eher rezipiert hat als "fortschrittliche", hat weniger mit Richtungen zu tun, die gerade en vogue sind, sondern damit, ob Kaiser eine tragfähige empirische Basis für seine Vorstellung von Kriminologie erkennen kann. Abschließend zu Kaisers Positionen in der Kriminologie sich zu äußern, ist bei jemandem wie ihm, der trotz seines etwas höheren Lebensalters mitten im wissenschaftlichen Schaffensprozeß steht und dessen Wirken nicht abschließend gewürdigt werden kann, nicht ohne Gefahr der falschen Prophetie möglich. Gewiß ist kaum zu erwarten, daß die grundsätzlichen Positionen Kaisers sich erheblich ändern werden; die Akzente mögen sich allerdings bei einem Wissenschaftler wie ihm, der bereit ist, eigene Urteile ständig zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren, durchaus noch verschieben. Nach der wissenschaftlichen Leistung der nun überschaubaren fast vierzig Jahre läßt sich freilich eine vorläufige Bilanz schon heute ziehen. Sie kommt zu dem Ergebnis, daß hier ein Werk ungewöhnlichen Ausmaßes und respektabler Größe vorliegt. Kaiser hat die deutsche Kri-

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minologie für eine wissenschaftliche Generation entscheidend geprägt. Er hat sie selbst dort beeinflußt, wo seine wissenschaftliche Position Zweifel, ja Ablehnung auslöste. An ihm kommt man nicht vorbei, will man Kriminologie in Deutschland verstehen. Dies beschreibt den unanfechtbaren Anteil Kaisers in der deutschen Wissenschaft. Auch jenen, die das wissenschaftliche Wirken Kaisers anders werten, kann nicht entgehen, welchen Stellenwert es einnimmt. Es ist nicht nur die von Kaiser betriebene Öffnung des Faches in den internationalen Dialog, die ihn zu einem der bedeutendsten Kriminologen Deutschlands macht. Die wissenschaftliche Relevanz des Jubilars liegt vor allem auch darin, die deutsche Kriminologie vor Einseitigkeit zu bewahren. Sein Beharren auf einer empirischen Kriminologie möglichst frei von ideologischen Vorgaben und darauf, den Prozeß der Verbrechens kontrolle in eine täterorientierte Kriminologie einzubringen, haben der Kriminologie einen gangbaren Weg gezeigt. Es ist sicher mehr als Höflichkeit, wenn einer der profiliertesten Vertreter des labe1ing approach anläßlich des Erscheinens der ersten Auflage des Lehrbuches "Kriminologie" 1981 schreibt, daß der Arbeit ohne Einschränkung das Verdienst zukomme, in einer ausgewogenen Weise den internationalen Stand der kriminologischen Wissenschaft für die deutsche Diskussion zu erschließen. Zweifellos trage es entscheidend dazu bei, den nicht zu leugnenden Rückstand der deutschen Kriminologie aufzuholen und vergessen zu machen. Ohne Frage habe sich dieses Lehrbuch damit in jeder Hinsicht an die Spitze der deutschsprachigen Lehrbücher der Kriminologie gesetzt. Muß man, wenn ein Fachkollege solcher Bedeutung, der Kriminologie mit einem durchaus anderen Verständnis als Kaiser betreibt, zu dieser Feststellung kommt, betonen, welche Achtung Kaisers Werk selbst bei denen genießt, die seiner Kriminologie nicht folgen? Wohl dem Wissenschaftler, dessen Werk auch bei denen, die ihm fern stehen, solche Anerkennung findet. Ad multos annos!

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Kriminologie und Strafrecht im Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Jahre gemeinsamer Arbeit mit Günther Kaiser

In den zwölf Jahren von 1970 bis Anfang 1983, in denen Günther Kaiser und ich gemeinsam als Direktoren das Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht leiteten, haben wir die Wege und Methoden des Zusammenwirkens von Kriminologie und Strafrecht im Institut weniger durch theoretische Überlegung als vielmehr durch praktische Arbeit an den Forschungsprojekten herausgefunden. Diese Zeit umfaßte die Gründung und den Aufbau der Kriminologischen Forschungsgruppe, die 1970 zu der schon seit 1966 bestehenden Strafrechtlichen Forschungsgruppe hinzutrat, die Auswahl, Vorbereitung und Durchführung der ersten Projekte, die Berichterstattung über die Arbeitsweise und ihre Ergebnisse gegenüber Fachbeirat, Kuratorium und Öffentlichkeit und die Aufnahme und Verarbeitung der Kritik von seiten der Gremien und der Fachwelt. Da das Verhältnis von Kriminologie und Strafrecht zu Beginn unserer Zusammenarbeit nach überwiegender Meinung durch das Prinzip der Trennung bestimmt sein solltel und es damals kein dem unsrigen ähnliches Institut gab, dessen Erfahrungen wir hätten nutzen können, mußte die methodische Reflexion weitgehend durch Intuition und Initiative ersetzt werden. Am Ende der 26jährigen Amtszeit von Günther Kaiser (1970-1996) möchte ich meine Eindrücke von der gemeinsamen Arbeit an unserer ganz neuartigen Aufgabe festhalten. Diese Niederschrift ist dem Weggenossen in dankbarer Erinnerung an seine nie fehlende Loyalität gewidmet und soll den I So Göppinger, Kriminologie, 4. Auf!. 1980, S. 15 mit Nachweisen. Nach Baratta, Strafrechtsdogmatik und Kriminologie, ZStW 92 (1980), S. 142 bestanden seinerzeit "die Voraussetzungen zur Verwirklichung eines integrierten Modells [von Strafrechtswissenschaft und Kriminologie] (noch) nicht". Hassemer, Kriminologie und Strafrecht, in: Kaiser/Kemer/Sack/Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Auf!. 1993, S. 315 f. sieht einen wesentlichen Grund der Trennung darin, daß das Strafrecht auf individuelle Zurechnung angelegt ist, aber eine kollektive Zurechnung, wie sie die "Kritische" Kriminologie im Auge hat, nicht leisten kann. Dagegen hat Kaiser, Die Beziehungen zwischen Kriminologie und Strafrecht, GA 1967, S. 289 ff. für die Entscheidung zwischen "Trennungs- und Einheitsdenken" schon früh auf das "Instrumentarium der gesamten Strafrechtswissenschaft" abgestellt.

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Späteren, die unser Werk fortsetzen werden, als Anregung für die eigene Arbeit in der Zukunft und als Rückblick auf die wissenschaftliche Grundüberzeugung derer dienen, die damit begonnen haben.

I. Auf die Zusammenarbeit von Kriminologie und Strafrecht mit Günther Kaiser in dem neu gegründeten Max-Planck-Institut war ich nur ungenügend vorbereitet. Eine Ausbildung in Kriminologie hat es im juristischen Studium an der Universität zu Anfang der 30er Jahre noch nicht gegeben. Zwar war meinem Lehrer Eduard Kern die Welt, mit der es die Strafrechtspflege zu tun hat, keineswegs fremd 2 ; wie er hat auch Erik Wolf den Blick seiner Studenten schon frühzeitig auf die Probleme des Strafvollzugs gelenkt3 . Aber eine Neuorientierung des juristischen Unterrichts in Richtung auf die Kriminologie konnte es in den Jahren nach 1933 wegen der veränderten Einstellung zu Verbrechen und Strafe nicht geben. Daß es der Strafrechtspflege und der Strafgesetzgebung an kriminologischer Grundlegung fehlte, wurde mir erst durch die spätere Berufserfahrung als Richter, als Hochschullehrer4 und als Mitglied der Großen Strafrechtskommission 5 bewußt. Im Hinblick auf diesen immer deutli2 Kern, der während seiner Freiburger Zeit auch als Richter am Landgericht tätig gewesen war, nannte in dem aus Vorlesungen entstandenen Werk "Vom Seelenleben des Verbrechers", 1964, S. 7 die Strafrechtswissenschaft "nur die eine Seite des Problems Verbrechen und Strafe; die andere ist die Wirklichkeit des Lebens, der Mensch, der als Objekt des Strafrechts in Frage kommt. Diese Lebenswirklichkeit bedarf genauso der Erforschung wie der Inhalt der Rechtsnormen. Mit dieser Recht~wirklichkeit beschäftigt sich die sogenannte materielle Strafrechtswissenschaft = die Kriminologie i.w.S". Ein Überblick über das kriminologische Gesamtwerk von Kern findet sich bei lesc:hec:k, "Eduard Kern zum 80. Geburtstag am 13. Oktober 1967", GA 1967, S. 359 f. Zu dem Werk "Das Seelenleben des Verbrechers" vgl. ferner lesc:heck, Eduard Kern, in: Juristen im Portrait, Festschrift zum 225jährigen Jubiläum des Verlages C. H. Beck, 1988, S. 473 f. 3 Erik Wolf hat 1928 das Seminar für Strafvollzugskunde an der Universität Freiburg gegründet und regelmäßig Anstaltsbesuche mit Studenten durchgeführt. 4 Bei den Störungen meiner strafrechtlichen Lehrveranstaltungen während der studentischen Unruhen des Jahres 1968 ging es, wenngleich überwiegend aus politisch-ideologischen Gründen, auch um mehr Information über die sozialen Bedingungen von Verbrechen und Strafe, die ich damals noch nicht geben konnte. Zur "kritischen" Kriminologie jener Zeit Kürzinger, Die Kritik des Strafrechts aus der Sicht moderner kriminologischer Richtungen, ZStW 86 (1974), S. 211 ff. 5 Mein Eindruck, daß es für eine grundlegende Reform der Kriminalpolitik damals an empirisch gesichertem Wissen gefehlt hat, wurde auch von anderen Kommissionsmitgliedern geteilt. So hat Paul Bocke/mann im Jahre 1960 der Max-Planck-Gesellschaft einen Plan zur Errichtung eines "Max-Planck-Instituts für Strafrecht und Kriminologie" vorgelegt. Dazu Kaiser, Was wissen wir von der Strafe?, in: Festschrift für P. Bockelmann, 1979, S. 926 ff. Wilhelm Gallas hatte sogar schon im Jahre 1953, also vor Beginn der Arbeiten der Großen Strafrechtskommission, eine "zentrale Forschungsstätte für das Gebiet der Kriminologie und der Kriminalpolitik" gefordert. Dazu Kaiser, Kriminologie im Verbund der gesamten Strafrechtswissenschaft, in: Festschrift für H.-H. Jescheck, 1985, Bd. 11, S. 1039.

Kriminologie und Strafrecht im Max-Planck-Institut für Strafrecht

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cher empfundenen Mangel haben Thomas Würtenberger und ich im Rahmen der 500-Jahr-Feier der Universität Freiburg im Jahre 1957 für ein Kolloquium das Thema "Kriminologie und Strafrechtsreform" gewählt und hierzu führende Vertreter der deutschen und ausländischen Kriminologie eingeladen 6 . Meine eigenen Vorstellungen gingen damals noch nicht über eine begrenzte Rolle der Kriminologie als Sammelstelle von einschlägigen Rechtstatsachen zur Ergänzung der Strafrechtswissenschaft und -praxis hinaus 7 . Einen Schritt vorwärts in der Erkenntnis der Möglichkeiten einer "gesamten Strafrechtswissenschaft" habe ich durch einen Aufenthalt als Gastprofessor an der School of Law der New York University im Herbstsemester 1969 getan, als ich Gelegenheit hatte, dort und an anderen von mir besuchten amerikanischen Universitäten den integrierten Unterricht in Strafrecht, Strafprozeßrecht, Strafvollzugskunde, forensischer Psychologie und den praktischen Bedingungen der Strafrechtspflege unter der Bezeichnung "Criminal Justice" aus eigener Anschauung kennenzulemen 8 . Jedoch ist mir die volle Bedeutung der Kriminologie als eigenständiger Wissenschaft, die Weite und Verschiedenartigkeit ihres Forschungsfeldes, die Vielfalt ihrer Methoden und ihre Praxisrelevanz erst nach und nach wirklich klar geworden, als ich als Vorsitzender der Prüfungsgruppe des DFG-Schwerpunkts "Empirische Kriminologie und Kriminalsoziologie" von 1972 bis 1978 die jährlichen Auswahlsitzungen zu leiten hatte, bei denen aufgrund eines mündlichen Vortrags der Antragsteller in Gegenwart aller anderen Bewerber und einer Befragung durch die Mitglieder der Prüfungsgruppe nach ganztätiger Beratung die jährlich zur Verfügung stehenden, erheblichen Forschungsmittel den ausgewählten Projekten zugeteilt wurden.

11. Schon bald nach der Gründung des Max-Planck-Instituts im Jahre 1966 war mir in der allgemeinen Aufbruchstimmung jener Zeit bewußt geworden, daß ich durch die mir zugewachsene Position in der Max-Planck-Gesellschaft die

6 lescheckIWürtenberger (Hrsg.), Internationales Colloquium über Kriminologie und Strafrechtsreform, 1958, Vorwort, S.5: "Das Colloquium setzte sich das Ziel, die Bedeutung der Kriminologie für die künftige Gestaltung der Strafrechtsordnung auf internationaler Basis zu erörtern".

7 In meiner Antrittsvorlesung in Freiburg am 14. Juni 1954 über "Entwicklung, Aufgaben und Methoden der Strafrechtsvergleichung", 1955, S.41, 43 habe ich die Kriminologie noch als "Hilfsmittel" zur Erforschung von "Rechtstatsachen" bezeichnet. Welche große und selbständige Bedeutung der Rechtstatsachenforschung im Rahmen der empirischen Kriminologie heute zukommt, zeigt Heinz, Strafrechtliche Tatsachenforschung und empirische Kriminologie, in: Heinz (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung heute, 1986, S. 39 ff. s leseheck, Bedingungen und Methoden des Rechtsunterrichts in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1970, S. 13 ff.; Newman, Introduction 10 Criminal Justice, 2 nd ed. 1978.

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einmalige Chance hatte, die Kriminologie neben dem Strafrecht im Institut zu verankern, und daß mit der Chance auch die Pflicht verbunden war, diesen Versuch zu wagen. So schlug ich in der Kuratoriumssitzung des Instituts vom 26.2.1969 ohne klaren Überblick über die Reichweite dieses Schrittes vor, das Institut "um eine selbständige Abteilung für Kriminologie" zu erweitern, was vom Kuratorium unter der Leitung von Staatssekretär Walter Strauß nach eingehender Beratung einstimmig gutgeheißen wurde. Meiner Vorstellung von der Zusammenarbeit beider Wissenschaften entsprach ein möglichst enger Verbund eigentlich besser als die Schaffung zweier selbständiger Abteilungen, und so habe ich, da der Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft Friedrich Schneider in der Kuratoriumssitzung der Aufnahme der Kriminologie in das Institut zwar zustimmte, jedoch nicht in der Form einer selbständigen Abteilung, in meinem Schreiben an Präsident Butenandt vom 8.4.1969 aus eigenem Entschluß nur die Gründung einer kriminologischen Arbeitsgruppe zur "Ergänzung" der bereits bestehenden strafrechtlichen Gruppe beantragt. Im Juni 1969 hat der Verwaltungsrat der Max-Planck-Gesellschaft diesen Plan gebilligt. Die Schaffung der Stelle eines zweiten Wissenschaftlichen Mitglieds des Instituts für die Leitung der Kriminologischen Forschungsgruppe wurde vom Verwaltungsrat im November 1969 beschlossen. Die Geisteswissenschaftliche Sektion wurde alsbald von Präsident Butenandt mit der Einleitung des Berufungsverfahrens beauftragt.

111. Für die Berufung in die Leitung des Instituts habe ich ohne Zögern Privatdozent Dr. Günther Kaiser vorgeschlagen. Er war wie ich ein Schüler von Eduard Kern, und ich vertraute deswegen darauf, daß er bei aller Freiheit in der wissenschaftlichen Arbeit das Strafrecht nicht in Frage stellen würde, was den Plan einer integrierten Zusammenarbeit beider Wissenschaften von vornherein zum Scheitern verurteilt hätte. Ich kannte Günther Kaiser von einer für unseren Lehrer typischen Veranstaltung alten akademischen Stils, wie er damals noch lebendig war. Im Sommer 1955 kam Eduard Kern auf einer Schwarzwaldwanderung mit Tübinger Assistenten und Schülern, zu denen auch Kaiser zählte, noch einmal auf die Universitätshütte am Schauinsland, die er 1934 als Rektor der Freiburger Universität gegründet hatte, um dort mit den Freiburger Freunden, zu denen auch ich gehörte, seine Emeritierung zu feiern 9 . Kern hat mir seinen Schüler damals und auch in den folgenden Jahren sehr empfohlen, und ich kannte deswegen auch seine kriminologische Dissertation "Randalierende 9 Jescheck. GA 1967, S.360. Kaiser stand Kern besonders nahe, wie seine dem engsten Freundeskreis vorbehaltene Zugehörigkeit zur "Ordo oculi tigris" beweist. Hierzu Jescheck. Juristen im Portrait (Anm. 2), S. 470.

Kriminologie und Strafrecht im Max-Planck-Institut für Strafrecht

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Jugend" (1959), die mir durch die umfassende Sammlung empirischen Materials (Aktenuntersuchung, Fragebogenauswertung, Presselektüre), durch sein Verständnis für die Folgen familiärer Defizite und kindlicher Entbehrungen und durch realistische Behandlungs- und Reformvorschläge in Erinnerung geblieben war. Ich wußte auch, daß Kaiser sich inzwischen bei Hans Göppinger habilitiert hatte und im Sonderforschungsbereich "Kriminologie" in Tübingen arbeitete. So konnte ich mir vorstellen, daß er dort die notwendige methodische und systematische Ausbildung in Kriminologie gehabt habe, vor allem in der von Göppinger besonders gepflegten Täterforschung lO , die ich damals noch mit der herrschenden Richtung für die Hauptaufgabe der Kriminologie hielt. Kaiser nahm den an ihn ergangenen Ruf in die Leitung des Freiburger Instituts ohne umständliche Verhandlungen an und ist auch mit der "kleinen Lösung", die ihn in Freiburg erwartete, gut zurechtgekommen. Sie bestand darin, daß die Personal- und Sachmittel des Instituts in einem gerechten Verhältnis zwischen Strafrecht und Kriminologie aufgeteilt wurden. Fehlende Forschungsmittel wurden von der DFG und von Stiftungen großzügig beigesteuert. Die Integration von Strafrecht und Kriminologie im Institut wurde dadurch betont, daß die Bibliothek als Einheit geführt und daß in der Planung des 1978 bezogenen Institutsneubaus keine getrennte, sondern eine gemischte Unterbringung der bei den Forschungsgruppen vorgenommen wurde. 1971 wurde Günther Kaiser zum Honorarprofessor an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in Freiburg ernannt und hat durch seine Lehrtätigkeit bald Schüler gewonnen. IV. Am 1.8.1970 hat Kaiser im Institut seinen Antrittsvortrag über "Probleme, Aufgaben und Strategien kriminologischer Forschung heute"! I gehalten. Sein Ziel war, die "alte, vorübergehend inhaltsleer gewordene Formel von der ,gesamten Strafrechtswissenschaft' ... allen Einwendungen zum Trotz mit neuem Inhalt zu erfüllen". Kurze Zeit später, am 26.2.1971, entwickelte er sein Forschungsprogramm auf dem Kolloquium aus Anlaß der Jahressitzung des Kuratoriums des Instituts 12, skizzierte dabei insbesondere das erste gemeinsame Forschungsvorhaben "Sozialkontrolle und abweichendes Verhalten in Betrieben" und nannte unter den internationalen Prioritäten der Kriminologie bereits 10 Göppinger, Neuere Ergebnisse der kriminologischen Forschung in Tübingen, in: GiippingerlWitter (Hrsg.), Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 9, 1970, S. 74: "Von diesen Überlegungen herkommend, versuchten wir im Tübinger Institut mit einem Forscherteam aus Psychiatern, Juristen, Psychologen, Soziologen und Sozialarbeitern ein Bild zu gewinnen über den Täter in seinen sozialen Bezügen". 11 Kaiser, ZStW 83 (1971), S. 881 ff. 12 Kaiser, ZStW 83 (1971), S. 1093 ff.

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die Themen, die anschließend im Institut bearbeitet worden sind wie das "Dunkeifeid der Kriminalität", "die Polizei und die sonstigen Instanzen der Sozialkontrolle" und die "Sanktionenforschung". Nicht ausgeblieben sind die von Kaiser erwarteten Einwendungen gegen die geplante Zusammenarbeit von Kriminologie und Strafrecht im Institut. Sie gaben uns ständig Anlaß, die eigene Position nicht als selbstverständlich zu nehmen, sondern kritisch zu überdenken und auf ideologische Angriffe ohne Schärfe zu reagieren. I. Angriffe gegen das Freiburger Konzept kamen einmal von der Seite der "kritischen" oder "radikalen" Kriminologie und hatten eine gesellschaftsverändernde Stoßrichtung. Die Kritik an dem Freiburger Konsensmodell äußerte sich im Vorwurf der "Staatsforschung"l3, in der Herabsetzung der mit dem Strafrecht kooperierenden Kriminologie als "Legitimationswissenschaft", im Vorwurf der "Praxisunterwerfung" und "Anbindung an das Strafrecht" I 4, in der Behauptung der "Theorielosigkeit" und der "politischen Botmäßigkeit" 15, in der Abwertung der dem Strafrecht und seiner Anwendung gewidmeten Kriminologie als "Service-Forschung". Besondere Bedeutung für die Kritik der am Strafrecht orientierten Kriminologie hatte der damals aufkommende "Iabeling approach" durch die Sicht der bei der Strafverfolgung stattfindenden Selektionsprozesse als schichtenspezifische Ungleichbehandlung zum Nachteil der Unterschicht, indem deren Angehörigen die Eigenschaft der Kriminalität gewissermaßen "zugeschrieben" werde, und zwar eher als den Angehörigen der Mittel- und Oberschicht l6 . Kaiser hat diese Kritik aufgenommen und sich für seinen weiteren Weg auf die Methode der "Interdisziplinarität als Mittel der Selbstreflexion und Selbstkontrolle der kriminologischen Forschung"17 verlassen. Zu der Zeit, als Anfang der 70er Jahre die ersten forschungsleitenden Ent13 So etwa Brusten, Staatliche Institutionalisierung kriminologischer Forschung, in: Kury (Hrsg.), Perspektiven und Probleme kriminologischer Forschung, 1981, S. 135 ff. 14 Sack, Probleme der Kriminalsoziologie, in: König (Hrsg.), Handbuch empirischer Sozialforschung, Bd. 12,2. Aufl. 1978, S. 192 ff.; Sack, Das Elend der Kriminologie und Überlegungen zu seiner Überwindung, in: Robert (Hrsg.), Strafe, Strafrecht, Kriminologie, 1990, S. 34; Sack, Kritische Kriminologie, in: Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss (Anm. I), S. 329 ff. Sack ist bei dieser Position immer geblieben, wie das vernichtende Urteil über Kriminologie und Strafrechtswissenschaft "Kriminologie in Europa - Europäische Kriminologie? Kriminologie aus deutscher Sicht" zeigt; siehe Albrecht/Kürzinger (Hrsg.), Kriminologie in Europa - Europäische Kriminologie?, 1994, S. 139 bzw. 151. 15 D. und H. Peters, Theorielosigkeit und politische Botmäßigkeit. Destruktives und Konstruktives zur deutschen Kriminologie, KrimJ 4 (1972), S. 241 ff. 16 Sack, Neue Perspektiven in der Kriminologie, in: Sack/König (Hrsg.), Kriminalsoziologie, 1968, S. 468 ff. Kritisch hierzu Kürzinger, Kriminologie, 2. Aufl. 1996, Rn. 132. 17 Kaiser, Kriminologie, 3. Aufl. 1996, § 5 Rn. 16 ff. Rückblickend auf die durchgeführten Forschungsprojekte wendet sich Kaiser, Kriminologische Forschung am Max-Planck-Institut, in: Kaiser/Kury/Albrecht (Hrsg.), Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, 1988, S. 169 scharf gegen "den pauschalen Vorwurf, unabhängige Grundlagenforschung sei im strafrechtlichen Verbund unmöglIch, unerwünscht, ja unzulässig".

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scheidungen im Institut getroffen wurden, hatten wir aber nicht nur Gegner, sondern auch die Unterstützung von Kriminologen und Juristen, die bei aller Berücksichtigung der bestehenden kritischen Positionen doch die Zusammenarbeit von Kriminologie und Strafrecht, vor allem zur Reform des von der Freiheitsstrafe beherrschten Sanktionensystems für dringend notwendig hielten 18. Selbst Sack sah damals in dem theoretischen Bezugsrahmen des Labeling approach eine Möglichkeit, "die Kluft zwischen Rechtswissenschaft und den Sozialwissenschaften entscheidend zu schmälern, ohne in diesem Streit der einen oder anderen Seite Recht zu geben"19. Der Leitgedanke unserer Arbeit, statt unfruchtbarer theoretischer Konfrontation unverzüglich mit der Institutionenforschung (Betriebsjustiz, Polizei, Staatsanwaltschaft) zu beginnen, wird heute auch von Kunz als Brücke zwischen kritischer und anwendungsbezogener kriminologischer Forschung anerkannt und empfohlen 20 . 2. Während die Angriffe aus der Richtung der kritischen Kriminologie in der kriminologischen Forschung des Instituts immer im Auge behalten wurden, hat es eine eigentliche Auseinandersetzung mit dem Abolitionismus (Foucault, Hulsman, Mathiesen, Plack)21 und dem Neomarxismus (Soukup, Werkentin)22 nicht gegeben, weil beide Richtungen das auf die Ideale des liberalen Rechtsstaats (individuelle Gerechtigkeit, Rechtssicherheit, Solidarität) gegründete Strafrecht abschaffen wollen, während dieses gerade der Gegenstand der gemeinsamen Forschungsarbeit des Instituts sein sollte. Wir haben das Strafrecht als "ultima ratio" der Rechtsordnung (BVerfGE 51, S. 324 [343 f.D verstanden und die Idee seiner Abschaffung deswegen auch nicht in das wissenschaftliche Programm des Instituts aufgenommen. Beim überlieferten Strafrecht und seinen Mängeln wollten wir jedoch ebenfalls nicht stehenbleiben. Deswegen hieß unsere Devise: "Jus criminale sem per est reformandum"23.

3. Auseinandersetzen mußten wir uns dagegen mit den Einwendungen, die von seiten der konventionellen Kriminologie gegen das Forschungsprogramm des Instituts erhoben wurden. So sprach sich Leferenz gegen den Versuch aus, "den Anschluß an die angloamerikanische Kriminologie zu gewinnen", und

18 So Kratlj3. Kriminologie und Strafrecht. in: Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften. Bd. I, 1973, S. 259 ff.; Schewe. Strafrecht und Kriminologie, ebenda. S. 286 f.; Müller-Dietz. Sozialwissenschaften und Strafrechtsdogmatik. in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 145 ff.; Schaffstein. Kriminologie und Strafrechtskommentare, in: Festschrift für H. Henkel, 1974, S. 215 ff. 19 Sack (Anm. 16), S. 474. 20 Kunz. Kriminologie. 1994, § 8 Rn. 28. 21 Hierzu Kaiser. Kriminologie (Anm. 17). § 32 Rn. 29 ff. 22 Hierzu Kürzinger (Anm. 4), S. 230 ff.; Kürzinger (Anm. 16), Rn. 124 ff.; Rode. Kriminologie in der DDR, 1996, S. 289 ff. 23 So Schultz. Abschied vom Strafrecht? ZStW 92 (1980). S. 635.

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empfahl statt dessen, "daß die deutsche Kriminologie sich wesentlich eigenständiger entwickeln und sich stärker an den ihr gestelIten Aufgaben orientieren solIe"24. Diese Aufgabe sei die "täterorientierte Ursachenforschung", während heute, wie er sagte, "der individuelIe Täter verschwindet" zugunsten von Fragen "der Normgenese, der Kriminalisierungsprozesse oder der lustizforschung im engeren Sinne"25. Hilde Kaufmann hielt die Betriebsjustiz zwar durchaus für einen legitimen Forschungsgegenstand, doch sei dies "Soziologie und gar nicht mehr Kriminologie"26. Es handle sich dabei "um eine grundlegend andere Disziplin als die ... streng an der Strafrechts wissenschaft orientierte Kriminologie"27. Auch Richard Lange wehrte sich dagegen, daß "unter amerikanischem Einfluß die Soziologie das Feld der Kriminologie" immer stärker beherrsche28 . Eine "Koexistenz" von Schuldstrafrecht und der gegenwärtig führenden Richtung in der Kriminologie hielt er für unmöglich 29 . Starker Widerspruch erhob sich auch bei dem KolIoquium zum Thema "Staatsanwaltschaft"30, als Sessar zur Kennzeichnung seines Zwischenergebnisses eine schichtspezifische Erledigungspraxis der Staatsanwaltschaft behauptete und dabei die Begriffe "Kriminalisierung" und "Diskriminierung" verwendete 31 .

4. Günther Kaiser stand also zeitweise zwischen "zwei Feuern", er hat sich jedoch weder durch die eine noch die andere Seite beirren lassen, sondern hielt an der Zusammenarbeit mit der Strafrechtswissenschaft, wie wir sie uns im Institut vorgenommen hatten, ohne Schwanken fest. Das Neue in seinem Forschungsansatz sah er vor alIem in der "Erweiterung des Forschungsfeldes auf 24 Bericht von Feest, ZStW 83 (1971), S. 1133 f. über das Kolloquium anläßlich der Kuratoriumssitzung im Institut am 26.2.1971 zu dem Vortrag von Kaiser, Kriminologische Forschung in Deutschland und die empirischen Untersuchungen am Max-Planck-Institut, ZStW 83 (1971), S. 1093 ff. Kaiser hat die täterorientierte Ursachenforschung. wie sie das "Institut für Kriminologie" in Tübingen, aus dem er stammte, umfassend betrieben hat. nie ausgeschlossen; dazu Kaiser, Strafrechtssoziologie - Dimension oder Partitur der Kriminologie, MschrKrim 1979, S.61. Thomas Wünenberger und ich sind Kaiser in dem erwähnten Kolloquium entschieden beigetreten (ZStW 83 [1971]. S. 1135). 25 Leferenz, Rückkehr zur Gesamten Strafrechtswissenschaft. ZStW 93 (1981), S. 218 f. Siehe auch seine streng auf den Täter beschränkte Definition der Kriminologie als "Seinswissenschaft vom Menschen als Verbrecher", in: Leferenz, Aufgaben einer modemen Kriminologie. 1967. S.21. 26 So Hilde Kaufmann nach dem Bericht von Feest (Anm. 24). S. 1142. Ähnlich auch Gal/as. Kuratoriumssitzung am 3.3.1972. Protokoll. S. 17. 27 Kaufmann, Kriminologie zum Zwecke der Gesellschaftskritik? JZ 1972. S. 80. 28 Lange. Zur neuen Situation der Kriminologie. in: Festschrift für D. Gehler. 1985. S. 676. 29 Siehe den Brief Langes an mich bei Jescheck. Richard Lange zum Gedächtnis. ZStW 108 (1996). S. 7. 30 Siehe Steilen. Bericht über das Kolloquium "Staatsanwaltschaft" anläßlich der Sitzung des Kuratoriums am 21. Februar 1975. ZStW 87 (1975), S. 1070 ff. 31 Sessar, Empirische Untersuchungen zur Funktion und Tätigkeit der Staatsanwaltschaft. ZStW 87 (1975), S. 1033 ff.

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die gesamte Sozialkontrolle"32. In einem Vortrag vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 3. Dezember 1974 faßte er die Gegenstände und das erwartete Ergebnis unserer Zusammenarbeit wie folgt zusammen: "Wir beabsichtigen, Stück für Stück das Gesamtsystem der Verbrechenskontrolle, dessen Träger und die von ihm Betroffenen in entscheidungsrelevanten Situationen zu erfassen. Wir haben dabei mit dem sogenannten BetriebsjustizProjekt als einem Fall privater Verbrechenskontrolle begonnen und es bereits weitgehend abgeschlossen. Aspekte polizeilicher und staatsanwaltlicher Tätigkeit sind als weitere Forschungsprobleme in Angriff genommen worden". "Wir erwarten von unseren Untersuchungen einen Beitrag zur Handhabung der privaten und staatlichen Verbrechenskontrolle, und zwar auf dem Hintergrund von Verbrechensangst, Dunkelfeldkriminalität, Anzeigefreudigkeit und Anzeigeerstattung. Ferner hoffen wir, zu den empirischen Gehalten von Gleichheit und Individualisierung, zur Kriminalitätsstruktur und Kriminalstatistik sowie zu der als kriminell in Betracht kommenden Population genauere Aussagen treffen zu können,,33.

V. Welches sind die Forschungsprojekte, in denen die Zusammenarbeit von Kriminologie und Strafrecht im Freiburger Max-Planck-Institut während der zwölf Jahre der gemeinsamen Leitung Ausdruck gefunden hat? Von diesen Projekten betrafen zwei die Instanzenforschung, und zwar eines die als "Betriebsjustiz" bezeichnete betriebsinterne Sanktionierung von Normverstößen Betriebsangehöriger in Industriebetrieben als Beispiel nicht-staatlicher Sozialkontrolle, ein anderes eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft, der als Ermittlungs-, Einstellungs- und Anklagebehörde die Bestimmung über die Eingangsstufe der Strafrechtspflege zusteht. Zwei gemeinsame Projekte befaßten sich mit der Sanktionenforschung, und zwar mit der Geldstrafe und der Freiheitsstrafe. Ein fünftes Forschungsprojekt über die "Strafzumessung bei schwerer Kriminalität" ist zwar erst lange nach meiner Zeit fertig geworden, es wurde jedoch noch unter meiner Mitverantwortung geplant34 und war als das Werk eines Autors, der in einer Person Jurist und Kriminologe ist, ein charakteristisches Zeugnis für das Konzept "Strafrecht und Kriminologie unter einem

32 Kaiser, Was ist eigentlich kritisch an der "Kritischen Kriminologie"?, in: Festschrift für R. Lange, 1976,S. 538. 33 Kaiser, Stand und Entwicklung der kriminologischen Forschung in Deutschland, 1975, S. 42 f. 34 Siehe Kaiser, Bestandsaufnahme, Forschungsplanung und Ausblick auf die Achtziger Jahre, in: Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie, 1980, S. 510.

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Dach"35. Die in jenen Jahren geleistete "freie" Forschung der Kriminologen im Institut 36 nenne ich so, weil sie ohne Beteiligung der strafrechtlichen Forschungsgruppe nach den eigenen Bedürfnissen und Maßstäben der kriminologischen Forschung ausgewählt und durchgeführt wurde. Ihre Ergebnisse waren jedoch für das Wirklichkeitsbild des Strafrechtlers von großer Bedeutung. Gleichwohl soll dieser Bereich hier nur am Rande erwähnt werden, um daran zu erinnern, daß die Kriminologische Forschungsgruppe diese Freiheit tatsächlich gehabt und genutzt hat. I. Die erste empirische Arbeit der Kriminologischen Forschungsgruppe und zugleich die erste Gemeinschaftsarbeit mit den strafrechtlichen Kollegen galt der "Betriebsjustiz"37. Das Thema wurde erstmals in der Kuratoriumssitzung vom 6.3.1970 in Erwägung gezogen und nach Gründung der Kriminologischen Forschungsgruppe in der zweiten Hälfte des Jahres 1970 alsbald in Angriff genommen. Das empirische Material wurde in drei Schritten gesammelt: einer schriftlichen Umfrage bei den Betriebsleitungen von 540 Industriebetrieben in Baden-Württemberg (1971), einer Folge von Interviews von Vertretern der Betriebsleitungen und der Betriebsräte (1972) und einer Arbeitnehmerbefragung (1973) (Metzger-PregizerlRosellen, Betriebsjustiz, S. 29 ff.). Der juristische Beitrag zu dem Projekt bestand aus Abhandlungen von Rupert Scholz über "Die rechtliche Ordnung der Betriebsjustiz" (Betriebsjustiz, S. 311 ff.) und von Theo Vogler über "Betriebsjustiz und Strafrechtspflege" (Betriebsjustiz, S. 356 ff.). Der kriminologische Teil des Projekts hat "neue Erkenntnisse in den Bereichen Organisation und Verfahren, Struktur und Häufigkeit von Verstößen, Dunkelfeld, Täterstruktur, Sanktionspraxis und Arbeitnehmereinstellungen 35 Hierzu Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, 1974, Vorwort, S. VI. Unter dem Stichwort "Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach" stand auch mein Beitrag zum 65. Geburtstag von Günther Kaiser mit dem Überblick über die Arbeiten beider Gruppen, in: Albrecht/Kürzinger (Anm. 14), S. 7 ff. 36 Nennen möchte ich zum Thema "Dunkelfeld und registrierte Kriminalität" Stephan, Dunkeifeid und registrierte Kriminalität, KrimJ 1972, S. 115; Stephan, Die Stuttgarter Opferbefragung, 1976 und Villmow, Schwereeinschätzung von Delikten, 1977; zur Polizeiforschung Kürzinger, Private Strafanzeige und polizeiliche Reaktion, 1978 und SteIfen, Analyse polizeilicher Ermittlungstätigkeit aus der Sicht des späteren Strafverfahrens, 1976; zur Wirtschaftskriminalität und ihrer Verfolgung Berckhauer, Die Strafverfolgung bei schweren Wirtschaftsdelikten, 1981 und Liebl, Die Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten, 1984. 37 Das Projekt ist dokumentiert in: Kaiser/Metz.ger-Pregizer, Betriebsjustiz. Untersuchungen über die soziale Kontrolle in Industriebetrieben, 1976. Zur Entwicklung der Forschungsarbeit Kaiser (Anm. 11), S. 906 ff.; Kaiser (Anm. 12), S. 1115 ff.; Feest, Soziale Kontrolle und abweichendes Verhalten in Betrieben ("Betriebsjustiz"), KrimJ 1971, S. 229 ff.; Feest, Betriebsjustiz: Organisation, Anzeigebereitschaft und Sanktionsverhalten der formellen betrieblichen Sanktionsorgane, ZStW 85 (1973), S. 1125 ff.; Metzger-Pregizer, Bericht über das Kolloquium anläßlich der Sitzung des Kuratoriums des MPI am 23.2.1973, ZStW 85 (1973), S. 1154 ff.

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erbracht" (Metzger-Pregizer, Betriebsjustiz, S. 286). Daß die Organisation der betrieblichen Sozialkontrolle mit der Betriebsgröße korreliert, war zu erwarten; auch daß es in aller Regel keine der staatlichen Justiz vergleichbaren Organe gibt - zum Glück nicht, kann man sagen, da das ganze System im autonomen Rahmen bleiben muß, wenn es funktionieren so1l38. Untersuchung und Entscheidung von Normverstößen liegen in der Regel bei der Betriebsleitung und dem in unterschiedlichem Grad beteiligten Betriebsrat, der auch als Verteidiger tätig wird. Die Anhörung des Beschuldigten ist - ein Zeichen der starken Präsenz dieser Grundregel im Bewußtsein aller Beteiligten - anerkanntes Verfahrensprinzip. Die Normverstöße sind mehrheitlich Eigentumsdelikte, in deutlich geringerem Maße Beleidigungen und Körperverletzungen und damals nur in I % der Fälle sittliche Verfehlungen. Anzeigen an Polizei und Staatsanwaltschaft sind selten, was den Entlastungseffekt der Betriebsjustiz und die Fähigkeit zu innerbetrieblicher Lösung von Konflikten belegt. Ausländische Arbeitnehmer sind als Beschuldigte überrepräsentiert, sie werden aber von den deutschen Kollegen auch häufiger als Verdächtige gemeldet. Als Sanktion steht die Entlassung zahlenmäßig im Vordergrund. Sie ist freilich keine disziplinarische Maßregel, sondern eine normale Rechtsfolge aus dem Arbeitsverhältnis. An Zahl folgen ihr die innerbetrieblichen Sanktionen (mündlicher und schriftlicher Verweis, Kündigungsandrohung, Versetzung, Geldbuße). Relativ selten ist der Verzicht auf formelle Ahndung. Das Melden von Verstößen ist verpönt, eigenverantwortliche Problemlösung im direkt betroffenen Personenkreis erwünscht, weil ein konfliktfreies Betriebsklima höher eingeschätzt wird als formelle Sanktionierung. Das Erscheinen der Polizei im Betrieb wird als Schwäche der Leitung und als Störung der Betriebsgemeinschaft empfunden. Eine gesicherte und in sich geschlossene Rechtsgrundlage der Betriebsjustiz gibt es, wie Scholz in seinem Beitrag gezeigt hat (Betriebsjustiz, S. 336 f.), gegenwärtig nicht. Für die juristische Konstruktion kommt die privatrechtliehe Figur der Vertragsstrafe in Betracht, die aber die Sache nicht trifft, da es sich hier nicht um Durchsetzung der vereinbarten Arbeitsleistung, sondern um disziplinarische Reaktion auf Rechts- und ürdnungsverstöße gegenüber Betrieb und Arbeitskollegen handelt (S. 334). Das verfassungsrechtliche Gebot eines Rechtsschutzes gegen Sanktionen im Betrieb als wichtigstes juristisches Postulat ist durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gesichert, wonach die Arbeitsgerichte "befugt und gehalten" sind, "die Frage der ordnungsmäßigen Verhängung einer Betriebsbuße in vollem Umfang nachzuprüfen" (BAGE 20, S. 79 [85 ff.]). Auch für das Verfahren der Betriebsjustiz hat dieses Urteil die wichtigsten Garantien festgelegt (S. 350). In der Mitbestimmung des Betriebs38 Zu weit in der Formalisierung geht wohl der Altemativentwurf eines "Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz". Vgl. Arzt/E.ver. Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz. 1975. 3 Festschrift für G. Kaiser

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rats sieht Scholz die "typische Organisationsform für die Neutralität und Objektivität des betriebsjustiziellen Verfahrens" (S. 355). In seinem Beitrag über "Betriebsjustiz und Strafrechtspflege" (Betriebsjustiz, S. 356 ff.) verlangt Vogler, daß für "Verfahren mit Pönaleffekt" der "Kernbereich der Grundsätze rechtsstaatlicher Kriminalpolitik" gewährleistet sein muß (S. 357). Die Betriebsjustiz müsse auf Ordnungsverstöße und Fälle innerbetrieblicher Bagatellkriminalität beschränkt bleiben; die Geldbuße, die in einer Bußordnung verankert sein muß, dürfe einen mittleren Tagesverdienst nicht überschreiten (S. 369 f.). Für eine an sich erwünschte Regulierung der Betriebsjustiz sei die "arbeitsrechtliche Lösung" vorzuziehen gegenüber dem Versuch, sie "zu einem Strafverfahren hochzuspielen" (S. 379). Das Projekt "Betriebsjustiz" - so kann man das Ergebnis zusammenfassen veranschaulicht eine aus der Arbeitswelt der Industrie eigenständig erwachsene Form nicht-staatlicher Sozialkontrolle im Bagatellbereich, die für den Betrieb eine unauffällige Konfliktlösung bringt und die Strafjustiz entlastet. Die Betriebsjustiz entbehrt zwar einer gesicherten Rechtsgrundlage, sie hält sich aber im wesentlichen an die Grunderfordernisse eines rechtsstaatlichen Verfahrens und wird von den Betriebsangehörigen als Mittel innerbetrieblicher Befriedung akzeptiert. 2. Das Projekt "Struktur und Funktion der Staatsanwaltschaft" tauchte zuerst als Arbeitsvorhaben für das Jahr 1973 im Tätigkeitsbericht 1972 auf. Geplant war von vornherein eine gemeinsame rechtsvergleichende und kriminologische Untersuchung, die aber in ihrem empirischen Teil auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland beschränkt bleiben mußte, ein Mangel, der erst später überwunden werden konnte. Immerhin war man im rechtsvergleichenden Teil der Untersuchung bemüht, auch die Rechtswirklichkeit der staatsanwaltlichen Tätigkeit in den beteiligten Ländern einzubeziehen, was an den statistischen Angaben aller Landesberichte zu erkennen ist. Im Fachbeirat des Instituts wurde das Projekt unter dem Titel "Staatsanwaltschaft im Prozeß strafrechtlicher Sozial kontrolle" am 22.2.1974 kriminologisch und strafrechtlich vorgetragen und eingehend erörtert. Der empirische Teil der Forschungsarbeit wurde 1977 abgeschlossen und 1978 veröffentlicht39 . Eine Ergänzung für den Bereich der Polizei brachte die empirische Untersuchung des Verhältnisses von Staatsanwaltschaft und Polizei durch Steffen40 . Der rechtsvergleichende Teil mit sieben Landesberichten (Frankreich, Niederlande, Österreich, Schweiz, Norwegen, England und Wales, USA) wurde 1978 fertiggestellt und 1979, ein

39 Blankenbur1iISessarlSte.tl"en (unter Mitarbeit von U. Baumann und J. Fehervdry), Die Staatsanwaltschaft im Prozeß strafrechtlicher Sozialkontrolle, 1978. Hierzu Se.uar (Anm. 31), S. 1033 ff. sowie Stefjim (Anm. 30), S. 1063 ff. 40 Stefj'ell (Anm. 36).

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Jahr nach dem empirischen Teil, veröffentlicht41 . Das für die Selektionspraxis der Staatsanwaltschaft beherrschende Problem der "Behandlung der Bagatellkriminalität" war das Thema der strafrechtlichen Fachgruppe auf der Tagung für Rechtsvergleichung 1979 in Lausanne42 ; es ergänzte den rechtsvergleichenden Teil des Projekts. Die wichtigsten Ergebnisse der kriminologischen Untersuchung sind im vorletzten Kapitel zusammengefaßt (Staatsanwaltschaft, S. 302 ff.). Allgemein bekannt ist heute, daß die Staatsanwaltschaft in der Regel die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen vorgelegt bekommt und, abgesehen von Kapitalund Wirtschaftsdelikten, nur ganz selten selbst ermittelt oder Nacherhebungen der Polizei veranlaßt. Unbekannt-Sachen werden außer bei spektakulären Fällen meist nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Da die Ermittlungstätigkeit der Polizei sich auf die schwerere Kriminalität konzentrieren muß, gelangen Bagatell-Diebstähle, ein Hauptkontingent der zur Anzeige kommenden Straftaten, bei unbekanntem Täter meist in die Kategorie der Unbekannt-Sachen (Steffen [Anm. 36], S. 292 f.). Die Schichtzugehörigkeit des Verdächtigten ist nicht entscheidungsrelevant. Jugendliche und Heranwachsende werden eher sanktioniert als erwachsene Tatverdächtige, wozu die Tatsache beiträgt, daß Angehörige dieser beiden Gruppen geständnisbereiter und meist nicht verteidigt sind. Die Voraussetzungen der Einstellungspraxis haben sich im übrigen für Staatsanwaltschaft und Gerichte inzwischen grundlegend verändert durch die Einführung des § 153 aStPO, die im Jahre 1974 am Ende der Datenerhebung eintrat und deswegen nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Wegen dieser Lücke erscheint eine gesonderte empirische Untersuchung der Handhabung der Einstellung gegen Auflagen durch Staatsanwaltschaft und Gericht erforderlich 43 . Zu Recht empfahl Sessar am Ende des Projektberichts die "breite Anwendung" der neuen Vorschrift (Staatsanwaltschaft, S.333), was auch bekanntlich in vollem Umfange geschehen ist44 .

41 Jescheck/Leibinger (Hrsg.), Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht, 1979. 42 Die Landesberichte Hirsch (Deutschland), Nowakowski (Österreich), Hauser (Schweiz), Cosmo (Schweden), Hulsman (Niederlande) und der Tagungsbericht von Beckmann sind veröffentlicht in ZStW 92 (1980), S. 218 ff., 261 ff.

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43 Zu den ersten Reaktionen auf die Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaft nach 153 a StPO vgl. die Äußerungen im Kolloquium anläßlich der Kuratoriumssitzung am 12.2.1977 bei Albrecht. Bericht über das Kolloquium, ZStW 89 (1977), S. 1095 ff. Zum Gedanken der Formalisierung der Handlungskriterien der Staatsanwaltschaft bei der Einstellung nach 153. 153 a StPO Weigend. Anklagepflicht und Ermessen, 1978, S. 167 ff. 44 Zur Anwendung der §§ 153, 153 a StPO auf Wirtschaftsstraftaten. auch bei sehr hohen Schadenssummen, Berckhauer. Die Erledigung von Wirtschaftsstraftaten durch Staatsanwaltschaften und Gerichte, ZStW 89 (1977), S. 1033 f.

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Die Landesberichte des rechtsvergleichenden Teils des Projekts geben einen Einblick in die Regelung des Ermittlungsverfahrens und die Art und Weise der abschließenden Entscheidung der Staatsanwaltschaft, wobei übrigens in der Praxis zwischen den Ländern mit Legalitätsprinzip und solchen mit Opportunitätsprinzip geringere Unterschiede bestehen, als man nach der Gesetzeslage erwarten müßte45 . Einer der kriminologischen Fragestellung entsprechende Betrachtung stellten sich im rechtsvergleichenden Teil Schwierigkeiten entgegen, die auf der unterschiedlichen Organisation der Strafverfolgungsbehörden, der Verschiedenartigkeit der Verfahrenskonstruktion und der voneinander abweichenden Tätigkeitsstatistiken der Staatsanwaltschaft beruhen. Auch mußten zentrale Fragen des empirischen Projektteils, die nur durch Aktenanalyse zu beantworten sind, wie die Bedeutung von Alter, Schichtzugehörigkeit, Geständnisbereitschaft, Vorstrafenbelastung und Einschätzung der Beweislage für die abschließende Entscheidung der Staatsanwaltschaft, im strafrechtlichen Teil unberücksichtigt bleiben. Wichtig für die verschiedenen Möglichkeiten der Lösung von zwei rechtlichen Grundproblemen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens sind die eigenen Sanktionsmöglichkeiten des Anklägers und die Verfahren zur Entlastung der Strafverfolgungsorgane (Leibinger [Anm. 41], S. 689 ff.). Auch bei voller Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den Erkenntnismöglichkeiten der auf das eigene Land beschränkten empirischen Forschung und der auf mehrere Länder bezogenen normativen Darstellung des gleichen Gebiets entsteht doch ein bedeutender Erkenntnisgewinn, wenn man den empirischen und rechtsvergleichenden Teil des Projekts als Einheit versteht. 3. Mit dem Geldstrafenprojekt wandten sich Kriminologen und Juristen der Sanktionenforschung zu, die Mitte der 70er Jahre die Instanzenforschung abzulösen begann 46 . Die Untersuchung der Geldstrafe knüpfte an die Einführung des Tagessatzsystems (§ 40 StGB) und der Prioritätsregel zugunsten der Geldstrafe (§ 47 StGB) an und wurde in zwei miteinander verbundenen Teilen durchgeführt. Das von Gerhardt Grebing geleitete rechtsvergleichende Projekt47 , bestehend aus 16 Landesberichten (ebenfalls mit statistischen Angaben)48 und dem rechtsvergleichenden Querschnitt seines Leiters 49 , hatte einen 45 Leibin/ier, Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde, in: Jescheck/Kaiser (Hrsg.), Die Vergleichung als Methode der Strafrechtswissenschaft und der Kriminologie, 1980, S. 218 ff. 46 Charakteristisch für diese Entwicklung war der erfolgreiche Antrag auf Einrichtung eines DFG-Schwerpunkts "Empirische Sanktionsforschung" von Albrecht/Kaiser/Schiich, MschrKrim 1977, S. 41. Zur Strafvollzugsforschung in den 70er Jahren Dünkel, Empirische Forschung im Strafvollzug, 1996, S. 12 ff. 47 Je.w-heck/Grebin/i (Hrsg.), Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht. 1978. 48 Eigene statistische Beiträge haben geliefert zum Landesbericht Deutschland Albrecht (Geldstrafe. S. 165 ff.J, zum Landesbericht Italien Mo/inari (Geldstrafe. S. 497 ff.). zum Landeshcricht Schweiz Beckmann (Geldstrafe, S. 841 ff.J, zum Landesbericht Ungarn Kovacsics (Geld-

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Vorläufer in den strafrechtlichen Referaten zur Geldstrafe auf der Tagung für Rechtsvergleichung 1973 in Hamburg50 . Das Geldstrafenprojekt wurde dem Fachbeirat am 22.2.l974 und am 20.2.1975 vorgetragen und eingehend erörtert; es war Gegenstand eines Kolloquiums aus Anlaß der Kuratoriumssitzung am 20.2.l97651 und wurde in seinem strafrechtlichen Teil 1978 veröffentlicht. Ein Jahr später habe ich den Band im französischen Justizministerium dem Generaldirektor M. Schme1ck überreicht, der mir später sagte, daß die Arbeit von Grebing für die teilweise Einführung des Tagessatzsystems in Frankreich von Einfluß gewesen ist52 . Der strafrechtliche Teil dokumentierte für Deutschland (anders die Ergebnisse für das Ausland) das bekannte hochwichtige Ergebnis, daß die Geldstrafe 1974 mit 82,4 % aller Verurteilungen von Erwachsenen (1993: 83,9 %) die weitaus häufigste Strafart geworden ist und daß sich die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe mit 3 % Vollverbüßungen und 1,7 % Teilverbüßungen in unerwartet engen Grenzen hielt. Heute liegt die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe freilich schon bei 11,5 %, während die Einführung der gemeinnützigen Arbeit entgegen den Erwartungen nur in 5,8 % der Uneinbringlichkeitsfälle zur Erledigung der Geldstrafenschuld geführt hat53 . Ernüchternd war die Erkenntnis, daß Verurteilungen zu mehr als 90 Tagessätzen selten sind und zu mehr als 180 Tagessätzen so gut wie nicht vorkommen 54 , so daß die Geldstrafe also auf die leichte Kriminalität beschränkt geblieben ist, und daß trotz der Prioritätsregel noch immer rd. 10.000 Personen jährlich zu einer unbedingten kurzen Frei-

strafe, S. 105 ff.). Recht und Praxis der Vollstreckung der Geldstrafe in Deutschland hat Heinz im Institut in einem unveröffentlichten Manuskript "Die Geldstrafe und ihre Vollstreckung" (1976) dargestellt. 49 Der Querschnitt von Grebing. "Die Geldstrafe in rechtsvergleichender Darstellung", ist unter dem Titel "The Fine in Comparative Law: A Survey of 21 Countries", 1982 auch in englischer Sprache veröffentlicht. 50 Die Landesberichte von Zipf und Triindle (Deutschland), Thornstedt (Skandinavien) und Alekseev (Sowjetunion) sind in ZStW 86 (1974), S. 513 ff. veröffentlicht. 5\ Hierzu Grebing. Probleme der Tagessatz-Geldstrafe, ZStW 88 (1976), S. 1049 ff. und Driendl. Bericht über das Kolloquium "Probleme der Geldstrafe nach der Reform", ZStW 88 (1976), S. 1137 ff. Eine Zusammenfassung des Ertrags des Geldstrafenprojekts hat Albrecht, Die Geld~trafe als Mittel moderner Kriminalpolitik, in: Jescheck/Kaiser (Anm. 45). S. 255 gegeben. 52 Zur internationalen Verbreitung des Tagessatzsystems Jescheck/Weigend. Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Auf!. 1996, S, 780 ff. 53 Heinz. Die Wechse1wirkungen zwischen Sanktionen und Rückfall bzw. Kriminalitätsentwicklung, in: Bundesministerium für Justiz. Wien (Hrsg.), Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, 1996, S.57. Einen internationalen Überblick über die Verwendung der gemeinnützigen Arbeit geben Albrecht/Schädler (eds.), Community Service, 1986. 54 Dieses Ergebnis ist auch noch für 1993 gültig; vgl. Kaiser. Kriminologie (Anm. 17). S. 1011 Tabelle 49. Albrecht. Strafzumessung (Anm. 57), S. 316 spricht hier von der "Scheu vor hohen Geldstrafen" wegen des Multiplikatoreffekts der Tagessatzzahl bei dem hohen durchschnittlichen Nettoeinkommen in Deutschland.

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heitsstrafe verurteilt werden 55 . Gleichwohl ist Deutschland international gesehen zusammen mit Österreich das Land, das die unbedingte kurze Freiheitsstrafe am konsequentesten durch Geldstrafe ersetzt hat (Grebing, Die Geldstrafe [Anm. 47], S. 1199 f.). Der kriminologische Teil, der ursprünglich auch die generalpräventive Wirksamkeit und die Einschätzung der Geldstrafe durch die Bevölkerung 56 umfassen sollte, ist später durch zwei Arbeiten von Albrecht in etwas engerem Rahmen abgeschlossen worden 57 . Die erste behandelt die Prozesse derZumessung und der Beitreibung von Geldstrafen bei leichter und mittel schwerer Delinquenz. Hier hat sich ergeben, daß die einschlägige Vorstrafenbelastung das wichtigste Kriterium für die Entscheidung zwischen Freiheits- und Geldstrafe ist. Bei etwa 15 % aller Verurteilungen zu Geldstrafe wird die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet, die damals nur in 4,1 % der Fälle verbüßt wurde. Ein besonderes Problem stellen erwartungsgemäß die Arbeitslosen dar, die damals weniger als 2 % der Geldstrafenschuldner ausmachten, aber bei der verbüßten Ersatzfreiheitsstrafe mit 16 % weit überrepräsentiert waren. Dies erklärt zum Teil den oben erwähnten Anstieg der verbüßten Ersatzfreiheitsstrafen auf heute 11,5 % als Folge der Zunahme der Arbeitslosigkeit. Deren Anstieg ist auch ein Grund gegen die Ausdehnung der Geldstrafe in den Bereich der auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe (von 6 Monaten bis zu einem Jahr), da die Ersatzfreiheitsstrafe die Geldstrafe für den mittellosen Schuldner in eine nicht aussetzbare Freiheitsstrafe verwandelt, sofern er nicht eine längere gemeinnützige Arbeit auf sich nehmen will. In der zweiten Arbeit über die Legalbewährung hat Albrecht die spezialpräventive Wirksamkeit der Geldstrafe im Vergleich zur Freiheitsstrafe mit und ohne Bewährung untersucht. Der Studie lag eine Zufallsstichprobe von im Jahre 1972 in Baden-Württemberg wegen eines Straßenverkehrs-, Eigentums- oder Vermögensdelikts, einer Körperverletzung oder eines ausgewählten Nebenrechtstatbestandes rechtskräftig Verurteilten zugrunde. Das auf den ersten Blick eindrucksvolle Ergebnis, daß bei Geldstrafe die Wiederverurteilungsquote 26 %, bei Freiheitsstrafe auf Bewährung 55 % und bei Freiheitsstrafe ohne Bewährung 75 % beträgt, läßt jedoch einen Schluß auf die größere oder geringere spezialpräventive Wirksamkeit der drei untersuchten Strafarten nicht zu, da die hierzu verurteilten Personen unterschiedliche biographische und soziale Merkmale aufweisen 55 Heinz (Anm. 53), S. 70. 56 Ein wichtiges Ergebnis dieser Untersuchung wird von Albrecht, Die generalpräventive Ef-

fizienz von strafrechtlichen Sanktionen, in: Forschung.wruppe Kriminologie (Anm. 34), S. 322 mitgeteilt: 78,2 % der befragten Personen hielten die Geldstrafe für eine "sinnvolle Strafe". Dies erklärt die rasche Akzeptanz des "Siegeszugs der Geldstrafe" durch die Bevölkerung. 5? Albrecht. Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen unter Berücksichtigung des Tagessatzsystems, 1980; Albrecht. Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten, 1982.

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(Albrecht, Legalbewährung [Anm. 57], S. 237 f.). Legte man dem Vergleich gedachte identische Gruppen zugrunde, gäbe es gesicherte empirische Anhaltspunkte für eine größere oder geringere Rückfallwahrscheinlichkeit im Falle der Verurteilung zu einer dieser drei Strafarten nicht (Albrecht, Legalbewährung [Anm. 57], S. 245), so daß der Richter die schärfere Strafe jedenfalls nicht mit der Begründung wählen dürfte, dadurch die Resozialisierungschance des Verurteilten verbessern zu wollen. 4. Anfang 1980 begann die Arbeit der Strafrechtlichen Forschungsgruppe an dem zweiten gemeinsamen Thema der Sanktionenforschung, das wir "Die Freiheitsstrafe und ihre Surrogate"58 genannt haben, wobei unter letzterem Begriff alle die Freiheitsstrafe ersetzenden oder modifizierenden Sanktionen verstanden werden sollten. Die 23 Landesberichte, fast alle mit zum Teil ausführlichen statistischen Daten, geben ein umfassendes Bild von Recht und Praxis der Freiheitsstrafe und ihren Alternativen. Aufgenommen sind 13 europäische Staaten, drei außereuropäische Common Law-Rechte, fünf lateinamerikanische Länder sowie Japan als Vertreter Asiens und Ghana als afrikanisches Entwicklungsland, das im Anschluß an unsere Afrikaforschung ins Blickfeld der Bearbeiter (Bringer, Dörken) getreten war. Der deutsche Landesbericht (Kürzinger) nimmt nach Umfang und Gehalt sowie als wichtigster Bezugspunkt des Querschnitts eine Sonderstellung ein. Das Schlußkapitel mit der rechtsvergleichenden Darstellung und der Bewertung der Ergebnisse als Anregung für die weitere Reform in Deutschland habe ich erst nach meiner Amtszeit beisteuern können. Der Querschnitt gibt einen detaillierten Überblick über die Verwendung der Freiheitsstrafe im Ausland. Noch immer ist sie in der Mehrzahl der Länder die hauptsächlich angewendete Sanktion. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist überall (außer in Italien) das unentbehrliche Zwangsmittel, das hinter der Geldstrafe steht. Die lebenslange Freiheitsstrafe besteht in der Mehrzahl der Länder fort, jedoch überall gemildert durch die Möglichkeit der Begnadigung oder bedingten Entlassung, meist nach einer Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren. Die unbestimmte Freiheitsstrafe ist auf dem Rückzug. Die kurze Freiheitsstrafe spielt noch in fast allen Ländern eine wesentliche Rolle, die formelle Prioritätsregel zugunsten der Geldstrafe findet sich nur in Deutschland und Österreich. Die Zweispurigkeit von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung ist deutlich zurückgegangen; vielfach übernimmt eine verlängerte Freiheitsstrafe die Sicherung der Gesellschaft gegenüber gefährlichen Rückfalltätern. Überall ist die Resozialisierung das vorrangige Ziel des Strafvollzugs, obwohl niemand sagen kann, ob sie durch den Vollzug der Freiheitsstrafe wirklich gefördert wird. Die Strafaussetzung zur Bewährung hat sich überall als wichtigstes Mittel der Vermeidung von strafweisem Freiheitsentzug durchge58 Jesc:heck (Hrsg.), Die Freiheitsstrafe und ihre Surrogate im deutschen und ausländischen Recht. 3 Bde., 1983-84.

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setzt. An Alternativen gibt es ferner die Einstellung des Strafverfahrens unter Auflagen, die Verwendung von Maßregeln und Nebenstrafen als Hauptstrafen, die bedingte Aussetzung des Strafausspruchs, die gemeinnützige Arbeit als Hauptstrafe oder wenigstens als Ersatz der Ersatzfreiheitsstrafe. Die bedingte Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit ist allgemein vorgesehen, die Halbzeit-Entlassung ist im Vordringen. Die Kriminologische Forschungsgruppe hat einzelne Bereiche des Gesamtgebiets der Freiheitsstrafe empirisch eingehend untersucht. Die 1969 als Kernstück der Reform des Maßregelsystems vorgesehene, aber 1984 auf eine Modifikation des Strafvollzugs beschränkte sozialtherapeutische Anstalt wurde zahlreichen Evaluationskontrollen unterworfen, im Institut durch Dünkel 59 , DünkellNemec/Rosner60 und Ortmann 61 . Die Ergebnisse62 , bei denen Dünkel im Durchschnitt eine um 10-20 % verminderte Rückfallquote annimmt63 , werden zwar als "ermutigend", aber "nicht als eindeutiger Beleg für die spezial präventive Wirksamkeit" angesehen 64 . Doch sollte dies die Fortsetzung methodisch verbesserter Versuche in der Sozialtherapie rechtfertigen können. Im Anschluß an das Strafvollzugsgesetz (1976) veröffentlichten Dünkel und Rosner65 eine Bestandsaufnahme des Strafvollzugs seit 1970 auf der Grundlage einer Befragung sämtlicher Strafanstalten und unter Verwendung des statistischen Materials der Landesjustizverwaltungen. Positive Ergebnisse sind die verbesserte Personalausstattung und die Ausdehnung der Strafvollzugslockerungen bei geringer Mißbrauchsrate66 , eine negative Feststellung ist die Überbelegung der Strafanstalten als Folge der Zunahme der Kriminalität und des Anstiegs der mittleren und langen Freiheitsstrafen. In einem Querschnitt durch 59 Dünkel, Legalbewährung nach sozialtherapeutischer Behandlung, 1980. 60 Dünke/lNemec/Rosner, Organisation, Behandlungsmaßnahmen und Veränderungen bei Insassen in einer sozialtherapeutischen Anstalt, MschrKrim 1986, S. I ff. 61 Ortmann, Resozialisierung durch Sozialtherapie, ZStW 96 (1984), S. 794 ff.; Ortmann, Resozialisierung im Strafvollzug, 1987; Ortmann, Zur Evaluation der Sozialtherapie, ZStW 106 (1994), S. 782 ff. Das starke Interesse des Fachbeirats an diesem Thema wird dokumentiert durch die Tagungsberichte über das Kolloquium 1984 von Nemec, ZStW 96 (1984), S. 834 ff. und über das Kolloquium 1994 von Amold, ZStW 106 (1994), S. 890 ff. 62 Uisel/Kii(erllWeber, Meta-Evaluation der Sozialtherapie: Qualitative Analysen zur Behandlungsforschung in sozialtherapeutischen Anstalten des Justizvollzugs, 1987. 63 Dünkel (Anm. 46), S. 24. 64 So Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 1991, S. 112; eher negativ dagegen die Einschätzung von Ortmann, Zum Resozialisierungseffekt der Sozial therapie anhand einer experimentellen Längsschnittstudie zu Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen, Festgabe für K. P. Rotthaus, 1995, S. 112. 65 Dünke/lRosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970, 2. Aufl. 1982. 66 Hierzu Dünkel, Die Öffnung des Vollzugs - Anspruch und Wirklichkeit, ZStW 94 (1982), S. 669 ff. und Rosner, Bericht über das Kolloquium aus Anlaß der Kuratoriumssitzung am 19.2.1982, ZStW 94 (1982), S. 711 ff.

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den Strafvollzug in Europa zeigt auch Kaiser die statistisch schlechte Position des deutschen Strafvollzugs mit 83 Gefangenen auf 100.000 der Bevölkerung im obersten Drittel der Länderskala trotz hoher Geldstrafenrate67 . In seinem internationalen Vergleich der Strafaussetzung zur Bewährung und der Bewährungshilfe wirbt Dünkel68 für die Erweiterung der Regelaussetzung bis zu zwei Jahren, für die Aussetzung in Sonderfällen bis zu drei Jahren, für die Einführung der gemeinnützigen Arbeit als primärer Sanktion und für den Ausbau der Bewährungshilfe. Eine Frucht der langjährigen Bemühungen der Kriminologischen Forschungsgruppe um empirische Prüfung des Sanktionensystems und um kriminalpolitische Vorschläge für dessen Verbesserung ist die empirische und rechtsvergleichende Dissertation von Kinzig über die Sicherungsverwahrung 69 , in der er nach eingehender Erwägung des Für und Wider deren Abschaffung empfiehlt, was freilich im Kolloquium aus Anlaß der Kuratoriumssitzung am 23.2.1996 erheblichen Widerspruch fand. 5. Den Abschluß der strafrechtlichen und kriminologischen Arbeiten zum Freiheitsstrafenprojekt bildete schon nach meiner Zeit die Habilitationsschrift von Albrecht zur Strafzumessung70 . Der Autor verknüpft die normativen Vorgaben und den Bestand an Straftheorien mit der Analyse der einschlägigen empirischen Daten aus der Strafzumessungspraxis und erreicht einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn dadurch, daß er die empirische Untersuchung über Deutschland hinaus auch auf Österreich71 erstreckt. Ferner hat er in seinem vergleichenden Querschnitt des Rechts der Strafzumessung mehrerer Länder verschiedene Systeme für die Herstellung formaler Gleichmäßigkeit bei der Strafzumessung herausgearbeitet (S. 152 ff.). Die empirischen Daten der Untersuchung beruhen für Deutschland auf der Analyse einer Stichprobe von rechtskräftigen Urteilen zu den Deliktsgruppen Raub, Vergewaltigung und Einbruchsdiebstahl aus fünf Landgerichtsbezirken Baden-Württembergs in den Jahren 1979-1981. Die empirischen Daten für Österreich sind aus einer Stichprobe von rechtskräftigen Urteilen zu den gleichen Deliktsbereichen und dem gleichen Zeitraum aus den Bezirken des Landgerichts für Strafsachen Wien 67 Kaiser, Strafvollzug im europäischen Vergleich, 1983, S. 231, 228. Die Gefangenenrate lag 1991 bei 78,8; vgl. Heinz (Anm. 53), S. 78 f. 68 Dünkel, Strafaussetzung zur Bewährung und Bewährungshilfe im internationalen Vergleich, in: DünkeVSpieß (Hrsg.), Alternativen zur Freiheitsstrafe, 1983, S. 454 ff. 69 Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, 1996. 70 Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes, 1994. Eine Vorstufe bildeten die Vorträge auf der Tagung für Rechtsvergleichung 1981 zum Thema "Grundprobleme des Strafzumessungsrechts" von Bruns (Generalbericht), Burgstaller (Österreich), Dubs (Schweiz), Stile (Italien) und Weigend (USA) nebst Diskussion (Bericht von J. Meyer), ZStW 94 (1982), S. 111 ff. 71 In die das österreichische Recht betreffenden Teile des Werks sind die Ergebnisse der vorausgegangenen Untersuchung von PalliniAlbrecht/Fehervary, Strafe und Strafzumessung in Österreich, 1989 eingegangen.

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Hans-Heinrich Jescheck

und des Kreisgerichts Wiener Neustadt gewonnen. Von den Ergebnissen der Untersuchung (S. 492 ff.) kann ich hier nur weniges hervorheben. Unbegründete Differenzierung, "insbesondere Diskriminierung auf der Basis von Geschlecht, Ausländereigenschaft und Schicht" wird in den Urteilsgründen nicht sichtbar. Maßgebend für das Strafmaß ist vielmehr die auf dem Unrechtsgehalt, insbesondere der Höhe des Schadens bzw. der Intensität der Opferverletzung beruhende Einschätzung der Tatschwere sowie die Vorstrafenbelastung des Täters. Eine präventive Orientierung an den Folgewirkungen der Strafe findet dagegen kaum statt. Insbesondere werden Geldstrafe sowie bedingte und unbedingte Freiheitsstrafe von den Gerichten in eine "Stufenfolge der Schwere" gebracht und dementsprechend abgestufte Anwendungsbereiche gebildet, denen die Delikte nach Tatschwere und Vorstrafenbelastung zugeordnet werden. Dieses Bild sieht zum Teil anders aus, als es die Dogmatik und der Gesetzgeber annehmen. Das Werk von Albrecht fordert damit der Strafrechtstheorie und Strafgesetzgebung neue Überlegungen ab. Für mich macht es durch die direkte Verknüpfung von Strafrecht, vergleichender Kriminologie und Strafrechtsvergleichung sichtbar, was Günther Kaiser und ich durch die Zusammenarbeit unserer Wissenschaften im Institut ermöglichen wollten. VI.

Die Rückblicke von Kaisern und mir73 auf die gemeinsame Zeit bekräftigen, daß die Zusammenarbeit von Kriminologie und Strafrecht im Max-PlanckInstitut nach unserer Ansicht gelungen ist und zu Ergebnissen geführt hat, die von keiner der beiden Wissenschaften für sich allein hätten erreicht werden können. Ich habe das in der 1996 zusammen mit Thomas Weigend veröffentlichten 5. Auflage meines Lehrbuchs an vielen Stellen dargelegt. Kaiser hat seine kriminologische Einschätzung des durch die Reform erreichten Entwicklungsstands des deutschen Strafrechts in den Schlußkapiteln der im gleichen Jahr erschienenen Neuauflage seines Lehrbuchs 74 wie folgt zusammengefaßt: Auf "die Schuld des Täters als Bemessungsgrundlage für die Strafsanktion" ist nicht zu verzichten (§ 82 Rn. 4), denn "solange es Strafe gibt, bleibt auch das Schuldprinzip unentbehrlich" (§ 82 Rn. 10). Problematisch ist jedoch die Sanktionswahl und -bemessung bei Tätern mit schweren Sozialisationsmängeln. Durch die Nichtzulassung sozialer Exkulpationsgründe seitens des Ge72 Kaüer, Kriminologie um Freiburger Max-Planck-Institut, in: Müller-Dietz (Hrsg.), Dreißig Jahre Südwestdeutsche und Schweizerische Kriminologische Kolloquien, 1994, S. 36 f. 73 leseheck, Wege und Irrwege in der Strafrechtswissenschuft, Freiburger Universitätsblätter, Heft 128, Juni 1995, S. 21 74 Kaiser (Anm. 17).

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setzgebers wird zwar "die kriminologische Realität verkürzt", "fortbestehendes Präventionsinteresse verbietet jedoch eine Reaktionslosigkeit" (§ 82 Rn. 13). Gegenüber allen strafrechtlichen Sanktionen "erfüllt die empirische Kontrolle eine wichtige Funktion" (§ 91 Rn. 7). Hochwichtig ist die allgemeingültige Schlußfolgerung aus der Prioritätsregel des § 47 StGB: Freiheitsentzug als Sanktion kommt nur "ausnahmsweise und falls unbedingt geboten" in Betracht (§ 91 Rn. 5). Wenn aber Strafvollzug stattfinden muß, kann er nur behandlungsorientiert sein; das Bemühen um die Verwirklichung dieser Forderung hat in Deutschland "einen gewaltigen Schritt nach vorn bewirkt" (§ 92 Rn. 20). Im Bereich der Freiheitsstrafe "stellt die Entwicklung der Strafaussetzung zur Bewährung eine der bedeutendsten Wandlungen der Sanktionspraxis in den letzten vier Jahrzehnten dar" (§ 93 Rn. 24). Trotz dieser Fortschritte ist eine weitere Ausdehnung der Alternativen erforderlich und durchführbar (Aussetzung der Freiheitsstrafe in der Regel bis zu zwei Jahren, im Ausnahmefall bis zu drei Jahren; teilbedingte Freiheitsstrafe; gemeinnützige Arbeit als eigenständige Sanktion; Umstrukturierung der Bewährungshilfe) (§ 94 Rn. 2 ff.). Im Hinblick auf die geringe Fallzahl und den hohen Verwaltungsaufwand "läuft der Täter-Opfer-Ausgleich Gefahr, eine Randerscheinung im strafrechtlichen Sanktionensystem zu bleiben" (§ 98 Rn. 13). Wie im übrigen die Praxis zeigt, "leben selbst die ,Alternativen zum Strafrecht' von der Funktionstüchtigkeit der StrafrechtspfIege" (§ 100 Rn. 25). Die unendliche Vielgestaltigkeit dieses Bildes erfordert für die kriminalpolitische Entscheidung für die eine oder andere Lösung "die Absicherung durch empirisch-kriminologische Grundlagen und durch strafrechtliche Analyse" (§ 99 Rn. 13). Dies ist durch Zusammenarbeit der beiden Wissenschaften möglich, denn ein Rückblick auf die Nachkriegsentwicklung in Deutschland erlaubt die Annahme, "daß die Konvergenzen in der Grundüberzeugung zwischen Strafrecht, Kriminologie und Kriminalpolitik heute größer sind, als sie dies in der bisherigen Geschichte waren" (§ 99 Rn. 19).

ANTONIO BERISTAIN

;,La Criminologia hodierna puede prescindir de los valores religiosos?

I. ;,La anemia axiologica aboca a la macrovictimacion y la corrupcion? "Eine besonders wichtige Bedingung der Makrokriminalität scheint in der kollektiven Veränderung moralischer Wertorientierungen ... zu bestehen". Günther Kaiser, Kriminologie. Ein Lehrbuch, 1996, S.432.

EI profesor Günther Kaiser, en diversas ocasiones y con su habitual profundidad cientffica, se refiere a las complejas y cambiantes relaciones entre los valores religiosos, por una parte, y, por otra, a los temas fundamentales de la Criminologfa. Afirma que las vinculaciones religiosas no pueden ignorarse en Criminologfa: " ... dann können Konfession und religiöse Bindung auch kriminologisch nicht ignoriert werden" (Kaiser 1986, p. 159). Siguiendo sus orientaciones, conviene reflexion ar sobre estas cuestiones, pu es estan adquiriendo cada dfa mas complejidad y relevancia. Conviene preguntarnos si el crimin6logo hodierno, creyente 0 no creyente, debe aproximarse (con talante abierto y crftico) a las catedras universitarias de las ciencias religiosas y, de modo semejante, si los te610gos y los jerarcas de las iglesias pueden ignorar los elementos basicos de la Criminologfa. i,Debe la religi6n tener en cuenta las aportaciones criminol6gicas, por ejemplo, acerca de la homosexualidad? Dicho desde otra perspectiva, i,prostituyen algunas religiones sus mensajes (por ejemplo, el respeto y amor al "otro") por olvidar las coordenadas dei control social jurfdicopenal? i,La religi6n influye en el aumento 0 la disminuci6n de la criminalidad? (Kaiser 1996 a, p. 465; 1996; 1986, p. 147). Para responder a este conjunto de interrogantes, despues de formular un concepto generico de los valores, indicaremos que se entiende aquf por valores religiosos, sin dogmatismos confesionales. Comentaremos, a continuaci6n, un par de problemas existentes en Espana (ei perd6n a los terroristas y la compa-

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Antonio Beristain

si6n a sus vfctimas), algunas aportaciones dei Consejo de Europa (su actual solidaridad con los pafses de Europa central y oriental, la axiologfa de su Estatuto, y su oratorio interconfesional) y de las Naciones Unidas (la Convenci6n sobre los Derechos dei Nino, la Declaraci6n sobre la eliminaci6n de todas las formas de intolerancia y discriminaci6n fundadas en la religi6n 0 las convicciones, etcetera). AI final, nos preguntaremos si la Criminologfa y la justicia humana pueden prescindir dei amor. En pocas palabras: i,los crimin610gos debemos conocer, criticar e integrar los valores eticos? (Kaiser 1991). i,Que compete a los te610gos? 11. Valores religiosos versus dogmatismos y fanatismos

Teniendo en cuenta a Max Scheler, Radbruch, Welzel, Sartre, Parsons, G. Williams, Bettiol, Zubiri, L6pez Aranguren, etcetera, admitimos diversas concepciones de los valores; no pretendemos criticar, ni tan siquiera matizar, sus multiples definiciones; nos basta una descripci6n general. En este marco, entendemos por valores, sin pretender definirlos, las cualidades inherentes al ser (por ejemplo, bondad, verdad, belleza) aprehendidas por los sentimientos intencionales, de analoga manera a corno los actos intelectuales aprehenden las verdades; 0, retomando la cosmovisi6n plat6nica, las realidades objetivas, independientes, entidades ideales, perfecciones y existencias absolutas. Estas paginas se centran en los valores religiosos; es decir, los que se relacionan con las personas, las instituciones, los dogmas, los usos y las costumbres de las grandes religiones de ayer y de hoy: la dignidad de la persona, el amor, la libertad, la justicia, la paz, la compasi6n, la fraternidad, la felicidad, los Derechos Humanos, etcetera, con una referencia intrfnseca, esencial, teol6gica transcendente. Por esta referencia a una profundizaci6n metarracional, algunos especialistas (no s610 E. F. Schumacher, en su libro Small is beautifuL) hablan de otra dignidad de la persona, de otra libertad, de otra justicia, de otra compasi6n, de otra fraternidad, de otros Derechos Humanos. EI valor espiritual es al go mas y distinto de 10 util, mas y distinto de 10 tecnico; supera radicalmente la cosmovisi6n de Descartes cuando, en su Discourt de La methode, escribe: "C' est proprement ne valair rien que de n' etre utile apersonne". De modo semejante, el mensaje religioso difiere de\ mensaje universitario, corno indica Jacques Leaute (1989, p.298): "L'analogie des valeurs morales determinant une partie des messages n'est que relative. La raison qu'ont les hommes d'Eglise et les hommes de I'Universite publique et laique de considerer ces valeurs comme des imperatifs n'est pas la meme".

i,La Criminologia hodiema puede prescindir de los valores religiosos?

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No hay soluci6n de continuidad entre los valores seculares y los religiosos, pero estos alcanzan una maduraci6n, una altura y una profundidad superior a la de aquellos, sin que ello implique dualidad. Corno ejemplos de esta unidad y continuidad entre los diversos valores se pueden citar conjuntamente die Religion und die "verläßlichen und starken Bindungen des einzelnen an die Gesellschaft ... die solidaritätserzeugende unmittelbare Nachbarschaft ... die lokalen sozialen Bindungen" etc. (Albrecht 1997, p. 161 f.). Esta problematica autonomfa (sin separaci6n) de 10 sacro y de 10 profane ha motivado, desde el comienzo de los tiernpos hist6ricos, muchas violencias e incIuso guerras, en todo el planeta. Desde la I1ustraci6n, gracias en buena parte a Beccaria, el probIerna de la separaci6n y relaci6n entre 10 jurfdico y 10 religioso ha ido adquiriendo nuevos plantearnientos y nuevas respuestas, mas acordes con la cosrnovisi6n abierta a ,,10 santo corno valor numinoso" de Rudolf ütto, con "la natura dell'uorno che da al va/are il suo significato" de Bettiol (1986, p. 120), Y con el Menschenbild que tiene en cuenta el amor neotestarnentario, de la Ep(stala a los Corintios, capftulo 13, a que se refiere HansHeinrich Jescheck (1980, p. 260. Hoy corno ayer, cuando se abordan estas cuestiones, muchas personas de ambas partes, se consideran ofendidas. Nuestros comentarios, en estas paginas, pretenden mantenerse en el arnbito rnerarnente descriptivo, sin el menor atisbo dogmatico. Con Gregory Baum (1988, p. 311), lamento que la Iglesia Cat61ica nunca 0 rnuy tarde reconozca su historia y su situaci6n de pecadora: "Katholiken bedauern, daß es der Kirche so schwer fällt, vergangenes Unrecht zu bereuen. Die Kirche betrachtet sich nicht als Sünderin". EI 30 de setiembre de 1997 - 57 afios despues de la prornulgaci6n por el Gobierno filonazi de Vichy (ei 3 de octubre de 1940) deI estatuto discriminatorio contra los judfos, y medio siglo despues de la rnuerte de 76.000 judfos franceses deportados a los campos de exterminio nazi - por fin, el episcopado frances ha pedido perd6n a la comunidad judfa por su "silencio ensordecedor" ante la persecuci6n a los judfos durante la ocupaci6n nazi y ha denunciado las rafces cristianas de su antisemitismo. Ante esta triste realidad de las rnacrovictirnaciones que han producido los fanatismos, consideramos que la postura de las personas e instituciones universitarias no debe ser el silencio, el cerrar los ojos, sino el abrirIos mas para escudrifiar las razones que permitan tratar el terna sin prejuicios, ni preconceptos, ni presentimientos.

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Antonio Beristain

III. Fraternidad ante el terrorismo en Espafia La macrovictimaci6n que padece gran parte de la Humanidad declara fracasado y finalizado el proyecto ilustrado moderno de (Iegalidad, igualdad y) Jraternidad. Permftasenos reflexionar acerca de la posibilidad 0 de la conveniencia, para los crimin610gos, de creer en el valor religioso de la "otra" fraternidad (postilustrada) y de crear ese valor religioso de la "otra" fraternidad (postilustrada), procedente de una unica paternidad universal, espiritual (no meramente contractual), prefiada de una axiologfa nueva, rebosante de fuerza humanizadora-creante que transforme la victimaci6n injusta en convivencia agapica, que propugne el perd6n dentro de ciertos Ifmites, y la atenci6n a las vfctimas no menos que a los delincuentes.

1. ;,Mas 0 menos perdon a los presos? "Die Gnade ist dem Wunder innigst verwandt: wie dieses die Naturgesetze durchbricht, so durchbricht diese die Rechtsgesetzlichkeit, und bei den gemeinsam ist jene Wirkung, die ein großes, unverdientes Glück auf jeden übt, der solcher Ansprache fähig ist". Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie III, 1990, S.264.

Especialmente preocupa hoy en muchos pafses la posibilidad y la necesidad de ejercitar es ta fraternidad nueva, transcendente, con los autores de una criminalidad muy grave: la terrorista. En Espafia, inquieta la falta (en unas personas e instituciones) y el exceso 0 deformaci6n (en otras) de esa fraternidad con los terroristas de ETA. Desde esta perspectiva, comentare ahora la investigaci6n lIevada a cabo por Amando de Miguel, en su InJorme socioL6gico acerca de La sociedad espafioLa en 1995-1996. La pregunta que hace el soci610go a los 2.242 entrevistados, mayores de 18 afios, de todas las provincias espafiolas, dice asf: "Suponga que un terrorista con delitos de sangre que esta en la carcel se arrepiente y colabora con la policfa. En ese caso, i,serfa conveniente (a) concederle la Iibertad, (b) acortar la condena, (c) debe cumplir la condena fntegra?" (De Miguel 1996, p. 277). La primera soluci6n, la mas liberal, s610 la admite un 4 % de los encuestados. Un 28 % estarfa dispuesto a acortar la condena, pero la mayorfa (66 %) aboga por mantener la condena fntegra para tod os los terroristas, incluso para los arrepentidos.

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i,La Criminologia hodiema puede prescindir de los valores religiosos?

La distinci6n fundamental no proviene de vivir/practicar mas 0 menos la religi6n (e1 valor religioso de la fraternidad y deI perd6n), sino de residir en el Pafs Vasco 0 en el resto deI territorio espafiol. En todos los grupos de edad, los que viven en el Pafs Vasco son mucho rnas partidarios que el resto de los espafioles de aliviar las sanciones a los terroristas. Corno detaIla el cuadro siguiente (Oe Miguel 1996, p. 280), la actitud mas energica de polftica penal corresponde a los votantes deI Partido Popular (73 %) (cuyos rniembros en su inmensa rnayorfa se dec1aran cat6Iicos), pero sigue a cortfsima distancia los votantes deI Partido socialista obrero espafiol (70 %) (cuyos miembros en su mayorfa se dec1aran no cat6Iicos), algo mas distantes se encuentran los votantes de Izquierda Unida (60 %) (en su inmensa mayorfa no cat6licos) 0 de Convergencia y Uni6n (57 %); en el polo opuesto se encuentran los deI Partido nacionalista vasco (19 %) (en su inmensa mayorfa cat6Iicos). % "condena fntegra para los terroristas"

edad % de cada combinaci6n

intenci6n de voto pp PNV CiU PSOE IV total

-45

+45

total

72

12 53 64 56

74 25 60 74 71

73 19 57 70 60

62

70

66

Tanto los datos concretos corno los eornentarios de los soci610gos de la Universidad Complutense patentizan que la religi6n cat6liea, en Espafia, influye menos que la tendencia polftica en un valor religioso tan fundamental corno el perd6n fraternal. En 1997, eorno en 1994 (Oe Miguel 1994, p. 476), el valor mas irnportante para los espafioles es la farnilia, seguida dei trabajo, los arnigos y el ocio; 10 menos importante la polftica, seguida a eorta distancia por la religi6n.

2. Compasion eclesial con las victimas

Esta investigaci6n sociol6giea acerca de La sociedad espaiioLa en 19951996 comenta tambien las respuestas de los espafioles a una pregunta delieada 4 Festschrift für G. Kaiser

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pero importante. Indaga la opini6n que les merece la posici6n "de algunos obispos vascos que tratan de favorecer la situaci6n de los presos de ETA". Las respuestas arrojan un alto porcentaje de quienes estan en contra: 72 % de los espafioles. Es decir, casi tres de cada cuatro entrevistados critican la actitud dei obispo Setien que en numerosas ocasiones ha pedido que se atienda mas a los presos de ETA (despues comentaremos este punto en relaci6n con las victimas), ha censurado a quienes, segun el, violan los derechos elementales de esas personas en las instituciones penitenciarias, y ha defendido la conducta dei arcipreste de Fuenterrabla condenado por encubrir en su iglesia a dos asesinos de ETA. De los entrevistados en el Pals Vasco, el 40 % opina contra el obispo; en el resto de Espafia casi el doble, el 74 %. EI cuadro siguiente muestra que los cat61icos practicantes y no practicantes, dentro y fuera dei Pafs Vasco, se oponen mas que los no religiosos. % en contra de la posici6n de algunos obis pos vascos que tratan de favorecer la situaci6n de los presos de ETA

territorio % de cada combinaci6n religiosidad

Pafs Vasco

resto de Espafia

total

arreligiosos

50 46 24

75 78 63

74 76 60

total

40

74

72

cat61icos practicantes cat61icos no practicantes

La sorpresa se explica cuando se entiende y admite que, en este campo, la identificaci6n religiosa tiene mucho que ver con la polftica. En este problema opera sobre todo el factor polftico, tambien en los obispos. Las personas que se sienten de derechas, dentro y fuera dei Pafs Vasco, son las que mas critican al polemico obispo. Este s610 recibe un sustancial apoyo de la izquierda vasca. Conviene no olvidar gue, entre las personas que pueden ser victimas potenciales de las "acciones" de ETA, la que tendrfa la mfnima probabilidad de ser secuestrada por los etarras serfa monsefior Setien (De Miguel 1996, p. 281). La Ifnea de fractura espaiiolismo-nacionalismo influye mas que la de catolicismoagnosticismo, corno 10 patentizan las respuestas de los gue se consideran polfticamente de derecha, de centro 0 de izquierda, si se tiene en cuenta el porcentaje de los varones y las mujeres gue se decJaran cat61icos practicantes, en el cuadro siguiente (De Miguel 1996, p. 254 Y 282).

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i,La Crirninologfa hodiema puede prescindir de los valores religiosos?

% decada combinaci6n

posici6n poHtica

% en contra de la posici6n de algunos obispos vascos que tratan de favorecer la situaci6n de los presos de ETA

% cat6licos practicantes en Espaiia

territorio

sexo

Pais

resto de

Vasco

Espaiia

total

varones

mujeres 55

derecha

61

81

80

26

centro

44

77

75

24

38

izquierda

24

67

65

9

20

total

39

74

72

18

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Hasta aqui hemos resumido el estudio y los comentarios de este ln/orme sociol6gico de la Universidad Complutense, de Madrid. Estamos de acuerdo en la mayoria de sus observaciones, pero conviene comentar dos puntos capitales de su discurso. Primero: insistir en que el tema de ETA es principalmente el problema de una banda terrorista y mucho menos el reflejo de un "contencioso" entre espaiiolistas y nacionalistas vaseos. Los miembros de ETA son victimarios a los que se debe aplicar el c6digo penal (Beristain 1994, p. 97), a los que el Gobierno Vasco ha de aplicar "todo el poder ejecutivo y sancionador de que es depositario" (Waldmann 1997, p.414). Segundo: la pagina 280 indica "que la actitud de un obispo es la de inclinarse por el alivio de los sufrimientos que carecteriza a sus feligreses ... Todavfa cabe la consideraci6n de que un pastor religioso debe ser sensible a la nada deseable condici6n de los presos". Esta Hneas contienen afirmaciones indudables, sobre todo cuando propugnan que una persona religiosa debe atender a quienes estan en prisi6n, aunque hayan cometido delitos gravfsimos. Pero estas reflexiones se hubieran acercado mas a la realidad si hubiesen enfocado la cuesti6n desde otra perspectiva; si hubiesen dicho algo (no dicen nada) acerca de los sentimientos que debe tener el obispo en relaci6n con las victimas dei terrorismo. Repetidas veces Setien ha declarado que su conciencia le prohibe asistir a una manifestaci6n publica en contra de ETA, y tambien le prohibe asistir a una manifestaci6n en la que se pida la libertad de una persona secuestrada por ETA (Savater 1996, p.52). La pregunta se debia haber formulado con el texto siguiente: "l.Por que la Iglesia vasca nunca ha condenado el terrorismo de ETA, prescindiendo de la poHtica gubernamental estatal? (Cuando dice algo contra los asesinatos de 4'

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ETA, siempre denuncia tanto 0 mas las posibles negligencias de la Policfa nacional 0 la Guardia Civil 0 las autoridades madrilenas; corno si quien dice algo contra los ladrones deba siempre denunciar la desigualdad econ6mica de pobres y ricos). l.Por que nunca se ha manifestado en favor de las vfctimas deI terrorismo de ETA? l.Por que nunca ha hecho al go en favor de esas vfctimas? EI Romano Pontffice ha amonestado en este sentido a los obispos vascos, en Roma, el 30 de setiembre de 1997. Les ha pedido adoptar posturas crfticas frente a los ,ataques terroristas'."

IV. EI Consejo de Europa fomenta los valores religiosos EI Consejo de Europa contribuye al desarrollo de los valores religiosos en varios campos criminol6gicos. Aquf me limito a constatar el dato publico y significativo de que ha destinado un espacio en su edificio central de Estrasburgo para la praxis religiosa aconfesional, y a comentar algunas de sus reuniones y conferencias academicas, en las que se presta atenci6n solidaria a los pafses que desde 1989 se encuentran en crisis, y se procura intensificar los valores propios deI Estatuto deI Consejo, valores religiosos en cierta medida.

1. Oratorio interconfesional en el edificio de Estrasburgo

DeI 19 al 21 de noviembre de 1996 asistf a la "XXI Conferencia de Investigaciones Criminol6gicas", de la cual hablare en seguida. Ahora considero oportuno recordar un hecho concreto que no figuraba (ni debfa figurar) en el Programa de dicha XXI Conferencia, pero opino rnerece citarse aquf: el jueves de aquella semana, de 8'30 a 9 de la manana, media docena de los participantes en dicha Conferencia coincidimos (sin habernos puesto de acuerdo previarnente) en el oratorio interconfesional (Salle de recueillement), con su bella y sugerente "pared luminosa" (Mur tumiere, rebosante de materia espiritual) deI artista Fran~ois Chapuis, que hace relativamente poco tiempo se ha inaugurado en el edificio deI Consejo de Europa, en el pisa prirnero, para "rneditar" en silencio religioso. Habfamos lefdo en la cartelera de anuncios generales que un acto de culto sirnilar se celebra tod os los jueves deI ano, al cual estan invitados los congresistas que durante la correspondiente semana participan en alguna actividad acadernica. (Entre parentesis recuerdo que, en la Universidad catalana Pornpeu Fabra, el 5 de diciernbre de 1996, se inaugur6 una "Capilla laiea" ornarnentada por el insigne artista Antoni Tapies que desea haya espacios corno este para "concentrarse y acercarse rnejor a nuestra verdadera naturaleza; para

i.U! Criminologia hodiema puede prescindir de los valores religiosos?

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reivindicar el derecho a tener espfritu religioso sin pertenecer a ninguna confesion".) AI salir dei oratorio y dirigirme, junto con los otros colegas-congresistas, a la Sala de la Conferencia, comprendf que la Criminologfa, en el Consejo de Europa, se esta abriendo a los valores religiosos; por ejemplo, al valor de la ..meditacion". (Me acorde de la afirmacion de G. Zukav, en su Iibro Die tanzenden Wu Li Meister (1994, p. 351): ..Seien Sie nicht überrascht, wenn die Vorlesungsverzeichnisse über Physik im 21. Jahrhundert auch Vorlesungen über Meditation enthalten".). Y se esta abriendo al valor, indudablemente espiritual-liturgico, de la ..Aussöhnung" (Kaiser 1985, p. 182; 1996 a, p. 1038),0 de la ..Versöhnung" (Kaiser 1993, p. 638; 1997, p. 464).

2. Valores religiosos en el Estatuto deI Consejo de Europa

En los ultimos afios, el Consejo de Europa viene insistiendo en la urgencia de mayor respeto y desarroIIo de los valores fundamentales de su Estatuto. Estos pueden considerarse en cierto sentido corno valores religiosos, sobre todo los que se relacionan con los Derechos Humanos y la dignidad de la persona, y la solidaridad con los pafses ..marginales" 0 perifericos, corno algunos de la Europa Central y OrientaI. Esta opinion se puede confirmar con numerosas citas de las ponencias que se han presentado en el Consejo de Europa, en la Sesion plenaria dei Comite Europeo para los Problemas Criminales (Estrasburgo, mayo-junio 1995), en el Seminario pan-europeo sobre ..La mediacion entre la vfctima y el delincuente: aproximaciones, realizaciones, problemas" (Barcelona, 12-14 julio 1995), en la ..XXI Conferencia de Investigaciones Criminol6gicas" (Estrasburgo, 19 al 22 noviembre de 1996), y en el ..Seminario pan-europeo sobre Polfticas en favor de las vfctimas de los deli tos" (Vitoria, 14-16 octubre 1996). Me limito a un par de referencias. EI Jefe de la Division de Problemas Criminales dei C. de E., Hans-Jürgen Bartsch, al exponer el 5 de febrero de 1996 en Estrasburgo, Le role du Conseil de l'Europe dans le domaine des problemes criminels (1990-1995), consciente de la nueva dimension que el Tratado de Maastricht introduce en la polftica de la cooperacion europea, subray6 la especial y generosa campafia que el Consejo de Europa esta I1evando a cabo para que los pafses dei centro y dei este de Europa presten mayor atencion aux valeurs Jondamentales du Statut du Conseil de l'Europe (Bartsch 1996, p. 3).

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En el Seminario pan-europeo sobre "Las polfticas criminales en un Estado de Derecho - problemas de transici6n (organizado por el Consejo de Europa, el Instituto de Criminologfa y la Facultad de Derecho de la Universidad de Ljubljana (Eslovenia), celebrado en Ljubljana, dei 17 al 19 de octubre de 1994) varios representantes de esos pafses se refirieron a la recepci6n positiva de ciertos valores en sus pafses, tras la cafda dei rt!gimen precedente. Ljubo Bavcon (1995, p.82), Profesor de la Universidad de Ljubljana, indic6 la reforma de muchos c6digos penales que han logrado eliminar los excesos stalinistas mas graves. En la XXI Conferencia Criminol6gica (Noviembre 1996), el profesor Pierre-Henri Bolle (1996, p. 6), en su ponencia sobre "Countries in transition: effects of political, social, and economic change on crime and criminal justice", proclam6 textualmente: "So a criminal law system whose institutions have not only been reformed but whose spirit has also been revitalised gives voice to a new humanism on criminallaw, a concept which was alien to the old totalitarian systems. To plagariarize Malraux, who (apocryphally?) said that the 21st century would be religious or would be not at all, we can assert that criminallaw will be humanistic or will be not at all". Las conclusiones y recomendaciones finales manifestaron con desilusi6n que algunos pafses "n'ont pas encore vu apparaitre en leur sein une moralite sociale coherente", propugnaron la necesidad de una mayor consignation des valeurs fondamentales, par exemple les droits de l'homme fondamentaux", e insistieron en la urgencia de adoptar un c6digo deontol6gico para la policfa. Tambien se ha subrayado esta Ifnea de la dignidad de la persona y otros importantes valores en los mencionados "Seminarios" auspiciados por el Consejo de Europa, en Barcelona y en Vitoria. Esther Gimenez-Salinas (1996, p.211) pidi6 cultivar una justicia reparadora fraternal que abra nuevos horizontes y cree respuestas solidarias de mediaci6n para solucionar conflictos, mas que para su control polftico. Los dos principales representantes dei Consejo de Europa, H.-J. Bartsch, y W. Rau, insistieron en la necesidad de poner al dfa la filosoffa y los valores que subyacen en la Resoluci6n dei ano 1977 sobre la compensaci6n a las victimas de los delitos, asf corno en la Convenci6n Europea STE n° 116: The Convention 's underlying philosophy is that of "equity and social solidarity ". Estos y otros documentos testimonian que el Consejo de Europa esta cumpliendo, y espera seguir cumpliendo aun mas, cierto protagonismo solidario en favor de acelerar es os procesos de maduraci6n de los valores religiosos ("die Prozesse ... des induzierten und letztlichen Wertewandels", Kaiser 1994, p.469).

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V. Ambivalencia de los valores religiosos en las Naciones Unidas

Las Naciones Unidas, desde sus primeros dfas, se han ocupado y preocupado por la imponente fuerza ambivalente (positiva y negativa) de los valores espirituales en la comunidad universal. Ahora, parece oportuno recordar algunos documentos de las Naciones Unidas que patentizan la conveniencia de que los criminologos prestemos atencion a esos valores y que los integrernos en nuestro campo academico. Pero patentizan tarn bien la urgencia de someterlos a una crftica cientffica, pues consta que han dado pie, y 10 siguen dando, a macrovictimaciones, "guerras y grandes sufrimientos a la humanidad". Merecen especial atencion la Declaraci6n sobre la eliminaci6n de todas las formas de intolerancia y discriminaci6n fundadas en la religi6n 0 las convicciones, proc1amada por la Asamblea General, el 25 de noviembre de 1981 (Resolucion 36/55), y la Declaraci6n de los Derechos dei Nifio, de 1959, con su posterior e importante Convenci6n, de 1989. Tambien nos referiremos, de paso, a algunos otros documentos. Ya el preambulo de la Dec1aracion de 1981 deja constancia de los aspectos negativos de 10 que algunas religiones imponen corno "etica natural" (Schillebeeckx 1997, p. 804). Claramente se considera que el desprecio y la violacion dei derecho a la libertad de conciencia y de religion "han causado directa 0 indirectamente guerras y grandes sufrimientos a la humanidad ... " y que la religion 0 las convicciones aveces se usan con fines incompatibles con la Carta de las Naciones Unidas. Tambien varios artfculos de esta Declaraci6n insisten en el lado oscuro de las religiones. Por ejemplo, el artfculo 3: "La discriminacion entre los seres humanos por motivos de religion 0 convicciones constituye una ofensa a la dignidad humana y una negacion de los principios de la Carta de las NN. UU". En la misma direccion se expresa el artfculo 4. En cambio, se resaltan los aspectos positivos en varios artfculos y en el preambulo. Este considera que "la religion 0 las convicciones, para quien las profesa, constituyen uno de los elementos fundamentales de su concepcion de la vida, y que la libertad de religion debe ser fntegramente respetada y garantizada". Ademas, la Asamblea esta "convencida de que la libertad de religion 0 de convicciones debe contribuir tambien a la realizacion de los objetivos de paz mundial, justicia social yamistad entre los pueblos ... ". De sus artfculos, mantiene hoy vigencia especial el 5, 2: "Todo niiio gozara dei derecho a tener acceso a educacion en materia de religion 0 convicciones conforme con los deseos de sus padres 0, en su caso, sus tutores legales, y no se le obligara a instruirse en una religion 0 convicciones contra los deseos de sus padres 0 tutores legales, sirviendo de principio rector el interes superior deI niiio".

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Este problema ya 10 habfan abordado las Naciones Unidas el 20 de noviembre de 1959, en su Declaracion de los Derechos dei Nifio, y han vuelto sobre el mismo con mas fuerza, en la Convencion sobre los derechos dei Nifio, treinta afios despues. De la Declaracion de 1959 merece destacarse que su primer considerando habla de "ei valor de la persona humana", y su Principio 1 proclama que "EI nifio disfrutara de todos los derechos enunciados en esta Declaracion ... sin distincion 0 discriminaci6n por motivos de ... religi6n". Mayor atencion prestamos al Principio 2 que, ademas de exigir que el nifio pueda desarrollarse en el ambito "moral", 10 exige tambien para el ambito "espiritual". Interesa subrayar y explicitaresa diferencia entre 10 moral y 10 espiritual (tambien Kaiser [1986, p. 143] distingue la Moral de la Religion). Tiene importancia caer en la cuenta de que ya la cultura helenica considera 10 espiritual, 10 pneumatico, corno algo distinto y superior, por encima de 10 moral, y muy por encima de la moral cfvica. Lo espiritual lIega hasta 10 mfstico, hasta el Mysterium tremendum que sobrecoge a Rudolf Otto, Karl Poppers y tantos otros. Las Naciones Unidas repiten esta distinci6n entre 10 moral y 10 espiritual en di versas ocasiones; por ejemplo, en el artfculo 17 de la Convencion de los Derechos dei Nifio, que propugna se promueva el bienestar "espiritual y moral" dei nifio. Esta Convenci6n, en su preambulo destaca la "dignidad y el valor de la persona humana", y considera que el nifio debe ser educado en un espfritu de (10 que cabe denominar valores religiosos basicos) "paz, dignidad, tolerancia, libertad, igualdad y solidaridad". Permftanseme dos leves crfticas a esta Convenci6n de 1989. Ante todo, echo de menos la mencion directa y expresa de uno de los valores religiosos mas importantes: la fraternidad. Serfa lamentable que su omision haya sido intencionada. Pero puede sospecharse esto, porque la Declaraci6n de 1959, en su ultimo artfculo, el 10, dice que el nifio "debe ser educado en un espfritu de comprension ... y Jraternidad universal". Tambien habla de ella la Declaracion Universal de los Derechos Humanos; su artfculo primero pide que "Todos los seres humanos ... deben comportarse fraternalmente los unos con los otros ... ". EI segundo comentario se dirige a la formulacion dei derecho que tiene todo nifio a recibir formacion religiosa y espiritual. Considero que debfa proclamarse expresamente que, si el nifio no tiene padres ni tutores que se opongan a que reciba formacion religiosa, las personas encargadas legalmente dei nifio han de facilitarle alguna formacion basica religiosa. De hecho, actualmente, muchos nifios a los que se ensefia a leer y escribir no reciben la mas elemental cultura religiosa.

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1. Amor, felicidad y arte en criminologia

Si tuvieramos mas espacio, seleccionariamos emblematicos textos concretos de las Naciones Unidas que hacen referencia a valores que transcienden 10 que generalmente se considera el marco 0 el campo de 10 legal, 10 juridico 0 10 criminologico. Por ejemplo, al proclamar "que el nifio ... debe crecer ... en un ambiente de felicidad, amor y comprensi6n" (Convencion sobre los Derechos deI Nifio), que "las vfctimas seran tratadas con compasi6n" (Declaracion sobre los principios fundamentales de justicia para las victimas de deli tos y deI abuso de poder) y que el derecho a la libertad de religion incluye el derecho a "fundar y mantener instituciones de beneficencia 0 humanitarias adecuadas" (Declaracion de todas las formas de intolerancia y discriminacion ... , articulo 6). Mencion particular merece la Declaracion sobre el fomento entre la juventud de los ideales de paz, respeto mutuo y comprension entre los pueblos (7 de diciembre de 1965) que reclama atendamos las "aspiraciones de felicidad" de la juventud, sus "ideales de paz, humanismo ... ", "ei hermanamiento de ciudades", y cuidemos que la educacion tenga corno una de sus metas principales "la formacion de personas dotadas de altas cualidades morales, profundamente apegadas a los nobles ideales de paz, libertad, dignidad e igualdad para todos y penetradas de respeto y amor para con el hombre y su obra creadora", etcetera. Aciertan estos y otros documentos cuando res altan valores religiosos que suelen citarse poco en los libros, las revistas y las reuniones criminologicas, pero que la Criminologia debe cultivar e introducir, cada dia mas, en los idearios de los Centros educativos, en la administracion de la justicia penal, en las instituciones policiales, penitenciarias y de asistencia a las vfctimas, weil vielleicht die einzige letzte Antwort auf die Viktimisierung die Religion ist. La experiencia demuestra que no basta una Criminologia de los valores humanos. "Ante el malestar actual de muchos con su propia cultura y con su religion, tal corno es de hecho, los hombres anhelan una cultura de justicia y amor. No basta una cultura de los derechos humanos" (Schillebeeckx 1997, p. 813). Antes de poner punto final, queremos mencionar, al menos, otro valor religioso que muchos criminologos aprecian especialmente: el arte. Kaiser (1996 a, p. 32) subraya la necesidad de tomar en serio el arte en la metodologia criminol6gica porque esta pretende lIegar a entender (Erklären); pero, tambien necesita lIeg ar a sentir y comprender (Verstehen) e incluso a crear el sentido, el significado-fin de las conductas humanas, tanto de las infractoras corno de las reparadoras y reconciliadoras. A pocos debe extrafiar este aprecio deI arte en nuestra disciplina. Lo confirman las referencias artisticas en las publicaciones de las instituciones criminologicas. Por ejemplo, el cuadro de "EI buen samaritano", de Rembrandt, en

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los documentos deI reciente Symposio internacional de la Sociedad Mundial de Victimologfa (Amsterdam, septiembre 1997). A modo de concIusion parcial: por un lado, hemos de insistir que los valores que proclaman las religiones siempre aparecen a traves de mediatizaciones profanas, de aconteceres historicos y personales, 10 cual explica el hecho desconcertante de que grandes teologos hayan legitimado en nombre de la divinidad conductas gravemente delictivas. Y, por otro lado, conviene reflexionar sobre la imposibilidad de la encapsulacion de Dios en solo los sistemas ecIesiales y confesionales; la divinidad, la realidad fontal, 10 bello, 10 bueno, 10 transcendente se encuentra tambien inmanente en tode 10 humano. Por 10 tanto, tambien en el saber y el hacer criminologicos, transformantes. Con razon Kaiser (1985, p. 182; 1996 a, p. 1038) fomenta la esperanza en la konstruktive Leistung des Täters.

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Die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden Wie es dazu kam l

I. Am 13. Juni 1986 stellte sich die Kriminologische Zentral stelle e.V. (KrimZ) in Wiesbaden mit einer feierlichen Eröffnungsveranstaltung der interessierten Fachwelt vor. Über 100 Gäste aus Wissenschaft und Politik, Rechtsprechung und Verwaltung nahmen teil. Es sprachen der Hessische Minister der Justiz für das Gastland, der Bundesminister der Justiz sowie der Justizminister von Rheinland-Pfalz als Vorsitzender der Justizministerkonferenz. Den Festvortrag hielt der Jubilar zum Thema "Anwendungsorientierte Kriminologie - Möglichkeiten und Grenzen". Er beschrieb Chancen und Probleme anwendungsorientierter Kriminologie in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung und schloß sein Referat mit den Worten: "Mag es gelegentlich so scheinen, als seien die Probleme anwendungsorientierter Kriminologie größer und die Grenzen höher als die Möglichkeiten, so sind diese vielfältig und wichtig genug, um den Einsatz auch der unabhängigen Forschung zu rechtfertigen. Doch sollte sich auch die praxisbezogene Forschung der weiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit und der Praxis gelegentlich stellen, um Rechenschaft zu geben und sich über den Stand der Fortentwicklung zu vergewissern - um der kriminologischen Erkenntnis willen, jedoch letztlich zu dem Zweck, Verbrechen zu verhüten und den Umgang mit dem Straffälligen und dem Opfer rationaler und zugleich menschlicher zu gestalten. Im Sinne dieses übergeordneten Zieles möge die Kriminologische Zentralstelle erfolgreich wirken,,2. Der Verfasser erinnert sich noch gut an den beeindruckenden Vortrag.

I Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat dem Verfasser Einsicht in seine Akten gewährt, wofür herzlich zu danken ist. Zur Entstehungsgeschichte der KrimZ vgl. auch fehle, Die Kriminologische Zentralstelle - eine neue Institution zwischen Wissenschaft und Praxis, in: fehle/Egg (Hrsg.), Anwendungsbezogene Kriminologie zwischen Grundlagenforschung und Praxis, KUP, Band I, S. 25 ff. 2 Abgedruckt in fehle/Egg (Anm. I), S. 39 ff., S. 62.

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In der Folge hat der Jubilar die KrimZ zwölf Jahre lang als Mitglied ihres Beirates mit seinem wissenschaftlichen Rat begleitet. Er hat Höhen und Tiefen miterlebt. Ein Höhepunkt war es für die KrimZ, als nach der Wiedervereinigung die neuen Länder dazustießen, zunächst als Gäste, seit der Herbstkonferenz der Justizminister vom 4./5. November 1993 in Leipzig als Mitglieder. Ein Tiefpunkt war die existenzielle Gefährdung, die die Haushaltskommission der Finanzreferenten der Länder mit ihrem Beschluß vom 11. März 1994 ausgelöst hat, daß die gemeinsame Finanzierung der KrimZ mit Ablauf des Jahres 1995 einzustellen sei. Der Jubilar hat die Anstrengungen begleitet, mit denen die Justizverwaltungen, in erfreulicher Weise unterstützt durch die kriminologische Fachwelt, sich der drohenden Auflösung der KrimZ entgegenstemmten. Als dann die Finanzministerkonferenz am 7. März 1996 trotz aller Gegenvorstellungen beschloß, daß die gemeinsame Finanzierung der KrimZ aufgegeben werden müsse und die Justizminister aufforderte, "entsprechende Schritte einzuleiten", hat sich der Jubilar, inzwischen Vorsitzender des Beirats, selbst in die vorderste Front begeben und sich mit einem Schreiben an den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz für den Erhalt der KrimZ eingesetzt. Die wissenschaftliche Qualifikation der KrimZ - so Kaiser damals - sei unbestritten; gerade auch aus der Sicht der Wissenschaft sei eine Einrichtung, die zwischen Grundlagenforschung und Praxis angesiedelt ist, unverzichtbar; mit der Auflösung der KrimZ würde eine Lücke gerissen, die von keiner anderen wissenschaftlichen Einrichtung geschlossen werden könnte. Diese Worte, gesprochen von einem Sachkenner allerersten Ranges und Direktor des Max-PlanckInstitutes in Freiburg, haben sicher zu dem glücklichen Ausgang beigetragen. Die 67. Justizministerkonferenz vom 3. bis 5. Juni 1996 in Wiesbaden appellierte an die Ministerpräsidenten, sich für die Erhaltung der KrimZ auszusprechen. Zu der gewichtigen Fürsprache durch den Jubilar kam Unterstützung von den Fachvereinigungen der NKG und EAPL, vom BDP, aber auch von einzelnen angesehenen Forscherpersönlichkeiten wie Kerner, selbst lange Jahre Vorsitzender des Beirats, und Köhnken. Die Ministerpräsidenten haben sich dem Aufschrei der Fachwelt nicht verschlossen und bei ihrer Konferenz in Erfurt im Oktober 1996 beschlossen, daß sie die weitere gemeinsame Finanzierung der KrimZ "angesichts ihres Gewichts als Forschungs- und Dokumentationseinrichtung der Strafrechtspflege" für notwendig halten. In einer anderen Krise konnte auch der Jubilar nicht helfen. Der Austritt Niedersachsens aus der KrimZ zum Ende des Geschäftsjahres 1997, begründet mit finanziellen Zwängen, aber auch mit der Existenz des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), konnte nicht abgewendet werden. Der Jubilar wird, nachdem seine Mitgliedschaft im Beirat der KrimZ wegen Erreichens der satzungsmäßigen Höchstdauer zu Ende gegangen ist, mit Befriedigung darauf zurückblicken, was aus der von ihm mit Rat und Tat geför-

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derten KrimZ in den zwölf Jahren ihrer Tätigkeit geworden ist. Eine Einrichtung, für die es kein Vorbild gab, für die eine Struktur mühsam gefunden werden mußte, die unter vielerlei Schwierigkeiten zu leiden hatte, insbesondere unter Finanzierungssorgen, hat sich in einer Weise entwickelt, daß es in der Tat ein Schildbürgerstreich gewesen wäre, sie im Jahre 1996 aufzulösen. Der Aufbau einer großen Fachbibliothek, die Einrichtung eines Dokumentationszentrums, die Schriftenreihe "Kriminologie und Praxis" (KuP), in der jährlich etwa zwei größere Arbeiten, die bei der Kriminologischen Zentral stelle entstanden sind und sich an ein breiteres Fachpublikum wenden, erscheinen; die Schriftenreihe "Berichte - Materialien - Arbeitspapiere" (BMA), in der jährlich etwa ein Band erscheint und die für ein engeres Fachpublikum bestimmt ist; dazu zahlreiche Publikationen von Mitarbeitern der KrimZ in sonstigen wissenschaftlichen Publikationsorganen; eine rege Vortragstätigkeit der Mitarbeiter der KrimZ, vielfältige Beteiligung an rechtspolitischen und wissenschaftlichen Diskussionen sowie an der Konzeption von Forschungsprojekten in Kooperation mit anderen Trägern: Der Vorstand der KrimZ hat den Mund nicht zu voll genommen, als er, in Reaktion auf den Beschluß der Haushaltskommission der Finanzreferenten, im Jahre 1994 davon sprach, daß die KrimZ "ein ausgesprochen produktives, effizientes und in Wissenschaft und Kriminalpolitik gleichermaßen anerkanntes Institut" geworden sei.

11. Die KrimZ ist, erweitert und gestärkt durch die neuen Länder, nach Überwindung der Finanzierungskrise der Jahre 1994 bis 1996 wieder in ruhigere Gewässer gekommen, wobei der Austritt Niedersachsens natürlich anhaltend schmerzlich ist. Sie hat insbesondere auch das Ausscheiden des langjährigen und sehr verdienten Direktors Dr. Jehle, der als Professor nach Göttingen gegangen ist, bewältigt. Man darf erwarten, daß die KrimZ unter Leitung von Professor Dr. Egg, von Anfang an als stellvertretender Direktor dabei, und Herrn Dr. Geißler die bisherige, wissenschaftlich und praktisch fruchtbare Arbeit fortsetzt. Man kann allerdings nur hoffen und keineswegs sicher sein, daß die Finanzierungsfrage nunmehr endgültig ausgestanden ist. Die Finanzierungssorgen haben die Diskussion um die KrimZ nämlich von Anfang an begleitet. Das Ausscheiden des Jubilars aus dem Beirat der KrimZ mag ein Anlaß sein, sich der wechselvollen zwanzigjährigen Vorgeschichte der Eröffnungsveranstaltung vom 13. Juni 1986 zu erinnern.

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III. Die Initiative ging vom Bundesminister des Innern aus. Er trat 1966 mit dem Vorhaben an die Justizverwaltungen heran, beim Bundeskriminalamt eine kriminalistische und kriminologische Zentral stelle zu errichten. Durch eine Bestimmung in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren sollten, so der Vorschlag des Bundesministers des Innern, die Staatsanwaltschaften verpflichtet werden, Strafakten, die über den Einzelfall hinaus kriminalistisch oder kriminologisch bedeutsame Erkenntnisse enthalten, unter anderem auch soIche, die auf wissenschaftlichen Gutachten von Medizinern, Psychologen, Soziologen und Sachverständigen der naturwissenschaftlichen Kriminalistik beruhen, dem Bundeskriminalamt nach Abschluß des Verfahrens zur Auswertung zuzuleiten. Die Forschungsarbeit des Bundeskriminalamtes leide darunter, daß ihm das in Strafprozessen anfallende Material nur rein zufällig bekannt werde. Dem müsse abgeholfen werden. Dies verband der Bundesminister des Innern mit einer kritischen Bewertung der kriminologischen Forschung an den Universitäten. Sie sei organisatorisch nicht in der Lage, das Nebeneinander der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen zu überwinden. Es fehle nicht nur an der interdisziplinären Zusammenarbeit der Fächer, sondern auch an einer Zusammenarbeit auf nationaler Ebene. Dies habe zur Folge, daß die deutsche kriminologische Forschung im internationalen Bereich fast bedeutungslos geworden sei. Um zu verhindern, daß die deutsche kriminologische Forschung völlig in provinzieller und fachlicher Enge erstarre und den Anschluß an die internationale Forschung verliere, bedürfe es einer Intensivierung und Integrierung. Der Bundesminister des Innern berief sich auf die Forderung von Liszts nach einem kriminalistischen Reichsinstitut und machte außerdem geltend, der Wissenschaftsrat habe bereits 1963 das Fehlen einer kriminologischen Zentralstelle bemängelt. Die Innenministerkonferenz hat, noch 1966, daraufhin den Beschluß gefaßt, daß Bund und Länder "eine überregionale Forschungs- und Bildungsstätte für die präventive und repressive Behandlung des Verbrechens (Kriminalistik, Kriminologie)" errichten. Aufgabe dieser Einrichtung solle die Zusammenfassung und Auswertung aller einschlägigen einzelwissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesen Gebieten sein. Bei den Landesjustizverwaltungen waren die Meinungen unterschiedlich. Soweit die Kultusministerien beteiligt wurden, haben diese gestützt auf das Votum ihrer Universitäten Bedenken dagegen erhoben, eine Zentral stelle beim Bundeskriminalamt zu errichten. Die Universitäten oder auch ein Max-PlanckInstitut seien für kriminologische Forschung geeigneter; an einzelnen Universitäten werde auch durchaus schon kriminologische Forschung betrieben. Einzelne Landesjustizverwaltungen warfen die Frage auf, ob nicht die Justiz selbst die Einrichtung einer oder mehrerer kriminologischer ZentralstelIen betreiben solle, möglicherweise in Zusammenarbeit mit den kriminologischen Instituten

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an den Universitäten. Hessen brachte sehr früh als Standort für eine von den Justizverwaltungen betriebene kriminologische Zentralstelle Wiesbaden ins Spiel und begründete dies mit der räumlichen Nähe zum Bundeskriminalamt und zum Statistischen Bundesamt. Auf Initiative von Nordrhein-Westfalen hat sich dann 1969 - die Dinge gingen damals zäh voran - auch die Justizministerkonferenz mit der Angelegenheit befaßt. Der Konferenz lag ein Problempapier vor. Darin wurde der Gedanke, die kriminologische Forschung zu intensivieren, unterstützt. Man erhoffte sich ein Mehr an kriminologischer Forschung und einen verstärkten Praxisbezug der Kriminologie. Bedenken wurden gegen eine Ressortanbindung erhoben, sei es bei der Polizei, sei es bei der Justiz, weil dabei die Gefahr der "Blickfeldverengung" bestehe. Im Ergebnis sprach sich das Papier für die Errichtung eines Max-Planck-Instituts für Kriminologie aus, was 1970 in Freiburg verwirklicht wurde, und daneben für eine Sammelstelle beim Bundeskriminalamt, die das zu gründende MPI zu unterstützen habe. Eine kriminologische Zentralstelle der Justizverwaltungen wurde abgelehnt. Die Justizministerkonferenz, die vom 28. bis 31. Oktober 1969 in Berlin tagte, brachte demgegenüber in einem einstimmig gefaßten Beschluß zum Ausdruck, daß die deutsche Kriminologie ihre ehemals führende Stellung verloren habe und in Gefahr sei, den Anschluß an die internationale kriminologische Forschung zu verlieren, daß ferner die kriminologische Grundlagenforschung verstärkt werden müsse, daß die notwendige Forschung weder von den Hochschulen allein noch vom Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit den Hochschulen geleistet werden könne und daß deshalb die Justiz sich selbst initiativ an praxisbezogener kriminologischer Forschung beteiligen müsse. Das war eine erste Richtungsentscheidung. Die Justizministerkonferenz setzte eine Kommission ein, die alle notwendigen Fragen klären sollte, die mit der Einrichtung einer zentralen kriminologischen Forschungsstelle zusammenhängen; den Vorsitz erhielt Nordrhein-Westfalen. Der Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium Nordrhein-Westfalen, Ministerialdirigent Josef Römer, hat sich in der Folge große Verdienste darum erworben, daß die Diskussion um eine kriminologische Zentralstelle am Leben erhalten wurde und letztlich zum Erfolg führte. Bald wurde bekannt, daß das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg um eine kriminologische Abteilung erweitert werden sollte. Das gab dem Anliegen der Justizverwaltungen einerseits Auftrieb, ließ aber andererseits die Bedürfnisfrage noch schärfer hervortreten. Die Problematik wurde in den Ausschüssen der Innenministerkonferenz und der Kultusministerkonferenz erörtert. Im Juni 1970 hatte die von der Justizministerkonferenz eingesetzte Kommission in Fulda ein Gespräch mit Vertretern einer größeren Anzahl von Universitäten, bei der große Namen der damaligen deutschen Kriminologie vertreten waren. Im Protokoll ist festgehalten. 5 FCSlSchri fl für G. Kaiser

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daß der Plan, eine kriminologische Zentral stelle zu errichten, von einem Teil der Wissenschaftler lebhaft begrüßt wurde und daß er von keiner Seite eindeutig abgelehnt worden sei. Unterschiedliche Positionen gab es naturgemäß zu Größe, Struktur und Aufgaben einer Kriminologischen Zentralstelle und hier unter anderem dazu, ob die geplante Einrichtung selbst kriminologische Forschung betreiben oder nur koordinieren und anregen sollte. Dafür, daß die Zentralstelle eigene Forschung betreibt, wenn auch nur in kleinerem Umfang, sprachen sich etwa Göppinger und Müller-Dietz aus. Man steuerte eine privatrechtliche Organisation - eingetragener Verein - an. Mitglieder sollten nach damaliger Vorstellung der Bund und die Länder sein, eventuell aber auch die Universitäten. Es wurde ein wissenschaftlicher Beirat ins Auge gefaßt. Insgesamt kann man sagen, daß bei dieser Besprechung, bei der 15 Universitäten vertreten waren, in inhaltlicher Beziehung wichtige Weichen gestellt worden sind. Die Iustizministerkonferenz vom Oktober 1970 sprach sich für das Konzept ihrer Kommission aus, wonach die Errichtung einer Kriminologischen ZentralsteIle notwendig ist, die Material sammelt und auswertet, kriminologische Forschung unterstützt, vergibt und finanziert und selbst praxisbezogene kriminologische Forschung betreibt, soweit dies nicht von anderen Einrichtungen geleistet wird. Man faßte die Gründung eines eingetragenen Vereins ins Auge, in dem der Bund und die Länder Mitglieder sind, aber auch interessierte Universitäten und sonst interessierte Stellen und Personen. Die Iustizministerkonferenz beauftragte ihre Kommission, eine entsprechende Vereinsgründung vorzubereiten und die damit zusammenhängenden Fragen, insbesondere auch der Finanzierung, zu klären. Letzteres sollte sich als außerordentlich mühsam erweisen. Nun wurden die Finanzverwaltungen beteiligt. Die 40. Iustizministerkonferenz vom 26. bis 27. Oktober 1971 in Hamburg behandelte das Thema erneut. Davor hatte sich, neben anderen Gremien, am 4. Oktober 1971 auch eine Arbeitsgruppe des Wissenschaftsbeirates mit dem Projekt befaßt, in der Kaiser und Schüler-Springorum mitarbeiteten und die die Entwürfe für die Satzung der KrimZ und die Gründungsvereinbarung grundsätzlich guthieß. Die Iustizministerkonferenz ihrerseits billigte die vorliegenden Entwürfe unter dem Vorbehalt, daß von den anderen beteiligten Ministerkonferenzen keine durchgreifenden Bedenken erhoben würden. In der umstrittenen Sitzfrage sprach sich die Mehrheit der Iustizverwaltungen für Wiesbaden aus; die zur Abstimmung gestellte Alternative Koblenz unterlag knapp. Während die Innenministerkonferenz dem Vorhaben grundsätzlich zustimmte, sahen die Kultusminister weiteren Erörterungsbedarf; die Finanzminister lehnten das Vorhaben ab. Sie zogen die Notwendigkeit der Einrichtung grundsätzlich in Zweifel und äußerten die Befürchtung, daß der geschätzte Finanzbedarf nicht ausreichen werde. Der Wissenschaftsrat brachte jetzt eben-

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falls Bedenken vor. Er verwies am 5. Mai 1972 auf die bestehenden Einrichtungen für kriminologische Forschung und sprach sich gegen die Schaffung einer neuen Einrichtung aus. Statt dessen schlug er einen Arbeitskreis zur Planung und Koordinierung kriminologischer Forschung vor. Erforderlichenfalls könne daran gedacht werden, für bestimmte Vorhaben eigene Forschungsgruppen als Projektträger zu bilden, die, möglichst in Zusammenarbeit mit einem Hochschulinstitut, praxisbezogene Forschung betreiben. Dagegen sprach sich der 49. Deutsche Juristentag im Zusammenhang mit einer Aussprache zu Problemen der Wirtschaftskriminalität für die Errichtung der KrimZ aus. Ebenso äußerte sich die vom Bundesminister der Justiz eingesetzte Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, ebenso schließlich 1973 - die Gesellschaft für die gesamte Kriminologie. Die Justizministerkonferenz vom November 1972 hielt an dem Projekt fest. Die Finanzministerkonferenz lehnte das Projekt am 3./4. Oktober 1973 erneut ab. Die 42. Justizministerkonferenz in Saarbrücken am 29./30. Oktober 1973 blieb bei ihrer Haltung und bat die Ministerpräsidenten um eine baldige Entscheidung. Die Ministerpräsidentenkonferenz faßte dann am 29.11.1973 Beschluß, wonach die Ministerpräsidenten mit der Errichtung einer Kriminologischen Zentral stelle einverstanden waren und deren Anlehnung an das BKA in Wiesbaden empfahlen; die Justizminister wurden gebeten, in Abstimmung mit den Innenministern den Rahmen für die Zentralstelle zu erarbeiten; die Finanzminister wurden gebeten, wegen der finanziellen Auswirkungen dieses Rahmens eine Stellungnahme abzugeben. Man war bei den Justizverwaltungen zuversichtlich, mit dem Betrieb der KrimZ zum 1. Januar 1975 beginnen zu können, und trat schon in erste Überlegungen zur personellen Besetzung des Vereinsvorstandes ein. Der Bundesminister der Justiz äußerte sich Ende 1973 im Deutschen Bundestag dahin, daß die Mittel für die den Bund betreffenden hälftigen Kosten bereitstehen würden. Die Satzung und die Gründungsvereinbarung wurden noch einmal überarbeitet, wobei eine Reihe von Anregungen der Finanz- und Kultusverwaltungen berücksichtigt wurden. Der Finanzbedarf wurde aktualisiert; man ging von einer recht opulenten Personalausstattung (vier C4-Stellen) aus, ebenso von großer Aktivität des Beirats (fünf Sitzungen pro Jahr). Die 54. Justizministerkonferenz vom 14./15. November 1974 in Stuttgart biIligte dann die überarbeiteten Entwürfe und bat die Innenministerkonferenz und die Finanzministerkonfrerenz, daran mitzuwirken, daß das Projekt zum Jahresbeginn 1975 verwirklicht werden könne. Die Innenministerkonferenz stimmte noch im Jahre 1974 zu. Die Finanzministerkonferenz gab ihren Widerstand jedoch nicht auf. Am 15. Mai 1975 appellierte sie an die Ministerpräsidentenkonferenz, ihre positive Haltung zum Projekt angesichts verschlechterter Haushaltsumstände noch einmal zu überdenken; neue Aufgaben wie die der KrimZ könnten nicht übernommen werden. Ein dringendes aktuelles Bedürfnis für die KrimZ bestehe nicht. Vor5"

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sorglich sprach sich die Finanzministerkonferenz dafür aus, die KrimZ aus Kostengründen als rechtlich unselbständige Einrichtung dem Bundeskriminalamt zuzuordnen. Im Bereich der Justizverwaltungen wurde erwogen, ebenfalls an die Ministerpräsidenten zu appellieren und sie zu bitten, ihre positive Haltung zu dem Projekt beizubehalten. Man wollte dem Kostenargument der Finanzminister durch Hinweis auf die hohe Gemeinschädlichkeit der Kriminalität und den Nutzen, der von einer Kriminologischen Zentralstelle für die Kriminalitätsbekämpfung zu erwarten sei, begegnen. Aus heutiger Sicht waren dabei überspannte Erwartungen im Spiel. Es war davon die Rede, auf wissenschaftlicher Grundlage ein einheitliches Konzept zur Verbrechensverhütung und zur Verbrechensbekämpfung zu entwickeln mit dem Ziel, die Maßnahmen von Gesetzgebung, Exekutive und Strafrechtspflege rational zu fundieren und besser aufeinander abzustimmen. Dies sei bisher an der unzureichenden Verbindung der kriminologischen Forschung zu anderen Fachbereichen und zur strafrechtlichen Praxis gescheitert. Dies blieb aber bloße Überlegung. Tatsächlich erklärte sich die Justizministerkonferenz damit einverstanden, das Projekt wegen der schwierigen Haushaltslage zurückzustellen, auch wenn, so damals der Vorsitzende der Justizministerkonferenz, die Errichtung der KrimZ ..zur Verwirklichung eines rational fundierten Konzepts für die Bekämpfung der Kriminalität notwendig und vordringlich sei". 1978 war es dann erneut die Innenministerkonferenz, die die Angelegenheit wieder aufgriff, wobei sie einen Bezug zur aktuellen, durch den Terrorismus geprägten Kriminalitäts- und Sicherheitslage herstellte. Die Justizministerkonferenz schloß sich an und wies auf die Notwendigkeit hin, die Hintergründe der terroristischen Gewaltkriminalität aufzuhellen. Dieser damals außerordentlich aktuelle Gesichtspunkt zeigte Wirkung. Die Ministerpräsidentenkonferenz bekundete am 11. Mai 1978 ihr Interesse an einer baldigen Errichtung der KrimZ. Die Finanzministerkonferenz gab am 22. Juni 1978 ihren grundsätzlichen Widerstand auf. Als die Justizverwaltungen wähnten, daß es nun mit einigen noch angemahnten Änderungen in den Gründungspapieren getan sei und die KrimZ alsbald mit der Arbeit beginnen könne, kündigte Niedersachsen - dort war Prof. Dr. Schwind Justizminister geworden - die Gründung des KFN an. Die KrimZ könne, so der niedersächsische Vorschlag, mit Sitz in Hannover errichtet und mit dem KFN verbunden werden. Gleichzeitig betonte Niedersachsen sehr stark die Notwendigkeit, daß die zukünftige Kriminologische Zentral stelle eigene kriminologische Forschung betreibe. Die Justizverwaltungen überlegten, ob das KFN etwa als Zweigstelle der KrimZ errichtet werden könne; Niedersachsen lehnte dies ab. Die 50. Justizministerkonferenz in München beschloß dann am 29./31. Mai 1979, am bisherigen Konzept festzuhalten. Die Innen-

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ministerkonferenz stimmte am 21. September 1979 zu. Die Finanzministerkonferenz äußerte nochmals eine Reihe von Änderungswünschen zur Satzung. Im Interesse einer Verwirklichung des Projekts haben die Justizverwaltungen diese Änderungswünsche akzeptiert. Darauf stimmte die Ministerpräsidentenkonferenz am 28. Februar 1980 dem nunmehr von Justizministerkonferenz und Finanzministerkonferenz gemeinsam getragenen Konzept für die Kriminologische Zentralstelle zu. Nachdem in Bund und Ländern die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden waren, kam es im Juni 1981 zur Unterzeichnung der Gründungsvereinbarung. Bei der 52. Justizministerkonferenz in Celle vom 29. September bis 2. Oktober 1981 wurden der Verein "Kriminologische Zentralstelle" gegründet, die Satzung beschlossen und die zuständigen Referenten des Sitzlandes Hessen, Dr. Mössinger, und des Bundes, Dr. Dr. Hobe, zu vorläufigen Vorsitzenden gewählt. Zu einem zügigen Aufbau der KrimZ kam es aber nicht. Die Finanzministerkonferenz beschloß am 10. Dezember 1982, für 1983 keine Mittel zur Verfügung zu stellen. Es gelang erst im Jahre 1984, mit den Finanzministern zu einer Einigung über einen Ersthaushalt der KrimZ - nunmehr für das Jahr 1985 - zu kommen. Man mietete Büroräume in der Adolfsallee in Wiesbaden an und schrieb die Stelle des Direktors und seines Stellvertreters aus. Es meldeten sich 31 durchweg qualifizierte Bewerber. In einem zweistufigen Findungsverfahren wurden Dr. Jehle und Professor Dr. Egg ausgewählt und mit Wirkung vom 1.12.1985 zum Direktor und zum stellvertretenden Direktor der KrimZ bestellt. Die Stellen der beiden anderen wissenschaftlichen Mitarbeiter wurden ebenfalls besetzt, es fanden Überlegungen zum Arbeitsprogramm der KrimZ statt. Die Mitglieder des Beirates wurden bestellt, für die strafrechtlichen Fächer Kerner, Hanack und der Jubilar. Die KrimZ nahm ihre Arbeit auf. IV.

Versucht man, ein paar allgemeine Gedanken an diesen mühsamen, strekkenweise geradezu quälenden Prozeß der Gründung der KrimZ zu knüpfen, so ergibt sich: Dafür, daß schon sehr früh eine verhältnismäßig kleine Einrichtung geplant war und letztlich eine noch kleinere Einrichtung verwirklicht wurde, mußte in Politik und Verwaltung ein ungeheurer Aufwand betrieben werden. Bedenkt man, daß die jährliche Kostenbelastung für die einzelnen Länder im Bereich weit unter 100.000 DM lag, so ist für einen Außenstehenden nicht leicht zu erklären, warum die Finanzierungsfragen eine so große Rolle gespielt haben. Es war wohl die Konstruktion einer von Bund und Ländern gemeinsam getragenen und finanzierten Einrichtung, die dem ganzen Unternehmen weit über

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seine tatsächlichen finanziellen Auswirkungen hinaus grundsätzliche Bedeutung verliehen hat und zu Diskussionen herausforderte. Diese Konstruktion war es auch, die die Beratungs- und Entscheidungsvorgänge so kompliziert machte. Bemerkenswert ist, daß die Innenminister das Vorhaben tatkräftig gefördert haben. Ungeachtet ihrer Ressortinteressen haben sie die Justiz dabei unterstützt, der Kriminologie in der strafrechtlichen Praxis größeres Gewicht zu verschaffen. Die Hoffnungen, die bei den Justizverwaltungen in die Arbeit der KrimZ gesetzt wurden, haben sich erfüllt. Zwar konnten nicht alle Träume realisiert werden, die in den ersten Jahren mit dem Projekt verknüpft wurden. Das liegt aber daran, daß diese Träume unwirklich waren, die Möglichkeiten kriminologischer Forschung überschätzten und auch von einem sehr viel größeren Kriminologischen Forschungsinstitut nicht verwirklicht werden konnten. Auch manche Befürchtung, die sich in der Frühzeit mit dem Projekt verband, etwa die Befürchtung, die KrimZ würde einen einseitigen kriminal politischen Kurs fahren, hat sich im übrigen nicht bewahrheitet. Die KrimZ hat auf einer ganzen Reihe von Feldern seriöse kriminologische Forschung betrieben und darüber hinaus in sehr wünschenswerter Weise die Justizverwaltungen mit der Kriminologie ins Gespräch gebracht. Dadurch ist es zu einer realistischeren Einstellung gegenüber Chancen und Grenzen kriminologischer Forschung gekommen, wie Kaiser sich das in seiner Eröffnungsansprache gewünscht hat. Dies ist ein Gewinn für die Strafrechtspolitik. Noch nicht so weit gediehen ist die Verbindung zwischen kriminologischer Forschung und strafrechtlicher Praxis, ein Anliegen, dem sich die KrimZ nach ihrer Satzung ebenfalls widmet. Auch hier sind zweifellos Fortschritte zu verzeichnen. Das Interesse und die Aufgeschlossenheit der strafrechtlichen Praxis für kriminologische Forschung ist gewachsen. Doch ist hier noch eine Wegstrecke zurückzulegen. Die kriminologische Forschung an den Universitäten schließlich, im Freiburger Max-Planck-Institut, im KFN, im BKA und in den Landeskriminalämtern hat die Arbeit der KrimZ ganz überwiegend freundlich begleitet. Es bestehen vielfältige Verbindungen. Gegenseitige Anregung und Kooperation sind bestimmend. Dafür ist den beiden Direktoren der Kriminologischen Zentralstelle, Jehle und Egg, mit deren Auswahl die Justizverwaltungen großes Glück gehabt haben, besonders zu danken. Daran haben aber auch ein wesentliches Verdienst die Mitglieder des Beirates, dessen Vorsitzender der Jubilar in den letzten Jahren war.

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Reflections on the Interplay between Criminological Research and Criminal Policy I. Introduction

When presenting a more lengthy paper on this topic at a research seminar arranged by the Scandinavian Research Council for Criminology in 1994 I remarked that although the Council had organized several research and contact seminars on this topic, little systematic knowledge had been produced on the relationship between criminological research and criminal policy. There is usually at the most information as to the immediate effect of a single reform but generalizations as to the interplay between theory and practice are lacking. I therefore announced this as an important topic for a criminologist, preferably in collaboration with other disciplines. to make a complete and analytic treatise of the subject theoretically and empirically. Unfortunately, we have not as yet seen any inventory carried out, or even envisioned. Departing from Weber's theory of rationality one would presume that in our developed welfare societies rationality would to a high degree determine the means to achieve a specified goal in the politicallife. Generally it may however be concluded that social research has not played any decisive role in the formation of the Scandinavian welfare states. As an hypothesis one might venture that there is hardly any reason to expect that criminological research to a higher degree would affect criminal policy. Because of strong sentiments and enduring traditions there is rather reason to expect less of influence in the area of criminal policy as compared to social policy. Common sense one would take for gran ted that crime rates have a natural relationship to levels of punishment. Wilkins 1 among others has, however, documented that there are no or very weak relations between extent of criminality and imprisonment rates when comparisons are made over time or between countries. I Wilkins, Punishment, Crime, and Marke! Forces, 1991.

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Even if we can find important exceptions to the theory of homeostasis by Blumstein 2 , there is a resistance to change in the penal system and a horror vacui. Törnudd3 has pointed to the abundance of observations of self-regulation processes in the penal system but he also stated that these have not been systematically studied. When our politicians speak of the need for research - or rather applied research - it may be hard to know whether really they want to base their decisions on better knowledge or rather want to appear enlightened. Research has naturally a symbolic value and from a marxist perspective it is easy to label the outcry for research as rationalization and simply a need for legitimation of the decision-making. Sweden recently produced an ambitious committee report with some relevance for the present topic, CriminoLogy and Crimino-PoLiticaL Research4 . The key word is FoU, "forskning och utveckling", i.e. research and development, but it is not altogether c1ear what this magic formula stands for. Criticism of the report has also been leveled by Tham 5 and Jepsen 6 . Despite the fact that we have crime preventive councils in most of our countries since quite so me time, there is Iittle knowledge of what impact these may have had. The Swedish National Council for Crime Prevention (SNCCP = BRA) has been given relatively large sums of money for making socially relevant research. The council has also been the object of several evaluations but there has been no study of how much its so-called applied research actually has been applied, i.e. that the results have been used in actual policy. 11. Crimino-Political or Penal Theories The purpose of punishment or criminal policy is often described to be to prevent crime or at least to control crime. The so-called penal theories, however, are highly simplified. Individual prevention or treatment - with its officially individualized measures - was based on a somewhat erroneous diagnosis of the criminal as a sick 2 Blumstein et al., The Influence of Capacity on Prison Population: A Critical Review of Some Recent Evidence, Crime and Delinquency 29 (1983), I-51. 3 Tiirnudd. A More Sombre Mood, Annales Internationales de Criminologie 1985.67-80. 4 SOU 1992:80. Kriminologisk och kriminalpolitisk forskning. 5 Tham. SOU 1992:80. Kriminologisk och kriminalpolitisk forskning. En kritik, NSfK, Rapport fra forskerseminar, 1993, 29-35. 6 Jepsen. Kommentar til Hemik Thams indlreg om SOU 1992:80, NSfK, Rapport fra forskerseminar, 1993,37-43.

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person, and was in addition never fully tested. The cJassical articJe that gave a lethai blow to the theory of treatment with Martinson as the author 7 , was in reality written by a journalist at the request of a commission. His popular presentation of a comprehensive scientific report by Lipton et al.B and the publication of the articJe in The Public lnterest, a periodical read by many American politicians, explains its great impact. Today criminologists and penologists have inevitably been confronted with the concJusion "nothing works". The same American Committee for Evaluation of Treatment asked me to make a summary of the Scandinavian resuIts from treatment research, using the same strict methodological criteria for selection of studies as in the original report. This gave me the opportunity both to modify the concJusions in the American report and to report more differentiated results from Scandinavia9 . In short, some Scandinavian experiments of treatment indicated positive results. But just as striking was the fact that looking only at comparisons of different sanctions - and not at the various elements of therapy within the same sanctions like in the American report - the more interventionist the sanctions, the more negative the results. In the above mentioned report lO as weIl as in the investigation of different correctional institutions ll the concIusion was that fewer and shorter imprisonments were preferable from the point of view of individual prevention. However, it was more opportune to draw the concIusion that treatment of criminals had failed and that therefore time had come to try other solutions. In the US the doctrine ,just desert" then came into being, which previously I had called the neo-cIassical theory. Similar theories already existed in Finland, where the treatment ideology actually never had been implemented. In Sweden the neo-cIassical theory was successfully propagated by von Hirsch, who allied himself with penallaw colleagues in Uppsala and Stockholm. In the Scandinavian anthology Punishment and Justice l2 , where dozens of writers contributed, there were mainly two articJes by Christie and Bondeson criticizing the ,just desert" doctrine I3 .

7 Martinson, What Works - Questions and Answers about Prison Reform, The Public lnterest, 1974, 22-54. 8 LiptoniMartinsonIWilks, The Effectiveness ofCorrectional Treatment, 1975. 9 Bondeson, A Critical Survey of Correctional Treatment Studies in Scandinavia 1945-1974, in: van den Haag/Martinson (eds.), Crime Deterrence and Offender Career, 1975,251-334. 10 Bondeslm (fn. 9). Bondeson, Fangen i fangsamhället, 1974. 12 Heckseher m.fl. (red), Straff och rättfardighet, 1980. 13 Cf. Warning for Punishment, Victor (ed.), Varning för straff, 1995. 11

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More detailed criticism of the ,just desert" doctrine was put forward in NTfK[4 in a review of the Swedish commission report New Penal System[S. It may seem difficult to criticize something called ,just desert" - after all, nobody would like to defend "unjust desert". A basic problem is that the model, however, hardly deals with ,justice". It is based on metaphysical ideas influenced by Kant on retaliation: punishment is meant to hurt and must be proportional to the seriousness of the crime. The idea seems simple enough and was partly accepted both in conservative and in left-wing circles. The committee and its supporters have, however, not given a base line from where the measurement of the punishment starts and not described how to measure the proportionality. Von Hirsch in Doing Justice[6 spoke in favor of fewer imprisonments, but my earlier prognosis that the adoption of this penal theory on the contrary would lead to more imprisonments has proven to be all too true. Today the figures in the US are ever higher than in the former socialistic countries. With the full implementation of the criminal reform program "three strikes out" (after three violent crimes imprisonment for life) and now even "two strikes out" the incarceration rates will probably become even higher.

111. Seemingly Successful Examples Criminologists, naturally, like to have an impact on criminal policy. We therefore are inclined to look for examples indicating that criminological research has had some influence on the criminal policy. I will give some examples of the apparent influence of criminological research on criminal policy. The examples are mainly taken from Scandinavia, and mostly from Denmark and Sweden. Some of the earliest positive experiences can be traced to Norway, where Christie, Bratholm and B!Ildal in various scientific publications achieved practical success in the sixties and seventies by their critique of indeterminate deprivation of liberty. In Denmark the report commissioned by the Penal Council and prepared by Christiansen et al. about internment[7 also played an important role in its critici sm of treatment in the form of indeterminate imprisonment. It has been

14 Bondeson, Vad är nytt i Nytt straffsystem?, Nordisk Tidsskrift for Krimina[videnskab 3-4 (1979), [2[-[46. 15 BRA, Nytt straffsystem, 1977:7. 16 von Hirsch, Doing Justice, [976. 17 Christiansen m.fl., Effektiviteten af forvaring og sa:rfa:ngse[ m:v. Bet. nr. 644, [972.

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sustained though that the criticism with respect to due process of law (Rechtssicherheit) came earlier and was equally decisive (information given by the former chairman of the permanent council, professor Knud Waaben). It may be argued though that the penal reforms would ne ver have been carried out, or only later or that they would have been less radical, had they not been supported by extensive research. A number of reports from the Scandinavian countries refer to research as a cause for certain proposed changes in criminal policy, implying fewer and shorter deprivations of liberty l8. When for example punishment for crimes against property in practice was reduced by approximately one third in Denmark 1982, it was not easy to evaluate though whether the objective of the legislator was primarily based on research results about the negative effect of imprisonment or whether it was rather a result of more pragmatic considerations that originated from a need to reduce the queues to get into prison. Personally, I was proud when the former Swedish minister of justice, Lennart Geijer, shortly after the publication of my doctoral thesis Prisoners in Prison Societies I9 made his famous Runö-speech, in which he stated that research had proven the destructive effects of imprisonment and hence proposed reducing the number of prisoners from 5000 to 500 - later after strong objections this was revised, bringing the number down under 1000. The speech was distributed to one hundred courts, where the judges feit offended by this type of ministerial guidance, but the result was almost one thousand fewer prison sentences the following year. Apart from what might have been the merits of this thesis, what else could have moved the minister to act in such a dramatic manner? Geijer was a learned man, who had written a socio-Iegal dissertation about socio-Iegal effects in the area of labor legislation; he was also a progressive and visionary social democrat, and finally but not least he was established and old enough to have nothing to lose. Besides, the c1imate of the seventies was different from today. Both criminological research and the organization of prisoners (combined with intellectuals), KRUM, had great appeal as new institutions and both contributed to a more liberal c1imate of criminal policy. The above example illustrates the importance of publishing one's thesis at the right time. Times change, and with a new government and a new minister of justice, less established and visionary, the development turned around. Von

18 See a.o. Alternatives to Imprisonment, Danish Ministry (!f' lustice 1977 (lustitsministeriet. Alternativer til frihedsstraf - et debatopla:g. Bet. 806, 1977). 19 Bondeson (fn. 11).

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Hofer 20 has described how the number of prisoners in Sweden has later been increasing successively. It is probably symptomatic that a revised edition in English, Prisoners in Prison Societies from 198921 , where 1 had followed a thousand previous inmates for a ten year follow-up period and related recidivism to prisonization in a survival analysis, caused little attention in Sweden, at this time characterized by a repressive criminal policy. The more punitive crimino-political ideology under the former conservative government in Sweden has referred to certain SNCCP-studies regarding incapacitation, although these by themselves hardly offer the pretended basis for the repressive penal policy 22. The present social democratic regime has hardly taken a different course either. Another example of the direct influence of criminological research is Alternatives to Imprisonment - Intention and Reality23. Preparatory work from the Swedish Ministry of lustice referred to this research, especially when suggesting abolishing probation with institutional treatment. This sanction had been severely criticized in the book, among other things for showing high recidivism rates compared with standard probation and conditional sentence, also when checking for risk groups with an elaborate prediction instrument. Again, it feit encouraging that the legislator read and took into consideration criminological research results. But the success was short-lived as the probation with institutional treatment was replaced by the possibility of a combination of probation with imprisonment. (lt may be added that § 28:3 had been unpopular with the judges who never fully used it according to its treatment premise, with five new institutions built for this special supervised c1ientele). Other changes of probation proposed in the book have been carried out later on, wh ich are also mentioned in Norman Bishop's appendix to the English edition of Alternatives to Imprisonmenr 24 . IV. Less Successful Examples From my personal experience 1 would like to give as an example of what 1 perceive as misleading interpretation how van den Haag commented on my report to the American Committee for Evaluation of Treatment in his book 20 von H()(er, Fängelset. Uppkomst - avskräckning - inkapacitering, 1993. 21 Bondeson, Prisoners in Prison Societies, 1989. 22 See also Kyvsgaard, Videnskab, politik og praksis, Kriminalistisk Institut Ärbog 1992, 199-221. 23 Bondeson, Kriminalvärd i frihet - intention och verklighet, 1977. 24 Bondeson, Alternatives to Imprisonment - Intentions and Reality, 1994.

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Punishing Criminals 25 . He chose to interpret the high rates of recidivism from Swedish correctional institutions not as the effect of a destructive deprivation of Iiberty, but as the result of too lenient a situation within Swedish prisons. Thus the Swedish data supported his philosophy of treatment nihilism and "just desert". As an example of a so-called contact seminar with many expert contributions from the narcotics sector and with the presence of important political representatives and practicians wh ich did not have any visible immediate effect, the conference I as chairman of the Scandinavian Research Council for Criminology (abbreviated SRCC = NSfK), arranged together with Nordic Council 26 on Bornholm can be mentioned. In Denmark the conference was at least referred to in the media, whereas it was completely ignored in Sweden. The continued debate about drug policy in Denmark has also been more open and influenced by research results than in Sweden. At the Eighth UN Congress on the Prevention of Crime and Treatment of Offenders a volume on Scandinavian Criminal Policy and Criminology was prepared as usual. As chairman of SNCCP it was my unpleasant task to negotiate with the Norwegian Ministry of lustice in order finally to obtain permission for the inclusion of a critical, partly abolitionist article by Mathiesen 27 . In the literature there are also descriptions of research that has been opposed by decision-makers at one stage or another. Like several others I have had the experience in Denmark that a research project was stopped before it had even begun. An example is an evaluation of community service, where I was asked to write a research program 28 but where the authorities later decided that they did not want an extern al evaluation. Another example concerned arequest to participate in an international investigation about variations in prosecutorial decision-making, where the former Danish chief public prosecutor did not want to participate, although the Swedish chief public prosecutor had given his accept and wanted a comparative study. In Sweden Knutsson has described in an article in Criminal Poliey 0/ the Nineties 29 how SNCCP tried to keep reports secret in order to avoid the publication of uncomfortable viewpoints. An example is a research report on 25 van den Haag, Punishing Criminals, 1975. 26 Nordisk Räd. Narkotika og kontrolpolitik. 1985. 27 Mathiesen. The Arguments Against Building More Prisons, Scandinavian Criminal Policy and Criminology 1980-1985, Scandinavian Research Council for Criminology. 1985.89-98. 28 Bonde.wm, Forskningsprogram vedr~rende vurdering af fors~g med samfundstjeneste. Kriminalistisk Instituts stencilserie nr. 15, 1980. 28-34. 29 Knutsson. Kriminologisk kunskap och kriminal politik i 90-talets kriminal politik. 90-talets kriminalpolitik. BRÄ 1990. 104-115.

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economic crime and a research on the so-called visit prohibition order. He mentions as a source of conflict between research workers on one hand and bureauerats and politicians on the other, the circumstance that the researcher is expected to deli ver results that are desirable to those who ordered the work. If the desired result is not there, the research worker will be put under more or less subtle pressure to change his conclusion, or there is an effort to see to it that the results will not be published. In addition, the research worker becomes unpopular and may have problems in getting future assignments 30 . The second comprehensive study on Swedish correctional service at liberty was a commissioned work from SNCCP. A great number of partial reports appeared from different research workers who had collected and described the experiment with reinforced correctional services. The critical conclusion that the reinforcement did nothing to improve the clients' situation or to improve their rehabilitation was not welcomed by the public administration or the politicians. There was apparently even an attempt to stop the publication of a summary Swedish report31 , and the investigation did in fact not have any influence on the future criminal policy 32. The example indicates that even very elaborate investigations - in this case by an acknowledged criminologist like Kühlhorn - made on commission can be discredited if the results do not correspond with the expectations of the decision-makers. One may further ask what forces are behind SNCCP's decision of not letting its research workers carry out institutional research, in spite of the fact that it has given priority to such research. Nor has it been confirmed that the universities were asked to carry out this kind of basic research in order to study the effects of different kinds of deprivation of liberty. The lack of research in this area might be interpreted as a way to stop research work before it has even been conceived. Sarnecki 33 describes how criminal policy can be drafted in spite of knowledge to the contrary. The following examples are given: • • •

criminalization of the use of narcotics sharpening of the punishment for trespassing the visit prohibition order lowering of the allowed limit of blood alcohollevel for drunken driving.

30 Knutsson (fn. 29), 111. 31 BRA.. Kriminalvftrd i frihet - en preliminär utvärdering av ett försök i Sundsvall, av Kühlhorn, Eckhart, 1975:1. 32 Knutsson (fn. 29), 109. 33 Samecki, En tämligen pessimistisk betraktelse, 90-talets kriminal politik, BRÄ 1990. 51-65.

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The government realizes that the measures are pointIess - and might even have damaging effects - but has by the opposition feit compelled to carry the measures through. A continued opposition against these populist measures could bring about the risk of serious politicalloss 34 .

V. Other Types of Influence in the Decision-Making It is a fact that research results at the most are apart of a political basis for decision-making. They can enable the politician to speak with greater weight behind his word or to question the opinions of others. Preferably, the effects of research resuits should be evaluated over a longer period of time. What other influences may occur? In alm ost every political decision in modern time the mass media plays an important part. Also research results have to pass through the paraphrasing of the media. To the question whether research or media plays the greater part in the political sphere, the ans wer may very weil be that in most western democracies the media has the upper hand. Politicians interpret the public opinion according to the opinion in the media, and since the governments very often are not strong enough, they dare not to go against the opinion, but hope instead to win easy victories in the wake of momentary media publicity. In recent years in Sweden there has been a tendency that even the judges are influenced by the debate in the media. Heckscher35 has sustained that the courts risk to loose their independence as a consequence of a more extended populism. Later several lawyers have expressed similar views. A sociological content analysis of Swedish media in recent years concerning crimes and related policy statements made by the former Swedish conservative minister of justice and of the foIIowing political decisions, could be an interesting task for criminological research. A comparison would be rewarding with the less populist statements from the former Danish minister of justice, who was a social democrat and a professor of national economy. Other factors such as the technological development based on research from other areas, may have an impact as great as that of criminological research. For example the DNA-profile and its significance in fight against crime at police and court levels can be mentioned. Swedish hospitals make through blood tests a PKU (phenyl keton uri) taken from aII newborn babies and supplemented by later tests from patients under examination or hospitalized. If the tests are 34 Samecki (fn. 33),63. 35 Heckscher, Hur mär vär rättsstat?, Advokaten 6 (1993), 235-236.

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registered together with a personal certificate number, as asked by a police authority but so far denied by the data inspection authorities, an instrument of this sort would be a very efficient weapon against large groups of criminals. Those who have an interest in selling the argument to the public, could come forward with convincing arguments that it is for their own good, in order that nobody who is innocent will be accused, etc. There is also a risk that so-called net widening may occur by the use of electronic surveillance. As an alternative to imprisonment there are clear advantages with this technique. Christie has, however, pointed to the dangers in his book on Crime Control as an Industry36. The problem will arise when successively larger groups of people get involved and at worst the frightening scenario of the whole population. The first foot-electronic chip is very expensive but then the expenses become much reduced and therefore it costs relatively litde to "protect" everyone. Arecent evaluation by Andersson 37 indicates that the number of prisoners in Sweden has already been reduced by 15% with the use of this alternative technique. Of importance far how much these technological innovations will be put to use, is among other things the general societal development, including the political and economic development, and public opinion. Unemployment, for example, has by several criminologists been described as an important factor behind the incarceration rates. The classic exposition by Rusche & Kirchheimer38 has though been questioned and criticized by many criminologists. The difficulty of ascertaining the effect of a single factor like unemployment on the level of criminality and on the penal system gives a hint of how complicated it is to weigh several factors in a causal matrix. The fact that both criminality and political decision-making are complex variables does not make the equation simple. VI. Tbe Political Decision-Making Process The political decision-making process is not studied much within the crimino-political area. Hundreds of millions of "crowns" have been sacrificed on investigatioris of power within some of the Nordic countries, but criminal policy has hitherto not been embraced by the analysis of the political scientists.

36 Christie. Kriminalitetskontroll som industri. 1993. 37 Andersson. Den udvidgade försöksverksamheten med intensivövervakning med e1ektronisk kontroll. BRÄ 1997. 38 RuschelKirchheimer. Punishment and Sodal Structure. 1939.

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Edling & Elwin wrote a post-mortem examination of a dead investigation 39 which was a detailed mapping of a Swedish committee concerning correction. In Alternatives to Imprisonment - Intentions and Reality40 the intentions of the legislator were also studied in its various steps. But this type of legal sociological works are relatively rare within Nordic criminology. The research of Mathiesen may be regarded as interesting exceptions from the rule; he even early put forward a political action theory 41. If one wants to exercise impact on decision-makers it is naturally important first to know something about the general impact patterns. This appears to be an important area to cultivate for criminologists, legal sociologists, and political scientists, preferably in collaboration. In my opinion it would be an important task for the criminologists to try to convince the politicians to build criminological research as a self-evident element into the crimino-political decision-making. The extent and the difficulty of this pedagogical task varies considerably among different countries, depending upon the present status.

As an example of various ways this task has been tackled can be mentioned the different violence committees produced in later years in various countries. In the US the violence commission42 was as usual composed of a great number of the best criminologists in the country who compiled all criminological knowledge within the area and came with proposals what should further be studied. In Germany likewise an ambitious investigation was carried out compiling knowledge in the area by a number of criminologists in a violence commis si on (for example, Regierungskommission 198943 and 1993 44 ) before decisions about measures were taken. In Denmark the government put forward an action plan45 ) consisting of 32 points which hardly could be said to be related to any research. As point 31 there was a suggestion for better statistics and as point 32 for research, but for these two points, in contrast to the others, there was not budgeted any sum of money. As I have pointed out elsewhere these

39 Edling/ELwin. Obduktion av en död utredning. 1972. Bondeson (fn. 23). 41 Mathiesen. The Politics of Abolition. 1974. 42 Reiss/Roth (eds.). Understanding and Preventing Violence. Panel on the Understanding and ControI of Violent Behavior, 1993. 43 Regierungskommission. Kurzfassung und Vorschlagskatalog einschließlich des Mitgliederverzeichnisses und der Präambel des Endgutachtens der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt. 1989. 44 Regierungskommission. Bericht des Bundesministeriums des Innern über die Umsetzung der Vorschläge im Endgutachten der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt. 1993 45 Justitsministeriet. Bekrempelse af vold. En handlingsplan fra regeringen. K0benhavn. oktober 1993. 40

6 FeslSchrifl rur G. Kaiser

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Ulla V. Bondeson

last points ought in my opinion to have been given completely a different priority46.

VII. Concluding Remarks SNCCP has played an important role in bringing together research workers on one hand and practicians and politicians on the other and thereby opening a dialogue between theory and practice. This occurs both internally at council meetings and externally especially at the so-called contact seminars. These contacts have probably resulted in an easier access for researchers in Scandinavia to politicians and thereby also giving them a greater influence than has been for example the case in the US 47 . When the imprisonment rate drastically was reduced in Finland in later years, Törnudd48 looks at this as an example showing the impact of research but he also adds that in his country experts easier reach out to the decisionmakers. One explanation for this may be that the criminological research has been quite concentrated in a National Research Institute of Legal Policy under the Ministry of Justice. By the emergence of research institutes under the government or ministries of justice and of crime preventive councils, national contact areas are created between researchers, practicians, and politicians. Because of the relatively important economic resources invested in research at for example SNCCP in Sweden and to a less extent the legal political research institute in Helsinki, there is at the same time an apparent risk that short-sighted commission research will co me to dominate at the cost of independent and critical research. In Sweden the Crime Preventive Council has been the object of many scrutinies, and proposals have come forward to put it closer to the Ministry of Justice49 . The latest suggestion is to merge it with the research division of the Swedish National Police College. If we want our politicians to listen to the criminologists it is aprerequisite that research is taken quite seriously. That presupposes that there will be an emphasis on extensive education of criminologists, building up of well-staffed 46 Bondeson. Nogle bema:rkninger til regeringens voldspakke, Kriminalistisk Instituts Ärbog 1993, 77-92. 47 Snare/Bonde.wm, Criminological Research in Scandinavia, Crime and lustice 6 (1985), 237-259. 48 Tiirnudd. Fifteen Years of Decreasing Prisoner Rates in Finland, Pub. 8., National Research Institute of Legal Policy, Research Communications, 1993. 49 BRA. Särskild rapport om utvärdering och mätning av Brottsförebyggande nidets verksamhet. 1992.

Interplay between Criminological Research and Criminal Policy

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criminological institutes, and financial resources on weil supported research projects. If decisions should be based on criminological research, there should as in medicine be requirements of replication of research resuIts. There ought also to be a living discussion around what problem areas research workers and politicians want to put priority on. It is an encouraging sign that Norway and Sweden have started to create several professorships in criminology and also highly increased the research resources. Finland and Denmark unfortunately, have been retarded in this development. If one wants to realize the goal of having a more rational criminal policy, it is necessary that quite different economic resources are invested on cumulative criminological research.

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Problems in Evaluating Psychosocial Intervention in Criminology

I. The Importance of Evaluation in Criminology

Criminology pursues two different objectives; on the one hand, it tries to identify the causes, factors and meaning of delinquency, and on the other, it studies the effects of the measures which society adopts in order to tackle crime. This latter field of investigation, and in particular the analysis of preventive, punitive and therapeutic intervention, is taking on ever greater importance, so much that the word "evaluation" has now become fashionable world-wide and inevitably crops up every time that financing or authorisation for research is sought. The importance of evaluation is linked to the growing pragmatism seen within judicial circles and to financial restrictions now placed on research everywhere. Consequently, judicial measures that were once adopted for ethical, political and juridical reasons alone are now subjected to thorough costlbenefit analysis based on parameters of efficacy and economics. The success of this concept has led to the overuse of the term "evaluation", which is sometimes even confused with the term "research". In reality, as Mair states (1994), the term research should be used for those activities which have a purely exploratory objective, while the term evaluation should be limited to investigations that aim to establish whether or not, or to what extent, a given programme is successful, so that decisions can be made as to whether such intervention should be extended, continued, cut back or terminated. Evaluation is thus linked to a policy, or to an operating strategy, and is of interest to decision-makers, while research is motivated by the investigative interests of the researcher. It is therefore obvious that the differences between evaluation and research must be clearly understood, otherwise the data produced will be incongruous with the objectives set, and therefore useless.

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11. Evaluation Methodology Having considered the importance of evaluation in criminology, we can now examine the main methodological approaches adopted in drawing up a programme to assess psychosocial intervention aimed at supporting or replacing traditional penal measures. Psychosocial intervention can take various forms: alternatives to imprisonment, individual programmes for early prevention, psychotherapy support within penal institutions, or other initiatives wh ich use psychological and social instruments to tackle the problem of delinquency. In assessing psychosocial intervention, the first problem lies in establishing the objectives of the programme to be assessed, and therefore the criteria of success that should be adopted. The criteria traditionally used in this field regard the prevention of delinquency (or of recidivism), or changes in the personality of the subjects. For what concerns the first set of criteria, it should be pointed out that the term "recidivism" may be interpreted in many different ways (Tournier 1992), so much that Landreville (1982) was prompted to assert that there are as many definitions of this term as there are studies on the subject. Particular attention should also be paid to the type of delinquency considered, whether official, as revealed by criminal charges or convictions, or unofficial, as revealed by particular techniques such as self-report questionnaires. Moreover, the gravity of the crime in wh ich such recidivism is manifested must also be considered (clearly petty theft, drug dealing and murder cannot be measured by the same yard-stick). In addition to true recidivism, some studies have also reported other forms of deviant behaviour, such as a\cohol and drug abuse or attempted suicide. With regard to the second set of commonly applied criteria (those concerning personality changes), what is measured generally appertains to the equilibrium of the person, tohis adaptation to the social, scholastic and working environment, and to his integration into the family etc. Such features are generally regarded as indexes of evolution and maturation, wh ich make recidivism less Iikely. Recidivism, therefore, albeit indirectly, remains at the hub of assessment (Glaser 1989). This supposition does not appear to be entirely correct. Indeed, Lipsey (1992) clearly demonstrated that the positive effects on personality are not always correlated with areduction in recidivism, and Garret (\ 985) pointed out that results in terms of adaptation differ markedly from those regarding recidivism. A few new parameters have recently begun to be taken into account as criteria of success, regardless of whether or not the propensity for criminal behaviour is reduced (Gatti 1995). These concern, for instance, the results of psycho-

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social intervention which involves the justice system as a whole, rather than the individuals targeted by programmes, and take into account such effects as reducing the prison population and speeding up the penal process. Moreover, improving the social climate inside a penal institution may constitute a positive result (Taylor/Gunn 1984), as may the psychophysical well-being of inmates (GenderslPlayer 1995), or indeed the satisfaction of family members or of staff. A further problem lies in distinguishing between assessment of results and assessment of the process (Mair 1994). In general, only an assessment of results is required, but a lack of assessment of the process through which such results have been obtained does not allow us to understand whether what has been achieved is really attributable to the programme that has been implemented or to other factors. On this subject, Palmer (1994) claims that any evaluation of a programme should include a systematic description and a statistical verification broken down into the following four phases: I) observation of the activities actually carried out and ascertainment of the number of subjects involved (immediate objectives); 2) verification of direct results, evaluated by means of psychological tests or other instruments (intermediate objective); 3) registration of the crime reduction effect (final objective); 4) calculation of the correlations among the results obtained in relation to the three objectives described (immediate, intermediate, final). Another important element of assessment, wh ich generally receives scant attention, is the registration of possible side effects. Just as pharmaceutical drugs can induce a wh oIe range of untoward effects in addition to, or instead of, the desired therapeutic results, so also, can psychosocial intervention induce undesired effects, which may even outweigh the desired results. In drawing up an assessment plan, it is extremely important to fix a sufficiently long observation period, and to define that period precisely, in that differences between the results of different programmes may depend solelyon the duration of follow-up. Moreover, it is important to take into account the type of subjects acted upon by psychosocial intervention; only if the subjects are similar to those of the indispensable control group is it possible to compare various types of intervention. If, for example, the efficacy of a treatment community for drug addicts who have committed a crime is to be compared with the efficacy of prison, to which the community may constitute an alternative, it must be ascertained that the subjects who undergo these two different kinds of intervention are similar in terms of type and duration of drug addiction, motivation to reform etc. If the

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two groups are not demonstrated to be similar, there is no way of knowing whether differing results should be ascribed to differences in the efficacy of the two types of intervention or to differences in the composition of the groups. Then again, treatment programmes are carried out within specific contexts wh ich are generally rigidly circumscribed and which may clash with the demands of research; clearly, the usual practices of social research, such as random assignment of subjects to an experimental group and a control group, are difficuIt, if not impossible, to realise in a judicial context, for juridical, ethical or practical reasons (GenevielMargolieslMuhlin 1986). In setting up an assessment programme, not only is it important how the assessment is carried out, but also who carries it out. Obviously, an assessment performed by the same operators who implement the psychosocial programme may be distorted by the expectations and desires of the operators themselves; on the other hand, an assessment carried out by outside experts who have nothing to do with the programme may, for example, involve difficulties such as accessing and understanding data. The best solution would seem to be to use outside assessors who are familiar with the sector under examination, who have the trust of the programme operators and who involve the operators in the assessment process.

IH. Analysis of a Few Psychosocial Interventions The areas in wh ich programmes of psychosocial intervention have been implemented, either as a support or an alternative to penal measures, are numerous and present a variety of specific problems. In order to highlight the difficulties, questions and possibilities connected with assessment procedures, it may be useful to refer to some of the sectors which have been most closely examined in recent years, particularly treatment programmes carried out in penal institutions, alternative measures to imprisonment, and early preventive measures for subjects considered to be at risk of delinquency. Such intervention generally involves psychosocial programmes implemented in prisons or special facilities, and is aimed at modifying the personality of the offen der in such a way as to improve social adaptation and avoid recidivism. This treatment has constituted a major innovation in the field of criminal policy, and, in some countries, has led to considerable investment and aroused great hopes. Treatment programmes have involved the participation of new professionals in the judicial field (psychologists, social workers, criminologists, educators etc.) and have formed the backdrop for important assessment initiatives, the results of which, in the opinion of many, have greatly influenced criminal pol-

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icy in this sector. It would seem opportune in this regard to quote a well-known study by LiptonlMartinsonlWilks (1975). After analysing the results of 231 studies assessing the efficacy of treatment programmes, these authors reached the conclusion that, "With few and isolated exceptions, the rehabilitative efforts that have been reported so far had no appreciable effect on recidivism" (Martinson 1974). This conclusion may be summed up by the pungent assertion "nothing works", which for decades afterwards was automatically associated with the idea of treatment. This conviction sanctioned progressive cutbacks in investment in this sector on the part of the public authorities, and prompted a general abandonment of the rehabilitative model as a mainstay of criminal policy (KaiserlDünkel/Ortmann 1982). After reigning unchallenged for years, those notions which condemned treatment on the grounds of inefficacy are gradually giving way to new positions. Indeed, various authors have cited a prudent and realistic optimism (LemirelProux 1996), a re-emergence (Palmer 1992), a new optimism (Hollin 1996), a reproposal (Cullen/Gilbert 1982) or, to use Löse\' s metaphor (1992), a "light breeze" which is beginning on ce again to propel the ship of treatment. Positive assessments of treatment, or at least of the psychosocial and therapeutic intervention programmes carried out in penal institutions, have also emerged from detailed analyses of specific programmes of this type. A case in point is the substantially positive assessment expressed by Balier (1988), a psychoanalytically-oriented psychiatrist responsible for the Regional Psychological-Medical Service (RPMS) operating in the prisons of Varces, in accordance with the French model which makes provision for the organisation of penitentiary psychiatric services in each region, along the lines of national psychiatric services, financed by the Ministry of Health, and independent of penitentiary administration though operating in prison. Within the service far which he is responsible, Balier organised an original treatment programme far particularly violent offenders (those convicted of murder, rape, domestic violence etc.), according to careful and rigorous methods implemented by a full psychiatric team. In contrast with a widely held opinion, Balier maintains that the prison environment does not constitute an obstacle to the treatment of certain subjects; rather, he claims that the security and solidity of the penitentiary constitute a fundamental ingredient in the implementation of his therapy. This therapy, however, cannot be likened to traditional treatment programmes, in that it is exclusively therapeutically and divorced from repressive or disciplinary objectives. A distinctly positive evaluation has been expressed in a volume recently published by two English scholars who report the results of an important research project carried out for some years under the aus pi ces of the Centre for Criminological Research of the University of Oxford with a view to assessing

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the results achieved in Grendon Prison. This penal institution is organised in accordance with the principles of the treatment community, and is regarded as a model of efficiency and humanity (GenderslPlayer 1995), in addition to the usual criteria of reducing recidivism, which, as previously mentioned, are typical of traditional treatment programmes. According to Lösel (1993), this new positive attitude towards treatment is linked to several factors; among these, the most recent findings in the field of assessment deserve particular emphasis. Indeed, since the 1980s, numerous systematic studies have shown treatment efficacy in a more positive light. In an analysis of the resuIts of 111 research projects regarding various intra-institutional treatment programmes, Garret (1985) concluded that treatment, especially behavioural treatment, was efficacious in reducing recidivism. On analysing 90 studies of community based treatment, Gottschalk et al. (1987) found more than half of the programmes to be efficacious. Whitehead and Lab (1989) reached less optimistic conclusions; their analysis of 50 intra-institutional treatment programmes revealed a significant reduction in recidivism in only 16 cases (32 %). In reality, however, the efficacy criterion adopted by these latter authors was particularly strict, requiring an almost 20 % cut in recidivism compared with the control group (FarringtonlLoeber 1989). When a less restrictive, though still significant, criterion is applied to their data, the success rate increases enormously, particularly for behavioural programmes (Andrews et al. 1990). In Germany, Lösel (1992) integrated the resuIts of more than 500 studies and was able to demonstrate that treatment programmes generally produce positive, though limited, results, and that some methods are more efficacious than others. Lösel (1993) claims that the overall effect of treatment programmes is about 0.10, that is to say 10 percentage points (a 45 % rate of recidivism in the treatment group would, for example correspond to a 55 % recidivism rate in the control group), and that closely structured, cognitive behavioural programmes or multi modal programmes focusing on concrete aptitudes seem to be the most effective. By and large, the most recent assessment studies have reached the conclusion that treatment is effective in reducing recidivism (Sherman et al. 1997). As Farrington (1996) pointed out after reviewing studies on the subject, the results show an average 10-15 % reduction in further convictions, which, while limited, is nevertheless important from a practical point of view. However, as Lösel (1993) reports, the studies carried out so far have suffered from numerous shortcomings; the follow-up period is often too short, the majority of studies involve adolescents and not adults, and there is frequently a lack of detailed information regarding programmes, context, personnei, inmates and procedures in general. Clearly then, assessment studies in this field need to be thoroughly overhauled and fine-tuned. The most recent research has nevertheless demon-

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strated that the simplistic slogan "nothing works" is no longer acceptable, while there is still a need to understand what actually does work, in what conditions and with what objectives. Alternatives to imprisonment constitute another traditional sector that has amply been subjected to assessment. The need to reduce the number of custodial sentences imposed has prompted legislators to create a range of alternatives, such as probation, parole, community service orders, intensive community supervision etc. Such measures often make use of psychosocial methods of resocialisation, and their costs and efficacy have been carefully examined with a view to justifying their introduction, financing and diffusion. Although the rehabilitative effects of such measures are generally considered to be superior to those achieved through detention, they do not appear to be decisive and are somewhat controversial (ZvekiC/Alvazzi dei Frate 1994). What is interesting, however, is the side effects associated with alternative measures, which are now commonly referred to as ,,net widening" and "bifurcation".

Net widening refers to the commonly observed phenomenon by which the introduction or greater use of alternative measures does not bring about a reduction in imprisonment, in that the new measures are not utilised as real alternatives but rather are imposed upon subjects for whom no measures were previously adopted. Consequently, the so-called alternative measures widen the net of social control instead of softening the impact of the judicial system (ZimringlHawkins 1991). Thus, the new forms of control have been added to the old ones instead of replacing them; growing numbers of offenders are imprisoned, and individuals are more likely to be dealt with inside the justice system rather than outside of it (Cohen 1985; LowmanIMenzieslPalys 1987). This phenomenon has been observed both in the United States (Blumstein 1988; Petersilia 1987) and in Europe, where, as Bishop (1988) observes, the very nations in wh ich the prison population has grown are those which have made the greatest use of alternative measures to imprisonment. Assessment programmes have therefore demonstrated that a particular type of psychosocial intervention which was conceived in order to make sentences more useful, more humane and more efficacious has been accompanied by an unforeseen and undesired increase in the system of social contro!. Not all investigations have confirmed the phenomenon of net widening, thus indicating that alternative measures may be real alternatives to prison (McMahon 1990, for example, showed that research on net widening in Canada was based on erroneous ca1culations, while HeinziStorz [1992], found that a few alternative programmes adopted in Germany really did reduce the number of prison inmates). Nevertheless, assessment procedures have often revealed serious problems in the use of so me important measures (such as probation, community service orders, and intensive community supervision) whose utility

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appeared to be above discussion. Clearly, the application of such measures needs to be revised in order to avoid undesirable consequences. Like psychosocial measures of "diversion" from the penal system, alternative measures to imprisonment have been seen to induce another side effect; the so-called phenomenon of "bifurcation", which seems to arise every time attempts are made to render the justice system more modern, diverse and flexible. The term bifurcation refers to that phenomenon whereby areform of the justice system that is meant to introduce innovative measures in favour of convicted persons gives rise to a discriminatory attitude, in that judges tend to impose the new alternative measures on subjects who are socio-economically less deprived, while continuing to impose repressive measures on those belonging to underprivileged social strata. This phenomenon, which is evident in the field of juvenile justice, calls to mi nd the double-faced Roman god, Janus (Bortner 1988); a benevolent face is turned towards minors who have a relatively normal family background, and for whom social and educational measures are adopted, while a strict and oppressive gaze falls upon those minors (nomads, the socially marginalised, members of the underclass, foreigners etc.). Since alternative measures necessitate some degree of familial and environmental support, they are unlikely to be adopted for minors whose families do not fit into the normal social context. Here again, assessment studies have revealed that a positive innovation is accompanied by an undesired effect, i.e., an increase in injustice and discrimination. Another area which has come under the scrutiny of assessment studies is that of early preventive intervention in favour of minors considered to be at risk of delinquency. In this field, particular interest is aroused by the study conducted by McCord (1978) on the famous prevention programme implemented in the second half of the 1930s in Cambridge and Somerville, two Massachusetts towns beset by serious social problems. The Cambridge-Somerville programme involved 325 eleven-year-olds, and included psychological counselling for minors and their families, social and educational assistance, scholastic support, participation in leisure activities, and help in finding ajob. A control group was also set up, consisting of 325 youths with the same individual, familial and social characteristics, who did not undergo any kind of preventive intervention. The assessment of this programme is particularly interesting not only on account of its rigorous methodology, but also because subsequent investigations were performed at different times, sometimes, years later. Five years after the project ended, no substantial differences were noted between the treated group and the control group, while a subsequent investigation conducted a few years later revealed some favourable results of treatment. The most surprising and unexpected conclusion, however, lies in the final results obtained by McCord

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(1978) in a study conducted 30 years after intervention; in the 10ng term, the subjects who had participated in the prevention programme were found to have suffered higher rates of recidivism, early death and mental illness than their untreated counterparts. This assessment, which shows that good intentions do not always lead to good results in the social field, has prompted a great deal of reflection. What is extremely revealing, however, is that the effects of the intervention proved to be different at different times of observation, and that only a very long period of follow-up enabled firm conclusions to be reached. McCord's findings cannot of course be used to demonstrate that every early preventive intervention programme on problem individuals is doomed to failure. Indeed, several assessment studies have concluded that many early psychosocial intervention programmes have been able to blunt the subsequent emergence of delinquency, failure at school, drug addiction etc., especially when centred on more than one risk factor, when sufficiently prolonged and sufficiently early (Tremblay/Craig 1995; Graham/Bennett 1995; Junger-Tas 1997; Gottfredson 1997). Nevertheless, McCord's findings (1978) highlight the fact that assessment procedures must be rigorous and not limited to short periods of follow-up, in that only thorough observation over the years is able to reveal the true efficacy of intervention. IV. Use and Diffusion of Results Analysis of the results of assessment has recently made considerable progress, wh ich has led to better utilisation of the studies in this sector (Kaiser 1992). Meta-analysis in particular has, since the second half of the 1980s, become one of the most widely used methods of interpreting and exploiting the findings of assessment studies (Lösel 1993, 1995; Glass et al. 1981; Hunter/ Schmidt 1991; Rosenthai 1991), by means of systematic integration of the results obtained by different researchers, evaluation of the reliability of the data, determination of the mean amplitude of the results obtained, and identification of the factors that determine differences among the results of different studies (StrubelHartmann 1983). Although meta-analysis has brought about marked progress in assessment studies, numerous methodological problems remain. These concern the questionable comparability of so me results, the varying quality of the studies examined, and the difficult process of selecting and codifying the studies themselves. Consequently, such analysis should be regarded as an aid to scientific reflection, to be evaluated critically, rather than as a definitive solution to the methodological problems of analysing the results of assessment.

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In addition to the analysis of results, we should also reflect upon the important question of the diffusion and utilisation of such results, bearing in mind that data cannot be used if they are not known, and that the communication process may influence the final perception of the data provided. Clearly, the same results may be reported and interpreted in very different ways according to the situation, the audience and the reporters, who may be independent examiners, those who have commissioned the assessment, the implementers of the programme under examination, pressure groups, or representatives of the mass media. Furthermore, a particularly thorny problem concerns the relationship between the results of assessment and the decisions made with regard to the programmes examined. At first sight, there may appear to be a c10se and direct link between the results of an intervention programme and policy decisions regarding the continuation, strengthening or interruption of the intervention; for instance, Martinson's findings (1974) on the inefficacy of treatment are often cited as having led to the abandonment of such programmes. The reality of the situation, however, would seem to be more complex. As Hood (1995) points out, similar results to Martinson's had been published so me years earlier by Bailey (1966) after an analysis of 100 studies, without creating any great stir. It could even be c1aimed that, on the contrary, it was the abandonment of the treatment model wh ich gave rise to the c1amour surrounding Martinson's work. Paradoxically then, it might be c1aimed that the results of assessment are used to justify choices which have already been made rather than as a rational guide to decision-making. How else can we explain the fact that Martinson's (1979) recantation was totally ignored? Indeed, only a few years after the publication of his famous conc1usion that "nothing works", Martinson himself (1979) was forced to modify his stance in the light of subsequent research, and to state that treatment was useless, negative or efficacious, according to the conditions in which it was implemented. V. Conclusions

The changes which have taken place in the field of assessment, together with the emergence of new attitudes and new proposals for criminal policy, underline the complexity of the relationships between the world of justice and that of social sciences. Such relationships c1early need to be re-examined. Moreover, in view of the numerous methodological problems which have emerged in recent years and the findings of many researchers working in different countries, the simplistic notion that "nothing works" seems no longer to be tenable.

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The treatment model, which implies an ambiguous and confusing mixture of therapeutic and repressive demands, seems to be no longer sustainable in its entirety, for ethical, juridical and scientific reasons. Nevertheless, a greater application of psychosocial intervention aimed at supporting and helping individuals within the justice system appears to be desirable. Such a policy may bring greater efficacy and humanity to a system too long neglected by social scientists, and within which the repressive component has become exclusive. References AndrewslZinger/Hoge/Bonta/Gendreau/Cullen, Does Correctional Treatment Work? A Clinically Relevant and Psychologically Informed Meta-analysis, Criminology 28 (1990), pp. 369-404. Bailey, Correctional Outcome: An Evaluation of 100 Reports, Journal of Criminal Law, Criminology and Police Science 57 (1966), pp. 153-160. Balier, Psychanalyse des comportements violents, 1988. Bishop, Non-Custodial Alternatives in Europe. Helsinki Institute for Crime Prevention and Control, 1988. Blumstein, Prison Population: A System out of Control, in: Tonry/Morris (eds.), Crime and lustice: A Review ofResearch, vol. 10,1988. Bortner, Delinquency and lustice: An Age of Crisis, 1988. Cohen, Visions of Social Control, 1985. CullenlGilbert, Reaffirming Rehabilitation, 1982. Farrington, Criminological Psychology, in: Hollin (ed.), Working with Offenders, 1996. FarringtonlLoeber, Relative Improvement Over Chance (RIOC) and Phi as Measures of Predictive Efficiency and Strength of Association in 2x2 Tables, Journal of Quantitative Criminology 5 (1989), pp. 201-213. Garrett, Effects of Residential Treatment of Adjudicated Delinquents: A Meta-analysis, Journal of Research in Crime and Delinquency 22 (1985), pp. 287-308. Gatti, Opening Address to the 20th Criminological Research Conference (1993), Psychosocial Intervention in the Criminal lustice System, Criminological Research, vol. XXXI, Council ofEurope, 1995. Genders/Player, Grendon: A Study of a Therapeutic Prison, 1995. GenevielMargolies/Muhlin, How Effective is Correctional Intervention?, Social Policy I7 (1986), pp. 52-57.

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Uberto Gatti

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WOLFGANG HEINZ

Die Staatsanwaltschaft Selektions- und Sanktionsinstanz im statistischen Graufeld* A. "Strafverfahren als Selektionsprozeß" ein kriminologisches Problemfeld In seiner 1972 veröffentlichten Monographie "Strategien und Prozesse strafrechtlicher Sozialkontrolle"l zeigte der verehrte Jubilar, dem dieser Beitrag gewidmet ist, die Notwendigkeit auf, "Sozialkontrolle und Selektion" - "vielen noch immer modisch und befremdlich"2 erscheinende Begriffe - zum Forschungsgegenstand kriminologischer Untersuchungen zu machen. "Wenn ... nach der gegenwärtigen Lage jährlich rund 3,5 Millionen Anzeigen wegen Verbrechen und Vergehen die Strafrechtspflege beschäftigen, doch nur etwa 600.000 Rechtsbrecher auch förmlich verurteilt werden, dann beruht dieser Vorgang auf einer Auslese. Das Strafverfahren als Selektionsprozeß wird deshalb zunehmend nur dann legitimiert werden können, wenn es durchsichtigrational begründet, entsprechend gestaltet, und wenn ferner auch die negative Chancengleichheit oder besser, die Gleichheit im Unrecht, gewährleistet wird"3. Lehrbuchwürdig wird das "Strafverfahren als Selektionsprozeß" als Begriff und kriminologisches Problemfeld bereits in der 2. Auflage (1973) von Kaisers "Kriminologie - eine Einführung in die Grundlagen"4. Zustimmend wird darin Würtenberger zitiert: "Die Erforschung solcher Selektions- und Sanktionsprozesse ist ein wichtiges neues Feld rechtssoziologischer und kriminologischer Wissenschaft". Kurz zuvor hatte Kaiser, zugleich als Gegenentwurf gegen die klassische täterorientierte Kriminologie, "das gesamte System der Kriminaljustiz"5 zum Forschungsziel der neuen Kriminologischen Forschungs• Für die Unterstützung bei der Auswertung der Daten, der Erstellung der Schaubilder sowie für die Diskussion der Befunde bin ich meinem Mitarbeiter, Herrn Dipl. Soz. Gerhard Spieß, zu Dank verpflichtet. I Kaüer, Strategien und Prozesse strafrechtlicher Sozial kontrolle, 1972. 2 Kaiser (Anm. 1), S. XI. 3 Kaiser (Anm. I), S. 79. 4 Kaiser, Kriminologie - Eine Einführung in die Grundlagen, 2. Aufl. 1973, S. 73. 5 Kaiser, Probleme, Aufgaben und Strategie kriminologischer Forschung heute, ZStW 83 (1971), S. 890.

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Wolfgang Heinz

gruppe am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (MPI) erklärt. In rascher Folge wurden von der von Kaiser geleiteten Arbeitsgruppe Forschungsprojekte in Angriff genommen, durch die Stück für Stück des Gesamtsystems der Verbrechenskontrolle untersucht wurden, darunter auch "Die Staatsanwaltschaft im Prozeß strafrechtlicher Sozialkontrolle"6. Diese immer noch umfassendste Studie zur Tätigkeit der Staatsanwaltschaft (StA) hat erstmals deren Rolle als Definitions-, Selektions- und Sanktionsinstanz empirisch belegt. Seitdem - und ergänzt durch eine Reihe weiterer Untersuchungen 7 wissen wir: •

Bei Verfahren mit unbekannten Tatverdächtigen der Massenkriminalität beschränkt sich die StA weitestgehend darauf, das polizeiliche ErmittIungsergebnis hinzunehmen. Aber auch bei Bekanntsachen zeigt sich ein hohes Maß an Abstinenz hinsichtlich eigener Ermittlungen 8 . Faktisch ist - abgesehen vor allem von Kapitalverbrechen und schwerer Wirtschaftskriminalität - die Polizei (und nicht die StA) Herrin des Ermittlungsverfahrens.



Die Erledigungsentscheidung wird in Verfahren mit unbekannten Tatverdächtigen vom polizeilichen Ermittlungsergebnis bestimmt; diese Verfahren werden so gut wie immer eingestellt. Bei Verfahren mit bekannten Tatverdächtigen wird der polizeilichen Beweisbeurteilung jedoch nur mit Einschränkungen gefolgt.



Die StA ist Selektionsinstanz in dem Sinne, daß weitgehend sie über die Verfolgbarkeit einer Tat entscheidet. Ein mangels hinreichenden Tatverdachts eingestelltes Verfahren bleibt dem Gericht fast immer unbekannt; ein Klageerzwingungsverfahren ist die Ausnahme. Die StA ist ferner - trotz Zustimmungs bedürftigkeit durch den Richter - auch fast vollständig Herrin der Entscheidung über die Einstellung wegen Geringfügigkeit. Die erforderliche richterliche Zustimmung wird eher routinemäßig erteilt9 .



Die StA hat Definitionsmacht. In der großen Masse der Kriminalität haben zwar Umdefinitionen der polizeilichen Tatbewertung keine große Bedeutung lO . Bei Kapitaldelikten ändert die StA aber in nicht unbeträchtlichem

6 V gl. Blankenburg/Sessar/Steflen. Die Staatsanwaltschaft im Prozeß strafrechtlicher Sozialkontrolle, 1978. 7 Vgl. die Nachweise bei Eisenberg. Kriminologie, 4. Aufl. 1995. § 27 Rdnr. 63 ff.; Kaiser. Kriminologie - Ein Lehrbuch, 3. Aufl .• 1996, § 37; Kaiser. Kriminologie - Eine Einführung in die Grundlagen, 10. Aufl. 1997, § 19; Kürzinger. Kriminologie, 2. Aufl. 1996, S. 138 f. 8 Vgl. Kaiser. Kriminologie - Eine Einführung (Anm. 7), S. 148. 9 Vgl. Blankenburg u.a. (Anm. 6), S. 113; Eisenberg (Anm. 7), S. 357 f. Dies kann bedeuten, dem richterlichen Zustimmungserfordernis komme keine - zumindest keine große - Filterfunktion zu. Dieser Befund kann aber auch das .. Ergebnis von Konfliktvermeidungsstrategien" sein, d.h. daß die Zustimmungsbereitschaft des Richters zutreffend eingeschätzt wird (vgl. Blankenburg u.a. [Anm. 6], S. 113). 10 Vgl. BlankenburK u.a. (Anm. 6), S. 68.

Die Staatsanwaltschaft im statistischen Graufeld

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Maße die polizeiliche Ausgangsdefinition ab und legt durch ihre Definition der Tat die gerichtliche Ausgangslage fest. Für Tötungsdelikte wurde z.B. gezeigt, daß mehr als die Hälfte aller von der Polizei als vorsätzliche Tötungsverbrechen ermittelten Delikte in der Einstellungs- oder Abschlußverfügung der StA eine Definition außerhalb vorsätzlicher Tötungsstraftaten erhalten habenlI. Hinsichtlich Vergewaltigung und sexueller Nötigung wurde in rd. einem Viertel aller Fälle eine Abweichung von der polizeilichen Tatbewertung festgestellt, und zwar bei vier Fünftein aller Umdefinitionen zu weniger schweren Tatbeständen hin l2 . •

Die StA hat - im sozialwissenschaftlichen Sinne - Sanktionskompetenz, und zwar sowohl negative (Sanktionsverzicht) als auch positive (Sanktionsverhängung). Die Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts ist faktisch Sanktionsverzicht, weil das Gericht extrem selten durch den Verletzten als Kontrollinstanz eingeschaltet wird. Die Einstellung wegen Geringfügigkeit stellt ebenfalls einen staatsanwaltschaftlichen Sanktionsverzicht 13 dar. Positive Sanktionskompetenz kommt der StA hingegen bei Einstellung unter Auflagen sowie beim Strafbefehlsantrag zu. In diesen Fallgruppen tritt an die Stelle richterlicher Strafzumessung eine staatsanwaltliche Strafzumessung; die Mitwirkung des Gerichts hat - faktisch - den "Charakter einer Gegenzeichnungsprozedur" 14.



An der insbesondere von Kaiser immer wieder angemahnten Durchsichtigkeit dieses Definitions-, Selektions- und Sanktionsprozesses fehlt es - immer noch - weithin, und zwar auf allen Ebenen. Die Geschichte der Opportunitätsvorschriften ist eine Geschichte ihres ständigen Ausbaus l5 , und zwar unter zunehmender Verlagerung auf die StA bei gleichzeitiger Erweiterung deren Kompetenzen. Ungeachtet erheblicher Bedenken und Einwände seitens der Rechtswissenschaft

11 Vgl. Kaiser. in: Blankenburg u.a. (Anm. 6), S. XV; eingehend hierzu Sessar. Rechtliche und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität, 1981. 12 Steinhilper. Definitions- und Entscheidungsprozesse bei sexuell motivierten Gewaltdelikten, 1986, S. 124 ff. 13 Im Hinblick auf die den Beschuldigten durchaus belastende Eintragung im Erziehungsregister kann dies für die Einstellung gern. § 45 Abs. I lGG zwar anders gesehen werden, doch soll dies an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. 14 Sessar, Die Staatsanwaltschaft im Prozeß sozialer Kontrolle, Mitteilungen aus der MaxPlanck-Gesellschaft, Heft 2, 1974, S. 95. Auch hier läßt sich freilich der Befund, daß Strafbefehlsanträge nicht in nennenswertem Umfang vom Gericht abgelehnt werden, als "Antizipation richterlicher Entscheidungskriterien durch den Staatsanwalt" (vgl. Blankenburg u.a. [Anm. 6l, S. 246) deuten. 15 Vgl. Männlein. Empirische und kriminalpolitische Aspekte zur Anwendung der Opportunitätsvorschriften §§ 153, 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft, Diss. 1992, S. 23 ff.; Pott. Die Außerkraftsetzung der Legalität durch das Opportunitätsdenken in den Vorschriften der §§ 154. 154a StPO, 1996, S. 45 ff.; zusammenfassend Rieß. Die Zukunft des Legalitätsprinzips, NStZ I (1981), S. 3.

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Wolfgang Heinz wurde das gerichtliche Zustimmungserfordernis immer weiter eingeschränkt l6 . Infolge dieser weitgehenden Verlagerung strafrechtlicher Sozialkontrolle ist die StA im Bereich der kleinen und mittleren Kriminalität von der Ermittlungs- und Anklagebehörde zur zentralen Selektions- und Sanktionsinstanz geworden, die große Teile der Kriminalität weitgehend selbständig und abschließend verwaltet. Die Handhabung des externen und internen Weisungsrechts gegenüber Staatsanwälten ist nur für Teilbereiche bekannt l7 ; bei Einstufung als sog. Verwaltungsinterna sind sie der öffentlichen Debatte wie der rechtlichen Kontrolle entzogen. Kritische Stimmen in der Literatur sehen deshalb einen ebenso unaufhaltsamen wie gefährlichen Trend zum "exekutivischen Recht", in dem es hinter dem Gesetzgeber ein regionales oder lokales, durch Weisungen beeinflußtes Sonderstrafrecht gebe, das flexibel den Bedürfnissen der Strafrechtspflege, kriminalpolitischen Strömungen und politischen Programmen angepaßt werden könne. Es wird die Gefahr gesehen, daß durch exekutivisches Recht öffentliche und parlamentarische Debatte und gesetzliche Festlegung umgangen würden l8 . In empirischer Hinsicht besteht keine hinreichende Transparenz staatsanwaltlicher Tätigkeit. 1971 merkte Kaiser kritisch an: "Nicht einmal unsere sozial- und kriminalstatistischen Instrumente ... sind nach ihren Anknüpfungsbegriffen und erfaßten Zeiträumen so aufeinander abgestimmt, daß sich daraus ein Mosaikbild der staatlichen Sozialkontrolle fügen ließe. Wir können den gesamten Prozeß von Jugendhilfe und Polizei bis zum stationären Vollzug statistisch nicht verfolgen, obwohl dies bei gleichem Aufwand mühelos wäre"19. Zwar wurde Mitte der 70er

16 So z.B. bei § 31a Abs. I BtMG und zuletzt bei der Änderung des § 153 Abs. I S.2 StPO durch das am 1.3.1993 in Kraft getretene Gesetz zur Entlastung der Rechl~pflege vom 11.1.1993 (BGBt. I S. 50) für Vergehen, die nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht sind und bei denen die durch die Tat verursachten Folgen gering sind. Der Wegfall des gerichtlichen Zustimmungserfordernisses gilt durch den Verweis in § 153a Abs. I S.6 StPO auch bei Einstellungen unter Auflagen gern. § 153a Abs. IStPO. 17 Hierzu zählen vor allem die Richtlinien zum JGG, die Diversions-Richtlinien im Jugendstrafrecht, die Richtlinien zum TOA (vgt. die Nachweise bei Heinz, Aufnahmebereitschaft, Kritik und Widerstände von Richtern und Staatsanwälten bei der Konfrontation mit kriminologischen Befunden, in: Bundesministerium der Justiz [Hrsg.], Das Jugendkriminalrecht als Erfüllungsgehilfe gesellschaftlicher Erwartungen?, 1995, S. 110, Fn. 65) sowie die Richtlinien zum Betäubungsmittelstrafrecht (vgt. die Nachweise bei Aulinger. Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten, 1997, AI). Die Richtlinien zu §§ 153 ff. StPO (vgl. Felles. Richtlinien zur Einstellung von Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft, 1990 [unveröffentlichtes Manuskript]; Männlein [Anm. 15], S. 56 ff.) sind nur teilweise veröffentlicht; soweit sie als Verwaltungsinterna eingestuft werden, werden sie in der Regel weder veröffentlicht noch auf Nachfrage mitgeteilt. 18 Hierzu Voß. Jugendstrafrechtsreform - Forschungsbedarf und Forschungslücken, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, 1989, S. 321 ff. 19 Kaiser (Anm. 5), S. 1109 f.

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Jahre die Staatsanwaltschafts-Statistik (StA-Statistik) eingeführt. Ihre Inhaltsarmut verhindert aber, wie noch zu zeigen sein wird, differenzierte Analysen. Die StA verbleibt in einem statistischen Graufeld. Hinsichtlich der staatsanwaltschaftIichen Ermittlungstätigkeit bei Wirtschaftskriminalität wurden Erkenntnismittel sogar abgebaut; die 1974 eingeführte und von der Kriminologischen Forschungsgruppe des MPI ausgewertete "Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten" (BWE) wurde aufgrund eines Beschlusses der Konferenz der Justizminister und -senatoren zum 31.12.1985 wieder eingestellt; die Auswertungsergebnisse sind bis 1981 veröffentlicht20 ; für die Jahre 1982-1985 liegen lediglich Presseerklärungen mit Kurzfassungen vor, die vollständigen Ergebnisse sind der Wissenschaft erst ab dem Jahr 2012 zugänglich 21 . Die statt dessen erfolgte Erweiterung der Erhebungen für die StA-Statistik stellt keinen äquivalenten Ersatz dar. Ziel des folgenden Beitrages ist es, an hand der seit 1981 veröffentlichten StA-Statistik dem Thema "Strafverfahren als Selektionsprozeß" nachzugehen und insbesondere zu prüfen, wie die StA in den letzten eineinhalb Jahrzehnten den gestiegenen Geschäftsanfall bewältigt hat. Innerhalb der Grenzen 22 der StA-Statistik soll damit zugleich für diesen Bereich die Leistungsfähigkeit der StA-Statistik ausgelotet werden. Zu diesen Grenzen, die zugleich die Grenzen dieses Beitrags markieren, zählt vor allem, daß von den beiden zentralen Aufgaben staatsanwaItIicher Tätigkeit - Ermittlungstätigkeit und Anklagevorbereitung - nur die das Verfahren abschließenden Verfügungen nachgewiesen werden und somit der Auswertung zugänglich sind. Des weiteren zählt zu den Grenzen das Fehlen verIaufsstatistischer Daten, weshalb insbesondere Fragen der Handhabung von Definitionsmacht durch Umwertungen nicht nachgegangen werden kann. Schließlich muß offen bleiben, ob und inwieweit Befunde, insbesondere regionale Unterschiede im Entscheidungsverhalten, durch die Fall- oder Täterstruktur, durch die Behördengröße und -struktur, durch die unterschiedliche Fallbelastung usw. erklärt werden können. Die StA-Statistik enthält hierzu keine Angaben 23 . 20 Liebl, Die Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten, 1984. 21 Das Bundesministerium der Justiz teilte dem Verf. auf seine Bitte, ihm die Untersuchungsergebnisse für die Jahre 1982 bis 1985 zu übersenden, mit Schreiben vom 12.6.1995 mit, die "Freigabe von Schriftgut zur Verwendung für wissenschaftliche Zwecke kann grundsätzlich erst nach 30 Jahren erfolgen". 22 Grenzen, die sich aus möglichen Ungenauigkeiten der StA-Statistik ergeben, werden im folgenden Beitrag ausgeklammert. Eine systematische Fehleranalyse der amtlichen Rechtspflegestatistiken fehlt. Die Auswertung von Schulz, Justizgeschäftsstatistiken auf Zählkartenbasis, DRiZ 58 (1980), S. 170 ff. liefert zwar Anhaltspunkte, wegen ihrer schmalen Basis war sie aber schon damals kaum verallgemeinerungsfähig. 23 Zu diesen Mängeln und zu Verbesserungsvorschlägen vgl. Blankenburg/Kempski/Lebrunl Morasch/Schumacher, Die Rechtspflegestatistiken, 1978.

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B. Die StA-Statistik - ein begrenztes Erkenntnismittel für kriminologische Untersuchungen zum "Strafverfahren als Selektionsprozeß" Seit Führung einer Polizeilichen Kriminalstatistik ist bekannt, daß im Schnitt nur jeder zweite Tatverdächtige ermittelt und hiervon wiederum nur jeder Zweite, inzwischen sogar nur jeder Dritte verurteilt wird. Offenbar, so lautete die Folgerung, filtert die StA einen Großteil der zunächst mit einem Ermittlungsverfahren überzogenen Verdächtigen aus dem Strafverfolgungssystem aus. Differenzierte statistische Nachweise hierzu fehlten jedoch. Punktuell aufgehellt wurde dieses Dunkelfeld lediglich durch einzelne Aktenanalysen 24 . Anhaltspunkte über die Größenordnungen einiger Einstellungsgründe konnten erst der seit 1958 geführten "Statistik über Organisation, Personal und Geschäftsanfall im Gerichtswesen"25 entnommen werden 26 . Etwas Licht in dieses größte Dunkelfeld des Strafverfolgungssystems kam erst mit der Einführung der StA-Statistik27 in den 70er Jahren. Nach vorheriger Erprobung im Saarland wurde 1973 von der Justizministerkonferenz beschlossen, ergänzend zur "Justizstatistik in Straf- und Bußgeldsachen" (Justizgeschäftsstatistik der Strafgerichte) eine bundeseinheitliche "Zählkartenerhebung in Ermittlungsverfahren und Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz bei den Staats- und Amtsanwaltschaften (StA-Statistik)" einzuführen. In Form einer koordinierten Länderstatistik sollte diese Zählkartenerhebung zum 1.1.1976 eingeführt werden. Dies geschah freilich nur in Bayern, RheinlandPfalz und im Saarland; aus personellen Gründen wurde mit der Führung der StA-Statistik in den anderen Ländern erst zu einem späteren Zeitpunkt begonnen 28 . Für die Bundesrepublik nach dem Gebietsstand vor dem 3.10.1990 lie24 Zu erwähnen ist vor allem die Arbeit von Ritter, Der praktische Gang der Strafrechtspflege, 1960. Weitere Untersuchungen sind nachgewiesen bei Hergenriider, Das staatsanwaltliehe Verfahren, 1986, S. 54 ff. 25 Diese Statistik wurde zum 1.1.1970 abgelöst durch die "lustizstatistik in Straf- und Bußgeldsachen", durch die nicht mehr der Geschäftsanfall, sondern Umfang und Art der Verfahrenserledigung bei den Gerichten erhoben wurde. Die StA betreffende Daten enthielt diese Statistik nicht mehr. 26 Nachgewiesen wurden insbesondere die Zahl der bei den Staatsanwaltschaften anhängig gewordenen Strafverfolgungssachen, die Zahl der von den Staatsanwaltschaften gestellten Anträge auf Erlaß von Strafverfügungen und Strafbefehlen sowie die Zahl der erhobenen Anklagen (vgl. hierzu die Auswertung durch Kerner, Verbrechenswirklichkeit und Strafverfolgung, 1973, S. 118 ff.). Eine Aufgliederung nach Delikten erfolgte hierbei allerdings nicht. 27 "Zählkartenerhebung in Ermittlungsverfahren und Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz bei den Staats- und Aml~anwaltschaften (StA-Statistik)". Ausführlich zur StA-Statistik Hergenriider (Anm. 24). 28 Ab dem Berichtsjahr 1977 liegt die StA-Statistik für Bremen, Hamburg und NordrheinWestfalen vor; ab 1979 für Baden-Württemberg; ab 1980 für Niedersachsen; ab 1985 für BerlinWest (bis 1992 einschl.); ab 1988 für Hessen; ab 1989 für Schleswig-Holstein; ab 1993 für Gesamtberlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt; ab 1994 für Thüringen und ab 1995 für MecklenburgVorpommern.

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gen erstmals für das Berichtsjahr 1989 Zahlen aus allen Bundesländern vor 29 . Vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wurden die Ergebnisse der StAStatistik erstmals 1981 in Form einer Arbeitsunterlage. Soweit die StA-Statistik früher eingeführt worden ist, liegen die Daten bei den jeweiligen Statistischen Landesämtern vor30 . Erstmals für das Berichtsjahr 1995 sind auch Zahlen aus allen neuen Ländern erfaßt. Ab 1993 konnten die Zahlen für Berlin nicht mehr auf Berlin-West bzw. Berlin-Ost aufgeteilt werden; die Angaben beziehen sich deshalb ab diesem Berichtsjahr auf Gesamtberlin. Zeitliche Längsschnittvergleiche für die Zeit ab 1981 sind demnach für ein- und dieselbe Grundgesamtheit nur für die alten Bundesländer - ohne Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein - möglich. Die StA-Statistik weist vor allem die Geschäftserledigung der Staats- und Amtsanwaltschaften beim LG und OLG nach, und zwar lediglich für Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige (Js-Register)31. Anzeigen gegen unbekannte Täter werden nur der Summe nach mitgeteilt. Bei der StA-Statistik handelt es sich um eine Verfahrensstatistik. Erhebungseinheit ist das Verfahren, unabhängig von der Zahl der von einem Verfahren betroffenen Beschuldigten. Bedeutsam wird dieser Unterschied zwischen Verfahrens- und Personenstatistik freilich nur, wenn ein Verfahren mehrere Beschuldigte betrifft. Im Vergleich zur Personenzählung hält sich die Verzerrung in Grenzen; im statistischen Durchschnitt sind, so Z.B. 1996, von einem Verfahren 1,18 Personen betroffen 32 . Hinsichtlich der Zählweise der Verfahrenserledigungen gilt ein der Strafverfolgungsstatistik vergleichbares Prinzip, das der "Einheit des Verfahrens": Pro Ermittlungsverfahren wird nur ein Erledigungstatbestand erfaßt, und zwar der seiner Art nach schwerste33 . Dies hat 29 Für 1990 wurde allerdings in Hamburg die StA-Statistik nicht aufbereitet. Vom Statistischen Bundesamt wurden die Zahlen geschätzt, indem der einfache Durchschnitt aus den Ergebnissen für 1989 und 1991 gebildet wurde (vgl. Statistisches Bundesamt [Hrsg.], Staatsanwaltschaften 1990, S. 5). 30 Einige dieser Daten sind durch Heinz, Strafrechtsreform und Sanktionsentwicklung, ZStW 94 (1982), S. 632 ff., Hergenröder (Anm. 24) sowie durch Rieß, Statistische Beiträge zur Wirklichkeit des Strafverfahrens, in: Festschrift für W. Sarstedt, 1981, S. 253 ff., Rieß, Zur Entwicklung der Geschäftsbelastung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, DRiZ 60 (1982), S. 20 I ff., Rieß, Entwicklung und Bedeutung der Einstellungen nach § 153a StPO, ZRP 16 (1983), S. 93 ff. beigezogen und ausgewertet worden. 31 Nachgewiesen werden die Art der Erledigung des Verfahrens, die Zahl der beschuldigten Personen (bei bestimmten Erledigungsarten), die Verfahrensdauer und die Art der Einleitungsbehörde. 32 1996 betrafen 88,3 % der Verfahren einen Beschuldigten, 8,6 % zwei, 1,9 % drei Beschuldigte, die restlichen 1,2 % der Verfahren betrafen vier und mehr Beschuldigte (v gl. Statistisches Bundesamt [Hrsg.], Staatsanwaltschaften 1996, Tab. 2.4). Zwischen den einzelnen Erledigungsformen bestehen allerdings z.T. erhebliche Unterschiede in der Relation Verfahren: Personen. 1996 kamen auf I Anklage 1,28 Beschuldigte, auf I Einstellung unter Auflagen 1,05 Beschuldigte und auf I Strafbefehl lediglich 1,03 Beschuldigte. 33 Die Reihenfolge lautet: - Anklage (vor dem OLG, dem Schwurgericht usw.),

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zur Folge, daß die minder schweren Erledigungsformen systematisch unterrepräsentiert sind. Von zwei Ausnahmen - "Straftat im Straßenverkehr", "Besondere Wirtschaftsstrafsache" - abgesehen, werden für die StA-Statistik keine Angaben zum Delikt erfaßt34 . Im veröffentlichten Tabel1enprogramm werden die erfaßten Erledigungsarten jedoch nur für Ermittlungsverfahren insgesamt und für Ermittlungsverfahren in "Besonderen Wirtschaftsstrafverfahren" vol1ständig nachgewiesen. Bei Ermittlungsverfahren wegen "Straftaten im Straßenverkehr" werden nur ausgewählte Erledigungsarten veröffentlicht 35 . Die Erfassung der Erledigungsarten blieb seit 1981 weitgehend unverändert; gesetzliche Änderungen wurden durch entsprechende Anpassungen berÜcksichtigt36 . Seit 1994 wird für die StA-Statistik erfaßt, ob durch Strafbefehl die Verurteilung zu Freiheitsstrafe mit Bewährung beantragt wurde 37 . -

Antrag auf Durchführung eines Sicherungsverfahrens. eines objektiven Verfahrens. sofortige Hauptverhandlung bzw. beschleunigtes Verfahren. vereinfachtes Jugendverfahren. Erlaß eines Strafbefehls. - Einstellung unter Auflage (gern. § 153a Abs. IStPO. § 45 Abs. 3 1OG. § 37 BtMG). - Einstellung ohne Auflage (gern. § 154b Abs. 1-3 StPO. § 154c StPO usw., § 45 Abs. I u. 2 1OG, § 31a BtMG). - Zurückweisung oder Einstellung gern. § 170 Abs. 2 StPO. Sind in demselben Verfahren mehrere Erledigungstatbestände gegeben (so wenn z.B. wegen einzelner Straftaten Anklage erhoben, wegen anderer dagegen das Verfahren eingestellt wird oder wenn im Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beschuldigte bezüglich eines Beschuldigten ein Strafbefehl beantragt wird, bezüglich eines anderen das Verfahren eingestellt und gegen einen weiteren das Verfahren als Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abgegeben wird), so wird nur der in der Reihenfolge zuerst aufgeführte - im Beispiel: Anklage bzw. Strafbefehl - erfaßt. 34 Ab 1.1.1998 wird die bisherige Zurückhaltung hinsichtlich deliktsspezifischer Differenzierungen etwas aufgegeben. Zusätzlich wird auch nachgewiesen werden, ob das Ermittlungsverfahren eine Betäubungsmittelstrafsache, eine Umweltstrafsache, eine Strafsache gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder eine Strafsache der Organisierten Kriminalität betrifft. 35 Anklage, Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls. Einstellung unter Auflage, Verweisung auf den Weg der Privatklage, anderweitige Erledigung. Bei diesen Ermittlungsverfahren fehlt also insbesondere der Nachweis der Einstellungen ohne Auflage sowie der Einstellung gern. § 170 Abs. 2 StPO. Eine vergleichende Gegenüberstellung der Erledigungsstruktur von "Straftaten im Straßenverkehr", "besonderen Wirtschaftsstrafsachen" und der als Restgröße verbleibenden "klassischen Kriminalität" ist nur möglich für eine Grundgesamtheit, die gebildet werden kann aus Anklage. Strafbefehl. Einstellung unter Auflage und Verweis auf den Weg der Privatklage. Wegen der Bedeutung der Einstellungen ohne Auflage ist eine auf eine derartige Grundgesamtheit beschränkte Analyse nicht aussagekräftig, weshalb hierauf im folgenden verzichtet wird. 36 Die Nachweise über die Einstellungen unter/ohne Auflagen wurden erweitert um die Einstellungsgründe gern. § 37 Abs. I bzw. § 38 Abs. 2 i.V.m. § 37 Abs. 5 BtMG (ab 1983), § 29 Abs. 5 BtMG (ab 1994 zusammen mit § 153b Abs. I StPO nachgewiesen). § 31a Abs. I BtMG (ab 1994, zuvor waren Einstellungen nach § 31a BtMG - der 1992 eingeführt worden war - statistisch bei § 153 StPO erfaßt worden). Die Änderung der Reihenfolge der Absätze in § 45 lGG wurde (in der Veröffentlichung ab 1991) berücksichtigt. 37 Damit soll der Gebrauch einer der Maßnahmen des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBI I S. 50). nämlich die Festsetzung einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung im Strafbefehlsverfahren, falls der Angeschuldigte einen Verteidiger hat (§ 407 Abs. 2 Satz 2 StPO), festgestellt werden.

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Erfaßt wird nur die Art der Erledigung. Inhaltliche Differenzierungen fehlen weitgehend. Bei § 153a StPO wird immerhin nach der Art der Auflage differenziert, bei § 45 JGG noch nicht einmal danach. Ferner wird bei den Einstellungsarten, insbesondere bei § 153 StPO, nicht danach unterschieden, ob es sich um ein Jugendstrafverfahren oder um ein Strafverfahren nach Allgemeinem Strafrecht handelt.

C. Die Erledigung von Ermittlungsverfahren gegen bekannte und unbekannte Tatverdächtige im Überblick Bundesrepublik Deutschland I. Geschäftsanfall und Erledigungsstruktur Der Geschäftsanfall (ohne Vollstreckungssachen) der StA (BRD insgesamt) und damit deren Aufgabenspektrum wird in der StA-Statistik für das Berichtsjahr 1996 folgendermaßen aufgelistet: • • • • • • • •

Anhängige Verfahren zu Jahresbeginn Neuzugänge an Ennittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige Eingegangene Anzeigen gegen unbekannte Täter Eingänge nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz Gnadensachen Entschädigungssachen nach dem StrEG Zivilsachen Rechtshilfesachen

735.916 4.290.708 3.873.627 436.578 17.762 2.149 3.137 56.920

Der Geschäftsanfall besteht demnach zu rd. 95 % aus Ermittlungsverfahren in Strafsachen, hiervon entfallen ca. 43 % auf Anzeigen gegen unbekannte Täter. Von den Verfahren gegen bekannte Tatverdächtige werden im Berichtsjahr durchschnittlich zwischen 85 und 90 % erledigt38 . Sie bilden die Ausgangsmasse für die differenzierten Nachweise über die Art der Erledigung, die im folgenden im Mittelpunkt der Betrachtung stehen werden. 1996 wurden 4.327.190 Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige von den Staatsanwaltschaften beim Landgericht und von den AmtsanwaItschaften erledigt. Werden noch die eingegangenen Anzeigen gegen unbekannte Täter (3.873.627) hinzugerechnet, abzüglich der 43.966 erledigten Verfahren, die sich gegen zunächst unbekannte Täter richteten, dann wurden 1996 insgesamt 8.156.851 Ermittlungsverfahren gegen bekannte und unbekannte Tatverdächtige erledigt (vgl. Tabelle 1). 38 Der Rest wird als Überhang (anhängige Verfahren am Jahresende) in das nächste Berichtsjahr übernommen.

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Wolfgang Heinz

Die absolute und relative Zahl aller Ermittlungsverfahren 39 - bezogen auf jeweils gleiche Grundgesamtheiten, d.h. alte Bundesländer (ohne Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein) - ist um 17,4 % von 4.102.045 (1981) auf 4.816.428 (1996) angestiegen. Die Zahl der erledigten Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige stieg um 25,1 % von 2.133.442 auf 2.669.175 an. Der Anteil der Unbekannt-Sachen blieb im wesentlichen konstant. Er schwankt zwischen 50,5 % (1989) und 44,6 % (1996) und spiegelt damit hauptsächlich die Größenordnung und Entwicklung der polizeilichen Aufklärungsquote wider40 . Dies ist erwartungsgemäß, denn rd. 80 % aller später durch die StA erledigten Verfahren werden durch die Polizei eingeleitet41 .

11. Die Erledigungsstruktur im Überblick

Die StA ist, gemessen an den vorherrschenden Erledigungsformen, primär Einstellungsbehörde. Denn - bezogen auf sämtliche Ermittlungsverfahren wurden 1996 61,3 % aller Verfahren gern. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt42 (vgl. Tabelle 1); weitere 14,3 % wurden aus Opportunitätsgründen (§§ 153 ff. StPO, § 45 JOG, §§ 29, 31a, 37, 38 BtMG) eingestellt. 2,0 % der Verfahren wurden schließlich durch Verweis auf den Weg der Privatklage erledigt, was faktisch einer Einstellung des Verfahrens gleichkommt43 . 39 Erledigte Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige zuzüglich Anzeigen gegen unbekannte Tatverdächtige, abzüglich der Verfahren, die sich zunächst gegen unbekannte Tatverdächtige richteten. 40 Die Aufklärungsquote blieb zwischen 1981 und 1996 - bezogen auf die alten Bundesländer - in etwa auf gleichem Niveau. Sie schwankte zwischen 44,2 % 1987 und 50,2 1996 (v gl. Bundeskriminalamt [Hrsg.], PKS-Zeitreihen - Entwicklung der polizeilich registrierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland bis 1994, S. 9; Polizeiliche Kriminalstatistik 1995, S. 70; Polizeiliche Kriminalstatistik 1996, S. 70). 41 Im früheren Bundesgebiet wurden bis 1995 einschließlich über 80 % aller erledigten Ermittlungsverfahren von der Polizei eingeleitet; 1996 wurde mit 79,3 % erstmals diese Grenze unterschritten (vgl. Statistisches Bundesamt [Anm. 32], Tab. 2.1). 42 Hierbei wird unterstellt, daß, abgesehen von den Verfahren, die sich zunächst gegen unbekannte Tatverdächtige richteten, alle Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter gern. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden. In der StA-Statistik fehlt hierzu ein Nachweis. 43 Lediglich rd. 10 % der von der StA auf den Privatklageweg verwiesenen Verfahren dürften später auch vom Verletzten im Privatklageweg verfolgt werden. Von diesen bei Gericht anhängig gemachten Privatklagen werden rd. 25 % durch Vergleich oder durch Urteil erledigt, so daß sich eine Einstellungswirkung der Verweisung auf den Privatklageweg von über 97 % ergibt. Für diese Berechnung wurden die folgenden Zahlen der StA-Statistik bzw. der "lustizgeschäftsstatistik in Strafsachen" für das Jahr 1996 zugrunde gelegt: - 164.641 durch Verweis auf den Privatklageweg erledigte staatsanwaltschaftliche Ermi ttl ungsverfahren, - 1.846 vor dem Amtsgericht erhobene Privatklagen, von denen erledigt wurden u.a. - 261 durch Urteil, - 207 durch Vergleich.

Die Staatsanwaltschaft im statistischen Graufeld

95

Auch wenn lediglich Verfahren gegen bekannte Tatverdächtige berücksichtigt werden, ändert sich dieses Bild nicht grundsätzlich. 1961 wurden 54, I % dieser Verfahren entweder durch Einstellung gern. § 170 Abs. 2 StPO oder durch Einstellung aus Opportunitäts gründen erledigt. Auf Anklagen i.w.S. (Anklagen vor dem Amtsgericht oder vor dem Landgericht, Anträge auf Eröffnung eines Sicherungsverfahrens, auf Durchführung eines objektiven Verfahrens, auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, auf vereinfachtes Jugendverfahren) sowie auf Anträge auf Erlaß eines Strafbefehls entfielen lediglich 28,8 % aller erledigten Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige. Der Vergleich von Opportunitätseinstellungen (Tabelle 1, Nr. 3) mit Anklagen und Anklagesurrogaten (Tabelle 1, Nr. 5-8) zeigt, daß die Opportunitätseinstellungen (N 1.170.470) inzwischen nahezu so häufig sind wie Anklagen einschließlich Anklagesurrogaten (N = 1.247.371). Das Legalitätsprinzip als Grundsatz des deutschen Strafverfahrensrechts, das lediglich von einigen Ausnahmen durchbrochen ist, gibt es in der Rechtswirklichkeit nicht mehr; jedenfalls nicht in seiner Ausprägung als Anklagegrundsatz44 . Einstellungen nach den sog. Ermessensvorschriften - Verweisung auf den Weg der Privatklage und Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen - sind inzwischen zahlenmäßig häufiger als Anklagen einschließlich Anklagesurrogaten.

=

Die StA besitzt, wie ebenfalls aus Tabelle 1 ersichtlich ist, ein beachtliches Maß an Sanktionskompetenz, d.h. eine Kompetenz, entweder faktisch einen Sanktionsverzicht zu erklären oder über Art und Höhe der Sanktion (zumindest faktisch, wie die eingangs erwähnten Befunde der empirischen Forschung zeigen) zu entscheiden. Sanktionskompetenz in diesem Sinne kommt der StA zu bei •

Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts bei bekannten Tatverdächtigen (1996: 27,1 %), bei Einstellungen aus Opportunitätsgründen ohne Auflagen (1996: 21,3 %) sowie bei Verweis auf den Weg der Privatklage (1996: 3,8 %),



Einstellung unter Auflagen (1996: 5,7 %) sowie bei Anträgen auf Erlaß eines Strafbefehls (1996: 15,6 %).

Diese Arten der Verfahrenserledigung aufgrund staatsanwaltschaftlicher Sanktionskompetenz (negative Sanktionskompetenz: 52,2 %; positive Sanktionskompetenz: 21,3 %) sind weitaus häufiger als der Verfahrensabschluß durch Anklage i.w.S. (1996: 13,2 %).

44

Vgl. auch Rieß (Anm. 15), S. 2 ff.

96

Wolfgang Heinz

Tabelle 1: Erledigungsstrukturen staatsanwaItschaftlicher Ermittlungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland 1996

I. Verfahrenseinstellungen gern. § 170 11 StP0 2)

insgesamt / bekannte Beschuldigte 2. Abgaben und sonstige Erledigung 3)

Erledigte Verfahren gegen bekannte und unbe~fnte Tatverdächtige N % 8.156.851 100

Erledigte Verfahren &egen bekannte Tatverdäc tige N 4.327.190

% 100

5.002.597

61,3

1.172.936

27,1

571.835

7,0

571.835

13,2

3. Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen davon: unter Auflagen4) ohne Auflagen 5)

1.170.407

14,3

1.170.407

27,0









4. Verweis auf den Weg der Privatklage

164.641

2,0

164.641

3.8

5. Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls

675.228

8,3

675.228

15,6

1.175

*

1.175

*

7. Antrag auf Entsch. im beschleunigten Verfahren! vereinfachtes Jugendverfahren

39.356

0,5

39.356

0,9

8. Anklage vor dem AG und LG

531.612

6,5

531.612

12,3

6. Antrag auf Durchführung eines objektiven Verfahrens 6)

1) Erledigte Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige (Tab. 2.2.1, Nr. I) zuzüglich Anzeigen gegen unbekannte Tatverdächtige (Tab. 1.1, Zeile 6), abzüglich der Verfahren, die sich zunächst gegen unbekannte Tatverdächtige richteten (Tab. 1.1, Zeile 7). 2) Zurückweisung oder Einstellung gern. § 170 Abs. 2 StPO (Tab. 2.2.1, Nr. 34), einschließlich Einstellungen wegen Todes (Tab. 2.2.1, Nr. 32) und wegen Schuldunf:ihigkeit des Beschuldigten (Tab. 2.2.1, Nr. 33). 3) Erledigung durch Abgabe an die Verwaltungsbehörde als Ordnungswidrigkeit, Abgabe an eine andere Staatsanwaltschaft, vorläufige Einstellung und anderweitige Erledigung (Tab. 2.2.1, Nr. 43-46). 4) Einstellungen gern. § 153a StPO, § 45 Abs. 3 JGG, § 37 Abs. I BtMG bzw. § 38 Abs. 2 i.V.m. § 37 Abs. I BtMG (Tab. 2.2.1, Nr. 16-21). 5) Einstellungen gern. §§ 154b Abs. 1-3, 154c StPO, 153c StPO, 154d und e StPO, 153b Abs. I StPO (einseh!. § 29 Abs. 5 BtMG), § 154 Abs. IStPO, § 153 Abs. IStPO, § 45 Abs. I und 2 JGG, § 31a Abs. I BtMG (Tab. 2.2.1, Nr. 23-31). 6) Antrag auf Eröffnung eines Sicherungsverfahrens (Tab. 2.2.1, Nr. 38) und Antrag auf Durchführung eines objektiven Verfahrens (Tab. 2.2.1, Nr. 39). • =

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974

Helena Valkova

Gefangene) als auch in den relativen Zahlen (im Jahre 1989 stellten die Jugendlichen 2,1 % der Gefangenen, im Jahre 1996 schon 3,2 % dar). Zum 6.11.1997 befanden sich in den tschechischen Strafanstalten 596 Jugendliche (davon 65 % jugendliche Beschuldigte und 35 % jugendliche Verurteilte). Die auf 100.000 Einwohner der gleichen Altersgruppe errechnete Indexzahl der jugendlichen Gefangenen bewegte sich in den letzten Jahren (1995-1997) zwischen 75 und 85. •

In den Strafanstalten war eine relativ große Zahl von Ausländern untergebracht: Zum 30.9.1997 stellten die beschuldigten Ausländer in der U-Haft 20 % und im Vollzug der Freiheitsstrafe 13 %, die tschechischen Bürger in U-Haft 68 % und im Vollzug 78,5 % (bei 12 % der Beschuldigten in U-Haft und 8,5 % der Verurteilten im Vollzug wurde bisher nicht entschieden, ob sie tschechische oder slowakische Staatsangehörigkeit haben).

4. Aus den ausgewählten Ergebnissen der in den Jahren 1990-1996 durchgeführten öffentlichen Meinungsumfragen 9 ist mit einiger Zurückhaltung auf folgende Tendenzen in der Entwicklung von Ansichten und Stellungnahmen der Öffentlichkeit zum Problem der Kriminalität und zum Strafen in der eR zu schließen: •

Die Kriminalität wird während der ganzen ersten Hälfte der 90er Jahre als eines der gewichtigsten Probleme betrachtet (95-98 % der Befragten), mit dem die Gesellschaft seit 1989 konfrontiert wird.



Das Vertrauen in die Institutionen der formellen strafrechtlichen Kontrolle (Polizei, Gerichte) hat abgenommen: Im Jahre 1991 hatten zur Polizei 48 %, im Jahre 1996 nur noch 38 % der Befragten Vertrauen; ein noch größerer Vertrauensrückgang betrifft die Gerichte, zu denen im Jahre 1991 52 %, im Jahre 1996 nur noch 34 % der Befragten Vertrauen hatten. Diese Antworten korrespondieren mit den Ergebnissen der Umfrage, in der die Bürger die Arbeit der Polizei bewerten sollten: 50 % der Befragten stuften die Polizei als unzuverlässig ein.



Die Zahl der Bürger, die die Lösung der Kriminalität in der Verschärfung der Repression sehen, ist immer relativ groß und bewegt sich zwischen 60 und 80 %; im übrigen gibt es eine große Zahl von Anhängern der Todesstrafe, obwohl diese Zahl in den letzten drei Jahren etwas abgenommen hat (1994: 76 %, 1995: 67 %, 1996: 64 %).

9 Buridnek. Postoje a stanoviska ceske verejnosti k zlocinnosti a trestüm (Meinungen und Stellungnahmen der tschechischen Öffentlichkeit zum Verbrechen und Strafen), Sammelblatt der Beiträge aus dem Seminar der Sektion für die Sozialpathologie in Vimperk, 25.-27.4.1996, S. 2734; Ergebnisse der Meinungsumfragen zur Kriminalität und zum Strafen, Forschungsinstitut für die Öffentliche Meinung (IVVM), Prag, 1994-1996.

Probleme der Kriminalpolitik in der Tschechischen Republik



975

Immer häufiger lassen sich Fälle von verstecktem Rassismus und Xenophobie beobachten, die für bestimmte soziale Bevölkerungsgruppen charakteristisch sind. Diese Neigungen werden z.B. in den Einstellungen gegenüber der Roma-Bevölkerung sichtbar: 72 % der Befragten halten die Roma-Mitbürger für die größte Quelle von Verbrechen; als noch gefährlicher stuften die Befragten nur noch die Mafia und das organisierte Verbrechen (82 %) ein, während der Armut als einer potentiellen Ursache delinquenter Handlungen praktisch keine Bedeutung beigemessen wird lO . V. Überlegungen über die zukünftige Kriminalitätsentwicklung in Tschechien

Versteht man Kriminalität als ein sozial bedingtes Phänomen, müssen die Überlegungen über eine zukünftige Kriminalitätsentwicklung von einer grundsätzlichen sozio-demographischen Charakteristik der Bevölkerung ausgehen, die durch ihr Volumen und ihre Struktur die Kriminalität beeinflußt. Hier sind vor allem Variablen wie Alter und Geschlecht maßgebend - wobei das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der Gesamtgesellschaft relativ konstant bleibt. Der Anteil der Frauen unter den verurteilten Kriminellen - in Tschechien z.Zt. etwa 9 % - wird allerdings analog der fortschreitenden Emanzipation höchstwahrscheinlich künftig steigen. Der Bevölkerungsboom in der Mitte der 70er Jahre wurde jetzt, d.h. Ende der 90er Jahre, durch die seit 200 Jahren niedrigste Geburtenrate abgelöst. Diese Entwicklung spricht nicht dafür, daß die Jugendlichen, die durch die Kriminalität am meisten bedrohte Altersgruppe, die Kriminalität dramatisch beeinflussen wird. Vielmehr könnte es in Anbetracht dieser Tatsache zur Stabilisierung der Kriminalitätsrate kommen - von der sozialen Stabilität einmal abgesehen, die den Umfang der Kriminalität in der Gesellschaft immer bedeutsam beeinflußt. Die Tschechische Republik hat solch eine soziale Stabilität bisher nicht erreicht, und jeder größere soziale Umbruch könnte die Dynamik der Kriminalität in ihrer Ganzheit sowie in einigen ihrer Formen drastisch beeinflussen. Die fortschreitende soziale Polarisation wird zwangsläufig häufig zur sozialen Deprivation führen. Ebenfalls erhöht die steigende Arbeitslosenrate der Jugend das Kriminalitätsrisiko. Ferner muß mit einer hohen Immigration der Bevölkerung aus den osteuropäischen und südosteuropäischen Ländern gerechnet werden, die offensichtlich

10

Burianek (Anm. 9), S. 32.

64 Festschrift fIIr G. Kaiser

976

Helena VaIköva

eine Steigerung bestimmter Formen der Kriminalität mit sich bringt (Vermögens- und Drogenkriminalität usw.) 11. Die unübersichtliche Lage unserer zahlenmäßig stärksten ethnischen Minorität - der Roma -, bei der nicht einmal ihre gen aue Bevölkerungszahl bekannt ist (die letzten offiziellen Angaben des Innenministeriums von 1992 sprechen von über etwa 16 % strafverfolgter Roma, wobei diese in der Tschechischen Republik nur 2-3 % der Bevölkerung darstellen), macht die Einschätzung der Kriminalitätsentwicklung dieser ethnischen Minderheit nicht einfach. Es wird sehr auf die Politik ankommen, die dieser Minderheit gegenüber angewandt wird. Damit ist aber nicht nur die Kriminalpolitik gemeint, sondern auch die außerhalb des Strafrechts an gewandte Politik. Nur auf diese Weise kann man langfristig die gegenwärtig ungünstige Kriminalitätsentwicklung der tschechischen Roma wirksamer regulieren. Der geplante Beitritt zur EU kann einerseits als ein Stabilisierungsfaktor verstanden werden, andererseits kann er bei einigen Bevölkerungsgruppen zur Steigerung ihrer Xenophobie und Feindschaft gegenüber den Immigranten aus dem Osten führen. Die Jahrtausendwende bringt viele Veränderungen mit sich, und somit erwartet uns auch eine Veränderung der Inhalte, des Ausmaßes und der Struktur der Kriminalität. Ob überhaupt und mit welchem Erfolg wir fähig sein werden, auf diese Veränderung zu reagieren, bleibt zu Beginn des Jahres 1998 eine offene Frage. Als Voraussetzung für jede vernünftige Kriminalpolitik muß sich allerdings auch die tschechische Gesellschaft darüber Klarheit verschaffen, welche sozialen Werte - und mit welchen Mitteln des Strafrechts - sie schützen will. Die erste Diskussion in dieser Richtung begann vor kurzem bei der Vorbereitung des neuen tschechischen Strafgesetzbuches und der neuen Strafprozeßordnung, die beide zum 1. Januar 2003 in Kraft treten sollen.

VI. Was kann man in der KriminaIpolitik schon jetzt ändern? Aufgrund der oben angeführten statistischen Angaben und einiger empirischer Erkenntnisse sowie spekulativer Überlegungen lassen sich natürlich keine grundlegenden Empfehlungen für die Kriminalpolitik formulieren. Andererseits sollten jedoch die schon auf den ersten Blick sichtbaren Mängel der aktuellen Kriminalpolitik nicht unbemerkt bleiben. Man kann daher schon jetzt 11 OsmanCfk a kol., Nektere poznatky z kriminologicke analyzy, podklad pro rekodifikacnf komisi (Einige Erkenntnisse aus der kriminologischen Analyse, Unterlage für die Kommi~sion für die Rekodifikation des tschechischen Strafrechts), November 1997.

Probleme der Kriminalpolitik in der Tschechischen Republik

977

obwohl nur aufgrund unvollständiger Unterlagen - wenigstens folgendes nahelegen: die Veränderung der bisherigen Strategie, die vor allem auf die retributive justice Wert legte, zugunsten der restorative justice, deren Bestandteil auch die Vorbeugung durch Mittel der informellen sozialen Kontrolle ist. Ferner wäre eine grundsätzliche Änderung der gegenüber den jugendlichen Straftätern angewandten Kriminalpolitik - unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Mißerfolge - wünschenswert. Logische Konsequenz solchen Vorgehens wäre die Annahme des neuen Jugendgerichtsgesetzes, das sowohl im Einklang mit unserer Tradition als auch mit dem modernen europäischen System der Jugendgerichtsbarkeit steht. Es bleibt ohne Zweifel, daß solche grundlegenden Änderungen der heutigen Kriminalpolitik zwingend die Zustimmung der Bevölkerung voraussetzen. Systematische Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit sollte darum baldmöglichst beginnen.

MICHAEL WALTER

Über die Abhängigkeit der Kriminalpolitik von Moden Mit einigen Bemerkungen zur Neuentdeckung von Prävention

I.

Die Zeit, in der Günther Kaiser die deutsche und internationale Kriminologie und Kriminalpolitik mitgestaltet und mitprägt, ist durch erhebliche Wandlungen und Umbrüche gekennzeichnet. Kaiser hat, wie seine Publikationen bezeugen, gegenüber diesen Veränderungen stets ein besonderes Interesse bekundet. Seine Position kann vielleicht mit den drei Adjektiven wach, skeptisch, aber aufnahmebereit gekennzeichnet werden. Kaisers Schriften sind stets eine Fundgrube mit aktuellen literarischen Hinweisen, äußern sich indessen zu neueren Entwicklungen regelmäßig zurückhaltend-distanziert, beziehen dann jedoch im Ergebnis Gesichtspunkte, die zukunftsträchtig sein könnten, durchaus mit ein. Ein relativ frühes Beispiel für eine derartige Befassung mit "Neuern" liefert sein Beitrag in der Festschrift für Richard Langei, in dem er sich mit der "kritischen Kriminologie" befaßte und zugleich auch anlegte. Daß gerade diese Darstellung einem Mann gewidmet war, der noch einer biologistischen Kriminologie anhing und dem deshalb gleichsam schon die "ältere" Kriminologie zu "neu" war, ist wohl am ehesten als Pointierung gegenüber den ,jungen" und "kritischen" Kriminologen versteh bar, zu denen Kaiser seinerzeit ein von Spannungen nicht freies Verhältnis hatte. Immerhin setzt sich Kaiser deswegen noch nicht mit Lange in dessen rückwärts gerichtetes Boot, sondern bemerkt freilich äußerst vorsichtig -, "man könne dem Jubilar vielleicht auch nicht in allen seinen Ansichten folgen"2. Nach einer Schilderung des Anliegens des "labeling approach", aber auch der zahlreichen Unvollkommenheiten im Weltbild der ,jungen Radikalen" weiß sein Resümee durchaus eine Reihe von -

1 Kaiser, Was ist eigentlich kritisch an der ,.kritischen Kriminologie"?, in: Festschrift für Richard Lange, 1976, S. 521 f. 2 Kaiser (Anm. I), S. 524; vgl. Lange, Das Rätsel Kriminalität. 1970.

980

Michael Walter

wie er sagt - "Pluspunkten" zu benennen, u.a. nicht weniger als das "Zurückholen der rechts soziologischen Dimension" sowie die "Erweiterung des (kriminologischen) Untersuchungsbereichs"3. Die gedanklichen Horizonterweiterungen und verschiedene Anregungen, die aus der Labeling-Perspektive folgten, fanden mithin Akzeptanz und wurden auch in den Folgejahren, wie wir wissen, in zahlreichen von Kaiser inspirierten Arbeiten aufgegriffen. Die wohl neueste Stellungnahme Kaisers zum Wandel, die zugleich die Bereiche von Kriminologie und Kriminalpolitik umfaßt, ist in der 3. Auflage seines großen Lehrbuchs zur Kriminologie niedergelegt4 . Dort verwendet er wiederholt einen Begriff, der bereits in seiner Kritik neuerer Strömungen in den 70er Jahren auftaucht, nämlich den des Zeitgeistes. Schon bald nach der genannten Musterung der "kritischen Kriminologie" war ein weiterer Festschriftbeitrag über "Resozialisierung und Zeitgeist" erschienen 5, in dem Kaiser davor warnt, einer "Behandlungseuphorie" unbedacht eine Abkehr vom Behandlungsgedanken folgen zu lassen. Den Zeitgeist hat er dort zwar nicht ausdrücklich definiert, jedoch sehr wohl differenziert beurteilt. Die Rede ist von "Rhythmen und Veränderungen" und von einem "schnellen Wandel in den kriminalpolitischen Anschauungen"6. Diese werden mit dem Paradigmenwechsel in der Kriminologie in Verbindung gebracht, der "offenbar eine kontinuierlich fortschreitende Entwicklung" nicht zulasse7. Einerseits erkennt Kaiser eine Notwendigkeit der "ständigen Anpassung an rechtspolitische Bedürfnisse" an, andererseits warnt er vor purem "Stimmungsumschwung". Es sei, so schreibt er, "wenig sinnvoll, alle fünf oder zehn Jahre das Ruder herumzuwerfen, um einen anderen Weg einzuschlagen und vielleicht nach zehn oder zwanzig Jahren am Ausgangspunkt wieder anzukommen, nur mit der Erfahrung neuer Fehler bereichert"8. Eine Verbesserungen und Bereicherungen gegenüber aufgeschlossene, aber "auf Langfristigkeit und Kontinuität angelegte Kriminalpolitik", die "bleibenden Fortschritt ermögliche"9, also das mit der genannten Ausrichtung vorgebahnte Programm, betont Kaiser in seiner jüngst erschienen Kriminologie. Die dort formulierte Position läßt sich in folgenden Kernsätzen zusammenfassen:

3 Kaiser (Anm. I), S. 538 f. 4 Kaiser, Kriminologie. Ein Lehrbuch, 3. Auf!. 1996, S. 1069 f. - zu unterscheiden von Kaiser, Kriminologie. Eine Einführung in die Grundlagen, 10. Auf!. 1997. 5 In: Festschrift für Thomas Würtenberger, 1977, S. 359 f. 6 Wie Anm. 5, S. 359, 360; Annäherungen an "den" Zeitgeist finden sich auch in Beiträgen in: De Boor/Meurer, Über den Zeitgeist, 1993. 7 Wie Anm. 5, S. 360 8 Wie Anm. 5, S. 370. 9 Wie Anm. 8.

Über die Abhängigkeit der Kriminalpolitik von Moden

981

Die Kriminalpolitik muß rational gestaltet werden. Das heißt u.a., daß sie sich - im Anschluß an Schüler-Springorum lO - als "transparent, begründbar, überprütbar und korrekturfähig" zu erweisen hat. Für diese rationale Grundlegung bedarf sie eines kriminologischen Bezuges. Kriminalpolitik kann aber nicht als schlichte Umsetzung "der" kriminologischen Wissenschaft verstanden werden, weil die kriminologischen Befunde oft ambivalent sind, in unterschiedlicher Weise politisch verwertbar erscheinen und weil sich zudem gleichsam umgekehrt - bestimmte kriminalpolitische Forderungen eine zu ihnen gehörige Kriminologie nachträglich schaffen 11. Kriminalpolitische Grundsätze haben von den kriminologisch erarbeiteten Erfahrungen auszugehen, bedürfen aber einer eigenen kriminalpolitischen Theorie mit entsprechenden Wertentscheidungen. Werte, Wissenschaft, Wirklichkeit - und Zeitgeist unterliegen einem steten Wandel 12. Die rationale Argumentation stößt insbesondere gegenüber den Vorgaben des Zeitgeistes auf Grenzen 13. Er muß zwar bei kriminalpolitischen Vorschlägen, Kritiken und Entscheidungen in Rechnung gestellt werden. Jedoch sind auch im Rahmen derartiger epochaler Spezifika noch Entwicklungen und Tendenzen auszumachen, die "Mehrdeutigkeit, Ambivalenz und Gegensätzlichkeit" zum Ausdruck bringen und damit durchaus Gestaltungsfreiräume markieren. Von einer rational begründeten Kriminalpolitik unter den jeweiligen Bedingungen des Zeitgeistes und der sozialen Lebensumstände grenzt Kaiser lediglich emotional geprägte Modeströmungen ebenso ab wie Ansichten und Kritiken, die "von übersteigertem Profilierungsbedürfnis und Selbstdarstellungsdrang überlagert" sind l4 . Folgt man der skizzierten Meinung Kaisers zur relativen Selbständigkeit der Kriminalpolitik von der kriminologischen Forschung, die im übrigen einen breiten Konsens spiegeln dürfte, stellt sich die Frage nach der Trennungslinie zwischen den gleichsam berechtigten Wandlungen der Kriminalpolitik und den letztlich unfundierten, meist lautstark vorgetragenen "neuesten" Ansichten, die im vorliegenden Beitrag mit dem Sammelbegriff der Mode(n) oder Modeerscheinungen belegt werden.

10 Schüler-Springorum. Kriminalpolitik für Menschen, 1991, S. 174 f. 11 Kaiser (Anm. 4), S. 1072 f. 12 wie Anm. 11. 13 Kaiser (Anm. 4), S. 1075. 14 Kaiser (Anm. 4), S. 1074 u. 1078.

982

Michael Waller

11. Kriminalpolitik sollte nicht lediglich "für Menschen" sein l5 , sie geht auch stets und trotz aller Sachzwänge von Menschen aus. Die Politik Betreibenden und deren Adressaten können die Initiativen in zwei vom Ansatz her unterscheidbaren Weisen erleben: entweder als reaktive Verarbeitung von "Neuem" aus der Außenwelt oder aber als Ausdruck einer inneren Dynamik, durch den die betreffenden Autoren vor allem auch ihre Persönlichkeit wissenschaftlich und politisch hervortreten lassen. Die Herausforderungen der Außenwelt sind derzeit unübersehbar: Sie beginnen mit neuen Kriminalitätsformen im Anschluß an den tiefgreifenden sozialen Wandel, der inzwischen nahezu jeden Menschen erfaßt hat. Und sie finden ihre Fortsetzung in veränderten Bewußtseinslagen der Menschen, die zunehmend durch Ungewißheiten, Zukunftssorgen und Bedrohtheitsgefühle geprägt sind. Wer Bemühungen feststellt, die auf entsprechende Probleme eine Antwort suchen, wird kaum auf den Gedanken kommen, derartige Bestrebungen als lediglich modisch zu disqualifizieren, selbst wenn sie kritischen Positionen kaum standhalten. Anders sieht die Lage bei Äußerungen aus, deren Existenz primär der Persönlichkeitspflege zurechenbar erscheint. Die Annahme derartiger Hintergründe erfüllt die Hörer regelmäßig mit großer Skepsis. Freilich bleiben die Motivationen und näheren Umstände, die letztlich zur Abgabe kriminal politischer Stellungnahmen führen, beispielsweise zu den Möglichkeiten einer Täterbehandlung oder zu denen der Diversion, im Subjektiven verborgen, weshalb die Kritik im Ergebnis nur bei der vorgetragenen Auffassung selbst ansetzen kann. Doch die betreffenden Darstellungen vermögen Mängel zu enthalten, die zumindest prinzipiell auf einen entsprechend fragwürdigen Entstehungskontext rückschließen lassen. So dürften insbesondere einseitige oder lückenhafte Bestandsaufnahmen, die Vernachlässigung bereits vorhandenen Wissens sowie Übertreibungen hinsichtlich der Tragweite eigener Ideen auf das von Kaiser kritisierte "übersteigerte Profilierungsbedürfnis" hindeuten. Mir mag es aus naheliegenden Gründen erspart bleiben, konkrete Beispiele anzuführen. Indessen sind mit diesem Hinweis noch keine einigermaßen harten Kriterien für Modisches benannt. Denn auch ohne den oben genannten "Selbstdarstellungsdrang" treten bekanntlich immer wieder Unzulänglichkeiten im Forschen und politischen Argumentieren zutage, die mit der soeben gewählten negativen Begrifflichkeit belegt w~rden könnten. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer sich schnell von verlockenden Formeln beeindrucken läßt und leicht neu verbreitete Slogans übernimmt, die dann die Lösung für vieles oder gar 15 Vgl. Schüler-Springorum (Anm. 10).

Über die Abhängigkeit der Kriminalpolitik von Moden

983

alles bieten sollen, wird zwar leicht in den Verdacht geraten, ein Modejünger zu sein. Möglich sind aber ebenso schlichte Kritiklosigkeit und Oberflächlichkeiten, die mit keinem Sich-in-Szene-setzen-Wollen und mit keinen Trendsetter-Attitüden einherzugehen brauchen. Andererseits dürfen die zunächst so suspekten Profilierungsbestrebungen als im Hochschulbereich ubiquitär angesehen werden. Und glücklicherweise brauchen die Früchte, die auf solchen Bäumen wachsen, deswegen nicht faul zu sein. Vielmehr verdanken wir ja dem Darstellungsdrang von Wissenschaftlern deren Werke. Zu Recht kritisiert Kaiser insoweit lediglich "übersteigerte" Formen. Es geht mithin um graduelle Abstufungen, konkret darum, ob sich der Ehrgeiz in fachliche Qualität hat umsetzen lassen oder ob die erwünschte Aufmerksamkeit mit undurchdachten Überzeichnungen geweckt werden sollte, deren Vergänglichkeit schon im Zeitpunkt der Veröffentlichung absehbar war. Zusammenfassend können wir nach alledem Modisches letztlich nur an qualitativen Mängeln erkennen. Aber nicht alles derartig Anfechtbare ist deswegen zugleich modisch. Modische Erscheinungen sind durch bestimmte Einseitigkeiten und Übertreibungen charakterisiert, die zwar vordergründig neue Einsichten suggerieren, bei Abstand betrachtet jedoch wenig substantiell Weiterführendes bieten. Der motivationale Hintergrund, Aufsehen erregen zu wollen, schimmert in Abstufungen und Grenzen letztlich hinter jeder Veröffentlichung. Modische Momente darf man annehmen, wenn aus entsprechenden Beweggründen überzeichnet wird. Doch insoweit bleibt es regelmäßig bei freilich wenig schmeichelhaften - Vermutungen. Trotz der genannten Schlagseitigkeit modischer Darstellungen fehlt den so umschreibbaren Darstellungen letztlich der Mut. Denn zur Mode gehört andererseits die Rückversicherung, "im Trend" zu liegen. Die Pointierungen sind daher nicht vorrangig individualistisch, sondern eher kollektivistisch geprägt. Die Situation erscheint der der Haute Couture durchaus vergleichbar: Die Einseitigkeiten oder Übertreibungen liegen auf einer Linie, der des jeweiligen "Trends" - und man ahnt schon im Zeitpunkt seiner extremsten Entfaltung, daß in den kommenden Jahren die Linie, entlang derer neue (modische) Ausbrüche erfolgen "dürfen", eine andere sein wird. Wohl dem, der das richtige Gespür für diese Linienführungen besitzt! Die Couturiers haben ihre Codeworte und ihr Vokabular, das die Richtungen signalisiert. Wurden früher viele "Fest- und Zuschreibungen ausgemacht", so manche Fragestellung erst "auf'-, später vermehrt "abgearbeitet", findet man heute fast überall "Konstruktionen" oder "Konstrukte", weshalb zur Zeit weniger analysiert, auch nicht mehr so viel "hinterfragt" wird wie noch vor wenigen Jahren, sondern die Vorliebe sogleich dem rücksichtslosen "Dekonstruieren" gilt.

984

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Neben (zumindest ursprünglich) theoriebedingten Begriffen, die die Zuneigung der Kriminologen und Kriminalpolitiker finden, gibt es Zauberformeln, bei denen der Akzent stärker auf der Verheißung einer Problemlösung liegt. Letztere spielen verständlicherweise in der Kriminalpolitik eine hervorragende Rolle, erlauben sie doch, so manches Tal der Nichterfüllung zuvor gehegter Erwartungen mit neuen Gefühlen der Zuversicht zu überbrücken. Vor ca. einhundert Jahren vertraute man im Anschluß an Franz von Liszt vor allem bestimmten spezialpräventiven Strategien 16. Bekanntlich erfreut sich derzeit die Generalprävention eines gewissen Comebacks 17. Doch im Rahmen kriminalpolitischer Diskurse gibt es noch etwas Neueres: die (Wieder-)Entdeckung allgemeiner Präventions-Strategien - Prävention verstanden als Gegensatz zur repressiven Bestrafung I 8. Damit sind allerdings nur äußerst grob "Pfosten abgesteckt", innerhalb derer sich wesentlich facettenreichere kriminalpolitische Entwicklungen vollzogen haben. 111.

Nachdem die Kriminalpolitik in den Nachkriegsjahrzehnten viele und durchaus heterogene Impulse erfahren hat, lohnt sich vermehrt ein Blick zurück, nicht zuletzt aus dem Gedanken, daß die Anzahl wirklich neuer Ansätze kaum kontinuierlich vermehrbar sein dürfte. Im Rückblick, der hier auf den "Vorreiter", das Jugendkriminalrecht, und dort wiederum auf nur wenige skizzenhafte Aussagen begrenzt bleiben muß, spiegeln sich freilich nicht lediglich bestimmte phasenbedingte Züge kriminologischen und kriminalpolitischen Denkens. Notwendigerweise erfolgen zugleich gedankliche Verkürzungen, ferner treten Momente subjektiver Wahrnehmung und Verarbeitung - seitens des Autors - in Erscheinung. Ich erblicke darin noch kein Manko und will versuchen, gleichsam aus teilnehmender Beobachtung die wesentlichen Strömungen und Veränderungen zu benennen, um auf diesem Wege zugleich der Frage nach dem Bleibenden oder eben nur Modischen nachzugehen. In den 60er Jahren, die gesamtgesellschaftlich gesehen ähnlich den 50er Jahren eine Mischung aus Wiederaufbau und konservativer Restauration brachten, stand zunächst die spezialpräventive Wirksamkeit kriminalrechtlicher Sanktionen im Vordergrund. Man knüpfte an die v. Lisztsche Tradition und die 16 Zusf. siehe Frommei, Die Rolle der Erfahrungswissenschaften in Franz von Liszt's "Gesamter Strafrechtswissenschaft", Kriminalsoziologische Bibliographie 11 (1984), Heft 42, S. 36 f. 17 Zusf. JescheckIWeigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Auf!. 1996, S. 68 f. u. 214 f. 18 Zusf. zur neuen Präventionsbewegung GrahamiBennett, Strategien der Kriminalprävention in Europa und Nordamerika, 1997.

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Jugendgesetzgebung der Weimarer Zeit an. Die neuen verfassungsrechtlichen Vorgaben, die erst schrittweise entfaltet und in die einfach-gesetzliche Auslegung transformiert werden mußten, untersagten unverhältnismäßige und sonst rechtsstaatswidrige Auswüchse. Generalprävention in der damals dominierenden Variante der Abschreckung war vergangenheitsbelastet, eine spezial präventive Ausrichtung konnte deswegen gleichzeitig als Abkehr von derartigen nationalsozialistischen Einbrüchen oder Akzentsetzungen angesehen werden. Den spezialpräventiven Rahmen füllte man zunehmend mit pädagogischen und psychologischen Inhalten, mit "Behandlungsideen", zumal die betreffenden Wissenschaften an den Universitäten einen großen Aufschwung erlebten und in den Folgejahren immer mehr Hochschulabsolventen in die Praxisfelder entließen. Modeverdächtig erscheinen zwei Gesichtspunkte: der Glaube an die resozialisierende Kraft nachhaltiger oder intensiver Erziehung l9 sowie - zeitlich etwas versetzt und vorwiegend in den 70er Jahren wachsend - das Vertrauen in "reine" Hilfsangebote, die zu einem repressiven Strafrecht wie Weiß zu Schwarz kontrastiert wurden 20 . Beide "Züge der Zeit" können heute leicht als episodenhafte Übertreibungen bezeichnet werden, weil bereits die Folgejahre Korrekturen angemahnt und solche Pfade wieder verlassen haben. Später ist man bekanntlich oft klüger. Trotzdem bleibt verständlich, daß Verabsolutierungen von Erziehung und Hilfe auch als Modephänomene betrachtet werden. Denn die betreffenden Pointierungen trugen teilweise einen ideologischen Charakter, indem sie die schon damals erfahrbare Realität im Interesse der Aufrechterhaltung favorisierter Eingriffs- bzw. Hilfe-Grundsätze verdrängten und so gesehen blind oder gar unwahrhaftig waren. Die erzieherische Verirrung fand vor allem in der Jugendstrafe und im Jugendstrafvollzug ihren Ausdruck. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat im Anschluß an die gesetzliche Voraussetzung der "schädlichen Neigungen" in § 17 Abs.2 JGG und an das Postulat des § 18 Abs.2 JGG, die "erforderliche erzieherische Einwirkung" zu ermöglichen, die Jugendstrafe zu einer "Gesamterziehung" hochstilisiert, die insbesondere im Strafvollzug nachhaltig wirke 21 . Angesichts der Tatsache, daß die Vollzugsverhältnisse auch zu damaliger Zeit für Illusionen wenig Raum ließen, war die Meinung besonders problematisch,

\9 Schon deutlich abgeschwächt allerdings die Beiträge ab dem Beginn der 70er Jahre; vgl. etwa Biihm und Klüwer, in: Deutsche Akademie für medizinische Fortbildung (Hrsg.), Jugendkriminalität und Resozialisierung, 1975, S. 37 f. u. 44 f. 20 Grundlegend Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (Hrsg.), Vorschläge für ein erweitertes Jugendhilferecht, 1970. 2\ Zusf. und insoweit zu Recht kritisch P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, 2. Aufl. 1993, S. 242 f.

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die Richter sollten mit der Verhängung der Jugendstrafe nicht allzu lange warten, vielmehr bald intensiv "zugreifen"22. Doch die Ansichten, die sich gegen die strafrechtliche Repression stellten und als Gegenpol die vom Delinquenten freiwillig angenommene (Jugend-) Hilfe setzten, waren vielleicht noch realitäts ferner. Bis heute gültig blieb zwar die Aversion gegen Formen stationär-kasernierender Unterbringung. Der Glaube indessen, die Straftäter würden überwiegend die Angebote von Sozialarbeitern oder anderen gern aufgreifen, war bereits damals hauptsächlich konzeptionell-theoretischer Natur. Soweit es um den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes (Diskussionsentwurf eines Jugendhilfegesetzes, DE JHG 1973) ging, beruhte die propagierte Hilfe teils auf bloßen Umetikettierungen der verpönten Repression, teils sehr wohl auch auf "Druck" oder Zwang 23 . Die konzeptionelle Einseitigkeit und scheinbare Totalität des damaligen jugendhilferechtlichen Ansatzes hatte jedoch keineswegs nur Schattenseiten. Gerade Extrempositionen und -situationen veranschaulichen nämlich die jeweiligen Sachstrukturen. So gesehen läßt sich schwerlich bestreiten, daß das Modische indirekt Fortschritte bewirkt hat. In den Auseinandersetzungen trat zum einen die bereits theoretische Undurchführbarkeit eines "reinen" Jugendhilferechts hervor, zum anderen wurde die gemeinsame Wurzel bei der staatlichen Subsysteme, des Jugendkriminal- und Jugendhilferechts deutlich. Sie bewirken beide soziale Kontrolle in allerdings unterschiedlichen Gestalten und nach unterschiedlichen Regeln 24 . Zum Beginn der 80er Jahre wurde die Vision eines einheitlich-übergreifenden Jugendhilferechts abrupt aufgegeben. Statt dessen formierte sich die Diversionsbewegung. Sie war von ihrer gedanklichen Konzeption her ein Importartikel aus Nordamerika25 . Die Praxis freilich, daß die Gerichte vermehrt Strafverfahren einstellten, hatte schon zeitgleich oder sogar früher eingesetzt. Die Diversionslehre stellte für diese Linie fortan ein tragfähiges Fundament zur Verfügung 26 . Eine gedankliche Verknüpfung zur vorherigen Diskussion bestand insofern, als der Aspekt der möglichen Schäden durch strafendes Vorgehen erheblich weiterentwickelt werden konnte. Ging es bis dato hauptsächlich um 22 Siehe etwa Schaffstein, Jugendstrafrecht, 4. Auf!. 1966, S. 79 f. 23 Siehe Walter, Zum Diskussionsentwurf eines Jugendhilfegesetzes (zugleich Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V.), Zentralblatt für Jugendrecht 61 (1974), S. 41 f. 24 Zur gesetzlichen Entwicklung vom JWG zum KJHG siehe Wiesner, Der mühsame Weg zu einem neuen Jugendhilfegesetz, Recht der Jugend und des Bildungswesens 38 (1990), S. 112 f. 25 Walter, Wandlungen in der Reaktion auf Kriminalität, ZStW 95 (1983), S. 32 f. 26 Vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), "Diversion" im deutschen Jugendstrafrecht. Thesen, Empfehlungen, Bibliographie, 1989; HeinziStorz, Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepubiik Deutschland, 1992.

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Probleme stationärer Sanktionen in "geschlossenen Einrichtungen"27, war nunmehr die kriminalrechtliche Intervention generell zweifelhaft geworden. Eine klare Verbindungslinie wird vor allem zur kriminologischen Theorie der damaligen Zeit, dem labeling approach, sichtbar, der die Etikettierung mit dem Markenzeichen der Strafbarkeit schon aus sich heraus als negativ ansah und insbesondere auf ungünstige soziale Folgen solcher "Festschreibungen" verwies 28 . Ein großer Fortschritt war vor allem dadurch gewonnen, daß die jeweilige Wirkung des kriminalrechtlichen Zugriffs zum Gegenstand der Erörterung gemacht wurde. Die vorherige gedankliche Beschränkung, die Strafwirkungen lediglich in den Rechtsfolgen suchte, konnte überwunden werden. In der Realität sind die Folgen eines Verfahrens oft sogar noch einschneidender als die kriminalrechtlichen Rechtsfolgen, die schließlich am Ende eines Strafverfahrens "herauskommen". Die juristisch geprägte Vorstellung einer vollständigen Durchführung der Strafverfolgung bis zum rechtskräftigen Urteil, die letztlich nur noch diese Abschlußentscheidung in den Blick nimmt, war relativiert. Bereits mit dem Beginn des Ermittlungsverfahrens - und gerade hier - setzt die Selektion der offiziellen Sünder ein. Intervention und Sanktion konnten aus einem empirisch geprägten Verständnis als zusammengehörig begriffen werden. Daraus ergab sich die neue Einsicht, daß oft schon das Ermittlungsverfahren Ermahnung und Strafe genug ist. Diese Sichtweise harmoniert mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot, sie stößt sich freilich mit Vorstellungen, die das Ermittlungsverfahren und die Hauptverhandlung lediglich als unselbständige Zwischenschritte zu dem "eigentlichen" Urteil auffassen. Begründen ließ sich die Diversionspolitik gerade für junge Beschuldigte, bei denen die kriminologischen Befunde zumeist als "ubiquitäre, periphere und episodenhafte" Auffälligkeiten zu umschreiben waren 29 . Da die Diversion zugleich justitielles Sparen legitimierte und das Fallaufkommen bei der Justiz inzwischen beträchtlich angestiegen war, war ein auch praktisch-politischer Erfolg schwerlich aufzuhalten. Wie die wenigen Überlegungen verdeutlichen, hatte die Einführung der Diversion einen großen Schritt nach vorn gebracht. Modische Einseitigkeiten im Sinne von Überzeichnungen oder Übertreibungen sind insoweit kaum ersichtlich. Freilich konnten bislang nicht sämtliche Auswirkungen der Diversionspolitik berücksichtigt werden. Es fehlen noch Untersuchungen, die die Langzeitperspektive einbeziehen und beispielsweise danach fragen, ob sich ein 27 Exemplarische Darstellungen in: Bundesjugendkuratorium (Hrsg.), Erziehung in geschlossenen Heimen. Ein Symposium, 1982. 28 Siehe etwa Bonstedt. Organisierte Verfestigung abweichenden Verhaltens. Eine Falluntersuchung. 2. Aufl., 1974. 29 Zusf. Heinz. Mehrfach Auffallige - Mehrfach Betroffene, Erlebnisweisen und Reaktionsformen, im gleichnamigen Bericht vom Göttinger Jugendgerichtstag 1989, hrsg. von der DVJJ, 1990, S. 30 f.

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"allgemeines Diversionsbewußtsein" bei den Normadressaten gebildet hat, bei bestimmten Straftaten ein bis zwei "Frei versuche" zu haben. Letzteres ist von manchen Bürgern immer wieder als Sorge geäußert worden, doch fehlen konkrete Anhaltspunkte, die entsprechende Auffassungen wirklich nahelegen. Lautstarke Zeitungsüberschriften, die mit Hinweisen auf die "Milde" bei ihren Lesern Gegenstimmungen aufgreifen und verstärken wollen, ersetzen die nötigen Belege nicht. Die These vom Wegfall einer Hemmschwelle scheint mir überdies nur sehr beschränkt plausibel zu sein, da konkrete Reaktionen von Strafverfolgungseinrichtungen für den Normalbürger nach wie vor ziemlich unvorhersehbar sind und da vor allem die Entdeckung einer Tat gefürchtet wird, weniger die Strafe oder deren Höhe 30 . Dennoch sollte allen vorstellbaren Langzeiteffekten umsichtig nachgegangen werden. Modische Überzeichnungen sind möglicherweise in Stimmen wiederzufinden, die eine radikale Nichtintervention gefordert haben 31 . Das Modische läge in einer Verabsolutierung. Andererseits vermag aber - wie zuvor erwähnt - das gedankliche Weiterführen zum Extrem die Auseinandersetzung zugleich zu bereichern. Im hiesigen Kontext macht der Blick auf das Extrem die Entwicklung von Abgrenzungskriterien nötig, die aufzeigen, bis wohin divertiert werden kann. Zum anderen verweist der Gedanke der formel1en Nichtintervention auf informel1e Alternativen und belebt die Frage, in weIchen Fällen und unter weIchen Bedingungen auf die Strafjustiz verzichtet werden sollte, da ja ohnehin nur ein kleinerer Teil der strafbaren Verhaltensweisen vom Strafrechtssystem erledigt wird. Als nächste große Strömung ist die viktimologische zu nennen, die das Jugendrecht vor allem um den Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) bereichert hat. Auch dieser epochale Schritt läßt sich nicht als schlichte Konsequenz vorheriger Entwicklungen verstehen, obwohl Folgerichtigkeiten benennbar sind. Der TOA verweist auf informelle Selbstregulierungen, die zu einer einseitigen hoheitlichen Abqualifizierung des Täters durch das Strafrecht kontrastieren. So gesehen knüpft er an die Gedankenwelt der Diversion an. Der TOA kann die erwarteten Wirkungen am besten außerhalb des Justizsystems entfalten. Das Ideal besteht darin, ein Strafverfahren unnötig zu machen, mithin in einer Ausdehnung von Diversion. In kriminologischen und kriminal politischen Abhandlungen wird nicht selten eine Art von "oppositioneller Folgerichtigkeit" herausgestellt: Danach beinhaltet der TOA die Kehrseite einer gescheiterten TäterResozialisierung. Der Ausgleich zugunsten des "Opfers" wird als Konsequenz aus negativen Befunden einer erzieherischen Korrektur des Störers interpretiert

30 Siehe Dölling, Generalprävention durch Strafrecht: Realität oder Illusion?, ZStW 102 (1990), S. I f. 31 Schur, Radical Nonintervention, Rethinking the Delinquency Problem, 1973.

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und außerdem mit dem Gedanken einer Selbstbeschränkung des gesamten Kontrollsystems verbunden. Wenn schon die Tat(en) nicht verhindert werden konnte(n), so lautet die Argumentation, sollen wenigstens die Leidtragenden und nicht abstrakte Erwägungen zum Rechtsgüterschutz - im Mittelpunkt der Bewältigung des Ereignisses stehen 32 . Obwohl der TOA das gesamte Gebäude der "Strafrechtspflege" relativiert hat und vom Konzept her nicht auf Geringfügigkeiten begrenzt werden kann, blieben die tatsächlichen Auswirkungen bisher recht bescheiden. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind nicht hinlänglich geklärt. Kaum jedoch dürfte man auf die Idee kommen, die praktische Verweigerung als Abwehr einer Modeerscheinung zu deuten. Vielmehr ist allen Beteiligten das essentiell Neue des TOA bewußt, selbst wenn ansonsten die Detailkenntnisse vom TOA noch viel zu wünschen übrig lassen 33 . Manche Vorbehalte mögen geradezu auf der Andersartigkeit des theoretischen Ansatzes beruhen. Als modisch könnte am ehesten ein zu einseitiges Verständnis von Kriminalität als Konflikt erscheinen. Denn es gibt natürlich Delikte, bei denen sich die Vorstellung eines Konflikts nicht aufdrängt. Abstrakte Gefährdungen etwa oder Umweltschädigungen lassen nach dem Konfliktpartner fragen. Allerdings können selbst bei solchen Auffälligkeiten durchaus sinnvolle Formen eines Ausgleichs gefunden werden 34 . Im übrigen hängt die Reichweite des Ausgleichsgedankens nicht von Kriminalitätsumschreibungen ab. Ein Ausgleich zugunsten von Geschädigten ist gerade auch in Bereichen möglich, in denen Kriminalitätsdefinitionen 1m Ergebnis nicht, nur selten oder unzureichend greifen 35 . Insgesamt fällt die Suche nach modischen Verirrungen recht bescheiden aus. Es hat zwar einen raschen Wechsel bei den Grundannahmen der Kriminalpolitik gegeben. Insofern erscheint sogar der Begriff des Paradigmenwechsels nicht verfehlt. Auch haben sich die meisten Autoren auf die Richtungsänderungen eingelassen und sie übernommen. Es gab und gibt im Schrifttum wenig Opposition gegenüber den zu einer Zeit vorherrschenden jugendhilferechtli-

32 Vgl. Bundesministerum der Justiz (Hrsg.), Täter-Opfer-Ausgleich. Zwischenbilanz und Erfahrungen, 1991; Kerner/Hassemer/MarkslWandrey (Hrsg.), Täter-Opfer-Ausgleich - auf dem Weg zur bundesweiten Anwendung? Beiträge zu einer Standortbestimmung, 1994; siehe auch Hartmann, Schlichten oder Richten, 1995, S. 99 f. 33 Zur begrenzten Information von beim Landgericht Köln zugelassenen Rechtsanwälten, siehe Walter, in: Dölling (Hrsg.), Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland. Bestandsaufnahme und Perspektiven, 1998 (im Druck). 34 Wie beispielsweise Geldleistungen an gemeinnützige Einrichtungen, die sich mit thematisch einschlägigen Problemen befassen, vgl. auch Sclulrmüller, Außergerichtlicher Tatausgleich für Erwachsene im RechtsalItag, in: Hammerschick/PelikaniPilgram (Hrsg.), Ausweg aus dem Strafrecht - Der "außergerichtliche Tatausgleich", 1994, S. 157. 35 Walter, Theoretische Perspektiven des Täter-Opfer-Ausgleichs, in: Bundesministerium der Justiz (Anm. 32), S. 61 f.

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chen, diversionsrechtlichen oder viktimologischen Entwürfen. Des weiteren sind auf den jeweiligen Höhepunkten der Entwicklung auch extreme Auffassungen im Sinne einer starken Ausdehnung des betreffenden Ansatzes vertreten worden. Doch lassen sich auch derartigen "Übertreibungen" durchaus förderliche Komponenten entnehmen. Auftretende Grenzfragen machten Probleme klarer oder neue Sichtweisen wahrnehmbarer. Die Aufeinanderfolge von kriminalpolitischen Strömungen ergibt sich schwerlich aus einer diesen inhärenten evolutionären Linie. Folgerichtigkeiten werden eher ex post festgestellt und aus den Daten herausgelesen. Dennoch stehen die skizzierten Phasen keineswegs unverbunden nebeneinander. Obgleich die kriminal politische Debatte nicht nur einen Reflex kriminologischen Erkenntnisgewinns darstellt, sondern eigenen Gesetzen zu folgen scheint, wirken kriminologische Impulse in unterschiedlichem Maße und zu unterschiedlicher Intensität in die kriminalpolitischen Entwürfe hinein. Das erklärt zugleich einen durchgängigen Zug jugendrechtlicher Kriminalpolitik, nämlich den der Ausdehnung ihres Aktionsfeldes: Durch die Aufnahme des jugendhilferechtlichen Ansatzes wurde das Reaktionsspektrum erweitert, zur Strafe traten erzieherische Modifikationen. Die Einrichtungen der Justiz wurden durch jugendhilferechtliche Agenturen ergänzt. Mit der Diversion gelangten Bereiche der informellen Sozialkontrolle ins Blickfeld. Verstärkt traten private Sanktionsanbieter (z.B. "Brücke"-Vereine in München, Köln und anderswo) auf den Plan. Entsprechendes gilt für den TOA ("Waage"-Projekte in Köln und Hannover). Die Alternativität erreichte neue Dimensionen: von den alternativen Maßnahmen zu alternativen Institutionen bis hin zu alternativen (Schlichtungs-)Verfahren. Bei alledem erfolgten Verlagerungen hin zu den Alternativen, doch haben sie das Frühere weder ab- noch aufgelöst. Alternativen sind überwiegend Additive zum Vorherigen - und Fortbestehenden geblieben. Die Tendenz zur Ausweitung kriminalpolitischer Strategien scheint in den neueren Bestrebungen, eine umfassende Kriminalprävention zu etablieren 36 , ihren Gipfel zu erreichen. Denn mit der Einbeziehung der allgemeinen Verbrechensverhütung in kriminalpolitische Konzepte gibt es kein gedankliches Halten mehr: Von der Erziehung seitens der Eltern über die Städte- und Bauplanung bis hin zur Gesundheitsfürsorge, von der kriminalitätsvorbeugenden Jugendarbeit bis zur Organisation des Schutzes potentieller Opfer vor deliktischen Schädigungen reicht das Feld. Nunmehr sind alle gesellschaftlichen Agenturen betroffen: staatliche Behörden und Einrichtungen ebenso wie private Sicherheits- und Sanktionsanbieter. Angesichts dieser neuartigen Extremlage fragt sich erneut und sehr aktuell, ob wir es nach einer gewissen Ermüdung 36 Siehe Anm. 18.

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gegenüber Diversions- und Täter-Opfer-Ausgleichs-Konzepten jetzt mit einer neuen Mode der Entgrenzung - im Sinne ideologischer Maßlosigkeit und Übertreibungen - oder aber mit einem erweiterten Komplexitäts- und Problembewußtsein zu tun haben. Wollen sich, anders gewendet, vornehmlich kriminalpolitische Aktivisten in Szene setzen, ihre gesellschaftliche Basis ausbauen und mit allumfassenden "Globalstrategien" Furchtgefühle der Bevölkerung bearbeiten, oder gelangen vornehmlich (Re-)Aktionsweisen in den Blick, die das Spektrum des Umgangs mit Kriminalität erfolgversprechend und unter Wahrung der individuellen Freiheitsräume erweitern?

IV. Eine Einschätzung der neuen Präventionsbewegung setzt die Kenntnisnahme ihrer wesentlichen Merkmale voraus. Im Gegensatz zur Diversion und zum TOA, deren Inhalte inzwischen in das deutsche Jugendrecht aufgenommen worden sind, hat sich bei uns - anders etwa als in den angelsächsischen Ländern oder in Skandinavien - bislang noch kein Konzept einer eigenständigen, vom Strafrechtssystem gelösten Kriminalprävention etabliert. Doch dieser Prozeß ist derzeit in vollem Gange 37 . Auch hierzulande lautet die neueste Devise im Anschluß an die US-amerikanische Entwicklung: von der Repression zur Prävention. Gemeint ist freilich keine Aufgabe der strafrechtlichen Repression, vielmehr die Schaffung eines neuen Tätigkeitsbereichs der Prävention "vor" dem ebenfalls präventiv ausgerichteten Strafrecht38 . Während im hergebrachten Terrain die Zweifel an der präventiven Eignung wachsen, hoffen die Präventionsbefürworter auf fruchtbarere Vor-Felder. Der gedankliche Wurf fällt sehr weit aus, werden doch die Grenzen einer strafrechtlichen Vorfelder37 Entsprechend stark ist die Zahl der einschlägigen Veröffentlichungen angestiegen; ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei lediglich auf folgende Sammelbände verwiesen: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, 1995; Jehle (Hrsg.), Kriminalprävention und Strafjustiz, 1996; Trenczek/Pfeijfer (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention, 1996; Landesgruppe Baden-Württemberg in der DVJJ (Hrsg.), Kriminalprävention auf kommunaler Ebene Eine aussichtsreiche "Reform von unten" in der Kriminalpolitik?, 1997; siehe ferner die schon älteren, aber nach wie vor bedeutsamen Arbeiten von Kerner, Die Stellung der Prävention in der Kriminologie, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Polizei und Prävention, 1976, S. 17 f. sowie Kube, Systematische Kriminalprävention, 2. Auf). 1987; aktuell ist auf das neuere Referat Kerners auf dem Deutschen Präventionstag 1995 in Lübeck hinzuweisen: Kerner. Ansätze und Grenzen praktischer Kriminalprävention - eine strukturelle Analyse, in: Dokumentation der Deutschen Stiftung für Verbrechensverhütung und Straffälligenhilfe, 1996, S. 20 f.; vgl. auch Kaiser (Anm. 4), S. 246 f. 38 Daß Prävention und Repression keine Gegensätze im strengen Sinne darstellen, sondern "Repression und Prophylaxe ineinander verschlungen sind", mithin auch Vorfeld-Prävention repressive Züge aufweist, hat schon Hilde Kaufmann in den 70er Jahren betont; Kaufinann, Repression oder Vorbeugung?, in: Kaufmann (Hrsg.), Die Kriminalität Jugendlicher und wir. Repression oder Vorbeugung durch Erziehung, 1974, S. 12 f., 29. 6S Festschrift für G. Kaiser

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fassung durch Gefährdungsdelikte, Versuchsstratbarkeiten u.a.m. erheblich überschritten. Im technischen Bereich verfolgen die Präventionisten beispielsweise das Ziel, kriminelle Nutzungsmöglichkeiten neuer Techniken bereits in der Entwicklungsphase auszuloten und zu unterbinden 39 . Der neue Präventionsansatz hat in Deutschland ganz überwiegend positive Resonanz gefunden, nicht nur bei Konservativen und nicht nur bei Wissenschaftlern und Planern, auch bei Praktikern 40 . Die tertiäre Prävention - also die Strafverfolgung - sei in der Vergangenheit zu stark, die primäre (Erziehung etc.) und die sekundäre (Beeinflussung der Tatgelegenheitsstruktur) zu sehr vernachlässigt worden41 . Auch speziell für die Polizei wird konstatiert, man habe die Straftaten verfolgung über-, die Straftatenverhütung hingegen unterschätzt42 . Allerdings kann es im polizeilichen Bereich zwischen strafrechtlich-repressiven und präventiven Aufgaben gelegentlich zu Spannungen kommen, beispielsweise bei der Drogenprävention43 . Insofern müssen Einschränkungen erfolgen. Uneingeschränkt paßt ferner nicht das Gegensatzpaar: aktive Prävention versus reaktive Strafverfolgung. Denn bei näherem Hinsehen sind die meisten Präventionsaktivitäten reaktiv auf Delikte hin erfolgt, vor allem in den neuen Bundesländern, um weiteren Gewalttätigkeiten junger Menschen entgegenzuwirken 44 . Die Kerngedanken der Präventionsbefürworter knüpfen an eine Kritik der strafrechtlichen Prävention an. Allgemein wird ein Schwund des Vertrauens in die Strafjustiz und deren spezial- und generalpräventive Leistungen festgestellt45 . Zugleich rücken die vielen Einrichtungen in den Blick, die mit Kriminalität in einem weiten Sinne "zu tun" haben. Auf gemeindlicher Ebene läßt sich insoweit nicht lediglich ein beziehungs loses Nebeneinanderhandeln einzelner Kommunalbehörden feststellen, es gibt darüber hinaus Reibungsverluste 39 Kube, Schon beim Entwickeln ans Sichern denken, Protector 23 (1995), S. 46 f. 40 Siehe z.B. Pohl-Laukamp, Kriminalprävention auf kommunaler Ebene, in: Landesgruppe Baden-Wüntemberg in der DVJJ (Anm. 37), S. 87 f. u. die Referate, die auf dem Deutschen Präventionstag 1995 in Lübeck gehalten wurden (Anm. 37). 41 Ostendorj: Anstieg der Jugendkriminalität? Die Grenzen des Jugendstrafrechts, die Möglichkeiten der Prävention, DVJJ-Journa17 (1996), S. 361 f. 42 Steffen, Veränderungen in der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung - Gemeinwesenorientierung als modeme Zielperspektive?, Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 22 (1995), Heft 3-4, S. 107 f. 43 Vgl. Dölling, Drogenprävention und Polizei, 1996, S. 449 f., 470 f. 44 Zum Programm der Bundesregierung gegen Gewalt "Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt" (AgAG) in 30 Regionen Ostdeutschlands siehe die jüngsten Angaben in: BTDrucks. 13/4765, Jugendstrafrecht und Präventionsstrategien, S. 88 f. 45 Vgl. Heinz, Kriminalprävention auf kommunaler Ebene - Ein Überblick, in: Landesgruppe Baden- Württemberl: der DVJJ (Anm. 37), S. II f.

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und sogar kontroverse Strategien46 . Während zum Beispiel die eine Behörde mit Klagen über "randalierende" Jugendliche konfrontiert ist und nach Freizeitaktivitäten Ausschau hält, beschneidet das für Industrieansiedlung zuständige Amt die spärlichen noch vorhandenen Erlebnisräume. In Fortbildungsveranstaltungen werden Mitarbeitern von Jugendämtern moderne Methoden der Jugendhilfe nahegebracht, doch die anschließende berufliche Tätigkeit prägt ein von Medien erzeugter und vom Behördenleiter übernommener Druck zum "harten Durchgreifen" u.sJ.47. Derartige Befunde stützen den Ruf nach Kooperation und Vernetzung, wobei nicht nur an die Behörden, vielmehr gerade auch an Vertreter der Wirtschaft, Politiker, an Journalisten und andere gesellschaftliche Repräsentanten bis hin zum schlichten Bürger - gedacht wird. Durch die Einbeziehung auch privater Agenturen ergibt sich eine Verbindungslinie zur Diversion, die ja ebenfalls gesellschaftliches Handeln, insbesondere in der Variante informeller Deliktsreaktionen, befürwortet. Zugleich erfahren allgemein vorhandene Bestrebungen einer Entstaatlichung oder Privatisierung eine Stützung. In neuesten Veröffentlichungen wird immer wieder ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz betont, daneben erfreuen sich Eigenschaftswörter wie ganzheitlich, strukturell oder systematisch besonderer Beliebtheit. Kriminalitätsverhütung sei nicht nur die Aufgabe von Polizei und Strafverfolgungsbehörden, sondern betreffe ebenso die Kommune und am Ende jedermann. Im Rahmen der allerorts geforderten Kommunikation, .vernetzung und Zusammenarbeit kommen die Autoren leider selten darauf zu sprechen, daß das Neben- und Gegeneinander der Agenten nicht vorwiegend technisch bedingt zu sein braucht, sondern außerdem unterschiedliche Interessen und Machtpositionen zu spiegeln vermag. Die Frage, wieso gerade zur jetzigen Zeit auf die Vielzahl der "Beteiligten" abgehoben und deren Einfluß "entdeckt" wird, lenkt die Aufmerksamkeit auf Verunsicherungen und Erschütterungen der letzten Jahre, die Kriminologen und Kriminalpolitiker zur Erforschung der Verbrechensfurcht veranlaßt haben 48 . Man kann den umfassenden Präventionsansatz wohl nur als Reaktion auf verbreitete Formen der Kriminalitätsfurcht begreifen. Die Initiativen erklä46 Anschaulich TrenczeklPfeijfer, Kommunale Prävention - Paradigmenwechsel und Wiederentdeckung alter Weisheiten, in: TrenczeklPfe!ffer (Anm. 37), S. ll f. 47 Vgl. auch TrenczeklPfeijfer (Anm. 46), S. 26 f. 48 Siehe insoweit Walter, Von einem realen zu einem imaginären Kriminalitätsverständnis? Über den Wandel kriminologischer Blickrichtung und dessen kriminalpolitische Folgen, ZfStrVo 44 (1995), S. 67 f.; neuerdings ist darauf hingewiesen worden, daß sich auch aus grundsätzlichen theoretischen Überlegungen zur Erklärung von Kriminalität ein neuartiger - statt täter- tatbezogener - Präventionsansatz herleiten lasse; siehe Sessar, Zu einer Kriminologie ohne Täter, MschrKrim 80 (1997), S. I f. Diese gedankliche Verbindung dürfte indessen die gegenwärtige Präventionsbewegung wenig beflügelt haben. da letztere durchaus von traditionellen Täterbetrachtungen geprägt ist, den (potentiellen) Täter oder Tatgeneigten nur gleichsam schon vor der Tat beeinflussen möchte. 65*

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ren häufig ausdrücklich, sie wollten das Sicherheitsgefühl der Bürger stärken 49 . Die präventiven Tätigkeiten betreffen daher schwerpunktmäßig die Delikte, um die die Angst der Bürger in besonderem Maße kreist: Eigentumsdelikte (Diebstahl, Wohnungseinbruch, Raub) und "Straßenkriminalität" (tätliche Angriffe, Sachbeschädigungen sowie Delikte, die mit Fahrzeugen zu tun haben)50. Die Art der präventiven Tätigkeiten kann sehr verschieden sein. Von daher ist der Ansatz recht unbestimmt oder offen. Insgesamt zeichnet sich jedoch eine ökonomisch geprägte Denkweise ab 51 . Betont werden Methoden modernen Managements: konkrete, gegenständlich begrenzte Situationsanalysen, die Benennung von Problemschwerpunkten, die Entwicklung fallbezogener Handlungsstrategien und Ziele, die Festlegung der tatsächlichen Vorgehensweise und schließlich die Überprüfung der Zielerreichung. Kritiker in den USA erblicken dort einen Übergang von einer Täterbehandlung zu einem Management hinsichtlich gefährlicher Bevölkerungsgruppen 52 . Es setze sich in kriminalrechtlichen Erörterungen verstärkt ein Wirksamkeitsdiskurs gegenüber dem herkömmlichen Moraldiskurs durch. Das Menschenbild werde zunehmend negativ und pessimistisch geprägt. In der neuen deutschen Präventionsliteratur taucht hingegen nicht selten der Behandlungsgedanke - freilich in einer anderen Variante - wieder auf: vorverlagert auf bestimmte Risikogruppen. Die Zuwendung gilt etwa "gewaltbereiten" Jugendlichen 53 . Zur Vermeidung von Gewaltdelikten sollen beispielsweise Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen bearbeitet werden 54 . Auch potentielle Opfer bezieht man ein: So gibt es zum Beispiel Kurse, in denen Frauen Gegenwehr erlernen können 55 . Mitunter sind die Adressaten nicht so klar ex ante zu bestimmen wie beim präventiven Schutz vor Kindesrnißhandlung durch lebenspraktische Hilfen 56 . In den USA scheint demgegenüber der genannte Pessimismus zu freiheitsentziehenden Strategien zu führen, deren Eignung wieder positiver beurteilt wird 57 . 49 Siehe etwa Obergfell-Fuchs/Kury. Verbrechensfurcht und kommunale Kriminalprävention, in: Feltes (Anm. 37), S. 31 f. 50 Siehe GrahamlBennett (Anm. 18). 51 Siehe Sack, Prävention - ein alter Gedanke in neuem Gewand, in: Gössner (Hrsg.), Mythos Sicherheit. Der hilflose Schrei nach dem starken Staat, 1995, S. 429 f. 52 Feeley/Simon, The New Penology: Notes on the Emerging Strategy of Corrections and its Implications, Criminology 30 (1992), S. 449 f. 53 Z.B. Kohaus/Cladder-Micus, Integrative Arbeit mit gewalttätigen Jugendlichen und ambulantes Anti-Aggressivitätstraining in Nottuln, DVJJ-Journal 6 (1995), S. 347 f. 54 Heiliger/Permien, Männliche Gewalt und Prävention, Diskurs 10 (1995), S. 33 f. 55 Paul, Nochmals - Gewalt gegen Frauen. Erfahrungen mit einem neuen Präventionskonzept, Kriminalistik 49 (1995), S. 117 f. 56 Wopmann, Kindesmißhandlung - Formen, Erkennung, Hilfe, Prävention, in: Kaiser/Jehle (Hrsg.), Kriminologische Opferforschung. Neue Perspektiven und Erkenntnisse, Teilband 11, 1995. S. 223 f. 57 Dreher/Feltes/Gramckow, Neue Präventionsprogramme in den USA und in England. Alter Wein in neuen Schläuchen, Bewährungshilfe 42 (1995), S. 379-397.

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Während die vorhergehenden kriminal politischen Initiativen vom Anspruch her als Alternativen aufgetreten sind, wird nunmehr die früher regelmäßig verpönte Ausdehnung sozialer Kontrolle 58 offen gutgeheißen. Dabei ergibt sich schon strukturell das Problem, daß nur eine begrenzte Auswahl von präventiven Unternehmungen gestartet werden kann. Man kann nicht alles gleichzeitig in Angriff nehmen. Generell soll insoweit die Regionalanalyse helfen, aus der sodann das Drängendste zuerst bearbeitet wird. Doch es dürften genügend Auswahl- und Begrenzungsprobleme bleiben. Die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen erfolgt häufig durch Rückgriffe, etwa auf verfügbare Behandlungsmethoden. Derartige Mechanismen halten zugleich die Innovationen in Grenzen. Wie bereits bei Projekten der tertiären Sozialisation wird zu Recht eine Evaluation der Arbeit (wissenschaftliche Begleitung) gefordert59 . Doch die Ausdehnung der Aktivitäten auf das präventive Vorfeld dürfte im Vergleich zu spezialpräventiver Erfolgskontrolle eine valide Antwort hinsichtlich der letztendlichen Kriminalitätsverhinderung eher noch erschweren. Für die als vorbildlich angesehene präventive Arbeit in Schleswig-Holstein jedenfalls konnte nach fünf Jahren Tätigkeit noch keine Reduktion von Rechtsbrüchen verzeichnet werden 60 . Jeder neue Ansatz führt zu einer partiellen begrifflichen Verfeinerung und schafft sich seine eigene theoretische Ordnung. So hat im Zuge der Entwicklung des Präventionsansatzes zugleich eine gewisse Aufschlüsselung des neuen Vorfeldes stattgefunden. Im Anschluß an GrahamlBennett61 kann man eine Dreiteilung der Präventionsbereiche vornehmen und die allgemeine Kriminalitätsverhütung durch Erziehung, Bildung, Ausbildung, Familienpolitik oder W ohn- und Städteplanung von Strategien unterscheiden, die vorwiegend situationsbezogene Initiativen umfassen. Hier geht es um eine Gewinnmini- und Kostenmaximierung des Verbrechens. Die Tatgelegenheits- und Tatattraktivitätsstruktur soll verringert werden, nicht zuletzt durch Technoprävention (elektronische Sicherungen, Videoüberwachung etc.). Der dritte Bereich betrifft alle präventiven Initiativen im überschaubaren Lebensraum der Wohngemeinde (kommunale Prävention). Die deutsche Präventionsbewegung hat hier ihren eindeutigen Schwerpunkt62 . Alle Aussagen zur Prävention lassen sich unter den Bedingungen einer Gemeinde wiederholen und konkretisieren. Wenn ein struktureller Präventionsansatz betont oder die Zusammenarbeit und Vernet58 Zum Net-widening-Effekt siehe etwa die Beiträge in: Kerner (Hrsg.), Diversion statt Strafe? Probleme und Gefahren einer neuen Strategie strafrechtlicher Sozialkontrolle, 1983. 59 Kerner, Ansätze und Grenzen praktischer Kriminalprävention (Anm. 37), S. 32. 60 Jäger, Mehr als ein Experiment - Der Rat für Kriminalitätsverhütung in Schieswig-Holstein. Programm, Projekte, Probleme, Perspektiven, Bewährungshilfe 42 (1995), S. 398 f. 61 Wie Anm. 18. 62 Siehe die in Anm. 37 aufgeführte Literatur.

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zung eingefordert wird, jedes Mal steht das Modell einer überschaubaren Region im Hintergrund. Die erfahrbare Gemeinde bildet gleichsam das Gegenstück zur Internationalisierung und Entstaatlichung, sie soll den Verlust an Staatlichkeit und nationaler Identität auffangen. Die vorfindliche Literatur hebt häufig die Bedeutung einer gemeinde- oder bürgernahen Polizei hervor63 . Im angloamerikanischen Sprachgebiet ist von community policing die Rede. Die schillernde Bedeutung dieses Ausdrucks ist nicht leicht zu erfassen, ihren realen Ausdruck finden entsprechende Bemühungen in verstärkten Kontakten der (uniformierten Vollzugs-)Polizei zu "den Bürgern", durch verstärkte Streifengänge, den Revier- oder Stadtteilpolizisten, seit neuerern ferner durch Fahrradstreifen. Daneben wurden aber auch Beratungsbüros eingerichtet. Zu den Aktivitäten zählen ferner Versuche, die Bevölkerung in die Kontrolle einzubeziehen. Es werden Nachbarschaftshilfen, mehr Aufmerksamkeit und Mitverantwortung eingefordert. Der Kontakt zu den Gemeindebewohnern offenbart deren Kriminalitätsängste. Sie stehen deshalb im Vordergrund der präventiven Polizeiarbeit, die das Sicherheitsgefühl verbessern soll. Beabsichtigt wird ein Angstabbau sowie die Verringerung von Irritationen durch soziale Veränderungen, insbesondere spürbare Migrationsbewegungen und den Zuzug von anderen ethnischen Gruppen64 . Außerdem hat sich herausgestellt, daß viele Befürchtungen und Sorgen in der Bevölkerung weniger die Kriminalität als vielmehr Erscheinungen der Desorganisation und mangelnden Integration betreffen, Schmutz, Wandbeschmierungen, Lärm, Belästigungen etc.65 . Für derartige Probleme fanden die Bürger bislang gewöhnlich keine Ansprechpartner oder "Zuständige". Ein zweiter Schwerpunkt der kommunalen Prävention liegt im organisatorisch-verwaltungsmäßigen Bereich. Vor allem im Anschluß an skandinavische Vorbilder haben sich mittlerweile auch in Deutschland - im einzelnen unterschiedlich zusammengesetzte und organisatorisch eingebundene - kommunale Präventionsräte gebildet66 . Inzwischen gibt es weiterhin überörtliche, ja sogar supranationale Präventionsgremien67 . In den kommunalen Räten sind regelmä63 Siehe insbes. Feites. Einführung, in: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention (Anm. 37), S. 11 f. 64 Schröcker. Integrationsarbeit an der Basis. Die AußensteIlen des Wiener Integrationsfonds, in: HammerschickiKaralmann-Mnrawell/Stangl (Hrsg.), Die sichere Stadt. Prävention und kommunale Sicherheitspolitik, 1996, S. 191 f. 65 Stangl. "Wien - sichere Stadt" - ein bewohnerzentriertes Präventionsprojekt, KrimJ 28 (1996), S 48 f. 66 Siehe Papendorj'/Neth, Praxiserfahrungen bei der Erstellung einer Kriminologischen Regionalanalyse und der Initiierung eines "Kriminalpräventiven Rates" - das Beispiel Lübeck, in: TrenczekiPfeiffer (Anm. 37), S. 104 f. 67 Siehe GrahamlBennett (Anm. 18).

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ßig Repräsentanten der Polizei, der gemeindlichen Verwaltungen, der Parteien, freier Organisationen, der Wirtschaft und der Wissenschaft vertreten. Das Ideal besteht wiederum in einem rational-ökonomisch abgestimmten Vorgehen nach der Dringlichkeit lokaler Probleme. Allgemeinverbindliche Interventionsprogramme gibt es nicht. Generell werden sowohl aufklärerische Aktivitäten68 als auch projektbezogene Angebote, etwa Anti-Gewalt-Trainings, entwickelt. Die stets propagierten Situationsanalysen und Informationsvernetzungen dürften zusätzliche Datenschutzfragen aufwerfen. Fragt man nach den Profiteuren der präventiven Vorstöße, treten zunächst klar die Polizeibehö~den in Erscheinung. Polizisten sind die Ansprechpartner der Menschen. Den Polizeibehörden wachsen wichtige Leitungs- und Koordinierungsaufgaben zu 69 . Sie treten mehr als "Freund und Helfer" in Erscheinung, weniger als repressive Gewaltagenturen, wie beispielsweise die wehrhaften Beamten bei bestimmten Demonstrationen. Die Bürgerbeteiligung ist ideelles Ziel, weist aber bei der realen Umsetzung der bürgernahen Arbeit offenbar Defizite auf70 . Weniger plakativ, indessen um so wirkungsvoller erfolgt mit der zunehmenden Entstaatlichung und "Pluralisierung" der örtlichen Sozialkontrolle die faktische Einflußnahme privater Sicherheitsanbieter. Die Vervielfältigung der präventiven Ansatzpunkte legt zum einen die nur begrenzten staatlichen Möglichkeiten offen und schafft zum anderen gleichzeitig zahlreiche Einstiegsmöglichkeiten nichtstaatlicher Anbieter, die das schon in vergangenen Reformen verstärkt besetzte Spektrum der kriminalrechtlichen Sanktionen noch weit übertreffen. Der Charakter derartiger Dienste kann rein technischer Natur sein, etwa bei der Installation von elektronischen Sicherungen, ebenso aber psychologisch-pädagogischer Art, zum Beispiel bei der Arbeit mit neuartigen Risikogruppen.

v. Nach diesem gerafften Blick auf die wesentlichen Impulse, die die jugendrechtliche Kriminalpolitik der Nachkriegszeit beeinflußt haben bzw. gegenwärtig zu beeinflussen beginnen, sei die Frage nach dem Modischen erneut und umfassender aufgegriffen. Moden werden vorwiegend von denen beklagt, die in dem betreffenden Feld schon längere Zeit tätig sind. Die Qualifizierung als Mode stellt eine Form 68 Baasch, Der Rat für Kriminalitätsverhütung in der Gemeinde Bordesholm. Eine Erzählung, DYJJ-Journal 7 (1996), S. 365 f. 69 Feherwiry, Community Policing - nun auch in Wien, in: Hammerschick u.a. (Anm. 64), S. 149 f.; Sack (Anm. 51), S. 440. 70 Siehe Baier, Präventionsaktivitäten in Baden-Württemberg. Zusammenfassung einer Umfrage, in: Feltes (Anm. 37), S. 123 f.

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der Verarbeitung von "Neuem" dar. Es schwingt eine negativ gerahmte Relativierung (bis Disqualifizierung) mit, durch die die Veränderungen als leichtgewichtig und vorübergehend gekennzeichnet werden. Zum Ausdruck gelangt eine primäre Skepsis, die sich dagegen wehrt, umdenken zu müssen. Was modisch ist, braucht man nicht näher auf sich einwirken zu lassen, trägt es doch die Zeichen der Vordergründigkeit, Oberflächlichkeit und Vergänglichkeit auf der Stirn. Die skizzierten Entwicklungen enthalten fraglos Momente, weIche eine entsprechende Einordnung und Bewältigung nahelegen. Zu nennen sind als erstes die raschen Wechsel der Paradigmen und Philosophien, qie dem Wunsch nach harmonisch-evolutionärer Entwicklung so nachhaltig entgegenstehen. Des weiteren auffallend erscheint die jeweilige Begeisterung für die neue Bewegung, deren Kurve regelmäßig nach einigen Jahren wieder abflacht. Die Autoren, die sich dem neuen Ansatz verschrieben haben, schwenken nach diesem Zeitablauf häufig um. Und so einmütig, wie eingangs die Befürwortung ausfiel, so klar scheinen nunmehr die Schwächen des vorherigen Modells zu sein. Aus entsprechenden Brüchen können Vertrauenskrisen gerade bei denen erwachsen, die sich eher gläubig von einer bestimmten Philosophie haben beeindrucken lassen. Wer inzwischen davon überzeugt worden ist, daß kriminalrechtliche Interventionen möglichst vermieden werden sollten, daß bei jugendlichen Auffälligkeiten abgewartet werden und auch nicht sogleich präventiv im Wege der Jugendhilfe eingeschritten werden sollte, befindet sich unversehens in einer Landschaft, in der frühzeitige und umfassende Prävention als geradezu erforderlich herausgestellt werden. Etikettierungen und Freiheitsentzug haben recht schnell ihr negatives Image wieder verloren. Derartige Diskontinuitäten, die in anglo-amerikanischen Ländern noch spürbarer sind als bei uns, dürften die Einschätzung der Kriminalpolitik als zu wenig fundiert und in diesem Sinne zeitgebunden-modisch fördern und stützen. Flankiert werden entsprechende Verunsicherungen und Enttäuschungen durch Vergröberungen, vor allem dadurch, daß es modifizierte Standpunkte, die kaum wirkliche Gegensätze oder gar Widersprüche zu vergangenen Ansichten und Strategien enthalten, schwer haben, sich gegenüber den die neuen Akzente betonenden Darstellungen Gehör zu verschaffen. Die Schwierigkeiten, die in dieser Entwicklungsdynamik liegen, machen die Klage über ständig neue Moden in der Kriminalpolitik verständlich. Gleichwohl darf deswegen der Gehalt der präventiven Strömungen nicht als modisch-unwesentlich abgetan werden. Die perspektivischen Veränderungen, insgesamt Erweiterungen, betreffen vielmehr zentrale Punkte des Verständnisses von Kriminalität und des Umgangs mit Kriminalität. Die Wandlungen liegen zwar auf keiner kontinuierlichen Entwicklungslinie, weisen aber verschiedenartige Verflechtungen mit bisherigen kriminalpolitischen Strömungen auf

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und sind ferner in breitere soziale Prozesse eingebettet. Wie erwähnt, bietet der aktuelle Präventionsansatz vornehmlich den Polizeibehörden und privaten Sicherheitsanbietern erweiterte Betätigungsfelder. Daraus allein kann aber noch nicht geschlossen werden, es ginge den betreffenden Personengruppen lediglich um größere Macht- oder Marktanteile. Skepsis und Kritik sind freilich angebracht, haben sich aber in erster Linie an den realen Entwürfen zu orientieren und können nicht bei Vermutungen über verborgene Motivationen oder Ziel vorstell ungen verharren. Der Modeverdacht läßt sich bei den zu erwartenden präventiven Entwürfen mit Blick auf Unklarheiten, Widersprüchen und Maßlosigkeiten fruchtbar machen. Hier sind vor allem noch Defizite bei der Klärung zu verzeichnen, welche präventiven Strategien bei welchen sozialen Auffälligkeiten denn eingreifen sollen. Das Modell einer ubiquitären Prävention wäre nicht nur unrealistisch, sondern auch eine ideologische Übertreibung, die bestenfalls zu zahlreichen Umetikettierungen altbekannter Tätigkeiten führen würde. Nach der an sich positiven Entdeckung der ganzen Breite des kriminalpolitischen Handlungsfeldes müssen Wege gefunden werden, um zu einer adäquaten Begrenzung präventiven Handelns zurückzugelangen. Gegenwärtig besteht der Eindruck eines gewissen gremienbezogenen Aktionismus, der sich im Wesentlichen mit der freundlichen Aufnahme durch das Publikum zufrieden gibt. Doch die vorübergehende Beruhigung von Bevölkerungsgruppen, die täglich wieder durch gegenteilige Sensationsmeldungen der Medien gestört werden könnte, vermag kaum als ausreichender Gewinn präventiver Strebungen angesehen zu werden. Nötig erscheint eine sorgsame Prüfung einzelner Vorgehensweisen im kriminalrechtlichen Vorfeld, wobei der bisherige Bestand an kritischen Gesichtspunkten nicht übersehen werden darf. So bleibt für die Zukunft insbesondere zu untersuchen, inwieweit die bisherigen Bedenken gegenüber frühzeitigen spezialpräventiven Behandlungsmaßnahmen die Vorfeldprävention unberührt lassen. In organisatorischer Hinsicht steht der Elan der präventiven Räte auf dem Prüfstand. Liegt die defizitäre kommunale Zusammenarbeit an Kommunikationsschranken oder aber beruht sie auf Machtkonstellationen, aufgrund derer die eine Einrichtung die Ziele der anderen konterkariert? Obwohl nach alledem die Entwicklung neuer kriminalpolitischer Sichtweisen nicht auf eine Abfolge modischer Attitüden oder Eskapaden reduziert werden darf, behält der Verdacht des Modischen weiterhin seine Berechtigung, weil er jeden neuen Ansatz nötigt, sich vor dem Hintergrund schon erreichter Einsichten zu rechtfertigen. Denn höchstens so erscheint ein Fortschritt im Fortschreiten möglich 71.

71 Vgl. auch Müller-Dietz. Gibt es Fortschritt im Strafrecht?, in: Festschrift für Otto Triffterer, 1996, S. 677 f.

KEIlCHI YAMANAKA

Neue Bekämpfungsstrategien gegen die organisierte Kriminalität in Japan Hintergrund und Bilanz des Boryokudan-Bekämpfungsgesetzes

A. Einleitung Das "Gesetz betreffend die Bekämpfung der rechtswidrigen Taten durch Mitglieder der Boryokudan" (Boryokudan-Bekämpfungs-Gesetz - BBG) wurde als Gesetz Nr. 77 am 15. März 1991 verkündet und trat am 1. März 1992 in Kraft 1. Ein Jahr später, am 12. März 1993, wurde es reformiert und am 1. August desselben Jahres als Gesetz Nr. 41 neu veröffentlicht2 . Was ist unter dem Begriff ,,Boryokudan" zu verstehen? Das Gesetz definiert Boryokudan in § 2 Nr. 2 als eine "Vereinigung, die die Gefahr begründet, ihre Mitglieder bei kollektiven bzw. gewöhnlichen Gewalttaten zu unterstützen". Das japanische Wort ,,Boryokudan" bedeutet seinem ursprünglichen Sinn nach "gewaltausübende Gruppe". Das wesentliche Merkmal des Gesetzes besteht darin, daß es kein Nebenstrafgesetz, sondern ein Verwaltungsgesetz ist. Es regelt die Voraussetzungen verwaltungspolizeilicher3 Maßnahmen. Bisher lag der Schwerpunkt der Bekämpfung in der Strafverfolgung der BoryokudanMitglieder: Deren Straftaten wurden polizeilich aufgeklärt, es wurde Anklage erhoben, und die Täter wurden vom Gericht verurteilt. Diese Vorgehensweise empfand man allmählich als nicht mehr ausreichend. Das Boryokudan-Bekämpfungs-Gesetz von 1993 ist deshalb in den Regelungen 1 Zur Erläuterung und Kommentierung der Gesetzgebung vgl. vor allem Yoriaki Narita (Hrsg.), Boryokudan-Taisakuho no Kaisetsu, 1992; Keisatsucho-Keijikyoku-Boryokudantaisakubu (Hrsg.), Chikujo Boryokudanin niyoru futona Koi no Boshi tonikansuru Horitsu, 1995 (zit. als Keisatsucho). 2 Zum Inhalt der Reform vgl. Ken Hirose, Erfolg durch Inkrafttreten des BBG und seine zukünftige Aussicht, Keisatsugaku Ronshu, Bd. 46, H. 8, S. 6 ff. 3 Die Verwaltungspolizei ist mit dem deutschen Ordnungsamt zu vergleichen, führt aber auch Standardmaßnahmen durch.

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gegen diese Vereinigungen einen Schritt weitergegangen: Jetzt werden gegen Mitglieder der Boryokudan Ordnungsverfügungen erlassen. Wenn diese Verfügungen verletzt werden, sind die Mitglieder zu bestrafen 4 . Das Ziel des Gesetzes wird in § 1 bestimmt: "Dieses Gesetz hat den Zweck, die Sicherheit und den Frieden des bürgerlichen Lebens zu gewährleisten und damit die Freiheit und die Rechte des Bürgers zu schützen. Es bestimmt die erforderlichen Regelungen in bezug auf die unrechtmäßige Einforderung von Geld, Sachen usw. der Boryokudanmitglieder. Ferner sind die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um Gefahren für das bürgerliche Leben durch Streitigkeiten zwischen feindlichen Boryokudanvereinigungen abzuwenden. Um Schäden durch Handlungen der Boryokudan vorzubeugen, sind zivile gemeinnützige Vereinigungen zu unterstützen". Unter "unrechtmäßigen Einforderungen" verstehen wir Handlungen, bei denen die Boryokudan unter Androhung ihrer Macht von anderen etwas fordern. Ob diese Handlungen widerrechtlich sind, ist meistens fraglich; somit ist es in der Praxis schwer, sie durch Strafgesetze zu erfassen. Auch wenn sie rechtswidrig sind, ist es fraglich, ob die daraus entstehenden privatrechtlichen Ansprüche in der Praxis auch durchgesetzt werden können. Wie § 1 BBG zeigt, zielt das Gesetz nicht auf die rechtliche Regelung verbrecherischer Organisationen als solche ab. Vielmehr sind konkrete Gewalttaten der Boryokudanmitglieder Gegenstand der Regelungen. Erst wenn die Mitglieder gewalttätige Forderungshandlungen begangen haben, werden Maßnahmen gegen die Organisation ergriffen. Das Gesetz stellt damit eine Mischform zwischen den Straftaten einzelner und dem generellen Verbot krimineller Organisationen als solcher dar. Damit erweist es sich möglicherweise schon als von Anfang an unzureichend. Dagegen haben sich Verbote krimineller Vereinigungen im Ausland bereits bewährt5 . In erster Linie sollen in diesem Beitrag alle wesentlichen Punkte des Gesetzes erörtert werden. Weiterhin werde ich auf die Umsetzung in praxi zu sprechen kommen. Zuvor ist es aber notwendig, auf die gegenwärtige Situation, die Tätigkeiten der Boryokudan und auf ihre Geschichte einzugehen.

4 Narita (Anm. 1), S. 24 ff.: Keisatsucho (Anm. 1), S. 5 ff. 5 Umfassend zur organisierten Kriminalität in Deutschland, Italien und USA vgl. Hisao Katoh, Soshikihanzai no Kenkyu (Studien zur organisierten Kriminalität), 1992, S. 1 ff., 30 ff., 56 ff.; eine kurze Übersicht zu den Gesetzen gegen die organisierte Kriminalität in verschiedenen Ländern findet sich bei Narita (Anm. 1), S. 17 ff.; Seiji lishiba, Soshikihanzai Taisaku Manual, 1990, S. 137 ff.; Grundlegendes zu den rechtlichen Maßnahmen gegen die organisierte Kriminalität siehe Homusho-Keijikyoku-Keijihoseika (Hrsg.), Soshikitekihanzai to Keijiho, 1997, S. I ff.

Neue Bekämpfungsstrategien gegen die organisierte Kriminalität in Japan

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B. Übersicht zu den Tätigkeiten der Boryokudan I. Neue Tendenzen der Tätigkeit der Boryokudan

Neuerdings mehren sich die Fälle, in denen die Boryokudan in Konkursverfahren verwickelt sind. Den Scheinunternehmen (bubble economy) gaben japanische Banken zahlreiche Kredite, wenn sie als Absicherung z.B. Grundstücke hatten, von denen man glaubte, daß deren Wert keineswegs fallen würde. Wegen der Verluste der Scheinunternehmen konnten die Schuldner Kredite nicht mehr zurückzahlen. Die Boryokudan trieben das Geld für die Banken ein oder verhinderten Versteigerungen, um selbst Grundstücke oder Wertgegenstände unter Preis zu erwerben. So nahmen Verhaftungen wegen Konkursgesetzverletzungen und Verhinderungen von Zwangsversteigerungen zu.

11. Die Zahl der Boryokudan und ihrer Mitglieder

In Japan existieren drei große Banden und unzählige kleine, die teilweise unter der Schirmherrschaft der großen stehen. Die größte Bande ist die Yamaguchi-Gumi (Yamaguchi-Bande). Daneben bestehen die Inagawa-Kai (Inagawa-Union) und die Sumiyoshi-Kai. Laut Jahrbuch der Polizei von 19966 gehörten ihnen Ende 1995 insgesamt 31.000 Boryokudan-Mitglieder und Quasimitglieder 7 an. In ganz Japan zählte man 199579.300 Mitglieder. Jährlich werden zahlreiche kleine Banden aufgelöst oder unschädlich gemacht. Deshalb waren es 1995234 weniger als im Jahr zuvor. Von diesen 234 Banden standen allein 128 unter der Schirmherrschaft der drei großen; das sind 57,4 %. Auch die Zahl der Mitglieder nimmt ständig ab. Noch 1994 waren es 1.700 Mitglieder mehr als im folgenden Jahr. Die Banden Yamaguchi-Gumi, Inagawa-Kai und Sumiyoshi-Kai verloren 100 Mitglieder. Die folgende graphische Darstellung zeigt, wie sich die Mitgliederzahlen seit 1988 verändert haben 8 .

6 Keisatsucho (Hrsg.), Keisatsu Hakusho (Polizei-Jahrbuch) für 1996, S. 194 ff. 7 Die Quasimitglieder der Boryokudan sind diejenigen, die zwar nicht Mitglieder sind, aber Beziehungen zu den Boryokudan haben. Mit dem Einfluß der Boryokudan und mit der Androhung ihrer Macht begehen auch sie Forderungshandlungen oder wirken bei der Erhaltung der Boryokudan-Betriebe mit. Beispielsweise liefern sie Gelder oder Waffen. 8 Vgl. Takeshi Mita, Dreijähriger Wandel nach Inkrafttreten des BBG (I), Sosakenkyu, Bd. 44, H. 9, 1995, S. 30 f.

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IÄnderung der Anzahl der Mitgl./Quasimitgl. der Boryokudan I Zahl tausend

0

20

40

60

80

HM)

1988 1989 1990

FI Mitgl.lQuasimitgl.

1991

~

P gesamte Mitgl. FI Mitgl. der 3 Gruppe

1992 1993 1994 1995

III. Finanzierungsaktionen der Boryokudan Schon seit langem wird auf eine steigende Tendenz verbesserter Finanzierungsaktionen der Boryokudan verwiesen 9 . Die Boryokudan entwickeln fortlaufend die der Wirtschaftslage entsprechenden Finanzierungsmethoden. Sie tendieren aber mehr und mehr zu als legal scheinenden Finanzierungsmethoden.

1. Finanzierungsquellen der Boryokudan Das Jahreseinkommen der gesamten Boryokudan betrug im Jahre 1989 nach Untersuchungen der obersten Polizeibehörde (Keisatsucho) vermutlich 1,3 Billionen Yen. Das entspricht etwa 22 Milliarden DM. Davon stammt der größte Teil aus illegalen Gewinnen 10.

9 Vgl. z.B. Norikiyo Hayashi, Soshikiboryoku no Ichidanmen, 1996, S. 29 ff., 32 ff. (Jahrbuch der Polizei von 1978), S. 99 ff. \0 Vgl. Ishizuke, Keisatsugaku Ronshu, Bd. 45, H. I, S. 16 ff.; Narita (Anm. 1), S. 86 ff.

Neue Bekämpfungsstrategien gegen die organisierte Kriminalität in Japan

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Einkommen der Boryokudan (1978) Gesamtsumme: 1037 Milliarden 600 Millionen Yen

(12.7%)



Weckamine (44.1 %)

Cl Glückspiele (23.6 %) (44.1%)

.

Schutzgeld (2.9 %)

(4.1%)

Cl Zivilkonflikte (2.9)

(2.9%) (2.9%)

C Erpressung gegen

Unternehmen (4.1 %)

• •

(23.6%)

sonstiges (9.7 %) legale Betriebe/sonstiges (12.7 %)

Einkommen der Boryokudan (1988) Gesamtsumme: 1301 Milliarden 900 Millionen Yen (9.9%)



Weckamine (34.8 %)

C Glückspiele (16.9 %) • Schutzgeld (8.7 %) Cl Zivilkonflikte (7.3 %)

r::J Erpressung gegen Unternehmen (3,4 %) • (8.7%)

(16.9%)

sonstiges (9.2 %)

• legale Betriebe (9.8 %) Cl sonstiges (9.9 %)

Im allgemeinen lassen sich folgende Tendenzen erkennen: Die Boryokudan bauen ihre traditionellen Finanzierungsquellen weiter aus. Sie betreiben legal wirkende Geschäfte umfangreicher als bisher. Die Finanzierung der Organisationen erfolgt nun durch sogenannte "intellektuelle Gewalt" I I. 11 Unter "intellektueller Gewalt" verstehen wir die psychische Gewalt. durch welche die Handlungen der Boryokudan legal wirken.

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Die Aktionen der Banden richten sich hauptsächlich nicht mehr gegen Individuen, sondern gegen Unternehmen l2 . Die Geldquellen lassen sich wie folgt differenzieren: 1) Traditionelle Finanzierungsmethoden sind der Drogenhandel mit Weckaminen, Glücksspiele, Schiebungen beim Toto und Schutzgelderpressungen. Sie ergeben mehr als 50 % des gesamten Einkommens der Boryokudan l3 :

Unter Androhung ihrer Macht verlangen die Boryokudan Gelder für die Duldung der Geschäfte in ihren Einflußgebieten, den sogenannten Nawabari l4 . Diese Einnahmen werden als Mikajimeryo (Platzgeld)15 bezeichnet. Außerdem verlangen sie von verschiedenen Gaststättenbetrieben, Spiel hallen und Budenbesitzern (fliegenden Händlern) Schutzgelder. Ebenfalls durch stillschweigende Androhung ihrer Macht erhalten sie ungerechtfertigte Geldspenden und verkaufen oder verleihen Waren zu extrem hohen Preisen. So bringt ihnen der Verkauf künstlicher Blumen für die Innenausstattungen der Gaststätten das Yozinboryo (Schutzgeld i.e.S.) ein. Dies umfaßt auch die Ausleihe nasser Handtücher an Gaststätten für ihre Gäste (Oshibori). Die Boryokudan finanzieren sich außerdem durch Beiträge ihrer Mitglieder und untergeordneten Vereine. Die Gelder werden von den unteren Rängen zur Führung geleitet und Jonokin (Zollabgabe) genannt. Zudem veranstalten die Boryokudan häufig große Feste innerhalb der Familie, wie Zeremonien der Namensgebung (Shumeihiro)16, Totenfeiern oder Büroeröffnungen. Dabei erhalten sie Gelder als Geschenke von Gesellschaftern, Unternehmen und anderen Organisationen. Diese Veranstaltungen bezeichnen sie als Girikake. das soviel bedeutet wie ..Belastung des gesellschaftlichen Verkehrs". 2) Diese neuen Finanzierungsmethoden werden laut Statistik immer häufiger angewandt. Sie lassen sich in drei große Gruppen unterteilen: a) die in die Privatkonflikte eingreifende Gewalt (Minjikainyuboryoku), b) die gegen Unternehmen gerichtete Gewalt und c) die Finanzierung unter dem Deckmantel der Legalität. 12 Vgl. lishiba (Anm. 5). S. 115. l3 Vgl./ishiba (Anm. 5). S. 118. 14 .,Nawabari" ist gern. § 9 Nr. 4 BBG der Bereich. der ohne anerkannte Rechte als Gebiet zur Gewinnerwirtschaftung eingerichtet ist. 15 Mikajimeryo und Yojinboryo lassen sich begrifflich nicht klar voneinander unterscheiden. 16 In dieser Zeremonie wird der Name des neuen Bandenvorstehers verkündet. Unwesentlich ist dabei. ob diese Bande unter der Schirmherrschaft einer größeren steht. Vielmehr fließt dann das Geld in die Kassen der übergeordneten Banden.

Neue Bekämpfungsstrategien gegen die organisierte Kriminalität in Japan

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a) Der Begriff "in die Privatkonflikte eingreifende Gewalt" Der Begriff ist 1979 erstmals von der obersten Polizeibehörde verwendet worden. Diese definiert das Vorgehen als "Gewalt, bei der die Boryokudan selber oder ihre Quasimitglieder zur Finanzierung durch ihre Machtandrohung in Privatkonflikte im alltäglichen Leben oder in wirtschaftliche Angelegenheiten Betroffener eingreifen". Sie nutzen dabei vor allem die Handlungsunfähigkeit der Gerichtsbarkeit in Japan. Als Beispiel ist hier die schneller funktionierende Schuldeneintreibung der Boryokudan zu nennen, die man intensiv bei der Schwindelwirtschaft betrieb. Dabei zwingen sie z.B. die Unternehmen unter Androhung ihrer Macht zur Rückzahlung verliehener Gelder. Die Darlehensgeber könnten zwar ihre Ansprüche gerichtlich geltend machen, aber zumeist dauert ihnen das Verfahren zu lange. Dagegen war während der Schwindelwirtschaft die Jiage üblich: Unter Androhung von Gewalt vertrieben die Boryokudan Pächter oder Mieter, um so günstig an die Immobilien zu gelangen. b) Die gegen Unternehmen gerichtete Gewalt Sie äußert sich in politischen oder sozialen Aktionen. Rechte Gruppen verlangen z.B. von Unternehmen finanzielle Unterstützungen oder den Kauf der von den Boryokudan herausgegebenen Broschüren l7 . Repräsentativ auf diesem Gebiet ist die Sokaiya. Durch die Androhung störender Äußerungen während einer Aktionärsversammlung erpressen sie Schweigegelder. Sokaiya bedeutet wörtlich übersetzt "Versammlungsleute". Diese Vereinigung zählte mit 6.783 im Jahre 1982 ihre meisten Mitglieder. Davon waren allein 2.012 Boryokudanmitglieder. Diese Zahl ging im Jahre 1983 auf 1.632 zurück, weil die Strafvorschrift gegen die "Interessenversorgung" (§ 497 HGB) 1982 in Kraft trat l8. So zählten die Sokaiyas 1989 nur noch 1.307 Mitglieder. Davon gehörten 91 Personen den Boryokudan an l9 .

17 Nach dem Inkrafttreten des BBG 1993 wurde eine Umfrage in den Betrieben bezügli' Forderungshandlungen der Boryokudan gegenüber großen Unternehmen durchgeführt. r waren in der Vergangenheit 993 (42,1 %) von 3.061 Betrieben betroffen. Ca. 80 % der Ur men berichteten, daß weniger gefordert wurde als im Jahr zuvor. So wurden mit 70 % arr sten der Kauf eigener Broschüren von sozialen Initiativen erzwungen und Schweigegelr die Sokaiya verlangt. Vgl. Hirofumi NaitolMasalwzu Kanazawa, Zur Opfersituation der dan nach dem Inkrafttreten des BBG, Keisatsugaku Ronshu, Bd. 46, H. 12, 1993, S. 35 { 18 Eine Affäre betreffend die Interessenversorgung ist gerade in den Medien wie Die Nomura-Effektenfirma und die Daiichikangin-Bank zahlten Unsummen an Gelr kaiya-Bande. 19 Vgl./ishiba (Anm. 5), S. 129. 66 Festschrift für G. Kaiser

.: ,0-

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c) Finanzierung unter dem Deckmantel der Legalität Die Boryokudan dehnen ihre Aktivitäten auf den Immobilienhandel, auf Geldgeschäfte und Geschäfte mit Bauunternehmen aus. Dazu gründen und betreiben sie Unternehmen selbst oder stehen mit anderen Personen eines Unternehmens in enger Verbindung. Diese Personen werden "Unternehmensbrüder" (Kigyoshatei) genannt. Sie sind an der Erhaltung sowie dem erfolgreichen Wirken der Organisation interessiert und setzen sich aktiv für die Boryokudan ein. Sie finanzieren Z.B. die Banden20 . Ihre Unternehmen bezeichnen wir als "Boryokudan-Front-Unternehmen" (BFU). Wir kennen 225 BF-Unternehmen in Japan. Sie begingen im Jahre 1995 205 aufgeklärte Straftaten. Davon erfüllten die meisten Taten (34) den Straftatbestand der Erpressung. Die Betrugsfälle nehmen die zweite Position ein. Folgende Geschäftsarten sind der Polizei bisher bekannt21 :

Geschäftsarten der aufgeklärten BFU (1995) Anzahl der Unternehmen

ro______~2~ O ------4rO~----~6~ O----~80 Bauuntemehmen

1;:~~~~~~~~~EIilIEIilIiiI

Immobilien ~~~~_ _ _m

~~~~1BEmEII Gast~tättenlNachtlokale !::~~s="a

GeldinstituteN ersicherungen

Restaurants/Caft!s Großhandel/Kleinverkauf Abfallbeseitigung Speditionen Herstellungsgewerbe sonstige

20 Vgl. Pohzel-Jahrbuch 1996, S 196 ff 21 Siehe dazu den Bericht in Polizei-Jahrbuch 1996, S 198.

EI Gesamtzahl

o o

nur Inagawakat

[J

nur Sumiyoshikal

nur Yamaguchlgurr

Neue Bekämpfungsstrategien gegen die organisierte Kriminalität in Japan

1009

2. Bedrohung der Gesellschaft durch Straftaten von Boryokudanmitgliedem

Die Anzahl der aufgeklärten Straftaten von Boryokudanmitgliedern und Quasimitgliedern betrug 1995 33.011. 11.699 Mitglieder wurden deshalb strafrechtlich verfolgt22 . Der Schwerpunkt der Polizeiarbeit richtet sich auf die Finanzierungsaktionen der Boryokudan, die gegen die Unternehmen gerichtete Gewalt, gegen den Waffenschmuggel und auf die Verhaftung der Boryokudanmitglieder, insbesondere ihrer Führungskräfte23 .

C. Entwicklung der Boryokudan nach dem Zweiten Weltkrieg I. Dreiteilung der Entwicklungsetappe der Boryokudan

Die Geschichte der Boryokudan läßt sich in drei Etappen einteilen24 : 1)

Erste Periode (1945-1960): Die strukturelle Veränderung der klassischen Yakuza

2)

Zweite Periode (1961-1985): Die Zeit der Systematisierung und Verbreitung der Boryokudan

3)

Dritte Periode (seit 1985): Die Entstehung monopolisierter Verbrechensunternehmen 25 .

11. Die erste Periode (1945-1960)

Sie begann mit dem Streit der Yakuza um die Vorherrschaft auf dem Schwarzmarkt26 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Neben den traditionellen Glücksspielern (Bakuto) und Marktschreiern bzw. Budenbesitzern 22 Vgl. Polizei-Jahrbuch 1996, S. 204. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Mitglieder/Quasimitglieder um 425 (1,3 %) und der Mitglieder um 1.223 (9,5 %) verringert. 23 Vgl. Hidenori Yoshida, Zukünftige Richtung nach einjährigem Inkrafttreten des BBG, Jurist (japanisch) 1021 (1993), S. 112; Mita, Sosakenkyu, Bd. 44, H. 9, S. 29. 24 Vgl. lishiba, Boryokudan im strukturellen Wandel der japanischen Gesellschaft, Jurist (japanisch) 985 (1991), S. 59 ff.; lishiba (Anm. 5), S. 65 f. 25 Über die Einrichtung von Unternehmen durch die Boryokudan vgl. Junichi Uchida, Der Charakterwandel im Wandel des wirtschaftlichen Milieus, Keisatsugaku Ronshu, Bd. 43, H. 6, S. 41 ff. 26 Als grundlegende Literatur zur soziologischen Forschung über Yakuza vgl. Hiroaki lwai, Byori Shudan no Kozo, 1963. Vgl. auch Katoh (Anm. 5), S. 105. 66·

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(Tekiya) traten junge Banden auf, die als Gurentai (wörtlich: Narren-Regiment) bezeichnet wurden. In der Zeit sozialer Wirren sorgten sie als lokale Yakuza in verschiedenen Orten, ihren Nawabari, mit Straftaten wie Erpressungen für ihren Lebensunterhalt27 . Durch zahlreiche Machtkämpfe untereinander bildeten sich unter ihnen einzelne Gruppen heraus.

III. Die zweite Periode (1961-1985)

Sie fallt in die Zeit des hohen Wirtschaftswachstums Japans. Die finanziell starken Banden saugten die schwächeren Boryokudan auf. Viele Gruppen gerieten so unter die Herrschaft der starken. Dabei wandten die großen nicht nur ihre Finanzkraft, sondern auch Waffengewalt an. Sie wuchsen zu größeren Gruppen heran. So zählte man im Jahre 1959 erstmals 100.000 und 1963 184.031 Boryokudanmitglieder. Das war die höchste MitgliederzahJ, die je erreicht wurde. Zu Beginn der 60er Jahre begann die Polizei deshalb mit der "ersten Verhaftungsaktion gegen Spitzenleute"28. Unter den Verhafteten befanden sich zahlreiche Führungspersonen, doch entließ man sie kurze Zeit später und die Boryokudan konnten ihre Macht in den folgenden Jahren weiter ausbauen. Die Polizei startete deshalb nach 1970 eine "zweite Verhaftungsaktion gegen Spitzenleute". Dabei hatte sie zielstrebig sieben die "Präfektur überschreitende Boryokudan" (Koikiboryokudan) bestimmt und verhaftete mehrere Personen in verschiedenen Gebieten zeitgleich. Im Herbst 1975 nahm sie dann die "dritte Verhaftungsaktion gegen Spitzenleute" vor. Grund dafür waren die harten bewaffneten Kämpfe der Boryokudan untereinander. Sie waren durch den Öl schock in finanzielle Schwierigkeiten geraten und führten deshalb mehr Schwarzimporte durch als zuvor. Sie bedrohten damit das Leben der Bürger Japans in bedenklicher Weise. Danach wurden die Finanzierungsaktionen vielfältiger. Die Boryokudan betrieben Gaststätten, Immobilienfirmen, Bauunternehmen und Geldinstitute. Die übergeordneten Organisationen finanzierten sich ohne Gewalttaten mit Hilfe von Jonokin (Zollabgaben). Sie wendeten sich von der rohen Gewalt ab und wurden zu Profitgesellschaften.

IV. Die dritte Periode (seit 1985)

Sie läßt sich als die Zeit der Monopolisierung einzelner großer Gruppen bezeichnen. Die Boryokudan beteiligten sich mehr und mehr am Wirtschaftsleben 27 Vgl. Iishibu, Boryodudan (Anm. 24), S. 59. 28 Dazu vgl. Huyushi (Anm. 9), S. 36 ff.

Neue Bekämpfungsstrategien gegen die organisierte Kriminalität in Japan

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Japans, wobei sie die Schwächen der sozialen, wirtschaftlichen und juristischen Institutionen ausnutzten 29 . Die auf verschiedene Weise gesammelten Gelder wurden nach Geldwäschen für weitere Investitionen verwandt. So wuchs die Finanzkraft der Banden um etliches und sie entwickelten sich zu Monopolen. Seit Ende der Schwindelwirtschaft beeinflussen sie Unternehmensgesellschaften, die Politik und verschiedene Bereiche des bürgerlichen Lebens. Die bloßen Straftatbestände des Strafgesetzbuches reichten für ein Vorgehen gegen die Boryokudan nicht mehr aus 30.

D. Übersicht zum Boryokudan-Bekämpfungsgesetz und seiner Anwendung I. Grundzüge des BBG

1. Zweck und Charakter Die Ziele des BBG sind in § 1 geregelt: Es sind 1)

die erforderlichen Normen gegen die gegenwärtigen Forderungshandlungen durch Boryokudanmitglieder zu regeln;

2)

notwendige Maßnahmen zum Schutz des bürgerlichen Lebens wegen Streitigkeiten zwischen feindlichen Boryokudan zu treffen und

3)

die Initiativen ziviler gemeinnütziger Vereinigungen gegen die Boryokudan zu unterstützen.

Diesen Zwecken entsprechend enthält das BBG folgende verwaltungstechnischen Regelungen: Die Boryokudan sind als erstes gern. § 3 BBG von den einzelnen Sicherheitsausschüssen (Koaniinkai) in den Präfekturen allgemein zu benennen. Die Kriterien für die Auswahl sind in § 3 streng normiert 31 : Danach müssen die Vereinigungen kollektiv Forderungshandlungen begangen haben. § 3 Nr. 1 fordert, daß der Zweck der Vereinigung auf den Gewinn von Geld durch Gewalttaten gerichtet ist; Nr. 2 , daß ein bestimmter Prozentsatz von Vorbestraften in der Vereinigung vorhanden, und Nr. 3, daß die Organisation 29 Das Keisatsucho regelte in Dezember 1986 das "Programm zur Gesamtstrategie gegen die Boryokudan". Sie besteht aus der Bekämpfung der drei Hauptquellen, die die Boryokudan unterstützen: Massenverhaftungen, Einziehung der Waffen und Einschränkung der Finanzierungsmöglichkeiten. 30 Zum Hintergrund der Gesetzgebung vgl. Hiroshi lshizuke. Hintergrund der Gesetzgebung des BBG, Keisatsugaku Ronshu, Bd. 45, H. I, S. 13 ff. 31 Die Anforderungen der "Benennung" lassen sich in drei Gruppen teilen: "materielles Ziel der betreffenden Organisation" (§ 3 Abs. I), "Prozentsatz der Vorbestraften" (Abs. 2) und "hierarchische Struktur der Organisation" (Abs. 3).

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hierarchisch strukturiert ist. Vor der Durchführung der Benennung müssen die Vereinigungen gern. § 5 öffentlich angehört werden. Nach § 6 sind dann sämtliche Ergebnisse der Sicherheitsausschüsse der Präfekturen dem staatlichen Sicherheitsausschuß vorzulegen. Erst wenn dieser die Voraussetzungen für die Benennung als erfüllt betrachtet, wird die Vereinigung beobachtet und bekämpft. Diese Entscheidung wird laut § 7 im Gesetzblatt veröffentlicht. Sie gilt gern. § 8 jedoch nur für die Dauer von drei Jahren. Letztlich können die Sicherheitsausschüsse nun nach §§ 13, 14 sofort Hilfe leisten, sobald sich ein Opfer meldet. Die Polizei muß also nicht wie bisher dem "Prinzip des Nichteingriffs in zivilrechtliche Streitigkeiten" folgen. 2. Die Strafvorschrift des § 9 BBG wegen Forderungshandlungen

Diese Norm wurde mit dem Reformgesetz von 1993 eingeführt und enthält sechs neue Straftatbestände wegen widerrechtlicher Finanzierungsaktionen. Sie beinhaltet folgende Tatbestände: Nr. 1: zu Unrecht verlangte Gelder oder Waren unter Ausnutzung spezieller Kenntnisse über unmoralische oder widerrechtliche Handlungen des Opfers, Nr. 2: zu Unrecht verlangte Schenkungen, Nr. 3: zu Unrecht erfolgtes Fordern von Geschäftsaufträgen, Nr. 4: Verlangen von Platzgeld, Nr. 5: Fordern von Schutzgeld, Nr. 6: Fordern überhöhter Zinsbeträge bei bestehenden Schulden, Nr. 7: Verlangen von Schulderlässen, Nr. 8: Fordern von Darlehensgewährungen, Nr. 9: Erpressung von ungewollten Kreditgeschäften der Effektenfirmen, Nr. 10: Zwang zum Kauf von Boryokudan-Aktien, Nr. 11: Vertreibung von Mietern und Pächtern, um an Immobilien zu gelangen, Nr. 12: Verhinderung von Ausschreibungen, um selbst an Aufträge zu gelangen, Nr. 13: Zwang zum Vergleich in Zivilprozessen, Nr. 14: Verlangen von Geldern oder Waren unter einem falschen Vorwand, wie Waren mangel.

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§ 11 BBG Abs. 1 enthält die für diese Straftaten notwendigen "Unterlassungsanordnungen" (Chushimeirei) der Sicherheitsausschüsse. Besteht Wiederholungsgefahr, regelt § 11 Abs. 2 BGB die erforderlichen "Präventionsanordnungen" (Saihatsuboshimeirei).

In § 46 BBG sind die Sanktionen bei einem Verstoß gegen die Anordnungen geregelt. Sie umfassen Geldstrafen von bis zu einer Million Yen oder Gefängnis bis zu einem Jahr. 3. Teilnahme

Die Teilnahme ist in § 10 Abs. 1 BBG normiert: "Die Mitglieder der bestimmten Boryokudan dürfen weder beauftragt noch aufgefordert oder angestiftet werden, Gewalttaten zu begehen". Abs. 2 verbietet die Beteiligung an diesen Taten oder deren Unterstützung. § 12 regelt die Präventionsanordnung gegen die Straftatbestände des § 10 Abs. 1 und die Unterlassungsordnungen nach Abs. 2. Nach § 47 Nr. 1 sind die Verletzungen der Anordnungen mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe unter 500.000 Yen zu sanktionieren. 4. Regelungen zum Eintrittszwang § 16 schreibt vor, daß Mitglieder der angewiesenen Boryokudan Jugendliche32 nicht zum Eintritt zwingen dürfen. Die Präventionsanordnungen und die Sanktion bei Verstoß gegen diese sind in § 18 und § 47 Abs. 3 geregelt33 . Allerdings fehlen Vorschriften zur Unterlassungsanordnung.

5. Unterstützung für Austrittswillige

Nach § 28 Abs. 1 kann der Sicherheitsausschuß präventive und sonstige im Einzelfall erforderliche Maßnahmen für Austrittswillige vornehmen. Dazu gehören die Suche eines Arbeitsplatzes für ausgetretene Personen, der präventive Schutz gegen Aktionen der Boryokudan und die Unterstützung bei der Resozialisierung.

32 ,,Jugendliche" sind gern. § 16 Abs. I BBG Personen unter 20 Jahren. 33 Vgl. Yoshida, Das System zur Verhinderung des Eintrittszwangs der Boryokudan und der Förderung des Austritts aus den Boryokudan, Hanzai to Hiko 94 (1992), S. 95 ff.

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6. Zentrum zur Förderung der Gewalt-Eindämmungs-Initiative

Um den Taten der Boryokudanmitglieder vorzubeugen und den Opfern helfen zu können, ist es uneriäßlich, Aktionen der Bevölkerung gegen die Boryokudan zu fördern. Das BBG hat deshalb im fünften Kapitel die Errichtung von "Zentren zur Förderung der Gewalt-Eindämmungs-Initiativen auf Präfekturebene" eines jeden Landes (§ 31) bestimmt. Ein Zentrum ist für Gesamtjapan gern. § 32 zuständig. In jedem Zentrum einer Präfektur werden "Fachleute für die Gewalt-Eindämmung" als Ratgeber eingesetzt. Diese Zentren machen Werbung, unterstützen spontane Bürgerinitiativen und organisieren Aufklärungsveranstaltungen. Sie informieren die Bürger über typische Straftaten (§ 31 Abs. 2 Nr. 3), sprechen über die Beeinflussung Jugendlicher durch die Boryokudan (Nr. 4) und versuchen, Austrittswillige in ihrem Wunsch zu stärken (Nr. 5).

11. Statistische Daten zur Anwendung des BBG

J. Bestimmungen und Unterlassungsanordnungen

Vom Inkrafttreten des BBG bis jetzt wurden insgesamt 25 Boryokudan-Organisationen für jeweils 3 Jahre benannt. Allerdings mußte im Oktober 1995 eine Benennung widerrufen werden, weil die Organisation von einer anderen absorbiert worden war. So waren es Ende 1995 insgesamt 24 benannte Organisationen 34 . Die Anzahl der Unterlassungsanordnungen belief sich im sei ben Jahr auf 1.321 35 . Damit wurden seit Inkrafttreten des BBG 3.229 Anordnungen erlassen. 814 Anordnungen (61,6 %) richteten sich dabei gegen Forderungshandlungen i.S.d. § 9 BBG. In 437 Fällen (33, I %) wurden Personen vor dem Zwang zum Eintritt und vor Austrittsverhinderungen nach § 16 BBG bewahrt. Anordnungen wegen ungerechtfertigten Forderns von Schutzgeldern ergingen in 376 Fällen (28,5 %). Mit dem Inkrafttreten des BBG wurden die offensichtlich illegalen Finanzierungsmöglichkeiten der Boryokudan extrem eingeschränkt. Daher läßt sich vermuten, daß die legal erscheinenden Finanzierungsaktionen der BF-Unternehmen wesentlich an Bedeutung gewonnen haben. Es ergingen gegen die sich auf diese Weise finanzierenden Boryokudan zahlreiche Anordnungen: gegen die Yamaguchi-Gumi 536 (40,6 %), gegen die Inagawa-Kai 237 (17,9 %) und 34 Polizei-Jahrbuch für 1996, S. 205 f. 35 Polizei-Jahrbuch für 1996, S. 207.

Neue Bekämpfungsstrategien gegen die organisierte Kriminalität in Japan

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gegen die Sumiyoshi-Kai 189 (14,3 %). Insgesamt gehen 72,8 % aller Unterlassungsanordnungen auf deren Konten 36 .

2. Austrittsförderung und Resozialisierung der Mitglieder Die nunmehr eingeschränkten Finanzierungsmöglichkeiten der Boryokudan wirken sich sowohl auf den Altersdurchschnitt der Mitglieder als auch auf die Austritte aus den Organisationen aus. Sie sind für Jugendliche nicht mehr attraktiv genug, da man mit ihrer Hilfe nicht mehr genug Geld verdienen kann. Während die meisten Mitglieder im Jahre 1974 zwischen 20 und 30 Jahre alt waren, liegt der Altersdurchschnitt nun (1994) bei 40 bis 5037 . Im Jahre 1995 sind ca. 550 Personen aus den Banden ausgetreten 38 . Damit sind es seit dem Inkrafttreten des BBG rund 2.700 Mitglieder. In 31.263 Fällen wurden Polizei oder Präfekturzentren informiert. Über bevorstehende Gewalttaten wurden sie in 9.344 (29 %) Fällen unterrichtet. 1.922 Fälle (6,4 %) bezogen sich davon auf Ein- oder Austritte. Zur Wiedereingliederung ehemaliger Boryokudanmitglieder hat man in jeder Präfektur "Beratungskomitees zur Resozialisierung" eingerichtet. Hier arbeiten Vertreter der Polizei, der Präfekturzentren und Unternehmen zusammen. Durch diese Komitees haben im Jahre 1994 ca. 270 ehemalige Boryokudanmitglieder einen neuen Arbeitsplatz gefunden 39 .

E. Reformvorschläge zum Gesetz gegen die organisierte Kriminalität I. Bleibende Probleme des BBG

Der Polizei erscheint das BBG für eine effektive Bekämpfung der organisierten Kriminalität nicht ausreichend, da die Banden sich mehr und mehr legal verkleideter Mittel bedienen. Darum werden folgende Reformvorschläge gemacht40 : 36 Polizei-Jahrbuch für 1996, S. 207 ff. 37 Mita (Anm. 23), S. 31; Nobuo Hitomi, Erfolg und zukünftige Aufgabe des BBG, Hanzai to Hiko, Nr. 106, S. 56 f. 38 Polizei-Jahrbuch für 1996, S. 209. 39 Mita, Sosakenkyu, Bd. 44, H. 10, S. 24. 40 Einige der genannten Reformvorschläge sind schon am Anfang des Gesetzgebungsprozesses als "Grundgedanken des Gesetzentwurfes zur Bekämpfung gegen die Boryokudan" am 27. Februar 1991 von Keisatsucho (Strafrechtsabteilung) veröffentlicht worden. Vgl. Katah, Jurist (japanisch) 985 (1991), S. 52; Katoh (Anm. 5), S. 155 ff.; Uchida, BBG - Bleibende Aufgabe und künftige Aussicht, Keisatzugaku Ronshu, Bd. 45, H. I, S. 71.

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1)

die Errichtung einer verwaltungs- oder strafrechtlichen Institution zur Entziehung des illegalen Gewinns;

2)

Verbot der Betriebe, bei denen davon auszugehen ist, daß sich die Boryokudan dort einmischen und von ihnen heraus Gewalttaten begehen;

3)

Gründung einer rechtlichen Institution, mit deren Hilfe die Opfer schneller an ihren Schadensersatz gegen die Boryokudan gelangen können;

4)

Regelungen gegen die Taten der Quasimitglieder und sonstiger die Boryokudan unterstützender Personen;

5)

die verwaltungs- oder strafrechtliche Haftung der Organisation als solche oder des Anführers bei Gewalttaten der Untergeordneten und

6)

die Schaffung von Informationsquellen über die Mitglieder der Boryokudan.

Diese Vorschläge berühren jedoch die Betriebsfreiheit, die Organisationshaftung und den Schutz der individuellen Informationen. Sie würden möglicherweise eingeschränkt. Daher erscheint mir eine vorsichtige Prüfung geboten.

11. Gesetzgebungsvorschlag zum "Gesetz gegen die organisierte Kriminalität"

Die damalige Iustizministerin hat 1996 den Beratungsausschuß für die Gesetzgebung (Hoseishingikai) (Befragung Nr. 42) zur Vorlage eines Programms strafrechtlicher Bekämpfung der organisierten Kriminalität einberufen 41 . Themen waren: Die Schaffung von Straftatbeständen gegen organisierte Gewalttaten, die Bestrafung wegen der Errichtung eines Betriebes aus illegalen Gewinnen, die Erweiterung des Anwendungsbereiches von Verfall und Einziehung, das Abhören elektronischer Kommunikationsmittel auf gerichtlichen Erlaß hin, Normen zum Zeugenschutz und zum Verfahren hinsichtlich des Verfalls. Der Grund für die Gesetzesreform liegt laut der "Kurzen Erklärung der zuständigen Abteilung" im Iustizministerium in folgendem: "Neuerdings nehmen die organisierten Straftaten im Bereich des Drogen- und Waffenhandels durch die Boryokudan und die sonstigen Straftaten mit dem Ziel des Erreichens und Behaltens illegaler Gewinne durch diese Organisationen zu. Auch die brutalen Straftaten durch große Organisationen wie Z.B. durch die Aum-Sekte entstehen nicht selten. Die enorme Wirtschaftskriminalität sowie das betrügerische Han41 Zum Inhalt dieser Befragung vgl. Jurist (japanisch) 1103 (1996), S. 165 ff.; Homusho (Anm. 5), S. 145 ff.

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delssystem42 sind zudem mit der Ausnutzung juristischer Personen, wie Firmen, verbunden. Alle diese Straftaten bedrohen mehr und mehr das friedliche bürgerliche Leben. Darüber bedrohen sie die Erhaltung und Weiterentwicklung der gesunden Gesellschaft und Wirtschaft". Die Strafrechtsabteilung des Beratungsausschusses legte am 11. November 1996 einen "Referentenentwurf zur erneuten strafrechtlichen Bekämpfung der organisierten Kriminalität" vor, der im Mai 1997 nach einer Reihe von Sitzungen fertiggestellt wurde. Danach umfaßt der Begriff der organisierten Kriminalität nicht nur die Straftaten der Boryokudan, sondern auch verschiedene andersartig organisierte Straftaten. Da diese Reform wesentliche Änderungen der bisherigen straf- und strafprozeßrechtlichen Theorien und Praxen beinhaltet, wird daran heftig Kritik geübt43 . Es fragt sich auch, ob dieser Vorschlag erforderlich und geeignet ist«. Vor allem protestieren viele gegen die Abhörbefugnis, denn sie wirft nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken auf, sondern ihre Voraussetzungen sind zudem recht unbestimmt45 . Ich mußte meine Erörterungen in diesem Beitrag darauf beschränken, Hintergrund und Bilanz der neueren Bekämpfungsstrategien durch die Einführung des Boryokudan-Bekämpfungsgesetzes den deutschen Lesern vorzustellen, weil das zuletzt erwähnte Gesetzgebungskonzept für einen Bericht ins Ausland noch zu aktuell und zu sehr in Bewegung ist.

42 Als deutschsprachige Literatur über das "Handels system" (Akutokushoho) vgl. Keiichi Yamanaka, Die gegenwärtige Aufgabe des Wirtschaftsstrafrechts in Japan, in: Kühne/Miyazawa (Hrsg.), Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich, 1995, S. 92 ff. 43 AsadalOdanaka/Kawasaki/fakadaiMurai, Gegenmeinung zur "Bekämpfung der organisierten Kriminalität", Hogaku Seminar Nr. 506, S. 112 f.; Kazushige Asada, Problematische Fragen der Bekämpfungsgesetzgebung gegen die organisierte Kriminalität, Horitsu Jiho, Bd. 68, H. 13, S. 2 ff.; Kenichi Nakayama, Zur Strafqualifizierung der organisierten Kriminalität, Horitsu Jiho, Bd. 69, H. 3, S. 39 ff.; Shinichi Ishizuka, Problematische Fragen der materiellen Vorschriften im Bekämpfungsgesetz gegen die organisierte Kriminalität, Hogaku Seminar Nr. 507, S. 4 ff. 44 Fusaki Odanaka/Katsuhiko limuro. Was soll man über die Bekämpfungsgesetzgebung gegen die organisierte Kriminalität denken?, Hogaku Seminar Nr. 508, S. 16. 45 Yasunari Hisaoka, Problematische Fragen zur Abhör-Gesetzgebung, Kikan-Keijibengo, Nr. 9, S. 10 ff.; Hideaki Kawasaki, Verfassungsrechtliche Probleme der Abhör-Gesetzgebung, Horitsu Jiho, Bd. 69, H. 4, S. 47 ff.; Odanakallimuro, Hogaku Seminar Nr. 508, S. 19 ff., Nr. 509, S. 16 ff. Umfassend zur Abhör-Gesetzgebung, vgl. Masahito Inoue, Jurist Gapanisch) 1103 (1996). S. 73 ff.

ELEONORA ZIELrNSKA

Gewalt gegen Frauen in Polen

I. Kriminologische und strafrechtliche Aspekte der mit der Gewaltanwendung gegenüber Frauen verbundenen Kriminalität erregen in letzter Zeit verstärkt das Interesse der Wissenschaft. Auch Prof. Günther Kaiser wandte sich in seinen vor dem Hintergrund der Gewalt in der Familie geführten Erwägungen diesem Thema zu. Zwar galt sein Hauptinteresse der Kindesmißhandlung l , in seiner "Kriminologie" aber ging er auch auf Schwierigkeiten bei der Feststellung des tatsächlichen Ausmaßes körperlicher Mißhandlung und sexuellen Mißbrauchs der Frauen in der Familie ein und formulierte wichtige Bemerkungen zur rechtlichen Bewertung der Vergewaltigung in der Ehe 2 . In Polen wird hervorgehoben, daß das Phänomen der Gewalt gegen Frauen immer noch weder hinreichend erkannt noch als ein spezifisches soziales Problem angesehen wird. Bis vor kurzem waren es nur feministische Kreise, die diesem Problem gebührend Aufmerksamkeit schenkten und u.a. auf die Notwendigkeit seiner besonderen Berücksichtigung in der sozialen Politik des Staates hinwiesen. Der Umbruch kam erst mit den 1995 begonnenen Vorbereitungen zur IV. Frauenkonferenz in China. Die Notwendigkeit von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen machte erst einmal allen klar, wie wenig in diesem Bereich bisher getan wurde und wie groß der Handlungsbedarf tatsächlich ist3 . Wenn auch einigen Aspekten dieser Problematik in kriminologischen und insbesondere in viktimologischen Arbeiten der letzten Jahre ein gewisses Inter-

I Kaiser, Kindesrnißhandlung gestern und heute aus kriminologischer Sicht (hrsg. von Haesler), 1983, S. 11-33. 2 Kaiser, Kriminologie. Eine Einführung in die Grundlagen, 7. Aufl. 1985, S. 305 ff. 3 1996 wurde das Regierungsprogramm für die Bekämpfung der Gewa1t in der Familie angenommen und 1997 der Regierungsplan für die Verbesserung der Situation der Frauen.

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esse gewährt wurde4 , so geschah dies stets in einem krassen Mißverhältnis zum tatsächlichen Gewicht dieses Problems 5 . Mehr noch, die Folgerungen mancher Untersuchungen hatten den Tenor "nicht der Mörder, sondern der Ermordete sei schuldig" und gaben der u.a. von Prof. Günther Kaiser so kritisierten allgemeinen "Tendenz zur Exkulpierung des Täters"6 Ausdruck. Im Hinblick auf Gewalt gegen Frauen hatte eine solche Auffassung schwerwiegende negative Folgen, insbesondere weil sie zur Aufrechterhaltung schädlicher stereotyper Vorstellungen über Vergewaltigung und Mißhandlung in der Familie beitrug und vielfach dazu führte, daß der Täter nicht nur der gerechten Strafe entkommen konnte und an eigene "Unschuld" glaubte, sondern sich darüber hinaus in der äußerst geHihrlichen Überzeugung von dem Vorhandensein einer gesellschaftlichen Einwilligung in die Anwendung der Gewalt als einer disziplinierenden, die Rolle der Frau in der Familie bestimmenden Maßnahme bestärkt fühlte. In der vorliegenden Arbeit werden - von der feministischen Definition der Gewalt gegen Frauen ausgehend - statistische Daten über das Ausmaß dieser Erscheinung in Polen sowie die Ergebnisse einiger Untersuchungen von Gerichtsakten mit näheren Angaben über die Tat selbst, über den Täter und das Opfer dargestellt. Es werden außerdem die Angaben zur strafrechtlichen Reaktion auf dieses Phänomen seitens der polnischen Rechtspflegeorgane berücksichtigt sowie diejenigen Bestimmungen der neuen polnischen, am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Strafgesetze von 1997 besprochen, die bei der Bekämpfung dieser Kriminalitätsart zur Anwendung kommen können.

11. Die im feministischen Schrifttum als "Gewalt gegen Frauen" bezeichnete Erscheinung läßt sich nur schwer präzise definieren. Es ist offensichtlich, daß nicht alle unter Anwendung von Gewalt begangenen Straftaten, deren Opfer 4 Vgl. u.a. Holyst, Rola ofiary w genezie prz~stepstwa (Die Rolle des Opfers in der Genese der Straftat), Panstwo i Prawo 1964, Nr. 11; Leszczyizski, Z problematyki etiologii przest~pstw seksualnych (Zur Problematik der Ätiologie von Sexualdelikten), Panstwo i Prawo 1973, Nr. I; Bieniek, Rola ofiary w genezie przest~stwa zgwalcenia (Die Rolle des Opfers in der Genese von Vergewaltigungsdelikten), Slutba MO 1974, Nr. 4-5; Jabloizska, Analiza zachowania si~ ofiar zgwalcen zbiorowych w aspekcie profilaktyki kryminologicmej (Analyse des Verhaltens von Opfern der Gruppenvergewaltigungsdelikte unter dem Aspekt der kriminologischen Vorbeugung), Studia Kryminologiczne, Kryminalistyczne i Penitencjame 1974, Nr. 4; Bienkowska, Wplyw zachowania ofiary na rozstrzygni~cie sprawy 0 zgwalcenie (Einfluß des Opferverhaltens auf die Entscheidung in Vergewaltigungssachen), Ossolineum Wroclaw 1984. 5 Siehe GoronowskalPlatek, On Victimization of Women in Poland, Center of Europe, Warsaw University Bulletin 1995, Nr. 1, S. 30 ff. 6 Vgl. die Bemerkungen zu solchen Untersuchungen bei Kaiser (Anm. 2).

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Frauen sind, dieser Straftatenkategorie zugerechnet werden können bzw. sollen. Gleichzeitig aber fällt es schwer zu bestimmen, was eigentlich als spezifisches Merkmal (differentia specijica) von Taten anzusehen ist, die wir als diese Art der Kriminalität qualifizieren können. Die Besonderheit dieses Phänomens versuchte man in einigen völkerrechtlichen Dokumenten in einem konkreten rechtlichen Kontext, nämlich dem der Verletzung der Menschenrechte7 , zu bestimmen. Außerdem war man um eine Erklärung der Ursachen und sozialen Funktionen der Gewalt gegen Frauen sowie um die Bestimmung von Kriterien bemüht, die sich bei der Erschließung dieses Phänomens als hilfreich erweisen sollten. Des weiteren wurden einzelne Anzeichen der Gewaltanwendung zusammengestellt, unter Berücksichtigung auch derjenigen, die früher nur in bestimmten Kulturen oder geographischen Regionen anzutreffen waren und heutzutage aus Migrationsgründen überall präsent sind. Für die nähere Erklärung dieser Gewaltform wird im Englischen auf die Bezeichnung "gender violence" oder "gender based violen ce" zurückgegriffen, die Z.B. nach R. Cope\on "encompasses forms of violence that perpetuate and exploit the dichotomy between women and men in order to assure the subordination and inferiority of women and all that is associated with the feminine"8. Das Komitee zur Eliminierung sämtlicher Formen der Frauendiskriminierung (CEDAW) definiert gender violence wie folgt: "violence that is directed against women because she is a woman, or wh ich affect women disproportionately"9. Die wohl umfangreichste Definition der Gewalt gegen Frauen enthält die UN-Deklaration zur Eliminierung der Gewalt gegen Frauen (im folgenden Deklaration), eines der wichtigsten völkerrechtlichen Dokumente in diesem Bereich lO (später durch die 1995 Beijing Platform for Action ergänzt, die 1994 in die Inter-American Regional Convention in the Prevention, Punishment and

7 The Vienna Dec1aration and Programme of Action, June 1993, World Conference on Human Rights sowie The Beijing Platform for Action, Sept. 1995, IV World Conference on Women. 8 Vgl. Copelon, Recognizing the Egregious in the Everyday: Domestic Violence as Torture, Columbia Human Rights Law Review 25 (1994), S.292. Auf die charakteristische ..structual power relation" bei Gewalt gegen Frauen weist auch die deutsche Frauenbewegung hin. Vgl. AlbrechtiAmold, Research on Victimization and Related Topics in the Federal Republic of Germany - A Selection of Research Problems and Results, in: Kaiser/Kury/Albrecht (eds.), Victims and Criminal Justice, 1991, S. 24 und die dort zitierte Literatur. 9 General Recommendation Nr. 19 (1992). \0 Vnited Nations, Dec1aration on the Elimination of Violence Against Women, adopted by General Assembly in 1993, S. 6. G.A. Res. 104, V.N. GAOR, 48th sess. SUPPt No. 49, VN Doc.

A/48/49 (1993).

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Eleonora Zielinska

Eradication of Violence Against Women, das erste diesbezügliche multilaterale Abkommen auf diesem Gebiet, aufgenommen wurde I I ). Im Lichte dieser Deklaration ist Gewalt gegen Frauen eine Manifestation historisch bedingter und auf dem Machtverhältnis beruhenden Ungleichheit zwischen Mann und Frau. Laut Art. 1 der Deklaration bedeutet Gewalt gegen Frauen "any act of gender-based violence that results in or is likely to result in physical, sexual or psychological harm or suffering to women, including threats of such acts, coercion or arbitrary deprivation of liberty, whether occurring in public or private life". In der Deklaration werden auch bestimmte Gewaltarten enumerativ aufgeführt, mit dem Vorbehalt allerdings, daß diese Liste nicht abgeschlossen ist. Unter Verweis auf die oben zitierten Definitionen fallen unter die Gewalt gegen Frauen mindestens zwei Deliktsgruppen. Die erste umfaßt die in Polen eher seltenen Straftaten, deren Opfer von Natur aus nur Frauen sein können (wie z.B. Zwangsschwangerschaft oder Schwangerschaftsunterbrechung ohne Einwilligung der Schwangeren). Zum zweiten sind es Straftaten, die als "geschlechtsneutral" gelten bzw. gelten können, bei denen aber Frauen unverhältnismäßig häufiger zu Opfern männlicher Täter werden. Unter diesen Straftaten werden die bereits erwähnte, im polnischen Recht als Mißhandlung qualifizierte "familiäre Gewaltanwendung" oder "Gewalt in der Familie" sowie verschiedene Formen sexueller Gewalt oder sexueller Nötigung in Verbindung mit Pornographie, Ausbeutung der Prostitution und Frauenhandel, und dies sowohl in bezug auf erwachsene Frauen als auch auf Mädchen, genannt l2 . In über 90 % aller Fälle werden Frauen zu Opfern, knapp 90 % der Täter sind Männer. In weiteren Erwägungen wollen wir uns auf die Besprechung von drei Verbrechensarten beschränken, die der zweiten Gruppe zuzuzählen sind, und zwar Mißhandlung, Vergewaltigung sowie Ausbeutung der Prostitution und Frauenhandel.

11 OAS General Assembly, 24th sess., am 3. Män 1995 mit 2 Ratifizierungen in Kraft getreten. 12 Zu dieser Gruppe werden außerdem einige Straftatbestände gezählt, bei denen zu direkt Geschädigten Kinder beider Geschlechter werden, wie z.B. das Sich-Entziehen der Unterhaltspflicht, was auch als eine Form wirtschaftlicher Gewalt gegen alleinstehende Mütter angesehen werden kann, GoronowskalPlatek (Anm. 5).

Oewalt gegen Frauen in Polen

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111. Die Mißhandlung gehört zu den typischen Straftaten, die der Gewalt gegen Frauen zugerechnet werden. Hierfür spricht, daß unter den Opfern Frauen überrepräsentiert sind. Aus den von H. Kolakowska-przelomiec durchgeführten 13 und durch andere Erhebungen l4 bestätigten Untersuchungen geht hervor, daß 99 % aller Opfer Frauen sind. Opfer männlicher Täter (97-98 % aller Fälle l5 ) waren in 81 % der Fälle Ehefrauen, in 5 % Ex-Ehefrauen, in 3 % Lebensgefährtinnen und in 2 % Schwiegermütter. Die Zuordnung dieser Straftat zu der besprochenen Verbrechenskategorie rechtfertigt darüber hinaus die Tatsache, daß zu ihren Merkmalen auch das besondere Abhängigkeitsverhältnis gehört. Gemäß Art. 184 § 1 StGB 1969 wird mit Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer ein Mitglied seiner Familie oder eine andere zum Täter in einem dauernden oder vorübergehenden Abhängigkeitsverhältnis stehende Person oder einen Minderjährigen oder eine hilflose Person körperlich oder moralisch mißhandelt (quält). Hat der Geschädigte als Folge der Tat Selbstmord begangen, so droht dem Täter Freiheitsentzug von einem bis zu zehn Jahren. Die Novelle zum StGB vom 12.07.1995[6 ergänzte Art. 184 § 2 StGB um den zweiten qualifizierten Typus (Handeln mit besonderer Grausamkeit). Für das Vorliegen der Straftat aus Art. 184 StGB war somit die Feststellung des zwischen dem Täter und dem Geschädigten bestehenden besonderen Verhältnisses notwendig, das entweder auf familiäre Bande oder auf andere, zur Abhängigkeit des Geschädigten vom Täter führende Situationen, Fakten oder Geschehnisse zurückging. Im Lichte der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes[7 ist unter der gesetzlichen Bezeichnung "mißhandelt (quält)" jedes Tun oder Unterlassen zu verstehen, das darin besteht, daß dem Geschädigten vorsätzlich körperlicher bzw. empfindlicher moralischer Schmerz zugefügt wird, und dies wiederholt 13 Kolakowska-Pnelomiec, Przest,