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German Pages 351 [352] Year 2018
Michael Forster, Johannes Korngiebel, Klaus Vieweg (Hg.) Idealismus und Romantik in Jena
jena-sophia Studien und Editionen zum deutschen Idealismus und zur Frühromantik Herausgegeben von Christoph Jamme und Klaus Vieweg Wissenschaftlicher Beirat Stephen Houlgate (Warwick) Francesca Iannelli (Rom) Anton Friedrich Koch (Heidelberg) Taiju Okochi (Tokyo) Robert B. Pippin (Chicago) Allen Speight (Boston) Abteilung II – Studien Band 17
2018
Michael Forster, Johannes Korngiebel, Klaus Vieweg (Hg.)
Idealismus und Romantik in Jena Figuren und Konzepte zwischen 1794 und 1807
Wilhelm Fink
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung. Umschlagabbildung: Jena – Blick vom Philosophengang (um 1800) kolorierte Radierung von F. W., Stadtmuseum Jena
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2018 Wilhelm Fink Verlag, ein Imprint der Brill Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-7705-6296-1
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Zur frühen Konstellation um Fichte Andreas Schmidt Fichtes Begriff der „Einbildungskraft“ und seine Maimonschen Ursprünge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Suzanne Dürr Fichtes Theorie der Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Schelling, August Wilhelm Schlegel und Schleiermacher Markus Gabriel Schelling als Nachkantianer oder: Wie unser Denken die Realität zu erfassen in der Lage ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Marco Aurélio Werle A. W. Schlegels Kunstlehre als Philosophie der Kunst und romantische Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kristin Gjesdal Das Gedankenspiel – A. W. Schlegel zum modernen Drama und romantischer Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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François Thomas Schleiermacher und seine Platon-Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Friedrich Schlegel und Hegel Michael N. Forster Friedrich Schlegel and Hegel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
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INHALT
Johannes Korngiebel Schlegel und Hegel in Jena. Zur philosophischen Konstellation zwischen Januar und November 1801. . . . . . . . . . 181 Klaus Vieweg Eine Entdeckungsreise ins Wissen – Zu Hegels Jenaer Antwort auf die Bewusstseinsphilosophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Sebastian Stein Die spekulative Einheit von Geist und Natur: Hegels absoluter Idealismus als Selbstwissen der ontologischen Vernunft . . . . . . 231 Folko Zander Hegels Kritik am Formalismus Kants und Friedrich Schlegels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 IV. Zur späten Konstellation und Rezeption Francesco Campana Die Einteilung der Poesie. Bemerkungen zu K. W. F. Solgers Gattungspoetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 James Vigus A Weimar Constellation: Aesthetic Autonomy in Henry Crabb Robinson’s Private Lectures (1804) and Madame de Staël’s Corinne ou l’Italie (1807) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Andrew Bowie Das ‚uns gegebene Absolute‘. Ästhetik zwischen Idealismus und Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Helmut Hühn Romantik und Idealismus. Überlegungen zur Konfliktgeschichte der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Vorwort Die meisten der in diesem Band versammelten Beiträge gehen auf die internationale Tagung Idealismus und Romantik in Jena zurück, die vom 16. bis 18. März 2017 an eben jenem Ort stattfand, an dem die Philosophie um 1800 einen ihrer seltenen Höhepunkte erreichte. In Jena, das zwischen 1794 und 1807 zur Keimzelle zweier geistiger Bewegungen von Weltgeltung wurde, tauschten und diskutierten Teilnehmer aus sechs Ländern die Ergebnisse ihrer Forschungen. Dabei wurde nicht nur die rasante Entwicklung immer neuer Ideen untersucht, die eine beachtliche Anzahl junger, kreativer Geister durch fruchtbaren Austausch und gegenseitige Kritik in kürzester Zeit hervorbrachten. Gefragt wurde auch nach dem Neben- und Gegeneinander von Idealismus und Romantik, den Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Synergien und Widersprüchen und deren Konsequenzen für ein angemessenes Verständnis der Moderne. – Für ihre Beiträge, Diskussionen und gegenseitigen Anregungen, die dieses Problemfeld aus einer philosophischen Perspektive historisch wie systematisch näher in den Blick nahmen, sei allen Teilnehmern herzlich gedankt. Zusätzlich konnten in den vorliegenden Band Beiträge von Markus Gabriel, François Thomas und Folko Zander aufgenommen werden. Sie ergänzen und vertiefen das während der Konferenz Diskutierte, wofür den Autoren ebenfalls herzlich gedankt sei. Zusammen genommen ergibt sich auf diese Weise ein Überblick über die Figuren und Konzepte, die die Jenaer Debatten zwischen Idealismus und Romantik um 1800 entscheidend mitgeprägt haben. Dieser reicht von den Anfängen bei Fichte und Novalis, über Schelling, August Wilhelm Schlegel und Schleiermacher, bis hin zu Friedrich Schlegel und Hegel und wird – nach weiteren Beiträgen zu Solger und Crabb Robinson – durch zwei Aufsätze abgerundet, die sich mit der Rezeption der Jenaer Konstellation beschäftigen. Für die großzügige Finanzierung der Tagung wie des Sammelbandes sind wir der Alexander von Humboldt-Stiftung zu Dank verpflichtet. Durch Hilfe während der Organisation machte sich Jaroslaw Bledowski verdient. Zu danken ist zudem Klaus Schwarz, dem Leiter des Jenaer Romantikerhauses, in dem wir einen Teil unserer Vorträge abhalten durften, sowie der Friedrich-Schiller-Universität
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VORWORT
Jena, deren Räume wir ebenfalls nutzen konnten. Schließlich sei Sophie Witsch herzlich gedankt – sie hat nicht nur die Tagung mit organisiert, sondern auch die Druckvorlage des Bandes erstellt. Michael Forster, Johannes Korngiebel und Klaus Vieweg Bonn, Weimar und Jena, im Mai 2018
I. Zur frühen Konstellation um Fichte
Andreas Schmidt ( jena)
Fichtes Begriff der „Einbildungskraft“ und seine Maimonschen Ursprünge I. Einleitung Ohne Zweifel spielt der Begriff der Einbildungskraft eine zentrale Rolle in der Philosophie der Romantik. Die Art und Weise, wie dieser Begriff verwendet wird, ist aber oft weit entfernt von dem, wie dieser Begriff gemeinhin verstanden wird. Es geht offenbar nicht nur darum, sich Dinge zu imaginieren, die nicht existieren. Novalis schreibt z. B. in seinen Fichte-Studien: Ichheit oder productive Imaginationskraft, das Schweben – bestimmt, producirt die Extreme, das wozwischen geschwebt wird – Dieses ist eine Täuschung, aber nur im Gebiete des gemeinen Verstandes. Sonst ist es etwas durchaus Reales, denn das Schweben, seine Ursache, ist der Quell, die Mater aller Realität, die Realität selbst. (NW II, S. 177, Fragment Nr. 555)
Die Einbildungskraft „schwebt“ also zwischen Extremen, sie ist zudem „die Mater aller Realität“, also offenbar grundlegend für unser Realitätsverständnis. Wenn wir „Einbildungskraft“ im alltäglichen Sinn verstehen, ergeben diese Zeilen wenig Sinn. Novalis scheint hier ein besonderes Verständnis vorauszusetzen. Kurz davor schreibt er ganz ähnlich: Alles Seyn, Seyn überhaupt ist nichts als […] Schweben zwischen Extremen, die nothwendig zu vereinen und nothwendig zu trennen sind. Aus diesem Lichtpunkt des Schwebens strömt alle Realität aus […]. (NW II, S. 177, Fragment Nr. 555)
Ähnliche Formulierungen finden sich auch bei Friedrich Schlegel, etwa wenn er schreibt: Dasjenige unter den ontologischen und genetischen Gesetzen, welches mit diesem scheinbar regellosen und doch regelmäßigen Gange der Einbildungskraft vollkommen übereinstimmt, ist vorzüglich das des Überspringens in das Gegenteil. (KFSA XIII, S. 293)
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und näher ausführt: Einbildungskraft ist dasjenige Vermögen der menschlichen Seele, welches jede einseitige Teilvorstellung und Ansicht bis auf die äußerste und schärfte Höhe treibt, und wenn dies nicht weiter verfolgt werden kann, dann gerade in das Gegenteil überspringt. (ebd.)
Auch hier hat es die Einbildungskraft mit Extremen („äußerste und schärfste Höhe“) zu tun, und verbindet sie – diesmal nicht durch Schweben, sondern durch Hin-und-her-Springen. Nun ist der Ausdruck „Schweben der Einbildungskraft“ bekanntlich eine Übernahme von Fichte. Dieser schreibt über die Einbildungskraft: „Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung, und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem, und Unendlichem in der Mitte schwebt […]“ (GA I, 2, S. 360). Es handelt sich dabei allgemein um ein „Schweben der Einbildungskraft zwischen unvereinbaren“ und um einen „Widerstreit derselben [d. h. der Einbildungskraft] mit sich selbst“ (ebd.). Um die Romantiker zu verstehen, dürfte es also hilfreich sein, sich Fichtes Verständnis der Einbildungskraft näher anzusehen. Ich habe nun nicht vor, die systematische Rolle des Schwebens der Einbildungskraft bei Fichte zu untersuchen, sondern ich möchte eine historische Frage stellen: Woher hat Fichte denn seinen Begriff der Einbildungskraft, die da zwischen Unvereinbarem schwebt? Diese Frage ist erstaunlich schwer zu beantworten. Natürlich denkt man zunächst an Kant. Fichte ist erklärter Kantianer, und daher liegt es nahe, sich zunächst den Kantischen Texten als mögliche Quelle zuzuwenden. Und es ist wahr, dass auch bei Kant die Einbildungskraft eine vermittelnde Rolle spielt. Die Einbildungskraft ist das Exekutivorgan, mit dessen Hilfe der Verstand seine Synthesen vollzieht und in die Anschauung hineinbildet, wodurch Sinnlichkeit und Verstand vereinigt werden: „Beide äußerste Enden“, schreibt Kant, „nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen vermittelst dieser transzendentalen Funktion der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen; weil jene sonst […] keine Gegenstände eines empirischen Erkenntnisses, mithin keine Erfahrung geben würden“ (KrV, A 124). Und doch passt Kant als Quelle für Fichtes Begriff der Einbildungskraft nicht recht. Denn erstens ist von Anschauung und Begriff gar nicht die Rede, wenn Fichte die Einbildungskraft in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre in Aktion treten lässt – die Un-
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terscheidung von Anschauung und Begriff wird in der Grundlage erst sehr viel später eingeführt. Zweitens ist die Einbildungskraft bei Fichte ganz allgemein ein Vermögen der Vereinigung von Widersprüchlichem, was wiederum bei Kant nicht der Fall ist. In den ganz frühen sogenannten Eignen Meditationen über Elementarphilosophie, in denen Fichte die Theorie der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre vorbereitet, heißt es prägnant: „[Einbildungskraft] ist nemlich diejenige Kraft in der Seele, welche A u. -A. vereinigt“ (GA II, 3, S. 89). Zwar könnte man darauf verweisen, dass nach Kant „reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig“ (KrV, A 137, B 176) sind, was Kants Theorie des Schematismus – der seinerseits Produkt der Einbildungskraft ist – motiviert. Dennoch ist die Einbildungskraft bei Kant nicht ein Vermögen, Kontradiktorisches zu vereinigen. Nun wäre es übertrieben, jede Verbindung zwischen Kants und Fichtes Begriff der Einbildungskraft zu leugnen; gerade wenn Fichte von produktiver Einbildungskraft im Gegensatz zur reproduktiven Einbildungskraft spricht, ist der Kantische Hintergrund evident. Aber da die Einbildungskraft weder bei Fichte eine privilegierte Beziehung zu Begriff und Anschauung hat wie bei Kant, noch bei Kant eine allgemeine Funktion ist, Widersprüchliches zu vereinigen, wie bei Fichte, scheint es lohnend, sich einmal nach alternativen Quellen umzusehen. Die alternative Genealogie, die ich vorschlagen möchte, führt auf Maimon. Oder genauer: Ich möchte eine zu Fichte führende Überlieferungskette vorschlagen, die von Maimon zurückführt bis zu Leibniz und Galilei.
II. Maimon Wenn wir nun als erstes einen Blick in Maimons Versuch über die Transzendentalphilosophie (1790) werfen, werden wir freilich zunächst einmal enttäuscht: Hier verwendet Maimon den Begriff der Einbildungskraft ganz im Sinne Kants für das Vermögen, das die zur Erfahrung notwendige Synthesis vollzieht und dadurch reine Verstandesbegriffe (insbesondere die Kausalkategorie) und Anschauung verbindet. „Das Bewußtseyn entstehet erst, wenn die Einbildungskraft mehrere einartige sinnliche Vorstellungen zusammen nimmt, sie nach ihren Formen (der Folge in Zeit und Raum) ordnet, und daraus eine einzelne Anschauung bildet.“ (MGW II, S. 30) Das
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unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was wir auch bei Kant finden. Anders sieht die Sache aus, wenn wir Maimons Versuch einer neuen Logik (1794) aufschlagen, nämlich dort, wo Maimon Kants Vernunftbegriff, so wie er in der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft zu finden ist, kritisiert. Dort lesen wir nämlich Folgendes: Die Kritik der Vernunft hat die ganze Lehre der Ideen erschlichen, indem sie dieselbe aus der Natur der Vernunft herleitet, da sie doch, wie leicht zu zeigen ist, aus der Natur der Einbildungskraft ihren Ursprung nehmen. Die Kritik der Vernunft deducirt die Ideen aus den Formen der Vernunft. Sie erklärt die Vernunft als das Vermögen der Principien. Ihr zufolge dringt die Vernunft auf Totalität des Verstandsgebrauchs (der bloß auf Erfahrung eingeschränkt ist). Die Ideen sind also die Vorstellungen dieser Totalität, nach ihren verschiedenen Momenten. Aber diese ganze Lehre ist erschlichen. Nicht die Vernunft, sondern die Einbildungskraft dringt auf Totalität des Verstandsgebrauchs. Die Vernunft ist nicht das Vermögen der Principien, sondern, wie man sie bisher erklärt hat, das Vermögen nach Principien mittelbar zu urtheilen. Wie groß die Reihe der zu verbindenden Urtheile seyn soll, ist durch die Natur der Vernunft unbestimmt. (MGW V, S. 480 f. [422 f.])
Ich verstehe Maimon hier folgendermaßen: Für Kant ist es die Vernunft selbst, die uns in Antinomien verstrickt, indem sie einerseits von uns fordert, unendliche Reihen von Bedingtem und Bedingendem zu bilden, und uns andererseits nötigt, den Abschlussgedanken einer Totalität aller Bedingungen zu bilden. Aber beide Forderungen stehen in Konflikt miteinander, zumindest wenn wir einen spekulativen Gebrauch der Vernunft machen. (Warum hier ein Konflikt besteht, werde ich gleich noch erläutern.) Nach Maimon dagegen ist die Vernunft an diesem Schlamassel unschuldig: Sie ermöglicht nur, eine beliebig („unbestimmt“ schreibt Maimon) fortschreitende Bedingungsreihe zu bilden; der Gedanke der Totalität aller Bedingungen wird erst durch die Einbildungskraft mit ins Spiel gebracht. Die Einbildungskraft ist also das Vermögen der Totalisierung und, im vorliegenden Fall, das Vermögen, das durch Totalisierung unendlicher Reihen Widersprüche generiert. So schreibt Maimon, wieder im Versuch einer neuen Logik: Kant, der die Vorstellung von der Totalität des Verstandsgebrauchs (wider die gewöhnlichen Erklärungen) der Vernunft beilegt, setzt die
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Vernunft mit sich selbst in Widerstreit. Aber wahrhaftig, es müßte eine unvernünftige Vernunft seyn, die mit sich selbst in Widerstreit gerathen könnte. (MGW V, S. 268 [210])
Hier haben wir also – bei Maimon – zumindest eine Verknüpfung von Einbildungskraft und Widerspruch. Könnte das eine Anregung für Fichte gewesen sein? Hier müssen wir aber etwas auf die Daten achten. Soweit ich sehe, entwickelt Fichte seine Theorie des Schwebens der Einbildungskraft zwischen widersprechenden Momenten zum ersten Mal in seinen oben erwähnten Eignen Meditationen – unveröffentlichten Notizen, in denen er sich die Position der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre erarbeitet und die 1794 entstanden; die Herausgeber vermuten sogar, sie seien bereits im Januar 1794 abgeschlossen worden (GA II, 3, S. 14). Der Versuch einer neuen Logik Maimons stammt aber von 1794; für einen Einfluß auf Fichtes Eigne Meditationen dürfte das wohl zu spät sein. Aber das ist kein ernstes Problem; tatsächlich formuliert Maimon nämlich eine identische, wenn auch sehr viel knapper formulierte Kritik am Kantischen Ideenbergriff bereits in einem Aufsatz, der 1793 im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde erschienen ist1, ja Hinweise dazu finden sich bereits in Maimons Lebensbeschreibung von 1792 – ich werde darauf zurückkommen. Chronologisch wäre eine Beeinflussung also durchaus möglich. Aber zurück zu Maimons Kantkritik. Wenn die Einbildungskraft eine solche verderbliche Wirkung auf die Vernunft hat, wären wir dann nicht besser beraten, auf sie im Denken tunlichst zu verzichten? Das ist nun nach Maimon ganz und gar nicht der Fall. Denn die Einbildungskraft ist auch das Vermögen der Fiktionen – „Fiktion (Erdichtung)“, schreibt Maimon, „ist in der allgemeinen Bedeutung eine Operation der Einbildungskraft, wodurch eine nicht objektiv notwendige Einheit im Mannigfaltigen eines Objekts hervorgebracht wird“ (Philosophisches Wörterbuch (1791), MGW III, S. 60, [36]) – und Fiktionen sind nach Maimon unerlässlich, in den Naturwissenschaften, insbesondere aber im Fall der Infinitesimalrechnung: Es giebt noch eine Methode, deren Realität in der Philosophie ich bloß problematisch annehme, obschon […] der große Leibniz in der 1 „Über die Schwärmerei“, in: Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, Bd. 10, 2. Stück, S. 43-48, dort: 45 f. (s. MGW IV, S. 611-616 [43-48]).
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Philosophie sich in derselben […] wirklich bedient hat. Diese Methode nenne ich die Methode der Fiktionen, deren sich die Mathematiker mit dem besten Erfolg bedienen. Ein in Ansehung einer gewissen Bestimmung nach einer Regel veränderliches Objekt kann betrachtet werden, als gelange es zu der höchsten Stuffe seiner Veränderung, d. h. als wäre es dasselbe und nicht dasselbe Objekt zugleich. […] So sind die Methodus indivisibilium, die Differentialrechnung, die von den neuern Analysten gebrauchte Methode der Tangenten u.d.g. lauter auf Fiktionen beruhende Methoden zur Erfindung der Wahrheit. Sollten dergleichen nicht auch in anderen Wissenschaften mit Vortheil gebraucht werden können? (Streifereien im Gebiete der Philosophie (1793), MGW IV, S. 39 [17 f.])
Man beachte, dass hier nicht von Fiktionen im Allgemeinen die Rede ist, sondern von Fiktionen in einem ganz spezifischen Sinn: Es handelt sich um Fiktionen, die einerseits Widersprüche implizieren – „als wäre [etwas] dasselbe und nicht dasselbe Objekt“ –, die andererseits diese Widersprüche aber so behandeln, als wären sie keine. Die Fiktion macht Gebrauch von widersprüchlichen Objekten (die es nicht geben kann), um zu korrekten mathematischen Ergebnissen zu kommen.
III. Leibniz Wenn Maimon hier von der „Methode der Fiktionen“ spricht, dann bezieht er sich damit auf Leibniz und dessen Interpretation der Infinitesimalrechnung. Leibniz schreibt z. B. in einem Brief an Varignon vom 20. Juni 1702: Um die Wahrheit zu sagen, bin ich selbst nicht allzu überzeugt, daß man unsere unendlichen und unendlich kleinen Größen als etwas anderes ansehen sollte als ideale Dinge oder als wohlfundierte Fiktionen. Ich glaube, daß es kein Geschöpf gibt, unter dem es nicht eine Unendlichkeit [kleinerer] Kreaturen gibt, aber ich glaube weder, daß es unendlich kleine gibt noch daß es sie geben kann, und das glaube ich beweisen zu können. (LMS IV, S. 110)
Es gibt keine unendlichen und unendlich kleinen Größen, weil der Begriff einer unendlichen Menge bzw. einer unendlichen Zahl widersprüchlich ist. Der Beweis sieht so aus: „Zu jeder Zahl gibt es eine korrespondierende gerade Zahl, die doppelt so groß ist. Daher ist die
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Zahl aller Zahlen nicht größer als die Zahl aller geraden Zahlen, das heißt das Ganze ist nicht größer als der Teil“ (Brief an Malebranche vom 22. Juni 1679, LPS I, S. 338). Leibniz hat diesen Beweis nicht erfunden; er ist eine modifizierte und vereinfachte Version eines Beweises, der sich in Galileis Discorsi e Dimostrazioni Matematiche Intorno a Due Nuove Scienze2 findet. Man könnte den Leibnizschen Beweis so erläutern: Man nehme die natürlichen Zahlen, ordne jeder Zahl eine doppelt so große Zahl zu, die dann immer eine gerade Zahl ist. Diese Zuordnung ist immer möglich: Zu jeder Zahl gibt es eine gerade Zahl. Wenn man nun aber die Menge dieser Zahlen bilden möchte, kommt man in ein Dilemma: 1. Die Menge der geraden Zahlen ist eine echte Teilmenge der Menge der natürlichen Zahlen. 2. Es ist aber ein Axiom, dass der Teil immer kleiner ist als das Ganze. 3. Im vorliegenden Fall hätte aber die Menge der natürlichen Zahlen unendlich viele Elemente und die Zahl der geraden Zahlen hätte ebenfalls unendlich viele Elemente. Wir haben ja eine 1:1-Zuordnung zwischen ihnen hergestellt. Der Teil wäre also nicht kleiner als das Ganze. Widerspruch. Leibniz (wie auch Galilei) folgern daraus, dass es keine Menge mit unendlichen Elementen gibt. Er schreibt: [M]ir scheint, daß […] das Unendliche in Wahrheit nicht ein Ganzes ist, oder das ein Unendliches, wenn es ein Ganzes [wäre] und dennoch nicht größer als sein Teil [wäre], etwas Absurdes ist. Vor vielen Jahren habe ich in der Tat bewiesen, daß die Zahl oder Vielheit aller Zahlen einen Widerspruch impliziert, wenn man sie als einheitliche Ganzheit [unum totum] betrachtet. Ich denke, dasselbe gilt von der größten Zahl und der kleinsten Zahl oder dem kleinsten Bruch von allen. (Brief an Bernoulli, 1698, LMS III, S. 535)
Was wir stattdessen sagen müssten, ist Folgendes: Genau gesprochen darf man nicht von einer unendlichen Zahl sprechen, sondern davon, daß es mehr gibt als man durch irgendeine Zahl ausdrücken kann; nicht von einer unendlichen Geraden, sondern, daß sie über eine beliebige angebbare Größe hinaus verlängert 2 Galilei, Galileo, Discorsi e Dimostrazioni Matematiche Intorno a Due Nuove Scienze, Leiden 1638, S. 32.
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ist, so daß es immer wieder eine größere Gerade gibt. Es gehört zum Wesen der Zahl, der Linie, und eines jeden beliebigen Ganzen, begrenzt zu sein. (Brief an des Bosess vom 11. März 1706, LPS II, S. 304).
Merkwürdigerweise bedeutet das für Leibniz nicht die Ablehnung des aktual Unendlichen. Es gibt aktual Unendliches in der Realität – aber Quantitätskategorien sind auf es nicht anwendbar: Weder ist es ein Ganzes noch hat es Teile noch ist es zählbar; all das ist im Fall des Unendlichen sinnlos.3 Von hier aus lässt sich auch ein neues Licht auf Kants dritte Antinomie werfen. Die dritte Antinomie lässt sich lesen als eine Antinomie, die dem Satz des zureichenden Grundes innewohnt. 1. Der Satz vom zureichenden Grund besagt: Jedes Ereignis hat eine Ursache. Nun geht die Ursache der Wirkung voraus. Kein Ereignis kann sich aber selbst vorausgehen. Also kann kein Ereignis Ursache seiner selbst sein. Also hat jedes Ereignis seine Ursache in einem anderen Ereignis. Also ist die kausale Kette der Ereignisse unendlich. Das ist die Antithesis. 2. Der Satz vom zureichenden Grund besagt: Ein Ereignis ist nur hinreichend erklärt, wenn alle vorhergehenden Ursachenereignisse hinreichend erklärt sind. Das heißt aber: Der Satz vom zureichenden Grund verlangt die Bildung einer Allmenge aller Ereignisse einer Ursachenkette. Eine Allmenge gibt es nur, wenn die Elemente endlich sind – das ist die Galilei-Leibniz-These.4 Also ist die Ereigniskette endlich. Das ist die Thesis. 3. Die Ereigniskette muss demnach endlich und unendlich sein. Hierin besteht die Antinomie. 3 Übrigens findet sich ein ähnliches Argument auch in Spinozas Ethik (E I, prop. 15, schol.). Bei ihm lautet es folgendermaßen: Nehmen wir an, das Unendliche wäre teilbar. Dann ist jeder Teil endlich oder unendlich. Er kann aber weder das eine noch das andere sein: nicht endlich, denn Unendliches kann nicht aus Endlichem zusammengesetzt werden; nicht unendlich, denn in diesem Fall hätten wir ein Unendliches, das doppelt so groß ist wie ein Unendliches, was unmöglich ist. Auch hier zeigt sich also: Unendlichkeit und Teilbarkeit widerstreiten einander. Darüber besteht unter Galilei, Spinoza und Leibniz Einigkeit. 4 In Kants Text: „Wenn also alles nach bloßen Gesetzen der Natur geschieht, so gibt es jederzeit nur einen subalternen, niemals aber einen ersten Anfang, und also überhaupt keine Vollständigkeit der Reihe auf der Seite der von einander abstammenden Ursachen. Nun besteht aber darin das Gesetz der Natur: daß ohne hinreichend a priori bestimmte Ursache nichts geschehe. Also […]“ (KrV, A 446, B 474).
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Genau so liest auch Maimon die Kantische Antinomie bereits in seiner Lebensbeschreibung (1792): Die erste Ursache, (die eine vollständige unendliche Reihe von Ursachen und also in der That einen Widerspruch enthält, weil das Unendliche nie vollständig werden kann) ist kein Objekt des Verstandes, sondern eine Vernunftidee, oder nach meiner eignen Theorie, eine Fiktion der Einbildungskraft, die nicht zufrieden mit der bloßen Erkenntniß des Gesetzes, das Mannigfaltige selbst, das dem Gesetze unterworfen ist, in ein Bild, obschon dem Gesetze selbst zuwider, zu fassen sucht. (MGW I, S. 31)
Aber kehren wir zurück zu Leibniz. Der Begriff des Unendlichen ist für Leibniz paradoxienträchtig. Sollten wir ihn also tunlichst vermeiden? Keineswegs. Leibniz ist auch der Erfinder der Infinitesimalrechnung und in der Infinitesimalrechnung haben wir es mit unendlich kleinen Größen zu tun – den infinitesimalen Größen bzw. den Differenzialen –; zumindest kommen Zeichen für solche Größen vor („dx“). In einem Text von 1684 lesen wir z. B.: Man muß nur ein für allemal festhalten, daß eine Tangente zu finden so viel ist wie eine Gerade zeichnen, die zwei Kurvenpunkte mit unendlich kleiner Entfernung verbindet, oder eine verlängerte Seite eines unendlicheckigen Polygons, welches für uns mit der Kurve gleichbedeutend ist. (Nova methodus pro maximis et minimis, itemque tangentibus, LMS V, S. 223)5
Wenn wir diese Redeweise aber wörtlich nehmen, wenn wir also davon ausgehen, dass Zeichen wie „dx“ auf einen mathematischen Gegenstand referieren, dann verstricken wir uns nach Leibniz in die oben genannten Widersprüche. Denn was für das unendlich Große gilt, gilt auch für das unendlich Kleine. Die Stelle wurde oben bereits zitiert: „Vor vielen Jahren habe ich in der Tat bewiesen, daß die Zahl oder Vielheit aller Zahlen einen Widerspruch impliziert, wenn man sie als einheitliche Ganzheit betrachtet. Ich denke, dasselbe gilt von der größten Zahl und der kleinsten Zahl oder dem kleinsten Bruch von allen.“ Was macht Leibniz nun? Er vermeidet den Widerspruch nicht, sondern verschiebt ihn in den Bereich des Irrealen: Infinitesi 5 Übersetzung in Leibniz, Gottfried und Newton, Sir Isaak, Über die Analysis des Unendlichen. Abhandlung über die Quadratur der Kurven, Thun und Frankfurt a. M. 1996, S. 7.
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male Größen sind „wohlfundierte Fiktionen“. Ja, es sind Widersprüche; aber keine Sorge, sie sind nicht Teil der Realität. Die Widersprüche sind dadurch in Quarantäne und wir können einfach den Widerspruch ignorieren und weiterrechnen, als wäre nichts geschehen. Die Genealogie, die ich vorschlagen möchte, sieht also so aus. (1) Galilei hat auf ein Paradox hingewiesen, aus dem folgt, dass sich die Unendlichkeit nicht zu einem Ganzen zusammenfassen lässt. (2) Leibniz nimmt diese These auf und verbindet sie mit der Idee einer notwendigen Fiktion (nämlich der Fiktion unendlich kleiner Größen in der Infinitesimalrechnung). (3) Maimon macht aus dieser notwendigen Fiktion einer totalisierten Unendlichkeit ein Produkt der Einbildungskraft. Genauer hat die Einbildungskraft nun bei Maimon zwei Funktionen: (a) Die Einbildungskraft ist das totalisierende Vermögen, das, angewandt auf die Unendlichkeit, den Galileischen Widerspruch allererst hervorbringt; (b) die Einbildungskraft ist zugleich als Vermögen der Fiktionen dasjenige Vermögen, das es erlaubt, diesen Widerspruch zu ertragen und zu ignorieren. (4) Fichte übernimmt von Maimon die Verbindung von Einbildungskraft und Widerspruch und macht aus der so verstandenen Einbildungskraft ein Grundvermögen des Geistes.
IV. Fichte Allerdings muss diese Aussage noch qualifiziert werden. Die Einbildungskraft ist für Fichte das Vermögen, widersprüchliche Vorstellungen zu bilden (und deren Widersprüchlichkeit zu ignorieren); aber sie ist nicht der Ursprung des Widerspruches, wie bei Maimon. Der Ursprung des Widerspruchs ist aber auch nicht die Vernunft selbst, wie bei Kant. Der Widerspruch wird bei Fichte vielmehr generiert dadurch, dass die Vernunft (oder das absolute Ich – beides ist Synonym für Fichte) nur im Selbstbewusstsein und durch das Selbstbewusstsein existiert. Fichte schreibt: Das Ich sezt sich selbst schlechthin, und dadurch ist es in sich selbst vollkommen, und allem äussern Eindrucke verschlossen. Aber es muß auch, wenn es ein Ich seyn soll, sich setzen, als durch sich selbst gesezt; und durch dieses neue, auf ein ursprüngliches Setzen sich be-
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ziehendes Setzen öfnet es sich, daß ich so sage, der Einwirkung von aussen; es sezt lediglich durch diese Wiederholung des Setzens die Möglichkeit, daß auch etwas in ihm seyn könne, was nicht durch dasselbe selbst gesezt sey. (GA I, 2, S. 409)
Das absolute Ich ist nicht nur Sichsetzen, sondern es setzt sich auch als Sichsetzen und ‚wiederholt‘ auf diese Weise – es abbildend – sein ursprüngliches Setzen. Das heißt: Das absolute Ich ist auch Fürsichsein, es ist sich seiner selbst bewusst – und zwar notwendigerweise: Wer den Konnex zwischen absolutem Ich und Selbstbewusstsein ignoriert, fällt zurück in den Dogmatismus, namentlich den Spinozismus. Die These Fichtes, die sich in dem Zitat bereits andeutet, ist nun, dass Fürsichsein Endlichkeit impliziert. Den Zusammenhang zwischen Fürsichsein und Endlichkeit stellt Fichte im praktischen Teil der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre durch eine Metapher her. Die unbeschränkte Tathandlung des absoluten Ichs wird durch eine ins Unendliche gehende Bewegung dargestellt. Diese Bewegung trifft nun auf einen Widerstand, den Anstoß. An diesem Anstoß prallt die Bewegung zurück, sie „reflektiert“ sich. Diese physische Reflexion wird nun von Fichte gleichgesetzt mit der epistemischen Reflexion, die für Selbstbewußtsein nötig ist. Das Argument ist dann: kein absolutes Ich ohne Selbstbewußtsein, kein Selbstbewußtsein ohne Reflexion, keine Reflexion ohne Anstoß („an“ dem die Reflexion stattfindet), kein Anstoß ohne Verendlichung des Ichs. Dadurch entsteht der Widerstreit von Endlichkeit und Unendlichkeit im Ich – denn zugleich soll das Ich ein absolutes bleiben. Am Ende des theoretischen Teils der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre führt Fichte die Verbindung von Selbstbewusstsein und Endlichkeit allerdings auf eine etwas andere Weise ein, die für unser Thema wesentlich interessanter ist. Er schreibt: Das Ich ist nur das, als was es sich setzt. Es ist unendlich, heißt, es sezt sich unendlich: es bestimmt sich durch das Prädicat der Unendlichkeit: also es begrenzt sich selbst (das Ich) als Substrat der Unendlichkeit; es unterscheidet sich selbst von seiner unendlichen Thätigkeit, (welches beides an sich Eins, und eben dasselbe ist); und so mußte es sich verhalten, wenn das Ich unendlich seyn sollte. (GA I, 2, S. 358)
Das Ich ist also unendlich und setzt sich – kraft Selbstbewusstsein – als unendlich. Wenn es sich als unendlich setzt, dann begrenzt es
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sich zugleich. Aber warum ist das so? Nun, wenn man unterstellt, dass das „Prädikat der Unendlichkeit“ für Fichte nur gebildet werden kann, indem das Unendliche als Ganzes vorgestellt wird, hätten wir hier wieder die Vorstellung eines Paradoxes der totalisierten Unendlichkeit, die wir von Maimon bis auf Galilei zurückgeführt haben. Dazu passt auch, dass für Fichte, wie er in der Bestimmung des Menschen sagt, das Unendliche „keines Maaßes fähig ist“ (GA I, 6, S. 297) – auch für ihn ist das Unendliche jenseits aller Quantitätskategorien. Einige Zeilen nach der eben zitierten Stelle aus der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre schreibt Fichte: Dieser Wechsel des Ich in und mit sich selbst, da es sich endlich, und unendlich zugleich sezt – ein Wechsel, der gleichsam in einem Widerstreite mit sich selbst besteht, und dadurch sich selbst reproducirt, indem das Ich unvereinbares vereinigen will, jetzt das unendliche in die Form des endlichen aufzunehmen versucht, jezt, zurückgetrieben, es wieder ausser derselben sezt, und in dem nemlichen Momente abermals es in die Form der Endlichkeit aufzunehmen versucht – ist das Vermögen der Einbildungskraft. (GA I, 2, S. 359)
Hier ist sie also, die Einbildungskraft, die den antinomischen Wechsel von Endlichkeit und Unendlichkeit vollzieht und zu einer immer instabilen Einheit verbindet. Nun liegt diese antinomische Struktur im Wesen des über Selbstbewusstsein verfügenden absoluten Ich begründet; alle Bestimmungen des Ichs partizipieren an dieser Grundstruktur, von der Empfindung, über die Anschauung, den Begriff bis hin zur Vernunft. Insofern lässt sich sagen, dass diese antinomische Struktur unser gesamtes Weltverhältnis prägt – sie ist, wie Novalis an der eingangs zitierten Stelle schreibt, „der Quell, die Mater aller Realität, die Realität selbst“
V. Novalis Damit komme ich nun abschließend wieder zu Novalis zurück. Dass die Rolle der Einbildungskraft nach Novalis darin besteht, zwischen „Extremen“ zu schweben, wurde durch die Zitate am Anfang des Aufsatzes bereits belegt. Anders als Fichte sagt Novalis aber, das Schweben „producirt die Extreme“ – und ist darin vielleicht Maimon näher als Fichte. Bei Fichte produziert die Einbildungskraft die Extreme ja nicht; sie sind ihr vorgegeben durch die Unendlichkeit des
FICHTES BEGRIFF DER „EINBILDUNGSKRAFT“
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absoluten Ichs auf der einen Seite und die Endlichkeit, die Bedingung der Möglichkeit des Selbstbewusstseins ist, auf der anderen Seite. Die Einbildungskraft beschränkt sich darauf, die so entstehende antinomische Struktur in einer Vorstellung zusammenzubinden.6 Die abschließende Frage wäre nun, ob sich Novalis des mathematischen Subtextes des Begriffs des Schwebens der Einbildungskraft bewusst war. Diese Frage muss ich an die Novalis-Experten weitergeben. Hier nur soviel: Novalis hat sich mit der Infinitesimalrechnung recht ausführlich beschäftigt, und er scheint sich auch der Problematik der inneren Widersprüchlichkeit der infinitesimalen Größen in einem leibnizschen Rahmen bewusst gewesen zu sein. Im Allgemeinen Brouillon schreibt er z. B.: Infinites[imal] Calcul h[eißt] eigentlich Rechnung, Eintheilung oder Messung des Nicht Eingetheilten – nicht Vergleichbaren – Unermeßlichen. (NW II, S. 625, Fragment Nr. 645)
Messung des Unermesslichen – genau das ist das Problem, das Leibniz gesehen hat und das ihn zu seiner Theorie der Fiktionen geführt hat. Die Unendlichkeit ist jenseits der Quantitätskategorien, nicht zählbar, nicht messbar – also unermesslich. Und doch ist sie Gegenstand der Infinitesimalrechnung, in der von „unendlich kleinen Größen“ die Rede ist. Angesichts dieser Problematik ist die Frage, die Novalis in Fragment Nr. 650 aufwirft, durchaus verständlich: „Gibt es eine Rechnung des Unendlichen[?]“ (NW II, S. 627, Fragment Nr. 650)7 In den Freiberger Studien heißt es vom „Infinit[esimal] Calcül“: „Es ist eine scheinbare Behandlung – Bestimmung des Idealen – ein indirecter – polarischer Calcül. Gebrauch des Irrtums“ (NW II, S. 449, Fragment Nr. 19). Vielleicht ein Hinweis auf Leibniz’ Idee, infinitesimale Größen seien nützliche Fiktionen, nicht mehr. 6 Zur Differenz der schwebenden Einbildungskraft bei Fichte und Novalis s. auch Menninghaus, Winfried, Unendliche Verdopplung. Die frühromantische Grundlegung der Kunsttheorie im Begriff absoluter Selbstreflexion, Frankfurt a. M. 1987, S. 132-142. 7 Novalis kannte, neben Salomon Maimons Lebensgeschichte (1792/93), zumindest eine weitere Schrift von Maimon: „Über den Gebrauch der Philosophie zur Erweiterung der Erkenntniß“, erschienen im Philosophischen Journal einer Gesellschaft teutscher Gehlehrten, 1795, Bd. II, S. 1-35 (s. NW I, S. 679, NW II, S. 656, vgl. dazu den Kommentar NW III, S. 537).
Suzanne Dürr ( Jena)
Fichtes Theorie der Subjektivität Fichtes Modell von Subjektivität, seine Konzeption eines absoluten Ichs, ist zentraler Bezugspunkt der Romantik. Während Hegel die Romantik als Fortschreibung von Fichtes übersteigertem Subjektivismus versteht, hat sich in der Forschung die Position durchgesetzt, dass hier gerade umgekehrt eine Depotenzierung des Fichteschen Subjektivismus vollzogen werde. Diese resultiere aus den Aporien des Fichteschen Subjektivitätsmodells. Dieter Henrich zufolge gelinge es Fichte nicht, die Struktur des von ihm beklagten Reflexionsmodells von Subjektivität zu überwinden, Fichtes Modell sei selbst zirkulär.1 Die frühromantische Transzendierung des Fichteschen absoluten Ichs bei Hölderlin und Novalis ist nach Manfred Frank, der sich Henrichs Diagnose anschließt, somit gerechtfertigt und entsteht eben aus den Mängeln von Fichtes Modell.2 Im Zentrum meines Beitrags steht nun Fichtes Subjektivitätsmodell im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797/98). Hierbei möchte ich insbesondere folgende Frage beantworten: Ist Fichtes Subjektivitätsmodell wirklich aporetisch und der frühromantische Ausweg damit zwingend notwendig? Mein Beitrag gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil möchte ich kurz Kants Subjektivitätsmodell skizzieren, das als Hintergrund des Fichteschen Modells fungiert und Fichtes Kritik an Kants Modell darstellen. Im zweiten Teil präsentiere ich dann Fichtes Modell von Subjektivität im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre.
1 Vgl. Henrich, Dieter, „Fichtes ursprüngliche Einsicht“, in: Subjektivität und Metaphysik, Festschrift für Wolfgang Cramer, hg. v. Dieter Henrich, Hans Wagner, Frankfurt a. M. 1966, S. 188-232, hier: 195. 2 Vgl. Frank, Manfred, „Fragmente einer Geschichte der Selbstbewusstseins-Theorie von Kant bis Sartre“, in: Selbstbewusstseinstheorien von Fichte bis Sartre. Mit einem Nachwort von Manfred Frank, hg. v. Manfred Frank, Frankfurt a. M. 1991, S. 413-599, hier: 449-476.
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SUZANNE DÜRR ( JENA)
I. Kants Subjektivtätsmodell und Fichtes Kritik Kant bestimmt das Ich als eine „an Inhalt gänzlich leere Vorstellung“ (KrV, B 404), eine bloß logische Form, die an sich nicht erkannt werden kann, sondern nur durch ihre Gedanken als ihre Prädikate erkennbar ist, von der also abgesondert kein Begriff erlangt werden kann. Insofern es sich bei der Vorstellung des Ichs um eine bloße Form handelt, Erkenntnis aber auf einen externen Gehalt angewiesen ist, d. h., erst aus dem Zusammenspiel von Form und Gehalt resultiert, gibt es für Kant keine erfahrungsunabhängige Erkenntnis des Ichs. Dieses wird erst in seiner syntheseleistenden Funktion als Einheitsvorstellung erkannt. Eine erfahrungsunabhängige Erkenntnis des Ichs wäre nur möglich, wenn Kant eine intellektuelle Anschauung annehmen würde. Die Möglichkeit einer solchen bestreitet Kant aber gerade. Beim Ich handelt es sich Kant zufolge somit um eine unbestimmte Vorstellung, über die keine Aussagen getroffen werden können. Der Begriff der intellektuellen Anschauung ist dabei bei Kant doppelt bestimmt: Zum einen bezieht sich dieser auf die Produktion des Dinges durch einen göttlichen Verstand, zum anderen auf die Möglichkeit der Anschauung des Dinges an sich. Kants Leugnung der Möglichkeit einer intellektuellen Anschauung ist hierbei nur vor dem Hintergrund seines Projekts einer Begrenzung des Erkenntnisvermögens verständlich. Kant führt den Begriff des Dinges an sich als epistemologischen Grenzbegriff ein: Insofern die Anschauung Kant zufolge rezeptiv ist, muss dieser eine logische Ursache, d. h. das Ding an sich, entsprechen. Kant lehnt so eine produktive, intellektuelle Anschauung ab, da eine solche das menschliche Erkenntnisvermögen überschreiten würde. Fichte geht es nun um eine Überwindung von Kants dualistischer Konzeption durch eine Rehabilitierung der intellektuellen Anschauung, weshalb diese dann zu einem Kernstück der Fichteschen Philosophie avanciert. Indem Fichte die bei Kant auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung bezogene transzendentale Perspektive auf die Definition der Philosophie qua Wissenschaft selbst anwendet, bestimmt er Philosophie als selbstreflexives Begründungsprogramm, als „Wissenschaft von einer Wissenschaft überhaupt“ oder, mit Fichtes eigener Prägung für eine solche Konzeption, als Wissenschaftslehre (GA I, 2, S. 118). Fichtes Wissenschaftslehre ist eine Fortführung der Kantischen Transzendentalphilosophie, wobei er diese durch Ausgang von einem unbedingten Prinzip in einem System vollenden will. In
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der kleinen Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre von 1794, in welcher Fichte eine Einleitung in das System der Wissenschaftslehre gibt, definiert er ein System durch drei Merkmale: 1) Begründung in einem unmittelbar gewissen Grundsatz, 2) systematische Form, d. h. ein interner, logisch-deduktiver Zusammenhang der Sätze des Systems und 3) Vollständigkeit, d. h., das System kehrt an seinem Ende in seinen Anfang zurück. Bei Kants Kritik handelt es sich für Fichte nun um kein System, sondern bloß um eine Propädeutik, da Kant kein Prinzip aufgestellt habe, aus dem ein solches System abzuleiten sei. Fichte bringt hierbei zwei Kritikpunkte gegen Kant vor: 1) Kant bleibt bei einem Dualismus von theoretischer und praktischer Vernunft stehen: Indem Kant nicht aufzeigen könne, wie ein unmittelbares Bewusstsein des kategorischen Imperativs möglich sei, könne er Bewusstsein nicht als Selbstbestimmung ausweisen und damit nicht erklären (Vgl. GA I, 4, S. 225). 2) Kant löst die von ihm angekündigte Deduktion der Kategorien nicht ein, da er in einen Zirkel verfalle. Kant setze so das „Ich denke“ als Prinzip der Deduktion der Kategorien ein, diese gelinge aber nicht, da seine Selbstbewusstseinskonzeption zirkulär sei: Wäre es von diesem hellen Blike aus, nun nur wirklich zu der angekündigten Deduction gekommen, und wäre der unbegreifliche Mann [Kant; S.D.] nicht gleich wieder (von) seinem sonderbaren Zirkel ergriffen worden, worauf er mit seinem ohnmächtigen Bestreben daher in Nichts endet; so wären schon ihm die Ansichten der Wissenschaftslehre entstanden, u. seine Philosophie hätte andere Verdienste als die (einzelner) durchaus vortrefflicher Blike. (Vgl. GA II, 5, S. 346, Anm.)
Kant zufolge können wir vom Ich keinen Begriff erlangen, da wir uns der Vorstellung des Ichs immer schon bedienen müssen, um von ihm zu urteilen. Die von Kant diagnostizierte Unbequemlichkeit des Bewusstseinszirkels resultiert somit daraus, dass es keinen externen Standpunkt des Bewusstseins gibt. Fichte will nun eine Begründung der Kantischen Vernunftkritik leisten, indem er die bei Kant nur koordinierten Vermögen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführt. Diesen sieht Fichte im „Princip der Subjektivität überhaupt“3 gegeben. Das absolute Ich als selbstreflexive, unhintergehbare Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft ist bei Fichte hier 3 Fichte an Reinhold, Brief vom 28. April 1795, GA III, 2, S. 314 f.
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SUZANNE DÜRR ( JENA)
bei als Deduktionsgrund des Systems eingesetzt. Erst ein so verfasstes Grundprinzip kann die für ein System geforderten Kriterien erfüllen: Als selbstreflexive und selbstproduktive Tätigkeit ist das absolute Ich durch nichts anderes begründet und kann damit erstens als Begründungsinstanz fungieren. Zweitens können von ihm als sich selbst bestimmendem Prinzip die Kategorien abgeleitet werden. Drittens garantiert das absolute Ich als Einheit von Form und Gehalt, von theoretischer und praktischer Vernunft, die Vollständigkeit des Systems der Wissenschaftslehre. Fichtes Modell von Subjektivität kann so nur verständlich werden, wenn es unter dem Gesichtspunkt der Funktion betrachtet wird, die es für die Konstitution der Wissenschaftslehre als System erfüllt. Da der Grundsatz als sich selbst begründender Ausgangspunkt des Systems der Wissenschaftslehre fungiert, muss das durch ihn explizierte Prinzip auch eine selbstreflexive Struktur aufweisen. Fichte konzipiert das Grundprinzip der Wissenschaftslehre so in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95) als sich selbst setzendes und damit absolutes Ich. Als sich selbst begründender Grund, als Sich-Setzen als Einheit von Tätigem und Produkt der Tätigkeit ist das so gefasste Ich insofern absolut, als es zugleich theoretisch und praktisch ist. Setzen meint hierbei in praktischer Hinsicht (qua hervorbringen), dass das Ich als Tätigkeit sich selbst produziert, worin sich die unbedingte Dimension sittlichen Handelns andeutet, in theoretischer Hinsicht (qua behaupten) kommt darin zum Ausdruck, dass sich das Ich als Für-sich-Sein absolut weiß, insofern es sich selbst zum Gegenstand seines Wissens hat. Das Ich lässt sich als eigener Gedanke von sich kennzeichnen. Es stellt hierbei den einzigen Fall dar, in welchem ein Gedanke eine Wirklichkeit erzeugt. Als Einheit von Form und Gehalt produziert sich dieses als Für-sich-Sein und weiß sich als Produktion seiner selbst. Das Grundprinzip ist als Wissen des Wissens als selbstbezügliche, selbstbewusste Struktur, als „Ich“ charakterisiert. Die Absolutheit des Ichs beinhaltet also folgende Merkmale: 1) Das absolute Ich ist nicht wie bei Kant eine bloß logische Form, sondern Einheit von Form und Gehalt. Dies expliziert Fichte im Konzept der intellektuellen Anschauung. 2) Das Ich ist weder Substanz noch Subjekt, sondern reine Tätigkeit. Ein vom Denken unabhängiges Dasein des Ichs qua Substanz, d. h. als Träger des Ich-Bewusstseins, wäre für Fichte so eine dogmatische und damit nicht ausweisbare Voraussetzung. Gegen Reinhold macht Fichte geltend, dass das Grundprinzip nicht als Tatsache, sondern als Tathandlung bestimmt
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werden müsse. 3) Das Ich ist eine selbstreferentielle und damit unhintergehbare Begründungsstruktur. In Bezug auf die Kritik des Skeptikers Schulze, dass der Status des Gemüts bei Kant nicht spezifiziert sei, betont Fichte, dass das Ich absolute Existenz und Autonomie aufweise, diese aber nicht an sich gültig sei, sondern nur für das Ich: „Das Ich ist, was es ist, und weil es ist, für das Ich. Ueber diesen Satz hinaus kann unsre Erkenntniß nicht gehen.“ (GA I, 2, S. 57) Als Reaktion auf die Kritik seines Jenaer Kollegen Friedrich Karl Forberg macht Fichte deutlich, dass das Grundprinzip kein absolut Unbestimmtes, sondern ein durch sich selbst Bestimmtes sei. So schreibt Forberg im Philosophische[n] Journal: Was nicht gedacht werden kann, ist ohne Zweifel als Nichts zu betrachten. Ist das absolute Ich ein Undenkbares, so ist es Nichts; und vom Nichts alles Etwas abzuleiten, das Nichts als Princip alles Wissen aufzustellen – man muß gestehen, mit einer frappanteren Paradoxie könnte sich die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts nicht schließen!4
Fichte antwortet hierauf: Aber von einem Unbestimmten läßt sich nicht bestimmtes ableiten, die Formel aller Ableitung, der Satz des Grundes, findet da keine Anwendung. Mithin müßte jenes zum Grunde gelegtes Handeln der Intelligenz, ein bestimmtes Handeln seyn, und zwar, da die Intelligenz selbst der höchste Erklärungsgrund ist, ein durch sie selbst, und ihr Wesen, nicht durch etwas außer ihr, bestimmtes Handeln. (GA I, 4, S. 200)
II. Fichtes Modell von Subjektivität im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre In der Forschung zu Fichtes Selbstbewusstseinsmodell gibt es scheinbar nur zwei Alternativen: Entweder wird der Versuch unternommen, Fichtes Theorie aufgrund ihrer reflexiven Momente als unplausibel zu erweisen. Selbstbewusstsein wird hier als unmittelbare, nicht-relationale Gewissheit verstanden, insofern nicht wie bei einer Identifikations-Relation ein Irrtum durch Fehlidentifizierung 4 Forberg, Friedrich Karl, „Briefe über die neueste Philosophie“, in: Philosophisches Journal, 6. Band, 1. Heft, 1797, S. 44-88, hier: 55 f.
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möglich ist. Auf der anderen Seite gibt es den Versuch, nachzuweisen, dass bei Fichte das Modell eines irreflexiven Selbstbewusstseins vorliegt, woraus die Plausibilität der Fichteschen Position resultieren soll. In beiden Interpretationen bleibt aber unberücksichtigt, dass Fichtes Modell seine Plausibilität gerade daraus beziehen könnte, dass es eine Form von Zirkularität des Selbstbewusstseins behauptet, die nicht vitiös ist. Das Problem, vor das Fichtes Theorie des Selbstbewusstseins gestellt ist, lässt sich so wie folgt formulieren: Zum einen handelt es sich bei Selbstbewusstsein um eine unmittelbare Gewissheit, d. h., ich kann mich nicht irren in Bezug auf die Behauptung, dass ich ich bin. Das Selbstbewusstsein ist immun gegen einen Irrtum durch Fehlidentifizierung. Zum anderen handelt es sich beim Selbstbewusstsein aber auch um eine Form von Wissen, anders könnte es nicht als Bewusstsein expliziert werden. Ich muss mir das Prädikat zusprechen können, dass ich mir meiner selbst bewusst bin. Hier besteht nun aber folgendes Problem: Wissen weist eine propositionale Form auf und lässt sich als Relation von Wissendem und Gewusstem, Subjekt und Objekt beschreiben und kann damit qua Relation einem Irrtum durch Fehlidentifizierung unterliegen. Die Aufgabe besteht nun darin, beide Aspekte in einen konsistenten Erklärungszusammenhang zu bringen und dabei das Problem eines vitiösen Zirkels bzw. eines infiniten Regresses zu vermeiden. Ich möchte nun aufzeigen, wie Fichte die Plausibilität seines Modells von Subjektivität in Bezug auf die Behandlung der beiden stärksten Einwände gegen eine Subjektivitätstheorie, nämlich Zirkel und Regress, verteidigt. Hierfür werde ich das Erste Kapitel des Versuchs einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre heranziehen. Fichte gibt hier eine Analyse des Ich-Begriffs durch die Explikation zweier Postulate, die das Verfahren der Wissenschaftslehre beschreiben. Während Fichte in Bezug auf das erste Postulat den Zirkeleinwand erläutert, geht es ihm in Bezug auf das zweite Postulat um das Problem des infiniten Regresses. a) Zirkeleinwand Fichte formuliert das erste Postulat wie folgt: „Denke dich, und bemerke, wie du das machst!“ (GA I, 4, S. 274) Der Ich-Begriff wird von Fichte als Resultat eines in sich zurückgehenden Handelns definiert. Soll das Ich aber als Produkt eines selbstreferentiellen Handelns verstanden werden, dann muss zweierlei vorausgesetzt werden: zum
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Ersten das Subjekt, das den Denkakt vollzieht. Zum Zweiten das Objekt, auf welches sich der Denkakt bezieht. Sowohl das Subjekt qua Denkendes als auch das Objekt qua Gedachtes werden dabei als „ein von dem Denken und Gedachtseyn deiner selbst unabhängiges, und demselben vorauszusetzendes, Daseyn deiner selbst“ (GA I, 4, S. 273) postuliert. Die Behauptung eines vom Denken unabhängigen Daseins des Ichs ist nun aber in doppelter Hinsicht widersprüchlich: Zum einen impliziert die Behauptung ein Subjekt des Denkens. Zum anderen handelt es sich beim Behaupten selbst um einen Akt des Denkens. Die vom Denken unabhängig behauptete Existenz des Ichs stellt also selbst einen Gedanken dar, der als solcher ein Subjekt des Denkens voraussetzt. Fichte bestimmt dabei die Behauptung eines vom Denken unabhängigen Daseins des Ichs als einen notwendigen und sich aufdrängenden Gedanken. (Vgl. GA I, 4, S. 274) Der Zirkeleinwand resultiert also notwendig aus der Struktur des Ich-Begriffs, es handelt sich nicht um einen willkürlichen Gedanken, sondern um einen Gedanken, der mit dem Denken des Ich-Begriffs verbunden ist. Fichte hält den Einwand des Zirkels so nicht für eine ungerechtfertigte Kritik. Seine Berechtigung erhält der Einwand aber nur, wenn man seine Gültigkeit einschränkt. Fichte wendet ein, dass die Unterstellung eines vom Denken unabhängigen Seins widersprüchlich ist, da sie die dogmatische Konzeption eines Dinges an sich implizieren würde. Dem zum deutlichen Bewusstsein erhobenen Setzen muss Fichte zufolge zwar ein unbewusstes Setzen ohne deutliches Bewusstsein vorausgesetzt werden, das als Bedingung des bewussten Setzens gedacht werden muss und auf welches sich das bewusste Setzen als sein Objekt bezieht. (Vgl. GA I, 4, S. 274) Eine Erklärung von Bewusstsein durch Bewusstsein wäre im schlechten Sinne zirkulär. Das unbewusste, dem bewussten Setzen vorauszusetzende Setzen, muss hierbei aber als solches gedacht werden, das Postulieren eines vom Denken unabhängigen Setzens wäre ein selbstwidersprüchlicher Gedanke. Eine Abstraktion vom Denken ist aufgrund der positiv zirkulären Struktur des Denkens nicht möglich. So hatte Fichte in § 1 der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre gezeigt, dass eine Abstraktion vom Ich qua Tathandlung nicht möglich ist. Während Fichte im Ersten Kapitel des Versuchs im Zusammenhang der Diskussion des Zirkeleinwands das Problem der Annahme eines vom Denken unabhängigen Seins des Ichs erläutert, geht es in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797 um das Problem der Voraussetzung des ganzen Ichs qua Selbstbe-
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wusstsein in Bezug auf dessen selbstreferentielle Form: „Das Ich geht zurück in sich selbst, wird behauptet. Ist es denn also nicht schon vor diesem Zurückgehen und unabhängig von demselben da für sich; muß es nicht für sich schon da seyn, um sich zum Ziele eines Handelns machen zu können; und, wenn es so ist, setzt denn nicht eure Philosophie schon voraus, was sie erklären sollte?“ (GA I, 4, S. 213) Fichte wirft hier zunächst die Frage auf, was in Bezug auf die intellektuelle Anschauung des Philosophen dem Philosophen und was dem ursprünglichen Ich als Beobachtungsgegenstand zugerechnet werden muss. Er stellt hierbei fest, dass das In-sich-Zurückgehen des Ichs dem beobachteten Ich zugeordnet werden müsse. Dies entspricht dem ersten Teil des Reflexionspostulats: „Denke dich!“ Die Reflexion, d. h. die Thematisierung der Konstruktion des Ich-Begriffs, rechnet Fichte hingegen dem Ich des Philosophen zu, was dem zweiten Teil des Reflexionspostulats entspricht: „[B]emerke, wie du das machst!“ Das In-sich-Zurückgehen des Ichs bildet somit die Schnittstelle zwischen Ich des Philosophen und ursprünglichem Ich und garantiert die Objektivität des Verfahrens der Rekonstruktion des ursprünglichen Ichs durch den Philosophen. Fichte wendet hier gegen den sich aus der Struktur des In-sich-Zurückgehens resultierenden Einwand der Zirkularität, also die Frage, ob das Ich nicht schon für sich da sein müsse, um in sich zurückzugehen, ein, dass das In-sich-Zurückgehen des Ichs als bloße Anschauung nur einen Teilakt des Ichs und damit kein vollständiges Selbstbewusstsein darstelle. Es handle sich bei diesem um ein bloß mögliches, aber nicht um ein wirkliches Selbstbewusstsein, da die Anschauung zum einen intern begrifflich repräsentiert werden müsse und das Ich zum anderen extern durch den Unterschied zum Nicht-Ich bestimmt werden müsse. In § 5 der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre hatte Fichte vom Sich-Setzen gesagt, dieses sei kein Für-sich-Sein, das Ich müsse sich setzen als sich setzend, um ein Sein für sich zu werden. Hier wird deutlich: Das Sich-Setzen expliziert kein Selbstbewusstsein im starken Sinne, d. h. kein wirkliches Selbstbewusstsein, sondern nur ein mögliches Selbstbewusstsein. Die Voraussetzung der gesamten Ich-Struktur würde das von Henrich als Kritikpunkt des Fichteschen Selbstbewusstseinsmodells herausgestellte Reflexionsmodell mit der Struktur Ich = Ich implizieren. Fichte kritisiert aber nicht die reflexive Struktur des In-sich-Zurückgehens, wie von Henrich unterstellt, sondern die Voraussetzung der vollständigen Ich-Struktur. Die selbstbezügliche Struktur des In-
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sich-Zurückgehens ist hierbei Teil einer komplexeren, mehrfach reflexiven Gesamtstruktur aus Anschauung, Begriff und Nicht-Ich, ausgedrückt in der Formel des Sich-Setzens als setzend. Während Henrich die Konzeption einer Reflexionsstruktur des Ichs als problematisch betrachtet, weshalb Fichte diese durch ein Produktionsmodell mit der Konzeption des Sich-Setzens des Ichs ersetze, ist es für Fichte gerade die reflexive Struktur des Ichs, die dessen selbstproduktiven Charakter ausmacht. Die selbstbezügliche Struktur des Ichs (und von dessen Teilhandlungen) kann so erst die Ausdifferenzierung des Selbstbewusstseins im System der Wissenschaftslehre verständlich machen. Insofern Fichte das Selbstbewusstsein aus einem unbewussten Teilakt expliziert, ist Henrichs Kritik, Fichte verfalle mit der Konzeption eines Produktionsmodells selbst in die Aporien der Reflexionstheorie, gegenstandslos. Bei Fichte findet sich somit bereits die von Henrich zur Explikation von Bewusstsein in Anschlag gebrachte anonyme Dimension. Diese ist bei Fichte aber kein bewusstloses Bewusstsein wie bei Henrich, sondern qua Anschauung ein bloßer Teilakt, der erst im Zusammenspiel mit anderen Bewusstseinsakten die vollständige Bewusstseinsstruktur expliziert. Es lassen sich bei Fichte also zwei Erwiderungen auf den Zirkel-Einwand unterscheiden: 1) Es darf nicht das ganze Ich als Selbstbewusstsein, sondern nur eine bloße Anschauung als Teilbewusstsein vorausgesetzt werden. 2) Es darf kein vom Denken unabhängiges Dasein des Ichs qua Substanz, d. h. als Träger des Ich-Bewusstseins, vorausgesetzt werden. Fichte konzipiert das Ich so als bloße Tätigkeit: „Die Intelligenz ist dem Idealismus ein Thun, und absolut nichts weiter; nicht einmal ein Thätiges soll man sie nennen, weil durch diesen Ausdruck auf etwas Bestehendes gedeutet wird, welchem die Thätigkeit beiwohne.“ (GA I, 4, S. 200) b) Regressproblematik Im zweiten Abschnitt des Ersten Kapitels des Versuchs betont Fichte die Relevanz der nun folgenden Argumentation, indem er diese als Hauptpunkt der Wissenschaftslehre ausweist. Fichte formuliert nun ein neues Postulat: Gegenstand der Reflexion soll so nicht das SichDenken bzw. Sich-Setzen des Ichs sein, sondern das Verfahren der Reflexion des ersten Postulats selbst: „Jetzt aber sage ich dir: bemerke dein Bemerken deines SelbstSetzens; bemerke, was du in der so eben geführten Untersuchung selbst thatest, und wie du es mach-
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test, um dich selbst zu bemerken. Mache das, was bisher das Subjective war, selbst zum Objecte einer neuen Untersuchung“. (GA I, 4, S. 274) Fichte fordert nun die Einnahme eines höheren Standpunktes der Spekulation, d. h. die Erhebung auf eine höhere Reflexionsebene. Er bestimmt in einem ersten Schritt Selbstbewusstsein als Bedingung von Objektbewusstsein: Das Bewusstsein eines Objekts ist Fichte zufolge das Bewusstsein des Denkens des Objekts, d. h. es inkludiert eine Art Meta-Bewusstsein. Das Bewusstsein des Denkens hat hierbei wiederum Selbstbewusstsein zu seiner Voraussetzung, da Selbstbewusstsein nichts anderes als die Tätigkeit des Subjekts selbst ist: „Indem du irgend eines Gegenstandes – es sey derselbe die gegenüberstehende Wand – dir bewusst bist, bist du dir, wie du eben zugestanden, eigentlich deines Denkens dieser Wand bewusst, und nur inwiefern du dessen dir bewusst bist, ist ein Bewusstseyn der Wand möglich.“ (GA I, 4, S. 274 f.) Insofern Selbstbewusstsein die Bedingung von Objektbewusstsein ist, kann Objektbewusstsein nur durch die Explikation von Selbstbewusstsein verständlich gemacht werden. Fichte unternimmt zunächst den Versuch, Selbstbewusstsein in Analogie zur Funktionsweise von Objektbewusstsein durch die Unterscheidung von denkendem Ich (Subjekt) und gedachtem Ich (Objekt) zu erklären. Es geht Fichte dabei darum, das eigene Modell von Selbstbewusstsein ex negativo, d. h. durch die Problematisierung des zunächst naheliegenden Modells, zu profilieren. Die Schwierigkeit ist hierbei folgende: Das Denkende, also das Subjekt, müsste auch hier wie beim Objektbewusstsein zugleich Objekt eines höherstufigen Denkens sein, d. h. jedes Bewusstsein muss als solches selbst wieder thematisch und damit bewusst sein, da es sonst nicht als Bewusstsein charakterisiert werden könnte. Es wäre eine Art unbewusstes Bewusstsein und damit kein Bewusstsein im eigentlichen Sinne. Fichtes These ist hierbei im Anschluss an Kants Modell der reinen Apperzeption als Begleitbewusstsein, dass es kein bloßes Objektbewusstsein gibt, dass also das Bewusstsein eines Objekts ohne Bezug auf Selbstbewusstsein gar kein Bewusstsein darstellen würde. Ich muss mir bewusst sein, dass ich es bin, der Bewusstsein von einem Objekt hat, wobei das Selbstbewusstsein hierin nicht unbedingt explizit sein muss. Jedes Bewusstsein eines Objekts muss so als Bewusstsein selbst wieder bewusst und damit repräsentiert sein, da es ansonsten kein Bewusstsein wäre. Das gängige Bewusstseinsmodell, wie es in Reinholds Satz des Bewusstseins formuliert ist, versteht Bewusstsein als Differenz von Subjekt und Objekt,
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welche durch das Subjekt zugleich aufeinander bezogen werden. Hierbei stellt sich nun aber die Frage, ob nicht das Subjekt, das Subjekt und Objekt voneinander unterscheidet und aufeinander bezieht, selbst wieder bewusst sein müsste. Kann das gängige Bewusstseinsmodell auch als Explikation der Struktur von Selbstbewusstsein fungieren? Das Problem des Regresses, das aus dem Versuch der Anwendung des gängigen Bewusstseinsmodells auf die Erklärung von Selbstbewusstsein resultiert, basiert auf folgender Schwierigkeit: Das Subjekt als Selbstbewusstsein müsste selbst wieder Objekt eines höheren Bewusstseins sein, für welches es bewusst wäre. Hierin wäre es aber nicht für sich selbst bewusst. Würde Selbstbewusstsein nach dem Schema von Objektbewusstsein funktionieren, dann könnte es Fichte zufolge kein wirkliches Bewusstsein geben, da es immer ein Bewusstsein geben würde, das als solches nicht bewusst wäre: Du bist – deiner dir bewusst, sagst du; du unterscheidest sonach nothwendig dein denkendes Ich von dem im Denken desselben gedachten Ich. Aber damit du dies könnest, muß abermals das Denkende in jenem Denken Object eines höhern Denkens seyn, um Object des Bewusstseyns seyn zu können; und du erhältst zugleich ein neues Subject, welches dessen, das vorhin das Selbstbewusstseyn war, sich wieder bewusst sey. […] und nachdem wir einmal nach diesem Gesetze fortzuschließen angefangen haben, kannst du mir nirgends eine Stelle nachweisen, wo wir aufhören sollten; wir werden sonach ins unendliche fort für jedes Bewusstseyn ein neues Bewusstseyn bedürfen, dessen Object das erstere sey, und sonach nie dazu kommen, ein wirkliches Bewusstseyn annehmen zu können. (GA I, 4, S. 275)
Durch das gängige Modell von Bewusstsein kann also keine plausible Erklärung von Selbstbewusstsein gegeben werden. Aus der Existenz, d. h. dem phänomenalen Bestand von wirklichem Bewusstsein, schlussfolgert Fichte nun, dass das Erklärungsmodell von Bewusstsein als Differenz von Subjekt und Objekt für die Explikation von Selbstbewusstsein unzutreffend ist. Aus der Falschheit des Modells folgt für Fichte hierbei die Gültigkeit des Gegenmodells: Selbstbewusstsein müsse als absolute Einheit von Subjekt und Objekt verstanden werden. Selbstbewusstsein sei so selbst nicht wieder Gegenstand eines höheren Bewusstseins wie im Fall von Objektbewusstsein, sondern qua Subjekt für sich selbst Objekt. Nur ein solches, unmittelbares Bewusstsein könne als Bedingung und Erklärungsgrundlage von Objektbewusstsein fungieren. Während das
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erste Reflexionspostulat die Struktur des Sich-Denkens bzw. des Sich-Setzens und damit die Entstehung des Ich-Begriffs zum Gegenstand hat, wird im zweiten Reflexionspostulat das Verfahren der Reflexion selbst zum Inhalt der Reflexion. Steht so im Zusammenhang von Reflexionspostulat 1 die zirkuläre Struktur des Sich-Setzens im Zentrum, aus welcher der Vorwurf der Zirkularität des Verfahrens des Sich-Denkens resultiert, ergibt sich die Problematik des infiniten Regresses im Kontext von Reflexionspostulat 2 aus dem Verfahren einer höherstufigen Reflexion, in welcher das, was zuvor Subjekt war, nun zum Objekt der Reflexion wird. Die Verobjektivierung verlangt hierbei aber jeweils die Position eines Subjekts, das als solches selbst wieder zum Objekt der Reflexion wird. Das Problem des Regresses zeigt sich so erst durch eine Methodenreflexion. Fichte zieht hierbei den Schluss, dass Bewusstsein nicht durch eine höherstufige Reflexion expliziert werden könne, sondern durch ein unmittelbares Bewusstsein, welches er als „intellektuelle Anschauung“ und „SichSetzen als setzend“ charakterisiert. Beim unmittelbaren Bewusstsein handelt es sich so um keine externe, sondern um eine immanente Reflexion, in welcher das Denken (Subjektives) und das Bewusstsein des Denkens (Objektives) notwendig verbunden sind. Nachdem Fichte die Notwendigkeit der Annahme des unmittelbaren Bewusstseins demonstriert hat, betont er nun dessen phänomenologische Evidenz, um damit seine Annahme inhaltlich zu belegen und einen möglichen Zweifel an seinem Argument als einem bloß formalen abzuwehren: „Wie kamst du nun zu diesem Bewusstseyn deines Denkens? Du wirst mir antworten: ich wusste es unmittelbar.“ (GA I, 4, S. 276) Fichte charakterisiert dabei das Bewusstsein des Denkens als „unmittelbares Wissen“, wobei er ein solches Wissen als unmittelbar definiert, das nicht in einer externen Beziehung zu seinem Gegenstand steht. Es handelt sich also um kein zufälliges additives Wissen, ein „hinterher dazu gesetztes“ (GA I, 4, S. 276), sondern um ein Wissen, das notwendig mit seinem Objekt verknüpft ist. Fichte zufolge ist so das Denken ohne das Bewusstsein des Denkens nicht denkbar. Insofern das Bewusstsein des Denkens im Begriff des Denkens enthalten ist, handelt es sich hierbei um einen analytischen Begriff im Sinne Kants. Fichte definiert das Bewusstsein des eigenen Denkens qua Einheit von Subjektivem und Objektivem als unmittelbares Bewusstsein. Er expliziert das unmittelbare Bewusstsein des Denkens hierbei als Selbstbezug der inneren, auf ein Objekt gerichteten Tätigkeit und als Selbstbewusstsein. Das Selbstbewusst-
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sein stellt demnach die „unzertrennliche“, d. h. unmittelbare und absolute, Einheit von Subjekt und Objekt dar. (Vgl. GA I, 4, S. 276) Fichte bestimmt nun weiterhin das unmittelbare Bewusstsein als Anschauung, also im Gegensatz zum den Status von Vermittlung explizierenden Begriff. Diese Anschauung beschreibt er dabei als ein „Sich-Setzen als setzend“: Die Anschauung, von welcher hier die Rede ist, ist ein sich Setzen als setzend, (irgend ein Objectives, welches auch ich selbst, als bloßes Object, seyn kann,) keineswegs aber etwa ein bloßes Setzen; denn dadurch würden wir in die so eben aufgezeigte Unmöglichkeit, das Bewusstseyn zu erklären, verwickelt. Es liegt mir alles daran, über diesen Punkt, der die Grundlage des ganzen hier vorzutragenden Systems ausmacht, verstanden zu werden, und zu überzeugen. (GA I, 4, S. 276)
Eine Anschauung, die als bloßes Setzen verstanden werden würde, könnte Fichte zufolge so keine Erklärung von Bewusstsein leisten, da diese als bloß subjektive Tätigkeit die Repräsentation durch einen verobjektivierenden Akt fordern und damit in den beschriebenen infiniten Regress führen würde. Die Formel des Sich-Setzens als setzend lässt sich dabei über ihre Teilbestandteile explizieren: Der erste Bestandteil, das Sich-Setzen, expliziert die selbstbezügliche Tätigkeit bzw. das In-sich-Zurückgehen des Ichs und stellt als bloße Anschauung lediglich ein mögliches Selbstbewusstsein dar. Der zweite Bestandteil, ausgedrückt in der Anfügung „als setzend“, bezieht sich auf das Bewusstsein des Denkens entweder eines externen Objekts oder von mir selbst als bloßes Objekt, d. h. auf die Repräsentation bzw. Verobjektivierung der selbstbezüglichen Tätigkeit des Ichs, und damit auf ein wirkliches Selbstbewusstsein. Das Ich qua SubjektObjekt-Einheit besteht so aus zwei Komponenten: einer produktiven, bewusstlosen Anschauung und einer reflexiven, begrifflichen Tätigkeit, die diese unbewusste Anschauung repräsentiert und damit bewusst macht. Fichtes Verwendung der Begriffe des unmittelbaren Bewusstseins und der intellektuellen Anschauung ist dabei allerdings nicht eindeutig: Zum einen gebraucht er diese in Bezug auf die produktive, unreflektierte Dimension des Ichs, also die bloße Anschauung, zum anderen aber auch für die Reflexion dieser produktiven Tätigkeit durch den Begriff.
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SUZANNE DÜRR ( JENA)
Schlussbetrachtung Für die Frühromantiker Hölderlin und Novalis kann Bewusstsein nicht aus sich selbst verständlich gemacht werden, sondern muss in einer präreflexiven Identität begründet werden. Selbstbewusstsein in der Fichteschen Urteilsform Ich bin Ich stellt in der Perspektive der Frühromantiker aufgrund seiner reflexiven Struktur so lediglich eine partielle und damit unvollständige Identität dar. Für Fichte kann, wie übrigens dann auch für Hegel, nun weder das Modell der Differenz von Subjekt und Objekt noch das Modell einer differenzlosen Identität als adäquate Explikation von Selbstbewusstsein fungieren. Vielmehr müssen beide Momente in der Erklärung von Selbstbewusstsein integriert werden. Als sich selbst begründender, durch keine externe Größe begründeter Grund, d. h. als Subjekt-Objekt-Einheit, vermeidet das absolute Ich einen infiniten Regress, insofern ein solcher aus einer externen, nicht-immanenten Begründung resultiert. Als sich selbst produzierende, selbstreflexive Tätigkeit weist das Ich eine produktive, positiv-zirkuläre Grundstruktur auf. Das Modell der produktiven Reflexion unterliegt dabei nicht dem Einwand der Fehlidentifizierung, sondern es weist eben jene für Selbstbewusstsein geforderte Immunität gegen Fehlidentifizierung auf, da es als selbstproduktive Selbstbeziehung nichts anderes ist als die reflexive Explikation seiner selbst. Fichtes Kritik an der Tradition der Subjektivitätstheorie zielt so auf einen infiniten Regress, der aus einer einseitig theoretischepistemischen Explikation von Selbstbewusstsein resultiert, also aus der nicht ausgewiesenen praktisch-produktiven Dimension von Selbstbewusstsein und der damit einhergehenden externen Perspektive auf dasselbe. Fichtes Modell eines unmittelbaren Bewusstseins als Subjekt-Objektivität muss so als ein Modell von Selbstbewusstsein verstanden werden, das versucht, die theoretisch-reflexive und die praktisch-produktive Dimension von Selbstbewusstsein zusammenzuführen.
II. Schelling, August Wilhelm Schlegel und Schleiermacher
Markus Gabriel (Bonn)
Schelling als Nachkantianer oder: Wie unser Denken die Realität zu erfassen in der Lage ist I. Einleitung Das neu erwachte und stetig wachsende Interesse, welches die anglophone Welt derzeit an der Philosophie des 19. Jahrhunderts nimmt, zieht von allen sogenannten deutschen oder nachkantischen Idealisten sicherlich F. W. J. Schelling am wenigsten in Betracht. Während die deutsche, französische und italienische Forschung Schelling ungleich größere Aufmerksamkeit geschenkt hat, was durch die Würdigung, welche M. Heidegger ihm als einem wichtigen Wegbereiter seines eigenen Denkens widerfahren ließ, und durch Schellings diverse, wohlbekannte Einwände gegen I. Kant und G. W. F. Hegel angestoßen wurde, sind es gerade diese beiden Umstände, die im englischsprachigen Kontext eine Vernachlässigung Schellings zur Folge hatten. Dort nämlich werden Kant und Hegel im Hinblick auf ihren möglichen Beitrag zur gegenwärtigen Semantik und Erkenntnistheorie im weiteren Sinne sowie ihrer jeweiligen richtungsweisenden Ideen auf dem Gebiet der praktischen Philosophie gelesen. Selbst J. G. Fichte wird rezipiert, weil er darauf insistiert, dass der reine Begriff der Autonomie weiterzuentwickeln und von metaphysischen Restriktionen, die Kant vorgenommen hat, zu befreien ist wie z. B. der Grenzziehung des transzendentalen Idealismus zwischen Erscheinungen und Dingen an sich.1 Die jüngere deutsche Schelling-Literatur, die mit W. Hogrebes bahnbrechendem Buch Prädikation und Genesis einsetzt und sich mit M. Franks Arbeit zu Schelling fortsetzt, hat mit Recht betont, * Der Text erschien zuerst in englischer Sprache in: Forster, Michael N. und Gjesdal, Kristin, The Oxford Handbook of German Philosophy in the Nineteenth Century, Oxford 2015, S. 88-107. 1 Vgl. Darwall, Stephen, The Second-Person Standpoint. Morality, Respect, and Accountability, Cambridge 2009; Neuhouser, Frederick, Fichte’s Theory of Subjectivity, Cambridge 1990.
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MARKUS GABRIEL (BONN)
dass Schelling selbst dahingehend verstanden werden kann, dass er höchst originelle Überlegungen zur Semantik und Erkenntnistheorie sowie auf einigen Feldern der praktischen Philosophie anstellt.2 Wohl macht es den Eindruck, dass Schelling im Gegensatz zu seinen Vorgängern Kant und Fichte darauf pocht, dass die Metaphysik jeder anderen philosophischen Disziplin voranliegt. Und aus rein kantischer Perspektive scheint Schelling in eine Form vorkritischer Metaphysik zurückzufallen – ein Einwand, welchen Fichte verschiedentlich erhebt.3 Jedoch bleibt größtenteils unbemerkt, dass Hegel Schelling lobt, vornehmlich dessen Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (die sogenannte Freiheitsschrift), als die höchste Entfaltung spekulativen Denkens vor seinem eigenen.4 Wir wissen nichts über Hegels etwaige Haltung zu den meisten der von Schelling zu Hegels Lebzeiten unveröffentlichten Arbeiten, genauso wenig lassen sich Mutmaßungen anstellen über seine mögliche Reaktion auf Schellings Spätphilosophie. Es ist auch nicht ganz klar, inwieweit einige von Schellings Versuchen, das Kant’sche Unternehmen dadurch zu systematisieren, dass er es auf eine andere Grundlage stellt, wirklich mit Kants Prämissen unvereinbar sind.5 Es lässt sich allerdings kein philosophiegeschichtlicher Grund vorbringen, um Schelling als Option für eine zeitgemäße Version der nachkantischen Philosophie auszuschließen. Wenn sich Hegel als solch eine Option anbiete, ist schwer nachzuvollziehen, warum das bei Schelling anders sein sollte. Schellings publiziertes Werk umfasst allein schon derart viele Bände und verschiedene Formen der Darstellung seines Denkens, dass es hoffnungslos bleiben muss, all das in einem einzigen Aufsatz 2 Vgl. Hogrebe, Wolfram, Prädikation und Genesis. Metaphysik als Fundamentalheuristik im Ausgang von Schellings Die Weltalter, Frankfurt a. M. 1989; Frank, Manfred, Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, München 1992; ders., Auswege aus dem Deutschen Idealismus, Frankfurt a. M. 2007. 3 Für einen Überblick über diese Debatte siehe Hühn, Lore, Fichte und Schelling oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart 1994. 4 Vgl. Hegel, G. W. F., „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“, Teil 4: Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit, in: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 9, Hamburg 1986. 5 Für diese Diskussion siehe Hutter, Axel, Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt a. M. 1996.
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abbilden zu wollen. Was die Sache weiter verkompliziert, ist, dass einige seiner nachgelassenen späteren Arbeiten mindestens so einflussreich waren wie die von ihm selbst herausgegebenen Schriften. Das trifft insbesondere auf seine spätere Philosophie der Mythologie und Philosophie der Offenbarung zu, die bekanntlich S. Kierkegaard und etliche Linkshegelianer, welche in den frühen 1840er Jahren seine Berliner Vorlesungen besuchten, inspiriert hat. Meine eigene Herangehensweise an Schelling speist sich aus einem systematischen Interesse an einigen seiner fundamentalen Ansichten. Dementsprechend will ich hier gar nicht erst versuchen, ein historisch allumfassendes Bild von Schelling zu zeichnen, sondern werde mich stattdessen auf diejenigen seiner Werke und diejenigen Seiten seiner Philosophie konzentrieren, die nach meinem Dafürhalten die größte Relevanz besitzen für jene aktuell geführten Debatten, welche die Philosophie des 19. Jahrhunderts zu ihrem Ausgangspunkt nehmen. Es ist ausgeschlossen, Schellings intellektuelle Biographie gebührendermaßen wiederzugeben, und zwar aus dem einfachen Grund, weil der Großteil seines Denkens noch gar nicht rekonstruiert ist; hier steht noch einiges an systematischer Forschung aus. Die beste Schelling-Biographie hat X. Tilliette vorgelegt.6 Im Gefolge Heideggers wurden in den frühen 1950er Jahren weitreichende Anläufe unternommen, Schelling begreiflich zu machen, darunter vor allem J. Habermasens Bonner Dissertation, K. Jaspers’ SchellingBuch und W. Schulzens einflussreiche Heidelberger Habilitationsschrift, in der er vertritt, dass Schellings Spätphilosophie das Programm des deutschen Idealismus als Ganzem vollendet.7 Richtig ist, dass viele Elemente aus Schellings sogenannter mittlerer Periode (bestehend aus den Projekten der Freiheitsschrift, des Systems der Weltalter sowie der weniger bekannten Stuttgarter Privatvorlesungen) reichlich Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Dasselbe gilt für seine Spätphilosophie, sprich die Philosophie der Mythologie sowie die Philosophie der Offenbarung, indem sowohl Kierkegaard als auch mehrere Linkshegelianer davon angeregt wurden, was sich ihnen als einschneidende Hegel-Kritik ausnahm. Die Details von 6 Vgl. Tilliette, Xavier, Schelling. Biographie, Paris 1999. 7 Vgl. Habermas, Jürgen, Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken, Bonn 1954; Jaspers, Karl, Schelling. Größe und Verhängnis, München 1955; Schulz, Walter, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Stuttgart 1955.
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Schellings zahlreichen Übergängen und Neuansätzen einschließlich seiner verschiedenen Darstellungsformen (Dialoge, Abhandlungen, Vortragsreihen etc.) sind indessen kaum bekannt, geschweige denn systematisch ausgedeutet. Bis in die späten 1980er Jahre hinein hat sich die Schelling-Forschung allzu sehr darauf konzentriert, die Umrisse seiner Denkentwicklung zu erläutern, anstatt sich auf die in seinen Texten vorzufindenden Argumente einzulassen. Gleichwohl mag es von Nutzen sein, hier eine grobe Skizze meines eigenen Verständnisses von Schellings intellektueller Biographie zu geben. Allgemein akzeptiert ist, dass Schellings Schaffen mindestens in vier Hauptphasen zerfällt. Die erste Schaffensphase wird durch das System des transscendentalen Idealismus verkörpert. Der leitende Gedanke hinter Schellings ersten Veröffentlichungen, welche ebendarin kulminieren, geht darauf aus, zwei Tendenzen miteinander zu vereinen, die er in Fichtes Variante des transzendentalen Idealismus am Werk sieht. Auf der einen Seite verzichtet Fichte ebenso wie Kant auf weitläufige ontologische Festlegungen und versucht, die Analyse, wie die Dinge an sich sind, durch eine Erklärung zu ersetzen, wie wir denjenigen Dingen, die wahrheitsfähigen Gedanken zugänglich sind, dergestalt Sinn abgewinnen können, dass diese Erklärung nicht notwendigerweise damit zusammenfällt, wie die Dinge an sich sind. Schelling befürchtet allerdings, dass solch eine ‚transzendentale Bescheidenheit‘ in eine verhängnisvolle Form von Skeptizismus mündet. Wenn nämlich die Dinge, wie sie an sich sind, in ihren Grundzügen vollauf davon abweichen, wie uns diese erscheinen, können wir die Möglichkeit nicht ausschließen, dass der Bereich derjenigen Dinge, auf welche wir uns beziehen (die Erscheinungen), letztendlich durch deren Integration in größere, aber für uns unzugängliche Zusammenhänge fundiert sein könnte. Deswegen unternimmt es Schelling, eine Fassung des transzendentalen Idealismus auszubuchstabieren, die ihre eigene Ontologie generiert. Das führt ihn allerdings zu der Einsicht, welche seine zweite Schaffensphase, die der Naturphilosophie, begründet, dass wir nämlich die Dinge an sich als Natur zu denken haben, d h. im Sinne eines anonymen und präsubjektiven Prozesses, der sich in dem Bewusstsein, welches wir davon haben, zufällig selbst bewusst wird.8 In die 8 Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit Schellings zweiter Schaffensphase und diesem Gedanken siehe Grant, Iain H., Philosophies of Nature after Schelling, London/New York 2006.
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sem Zusammenhang formuliert Schelling eine interessante Version des neutralen Monismus, die gewiss kritische Aufmerksamkeit verdient, weil sie den Versuchungen des Panpsychismus bzw. metaphysischen Materialismus widersteht. Die dritte Schaffensphase oder mittlere Periode wird normalerweise durch Schellings Vorstellung gekennzeichnet, der zufolge das eigentliche Problem der Philosophie darin liegt, wie wir Freiheit denken. Sein innovativer Gedanke ist dabei der, dass eine Spannung besteht zwischen systematischer Philosophie einerseits und der Freiheit unserer Theoriebildung andererseits. Schelling fragt nicht so sehr danach, wie wir unser Selbstverständnis als freie Akteure in eine illusionslose Konzeption des deterministischen Universums bzw. der Natur einpassen können, sondern vielmehr, ob wir die Tätigkeit des Philosophierens als eine Artikulation der einschlägigen Form von Freiheit ansehen können. Wenn die philosophische Tätigkeit selbst frei ist, kann ihr Ergebnis in irgendeiner Hinsicht nicht zum Voraus bestimmt sein. Und für Schelling bedeutet dies, dass wir den Gegenstand der Philosophie nicht als ein System betrachten dürfen, das unabhängig von unserem Nachdenken darüber bereits vollständig etabliert ist. Dass wir über das Objekt der Philosophie (worin auch immer dieses letztlich bestehen mag) als etwas nachdenken, das schon da ist (etwa in Form eines uns vorgegebenen logischen Raums von Gründen), scheint unverträglich zu sein mit unserer kritischen und dialogischen Einstellung zu diesem Objekt. Nach Schelling müssen wir daher über die Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit der Philosophie Rechenschaft ablegen, ohne zu bloßen Historisten zu werden, die im Namen einer ungebundenen konstruktivistischen Gesinnung die Möglichkeit philosophischer Entdeckungen verabschieden. Daraus gehen schließlich diejenigen Reflexionen hervor, welche gemeinhin Schellings Spätphilosophie, seiner vierten und letzten Schaffensphase, zugeschrieben werden.9 Schelling vereinheitlicht nunmehr seine früheren Auffassungen, indem er die Herausbildung der Philosophie aus nichtphilosophischem (mythologischem und 9 Ich habe die Feinheiten dieses Übergangs und der dabei entwickelten Ansätze dargestellt in Gabriel, Markus, Der Mensch im Mythos. Untersuchungen über Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewußtseinsgeschichte in Schellings Philosophie der Mythologie, Berlin/New York 2006 und Transcendental Ontology. Essays in German Idealism, London/New York 2011.
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theologischem) Denken nachzeichnet. Systematische Philosophie soll demnach durch solche Entwicklungen in der Geschichte des menschlichen Selbstbewusstseins entstanden sein, die noch nicht autonom auf Philosophie hin ausgerichtet waren. Mithin wird sie ihm zum Produkt, wie man heute sagt, ‚kultureller Evolution‘. Schelling jedoch denkt die Geschichte unseres Selbstbewusstseins nicht als eine Erweiterung der zufälligen Evolution menschlicher Subjektivität aus rein natürlichen Abläufen, sondern als radikalen Bruch. Was in diesem Bruch geschieht, ist primär und meisthin eine ‚Theogonie‘, womit Schelling meint, dass die Menschheit mit einer Vorstellung ihrer Götter anfängt, und zwar im Besonderen mit der Vorstellung, dass die Natur nicht nur eine sinnlose Sphäre dieses oder jenes Materials ausmacht, sondern einen Bezirk der Erkennbarkeit. Der, wie Schelling es nennt, „theogonische Prozeß“10, in den unser Bewusstsein verstrickt ist, verortet allerdings die Erwartung solcher Intelligibilität an falscher Stelle und hypostasiert sie in Gestalt von Göttern, die allmählich anthropomorphe Züge annehmen. Das gipfelt in einer Philosophie, die sich laut Schelling noch nicht restlos von der Theogonie emanzipiert hat und nach wie vor mit Metaphern und Allegorien des vorphilosophischen Selbstbewusstseins ringt.11 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es meiner Meinung nach nicht mehrere Systeme oder verschiedene Schellinge gibt, sondern eine kohärente Gedankenlinie, die Schelling aus unterschiedlichen Perspektiven entfaltet. Es besteht insofern keine echte Differenz zu Hegel, der sein System gleichfalls in den verschiedenen Phasen seines Schaffens auf unterschiedliche Weise ausgestaltet. Durchgängig ist Schelling darum bemüht, für seine grundlegende Annahme den adäquatesten Ausdruck zu finden – und ändert sein Denken nicht ein ums andere Mal, wie uns eine gängige Schilderung von Schellings vermeintlich ‚proteushaftem‘ Charakter glauben machen will. Diese grundlegende Annahme ist dabei die, dass Subjekti 10 Siehe etwa SW XII, S. 109. Ich erörtere das eingehend in Gabriel, Markus, Der Mensch im Mythos. Untersuchungen über Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewußtseinsgeschichte in Schellings Philosophie der Mythologie, a. a. O., §§ 12, 17. 11 Das wurde aufgegriffen und weiterentwickelt von Blumenberg, Hans, Arbeit am Mythos, Frankfurt a. M. 2001; Cassirer, Ernst, Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bde., Berlin 1923 ff. Derlei ist sogar bei L. Wittgenstein zu finden (vgl. ÜG, § 94). Siehe dazu Gabriel, Markus/Žižek, Slavoj, Mythology, Madness, and Laughter. Subjectivity in German Idealism, London/New York 2009, S. 68-71.
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vität in Verhältnisse integriert werden muss, die nicht von ihr gemacht, aber doch damit kompatibel sind, dass Subjektivität sich in ihnen herausbildet. Das gilt sogar dann, wenn wir mit ‚Subjektivität‘ vorrangig auf Selbstbewusstsein abstellen im Sinne desjenigen basalen Bewusstseins, dass einige Tatsachen lediglich dadurch sind, dass wir uns auf sie beziehen. Die besagte Distinktion zwischen Tatsachen, die referenzenabhängig sind, indem sie nur sind, weil man sich auf sie bezieht, und solchen, die überhaupt nicht davon abhängen, dass auf sie referiert wird (was der späte Schelling als „unvordenkliches Sein“ apostrophiert), muss man in eine Umgebung zurückstellen, in der sich Subjektivität ereignet. Sie ist deswegen nicht das Absolute, denn das Absolute kann nur als Teil eines Beziehungsnetzwerks begriffen werden, das prinzipiell sowohl prä- als auch nichtsubjektive Tatsachen einbegreift. Auch wenn diese Entgegensetzung letzten Endes nicht hinreichend eindeutig ist, kann man die verschiedenen Fassungen dieser grundlegenden, realistischen Annahme bündeln, indem man sagt, dass Schellings objektiver Idealismus allemal einen subjektiven Idealismus vermeidet. Sein sogenannter objektiver Idealismus behauptet im Großen und Ganzen, dass Subjektivität ontologisch objektiv ist, auch wenn viele ihrer definierenden Merkmale subjektiv sind in dem Sinne, dass sie nur existieren, sofern Subjekte darauf Bezug nehmen. Im Folgenden werde ich mich an diejenigen Aspekte von Schellings Philosophie halten, die am besten geeignet sind für eine dere-Interpretation im Sinne R. Brandoms. Bei Brandom isoliert eine derartige Interpretation die Argumente und Anschauungen eines historischen Autors und zeigt, dass sie von genuiner Bedeutsamkeit sein können für gegenwärtige Interessen. Im Gegensatz dazu wird eine dedicto-Interpretation oft als das Unterfangen angesehen, geschichtliche Details zutage zu fördern, welche die bisherige Forschung übersehen hat.12 Es ist allerdings zu beachten, dass jede solche Interpretation zuletzt ihrerseits von einer Interpretationshypothese getragen wird, was bedeutet, dass ihr Resultat niemals eine reine de-dicto-Interpretation ausmacht. Eine reine de-dicto-Interpretation läuft Gefahr, gerade die Originalität des in Rede stehenden Denkers zu verfehlen, da sie tendenziell zu selektiv ausfällt und des Öfteren lediglich ihre eige 12 Zu dieser Entgegensetzung siehe Brandom, Robert, Tales of the Mighty Dead. Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality, Cambridge/London 2002, S. 94-99.
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nen Voraussetzungen anachronistisch in die Vergangenheit projiziert. Wenn wir etwas aus der Geschichte der Philosophie lernen wollen, das wir nicht bereits durch unsere eigenen Reflexionsbemühungen kennen und das für ebendiese Bemühungen maßgeblich ist, müssen de-re- und de-dicto-Interpretationen schlussendlich zusammenarbeiten. Und eine derartige Beschäftigung mit Schelling hat (in der anglophonen Welt) allererst begonnen. Meine Hoffnung ist, dass wir bald mehr systematische oder rationale Rekonstruktionen Schelling’scher Argumente sowohl in Bezug auf ihren Ort und ihre Zeit als auch auf die unseren sehen werden. Im Weiteren stelle ich zunächst den Grundgedanken einer Naturphilosophie vor (II.). Sodann wende ich mich Schellings Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und seinen Überlegungen zur Unausweichlichkeit einer kritischen Form von Metaphysik zu (III.). Abschließend greife ich seine prominente begriffliche Differenzierung von negativer und positiver Philosophie auf (IV.). Meine generelle Interpretationshypothese lautet, dass Schellings Werk ein wirklicher Bestandteil der nachkantischen Tradition ist, indem seine elementare Frage darauf abzielt, wie die minimale logische Form propositionalen Denkens eine strukturierte Realität zu erfassen in der Lage ist, welche immer potenziell unabhängig davon besteht, wie wir sie im propositionalen Denken repräsentieren. Schellings origineller methodologischer Schwerpunkt liegt auf der Fallibilität der Philosophie selbst. Er begreift Philosophie als eine systematische Hervorbringung von Begriffen, welche eingeführt werden, um unsere Art der Erkenntnis, wie die Dinge wirklich sind, zu erklären. Er geht davon aus, dass das Erfordernis der Fallibilität unausweichlich macht, eine verbesserte Version des Kant’schen Dings an sich zu bewahren.13 Entgegen der populären Auslegungen von Fichte und Hegel bleibt Schelling darum stets ein ontologischer Realist, als er einen Standpunkt verteidigt, wonach die Wirklichkeit über weite Strecken gänzlich anders sein könnte, als wir sie uns vorstellen. Unbeirrt hält er an der Möglichkeit fest, dass sich unsere Denksysteme, unsere Theorien (was auch immer ihr Gegenstand oder Gegenstandsbereich sein mag), auf illusorische Verzerrungen darüber, wie die Dinge an sich sind, belaufen. Im Gegensatz zu Kant 13 Vgl. Hutter, Axel, Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, a. a. O.
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glaubt Schelling aber nicht, dass wir zwangsläufig von einer Erkenntnis der Dinge an sich abgeschnitten sind.
II. Der Grundgedanke einer Naturphilosophie Eine geläufige, um die Jahrhundertwende herum aufgekommene Auffassung von Schellings Naturphilosophie hebt mit Recht hervor, dass es ihr um eine Verbindung von Spinoza und Kant zu tun ist. Tatsächlich will Schelling die Lücke zwischen „Dogmatismus“ und „Kriticismus“ schließen, wie er die beiden Positionen in seinen Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kriticismus bezeichnet.14 Um Schellings Sicht der zwischen beiden Positionen bestehenden Differenz richtig einzuschätzen, genügt es, ‚Dinge an sich‘ zu verstehen als die Welt, wie sie wäre, hätte kein Wesen jemals existiert, das auf sie referieren könnte. Der Ausdruck ‚Dinge an sich‘ drückt so verstanden aus, was Q. Meillassoux das „ancestral“ nennt, d. h. die Welt vor der Entstehung ihrer denkenden Bewohner.15 Vor diesem Hintergrund entwickelt Schelling den weiter gehaltenen Begriff einer „transscendentale[n] Vergangenheit“16 – der Welt und unserer erststufigen Bezugnahme darauf (die er das „Ich“ nennt), wie sie wäre, hätte sich niemand je darauf bezogen. Schelling zufolge weist unsere Intentionalität Züge auf, die sie ohnehin gehabt hätte, also auch dann, wenn sich keiner jemals dessen bewusst gewesen wäre; in diesem Sinne ist er ein globalerer Realist als Kant oder jene kantischen Variationen, die heutige Hegelianer aus Hegel machen. Die Welt, sofern sie unbeobachtet bleibt und kein Bezug auf sie genommen wird, nennt man traditionell ‚Natur‘. Das ist es, worauf der „Dogmatismus“ abhebt: Er nimmt die Dinge an sich als Natur und identifiziert die ultimative Realität kontrafaktisch mit dem Universum, das von keinerlei Beobachtern bewohnt wird. Demgegenüber behauptet der „Kriticismus“, dass die Dinge an sich keine Dinge ‚da draußen‘ oder keine ‚anzestrale Natur‘ sind, sondern theoretische Konstruktionen, ‚Grenzbegriffe‘ in Kants Ver-
14 Vgl. SW I, S. 281-341. 15 Vgl. Meillassoux, Quentin, After Finitude. An Essay on the Necessity of Contingency, London 2008. 16 SW X, S. 93.
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ständnis.17 Dem Kritizismus zufolge gehört der Begriff des Dings an sich zur höherstufigen philosophischen Theoriebildung und darf nicht für eine ontologische Festlegung der Erkenntnistheorie, der Wahrnehmungstheorie oder gar unserer allgemeinsten Theorie wahrheitsfähigen Denkens gehalten werden. Die Dinge an sich sind nichts, worauf man sich beziehen soll, kein Gegenstand einzelner Gedanken, sondern sie sind theoretische Entitäten, die herangezogen werden, um den möglichen Unterschied zu explizieren zwischen der Art, wie wir die Dinge normalerweise vorstellen, und der, wie sie unabhängig von den Bedingungen unseres Vorstellens sind. Nach Schelling oszillieren sowohl Spinoza als auch Kant zwischen „Dogmatismus“ und „Kriticismus“. Dieses Oszillieren erachtet er als mit der antiken griechischen Tragödie verwandt, was darauf hinweist, dass er beide Extreme als perennierend betrachtet.18 Vorzüglich Kant hat man oft so gelesen, dass er zwischen der Auffassung, wonach Dinge an sich vollwertige Dinge mit kausalen Kräften sind, und derjenigen oszilliert, der zufolge es sich um theoretische Konstruktionen (Grenzbegriffe) und damit um solche Begriffe handelt, die nicht wirklich auf irgendetwas Bezug nehmen. In der Tat operiert Kant auf zwei Ebenen, da er Dinge an sich manchmal als „posits“ im Sinne von W. V. O. Quine19 und manchmal als erststufige ontologische Festlegungen seiner Theorie auszeichnet.20 Schellings Naturphilosophie gibt eine Antwort auf ebendieses Rätsel. Anstatt Dogmatismus und Kritizismus als ewig fixierte Standpunkte anzusehen, wandelt sie die Fragestellung. Während Kant argumentiert, dass die Bedingungen, unter denen wir uns mit wahrheitsfähigen Gedanken auf Objekte beziehen (was er ‚Erkenntnis‘ nennt), aus Gründen des Prinzips unvereinbar sind mit einer Erkenntnis der Dinge an sich, versucht Schelling, eine Theorie des Übergangs zu entwickeln von der unbeobachteten Welt der Natur hin zu einer Welt, die von Wesen bewohnt wird, welche die Natur beobachten. Mit anderen Worten denkt er die Dinge an sich als 17 18 19 20
Vgl. KrV, B 310 f. Siehe dazu Szondi, Peter, An Essay on the Tragic, Stanford 2002. Vgl. Quine, Willard V. O., Word and Object, Cambridge 1960, S. 21 ff. Siehe dazu Prauss, Gerold, Kant und das Problem der Dinge an sich, Bonn 1989; Gabriel, Markus, An den Grenzen der Erkenntnistheorie. Die notwendige Endlichkeit des Wissens als Lektion des Skeptizismus, Freiburg/München 2008; ders., Die Erkenntnis der Welt. Eine Einführung in die Erkenntnistheorie, Freiburg/München 2013.
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einen Prozess der, mit S. Žižek gesagt, „phenomenalization“.21 Das ist es, worauf seine berühmte Allegorie hinauswill, dass die Natur in unserer Erkenntnis der Natur ihre Augen aufschlägt – eine Ansicht, die in T. Nagels vielumstrittenem Werk Mind and Cosmos wiederkehrt, welches den objektiven Idealismus ausdrücklich im Sinne von Schelling und Hegel als mögliche Theorieoption erwägt.22 Nagels Metapher eines „universe gradually waking up and becoming aware of itself“23 ist nichts anderes als die Grundidee von Schellings Naturphilosophie. Es ist wichtig anzumerken, dass Hogrebe bereits 1989 schlüssig dargelegt hat, dass Schelling hierbei nur ein schwaches anthropisches Prinzip veranschlagt, wohingegen Nagel, wie man sagen muss, eine stärkere Deutung zu beabsichtigen scheint, die weniger überzeugend ausfällt, was Nagels sofortige Preisgabe seiner Naturphilosophie zeigt.24 Das schwache anthropische Prinzip, auf das sich Schelling stützt, besagt lediglich, dass die Natur (die Domäne der Dinge an sich, welche der Existenz irgendeines Wesens, das darauf zu referieren imstande ist, vorhergeht) mit Wesen kompatibel ist, die darauf zu referieren imstande sind, jedenfalls in dem Maße, in dem sich solche Wesen darin herausbilden (wie sie es getan haben). Wie Nagel zutreffend unterstreicht, setzt jede wissenschaftliche Untersuchung voraus, dass die Natur zumindest minimal intelligibel ist, dass die Phänomene, welche wir beobachten, nicht allesamt und vollauf zufällig sind. Nach Schelling wird diese Minimalforderung der Erkennbarkeit offensichtlich von der Natur erfüllt. Ansonsten hätten wir uns nicht als solche herausbilden können, die recht erfolgreich darauf Bezug nehmen. Das gibt uns aber keinen Anlass zu der Annahme, dass diese Herausbildung für die Natur unvermeidlich war; es hätte sehr gut sein können, dass die Natur unerkennbar bleibt. Hier stimmt Schelling ganz und gar mit der gegenwärtigen metaphysischen Spekulation innerhalb der theoretischen Physik überein und steht in deutlichem Widerspruch zu Kant und Hegel: 21 Žižek, Slavoj, The Indivisible Remainder. On Schelling and Other Matters, London/New York 1996, S. 14. 22 Nagel, Thomas, Mind and Cosmos. Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is almost Certainly False, Oxford 2012, S. 17. 23 Ebd., S. 85. 24 Vgl. Gabriel, Markus, Der Mensch im Mythos. Untersuchungen über Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewußtseinsgeschichte in Schellings Philosophie der Mythologie, a. a. O., S. 101.
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Während Kant glaubt, dass wir nichts über die Natur in Schellings Sinne zu sagen vermögen, meint Hegel, dass wir sagen müssen, dass die Natur eine intelligible Struktur gehabt hätte, auch wenn niemand je in der Nähe gewesen wäre, um sich diese Struktur bewusst zu machen. Man beachte, dass ich explizit die Ansicht ablehne, dass Schelling oder Hegel ein starkes anthropisches Prinzip vertreten. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie das Vorkommen artikulierter Rationalität für ein zwingendes Ergebnis des Vorkommens von etwas halten, das ‚Natur‘ genannt zu werden verdient. Im Unterschied zu vielen Deutungen des deutschen Idealismus ist es weitaus plausibler, ihn für ein recht bescheidenes Projekt zu nehmen. Bei näherem Hinsehen passt das Etikett ‚Idealismus‘ gar nicht auf Schellings Philosophie, solange man nicht bereit ist, die Ansicht, wonach das beobachtete Universum mit der Existenz von Beobachtern verträglich sein muss, ‚objektiven Idealismus‘ zu nennen, was ebendie Bedeutung ist, die Schellings mit diesem Ausdruck verbindet. Schellings Naturphilosophie ist Teil eines zweigliedrigen Systems. Ergänzt wird sie durch den ‚transzendentalen Idealismus‘. Wie Schelling diesen auslegt, stellt er auf die Untersuchung der notwendigen und universalen Charakteristika unserer Bezugnahme darauf ab, wie die Dinge wirklich sind, und zwar unter der Voraussetzung, dass es Wesen gibt, die in der Lage sind, ebendarauf Bezug zu nehmen. Und die Naturphilosophie besitzt eine sich entwickelnde Struktur: Sie hebt an mit den Dingen an sich und entwickelt sodann die Bedingungen, unter denen Wesen darauf referieren. Schriebe man sie unter heutigen Vorzeichen neu, enthielte sie eine Geschichte des Universums vom Urknall über die bloß geologischen Zeiten und das Entstehen komplexer Chemie sowie des Lebens bis hin zum Auftauchen von Wesen, die hoch genug entwickelt sind, um dessen bewusst werden zu können, dass ihr Bewusstsein in die Natur passt. Nicht von ungefähr erachtet E. Haeckel in einem Brief an C. Darwin Schelling (neben J. W. von Goethe) als wichtigen Vorreiter der Evolutionstheorie.25 Obschon Schelling die Vorstellung nicht eigens erwägt und wahrscheinlich auch nicht hätte gelten lassen, dass die Evolution der Lebensformen rein mechanisch und zufällig verläuft und lediglich 25 Für eine Verteidigung Schellings als eines tatsächlichen Vorreiters der Artenevolution siehe Richards, Robert J., „Did Goethe and Schelling Endorse Species Evolution?“, in: Marking Time. Romanticism and Evolution, hg. v. Joel Faflak, Toronto 2017, S. 219-238.
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probabilistischen Gesetzen folgt, kann man seiner Idee einer Entwicklung des Denkens innerhalb eines epistemisch ‚blinden‘ Universums nach heutigen Begriffen durchaus Sinn abgewinnen. Schelling ist jedoch kein hartgesottener Naturalist oder Dogmatiker, wie er sagen würde, denn er bejaht eine Variante des transzendentalen Idealismus, was die Bedingungen unserer Bezugnahme anbelangt. Danach müssen wir imstande sein, die verschiedenen Felder der Natur in unserem Verständnis davon unterzubringen, wie wir auf Dinge Bezug nehmen. Im Prinzip muss, wie wir zwischen unbelebter Materie und teleologischen Prozessen (wie menschlichen zielgerichteten Handlungen) distinguieren, miteinander kompatibel sein, ohne diesen Gegensatz zu der Kant’schen Differenz zwischen echtem Wissen um und bloßem Glauben an – im Modus des „als ob“26 – Organismen herabzumindern. In anderen Worten liegt Schellings transzendentaler Idealismus in der bescheidenen These, dass wir nur Ursache zu der Annahme haben, dass fundamentale Unterschiede zwischen Arten natürlicher Entitäten (chemischer Reaktionen im Gegensatz zu zielgerichteten organischen Prozessen oder geologischen Vorgängen) in der Tat dazu passen, wie die Dinge an sich sind. Das ist seine Version der Ansicht, dass die Bedingungen unseres Zugangs dazu, wie die Dinge wirklich sind, von diesen Dingen ontologisch erfüllt werden. Infolgedessen war Schelling überzeugt, dass seine Naturphilosophie mitnichten eine radikale Revision seiner Bemühungen auf dem Gebiet der Transzendentalphilosophie darstellt, sondern dass beide Unternehmungen komplementär sind.
III. Die Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit Wie ich in Das Absolute und die Welt in Schellings Freiheitsschrift ausführlich darlege, tut jede Deutung der Freiheitsschrift gut daran, zuallererst die Struktur des Textes zu beachten und sein Thema nach Schellings eigener Angabe zu bestimmen.27 Das ist keineswegs trivial, da sogar die Gewohnheit, den Buchtitel abzukürzen und sich darauf als Freiheitsschrift zu beziehen, einen maßgebenden Punkt 26 Log, AA IX, S. 93. 27 Vgl. Gabriel, Markus, Das Absolute und die Welt in Schellings Freiheitsschrift, Bonn 2006.
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verdunkelt: dass nämlich das Werk in erster Linie nicht von Freiheit oder menschlicher Freiheit handelt, sondern vom Wesen der menschlichen Freiheit. Schelling sagt es klar und deutlich, dass der „höchste Punkt der ganzen Untersuchung“ das ist, was er den „Ungrund“28 nennt. Um die Funktion dieses Begriffs innerhalb der Architektur der in dem Buch vorgelegten Theorie zu verstehen, ist es unerlässlich, einen weiteren, oft ausgesparten Umstand zu berücksichtigen. Schelling spricht von ‚Grund‘ und ‚Existenz‘ nicht als von zwei metaphysischen Prinzipien. Vielmehr ist die Rede vom „Wesen, sofern es bloß Grund von Existenz ist“, und vom „Wesen, sofern es existirt“.29 Er präsentiert diese Unterscheidung als ein Kernelement des von ihm behandelten Themas, mit der sich auch die Forschungsliteratur zu Recht intensiv auseinandergesetzt hat. Es ist jedoch weitgehend unbemerkt geblieben, dass das Wesen nichts anderes ist als der Ungrund: Der Ungrund ist das Wesen, und das in zwei Hinsichten, als Grund der Existenz und als das, was existiert. Da sich die Einleitung in die Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit mit dem Verhältnis von Prädikation und Identität beschäftigt, lässt sich das, worauf Schelling mit seiner berühmten Distinktion sowie dem Begriff des Ungrunds ausgeht, als eine Theorie der Prädikation übersetzen. Zieht man den historischen Kontext in Rechnung, wird plausibel, dass er auf die Frage antwortet, wie Identitätsaussagen sowohl nichtwidersprüchlich als auch informativ sein können – ein Problem, das Leibniz und einige leibnizianische Theoretiker der Prädikation (insbesondere G. Ploucquet) aufgeworfen und während Schellings Studien in Tübingen ebenda diskutiert haben.30 Wie Schelling wiederholt notiert: Zu behaupten, dass A = B ist, heiße zu behaupten, dass es ein X gibt, das sowohl A als auch B ist. Mithin denkt er A und B als Gesichtspunkte, unter denen wir uns auf X beziehen können.31 Ganz entgegen den heutigen Theorieentscheidungen glaubt Schelling, dass es eine einheitliche Grundtheorie der Prädikation gibt, die atomare Aussagen an Identitätsaussagen in dem folgenden Sinne angleicht. Zu behaupten, dass Solon weise ist, bedeutet laut Schelling 28 SW VII, S. 406. 29 SW VII, S. 357. 30 Zu diesen Zusammenhängen siehe vor allem Frank, Manfred, Auswege aus dem Deutschen Idealismus, a. a. O., S. 375-414. 31 Siehe dazu insbesondere Hogrebe, Wolfram, Die Wirklichkeit des Denkens. Vorträge der Gadamer-Professur, Heidelberg 2007.
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zu behaupten, dass es ein X gibt, das sowohl Solon als auch weise ist. Zu behaupten, dass Solon identisch ist mit einem der Sieben Weisen oder dass Solon, der Staatsmann, Solon, der Weise, ist, heißt ebenfalls zu behaupten, dass es ein X gibt, das sowohl Solon als auch einer der Sieben bzw. sowohl Solon, der Staatsmann, als auch Solon, der Weise, ist. Die Identitätstheorie der Prädikation besagt folglich nicht, dass die Kopula ‚ist‘ bedeutet ‚ist identisch mit‘. Selbstredend wollte Schelling nicht sagen, dass die Behauptung, die Straße sei nass, bedeutet ‚Die Straße ist identisch mit nass‘. Aber er meint, dass die Behauptung, die Straße sei nass, analysiert werden kann als ‚Es gibt ein X, das sowohl die Straße als auch nass ist‘. Das gibt Schelling ein allgemeines Muster der Prädikation an die Hand. Das X der Prädikation ist dasjenige, was er den ‚Ungrund‘ nennt. Und zwar ist es insofern ein Ungrund, als seine Natur nicht im Voraus festgelegt ist. Bevor angegeben wird, dass X sowohl A als auch B ist, ist nicht notwendigerweise bestimmt, was X ist. Auf einige x, welche Kandidaten sind für das universale X der Prädikation, trifft ist es zu, dass sie durch die Prädikation hervorgebracht oder erzeugt werden. Solche x sind diejenigen Gegenstände (oder Handlungen) der Freiheit, welche der Titel des Buches Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände erwähnt. Wenn ich wahr mache, dass ich getanzt habe, dadurch, dass ich tanze, dann gibt es etwas, das sowohl ich bin als auch tanzt. Das etwas, welches ich bin, ist bisweilen am Tanzen – eine Tatsache, die nur dadurch zustande kommt, dass ich bisweilen wahr mache, dass ich tanze. Wenn ich dagegen behaupte, dass Hesperos Phosphoros ist, dann ist das x, das sowohl Hesperos als auch Phosphoros ist, nicht in Tatsachen eingebettet, die durch meine Behauptung hervorgebracht werden. Schelling denkt Freiheit als Performanz: Freiheit ist unsere Fähigkeit, Objekte dadurch zu erzeugen, dass wir ihre Existenz behaupten, so wenn wir behaupten, dass wir gerade etwas behauptet haben, das eine Behauptung als Objekt der Untersuchung produziert. Aber der Ungrund selbst, das universale X, ist weder dazu bestimmt, paradigmatisch von natürlichen Objekten noch von Objekten der Freiheit (wie erfolgreich durchgeführte Handlungen, Institutionen oder selbstreferenzielle Behauptungen) ausgefüllt zu werden. Es ist maximal themenneutral: Es steht für was auch immer der Fall sein und eine Aussage darüber wahr machen kann. Vor diesem Hintergrund nennt Schelling es das „Wesen“, und zwar schlicht deshalb,
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weil der Wahrheitswert einer Aussage wesentlich ist für die Aussage, sowohl insofern, als sie wahr ist, wie auch insofern, als der Wahrheitswert an einen Wahrmacher gebunden ist: Wahrheit bestimmt die Natur der Aussage. Wenn ich behaupte, dass Solon weise ist, und damit falsch liege, ist mein Geisteszustand der des Irrtums, während ich behaupten könnte, dass Solon weise ist, und damit in entscheidender Weise richtig liege, so dass ich weiß, dass Solon weise ist. Wenn ich mich irre, bin ich in einem gänzlich anderen Zustand, als wenn ich etwas weiß. Der Wahrheitswert ist das Wesen der Prädikation. Wir behaupten etwas in Form von Prädikation, mit dem Ziel, wahre Aussagen zu treffen. Die Differenz zwischen dem Ungrund als Grund der Existenz und als dem, was existiert, kann auch im Sinne solch einer minimalen Prädikationstheorie wiedergegeben werden. Nehmen wir noch einmal die Aussage ‚Solon ist weise‘. In diesem Fall ist das x, insofern es Solon ist, der Grund, welcher verschiedene Eigenschaften zu vereinen vermag: Solon kann im Wesentlichen weise, behaart, lustig, geistreich und klein sein. Der Grund der Existenz entspricht der Subjektposition des Urteils in der traditionellen Logik, mit dem Zusatz, dass wir das Subjekt als fähig ansehen, auch andere Eigenschaften zu besitzen, die nicht im jeweils vorliegenden atomaren Satz artikuliert sind, welcher nur eine von ihnen artikuliert. Solon, betrachtet als ein bloß Einzelnes, als reines Dieses, ist nicht bestimmt genug, um den Grund von irgendetwas abzugeben. Er muss bereits eine Eigenschaft haben, die ihn als etwas im Gegensatz zu anderem charakterisiert. Man kann dies das Wesen dessen nennen, als was etwas existiert: Solon existiert als Weiser. Was da drüben existiert, ist ein Weiser, und der Weise ist Solon. Kein tatsächliches Dieses-sein ohne Etwas-sein. Was Schelling vor Augen hat, ist, dass x irgendetwas innerhalb der Domäne der Wahrmacher bezeichnet und dass jede Wahrheit über einen bestimmten Wahrmacher diese Form hat: Der Grund A existiert als B. Beispielsweise existiert Solon als ein Weiser. Angesichts der Tatsache, dass wir solch einer einfachen Wahrheit stets einen Existenzquantor voranstellen können, schlägt Schelling vor, dass wir ‚Solon existiert als Weiser‘ zu verstehen haben wie folgt ‚Unter allen x gibt es eines, das sowohl Solon als auch ein Weiser ist‘. Solons Sein als Weiser ist seine Existenz: Er existiert als Weiser. Der Ungrund ist themenneutral und universal. Wenn wir uns nur auf das Dasein aller Wahrmacher beziehen und dieses X nennen, erhalten wir keine speziellen Informationen, wie die Dinge sind. Die
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Referenz auf den Ungrund erlaubt uns lediglich zu behaupten, dass es etwas oder ein anderes gibt, aber wir wissen dadurch nicht, was es ist. Deshalb markiert Schelling den Ungrund durch einen Gedankenstrich: „– wie sollen wir es bezeichnen?“ Das „es“ rekurriert auf den Gedankenstrich, und die Bezeichnung, welche Schelling anbietet, lautet „Ungrund“. Der Ungrund ist das Wesen der Prädikation und darum von all dem, was wir derart als existierend bestimmen können, dass es einige Eigenschaften hat, durch die es von anderem unterschieden ist. Ersichtlicherweise steht also die Prädikationstheorie im Dienste von Schellings Ontologie. Der Ungrund wird eingeführt, um zu erklären, wie Aussagen richtig oder falsch sein können. Wenn sie falsch sind, gibt es kein x, welches zu X gehört. Falsche Aussagen verfehlen das Wesen; es gibt nichts, was so ist, wie die Aussagen es vorstellen (was nicht heißt, dass einige Elemente einer falschen Aussage nicht dennoch auf ein existierendes Objekt referieren). Man kann diese gesamte Argumentationskette eine ‚Ontologie der Prädikation‘ nennen. Schellings Insistieren auf dem Ungrund als dem „höchste[n] Punkt der Untersuchung“ beläuft sich auf die These, dass alle wahrheitsfähigen Aussagen fallibel sind. Das ist eine Ablehnung jeder Form von Idealismus, der alles, was ist, mit dem identifiziert, was dadurch erzeugt wird, dass man behauptet, dass es ist. Anders gesagt, der Ungrund ist eine tragende Säule von Schellings ontologischem Realismus. Schelling apostrophiert seine Position expressis verbis als eine Kombination aus Realismus und Idealismus, als „Real-Idealismus“.32 Gemäß meiner Lesart ist, was er damit meint, im Großen und Ganzen wiederum etwas recht Unkompliziertes. Er sagt damit nur, dass es einige Gegenstände gibt, die Hervorbringungen unserer Freiheit sind. Das sind die Gegenstände aus dem Titel des Buches: diejenigen, welche mit dem Wesen der menschlichen Freiheit zusammenhängen. Die menschliche Freiheit ist für Schelling definiert durch ihre Produktivität. Sie besteht darin, dass wir etwas wahr machen können, indem wir etwas tun. Diejenigen Tatsachen, die wir dadurch erzeugen, hätten nicht existiert, hätte niemand wenigstens einen Begriff von Freiheit gehabt. So vertritt Schelling unabhängig von der Frage des Determinismus die Behauptung, dass wir zum Mindesten einen Begriff von Freiheit haben. Wir haben immerhin 32 SW X, S. 107.
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den Eindruck, dass es kontingente Handlungen gibt und wir wählen können, welche Tatsachen produziert werden und welche nicht. Den Hauptteil seines Werkes eröffnet Schelling durch einen Bezug auf ebendiesen Eindruck, den er „die Thatsache der Freiheit“ nennt; und Schelling fügt hinzu, dass er anfänglich in Gestalt eines „Gefühls“33 auftritt. Wir haben wenigstens den Eindruck, frei zu sein. In der Folge beschreibt Schelling die ontologischen Bedingungen der Möglichkeit, unter denen wir wirklich frei sind. Mit anderen Worten, er versucht, System (= die Ontologie) und Freiheit (= unser Gefühl tatsächlicher Freiheit) miteinander zu versöhnen. In meiner Deutung ist das ganze Argument ein Gedankenexperiment, welches ausbuchstabiert, wie die Realität und ihre Erscheinung im Nachdenken darüber zusammenpassen können, so dass wirkliche Freiheit ihren Raum hat.34 Ich möchte das genauer ausführen, damit die Struktur des Textes transparenter wird. Viele Interpretationen derjenigen Passagen, die innerhalb der Freiheitsschrift von Freiheit handeln, fokussieren die Entgegensetzung von Möglichkeit und Wirklichkeit der Freiheit. Bei der Auslegung dieser Differenzierung wird häufig der ausschlaggebende Punkt übersehen, dass Freiheit für Schelling in erster Linie keine Sache des Handelns ist im Sinne der Ausführung einer Intention durch körperliche Bewegung oder der Einhaltung einer Norm. Frei zu sein, meint für Schelling weder die Fähigkeit, zwischen einer Reihe von Handlungsmöglichkeiten zu wählen, noch die Unterwerfung unter eine universale Norm, so dass man neigungsunabhängige Handlungsgründe hat (wobei letzteres der Grundgedanke von Kants Freiheitskonzept ist). Wie Fichte und Hegel arbeitet Schelling an einer einheitlichen Darstellung der Vernunft, um einen Vernunftbegriff zu ermöglichen, der sämtliche charakteristischen Eigenschaften der Vernunft all ihren scheinbar unterschiedlichen Vollzügen zuerkennt. Praktische Vernunft und theoretische Vernunft müssen etwas gemeinsam haben, nämlich dass es sich jeweils um Vernunft handelt. Sollte sich herausstellen, dass die Vernunft als solche untrennbar mit Freiheit verbunden ist, muss es desgleichen theoretische Freiheit geben. Und hier fügt Schelling hinzu, dass die Theorie der Freiheit notwendigerweise von einem freien Akteur ent-
33 SW VII, S. 336. 34 Ich nenne dieses Theoriedesign ‚transzendentale Ontologie‘. Vgl. Gabriel, Markus, Transcendental Ontology. Essays in German Idealism, a. a. O.
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wickelt wird, den ich den „Theorieagenten“35 nenne. Der Theorieagent muss frei sein beim Aufbau seiner Theorie, er muss imstande sein, Freiheit richtig oder falsch zu konzeptualisieren. In einer Theorie, welche die Möglichkeit der Freiheit in Betracht zieht, ist also die Konzeptualisierung der Beziehung zwischen Freiheit und Determinismus bereits ein wirklicher Vollzug von Freiheit: Wäre der Theorieagent in seinen Theorieentscheidungen determiniert, wäre der Übergang von einer Proposition zur nächsten und die Verbindung zwischen den Propositionen im Sinne gültiger Schlussfolgerung dem Akteur aufgezwungen; er genügte der minimalen Anforderung an eine Theorie nicht, Ergebnis von Einsicht zu sein, d. h. wahr oder unwahr sein zu können. Sicher könnte man einwenden, dass theoretische Freiheit nur eine weitere Illusion ist, dass Theorien durch unsere neurochemisch programmierten Gewohnheiten des ‚Schließens‘ verursacht sind. Woher wissen wir, dass nicht alle Theorien Gewohnheiten solcher Art sind, die von allen, welche neurochemisch genauso programmiert sind, geteilt werden? Schellings Antwort darauf ist simpel: In einem derart radikal deterministischen System verschwände der Begriff der Wahrheit und der Unwahrheit. Was auch immer der Wahrheitswert einer Theorie ist, sie könnte nicht gemäß einer Einsicht in ihren Wahrheitswert modifiziert werden. Es gäbe keinerlei Grund anzunehmen, dass es so etwas wie eine rationale Theoriemodifikation gibt anstatt eine zufällige Rekonfiguration der Elemente des deterministischen Systems, die gelegentlich die Illusion einer selbstbewussten Verantwortlichkeit für das Akzeptieren dieser statt jener Proposition in einer Kette des ‚Schließens‘ evoziert. Im Hinblick auf die praktische Vernunft sind Formen des Skeptizismus noch leichter zu schlucken, die vom Determinismus untermauert werden, als solche im Hinblick auf die theoretische Vernunft. Doch wenn beide dieselbe Wurzel haben, ist dieser Gradunterschied die eigentliche Illusion: Anzuerkennen, dass jemand keine Freiheit des Handelns besitzt, heißt anzuerkennen, dass er keine Freiheit des Theoretisierens besitzt – schließlich ist das Theoretisieren nur eine andere Art von Handeln. Deshalb kann es keinerlei Grund geben, Rationalität als Ganze abzuleugnen zugunsten der Vorstellung, dass es nur neurochemisch vorprogrammierte Übergänge von einem auftretenden Gedanken hin zum nächsten gibt, wobei ein Übergang nie 35 Vgl. Gabriel, Markus, Das Absolute und die Welt in Schellings Freiheitsschrift, a. a. O.
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mals durch Einsicht motiviert wird, so dass man in seiner Theorie eine unwahre (aber potenziell wahre) Proposition durch eine wahre austauscht.36 Wären wir sogar fähig, den Sinn zu erfassen, in dem unser Freiheitsgefühl auf die Tatsache der Freiheit hinweist, könnten wir dadurch erkennen, dass wir in ebendiesem Akt des Erfassens wirklich frei sind. Schelling geht damit von der Möglichkeit praktischer Freiheit fort über die Wirklichkeit theoretischer Freiheit hin zur Wirklichkeit praktischer Freiheit. Das Argument lässt sich mithin folgendermaßen zusammenfassen. Wir haben ein intuitives Verständnis von praktischer Freiheit (das Gefühl tatsächlicher Freiheit): 1. Wenn wir dieses Gefühl mit Argumenten vergleichen, die für den Determinismus sprechen, vergleichen wir Freiheit und Determinismus innerhalb einer Theorie. 2. Die Theorie kann richtig oder falsch sein. 3. Wenn wir eine Theorie entwickeln, die richtig oder falsch sein kann, handeln wir. 4. Diese Handlung kann nicht neurochemisch vorprogrammiert sein, da jede solcherart vorprogrammierte Präferenz für die eine oder andere Proposition nicht das Ergebnis einer Argumentation ist. 5. Unser Begriff des Schließens ist ein Begriff der Freiheit: Immer hätten wir von einer wahren anstelle einer falschen Proposition überzeugt sein können (oder umgekehrt). 6. Wenn wir überhaupt schließen, sind wir daher frei. 7. Wir argumentieren für oder gegen den Determinismus. 8. Wir sind daher frei beim Theoretisieren. 9. Theoretisieren aber ist eine Handlung. 10. Also sind wir praktisch frei, was wir entdecken können, wenn wir die Verneinung praktischer Freiheit in gegen sie gerichteten und für den Determinismus sprechenden Argumenten betrachten. Schelling zufolge gibt es weitere wichtige semantische Nachweise für unsere theoretische Freiheit. Wir distinguieren zwischen dem 36 Für ein ähnliches Argument siehe Nagel, Thomas, The Last Word, Oxford 2003; ders., Mind and Cosmos. Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is almost Certainly False, a. a. O.
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Vollzug theoretischer Vernunft (dem Argumentieren oder Schließen) und der obsessiven Wiederholung irgendeines Gedankens. Diese Differenz von Vernunft und Wahnsinn ist von einschneidender Bedeutung in Schellings Werk.37 Wahnsinn ist für Schelling ein unentbehrlicher Vorläufer des Argumentierens, das er bisweilen ‚Verstand‘ nennt. Wenn er in seinen Stuttgarter Privatvorlesungen wiederholt schreibt, dass „Verstand […] nichts als geregelter Wahnsinn“38 ist, behauptet er nicht, dass Verstand und Wahnsinn grundsätzlich ununterscheidbar sind. Was er sagt, ist stattdessen, dass es eine Geschichte der Menschheit gibt, in der sich der Verstand herausgebildet hat, und dass in dem prähistorischen Abschnitt der Evolution des geschichtlichen Menschen noch kein solcher Verstand vorhanden gewesen sein kann, wie wir ihn vom heutigen Menschen kennen. Schelling geht davon aus, dass eine Genealogie der Vernunft hinter uns liegt, die nicht selbst rational verlaufen ist oder gar teleologisch auf voll ausgebildete Rationalität hin angelegt war. Jedoch lehnt er die weitergehende Vorstellung ab, dass 37 Aus diesem Grund hat man Schelling oftmals als Wegbereiter S. Freuds gelesen, was teilweise stimmt. Vgl. Marquard, Odo, „Schelling – Zeitgenosse incognito“, in: Schelling. Einführung in seine Philosophie, hg. v. Hans M. Baumgartner, München 1975, S. 9-26; Transzendentaler Idealismus, romantische Naturphilosophie, Psychoanalyse, hg. v. Hans M. Baumgartner, Köln 1987; Völmicke, Elke, Das Unbewußte im Deutschen Idealismus, Würzburg 2005; Žižek, Slavoj, The Indivisible Remainder. On Schelling and Other Matters, a. a. O.; ders., The Abyss of Freedom, Ann Arbor 1997; Ffytche, Matt, The Foundation of the Unconscious. Schelling, Freud, and the Birth of the Modern Psyche, Cambridge 2012. Freud selbst bezieht sich explizit auf Schelling, am bekanntesten in seinem Aufsatz über Das Unheimliche (vgl. Freud, Sigmund, „Das Unheimliche“, in: Gesammelte Werke, Bd. 12: Werke aus den Jahren 1917-1920, Frankfurt a. M. 1986, S. 229268). Es ist indes zu beachten, dass Freud eine starke Tendenz zeigt, das Schließen als ein deterministisches System zu denken und sogar philosophische Systeme mit Formen von Neurose und Psychose in Zusammenhang zu bringen. Schellings Punkt ist demgegenüber, dass Verstand gerade nicht Wahnsinn ist im Sinne einer obsessiven Wiederholung von Denkmustern. Er betrachtet Wahnsinn als ein Gegenteil von Verstand, dessen es bedarf, um den Begriff des Verstandes vollends zu erfassen. Er begnügt sich damit zu behaupten, dass vernunftbegabte Wesen im Grunde solche Wesen sind, die der Wahnsinn ereilen kann, dass es aber keinen vollumfänglichen Wahnsinn der Vernunft gibt. Für eine Diskussion dieses Punktes siehe Gabriel, Markus, „Autonomie, Normativität und das Problem des Scheiterns der Subjektivität“, in: Welt der Gründe. XXII. Deutscher Kongress für Philosophie, 11.-15. September 2011 an der LudwigMaximilians-Universität München, hg. v. Julian Nida-Rümelin, Elif Özmen, Hamburg 2012, S. 607-624. 38 SW VII, S. 470.
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unser Engagement für Rationalität und die damit einhergehende Freiheit dadurch ins Wanken gerate: Gerade weil der Verstand sich aus einem prähistorischen Prozess herausgebildet hat, haben wir keinen Grund anzunehmen, dass er jetzt nicht vorhanden ist. Der Umstand, dass Rationalität aus Wahnsinn entsteht, macht Rationalität nicht wahnsinnig noch macht sie den Wahnsinn rational. Wenn man die Überlegungen, welche in den Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit mit dem Begriff menschlicher Freiheit verbunden sind, so versteht, zeigt sich, dass Schellings Erörterung von Gut und Böse in einer Perspektive begründet ist, die jenseits des moralisch Guten und Bösen liegt. Das leuchtet umso mehr ein, wenn man sich den weitgehend vernachlässigten Begriff des Guten in der Freiheitsschrift ansieht; er setzt den Begriff des Bösen ins rechte Licht. In einer einschlägigen Passage bringt Schelling beide Begriffe zusammen und definiert sie über die Begriffe von Wahrheit und Sein (wobei ‚Sein‘ sich auf das Sein im Sinne des tatsächlichen Seins oder Soseins bezieht): Wir haben gesehen, wie durch falsche Einbildung und nach dem Nichtseyenden sich richtende Erkenntniß der Geist des Menschen dem Geist der Lüge und Falschheit sich öffnet, und bald von ihm fascinirt der anfänglichen Freiheit verlustig wird. Hieraus folgt, daß im Gegentheil das wahre Gute nur durch eine göttliche Magie bewirkt werden könne, nämlich durch die unmittelbare Gegenwart des Seyenden im Bewußtseyn und der Erkenntniß. Ein willkürliches Gutes ist so unmöglich als ein willkürliches Böses.39
‚Willkür‘ verweist hier auf den unbestimmten Ausgangspunkt der Freiheit, das „Vermögen des Guten und des Bösen“.40 Unter Voraussetzung der Themenneutralität des Verstandes haben wir ein korrespondierendes Vermögen des Wahren und des Falschen bzw. des Wissens und des Irrtums. Auf diese Weise kann Schelling vom wahren Guten sprechen und das Gute und Böse mit Formen des Erkennens assoziieren. Das Böse ist demnach das Ergebnis von Lüge und Irrtum; es resultiert aus der Abkehr von einer Einsicht, welche der bösen Person offensteht, während das Gute dem Entschluss entspringt, sich für rationale Theoriemodifikationen zu öffnen. Damit ist der folgende, durchaus nicht anspruchsvolle Gedanke ausge 39 SW VII, S. 391. 40 SW VII, S. 352.
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drückt: dass das Böse hier kein Name für die Eigenschaft einer Handlung, sondern eher für die Struktur des fortwährenden Gesamtverlaufs einer Handlung ist. Das Böse widersetzt sich durch rationale Theorie induzierten Modifikationen und hält an seinen Prämissen fest, gleichgültig was geschieht. Das Gute ist demgegenüber die Empfänglichkeit für rationale Theoriemodifikationen. Bevor wir uns der Unterscheidung von negativer und positiver Philosophie zuwenden, welche die in der Freiheitsschrift bereits dargelegten Überlegungen weiterentwickelt, ist es ratsam, sich die Idee eines guten und bösen Gesamtverlaufs von Handlungen genauer ansehen. Wir wissen, dass Schelling in dem umgreifenden Kontext sowohl einer Ontologie der Prädikation als auch eines themenneutralen, einheitlichen Vernunftbegriffs über Handeln nachdenkt. Handlungen existieren genauso wie andere Dinge oder Ereignisse. Die Bezugnahme darauf muss durch die Ontologie der Prädikation mit abgedeckt sein. Für eine Prädikation ist es wesentlich, dass, was da prädiziert wird, richtig oder falsch sein kann: Wenn X als Grund nicht dem X als dem entspricht, was existiert, oder wenn X als das, was existiert, nicht dem X als Grund entspricht, wird eine Prädikation falsch angewandt; und ein wahrheitsfähiger Gedanke, der diese Prädikation als wahr akzeptiert, bedeutet einen Irrtum. Wenn folglich Solon nicht weise oder das weise Ding dort nicht Solon ist, erweist sich das Urteil ‚Solon ist weise‘ als falsch.41 Ein böser Handlungsverlauf wird von einer falschen Vorstellung, wie die Dinge sind, geleitet. Trivialerweise wird er entweder von einer Unwissenheit bezüglich dessen geleitet, was das Richtige zu tun ist, oder von einem Irrtum im Hinblick darauf, was das Gute zu tun ist. Wenn der Akteur trotz besseren Wissens am bösen Handlungsverlauf festhält, ist der böse Handlungsverlauf in Schellings Sinne radikal böse. Radikal böse zu sein, bedeutet daher, trotz besseren Wissens einen bösen Handlungsverlauf fortzusetzen, d. h. sich aktiv gegen eine rationale Modifikation der Theorie zu sperren. Zum Abschluss dieser Gesamtdarstellung der Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit mag es hilfreich sein, noch etwas zur äußerst ungewöhnlichen Darstellungsform des Textes zu sagen. Ein möglicher Grund, warum Schel 41 Um präzise zu sein, muss man natürlich die weitere Option zugestehen, dass es kein X gibt, das entweder Solon oder weise ist. Mithin gibt es Irrtümer, bei denen nichts Solon oder weise ist.
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ling in den zeitgenössischen Diskussionen nicht als prominenter Philosoph des 19. Jahrhunderts geführt wird, liegt in der Form der Darstellung seiner Überlegungen. Obwohl Hegels Schriften mindestens genauso viele knifflige und unübliche Metaphern einsetzen, wird gemeinhin beklagt, die Freiheitsschrift läse sich wie eine durch und durch irrationale oder orakelhafte Abhandlung, eine Klage, die H. Heines Diktum auf den Punkt bringt: „Wahrlich, sprach der Schuster Jakob Böhme einst wie ein Philosoph, so spricht der Philosoph Schelling jetzt wie ein Schuster.“42 Diese Passage ist mitverantwortlich an der philosophiegeschichtlichen Aussparung Schellings. Denn Heine behauptet im Weiteren, Hegel habe Schelling überholt und zum bloßen Vorgänger des Hegelianismus degradiert. Schelling bietet jedoch eine interessante Rechtfertigung für die Darstellungsform seiner Argumente an. Diese findet sich in einer Fußnote am Ende der Schrift, wo er sich F. Schlegels Auffassung von romantischem Ästhetizismus entgegenstellt: Der Verfasser hat nie durch Stiftung einer Sekte andern, am wenigsten sich selbst die Freiheit der Untersuchung nehmen wollen, in welcher er sich noch immer begriffen erklärte und wohl immer begriffen erklären wird. Den Gang, den er in gegenwärtiger Abhandlung genommen, wo, wenn auch die äußere Form des Gesprächs fehlt doch alles wie gesprächsweise entsteht, wird er auch künftig beibehalten. Manches konnte hier schärfer bestimmt und weniger lässig gehalten, manches vor Mißdeutung ausdrücklicher verwahrt werden. Der Verf. unterließ es zum Theil absichtlich. Wer es nicht so von ihm nehmen kann oder will, der nehme überhaupt nichts von ihm, er suche andere Quellen.43
In diesem Zitat gilt es, die Wendung „Freiheit der Untersuchung“ herauszuheben. Sie liefert den textlichen Beleg für die von mir vorgeschlagene transzendentale Lesart; die Untersuchung des Wesens menschlicher Freiheit setzt die Freiheit ebendieser Untersuchung voraus. Darüber hinaus behauptet Schelling hier ausdrücklich, dass die Untersuchung des Wesens menschlicher Freiheit ab einer bestimmten Schwelle die Freiheit des Theorieagenten zu dieser Untersuchung beeinträchtigt. Schellings Methode ist dialogisch, insofern er im vollen Bewusstsein der Fallibilität seiner Behauptungen und 42 Heine, Heinrich, Die romantische Schule, in: Sämmtliche Werke, Bd. 6: Über Deutschland. Zweiter Theil, Hamburg 1874, S. 155. 43 SW VII, S. 410 Anm.
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der Unmöglichkeit schreibt, einen philosophischen Gedanken uneingeschränkt gegen Irrtum und Missverständnis zu immunisieren. Das könnte freilich Schwierigkeiten für Schellings Position nach sich ziehen: Wenn die Annahme, dass der Determinist einer essenziellen Bedingung der Theoriebildung (namentlich theoretischer Freiheit) keinen Sinn abgewinnen kann, sich als falsch erwiese, könnte der Determinismus doch recht behalten. Das scheint die Kraft transzendentaler Argumente zu unterminieren, deren Modalität in der Regel die einer Notwendigkeit a priori ist. Aus Gründen des Umfangs kann ich die Überlegungen der Freiheitsschrift hier nicht im Detail beleuchten, sondern lediglich die rationale Struktur hinter dem Erscheinungsbild eines romantischen Fragments skizzieren. Eine Möglichkeit, den weiteren Gang von Schellings mittlerer Periode nachzuzeichnen, besteht darin, ihn dergestalt zu lesen, dass er auf den gerade formulierten Einwand antwortet. In jedem Fall aber wirkt Schelling ebenso wie Fichte, Hegel und andere Nachkantianer der ersten Generation an dem Projekt mit, eine einheitliche Rationalitätstheorie zu konstruieren.
IV. Negative und positive Philosophie Schellings sogenannte Spätphilosophie wird meist im Lichte ihrer Entgegensetzung von negativer und positiver Philosophie behandelt, obgleich sich deren Begründung tatsächlich durch alle Phasen von Schellings Denken zieht. Nichtsdestotrotz nimmt die Unterscheidung in seiner Spätphilosophie, grosso modo also seinem Schaffen nach dem System der Weltalter, eine zentrale Stellung ein. Wohl ist die Kontroverse über das Wesen dieser Distinktion sowie ihre historischen Ursprünge alt, doch lassen sich die traditionellen Interpretationen weitgehend in zwei Lager unterteilen. Die einen legen Schelling dahingehend aus, dass er einen Bruch mit dem kantischen und nachkantischen Konsens vollzieht, wonach die Vernunft als eine universale Form selbstbestimmter oder autonomer Fähigkeit zu verstehen ist; sie meinen, dass er sich über den Idealismus hinaus- und in eine Richtung bewegt, welche der Heidegger’schen Geschichtlichkeit des Seins oder gewissen Spielarten des Existenzialismus nahekommt.44 44 Vgl. Jaspers, Karl, Schelling. Größe und Verhängnis, a. a. O.; Habermas, Jürgen, Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken,
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Die anderen plädieren dafür, dass auch Schelling noch das nachkantische Vorhaben einer vollgültigen Vereinigung der Vernunft verfolgt – eine Idee, die der Titel von Schulzens Buch Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings in Worte fasst.45 In meinem Der Mensch im Mythos setze ich auseinander, dass Schellings Spätphilosophie ein eigentümliches und irreduzibles Unterfangen darstellt, das einige der Elemente kombiniert, die traditionelle Interpreten daraus zu isolieren trachten.46 Um zu ersehen, worum sich diese Kontroverse dreht, ist es aufschlussreich, den Begriff der negativen Philosophie näher zu betrachten und offenzulegen, wo Schelling deren Mängel lokalisiert. Bekanntlich verbindet er die Gestalt negativer Philosophie mit Hegel, aber auch mit Kants kritischer Philosophie. Negative Philosophie ist zunächst und zumeist der Versuch, einen Einblick in die universalste Struktur dessen zu gewinnen, wie die Dinge dem reinen Denken oder der bloßen Vernunft erscheinen. Von Platon und Aristoteles bis hin zu Kant und Hegel wird dieses Ziel klassischerweise für erreichbar gehalten auf dem Weg einer Untersuchung, was es heißt, dass Objekte als dieses und nicht jenes bestimmt sind. Schelling selbst steht mit seiner Ontologie der Prädikation in dieser Tradition, spricht sie sich doch dafür aus, dass das „Seyende im Entwurf“47 bzw. eine „Figur des Seyenden“48 gleichsam als eine transzendentale, d. h. universale und notwendige, Matrix dient. Logik und Ontologie arbeiten zusammen, um die minimalen Bedingungen freizulegen, welche etwas erfüllen muss, um etwas Bestimmtes und dem Denken erschlossen zu sein. Schellings spätere Version der negativen Philosophie kommt in Gestalt seiner Potenzenlehre daher.49 Deren Grundidee kann wie
45 46 47 48 49
a. a. O.; Frank, Manfred, Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, a. a. O. Vgl. Schulz, Walter, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, a. a. O. Vgl. Gabriel, Markus, Der Mensch im Mythos. Untersuchungen über Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewußtseinsgeschichte in Schellings Philosophie der Mythologie, a. a. O. SW XI, S. 291. SW XI, S. 313. Siehe dazu Beach, Edward A., The Potencies of God(s). Schelling’s Philosophy of Mythology, Albany 1994; Gabriel, Markus, Der Mensch im Mythos. Untersuchungen über Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewußtseinsgeschichte in Schellings Philosophie der Mythologie, a. a. O.
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folgt dargestellt werden. Wenn etwas auf die eine oder andere Weise ist, müssen wir zuerst annehmen, dass es etwas gibt und nicht vielmehr nichts. Was auch immer ist, muss zunächst einmal existieren. Diese Existenz, welche jeder Bestimmtheit vorhergeht, nennt Schelling die erste Potenz. Sie ist „reines Können ohne alles Seyn“.50 Was er damit im Blick hat, ist, dass der Ausgangspunkt einer jeden Ontologie in der Vorstellung besteht, dass es etwas gibt und nicht vielmehr nichts, eine Vorstellung, die vom Wesenscharakter dieses Etwas unabhängig ist. Was wir wissen, ist, dass es irgendetwas ist und alles sein kann; es ist reine Möglichkeit in ebendem Sinne, dass es alles zu sein vermag. Die zweite Potenz ist die Idee eines bestimmten Wesenscharakters, „reines Seyn ohne alles Können“.51 Das ist wiederum überraschend einfach gemeint. Es bedeutet lediglich, dass wir demjenigen, was existiert, eine allgemeine Eigenschaft zuschreiben und dass diese Eigenschaft es festlegt, auf diese oder jene Weise zu sein. Wie Schelling auch schreibt, ist die erste Potenz das logische Subjekt der ontologischen Matrix wahrheitsfähiger Urteile, während die zweite Potenz sein Prädikat ausmacht. Die dritte Potenz schließlich führt die erste und die zweite Potenz zusammen. Sie entspricht dem vollendeten Urteil, dass dasjenige, was existiert, auf diese anstatt jene Weise ist. Der Wahrheitswert des Urteils ist jedoch – und das macht einen Mangel jeder negativen Philosophie aus – nicht identisch mit den von ihm projizierten Wahrheitsbedingungen. Schelling beharrt in anderen Worten darauf, dass es Wahrmacher gibt, von denen wir nur wissen können, indem wir fallible Behauptungen vorbringen. Dieser Punkt ist für ihn derart allgemein, dass er auch noch für das transzendentale Denken gilt. Um dieses abstrakte Schema zu illustrieren, gehen wir zu Solon, dem Weisen, zurück. Das atomare Urteil, Solon sei weise, setzt voraus, dass es etwas gibt und nicht vielmehr nichts. Wie G. Frege denkt Schelling Existenz als die „selbstverständliche Voraussetzung“52 eines jeden Urteils. Dass es etwas gibt, das sowohl Solon als auch weise sein kann, ist eine Bedingung des Urteils. In ihrer äußersten 50 SW XI, S. 318. 51 Ebd. 52 Frege, Gottlob, „Dialog mit Pünjer über Existenz“, in: Schriften zur Logik und Sprachphilosophie. Aus dem Nachlaß, Hamburg 1990, S. 11.
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Allgemeinheit verpflichtet die Ansicht, dass es etwas gibt und nicht vielmehr nichts, letztendlich nur dazu anzunehmen, dass etwas existiert, was alles zu sein vermag, sei es Solon, weise oder was auch immer. Wenn Solon wirklich weise ist, sagt uns das etwas darüber, wie die Dinge sind. Die Dinge sind darauf festgelegt, irgendwie zu sein, einschließlich Solon, der weise ist. Nach Schellings Dafürhalten ist also jedes wahre Urteil eine partielle Einsicht dahingehend, wie die Dinge wirklich sind. Und jede Tatsache, welche da erkannt wird, ist eine weitere Bestimmung des Umstandes, dass es etwas gibt und nicht vielmehr nichts. Es gibt Solon, den Weisen, Zion, den Berg, Aristoteles, den Schriftsteller, sowie das rote Quadrat vor mir. In all diesen Fällen gibt es etwas, das auf bestimmte Weise ist. Schelling entnimmt daraus die Idee eines ultimativen Wahrmachers, der zugleich der Falschmacher aller falschen Urteile ist. Dieser ultimative Wahrmacher ist dasjenige, was er „unvordenkliches Sein“ nennt. Unvordenkliches Sein ist in diesem Zusammenhang der generische Name für alles, was ohnehin der Fall ist und wahr macht, dass es etwas gibt und nicht vielmehr nichts. In einem wahren Urteil beziehen wir uns auf das unvordenkliche Sein mittels irgendeiner Beschreibung wie Solon, der Weise oder das rote Quadrat. Diese Beschreibungen lassen sich für Schelling immer in die Struktur eines kategorischen Urteils bringen: S ist P. Urteile beschreiben, wie die Dinge wirklich sind. Aber sie können richtig oder falsch sein, und das deshalb, weil sie ihre ultimative Wahrheitsbedingung, das unvordenkliche Sein, auch verfehlen können. Unvordenkliches Sein ist in dem Sinne unvordenklich, dass es nicht durch propositionales Denken hervorgebracht wird, sondern eine Voraussetzung dafür abgibt, dass propositionales Denken ist, was es ist, nämlich richtig oder falsch. Was Schelling sagen will, ist, dass nicht alle Wahrheitsbedingungen unserer Urteile durch diese Urteile erzeugt werden. Immer besteht eine potenzielle Kluft zwischen dem, was wirklich ist, und der Art, wie wir es repräsentieren. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung bildet das unvordenkliche Sein nicht das Kernstück positiver Philosophie. Der Begriff wird innerhalb der negativen Philosophie eingeführt, d. h. im Kontext von Schellings Ontologie der Prädikation. Entscheidend ist, dass vom Standpunkt der Ontologie der Prädikation aus eine einheitliche Behandlung aller Gegenstände stattfinden muss, insofern sie zum Bezugspunkt wahrheitsfähigen Denkens werden können.
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Für die negative Philosophie ist eine Handlung geradeso ein Objekt wie eine Katze, ein Berg oder eine Zahl. Im Gegensatz zur Standardinterpretation positiver Philosophie verteidigt Schelling eine positive Philosophie, in welcher der Bereich menschlichen Handelns angesehen werden kann als die historische Transformation des unvordenklichen Seins in einen anderen Bereich: einen Bereich solcher Tatsachen, die nur sind, weil wir sie hervorbringen. Menschliches Handeln (was auch die Theoriebildung des Menschen einschließt) ‚erhöht‘53 das unvordenkliche Sein, weil es dieses zunehmend transparenter macht, indem wir wahre Behauptungen über dasjenige produzieren, was zuvor unbemerkt geblieben ist. Um die Ansicht zu verteidigen, dass die Geschichte des menschlichen Bewusstseins davon, wie die Dinge sind, fortschreitet, dass ein ständiger Erwerb von Wissen stattfindet, wie die Dinge wirklich sind, und in diesem Sinne das unvordenkliche Sein in ein gedachtes transformiert wird, reicht es nicht hin, den Begriff der Wahrheitsbedingungen im Allgemeinen zu fassen. Stattdessen ist es notwendig, die Geschichte des menschlichen Bewusstseins dessen, wie die Dinge sind, zu untersuchen, was Schelling eine „Geschichte des Selbstbewußtseyns“54 nennt. Diese Geschichte des Selbstbewusstseins soll die Geschichte des unvordenklichen Seins sein, welches dem Denken Schritt um Schritt durchsichtiger wird. Angesichts der Fallibilität eines Urteils können wir jedoch von der Warte der Ontologie aus nicht a priori dekretieren, dass es einen solchen Fortschritt gibt. Aus diesem Grund bleibt es unabdingbar, eine Philosophie der Geschichte zu schreiben, welche die Philosophie selbst als eine historische Tätigkeit begreift – eine, die mit der Entwicklung der umfassendsten Formen des menschlichen Bewusstseins, unseren Weltbildern, Schritt hält. In seiner positiven Philosophie macht sich Schelling daran, diese Geschichte zu schreiben. Die positive Philosophie setzt sich aus zwei Teilen zusammen: der Philosophie der Mythologie und der Philosophie der Offenbarung. Der erste Teil befasst sich mit der Vergangenheit, mit der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins bis zur Epoche des Römischen Reichs, wohingegen der zweite Teil sich mit der Aussicht beschäftigt, dass diese Entwicklung bis in die Moderne hinein tatsächlich den Weg einer beständigen Entdeckung 53 Siehe SW XI, S. 389, wo Schelling von „Erhöhung in Selbstheit“ spricht. 54 SW I, S. 382.
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des unvordenklichen Seins nimmt. Jede Rekonstruktion der Details der positiven Philosophie geht jedoch über den Umfang des vorliegenden Beitrags hinaus. Den Ausschlag für die Differenzierung zwischen negativer und positiver Philosophie gibt, dass Schelling den Begriff des Realismus ausweitet und behauptet, dass die Weise, wie die Dinge tatsächlich oder wirklich sind, unsere Vorstellung davon modifizieren kann, wie über sie nachzudenken ist. Positive Philosophie ist eine Form von Historismus, die von der Idee einer transzendentalen Gesamtmatrix geleitet wird, welche jedoch weiterhin möglichen Modifikationen unterliegt. Dieser Zug von Schellings Unternehmen war u. a. für den frühen Habermas und den späten Heidegger attraktiv, weil er eine Geschichtsphilosophie nahelegt, die sich von der Voraussetzung freimacht, dass die Bedingungen der Prädikation die Grenzen des Denkbaren oder sogar des Wirklichen festlegen. Übersetzt von Stephan Zimmermann
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A. W. Schlegels Kunstlehre als Philosophie der Kunst und romantische Ästhetik Es scheint mir unendlich wichtig, daß die reinen Gesetze der Kunst, die sonst immer wie mathematische Demonstrationen aussehen, gegen die empirischen Theorien so lebendig und kraftvoll vorgetragen werden; die Zeit ist reif dazu.1
August Wilhelm Schlegels Kunstlehre wird meistens als eine ästhetische und didaktische Einführung in die Literatur und Kunst für ein nichtakademisches Publikum betrachtet. Obwohl das teilweise stimmt, missachtet man aber dabei, dass die Kunstlehre in Jena im Rahmen der „Vorlesungen über philosophische Kunstlehre“ im Wintersemester 1798-1799 entstand und zwar als eine neue Konzeption von Ästhetik, die im nachkantianischen Denkraum sowohl tiefe Beziehungen zur Romantik als auch zum Idealismus bezeugt. Diese ursprüngliche Betonung der Kunstlehre auf Philosophie in Jena ist in der endgültigen Fassung der Berliner Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst von 1801-1804 etwas verblasst, obwohl nicht ganz verschwunden. Die Kunstlehre in Berlin diente mehr einer Verbreitung des romantischen Programms in Sachen Literatur und Kunst. A. W. Schlegel gab das Projekt einer philosophischen Begründung der Kunst ab 1804 allmählich zugunsten einer immer intensiveren Beschäftigung mit Literatur und Sprachtheorie auf. Es ging ihm auch um eine Fortsetzung der romantischen „Botschaft“ in Europa, besonders was den literarischen und historischen Gegensatz von Klassik und Romantik betraf. Deshalb wurden auch die Wiener Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur (1808) viel berühmter als die Kunstlehre. Das Abschließen von etlichen unvollendeten Kapiteln der Kunstlehre über die bildenden Künste und auch das Projekt einer vollständigen Ästhetik blieb auf halbem Weg stehen. 1 Brief an Goethe, Jena, den 18. Dezember [17]98, Schlegel, August Wilhelm, „Ausgewählte Briefe“, in: Kritische Schriften und Briefe, hg. v. Edgar Lohner, Bd. VII, Stuttgart 1974, S. 51 f.
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In meinem Aufsatz möchte ich auf diese ursprüngliche Idee der Kunstlehre zurückkommen und die Berliner Kunstlehre sowohl als eine Philosophie der Kunst als auch eine romantische Ästhetik einordnen. Einerseits ist die Kunstlehre im Bereich des nachkantianischen Denkens der erste reale Versuch, ein „System“ der Philosophie der Kunst aufzustellen und andererseits fußt sie auf den neuen Ansichten der Frühromantiker über Literatur und Kunst. Sicherlich kann man sich darüber streiten, ob man die Kunstlehre wirklich als ein strenges System der Philosophie betrachten kann und inwiefern sie wirklich philosophisch originell ist. Dazu bemerke ich nur vorläufig, dass A. W. Schlegels Manuskriptexemplar der Kunstlehre als „Grundlage“ für die von Schelling in Würzburg 1804-1805 gehaltenen Vorlesungen über Philosophie der Kunst diente. In diesem Sinne kann man auch einen fernen oder indirekten Einfluss der Kunstlehre auf Hegels Ästhetik als eine Philosophie der Kunst nachkantischer Prägung sehen. Die Schwierigkeit, die Kunstlehre als „romantische Ästhetik“ zu begreifen, liegt aber hauptsächlich darin, dass Friedrich Schlegel, besonders in den Athenäum-Fragmenten, sich mehrmals gegen die Idee der „Ästhetik“ als solcher ausgesprochen hat. Es fragt sich deshalb, ob die Kunstlehre nicht etwas ganz Anderes gegenüber den realen Intentionen der Frühromantiker ist, besonders denen des Bruders F. Schlegel, ob sie nicht etwa eine andere Konzeption des Wesens der Kritik verteidigt.2 Auch muss erwogen werden, ob das Denken A. W. Schlegels nicht eine andere Konstitution oder Formation als das des Bruders angenommen hat. Denn die Sprache und der Stil der Kunstlehre sind dem „Fragmenten Geist“ des jungen F. Schlegels fremd.
I. Berührungspunkte mit einer philosophischen Begründung Die philosophische Seite von A. W. Schlegels Kunstlehre liegt im Zusammenhang von Denkmotiven, die einerseits eine produktive Konzeption von Dichtung, Sprache und Lehre betreffen und anderer 2 Das ist die Ansicht von Bauer, Manuel, „August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst: die ‚Summe‘ der Frühromantik?“, in: Der Europäer A. W. Schlegel, hg. v. York-Gothart Mix und Jochen Strobel, Berlin 2010, S. 125-140, hier: 32.
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seits Konzepte wie Organismus, Ursprungsidee, Mythologie und Naturgeschichte der Kunst verbinden. Diese Konstellation bildet die Kunstlehre als die erste Philosophie der Kunst im nachkantianischen Philosophiebereich, deren größte Beispiele Schellings Philosophie der Kunst und Hegels Vorlesungen über die Ästhetik sind.3 Der Begriff „Philosophie der Kunst“ darf nicht in einer gewöhnlichen Bedeutung genommen werden, als handele es sich einfach nur um irgendwelches Philosophieren über die Kunst, sondern im strengen Sinne bedeutet er einen bestimmten Standpunkt, der erst nach Kants Philosophie mit der kopernikanischen Wende möglich wurde. Sagte Peter Szondi am Anfang seines Versuchs über das Tragische, dass „seit Aristoteles es eine Poetik der Tragödie gibt. Seit Schelling erst eine Philosophie des Tragischen“4, so sage ich, dass es erst seit A. W. Schlegels Kunstlehre eine Philosophie der Kunst mit systematischen Intentionen gibt. Obwohl man A. W. Schlegel oft als naiven und als vagen Eklektiker in Sachen der Philosophie nannte5, ist es nicht zu leugnen, dass er den Standpunkt des Idealismus gut beherrschte. Zum Beispiel, als er sich in einem Brief an Schelling vom 19. August 1809 über die Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit und die Differenzen gegenüber F. Schlegels Arbeit Über die Sprache und Weisheit der Inder aussprach.6 Sehr früh hegte er den Wunsch, eine Philosophie der Kunst zu schreiben, was die Begründung der Poesie und der Literatur betrifft, wie man in einem Brief an Schiller von 19. Januar 1796 in Bezug auf die Abhandlung Über naive und sentimentalische 3 Dazu Kremer, Detlev, „Ästhetik und Kulturpolitik in A. W. Schlegels Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst“, in: Der Europäer A. W. Schlegel, a. a. O., S. 31-44. 4 Szondi, Peter, „Versuch über das Tragische“, in: ders., Schriften I, Frankfurt a. M. 1978, S. 151. 5 So Emil Staiger: „Er bedient sich der philosophischen Errungenschaften nur, um einen Text zu charakterisieren, unbekümmert darum, ob seine Begriffe wirklich zusammenstimmen oder unvereinbar und verschiedenartigster Herkunft sind“, in: Schlegel, August Wilhelm, Kritische Schriften, ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Emil Staiger, Zürich/Stuttgart 1962, S. 24. Dies ist schon ein altes Vorurteil, das von Heine und in gewisser Weise auch von Hegel u. a. verbreitet wurde, nämlich dass die Brüder Schlegel nicht besonders philosophisch begabt waren, also keine philosophischen Denker waren! 6 Schlegel, August Wilhelm, Ausgewählte Briefe, S. 115, a. a. O. In diesem Brief spricht A. W. Schlegel vom neuen Idealismus und wie er sich der Religion zuwendet. Fichte habe schon das Wesentliche seiner Wissenschaftslehre im Evangelium nach Johannes gesehen usw.
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Dichtung lesen kann: „ich verkenne [nicht] den Wert der Eroberungen, die Sie auf dem Felde der Wissenschaft so glücklich für die Poesie gemacht haben“.7 Philosophisch betrachtet bezieht sich die Kunstlehre auf den transzendentalen Idealismus von Fichte und Schelling. Das Verhältnis mit Fichte stellt sich bei der Deutung der Dichtung als freie und autonome Selbsttätigkeit des Menschen und als ein idealisches Streben dar. A. W. Schlegel macht einen neuen Gebrauch vom Begriff „Lehre“ in Bezug auf die Poesie, in einer ähnlichen Richtung der philosophischen und ästhetischen Diskussion der Zeit. Fichtes Wissenschaftslehre, Goethes Farbenlehre und K. P. Moritz’ Götterlehre kann man als Vorläufer nennen, die den Begriff „Lehre“ zuerst spekulativ benutzt haben. Lehre bedeutet dann nicht den traditionellen „dogmatischen“ Gebrauch dieses Wortes, sondern eher eine Reduktion auf einen letzten Begründungspunkt. Zum Beispiel ist Goethes Farbenlehre eher eine subjektive als eine physisch objektive (Newton’sche) Deutung der Farben und so auch Moritz’ Götterlehre, die die Autonomie der Mythologie als „Sprache der Phantasie“ versteht. Bei A. W. Schlegel ist der Begriff Lehre eng mit der Idee der Dichtung verbunden, weshalb er die Kunstlehre auch eine Poetik nennt und wie F. Schlegel und Novalis von der „Poesie der Poesie“ und vom „Genie des Genies“ spricht. Dies sind Ausdrücke, die auf einen Versuch hindeuten, die ganze Kunst und auch die Kritik, Geschichte und Theorie der Kunst sozusagen auf eine poetische Grundlage zurückführen zu wollen, so wie Fichte alle Tätigkeit des Menschen auf das „Ich“ reduzierte. Bei A. W. Schlegel wird das Fichtesche Ich poetisch genommen und das Prinzip der Subjektivität hauptsächlich ästhetisch interpretiert. Wenn Fichte in seiner Philosophie das ganze System des Wissens als Resultat einer praktischen und theoretischen Tätigkeit versteht, versucht A. W. Schlegel seinerseits die verschiedenen Künste (Architektur, Skulptur, Malerei, Musik und Poesie) als Resultat einer durchgreifenden poetischen Kraft zu verstehen. A. W. Schlegel bezeichnet seine philosophische Position im Allgemeinen als eine Ergänzung von Schellings Position8, indem er für eine symbolische und sprachliche Darstellung des Unendlichen plä 7 Ebd., S. 22. 8 Schlegel, August Wilhelm, „Erster Teil: Die Kunstlehre“, in: Vorlesungen über Ästhetik I (1798-1803), mit Kommentar und Nachwort hg. v. Ernst Behler, Paderborn 1989, S. 248 f.
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diert gegenüber Schellings These im System des transzendentalen Idealismus von einer philosophischen Darstellung des Unendlichen. Es wird das Element der Sprache geltend gemacht: Eine Darstellung des Unendlichen im Endlichen kann für uns Menschen nur durch die Sprache geschehen. Aufgrund ihrer Symbolik und Metaphorik ist in der Sprache das Unendliche und Endliche immer schon wechselseitig bedingt, nämlich im Prozess des Ausdruckes und der Benennung. In Schellings Philosophie der Kunst dagegen erfüllt der Begriff der Potenz diese Funktion der Sprache weil das Absolute sich nicht direkt vermitteln lässt. Auch erörtert Schelling den Begriff des Symbols nicht im Rahmen einer Sprachkonzeption, sondern als eine bestimmte Darstellungsweise im Sinne von Kants Theorie des Ausdrucks. Symbol unterscheidet sich von Allegorie und Schematismus. In der Kunstlehre dagegen wird die Kunst mit poetischen und sprachlichen, nicht mit reinen philosophischen Elementen begründet, sodass sie nicht eine philosophische Begründung sondern eher eine sprachliterarische Konzeption von Kunst und Kritik verfolgt. Von Philosophie wäre hier die Rede nur, wenn man sie im Sinne von Herders Denken nehmen würde, besonders als er in den 1790er Jahren eine sprachliche Metakritik an Kants Kritik der reinen Vernunft unternahm.9 Als autonome Grundlage für die Kunstlehre wird die Poesie im Kapitel über die Sprache als Spekulation der Phantasie genannt: „Die Poesie ist, wenn ich so sagen darf, Speculation der Fantasie; und wie die philosophische Speculation die Fähigkeit zu abstrahiren dem Verstande zumuthet, so die poetische der Fantasie.“10 Dieser etwas seltsame Ausdruck „Spekulation der Phantasie“ muss im Bereich der Theorie der Einbildungskraft verstanden werden, so wie Kant sie in der Kritik der Urteilskraft herausgearbeitet hat. Im § 49 dieses Werkes heißt es, dass die Einbildungskraft imstande ist, aus der wirklichen Welt eine zweite neue Welt zu schaffen, also die Fähigkeit zu spekulieren hat.11
9 Dazu Bauer, Manuel, „August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst: die ‚Summe‘ der Frühromantik?“, a. a. O. Auch Emil Staiger sieht eine Beziehung zwischen A. W. Schlegel und Herder, Kritische Schriften, a. a. O., S. 26. 10 „Erster Teil: Die Kunstlehre“, a. a. O., S. 411. 11 In der späten Romantik, z. B. in E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“, wird mit dieser Zweiheit durch die Idee des Doppelten operiert: Wirk-
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Was das Verhältnis gegenüber der „Ästhetik“ als philosophische Disziplin betrifft, zeigt uns die Einleitung zur Kunstlehre drei Begründungsstrategien oder Stellungnahmen: 1) eine sozusagen ästhetisch-poetische Begründung, die sich auf die Aufgabe einer Kunstlehre bezieht12 und auch die Diskussion von Theorie, Geschichte und Kritik der Kunst vornimmt13; 2) eine philosophisch-ästhetische Begründung in der Einordnung der drei repräsentativen modernen Positionen gegenüber der Ästhetik: die von Baumgarten als rationale Ästhetik, die von Burke als empirische Ästhetik und die von Kant als Synthese von rationaler und empirischer Ästhetik.14 A. W. Schlegel beschäftigt sich ausführlich mit Kants Kritik der Urteilskraft und tadelt an ihr besonders die Trennung zwischen Geschmack und Genie und das wechselseitige Ausspielen dieser beiden Begriffe (gegeneinander). Weil Kant vom Verstand und nicht von einer poetisch-literarischen Sicht ausgeht, habe er eine zu enge Konzeption vom Geschmack und Genie entwickelt. „Er sticht, daß ich es nur grade heraus sage, dem Genie zuvörderst die Augen aus, und um dem Übel abzuhelfen, setzt er ihm alsdann die Brille des Geschmacks auf.“15 A. W. Schlegel konzentriert sich sehr auf Kants „unglückliche“ Beispiele im Bereich der Poesie und so wird deutlich, dass seine Kritik nicht so sehr philosophisch als eher literarisch orientiert ist. 3) eine naturphilosophische Begründung, bei der Diskussion des Begriffs der Nachahmung der Natur und einer neuen Konzeption von Natur, Manier und Stil. Goethes Aufsatz Einfache Nachahmung der Natur, Manier und Stil und Moritz’ Bildende Nachahmung des Schönen dienen hier als Vorbilder.16 Es geht A. W. Schlegel besonders darum, eine organische Konzeption der Natur im Bereich der Kunst zu verteidigen sowie darüber hinaus eine neue Version der Nachahmung vorzuschlagen, die von „innen heraus“ operieren soll und nicht nur äußerlichen Gegenständen anhaftet. Wenn man die Verbindung von Theorie, Kritik und Geschichte der Kunst beachtet, die in der „Einleitung“ der Kunstlehre vorkommt,
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lichkeit/Traum, als wäre der Traum oft wirklicher als die wirkliche Welt. Vgl. Hoffmann, E. T. A., Spukgeschichten und Märchen, München 1973. „Erster Teil: Die Kunstlehre“, a. a. O., S. 186 f. Ebd., S. 187-206. Ebd., S. 222-248. Ebd., S. 243. Ebd., S. 252-266.
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fragt man sich, ob die Kunstlehre nicht als eine bestimmte Übersetzung der Ästhetik-Diskussionen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anzusehen wäre. Denn die Kritik und die Geschichte der Kunst sind Errungenschaften dieser Zeit und haben sich als Diskurse gleichzeitig mit der Geburt der Ästhetik als Disziplin herausgebildet. Man denke an Namen wie Diderot und Lessing, die große Kritiker waren, und auch an Winckelmann und Herder, die sich auf die Geschichte konzentriert haben. Und weil A. W. Schlegel keine eigene Philosophie als Hintergrund seiner Kunstlehre besitzt (im großen Unterschied zu Schelling und Hegel), übernimmt er umgekehrt desto mehr eine ganze Menge von ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts. Dies kann man an den Zitaten von Autoren nachweisen. Die Legitimation und Kraft der Kunstlehre liegt deshalb nicht darin, dass sie eine „Erfindung“ einer neuen philosophischen Position ist, sondern dass sie eine geschickte und sinnvolle Übertragung der damaligen neuen ästhetischen Theorien auf die Philosophie und umgekehrt ausmacht. Die Kunstlehre verteidigt, und das ist meines Erachtens das Interessante, eine neue und breite Konzeption von Ästhetik als Theorie. Sie ist ein „Debug“ [Entwanzen] oder „Dekantieren“ der traditionellen Poetik und auch der Kritik und Geschichte der Kunst. So entsteht sie aus der Geschichte der Ästhetik und speist sich aus der Geschichte. Die Frühromantik zeigt sich bei A. W. Schlegel als geschichtliche Ästhetik. Gerade deshalb konnte die Kunstlehre nicht bei den Alten entstehen, wie A. W. Schlegel selbst betont, sondern sie ist ein „konsequentes“ Resultat der Modernen. Man könnte hier von einer Übersetzung und Aneignung als Geist der Kritik sprechen. In den Briefen über Poesie, Silbenmaß und Sprache (1795) spricht A. W. Schlegel von einer „Weltgeschichte der Phantasie und des Gefühls“17, als eine notwendige Dimension für die Begründung einer wahren Theorie der Poesie.18 Auch könnte man bemerken, dass der frühromantische Kreis sich um 1800 allmählich ein Selbstbewusstsein durch die Geschichte erschafft. Bei A. W. Schlegel sieht man ganz klar, wie die frühromantische Position von 17 Schlegel, August Wilhelm, Sprache und Poetik, hg. v. Edgar Lohner, Stuttgart 1962, S. 147. 18 Claudia Becker betonte mehrfach die zentrale Stellung der Briefe für die großen Vorlesungsreihen: „Sprachen der Kunst. Prolegomena zu August Wilhelm Schlegels ästhetischem Programm“, in: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften, hg. v. Hans-Jürgen Gawoll und Christoph Jamme, München 1994, S. 97-106, hier: 105.
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der Geschichte her legimitiert wird, so dass das romantische Programm nicht nur Richtung Zukunft orientiert ist, sondern auch der Vergangenheit und der Tradition angehört, also in die Geschichte eingeht. Im Gegensatz zu Hegel ist A. W. Schlegel auch mehr von gegenwärtigen Diskussionen und Lektüren bestimmt. Hegel hat sozusagen eine olympische Stellung (wie auch Goethe) zur Kunst, auch ist seine Ästhetik keine Jugendarbeit. Bei A. W. Schlegel fließen umgekehrt verschiedene Diskussionen der Zeit in die Konzeption des Werkes ein. Klopstock, Wieland, Hemsterhuis, Herder, Moritz, Wolff, Voss, Bürger sind Namen, die oft vorkommen, aber bei Hegel fast nicht anzutreffen sind, sondern lediglich in einer negativen und kritischen Einschätzung. Für Hegel gelten Goethe, Schiller, Shakespeare und meistens philosophische Namen als Modelle. Es fragt sich dann: Was gewinnt man mit einer mehr kritisch-literarischen Philosophie der Kunst im Gegensatz zu einer philosophischen?
II. Die frühromantische Begründung Obwohl die meisten kritischen Fragmente von F. und A. W. Schlegel vor 1800 nicht auf die Konzeption einer Kunstlehre hindeuten, kann man doch schon innerhalb der frühromantischen Bewegung den Keim davon erkennen. Für die Entstehung der Kunstlehre hebe ich hauptsächlich zwei Passsagen hervor: das Athenäums-Fragment 252 und eine Stelle aus F. Schlegels Aufsatz Über das Studium der griechischen Poesie. Schon am Anfang des Athenäums-Fragments 252 kann man ganz genau den Plan einer Kunstlehre ablesen: Eine eigentliche Kunstlehre der Poesie würde mit der absoluten Verschiedenheit der ewig unauflöslichen Trennung der Kunst und der rohen Schönheit anfangen. Sie selbst würde den Kampf beider darstellen, und mit der vollkommnen Harmonie der Kunstpoesie und Naturpoesie endigen. Diese findet sich nur in den Alten, und sie selbst würde nichts anders sein, als eine höhere Geschichte vom Geist der klassischen Poesie. Eine Philosophie der Poesie überhaupt aber, würde mit der Selbständigkeit des Schönen beginnen, mit dem Satz, dass es vom Wahren und Sittlichen getrennt sei und getrennt sein solle, und dass es mit diesem gleiche Rechte habe; welches für den, der es nur überhaupt begreifen kann, schon aus dem Satz folgt,
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dass Ich = Ich sei. Sie selbst würde zwischen Vereinigung und Trennung der Philosophie und der Poesie, der Praxis und der Poesie, der Poesie überhaupt und der Gattungen und Arten schweben, und mit der völligen Vereinigung enden.19
Der argumentative Gang dieses Fragments betont zuerst die Autonomie oder Selbstständigkeit der Kunst, die aber geschichtlich und auch philosophisch im Sinne von Fichtes Ich=Ich konstituiert sein muss. Im Bereich der Poesie soll dann eine reine Poetik entstehen, die eine Erneuerung der Gattungslehre impliziert und besonders den Roman einbezieht (erinnert sei hier an das Athenäums-Fragment 116). Daraus entsteht eine philosophische Aufgabe, die darin besteht, die Kunstlehre auf die verschiedenen Zweige der Kunst auszuweiten. Eine zweite Stelle entnehme ich dem Aufsatz Über das Studium der griechischen Poesie, in dem F. Schlegel schon die Idee der Notwendigkeit einer neuen Konzeption der Theorie der Poesie behauptet: Reine Wissenschaft bestimmt nur die Ordnung der Erfahrung, die Fächer für den Inhalt der Anschauung. Sie allein würde leer sein – wie Erfahrung allein verworren, ohne Sinn und Zweck – und nur in Verbindung mit einer vollkommnen Geschichte würde sie die Natur der Kunst und ihrer Arten vollständig kennen lehren. Die Wissenschaft bedarf also der Erfahrung von einer Kunst, welche ein durchaus vollkommnes Beispiel ihrer Art, die Kunst kat’exochän, deren besondre Geschichte die allgemeine Naturgeschichte der Kunst wäre.20
Diese Stelle behauptet die Notwendigkeit einer reinen Wissenschaft, die nicht aus der bloßen Erfahrung gezogen werden kann, sondern die Erfahrung soll als Geschichte bzw. Naturgeschichte der Kunst verstanden werden.21 Und die Poesie, weil sie im Grunde Sprache und so mit einem naturhaften Element wesentlich verbunden ist, ist
19 KFSA II, S. 207 f. 20 KFSA I, S. 273. 21 In den Vorlesungen über philosophische Kunstlehre heißt es: „Die Naturgeschichte der Kunst darf nicht aus der Erfahrung geschöpft werden [...] Sie kann aber ihre Sätze durch Erfahrung belegen [...] Die Erfahrung veranlasste auch zuerst die Theorie“, in: Vorlesungen über Ästhetik I (1798-1803), mit Kommentar und Nachwort hg. v. Ernst Behler, Paderborn 1989, § 7, S. 4.
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nämlich eine exemplarische Kunst, die als ausgezeichnetes Modell der Erfahrung dienen kann und als eine allgemeine Naturgeschichte der übrigen Künste anzusehen ist. Man beachte besonders an beiden Stellen den Begriff einer Naturgeschichte der Kunst, der ja im Zentrum der Kunstlehre steht.22 Eine der wichtigsten Arbeiten über A. W. Schlegels Kunstlehre, nämlich die von Claudia Becker, hat diesen Punkt herausgehoben.23 Und nach Ernst Behler setzt F. Schlegel mit den Begriffen von natürlicher und künstlicher Bildung bzw. natürlicher Kunst und künstlicher Poesie Ideen von Kants Kritik der Urteilskraft voraus und bereitet so die „Distinktion zwischen der klassischen und romantischen Literatur“ vor.24 In Bezug auf A. W. Schlegels Stellung zu dieser Unterscheidung seines Bruders sagt Behler: „Von allen Frühromantikern entwickelte August Wilhelm Schlegel die ausgeprägteste artistische Auffassung der Kunst, womit sich bei ihm eine entschiedene Gegnerschaft gegen jede naturhafte Interpretation des künstlerischen Produktionsprozesses im Sinne des unbewussten Schaffens verband.“25 Die zitierte Stelle des Aufsatzes Über das Studium der griechischen Poesie zeigt im Wesentlichen das Verständnis von F. Schlegel über die moderne Poesie und ist als Resultat der Entwicklung der natürlichen und künstlichen Bildung in der modernen Welt zu betrachten. Erst nachdem er ausführlich das „offene“ Wesen der modernen Poesie untersucht hat, kommt er zur Forderung einer reinen Wissenschaft. Gleich danach behandelt er im gleichen Aufsatz besonders die griechische Poesie.26
22 Die Naturgeschichte der Kunst wird in den Vorlesungen über philosophische Kunstlehre als „eine Darlegung und Erklärung des notwendigen Ursprungs der Kunst aus dem eigentümlichen Dasein und den natürlichen Umgebungen des Menschen“ (ebd., § 6, S. 4) bezeichnet. 23 Becker, Claudia, „Naturgeschichte der Kunst“. August Wilhelm Schlegels ästhetischer Ansatz im Schnittpunkt zwischen Aufklärung, Klassik und Frühromantik, München 1998. 24 Behler, Ernst, „Natur und Kunst in der frühromantischen Theorie des Schönen“, in: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 2 (1992), S. 7-32, hier: 16. 25 Ebd., S. 21. 26 Dazu Petersdorff, Dirk von, „August Wilhelm Schlegels Position in der Entwicklung des romantischen Diskurses“, in: Der Europäer A. W. Schlegel, a. a. O., S. 77-92.
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III. Begründungsstrategien: Ursprungsidee, Organismus, Sprache und Mythologie Die Verbindung von Philosophie und Romantik wird bei der Kunstlehre durch gewisse Leitgedanken fortgesetzt, nämlich: durch die Ursprungsidee und Organismustheorie sowie durch die Rolle der Sprache in der Kunst und durch die Inhaltsinstanz der Mythologie. Diese vier Leitgedanken bilden sozusagen ein theoretisches Gerüst für die Betrachtung sowohl der verschiedenen einzelnen Künste als auch der Poesie. Die Idee des Ursprungs ist eine wirkliche Obsession von A. W. Schlegels Kunstlehre, als wolle er jede Kunst immer bei ihrer Entstehung auffassen, insofern sie von der Natur ausgeht. Bei den verschiedenen Künsten (Plastik, Architektur, Malerei, Musik, Poesie) und auch bei der Sprache und Mythologie geht es praktisch immer nur um diese Einstellung zum Ursprung. Er widmet sich weniger der geschichtlichen Durchführung bzw. den historischen Differenzen zwischen den Gattungen, Arten und Stilen. Das Interesse liegt nicht darin, wie bei Hegel, die Kunst in ihren verschiedenen geschichtlichen Formen, Gestalten und Werken zu verfolgen, sondern es genügt ihm, ihren Ursprung anzugeben. Die Ursprungsidee zeigt sich schon in den Briefen über Poesie, Silbenmaß und Sprache, wo es um die Einheit von Tanz, Musik und Poesie geht: „Poesie entstand gemeinschaftlich mit Musik und Tanz, und das Silbenmaß war das sinnliche Band ihrer Vereinigung mit diesen verschwisterten Künsten. Auch nachdem sie von ihnen getrennt ist, muss sie immer noch Gesang und gleichsam Tanz in die Rede zu bringen suchen, wenn sie dem dichtenden Vermögen angehören, und nicht bloß Übung des Verstandes sein will“.27 Zur Ursprungsidee fügt sich auch der Organismusgedanke hinzu. Beide ermöglichen, dass A. W. Schlegel eine Art Genealogie der Künste aufgrund der Dichtung unternehmen kann. Zu beachten ist, dass die Kunstlehre nur der erste Teil der Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst ist, während der zweite und dritte Teil ausschließlich die klassische und romantische Literatur behandeln. Die Konsequenz dieser Systematik für A. W. Schlegels Konzeption einer Philosophie der Kunst ist zweifach: Einerseits wird die Dichtung der wichtigste Gegenstand, andererseits werden deshalb die übrigen 27 Sprache und Poetik, a. a. O., S. 148.
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Künste etwas knapp und als Vorbereitung zur Poesie behandelt. Der Eindruck einer Unvollkommenheit von A. W. Schlegels Theorie der bildenden Künste wird so unvermeidlich. Hier berühren wir die schwierige Frage der Romantiker vom Verhältnis zwischen Poesie und bildenden Künsten. Es ist nicht zu leugnen, dass die Romantik praktisch nur Augen für die Poesie hatte, wie an A. W. Schlegels Aufsatz „Über Zeichnungen zu Gedichten und John Flaxman’s Umrisse“, der 1798 im Athenäum erschien, zu merken ist: Hier lobt er die untergeordnete Funktion der bildenden Kunst, dass sie Hieroglyphen für die Poesie liefert.28 Die Poesie sei also eine bestimmte organische Logik der bildenden Künste, eine Art innere durchströmende Kraft. Diese Position verursacht auch eine Diskussion mit Goethes Projekt der zur gleichen Zeit erschienenen Zeitschrift Propyläen.29 Wie man weiß, verteidigten Goethe und Meyer gerade das Gegenteil von dem, was A. W. Schlegel vorschlägt, denn ein wahres Kunstwerk muss sich ihnen zufolge selbst ganz darstellen können und soll nicht als Illustration für die Poesie dienen. Deshalb kritisierte Goethe in den Schriften zur Kunst den Maler Füßli, der Illustrationen von ShakespeareStücken zeichnete. A. W. Schlegel im Gegenteil fand diese ausgezeichnet. Im Zusammenhang mit der Zentralstellung der Poesie fragt sich auch, inwiefern A. W. Schlegels Kunstlehre nicht einfach nur eine Sprachlehre ist oder eine Kunstlehre zur Sprachlehre konvertiert oder reduziert, also eine Sprachphilosophie oder Sprachästhetik bedeutet. Denn mehr als ein Drittel der Kunstlehre ist der Sprache gewidmet und nach Schlegels Systematik ist die Sprache/Poesie sozusagen die Grundlage für alle anderen Künste. Aber wie versteht A. W. Schlegel die Sprache als Dichtung und Ursprung des Menschen? In den Briefen über Poesie, Silbenmaß und Sprache lesen wir dazu: „Die Sprache, die wunderbarste Schöpfung des menschlichen Dichtungsvermögen, gleichsam das große, nie vollendeten Gedicht, worin die menschli-
28 Schlegel, August Wilhelm, „Über Zeichnungen zu Gedichten und John Flaxman’s Umrisse“, in: Romantische Kunstlehre. Poesie und Poetik des Blicks in der deutschen Romantik, hg. v. Friedman Apel, Frankfurt a. M. 1992, S. 312. Diese Zeichnungen beziehen sich besonders auf Dantes, Homers und Sophokles’ Gedichte. 29 Dazu Behler, Ernst, „Der Antagonismus von Weimarer Klassik und Jenaer Frühromantik“, in: Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie, Bd. 1, Paderborn 1988, S. 283-292.
A. W. SCHLEGELS KUNSTLEHRE ALS PHILOSOPHIE DER KUNST
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che Natur sich selbst darstellt [...] weil der Mensch immer ein empfindendes Wesen bleibt.“30 Diese Konzeption, der zufolge jede Kunst eine eigene Sprache besitzt, ist übrigens eine sehr moderne Idee, die im 20. Jahrhundert weit verbreitet wurde, z. B. in Heideggers Ursprung des Kunstwerkes. Aber in Bezug auf Schellings und Hegels Philosophien der Kunst fragt man sich: Warum muss man sich innerhalb der Poesie soviel mit dem Ursprung der Sprache beschäftigen?31 Inwiefern ist es so wichtig für die Poesie, die Entwicklung der griechischen, lateinischen, spanischen, italienischen, französischen, englischen und deutschen Sprache zu untersuchen? Dieser Zusammenhang von ästhetischer Theorie und Untersuchung der verschiedenen Sprachen innerhalb des Projektes der Kunstlehre ist nicht unmittelbar verständlich. Bildet sich hier etwa schon ein Bewusstsein dafür heraus, dass die Poesie in der Zukunft besonders von den individuellen Sprachen abhängig sein wird? Hier sieht man einen großen Kontrast Hegel gegenüber, der in der Ästhetik sagt, man würde nichts an Gehalt verlieren, wenn man ein Gedicht in eine andere Sprache übersetzen würde. Mit der Sprache ist auch die Mythologie32 eng verbunden, als der „idealische“ Inhalt aller Künste. Für A. W. Schlegel scheint die Mythologie besonders poetisch-sprachlich oder dichterisch zu sein und weniger plastisch. Die innere „Logik“ des Mythos ist sehr dem „Logos“ der Sprache verwandt: beide sind wesentlich metaphorisch. In der griechischen Mythologie bezieht sich jeder Gott auf verschie 30 Sprache und Poetik, a. a. O., S. 145 f. 31 Der Ursprung der Sprache wird in den Briefen über Poesie, Silbenmass und Sprache so dargestellt: „Die Sprache ist entweder aus Tönen der Empfindungen ganz allein oder aus Nachahmungen der Gegenstände ganz allein oder aus beiden zusammen entstanden. Der Hauptsache und dem Wesen nach lassen sich nicht mehr Systeme denken als diese drei“, ebd., S. 151. Zu diesem Punkt vgl. Ernst Behlers Aufsatz: „Die Sprachtheorie Friedrich Schlegels“, in: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften, München 1994, S. 75-86. Das Problem der Sprache wird dann in der Rezension über Bernhardis Werk diskutiert, von dem A. W. Schlegel sich neue Impulse erhofft. 32 Im Aufsatz „Die Gemählde“ der Athenäumszeitschrift heißt es über die Rolle der Mythologie in der Kunst: „Nach meinem Bedünken ist es vielmehr ein unschätzbarer Vorteil, einen bestimmten mythischen Kreis zu haben, wo die Gegenstände schon bekannt und von langer her malerisch organisiert sind, und die Aufmerksamkeit sich daher um so ungeteilter auf die Behandlung richten kann“, in: Romantische Kunstlehre, a. a. O., S. 122.
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dene Naturphänomene sowie umgekehrt jedes bestimmte Naturphänomen nicht nur auf einen einzigen, sondern auf mehrere Götter. Als Fluss bezieht sich das Wasser z. B. auf einen Gott, aber als Meer auf einen anderen und hinzu kommt noch der Unterschied, ob das tiefe und stille oder ob das stürmische Meer gemeint ist. Die Mythologie ist also ein Ganzes, eine Vernetzung von Bedeutungen, gerade so wie die Metapher und der Tropus in der Sprache. In diesem Sinne ist letztendlich die Mythologie das eigentliche dichterische Element der Kunst, da die Mythologie eine Selbständigkeit und eine objektive Gestalt hat, die die Sprache als solche nicht besitzt. Das Thema der Mythologie bringt aber auch Schwierigkeiten für die Kunstlehre. Erstens stellt sich die Frage, wie sich die menschliche Phantasie, gestaltet durch die poetische Sprache, mit der göttlichen Phantasie als Mythologie in der modernen prosaischen Welt verbinden kann. A. W. Schlegel behauptet, dass die Quelle der Poesie unendlich und unerschöpflich ist, trotz unseres prosaischen Zeitalters, demnach wäre noch eine neue Mythologie möglich. Die Kunstlehre zeigt sich in diesem Sinne als eine offene Ästhetik, die eine positive Begründung der Kunst beabsichtigt. Anders als bei Schelling und Hegel, wo ein Übergang zur Philosophie oder ein Parallelismus mit der Philosophie unvermeidlich ist, sehen wir in der Kunstlehre einen Versuch, die Ästhetik innerhalb der Dichtung selbst zu halten. Der Mensch soll sich hauptsächlich als naturhaftes und dichterisches Wesen schöpferisch zeigen.
Kristin Gjesdal (Philadelphia)
Das Gedankenspiel – A. W. Schlegel zum modernen Drama und romantischer Kritik Unter den romantischen Beiträgen zur Kunstphilosophie sind August Wilhelm Schlegels Vorlesungen Über dramatische Kunst und Litteratur unvergleichlich, weder in ihrer Tiefe, noch in ihrem Detailreichtum. In diesen Vorlesungen, gehalten in Wien im Frühjahr 1808, bespricht Schlegel das Drama als Genre, analysiert einzelne Stücke und bietet eine allgemeine Reflexion auf die Medien der Kunst, die ästhetische Erfahrung sowie die Rolle der Kunst in der modernen Welt. Wenige Jahre später veröffentlicht, wurden die Vorlesungen bald in zahlreiche Sprachen übersetzt und in ganz Europa gelesen und diskutiert.1 In der akademischen Philosophie trafen sie jedoch auf wenig Begeisterung. Spätere Rezipienten der romantischen Philosophie lasen sie vielleicht in der Erwartung derjenigen literarischen Virtuosität und stilistischen Verspieltheit, die die Schriften seines Bruders Friedrich oder ihres gemeinsamen Freundes Friedrich von Hardenberg (Novalis) auszeichneten.2 Oder sie suchten eine transzendental begründete Position, vielleicht in einer Kantisch-Schillerschen Darstellung ästhetischer Subjektivität, oder gar ein Hegelianisches System der Künste in ihrer historischen Entwicklung.3 Sie trafen nichts dergleichen an, stattdessen fanden sie eine vielversprechende Alternative zu den Hauptpositionen der idealisti * Der Text erschien zuerst in englischer Sprache in: Stern, Tom, The Philosophy of Theater, Drama and Acting, London 2017, S. 43-65. 1 Siehe Roger, Christine und Paulin, Roger, „August Wilhelm Schlegel“, in: Great Shakespeareans, Bd. III: Voltaire, Goethe, Schlegel, Coleridge, hg. v. Roger Paulin and Adrian Poole, London 2010, S. 119 f. 2 Es ist bedeutsam, dass René Wellek schreibt, dass wir „might be inclined to dismiss August Wilhelm as an unoriginal mind, a kind of middleman and even popularizer of the ideas of his brother. There is some truth in this view, though we would need to stress the enormous historical importance of August Wilhelm’s mediating and popularizing role“. Wellek, René, A History of Modern Criticism, 1750-1950, Bd. II, The Romantic Age, Cambridge 1981, S. 36. 3 Ernst Behler charakterisiert Friedrich Schlegels Werk demgemäß und unterscheidet es von dem gelehrsameren Temperament seines Bruders. Siehe Behler, Ernst, German Romantic Literary Theory, Cambridge 1993, S. 72 ff.
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schen Ästhetik: Kants Appell an die Interesselosigkeit zur Begründung der subjektiven Allgemeinheit reiner ästhetischer Urteile auf der einen Seite, Hegels Versuch, die Wissenschaftlichkeit der Kunstphilosophie durch eine einen Zweck der weiteren Entwicklung voraussetzende historisch-systematische Darstellung zu verteidigen, auf der anderen. Durch die gesamten Vorlesungen hindurch entwickelt Schlegel einen systematisch anspruchsvollen und historisch mündigen Versuch, die Grundlagen des antiken und modernen Dramas darzustellen und arbeitet aus seiner Betrachtung einzelner Stücke, Dramatiker und Epochen eine allgemeinere Theorie dieser Kunstform und unseres Verhältnisses zu ihr heraus. Aus dieser Perspektive ist Schlegels Streben, seine Erörterung über das Theater auf einer Untersuchung einzelner Werke aufzubauen, keine Schwäche – wer dies dächte würde die falschen Kriterien auf sein Werk anwenden. Es ist gerade Schlegels Bereitschaft, von einzelnen Werken zu allgemeineren Reflexionen überzugehen (anstatt sie unter universelle Prinzipien oder Gesetze zu subsumieren), die seine Wiener Vorlesungen für die Philosophie des Dramas in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Besonderen und die Debatte um die Methodologie der Kunstphilosophie im Allgemeinen so wertvoll macht. Es ist die Stärke der Schlegelschen Vorlesungen, dass sie es schaffen – mittels einer sogenannten bottom-up (anstelle einer top-down) Herangehensweise – historische und systematische Ansätze der Ästhetik zu verbinden. In seiner Darstellung des modernen (romantischen) Dramas und dessen Bezug zu moderner (romantischer) Kritik, behält Schlegel ein kantisches Interesse an der Unabhängigkeit ästhetischer Urteile, jedoch ohne den (hegelianischen) Bezug auf die Kunst und ihre historische Entwicklung zu opfern. Für Schlegel ermöglicht uns dieser spezifisch romantische Dialog zwischen dramatischer Kunst und Kritik die wechselseitige Beziehung zwischen Kunst und Kritik zu verwirklichen, die ihm zufolge den Mittelpunkt der modernen Ästhetik bilden würde. Ich werde mich in diesem Beitrag Schlegels Vorlesungen Über dramatische Kunst und Litteratur zuwenden und hoffe aufzeigen zu können, wie seine Darstellung der Kunst und der Kritik (in dieser Reihenfolge) eine ästhetische Methodologie bietet, die erneute Aufmerksamkeit verdient. Dabei wird den Werken William Shakespeares, der für Schlegel den proto-romantischen Geist verkörpert, eine Schlüsselrolle zukommen, sowohl in Bezug auf Schlegels Versuch, ein gründliches Verständnis des romantischen Dramas zu ent-
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wickeln, wie auch auf sein Bestreben einen philosophisch nachhaltigen Begriff romantischer Kritik zu erarbeiten.
I. Schlegels Vorlesungen Über dramatische Kunst und Litteratur rufen zu einer Untersuchung der Beziehung zwischen Kunst und Literatur auf. Was ist das Drama? Wie kann uns die Philosophie helfen diese Frage zu beantworten? Und inwiefern kann gesagt werden, dass dramatische Dichtung philosophisch ist und Philosophie wiederum durch Dramen geprägt werden kann? Dies sind einige der Fragen, die Schlegels Hinwendung zur Philosophie des Theaters im Geiste einer weitreichenderen ästhetischen Untersuchung motivieren. Am Anfang der Vorlesungen definiert Schlegel, in aristotelischer Tradition, das Drama als die „Vorstellung einer Handlung durch Gespräche ohne alle Erzählung“ (W V, S. 24). Tätigkeit ist ihrerseits kein beliebiger Aspekt des menschlichen Lebens, sondern „ist der wahre Genuß des Lebens, ja das Leben selbst“ (W V, S. 22).4 Schlegel will, wie ich ihn lese, nicht darauf hinaus, dass andere Kunstformen keine ‚Handlung vorstellen‘, sondern vielmehr, dass Tätigkeit den Kern der dramatischen Kunst ausmacht. Als solche ist das Drama also eine intrinsisch wertvolle Kunstform.5 Das Theater folgt dem Drama somit als ‚notwendige Ergänzung‘ und selbst wenn wir ein Werk der dramatischen Dichtung lesen, beziehen wir uns sozusagen auf die physischen, institutionellen und fertigkeitsbedingten Aspekte des Theaters.6 Schlegel argumentiert, wieder in aristotelischer Manier, dass das Drama aus einem natürlichen Hang zur Mimik, d. h. Mimik einer Tätigkeit, entspringt (W V, S. 24). Als eine Kunstform hat es jedoch einen bestimmten historischen Anfang: Es wurde in Athen erfunden 4 Im Englischen steht das Wort „action“ sowohl für „Handlung“ als auch für „Tätigkeit“. Schlegel selbst macht diesen Übergang stillschweigend in W V, S. 22 ff. deutlich. Im Folgenden wird „action“ durchgehend mit „Handlung“ übersetzt (A. d. Ü.). 5 Diesen Punkt antizipiert Schlegel in seinem Essay zu Goethe und Shakespeare, Etwas über William Shakespeare bei Gelegenheit Wilhelm Meisters, W VII, S. 30. Schlegel spricht dort von dem Leben als das große Geheimnis der Natur und dem dramatischen Dichter als den Menschen bildend. 6 Ebd.
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und wurde dort auch perfektioniert (W V, S. 27). Die griechische Kultur hatte, so Schlegel, alles was nötig war, um ihre mythologisch-historischen Fundamente auf die Bühne zu bringen und somit das Theater an das Herz des gesellschaftlichen Lebens zu setzen. Wir Modernen hingegen tendieren dazu, spekulativer und weniger expressiv zu sein (Vgl. W V, S. 29 und W VI, S. 431). Kann das Drama also für uns genauso wichtig sein wie für die Griechen? Oder, anders gesagt, wie – in welcher Form und durch welche Erfahrung – kann das Drama für uns Moderne relevant sein? Schlegel beantwortet diese Frage durch einen Bezug auf seine eigene Kultur. Im Anschluss an Lessing und Herder argumentiert er, dass die deutsche Bühne Geisel des rückwärtsgewandten frankophilen Geschmacks ist, welchen er als auf Bewunderung und Nachahmung der Alten und auf einem Verständnis der Kunst als ästhetischen Normen basierend versteht.7 Ein genuin modernes Drama müsse hingegen aus der moderne Kultur entspringen und sich auf diese beziehen. Schlegel nennt ein solches Drama romantisch und führt es auf das Spanische Goldene Zeitalter und das Elisabethanisches Theater in England zurück. Unter den besprochenen Dramatikern sticht Shakespeare hervor – nicht allein aufgrund der Ausführlichkeit, mit der er behandelt wird, sondern auch aufgrund der besonderen Affinität zwischen ihm und der romantischen Ästhetik, die Schlegel hervorhebt. Wir müssen also, um Schlegels Philosophie des Theaters vollständig zu verstehen, fragen, inwiefern Shakespeares Drama romantisch und inwiefern Romantik shakespearisch ist. Schlegel, der bereits großes Lob für seine Shakespeareübersetzung erhalten hatte8, antwortet, indem er uns auf drei zentrale ästhetische Kategorien – zentral für unser Nachdenken über Drama – reflektieren lässt: Genie, Gattung und Form. Schlegels Analyse dieser 7 Schlegel beschreibt diese Situation wie folgt: „[U]nsere Dichter und Künstler müßen wie Bediente die Livrei entfernter Jahrhunderte und fremder Völker tragen, wenn sie gebilligt werden wollen“ (W VI, S. 182). Die Metaphorik beibehaltend fährt er fort: „so bettelt die Kunst bei den Antiquaren um ein Almosen von poetischem Costum“ (W VI, S. 182). Laut Schlegel meint selbst Lessing, der das französische Drama kritisierte, „in Aristoteles einen poetischen Euclides zu finden“ (W V, S. 74). 8 Für eine Darstellung der Schlegelschen Übersetzungen (und seiner Zusammenarbeit mit Tieck, seinem Mitübersetzer) siehe Larson, Kenneth E., „The Origins of the ‚Schlegel-Tieck‘ Shakespeare in the 1820s“, in: The German Quarterly 60, 1 (1987), S. 19-37.
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drei Kategorien verdient genauere Betrachtung und ich werde mich ihnen im Folgenden sukzessive zuwenden. Die Shakespearschen Dramen hatten zuvor ein erneutes Interesse am Genie und an der Frage nach der Originalität in der Kunst hervorgerufen.9 Während es von manchen hoch geschätzt wurde, wurde Shakespeares Werk von anderen wegen seiner Widerspenstigkeit und dem fehlenden Verständnis theatralischer Konventionen kritisiert.10 Schlegel wandte sich gegen diese Einwände, bzw. gegen die ihnen zugrundeliegenden Prämissen.11 Er argumentiert, dass es keinen Grund gibt, einen Gegensatz zwischen Genie und Vernunft anzunehmen. Shakespeare, so Schlegel, war kein „blindes wild laufendes Genie“, sondern konnte eine hohe Bildung der geistigen Kräfte aufweisen (W VI, S. 182). Obwohl „[d]ie Tätigkeit des Genies […] ihm eine natürliche und in gewissem Sinne bewußtlose“ ist, bedeutet dies nicht, dass „die denkende Kraft nicht einen großen Antheil“ an ihr hätte (W VI, S. 183, vgl. auch W VI, S. 167). Trotz all seiner Originalität bleibt Shakespeare ein bedachter 9 Edward Young hatte auf Shakespeares Originalität aufmerksam gemacht und nahegelegt, dass es diese ist, die seine Werke von den antiken Tragödien abhebt: „[T]he first ancients had no merit in being originals: they could not be imitators. Modern writers have a choice to make, and therefore have a merit in their power.“ Siehe Steinke, Martin William, „Edward Young’s ‚Conjectures on Original Composition‘“, in: England and Germany (with the original text), New York 1917, S. 47 und 64 f. Youngs Conjectures wurden 1760 auf Deutsch veröffentlicht. Für eine Erörterung der Wirkung Youngs in Deutschland siehe Zammito, John, Kant, Herder, and the Birth of Anthropology, Chicago 2002, S. 240 f. 10 In diesem Kontext ist es bemerkenswert, dass die Wertschätzung Shakespeares in Deutschland mit einer Neubewertung nicht-kanonischer Literatur einhergeht. Dies fällt besonders in Johan Gottfried Herders Frühwerk auf, sowie in seinen späteren Studien zur hebräischen Dichtung. Für einen Überblick über Herders Bedeutung für Schlegel siehe Schmidt, Günther, Herder und August Wilhelm Schlegel, Berlin 1917. Schmidt verfolgt (biographisch) Schlegels Freundschaft und Bruch mit Herder und (systematisch) dessen Einfluss auf Schlegels Philosophie. Siehe Herder und August Wilhelm Schlegel, S. 39. 11 In seiner Auseinandersetzung über Originalität (sowie im übrigen an anderen Stellen) baut Schlegel auf Lessing auf. Er zeigt jedoch weniger Sympathie für Lessing als für Herder, womit er sich von seinem Bruder abzeichnet, der, obgleich auch er Herder (der „die umfassendste Kenntnis mit dem zartesten Gefühl und der biegsamsten Empfänglichkeit“ vereinigt) gegenüber positiv eingestellt ist, ein begeisterter Leser Lessings ist. Für Friedrichs Urteil siehe KFSA I, S. 364. Für August Wilhelms Auseinandersetzung mit Lessing in den Wiener Vorlesungen siehe W VI, S. 406-410. Für eine allgemeinere Auswertung des Einflusses Lessings auf Schlegel siehe Volkmer, August, A. W. Schlegels Auffassung des Dramas im Vergleich zu der Lessings, Zabrze 1906.
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Dichter: „Shakespeare [hat] über Charakter und Leidenschaft, über den Gang der Begebenheiten und menschlichen Schicksale, über die gesellige Verfassung, über alle Dinge und Verhältnisse der Welt gedacht und tief gedacht“ (W V, S. 183). Sein Genie ist also kein Anzeichen von labilem Denken oder gar mangelnder Vernunft, wie seine Kritiker annahmen. Die Berufung auf das Genie war ein Platzhalter für eine ganze Reihe von ästhetischen, historischen und politischen Belangen: Die problematische Unterscheidung zwischen niederen und hohen Künsten, die Wiederbelebung des Volksmundes, die Überführung der Bühnenkünste von ihrem ehemaligen Zuhause an den hoheitlichen Höfen in das bürgerliche Theater, um nur einige zu nennen. Die Shakespeare-Rezeption war Teil dieser größeren Belange gewesen – und war es 1808 noch immer. Laut Schlegel hätten sich die englischen Dramatiker von Versuchen, sich „auf Nachahmung der Alten oder gar der Franzosen zurückzuführen“ befreit; sie arbeiteten, wie er näher ausführt, „ohne fremde Einwirkungen aus eigener Kraftfülle“ (W VI, S. 154).12 In seiner Zuwendung zum deutschsprachigen Drama scheint es einen nationalistischen Zug in Schlegels Ausführungen zu geben (wie es ihn später auch in Hegels Ästhetik und Nietzsches Philosophie der Tragödie geben wird). In Schlegels Fall ist es jedoch offensichtlich nicht die Fremdheit des Einflusses – demjenigen zu dem Shakespeare eine Alternative bietet –, sondern ein gewisses Paradigma der passiven Imitation (sowohl in der Imitation der Griechen und Römer durch die Franzosen, als auch die der Franzosen durch die Deutschen), die er fürchtet. Wäre die bloße Fremdheit das Problem, würde er sich kaum dem englischen Theater zuwenden, um das deutsche zu retten. Darüber hinaus sieht Schlegel die englische Bühne, die als Vorbild für das deutsche Drama dienen soll, als aus einer besonders kosmopolitischen Kultur erwachsen an: „Handel und Schifffahrt, welche die Engländer schon nach allen vier Weltteilen trieben, machten sie mit 12 Schlegel zögert jedoch nicht anzuerkennen, dass Shakespeare sich auf die vorangegangene englische Literatur bezieht: „Diese Bemühungen sind Lobes und Dankes werth; vorzüglich die historischen Untersuchungen über die Quellen, woraus Shakespeare seine Stoffe geschöpft, über die damalige Verfassung der Schaubühne, und dergleichen mehr.“ (W VI, S. 165 f.). Der entscheidende Unterschied ist hier der zwischen dem aktiven und dem passiven Gebrauch der Tradition.
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den Sitten und geistigen Hervorbringungen anderer Nationen bekannt, und sie waren damals, wie es scheint, gegen fremde Sitten gastfreier als jetzt“ (W VI, S. 169). Im Gegensatz zu Humes und Voltaires Bedenken bezüglich Shakespeares mangelnder Bildung, hält Schlegel an dessen Welt- (nicht Buch-)Weisheit fest und sieht sein Werk als Produkt eines regen Interesses an der Vielfalt der Kulturen (W VI, S. 168). Shakespeare synthetisiert eine Vielfalt von Perspektiven und tut dies umsichtig und bedacht: „Übrigens legt [er] an tausend Stellen ein ungemein großes Gewicht auf den ächten und feinen Weltton, und […] stellt ihn dar in allen seine Abstufungen nach Stand, Alter und Geschlecht“ (W V, S. 171). Obgleich seine Dramen eine breite Vielfalt an Charakteren und Perspektiven darstellen, liegt seine Originalität nicht in der Darstellung der Charaktere per se, sondern in der Fähigkeit, sie alle in einem synthetischen Ganzen (d. h. einem Stück) zu vereinigen. Hier – und nicht in einer vermeintlichen Abwendung von Tradition, Konvention und Bildung – erscheint Shakespeare als genuin romantischer Dramatiker. Durch seinen Bezug auf Shakespeare zeigt Schlegel also die Falschheit der bestehenden Gegensätze (zwischen Kreativität und Vernunft, Originalität und kulturellem Bezug), um somit eine Art des Dramas zu fördern, das seinerseits eine Schlüsselfunktion in der romantischen Bewegung hat. Schlegel bespricht auch den Begriff der Gattung, vor allem die Idee fester Gattungsbestimmungen als Kriterium für dramatische Literatur (die Idee, dass ein Werk in eine bestimmte Gattung – Tragödie oder Komödie – fällt und ansonsten überhaupt kein Kunstwerk ist). Auch hier greift er die Prämissen an, die einem solchen Denken zugrunde liegen. Schlegels Verständnis der Gattung hat sich im Laufe seiner Vorlesungen (zur Ästhetik) in Jena und Berlin entschieden weiterentwickelt. In Jena folgte er Herders Aufruf zu einer wissenschaftlichen Ästhetik und wies darauf hin, dass die Analyse der Gattung den Kern dieses Vorhabens ausmache. In den Berliner Vorlesungen vertritt er eine dreigliedrige Einteilung der klassischen poetischen Gattungen – Epik, Lyrik und Drama – und deutet dabei eine dialektische Entwicklung an, in der das Drama als die Synthese von Epik und Lyrik hervortritt. Die Wiener Vorlesungen hingegen beschränken sich auf die Betrachtung des Dramas und unterscheiden in diesem Bereich zwischen Tragödie und Komödie. Nach Schlegel gibt es weder in der Epik noch in der Lyrik eine ähnliche Unterteilung (W V, S. 28).
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Schlegel zufolge entspringt die Tragödie der fundamentalen Einsicht in die Endlichkeit alles Menschlichen (W V, S. 40): Wir sind sozusagen „bei der Geburt schon schiffbrüchig“ (W V, S. 41) und darüber hinaus uns während unseres gesamten Lebens dessen schmerzhaft bewusst. Dies erzeugt eine melancholische Geistesart, die durch die Tragödie zum Ausdruck gebracht wird.13 Die Komödie hingegen wird durch ein spielerisches Moment befeuert und bietet somit etwas Ruhe von der tragischen Verfassung des menschlichen Daseins (W V, S. 42). Die „Charaktere und Lagen einzelner Menschen“ und „die gesammte gesellige Verfassung, der Staat, die Natur und die Götterwelt“ werden in ihr geschildert (W V, S. 43).14 Obwohl sie leichtherzig und scherzhaft Erleichterung bietet, ist sie also eng mit einer tiefsinnigen Erforschung des menschlichen Daseins verwoben.15 Bei den Griechen, so Schlegel, waren die Tragödie und die Komödie in ihren reinsten Formen ausgebildet. Für uns Moderne kann jedoch den dramatischen Gattungen nicht die gleiche Autorität zugeschrieben werden. Vielmehr ist es der Fehler des Klassizismus die antiken Gattungen, wie sie aus ihrem bestimmten historischen Kontext erwachsen sind, zu nehmen und sie als allgemeingültig hinzustellen. Des Weiteren gründeten die Griechen ihre Kunst nicht auf formalistische Gattungsbestimmungen oder die Ideale einer vergangenen Zeit. In einem Passus mit starken Herderschen Anklängen (die auch Nietzsches Verständnis der Tragödie vorwegnehmen), verdeutlicht Schlegel, dass die Griechen „ihre Schauspielkunst von keinem andern Volke ererbt oder entlehnt [haben], sie war ursprünglich und einheimisch, und eben darum konnte sie eine lebendige Wirkung hervorbringen“ (W VI, S. 155 f.). Dieses Gleichgewicht konnte 13 Nichtsdestoweniger beschreibt Schlegel die antike griechische Kultur auf eine Art und Weise, die später auch bei Nietzsche anklang finden wird – er erfindet sogar „die Poetik der Freude“ (W V, S. 13). Zu Nietzsches Hervorhebung des Genusses und der Notwendigkeit der Freude (auch er macht ausführlichen Gebrauch der Begriffe Freude und freudig) siehe Nietzsche, Friedrich, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, 15 Bde., hg. v. Giorgio Colli and Mazzino Montinari, Berlin 1999, Bd. I, S. 27. 14 Diesen Punkt wird Hegel später aufgreifen. Für einen Überblick über Hegels Theorie der Komödie siehe Huddleston, Andrew, „Hegel on Comedy: Theodicy, Social Criticism, and the ‚Supreme Task‘ of Art“, in: British Journal of Aesthetics 54, 2 (2014), S. 227-240. 15 Siehe Schäfer, Dorothea, „Die historischen Formtypen des Dramas in den Wiener Vorlesungen A. W. Schlegels“, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 75 (1965), S. 397-414, bes.: 405 f.
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nicht bestehen; es endete „als Griechen Griechen nachahmten“ (W VI, S. 156) – und es ist diese Haltung, die die Klassizisten einnehmen, wenn sie Gattungen als statisch und überhistorisch begreifen. Es ist ein Fehler, ein modernes Stück anhand antiker Gattungskriterien – ob nun mit Bezug auf die griechische Tragödie oder den späteren Klassizismus – zu beurteilen. Das heißt, würde Kunst anhand solcher Kriterien beurteilt, würde man von Anfang an selbst die bedeutendsten modernen Werke „bloß unter die Alten herabsetzen“ (W VI, S. 156). Eine angemessene Theorie der dramatischen Gattungen muss die grundlegenden Unterschiede zwischen antiker und moderner (romantischer) Kultur anerkennen. Während die griechische Kultur „weit mehr aus einem Stücke war“16, ist, laut Schlegel, in der modernen Zivilisation „die neuere Bildung aus den fremdartigen Bestandteilen der nordischen Stammesart und der Bruchstücke des Altertums zusammengeschmolzen“ (W V, S. 9 f.). Diese Heterogenität spiegelt sich in den Werken Shakespeares wieder. Seine Welt ist nicht mehr einheitlich: „Die antike Kunst und Poesie geht auf strenge Sondierung des Ungleichartigen, die romantische gefällt sich in unauflöslichen Mischungen; alle Entgegengesetzten, Natur und Kunst, Poesie und Prosa, Ernst und Scherz, Erinnerung und Ahndung, Geistigkeit und Sinnlichkeit, das Irdische und Göttliche, Leben und Tod, verschmilzt sie auf das innigste mit einander“ (W VI, S. 161). Für Schlegel ist dies weder Tragödie noch Komödie, sondern romantisches Drama, oder, wie er es auch nennt, „Schauspiel“ (W VI, S. 158). Das romantische Drama legt sich nicht auf eine absolute Trennung des Tragischen und des Komischen fest, sondern bedient sich beider. So versucht Schlegel eine starre Gattungstheorie zu überwinden, ohne sie jedoch gänzlich aufzugeben; er tut die bestehende Lehre nicht als falsch ab, sondern zeigt ihre historischen und künstlerischen Grenzen auf. Kurz, er beharrt auf der Nützlichkeit des Gattungsbegriffs, jedoch nur insofern er als Teil eines größeren, kulturellen Kontexts betrachtet wird. Schließlich wendet sich Schlegel dem Begriff der dramatischen Form zu. Im Betrachten des romantischen Dramas bedarf das Publikum eines Anzeichens, dass es sich um ein Kunstwerk, und somit 16 Obgleich die antike Tragödie „aus einem Stücke“ war, erkennt Schlegel jedoch, dass sie eine Kultur (Mythologie) ausdrückt, die ein „Gewebe nationaler und örtlicher Überlieferungen“ darstellt (W V, S. 79 f.), d. h., eine Kultur, die, wie bereits Herder feststellte, ihrerseits synthetisch war.
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um etwas, das ästhetisch erfahren, beurteilt und interpretiert werden kann, handelt. Wenn der formalen Ästhetik also der Rücken zugewandt wird, dann besteht nichtsdestoweniger das Bedürfnis nach einer Erklärung des Zusammenhalts und der Einheit der Kunst. Wie wird das romantische Drama, in seiner Vielfalt, zusammengehalten? Was gibt ihm seine Identität als Kunstwerk? Ganz im Sinne seiner Ausführungen zum Genie und zur Gattung führt Schlegel hier die Unterscheidung zwischen mechanischer und organischer Einheit ein. Es besteht neuerdings ein großes Interesse an dem Übergang von einem mechanistischen Weltbild hin zu einem organischen, der sich im Laufe des 18. Jahrhunderts vollzogen hat.17 Unter den Vertretern dieses Paradigmas finden sich Herder und Goethe, die beide aktive Teilnehmer der Shakespeare-Debatte waren. Herders Überlegungen zur Poesie strotzen vor biologischen Metaphern und er betrachtet sowohl die innere Einheit des Gedichts als auch die Entwicklung poetischer Traditionen im Vokabular des Wachsens und Gedeihens.18 Goethe vertritt eine ähnliche Position.19 Darüber hinaus hatte Schlegels Bruder Friedrich bereits das Fragment als organische Einheit verstanden. In der Tat haben die Schlegel-Brüder die gesamte romantische Philosophie (zu der das Drama gehört) als organisch verstanden. Wenn also Schlegel die Unterscheidung zwischen mechanischer und organischer Einheit einführt, kann er davon ausgehen, dass sein Publikum mit dieser Denkungsart zumindest ansatzweise vertraut ist. Schlegel argumentiert, dass die mechanische Form durch externe Kräfte wirkt und „bloß als zufällige Zuthat, ohne Beziehung auf dessen Beschaffenheit erteilt wird“ (W VI, S. 157). Die organische Form „hingegen ist eingeboren, sie bildet von innen heraus, und erreicht ihre Bestimmtheit zugleich mit der vollständigen Entwicklung des
17 Siehe z. B. Gaukroger, Stephen, The Collapse of Mechanism and the Rise of Sensibility: Science and the Shaping of Modernity 1680-1760, Oxford 2010 und Reill, Peter Hanns, Vitalizing Nature in the Enlightenment, Berkeley 2005. 18 Siehe Schick, Edgar B., Metaphorical Organism in Herder’s Early Work: A Study of the Relation of Herder’s Literary Idiom to his World-View, The Hague 1971. 19 Für eine Darstellung dieses Teils des Werks Goethes siehe Nassar, Dalia, „Romantic Empiricism after the ,End of Nature‘“, in: The Relevance of Romanticism: Essays on German Romantic Philosophy, hg. v. Dalia Nassar, Oxford 2014, S. 296315.
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Keims“ (ebd.).20 Sie durchdringt die Natur von der Ebene der Kristalle bis hin zu den Pflanzen und Tieren und ist sozusagen die „Physiognomie jedes Dinges, die von dessen verborgenem Wesen ein wahrhaftes Zeugnis ablegt“ (W VI, S. 158), dieses Wesen somit externalisiert und ihm Realität verleiht. Interessant ist hier, wie Schlegel den Begriff der Form mit der Tätigkeit der Kritik verbindet. Seiner Ansicht nach sollte Poesie nicht unter Rückgriff auf bestehende Standards beurteilt werden. Mit Worten, die an Herder erinnern, drückt sich Schlegel wie folgt aus: „[W]enn man die neuen Dichterarten mit den alten Gattungsnamen belegt, und sie nach deren Begriffe beurteilt, so ist dies eine ganz unbefugte Anwendung von dem Ansehen des klassischen Altertums“ (ebd.). Erst wenn wir erkennen, dass Literatur nicht objektiv anhand von Epochen und ästhetischen Paradigmen beurteilt werden kann, erkennen wir auch, dass die Anerkennung eines bestimmten Autors oder Paradigmas (z. B. der klassischen Tragödien) nicht die Abwertung eines anderen (z. B. der Shakespeareschen Tragödie) impliziert. „Können wir nicht“, fragt Schlegel, „zugeben, daß jedes in seiner Art groß und wunderwürdig, wiewohl dieses ganz etwas anders ist und sein soll als jenes?“ (W V, S. 12). Dies ist das Gegenteil zu der „kalten Bewunderung“ und „todte[n] Schulübungen“, die die zeitlose Normativität des Klassischen ausmachen (W V, S. 8). Der Begriff der organischen Form erfüllt also eine ganze Reihe an Funktionen: Er fördert den Gedanken einer inneren, werkspezifischen Einheit des Dramas; er lenkt die Aufmerksamkeit auf seine historische Entwicklung; er erklärt Abweichungen in Gattung und Ausdruck; und er fordert eine Ästhetik, die diesem allen gerecht wird und von der Betrachtung des einzelnen Kunstwerks zu allgemeineren philosophischen Ergebnissen übergeht. Während für uns der Begriff des Genies etwas altbacken erscheint, haben Schlegels Behandlungen der historischen Entwicklung, der Gattung und der Form nichts an Relevanz verloren. Ebensowenig hat sein Versuch, die begriffliche Basis unseres Dramenverständnisses aufzurütteln und zu erneuern, an Brisanz verloren. Er versteht das moderne Drama als wesentlich vielfältig und argumentiert für eine 20 In Bezug auf die Ähnlichkeiten zwischen Dichtung und natürlicher Form betont Herder, dass wir „als Absicht der Natur“ betrachten sollten „nicht was der Mensch bei uns ist, oder gar was er nach den Begriffen irgend eines Träumers sein soll; sondern was er überall auf der Erde und doch zugleich in jeglichem Strich besonders ist“ (Werke in zehn Bänden, hg. v. Martin Bollacher et al., Frankfurt a. M. 1985-1998, Bd. VI, S. 35.)
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(historisch) elastische Gattungskategorie und eine organischere Betrachtungsweise des Dramatischen. Schlegel möchte jedoch nicht nur die Philosophie des Dramas und deren Begriffe revidieren, vielmehr möchte er im Geiste des Athenaeums das gesamte Verhältnis zwischen Philosophie und Drama neu denken – in seiner historischen Evolution und seiner lebendigen Produktion.
II. Zu Beginn seiner Vorlesungen wendet sich Schlegel der Frage der ästhetischen Methodologie zu.21 Während die Kunstgeschichte uns lehrt „was geleistet worden [ist]“, zeigt die Theorie uns, „was geleistet werden soll“ (W V, S. 4). Diese zwei Diskursebenen interagieren normalerweise nicht. In seinen Vorlesungen möchte Schlegel diese methodologische Aufspaltung explizit überwinden, indem er „die Theorie der dramatischen Kunst mit ihrer Geschichte zu verbinden“ sucht und somit auch die „Vorschriften und die Muster dieser Kunst“ bestimmt (W V, S. 3). In diesem Kontext führt Schlegel den Begriff der romantischen Kritik ein – eine Art der Kritik, die eine werkorientierte bottom-up Herangehensweise an dramatische Literatur fördern soll und somit den Übergang von einzelnen Werken hin zu allgemeineren philosophischen Aussagen. Es ist Schlegels Ziel, mittels seiner theoretischen Überlegungen und Beispiele der Kritik eine Praxis zu etablieren, die „die Geschichte der Künste aufklärt und ihre Theorie fruchtbar macht“ (W V, S. 4). In dieser Hinsicht übersteigen die Wiener Vorlesungen Schlegels früheres Werk einschließlich seines Essays über Shakespeare und Goethe, in dem er die Kritik, selbst „die ächtete Kritik“, als eine Tätigkeit ansieht, die unser Verhältnis zur Kunst nicht wirklich beeinflusst.22 In den Wiener Vorlesungen bietet Schlegel jedoch eine neue Darstellung der Kritik, sowie ein Beispiel kritischer Praxis und versucht die Grundsteine für das Wiederaufblühen des modernen Dramas zu legen.23 Jeder dieser drei Punkte verdient eine ausführlichere Auseinandersetzung. 21 Schlegel knüpft so an Lessing, Winckelmann und Herder und die nun 40 Jahre alte Debatte um Laokoon an. 22 Über William Shakespeare bei Gelegenheit Wilhelm Meisters, W VII, S. 25. 23 Sich auf Adam Müller beziehend, spricht Schlegel hier von einer „vermittelnden Kritik“, die sich nicht nur methodologisch zwischen Geschichte und Theorie bewegt, sondern auch nationale Grenzen überschreitet (W VI, S. 159). Roger
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Mindestens seit Walter Benjamins bahnbrechender Studie zum Begriff der Kritik in der Romantik wurde romantische Kritik oft mit Fichte und dem transzendentalen Idealismus in Verbindung gebracht. Wie wir gesehen haben, baut Schlegel jedoch auch auf Herder auf, der sich als Kritiker der Transzendentalphilosohie positioniert hat, gleichzeitig jedoch die Rolle des Philosophen der Literatur bezogen hat – laut René Wellek sogar als allererster.24 Der junge Herder, seine Sympathien mit Hume nicht verbergend, verstand Kritik als auf einer Offenheit fürs Erforschen und Überwinden von Vorurteilen und impliziten Annahmen beruhend. Er beobachtete, dass in einer gewöhnlichen Betrachtungsweise „[s]o bald ich eine Sache wahr oder schön finde: […] so ist nichts natürlicher, als die Vermutung, jeder Mensch wird mit mir dieselbe Empfindung, dieselbe Meinung haben.“25 Subjektive Vorzüge werden, bewusst oder unbewusst, als ahistorisch und kultur- und subkulturübergreifend dargestellt. Eine kritische Herangehensweise wird dagegen ihre Möglichkeitsbedingungen explizit machen – auch wenn diese Bedingungen (im Gegensatz zu denen der Tranzendentalphilosophie) als historisch und kulturell vermittelt angesehen werden. Schlegel schreibt mit einer ähnliche Stoßrichtung: „Wir sehen eine Menge Menschen, ja ganze Nationen, so sehr befangenen den Gewöhnungen ihrer Erziehung und Lebensweise, daß sie sich auch dann nicht davon losreißen können, wenn vom Genuße schöner Kunst die Rede ist. Nur dasjenige, was in ihrer Sprache, ihren Sitten und ihren gesellschaftlichen Verhältnissen einheimisch und hergebracht ist, erscheint ihnen als natürlich, schicklich und schön“ (W V, S. 4). Dementgegen versucht der wahre Kritiker unabhängig zu bleiben. Schlegel fährt und Paulin betonen den Kontrast zwischen einer bloß philologischen und einer vermittelnden Kritik und führen ihn auf die Unterscheidung zwischen mechanischer und organischer Einheit zurück. Siehe „August Wilhelm Schlegel“, a. a. O. 24 Wellek, A History of Modern Criticism, Bd. I, a. a. O., S. 176. Interessanterweise wendet sich Wilhelm Dilthey in seiner Schleiermacher-Studie und Geschichte der Hermeneutik dem Schnittpunkt zwischen Herdereanischen und Fichteanischen Impulsen in der romantischen Philosophie zu. Ich beschäftige mich mit diesem Punkt ausführlicher in „Enlightenment, History, and the Anthropological Turn: The Hermeneutical Challenge of Dilthey’s Schleiermacher Studies“, in: Anthropologie und Geschichte. Studien zu Wilhelm Dilthey aus Anlass seines 100. Todestages, hg. v. Giuseppe D’Anna, Helmut Johach und Eric S. Nelson, Würzburg 2013, S. 323-355. 25 Johann Gottfried Herder, Werke I, S. 149.
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fort: „Aber ein ächter Kenner kann man nicht sein ohne Universalität des Geistes, d. h. ohne die Biegsamkeit, welche uns in den Stand setzt, mit Verläugnung persönlicher Vorliebe und blinder Gewöhnung, uns in die Eigenheiten anderer Völker und Zeitalter zu versetzen, sie gleichsam aus ihrem Mittelpunkte heraus zu fühlen“ (W V, S. 5).26 Doch da sie durch die Begegnung mit anderen Epochen und Kulturen gewonnen wird, ist diese Unabhängigkeit nicht abstrakt oder auf formalen Imperativen aufgebaut, sondern entspringt der Interaktion mit konkreten Werken. Es handelt sich nicht mehr um ein Urteilen, dem eine vorbestimmte Idee, was Kunst und Schönheit sein sollen, zugrunde liegt, sondern um eine offene und werkorientierte Vorgehensweise. Der romantische Kritiker versucht nicht die allgemeine Bedeutung eines Werks auszudrücken, sondern seine „innere Vortrefflichkeit“ (W V, S. 5) zu identifizieren.27 Durch Betrachtung dieser inneren Vortrefflichkeit gelangt der Kritiker zu seinem Urteil. In einer Welt, in der das Werk sich nicht mehr durch Rückgriff auf einen einheitlichen lebensweltlichen Kontext rechtfertigen kann28, muss der Kritiker ihm einen 26 Die Erwähnungen der Universalität des Geistes und des Fühlens bilden wieder eine explizite Bezugnahme auf Herder. Wellek ist nicht der einzige, der dies als Ausdruck eines Kosmopolitisums versteht (Wellek, A History of Modern Criticism, Bd. II, a. a. O., S. 38). Schlegel hebt Herders Vorlesungen zum Kosmopolitismus hervor in A. W. Schlegel’s Lectures on German Literature from Gottsched to Goethe, taken down by George Toynbee (1833), Oxford 1944, S. 35. Dort wird Herder als ein „critic, and in the best sense of the word“ gelobt (ebd.). Für eine Studie zum Kosmopolitismus in der deutschen Romantik (unter besonderer Berücksichtigung von Novalis) siehe Kleingeld, Pauline, „Romantic Cosmopolitanism: Novalis’s ‚Christianity or Europe‘“, in: Journal of the History of Philosophy 46, 2 (2008), S. 269-284. 27 Schlegel bekräftigt seine Konzeption der organischen Form, indem er diese innere Vortrefflichkeit mit dem Herderschen Begriff des Keims in Verbindung bringt. Helmut Rehder schreibt: „To begin with, Schlegel says that true critical understanding and judgment are based on three postulates: universality of outlook, freedom from limited or temporal concessions, and intuitive ability of placing oneself within the object of aesthetic experience. These prerequisites not only exclude casual and impressionistic observation; they also reject any kind of normative standards. Instead, they are concerned with the individual work of art itself, its unique character, and the conditions which produce it.“ Rehder, Helmut, „Literary Criticism in Germany during the Romantic Period“, in: Monatshefte 38, 4 (1946), S. 237-243, hier: 237. 28 Schlegel spricht hier von Mythologie (W V, S. 79). Dabei findet sich wieder eine Ähnlichkeit zu der Sprache Nietzsches. Siehe z. B. Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, Kritische Studienausgabe, Bd. I, S. 145-149.
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Platz im größeren Feld der Literatur zuschreiben. Adäquate kritische Praktiken sind also notwendig, wenn das Werk eine Rezeptionssphäre entwickeln soll. Schlegels romantischer Kritiker versucht eine nichtsubsumtive Verbindung zwischen dem einzelnen Werk und einer allgemeinen (kosmopolitischen oder unabhängigen) Perspektive zu schmieden. Er versucht die Werte und Standards eines einzelnen Werks auszudrücken und gleichzeitig, indem er Details aufzeigt, Unterscheidungen herausstellt und klar und einleuchtend beschreibt, seinen Ort im literarischen Feld zu reflektieren. Somit synthetisiert der Kritiker die Polyphonie der dramatischen Stimmen und destilliert aus ihnen eine Perspektive, die aus dieser Begegnung an Weisheit und Allgemeinheit gewonnen hat. Der Kritiker greift also auf eine distinktiv moderne Art und Weise den unabhängigen Blick des Chors der antiken Tragödie samt dessen Urteil auf.29 Es handelt sich um eine Position, die sozusagen die Unabhängigkeit mit einer Betonung der Offenheit für und der Interaktion mit bestimmten Perspektiven verbindet – dass heißt eine Unabhängigkeit, die nicht gesetzt ist, sondern konkret und hermeneutisch erarbeitet wird. Mit seinem Appell an die Unabhängigkeit liefert uns Schlegel jedoch einem Dilemma aus. Auf der einen Seite haben wir seine (Hume-Herdersche) Anerkennung des kulturellen und historischen Kontextes und der diesen begleitenden Vorurteile. Auf der anderen Seite haben wir einen (quasi-idealistischen) Begriff des unabhängigen oder gar universellen Kritikers, der die innere Vortrefflichkeit eines Werks aufspürt. Wie können diese Ansprüche miteinander versöhnt werden? Wie können wir uns sicher sein, dass das Auftreiben der ‚inneren Vortrefflichkeit‘ durch den Kritiker tatsächlich unabhängig ist (und nicht vielmehr ein Ausdruck seiner Vorurteile)? 29 Der Chor ist, wie Schlegel betont, ein Aspekt der griechischen Tragödie, der für die moderne Denkungsart ausgesprochen schwierig zu begreifen ist (Schlegel schreibt: „Jener Tanz, jene Musik haben mit dem, was bei uns so heißt, nichts als den Namen gemein“, W V, S. 67). Auf dem Gedanken, dass die griechische Kultur und Mythologie aus einem Gewebe aus Traditionen entstanden ist aufbauend, beurteilt Schlegel diesen Aspekt der Tragödie als „republikanisch“, einem unabhängigen Urteil, dass letztendlich das „der gesamten Menschheit“ ist (W V, S. 76 f.). Somit ist er der idealische Zuschauer (ebd.). Nietzsche bewertet dies bekanntlich als eine „rohe, unwissenschaftliche, doch glänzende Behauptung“ (Die Geburt der Tragödie, Kritische Studienausgabe I, S. 53) und betont stattdessen die ursprüngliche Einheit des Chors und des Publikums. Nietzsche missdeutet Schlegel jedoch: Schlegel behauptet nicht, dass der Chor ein objektivierendes Publikum bildet, sondern dass er einen unabhängigen Standpunkt repräsentiert.
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Auf gewisse Weise ist und bleibt solches Wissen unerreichbar. Schlegel möchte jedoch auch nicht dafür argumentieren, dass epistemische Vergewisserung im Bereich der Ästhetik vonnöten ist (noch, dass sie gar wünschenswert ist). Wie ich Schlegel lese, ist sein Punkt methodologisch: Wenn ein Kritiker Unabhängigkeit in seinen Urteilen anstrebt (anstatt zum Beispiel nach konkreten Instantiierungen abstrakter ästhetischer Normen oder Regeln zu suchen), dann müssen diese in der Begegnung zwischen Kritiker und Werk entwickelt werden, da beide eine historische und kulturelle Verschränkung bilden. Darüber hinaus können wir annehmen, dass, da der Kritiker (oder der Philosoph) seinerseits in einer Kultur situiert ist, die Ästhetik als Teildisziplin der Philosophie ihre Begriffe und Gedanken auf der Basis von bzw. aus solchen hermeneutischen Begegnungen heraus entwickeln sollte. Wenn, Schlegel zufolge, Kritik die Theorie mit der Analyse eines bestimmten Werkes synthetisiert, so können wir erwarten, dass diese methodologische Auffassung sich in seinen Vorlesungen widerspiegelt und in ihnen Anwendung findet. Wir können davon ausgehen, dass Schlegels theoretische Position sich in seiner kritischen Praxis niederschlägt. Es ist wieder seine Shakespeare-Lektüre, die einen vielversprechenden Ausgangspunkt bietet. Nachdem er argumentiert hat, dass Kritik auf dem Hinterfragen der eigenen Vorurteile und Annahmen beruht, reflektiert Schlegel auf seine eigene Position als ein Leser Shakespeares. Er befürchtet, dass sein Werk uns zugleich zu vertraut und zu fremd geworden ist. In einer Passage, die es verdient in Gänze zitiert zu werden, schreibt er: „So wie bei einem Menschen, so macht auch vielleicht bei einem Dichter die allzuvertraute Bekanntschaft ungeschickt, sich in die Lage Anderer zu versetzen, die ihn erst kennen lernen: man ist an seine auffallenden Eigenheiten zu sehr gewöhnt, um ihren ersten Eindruck beurteilen zu können. Dagegen sollte man von seiner Handelsweise, seinen geheimeren Absichten und der Bedeutung seines ganzen Thuns genauere Rechenschaft abzulegen wissen, als Andere“ (W VI, S. 164). Die Historizität des Theaters und der dramatischen Dichtung ist also nicht bloß etwas, das unser Verständnis des Werks (in seinem Kontext) betrifft, sondern auch den Leser in seinem Verhältnis zur Tradition.30 Die Dramen Shakespeares sind, so Schlegel, 30 Herder hatte diesen Punkt bereits in seinen Shakespeare-Studien entwickelt. Siehe meinen Aufsatz „Shakespeare’s Hermeneutic Legacy: Herder on Modern
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bekannte Entitäten für uns; sie sind ein Teil unserer Tradition und als solche auch ein Teil unserer Identität. Doch gerade weil die Werke Shakespeares Teil unserer Tradition sind, weil sie die Art von Kunst sind, die wir kennen und für selbstverständlich halten, können sie leicht missverstanden werden. Diesen Punkt hat Schlegel bereits in seinem Essay über Goethe und Shakespeare herausgestellt.31 Doch nun, mit einer stärkeren Betonung der Kritik, ist es sein Ziel, die festgesetzten Übereinstimmungen und herkömmlichen Begriffe zu überschreiten und zu zeigen, dass Shakespeares Werk uns zwar vertraut zu sein scheint, dass wahre Vertrautheit jedoch der Erkenntnis der Einzigartigkeit dieser Art des Dramas – dessen eigenartigen Stimmen, Charaktere, Formen und Zeiten – bedarf. Schlegels Kritik will individualisierend und historisierend sein – sowohl in Bezug auf den Text, als auch auf ihre Position als eine Rezipierende. Romantische Kritik impliziert also einen Bildungsprozess, der den Leser dazu bewegt, sich selbst wie auch das Werk, mit dem er sich befasst, besser zu verstehen. Wie kann also Shakespeares Werk uns helfen, diesen Aspekt der romantischen Kritik zu verstehen? Für Schlegel ist Shakespeare ein Beobachter des Menschen und „seine Überlegenheit hierin ist so groß, daß man ihn mit Recht den Herzenskündiger genannt hat“ (W VI, S. 186). Diese Menschenkenntnis, so fährt Schlegel fort, entwächst seiner Fähigkeit, das Individuum darzustellen: „Es ist die Fähigkeit, sich so vollkommen in alle Arten zu sein, auch die fremdesten, zu versetzen, daß ihr Besitzer dadurch in den Stand gesetzt wird, als Bevollmächtigter der gesamten Menschheit, ohne besondere Instruktionen für den einzelnen Fall, im Namen eines Jeden zu handeln und zu reden“ (W VI, S. 187). Es ist diese Bekanntschaft mit dem Menschlichen – sowie seine Fähigkeit, existentielle Wahlmöglichkeiten konkret auf der Bühne zu präsentieren –, die Shakespeare zu einem wahren modernen Dramatiker und einem „tiefen Denker“ (W VI, S. 176) macht. Shakespeares Fähigkeiten als moderner Dramatiker – seine besondere Art und Weise, Genie, Gattung und Form dramatisch zu realisieren – beinhalten das Vermögen, die Essenz individueller Charaktere zu ver-
Drama and the Challenge of Cultural Prejudice“, in: Shakespeare Quarterly 64, 1 (2013), S. 60-71. 31 Er bezieht sich dort vor allem auf Hamlet. Siehe Etwas über William Shakespeare bei Gelegenheit Wilhelm Meisters, W VII, S. 27 f.
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stehen, zu extrahieren und sie so darzustellen, dass sie als Beispiele der Menschheit dienen (W VI, S. 171). Um seinem Ideal der Kritik gerecht zu bleiben, darf sich Schlegel nicht mit einer allgemeinen Beschreibung der dramatischen Fertigkeiten Shakespeares zufrieden geben, sondern muss nun auch eine intensive Lektüre oder interpretatorisches Engagement aufweisen. Um dies zu tun, wendet er sich Hamlet zu. Neben Romeo und Julia ist dies das Stück, mit dem sich Schlegel seit den 1790ern intensiv beschäftigt hat. Wenn Shakespeare ein tiefer Denker ist, dann ist Hamlet ein „Gedankentrauerspiel“ (W VI, S. 247).32 Es wird durch tiefe existentielle Empfindungen („anhaltendes und nie befriedigtes Nachsinnen über die menschlichen Schicksale, über die düstre Verworrenheit der Weltgegebenheiten“ – ebd.) inspiriert und „bestimmt, eben dieses Nachsinnen wieder in den Zuschauern hervorzurufen“ (ebd.). Schlegels Enthusiasmus für Hamlet ist jedoch nicht uneingeschränkt. Er stört sich besonders an Hamlets Charakter. In einem etwas überraschenden hermeneutischen Manöver schreibt er, dass „die Schwäche [Hamlets] Willens allzu offenbar [ist]: er läßt sich nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn er sagt, es gebe keine größere Unähnlichkeit als zwischen ihm und Herkules. Nicht bloß die Notwendigkeit treibt ihn zur List und Verstellung, er hat einen natürlichen Hang dazu, krumme Wege zu gehen; er heuchelt gegen sich selbst“ (W VI, S. 249). Nichtsdestoweniger lobt Schlegel Shakespeares Darstellung der Handlungsunfähigkeit Hamlets, seines unentschlossenen und enigmatischen Charakters und seines unvollkommenen Gemüts. Die Beziehungen zwischen Charakter, Handlung und Poesie (Sprache, Klang, Musikalität usw.) ermöglichen es dem romantischen Kritiker, von Shakespeares Darstellung Hamlets auf allgemeinere philosophische Figuren und Einsichten zu schließen. Durch ihre Sprache und Handlung offenbaren Shakespeares Charaktere was an ihrer jeweiligen Interpretation der Welt beständig ist. Somit tragen sie zu einem besseren Verständnis der Menschheit bei: „wie jeder ist, das offenbart uns Shakespeare auf das unmittelbarste: er fordert und erhält unsern Glauben auch für das Abweichende und 32 Der gleiche Punkt wird bereits in Etwas über William Shakespeare bei Gelegenheit Wilhelm Meisters (W VII, S. 31) deutlich gemacht. Schlegel betont, dass Hamlet Gefühle und Gedanken den „Thaten“ vorzieht. Er fasst zusammen: „Hamlets Seele ließ, in sein eignes Innre versenken“ (ebd., S. 28). Goethes Wilhelm Meister und Lessings Nathan der Weise werden auf ähnliche Weise beschrieben (ebd.).
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Seltsame. Niemals hat es vielleicht ein so umfaßendes Talent für Charakteristik gegeben“ (W VI, S. 188). Ein Charakter, der lediglich einen allgemeinen Begriff darstellt, würde auf der Bühne nicht funktionieren – er wäre ein bloßes didaktisches Prinzip, „die bloße Personification kahler Allgemeinbegriffe“, die als solche „weder sonderlich tief, noch sonderlich mannichfaltig sein“ könnten (W VI, S. 189). Shakespeares Charaktere sind vollständig individualisiert, haben „aber zugleich eine nicht bloß für sie gültige Bedeutung: sie geben meistens eine ergründete Theorie ihrer hervorstechenden Eigenschaften an die Hand“ (ebd.). Diese Eigenschaften treten ihrerseits vor dem größeren Spektakel des Stückes und den anderen Individuen, die es bevölkern, hervor: Die Charaktere finden nur durch die Interaktion mit anderen zu sich, nur so können sie sich ausdrücken.33 Beide der oben genannten Punkte – die Tatsache, dass der individuelle Charakter das Allgemeine widerspiegelt und, dass jedes Individuum sich nur in Interaktion mit anderen entwickelt – bestimmen Schlegels Begriff der Kritik. Das heißt, dass sein gesamter Begriff der romantischen Kritik auf eine nicht-triviale Weise seine Lektüre des romantischen Dramas widerspiegelt. Schlegel macht diese Verbindung explizit, indem er Shakespeares Werk als allgemein bestimmt und zugleich die Universalität der Kritik fordert.34 Wie Shakespeare es als Dramatiker getan hat, so soll auch der romantische Kritiker das Werk als Individuum behandeln und dennoch seine allgemeinen Ausmaße, seinen möglichen und wirklichen Beitrag zu unserem Verständnis menschlichen Lebens und Ausdrucks erläutern. Auch soll dies nicht bloß dem Kritiker ein abstraktes oder philosophisches Verständnis des Wesens der Kunst verschaffen, sondern im Rahmen seiner konkreten Lebenspraktiken durch eine Auseinandersetzung mit Ansichten, die von den eigenen abweichen, es ihm ermöglichen, die weite Spanne menschlicher Ausdrücke und Weltanschauungen zu verstehen. Es besteht also eine enge Verknüpfung zwischen Schlegels Ästhetik und seinem Verständnis des menschlichen Daseins. 33 Auf die Anwendung dieser Denkfigur in der frühen Hamlet-Rezeption gehe ich in „Interpreting Hamlet: The Early German Reception“, in: Shakespeare’s Hamlet: Philosophical Perspectives, hg. v. Tzachi Zamir, Oxford 2018 i. E. näher ein. 34 Gleichermaßen kritisiert Schlegel Lessing, Mendelssohn und Nicolai in seinen späteren Bonner Vorlesungen zur deutschen Literatur für ihren Mangel an Universalität, welche er als notwendige Bedingung für wahre Kritik versteht. Siehe Lectures on German Literature, a. a. O., S. 24.
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Während diese Verbindung in seiner Definition des Dramas als Handlung und der Handlung ihrerseits als das Wesen des menschlichen Lebens explizit gemacht wird, wird sie in seinen Vorlesungen zu Shakespeare als moderner Dramatiker, der die Moderne als eine Vielfalt an Praktiken und Weltanschauungen verstand, verdeutlicht und exemplifiziert. Shakespeares Drama, gerade in seiner Modernität (in seiner Darstellung einer Vielfalt von Charakteren, Handlungen, Daseinsmöglichkeiten und Lebensformen), lädt den Kritiker und das Publikum ein, aus dieser genuin modernen Kunstform heraus, eine Form der Unabhängigkeit zu entwickeln, die in der griechischen Tragödie in die Kunstform selbst integriert war. Während Kant also die Unabhängigkeit eines ästhetischen Urteils als von der Interesselosigkeit in der Reflexion auf ästhetische Form abhängig ansah und Hegel den wissenschaftlichen Status der Ästhetik von der Möglichkeit eines geschlossenen (wenn auch historisch bedingten) Systems abhängig machte, versteht Schlegel, unter Betonung des Dramas, das Verhältnis von Kunst und Philosophie als historisch entwickelt und sich entwickelnd. Der Zweck seiner Vorlesungen ist also nicht bloß eine Erörterung des Wesens der romantischen Kunst und Kritik, sondern auch ein Beitrag (in Form einer Übung) zur Verbesserung des Verständnisses der zeitgenössischen Kunstszene. In seinem Essay zu Goethes Wilhelm Meister argumentiert Schlegel, dass Shakespeares Drama noch immer von Bedeutung ist und dass ein angemessenes Verständnis des zeitgenössischen Dramas ein angemessenes Verständnis von Shakespeare voraussetzt. Für ihn ist das zeitgenössische Drama jedoch in einer schlechten Verfassung. Dies geht, so Schlegel, aus einer Reihe von „ungünstigen Umständen“ (W VI, S. 400) hervor. Im 13. Jahrhundert hatte Deutschland eine eigene Tradition des Theaters, in Form der Kultur des Festes und des Jahrmarktes. Diese Tradition wurde mit dem Auftreten des Klassizismus schnell verdrängt. Dies ist für Schlegel eine unglückliche Entwicklung. Denn auch wenn die Ansätze des deutschen Dramas schwach waren, waren sie nicht falsch und, so fährt er wehmütig fort, „wenn man nur auf diesem Wege fortgeschritten wäre, so hätte sich etwas Eigenthümliches und Beßeres entwickeln müssen, als im siebzehnten Jahrhundert geschah“ (W VI, S. 402). In dieser Epoche war das Theater mit dem Gelehrten assoziiert und mündete schlussendlich in das vom Französischen inspirierte Theater in der Gottschedschen Art (W VI, S. 404). Nur Lessing, den Schlegel mit einem gemäßigten Enthusiasmus behandelt, bietet einen Hoff-
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nungsschimmer.35 Ein Werk wie Nathan der Weise, mit seinem „romantischen Anstrich“, weist die freie Form und ein Flair auf, das ihn Shakespeare sehr nahe bringt (W V, S. 410).36 Auf diese Weise bleibt Shakespeare ein Referenzpunkt für Schlegel. In diesem weit ausgelegten Shakespeareschen Feld situiert er dann auch Lessing und Goethe, zu dem er nicht nur eine geistige, sondern auch eine soziale Nähe zugibt. Goethe bringt, in Schlegels Worten, eine „neue poetische Lebensregung in die Zeit“ (W VI, S. 413). Obwohl Goethe, wie Lessing vor ihm, Voltaire ins Deutsche übersetzt (Schlegel versteht dies als einen Hinweis auf einen unabhängigen Geist), wird er dafür gelobt, die „auf deutschen Boden unersprießlichen Erscheinungen“ des klassizistischen französischen Dramas gebannt zu haben (W VI, S. 415). Inmitten einer misslichen Lage – einem „sowohl poetische[n] als auch sittliche[n] Verfall des Zeitgeschmacks“ und einem Repertorium, dass „in seinem armseligen Reichtum ein buntes allerlei dar[bietet], von Ritterstücken, Familien-Gemälden und rührenden Dramen“ (W VI, S. 427) – besteht also ein Hoffnungsschimmer für die Art von Kunst, die von Shakespeare angestoßen wurde, deren lebendige Weiterführung jedoch neue und zeitgemäßere Formen finden muss. Schlegels Urteil über das zeitgenössische Drama betrachtend, stellt sich die Frage, wie ein Schriftsteller wie Goethe als Shakespeareaner gelobt werden kann, ohne den Gefahren der Nachahmung zu verfallen, gegen die sich Schlegel von Beginn seiner Vorlesungen an stellt.37 Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn wir Schlegels konkrete Interpretation des englischen Dramas mit in Betracht ziehen. Wie wir bereits im ersten Teil dieses Beitrags gesehen haben, versteht Schlegel das englische Drama als ohne Nachahmung schöpfend; es erlaubt das Borgen und die dramatische Einübung, betont jedoch die Bildung einer Tradition ohne die Vergangenheit als 35 Interessanterweise versteht Schlegel Lessings Werk hier als eine Mischung französischer und englischer Impulse (W V, S. 408), eine Beschreibung der deutschen Kultur, die wir auch bei Herder und Kant finden. Seine Hoffnung für das moderne Drama legt Schlegel jedoch in die englische und spanische Kultur. 36 Obwohl Lessing in seiner Hamburger Dramaturgie eine positive Einstellung zu Shakespeare zeigt, wagte er es doch nicht, seine Werke in Hamburg zu inszenieren. Siehe Williams, Simon, Shakespeare on the German Stage, Bd. I: 15861914, Cambridge 1990, S. 10. 37 Schiller wird in Bezug auf Stücke wie Die Räuber, Kabale und Liebe und Fiesco als Imitator Shakespeares verstanden (W VI, S. 419).
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ein ästhetisches Ideal zu hypostatisieren. Es gibt keine Anleitung für die Kreativität. Es schaut auch nicht auf eine Antike zurück, deren Mythen und Weltanschauung lange vergangen sind. Ein Drama im Shakespeareschen Sinne erwächst aus einer Kultur der Moderne und bezieht sich auch auf diese; es liefert keinen einheitlichen Ausblick auf die Welt, sondern spielt mit einer Mannigfaltigkeit von Perspektiven. Schlegels Hoffnung für ein modernes Theater betreffen demnach nicht die Wiederaufnahme eines bestimmten Stoffes, sondern die Fähigkeit, eine Vielfalt von Standpunkten darzubieten und somit eine Kunstform zu schaffen, durch die sich das moderne (romantische) Publikum selbst verstehen kann. Die Einheit (Form) des Shakespeareschen Dramas ist nicht unmittelbar, es bedarf einer dynamischen Auseinandersetzung mit dem Kritiker: Sie wird nicht (notwendigerweise) explizit im Stück dargestellt – zum Beispiel durch einen unparteiischen Chor (wie wir ihn in der griechischen Tragödie finden) –, existiert aber für denjenigen Kritiker, der sich mit ihr auseinandersetzt und sie ausdrückt. Wir leben, wie Schlegel schreibt, in einem „gelehrten und kritischen, aber durchaus nicht dichterischem Zeitalter“ (W VI, S. 180). Kritisch muss jedoch nicht abstrakt heißen. Und es ist gerade die konkrete Universalität, die in Shakespeares Werk zum Ausdruck kommt, eine Universalität, die nicht als Prinzip gesetzt wird, sondern durch Charakter und Handlung exemplifiziert wird, die der romantische Kritiker erstreben soll. Die Moderne hat zwar die unmittelbare poetische Einheit der Antike verloren, kann jedoch eine neue, mittelbare Einheit erlangen – eine Einheit in der Vielfalt. Das moderne Drama kann (und darf) also nicht anleiten, sondern sollte uns stattdessen ein Feld menschlicher Daseinsmöglichkeiten darbieten. Dies sind Schlegels Hoffnungen für das junge, aber kränkelnde deutsche Theater und ein wichtiger Grund, weshalb das Theater als eine Kunstform noch immer von Bedeutung für uns – als Künstler, Kritiker und Philosophen – ist.
III. In seiner Darstellung sowohl der Geschichte der dramatischen Dichtung als auch ihrer Theorie (Philosophie) ist Schlegels Betrachtung von Shakespeare durchaus idealisierend. Während er Shakespeare als einen Dichter der Humanität liest, übergeht er andere Aspekte seines Werks vollkommen: Den latenten Antisemitismus in Der
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Kaufmann von Venedig, die rassistischen Überzeichnung physischer Merkmale (z. B. in Othello) sowie andere Teile des Werks, welche die Idee einer besonderen Verbindung zwischen dem Elisabethanischen Drama und der romantischen Kritik hätten in Frage stellen, oder gar unterminieren können. Der Wert der Vorlesungen liegt jedoch nicht in Schlegels Lesart eines bestimmten Stückes oder Korpus. Vielmehr liegt die Relevanz der Vorlesungen in erster Linie in seiner Methodologie, in seinem Versuch, die Kluft zwischen dem einzelnen Werk und der theoretischen Betrachtung zu überbrücken, und in seiner These, dass das moderne Theater, indem es eine neue Vielfalt an Charakteren, Stimmen und Handlungssträngen auf die Bühne bringt, zum Schlagen solcher Brücken einlädt, ja nötigt. Hier unterscheidet sich Schlegel sowohl von seinen Vorgängern, als auch von seinen philosophischen Anhängern. Wie bereits Herder und andere Figuren der späten Aufklärung und Frühromantik geht Schlegel über den Bereich der akademischen Philosophie hinaus und wendet sich der Übersetzung, der literarischen Interpretation und dem Anstoß interkultureller Dialoge zu. Dennoch versuchen die Vorlesungen von 1808, die im Kontext der dritten Kantischen Kritik entstehen, das Verhältnis zwischen Drama und Philosophie systematisch zu verstehen und im Bezug auf die Kunstform des Theaters die Bedingungen der Möglichkeit für ästhetische Reflexionen und Urteile zu bestimmen. In den Vorlesungen besteht Schlegel jedoch stets auf eine kunst- und werkorientierte Herangehensweise. Somit bereitet er auch den Weg für die theoretischen Betrachtungen, die wir später in Hegels Vorlesungen über die Ästhetik finden werden, wobei er, im Gegensatz zu Hegel, auf die fortlaufende Entwicklung, stetige Relevanz und den beständigen Wert von Literatur und Drama beharrt. Von einem Schlegelianischen Standpunkt aus gesehen, wäre es demnach unmöglich zu behaupten, wie Hegel es tut, dass die Ästhetik erst dann beginnen kann, wenn die Kunst als eine Reflexion des Absoluten aufgelöst ist. Die Vorlesungen beziehen eine Stellung zwischen aufklärerischer Kritik und dem idealistischen Bekenntnis zu einem ästhetischen System. Dies ist eine schwer haltbare Stellung und doch bietet Schlegel ein Beispiel, wie dies zu bewerkstelligen ist – und zeigt die philosophischen Tücken und Vorteile, die dem innewohnen. Indem er eine romantische Philosophie des Dramas entwickelt, indem er fragt, was romantische Dichtung ist und – ebenso brisant – wie Philosophen diese Frage am besten beantworten können, hofft
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Schlegel die Bedeutung sowohl des Dramas, als auch der Kunstphilosophie grundlegend zu verändern. Er möchte sich wegbewegen von einem Drama dessen Legitimität in seiner Verbindung mit einer lang vergangenen Antike begründet ist. Diese Aufgabe kann jedoch nur bewältigt werden, wenn die Philosophie des Theaters bereit ist, die eigenen methodologischen Voraussetzungen zu analysieren und sich auf konkrete Stücke, Charaktere und Aspekte zu beziehen. Für Schlegel besteht eine besondere Verbindung zwischen dem modernen Drama und der modernen Philosophie. Wie sein Bruder Friedrich bemerkte, kann das antike Drama erst in dem Augenblick theoretisiert werden, in dem es zu Ende ist. Das moderne Drama – komplex in Form und Aufbau – fordert hingegen die Reflexion als Bedingung seiner Existenz. Es bietet verschiedene Lebensformen, unterschiedliche Blickpunkte, vielfältige Arten und Weisen, Modernität auf die Bühne zu bringen. Laut Schlegel sollte der Kritiker in seiner Behandlung des modernen Dramas, das uns eine Auswahl an Daseinsmöglichkeiten und Modi der Handlung und des Selbstbewusstseins bietet, nicht fragen, welche dieser Möglichkeiten zu bevorzugen sind, sondern auf den Synkretismus, der aus ihrer Interaktion hervorgeht, eingehen. Dieses neue Drama, das Drama Shakespeares, erfordert also auch ein neues Publikum. Laut Schlegel ist es fraglich, ob dieses Publikum bereits besteht. Seine Vorlesungen zur dramatischen Dichtung versuchen jedoch ein Umfeld zu bilden, in dem sich ein solches Drama entwickeln und etablieren kann. Wenn uns der moderne Künstler „ein verjüngtes Bild des Lebens, einen Auszug des Beweglichen und Fortrückenden im Menschlichen Dasein“ (W V, S. 23) gibt, dann muss die moderne Kritik, insofern sie aus einer spekulativen Denkungsart erwachsen ist, erkennen, dass das moderne Drama als solches eine reflexive Dimension hat, dass diese Reflexion jedoch das Leben beachten und wiedergeben muss und durch konkrete Kunstwerke ausgedrückt wird. Dies soll nicht heißen, dass unter den modernen Künsten nur das Drama diese Verbindung zwischen Reflexion und Leben herstellen kann, sondern nur, dass das Drama, in dessen Mittelpunkt die Handlung steht, dies auf eine besonders interessante Art und Weise schafft. So kann das romantische Drama über die Philosophie zu sich finden und die Philosophie kann ihrerseits durch die kritische Interaktion mit dramatischen Kunstwerken fruchtbar gemacht werden. Übersetzt von Moritz Hellmich
François Thomas (Bonn)
Schleiermacher und seine Platon-Übersetzung Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass nur eine Übersetzung Platos wahrhaft fruchtbar gewesen ist. Und diese Übersetzung war gerade die von Schleiermacher, und sie war es gerade darum, weil er aus wohl überlegter Absicht, darauf verzichtete, schön zu übersetzen.1
Die berühmte, 1937 in Paris entstandene Abhandlung Elend und Glanz der Übersetzung des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset, die in Form einer transkribierten Diskussion zwischen Professoren des Collège de France verfasst ist, schließt mit einem Absatz, in dem einem „großen Sprachforscher“ das Wort erteilt wird. Ihm zufolge „muss man damit beginnen, dass man die Vorstellung von dem, was eine Übersetzung sein kann und sein soll, von Grund aus berichtigt“.2 Weit davon entfernt, ein „Duplikat des Originaltextes“ zu sein, was einen magischen, naturgemäß unmöglichen Vorgang darstellen würde, solle eine Übersetzung „nicht das Werk selbst, sondern ein Weg zu dem Werk“3 sein. Es ist die Arbeit des deutschen Philosophen Friedrich Schleiermacher, die dieser zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seiner Übersetzung von Platons Dialogen geleistet hat, die der Linguist Ortega y Gasset zum Beispiel dessen nimmt, was als die „Aufgabe des Übersetzers“ gelten soll. Schleiermacher versuche nicht, den griechischen Text zu modernisieren oder anzupassen. Er schrecke auch nicht davor zurück, „den Leser von seinen sprachlichen Gewohnheiten loszureißen und ihn zu zwingen, sich in die des Autors zu versetzen“.4 Seine Übersetzung sei dadurch fruchtbar, dass sie ein 1 Ortega y Gasset, José, Glanz und Elend der Übersetzung, übersetzt von H.-J. Störig, in: Das Problem des Übersetzens, hg. v. H.-J. Störig, Darmstadt 1969, S. 319. 2 Ebd., S. 316. 3 Ebd., S. 317. 4 Ebd., S. 316.
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„Hilfsmittel“ ist, das den Leser in das Werk und Denken Platons „eindringen lässt“.5 Aus theoretischer Perspektive, so fügt der Protagonist von Ortega y Gasset hinzu, sei „das Wesentliche von dem liebenswerten Theologen Schleiermacher in seinem Essay Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ gesagt worden; er fordere, nicht ohne Provokation, „eine Art von Übersetzung, die unschön ist, wie es die Wissenschaft immer ist, die keine literarische Anmut für sich in Anspruch nimmt, die nicht leicht zu lesen ist, die aber ganz klar ist“. 6 Diese Zeilen bezeugen die allgemeine Bekanntheit von Arbeit und Gedanken Friedrich Schleiermachers. Seine Übersetzung von Platon kann als ein Höhepunkt in der europäischen Geschichte der Übersetzung und der philosophischen Übersetzung allgemein betrachtet werden. Gleichermaßen ist seine 1813 in Berlin gehaltene Rede über die Kunst des Übersetzens7 im 20. Jahrhundert zu einem Standardwerk für die Betrachtung des Übersetzens geworden.8 Schleiermachers Übersetzung war bemerkenswert aus mindestens drei Gründen. Zunächst einmal bestand Schleiermachers Vorhaben darin, das Gesamtwerk von Platon zu einer Zeit zu übersetzen, als lediglich Übersetzungen einiger, vereinzelter Dialoge existierten. Auf diese Weise trug Schleiermacher entscheidend zur Entstehung einer deutschen Platon-Terminologie bei, und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem das Deutsche sich als Sprache der Philosophie endgültig vom Lateinischen emanzipiert hatte und die Ent 5 Ebd., S. 320. 6 Ebd., S. 319 f. 7 Schleiermacher, Friedrich, Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens (Methoden des Übersetzens), KGA I-11. 8 Siehe zum Beispiel Rosenzweig, Franz, „Die Schrift und Luther“, in: Die Schrift und ihre Verdeutschung, hg. v. Martin Buber, Franz Rosenzweig, Berlin 1936; Berman, Antoine, L’Épreuve de l’étranger, culture et traduction dans l’Allemagne romantique, Paris 1984; Venuti, Lawrence, The Translator’s Invisibility. A History of Translation, London/New York 1995; Pym, Anthony, Pour une éthique du traducteur, Arras/Ottawa 1997; Ricoeur, Paul, On Translation, translated by Eileen Brennan with an Introduction by Richard Kearney, London/New York 2006; Robinson, Douglas, Schleiermacher’s Icoses. Social Ecologies of the Different Methods of Translating, Bucharest 2013; Bernofsky, Suzan, „Schleiermacher’s Translation Theory and Varieties of Foreignization“, in: The Translator, Journal, Bd. III, London/New York 1997, S. 175-192; Dictionary of Untranslatables. A Philosophical Lexicon, hg. v. Barbara Cassin, Princeton 2014; Friedrich Schleiermacher and the Question of Translation, hg. v. Larisa Cercel, Adriana Serban, Berlin/New York 2015.
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wicklung der deutschen Sprache, in Literatur wie auch Philosophie, eine zunehmende Übersetzungspraxis notwendig machte.9 Darüber hinaus ist diese Übersetzung eines der ersten Beispiele für die Methode des historisch-philologischen Übersetzens, das sich seinerzeit in Deutschland entwickelte.10 Wie Ortega y Gasset betont, zeichne sich Schleiermachers Übersetzung durch ihre Präzision und ihr Bestreben aus, Platons Stimme im Deutschen des 19. Jahrhunderts hörbar zu machen, selbst wenn der Übersetzer gezwungen ist, manchmal die deutsche Sprache dafür zu „verbiegen“, um so nah wie möglich an der Syntax des griechischen Satzes zu bleiben. Die Radikalität von Schleiermachers Ansatz, die dafür sorgt, dass sich seine Übersetzung nicht wie eine schülerhafte Wort-fürWort-Übersetzung liest, hat sie berühmt gemacht, wenn sie auch geteilte Reaktionen hervorrief. So wurde sie einerseits seit dem Erscheinen der ersten Bände als Ereignis gefeiert11, andererseits aber wurde sogleich die Unlesbarkeit von Schleiermachers Text kritisiert, der „zu viel Griechisch mit deutscher Schrift“ präsentiere, und dessen Worttreue und „Syrupsperioden“, so der Hellenist F. A. Wolf, zu nichts weiter als einem unverständlichen „Kauderwelsch“12 führen. Schlussendlich war Schleiermachers Vorhaben einer Übersetzung untrennbar verbunden mit einer Interpretation von Platons Werk. Seine Analysen markierten ihrerseits einen Wendepunkt in der Rezeption Platons zu Beginn des 19. Jahrhunderts. 1804 verfasste Schleiermacher für den ersten Band seiner Übersetzung eine „allgemeine Einführung“, stellte jedem Dialog eine Einleitung voran und ergänzte den gesamten Text durch eine Vielzahl von Anmerkungen. 9 Siehe dazu KGA I-11, S. 92. Siehe Theorie der Übersetzung antiker Literatur in Deutschland seit 1800, hg. v. Josefine Kitzbichler, Katja Lubitz und Nina Mindt, Berlin/New-York 2009. 10 Siehe Jantzen, Jörg, „Schleiermachers Platon-Übersetzung und seine Anmerkungen dazu“, in: Schleiermacher, Über die Philosophie Platons: Geschichte der Philosophie; Vorlesungen über Sokrates und Platon, zwischen 1819 und 1823; Die Einleitungen zur Übersetzung des Platon, 1804-1828; hg. und eingeleitet von Peter M. Steiner, mit Beiträgen von Andreas Arndt und Jörg Jantzen, Hamburg 1996, S. XLV-LVIII. 11 Siehe Boeckh, August, „Kritik der Uebersetzung des Platons von Schleiermacher“ (1808), in: A. Boeckh, Gesammelte kleine Schriften, Bd. 7, hg. v. F. Ascherson, P. Eichholtz, Leipzig 1872. 12 F. A. Wolf, Brief, 6.1.1812. Zitiert in Patsch, Hermann, Alle Menschen sind Künstler: Friedrich Schleiermachers poetische Versuche, Berlin 1986, S. 69. Siehe auch Janzen, Jörg, in: Schleiermacher: Über die Philosophie Platons, a. a. O., S. LI, Fußnote 21.
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Was man den „Schleiermacherianismus“ nannte, beeinflusste die Lesart von Platon bis ins 20. Jahrhundert.13 Schleiermacher richtete die Aufmerksamkeit auf die philosophische Bedeutsamkeit von Schreibweise und Form von Platons Dialogen; er schlug eine Klassifizierung und Ordnung der Dialoge vor, die der Entfaltung von Platons Philosophie entsprechen sollten; und er verwarf die auf die Antike zurückgehende Hypothese, der zufolge es eine platonische mündliche Lehre gegeben hätte, die sich von jener in den Dialogen unterscheide und die Platon seinen Schülern vorbehalten hätte. Schleiermachers Platon-Übersetzung und -Interpretation entstanden zu einer Zeit, als sich die Philosophiegeschichte als wissenschaftliche Disziplin herausbildete und langsam als Unterricht an den Universitäten etablierte.14 Die Arbeit von Schleiermacher setzte sich dann als Standardwerk für platonische Studien durch: Seine Einleitungen zu den verschiedenen Dialogen wurden 1836 ins Englische übersetzt15, während in Frankreich Victor Cousin bei seinem Versuch, seinerseits Platon zu übersetzen, Schleiermachers Version sowie dessen Anmerkungen vor Augen hatte.16 In seiner Allgemeinen Geschichte der Philosophie betonte er: Die deutsche Übersetzung von Schleiermacher [...] ist ein Meisterwerk der Kritik, das ein neues Zeitalter für das historische und philosophische Verständnis Platons begründet hat. Leider führt die von ihm angewandte Methode der Worttreue, die damals in Deutschland in Mode war, trotz seines Talents dazu, dass diese im Original so charmanten Dialoge nur mäßig angenehm und leicht zu lesen sind.17 13 Siehe Steiner, Peter, „Zur Kontroverse um Schleiermachers Platon“, in: Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, a. a. O., S. XXIII-XLIV; Szlezak, Thomas, Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie, Berlin/New York 1985. 14 Dazu Geldsetzer, Lutz, Die Philosophie der Philosophiegeschichte im 19. Jahrhundert, Meisenheim am Glan 1968; Schneider, Ulrich Johannes, Die Vergangenheit des Geistes. Eine Archäologie der Philosophiegeschichte, Frankfurt a. M. 1990; Scholtz, Gunter, Ethik und Hermeneutik, 12. Kapitel: „Das Griechentum im Spätidealismus. Zur Philosophiegeschichtsschreibung in den Schulen Hegels und Schleiermachers“, Frankfurt a. M. 1995. 15 Schleiermacher’s Introduction to the Dialogues of Plato, übersetzt von William Dobson, Cambridge 1836. 16 Œuvres de Platon, übersetzt von Victor Cousin, Paris, 13 Bde., 1822-1841. 17 „La traduction allemande de Schleiermacher […] est un chef-d’œuvre de critique, duquel date une ère nouvelle pour l’intelligence historique et philosophique de Platon. Malheureusement, malgré le talent de l’auteur, le système de fidélité verbale qu’il a suivi, qui était alors à la mode en Allemagne, rend ces dialogues, si charmants dans l’original, d’une lecture médiocrement agréable et
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*** Im Rahmen dieses Aufsatzes möchte ich diese philosophische und übersetzungstheoretische Bedeutung von Schleiermachers Ansatz aufzeichnen. Es stellen sich zwei Fragen: a. Was rechtfertigte in Schleiermachers Augen ein derartiges Bemühen um Wörtlichkeit und Exaktheit? Die besondere Berücksichtigung der Form entspricht zwar einerseits dem Vorhaben, Platon als den „Philosophenkünstler“ par excellence zu lesen und zu interpretieren, doch das Ergebnis erscheint andererseits weit entfernt von der Eleganz und Kunstfertigkeit Platons. Genau hier liegt eine traditionelle Problematik der Betrachtung der Übersetzungskunst: Inwiefern sollte sich eine Übersetzung vornehmen, jene Wirkung zu reproduzieren, die der Originaltext hervorruft? Im Falle Platons überlagert sich damit jedoch auch die Frage, ob man „literarische“ und „philosophische Übersetzungen“ voneinander abgrenzen, ob man die Poesie oder das Konzept bevorzugen sollte. Für Schleiermacher ist Platons Schreibweise keine rein literarische Verzierung, sondern hat eine genuin philosophische Bedeutung: Sie erfüllt vor allem die Funktion, „die Seele des Lesers zur eignen Ideenerzeugung zu nötigen“18, und genau diese philosophische Wirkung des Textes versucht Schleiermacher im Deutschen wiederzugeben. b. Und ist es nicht doch so, dass es eine Spannung gibt zwischen Schleiermachers Absicht, Platon philosophisch zu lesen, und dem historisierenden Ansatz, der seine Arbeit als Philosophiehistoriker und Übersetzer auszeichnet? In seinen Vorlesungen zur Philosophiegeschichte betonte Schleiermacher den Abstand, der uns von der Antike trennt und der sie für uns zu einer fremden Welt macht19; zugleich erinnerte er den Leser der Übersetzung daran, „immer gegenwärtig zu behalten, dass [Platon] in einer anderen Welt gelebt und einer anderen Sprache geschrieben hat“.20 Aber besteht in einer
facile.“ Cousin, Victor, Histoire générale de la philosophie depuis les temps les plus anciens jusqu’à la fin du XVIIIe siècle [1863], Nouvelle édition, Paris 1864, S. 138. 18 Schleiermacher, „Einleitung zur Übersetzung des Platon“, in: Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, a. a. O., S. 60 (A 41). 19 Schleiermacher, Sämmtliche Werke, Dritte Abtheilung, Bd. 4-1: Geschichte der Philosophie, hg. v. H. Ritter, Berlin 1839, S. 16. 20 Schleiermacher, Methoden des Übersetzens, KGA I-11, S. 90.
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solchen Übersetzung, die sich der Modernisierung und Aktualisierung des Textes verweigert, nicht das Risiko, Platons Denken zu einem Denken der Vergangenheit zu machen, dessen Wahrheitsanspruch weder aktualisiert noch diskutiert werden kann?21 In einer 1871 in Basel gehaltenen Einführungsvorlesung zu Platon zitiert Friedrich Nietzsche Schleiermachers Übersetzung als die bis dato beste, prangert aber dabei ihr „geschwollenes verhängnißvolles Deutsch“ an, „an dem man sich seinen Stil, ja selbst seinen Sinn für den platonischen Stil verderben kann“.22 Schleiermachers Platon wäre letztlich weder ein Philosoph noch ein Dichter, sondern nur ein für Studenten und Gelehrte angepasster Platon und seine Übersetzung nichts weiter als eine von diesem „antiquarischen Spürgeiste“23 geprägte Arbeit, der Nietzsche zufolge für deutsche Übersetzungen des 19. Jahrhunderts charakteristisch ist. Um diese Punkte näher zu untersuchen und zu zeigen, inwiefern es weiterhin möglich ist, Schleiermachers Übersetzung als „fruchtbar“ anzusehen, werden wir zunächst auf den Kontext ihrer Entstehung zu sprechen kommen, um anschließend in aller Kürze den Ansatz selbst vorzustellen; schließlich sollen einige Worte zu den Prinzipien gesagt werden, die Schleiermachers Ansatz zugrunde liegen und ihn dazu veranlassen, aus der Übersetzung eine philosophische Praxis an sich zu machen.
21 Siehe die Kritik von Hans-Georg Gadamer: „Der Text, der historisch verstanden wird, wird aus dem Anspruch, Wahres zu sagen, förmlich herausgedrängt. […] Solche Anerkennung der Andersheit des anderen, die dieselbe zum Gegenstande objektiver Erkenntnis macht, ist insofern eine grundsätzliche Suspension seines Anspruchs (Wahres zu sagen).“ Wahrheit und Methode (1960), II, 1 Geschichtlichkeit des Verstehens, in: H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke, Bd. I, Tübingen 1999, S. 308 f. 22 Nietzsche, Friedrich, Einleitung in das Studium der platonischen Dialoge (§ 1. Die neuere Platonische Literatur), in: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Colli und Montinari, II, 4, Vorlesungsaufzeichnungen (WS 1871-72, WS 1874-75), Berlin 1995, S. 10. 23 Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (2. Auflage 1887), § 83: „Uebersetzungen“. Digitale Kritische Gesamtausgabe – Digitale Fassung der von G. Colli und M. Montinari herausgegebenen Referenzausgabe der sämtlichen Werke Nietzsches: http://www.nietzschesource.org/
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I. Rückkehr zu Platon 1) Vom Platonismus zu Platons Philosophie Schleiermacher ist nicht der Erste, der Platon ins Deutsche übersetzt hat. Im 18. Jahrhundert sind mehrere Übersetzungen erschienen, auf Deutsch oder Latein. Dies entsprach dem wachsenden Interesse am Werk und Denken Platons.24 Die dialogische Form kam als Genre in Mode und es erschienen zahlreiche Imitationen der Dialoge Platons.25 Die Figur des Sokrates wurde im Zusammenhang der Aufklärung ebenfalls zu einer bedeutenden Bezugsgröße.26 Zugleich nahm ab den 1770er Jahren die Arbeit an neuen Editionen der Dialoge zu. Einen Wendepunkt bildete die Veröffentlichung der sogenannten Zweibrücker Ausgabe zwischen 1781 und 1787, welche die erste vollständige Ausgabe der Dialoge seit 1602 darstellte und das Feld für eine philologische und kritische Herangehensweise an Platon bereitete.27 Dennoch wurde das Denken Platons weiterhin meist mit dem Platonismus verwechselt, der als Synonym für Synkretismus und eine verworrene Mischung von Neuplatonismus und der Lehre der Kirchenväter stand.28 Daher rührte auch die Absicht, zu den Texten zurückzukehren, sie herauszugeben und auf historischer und philologischer Grundlage zu übersetzen, um so die Philosophie Platons von all jenen Interpretationen zu befreien, die sie seit der Antike überdeckt haben.
24 Vgl. Wundt, Max, „Die Wiederentdeckung Platons im 18. Jahrhundert“, in: Blätter für deutsche Philosophie 15, Berlin 1941, S. 149-158. Siehe dazu auch VieillardBaron, Jean-Louis, Platon et l’idéalisme allemand, 1770-1830, Paris 1979; Asmuth, Christoph, Interpretation-Transformation. Das Platon-Bild bei Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher und Schopenhauer und das Legitimationsproblem der Philosophiegeschichte, Göttingen 2006. 25 Siehe Hirzel, Rudolf, Der Dialog: ein literarhistorischer Versuch [1895], Hildesheim 1963, S. 418-438. 26 Zum Beispiel: Mendelssohn, Moses, Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, Berlin-Stettin 1767; Eberhardt, Johann August, Neue Apologie des Sokrates, Berlin-Stettin 1776. 27 Platon, Opera [gr./lat.], hg. v. Societas Bipontina, 12 Bde., Zweibrücken 17811787. 28 Siehe dazu Jantzen, Jörg, „Schleiermachers Platon-Übersetzung“, in: Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, a. a. O., S. XLVII-L.
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Zu Beginn des Jahrhunderts hatte Leibniz bereits betont, Platon verdiene es „systematisiert zu werden“29; doch die Idee, dass Platon eine echte, kohärente Lehre haben könnte, brauchte Zeit, um sich durchzusetzen. Die meisten deutschen und europäischen Philosophen des 18. Jahrhunderts kannten das Denken Platons lediglich durch das Kapitel, das ihm der Historiker Jacob Brucker in seiner monumentalen, zwischen 1742 und 1746 erschienenen Historia critica philosophiae gewidmet hatte.30 Dennoch bleibe Platon, laut Brucker, ein grundlegend seltsamer, irrationaler Denker, selbst wenn man all jene Interpretationen beiseite ließe, die Platons Lehre verschleierten.31 Die strenge Kritik, die Kant (hinsichtlich der Auslegung der Politeia von Platon) 1781 in der Kritik der reinen Vernunft an Brucker richtete32, bildete einen Wendepunkt in der Sichtweise auf Platons Philosophie. In einem Schlüsselabschnitt seiner ersten Kritik, zu Beginn der „transzendentalen Dialektik“, bezieht sich Kant auf Platon und stellt seinen eigenen Ansatz als Wiederaufgreifen und Vertiefung der Gedankenwelt Platons dar. Kant entlehnt aus Platon nämlich das Konzept der Idee, um seine eigene Konzeption der Vernunftideen vorzustellen.33 Das am Ende seiner Kritik vorgetragene Projekt einer „Geschichte der reinen Vernunft“34 gilt zugleich als Forschungsprogramm zu einem Zeitpunkt, als die Philosophiegeschichte zu einer eigenständigen Disziplin wird und dabei ihr Verhältnis zur systematischen Philosophie zu bestimmen versucht. Ein Werk sollte die platonischen Studien grundlegend verändern und es war gerade ein kantianischer Historiker, der es verfasste. 1792 veröffentlichte Wilhelm Gottlieb Tennemann den ersten Teil seines Systems der Platonischen Philosophie, dessen Titel allein den weiten
29 Leibniz, Brief an Remond, 10.1.1704, in: Leibniz, G. W., Philosophische Schriften, hg. v. Gerhardt, GP III, Berlin 1887, S. 605: Platon „mériterait d’être mis en système“. 30 Brucker, Jacob, Historia critica philosophiae, Leipzig 1742-1746. 31 Laks, André, „Eclairer l’obscurité. Brucker et le syncrétisme platonicien“, in: Argumenta in dialogos Platonis. Teil 1: Platoninterpretation und ihre Hermeneutik von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, hg. v. Ada Neschke und Theo Kobusch, Basel 2010, S. 352-369. 32 Kant, KrV, A 316/B 372. 33 Ebd., A 312/B 319. 34 Ebd., Transzendentale Methodenlehre, 4. Hauptstück: Die Geschichte der reinen Vernunft (A 852/B 880).
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Weg begreifbar macht, der seit Brucker zurückgelegt worden war.35 Denn Tennemann betont gegenüber Brucker die Geschlossenheit von Platons Philosophie. Er schlägt eine chronologische Ordnung der Dialoge vor, doch erscheint ihm diese als unerheblich für das Denken Platons, das er dann nicht chronologisch, sondern in verschiedenen Kapiteln vorstellt: Erkenntnistheorie, Logik, Metaphysik, Ethik, Politik, Pädagogik. So sei es Tennemann zufolge möglich, Platons Philosophie auf systematische Weise darzustellen; jedoch gelte es zunächst, sie zu rekonstruieren und sie von der literarischen Form zu befreien, in der der Philosoph sie überliefert hat. Tatsächlich bildet diese für Tennemann ein echtes Hindernis für das Verständnis von Platons Denken, genau wie die zahlreichen in den Dialogen enthaltenen Mythen, die keine andere Funktion erfüllten, als das Lesen zu erleichtern und den Leser zu unterhalten. All dies, so Tennemann, stehe im Einklang mit der These einer mündlichen Lehre Platons, die er in seinen Dialogen nicht als solche abgegeben hätte. – Schlussendlich förderte diese Rekonstruktion zutage, dass die Philosophie Platons kein vollkommenes System darstellt, das auf alle Fragen antwortet, die es aufwirft. Zusammenfassend können im Hinblick auf Platon zu der Zeit als Schleiermacher die Übersetzung plant also folgende unterschiedliche Positionen attestiert werden: zwischen einerseits der Weigerung, Platon eine kohärente Lehre zuzuschreiben, und anderseits der rationalen Rekonstruktion seiner Philosophie, die unter Missachtung ihrer Form und Schreibweise erfolgte. Doch um besser zu verstehen, warum es aus philosophischer Sicht notwendig war, sich auf Platon zu besinnen, müssen wir kurz zu Kant zurückkehren. 2) „In dem dermaligen Zustand der Philosophie den Platon recht geltend machen“ Schleiermachers Interesse für Platon ist nicht nur das Interesse eines Historikers. Selbst wenn sein Ansatz die ganze Strenge der Geschichtswissenschaft und Philologie seiner Zeit erforderte, ist die Bedeutung, die er Platon zugesteht, zunächst philosophischer Natur.
35 Tennemann, W. G., System der platonischen Philosophie, Leipzig/Jena 1792-1795. Siehe Vieillard-Baron, J.-L., Platon et l’idéalisme allemand, a. a. O., Kapitel: „La philosophie platonicienne de Tennemann“.
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Kants Denken hatte den spekulativen Hunger junger Philosophen ungestillt gelassen. Die Kritik der reinen Vernunft wird mit der Feststellung eröffnet: „Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.“36 Für Kant findet sich tatsächlich ein Streben zum Absoluten im Kern der Vernunft, doch die gesamte Kritik hat ja gerade das Ziel zu zeigen, dass uns die Kenntnis dieses Absoluten nicht möglich ist. Wir können, so schreibt er, nur das kennen, was sinnlich und raum-zeitlich erfahrbar ist. Ideen wie Gott, die Welt oder die Unsterblichkeit der Seele übersteigen jegliche mögliche Erfahrung. Wir können sie denken, aber nicht kennen. Diese Objekte sind es, die Kant Vernunftideen nennt und damit einen Begriff von Platon übernimmt. Dieses Nachdenken über das Absolute, über dieses der Vernunft innewohnende Streben nach Unbedingtheit, ist von den nachkantischen Philosophen übernommen worden, doch wollten sich diese Autoren nicht so einfach mit Kants Verzicht auf die Kenntnis des Absoluten abfinden.37 Denker wie Fichte und später Hegel versuchten entsprechend, Kants Lösung zu überwinden und ein absolutes System des Wissens zu begründen. Dieser Versuch, ein erstes und absolutes Fundament allen Wissens zu bestimmen, wurde aber wiederum von den Denkern der sogenannten „Frühromantik“ kritisiert, namentlich im Kreis um Friedrich Schlegel. Diese blieben in einem gewissen Sinne Kant treu, mochten aber dennoch nicht die Idee aufgeben, dass eine gewisse Kenntnis des Absoluten möglich sei, auch wenn sich dieses allen Worten entziehe und nicht direkt ausdrücken lasse.38 So verband sich darin einerseits das Nachdenken über das 36 Kant, KrV, Vorrede zur ersten Auflage (A VII). 37 Siehe Berner, Christian, „Le langage de la philosophie. Dialogue et communicabilité chez Friedrich Schlegel et Friedrich Schleiermacher“, in: Revue philosophique de Louvain 112, Nr. 2 (Mai 2014), S. 269-288. 38 Vgl. Schlegel: „Das Höchste kann man eben weil es unaussprechlich ist, nur allegorisch sagen“, KFSA II, S. 324. „Weil aber alle Erkenntnis des Unendlichen wie ihr Gegenstand immer unendlich und unergründlich, also nur indirekt sein kann, wird sinnbildliche Darstellung nötig, um das, was nicht im ganzen erkannt werden kann, doch teilweise erkennen zu können.“ Schlegel, Friedrich, Geschichte der europäischen Literatur (1803/1804), KFSA XI, S. 9.
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Streben der Philosophie zum Ideal, mit anderseits der Betrachtung dessen, wie diese Philosophie aufzuschreiben und zu kommunizieren sei: Welcher Form der Verschriftlichung müsste man sich bedienen, um sich Zugang zum Absoluten zu verschaffen, ohne dabei in die Illusionen einer direkten Erfahrung desselben zurück zu verfallen, die Kant ja bereits in Abrede gestellt hatte? In diesem Kontext also ergründeten die Denker der Romantik Formen wie Ironie, Fragment, Allegorie, Dialog und all jene Arten zu Schreiben, die den Gedanken „in Bewegung halten“ und nicht „erstarren lassen“. Ebenfalls in diesem Kontext entwickelt sich Friedrich Schlegels Interesse für Platon und die kunstvolle Form seiner Philosophie. Schlegel meinte in Platons Gesprächen ein Denken zu finden, das sich entfalte und entwickele, ohne sich dabei weder zu vollenden noch in einem System einzuschließen.39 „Er ist nie mit seinem Denken fertig geworden“40 bemerkt Schlegel. Entgegen der allmächtigen Philosophie Kants und deren Unvermögen zur höchsten Spekulation41 und entgegen der Suche nach dem Grundsatz, die man bei Fichte findet, sieht Schlegel bei Platon gleichermaßen den Anspruch auf das Ideal und das Absolute, den die Vernunft in sich trägt, und die Ablehnung von einem unbedingten Anfangspunkt des Wissens. In Platons Dialogen wird in der Tat das Wissen aus einer Vielzahl individueller Perspektiven heraus entwickelt. Jeder muss sein eigenes Wissen dem des Anderen gegenüberstellen, um sich gemeinsam zur Kenntnis zu erheben: das Gespräch ist der Ort dessen, was Schlegel das „gemeinschaftliche Selbstdenken“ nannte.42 Mit diesem Enthusiasmus steckte Schlegel seinen Freund und Berliner Mitbewohner Schleiermacher an. „Es muß schon Ao. 1798 gewesen sein“, sollte Schleiermacher später an August Boeckh schreiben, „als Fr. Schlegel in unsern philosophierenden Unterhaltungen, in denen Platon nicht selten vorkam, zuerst ganz flüchtig, den Gedanken äußerte, daß es notwendig wäre, in dem dermaligen
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„Platon hatte nur eine Philosophie, aber kein System“, KFSA XI, S. 119. KFSA XII, S. 209. KFSA XI, S. 103 f. KFSA XI, S. 119 (vgl. KFSA XII, S. 210). Siehe Jantzen, Jörg, „Schleiermachers Platon-Übersetzung“, in: Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, a. a. O., S. XLV-XLVI.
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Zustand der Philosophie den Platon recht geltend zu machen, und ihn deshalb vollständig zu übersetzen.“43 Platon erscheint wie ein Gegengift zu den Verwirrungen des Kritizismus und des im Entstehen begriffenen Idealismus. Im Vergleich zur Unlesbarkeit und konzeptuellen Kälte von Kants Schriften stellt die Poesie in Platons Philosophie für Schlegel, anders als für Tennemann, nicht etwa ein überflüssiges Element, sondern den Ausdruck ihrer ganzen Überlegenheit dar, nämlich indem sie sich der Trennung des Wahren vom Schönen und Guten verweigert.44 3) Philosophie und Philosophiegeschichte Schleiermacher übernimmt von Schlegel das ästhetische Interesse für Form und Schreibweise bei Platon, aber er interessiert sich noch mehr als jener für das System seiner Philosophie. Demzufolge sei dieser gar der erste Systemphilosoph, da für ihn alle Teile der Philosophie eng miteinander vernetzt seien.45 Auch Schleiermacher wird durch seine Unzufriedenheit mit dem Denken Kants zurück zu Platon sowie zur antiken Philosophie überhaupt getrieben; bei Platon, insbesondere in dessen Reflexionen über das Sein, wie sie im Sophisten überliefert sind, findet er die Möglichkeit, die Schwierigkeiten des Kritizismus zu überwinden.46 43 Schleiermacher an Boeckh, 18.6.1808, in: Dilthey, Wilhelm, Leben Schleiermachers, Bd. 1, 2, Göttingen 1970, S. 70. 44 Zu Schlegel und Platon siehe Korngiebel, Johannes, „Friedrich Schlegel’s Sceptical Interpretation of Plato“, in: Hegel and Scepticism, hg. v. Jannis Kozatsas, Georges Faraklas, Stella Synegianni und Klaus Vieweg, Berlin/Boston 2017, S. 165-183. 45 „Er hat nun zuerst sokratisch alles zusammengebracht und ist als erster systematischer Philosoph anzusehen. […] Nichts ganz abgesondert für sich allein. Physik geht im ‚Timaïos‘ in Ethik aus, Ethik geht überall auf Physik zurück. Beide stützen sich auf die Dialektik welche wiederum nirgend anders vorhanden ist als in Verbindung mit einem von beiden realen Zwecken. Besonders hellenisch das Nichtloslassen der Poesie vermittelst des mythischen.“ Schleiermacher, Geschichte der Philosophie, Erste Vollendung der sokratischen Philosophie durch Platon. I. Platon selbst, in: Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, a. a. O., S. 8 (98). 46 Siehe Scholtz, Gunter, „Platonforschung und hermeneutische Reflexion bei Schleiermacher“, in: Argumenta in dialogos Platonis. Teil 2: Platoninterpretation und ihre Hermeneutik vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, hg. v. M. Erler und A. Neschke-Hentschke, Basel 2012, S. 81-101; ders., „Schleiermacher und die Platonische Ideenlehre“, in: Internationaler Schleiermacher-Kongreß 1984, hg. v. K.-V. Selge, Berlin/New York 1985, S. 849-871; Neschke, Ada, „Platonisme et tournant
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Mit Schlegel teilt Schleiermacher auch eine gewisse Skepsis hinsichtlich des neuen spekulativen Idealismus von Fichte und Hegel sowie deren Anspruch, ein abgeschlossenes System und eine sichere Erkenntnis des Absoluten zu entwickeln. Für Schleiermacher muss sich jede Philosophie anderen Systemen aussetzen, um sich ohne das Risiko eines isolierenden Unilateralismus entwickeln zu können und jenen Dogmatismus zu vermeiden, der immer dort lauert, wo ein Denken mit den anderen nicht mehr im Gespräch ist. Das Verständnis der anderen Philosophien ist für Schleiermacher also ein essentieller Schritt; doch ein echter Dialog bedeutet, wirklich zu verstehen, was der andere sagt und sagen möchte, impliziert also, nicht von vornherein Kategorien oder Fragestellungen auf ein fremdes Denken zu projizieren, die nicht die seinen sind. Dies veranlasst Schleiermacher dazu, seine Hermeneutik zu entwickeln (als die „Kunst fremde Reden zu verstehen“47) und der Ausübung der Philosophiegeschichte die ihr zustehende Bedeutung einzuräumen. Er versteht diese als den Versuch, das Denken eines Autors in all seiner Originalität wiederherzustellen und dabei die größtmögliche Objektivität anzustreben. Von da an unterscheidet Schleiermacher klar zwischen der Arbeit eines Philosophiehistorikers und der philosophischen und systematischen Reflexion. Unter dieser Bedingung kann die Philosophiegeschichte dem Philosophen von Nutzen sein, der ja selbst diesen historischen Umweg und das Studium anderer Philosophien braucht. Am Anfang seiner Vorlesung über die Philosophiegeschichte betont Schleiermacher, es sei insoweit von Vorteil, mit der antiken Philosophie zu beginnen, als diese gegenüber unserer Denkweise ein „fremdes Ganzes“ bilde und es so möglich sei, sich ihr mit dem gebotenen Abstand zu nähern. Im Gegenzug aber entfremde ein solches Studium uns wiederum vom modernen Denken.48 Es ist diese Doppelgeste, die wir in der PlatonÜbersetzung wiederfinden: Einerseits die Distanz hörbar zu maherméneutique au début du xixe siècle en Allemagne“, in: La Naissance du paradigme herméneutique, hg. v. A. Laks und A. Neschke, Villeneuve d’Ascq 2008, S. 109-131. 47 Siehe Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, hg. v. Manfred Frank, Frankfurt a. M. 1977, Einleitung, „Die Kunst, die Rede eines andern richtig zu verstehen“ (S. 75) und „Über den Begriff der Hermeneutik mit Bezug auf F. A. Wolfs Andeutungen und Asts Lehrbuch“, August 1829 (S. 309). 48 Schleiermacher, Sämmtliche Werke, Geschichte der Philosophie, 1839, a. a. O., S. 16.
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chen, die uns von Platons Denken trennt, was andererseits den Effekt hat, der Sprache der Übersetzung und ihren Strukturen einen Charakter von Fremdheit zu verleihen. 1802 rezensiert Schleiermacher eine von dem Philologen Friedrich Ast über Platons Phaidros verfasste Untersuchung, dem er „gänzlichen Mangel historischer Untersuchungen“49 und eine Lesart vorwirft, die so tue, als handele es sich bei Platon um einen deutschen idealistischen Philosophen. „Eine Hauptsache beim Interpretieren“, so stellt Schleiermacher fest, „ist daß man im Stande sein muß aus seiner eigner Gesinnung herauszugehen in die des Schriftstellers.“50 Ast hingegen habe auf Platons Text seinen „Wunsch [projiziert], seinen Schriftsteller idealistisch zu finden“51, was ihn manchmal aber dazu verführt habe, „den Platon zu mißverstehen, und ganz falsch zu interpretieren“.52 Nichtsdestoweniger erkennt Schleiermacher völlig die Legitimität einer aktualisierenden Lesart eines Philosophen der Vergangenheit an und vergleicht diese mit einer Art von „philosophischer Übersetzung“53 seines Denkens: „Es ist in vieler Hinsicht die beste Art über einen alten Weisen an die Zeitgenossen zu berichten, wenn man ihnen sein Verhältniß zu der ihnen eigenthümlichen oder geläufigen philosophischen Denkart und Ansicht anzugeben weiß“.54 Doch wie jedwede Übersetzung müsse auch diese „mit der ihr gehörigen Tiefe und Gründlichkeit gemacht sein, und muß Übersetzung bleiben, ohne dass ein fremder Sinn in die übersetzten Stellen hineingetragen werde.“55 Für Schleiermacher ist also geboten, sowohl den Anspruch auf historische Gründlichkeit als auch den philosophischen Anspruch aufrecht zu erhalten, wobei bei letzterem nicht nur danach gefragt wird, was ein Autor gedacht hat, sondern ob seine Argumente in sich selbst gültig und auf zeitgenössische Debatten übertragbar sind. Diese Spannung zwischen historischen und philosophischen Pers 49 Schleiermacher, „Rezension von Friedrich Ast: De Platonis Phaedro“, KGA I-3, Schriften aus der Berliner Zeit, 1800-1802, hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1988, S. 473. 50 Schleiermacher, „Zur Hermeneutik. 1805 und 1809/10“, KGA II-4, Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik, hg. v. Wolfgang Virmond, 2012 , S. 7. 51 Schleiermacher, „Rezension von Friedrich Ast“, KGA I-3, S. 474. 52 Ebd. 53 Ebd. 54 Ebd. 55 Ebd.
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pektiven lässt sich auch in Schleiermachers Platon-Übersetzung und in seinen Überlegungen über die Methoden des Übersetzens finden. Derart gestalteten sich also der Kontext und die unterschiedlichen philosophischen Aspekte dieser Rückkehr zu Platon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Von hier aus wird das Vorhaben von Schleiermachers Übersetzung klarer, sodass wir nun dessen Grundzüge darstellen können.
II. Herausforderungen einer Platon-Gesamtübersetzung Schlegel schrieb mir kurz vor meinem letzten Berlin[aufenthalt] von einem großen Coup den er noch vorhätte mit mir und das ist denn nichts geringeres als den Plato übersetzen. Ach! es ist eine göttliche Idee, und ich glaube wohl daß es wenige so gut können werden als wir.56
So stellte Schleiermacher die Idee vor, die ihm Schlegel im April 1799 mitgeteilt hatte. Ein Vertrag wurde mit einem Verleger 1800 aufgesetzt, doch Schlegel gibt das Projekt bald auf. Schleiermacher entscheidet daraufhin, sich alleine der Übersetzung zu widmen, an der er schließlich mehr als 25 Jahre arbeiten wird. Der erste Band erscheint 1804, drei weitere folgen 1805, 1807 und 1809, der letzte 1828. Die Übersetzung trägt den Titel Platons Werke von F. Schleiermacher. Mit diesem Titel stellt Schleiermacher seine Arbeit in die Kontinuität der 1793 erschienenen Homer-Übersetzung von Johann Heinrich Voss.57 Diese hatte durch Voss’ Entscheidung, streng der Konstruktion der Homerischen Verse zu folgen, die griechische Satzordnung zu reproduzieren sowie den Rhythmus, die Akzente, die Silbenlänge und die Wortbildung, einen Wendepunkt im Verständnis und in der Praxis von Übersetzungen in Deutschland markiert. Voss lieferte einen „deutschen Homer“ just in dem Moment, als der junge August Wilhelm Schlegel seine Shakespeare-Übersetzung un 56 Schleiermacher an Henriette Herz, 29.4.1799, KGA V-3, Briefwechsel 1799-1800, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 1992, S. 101. 57 Siehe Homers Werke von Johann Heinrich Voss, Altona 1793. Siehe auch den Brief von Schleiermacher an seinen Verleger G. A. Reimer (7.1.1804): „In Hinsicht des Titels denke ich ist möglichste Kürze das Beste, und deshalb habe ich auch nach dem Beispiel Voß des Aelteren sogar das Verdeutscht weggelassen“, zitiert in Schleiermacher, KGA IV-3, S. 5.
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ternahm, deren erster Band 1799 erschien – in demselben Jahr, wie der erste Band von Ludwig Tiecks Don Quichotte-Übersetzung. In diesem Kontext von „Übersetzungen in Masse“ großer Literatur58 fand also die Platon-Übersetzung statt. Dem ersten Band gehen ein kurzes Vorwort und eine Einleitung voran. Fußnoten liefern Erläuterungen zur Zusammenstellung des Textes, Übersetzungsentscheidungen, zum Wortsinn, aber auch Erklärungen historischer und philosophischer Natur, über die Interpretation gewisser Ausdrücke und bestimmter Abschnitte. Ziel ist es, dem Leser all jenes an die Hand zu geben, was nötig ist, „zur Vorbereitung auf das Lesen der Platonischen Schriften, um nicht im Finstern zu tappen, und den richtigen Gesichtspunkt zu ihrem Verständnis und ihrer Schätzung gleich von vornherein gänzlich zu verfehlen.“59 Ohne den Text zu aktualisieren, sollen dem Leser die nötigen Elemente zur Verfügung gestellt werden, um sich selbst Zugang zu Platons Denken zu verschaffen und sich im Platonischen Universum frei bewegen zu können. Dementsprechend liefert Schleiermacher in der allgemeinen Einleitung auch keine Interpretation des philosophischen Gehalts: Von der Philosophie des Platon selbst soll aber absichtlich, wäre es auch noch so leicht und mit wenigem abgetan, hier vorläufig nichts gesagt werden, indem der ganze Endzweck dieser neuen Darlegung seiner Werke dahin geht, durch die unmittelbare genauere Kenntnis derselben allein jedem eine eigne, sei es nun ganz neue oder wenigstens vollständigere, Ansicht von des Mannes Geist und Lehre möglich zu machen. Welchem Endzweck ja nichts so sehr entgegenarbeiten würde, als ein Bestreben, dem Leser schon im Voraus irgend eine Vorstellung einzuflößen.60
In seiner Rede über die Methoden des Übersetzens unterscheidet Schleiermacher klar zwischen der Übersetzung und der Imitation einerseits (so wie die Imitationen von Platons Dialogen, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts erscheinen) sowie dem Kommentar andererseits (wie der von F. Wolf zum Phaidros). Die Aufgabe des Übersetzers geht der des Kommentators und des Philosophen voran. Nichtsdestotrotz fußt Schleiermachers Platon-Übersetzung auf star 58 Siehe Schleiermacher, Methoden des Übersetzens, KGA I-11, S. 92. 59 Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, a. a. O., „Einleitung“, S. 27 (A 5). 60 Ebd., S. 28 (A 5).
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ken interpretatorischen Entscheidungen und beinhaltet bereits – ganz gleich, was Schleiermacher behaupten mag – eine implizite Lesart von Platon. Die drei übergeordneten Prinzipien seiner Übersetzung sind die folgenden: alles übersetzen; übersetzen und dabei von der Idee ausgehen, dass Platon ein „philosophischer Künstler“ ist61; übersetzen unter Zuhilfenahme einer gewichtigen philologischen Arbeit. 1) Den ganzen Platon übersetzen: Die Gesamtheit aller Dialoge übersetzen Es geht hierbei darum, eine neue Lesart von Platon zu ermöglichen. Für Schleiermacher erwachsen viele Interpretationsfehler aus der Tatsache, dass man die Dialoge getrennt betrachtet, ohne die Verbindungen zu berücksichtigen, die es zwischen ihnen gibt. Hier kommt das Prinzip des „hermeneutischen Zirkels“ zur Anwendung, demzufolge der Teil sich nur durch das Ganze verstehen lässt und das Ganze nur durch seine Teile. Schleiermachers Vorhaben besteht nicht nur darin, Zugang zum ganzen Platon zu schaffen, sondern auch die Dialoge in einer bestimmten Reihenfolge darzubieten. Aus seiner Sicht gibt es in der Tat gleichermaßen eine chronologische wie eine philosophische Abfolge der Dialoge, die es erlaubt, zwischen den Dialogen der Jugend und den Dialogen der Reife zu unterscheiden. Die erste Aufgabe des interpretierenden Übersetzers besteht also darin, den „natürliche[n] Zusammenhang“62 zwischen den Texten wiederherzustellen, was auch ermöglicht, die authentischen Dialoge von denen zu unterscheiden, die nicht unmittelbar von Platon stammen. Kraft dieser Konzeption verwirft Schleiermacher die Interpretationen, die davon ausgehen, dass Platon keine echte Philosophie habe oder dass sein Denken inkohärent sei und kein System bilde (wie z. B. Brucker); aber er bezieht auch Stellung hinsichtlich der Diskussionen über eine „esoterische“, geheime, mündliche Lehre von Platon, die seinen Schülern vorbehalten gewesen sei. Für Schleiermacher ist die Philosophie Platons in seinen Dialogen enthalten und nirgendwo sonst. Der Fehler Tennemanns in seiner Darstellung im System der Platonischen Philosophie bestehe darin, dass dieser der 61 Ebd., S. 28 (A 6). 62 Ebd., S. 38 f. (A 17).
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Progression und Verbindung zwischen den Dialogen nicht zu Genüge Rechnung getragen und nicht die philosophische Bedeutung der Form und der schriftlichen Mitteilung bei Platon erfasst habe. 2) Den ganzen Platon übersetzen: Form und Stil der Dialoge respektieren In der Interpretation einer gewichtigen Passage aus dem Phaidros kommt Schleiermachers Lesart besonders zum Tragen; genauer gesagt: im Mythos von der Erfindung der Schrift, erzählt von Sokrates am Ende des Dialoges, und in der darin enthaltenen berühmten Schriftkritik.63 Sokrates stellt fest, die Schrift lasse lediglich ein Scheinwissen bei dem Leser entstehen, der geschriebene Text sei dazu verdammt, dasselbe immer wieder zu wiederholen, ganz gleich wer der Leser sei, und sei daher der mündlichen und lebendigen Vermittlung unterlegen, bei der der Sprecher sich ja immer rückversichern kann, ob sein Gesprächspartner versteht, was er sagt. Die Schrift fördere nicht etwa das Gedächtnis, sondern begünstige das Vergessen und die Faulheit des Lesers, sie habe einen Wert nur darin, dass sie denen, die „die Sache“ bereits kennen, dabei helfe, sich daran zu erinnern.64 In dieser Abwertung der Schriftlichkeit liegt der Grund für den Glauben, Platon habe seinen eigenen Texten keine große Bedeutung beigemessen und dass der Hauptbestandteil seiner Lehre mündlich verbreitet und nicht in den Dialogen wiederzufinden sei. Doch für Schleiermacher, was auch Platon betont, ist es vor allem die Unsicherheit „bei der schriftlichen Mitteilung der Gedanken, ob auch die Seele des Lesers sie selbsttätig nachgebildet und sich also in Wahrheit angeeignet habe, oder ob ihr nur mit dem scheinbaren Verständnis der Worte und Buchstaben eine leere Einbildung gekommen sei, als wisse sie, was sie doch nicht weiß.“65 Platon habe Schleiermacher zufolge von da an versucht, die Risiken der Schrift zu umgehen, indem er sich zwang, die „schriftliche Belehrung jener besseren“ (d. h. der mündlichen Vermittlung) „so ähnlich zu machen
63 Platon, Phaidros, 274b-276a, in: Schleiermacher, Platons Werke, KGA IV-3, S. 380-391. 64 Phaidros, 275a, Schleiermachers Übersetzung, KGA IV-3, S. 385. 65 Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, a. a. O., „Einleitung“, S. 39 (A 17).
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als möglich“.66 Die Wahl einer dialogischen Form, der Bau der Dialoge, die Weigerung, sein Denken am Ende in Form einer These zusammenzufassen, folgen dem Zweck, „die Seele des Lesers zur eignen Ideenerzeugung zu nötigen“.67 Hiezu nun wird erfordert, daß das Ende der Untersuchung nicht geradezu ausgesprochen und wörtlich niedergelegt werde […], daß die Seele aber in die Notwendigkeit gesetzt werde, es zu suchen, und auf den Weg geleitet, wo sie es finden kann.68
Die dialogische Form bei Platon kann man von da an nicht mehr als „eine ziemlich unnütze mehr verwirrende als aufklärende Umgebung der ganz gemeinen Art seine Gedanken darzulegen“69 betrachten, wie es Tennemann tat. Sie entsteht aus einer Reflexion über das Problem der „philosophischen Mitteilung“70 und die Vermittlung von Wissen und eines lebendigen Denkens. Sie folgt einer gleichermaßen philosophischen wie pädagogischen Notwendigkeit. Schleiermacher machte aus Phaidros den ersten Platon-Dialog, da dieser „im Kern“ dessen gesamte Philosophie enthalte, welche in allen folgenden lediglich weiter entfaltet werde. Schleiermacher gelangt von da an zu der Überzeugung, dass bei Platon „Form und Inhalt unzertrennlich“71 seien. Dessen „künstlerischer Verstand“72 führe dazu, dass nichts dem Zufall überlassen werde: Jedes Element ergebe Sinn, sowohl die Präzisierungen über die Eigenarten der Figuren und die Umstände der Szene, in der sich die Dialoge abspielen, als auch „der ganze Ton und die eigentümliche Farbe seiner Sprache“.73 In seiner Einleitung zu Phaidros betont Schleiermacher die Bedeutung des Satzrhythmus und inwiefern dieser der Darstellung der Gedanken der Personen diene. Man müsse „hellenische Ohren“74 haben, um alle Nuancen von Platons Text wahrzunehmen, doch worum sich der Übersetzer bemühen müsse, 66 67 68 69 70 71 72
Ebd., S. 40 (A 19). Ebd., S. 60 (A 41). Ebd., S. 41 (A 20). Ebd., S. 32 (A 10). Ebd., S. 58 (A 40). Ebd., S. 38 (A 16). „Einleitung zu Phaidros“, in: Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, S. 77 (A 64). 73 „Einleitung“, S. 58 (A 39). 74 „Einleitung zu Phaidros“, S. 89 (A 79).
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sei, die „Handlung des redenden“ in der Sprache hörbar zu machen.75 Insofern stützt sich das Übersetzen auf eine wichtige philologische Arbeit. 3) Übersetzung und Philologie Wer nicht von dem dürftigen Zustande der Sprache in philosophischer Hinsicht soviel Kenntnis hat, daß er fühlt, wo und wie Platon durch sie beschränkt wird, und wo er sie selbst mühsam weiter bildet, der wird ihn, und zwar an den merkwürdigsten Orten am meisten, notwendig mißverstehen.76
Diese Aussage wirft ein Licht auf den Sinn und die Funktion von Schleiermachers philologischen Anmerkungen und seiner Konzentration auf die Sprache. In der ersten Anmerkung zum Phaidros verweist Schleiermacher auf die in lateinischer Sprache kommentierte Platon-Ausgabe seines Freundes Ludwig Friedrich Heindorf und empfiehlt dem Leser, diese Ausgabe bei der Lektüre seiner Übersetzung zur Hand zu haben, um alle Erläuterungen zu Sprache und Zusammenstellung des Textes zu erhalten.77 Schleiermacher nutzt das Potenzial der deutschen Sprache, um Ausdrücke und Redewendungen von Platon nachzuahmen, um so Worte zu bilden, die die Komposita des Originals wiedergeben.78 Es geht ihm dabei darum, mithilfe der Übersetzung und der Anmerkungen Platons sprachlichen und konzeptuellen Erfindungsreichtum wahrnehmbar zu machen: „Man weiß, daß er neue Ausdrücke produzierte zum Behuf neuer philosophischer Ideen. Ein Großer Teil seiner Sprachproduktionen ging nachher in alle Schulen über.“79 Platons Terminologie hat, gleich der jedes produzierenden Philosophen, eine gewisse Flexibilität. Philosophen erfinden keine fixierte und einheitliche philosophische Sprache, sondern gehen meist vom Redegebrauch aus und wandeln die in der Sprache enthaltenen Wörter in Begriffe um. Aus diesem Grund versucht Schleiermacher 75 76 77 78
Schleiermacher, Methoden des Übersetzens, KGA I-11, S. 72. Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, „Einleitung“, S. 28 (A 5). Schleiermacher, Platons Werke, KGA IV-3, S. 89. Siehe dazu Hermans, Theo, „Schleiermacher and Plato. Hermeneutics and Translations“, in: Friedrich Schleiermacher and the Question of Translation, hg. v. L. Cercel und A. Serban, a. a. O., S. 84-90. 79 Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, a. a. O., S. 103.
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auch nicht immer, für jeden griechischen Terminus einen einzigen, entsprechenden deutschen Begriff zu prägen.80 Es ist dieses Denken, das sich innerhalb der Sprache entfaltet, das Schleiermacher in seiner Übersetzung hörbar zu machen sucht. In seinem Vortrag über die Methoden des Übersetzens schreibt er 1813, dass „man die Rede auch als Handlung des redenden nur versteht, wenn man zugleich fühlt, wo und wie die Gewalt der Sprache ihn ergriffen hat, wo an ihrer Leitung die Blitze der Gedanken sich hingeschlängelt haben, wo und wie in ihren Formen die umherschweifende Fantasie ist festgehalten worden.“81 Wie Platons Schreibstil Schleiermacher zufolge darauf abzielt, das Denken des Lesers in Bewegung zu versetzen und ihn so zwingt, die Ideen in sich selbst hervorzubringen, so zielt auch die Übersetzung vor allen anderen Dingen darauf ab, diese Wirkung beim deutschen Leser zu erzeugen. Durch eine „Haltung der Sprache, die nicht alltäglich ist“, und durch „ausländische und unnatürliche Verrenkungen“82 zwingt Schleiermacher den Leser zu einem aktiven Lesen. In diesem Sinne kann seine Übersetzung auch als „Denktext“83 bezeichnet werden, ein Text, der zum Denken anregt. Auf der einen Seite diktiert also Schleiermachers Interpretation von Platons Philosophie seine Art und Weise des Übersetzens. Andererseits findet seine Methode ihre Rechtfertigung auch in allgemeineren Überlegungen über die Kunst des Übersetzens. Erst 1813, als bereits vier Bände der Platon-Übersetzung erschienen sind, stellt Schleiermacher seine Konzeption im Rahmen einer Konferenz an der Berliner Akademie der Wissenschaften vor. So gibt er seinem Vorhaben einen philosophischen Sockel indem er das Nachdenken über Übersetzung in einer Sprachphilosophie und Anthropologie verankert. In diesem kurzen Text werden gleichsam auch die ethischen, gar politischen Implikationen der Übersetzungskunst sichtbar. 80 Dazu Jantzen, Jörg, „Schleiermachers Platon-Überseztung und seine Anmerkungen dazu“, in: Schleiermacher, Über die Philosophie Platons, a. a. O., 1996, S. LI. 81 Schleiermacher, Methoden des Überseztens, KGA I-11, S. 72. 82 Ebd., S. 81. 83 Jantzen, Jörg, „…daß ich nämlich sterben will, wenn der Platon vollendet ist“. Schleiermachers Übersetzung des Platon“, in: Übersetzung antiker Literatur, Funktionen und Konzeptionen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. M. Harbsmeier, J. Kitzbichler, K. Lubitz und N. Mindt, Berlin/New York 2008, S. 43.
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III. Von den verschiedenen Methoden des Übersetzens Schleiermacher formuliert die Alternative, die sich jedem Übersetzer darbietet: „Entweder der Uebersezer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“84 Während die zweite Methode versucht, den Geschmack und die Erwartungen des Lesers zu respektieren, verpflichtet ihn die erste dazu, seine Perspektive zu verlagern. Der zweiten Methode entspricht der Anspruch, so zu übersetzen, als hätte der Autor direkt in der Zielsprache geschrieben, der Anspruch, dass der übersetzte Text nicht nach einer Übersetzung klinge. Schleiermachers Überlegungen basieren in erster Linie auf einer Konzeption der Sprache und des Verhältnisses zwischen den Sprachen und dem Denken. Die zweite Übersetzungsmethode stützt sich ihm zufolge auf die Idee, das Denken sei unabhängig von Sprache, sei abtrennbar von der Sprache, in der es sich ausgedrückt hat, und könne ohne Verlust oder Veränderung von einer Sprache zur anderen übergehen. Die Worte seien nichts als Zeichen eines an sich nicht-sprachlichen Gedankens, Sprachen seien nichts weiter als austauschbare Kommunikationswerkzeuge. So konnte beispielsweise der Autor des Artikels „Übersetzung“ aus dem Supplément von Diderots und d’Alemberts Encyclopédie behaupten: „Die erste und unverzichtbarste Aufgabe des Übersetzers ist es, die Gedanken darzubringen; und die Werke, die aus nichts als Gedanken bestehen, sind leicht in alle Sprachen zu übersetzen.“85 Genau dieses Konzept von der Unabhängigkeit von Sprache und Denken verwirft Schleiermacher wie auch zahlreiche andere Philosophen zur Wende des 19. Jahrhunderts und dementsprechend auch die zweite Methode des Übersetzens. Tatsächlich gebe es, so schreibt er, eine enge Verbindung zwischen Denken und Sprache: Der Gedanke gehe seinem sprachlichen Ausdruck nicht voll ausformuliert voran, sondern nimmt wirklich Form an nur durch die Worte. Unser Denken, aber auch unsere Sinnlichkeit sind von der Sprache durch 84 Schleiermacher, Methoden des Überseztens, KGA I-11, S. 74. 85 „Le premier et le plus indispensable devoir du traducteur est de rendre la pensée; et les ouvrages qui ne sont que pensés sont aisés à traduire dans toutes les langues“. Marmontel, Jean-François, „Traduction“, in: Supplément à l’Encyclopédie, Bd. IV, S. 952, première édition de 1751-1780, rééditée en facsimilé, Stuttgart 1967.
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drungen: „Jeder Mensch ist auf der einen Seite in der Gewalt der Sprache; er und sein ganzes Denken ist ein Erzeugnis derselben“86 betont Schleiermacher in seiner Rede. Und weil eben jede Äußerung sich nur auf Grundlage der Sprache bildet, muss jede Interpretation eines Textes nicht nur versuchen, die Folge der Gedanken des Autors zu rekonstruieren, sondern auch Rücksicht auf die Art und Weise zu nehmen, in der sich dieses Denken entwickelt und innerhalb der Sprache seinen Weg gebahnt hat. Derart sind also nach Schleiermacher die beiden Seiten der Hermeneutik, die er „technische (oder psychologische) Auslegung“ und „grammatische Auslegung“ nennt.87 Diese lässt sich in den Prinzipien seiner Art und Weise, Platon zu übersetzen, wiederfinden, wie auch in seinem emphatischen Beharren, Platons Philosophie zu rekonstruieren, und seinem besonderen Augenmerk auf Platons Sprache und Schreibweise. Zu dieser Konzeption der gegenseitigen Abhängigkeit von Sprache und Denken gesellen sich Überlegungen über die Vielfalt der Sprachen, ihre Unterschiede und ihre Unvergleichbarkeit. Mit dem Modell des Zeichens kritisiert er gleichzeigt die Tradition der allgemeinen Grammatik88, derzufolge es universelle grammatikalische Strukturen gebe sowie Basis-Konzepte und -Wörter, die man in allen Sprachen wiederfände (wie Sein, Zeit, Wahrheit).89 Entsprechend behauptet Schleiermacher 1813 in seiner Rede: Hier [= in der Philosophie. Anm. v. F. T.] mehr als irgendwo enthält jede Sprache, trotz der verschiedenen gleichzeitigen und auf einander folgenden Ansichten, doch Ein System von Begriffen in sich, die eben dadurch daß sie sich in derselben Sprache berühren, verbinden, ergänzen, Ein Ganzes sind, dessen einzelnen Teilen aber keine aus dem System anderer Sprachen entsprechen, kaum Gott und Sein, das Urhauptwort und das Urzeitwort abgerechnet. Denn auch das schlechthin allgemeine, wiewohl außerhalb des Gebietes der Eigentümlichkeit liegend, ist doch von ihr beleuchtet und gefärbt.90
86 Schleiermacher, Methoden des Überseztens, KGA I-11, S. 71. 87 Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, a. a. O., S. 101 und 167. 88 Arnauld, Antoine und Lancelot, Claude, Grammaire générale et raisonnée, Paris 1660. 89 Arnauld, Antoine und Nicole, Pierre, La Logique ou l’art de penser [1662], hg. v. P. Clair und F. Girbal, Paris, Vrin 1993, I, 9 „De la clarté et de la distinction des idées“; I, 13 „De la définition des noms“. 90 Schleiermacher, Methoden des Überseztens, KGA I-11, S. 89.
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Schleiermacher betont, was er die Irrationalität der Sprachen nennt, oder ihre Inkommensurabilität.91 Dies veranlasst ihn zu einer Art der sprachlichen Relativierung der Philosophie insofern, als jedwede Philosophie untrennbar mit dem sprachlichen Material verbunden sei, aus dem sie sich zusammensetzt und von dem aus sie dem Universellen entgegenstrebt. So geht er so weit zu behaupten (in seiner Vorlesung zur Ethik), dass eine einzige Philosophie unmöglich ist. Hieraus folgt nun, was von dem Streben nach einer einzigen Philosophie zu halten ist. Es ist keine solche möglich in der Wirklichkeit, weil schon die ersten Elemente, woraus sie bestehen muß, in jeder Sprach andere sind. Nicht morgenländische und abendländische wird jemals gleich werden, nicht einmal griechische und deutsche, weil wir keine Nous oder Logos haben, sondern andere Elemente.92
Mit dieser Überlegung scheint Schleiermacher die Unübersetzbarkeit im Wesen der Philosophie zu postulieren, doch schließt er daraus weder auf eine prinzipielle Unmöglichkeit zu übersetzen, noch auf eine naturgemäße Nicht-Vermittelbarkeit der Philosophien von einer Sprache zur anderen. Im Gegenteil: Die sprachliche Verankerung der Philosophien macht die Arbeit des Übersetzers umso notwendiger – um Brücken zwischen den Sprachen zu schlagen und die Verständigung zu ermöglichen – aber auch viel komplexer, als die Autoren der Encyclopédie ganz optimistisch behaupteten. Ganz konkret ist der Übersetzer philosophischer Texte mit Begriffen konfrontiert, für die es keine genauen Entsprechungen in seiner Sprache gibt. Sollte er, auf vielleicht künstliche Weise, mit dem immer selben Begriff übersetzen, um die Einheit des übersetzten Konzepts erfassbar zu machen? Oder sollte er es im Gegenteil mit verschiedenen Wörtern übersetzen, um die unterschiedlichen Sinngehalte zu bewahren? Die Sprache des Übersetzers könne in jedem Fall, so betont Schleiermacher, nicht dieselbe Kohärenz aufweisen wie die des Autors.93 Auch wenn sich in Schleiermachers Anwendung der Prinzipien eine gewisse Flexibilität manifestiert und er einräumt, es sei schwierig, nicht oft die fasche Entscheidung zu tref 91 Ebd., S. 70. 92 Schleiermacher, Brouillon zur Ethik (1805/06), hg. v. Hans-Joachim Birkner, Hamburg 1981: „Siebzehnte Stunde“, S. 24. 93 „Unmöglich kann daher der Sprachgebrauch des Uebersezers überall eben so zusammenhangen, wie der seines Schriftstellers“ (Methoden des Überseztens, KGA I-11, S. 79).
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fen94, so bleibt das Prinzip, dem die Arbeit des Übersetzers folgen soll, klar: „das Gefühl des Fremden […], das Gefühl, daß sie ausländisches vor sich haben, auf die Leser fortzupflanzen“.95 So darf er nicht die Distanz verschleiern, sondern in seinen eigenen Worten hörbar machen, dass der Autor in einer anderen Sprache und mithilfe anderer Konzepte gedacht hat. Will also der Übersetzer eines philosophischen Schriftstellers sich nicht entschließen die Sprache der Übersetzung, soviel sich tun läßt, nach der Ursprache zu beugen, um das in dieser ausgebildete Begriffssystem möglichst ahnden zu lassen; will er vielmehr seinen Schriftsteller so reden lassen als hätte er Gedanken und Rede ursprünglich in einer anderen Sprache gebildet: was bleibt ihm übrig, bei der Unähnlichkeit der Elemente in beiden Sprachen, als entweder zu paraphrasiren – wobei er aber seinen Zweck nicht erreicht; […] oder er muß die ganze Weisheit und Wissenschaft seines Mannes umbilden in das Begriffssystem der andern Sprache, und so alle einzelnen Theile verwandeln, wobei nicht abzusehen ist wie der wildesten Willkür könnten Grenzen gesetzt werden.96
Der Widerstand, dem der Übersetzer im Kontakt mit der fremden Sprache begegnet, ist ebenso die Erfahrung der Struktur und der Grenzen seiner eigenen Sprache. Indem er übersetzt, offenbaren sich ihm die Kategorien, von denen aus und innerhalb derer er denkt, auf die er stößt und die er so zur Kenntnis nimmt. Wenn man einsieht, dass die Sprache unser Denken bestimmt, wie Schleiermacher es behauptet, dass sie es leitet, während sie gleichzeitig das Feld des Denkbaren absteckt, dann folgt daraus, dass die Konfrontation mit einer anderen Sprache das beste Mittel ist, den Einfluss der Muttersprache auf das Denken zu objektivieren und zu verringern. Im Spiegel einer anderen Sprache treten die unreflektierten, nicht infrage gestellten Grundvorstellungen zutage, die gleichsam gefaltet sind in der Sprache sowie in jenem, das Nietzsche unsere „grammatischen Gewohnheiten“97 nennen wird. Man findet hier dieselbe Haltung wieder wie jene, die wir bereits hinsichtlich der Philosophiegeschichte gesehen hatten. Diese sprach 94 „Wie schwer, daß nicht im Hin- und Herschwanken welches hier welches dort solle aufgeopfert werden, oft gerade das unrechte herauskomme!“ (ebd., S. 80). 95 Methoden des Überseztens, KGA I-11, S. 80. 96 Ebd., S. 89 f. 97 Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse [1886], § 17.
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liche Perspektivverschiebung, die das Übersetzen voraussetzt und erlaubt, gleicht dem doppelten Wesenszug, der für die Arbeit des Philosophiehistorikers typisch ist: Die Antike als Ganzes erscheinen lassen, das uns fremd ist; und von da ausgehend der Moderne ihre scheinbare Evidenz entziehen und sie so in all ihrer Eigentümlichkeit, als eine von mehreren Optionen erscheinen lassen. Die Praxis des Übersetzens erscheint von da an bei Schleiermacher als vollwertige, philosophische Tätigkeit, die lehrt, „zwischen den Sprachen [zu] denken“.98 Selbst wenn bestimmte Fremdsprachen gelesen und verstanden werden (früher vor allem das Lateinische, heute besonders das Englische), bleibt die Übersetzung eine philosophisch nicht weniger nützliche, wenn nicht gar notwendige Aufgabe, die möglicherweise umso notwendiger ist, wenn sich eine Sprache als die dominante Wissenschaftssprache durchzusetzen droht. Aus diesem Grund hielt Schleiermacher die Etablierung einer Universalsprache der Philosophie weder für wünschenswert noch für grundlegend möglich und stellte ihr die Praxis des Übersetzens „in Masse“99 gegenüber: Wir würden es für keine Verbesserung achten, wenn es nur eine Sprache gäbe für alle. Denn nur alle diese Abänderungen zusammengenommen erschöpfen das Denken des menschlichen Geistes; und dasselbe System von Formeln sich überall geltend machen zu sehen, wäre ein schlechter Gewinn gegen die weit reichere Aufgabe, die an verschiedenen Orten sich bildenden Methoden einander möglichst anzunähern.100
*** Wenn heutzutage Neuauflagen von Schleiermachers Übersetzung erscheinen, sind darin weder die Anmerkungen, das Vorwort noch die Einführungen zu den Dialogen aufgeführt. Es bleibt somit lediglich ein Text übrig, der nachvollziehbarerweise spröde und verwirrend erscheinen kann. Schleiermachers Übersetzung „funktioniert“ nur dann, wenn man sein gesamtes Übersetzungsvorhaben im Blick behält und es in seinem Horizont verortet. 98 Siehe Wismann, Heinz, Penser entre les langues, Paris 2012. 99 Schleiermacher, Methoden des Überseztens, KGA I-11, S. 92. 100 Schleiermacher, Einleitung zur Dialektik (1833) § 2, in: Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, a. a. O., S. 422.
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Zusammenfassend kann man sagen, dass Schleiermachers Übersetzungsmethode darauf abzielt, erstens den falschen Eindruck von Vertrautheit zu verhindern, der bei Texten aus der Antike entstehen kann; zweitens die Zielsprache der Übersetzung als ein anderes konzeptuelles System erfahrbar zu machen; und drittens vermittels einer gewissen Schwerverständlichkeit den Leser zu einer aktiven und mitdenkenden Lektüre anzuregen. In diesem Lichte erscheint Schleiermachers Text vergleichbar mit den literarischen Experimenten der deutschen Romantiker, die eine gewisse Obskurität in Kauf nahmen, um die Fallen einer zu klaren und allzu durchsichtigen Kommunikation zu umgehen.101 Weit davon entfernt, eine approximative (und unmögliche) Dopplung des Originals zu sein, wird in Schleiermachers Überlegungen die Übersetzung zu einem literarischen Genre per se. Schleiermacher vertritt die Ansicht, dass es innerhalb der Sprache und der Literatur „ein eignes Sprachgebiet für die Übersetzungen“102 gebe, einen Raum, in dem die „Neuerungen“103 und eine nicht-alltägliche Haltung der Sprache möglich seien; wie ein Laboratorium, das es erlaubt, die Ressourcen einer Sprache zu erforschen und ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Weit davon entfernt, in der Übersetzung eine Art Notbehelf zu sehen, der niemals an die Lektüre in der Originalsprache heranreicht, betont Schleiermacher im Gegenteil, „daß viel schönes und kräftiges in der Sprache sich erst durch das Übersetzen teils entwickelt hat, teils aus der Vergessenheit ist hervorgezogen worden“.104 Übersetzt von Matthias Krüger
101 Siehe Thouard, Denis, Le Partage des idées, Paris 2007, 3. Teil: „Romantisme et Philosophie“ und „Conclusion“. 102 Schleiermacher, Methoden des Überseztens, KGA I-11, S. 93. 103 Ebd. 104 Ebd.
III. Friedrich Schlegel und Hegel
Michael N. Forster (Bonn)
Friedrich Schlegel and Hegel Friedrich Schlegel was the real genius of German Romanticism. There would be no need at all to bring him into connection with Hegel in order to establish his great importance; such achievements as his invention of the very idea of Romanticism, his founding of modern linguistics, his major innovations in hermeneutics, the revolution he effected in the understanding of ancient tragedy, and his important contributions to art history would be quite sufficient to establish that. Nonetheless, I want to argue in this article that his influence on Hegel was in fact one of his important achievements. Schlegel and Hegel. The mildly euphonic rhyme aside, this may sound like a rather discordant pairing. Hegel famously devoted much time and space over the course of his career – from the Phenomenology of Spirit (1807) to the Philosophy of Right (1820) and his review of Solger (1828) – to criticizing Romanticism in general and Schlegel in particular in the harshest terms, his critique of Schlegel specifically accusing him, above all, of propounding a Fichte-derived, empty, vain subjectivism, encapsulated in his concept of irony, that corrupts philosophy, religion, morality, and literature alike.1 Moreover, the two thinkers famously exhibited an unrelenting mutual animosity, especially later in their lives.2 However, I want to suggest that beneath this stormy surface of mutual rejection there lies a deeper, calmer sea of shared views and influence (namely of Schlegel on Hegel).3 To a considerable extent the stormy surface is merely an 1 For a thorough (albeit not quite exhaustive) account of Hegel’s critique of Romanticism in general and Friedrich Schlegel in particular, see Pöggeler, Otto, Hegels Kritik der Romantik, München 1998. 2 Concerning their mutual public abuse during the 1820s, see Schlegel, Friedrich, Neue philosophische Schriften, ed. Josef Körner, Frankfurt a. M. 1935, pp. 90 f. For a broader account of their hostile relationship, see Behler, Ernst, “Friedrich Schlegel und Hegel”, in: Hegel-Studien 2 (1963). 3 An older version of such a thesis that already emerged during Hegel’s lifetime and was rejected by him with some irritation alleged the indebtedness of Hegel’s dialectical derivation of concepts out of each other to Schlegel’s lectures. This is certainly an interesting bit of common ground between Hegel and Schlegel. However, I agree with Pöggeler that the method in question was al-
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example of what Freud has called the “narcissism of fine differences.”
I. Some of the most interesting parts of this deeper story concern the period 1800/01 when the two men overlapped at the University of Jena, where they were both pursuing academic careers. Schlegel arrived in 1799, followed by Hegel in late January of 1801. Schlegel delivered lectures on Transcendental Philosophy in 1800-1, which ran from late October of 1800 until late March of 1801. A credible, though unfortunately anonymous, contemporary eyewitness places Hegel among the people who attended them.4 More importantly, Hegel himself does so as well, namely in a letter to von Raumer from 1816 in which he writes: “But while Friedrich Schlegel was still in Jena I myself witnessed his debut with his lectures on transcendental philosophy. He finished his course in six weeks, not to the satisfaction of his audience, which had expected and paid for a six-month course.”5 Among other things, Schlegel’s lectures contain some extraordinary anticipations of Hegel’s mature philosophical position, his Absolute Idealism. Taken collectively, these anticipations are indeed so extraordinary that they can, in my view, only be satisfactorily explained as influences of Schlegel on Hegel (though this does not exclude the possibility, indeed the certainty, that other important influences were pushing Hegel in the same direction as well, including Herder, Hölderlin, and Schelling). Here are some examples of the extraordinary anticipations in question: (1) As Fred Beiser has pointed out6, Schlegel’s lectures constitute the first real public presentation of an Absolute Idealism, i.e. a form of metaphysical monism whose single principle is spiritual/ mental in nature. (Immediately afterwards this famously became Hegel’s official philosophical position as well.) ready too widely represented by Fichte and others to be plausibly traced back to Schlegel in particular in any significant degree (Pöggeler, op. cit., p. 123). 4 See Schlegel, Friedrich, Neue philosophische Schriften, pp. 46 ff. Also, Pöggeler, op. cit., p. 123. 5 Hegel, The Letters, transl. by C. Butler and C. Seiler, Bloomington 1984, p. 339. Hegel was evidently mistaken about how long the course had run. 6 Cf. Beiser, F. C., German Idealism, Cambridge 2002, part 3, ch. 4.
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(2) More specifically, Schlegel’s lectures champion a project of synthesizing Spinoza’s principle of substance with Fichte’s principle of consciousness7, and they characterize the result of this synthesis as Geist.8 (Compare this with Hegel’s positions in the Phenomenology of Spirit of 1807 that “everything depends on grasping and expressing the true, not only as substance, but equally as subject”9, and that the fact “that substance is essentially subject is conveyed in the representation that expresses the Absolute as Geist.”10) (3) More specifically still, Schlegel’s lectures explain why the infinite substance had to make itself finite in terms of its need to represent itself, which is something that it achieves in the human individual’s consciousness: “Why did the Infinite alienate itself from itself and make itself finite? […] The individual is […] a representation [Bild] of the one infinite substance. (One could also put it this way: God created the world in order to represent Himself.)”11 (This is exactly Hegel’s position as well, for example in the Phenomenology.12) (4) Schlegel’s lectures insist that philosophy must express the whole.13 (Compare this with Hegel’s position in the Phenomenology that “the true is the whole.”14) (5) Schlegel’s lectures accordingly develop the project of an encyclopedia of the sciences15, in particular emphasizing that the relation of the sciences to each other should take the form of a circle (Greek: kuklos).16 (Compare with this Hegel’s mature project of an encyclopedia of the philosophical sciences possessing a circular structure.17)
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KFSA XII, pp. 5 f., 29-32. KFSA XII, p. 39. TWA 3, pp. 22 f. TWA 3, p. 28. KFSA XII, p. 39. Beiser, op. cit., p. 461 also mentions a further point of continuity with Hegel in this connection that comes out more clearly in some of Schlegel’s notes than in the lectures: that we humans therefore create God. KFSA XII, pp. 93, 105. TWA 3, p. 24. KFSA XII, pp. 10, 17. KFSA XII, pp. 19, 21. Cf. Haym, Rudolf, Die Romantische Schule, Berlin 1914, pp. 745 ff. There are also some differences between Schlegel and Hegel here, though: (i) Schlegel sometimes (though not always) conceives of the ideal of an encyclopedia as one of including the sciences with rather than as philosophy. (ii) For Schlegel the envisaged encyclopedia will not begin but end with Logic.
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(6) Schlegel’s lectures conceive the path towards philosophy’s grasp of the whole as a “history of consciousness [Geschichte des Bewußtseins].”18 (Compare with this Hegel’s virtually identical project in the Phenomenology.19) Here, then, is one important area in which Hegel evidently learned from Schlegel: Ιt was largely Schlegel’s version of Absolute Idealism that gave Hegel the main lines of his own version of it.
II. But there is also a further set of striking continuities between Schlegel’s lectures and Hegel, namely continuities concerning skepticism and its relation to philosophy.20 For Schlegel’s lectures also contain a number of distinctive ideas on this subject which Hegel would shortly afterwards take over and develop further, especially in his early essay The Relation of Skepticism to Philosophy (1802). The ideas in question not only went on to play fundamental roles in Hegel’s own philosophy, but are also in my view of great intrinsic value. Before we consider these ideas in detail, it is worth making a general point which tends to support the general picture that Hegel must have taken them over from Schlegel. By the time Schlegel delivered his lectures on Transcendental Philosophy in 1800-1, he had already been deeply interested in skepticism for many years. He had already begun an intensive reading of Plato, whom he considered a paradigmatic exponent of skepticism, as early as the late 1780s, and he had continued his deep preoccupation with Plato up to the very period of the lectures themselves (for example, at this period he had just recently conceived the project of translating the Platonic dialogues with Schleiermacher, and during it he wrote a Habilitations-
18 KFSA XII, pp. 11 ff. 19 Cf. Behler, “Friedrich Schlegel und Hegel”, pp. 237 f. It should be noted, though, that Schelling’s System of Transcendental Idealism (1800) – which Schlegel was reading during the period of his own lectures (see Neue philosophische Schriften, pp. 52 ff.) – also championed such a project, so that this particular anticipation of Hegel is a little less astonishing than it might otherwise seem. 20 This section is a modestly revised version of Forster, M. N., “Schlegel and Hegel on Skepticism and Philosophy”, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, ed. E. Ficara, Würzburg 2011.
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schrift on Plato in Jena).21 Moreover, during an earlier stay in Jena in the mid-1790s, after having initially been highly impressed by Fichte’s Wissenschaftslehre, he had become disillusioned with its conception of a single philosophical Grundsatz (i.e. a single certain principle from which the whole of philosophy could be derived), under the influence of, and in sympathy with, a circle of skeptically minded thinkers in Jena around Niethammer.22 In sharp contrast, Hegel’s intellectual interests prior to the early 1800s had mainly focused on the sorts of religious, ethical, and political questions that he addresses at length in the early theological writings, hardly touching on epistemology in general or skepticism in particular.23 If Schlegel articulated distinctive ideas about skepticism and its relation to philosophy in the early 1800s that were shortly afterwards repeated and developed further by Hegel, there is therefore every reason to think that Schlegel originated them and then passed them on to Hegel. In his lectures on Transcendental Philosophy Schlegel articulates three especially noteworthy ideas about skepticism and its relation to philosophy which were subsequently reproduced and developed by Hegel. First, Schlegel holds that philosophy both begins with skepticism and always retains skepticism as an essential aspect of itself: “Philosophy begins with skepticism”; “Skepticism is eternal too, like philosophy [...] [namely] to the extent that it belongs to philosophy.”24 Schlegel’s more specific idea here is that skepticism per 21 Concerning this Habilitationsschrift, which is unfortunately now lost, see KFSA XII, p. xx. 22 For further details about this, see Frank, Manfred, Unendliche Annäherung, Frankfurt a. M. 1998; Beiser, F. C., German Idealism, part 3, ch. 4, and The Romantic Imperative, Cambridge 2003, pp. 119 ff. 23 There is one significant but modest exception to this rule. Hegel’s close friend Hölderlin and their mutual friend Isaak von Sinclair had already in the mid- to late-1790s become quite interested in skepticism, which they interpreted as the result of an “original division [Ur-teilung]” of a monistic Being into subject and object, and which they criticized for failing to recognize that this division on which it rested implicitly presupposed such a monistic Being (see Hegel, H., Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel, Frankfurt a. M. 1971). Hegel evidently absorbed this line of thought from Hölderlin (and possibly also Sinclair) during the late 1790s – as can be seen especially from his fragment Glauben ist die Art (1798). However, even in this fragment he does not discuss skepticism explicitly, and his appropriation of the line of thought in question is in general rather crude and undeveloped. So it is in the end the sort of exception that proves the rule. 24 KFSA XII, pp. 4, 10; cf. pp. 18, 42.
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forms the vital function for philosophy of destroying the illusion that finite things exist independently of the Infinite, or the Absolute: “The finite does not exist at all, it only exists in relation to the whole”; “The illusion of the finite must be destroyed; in order to do that all knowledge must be subjected to a revolutionary condition”; “Philosophy perforce proceeds polemically […] Philosophy begins by raising itself to the concept of the whole and abstracting from the individual. This is necessary. Philosophy must represent the whole; but it can only do this indirectly. It drives the human mind away from the finite, it challenges the latter”; “Consciousness begins with error, namely with the finite. Now if there is only one science […] then the task arises of destroying error – and philosophy constitutes this. Philosophy would therefore be […] destruction of the finite.”25 Now, Hegel repeats this whole position quite precisely in The Relation of Skepticism to Philosophy. For Hegel too: “Skepticism itself is most intimately one with every true philosophy”; “Skepticism […] can be found implicit in every genuine philosophical system, for it is the free side of every philosophy.”26 Moreover, for Hegel too skepticism’s function in philosophy is to destroy the illusion that finite things exist independently of the Infinite, or Absolute: “A true philosophy necessarily has a negative side as well, which is turned against everything limited […], against this whole territory of finitude […]; and is infinitely more skeptical than [modern] skepticism.”27 Second, Schlegel both considers viable and endorses as an appropriate beginning for philosophy an unusually radical form of skepticism. In particular, he believes that the laws of classical logic, including the law of contradiction, are vulnerable to the sort of skepticism that he has in mind: “Logic as the organon of truth offers us the law of contradiction [...] But the source of truth lies for us far higher than in these laws [of logic]; for skepticism also lays claim to these laws.”28 Also, he rejects the conception that what is empirically given furnishes certain knowledge of the truth, namely on the grounds that what seems to be empirically given is in fact always already theoret 25 KFSA XII, pp. 11, 77, 93, 97. Cf. Beiser, F. C., German Idealism, pp. 456 f., who, though, seems not to realize that this is, for Schlegel, the function of skepticism in philosophy. 26 TWA 2, pp. 227, 229. 27 TWA 2, pp. 227 f. 28 KFSA XII, p. 3.
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ically infused, consequently involves a mixture of truth and falsehood, and therefore requires theoretical purification: “The phenomenon is merely crude intuition, in which truth and error are still combined. But facts must be results, they must be discerned, the truth decided upon. All results of philosophy are contained in the one [proposition]: that theory and empiricism are one, that they cannot be absolutely separated.”29 Hegel’s position in The Relation of Skepticism to Philosophy is again strikingly similar. He too has an unusually radical conception of the form that skepticism should take. Indeed, the main purpose of his essay is to argue against tamer forms of skepticism, such as that recently propounded by his contemporary G. E. Schulze, in favor of a much more radical form of skepticism.30 Accordingly, like Schlegel, Hegel holds that a genuine skepticism attacks classical logical laws; in a review of Bouterwek from 1801 he criticizes Bouterwek for purporting to assume only as much as a skeptic would allow but then assuming the validity of logical laws, “whereas the consistent skeptic on the contrary denies the concept of a [logical] law altogether.”31 And in an even more specific echo of Schlegel, Hegel in The Relation of Skepticism to Philosophy questions the law of contradiction and refers to a higher principle that violates it (”Reason”): “The so-called ‘law of contradiction’ is [...] so far from possessing even formal truth for Reason, that on the contrary every proposition of Reason must [...] contain a violation of it.”32 Moreover, in close agreement with Schlegel’s rejection of a reliance on something empirically given, Hegel in The Relation of Skepticism to Philosophy conducts a concerted skeptical attack on the modern reliance on so-called “facts of 29 KFSA XII, p. 98. 30 In this connection, Hegel points out, among other things, that Schulze’s interpretation of the dispute between the Pyrrhonists and the Academic skeptics in antiquity inverts its real character: according to Schulze the Pyrrhonists complained that the Academic skeptics were too radical, whereas Hegel notes, quite rightly, that their actual complaint was that the Academic skeptics were not radical enough (see TWA 2, pp. 230 ff.). 31 TWA 2, p. 141. 32 TWA 2, p. 230. Hegel’s conception of a skepticism that is radical enough to attack even logical laws also has other contemporary sources, especially C. G. Bardili. See on this Forster, M. N., Hegel and Skepticism, Cambridge 1989, ch. 1; Kant and Skepticism, Princeton 2008, ch. 12; and “Skepticism about Logic in Germany at the Turn of the Nineteenth Century” (forthcoming). We shall return to this subject in the next section of this article.
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consciousness”, observing that the best forms of skepticism, such as Plato’s Parmenides and the Pyrrhonists’ Ten Tropes of Aenesidemus, attacked these first and foremost. Hegel indeed develops Schlegel’s radicalism somewhat further in this connection, not only arguing in the same spirit as Schlegel that the claim of seemingly immediate experience to be a sure guide to truth is skeptically questionable, but also suggesting that the very self-ascription of experiences, or of mental states more generally, is vulnerable to skeptical attack. Third, Schlegel implies that ancient forms of skepticism are superior to modern ones. As might be expected given his longstanding fascination with Plato and its persistence into the period of the 1800-1 lectures, the skeptical side of Plato’s (and his character Socrates’) thought constitutes Schlegel’s paradigm of a genuine skepticism. Thus in the lectures he says that “Plato represented skepticism very completely/perfectly [vollkommen]”33; that philosophy must be dialectical and therefore Socratic34; and that several of Plato’s writings, especially the Phaedo, are “suited to produce a yearning for the Infinite.”35 (Concerning his emphasis on the Phaedo, Schlegel is presumably thinking largely of Socrates’ autobiographical account at 96a ff., where he relates how in his youth he came to subject both natural scientific and commonsense explanations to a sort of skeptical criticism through paradoxes that led him to lose faith in them, and this then motivated him to look instead to the forms as a surer explanation. But he is probably also thinking of Socrates’ account at 89c ff. of the need to resist the common “misology” of supposing that equally convincing arguments can be supplied on both sides of any 33 KFSA XII, p. 42. 34 KFSA XII, p. 103. Schlegel’s emphasis in this particular passage happens to be more on dialectic qua conversation than on dialectic qua a skeptical demonstration of contradictions, but that the latter is very much included can be seen from an earlier passage in the lectures: “Consciousness begins with error, namely with the finite. Now if there is only one science […] then the task arises of destroying error – and philosophy constitutes this. Philosophy would therefore be […] destruction of the finite. In the narrower sense philosophy is dialectical. It should only be concerned with the development of the Understanding [i.e. what Hegel would call Reason; Schlegel and Hegel use the terminological distinction between Understanding and Reason in precisely opposite ways – M.N.F.], it should refute the errors. This is the characteristic of the bounding of philosophy in the narrower sense. The dialectical is that which relates to the art of the common development of the Understanding and the destruction of error” (p. 97). 35 KFSA XII, p. 8.
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issue and that accordingly everything is in flux.) Schlegel is also known to have developed a strong interest in Plato’s Parmenides around 1800-136, so, although this does not come across explicitly in the incomplete transcription of the lectures that we have37, it is likely that it formed part of the lectures themselves as well. Schlegel does not in the transcription of the 1800-1 lectures that has survived discuss any other ancient forms of skepticism. But in a later remark from 1803-7 he writes that “skepticism is the center of philosophy as such – and in this respect Greek philosophy is of great value. For the tone of Greek philosophy as a whole is skepticism.”38 And a series of remarks from 1796 on show that Schlegel was already familiar with the ancient Academic skeptics’ and Pyrrhonists’ characteristic method of setting opposing arguments into equal balance in order to motivate a suspension of judgment.39 Accordingly, in the Cologne lectures on philosophy from 1804-6, besides emphasizing Plato’s credentials as a representative of genuine skepticism again, he also devotes extensive and respectful discussion to ancient Academic and Pyrrhonian skepticism and this, their characteristic method.40 So presumably this broader conception of the valuable forms of skepticism to be found in ancient thought was already part of his position in the 1800-1 lectures, its absence from the transcription again merely being due to the transcription’s incompleteness. In sharp contrast to this very positive assessment of ancient skepticism, Schlegel in the 1800-1 lectures holds that modern forms of skepticism are woefully inadequate: He characterizes Maimon, Reinhold, and Platner as all skeptics of a sort, and states that Maimon is the most important of them, but he then goes on to say, damningly, “But this skepticism stands in opposition
36 See e. g. KFSA XXV, pp. 136 f. where Schlegel remarks in a letter to Schleiermacher from 1800 in the course of discussing the Platonic dialogues that “concerning the Eleatic ones [i.e. the Parmenides and the Sophist] I am confident of being able to throw new and bright light overall and to really and actually understand them completely, which is not saying little.” See also, KFSA, XVIII, pp. 531 ff.: an introduction to the Parmenides that he wrote in 1801-2. 37 Concerning the incompleteness of the transcription generally, see Friedrich Schlegel, Neue philosophische Schriften, p. 49. 38 KFSA XVIII, p. 562, cf. 187 ff. 39 See Forster, M. N., “Herders Beitrag zur Entstehung der Idee romantisch”, in: Die Aktualität der Romantik, ed. M. N. Forster and K. Vieweg, Berlin 2012, pp. 128 f. 40 KFSA XIII, pp. 347-354; cf. XII, pp. 124-130, 181 f., 229 f.
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to idealism” (i.e. instead of being one with it, as in Schlegel’s view it ought to be).41 Now, once again, Hegel, in The Relation of Skepticism to Philosophy, champions a position that is strikingly similar to Schlegel’s in all of these respects. Thus, Hegel too argues that ancient forms of skepticism are greatly superior to modern ones. Hegel too identifies Plato as the paradigmatic representative of a genuine skepticism. Moreover, while Hegel focuses on Plato’s Parmenides rather than on the Phaedo, he has in mind exactly the same function that Schlegel associated with the latter, namely a skeptical discrediting of commonsense and natural scientific cognition in preparation for an ascent to knowledge of the Infinite, or Absolute: “What more perfect and self-supporting document and system of genuine skepticism could we find than the Parmenides in the Platonic philosophy, which encompasses the whole domain of that knowledge [of everything limited, of so-called facts of consciousness, and of the doctrines of the natural sciences] through concepts of the Understanding and destroys it? […] This skepticism does not constitute a special thing of a system, but it is itself the negative side of the cognition of the Absolute, and immediately presupposes Reason as the positive side.”42 Hegel too includes a broader range of ancient forms of skepticism as genuine skepticism in addition, especially Academic and Pyrrhonian skepticism with their method of balancing opposed arguments (indeed, much of his essay is devoted to a detailed and nuanced discussion of Academic and Pyrrhonian skepticism).43 Finally, Hegel 41 KFSA XII, p. 95. Where Maimon is concerned, Schlegel’s more specific complaint is that he rests content with a form of skepticism that precludes a philosophical knowledge of the whole in the following way: “He accepts from Kant the separation of experience and reason. He teaches: there is a knowledge of reason, but it is not applicable, both in the theoretical domain and in the practical.” In the case of Platner, Schlegel’s complaint is somewhat similar: Platner “considers his skepticism to be philosophy itself. But in this way philosophy is brought to a halt [fixirt] and its progressive tendency impeded.” 42 TWA 2, p. 228. 43 It is just possible that Schlegel got this specific part of his case from Hegel’s 1802 essay rather than vice versa, given that Schlegel only explicitly develops it in the Cologne lectures of 1804-6. However, given Schlegel’s longer standing and deeper knowledge of ancient philosophy at the relevant period and the evidence for his knowledge of the skeptical method in question in remarks from 1796 on, it seems to me more likely that this was already part of Schlegel’s position in 1800-1 and that Hegel took it over from him in his 1802 essay (then, certainly, developing it further).
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too in sharp contrast rejects modern forms of skepticism as greatly inferior, moreover, like Schlegel, mainly on the ground that they cling to finite cognition and obstruct a knowledge of the Infinite, or Absolute, rather than destroying the former in order to proceed to the latter. These three ideas about skepticism and philosophy all went on to play fundamental roles in the constitution of Hegel’s own philosophy. The first of them, the idea that any genuine philosophy must have a skeptical side which discredits “finite” viewpoints in preparation for philosophy’s grasp of the Infinite, or Absolute, is fundamental to Hegel’s conception of the Phenomenology of Spirit as a “self-completing skepticism” that prepares the way for his “Science” of the Absolute (comprising Logic, Philosophy of Nature, and Philosophy of Spirit).44 And it also forms part of his conception of that Science itself, especially its Logic, which he likewise conceives as including a skeptical aspect directed against “finite” cognition.45 The second idea, the idea that a genuine skepticism must be radical, extending its attacks even against classical logic and against claims about one’s own experiences and one’s own mental states in general, plays a fundamental role in Hegel’s philosophy as well. For Hegel, this idea precludes using transcendental arguments à la Kant to support his philosophy (as some commentators have wrongly supposed he does), because transcendental arguments essentially rely on both classical logic and assertions of experience. Instead, it calls for a quite different epistemological approach, one whose central strategy is to show that there is in the end no alternative to the standpoint of Hegel’s philosophy.46 Moreover, this approach involves an actual discrediting of self-ascriptions of mental states, or the standpoint of “consciousness”, as untrue.47 Similarly, Hegel’s sympathy with skepticism about classical logic contributes to a project of 44 TWA 3, pp. 72 f. 45 See Encyclopedia of the Philosophical Sciences, in TWA 8-10, pars. 78, 81. The double occurrence of the skeptical component of Hegel’s philosophy in both the Phenomenology and the Logic may seem surprising. But it will seem less so when it is recalled that, as the introduction of the Phenomenology tells us, the “shapes of consciousness” of the Phenomenology are really the categories of the Logic, seen through a glass darkly, as it were (TWA 3, p. 80). 46 See Forster, M. N., Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit, Chicago 1998, ch. 3. 47 See ibid.
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actually recasting logic in what he considers to be a more epistemologically defensible and truer form (namely, in the Science of Logic and in the Logic of the Encyclopedia).48 Finally, the third idea, the idea that ancient forms of skepticism are superior to modern ones, plays an important role in Hegel’s philosophy as well. Recognizing his commitment to this idea is the key to seeing beyond the superficially plausible but mistaken accusation leveled against him by some commentators (e.g. J. B. Baillie and Roger Scruton) that he is not concerned about epistemological questions in general or about skepticism in particular. In fact, he is only dismissive of the epistemological challenges that are posed by modern skepticism – since in his view modern skepticism merely amounts to a form of dogmatism (largely because its approach requires it to assume that some facts are certain in order to call into question the inference from them to other facts, as in the case of modern “veil of perception” skepticism for example). But he is by no means dismissive of the epistemological challenges that are posed by ancient skepticism – which he considers superior to modern skepticism because it avoids such dogmatism (largely by employing a method of “equipollence [isostheneia]”, or of balancing opposed arguments, that does not rest on assumptions), and which he therefore makes strenuous efforts to answer on behalf of his own philosophy.49 Beyond thus being important for their role in Hegel’s own philosophy, the ideas in question are also of great intrinsic value in my view. The first Schlegel-Hegel idea, the idea that skepticism is an essential aspect of any genuine philosophy, seems to me a very deep one. The more specific form in which it seems attractive to me is as the thesis (suggested by some of Schlegel’s and especially Hegel’s own formulations of it) that philosophy is of its very nature either skepticism or anti-skepticism. A clue that this might be right can already be seen in the earliest origins of the term “philosophy.” Diogenes Laertius (in a passage confirmed by Clement) reports on this subject as follows: “The first to use the term philosophy, and to call himself a philosopher [lit. ‘lover of wisdom’] was Pythagoras; for, he said, no man is wise but 48 See Forster, Kant and Skepticism, ch. 12 and “Skepticism about Logic in Germany at the Turn of the Nineteenth Century.” 49 See Forster, Hegel and Skepticism and Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit, ch. 3.
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god alone. Heraclides of Pontus, in his De Mortua, makes him say this […] All too quickly the study was called wisdom and its professor a sage, to denote his attainment of mental perfection; while the student who took it up was a philosopher.”50 According to this credible report, the term “philosophy” initially connoted a deeply skeptical stance of a certain sort, but later came to connote aspirations to overcome such skepticism by attaining knowledge. It seems to me that both of these senses of the term “philosophy” can still be found in the Platonic dialogues (the former in the Apology and the Euthydemus, for example; the latter more pervasively and obviously). Schlegel and Hegel’s shared conception that ancient philosophy was in general oriented towards skepticism also seems correct. In his 1802 essay Hegel plausibly identifies a whole host of ancient philosophers as representatives of skepticism in a broad sense of the term, including Xenophanes, Zeno of Elea, Democritus, the Academic skeptics, and the Pyrrhonists. Schlegel and the later Hegel correctly identify the Sophists as propagators of skeptical ideas as well.51 Schlegel and Hegel’s conception of Plato as a philosopher motivated by an aspiration both to develop and to transcend skepticism seems defensible too. Hegel’s focus on the Parmenides in this connection is perhaps problematic due to the obscurity of Plato’s intentions in that work, but Schlegel’s focus on the Phaedo is certainly felicitous. Recall, for example, Socrates’ explanation there of his loyalty to rational argument and his development of his own form of it in terms of the need to avoid the common “misology” of supposing that equally convincing arguments can be supplied on both sides of any issue and that everything is in flux (89c ff.); and his explanation there of his recourse to the theory of forms in terms of a need to cope with a loss of confidence in natural science and common sense that had resulted from his development of a series of skeptical paradoxes concerning them (96a ff.).52 Aristotle might look like a harder case for Schlegel and Hegel. But in his Cologne lectures from 1804/06 Schlegel argues 50 Diogenes Laertius, Lives of Eminent Philosophers, Cambridge 1972, bk. 1, sec. 12 (Hicks’s translation, slightly modified). 51 See Schlegel’s 1804-6 Cologne lectures on philosophy and Hegel’s Lectures on the History of Philosophy and Lectures on the Philosophy of World History. 52 Cf. Aristotle’s similar explanation of Plato’s theory of forms as originally motivated by Plato’s desire to escape the conception of Heraclitus and Cratylus that everything is in flux, so that scientific knowledge is impossible (Metaphysics, 987a-b, 1078b).
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plausibly that the Sophists were purveyors of skeptical ideas and that Aristotle developed formal logic largely in answer to their epistemological subversions.53 Similarly, Hegel implies plausibly that Aristotle’s famous conception of the divine intellect in Metaphysics, Book Lambda, as thought thinking itself was a response to skeptical problems.54 Indeed, it seems to me that Aristotle’s philosophy can plausibly be seen as responding to skeptical problems on a much wider front as well – for example, in its defense of the law of contradiction in Metaphysics, Book Gamma; and in its account of the cognition of first principles in the Posterior Analytics.55 The Schlegel-Hegel idea in question also seems plausible in relation to modern philosophy. For example, we classify as “philosophy” both the broadly skeptical positions of Montaigne, Bayle, and Hume and the broadly anti-skeptical positions of Descartes56, Berkeley, Kant, G.E. Moore, and the later Wittgenstein (whereas we do not normally classify as “philosophy” the neither deeply skeptical nor deeply anti-skeptical theories of Newton, for instance). Moreover, many paradigmatic modern philosophers who might initially appear to be counterexamples to the idea in question quickly turn out not to be on closer inspection. For instance, Spinoza might look like a counterexample at first sight. But in fact, in keeping with his Cartesian heritage, he was deeply concerned to defeat skepticism – in particular, by arguing that a skeptic’s attempt to question such fundamental theses as that the internal angles of a triangle equal the sum of two right angles or that God exists would inevitably reduce him to mere babbling.57 Again, the Scottish common-sense philosophers – Reid, Beattie, et al. – might look like counterexamples. But in fact, 53 See esp. KFSA XII, pp. 312, 316; XIII, pp. 192 ff., 210 f. For more on this, see Forster, “Skepticism about Logic in Germany at the Turn of the Nineteenth Century.” 54 For more details, see Forster, M. N., “Hat jede wahre Philosophie eine skeptische Seite?” in: Skeptizismus und Metaphysik = Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderband 28, ed. M. Gabriel, Berlin 2012 = “Does Every Genuine Philosophy Have a Skeptical Side?” (forthcoming). 55 See ibid. 56 The seriousness of Descartes’ anti-skeptical intentions has recently been called into question by some commentators (e. g. D. Garber and S. Menn). But two studies which convincingly demonstrate their seriousness are Popkin, Richard, The History of Skepticism from Erasmus to Spinoza, Berkeley/Los Angeles 1979, esp. ch. 9 and Curley, Edwin M., Descartes against the Skeptics, Cambridge 1978. 57 See Popkin, The History of Skepticism from Erasmus to Spinoza, pp. 238 ff.
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they were largely motivated by a desire to counter the sorts of skeptical challenges to knowledge that Hume and others had mounted. Again, a number of influential German interpreters (e.g. Heimsoeth and Heidegger) and even a few Anglophone ones (e.g. Graham Bird and Karl Ameriks) have seen Kant as basically uninterested in skepticism. But in fact, as most of the Anglophone literature has recognized, and as I have recently argued in detail myself, that notion turns out to be massively mistaken (Kant was not only interested in answering “veil of perception” skepticism, but also, more importantly, first developed the critical philosophy largely as a response to both Pyrrhonian and Humean skeptical problems).58 Again, as has already been mentioned, certain interpreters have seen Hegel himself as a philosopher who is uninterested in epistemology generally and skepticism in particular (e.g. Baillie and Scruton), but more recent work on Hegel, including some of my own, has shown this reading to be radically mistaken too.59 Nor, I think, would further prima facie counterexamples to the Schlegel-Hegel idea from the modern period such as contemporary formal logic, philosophy of language, and philosophy of science be difficult to reconcile with it in the end. In short, the Schlegel-Hegel idea that all genuine philosophy has a skeptical side, when construed in the specific sense that all genuine philosophy is either skeptical or anti-skeptical, seems defensible and, indeed, deeply illuminating.60 The second Schlegel-Hegel idea, the idea that skepticism should be radical, extending its attacks even to classical logic and to what seems empirically given, is another intrinsically important idea. The notion, shared by many philosophers from Aristotle to Kant to the early Wittgenstein and beyond, that skepticism about classical logic is precluded because conformity to classical logic is constitutive of thought, so that a failure to conform to it would doom one to cease thinking, turns out to be mistaken when properly scrutinized.61 Moreover, quite powerful skeptical arguments can be, and indeed 58 See Forster, Kant and Skepticism. 59 See Forster, Hegel and Skepticism and Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit, ch. 3. 60 For a fuller discussion of this subject, see Forster, “Hat jede wahre Philosophie eine skeptische Seite?” = “Does Every Genuine Philosophy Have a Skeptical Side?”. 61 See Forster, M. N., Wittgenstein on the Arbitrariness of Grammar, Princeton 2004, ch. 5 and Kant and Skepticism, ch. 12.
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have been, developed against laws of classical logic. (More on this anon.) Similarly, concerning what seems to be empirically given: The shared Schlegel-Hegel insight that the deliverances of the senses are always implicitly laden with contestable theory and therefore questionable as indicators of truth has become almost a commonplace among twentieth-century philosophers (e.g. Norwood Hanson and Thomas Kuhn). Moreover, Hegel’s still more radical thought in his 1802 essay that the very existence of a subject’s mental states might be skeptically challenged seems viable as well. The standard philosophical reasons offered by Descartes and others for supposing that a subject at least cannot be mistaken about his own current mental states turn out to be dubious on inspection.62 Furthermore, plausible skeptical arguments against such self-ascriptions can be, and indeed have been, developed. For example, Sextus Empiricus in Against the Logicians adduces against people who have convictions in their own “appearances” the counterargument that “some of the physicists, like Democritus, have abolished all appearances.”63 Famously, Democritus had argued that all that existed were atoms and the void, and Sextus’s thought here is evidently that such a position implies the unreality of even subjective appearances – a consideration that can be set against the reasons we have for believing in their reality in order to generate an equal balance of plausibility on the issue, and hence a suspension of judgment. In our own day a Pyrrhonian skeptic might effectively draw for this purpose on the cleverly argued positions (similar to Democritus’s) of such eliminative materialists as Paul Feyerabend, Richard Rorty, and the Churchlands. In short, the Schlegel-Hegel idea that there are good prospects for a radical form of skepticism that even goes as far as to attack classical logic and what seems empirically given is convincing.64 Finally, the third Schlegel-Hegel idea, the idea that ancient skepticism is philosophically superior to modern skepticism, also seems intrinsically valuable. Hegel develops this idea more fully than Schlegel does, adding some important nuances to it that are absent from Schlegel’s version (at least as the latter has been preserved for 62 See Forster, Kant and Skepticism, ch. 12. 63 Sextus Empiricus, Against the Logicians, Cambridge 1983, bk. 1, sec. 369. 64 For more on this topic, see Forster, Hegel and Skepticism, ch. 1; Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit, ch. 3; and Kant and Skepticism, ch. 12.
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us). The strand of Hegel’s complex thoughts on this subject that seems to me most powerful goes roughly as follows. Ancient and modern skepticism are fundamentally different in character. For whereas modern skepticism essentially raises problems concerning the justification of inferences from facts of one sort which are assumed to be known with certainty (e.g. facts about the subject’s own current mental states, such as his perceptual sensations) to facts of another sort which are taken to be uncertain and for which the former are held to constitute the only evidence (e.g. facts about the existence and character of a mind-external world), ancient skepticism instead deploys a particular method, namely the method of “equipollence”, or of setting equally strong reasons for and against any claim into opposition with each other in order to induce a suspension of judgment about it. This fundamental difference in character entails further important differences as well, which constitute formidable advantages on the side of ancient skepticism over modern: modern skepticism is essentially dogmatic, in the sense that it essentially relies on assumptions which are in fact open to skeptical challenge, in particular to skeptical challenge by means of the ancient skeptics’ equipollence method (e.g. the assumption that one can know with certainty that one is currently in such-and-such mental states), and is in consequence also essentially limited in scope, whereas ancient skepticism escapes both of those weaknesses because its method of equipollence does not require it to make any assumptions but is, on the contrary, assumption-free (in particular, the method does not involve any more of a commitment to the negative arguments that it generates against received views, or to their negative conclusions, than it does to those received views and the arguments that support them themselves), and can therefore also be applied universally.65 In sum, Schlegel in his lectures on Transcendental Philosophy from 1800-1 not only contributed a set of positive ideas for a version of Absolute Idealism which Hegel subsequently took over to form the core of his own version of such a philosophical position, but he also introduced three important ideas concerning skepticism and its relation to philosophy which Hegel likewise took over and developed, which similarly came to play central roles in his own philosophy, and which are, moreover, of great intrinsic value. 65 For more details on this subject, see Forster, Hegel and Skepticism, ch. 1.
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III. A third important part of Schlegel’s deep influence on Hegel is intimately related to the preceding, indeed really just a specific aspect of it: Schlegel’s development of a skepticism about classical logic which Hegel would immediately take over and which would then eventually lead to his project of radically reforming logic in the Science of Logic (1812/16) and the Logic of the Encyclopedia (1817 ff.). Skepticism played a large role in the motivation of Kant’s critical philosophy, and an even larger role in the thought of some of his epigones, such as the self-proclaimed skeptic, G. E. Schulze. But one area in which they did not think that any serious skeptical challenge arose was general, or formal, logic. Thus, in the Critique of Pure Reason (1781/7) Kant wrote that the traditional principles of formal logic are “certain entirely a priori” (A54/B78), that formal logic “contains the absolutely necessary rules of thought without which there can be no employment whatever of the understanding” (A52/B76), and that it constitutes “a closed and completed body of doctrine” essentially unchanged since Aristotle (Bviii). Likewise, Schulze in his skeptical book Aenesidemus (1792) included formal logic among the principles that he took to be immune to skeptical attack, writing that “the touchstone of all that is true is general logic, and every reasoning about matters of fact can lay claim to correctness only to the extent that it conforms to the laws of logic.”66 One of the most striking and interesting things that happened in the next generation of German philosophy is that this orthodox view that classical logic was certain in a way that made it immune to skeptical attack came to be rejected, and that this then led to dramatic consequences for how the content of the discipline came to be conceived. Three thinkers contributed to this development: C.G. Bardili, Friedrich Schlegel, and Hegel, who took over ideas from both Bardili and Schlegel and on this basis developed the most sophisticated version of the project in question. Our main interest here concerns Schlegel’s influence on Hegel, but that story will be best told if we include Bardili in it as well. 66 Schulze, G. E., Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Herrn. Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementarphilosophie, nebst einer Verteidigung gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik (published anonymously and without place of publication in 1792), p. 45.
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C. G. Bardili was a former teacher of Hegel’s at the Tübingen “Stift” who in 1800 published a lengthy treatise titled Outline of the First Logic Purified of the Errors of Previous Logic in General and of the Kantian in Particular.67 Bardili’s project was then championed by Reinhold in the latter’s Contributions towards an Easier Overview of the Condition of Philosophy at the Beginning of the Nineteenth Century (1801-3). In 1801 Reinhold published there as part of his campaign on its behalf a second, shorter piece by Bardili titled On Bardili’s First, Kant’s Transcendental, and the hitherto General Logic.68 Friedrich Schlegel already questioned Kant’s confident position on logic privately in notes from 1796, where he wrote, for example: “One can counter the Kantian claim that Logic in his sense of the word has made no progress or regress since Aristotle with the observation that from the beginning of Logic until now people have not shown what Logic is, where it belongs, or what belongs to it and what not.”69 As we have seen, Schlegel subsequently expressed his skepticism about classical logic more emphatically and publicly in the lectures on Transcendental Philosophy that he delivered in Jena in 1800/01 (by which time he knew about Bardili’s Outline, as can be seen from his correspondence from the period).70 The third important thinker in the process was of course Hegel, especially in his 1801 essay The Difference Between Fichte’s and Schelling’s Systems of Philosophy and his 1802 essay The Relation of Skepticism to Philosophy, which already prepare the ground for his later positive reform of logic (Hegel already by this early period knew the relevant work of both Bardili and Schlegel: in addition to having been Bardili’s pupil at Tübingen, he discusses Bardili’s Outline and Reinhold’s championing of it extensively in the Difference essay; and, as we have seen, he had personally attended Schlegel’s lectures on Transcendental Philosophy in Jena). As I have already mentioned, Schlegel in the lectures on Transcendental Philosophy represents the laws of logic, including even the law of contradiction, as vulnerable to skepticism: “Logic as the organon of 67 Bardili, C. G., Grundriß der Ersten Logik gereinigt von den Irrthümmern bisheriger Logiken überhaupt, der Kantischen insbesondere, Stuttgart 1800. 68 Bardili, C. G., “Ueber Bardilis erste – Kants transcendentale – und die bisherige allgemeine – Logik”, in: K. L. Reinhold, Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1801-3. 69 KFSA XVIII, p. 505, cf. 517. 70 See KFSA XXV, p. 106, cf. 188, where one can see that Schlegel knew of Bardili’s work by May of 1800.
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truth offers us the law of contradiction [...] But the source of truth lies for us far higher than in these laws [of logic]; for skepticism also lays claim to these laws.”71 Other works of Schlegel’s from around the same period show that his own skepticism about logical laws in general, and the law of contradiction in particular, actually went as far as denying their validity. For example, he explains the confusion that is often found in texts, including and indeed especially superior texts, in terms of the confused nature of reality; and accordingly, he depicts the fundamental nature of reality as chaos.72 (A few years later, in his Cologne lectures on philosophy from 1804-6 he would adopt a similarly skeptical position about the validity of the logical laws of contradiction and identity, as well as about syllogistic reasoning.73) Hegel’s position just after he attended Schlegel’s lectures is strikingly similar. Thus, as we have seen, already in a review of Bouterwek from 1801 he criticizes Bouterwek for purporting to assume only as much as a skeptic would allow but then going on to assume the validity of logical laws, “whereas the consistent skeptic on the contrary denies the concept of a [logical] law altogether.”74 Moreover, in the Difference essay he challenges the law of identity with his own novel principle of “the identity of identity and non-identity.”75 And both there and in The Relation of Skepticism to Philosophy he even calls into question the law of contradiction. For example, as we saw, in the latter work he says that the higher standpoint of “Reason” violates it: “The so-called ‘law of contradiction’ is […] so far from possessing even formal truth for Reason, that on the contrary every proposition of Reason must […] contain a violation of it. For Reason, to say that a proposition is merely formal means: affirmed alone, without likewise claiming its contradictory opposite, it is just for this reason false. Hence to recognize that the law of contradiction is formal means to simultaneously know it to be false.”76 71 KFSA XII, p. 3. 72 For some discussion of this, see Forster, M. N., German Philosophy of Language: From Schlegel to Hegel and Beyond, Oxford 2011, esp. pp. 61 f. 73 See esp. KFSA XII, pp. 316-321; cf. XIII, pp. 259 f., 280. 74 TWA 2, p. 141. 75 TWA 2, p. 96. The origins of this principle can already be found in Hegel’s early theological writings from the late 1790s, especially the essay Love. 76 TWA 2, p. 230. Cf. the first of Hegel’s Habilitationsthesen from 1801: “Contradiction is the rule of truth, not of falsehood [Contradictio est regula veri, non contradictio falsi].”
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Bardili’s contribution to this line of thought was significantly different, but equally important and interesting in its own way. His main work, Outline of the First Logic Purified of the Errors of Previous Logic in General and of the Kantian in Particular from 1800, is not his most significant piece in this particular connection (though, as we shall see later, it is in another connection).77 Much more significant is the shorter essay that he published soon afterwards in 1801 in Reinhold’s Contributions, titled On Bardili’s First, Kant’s Transcendental, and the hitherto General Logic (by which time he may well have fallen under Schlegel’s influence). There he argues that Kant has left the laws of logic “merely rhapsodically [...] gathered together”78 – i.e. picked up uncritically from tradition. He notes the oddity of the fact that Kant combines a demand for the investigation of the grounds of possibility of other kinds of knowledge with an entirely uncritical acceptance of logical laws: “The Kantian school has itself demanded an appropriate metaphysics for everything that is supposed to be scientific in each kind of human knowledge, in which the connection of this piece of knowledge with its a priori grounds should be developed. Is only logic alone to do without such a metaphysics, and yet be, and be called, a science, indeed quite pure science?”79 And perhaps most interestingly of all, he points out that it seems to be an assumption underlying Kant’s complacency about logical principles that they have not been subjected to any serious skeptical attack, and he questions the historical accuracy of that assumption: He notes that “Kant thought he had recognized that the dogmatists and skeptics had remained standing with their quarrels only on the territory of metaphysics; and that on the territory of logic on the contrary an eternal peace has always prevailed”; but he asks rhetorically “whether it is really true that skepticism has only called into question the objective in human cognition, or has not on the contrary 77 Despite its subversive and revolutionary bluster, the work does not discuss the epistemology of classical logic much, consider classical logic’s vulnerability to skepticism, or even revise classical logic’s content very dramatically (in particular, as Hegel in effect complained in the Difference essay, the work retains a conventional commitment to the law of identity – rather than, for example, developing Hegel’s novel principle of “the identity of identity and non-identity” – as well as a conventional commitment to the law of contradiction). 78 Bardili, „Ueber Bardilis erste – Kants transcendentale – und die bisherige allgemeine – Logik“, in: Reinhold, Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, II, p. 83. 79 Ibid. p. 85.
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also more than once dared to attack the validity of the laws of our understanding themselves.”80 This sudden new wave of awareness that classical logic lacked adequate epistemological defenses and was consequently vulnerable to skepticism is not only historically important but also philosophically deep. As I have argued in some detail elsewhere81, Kant’s conception of the certainty of classical logic rested on a claim that conformity to it and conviction in it are constitutive of the very nature of thought, so that to violate classical logic would be to cease to think – a claim that ultimately derives from Aristotle’s defense of the law of contradiction along similar lines in Metaphysics, Book Gamma. But neither Aristotle’s original case nor Kant’s repetition of its conclusion stands up to critical scrutiny: People certainly quite often seem to believe contradictions, even including explicit ones (e.g. Homer, Heraclitus, Plato, and Engels); the Aristotelian argument against the possibility of doing so breaks down at key points, and is by no means improved on by Kant, who, on the contrary merely repeats its conclusion dogmatically; and even if such a case did work, the skeptical reply would still be available, “If not thinking, then why not schmthinking?” (i. e. something similar to and just as good as, or perhaps even better than, thinking). The philosophers from the beginning of the nineteenth century whom we are considering here do not quite make this case against the Aristotelian-Kantian position, but they do already have something very much like it in mind. Thus, as we saw, Bardili at least accuses Kant of having failed to provide any adequate epistemological defense of formal logic in a general way. Moreover, Schlegel’s insistence in Georg Forster (1797) and elsewhere that it is quite proper to ascribe inconsistencies to certain thinkers shows that he rejects the Aristotelian-Kantian position that it is impossible to think in violation of the laws of formal logic.82 And the same is true of Hegel’s insistence on ascribing inconsistencies to previous thinkers in works such as the Phenomenology of Spirit and the Lectures on the History 80 Ibid. pp. 88 f. 81 See Forster, Kant and Skepticism, ch. 12. Cf. Forster, Wittgenstein on the Arbitrariness of Grammar, ch. 5. 82 For some further discussion of this, see Forster, German Philosophy of Language: From Schlegel to Hegel and Beyond, pp. 60 ff.
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of Philosophy. Moreover, Hegel also makes his rejection of the Aristotelian-Kantian position clear by means of more explicit statements on the subject, such as his remark at Encyclopedia, § 119 that “it is ridiculous to say that contradiction is unthinkable.”83 In addition, the mature Hegel’s position at Encyclopedia, § 82 and elsewhere that while traditional logic may indeed characterize the “Understanding”, it fails to characterize “Reason”, strongly suggests a version of the “thinking vs. schmthinking” point that I mentioned above. Furthermore, as Schlegel, Bardili, and Hegel all imply, the prospects of developing forceful skeptical arguments against traditional logical principles look good. It may be helpful in this connection to distinguish between two broad types of skepticism in which they are interested: paradox-skepticism (i.e. roughly, the discovery of apparent counterexamples to logical principles) and equipollence-skepticism (i.e. the discovery that equally plausible arguments can be given for and against logical principles).84 Concerning, first, paradox-skepticism: Schlegel and Hegel both believe that there are good reasons for rejecting such central principles of classical logic as the law of contradiction, the law of identity, the law of bivalence or excluded middle, and syllogistic inference. For example, Schlegel believes that there are good reasons for affirming contradictions in defiance of the law of contradiction; this is implied by his diagnosis of contradictions in texts as the result of contradictions in reality, and by his characterization of reality as fundamentally chaos. And Hegel rejects traditional logical principles in an even more thoroughgoing and systematic way (as we shall see in some detail shortly). What moved Schlegel and Hegel to take such a position? It seems to me that they were initially moved largely by a perception that ancient philosophers had already made cogent cases for paradoxes. Thus, as has been mentioned, Schlegel developed an enthusiasm for Plato’s Parmenides around 1800-1, and when in his 1800-1 lectures on Transcendental Philosophy he approves of Plato’s Phaedo as a form of skepticism, he evidently has in mind mainly the series of paradoxes to which Socrates at 96a ff. in the dialogue attributes his aban 83 Cf. Science of Logic, in TWA 6, p. 563. 84 Schlegel and Hegel both tend to run these two sorts of skepticism together (another continuity between their treatments of the subject of skepticism). But it is helpful to distinguish them.
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donment of both natural scientific and commonsense explanations in his youth.85 Similarly, in the Cologne lectures on philosophy from 1804-6, where Schlegel argues that the laws of identity and contradiction have only a relative validity, he indicates that he approves of Heraclitus’s denial of them in light of his doctrine of flux.86 Likewise, as has already been mentioned, Hegel in The Relation of Skepticism to Philosophy celebrates Plato’s Parmenides as a demonstration that even our most fundamental everyday concepts all turn out to be self-contradictory. But Schlegel and Hegel also developed more original arguments of their own against traditional logical principles. For example, as has been mentioned, Schlegel already around 1800 champions the claim that reality itself is chaotic, i.e. self-contradictory. And a few years later he insists in his own voice in the Cologne lectures of 1804-6 as part of his criticism of the laws of identity and contradiction that life does in fact contain contradictions.87 He also develops a criticism of syllogistic reasoning there, arguing that it is (1) trivial because reducible to a principle of the transitivity of identity, (2) not needed in order to infer correctly, and (3) merely local in its original motivation (namely, a need to combat the Sophistic movement that had emerged among the Greeks).88 Hegel’s original arguments are more elaborate and sophisticated. For example, concerning the law of contradiction, already in The Relation of Skepticism to Philosophy he endorses Spinoza’s characterization of the one substance as a causa sui but also insists that this characterization is self-contradictory (his reasons are partly the obvious one that the very concept of a “cause” implies ontological inde 85 These paradoxes concern puzzles about how adding one to one can yield two, given that it seems that neither the first one nor the second one nor both of them can become two; how dividing one can cause it to become two, given that in the previous case the cause of this effect was the opposite cause of addition; how of two people one can be taller by a head while the other is shorter by a head; and so on. It seems to me likely that these paradoxes derive from the Eleatic Zeno and his case against pluralism (cf. Plato’s depiction in the Parmenides of a young Socrates learning about Zeno’s arguments from Parmenides). 86 KFSA XII, pp. 316 ff. 87 KFSA XII, p. 321. 88 KFSA XII, pp. 315 f. This criticism of syllogistic reasoning is closely related to Schlegel’s famous claim in Athenaeum Fragments No. 82 that asserting is more important than proving.
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pendence from and temporal priority to the effect, but mainly the less obvious one that whereas Spinoza’s characterization implies that the one substance’s essence includes its existence, the very concepts of “essence” and “existence” – at least as normally conceived – imply a separation between the two).89 Then, in his mature Logic, Hegel famously argues that even such fundamental concepts as pure being turn out to be implicitly self-contradictory (in this particular case because if being is genuinely pure, really abstracts from all characterization, then it is indistinguishable from nothing). And he endorses Kant’s discovery of contradictions in the Antinomies, but argues that there are many more of these than the four that Kant identified, and insists, contrary to Kant, that the contradictions in each case afflict reality no less than thought.90 Finally, in his mature philosophy Hegel also argues that such pervasive phenomena as motion and change involve self-contradiction.91 Again, concerning the law of identity, a = a, already in the Difference essay, and then throughout the rest of his career, Hegel questions this law on the grounds that it involves a merely abstract concept of identity and is at best trivial, whereas the more proper concept of identity essentially involves difference, or non-identity. His argument here is basically that such uninformative identity statements as those with which the law is concerned (e.g. “Cicero = Cicero”, “The Morning Star = The Morning Star”) are merely secondary and parasitic on informative ones (e.g. “Cicero = Tully”, “The Morning Star = The Evening Star”) and that in the latter cases the thought of the identity of the two items in question always of its very nature involves a transition from thinking of them as different from each other to thinking of them as identical. 92 Again, concerning the law of excluded middle, in his mature Logic Hegel sketches a case against this law that turns on a claim that instances of neither-nor do occur. Hegel’s own examples of this are not particularly convincing. But more convincing ones are not 89 TWA 2, pp. 229 f. 90 See Encyclopedia, in TWA 8, § 48. 91 For a sophisticated recent discussion and defense of Hegel’s position concerning motion and change, see Priest, G., In Contradiction, Oxford 2006, ch. 1112. 92 See esp. Science of Logic, at TWA 6, pp. 38-45. For a fuller explanation and qualified defense of Hegel’s position on this subject, see Forster, Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit, pp. 200 ff.
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hard to find. For instance: “Is Hegel a religious thinker or not? One can’t really say yes or no”; “Is this modestly sized stretch of flowing water a river or not? Neither, it’s in between.”93 Finally, Hegel from an early period on also, in a way, rejects syllogistic reasoning (and deductive argument more generally) as a failure in its entirety. This is already the force of his repudiation in the Difference essay of Reinhold’s “tendency to give and establish by grounds [Begründungs- und Ergründungstendenz]”, an approach which Hegel, in a characteristically significant pun, says “geht los”, i.e. both begins and comes undone, before and outside philosophy.94 Hegel retains this position throughout his career; for example, he later reiterates it at Encyclopedia, §§ 12 and 50. His case for rejecting syllogistic reasoning (and other forms of deductive argument) has various parts. These include a Pyrrhonian concern that it is futile because it runs into the trilemma of facing the exhaustive alternatives of infinite regress, vicious circularity, or dogmatic assumption (I shall return to this problem in a moment). But they also include a more fundamental case based on his doctrine that “the true is the whole” (as he famously puts it in the preface of the Phenomenology). For this doctrine implies that as a matter of principle there could never be any discrete premises that were true or any discrete truths to infer from them as conclusions.95 Turning now to equipollence-skepticism: When Bardili and Hegel (in his remarks on Bouterwek) imply that skeptics have already developed serious attacks on logic, they are evidently thinking mainly of the ancient skeptics stricto sensu, the Academic and Pyrrhonian skeptics, with their equipollence method. So interpreted, Bardili and Hegel’s implication is historically correct. One of the most impressive examples of this sort of attack is recorded by Cicero in the Academica, where the Academic skeptic is represented as (among other things) calling into question the law of bivalence, or excluded middle, by means of a version of the Liar Paradox: “Clearly it is a funda 93 See Science of Logic, at TWA 6, pp. 73 f.; Encyclopedia, at TWA 8, § 119. 94 TWA 2, p. 25: “It can be demanded of propositions that they give a justification of themselves. The justification of these propositions, as presuppositions, is supposed not yet to be philosophy itself. And thus the giving and establishing by grounds begins/comes undone before and outside philosophy [und so geht das Ergründen und Begründen vor und außer der Philosophie los]”. 95 For more discussion of this, see Forster, Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit, pp. 158 f.
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mental principle of dialectic [i.e. logic] that every statement […] is either true or false. What then? Is this a true proposition or a false one – ‘If you say that you are speaking falsely and say it truly, you speak falsely’?”96 The paradoxical proposition involved here could be recast more simply in the form: “This statement is false”. And the Academic skeptic’s basic point is that both the assertion that such a proposition is true and the assertion that it is false lead to contradiction, which constitutes a ground for classifying it as neither true nor false, contrary to the law of bivalence, or excluded middle. If the ancient skeptic’s standard method of “equipollence” is applied, this consideration can then be set over against whatever reasons we have for believing the law of bivalence, or excluded middle, in order to generate equipollence and hence a suspension of judgment concerning it. Another noteworthy example of an ancient skeptical attack on logic in the manner of the equipollence method is Sextus Empiricus’s attack in his Outlines of Pyrrhonism on (quasi-)syllogisms of the form “Socrates is a man. All men are animals. Therefore Socrates is an animal.”97 In this case, the Pyrrhonian skeptic famously objects that such reasoning is viciously circular, since in order to know the premise that all men are animals one would already need to know the conclusion that Socrates is an animal.98 In accordance with usual Pyrrhonian procedure, the purpose of this objection is not, though, to refute such reasoning outright, but instead to counterbalance whatever reasons we have for believing in its reliability, in order to generate equipollence and hence suspension of judgment concerning it. A third noteworthy ancient skeptical attack on logic in the spirit of the equipollence method can be found in the trilemma that constitutes the heart of the Pyrrhonian Five Tropes of Agrippa: all assertions are futile because they must either be founded on an infinite regress of justifications or on a regress of justifications that at some point involves vicious circularity or on a dogmatic assumption that 96 Cicero, Academica, Cambridge 1979, II.95 ff. Translation modified. 97 I say “(quasi-)syllogisms” because the discoverer of the syllogism, Aristotle, in the Prior Analytics only envisages premises with universal (“all”) or particular (“some”) subjects, not premises with individual subjects (e. g. “Socrates”). However, most of the subsequent logical tradition, including Hegel, would classify arguments of the above form as syllogisms as well. 98 Sextus Empiricus, Outlines of Pyrrhonism, Cambridge 1976, II., 195 f.
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is vulnerable to being confronted with an opposite dogmatic assumption that is no less justified. This trilemma seems to show that logical inference is futile as a means to achieving its purpose, namely establishing truth. The trilemma itself involves a special form of equipollence in the last of its three legs, that concerning dogmatic assumptions. But it could obviously also be employed in an equipollence manner in its entirety, namely by being set over against whatever reasons there are in favor of thinking that logical inference is suitable for its purpose of establishing truth in order to generate equipollence and hence suspension of judgment on the issue. Hegel was well aware of, and sympathetic towards, all of these ancient skeptical equipollence arguments against logic. Thus, he discusses the Liar Paradox and its undermining of the law of bivalence sympathetically in the Lectures on the History of Philosophy.99 He himself reproduces Sextus Empiricus’s argument against (quasi-)syllogisms of the form “Socrates is a man. All men are animals. Therefore Socrates is an animal” in the Science of Logic.100 And he already shows a thorough knowledge of and sympathy with the Agrippan trilemma in The Relation of Skepticism to Philosophy, afterwards going on to sustain and even strengthen his sympathy with it.101 Moreover, he applies it against classical logic specifically at various points in the Science of Logic.102 Hegel will also have recognized that equipollence-skepticism has good prospects in the area of traditional logic for another reason: Obviously, to the extent that Hegel’s own paradox-arguments against central principles of classical logic are found plausible, an equipollence skeptic might be able to draw on those arguments in order to counterbalance whatever reasons favor the principles in question. Finally, it is worth noting that more recent attacks on aspects of classical logic have potentially added further grist to equipollence-skepticism’s mill. For example, additional arguments have been developed against the law of bivalence, or excluded middle, 99 TWA 18, p. 529. Hegel actually cites Cicero’s Academica in this connection. 100 TWA 6, p. 383, cf. p. 456. 101 For more on Hegel’s attitude to the Agrippan trilemma, see Forster, Hegel and Skepticism and Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit, pp. 152 f. 102 See Science of Logic, in TWA 6, pp. 347 (dogmatic hypothesis vulnerable to an opposite dogmatic hypothesis), 362 f. (infinite regress), 383 (vicious circularity).
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based on considerations in mathematics (intuitionism), set theory (Russell’s Paradox), and quantum mechanics – arguments on which an equipollence skeptic might again be able to draw in order to counterbalance whatever reasons support the law. And even the law of contradiction has come under plausible attack, in particular from Graham Priest in his sophisticated book In Contradiction. As we have seen, this whole skeptical project against classical logic was largely introduced by Schlegel and then taken over and developed further by Bardili and Hegel. However, unlike Schlegel’s position on logic, Bardili and Hegel’s positions were not only negative, but also had a constructive side, which should now be discussed briefly as well. To the extent that one can rely on Bardili’s own account in On Bardili’s First, Kant’s Transcendental, and the hitherto General Logic of his original motives for developing a quite new logic in his Outlines, he did so largely in response to his perception that logic had not hitherto been provided with any adequate epistemological defenses, in particular not by Kant, and that it was consequently vulnerable to skeptical attack. This situation both liberated him to attempt to develop a new logic and positively motivated him to do so in order to provide one that would possess the sort of adequate epistemological defenses that traditional logic lacked. Bardili’s main strategy for generating such defenses was to reject Kant’s conception of logic as merely formal, and to reconceive logic as instead ontological, just as much concerned with the world as with the mind. Even if this account offered after the publication of the Outlines involved an element of ex post facto rationalization, clearly this at least by 1801 came to be a central motivation for its project. Hegel’s highly original mature Logic was similarly motivated by his perception of traditional logic’s lack of adequate epistemological defenses and of its consequent vulnerability to skeptical attack, which similarly both liberated him to reform logic and positively induced him to do so in order to render it epistemologically secure. Moreover, I suggest that Hegel’s project was, in this point, heavily influenced by Bardili’s. This influence can easily be obscured by the fact that Hegel’s only detailed discussion of Bardili’s project, namely in the Difference essay of 1801, was early, highly critical, and then immediately followed by several years during which Hegel, far from following Bardili’s conception of logic as the very core of philosophy and as onto-
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logical, instead developed a merely introductory, critical logic (the core of philosophy in his own Jena system being not logic but metaphysics, followed by the philosophies of nature and spirit). However, there are cases in the history of philosophy in which a thinker encounters ideas in a predecessor, reacts negatively to them at first, develops a contrary position, but then has them bubble up again years later (whether he is still conscious of their source or not), causing him to revise that contrary position in fundamental ways that bring it close to the ideas in question.103 And I suggest that this is exactly what happened to Hegel – specifically, that his abandonment of his early introductory, critical logic in favor of his mature logic, with its fundamental role in his philosophy and its ontological character, in about 1806 was a sort of delayed afterecho of Bardili’s project. A broader inventory of some of the common ground that Bardili and Hegel share in their projects should suffice to make that suggestion plausible, or even unavoidable: (1) As we have seen, both of them take skepticism about logic seriously and think that the epistemological defenses of logic that have hitherto been provided, in particular by Kant, have been entirely inadequate. (2) Both of them in large part for just this reason undertake a fundamental reform of logic. (3) Both of them in their reform of logic emphatically reject Kant’s conception of it as merely formal. (4) Both of them instead opt for a conception of it as ontological, i.e. just as much concerned with the world as with the mind. (5) Both of them make the new logics that they thus develop fundamental to the whole of philosophy.104 (6) Both of them identify being [Sein] as fundamental to all thought. (7) Both of them conceive Urteilung not just in the usual sense of “judgment” but also in the (pseudo-)etymologically derived sense of an “original division” as central to logic. (8) Both of them incorporate into logic a critique of the modal categories of actuality, possibility, and necessity that tends to reduce them to the single cat103 For example, as I have argued elsewhere, something like this happened to Wittgenstein when he encountered ideas from Herder and Hamann in the work of Fritz Mauthner early in his career, largely rejecting them at first, but then going on to revise his early philosophy in their spirit and to adopt them himself in his later philosophy. See Forster, German Philosophy of Language: From Schlegel to Hegel and Beyond, p. 269. 104 Bardili actually aspires to reduce philosophy to logic, whereas the mature Hegel similarly but somewhat more modestly makes logic foundational for the whole of philosophy.
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egory of necessity. And (9) both of them include as part of logic material on organic life, animal life, and human practical life.105
IV. So much for absolute idealism and skepticism. But there are also other areas in which Schlegel exerted an important positive influence on Hegel. One of these is the philosophy of language and linguistics. As I have argued in detail elsewhere106, Hegel’s philosophy of language took several important twists and turns over the course of his career. In particular, having developed a thoroughly Herderian philosophy of language during the period 1803-7, especially in the Phenomenology of 1807, which included embracing Herder’s principle that thought is essentially dependent on and bounded by language, Hegel lapsed from this position towards a more traditional dualistic picture of the relation between thought and language during the period 1807-27, especially in the Encyclopedia, before then eventually returning to the Herderian position in the period 1827-31. Moreover, during this late period he also developed a strong interest in and admiration for the new wave of work in linguistics charting the relations between, and development of, the Indo-European family of languages in light of their grammatical structures that had been achieved by Bopp, Grimm, Wilhelm von Humboldt, and others over the preceding couple of decades. These important late developments in Hegel’s theory of language were closely connected with each other: The work in linguistics just mentioned had originally been initiated by, and rested upon, Herder’s philosophy of language,
105 There are certainly also some significant differences between them. For example, Bardili makes the law of identity central to his new logic, whereas Hegel criticizes it (already countering it in the Difference essay with his distinctive principle of “the identity of identity and non-identity”); Bardili stays faithful to the law of contradiction, and indeed even to the traditional Aristotelian-Kantian conception that to violate it would be to cease to think, whereas Hegel calls both into question; and Bardili does not use a dialectical method to develop his logic in a continuous chain as Hegel does. 106 Forster, German Philosophy of Language: From Schlegel to Hegel and Beyond, ch. 5.
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so that in accepting the former Hegel also had a motive to re-adopt the latter. Now in taking this late linguistic turn Hegel was heavily influenced by the work of Friedrich Schlegel. For it was Schlegel who in his seminal book On the Language and Wisdom of the Indians (1808) had established the twin projects of “comparative grammar” and of charting the relationships between the Indo-European languages in light of their grammatical structures that then rapidly developed into the rich linguistic work of his brother August Wilhelm Schlegel, Bopp, Grimm, and Humboldt. Moreover, it can be seen from some very revealing passages in the introduction to the 1830 cycle of Hegel’s Lectures on the Philosophy of World History that Hegel was perfectly (albeit reluctantly) aware of Friedrich Schlegel’s fundamental role here. In the introduction Hegel first discusses Friedrich Schlegel’s On the Language and Wisdom of the Indians (1808) explicitly, but only in order to criticize it for its picture that the ancient Indians possessed a pure knowledge and art that then became corrupted and only imperfectly preserved by subsequent cultures over the course of history.107 Then a few pages later Hegel goes on to enthuse about the revolutionary new discovery of the interrelatedness of the Indo-European languages that the same work had initiated, albeit while contriving to imply the work’s seminal role in this connection without naming the work or its author explicitly again: “A great historical discovery, like the discovery of a new world, has been made in the last twenty [years] or upwards in connection with the Sanskrit language and its affinities with the languages of Europe [...]”108 (Although Hegel does not mention Schlegel or his work again explicitly here, the fact that he had done so just a few pages earlier and the phrase “the last twenty [years] or upwards” put the allusion to them beyond any doubt.) This evidence establishes that Hegel was not only indebted to Schlegel for his own final position concerning language but was also well aware of this debt – which was of course my main point in discussing it. But it can also serve as a general warning not to underestimate Hegel’s potential for consciously borrowing important ideas
107 Hegel, G. W. F., Lectures on the Philosophy of World History: Introduction, Cambridge 1975, p. 132. 108 Ibid., p. 135.
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from Schlegel while also contriving to obscure the fact that he is doing so.
V. Finally, I would like to indicate yet another area in which Hegel was deeply indebted to Friedrich Schlegel: namely in connection with the theory of ancient tragedy. Before Friedrich Schlegel and his brother August Wilhelm came along, the interpretation of ancient tragedy had been dominated by Aristotle’s Poetics. This was true not only in France but also in Germany, where such innovative thinkers as Lessing and Herder certainly criticized French Aristotelians, but still did so from within the framework of Aristotle’s theory itself (their disagreement with the French was not really about whether or not Aristotle was right, but merely about what he had meant). Herder prepared the ground for a more radical revolution in the theory of tragedy, however. He did so in two main ways. First, he introduced a new historicized theory of genre in general and tragedy in particular: In such works as the Critical Forests (1769) and Shakespeare (1773) he argued that the appearance that identical genres are shared by different historical periods (e.g. Sophocles’ “tragedy” and Shakespeare’s “tragedy”) is in most cases an illusion, that on the contrary the rules and purposes that constitute genres usually change quite dramatically over time, and that this generates great problems both for interpreting and for evaluating earlier literature, including not only the problem that the interpreter or critic needs to become acquainted with genres that are as yet unfamiliar to him but also the problem that he needs to resist the strong temptation to falsely assimilate them to ones that are more familiar to him, problems which can only be solved by means of careful empirical investigation. Second, despite his deep respect for Aristotle, Herder in the works just mentioned and even more so in subsequent ones implied a number of specific ways in which Aristotle and Aristotelians had given an inadequate interpretation of ancient tragedy. In particular, he implied that it was both deeply religious-Dionysian in nature and served important civic-political functions in Athenian democracy, neither of which features had been clearly acknowledged by Aristotle, and he also implied that it did not in fact aim to conform to the three (neo-)
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Aristotelian unities of action, time, and place or to achieve the goal of catharsis that Aristotle had ascribed to it. Friedrich and August Wilhelm Schlegel developed these Herderian hints into a full-scale assault on Aristotle’s theory of tragedy and a project of re-thinking the nature of the genre from the ground up. They both basically accepted Herder’s new historicized theory of genre in general and tragedy in particular (see, for example, the set of lectures on German language and literature that Friedrich delivered in Cologne in 1807109, and August Wilhelm’s justly famous Course of Lectures on Dramatic Art and Literature (1809)110). In consequence, they developed a new Herderian sensitivity to the difficulty of penetrating genres from remote periods, and in particular to the acute danger of falsely assimilating them to more familiar genres, together with a scrupulous, skilled investigation of the evidence afforded by the surviving ancient tragedies themselves conducted in the spirit of Herder’s empirical approach to the identification of genres. They also adopted and developed Herder’s specific anti-Aristotelian hints concerning the religious-Dionysian and civic-political functions of ancient tragedy, the dubiousness of Aristotle’s (supposed) doctrine of the three unities, and the questionableness of his doctrine of catharsis. And they thereby came to realize that Aristotle’s account of ancient tragedy was, in fact, at least as much an obstacle to properly understanding it as a help. Of the two brothers, it was Friedrich who began this attack on Aristotle’s account of ancient tragedy, established its main principles, and I think also had the deeper insights. Friedrich already attacks Aristotle’s claim to be considered an authority on Greek poetry in On the Study of Greek Poetry (1795/7) – largely on the (plausible) ground that Aristotle belonged to the period of Greek poetry’s decadence, and consequently misunderstood its most important, earlier forms.111 Then in On Homeric Poetry (1796) and in the first, and only completed, volume of his History of the Poetry of the Greeks and Romans (1798) – which deals mainly with epic poetry but which was to have
109 KFSA XV/2, pp. 40 ff. 110 Schlegel, A. W., Course of Lectures on Dramatic Art and Literature [1809], New York 1973, esp. pp. 23, 28, 340 f. 111 Schlegel, F., On the Study of Greek Poetry [1795/7], ed. S. Barnett, Albany 2001, pp. 85 ff.
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been followed by a second volume on tragedy112 –he develops a more detailed critique of Aristotle’s views concerning both epic and tragedy. In particular, he argues that Aristotle assimilated the two genres much too closely, especially in connection with the so-called “unity of action.”113 Specifically, he argues that Aristotle failed to see that they involve fundamentally different sorts of unity: Whereas the unity involved in tragedy is strict, that involved in epic is much looser; whereas in tragedy it requires following just a single human action or plan from its inception through to its conclusion, in epic it does not; whereas in tragedy it requires that none of the events included in a work could have been omitted and none added without destroying the unity involved, in epic it does not; whereas in tragedy it requires that both the beginning and the end of the plot be quite definitely determined, in epic these are only rather arbitrarily chosen in relation to a larger background of myth that extends both backwards and forwards in time from the events depicted by the epic; and so on.114 Friedrich also already at this early period begins to problematize Aristotle’s doctrine of tragedy’s “unity of action” itself, together with the whole neo-Aristotelian doctrine of the three unities of action, time, and place.115 Additionally, in these early works 112 Concerning this plan, see ibid., p. 100. Friedrich had already written a large manuscript on tragedy by the mid-1790s, which has unfortunately since been lost (see his own report about it at KFSA XXIII, pp. 315 f.). Some hints of what it must have contained can be gleaned not only from the works just mentioned above but also from the short pieces on tragedy from 1795 to be found in KFSA XI. 113 Aristotle argues in the Poetics that the mythos, or story, of a tragedy should consist in a single, whole praxis, or action (Poetics, 1149b23-4, 1450a2-3). 114 Schlegel, F., Über die Homerische Poesie, KFSA I, pp. 124 ff., 131; Geschichte der Poesie der Griechen und Römer, Berlin 1798, esp. pp. 69-110. Cf. KFSA XV/2, p. 86. For a more recent version of the same charge against Aristotle, see Halliwell, S., Aristotle’s Poetics, Chicago 1998, pp. 264 f. 115 Thus Friedrich writes in a fragment from 1797: “Ancient tragedy does not even strive for the so-called unity of action. No action is one; actions are divisible to infinity. The unity is therefore a matter of will/arbitrariness [Willkühr]. Presumably one ascribes unity to the action that is or seems philosophically, poetically, and ethically whole, or that strives for this wholeness” (Schlegel, F., Literary Notebooks (1797-1801), ed. H. Eichner, Toronto 1957, No. 217; emphasis original). Later he problematizes the doctrine of the unity of action again, though in a slightly different way: in notes from 1802/3 he says that the unity involved is ultimately musical (KFSA XV/2, p. 183). A bit later still he problematizes it yet again, and in yet another way, suggesting in lectures from 1803/4 that the unity involved in tragedy is the unity of a story rather than an action
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Friedrich – continuing a theme that had already been adumbrated by Herder – emphasizes that ancient tragedy had a deeply religious, and in particular Dionysian, origin and character (a point that Aristotle, despite acknowledging tragedy’s origin in the (Dionysian) dithyramb, had essentially neglected or suppressed).116 Friedrich also in these early works – again continuing a theme that had already been adumbrated by Herder – recognizes that tragedy had a deeply civic-political, and in particular liberal-republican, character (thereby going far beyond Aristotle’s vague suggestions near the end of the Politics that poetry serves purposes of education, catharsis, and entertainment within the polis).117 (Friedrich already sums up both of these two points as early as 1795 in the following succinct remark: “The religious and political spirit is an essential part of tragedy.”118) Finally, and perhaps most radically of all, Friedrich in certain (KFSA XI, p. 83). None of this shows that he rejects the doctrine outright – indeed, he goes on to affirm it explicitly in 1807 (KFSA XV/2, pp. 86 f.) – but it does show that he problematizes it, or questions what exactly its sense should be. In addition, he implies a similarly critical, though not dismissive, attitude towards the doctrines of the unities of time and place. For example, he writes in notes from 1802/3: “The constant presence of the chorus caused what people call unity of time and of place” (ibid., p. 162, emphasis original). But he also in 1803/4 affirms these unities (KFSA XI, pp. 83 f.) 116 See already Friedrich’s remark in his Charakteristik der griechischen Tragiker (1795) that “The religious [...] spirit is an essential part of tragedy” (KFSA XI, p. 203). Also and esp. On the Study of Greek Poetry, pp. 48, 61. Cf. later KFSA XI, pp. 71 ff.; XV/2, pp. 48, 160 ff., 183. For a more recent version of the same point against Aristotle, see Halliwell, Aristotle’s Poetics, esp. pp. 146 ff., 230 ff. 117 Friedrich already makes this point emphatically in his Charakteristik der griechischen Tragiker (1795) (KFSA XI, pp. 202-210). It can also be seen from the facts that the published volume of his Geschichte der Poesie der Griechen und Römer, as it nears its conclusion and approaches the discussion of tragedy that Friedrich planned to undertake in the second volume, turns to a focus on politics and especially on the emergence of freedom and republicanism in the Greek world (pp. 215 ff.), and that it moreover explicitly says that the dithyramb (from which tragedy arose) was an expression of freedom and properly belonged to democracy (p. 220) (cf. On the Study of Greek Poetry, p. 100 where Friedrich projects after the planned second volume on tragedy a treatment of politics). Both because Friedrich never wrote the projected second volume and because his early sympathies with republicanism soon gave way to a more conservative-reactionary political position, he never developed this important aspect of his early interpretation of tragedy explicitly in his published writings, though he no doubt discussed it at length with his brother August Wilhelm, who then did so. 118 KFSA XI, p. 203.
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places argued that ancient tragedy, instead of having being intended to be fictional about historical matters (i.e. about which gods, heroes, and other humans had existed, what they had been like, what they had done and said, what events had occurred among them, and so forth), as Aristotle had implied (Poetics, 1451a36-b11), had actually been intended to be historically factual.119 August Wilhelm in his History of Classical Literature (1802) and Course of Lectures on Dramatic Art and Literature (1809) radically rejected Aristotle’s account as well, continuing and elaborating most of Friedrich’s criticisms, while also disagreeing with Friedrich on a few points in ways that make his critique of Aristotle less extreme in certain respects but more so in others.120 Concerning the continuities and elaborations: August Wilhelm basically repeats Friedrich’s insistence against Aristotle that epic and tragedy were deeply different genres, in particular because they strove for very different sorts of unity. In this connection, he introduces an illuminating and justly famous sculptural analogy that nicely captures the contrast between the temporal and thematic open-endedness of epic versus the temporal and thematic specificity of tragedy: Epic is like the classical frieze (e.g. the friezes on the Parthenon) but tragedy more like the sculptural group (e.g. the Laocoön group).121 August Wilhelm also continues Friedrich’s problematizing of Aristotle’s doctrine of the unity of action in tragedy itself, and of the neo-Aristotelian doctrine of the three unities of action, time and place. Here he elaborates on Friedrich’s position significantly by arguing that Aristotle really only espoused one of the three doctrines of the unities that have tradi119 Friedrich already implies this point in parts of Geschichte der Poesie der Griechen und Römer (see esp. pp. 80, 147), though not consistently so (e. g. at pp. 145 f. he instead says that tragedy was fictional). He subsequently repeats the same point in the Cologne lectures on German language and literature from 1807, where he argues that for the ancient Greeks the mythology and religion that formed the basis of their serious poetry was thoroughly mixed with true history, and that this constitutes a fundamental difference between their genres of serious poetry and our modern counterparts (KFSA XV/2, pp. 50 ff.; cf. pp. 54 ff. where he notes that by contrast invention, or fiction, is the very essence of such modern genres as the novel and the fairy tale). He later repeats the point yet again in Schlegel, F., Lectures on the History of Literature [1815], London 1873, p. 36. 120 Schlegel, A. W., Geschichte der klassischen Literatur, Stuttgart 1962, pp. 268 ff.; Course of Lectures on Dramatic Art and Literature, esp. Lectures 1-10. 121 Schlegel, A. W., Course of Lectures on Dramatic Art and Literature, pp. 75 ff.
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tionally been attributed to him, namely that of action, not those of time or place; that even his doctrine of the unity of action is obscure in its proper import; and that the unities of time and place were in fact commonly and properly violated by Greek tragedies.122 August Wilhelm also repeats Friedrich’s insistence against Aristotle that tragedy was deeply religious, and in particular Dionysian.123 Finally, August Wilhelm also repeats Friedrich’s insight that tragedy had deep civic-political, and in particular liberal-republican, functions – developing this point more fully than Friedrich had yet done, especially in relation to the nature of the tragic chorus, which he interprets as a sort of idealized version of the people, a sort of “ideal observer.”124 August Wilhelm also disagreed with Friedrich on several significant issues, however. For one thing, he contradicts Friedrich’s conception that tragedy was meant to be thoroughly factual rather than fictional concerning historical matters.125 For another, he adopts a 122 Ibid., Lectures 17-18. Concerning the doctrine of the unity of action, August Wilhelm, having considered various natural-looking interpretations of this doctrine and rejected each of them on the grounds that it constitutes an aesthetically invalid rule, does eventually come up with an interpretation of it which, in his view, makes it an aesthetically valid rule (namely, that a tragedy should have a single overall idea). However, he does not seem to believe that this is exactly what Aristotle meant by it. Concerning the doctrine of the three unities of action, time, and place, as August Wilhelm notes, Aristotle does not himself really espouse a doctrine of the unity of time, let alone a doctrine of the unity of place (these doctrines were rather the invention of Renaissance and early modern neo-Aristotelians such as Castelvetro), and they are often violated by ancient tragedies of stature (e.g. the unity of place by Aeschylus’s Eumenides and Sophocles’ Ajax; both unities by Euripides’ fragmentary Stheneboea). For a sophisticated recent discussion of the supposedly Aristotelian doctrine of the three unities which basically confirms August Wilhelm’s overall assessment of it, cf. Halliwell, Aristotle’s Poetics. 123 Schlegel, A. W., Course of Lectures on Dramatic Art and Literature, pp. 70, 80. 124 See Schlegel, A. W., Geschichte der klassischen Literatur, p. 270; Course of Lectures on Dramatic Art and Literature, p. 70. As Ernst Behler points out, August Wilhelm’s views on the importance and the republican nature of the tragic chorus can be traced back to similar views that were first developed by Friedrich (Behler, E., “Die Auffassung des Dionysischen durch die Brüder Schlegel und Friedrich Nietzsche”, in: Nietzsche Studien 12 (1983), pp. 350 f.). Concerning the republican nature of the tragic chorus, cf. also the similar position that Herder had already developed in the 1792 draft of his Letters for the Advancement of Humanity (1793-1797) (though since this draft was not published during Herder’s lifetime, it cannot have influenced the Schlegels directly). 125 See e. g. Course of Lectures on Dramatic Art and Literature, p. 178.
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significantly different position than Friedrich concerning Aristotle’s theory that Greek tragedy’s main function was a catharsis of pity and fear (Poetics, 1449b20-5). Friedrich seems initially to have been sympathetic to this theory126, and never explicitly contradicted it.127 By contrast, August Wilhelm (following a suggestion of Herder’s from 1781) flatly asserts that it is false.128 Now it seems to me that it was only this whole (pre-)Romantic historicizing of genre, rejection of Aristotle’s claims to authority on the nature of ancient tragedy, and positive rethinking of the nature of ancient tragedy that made possible the radically new theories of ancient tragedy that emerged shortly afterwards with Hegel (and then subsequently Nietzsche). Without such a ground-clearing and positive preparation by the (pre-)Romantics, Hegel’s (and Nietzsche’s) radical new theories would not have been possible. Hegel first developed his theory of ancient tragedy in the Phenomenology of Spirit (1807), and then elaborated it in his lectures on Aesthetics from the 1820s. The theory he develops in the Phenomenology is mainly based on the consideration of a single play by Sophocles, the Antigone. His theory, which he presents near the start of the “Spirit” chapter, is basically that Greek culture was at first a harmonious ethical whole that comprised several interdependent aspects, in particular a “human law” that focused on the welfare of the state and a “divine law” that focused on the welfare of the family; that tragedy then represented a sort of one-sided hypertrophy of each of these principles in exclusion and contradiction of the other as embodied in certain individuals (Creon and Antigone, respectively); that it moreover showed that this hypertrophy and violation of an excluded principle brought about a destruction of the individuals in question; and that it thereby (here Hegel’s theory becomes somewhat ambiguous), on the one hand, effected a sort of reconciliation with and restoration of the original harmonious ethical 126 Indications of his initial sympathy with the theory can be found at On the Study of Greek Poetry (1795/7), pp. 17, 60 ff. 127 For example, in his 1807 lectures on German language and literature, while he does seem somewhat skeptical of the theory, since he emphasizes that tragedy encourages strong emotions in the audience but says nothing about their eventual catharsis (KFSA XV/2, pp. 89 f.), he refrains from actually contradicting it. 128 See Schlegel, A.W., Geschichte der klassischen Literatur, pp. 268 f.; Course of Lectures on Dramatic Art and Literature, p. 68.
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whole129, and on the other hand, made explicit a germ of instability hidden within it, thereby leading to its self-destruction.130 Hegel later retained the main lines of this theory as the core of the more elaborate account of Greek tragedy that he developed in the lectures on Aesthetics, but he disambiguated its last part, making restoration of the original harmonious ethical whole, rather than its self-destruction, the outcome (accordingly, he now complemented his focus on Sophocles’ Antigone with a focus on Aeschylus’s Oresteia trilogy as a key example).131 Now, for our purposes, the most striking thing about this theory first developed in the Phenomenology is that it is completely non-Aristotelian, and that the Phenomenology moreover develops it without making any attempt to vindicate such key Aristotelian doctrines as those of the unity of action or catharsis. That Hegel felt free to develop such a radically non-Aristotelian theory is, I suggest, a direct result of the anti-Aristotelian deck-clearing that Friedrich Schlegel and his brother had recently effected. (By the time Hegel wrote the Phenomenology in Jena, he already knew Friedrich and August Wilhelm Schlegel’s work well; they had both been fellow inhabitants of Jena with him and, as we have seen, he had even attended lectures by Friedrich in Jena in 1801.) Moreover, later, in the Aesthetics lectures, Hegel added to this fundamental debt to the Schlegels by discussing August Wilhelm’s theories about art and literature in some detail and by taking over a number of more specific aspects of Friedrich and August Wilhelm’s theory of ancient tragedy (albeit while also slightly modifying them). These aspects included rejecting the unities of place and time as not really Aristotelian nor really applicable to ancient tragedy, but saving Aristotle’s doctrine of the unity of action132; emphasizing the importance of the tragic chorus, if not exactly as the voice of the people or the “ideal observer”, as August Wilhelm had held, then at least, similarly, as the voice of the original harmonious ethical whole133; espousing Friedrich and August Wilhelm’s shared view that Aeschylus 129 Hegel, G. W. F., Phenomenology of Spirit, transl. by A. V. Miller, Oxford 1977, pars. 470 f. 130 Ibid., pars. 475 f. 131 Hegel, G. W. F., Hegel’s Aesthetics: Lectures on Fine Art, transl. by T. M. Knox, Oxford 1975, pp. 1163, 1166 f., 1169, 1194 ff., 1212 f. 132 Ibid., pp. 1164 ff. 133 Ibid., pp. 1209 ff.
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and Sophocles were the zenith of ancient tragedy but Euripides the start of its decadence134; and adopting Friedrich and August Wilhelm’s characterization of epic as objective, lyric as subjective, and drama as a synthesis of the objective and subjective.135 I believe that Hegel’s novel theory constitutes a very important contribution to the understanding of ancient tragedy. Sophocles’ Antigone is probably not the best example to draw on in its support since Sophocles’ moral sympathies in the play seem to be rather firmly on Antigone’s side rather than Creon’s (as Sir Richard Jebb convincingly argued against Hegel in his edition of the play). But Aeschylus’s Oresteia trilogy is a much better example. And other ancient tragedies involve versions of the ethical tension between the “human” law of the state and the “divine” law of the family as represented by different characters as well. Moreover, while this characterization is much too narrow to apply convincingly to all ancient tragedies, it has the great virtue of at least pointing towards the more general topic of ethical conflict, which is arguably a central concern of virtually all ancient tragedies. For example, in addition to the sort of ethical conflict on which Hegel focuses, many ancient tragedies are concerned with ethical conflicts in the form of moral dilemmas that confront individuals (Aeschylus’s Oresteia trilogy is again a good example here, especially due to its representation of several moral dilemmas in the first play, the Agamemnon: Agamemnon’s duty to his army vs. his duty to his daughter; Clytemnestra’s duty to avenge her daughter vs. her duty to respect her husband; Orestes’ duty to avenge his father vs. his duty to respect his mother; and so on). And many ancient tragedies are concerned with ethical conflicts between traditional Homeric values and the contrary moral values preferred by the poet and his age (for example, the Oresteia trilogy includes a moral questioning of the Homeric tradition’s positive evaluation of taking revenge, Sophocles’ Ajax a moral questioning of the Homeric tradition’s positive evaluation of martial aggressiveness (as represented by Ajax), and Sophocles’ Philoctetes a moral questioning of the Homeric tradi-
134 Ibid., p. 1215. 135 Ibid., p. 1158. Cf. Schlegel, A. W., Die Kunstlehre, Stuttgart 1963, p. 306. Incidentally, Hegel in the Aesthetics lectures also belatedly tried to recuperate certain aspects of Aristotle’s theory of tragedy, but I shall not go into this here.
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tion’s positive moral evaluation of deceptiveness and lying (as represented by Odysseus)). So here again Hegel ultimately turns out to be deeply indebted to Friedrich Schlegel (in this case together with his brother) for one of his own most important theoretical achievements.
VI. In sum, beneath the stormy surface of negative criticism and hostility that characterizes Hegel’s public stance towards Friedrich Schlegel there is a deeper sea of important commonalities and intellectual debts that he owes to Schlegel. These commonalities and debts concern absolute idealism; the nature of skepticism and its relation to philosophy; skepticism about logic in particular; the philosophy of language and linguistics; and the theory of ancient tragedy.
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Schlegel und Hegel in Jena. Zur philosophischen Konstellation zwischen Januar und November 1801 Virtuosen in verwandten Gattungen verstehn sich oft am wenigsten, und auch die geistige Nachbarschaft pflegt Feindseligkeiten zu veranlassen. (KFSA II, S. 221, Nr. 327)
Die Namen Hegels und Friedrich Schlegels sind zu Chiffren geworden, wenn es um das Verhältnis von Idealismus und Romantik geht. Das scheinen schon die Zeitgenossen so gesehen zu haben – erinnert sei nur an August Wilhelm Schlegels bekanntes Gedicht Schlegel predigt gegen Hegel.1 Andererseits ist aber auch festzuhalten, dass der vermeintliche Gegensatz zwischen Idealismus und Romantik verschiedene, zum Teil äußerst problematische Voraussetzungen hat. Denn wie alle Vereinfachungen nehmen auch diese historischen Etiketten erhebliche Komplexitätsreduktionen in Kauf. Das vergleichsweise einfache Bild von Kant zu Hegel oder die ausschließliche Beschäftigung mit dem übergroßen Triumvirat aus Fichte, Schelling und Hegel wird daher heute genauso wenig mehr jemand vertreten wollen, wie die unreflektierte Verwendung eines künstlich homogenisierten Idealismus- oder Romantik-Begriffs.2 Demgegen * Für die kritische Durchsicht dieses Beitrags und manchen hilfreichen Hinweis danke ich Susan Baumert, Betty Brux-Pinkwart, Margrit Glaser und Ariane Ludwig. 1 Schlegel, August Wilhelm, Sämtliche Werke, hg. v. Eduard Böcking, Bd. 2, Leipzig 1846, S. 232. Als Freunde treten Hegel und Schlegel hingegen in einigen Kinderbüchern auf, in denen sie als geistreiche Geisterbahngeister die Leser mit philosophischen Bonmots unterhalten: Ferri, Hegel und Schlegel, die Geisterbahngeister, Wien 1996. 2 Zur Problematik des Idealismus-Begriffs vgl.: Sandkaulen, Birgit, „Jena als Chiffre des ‚deutschen Idealismus‘. Motive und Folgen einer historischen Konstruktion“, in: Jena. Ein nationaler Erinnerungsort?, hg. v. Jürgen John und Justus H. Ulbricht, Köln u. a. 2007, S. 113-122 sowie: Jaeschke, Walter, „Zur Genealogie des Deutschen Idealismus. Konstitutionsgeschichtliche Bemerkungen in me-
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über hat sowohl die Idealismus- wie auch die Romantikforschung in den letzten Jahrzehnten die Komplexität ihres Gegenstandsbereiches und – damit verbunden – die Problematik der Allgemeinbegriffe immer wieder betont.3 Die Pluralität der äußert heterogenen Konzepte, die oftmals nur schwer zu rekonstruierenden Denkentwicklungen der einzelnen Protagonisten sowie die Vielschichtigkeit der persönlichen und sachlichen Bezüge zwingen dazu, den Ausgang von den Allgemeinbegriffen zu Gunsten einer genauen Analyse der Einzelphänomene zu verabschieden. Nur in der Zusammenschau vieler Einzeluntersuchungen wird ein verlässliches Urteil über die Frage zu erwarten sein, wie Idealismus und Romantik im Ganzen zu einander stehen.4 Für das Folgende wird es also darauf ankommen, das Verhältnis Hegel–Schlegel im Konkreten näher zu beleuchten. Statt eines abschließenden Urteils über den Gesamtkonflikt geht es vielmehr um thodologischer Absicht“, in: Materialismus und Spiritualismus, Philosophie und Wissenschaften nach 1848, hg. v. Andreas Arndt und Walter Jaschke, Hamburg 2000, S. 219-234. Zum Romantik-Begriff vgl.: Hühn, Helmut, „Deutungskonflikt ‚Romantik‘. Problemgeschichtliche Überlegungen“, in: Europäische Romantik. Interdisziplinäre Perspektiven der Forschung, hg. v. Helmut Hühn und Joachim Schiedermair, Berlin und Boston 2015, S. 17-34. 3 Vor allem die Beiträge zu der von Dieter Henrich begründeten Konstellationsforschung haben ein komplexeres Bild der philosophischen Debatten am Ausgang des 18. Jahrhunderts zu Tage gefördert. Vgl. dazu: Henrich, Dieter, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789-1795), Stuttgart 1991. Zur Methodik dieses Ansatzes vgl.: Mulsow, Martin/ Stamm, Marcelo (Hg.), Konstellationsforschung, Frankfurt a. M. 2005. Für das Feld der Frühromantik hat Manfred Frank den Ansatz der Konstellationsforschung weitergeführt: Vgl. Frank, Manfred, „Unendliche Annäherung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt a. M. 1997. Allerdings reicht diese Darstellung nur etwa bis zum Jahreswechsel 1796/97; die spätere Jenaer Konstellation, in der auch Hegel hervorzutreten begann, blieb bisher weitestgehend unberücksichtigt. 4 Für die Zusammenschau beider Strömungen in einer Perspektive der nachkantischen bzw. klassischen deutschen Philosophie plädieren u. a.: Beiser, Frederick, „Romantik und Idealismus“, in: Die Aktualität der Romantik, hg. v. Michael Forster und Klaus Vieweg, Berlin 2012, S. 47-63 sowie: Arndt, Andreas, „Die Frühromantik als Bestandteil der klassischen deutschen Philosophie“, in: Europäische Romantik. Interdisziplinäre Perspektiven der Forschung, hg. v. Helmut Hühn und Joachim Schiedermair, Berlin und Boston 2015, S. 143-156. Umgesetzt findet sich dieser Anspruch in: Jaeschke, Walter/Arndt, Andreas, Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik, München 2012.
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die dichte Beschreibung einer kurzen, aber zentralen Phase der Beziehung Hegels zu Schlegel: die gemeinsame Jenaer Zeit. Bevor allerdings darauf eigegangen werden soll, sei zur besseren Orientierung ein kurzer Überblick über den Gesamtverlauf des Konflikts vorausgeschickt. Hegel, der erst verhältnismäßig spät mit eigenen Werken an die Öffentlichkeit trat, hat wohl schon in Frankfurt einige der Frühschriften Schlegels zur Kenntnis genommen. Wenn er viel später, in der Rezension von Solgers nachgelassenen Schriften und Briefwechsel von der „keckste[n] und blühendste[n] Periode der Ironie“ spricht und dabei eigens die „Lucinde“ und das „Athenäum“ hervorhebt (TWA 11, S. 215), dann mag das als ein – freilich nicht vollständiger – Hinweis auf seine frühe Lektüre gelten. Entsprechend hat Hegel sicher die verschiedenen Fragment-Sammlungen und Essays Schlegels sowie vor allem die großen Charakteristiken und Kritiken gekannt. In Jena ergaben sich sodann weitere, auch persönliche Kontakte, um die es im Folgenden gehen soll. Der eigentliche Konflikt aber bricht erst Jahre später aus. Zwar nimmt Hegel auch Schlegels weitere Entwicklungen zur Kenntnis, liest etwa die Gemäldebeschreibungen in der Europa, die vielleicht nicht ohne Folgen für seine Auffassung der Malerei des Mittelalters bleiben; öffentlich äußerst sich Hegel allerdings – sieht man von den nur schwer zuordenbaren Passagen der Phänomenologie einmal ab (TWA 3, S. 489-493)5 – erst 1820 in seiner Rechtsphilosophie (TWA 7, S. 277 f., 285 f., 317 f.). Schlegel hingegen, von dem noch aus der Jenaer Zeit ein vernichtendes Urteil über die Differenzschrift überliefert ist (KFSA XXV, S. 301), der sich aus Dresden nach dem Kritischem Journal erkundigt (ebd., S. 338) und späterhin eine Rezension von Hegels Logik plant6, reagiert auf den ersten, expliziten Angriff Hegels 1822 in seiner Jacobi-Rezension (KFSA VIII, S. 595). Daraufhin nimmt der Streit schnell Fahrt auf: Schon im Verlauf der 1820er Jahre variiert Hegel seine Vorwürfe in den freilich zu Lebzeiten nicht veröffentlichten, aber dennoch äußerst wirkmächti 5 Vgl. dazu auch Hirsch, Emanuel, „Die Beisetzung der Romantik in Hegels Phänomenologie. Ein Kommentar zu dem Abschnitte über die Moralität“ [1924], in: Materialien zu Hegels Phänomenologie des Geistes, hg. v. Friedrich Fulda und Dieter Henrich, Frankfurt a. M. 1973, S. 245-275, zu Schlegel bes.: 257-261 sowie: Behler, Ernst, „Friedrich Schlegel und Hegel“, in: Hegel-Studien 2 (1963), S. 203250, bes.: 204-208. 6 Vgl. Körner, Josef (Hg.), Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel, Berlin 1926, S. 194.
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gen Vorlesungen über die Ästhetik (TWA 13, S. 93 ff., 382 f., 513 sowie TWA 14, S. 179 f.) bzw. über die Geschichte der Philosophie (TWA 18, S. 149, 460 und TWA 20, S. 415 ff.). Schlegel hingegen polemisiert 1827 in seiner Wiener Philosophie des Lebens (KFSA X, S. 16 f., 93, 115 und 389) bzw. ein Jahr später in der Philosophie der Geschichte gegen Hegel (KFSA IX, S. 425) – ohne jedoch dessen Namen zu nennen. Den Höhepunkt erreicht der Streit schließlich 1828 in der bereits erwähnten Solger-Rezension, in der Hegel endgültig den Stab über Schlegel bricht (TWA 11, S. 233 ff. und 255).7 Diesem kursorischen Überblick seien einige generelle Beobachtungen angefügt. Zum einen scheint wichtig, dass sich der eigentliche Konflikt zwischen den beiden Kontrahenten erst mehr als 20 Jahre nach den ersten persönlichen Kontakten ergibt. Dabei ist es Hegel, der in seiner Rechtsphilosophie einen ersten öffentlichen Angriff startet, gegen den sich Schlegel zur Wehr setzt. Zu bemerken ist auch, dass Hegel von vorn herein einen doppelten Kampf führt: Zwar richtet er sich auch gegen den späten, schon katholisch gewordenen Schlegel und dessen restaurativ-konservatives Weltbild8; die überwiegende Zahl der Angriffe aber gilt – unter dem Schlagwort der Ironie – Schlegels früher Position, in der Hegel eine im Fahrwasser Fichtes übersteigerte, handlungsunfähige Subjektivität erblickt.9 Daraus entsteht die paradoxe Situation, dass Hegel das 7 Zur späten Phase der Debatte unter besonderer Berücksichtigung der Philosophie des Lebens sowie der Solger-Rezension vgl.: Zovko, Jure, „Hegels Kritik der Schlegelschen Ironie“, in: Hegel-Jahrbuch (2007), S. 148-154. 8 Mit dem Verhältnis Hegels zum späten Schlegel beschäftigen sich in Bezug auf die jeweiligen Geschichtsauffassungen: Pöggeler, Otto, „Konkurrenz in Sachen Geschichtsphilosophie: Friedrich Schlegel und Hegel“, in: Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, hg. v. Elisabeth Weisser-Lohmann und Dietmar Köhler, Bonn 1998, S. 165-183 und: Kervégan, Jean-François, „Eschatologie der Geschichte oder Vernunftimmanenz: Hegel vs. Friedrich Schlegel“, in: Begriff und Interpretation im Zeichen der Moderne, hg. v. Sarah Schmidt, Dimitris Karydas und Jure Zovko, Berlin und Boston 2015, S. 299-311. 9 Vgl. zum Thema Ironie und Subjektivitätsgeschichte: Strohschneider-Kohrs, Ingrid, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, München 1960; Behler, „Friedrich Schlegel und Hegel“, a. a. O., S. 208 ff.; Stekeler-Weithofer, Pirmin, „Hegel und die Romantik“, in: Das neue Licht der Frühromantik, hg. v. Bärbel Frischmann und Elizabeth Millán-Zaibert, Paderborn u. a. 2009, S. 39-49; Vieweg, Klaus, „‚Was ihr wollt‘ oder ‚Wie es euch gefällt‘. Romantische Ironie und Lebensform“, in: Die Aktualität der Romantik, hg. v. Michael Forster und Klaus Vieweg, Berlin u. a. 2012, S. 183-201 sowie: Jaeschke, Walter, „Hegels Kritik der Romantik“, in: Europäische Romantik. Interdisziplinäre Perspektiven der For-
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Gros seiner Angriffe gegen eine Position wendet, die so schon nicht mehr vertreten wird. Schlegel seinerseits sieht wohl auch deshalb keine Notwendigkeit, sich inhaltlich näher mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen10 und reagiert daher aus einem entscheidend veränderten Hintergrund mit einer pauschalen Verurteilung der Vernunftphilosophie Hegels. Insofern könnte man den Streit zwischen dem Berliner Professor und dem Wiener Propagandisten eines „spekulative[n] Universalkatholizismus“11 auch als großes ‚Aneinandervorbeireden‘ charakterisieren – zu einer wirklichen Auseinandersetzung über die Inhalte der jeweiligen Positionen ist es jedenfalls kaum gekommen. Dennoch aber, oder gerade deshalb, wird der Streit von Beginn an in einem ungewöhnlich scharfen Ton geführt. Beide Seiten agieren äußert gereizt und schrecken auch vor persönlichen Diffamierungen nicht zurück. All das sollte mitbedacht werden, wenn es im Folgenden darum geht, den eigentlichen Kernpunkt dieses Konflikts näher zu betrachten. Denn besonders der letzte Punkt dürfte durch die spezifischen Umstände des persönlichen Aufeinandertreffens beider verständlicher werden. In Jena nämlich muss Hegel das Gefühl gehabt haben, dass sich Schlegel auf ähnlichen Wegen und im gleichen Gebiet bewegt, wie er selbst – und das keineswegs ohne Erfolg. Diese Konkurrenz um die Deutungshoheit in der Philosophie ist wohl einer der Hauptgründe für die heftigen Attacken Hegels. Insofern also gehen dessen spätere Urteile wohl zumindest zum Teil auf die Erfahrungen während der Jenaer Monate zurück. Es scheint daher gerechtfertigt, diese erste Phase der gegenseitigen Auseinandersetzung näher in den Blick zu nehmen. Zu diesem Zweck sollen im Folgenden zunächst die historischen Bedingungen der gemeinsamen Jenaer Zeit näher beleuchtet werden. Im Anschluss daran wird Schlegels Vorlesung über Transcendentalphilosophie als Hegels eigentliches Schlüsselerlebnis mit Schlegel thematisiert. Und schließlich soll in einem letzten Schritt nach Spuren dieser direkten Begegnung in Hegels Jenaer Werken vor der Phänomenologie gesucht werden. schung, hg. v. Helmut Hühn und Joachim Schiedermair, Berlin und Boston 2015, S. 157-169. 10 Zu den Gründen für Schlegels Schweigen vgl.: Behler, „Friedrich Schlegel und Hegel“, a. a. O., S. 224 f. 11 Osinski, Jutta, Katholizismus und deutsche Literatur im 19. Jahrhundert, Paderborn u. a. 1993, S. 83.
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I. Schlegels und Hegels gemeinsame Jenaer Zeit Der Untersuchungszeitraum dieses Beitrags wird durch zwei für das deutsche Geistesleben um 1800 bedeutende Ereignisse begrenzt: Wohl Ende Januar 1801 – der genaue Tag lässt sich nicht feststellen – trifft Hegel in Jena ein. Damit beginnt nicht nur eine für Hegels Leben zentrale Phase, auch die entscheidenden Weichenstellungen für sein System fallen in die Jenaer Zeit. Schlegel hingegen verlässt die kleine Universitätsstadt Ende November 1801.12 Er reist zunächst nach Berlin, dann nach Dresden und Leipzig, um schließlich im Sommer 1802 – zusammen mit Dorothea Veit, die vorerst in Jena geblieben war – nach Paris überzusiedeln. Damit endet die kurze Epoche, die man später als „Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule“ bezeichnen wird. Die Zeit zwischen Ende Januar und Ende November 1801, in der sich Schlegel und Hegel gemeinsam in Jena aufhielten, steht also im Fokus dieses Beitrags. Dabei scheint es äußerst unwahrscheinlich, dass es in diesem kaum 5000 Seelen zählenden Städtchen nicht auch zu näheren Kontakten gekommen sein sollte. Die uns vorliegenden Quellen freilich enthalten keine direkten Anhaltspunkte. Weder in den Briefen Schlegels, noch in denjenigen Hegels finden sich Hinweise auf gemeinsame Begegnungen. Wir sind folglich darauf angewiesen, andere Wege einzuschlagen. Wo konnten sich Hegel und Schlegel treffen? Was waren die bestimmenden Themen dieser Monate? Und welche Eindrücke haben das Bild des jeweils anderen geformt? Als Hegel im November 1800 den Entschluss fasste, nach Jena zu gehen, begründete er diesen Schritt gegenüber Schelling mit dem „literarischen Saus“13, für den die Saalestadt in jenen Tagen berühmt war. Das kann auch als Hinweis auf die umtriebige Gruppe der Romantiker gelesen werden, deren Zentralorgan, das Athenäum, Hegel schon in Frankfurt gelesen haben dürfte. Als dieser schließlich im Januar 1801 nach Jena kommt, ist die Hochzeit des kurzen Jenaer Abenteuers der Romantik allerdings schon vorüber. Der einst so 12 Den Anhaltspunkt dafür gibt der letzte erhaltene Brief Schlegels aus Jena, der auf den 26. November 1801 datiert und an Clemens Brentano gerichtet ist (vgl. KFSA XXV, S. 309 f.). Kurz nach diesem Datum hat Schlegel Jena Richtung Berlin verlassen, wo er ab 2. Dezember nachweisbar ist (vgl. ebd., S. 636). 13 Hegels Brief an Schelling vom 2. November 1800, in: Briefe von und an Hegel, hg. v. Johannes Hoffmeister, 5 Bde., Hamburg 1969 ff., hier: Bd. 1, S. 59.
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schillernde Kreis ist zerstoben, das kühne Projekt einer Symphilosophie der Geister aufgrund allzu menschlicher Differenzen gescheitert. Die meisten der frühromantischen Protagonisten hatten Jena bereits im Sommer des Jahres 1800 verlassen. Zurück blieben Friedrich Schlegel und Dorothea Veit, die allerdings gesellschaftlich weitestgehend isoliert lebten. Vor allem hatten sich im Zuge der Affäre um Schelling und Caroline Schlegel im Frühjahr 1800 Unstimmigkeiten zwischen Friedrich Schlegel und Schelling ergeben. Diese vergrößerten sich, als Schelling Ende August in Bamberg von Schlegels Plan erfuhr, in Jena Vorlesungen über Philosophie zu halten. Sofort fasste er den Entschluss, in die Saalestadt zurückzukehren und im Wintersemester, entgegen aller Vorhaben, ebenfalls wieder zu lesen. Als Schelling schließlich Anfang Oktober 1800 nach Jena zurückkehrte, bestanden kaum noch Kontakte zu Schlegel. Das ehemals recht gute Verhältnis hatte sich in eine offene Feindschaft verkehrt. Das sind die Grundzüge jener Konstellation, in die Hegel geriet, als er im Januar 1801 nach Jena kam. Verständlicherweise hielt er sich in den ersten Monaten eng an seinen ehemaligen Studienfreund Schelling und übernahm dabei offenbar auch dessen Frontlinie gegen Schlegel.14 Bestärkt wurde Hegel in dieser Sicht der Dinge wohl zusätzlich durch seinen zeitweiligen Jenaer Nachbarn Johann Diederich Gries, der dem Kreis der Romantiker nahe gestanden, sich aber ebenfalls von Schlegel abgewandt hatte.15 Mittelbare Verbindungen zwischen Hegel und Schlegel ergaben sich zudem vermutlich auch durch Johann Wilhelm Ritter, der zu beiden Kontakte unterhielt.16 Interessant ist schließlich auch das Ehepaar Paulus, das nicht nur mit den in wilder Ehe lebenden Friedrich Schlegel und Dorothea Veit verkehrte, sondern auch Hegel freundschaftlich aufnahm. Der Theologe Heinrich Eberhard Gottlob Paulus war einer der wenigen Unterstützer Schlegels, beriet diesen in akademischen Fragen und half, an der 14 Zur generellen Situation vgl.: Vieweg, Klaus, „Die Jenenser Confusion. Philosophische Konstellationen während Hegels ersten Jenaer Jahren und die naturphilosophische Dimension der Hegelschen Kritik am ‚neuesten Skeptizismus‘“, in: Hegels Jenaer Naturphilosophie, hg. v. Klaus Vieweg, München 1998, S. 39-55 sowie: Tilliette, Xavier, „Hegel in Jena als Mitarbeiter Schellings“, in: Hegel-Studien, Beiheft 20 (1980), S. 11-24. 15 Vgl. SZ 1, A454. Zu Gries als Nachbar Hegels vgl. Campe, Elisabeth, Aus dem Leben von Johann Diederich Gries, Leipzig 1855, S. 49. 16 Vgl.: Snelders, Henricus, „Hegel und der romantische Physiker J. W. Ritter (17761810)“, in: Hegels Jenaer Naturphilosophie, hg. v. Klaus Vieweg, München 1998, S. 347-357.
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Universität Fuß zu fassen. Selbst nach Schlegels skandalös verlaufener Habilitationsdisputation17 vom 14. März 1801 setzte er sich noch für diesen ein und erwirkte beim Senat der Universität eine Änderung der Statuten, die wenig später auch Hegel zugutekam. Überdies waren Schlegel, Hegel und Paulus durch ihr Interesse für Spinoza verbunden. Vielleicht geht die berühmte Spinoza-Edition, die Paulus ab 1802 herausgab und zu deren zweiten Band Hegel wichtige Vorarbeiten geleistet hatte18, sogar auf eine Anregung Schlegels zurück. Dieser nämlich hatte während seiner Vorlesungen zur Transcendentalphilosophie die Idee gefasst, die „Ethica des Spinosa lateinisch wieder abdrucken zu lassen“, „weil mir der eignen Philosophie wegen sehr daran liegt, und auch viele Zuhörer mich darum angegangen haben“ (KFSA XXV, S. 212). Zwar kam dieses Projekt – wie so viele Pläne Schlegels – letztlich nicht zustande; denkbar aber ist, dass Paulus die Idee, über die er sicher mit Schlegel im Gespräch war, aufgriff und schließlich mit Hegels Hilfe umsetzte. – Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Hegel zu Beginn seiner Jenaer Zeit zwar auf vielfachen Wegen von Schlegel gehört haben wird, sich persönliche Kontakte aber wohl erst später ergaben. Ende Februar 1801 jedenfalls schreibt Dorothea Veit: „fremde Leute sehen wir aber gar nicht, und hören nur wenig von ihnen“ (KFSA XXV, S. 239). Dennoch muss es wenig später zu persönlichen Begegnungen gekommen sein. Hinweise darauf liefert z. B. die Wohnsituation: Um nicht länger in dem verwaisten Hinterhaus in der Leutragasse, dem eigentlichen Romantikerhaus, bleiben zu müssen, zogen Friedrich Schlegel, Dorothea Veit und deren siebenjähriger Sohn Philipp Ende September 1800 in ein neues Domizil in der süd-östlichen Ecke der Stadt. Die Forschung hat diese Wohnung bis heute nicht identifizieren können.19 Übersehen wurde dabei allerdings, dass Schlegel selbst 17 Sie geriet zum Skandal, weil Mitglieder des Senats versuchten, dem unangepassten Autor der Lucinde Steine in den Weg zu legen, wogegen sich Schlegel mit Worten, seine Anhänger aber mit Fäusten wehrten. Vgl.: Behler, Ernst, „Friedrich Schlegels Vorlesungen über Transcendentalphilosophie 1800-1801“, in: Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer ersten Philosophie (1799-1807), hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg 1993, S. 52-71. 18 Vgl. Benedicti de Spinoza. Opera Qvae Svpersvnt Omnia, hg. v. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, 2 Bde., Jena 1802/3. Speziell zur Mitarbeit Hegels vgl. den editorischen Bericht in: GW 5, S. 720-729. 19 Vgl. KFSA XXV, S. 474, Anm. 2 und 524, Anm. 1 sowie: Kösling, Peer, Die Familie der herrlichen Verbannten. Die Frühromantiker in Jena. Anstöße – Wohnungen – Geselligkeit, Jena 2010, S. 29 sowie 80, Anm. 58.
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die Adresse recht genau angibt. In zwei seiner Briefe heißt es: „Im Hause der Hauptmannin Bieglein“ (KFSA XXV, S. 218) „neben d alten Fechtboden“ (ebd., S. 220). Entsprechend befand sich die Wohnung im Anwesen der Witwe des Jenaer Fechtmeisters Johann Wolfgang Bieglein, das sich zweifelsfrei lokalisieren lässt. Es war in unmittelbarer Nachbarschaft des Fichte-Hauses, neben Stadtmauereckturm und Graben gelegen und umfasste wohl mehrere Wohnungen.20 Zu dieser Standortbestimmung passen auch die Beschreibungen, die sich in Briefen Dorothea Veits erhalten haben. So schreibt sie beispielsweise am 23. September 1800 an Schleiermacher, die neue Unterkunft biete „freye Aussicht nach den Bergen hin; der lebhafte Graben, immer voller Menschen; im Hause selbst, still und ruhig.“ (KFSA XXV, S. 184 f.) Und etwas später heißt es in einem Brief an Clemens Brentano: Wir sind übrigens sehr, sehr vergnügt, unsre Wohnung […] hat eine freundliche weite Aussicht auf den Graben; wenn ich die Augen des Morgens aufschlage so sehe ich den Himmel mit den schönsten Farben sich mahlen, was will ich mehr haben, wenn ich das Glück dazu rechne daß ich keine lange Treppe mehr zu steigen brauche wenn ich zum Friedrich laufen will […]. (KFSA XXV, S. 203)
Außerdem bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine Annonce in den Jenaischen wöchentlichen Anzeigen auf eben jenes Apartment, das Schlegel zu Michaelis, also am 29. September 1800, anmietete. Demnach verfügte die Wohnung, die sich „in der Obern Etage“ befand und deren „Aussicht auf der einen Seite nach der Stadt und der andern Seite auf den Graben zu“ ging, über „2 Stuben, nebst 3 Kammern, wovon die eine Stube tapeziert, beide aber mit guten Thüren, französischen Schlössern, guten Fenstern und eisernen Oesen versehen [waren], ingleichen 2 verschlossenen Vorsälen, einer hellen Küche und Speisekammer.“21 Neben der guten Lage und 20 Vgl.: Wiedeburg, Johann Ernst Basilius, Beschreibung der Stadt Jena nach ihrer topographisch- politisch- und akademischen Verfassung, Jena 1785, S. 267 sowie Schreiber, Carl/Färber, Alexander, Jena von seinem Ursprunge bis zur neuesten Zeit, Jena 1850, S. 44. 21 Jenaische wöchentliche Anzeigen, Nr. 47 vom 20. Juni 1800, S. 186. Dass diese Annonce tatsächlich die Wohnung beschreibt, die Schlegel ab Michaelis 1800 bewohnte, ergibt sich auch aus der zeitlichen Abfolge der Ereignisse: Schon um die Jahresmitte 1800 waren Schlegel und Dorothea Veit auf der Suche nach einer neuen Bleibe (vgl. Dorotheas Brief an Schleiermacher vom 16. Juni 1800:
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Ausstattung scheint aber auch die Nähe zu den wenigen Vertrauten entscheidend für die Wohnungswahl gewesen zu sein. Das Ehepaar Paulus wohnte gleich um die Ecke22 und Freund Ritter nur „zwei Häuser“ nebenan.23 Der interessanteste Umstand, der mit diesem neu erschlossenen Detail verbunden ist, betrifft aber die Tatsache, dass in eben jenes Haus zwischen Juli und Oktober 1801 auch Hegel zog.24 Er und Schlegel lebten also, wenn auch nur für wenige Monate, in unmittelbarer Nachbarschaft – ein für das Verhältnis von Idealismus und Romantik faszinierender Gedanke.25
II. Die Transcendentalphilosophie-Vorlesung als Hegels Schlüsselerlebnis mit Schlegel Den wichtigsten Anlass für regelmäßige Zusammentreffen der beiden Wahljenenser bildete Schlegels Vorlesung über Transcendentalphilosophie.26 Die Teilnahme an diesem allerersten akademischen Kolleg Schlegels hat Hegel später selbst bestätigt: Er stieß vermut-
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KFSA XXV, S. 121-126, hier: 122), am 20. Juni erschien dann die Annonce und schon am 1. Juli bestätigt Schlegel, dass er „auf den Winter ein Logis gemiethet“ habe (ebd., S. 131). Und zwar am „Unterm Markt“ und damit in unmittelbarer Nähe zu Schlegel (vgl. NA 34/2, S. 486 f.). Dazu passt, dass Dorothea am 16. Juni 1800 an Schleiermacher schrieb, dass „Madame Paulus“ helfen wolle, „in ihrer Nähe, ein kleines Quartier ein[zu]richten“ (KFSA XXV, S. 122). Ritters Brief an Friedrich Carl von Savigny vom 17. Dezember 1800 (SZ 1, A470). Während Hegel im Juli 1801 noch im „Klipsteinischen Garten“ nachweisbar ist (vgl. Schellings Brief an Mehmel vom 4. Juli 1801: Fuhrmans, Horst (Hg.), F. W. J. Schelling. Briefe und Dokumente, 3 Bde., hier: Bd. 1, Bonn 1962, S. 249), wohnte er spätestens ab 18. Oktober 1801 „auf dem alten Fechtboden“ (vgl. Hegels Vorlesungsankündigung vom WS 1801/1802, die laut GW 5, S. 653 f. vor diesem Datum zu datieren ist). Dieses Ergebnis ergab sich durch die enge Zusammenarbeit mit meinem Doktorvater Klaus Vieweg, dem dafür an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Das wurde von der Forschung bisher nur wenig beachtet. Vgl.: Pöggeler, Otto, Hegels Kritik der Romantik [1956], München 1999, S. 122 f. und 130 f.; Behler, „Friedrich Schlegel und Hegel“, a. a. O., S. 235 ff. sowie Vieweg, Klaus/Grüning, Thomas, „Wissen oder Ersehnen des Absoluten. Hegel contra Novalis und Friedrich Schlegel“, in: Evolution des Geistes. Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte, hg. v. Friedrich Strack, Stuttgart 1994, S. 532-544, hier: 532 ff. Zu Schlegels Vorlesung im Allgemeinen vgl.: Korngiebel, Johannes, „Die Vorlesung als Medium der Kritik. Zu Friedrich Schlegels Jenaer Transcendentalphilosophie (1800/01)“, in: Athenäum. Jahrbuch der Friedrich Schlegel-Gesellschaft 26 (2016), S. 87-120.
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lich Anfang Februar, als die Vorlesung schon über drei Monate lief, dazu und besuchte sie bis zu deren Abschluss am 24. März.27 Demnach müsste er Schlegel, der jeweils an den Wochentagen von 5 bis 6 Uhr abends las, also sechs Wochen lang beinahe täglich begegnet sein. Interessant war Schlegels Auftreten in Jena – abgesehen von der gewissen Berühmtheit, die dieser inzwischen erlangt hatte – für Hegel sicher auch, weil die Situationen beider sich in mancher Hinsicht ähnelten. Vor allem einte sie die Suche nach einer auskömmlichen, akademischen Anstellung. Zu diesem Zweck hatte sich Schlegel im Sommer 1800 nachträglich promoviert und durch das Halten einer Probevorlesung die venia legendi erworben. Mit der auf Mitte März verschobenen Habilitationsdisputation absolvierte er dann genau jene bürokratischen Hürden, die wenig später auch Hegel zu durchlaufen hatte.28 Als Privatdozent, ohne jegliche Bezahlung, war Schlegel zudem auf die Kolleggelder der Studenten angewiesen – auch dies eine Erfahrung, die Hegel schon ein Jahr später teilen sollte. Insofern war es für Schlegel doppelt schlimm, dass Schelling mit seinen wieder aufgenommenen Vorlesungen in direkte Konkurrenz zu ihm trat. Schon am Ende der ersten Vorlesungswoche des Wintersemesters schrieb Schelling an Fichte: Ich konnte unmöglich zusehen, daß der gut gelegte Grund [die Transzendentalphilosophie – J. K.] auf solche Art zerstört, und statt des echten wissenschaftlichen Geistes, wovon hier immer noch ein Fond geblieben ist, der poetische und philosophische Dilettantismus nun aus dem Kreis der Schlegel auch unter die Studenten übergehe. Friedrich Schlegel hat vor meiner Rückkunft, und ehe man davon wußte, eine starke Subskription zustande gebracht. Durch vier Stunden aber, 27 Das jedenfalls würde die ansonsten falsch erinnerte Frist von „sechs Wochen“ erklären, von der Hegel im Schreiben vom 2. August 1816 an Friedrich von Raumer spricht: „Friedrich Schlegels Auftreten mit Vorlesungen über Transzendentalphilosophie erlebte ich noch in Jena. Er war in sechs Wochen fertig, eben nicht zur Zufriedenheit seiner Zuhörer, die ein halbjähriges erwartet hatten.“ (SZ 1, A445a) 28 Zu Hegels Habilitation vgl. das Fakultätsprotokoll, in dem ausdrücklich auf „Herr[n] D. Schlegel“ und dessen Habilitationsverfahren verwiesen wird (Briefe von und an Hegel, Bd. 4/1, S. 78 sowie GW 5, S. 611-651, bes.: 615, 628, 630). Interessant wäre in diesen Zusammenhang auch ein näherer Vergleich der Thesen, die Schlegel (vgl. KFSA XXV, S. LVIII) und Hegel (vgl. TWA 2, S. 533) zu ihrer jeweiligen Habilitationsdisputation wählten. Auf einige Übereinstimmungen wird im Folgenden hingewiesen.
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die ich gehalten, war er bereits totgeschlagen und ist nun schon begraben. (SZ 1, A449)
Diese unangenehm überhebliche Selbsteinschätzung Schellings ist indessen genauso falsch, wie die spätere Erinnerung Hegels, der zufolge Schlegel mit seiner Vorlesung nach nur sechs Wochen fertig gewesen sei. Nicht nur hat Schlegel nachweislich vom 27. Oktober bis zum 24. März und damit den üblichen Terminen des Wintersemesters gelesen; er hatte währenddessen auch durchgängig 60 bis 80 Hörer.29 Zu ihnen zählten bekannte Personen wie Karl Christian Friedrich Krause, Bernhard Rudolf Abeken, Jakob Friedrich Fries, Stephan August Winkelmann, Johann Bernhard Vermehren, Johann Diederich Gries sowie Friedrich Ast und Johann Wilhelm Ritter. Außerdem finden sich neben den negativen Urteilen durchaus auch anerkennende Stimmen30 und mit den Problemen und Schwierigkeiten, die sich im Laufe der ersten Vorlesungen eines jungen Dozenten einstellen können, hatte nicht nur Schlegel, sondern bekanntlich auch Hegel zu kämpfen.31 Interessant ist Schellings negatives Urteil aber vor allem, weil es noch einmal eindrücklich die antischlegelsche Stimmung belegt, in die Hegel geriet, als er nach Jena kam. Vor diesem Hintergrund wird denn auch der gegen Schlegel erhobene Vorwurf des philosophischen Dilettantismus verständlich, den Hegel später nicht müde wurde zu wiederholen und der von da aus das Urteil des 19. und großer Teile des 20. Jahrhunderts bestimmt hat. Heute aber haben wir
29 Vgl. Dorothea Veits Brief vom 28. Oktober 1800: KFSA XXV, S. 194 sowie Friedrich Schlegels Schreiben vom 23. Januar 1801: ebd., S. 223. 30 So spricht etwa der Jenaer Student Stephan August Winkelmann, der bei Schelling und Schlegel hörte, von dessen „originelle[m] Kollegium der Transcendentalphilosophie“ (KFSA XXV, S. 544) und urteilt: „Fr. Schlegel hat, noch ungeübt, aber schon reich an leuchtenden Blitzen des Scharfsinns, tiefen Ahndungen und den kühnsten Paradoxien, den Inhalt seines Kollegiums […] entwickelt“ (SZ 1, A456). Und Johann Wilhelm Ritter schreibt am 17. Dezember 1800 an Friedrich Carl von Savigny: „Diesen Herbst kam mir einesmals eine ganz außerordentl Lust an zu lesen; es war, wie Fr. Schlegel das erstemal las. Es ging ihm besser, als wir nur erwartet hatten, und ich war so aufgebracht drüber, versteht sich, ganz in Güte, daß ich schon im Begriff war, ihn vom Katheder herunter zu werfen und mich drauf zu stellen.“ (ebd., A470). 31 Vgl. etwa: Düsing, Klaus (Hg.), Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801-1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler, Köln 1988, S. 8 f. und 13.
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die Mittel, dieses schiefe und von persönlichen Vorbehalten geprägte Urteil kritisch zu hinterfragen und auf diese Weise zu einem differenzierteren Bild zu gelangen. Was hat Hegel in Schlegels Transcendentalphilosophie-Vorlesung also hören können? Wie hat es auf ihn gewirkt und inwiefern hat es sein Urteil über Schlegel beeinflusst? Wenn wahr ist, dass Hegel seit Anfang Februar 1801 an Schlegels Vorlesung teilnahm, dann hat er nur noch das letzte Drittel von dessen Ausführungen direkt verfolgen können.32 Der anonymen Nachschrift zufolge, die wir von Schlegels Vorlesung besitzen (KFSA XII, S. 3-105), entspricht dies in etwa den letzten beiden Teilen des Kollegs. Die beiden ersten Abschnitte – die programmatische Einleitung, die vor allem methodologische Überlegungen enthält, sowie die Theorie der Welt, die sich mit naturphilosophischen Fragestellungen beschäftigt – hat Hegel dementsprechend nicht gehört. Er stieß vermutlich während der Ausführungen zur Theorie des Menschen dazu, in der Schlegel Probleme der praktischen Philosophie diskutierte, und hörte wohl auch noch den letzten Abschnitt der Vorlesung, der mit Rückkehr der Philosophie in sich selbst, oder Philosophie der Philosophie überschrieben ist.33 Damit hörte Hegel die entscheidenden Passagen von Schlegels Vorlesung. In ihnen finden sich die Grundthesen zur Relativität, Systemkritik und Enzyklopädie34 sowie die Forderung einer Historisierung der Philosophie und die Schlüsselstellen zur Dialektik. Auch über diese Themenfelder hinaus dürfte der Besuch von Schlegels Vorlesung für Hegel und dessen Verständnis der romantischen Be 32 Allerdings ist freilich nicht ausgeschlossen, dass Hegel – z. B. über Vorlesungsnotizen anderer Hörer, die nicht selten in Abschriften kursierten – auch über die Inhalte der Anfangspartien von Schlegels Vorlesung unterrichtet worden ist. 33 Der Aufbau von Schlegels Vorlesung ist dabei keineswegs willkürlich, er ergibt sich vielmehr aus dem Verfahren der Philosophie selbst: „Die Philosophie zerfällt in drey Epochen. Die erste Epoche ist, wo die Philosophie sich selbst konstituirt. […] Die 2te Epoche ist die, wo die Philosophie aus sich selbst herausgeht, und LebensPhilosophie wird. […] Die 3te Epoche ist die Rückkehr der Philosophie in sich selbst.“ (KFSA XII, S. 78 f.) 34 In Bezug auf das Schlegelsche Enzyklopädie-Projekt und sein Verhältnis zu Hegel vgl.: Behler, Ernst, „Friedrich Schlegels Enzyklopädie der Wissenschaften im Unterschied zu Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“, in: Ernst Behler. Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie, Bd. 1, Paderborn u. a. 1988, S. 236-263.
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wegung aber zentral gewesen sein. Denn in dieser Vorlesung zieht Schlegel nicht nur eine Summe seines frühromantischen Denkens; er gibt auch – zum ersten und einzigen Mal – eine systematische Darstellung seines der Absicht nach unsystematischen Philosophierens. Was also sind die näheren Inhalte dieser beiden letzten Abschnitte von Schlegels Vorlesung? Wichtig scheint zunächst die Beobachtung, dass die Ironie, nach Hegel der Schlüsselbegriff Schlegelschen Philosophierens, in der Vorlesung nicht vorkommt. Sie ist zwar der Sache nach als Widerstreit zwischen Skepsis und Enthusiasmus präsent, Schlegel bezeichnet diese Bewegung der Philosophie aber konsequent mit dem Begriff der Dialektik, den er – anders als Kant – durchaus positiv bewertet.35 Insofern also markiert die Vorlesung eine wichtige terminologische Wende, denn von hier an wird Schlegel den Begriff der Ironie nicht mehr gebrauchen.36 Hegel bestimmt die geschichtliche Position Schlegels später also über einen Begriff, dem bei diesem selbst keineswegs eine werkumfassende Schlüsselrolle zukommt. Was die weiteren Inhalte betrifft, so sind zunächst einige Grundzüge von Schlegels System festzuhalten. Zwar trägt die Vorlesung den Titel Transcendentalphilosophie, tatsächlich dürfte dieser Umstand aber auf den propädeutischen Charakter des Kollegs zurückzuführen sein, demzufolge Schlegel den Studenten eine Einführung in die Grundideen und Entwicklungen der neueren Philosophie geben wollte. Seinen eigenen Standpunkt bezeichnet Schlegel hingegen mit dem Begriff des „Idealismus“ und meint damit die ursprüngliche Identität, die zwischen Subjekt und Objekt im Absoluten besteht (vgl. KFSA XII, S. 27 bzw. 91). Mit Schelling und Hegel sieht Schlegel also – gegen Kant – die Notwendigkeit eines einheitlichen, monistischen Systems, das vor allem eine Synthese aus praktischer und theoretischer Philosophie herbeiführen soll und insofern weit über den von Kant und Fichte abgesteckten Rahmen einer Transzendentalphi 35 Vgl. dazu: Arndt, Andreas, „Perspektiven frühromantischer Dialektik“, in: Das neue Licht der Frühromantik, hg. v. Bärbel Frischmann und Elizabeth MillánZaibert, Paderborn u. a. 2009, S. 53-64. 36 Abgesehen freilich von dem späteren, inhaltlich aber anders bestimmten Begriff einer „Ironie der Liebe“ in der Philosophie des Lebens (KFSA X, S. 357). Vgl. dazu ferner: Schöning, Matthias, Ironieverzicht. Friedrich Schlegels theoretische Konzepte zwischen Athenäum und Philosophie des Lebens, Paderborn u. a. 2002.
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losophie hinausgeht. Entsprechend skizziert Schlegel in der Vorlesung nicht nur die Grundlinien eines neuen organisch-dynamischen Naturbegriffs; er bemüht sich auch um eine philosophische Ästhetik. Sind jene Projekte aber wohl auf Anregungen Schellings zurückzuführen, setzt Schlegel andererseits auch eigene Akzente: Zu diesen gehört beispielsweise eine umfangreiche Kantkritik, die in vielen Punkten interessante Gemeinsamkeiten mit Hegels Kritik der Kantischen Transzendentalphilosophie aufweist. Das Hauptproblem von Kants Philosophie sieht Schlegel demnach in den problematischen Dualismen von Erfahrung und Vernunft, Praxis und Theorie, Freiheit und Notwendigkeit bzw. Idealismus und Realismus. Eng damit verbunden ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Kantischen Natur-, Freiheits- und Geschichts-Begriff sowie eine Kritik der Moral- und Postulatenlehre, die Schlegel schon 1797 als nachträgliches „kleister[n]“ und „flick[en]“ ablehnte (KFSA XVIII, S. 22, Nr. 46).37 Dagegen formuliert er in seiner Vorlesung das „Kriterium aller [wahren] Philosophie“ durchaus auch im Sinne Hegels mit den Worten: „welche Philosophie nicht mit dem Ganzen anfängt, die wird sich schwerlich dazu erheben.“ (KFSA XII, S. 96) Ähnlich kritisch wie gegen Kant wendet sich Schlegel auch gegen Fichte und Jacobi. Während Fichte – ebenfalls durchaus im Sinne Hegels – vorgeworfen wird, einseitig geblieben zu sein und das Recht des Objekts, z. B. im Falle der Natur oder der Geschichte, nicht ausreichend berücksichtigt zu haben, wird die Gefühls- und Glaubensphilosophie à la Jacobi in ihrem Anspruch als einer philosophischen Begründung generell abgelehnt (KFSA XII, S. 9).38 In der Vorlesung heißt es entsprechend: „Ganz zu verbannen aus der Philosophie ist der Begriff des Glaubens, insofern er ein Gegensatz des Wissens seyn soll.“ (ebd., S. 59, ähnlich: 9) Seinen eigenen Anspruch formuliert Schlegel im Gegensatz dazu, wenn er festhält: „Was also vorerst Objekt des Glaubens ist, soll Objekt des Wissens werden.“ (ebd., S. 60). 37 Vgl. dazu auch eine von Schlegels Habilitationsthesen: „Kantii interpretatio moralis evertit fundamenta artis criticae.“ (KFSA XXV, S. LVIII), die eine gewisse Ähnlichkeit zur achten Habilitationsthese Hegels aufweist: „Materia postulati rationis, quod philosophia critica exhibet, eam ipsam philosophiam destruit, et pricipium est Spinozismi.“ (TWA 2, S. 533). 38 Zum Einfluss, den Schlegels Jacobi-Kritik anlässlich seiner Woldemar-Rezension auf Hegel gehabt haben mag, vgl.: Zovko, Jure, „Glauben und Philosophie. Friedrich Schlegels und Hegels Jacobi-Kritik“, in: Hegel-Jahrbuch (2005), S. 221227.
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Darüber hinaus zeigt sich in der Vorlesung Schlegels Begeisterung für Spinoza. Anders als noch bei Jacobi und Fichte, die Spinozas Denken aus verschiedenen Gründen ablehnten, entlehnt Schlegel gerade aus ihm seine Begriffe der Spekulation und des Unendlichen.39 Insofern bezeichnet er Spinoza und Fichte als die „zwey kühnsten Denker“ überhaupt (KFSA XII, S. 76) und sieht die Grundidee seines eigenen Entwurfs in der Synthese des subjektiven Idealismus’ Fichtes mit dem objektiven Realismus Spinozas, oder, um es mit den Worten Schlegels zu sagen, zwischen dem ewig selbsttätigen Bewusstsein einerseits und der ewig beharrlichen Substanz andererseits. Das Projekt einer Verbindung dieser beiden entgegengesetzten Positionen bezeichnet er dabei schon seit 1797 in seinen Notizheften als „Absolute[n] Idealismus“ (KFSA XVIII, S. 33, Nr. 151). Schon diese wenigen Grundzüge von Schlegels Vorlesung machen deutlich, dass sich vielfältige Übereinstimmungen mit Hegel ergeben. Insofern ist es nicht überraschend, dass schon die Zeitgenossen Ähnlichkeiten feststellen wollten. Bereits 1829 erschien eine Schrift mit dem Titel Ueber die Hegelsche Lehre oder: absolutes Wissen und moderner Pantheismus, deren anonymer Autor nachzuweisen versuchte, dass Hegels Methode der Dialektik u. a. auch auf Schlegel und dessen Jenaer Vorlesung zurückgehe und dieser daher ein „Lehrer Hegels“ gewesen sei.40 Auf diese Behauptung reagierte Hegel gereizt, indem er in einer Rezension des Bandes schrieb: „Andere Allotria (z. B. die geschichtliche Notiz, daß Friedrich von Schlegel ein Lehrer Hegels gewesen […]), übergehen wir“ (TWA 11, S. 434). Mit diesem Machtspruch hätte die Kontroverse ein Ende nehmen können. Aber der Anonymus legte zwei Jahre später mit einem weiteren Buch, Ueber die Wissenschaft der Idee, nach, in dem er noch einmal ausführlich auf Hegels Besuch der Schlegelschen Vorlesung
39 Vgl. u. a.: Enders, Markus, „Das romantische Unendlichkeitsverständnis Friedrich Schlegels“, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 74 (2000), S. 44-83, bes.: 52 ff. sowie ferner: Behler, Ernst, „Zum Verhältnis von Hegel und Friedrich Schlegel in der Theorie der Unendlichkeit“, in: Ernst Behler. Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie, Bd. 2, Paderborn u. a. 1993, S. 119-142. 40 Anonymus, Ueber die Hegelsche Lehre oder: absolutes Wissen und moderner Pantheismus, Leipzig 1829, S. 152 f., ähnlich auch S. 160 f. Ernst Behler nennt einen „Hülsemann“ als Autor der Schrift, sicher scheint diese Zuordnung allerdings nicht (Behler, „Friedrich Schlegel und Hegel“, a. a. O., S. 235).
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in Jena zu sprechen kam.41 Diesmal übernahm es Karl Rosenkranz, den bereits verstorbenen Meister mit der Bemerkung zu verteidigen: Lächerlich ist es, wenn mehrfach behauptet worden, Hegel habe seine Methode von Friedrich Schlegel entlehnt! Als ob der allgemeine Gedanke, daß die wissenschaftliche Construction eine Triplicität von Momenten enthalten und den Inhalt objectiv darstellen müsse, schon der Begriff derjenigen Methode, schon diejenige Dialektik sei, welcher Hegel durch die Vorrede zur Phänomenologie und diese selbst zwar schon Aufmerksamkeit erschaffen, ihr aber erst durch sein System der Logik Bahn brechen konnte.42
Aber wie dem auch sei, fest steht, dass sich während der gemeinsamen Jenaer Monate Schlegels und Hegels verschiedene Übereinstimmungen ergaben.43 Auf einige dieser Punkte, die für Hegel besonders interessant gewesen sein dürften, soll im Folgenden noch etwas genauer eingegangen werden. Eine überaus wichtige Rolle spielt bei Schlegel wie bei Hegel der Skeptizismus. Beide beschäftigen sich nicht nur mit den historischen Erscheinungsformen der skeptischen Denkart, die um 1800 überhaupt eine Hochkonjunktur erlebt; sie lernen die Skepsis im Sinne einer immerwährenden Korrektur von Irrtümern auch als Mo 41 Den Hintergrund seiner diesbezüglichen Kenntnisse beschrieb der unbekannte Verfasser dabei wie folgt: „Einst äußerte ich gegen einen durchaus glaubwürdigen Mann, daß das Eigenthümliche der Hegelschen Philosophie in der Art und Weise bestehe, wie die Begriffe negativ umschlagen sollten. Derselbe eröffnete mir, daß schon Friedrich von Schlegel in seinen 1800 in Jena gehaltenen Vorlesungen über Transcendentalphilosophie es versucht habe, Begriffe auf ähnliche Weise aus andern hervorkommen zu lassen; er wisse ganz bestimmt als Augenzeuge, daß Hegel jenen Vorlesungen beigewohnt habe. Dieser Mann, der die Hegelsche Philosophie nicht näher kannte, und in dessen Glaubwürdigkeit kein Zweifel zu setzen ist, theilte mir dasjenige mit, was er von dem Inhalt jener Vorlesungen aufgezeichnet hatte.“ (Anonymus, Ueber die Wissenschaft der Idee. Erste Abtheilung. Die neueste Identitätsphilosophie und Atheismus und oder über immanente Polemik, Breslau 1831, S. XXVII). 42 Rosenkranz, Karl, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Berlin 1844, S. 223. 43 Bemerkenswert ist allerdings, dass auch einflussreiche Hegel-Schüler, wie etwa Karl Ludwig Michelet, ganz ähnliche Gemeinsamkeiten zwischen Hegel und Schlegel feststellten und sie auf die Zeit zurückführten, in der Hegel und Schlegel „[b]eide zusammen in Jena docirt haben“ (Michelet, Carl Ludwig: Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel. Zweiter Teil. Berlin 1838, S. 5-46, hier: 15; Zur Schrift des Anonymus vgl. S. 18, Anm. 1).
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vens der Geschichte des Geistes schätzen.44 Während etwa noch Fichte sich bemüht hatte, das ‚Gespenst des Skeptizismus‘ zu widerlegen, entwickeln Schlegel und Hegel jeweils Strategien, um dessen heilsame Wirkung in ihr System zu integrieren.45 In diesem Sinne konnte Schlegel in seiner Vorlesung wohl zu Recht behaupten: „Unsere Philosophie hat […] der Skepsis […] weit mehr Recht eingeräumt, als in jeder andern Philosophie.“ (KFSA XII, S. 42) Durch die Wirkung der Skepsis erweist sich das Absolute für Schlegel nicht nur als „Identität“, sondern zugleich als „Duplicität“, oder, um es anders zu sagen, als Differenz (ebd., S. 79). Der Unterschied zu Hegel besteht allerdings darin, dass die Implikation der Skepsis bei Schlegel nicht auch eine Immunisierung gegen sie bedeutet. Die Skepsis bleibt bei ihm vielmehr aktiv und sichert somit die kritische Überprüfung jedes einmal erreichten Standpunkts des Wissens – freilich auch des eigenen. Diese Konzeption, auf die hier nur verwiesen werden kann, hat dabei mindestens zwei wichtige Konsequenzen: Erstens eröffnet sie der Philosophie eine historische Dimension. Denn indem das Bewusstsein in skeptischer Selbstkorrektur fortgeht, durchläuft es eine Vielzahl verschiedener Systeme, die seine eigene Bildungsgeschichte ausmachen. In diesem Sinne spricht Schlegel auch davon, dass seine Philosophie „im Gegensatz der kritischen […] eine historische“ sei (KFSA XII, S. 96). Der Geist, der nach einer frühen Notiz Schlegels „aus durchgängigen Widersprüchen“ besteht (KFSA XVIII, S. 36, Nr. 192), vollzieht sich also historisch und drückt sich in einer Geschichte des Bewusstseins aus (KFSA XII, S. 11 ff.).46 In dieser kehrt 44 Während sich Schlegel u. a. auch in seiner Transcendentalphilosophie-Vorlesung mit dem Skeptizismus beschäftigt, ist in Bezug auf Hegels frühe Zeit neben den Habilitationsthesen, deren erste lautet: „Contradictio est regula veri, non contradictio falsi“ (TWA 2, S. 533), vor allem dessen Aufsatz Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie zu nennen, der im Frühjahr 1802 im zweiten Stück des ersten Bandes des Kritischen Journals erschien (ebd., S. 213-272). 45 Vgl. dazu ausführlicher: Vieweg, Klaus, Philosophie des Remis. Der junge Hegel und das ,Gespenst des Skepticismus‘, München 1999; ders., Skepsis und Freiheit. Hegel über den Skeptizismus zwischen Philosophie und Literatur, München 2007, bes. S. 193-214; Forster, Michael, „Schlegel and Hegel on Skepticism and Philosophy“, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, hg. v. Elena Ficara, Würzburg 2011, S. 141-153 sowie: Korngiebel, Johannes, „Friedrich Schlegels Idee der systemimmanenten Skepsis“, in: Krankheit des Zeitalters oder heilsame Provokation? Skeptizismus in der nachkantischen Philosophie, hg. v. Martin Bondeli, Jiři Chotaš und Klaus Vieweg, Paderborn 2016, S. 215-235. 46 Vgl. dazu: Behler, „Friedrich Schlegel und Hegel“, a. a. O., S. 226 ff.
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das endliche Bewusstsein, das als Teil des Absoluten immer zugleich auch unendlich ist, zu sich selbst, zu seinem eigenen Kern zurück. Eng damit verbunden ist ein zweiter Punkt. Denn indem, Schlegel zufolge, das Bewusstsein die eigene Endlichkeit nicht restlos überwinden kann, die Relation, durch die das Bewusstsein definiert ist, im Leben nicht aufzuheben im Stande ist, bleibt die Rückkehr an den unendlichen Grund seiner selbst zugleich immer eine unendliche. So findet das Bewusstsein im tätigen, sich und die Welt bildenden Leben die Möglichkeit, selbst unendlich zu werden, und nähert sich so dem schaffenden Absoluten an. Analog dazu ist dieses historische System notwendig offen, das heißt, da auch die letzte Stufe der Prüfung unterliegt und der jeweils erreichte Standpunkt des Wissens – zumindest der Möglichkeit nach – prinzipiell revisionsfähig ist, kann es für Schlegel keinen Abschluss in einem wie auch immer gearteten absoluten Wissen geben.47 Dennoch aber darf Schlegels Rede von der Relativität des Systems nicht mit der modernen Auslegung dieses Begriffs – etwa in der Postmoderne – gleichgesetzt werden.48 Denn erstens bleibt die Tendenz der philosophischen Entwicklung bei Schlegel freilich immer auf das Absolute als seinem Zielpunkt gerichtet; er nimmt also einen objektiven Rah 47 Diese These hat freilich auch Auswirkungen auf den Systembegriff, den Schlegel schon im 53. Athenäum-Fragment thematisiert hatte. Die dort ausgesprochene Paradoxie, es sei „gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben“ (KFSA II, S. 173), kehrt in gewisser Weise auch in der Transcendentalphilosophie wieder. Hier nämlich fordert Schlegel einerseits die strenge Notwendigkeit der einzelnen Schritte im Sinne des organischen Ganzen (vgl.: „Die Philosophie soll ein Wissen seyn, und zwar ein absolutes Wissen; wir müssen also darnach streben, daß jeder Schritt, den wir thun, nothwendig sey, nichts Hypothetisches enthalte“ – KFSA XII, S. 3); andererseits hält er aber gerade die Form des geschlossenen Systems, das jeweils anderes ausschließt, nicht für geeignet, die Vollendung des Wissens zu vollziehen (vgl.: „Es ist hier etwa nicht die Rede von der Einheit eines Systems; denn diese ist nicht absolut. Sobald etwas System ist, so ist es nicht absolut. Die absolute Einheit wäre etwa ein Chaos von Systemen.“ – KFSA XII, S. 5). Insofern beschreibt man den spezifischen System- bzw. Philosophie-Begriff Schlegels in der Transcendentalphilosophie vielleicht am besten als offenes oder unendliches System. 48 Schon der erste Theoretiker der sogenannten Postmoderne, Jean-François Lyotard, scheint das gespürt zu haben, wenn er festhielt: „Mir scheint, daß der Essay (Montaigne) postmodern ist und das Fragment (das Athenäum) modern.“ (Lyotard, Jean-François, „Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?“, in: Postmoderne für Kinder. Briefe aus den Jahren 1982-1985, hg. v. Peter Engelmann, Wien 1987, S. 30; vgl. dazu auch: Welsch, Wolfgang, Unsere postmoderne Moderne, 6. Aufl., Berlin 2002, S. 36 und 175).
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men, eine, wenn man so will, große Erzählung gerade in Anspruch.49 Und zweitens besteht Schlegels Relativität nicht in einem Nebeneinander von Optionen, einem falsch verstandenen anything goes, sondern in einem sinnvoll aufeinander aufbauenden Nacheinander einzelner Stufen, wobei der immanente Selbstwiderspruch das Kriterium der Überwindung bildet.50 Abgesehen von der Frage nach der Möglichkeit eines absoluten Wissens teilt dieses Schlegelsche Verfahren also gewisse Überzeugungen mit Hegels Vorgehen in der Phänomenologie. Schon Emanuel Hirsch hat daher die Bedeutung hervorgehoben, die die Romantik für Hegels Denkentwicklung hatte und dabei explizit auf Schlegels letztes Athenäum-Fragment als einer „Weissagung auf den absoluten Geist der Phänomenologie“ verwiesen.51 In diesem heißt es: „Das Leben des universellen Geistes ist eine ununterbrochene Kette innerer Revolutionen“ (KFSA II, S. 255). Auf der anderen Seite macht Hegel aber vielleicht gerade dieses Fragment zum Ausgangspunkt einer Notiz, die sich in seinem Wastebook findet. Denn während Schlegel an gleicher Stelle festhält, dass die „Harmonie“ nur durch eine „Verbindung der Poesie und der Philosophie“ zu erreichen sei (ebd., S. 255), notiert Hegel kurz und bündig: „das Philosophieren nicht mit dem Poetisieren“ „zu vereinigen“ (TWA 2, S. 559). Dieses Beispiel mag belegen, dass Hegel und Schlegel in Jena zwar an ähnlichen Problemen arbeiten, dabei aber freilich verschiedene 49 Schon Pöggeler hielt fest: „‚Objektivität‘ war eine alte Forderung Schlegels“ (Pöggeler, Otto, „Ist Hegel Schlegel? Friedrich Schlegel und Hölderlins Frankfurter Freundeskreis“, in: „Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde“. Das Schicksal einer Generation der Goethezeit, hg. v. Christoph Jamme und Otto Pöggeler, Stuttgart 1983, S. 325-348, hier: 343). Das belegen auch die Schlegelschen ‚Verganzungsprojekte‘, zu denen die Fragmentsammlungen genauso zählen wie die Neue Mythologie, die Enzyklopädie und die Mischform des unendlichen Romans. Ex negativo ergibt sich der gleiche Befund zudem aus Schlegels früher Jacobi-Kritik, die im Vorwurf der sich selbst genügenden „Friedrich-HeinrichJacobiheit“ kulminiert, die einzig einen „individuelle[n] Optativ“ zum Rahmen ihrer Handlungen mache (KFSA II, S. 68 f.). Damit wirft Schlegel Jacobi gerade das vor, was Hegel später unter dem Schlagwort der Ironie gegen Schlegel wenden wird. Hegels Vorwurf der Objektvergessenheit dürfte also eher auf seine spezifische Interpretation Schlegels zurückgehen, als auf dessen Position selbst. 50 Das zeigt z. B. die Einteilung der Epochen der Geschichte des Bewusstseins, die Schlegel in KFSA XII, S. 11 ff. gibt. 51 Hirsch, „Die Beisetzung der Romantik in Hegels Phänomenologie“, a. a. O., S. 245 f.
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Wege einschlagen.52 Entsprechend kann die Jenaer Vorlesung – affirmativ wie aversiv – als Hegels Schlüsselerlebnis mit Schlegel gelten. Dafür spricht auch, dass dieser – wie bereits angedeutet – nur in der Transcendentalphilosophie einen nahezu vollständigen Überblick seiner Denkungsart gab. Zwar konnte Hegel einige Kerngedanken der frühromantischen Theoriebildung auch anderen Texten Schlegels entnehmen, nirgends aber traten ihm dessen philosophische Überzeugungen so geschlossen und vollständig entgegen wie hier. Dieser Befund muss nun nicht zwangsläufig dazu führen, die angeführten Gemeinsamkeiten überzubewerten. Ein Teil dieser Gedanken lag um 1800 – zumal in Jena – zweifelsohne in der Luft und ist entsprechend auch bei anderen Denkern zu finden. Allerdings waren die Übereinstimmungen in vielen Fällen aber so frappant, dass Hegel, gerade weil er die Nähe zu Schlegel spüren musste, darum bemüht war, die Differenzen hervorzukehren. Im letzten Teil dieses Beitrags soll daher der Frage nachgegangen werden, ob – und wenn ja, inwiefern – sich schon in den frühen Werken Hegels Reflexe auf Schlegel bzw. dessen Vorlesung finden.
III. Spuren von Hegels Schlegel-Rezeption vor der Phänomenologie Bisher ist man – wie zu Beginn dieses Beitrags angedeutet – davon ausgegangen, dass die frühesten indirekten Äußerungen Hegels zu Schlegel in der Phänomenologie zu finden seien. Allerdings scheint es naheliegend, dass sich die Erfahrungen mit Schlegel in Jena und vor allem das Erlebnis der Vorlesung schon früher in Hegels Schriften niedergeschlagen haben müssen. Obwohl mit dieser Fragestellung verschiedene Texte in den Blick rücken, ist auch hier zunächst festzuhalten, dass sich explizite Bezüge auf Schlegel nirgends finden. Dennoch schließt diese Feststellung aber nicht aus, dass Schlegel zumindest im Hintergrund präsent ist. Am vielversprechendsten ist in 52 Welch kuriose Übereinstimmungen sich zwischen Hegels und Schlegels Denken ergaben, belegt auch eine Anekdote, die Henrich Steffens überliefert: Schlegel, der damals schon mit Schelling verfeindet gewesen sei, „erschöpfte sich in Witzen über die absolute Identität, und den sonst wohl Hegel zugeschriebenen Einfall: ‚Im Dunkeln sind alle Katzen grau‘ habe ich schon damals von Fr. Schlegel gehört“ (Steffens, Henrich, Was ich erlebte. Aus der Erinnerung niedergeschrieben, Bd. 4, Breslau 1841, S. 312).
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dieser Hinsicht sicher die Differenzschrift. Ihre Entstehung fällt nicht nur in jene Monate, in denen Hegel Schlegels Vorlesung besuchte53; sie liefert mit dem Abschnitt Mancherlei Formen, die bei dem jetzigen Philosophieren vorkommen auch einen Text, in dem implizite Bezüge auf Schlegel – besonders vor dem Hintergrund der Vorlesung – nicht nur denkbar, sondern geradezu naheliegend wären (TWA 2, S. 15-51). Und tatsächlich hat schon Otto Pöggeler darauf hingewiesen, dass Hegel sich mit der Wendung von der „interessante[n] Individualität“ (ebd., S. 19) gleich zu Beginn seiner Schrift vermutlich auf Schlegels Studium-Aufsatz bezieht.54 Übersehen wurde indessen, dass dieser Begriff auch in der Transcendentalphilosophie zu finden ist. Auch hier nämlich thematisiert Schlegel in eben jenen Abschnitten, die Hegel hörte, das „Interessant[e]“, im Gegensatz zum „Classischen“, als das Besondere, Eigenartige, in dem sich die Zeitumstände manifestieren (vgl. KFSA XII, S. 104). Schon dieses Beispiel zeigt, dass es durchaus sinnvoll ist, gerade in Hegels frühen Schriften nach Spuren der Schlegelschen Vorlesung zu suchen.55 Besonders vielversprechend scheint in dieser Hinsicht der vermutlich von Hegel und Schelling gemeinsam verfasste Aufsatz Über das Wesen der philosophischen Kritik.56 Mit diesem programmatischen Text, der wohl im Herbst 1801 – also in den letzten Wochen von Schlegels und Hegels gemeinsamer Jenaer Zeit – entstand und zur Jahreswende 1801/02 das Kritische Journal eröffnete, wenden sich die Autoren mit der spezifisch philosophischen Kritik genau jenem Feld zu, auf dem sich der junge Friedrich Schlegel seine ersten Erfolge erarbeitet hatte. Insofern ist vielleicht die Bemerkung nicht unwichtig, dass das erste Heft des neuen Journals nur wenige Monate nach August Wilhelm und Friedrich Schlegels Charakteristiken und Kritiken erschien, die für das Kritik-Verständnis um 1800 so zentrale Texte wie die Woldemar-Rezension, die Besprechung von 53 Die Arbeit an der Differenzschrift hat Hegel laut GW 4, S. 525 spätestens im Juli 1801 abgeschlossen. 54 Vgl. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, a. a. O., S. 234. 55 Dass die Protagonisten der Romantik in der Differenzschrift eine Rolle spielen, belegt ferner Hegels Rekurs auf Schleiermachers „Reden über die Religion“ (TWA 2, S. 13). 56 Zur Frage der Autorschaft vgl. GW 4, S. 540 ff., bes.: 542, zum Journal selbst den Sammelband: Vieweg, Klaus (Hg.), Gegen das ‚unphilosophische Unwesen‘. Das Kritische Journal der Philosophie von Schelling und Hegel [=Kritisches Jahrbuch der Philosophie Bd. 7], Würzburg 2002.
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Niethammers Philosophischem Journal oder den Lessing-Aufsatz enthielten.57 Auch ist zu berücksichtigen, dass zur direkten Vorgeschichte des Schelling-Hegelschen Journals der Plan gehörte, den Fichte, Schelling und die Schlegels für ein gemeinsames Zeitschriftenprojekt entworfen hatten.58 Insofern also liegt es nahe, dass Schelling und Hegel auch Schlegel im Blick haben, wenn sie im Eröffnungsaufsatz des Kritischen Journals die Deutungshoheit über die philosophische Kritik für sich in Anspruch nehmen. Wie im Falle der Differenzschrift sind die Bezüge aber zunächst auch hier durchaus affirmativ. Schon Kurt Röttgers und Walther Zimmerli haben auf Ähnlichkeiten zwischen Schlegels und Hegels Kritik-Begriff hingewiesen und dabei vor allem die beiden gemeinsame Überzeugung hervorgehoben, dass „[d]er Maßstab“ der Kritik „nicht außerhalb des Kritisierten liegen“ darf.59 Zu ergänzen wäre darüber hinaus die Idee, dass die Kritik die Ganzheit des Autors respektive Philosophen zu bewerten habe statt nur das Einzelwerk – ein Gedanke, den Schlegel in seiner Woldemar-Rezension unter Verweis auf die „Friedrich-Heinrich-Jacobiheit“ musterhaft ausgeführt hatte (KFSA II, S. 68).60 Überdies, und das führt wiederum auf die letzten Abschnitte der Transcendentalphilosophie-Vorlesung, die Hegel gehört hat, stimmen Hegel und Schlegel auch in Bezug auf die „Rechtfertigung der Polemik“ (KFSA XII, S. 94) als eines Ausscheidungsmittels der „Unphilosophie“ (TWA 2, S. 174) überein.61 So heißt es in Schlegels Vorlesung: „Kritisch wird die Philosophie seyn und 57 Zu Schlegels Kritik-Begriff vgl.: Reents, Friederike, „Kritik“, in: Friedrich Schlegel-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, hg. v. Johannes Endres, Stuttgart 2017, S. 316-319 sowie: Frischmann, Bärbel, „Friedrich Schlegels frühromantische Kritikkonzeption und ihre Potenzierung zur ‚Kritik der Kritik‘“, in: Archiv für Begriffsgeschichte 43 (2001), S. 83-111. 58 Vgl. GW 4, S. 533 ff. sowie: Fuhrmans, F. W. J. Schelling. Briefe und Dokumente, a. a. O., Bd. 1, S. 201-208 und: Buchner, Hartmut, „Hegel und das Kritische Journal der Philosophie“, in: Hegel-Studien 3 (1965), S. 95-156, bes.: 98-107. 59 Zimmerli, Walther, „Inwiefern wirkt Kritik systemkonstituierend?“, in: HegelStudien, Beiheft 20 (1980), S. 81-102, hier: 95. Vgl. auch: Röttgers, Kurt, Kritik und Praxis. Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx, Berlin und New York 1975, bes. S. 115-164. 60 In seiner Schlegel-Kritik praktiziert Hegel dieses Schlegelsche Verfahren später gewissermaßen selbst. Vgl. dazu vor allem seine Darstellung in der Solger-Rezension, die weniger auf die Einzelwerke, als vielmehr die Persönlichkeit Schlegels und seinen Charakter zielt (vgl. TWA 11, S. 233 ff. und 255). 61 Vgl. zu Schlegel: Rose, Dirk, „‚Polemische Totalität‘. Philosophische und ästhetische Begründung der Polemik bei Friedrich Schlegel“, in: Der Begriff der Kritik
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heißen können, die sich selbst auf das bestimmteste von den entgegengesetzten absondert, und dadurch wird der Idealismus polemisch.“ (KFSA XII, S. 96) Im Journal-Aufsatz Hegels und Schellings lautet die entsprechende Stelle indessen: auch die wahre Philosophie kann sich gegenüber von der Unphilosophie des äußeren polemischen Ansehens um so weniger erwehren, da ihr, weil sie nichts Positives mit dieser gemein hat und darüber in einer Kritik sich mit ihr nicht einlassen kann, nur jenes negative Kritisieren und das Konstruieren der notwendig einzelnen Erscheinung der Unphilosophie und, weil diese keine Regel hat und in jedem Individuum auch wieder anders sich gestaltet, aus des Individuums, in dem sie sich aufgetan hat, übrigbleibt. (TWA 2, S. 186)
Neben diesen Übereinstimmungen eröffnet die Journal-Einleitung, liest man sie in Bezug auf Schlegel, aber auch eine gleich in mehrfacher Hinsicht kritische Dimension. So ergeben sich schon in Bezug auf den Kritik-Begriff selbst verschiedene Differenzen. Die wichtigste unter ihnen betrifft den Umstand, dass Hegel und Schelling als objektiven Rahmen der Kritik die Idee der wahren Philosophie voraussetzen, während Schlegel gerade davon ausgeht, dass sich diese erst durch den im Grunde unabschließbaren Prozess der Kritik als einer Korrektur immanenter Irrtümer annäherungsweise bestimmen lässt. Darüber hinaus lässt sich Hegels und Schellings Aufsatz aber auch direkt gegen Schlegel wenden: Denn die Autoren beanspruchen mit diesem Text das Feld der philosophischen Kritik für sich bzw. für das Kritische Journal.62 Als diejenigen, die über die Idee der wahren Philosophie verfügen, sind nur sie berechtigt, über andere sogenannte Philosophien zu richten.63 Insofern wird – freilich ohne dessen Namen in der Romantik, hg. v. Ulrich Breuer und Ana-Stanca Tabarsi-Hoffmann, Paderborn 2015, S. 129-150, hier: 140. 62 Im Gegensatz dazu sehen Hegel und Schelling in der philosophischen Kritik Friedrich Schlegels wohl jenes bloß „negative[] Zerschlagen“, „jenes negative Kritisieren“, das die „Möglichkeit einer […] wirklichen Erkenntnis“ und damit die „Wegbereitung für den Einzug wahrer Philosophie“ unterdrückt (TWA 2, S. 185 f.). 63 In der Ankündigung des Kritischen Journals heißt es daher vielleicht nicht ohne Seitenhieb auf den romantischen Kreis, dessen Zerfall unmittelbar vorausgegangen war: „Indes allmählich der große Haufen, den die Philosophie gegen ihren Willen in der letzten Zeit zur Teilnahme sowohl als zum Zuschauen herbeigezogen hatte, sich zu verlaufen anfängt, gewinnt die wahre Wissenschaft
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zu nennen – dem Kritiker Friedrich Schlegel die Befähigung zur philosophischen Kritik prinzipiell abgesprochen.64 Dieser Vorwurf aber impliziert noch einen weiteren Punkt. Denn indem Schlegel die Idee der wahren Philosophie nicht zuerkannt wird, kann er natürlich auch kein eigentlich philosophischer Kopf sein. So trifft Schlegel, was Hegel schon hier unter dem Begriff der „schönen Seele“ fasst: Sich selbst genügend verspricht diese, „Wesen und Hauptsache der Philosophie“ in „kurzen Worten“ – man denke an die Fragmente! – auszusprechen, ohne dass dem eine originäre Denkanstrengung bzw. ein systematisch-wissenschaftlicher Anspruch vorausginge (TWA 2, S. 174). In Hegels Augen ergibt sich damit eine Position, die „im Besitz der Philosophie zu sein vorgibt, die Formen und Worte, in welchen große philosophische Systeme sich ausdrücken, gebraucht, viel mitspricht, aber im Grunde ein leerer Wortdunst ohne inneren Gehalt ist.“ (ebd., S. 176) Vor allem solche Wendungen können als direkt gegen Schlegel und seine Jenaer Vorlesungstätigkeit gerichtet verstanden werden – zumindest scheinen das bestimmte Signalworte und verschiedene Übereinstimmungen mit den polemischen Formulierungen Schellings und des späten Hegel nahezulegen. So wird im weiteren Verlauf des Textes darauf verwiesen, dass die „Besonderheit, die sich für Originalität hält und ausgibt“, in Wahrheit ohne „eigene[ ] Philosophie“ sei und daher anderen nachbete, was sie selbst nicht zu leisten im Stande ist (TWA 2, S. 177). Das erinnert an Hegels späte Invektiven in der Solger-Rezension, nach denen Schlegel sich „immer urteilend gegen [die Philosophie – J. K.] verhalten“ habe, „ohne je einen philosophischen Inhalt, philosophische Sätze oder gar eine entwickelte Folge von solchen auszusprechen“ (TWA 11, S. 233 f.). Zudem weist die ironische Wendung von der „Versammlung solcher origineller Tendenzen“ vielleicht auf den prominenten Gebrauch dieses Schlegelschen Schlüsselbegriffs und schließlich wird abermals Hegels spätere Zeit, sich in sich selbst zurückzuziehen und, einen lebendigen Mittelpunkt der Kontraktion bildend, sich auf immer von der Unphilosophie zu scheiden.“ (TWA 2, S. 169) 64 Zu beachten ist dabei allerdings, dass sich dieser Vorwurf nur auf die philosophische Kritik bezieht, die gleich zu Beginn des Aufsatzes von der Kunstkritik unterschieden wird, auf deren Gebiet die Autoren Schlegel die Kompetenz entsprechend nicht absprechen würden (vgl. TWA 2, S. 171). Genau in diesem Sinne ordnet Hegel noch in den Vorlesungen über die Ästhetik die Gebrüder Schlegel nur in der „Nachbarschaft […] der philosophischen Idee“ ein, gesteht ihnen aber zu, „in verschiedene Zweige der Kunst […] einen neuen Maßstab der Beurteilung und Gesichtspunkte“ eingeführt zu haben (TWA 13, S. 92).
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Romantikkritik antizipiert, wenn im Aufsatz explizit von der Unfähigkeit die Rede ist, „eine solche Besonderheit zum System zu erweitern“ (TWA 2, S. 177 f.). Der zentrale Hinweis auf Schlegel und seine Vorlesung ergibt sich allerdings wiederum durch den Begriff der ‚Individualität‘. War der Verweis darauf in der Differenzschrift noch durchaus positiv besetzt, gerät er hier zum Ausdruck einer scharfen Polemik. Denn im KritikAufsatz gehen Hegel und Schelling davon aus, dass im Gebiet der Philosophie alles „Eigentümliche“, das nur sich selbst genügt, zu Gunsten der wahren Objektivität auszuschließen sei (TWA 2, S. 178). Tatsächlich könnten sich die Autoren damit direkt gegen eine Stelle in Schlegels Vorlesung gerichtet haben, in der es heißt: „Jeder wahre Philosoph wird immer mehr oder weniger Eigenthümliches bey der Konstituzion der Philosophie haben.“ (KFSA XII, S. 78) Allerdings hätten sie in diesem Fall übersehen, dass diese Feststellung für Schlegel nur eine Seite der Medaille darstellt. Denn gemäß der bereits skizzierten Geschichte des Bewusstseins und der Wirkung des Skeptizismus muss diese Stufe der Eigentümlichkeit natürlich in Richtung einer stetig wachsenden Objektivität erweitert werden.65 Oder, wie es Schlegel an anderer Stelle sagt: „Die individuelle Ansicht soll aufgehoben seyn.“ (KFSA XII, S. 52)66 Ähnliches gilt auch für Hegels und Schellings Kritik der Relativität. Im Kritik-Aufsatz nämlich werden all jene Philosophien angegriffen, die sich unter dem Deckmantel der Transzendentalphilosophie – man denke an den Titel von Schlegels Vorlesung! – scheuen, „sich als absolut hinzustellen“ (TWA 2, S. 179). Dazu passt Schlegels Bemerkung am Ende seines Kollegs: Absolute Wahrheit kann nicht zugegeben werden; und dies ist die Urkunde für die Freyheit der Gedanken und des Geistes. Wenn die absolute Wahrheit gefunden wäre, so wäre damit das Geschäft des Geistes 65 Gleiches gilt auch für den moralischen Standpunkt Schlegels, den Hegel seit seiner Rechtsphilosophie zum Gegenstand heftiger Attacken macht. In Schlegels Transcendentalphilosophie heißt es diesbezüglich: „In der Moral ist der Grundsatz: die Eigenthümlichkeit, Ursprünglichkeit, oder Selbstständigkeit, oder Originalität.“ Aber auch dieser Grundsatz muss für Schlegel durch das „Gegentheil davon […] also Universalität“ ergänzt werden (KFSA XII, S. 52). 66 Analog dazu formuliert Schlegel auch: „Der Schein des Endlichen soll vernichtet werden“ (KFSA XII, S. 11), dies geschieht, „indem man das Wirkliche oder Göttliche unterscheidet von dem Nichtwirklichen, indem man von seiner Individualität abstrahirt, und sich selbst geistig vernichtet“ (ebd., S. 79).
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vollendet, und er müßte aufhören zu seyn, da er nur in der Thätigkeit existirt. (KFSA XII, S. 93)
Vielleicht haben Schelling und Hegel, der in den entsprechenden Sitzungen anwesend war, also tatsächlich jene Äußerungen Schlegels im Kopf, wenn sie sich gegen das ‚Provisorische, Problematische und Hypothetische‘, kurz: gegen die Relativität von Systemen wenden (TWA 2, S. 179 f.). Schlegel jedenfalls dürfte für sie unter jene Philosophen gezählt haben, die „provisorisch philosophier[en]“, was aus ihrer Sicht abgelehnt und vernichtet werden muss (ebd., S. 178). Außerdem kritisieren die Autoren in ihrer großangelegten Programmschrift den Ausgang vom Endlichen, der jede Vereinigung mit dem Absoluten unmöglich mache und dieses daher ewig nur als ein unerreichbares „Jenseits“, ein bloß „Gedachtes“, „nur […] eine Idee“ setze. Damit wird deutlich, warum Schelling und Hegel ein Hauptproblem zeitgenössischen Philosophierens im unüberwindlichen „Dualismus“ sehen, der sich nur im Sollen, Sehnen und Fordern erfüllt und sich insofern „dem Absoluten nur nähert“ (TWA 2, S. 180 f.).67 Freilich ist auch mit dieser Charakterisierung nicht allein an Schlegel gedacht. Wenn Hegel und Schelling aber in einem der folgenden Sätze festhalten, dass dieses Grundmodell eines Gegensatzes, der „herrschend und absolut bleibt“, „unsere neuere philosophische Kultur charakterisiert, so daß in diesen Begriff ziemlich alles fällt, was in unseren Tagen für Philosophie gegolten hat“, so dürfte sich das doch zumindest auch auf Schlegel beziehen (ebd., S. 181). Fasst man all dies zusammen, so lässt sich bereits der Eröffnungsaufsatz des Kritischen Journals als eine breit angelegte Abrechnung mit Friedrich Schlegel lesen. Indem diesem die Idee wahrer Philosophie abgesprochen wird, wird nicht nur der Kritiker, sondern vor allem auch der Philosoph Schlegel in die Schranken verwiesen.68 Schon hier, fünf Jahre vor der Phänomenologie und zwei Jahrzehnte 67 Zudem wird hier aber auch deutlich, dass der Vorwurf – so er bewusst gegen Schlegel gerichtet ist – diesen nur eingeschränkt zu treffen vermag, denn es war, wie oben bereits gezeigt, ja gerade eines der erklärten Ziele Schlegels, diesen Dualismus durch seinen System-Entwurf zu überwinden. 68 Während etwa Behler darauf verweist, dass in Bezug auf Hegels Auseinandersetzung mit Schlegel gegenüber der „extremen ‚Würdigung‘ […] in der Phänomenologie“ erst in „den späteren Werken“ eine „zunehmend polemische und herabsetzende Note bemerkbar“ wird (Behler, „Friedrich Schlegel und Hegel“, a. a. O., S. 208), zeigen meine Ausführungen zum Kritik-Aufsatz, dass die ableh-
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vor Ausbruch des eigentlichen Streits, werden die Grundlagen von Hegels später Schlegel-Kritik gelegt. Schlegel, der selbst nur allzu gut um die Mängel seines Jenaer Entwurfs wusste69, hat das vielleicht selbst gespürt: Im März 1804 äußerte er nach der Lektüre des Kritischen Journals gegenüber seinem Bruder: „Noch eckelhafter jedoch sind mir die Hegeleien. – Schwerlich werde ich von diesem Menschen je etwas wieder lesen; die Zeit wird mir immer kostbarer.“70
Fazit Was also lässt sich in Bezug auf die kurze gemeinsame Zeit Hegels und Schlegels in Jena zusammenfassend festhalten? Zum einen muss die früher in der Forschung mitunter geäußerte These, dass zwischen Schlegel und Hegel in Jena keine näheren Beziehungen bestanden71, revidiert werden. Sowohl die gesellschaftlichen Verbindungen wie auch die Wohnsituation sprechen für mittelbare und unmittelbare Kontakte. Zudem hat vor allem der Besuch der Schlegelschen Vorlesung zur Transcendentalphilosophie auf Hegel gewirkt. Das lässt sich anhand verschiedener direkter und indirekter Bezüge nachweisen. Zwar darf Hegels Romantik- bzw. Schlegel-Rezeption nicht auf dieses Erlebnis reduziert werden72; auf der anderen Seite kommt der Vorlesung als Anspruch und Bestätigung sowie als Reibe- und Absetzungspunkt aber eine besondere Bedeutung für das Hegelsche Schlegel-Verständnis zu.73 Dafür spricht auch, dass
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nende Haltung schon hier vorherrschend ist und das Bild noch der späten Kritik entscheidend mitbeeinflusst. In einem Brief vom 23. Januar 1801 an Schleiermacher schreibt er: „Es sind eben Versuche“ (KFSA XXV, S. 223). Körner, Josef (Hg.), Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis, Bd. 1, 2. Aufl., Bern und München 1969, S. 68. Vgl. etwa Rosenkranz, der scheibt, dass Hegel in Jena „zu den Schlegeln […] kein näheres Verhältniß“ gehabt habe (Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, a. a. O., S. 223). Insofern sind extreme Wertungen, wie die, dass Friedrich Schlegel der „Lehrer Hegels“ gewesen sei, freilich als haltlos zurückzuweisen (s. Anm. 40). Vgl. dazu schon Josef Körners Einschätzung: „Bestärkung der noch unfesten, Klärung der noch verschwommenen Linien des eignen Spekulierens mag Hegel immerhin, in Zustimmung oder Ablehnung des Gehörten, von dem nach gleichen Zielen ausschauenden Lehrer empfangen haben“ (Schlegel, Friedrich, Neue philosophische Schriften. Erstmals in Druck gelegt, erläutert
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Hegel sich – bei allen Gemeinsamkeiten – schon früh von Schlegel absetzte. Die diesbezüglichen, impliziten Verweise im Wastebook und der Differenzschrift sowie vor allem im Eröffnungsaufsatz des Kritischen Journals können insofern als erstes Zeugnis von Hegels Auseinandersetzung mit Schlegel gelten. Im Ganzen ist die gemeinsame Jenaer Zeit Schlegels und Hegels also tatsächlich wesentlich wichtiger als bisher angenommen: Hier macht Hegel die Grunderfahrungen, die zu seiner späteren Romantik- bzw. Schlegelkritik führen, erhält auf der anderen Seite aber auch entscheidende Anregungen. Man wird wohl also mit einigem Recht sagen dürfen, dass Idealismus und Romantik nie wieder so eng beieinander waren, wie in jener Zeit als Hegel neben Schlegel „auf dem alten Fechtboden“ zu Jena wohnte.74
und mit einer Einleitung in Fr. Schlegels philosophischen Entwicklungsgang versehen von Josef Körner, Frankfurt a. M. 1935, S. 89). Ähnlich auch: Pöggeler, Otto, „Hegel und die Jenenser Romantik. Anregung und Widerspruch“, in: Evolution des Geistes. Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte, hg. v. Friedrich Strack, Stuttgart 1994, S. 545569. 74 Bezeichnend ist in dieser Hinsicht eine Anekdote aus späterer Zeit. Als Hegel im Oktober 1824 auf der Durchreise nach Berlin bei Ludwig Tieck in Dresden Station machte, traf er dort zufällig auch auf seinen ehemaligen Jenaer Nachbarn Friedrich Schlegel. Seiner Frau berichtete er darüber: „Gestern abend ging ich noch sogleich zu Tieck und traf dort […] Herrn Friedrich von Schlegel, der mir jedoch erst nach seinem Weggehen bekannt wurde“ (Briefe von und an Hegel, Bd. 3, S. 74) – man hatte einander also nicht einmal mehr erkannt.
Klaus Vieweg ( Jena)
Eine Entdeckungsreise ins Wissen – Zu Hegels Jenaer Antwort auf die Bewusstseinsphilosophien ‚Heute wird versichert, dass es keine Erkenntnis der Wahrheit gebe. So ist das, was von jeher für das Schmählichste, Unwürdigste in der Philosophie gegolten hat, nämlich der Erkenntnis der Wahrheit zu entsagen, von unseren Zeiten zum höchsten Triumphe des Geistes erhoben worden. Das Wahre nicht zu wissen und nur Erscheinendes, Zeitliches ist es, was sich in der Philosophie breitgemacht und das große Wort führt, das Verzichttun auf vernünftiges Erkennen.‘1 Dieser in der Antrittsrede in Berlin ausgesprochene Befund Hegels über die Situation der damaligen Philosophie trifft exakt die heutige Lage, der allfällige Relativismus in seinen verschiedenen Versionen feiert seine öffentlichen Triumphe, besonders auch in den Geistesund Sozialwissenschaften. Erkenntnis der Wahrheit oder gar ein System der Philosophie werden für törichte Anmaßung erklärt. Jeder, jede Gruppe, jede Kultur habe die ihm oder ihr eigene Wahrheit. Die Grenzzieher und Mauerwächter für das Denken und die Wahrheit preisen mit Hinweis auf das Erkennen von ‚Erscheinungen‘ und Wahrscheinlichkeiten alle Schwundstufen des Wissens. Die Ansprüche auf Wissen und Wahrheit gelten als ‚vermessen‘ (TWA 10, § 386), man fordert die Bescheidenheit im Denken, man soll sich bitte auf das Erscheinende und Endliche begrenzen; Grenze ist ein Zauberwort. Wer sich gar mit Hegel beschäftigt, wird oft mitleidig belächelt als jemand aus alter Zeit, als old fashioned, als ein Hinterwäldler, entstiegen aus der Mottenkiste der Philosophie, statt aus der leuchtenden Ära des Nachmetaphysischen.2
1 Vgl. Hegel, G. W. F., „Konzept der Rede beim Antritt des philosophischen Lehramtes an der Universität Berlin“, TWA 10, S. 402 f. 2 Eine ausführliche Fassung dieser noch provisorischen Überlegungen ist in Arbeit.
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Die vielköpfige Hydra der Bewusstseinsphilosophie Hegel soll seine Phänomenologie des Geistes bildlich als Entdeckungsreise ins Wissen beschrieben haben. Der Denkraum soll erschlossen werden, es geht um eine Bildungsreise im Sinne von Swifts Gullivers Reisen und Goethes Wilhelm Meister in dessen Lehr- und Wanderjahren, um das Universum des werdenden Wissens, um den Lebenslauf des Geistes in aufsteigender Linie. Und wie bei all diesen Abenteuerunternehmen handelt es sich keineswegs um ein gemütliches Flanieren im Jenaer Paradiespark, sondern eher um das unverzichtbare Durchschreiten von Dantes Inferno, um das ‚Hindurcharbeiten auf dem langen Weg der Bildung zum Wissen‘, um die harte ‚Anstrengung des Begriffs‘ – in via investigationis. Hegel gebraucht die Metapher des Gerichtshofes, im ‚Gerichte‘ jenes phänomenologischen Gangs wird unparteiisch und streng geprüft, unerbittlich die Forderung des Beweisens erhoben und gründlich ‚gewogen‘ bevor Urteile fallen. In der Vorrede, die als Präludium zum gesamten System, nicht nur zur Phänomenologie, konzipiert wurde, forciert Hegel seine mit der Differenzschrift begonnene Kritik an den herrschenden Denkmodellen mit einem kritische-polemischen Rundumschlag, sich richtend gegen das Paradigma des Bewusstseins, gegen ein Grundmuster, das Hegel mit seiner Abhandlung aufzuheben strebt. Noch führen die Bewusstseinsphilosophien das große Wort, gebetsmühlenhaft verkünden sie, dass es ‚keine Erkenntnis der Wahrheit‘ gebe, nur Zeitliches und Endliches sei zu erfassen. ‚Von unseren Zeiten – so Hegel später – wird der Verzicht auf Wahrheit zum höchsten Triumphe des Geistes erhoben‘, was den Todessprung für die Philosophie selbst bedeutet. Zum ‚Antlitz Gottes vermag ein sterbliches Auge sich nicht zu erheben‘, so der Jacobische Offenbarungseid der Philosophie. Die kritische Philosophie im Gefolge von Kant mit ihrer GrenzzieherMentalität verschaffte diesem Nichtwissen auch noch ein gutes Gewissen. Das Insistieren auf wahres Wissen wird als Überheblichkeit verschrien. Mit Hinweisen auf das Erkennen von Wahrscheinlichkeiten und mit dem Schwingen des Knüppels namens Fallibilität preist man Arten von second-hand-knowledge an. Heerscharen von neuen Ismen und seichten Popularitäten haben ihre (glücklicherweise) kurzen Auftritte. Die Metaphysik sei doch mit Hegel untergegangen, so die Eitelkeit mancher heutiger Denker, die aber kein der Phänomenologie
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oder der Wissenschaft der Logik auch nur annähernd vergleichbares Werk vorzeigen können. In ihrer Anmaßung und Unbescheidenheit behandeln sie Versuche, die sich in Hegels Denktradition stellen, mit herablassender Nachsicht und Bedauern über das Altmodische, über die bald aussterbenden hegelianischen Dinosaurier. So bleibt die Hegelsche Vorrede in dieser Hinsicht ganz aktuell, denn die Giganten der Bewusstseinsphilosophie sind bis heute lebendig am Werk, der Augiasstall ist bei weitem noch nicht gereinigt. Die von Hegel diagnostizierte Kakophonie des Für-Wahr-Haltens feiert die fröhliche Wiederkehr des Gleichen, wie etwa das auf Beweisen verzichtende Appellieren, die Krankheit der Voreingenommenheit, die Manier des unmittelbaren Wissens und der scheinbar imponierenden Versicherungen. Eine Konjunktur erlebt auch die logischmathematisierende Axiomatik, die darin erzdogmatisch und bloß versichernd bleibt – ein Axiom ist eine unbewiesene, bittweise Annahme –, ebenfalls die leblos-einfarbigen Formalismen, die den sonnenklaren Berichten über die Ordnung einer Gewürzkrämerbude ähnelnden analytisch-empiristischen Schematismen. Mit neukantischen Schrankenwärter-Attitüden, mit dem Relativismus, dem Kern der Bewußtseinsstruktur, errichtet man eine verbotene Stadt für das Denken. Bei anderen Versuchen tönt es aus diesen Ecken laut: Vermessenheit, überlebte Metaphysik, Ontotheologie, claiming too much. Diesen sei mit Theodor Gottlieb von Hippel entgegengehalten: Wer dem menschlichen Geschlecht sagt: so weit und weiter nicht, hat ihm den Kopf abgesprochen.
Das Anliegen der Jahrtausendschrift Alle Stützpunkte, an die sich das Bewusstsein gewöhnt hat, sollen als ungenügend aufgewiesen und das alte Paradigma muss in ein neues überführt werden. Der neue Grundgedanke soll argumentativ und systematisch geschlossen präsentiert werden. Die Phänomenologie zielt ganz im Sinne von Aristoteles auf das Rechenschaft-Geben, das genaue Prüfen von Wissensansprüchen, auf die Begründung eines neuen Standpunktes des Wissens, der Wissenschaft. Der Verfasser charakterisiert die Programmatik mit drei zentralen, miteinander verknüpften Dimensionen, welche den gleichen Sachverhalt aus unterschiedlicher Perspektive betrachten: Erstens Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, die Bildung des Bewusstseins
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zur Wissenschaft, das stufenförmige Hervorbringen des Standpunkts des Wissens durch das Bewusstsein selbst; zweitens die Darstellung des erscheinenden Wissens in der Vollständigkeit seiner Gestalten, der Weg des Bewusstseins als des erscheinenden, ‚phänomenalen‘ Geistes zum Geist als begreifendem Denken und schließlich drittens der sich vollbringende Skeptizismus, des Zweifels und der Verzweiflung, die sich auf den ganzen Umfang des erscheinenden Wissens richten. Der Stufengang hin zum Wissen ist kein Vagabundieren, kein Herumtreiben, kein heilloses Hin- und Her-Bewegen, kein Hüpfen einer Eichhörnchen-Seele von Ast zu Ast, keine rhapsodisch-fragmentarische Erzählung nach meinem selbsteigenen Vergnügen. Trotz der vielfach brillanten Metaphorik – etwa von der Nacht, in der alle Kühe grau sind über den bacchantischen Taumel bis zum absoluten Schrecken – haben wir keine Heeresschau von Metaphern, kein bloßes Defilee von Bildern, sondern das Fortschreiten der Phalanx des Begreifens, den Vollzug der ‚kalten Notwendigkeit des Begriffs‘ im gut Aristotelischen und Fichteschen Sinne des ‚originellen Anfangens‘ wie der logischen Ableitung in Form der „Deduction des Begriffs des reinen Wissens“. Die Versuche einer romantischen Transzendentalpoesie verfehlen diesen Anspruch gründlich, die poetischen Philosopheme wie die philosophischen Poeme sind weder Fisch noch Fleisch, weder Philosophie noch Poesie. Hegel insistiert klar auf die ‚notwendige strenge Trennung von Philosophieren und Poetisieren‘3). Es genügt kein zufälliges Räsonieren, keine Historie der Bewusstseinsformen, verlangt wird das notwendige und vollständige Werden des Standpunkts des Wissens (WdL 38). Der dem ersten Blick sich als Chaos darbietende Reichtum der Erscheinungen des Geistes wird in eine wissenschaftliche Ordnung gebracht. Das klar umrissene Ziel der Abhandlung besteht, so Hans Friedrich Fulda, in der Legitimation des Anfangs einer neuen philosophischen Wissenschaft und ihres Standpunktes. Der Beweis bedarf der Offenlegung der Notwendigkeit des Hervorgehens des reinen Wissens, des reinen Begriffs. In seiner Wissenschaft der Logik betont Hegel, dass der Begriff der Wissenschaft seine Rechtfertigung in der Phänomenologie erhalten hat, welche den Anfang der Wissenschaft, nicht direkt den Anfang der Logik legitimiert, denn letzterer resultiert erst aus dem 3 Hegel, G. W. F., Aphorismen aus Hegels Wastebook (1803-1806), TWA 2, S. 559.
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‚Eröffnungszug‘ des reinen Wissens. Die neue Wissenschaft im Ganzen hat ihren Startpunkt im reinen, begreifenden Denken, die Logik hingegen beginnt mit dem ersten Vollzug solchen Denkens, nämlich der ersten Konklusion, dass es „ist“, ausgedrückt mit dem Wort „Sein“. Insofern das einzelne Individuum nicht unmittelbar diesen Standpunkt der Wissenschaft einnehmen kann, muss es die Bildungsstufen dorthin durchlaufen, wobei ihm, wegen seines Vergessens des Erreichten, seiner häufigen Selbsttäuschungen und Selbstverkennungen (90) eine „Leiter“ zum Aufstieg gereicht werden muss, eine noch zu erläuternde „Zutat“. Somit sind eigentlich zwei miteinander korrespondierende Wege zu betrachten, die schließlich zusammenlaufen. Insofern ein axiomatisches Verfahren wie auch eine Philosophie aus oberstem Grundsatz sich als ungeeignet herausstellten, versuchte sich Hegel an der schier übermenschlichen Aufgabe, einen neuen Anfang der Philosophie nicht bloß zu behaupten oder zu imaginieren, sondern zu beweisen, zu deduzieren, zu rechtfertigen – die gesamte Schrift dient diesem Zweck, sie ist als Ganze der erste Teil der Wissenschaft.
Die Struktur des Bewusstseins Falls jemand denkend und sprechend Wissensansprüche erhebt, hat dies wenigstens zwei formelle, basale Implikationen, die aber keinesfalls einen positiven Gehalt oder eine inhaltliche Vorannahme darstellen: Erstens liegt darin der Entschluss, an gerade diesem ernsten ‚Spiel‘ des Wissens teilzuhaben und zweitens die formelle, einfache Grundstruktur des Bewusstseins selbst: Etwas (jemand) unterscheidet sich von etwas Gegenüber-Stehenden, einem Gegen-stand, auf den sich die erkennende Instanz bezieht, um Wissen von ihm als Gegenstand zu erlangen. Den Nukleus dieses Paradigmas des Bewusstseins, die ‚Grundaufstellung‘ dieses Spiels, sieht Hegel im Verhältnis, in der Relation, in der Dualität von Gedanke und Gegenstand, von Subjekt und Objekt, von Ich und Welt. Aufgrund der Unterscheidung beider ‚Instanzen‘, beider Pole der Relation, erfolgt logisch die Exklusion (Negation) der jeweils anderen Seite. Das schöne deutsche Wort ‚Gegenstand‘ verweist auf den Gegensatz des Bewusstseins, auf die dem Gedanken negative ‚Gegenständlichkeit‘ und die dem Gegenstand negative ‚Gedanklichkeit‘. Das Bewusst-
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sein impliziert einen Widerspruch zwischen der Selbständigkeit beider Seiten und ihrer Einheit, ihrer Identität als Seiten eines Einen, des Bewusstseins. Die Zwei-heit, die Dualität, das Relationale, die Trennung von Gedanke und Gegenstand, der Widerspruch zwischen zwei eigenständigen Seiten ist dem Bewusstsein wesentlich eingeschrieben und bleibt seine beständige Grundcharakteristik, die in ihrer Dynamik jedoch ausbuchstabiert werden muss. Der Gegensatz findet sich in extremer Weise in zwei Varianten der Verhältnisbestimmung: Der Gegenstand steht außer mir als unmittelbar gegebener, vorgefundener, der nicht von meinem Wissen herrührt. Oder der Gegenstand ist nur als meine von mir geschaffene, innere Vorstellung; in mehr philosophischer Sprache: Wenn Ich mich urteilend auf die Welt beziehe, so ist diese Welt eine unmittelbare, unabhängig von mir bestehende Gegebenheit – das Prinzip eines ursprünglichen Realismus. Oder das Ich konstituiert, setzt die Welt – das Prinzip eines konstruktionistischen, subjektiven Idealismus. Beide isolierte Prinzipien befinden sich im Status des ‚Annehmens‘, des Glaubens (belief). Das Bewusstsein muss von seiner eigenen Natur her notwendig zwischen den beiden Polen ‚schwanken‘, zwischen den beiden Seiten in einer Art Wechselspiel ‚oszillieren‘. Friedrich Schlegel sprach von einem beständigen Hin und Her von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung.
Der Zusammenhang der drei Beschreibungen des Programms Die drei Hauptfacetten der Programmatik zielen auf verschiedene, aber verbundene Aspekte des Bewusstseinsgangs, worauf die Einleitung nur unscharf verweist. Auch spätere Erläuterungen seitens des Autors können diese Lücke nur unzureichend schließen. Das Bewusstsein gilt als Geist, insofern dieser in der Form des Verhältnisses auftritt, oder erscheint. Erscheinung beinhaltet diesen Unterschied im Bewusstsein, die Beziehung des Gedankens auf einen Gegenstand, somit handelt es sich um den ‚phänomenalen‘ Geist, der sich prinzipiell im Status seiner Relationalität, seiner Relativität befindet. Die aufeinanderfolgenden Stationen des Weges dieses erscheinenden Wissens als verschiedene Gestalten des Geistes sind Wegmarken seiner eigenen Bewegung zu sich selbst, keine chaotische oder chronologische Geschichte intellektueller Gehalte und For-
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men. Diese Reise beinhaltet den Gang von der Relativität zur Aufhebung dieser in der Absolutheit, vom ‚unreinen‘ zum ‚reinen‘ Wissen. Sie manifestiert die Dynamik der Verhältnis-Struktur des Bewusstseins, den Weg vom Verhältnis zum Selbst-Verhältnis, der Aufhebung des dualistischen Bewusstseins-Paradigmas im neuen monistischen Paradigma des Denkens des Denkens. Relativität, Dualität, Phänomen und Vorstellung wie das Oszillieren zwischen letzteren sind nun die Markenzeichen des Skeptizismus. Die Wendung vom sich vollbringenden Skeptizismus, vom Weg des Zweifels und der Verzweiflung fußt auf Hegels tieflotendem Wissen über den alten pyrrhonischen wie neuen idealistischen Skeptizismus als herausgehobene Formen des phänomenalen, des erscheinenden Wissens, dessen hier relevanter Hauptimpuls knappe Verdeutlichung verdient: Im Dogmatismus werde ‚ein endliches, im Verhältnis stehendes, als absolutes gesetzt‘. Gegen diesen Fall der Stützung des Wissensanspruchs auf einen Pol der Relation wird der zweite Fall, der jeweils andere Pol des Verhältnisses geltend gemacht, somit auf die Relativität, auf die dem Bewusstsein eigene Struktur des Verhältnisses, des Gegensatzes, insistiert. Es erfolgt so stets die Negation des Anspruchs der sich dogmatisch setzenden einen Seite. Hier wird wiederum deutlich, warum Hegel schon früher die Tropen des Sextus Empiricus als Hauptwaffe gegen jeglichen Dogmatismus kennzeichnete. Auch kennt Hegel (ohne Zweifel) die Etymologie von Zweifel: zwei-fältig, zwei-fach, zwie-fältig, doppelt, gespalten; dubium oder dubitare geht wohl auf duo, dual zurück, das Unterscheiden auf diversi generis, diversitas. Der erste Tropus des Agrippa bemüht die Dia-Phonia – in der Dia-lektik steckt diese Zweiheit. Einer supponierten Singularität (‚Dogma‘) wird mittels der Negation die zweite Seite des Gesichts, die Dualität entgegengehalten, ein Ausdruck der inneren Gegensatz-Verfasstheit des Bewusstseins selbst. Der sich vollbringende Skeptizismus führt so alle Wissensansprüche des erscheinenden, phänomenalen Wissens ad absurdum, stürzt sie in den Abgrund, indem er ihnen die ihnen immanente andere Seite vorhält, die andere Seite der gleichen Medaille zeigt. Jedoch führt die noch zu behandelnde Selbstprüfung des Bewusstseins mittels der ‚Zutat‘ der Umkehrung, der bestimmten Negation, auch zur Selbstdestruktion des Skeptizismus, zur Aufhebung der dualen Struktur schlechthin. In seinem eigenen Vollbringen, in seinem reinigenden Verfahren bis hin zum reinen Wissen gleicht er einem hochwirksamen Kathartikon, einem reinigenden Abführmittel, das
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sich jedoch selbst mit abführen muss, sein scheinbar tragisches Schicksal. Aber wie die duale Struktur im Selbst-Verhältnis aufgehoben wird, so vollzieht sich die Inklusion des Zwie-Fältigen im monistischen Philosophieren in Form von dessen negativer, freier Seite; auch in dieser Hinsicht beinhaltet das Werk die Befreiung vom Muster des Bewusstseins. Bereits an dieser inneren Verknüpfung der drei programmatischen Kernbeschreibungen wird erkennbar, dass es innerhalb der Gesamtkonzeption keinerlei gravierende Korrekturen gab.4 Die vorgenommene Änderung des Titels liegt wohl im Bestreben, eine langweilige Überschrift durch einen griffigen, eleganten Titel zu ersetzen. Die von Hegel selbst eingeräumte ‚Unform der letzten Partien‘ und daraus entstandene Verwirrungen sind dem Zeitdruck bei der Ablieferung des Manuskripts geschuldet. Jeder Autor von Büchern wie jeder Schachspieler kennt das Problem solcher Zeitnot. Ungeachtet manch Unfertigem, mancher noch zu benennender Korrekturerfordernisse – für welches große Werk der Philosophiegeschichte gilt dies nicht? – gelang Hegel mit seiner ersten umfangreichen Monographie ein genialer Wurf, der ihn sofort in die erste Reihe der Philosophie katapultierte, ein Paukenschlag, der den Kanonendonner der Schlacht von Jena, unter dem das Werk fertiggestellt wurde, weit übertönte. Außer seinen Freunden Sinclair und Niethammer stellte sich die philosophische Öffentlichkeit taub, die Lektüre der meisten Rezensionen kann man sich sparen. Die akademisch dominanten Bewusstseinsphilosophen vermochten noch ein Jahrzehnt lang eine akademische Laufbahn Hegels zu be- und verhindern. Der Jenaer Geniestreich fußte auf einer von Anfang bis Ende in sich geschlossenen, streng systematischen Komposition, der Selbstprüfung des Bewusstseins, ohne substantielle Inkonsistenzen oder Brüche. Auch im Dschungel schwer zu erschließender Verästelungen und Komprimierungen schält sich heraus, wie klar der ‚Plot‘ durchkomponiert ist, wie das eine Thema Bewusstsein in seinen Variationen und der sich erweiternden Komplexität der Gestaltungen entfaltet und in welcher Weise die ‚Leiter‘ für den Aufstieg zum Wissen gereicht wird – locker formuliert: Die Weltreise des Gedankens als Odyssee im Denkkosmos hin zum Standpunkt der Wissenschaft, 4 Siep, Ludwig, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, Frankfurt a. M. 2000, S. 79 f.
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zum reinen begreifenden Denken hat bis heute seine Faszination nicht verloren, auch wenn die Befreiung vom überkommenen Muster des Bewusstseins, der Weg vom Dualismus zum Monismus, vom Verhältnis zum Selbst-Verhältnis noch nicht das angestrebte Ergebnis erreicht hat.
Die Selbstprüfung des Bewusstseins Dem Schachspieler sei folgende Bildlichkeit gestattet: Hegels Partie wird vom ersten Zug an über Eröffnung, Mittel- und Endspiel bis hin zum Matt von einer klaren Strategie bestimmt, in der Angriff und Verteidigung harmonieren. Wir treffen in Hegels Schrift auf schachtypische Formen wie Zugzwang, Zwickmühle und die Rochaden, auf die charakteristischen Umkehrungen der Positionen, ins Englische mit Castling übersetzt – dem Geist eine feste Burg verschaffen. Diese variablen Formen der Umkehrung, der Verkehrung, der Inversion kannte Hegel aus der kongenialen Vorschule der Ästhetik des Schachliebhabers Jean Paul. Wir sehen Finessen und gelungene Riposten wie auch eine Reihe von Flüchtigkeitsfehlern und unausgereifte Passagen, wie etwa die noch nicht zureichende Differenzierung zwischen Kunst und Religion. Verwirrende Abspiele entspringen der Manieriertheit mancher Termini, die Dunkelheit manches Spielzuges erschwert die Interpretation. In einigen Phasen kommt eine unangemessen breite Darstellung zum Tragen, was im Falle der beobachtenden Vernunft aus dem Interesse an zeitgenössischen Kontroversen herrührt und zu einer übermäßigen Auseinandersetzung mit dem ‚metaphysischen Empirismus‘ in der Naturforschung führt. Aber auch biographische Episoden wie der Besuch des Schädellehrers Gall in Weimar und Jena sowie die Präsenz von Froriep, eines Adepten der Schädelleerheit, wie Hegel ironisierend anmerkt. Das Wimmeln von Andeutungen und Anspielungen wird wegen der fast fehlenden Fußnoten eine immense Herausforderung für den Leser. Zu den für eine gute Schachpartie gehörigen überraschenden Pointen zählen Gambit und Opfer, besonders der Tod Gottes. Schließlich wird das Bewusstsein in ein Mattnetz verstrickt und Matt gesetzt – im reinen Begriff des Wissens. Die Schrift offeriert mit ihren Darstellungen zum erscheinenden Wissen für kultur- und geistesgeschichtliche Gedanken und Formen einen unerschöpflichen Fundus, aus dem nur ein winziger Bruchteil
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der meist anonymen Auftritte von Akteuren dieses Götter- und Heldenstücks Erwähnung finden kann. Zeus, Minerva, Dionysos, die Antigone des Sophokles, Aristophanes, Lukian, Shakespeare wie Diderot und Schiller. Natürlich kommt die Buntheit der Palette besonders im Reiche der Philosophie zum Ausdruck, hier spannt sich der Bogen der meist inkognito Auftretenden von Platon, Aristoteles, Sextus über Böhme und Bruno, Descartes, Spinoza, Rousseau und Hume, dem Aufklärer Helvetius bis hin zu den Realisten Thomas Reid, Jacobi und Schulze, den Romantikern und natürlich Kant, Fichte und Schelling – eine unvollständige Liste, aber ähnlich Raffaels Meisterwerk ein Gemälde der ‚Schule der Philosophie‘. Das Erheben eines Wahrheitsanspruchs beinhaltete die einfache, formelle Struktur des Entschlusses und damit des Auftaktes des Prüfens, den strengen Prüfvorgang und dessen Resultat. Die Selbstanzeige des Buches spricht in diesem Sinne von Stationen des Weges. Die „Methode der Ausführung“ dieses gewaltigen intellektuellen Unternehmens muss Hegel zufolge ohne Einschränkung in der Selbstprüfung des Bewusstseins bestehen, womit ein Lehrstück für Wissenschaftlichkeit geboten wird, verbunden mit den Stichworten Unvoreingenommenheit, Vorurteilsverzicht und inhaltliche Voraussetzungslosigkeit. Das Bewusstsein wird am eigenen, von ihm gesetzten Maßstab gemessen, es darf kein von außen herangetragenes Kriterium zum Einsatz kommen. Den Prüfstein gibt das Bewusstsein selbst, ohne ‚dass es von außen belehrt, gewiesen oder gegängelt wird.‘5 Bei Nichtbeachtung dieser Forderung stürzt jegliches philosophische Unternehmen in den Dogmatismus der bloßen Annahme eines anderen Kriteriums. Sofern dies wieder einer Prüfung unterzogen werden sollten, fallen wir in den unendlichen, schlechten Regress des Prüfens, zur Suspendierung des philosophischen Härtetests. Der Kern der Untersuchung liegt so in der unvoreingenommenen ‚Vergleichung des Bewusstseins mit sich selbst‘, in einer immanenten Prüfung bzw. immanenten Kritik. Was das auftretende Bewusstsein als das Wahre bekundet, haben wir an dem von ihm selbst fixierten, in seiner Struktur liegenden Prüfstein zu messen, seinen Wissensanspruch daran, was es für sich selbst in Anspruch nimmt. Somit beruht das Prüfen auf der erläuterten Unterscheidung, auf dem Verhältnis, auf dem Gegensatz des Bewusstseins 5 Fischer, Kuno, Hegels Leben, Werke und Lehre, Heidelberg 1901, S. 298.
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(TWA 3, S. 78) – das Bewusstsein ist in diesem Sinne selbst die Vergleichung – ob Gedanke und Gegenstand sich entsprechen, ob der Gedanke (die Vorstellung) dem Gegenstand (der Sache) oder der Gegenstand (die Sache) dem Gedanken (der Vorstellung) entspricht. Beides kann als dasselbe betrachtet werden, insofern diese Momente, Seiten des Unterschieds ins Bewusstsein selbst fallen, das Bewusstsein diese Relation, diesen Gegensatz selbst darstellt. Allerdings beruht die Doppelung des Stufengangs, einerseits des Weges des natürlichen, erscheinenden Bewusstseins und andererseits der Reihe des ‚Zutuns‘, die auf den Selbstanspruch des Bewusstseins insistiert, auf der einseitigen Ansicht des Bewusstseins von sich selbst, das sich in seiner ganzen Konsequenz verkennt – Hegel spricht an vielen Stellen vom Selbst-Vergessen, vom Selbst-Verkennen, von der Selbst-Täuschung (TWA 3, S. 90, 135, 405, 560) – trefflich beschrieben als „Gedankenlosigkeit über sich selbst“ (TWA 3, S. 162, 310, 386, 482). Das Bewusstsein bringt die beiden Momente seiner selbst nicht zusammen, neigt sich mal zur einen Seite der Behauptung gegebener Phänomene, dass der Gegenstand ganz ohne die Vorstellung von ihm ist: es müssten Dinge gegeben sein, bevor ich Verhältnisse einsehen könne. Dann behauptet es, dass der Gegenstand ausschließlich meine innere Vorstellung ist. Mit solch einseitigen Versicherungen, die seiner eigenen Verhältnis- oder GegensatzStruktur zuwiderlaufen, verkennt es sich selbst und darf deswegen auf seine ‚Gedankenlosigkeit‘ hingewiesen werden, ohne dass darin das Prinzip der Voraussetzungslosigkeit angetastet wird. Im Gegenteil: Das Bewusstsein wird in seinem Anspruch radikal beim Wort genommen und auf den konsequenten Vollzug seiner eigenen Struktur ‚erinnert‘, auf die ihm interne Dualität, die Zwei-heit, von welcher das Bewusstsein immer wieder absieht. Das Bewusstsein macht zwar selbst die Erfahrung, jeweils erneut auf seine andere Seite geworfen zu werden, auf die Negation einer erreichten Gestalt. Es erfährt die Relativität, die Endlichkeit, die Unzulänglichkeit des jeweils erhobenen Wissensanspruchs, der dann stets in den ‚leeren Abgrund des Nichts‘ gestoßen wird. Wenn zufällig ein neuer Anspruch auftaucht, fällt dieser derselben Vernichtung anheim, der permanente Wechsel von Gegebenheit und deren Zerstörung. Aber das Bewusstsein ‚vergisst‘ hierbei seine von ihm selbst verlangte konsequente Durchführung, es ‚vergisst‘, dass es sein Verfahren auf jegliche Wissensansprüche applizieren muss, somit natürlich auch auf seinen eigenen.
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Daher muss die Relativität in aller Härte festgehalten und somit die ‚Umkehrung des Bewusstseins selbst‘ demonstriert werden, dies als legitime Zutat. Denn die Position der reinen Negativität abstrahiert davon, dass dies supponierte bloße Nichts, das Nichts dessen ist, woraus es resultiert, wovon es herkommt – das Resultat als ein Bestimmtes. Wiederum wird dem Bewusstsein seine eigene Natur vor Augen geführt, sein eigenes Wesen respektiert, die ihm interne Dualität oder Gegensätzlichkeit. Die These determinatio est negatio beinhaltet mit gleicher Geltung die These negatio est determinatio – mit dieser Figur der bestimmten Negation haben wir die Kernoperation der Dynamik des Stufengangs, der stringenten Übergänge zur neuen Gestalt, der Generierung des gesamten Weges – das Prinzip, „wodurch sich der Fortgang durch die vollständige Reihe der Gestalten von selbst ergibt.“ Diese aus dem Bewusstseinsparadigma selbst stammende, aber von ihm ‚verkannte‘ Rechtfertigung der logischen Hauptoperation der bestimmten Negation – der berühmten Hegelschen Aufhebung als Einheit von Vernichten, Bewahren und Höherheben – liefert Hegel explizit später: „Das Einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen, ist die Erkenntnis des logischen Satzes, daß das Negative [Negation] ebenso sehr positiv [Affirmation] ist oder daß sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflöst – im Resultat wesentlich das enthalte woraus er resultiert.“ (GW 11, S. 25). Diese aus der Bewusstseinsstruktur legitimierte Zutat kennzeichnet Hegel als „Umkehrung des Bewusstseins selbst“, wodurch „sich die Reihe der Erfahrung des Bewusstseins zum wissenschaftlichen Gang erhebt und welche nicht für das Bewusstsein ist, das wir betrachten.“ Die genaue Lektüre der hier zu stark komprimierten Argumentation fördert zu Tage, dass der Autor anlässlich dieser ‚Umkehrung des Bewusstseins selbst‘ dem Verhältnis der Phänomenologie zum Skeptizismus explizit und zwar im Rekurs auf die Überlegungen zur bestimmten Negation Aufmerksamkeit schenkt: Dass ein jeweiliges Resultat, eine Gestalt, keineswegs ein leeres Nichts repräsentiert, sondern auch das enthält, was die vorherige Gestalt Wahres an ihr hat. Diese Beziehung zwischen der Umkehrung des Bewusstseins selbst und dem Skeptizismus bekommt herausgehobenes Gewicht zugemessen, der noch eigens zu traktierende Skeptizismus avanciert zu einer Hauptstation des Weges, zur ‚Mitte‘ als dem neuralgischen Umkehrungspunkt, er ist die Umkehrung des Bewusstseins selbst. In Anspielung auf Jean Paul waltet hier die lex inversa,
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ein durchbrechender Positionswechsel, die lange Rochade der Phänomenologie – der Geist gleicht in dieser großen Umkehrung dem legendären Vogel Merops, der rückwärts zum Himmel fliegt, den Nektar hinaufwärts trinkt, der auf dem Kopf tanzt – die Höllenfahrt des sich vollbringenden Skeptizismus bahnt dem Geist die Himmelfahrt zum Standpunkt der Wissenschaft, worin der Himmel des neuen Wissens zu uns selbst herunterfährt.
Zur Kartographie des phänomenologischen Weges Der Bauplan des Werkes, die Landkarte der Reise kann hier natürlich nicht nachgezeichnet werden, eine ausführliche Erschließung bleibt Monographien und detaillierten Interpretationen vorbehalten.6 Die Hauptstationen der Route hin zur Begründung des neuen Wissens finden sich im Inhaltsverzeichnis sowie in Hegels Selbstanzeige der Schrift (1807). Zur Begleitung der Selbsterfahrung des Bewusstseins (‚für es‘) führt der ‚Phänomenologe‘ oder ‚Phänomenianer‘ (‚für uns‘) eine sukzessive Selbstgenerierung des Geistes, der reinen Momente des Wissens vor, schildernd was ‚hinter dem Rücken des Bewusstseins vorgehen muss‘. Diese Selbstbestimmung des Geistes vollzieht sich als schrittweise ‚Anreicherung‘ bis das ‚reine Plutonium‘ des Wissens seine kritische Masse erreicht hat. Die jeweils generierten Gestalten werden mit der schon generierten Struktur des Bewusstseins konfrontiert – das Bewusstsein muss daran erinnert werden, was es vergessen, verdrängt und verkannt hat. Zugleich geht es in diesen stufenförmigen Wandlungen stets um die relationale, gegensätzliche Grundverfasstheit des Bewusstseins und dessen Umkehrung selbst. Beispielsweise enthält die Behandlung von Kants Philosophie die Diagnose, dass die kritische Philosophie die Schranken des alten Paradigmas in revolutionärer Weise bricht, die theoretische und praktische Vernunft jedoch zugleich die vollständige Ausbildung des unaufgelösten Widerspruchs des Bewusstseins darstellt, die Bewusstseinsphilosophie par excellence. Sie enthält – so Hegel später unmissverständlich – „ganz nur Bestimmungen der Phänomenologie“ (TWA 10, § 415). Bildlich gesprochen beinhal 6 Hier kann auf die Arbeiten zur Phänomenologie des Geistes von Hans Friedrich Fulda, Anton Friedrich Koch, Rolf Peter Horstmann und Ludwig Siep verwiesen werden.
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tet die Wegstrecke Aufsteigen, Innehalten, Einkehr und Erinnern, Umdrehen und Umkehren, Abwege und Sackgassen, ‚Knoten‘ der Verdopplung und Vervielfältigung der Schienen, deren Zusammenführung sowie die ‚gebildete Rückkehr‘. Das Grundthema der Komposition wird in vielfältigen Variationen ‚durchgespielt‘ bis hin zu dem mit Pauken und Trompeten daherkommenden Finale. Die Szenerie, die Bühnenbilder wie die Rollen wandeln sich – das Grundmotiv und der Held bleibt jedoch der schon in der Anfangsgestalt präsente, dort noch unterbestimmte Geist, der sich selbst bestimmt, zu sich selbst kommt, frei wird. Der vom Standpunkt des Bewusstseins gestartete Geist kommt zu seinem eigenen Standpunkt, dem der Wissenschaft. Reisen bildet – mit der Landung des Denkschiffes hat sich das neue Muster philosophischen Wissens konstituiert. Ausgewählte Gestalten und Übergänge zwischen ihnen sowie herausgehobene Wegmarken verdienen spezielle Aufmerksamkeit: etwa der Übergang von Kraft und Verstand zum Selbstbewusstsein, der Skeptizismus als ‚Mitte‘ des gesamten Werks, der Übergang zum Geist-Kapitel, die Moralität als der sich selbst gewisse Geist und die Brücke von der Religion ins absolute Wissen, der Kernpunkt der endgültigen Aufhebung des Bewusstseinsmodells, die Endform – der letzte furiose Akt als Schlussstein der Architektonik.
Zum Schluss zu diesem Schlussstein Das Paradigma des Bewusstseins – das Verhältnis – findet seine Aufhebung im Selbst-Verhältnis als dem Grundmuster des Geistes, im reinen Denken des reinen Denkens, in dem ‚sich als Geist wissenden Geist‘. Hegels frühere Formel von der Identität der Identität und Nicht-Identität erhält eine konkrete Ausformung. Mit diesem Übergang vom Standpunkt des Bewusstseins zum Standpunkt des Wissen, der Wissenschaft, den Hegel als absolutes Wissen kennzeichnet, hat der sich vollbringende Skeptizismus seinen finalen Punkt erreicht, er ist vollbracht, insofern sein Kernmotiv der Relativität, des Gegensatzes, in der Absolutheit der Einheit des Gegensätzlichen seine Aufhebung findet. Wir konstatieren die ‚Befreiung von dem Gegensatze des Bewusstseins, die vollkommene Überwindung der Kontradiktion von Gedanke und Gegenstand – der Gedanke gilt ebenso sehr als Gegenstand, als Sache an sich, der Gegenstand ebenso als
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der reine Gedanke‘. Die den Geist jetzt prägende ‚lückenlose‘ Einheit des Unterschiedenen kommt in ihren mannigfachen Facetten zur Sprache: als Einheit von An-sich-Sein und Für-sich-Sein (das ,Fürsichseyn, das Ansichseyn ist‘, TWA 3, S. 541), von Inhalt und Ausdrucksform, von Realität und Idealität, von Ruhe und Dynamik, von Wissen und Wollen, von Gewissheit und Wahrheit (im Geist die Gewissheit seiner selbst und Wahrheit derselben einander vollkommen gleich, TWA 3, S. 543). Gedacht wird das Eins-Sein von Substanz und Subjekt, von Objektivität und Subjektivität, von Unmittelbarkeit und Vermittlung – die Unmittelbarkeit ist ebenso absolute Vermittlung (TWA 3, S. 545). Der Anspruch der Vollständigkeit erfüllt sich darin, dass die Bewegung des Bewusstseins in der Weise der skeptischen Prüfung durch ‚alle Formen des Verhältnisses des Subjektiven zum Objektiven hindurchgeht und schließlich den Begriff des Wissens zum Resultate hat‘. Im Vollzug des Skeptizismus lösen sich ‚alle eigenen Gestalten des Bewusstsein auf‘, einschließlich der Gestalt des Skeptizismus selbst, der sich in seinem Abrissverfahren selbst mit abreißt. Darin erfolgt die Deduktion des Begriffs der reinen Wissenschaft (TWA 5, S. 42 f.). Dieses absolute Wissen enthält die Wahrheit aller Weisen des Bewusstseins, jedes der Momente repräsentiert in seinem Prinzip ‚das Leben des ganzen Geistes‘ (TWA 3, S. 522), jedes Moment stellt unterbestimmte Formen des Geistes dar – von Anfang an haben wir die Geist-Struktur implizit und unvollständig im Spiel. Der Zweck gilt im expliziten Anschluss an Aristoteles als das Unbewegte, das sich selbst bewegt, kraft des Motors der reinen Negativität. „Das Resultat ist nur darum dasselbe, was der Anfang, weil der Anfang Zweck ist; – oder das Wirkliche ist nur darum dasselbe, was sein Begriff, weil das Unmittelbare als Zweck das Selbst oder die reine Wirklichkeit in ihm selbst hat.“ (TWA 3, S. 26) Mit dem Endpunkt, der letzten Runde wird die phänomenologische Bahn ‚abgerundet‘, in sich rund im Sinne des Schließen des Kreises. „Erst nach der Geschichte des Bewußtseins weiß man, was man an diesen Abstraktionen hat, durch den Begriff: Fichtes Verdienst.“ (TWA 2, S. 559) Im Gericht der Prüfung, im sich selbst Erzeugen, Fortgehen und Zurückgehen des Begriffs in sich liegt das Beweisen (TWA 3, S. 61), im Unterschied zu vermeintlich imponierenden, aber trockenen Versicherungen, zum Orakeln, Ahnen oder prophetischem Reden. Das im Geist als begreifendes Denken konstituierte Muster kann aufgrund der Inklusion des Relationalen, der Negativität, dem Skeptizismus
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mit seinem Gedanken der Relativität Paroli bieten. Nur weil der Geist in der ‚absoluten Zerrissenheit sich selbst findet‘, dem ‚Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt‘, es als Moment seiner selbst versteht und dies Verweilen im Negativen als die es umkehrende Zauberkraft begreift (TWA 3, S. 36), vermag er Resistenz und Immunität gegen den Skeptizismus zu gewinnen. Das Bewusstsein hat sich im Grunde als Geist erfahren, die ‚wahrhafte Erfahrung ist die begriffene Erfahrung‘ (GW 7, S. 346 f.). Für Hegel hat der Geist im Begriff ‚allein sein wahres Wissen von sich selbst‘. Mit diesem einzigen vollkommen ‚geschlossenen‘ Selbst-Verhältnis, dieser wahrhaften oder absoluten Ein-heit hat das Bewusstsein sein Gestalten ‚beschlossen‘, der Geist als ‚Zusammenschluss‘ des Einzelnen, Besonderen und Allgemeinen, als Zusammenschließen mit sich selbst. Der Teufelskreis schließt sich, ein Kreis, der nicht mehr des Teufels ist, denn der Skeptizismus als advocatus diaboli hat sich selbst mit aufgehoben. In dieser neuen kopernikanischen Wende bildet das Denken des Denkens das Zentralgestirn des philosophischen Universums, das Herzstück des absoluten Idealismus. Die Rede von der Befreiung vom Gegensatz des Bewusstseins beinhaltet eine zweite Dimension: Das Selbst-Verhältnis des Geistes muss als sein dynamisch-tätiges Selbst-Bestimmen verstanden werden, als die Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft, von freiem Denken und freiem Wollen. In der Aufhebung der vorhergehenden Prinzipien der Moralität und der Religion etwa gilt der Inhalt als das eigene Tun des Selbst, als ein Amalgam der begriffenen Dynamik der sittlichen Welt, ihres Geschehens als Welt-Geschichte mit dem Inhalt von Kunst und Religion. Der Geist ist in einem ‚das Wissen von dem Tun des Subjektiven und dem Verständnis der Substanz als diesem Wissen seines Tuns‘ (TWA 3, S. 521). Der Geist wird sich vollkommen durchsichtig, er erreicht die ‚von allem Fremden unbefleckte, reine Rückkehr in sich selbst‘, seine Freiheit insofern er im Anderen seiner selbst bei sich selbst sein kann. Freiheit muss nicht mehr – wie im Jenseitigen der Religion – auf äußerliche, fremde Weise das Fremdsein überwinden, sondern in der ‚eignen Welt und Gegenwart‘. Die religiöse Gewissheit mit der Sprache der Vorstellung befindet sich noch im Modus der Beziehung, des Verhältnisses, so kann völlige Freiheit nicht gelingen. Freiheit verlangt die Überwindung der Extreme der subjektlosen Substantialität wie der substanzlosen Subjektivität. Im Verständnis des Selbst-Verhältnisses als Bewegung, als Geschichte von Selbst-Bestimmung – der Geist als Tä-
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tigkeit, als Aktuosität – manifestiert sich die Einheit von Denken und Freiheit. Eine bereits herausgehobene Stelle exponiert dies unmissverständlich: Im begreifenden Denken bin ich frei, weil ich nicht mehr in einem anderen bin, sondern schlechthin bei mir selbst. Im Begriff als denkende, allgemeine Selbstigkeit, Ichheit gewinnt der Geist die ihm allein adäquate, ihm einzig angemessene Formation. Ein euphorischer Kommentator nannte die Jenaer Schrift daher das ‚Grundbuch der Freiheit‘. Hegel gebraucht den Superlativ der Ankunft des Gedankens in seiner ‚innersten Tiefe‘. In der vollkommenen Einheit von Subjekt und Substanz, von Bestimmtheit und Unbestimmtheit liegt für den Jenaer Idealisten der diamantene Angelpunkt des Ganzen, das, was die Welt im Innersten zusammenhält, des Pudels Kern. Der generierte neue Idealismus vermeidet das totale Zurückziehen des Selbstbewusstseins in die reine Innerlichkeit der schönen Seele wie auch die bloße Versenkung des Selbst in die leere Substanz und konstituiert keineswegs den Stein des Weisen, sondern den Standpunkt der Wissenschaft im Begriff, im Denken des Denkens. Er schließt an das aristotelische Eins-Sein von Denken und Gedachten als Ausdruck tiefsten spekulativen Philosophierens sowie an den die Identität von Denken und Sein deklarierenden Idealismus an, beansprucht jedoch einerseits die Aufhebung des Subjekt-Idealismus Fichtescher Art, welche eine Selbstbewusstseinsphilosophie gegen die Substantialität darstelle. Andererseits verlangt der neue Kerngedanke auch die Aufhebung des Objekt-Idealismus, für den Schellings ‚objektiver Ideal-Realismus‘ steht, die Unbestimmtheit als die Nacht, in der alle Katzen grau oder alle Kühe schwarz sind, worin die freie Selbstbewusstheit in den Abgrund des leeren Absoluten stürzt. Die Substanz als Subjekt ist eben ‚nicht eine ursprüngliche Einheit oder unmittelbar als solche‘ (TWA 3, S. 23), kein aus der Pistole geschossener Beginn, kein dem Denken Verschlossenes. Die vermeintlich vollständig unmittelbare, reine Identität gleicht einer einfarbigen absoluten Malerei, die nur das formlose Weiß auf ihrer Palette hat, die Farbigkeit aber erschleichen muss (TWA 3, S. 51). Hierin erreicht der Gedankengang der Differenzschrift, das Herausstellen des Unterschieds der Konzeptionen Fichtes und Schellings eine neue Dimension, welche die Kritik Hegels an seiner eigenen früheren Position einschließt. Dies fokussiert sich zuvorderst in der Auseinandersetzung mit Schellings Gedanken der Unmittelbarkeit der intellektuellen Anschauung: „Das absolute Erkennen ist der
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große Besen, der alles wegfegt“ (TWA 2, S. 561), es wird total reiner Tisch gemacht, alle Bestimmtheit ist darin verschwunden. Auch gewinnt die Kritik von Glauben und Wissen an den Reflexionsphilosophien der Subjektivität eine höhere inhaltliche und terminologische Präzision. Mit der Erhebung auf den Standpunkt des Wissens verschwindet der Gegensatz des Subjektiven und Objektiven. Die Fortbewegung vom unmittelbaren Bewusstsein muss an diesem Bewusstsein selbst gezeigt werden, durch dessen eigene Notwendigkeit. Sofern dieser Aufstieg jedoch als unmittelbar gefordert werde, bleibe er ein bloß bittweise angenommenes subjektives Postulat. Das nur postulierte reine Wissen wie auch Schellings intellektuelle Anschauung verbleiben als willkürlicher Standpunkt, nicht als Standpunkt des Wissens.7 Im Begriff hat der Geist das ‚reine Element seines Daseins‘ erlangt, das reine Begreifen, die reine Begriffsform, keinesfalls den entfalteten Begriff. So scheint die Phänomenologie ein recht dürftiges Resultat zu haben, bloß den Begriff als das Unentwickelte, Unentfaltete, nur das Grau-in-Grau des Anfangs. Aber gerade in der Frage des Anfangs scheiterten sowohl der subjektive wie der objektive Idealismus, welche dieses Problem der Rechtfertigung des Anfangens nicht zureichend lösen konnten. Der Schein trügt, es liegt keinesfalls ein kärglich-bescheidenes Resultat vor, im Gegenteil: Der aus dem harten Holz der Jenaer Kornellkirschen gefertigte gordische Knoten des alten Musters mitsamt seines ungelösten Anfangsproblems wurde durchschlagen, das Werden der Wissenschaft, das Bilden des Standpunkts des Wissens, des Geistes in seiner Herausbildung. Hegel hat sich der Herausforderung der argumentativ-diskursiven Legitimation des Anfangs gestellt und im Aristotelischen Sinne mit dem Anfang nicht mehr und nicht weniger als die Hälfte der Philosophie konzipiert. Wenn wir mit Philosophieren beginnen wollen, so Hegels spätere Beschreibung, müssen wir uns entschließen, frei denken zu wollen. Mit dem Schlussstein des phänomenologischen Gebäudes, dem Begriff, haben wir das Fundament und das innere Zentrum des absoluten Idealismus der Freiheit. Die Entfaltung des reinen Wissens erfordert eine völlig neue Bewegung, deren Momente nicht mehr Gestalten des Bewusstseins, sondern bestimmte Begriffe sind. Die sich an die Phänomenologie somit notwendig anschließenden Teile des 7 TWA 5, S. 76.
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Systems der Wissenschaft umfassen die neue Logik sowie die Philosophie der Natur und des Geistes. In der Rede von der Einen Idee artikuliert sich der idealistische Monismus. Der feine, sich durch alles hindurchziehende rote Faden für das bevorstehende Labyrinth des Denkens steht bereit. Dies gilt ungeachtet Hegels selbstkritischer Sicht, dass zum Teil die Komposition von Verwirrung beeinträchtigt wurde, das Hineinarbeiten ins Detail dem Überblick über das Ganze geschadet habe sowie einzelne, speziell die letzten Partien einer mannigfaltigen Bearbeitung zu unterziehen wären.8 Ein Bewusstsein über die titanische Herausforderung der Legitimation des Anfangs des Philosophierens „vermißt man – so Hans Friedrich Fulda – in den seitherigen Versuchen, philosophisches Forschen sich selbst begründen zu lassen und philosophische Erkenntnisansprüche zu rechtfertigen“, man muss „über den Umfang staunen, in dem Hegel seine Aufgabe bewältigt hat.“9 Gerade auch im Blick darauf, dass die meisten heutigen Philosophieentwürfe das alte Paradigma des Bewusstseins und Selbstbewusstsein nicht verlassen haben, gestützt auf allfällige und langlebige aber oft wissenslose Klischees über Hegels Idealismus. Die Anstrengung des Begriffs, des begreifenden Denkens bleibt unverzichtbar: „Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht ist nur in der Arbeit des Begriffs zu gewinnen.“ (TWA 3, S. 65). Dieser Begriff als das angemessene Element des Wissens beschließt die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, die Logik des erscheinenden Bewusstseins, die Deduktion des Begriffs der Wissenschaft, den Gang der Bildungsstufen des Geistes, dessen finales Ziel der Standpunkt des Wissens darstellt – die Phänomenologie des Geistes – Hegels faszinierendste Schrift, das wichtigste Buch, das je in Jena geschrieben wurde.
8 Briefe von und an Hegel, Bd. I, S. 161. 9 Fulda, Hans Friedrich, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, München 2003, S. 92 f.
Sebastian Stein (Heidelberg)
Die spekulative Einheit von Geist und Natur: Hegels absoluter Idealismus als Selbstwissen der ontologischen Vernunft In den letzten Jahren ist eine vor allem im englischsprachigen Raum lebhaft geführte Debatte über das Wesen von Hegels Idealismus entbrannt.1 Seit den 1970er Jahren wird die Lesart von Charles Taylor weitläufig rezipiert, laut der Hegel ein Humes und Kants Metaphysikkritik ablehnender ‚Spiritualist‘ sei. Demnach sind die Welt und ihre Geschichte als Manifestation und Entwicklung des rationalen Prinzips ‚(Welt-)geist‘ zu verstehen, welcher das reine Denken, die Natur und alles Geistige in sich vereint.2 Dementgegen wird Hegel seit den neunziger Jahren von anderen als dezidiert post-kantischer Philosoph verstanden, der sich in der Wissenschaft der Logik mit den Kategorien des subjektiven Weltbezuges ohne Kants Begriff des Noumenalen bzw. der Dinge an sich auseinandersetzt3 und der in den Grundlinien der Philosophie des * Der Autor bedankt sich herzlich bei Dr. Christian Martin und Dr. Felix Stein für die hilfreichen Kommentare zu einer früheren Fassung des Textes. 1 Vgl. Stern, Robert, „Freedom, Self-Legislation and Morality in Kant and Hegel: Constructivist vs. Realist Accounts“, in: German Idealism: Contemporary Perspectives, hg. v. Espen Hammer, London 2007, S. 245-267; Stern, Robert, Understanding Moral Obligation, Cambridge 2012; Stern, Robert, Kantian Ethics: Value, Agency and Obligation, Oxford 2015; Stern, Robert, „Why Hegel Now (Again) – and in What Form?“ in: Royal Institute of Philosophy Supplement 78 (2016), S. 187-210; Stern, Robert, „Freedom, Norms, and Nature in Hegel: Self-Legislation or Self-Realization?“ in: Hegel on Philosophy in History, hg. v. James Kreines und Rachel Zuckert, Cambridge 2017, S. 88-105; Pinkard, Terry, Hegel’s Naturalism: Mind, Nature, and the Final Ends of Life, Oxford 2012. 2 Taylor, Charles, Hegel, Cambridge 1975; Beiser, Frederick, Hegel, London 2005. Im deutschen Sprachraum finden sich Geist-orientierte Lesarten z. B. bei Tobias Dangel, Hegel und die Geistmetaphysik des Aristoteles, Berlin 2013 und Halfwassen, Jens, Hegel und der spätantike Neuplatonismus: Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Hegel-Studien, Beiheft 40, Bonn 1999. 3 Pippin, Robert, Hegel’s Idealism: The Satisfactions of Self-Consciousness, New York 1989.
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Rechts und im objektiven Geist-Kapitel der Enzyklopädie diejenigen Institutionen beschreibt, die sich im Laufe der Geschichte als praktikabel erwiesen haben.4 Seit einiger Zeit gewinnt außerdem eine dritte Interpretationslinie stärkeren Zuspruch, die Hegel in die naturalistisch-realistische Tradition des Aristoteles zu stellen scheint. Hegels Philosophie beschreibe so in der Logik unter dem Namen ‚Begriffe‘ welt-immanente, reale Prinzipien, die den vernünftigen, immanenten Zweck der Natur und der geistigen Welt darstellen und zur Entfaltung verhelfen.5 Im Praktischen sei Hegel wie Aristoteles ein „perfectionist“6, dessen Analysen des Rechtlichen, Moralischen und Ethischen das immer schon natürlich vorgeschriebene, vollkommen vernünftige und glücksorientierte, menschliche Leben und seine institutionelle Verfasstheit beschreiben.7 Gegen diese Herangehensweisen wird in diesem Kapitel argumentiert werden, dass Hegel stattdessen als ‚absoluter Idealist‘ zu verstehen ist. Dies bedeutet, dass für ihn Philosophie als Wissenschaft der unbedingt-metaphysischen Idee zu verstehen ist. Diese Idee hat drei Formen, nämlich als (1) absolut-logische Idee, (2) Natur und (3) Geist. Dabei wird das Verhältnis der drei Formen der Idee nur in Auseinandersetzung mit Hegels philosophischem Begriff der Philosophie selbst einsichtig: Philosophie bedeutet, dass sich die Idee in Form des Geistes als Idee in Geist und Natur begreift beziehungsweise sich weiß. Dies macht Hegels Idealismus ‚absolut‘ im Sinne von ‚selbstbezüglich‘, da laut seinem Philosophiebegriff (1) die Idee um sich selbst weiß und (2) die Philosophie sich als Selbstwissen der Idee selbst beweisen muss. Philosophie muss also eine ‚Philosophie der Philosophie‘ artikulieren. Das Kapitel ist wie folgt aufgebaut: Im ersten Teil wird Hegels eigener Idealismusbegriff dargestellt und zwischen der metaphysischlogischen Idee und ihren Formen ‚Natur‘ und ‚Geist‘ unterschieden. In Teil zwei wird das Verhältnis der Idee und ihrer Formen unter Verweis auf Hegels Philosophiebegriff rekonstruiert. Im dritten und 4 Pippin, Robert, Hegel’s Practical Philosophy: Rational Agency as Ethical Life, New York 2008. 5 Kreines, James, Reason in the world: Hegel’s metaphysics and its philosophical appeal, Oxford 2015. 6 Stern, „Freedom, Norms, and Nature“, a. a. O., S. 90. 7 McDowell, John, Mind and World, Cambridge 1996.
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letzten Teil wird gezeigt, inwiefern Hegels idealistischer Philosophiebegriff ‚absolut‘ ist und was dies für sein Verhältnis zu Naturalismus, Realismus, Spiritualismus und kantischem Idealismus bedeutet.
I. Hegels Idealismus Laut Hegel ist alle Philosophie Idealismus: Der Satz, daß das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus. Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen. Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus oder hat denselben wenigstens zu ihrem Prinzip, und die Frage ist dann nur, inwiefern dasselbe wirklich durchgeführt ist.8
Alle Philosophie beschäftigt sich also mit der Beschreibung dessen, was Hegel das unbedingt ‚Unendliche‘ nennt. Dies ist laut ihm die unbedingt-wahre, metaphysische Idee.9 Sie ist metaphysische Ursache und somit Strukturgeber und -erzeuger von Raum, Zeit, Natur und geistiger Welt. Als Geist gewährleistet die Idee außerdem, dass die empirische Realität für uns nachvollziehbar ist: Welt und wir sind Ausdruck der Idee als Geist. Entsprechend kann die Idee auch als ‚Vernunft‘ bezeichnet werden: sie garantiert die vernünftig nachvollziehbare Struktur der Welt und ist Ursprung und Ordnungsprinzip unserer Vernunft. Insofern Philosophen unbedingte, vor-empirische bzw. empiriebedingende, a priorisch gültige, kategorale Strukturen beschreiben, machen sie Aussagen über die Idee und ihre kategoralen Formen. Insofern das Empirische und das Bewusstsein endlich sind, die Idee aber unendlich-unbedingt, bedeutet Philosophie begreifbar machen, dass alles Endliche auf einen metaphysischen Ursprung in der unbedingten, unendlichen Idee zurückzuführen ist. Philosophieren heißt für Hegel also den Absolutheitsanspruch des Endlichen aufzuheben und begreifbar zu machen, dass alles Endliche, inklusive des 8 Hegel, G. W. F., Wissenschaft der Logik: Erster Teil, Die objektive Logik, Erstes Buch, TWA 5, S. 172. 9 Hegel, G. W. F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 1830. Erster Teil:
Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen, TWA 8, § 18, S. 63.
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Bewusstseins, der Erfahrung und der empirischen Welt Ausdruck der unbedingt-unendlichen, metaphysischen Idee in ihren Formen ist. Dies trifft sogar auf den Empirismus zu, insofern er endlich-besondere Erfahrungsepisoden als unbedingt-nicht-hintergehbare Wahrheit definiert und somit zumindest unbewusst das Besondere als Unbedingtes und somit als Aspekt der Idee absolut setzt.10 Laut Hegel ist die Idee dabei so strukturiert, dass sie die objektive Dimension des ‚Realen‘ ebenso mit einschließt wie die subjektive Dimension des ‚Idealen‘: Die Idee ist wesentlich Prozeß [...]. Sie ist der Verlauf, daß [die Subjektivität] sich zur Objektivität und zum Gegensatz gegen dieselbe bestimmt und diese Äußerlichkeit, die den Begriff zu ihrer Substanz hat, durch ihre immanente Dialektik sich in die Subjektivität zurückführt.11
Hegels Idee ist ‚ideal‘ da sie begriffliche Subjektivität als Strukturmoment beinhaltet. Gleichzeitig ist sie ‚real‘, da sie auch die Objektivität umfasst. Hegels ‚wahrer‘ bzw. konkreter Idealismus zieht keines der Momente dem jeweils anderen vor, sondern leitet jedes aus dem jeweils anderen ab. Er ist somit ‚real-ideal‘ und ‚ideal-real‘. Der Unterschied Realismus-Idealismus ist also in seinem Begriff der Idee aufgehoben.12 Dies macht Hegels absoluten Idealismus zur Einheit von abstraktem Idealismus (‚alles ist Subjektivität/subjektiver Begriff‘) und abstraktem Realismus (‚alles ist Objektivität‘). Hegel unterscheidet dabei zwischen drei Formen der Idee, welche von der Philosophie als Wissenschaft der Idee behandelt werden: I. Die Logik, die Wissenschaft der Idee an und für sich, II. Die Naturphilosophie als die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein, III. Die Philosophie des Geistes als der Idee, die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt.13 10 Stein, Sebastian, „Hegel’s twofold critique of Empiricism: Cognition, Ontology and the Question of Universality“, in: Revista Eletrônica Estudos Hegelianos/ Online Journal of Hegelian Studies 13, 22 (2016). 11 Hegel, Enzyklopädie I, TWA 8, § 215, S. 372. 12 Vgl. „Der Gegensatz von idealistischer und realistischer Philosophie ist daher ohne Bedeutung.“ (Hegel, Wissenschaft der Logik I, TWA 5, S. 172.) 13 Hegel, Enzyklopädie I, TWA 8, § 18, S. 63 f.
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Im Folgenden wird zuerst die Form der Idee als ‚Geist‘ besprochen, da Hegel sich mittels dieses Begriffes methodologisch von den Philosophien Kants und Fichtes abgrenzt, sie inhaltlich jedoch teilweise integriert. a) Das Subjekt-Objekt-Problem Hegels Begriff der Idee als ‚theoretischer Geist‘ kann als spekulative Lösung eines Problems verstanden werden, das den transzendentalen Idealismus seit Kants Kritik der reinen Vernunft beschäftigte: Kant fragte, wie Verstand-erzeugte Objektivität und synthetisierender Verstand als kompatibel und somit auf bestimmte Weise identisch begriffen werden können, ohne dass man ihre Differenz verliert? Warum aber soll die Differenz der beiden nicht verloren werden? Wären synthetisierte Objektivität und erkennender Verstand nur identisch, so scheint Kant zu denken, wären sie entweder vollkommen durch das Bewusstsein gesetzt oder vollkommen anders als das Bewusstsein, das heißt objektiv. Im ersteren Fall würde sich Kants Idealismus eben dem Vorwurf aussetzen, den Kant schon an Berkeley machte14, und der regelmäßig gegen Fichte und Hegel in Stellung gebracht wird: Wenn letzten Endes alles Produkt der Aktivität des Bewusstseins und Aspekt seiner transzendentalen Einheit ist15, dann wäre die aus der Mannigfaltigkeit erzeugte Objektivität bloß subjektiv gesetzter Schein. Objektive Welt, rezeptiver Anteil der Anschauung und Mannigfaltigkeit wären selbst Produkt des Bewusstseins, die bewusstseinsunabhängige Realität der Welt wäre Illusion. Um dies zu verhindern, so Kant, darf das objektiv Gegebene also nicht nur Produkt des Bewusstseins sein, sondern muss eine Dimension tatsächlich-‚realer‘ Gegebenheit vermitteln. Diese wird durch das Noumenale bzw. das „Ding an sich“16 garantiert. Die rezeptive Dimension der Anschauung und das tatsächliche Gegebensein der Mannigfaltigkeit innerhalb der Einheit des Bewusstseins sind durch das Noumenale außerhalb der Einheit des Bewusstseins gewährleistet. Dies wirft jedoch die von Kant eventuell unbeantwortbare Frage auf, wie die Bewusstseins-äußeren ‚Dinge an Sich‘ mit der Bewusst 14 Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1956, B 275, S. 272 ff. 15 Ebd., B 140, S. 151 ff. 16 Ebd., B XXVIII, S. 26.
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seins-inneren, ‚gegebenen‘ Mannigfaltigkeit bzw. Anschauungsrezeptivität in Verbindung stehen? Damit bleibt noch die zweite Möglichkeit, Bewusstsein und Objekt als identisch zu fassen, nämlich beide letztlich als objektiv zu definieren. In diesem Fall wären Bewusstsein und Subjekt auf ein objektives Absolutes reduzierbar, wie zum Beispiel im Falle des Spinozismus (Gott/Natur) oder von Leibniz’ Philosophie (Monade der Monaden/gottgegebene Harmonie der Monaden). Damit öffnet sich die Philosophie jedoch unter anderem dem von Fichte artikulierten Vorwurf, die als objektiv bestimmte, absolute Wahrheit dogmatisch17 ‚vorauszusetzen‘, d. h. nicht aus der subjektiven Bewusstseinsstruktur abzuleiten. b) Identität von Natur und Geist Dieser Vorwurf könnte jedoch als petitio principii abgewehrt werden: Wahrheit nicht aus der Bewusstseinsstruktur abzuleiten ist nur problematisch, wenn das Bewusstsein nicht aus einer objektiven Wahrheit abgeleitet werden kann. Genau dies tun jedoch die laut Fichte ‚dogmatischen‘, vorkritischen Philosophen. Sie können außerdem auf einen weiteren Vorteil ihrer Herangehensweise zeigen: Laut aller Philosophie, die Objektivität absolut setzt, ist die Kompatibilität von Subjekt und Objekt erklärbar. Laut ihr kann das Subjekt das Objekt erkennen bzw. im Handeln setzen, weil beide gleich objektiv sind. Trotzdem gelangt man durch Setzen eines objektiven Absoluten in folgendes, mit Parmenides, Spinoza und dem Monismus allgemein assoziiertes Problem: Wenn letzten Endes alles ein objektives Eins ist, d. h. das privilegierte, objektive Allgemeine als ‚Eines‘ ist absolut, dann ist nicht nachvollziehbar, was denn dies allgemeine Eine ist. Denn aller bestimmte Inhalt kann mit Verweis auf das Eine ‚wegerklärt‘ werden. Was wie Akzidentien, modi, Unterschiede, Wirkung etc. erscheint, ist eben das: bloßer Schein des privilegierten Allgemeinen. Dies hat nicht nur die für Kant und Fichte unattraktive Konsequenz, dass durch die aus dem Einen folgende alles umfassende Bestimmtheit die individuelle Freiheit unterminiert wird, indem das Individuum im Eins auf- beziehungsweise untergeht. 17 Fichte, J. G., Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), Hamburg 1997, S. 40.
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Laut Hegel ist dieser Gedanke einfach selbst-widersprüchlich. Einerseits setzt der objektive, monistische Realismus Differenz voraus, um den Begriff der Einheit zu ermöglichen. Einheit muss die Einheit von Differenzierten, also z. B. von „Substanz“18 und „Akzidenzien“19 sein. Andererseits wird behauptet, dass es letztlich keine Differenz gibt, da alles Eins, z. B. Substanz ist. Zur Entscheidung gezwungen, schlägt sich der objektivistische Realismus auf Seiten des Einen. Indem er so gleichzeitig die Differenz verneint, entzieht er sich dem Einen die Grundlage seiner selbst als Eines. Es ist das Eine von eben denen Differenzierten, die es nicht gibt und damit gibt es auch das Eine nicht, das es aber laut Monismus geben soll.20 Sogenannte spekulative Lesarten wollen dem entgehen, indem sie die vielen Differenzierten, z. B. die Modi oder Akzidentien, als innerhalb der einen Substanz begrifflich zu erhalten suchen. Dies soll erreicht werden, indem die Substanz als Menge aller modi und gleichzeitig die modi als Inhalt der Substanz definiert werden. Dabei müsste jedoch erklärt werden, wie die unendliche Unabhängigkeit und absolute Priorität der Substanz mit einem Inhalt koexistieren kann, der ihre Existenz angeblich spekulativ garantiert.21 Letztlich sind die modi Substanz, also innerhalb der Substanz. Denn sonst würden sie die Substanz auf gleichem ontologischen Niveau beschränken und damit die unendliche Unabhängigkeit der Substanz unterminieren. Wären sie nicht Substanz, wären sie außerdem unerklärlich, denn Erklären bedeutet, etwas mit Bezug auf das vorausgesetzt-Allgemeine, in diesem Fall die Substanz, zu bestimmen.22 Hegel argumentiert, dass alle Philosophie, die sich auf Verstand bzw. Reflexion stützt und nach einem Begriff der Identität des Absoluten strebt, diesem Widerspruch anheimfällt. Er bezeichnet dies entsprechend als Verstandes- bzw. Reflexionsidentität.23 Hier sind weder Subjekt noch Objekt als Besondere begreifbar. Sie sind nicht differen 18 19 20 21
Hegel, Wissenschaft der Logik Band 2, TWA 6, S. 187. Ebd., S. 218. Vgl. Stein, „Hegel’s twofold critique of Empiricism“, a. a. O. Verweis auf Schelling: Hegel gesteht in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, dass Schelling auf die Idee kam, Geist und Natur als spekulative Einheit zu fassen, aber diese Einheit als ‚Indifferenz‘ bezeichnete, was weniger wohlwollende, nicht-spekulativ geneigte Interpreten als spinozistische differenzvernichtende Identität lesen können. 22 Vgl. Stein, „Hegel’s twofold critique of Empiricism“, a. a. O. 23 Hegel, Wissenschaft der Logik Band 2, TWA 6, S. 170.
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ziert und gleichzeitig in einen Einheitszusammenhang gestellt. Stattdessen sind sie ‚nur identifiziert‘. Damit sind sie jedoch innerhalb der Identität annulliert. Sie sind letztlich Identität und damit nicht sie selbst als Einzelne sondern ‚sie‘ sind das Allgemeine der Identität als ob es Einzelnes bzw. Endliches wäre. Damit unterminiert sich die Identität sogleich selbst, da ihr eben jene Differenz in Form der Einzelnen fehlt, die sie zur Kontrastierung und Bestimmung ihrer selbst benötigt. Wenn z. B. alle modi letztlich Substanz sind, ist alles Substanz. Was ist jedoch die Substanz? Mit den modi verschwindet ihr Inhalt, sie ist nicht mehr unendlich im Sinne von ‚nicht-endlich‘, da es ja nichts Endliches mehr gibt. Da sie auch nicht endlich ist, bleiben ihr weder Unendlichkeit noch Endlichkeit. Sie ist unbestimmt-unbestimmbar und damit nicht denkbar, doch ist sie so vom Denken selbst bestimmt. Um diesen Widerspruch zu vermeiden und um die Identität des Unendlichen zu erhalten, muss die Identität also Differenz zulassen. Dabei darf sie diese jedoch nicht absolut und somit als sich selbst bzw. in Konkurrenz zu ihr selbst setzen. Die Differenzierten als Endliche müssen innerhalb einer sie akkommodierenden, „spekulativen“24 Einheit erhalten bleiben. Schon Kant und Fichte lassen sich so lesen, dass sie sowohl Subjektivierung als auch Objektivierung der Wahrheit verhindern wollen: Innerhalb der Einheit des Bewusstseins will Kant die Objektivität als ‚nicht bloß subjektiv gesetzt‘ erhalten, indem er sie als ‚real‘ mittels Verweis auf bewusstseinsexterne Noumena bzw. ‚Dinge an sich‘ bestimmt. Gleichzeitig soll die bewusstseinsinterne Objektivität ihre identitätsbasierte Kompatibilität mit dem bewusstseinsinternen, subjektiven Verstand erhalten. Fichte lehnt die Trennung bewusstseinsexterner, realer Gegebenheit und bewusstseinsinterner Objektivität in Kants Sinn ab und bezeichnet sie als „dualistisch“.25 Stattdessen führt er ‚reale‘ Objektivität auf die Identität mit der Subjektivität innerhalb des sogenannten „Ich“26 zurück. Dieses ‚Subjekt und Objekt‘-vereinende Ich sieht sich stets einem von ihm selbst gesetzten ‚nicht-Ich‘ gegenüber. Während der frühe Fichte die Identität von Ich und nicht-Ich betont, besteht der späte Fichte auf einem der Einheit von Ich und nicht-Ich äußeren, nicht-begrifflich einholbaren 24 Hegel, Wissenschaft der Logik Band 2, TWA 6, S. 261. 25 Fichte, J. G., Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804, Hamburg 1986, S. 76. 26 Fichte, Grundlage, a. a. O., S. 13.
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„Anstoß“.27 Dieser soll wiederum verhindern, dass die Einheit von Ich und nicht-Ich doch wieder nur subjektiv bzw. Ich-artig strukturiert ist. Somit wird die differenzrespektierende Einheit von ‚Ich und nichtIch‘ und Anstoß in einen nicht-begreifbaren Gottesbegriff verlagert.28 c) Hegels spekulativer Geistbegriff Im Gegensatz zu Kants und Fichtes (potentiellerweise krypto-spekulativen) Ansätzen versucht Hegels Geistphilosophie dieses Problem ohne Berufung auf Gott oder nicht-einholbare Äußerlichkeit zu lösen: Hegel definiert den Geist als Einheit des Inneren und Äußeren, Möglichen und Wirklichen: [Die] Allgemeinheit [des Geistes] ist auch sein Dasein. Als für sich seiend ist das Allgemeine sich besondernd und hierin Identität mit sich. Die Bestimmtheit des Geistes ist daher die Manifestation. Er ist nicht irgendeine Bestimmtheit oder Inhalt, dessen Äußerung oder Äußerlichkeit nur davon unterschiedene Form wäre; so daß er nicht etwas offenbart, sondern seine Bestimmtheit und Inhalt ist dieses Offenbaren selbst. Seine Möglichkeit ist daher unmittelbar unendliche, absolute Wirklichkeit.29
Seele, Körper und Außenwelt, Bewusstsein und epistemisch erschlossene Objektivität, Wille, Triebe und aktiv-willentlich gesetzte Realität sind somit alle als Aspekte des gleichen Geistes bestimmt. Der einende Geistbegriff macht sie kompatibel, ohne dabei ihre Eigenheit als ‚innerlich‘ bzw. ‚äußerlich‘ aufzulösen. Dies scheint auch für die Natur zu gelten. So hebt Hegels Begriff des Geistes die Natur als scheinbar natürliche Komponente im Geist auf und unterminiert damit die Eigenständigkeit der Natur gegenüber dem Geist, ohne die Natur zu annullieren. Laut Geistphilosophie ist das, was Natur zu sein scheint, eigentlich Geist, wobei dieser jedoch den objektiven Charakter der Natur beibehält. Dies gilt für den menschlichen Körper, die Gefühle und Triebe ebenso wie für die mit der Seele unmittelbar identifizierte und das Bewusstsein 27 Hegel, G.W.F., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, TWA 20, S. 408. 28 Ebd., S. 413. 29 Hegel, G.W.F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 1830. Dritter Teil:
Die Philosophie des Geistes. Mit den mündlichen Zusätzen, TWA 10, § 383, S. 27.
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konfrontierende, vom Geist gewusste und gestaltete, zumindest teilweise natürlich scheinende Welt – all dies sind objektive Formen des Geistes, die sich in der Form des nicht-Geistes, d. h. der Natur präsentieren. Und auch in der Darstellung der Kategorien des theoretischen und praktischen Geistes plädiert Hegel unmissverständlich für den absoluten Status des Geistes als solchem: Endliche Erkenntnis z. B. ist Selbstbezug des Geistes. Geist als endliches, erkennendes Subjekt bezieht sich auf Geist als vorausgesetzte, erkannte Realität.30 Auch das Wollen ist Geist der sich auf sich bezieht: Der Geist als Subjekt setzt sich erst als intrasubjektiven, objektiven Zweck und dann im zweiten Schritt als von Subjekten gewählte Zwecke und als von diesen Zwecken geprägte, objektive, „zweite Natur“.31 Laut Geistphilosophie ist also alles Geist und Geist selbst ist ein spekulativer, Differenz-respektierender Einheitsbegriff: Objektivität geht in ihm nicht verloren, da sie als Form des Geistes in Unterscheidung zu seinem subjektiven Element bestehen bleibt. In der Einheit des Geistes sind Subjektivität und Objektivität als differenzierte Momente spekulativ-dynamisch identifiziert. Somit scheinen die Interpreten, die Hegel als spiritualistischen Geistphilosophen lesen, Recht zu haben. Letztlich ist auch laut Hegel alles Geist, wenn auch die Differenz von subjektiven und objektiven Elementen innerhalb des Geistbegriffs erhalten bleibt. Während dies auf die innere Struktur des Geistes zutrifft, ist es nicht der Fall bzgl. des Verhältnisses von ‚Geist als solchem‘ zur ‚Natur als solcher‘. Denn Hegels Aussagen über die eigentliche Geistigkeit alles Natürlichen sind nur aus Perspektive des Geistes selbst gültig. Tautologischerweise lässt sich sagen: wenn man vom Geist als Absolutem ausgeht, ist alles letztlich Geist. Damit sind zwar die subjektiven und objektiven Dimensionen des Geistes begreifbar, jedoch nicht der Geist als solcher. Dank Geistphilosophie lässt sich zwar begreifen, wie geistiges Subjekt und Objekt differenziert und trotzdem im Geist identisch sind, aber nicht, was der sie vereinende Geist selbst ist. So wie das subjektive und das objektive Moment des Geistes mit Verweis auf die Geist-gestiftete, spekulative Einheit der beiden gerechtfertigt werden müssen, so haben auch ‚Geist als solcher‘ und ‚Natur als solche‘ Rechtfertigungsbedarf mit Verweis auf eine sie akkommodierende, spekulative Einheit. 30 Hegel, Enzyklopädie III, TWA 10, S. 240 ff. 31 Ebd., § 410 Anmerkung, S. 184.
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II. Hegels Philosophiebegriff Die genauere Darstellung dieser Einheit findet sich in § 577 der Enzyklopädie. Dort stellt Hegel den philosophischen Begriff der Philosophie in Form von drei Schlüssen dar. Diese weisen zwar die in der Logik verhandelte Schlussstruktur auf, finden aber „in der Idee“32 statt. Dies macht sie zu Idee-internen Konfigurationen, deren Prämissen und Konklusion immer schon vereint sind. Jeder Schluss ordnet also die Momente logische Idee, Natur und Geist auf verschiedene Weise innerhalb einer sie alle akkommodierenden, idealen Einheit.33 Der erste Schluss der Philosophie bestätigt die lineare Lesart des Systems und definiert Philosophie als begriffliches Nachzeichnen des Übergehens der logischen Idee in die Natur und der Natur in den Geist. Logische Idee, Natur und Geist sind als immer konkretere Formen der Idee zu verstehen. Dabei stellt sich jedoch heraus, dass der Geist als aktive Idee das philosophierende Subjekt ist.34 Dies wirft wiederum die Frage auf, wie das als geistig definierte, philosophierende Subjekt Natur und Logik begreifen kann, wenn diese selbst nicht geistig sind. Somit wird der zweite Schluss der Philosophie erzeugt.35 Laut ihm ist Philosophie der Geist, der die Idee als vernünftiges Strukturprinzip in der Natur erkennt. Der Geist als solcher erkennt, dass die Natur als solche ebenso vernünftig, d. h. idee-strukturiert ist, wie er selbst. Somit befreit der Geist die Natur von ihrer Andersartigkeit. Entsprechend wird Hegel bzgl. der Naturphilosophie zitiert: Die Naturphilosophie [...] ist es, welche die Trennung der Natur und des Geistes aufhebt und dem Geiste die Erkenntnis seines [vernünftigen] Wesens in der Natur gewährt.36
Doch auch hier ist die Einheit von Geist und Natur etwas ‚Erkanntes‘, bzw. ‚Entdecktes‘. Sie sind nicht immer schon vereint. So bleibt 32 33 34 35 36
Ebd., § 575. Ebd., § 572 ff., S. 378 ff. Ebd., § 575, S. 393 ff. Ebd., § 576, S. 394 ff. Hegel, G. W. F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 1830. Zweiter Teil: Die Naturphilosophie. Mit den mündlichen Zusätzen, TWA 9, § 246 Zusatz, S. 24.
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unerklärt, warum der Geist sein vernünftiges Wesen in der Natur finden kann. Dies führt zur Einsicht, dass Geist und Natur immer schon vereint sein müssen, damit sie identifiziert werden können. Das erklärt der dritte Schluss, der die letztgültige Struktur der Philosophie und der von ihr gewussten, unbedingten Wahrheit darstellt. In diesem Schluss wird Philosophie so bestimmt, dass die unbedingte Vernunft sich selbst als Geist und Natur weiß, d. h. die Vernunft begreift, dass Geist und Natur immer schon die gleiche Vernunft sind, die sich in ihnen begreift. Als „selbstwissende Vernunft“37 und medius terminus von Natur und Geist begreift die Idee als Subjekt, dass es sie selbst ist, die sich gleichzeitig im „vorausgesetzten“ Geist als „subjektiv tätig“ setzt und in der Natur als „allgemeinem Extrem“ als objektivseiend manifest ist. Dank der Philosophie weiß die Idee als selbstwissende Vernunft also, dass Natur und Geist gleichberechtigte, sich gegenseitig begrifflich vermittelnde Momente ihrer selbst sind. Das Gewusste ist die Vernunft als Natur und Geist, die Form des Wissens ist der allgemeine Begriff als Idee. Durch den Geist weiß die Idee, dass Natur und Geist sie selbst sind. Hierzu wird Hegel ziemlich plastisch zitiert: „So ist die Natur die Braut, mit der der Geist sich vermählt.“38 Die Momente der Idee sind unterschieden in ihrer Einheit, in der jedes zuerst und gleichzeitig abgeleitet ist, unmittelbar gegeben ist und vermittelt wird: Geist ist ‚nicht-Natur‘ und gleichzeitig ist Natur ‚nicht-Geist‘, wobei das Verhältnis der Momente durch die dynamische, negative Einheit der Idee als selbstwissende Vernunft bestimmt ist. Jeder Moment führt mittels Selbstnegation in den jeweils anderen, der wieder in den ersten zurückführt etc., wobei dieses ‚Gegenseitig-ineinander-Führen‘ selbst etwas ist: nämlich die Natur und Geist als Formen ihrer selbst akkommodierenden Idee. Natur und Geist sind folglich Formen der Idee und ihr Verhältnis selbst hat die Form der Idee. Dies ist was Hegel die (Einheit begreifende) „Idee der Idee“ (als Geist und Natur) nennt. In ihr ist keines der Momente privilegiert über das andere, beide sind gleich individualisiert frei und miteinander vereint. Laut Hegel entspricht dies auch der dynamischen Struktur des alles bestimmenden, allgemeinen Begriffs und damit des begreifenden Denkens als solchem:
37 Hegel, Enzyklopädie III, TWA 10, § 577, S. 394. 38 Hegel, Enzyklopädie II, TWA 9, § 246 Zusatz, S. 23.
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Der Begriff ist das Freie, als die für sie seiende substantielle Macht, und ist Totalität, indem jedes der Momente das Ganze ist, das er ist, und als ungetrennte Einheit mit ihm gesetzt ist.39
Entgegen der eingangs erwähnten Geistphilosophie-Lesart bedeutet dies, dass der Geist aus der Perspektive der selbstwissenden, in der Philosophie artikulierten Vernunft eben nicht absolut ist. Logik und Natur sind nicht im Geist aufgehoben. Vielmehr sind Geist und Natur in der selbstwissenden Idee als philosophisch wissender Vernunft aufgehoben. Sie sind, weil die Idee als Vernunft ist. Diese Idee strukturiert das Denken, die Natur und den Geist und weiß sich als solche als absoluter Geist, der philosophiert. Die Idee drückt sich als Geist und Natur aus und dank der Geist-basierten Philosophie weiß sie um sich in diesen Formen. Entgegen naturalistisch-realistischen Hegelinterpretationen bedeutet dies, dass auch die Natur nicht alles ist. Geist ist keine bloß ‚zweite Natur‘, die sich als selbst-setzend darstellt aber eigentlich statisch bestimmt ist. Die Selbstsetzung des Geistes ist eine genuine, nicht reduzierbare Form der Idee, ebenso wie die bestimmte Natur. Aus Perspektive der das gesamte System überblickenden Philosophie genügt Hegel der bloße Verweis auf die spekulative und damit Objektivitäts-erhaltende Struktur des Geistes also nicht. Auch die Natur ist nicht grundlegend im Sinne von Geist-begründend. Wie in der spekulativen Einheit des Geistes die subjektive Dimension die objektive immer schon voraussetzt und sie gleichzeitig vermittelt, so braucht aus der Systemperspektive der ‚Geist als solches‘ die ‚Natur als solche‘ und andersherum – eine nicht im Geist aufgehobene Natur ist begrifflich notwendig, um den Geist mitsamt der in ihm aufgehobenen Natur nachvollziehbar zu machen. Geist und Philosophie – Geist über den Geist hinaus Dies hat interessante Konsequenzen für Hegels Begriff der Philosophie. Einerseits kommuniziert ihr Begriff, dass Natur und Geist gleichberechtigte Momente einer spekulativen Einheit sind. Gleichzeitig ist die Philosophie selbst als Teil des Geistes, genauer als ‚absoluter Geist‘ bestimmt. Und wenn begriffliches Wissen differenzakkommodierende Identität impliziert, scheint dies wiederum zu 39 Hegel, Enzyklopädie I, TWA 8, § 160, S. 307.
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bedeuten, dass die von Philosophie begriffene, absolute Idee der Logik und die Natur selbst Geist sind: die geistige Philosophie begreift Logik und Natur als scheinbar nicht-geistige (Natur ist irreduzibel ‚nicht-Geist‘, Logik beschreibt die Idee, welche sich in Natur und Geist darstellt), die jedoch innerhalb des Geistes situiert sein müssen, um geistig begreifbar zu sein. Es lässt sich also fragen, ob die Philosophie als geistige die Logik und die Natur nur begreifen kann, weil diese eigentlich ebenso Geist sind, wie die Philosophie selbst. Laut Hegel erzeugt dies Philosophieverständnis aber folgenden Widerspruch: Wenn alles der Geist wäre, dessen Teil die Philosophie ist, könnte dieser sich nicht selbst als Moment der Wahrheit begreifen. Da Begreifen heißt, etwas als different zu etwas anderem innerhalb einer Einheit zu fassen, kann der Geist nur als Geist begriffen werden, wenn er als Differenziertes in Einheit mit dem ihm anderen situiert wird. Dies bedeutet jedoch, dass die an sich geistige Philosophie, insofern sie Geist begreift, über das Geistige und damit über sich selbst hinaus gegangen sein muss. Sie ist immer schon über den Geist hinaus, während sie Teil von ihm ist. Dies illustriert ihre in der Philosophie immer schon stattgefundene ‚Emanzipation‘ vom Geist und beweist damit auch, dass der Geist immer schon über sich hinaus weist. Philosophie spricht demnach nicht nur aus Perspektive des Geistes selbst, sondern aus einer den Geist und die Natur selbst bedingenden Perspektive, die sich des Geistes zum Zwecke der philosophischen Selbsterkenntnis bemächtigt hat. Dieses geist-nutzende Selbstwissen ist nur möglich, weil Geist selbst immer schon diese Vernunft ist, die ihn und die Natur begründet. Die im Sinne der absoluten Idee strukturierte, selbst-wissende Vernunft des dritten Schlusses der Philosophie weiß mittels des Geistes, dass sie in Natur und Geist als ihren Momenten immer schon bei sich ist. Und die Philosophie als Teil des Geistes ermöglicht dieses Wissen, weil sie und Geist immer schon Vernunft sind. Philosophie und Geist sind also Momente und damit Ausdrucksformen der Vernunft, in denen sie sich immer schon zum Zweck der Selbstmanifestation und -erkenntnis verwirklicht hat. Die Vernunft ist nicht anders als Geist und Natur im Sinne von ‚nicht-manifest‘ in ihnen. Dennoch ist sie nicht auf bloß einen von ihnen reduzierbar. Auch Philosophieren ist geistiges Begreifen, doch nicht bloß geistiges: mittels des Geistes und der Philosophie begreift sich die Vernunft selbst, fasst sich als Einheit von Geist und Natur und als deren einheitsstiftende Grundlage. Sie ist Geist, der begreift, dass er nicht
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alles ist. Denn das tatsächliche ‚Alles‘ ist die Idee bzw. Vernunft, die sich in der Philosophie durch ihre Form als Geist in ihm und in der Natur begreift. Nicht der Geist des zweiten Schlusses der Philosophie ist demnach das tatsächliche Subjekt philosophischen Erkennens, sondern die Vernunft ist das Subjekt philosophischen Wissens. Dieses Über-sich-hinaus-Gehen des Geistes in der Philosophie ist das zu-sich-Kommen der Vernunft: Während der Geist sein wahres Wesen als Moment der Vernunft entdeckt, begreift die Vernunft, dass und was sie in ihren Momenten ist. Auch hinsichtlich seines Begriffs der Philosophie ist Hegel also kein Geistphilosoph, sondern ein Idealist. Denn die Vernunft hat die Form der absoluten Idee und Geist und Natur sind Formen der Idee. Indem Hegel die Irreduzibilität der Formen Natur und Geist verteidigt und sie gleichzeitig als Formen der Idee begreifbar macht, nimmt er mittels des Philosophiebegriffs die Perspektive einer Geist und Natur einschließenden Vernunft in Anspruch. Da diese Vernunft als Idee definiert ist, sollte Hegel als Idealist und nicht als Geistphilosoph, Naturalist oder gar Realist bezeichnet werden: Der Begriff der Philosophie zeigt, dass real-objektive Natur und ideal-subjektiver Geist immer schon Subjektivität- und Objektivität-einschließende Idee sind und dass sich die Idee in ihnen immer schon als solche selbst weiß.
III. Hegels absoluter Idealismus als ‚Philosophie der Philosophie‘ Dies führt zum letzten, in diesem Kontext relevanten Aspekt von Hegels Philosophiebegriff und zur Frage, in welchem Sinn sein Idealismus ‚absolut‘ im Sinne von ‚selbstbezüglich‘ ist? Laut Hegel argumentiert Kant aus einer bewusstseinsgeprägten Perspektive heraus, die Vernunft und Welt trennt. Somit bleibt ein Moment der radikalen Andersartigkeit auch in der Philosophie. Auch die Sicht des frühen Fichte, welche das ‚Ich‘ und das ‚nicht-Ich‘ in der Subjektivität zu vereinen sucht, hält fest an einem unauflösbaren Anderen, das der Einheit von Ich und ‚nicht-Ich‘ entgegensteht. So macht es die Selbstreferenz der Vernunft nicht vollkommen explizit. Für Kant und Fichte bleibt der Widerspruch bestehen, wie die Vernunft um etwas wissen kann, das ihr vollkommen fremd ist. Ding an sich (Kant) bzw. ‚nicht-Ich‘ oder ‚Anstoß‘ (Fichte) implizieren, dass die Vernunft weiß, worum sie nicht weiß. Wenn sie das nicht Gewusste
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nicht kennen würde, könnte sie es nicht bestimmen. Doch sie bestimmt es, wenn auch als Unbestimmbares. So bestimmt sie es und sie bestimmt es nicht. Da das unbestimmt Ungewusste aber Teil des philosophischen Wissens darstellen soll, bestimmt sich die Vernunft in Form von diesem selbst als unbestimmt. Laut Hegel ist dies so, als ob die Vernunft nicht um sich selbst wissen würde, indem sie um sich weiß. Beim mittleren Schelling und seiner Indifferenz von Natur- und Transzendentalphilosophie ändert sich dies, da dies alles Vernunft und somit zu wissen ist. Die Indifferenz schließt jedoch eine Andersartigkeit aus und stellt damit eine potentiell selbstunterminierende Identität dar. So weiß Schellings Philosophie, dass Natur und Geist Vernunft sind und weiß sich in ihnen, verliert aber ihren Unterschied und damit die Bestimmung ihrer selbst. Wenn alles indifferent und damit inhaltslos ist, dann ist es die Philosophie auch. Der Inhalt der Philosophie ist somit, keinen Inhalt zu haben, was Hegel als selbstwidersprüchlich ablehnt. Wie Schelling, so will Hegel idealistische Philosophie also als selbstbezüglich bestimmen, allerdings ohne dabei einen Verlust des Unterschiedes zwischen Natur und Geist und den damit einhergehenden Selbstverlust zu erwirken. Indem er Natur und Geist als Formen der Idee fasst und die Philosophie als Selbstbezug der Idee, ist Hegels Idealismus beides: Selbstbezüglich und inhaltsvoll. Philosophische Wahrheit ist Geist-artig subjektiv und Natur-artig objektiv. Sie ist die spekulative Einheit von Geistphilosophie und Naturphilosophie, so dass die Idee im Wissen um Natur und Geist bei sich und somit absolut ist. Doch auch Hegels Philosophiebegriff hat einen absolut-selbstbezüglichen Charakter, der zum Abschluss kurz skizziert werden soll. Dieser findet sich in seiner Aussage, dass Philosophie notwendigerweise eine Philosophie der Philosophie beinhaltet. Sein Argument hierfür lässt sich so rekonstruieren: (1) Philosophieren heißt begrifflich beweisen. (2) Dies Beweisen impliziert einen absoluten Wahrheitsanspruch. (3) Dieser Wahrheitsanspruch muss selbst bewiesen werden. -----------------------------------------------------------------------------------------Konklusion: Philosophie muss sich selbst beweisen / alle Philosophie beinhaltet eine Philosophie der Philosophie.
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Würde Philosophie sich nicht beweisen, wüsste man nicht, was Philosophie ist. Es ließe sich fragen, wie man tatsächlich wissen kann, ob Philosophie selbstwissende Vernunft ist, d. h. das Selbstbegreifen der Wahrheit. Dies impliziert jedoch, dass Philosophie etwas anderes als Selbstwissen der Wahrheit sein kann. Dies darf jedoch nicht der Fall sein, wenn die Philosophie ihrem immer schon impliziten, notwendigen Wahrheitsanspruch gerecht werden will. Wären Subjekt und Objekt der Philosophie nicht die gleiche Wahrheit, wäre Philosophie möglicherweise selbst nicht wahr. Wäre zum Beispiel nur das Objekt, d. h. nur das philosophisch Gewusste wahr, würde dies bedeuten, dass das wissende Subjekt als falsch, d. h. als irrend definiert wäre. Wäre nur das wissende Subjekt wahr, wäre das gewusste Objekt falsch. Nur wenn wissendes Subjekt und gewusstes Objekt beide wahr sind, ist die Wahrheit und damit tatsächliches Wissen notwendigerweise garantiert. Es ist dieser Status als selbstbezügliches Wahrheitsdenken, den die Philosophie deduzieren muss, um ihren Status als wahres Wissen selbst zu garantieren. Erst wenn Philosophie explizit als selbstwissende Wahrheit begrifflich ausgewiesen ist, ist damit die Möglichkeit ihres Scheiterns widerlegt und sie selbst gerechtfertigt. Dann ist begrifflich bewiesen, dass ihr begriffliches Beweisen wahrheitsgarantierend ist. Die Philosophie muss sich daher selbst als Form der selbstwissenden Wahrheit begreifen, um ihren eigenen Status als Wahrheit zu rechtfertigen. Sie muss eine Philosophie der Philosophie artikulieren. Dies bedeutet auch, dass alle philosophischen Aussagen vollkommen gerechtfertigt werden, indem sie als Teil dieser Philosophie der Philosophie begriffen werden. Alle kategorialen Bestimmungen inklusive der Ableitung der Philosophie sind wie sie sind und gleichzeitig als Selbstwissen der Wahrheit begriffen. Alle Philosophie ist also immer auch Philosophie der Philosophie. Aus vollkommener Vernunftperspektive bedeutet Philosophie betreiben zu wissen, was sie ist. Denkt man philosophisch ohne zu wissen, was man damit begrifflich tut, ist das Philosophieren begrifflich unvollständig bzw. selbstvergessen. Die dabei artikulierten Wahrheiten sind nicht falsch, jedoch als solche nicht vollkommen begrifflich ausgewiesen. Dies bedeutet auch, dass man nicht regressartig nach einer höherwertigen Rechtfertigung der Philosophie verlangt, d. h. eine Philosophie der Philosophie der Philosophie etc. Man begreift, dass dies
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angesichts der philosophischen Selbstrechtfertigung unnötig ist. Wenn Philosophie tatsächlich selbstwissende Wahrheit ist, ist dies nicht hinterfragbar. Jeder weitere Rechtfertigungsversuch kann nur bestätigen, was durch das Selbstbegreifen der Philosophie schon bewiesen ist, nämlich, dass sie selbstwissende Wahrheit ist. Aus ‚unserer‘ Perspektive der endlich Philosophierenden heißt dies: Wenn die Wahrheit in uns weiß, dass sie die Wahrheit ist, erübrigt sich für sie und damit für uns das Rechtfertigungsbedürfnis. Philosophieren heißt also im Selbstwissen der Wahrheit teilnehmen und dies passiert im Wissen darum, dass Philosophieren eben dies Selbstwissen ist. Es heißt die Wahrheit begreifen und dass sich in diesem Begreifen die Wahrheit selbst als solche begreift. Und insofern die Philosophie als Wissenschaft der Wahrheit eben diese Wahrheit in Gedanken vermittelt, fallen in ihr Denken und Wahrheit und somit Denken und wahres Wissen zusammen. Sie ist nicht Suche nach oder Liebe zur Wahrheit, sondern die Wahrheit selbst, die sich weiß.
Konklusion Entgegen der eingangs erwähnten Interpretationen von Hegel als Geistphilosophen, Naturalisten bzw. Realisten lässt sich also zusammenfassen: Hegel ist weder Geistphilosoph im dem Sinn, dass alles, was ist, Geist ist. Noch ist er Naturalist, laut dem alles auf Natur zurückzuführen ist. Stattdessen ist er Idealist, da seine Philosophie sowohl Geist als auch Natur als Momente der Idee als Vernunft beschreibt. Dieser Idealismus ist ‚absolut‘ insofern Philosophie nicht Selbstwissen des Geistes sondern Selbstbegreifen der Idee ist, die um sich in Geist und Natur weiß. Ihr begriffliches Selbstwissen schließt das Wissen um die eigene, begriffliche Notwendigkeit ein. Dies deutet eine radikale Bedeutungswandlung des Idealismusbegriffs innerhalb des deutschen Idealismus an und verweist auf weitere meta-philosophische Fragestellungen bzgl. des Selbstrechtfertigungspotentials einer als unbedingt definierten Wahrheit und der begrifflichen Perspektive ihrer Beschreibung.
Folko Zander (Taichung)
Hegels Kritik am Formalismus Kants und Friedrich Schlegels Das Beiwort „formell“ wird von Hegel immer dann verwendet, wenn er auf ein spezifisches Defizit eines Konzepts hinweist. Wenn sich dessen Behebung im Laufe seiner weiteren Analyse ergibt, gebraucht er es im Sinne eines Mangels. Wenn es allerdings unveränderlicher Bestandteil einer Weise des Wissens ist, so erfolgt der Gebrauch in kritischer Absicht. In diesem Aufsatz soll der Frage nachgegangen werden, um welchen Mangel es sich hier eigentlich handelt. Dies soll expliziert werden an zwei Beispielen: seiner Kritik an Kants praktischer Philosophie, die unter dem Titel „Formalismusvorwurf“ geläufig ist, und seiner Kritik an der romantischen Ironie, die er in der Rechtsphilosophie übt, aber auch in den Vorlesungen über die Ästhetik. Im Anschluss daran soll der Frage nachgegangen werden, wie Hegel in seiner Philosophie diesen Mangel behebt oder zu beheben glaubt. Da er dies in seiner Methode unternimmt, diese sich aber an der jeweiligen Sache orientieren muss, soll Hegels Vermeidung des Formalismus am konkreten Beispiel gezeigt werden, nämlich seines Nachweises der Ableitbarkeit von Willensbestimmungen aus dem Begriff des freien Willens.
I. Die Berechtigung des Formalismusvorwurfs an Kant aus Sicht Hegels Einschlägig sind hier vor allem die Argumente gegen Kant, die Hegel im Naturrechtsaufsatz formuliert. Da Hegels Idee von einer Formalismusvermeidung hier von seiner späteren Philosophie abweicht, interessiert hier allein die Kritik. Kern der Kritik ist, dass der reine Wille, im Unterschied zur Maxime, keinen Inhalt hat und keinen Inhalt haben kann und er daher nichts als die Form der Tauglichkeit dieser Maxime zum obersten Gesetz machen kann. Daraus allein aber eine Kritik an Kant zu formulieren, ist sicher nicht möglich und geht an der Sache vorbei, da
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Kant diesen Formalismus selbst zugibt. So nennt Kant den Imperativ Formel des Gebots der Vernunft, das für einen Willen nötigend ist1, weiter unten fällt sogar die Formulierung, Imperative seien „nur Formeln“2; wieder später spricht er von der Formel des kategorischen Imperativs, „die den Satz enthält, der allein ein kategorischer Imperativ sein kann“.3 Dass die praktische Vernunft sich nur in einer Formel artikulieren kann, ist gerade die Pointe der kantischen Diskussion materialer Ethiken, da diese ihrer Natur nach nur partikular Geltung haben können, aber universale Geltung beanspruchen. Kern der Kritik ist also nicht allein, dass der reine Wille bei Kant rein formell ist. Auch in Hegels Rechtsphilosophie wird der freie Wille in mancherlei seiner verschiedenen Entwicklungsstufen als formell bezeichnet. Kern der Kritik ist vielmehr, dass er formell bleibt, und daher nicht von einem System der Sittlichkeit bei Kant die Rede sein könne, da nicht einmal eine Mehrheit an Gesetzen bei Kant zustande käme und alles, was über den reinen Begriff der Pflicht hinausgehe, nicht mehr dieser reinen Vernunft angehöre. Die Kritik besteht also darin, dass die Kantische Konzeption der Sittlichkeit unbrauchbar sei, da nichts aus ihr folge. Hegel illustriert seine Kritik bekanntermaßen am Beispiel des Depositums, welches Kant gibt. Nach Kant folge nach einer Prüfung der Maxime, ob es erlaubt sein könne, ein Depositum, dessen Niederlegung niemand mehr bezeugen kann, einfach zum eigenen Vorteil zu behalten, dass diese Maxime einer Prüfung nicht standhalte, da ein solches, allgemeines Gesetz sich selbst vernichtete, da es machte, dass es gar kein Depositum mehr gebe. Aber könnte nach der Prüfung nicht einfach gesagt werden: Na und? Zwar räumt Hegel ein, dass dieser Befund tatsächlich „anderen notwendigen Bestimmtheiten widersprechen“4 könne, aber dies gehe die Maximenprüfung durch die reine praktische Vernunft gar nichts an. Hegel vertieft nun seine Kritik mit zwei Behauptungen. Erstens würde die Bestimmtheit des Eigentums sich in den tautologischen Satz verwandeln lassen können, „das Eigentum ist Eigentum und 1 2 3 4
Vgl. AA IV, S. 413. AA IV, S. 414. AA IV, S. 420. Hegel, G. W. F., Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften (fortan: Naturrechtsaufsatz), TWA 2, S. 461.
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sonst nichts anderes“.5 Zweitens wäre es auch möglich, die „entgegengesetzte Bestimmtheit, Negation des Eigentums“ zu setzen, woraus sich dann die Forderung ergäbe, „was Eigentum sein will“ aufzuheben. Damit sei aber das von Kant im Beispiel Intendierte nicht nur nicht erreicht, sondern überhaupt nicht zu erreichen, nämlich den Erweis der Notwendigkeit des Eigentums zu führen. Die reine Vernunft fordere vielmehr, dass Eigentum oder Nichteigentum „zum voraus“ zu setzen6, und „dann erst kann sie ihr nunmehr überflüssiges Gesetzgeben vollführen“.7 Der Vorwurf Hegels lässt sich also wie folgt zusammenfassen: Aus der reinen Vernunft folgt nichts. Es lässt sich auch keine Maxime aus 5 Ebd., S. 462. 6 Hier zeigt sich, dass Hegel sehr wohl gewahr war, dass die Kantische Ethik nicht in dem Sinne inhaltsleer ist, als sie zur Prüfung gegebener Inhalte ausgelegt ist. Sedgwick, Sally, „On the Relation of Pure Reason to Content: A Reply to Hegel’s Critique of Formalism in Kant’s Ethics“, in: Philosophy and Phenomenological Research XLIX, 1 (September 1988), S. 59-80 indes unterstellt, Hegel habe in seiner oberflächlichen Lektüre Kants nicht bemerkt, dass bei Kant die Ebene einer Grundlegung der Moral und die Ebene ihrer Anwendung zu unterscheiden wären, und dass Kant eben nur eine Grundlegung, keine vollständige Metaphysik der Sitten habe geben können „since that would have to take account of the empirical manifold of cases to which the a priori principles apply“ (S. 76). Auch Paton, Herbert George, The Categorical Imperative. A study in Kant’s Moral Philosophy, London 1947 sieht den Formalismusvorwurf als Verkennung der Vorgehensweise von Kant, der Form und Inhalt praktischer Vernunft zu analytischen Zwecken trennt, ohne sagen zu wollen, praktische Vernunft sei inhaltsleer: „[H]e is dealing with the a priori part of ethics in abstraction and considering the form of moral action apart from the matter.“ (S. 74, Hervorhebung im Original). Ebbinghaus, Julius, „Interpretation and Misinterpretation of the Categorical Imperative“, in: Philosophical Quarterly 4 (1954), S. 97-108 versucht vor allem die Vorwürfe der Konformität mit unsittlichen Inhalten zu entkräften, die sich aus einem vermeintlichen Formalismus ergäben. So sei es nach dem kategorischen Imperativ unmöglich, sich den unsittlichen Willen von Autoritäten pflichtgemäß zu eigen zu machen, weil diese mit dem Autonomiebegriff nicht zu vereinbaren wären, welcher unmittelbar aus dem kategorischen Imperativ fließe; so exkludiere er weiterhin alles, was als Maxime nicht die gesetzmäßige Intersubjektivität in Rechnung stellt und ebenso alles, was vernunftkonforme Zwecke verunmögliche. Der kategorische Imperativ sei so auf mögliche Inhalte bezogen, die er restringiert und somit inhaltlich bestimmt: „The categorical imperative abstracts from all ends because, in deriving from it an absolute demand as such, I cannot rest my case on any ends that I presuppose; but this does not mean that a categorical imperative demands a will that has no ends at all and so wills nothing.“ (S. 107, Hervorhebungen im Original). 7 Hegel, Naturrechtsaufsatz, TWA 2, S. 462.
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der reinen Vernunft ableiten, da eine Maxime einen Inhalt habe, reine Vernunft aber um ihrer Allgemeinheit willen keinen Inhalt haben kann. Folglich müssen die Maximen und ihre Inhalte vorausgesetzt werden. Dann aber wandelt der Universalisierungstest der reinen Vernunft diese Maxime lediglich in eine Tautologie um, und dann können weiter auch einander entgegengesetzte Bestimmungen erfolgreich in diese Tautologie umgewandelt werden. Soweit die Kritik, die auf den ersten Blick durch die eigensinnigen Wendungen, welche Hegel den kantischen Gedanken gibt, wie deren Karikatur aussehen. Es ist nun zu prüfen, inwieweit sich Hegels Kritik als gerechtfertigt darstellen lassen kann. Dabei soll sich aber nicht nur an Kants Beispiel orientiert werden. Es geht vielmehr um die Frage, ob der Vorwurf berechtigt ist, dass sich aus dem reinen Willen in Kants Konzeption die Notwendigkeit von Eigentum nicht erweisen könne. Da Kant tatsächlich den Eigentumsbegriff in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre entwickelt hat, ist diese Schrift der rechte Ort, dem Vorwurf nachzugehen. Zwar dient das Beispiel in Kants Kritik der praktischen Vernunft zur Illustration der Prüfung einer Maxime durch den kategorischen Imperativ. Da Hegel im Naturrechtsaufsatz diesen aber gar nicht erwähnt, sondern allgemeiner von der reinen Vernunft spricht, scheint das Vorgehen erlaubt, die Rechtfertigung des Eigentums aus dem „allgemeinen Prinzip des Rechts“ zu prüfen. Zwar ist das Problem in beiden Fällen verschieden: In der Kritik wird untersucht, ob die Nichtrückgabe des Depositums als „Maxime auch als allgemeines praktisches Gesetz gelten könne“.8 In der Rechtslehre wird das Eigentum aus dem „allgemeinen Prinzip des Rechts“ gerechtfertigt. Da aber die Möglichkeit des Depositums mit der Möglichkeit des Eigentums steht und fällt, hat Hegel völlig zu Recht beide Rechtstitel im infrage stehenden Fall für miteinander austauschbar gehalten, und da in beiden Fällen die kantischen Konzeptionen der praktischen Vernunft und der Allgemeinheit ausschlaggebend sind und der Unterscheidungsgrund von Recht und Moral, die Rücksicht auf die handlungsbestimmenden Triebfedern, hier keine Rolle spielt, kann die Verschiebung des Problems von der Kritik der praktischen Vernunft zur Rechtsphilosophie erfolgen, ohne Kants oder Hegels Intentionen zu verfehlen. 8 AA V, S. 27.
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Recht wird mit Kant definiert als „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ Sonach ergibt sich als „allgemeines Prinzip des Rechts“: „Eine jede Handlung ist Recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“9 Mit dem Prinzip des Rechts ist die legitime Abwehr jeglicher Akte gegeben, die gegen den Vollzug rechtsprinzipkonformer Akte und Rechtstitel gerichtet sind, nach dem im § D der Einleitung eingeführten Zwangsbefugnis gegen Hindernisse der Freiheit. Das Eigentum nun wird von Kant unter dem Namen des rechtlich Meinen eingeführt in § 1 des Abschnittes „Das Privatrecht“ und definiert als „dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde“.10 Besitz ist die subjektive Bedingung des möglichen Gebrauchs. Getestet wird nun, ob es möglich sei, einen äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben, wenn unter Willkürgegenstand das verstanden wird, dessen Gebrauch dem Willkürsubjekt physisch möglich ist. Das Argument in Form eines indirekten Beweises, in dem sich für diese Möglichkeit entschieden wird, lautet so: Sollte es nun doch rechtlich schlechterdings nicht in meiner Macht stehen, d. i. mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz nicht zusammen bestehen können (unrecht sein), Gebrauch von demselben zu machen: so würde die Freiheit sich selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes derselben berauben, dadurch daß sie brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs setzte, d. i. diese in praktischer Rücksicht vernichtete und zur res nullius machte; obgleich die Willkür formaliter im Gebrauch der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmte.
Das Argument lässt sich wie folgt zergliedern: 1. Jede Handlung ist recht, nach der die Willkürfreiheit eines jeden nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann.
9 AA VI, S. 230. 10 AA VI, S. 245.
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2. Gebrauch von einem äußeren Willkürgegenstand zu machen, kann nicht mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze bestehen (zu widerlegen). 3. Äußere Gegenstände wären außerhalb der Verfügung der Willkür, wenn ihr Gebrauch nicht mit der Willkür eines jeden nach einem allgemeinen Gesetze möglich wäre. 4. Die Willkür stimmt formaliter im Gebrauch der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen. Die Einteilung dieser Willkürgegenstände nach den Relationskategorien ist hier nicht mehr von Interesse, da es hier allein um die Validität des Arguments geht. Es fällt auf, dass Kant sich auf zwei Behauptungen stützt: Einmal auf die Unmöglichkeit der Betätigung der Willkür bei Eigentumsunmöglichkeit (3.). Dann auf die Willkürzusammenstimmung im Eigentumsgebrauch (4.), welche die Konformität des Gegenstandsgebrauchs mit dem Rechtsprinzip (1.) bestätigt und somit die Behauptung in (2.) ins Unrecht setzt. Zu fragen ist noch nach dem Zusammenhang von (3.) und (4.). Bestätigt die Stilllegung der Willkür bei der Gebrauchsunmöglichkeit die Konformität mit dem Rechtsprinzip in (4.), handelt es sich hier also in Wahrheit um ein Argument? Dies kann verneint werden, da (3.) die Relation zwischen Willkürsubjekt und Willkürgegenstand betrifft, was die Relation zwischen Willkürsubjekten in (4.) gar nicht berührt, womit die Konformität mit dem Rechtsprinzip als bloße Behauptung erscheinen muss. Entscheidend zum Verständnis von Hegels Kritik ist aber, dass sich eine wie immer geartete Implikation eines Willkürgegenstands weder der Definition des Rechts noch dem Rechtsprinzip entnehmen lässt. Es lässt sich keine Notwendigkeit erkennen, von (1.) zu (4.) fortzuschreiten. Der Gegenstand der Willkür ist also als Setzung zu betrachten, besser, als Voraussetzung. Ob der Begriff eines Willkürgegenstands also tatsächlich aus dem Begriff des Rechts oder dem Rechtsprinzip folgt, kann gar nicht entschieden werden, ebenso wenig, welche weiteren Rechtsinstitutionen zu entwickeln sind und wie viele, um zu einer Systematik metaphysischer Rechtsprinzipien zu gelangen. Kant scheint dies selbst zu bestätigen, wenn er das Postulat, „einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objectiv mögliches Mein und Dein anzusehen und zu behandeln“11 ein „Erlaub 11 AA VI, S. 246.
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nisgesetz“ der praktischen Vernunft nennt, „die wir aus bloßem Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten“.12 Es geht Hegel also gar nicht um die Güte eines Arguments für Eigentum, welches unabhängig vom allgemeinen Begriff vom Recht dargestellt wird. Dies ist wichtig, um seinen Einwand zu verstehen, wonach ebenso gut die Negation des Eigentums in die reine Vernunft erhoben werden könnte. Es könnte sich ja die berechtigte Frage erheben, wie in einem solchen Fall noch Willkür gedacht werden könnte, wenn intelligibler Besitz nicht möglich wäre. Aber dem kann entgegnet werden, dass selbst das interne Verhältnis von Vernunft zu Willkür als arbitrium sensitivum liberum unklar ist und aus der Vernunft nicht ersichtlich ist, wie aus ihr notwendig Willkür „herauszubringen“ sei. Es scheint sich bei der Kritik Hegels an Kant also um eine externe, keine immanente Kritik zu handeln, da Kant weder Hegels Systembegriff teilt noch seinen Anspruch einer deduktiven Entwicklung von Rechtsbestimmungen aus einem unmittelbaren Rechtsbegriff. Es ist aber deutlich geworden, dass es vor allem der Begriff der Allgemeinheit ist, den Hegel mit seinem Vorwurf angreift. Dieser ist es, der zu keiner Entwicklung fähig ist, so eine immanente Systementwicklung verhindert und das System selbst als formalistisch zu qualifizieren berechtigt.
II. Die Berechtigung des Formalismusvorwurfs an Friedrich Schlegel aus Sicht Hegels Hegels Kritik an Friedrich Schlegel ist vor allem als Kritik an dessen Ironiekonzept geläufig. Sie findet sich an drei Stellen, in den Vorlesungen zur Ästhetik im Abschnitt über die Ironie, in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, wo Schlegels Philosophie als eine der „Hauptformen, die mit der Fichtschen Philosophie zusammenhängen“ abgehandelt wird, und vor allem in den Grundlinien zur Philosophie des Rechts im Abschnitt „Das Gute und das Gewissen“. Die Ironie, als deren Anführer Hegel Friedrich Schlegel bezeichnet13, sei die „eigentümliche Ausbildung“ von Prinzipien der Fichteschen Philo 12 AA VI, S. 247. 13 Vgl. Hegel, G. W. F., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 415.
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sophie, die ihr damit durch Schlegel „entrissen“14 worden wären. Der Zusammenhang zwischen Fichtes Philosophie „mit der einen Richtung der Ironie“15 finde sich im „Ich“, welches von Fichte als das absolute Prinzip alles Wissens, aller Vernunft und Erkenntnis festgestellt sei. In diesem sei jede Bestimmtheit, Besonderheit und jeder Inhalt negiert, auf der anderen Seite jeder Inhalt, welcher dem Ich etwas gelte, durch das Ich gesetzt, weshalb das Ich „abstrakt und formell“16 bleibe. Wenn nun in der Ironie diese Prämissen akzeptiert würden, dann habe nichts für sich Bestand und Würde, da alles nur durch das Ich hervorgebracht sei, welches es ebenso wieder zurücknehmen könne: Dann aber kann auch das Ich Herr und Meister über alles bleiben, und in keiner Sphäre der Sittlichkeit, Rechtlichkeit, des Menschlichen und Göttlichen, Profanen und Heiligen gibt es etwas, das nicht durch Ich erst zu setzen wäre und deshalb von Ich ebensosehr könnte zunichte gemacht werden.17
Dem nach diesen Prinzipien lebenden Künstler, dessen Werke alleine seinem Belieben unterworfen sind, müsse nun aber unterstellt werden, dass es ihm mit seinen Produkten nicht „wahrhafter Ernst“ sei. Denn dieser sei bedingt durch „substantielles Interesse, eine in sich selbst gehaltvolle Sache“, dieses könne aber nicht statthaben, da nur der „Formalismus des Ich“ und das Subjekt sich als das Absolute gelte, „alles andere ist ihm eitel“.18 Eine noch schärfere Kritik an der Ironiekonzeption Schlegels übt Hegel im § 140 seiner Rechtsphilosophe. Dieser findet sich im zweiten Teil des Buches mit Namen „Die Moralität“. Damit ist der Kontext umrissen und es nimmt nicht Wunder, dass einige Paragraphen zuvor, im § 135, Kant wiederum gewürdigt und kritisiert wird. Gewürdigt, da er „die unbedingte Selbstbestimmung des Willens als die Wurzel der Pflicht“19 ausgewiesen habe. Kritisiert, da die „Festhaltung des bloß moralischen Standpunkts, der nicht in den Begriff der Sittlichkeit übergeht“, und diesen „Gewinn“, nämlich den Gedanken 14 15 16 17 18 19
Vgl. ders., Vorlesungen über die Ästhetik, TWA 13, S. 92. Ebd. Ebd. Ebd. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 20. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (fortan: Rechtsphilosophie), TWA 7, S. 252.
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der „unendlichen Autonomie“, zu einem „leeren Formalismus“ mache, „und die moralische Wissenschaft zu einer Rednerei von der Pflicht um der Pflicht willen“20 heruntersetze (Hervorhebungen im Original). Da Hegel die Rechtsphilosophie Kants gekannt und in den §§ 40, 75 und 161 auch erwähnt hat, kann dies nur bedeuten, dass in Hegels Augen Kant die ganze Sphäre des Rechts von außen auf die „reine praktische Vernunft“ appliziert hat. Aber der gute Wille Kants hat als der Wille des Guten positiv einen Platz in der Sphäre des Rechts, als eine seiner transitorischen Bestimmtheiten. Da in der Sphäre der Moralität, die Hegel in diesem Abschnitt untersucht, das von der Pflicht geforderte Gute abstrakt bleibe, weshalb Hegel seine Kritik an Kants Moralphilosophie hier verortet, sei es allein am Gewissen, diesem Guten einen besonderen Inhalt zu verleihen. Dies könne es aber gar nicht so leisten, dass es objektive Bestimmungen des Guten entwickeln könnte, und zwar seiner Formalität wegen, weshalb es hier nur als die „unendliche formelle Gewißheit seiner selbst“21 gelten könne. Hätte dieses abstrakte Gewissen Zugriff auf den objektiven Gehalt des Guten, wüsste es, was „an und für sich gut ist“, wäre es erst das „wahrhafte Gewissen“.22 Da der Subjektivität gar nichts anderes übrigbleibt, als Inhalte aus sich heraus zu setzen, führe dieser kantische formelle Standpunkt über Fichte zur Konzeption der Ironie, als eine der Formen, welche die „höchste Spitze der Subjektivität“ nach Hegel annehmen kann. Als solche ist sie eine der Hauptgestalten, welche diese „letzte abstruseste Form des Bösen“23 verkörpere. Unter diesen Gestalten wird sie sogar als deren höchste Form qualifiziert.24 Der Ironiker wisse zwar „wohl“ um das „sittlich Objektive“, verweigere aber die von diesem Wissen eigentlich gebotene Versenkung in die Sache und den Verzicht auf die eigene Subjektivität. Somit werde im Gegenteil nicht die Sache als „das Vortreffliche“ behandelt, „sondern Ich bin der Vortreffliche und der Meister über das Gesetz und die Sache“.25 Es ist also nicht nur so, dass der Formalismus in der Ethik fruchtlos ist, da nichts aus der abstrakten praktischen Allgemeinheit der Vernunft herausführt, sie keine Inhalte zu bestimmen vermag und 20 21 22 23 24 25
Ebd. Ebd., S. 255. Ebd., S. 254. Ebd., S. 265. Vgl. ebd., S. 277. Ebd., S. 279.
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demnach keine Antwort auf die Frage geben kann, was sittlich geboten ist und was nicht.26 Darüber hinaus ist der Formalismus in der Ethik auch gefährlich, da in ihr schon über den Begriff der Pflicht verfügt wird und somit die Gefahr besteht, endliche, willkürliche, eben nicht vernünftige Bestimmungen mit der Würde der Pflicht zu ummanteln. Auf diese Weise prätendiert ein solches Denken ohne jede Berechtigung, das Gute zu wissen, und ist somit in Gefahr, in sein Gegenteil umzuschlagen und unsittlich zu werden. Es ist also keine Übertreibung, wenn Hegel im Naturrechtsaufsatz von der „Vernunftwidrigkeit“ und „Unsittlichkeit“27 spricht und in der Rechtsphilosophie ein solches Denken direkt in das Böse einmünden lässt. Jedoch lässt der Gebrauch solcher, allgemeiner Ausdrücke wie „das sittlich Objektive“, „das Vortreffliche“, „das Gesetz und die Sache“ den Verdacht aufkommen, Hegel operiere hier selber mit bloß formalen Begriffen. Es ist also nun daran, Hegels Begriff des Formalismus zu klären und wenigstens kurz zu umreißen, wie Hegels Idee einer nicht formalistischen Philosophie aussieht.
III. Hegels methodischer Ansatz: „lebendige Einheit“ statt „toter Form“ Da sich die argumentative Struktur des gesamten Hegelschen Systems der Wissenschaft der Logik verdankt, woran er durch zahlreiche Querweise immer wieder erinnert, ist dieses Werk der Ort, nach seiner Konzeption von Philosophie zu suchen, die dann in seinem Sinne eine nicht formale wäre. Da eine Methode zu entwerfen und sie dann auf das zu analysierende Material zu applizieren gegen Hegels Grundintention geht, der Sache selbst zu ihrem Recht zu verhelfen, finden sich methodische Bemerkungen leider nur verstreut in Form von „Erinnerungen“ und „vorläufigen Hinweisen“. In der Einleitung stellt er seine Logikkonzeption gegen das, was „gemeinhin unter Logik verstanden wird“. Diese habe „freilich“ keinen Inhalt, 26 Es ist selbst nicht ohne Ironie, dass auch Schlegel Einwände gegen die leere Subjektivität Fichtes geltend macht und die Kantische praktische Philosophie als scholastischen Formalismus ablehnt. Vgl. Korngiebel, Johannes, „Noch so viele einzelne Blitze machen keinen hellen Tag“ – Bemerkungen zur Kantkritik in Friedrich Schlegels Jenaer Vorlesungen zur Transcendentalphilosophie (unveröffentlichtes Manuskript, S. 1 und 3). 27 Hegel, Naturrechtsaufsatz, TWA 2, S. 462.
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wie er als „wahrhafte Sache“ dem „gewöhnlichen Bewusstsein“ gelte. Aber dies sei nicht der Grund, weshalb sie „eine formelle, inhaltsvolle Wahrheit entbehrende Wissenschaft“ sei. Sie sei stattdessen gehaltlos aus methodischen Gründen. Denn sie enthalte nur deshalb „tote Formen“, da diese als „feste Bestimmungen“ auseinanderfallen und „nicht in organischer Einheit zusammengehalten werden“.28 Damit aber entbehre sie eines „gediegenen Inhalts“. – Auch wenn die Terminologie recht blumig anmutet, ist dem doch zu entnehmen, dass erstens die Darstellung ihre Systematizität nicht aus der Kraft eines für das Ganze stehenden Ordnungsprinzips beziehen kann, denn was organisch ist, trägt seinen Teil zum Erhalt des Ganzen bei und macht in seinem Zusammenhang mit allen anderen Organen das Ganze aus. Zweitens müssen die Bestimmungen, um nicht fest zu sein, ineinander transformiert werden können, aber so, dass sie dennoch distinkt bleiben. Sie dürfen also nicht in einem Identischen aufgehen, in welchem bekanntlich alle Kühe schwarz sind. Wie ein solches, organisches System zu denken sei, sagt er an anderer Stelle der Einleitung. Dort heißt es, dass die Erkenntnis des logischen Satzes, dass sich das Widersprechende nicht in Null, sondern in die „bestimmte Sache“ auflöse, also ein Resultat habe, worin wesentlich das zu finden sei, woraus es resultiert, das „Einzige [sei], um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen“.29 Da diese Art von Negation „bestimmte Negation“ sei, habe sie einen Inhalt. „In diesem Wege hat sich das System der Begriffe überhaupt zu bilden und in unaufhaltsamem, reinem, von außen nichts hereinnehmendem Gange sich zu vollenden.“ Somit gehöre der Widerspruch zur Natur der Denkbestimmungen. Dies Resultat sei „nichts anderes als die innere Negativität derselben, als ihre sich selbst bewegende Seele, das Prinzip aller natürlichen und geistigen Lebendigkeit überhaupt.“30 – Hieraus nun lässt sich Folgendes gewinnen: Dass Widersprüche unentbehrlich für Hegels systematische Absicht sind, soll diese Überlegung zeigen: Wenn Bestimmungen eines Absoluten zu entwickeln sind, und sich dessen Identität nicht im Sinne eines Substrats denken lässt, so muss ein anderer Weg gefunden werden, distinkte Bestimmungen zu deduzieren und sie dabei 28 Hegel, G. W. F., Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein, TWA 5, S. 40. 29 Ebd., S. 48. 30 Ebd., S. 51.
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dennoch als Bestimmungen Eines – oder als verschiedene Definitionen des Absoluten – auszuweisen. Nun sind Gegensätze polar in dem Sinn, dass die Verneinung eines Gegensatzrelats die Bejahung seines Widerparts, seine Bejahung wiederum dessen Verneinung bedeutet. Die Entwicklung von Denkbestimmungen über deren Gegensätze hat daher den Vorteil, dass die Einheit des Entwicklungszusammenhangs gewahrt bleibt – denn Gegensätze sind immer Gegensätze von exakt einem –, und, anders als in Identitätssystemen, in diesem Entwicklungszusammenhang unerachtet von dessen Einheit distinkte Bestimmungen unterschieden werden können. Wenn es Hegel nun gelingt, nachzuweisen, dass in jeder Denkbestimmung ein positiver Gehalt und dessen Gegensatz enthalten ist, in ihm also gegensätzliche Momente liegen, dann liegt ein nicht zu vermeidender, sondern notwendiger Widerspruch vor. Wenn es also in der Natur aller Denkbestimmungen liegt, Widersprüche zu enthalten, dann muss sich in der Analyse einer Denkbestimmung ein Gegensatz ergeben, aber dergestalt, dass dieser nicht den Gehalt des ersten Moments der Denkbestimmung dementiert, sondern zusammen mit ihm in Geltung ist. Die nächste Denkbestimmung ergibt sich aus der Aufgabe, den Widerspruch konsistent auszudrücken, aber nicht so, dass der in ihm enthaltene Widerspruch neutralisiert wird, denn das würde bedeuten, einmal als notwendig erkannte Momente preiszugeben und in ihrem Sosein zu revozieren. Sondern es ist die paradox scheinende Aufgabe zu meistern, die neue Denkbestimmung, in der die widersprüchlichen Momente aufgehoben sind, auf eine Weise festzusetzen, dass die Einheit dieser neuen Bestimmung nicht im Widerspruch aufgelöst wird, – denn sonst könnte auf sie nicht als eine distinkte referiert werden, – sondern bewahrt bleibt. Es ist nun noch zu zeigen, wie dies im Einzelnen bei Hegel geschieht. Es wäre dem Referenzbeispiel der Eigentumsbegründung bei Kant angemessen, ihr Hegels Deduktion des Eigentumsbegriffs gegenüberzustellen. Jedoch davon abgesehen, dass dies bedeutete, einen sich über 41 Paragraphen erstreckenden Argumentationsgang zu analysieren, was dem Aufsatzrahmen sprengen müsste, liegt das eigentliche Interesse ja daran, – nachdem skizziert wurde, wie Hegel „Formalismus“ versteht und wie ein nicht formalistisches System (nämlich sein eigenes) auszusehen hätte, – zu prüfen, ob ein solches als mögliches wenigstens plausibel zu machen ist. Wenn nun der Hauptvorwurf an formalistische Systeme der ist, dass aus ihren obersten Grundsätzen überhaupt nichts folge und sie demzufolge
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nicht einmal darauf Anspruch machen dürften, als Systeme zu gelten, sollte es für den Zweck dieses Aufsatzes reichen, zu zeigen, dass und wie etwas aus einem philosophischen Grundbegriff folgen kann. Da Hegel im Naturrechtsaufsatz die Konzeption der praktischen Vernunft als „absolute Abstraktion von aller Materie des Willens“31 angreift, so ist es nur billig, die korrespondierende Konzeption des freien Willens in Hegels Rechtsphilosophie anzusehen und zu prüfen, ob sie seinem Anspruch entspricht, Teil einer „lebendige[n] Einheit“ zu sein. Der Wille, wie Hegel ihn im § 5 seiner Rechtsphilosophie entwickelt, ist nun wie folgt charakterisiert: Er enthalte „das Element der reinen Unbestimmtheit“, jede Beschränkung, jeder Inhalt sei in ihm aufgelöst, er enthalte „die schrankenlose Unendlichkeit der absoluten Abstraktion oder Allgemeinheit, das reine Denken seiner selbst“.32 Im § 6 heißt es dann, das Ich sei „ebenso“ „Übergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands“.33 – Auf den ersten Blick will nicht recht einleuchten, inwiefern sich Hegels Konzeption von Abstraktion als Moment des freien Willens von der Kants unterscheidet. Gleichwohl scheint sich Hegel seiner Sache sehr sicher, wenn er diese Abstraktion als erstes Moment und mit α bezeichnet. Das „ebenso“, womit er die Beschreibung des zweiten Moments β einleitet, kann nämlich nicht additiv gelesen werden. Vielmehr kann es nur die Bedeutung haben, dass dem freien Willen in derselben Hinsicht zukommt, partikular zu sein. Aber wie? Dies zeigt sich am bequemsten am Attribut der Unbestimmtheit. Diese leistet nämlich nicht, was sie vorgibt zu leisten, oder besser: sie leistet es anders, als es zunächst den Anschein hat. Denn bei genauerer Betrachtung liegt die Unbestimmtheit in einer Bestimmung vor, nämlich: unbestimmt zu sein. Wer dies als Spitzfindigkeit abzutun geneigt ist, möge erwägen, dass auf etwas, das mit Unbestimmtheit bezeichnet ist, ja referiert werden können muss. Wird etwas als unbestimmt bezeichnet, wird trivialerweise gerade nicht behauptet, es sei bestimmt. Eben dadurch wird es von den bestimmten Entitäten unterscheidbar. Es hat, mit anderen Worten, einen Begriffsumfang, der durch das begrenzt ist, was Bestimmtheit ist. Ebenso kann 31 Hegel, Naturrechtsaufsatz, TWA 2, S. 461. 32 Hegel, Rechtsphilosophie, TWA 7, S. 49. 33 Ebd., S. 50.
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mit den anderen Zuschreibungen operiert werden, mit denen Hegel arbeitet. Die reine Abstraktion oder Allgemeinheit gibt vor, schrankenlos zu sein, und hat doch die Schranke an alldem, was partikular ist. Dadurch wird sie selbst partikular und eben so als vom Partikularen distinkte Allgemeinheit überhaupt erst fassbar. Es fällt auf, dass Hegel mit dieser Überlegung nicht nur tatsächlich ein Übergang gelingt, sondern dass dieser Übergang genau jener methodischen Überlegung folgt, welche oben analysiert wurde. Dabei wäre es falsch, zu sagen, Unbestimmtheit wäre zu Bestimmtheit, Allgemeinheit zu Partikularität geworden. Sondern in exakt der Hinsicht, in welcher der Wille als Unbestimmtheit oder Allgemeinheit ist, ist er als Bestimmtheit oder Partikularität. Nun lassen sich Unbestimmtheit und Bestimmtheit als Gegensätze fassen, was deutlicher wird, wenn das Präfix „un“ durch einen Negationsausdruck ersetzt wird: Dann nämlich steht auf der einen Seite das, was nicht Bestimmtheit ist, auf der anderen Seite das, was nicht Nichtbestimmtheit ist. Wird nun konzediert, dass dies auch für die anderen Attribute gilt, die Hegel nennt, so wäre entsprechend Allgemeinheit all das, was nach der Abstraktion alles Partikulären übrigbleibt. Dann steht die Allgemeinheit aber diesem Partikulären gegenüber, wäre von ihm ausgeschlossen und eben darum nicht mehr nur allgemein, sondern gleichermaßen partikulär34 – wie dies auch vom Begriff des freien Willen in seiner Abstraktion gilt. Auch hier gilt, dass das Allgemeine in der Hinsicht, die es zum Allgemeinen macht, partikulär ist, also ebenso als Besonderes gedacht werden muss, das mit der Allgemeinheit identisch ist und so die Einzelheit ausmacht. Es könnte hier zwar entgegnet werden, dass tatsächlich nur Gebrauch gemacht wird von bestimmten Allgemeinen und dass es ein reines Allgemeines nicht gebe. Doch dies ist kein Einwand gegen Hegel, sondern genau dessen Punkt. Selbst die höchste Abstraktion 34 In der entsprechenden Stelle der Begriffslogik argumentiert Hegel zwar mit dem Begriff der Negation: „Aber auch schon das Abstrakte enthält dies, daß, um es zu erhalten, erfordert werde, andere Bestimmungen des Konkreten wegzulassen. Diese Bestimmungen sind als Determinationen überhaupt Negationen; ebenso ist ferner das Weglassen derselben ein Negieren. Es kommt also beim Abstrakten gleichfalls die Negation der Negation vor.“ Hegel, G. W. F., Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Begriff, TWA 6, S. 274. Das bedeutet entsprechend der oben ausgeführten Interpretation: Wenn das Abstrahieren bedeutet, Nichtallgemeines zu negieren, dann ist das Allgemeine das Nicht-Nichtallgemeine.
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kann nicht frei von Negativität sein, die sie partikularisiert, denn mit ihr wird etwas bedeutet, was die niederen Abstraktionsstufen nicht sind. Von letzteren kann ebenso nicht gesagt werden, dass ihre Partikularität ihre Allgemeinheit widerruft; der Holsteiner ist, ungeachtet davon, eine spezifische Pferderasse zu sein, immer noch ein Pferd, „die Gattung ist unverändert in ihren Arten“.35 Es ist also, im konkreten Fall der praktischen Philosophie, die Missdeutung dieses spezifischen Charakters des Begriffs des Allgemeinen im Begriff der praktischen Vernunft, welche Hegel Kant zum Vorwurf macht, und welche in Folge zu jenen Entartungen geführt hat, die Hegel u. a. an Schlegels Ironiebegriff ausmacht. Das Allgemeine zum Richter über das Besondere zu machen verkennt, dass das Allgemeine unter seinen eigenen Richterspruch fällt. Dass dies zu den Härten und dem Rigorismus der praktischen Philosophie Kants und Fichtes geführt hat, soll hier nur bemerkt, nicht ausgeführt werden. Laut Hegel ist das Allgemeine bereits im Besitz des Besonderen, dessen vernünftige Ausprägungen als Rechtsbestimmungen und -institutionen aufzuzeigen Aufgabe seiner Rechtsphilosophie ist. Es ist schließlich die Missdeutung der Natur der Denkbestimmungen selbst, welche aus Hegels Sicht zum Formalismus der Kantischen und Fichteschen Systeme und zur Sterilität ihrer Begriffe führt. Dass Hegel beansprucht, die Denkbestimmung ihrer Natur nach und somit als „lebendige Einheit“ auszuführen, und wie er dies getan hat, ist oben gezeigt worden. Jede Hegelkritik, die es verdienen will, ernstgenommen zu werden, müsste hier ansetzen, an seiner Methode.
35 Ebd., S. 279.
IV. Zur späten Konstellation und Rezeption
Francesco Campana (Padua)
Die Einteilung der Poesie. Bemerkungen zu K. W. F. Solgers Gattungspoetik In einem Brief vom 11. Mai 1816 an Ludwig Tieck macht Karl Wilhelm Ferdinand Solger einige kritische Anmerkungen zu seinem Hauptwerk Erwin. Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst, das etwa ein Jahr zuvor erschienen war.1 Mit diesen Überlegungen unterstreicht er die Punkte, die er noch als Mängel wahrnimmt und in seinem zukünftigen philosophischen Werk vertiefen möchte. Aufgrund seines vorzeitigen Todes im Jahr 1819 fanden diese Absichten jedoch keine schriftliche Ausführung mehr. Obwohl wir diese Themen in dem letzten Werk, das Solger zu Lebzeiten publiziert hat, die Buchbesprechung zu A. W. Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur und dann in den postumen Vorlesungen über Ästhetik, antreffen können, teilt Solger seinem Freund Tieck mit, dass er noch zwei Texte schreiben möchte: einen über die Themen der Ironie und der Begeisterung und einen zweiten, welcher den literarischen Gattungen gewidmet ist. Solger schreibt: Ueber die Kunst habe ich allerdings noch einiges auf dem Herzen. So wollte ich noch ein Gespräch machen über das Zusammenfallen von Begeisterung und Ironie, welches mir im Erwin noch nicht klar genug dargestellt zu sein scheint, und eins, welches eine bis in das Kleinste gehende, vollständige Eintheilung der Poesie enthalten soll.2
Während das Thema der Ironie und, in geringerem Maße, das der Begeisterung von der Solger-Forschung weitgehend behandelt wurden, hat das Thema der literarischen Gattungen demgegenüber si-
1 Ich möchte Anselm Richter für die sprachliche Bearbeitung dieses Beitrags danken. 2 Matenko, Percy, Tieck and Solger. The Complete Correspondence, New York/Berlin 1933, S. 233 f.
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FRANCESCO CAMPANA (PADUA)
cherlich weniger Aufmerksamkeit erhalten.3 Zwar wurde die Tragödie, als eine dieser Gattungen, in besonderem Maße erforscht4, aber die Gattungspoetik an sich hat zweifellos weniger Resonanz erfahren.5 3 Für einen Überblick über das Thema der Ironie bei Solger siehe u. a. die monographischen Studien: Dannenhauer, Ulrich, Heilsgewißheit und Resignation. Solgers Theorie der absoluten Ironie, Frankfurt a. M. 1988; Pinna, Giovanna, L’ironia metafisica. Filosofia e teoria estetica in K. W. F. Solger, Genova 1994; Ophälders, Markus, Romantische Ironie. Essay über Solger, Würzburg 2004. Vgl. auch die allgemeineren Arbeiten über die Ironie in der deutschen Romantik: Allemann, Beda, Ironie und Dichtung, Pfullingen 1956, S. 87-92; Prang, Helmut, Die romantische Ironie, Darmstadt 1972, S. 22-26; Strohschneider-Kohrs, Ingrid, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen 1977, S. 185-214; Behler, Ernst, Klassische Ironie, romantische Ironie, tragische Ironie. Zum Ursprung dieser Begriffe, Darmstadt 1981, bes. S. 141-148; Strohschneider-Kohrs, Ingrid, „Zur Poetik der deutschen Romantik II: Die romantische Ironie“, in: Die deutsche Romantik. Poetik Formen und Motive, hg. v. Hans Steffens, Göttingen 1989, S. 75-97. Zum Thema der Begeisterung siehe z. B.: Binkelmann, Christoph, „Enthusiasmus oder Begeisterung? Eine Idee und ihre Geschichte zwischen Fr. Schlegel und K. W. F. Solger“, in: Grundzüge der Philosophie K. W. F. Solger, hg. v. Anne Baillot und Mildred Galland-Szymkowiak, Wien 2014, S. 157-168, bes.: 165 ff. 4 Siehe Walzel, Oskar, „Tragik bei Solger“, in: Helicon. Revue internationale des problèmes généraux de la littérature III, 1-3 (1941), S. 27-49; Szondi, Peter, Versuch über das Tragische, in: ders., Schriften, 1, Frankfurt a. M. 2011, S. 149-260, bes.: 174 ff.; Pinna, Giovanna, „Pathos ed esistenza. La teoria della tragedia tra romanticismo e idealismo“, in: Giornale critico della filosofia italiana LXXI, 3 (1992), S. 405-421; dies., „Kann Ironie tragisch sein? Anmerkungen zur Theorie des Tragischen in Hegels Solger-Rezension“ in: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“. Hegels Berliner Gegenakademie, hg. v. Christoph Jamme, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 280-300; Thouard, Denis, „Remarques sur le tragique chez Solger“, in: L’Esthétique de K. W. F. Solger. Symbole, tragique et ironie, hg. v. Anne Baillot, Tusson 2002, S. 121-135. 5 Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Giovanna Pinna, die sowohl in der „Presentazione“ zur von ihr herausgegeben italienischen Übersetzung der Vorlesungen über Ästhetik („Presentazione“, in: Solger, Karl Wilhelm Ferdinand, Lezioni di Estetica, hg. v. G. Pinna, Palermo 1995, S. 7-26, bes.: 15-23) als auch in der „Einleitung“ zur neuen deutschen Auflage desselben Werkes („Einleitung“, in: Solger, Karl Wilhelm Ferdinand, Vorlesungen über Ästhetik, mit einer Einleitung und Anmerkungen hg. v. G. Pinna, Hamburg 2017, S. VII-LXIV) das Thema der Gattungspoetik und seine philosophische Relevanz stark pointiert. Vgl. auch: Titzmann, Michael, Strukturwandel der philosophischen Ästhetik 18001880, München 1978, S. 45 f.; Willems, Gottfried, Das Konzept der literarischen Gattung. Untersuchungen zur klassischen deutschen Gattungstheorie, insbesondere zur Ästhetik F. Th. Vischer, Tübingen 1981, S. 217-222; Decher, Friedhelm, Die Ästhetik K. W. F. Solger, Heidelberg 1994, S. 340-357; Trappen, Stefan, Gattungspoetik. Studien zur Poetik des 16. bis 19. Jahrhunderts und zur Geschichte der triadischen Gattungslehre, Heidelberg 2001, S. 258 f.
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In diesem Beitrag möchte ich mich mit der Gattungspoetik Solgers als „Einteilung der Poesie“ auseinandersetzen. Die Hauptthese besteht darin, dass man in dieser Einteilung nicht nur einen Zusatz seiner Poetik, sondern auch eine markante Entwicklung seines Denkens im Allgemeinen finden kann. Dort sind nämlich die meisten Motive der Solgerschen Philosophie versammelt und sie erhalten einen kohärenten Rahmen, der sich jenseits des poetologischen und auch ästhetischen Bereichs erstreckt. Zuerst möchte ich kurz die Deutung Peter Szondis über die Gattungspoetik um 1800 diskutieren und problematisieren, um derjenigen Solgers eine theoretischgeschichtliche Kontextualisierung zu geben. Dann möchte ich einige Elemente der Metaphysik und der Ästhetik Solgers behandeln, um schließlich auf die Gattungspoetik im Allgemeinen zurück zu kommen.
I. „Einteilung“ versus „Klassifizierung“ der Poesie Die Jahrzehnte um 1800 sind im deutschsprachigen Raum besonders ausschlaggebend für die theoretische Begründung der heutigen Literaturtheorie, oder besser, für das, was man heute „literarische Ästhetik“ bzw. „Philosophie der Literatur“ nennt.6 Diese Zeit stellt eine besonders wichtige Phase für die Diskussion um die literarischen Gattungen dar.7
6 Vgl. Zima, Peter V., Literarische Ästhetik. Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft, Tübingen 1991, S. 1-31; Fusillo, Massimo, Estetica della letteratura, Bologna 2009, S. 39-45; Urbich, Jan, Literarische Ästhetik, Köln 2011, S. 27-43. 7 Für eine reiche allgemeine Untersuchung über die Geschichte der Gattungspoetiken, insbesondere in der modernen Zeit, aber auch mit Blick auf die vorherige Periode, bleibt die Forschung von Irene Behrens unumgänglich: Behrens, Irene, Die Lehre von der Einteilung der Dichtkunst. Vornehmlich vom 16. bis 19. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der poetischen Gattungen, Halle-Saale 1940. Für die moderne Zeit im deutschen Kontext vgl. auch: Scherpe, Klaus Rüdiger, Gattungspoetik im 18. Jahrhundert. Historische Entwicklung von Gottsched bis Herder, Stuttgart 1968; Pizer, John David, The Historical Perspective in German Genre Theory: Its Development from Gottsched to Hegel, Stuttgart 1985; Meier, Albert, „Lyrisch – episch – dramatisch“, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 3 (Harmonie – Material), hg. v. Karlheinz Barck et al., Stuttgart/Weimar 2001, S. 709-723, S. 716-720; Trappen, Stefan, Gattungspoetik. Studien zur Poetik des 16. bis 19. Jahrhunderts und zur Geschichte der triadischen Gattungen, a. a. O.
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In den Jahren der Romantik und des Idealismus behauptet und festigt sich insbesondere jene Triade, die aus der epischen, der lyrischen und der dramatischen Gattung besteht. Diese Struktur erscheint nicht erstmalig in dieser Zeit, aber sie tritt zum ersten Mal in die Poetiken als ein unmittelbarer Rahmen ein, mit welchem die Rede über die literarischen Gattungen einhergeht. Es ist allerdings nicht einfach, die Prämissen aufzuspüren und die Entwicklungen zu verfolgen, die diese Anordnung erzeugt hat. Trotz dem verschlungenen Weg, der neue Semantisierungen, Sinnverschiebungen und Missverständnisse beinhaltete, hat Irene Behrens das Auftauchen der Triade Epos-Lyrik-Drama rekonstruiert und findet sie in den italienischen, spanischen und englischen Poetiken des 16. Jahrhunderts sowie in den an Aristoteles orientierten Poetiken des 18. Jahrhundert in Frankreich. Diese Poetiken sind aber nicht vorherrschend und für die Behauptung der drei Gattungen muss man erstens auf die deutsche Wiederaufnahme der klassizistischen französischen Strukturen warten, die zuerst als positives Vorbild, dann als polemischer Gegensatz wahrgenommen wurden, und zweitens auf die Poetiken um 1800.8 Ein zweites Element, das die deutschen Gattungssysteme zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert charakterisiert und das wichtiger als die formale Behauptung der triadischen Struktur ist, betrifft den spekulativen Beitrag, der zur poetologischen Rede hinzukommt. Jene Poetiken fügen nämlich dem klassifikatorischen Verfahren der literarischen Materie theoretische und ästhetische Überlegungen hinzu, die sie als regelrechte ‚Philosophien der literarischen Gattungen‘ wahrscheinlich mehr als alle vorherigen auszeichnen. Peter Szondi hat diesen epochalen Übergang stark hervorgehoben und von einem „Sprung“9 von einer „normativen“ zu einer „spekulativen“ Auffassung der Gattungen gesprochen. Mit dieser Formel – vom Normativen zum Spekulativen – meint er einen Perspektivwechsel, der an die Stelle einer kompilatorischen Arbeit in Gruppierungen ein theoretisches Verfahren setzt: wenn ersteres die Beschreibung der Pluralität der konkreten Werke und die Bestimmung von Normen und Prinzi 8 „[E]s [wurde] in Deutschland erst gegen Ende des 18. Jh. [...] allgemein üblich, die Dichtkunst in drei Hauptgruppen, Epos, Drama und Lyrik, einzuteilen“, Behrens, Irene, Die Lehre von der Einteilung der Dichtkunst, a. a. O., S. 202. 9 Szondi, Peter, Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik, in: ders., Poetik und Geschichtsphilosophie II, S. 7-183, hier: 97. Vgl. Meier, Albert, „Lyrisch – episch – dramatisch“, a. a. O., S. 718 ff.
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pien umfasst, findet letzteres die Gründe der Verteilung der Werke in der Untersuchung und Definition des Wesens der Poesie und der drei Gattungen. Durch diese zweite Vorgehensweise kann die spekulative Gattungspoetik etwas Tieferes und Echteres über die Literatur (und nicht nur über die Literatur) sagen, als die bloß formale Anwendung einer Hierarchie oder eines Kanons, welche in einer Katalogisierung entdeckt wurden. Die folgende Passage kann diese begriffliche Abweichung erklären: Die Lehre von den drei poetischen Gattungen [...] kann nur bestehen – und konnte nur entstehen –, sofern sie sich nicht allein auf die Ebene des Positiven, auf das Material der vorhandenen Werke stützt und sich mit ihrer Ordnung begnügt, sondern den Schritt wagt vom Gegebenen zur Idee, von der Historie zur Philosophie, vom Deskriptiv-Induktiven zum Spekulativ-Deduktiven. Nur eine Ästhetik, die sich als Philosophie der Kunst und nicht als der Praxis dienende Kunstlehre versteht, kann die These von der Einteilbarkeit der Dichtung in drei Gattungen aufrechterhalten – eine These, die ihre Begründung schwerlich im Material, in der Vielfalt der Dichtungen, vielmehr erst in deren Idee finden wird.10
Das meint eine Verschiebung von einer eher empirischen Betrachtung, die von der Gegebenheit ausgeht, um zu einer klassifikatorischen Theorie zu gelangen, zu einer, wo die Rolle der Idee, des Denkens, des Spekulativen zentral wird, um in der Reflexion über die Poesie und ihre Einteilung bis zur Bestimmung des Platzes der konkreten Werke zu gelangen.11 Die Poetik Aristoteles’ würde – in der Auffassung Szondis – die erste im eigentlichen Sinne darstellen, in der man einen empirischinduktiven Gesichtspunkt finden kann, der von der Beschreibung des Charakters der einzelnen Werke ausgeht, um die Definition der Gattungen, denen sie darauf zugeordnet sind, zu bewerkstelligen. Die nachfolgenden Poetiken der modernen Zeit, die zu einem großen Teil von dem aristotelischen Vorbild beeinflusst wurden, von 10 Ebd., S. 10. 11 Man kann eine ähnliche theoretische Unterscheidung zum Beispiel in dem Dictionnaire encyclopédique des sciences du langage finden: „En effet, on observe deux approches radicalement différentes au long de l’histoire. La première est inductive: elle constate l’existence des genres à partir de l’observation d’une période donnée. La seconde est déductive : elle postule l’existence des genres à partir d’une théorie du discours littéraire“ (Ducrot, Oswald/Todorov, Tzvetan, Dictionnaire encyclopédique des sciences du langage, Paris 1972, S. 193).
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seiner Wiederentdeckung im 16. Jahrhundert bis zu dem französischen Kontext des 18. Jahrhunderts, würden sich dann – so Szondi – als normative Poetiken gestalten, die auf die Ordnung der vorhandenen literarischen Materie und auf die Kodifikation einer Reihe von Vorschriften ausgerichtet waren, die der künstlerischen Praxis zur Orientierung verhalf. In den Poetiken der Romantik und des Idealismus hingegen hätten wir eine neue Konfiguration der Weise, wonach die Gattungspoetik konzipiert wird. In dieser Phase würde eine Art von Poetik etabliert, für die die Kompilation einer Inventur von Kategorien und Regeln nicht mehr ausreicht. Die Poetiken der Romantik und des Idealismus würden dagegen fähig sein, von dem Begriff der literarischen Gattung und noch mehr von dem der Poesie bzw. Literatur ausgehend, einen philosophischen Gedankengang zu entwickeln. In einer vielleicht zu schematischen, aber trotzdem überzeugenden Weise bringt Szondi diesen zweiten Ansatz, wenigstens in gewisser Hinsicht, mit dem Entwurf der Einteilung, den wir in der platonischen Republik finden können, in Verbindung. Bei Platon, der eine Normierung beschreibt, erfolgt „der Entwurf eines Systems wenn nicht der poetischen Gattungen, so doch der poetischen Vortrags-, man könnte auch sagen: Ausdrucksweisen von einem archimedischen Punkt außerhalb der Poetik aus“12, das heißt ein begrifflicher Rahmen, wo „das Einteilungsprinzip nicht aus den vorhandenen Werken abstrahiert erscheint“13, aber wo es, in diesem spezifischen Fall, aus den adäquatesten Prinzipien deduziert wird, um die beste Regierung der Polis zu garantieren, nämlich letztendlich aus der Idee des Guten. Sodass, auch wenn bei Aristoteles die Rede thematisch vertieft ist, sich die Überlegungen von Platon über die Gattungen an den spekulativen Ansatz der deutschen Poetiken um 1800 mehr als dem ersten anzunähern scheinen. Und in der Tat unterstreicht Szondi, dass die deutschen Poetiken um 1800 nur nach der Überschreitung der vorherigen klassizistischen Poetiken auftauchen konnten, die sich „nicht zufällig“14 an Aristoteles ausrichteten. Szondi stellt eine terminologische Unterscheidung auf, die den Punkt erklärt und die für diesen Beitrag sehr wichtig ist:
12 Szondi, Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik, a. a. O., S. 17. 13 Ebd., S. 20. 14 Ebd., S. 24.
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Wie eingangs dargestellt, wurde das Einteilungsprinzip auf Grund der Darstellungsweisen, wie es zum ersten Mal von Plato skizziert wird, bald mit einem anderen vermengt, das in der Differenzierung und Ordnung der vorhandenen Dichtwerke besteht, also streng genommen gar keine Einteilung, sondern eine Klassifizierung.15
Die normativ-induktiven Gattungspoetiken sind daher „Klassifizierungen“, weil ihr Hauptziel die Gestaltung von ‚Fächern‘, von Klassen ist, in denen die einzelnen Werke versammelt und durch deren Analyse die Prinzipien der Katalogisierung abstrahiert werden können. Die spekulativ-deduktiven Gattungspoetiken hingegen verfolgen einen umgekehrten Weg, der von einem Ganzen, d. h. die Literatur in ihrer Gesamtheit, ausgeht auf das theoretische Prinzip, das seinen Begriff aus der Literatur selbst entnimmt und eine „Einteilung“ jenes Ganzen durchführt, welche als Resultat die Gliederung der drei Gattungen herstellt. In Bezug auf die Entwicklung dieses Übergangs von der normativen zur spekulativen deutschen Poetik zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und den ersten Jahrzehnten des folgenden Jahrhunderts besteht das geschichtlich-philosophische Schema, das Szondi vorschlägt, kurz gefasst darin, dass er eine Entwicklungslinie zieht, deren Begründer und zudem der erste, der eine echte Systematisierung aufbaut, Schelling sei, und deren Schlusspunkt und Ende der Entwicklungslinie Hegel darstellen würde. Schelling würde ein System der literarischen Gattungen aufbauen, das er deduktiv erhält, das aber, aufgrund des Kontextes, in dem es konzipiert wird, nämlich der Philosophie der Identität, an Abstraktheit leidet. Hegel würde mit der Aufnahme des konkreten Elements der Geschichte in den systematischen Apparat das Konzept der Gattungspoetik Schellings um eine Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem, Deduktion und Induktion, ergänzen.16 Beide würden dann eine fundamentale Prämisse in der begrifflichen Ausarbeitung des Themas des jungen Friedrich Schlegel finden, der die spekulativen Grundlagen der Überlegung über die Gattungen gesetzt hätte. Er hat sich mit der Geschichte der Literatur auseinandergesetzt (und ist so in diesem Fall paradoxerweise näher an Hegel als an Schelling), aber ist absichtlich zu keinem echten deduktiven System gelangt, sondern hat 15 Ebd., S. 84. 16 Ebd., S. 125 f.
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vielmehr die Keime der Überschreitung und der Auflösung des Systems in der Gattungsvermischung in seine Theorie eingeträufelt.17 Die Rekonstruktion Szondis hat sicherlich ihre Grenzen.18 Sie leidet sehr wahrscheinlich an einer zu teleologischen Lektüre der Geschichte der Ästhetik, in der Hegel den Endpunkt eines allgemeinen Diskurses darstellt, die Szondi mit seiner Zeit teilt.19 Seine Auffassung der Ästhetik um 1800 leidet dann wahrscheinlich an einem allgemeinen Platonismus. Außerdem ist es vielleicht nicht so einfach, sich eine so starke Trennung zwischen einer induktiven und einer deduktiven Gattungspoetik vorzustellen.20 Trotzdem bleibt die Pointierung Szondis einer verstärkten spekulativen Konnotation der Poetik (und der Gattungspoetik) dieser Zeit und eines Übergangs von einer eher normativen zu einer eher begrifflich begründeten Konzeption als Schwelle zu einer neuen Epoche wertvoll. Es könnte
17 Ebd., S. 115-151. Schließlich ergänzt sich das Szondische Bild einerseits mit der Stellung der Dialoge zwischen Schiller und Goethe als einer Schwelle zwischen den normativen und den spekulativen Poetiken, nämlich mit der letzten Phase der Auflösung der klassizistischen Poetiken der deutschen Aufklärung und zugleich der Vorbereitung ihrer Überschreitung, aber noch hinter der Verwirklichung dieses Schrittes (ebd., S. 41-93). Andererseits findet Szondi in dem Wechsel der poetischen Töne von Hölderlin eine Vertiefung der Spannungen, die die Gattungsvermischung produziert, aber in einem mehr systematischdeduktiven Rahmen als in dem von Schlegel (ebd., S. 152-183). 18 Siehe die Gegenargumente Pizers, insbesondere über die Möglichkeit einer Zurückdatierung des Szondischen „Sprung[s]“ zu den Poetiken der Aufklärung (Pizer, John David, The Historical Perspective in German Genre Theory, a. a. O., S. 7). Es ist wahr, dass Szondi den epochalen Bruch der Frühromantik und des Idealismus stark betont, aber es ist ebenso entscheidend, dass diese Neuheiten, die schon präsent waren, sich in den Jahrzehnten um 1800 mehr als früher bestätigen. 19 Man denke an den Einfluss eines Werkes wie Die Vollendung der klassischen deutschen Ästhetik durch Hegel von Helmut Kuhn (1931), das Szondi explizit erwähnt (Szondi, Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik, a. a. O., S. 126). 20 Genette unterstreicht die Unmöglichkeit einer deduktiven Gattungspoetik ohne Bezug auf die empirisch-induktive Ebene: „Il n’y a pas de niveau générique qui puisse être décrété plus ‹théorique›, ou qui puisse être atteint par une méthode plus ‹déductive› que les autres: toutes les espèces, tous les sousgenres, genres ou super-genres sont des classes empiriques, établies par observation du donné historique, ou à la limite par extrapolation à partir de ce donné, c’est-à-dire par un mouvement déductif superposé à un premier mouvement toujours inductif et analytique“ (Genette, Gérard, Introduction à l’architexte, Paris 1979, S. 70 f.).
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daher sinnvoll sein, sich zu fragen, welche Stellung Solger in diesem Diskurs haben könnte.21
II. Solgers Gattungspoetik als „Einteilung“ der Poesie Die These, die hier vertreten wird, besteht darin, Solgers Auffassung der drei literarischen Gattungen – d. h. der Epik, Lyrik und Dramatik – bzw. ihre weitere Untergliederung als eine philosophische Konzeption zu verstehen, die nicht nur in der Poetik, sondern auch in der Ästhetik und in der Metaphysik eine Rolle spielt. Seine Gattungspoetik stellt daher ein spekulatives Bild der Welt dar, das in dem literarischen Kontext seinen Ursprung und seine Entwicklung findet, aber nicht allein auf die poetologische Ebene reduziert werden kann.22 Im Folgenden möchte ich die Gattungspoetik Solgers rekonstruieren und zeigen, dass sie als philosophische „Einteilung“ (und nicht „Klassifizierung“) der Poesie im Sinne Szondis betrachtet werden kann.23 Das fundamentale Problem der ganzen Solgerschen Philosophie kann in einer Frage zusammengefasst werden, die er in einem Brief an seinen Bruder stellt. In dieser Form beschreibt er „das eigentliche Problem“, das in Erwin thematisiert wird: „Wie ist es möglich, daß in einer zeitlichen und als solche mangelhaften Erscheinung sich ein
21 Szondi zitiert Solger nur en passant am Ende von Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik (S. 183). Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu bemerken, dass Henckmann die erste spekulativ-deduktive Ästhetik als spekulative Wissenschaft Solger zuerkennt (Henckmann, Wolfhart, „Symbol und Allegorie bei K. W. F. Solger“, in: Romantik in Deutschland. Ein interdisziplinäres Symposion, Sonderband der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, hg. v. Richard Brinkmann, Stuttgart 1978, S. 639651, bes.: 639 und 648, Fn. 10). 22 Pinna schreibt in Bezug auf die Vorlesungen: „Auch was die Einteilung der Poesie betrifft, handelt es sich nicht um einen bloßen kritischen Zusatz zu der im Erwin dargelegten Auffassung, sondern um eine regelrechte spekulative Theorie der künstlerischen Gattungen, die auf einem komplexen Verhältnis zwischen Phantasieformen, Erscheinungswelt und Idee gründet“ (Pinna, Einleitung, a. a. O., S. XVI). 23 Wenn Solger sich auf seine Gattungspoetik bezieht, spricht er auf einer terminologischen Ebene von einer „Einteilung der Poesie“ und benutzt nicht das Wort „Klassifikation“, wie man am Anfang des Briefs an Tieck schon gelesen hat.
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vollkommnes Wesen offenbaren könne?“.24 Für Solger besteht die Herausforderung in der Untersuchung der Möglichkeiten der Beziehung zwischen diesen beiden Ebenen: einerseits die Ebene der Allgemeinheit, der absoluten und wesentlichen Einheit, der göttlichen Ewigkeit und andererseits die der Besonderheit, der Individualität, des erscheinenden und endlichen Vielfachen, des Menschlichen in seiner Zeitlichkeit. Solger versucht Wege zu finden, wodurch das menschliche Leben sich seiner ersten Grundlage öffnet und versucht zu zeigen, wie das menschliche Leben in seiner weltlichen und pluralistischen Unvollkommenheit in Kontakt mit seinem einen Ursprung kommen soll, um so zu seiner Wahrheit zu gelangen. Zur gleichen Zeit ist ihm aber klar, dass der Mensch der unvermeidliche Ansatzpunkt ist, von dem aus wir anfangen müssen, um die Anwesenheit jener transzendenten Einheit finden zu können. Die endliche Ebene kann nicht (und muss nicht) überschritten werden, aber sie stellt den Ort dar, wo das Göttliche sich als solches verneint, um sich zu offenbaren. Es gibt daher eine beständige Spannung zwischen einer Einheit, die sich in der Pluralität verneinen muss, um sich zu erscheinen, und einer Pluralität, die da ist, nur weil sie aus jener Einheit kommt und versucht, zu ihr zurückzukehren. Das Solgersche Denken ist deswegen eine Form von dialektischer Einheit zwischen einem Monismus und einem Dualismus25 oder, vielleicht besser, eine Form von dualistischem Monismus, die niemals eine Versöhnung finden kann.26 Diese Dialektik zwischen Allgemeinem und Besonderem kann in der Metaphysik Solgers wiedergefunden werden – man denke an die Dialektik zwischen Sein und Nichtsein in den Philosophische[n] Gespräche[n] über Seyn, Nichtseyn und Erkennen27 – aber sie ist vor 24 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand, Brief an den Bruder vom 11.6.1815, in: Solger, Karl Wilhelm Ferdinand, Nachgelassene Schriften und Briefwechsel, I, hg. v. L. Tieck und F. von Raumer, S. 360. Vgl. Ophälders, Markus, Romantische Ironie, a. a. O., S. 27 ff. 25 Heller, Josef, Solgers Philosophie der ironischen Dialektik. Ein Beitrag zur Geschichte der romantischen und spekulative-idealistischen Philosophie, Berlin 1928, S. 187. 26 Ghisleri, Luca, „Monismo e dualismo nel pensiero di K. W. F. Solger“, in: Annuario Filosofico 22 (2006), S. 265-291, bes.: 271. 27 Zur Metaphysik Solgers siehe: Herzog, Reinhart, Die Bewahrung der Vernunft. Eine Untersuchung der Metaphysik K. W. F. Solgers, München 1967; Potz, Dirk, Solgers Dialektik. Die Gründzuge der dialektischen Philosophie K. W. F. Solgers, Hamburg 1995; Pinto, Valeria, Filosofia e religione in K. W. F. Solger, Napoli 1995;
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allem in seiner Ästhetik zentral.28 Davon kann man in Erwin eine klare Darstellung antreffen. In jenem Werk besteht die Welt aus der Offenbarung der Idee, die sich in vier Ideen unterteilt: die Idee des Wahren, des Guten, der Seligkeit und der Schönheit. Diese Offenbarung verwirklicht die ursprüngliche Idee; die vier Ideen, die auch besonderen geistwissenschaftlichen Domänen entsprechen, verflechten sich ineinander und jede enthält etwas von der anderen, weil alle derselben allgemeinen Idee entstammen.29 Was die Kunst betrifft, findet man in der berühmten Traumvision von Adalbert30, die man im Erwin lesen kann, eine Art von Definition der Idee der Schönheit: Eine solche Idee ist nun auch die Schönheit, die eben darin besteht, daß die besonderen Beschaffenheiten der Dinge nicht bloß das Einzelne und Zeitliche sind, als welches sie uns erscheinen, sondern zugleich in allen ihren Teilen die Offenbarungen des vollkommenen Wesens der Gottheit in seiner Besonderheit und Wirklichkeit. Sie pflanzt also den Dingen, selbst in ihrer Besonderheit, ein ursprüngGalland-Szymkowiak, Mildred, „Philosophie und Religion bei K. W. F. Solger. Ein Beitrag zur nachkantianischen Frage nach dem Prinzip der Philosophie“, in: Der Eine und der Andere. »Gott« in der klassischen deutschen Philosophie und im Denken der Gegenwart , hg. v. C. Asmuth und K. Drilo, Tübingen 2010, S. 191206. 28 Vgl. Walzel, Oskar, „,Allgemeines‘ und ,Besonderes‘ in Solgers Ästhetik“, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte XVII (1939), S. 153-182. 29 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand, Erwin. Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1907 zusammen mit Solgers Rezension von A. W. Schlegels „Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur“. Mit einem Nachwort und Anmerkungen hg. v. W. Henckmann, München 1971, S. 125 ff. Heller fasst zusammen: „Dieses System der Ideen ist mit der Idee identisch, sowie auch jede Idee zugleich die Idee ist, und kann folglich zum ganzen System entwickelt werden. Daraus folgt, da auch die Philosophie (oder besser gesagt – die Dialektik), die Religion, die Sittlichkeit und die Kunst in verschiedener Weise eins und dasselbe ist, letzterdings im Glauben das Göttliche, im Handeln das Gute, in dem künstlerischen Schaffen das Schöne, im Denken das Wahre“ (Heller, Solgers Philosophie der ironischen Dialektik, a. a. O., S. 84 f.). Vgl. auch Henckmann, Wolfhart, „Solgers Auffassung von der Einheit der Offenbarung und der wahren Philosophie“, in: Religionsphilosophie und spekulative Theologie. Der Streit um die göttlichen Dinge (1799-1812), hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg 1994, S. 221-250 und Potz, a. a. O., S. 40 f. 30 Zur Traumvision Adalberts siehe: Ravera, Marco, „Il sogno di Adalbert. Meditazione sull’Erwin di Solger“, in: Annuario Filosofico X (1994), S. 315-324; Ghisleri, Luca, L’unità nella dualità. L’ontologia della rivelazione di K. W. F. Solger, Milano 2007, S. 18-23.
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lich göttliches und ewiges Leben in seiner ganzen Vollendung ein, und teilt jedem von ihnen in allen seinen Teilen die Ewigkeit Gottes mit.31
Die Schönheit kommt aus dieser ersten Einteilung der allgemeinen Idee in die Welt. Sie ist – so Solger – „Einheit des Wesens und der Erscheinung in der Erscheinung“.32 Sie ist die Wirklichkeit des ewigen Wesens und in ihr erscheint das ewige Wesen in der Welt auf bestmögliche Weise.33 Aus diesem Grund wurde das Denken Solgers treffend als Philosophie der „présence“34, der „Parusie“35 beschrieben. In der Kunst trifft die Allgemeinheit die individuelle Besonderheit durch die dialektische Tätigkeit der Ironie, „die wahre Mitte der Kunst“, als welche Solger sie auch bezeichnet.36 Hier findet eine doppelte Vernichtung und ihre tiefste Verwirklichung, die diese Dialektik entwickelt, statt: die Vernichtung des Wesens, das sich in der Erscheinung annulliert und die Vernichtung des Besonderen, das sich wiederum seinerseits in seinem Erscheinen vernichtet, um das Wesen aufzunehmen.37 Dies stellt die Antwort auf das bereits erwähnte „eigentliche Problem“ der Philosophie Solgers dar: Die Lösung ist: Durch ein vollkommnes Handeln, von einer gewissen bestimmten Art, welches die Kunst heißt; dieses ist nur in dem Moment, wo die Idee oder das Wesen die Stelle der Wirklichkeit einnimmt, und eben dadurch das Wirkliche für sich, die bloße Erscheinung als solche vernichtet wird. Dies ist der Standpunct der Ironie.38
Wenn die allgemeine Idee durch die dialektische Ironie in die besondere Erscheinung eines Kunstwerks kommt, verwirklicht sie sich, tritt aber zugleich in augenblicklichen Kontakt mit der End-
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Solger, Erwin, a. a. O., S. 111. Ebd., S. 116. Ebd., S. 389 f. Boucher, Maurice, K. W. F. Solger. Esthétique et philosophie de la présence, Paris 1934, bes. S. 117 f. und 251-276. Ophälders, Romantische Ironie, a. a. O., S. 27-48. Solger, Erwin, a. a. O., S. 386. Pinna spricht von einer Logik des Individualen (Pinna, Giovanna, L’ironia metafisica. Filosofia e teoria estetica in K. W. F. Solger, a. a. O., S. 171). Vgl. auch Frank, Manfred, Einführung in die frühromantische Ästhetik. Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1989, S. 307-340. Solger, Brief an den Bruder vom 11.6.1815, a. a. O., S. 360.
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lichkeit.39 Die Allgemeinheit der Idee – mit einem ganz christologischen Verfahren40 – opfert sich und erleidet Schiffbruch.41 Die Einteilung der Idee ist irreversibel: das ruft hervor, was Solger die „wahre Tragödie vom Schönen“ nennt.42 Die Kunst verwirklicht die allgemeine Idee, aber diese Idee verliert für immer ihre totale Allgemeinheit und erfährt eine ewige Dialektik mit der Besonderheit, die keine Versöhnung kennt.43 Insofern die Kunst die Beziehung zwischen einem Allgemeinen und einem Besonderen beschreibt, nennt Solger die Kunst im Allgemeinen „Symbol überhaupt“, das „eine Existenz, worin die Idee auf irgend eine Weise erkannt wird“44, bezeichnet. Das Symbol ist kein Abbild der Idee, sondern die Idee selbst in ihrer Einigung mit der Welt in der Existenz. Es ist die Lebendigkeit und die Tätigkeit der Idee.45 39 Vgl. Camparsi, Andrea, Lo sguardo sull’assoluto. Solger e l’estetica dell’istante, Milano 2013. 40 Vgl. Ghisleri, Luca, L’unità nella dualità. L’ontologia della rivelazione di K. W. F. Solger, a. a. O., S. 111. 41 Vgl. Bubbio, Paolo Diego, „Solger’s Notion of Sacrifice as Double Negation“, in: Heythrop Journal L, 2 (2009), S. 206-214. 42 Solger, Erwin, a. a. O., S. 188. Vgl. Ophälders, Romantische Ironie, a. a. O., S. 36 ff. 43 In seiner Wertschätzung Solgers im Vergleich zur starken Kritik der Frühromantik würdigt Hegel einerseits sein Verdienst, „auf das dialektische Moment der Idee“ gekommen zu sein; andererseits tadelt er ihn aber dafür, die Negativität nicht als Moment der Idee zu begreifen, sondern mit der „ganze[n] Idee“ zu vertauschen (Hegel, G. W. F., Vorlesungen über die Ästhetik I, TWA 13, S. 98 f.). Für eine Kontextualisierung und eine allgemeine Interpretation der Beziehung zwischen Solger und Hegel siehe unter anderen: Bodei, Remo, „Il primo romanticismo come fenomeno storico e la filosofia di Solger nell’analisi di Hegel“, in: Aut-Aut XVII (1967), S. 68-80; Pöggeler, Otto, Hegels Kritik der Romantik, München 1999, S. 168-189; Bienenstock, Myriam, „Hegel et Solger“, in: L’Esthétique de K.W.F. Solger. Symbole, tragique et ironie, a. a. O., S. 99-120. Für einen Vergleich innerhalb einer ästhetischen Perspektive: Linden, Walter, Solger und Hegel. Bemerkungen aus Anlaß eines Vergleichs ihrer aesthetischen Schriften, Hamburg 1938; Müller, Gustav E., „Solger’s Aesthetics. A Key to Hegel (Irony and Dialectic)“, in: Corona. Studies in Celebration of the Eightieth Birthday of Samuel Singer, hg. v. Arno Schirokauer und Wolfgang Paulsen, Durham 1941, S. 212-227. 44 Solger, Vorlesungen über Ästhetik, a. a. O., S. 102. 45 Für eine Analyse der Auffassung des Symbols bei Solger, auch im Vergleich zu anderen Theorien der Zeit vgl.: Sørensen, Bengt Algot, Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhinderts und der deutschen Romantik, Kopenhagen 1963, S. 277-286; Todorov, Tzvetan, Théories du symbole, Paris 1977, S. 256 ff.; Galland-Szymkowiak, Mildred, „Le symbole chez Solger, ou l’existence de l’Idée“, in: L’Esthétique de K. W. F. Solger. Symbole, tragique et ironie, a. a. O., S. 67-97; Galland-Szymkowiak, Mildred, „Symbol und Zeitlichkeit
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Solger behauptet weiter, dass diese Einigung in zwei Modalitäten gegeben werden kann und bezeichnet die erste als „symbolisch im engeren Sinn“ und die zweite als „allegorisch“. Die erste, das „Symbol im engeren Sinn“, beschreibt die Wirksamkeit der Idee „als eine darin erschöpfte, mithin selbst als Objekt oder Stoff, in welchem sie aber gleichwohl noch als Wirksamkeit wahrgenommen wird“.46 Hier hat die Idee ihre Tätigkeit vollendet. Die Einheit des Allgemeinen mit dem Besonderen in der Existenz ist gelungen – aber, selbstverständlich nur soweit wie es in der Existenz möglich ist. Die Allegorie hingegen beschreibt „das Schöne als Stoff noch in der Tätigkeit begriffen, als ein Moment der Tätigkeit, welches sich noch nach zwei Seiten hin bezieht“.47 Das bedeutet, dass die beiden Seiten noch nicht vereinigt sind; die Allegorie beschreibt eben diese Bewegung und ihre Spannung.48 Die Dialektik dieser Einteilung der Idee erzeugt verschiedene Formen künstlerischen Ausdrucks. Sie produziert die verschiedenen Künste, die ihren gemeinsamen Bezug in der einzigen Idee wiederfinden. Adalbert – der Protagonist des Erwin, welcher als Repräsentant des Autors gelten kann – pointiert diese Dialektik: Durch das Wesen und die Idee sind alle Künste zugleich und eins, und nur ineinander und durcheinander; in ihrem Dasein dagegen sind sie nebeneinander, und bestimmen sich gegenseitig; aber beides fällt in jenem Reiche, wo sie allein Künste sind, vollkommen in eins zusammen.49
Solger unterteilt daher die Kunst in Plastik, Malerei, Architektur, Musik und Poesie bzw. Literatur und misst – wie in den meisten Ästhetiken der Zeit – der Poesie eine besonders privilegierte Stellung bei. Insofern sie als Idee dargestellt wird, drücke sie am besten die Idee der Schönheit aus, weil sie als Ausdrucksmittel die Sprache benutze, die als unmittelbare Offenbarung des Denkens gilt und somit gerade in ihrer Besonderheit ein Niveau des Allgemeinen erreicht, welches die anderen Ausdrucksformen nicht haben. In der „redende[n] Kunst“50 und be-
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bei Schelling, Solger und Hegel“, in: Philosophisches Jahrbuch 2 (2007), S. 324345. Solger, Vorlesung über Ästhetik, a. a. O., S. 104. Ebd. Vgl. Henckmann, Symbol und Allegorie bei K. W. F. Solger, a. a. O. Solger, Erwin, a. a. O., S. 278. Ebd., S. 241.
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sonders in der ihr zu Grunde liegenden Einteilung der literarischen Gattungen können diejenigen Merkmale interpretiert werden, die sonst nur partiell und einseitig von den anderen Künsten angedeutet werden.51 In der Gattungspoetik Solgers kann man alle diese Grundelemente seines Denkens in einer kohärenten Synthese wiederfinden. Die Gattungen repräsentieren verschiedene Arten von Vereinigung zwischen Wesen und Erscheinung in der konkreten Existenz der Poesie. Die Einteilung der Poesie, die noch weitere Untergliederungen erfährt, besteht generell in Epik, Lyrik und Dramatik, wie im Folgenden dargelegt werden soll. Die Epik ist die vollendete Durchdringung von Wesen und Erscheinung, von Endlichem und Unendlichem; sie ist totale Einheit, aber auch eine dunkle und unbestimmte Vermischung, in der die Beziehung zwischen den beiden Polen nicht mehr greifbar ist.52 Die Tätigkeit der Idee der Poesie geht völlig in den Stoff, in die Materie über.53 Deswegen – und besonders in den Vorlesungen – ist die Epik die symbolische Gattung, in der die Allgemeinheit sich nahezu unmittelbar mit der Besonderheit vereinigt.54 Homer oder Hesiod, Dante oder Cervantes beschreiben eine vollendete und daher paradigmatische Welt, in der die einzelnen Ereignisse in einem allgemeinen, totalen und harmonischen Rahmen stattfinden. Sie ist die Welt der Heroen, eine entfernte Welt, die nicht mehr wiederkommen kann und die wir nur mit Sehnsucht betrachten können.55 Die Epik stellt daher die Gattung der Vergangenheit dar.56 Die Verbindung, die die Lyrik beschreibt, kann auf den ersten Blick ähnlich scheinen, sie ist aber in der Tat gänzlich davon ver 51 52 53 54
Ebd., S. 244. Vgl. Solger, Vorlesungen über Ästhetik, a. a. O., S. 204. Solger, Erwin, a. a. O., S. 249. Solger, Vorlesungen über Ästhetik, a. a. O., S. 215. Ebd., S. 216 ff. Weil jede Gattung derselben Idee entspringt, findet man in jeder Gattung sowohl eine symbolische als auch eine allegorische Ebene, die neue Einteilungen bewirken. Daher lassen sich zum Beispiel innerhalb des allgemeinen symbolischen Epos ein eher symbolisches und ein eher allegorisches Epos unterscheiden. 55 Solger, Erwin, a. a. O., S. 249. 56 „Sofern der Stoff ein Gegebenes ist, wird der Gegenstand als vergangen aufgefaßt, und zwar nicht bloß als vergangen in der Zeit, sondern als absolut vergangen und somit schlechthin gegeben“ (Solger, Vorlesungen über Ästhetik, a. a. O., S. 217). Das ist eine Zeitlichkeit in absoluten Zahlen: jede Gattung erhält dann auch eine empirische Zeitlichkeit, die eine weitere Einteilung erzeugt.
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schieden. In der Lyrik haben wir keine unbestimmte Vermischung zwischen den Polen, sondern das, was hier dargestellt wird, ist die Tätigkeit des gegenseitigen Schwebens zwischen den Polen. Die Lyrik beschreibt die Beziehung selbst in ihrer Entwicklung, Bewegung und Spannung.57 Man kann den Prozess der Beziehung sehen. Die Momente, in denen die Allgemeinheit in die Besonderheit übergeht und die Besonderheit sich in der Allgemeinheit verneint, sind sichtbar. Die friedliche Abgeschlossenheit der epischen Welt wird von der Qual und Mühe der Dialektik zwischen den Polen ersetzt, „weil das Sehnen und Streben zwischen dem Wesen und Einzelnen nicht durch so deutliche Ruhepunkte begrenzt ist“.58 Die relationale Natur der Lyrik macht sie zur allegorischen Gattung par excellence.59 Außerdem repräsentiert die Lyrik ein zu erreichendes Ideal, ein Streben, ein Sollen und sehr häufig stellt sie die Überlegungen, die Erwartungen und Wünsche des Dichters in Bezug auf eine mögliche und noch nicht verwirklichte Allgemeinheit dar.60 Deswegen ist die Lyrik die Gattung der Zukunft.61 Die bedeutendste Gattung ist aber die Dramatik. Sie repräsentiert die Dialektik zwischen Allgemeinheit und Besonderheit in ihrer Anwesenheit und Wirklichkeit. Das Drama stellt die reine Tätigkeit der Idee der Poesie in der Welt besser als die anderen Gattungen dar, weil sie ihre Einseitigkeiten überwindet. Zum Beispiel ist sie tendenziell weder spezifisch symbolisch noch allegorisch, sondern verbindet die beiden Ebenen in ihrer Einheit.62 Epos und Lyrik stellen etwas dar, das nicht mehr möglich oder noch nicht verwirklicht ist; 57 Solger, Erwin, a. a. O., S. 251. 58 Ebd., S. 252; vgl. Solger, Vorlesungen über Ästhetik, a. a. O., S. 235: „Nicht die vollendete, sondern die sich erzeugende Idee ist Gegenstand der lyrischen Kunst, in welcher daher immer ein Streben von dem Besonderen zum Allgemeinen, oder umgekehrt stattfindet“. 59 Ebd., S. 234. 60 Ebd., S. 235. 61 Ebd., S. 215. 62 „Die reine Tätigkeit der Idee kommt im Drama zum Vorschein, weder vorzugsweise als Symbol, noch als Allegorie; beide gehen in die Gegenwart über, worin sich die Idee offenbart“ (ebd., S. 242 f.). In den Vorlesungen liegt der Akzent auf dem Drama als Vereinigung der beiden vorherigen Gattungen (ebd., S. 214). Wahrscheinlich sieht man hier den externen Eingriff des Redaktors K. W. L. Heyse, der dann ein Schüler Hegels geworden ist, auf dieses postume Werk, insofern die Möglichkeit einer Aneinanderreihung von Epos und Lyrik im Erwin explizit verweigert wird und das Drama in seiner Eigentümlichkeit geboten wird (Solger, Erwin, a. a. O., S. 253).
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das Drama ist die Gattung des Ereignisses bzw. der Gegenwart.63 Es ergreift weder für die Allgemeinheit noch für die Besonderheit Partei, sondern stellt die genaue Begegnung zwischen den beiden im Raum des Vorgestellten dar. Das erzeugt keine Lösung oder Überschreitung der Aporien der Welt: Vielmehr sind es umgekehrt eben die Tragödie und die Komödie, die diesen Aporien entgegentreten. In seiner konkreten Beschreibung des „wirkliche[n] Leben[s]“64 situiert sich das Drama zwischen der vollen Konsistenz des Seins, der Idee der Kunst und dem Abgrund der Nichtigkeit des Nicht-Seins, der Existenz. Die Beziehung zwischen den beiden ist nach Solger unauflösbar: Die Allgemeinheit und die Besonderheit können zu keiner versöhnten Durchdringung mehr finden; es scheint so, als vereinigten sie sich, aber sie können sich gegenseitig nur verneinen und annullieren. Die tragischen oder komischen Inszenierungen von Sophokles und Aristophanes, von Shakespeare oder Tieck stellen das Ereignis dieser Realität dar, mit Ehrlichkeit und ohne Täuschung: Sie sind der wahre Ort der ironischen Dialektik. Das Drama akzeptiert das Nebeneinanderbestehen von Streben nach Harmonie und Bewusstsein ihrer Unmöglichkeit: Es akzeptiert daher – ohne sich anderweitige Hoffnungen zu machen – die Widersprüchlichkeit der Welt.65 So werden die drei Gattungen zu kategorialen Instrumenten, mit denen nicht nur ein Katalog der literarischen Kunstwerke aufgebaut werden kann; sie sind Perspektiven auf die Welt, sie beschreiben metaphysische Strukturen, menschliche Anlagen, Welten und Epochen. Die Einteilung der Poesie gründet innerhalb einer stark spekulativen Ableitung auf dem Begriff von Poesie, auf der Idee der Poesie und scheint in keiner Weise eine bloß normative Klassifikation zu sein. Eine wichtige Bestätigung für die Interpretation seiner Gattungspoetik als eine spekulative „Einteilung der Poesie“, die sich über den poetologischen Bereich hinaus erstreckt, findet sich in der freilich phantastischen, aber für die Ästhetik und das gesamte Denken Solgers relevanten Erzählung Adalberts, die am Schluss des letzten Dialogs als Synthese des Erwin steht. In der Erzählung seines ekstati 63 Solger, Vorlesungen über Ästhetik, a. a. O., S. 242. 64 Solger, Erwin, a. a. O., S. 254. 65 Solger, Vorlesungen über Ästhetik, a. a. O., S. 216. Vgl., Pinna, L’ironia metafisica, a. a. O., S. 182.
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schen Laufs behauptet Adalbert am Ende: „So können wir wohl kurz sagen, unser gegenwärtiges, wirkliches Dasein, in seiner Wesentlichkeit erkannt und durchlebt, sei die Kunst; und eben darin lebe auch überall jener Mittelpunkt, worin sich Wesen und Wirklichkeit beide als Gegenwart durchdringen, die Ironie, die vollkommenste Frucht des künstlerischen Verstandes“.66 Das ist der Abschluss seines geistigen Wegs, der ihn von den Gegensätzen der gemeinen Erkenntnis bis hin zur vollkommensten Erkenntnis der „heilige[n] Gestalt der Weisheit“67 geführt hat. Eben in diesem Kontext, um die Stufen dieser Entwicklung darzustellen, benutzt er kurz zuvor bezeichnenderweise die literarischen Gattungen. In seiner Beschreibung tauchen viele Merkmale der Gattungspoetik auf und stellen darin verschiedene Weisen der menschlichen Weltbeziehung dar.68 Sie sind menschliche Haltungen und Perspektiven, innerhalb derer die Welt interpretiert werden kann. Adalbert erzählt: Indem ich mich aber so in das Ganze verliere, trifft mir von allen Richtungen her das gegenwärtige, lebenskräftige Wirken desselben in meiner ganzen, menschlichen Eigentümlichkeit zusammen. Nach dem Wesen alles Menschlichen und Persönlichen hinschauend, das sich mit seiner ganzen Kraft in unser Dasein ergießt, erblicke ich die Verklärung dieses Daseins im Glanze der epischen Poesie. Zerreißen mir aber die Widersprüche meines gegenwärtigen Lebens die Einstimmigkeit des Wesentlichen und des Besonderen, so strebt beides mit dem Schwunge der lyrischen Kunst, sich aufschwingend und herabsenkend zum reinsten Zusammenklange ineinander. Endlich vollkommen geschlossen, und zu seliger Vollendung abgerundet wird mir das Leben und jeder Augenblick desselben, indem ich es in seiner unmittelbaren Gegenwart durch die dramatische Kunst ergreife, wie in seinem Nichts das Wesen der Gottheit sich ununterbrochen als mein eigenstes Dasein offenbart.69
Obwohl die Rede über die Gattungen ihre poetologische Spezifität beibehält, gelingt es ihr, etwas jenseits ihres spezifischen Bereichs zu 66 Solger, Erwin, a. a. O., S. 394. 67 Ebd. 68 Mit Staiger – wenngleich vor verschiedenem Hintergrund – könnte man sagen: „Gattungsbegriffe als literaturwissenschaftliche Namen für Möglichkeiten des menschlichen Daseins“ (Staiger, Emil, Grundbegriffe der Poetik, Zürich/Freiburg 1946, S. 237). 69 Solger, Erwin, a. a. O., S. 393 f.
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sagen, etwas, das die generelle Auffassung Solgers betrifft. Wie diese fast poetische und ausgesprochen mystisch anmutende Passage zeigt, ist Solgers Rede über die literarischen Gattungen als spekulative „Einteilung der Poesie“ nicht ein zusätzliches und vermeidbares Anhängsel, ein bloßer Zusatz seiner Poetik, sondern eine Ausführung seiner gesamten Spekulation.
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A Weimar Constellation: Aesthetic Autonomy in Henry Crabb Robinson’s Private Lectures (1804) and Madame de Staël’s Corinne ou l’Italie (1807) In January and February 1804, the English writer Henry Crabb Robinson, then a student at the University of Jena, presented a series of private lectures on German philosophy and aesthetics in nearby Weimar. His principal auditors and discussion partners were Madame de Staël and Benjamin Constant. Until recently, commentators showed little interest in the results of their conversations, assuming that a group of foreign visitors – and a woman – could not have achieved a precise understanding of the works they discussed, which included Kant’s critiques, Schelling’s philosophy of art, Schiller’s theoretical writing, and the Schlegels’ epigrams. The recent publication of Robinson’s lectures together with Staël’s annotations, however, prompts a thorough reassessment.1 The present chapter treats Robinson, Staël and Constant as a productive constellation of writers. It argues that they did not merely attempt to grasp the basic tenets of the latest aesthetic theory, but coherently developed their own ideas. In Staël’s case, this process contributed to shaping the direction of European Romanticism.2 Following a brief introduction to the private lectures, the chapter proceeds in two parts. First, it will outline the conception of aesthetic autonomy that emerged from Robinson’s third lecture. Second, it will show that this conception influenced Staël’s subsequent publications, especially Corinne, ou 1 Robinson, Henry Crabb, Essays on Kant, Schelling, and German Aesthetics, ed. James Vigus, London 2010. Henceforth: Robinson, Essays. 2 Since Dieter Henrich’s pioneering work with this concept, constellation-research has developed rapidly. A constellation may be defined as “a small creative group of persons in face-to-face contact or at least in correspondence with each other. Through their interchange emerge theories, which could not be understood by looking only at the development of the members of the group separately”. Mulsow, Martin, “The Third Force Revisited”, in: The Legacies of Richard Popkin, ed. Jeremy D. Popkin, Dordrecht 2009, p. 118.
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l’Italie. The notion of aesthetic autonomy presented by Robinson and discussed by Constant and Staël helped to make Corinne the richest of all Romantic novels of ideas.
Henry Crabb Robinson’s Private Lectures for Madame de Staël Staël was exiled by Napoleon following the publication of her controversial novel, Delphine, in December 1802.3 Together with Benjamin Constant, she arrived in Weimar in December 1803.4 Her purpose in visiting the poetic capital of Germany was to gather material for an ambitious book, which eventually became De l’Allemagne (1810).5 The political aim of this work gradually crystallized: by presenting Germany not as territorially fragmented, but as an imaginatively unified ‘land of poets and thinkers’, she would stir up opposition to Napoleon’s military force through the alternative of spiritual and intellectual power.6 She would show that another configuration of Europe was possible. Initially, however, Staël found it difficult to gain access to information about the revolution in philosophy and aesthetics currently occurring in Weimar and Jena. Her German was not sufficiently advanced. Further, she favoured the clarity of Enlightenment thought, regarding the apparent obscurity of the ‘new school’ in general, and Schelling above all, with suspicion. As a woman entering this sphere of thought, moreover, Staël was in a difficult position, for she found the great men of Weimar either condescending or reticent. Despite his detailed knowledge of her work, Goethe initially avoided her, while Schiller was embarrassed by his 3 Fairweather, Maria, Madame de Staël, New York 2005, pp. 283 ff. 4 Ibid., pp. 297-312; Gooden, Angelica, Madame de Staël: The Dangerous Exile, Oxford 2008, pp. 125 f. 5 After Napoleon had the first edition pulped, Robinson helped Staël to publish it with John Murray in London in 1813. Vigus, James, “Zwischen Kantianismus und Schellingianismus: Henry Crabb Robinsons Privatvorlesungen für Madame de Staël 1804 in Weimar”, in: Germaine de Staël und ihr erstes deutsches Publikum. Literaturpolitik und Kulturtransfer um 1800, ed. Gerhard R. Kaiser and Olaf Müller, Heidelberg 2008, pp. 355-391, esp. 355 f. 6 John Claiborne Isbell emphasises this political agenda in: The Birth of European Romanticism: Truth and Propaganda in Staël’s “De l’Allemagne”, 1810-1813, Cambridge 1994.
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limited French.7 Yet, she was received enthusiastically by Karl August Böttiger, a kind of cultural ambassador who befriended Constant and offered assistance in Staël’s philosophical education.8 Böttiger’s friend, Henry Crabb Robinson, had been studying philosophy in Jena since October 1802. Robinson had published three “Letters on the Philosophy of Kant”, in which he described how the Critical philosophy had overturned the empiricist worldview he had previously learned from John Locke, Joseph Priestley and William Godwin.9 Together with Fritz Schlosser, Robinson had also compiled detailed notes in German on Schelling’s first lecture series on the Philosophy of Art. Although Robinson regarded the enthusiastic crowds of students who attended Schelling’s lectures with ironic detachment, his notes form the completest record of these lectures.10 Having borrowed the notes from Robinson, Böttiger passed them on to Staël and Constant. Constant found the terse German paragraphs difficult to translate into French.11 Böttiger therefore summoned Robinson himself to Weimar.12 At Staël’s peremptory request, Robinson now prepared a short series of lectures. Staël annotated the 7 Accounts of this well-documented episode in Staël’s life include Oellers, Norbert, “Schöner Verstand und geistreiche Lebhaftigkeit. Schillers Begegnung mit Germaine de Staël”, in: Germaine de Staël und ihr erstes deutsches Publikum, op. cit., pp. 229-239; Götze, Alfred, Ein fremder Gast. Frau von Staël in Deutschland 1803/04, Jena 1928. Goethe’s later, generally positive, account of Staël’s visit to Weimar attests to its productivity. In his Tag- und Jahres-Hefte, Goethe begins his appreciation as follows: “Die großen Vorzüge dieser hochdenkenden und empfindenden Schrifstellerin liegen jedermann vor Augen, und die Resultate ihrer Reise, durch Deutschland zeigen genugsam, wie wohl sie ihre Zeit angewendet.” Goethe, Johann Wolfgang von, Tag- und Jahreshefte, in: Autobiographische Schriften der frühen Zwanzigerjahre, ed. Reiner Wild, München 1986, Münchner Ausgabe, vol. 14, p. 116. 8 Behler, Ernst, “Benjamin Constant und Karl August Böttiger: mit Texten und Briefen”, in: Annales Benjamin Constant 10 (1989), pp. 95-131. 9 Robinson, Essays, pp. 28-54. For a comparative analysis of Robinson’s experience of philosophical ‘conversion’, see Vigus, James, “Romantic Insight”, in: Die Aktualität der Romantik, ed. Michael Forster and Klaus Vieweg, Berlin 2012, pp. 65-84. 10 Robinson, Essays, pp. 16, 64-119. 11 Böttiger, Karl August, “Anne Louise Germaine de Staël Holstein”, in: Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar, ed. Klaus Gerlach, Berlin 1998, pp. 347-396, esp. 349. 12 Marquardt, Hertha, Henry Crabb Robinson und seine deutschen Freunde. Brücke Zwischen England und Deutschland im Zeitalter der Romantik, vol. 1: Bis zum Frühjahr 1811, Göttingen 1964, pp. 157 ff.
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manuscripts, and took them with her on her subsequent travels. Addressing Constant, Staël, Böttiger and a few others in English and then conversing in French, Robinson provided a sceptic’s guide to “the new Philosophy” and its implications for aesthetics.13 At the first lunchtime meeting, on 22 January 1804, Robinson presented “Remarks on Kant’s Critical Philosophy”.14 This paper summarised Kant’s Copernican revolution in philosophy, and argued that Kant’s doctrine of the Antinomies, by destroying all previous metaphysical claims, served a religious purpose by enabling faith to be rebuilt “on the Ruins of Knowledge”.15 This beginning seemed unpromising. Robinson complained that Staël was “incapable of thinking a philosophical thought”16; while Constant drily noted in his diary “l’absence de finesse des Anglais”.17 Two days later, however, Robinson sent Staël a conciliatory letter, containing translations of Goethe’s poems, “Prometheus” and “Ganymed”. Robinson pleaded: “Do but love the German poets, and I will give up the philosophers”.18 Staël immediately expressed delight in these poems, partly set aside her concern about obscurity, and praised Robinson as a gifted expositor. With the ground now prepared, Robinson’s subsequent lectures struck just the right note. Probably on 28 January 1804, he presented his second text, “On the Philosophy of Schelling”.19 Here, Robinson described how the method of Schelling’s philosophy “reverses” that of Kant. Whereas Kant showed the limits of our knowledge and denied that we can cognize ideas of reason, such as the idea of God, Schelling starts out from the bold assertion that we do have direct intellectual intuition of the absolute. Taking a decisive position in the contemporary debate about the tendency of Schelling’s absolute
13 It was in speaking of Schelling that Robinson recommended an attitude of “modest & inquiring Scepticism”: Robinson, Essays, p. 135. 14 Ibid., pp. 120-124. 15 Ibid., p. 123. 16 Robinson to Thomas Robinson, 20.1.1804, quoted in ibid., p. 19, and Crabb Robinson in Germany 1800-1805: Extracts from his Correspondence, ed. Edith J. Morley, London 1929, p. 134. 17 Constant, Benjamin, Journaux Intimes (1804-1807), ed. Paul Delbouille and Kurt Kloocke, Tübingen 2002, p. 47. 18 Robinson to Staël, 24.1.1804, quoted in Carré, Jean-Marie, “Madame de Staël, H. C. Robinson et Goethe”, in: Modern Language Review 11 (1916), pp. 316-320, esp. 317; and Robinson, Essays, p. 20. 19 Robinson, Essays, pp. 124-129.
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idealism, Robinson interpreted the Identitätsphilosophie as a revival of Platonism.20 The third lecture, Robinson’s masterpiece, was entitled “On the German Aesthetick or Philosophy of Taste”.21 The first instalment took place on 11 February. Böttiger noted in his diary that this “interesting” lecture was “exceedingly well received” by Staël; a second and final part thus followed on 19 February.22 Robinson’s presentation is characteristically concise. He begins by summarising key points from Kant’s Critique of Judgement, then proceeds to Schiller’s theory of art as play, through Schelling’s philosophical classification of the arts, and concludes with the Schlegel brothers’ “comic & witty Satire” and other new developments.23 This apparently modest outline of a genealogy of developments in German aesthetics was approvingly received by the French auditors owing to its rich implications for their own literary practice.
“On the German Aesthetick or Philosophy of Taste” and “l’art pour l’art” The concept at the centre of “On the German Aesthetick or Philosophy of Taste” is that of aesthetic autonomy. Robinson notes that this relates in the German discourse to beauty rather than sublimity, since “The Kantian Theory of the Sublime, has not had the obvious striking effect on the critical literature of the Germans, which was produced by his Analysis of Beauty”.24 First, Robinson notes that according to Kant, the judgment that something is beautiful is an aesthetic, not a logical judgment, expressing a feeling rather than conveying knowledge. But that feeling is quite different from the feeling that accompanies a judgment that something is good or agreeable. In these cases, we have an interest in the object, whereas a judgment of taste is disinterested. In Robinson’s words: “This aesthetical pleasure gratifies Man as a compound being – while the good delights 20 Ibid., pp. 127 f. 21 Ibid., pp. 129-138. 22 Böttiger, op. cit., p. 368. Crabb Robinson spoke of “4 Dissertations”. Either one has been lost, or, more likely, he was referring to his delivery of “On the German Aesthetick or Philosophy of Taste” in two parts (Robinson, Essays, p. 19). 23 Robinson, Essays, p. 138. 24 Ibid., p. 131.
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him as Spirit, the agreeable, as Matter.”25 Robinson now notes an extrapolation from this view, which he carefully puts in parentheses to avoid attributing it directly to Kant: “It follows that those works have no pure aesthetick Worth whose effect arises not from the aesthetical form, but from the interesting subject. The erotic poet, who inflames the sensuality of his reader, the Republican who rouses the patriot to arms, the fanatic who inspires the devotee, all use poetry as an instrument which is thus degraded from its high dignity.” This grounds Robinson’s subsequent comments on the notion of aesthetic autonomy. He sketches Kant’s doctrine of the subjective universality of aesthetic judgments, illustrating it with a typically clear example: “I expect that every one, who has Sense & feeling will admire [Goethe’s] Werther with me, but not that he should love Champaigne.”26 Robinson’s foremost concern, reflecting Schiller’s response to Kantian aesthetics, is with the place of aesthetic autonomy in relation to the moral law that is the foundation stone of Kantianism. Robinson thus explains that Kant’s third Critique was designed to bridge the dualism between sensibility and reason posited in the first two critiques. Kant had to meet the well-known challenge to dualistic philosophy: How can two unrelated substances or realms interact? Kant’s answer, as Robinson’s small audience learned, is rooted in his view of moral freedom. Judgments of taste, i.e. judgments of sensuous objects, are related by analogy to moral interest. When we judge an object to be beautiful, our imagination enjoys free play because beauty cannot be encapsulated in a rational concept. By analogy, our freedom to legislate ourselves as moral agents is beyond conceptualisation. In this way beauty, for Kant, “symbolises” morality. Kantian symbolism denotes mere analogy, as opposed to the Platonic participation invoked by Karl Philipp Moritz, Schelling and many Romantic writers.27 But as Robinson recognised, that Ro 25 Ibid., pp. 129 f. 26 Ibid., p. 130. 27 See Helmut Hühn and James Vigus, “Introduction”, in: Symbol and Intuition: Comparative Studies in Kantian and Romantic-Period Aesthetics, ed. H. Hühn and J. Vigus, Oxford 2013, pp. 1-7. Robinson was well acquainted with the ‘maximalist’, Platonic symbol-concept, drafting a translation of Moritz’s seminal essay “Über die bildende Nachahmung des Schönen”. James Vigus, “‘All are but parts of one stupendous whole’? Henry Crabb Robinson’s Dilemma”, in: ibid., pp. 123-138.
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mantic shift precisely reflected a conflict within Kant’s suggestive but ambiguously expressed theory. On the one hand, Kant insists that the aesthetic judgment of the beautiful is disinterested, or autonomous. This tenet implies that a work of (beautiful) art can have no distinct moral purpose. On the other, Kant insists that beauty symbolises, in the sense of providing an analogy for, the morally good. Given Kant’s cautious expression in positing the symbolic relation between beauty and morality, the tendency of his theory was to detach morality from the realm in which art was usually supposed to operate. It nevertheless did this in a way that, as Schiller perceived, might eventually lead to a remarriage.28 Robinson’s account of the consequences of Kant’s theory is thus inflected by the recent work of Schiller, especially On the Aesthetic Education of Man (1795). This work develops both of the Kantian tendencies just outlined: For Schiller, beautiful art is morally instructive precisely because it is autonomous, and thus has no direct involvement in morality. Robinson would have expressed this argument with great conviction, since the notion of aesthetic autonomy that he had learned in Germany represented a decisive advance over his previous reading in England. In an essay on novels, written at the zenith of his Godwinian enthusiasm in December 1798, Robinson had classified the fictions of the political radical Thomas Holcroft, Hugh Trevor and Anna St Ives, as “philosophical novels”. At that time, he had used the word ‘philosophical’ to mean ‘practical’: he explained that, as in Godwin’s fiction, Holcroft’s “Design was to direct in the conduct of Life”.29 Six years later, his former empiricist worldview now turned upside down by his immersion in Kantianism, Robinson argues in the opposite way: in order to produce a moral effect, the author must precisely eschew directing the reader’s life. In order to address “Man as a compound being”, beautiful art must refer only to itself, not to matters of external interest that would arouse this or that partial, engaged response.30 As Robinson explains: 28 The foregoing paragraph draws on Robinson, Essays, p. 21. 29 Quoted in Baker, John Milton, Henry Crabb Robinson of Bury, Jena, The Times, and Russell Square, London 1937, p. 69. 30 As Robinson further explained: “The Letters on the ‘Aesthetical Education of man’ are more metaphysical than the other Essays [of Schiller], & require more attentive study. The leading idea of the whole is that the aesthetic faculty of man is his central faculty, being between speculative reason whose object is
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The beautiful object must have in itself a form that intimates design, i.e. a harmony of parts propriety and fitness, a series of connections & dependencies, which being contemplated excite the Sense of Beauty, but it must not manifest in itself any precise & definite purpose – it must have no object out of itself. Every definite purpose limits & chains the aesthetical feeling which must be free. N.B. This Result, which I have stated very loosely (in Kant it is left very obscure) has also led to many favourite doctrines of the modern Critics. That pure poetry & works of pure art must be judged of in this way is obvious – Art is like Jehovah a jealous God, or rather it may be said, that the Muses in their connection with the Artist, resemble Corporal Trim whose wound was dressed by a Nun – Trim was grateful & in truth in Love with the pious doctress – ‘C’est tout pour l’amour de Jesus Christ’ said the Nun And that displeased the honest Corporal – ‘I would rather it was for the Love of me, said Trim.’ ‘tis so in respect to the application of the Arts – The Artist must always have a subject & an interesting subject too, but he must contrive to render the artistical & aesthetical Interest predominate [sic] over the material – he must make no poem or painting which is obviously produced ‘par l’amour de Jesus Christ.’31
This passage is typical of Robinson’s method in tutoring Staël, which was to present literary illustrations of complex theory. This reflected the tendency of thinkers in the wake of Kant’s Critique of Judgment to apply Kantian reasoning to art and literature rather than remain on the level of ‘pure’ thought.32 What made a particularly strong impression was Robinson’s aphoristic, one-sentence summary of the implication of Kant’s theory of aesthetic autonomy for works of art: knowledge, & practical reason which tends to action. In the Sense of beauty, the active & passive powers of the mind are employed. The Sense furnished the Matter, the Intellect determines the philosophical form. In the Culture of taste therefore S[chiller] looks for the amelioration of the Species, as a remedy against the Evils of partial (or as the Germans say one-sided) culture, for it is evident, that where the Senses alone are cultivated we can expect only passion, in Religion; ffanaticism – Where the Understanding is alone (or principally) the object of our solicitude (as at present perhaps in ffrance and England,) we produce a soulless coldness of temper which in Religion generates Atheism. In the contemplation of beauty alone is Man preserved in the Exercise of all his faculties”. Robinson, Essays, p. 133. 31 Robinson, Essays on Kant, Schelling, and German Aesthetics, pp. 130 f. The episode of Trim and the Nun to which Robinson refers is in Sterne, Laurence, The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman (1759-1767), vol. 8, ch. 20. 32 See Kristin Gjesdal’s contribution to this volume.
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“Every definite purpose limits & chains the aesthetical feeling which must be free.” Robinson deliberately and explicitly states this principle more firmly than Kant does: he immediately qualifies it by admitting that it is a loose summary of a notion that in Kant “is left very obscure”. But Staël, who was less concerned than Robinson with attributing particular views correctly to individual philosophers, remembered the phrase. Several years later, she deployed it in De l’Allemagne: Kant, en séparant le beau de l’utile, prouve clairement qu’il n’est point du tout dans la nature des beaux-arts de donner les leçons. Sans doute tout ce qui est beau doit faire naître des sentiments généreux, et ces sentiments excitant à la vertu; mais dès qu’on a pour objet de mettre en évidence un précepte de morale, la libre impression que produisent les chefs-d’œuvre de l’art est nécessairement détruite; car le but, quel qu’il soit, quand il est connu, borne et gêne l’imagination.33
Works of art must not teach lessons, she asserts; and a definite purpose in a work of art “borne et gêne l’imagination”, limits and cramps the imagination. This clear echo of Robinson’s lecture in Staël’s book reflects the fact that she had scribbled an important comment in the margin regarding the notion of aesthetic autonomy: delphine montre trop son but moral la vie humaine est sans but evident – sublime paresse dit Slegel quand l’homme joue il vaut mieux que quand il agit – figaro la carricature de l’activité[.]34
Considerable thought and allusion are compressed into Staël’s note. The crucial thought appears in the first few words: Staël’s own novel, Delphine, she now reflects, displays its moral too much.35 Since human life lacks an obvious moral teleology (in French: but), this should also be eschewed in a work of art. Staël therefore now feels 33 Madame de Staël, De l’Allemagne, ed. Comtesse Jean de Pange and Simone Balayé, 5 vols., Paris 1958-1960, IV, pp. 222 f. 34 In Robinson, Essays, p. 130. Robinson wrote on only one half of the paper, allowing space for Staël’s to make notes on the other side: see the illustration in ibid., p. 27. 35 The importance of this marginal self-critique is noted by Balayé, Simone “Delphine de Madame de Staël et la presse sous le Consulat”, in: Romantisme 16:51 (1986), pp. 39-48, esp. 45; Balayé knew the manuscripts in Coppet.
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that, being overtly didactic, her novel lacks the play-drive that Schiller considered characteristic of a true work of art. Staël would have noted Robinson’s emphasis on the whole person, “man as a compound being”, in Schiller’s work. For Staël’s aphorism, “Quand l’homme joue il vaux mieux que quand il agit”, is a near-translation of a key sentence in Schiller’s declaration in the Aesthetic Education of Man (1795): “Man only plays when he is in the fullest sense of the word a human being, and he is only fully a human being when he plays”.36 Moving on from here, Staël’s short note proceeds to contrast two approaches to the writing of fiction: the playful and the diligent. Thus, “sublime paresse” refers to Friedrich Schlegel’s novel Lucinde (1799), in which Schlegel praises the “godlike art of laziness”.37 At the other extreme, Staël probably thinks of Beaumarchais’ Le Mariage de Figaro, a work of great comic energy that was considered a revolutionary critique of the French nobility. Staël appears to suggest that her Delphine had approached the model of Beaumarchais’ Figaro-trilogy too nearly. Thus Staël applied the notion of aesthetic autonomy, as mediated by Robinson, to her own work. Crucially, in doing so, she does not envisage an amoral art, but rather aspires to render the moral covert or indirect. It is important to bear this point in mind when considering what happened later that same evening. Probably responding to the same passage that Staël had marked and annotated, Benjamin Constant coined a remarkable phrase in his journal: diner avec Robinson, ecolier de Schelling. Son travail sur l’Esthétique de Kant. Idées trés ingénieuses. l’art pour l’art, et sans but; tout but denature l’art: mais l’art atteint au but qu’il n’a pas.38
Constant may have offended Robinson by presuming him to be a disciple of Schelling.39 Nevertheless, Constant pithily encapsulated the thought produced by the conversation of the constellation, an 36 Ed. and transl. by Elizabeth M. Willoughby and L. A. Willoughby, Oxford 1967, pp. 106 f.: “der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt”. 37 “Gottähnliche[n] Kunst der Faulheit”: KFSA V, p. 25. 38 Constant, Journaux Intimes, op. cit., pp. 68 f.; Robinson, Essays, p. 22. 39 Robinson had protested: “Schelling considered me as a disciple which I am not”. Letter to Thomas Robinson, 23.12.1802, in: Crabb Robinson in Germany, op. cit., p. 119.
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ticipating by three decades years the first known instance of the term “l’art pour l’art” in print.40 Lacking access to the manuscripts of Robinson’s lectures, certain twentieth-century critics assumed that Constant’s coinage was merely a “curiosité”, reflecting the confusion of a group of foreigners who had “garbled” Kantian thought.41 How, so the argument went, could the phrase “l’art pour l’art” have emerged from a faithful discussion of Kant’s third critique? For Kant is patently not a forerunner of ‘decadent’, fin de siècle writers such as Oscar Wilde, who asserted (in defending his novel The Picture of Dorian Gray against criticism), that “[t]he sphere of art and the sphere of ethics are absolutely distinct and separate”.42 This objection, however, derives from a failure to consider all the documents of the Staël-Constant-Robinson constellation. Constant’s use of the phrase “l’art pour l’art” by no means reflects a clumsy distortion or oversimplification of Kantian thought. Like Staël, Constant does not envisage banishing morality from art, but rather rendering its operation indirect: He wishes a work of art to obtain the moral that it does not have. Constant’s coinage of the phrase “l’art pour l’art” provides further evidence of how aptly Robinson conveyed the problematic and contested nature of 40 A full account of the genesis of the term is given by Luckscheiter, Roman, L’art pour l’art: der Beginn der modernen Kunstdebatte in französischen Quellen der Jahre 1818 bis 1847, Bielefeld 2003. 41 “Curiosité” is Louise M. Rosenblatt’s word in her thorough work L’idée de l’art pour l’art dans la littérature anglaise pendant la période victorienne, Paris 1931. The story of “garbling” appears in Sartwell, Crispin, “Art for Art’s Sake”, in: Encyclopaedia of Aesthetics, ed. Michael Kelly, Oxford 1998, pp. 118 f., having originated with Wilcox, John, “The Beginnings of l’Art pour l’Art”, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism (1953), pp. 360-377; cf. Robinson, Essays, p. 23. Frederick Burwick, basing his account on partial copies of Robinson’s manuscripts held at the Sächsische Landesbibliothek, Dresden, offers a just assessment in Mimesis and its Romantic Reflections, University Park 2001. Cf. Heisig, Karl, “L’art pour l’art: Über den Ursprung dieser Kunstauffassung”, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 14 (1962), pp. 201-229, 334-352, esp. 208: “So ist Constant im romanischen Kulturkreis der erste, der klar und unumwunden, unter dem Einfluß von Gedanken Kants, deren Kenntnis ihm von Robinson und August Wilhelm Schlegel vermittelt worden war, die Ansicht ausgesprochen hat, daß die Kunst um ihrer selbst willen da sei und ihren Wert in sich trage”. 42 Wilde, Oscar, letter to the Editor of the St James’s Gazette, 25.6.1890, in: The Soul of Man Under Socialism and Selected Critical Prose, ed. Linda Dowling, London 2001, p. 105. The extent to which the destination of Kantian aesthetics was fin de siècle decadence lies beyond the scope of this chapter.
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the relationship between (artistic) beauty and morality in Kant’s thought. This constellation of European thinkers in Weimar was not content to settle for simply grasping Kant’s key ideas: In 1804 it was natural to take for granted that Kant’s work was not a settled edifice, but had the status of a propaedeutic that might assist in developing literary ideas. Robinson’s great achievement was to show his audience how the notion of aesthetic autonomy stemmed largely from Kant, yet without reading it too strongly back into the Critique of Judgment; the notes made by the French writers show their appreciation of Robinson’s interpretative tact. As we have seen, none of these writers proposes a view of art as purely amoral. They entertain a notion of aesthetic autonomy in order to reintroduce moral instrumentalism at a higher level of complexity.
Corinne ou l’Italie Staël’s assimilation and practical use of this idea was rapid and effective.43 The above-quoted marginal note shows that she even reconsidered her whole method of writing fiction during the discussions with Robinson and Constant. It is possible to measure the extent of the change in her theoretical ideas by comparing her Essai sur le fiction (1795) with De l’Allemagne (1810). In the early Essai, her emphasis on the morally didactic function of art was strong enough even to have been a minor embarrassment in Weimar. Goethe saw enough of value in the work to translate it into German, yet he made a number of strategic changes in order to imply a notion of aesthetic autonomy that would make Staël’s essay fit for consumption in Weimar.44 De la literature (1800) similarly insists that literature must perform a morally useful function. Here Staël asserts that “La cri 43 The most direct result of Robinson’s lectures consisted in her unpublished drafts on Schelling for De l’Allemagne. For full analyses, see Higgonet, Margaret R., “Madame de Staël and Schelling”, in: Comparative Literature 38 (1986), pp. 159-180; and Vigus, “Zwischen Kantianismus und Schellingianismus”, op. cit., pp. 378-385. 44 Macher, Heinrich, „‚einseitig und doch wieder gescheut und ehrlich‘. Goethes Übersetzung des Essai sur les fictions der Mme de Staël“, in: Madame de Staël und ihr erstes deutsches Publikum, op. cit., pp. 211-227: one of Goethe’s most significant changes was to translate “la moralité du roman” with “Wert des Romans” (p. 222).
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tique littéraire est bien souvent un traité de morale”, a view of literary criticism that reflects a morally instrumentalist view of literature itself.45 Delphine (1802) is an expression of precisely that view. In De l’Allemagne (1810), by contrast, Staël celebrates “les beautés sans but”.46 Deliberately mixing the Kantian notion of aesthetic autonomy with the platonising aesthetics that Robinson attributed to Schelling, De l’Allemagne attributes to beautiful art a Platonic power of calling on the soul.47 Aesthetic autonomy is firmly central to Staël’s presentation of Kant: “Ce n’est certainement pas pour méconnoître la valeur morale de ce qui est utile que Kant en a séparé le beau; c’est pour fonder l’admiration en tout genre sur un désintéressement absolu; c’est pour donner aux sentiments qui rendent le vice impossible la préférence sur les leçons qui servent à le corriger.”48 Staël thus suggests that the tendency of Kantian thought is to recommend a kind of innoculation against vice through the aesthetic education of beautiful art. Corinne ou l’Italie deploys the autonomy aesthetic that De l’Allemagne theorises. Staël’s last novel bears the imprint of the discussions with Robinson and Constant in 1804. Indeed, Constant’s abovequoted formula, “l’art pour l’art, et sans but; mais l’art attaint au but qu’il n’a pas”, is almost a prophetic description of the narrative mode of Corinne. This novel forms part of what is effectively a trilogy exploring the conflicts and exchanges between the most culturally prominent countries in Europe: It imaginatively constructs Italy and Britain, just as Delphine depicts France, and De l’Allemagne portrays an idealized version of Germany.49 The heroine, Corinne, is an improvisatrice, a poet who spontaneously composes in live performance; but she has also deeply studied the literature of different languages and is accomplished in various arts. Although she is regarded by other characters as representing what Italy once was and could 45 Staël, De la littérature […] considérée dans ses rapports avec les institutions sociales, ed. Axel Blaeschke, Paris 1998, p. 19. 46 Staël, De l’Allemagne, op. cit., IV, p. 224. 47 This aspect is emphasised in Rosen, Julia von, Kulturtransfer als Diskurstransformation. Die Kantische Ästhetik in der Interpretation Mme de Staëls, Heidelberg 2004. 48 Staël, De l’Allemagne, op. cit., IV, pp. 224 f. As Isbell notes, Staël’s presentation of ‘Kant’ in fact amalgamates popularised views of various of philosophers. 49 For a different account of the purposiveness of Corinne, see Pearson, Roger, Unacknowledged Legislators: The Poet as Lawgiver in Post-Revolutionary France, Oxford 2016, ch. 9, esp. pp. 223-254.
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become again50, she is in fact half-English and half-Italian. The young, handsome, melancholy Oswald, Lord Nelville, travelling to improve his health following the death of his father, is enraptured by Corinne when he sees her perform at the Capitol in Rome. When the pair meet, they fall in love. The tragedy derives from the fact that Oswald is rigidly attached to the duty that he believes he owes his father. When it emerges that Oswald’s father had forbidden him to marry Corinne and expressed the wish that he should instead marry Corinne’s half-sister, Lucile, this discovery proves an insuperable obstacle to the lovers’ union.51 The plot, however, is in itself of less importance than the lengthy stretches of the book in which Corinne gives Oswald an aesthetic education. She shows and describes to him the best of Italian sculpture, painting, literature, architecture, and natural landscape, providing model responses to their beauty. Each of these manifestations of beauty receives its own chapter. This arrangement produces within the story a semi-classificatory effect, thus resembling the topic-by-topic survey in De l’Allemagne. Staël avoids the hierarchical classifications of art that Robinson had (cautiously) outlined to her when they discussed Schelling’s Philosophy of Art. Instead, she emphasises – as Robinson had – the Schiller-like ideal of the holistic experience of beautiful art. In Corinne, Staël literally grants art its own, unique realm. When Corinne shows Oswald a series of famous paintings in Rome, Staël has imaginatively restored the artworks that Napoleon had taken and collected in the Louvre (where she would have seen them).52 This is a characteristic result of the notion of “l’art pour l’art” developed by the Weimar constellation: Art is appreciated to a great extent for its own sake, in a purely imagined space; and yet, without any mention being made of Napoleon, the narrative indirectly invites the reader to uncover a rebellious political moral. The lesson of aesthetic autonomy – which Staël had learned in discussion with Robinson and Constant – is the central one that Corinne endeavours to teach Oswald. The stakes are high. If Oswald 50 She is introduced in these terms by Prince Castel-Forte after her first improvisation. Madame de Staël, Corinne ou l’Italie, ed. Simone Balayé, Paris 1985, p. 57 (Book 1, Ch. 2). 51 Ibid., pp. 466 ff. (Book 16, Ch. 8). 52 Ibid., p. 221 (Book 8, Ch. 3). Isbell, John, “Introduction”, in: Madame de Staël, Corinne, or Italy, transl. by Sylvia Raphael, Oxford 1998, p. ix.
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could intuitively grasp the principle of “l’art pour l’art”, he would not only become a better connoisseur of art but, as a (necessarily indirect) practical result, he would accept and embrace Corinne herself. In Rome, where the two lovers begin their tour, Corinne admires the imperial ruins, especially the Colosseum. Oswald, however, can find no pleasure in viewing this structure because of its connection with the blood of slaves and the tyranny of the masters. As the narrator comments on Oswald’s prejudices: “[il] se sentait prévenu contre les beaux-arts, qui ne s’inquiètent point du but, e prodiguent leurs dons à quelqu’objet qu’on les destine.”53 The next sentence is a crucial statement of Corinne’s purpose: “Corinne essayait de combattre cette disposition”; but the reader, knowing Oswald’s disposition, understands the difficulty.54 Corinne immediately explains that the magnificence of Roman art transcends the morally dubious government under which it arose: sa splendeur poétique fait oublier et son origine et son but.”55 For Corinne, the buildings’ purpose is not their point. Oswald admires Corinne’s words, but without any conviction, for everywhere he looks he seeks a moral feeling: “il cherchait parttout un sentiment moral, et tout la magie des arts ne pouvait jamais lui suffire”.56 When he begins to argue in favour of an art based on moral conviction, Corinne trembles, understanding that if Oswald remains stubbornly attached to instrumentalist aesthetics, the implications for their relationship are dismal. This scene is to some extent replayed when the pair examine the statues and paintings that Staël has imaginatively restored to Rome. Corinne had hoped that the fine arts would conduce better than architecture, music or poetry to change Oswald’s mind. She resorts to a paradoxically didactic statement of the principle of art for art’s sake, anxiously chastising Oswald: Vous, mon cher Oswald, dit Corinne, vous n’aimez pas les arts en euxmêmes, mais seulement à cause de leurs rapports avec le sentiment ou l’esprit. Vous n’êtes ému que par ce qui vous retrace les peines du cœur. La musique et la poésie conviennent à cette disposition; tandis que les arts qui parlent aux yeux, bien que leur signification soit
53 54 55 56
Staël, Corinne ou l’Italie, p. 115 (Book 4, Ch. 4). Ibid. Ibid., p. 116 (Book 4, Ch. 4). Ibid.
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idéale, ne plaisent et n’intéressant que lorsque notre âme est tranquille et notre imagination tout-à-fait libre.57
Corinne thus asserts directly that Oswald is in need of her tuition: He is an inadequate interpreter of art, because he always wants to extract from it the stoical moral about doing one’s duty that would confirm him in his emotionally disastrous conduct. Corinne here reverses the praise that Staël was to bestow on Schiller, in De l’Allemagne: Schiller, she says, loved poetry, drama, history, and literature, for their own sake.58 It is Oswald, rather than Corinne, who expresses allegiance to Kant. Yet Oswald’s Kantianism, in Staël’s terms, over-emphasises the precedence of duty, misguidedly conflating duty with aesthetics.59 Having witnessed a series of Catholic ceremonies during Holy Week, the staunchly Protestant Oswald criticises the irrational dogma of Corinne’s religion. He concedes that the essential mystery of the universe is beyond reason, but insists that this mystery is not contrary to reason, as he considers the Catholic rituals to be. Oswald attempts to seal his argument by quoting Kant: “Un philosophe allemand a dit: Je ne connais que deux belles choses dans l’univers, le ciel étoilé sur nos têtes, et le sentiment du devoit dans nos cœurs. En effet, toutes les merveilles de la création sont réunies dans ces paroles.”60 Just as commentators were once quick to castigate Constant for garbling Kant when he wrote “l’art pour l’art”, so it has been unfairly assumed that in this passage Staël was guilty of imprecision. Isbell, unusually failing to notice the subtlety of Staël’s modification, protests: “[Kant] did not say, ‘I know but two fine things (belles choses)’; that would hardly impress anyone. He said, ‘Two things fill the mind with ever new and increasing admiration and awe’.”61 Yet the misquotation of Kant is not Staël’s, but Oswald’s. As such, it has perfect dramatic propriety. Oswald follows a pseudo-Kantian ethic of duty, for which he suffers pain, and so he expects to see both duty and pain reflected in works of art. It is intolerable to him that the more artistically sensitive 57 Ibid., pp. 225 f. (Book 8, Ch. 3). 58 Staël, De l’Allemagne, op. cit., II, p. 87. 59 See also Pagani, Karen, “Judging Oswald within the Limits of Reason Alone in Madame de Staël’s Corinne”, in: European Romantic Review 23, 2 (April 2012), pp. 141-156. 60 Staël, Corinne ou l’Italie, p. 275 (Book 10, Ch. 5). 61 Ibid., p. 418.
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Corinne does not share this view. As Paul Hamilton puts it, Oswald’s “erotic arithmetic is always in search of a perfect equation.”62 Thus, when it comes to the key sentence in the conclusion of the Critique of Practical Reason, Oswald automatically aestheticises even the parallel between the sublime of the heavens and the imperious demand of duty – he calls these with unintentionally comic effect two “fine things”, confusing the categories of the sublime and the beautiful.63 The tragedy into which the intransigent Oswald plunges Corinne and himself derives from his failure to feel the truth of the principle of aesthetic autonomy. This principle, however, is one that the reader can learn – but indirectly, of course, since the novel has made a range of intellectual and sensuous appeals to the reader “as a Compound being”, rather than enforcing a didactic ‘moral’. Benjamin Constant brought the activity of the Weimar constellation full circle, so to speak, when he published a laudatory review of Corinne, which emphasised the theme of aesthetic autonomy. He argues that an imaginative work ought not to have a clear moral, for the contemplation of beauty should arouse in us a state of disinterestedness. Accordingly, Corinne does not have a moral purpose, but rather a moral result. Probably recalling the discussions from 1804, he recurs to a formulation very similar to that which Staël had scribbled in the margin of Robinson’s lecture script (“delphine montre trop son but 62 Hamilton, Paul, Realpoetik: European Romanticism and Literary Politics, Oxford 2013, p. 65. 63 This is not to argue that Staël intends Oswald’s claims to be ridiculous, or simply false. In De l’Allemagne, Staël herself celebrates the aesthetic sublimity of Kant’s categorical imperative – but with the crucial difference that it guarantees independence and freedom, as opposed to Oswald’s rigid dependency: “C’est le sentiment qui nous donne la certitude de notre liberté, et cette liberté est le fondement de la doctrine du devoir; car, si l’homme est libre, il doit se créer à lui-même des motifs tout-puissants qui combattent l’action des objects extérieurs et dégagent la volonté de l’égoisme. Le devoir est la prevue et la garantie de l’indépendance mystique de l’homme.” (IV, 133) To some extent, Oswald may represent Staël’s own earlier thinking, which by the time of Corinne she has moved beyond. There is a tinge of rigoristic Kantianism in the following passage from De la littérature (op. cit., p. 24): “Si la literature peut server utilement à la morale, elle influe par cela seul puissamment aussi sur la gloire; car il n’y a point de gloire durable dans un pays où il n’existeroit point de morale publique. Si la nation n’adoptoit pas des principes invariables pour base de son opinion, si chaque individu n’étoir pas fortifié dans son jugement par la certitude que ce jugement est d’accord avec l’assentiment universel, les reputations brillantes ne seroient que des accidens se succédant par hazard les uns aux autres.”
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moral la vie humaine est sans but evident”). Constant writes that Corinne is an “ouvrage moral”, but in a crucially indirect sense that justly reflects human life: Un ouvrage d’imagination ne doit pas avoir un but moral, mais un résultat moral. Il doit ressembler, à cet égard, à la vie humaine qui n’a pas un but, mais qui toujours a un résultat dans lequel la morale trouve nécessairement sa place.64
Constant does not suggest, as I have done, that the indirect moral result (as opposed to direct goal) of Corinne is precisely to awaken readers to the principle of aesthetic autonomy that Oswald tragically fails to grasp. But that is the direction in which his echo of the discussion of 1804 points.
Conclusion As Axel Blaeschke has noted, the influence of Robinson’s private lectures on Staël can hardly be overestimated.65 The key result of the discussions held by the constellation Robinson-Staël-Constant in Weimar in 1804 was Staël’s absorption of the notion of aesthetic autonomy and her practical implementation of it in Corinne. Unlike Robinson, Staël was not concerned with establishing the extent to which the notion of “l’art pour l’art” – as Constant summarised it – could be faithfully derived from Kant’s third Critique. Similarly, she was more preoccupied with the spirit than the detail of Schiller’s philosophical work. The extent to which the Weimar doctrine of aesthetic autonomy came to permeate her thinking emerges, however, in an anecdote that Robinson later told in his manuscript autobiog 64 Constant, Benjamin, “Corinne ou l’Italie par Madame de Staël-Holstein”, part 1 (Le Publiciste, 12.5.1807), in: Receueil d’articles, 1795-1817, ed. Ephraïm Harpaz, Geneva 1978, p. 86. 65 Blaeschke, Axel “‘The first female writer of the age’: Zur Staël-Rezeption in England”, in: Madame de Staël und die Internationalität der europäischen Romantik. Fallstudien zur interkulturellen Vernetzung, ed. Udo Schöning and Frank Seeman, Göttingen 2003, pp. 29-50, esp. 41 f. Robinson was, of course, by no means the only influence on Staël’s exceptionally wide-ranging thinking and reading. In particular, Charles de Villers was her first source of information about Kant, while August Wilhelm Schlegel, to whom Robinson introduced her, soon became her intellectual mentor (Robinson, Essays, p. 23).
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raphy, the Reminiscences. According to Robinson, Staël hastened urgently to correct a reader who naively treated her novels as direct self-help guides: Miss Vardill related to me an anecdote of Mad de Stael A young person the daughter of a North Country clergyman having lived a secluded life in the country had accidentally met with Delphine & Corinna in English – These books absolutely turned her brain, so that hearing Mad in de S. was in London She wrote to her, offering her services as an attendant or Amanuensis – She was not repelled by a cold answer, but came up to London […]. Miss: V: accompd her to the great novelist, and speaking French gave her a hint of the state of her young companions mind – Mad de Stael with great promptitude & kindness administered the only remedy the patient was capable of receiving – The girl almost threw herself at the feet of the baroness; imploring her to take her into her service Mad. de S. kindly remonstrated with her on the folly of her desire [‘]You may think, she said, it is an enviable lot, to travel over Europe and see all that is most beautiful & distinguished in the world; but the joys of home are more solid And domestic life afford more permanent happiness than fame can give – You have a father – I have none You have a home I was drawn from my home and so compelled to travel. Be content with your lot – If you knew mine you would not envy it’ – In this way, she produced an instantaneous cure. The young woman returned home – She is now living a very respectable life of industry – Never speaks of her adventure by which she profited in silence – her friends consider her as cured by the only hand from which medicine would have been taken.66
This young reader thus learned the lesson directly from Staël which Oswald failed to learn from Corinne: Novels and the other arts do not provide lessons for life. The notion of aesthetic autonomy, suggestively sketched by Kant and developed by the constellation Robinson-Staël-Constant, became central to European Romanticism. The constellation discussed in this chapter did not seek complete artistic disengagement from politics and morality, but rather built on the ideas of Kant and Schiller to introduce a more refined notion of aesthetic education: Art attains the purpose that it does not have, in Constant’s formulation. In tracing the first steps of this development, as the present chapter has sought to show, it is necessary to set aside rigid disciplinary catego 66 Robinson, “Reminiscences” (MS, Dr Williams’s Library, London) for 1 March 1820.
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ries and research questions. As long as it is assumed that Kant ‘produced’ a theory that Robinson ‘mediated’ and Staël and Constant partially ‘received’, or even ‘garbled’, the philosophical content of Staël’s writing will appear inadequate because insufficiently faithful to the third Critique. It is time to change the terms of the discussion. Once we regard the group assembled in Weimar as a constellation of thinkers working together on the problems that had been raised by Kantian aesthetics, the affective power of Corinne, in particular, clearly emerges.
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Das ,uns gegebene Absolute‘. Ästhetik zwischen Idealismus und Romantik In den Hauptströmungen der neueren englischsprachigen Philosophie spielt die Ästhetik (oder die „Philosophy of Art“) eine ziemlich unbedeutende Rolle. Die einschlägige Diskussion wird meist von Fragen beherrscht, die darauf zielen, die Kunst begrifflich einzuordnen, was häufig auf eine Form von kunstfremder Ontologie hinausläuft. Das Verhältnis zwischen Philosophie und Kunst wird dabei nicht grundsätzlich thematisiert, weil selten gefragt wird, ob oder wie die Kunst einen entscheidenden Einfluss auf die Philosophie haben könnte (geschweige denn, wie die Kunst schon erhebliche Wirkungen auf die Geschichte der modernen Philosophie gehabt hat). Die Probleme, die dadurch entstehen, beziehen sich nicht nur auf die Ästhetik: der Stellenwert von Philosophie selbst kann durch diese Probleme hinterfragt werden. Stark vereinfacht lässt sich sagen: in der sprachanalytischen Philosophie gibt es innerhalb der verschiedenen Spezialisierungen (philosophy of language, mind, science, metaphysics, usw.) unzählige sich widersprechende Theorien. Eine gründliche Metareflexion über die Tatsache, dass im Gegensatz zu den Naturwissenschaften in der Philosophie wenige allgemein brauchbare und für gültig gehaltene Theorien produziert werden, ist aber selten anzutreffen. Die anhaltende Obsession mit dem erkenntnistheoretischen Skeptizismus in der analytischen Philosophie ist ein Indiz, dass etwas hier nicht stimmt. Die neuzeitliche Art des Skeptizismus, die hauptsächlich von Descartes initiiert wird, entsteht zur Zeit der großen Erfolge der mathematischen Naturwissenschaften, die viele bestehende Theorien mit experimentell belegbaren und technisch verwertbaren Beweisen ersetzen. Schon Kant, der nach den Bedingungen der von ihm als wahr akzeptierten Newtonschen Theorien fragt, hat zugegeben, dass der erkenntnistheoretische Skeptizismus eigentlich nur innerhalb der Philosophie von Interesse war und keine großen Folgen für das menschliche Leben hatte. Zweifel an den Behauptungen wichtiger
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naturwissenschaftlicher Theorien kommen größtenteils nicht aus der Philosophie, sondern aus der wissenschaftlichen Praxis selbst. Das anhaltende Fehlen einer allgemein akzeptierten Theorie, ob oder wie Wort oder Begriff und Objekt wahrheitsgetreu miteinander verbunden werden können, hängt eher mit fraglichen Annahmen über die Natur der Sprache in der sprachanalytischen Philosophie zusammen1, als mit ernsthaften Zweifeln an der Wahrheit wissenschaftlicher Theorien. Diese Annahmen zeugen von einer tiefergehenden Krisis in der Art, wie Menschen in der Neuzeit ihren Platz in der Welt verstehen; diese wird erstmals in der Frühromantik ans Licht gehoben. Die Reaktionen der Frühromantiker auf die Krisis hängen eng mit den Gründen für das Aufkommen der neuzeitlichen Ästhetik zusammen. Wie Charles Taylor bemerkt, beschäftigen sich viele Arten analytischer Sprachtheorien mit einer Welt, die primär aus „independent objects“ besteht, was heißt, dass „the domain where we find terms for ‚objects‘ which are not independent of their designation: for instance our feelings and emotions, which are sometimes transformed when we find a more penetrating or insightful language to describe them“2 vernächlässigt wird. Für die analytische Philosophie insbesondere, heißt „Philosophie der Kunst“ also Philosophie, die Kunst zu ihrem Objekt macht, nicht Philosophie, die sich aus der Kunst entwickelt. Das führt im Allgemeinen zu anscheinend unlösbaren Konflikten über definitorische und begriffliche Fragen (etwa „ist Schönheit eine Eigenschaft des Kunstobjekts, oder hängt sie vom Subjekt ab?“), die ins vom Skeptizismus geprägte Bild solcher Philosophie passen. Es ist nicht so, dass man aus dieser Philosophie nichts lernen kann: gerade durch den gescheiterten Versuch, theoretische Endergebnisse zu erreichen, werden Ansätze zu einer vertieften Perspektive aufgedeckt. Darauf kommen wir zurück. Gleichzeitig aber wird solcher Philosophie der Kunst von praktizierenden Künstlern oft wenig Aufmerksamkeit geschenkt, da ihre Perspektiven für die Kunstpraxis wenig anbieten. Schon die Trennung von „knowing how“ und „knowing that“ weist auf das Problem: vieles, was für die 1 Siehe Bowie, Andrew, Music, Philosophy, and Modernity, Cambridge 2007 und Taylor, Charles, The Language Animal: The Full Shape of the Human Linguistic Capacity, New Haven 2016. 2 Taylor a. a. O., S. 34.
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Kunst wesentlich ist, lässt sich nicht in propositionaler Form ausdrücken. Auf eine gar nicht mystische Art ist der Sinn von Kunstwerken, wie die Frühromantik behauptet, in bestimmter Hinsicht unsagbar. Die Tatsache, dass viele Dirigenten ihre Interpretationswünsche nicht durch Worte, sondern durch Gesten ausdrücken, kann als Beispiel der hier gemeinten Unsagbarkeit dienen. Die Vorstellung, man könne Beethovens Missa Solemnis in Worten erklären und erschöpfend verstehen, müsste beinhalten, dass man den wahren Inhalt des Werks durch seine Erklärung ersetzen könnte. Das soll keineswegs heißen, dass man nichts Wahres über Kunstwerke sagen kann, sondern, dass das Sinnpotential der Kunst sich in dem, was man sprachlich ausdrücken kann, nicht erschöpft. In dem Fall, dass dieses Potential tatsächlich dadurch erschöpft wäre, hätte man es nicht mehr mit Kunst zu tun. Das weist auf die zentrale Frage, die ich untersuchen will. Wenn man davon ausgeht, dass philosophische Fragen eigentlich Fragen der Sprache sind, und dass Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist, entsteht die Frage, warum in der Moderne seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, trotz der massiven Zunahme an beweisbaren wissenschaftlichen Theorien, so oft Verbindungen zwischen Wahrheit und Kunst gemacht werden. Bekanntlich sind die herrschenden Annahmen über die Sprache in der analytischen Philosophie durch die Entwicklung der Naturwissenschaften geprägt, was dazu führt, wie Taylor zeigt, dass bestimmte Arten der Verbindung zur Welt vernachlässigt werden. Wenn man Wahrheitsfragen auf die Semantik beschränkt, besteht die Gefahr, dass man wichtige philosophische Fragen einfach wegzaubert. Dies hat Kant verstanden, indem er in der dritten Kritik Verhältnisse zur Welt, die nicht kognitiv sind, neu bewertet hat. Das Problem von der anderen Seite ist Heidegger klar geworden, als er in Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens die Gleichsetzung von Unverborgenheit und Wahrheit aufgab, weil der semantische Sinn von Wahrheit als Korrespondenz sich aus der Unverborgenheit erst entwickelt. Aber soll das heißen, dass jegliche Art von Wahrheitsanspruch der Kunst aufgegeben werden soll, weil Wahrheit nur im Verhältnis zum Prinzip der Zweiwertigkeit möglich ist? Wenn es nur darauf hinausläuft, dass dieser Anspruch darin besteht, dass der Inhalt von Kunstwerken in wahren Sätzen ausgedrückt werden kann, wäre die philosophische Bedeutung der Kunst ziemlich gering. Wenn aber die Kunst zu wichtigen Erweiterungen der Art füh-
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ren kann, wie man die Welt versteht, dann sieht die Sache anders aus. „Wahr“ kann schließlich in der Umgangssprache nicht nur in Bezug auf Sätze benutzt werden, wenn man z. B. wie Nietzsche, Wahrheit als einen Wert betrachtet, oder wie im Englischen, wenn ein Liebhaber will, dass die Geliebte „true“ ist. Schon die unterschiedliche Semantik von Wörtern für Wahrheit in verschiedenen Sprachen deutet darauf hin, dass ,wahr‘ von Wertvorstellungen untrennbar ist. Die Tatsache, dass in der Aufführung von Kunstwerken das Vermeiden des Falschen wesentlich sein kann, zeugt auch von der großen Ähnlichkeit zwischen Wahrheit in sprachlicher und künstlerischer Kommunikation. Kant hat ästhetischen Urteilen eine Art ästhetische Wahrheit zugesprochen: solche Urteile können zwar nur „subjektiv“ sein, machen aber trotzdem einen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit, was in bestimmten Theorien ein mögliches Kriterium von Wahrheit ist. Solche Gültigkeit kann zwar nicht konkret erreicht werden, aber die Idee einer solchen Gültigkeit enthüllt etwas Wesentliches über bestimmte Beziehungen zur Welt, die motivierende Kraft haben. So gesehen ist der Abstand zwischen ästhetischer und kognitiver Motivation nicht groß. Kognitive Wahrheitsansprüche sind auf etwas Absolutes gerichtet, aber wie Max Weber in Wissenschaft als Beruf zeigt, ist das Absolute in konkreten Situationen der Geschichte der Wissenschaft eher eine regulative Idee: neue Theorien ersetzen das für wahr Gehaltene in oft ziemlich kurzen Intervallen. Diese Tatsache kann Hegels Umkehrung des Skeptizismusproblems erklären, die zu einer neuen Vorstellung von Wahrheit in der Philosophie führt. Für Hegel gelten spezifische Theorien über Naturphänomene als Verstandeswahrheiten, die immer nur einen Teilaspekt des Ganzen darstellen, und daher als „negativ“ gelten. Die philosophische Wahrheit liegt also darin, die Logik des Theorienwechsels für das Ganze rational zu begreifen, das „absolute Wissen“ zu artikulieren. Die Frage ist also jetzt, wie Negativität, anstatt zum Skeptizismus zu führen, ein wesentlicher Faktor in dem Zustandekommen neuer Wahrheiten ist. Für Hegel ist Negativität mit Sinnlichkeit verbunden, was den Platz der Ästhetik in seinem philosophischen System erklären kann. Da die Kunst sinnlich verkörpert werden muss, kann die Idee nicht in reiner Form in ihr gegenwärtig sein. Die Besonderheit des Materials der Kunst verhindert die Art von Universalisierung, die für philosophische Wahrheit unerlässlich ist. Gleichwohl besteht Hegel dar-
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auf, dass Kunst mit Wahrheit zu tun hat. Aber diese Wahrheit ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit: Die Kunst in ihrem Ernst ist uns Gewesenes. Für uns sind andere Formen notwendig, uns das Göttliche zum Gegenstand zu machen. Wir bedürfen des Gedankens. Aber die Kunst ist eine wesentliche Weise der Darstellung des Göttlichen, und diese Form müssen wir verstehen. Sie hat nicht das Angenehme, nicht die subjecktive Geschicklichkeit zum Gegenstand. Die Philosophie hat das Wahrhafte in der Kunst zu betrachten.3
Was vergangen ist, ist die Kunst als Hauptquelle der prägenden Wahrheiten (wie sie für die griechische Tragödie im Athen des fünften Jahrhunderts v. Chr. galt) in modernen Gesellschaften. Diese Rolle wird in der Moderne von den Naturwissenschaften und vom Staatsrecht übernommen. Die Philosophie stellt die Wahrheit dieser Formen dar, wie sie die Form der Kunstwahrheit darstellt, indem sie die Entwicklung dieser Formen durch einen Prozess der Aufhebung von Widersprüchen nachzeichnet. Die sinnliche Besonderheit des Kunstwerks steht im Widerspruch zu der Allgemeinheit des philosophischen Denkens und muss also aufgehoben werden. Von der steifen Äußerlichkeit der Skulptur der Ägypter, die nicht imstande ist, das menschliche Innere darzustellen, bis zum modernen Roman, der alles ins Verhältnis zum modernen Subjekt setzen kann, ist die Entwicklung der Kunst eine steigende Vergeistigung, die aber an die von der Sinnlichkeit gesetzte Grenze stößt, die von der Philosophie überschritten wird. Die Beliebigkeit dessen, was im Roman vorkommen kann, stellt ein Auseinanderfallen von Innerem und Äußerem in der Neuzeit dar, das Hegel als von den höheren Formen der Idee aufgehoben betrachtet. Das ist Teil seiner Umkehrung des Skeptizismus, bei der das anscheinend Negative Grundlage des Positiven ist. Hegel will zwar nicht sagen, dass die Kunst einfach verschwinden wird, weil ihr wahrer Inhalt von der Philosophie zutage gebracht worden ist, aber seine Vorstellung, die Philosophie könne tatsächlich den Bruch zwischen Innerem und Äußerem aufheben, muss im Lichte der modernen Geschichte fraglich erscheinen.
3 Hegel, G. W. F., Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, Hamburg 2003, S. 311 f.
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Slavoj Žižek behauptet andererseits, dass What one should further bear in mind is that the Hegelian reconciliation is ultimately the reconciliation with failure itself, not a peaceful state in which antagonisms are overcome. The illusion is not that of the enforced ‚false‘ reconciliation that ignores the persisting divisions; the true illusion resides in not seeing that, in what appears to us as the chaos of becoming, the infinite goal is already realized.4
Žižek kommentiert hier Robert Pippins Überlegungen in Kunst als Philosophie zu Hegels Behauptungen über das „Ende der Kunst“, deren Mängel Pippin mit anderen Aspekten von Hegels Philosophie überwinden will. Pippin fasst die Position, die Hegel zur Idee des Endes der Kunst führt, so zusammen: Die moderne Gestalt des Geistes war eine Welt der verwirklichten Freiheit oder versöhnter gesellschaftlicher Beziehungen von Personen, die frei sind, weil sie in einer Beziehung zueinander stehen, in der die wechselseitige Anerkennung zumindest institutionell gesichert ist. Wir haben eine Form des Selbstverständnisses und des Verständnisses anderer erreicht, wo nichts Substantielles mehr ‚herausgearbeitet‘ werden muss, wo in der Art, wie wir Ansprüche aneinander und an die Welt erheben, kein Rest einer fundamentalen Irrationalität mehr vorhanden ist.5
Pippin zweifelt nicht, dass in der Moderne diese Situation nicht zustande gekommen sei. Wenn man Žižeks Hegel folgt, ist aber die Einsicht in die Notwendigkeit der „Prosa“ der modernen Welt eine Art Entzauberung, die ein Verbleiben im Imaginären oder illusionäre Projektionen verhindert. Das Absolute besteht in der Einsicht, dass im Durchlaufen von schmerzlichen Widersprüchen das Denken an den Punkt gelangt, wo Rationalität in den immer wechselnden Erscheinungen der Neuzeit gefunden werden kann, obwohl die Trennungen weitergehen. Das Positive wird durch Akzeptieren der Notwendigkeit des Negativen erreicht, was in der Philosophie durch eine Logik der Aufhebung von Negationen dargestellt werden kann, die als Grundlage für die Entwicklung von subjektivem, objektivem und absolutem Geist funktioniert. Die Versöhnung besteht in der Fä 4 Žižek, Slavoj: „Comedy between the Ugly and the Sublime“: http://theoryleaks. org/text/articles/slavoj-zizek/comedy-between-the-ugly-and-the-sublime/. 5 Pippin, Robert, Kunst als Philosophie, Frankfurt a. M. 2012, S. 61.
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higkeit zu erkennen, dass größere Einsicht durch die immer weitergehende Überwindung von Widerständen erreicht werden kann. Rationale philosophische Einsicht in die Notwendigkeit von Trennungen scheint aber für Žižek das letzte Wort zu sein. Seine Analyse der neuen Bedeutungen von Kunst in Hegels Periode, die er mit l’art pour l’art assoziiert, sieht so aus: It is as if art loses its privileged status of the expression of Absolute at the very moment when it asserts its full autonomy. When it finally arrives at what it was striving for – the full emancipation from the sacred, from social utility, and so on – the prize becomes worthless; the emancipation of art turns into the emancipation from art. This is one of the ways to understand why Hegel himself characterized art after the end of art as its self-destruction – and is this not what modern art effectively is, caught as it is in a permanent process of self-questioning that goes up to self-annihilation?6
Pippin aber will die Tatsache untersuchen, dass im 19. Jahrhundert Irrationalität so offenkundig durch philosophisches Verständnis der rationalen Notwendigkeit einer prosaischen Welt besonders für die entwickelte neue Kunst von Manet oder Baudelaire nicht aufgehoben wird. Für Pippin sind Anzeichen zum Verständnis dieser Situation in der Kunst zu finden, die die real bestehende Entfremdung in der bürgerlichen Gesellschaft in neuen Formen erschließt. Was bei Žižek zu kurz kommt, ist die Schöpfung von neuem Sinn in der Kunst. In gewisser Hinsicht leidet Žižek an dem, was ich das erkenntnistheoretische Vorurteil nennen möchte, wobei die Kunst ausschließlich als Ausdruck von objektiven historischen Verhältnissen betrachtet wird, und nicht als etwas, worin man durch aktive Beteiligung die Welt anders erleben und gestalten kann. Das Weiterleben der Musik Beethovens lässt sich nicht adäquat verstehen, wenn man sie nur als Ausdruck ihrer Zeit betrachtet. Dass man heute nicht (sinnvoll) wie Beethoven komponieren kann, ist durch Žižeks Ansatz zum Teil zu erklären, aber er vernachlässigt den Sinn, den solche Musik in veränderten Umständen noch macht und machen wird. Pippins These, dass Entfremdung im Modernismus Manets und anderer zum Ausdruck kommt, ist zwar eine historische Analyse, hält aber die Idee aufrecht, dass solche Kunst etwas
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Neues zutage fördern kann, das nicht durch die historische Analyse erschöpft wird: Art, precisely because it is a mode of non-discursive intelligibility, which does not consist in propositions, arguments, and syllogisms, nonetheless makes sense of ourselves in a way that actually resonates with what is now coming onto the scene as more important than the conscious deliberative capacities of individual subjects.7
Dass man innerhalb einer historischen Situation nicht imstande ist, entscheidende Änderungen in den Formen, in denen Sinn gemacht wird, das heißt in wahrheitsfähigen Sätzen, auszudrücken, macht also klar, warum die Frage der Wahrheit in der Kunst nicht vernachlässigt werden darf. Die Frühromantiker teilen mit Hegel die Überzeugung, dass empirische Theorien aufgrund ihrer wahrscheinlichen, zeitlich begrenzten Gültigkeit in einem Sinne negativ sind und nur als Grundlage für verbesserte Theorien dienen, statt absolut zu sein. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied in den Konsequenzen, die aus dieser Idee für Hegel und für die Frühromantik resultieren. Für Hegel gilt die Aufdeckung der dynamischen Strukturen, in denen wir die Logik der gedanklichen Entwicklung artikulieren, als Realisierung des Ziels einer neuzeitlichen Metaphysik, weil sie ein Nachweis ist, dass es nichts Außerbegriffliches gibt. Empirisch ist natürlich vieles noch unbekannt (und vieles wird wahrscheinlich unbekannt bleiben), aber die Art, wie wir das Unbekannte bekannt machen, ist in der Struktur der Überwindung von Widerständen ausgelegt. Man kann Wissen nur immanent kritisieren, mit denselben Mitteln, mit denen das kritisierte Wissen produziert wird. Ein Appell an ein Absolutes, das diese Situation transzendiert, ist ein Appell an die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind. Was das konkret heißt, wird von Žižek gegen eine nicht sehr spezifische „Romantik“ interpretiert: The Romantic reaction to modern scientific civilization invites us „to bend the knee anew“ (as Pippin wrote apropos of Heidegger); in what is today often referred to as the ‚postsecular‘ spirit, it endeavors to 7 Pippin, Robert, „After Hegel: An Interview with Robert Pippin“ [by O. Hussain], in: Platypus Review, 1. Juni 2011: http://platypus1917.org/2011/06/01/ after-hegelan-interview-with-robert-pippin/.
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reenchant reality, and to elevate art into (one of) the harbinger(s) of the ultimate truth about our lives inaccessible to science. (Another strategy is, of course, to search in the latest sciences themselves for the signs of their overcoming of the ‚mechanistic paradigm.‘) One should be unambiguous here: Such reenchantments are a fake, a pleasing aesthetic game.8
Was also ist für Hegel „die letzte Wahrheit über unser Leben“? Wie Žižek es darstellt, muss sie in den Ergebnissen der Naturwissenschaften bestehen, alles andere wäre eine Wiederverzauberung. Es ist nicht so, dass wir die letzten wissenschaftlichen Ergebnisse haben, aber die Form, in der diese Ergebnisse erscheinen müssen, ist in der philosophischen Analyse der Grundlage der Bildung von Theorien in den Naturwissenschaften vorhanden. Hegels Umkehrung des Skeptizismus beseitigt die Vorstellung eines für das Denken unerreichbaren, kognitiven Ziels. Diese Position ist plausibel, insofern die skeptische Option im Hinblick auf die Wissenschaften eigentlich nur Philosophen interessieren kann. Die Korrektur von Theorien ist den modernen Wissenschaften immanent und eine wesentliche Grundlage ihres unbestreitbaren Erfolgs; außerdem kann man das Alltagsleben nicht unter skeptischen Prämissen führen. Das Problem mit Žižeks Charakterisierung der Romantik liegt also darin, dass er diese Position hauptsächlich unter dem kognitiven Gesichtspunkt betrachtet. Wenn aber die Frage unter dem Gesichtspunkt der Sinnschöpfung gesehen wird, sind bestimmte Aspekte der frühromantischen Philosophie nicht einfach als Wiederverzauberung zu verwerfen. Žižek scheint zu ignorieren, dass Zweifel an dem von ihm sogenannten „mechanistic paradigm“ nicht notwendig Zweifel an den modernen Naturwissenschaften bedeutet. Selbst zu Newtons Zeit gab es Unterschiede zwischen den mechanistischen Newton-Anhängern und den „dissenters“: jedoch nicht hinsichtlich der Wahrheit von Newtons Theorien, sondern das Bild der Natur und des Verhältnisses der Menschheit zur Natur, das Newtons Anhänger damit verbanden, betreffend. Akeem Bilgrami bemerkt dazu: „What was in dispute had nothing to do with science or rationality in that sense at all. What the early dissenting tradition was opposed to is the metaphysical orthodoxy that grew around Newtonian science and its implications for broader issues of culture 8 Žižek a. a. O.
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and politics“.9 Die „dissenters“ hatten die Befürchtung, dass mit alles objektivierenden Newtonschen Prämissen ,one would find it appropriate to conquer [nature] with nothing but profit and material wealth as ends, and thereby destroy it both as a natural and a human environment for one’s habitation‘.10 Das ist übrigens genau die Befürchtung, die Karl Polanyi in The Great Transformation im Hinblick auf die Entwicklung des Marktmechanismus im 19. Jahrhundert äußert, und auf die Adorno in seiner Kritik der instrumentellen Vernunft und der Wirkungen des Warensystems hinweist. Es ist aber nicht so, dass aus romantischer Sicht eine einfache positive theoretische Alternative zu dem objektivierenden Bild der modernen Naturwissenschaften geboten werden kann. Wie schon erwähnt, teilen die Frühromantiker mit Hegel die Vorstellung, dass besonderes Wissen negativ ist, weil es nur im Hinblick auf das Absolute vollständig erkannt werden kann. In der romantischen Vorstellung der Kunst wird der Unterschied klar, weil es in der Kunst um Sinn geht, der nicht durch Wissen allein artikuliert werden kann. Schon bevor man zur Kunst kommt, lässt sich aber Žižeks szientistisch anmutende Auslegung Hegels in Frage stellen. Wie Hilary Putnam gegen Bernard Williams’ Idee der „absolute conception“ der Welt argumentiert: „It cannot be the case that scientific knowledge (future fundamental physics) is absolute and nothing else is; for fundamental physics cannot explain the possibility of referring to or stating anything, including fundamental physics itself“.11 Intentionalität kann als Grundlage der Konstituierung von Sinn verstanden werden (wie auch in anderer Hinsicht die Sprache) und diese betrifft die Welt als kognitives Objekt sowie als Sinnzusammenhang, aus dem Kunst entsteht. Warum also soll man insbesondere die Kunst noch in Fragen des Absoluten ernstnehmen? Ich will hier nicht versuchen, eine ausführliche Darstellung einer romantischen Position anzubieten. Allein die Form vieler der wichtigsten romantischen Texte macht klar, dass sie nicht einfach als Argumente verstanden werden sollen. Die Uneinheitlichkeiten in den Texten von Novalis und Friedrich Schlegel erzwingen eine Lektüre, die als Prozess der Beleuchtungen und Verdunklungen stattfindet. 9 Bilgrami, Akeel, „The Wider Significance of Naturalism“, in: Naturalism and Normativity, hg. v. Mario de Caro und David Macarthur, New York 2010, S. 47. 10 Ebd., S. 39. 11 Putnam, Hilary, Realism with a Human Face, Cambridge/London 1990, S. 176.
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Gleichzeitig entstehen dabei Denkmodelle, die man in Debatten über das Absolute ins Spiel bringen kann. Novalis bringt mit dem bekannten Anfang der Vermischten Bemerkungen Vieles auf den Punkt: „Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge“.12 Diese Aussage ist mit Hegels Ansicht von Verstandeswahrheiten kompatibel. Beide teilen eine Spielart dieser Konzeption: „Nur das Ganze ist real – Nur das Ding wäre absolut real, das nicht wieder Bestandtheil wäre“.13 Wo sie auseinandergehen, ist in der Interpretation der Folgen der Negativität des Besonderen. Novalis betont wiederholt, dass wir nur mit bedingten Mitteln das Absolute suchen können, welches folglich unerreichbar ist. Die Frage ist, wie man darauf reagiert: wie wir sahen, hat Hegel aus der Negativität des Besonderen einen positiven philosophischen Schluss entwickelt. Novalis hingegen behauptet Durch das freywillige Entsagen des Absoluten entsteht die unendliche freye Thätigkeit in uns – das Einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann und das wir nur durch unsre Unvermögenheit ein Absolutes zu erreichen und zu erkennen, finden. Dies uns gegebene Absolute lässt sich nur negative erkennen, indem wir handeln und finden, dass durch kein Handeln das erreicht wird, was wir suchen.14
Man kann hier sofort fragen: wenn wir wissen, dass das Absolute unerreichbar ist, warum geben wir das Absolute nicht auf und leben einfach friedlich im Relativen? Das Entscheidende ist aber, dass man dieses „Wissen“ nur durch Handeln, „unendlich freye Thätigkeit“ erreichen kann. Ganz einfach gesagt, geht es hier um die Entstehung von Sinn, der nicht im objektiven Wissen selbst gegeben ist. Die Gefahr des Nihilismus, auf die Jacobi und andere im Hinblick auf die neuzeitlichen Wissenschaften hinweisen, entsteht aus dem Suchen nach einem erkenntnistheoretischen Grund, was zu einem sinnlosen Regress von Erklärungen führt. Hegels Umkehrung ist nicht zuletzt eine Antwort auf diesen Regress, aber das Verständnis, dass ein Zuwachs von Wissen durch Aufhebung von Widersprüchen zustande kommt, kann andere Formen von Sinn nicht einfach ersetzen und als absolut betrachtet werden. Die Demonstration, dass 12 NW II, S. 226. 13 Ebd., S. 152. 14 Ebd., S. 181.
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alles vermittelt ist, lässt sich mit dem Sinn schlecht vereinen, der in unmittelbaren Erfahrungen der Art, die in der Kunst so wichtig sind, gegenwärtig sein kann. Solche Erfahrungen sind sicherlich auch vergänglich, aber sie können Novalis’ negatives Erkennen in eine Form bringen, die dauerhaften Wert hat. An diesem Punkt wird die erhöhte Bedeutung von Kunst – und insbesondere der Musik –, die für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts charakteristisch ist, verständlicher. Das Wesentliche an der Kunst ist eben, dass „freie Tätigkeit“ Neues produziert: die moderne Kunst ist in vieler Hinsicht ein Kampf gegen sinnlose Wiederholung. Zudem geht es darum, dass etwas, das wirklich Kunst ist, nicht durch Auslegung zu erschöpfen ist, was das Überleben der großen Kunst der Vergangenheit erklären kann. Daher Friedrich Schlegels berühmtes Fragment 116 im Athenäum: „Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen“.15 In dieser Perspektive hat schon die Vorstellung einer endgültigen Interpretation eines Kunstwerkes mögliche nihilistische Folgen, da sie in eine Art objektives Wissen münden würde, und den Sinn, der für Kunst charakteristisch ist, zu Ende bringen würde. Schlegel zieht eine vielleicht überraschende Konsequenz aus dieser Situation, wenn er behauptet: „Absolute Wahrheit kann nicht zugegeben werden; und dies ist die Urkunde für die Freyheit der Gedanken und des Geistes. Wenn die absolute Wahrheit gefunden wäre, so wäre damit das Geschäft des Geistes vollendet, und er müßte aufhören zu seyn, da er nur in der Thätigkeit existirt“.16 In Über die Unverständlichkeit geht er einen Schritt weiter: „Wahrlich es würde euch bange werden, wenn die ganze Welt, wie ihr es fordert, einmal im Ernst durchaus verständlich würde“.17 Dies lässt sich folgendermaßen verstehen: es ist vorstellbar, dass „fundamental physics“ zu endgültigen Ergebnissen kommen werden; das würde die Welt als Sinnzusammenhang aber nicht durchaus verständlich machen. Wittgenstein, der bekanntlich Ästhetik als Teil der Ethik, als
15 KFSA II, S. 115. 16 KFSA XII, S. 93. 17 KFSA II, S. 240.
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Untersuchung des Wertvollen betrachtet, weist in diese Richtung in seiner Lecture on Ethics, die mit der folgenden Bemerkung schließt: Ethics so far as it springs from the desire to say something about the ultimate meaning of life, the absolute good, the absolute valuable, can be no science. What it says does not add to our knowledge in any sense. But it is a document of a tendency in the human mind which I personally cannot help respecting deeply and I would not for my life ridicule it.18
In dieser Hinsicht sind Propositionen der Ethik „sinnlos“, aber solche Negation von Sinn ist auch Grundlage von der Art von Sinn, die Novalis meinte, als er sagte: „Dies uns gegebene Absolute lässt sich nur negative erkennen, indem wir handeln und finden, dass durch kein Handeln das erreicht wird, was wir suchen.“ Das mag alles recht hochtrabend klingen, kann aber selbst in der alltäglichen Erfahrung im Umgang mit Kunst eine wesentliche Rolle spielen. Der große Pianist Artur Schnabel hat einmal gesagt „Ich spiele nur Musik, die besser ist, als man sie spielen kann.“ Jede gelungene Aufführung fügt gleichzeitig der Welt etwas Neues hinzu und kann dann als Motivation dienen, das, was selbst in einer erfolgreichen Aufführung gefehlt hat, zustande zu bringen. Jeder, der ernsthaft versucht, ein Instrument zu spielen, zu singen usw., weiß, dass man es immer besser machen könnte, und erlebt so, was Novalis meint. Ohne diese notwendige Negativität gäbe es nicht die Motivation, sich zu verbessern, die in der Kunst grenzenlos ist. Schlegel sagt von seiner Philosophie: „Die gewöhnliche Erklärung ist: Übereinstimmung des Subjektiven und Objektiven. – Gut; aber auch Form und Materie stimmen mit einander überein, und dies heißt Schönheit. Es ist dies der präzise Ausdruck dafür“.19 Schönheit steht hier für die Art von Sinn, die nicht durch Wissen erreichbar ist, und Schlegel fügt hinzu: „Schönheit mit Bewußtseyn und Realität gedacht, ist Wahrheit“.20 Das ist zwar in einer Form gesagt, die für uns kaum philosophisch befriedigend sein kann, aber die Idee, dass Philosophie, die sich nur auf objektivierende Theorien konzentriert und dabei le-
18 Wittgenstein, Ludwig, Lecture on Ethics [1929]: http://www.geocities.jp/mickindex/wittgenstein/witt_lec_et_en.html. 19 KFSA XII, S. 95. 20 Ebd.
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benswichtige Formen von Sinn vernachlässigt, nicht ausreicht, wird selbst in analytischen Kreisen zunehmend ernstgenommen. Sowohl im Hinblick auf das Wissen, als auch auf Formen von Sinn geht es darum, wie man der Negation begegnet. In der analytischen Philosophie besteht das oft darin, eine Antwort auf den Skeptiker zu suchen, was aber nicht zu einem befriedigenden Ergebnis kommt. Insofern gibt es hier ein Echo von dem, was für die Frühromantiker von der Kunst gilt. Das philosophische Misslingen kann für die, die sich mit erkenntnistheoretischen Problemen beschäftigen, die Philosophie eher in Richtung einer Art Suche nach einem sich entziehenden Absoluten verlagern. Wenn man die Philosophie von der Seite der Ästhetik betrachtet, liegen die Chancen, dass man in einer entzauberten Welt sinnvoll mit Negativität umgehen kann, vielleicht vielmehr in der Teilnahme an der Kunst, also in Formen der Handlung, die zur Kunst gehören, als in der Art Philosophie, die die Theoriebildung der Naturwissenschaften nachahmt. In der aus der Ästhetik entwickelten Perspektive ist das unvermeidbare Misslingen mit Formen von Sinn verbunden, die das Leben verwandeln können. Hegels Annahme, dass die Philosophie auf der Höhe der Zeit ist, kann nicht mehr aufrechterhalten werden: die technologische Verwertung von Ergebnissen der Naturwissenschaften und das System des finanziellen Kapitals sind jetzt, was das menschliche Leben weitgehend beherrscht. Es gibt natürlich auch keine Form von Kunst, die die Rolle spielen kann, die die Tragödie für Athen spielte. Die Suche nach Sinn ist zunehmend zu einer Privatsache geworden. Das Sinndefizit, das die Entwicklung der kapitalistischen Moderne begleitet, hat aber die öffentliche Rolle der Kunst auf neue Weisen ins Licht gerückt, was von der zeitgenössischen Philosophie noch zu selten ernstgenommen wird. Die Formen von Sinn, die in der modernen Kunst erscheinen, bestehen oft darin, dem zuvor Sinnlosen Sinn zu verleihen. Die Geschichte des Jazz kann z. B. als die Transformation von bis dahin außermusikalischen Klängen in sinnvolle Musik verstanden werden, nach Thelonious Monks Prinzip von „Wrong’s right“. Auf Dauer mündet dies wieder für die neuen richtunggebenden Musiker in „Right’s wrong“, wenn das so entstandene musikalische Material abgestanden wird, ohne dass der Sinn der früheren Formen völlig verschwindet. Das entspricht einem frühromantischen Grundgedanken. Die Frühromantiker haben sehr früh angefangen, die Bedeutung der modernen Zeitlichkeit für die Philosophie zu verstehen, die sich
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in der modernen Kunst manifestiert. Die romantische Konzeption entsteht aus einem Bewusstsein der radikalen Endlichkeit, das als eine wesentliche Quelle der neuzeitlichen Skepsis angesehen und trotzdem ein Gefühl des Absoluten nicht loswerden kann. Die Kunst kann möglicherweise diese Verbindung der Endlichkeit mit dem Gefühl des Absoluten am besten sinnvoll gestalten. Aus dieser Sicht ist eine Neubewertung der Rolle der Ästhetik in der Philosophie der Moderne unerlässlich.
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Romantik und Idealismus. Überlegungen zur Konfliktgeschichte der Moderne Romantik und Idealismus lassen sich als ‚Diskursformationen‘ betrachten, die sich in der frühen Phase der Moderne herausgebildet haben.1 Mit Blick auf die Geschichte der Moderne verbieten sich alle Konstruktionen einer einlinigen Entwicklung. Angemessen wäre vielmehr ein ‚agonaler‘ Ansatz, der, wie Walter Jaeschke das bezogen auf die Zeit um 1800 versucht hat, die „Streitsachen“2 in den Mittelpunkt stellt und – gegen die Reduktion von Komplexität ‒ die Vielstimmigkeit im Widerstreit moderner Selbstverständigungen zur Geltung bringt. In diesem Sinne spreche ich, wie noch genauer auszuführen ist, von der Konfliktgeschichte der Moderne. Die Moderne betrachte ich als dynamisches Spannungsgefüge einander widersprechender Impulse, Wertsetzungen und Praktiken, in dem Grundkonflikte immer wieder neu verhandelt werden müssen. Die Methode der Konfliktgeschichte, die ich zu entwickeln versuche, rekonstruiert 1. die strittigen Gehalte, um die historisch jeweils gerungen wird, 2. die Formen, in denen die Grundkonflikte ausgetragen werden, und 3. die Verschiebungen der Konfliktkonstellationen in den geschichtlichen Prozessen. Dabei analysiert sie zugleich das Potenzial und den Erkenntniswert dieser Konflikte mit Blick auf unsere eigene Gegenwart. Was für die Geschichte der Moderne gilt, das gilt auch für ihre diskursiven Figurationen wie den philosophischen Idealismus von Kant bis zu Schelling und Hegel und die philosophisch-künstlerische Strömung der frühen Romantik: Die Vielfalt und Verschiedenheit ihrer einzelnen Erscheinungsformen ist geltend zu machen. Zugleich ist 1 Vgl. Reinfandt, Christoph, Romantische Kommunikation. Zur Kontinuität der Romantik in der Kultur der Moderne, Heidelberg 2003; Pippin, Robert, Die Verwirklichung der Freiheit: der Idealismus als Diskurs der Moderne. Mit einem Vorwort von Axel Honneth und Hans Joas, Frankfurt a. M. 2005. 2 Vgl. Philosophisch-literarische Streitsachen, hg. v. Walter Jaeschke. 4 Doppelbde., Hamburg 1990-1995.
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nach dem zu fragen, was deren Identität verbürgt. Die Formationen der frühen Romantik und des frühen Idealismus entstehen zu einem bestimmten Zeitpunkt, unter ganz bestimmten wissensgeschichtlichen wie gesellschaftlichen Bedingungen.3 Sie sind Versuche umfassender Selbstverständigung. Die Diskursformationen reagieren aufeinander, sie rivalisieren miteinander, sie überschneiden und durchdringen sich aber auch auf vielfältige Weise. Perspektiven auf Gemeinsamkeiten wie auf Differenzen von Idealismus und Romantik sind ins Auge zu fassen, und zwar auf dem Boden gemeinsamer Bewusstseinsstellungen.4 Beide Denkbewegungen der Moderne verdanken sich der europäischen Aufklärung, nicht zuletzt ihrer Religions- und Metaphysikkritik. Beide versuchen auf dieser Basis, das Programm der Aufklärung selbstreflexiv (mit Blick auf ihre Grenzen und Aporien) und kritisch voranzutreiben. Religion und Metaphysik können in der Legitimationskrise, in der sie sich befinden, nicht einfach ‚wiederhergestellt‘ werden. Eine ‚Restauration‘ ist nicht beabsichtigt, ein Vorkritisches kann nicht mehr beschworen werden. Entsprechend müssen neue Denk- und Darstellungsformen einer ‚Kritik der (aufklärerischen) Kritik‘ entwickelt werden. Beide geistigen Formationen suchen Antworten auf die säkularistische ‚Radikalaufklärung‘ zu geben und entfalten Argumentationen, die Widerstand leisten gegen die Konsequenzen von Atheismus, Materialismus und Empirismus. Beide Bewegungen sind wesentlich herausgefordert durch die Französische Revolution, eines der „folgenreichste[n] Ereignis[se] in der Geschichte der westlichen Moderne“.5 Freiheit umfassend zu denken als Selbstbestimmung wie auch als Selbstgestaltung des eigenen wie des gemeinsamen Lebens, ist ein wesentlicher Fokus ihrer Erkenntnisarbeit. Beide kulturellen Erkenntnisformationen6 versu 3 Schaut man auf den Diskursraum ‚Jena um 1800‘, dann ist die Kopräsenz der Gestalten der Spätaufklärung, des Frühkantianismus und des Klassizismus (‚Weimar-Jenaer Klassik‘) zu berücksichtigen. 4 Vgl. Jaeschke, Walter und Arndt, Andreas, Die Klassische Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785-1845, München 2012. 5 Vgl. Kaiser, Gerhard R., „Einführung“, in: Deutsche Berichte aus Paris 1789-1933. Zeiterfahrung in der Stadt der Städte, hg. v. G. R. Kaiser, Göttingen 2017, S. 22. 6 Zum Begriff kultureller Argumentations- und Deutungsmuster bzw. Modelle vgl. Kulturmuster der Aufklärung. Ein neues Heuristikum in der Diskussion, hg. v. Daniel Fulda, Halle 2010; Matuschek, Stefan und Kerschbaumer, Sandra, „Romantik als Modell“, in: Aufklärung und Romantik. Epochenschnittstellen, hg. v. Daniel Fulda, Sandra Kerschbaumer und Stefan Matuschek, Paderborn 2015, S. 141-156.
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chen, auf dem Boden moderner Ausdifferenzierung Einheitsperspektiven zu entwickeln oder wenigstens zu simulieren. Beide fragen nach der Einheit von Natur und Geist und versuchen Subjektivität so zu fassen, dass sie nicht ohne Arbeit am Begriff des ‚Absoluten‘ auskommt. Dabei können sie in der konkreten Konzeptualisierung durchaus kollidieren. Beide Formationen interessieren sich in besonderer Weise für die Deutung der „spezifisch modernen Lebenslage“7, die sie geschichtlich einzuholen bemüht sind. Beide haben viel für die zeitkritische Reflexion der ‚Moderne um 1800‘ geleistet. Während der Diskurs des Idealismus methodologisch und darstellungstheoretisch die Auffassung vertritt, dass die Philosophie ihre Begriffe nur aus dem Denken nehmen kann, folgt der Diskurs der Romantik dem Anliegen Schillers, die „Scheidewand“ aufzuheben, „welche die schöne Welt von der gelehrten zum Nachteile beider trennt“ und fordert die Vereinigung von Philosophie und Poesie.8 Wenn man sich darüber Rechenschaft zu geben versucht, was die ‚Moderne‘ von der ‚Vormoderne‘ trennt, dann ist als ein zentraler Faktor meines Erachtens das Zeit- und Geschichtsbewusstsein der Moderne herauszustellen. „Der Eintritt in die Moderne“ sei „im selben Vollzug“, so hat es Albrecht Koschorke in seinen Frankfurter Adorno-Vorlesungen ausgedrückt, „der Eintritt in den Geltungsraum einer Geschichtlichkeit, die alle noch statischen Bestände der Vormoderne mitsamt deren metaphysisch-religiöser Verankerung in sich einschmilzt.“9 Diese moderne Geschichtlichkeit, die sich mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ausbreitet, ist allumfassend und unentrinnbar.10 Sie betrifft auch die Vernunft selbst und führt in der Folge zu einem Geschichtlichwerden der Vernunft, das die epistemischen Ordnungen transformiert. „Als Seinsweise all dessen, was uns in der Erfahrung gegeben wird, ist die Geschichte [...] zum Unum 7 Habermas, Jürgen, „Konzeptionen der Moderne. Ein Rückblick auf zwei Traditionen“, in: Philosophische Texte, Bd. 1, Frankfurt a. M. 2009, S. 366-398, hier: 366. 8 Schiller, Friedrich, „Ankündigung. Die Horen, eine Monatsschrift, von einer Gesellschaft verfaßt und herausgegeben von Schiller“, in: NA 22, S. 107; vgl. Schlegel, Friedrich, Lyceum-Fragment 115, in: KFSA II, S. 161: „Alle Kunst soll Wissenschaft, und die Wissenschaft soll Kunst werden; Poesie und Philosophie sollen vereinigt sein.“ Brüggemann, Heinz, Romantik und Moderne: Moden des Zeitalters und buntscheckige Schreibart, Würzburg 2009. 9 Koschorke, Albrecht, Hegel und wir. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2013, Frankfurt a. M. 2013, S. 125; Hervorhebung H. H. 10 Vgl. ebd., S. 135.
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gänglichen unseres Denkens geworden.“11 Mit diesen Worten leitet Michel Foucault die Beschreibung der dritten, nach seiner Konstruktion bis in unsere Gegenwart reichenden „episteme“ der radikalen Geschichtlichkeit ein.12 Die folgenden Überlegungen gehen in fünf Schritten vor. In einem ersten werde ich im Anschluss an Reinhart Koselleck und Ingrid Oesterle einige wenige Vorüberlegungen zur Zeitlichkeit der Moderne entfalten, um die Denkvoraussetzungen beider geistiger Formationen in den Blick zu rücken. Die Grundthese ist, dass die Moderne durch eine reflexive Verzeitlichung der eigenen Gegenwart gekennzeichnet ist. Der reflexive Begriff von Gegenwart ist für den Begriff von Moderne konstitutiv.13 Dies manifestiert sich auch in den Selbstbeschreibungen von Modernität seit dem 18. Jahrhundert bis heute (I.).14 In einem zweiten Schritt ist zu skizzieren, was Friedrich Schiller und Friedrich Schlegel für die reflexive Vergewisserung von kultureller Modernität auf dem Boden der ästhetischen wie geschichtsphilosophischen Reflexion geleistet haben. Ich konzentriere mich hierbei darauf, die Problemstellungen zu verdeutlichen, mit denen diese Autoren auf dem Feld des kulturellen Zeitbewusstseins ringen. Schiller reagiert auf das durch die Querelle vermittelte Problem einer Selbstverständigung der modernes über ihre Beziehung zur Vergangenheit mit der Unterscheidung von „naiver“ und „sentimentalischer 11 Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a. M. 1971, S. 269-274, hier: 271. 12 Vgl. Schnädelbach, Herbert, „Über die Vernünftigkeit der Geschichte und die Geschichtlichkeit der Vernunft“, in: Vernunft und Geschichte ‒ Vorträge und Abhandlungen, hg. v. Herbert Schnädelbach, Frankfurt a. M. 1987, S. 9-22. 13 Vgl. Oesterle, Ingrid, „‚Es ist an der Zeit!‘ Zur kulturellen Konstruktionsveränderung von Zeit gegen 1800“, in: Goethe und das Zeitalter der Romantik, hg. v. Walter Hinderer, Alexander von Bormann, Gerhart von Graevenitz, Würzburg 2002, S. 91-121; dies., „Der Führungswechsel der Zeithorizonte in der deutschen Literatur. Korrespondenzen aus Paris, der Hauptstadt der Menschheitsgeschichte, und die Ausbildung der geschichtlichen Zeit ‚Gegenwart‘“, in: Studien zur Ästhetik und Literaturgeschichte der Kunstperiode, hg. v. Dirk Grathoff, Frankfurt a. M. 1985, S. 11-76; Lehmann, Johannes F., „Ist die Romantik modern oder vormodern? Folgerung“, in: Romantik kontrovers, hg. v. Gerhart von Graevenitz et al., Würzburg 2015, S. 149-157, hier: 150 f.; Hühn, Helmut, „Gegenwart und Moderne. Philosophische und zeitpolitische Diskurse um 1800“, in: Eigen-Zeiten der Moderne: Regime, Logiken, Strukturen, hg. v. Helmut Hühn und Sabine Schneider, Hannover 2018 i. E. 14 Vgl. Foucault, Michel, „Was ist Aufklärung“, in: Ethos der Moderne. Foucaults Kritik der Aufklärung, hg. v. Eva Erdmann, Rainer Forst, Axel Honneth, Frankfurt a. M. 1990, S. 35-54.
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Dichtung“.15 Wilhelm von Humboldt reformuliert die wirkmächtige kunsttheoretische Epochenunterscheidung Schillers so: „Sie (sc. die Menschen der Antike) waren bloß, was sie waren. Wir wissen noch, was wir sind, und blicken darüber hinaus. Wir haben durch Reflexion einen doppelten Menschen aus uns gemacht.“16 Friedrich Schlegel differenziert entsprechend zwischen „natürlicher“ und „künstlicher“, aus Freiheit hervorgehender Bildung.17 Für die Epochenunterscheidung bürgert sich dann, vor allem durch August Wilhelm Schlegel kanonisiert, der Begriff der ‚Romantik‘ ein, die als reflektierte Moderne der klassischen Antike gegenübergestellt und dabei bis auf das christliche Mittelalter zurückgeführt wird.18 Beide Ausdrücke, ‚sentimentalisch‘ wie ‚romantisch‘, fungieren als epochale Selbstbeschreibungen und -unterscheidungen, sie sind Moderne-Operatoren (II.). In einem dritten Schritt sind Grundüberlegungen der philosophischen Theorie der Moderne zu vergegenwärtigen, die Hegel entfaltet hat. Von dessen Position hat Jürgen Habermas ausgeführt, dass er nicht nur als erster „einen klaren Begriff“ der Moderne entwickelt, sondern auch das „Problem der Selbstvergewisserung der Moderne“ als „das Grundproblem seiner Philosophie“ erkannt habe.19 Auch Hegel tritt gleichzeitig als Anhänger wie als Kritiker der Moderne auf. Das Prinzip der subjektiven Freiheit ist bei ihm der Angelpunkt der Differenz von alter und neuer Welt.20 Dieses Prinzip kommt bei ihm sowohl in 15 Schiller, Friedrich, Ueber naive und sentimentalische Dichtung (1795), in: NA 20, S. 413-503. 16 Humboldt, Wilhelm von, Brief an Christian Gottfried Körner vom 30. April 1803, in: Ansichten über Ästhetik und Litteratur. Seine Briefe an Christian Gottfried Körner, hg. v. Jacob Minor, Berlin 1880, S. 106. 17 Vgl. Schlegel, Friedrich, „Die Griechen und die Römer, Vorrede“ (1797), KFSA I, S. 207; vgl. „Über das Studium der Griechischen Poesie“ (1795-1797), ebd., S. 230; „Über die Grenzen des Schönen“ (1794), ebd., S. 34-44. 18 Vgl. Schlegel, August Wilhelm, Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur, Bd. 1, Bonn/Leipzig 1923, S. 8. 19 Habermas, Jürgen, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a. M. 1985, S. 13, 26, Hervorhebung im Original; vgl. Angehrn, Emil, „Die Ambivalenz der Moderne. Staat und Gesellschaft in Hegels Rechtsphilosophie“, in: HegelJahrbuch 1988, Bochum 1989, S. 170-181; zu Hegels Auseinandersetzung mit der Querelle vgl. Seeberg, Ulrich, „Hegel und die Querelle des Anciens et des Modernes“, in: Geschichte/History. Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus, hg. v. Jürgen Stolzenberg, Fred Rush, Berlin/Boston 2014, S. 143-174. 20 „Es ist das Große unserer Zeit, daß die Freiheit, das Eigentum des Geistes, daß er in sich bei sich ist, anerkannt ist, daß er in sich dies Bewußtsein hat.“ Hegel, G. W. F., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, TWA 20, S. 329.
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seiner unstrittigen Höherwertigkeit wie in seiner Tendenz zur falschen Verabsolutierung – als Willkür, Ironie, Terror – und seiner Unselbständigkeit gegenüber der substantiellen Bindung zur Sprache. Vor diesem Hintergrund kann die polemische Auseinandersetzung zwischen Hegel und Friedrich Schlegel als ein zentraler ModerneKonflikt umrissen werden. Unter dem Stichwort der ‚Ironie‘ geht es hier nicht primär um kunsttheoretische, sondern um politisch-sittliche wie epistemologische Differenzen: Es geht um die Möglichkeit der Legitimation einer intersubjektiv verbindlichen Vernunft (III.). Zu den Grundannahmen rationalistischer Philosophie seit dem 17. Jahrhundert gehört die Gegenüberstellung von empirisch-historischer Kontingenz auf der einen und einer zeitlos gültigen Vernunft auf der anderen Seite. In romantischer wie idealistischer Perspektive werden historisches und spekulatives Wissen ineinander verschränkt. In einem vierten und abschließenden Schritt ist anhand der Autoren, die hier als ‚Stellvertreter‘ der Jenaer Romantik und des Jenaer Idealismus behandelt werden, das Problem der modernen Geschichtlichkeit noch einmal ‒ romantik- wie idealismuskritisch ‒ zu erörtern (IV.).
I. Moderne und geschichtliche Gegenwart Mit dem 18. Jahrhundert breitet sich ein neues Zeit- und Geschichtsbewusstsein aus, das die Künste, die Wissenschaften und auch die Philosophie ergreift. Jetzt steht die ‚moderne‘ zur ‚alten‘ Welt dadurch im Gegensatz, dass sie sich selbst geschichtlich versteht und sich geschichtlich zur Zukunft hin öffnet. Die geschichtliche Gegenwart wird, wie dies Schiller programmatisch in seiner Jenaer Antrittsvorlesung entfaltet hat, zum Ausgangspunkt für die Erfassung der Geschichte im Ganzen. Schiller führt mit dieser Vorlesung die substantivierten Temporalbegriffe der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft allererst in die Geschichtswissenschaft ein21 und nimmt 21 Vgl. Hölscher, Lucian, „Von leeren und gefüllten Zeiten. Zum Wandel historischer Zeitkonzepte seit dem 18. Jahrhundert“, in: Obsession der Gegenwart: Zeit im 20. Jahrhundert, hg. v. Alexander C. T. Geppert und Till Kössler, Göttingen/ Bristol 2015, S. 37-70, bes.: 53-57; ders., „Die Zeit des Historikers. Friedrich Schillers Konzept einer perspektivischen Geschichtsschreibung“, in: Schillers Zeitbegriffe, hg. v. Helmut Hühn, Dirk Oschmann und Peter Schnyder, Hannover 2018 i. E.
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methodisch einen Paradigmenwechsel vor, indem er die Gegenwart zum Ausgangs- und Zielpunkt der Geschichtsbetrachtung macht. Wenn Erfahrungen und Erwartungen der geschichtlichen Subjekte unter den Bedingungen geschichtlichen Wandels immer stärker auseinandertreten ‒ Reinhart Koselleck hat dies für den Verlauf der Neuzeit diagnostiziert‒22, dann wird geschichtliche Gegenwart auffällig und thematisch. Gegenwart verliert ihre Verständlichkeit und wird im Horizont erfahrener Diskontinuität zu einem ständigen Problem. Die geschichtlichen Subjekte können versuchen, die erfahrene Diskontinuität zu ‚vermitteln‘, Konsistenzen zu erzeugen, Vergangenheits- und Zukunftshorizonte hervorzubringen, die diese Gegenwart in je bestimmte historische Perspektiven einrücken. In dieser Weise arbeiten um 1800 auch Geschichtsphilosophie, Geschichtswissenschaft und Gegenwartsdiagnostik zusammen mit der Literatur und den Künsten an der immer neuen Formierung und ‚Verortung‘ der geschichtlichen Gegenwart, die zu keinem Ende kommen. Dass Geschichte reflexiv wird, bedeutet Koselleck zufolge, dass die „Bedingungen geschichtlicher Verläufe und die Bedingungen des Handelns in ihr und ihrer Erkenntnis […] seit der Aufklärung aufeinander bezogen [werden]. Das aber ist ohne Standortbestimmung inmitten geschichtlicher Bewegung nicht zu haben.“23 Die Denkform der geschichtlichen Zeit mit ihrer komplexen Verschränkung der Dimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entwickelt sich seit dem 18. Jahrhundert. Sie bildet sich nicht zuletzt, wie die problemgeschichtliche Analyse zeigt, von der Aufgabe einer Konstitution, ja Konstruktion der geschichtlichen Gegenwart her. Vor dem Hintergrund dieser Einsicht hat Ingrid Oesterle – über Koselleck hinausgehend – dessen zeittheoretische Überlegungen zur Ausbildung der Moderne von der reflexiven Verzeitlichung der geschichtlichen Gegenwart her zu explizieren gesucht.24 Die Kategorien des „Erfahrungsraums“ und des „Erwartungshorizonts“, die Koselleck transzendental wie anthropologisch begründet, um die Bedin 22 Koselleck, Reinhart, „‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ ‒ zwei historische Kategorien“, in: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989, S. 349-375. 23 Koselleck, Reinhart, „Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt“, in: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989, S. 176-207, hier: 182. 24 Vgl. Oesterle „Es ist an der Zeit!“, a. a. O.
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gungen möglicher Geschichtsereignisse und zugleich die Dynamik des geschichtlichen Bewusstseins zu umreißen, konstituieren eine „zeitliche Differenz im Heute, indem sie Vergangenheit und Zukunft auf ungleiche Weise ineinander verschränken.“25 Das Gegenwärtige hebt sich vom Vergangenen wie von dem Zukünftigen ab, wenn „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ inkongruent werden. Gegenwart wird, wie Ingrid Oesterle ausgeführt hat, eine „im Vergleich mit Vergangenheit und Zukunft eigengewichtige, eigenmächtige, entscheidende Zeit.“26 Sie zu reflektieren, ihr eine Form zu geben, wird eine wichtige Aufgabe des geschichtlichen Bewusstseins. Das zeigt sich sowohl in der Entwicklung der romantischen wie der idealistischen Diskursformation. Die kulturellen Selbstbeschreibungen von ‚Modernität‘, wie sie seit dem 18. Jahrhundert hervorgetreten sind, machen meines Erachtens bis heute Gebrauch von genau dieser Zeitendifferenz im Heute: Sie positionieren sich 1. bewusst in der geschichtlichen Gegenwart, setzen sich 2. der Vergangenheit entgegen und markieren 3. im notwendigen Hinausgehen über jede ‚gerade anwesende‘ Gegenwart deren spezifische transitorische Temporalität.27 Man kann, wie das auch Aleida Assmann getan hat28, Hans Ulrich Gumbrechts Artikel ‚Modern, Modernität, Moderne‘ in den Geschichtlichen Grundbegriffen zum Vergleich heranziehen29: Der Ausdruck ‚modern‘ bezeichnet 1. den Standpunkt der Gegenwärtigkeit in Bezug auf etwas Vorausgegangenes und Vergangenes, 2. die Qualifikation einer Sache als ‚neu‘ in Absetzung vom ‚Alten‘ und 3. die Erfahrung 25 Koselleck, „‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘“, a. a. O., S. 359, Hervorhebung H. H. 26 Oesterle, „Es ist an der Zeit!“ a. a. O., S. 101. 27 In seinem berühmten Essay Le peintre de la vie moderne von 1863 erklärt Charles Baudelaire, die „Modernität“ sei „das Vergängliche, das Flüchtige, das Zufällige, die eine Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unwandelbare ist“ (Sämtliche Werke und Briefe. In acht Bänden, hg. v. Friedhelm Kemp und Claude Pichois in Zusammenarbeit mit Wolfgang Drost, München/ Wien 1989, S. 213-258, hier: 226; vgl. „Le peintre de la vie moderne“, in: ders., Œuvres complètes, hg. v. Claude Pichois, Bd. 2, Paris 1976, S. 683-724, hier: 695). 28 Assmann, Aleida, Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne, München 2013, bes. S. 23-45, hier: 23 f. 29 In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch zur politisch-sozialen Sprache, Bd. 4, hg. v. Reinhart Koselleck, Werner Conze, Otto Brunner, Stuttgart 1978, S. 93-131; vgl. Habermas, Jürgen, Der Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1996, S. 9-33; zu den Anfängen der Begriffsgeschichte vgl. Freund, Walter, Modernus und andere Zeitbegriffe des Mittelalters, Köln 1957.
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des Flüchtigen und Vorübergehenden gegenüber etwas Stabilem und Dauerhaftem. Der Gebrauch des Adjektivs ‚modern‘ ist folglich strukturell mit dem Konzept der Gegenwart verbunden. Was bedeutet dies nun für die Philosophie? Sobald diese „auf ihren eigenen Standort in der Geschichte reflektieren muß, erhält die Theorie ‒ das Erfassen der Wahrheit ‒ einen Zeitindex. […] Wenn wahre philosophische Einsichten gleichwohl kontextunabhängige Gültigkeit sollen beanspruchen dürfen, muß die Philosophie diese beunruhigende Gegenwart durchdringen und auf den Begriff bringen. Sie kann die Grenzen der historischen Lage, der der philosophische Gedanke selbst entspringt, nur dadurch zu überwinden suchen, daß sie ‚die Moderne‘ als solche begreift. Hegel war der erste Philosoph, der dieses neue Bedürfnis, seine Zeit ‚in Gedanken zu erfassen‘, artikuliert. Die Philosophie muß der Herausforderung der Zeit mit der Analyse der ‚neuen Zeit‘ begegnen.“30 Was Habermas hier an Hegel entwickelt hat, gilt in vergleichbarer Weise auch für Friedrich Schiller und Friedrich Schlegel.
II. Unendliche Sukzession. Zur reflexiven Vergewisserung der Moderne und ihrer Zeitlichkeit bei Friedrich Schiller und Friedrich Schlegel Im Anschluss an die Querelle des Anciens et des Modernes unternehmen sowohl Friedrich Schiller wie auch Friedrich Schlegel Anstrengungen zu einer reflexiven Vergewisserung ihrer eigenen Zeit.31 Der Streit um die Vorbildlichkeit der antiken für die moderne Kunst endet mit der Einsicht in die Historizität und die Kulturalität von Literatur und Kunst wie von deren Wertmaßstäben. Seit Juli 1787 widmet Schiller sich einer vertieften Auseinandersetzung mit der Antike. Er studiert die homerischen Epen Ilias und Odyssee in der Übersetzung von Johann Heinrich Voss, liest die griechischen Tragiker und übersetzt Euripides. Im Kontext dieser Stu 30 Habermas, Konzeptionen, a. a. O., S. 368 f. 31 Vgl. auch Jauß, Hans Robert, Fr. Schlegels und Fr. Schillers Replik auf die „Querelle des anciens et des modernes“, München 1967; Steinwachs, Burkhart, Epochenbewußtsein und Kunsterfahrung. Studien zur geschichtsphilosophischen Ästhetik an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Frankreich und Deutschland, München 1986, S. 87-111.
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dien entwickelt sich das Bewusstsein einer fundamentalen historisch-kulturellen Differenz zwischen der antiken und der modernen Welt. Dieses geschichtliche Bewusstsein konfrontiert Schiller mit der Frage nach der Möglichkeit von Schönheit und Freiheit in seiner eigenen Zeit. Die Frage bildet, wie Ernst Osterkamp gezeigt hat, das gedankliche Zentrum des im Juli 1788 für Wielands Teutschen Merkur geschriebenen Gedichts Die Götter Griechenlandes.32 Dieses Gedicht entwirft in Gestalt einer poetischen Synthese der antiken Welt eine Folie, vor deren Hintergrund Problemlagen der Moderne allererst sichtbar gemacht werden können. Zu diesen Problemstellungen gehört insbesondere die Zeitlichkeit der Moderne selbst, genauer: das Bewusstsein von Zeit, das sich in der Moderne herausgebildet hat. Die antiken Götter begreift das Gedicht als „schöne Wesen aus dem Fabelland“.33 Sie sind für Schiller, und das ist entscheidend, anthropomorphe Hervorbringungen menschlicher Kunst: Die antike Poetisierung der Welt vergegenwärtigt das Gedicht als einen „Schleyer“ der Schönheit34, der sich um die Wahrheit des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses gelegt hat. Die moderne Welt ist demgegenüber, mit Max Weber gesprochen, die ‚entzauberte Welt‘35, mit Schiller: die „entgötterte Natur“.36 Sie ist nicht nur eine freudlose, sie ist eine „entpoetisierte Welt“.37 Schiller fragt kritisch nach den Bedingungen der Möglichkeit, die moderne Welt zu poetisieren, in ihr ein poetisches Band zu erzeugen, das Natur und Menschen wieder neu miteinander verbinden kann. Dazu taugt aber ‒ seiner Auffassung nach ‒ die poetische Darstellungsform des Mythologisierens in der aufgeklärten Welt der Moderne nicht mehr.38 Das liegt insbeson 32 Osterkamp, Ernst, Die Götter ‒ die Menschen. Friedrich Schillers lyrische Antike, München 2005. 33 Schiller, Friedrich, Die Götter Griechenlandes, NA 1, S. 190. 34 Ebd., NA 1, S. 193; vgl. Henrich, Dieter, „Schillers Denken im Spannungsfeld der Jenaer Konstellation“, in: Friedrich Schiller. Dichter, Denker, Vor- und Gegenbild, hg. v. Jan Bürger, Göttingen 2007, S. 116-135. 35 Vgl. Weber, Max, „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904/05)“, in: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 1, Tübingen 1986, S. 17-236, hier: 94 f.; ders., „Wissenschaft als Beruf“ (1919), in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, S. 524-555, hier: 536. 36 Schiller, NA 1, S. 194. 37 Osterkamp, Die Götter ‒ die Menschen, a. a. O., S. 19. 38 Zum Projekt einer „neuen Mythologie“ vgl. Schlegel, Friedrich, Gespräch über die Poesie (1800), KFSA II, S. 284-351, hier: 311-328.
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dere an der Naturwissenschaft, die die Selbstverständigungsprozesse in der modernen Welt wesentlich prägt: Wo jezt nur, wie unsre Weisen sagen, seelenlos ein Feuerball sich dreht, lenkte damals seinen goldnen Wagen Helios in stiller Majestät.39
Die physikalische Theorie der Naturwissenschaft verlangt es den moderni mehr und mehr ab, den Blick in ein „in sich geschlossenes, ziel- und bewandtnisloses Universum aushalten“40 zu müssen. „[G] leich dem todten Schlag der Pendeluhr“ dient dieses Universum, so Schiller in Anspielung auf Newtons Gravitationsgesetz, „knechtisch dem Gesetz der Schwere“.41 Die Pendeluhr wiederholt mechanisch die immer gleichen Bewegungen.42 Sie wird zur Metapher einer modernen Erfahrung von Welt, die nicht mehr aus sich heraus auf ein Göttliches verweist. Die unendliche Zeit des Universums rollt sich gewissermaßen mechanisch ab. Sie zerfällt in aufeinanderfolgende Zeiten, die sich wechselseitig negieren und aufheben. Es ist die ‚schlechte Unendlichkeit‘ leerlaufender Sukzession und Iteration, die Schiller modernekritisch vergegenwärtigt.43 Die ‚Entzauberung‘ der Welt zeigt sich nicht zuletzt in dem Zeitbewusstsein, das die aufgeklärte Moderne selbst hervorgebracht hat: Morgen wieder neu sich zu entbinden, wühlt sie [sc. die entgötterte Natur] heute sich ihr eignes Grab, und an ewig gleicher Spindel winden sich von selbst die Monde auf und ab. Müßig kehrten zu dem Dichterlande heim die Götter, unnütz einer Welt, 39 Schiller, NA 1, S. 190. 40 Henrich, „Schillers Denken im Spannungsfeld der Jenaer Konstellation“, a. a. O., S. 126. 41 Schiller, NA 1, S. 194. 42 Die Veränderungen in der Bewegungsrichtung werden durch die „Anziehungs-“ und die „Zurückstoßungskraft“ bewirkt, vgl. auch Kant, Immanuel, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786), AA IV, S. 498 f. 43 Zur historischen Transformation der Zeitlichkeit mit Rekurs auf das Prinzip der Sukzession vgl. auch Luhmann, Niklas, „Temporalisierung von Komplexität. Zur Semantik neuzeitlicher Zeitbegriffe“, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1980, S. 235-301.
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die, entwachsen ihrem Gängelbande, sich durch eignes Schweben hält.44
Die differenten Metaphoriken vom „toten Schlag der Pendeluhr“ im ‚seelenlosen‘ Hin und Her und vom spindelgleichen Auf- und Abwinden der Monde markieren beide die in sich leere Sukzession der linearen Zeit, die an den Zeiten und Zeitinhalten gleichsam keinerlei Anteil nimmt. In der ihm eigenen Radikalität führt Schiller das Problem vor Augen, das sich angesichts der unendlichen Sukzession der chronischlinearen Zeit stellt. Es ist ein epochales Problem, das, wie mir scheint, alle geistigen Formationen um 1800 zu bewältigen suchen, indem sie Perspektiven entfalten, die diese unendliche Sukzession sinnhaft erscheinen lassen. Eine spektakuläre Lösung versucht Johann Gottlieb Fichte in seiner Schrift Die Bestimmung des Menschen (1800). Gegen die Vorstellungen eines ewigen Kreislaufs bzw. eines Auf und Ab der menschlichen Dinge modelliert er die neue Auffassung einer progredierenden Geschichte: Das Universum ist mir nicht mehr jener in sich selbst zurücklaufende Cirkel, jenes unaufhörlich sich wiederholende Spiel, jenes Ungeheuer, das sich selbst verschlingt, um sich wieder zu gebären, wie es schon war; es ist vor meinem Blicke vergeistiget, und trägt das eigene Gepräge des Geistes: stetes Fortschreiten zum Vollkommeneren in einer geraden Linie, die in die Unendlichkeit geht.45
Auch für Friedrich Schlegel charakterisiert Progressivität in Gestalt der „unendliche[n] Fortschreitung“46 die eigene Zeit47 und ist zu 44 Schiller, NA 1, S. 195. 45 Fichte, Johann Gottlieb, Die Bestimmung des Menschen, Drittes Buch: Glaube (1800), in: Sämmtliche Werke, hg. v. Immanuel Hermann Fichte, Bd. 2, Berlin 1845, ND Berlin 1971, S. 317; vgl. Kittsteiner, Heinz Dieter, „Geschichtsphilosophie und politische Ökonomie. Zur Konstruktion der historischen Zeit bei Karl Marx“, in: ders., Listen der Vernunft: Motive geschichtsphilosophischen Denkens, Frankfurt a. M. 1998, S. 110-131, hier: 115; ders., „Einheit im Pluralismus: Wie kann Geschichtstheorie widersprüchliche Zeitvorstellungen verbinden?“, in: Kontinuität und Wandel. Geschichtsbilder in verschiedenen Fächern und Kulturen, hg. v. Evelyn Schulz, Wolfgang Sonne, Zürich 1999, S. 41-87, hier: 47. 46 Schlegel, Vom Wert des Studiums der Griechen und Römer (1795-1796), KFSA I, S. 631. 47 Vgl. Schlegel, [Über] Esquisse d᾿un tableau historique des progrès de l᾿esprit humain [Condorçet-Rezension 1795], KFSA VII, S. 3-10.
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gleich ein Schlüsselproblem seiner Theoriebildung. „Das Problem unsrer Poesie scheint mir die Vereinigung des Wesentlich-Modernen mit dem Wesentlich-Antiken“, schreibt er an seinen Bruder im Brief vom 27. Februar 1794.48 Er zielt auf die Begründung einer „Aesthetik“. Diese sei, so heißt es, „bisher noch nicht erfunden, sie ist das philosophische Resultat der Geschichte der Aesthetik und auch der einzige Schlüßel derselben.“49 Hier deutet sich an, wie Andreas Arndt gezeigt hat, dass Schlegel die Philosophie selbst als in ihrem Wesen geschichtlich konstituiert versteht, ein Gedanke, der 1797 zu der Konzeption einer „Historisierung des Transzendentalen“ führt.50 In der ab 1794 sich entwickelnden, Ende 1795 vollendeten und 1797 publizierten Schrift Über das Studium der Griechischen Poesie wird die moderne, nachantike Poesie zunächst negativ markiert: Deren Geschichte verfüge, so Schlegel, über keine „Gesetzmäßigkeit“, keine „entschiedne[n] Gränzen“ und insgesamt über keine „befriedigende Einheit“.51 „Charakterlosigkeit“, „Verwirrung“, „Gesetzlosigkeit“ und „Skeptizismus“52 kennzeichneten sie. Die Sinnentwürfe der einzelnen Werke lassen sich nicht universalisieren. Über die negativ aufgeladene Topik vom „ästhetischen Kramladen“53 des eigenen Zeitalters, dessen Produkte sich nur durch eine „interessante Individualität“54 profilieren, aber letztendlich ‒ aufgrund fehlender Allgemeinheit ‒ in der „Nullität“55, im „Unzusammenhang“56 enden, inszeniert Schlegel 48 KFSA XXIII: Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 – 15. Juli 1798), S. 185; Hervorhebung H. H. 49 Friedrich an August Wilhelm Schlegel, 5. April 1794, ebd., S. 188. 50 Vgl. Philosophische Fragmente. Erste Epoche. II [1796-1798], Nr. 756, KFSA XVIII, S. 92; vgl. Arndt, Andreas und Zovko, Jure, „Einleitung“, in: Friedrich Schlegel: Schriften zur Kritischen Philosophie 1795–1805, Hamburg 2007, VII-LXIV; Arndt, Andreas, „Die Frühromantik als Bestandteil der klassischen deutschen Philosophie“, in: Europäische Romantik: Interdisziplinäre Perspektiven der Forschung, hg. v. Helmut Hühn und Joachim Schiedermair, Berlin/New York 2015, S. 143156, hier bes.: 150, 156; ders., „Philosophie“, in: Friedrich Schlegel-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. v. Johannes Endres, Stuttgart 2017, S. 189-213. 51 Schlegel, Über das Studium der Griechischen Poesie, KFSA I, S. 221. 52 Ebd., S. 222. 53 Ebd.; vgl. auch S. 219 f.: „die Karikatur des öffentlichen Geschmacks, die Mode, huldigt mit jedem Augenblicke einem andern Abgotte. Jede neue glänzende Erscheinung erregt den zuversichtlichen Glauben, jetzt sei das höchste Ziel, das höchste Schöne, erreicht, das Grundgesetz des Geschmacks, der äußerste Maßstab alles Kunstwertes sei gefunden.“ 54 Ebd. 55 Ebd., S. 223. 56 Ebd., S. 315.
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die Denkfigur einer „ästhetischen Revolution“.57 Die Krisendiagnose bildet den Hintergrund für eine Neuorientierung, die den Irrweg des „bloß Interessanten“ verlassen und sich in neuer Weise zur „Objektivität“ umwenden will. Die „Herrschaft“ des bloß Interessanten begreift Schlegel als „ästhetische Heteronomie“.58 Auch wenn er in der zweiten Hälfte der 90er Jahre beginnt, die Phänomene des „Interessanten“ zu positivieren, hat er „sein Ziel einer Überwindung des modernen Prinzips des Interessanten freilich nie aufgegeben.“59 In der Zeit des Athenaeums wird die Vermittlung von antiker und moderner Poesie im Rahmen einer bloß ‚tendenziösen Moderne‘ einem nicht abschließbaren, entwicklungsoffenen Prozess anvertraut. Jetzt erst hat Schlegel eine Lösung gefunden angesichts der „künstlichen Bildung“ der Moderne: „Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.“60 In dem Gedanken der „Universalpoesie“ liegt, schaut man zurück auf Schillers Gedicht Die Götter Griechenlandes, eine zeit-, geschichts- und kunstphilosophische Lösung61: Die Sukzession der unendlichen Zeit gewinnt im Prozess des Werdens und Entstehens einen Sinn, wenn auch der Geschichte kein ‚Endzweck‘ übergeordnet werden kann und sie nicht finalisiert werden soll: In ihr geschieht ein progressiver, aber in sich entwicklungsoffener Prozess der ständigen Weiterbildung des bereits Gebildeten. Im Rückgang auf das bereits Gebildete werden dessen innere Potentiale für ein sich daraus anschließendes Fortbilden freigesetzt. Wie Schiller arbeitet Schlegel an einer geschichtsphilosophischen Theorie der modernen Kultur. Poesie wird grundlegend als poiesis (Hervorbringung) verstanden, die sich selbst durch ständiges Um 57 Ebd., S. 269; vgl. S. 262, 272 ff.; Oesterle, Ingrid, „Der ‚glückliche Anstoß‘ ästhetischer Revolution und die Anstößigkeit politischer Revolution. Ein Denk- und Belegversuch zum Zusammenhang von politischer Formveränderung und kultureller Revolution im Studium-Aufsatz Friedrich Schlegels“, in: Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaft, Zur Modernität der Romantik, Bd. 8, hg. v. Dieter Bänsch, Stuttgart 1977, S. 167-216. 58 Schlegel, Über das Studium der Griechischen Poesie, KFSA I, S. 270. 59 Oesterle, Günter, „Schiller und die Romantik. Eine kontroverse Konstellation zwischen klassizistischer Sympoesie und romantischer Sympolemik“, in: Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, hg. v. Walter Hinderer, Würzburg 2006, S. 401-420, hier: 412. 60 Schlegel, Athenaeum-Fragment 116, KFSA II, S. 183. 61 Vgl. Behler, Ernst, „Einleitung“, in: Friedrich Schlegel: Über das Studium der Griechischen Poesie, Paderborn u. a. 1982, S. 13-132, hier: 103-112.
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formen formt.62 Der Eigendynamik der „Bildung“63 wird nun „die Last der Vermittlung des historisch-systematischen Zusammenhangs der Epochen“ und damit der kulturellen Integration aufgebürdet.64 Bildung ist Hervorbringung, Herstellen von Geschichte, und zugleich Selbstreflexion des sich historisch konstituierenden menschlichen Geistes. Schlegels Theoriebildung manifestiert die Temporalisierung auch des Wissens und Erkennens. Die Wahrheit erhält einen zeitlichen Index: Sie muss im historischen Prozess ‒ und das heißt: immer wieder neu ‒ erschlossen werden. Der Gedanke der geschichtlichen Konstitution der Philosophie in einem umfassenden Bildungsprozess des menschlichen Geistes rückt Schlegels in die Nähe der Konzeption, die Hegel später entfalten wird.
III. Die polemische Auseinandersetzung zwischen Hegel und Schlegel: ein Moderne-Konflikt Die Zeit, die Hegel als moderne beschreibt, ist seine eigene. Ihre Wurzeln reichen, ähnlich wie bei Schlegel, weit zurück. Die terminologischen Unterscheidungen lassen den Erkenntnisrahmen der Epochalisierung und Periodisierung der Geschichte erkennen. Als „neueste Zeit“ bezeichnet Hegel die zeitgenössische Gegenwart: Sie ist herausgehoben als aktuelle Gestalt der sogenannten „neueren Zeit“, die mit der Französischen Revolution beginnt und die ihrerseits die abschließende dritte Phase der „neuen Zeit“ bildet, welche „von der Reformation bis auf unsere Zeiten“ führt65; die Neuzeit als Ganze
62 Vgl. Schlegel, Gespräch über die Poesie, KFSA II, S. 290. 63 Zum Bildungsbegriff vgl. KFSA XVIII, S. 293 (Nr. 1174), 376 (Nr. 673); vgl. Arndt, Andreas, „Poesie und Poiesis. Anmerkungen zu Hölderlin, Schlegel und Hegel“, in: Sprache – Dichtung – Philosophie. Heidegger und der Deutsche Idealismus, hg. v. Bärbel Frischmann, Freiburg/München 2010, S. 61-75. 64 Steinwachs, Epochenbewußtsein, a. a. O., S. 106. 65 Hegel, G. W. F., Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, TWA 12, S. 417: „Das Prinzip des freien Geistes ist hier zum Panier der Welt gemacht, und aus diesem Prinzipe entwickeln sich die allgemeinen Grundsätze der Vernunft.“ Vgl. Habermas, Jürgen, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1993, S. 13-16; Angehrn, Emil, „Die Ambivalenz der Moderne. Staat und Gesellschaft in Hegels Rechtsphilosophie“, in: Hegel-Jahrbuch 1988, Bochum 1989, S. 170-181.
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aber ist die dritte Periode der „neuen Welt“66, als welche Hegel die germanisch-christliche versteht, in der das Subjekt zu sich kommt. Doch führt diese philosophisch-theologische Genealogie schließlich hinter die neue Welt zurück. Bereits mit der Auflösung Griechenlands zur Zeit des Peloponnesischen Kriegs beginnt „das Prinzip der modernen Zeit“: Sokrates ist der „Hauptwendepunkt des Geistes“.67 „Das Prinzip, das nach Hegel in eminenter Weise den Gang des europäischen Denkens prägt und zugleich für die ambivalenten Züge der Gegenwart einzustehen hat, ist das Prinzip der Subjektivität. Es ist dasselbe Prinzip, das den höheren Wahrheitsgehalt des modernen Geistes benennt und gleichzeitig auf Tendenzen der Vereinseitigung, des Verkommens zum ‚bloßen Subjektivismus‘ verweist. […] Die Übersteigerung des subjektiven Prinzips zum modernen Subjektivismus“, so Emil Angehrn, „ist kein Überschreiten, sondern Verfall: Darin ist die Kritik der Moderne zugleich Plädoyer für die Bewahrung ihres produktiven Potentials.“68 Es ist der Abschnitt über die „Moralität“ in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, der insgesamt, wie Walter Jaeschke verdeutlicht hat, „gegen das ‚romantische‘ Selbstmissverständnis der Subjektivität, gegen die Verwechselung der besonderen mit der allgemeinen Subjektivität geschrieben ist – eine Verwechselung, die Hegel paradigmatisch bei dem frühen Friedrich Schlegel anprangert“69, aber der sich entfaltenden Moderne insgesamt attestiert. In § 132 der Grundlinien unterstreicht Hegel: „Das Recht, nichts anzuerkennen, was Ich nicht als vernünftig einsehe, ist das höchste Recht des Subjects“.70 Dieses Recht sei „aber durch seine subjective Bestimmung, zugleich formell, und das Recht des Vernünftigen als des Objectiven an das Subject bleibt dagegen fest stehen“.71 Hegel stellt also dem „höchsten Recht des Subjects“ das „Recht der Objecti-
66 TWA 12, S. 413. 67 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, S. 404, 441 f.; Schlegel geht noch hinter Sokrates auf Pythagoras zurück, vgl. Vom Wert des Studiums der Griechen und Römer, KFSA I, S. 636. 68 Angehrn, „Die Ambivalenz der Moderne“, a. a. O., S. 171. 69 Jaeschke, Walter, „Hegels Kritik an der Romantik“, in: Europäische Romantik, hg. v. Helmut Hühn und Joachim Schiedermair, a. a. O., S. 157-170, hier 165 f. 70 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts [Berlin 1821], GW 14, § 132, S. 115117, hier: 115. 71 Ebd.
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vität“ entgegen.72 Das entscheidende Defizit der Romantik, und hier folge ich Walter Jaeschke, sieht Hegel somit in ihrer „Unfähigkeit, diese beiden gleichermaßen berechtigten Rechtsansprüche in angemessener Weise miteinander zu vermitteln: weder – objektivitätsvergessen – nur das Recht des Subjekts vor Augen zu haben, was unausweichlich zur Zerstörung des Subjekts führt, das sich an dieses Recht klammert, noch – subjektivitätsvergessen – den falschen Ausweg aus dieser Situation zu wählen und sich der nächstbesten Objektivität in die Arme zu werfen.“73 Ironie ist bei dem Schlegel der Athenaeum-Zeit eine grundlegende Denkform, ein ästhetisches Darstellungsprinzip und eine Figur der Literatur- und Kunstkritik. Die Ironie-Konzeption hat bei ihm, wie ich andernorts ausgeführt habe, genau die Funktion, die moderne Subjektivität in ihrer Selbstüberschreitung wie in ihrer Selbsternüchterung zu ‚verobjektivieren‘.74 Hegel missdeutet die Dialektik der endlichen Vernunft, die Schlegel in Gestalt der Denkform der Ironie entfaltet. Er sieht in Schlegels Konzeption ein grundlegendes Selbstmissverständnis von Subjektivität: Das ironische Subjekt versteht sich nach Hegel als alleinige und exklusive Entscheidungsinstanz für Wahrheit, Recht und Pflicht und untergräbt in dieser Weise die Grundlagen des Rechts wie der sittlichen Verpflichtungen. In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie wird der eigentliche Gegenstand des Konflikts in der polemischen Darstellung greifbar: Friedrich von Schlegel ist es, der diese Gedanken zuerst aufgebracht, Ast hat es nachgesprochen. Sie [die Ironie] soll die höchste Weise des Verhaltens des Geistes sein und ist als das Göttlichste aufgestellt worden. […] Diese Ironie ist eine Wendung der Fichteschen Philosophie, 72 Ebd.; vgl. zur gelungenen Vermittlung, GW 14, § 260, S. 208: „Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten.“ 73 Jaeschke, „Hegels Kritik an der Romantik“, a. a. O., S. 166; vgl. Vieweg, Klaus, „‚Was ihr wollt‘ oder ‚Wie es euch gefällt‘. Romantische Ironie und Lebensform“, in: Die Aktualität der Romantik, hg. v. Michael Forster und Klaus Vieweg, Berlin 2012, S. 183-204. 74 Hühn, Helmut, „Zwischen Literatur, Philosophie und Religion: Friedrich Schlegels Schrift ‚Über die Unverständlichkeit‘“, in: Religion und Literatur. Konvergenzen und Divergenzen, hg. v. Richard Faber und Almut-Barbara Renger, Würzburg 2017, S. 41-61, bes.: 51 ff.
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aus ihr hervorgegangen, und ist ein wesentlicher Punkt in dem Verständnis der Begriffe der neuesten Zeit. Sie ist das Fertigsein des subjektiven Bewußtseins mit allen Dingen: ‚Ich bin es, der durch mein gebildetes Denken alle Bestimmungen zunichte machen kann, Bestimmungen von Recht, Sittlichkeit, Gut usw.; und ich weiß, daß, wenn mir etwas als gut erscheint, gilt, ich mir dies ebenso auch verkehren kann. Ich weiß mich schlechthin als den Herrn über alle diese Bestimmungen, kann sie gelten lassen und auch nicht; alles gilt mir nur wahr, insofern es mir jetzt gefällt‘.75
Hegel sieht in der Schlegelschen Ironie den historischen Auftritt einer Denk- und Lebensform willkürlicher Subjektivität, die sich in den Gestalten eines ‚Relativismus‘, ‚Solipsismus‘ und ‚Nihilismus‘ manifestiert. Der Hegel-Schlegel-Konflikt ist, in Hegels Augen, ein politischer-ethischer Konflikt und zugleich eine philosophische Auseinandersetzung um die Legitimierung einer intersubjektiv verbindlichen Vernunft. Die ‚Moderne um 1800‘ zeichnet sich durch das Reflexivwerden der Traditionen aus. Nichts kann mehr ‚naturwüchsig‘ Geltung beanspruchen, alles muss sich ‚vor der Vernunft‘ rechtfertigen. Aber alle kommunikative Begründung von Normativität ist an die Überwindung des Subjektivismus gebunden, der sich nur dem verpflichtet weiß, was ihm „jetzt gefällt“. Hegel betreibt seine Kritik willkürlicher Subjektivität mit solcher Härte, weil er das Heraufkommen eines ethischen Nihilismus auf radikale Weise bekämpfen möchte. Seine Romantik-Kritik im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts fokussiert damit bereits ein gesellschaftliches wie kulturelles Problem, das Nietzsche am Ende des Jahrhunderts als eine zentrale Herausforderung der Moderne zu bearbeiten versucht und das über Nietzsche hinaus bis in unsere eigene Gegenwart hinein virulent ist. Hegel missversteht Schlegels Position als Delegitimierung von intersubjektiver Verbindlichkeit, dabei ist diese ein andersgearteter Versuch der Legitimierung von Objektivität in Gestalt einer prozeduralen und kommunikativen Vernunft. Die Konfliktgrammatik der Moderne ist wesentlich durch solche Muster der Delegitimierung und Legitimierung gekennzeichnet.
75 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, S. 460.
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IV. Romantik und Idealismus im Horizont einer Konfliktgeschichte der Moderne Die Diskursformationen Romantik und Idealismus sind Generatoren wie auch Evaluatoren von Modernität. Sie haben in dem konfliktuösen geschichtlichen Prozess, den die Moderne darstellt76, neue Antworten erzeugt auf Fragen, die historisch hervorgetreten sind und in denen Menschen sich ihr Sein inmitten der geschichtlichen Gegenwart zu denken geben. Sie haben diese Gegenwart aber auch mit den Mitteln ihrer Theoriebildung beurteilt, ja sie sind in diesem Sinn Gestalten einer Selbstreflexion und Selbstkritik der Moderne, an die anzuknüpfen für alle gegenwärtigen Versuche der Selbstbeschreibung unerlässlich erscheint. Romantische wie idealistische Theoreme, Denkfiguren und -modelle haben ‒ mit Walter Benjamin gesprochen ‒ ein „Fortleben“77 im Verlauf der Moderne. Sie besitzen in Gestalt von Metamorphosen und Transformationen, von Revitalisierungen und Infragestelllungen eine perennierende Modernität. Andererseits müssen wir ‚Spätmodernen‘ (im Vergleich mit dem Hegelschen Sokrates) uns auch fragen, was uns in unseren Diskursen von diesen Formationen trennt. Die Romantik ist von Anfang an erbitterten Verwerfungen ausgesetzt, ihre Theoreme sind epistemologisch, theologisch, ethisch und politisch bestritten worden. Die durchgängige Sequenz von aufeinander aufbauenden Romantik-Kritiken von Hegels Differenz-Schrift (1801) und seiner Phänomenologie des Geistes (1807) bis zu Carl Schmitts Politische[r] Romantik (21925) und zu Georg Lukács᾿ Die Zerstörung der Vernunft (1954) führt vor Augen, dass die Auseinandersetzung mit der Romantik zur kulturellen Selbstverständigung einer Moderne gehört, die, vereinfacht gesagt, in sich widersprüchlich ist und nicht ohne ‚Ambivalenzspannungen‘78 problemlösend und -erzeugend voranschreitet. Auch der Idealismus hat früh seine radikalen Kritiker gefunden. Im Rahmen der Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts ist es üblich geworden, von den sogenannten 76 Vgl. zum Wahrheits- als einem konstitutiven Streitgeschehen Lessing, Gotthold Ephraim, „Wie die Alten den Tod gebildet. Eine Untersuchung“, in: ders., Werke in drei Bänden, Bd. 3, München 2002, S. 189-245, hier: 190. 77 Vgl. Benjamin, Walter, Die Aufgabe des Übersetzers, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4.1, Frankfurt a. M. 1972, S. 9-21, hier: 10 f. 78 Vgl. Freud, Sigmund, Totem und Tabu (1912/13), in: Gesammelte Werke, hg. v. Anna Freud u. a., London 1940-1952, Bd. 9, S. 175.
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‚nachidealistischen‘ Denkern (wie Schopenhauer, Kierkegaard, Marx oder Nietzsche) zu sprechen. Die Kritik des Idealismus, vor allem des Hegelschen Systems, bildet sich seit den 20er Jahren heraus und führt über die Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos bis in die Gegenwart. Will man die Diskursformationen weiter profilieren, dann ist genauer zu untersuchen, wo die Bruchlinien in der Konfliktgeschichte der Moderne verlaufen. Hier kann nur ein Problemfeld abschließend in den Blick gerückt werden: Idealismus wie Romantik beginnen beide, wie angedeutet worden ist, radikal geschichtlich zu denken und laborieren beide auch an den Herausforderungen eines solchen Denkens. Vergeschichtlichungsschübe haben im Prozess der Moderne aber immer wieder „kompensatorische Re-Substantialisierungen (von Volk, Religion, Nation)“ auf den Weg gebracht79, die die Einsichten in historische wie kulturelle Relativität rückgängig zu machen suchen. Die selbstreflexive Historisierung der eigenen Erkenntnisperspektive erzeugt schwerwiegende epistemische Probleme. Der späte Schlegel scheint sich erkenntnistheoretisch in der Tat einer ‚Objektivität in die Arme zu werfen‘: In der Philosophie der Geschichte heißt es, es sei „in der Geschichte eben, wie in der Wissenschaft und im Leben selbst, der Hauptpunkt, auf welchen das meiste ankommt, und die entscheidende Frage, ob man von Gott ausgeht und Gott als das Erste […] betrachtet.“80 Der Abstand zu der geschichtsphilosophischen Konstruktion, die Schlegel in der Zeit des Athenaeums entwickelt hat, ist beträchtlich. Das Denken aus der Offenbarung Gottes heraus erscheint, philosophisch betrachtet, als Produkt einer Strategie der Entzeitlichung. Geschichtsphilosophie ist in Geschichtstheologie umgeschlagen. Hegels Geistphilosophie verbindet den vormodernen metaphysischen mit dem modernen geschichtlichen Begriff der Gegenwart. Das führt zu einem Präsentismus ganz neuer Art, wie Albrecht Koschorke herausgearbeitet hat:
79 Geulen, Eva, „Ist die Romantik modern oder vormodern? Erwiderung“, in: Romantik kontrovers, hg. v. Gerhart von Graevenitz u. a., Würzburg 2015, S. 141-148, hier: 145. 80 Schlegel, Philosophie der Geschichte (1829), KFSA IX, S. 32.
ROMANTIK UND IDEALISMUS
343
Dieses Ineinander von Prozesshaftigkeit und ewiger Gegenwart ist charakteristisch für die von Hegel eingenommene Stellung als Mittler innerhalb der abendländischen philosophischen Tradition. […] Von der einen Seite betrachtet stellt er alles unter das Vorzeichen der Diachronie; die ganze Welt gerät in zeitliche Bewegung, nichts kann sich künftig dem historischen Apriori entziehen. Von einem leicht verschobenen Blickpunkt jedoch ist die Zeitlichkeit zurückgenommen in ein Standbild des gegenwärtigen Geistes, der alle Prozessstufen in sich enthält. Nach der einen Seite ist diese Philosophie der sich beschleunigenden Moderne, nach der anderen der schwindenden Ewigkeit der vormodernen Metaphysik und Theologie zugewandt.81
Die Aufgabe einer Vermittlung von Vernunft und Geschichte ist wie die einer Vermittlung von ‚subjektivem‘ und ‚objektivem Recht‘ noch zu keinem Ende gekommen.
81 Koschorke, Hegel und wir, a. a. O., S. 68.
Personenregister Kursive Seitenzahlen beziehen sich auf Nennungen von Personen ausschließlich in Fußnoten. Abeken, Bernhard Rudolf 192 Adorno, Theodor W. 316, 325, 342 Aeschylus 122, 178 f. Agrippa 165 f., 217 Aischylos siehe Aeschylus Allemann, Beda 268 Ameriks, Karl 153 Angehrn, Emil 327, 337, 338 Aristophanes 220, 283 Aristoteles 66, 68, 73, 87, 88, 160 f., 169, 171 ff., 175, 176, 178, 213 f., 220, 225, 227 f., 231, 232, 270 ff. Arnauld, Antoine 131 Arndt, Andreas 111, 123, 182, 194, 324, 335, 337 Arouet, François-Marie 85, 105 Asmuth, Christoph 115, 277 Assmann, Aleida 330 Ast, Friedrich 121, 122, 192, 339 Baillie, James Black 150, 153 Baker, John Milton 293 Bardili, Christoph Gottfried 145, 156 f., 159 ff., 164, 167 f., 169 Baudelaire, Charles 313, 330 Bauer, Manuel 72, 75 Beach, Edward A. 66 Beattie, James 152 Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de 296 Becker, Claudia 77, 80 Beethoven, Ludwig van 309, 313 Behler, Ernst 74, 79, 80, 82 f., 85, 139, 142, 176, 183 f., 185, 188, 190, 193, 196, 198, 207, 268, 336 Behrens, Irene 269, 270 Beiser, Frederick C. 140, 141, 143 f., 182, 231 Benjamin, Walter 97, 341
Berkeley, George 152, 235 Berman, Antoine 110 Berner, Christian 118 Bernofsky, Suzan 110 Bieglein, Johann Wolfgang 189 Bienenstock, Myriam 279 Bilgrami, Akeel 315, 316 Binkelmann, Christoph 268 Bird, Graham 153 Blaeschke, Axel 299, 304 Bledowski, Jaroslaw 7 Blumenberg, Hans 46 Bodei, Remo 279 Boeckh, August 111, 119, 120 Böhme, Jakob 64, 220 Böhmer, Caroline siehe Michaelis, Caroline Bopp, Franz 169 f. Böttiger, Karl August 289 ff. Boucher, Maurice 278 Bouterwek, Friedrich Ludewig 145, 158, 164 Bowie, Andrew 307, 308 Brandom, Robert 47 Brentano, Clemens 186, 189 Brucker, Jacob 116 f., 125 Bruno, Giordano 220 Bubbio, Paolo Diego 279 Buchner, Hartmut 203 Bürger, Gottfried August 78 Burwick, Frederick 297 Campana, Franceso 267 Camparsi, Andrea 279 Campe, Elisabeth 187 Carré, Jean-Marie 290 Cassirer, Ernst 46 Cervantes, Miguel de 281 Churchland, Patricia 154
346
PERSONENREGISTER
Churchland, Paul 154 Cicero, Marcus Tullius 163 f., 165 f. Constant, Benjamin 287-290, 296300, 302-306 Cousin, Victor 112, 113 Curley, Edwin M. 152 D’Alembert, Jean-Baptiste le Rond 130 Dannenhauer, Ulrich 268 Dante Alighieri 82, 212, 281 Darwall, Stephen 41 Darwin, Charles 51, 52, 60 De Staël, Germaine 287, 288 ff., 295, 298 ff., 302, 304, 305 Decher, Friedhelm 268 Demokrit 151, 154 Descartes, René 152, 154, 220, 307 Diderot, Denis 77, 130, 220 Dilthey, Wilhelm 97, 120 Diogenes Laertius 150, 151 Ducrot, Oswald 271 Dürr, Suzanne 25 Ebbinghaus, Julius 251 Eberhardt, Johann August 115 Enders, Markus 196 Engels, Friedrich 132 Euripides 176, 179, 331 Fairweather, Maria 288 Färber, Alexander 189 Feyerabend, Paul 154 Ffytche, Matt 61 Fichte, Johann Gottlieb 7, 11 ff., 15, 20 ff., 23, 25-38, 41 f., 44, 48, 58, 65, 73, 74, 79, 97, 115, 118 f., 121, 139, 140, 141, 143, 157, 181, 184, 189, 191, 194 ff., 198, 203, 214, 220, 225, 227, 235 f., 238 f., 245, 255 ff., 258, 263, 334, 339 Fischer, Kuno 220 Forberg, Friedrich Karl 29 Forster, Michel N. 8, 139, 142, 145, 147, 149 f., 152-155, 158, 160, 163 f., 166, 168 f., 182, 184, 198, 289, 339 Foucault, Michel 326
Frank, Manfred 25, 41, 42, 54, 66, 121, 143, 182, 278, 304 Frege, Gottlob 67 Freud, Sigmund 61, 140, 341 Fries, Jakob Friedrich 192 Frischmann, Bärbel 184, 194, 203, 337 Froriep, Ludwig Friedrich von 219 Fulda, Hans Friedrich 183, 214, 223, 229 Fusillo, Massimo 269 Füßli, Johann Heinrich 82 Gabriel, Markus 7, 41, 45 f., 50 f., 53, 58 f., 61, 66, 152 Gadamer, Hans-Georg 114 Galilei, Galileo 13, 17 f., 20, 22 Gall, Franz Joseph 219 Galland-Szymkowiak, Mildred 268, 277, 279 Gaukroger, Stephen 94 Geldsetzer, Lutz 112 Genette, Gérard 274 Geulen, Eva 342 Ghisleri, Luca 276 f., 279 Gjesdal, Kristin 85, 41, 294 Godwin, William 289, 293 Goethe, Johann Wolfgang von 52, 71, 74, 76, 78, 82, 85, 87, 94, 96, 98, 101, 102, 104 f., 212, 274, 288, 289, 290, 292, 298, 326 Gottsched, Johann Christoph 98, 104, 269 Götze, Alfred 289 Grant, Ian H. 44 Gries, Johann Diederich 187, 192 Grimm, Jacob 169 f. Grüning, Thomas 190 Gumbrecht, Hans Ulrich 330 Habermas, Jürgen 43, 65, 70, 325, 327, 330, 331, 337 Haeckel, Ernst 52 Hamilton, Paul 303 Hanson, Norwood 154 Hardenberg, Friedrich von 7, 11, 22 f., 25, 38, 74, 85, 98, 190, 316-319 Haym, Rudolf 141
PERSONENREGISTER
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 7, 25, 38, 41 ff., 46, 48 f., 51 f., 58, 64 ff., 72 f., 77 f., 81, 83-86, 90, 92, 104, 107, 112, 115, 118, 120, 121, 139-146, 148-157, 159, 160-164, 165, 166-171, 177-188, 190-198, 200-209, 211-215, 217-224, 226-229, 231-235, 237, 238, 239-246, 248-252, 254-263, 268 f., 273 f., 279 f., 282, 310-317, 320, 323, 325, 327 f., 331, 337-343 Heidegger, Martin 41, 43, 65, 70, 83, 153, 309, 314, 337, 342 Heimsoeth, Heinz 153 Heindorf, Ludwig Friedrich 128 Heine, Heinrich 64, 73 Heisig, Karl 297 Heller, Josef 276 f. Hellmich, Moritz 108 Helvetius, Claude Adrien 220 Hemsterhuis, Frans 78 Henckmann, Wolfhart 275, 277, 280 Henrich, Dieter 25, 32 f., 182 f., 201, 287, 332 f. Heraklit 151, 160, 162 Herder, Johann Gottfried 75, 77 f., 88, 89, 91 f., 93, 94 f., 96, 97, 98, 99, 100, 105, 107, 140, 147, 168, 169, 171 f., 174, 176, 177, 269 Hermans, Theo 128 Herz, Henriette 123 Herzog, Reinhart 276 Hesiod 281 Higgonet, Margaret R. 298 Hippel, Theodor Gottlieb von 213 Hirsch, Emanuel 183, 200 Hirzel, Rudolf 115 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 75 f. Hogrebe, Wolfram 41, 42, 51, 54 Holcroft, Thomas 293 Hölderlin, Friedrich 25, 38, 140, 143, 200, 274, 337 Hölscher, Lucian 328 Homer 82, 123, 160, 172, 173, 179, 281, 331 Horstmann, Rolf Peter 223 Huddleston, Andrew 92
347
Hühn, Helmut 182, 185, 292, 323, 326, 328, 335, 338 f. Hühn, Lore 42 Humboldt, Wilhelm von 169 f., 327 Hume, David 91, 97, 99, 152 f., 220, 231 Hutter, Axel 42, 48 Isbell, John Claiborne 288, 299 f., 302 Jacobi, Friedrich Heinrich 183, 195 f., 200, 203, 212, 220, 317 Jaeschke, Walter 181 f., 184, 188, 277, 323, 324, 338 f. Jantzen, Jörg 111, 115, 119, 129 Jaspers, Karl 43, 65 Jauß, Hans Robert 331 Jean Paul siehe Richter, Johann Paul Friedrich Jebb, Richard 179 Kaiser, Gerhard R. 288, 324 Kant, Immanuel 12-15, 18 ff., 25-29, 34, 36, 41 f., 44, 48-53, 58, 65 f., 71 ff., 75 ff., 80, 85 f., 89, 104, 105, 107, 116-120, 145, 148, 149, 150, 152 f., 154, 156 f., 159 ff., 163, 167 f., 169, 181, 182, 194 f., 197 f., 203, 212 f., 220, 223, 231, 233, 235 f., 238 f., 245, 249-261, 263, 277, 287, 288, 289-300, 302, 303, 304-307, 309 f., 323, 324, 333 Kerschbaumer, Sandra 324 Kervégan, Jean-François 184 Kierkegaard, Søren 43, 342 Kittsteiner, Heinz Dieter 334 Kleingeld, Pauline 98 Klopstock, Friedrich Gottlieb 78 Koch, Anton Friedrich 223 Körner, Christian Gottfried 327 Körner, Josef 139, 183, 208 f. Korngiebel, Johannes 8, 120, 181, 190, 198, 258 Koschorke, Albrecht 325, 342, 343 Koselleck, Reinhart 326, 329, 330 Krause, Karl Christian Friedrich 192 Kreines, James 231 f. Kremer, Detlev 73
348
PERSONENREGISTER
Krüger, Matthias 135 Kuhn, Helmut 274 Kuhn, Thomas 154 Laks, Andre 116, 121 Lancelot, Claude 131 Larson, Kenneth H. 88 Lehmann, Johannes F. 326 Leibniz, Gottfried Wilhelm 13, 15-20, 23, 54, 116, 236 Lessing, Gotthold Ephraim 77, 88, 89, 96, 102 f., 104 f., 171, 203, 341 Linden, Walter 279 Locke, John 289 Luhmann, Niklas 333 Lukács, Georg 341 Lukian 220 Lyotard, Jean-François 199 Macher, Heinrich 289 Maimon, Salomon 13-16, 19 f., 22, 23, 147, 148 Malebranche, Nicolas 17 Manet, Édouard 313 Marmontel, Jean-François 130 Marquard, Odo 61 Marquardt, Hertha 289 Marx, Karl 42, 66, 203, 334, 342 Matenko, Percy 267 Matuschek, Stefan 324 Mauthner, Fritz 168 McDowell, John 232 Meier, Albert 269 f. Meillassoux, Quentin 49 Mendelssohn, Dorothea, verh. Veit, Schlegel 183, 186-189, 190, 192 Mendelssohn, Moses 103, 115 Menninghaus, Winfried 23 Michaelis, Caroline, verh. Böhmer, Schlegel, Schelling 187 Michelet, Karl Ludwig 197 Moore, George Edward 152 Moritz, Karl Philipp 74, 76, 78, 292 Müller, Adam 96 Müller, Gustav E. 279 Mulsow, Martin 182, 287
Nagel, Thomas 51, 60 Napoleon Bonaparte 288, 300 Nassar, Dalia 94 Neschke, Ada 116, 120 f. Neuhouser, Frederick 41 Newton, Isaac 19, 74, 152, 307, 315 f., 333 Nicolai, Gottlob Samuel 103 Nicole, Pierre 131 Niethammer, Friedrich Immanuel 143, 203, 218 Nietzsche, Friedrich 90, 92, 98 f., 114, 133, 176, 177, 310, 340, 342 Novalis siehe Hardenberg, Friedrich von Oellers, Norbert 289 Oesterle, Günter 336 Oesterle, Ingrid 326, 329 f., 336 Ophälders, Markus 268, 276, 278 f. Ortega y Gasset, José 109 ff. Osinski, Jutta 185 Osterkamp, Ernst 332 Pagani, Karen 302 Paton, Herbert George 251 Patsch, Hermann 111 Paulin, Roger 85, 97 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 187 f., 190 Pearson, Roger 299 Petersdorff, Dirk von 80 Pinkard, Terry 231 Pinna, Giovanna 268, 275, 278, 283 Pinto, Valeria 276 Pippin, Robert 231 f., 312 ff., 323 Pizer, John David 269, 274 Platner, Ernst 147, 148 Platon 66, 109-129, 131, 142 f., 146 ff., 151, 160 ff., 220, 231, 272 ff., 291 f., 299 Ploucquet, Gottfried 54 Pöggeler, Otto 139 f., 184, 190, 200, 202, 209, 279 Polanyi, Karl 316 Popkin, Richard 152, 287 Potz, Dirk 276 f.
PERSONENREGISTER
Prang, Helmut 268 Prauss, Gerold 50 Priest, Graham 163, 167 Priestley, Joseph 289 Putnam, Hilary 316 Pym, Anthony 110 Pythagoras 150, 338 Pyrrhon von Elis 145, 146 ff., 151, 153 f., 164 f., 217 Quine, Willard Van Orman 50 Raffael Sanzio da Urbino 220 Ravera, Marco 277 Reents, Friederike 203 Rehder, Helmut 98 Reid, Thomas 152, 220 Reill, Peter Hanns 94 Reinfandt, Christoph 323 Reinhold, Carl Leonhard 27, 28, 34, 147, 156, 157, 159, 164 Richards, Robert J. 52 Richter, Johann Paul Friedrich 219, 222 Ricoeur, Paul 110 Ritter, Johann Wilhelm 187, 190, 192 Robinson, Douglas 110 Robinson, Henry Crabb 7, 287-300, 303-306 Roger, Christine 85 Rorty, Richard 154 Rose, Dirk 203 Rosen, Julia 299 Rosenblatt, Louise M. 297 Rosenkranz, Karl 197, 208 Rosenzweig, Franz 110 Röttgers, Kurt 203 Rousseau, Jean-Jaques 220 Russell, Bertrand 167 Sandkaulen, Birgit 181 Sartwell, Crispin 297 Savigny, Friedrich Carl von 190, 192 Schäfer, Dorothea 92 Schelling, Caroline siehe Michaelis, Caroline
349
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 7, 41-70, 72-75, 77, 83 f., 115, 140, 142, 157, 181, 186 f., 190, 191 f., 194 f., 201, 202-207, 220, 227 f., 237, 246, 273, 280, 287-292, 294, 296, 298, 299 f., 323 Scherpe, Klaus Rüdiger 269 Schick, Edgar B. 94 Schiller, Friedrich 73, 78, 85, 105, 220, 274, 287 f., 289, 291 ff., 296, 300, 302, 304 f., 325-328, 331-334, 336 Schlegel, August Wilhelm 7, 71, 72 ff., 75, 76 ff., 80-108, 123, 170 ff., 174, 175-179, 181, 202, 267, 277 297, 304, 327, 335 Schlegel, Caroline siehe Michaelis, Caroline Schlegel, Dorothea siehe Mendelssohn, Dorothea Schlegel, Friedrich 7, 11, 64, 72, 73, 74, 78 ff., 83, 94, 118-121, 123, 139-162, 167, 168, 169-172, 173, 175 ff., 178, 179, 180-209, 216, 255 f., 258, 263, 267, 268, 273, 274, 287, 291, 296, 316, 318 f., 325, 326 ff., 331, 332, 334-340, 342 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 7, 97, 109-135, 142, 147, 189, 190, 202, 208 Schlosser, Fritz 289 Schmidt, Andreas 11 Schmidt, Günther 89 Schmitt, Carl 341 Schnabel, Arthur 319 Schnädelbach, Herbert 326 Schneider, Ulrich Johannes 112 Scholtz, Gunter 112, 120 Schöning, Matthias 194 Schopenhauer, Arthur 115, 342 Schreiber, Carl 189 Schulz, Walter 43, 66 Schulze, Gottlob Ernst 29, 145, 156, 220 Schwarz, Klaus 7 Scruton, Roger 150, 153 Sedgwick, Sally 251 Sextus Empiricus 154, 165 f., 217, 220
350
PERSONENREGISTER
Shakespeare, William 78, 82, 85, 86, 87, 88-96, 100-106, 108, 123, 171, 220, 283 Siep, Ludwig 218, 223 Sinclair, Isaac von 143, 218 Snelders, Henricus 187 Sokrates 111, 115, 120, 126, 146, 151, 161, 162, 165 f., 338, 341 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 7, 139, 183 f., 203, 205, 267, 268, 269, 275 f., 277, 278-282, 283 f., 285 Sophokles 82, 171, 176, 177 ff., 220, 283 Sørensen, Bengt Algot 279 Spinoza, Baruch de 18, 49 f., 141, 152, 162 f., 188, 196, 220, 236 Staiger, Emil 73, 75, 284 Steffens, Henrich 201 Stein, Sebastian 231, 234, 237 Steiner, Peter M. 111 f. Steinke, Martin William 89 Steinwachs, Burkhart 331, 337 Stekeler-Weithofer, Pirmin 184 Stern, Robert 231 f. Stern, Tom 85 Sterne, Lawrence 294 Strohschneider-Kohrs, Ingrid 184, 268 Swift, Jonathan 212 Szondi, Peter 50, 73, 268, 269-275 Taylor, Charles 231, 308 f. Tennemann, Wilhelm Gottlieb 116 f., 120, 125, 127 Thomas, François 7, 109 Thouard, Denis 135, 268 Tieck, Ludwig 88, 124, 209, 267, 275 f., 283 Tilliette, Xavier 43, 187 Titzmann, Michael 268 Todorov, Tzvetan 271, 279 Trappen, Stefan 268 f. Urbich, Jan 269 Veit, Dorothea siehe Mendelssohn, Dorothea Veit, Philipp 188
Venuti, Lawrence 110 Vermehren, Johann Bernhard 192 Vieillard-Baron, Jean-Louis 115, 117 Vieweg, Klaus 8, 120, 147, 182, 184, 187, 190, 198, 202, 211, 289, 339 Vigus, James 287, 288 f., 292, 298 Villers, Charles de 304 Völmicke, Elke 61 Voltaire siehe Arouet, FrançoisMarie Voss, Johann Heinrich 78, 123, 331 Walzel, Oskar 268, 277 Weber, Max 310, 332 Wellek, René 85, 97, 98 Werle, Marco Aurélio 71 Wiedeburg, Johann Ernst Basilius 189 Wieland, Christoph Martin 78, 332 Wilcox, Joahn 297 Wilde, Oscar 297 Willems, Gottfried 268 Williams, Bernard 316 Williams, Simon 105 Winckelmann, Johann Joachim 77, 96 Winkelmann, Stephan August 192 Wismann, Heinz 134 Witsch, Sophie 8 Wittgenstein, Ludwig 46, 152 f., 160, 168, 318, 319 Wolf, Friedrich August 111, 121, 124 Wolff, Christian 78 Wundt, Max 115 Xenophanes 151 Young, Edward 89 Zander, Folko 7, 249 Zenon 151, 162 Zima, Peter V. 269 Zimmerli, Walther 203 Zimmermann, Stephan 70 Žižek, Slavoj 46, 51, 61, 312-316 Zovko, Jure 184, 195, 335
Siglenverzeichnis AA
Kant, Immanuel, Akademieausgabe, Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, Berlin, ab 1900.
GA
Fichte, Johann Gottlieb, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. R. Lauth, H. Jacob, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1962-2012.
GW
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Gesammelte Werke. In Verbindung mit der deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der RheinischWestfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg, ab 1968.
KFSA
Schlegel, Friedrich, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. v. Ernst Behler u. a., München u. a., ab 1958.
KGA
Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Hermann Fischer u. a., Berlin u. a., ab 1980.
KrV
Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft.
LMS
Leibniz, Georg Wilhelm, Mathematische Schriften, hg. v. C. I. Gerhardt, Hildesheim, ab 1971.
LPS
Leibniz, Georg Wilhelm, Die philosophischen Schriften hg. v. C. I. Gerhardt, Hildesheim, ab 1978.
MGW
Maimon, Salomon, Gesammelte Werke, hg. v. Valerio Verra, Hildesheim, ab 1965.
NA
Schiller, Friedrich, Nationalausgabe, hg. v. Julius Petersen u. a., Weimar, ab 1943.
NW
Novalis, Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, hg. v. Hans-Joachim Mähl u. Richard Samuel, München, 1978.
SW
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Sämmtliche Werke, hg. v. Karl F. A. Schelling, Stuttgart/Augsburg, 1856-1861.
SZ
Friedrich Schlegel im Spiegel seiner Zeitgenossen. Gesammelt und kommentiert von Hans Eichner, hg. v. Hartwig Meyer u. Hermann Patsch, Würzburg, 2012.
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SIGLENVERZEICHNIS
TWA
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Werke in zwanzig Bänden. TheorieWerkausgabe. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe, hg. v. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Frankfurt a. M., ab 1970.
ÜG
Wittgenstein, Ludwig, Über Gewißheit, in: Werkausgabe, Bd. 8, hg. v. Gertrude E. M. Anscombe und Georg H. von Wright, Frankfurt a. M., 1984.
W
August Wilhelm Schlegel, Sämtliche Werke, hg. v. Eduard Böcking, ND, Hildesheim, 1971-1972.