Humane Arbeit – Herausforderungen für die Beratung [1 ed.] 9783666406218, 9783525406212


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Humane Arbeit – Herausforderungen für die Beratung [1 ed.]
 9783666406218, 9783525406212

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Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN

Carsten Hennig

Humane Arbeit – Herausforderungen für die Beratung

Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN Herausgegeben von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Carsten Hennig

Humane Arbeit – Herausforderungen für die Beratung Mit einer Abbildung

Vandenhoeck & Ruprecht

Für Christa

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: alice-photo/shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2625-6088 ISBN 978-3-666-40621-8

Inhalt

Zu dieser Buchreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort von Jochen Schweitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I Der Kontext 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.1 »Was können wir überhaupt tun?« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.2 Was Beratung ist, was sie leisten kann – und sollte . . . . . 18 1.3 Hinweise zu diesem Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2 Beratung im Spannungsfeld von Humanität und Ökonomie 20 2.1 Evidenz statt Euphorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.2 Mit klarem Blick auf komplexe Systemdynamiken . . . . . 21 2.3 Was ist humane Arbeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II Die systemische Beratung 3 Beharrlichkeit von Anfang an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.1 Der Fall: Miene-Kraft im Strukturwandel . . . . . . . . . . . . . 28 3.2 Das Vorgespräch: Fehlende Klarheit und »knappe Behandlung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31 3.3 Der Coachingprozess: Von der Kollusion zum Eklat . . . . 33 3.4 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.5 Fazit: Das Spannungsfeld lässt sich nicht auflösen . . . . . . 45 4 Solidarität im Umbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4.1 Der Fall: Codezwo – ein Start-up wird Mittelstand . . . . . 47 4.2 Die Vorgespräche: Von der Hypothese zum Konzept . . . 49 4.3 Der Coachingprozess: Aus Ratlosigkeit wird Solidarität 52 4.4 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.5 Fazit: Position beziehen für den Menschen . . . . . . . . . . . . 70

5 Haltung annehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.1 Der Fall: Herr Wardorf – ein Idealist reibt sich auf . . . . . 71 5.2 Das Vorgespräch: Grenzen der Verantwortung ausloten 73 5.3 Der Coachingprozess: Dilemmata erkennen – Desorientierung auflösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.4 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5.5 Fazit: Mit dem Spannungsfeld leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 6 Humane Arbeit: Herausforderungen für die Beratung . . . . . . . 86

III Am Ende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewälti­ gung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwermachen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und ­Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) betreffen unsere intimen Beziehun­gen, deren Anfang und deren Ende, Liebe und Hass, Fürsorge und Vernachlässigung, Bindung und Freiheit. ­Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten. Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben,

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allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick. Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen Grundlagenwissen (1996/2012) und zum störungsspezifischen Wissen 8

(2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das kontextspezifische Wissen der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind. Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten. Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort von Jochen Schweitzer

Carsten Hennig hat sich, wie mir scheint, in diesem kleinen Büchlein Großes vorgenommen. Er lädt darin Beraterinnen und Berater ein, »im Spannungsfeld zwischen einer immer übermächtiger werdenden Ökonomie und einer zunehmend ausgezehrten Humanität« Solidari­ tät, Beharrlichkeit und Reflexivität zu praktizieren. Solidarisch sollen sie mit ihren Klienten, aber auch mit ihren Kolleginnen, unglücklich machender Vereinzelung entgegenwirken. Beharrlich sollen sie auf humanen Praktiken betrieblicher Beziehungsgestaltung bestehen. Und mit Reflexivität als ihrer beruflichen Kernkompetenz sollen sie Verstehen statt blindes Agieren fördern. Gelingt der beratenden Profession diese Haltung, steigen die Chancen, dass die Ökonomie für die Menschen da ist und nicht umgekehrt. Für dieses Vorhaben ist Carsten Hennig bestens aufgestellt, weil er in mehreren Kontexten daran arbeitet: Er coacht Arbeitnehmer und Führungskräfte, er bildet Beraterinnen und Berater weiter, er unterstützt Coaches als Supervisor bei ihrer Arbeit und er organisiert als Initiator und Sprecher der Fachgruppe »Humane Arbeit und Burnout-Prävention« der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) Fachtagungen dazu. Als »Problem-Erklärungs-Theorie« vieler betrieblicher Probleme fokussiert Carsten Hennig den Siegeszug einer neoliberalen Ökonomie und ihrer Beschleunigungsdynamik in immer mehr Lebensbereiche hinein. Ihr stellt er als »Lösungs-Entwicklungs-Theorie«

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­Antonovskys Salutogenese-Theorie gegenüber: Humane Arbeit erfordere, dass Beschäftigte ihre betriebliche Situation verstehen, mitgestalten und ihre Tätigkeit als bedeutsam erleben können. Mutig zu beraten ist in der Arbeitswelt alles andere als leicht. Denn Beratende sind immer auch abhängig von ihren Auftrag­gebern, von deren Honoraren ebenso wie von deren Wertschätzung. Das macht sie ängstlich. Manche macht es mehr und manche weniger ängstlich, manche bemerken es und andere nicht. Carsten Hennig 10

verdeutlicht die Komplexität der Abhängigkeit des Beraters insbesondere in seiner ersten Fallgeschichte (»Miene-Kraft«). In der zweiten Fallgeschichte (»Codezwo«) gelingt es dem Berater dank eines langjährigen Vertrauensverhältnisses mit der unmittelbaren Auftraggeberin, den ursprünglichen Auftrag infrage zu stellen und einen sinnvolleren neuen zu vereinbaren. Die wenigste Angst muss die Beraterin im dritten Fall (»Herr Wardorf«) bewältigen, in der sie nur ihrem privat zahlenden Coachingklienten verpflichtet ist. Die drei Fälle zeigen auch: je mehr Parteien in einer Dreiecks- oder Viereckskonstellation an der Auftragsdefinition beteiligt sind, umso höher steigen die Anforderungen an die aufrechte Haltung und mutige Reflexivität der Beraterin. Alle drei Fallbeispiele verdeutlichen, dass Beraterinnen die ihnen angebotenen Aufträge nie unreflektiert annehmen, sondern erst einmal nachspüren und nachdenken sollten: »Leuchtet mir das ein?«, »Kann ich das leisten?«, »Finde ich das gut?« »Will ich das tun?«. Ich wünsche Carsten Hennig, dass er mit seinem Buch viele Beraterinnen und Berater in der Arbeitswelt ermutigt, auch in Situationen hohen Erwartungs- und Anpassungsdrucks so viel Solidarität, Beharrlichkeit und Reflexivität wie irgend möglich in ihrer eigenen Arbeit zu praktizieren. Jochen Schweitzer

Vorwort

»Der Kampf gegen Gipfel vermag ein ­Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.« Albert Camus (1942/2010, S. 160)

Arbeit gilt neben der Liebe als einer der zwei Eckpfeiler des gelingenden Lebens. Beide stehen in unserer Zeit massiv unter Druck, manch einer spricht von einem schleichenden Tod, verursacht durch Stress, durch Erschöpfung bis hin zu Depression und Burnout. Unter dem Zwang der Ökonomie wird es für uns zu einer immer größeren Herausforderung, unsere grundlegenden Bedürfnisse zu stillen: unter humanen Bedingungen zu arbeiten und ein versteh­bares, handhabbares und für uns und die Gemeinschaft bedeutsames Leben zu führen. Wie kann der erfolgreiche Umgang mit den Herausforderungen des heutigen Arbeitslebens gelingen? Das war die Frage, die mich im Jahr 2011 dazu motivierte, in der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) die Fachgruppe »Humane Arbeit und Burnout-Prävention« zu gründen und als Sprecher zu vertreten. Seither haben wir als Fachgruppe die mannigfaltigen Heraus­ forderungen im Spannungsfeld zwischen Humanität und Ökonomie mit mehreren Hundert Teilnehmenden unserer Veranstaltungen diskutiert, analysiert und immer wieder neu infrage gestellt. Wir haben informiert, Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis eingeladen und zentrale Schlagworte debattiert: Burnout und Salutogenese, betriebliches Gesundheitsmanagement, Gratifikationskrise und psychische Gefährdungsbeurteilung, Arbeitsfähigkeit und

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Wettbewerbsgesellschaft. Für die entsprechenden Diskurse verweise ich auf Maslach und Leitner (1997), Antonovsky (1997), Uhle und Treier (2011), Siegrist (2015), BAuA (2014) respektive Tempel und Ilmarinen (2015) sowie Alsdorf, Engelbach, Flick, Haubl und Voswinkel (2017) bzw. Neckel und Wagner (2016). Unsere Diskussionen lieferten zumeist Antworten in Form weiter­ führender Fragen. Fragen, die mich nicht zuletzt auch zu diesem Buch angeregt haben. Meist ergaben sich nach Stunden intensiver 12

Auseinandersetzung überraschende Perspektivenerweiterungen. Ermutigt von diesen Erfahrungen wünsche ich diesem Buch, dass es bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ebenfalls zur Perspektivenerweiterung beiträgt und Sie ermutigt, mit Beharrlichkeit, Haltung und in Solidarität für das einzutreten, was für uns alle von existenzieller Bedeutung ist: ein gutes, ein gelingendes Leben – nicht zuletzt dank humaner Arbeit. Vielen Dank an Prof. Dr. Jochen Schweitzer, der mich einlud, dieses Buch zu schreiben, sowie an die Coaches, die hierfür ihre Praxisfälle zur Verfügung gestellt haben. Zusätzlich danke ich den Kollegen und Kolleginnen in der DGSF, nämlich dem Vorstand und dem Team der Geschäftsstelle, den Mitstreitenden in der Fachgruppe, insbesondere dem Gründungsteam Felix Brode, Tanja Kuhnert und Max Reinhold, sowie meinem Sprecherkollegen Matthias Bertram, den Mitgliedern des Forums Gesellschaftspolitik und besonders R ­ üdiger Beinroth. Außerdem geht mein Dank an Prof. Dr. Dr. Rolf Haubl, Prof. Dr. Sighard Neckel, Prof. Dr. Walter Simon, Dr. Jürgen Tempel, Dr. Ute Engelbach, Dr. Karin Siegrist, Dr. Julika Zwack, Ann-Kathrin Waldvoigt, Willy Graßl und Frank Baumann-Habersack, die mit ihren Expertisen die Arbeit in der Fachgruppe gefördert haben, sowie an all die Menschen, die unsere Veranstaltungen besucht und uns zu neuen Erkenntnissen angeregt haben.

Weiterhin danke ich Vandehoeck & Ruprecht, insbesondere Günter Presting und Imke Heuer sowie Peter Manstein, für die Unterstützung bei der Entstehung dieses Buches. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei meinen Kundinnen und Kunden für ihr Vertrauen, und bei meinem Freundeskreis für dessen Solidarität. Schließlich danke ich meiner Familie, ohne deren Verständnis und Rückhalt ein so intensives ehrenamtliches Engagement und dieses Buch unmöglich gewesen wären, insbesondere: Clara und Victor, meine Schätze, und Anne, meine Liebe.

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Der Kontext

1 Einleitung Im Laufe seiner Entwicklung ist es dem Menschen mithilfe von ihm geschaffener Technologien gelungen, sich selbst freizusetzen und von seiner ursprünglichen Natur immer weiter zu entfernen (­Claessens, 1993). Die damit verbundene Fortschrittslogik, die unter anderem schließlich auch die Herrschaftstechnik des Neo­ liberalismus mit seinem ökonomischen Diktat hervorbrachte, führte

Kontext

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zu einer zunächst sanften, dann immer schneller werdenden und schließlich sprunghaft zunehmenden Beschleunigungsdynamik (Rosa, 2016). Wir stehen vor der Herausforderung, dass die Technologieentwicklung und die Vermittlung unserer Lebenswelt eine Geschwindigkeit erreicht haben, mit der der Mensch kaum noch Schritt halten kann – eine Anpassung an Neues wird immer schwieriger, weil es sich zu schnell zu Neuerem transformiert. Digitalisierung und Technologisierung ersetzen zunehmend die menschliche Arbeitskraft, wo Produktion und Wirtschaft nicht auf originär menschliche Eigenschaften, wie beispielsweise Mitgefühl, Kreativität oder unabhängiges Denken angewiesen sind. Den beratenden Berufen kommt daher aufgrund ihrer wichtigsten Expertise, der Reflexivität (Seel, 2014), eine gewichtige Stimme beim Beantworten der Frage zu, »wie Verantwortung im digitalen Kapitalismus neu organisiert werden muss« (Jürgens, Hoffmann u. Schildmann, 2017, S. 226). In den Workshops und Informationsveranstaltungen unserer DGSF-Fachgruppe »Humane Arbeit und Burnout-Prävention« kol-

lidieren typischerweise zwei starke Gefühle: das Gefühl der eigenen Verantwortung einerseits und andererseits ein massives Ohnmachts­ gefühl gegenüber einer als übermächtig empfundenen Systemdynamik aufseiten der auftraggebenden Unternehmen und Einzelpersonen. Teilnehmende Kolleginnen und Kollegen beschrieben

zwischen Orientierungs- und Ratlosigkeit, Hilf- und Machtlosigkeit changierende Empfindungen. Sie äußerten Frustration und Ärger angesichts einer Systemdynamik, gegenüber der individuelle Beratungserfolge wirken wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. 1.1 »Was können wir überhaupt tun?«

nungsfeld zwischen einer immer übermächtiger werdenden Ökono-

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mie und einer zunehmend ausgezehrten Humanität überhaupt tun?«

Kontext

Immer wieder drängte sich die Frage auf: »Was können wir im Span-

Bei der Suche nach Antworten kristallisierte sich für uns als Beratende die Notwendigkeit heraus, in Solidarität, mit großer Beharr­ lichkeit und basierend auf unserer bereits genannten Kernexpertise, der Reflexivität, im Gespräch mit Kunden, Klienten und Kolleginnen zu bleiben sowie als Vertreter einer Profession unsere gemeinsamen Sichtweisen zur Verfügung und unsere Haltung zur Diskussion zu stellen (zu den Herausforderungen der Professionsbildung vgl. z. B. Oevermann, 2013). Dies, um den Diskurs darüber zu beleben, für welche Art gesellschaftlicher, kultureller oder arbeitsweltlicher Entwicklungen wir uns gemeinsam stark machen wollen und um gemeinsam herauszufinden, mit welcher Haltung wir uns den drängenden Herausforderungen stellen können und wollen. Sogar: müssen. Mit diesem Buch möchte ich Sie, die in der Beratung tätig sind, zur Solidarität, Beharrlichkeit und Haltung ermutigen. Ich möchte Ihnen Möglichkeiten aufzeigen, Ihre Perspektive zu erweitern und neue Handlungsräume zu erschließen. Um die komplexen Verbindungen der Systemebenen, die intensive Dynamik ihres Zusammenspiels und mögliche Lösungswege zugänglich zu machen, habe ich für dieses Buch drei verschiedene Fälle aus meiner Praxis ausgewählt.

1. Der Fall »Miene-Kraft« zeigt, wie eine Abteilungsleiterin im Zuge von Umstrukturierungen »unter die Räder kommt«, was Coaching in dieser Situation leisten kann und warum es scheitern muss, wenn es gerade zu Beginn an Beharrlichkeit mangelt. 2. Der Fall »Codezwo« greift die Entwicklung eines Start-ups zur Größe eines Mittelständlers auf und zeigt, wie Beratung helfen kann, ein solidarisches Führungsteam zu formen. 18

ten, der in der »Rushhour« seines Lebens an vielen Fronten

Kontext

3. Der dritte Fall fokussiert einen jungen, hoch qualifizierten Experzugleich herausgefordert wird – und dem Beratung hilft, eine lebensfähigere Haltung in Bezug auf diese Herausforderungen zu entwickeln. 1.2 Was Beratung ist, was sie leisten kann – und sollte

Wenn wir über »Beratung« sprechen – was meinen wir dann eigentlich? In diesem Buch verstehe ich unter »Beratung« einen Oberbegriff, der sich auf ein beratungswissenschaftliches Verständnis sämtlicher beratender Tätigkeiten bezieht, welches beispielsweise Coaching oder Supervision einschließt (Hoff u. Zwicker-Pelzer, 2015). Zur Spezifizierung ziehe ich »Reflexivität« als Kernstück beratungsspezifischer Expertise explizit hinzu (Seel, 2014), spreche dann im Folgenden von »Beratung« und bezeichne also damit die »reflexive Beratung« (ebd.) im Gegensatz zur »Fachberatung« (die ich, sofern sie doch gemeint sein sollte, als solche benenne). Warum Beratung sich überhaupt zu einem gesellschaftlich hoch relevanten Thema entwickelt hat, bringt Wolfgang Mutzeck in seinem Standardwerk zur »Kooperativen Beratung« treffend auf den Punkt: »In einer hochgradig arbeitsteiligen und komplexen Gesellschaft hat Beratung an besonderer Bedeutung gewonnen. Sie wird zunehmend als Hilfe bei der Bewältigung und Gestaltung von individuellen und gesellschaftlichen Problemen eingesetzt« (Mutzeck, 2008, S. 12).

Ich hoffe, mit diesem Buch für einen differenzierten Blick auf Beratung zu werben, der uns im Angesicht einer scheinbar überwältigenden Anzahl von Herausforderungen und Möglichkeiten in die Lage versetzt, auf die beiden »Orte« zu schauen, die uns auch bei hoher Unsicherheit und Unbeständigkeit noch Orientierungsfähigkeit gewährleisten: unser Innerstes und unsere Solidar­ gemeinschaft. 19

gen und Entwicklungspotenziale aufzeigen zu können, bei denen wir

Kontext

Ich möchte werben für ein Innehalten, die eigenen inneren Impulse differenziert wahrzunehmen, um Haltungen zu hinterfrauns nicht (nur) auf Schulspezifika oder vermeintlicher Methodenvirtuosität ausruhen, sondern insbesondere die Herausforderungen der eigenen Ich-Entwicklung aktiv in Angriff nehmen (Bachkirova, 2011; Binder, 2016). Ich möchte gleichzeitig werben für ein Selbstverständnis der Profession, welches wir gemeinsam (weiter)entwickeln sollten, um den für ein organisiertes Einmischen notwendigen Schulterschluss zu ermöglichen, und uns so im Sinne der Reflexivität für die Humanisierung der Arbeitswelt einsetzen und entsprechende Alternativen mit Leben füllen zu können. 1.3 Hinweise zu diesem Buch

ȤȤ Selbstverständlich wurden alle hier beschriebenen Fälle anonymisiert. ȤȤ Zur leichteren Unterscheidung von den Falldokumentationen wurden die Fallreflexionen in einer anderen Schrift gesetzt. ȤȤ Zur besseren Lesbarkeit wurde auf eine Neutralisierung der männlichen und weiblichen Schreibweise mittels Sternchen verzichtet – stattdessen wurde eine insgesamt ausgewogene Schreibweise angestrebt.

2 Beratung im Spannungsfeld von Humanität und Ökonomie Zu Beginn meiner Workshops und Seminare weise ich gerne darauf hin, dass ich keine brandneuen Patentrezepte aus dem Hut zu zaubern beabsichtige. Mein Ansatz stattdessen: Rückbesinnung auf die bewährten Vorgehensweisen, die im Laufe der Jahre entwickelt wur20

in der Erwartung, die Mühen der Ebene ließen sich durch intensive

Kontext

den – und leider viel zu häufig nur oberflächlich umgesetzt werden Anschubenergie umgehen und die vermeintliche Sisyphosarbeit des aktiven Nachhaltens ersparen. 2.1 Evidenz statt Euphorie

Wir alle kennen das rauschhafte Erleben, das sich in Kick-off-­Phasen gerne einstellt und um das sich eine ganze Industrie entwickelt hat – vom kreativen Post-it-Kleben über Design-Thinking-Workshops in kleinem Kreis bis hin zu euphorisierenden Keynote-Speeches in Festhallen. Zwischen der zumeist unter der Regie von Beratungsunternehmen entfachten Anfangseuphorie und dem Unternehmens­ alltag klafft eine Umsetzungslücke (Pfeffer u. Sutton, 2001), für die die Beratenden typischerweise keine Verantwortung übernehmen. Der Grund für das Scheitern von Veränderungen wird stattdessen im System des Unternehmens verortet. Tatsächlich wird die ­Umsetzungslücke hier häufig offen gehalten durch mangelnden Einsatz des gesunden Menschenverstandes, also wider besseres Wissen, und begünstigt durch die Logik von Organisations­ dynamiken, das Beharrungsvermögen menschlicher Auffassungen (Groeben, Wahl, Schlee u. Scheele, 1988; Mutzeck, 1988), und die konstante Nötigung durch den allgegenwärtigen Effizienzdruck im Arbeitsleben.

Als Experten für Organisationsverhalten setzen sich Pfeffer und Sutton (2006) für die konsequente Umsetzung einer »Evidenz­ basierung« ein, beispielsweise in Form von ȤȤ konsequentem Hinterfragen von Praktiken, ȤȤ stetigem Fördern konstruktiven Kulturwandels, ȤȤ Konfrontation mit den eigenen Größenfantasien,

Den entscheidenden Unterschied macht der kritische und realisti-

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sche Blick auf das, was konkret im Unternehmen passiert: Was bewir-

Kontext

ȤȤ Widerstand gegenüber mangelhaften Verfahrensweisen.

ken beraterische Interventionen tatsächlich, was bewirken sie nicht und wo kehren sich die guten Absichten in ihr Gegenteil um? Wie wirkt beratendes Handeln? Und wo passiert … nichts? Das Beharren auf Evidenz kann uns in der Beratung dabei unterstützen, die auftauchenden Herausforderungen und weiterführenden Fragen zu reflektieren. Aktiv, gemeinschaftlich und in Resonanz – im Sinne Hartmut Rosas (2016) als der Entfremdung komplementäres Erleben – mit Kolleginnen und Kollegen, Kundschaft und unserer Klientel. Es geht darum, Bewusstseinsbildung zu betreiben, allseitige Handlungsfähigkeit herzustellen, die Haltungsentwicklung zu fördern, und auf diese Weise der Solidarität den Weg zu ebnen, die sich in der Arbeitswelt häufig verflüchtigt hat. Gelingt dieser Anspruch, so trägt dies zur Entlastung bei, Spannungen verringern sich, und es bringt den gemeinsamen Diskurs über die Humanität der Arbeitswelt voran. Im Sinne dieser Triade sieht sich auch vorliegendes Buch: Haltung – Solidarität – Beharrlichkeit. 2.2 Mit klarem Blick auf komplexe Systemdynamiken

Sich der Humanisierung von Arbeitswelten zu widmen, bedeutet ein vielschichtiges Unterfangen: Welche Herausforderungen hält die heutige Zeit für uns bereit? Wie machen sich diese in unserer Arbeits-

welt bemerkbar? Inwiefern lassen sie sich humanisieren? Und welche Rolle spielt dabei die Beratung? Vom Individuum zum Kontext

Zur Veranschaulichung der Herausforderungen, mit denen wir als Beratungsprofis konfrontiert sind, orientieren sich die folgenden Falldarstellungen an einem Ebenenmodell, das schrittweise vom Individuum auf den größeren Kontext zoomt: Die Kategorien Indi­

Kontext

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viduum, Team und Organisation und deren Zusammenspiel sind bekannt von klassischen Ansätzen wie etwa dem des organisationa­ len Verhaltens (z. B. Robbins u. Judge, 2009) oder der Themenzen­ trierten Interaktion, dort in Form des Zusammenspiels der Kategorien Ich, Wir, Thema und Globe (Cohn, 2016). Systemische Kontextmodelle

Die Analyse der hier vorgestellten Fälle ist außerdem eingebettet in das systemische Kontextmodell von Beratung (Schiersmann u. Weber, 2013), das zwischen gesellschaftlichem Kontext (z. B. Globalisierung, Arbeitsmarkt), organisationalem Kontext (z. B. Betriebe) und dem Beratungssystem unterscheidet. Im Zentrum des Beratungssystems steht wiederum der Dreiecksvertrag zwischen Auftraggeber (Unternehmen), Führungskraft (Ratsuchende) und Berater/-in (Beratende). Im hier vorliegenden ersten Fall weitet sich dieser Vertrag um eine weitere Stufe auf einen Vierecksvertrag aus, weil der Beratende nicht unabhängig agiert, sondern als Mitarbeiter eines Beratungsunternehmens. Situationsspezifische Modelle

Alle beteiligten Personen sind individuell geprägt durch ihre arbeitsund lebensweltlichen Biografien (S. 30), aktuelle Lebenssituation und Imaginationen der Zukunft. Insofern bieten die drei klassi-

schen Grunddimensionen der Beratung – Person, Umwelt, Lebens­ situation (Schubert, 2014, S. 166 f.) – hilfreiche Perspektiven, um in der Zusammenarbeit mit unseren Klientinnen und Klienten den gemeinsamen Fokus zielgerichtet auf Entwicklungspotenziale legen zu können. 2.3 Was ist humane Arbeit? 23

bedeutet für mich hier im engeren Sinne »menschenwürdig« bzw.

Kontext

Wir haben einen weiteren Begriff zu klären: Wenn wir über »humane Arbeit« sprechen – was ist dann mit »human« gemeint? »Human« im Sinne Johan Galtungs »[den] menschlichen Grundbedürfnissen [dienend]« (Galtung, 1994, S. 12). So bieten etwa die Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeut­ samkeit als Dreiklang des Kohärenzerlebens gemäß der Salutogenese (Antonovsky, 2017) hilfreiche Sichtweisen auf die arbeitsweltlichen Herausforderungen an uns als Beratende, wie auch auf die an unsere Klientel (DGSF-Fachgruppe, 2014). Das »Mitdenken« hieraus resultierender Fragen im Beratungsprozess hat sich als außerordentlich hilfreich erwiesen – dies gilt ebenso in Bezug auf die weitere Lektüre der sich anschließenden Fallberichte: ȤȤ Verstehbarkeit: Wir verstehen die wichtigsten Zusammenhänge unseres Lebens und unserer Arbeit. Hierzu stellen wir in der Fachgruppe die Fragen: Inwiefern (1) kennen wir die Ziele und Anforderungen unserer Arbeit, (2) wissen wir Bescheid über die Bedingungen und systemischen Zusammenhänge unserer Position, (3) arbeitet die Führung transparent, (4) finden die Ansprüche und Bedürfnisse unseres Arbeitsalltags im Unternehmen Berücksichtigung? ȤȤ Handhabbarkeit: Wir sind davon überzeugt, das eigene Leben und die eigene Arbeit selbst gestalten zu können. Leitfragen hierfür könnten sein, inwiefern (1) werden wir in unserem Job nach unse-

ren Fähigkeiten eingesetzt und dabei weder über- noch unterfordert, (2) werden eventuell fehlende Ressourcen bestmöglich ergänzt, (3) wird den Menschen Verantwortung gegeben, die über entsprechende Kompetenzen verfügen, (4) können wir eigene Vorstellungen, Vorlieben und das eigene Engagement in relevante Prozesse einbringen? ȤȤ Bedeutsamkeit: Wir erstreben ein sinnerfülltes Leben und Bedeut(1) wird Leistung anerkannt und honoriert, (2) können wir selbst

Kontext

samkeit unserer Arbeit. Hier bieten sich als Fragen an, inwiefern 24

darüber entscheiden, auf welche Weise wir Anerkennung erfahren, (3) wird eine Kultur der Wertschätzung über alle Hierarchiestufen und in allen horizontalen Beziehungen aktiv gelebt und durch die Unternehmensleitung gefördert? Ein Blick auf die Praxis zeigt die Komplexität, mit der sich anspruchsvolle Beratung heute konfrontiert sieht, möchte sie Kohärenz in Form von Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit für sich und ihre Klientel gewährleisten. Die hier nur stark skizzenhafte Verdeutlichung der damit verbundenen Herausforderungen illustriert bereits, dass »Beratung als Wissenschaft ein interdisziplinäres Grund­ verständnis« braucht, welches sich »Erkenntnisse aus der Psychologie, Pädagogik, Psychotherapie, Medizin, Sozialarbeit und Soziologie« zunutze macht (Hoff u. Zwicker-Pelzer, 2015, S. 45). An dieser Stelle möchte ich Sie als Beratende ermutigen, sich in der Auseinandersetzung mit den hier vorliegenden Fallstudien, genauso aber auch in Ihrer eigenen Arbeit, diese unterschiedlichen »Modell-Brillen« aufzusetzen – gerne abwechselnd, gerne auch mehrfach und gleichzeitig. Genau das habe auch ich versucht und darüber hinaus fallspezifisch relevante Sichtweisen entwickelt, um mein Plädoyer für Haltung, Solidarität und Beharrlichkeit zu bekräftigen und daraus dann Handlungsmöglichkeiten abzuleiten.

Die systemische Beratung

3 Beharrlichkeit von Anfang an Der Fall »Miene-Kraft GmbH« gleicht einem Wirtschaftskrimi. Er zeigt, wie komplex unsere heutigen Arbeitskontexte sind und welche Fallstricke sie für Menschen bereithalten, die hier Beratungsdienstleistungen anbieten. Wirtschaftliche Zwänge, sozialer Druck, Charakterschwächen und Unwissenheit vermischen sich zu einem Konglomerat ungünstiger Umstände, deren Auswirkungen sich im

Beratung

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gesamten System niederschlagen. Zusätzlich befeuert durch Machtdynamiken auf den oberen Hierarchieebenen manifestiert sich das dysfunktionale Zusammenspiel auf den unteren Hierarchieebenen und an der Basis häufig in Form von Motivationsmangel, Betrug, Sabotage, Unmenschlichkeit, Suchtkrankheit oder Burnout. 3.1 Der Fall: Miene-Kraft im Strukturwandel

Nach eigener Einschätzung ist Berater Isenberg mit einem Coachingauftrag auf ganzer Linie gescheitert. Er fühlt sich unbehaglich mit dem Ausgang des Falls und fragt sich, was er hätte anders machen können, um den Verlauf des Coachingprozesses mit seiner Coachee, Frau Klein, erfolgreich zu begleiten. In mehreren intensiven Supervisionssitzungen in meiner Praxis stellt er sich den Selbstzweifeln und Fragezeichen in Bezug auf seine Professionalität. Berater Isenberg arbeitet seit gut einem Jahr als Coach für die ProgressConsult GmbH, eine kleine rheinländische Unternehmensberatung, die sich auf Beratungsleistungen im Rahmen von Organisationsentwicklungsprozessen spezialisiert hat, als er Frau Klein kennenlernt. Bereits seit mehreren Jahren ist die ProgressConsult GmbH anlassbezogen für die Miene-Kraft GmbH tätig; die beiden Geschäftsführer kennen sich schon länger und schätzen die gemeinsame Geschäftsbeziehung. Herr Isenberg soll Frau Klein coachen, eine der dortigen Abteilungsleiterinnen. Das Coaching wurde Frau Klein

von ihrer Geschäftsführung angetragen, und sie wünschte sich explizit eine Person als Coach, die keinen persönlichen Kontakt zu ihrer Geschäftsführung unterhält. So fiel der Auftrag an Herrn Isenberg. Hintergrund des Coachingauftrags sind massive Veränderungen der Industrielandschaft im Ruhrgebiet: Bedeutung und Ansehen des Bergbaus sind seit vielen Jahren massiv unter Druck geraten durch Konkurrenz (Globalisierung), ökologische Fragwürdigkeit (Moder29

Arbeitgeber in der Region halten zu können, ist aus dem Bergbau-­

Beratung

nisierung) sowie zweifelhafte volkswirtschaftliche Nachhaltig­keit (Subventionen). Um sich Ende der 1990er Jahre überhaupt noch als Traditionskonzern Kraft AG ein Firmenkonglomerat hervorgegangen, das durch die Miene-Kraft-Betreiber GmbH als Mutterfirma geführt wird. Mit der Konzernauflösung 1998 war es zu Entlassungen und Umstrukturierungen gekommen. Seither hat sich die Schlagzahl erhöht, der traditionell im Bergbau vorhandene Sozialgedanke findet sich kaum mehr im Fokus der Betreiber, das Betriebsklima ist insgesamt rauer geworden. Auf dem Gelände seines ehemaligen Stahlwerks betreibt die GmbH heute einen Industriepark und bietet hauptsächlich Technik- bzw. Versorgungsdienstleistungen an. Sie ist Arbeitgeberin von gut 4.000 Beschäftigten. Die überwiegend mit Männern besetzten Führungsspitzen bestehen zum Großteil aus den alten Kadern und Seilschaften, wobei die meisten dieser Führungskräfte kurz oder unmittelbar vor der Pensionierung stehen. So auch Geschäftsführer Lothar (61) und Personal­ chef Steffen (63). Die altgedienten Mitarbeitenden trauern der ehemaligen Organisationskultur nach (»Mama Miene sorgt gut für uns«); auf ihrer Seite stehen auch jüngere Mitarbeiter, die ebenfalls versuchen, die tradierte Organisationskultur hochzuhalten. Wieder andere sind erst seit kürzerer Zeit dabei und bringen eine modernere Auffassung von Arbeit und Leistung in die Organisation.

Immer wieder kommt es in den Abteilungen der verschiedenen Tochterunternehmen zu Konflikten zwischen neu eingestellten Mittelmanagern und altgedienten Teammitgliedern, sodass mittlerweile mehrfach Team- und Konfliktworkshops stattfanden bzw. Coachings laufen. Eine beträchtliche Anzahl davon wird von der ­ProgressConsult GmbH durchgeführt. Zur Gruppe der motivierten und leistungsbereiten, jüngeren Mitarbeitenden zählt Frau Klein. Sie leitet als mittlere Führungskraft eine

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spezialisierte Zulieferabteilung der GmbH. Sie erhielt die Stelle aufgrund ihrer Erfahrungen, Kompetenzen und Branchenkenntnisse, die sie aus der langjährigen Selbstständigkeit als Leiterin eines Handwerksbetriebes mitbringt: Frau Klein gilt als fleißig, gewissenhaft und anspruchsvoll in Bezug auf die Menge und Qualität der Arbeit, die sie zu verantworten hat. Intern bezeichnet man sie als »Arbeitstier«. Sie sieht sich als sachlich strukturiert und gut organisiert. Sie hat außerdem klare Perspektiven auf Effizienz, ökonomisches Arbeiten und Marktdynamiken der Branche. Laut Berater Isenberg bevorzugt Frau Klein als Führungskraft eine Mischung aus Delegation, Eigenverantwortung, kooperativem Miteinander und Vertrauen. Gerne wende sie sich mit einem offenen Ohr ihren Mitarbeitenden zu. Leider falle es ihr nicht immer leicht, die Gewohnheiten der Selbstständigkeit abzulegen und die Gepflogenheiten der Unternehmenskultur zu berücksichtigen. Dementsprechend ärgere sie sich häufig über die Anliegen der Mitarbeitenden und ihre Rangeleien untereinander, sowie über deren Arbeits­moral. Sie beschreibt das Verhalten ihrer Mitarbeitenden als »Zeitverschwendung«, »Kindereien« sowie »Unselbstständigkeit« und führt diese »Unsitten« auf kontrastierende Haltungen zurück, entstanden durch die ungünstigen Sozialisationsprozesse im Unternehmen. Immer wieder verebbt der »frische Wind«, den Frau Klein mit ihrer dynamischen Tatkraft und ihrem unternehmerischen Denken

in die Abteilung bringen soll, um von dort aus die Kulturentwicklung innerhalb der Organisation voranzutreiben. Frustration erlebt Frau Klein aber nicht nur an der Basis, sondern auch durch das Verhalten ihrer Vorgesetzten, die zwar von ihr »frischen Wind« erwarten, sich selbst aber nicht nur bedeckt halten, sondern die Vorstöße von Frau Klein aktiv sabotieren. So ignorieren sie deren Bitten, notwendige Führungsentscheidungen zu treffen, sich an Absprachen zu halten über auf diese Weise die Modellierung einer unbürokratischen und

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kollegialen Organisationskultur vorzuleben, von der alle Mitarbei-

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und ihrerseits zielführend zu agieren, um den Angestellten gegen-

tenden profitieren könnten. 3.2 Das Vorgespräch: Fehlende Klarheit und »knappe Behandlung«

Beim Vorgespräch in der Chefetage der Miene-Kraft GmbH begrüßen Geschäftsführer Lothar und der Personalchef Steffen Herrn ­Isenberg mit warmen, aber knappen Worten, bevor sie zügig zum Punkt kommen. Sie schildern ihre Erwartungen: Er soll Frau Klein, die seit ein paar Jahren im Unternehmen ist und vor Kurzem ihre Abteilung als Leitung übernommen hat, als Führungscoach zur Seite stehen, um sie bei ihrem Rollenwechsel zu begleiten. Herr Isenberg stellt einige formale Rückfragen, und das Miene-­ Kraft-Führungsteam ist schnell positiv überzeugt: »Ihr Chef hat Sie empfohlen, und Sie passen gut hierher. Das wird schon!« Alles Weitere möge Herr Isenberg mit Frau Klein, die bei diesem ersten Gespräch nicht anwesend ist, direkt besprechen. Bei Fragen könne er sich gerne melden. Das Ganze dauert gute zwanzig  Minuten. Herr Isenberg vereinbart in der Folge per E-Mail einen Termin mit Frau Klein und die beiden treffen sich zum Erstgespräch, mit dem ein intensiver, etwa 18-monatiger Coachingprozess startet.

Im Rahmen seiner Coachingsupervision erkennt Berater Isenberg, dass er bereits im Vorgespräch anders hätte auftreten können, sogar sollen: Er habe sich zu stark zurückgehalten, weil er über wenig Erfahrung als Coach verfügte und sich von seinem Chef auf eine Bewährungsprobe gestellt sah. Gleichzeitig habe er sich geschmeichelt gefühlt und sich beweisen wollen, war aber auch eingeschüchtert und setzte sich unter Erfolgsdruck – die gemeinsame Vorgeschichte der beiden Geschäftsführer flößte ihm Ehrfurcht ein, er

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wollte auf keinen Fall die bestehende Geschäftsbeziehung schädigen. Das Resultat war ein sehr unklar verhandelter Auftrag. Zu diesem Zeitpunkt ahnte mein Klient noch nicht, dass sich in der Folge massive Nebenwirkungen einstellen würden. Die »knappe Behandlung« durch die Herren der Miene-Kraft GmbH empfindet Herr Isenberg im Rückblick als abwertend – er bezieht dies zwar nicht direkt auf seine Person, aber durchaus auf das Coaching an sich. Einerseits habe er Verständnis dafür, dass die oberen Führungsebenen viel beschäftigt seien, andererseits fühlte er sich vorgeführt, lästig und als Befehlsempfänger. Wir erschließen gemeinsam, wie Herr Isenbergs Selbstbild diese Wahrnehmung einerseits mitprägte und andererseits die Empfindungen der mangelnden Wertschätzung und des Lästigen sich als »Vorboten« des anstehenden Prozesses bemerkbar machten. Herr Isenberg erinnert sich in der Supervision an »Anflüge« solcher Gedanken während des Kennenlernens, muss sich allerdings eingestehen, sich vor Nachfragen – sowohl gegenüber seinem Vorgesetzten als auch gegenüber den Auftraggebern – gescheut zu haben, weil er Auftrags- und Gesichtsverlust fürchtete und es ihm daher im Rückblick opportun schien, seine Wahrnehmungen vor sich selbst zu verleugnen. Aus beratungswissenschaftlicher Sicht fällt das Phänomen der »ignorierten Anflüge« in den Bereich der Selbsttäuschung (»self-­

deception« bei Bachkirova, 2011, S. 95 f.) und ist sowohl weit verbreitet wie auch für den Coachingerfolg stark herausfordernd: »The paradox of self-deception is in somehow managing to pretend to myself that there‘s nothing to be seen, just because I know well that there is something unbearably distressing to be seen« (S. 95).

3.3 Der Coachingprozess: Von der Kollusion zum Eklat

offene, bodenständige Art hat mir imponiert. Wir verstanden uns auf

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Anhieb ziemlich gut«, blickt Berater Isenberg zurück. Er beschreibt

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»Meine neue Coachee war mir sofort sympathisch, vor allem ihre

die 49 Jahre alte Handwerksmeisterin als engagiert, pflichtbewusst und gutherzig sowie als gelegentlich stur. Sie selbst habe berichtet, etwa vier Jahre vor Beginn des Coachings sei ihr Mann unerwartet verstorben. Sie habe daraufhin den gemeinsam geführten Handwerksbetrieb abgewickelt und die Stelle bei der Miene-Kraft GmbH angenommen. Die Witwe lebt mit ihrem Sohn (17 Jahre), der kurz vor dem Abitur steht, etwa neunzig Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Die Tochter (22 Jahre) studiert im Ausland und ist zwei bis dreimal jährlich für einige Tage zu Besuch. Auf Nachfrage schildert Frau Klein, dass sie sich insbesondere aufgrund ihrer familiären Lage explizit dafür entschieden habe, wieder in eine Festanstellung zu gehen. Dort sei sie gut versorgt und könne einer Arbeit nachgehen, die sie liebe. Nun habe sie die Herausforderung der Abteilungsleitung bei der Miene-­Kraft GmbH angenommen, weil sie tatkräftig sei und etwas bewegen wolle – es gäbe dort jede Menge zu tun. Das Coaching wurde ihr zwar angetragen, sie fühle sich aber privilegiert durch das Angebot und habe es gerne angenommen. Auch sei sie froh, einen neutralen Coach zu haben, der keine mit ihren Vorgesetzten gemeinsame Vorgeschichte habe – damit fühle sie sich freier.

Kollusion: Solidarität unter falschem Vorzeichen

Berater Isenberg beschreibt Frau Klein als engagiert und bemüht, die Abteilung, die sie in einem wenig erfreulichen Zustand übernommen hat, auf Vordermann zu bringen. Bisher habe sie durch intensive Kommunikation, sanfte Konfrontation, konsequente Delegation und aktive Partizipation versucht, die Teamkultur zu fördern und die Stimmung zwischen den Mitarbeitenden zu verbessern, was an einigen Stellen gelang und zu einer anfänglichen Entspannung

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der zahlreichen Herausforderungen führte. Herausforderungen, die schon bei Frau Kleins ersten Schilderungen ihrer sechs Teammitglieder deutlich wurden: Nur zwei ihrer Mitarbeiter schienen überhaupt leistungsbereit zu sein, die anderen waren auf verschiedene Weise körperlich (nach Unfall) oder mental (nach Suchterkrankung) beeinträchtigt und verrichteten nur wenige Stunden produktiver Arbeit pro Woche – sofern sie dazu Lust verspüren. Die Abteilungsleiterin klagte gegenüber Isenberg darüber, dass sie keine Handhabe gegen die »Bummelei« habe: Abmahnen dürfe sie auf Anweisung der Personal­abteilung nicht. Und mehr noch: Die Mitarbeiter wüssten um die Machtlosigkeit ihrer Vorgesetzten. Nach einigen Coachingstunden taucht ein weiteres Thema auf, das zunächst scheinbar noch in weiter Ferne liegt: Frau Kleins Abteilung ist bis dato dem Mutterunternehmen, der Miene-Kraft Verwaltungs-­ GmbH direkt angegliedert. Zukünftig soll sie in eine der Töchter, in die Miene-Kraft Technik-GmbH, eingegliedert werden. Hiermit müssten verschiedene Änderungen, wie etwa Tarifwechsel der Arbeitsverträge, damit verbundene Aufhebungen von Kündigungs­ sicherheiten, und teils interne wie externe Zuständigkeiten umverteilt sowie Schnittstellen neu definiert werden. Der Wechsel ziehe sich aufgrund interner Unstimmigkeiten bereits einige Monate hin, zwar seien die neuen Verträge innerbetrieblich bereits abgestimmt, jedoch immer noch nicht endgültig fertig. »Wenn das so weitergeht, dann

kann das noch dauern«, versichert Frau Klein, als Herr Isenberg diesen Punkt anspricht. Daraufhin lässt er das Thema auf sich beruhen. In der Supervision beleuchte ich mit Herrn Isenberg die Beziehung zwischen ihm und Frau Klein. Es scheint für beide erfreulich, einen guten Start gehabt zu haben, und Herr Isenberg betont die wohlwollende, intensive und professionelle Arbeitsbeziehung, die sich Ressource zu betrachten sein kann – besonderes Augenmerk aus

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supervisorischer Perspektive gilt hier der Kollusion in Form eines

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zwischen Frau Klein und ihm entwickeln konnte. So sehr dies als

unbewussten Schulterschlusses auf ein positives und konstruktives Ziel hin, während eventuell weitere Themen, die auftauchen (könnten) unter Umständen ausgeblendet, ignoriert oder vernachlässigt werden, wie unangenehme Aspekte der persönlichen oder professionellen Weiterentwicklung. In Herrn Isenbergs Reflexionen tauchen zwiespältige Aspekte auf, die bislang verdeckt waren. Er erkennt, dass er ein hohes Maß an Mitgefühl für Frau Kleins schwierige private Lage hat und ihre Tatkraft schätzt. Er lässt sich mitreißen und unterstützt mit Freude Frau Klein bei ihren Herausforderungen als Abteilungsleiterin. Das latente Misstrauen Frau Kleins gegenüber ihren Vorgesetzten (welches sie auf Coaches als deren potenzielle Abgesandte überträgt) thematisiert er nicht – im Rückblick erkennt er, dass er diesen Punkt ignoriert hat, weil er sich selbst mit ambivalenten Gefühlen gegenüber seinem Arbeitgeber plagte: Ihm gefiel manches Geschäftsgebaren seines eigenen Vorgesetzten nicht und dieser Punkt ließ ihn zwiespältig bleiben gegenüber seiner eigenen Festanstellung. Außerdem fühlte er sich geschmeichelt und wollte diesen Aspekt seines Selbstbildes nicht gefährden. Er genoss das Vertrauen, das ihm Frau Klein entgegenbrachte – die Beziehung der beiden war rein professionell, gleichzeitig war für Herrn Isenberg spürbar, dass Frau

Klein ein regelmäßiger Gesprächspartner auf Augenhöhe fehlte. Auf meine Nachfrage bestätigt er, dass Frau Klein kaum ein Sozialleben außerhalb ihrer Arbeit und ihrer Familie führe. Ihr einziges Hobby sei ihr Garten. Er fühle sich privilegiert und ermächtigt, für jemanden eine wichtige Rolle zu spielen. Im weiteren Verlauf vertiefen wir die Frage nach der Kollusion. Sich mitreißen lassen und gemeinsam in die Tatkraft gehen entpuptier« in Verbindung mit dem Unterstützungswillen des Coachs: Die

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pen sich damit als Folgen des Selbstbildes der Coachee als »Arbeits36

Arbeitskraft maximal auszulasten ist im Sinne des Selbstzwecks eines wirtschaftenden Unternehmens, und gegen Selbstverwirklichung im Beruf ist nichts einzuwenden. Bei gleichzeitiger Kollusion besteht allerdings die Gefahr, dass sich Coach und Coachee in eine sich gegenseitig bestätigende, für den Kontext allerdings blinde »Leistungs­schleife« begeben. Man bestätigt sich unbewusst gegenseitig, wie gut und erfolgreich man ist – selbstkritische Perspektiven kommen zu kurz, ein Infrage­ stellen zweifelhafter Arbeitsbedingungen oder Führungs­konzepte bleibt zurück hinter dem rauschhaften Gefühl, eine gemeinsamen Erfolgssträhne zu erleben. Herr Isenberg bestätigt zähneknirschend, dass er viel früher in die Verantwortung hätte gehen müssen, um in die Konfrontation mit den Rahmenbedingungen des Coachings zu kommen – insbesondere im Hinblick auf das Verhalten von Frau Kleins Vorgesetzten, die sich wenig kooperativ verhielten und zielführende Managemententscheidungen (bewusst?) nicht trafen. Herr Isenberg reflektiert, er habe zwar mit Frau Klein immer wieder über diese Widersprüche gesprochen und sie ermutigt, Kollegen und Vorgesetzte damit zu konfrontieren, stets sei aber alles beim Alten geblieben. Er habe das Problem seiner Mitverantwortung an dieser Stelle nicht sehen wollen und keinen Mut aufgebracht, mit seinen Auftraggebern in einen potenziellen Konflikt einzusteigen –

das gelte im Übrigen auch für das Thema »Wechsel zur Tochtergesellschaft«, welches er wohl zur Kenntnis genommen, aber nicht weiterverfolgt habe unter der Vorannahme, sobald es ausreichend Wichtigkeit erlangen würde, dränge es sicherlich von allein in den Vordergrund. Zwischenbilanz: Machtwort der Geschäftsführung

mit Herrn Isenberg und bittet ihn um seine Meinung zum Verlauf

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des Coachingprozesses mit Frau Klein. Herr Isenberg bedankt sich

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Personalchef Steffen nimmt nach etwa acht Monaten Kontakt auf

freundlich für das Interesse Herrn Steffens an seiner Führungskraft und bittet ihn mit einem Verweis auf den Vertraulichkeitsrahmen, mit ihr persönlich über den Verlauf zu sprechen. Herr Steffen meint, das täte er ja ohnehin immer wieder, aber er sei mit der Entwicklungs­ geschwindigkeit nicht zufrieden. Herr Isenberg schlägt vor, mit Frau Klein über die Möglichkeit eines Dreiergesprächs zu sprechen, für dessen Vorbereitung er sie – sofern sie sich dafür entscheide – gerne unterstützen wolle. Herr Steffen nimmt den Vorschlag an. In der folgenden Sitzung bespricht Herr Isenberg die Sache mit Frau Klein, welche ebenfalls überrascht ist. Gemeinsam spielen sie verschiedene Vorgehensweisen durch und kommen zu dem Schluss, dass ein Dreiergespräch hilfreich sein könnte, um die Schwierigkeiten, denen sich Frau Klein ausgesetzt sieht und bei denen sie wenig Rückhalt von oben spürt, erneut anzusprechen. Vielleicht ergäben sich neue Perspektiven. Wie mit Herrn Steffen verabredet, benachrichtigt Herr Isenberg ihn per E-Mail und setzt ihn in Kenntnis über den kommenden Termin, welcher Herr Steffen zunächst zu-, dann wieder absagt. Dies wiederholt sich, sodass Frau Klein und Herr Isenberg sich weiterhin in der Zweierkonstellation treffen. Erst der dritte Termin kommt endlich mit Herrn Steffen zustande, mittlerweile schon mehr als zehn Monate nach Beginn des Coachingprozesses.

Das Gespräch selbst verläuft befremdlich: Herr Steffen kommt später als geplant und betont, er habe nur wenig Zeit. Weiterhin macht er deutlich, dass er nicht zufrieden sei mit dem Stand der Entwicklungen: »Man erwarte Ergebnisse – dafür müsse doch Verständnis da sein!« Er drängt Herrn Isenberg, endlich Frau Klein zu erklären, dass sie sich durchsetzen soll. Die Sichtweisen seiner Gesprächspartner möchte er nicht hören. Als er den BesprechungsGemeinsam beschließen Herr Isenberg und Frau Klein, sich

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raum verlassen hat, bleiben die beiden anderen irritiert zurück. 38

erneut den Herausforderungen zuzuwenden und zu fragen, ob Herrn Steffens Perspektive auch nachvollziehbare Seiten haben könnte. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Herausforderungen nach wie vor deutlich sind. Die bisherigen Entwicklungen, die Herr Isenberg und Frau Klein klar erkennen, liegen allerdings eher im Bereich mittelfristiger Perspektiven, weshalb sie für Außenstehende unter Umständen wenig zugänglich sein könnten. Frau Klein will sich nach wie vor beweisen und bittet Herrn Isenberg um weitere Unterstützung. Bei genauerem Hinsehen ist sich Herr Isenberg nicht sicher, ob er hier noch auf dem richtigen Weg ging. Mittlerweile war die Übergabe der Abteilung an die Schwestergesellschaft vollzogen und der Wind wurde rauer. Der neue Vorgesetzte von Frau Klein war weniger wohlwollend als der bisherige, im Coaching habe Frau Klein daraufhin den Eindruck geäußert, er wolle sie »weg haben«. Herr Isenberg fragt sich im Rückblick, inwiefern er mit Frau Klein seinen Eindruck hätte thematisieren sollen, dass die Unternehmensführung möglicherweise strategisch agierte und Angestellte, die aus den verschiedensten Gründen nicht das gewünscht Maß an Produktivität liefern, in Frau Kleins Abteilung über längere Zeit gezielt zusammenführte, um sie dann gemeinsam als Abteilung auszulagern. Auf die Frage nach dem Wozu äußerte er die Hypothese, um so

beispielsweise tarifliche Feinheiten oder andere bisherige Zusagen umgehen zu können mit dem Ziel, sich dieser Mitarbeitenden möglichst kostengünstig zu entledigen. Als Begründung, dies nicht mit Frau Klein thematisiert zu haben, führt er an, er habe sie nicht mit einer unangemessenen Interpretation demotivieren oder erschrecken wollen. Er habe sich allerdings erneut vergewissert, inwiefern Frau Klein im Angesicht der Menge und Intensität an Herausforderungen weiter auf ihrer FührungsposiAus beratungswissenschaftlicher Sicht hat Herr Isenberg hier seine »Haltung des Nichtwissens« (Barthelmess, 2016, S. 89 f.) verlassen, indem er Hypothesen darüber, was seine Klientin demotivieren oder erschrecken könnte, ungeprüft ließ. Weiterhin hat er die »Haltung des Nichtverstehens« (S. 102 f.) ignoriert, da er nicht mit Frau Klein exploriert hat, welche Sichtweisen und Annahmen ihrerseits das Beharren auf ihrer Position bei Miene-Kraft so selbstverständlich erscheinen lassen. Schließlich hätte er im Coaching einen Rollenwechsel vollziehen können, um mithilfe von Hintergrund­ informationen zu organisationalen und ökonomischen Dynamiken Frau Klein in ihrer Perspektivenerweiterung zu unterstützen, sodass sie ihre Haltung in Bezug zu ihrer Arbeitsstelle mithilfe eines ergänzten Kontextbezugs hätte beurteilen können. Eskalation: Betrug, Vertuschung und Kündigung

Kurz darauf eskaliert die Gesamtsituation aufgrund von Frau Kleins verstärkter Anstrengung, die Mitarbeitenden zu einem erhöhten Maß an Produktivität zu führen. Bei der Analyse, wem welche Arbeit auf Basis welcher Qualifikationen zuzumuten sei, deckt sie die Umstände rund um eines ihrer Teammitglieder auf: Herr Müller, 49 Jahre alt und bereits seit 12 Jahren im Betrieb, war ursprünglich ungelernt, aber durch interne Schulungen als Fachkraft

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tion arbeiten wolle – sie hatte dies mehrfach vehement beteuert.

qualifiziert. Im Rahmen ihrer routinehaften Überprüfung der Qualifikationen im Team findet Frau Klein Hinweise darauf, dass Herr Müller bei der Abschlussprüfung vor vielen Jahren betrogen hatte und eigentlich als unqualifiziert gelten müsste, womit er schon aus versicherungsrechtlichen Gründen viele seiner Arbeiten nicht verrichten dürfte. Die Personalabteilung hätte den Fehler bemerken müssen, hat sich aber täuschen lassen. Frau Klein versucht infolge ihrer Entde-

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ckung und nach vielen Gesprächen mit den Beteiligten, arbeitsrechtlichen Druck aufzubauen, scheitert aber an den internen Widerständen der Personalabteilung, deren Leiter, Herr Steffen, sich auf die Pensionierung vorbereitet. Seitdem ist nicht nur das Verhältnis zwischen Frau Klein und Herrn Müller, der sich nun in machtvoller Position erlebte, extrem angespannt, sondern auch Frau Kleins Vertrauen in den Rückhalt durch ihre Vorgesetzten ist erschüttert. Im Coaching zeigt sich Frau Klein empört und niedergeschlagen. Wenig später sendet sie eine Nachricht an Herrn Isenberg, in der sie ihm mitteilt, man habe sie zum Gespräch gebeten und ihr eine Abfindung angeboten. Sie sei »aus allen Wolken gefallen«, an einer Belastungsdepression erkrankt und seither krankgeschrieben, die Sache liege nun bei ihrem Anwalt. Herr Isenberg fühlt sich hilflos und selbst wie vor den Kopf gestoßen. Durch dieses Erlebnis schockiert, entschloss er sich, ­Supervision in Anspruch zu nehmen. Nach Herrn Isenbergs letztem Informationsstand ist Frau Klein sechs Monate später immer noch krank, während Herr Steffen ehrenhaft in den Ruhestand entlassen worden ist. 3.4 Analyse

Im Fall der Miene-Kraft GmbH zeichnet sich geradezu schmerzhaft deutlich ab, was geschieht, wenn sich Beteiligte auf allen Ebenen im

Dilemma zwischen dem Erfolgsdruck und dem Vermeiden eigener Entwicklungsherausforderungen bewegen und den Verlockungen der Selbsttäuschung hingeben (Bachkirova, 2011, S. 95 f.): Das Management fährt intransparent zweispurig, ohne den potenziellen Widerspruch zwischen Effizienzsteigerung und Mitarbeiterfreundlichkeit zu thematisieren; Vorgesetzte erwarten Führungsstärke von ihren Abteilungsleitungen, scheitern aber am eigenen Schweinehund; Coaeinbarkeit dieses Ideals mit den Rahmenbedingungen; und Coaches

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versuchen sich zu beweisen, während sie ihre narzisstischen Motive,

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chees wollen sich selbst verwirklichen, ignorieren jedoch die Unver-

die eigenen Befindlichkeiten oder die Überkompensation ihres Minderwertigkeitserlebens ausblenden. Betrachten wir den Fall unter den eingangs als zentrale »Hebel« im Bemühen um humane Arbeit postulierten Aspekten: Beharrlichkeit, Haltung und Solidarität. Beharrlichkeit: Unklarheiten klären – gegen alle Widerstände

Die Aushandlung des Viereckskontrakts zwischen den Auftrag­ gebern bei der Miene-Kraft GmbH, der Führungskraft Frau Klein, dem Coach Herr Isenberg und dessen Vorgesetzten als Leiter der ProgressConsult GmbH sowie Geschäftspartner der Miene-Kraft GmbH war unsauber und lückenhaft. Erwartungshaltungen hätten bilateral geklärt werden können und müssen – sofern zielführend, auch in größeren Runden. Rückkopplungsmöglichkeiten im Beratendensystem, also zwischen Herrn Isenberg und seinem Vorgesetzten, hätten frühzeitig V ­ erstrickungen verdeutlichen können. Damit hätte sich Herr Isenberg ein höheres Maß an Klarheit im Angesicht der schwierigen Lage erhalten und so dem Gesamtsystem einen größeren N ­ utzen stiften können. Eine Reflexion im Rahmen von Coachingsupervision oder mit Herrn Isenbergs Vorgesetztem hätte z. B. eine Nach- beziehungs-

weise Neuverhandlung des Beratungsauftrags zur Folge haben können, in deren Rahmen man den Entscheidern bei Miene-Kraft die Konsequenzen ihres Führungsverhaltens für das Unternehmen hätte spiegeln können. Infolge ungeklärter Perspektiven kam es jedoch zu unnötigen Missverständnissen und schließlich zur Kollusion zwischen Coach und Coachee, wodurch die tatsächliche Zielführung in der Zusammenarbeit nicht mehr ohne Weiteres einer angemessenen Reflexion zugänglich war – und sich letztendlich beide

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­instrumentalisieren ließen. Haltung: Den eigenen Standpunkt finden – und behaupten

Im Fall Miene-Kraft verfügt die Coaching in Anspruch nehmende Führungskraft zwar über ein hohes Maß an branchenspezifischer Erfahrung, jedoch nur über ein sehr geringes Maß an Erfahrung in Bezug auf die Rollenherausforderungen, insbesondere im Angesicht der Unternehmenskultur: Die Organisations- und Führungskultur eines familiengeführten Kleinstbetriebs unterscheiden sich massiv von denen eines großen mittelständischen Betriebs mit »konzernnahen« Strukturen (Simon, 2002; Baars u. Spicer, 2017). Das konstruktive Potenzial dieses Unterschieds, also beispielsweise die ökonomische Unmittelbarkeit der Selbstständigkeit im Gegensatz zu den deutlich stärker bürokratisierten Abläufen einer Konzernverwaltung, von dem sich die Miene-Kraft GmbH im Fall von Frau Klein ja ursprünglich einen deutlichen Mehrwert für die betriebliche Kulturentwicklung erhofft hatte, konnte nicht in ausreichendem Maße in das System assimiliert werden, sodass die ursprünglich als positiv erachtete Fremdheit immer mehr der negativen Irritation durch Entfremdung gewichen ist. Die Ambiguitätstoleranz, also die Fähigkeit, einen Mangel an Verstehbarkeit ohne Beeinträchtigung des Kohärenzgefühls aushalten zu können, die es braucht, um ein »Double-Bind« (von Schlippe

u. Schweitzer, 2003, S. 20 f.) – der Art »Sei fremd, um dem System einen Nutzen zu stiften!« (Nutzen = frischer Wind) und »Sei vertraut, um in das System zu passen!« – in das positive Spannungsfeld eines »Sowohl-als-auchs« zu transformieren, stellt (insbesondere für Führungskräfte und Beratende) eine zentrale Anforderung unserer Zeit dar und bedarf einer wohlentwickelten Reflexivität (Seel, 2014). Berater Isenberg hat mit dem Fall Miene-Kraft seine ProfessioFrau Klein ein guter Coach zu sein. Mit dem unschönen Ende der

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Zusammenarbeit aber befielen ihn starke Selbstzweifel bezüglich sei-

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nalität einer wahren Feuertaufe unterzogen. Er bemühte sich zwar,

ner Professionalität. Mithilfe der Coachingsupervision gelingt es ihm zu verstehen, wie er nach bestem Wissen und Gewissen das getan hat, was ihm zum gegebenen Zeitpunkt notwendig schien und seinem Kompetenzniveau entsprechend möglich war. Im weiteren Verlauf der Coachingsupervision erkennt Herr Isenberg, dass er die Ansichten seines Vorgesetzten in Bezug auf angemessenes Geschäftsgebaren innerhalb der Coachingbranche nicht teilt und dessen divergierende Haltung missbilligt: Als Coach sieht sich Herr Isenberg seiner Profession verpflichtet und stellt daher im Sinne des Nutzens für die Klientel die Notwendigkeit von Beratungsdienstleistungen über deren Möglichkeit, während sein Arbeitgeber sich als Geschäftsmann sieht und daher das ökonomische Kalkül der Möglichkeit, Beratungsdienstleistungen verkaufen zu können, über deren tatsächliche Notwendigkeit stellt. Die beiden setzen also unterschiedliche ethische Schwerpunkte in ihren »Models of P ­ ractice« (Bond, 2015, S. 43, mit Verweis auf Banks, 2006). Herr Isenberg fühlt eine innere Zerrissenheit bei dem Gedanken, sich in den Dienst des Profits stellen zu müssen. Schwankend zwischen tiefer Scham und trotzigem Stolz lässt er sich zu widerständigem Verhalten verleiten, indem er sich mit der Perspektive der instrumentalisierten Mitarbeiterin identifiziert und so einen ideo-

logischen Schulterschluss mit seiner Coachee Frau Klein, der »ebenfalls instrumentalisierten« Führungskraft, einzugehen. Diese Kollusion (nachteiliges, unreflektiertes Einvernehmen) hat seine Perspektiven im Coaching mit Frau Klein immer wieder deutlich eingeschränkt, da es ihm nun als »Verbündeter« nicht mehr möglich war, seine Allparteilichkeit bzw. Neutralität (Schwing u. Fryszer, 2012, S. 85–87) angemessen aufrechtzuerhalten. Heute ist er froh, sich mit seiner inneren Zerrissenheit auseinan-

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dergesetzt zu haben, und seine Reflexions- und Handlungskompetenz haben sich seither deutlich weiterentwickelt. Mehrere Gespräche mit seinem Chef haben ihn außerdem erkennen lassen, dass seine Haltung nicht zu ProgressConsult passt. Er arbeitet heute nicht mehr dort. Solidarität: Vom Solipsismus zurück zur Gemeinschaft

So unschön es erscheinen mag: Aus Sicht der Ökonomie sind Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeitenden von Interesse, solange davon eine Gewinnsteigerung ausgeht. »Die Dynamik des Kapitalismus« (Braudel, 1997) unterwirft wirtschaftende Organisationen, die im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit auf Effizienzsteigerung angewiesen sind, dem Diktat der Ökonomie als einem Instrument der Herrschaft (S. 58). Diese Systemlogik wirkt sich auf das Kohärenzerleben der Menschen innerhalb solcher Institutionen tendenziell negativ aus. Eine Kompensation der fehlenden Kohärenz wird erschwert, weil die »Modernisierung der Seele« (Dornes, 2010, 2012) uns aus tradierten Sozialgefügen herausgelöst und auf uns selbst zurückgeworfen hat – mit insbesondere im Arbeitsleben fatalen Auswirkungen auf die Solidarität, die als Merkmal funktionierender zwischenmenschlicher Beziehungen zu sehen ist. Das Bedürfnis nach sozialer Integration bei gleichzeitiger Entsolidarisierung wirft den Menschen zurück auf dysfunktionale

Gruppen­prozesse, die in der Theorie des organisationalen Verhaltens als »Groupthink« (Nerdinger, 2003, S. 172 f.) klassifiziert werden. Es beschreibt die Dynamiken und Phänomene, die auftreten beim Ringen um Einmütigkeit bei gleichzeitig divergierenden Motivations­ lagen. Dementsprechend schotten sich beispielsweise Subgruppen ab, erhöhen so die interne Kohäsion und produzieren gleichzeitig zusätzlichen Stress durch »das Außen«, welches die Einmütigkeit innerhalb prozesse des Gesamtteams provoziert (S. 176). Solidarisierung wird

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in der Folge zusätzlich erschwert, da Entscheidungsschwierigkeiten,

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der jeweiligen Subgruppen befördert, aber fehlerhafte Entscheidungs­

Dilemmata oder Misserfolge das Selbstbild bedrohen. 3.5 Fazit: Das Spannungsfeld lässt sich nicht auflösen

Auch wenn Fremd- und Selbsttäuschung typisch menschliche Schwächen sind – von Charaktergröße zeugt es nicht, diese Untiefen konsequent auszublenden. Vielmehr gilt es, sich dieser Widersprüche bewusst zu sein, sie zu akzeptieren und zu thematisieren und gegebenenfalls einen konstruktiveren und transparenteren Umgang damit zu finden, dass sie nicht aus der Welt zu schaffen sind. Selbstreflexivität und Ambiguitätstoleranz sind zu zentralen Herausforderungen unserer Zeit geworden. Ihr Mangel an der Spitze des unternehmerischen Kontexts führt zu fatalen Folgen, insbesondere an der Basis – so auch bei Frau Klein und ihrem Team. Eine beharrliche und saubere Auftragsklärung ermöglicht es, vorhandene Double-Binds frühzeitig zu erkennen bzw. rechtzeitig besprechbar zu machen. Ein nicht bearbeiteter Double-Bind führt aufgrund der ihm inhärenten Widersprüche unweigerlich zu Spannungen, denen die Betroffenen mit Abwehr begegnen. So auch Herr Isenberg und Frau Klein: Ihre Kollusion ermöglicht es ihnen, für ihr Kohärenzerleben engere Grenzen zu ziehen, um so den Mangel an Verstehbarkeit zu reduzieren und das Ambiguitätserleben zu mil-

dern. Und das erreichbar und konstruktiv scheinende Ziel der kleinen Schritte bei der Entwicklung von Teamkultur und Führungs­ verhalten ermöglicht Selbstwirksamkeitserlebnisse für jeden der beiden. Die neu gezogene »Bedeutungsgrenze« (Antonovsky, 1997, S. 39 f.) beschneidet hier aber leider auch einen der »vier entscheidenden Lebensbereiche«, nämlich die »wichtigste eigene Tätigkeit«. Hierdurch ist ein dauerhaftes Stützen des Kohärenzerlebens durch engere

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Bedeutungsgrenzen nicht nachhaltig möglich, es kommt unweigerlich bald wieder zu Beeinträchtigungen, im Fall Miene-Kraft sowohl für Frau Klein (Belastungsdepression) wie auch für Herrn Isenberg (Selbstzweifel). Das im Arbeitsleben allgegenwärtige Spannungsfeld zwischen dem Diktat der Ökonomie und den menschlichen Grundbedürfnissen stellt eine zentrale, dauerhafte und im Neoliberalismus strukturell verankerte Herausforderung an jede sich an der Salutogenese orientierende Beratung dar. Aaron Antonovsky hält es unter solchen Umständen »nicht für möglich, ein starkes [Kohärenzerleben] aufrecht zu erhalten« (S. 39 f.). Aus Perspektive des Supervisors bemerkenswert ist insbesondere, wie deutlich sich – um mit den Worten der Salutogenese zu sprechen – im Fall Miene-Kraft ein Mangel an Kohärenz über alle Ebenen und noch über die Grenzen eines Systems hinaus selbst verstärkt, wenn beispielsweise die Verstehbarkeit (Wir verstehen die wichtigsten Zusammenhänge unseres Lebens und unserer Arbeit) nicht gewährleistet ist. Die Betonung des Kohärenzaspekts der Verstehbarkeit im Sinne der Salutogenese (respektive Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit in den Folgekapiteln) soll hier nicht der Typisierung dienen, wie Antonovsky sie diskutiert (S. 37), sondern stellt ein Perspektivenangebot dar, um eine Blickrichtung auf die Gesamt­ zusammenhänge mit einem bestimmten Fokus anzuregen.

Bewusster Entzug von Verstehbarkeit ist ein in Konzernen weitverbreitetes Instrument der Machterhaltung. Und Beharrlichkeit – das soll an dieser Stelle hervorgehoben werden – kann ein mächtiger Hebel im Kampf gegen diesen Entzug von Verstehbarkeit sein: Wenn wir die Kraft aufbringen und den Mut, diesen Hebel immer und immer wieder in Bewegung zu setzen.

Der Fall »Codezwo Software GmbH« zeigt, dass sich Start-ups zwar aus einer Laune heraus in der Garage gründen lassen – dass sich die Weiterentwicklung Richtung Mittelständler aber sehr viel komplexer und für alle Beteiligten durchaus belastend gestalten kann. Insbesondere macht dieser Fall deutlich, wie das Kohärenzerleben durch einen Mangel an Handhabbarkeit (Wir sind davon überzeugt, das eigene Leben und die eigene Arbeit selbst gestalten zu können) massiv gestört werden kann. Gleichzeitig liefert der Fall ein Paradebeispiel dafür, wie elementar eine vertrauens- und respektvolle Arbeitsbeziehung ist, welche Bedeutung Offenheit hat und wie wichtig der Wille zur Nachhaltigkeit und die Bereitschaft zu den damit verbundenen Anstrengungen sind, um konsequent und kontinuierlich konstruktive Entwicklungen anzustoßen – und einen solidarischen Schulterschluss aller von Veränderung betroffenen Mitarbeitenden und Führungskräfte. 4.1 Der Fall: Codezwo – ein Start-up wird Mittelstand

Diesen Fall begleitete ich als Berater selbst. Auftraggeberin ist Frau Eich, die ich aus unserer gemeinsamen Zeit als Studierende der Wirtschaftspädagogik kenne. Seit meiner Selbstständigkeit habe ich sie gelegentlich als Externer bei der Personalentwicklung unter-

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4 Solidarität im Umbruch

stützt. Heute ist sie Leiterin der Human Resources bei der ­Codezwo Software GmbH in Franken. Eines Tages im Frühling erreicht sie mich telefonisch mit der Anfrage, für Codezwo ein Training zur Mitarbeiter­gesprächsführung durchzuführen. Die Codezwo Software GmbH ist in ihrem fünfzehnjährigen Bestehen auf eine Größe von gut 120 Mitarbeitenden gewachsen, sodass eine Umstrukturierung für notwendig befunden wurde, um 48

sicherzustellen. Die Geschäftsführung hat deshalb im vergangenen

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eine weiterhin angemessene Verteilung aller anfallenden Aufgaben Sommer entschieden, eine zusätzliche Hierarchieebene zu etablieren, sodass die drei Bereichsleitungen sich wieder mehr der Unterstützung der Geschäftsführung bei den strategischen Heraus­forderungen zuwenden können. Dafür wurde aus jedem der mittlerweile acht Teams jeweils eine Person als Teamleitung eingesetzt. Die Umstrukturierung ging recht zügig über die Bühne, sodass bis Herbstende die neuen Teamleitungen befördert waren. Anfang des Jahres standen die üblichen Mitarbeitergespräche an und wurden erstmalig von den neuen Teamleitungen mit ihren jeweiligen Mitarbeitenden geführt, sind jedoch durchweg katastrophal verlaufen. Sämtliche Mitarbeitenden, die neuen Teamleitungen, die Bereichsleitungen, die Personalabteilung und die Geschäftsführung sind, so Eich, extrem unzufrieden mit dem Verlauf der Gespräche. Seither sei die Stimmung im Haus deutlich angespannt, die Motivation auf einem historischen Tiefstand und die allgemeine Ratlosigkeit deutlich spürbar. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, daher wolle man die neuen Teamleitungen unterstützen und ihnen einen zweitägigen Intensivkurs in Mitarbeitergesprächsführung ermöglichen, der allerdings aus organisationsspezifischen Gründen in zwei Gruppen zu je vier Personen durchgeführt werden müsse und das Auftragsvolumen daher vier Trainingstage umfasse. Sie bittet mich um ein Konzept inklusive Angebot.

Die Förderung der Mitarbeitenden ist für Frau Eich eine Herzensangelegenheit, für die sie sich gegebenenfalls auch gegenüber Geschäftsführungen und Top-Managern mit Nachdruck einsetzt. Sie pflegt, soweit sich das von außen beurteilen lässt, ein kleines und feines Team an HR-Mitarbeitenden, gemeinsam halten sie die Personalarbeit bei Codezwo trotz wachstumsbedingter Herausforderungen wie chronischem Personalmangel auf hohem Niveau. Frau 49

gen, statt derer wir entsprechend unseres wirtschaftspädagogischen

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Eich und ich teilen das Bestreben, mitarbeiterzentriert zu arbeiten, und pflegen eine kritische Haltung gegenüber »einfachen« LösunVerständnisses auf arbeitsorientiertes und exemplarisches Arbeiten zurückgreifen (Lisop u. Huisinga, 2004). Unser über Jahre gewachsenes Vertrauen auf professioneller Ebene ermöglicht uns eine klare Kommunikation darüber, was notwendig scheint, wie es zielführend umgesetzt werden könnte und wie sich die entsprechenden Entwicklungen ressourcenschonend begleiten lassen. Beim weiteren Nachdenken über Frau Eichs Schilderungen wachsen in mir die Irritationsmomente.

4.2 Die Vorgespräche: Von der Hypothese zum Konzept Mithilfe des systemischen Kontextmodells (Schiersmann u. Weber, 2013) wird die Komplexität der Herausforderungslage bei ­Codezwo deutlicher: Innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes führt beispielsweise die unter dem Diktat der Ökonomie notwendige Konkurrenzfähigkeit zu einer Effizienz- und Steigerungslogik, durch welche Wirtschaftsunternehmen wie Codezwo auf Wachstumsdruck zurückgeworfen sind. Im organisationalen Kontext führt das Unternehmenswachstum zu Umstrukturierungen und Kulturwandel, durch welche die Mitglieder der Organisation im Rahmen dieser Entwicklungen ihrerseits zu Veränderungen aufgefordert sind, wie etwa die Anpassung an sich verschiebende technische, formale und soziale

Strukturen und Abläufe und der daraus folgenden Notwendigkeit des zusätzlichen Kompetenzerwerbs. Hieraus entwickelt sich dann der Kontext des Beratungssystems, innerhalb dessen die Beteiligten sich darum bemühen, ihr Kohärenzerleben aufrechtzuerhalten. Bei Codezwo scheint diesbezüglich zunächst ein selbstverständlicher Konsens zu bestehen, durch ein gezieltes Training der Führung von Mitarbeitergesprächen der Lage Herr werden zu können.

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Ich erkenne anhand der in mir auftauchenden Hypothesen, dass mir diese Annahme »zu offensichtlich« scheint (zur Hypothesenbildung vgl. beispielsweise Schwing u. Fryszer, 2012, S. 129). So denke ich beispielsweise: –– Möglicherweise ist man bei Codezwo auf Hürden gestoßen, für deren Bewältigung bisher keine Strategien entwickelt wurden, sodass man sich mit Vorgehensweisen zu behelfen versucht, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. –– Doch welche Erwartungshaltungen machen ein systematisches Scheitern von Mitarbeitergesprächen, nachdem die Unternehmensführung die frisch von ihr beförderten Nachwuchsführungskräfte inmitten eines unternehmensweiten Umstrukturierungsprozesses damit beauftragt hat, ohne ihnen nennenswerten Rückhalt zur Verfügung zu stellen, zu einer Überraschung? –– Möglicherweise hält man viel von der Kompetenz seiner Nachwuchskräfte und ist nun enttäuscht, weil diese Vorannahme sich nicht bewahrheitet zu haben scheint. –– Möglicherweise provoziert eine solche Desillusionierung, sein eigenes Managementverhalten zu hinterfragen und sich eingestehen zu müssen, seine neuen Führungskräfte nicht ausreichend auf ihre neuen Herausforderungen vorbereitet zu haben. –– Möglicherweise beansprucht der Umstrukturierungsprozess ein hohes Maß an Energie, sodass man dazu genötigt war, bei der

Priorisierung Kompromisse bezüglich der Mitarbeiterförderung einzugehen, deren Folgen sich nun als ein »unternehmensweiter Motivationsdämpfer« entpuppt haben – und damit weit­ reichender sind als gedacht. –– Möglicherweise ist die nun spürbare Handlungsbereitschaft auf allen Ebenen im Unternehmen ein Hinweis darauf, dass keine der beteiligten Personen grob fahrlässig den Tiefschlag gegen die Arbeitsmotivation provoziert hat, sondern schlimmstenfalls bei

In einem zweiten Telefonat schildert mir Frau Eich auf meine Nachfragen hin zunächst weitere Aspekte der Gesamtlage. Die Atmosphäre im Unternehmen sei traditionell von wohlwollendem Miteinander, Offenheit und gemeinsamem Erfolgsstreben geprägt, die Zufriedenheit der Angestellten sei grundsätzlich hoch. Ihrer Einschätzung nach sei die Geschäftsführung im Grunde wohlmeinend, häufig aber doch stark von den unternehmensstrategischen Herausforderungen absorbiert, was sicherlich auch etwas mit persönlichen Neigungen zu tun habe. Sie selbst müsse sich immer wieder vehement für die Mitarbeitendenperspektive stark machen, einen Betriebsrat gebe es nicht. Die Umstrukturierung sei allen Beteiligten als willkommene Chance für konstruktive Entwicklung erschienen. Auf dem Papier machten sich die Pläne wunderbar, doch während der Umsetzung kamen eine intensivere Auftragslage und starker Personalmangel zum ohnehin erhöhten Orientierungsbedürfnis aufgrund der neuen Strukturen hinzu. Insgesamt hat man die Herausforderungen des Wandels unterschätzt, indem man davon ausging, die neuen Führungskräfte könnten ihren Rollenwandel ohne Weiteres vollziehen. Tiefe und Umfang der damit einhergehenden Entwicklungsherausforderungen – sowohl die Anpassung der Führungskräfte und Mitarbeitenden an die neuen Strukturen und Abläufe als

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der Folgenabschätzung Weitblick hat vermissen lassen.

auch deren Identitätswandel im Rahmen der geforderten weiteren Professionalisierung – wurden insbesondere aufgrund mangelnder Erfahrung aufseiten der Geschäftsleitung falsch eingeschätzt. Diese hatten ihr Unternehmen selbst jung gegründet und wurden nun im Rahmen der notwendigen Transformation durch die Folgen des massiven Kulturwandels in ihnen bisher unbekannter Form überrascht. Im Angesicht des Neuen fehlen bewährte Bewältigungsstrategien, innerhalb der Organisation steht man daher auf allen Ebenen einem

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Mangel an Handhabbarkeit gegenüber. Das Scheitern der Mitarbeitergespräche, so Frau Eich, hat die Frage aufgeworfen, ob man die richtigen Personen befördert hat. Bei den Beteiligten herrschten seither Selbstzweifel, über die aber kaum Zeit sei, zu sprechen. Man wolle dennoch etwas tun, sei aber ratlos. Schließlich habe sie mich angerufen, weil sie meine Haltung zur fallspezifischen Bedarfsanalyse kenne. Im Anschluss an Frau Eichs Ausführungen der Sachlage bei Codezwo schildere ich ihr meine Gedanken zu möglichen Vorgehensweisen. 4.3 Der Coachingprozess: Aus Ratlosigkeit wird Solidarität

Im Hinblick auf die Vorgeschichte der missglückten Mitarbeiter­ gespräche möchte ich vor der Konzeption eines Trainings herausfinden, inwiefern es sich um ein Symptom für tiefer liegende Herausforderungen handeln könnte. Ein solcher Umstand würde ein Training zur Führung von Mitarbeitergesprächen am eigentlichen Bedarf vorbei gehen lassen und es auf diese Weise ad absurdum führen. Daher empfehle ich eine intensive Bedarfsklärung mit den Teilnehmenden, um den potenziellen Nutzen der Personalentwicklungs­maßnahme gewährleisten zu können. Ich biete ein Treffen mit den acht Teamleitungen an, um im Rahmen eines kompakten, zweistündigen Einstiegsworkshops in Form einer MRT-Analyse (Multiperspektivischer – engl.: Multi-Rater – Reflexionsprozess zur Teamanalyse,

siehe den Exkurs in Kapitel 4.3) die Perspektiven auf die Sachlage differenziert erheben zu können. Die Personalchefin ist erfreut und betont, das Thema Mitarbeitergesprächsführung solle in jedem Fall eine Rolle spielen, um die Erwartungen der Geschäftsführung zu erfüllen, da diese die Maßnahme unter der entsprechenden Prämisse genehmigt hatte.

Im Rahmen der Auftragsklärung spüre ich an einigen Stellen sehr

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deutlich, wie die Gesprächsdynamik mich mit unterschiedlichen

Beratung

Welche Rolle spielt der Coach?

Rollenanforderungen konfrontiert. Frau Eich wünscht sich im Rahmen der Auftragsklärung von mir als Personalentwickler kompetente Fachberatung zur Trainingskonzeption für die Nachwuchsführungskräfte. Gleichzeitig tauchen Perspektiven und Fragen auf, die mich einladen, gegenüber Frau Eichs professionellen Herausforderungen meinen Coachinghut aufzusetzen, um sie bei ihren persönlichen Herausforderungen mit ihrer Arbeit zu unterstützen. Außerdem spüre ich eine deutliche Anzahl von Impulsen aus der Sicht der Organisationsentwicklung, die mir helfen, in Bezug auf die Gesamtdynamik bei Codezwo und deren Bedeutung für die zu planende Maßnahme hilfreiche Fragen zu finden. Weiterhin meldet sich auch mein »Inneres Team« zu Wort (zur selbstreflexiven Arbeit hiermit vgl. Schulz von Thun u. Stegemann, 2004). Der Unternehmer in mir möchte natürlich gerne erfolgreich ein Geschäft abschließen, der Qualitätsmanager freut sich über die Herausforderung, ein bedarfsspezifisches Personalentwicklungsprodukt zu konzipieren, und der Mitmensch pflegt gerne den Kontakt mit Frau Eich. In meinen Lehrveranstaltungen taucht die Frage nach Rollenklarheit häufig auf, und meine grundsätzliche Empfehlung ist stets, das eigene Bewusstsein für die Vielfalt der Rollenerwartungen und -muster zu schärfen, um einen potenziellen Rollenwechsel erkennen,

benennen und für die beratende Arbeit nutzbar machen zu können. Als Referenzrahmen bedarf es hierfür einerseits der differenzierten eigenen Wahrnehmung in Bezug auf das Spektrum der »Models of Practice« (Banks, 2006) und der eigenen Positionierung gegenüber den daraus resultierenden ethischen Leitgedanken. Also beispielsweise meine Haltung im Angesicht der ideologischen, professionsspezifischen, bürokratischen oder ökonomischen Notwendigkeiten, Bond, 2015). Weiterhin implizieren die Erwartungen unserer Klientel

Beratung

die Beratungsdienstleistungen mit sich bringen können (hierzu auch 54

häufig ein breites Rollenspektrum. So sollen wir in erster Linie reflexiv beraten, aber gegebenenfalls auch Expertise zur Verfügung stellen, Aufklärung leisten, Ermutigungen aussprechen und die Interessen­ lagen von Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen und Akteuren aufzeigen oder gar vertreten sowie als Vertretende der Profession eine repräsentative Funktion erfüllen. Eine konsequente Auseinandersetzung mit der eigenen Werteentwicklung und intensive Coachingsupervision sind hierfür unumgänglich (Bachkirova, Jackson u. Clutterbuck, 2011; Rappe-Giesecke, 2003) und zentrale Bestandteile von mir verantworteter Lehre und Weiterbildung. Insbesondere während der Auftragsklärung schützt eine gewisse Virtuosität im konstruktiven Umgang mit der Fülle an Rollenanforderungen vor vorschnellen oder einseitigen Entscheidungen, außerdem ermöglicht der bewusste und transparente Umgang dem Gegenüber, die eigenen Entscheidungen fundierter zu treffen und die Verantwortung dafür behalten zu können. Häufig stellt ein differenzierender Hinweis auf die situative Rollenvielfalt sogar eine Perspektivenerweiterung dar, denn nicht zuletzt ist der konstruktive Umgang mit solchen Herausforderungen immer eine hervorragende Gelegenheit, Metakommunikation und Reflexivität zu modellieren und damit den Kunden bereits einen exemplarischen Mehrwert zu bieten.

Konzept: Veränderung braucht Zeit – und Gemeinschaft

Die Arbeitsatmosphäre während der MRT-Analyse ist emsig und intensiv. Frau Eich stellt mich vor, ich schildere und begründe das geplante Vorgehen und bitte Frau Eich, die Erwartungen von ­Codezwo an die Teilnehmenden erneut zu verdeutlichen, was sie gerne tut, bevor sie mich mit der Gruppe allein lässt. Die Team­ leitungen sind interessiert, und wir starten konstruktiv und zügig. Konstellationen zu verschiedenen Perspektiven aus, halten ihre

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persönlichen Eindrücke fest, strukturieren, präsentieren und prio-

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Die Teilnehmenden tauschen sich miteinander in wechselnden

risieren die bestehenden Entwicklungsanliegen. Ich moderiere die Gruppendynamik, frage nach individuellen Erfahrungen und persönlichen Perspektiven, thematisiere deren Kontexte, wie beispielsweise das Zusammenspiel von Persönlichkeiten, Teamdynamiken innerhalb eines Teams und zwischen ihnen oder unternehmens­ strategische Herausforderungen im Spannungsfeld von Ökonomie und ­Humanität. Ich öffne außerdem trainingsdidaktische Perspektiven in Bezug auf die weitere Zusammenarbeit, stelle also meine Expertise als Personalentwickler zur Verfügung, um für die Beteiligten ein möglichst hohes Maß an Transparenz über den und Partizipation an dem gemeinsamen Entwicklungsweg zu ermöglichen, auf den wir uns begeben werden. Exkurs zur MRT-Analyse

Der Multiperspektivische Reflexionsprozess zur Teamanalyse oder kurz die »MRT-Analyse« verbindet die Perspektivenvielfalt von Multi-­Rater-Ansätzen (beispielsweise das 360 °-Feedback) mit der Technik des zirkulären Fragens im Rahmen eines strukturierten Gruppenprozesses. Das MRT ermöglicht Teams einen zeitlich kompakten, intensiven, partizipativen und konstruktiven Austausch untereinander, um beispielsweise Herausforderungen, Konflikt­lagen

oder Entwicklungsperspektiven zu identifizieren und aus verschiedenen Sichtweisen zu beleuchten. Darauf aufbauend, lassen sich die im MRT generierten Perspektiven für die weitere gemeinsame Arbeit an

den entsprechenden Themen heranziehen, beispielsweise zur Ideenfindung für und Planung von Entwicklungsmaßnahmen im Rahmen von Teamworkshops (Hennig, 2018a, 2018b). Schritt 1: Klärung des Reflexionsfokus

Beratung

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mit entsprechendem Zielbezug

Feedback ist eine Schlüsselfunktion des Lernens (Scherm u. S­ arges, 2002, S. 14), denn es kann Entwicklungspotenziale aufzeigen. In Form des Abgleichs von Selbst- und Fremdbild eröffnet es die Möglichkeit, gemachte persönliche Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven zu reflektieren (ebd.). Die Perspektiven der anderen können »Aha-Momente« liefern (Taylor, 2011). Diese Perspektivenerweiterung ist aus Sicht der Organisation allerdings nur ökonomisch, wenn sie Verbesserungen zur Folge hat. Daher muss es eine Verbindung geben zu den Unternehmenszielen (Prewitt, 1999). Dementsprechend ist bei der Vorabklärung die Frage wichtig: »Was wollen wir evaluieren?« – wobei bei der Reflexion weniger die einzelnen Details, sondern vielmehr die breiten Tendenzen im Fokus stehen sollten (Taylor, 2011). Im Fall Codezwo lag das übergeordnete Ziel der Veranstaltung in der Wiederherstellung der allgemeinen Arbeitsmotivation. Aufgrund der konkreten Umstände stand zusätzlich das Thema »Mitarbeitergesprächsführungstraining« auf der Agenda. Als handhabbares Reflexionsthema für das MRT ergab sich daraus die Frage nach den Perspektiven auf die aktuelle Situation bei Codezwo, insbesondere die der neuen Führungskräfte.

Schritt 2: Festlegung des Prozessverlaufs für größtmögliche Begegnung

Das zentrale Anliegen hierbei ist die Minimierung wiederkehrender Personenkonstellationen innerhalb der Reflexionsphase in Form einer »Aktivierung der gesamten Gruppe, da nicht die Meinung weniger oder einzelner zählt, sondern alle einbezogen werden« (Reich, 2010, S. 239). Es gilt also, das größtmögliche Maß an Begegsonen, die sich in der Fragephase nicht begegnen, sollten sich dann

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möglichst in der Visualisierungsphase austauschen. Im optimalen

Beratung

nung sämtlicher Teilnehmenden untereinander sicherzustellen. Per-

MRT-Prozessverlauf spricht jede Person mit jeder anderen Person.

Im Hinblick auf die Rolle der Moderatoren und Moderatorinnen betont Reich, dass »sie hier nicht objektive Aussagen zusammenfassen oder richtige Lösungen besprechen, sondern verschiedene, für sie selbst offene Perspektiven erfragen helfen« (S. 239). Im Fall Codezwo handelte es sich um acht Teilnehmende. Für die vier Reflexionsperspektiven der Fragephase bildeten sie zunächst jeweils wechselnde Dialogpartnerschaften in einem Innen- und einem Außenkreis entsprechend einem Karussell-Gespräch ­(Klippert, 1994, S. 44 f.), heutzutage besser bekannt als »Kugellager« oder »Speed-Dating«. Die spätere Visualisierungsphase erfolgte dann in den beiden Vierergruppen »Innenkreis« und »Außenkreis«. Schritt 3: Identifizieren möglicher Blickrichtungen innerhalb des 360 °-Ansatzes

Im Rahmen der »Rundumsicht« von 360 °-Ansätzen auf die im Fokus des MRT stehende Gruppe ergeben sich als zentrale Blickrichtungen auf der übergeordneten Position die der Vorgesetzten, auf der untergeordneten Position die der Mitarbeitenden, sowie auf den lateralen Positionen beispielsweise jeweils interne oder externe Kun-

den, Kolleginnen oder Kooperationspartner (vgl. Scherm u. Sarges, 2002, S. 2). Im MRT bedarf es allerdings keiner aufwendigen Erhebungsprozesse, wie sie für klassische Multi-Rater-Ansätze notwendig sind, da die Sichtweisen aus den jeweiligen Perspektiven durch zirkuläre Fragen verdeutlicht werden. Kersten Reich betont, diese seien bei fiktiven Rollen einsetzbar und hätten »den Vorteil, dass Lerner aus den engen Bahnen des rekonstruktiven Wissens herausnen« (Reich, 2010, S. 241). Insbesondere schließen Teilnehmende im

Beratung

treten können und vielseitiger, dabei auch vernetzter schauen ler58

Rahmen eines MRT damit ihr eigenes Wissen im Kontext relevanter Bedeutungshorizonte »eigenständig forschend und mit Neugier an die Interpretation der Sichtweisen Anderer« an (S. 241). Im Fall Codezwo legten zu Beginn des Workshops die teilnehmenden Führungskräfte als für sie relevante Positionen die Perspektiven der Geschäfts- und Bereichsleitungen (übergeordnet), der Kunden bzw. Kooperationspartner von Codezwo (extern lateral), der Teammitglieder (untergeordnet) sowie der (imaginären) Kolleginnen und Kollegen (lateral: extern bzw. imaginär intern) fest. Schritt 4: In wechselnden Kleingruppen zirkuläre Antworten sammeln

Ein zentrales Problem für die Relevanz der im Rahmen klassischer Multi-Rater-Ansätze erhobenen Informationen liegt in deren Verzerrung durch die subjektive Realität der Beurteilenden, da »jeder Beurteiler sich seine Eindrucksrealität selbst konstruiert« (Scherm u. Sarges, 2002, S. 24). Seine Aussagen entpuppen sich damit als illusorisch in der Annahme, »sie würden der Wirklichkeit des Lesers oder Zuhörers entsprechen« (Palmowski u. Thöne, 1995, S. 115), sowie in »dem Anspruch der Übernahme der eigenen Position unter Berufung auf sein Expertentum oder auf Objektivität« (S. 115). Zwar gilt dies

selbstverständlich auch für den Perspektivenaustausch der MRT-Teilnehmenden untereinander, allerdings besteht hierbei im Rahmen der lebendigen Beziehungskommunikation und mithilfe sich ergänzender Blickwinkel die Möglichkeit für »eine Erweiterung und Öffnung des Gesprächs, da es nicht um objektive Tatsachen, sondern um Meinungen ›über‹ etwas geht« (Reich, 2010, S. 239). Dementsprechend ist die »zirkuläre Reflexivität« eines MRT der »linearen Reflexivität« klas59

nomie und Kommunikationsdynamik dagegen vielversprechender.

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sischer Multi-Rater-Ansätze im Hinblick auf den Informationsgehalt der Aussagen mindestens gleichwertig, im Hinblick auf Prozessöko-

Im Fall Codezwo durchliefen nun die acht Führungskräfte entsprechend des im zweiten Schritt festgelegten Prozessverlaufs das MRT. Jede der vier Dialogpartnerschaften diskutierte dann die Frage: »Wenn sich zwei Mitglieder der jeweiligen Position über die aktuelle Situation bei Codezwo, insbesondere in Bezug auf die neuen Führungskräfte, unterhalten würden, welche Geschichten würden sie sich dann möglicherweise erzählen?« Nachdem die acht Teil­ nehmenden die erste Position in den Kleingruppen durchgesprochen hatten, wechselten sie in die neue Zweierkonstellation. Diese vier Gruppen diskutierten nun wiederum die zweite Position, die sie in Schritt 3 festgelegt hatten usw. Schritt 5: Antwortsammlungen visualisieren und präsentieren

Durch die Kontextualisierung der aktuellen Situation der MRT-Teilnehmenden mit für sie relevanten Außenperspektiven lassen sich »Informationen darüber gewinnen, welche Unterschiede in den Wahrnehmungen verschiedener [Perspektiven] vorliegen« (S. 238). Die zirkulären Fragen »verknüpfen Aspekte miteinander, die so aus der Sicht der Beobachter noch nicht verknüpft waren, so dass vorhandene Muster unterbrochen und neue gesehen werden können«

(S. 238). Das MRT ermöglicht damit seinen Teilnehmenden die »Aufgabe linearer Perspektiven« bzw. »das ›Verflüssigen‹ statischer Sichtweisen« (Palmowski u. Thöne, 1995, S. 114). Im Fall Codezwo trafen sich nun die beiden Vierergruppen »Innenkreis« und »Außenkreis«. Sie tauschten sich darüber aus, wer welche Geschichten gesammelt hatte, um dann gemeinsam die komWeise sehr verschiedene Darstellungen, die sich die beiden Gruppen

Beratung

plette Sammlung zu visualisieren. Hierbei entstanden auf kreative 60

anschließend gegenseitig vorstellten und die sie diskutierten. Die meisten Geschichten ähnelten sich grundsätzlich, wiesen stellenweise aber deutliche »Interpretationsabweichungen« auf, die in der Debatte für fruchtbaren Austausch sorgten. Schritt 6: Veränderungsbedarf für die gemeinsame Weiterarbeit

Kritiker von Multi-Rater-Ansätzen hinterfragen, inwiefern in einem unternehmerischen Kontext, der unter Umständen von einem hohen Maß an Konkurrenz geprägt sein kann, die notwendige psychologische Sicherheit gewährleistet bleibt, um mit Rückmeldungen konstruktiv umgehen zu können, die mit dem eigenen Selbstbild dissonant sind (Prewitt, 1999). Außerdem gelte es zu bedenken, dass politische Koalitionen oder Grabenkämpfe innerhalb eines Teams oder einer Organisation stets möglich sind (Taylor, 2011). Diese Einwände sind selbstverständlich auch im Rahmen eines MRT zu bedenken. Allerdings betont Reich im Hinblick auf das Arbeiten mit zirkulären Fragen, diese »entmoralisieren und entlasten von Schuld, weil und insofern sie sich nicht kausal nach Schuld oder Ursachen orientieren, sondern von vorneherein eine Beziehung in jeder Kommunikation als wechselseitige Spiegelung und Rückwirkung unterstellen« (Reich, 2010, S. 239), wodurch es innerhalb des Beziehungskontexts eher möglich würde, Offenheit zu bewahren.

Im Fall Codezwo haben die Führungskräfte auf die weiterführende Frage »Mit welchen Geschichten sind wir zufrieden und welche sollten sich ändern?« die Visualisierungen benutzt, um ihre persönlichen Haltungen im Sinne einer »PLUS-DELTA-Evaluation« (Helminski u. Koberna, 1995, S. 322 f.) mithilfe der entsprechenden Symbole zu notieren. Hierbei markiert PLUS Bestehendes, welches bereits als »positiv genug« empfunden wird, DELTA markiert Bestehendes, Dieser Ansatz bietet insbesondere eine Wertschätzung des Status

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quo sowie dessen konstruktive Entwicklungsperspektiven und ist

Beratung

welches sich noch weiterentwickeln sollte, um »besser« zu werden.

damit in hohem Maße ressourcenorientiert. Schritt 7: »Die Zukunft neu erzählen«

Wie bei allen Entwicklungsmaßnahmen ist es notwendig, die produzierten Informationen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern entsprechend ihrer Implikationen auch konsequent nachzuhalten. Hierzu gehört auch eine wiederkehrende Bestandsaufnahme (Taylor, 2011). Ohne sie ist eine realistische Einschätzung von Entwicklungsprozessen faktisch unmöglich, da eine Einschätzung im Anschluss an eine Maßnahme typischerweise zwar eine subjektive Zufriedenheit abfragen kann, aber keinesfalls die Folgen der durch die Maßnahme angestoßenen Prozesse berücksichtigt. Es bedarf daher »eines aktiven Engagements der unmittelbaren Tätigkeitsumgebung« (Scherm u. Sarges, 2002, S. 42), beispielsweise in Form kooperativer Planung von Maßnahmen, sowie deren konsequente Umsetzung, inklusive der Reflexion der damit verbundenen Prozesse und Herausforderungen. Während klassische Multi-Rater-Ansätze durch intensiven Dokumentations-, Verwaltungs- und Prozessaufwand schnell zu hohen Kosten führen und damit unwirtschaftlich werden, ist die standardmäßige Durchführung eines MRT nicht aufwendiger als ein regulärer Teamworkshop oder drei bis vier Supervisionssitzungen.

Im Fall Codezwo legten sich die Führungskräfte darauf fest, welche der »DELTA-Geschichten« ihrer Ansicht nach den größten Veränderungsbedarf mit sich bringen, indem jede Person einen von drei Punkten vergab und damit eine Priorisierung erreicht wurde. Damit war die Bedarfserhebung für die Angebotserstellung, und damit die Kompaktversion des MRT abgeschlossen, alles Weitere fand später im Laufe der weiteren Arbeit mit den Führungskräften statt. einen Tagesworkshop gehandelt, hätten die Teilnehmenden noch

Beratung

Hätte es sich statt eines zweistündigen kompakten Treffens um 62

am gleichen Tag interessengeleitet Arbeitsgruppen gebildet, welche dann die Aufgabe erhalten hätten, »die Zukunft neu zu erzählen«: Was wäre eine bessere Geschichte? Was müsste anders sein, damit sie erzählt werden könnte? Welchen Beitrag können wir zu dieser Änderung leisten? Wer macht was wann wo wie mit wem und womit dafür, um diesen Beitrag sicherzustellen? Mithilfe dieser Fragen fällt es Teilnehmenden meiner Erfahrung nach leicht, innerhalb eines Workshoptages und aufbauend auf dem MRT zielführende Aktionspläne zu erstellen und nachhaltige Maßnahmen für deren Umsetzung zu beschließen. Bei Codezwo diente das MRT dagegen als Konzeptions- und Einstiegshilfe für die gemeinsame Weiterprofessionalisierung der Führungskräfte im unternehmerischen Kontext, die ich über einen längeren Zeitraum begleitet habe. Zwischenfazit MRT

Meiner Erfahrung nach führt die Arbeit im MRT zu einer Erweiterung der Perspektivenvielfalt für sämtliche teilnehmenden Personen, indem insbesondere der Blick auf das Zusammenspiel der beteiligten Instanzen als Gesamtdynamik des Kontexts der Organisation fällt. Dieser Blick auf das Mesosystem (Bronfenbrenner, 1979) ist häufig aufgrund einer starken Beschäftigung mit der unmittelbaren Umgebung oder dem »Binnensystem« der Organisation verstellt.

Bemerkenswert ist auch, dass das MRT seine Wirksamkeit sowohl für die Teamarbeit als auch beim Einsatz als Gruppenmethode in Workshops bewiesen hat sowie gleichfalls im Einzelsetting im Rahmen von Coachings (etwa in Verbindung mit dem Inneren Team – und hier dann beliebig unterstützbar durch die Arbeit mit Stühlen, Bodenankern, Soziogrammen usw.) sowie in Großgruppenformaten in Phasen, in denen verstärkt mit wechselnden Kleingruppenkonstellationen ideengenerierend gearbeitet wird (beispielsweise im

 … zurück zum Fall Codezwo

Die beiden Stunden sind im Handumdrehen verflogen, und wir sind ein beträchtliches Stück vorangekommen. Mit großer Zuversicht verabschieden wir uns voneinander. Der Löwenanteil der inhaltlichen Konzeption ist hiermit bereits erledigt, nur ein paar Detailfragen zu Methodik, Prozess und Rahmen sind aufgetaucht, die ich mit Frau Eich kläre, bevor ich das Konzept als Angebot verschriftliche. Für die acht Teamleitungen von Codezwo empfehle ich einen gemeinsamen Workshoptag, anschließend die Weiterarbeit in zwei Vierergruppen im Rahmen von jeweils zwei Gruppencoachings an weiteren zwei Tagen. Abschließend wird es einen vierten Tag mit acht Bilanzierungscoachings in Form von Einzelsitzungen geben. Gemessen vom Erstkontakt mit den Leitungskräften per E-Mail bis zu den Bilanzierungsgesprächen bietet der Gesamtprozess etwa ein halbes Jahr an Entwicklungsbegleitung für die weitere Professionalisierung der Teamleitungen von Codezwo. Zwischen den Treffen unterstütze ich sie außerdem mit aktivierenden E-Mails und ich stehe ihnen bei Bedarf außerdem telefonisch als Coach zur Verfügung. Dieses Angebot wird von Frau Eich und mir für die Teamleitungen im Anschluss an die Maßnahme zur Unterstützung der Nachhaltigkeit aufrechterhalten.

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Beratung

»World Café«).

Sowohl die Arbeit mit den Teilnehmenden per E-Mail als auch während der MRT-Analyse hinterlässt bei mir Eindrücke von Offenheit, Gemeinschaftsgefühl und Gestaltungswillen. Die Teamleitungen kennen sich bereits seit einigen Jahren und haben bei Codezwo schon vieles gemeinsam erlebt. Mein Anliegen, mit ihnen gemeinsam an der Trainingskonzeption zu arbeiten, stößt auf großes Interesse, wir kommen zügig voran und gehen zuversichtlich auseinander. Aufgrund der Perspektiven und Diskussionen wird mir deutlich, dass

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der Sprung ins kalte Wasser im Angesicht der aktuellen Wellenlage bei Codezwo eine situativ bedingte Überforderung für die neuen Leitungskräfte darstellte, welche verdeutlicht hat, dass es der Entwicklung individueller Führungspersönlichkeiten bedarf, um die Handlungsfähigkeit der neuen Hierarchieebene bei Codezwo zu verbessern. Für das Angebot an Frau Eich entscheide ich mich, die vorgesehene Trainingszeit zu stückeln, um die einmalige Intervention eines zweitägigen Trainings mit zweifacher Durchführung in eine Mehrfachintervention über einen längeren Zeitraum zu verwandeln, die tatsächliche Begleitung eines Entwicklungsprozesses ermöglicht. Mit solchen Verfahrensweisen habe ich bereits seit längerer Zeit mehrfach gute Erfahrungen gemacht, was die Nachhaltigkeit der Maßnahmen angeht, die ich leite, denn um Wissen in Handlungs­ kompetenz zu transformieren, bedarf es Zeit. Einmalige Veranstaltungen produzieren zwar oft das euphorische Gefühl, etwas gelernt zu haben, und typischerweise erweitert sich auch das Wissen von Teilnehmenden, aber nach dem Training lässt das operative Geschäft im Alltag häufig wenig Luft, um sich die notwendige Zeit für eine grundlegende Verhaltensveränderung zu nehmen, damit ein nachhaltiger Lerneffekt eintreten kann (­ Mutzeck, 1988; Pfeffer u. Sutton, 2001). Ich entscheide mich also für einen eintägigen Workshop, um inhaltlich die Palette an Führungsthemen disku-

tieren zu können, die sich bei den acht Teamleitungen durch die

MRT-Analyse als zentral herausgestellt haben, und um die Gruppe dann durch Vorsatzbildung auf das Coaching in den Vierergruppen vorzubereiten. Das Vierercoaching findet halbtägig jeweils zweimal statt und gibt Raum, die Entwicklungsanliegen der Teamleitungen anhand konkreter Führungsherausforderungen nach dem Prinzip einer ­kollegialen Praxisreflexion zu bearbeiten (zur Arbeit mit Vorsatzbildung und Schließlich soll die Maßnahme mit einem Bilanzierungstag abschließen, an dem jede der Führungskräfte ein Einzelcoaching mit mir erhält, um individuelle Perspektiven wie Entwicklungs­fortschritte, persönliches Feedback oder private oder karrierestrategische Aspekte der Führungsherausforderung, die in der Gruppensituation unter Umständen verfänglich sein könnten, aufgreifen zu können. Das Angebot umfasst damit wie gewünscht vier Trainingstage, die

MRT-Analyse und der E-Mail-Verkehr vor und während der Maßnahme sind Teil meiner inklusiven Serviceleistung. Workshop: Arbeitsorientiert und exemplarisch

Zu Beginn des Workshoptages betonen die Teamleitungen, wie hilfreich die MRT-Analyse gewesen sei. Der Austausch von Sichtweisen und die Erweiterung der Perspektiven haben meinem Eindruck nach bei den Führungskräften schon deutliche Entwicklungen angestoßen: Die Offenheit, mit der sie sich in die gemeinsame Arbeit einbringen, erstaunt sie selbst, und das betonen sie mehrfach. Ich wertschätze dies offen als Auswirkung persönlich gefühlter Entwicklungsnotwendigkeit bei den Teilnehmenden im Kontext einer wohlwollenden und fördernden Lernkultur im Unternehmen. Wir konzentrieren uns in der Folge auf aus dem Arbeitsalltag gewählte Führungssituationen, welche die Teilnehmenden für sich als her-

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Beratung

kollegialer Praxisbewältigung in Gruppen siehe Wahl, 2013).

ausfordernd erleben, wie beispielsweise Priorisierung von Projekten, Umgang mit geringer Arbeitsleistung von und Konflikten zwischen Mitarbeitenden, Meeting­kultur oder den Notwendigkeiten von Kompetenzentwicklung. Hieran verdeutlichen wir exemplarisch, wie die Kommunikation als erstes Mittel der Menschenführung uns mit unseren persönlichen Entwicklungsherausforderungen konfrontiert ­(Brenner, Budczinski, Schläfle u. Storch, 2016). Das Miteinanderreden gewinnt im Bewusstsein der Leitungskräfte einen neuen

Beratung

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Stellenwert, das damals als so schwierig erlebte Mitarbeitergespräch entpuppt sich als eine spezifische Variante des idealerweise alltäg­ lichen Gesprächs mit den Mitarbeitenden. Gegen Ende des Tages identifizieren die Teamleitungen jeweils ein konkretes Entwicklungsanliegen, mit dem sie sich akut als Führungskraft herausgefordert fühlen. So hat eine Teamleiterin beispielsweise den Wunsch, ihre Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit einem ihrer Teammitglieder zu erweitern, da dieses immer wieder Arbeit nicht oder unzureichend erledigt, die Teamleiterin aber nicht weiterweiß, weil sie aus ihrer Sicht bereits alles versucht habe. Und ihr Kollege hat ein neu zusammengestelltes Team zu leiten, das sich sowohl in der Teamfindung wie auch in der Aufgabenklärung befindet, wodurch ein hohes Maß an Koordination in alle Richtungen erforderlich ist. Eine weitere Teamleiterin ist mit einem besonders anspruchsvollen Kunden konfrontiert, auf dessen Seite unternehmensinterne Dynamiken immer wieder die Kooperation mit den Expertinnen und Experten aus ihrem Team erschweren. In den zwei Untergruppen treffen sich die Teamleitungen zu viert, reflektieren den Zusammenhang des akuten Anliegens mit den Leitthemen des Tages und teilen sich schließlich in Tandems auf, um sich gegenseitig bei der Vorsatzbildung zu unterstützen und die nächsten Schritte für die Bewältigung ihrer Entwicklungsherausforderungen in der Praxis zu planen.

Im Rahmen des Gruppencoachings zu viert unterstütze ich die Teamleitungen bei ihren individuellen Entwicklungsherausforderungen als Führungskräfte im Rahmen der persönlichen Professionalisierungsprozesse. Wir arbeiten weiterhin arbeitsorientiert und exemplarisch, nutzen den konkreten Einzelfall als Ausgangspunkt für die Arbeit an der Führungspersönlichkeit und schaffen mithilfe von Kontextualisierungen Erkenntnispotenziale auch für die Raum, ihren akuten Fall vorzutragen, sich hinterfragen und coachen

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zu lassen und aneinander zu wachsen. Gemeinsam erarbeiten sich

Beratung

anderen Gruppenmitglieder. Alle Teilnehmenden erhalten Zeit und

die Teamleitungen auf diese Weise Schritt für Schritt Bewältigungs­ strategien für ihre Führungsherausforderungen bei Codezwo, erneut erfolgt die weiterführende Vorsatzbildung in Tandems. Ermutigt und gestärkt gehen die Teamleitungen zurück an die Arbeit, um schließlich mit weiteren Praxiserfahrungen und neuen Fragezeichen am nächsten Gruppencoaching teilzunehmen. Zwischen den Sitzungen schicke ich per E-Mail Memos und unterstützende Perspektiven entsprechend den aktuellen Entwicklungs­ anliegen. Mein Angebot für telefonisches Coaching zwischendurch wird dagegen nahezu kaum wahrgenommen. Auf Nachfrage erläutert man mir, man käme einfach auch so gut zurecht. Die bilanzierenden Abschlussgespräche in Form von Einzelcoachings stellen einen hilfreichen Rahmen dar, um nochmals die individuellen Entwicklungen aufzugreifen, personalisiertes Feedback auszutauschen und auf die jeweiligen Situationen zugeschnittene Interventionen für die zukünftige Professionalisierung zu erarbeiten. Im Rückblick wird außerdem sehr deutlich, wie stark sich die Führungskultur bei Codezwo in Richtung Kooperation und Solidarität transformiert hat und wie stark das Selbstwirksamkeitserleben die Teamleitungen entlastet und in ihrer Professionalisierung vorangebracht hat.

4.4 Analyse

Die durchweg positive Resonanz der Teilnehmenden während und nach der Maßnahme verdeutlicht, wie wichtig die bedarfsspezifische Planung und die arbeitsorientierte und exemplarische Umsetzung von Personalentwicklungskonzepten sind – und mit welchen Herausforderungen diese einhergehen. Immer wieder kommen insbesondere Nachwuchsführungskräfte an die Grenzen ihrer Kompetenzen (»Wie geht das?«), ihrer subjektiven Theorien (»Wie ist das?«) oder

Beratung

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ihrer Zuständigkeiten (»Wer macht das?«). Dies sind entscheidende Momente, um sie dort beim Aushandeln der aufgrund ihrer geringen Vorerfahrungen bestehenden Grauzonen zu unterstützen und so bei ihrer Professionalisierung zu begleiten (Brenner et al., 2016). Beharrlichkeit – in eigener Sache

Sich am Rande der eigenen Komfortzone zu bewegen, ist per Definition unangenehm und verlangt ein hohes Maß an Selbstkritik und konstruktiv-wertschätzendem Umgang damit, Humor und stellenweise auch eine gewisse Leidensfähigkeit – Charaktereigenschaften, die nicht selbstverständlich bei jedem Menschen in hierfür ausreichendem Maße entwickelt sind. Gleichzeitig wird es ohne eine spürbare Entwicklungsnotwendigkeit höchstwahrscheinlich auch keine Veränderungsmotivation geben. Häufig begegnet mir das in der Form, dass es einen unausgesprochenen Konsens bei Teilnehmenden (und Auftraggebern) gibt, »man wolle das Gefühl haben, etwas zu lernen«. Deutlich wird das typischerweise an subtilen Widersprüchen zwischen Worten und Taten. Ohne vorliegende Handlungsnotwendigkeit kann meiner Erfahrung nach das Hinterfragen der Widersprüche zwischen Worten und Taten schnell zu Widerstand gegenüber der Person führen, die solche unangenehmen Fragen stellt – und die dann wiederum in ihrer Beharrlichkeit herausgefordert ist.

Die Teamleitungen von Codezwo wollten sich glücklicherweise wirklich weiterentwickeln, die Notwendigkeit haben sie als Leiden an nicht zufriedenstellend verlaufenen Mitarbeitergesprächen mit entsprechend demotivierenden Folgen für Unternehmenserfolg und -kultur erlebt. Solidarität: Zwischen Freundschaft und Professionalität

erstaunlichen Solidarität geprägt: Man geht gemeinsam durch dick

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und dünn, und das bei Tag und Nacht. Wächst ein eher als »Freun-

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In jungen Start-ups ist die Unternehmenskultur oftmals von einer

deskreis« aufgestelltes Unternehmen dann in Richtung Mittelstand, werden Strukturen notwendig, die von den Gründern und den Mitstreitern der ersten Stunde häufig zunächst abgelehnt werden. In diesem Moment gilt es, die Solidarität im Team wieder stark zu machen. Genau darauf zielt die Workshoparbeit in Großgruppen, Untergruppen und Tandems ab. Nach der Reflexion des individuellen Anliegens in Untergruppen wurde die Reflexion in Tandems fortgesetzt. So wurden Vorsätze gemeinsam erarbeitet, persönliche Entwicklungsherausforderungen empathisch begleitet und die Umsetzung im Arbeitsalltag gemeinsam gestemmt. Kollegiale Praxisbewältigung setzt Solidarität voraus und stärkt Solidarität – ein Effekt, der bei »Trainings von der Stange« in dieser Intensität nicht erzielt werden kann. Haltung: Führung braucht Rückgrat

Je weiter der Workshop mit dem neuen Codezwo-Führungskreis fortschritt, desto mehr ähnelten sich die Anliegen der Teilnehmer: Sowohl im Umgang mit schwierigen Mitarbeitenden oder Kunden wie auch bei der team- oder unternehmensinternen Koordination tauchten immer wieder Fragen der Haltung im Angesicht der Notwendigkeit auf, unternehmerische Herausforderungen mit

(zwischen)menschlichen Bedürfnissen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen. Wir diskutierten die Angemessenheit von konsequentem Führungsverhalten, explorierten mögliche Vor- und Nachteile von Vorgehensweisen, sprachen über Vorlieben und Notwendigkeiten bei der Weiterentwicklung der professionellen Identität. Erfahrungsgemäß schlägt sich das Thema Haltung in Varianten des Zusammenspiels von situativ angemessener Kommunikation,

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einer an Werten orientierten Führungspersönlichkeit und zielführende Berücksichtigung relevanter Rahmenbedingungen nieder. »Haltung beschreibt existenzielle Festigkeit wie Brüchigkeit im Kontext und Geschehen des Sich-Beziehens« (Kurbacher, 2017, S. 537). Hier wird Haltung herausgefordert – hier kann sich Haltung zeigen. 4.5 Fazit: Position beziehen für den Menschen

Auch die Wandlungsprozesse der professionellen Identitätsbildung im beruflichen Kontext unterliegen dem Diktat der Ökonomie. Die individuelle Neuverortung im Spannungsfeld zwischen Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit ist eine der zentralen Herausforderungen bei der Weiterentwicklung der professionellen Identität im Rahmen des Aufstiegs auf der Karriereleiter. Mit dem Hierarchiewechsel verschiebt sich auch das Maß der unternehmerischen Verantwortung, welche die Führungskraft zu tragen hat. Bei Codezwo bringt das Unternehmenswachstum vom Start-up hin zu mittelständischer Größe zusätzliche Herausforderungen durch organisationalen und kulturellen Wandel, der zur Entfremdung durch ein zu großes Maß an Neuem führen kann, auf das es schwierig scheint, sich einzustellen. Mit mehr Entscheidungsmacht steigen sowohl die unternehmerische wie auch die soziale Verantwortung – doch im Sinne der wirtschaftenden Organisation und ihrer Effizienzlogik bleibt die Letztere typischerweise Ersterer nach-

geordnet. Damit sind die Vorgaben an die Wertehierarchie von Entscheidern bereits im Vorfeld scheinbar klar umrissen, doch immer wieder zeigt sich – gerade auch im Rahmen von Beratung – wie belastend es auf Dauer für Führungskräfte sein kann, die Menschlichkeit hintanzustellen. Es wird aber auch klar, dass es sich gerade im Hinblick auf erfolgreiche Führung, Teamentwicklung und Kundenkommunikation sogar im Sinne der Ökonomie auszahlen kann, im Zweifel anders

5 Haltung annehmen Nachdem in den ersten beiden Fällen Coachings im Vordergrund standen (die durch einen Konzern für eine Führungskraft und durch ein Start-up für einen Führungskreis initiiert wurden), geht es nun um die persönlichen Herausforderungen eines hoch qualifizierten Fachexperten. Er nimmt als Privatkunde ein Coaching in Anspruch – so haben wir es im Sinne des Beratungskontrakts nach einer Vierecks­ konstellation (»Miene-Kraft«) und einer Dreiecks­ konstellation (»Codezwo«) nun mit einer Zweierkonstellation zu tun. In diesem Fall werden meines Erachtens sowohl typische Heraus­ forderungen als auch entsprechende Beratungsperspektiven nachvollziehbar. Zudem wird hier im Hinblick auf die Salutogenese anschaulich, wie die Erosion von Bedeutsamkeit (Wir glauben, dass unser Leben und unsere Arbeit einen Sinn haben) zu massivem Stress durch die damit verbundene Orientierungslosigkeit führen kann.

5.1 Der Fall: Herr Wardorf – ein Idealist reibt sich auf

Herr Wardorf, Jahrgang 1982, hat sich hart erkämpft, für ein Versicherungsunternehmen mit ganz besonderer Expertise zu arbei-

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zu entscheiden: für den Menschen.

ten und möchte dieses auf keinen Fall verlassen. Seine Familie und er haben für diese Anstellung ihre weit entfernte Heimatstadt und ihre dort lebenden Verwandten und Freunde hinter sich gelassen. Nun bauen sie, nachdem sie in der neuen Stadt zunächst zur Miete wohnten, ein Einfamilienhaus am Stadtrand. Frau Wardorf (*1985) hat lange gesucht, bis sie eine ebenfalls hervorragende Stelle in der gleichen Stadt gefunden hatte. Sie arbeiten beide Vollzeit. Ihre beiden Kinder, Tochter A. (8) und Sohn B. (6), besuchen eine Ganztags-

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schule und werden zusätzlich von einer Tagesmutter betreut, die auch einen Teil des Haushalts übernimmt. Der Kontakt zu den eigenen Herkunftsfamilien ist für die Wardorfs aufgrund der großen Entfernung auf gelegentliche Telefonate und Besuche während der Feiertage beschränkt. Das Gleiche gilt für den Kontakt zu den alten Freunden. Neue Freundschaften haben sich innerhalb der vergangenen vier Jahre kaum entwickelt, weil die Zeit dazu fehlt. Lediglich zu ein paar wenigen Kollegen und der ein oder anderen Familie, deren Kinder mit denen der Wardorfs befreundet sind, hat man gelegentlich unverbindlichen Kontakt. Sport treibt Herr Wardorf nur sporadisch, ab und zu geht er laufen. Neben dem Job, der Familie und der Baustelle bleibt kein Spielraum für Hobbys oder andere Aktivitäten übrig. Seine Frau geht schwimmen und ist in einem Nachbarschaftsprojekt ehrenamtlich aktiv, ansonsten ebenfalls mit ihrer anspruchsvollen Arbeit, dem Hausbau und der Familie voll ausgelastet. Die Kinder sind mit der Ganztagsschule und ihren Sportund Freizeitaktivitäten, und dank der Hilfe der Haushaltsangestellten ganztägig betreut. Herr und Frau Wardorf sind auf ähnliche Weise aufgewachsen, ihr Modell des Familienlebens hinterfragen sie nicht. Sie schätzen die gemeinsame Familienzeit zu viert nach Feierabend, auch wenn die Baustelle im Moment zusätzlich Zeit und Energie in Beschlag nimmt, hinter der hin und wieder auch die Familienzeit zurückstecken muss.

5.2 Das Vorgespräch: Grenzen der Verantwortung ausloten

Herr Wardorf bittet um einen Termin bei Beraterin Arian, die ihm im Bekanntenkreis empfohlen wurde. Die Terminanbahnung erfolgte per E-Mail. Beim ersten Treffen berichtet er von Schwierigkeiten, am Abend einschlafen und nachts durchgehend schlafen zu können. Stattdessen wache er mehrfach auf und schlafe dann nur schwer wieder ein, da seine Gedanken um die Arbeit kreisten. MorArian formuliert er klar: »Bitte unterstützen Sie mich dabei, genug

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Gelassenheit in Bezug auf meine Arbeit zurückzugewinnen, damit

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gens fühle er sich gerädert und ausgelaugt. Seinen Auftrag an Frau

ich wieder ruhig schlafen kann.« Herr Wardorf verneint, bereits medizinischen Rat eingeholt zu haben, und Frau Arian bittet ihn nachdrücklich, einen Arzt aufzusuchen, um sichergehen zu können, dass keine organische Ursachen vorliegen. In diesem Fall wäre eine entsprechende Behandlung notwendig und Coaching mit ihr bestenfalls eine sekundäre, behandlungsbegleitende Maßnahme. Herr Wardorf willigt ein und schildert anschließend auf Nachfrage Frau Arians die vermeintlichen Auslöser für sein nächtliches Grübeln, die nicht lange nach seinem mittlerweile etwa neun Monate zurück­ liegenden Stellenwechsel begannen. In der Supervision dieses Falles in meiner Praxis demonstriert Frau Arian, dass ein Erstgespräch immer auch Beratung über Beratung ist, also Fachberatung bezüglich der Angemessenheit von Beratungsformaten beinhaltet. Hierbei gilt es nicht nur, die Erwartungen des Klienten zu klären, sondern seine Annahmen zu hinterfragen, weshalb eine bestimmte Form von Beratung für ihn angemessen scheint. Im vorliegenden Fall also die Frage, inwiefern Coaching überhaupt einen angemessenen Umgang mit Herrn Wardorfs Situation bieten kann. Frau Arian will medizinische Ursachen für die Schlafprobleme ihres Klienten ausgeschlossen wissen, um Willkür zu vermeiden. In

der Supervision spricht sie außerdem von der Herausforderung, abzuwägen, inwiefern auch psychotherapeutische Interventionen in Betracht zu ziehen seien. Es folgt eine Exploration ihrer Gewissenhaftigkeit, in der neben Fürsorge und Professionalität auch der Wunsch auftaucht, Fehler (und die daraus resultierenden Folgen für ihren Klienten wie auch für sie selbst) vermeiden zu wollen. Anhaltspunkte könnten beispielsweise neben dem Leidensdruck des Klienten und seiner allgemeinen Verfassung auch dessen Grad

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an persönlicher Differenzierung, Reflexionskompetenz, Selbststeuerungsfähigkeit sowie seine Schilderungen über die Aussagen des Arztes oder anderer mit ihm vertrauter Personen sein. Frau Arian bemerkt daraufhin, dass Herr Wardorf klar seinen Leidendruck äußert und von sich aus an seiner Situation eine Änderung herbeiführt, indem er sich Unterstützung sucht. Er ist offen, zeigt Eigeninitiative und seine Schilderungen lassen darauf schließen, dass er mit sich selbst generell im Reinen zu sein scheint. Schließlich nimmt sie sich vor, weiter nach solchen Anhaltspunkten Ausschau zu halten und dies auch aktiv mit Herrn Wardorf zu thematisieren.

5.3 Der Coachingprozess: Dilemmata erkennen – Desorientierung auflösen

Herr Wardorf ist eine erfolgreiche Fachkraft in einem großen, international renommierten Unternehmen in der Versicherungsbranche, in dem er seit ca. vier Jahren tätig ist. Nachdem er im Anschluss an sein Masterstudium bei zwei anderen Arbeitgebern erste berufliche Erfahrungen machen und karrierestrategische Weichen stellen konnte, ist er nun bei seinem »Traumarbeitgeber« gelandet. Nach gut drei Jahren bot sich ihm hier eine Entwicklungsmöglichkeit in Form eines internen Wechsels, diese Chance hat er wahrgenommen. Seit nun etwa einem dreiviertel Jahr ist Herr Wardorf Mitglied in einem heterogenen Team qualifizierter Spezialisten, die ihre Exper-

tendienstleistungen intern wie extern bei großer Nachfrage verkaufen. Arbeitsaufkommen und -druck sind entsprechend hoch, für ihn jedoch sei das eine großartige Gelegenheit, zu beweisen, was er könne, und das zu tun, was er liebe. Bei seinem Stellenwechsel wusste er jedoch nicht, dass seine jetzige Vorgesetzte den Führungsstil »teile und herrsche« pflegt, was in der kollegialen Zusammenarbeit zu mangelhafter Koordination und entsprechenden Reibungsverlus75

angegriffen und ziehe sich gerne hinter ihre »Fassade aus Macht«

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ten führt. Zusätzlich schildert er sie als wenig konfliktbereit, wenn er versuche, diese Punkte zu thematisieren. Sie fühle sich schnell zurück, werde stur und erteile »Befehle«, deren unpräzise Ausführung sie persönlich nehme. Die anderen fünf Teammitglieder, die alle schon einige Jahre im Team sind, nehmen dies scheinbar als gegeben hin. Auch wenn sie laut Herrn Wardorfs Aussage seine Perspektive auf die unklare und ineffiziente Arbeitsteilung für gerechtfertigt halten, so fühle er keine Solidarität, sondern nehme Resignation und Rückzug wahr. Außerdem hat Herr Wardorf das Gefühl, dass er als Neuer im Team gelegentlich ungeliebte oder extrem dringende Tätigkeiten »zugeschoben« bekommt. Allerdings ist er nicht sicher, inwiefern diese Wahrnehmung gerechtfertigt ist, da ihm aufgrund der kurzen Dauer seiner Teamzugehörigkeit eine effektive Vergleichsgrundlage dafür fehlt. Im weiteren Gesprächsverlauf kann er schließlich mit Frau Arians Hilfe herausarbeiten, dass er sich in einem persönlichen Dilemma befindet: Einerseits will Herr Wardorf gute Arbeit machen und sich für Entlastung, Effizienz und Qualität auf inhaltlicher wie zwischenmenschlicher Ebene einsetzen, andererseits befürchtet er, bei aller Diskussionsbereitschaft und Konfliktfähigkeit, die er mitbringt, sich unbeliebt zu machen oder als Querulant aufzufallen. Dieses Dilemma klar sehen und benennen zu können, beschreibt Herr Wardorf am Ende der ersten Sitzung als hilfreiche und entlastende Erkenntnis.

Zu Beginn der zweiten Sitzung berichtet Herr Wardorf, er habe mit seinem Arzt gesprochen, der keine organischen Beeinträchtigungen finden konnte und ihm den Rat gab, wenn er sowieso nicht gut einschlafe, solle er einfach deutlich später ins Bett gehen. Dann würde er zwar wahrscheinlich nicht eine größere Menge schlafen, dafür aber kurz und tief und ohne Unterbrechung. Herr Wardorf meint, das würde tatsächlich helfen gegen das nächtliche Erwachen. Auch die Benennung seines Dilemmas habe ihm durch die gewon-

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nene Klarheit schon deutlich spürbare Entlastung verschafft, dies spiegele ihm zumindest seine Frau, mit der er in den vergangenen Wochen weniger Spannungen im gemeinsamen Alltag erlebt habe. Nach dieser Bestandsaufnahme hinterfragt Frau Arian den beim ersten Treffen vereinbarten Auftrag, der sich durch die gewonnene Klarheit und den Rat des Arztes relativiert zu haben scheint. Herr Wardorf möchte nach wie vor Coaching in Anspruch nehmen, der Fokus soll jetzt auf der Identifikation und Handhabbarmachung von Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten liegen, um mit den Heraus­ forderungen, welche die neue Stelle gebracht hat, konstruktiv umgehen und sich selbst entlasten zu können. Für den Rest der zweiten Sitzung sowie im weiteren Verlauf des Coachings widmen sich die beiden der Exploration von Ressourcen, die Herrn Wardorf zur Verfügung stehen, um den Herausforderungen in seinem Umfeld zielführend begegnen zu können. Die Sorgen Frau Arians wegen möglicher Diskrepanzen zwischen Coaching als Beratungsformat und Herrn Wardorfs psychischer Gesundheit sind für sie erst einmal hinreichend besänftigt, da die Intervention des Arztes in Verbindung mit Herrn Wardorfs Erkenntnissen aus der ersten Coachingsitzung seiner Schilderung nach zu deutlicher Entlastung geführt hat und sein Anliegen sich dementsprechend transformiert.

Idealismus: Wenn Vorstellungen nicht zur Realität passen

In Bezug auf den Umgang mit seiner Vorgesetzten sieht Herr W ­ ardorf wenig weiteren Handlungsspielraum. Er habe bereits alles versucht, von persönlichen Gesprächen über offene Kommunikation in Meetings bis hin zu Koalitionsbildung oder Anpassung an die Führungssituation. Aber all dies und sogar die gelegentliche Demutsgeste im alltäglichen Umgang hätten nicht dazu geführt, das Verhalten seiner Chefin nachhaltig zu beeinflussen. Sie habe, so seine Sichtweise, menschlichen Interaktion. Frau Arian fragt, ob es etwas gäbe, was die Position der Führungskraft innerhalb des Unternehmens rechtfertige. Daraufhin lenkt Herr Wardorf ein, sie sei tatsächlich eine strategisch denkende Politikerin mit enormer Durchsetzungskraft. Diese Eigenschaften seien für die repräsentativen Aufgaben, die sie inner- und außerhalb des Unternehmens wahrnehmen müsse, sicherlich hervorragend geeignet. Weiterhin bringe sie sich selbst gnadenlos an den Rand der eigenen Leistungsfähigkeit und erwarte dies scheinbar auch von ihren Mitarbeitenden, denen sie darüber hinaus ein hohes Maß an Selbststeuerung einräume. Leider führe ihr Selbstbild zu Spannungen im Arbeitsalltag, da sie auf Unklarheiten mit Ungeduld, mangelndem Verständnis und gelegentlich verbaler Aggression reagiere. Hierdurch hätten sich die Teammitglieder verschiedene Strategien für den Umgang mit Projektabläufen und dem Informationsaustausch sowie für einen persönlichen Rückzug angeeignet, durch welche ein enormes Maß an Koordinationsproblemen entstehe. Frau Arian hakt ein, wie dies zueinanderpasse, wenn die Mitarbeitenden sich austauschen müssten, sich aber zurückzögen. Im weiteren Gespräch wird deutlich, dass die Koordination der Teammitglieder untereinander nur in Ausnahmefällen wirklich notwendig ist, weil jeder seine Projekte betreut und projektübergreifende Absprachen

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Beratung

einfach kein Gespür für Prozesse und die Feinheiten der zwischen-

eher eine Seltenheit seien. Dennoch wäre in diesem Fall die Zusammenarbeit schwierig, weil die Schnittstellen nicht klar definiert und die Interaktionsprozesse umständlich seien. Herr ­Wardorf spricht sehr emotional über die Verbesserungspotenziale, die er sieht und ist sichtlich betroffen von seiner Unfähigkeit, hieran etwas zu verbessern. Frau Arian fragt ihn, inwiefern nur er eine Verbesserungs­ notwendigkeit sieht und die restliche Teamkonstellation inklusive 78

rauf wird Herr Wardorf sehr still und gibt schließlich zu, dass er

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der Vorgesetzten sich miteinander arrangiert haben könnte. Hiewohl mit seinem Eifer auch Unruhe verursachen sowie Widerstand erzeugen könnte. Er erkennt jetzt genauer, warum er sich in dem besagten Dilemma befindet: Seine Vorstellung von Expertise im Beruf, deren Verwirklichungs­möglichkeit eng mit den dafür vermeintlich optimalen Rahmenbedingungen verbunden ist und somit unmittelbar den Einflüssen von Organisationsdynamik, Teamkultur und Führungsverhalten ausgesetzt ist, treibt ihn an, den Status quo zu hinterfragen, den er als suboptimal betrachtet. Gleichzeitig erlebt er den Druck der sozialen Erwünschtheit, den Widerstand seiner Teammitglieder und die Konfrontation mit der Macht seiner Vorgesetzten. Hierdurch spürt er instinktiv, dass er seine Akzeptanz innerhalb des Teams aufs Spiel setzt. Seine Herausforderung: Die Bestrebungen, sich sowohl für die Qualitätsentwicklung als auch für die Teamgemeinschaft zu engagieren, geraten unter den gegebenen Umständen in Widerstreit. Für die Bearbeitung dieses Dilemmas muss Herr Wardorf sein Selbstbild hinterfragen: Seine Vorannahme, ein Sowohl-als-auch wäre hier der Weg, den alle zu gehen haben, erscheint unangemessen. Welche Haltung verbirgt sich dahinter, und wie geht er mit dem Infragestehen der für ihn relevanten Bedeutsamkeit um, damit sein Kohärenzerleben erhalten bleibt? Herr Wardorf schildert spontan, wie ihm dieser Gedanke massives Unbehagen verursacht, scheint

aber gleichzeitig auch fasziniert und neugierig in Bezug auf seine persönliche weitere Entwicklung, zu der er entschlossen ist. Frau Arian hinterfragt diese Entschlossenheit im Hinblick auf die scheinbare Notwendigkeit, ausgerechnet diesem Arbeitgeber so loyal gegenüber zu sein, was Herr Wardorf mit persönlicher Überzeugung und professionellem Qualitätsanspruch begründet, für welchen sein Arbeitgeber einstehe und mit dem er sich identifiziere. Gleichzeitig seine berufliche Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Er betont,

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dass die Zeit mit der Familie für ihn die größte Ressource darstellt.

Beratung

wird ihm deutlich, dass die Familie viel Energie investiert hat, ihm

Diese sei leider momentan durch die Betreuung der Baustelle noch knapper als ohnehin schon. Frau Arian beschreibt ihren Klienten als sachlich, intelligent, anspruchsvoll, kompetent, konstruktiv, weitsichtig und loyal, der sich im Hinblick auf die inhaltlichen und prozessualen Anforderungen der Arbeit bemüht, klug und vorausschauend zu handeln. Außerdem erlebt ihn Frau Arian eher als zwischenmenschlich emotional distanziert, wobei er durchaus Leidenschaftlichkeit in Bezug auf arbeitsspezifische Themen sowie auch auf sein Dilemma an den Tag legt. Neben dem selbst verursachten Druck durch den eigenen Anspruch sieht Herr Wardorf eine starke Diskrepanz zwischen seinen Vorstellungen von zielführender Betätigung (»Wir setzen gemeinsam neue Standards in Sachen Exzellenz«), denen seiner Vorgesetzten (»Ich entscheide, weise an und erwarte Ausführung«) und denen der anderen Mitarbeitenden im Team (»Ich kümmere mich um die Pflichterfüllung«). Es fällt ihm äußerst schwer, sich mögliche Sichtweisen und Beweggründe sämtlicher Beteiligter vorzustellen, da für ihn die Sache selbst an erster Stelle steht. Irritation und auch Ärger diesbezüglich sind in den Coachingsitzungen unverkennbar. Frau Arian gelingt es durch gezieltes Einfordern von Erläuterungen der

Umstände, durch Situationsbeschreibungen und Relativierungen, mit Herrn Wardorf die Dynamik der Kräfteverhältnisse innerhalb der Situation transparenter zu machen. Herr Wardorf erlebt die Diskrepanzen zwischen seiner Arbeits­ haltung und denen seines Umfeldes als desorientierend, da für ihn die Bedeutsamkeit infrage gestellt ist. Während er auf aus seiner Sicht konstruktive Weise versucht, die Kultur an seinem Arbeitsplatz 80

nung. Sie hat scheinbar eine andere Prioritätensetzung in Bezug auf

Beratung

zu thematisieren, stößt er damit bei der Vorgesetzten auf AblehArbeit als er. Ähnliches erfährt er mit den Teammitgliedern, die auf Anpassung oder gar Rückzug zu setzen scheinen. Weiterhin scheint die Organisation die Reibungsverluste, die aus Herrn Wardorfs Sicht hierdurch entstehen, als so gering zu betrachten (vielleicht weil sie es tatsächlich sind, vielleicht weil es bisher nicht auffiel, vielleicht aus weiteren Gründen), dass eine Intervention von weiter oben unökonomisch scheint. Es existiert eine Balance der Kräfteverhältnisse im systemischen Kontext, die Herrn Wardorf darauf zurückwirft, sich damit abzufinden und Adaptionsstrategien zu entwickeln (etwa ähnlich denen seiner Teammitglieder) oder sich daran, nachdem konstruktive Ansätze fruchtlos blieben, mit voraussichtlich beträchtlichem Energie­aufwand (und den nicht unerheblichen karrierestrategischen Risiken, die solche Machtkämpfe mit sich bringen) abzuarbeiten, um eine Veränderung herbeizuführen, oder sich (getreu dem Motto »Accept it, change it or leave it«) nach neuen Möglichkeiten umzusehen. Mit der erweiterten Sichtweise fällt es Herrn Wardorf dann leichter, Handlungsperspektiven zu erkennen. Einerseits steht er zu seinen Werten und Ansprüchen, andererseits erkennt er, dass er damit nicht weiter­kommt im Angesicht der Umstände. Er kann sich nun damit befassen, welche Strategien für ihn infrage kommen könnten, in Anbetracht der Umstände das Beste aus seiner Situation zu machen. Hierbei

empfindet er das Tetralemmakonzept (Varga von Kibéd u. Sparrer, 2016) als hilfreich, welches Frau Arian im Laufe des Coachings erläutert und mit ihm diskutiert, bevor er sich schließlich selbst die Hausaufgabe auferlegt, seine Situation hiermit vertiefend zu reflektieren. Neue Perspektiven: Freiheiten nutzen, Gemeinschaft aufbauen

Im Laufe der weiteren Kontextanalyse werden dann das situative den Herausforderungen deutlich. Die in allen Lebensbereichen akut

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vorhandene Anspannung in Verbindung mit geringen Möglichkei-

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Gesamtgefüge der Wardorfs und die damit in Verbindung stehen-

ten des Ausgleichs lassen für Herrn Wardorf sehr deutlich spürbar werden, dass er erstens tatsächlich unter extrem hohem Druck steht, und zweitens dieser allerdings nicht allein mit der Arbeit zusammenhängt. Er befindet sich in einer höchst turbulenten Lebensphase. Herr Wardorf erkennt im Verlaufe des Coachings, dass er neben der Weiterentwicklung seiner persönlichen Haltung nur wenige Handlungsmöglichkeiten hat, die Arbeitskultur innerhalb seines Teams zu verändern. Er macht einen intensiven Selbstreflexions­prozess durch, in dessen Verlauf er sich dank Unterstützung durch Frau Arian damit arrangieren kann, seine hohen Ansprüche an die Qualität von Arbeit zu relativieren. Er beschließt, die Augen nach weiteren internen Stellen offen zu halten, obwohl er erklärt, dass häufige Stellenwechsel im Unternehmen nicht gerne gesehen sind. Er schätzt, er müsse mindestens zwei Jahre »durchhalten«. Um dies zu schaffen, will er auf 80 % reduzieren, was sich als »interne ­Regelung« in Anbetracht der akuten Zusatzbelastung durch den laufenden Hausbau für etwa ein halbes bis dreiviertel Jahr machen ließe, für solche Regelungen gäbe es bei seinem Arbeitgeber durchaus Präzedenzfälle. Herr Wardorf hofft, dass er mittwochs zu Hause bleiben kann und so die Woche erträglicher wird. Schließlich besinnt er sich auf eines seiner Hobbys von früher. Bis zum Studium hatte er durchaus passabel Klarinette gespielt, und es

gäbe eine Firmen-Big-Band, mit der er sogar zu Beginn seiner Zeit im Unternehmen Kontakt hatte, dann aber aufgrund der intensiven Einarbeitungsphase die Idee aus den Augen verlor. Seine Stimmung ändert sich spürbar zum Besseren, während er davon spricht, und Frau Arian spiegelt ihm dies. Herr Wardorf nimmt in der Folge zügig Kontakt mit dem Orchester auf und probt mit seinen Kolleginnen und Kollegen seither regelmäßig mit großer Freude. Er beantragt eine temporäre Reduzierung der Arbeitszeit, die ihm

Beratung

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nach einigem Hin und Her mit seiner Chefin von der Personalabteilung genehmigt wird. Seine Anspannungen und Sorgen haben sich im Verlauf etwa eines halben Jahres deutlich verringert. Er schläft wieder gut, die Beziehung zu seiner Frau hat sich entspannt, die gemeinsame Familienzeit ist intensiver geworden, und Herr W ­ ardorf geht mit deutlich gereifter Persönlichkeit aus dem Coaching. Er meldet sich einige Monate später noch mal bei Frau Arian mit einer dankenden E-Mail, in der er vom nachhaltigen Erfolg der gemeinsamen Zusammenarbeit berichtet. Durch seine Bandkontakte hätte er vor einigen Wochen von einer frei werdenden Stelle erfahren, auf die er sich erfolgreich beworben hat, sodass er pünktlich zum Ende des Hausbaus wieder Vollzeit in einem neuen Team in einflussreicherer Position und erhöhten Zuwendungen seine Karriere bei seinem Wunscharbeitgeber hat fortsetzen können. 5.4 Analyse

Im Zentrum der Herausforderungen dieses Falles steht die Frage nach dem Wozu? Es ist gelungen, die existenzialistische Frage nach Bedeutsamkeit gewinnbringend zu reflektieren. Bemerkenswert ist hier, welche weitreichenden Effekte einige wenige nachhaltige Veränderungen haben können. Solcherlei zu planen, scheint eher abwegig, dennoch zeigt sich im Fall Wardorf, wie Ressourcenorientierung zu Synergieeffekten führen kann.

Netzwerke zweiter Ordnung (Christakis u. Fowler, 2010) entstehen durch soziale Eingebundenheit, die uns als Menschen ohnehin (idealerweise) bereichert – so auch Herr Wardorfs Weg über die Resonanz (Rosa, 2016) mit sich selbst bezüglich seiner außerarbeitsweltlichen Interessen hin zur Resonanz in der Gemeinschaft (inklusive dem Zusatzgewinn einer beschleunigten Karriereentwicklung durch die so entstandenen Verbindungen).

Im Fall der Familie Wardorf hat die soziale Abkopplung von Freundeskreisen und Ursprungsfamilien den Stresspegel, der durch den Hausbau und die extreme Anspannung im Beruf bereits ohnehin stark erhöht war, weiter in die Höhe getrieben. Frau Adrian gelingt es gemeinsam mit Herrn Wardorf, ihn im Laufe des Coachings Schritt für Schritt zu einem Mehr an Besinnung kommen zu lassen. Er ruft sich ins Gedächtnis, wie intensiv die aktuelle Lebensphase tatsächlich ist, wägt ab, wie trotz aller Widrigkeiten Ausgleichsmöglichkeiten geschaffen werden können, und setzt auf Durchhalten in der »Rushhour« seines Lebens – auch dies ein Aspekt der Beharrlichkeit. Für Außenstehende, wie etwa beratend tätige Menschen, scheinen solcherlei Möglichkeiten meist offensichtlich, aber für die Betroffenen typischerweise nicht. Es lohnt sich mindestens die Rückvergewisserung bei den Coachees, um selbst ein Gespür dafür zu entwickeln (und unter Umständen bereits dadurch ihnen bei der Weiterentwicklung ihres eigenen Gespürs Unterstützung zu bieten), wie diese mit solchen Herausforderungen umgehen. Solidarität: Zurück in die Gemeinschaft

Letztlich geht es für Herrn Wardorf um das Abwägen der Frage, für welchen Anteil seiner Selbstverwirklichung er welchen Preis zu zahlen bereit ist. Zur Disposition stehen der Hausbau und die damit ver-

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Beharrlichkeit: Manchmal hilft nur »Durchhalten«

bundene Identität, die in Wohnort, Lebensstil und Architektur ihren Ausdruck sucht; der produktive Beitrag zur Gemeinschaft im Rahmen der Arbeitswelt, wo Tätigkeiten, Karrierewege oder Arbeitgeber maßgeblich das Selbstbild beeinflussen können; die Familienkonstellation, bei der möglicherweise der Partnerschaftsstatus, die Größe der eigenen Kernfamilie, aber auch die Einbindung der Ursprungsfamilien zentralen Stellenwert für das Selbst- und Fremdbild haben; die Einbindung in Freundeskreise, Vereine und andere soziale Netz-

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werke; und nicht zuletzt wohldosierte Zeiten mit sich selbst, in deren Rahmen etwa Sport, Hobbys, Ehrenamt oder Kontemplation stattfinden. Herr Wardorf muss sich unweigerlich für Abstriche entscheiden, sobald er versteht, dass er nicht allen seinen Ansprüchen an sich gerecht werden kann. Gleichzeitig entwickelt er Verständnis für die Macht des Hebels »Solidarität«, knüpft bewusst neue Kontakte, investiert Zeit in neue Gemeinschaften – und profitiert kurz darauf selbst davon. Haltung: Die Rahmenbedingungen nehmen, wie sie sind

Durch die Bewegung in mehreren Lebensbereichen (vgl. hierzu das Konzept des Mesosystems bei Bronfenbrenner, 1979) entsteht häufig eine Veränderungsdynamik, die sich nur schwer kompensieren lässt: Mit dem verstärkten Wandlungsdruck entsteht dann unter Umständen Orientierungslosigkeit, weil plötzlich im Umfeld ein nur noch ungewohnt geringes Maß an Rückhalt vorhanden ist. Herr Wardorf sah sich im Angesicht der Herausforderungen, denen er in der Arbeitswelt begegnete, mit der Fragwürdigkeit seines Wertegefüges konfrontiert. Ausgelöst durch den Karriereschritt, von dem er sich ursprünglich viel versprochen hatte, fand er nun heraus, dass die Umstände es ihm ermöglichten, sich auch persönlich weiterzuentwickeln. Mehr noch: dass diese Entwicklung für ihn von existenzieller Bedeutung war.

So ging es letztendlich um viel mehr als um die Koordination von Karriere, Kindern und Hausbau – es ging um Haltung. 5.5 Fazit: Mit dem Spannungsfeld leben

Die Darstellung eines erfolgreichen Coachings darf nicht davon ablenken, dass im Fall von Herrn Wardorf auch vieles nicht gelöst werden konnte: Die Herausforderungen, die eine Führungskraft mit 85

ist es notwendig, die Leistungsanforderungen des Gesamtsystems

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möglicherweise geringem Reflexionsvermögen für sich, ihr Team und ein Unternehmen darstellen kann, sind enorm, und auch hier zu betrachten. Die Organisationskultur im Unternehmen ist für alle Mitarbeitenden, gleich welcher Hierarchiestufe, stets auf die Steigerungslogik der Effizienz zurückgeworfen, die aus dem Diktat der Ökonomie resultiert. Die Freiheiten des Individualismus, die der gesellschaftliche Wandel der letzten Dekaden für viele von uns gebracht hat (Dornes, 2012), haben uns aus unseren tradierten Lebenswelten freigesetzt, der Effizienzdruck zwingt uns zur Selbstoptimierung (Neckel u. Wagner, 2013). Einerseits ist die Anpassung an sich wandelnde Umstände ein klassisches Prinzip der Natur, andererseits besteht der humane Aspekt der Arbeitsteilung in der damit möglich werdenden Kulturleistung, mit der Menschen in die Lage versetzt wurden, der Brutalität von Ausleseprozessen Akte der Menschlichkeit gegenüberzustellen. Mit dem Fokus auf die individuelle Steigerungslogik verlieren wir die Zwischenmenschlichkeit aus den Augen, die Solidarität, mit der wir uns entlasten könnten, verschwindet. Damit sind wir darauf zurückgeworfen, unser Leid nicht mehr teilen zu können, sondern die »Last des Möglichen« ­(Ehrenberg, 2008, S. 302) allein tragen zu müssen, solange wir keine Brücken zur Resolidarisierung geschlagen haben.

6 Humane Arbeit: Herausforderungen für die Beratung Die beratende Zunft, sofern sie sich weiter professionalisieren möchte, steht meines Erachtens nach vor dem Entwicklungsschritt, die Tragweite ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu reflektieren: In einer arbeitsteiligen Gesellschaft wie der unsrigen gebietet der soziale Vertrag, im Rahmen der Professionsausübung die jeweilige Expertise der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, um das Prinzip

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der Arbeitsteilung aufrechterhalten zu können. Für uns als beratend Tätige ist dies die Reflexivität, für die wir per Definition der arbeitsteiligen Logik die Expertinnen und Experten sein sollten. Damit wäre eine beratende Profession als gesellschaftliche Akteurin aufgerufen, die privilegierte Perspektive ihrer reflexiven Expertise dem gesellschaftlichen Diskurs zugänglich zu machen, indem sie soziale Phänomene und wiederkehrende Muster aufzeigt und ergründet, um allen Mitgliedern einer Gemeinschaft die Möglichkeit zu geben, hierauf im gemeinschaftlichen Sinne reagieren zu können. So ermöglicht »die Verbindung der individualethischen und der sozialethischen Perspektive« die gemeinsame »Weiterentwicklung von Individuum und Gesellschaft« (Blume, 2016, S. 146). Zur Anschauung: Ein Arzt sieht täglich viele Patienten, manche Krankheitsbilder häufen sich. Aber erst sein regelmäßiger Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus der gleichen Stadt macht es möglich, beispielsweise regionale Häufungen des Krankheits­ bildes nach Wohnort festzustellen, um damit beispielsweise soziale ­Einflussfaktoren auf das Krankheitsbild bei der Diagnose systematisch in Betracht ziehen zu können. Ähnliches lässt sich mit Sicherheit über Coaches sagen, die viele Unternehmen von innen sehen und damit prädestiniert sind, beispielsweise die Musterbildung im Zusammenhang mit belastenden Arbeitsstrukturen wahrnehmen zu können.

Für die Profession Beratung würde daher meiner Ansicht nach die soziale Verpflichtung nicht nur aufgrund der Arbeitsteilung gelten, sondern ergäbe sich außerdem aus der Logik der Reflexivität als solcher: eine beratende Profession als »Reflektierendes Team« (Andersen, 2011) für die Gesellschaft, qualifiziertes Kommentieren und Hinterfragen des Status quo als kritische soziale Instanz. Wer, wenn nicht wir? 87

umzukrempeln. So etwas funktioniert nicht, es wäre auch nicht im

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Das ist selbstredend keine bequeme Aufgabe. Es geht allerdings nicht darum, Wirtschaft und Gesellschaft quasi gegen deren Willen Sinne einer professionellen Beratung. Als einzelner Berater (ent)bindet mich der Auftragsrahmen: Unbefugtes Beraten, ungefragtes Einwirken auf Arbeitsbedingungen oder Nichteinwirken entgegen dem Auftrag gelten als Bevormundung und widersprechen den Ethikrichtlinien der einschlägigen nationalen wie internationalen Verbände. Das mag dem Einzelnen Berater im Angesicht bestimmter Geschäftsmodelle oder Unternehmens­kulturen persönlich mehr oder weniger gut gefallen, vielleicht sträuben sich sogar hier und dort seine Wertvorstellungen dagegen. Es steht jedoch jedem frei, einen Beratungsauftrag abzulehnen, wenn ihm die Bedingungen hierfür nicht zusagen. Nur: Für eine Humanisierung der Arbeitsbedingungen lässt sich dann auch nichts mehr tun. Es geht hier nicht um Veränderung durch gewaltsame Revolution oder Widerstand, es geht um Veränderung durch Haltung. »Als Funktionsbereich in dieser Gesellschaft sind wir als Coachs unweigerlich an den ethisch-moralischen Diskurs angekoppelt«, stetige Selbstreflexion scheint daher »unumgänglich« (Blume, 2016, S. 117). Haltung erringt man nicht in einem Wochenendseminar, Haltung ist mühsame Arbeit an sich selbst, Haltung ist tägliches Ringen. In meinen Weiterbildungen diskutiere ich gerne mit den Nachwuchscoaches die Frage, ob für Menschen, die Coaching in Anspruch neh-

men, ein vorausgegangener Misserfolg im Sinne »erlebter Notwendigkeit« eine unverzichtbare Voraussetzung für deren Bereitschaft zu nachhaltiger Entwicklung ist. Dabei geht es mir dann aber nicht um eine konkrete Antwort auf diese Frage, sondern um das Gedankenspiel als Reflexionshilfe für die eigene Professionalisierung (denn für uns als Coaches würde das ja dann auch gelten). Eine Teilnehmerin fragte mich einmal, ob sie nicht etwas Spielraum hätte, wenn 88

Ich bejahte natürlich und fügte die Rückfrage an, wie leicht sie es

Beratung

es um den Energieaufwand für die persönliche Entwicklung gehe. sich gerne machen wolle? Die Schrecksekunde der gesamten Klasse signalisierte mir, dass ich einen neuralgischen Punkt getroffen hatte. Haltung entsteht durch Beharrlichkeit. Es braucht Durchhaltevermögen, Kraft und Mut, um sich selbst zu entwickeln. Es braucht die gleiche Hartnäckigkeit, um komplexe Aufträge zu klären, ineinander verschränkte Dynamiken zu entwirren und Beratungskonzepte individuell so zu entwickeln, dass sie Menschen wirklich weiterbringen. Natürlich ist es einfacher, Methoden aus einem »Koffer« zu ziehen, um möglichst viel Aktivierungsenergie zu erzeugen – doch wirkt das nachhaltig? Wer evidenzbasiert arbeitet, wird hier zu Recht skeptisch sein. Als wirksam erweisen sich vor allem Vorgehensweisen, die persön­liche Entwicklung und die Stärkung von Solidarität miteinander verschränken. Beides wird im Idealfall getragen von einer starken und wachen Empathie – die bewusst nicht in Richtung Kollusion abdriftet. Kollusion ist blinde Komplizenschaft, die Reflexion unmöglich macht. Beratung funktioniert so nicht. Erfolgreiche Beratung stärkt die Solidarität von Führungs­kräften und Mitarbeitenden – dies wiederum befördert die Bereitschaft in Unternehmen, Arbeitsbedingungen verstehbar, handhabbar und bedeutsam zu gestalten und so die Voraussetzungen zu schaffen für Arbeit, die sich zu Recht human nennen darf.

Humane Arbeit in Reinform jedoch kann es nicht geben, lässt sich doch das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Humanität nicht in einer Richtung auflösen. Gerade deshalb ist es notwendig, unablässig dafür zu kämpfen, dass wir als Menschen mit unserem Wunsch nach einem guten, einem gelingenden Leben im Fokus bleiben. Letztendlich ist die Ökonomie für den Menschen da – und nicht der Mensch für die Ökonomie. 89

aufseiten der Ökonomie. Und dafür brauchen wir als Berater und

Beratung

Unsere Aufgabe als Beratende ist es, dies im Bewusstsein der Akteure zu halten – insbesondere im Bewusstsein der Entscheider Beraterinnen wiederum Beharrlichkeit, Haltung und nicht zuletzt den gemeinsamen Schulterschluss: Solidarität – auch und gerade in einem von harter Konkurrenz geprägten Beratermarkt.

Am Ende

Literatur

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Der Autor Carsten Hennig, Jahrgang 1972, ist seit 2004 selbstständig als Führungscoach, Teamsupervisor, Personaltrainer und Organisationsberater. Er arbeitet branchenübergreifend und hat sich auf die Arbeit mit Fach- und

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Führungskräften, die Kulturentwicklung in Teams und Unternehmen sowie die Supervision von Coaches spezialisiert. Seit 2012 ist er als Dozent und Lehrsupervisor in der Weiterbildung von Coaches und Supervisoren aktiv. Außerdem moderiert er Klausurtage, Meetings und Großgruppenveranstaltungen, führt Lehraufträge an Akademien und Hochschulen durch und hält Workshops im Rahmen von Tagungen im In- und Ausland. Seine Arbeitssprachen sind Deutsch und Englisch. Weiterhin ist er Initiator und Sprecher der DGSF-Fachgruppe »Humane Arbeit und Burnout-Prävention« und als langjähriger Pfadfinder auch heute noch immer wieder gerne für die Ausbildung ehrenamtlicher Jugendgruppenleiterinnen und -leiter engagiert. Carsten Hennig untersucht aktuell im Rahmen seines von der DGSF geförderten Forschungsprojekts »Die Entwicklung von Haltung

im Rahmen der Teilnahme an Supervisionsweiterbildung«. Er hat in Deutschland, USA, Frankreich und England studiert und als Magister Artium in Medienwissenschaft, Soziologe und Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main abgeschlossen. Zertifiziert ist Hennig in Beratung, Coaching, Supervision und Organisationsentwicklung durch die DGSF, in Erwachsenenbildung durch die Pädagogische Hochschule Karlsruhe sowie in Berufs- und Wirtschaftspädagogik durch die Goethe-Universität Frankfurt am Main. Näheres unter www.carsten-hennig.com und unter www.humane-­arbeit.com.