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German Pages 229 [240] Year 1968
Jochen Schmidt Hölderlins Elegie „Brod und Wein"
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen V ö l k e r
Begründet von Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Neue Folge Herausgegeben von Hermann Kunisch Stefan Sonderegger und Thomas Finkenstaedt 26 (150)
W a l t e r de G r u y t e r & C o vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Berlin 1 9 6 8
Hölderlins Elegie „Brod und Wein" Die Entwicklung des hymnischen Stils in der elegischen Dichtung
von
Jochen Schmidt
Walter de Gruyter & Co vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.
Berlin 1968
Archiv-Nr. 43 30 68/1 © Copyright 1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. — Printed in Germany. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: H. Heenemann KG, Berlin
Meiner Mutter und meinem Lehrer Cajetan Oßwald
VORWORT Dieses Buch ist die gründlich überarbeitete Fassung einer Dissertation, die der Tübinger philosophischen Fakultät im Dezember 1965 vorgelegen hat. Meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Friedrich Beißner danke ich für die gütige Förderung der werdenden und für eine reiche, anregende Kritik der abgeschlossenen Arbeit. Der Leiterin des Hölderlin-Archivs auf Schloß Bebenhausen, Fräulein Maria Kohler, verdanke ich manchen wertvollen Hinweis zur Bibliographie. Tübingen, im November 1967
Jochen Schmidt
INHALTSVERZEICHNIS I. II. III. IV. V. VI. VII.
Einleitung zur Methode Übersicht über die Forschung Der formale Aufbau des Gedichts Die Sprache und ihr Erlebnisgrund Elegie und Hymne Interpretation des Textes1) Exkurs zum Schlüsse von „Brod und Wein": „Die Titanen" VIII. Die späte Überarbeitungsschicht H 3 b IX. Der Vater Äther und die Söhne Register
Einzelaufgliederung : S. 9f.
1 6 8 11 16 34 173 179 209 223
I. E I N L E I T U N G Z U R M E T H O D E Bei der Interpretation von Hölderlins Gedichten haben sich gewisse Eigenheiten herausgebildet. O f t werden die Dichtungen zum Anlaß von Erbauungsliteratur, die sich von der beseelten Innerlichkeit der Verse nährt. Anders in Ausgangspunkt und Ziel sind die Untersuchungen, die Sinn und Form der edlen Kunstgebilde durch Interlinear-Interpretationen ausfindig machen wollen; sie betrachten treu jede Prägung, Satz für Satz. Diese mehr dienende Beschäftigung mit dem Dichterwort ist die zunächst notwendige: Hölderlin ist kein Dichter der vagen Stimmungen, sondern der aus langer innerer Kristallisation hervorgegangenen Bestimmtheiten. N u n hat gerade die textnahe Forschung eine besondere methodologische Schwierigkeit zu überwinden. Hölderlin schafft für seine Grundgedanken nicht stets neue Bilder. An einen bestimmten Sinnwert bleibt meistens eine bestimmte äußere Vorstellung geknüpft, so daß sidi neben der geschlossenen und einheitlichen, weil von e i n e m Anliegen durchwalteten geistigen Welt auch ein dicht und einheitlich gestalteter Bilderkosmos ergibt. Wer in einem Gedicht die Worte „golden" oder „Gewitter" liest, verbindet mit ihnen aus der Kenntnis des übrigen Werkes Gedankeninhalte, die sich auch, an anderen Stellen in diese Metaphern kleiden. Allzu nahe liegt die Versuchung, dieses vielfach fruchtbare Interpretationsverfahren zu verabsolutieren - als ob der Dichter unter dem Gesetz der mechanischen Notwendigkeit stünde und jeder Idee nur ein einziges Wort entspräche. Ungünstig sind die Auswirkungen bei der Erklärung schwieriger Stellen. Man weiß nicht, was ein Wort bedeutet, sucht in den anderen Gedichten und Schriften, selbst in Briefen, bis man es in einem eindeutigen Zusammenhange findet, und überträgt diesen dann auf die dunkle Stelle. So fiel in einer der ersten Friedensfeier-Interpretationen dem einzigen Wort „allbekannt" ein Gedicht von 156 Versen zum Opfer. Einige Beispiele aus andern Interpretationen sollen das Verfahren näher kennzeichnen. Die grundsätzliche Klärung ist auch bei der Analyse der großen Elegie vorauszusetzen. 1
Schmidt, H ö l d e r l i n
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Einleitung zur Methode D i e erste S t r o p h e von „ P a t m o s " l a u t e t 1 : „ N a h ist Und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch. Im Finstern wohnen Die Adler und furchtlos gehn Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg Auf leichtgebaueten Briiken. Drum, da gehäuft sind rings Die Gipfel der Zeit, und die Liebsten N a h wohnen, ermattend auf Getrenntesten Bergen, So gieb unschuldig Wasser, O Fittige gieb uns, treuesten Sinns Hiniiberzugehn und wiederzukehren."
D a z u schreibt B e r n h a r d Bösdienstein 2 : „ W a s hier unter , G e f a h r ' zu verstehen ist, läßt sich, aus dem Z u s a m m e n h a n g nicht eindeutig bestimmen. D e r Blick auf die folgenden Verse k ö n n t e zu der D e u t u n g verführen, die G e f a h r bestehe in der Getrenntheit der Liebsten voneinander. H i e r bringt nun die Zusammenstellung der Wortbelege . . . den erwünschten Aufschluß." H i e r a u f werden alle Belege v o n „ G e f a h r " , „gefahrreich" etc., gesammelt; sie sprechen v o n der verzehrenden, überwältigenden
Nähe
Gottes, die der schwache Mensch nicht aushalten kann. U n d die F o l g e r u n g l a u t e t : „ D e r B e f u n d ist eindeutig, sämtliche Belege weisen in dieselbe Richtung. H ö l d e r l i n kennt nur eine G e f a h r : die unbewältigte Gottesnähe." W a r u m sollte „ G e f a h r " bei H ö l d e r l i n nicht auch gegenüber einer nodi so großen S u m m e v o n Belegen ein M a l etwas anderes bedeuten? Betrachten w i r die S t r o p h e ! Sie ist k l a r gegliedert. D i e ersten vier Verse geben eine allgemeine Erkenntnis in der A r t der Pindarischen G n o m e . D i e f o l g e n d e n vier Verse heben die sinnschwere Sentenz des A n f a n g s gleidinishaft ins B i l d : im Finstern, in einsamen Felsklüften, dort, w o die G e f a h r des Getrenntseins von allem a n d e r n a m höchsten ist, wohnen diejenigen, denen in ungewöhnlidiem M a ß e das „ R e t t e n d e " , die mächtigen Schwingen, gewachsen ist: die A d l e r . U n d die S ö h n e der A l p e n , die Bergbewohner, haben als Rettendes gegen die G e f a h r der T r e n n u n g durch den A b g r u n d
ι St. A. II. S. 165. V. 1 ff. Bernhard Bösdienstein, Hölderlins Rheinhymne, Zürich und Freiburg 1959, S. 7. - Robert Thomas Stoll, Hölderlins Christushymnen, Grundlagen und Deutung, Basel 1952, S. 185, gibt der „Gefahr" in den ersten Versen dieselbe Deutung wie Böschenstein, ebenfalls unter dem Einfluß der andern Stellen.
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Einleitung zur Methode
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„leiditgebauete Bröken". Nun schließen sich, als zweite Hälfte der Strophe, sieben Verse an, welche die Anwendung der ins Bild gehobenen Sentenz auf die gegenwärtige geistige Situation bringen. Die getrennt von uns auf den Gipfeln der Zeit wohnenden Liebsten sind die Göttersöhne. Jedem von ihnen war ein eigener Gipfel im Laufe der Zeiten beschieden. Jeder hat auf seine Weise in der geschichtlichen Situation, in die er gesandt war, für den Vater gewirkt. Die Offenbarungsepochen der Geschichte, die „Gipfel der Zeit", sind aber von uns getrennt. Deshalb „ermatten" die Liebsten, ihre Mühe war, aufs Ganze hin betrachtet, umsonst, wenn wir Spätere zu ihnen keine Brücken mehr schlagen können. Wenn wir aber von unserer Augenblicksvereinzelung aus die Verbindung zu all dem Gottgesandten der Geschichte herstellen, ohne unser Eigenes dabei aufzugeben („treuesten Sinns / Hinüberzugehn und wiederzukehren"), können wir Gott „fassen". Deshalb die Bitte, es möchte uns das Rettende wachsen, damit wir die Abgründe der Trennung von all den verschiedenen Erscheinungen des Göttlichen auf Erden, von den „Liebsten", zu überwinden vermögen: uns sollen dafür wie den Adlern Flügel wachsen („O Fittige gieb . . ."), Seelenflügel 3 . „Gefahr" ist also nicht die verzehrende Nähe, sondern die Fremdheit des Gottes, die trotz seiner Nähe bestehen bleibt, wenn wir es in der Beschränktheit und Einsamkeit unserer Situation nicht dahin bringen, den großen Zusammenhang des auf Erden geoffenbarten Göttlichen herzustellen. Die verdeutlichten Anfangsverse einer späteren Patmosfassung 4 präzisieren diese Aussage: „Voll Güt' ist; keiner aber fasset / Allein Gott." Audi heißt es in derselben Fassung: „ . . . da gehäuft sind rings, um K l a r heit, / Die Gipfel der Z e i t . . A " Wer die Gipfel der Zeit geistig umspannt, kann das ihm bisher zwar nahe, aber verborgene Göttliche in „Klarheit" „fassen"; er muß gleichsam den Ring der Gipfel umschreiten, um den von ihnen umschlossenen Bereich der göttlichen „Klarheit" ganz zu erkennen. Vom langsamfließenden und windungsreichen Ister heißt es 4 : „Aber allzugedultig / Scheint der mir, nicht / Freier, und fast zu spotten." Wenige Verse später wird der Rhein als Gegenbeispiel erwähnt, und es liegt deshalb nahe, die Rheinhymne zur Deutung heranzuziehen. Der Rhein heißt in der Rheinhymne „freigeboren". Friedrich Beißner schreibt 7 :
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4 5 « 7 1 '
Dem Dichter selbst wird sein Wunsch „schneller, denn" er „vermuthet", erfüllt: sein Geist, vom „Genius" entführt, schwingt sich adlergleich über Asias Gipfel und gelangt schließlich nach Patmos, wo er sich mit einem der „Liebsten", die vor langer Zeit waren, verbunden weiß: mit Christus. St. Α. II. S. 184. V. I f f . St. Α. II. S. 184. V. 9. „Der Ister", St. Α. II. S. 191. V. 58 ff. Erläuterungen, St. Α. II. S. 816.
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Einleitung zur Methode
„Freier". Wohl nicht als Komparativ, sondern als Substantiv aufzufassen. Der junge Ister scheint allzugedultig und nicht frei im Vergleich zu dem jungen Rhein - siehe in der nächsten Strophe V. 63-66 („es treibet ein anderer da / Hoch schon die Pracht, und Füllen gleich / In den Zaum knirscht er, und weithin hören / Das Treiben die Lüfte")." Es geht aber nicht um eine Form des Wortes „frei", sondern um den Freier, den Brautwerber, der zu seinem Ziele kommen möchte, nicht „allzugedultig" ist8. In der Hymne „Am Quell der Donau" stehen die Verse: „ . . . heiliggenöthiget, nennen, / Natur! dich wir, und neu, wie dem Bad entsteigt / Dir alles Göttlichgeborne. // Zwar gehn wir fast, wie die Waisen; / Wohl ists, wie sonst, nur jene Pflege nicht wieder 9 ." Das Wort „Pflege" erinnert an den Patmosschluß. Friedrich Beißner erläutert 10 : „Vor dem Neuen und seinem Anspruch fühlen wir uns wohl zuweilen verlassen; es ist zwar das Alte und dodi anders, wir müssen uns dem Kommenden gegenüber doch anders verhalten als gegen den festen und sichern Buchstaben einer überschaubaren Überlieferung, den wir jetzt nodi pflegen (vgl. den Schluß des Patmos-Gesangs)." „Pflege" ist nun aber hier, anders als im Patmosschluß, ohne Objekt: es handelt sich um die exakte Ubersetzung des Wortes „cultura" mit der Bedeutung „Kultur". Auf das hoffnungsvoll in die Zukunft hinein entworfene Bild vom Entsteigen des Göttlidigebornen aus der Natur, folgt, wie so oft bei Hölderlin, die Besinnung auf die Gegenwart: „wohl ists, wie sonst", d. h. die eben hoffnungsvoll beschworene Natur, der natürlidie Mutterboden, auf dem eine Kultur gedeihen kann, ist noch da, so wie er „sonst", in gotterfüllter Zeit, da war, aber es ist „jene Pflege nicht wieder"; die Kultur, die sich über dem natürlichen Wurzelgrund erheben sollte, ist nicht mehr da, und deshalb gehn wir nicht ganz, aber „fast" „wie die Waisen" - derselbe Zusammenhang, den der „Archipelagus" ausführlich darbietet. Auf Grund dieser vorangesdiidsten Erläuterungen scheint uns für Hölderlins Dichtungen die Interpretationsweise am vorteilhaftesten, die sich ausschließlich an den Text des zu interpretierenden Gedichtes hält, und nicht von einer sich über das ganze Werk erstreckenden Wortsammlung ausgehend die einzelne Gestaltung deutet. Erst, wenn eine Stelle in dem Zusammenhang, in dem sie steht, klar erschlossen ist, sollen zur Kennzeichnung ihres eventuellen besonderen Wertes in der Vorstellungswelt Hölderlins Parallelen aus anderen Dichtungen angeführt werden, und dies wird allerdings in einer Arbeit über „Brod und Wein", wo Höl8
Der Konnex Freier-Gedult kommt noch einmal bei Hölderlin vor. In „Stutgar d" heißt es: „willst du / Freien, habe Gedult, Freier begliiket der Mai." St. A. II. S. 86. V. 25 f. 9 St. A. II. S. 128. V. 89 ff. io Erläuterungen, St. A. II. S. 696.
Einleitung zur Methode
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derlins Gedanken in seltener Vollzähligkeit vereinigt sind, häufig geschehen. Unbestreitbar ist die Kenntnis des Gesamtwerks für die Deutung des einzelnen Gedichtes wichtig und fruchtbar wie bei kaum einem anderen Dichter; oft genug kommt der erleuchtende Hinweis aus weitabliegenden Versen; wenn aber eine Stelle in ihrem eigenen Zusammenhang dunkel bleibt oder zweifelhaft scheint, kann ein woandersher sich ergebender Hinweis nur als ein „Vielleicht" der Deutung genannt werden.
II. Ü B E R S I C H T Ü B E R D I E
FORSCHUNG
Jede größere Studie über Hölderlin widmet der Elegie „Brod und Wein" wenigstens eine kurze Darstellung. Aus ihr wird mehr als aus allen anderen Gedichten Hölderlins zitiert, weil sie die Gedankenwelt des Dichters in außergewöhnlicher Vollkommenheit umschließt. Seit Petzolds Monographie 1 wurde aber kein gründlicher exegetischer Versuch mehr unternommen 2 . Das Erscheinungsjahr 1896 - und das heißt: unzureichende Texte und Fehlen fast jeder Hölderlinforschung, ja, fast jeder Beschäftigung mit Hölderlin - madit Petzolds eindringende, zum ersten Mal Hölderlins Dichterwort ganz ernst nehmende Abhandlung zu einem entscheidenden Stück Wissenschaftsgeschichte. Hellingrath urteilt 3 : „So gewiß ich in manchem einzelnen mit Petzold nicht einverstanden bin, so gewiß dem Buch den Bedingungen seiner Entstehung nach Mängel anhaften müssen, so gewiß muß idi hier ausdrücklich und mit Bewunderung auf dieses Werk hinweisen; es hat in vorbildlicher Weise gezeigt, wie j e d e s der großen Gedichte Hölderlins interpretirt werden müßte, ist nicht bloß das gewichtigste Werk der ganzen Hölderlinliteratur, sondern eines der allzuwenigen klassischen Denkmäler deutscher Literaturwissenschaft überhaupt; schade, daß es in den Jahresberichten eines galizischen Gymnasiums vergraben so schwer zugänglich ist. Als Petzold die Abhandlung schrieb, konnte er noch kaum überschauen wie sehr er Recht hatte grade dieses Gedicht zu wählen : es wird immer die beste Grundlage bleiben zum Eindringen in Hölderlins Gedankenwelt; der verwandte Archipelagus deutet nur schüchtern an; von den Hymnen enthält keine so allseitig das ganze Weltbild." Nach siebzig Jahren, bei völlig veränderten Voraussetzungen, gibt es nun viel Neues zu finden, manches Alte zu berichtigen. Dies gilt besonders 1
Petzold, Emil, Hölderlins Brod und Wein. Ein exegetischer Versuch. Samboi 1896 und 1897. Neudruck durchgesehen von Friedrich Beißner. Darmstadt 1967. 2 Genannt seien nodi: Böckmann, Paul, Das Bild der Nacht in Hölderlins „Brod und Wein". In: Formensprache. Studien zur Literaturästhetik und Dichtungsinterpretation. Hamburg 1966. S. 330-344. - Papatzones, T. K., Dionysiaka. Scholio hermeneutiko ston hymno tu Fr. Hoelderlin „Artös kai Oinos". Nea Hestia Bd. 31. 142. S. 142-152. - Das Wichtigste aus der neueren Forschung sind die Erläuterungen Friedrich Beißners in: St. A. II. S. 608-621. a Hellingrath, IV, 317 f.
Ubersicht über die Forschung
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für die letzten Strophen des Gedichts, deren Interpretation deshalb einen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet. Auf dem Fundament der Großen Stuttgarter Ausgabe war es möglich, die Lesarten systematisch heranzuziehen, im Bestreben, die fertige Form auch durch ihren Werdeprozeß zu erhellen und vor allem der reichen späten Überarbeitungsschicht H 3 b in ihrer gesamten Erstreckung die Aufmerksamkeit zuzuwenden, die ihr Eigenwert wie ihre Bedeutung für die Erkenntnis des Spätstils fordert. Gattungs- und stilgeschichtliche Gesichtspunkte, die nicht im Darstellungsbereich Petzolds lagen, sollten neben der verstärkten Hinwendung zu den Traditionskomplexen der griechischen Dichtung und der Bibel breiten Raum erhalten. Im Vordergrund steht die Erklärung des Gedichts bis in jede Einzelheit. Deshalb wurde der Weg der fortlaufenden Interpretation gewählt. Es ist aber auch das Ziel dieser Untersuchung, einige Linien des Gesamthorizontes deutlicher abzustecken - aus der Überschau über das nun weit offenliegende Feld des Gesamtwerkes und aus der schon von Hellingrath formulierten Erkenntnis, daß die große Elegie allseitig wie ein Brennpunkt die Kraftlinien dieses Feldes in sich versammelt. Die Elegiendichtung hat immer wieder zu schroffen Fehlurteilen den Anlaß geben müssen. Man hat in ihr lediglich eine dürftige Poesie der Verzweiflung oder ein unglücklich experimentierendes Zwischenstadium vor dem Übergang zur Hymnendichtung sehen wollen. Die Kunst des eindringenden Lesens wurde hier mehr als sonst gespart. Das volle, melodische, betörend schöne Strömen der Distichen läßt in der Tat über manches Dunkel-Tiefe hinweggleiten, ohne daß man es als solches wahrnimmt: und doch hat auch in ihnen trotz aller symphonischen Fülle und schwingenden Bewegtheit das dichterische Sagen eine Intensität, die jedes Wort in einen Kristall verwandelt.
III. D E R F O R M A L E AUFBAU D E S G E D I C H T S „Brod und Wein" ist die umfangreichste 1 und die im formalen Aufbau am gesetzmäßigsten gegliederte der Elegien Hölderlins. Während die erste Elegie, das nach seiner Gattung benannte Gedicht „Elegie", noch in ungleiche Abschnitte eingeteilt ist, haben alle späteren Elegien in Dreiergruppen geordnete Strophen. Sie sind in der Umarbeitung der „Elegie", in „Menons Klagen um Diotima", von unregelmäßigem Umfang, aber dann einheitlich auf 18 Verse festgelegt, ein Maß, das zum ersten Mal in den beiden ersten Abschnitten der Erstfassung des „Wanderers" gegeben ist2. Von den Gedichten, die aus diesen regelmäßigen, 18 Verse zählenden Strophen gefügt sind, bestehen „Der Wanderer", „Stutgard" und „Heimkunft" aus zwei Dreiergruppen von Strophen. In „Brod und Wein" allein kommt die Dreizahl ganz zur Herrschaft: es besteht aus drei Dreiergruppen. Die 18 Verse sind in den Elegien gedanklich und syntaktisch meist in 3 X 3 Distichen gegliedert, so daß jede der drei triadisch zusammengefaßten Strophen wieder selbst ihre Distichengruppe triadisch umgreift. Da „Brod und Wein" aus drei Strophentriaden besteht, ist in diesem Gedicht eine absolute Zahlenharmonie verwirklicht - und das bedeutet immer auch Maß und Rhythmus - : es enthält als Ganzes drei Strophengruppen, jede der drei Strophengruppen enthält drei Strophen und jede Strophe enthält 3 X 3 Distichen. In diesem Rechenexempel gibt es nur einen „Fehler" : die siebte Strophe von „Brod und Wein" hat ein Distichon zu wenig. Friedrich Beißner notiert dazu 3 : „Hölderlin hat das selbst erst ganz spät, nämlich nach der Vollendung der Reinschrift H 3 bemerkt, oder richtiger: nur vermutet. Er zählt darum mit eingetunkter Feder die Distichen der 6. Strophe nach (Punkte vor den Hexametern) und dann ebenso die der 7. Strophe: dabei erhält versehentlich auch der Pentameter V. 114, der zufällig über und unter sich einen etwas breiteren Zwischenraum hat als gewöhnlich, einen Punkt, so daß schließlich auch die 7. Strophe auf neun Punkte kommt. Der Irrtum wird auch später nicht entdeckt." 1
Falls man nicht geneigt ist, den hexametrisch gebauten Archipelagus mit Hellingrath zum Elegienkreis zu rechnen. 2 Fr. Beißner, Erläuterungen, St. A. II. S. 572. 3 Fr. Beißner, Bemerkung zu den Lesarten, St. A. II. S. 604, Z. 24 ff.
Der formale Aufbau des Gedichts
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Aus der Textinterpretation wird hervorgehn, daß sich, die thematische Gliederung mit dem formalen Aufbau vollkommen deckt. Hier die schematische Konkordanz: A) Die erste Strophen trias: die Nadit 1. Die erste Strophe: die Ankunft der Nacht a) Die 1. Distichen trias: Ausklang des Tages b) Die 2. Distichentrias: Weihe des Abends c) Die 3. Distichen trias: die Nacht 2. Die zweite Strophe: Wesen und Wirkung der Nacht a) Die 1. Distichentrias: das Geheimnis der Nacht: die „Bereitung" b) Die 2. Distichentrias: die Nacht als Zeit der Ruhe und des Verharrens c) Die 3. Distichentrias: die Nacht als Zeit der hohen Begeisterung 3. Die dritte Strophe: die nächtliche Begeisterung a) Die 1. Distichentrias: der Drang zum Aufbruch ins Offene b) Die 2. Distichentrias: das „Maas" des Schicksals über der nächtlichen Begeisterung c) Die 3. Distidientrias: der A u f b r u c h aus der Nacht in die griechische Tagzeit B) Die zweite Strophen trias: der griechische Tag Hölderlins Idee der K u l t u r 1. Die vierte Strophe: der Anfang der Kultur a) Die 1. Distichentrias: Ankunft in Griechenland. Wachrufen der Vergangenheit b) Die 2. Distichentrias: die göttliche I n s p i r a t i o n als zeugende Ursache der Kultur c) Die 3. Distichen trias: die religiöse G e m e i n s c h a f t als Wachstumsgrund der Kultur 2. Die fünfte Strophe: das Werden der Kultur a) Der unbewußte Urzustand b) Das Stadium des Bewußtwerdens c) Das Ν e η η en der Himmlischen als Grundakt der Kulturschöpfung 3. Die sechste Strophe: Vollendung und Abschluß der Kultur a) Die 1. Distidientrias: Kultur als „ E h r e " der Götter b) Die 2. Distichentrias: die festen äußeren Formen der Kultur
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Der formale Aufbau des Gedichts c) Die 3. Distichen trias : die strömende Innerlichkeit der Kultur. Ihr Ende
C) Die dritte Strophentrias: die hesperische Nacht 1. Die siebte Strophe: die hesperische Nacht als Zwischenzeit a) Die 1. Distichentrias : Rückkehr. - Die Nacht als Zeit der Schonung b) Die 2. Distichen trias: die Nacht als Zeit der S t ä h l u n g c) Die 3. Distichentrias: die Nacht als Zeit der V o r b e r e i t u n g durch die D i c h t e r 2. Die achte Strophe: Brod und Wein, leuchtende Götterspur in der Nacht a) Die 1. Distichentrias: Abschied der Himmlischen: T r a u e r über der Erde b) Die 2. Distichentrias: die Abschiedsgaben der Himmlischen: F r e u d e in der Trauer c) Die 3. Distichentrias: der Mythus von Brod und Wein 3. Die neunte Strophe: „Orkus, Elysium ist's" a) Die 1. Distichen trias: der dionysische Tag in der Nacht b) Die 2. Distichentrias: hesperische Zukunftsschau: E r k e n n t n i s des Göttlichen c) Die 3. Distichentrias: die Gegenwart des Göttlichen im Weine: D i o n y s o s und C h r i s t u s .
IV. D I E S P R A C H E U N D I H R
ERLEBNISGRUND
Zuerst eine kurze Kennzeichnung der geistigen Welt und Stimmung, der die Elegien entstammen. Ein Vergleich mit der Odendichtung umreißt ihre Eigenart. Die Oden in alkäischen und noch mehr die Oden in asklepiadeisdien Strophen meißeln jede Vorstellung knapp und scharf heraus; die Elegien dagegen bringen ein kontinuierliches, vom Gefühl in weichen, klaren Schwingungen durchatmetes Strömen der Bilder. Der Vorstellungskreis der Elegien, besonders in „Stutgard" und „Brod und Wein", ist weit mehr als in anderen Dichtungen Hölderlins vom beglückenden Sinneneindruck erfüllt, von tiefer Wei thai tigkeit und herbstlicher Leuchtkraft. Der dichterische Geist hat sich aus der nüchtern verhaltenen Glut der Oden ins trunkene, symphonische Fluten eingeschwungen. Die innere Gebärde der Elegien ist nicht mehr so sehr vom problematischen Ringen um den Glauben an eine bessere, gotterfüllte Zukunft gekennzeichnet: sie ist zuversichtlicher, bejahender und freudiger. Das Wort „Freude" kommt in den Elegien häufiger vor als im ganzen übrigen lyrischen Werk Hölderlins, erhält in ihnen programmatische Bedeutung: die von Wohlklang, reichster Schwingung und ungewöhnlicher Bilderfülle und Sinnenhaftigkeit beseelte Sprache hat also in der lichtergewordenen, freudigerwartenden Geisteshaltung eine innere Entsprechung. Beides gehört zusammen und hat gemeinsamen Ursprung im Erlebnisgrund des Dichters. Hölderlin verfaßte alle Elegien in der Zeit vom Sommer 1800 bis zum Frühjahr 1801 (mit Ausnahme der „Elegie", deren Datierung nicht ganz gesichert ist, und die, wenn nicht vielleicht im Frühsommer 1800, so dodi frühestens im Herbst 1799 entstand). Sie sind dem gegenwärtigen oder nachklingenden 1 Lebenshochgefühl der in der schwäbischen Heimat, im Neckarland verbrachten Monate entsprungen. Zu Homburg hatte Hölderlin nach den schweren Erschütterungen, welche die Trennung von Diotima verursachte, ein schlimmes Jahr gehabt 2 . Vor der Abreise nach Stuttgart überkommt ihn Bangigkeit. E r fühlt, daß er in der langen Abwesenheit ein anderer geworden ist und nun wie ein Fremder in den Kreis der Seinigen zurückkehrt. Er empfindet es schwer, der Mutter, die immer auf das Eintreten in eine feste Stellung wartet, in ungesicherten äußeren Dies gilt mit größter Wahrscheinlichkeit für die endgültige Ausführung von „Brod und Wein". 2 Vgl. den Brief vom 29. Januar 1800. St. A. VI. S. 382 if. 1
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D i e Sprache und ihr Erlebnisgrund
Verhältnissen, gegenüberzutreten, und weiß, daß er sich an einen Ort begibt, wo er sich nur auf Grund besonderer Erlaubnis des Konsistoriums ohne Ausübung theologischer Funktionen aufhalten darf 3 . All diese Zweifel und Befürchtungen beseitigt die herzliche Aufnahme. Die wenigen Tage, die er in Nürtingen zu Besuch verweilt, geben ihn durch „Theilnahme und Aufmunterung treuer, wohlmeinender Gemüther" 4 dem warmen Leben zurück. Die Heimat bringt wieder Glücksgefühl in sein Dasein. Der ihm in Stuttgart von alten Bekannten und vor allem von dem Freunde Landauer bereitete Empfang erfüllt ihn mit der sicheren Hoffnung, „hier eine Zeit im Frieden zu leben, und ungestörter, als bisher", sein „Tagewerk thun zu können" 5 . Zwar war es bei dem Wanderer Hölderlin immer so, daß er zu Anfang eines neuen Aufenthaltes voll Zuversicht schrieb, wie um sich selbst für die Zukunft Mut zu machen, und sich dann bald fortwandte, die Überwältigung und Einengung seines empfindlichen, ganz an eigne Wachstumsgesetze gebundenen Innern durch die äußeren Umstände fürchtend, von Unruhe getrieben und auf der Suche nach „Stille". Aber dieses Mal war es anders. Die Hoffnungen erfüllten sich in schönstem Maße,und so konnte er der Mutter berichten 6 : „Wenn ich denke, wie viel stärker und gesünder ich mich seit der Veränderung meines Aufenthalts fühle, und wie sidi meine jezige Lage täglich angemessener für meine Bestimmung und sicherer zu meinem Auskommen bildet, so fühle ich eine Zufriedenheit und Ruhe, die ich lang entbehrte . . . Ich habe jezt drei Anerbieten zu Lectionen, die mir alle angenehm sind. Meine Feierstunden bringe ich in guter wohlmeinender Gesellschaft zu, und mein eigenstes Geschafft gehet, wie es scheint, mir jezt auch leichter und reiner von Herzen." Das frohe, lösende G e s e l l s c h a f t s l e b e n in Landauers Hause übte einen, wohltätigen Einfluß auf Hölderlins Gemüt aus und hat sich auch in der Dichtung dieser Zeit immer wieder niedergeschlagen. Nicht nur „Brod und Wein", sondern audi die andern in Stuttgart entstandenen Elegien 7 tragen als Zeichen besonderer Verbundenheit mit anderen Men3 Wilhelm Michel, D a s Leben Friedrich Hölderlins, D a r m s t a d t 1963, S. 361. 4 St. Α . V I . S. 395. s St. Α. V I . S. 395. 6 St. Α . V I . S. 398. 7 D a s widmungslose Gedicht „ D e r W a n d e r e r " bezeichnet, besonders in den letzten Strophen, mit einer v o m erlebten Augenblick unmittelbar bestimmten Sprache die Zeit seiner Entstehung wohl selbst: sie muß k u r z v o r oder nach der A n k u n f t in der N ü r t i n g e r H e i m a t liegen. D a s w a r die Situation, sich wieder der aus g a n z ähnlichem U r s p r u n g erwachsenen ersten Fassung des G e dichts aus dem J a h r e 1797 zu erinnern und sie so umzugestalten, wie es der inzwischen dunkleren aber auch weiteren und tieferen L e b e n s e r f a h r u n g entsprach.
Die Sprache und ihr Erlebnisgrund
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sehen W i d m u n g e n 8 . „ D e r G a n g a u f s L a n d " ist a n L a n d a u e r , „ S t u t g a r d " a n S i e g f r i e d Schmidt, „ B r o d u n d W e i n " a n H e i n s e , die „ H e i m k u n f t " a n die V e r w a n d t e n gerichtet. E i n G e d i c h t ist „ A n L a n d a u e r " überschrieben, es preist die F r e u n d s c h a f t , d a s glückliche G e d e i h e n u n d d a s Feiern in s o r g e n v o l l e r Zeit. D i e E l e g i e n selbst singen d a s L o b des freundschaftlichen Feierns in ergriffener geistiger A u f h ö h u n g . I m „ G a n g a u f s L a n d " sagen d i e Verse, w i e d i e F r e u n d e bei G e l e g e n h e i t d e r E i n w e i h u n g eines l ä n d lichen G a s t h a u s e s „ w e i h n bei guter R e d e den B o d e n , / W o den G ä s t e n d a s H a u s b a u t d e r v e r s t ä n d i g e W i r t h ; / D a ß sie k o s t e n u n d schaun
das
Schönste, die F ü l l e des L a n d e s , / D a ß , w i e d a s H e r z es wünscht, o f f e n , d e m Geiste gemäß / M a h l und T a n z und Gesang und Stutgards Freude gekrönt s e i . . . " 9 . D i e g a n z e z w e i t e S t r o p h e der E l e g i e „ S t u t g a r d " spricht v o n Freundschaft und Feier10: „Aber meinest du nun, es haben die Thore vergebens Aufgethan und den Weg freudig die Götter gemacht? Und es schenken umsonst zu des Gastmahls Fülle die Guten Nebst dem Weine nodi auch Beeren und Honig und Obst? Schenken das purpurne Licht zu Festgesängen und kühl und Ruhig zu tieferem Freundesgespräche die Nacht? H ä l t ein Ernsteres dich, so spars dem Winter und willst du Freien, habe Gedult, Freier beglüket der Mai. Jezt ist Anderes Noth, jezt komm' und feire des Herbstes Alte Sitte, noch jezt blühet die Edle mit uns. Eins nur gilt für den Tag, das Vaterland und des Opfers Festlicher Flamme wirft jeder sein Eigenes zu. Darum kränzt der gemeinsame Gott umsäuselnd das H a a r uns, U n d den eigenen Sinn schmelzet, wie Perlen, der Wein. Diß bedeutet der Tisch, der geehrte, wenn, wie die Bienen, Rund um den Eichbaum, wir sizen und singen um ihn, Diß der Pokale Klang, und darum zwinget die wilden Seelen der streitenden Männer zusammen der Chor." I n „ B r o d u n d W e i n " w e r d e n w i r dieses H a u p t e l e m e n t der S t u t t g a r t e r Zeit mächtig a u f k l i n g e n hören. 8
Die Bedeutung von Hölderlins Widmungen stellt Lothar Kempter, Hölderlin und die Mythologie, Horgen-Zürich, Leipzig 1929, S. 40 f., schön d a r : es „ist Hölderlin nicht genug, daß der N a m e der Verwandten, Freunde, Schützer . . . über dem Gedicht geschrieben steht. Im Gedicht selber will er mit dem Genannten reden, und, was man Hölderlins Briefen nachrühmt, das ganze Gedicht soll auf ihn gestimmt sein. So schenkt sich allen ihr Eigenstes . . . den Verwandten die schwäbische Erde, Landauer und Siegfried Schmid der Wunsch nach hoher Geselligkeit. Heinse empfängt in ,Brod und Wein' die Versöhnung von Symposion und Abendmahl, der Staatsmann Sinclair im .Rhein' das Heldenschicksal, der Landgraf Friedrich der Fünfte von HessenHomburg in ,Patmos' seine Verehrung für Johannes, seine Treue zur Schrift, seine Gottesfurcht."
9 St. A. II. S. 84. V. 23 ff. 10 St. A. II. S. 86 f. V. 19 ff.
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Die Sprache und ihr Erlebnisgrund
Neben der geselligen Freude und der Freundesfeier beglückt die reifende heimatliche N a t u r des Dichters Herz. Nodi nie bisher klang in Hölderlins Werken der Preis der Natur so erdwarm erfühlt, nie bisher war sie mit soldi farbigglühenden Bildern geschmückt. Schon der heimkehrende „Wanderer" frohlockt 11 : „Freundlich nimmst du, wie einst, Himmel der Heimath, mich auf. // Noch gedeihn die Pfirsiche mir, mich wundern die Blüthen, / Fast, wie die Bäume, steht herrlich mit Rosen der Strauch. / Schwer ist worden indeß von Früchten dunkel mein Kirschbaum, / Und der pflükenden Hand reichen die Zweige sich selbst." Später, in „Stutgard", preist er den alten Liebling, den „Nekarstrom" 12 : „ . . . der Meister pflügt die Mitte des Landes, die Furchen Ziehet der Nekarstrom, ziehet den Seegen herab. Und es kommen mit ihm Italiens Lüfte, die See sdiikt Ihre Wolken, sie sdiikt prächtige Sonnen mit ihm. Darum wachset uns auch fast über das Haupt die gewaltge Fülle, denn hieher ward, hier in die Ebne das Gut Reicher den Lieben gebracht, den Landesleuten, doch neidet Keiner an Bergen dort ihnen die Gärten, den Wein Oder das üppige Gras und das Korn und die glühenden Bäume, Die am Wege gereiht über den Wanderern stehn."
Am innigsten, feurigsten erlebt Hölderlin den Herbst. Die Elegie „Stutgard" trug, als sie 1807 zum ersten Mal in Seckendorfs Musenalmanach gedruckt erschien, den Titel „Die Herbstfeier". Der Herbst wirkt seine Macht vorzüglich im Geist des Weines aus, er erhebt den Sinn, läßt von „trunkener Stirn' höher Besinnen" 13 entspringen, ist Anreger der tiefen nächtlichen Freundesgespräche, bei deren Nennung Piatons Symposion mithindurchschimmert, erweckt hohen Gemeingeist, indem er, wie es heißt, „den eigenen Sinn schmelzet, wie Perlen". Und mit den Segenswirkungen des Weines, des „dunklen Lichts", steigt auch die Gestalt seines Gottes, des Dionysos, auf, den der Dichter in kühnen Bildern als Beweger und Beseeler der Länder zeichnet - wie er seine Gabe als menschenbeseelende Kraft singt 14 : „Aber die Wanderer auch sind wohlgeleitet und haben Kränze genug und Gesang, haben den heiligen Stab Vollgeschmükt mit Trauben und Laub bei sich und der Fichte Schatten; von Dorfe zu Dorf jauchzt es, von Tage zu Tag, Und wie Wagen, bespannt mit freiem Wilde, so ziehn die Berge voran und so träget und eilet der Pfad."
Aus dieser Gestimmtheit ist „Brod und Wein" entstanden: der Weingott und sein herbstliches Geschenk stehn im Vordergrund, das „Heiligtrun11
St. A. II. St. Α. II. " St. A. II. " St. A . I I . 12
S. 82. S. 88. S. 84. S. 86.
V. 72 ff. V. 63 ff. V. 16. V. 13-18.
Die Sprache und ihr Erlebnisgrund
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kene" als Zeugungselement des „strömenden Wortes" und der „vollere Pokal" als Erwecker der Freundesgespräche bei Nacht werden gefeiert. „Brod und Wein" ist also nicht ein plötzlich aufgerafftes Thema, sondern entstammt einer gewaltigen, dionysischen Lebensströmung. Den Anlaß für diese dionysische Erregtheit bilden Freundesfeier und goldenreiche Natur; aber der bei Hölderlin stets in gewissem Maße bemerkbare Wesenszug des Dionysischen war von diesem Lebensabschnitt ab auch schwingungsbereiter als sonst: der Stuttgarter Zeit voran ging ein Jahr des Leidens, es wurde durchgerungen und fand seine Verklärung in der Schlußstrophe von „Menons Klagen um Diotima". Der Dichter ist sich selbst zum Entrückten himmlischer Lichtfernen geworden, die unirdische Schwerelosigkeit verklärter Trauer, in der Leid und Freude Eins sind, durchschwingt die Verse, und der „Wanderer", der doch schon mit warmer Verwunderung die Herrlichkeit der bleibenden, reifenden und früchtebringenden Natur fühlt und wieder heimisch zu werden wünscht, ist sich nodi selbst ein halbentschwebter Geist. Und nun fließt in dieses immer unwirklicher erstrahlende Kristallgefäß plötzlich der dunkle Wein der irdischen Freude, des Lebens mit den feiernden Freunden und der schenkenden Natur. Der Dichter erschauert vor der süßen Gewalt dieses Geschehens, immer wieder hören wir den Ausdruck des Staunens, und das seltsam kindliche Benennen und Betasten all der Gegenstände und Früchte, der Pfirsiche, Kirschen und Trauben, des duftenden Grases, der Beeren und des Honigs, es ist wie ein kaum geglaubtes, mit neuer, überraschender und darum trunkenmachender Lebenskraft durchflutendes Wiedererkennen. Das „Trunkene" in Geist und Sprache Hölderlins - er selbst gebraucht das Wort in dieser Zeit mit Vorliebe - ist sowenig Entfesselung chaotischer, besinnungsloser Gewalten wie romantisches „il faut déraisonner", sondern im Gegenteil Potenzierung und Verdichtung der Bewußtseinskräfte zu „höherem Besinnen", das tief und rein hinter dem sinnenhaften Schein der hervorbrechenden Bilderflut ein geistiges Sein erschaut. Die Sprache wird immer symbolträchtiger. Daher der eigentümliche Ton, der bei aller schönen Bewegtheit der Verse doch zu langsamem, mit der Möglichkeit des Nachklingens begabtem Lesen einlädt.
V. E L E G I E 1 U N D
HYMNE
Der organische Zusammenhang der Elegiendichtung mit dem Erleben des Dichters, die besondere Art ihrer intensiven Wirklichkeitssättigung, führt zu Hölderlins eigenen Aussagen über die Elegie als Gattung, die gerade dieses Verhältnis der Dichtung zur Wirklichkeit behandeln, es ins Grundsätzliche erheben. In einem Brief an Neuffer vom 3. Juli 1799 heißt es: » . . . So wie nun die tragischen Stoffe gemacht sind, um in lauter großen selbstständigen Tönen, harmonisdi wechselnd fortzuschreiten, und mit möglichster Ersparniß des Accidentellen ein Ganzes voll kräftiger bedeutender Theile darzustellen, so sind die sentimentalen Stoffe ζ. B. die Liebe ganz dazu geeignet, zwar nicht in großen und stolzen, vesten Tönen, und mit entscheidender Verläugnung des Accidentellen aber mit dieser zarten Scheue des Accidentellen, und in tiefen vollen elegischbedeutenden, und durch das Sehnen und Hoffen, das sie ausdrüken, vielsagenden Tönen, harmonisdi wechselnd fortzuschreiten, und das Ideal eines lebendigen Ganzen zwar nicht mit dieser angestrengten K r a f t der Theile, und diesem hinreißenden Fortgang, mit dieser schnellen Kürze, aber geflügelt, wie Psyche und Amor ist, und mit inniger Kürze darzustellen, und nun fragt sich nur, in welcher Form sich dieses am leichtesten und natürlichsten, und eigentlichsten bewerkstelligen läßt, so daß der schöne Geist der Liebe seine eigne poetische Gestalt und Weise h a t . . . " 2 Die Rezension über Siegfried Schmids Schauspiel „Die Heroine" enthält folgende Ausführungen: » . . . gerade wo sein (des Dichters) Stoff am meisten aus der Würklichkeit genommen ist wie in der Idylle und Komödie, und Elegie, da wird er den Diebstahl vorzüglich gut zu machen haben, dadurch daß er ihm eine ästhetisch wahre Ansicht giebt, daß er ihn in seiner natürlichsten Beziehung zum Ganzen vorstellt, nicht dadurch, daß er ihn noch mehr versinnlicht. Denn diß ist nur Geschäfte des großen Epos, das eigentlich vom übersinnlichsten poetischen Stoff ausgeht, und eben deswegen den weitesten Weg zu machen hat, um seinen ätherischen eigentlichen Gegenstand mit dem übrigen Leben wieder zusammen, und den Sinnen nahe zu bringen . . . " 3 Hierzu grundlegend: Friedrich Beißner, Geschichte der deutschen Elegie. 3. Aufl. Berlin 1965. 2 St. Α. V I . S. 340. Z. 61 ff. 3 St. Α. IV. S. 289. Z. 16 ff.
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Elegie und H y m n e
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Aus der zuletzt zitierten Stelle ergibt sich, daß Hölderlin, unter Hineinmischung der eigenen Theorie vom Wechsel, die Dichtungsgattungen nach dem Kanon der konventionellen Ästhetik ordnet. Nach diesem Kanon sind Epos und Tragödie die höchsten Dichtungsformen, die gewöhnliche Wirklichkeit muß aus ihnen verbannt bleiben; die Realität darf nur in Komödie, Satire, Elegie und Idylle erscheinen. Unter Elegie aber verstand die konventionelle Ästhetik immer deren römische Spielart, die Liebeselegie mit ihrer Füllung an persönlichster Wirklichkeit. Daß Hölderlin die einzige Elegie, in welcher er von seiner Liebe zu Diotima spricht - es ist zugleich seine erste - , mit dem Gattungsnamen "Elegie" überschreibt, zeigt, wie für ihn zumindest nodi zu diesem Zeitpunkt die Liebeselegie d i e Elegie ist, wenn er sie auch anders, rein innerlich gestaltet. Auch der Brief an Neuffer, der früher als die eigenen Elegien geschrieben ist, läßt die theoretische Befolgung des alten Schemas erkennen: er nennt als Beispiel des sentimentalen Stoffes die Liebe, und erst in diesem Zusammenhang bekommt die eigenartige Formulierung von der „zarten" Scheue des Accidentellen, von der „innigen" Kürze und von dem „Sehnen und Hoffen" ihren Sinn, und der Schluß des Räsonnements sagt nodi einmal deutlich, so habe „der schöne Geist der Liebe seine eigne poetische Gestalt und Weise." Nicht zu übersehen ist außerdem, daß die Erörterung von der nach Hölderlins eigenem Urteil nicht ganz gelungenen, weil nach fremden Rezepten verfertigten L i e b e s idylle „Emilie vor ihrem Brauttag" ihren Ausgang nimmt. Wollte man also eine Brücke von dieser brieflichen Äußerung zu Hölderlins Dichtung schlagen, so wäre höchstens an die erste der Elegien, die „Elegie", und deren zweite Fassung, „Menons Klagen um Diotima", zu denken 4 . Die andern und besonders die letzten Elegien Hölderlins bedeuten demgegenüber etwas anderes. 4
2
D i e starke Einschränkung ist hier notwendig, denn die Elegie „Menons K l a gen um D i o t i m a " ist nur bei v o r d e r g r ü n d i g e r Betrachtung eine Liebesklage. D i e eigentliche Sinnmitte des Gedichts liegt im G e d a n k e n an die Ferne der G ö t t e r und die Möglichkeit ihrer V e r g e g e n w ä r t i g u n g ; die Sehnsucht nach D i o tima ist nur M e d i u m dieser höheren Sehnsucht, die K l a g e um D i o t i m a M e d i u m einer K l a g e u m Höheres. So heißt es auf dem G i p f e l p u n k t des ersten, dunkel g e f ä r b t e n Teils zu A n f a n g der f ü n f t e n Strophe ausdrücklich: „Feiern möcht' ich; aber w o f ü r ? und singen mit A n d e r n , / A b e r so einsam fehlt jegliches Göttliche mir. / D i ß ist's, diß mein Gebrechen . . ( S t . A . II. S. 77. V. 57 f f ) . D a n n erwacht die Erinnerung an die hohe Gestalt D i o t i m a s mit soldier Lebendigkeit, d a ß sie ihm „ v o m H a u p t e zur S o h l e " gegenwärtig vorschwebt - und damit wird auf dem G i p f e l p u n k t dieses zweiten, lichten Teiles audi das G ö t t liche lebendig: „ S o will ich, ihr Himmlischen! denn audi danken, und endlich,/ A t h m e t aus leichter Brust wieder des Sängers Gebet. / U n d wie, wenn ich mit ihr, auf sonniger H ö h e mit ihr stand, / Spricht belebend ein G o t t innen v o m T e m p e l mich an . . . wer so / Liebte, gehet, er muß, gehet zu G ö t t e r n die B a h n " (St. A . II. S. 78. V. 109 f f ) . E i n zweimaliges Transcendieren also, einSchmidt, H ö l d e r l i n
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Elegie und Hymne
Für den „Wanderer", „Stutgard" und „Heimkunft" hat die Aussage der im Frühjahr 1801, also gerade am Ende der Elegienepodie geschriebenen Rezension als Aussage über spezielle Gattungsmerkmale am meisten Gültigkeit. Das Charakteristische an ihr ist die Anwendung der neuentwickelten Lehre vom Wechsel: hier handelt es sich um den notwendigen Wechsel von der Wirklichkeit, die der Elegie zukomme, zum übersinnlichen, geistigsten Bereich, wodurch sich erst die „ästhetisch wahre Ansicht", d. h. die Erscheinung eines umfassenden Ganzen darstelle. In der Schlußstrophe des „Wanderers" wird nach der freudigen Nennung der wiedererreichten Heimat mit ihrer fruchtbaren Landschaft, dem Garten und schließlich dem väterlichen Hause die Wendung nach oben vollzogen: „Du aber, über den Wolken, / Vater des Vaterlands! mächtiger Aether! und du / Erd' und Licht! ihr einigen drei, die walten und lieben, / Ewige Götter! mit euch brechen die Bande mir n i e . . . " s ; in der Elegie „Stutgard" folgt, wieder zu Beginn der Schlußpartie, auf die Schilderung der reifenden Neckarlandschaft und den Blick auf Stuttgart, welches das Ziel der im Gedicht beschriebenen Wanderung ist, dieser Anruf: „Aber ihr, ihr Größeren auch, ihr Frohen, die allzeit / Leben und walten . . . Engel des Vaterlands! . . . Habt, o Gütige, Dank für den und alle die Andern, / Die mein Leben, mein Gut unter den Sterblichen sind" 6 . Und in „Heimkunft" beginnt die Schlußpartie, nach der Feier des heimatlichen Schwabenlandes: „Aber das Beste, der Fund, der unter des heiligen Friedens / Bogen lieget, er ist Jungen und Alten g e s p a r t . . . Vieles hab' ich gehört vom großen Vater und habe / Lange geschwiegen von ihm, welcher die wandernde Zeit / Droben in Höhen erfrischt, und waltet über Gebirgen / Der gewähret uns bald himmlische Gaaben und ruft / Hellern Gesang und schikt viel mal zum Negativen, einmal zum Positiven, beide Male geht es um das Göttliche, und da dieses Transcendieren nicht als seelische Nebenwirkung der Gedanken und Empfindungen für Diotima, sondern als die Hauptsache, als Ziel des Gedichts erscheint, verbietet sich die Parallelisierung mit dem geläufigen Typus der Liebeselegie. Man kann audi nicht von „Erlebnisdichtung" sprechen wie dies Peter Szondi (Der andere Pfeil. Zur Entstehungsgeschichte von Hölderlins hymnischem Spätstil. Frankfurt a. M. 1963. S. 29) tut, der die Elegien zu einseitig sieht, wenn er betont, das Elegische münde nicht ins Hymnisdie, vielmehr trenne die beiden Formen „ein qualitativer S p r u n g " : „der von der Erlebnislyrik zum selbstlosen Preis der Götter". Als ob irgendeine der Elegien selbstische oder auch nur in der konkret-individuellen Situation aufgehende „Erlebnislyrik" wäre. Die bedeutendste der Elegien, „Brod und Wein", gipfelt wie die andern im Preis der Götter, und unter Betonung der „Selbstlosigkeit" des dichterischen Tuns, das Dienen und Vorbereiten heißt: „Wozu Dichter in dürftiger Zeit? . . . sie sind, sagst du, wie des Weingotts heiige Priester, / Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht." Einen „anderen Pfeil" als den der Gottheit gibt es auch hier in der Elegie nicht, s St. A. II. S. 83. V. 97 ff. « St. A. II. S. 88 f. V. 85 ff.
Elegie und Hymne
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gute Geister. O säumt nicht, / Kommt, Erhaltenden ihr! Engel des Jahres! und ihr, / Engel des Haußes, k o m m t ! V o n erstaunlicher Parallelität sind diese Stücke aus dem Schluß der drei Elegien: jedesmal setzt die entscheidende Wendung von der irdischen zur geistigen Heimat mit einem bedeutungsvoll einschneidenden „Aber" ein, jedesmal hat diese Wendung den gleichen Sinn der Erinnerung göttlichen Daseins nach beglücktem Schauen auf das äußere, sinnenhafte Dasein, und zuletzt wird beides, himmlischer und irdischer Bereich, in der Feier übereins gebracht, zu welcher der Dichter Freunde und Verwandte ruft; im „Wanderer" : „Darum reiche mir nun, bis oben an von des Rheines / Warmen Bergen mit Wein reiche den Becher gefüllt! / Daß ich den Göttern zuerst und das Angedenken der Helden / Trinke, der Schiffer, und dann eures, ihr Trautesten! auch / Eltern und Freund'! und derMühn und aller Leiden vergesse / Heut' und morgen und schnell unter den Heimischen sei 8 ." In „Stutgard" beginnt die entsprechende Partie: „ . . . laß uns eilen, zu feiern das Herbstfest . . . Trefliche bring' ich dir und das Freudenfeuer wird hoch auf / Schlagen und heiliger soll sprechen das kühnere W o r t . . . " 9 ; und in „Heimkunft": „Wenn wir seegnen das M a h l . . . wie bring' ich den Dank? / Nenn' ich den Hohen dabei?" 1 0 . - Die Gemeinsamkeiten der Elegiengruppe gehn noch weiter: nicht nur, daß die drei Gedichte die gleiche formale Struktur, sechs Strophen zu je neun Distichen, besitzen: sie haben auch im Ganzen die gleiche Gedankenstruktur, schon vor den erläuterten Schlußteilen. Den Ausgangspunkt bildet jeweils ein extremes Erlebnis. Im „Wanderer" regnet vom „Olymp" „reißendes Feuer" herab. Die unter diesem Feuer liegende Landschaft verdorrt. Nach den afrikanisch dürren Ebenen erscheint das Bild einer in Kälte erstarrten Polgegend, nach dem Feuer das Eis. Dann folgt die Wanderung in die Heimat, die ein Bleiben im Leben ermöglicht und zugleich Beheimatung des Göttlichen im Irdischen bedeutet. Die Elegien „Stutgard" und „Heimkunft" beginnen mit einem elementaren numinosen Erlebnis. In der ersten Strophe von „Stutgard" geschieht die Offenbarung des Göttlichen im Gewitter, welches das Land erfrischt und befruchtet, durch das nun die Wanderer heimwärtsschreiten, von Lauffen, dem „lieben Geburtsort" ( V. 39), wo der Dichter in Gedanken den eingeladenen Freund abholt, um mit ihm neckaraufwärts bis Stuttgart zu gehn, zur Feier des Herbstfestes. In „Heimkunft" ist die chaotische K r a f t und Größe numinosen Erlebens in dem Anfangsgemälde vom göttlich kühnen Alpengebirge gegeben, von wo der aus Hauptwil Heimkehrende seinen Weg nach Schwaben einschlägt, um dort das Ungei » » io 2*
St. A. St. A. St. A. St. A.
II. II. II. II.
S. 98 f. V. 79 ff. S. 83. V. 103 ff. S. 89. V. 97 ff. S. 99. V. 97 ff.
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Elegie und H y m n e
heure, das ihn in reiner Höhe überflutet hat, in ein bleibendes, feierndes Dasein überzuführen. Nach einer Fahrt über den Bodensee geht der Weg dieses Mal von Lindau (V. 59) ins Neckartal und in die Heimatstadt zu Mahl und Gesang mit den Verwandten. Das Wort „Wanderer" steht nicht nur als Titel über der so überschriebenen Elegie, es ist auch in „Stutgard" (V. 13) und „Heimkunft" (V. 52; V . 59) zentrales Motiv. Drei Mal also eine Wanderung in die Heimat, die jedesmal als Heimat aus Kindheitstagen und zugleich als ideales, harmonisches Lebensziel erscheint, eine ersehnte innere Möglidikeit verkörpert. Wir können nun drei Gruppen unter den reifen Elegien Hölderlins unterscheiden: 1. Die „Elegie" und deren Neufassung, „Menons Klagen um Diotima"; 2. Die eben beschriebene Gruppe, die wir „Heimatelegien" nennen und zu denen audi das Bruchstück „Der Gang aufs Land" zählt; 3. Den „ Archipelagus", der als hexametrisches Gedicht der elegischen Form sehr nahe steht, wozu die innere Verwandtschaft und entstehungsgeschichtliche Nachbarschaft zu der Krone der Elegiendichtung, der zweiten Dichtung dieser Gruppe, zu „Brod und Wein" kommt. „Der Archipelagus" und „Brod und Wein" stehn unter dem thematischen Spannungsbogen Hellas und Hesperien. „Brod und Wein" als das trotz des geringeren Umfanges vielseitigere, weil im Einzelnen nicht episch malende Werk läßt noch das Erlebnis der Heimat mitaufklingen. Es hat dort seinen Ausgangspunkt, wo die Heimatelegien enden: in der herbstlichen dionysischen Feier, die am Schluß der zweiten Strophe beschworen wird, nachdem in der ersten die heimatliche Stadt als verdämmernde abendliche Silhouette vor dem wunderbaren Heraufkommen der Nacht versunken ist. Das Bezeichnende gegenüber den Heimatelegien ist das Fehlen aller näheren Bestimmung. Die Feier ist eine urbildhafte Feier, nicht mehr konkrete Situation, und die Stadt in der ersten Strophe ist nur noch „die Stadt", deren Urtypisches erst den idealen Kristallisationskern für den hohen Stimmungsgehalt der Verse bildet. Für „Brod und Wein" und den „Archipelagus" wird die Frage nach individuell erlebter, gegenwärtig erscheinender Wirklichkeit wesenlos: alles ist hier Erinnerung und Deutung; nicht der schöne Augenblick, sondern die Geschichte herrscht. Dieser außergewöhnliche Grad von Geschichtlichkeit gibt den beiden Gedichten ihren besonderen Ton und Charakter. Die Elegie hat damit ihre größte Dimensionalität, ihre höchste Spannkraft, eine eigentümlich kühne Objektivität •erreicht11. 11
Insgesamt trifft Schelling den C h a r a k t e r der Elegie, audi der Hölderlinischen, gerade in ihrem Bezug zur Wirklichkeit aufs glücklichste, wenn er in der „Philosophie der K u n s t " schreibt, sie sei „von unendlicher Mannidifaltigkeit und Bildsamkeit und . . . obwohl allerdings nur bruchstücklich, das ganze Leben zu umfassen fähig . . . Die Elegie ist, als A r t des epischen Gedichts, ihrer
Elegie und H y m n e
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Nach der Untersuchung einzelner Gruppen innerhalb der Elegiendichtung unter dem von Hölderlin selbst gegebenen Gesichtswinkel des Verhältnisses der Dichtung zur Wirklichkeit, sei noch am Rande einer auffälligen Besonderheit aus dieser Sphäre der Wirklichkeit im engeren Sinne gedacht. Schwab, als Verwalter des Hölderlinischen Nachlasses, hat an den oberen Rand der vorläufigen Reinschrift des elegischen Bruchstücks „Der Gang aufs L a n d " geschrieben: „ . . . E s kommen spezialitaeten drin vor z . B . der Name ,Stuttgart'" 1 2 . Diese „Spezialitaeten" fallen auch in andern Elegien auf: die Elegie „Stutgard" hat die Spezialität bereits im Titel, und audi im Gedicht selbst kommt der Name der Stadt noch einmal vor. In „Heimkunft" wird Lindau genannt. Außer den Ortsnamen erscheint ein Personenname: in der Schlußstrophe von „Stutgard" ruft der Dichter den Freund Siegfried Schmid, dem das Gedicht gewidmet ist, mit Namen. Die Namensnennungen geschehen also nur in den Heimatelegien, in denen auch sonst die größte Nähe zur äußeren, unmittelbar erlebten Wirklichkeit waltet. Man kann deswegen diese Spezialitäten nicht summarisch dem typisch elegischen Ton zurechnen, sie nicht als durchgehendes Merkmal der Elegiendichtung Hölderlins bezeichnen. Man kann diese Folgerung, es handle sich um typisch elegischen Ton, noch weniger vertreten, indem man die Spezialitäten als Eigenheit der Elegien im Gegensatz zu den Hymnen ansieht 13 . Im Gegenteil, wir besitzen hier ein exakt faßbares Element, das auf die Entwicklung des hymnischen Stils in der elegischen Dichtung hinweist. Nicht zufällig erscheint es in dem Teil der Elegiendichtung, welcher der erlebten, individuellen Wirklichkeit am nächsten steht. Es weist auf die dialektische Grundspannung des Dichtergeistes hin,
N a t u r nach geschichtlich; audi als K l a g g e s a n g verleugnet sie ihren C h a r a k t e r nicht, j a sie ist, könnte man sagen, der T r a u e r f ä h i g eben nur, weil sie des Blicks in die Vergangenheit fähig ist, wie das E p o s . Übrigens weilt sie ebenso bestimmt in der G e g e n w a r t , und besingt die befriedigte Sehnsucht nicht minder als den Stachel der unbefriedigten. Ihre Grenze in der Darstellung ist ihr nicht durch den individuellen und einzelnen Z u s t a n d gesteckt, sondern sie schweift von d a wirklich in den epischen K r e i s aus. D i e Elegie ist durch ihre N a t u r schon eine der unbegrenzbarsten G a t t u n g e n , daher sich außer dem allgemeinen C h a r a k t e r , der durch ihr Verhältniß z u m E p o s und zur Idylle bestimmt ist, nur eben diese unendliche B i l d s a m k e i t als ihr e i g e n t ü m l i c h s t e s und natürlichstes Wesen bezeichnen l ä ß t . . (F. W. J . Schelling, Philosophie der K u n s t , D a r m s t a d t 1960. S. 304. - S. 660 des 5. B a n d e s der A u s g a b e v o n 1859). V g l . Friedrich Beißner: „ D e r G a n g a u f s L a n d " . I n : R e d e n und A u f s ä t z e , S. 130 ff. D e r in dieser A b h a n d l u n g allgemein abgesteckte H o r i z o n t des Problems wird von L . R y a n , Wechsel der Töne, S. 232 ff., im einzelnen zu absolut gesetzt. 13 Dies gegen R y a n , Wechsel der Töne, S. 232 ff. 12
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Elegie und Hymne
der sich in der Berührung mit dem Einmaligen, Individualen 14 , Eingegrenzten, des Allgemeinsten, Geistigsten und Weitesten bewußt wird. In der letzten Strophe der Rheinhymne wird ebenso wie in der letzten Strophe der Elegie „Stutgard" der Freund plötzlich mit Namen angerufen: „Stutgard" (V. 100): „Mein Schmidt!"; „Der Rhein" (V. 212): „Mein Sinclair". Die Parallele ist besonders bedeutungsvoll, weil der Anruf des Freundes in der letzten Strophe von „Stutgard" stattfindet, die wie die letzte Strophe von „Heimkunft" insgesamt hymnischen Charakter trägt. Audi wenn in der Elegie „Stutgard" die schwäbische Landeshauptstadt oder in „Heimkunft" Lindau (V. 59) genannt werden, steht dies nicht als „typisch elegischer Ton" im Gegensatz zu den Hymnen: die Rheinhymne beschwört Rousseaus Aufenthalt „am Bielersee" (V. 163), „Andenken" die „Gärten von Bourdeaux" (V. 7); in dem späten hymnischen Entwürfe „Ihr sichergebaueten Alpen" erscheinen der „Schwarzwald" (V. 5), „Stutgard" (V. 24), die „Weinstaig" (V. 29) und der „Spizberg" (V. 36) bei Tübingen. Dem hymnischen Stil ist diese Eigenart vor allem zuzurechnen, weil die Sophokleischen Chorlieder und nodi mehr Pindar Vorbild für das hymnische Nennen und Preisen von Städten sind; ein nicht zufälliges Zusammentreffen, denn die Elegienzeit ist zugleich die Zeit der Pindarübersetzungen. So wären mit der angeführten Stelle aus „Stutgard", die im Zusammenhang lautet: „ . . . mit heiligemLaub erhebet dieStadt schon/ Die gepriesene dort leuchtend ihr priesterlich Haupt. / Herrlich steht sie und hält den Rebenstab und die Tanne / Hoch in die seeligen purpurnen Wolken empor. / Sei uns hold! dem Gast und dem Sohn, o Fürstin der Heimath! / Glükliches S t u t g a r d . . . " - hiermit wären Pindars berühmte Verse auf Athen zu vergleichen15: ώ ταί λυιαραί και ίοστέφανοι καΐ άοίδιμοι Ελλάδος ερεισμα, κλειναί Άθαναι, δαιμόνιον πτολιέθρον. Athen ist für Pindar „mit Veilchen umkränzt", ίοστέφανοι, Stuttgart für Hölderlin „mit heiligem Laub umkränzt", beide Male erscheint der hymnische Anruf, ώ . . . κλειναί Άθαναι, „O . . . glükliches Stutgard", der fürstliche Bezug zum umliegenden Vaterland, Ελλάδος ερεισμα, „Fürstin der Heimath". Das Wesentlichste aber ist, daß Stuttgart für Hölderlin ebenso ein δαιμόνιον πτολιέΦρον ist, eine gotterfüllte Stadt, die sich vor seinem verklärenden Auge in der Gestalt einer mit den Zeichen des Gottes Dionysos
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Für den ganzen Problemzusammenhang, auch seinen literaturhistorischen Ort im Vergleich zu Schiller und Klopstock: Friedrich Beißner: Individualität in Hölderlins Dichtung. Winterthur 1965. Fr. Beißner sieht die audi im hohen Gedidit bewahrte Individualität, bei der dichterischen Art, wie sie Klopstock und Hölderlin auszeichnet, als „Schwergewicht und Gegengewicht zu der ätherisch auffliegenden Idealität" (S. 19). Pindari carmina cum fragmentis. Pars altera: Fragmenta. 3. Aufl. Leipzig 1964 (ed. Bruno Snell); Frg. Nr. 76.
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geschmückten Mänade erhebt. Δαιμόνων ist das Stichwort für alle die Namennennungen für Personen und Orte in Hölderlins später Dichtung. Sowenig es als individuell-persönliche Aussageweise gelten kann, wenn Hölderlin „Ich" sagt, sowenig ist es etwas „Accidentelles", wenn er Namen ruft und Freunde anredet. Wie das „Ich" stets ein seherisch und priesterlich überhöhtes Ich ist, das nicht aus eigener Laune, sondern kraft eines heiligen Amtes und als Organ der Gottheit hervortritt, so erhalten auch die Namen der Städte und Länder „dämonischen" Klang, sie sind Kristallisationspunkte für Höheres. Man kann sagen, es sei gerade die Funktion des besonders und einmalig Individuellen, das Allgemeinste und Innerlichste fühlbar zu machen. Wirksam in dieser Richtung ist der solcher Sprechart innewohnende, gelegentlich schockierende und so gewollte Fremdheitseffekt, der ein Kennzeichen des genus sublime und seiner reinsten Ausprägung, der Hymne, ist. - Die schönste Erläuterung gibt schließlich das dichterische „Du". Dieses Freundes-Du und der Freundesnamen sind immer unmittelbar mit der Sphäre des Göttlichen verbunden; es zeigt sich also nicht das Private, sondern die hohe Weihe des Gedichts, welche die menschlichen Beziehungen sublimiert, sie erst aus dem gemeinsamen Bezug zum Göttlichen begründet und lebendig werden läßt. Zuerst Verse aus den Elegien. In „Stutgard" (V. 99) ruft der Dichter in der Schlußstrophe aus: „ . . . was uns der himmlische Tag zu sagen geboten, / Das zu nennen, mein Schmidt! reichen wir beide nicht aus."; in „Brod und Wein" redet er Heinse an (V. 22 f.): „ . . . so will es der oberste Gott, der sehr d i c h l i e b e t . . . " , und später (V. 123 f.): sie sind, sagst d u , wie des Weingotts heilige P r i e s t e r . . . " . Die letzte Strophe der Rheinhymne beginnt: „ D i r mag auf heißem Pfade unter Tannen oder / Im Dunkel des Eichwalds gehüllt / In Stahl, mein Sinclair! Gott erscheinen oder / In Wolken, d u kennst ihn, da d u kennest, jugendlich, / Des Guten Kraft, und nimmer ist d i r / Verborgen das Lächeln des Herrsdiers.. " 16 . Und es hat seine tiefe Bedeutung, wie Hölderlin im Patmosgesang auch den Landgrafen von Homburg mit dem Du anspricht: „ . . . wenn die Himmlischen jezt / So, wie idi glaube, mich lieben / Wie viel mehr D i c h , / Denn Eines weiß ich, / Daß nemlich der Wille / Des ewigen Vaters viel / D i r gilt" 17 . Das zu hymnischer Höhe erhobene Gedicht ist der ideale Ort reiner Freundesverbundenheit, der Ort, wo, um mit Hölderlin zu sprechen, „zweifach erkannt, einstimmig" ist „himmlischer Geist". Die Betrachtung der Elegien unter dem Gesichtspunkt der „Wirklichkeit" ergab eine thematische Gliederung in drei Gruppen. Die entscheidende Frage richtet sich nun auf die alle verschiedenen Verkörperungen des Elegischen, seine reichen Erscheinungsmöglichkeiten erfassende Koordiw St. A. II. S. 148. V. 210 ff. 17 St. A. II. S. 171. V. 197 ff.
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nate: die Frage nach der inneren Linie, der Idee und der Stilhaltung der Elegiendiditung. „Brod und Wein" heißt wegen des Metrums „Elegie". Inwiefern ist das Gedicht wirklich Elegie? N u r soweit, als es vom trauernden Andenken an „Vergangengöttliches" und von der Klage über die dürftige Beschaffenheit der Gegenwart durchschattet ist. Wo der Dichter begeistert, voll heiligen Zukunftsglaubens spricht, tritt an die Stelle des Elegischen ein stark hymnisches Element. Dieses Neben- und Ineinander des nach dem allgemeinen Wortverstande 18 „Elegischen" einerseits und „hymnischer" Elemente andererseits, der Wechsel zweier Gefühlssphären, bedeutet nicht, daß es sich um unorganische, in heterogene Teile zerfallende Dichtung handelt. Im Gegenteil: Elegisches und Hymnisdies sind als verschiedene Erscheinungsweisen und Verfahrungsarten e i n e s poetischen Geistes zu sehen, der als notwendige höhere Einheit der Dichtung erst fühlbar wird, indem er die einzelnen Teile der Dichtung in der Form des Gegensatzes erscheinen und miteinander wechseln läßt: so ergibt sich ein Ganzes, und auch die Teile lassen sich nur im Gegenüber erkennen. Das Dunkle, Elegische, Traurige ruft nach dem Hellen, Hymnischen, Freudigen als der angemessenen Folie des eigenen Ausdrucks, und umgekehrt. Hölderlins berühmtes Epigramm auf Sophokles: „Viele versuchten umsonst das Freudigste freudig zu sagen / Hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus" 19 ist in hervorragendem Maße auf seine eigene Dichtung anwendbar. Aus dem mehrfachen Wechsel beider Gefühlssphären läßt sich der umfassende dichterische Geist erspüren. Er ist mit Hölderlins dionysischer Erlebnisweise - nicht zufällig ist Dionysos eine in den Elegien, insbesondere in „Brod und Wein" stets gegenwärtige Gottheit - identisch und wäre mit den eigenen Worten des Dichters als „Einigentgegengesetztes", als εν διαφέρον έαυτφ zu bezeichnen; es ist derselbe Geist, der dem Begriff vom Wechsel der Töne zugrunde liegt. Im Wechsel von F r e u d e und T r a u e r stellt sich audi die Vollkommenheit der Elegie „Brod und Wein" dar. Beide Worte sind in dieser wie in den andern elegischen Dichtungen Schlüsselworte von zentraler Bedeutung. Zugleich ist damit der Idealtypus der elegischen Gattung erreicht, den Schiller in seiner Schrift „Über naive und sentimentalische Dichtung" definiert und der sich in jeder Einzelheit mit dem Charakter der Hölderlinischen Elegien deckt. Schiller schreibt20: „Setzt der Dichter die Natur der Kunst und das Ideal
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Hier werden die allgemein herrschenden Begriffe des Elegischen und des Hymnischen v e r w a n d t ; d a ß sie nur eine Infrastruktur sowohl der Elegien als auch der H y m n e n fassen, soll die auf S. 27 folgende Definition einer Suprastruktur zeigen, nach welcher sich Elegien und H y m n e n unterscheiden. » St. Α. I. S. 305. 20 Schiller-Nationalausgabe. 20. Bd. S. 448 f. Z. 30 ff.
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der Wirklichkeit so entgegen, daß die Darstellung des ersten überwiegt, und das Wohlgefallen an demselben herrschende Empfindung wird, so nenne ich ihn elegisch . . . diese Gattung h a t . . . zwey Klassen unter sidi. Entweder ist die Natur und das Ideal ein Gegenstand der Trauer, wenn jene als verloren, dieses als unerreicht dargestellt wird. Oder beyde sind ein Gegenstand der Freude, indem sie als wirklich vorgestellt werden. Das erste giebt die Elegie in engerer, das andere die Idylle in weitester Bedeutung." „Brod und Wein" vereinigt die beiden in Schillers Analyse geschiedenen elegischen Empfindungsarten - Trauer und Freude erhebt sie durch den Wechsel zu einem Ganzen, das, um Schillers Terminologie zu folgen, elegisch im weitesten Sinne ist. Da sich aber die Vereinigung nicht als Verschmelzung, sondern im Wechsel vollzieht, erscheinen neben- und nacheinander im selben Gedicht die beiden „Klassen", die „Elegie in engerer" und die „Idylle in weitester Bedeutung", die in Hölderlins Sprache nichts anderes als der heroische und idealische Ton sind. Der idealische Ton herrscht auch am Schluß von „Brod und Wein" wie am Schluß so vieler anderer Gedichte: das Bild von dem in den Armen der Erde schlafenden Titan ist eine „Idylle in weitester Bedeutung", am Schluß der Heimatelegien ist es die Vorstellung des Festes, am Schluß von „Menons Klagen um Diotima" eine transcendentale Liebesidylle 21 . 21
Unter den „Idyllen" in Hölderlins Dichtung lassen sich zwei H a u p t a r t e n unterscheiden : die große, zeitlose, und die kleine, augenblickliche Idylle. Die große, zeitlose Idylle gewinnt am Schluß von „Menons Klagen um Diotima" Form, w o das Menschliche in den göttlichen Bereich transcendiert, und in der „Friedensfeier" - der Frieden ist ein H a u p t t h e m a der auf Darstellung der H a r m o n i e angelegten Idylle - , w o umgekehrt das Göttliche zur Erde herabkommt. Die kleine Idylle, die dem Dichter ein ihrer Augenblicksbeschränktheit entsprechendes Bewußtsein vermittelt, ist beispielhaft am Schluß der Elegien „Stutgard" und „ H e i m k u n f t " ausgestaltet, im Bild der Feier; „Stutg a r d " : „ . . . des Gottes freundliche Gaaben / Die wir theilen, sie sind zwischen den Liebenden nur. / Anderes nicht - o kommt! o macht es w a h r ! denn allein ja / Bin ich und niemand nimmt mir von der S t i m e den Traum? / Kommt und reicht, ihr Lieben, die H a n d ! das möge genug seyn, / Aber die größere Lust sparen dem Enkel wir auf" (St. A. II. S. 89. V. 103 ff.); „ H e i m k u n f t " , vom Wiedersehensfest mit den Verwandten sprechend: „Das bereitet und so ist auch beinahe die Sorge / Schon befriediget, die unter das Freudige kam. / Sorgen, wie diese, muß, gern oder nicht, in der Seele / Tragen ein Sänger und o f t , aber die anderen nicht" (St. A. II. S. 99. V. 105 ff.). Der großen Idylle ist ein Erlösungs-, ein Beseligungsgefühl angemessen, die kleine Idylle erzeugt nur ein deutlich als relativ empfundenes Glücksmoment, eine „kleinere Lust", die als solche einen Vorgeschmack der künftigen großen Idylle einer göttlich erfüllten, innerlich vollendeten Welt darstellt: „die größere Lust sparen dem Enkel wir a u f " . - Die kleine Idylle birgt eine G e f a h r in sich: sie könnte zu einer Situationsversunkenheit führen, zu einem Genügen, das letztlich doch nur in der großen Idylle erfahren werden d a r f ; sonst bleibt es fragwürdig, fast schmählich. Diese Problematik bringt die zweite Strophe der H y m n e
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Aus Sdiillers Abhandlung seien noch einige weitere Stellen angeführt, weil man keine treffendere allgemeine Charakteristik für Hölderlins Elegien finden könnte: es darf, schreibt Schiller, „bey der Elegie die Trauer nur aus einer, durch das Ideal erweckten, Begeisterung fließen. Dadurch allein erhält die Elegie poetischen Gehalt, und jede andere Quelle derselben ist völlig unter der Würde der Dichtkunst. Der elegische Dichter sucht die Natur, aber in ihrer Sdiönheit, nicht bloß in ihrer Annehmlichkeit, in ihrer Übereinstimmung mit Ideen, nicht bloß in ihrer Nachgiebigkeit gegen das Bedürfniß. Die Trauer über verlorne Freuden, über das aus der Welt verschwundene goldene A l t e r . . . kann nur alsdann der Stoff einer elegischen Dichtung werden, wenn jene Zustände sinnlichen Friedens zugleich als Gegenstände moralischer Harmonie sich vorstellen lassen. Ich kann deswegen die Klaggesänge des Ovid, die er aus seinem Verbannungsort am Euxin anstimmt, wie rührend sie auch sind, und wieviel Dichterisches auch einzelne Stellen haben, im Ganzen nicht wohl als ein poetisches Werk betrachten. Es ist viel zu wenig Energie, viel zu wenig Geist und Adel in seinem Schmerz. Das Bedürfniß, nicht die Begeisterung stieß jene Klagen aus. . . Der Inhalt der dichterischen Klage kann also niemals ein äußrer, jederzeit nur ein innerer idealischer Gegenstand s e y n . . ," 2 2 . Gerade diese Idealität und Energie, dieser Geist und Adel, die Schiller bei Ovid vermißt, sind ein Grundzug der Elegien, der Dichtung Hölderlins überhaupt, deren sentimentalische Gespanntheit zwischen Wirklichkeit und Ideal durchgehend spürbar ist und auch vielen Oden, Hymnen und dem Hyperion-Roman 23 elegischen Charakter verleiht. Im Verlaufe des Gesamtwerks wird dieses sentimentalische Element nur immer kristalliner, ausgeglühter, immer weniger sentimental-sdiweifend. Man braucht dabei nicht einmal an den Hyperion als Hintergrund zu denken: schon ein Blick auf die kurze Zeitspanne, in der die Elegien entstanden, zeigt den Wandel. „Menons Klagen um Diotima" sind trotz der hymnischen Gestaltung des Schlusses viel weicher und diffuser als „Brod und Wein" und die „Heimkunft".
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„Mnemosyne". E x a k t hier ist die Stelle, wo sich der naive und der sentimentalische Dichter unterscheiden. - Die unter dem umfassenderen Horizont stehende kleine Idylle, die Möglichkeit, ihr Glüdc in Freundesfeier und herbstlichem Naturgenuß auszukosten, ist ein Charakteristikum aller Elegien H ö l derlins nach „Menons Klagen um Diotima". Schiller-Nationalausgabe. 20. Bd. S. 450. Z. 2 - 3 1 . Hölderlin selbst nennt, in der Vorrede zum Roman, Hyperion einen „elegischen Charakter" (St. A. III. S. 5, 4, 2). Achim von Arnim schreibt am 21. Oktober 1817 an die Brüder Grimm: „ . . . schon vor ein paar Jahren machte ich mir einen Plan, eine Aesthetik nach Hölderlins Hyperion auszuarbeiten, denn elegisch wird sie ihrer Natur nach, und diese herrlichste aller Elegieen giebt dazu den mannigfaltigsten Anlaß" (Reinhold Steig: Achim von Arnim und die ihm nahestanden, 3. Band, Stuttgart und Berlin 1904, S. 402).
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Im Jahre 1803 schrieb Hölderlin in einem Brief an seinen Verleger Friedrich Wilmans: „Übrigens sind Liebeslieder immer müder F l u g . . . ein anders ist das hohe und reine Frohloken vaterländischer Gesänge 24 ." Wir finden darin wieder die Grundunterscheidung Schillers, das Verdikt „zu wenig Energie", mit dem er Ovid trifft, und die Forderung nach Idealität, Energie, Geist, Adel - denn dies macht die Höhe und Reinheit der vaterländischen Gesänge. N u n sind zwar auch die späten Elegien noch keine Hymnen, aber deren hohes und reines Frohlocken wird in ihnen bereits deutlich vernehmbar, in Sprache und Aussage, am meisten in „Heimkunft", aber audi schon in „Brod und Wein" und in „Stutgard". Bezeichnenderweise ist in der Strophe von „Brod und Wein", die hymnisch im Sinne des Spätstils ist, in der dritten, vom „ f r o h l o k k e n d e n " Wahnsinn die Rede, der in heiliger Nacht plötzlich die Sänger ergreift. Das Wort vom Frohlocken trifft indes nur eine Schicht der vaterländischen Gesänge, als Gesamtcharakteristik entspricht es dem Wunschbild Hölderlins, wie Pindar Sänger einer gotterfüllten Heldenzeit zu sein. Die andere Schicht ist die der Trauer, deren hymnisches Äquivalent zum „Frohlocken", dessen Höhe entsprechend, als abgründliche Tiefe erscheint, am furchtbarsten in der Hymne „Mnemosyne", und die in „Brod und Wein" in der jähen, erschütterten Frage „Wozu Dichter in dürftiger Zeit?" Ausdruck findet. Hymnischer Stil bei Hölderlin ist also nicht superlativische Einlinigkeit des Geistes, sondern extreme Gebrcxhenheit, eine letzte Steigerung zur freudigen Höhe und zur traurigen Tiefe, zum Äther und zum Abgrund. Die Radikalität dieser inneren Erfahrung und die daraus erwachsende Stilhaltung unterscheidet die Hymnen von den Elegien, die Radikalisierung setzt aber schon in den späten Elegien entschieden ein und kündigt den Übergang an. Das Absolutwerden der Erlebnispole und der ihnen zugeordneten göttlichen und widergöttlichen Gewalten hat etwas furchtbar Verzehrendes, dem auf Mitte und Ausgleich beruhenden Bleiben im Leben Feindliches; in der Spätzeit häuft sich in neuartiger Weise das Nennen des „Vaters", des „Äthers", des „Gottes", und gleichzeitig wird der „Abgrund" in einer ganz elementaren Weise lebendig, es erscheinen die Titanen. Die Schlußstrophe von „Brod und Wein" nennt zum ersten Mal den „Titan" neben dem „Vater Äther", ein erstes Sturmzeichen, freilich nur im Lichte der weiteren Entwicklung als solches zu ahnen, da es in ein idyllisch versöhntes Schlußbild aufgenommen ist. Ein Vergleich mit der Titanenhymne, in der es zum endzeitlichen Kampf zwischen Himmel und Hölle kommt, lehrt Verwandtschaft und zugleich Abstand zur letzten hymnischen Dichtung. - Mit dem bedrohlichen, existenzauflösenden Intensivwerden der Haupterlebnisweisen parallel geht ein zunehmendes 24 St. Α. VI. S. 436. Z. 17 ff.
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Reißendwerden des Wechsels dieser beiden Erlebnisweisen. Der reißende Wechsel zwischen Freude und Trauer, zwischen „Elysium" und „Orkus" hat in der letzten Strophe von „Brod und Wein" einen schon dicht an den Stil der späten H y m n e n heranreichenden Grad erlangt, einen Grad, der sich in der unvergleichlich jähen Formulierung einer Lesart kundtut: „Orkus, Elysium ists." U n d wie die wachsende Nähe des Numinosen gefährdet, so bedroht das Reißendwerden des Wechsels die Seele mit Zerreißung, mit Chaos. Um diese inneren Grundgegebenheiten kristallisiert sich als zugehörige Erscheinungsform all das, was wir an der Oberfläche des dichterischen Werkes als Elemente des hymnischen Stils registrieren. Äußere Daten schon weisen auf die Entstehung des hymnischen Stils in der Elegienzeit hin. Die späten Hymnen beginnen zeitlich nicht dort, wo die Elegien aufhören. Das Schaffen an beiden Gattungen überschneidet sich. Nach dem von Friedrich Beißner erbrachten Nachweis 25 ist die Hymne „Wie wenn am F e i e r t a g e . . ." erstaunlich früh anzusetzen. Diese frühe Entstehungszeit macht sich in ihrer regelmäßigen metrischen Struktur bemerkbar. Aber auch andere, ganz auf der Linie des Spätstils liegende Hymnen entstehn vielleicht schon Ende des Jahres 1800, sicher aber im folgenden Jahre, gleichzeitig mit den letzten Elegien; und diese Schaffensepoche, die fruchtbarste in Hölderlins Leben, ist auch durch die Begegnung und Beschäftigung mit Pindar geprägt; aus fremdem Quell strömt H y m nisches in die eigenen Elegien und Hymnen, nicht als bloß Übernommenes, sondern als von einem verwandten Geist Ergriffenes und Anverwandeltes. Was ist hymnischer Stil? Darüber ist viel gehandelt worden, und es ist gut, sich darüber in allgemeinen Zügen klar zu werden, bevor man an einer einzelnen dichterischen Gestaltung die Entstehung und Entwicklung dieses Stils verfolgt, um dann zu differenzierten Aussagen zu gelangen. Den ersten bedeutenden Beitrag zur Erkenntnis vom Wesen des hymnischen Stils hat Norbert von Hellingrath gegeben 26 , indem er die Terminologie des Dionysius vonHalicarnassus aus dessen Schrift Περί συνθέσεως ονομάτων27 auf Hölderlins Spätdichtung anwandte. Das allgemeine Kennzeichen des hymnischen Stils ist danach die αρμονία αυστηρά, „herber 25
26 27
Friedrich Beißner, Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen. 2. Aufl. Stuttgart 1961. S. 9 9 - 1 0 3 . Ν. v. Hellingrath, Pindarübertragungen von Hölderlin. Jena 1910. S. 1 ff. Ausgabe: Dionysii Halicarn. Opuscula. 2. Bd. Ed. H . Usener et L. Radermacher. Stuttgart 1965. S. 96 ff. Kap. 22, 148 ff. Interessant ist es, daß Hölderlin selbst eine größere Abhandlung über Pindar besaß - Johann Gottlob Schneiders „Versuch über Pindars Leben und Schriften", Straßburg 1774 - , in der die Stilkriterien des Dionysius von Halikarnassus für Pindar eingehend daxgelegt werden (hierzu ausführlicher: Fr. Beißner, St. Α. V. S. 378. Z. 1 - 2 5 ) .
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Stil", „harte Fügung". Dionysius von Halicarnassus umschreibt diesen Stil, als dessen Hauptvertreter er Pindar sieht, mit Worten, die nodi heute die Kriterien in knapper und treffender Weise vor Beginn der Analyse im Einzelnen bereitstellen 28 : „Der Charakter des herben Stils ist folgender: er strebt eine feste Verankerung und kraftvolle Stellung der Worte an, so daß jedes sich nach allen Seiten hin deutlich abhebt; ferner eine durch Pausen bewirkte merkliche Trennung der einzelnen Teile voneinander. Er scheut nicht den häufigen Gebrauch rauher und klaffender Fugen, wie sie beim Zusammensetzen für den Hausbau aufgelesener Steinblöcke entstehn, wenn diese nicht wohlgekantet und zurechtgehauen, sondern rauh und urgesteinshaft sind. O f t und gern schafft er sich in gewaltig ausladenden Worten Raum . . . Was die Satzglieder angeht, so strebt er ebendies für die großartigen und prachtvollen Rhythmen an; er will nicht gleiche oder ähnliche oder in ein Schema gepresste, sondern vornehm-selbständige, strahlendfreie Glieder. Sie sollen mehr nach Natur als nach Kunst und mehr nach leidenschaftlicher Empfindung (πάθος) als nach konventioneller Haltung (ήθος) aussehn. Die Perioden will er nicht so konstruieren, daß sie den Sinn der Aussage voll in sich einschließen. Wenn es aber einmal von ungefähr dazu kommt, so will er das Unwillkürliche und Schlichte besonders betonen, indem er weder ergänzende Worte gebraucht, welche den Satz abrunden, aber nidits zum Sinn beitragen, noch darauf aus ist, die Sprechtakte zu feilen und zu glätten, noch indem er diese zurechtschneidert, damit sie dem Atem des Sprechenden g e n ü g e n . . . Ferner ist diesem S t i l . . . ein Reichtum von Figuren zu eigen; er hat wenig Bindungen, läßt gern den Artikel weg, berücksichtigt nicht die natürliche Reihenfolge, er ist alles andere als zierlich: er ist aristokratisch, selbstbewußt eigenständig, ungeschminkt, von archaisch kraftgeladener Schönheit." Als Beispiele für diesen herben Stil nennt Dionysius Pindar, Aischylos, Thukydides. Darauf setzt er ihm die αρμονία γλαφυρά και ανθηρά, den glatten und hübschen Stil, entgegen, der nicht die Trennung und gewaltige Selbständigkeit der einzelnen Teile, sondern die geflissentliche Verbindung, die bequeme Überleitung sucht. Alle Worte sollen wohlklingend, glatt, angenehm, kurz „wie ein Mädchengesicht" sein. Das Rauhe, Harte und Kühne meidet er. Die Sätze und Satzglieder sind leicht und ebenmäßig gebaut, dem Atem des Sprechenden gerade angemessen. Beispiele für diesen Stil sind Sappho, Anakreon, Euripides. Zwischen dem herben und dem zierlich-glatten Stil gibt es eine Mitte, -den wohltemperierten Stil, αρμονία εύκρατος, dessen Repräsentanten Homer, Alkaios und Sophokles sind. 28
Übersetzung aus dem 22. Kapitel der Schrift des Dionysius, nach dem Text der in Anmerkung 27 angegebenen Edition.
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Hölderlins Frühwerk gehört, wie Benn darlegt 29 , offenbar mehr zur άρμονία γλαφυρά και ανθηρά; die Dichtungen dieser Zeit sind sprachlich glatt und wohlgefügt, sie entwickeln sich in ungebrochener Einlinigkeit, das Hymnische der Tübinger Hymnen erschöpft sich in einem unkomplizierten Pathos, für das Schiller Vorbild war; Rhythmen und Vorstellungen sind durchaus berechenbar und konventionell. Erst unter Klopstocks Einfluß, der mehr ein Dichter des herben Stils war, strömt Anderes, Härteres in Hölderlins Verse, wobei diese Wandlung nicht nur Ergebnis von Konstellationen ist, sondern ein inneres Pendant in der seelischen Entwicklung des Dichters vom jünglingshaften Schwärmen zum männlich ernsten Ringen mit einem immer existentieller erfahrenen Anliegen besitzt. So trifft auf das Werk dieser mittleren Epoche mehr die Stilbezeichnung „άρμονία εύκρατος" zu. Erst in den späten Oden oder den späten Bearbeitungen von Oden, in Teilen der letzten Elegien und in den Hymnen bricht die Pracht und Sprödigkeit des herben Stils voll hervor. Weitere Kriterien des hymnischen Stils, über die von Dionysius von Halicarnassus genannten hinausgehend und schon mehr einzelne Teile der Dichtung betreffend, ergeben sich aus einem Vergleich zwischen Pindars und Hölderlins Hymnen, den Benn zuletzt und unter Zusammenfassung der früheren Forschung in seinem Buch über Hölderlin und Pindar anstellt, nachdem Petzold bereits vor Erscheinen der Dissertation Hellingraths auf die vielen Gemeinsamkeiten der beiden Dichter aufmerksam gemacht hatte. Es lassen sich folgende Parallelerscheinungen feststellen 30 : die großartigen und in kühnen Ausmaßen gestalteten, von gewaltigen Energien durchfluteten Präludien, die wir bei Hölderlin in den Hymnen „Wie wenn am Feiertage", „Am Quell der Donau", „Die Wanderung", „Friedensfeier", in der zweiten und dritten Strophe von „Patmos", bei Pindar im siebten olympischen, sechsten nemeischen und vor allem im ersten pythischen Epinikion finden. Pindar sagt selbst in der sechsten olympischen Ode über den Charakter dieser Präludien: „Mit Säulen aus Gold stützen wir / Der Vorhalle starkes Gebälk; / Wie vor dem herrlichsten Palast sollen sie stehn. / Denn es ist recht, gleich dem beginnenden Werk ein / Leuchtend Angesicht zu geben" 31 . Dieses volltönende Vorspiel hat immer die Aufgabe, eine Atmosphäre hoher Feierlichkeit, heiligen Ernstes und göttlicher Begeisterung zu schaffen, die den dichterischen Gedanken zu entzünden und durch das Gedicht zu tragen vermag. Daher die mythische Verdichtung der Schau gerade in diesen Anfangsteilen - man denke auch an das Exordium einer vorhymnischen Dichtung wie des „Archipelagus" oder an » Μ. B. Benn, Hölderlin and Pindar. 1962. S. 140. ° Zum Folgenden Benn, S. 121 ff. Pindar, Die Dichtungen und Fragmente, übersetzt v. L. Wolde, Wiesbaden 1958. S. 21.
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die personifizierende Vision der Nacht in der ersten Strophe von „ B r o d und Wein". In eigentümlichem Gegensatz zu diesen prächtigen Eröffnungsrhythmen und -Vorstellungen stehen sowohl bei Pindar als auch bei Hölderlin die seligruhigen, stillüberglänzten Ausklänge. D a z u ist eine Aussage H ö l derlins wichtig: „ E r (der Dichter) muß aber j a nicht denken, daß er nur im crescendo vom Schwächern zum Stärkern sich selber übertreffen könne, so wird er unwahr werden, und sich überspannen; er muß f ü h l e n . . . , daß Stille die Heftigkeit, und das Sinnige den Schwung gar schön ersezt> und so wird es im Fortgang seines Werks nicht einen nothwendigen Ton geben, der nicht den vorhergehenden gewissermaßen überträffe, und der herrschende Ton wird es nur darum seyn, weil das Ganze auf diese und keine andere A r t komponirt ist" 3 2 . Ferner hat Hölderlin bei Pindar die ausdrückliche Berufung auf den Mythos als Bericht oder Sage innerhalb des Gedichts gefunden und in eigener Dichtung nachvollzogen: ein hymnisches Element insofern, als der hymnische Dichter, ähnlich wie der epische, unter der Weihe eines hohen Amtes steht und diese Weihe immer wieder durch das Anrufen des Mythos als eines geheiligt-objektiven Bereiches bestätigt, sein eigenes Sprechen in altem Wissen verwurzelt. Bei Pindar liegt der Akzent mehr als bei H ö l derlin auf der eigenen Autorität. Hymnisch sind auch gewisse Übergänge, die Hölderlin mit Pindar gemeinsam hat, besonders die imaginäre Reise 3 3 - sie kommt in der sechsten olympischen Ode, in der „Wanderung", in „ B r o d und Wein", in „ P a t m o s " und vielen anderen Gedichten vor - die imaginäre Reise, die dem kühnen, scheinbar an keine berechenbaren Gesetze mehr gebundenen Rhythmus, der Rücksichtslosigkeit, mit welcher der feste Boden der Syntax behandelt wird, und der zum Höchsten gespannten Weite des Gedankens angemessenes Ereignis ist, identisch mit dem der Ekstase und Vision. D a n n der sogenannte „gleitende Übergang", der nicht logisch, sondern assoziativ begründet ist und damit dem Jähen, Sprunghaften und zugleich Dunklen, Rätselvollen der hohen H y m n e als typisches Merkmal entspricht. D a m i t ist ein weiterer Wesenszug des hymnischen Stils, die besondere A r t seiner Gedankenführung gekennzeichnet: im Banne einer tieferen, 32 St. Α. IV. S. 234. Auf diese Eigenart hat zuerst Petzold hingewiesen, S. 95: „Ideale Reisen nach Pindars Art sind ein stehendes poetisches Motiv bei Hölderlin, der übrigens selbst gern wanderte und reale Reiseeindrücke poetisch verwertete, auch seine Roman- und Dramenfiguren gern reisen oder andre zum Reisen auffordern läßt. Wie diese Lieblingsvorstellung als Symbol seiner Sehnsucht nach Anderem, Höherem, nach dem All, gelten darf, so richten sich auch seine poetischen Ausflüge gewöhnlich nach dem Lande seiner Sehnsucht, nadi Hellas und Jonien . . . " . Vgl. auch L. Kempter S. 97, A. 34, Benn S. 133.
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universal strömenden Logik, steht sie der gewöhnlichen, Schritt für Schritt messenden Logik ferne. Hölderlin selbst schreibt dazu: „Man hat Inversionen der Worte in der Periode. Größer und wirksamer muß aber dann auch die Inversion der Perioden selbst seyn. Die logische Stellung der Perioden, wo dem Grunde (der Grundperiode) das Werden, dem Werden das Ziel, dem Ziele der Zwek folgt, und die Nebensäze immer nur hinten an gehängt sind an die Hauptsäze worauf sie sich zunächst beziehen, - ist dem Dichter gewiß nur höchst selten brauchbar 34 ." Ein wichtiges Kriterium für die Untersuchung des hymnischen Stils ist auch der Rhythmus 35 , der seinerseits wiederum die Syntax in sein katarraktisches Gefälle mitreißt und ihr die Gestalt gibt, die in dem Zitat aus der Schrift des Dionysius von Halicarnassus in allgemeiner Form bereits angedeutet wurde. Der Rhythmus der Hymnen hat extremen Charakter. Er ist reißend schnell, dann wieder plötzlich klar und ruhigtiefbesonnen; stark gespannt in riesigen Bewegungsabläufen, dann wieder vollkommen entspannt in kurzen Sentenzen, welche die Bewegungsenergie in Gedanken energie umzuwandeln scheinen; er setzt überschwere Akzente und läßt manche Worte wie Sonnen aufglänzen, daneben verschwinden ganze Verse in einer Bedeutungslosigkeit, die aus dem Phänomen des notwendigen Wechsels wieder höhere Bedeutung erhält. Die Verse sind sehr unregelmäßig, scheinbar rücksichtslos, aber um einer höheren Rücksicht willen gebrochen, so daß das Enjambement und ähnliche Formen hervorragenden Wert erlangen. Neben der Beobachtung der besonderen syntaktischen, logischen und rhythmischen Struktur wird in der Untersuchung, soweit sie Stiluntersuchung ist, ein weiterer Gesichtspunkt mitwalten. Die literarische Rhetorik unterscheidet drei genera dicendi: genus humile, genus medium, genus sublime. Das erste hat keinen, das zweite mäßigen und lieblichen, das dritte bedeutenden und mächtigen ornatus. Die Hymne nun stellt die reinste Ausprägung des genus sublime dar, und in ihr lassen sich in besonderem Maße die dem genus eigenen Varianten feststellen: das ungebrochen erhabene genus (genus amplum, μεγαλοπρεπές γένος), welches lange Perioden mit langen Kola bevorzugt-Hölderlins hymnische Präludien gehören dazu; und das gehemmt-heftige genus (genus vehemens, γένος δεινόν), welches hämmernde Kommata (abruptum sermonis genus) und paradoxe Figuren bevorzugt - dazu zählen die fragenden und gedankentief ringenden Partien der Hymnen Hölderlins. Der ornatus des genus sublime hat bestimmte Qualitäten, er wird als ornatus virilis, fortis, sanctus, als ner34
St. Α. IV. S. 233. 35 Zum Rhythmus in der Dichtung Hölderlins: Dietrich Seckel, Hölderlins Sprachrhythmus. Palästra 207, Leipzig 1937. Dazu die Rezension von Friedrich Beißner in Dichtung und Volkstum 39.
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vosum dicendi genus und mit dem Begriff ενέργεια bezeichnet; er besitzt maiestas, σεμνότης, und der hohe Bereich, dem er zugehört, macht ihn audi zum ornatus difficilis, anspruchsvoll und dunkel zugleich. Er schafft einen kaum zu betretenden heiligen Bezirk, wie es dem Höchsten, „dreimal zu Umschreibenden", mit dem sich die Hymne beschäftigt, angemessen ist. Sie ist nicht hermetisch und dodi eine Dichtung für Eingeweihte, für solche, die, wie die Vorrede zur Friedensfeier sagt, „gutmüthig", d. h. mit innerer Offenheit für das hohe Anliegen des Dichters, lesen. Die Verwendung gängiger Spradiformen würde zur Profanierung des hohen Gegenstandes führen. Bei Hölderlin ist diese Sprachhaltung nicht etwa ein schwer errungener Bewußtseinsakt wie während der L'art-pour-l'art-Epoche in so manchen symbolistischen Dichtungen. Sie ist ihm aus der elementaren Erfahrung aufsteigende innere Notwendigkeit, und so sagt er in der Vorrede zur Friedensfeier 36 : „Ich bitte dieses Blatt nur gutmüthig zu lesen. So wird es sicher nicht unfaßlich, noch weniger anstößig seyn. Sollten aber dennoch einige eine solche Sprache zu wenig konventionell finden, so muß ich ihnen gestehen: idi kann nicht anders." Die einem ersten Blick kaum sichtbare Zahl und Vielfalt der Stilfiguren in den letzten Elegien und auch in „Brod und Wein" weist an sich schon auf die Nähe zum genus sublime der Hymne hin. Das Sichtbarmachen dieser vielen Stilfiguren, das auch manches zum näheren Verständnis des Textes beiträgt, ist eine erste Aufgabe; eine zweite und wichtigere die funktionstypologische Charakterisierung dieser Stilfiguren in dem allgemein bereits angedeuteten Sinne. Dabei kommt es nicht so sehr auf deren abstrakte Allgemeinheit - Platen wäre sicher ein Gedicht mit ebensovielen Figuren gelungen, und doch wäre es leere Rhetorik geblieben - als auf ihre innere Füllung und Lebendigkeit an. Aus ihr erweist sich die Nähe zum hymnischen Stil, und Vergleiche mit den Hymnen können das Ergebnis bestätigen.
* St. A. III. S. 532. 3
Sdimidt, Hölderlin
VI. I N T E R P R E T A T I O N D E S T E X T E S A) Die erste Strophentrias: Die Nacht 1. Die erste Strophe: Ankunft der Nacht Die ersten neun Distichen von „Brod und Wein" erschienen 1807 in Seckendorfs Musenalmanach, Sie bilden, obwohl nicht getrennt von den andern Strophen konzipiert, eine Einheit. Clemens von Brentano nahm sie für das schönste Gedicht überhaupt, sie begleiteten ihn durch sein Leben und klangen in den Augenblicken tiefster seelischer Bewegung in ihm auf 1 . a) Die 1. Distichen trias: Ausklang des Tages „Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse, Und, mit Fakeln gesdimiikt, rausdien die Wagen hinweg. Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen, Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen, Und von Werken der Hand ruht der gesdiäfftige Markt."
Das Zur-Ruhe-gehn der Welt gibt den Grundton: in jedem der drei Distichen erscheint „ruhen" als das bestimmende Wort 2 : „ruhet die Stadt" . . . „ruhen die Menschen" . . . „ruht der gesdiäfftige Markt". Der Tag ist die Zeit des tätigen, handelnden Lebens, das gegen Abend aufhört und abschließend auf sein Ergebnis, auf „Gewinn und Verlust" geprüft wird. „Sinnig" bedeutet „besonnen" 3 . Die „Geschäftigkeit" des Tages ist mit dem „Markt" genannt, dem Ort, auf den sie sich wie auf einen Brennpunkt konzentriert und auf dem sie alles zusammendrängt, was die fruchtbare Erde, die Natur hervorbringt, die „Trauben", „Blumen", und was der Fleiß der Menschen selbst verfertigt, die „Werke der Hand". Der Dichter wertet den ausklingenden Tag mit warmer Herzlichkeit, ganz positiv; aber bei aller Freundlichkeit der Verse, die das Bild schöner Erfüllung geben, indem sie die prächtig mit Fackeln geschmückten Wagen vorüberrauschen lassen und hervorheben, daß die Menschen „satt" und „wohlzufrieden" (ein in der schwäbischen Mundart beliebter Ausdruck) von den ι Walther Rehm, Brentano und Hölderlin. HJb. 1947. S. 127-178. 2 Paul Böckmann, Das Bild der N a c h t . . . S. 335. 3 vgl. Lesart, St. A. II. S. 593. 2 . 1 6 . Sonst heißt „sinnig" bei Hölderlin meistens „sinnreich"; vgl. „Thränen" St. A. II. S. 58. V. 11 ff.: „ . . . und viel Bäume / Sind, und die Städte daselbst gestanden, / Sichtbar, gleich einem sinnigen Mann". „Die Titanen", St. A. II. S. 219. V. 58 ff.: „Und es bieten tauschend die Menschen / Die Hand' einander, sinnig ist es / Auf Erden und es sind nicht umsonst / Die Augen an den Boden geheftet".
Die erste Strophentrias: Die Nacht
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„Freuden" des Tags heimgehn, bleibt der Wertbereich des geschäftigen Lebens dodi abgegrenzt gegen den des hohen, geistesinnigen Lebens, ist beschränkt, nodi nicht von tiefstem Daseinssinn erfüllt. Später wird im Gedicht nicht mehr von den „Freuden des Tags", sondern von der ganz anders gearteten dionysischen Freude in nächtlicher Zeit die Rede sein. Dem dreimaligen „ruhn" entsprechend, schwingt der Rhythmus der gegebenen drei Vorstellungen leise, selbst zur Ruhe gehend, aus. b) Die 2. Distichen trias: Weihe des Abends Während die Geräusche des Tages langsam verstummen, erwachen die zauberischen Töne des innigeren Daseins in der stillegewordenen Welt: „Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vieleicht, daß Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen, Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet. Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Gloken, Und der Stunden gedenk rufet ein Wäditer die Zahl."
In der abendlichen Stille regen sich die Gefühle. Ihr zartes, von Ahnung durchklungenes Wesen offenbart sich aus den Versen, denn der Dichter läßt das Saitenspiel nur „fern aus Gärten" tönen und nennt den, der es spielt mit einem ahnenden „vieleicht": so ist alles in feinste Schwingung aufgehoben. Und gegenüber den greifbaren, sichtbaren, genießbaren, praktikablen Dingen, mit denen sich das Leben des Tages beschäftigt, dem Gewinn und Verlust, den Trauben, Blumen und Werken der Hand, schlägt nun die Seele Brücken der Sehnsucht in verdämmernde Raumfernen, wo „Freunde" wohnen, und in die Zeitfernen längst vergangener Jugend. Das in dieser Stunde vom Dasein der Welt selbst Vernehmbare ist aber gerade das, was im Treiben des Tages wegen seiner Unaufdringlichkeit und gesetzlichen Gleichmäßigkeit unbeachtet bleibt und doch viel tieferes Symbol unseres Daseins ist als die Gegenstände, denen unsere Aufmerksamkeit während der hellen Stunden gilt: das Abbild des Lebens selbst, der „immerquillende" Brunnen, welcher vom steten Werden und vom steten Vergehen spricht; die Glocken, deren Tönen den großen Puls der Zeit erfühlen läßt. - Zwei Hauptmotive der romantischen Poesie, das der Ferne und das des Verfließens der Zeit, sind in der zweiten Distichentrias in seltener Reinheit verkörpert. Die dichterische Vorstellung hat sich unmittelbar in die Sprache übertragen, die durch die vielen Umlaute und Diphthonge von ungewöhnlichem Klangreichtum ist: „das Saitenspiel tönt fern aus G ä r t e n . . . Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Gloken". Der Passus „still in dämmriger Luft ertönen" ist keine Enallage für ein prosaischeres „in stiller dämmriger Luft ertönen", sondern ein O x y 3*
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Interpretation des Textes
moron: in dem Wort „still" liegt für Hölderlin mehr beschlossen als im gewöhnlichen Gebrauch, der nur besagt, daß kein Geräusch mehr ist. Ganz ähnlich wird im „Archipelagus" 4 gesprochen vom Fest, bei dem die Seele des Volks sich „Stillvereint im freieren Lied" und am Beginn der „Friedensfeier" 5 von den himmlischen „still wiederklingenden" ruhigwandelnden Tönen. Stille bezeichnet in sich schon, was durch sie erst möglich wird: Innigkeit, heilige Ahnung, geheimnisvolles Sich-ausströmen tieferer Regungen: so ertönen die Glodcen „still" in dämmriger Luft. In den Lesarten eines späten Entwurfs findet sich der Satz 6 : „Je stiller, desto mehr Äußerung." Wie der Spielende des aus der Ferne ertönenden Saitenspiels nur mit einem „vielleicht" vermutet wird, damit alles in leiser Schwebung bleibe und nicht eine bestimmende, festlegende Erklärung der Ursache störe, ist hinter dem Tönen der Glocken die bewegende Ursache in diesem seltsamen „geläutet" gegenwärtig und zugleich abwesend. Der Rhythmus der Sinneseindrücke wechselt in den sechs Versen regelmäßig zwischen Lautkonturen von feiner Unbestimmtheit und deutlicher Bestimmtheit, zwischen schwebenden Tönen aus der Ferne und Geräuschen aus der Nähe. Zuerst unbestimmt: „Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vieleicht, daß / Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann / Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit"; dann bestimmt: „Und die Brunnen, immerquillend 7 und frisch rauschen an duftendem Beet"; darauf unbestimmter: „Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Gloken"; schließlich wieder ganz bestimmt: „Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl". Dieser Wechsel bewirkt den eigentümlichen atmosphärischen Reiz der Verse. Der Abend bezeichnet in der zweiten Distichentrias das Aufkommen der innigen Gefühle, des tieferen Lebens, des Gesanges, gegenüber dem in der ersten Distichentrias langsam verebbenden Treiben des Tages. In der späteren Dichtung wird diese Vorstellung vom Abend als der Zeit der Weihe weiter ausgebildet. „Abendlich in der Stille / Blüht rings der Geist" heißt es in „Versöhnender der du nimmergeglaubt.. ," 8 . Der hymnische Entwurf „Deutscher Gesang" 9 gibt wie „Brod und Wein" die Entgegensetzung zum Tage, mit ganz verwandten Vorstellungen: „Wenn der Morgen trunken begeisternd heraufgeht Und der Vogel sein Lied beginnt, Und Stralen der Strom wirft, und rascher hinab Die rauhe Bahn geht über den Fels, Weil ihn die Sonne gewärmet. * St. Α. II. S. 110 f. V. 259 f. s St. Α. II. S. 533. V. 1 f. « St. Α. II. S. 835. Z. 35. 7 Zur Wortform: Friedridi Beißner, Erläuterungen, St. Α. II. S. 609. 9 » St. Α. II. S. 131. V. 34 f. St. Α. II. S. 202. V. 1 ff.
Die erste Strophentrias: Die Nacht
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Und der Verlangend in anders Land Die Jünglinge Und das Thor erwacht und der Marktplaz, Und von heiligen Flammen des Heerds Der röthliche D u f t steigt ,dann schweigt er allein, Dann hält er still im Busen das Herz, Und sinnt in einsamer Halle. Dodi wenn dann sizt im tiefen Schatten, Wenn über dem Haupt die Ulme säuselt, Am kühlathmenden Badie der deutsche Dichter Und singt, wenn er des heiligen nüchternen Wassers Genug getrunken, fernhin lauschend in die Stille, Den Seelengesang." 10
c) Die 3. Distichentrias: Die Nacht Nadi dem Aufkommen der seelenöfinenden Stimmung gipfelt die erste Strophe nun in der dritten Distidientrias, welche ins Reich der Nacht führt und damit zum eigentlichen Thema des Gedichts überleitet: "Jezt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf, Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt, Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns, Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen Uber Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf."
Das „Wehn", das die Gipfel des Hains „aufregt", ist der leise erschauernmadiende Nachtwind, der zugleich ein geistiges Wehen ist und Regungen der Seele wachruft. Das „Wehn" der Luft hat hier wie auch sonst oft in Hölderlins Dichtung den Sinn von πνεύμα „Lufthauch", „Windeswehen", „Atem", „Seele", „Geist". Im „Hyperion" heißt es11: „Und die Menschen . . . fühlten wunderbar das geistige Wehen, wie es leise die zarten Haare über derStirne bewegte . . . " Ein Distichon aus dem Schlußabschnitt der „Elegie" lautet: „Und, wie wenn ich mit ihr auf Bergeshöhen mit ihr stand, / Wehet belebend audi mich, göttlicher Othem mich an." 12 Und gleichwie in „Brod und Wein" das Wehn die Gipfel des nächtlichen Hains aufregt, sagt ein Vers der Rheinhymne, wie „die finsteren Bäume der Geist umsäuselt" 13 . 10
Im letzten Teile ist deutlich vom Abend die Rede, dies bestätigt auch eine Lesart zu V. 15, die von der kühlen „Abendstunde" spricht (St. Α. II. S. 834. Z. 24). 11 St. A. III. S. 50, 88, n i . " St. Α. II. S. 74. V. 99 f. " St. A. IL S. 148. V. 189.
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Interpretation des Textes
Das Wehn, das in schönen Sommernächten nach der Abkühlung der Luft wirklich aufkommt und in der Stille merkwürdig intensiv empfunden wird, ist geistig, inspiratorisch, gehört dem Reidi der Be-geisterung zu, die Hölderlin in „Brod und Wein" als die hohe Gabe der Nacht preist. Für die eigentümliche Wendung „regt die Gipfel des Hains auf" gilt die Erläuterung Friedrich Beißners14 zu Vers 74 der Elegie „Heimkunft" ( „ . . . du regst Langgelerntes mir auf!"): „Hölderlin und seine Zeitgenossen (besonders Goethe) wenden das Wort anders als der heutige Sprachgebrauch nodi in der buchstäblicheren Bedeutung an (,etwas nach oben bewegen'), und zwar nicht nur psychologisch wie hier (und z. B. : Palinodie V. 4 f.: ,Was regt ihr mir Vergangenes auf'), sondern auch im Bereich des Greifbaren: vgl. ,Brod und Wein' V. 13: ,und regt die Gipfel des Hains auf'; ,An Eduard* V. 37: ,Es regt sein Sturm die Schwingen dir auf'; Anmerkung zu dem Pindarfragment ,Das Belebende': ,regte das müßige Leben der Haide auf'; in den Sophokles-Übersetzungen steht ,aufregen' f ü r χειμάζειν (Oed. Tyr. V. 100), ταράσσειν (Oed. Tyr. 490/483), έγερτί κινεΐν (Ant. 429/413)." Hierher gehört auch eine bedeutsame Stelle aus der „Antigonae": „Und unter Nyssäischen Bergen regen / Fernhorchend Brunnen dich auf" ( = Dionysos) 15 . Mit dem Aufruf „Sieh!" in dem Vers „Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond . . . " ist das Eintauchen in die Vision augenfällig bezeichnet. Hölderlin gebraucht ihn immer an besonderen Gipfelpunkten des Gedichts: im „Archipelagus" 16 : „Köstliche Frühlingszeit im Griechenlande! wenn unser / Herbst kömmt, wenn ihr gereift, ihr Geister alle der Vorwelt! / Wiederkehret und siehe! des Jahrs Vollendung ist nahe! / Dann erhalte das Fest audi euch, vergangene Tage!" Und in „Brod und Wein" selbst, in der neunten Strophe: „Siehe! wir sind es, wir; Frucht von Hesperien ists!" Der leuchtende Mond als „Schattenbild" ist wieder ein Oxymoron 17 . Das unausgesprochene tertium comparationis, das hier den Mond als Schattenbild erscheinen läßt, ist die Treue, mit welcher er die Erde leise, „geheim" begleitet, ähnlich wie ein Schattenbild der Gestalt, zu der es gehört, stets lautlos nachschwebt. Die Nacht wird mit stark transitiver Bedeutung die „Schwärmerische" genannt: sie ruft das seelische Schwärmen in die Unendlichkeit hervor. m Friedrich Beißner, Erläuterungen, St. Α. II. S. 629. Z. 24 ff. is St. Α. V. S.253. V. 1179 f. « St. Α. II. S. 111. V. 272 ff. 17 Eine Stilfigur, die in den letzten Elegien „Brod und Wein" und „Heimkunft" mit besonderer Vorliebe verwendet wird; vgl. allein die 1. Strophe von „Brod und Wein": das sdion erwähnte „ s t i l l . . . ertönen", hier nun der Mond als „Schattenbild", im letzten Vers das zugleich „traurige" und „prächtige" Heraufglänzen der Nacht.
Die erste Strophen trias: Die Nacht
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Die Intensivierung des Adjektivs durch Voranstellung mit dem Artikel und Abrückung vom Substantiv ist eine ausgeprägte poetische Eigenheit Hölderlins 18 . Sie zeugt von dem Streben nach äußerster Wirkkraft, Geladenheit und Eigenwertigkeit des einzelnen Wortes, worin wir ein Hauptmerkmal seines Stils zu sehen haben - den Grund für dessen „Expressionistisches", demzuliebe in zunehmendem Maße die glatte Fügung geopfert wird. Transitiv wie die Benennung „die Schwärmerische" ist auch die weitere Steigerung „die Erstaunende" : die Nacht ruft in den Menschen das Erstaunen hervor 19 . Das Staunen ist eine Verhaltensweise des Menschen bei der Berührung mit dem „fremden" 20 Höheren, dem Mysterium des Göttlichen, wie in der Hymne „Am Quell der Donau" 2 1 : „ . . . herab von den Alpen / Kommt eine F r e m d l i n g i n sie/ Zu uns, die Erwekerin, / Die menschenbildende Stimme. / Da faßt' ein S t a u n e n die Seele . . . " . Die göttliche Erhabenheit der Nacht zeigt sich nodi besonders darin, daß sie sich „wenig bekümmert um uns" Menschen, in sich selbst selig ist wie die Himmlischen, von denen es zu Anfang der siebten Strophe heißen wird: „sie . . . sdieinens wenig zu achten, / Ob wir leben . . . " . Immer wieder spricht Hölderlin von der heiligen, begeisternden Erfahrung der Nacht 22 . Im Hyperion: „Die sternenhelle Nacht war nun mein Element geworden. Dann, wann es stille war, wie in den Tiefen der Erde, wo geheimnisvoll das Gold wächst, dann hob das schönere Leben meiner Liebe sich an." Und 1801 schreibt er aus Hauptwyl, zu „Füßen der Alpen": „Da wohne ich, in einem Garten, wo unter meinem Fenster Weide und Pappeln an einem klaren Wasser stehen, das mir gar wohlgefällt des Nachts mit seinem Rausdien, wenn alles stille ist und idi vor dem heiteren Sternenhimmel dichte und sinne." In der Elegie nun ist es eine besondere Eigenart, daß die so tief empfundene Nacht wie ein persönliches Wesen „heraufglänzt". Sie heißt „die Schwärmerische", „die Erstaunende", „die Fremdlingin" und „traurig". Der erste Ansatz der zweiten Strophe ließ die hohe Erscheinung der Nacht sogar in eine völlig realistische Individualisierung Übergehn. In Vers 30 stand ursprünglich, 18
Vgl. auch den letzten Vers von „Brod und Wein": „Selbst der neidisdie, selbst Cerberus trinket und schläft." In der 6. Strophe von „Brod und Wein" : „wo blühn die Bekannten, die Kronen des Festes?" 19 Vgl. dazu die von Fr. Beißner angeführte Parallele, Erläuterungen, St. A. II. S. 609 f. Z. 35 ff.: „Chiron", V. 4: „die erstaunende Nadit". Paul Böckmann, Hölderlins Friedensfeier, HJb 1955/56, hat „erstaunet" in der 3. Strophe der Friedensfeier als transitives Verbum nachgewiesen und gibt noch andere Belege dazu (S. 13). 2 « Für die Prägung „Fremdlingin": Beißner, Erl. St. A. II. S. 610. Z. 3 ff. St. A. II. S. 126 f. V. 39 ff. 22 W. Rehm, Brentano und Hölderlin, S. 151, gibt die folgenden Parallelen.
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Interpretation des Textes
daß „der seeligste Gott sie an die Seite sich sezt"· 23 . Es war eine glückliche Änderung, die zur Beseitigung dieser blassen Allegorie in der Druckfassung führte. Die personifizierenden Benennungen der ersten Strophe sind dagegen stimmig, weil sie ganz harmonieren mit dem inneren Wesen der Nacht, mit der Empfindung, die uns aus dem Nachterlebnis zuströmt. Gestaltschöpfung und Bedeutung stimmen vollkommen überein, und so entsteht keine Naturallegorie, sondern ein echter Naturmythos 2 4 . Die letzten sechs Verse bringen in Vorstellung und Rhythmus einen mächtigen Aufschwung. Zunächst als symmetrisch entsprechende Gegenbewegung zu dem in der ersten Distichentrias dreimal genannten „Ruhn" das dreimalige steigernd und intensivierend genannte „Kommen" des » St. Α. II. S. 596. Ζ 9 ff. Daß die Schilderung vom wunderbaren Heraufziehen der Nacht dennoch die Tradition der allegorischen Tageszeiten-Dichtung deutlich erkennen läßt, hat Manfred Windfuhr in seiner reichen Studie über „Allegorie und Mythos in Hölderlins Lyrik" dargetan (HJb 1957, S. 160-182). Windfuhr weist S. 173 ff. zunächst darauf hin, wie in der Ode „Des Morgens" das Kommen des Tages sich auf dem Hintergrund eines fest vorgeschriebenen Naturszenariums abspielt. „In diesem Szenarium wird das Aufgehen der Sonne als ein wohl vorbereiteter Theater-Auftritt, meist in drei Phasen, beschrieben. Zunächst regen sich Flüsse, Blumen und Bäume. Sie sind die ersten, die die Heraufkunft der Sonne melden . . . Darauf folgt als nächstes die Morgenröte Aurora. Sie hat zwar schon den Glanz der Sonne, ist sie aber nicht selbst. Sie ist ihr Herold und macht den Weg f r e i . . . Erst nach diesen gebührenden Vorbereitungen erscheint die Sonne selbst, meist mit Wagen und Rossen . . . das eigentliche Schauspiel kann beginnen. Es ist, als werde ein Fürst empfangen. Zachariae nennt denn auch die Sonne ,Fürstin des Tages' und die ihr voraufziehenden Wolken ihren ,Hof'." - Doch ist bei Hölderlin das Neue und Größere, daß er das Wesen der Figur, hier des Tages, benennt, ohne sie im realistischen Sinne zu individualisieren und mit Requisiten auszustatten. Ähnlich wirkt die literarische Tradition auf die Nachtgedichte bis zu Mörikes „Um Mitternacht" („Gelassen stieg die Nacht ans Land . . . " ) . Windfuhr bemerkt dazu S. 175 f.: „Audi bei der entsprechenden Situation der aufziehenden Nacht läßt sich eine feste Szenerie beobachten. Dem Stillerwerden des Tages folgt in mehreren Stufen das Erscheinen der Nacht: zuerst kommt der Wind, der den Weg freimacht und das Nahen ankündigt, dann zieht der Mond als das leuchtendste Abendgestirn herauf, und erst am Ende tritt die Nacht selbst auf. Nach diesem in der Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts immer wieder begegnenden Ablauf ist die Eingangsstrophe von „Brod und Wein" in ihren Grundlinien gebildet... Der Rang bestimmt die Reihenfolge des Auftretens. Das fürstliche Zeremoniell, die Naturordnung lenkt den Verlauf. Wie die Sonne, deren Bild sie - ins Elegische vertieft - nachgebildet ist, erscheint die Nacht als Herrscherin, als Fürstin." Windfuhr verweist darauf, daß Hölderlin nach Ausweis des Bücherkatalogs die Werke Zachariaes besessen und also dessen „Tageszeiten" sicherlich gekannt hat. Darin findet sich eine Schilderung der Nacht nach dem gleichen Grundschema. Nur ist bei Hölderlin wieder die äußere allegorische Einkleidung getilgt. Statt dessen dringen in den überlieferten Rahmen Natureindrücke von höchstem lyrischem Reiz.
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leisen Wehns, dann des Mondes, schließlich der Nacht selbst: »jetzt audi k o m m e t ein W e h n . . . der Mond k o m m e t geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht k o m m t . . . " . Mit dem Kolon „die Nacht kommt" ist ein erster Gipfel erreicht; der weitere Aufschwung erfolgt durch die gleichmäßig bald von Appositionen aufgestaute, bald wieder weitergeführte Satzbewegung, die wie eine mächtige Volute erst am Schluß das als Richtungsbestimmung entscheidende „herauf" freigibt. Die jeweils dreifach erscheinenden Schlüsselworte „ruhn" und „kommen" kennzeichnen schon die Umkehr und Gegenläufigkeit der inneren Bewegungslinien von der ersten zur letzten Distichentrias. Die gleiche dynamische Kurve ergeben Syntax und Rhythmus. In der ersten Distichentrias stehn die Subjekte, dem abschließenden Charakter der Aussage gemäß, abschließend und beschwerend am Satzende, das immer mit dem rhythmischen Ende von Versschluß oder Zäsur und Diärese zusammenfällt. Betont wird diese abschließende Funktion durch die überschwere Schlußstellung des letzten Subjekts („der geschäfftige Markt"), das einem syntaktischen und rhythmischen Chiasmus nachgeordnet ist. Die Wirkung des überlastigen Endes wird schließlich auch durch den eigentümlichen Gebrauch der kopulativen Konjunktion „und" erzielt. Sie verbindet jeweils einen kürzeren Anfangsteil mit einem längeren Schlußteil: „still wird die erleuchtete Gasse (1/2), U n d , mit Fakeln geschmükt, rauschen die Wagen hinweg" (1); „Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen (1), U n d Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt / Wohlzufrieden zu Haus" (3/2); „Leer steht von Trauben und Blumen, (1/2) / U n d von Werken der Hand ruht der geschäfftige Markt" (1). Die unmittelbare Aufeinanderfolge verstärkt die dem dreifachen „ruhn" entsprechende, bereits intensive Qualität dreifacher Wiederholung. In der zweiten Distichentrias nun, die nach dem Abklingen des Taglebens in der ersten ein Aufklingen des tieferen Lebens bringt, tritt zunächst eine deutlich kontrastierende Umkehrung in der Stellung der Subjekte ein: sie rücken impulsiv an den Anfang der Sätze: „Aber das Saitenspiel . ..", „ . . . und die B r u n n e n . . . " . Daß die Sprechweise bereits leise erregt, ergriffen zu werden beginnt, zeigt auch die dreifache unmittelbare Folge von Enjambements, wobei entscheidende Vorstellungen ins Enjambement treten: „Liebendes" . . . „Freunde" . . . „Immerquillend"; ferner die in den beiden Hexametern vor den Enjambements höchst bruchstückhaft angefügten Satzanfänge: „vieleicht, daß . . . " , „und die Brunnen . . . " , schließlich das kleine Hyperbaton, welches durch die Epiphrase (Ferner Freunde gedenkt) „und der Jugendzeit" nach dem Prädikat „gedenkt" entsteht. Der rhythmische und onomatopoetische Wert des an exponierter Stelle erscheinenden Wortes „Immerquillend" entspricht in wunderbarer Weise dem Aussagegehalt, wie überhaupt hier alles aus einer einzigen voll-
Interpretation des Textes
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kommenen Empfindung geströmt ist; die dunklen, mit Nasal verbundenen u-Laute („und die Brunnen") geben von der geheimnisvollen Tiefe der Brunnen Kunde, die hellen i-Laute („Immerquillend und frisch"), teilweise intensiviert durch nachfolgende Doppelnasale und Liquida, von ihrem lebendigen Sprudeln. Die letzte Distidientrias ist bereits in der N ä h e der hymnischen Diktion, nur ist die Bewegungsenergie in den breit aussdiwingenden Versen nodi sehr gedämpft. Die stark betonten und am Anfang der ersten beiden Verse stehenden Kurzworte „Jezt" und „Sieh" vergegenwärtigen sofort mit Heftigkeit den erregten Augenblick, eine Gefühlslage, die noch eine Stufe über der in der zweiten Distidientrias klanggewordenen liegt, ergriffene Schau nach ahnungsvollem Gefühl. Dann das bereits erwähnte, dreimal steigernd und intensivierend genannte „Kommen" des leisen Wehns, dann des Mondes, schließlich der Nacht selbst, und der durch zwischengeschaltete Appositionen immer mehr aufgeladene und sich endlich befreiende Aufschwung. Ein weiteres bezeichnendes Moment ist die affektivische H ä u f u n g expressiver Stilfiguren, die Symploke 25 . Insgesamt verkörpert diese letzte Distidientrias der ersten Strophe einen Vorklang des hymnischen Präludiums, sie besitzt bis zu einem gewissen Grade die weitgeschwungenen Bewegungslinien des γένος μεγαλοπρεπές. Verwandtschaft und Unterschied erhellen aus der Gegenüber-Stellung mit den entsprechenden Versen des Patmosgesangs: „Brod und Wein": „ . . . die Schwärmerische, die Nacht kommt, Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns, Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf." „Patmos" 26 : „Doch bald, in frischem Glänze, Geheimnißvoll Im goldenen Rauche, blühte Schnellaufgewachsen, Mit Schritten der Sonne, Mit tausend Gipfeln duftend, Mir Asia auf . . . " 25
Die Partie „ . . . kommet ein Wehn . . . der Mond kommet" verbindet syntaktischen Chiasmus mit lexikalischem Kyklos, die Partie „das Schattenbild unserer Erde, der Mond, k o m m e t . . . die Schwärmerische, die Nacht kommt" einen überschweren syntaktischen Parallelismus mit lexikalischer Epiphora; der Vers „Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen . . . " enthält ein starkes Hyperbaton. « St. Α. II. S. 165. V. 25 ff.
Die erste Strophentrias: Die Nacht
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Eine weitgehende Ähnlichkeit der rhythmischen Grundstruktur; aber wieviel weicher, wieviel weniger hart gefügt und gespannt sind nodi die Verse in der Elegie „Brod und Wein"!
2. Die zweite Strophe: Wesen und Wirkung der Nacht Nach der in der ersten Strophe ekstatisch ergreifenden Vision der Nacht bringt nun die zweite Strophe Gedanken über das Wesen der Nacht, eine Vertiefung in die Wirkungen, die sie auf die Menschen ausübt. Schließlich weitet sich die Nacht im Geist des Dichters unvermerkt von der Zeit zwischen Abend und Morgen zu der großen geschichtlichen Zwischenzeit aus, in der wir leben, und die zwischen dem Abend des am Ende der Antike von Christus abgeschlossenen und dem Morgen eines neuen, sehnsüchtig erhofften Göttertages ihr dunkles Reich ausbreitet. Es ist Hölderlins Eigentümlichkeit, vom visionären, entzündenden Anfang ausgehend einen mächtigen Gedankenstrom zu entfalten, der auf seinen Ursprung, •àie anfängliche Schau, in durchgehender oder immer wieder aufgenommener Metaphorik bezogen bleibt. So in der Hymne „Wie wenn am Feiertage", in „Stutgard", in der „Friedensfeier". Die in der letzten Oistidientrias der ersten Strophe erscheinende Metapher der „traurigen" und „prächtigen" „Nacht" ist Grundlage für die ganze weitere Entwicklung des Gedichts, für das Kreisen der Gedanken um die verschiedenen Aspekte der nächtlichen Zeit als Reich götterfernen Dunkels wie auch begeisternder Feier, heiliger Vorbereitung künftigen Tages; bis dann in •der Schlußstrophe beides unmittelbar ineinanderfließt: „Orkus, Elysium ists." Der metaphorische Gegensatz Licht - Dunkel und die zugehörigen "Wortbereiche durch walten das Gedicht bis zum Schluß: Wachen - Schlaf, leuchten - Schatten, Tag - Nacht, Finsteres - Fakelschwinger. Die zeugende Funktion, die dem Bild am Anfang der Dichtung zukommt, zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit dem konventionellen Natureingang. Aber es ist typisch für Hölderlin, daß sein Gedichteingang nicht nur Spaziergängernatur zur Entwicklung persönlich-individueller Stimmung bietet; seine Anfangsbilder entsprechen dem ätiologischen Naturmythos, sind in hohem Grade dämonisiert. Dies bestimmt sie zu Ausgangsstellen seherisch-überhöhten, hymnisch begeisterten Sprechens und eines Ausschreitens in weite Räume - zum Quell, aus dem sich in „reißendem Fortgang" die Energien des hymnischen Stroms entfalten. In den Elegien gleicht der Beginn dem hymnischen Präludium; die Naturerscheinungen sind mythisch belebt und verdichten sich zu menschlicher - zugleich dämonisch überglänzter - Gestalthaftigkeit oder nehmen den Charakter göttlichgroßen Menschenwerks an. Die dem Mythos eigene Personifikation und Anthropomorphisierung von Natur- und Geschichtskräften ist deshalb
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Interpretation des Textes
ein Element besonders dieser Anfangsteile. Wie in der „Wanderung" Suevien, das mütterliche Ursprungsland, als „Mutter" und die benachbarte Lombardei als „Schwester" „Lombarda", im Rheingesang die Alpen als „Burg der Himmlischen" und der junge Strom als kraftvoll ungebärdiger „Jüngling", in der Hymne „Am Quell der Donau" die im Verlauf der Geschichte immer näher zu uns herantönende K r a f t des Göttlichen, die „Stimme", als „Fremdlingin" erscheint, in der ersten Strophe der „Friedensfeier" die irdische Natur einem festlichen, wohleingerichteten „Saal", in „Patmos" die heraufglänzende asiatische Gebirgswelt „göttlichgebauten Pallästen" gleicht - so umfängt im Exordium des „ Ardiipelagus" der göttliche „Alte", der „Vater", das Meereselement, mit „Jünglingsarmen" die Inseln, die „Töchter", Delos erhebt ihr „begeistertes H a u p t " ; in der Elegie „Stutgard" ist die herbstliche Landschaft dionysisch mythologisiert: „wie Wagen, bespannt mit freiem Wilde, so ziehn die / Berge voran und so träget und eilet der P f a d " ; und so schließlich glänzt die Nacht in der ersten Strophe von „Brod und Wein" als „Fremdlingin" traurig und prächtig herauf. 27 Dem anfänglichen Mythos folgt die aus ihm lebende Deutung - oft in direktem Übergang, manchmal aber wird das Wunderbare, Rätselhafte und Staunenswerte der überwältigenden mythischen Erscheinung vor dem Übergang zur Deutung kurz und an entscheidender Stelle ausgesprochen. Es ist die umfassende Hauptempfindung, die vor den mehr spezifizierenden, erschließenden Einzelaussagen laut wird. Im „Rhein" der berühmte Vers: „Ein R ä t h s e 1 ist Reinentsprungenes"; in der Hymne „Am Quell der Donau" : „ D a faßt" ein S t a u n e n die S e e l e . . . es steht / Vor Göttlichem der Starke niedergeschlagen 28 ." Und so beginnt die „Deutung" in der zweiten Strophe von „Brod und Wein" mit den Worten: „ W u n d e r b a r ist die Gunst der Hocherhabnen . . . " a) Die 1. Distichen trias: Das Geheimnis der Nacht: die Bereitung „Wunderbar ist die Gunst der Hodierhabnen und niemand Weiß von wannen und was einem gesdiiehet von ihr. So bewegt sie die Welt und die hoffende Seele der Menschen, Selbst kein Weiser versteht, was sie bereitet, denn so Will es der oberste Gott, der sehr dich liebet, und darum Ist noch lieber, wie sie, dir der besonnene T a g . "
Mit den Worten „die Erstaunende", in der geheimnisvollen Doppelheit von „traurig und prächtig" und mit der Wendung „Wunderbar ist die Zu der ganz anderen Darstellungsart, der Allegorisierung, in einer frühen Niederschrift der zweiten Strophe von „ B r o d und Wein" vgl. das S. 39 f. Gesagte. 28 St. A. II. S. 127. V. 43 u. 50 f. 27
Die erste Strophen trias: Die Nacht
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Gunst der Hocherhabnen" - in der das W o r t „wunderbar" als deutliches Isokolon zu der Benennung „Hocherhaben" zu lesen ist, mit starkem Akzent also auch auf dem Suffix, so d a ß nidit die moderne, verkümmerte Bedeutung von „sehr schön", sondern die ursprüngliche „voll der Wunder" zu vernehmen ist - klingt das überirdische Mirum der Nacht intensiv auf. Die Inspiration selbst, das Gefühl höheren, göttlichen Lebens, ist die wunderbare „Gunst" der Nacht. Deshalb kann der Dichter, in einem charakteristischen Wechsel der Perspektive, die Erscheinung der Nacht als ein numen des Höchsten darstellen: „so will es der oberste G o t t " . Die eigentümliche Formulierung „der oberste G o t t " schließt die Vorstellung vom Prinzip und Urquell alles dessen ein, was uns, wie hier die Nacht, zum Ausgangspunkt hoher Erfahrung werden kann. W i r werden uns der Wirkungen, welche die Nacht in uns hervorbringt, nicht bewußt. „ S o " , d. h. ohne daß wir wissen, „von wannen und was einem geschieh e t " 2 9 , bewegt sie wie eine hohe Zauberin das Leben der W e l t insgesamt und die Seele jedes Einzelnen. Was mit der Bewegung der W e l t durch die Nacht gemeint ist, läßt sich aus der Stelle selbst nidit mit Sicherheit erkennen. D i e „Seele" des einzelnen Menschen aber bewegt die Nacht, weil sie die Zeit der Ahnungen und des im Anblick der Gestirne sich aufschwingenden Gefühlslebens ist. Die Seele heißt die „hoffende", weil von allen Gefühlen die begeisternde Hoffnung uns das wertvollste Geschenk der Nacht ist: in dem Gedicht „An die H o f n u n g " 3 0 heißt es: „ . . . wenn in der Mitternacht Das unsiditbare Leben im Haine wallt, Und über mir die immerfrohen Blumen, die blühenden Sterne, glänzen, O du des Aethers Tochter! erscheine dann Aus deines Vaters Gärten . . Auch der mit dem tiefsten Verstehen für das Leben der W e l t Begabte, der „Weise", versteht nicht, was sie „bereitet": das Bild der wirklichen Nacht ist schon von dem der geschichtlichen Nacht durchschimmert; wie die Einwirkung der Wunderbaren, Hocherhabnen höhere, jenseits des Verstandesbereiches wohnende K r ä f t e zur Entfaltung bereitet, so bereitet auch die geschichtliche Nacht in ihrem dunklen Schoß Göttliches, ohne daß wir es bemerken. Das stille „Bereiten" des Höheren, das der Mensch nur mit ahnender Seele erfühlen kann, ist ein Leitmotiv in Hölderlins DidiVgl. zu diesem, altertümlichen Ausdruck auch Hyperion, St. A. III. S. 39, 67, 8-11: „Wir sprechen von unsrem Herzen, unsern Planen, als wären sie unser, und es ist doch eine fremde Gewalt, die uns herumwirft und in's Grab legt, wie es ihr gefällt, und von der wir nicht wissen, von wannen sie kommt, noch wohin sie geht." 30 St. A. II. S. 59. V. 13 ff.
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Interpretation des Textes
tung 31 . Dieses nicht erkennbare „Bereiten" des Höheren „ w i l l . . . der oberste G o t t " : nach Hölderlins Grundansicht stellt alles Geschehen göttliche Fügung dar, für ihn ist, besonders in der späten Dichtung, selbst Schweres, Unbegreifliches, die Weisheit eines höheren, lenkenden Sinnes; man erinnere sich der nur zögernden Offenbarung des Göttlichen um der Menschen willen, die der Schonung bedürfen, weil sie nicht an so hohes Maß gewöhnt sind, oder des Worflergleichnisses in „Patmos". Die Wendung „Der sehr dich liebet" bezieht sich auf Heinse, dem „Brod und Wein" gewidmet ist. Daß Hölderlin den Freund in die Liebe des Gottes stellt, ist eine edle, auf alter schöner Sitte beruhende Gebärde, die zugleich das Band vom Gedicht zu dem knüpft, dem es gewidmet ist, und eine tiefere, geistige Begründung für die Widmung gibt. Ebenso weiß der Dichter in der Rheinhymne den Freund Sinclair und in „Patmos" den Landgrafen von Homburg in der Liebe Gottes. „Der Rhein" 3 2 : „Dir mag auf heißem Pfade unter Tannen oder / Im Dunkel des Eichwalds gehüllt / In Stahl, mein Sinclair! Gott erscheinen oder / In Wolken, du kennst ihn, da du kennest, jugendlich, / Des Guten K r a f t , und nimmer ist dir / Verborgen das Lächeln des H e r r s c h e r s . . . " „Patmos" 3 3 : „Und wenn die Himmlischen jezt / So, wie idi glaube, mich lieben / Wie viel mehr Dich..." Der „besonnene" T a g ist dem angeredeten Freunde wie den Menschen überhaupt „lieber" als die Nacht, weil seine Gaben leichter wahrnehmbar, verständlich und faßbar sind. „Besonnen" bedeutet den Gegensatz zum „Schwärmerischen" der Nacht 3 4 . Die erste Distichentrias der zweiten Strophe schilderte das geheimnisvolle, unbegreifliche Wesen der Nacht. Die beiden folgenden Distichentriaden besingen ihre Wirkung auf die Menschen. Vgl. „Gesang des Deutschen" : „Doch wie erräth der Sohn, was du den / Deinen, Unsterbliche, längst b e r e i t e s t ? " ; die Ode „An die Deutschen" handelt ganz von dieser „Bereitung"; „Lebenslauf" spricht davon, wie „die stumme Natur werdende T a g e sinnt" „in heil'ger Nacht". Die letzte Strophe von „Ermunterung" hofft, daß „er, der sprachlos waltet, und unbekannt / Zukünftiges b e r e i t e t , der Gott, der Geist / Im Mensdienwort, am schönen Tage / Wieder mit Nahmen, wie einst, sich nennet". In „Stutgard" ruft der Dichter die „Engel des Vaterlands": „Aber ihr, ihr Größeren audi, ihr Frohen, die allzeit / Leben und walten, erkannt, oder gewaltiger audi, / Wenn ihr wirket und schafft in heiliger Nacht und allein herrscht / Und allmächtig empor ziehet ein ahnendes Volk . . . " „Die Titanen": „ . . . es wurzelt vieles b e r e i t e n d heilige Wildniß" (St. A. II. S. 5. V. 59 f.; St. A. II. S. 22. V. 5 f.; St. Α. II. S. 34. V. 25-29; St. Α. II. S. 88. V. 85 ff.; St. A. II. S. 217. V. 22). 3 2 St. Α. II. S. 148. V. 210 ff. 3 3 St. A. II. S. 171. V. 197 ff. 34 Petzold, S. 77.
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Die erste Strophentrias: Die Nacht
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b) Die 2. Distichentrias: Die Nacht als Zeit der Ruhe und des Verharrens „Aber zuweilen liebt audi klares Auge den Schatten Und versuchet zu Lust, eh' es die N o t h ist, den Schlaf, Oder es blikt audi gern ein treuer Mann in die Nacht hin, Ja, es ziemet sidi ihr Kränze zu weihn und Gesang, Weil den Irrenden sie geheiliget ist und den Todten, Selber aber besteht, ewig, in freiestem Geist."
Zunächst werden die Werte genannt, welche die Nacht audi „klarem Auge", den mehr auf das praktische Tagesleben gerichteten Menschen, schenkt: Schlaf, Erholung. Die „Lust" des Ruhens, des „süßen Schlummers" 35 ist Gegensatz zum bannenden „eisernen Schlaf" 36 , dem man aus „Noth" verfällt, aus physischem oder, in dürftiger Zeit, seelischem Kräftemangel. Auch ist die Nacht Zeit der treuen Gedanken, die sich liebend, träumend in die Ferne oder andenkend zum Reich der Toten hin richten. „In die Nacht hinblicken" ist von alters her ein Ausdruck der Treue. Die „Irrenden", denen die Nacht geheiligt ist, sind nicht die im Verstandesirrtum Befangenen oder die im Lande Umherirrenden, sondern diejenigen, die das Schicksal bis in die Wurzeln ihres menschlichen Daseins traurig-irre gemacht und erschüttert hat, deren aufgelöstes Wesen in den tausend Begegnungen des Tages gepeinigt und gequält wird und deren Zustand nur die unendlich trostvolle, ruhespendende Nacht mit ihrer Hülle gütig umschließt, denen sie deshalb „geheiliget" ist. Schmerzliches Irrewerden ist Hölderlins eigne, oft wiederkehrende Erfahrung, noch vor dem großen Irrewerden, an dem sein Leben zugrunde ging; Hyperion 37 r u f t : „O ewiges I r r s a a 1 ! . . . wann reißt der Mensch aus deinen Ketten sich los? Wir sprechen von unsrem Herzen, unsern Planen, als wären sie unser, und es ist doch eine fremde Gewalt, die uns herumwirft und in's Grab legt, wie es ihr gefällt . . . Das eben, Lieber! ist das Traurige, daß unser Geist so gerne die Gestalt des i r r e n Herzens annimmt . . . , daß der Gedanke, der die Schmerzen heilen sollte, selber krank wird . . . " ; Empedokles 38 : „ . . . Wenn ich oft / Auf ferner Bergeshöhe saß und staunend / Des Lebens heilig I r r s a a 1 übersann, / Zu tief von deinen Wandlungen bewegt, / Und eignes Schiksaal ahndend, / Dann athmete der Aether, so wie dir, / Mir heilend um die liebeswunde Brust, Í Und zauberisch in seine Tiefe lösten / Sich meine Räthsel auf - . " In ganz merkwürdiger, vielsagender Parallele des Gedankengangs und auch des sprachlichen Ausdrucks zu dieser zuletzt zitierten Stelle steht der nicht auf 35
Vgl. St. Α. II. S. 151. V. 65 f.; St. Α. II. S. 189. V. 28 f. Dazu die Ausführungen zur 7. Strophe, siehe S. 118. 37 St. A. III. S. 39, 67, 6 ff. m St. Α. IV. S. 18. V. 401 ff.
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Interpretation des T e x t e s
die Äthertiefe, sondern auf die Meerestiefe bezogene Schluß des „Archipelagus" 3 9 : „ . . . wenn die reißende Zeit mir / Zu gewaltig das Haupt ergreifft und die Noth und das I r r s a a 1 / Unter Sterblichen mir mein sterblich. Leben erschüttert, / Laß der Stille mich dann in deiner Tiefe gedenken"; „Der Archipelagus" 4 0 : „ . . . oft ergreifiet das I r r s a a l / Unter den Sternen mir, wie schaurige Lüfte, den Busen, / Daß idi spähe nach R a t h . . . " Den Toten ist die Nacht geheiligt, weil ihnen als den ewig Schlafenden der nächtliche Bereich der Ruhe zugehört. Thanatos ist ein Sohn der Nacht, ein Bruder des Schlafes. Der lärmende Tag würde die Irrenden nur noch mehr verwirren, die Ruhe der Toten nur stören: die Nacht allein vermag ihnen behütende Heimat zu sein, und darum ziemt es sich, „ihr Kränze zu weihn und Gesang". Vor dieser tieferen Bedeutung steht eine konkrete Vorstellung: im 18. Jahrhundert fanden Beerdigungen nachts statt. Literarisches Zeugnis dafür ist Werthers nächtliches Begräbnis. Der Gedanke an diesen Bestattungsbrauch bringt dem Dichter auch die Idee von den „Kränzen" und vom „Gesang", die nun schon auf die Nacht selbst bezogen sind — einer der typischen Übergänge; über der gewöhnlichen Logik der seltsam genug anmutenden Aussage - warum gerade „Kränze" der Nacht weihn? - waltet eine andere, assoziative Logik, die nicht minder nach zielbewußtem „Kalkül" verfährt. Das Ziel in diesen Versen ist der Übergang vom gewöhnlichen zum hohen, verehrungswürdigen Bilde der Nacht, der schon durch die Steigerung von der bloßen „Lust" des Schlafens über die „Treue" des in die Nacht hinblickenden Mannes bis zum geheiligten Bereich des Todes eingeleitet ist. Göttlich an der Nacht ist, daß sie, Heimstatt der aus dem Leben Abgeschiedenen und Trost der von gefahrvoller Auflösung Bedrohten, kein entwestes Wesen hat, sondern „besteht", in diesem Bestehn nicht ein Reich dumpfer Versunkenheit, sondern ein Dasein „in freiestem Geist" verkörpert, kühn, stark und noch reich genug, den Lebenden die Begeisterung zu spenden, von der die folgenden Verse handeln. c) Die 3. Distichentrias: Die Nacht als Zeit der hohen Begeisterung „ A b e r sie muß uns audi, d a ß in der zaudernden Weile, D a ß im Finstern f ü r uns einiges H a l t b a r e sei, U n s die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen, G ö n n e n das strömende Wort, das, wie die Liebenden, sei, Schlummerlos u n d v o l l e m P o k a l und kühneres Leben, Heilig Gedächtniß auch, wachend zu bleiben bei N a c h t . "
St. A . I I . S. 111. V . 290 ff. •»o St. Α. I I . S. 109. V . 224.
Die erste Strophentrias: Die Nacht
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In der dritten Distichentrias der zweiten Strophe ist die Nacht wieder ganz das wunderbare, numinose Wesen, die inspiratorische Macht, als die sie zuerst erschienen ist, aber nun schon näher in Wirkungen, in ihren Gaben, ihrer „Gunst" umschrieben. Der innere Zusammenhang der zweiten Strophe stellt sich nicht nur im verbindenden Gedankengang her. Die Sprache verkörpert ihn intensiv: in den Versen der dritten Distichentrias „aber sie muß uns a u c h . . . die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen, / Gönnen das strömende W o r t . . . " ist „ g ö n n e n " , das durch Anadiplosis hervorgehobene Prädikat des Schlußsatzes, eine kunstvolle, als Figura etymologica gestaltete Anknüpfung an das Subjekt des ersten Satzes, an die „ G u n s t " der Hocherhabenen. Zu den Einzelheiten: die „zaudernde Weile" ist die nächtliche Weile, deren Stunden vor Tagesanbruch zaudern, Zeit, die sich vor ihrer eignen Erfüllung zurückhält, welche im Lichte wäre, und zögernd im Dunkel verharrt. Wir müssen deshalb etwas haben, das uns im „Finstem" die Hoffnung auf göttliche Lichtzeit nicht verlieren läßt, an das wir uns glaubens- und hoffnungsvoll zu halten vermögen, „einiges Haltbare", Lebenskräfte. Eine Lesart zu dieser Stelle lautet 4 1 : daß „dem Dunkel ein Tagen, / Daß in der finsteren Zeit einiges Menschliche sei". Die Lebenskräfte, die dem Dasein Steigerung verleihn, sind die Begeisterung und das Gedächtnis vergangener hoher Zeiten. Die Nacht „gönnet" sie uns: was sie uns in ihnen gönnt, sind spezifische Wirkungen des Weines; sie läßt sie uns durch die auch in dunkler Zeit gebliebene Gabe des Dionysos zukommen - dieses Gönnen entspricht aber ihrem eigenen Wesen, das nicht nur den Schlafenden, Träumenden, Irrenden und Toten zugeneigt, „traurig", sondern auch „prächtig", schwärmerisch und erstaunend ist, nicht nur in weiche Dunkelheit einhüllt, sondern auch Sternenschimmer schenkt. „Vergessenheit" ist nicht Eigenschaft wie Vergeßlichkeit, auch nicht das gewöhnliche Vergessen des Vergangenen, sondern Zustand, in dem sich die Heiligtrunkenen befinden. D a die Vergessenheit, scheinbar paradox, zugleich mit dem Gedächtnis erfleht wird, muß sie für einen Bereich gelten, der anders beschaffen ist, als der, dem das Gedächtnis zugewandt ist; was uns zu hohen Gefühlen und Gedanken begeistert, den Sinn durch das „Gedächtniß" einst geschehener großer Taten entzündet, läßt das Dunkle, Negative, Sorgenvolle und Dürftige der gegenwärtigen Lage „vergessen", schaltet es aus dem Bewußtsein aus. Der Trank, der heiligtrunken macht, ist auch ein Lethetrank. Hölderlin gebraucht den Begriff der Vergessenheit noch einige Male in dieser (meistens aber in anderer) Bedeutung. Hyperion 4 2 : „ O es ist süß, so aus der Schaale der V e r g e s s e n h e i t « St. A. II. S. 596. Z. 29 f. « St. A. III. S. 49, 86, 14 f. 4
Sdimidt, Hölderlin
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Interpretation des Textes
zu t r i n k e n . . . " Von Diotima, deren Anblick Hyperions ganzes Wesen beseligt, heißt es 4 3 : „Sie war mein Lethe, diese Seele, mein heiliger Lethe, woraus idi die Ve r g e s s e η h e i t des Daseyns trank, daß ich vor ihr stand, wie ein Unsterblicher, und freudig mich schalt, und wie nach schweren Träumen lächeln mußte über alle Ketten, die mich gedrükt." In „Stutgard" ist die Vorstellung der Vergessenheit wie in „Brod und Wein" mit der nächtlichen Feier beim Weine verbunden 44 : „ . . . der Mühn / Süße V e r g e s s e n h e i t bei gegenwärtigem Geiste". Die vollkommenste Parallele geben die Sdiluß verse des „Wanderers", in denen der Weintrunk wie in „Brod und Wein" mit dem heiligen „Gedäditniß", dem „Angedenken", und der Vergessenheit der Mühen genannt ist 4 5 : „Darum reidie mir n u n . . . mit Wein reidie den Becher gefüllt! / D a ß ich den Göttern zuerst und das A n g e d e n k e n der Helden / Trinke . . . und der Mühn und aller Leiden vergesse." Die „Vergessenheit der Mühn" ist ein aus der griechischen Literatur aufgenommener Topos; so steht in der Übersetzung der ersten Pythischen Ode 4 6 : „Wenn nemlidi mir die ganze Zeit / Reichtum so und der Güter Gabe reichte / Und der Mühen Vergessenheit brächte". (Pindar: καμάτων δ'έπίλασιν); in der Übersetzung aus dem „Aias" des Sophokles: „ . . . Ajax, / Der Mühe vergessend . . . " (V. 709 f.) (Sophokles: Αίας λαθίπονος). In den „Bacdien" des Euripides heißt es V. 278 ff.: „ος δ'ήλθ' έπε«', άντίπαλον (Vergleich zu Demeter) ó Σεμέλης γόνος βότρυος ύγρόν πώμ' ηυρε κείσηνέγκατο θνητοϊς, δ παύει τούς ταλαίπωρους βροτούς λύπης δταν πλησθώσιν άμπέλου ροής, ΰπνον τε λήθην των καθ' ήμέραν κακών δίδωσιν, ούδ' εστ' άλλο φάρμακον πόνων." Das Interessante an dieser Euripides-Stelle ist, daß Euripides' Begriff der Vergessenheit als Folge des Weingenusses nur im Wortlaut, nicht im Erlebnisgrund mit Hölderlins „Vergessenheit" zusammenstimmt. Beiden geht es um die dionysische Vergessenheit. Euripides, der in den „Bacchen" noch einmal den ganzen Dionysosmythos vorführt, aber nicht aus mythischem Erleben, sondern als Staffage und „Material" für eine psychologische Demonstration und auch unverkennbar um gewisser malerischer Effekte willen, sieht gerade das Dionysische nicht mehr: der Wein läßt uns die Mühen vergessen, indem er uns schläfrig, bewußtlos macht. Dagegen « St. 4 4 St. « St. « St.
A. Α. Α. Α.
III. S. 59, 104, 16 ff. II. S. 88. V. 82 f. II. S. 83. V. 103 ff. V. S. 65. V. 84 ff.
Die erste Strophentrias: Die Nadit
51
Hölderlin: der Wein macht nicht schläfrig und bewußtlos, nicht betrunken, sondern trunken, führt nicht zu dumpfer „Vergessenheit", sondern macht im
Gegenteil
überwach,
begeistert
(Euripides:
„ύπνος";
Hölderlin:
„wachend zu bleiben"), führt zu „höherem Besinnen", dionysischer „Vergessenheit" des Lebenselends, erzeugt den heiligen Wahnsinn, von dem die dritte Strophe sprechen wird. Nietzsche hat in seiner Schrift „Über die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" die beste Definition der „Vergessenheit" gegeben 4 7 : „Die Verzückung des dionysischen Zustandes mit seiner Vernichtung der gewöhnlichen Schranken und Grenzen des Daseins enthält nämlich während seiner Dauer ein lethargisches Element, in das sich alles persönlich in der Vergangenheit Erlebte eintaucht. S o scheidet sich durch diese K l u f t der Vergessenheit die W e l t der alltäglichen und der dionysischen Wirklichkeit voneinander ab . . Das „Heiligtrunkene" ist religiöse Ergriffenheit, erfüllter Augenblick. I m „Gang aufs L a n d " heißt es: D a r u m hoff idi sogar, es werde, wenn das Gewünschte / W i r beginnen und erst unsere Zunge gelöst, / U n d gefunden das Wort, und aufgegangen das H e r z ist, / U n d von t r u n k e n e r Stirn' höher Besinnen entspringt, / M i t der unsern zugleich des Himmels Blüthe beginnen, / U n d dem offenen Blik offen der Leuchtende seyn." 4 8 Die Elegien zeigen, daß das „Trunkene" als Zustand der Erfüllung eine Erfahrung des Dichters besonders während des Stuttgarter Aufenthaltes ist 4 9 . D i e heilige Trunkenheit äußert sich im „strömenden W o r t " , im inspirierten Sprechen, das im dichterischen Bereich von hoher Bedeutung ist. Hierzu gehören die Verse aus dem „Gang aufs L a n d " , die vom Gelöstwerden der Zunge und vom Finden des Wortes sprechen; und, in der Elegie „Stutgard", der Aufruf : „heiliger soll sprechen das kühnere W o r t " . 5 0 Schon im „Hyperion" gehören die gleichen Vorstellungen - das „strömende W o r t " und das „Schlummerlose" - in die Sphäre der Liebe. H y p e r ion erinnert Diotima an den seligen Augenblick, „da wir uns fanden, da kein Schlaf mehr w a r und alle Töne in uns erwachten zu des Lebens vollen Akkorden . . . " . s l So soll das strömende W o r t „wie die Liebenden" sein, „schlummerlos", es soll ganz aus geöffnetem und trunken wachem, überströmendem Herzen kommen. Wenn Hölderlin von der Liebe und den Liebenden dichtet, so immer, um den Aufschwung des Gefühls zum Nietzsche, Werke. Ed. Karl Sdilechta. München 1954. 1. Bd. S. 48. « St. Α. II. S. 84. V. 13 ff. « Vgl. die eben zitierte Stelle im „Gang aufs Land" St. Α. II. S. 84. V. 13 ff.; das „Heiligtrunkene" in „Brod und Wein"; in „Stutgard", St. Α. II. S. 88. V. 73 f. vergleicht er sich und die feiernden Freunde den „Trunkenen", so St. Α. II. S. 89. V. 102. si St. A. III. S. 101, 17, 10 f. 47
4»
52
Interpretation des Textes
Idealen zu veranschaulichen, wie im letzten Abschnitt der „Elegie", die von den „heiligen Ahnungen", den „Begeisterungen", den „schönen Genien" handelt, „die gerne bei Liebenden sind" 52 , und um auf die Verwirklichung der menschlich-göttlichen Vollendung auf Erden zu weisen, die im inselhaften Dasein der Liebenden geschieht, in einem Grade, den auch die Zukunftsvision nicht übertreffen kann: beim „Brautfest" der „Menschen und Götter" sind „die Liebenden . . . was sie waren, sie sind / zu Hauße" S3 . Die nächtliche Begeisterung beheimatet ähnlich wie die Liebe die Herzen im Hohen und Heiligen. Die ungewöhnliche Prägung „schlummerlos" f ü r das lebendige Quellen und „Strömen" ist griechisch «ύπνος, vgl. Euripides, Hippolytos, V. 1135 f.: „ . . . Das schlummerlose Saitenspiel verstummt im väterlichen Hause" (μοΰσα δ'αυπνος υπ' αντυγι χορδαν / λήζει πατρώον ανά δόμων). Sophokles, Oedipus Coloneus, V. 685 ff.: „οΰδ' αυπνοι κρήναι μινΰθουσιν / κηφισοΰ νομάδες ρεέθρων." (Aus der ersten Gegenstrophe des 1. Stasimons, das Hölderlin zur Hälfte übersetzte 54 : „Noch mindern sich die schlummerlosen Quellen, / Die in Wasser des Cephissus sich theilen" 55 . Die Häufigkeit, mit der Hölderlin auch ganz ungebräuchliche Zusammensetzungen mit dem Suffix „-los" verwendet, wie „irrelos", „kummerlos", „seellos" etc., zeigt die Beeinflussung seiner Wortprägung durch das im Griechischen sehr verbreitete Alpha privativum. „Heilig Gedäditniß", neben der Vergessenheit und dem Heiligtrunkenen notwendig, damit das Herz in der Nacht wach bleibt, ist nicht speicherndes Gedächtnis56, sondern Andenken an das Göttliche und Helden52 St. Α. II. S. 74. V. 107 ff. St. Α. II. S. 147. V. 180 ff. 54 St. Α. V. S. 32. V. 22 ff. 55 Hölderlin gebraucht das Wort in seiner Dichtung öfters. In „Menons Klagen um Diotima" im gewöhnlichen Sinne von „schlaflos" : „. . . Aber nimmer erquikt sein grünes Lager das Herz ihm, / Jammernd und s c h l u m m e r l o s treibt es der Stachel umher." Im „Empedokles" dagegen wieder in dem positiven Sinne von „steter lebendiger Gegenwart": „Kennst du das Schweigen / Des s c h l u m m e r l o s e n Gotts?" (St. Α. II. S. 75. V. 7 f.; St. Α. IV. S. 138. V. 468 f.). 56 Zum Wortgebrauch von „Gedäditniß" für „Andenken" vgl. „Stimme des Volks", St. Α. II. S. 53. V. 69 ff.: „ . . . und wohl / Sind gut die Sagen, denn ein G e d ä c h t n i ß sind / Dem Höchsten s i e . . . " ; „Die Titanen", St. Α. II. S. 218. V. 34 ff.: „ . . . und durch die Gänge / Der Gärten schmettert / Das G e d ä c h t n i ß der Schlacht..."; besonders interessant ist ein Vergleich zwischen der Ode „An Eduard" und der Ode „Die Dioskuren": letztere ist eine verkürzte dritte Fassung der schon in zwei Fassungen vorliegenden Ode an Eduard: und w o in diesen „Angedenken" steht, bringt die spätere U m arbeitung „Gedäditniß". „An Eduard", St. Α. II. S. 41. V. 5 ff.: „Nicht vieles kann ich bieten, nur weniges / Kann ich verlieren, aber ein liebes Glük, / Ein •einziges, zum A n g e d e n k e n / Reicherer Tage zurükgeblieben . . . " ; „Die 53
Die erste Strophentrias: Die Nacht
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hafte vergangener hoher Zeiten. Es soll uns in der jetzigen Nacht wie ein Leitstern leuchten: ein Hauptthema in der Dichtung Hölderlins. Schon in „Hyperions Jugend" 57 steht: „Es ist dein liebster Gedanke, zu werden, wie die Herrlichen, die einst waren. Erhalt ihn! werde ni dit muthlos!... Verweile nicht an Armseeligkeiten! Sei still und harre, bis deine Zeit kömmt! Lebe in Gemeinschaft mit deinen Heroen . . . Du gehörst einer andern Welt. Befasse dich nicht zu viel mit dieser, bis deine Zeit kommt, und du unter ihr wirkst. Nähre dein Herz mit der Geschichte besserer Tage, suche nichts unter den jezigen!" „Andenken" 5 8 : „Nicht ist es gut, / Seellos von sterblichen / Gedanken zu seyn. Doch gut / Ist ein Gespräch und zu sagen / Des Herzens Meinung, zu hören viel / Von Tagen der Lieb', / Und Thaten, welche geschehen." Am ergreifendsten kommt das Bedürfnis nach Andenken in der Titanenhymne zum Ausdruck 59 : „Indessen, gieb in Feierstunden / Und daß idi ruhen möge, der Todten / Zu denken. Viele sind gestorben / Feldherrn in alter Zeit / Und schöne Frauen und Dichter / Und in neuer / Der Männer viel / Idi aber bin allein." Indem der Dichter sich durch die Kraft der Erinnerung, der Mnemosyne, das Leben göttlich erfüllter Vergangenheiten vergegenwärtigt, sich mit den hohen, begeisternden Gestalten der alten Helden, Halbgötter und Diditer umgibt, rettet er sich vor der leben- und sinnzerstörenden Macht der jetzigen dürftigen Zeit. Dank der evozierten Welt von einst vermag er die gegenwärtige Welt zu bestehen und in ihr für eine Wende zu wirken. Die Nacht ist Reich der bannenden Finsternis, der Götterferne, aber zugleich dodi noch Zeit begeisternder Freundesfeier, wie sdion in „Stutgard", wie in Piatons Symposion; sie ist die Zeit, in der uns die Gabe des Dionysos den Sinn trunken macht für Höheres und unserer sonst leerdarbenden Sehnsucht nadi dem Göttlichen Halt gewährt. Sie war einst Zeit des dionysischen Festes überhaupt. Dem Dionysos war die Nacht heilig, er erschien als der nächtliche Gott: dies ist zum Verständnis der bedeutenden Rolle der „Nacht" in dem Gedicht, das ursprünglich den Titel „Der Weingott" trug, wichtig. Für die vielen Stellen der antiken Literatur, welche Dionysos als den Gott der Nadit schildern, sei eine besonders deutliche aus den „Bacchen", die der Diditer kannte, angeführt; (aus der großen Stidiomythie zwischen Dionysos und Pentheus:) Πέ: „τα δ'ίερά νύκτωρ ή μεΦ' ήμέραν τελείς; Δι: νύκτωρ τα πολλά" σεμνότητ' εχει σκότος." (V. 485 f.) Wie fest seine Gestalt mit dem nächtlichen Bereich verbunden war, Dioskuren", St. Α. II. S. 43. V. 5 ff.: „Denn wenig, aber Eines hab idi daheim, das idi / D a niemand mag soll tauschen, ein gutes Gliik / Ein lichtes, reines, zum G e d ä c h t n i ß / Lebender Tage zurükgeblieben." s? St. A. III. S. 208. Z. 21 ff. 5» St. Α. II. S. 189. V. 30 ff. s ' St. Α. II. S. 217. V. 5 ff.
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Interpretation des Textes
zeigen Bezeichnungen wie Διόνυσος Νυκτερινός (Plut. Quaest. conv. 4, 6.10; Serv. Aen. 4, 303) und nocturnus Bacchus (Vergil, Geórgica 4, 521). Und doch ist in Hölderlins Gedicht das My thologische so rein im gestalteten Erlebnis aufgeschmolzen, so rein aufgegangen zu dichterischer Schau, daß es nur in seiner Naturwahrheit sichtbar bleibt. „Ich bin sehr freudig, Himmel der Nacht, fuhr er, wie trunken, fort, indem er unter das Fenster trat, wie eine Rebenlaube, überwölbest du midi, und deine Sterne hängen, wie Trauben, herunter", so lautet einer der schönen Gleichnissätze aus dem „Hyperion" 60 . Zum letzten Passus der zweiten Strophe („Wachend zu bleiben bei Nacht...") bemerkt Petzold 61 : „. . . syntaktisch nicht einwandfrei. . . und entweder lässig oder zu frei construiert. Man weiß nicht, soll der präpositionale Infinitiv dem Hauptsatze als verkürzter Finalsatz untergeordnet, oder den vorangehenden Substantivobjekten als letztes (und zusammenfassendes?) Objekt beigeordnet werden." - Dazu ist zu sagen, daß die nachgestellte Konjunktion „auch" in der ersten Pentameterhälfte „heilig Gedächtniß auch" deutlich den Abschluß der Objektreihe bezeichnet, der Schluß also kein Objekt in zu freier Konstruktion ist. Es handelt sich, was auch der Rhythmus empfinden läßt und der Sinnzusammenhang ohne Zwang nahelegt, um einen verkürzten Finalsatz, der weder „lässig" konstruiert nodi „syntaktisch nicht einwandfrei" ist. Das finale „um" oder „daß wir" ist, wie oft bei Hölderlin, wegen der reineren und direkteren Wirkung der sinntragenden Wörter ausgelassen; ähnlich „Brod und Wein", V. 40 f.: „Göttliches Feuer audi treibet, bei Tag und bei Nacht / Aufzubrechen." „Friedensfeier" 62 : „Und rathen muß ich, und wäre silbergrau / Die Loke, o ihr Freunde! / Für Kränze zu sorgen und Mahl, jezt ewigen Jünglingen ähnlich." In der Ubersetzung aus der Iliade, also bewußt stilisierend 63 : „So stunden unzählig wider die Trojaner die krausgelokte Adiäer im Feld, Todt und Verderben über jene zu bringen." Die Epanalepsis des Personalpronomens in den Zeilen „Aber sie muß u n s auch, daß in der zaudernden Weile, / Daß im Finstern für uns einiges Haltbare sei, / U n s die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen . . . " intensiviert das Aussprechen des Anliegens zu einer Lebendigkeit, die sonst nur dem gesprochenen, unmittelbaren und ganz für gegenwärtige Wirkung geäußerten Wort eignet. Sie ist eines der Stilmittel, mit denen Hölderlin dicht und bannend an seine Aussage heranzieht; in „Patmos" 64 : „So sprach idi,da entführte / M i c h schneller, denn ich ver6
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St. A. III. S. 108, 29, 17 ff. Petzold S. 84. St. A. III. S. 534. V. 37 ff. St. A. V. S. 30. Z. 7 f. St. A. II. S. 165. V. 16 ff.
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muthet / . . . ein Genius m i c h vom eigenen Hauß . . . " ; im „blinden Sänger" 6 5 : „O nimmt, daß idis ertrage, m i r das / Leben, das Göttliche m i r vom Herzen". Die gleiche Epanalepsis wie in den Versen von „Brod und Wein" findet sich in der „Friedensfeier" 6 4 : „Auch wär' u n s , sparte der Gebende nicht / Schon längst vom Seegen des Heerds / U n s und Boden entzündet" 6 7 .
Gipfel
Die ersten beiden Distichentriaden der zweiten Strophe gehören noch dem harmonisch fließenden, wohl verbindenden Stile. Nur der „gleitende Übergang" von der Natur- zur Geschichtsnacht in der ersten Distichentrias ist ein zum Hymnischen tendierendes Element. E r verzichtet auf das Klarlegen der Assoziation, welche die neue Gedankenbahn eröffnet, zieht in sie hinein und fordert gerade dadurdi, daß er auf dunkle Weise geschieht, zu gespannter Aufmerksamkeit heraus, ähnlich wie das Enthymema, dem wir noch begegnen werden. Wie in „Brod und Wein" die Naturnacht langsam in die Geschichtsnacht übergeht, so gleitet Pindar zu Beginn der neunten pythischen Ode von der Nennung der Stadt Kyrene zu der Geschichte der Nymphe Kyrene und Apollons Liebe zu ihr über 68 . In der Gesamtbewegung der zweiten Strophe stellt die mittlere Distichentrias bis zu ihrer Umfärbung am Schluß ein Ritardando zwischen den Aussagen in der ersten und der dritten Distichentrias dar, auf die es eigentlich ankommt. Der inneren Haltung und ihrem gedankenrhythmischen Wert nach ist sie den Mittelpartien mancher hymnischer Perioden vergleichbar, die nach hochgespanntem Anfang „durchhängen", um am Schluß dann wieder jäh aufzugipfeln. Diese eigenartige Verfahrensweise des poetischen Geistes ist notwendig, damit sich die einzelnen Teile, wie Hölderlin theoretisch formuliert, „aneinander fühlen" und die Gefahr der Überspannung, die in einer durchgehaltenen Einlinigkeit und Eintönigkeit liegt, vermieden wird. Dasselbe Schema ist noch stärker ausgeprägt in der dritten Strophe, wo die mittlere Distichentrias denselben retardierenden und am Schluß sich wieder umfärbenden Charakter besitzt: der „nüchterne" Einschnitt im „trunkenen" Ganzen, der in der zweiten Strophe mit dem Vers „Aber zuweilen liebt auch klares Auge den Schatten" einsetzt, beginnt in der mittleren Distichentrias der dritten Strophe mit dem Vers „Fest bleibt E i n s . . . " ; nur ist das Verhältnis der Teile in der dritten « St. A. II. S. 55. V. 51 f. « St. A. III. S. 535. V. 61 ff. 6 7 W . Bröcker spricht in seiner Friedensfeier-Interpretation S. 22 von der nachlassenden Spannkraft des Dichters, die sich u. a. an der Eigenart des oben zitierten Verses ablesen lasse. Diese und ähnliche Rügen zu Vers 94 f. der „Friedensfeier" (im letzteren Falle trotz der gleich am Anfang von Fr. Beißner gegebenen richtigen Beurteilung immer wieder geäußert) mögen durch die obige Darlegung endgültig zurückgewiesen sein. 68
Hinweis von Benn, Hölderlin and Pindar, S. 134.
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Interpretation des Textes
Strophe schon durchaus hymnisch, das „Feste" legt sidi plötzlich wie ein Block in die Bewegtheit des „Aufbruchs" („Göttliches Feuer audi treibet . . . / Aufzubrechen"), ist keine melodische Zwischenschwebung wie in der zweiten Strophe. Wieder ist es die dritte Distidientrias, in der es bei begeistertem Gedankenaufschwung zu annähernd hymnischer Diktion kommt. Komplexität der Stilfiguren, weitausladende, auf harten Widerlagern und scharfeingeschnittenen Ansätzen ruhende syntaktische Verstrebung, schließlich rhythmisches Steigen und Fallen im selben Vorstellungsbogen ist typisch für den hymnischen Stil. Zunächst die emphatischen Wiederholungen als Mittel hymnischer Intensivierung: Anapher („ d a ß in der zaudernden Weile, / D a ß im Finstern für uns einiges Haltbare sei"), Epanalepsis („Aber sie muß u n s auch . . . U n s die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen) und Anadiplosis ( „ . . . das Heiligtrunkene g ö n n e n , / G ö n n e n das strömende W o r t . . ."). Die Häufung erhöht den Ausdruckswert, wenn auch nicht aufdringlich, denn es handelt sich um lauter verschiedene Formen des Parallelismus. Diese Diversität kennzeichnet den späteren gegenüber dem früheren einlinigen hymnischen Stil. Endlich die Reihenfolge der Figuren selbst: die ins rhythmisch verstärkende Enjambement gerückte Anadiplosis als Absdiluß bewirkt eine hymnische Steigerung des Parallelismus. Weitere Aufgipfelung bedeutet das polysyndetische letzte Distichon mit der anaphorischen Stufung durch die doppelte kopulative ( „ u n d . . . und") und die disjunktive ( „ . . . auch") Konjunktion. Steigernden und intensivierenden Wert hat auch der zweimalige Gebrauch des absoluten Komparativs: „vollem Pokal und kühneres Leben". Die Syntax zeigt hymnische Zerrissenheit in dem Passus: „ . . . das strömende Wort, das, wie die Liebenden, sei / Schlummerlos..." Harte Versbrechung und schwere Betonung des im Enjambement stehenden und von einem dynamischen Intervall gefolgten Wortes „Schlummerlos" fügen zwei weitere Hauptmerkmale des herben Stils hinzu. Das Eigenartigste an diesen Versen aber ist der rhythmische Parallelismus der sinntragenden Begriffe: „Vergéssenheít... Héiligtrúnkene... stromende Wórt..., Schlúmmerlós..., vóllern Pokál..., kühneres Lében, Heilig Gedáchtnifi". Reihung rhythmischer Isokola verdichtet die Zusammengehörigkeit der Begriffe und drückt hohe Emphase aus, am meisten im raffenden Schlußteil: „vollem Pokal und kühneres Leben, / Heilig Gedächtniß a u d i . . . " Die rhythmische Gesamtlinie steigt bis zum letzten Vers, wo die Umkehrung in der Stellung der Konjunktion auch zu einem Umbruch der rhythmischen Linie führt: sie fällt, und die Wirkung wird durch die metrische Eigenart des Pentameters verstärkt. Solch rhythmisches Steigen und Fallen innerhalb desselben Vorstellungsbogens und syntak-
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tischen Gefüges ist ein aufs Hymnische deutendes Grundmuster, nur ist der Wechsel im Bewegungsablauf nodi gedämpft, während die Hymnen oft reißende Umschwünge kennen. 3. Die dritte Strophe: Die nächtliche Begeisterung In der dritten Strophe ist die dem nächtlichen Bereich zugeschriebene Macht der Begeisterung, der Entzündung hohen Gedankenfeuers und der Erweckung kühnen Tatendranges bereits Wirklichkeit und wird zum Anlaß für den Aufbruch ins „Offene". a) Die 1. Distichentrias: Der Drang zum Aufbruch ins Offene „Auch verbergen umsonst das Herz im Busen, umsonst nur Halten den Muth noch wir, Meister und Knaben, denn wer Möcht' es hindern und wer möcht' uns die Freude verbieten? Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nadit, Aufzubrechen. So komm! daß wir das Offene schauen, D a ß ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist."
Der Drang zum Aufbruch entwächst zuerst unserer menschlichen Verfassung selbst: das „Herz", die innige Welt des Gefühls, zieht uns in der Sehnsucht mächtig fort; der „Muth", über den deutschen Begriff hinaus vom griechischen θυμός her als mächtig treibende Energie verstanden, läßt sich kaum noch zügeln und „halten". Die „Freude", die niemand hindern und verbieten kann, ist die eigengesetzliche dionysische Erlebnisform der Entzückung, die Verwirklichung gotterfüllten Daseins, die dem Heiligtrunkenen entspringende Schau des „Offenen". Beim Lesen des Verses „Göttliches Feuer auch treibet bei Tag und bei Nacht / Aufzubrechen" möchte man zuerst, in Analogie zu der Vorstellung vom Herzen, das sich nicht mehr verbergen läßt, vermuten, es handle sich um das offene „Aufbrechen", das Unverbergbarwerden eines in uns brennenden göttlichen Feuers. Dies scheint auch der Rhythmus am Beginn des Hexameters nahezulegen: man ist zweifellos geneigt, „Aúfzubréchen" zu lesen. Es handelt sich aber um den Aufbruch, zu dem wir selbst getrieben werden, durch die in uns wirkenden menschlichen Kräfte - das „Herz" und den „Muth" einerseits, und das „göttliche" Feuer andererseits. „Göttliches Feuer" ist eine außermenschliche, vom Himmel herab inspiratorisch auf uns einwirkende Kraft. Dies bestätigen die Lesarten 69 : „Treiben die Himmlischen doch alle bei Tag u. bei Nacht"; „Ja! und die Himmlischen all treiben" 70 ; „Zeichen des Himmels auch treiben" 71 . Sinngemäß ist der Vers so « St. Α. II. S. 597. Z. 4. 70 St. Α. II. S. 598. Z. 14 f. St. Α. II. S. 598. Z. 16 f.
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Interpretation des Textes
zu lesen, daß auf der ersten Silbe eine ganz entschiedene Betonung und auf der dritten nur eine Nebenbetonung liegt: „Aûfzubréchen. So kómm, daß wir das Ófíene s c h a u e n . . . " Der Punkt nach „Aufzubrechen" darf im Vortrag keine Pause bedeuten, sondern ist wie ein Doppelpunkt zu lesen. Petzold zieht zu der Wendung „göttliches Feuer auch treibet" folgende Stellen zum Vergleich heran 7 2 : Schleiermacher, Reden über die Religion: „Wer nicht in den bedeutendsten Augenblicken mit der lebendigsten Uberzeugung fühlt, daß ein göttlicher Geist ihn treibt und daß er aus heiliger Eingebung redet und h a n d e l t . . . " ; 2. Petri, I, 2 1 : „ . . . die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist." Das „Offene" ist eine von Hölderlin immer wieder gebrauchte Vorstellung für das sich „offenbarende" Göttliche 73 , dessen Schau den im Verschlossenen, in dürftiger Beschränktheit lebenden Menschen zuteilwerden soll. Voraussetzung für die Schau des Offenen ist, daß die Menschen selbst innerlich offen werden und ihnen das Herz für das Höhere „aufgeht", wie es in der hohen Begeisterung geschieht, welche die Nacht durch die Gabe des Weingotts bringt. Im „Gang aufs Land" heißt es zur selben Zeit 7 4 : „Darum hoff ich sogar, es werde, wenn das Gewünschte / Wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst, / Und gefunden das W o r t , und aufgegangen das Herz ist, / Und von trunkener Stirn' höher Besinnen entspringt, / Mit der unsern zugleich des Himmels Blüthe beginnen, / Und dem o f f e n e n Blik o f f e n der Leuchtende seyn." Das „Eigene", das wir suchen sollen, „so weit es auch ist", ist das unserer inneren Haltung Entsprechende an religiösem Offenbarungsgeschehen, selbst wenn es zeitlich und räumlich „so weit" entfernt ist wie die religiös erfüllte griechische Kultur - denn um diese geht es, wie sich zeigen wird 7 5 . In der zweiten Distichentrias folgt nun ein Einwand gegen die Aufforderung zum Aufbruch in die Ferne, zugleich auch die Antwort auf diesen Einwand. b) Die 2. Distichentrias: Das „Maas" des Schicksals über der nächtlichen Begeisterung „Fest bleibt Eins; es sei um Mittag oder es gehe Bis in die Mitternacht, immer bestehet ein Maas, Allen gemein, doch jeglichem audi ist eignes besdiieden, Dahin gehet und kommt jeder wohin er es kann. Drum! und spotten des Spotts mag gern frohlokkender Wahnsinn, Wenn er in heiliger Nacht plözlich die Sänger ergeift." z Petzold, S. 90. Lothar Kempter, Hölderlin und die Mythologie, Zürich 1929, gibt dazu in Anm. 70 eine Sammlung der Belege. 7 4 St. A. II. S. 84. V. 13 ff. 7 5 Vgl. auch die Lesart St. A. II. S. 597. Z. 10: „Daß wir heiligen, was heilig den Unsrigen ist."
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Das „Maas" 76 , das immer fest bestehen bleibt, gleich ob „Mittag" oder „Mitternacht", d.h. ob glühende Gegenwart oder verdunkelnde Abwesenheit göttlicher Offenbarung, ist die geschichtliche Gebundenheit des Menschen 77 . Aber trotz dieser schicksalshaften Gebundenheit in der Wirklichkeit können wir im Geiste weiter, in der Gegenwart hält jeder mit der Einbildungskraft ein lichteres Reich fest, einen Ort und eine Zeit der Erfüllung, zu der er seine Gedanken wandern läßt; die Verschiedenartigkeit des Zieles zeigt zugleich auch die seelische Spannweite des Einzelnen. Für ihn, den Dichter 78 , ist der Ort und die Zeit der Erfüllung Griechenland, und deshalb folgt sofort der Aufruf: „Drum! . . . Drum an den Isthmos komm! . . . " Es geht um die gerade in dürftiger Zeit lebenswichtige Möglichkeit der geistigen Wanderung, die Hölderlin selbst in seinen Gedanken so o f t unternommen hat, im „Main", im „Nekar", im „Archipelagus", in der „Wanderung", in „Patmos". Immer wieder begegnen Stellen wie „Drum an den Isthmos komm", die ausdrücklich den Willen zum Wandern kundtun; im „Archipelagus" 79 : „ . . . zum Parnassos will ich . . . " ; in der „Wanderung" 80 : „ . . . Ich aber will dem Kaukasos z u . . . " ; in „Kolomb" 81 : „Und hin nach Genua will ich / Zu erfragen Kolombos H a u s . . . " D i e aus der „Wanderung" zitierte Stelle hat die bezeichnende 76
Das „Maas" ist Schicksal im Sinne von Moira, als das „Zugemessene", uns „Beschiedene". Vgl. Lesart St. A. II. S. 597. Z. 14: „Das Gemessene". In ganz verwandtem Sinne auch in der Titanenhymne, St. A. II. S. 219. V. 64 ff.: „Denn unter dem Maaße / Des Rohen brauchet es auch / Damit das Reine sich kenne." 77 Petzold, S. 91, erklärt anders: das „Maas" sei das „allgemeingültige Gesetz der Vernunft („Fest bleibt E i n s . . . immer bestehet ein Maas / Allen gemein") im Gegensatz zum subjektiven Vermögen der mit genialen Anlagen ausgestatteten Menschen („doch jeglidiem audi ist eignes beschieden, / Dahin gehet und kommt jeder, wohin er es kann"). 78 Ursprünglich war die Möglichkeit der geistigen Wanderung, die ein Voraussein gegenüber der Zeit darstellt, auf die Dichter beschränkt. St. A. II. S. 597. Z. 15 ff. (Lesart): „Vor der Zeit! ist Beruf der heiligen Sänger und also / Dienen und wandeln sie großem Geschike voran." Dazu Walter Hof, Hölderlins Stil als Ausdruck seiner geistigen Welt. Meisenheim am Glan 1954, S. 267 : „Hier wird das eigene Maß der Sänger deutlich. Während die anderen Mensdien in dieser Zeit der Nacht schlafen oder ungewisser Hoffnung sidi hingeben, weidien die Dichter von diesem allgemeinen Maß ab und bringen wie der Weingott das Licht in die Nacht herein. Aber das ,Vor der Zeit!' klang wohl zu sehr nach unzeitigem Handeln, das notwendige Abweichen der Dichter vom allgemeinen Maß war mißzuverstehen, und so hat Hölderlin die unbestimmtere Fassung, die ein Weltgesetz ausspricht, vorgezogen." Bis auf die nicht ganz durchdringende Erklärung des „Maaßes" ist dieser Interpretation zuzustimmen. 7 * St. A. II. S. 109. V. 210. eo St. A. II. S. 138. V. 25. »i St. A. II. S. 243. V. 30 f.
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Interpretation des Textes
Fortsetzung: „Denn sagen hört' idi / Noch heut in den Lüften: / Frei sei'n, wie Schwalben, die Dichter . . . " Der „frohlokkende Wahnsinn", der in heiliger Nacht die Sänger ergreift, ist die heilige Trunkenheit, der Enthousiasmos, göttliche Fülle, die „plötzlich" den Menschen überrascht und seine menschliche Daseinsweise an eine äußerste Grenze schleudert, wo sie schon beinahe ins Ungebundene geht. Und dieser Wahnsinn, die μανία, weist wieder im besonderen auf das durchgehende Thema des Gedichtes hin, ist Gabe des Dionysos, des ekstatisch jauchzenden Gottes, der in Begleitung der Mänaden durdi die Lande zieht. Im Chorlied der thebanischen Alten im 5. Akt der „Antigonae" übersetzt Hölderlin: „ . . . Sohn, Zevs Geburt! / Werd' offenbar! Mit den Naxischen / Zugleich, den wachenden / Thyaden, die w a h n s i n n i g / Dir Chor singen, dem jauchzenden Herrn" 8 2 . Auch im Phaidros, Hölderlins Lieblingslektüre seit 179483, findet sich ein ausführliches Kapitel (Phaidros 244 A - 245 Β) über den Wahnsinn, den Piaton durch den Mund des Sokrates als göttliche Gabe preist und von dem er, vor der Schilderung des hohen Eros, drei verschiedene Arten aufzählt: 1. den prophetischen Wahnsinn, der in Delphi und Dodona spricht (Wortspiel μανική-μαντική Wahnsagekunst und Wahrsagekunst); 2. den reinigenden Wahnsinn, der wie ein göttliches Bad Leib und Seele von Leiden und Dunkelheit befreit; 3. den musischen Wahnsinn, der die reine, unentweihte Seele ergreift und sie zu Festgesängen, zu hoher Dichtung hinreißt. Der „Spott" ist Haltung der nüchtern, kalt und verständnislos gebliebenen Menschen gegenüber den Gottbegeisterten, Wahnsinnigen. Sie vermögen im Wahnsinn nicht die göttliche Erregtheit, sondern nur Verrücktheit zu sehen — alt ist die boshafte Scheinetymologie „carmen - carere mente". Und deshalb mag sich der Wahnsinn stolz und verachtend über diesen unzulänglichen Spott erheben, er mag seiner „spotten". Hölderlin gebraucht gerne die Figura etymologica 84 , aber „spotten des Spotts" ist
»2 St. Α. V. S. 254. V. 1198 ff. Ernst Müller, Hölderlin, Studien zur Geschichte seines Geistes. Stuttgart 1944, S. 53. 84 Sie ist eine der bevorzugten Stilfiguren Hölderlins; vgl. allein in „Brod und Wein": 2. Strophe: „Wunderbar ist die G u n s t der Hodierhabnen . . . sie muß uns auch . . . das Heiligtrunkene g ö n n e n , / G ö n n e n das strömende W o r t . . . " ; „denn so / Will es der oberste Gott, der sehr dich l i e b e t , und darum / Ist noch l i e b e r , wie sie, dir der besonnene Tag . . . " ; 7. Strophe: „ . . . so sehr schonen die Himmlischen uns. / Denn nicht immer vermag ein schwaches G e f ä ß sie zu f a s s e n"; 8. Strophe: „ . . . aber es lebt stille noch einiger D a n k . / Brod ist der Erde Frucht, doch ists vom Lichte geseegnet, / Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins. / Darum d e n k e n wir auch dabei der Himmlischen..."; 8. Strophe: „ . . . darum s i n g e n sie audi mit Ernst die S ä n g e r den Weingott..." Vorbilder im Gebrauch 83
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eine besonders auffällige Prägung. Friedrich Beißner weist auf eine genau entsprechende Parallele bei Jean Paul hin 85 : „Spottend über den Spott". Beide Dichter zitieren wohl aus einer gemeinsamen Quelle. In den sogenannten „Sprüchen Salomonis" 86 steht Kap. 3, 32 ff.: „.. . Der Herr hat Greuel an dem Abtrünnigen, und sein Geheimnis ist bei den Frommen. Im Hause des Gottlosen ist der Fluch des Herrn; aber das Haus der Gerechten wird gesegnet. Er wird der S p ö t t e r s p o t t e n . " Wer sich des schönen Briefs erinnert, den Matthias Claudius an seinen Sohn schreibt, wird vielleicht auch daran denken, wie der Dichter neben anderen, viel allgemeineren und selbstverständlicheren Lehren dem Sohne rät, nicht dort zu sitzen, wo die Spötter sind, denn sie seien die elendesten aller Kreaturen. Ein merkwürdiges Zusammentreffen. Denn Matthias Claudius - seine Formulierung lehnt sich eher an Psalm 1, 1 an - hat wohl die gleiche Quelle im Sinn, da die meisten in diesem Brief enthaltenen Lehren aus den „Sprüchen Salomonis" stammen. Diese sind voll von Angriffen auf die „Spötter"®7 und wenden sich damit gegen eine aufklärerische Geisteshaltung, die sich auf Grund ihrer hybriden Rationalität in die Gottentfremdung begibt und das Lebensziel des wahren Weisen verfehlt - der „Spötter" wird zum Toren, der das Eigentliche versäumt. Ein ganz eigentümliches Einverständnis der modernen Dichter mit dem antiken Autor über so lange Zeiten hinweg. Auch Hölderlin und Claudius kämpfen gegen die Aufklärung, die mit einer ihrer Hauptäußerungsweisen, dem bissigen, oberflächlichen Witz, dem ätzenden „Spott" gleichgesetzt wird; sie ist es, die in der dritten Strophe von „Brod und Wein" als Feindin des hohen, gottbegeisterten Sinnes zurückgewiesen wird. Der „Spott" ist die dieser Stilfigur sind die Bibel, Pindar, Sophokles, Klopstock (vgl. Lothar Kempter, S. 42 f.). Als Beleg seien einige Verse aus dem Weihnachtsevangelium angeführt, welche im Urtext, den Hölderlin als Theologe kannte, die Figura etymologica in ungewöhnlichem Maße enthalten: „Έγένετο δέ έν τω είναι αυτούς έκεϊ έπλήσ&ησαν αϊ ήμέραι του τεκεϊν αύτήν, και ετεκεν τον υίόν αύτη ς τον πρωτότοκον, και έσπαργάνωσεν αυτόν και άνέκλινεν αυτόν έν φάτνη, διότι ούκ ήν αύτοΐς τόπος έν τ φ καταλύματι. καΐ ποιμένες ήσαν έν τη χώρςι τη αύτη άγραυλοΰντες καί φυλάσσοντες φύλακας της νυκτός έπί τήν ποίμνην αύτών. και άγγελος κυρίου έπέστη αύτοϊς . . . καί έφοβήϋησαν φόβον μέγαν. ss St. Α. II. S. 611. Ζ. 26 f. 86
Hölderlin hat die „Sprüche Salomonis" für seinen frühen Aufsatz „Parallele zwischen Salomons Sprüchwörtern und Hesiods Werken und Tagen" intensiv studiert (St. Α. IV. S. 176-188). N o d i das späte Gedicht „Das Nächste Beste" zeigt eine deutliche Spur davon: „ . . . und ihnen machet w a k e r / Scharfwehend d i e A u g e n der N o r d o s t . . ( S t . Α. II. S. 238. V. 31 f.) - vgl. die Sprüche Salomonis, Kapitel 20, 13: „Liebe den Schlaf nicht, daß du nicht arm werdest; laß deine A u g e n w a c k e r sein, so wirst du Brot genug haben." 87 Kapitel 1, 22; 1, 26; 3, 34; 9, 7; 9, 8; 10, 23; 14, 6 etc.
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Interpretation des Textes
einseitige und nur-rationale Geistesverfassung, die der Berührung mit der Sphäre des Göttlichen nicht fähig ist. Audi Piaton betont, der gottgegebene Wahnsinn sei edler als der bloß vernunftbestimmte Menschensinn. Phaidros, 244 d: „κάλλιον μαρτυροΰσιν oí παλαιοί μανίαν σωφροσύνης την εκ θεοΰ της παρ' ανθρώπων γιγνομένης . . . " In den Anmerkungen zur „Antigonae" gibt es eine aufschlußreiche Parallele zum „Spotten" des „Wahnsinns". Von der Hauptgestalt heißt es88: „Der erhabene S p o t t , so fern heiliger W a h n s i n n höchste menschliche Erscheinung, und hier mehr Seele als Sprache ist, übertrifft alle ihre übrigen Äußerungen; und es ist auch nöthig, so im Superlative von der Schönheit zu sprechen, weil die Haltung unter anderem auch auf dem Superlative von menschlichem Geist und heroischer Virtuosität b e r u h t . . . " Wahnsinn ist eine Verdichtung aller Sinneskräfte zu „höherem Besinnen", zu höchstem, schon fast autonomem, göttlichem Bewußtsein. Auf der höchsten Stufe dieser Gottergrifienheit ereignet sich der Aufbruch nach Griechenland. c) Die 3. Distidientrias: Der Aufbruch aus der Nacht in die griechische Tagzeit „Drum an den Isthmos komm! dorthin, w o das offene Meer rausdit Am Parnass und der Sdinee delphisdie Felsen umglänzt, Dort ins Land des Olymps, dort auf die Höhe Cithärons, Unter die Fichten dort, unter die Trauben, von w o Thebe drunten und Ismenos rausdit im Lande des Kadmos, Dorther kommt und zurük deutet der kommende Gott."
Mit der Nennung des geographischen Zentrums, des Isthmos, ist sogleich das ganze Griechenland ringsum gegenwärtig und sichtbar. Zunächst der ebenfalls unweit des „offenen Meeres" am Golf von Korinth nordwestwärts sich erhebende Parnass, der nicht nur dem Apollon, sondern auch dem Weingott geheiligt ist; unmittelbar am Parnass Delphi, dessen „Felsen" wegen ihres „Umglänzt"seins Phaidriaden heißen. In „Germanien" 99 ist die Rede von den „beschneiten Gipfeln" des Parnassos; in „Menons Klagen um Diotima" von „silbernen Bergen Apollons"'90, und Friedrich Beißner weist in den Erläuterungen zu dieser Stelle91 daraufhin, daß in der griechischen Uberlieferung oft von dem Sdinee auf dem Parnass die Rede ist: Homer. Hymnus auf Apollo V. 282 f.: ύπό Παρνησόν νιφόεντα; Sophokles, Oed. Tyr. V. 473-475, in Hölderlins Übersetzung V. 480-482: „Geglänzt hat nemlidi vom / Schneeweißen, eben erse St. A.V. S. 267. Z. 16 ff. e? St Α. II. S. 150. V. 43 f. 90 St. Α. II. S. 78. V. 114 f. « Friedrich Beißner, Erläuterungen, St. Α. II. S. 563. Z. 27 ff.
Die erste Strophentrias: Die Nadit
63
schienen / Ist von Parnassos die S a g e . . E u r i p i d e s , Phoen. V.206f.: ΰπό δειράσι νιφοβόλοις Παρνασοΰ. Nach dem Parnass werden in gedankenschnellem Ausschreiten des griechischen Raumes noch zwei der heiligen Gebirge genannt: der Olymp als Göttersitz und der Cithäron, ein nahe Theben, der Mutterstadt des Dionysos, gelegenes Waldgebirge, zu welchem die vom Gotte Ergriffenen in heiliger Raserei hinaufzogen, um ihre Orgien zu feiern, wo sich audi, in Euripides' Bacdien, das Schicksal des unglücklichen Pentheus erfüllt. Mit dem Namen „Cithäron" ist also wieder das Hauptthema „der Weingott" angestimmt. Seine Erkennungszeichen, Fichte und Traube, erscheinen, und mit Kadmos ist das Geschlecht seiner vom göttlichen Blitz getroffenen Mutter Semele heraufgerufen. Ismenos ist ein Badi in Theben, vgl. Hölderlins Übersetzung der Antigonae 92 : „Hier aber, Freudengott, / In der Mutterstadt, der bacchantischen, / In Thebe wohnest du, an Ismenos kaltem Bach . . . " Zu „Thebe" bemerkt Friedrich Beißner 93 : „Diese Nymphe (Quellgöttin) ist dieGeliebte des böotischen Flußgottes Asopos; sie wird von Ovid, amor. 3, 6, 33 erwähnt: Martia Thebe." „Dorther", d. h. aus seiner Heimat kommt Dionysos, und dorthin als auf seinen Ursprung weist er deshalb unsere Gedankenschritte „zurük". Eigenartig ist die Formulierung „der kommende Gott". Wenn der Dichter nur ausdrücken wollte, daß der Gott kommt, hätte er ihm nicht nach der Feststellung, daß er kommt, noch das Attribut „kommend" gegeben. Der Sinn des Satzes „Dorther kommt und zurük deutet der kommende Gott" liegt also darin, daß der Gott kommt, weil dies seinem Wesen, das eben das eines „kommenden Gottes" ist, entspricht: eine Anspielung auf den mythischen Dionysos, der große Züge macht, wandert, in ferne Weltgegenden „kommt". Möglicherweise ist sogar auf eine konkrete Einzelheit des Dionysoskultes angespielt, auf Eleusis als Ort dionysischer Mysterien. Dies würde sich gut in die Kette der in den vorausgehenden Versen genannten dionysischen Orte einreihen und auch zu der bei Hölderlin ausgeprägten Vorliebe für etymologische Spekulation passen. Statt einer eigenen Erläuterung seien Ausführungen Schellings aus der dreiundzwanzigsten Vorlesung seiner - viel später als die Elegie „Brod und Wein" geschriebenen - „Philosophie der Offenbarung" zitiert. Von der Feststellung ausgehend, daß Dionysos „mit feierlichem Gepräng und unter festlichem Zuruf vom Kerameikos nach Eleusis gebracht wurde", sagt Schelling: „Auch durch diesen Zug - dieses Kommen nach Eleusis war er ja eben als der K o m m e n d e bezeichnet, und so nehme ich zum Schluß keinen Anstand zu behaupten, daß selbst der Name Eleusis nur « St. Α. V. S. 253. V. 1169 ff. 93 Friedrich Beißner, Erläuterungen, St. A. II. S. 612. Z. 9 f.
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Interpretation des T e x t e s
das Kommen, die Zukunft, oder um den alten, feierlichen Ausdruck zu gebraudien, die Kunft, den Advent des Gottes bezeichnete. Durch eine bloße Veränderung des Accentes ist das Wort ελευσις, das Kommen bedeutet, in das Nomen urbis Έλευσίς v e r w a n d e l t . . . und so war denn audi der höchste Gegenstand der Mysterien zu Eleusis kein anderer als eben dieses Kommen des Gottes" 9 4 . Hinter der Vorstellung vom „kommenden Gott", deren allgemeiner mythischer Horizont die Züge, die Wanderungen des Dionysos sind, spielt also vielleicht im Besonderen der Gedanke an den eleusinisdien Dionysos mit, umso eher, als kurz vorher der anderen Hauptorte des Dionysoskultes gedacht wurde. Die aktuelle Bedeutung der Wendung vom kommenden Gott liegt in der weiteren Vorstellung vom steten Wandern des Dionysos, vor allem von Osten nach Westen, von Indien und Kleinasien nach Griechenland: so wird das Göttliche im Verlauf der Geschichte aus dem griechischen Osten in den hesperischen Westen kommen. Die späte Überarbeitung H 3 b hebt auf diesen Zusammenhang noch schärfer ab: „Dorther kommet und da lachet verpflanzet Kaum ein Halbgott und ist Feuer um diesen und Schlaf.
H 3 Wer mit Nahmen sie sind, die mit den Gaaben ihm nahn.
H31> Ihnen aber ist groß der Muth voll (
)
H 3 Aber der Muth von ihnen ist groß, es füllen das Herz ihm
H 3l > Diese mit (,
H3
) aber er sieht, aus Feuer in den Gluthen
Ihre Freuden und kaum weiß er zu brauchen das Gut,
H 3 l > Aber es steht in Gränze die Erde
H 3 Schafft, verschwendet und fast ward ihm Unheiliges heilig,
H 3l > Aber es reißt in die Nacht das Gesdiik
H 3 Das er mit seegnender Hand thörig und gütig berührt.
H 3l > Selbst bevestigen das die Himmlischen wo anders
H 3 Möglichst dulden die Himmlischen diß; dann aber in Wahrheit
H 3 ·» Die nichts irrt
H3 H3 H3 H3
Kommen sie selbst und gewohnt werden die Menschen des Glüks Und des Tags und zu sdiaun die Offenbaren, das Antliz Derer, welche, schon längst Eines und Alles genannt, Tief die verschwiegene Brust mit freier Genüge gefüllet,
* St. A. II. S. 120. V. 61 ff. s St. A. II. S. 119. V. 56 ff.
184 H3
Die späte Uberarbeitungssdiidit H 3 b
Und zuerst und allein alles Verlangen beglükt;
H31> Lang und schwer ist das Wort von dieser Ankunft aber
H3
So ist der Mensch; wenn da ist das Gut, und es sorget mit Gaaben
H 3l > Weiß ist der Augenblik. Diener der Himmlischen sind
H3
Selber ein Gott für ihn, kennet und sieht er es nicht.
H 3l > Aber, kundig der Erd, ihr Schritt ist gegen den Abgrund
H3
Tragen muß er, zuvor; nun aber nennt er sein Liebstes,
H 3 b Jugendlich menschlicher doch das in den Tiefen ist alt.
H3
Nun, nun müssen dafür Worte, wie Blumen, entstehn."
Die Wendung „Fast trifîet den Rükken das Glük" ist bildhafter, expressiver als die ursprüngliche „zu hell kommet, zu blendend das Glük" : das Hereinbrechen des Göttlichen verbreitet so sehr Furcht und Scheu, daß die Menschen es „fast" fliehen, ihm den „Rükken" zukehren möchten. Dieselbe Steigerung an bildlicher Intensität, ein Vordringen zum rein metaphorischen Sprechen zeigt das folgende Stück. Anstatt des Satzes: „Kaum weiß zu sagen ein Halbgott, / Wer mit Nahmen sie sind, die mit den Gaaben ihm nahn", steht nun: „Darum [auch] siehet mit Augen / Kaum ein Halbgott und ist Feuer um diesen und Schlaf". „Mit Augen sehn" bedeutet bewußte, klare Erkenntnis; sie ist audi dem charismatischen Menschen, dem „Halbgott", beim ersten Nahen der Gottheit „kaum" möglich; dodi ist er im Unbewußten von „Feuer" und „Schlaf" umgeben - erfüllt von glühender Gefühlserregung und dumpfer Befangenheit im Zwisdienreidi der Ahnung. Der Passus ist ein schönes Beispiel dafür, wie in der scheinbar wirren und dunklen Bilderglut des späten Hölderlin keine Verwirrung und Trübung der Aussage geschieht, sondern im Gegenteil alles schärfer, genauer, umgreifender gefaßt, noch gründlicher durchdacht ist als in den leichter zugänglichen Formulierungen der früheren Zeit. Eine ausgeprägte deflatorische K r a f t führt zu ebenso exakten wie komplexen Aussagen. Alles erscheint durch Glut und Druck ungeheuer verdichtet, wie edles Gestein. Die Überarbeitung der beiden folgenden Verse ist nicht ausformuliert, aber die Ansätze zeigen eine ziemlich getreue Paraphrasierung der Druckfassung. Die zweite Distichentrias dagegen bringt einen neuen, für die Spätdichtung grundlegenden Gedanken: den des Maßes. Das Maß ist gerade hier wichtig, wo vom Überschäumenden, Maßlosen der schaffenden, verschwendenden dionysischen Erregung die Rede ist und von der Gefahr, daß dabei Unheiliges heilig wird. Maß ist Bedingung des Daseins: „es steht in Gränze die Erde". Geht es einmal verloren, so nur in einem relativen, durch höhere Weisheit wieder aufgehobenen Verhältnis: „ . . . es reißt in die Nacht das Geschik / Selbst bevestigen das die Himmlischen woanders / Die nichts irrt". Die gleiche Überzeugung wie in dem immer wiederkehrenden Wort „Alles ist gut"; sie gehört in Hölderlins Bild von
Die späte Uberarbeitungssdiicht H 3 b
185
der Vorsehung, in seine Theodizee. Und diese Theodizee kristallisiert sich in der Spätdichtung um die Idee des Maßes, weil die Erfahrung der auflösenden, sprengenden Kräfte in der Spätzeit gewaltig anwächst. In der letzten Distichentrias der fünften Strophe verläßt die Überarbeitung die Gedankenbahn der Druckfassung. Es ist jetzt nicht mehr von der Menschheit im Allgemeinen die Rede, sondern vom Tun des Dichters in der Adventszeit, die der ersehnten Gegenwart der Himmlischen vorausgeht: „Lang und schwer ist das Wort von dieser Ankunft aber / Weiß ist der Augenblik. Diener der Himmlischen sind / Aber, kundig der Erd, ihr Schritt ist gegen den Abgrund / Jugendlich menschlicher doch das in den Tiefen ist alt." „Weiß ist der Augenblik" der sich ereignenden göttlichen Offenbarung, blendend hell und plötzlich im Gegensatz zu dem dunklen und schwierigen Vorbereitungsstadium. Der Satz „Aber weiß ist der Augenblik" steht logisch - nicht syntaktisch - nur als Parenthese zwischen dem vorausgehenden und dem nachfolgenden; die jähe Zwischenstellung und die Position des scharf ins Enjambement gerückten Wortes „weiß" machen die Vorstellung des blendend niederzuckenden Blitzes rhythmisch fühlbar. Der Passus „Diener der Himmlischen sind a b e r . . . " stellt eine Erörterung im Anschluß an den zuerst geäußerten Gedanken dar, das „Wort von der Ankunft", d. h. die vorbereitende Verkündigung, sei lang und schwer. Dieses „Wort" ist die besondere Aufgabe der Dichter, sie sind als „Diener der Himmlischen" dazu berufen. Das Prädikat „sind" in dem Kolon „Diener der Himmlischen s i n d aber" ist vollgültiges Verb im Sinne von „es gibt", „es existieren". Den Dichtern eignet zur Erfüllung ihres hohen Amtes eine doppelte Qualität: der Bezug zum Göttlichen, selbstverständlich für die „Diener der Himmlischen", und der Bezug zur Menschheit - sie müssen „kundig der E r d " sein. Sie sind Mittler zwischen beiden Reichen und haben deshalb beide in sidi zu verbinden. Der „Schritt" der Dichter, als charismatischer Menschen, „ist gegen den Abgrund / Jugendlich menschlicher", er gleicht sdion mehr dem Schritt einer durch das Göttliche erneuerten und verjüngten, „jugendlich" gemachten und damit dem idealen Menschsein nähergerückten, „menschlicher" gewordenen Menschheit. Mit diesem jugendlich menschlichern Schritt schreiten die Dichter, ihrer Zeit voran, gegen die Mächte des „Abgrunds", die in deutlicher Antithese zum „Jugendlichen" „alt" genannt werden und das Titanische, Widergöttliche und Finstere verkörpern, das in der Welt, im Menschenherzen noch vorhanden und zu bekämpfen ist. Die sechste Strophe ist nur sporadisch überarbeitet. Über dem ersten Vers „Und nun denkt er zu ehren in Ernst die seeligen Götter" steht jetzt: „Nun behalten sie die Geister." Dies entspricht der während der Übersetzungsarbeit ausgebildeten Gewohnheit, θεοί und δαίμονες mit dem Wort „Geister" wiederzugeben. Die Ersetzung audi des deutschen Wortes
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Die späte Überarbeitungssdúcht H 3 b
„Gott" durch „Geist" in der Spätzeit zeigt das immer weiter vordringende Streben, konventionell Verkrustetes zu meiden und dagegen eine verinnerlichte, neue Sprache zu finden. Hier geschieht eine Wendung von der mit dem Wort „Gott" verknüpften Vorstellung des Personenhaft-Umrissenen zum Pneumatischen. Die Druckfassung bietet noch geradezu eine der festen homerischen Formeln: die „seeligen Götter" sind Homers μάκαρες Φεοί, Formel wie ροδοδάκτυλος 'Ηώς oder γλαυκώπις Άβήνη. Sogar die stereotype Stellung am Hexameterschluß 6 hat Hölderlin bewahrt. Als Beleg ein Vers aus der Ilias-Übersetzung von Voß: „Doch unermeßliches Lachen erscholl den s e l i g e n G ö t t e r n , / A l s sie s a h n . . . " (Ilias, I, 599 f.). Die Verdrängung des Wortes „würdig" durch „zeitig" im fünften Vers der sechsten Strophe - „drum in der Gegenwart der Himmlisdien würdig zu stehen . . . " - zeigt wieder die Eigenart der Spätdichtung, griechisch Gedadites zu „übersetzen". „Zeitig" ist durch καιρίως zu erklären, das „zur rechten Zeit", „am rechten Ort" und damit in weiterer Bedeutung „wie es sich gehört", „würdig" heißt. Der Anfang der zweiten Distichentrias spricht von den schönen Tempeln und Städten, die fest und edel über Gestaden empor gehn. In H 3 b steht nun darüber, mehr Kommentar als Umarbeitung: „und bedeutend je nach Gegenden". Eine Akzentverlagerung vom Malerischen zum „Sinnigen", wie es Hölderlin wohl nennen würde. Der beherrschende Gedanke ist nicht mehr die Schönheit der über den Gestaden fest und edel emporgehenden Tempel und Städte, sondern deren innere Verbundenheit mit den göttlichen Kräften, von denen die „Gegenden", in denen sie stehn, durchwaltet sind. So ist etwa Delos als Lichtinsel und Geburtsstätte Apollons dem Sonnengott heilig; auf dem ins Meer hineinragenden Kap Sunion steht „bedeutend" der Tempel Poseidons. In der letzten Distichentrias erhebt sich die trauernde Frage nach den alten heiligen Theatern, den besonderen Mittelpunkten kultischen Geschehens. Die Bearbeitung ersetzt den Passus „heiige Theater" durch „heiige Handlungen" : Übertragung des gedachten griechischen Wortes δράμα und zugleich viel deutlicheres Hinführen zum Gemeinten, zum kultischen Vollzug. Uber und unter dem letzten Vers der sechsten Strophe - „. . . und vollendet' und Schloß tröstend das himmlische Fest" - steht in H 3 b die sich aus wiederholten Ansätzen zusammensetzende Formulierung: „In Ephesus ein Aergerniß aber ist Tempel und Bild." Wie vielfach im Spätstil ist die dichterische Aussage zur reinen Andeutung zusammengedrängt. 6
Wo aus metrischen Gründen nidit der Nominativ, sondern nur ein geeigneter Kasus erscheint, in der im Folgenden zitierten Belegstelle der Dativ μακαρέσσι Οεοΐσι.
Die späte Überarbeitungssdiicht H 3 b
187
Das Schlüsselwort ist „Ephesus". Der Vers spielt auf das neunzehnte Kapitel der Apostelgeschichte an. Darin wird erzählt, wie Paulus auf seinen Missionsfahrten nach Ephesus kam und die Bekehrung mit den Worten einleitete: „Habt ihr den heiligen Geist empfangen . . . ? Sie sprachen zu ihm: Wir haben auch nie gehört, ob ein heiliger Geist sei" (cap. 19, 2). Weiter heißt es: „da Paulus die Hände auf sie legte, kam der heilige Geist auf s i e . . . " (cap. 19, 6). Das Thema: die Ausbreitung des Christentums, die mit dem zu Anfang geschilderten Pfingstgeschehen, mit der Ausgießung des Geistes, eng verbunden ist. Es lag in der Konsequenz dieses pneumatischen Geschehens, daß die Gegnerschaft zur antiken Religion zuerst als Gegnerschaft zu der handgreiflichen Form der antiken Götterverehrung in Erscheinung trat. „Tempel und Bild" waren für die Christen das „Aergerniß", von dem Hölderlin spricht. Und so sagt Paulus in Ephesus: „Es sind nicht Götter welche von Händen gemacht sind" (cap. 19, 26). Diese Worte waren direkt gegen den antiken, an „Tempel" und „Bild" gebundenen Kult gerichtet. Deshalb versammelten sich, nach dem Bericht der Apostelgeschichte, die Gegner in Ephesus, das durch sein Artemis-Heiligtum berühmt war, und riefen: » . . . auch der T e m p e l der großen Göttin Diana wird für nichts geachtet werden" (cap. 19, 27); und der „Kanzler" beruhigte darauf das Volk mit den Worten: „Ihr Männer von Ephesus, welcher Mensch ist, der nicht wisse, daß die Stadt Ephesus sei eine Pflegerin der großen Göttin Diana und des himmlischen B i l d e s " (cap. 19,35). Einen besonders polemischen Beiklang erhält der Bericht des Lukas dadurch, daß er unter den Gegnern des Apostels und der von ihm verbreiteten Geistreligion die Goldschmiede, die ein materielles Interesse am Fortbestehn der Tempel- und Bildreligion hatten, als Wortführer schildert. Auf diesem Hintergrund hat der Satz „In Ephesus ein Aergerniß aber ist Tempel und Bild" eine sehr weit reichende Bedeutung. Er steht über und unter dem Vers „Und vollendet' und schloß tröstend das himmlische Fest" - am Ende der sechsten Strophe, wo mit dem Erscheinen Christi die antike Kultur ihren Abschluß findet. Unmittelbar darauf beginnt mit der siebten Strophe die der gegenwärtigen Nachtzeit gewidmete dritte Strophentrias. Die Überarbeitung H 3 b macht den letzten Vers zum Schwellenvers, der in den neuen, christlich-abendländischen Aion weiterleitet; dabei weicht die harmonische Einbeziehung Christi in den antiken Götterchor einer harten Betonung des Unterschieds zwischen antiker und christlicher Religion. Die auch in den spätesten Hymnen deutliche Entwicklung von ursprünglicher Synthese zum Auseinanderbrechen der Einheit von heidnisch-antikem und christlich-abendländischem Offenbarungsbereich läßt sich an der Umgestaltung exakt ablesen. Die Bruchstelle wird geradezu betont: „ein Aergerniß aber ist Tempel und Bild".
188
Die späte Überarbeitungsschicht H 3 l >
Den Ansatzpunkt für die spätere Umformulierung bietet die Druckfassung im abschließenden Distichon der sechsten Strophe selbst auf zweifache Weise: „Oder er kam audi selbst und nahm des Menschen G e s t a l t an / Und vollendet' und Schloß t r ö s t e n d das himmlische Fest." Das Wort „tröstend" weist auf die beim Abschied Christi geschehene Herabsendung des heiligen Geistes, des „Trösters", wie ihn die heilige Schrift wiederholt nennt. Auf diese Herabsendung des Geistes lenkt die adite Strophe noch einmal mit demselben Ausdruck hin: „ . . . Als erschienen zu lezt ein stiller Genius, himmlisch / T r ö s t e n d . . . " Auch der Patmosgesang zeigt, daß die Ausgießung des Geistes am Anfang des christlichabendländischen Aions für Hölderlin von entscheidender Bedeutung ist. Die Bedeutung des heiligen Geistes, auf den das Wort „tröstend" anspielt, bot die Brücke für den Gedanken an das 19. Kapitel der Apostelgeschichte, wo von der Ausbreitung des Geistes und dem daraus folgenden Gegensatz zur antiken Tempel und Bildreligion - die vorher in der sechsten Strophe gerade ausführlich beschworen worden war - die Rede ist. Und aus diesem inneren Anknüpfungspunkt ergibt sich die späte Umformulierung: „In Ephesus ein Aergerniß aber ist Tempel und Bild." Sie läßt sich nicht nur organisch herleiten, sondern auch, entgegen dem ersten Eindruck eines spät notierten und für sich stehenden Aperçus, in den Sinnzusammenhang der Strophe und insbesondere des letzten Distichons harmonisch einbeziehen. Die Umformulierung soll ein Paradox ausdrücken: das Paradox, daß gerade im Aion Christi, der menschliche „Gestalt" annahm, alles Gestalthafte, „Tempel und Bild", einer Geistreligion weichen muß. Daher rührt das adversative „aber" in der Umformung des Pentameters in H 3 b . Nun zeigt sich, wie vollkommen stimmig der Satz geblieben und wieviel dichter er in seinen Bezügen geworden ist: „Oder er kam auch selbst und nahm des Menschen Gestalt an In Ephesus ein Aergerniß aber ist Tempel und Bild 7 ." 7
Es ist auffallend, wie sehr dieser Vers aus H 3l > und die in ihm verhüllte Anspielung auf die Apostelgeschichte dem Gedankenkomplex der zeitlich unmittelbar benachbarten Hymne vom „Einzigen" nahesteht. Hier nur ein kurzer Hinweis, der zur exakteren Interpretation der ersten Strophentrias des „Einzigen" dienen möge. In der zweiten Strophe werden die antiken Götter, die des „Vaters Haupt" entsprungen sind, aufgezählt, dazu die Kultstätten Olympia, Parnaß, Isthmus, und abschließend heißt es: „drüben auch / Bei Smyrna und hinab / Bei E p h e s o s bin ich gegangen" (V. 22 ff.). Darauf fährt die dritte Strophe fort: „Viel hab' ich schönes gesehn, Und gesungen Gottes Bild, Hab' ich, das lebet unter Den Menschen, aber dennoch Ihr alten Götter und all Ihr tapfern Söhne der Götter
Die späte Überarbeitungsschicht H ^
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D i e siebte S t r o p h e e r f ä h r t in H 3 b eine v o l l s t ä n d i g e N e u f a s s u n g : H3b Narben gleichbar
zu Ephesus. Auch Geistiges leidet,
H 3 A b e r F r e u n d ! w i r k o m m e n zu s p ä t . Z w a r leben die G ö t t e r , H 3 b Himmlischer Gegenwart zündet wie Feuer, zulezt. H 3 A b e r über d e m H a u p t d r o b e n in a n d e r e r Welt. H3b H3 H 3l > H3
Eine Versuchung ist es. Versuch, wenn Himmlische da sind E n d l o s w i r k e n sie d a u n d scheinens w e n i g zu achten, Sich sein Grab sinnt, dodi klug mit den Geistern, der Geist, O b w i r leben, so sehr schonen d i e H i m m l i s c h e n uns.
H3l> H3 H3b H3
Auch die Geister, denn immer [hin] hält den Gott ein Gebet auf D e n n nicht i m m e r v e r m a g ein schwaches G e f ä ß sie zu fassen, Die auch leiden, so oft diesen die Erde berührt. N u r zu Zeiten e r t r ä g t göttliche F ü l l e d e r Mensch.
H 3i > Nimmer eigenen Schatten und die süßen Pfade der Heimath H 3 T r a u m v o n ihnen ist d r a u f d a s L e b e n . A b e r d a s I r r s a a l H3b H3 H3b H3
Regeln; Gebäuden gleich stehen die Bäum und Gebüsdi H i l f t , w i e Schlummer u n d s t a r k machet die N o t h u n d die N a c h t , Nimmer, und goldnes Obst, und eingerichtet die Wälder, B i ß d a ß H e l d e n g e n u g in d e r ehernen W i e g e gewachsen,
H 3 b Aber auf weißer Haide Blümlein H 3 H e r z e n an K r a f t , w i e sonst, ähnlich den H i m m l i s c h e n sind. N o d i Einen such ich, den Idi liebe unter euch, Wo ihr den lezten eures Geschlechts Des Haußes Kleinod mir Dem fremden Gaste verberget." (V. 25 ff.) Diese Strophe betont den Gegensatz zwischen der antiken, glanzvoll sichtbaren, und der ganz anderen christlichen Religion. Von der antiken Religion heißt es: „Viel hab' idi s c h ö n e s g e s e h n , / Und gesungen Gottes B i l d . . . " ; mit ihrer Schönheit blendet und „fesselt" sie so sehr, daß der Dichter sich, nach den Worten der ersten Strophe, fast „wie in himmlische Gefangenschaft verkaufft" fühlt. Dagegen ist der Charakter des Christentums schon von seinem Gründer, dem „Bettler" Christus her völlig anders, der weltliche Glanz fehlt, es ist „geistig", eine pneumatische Religion. Die Aussendung des Geistes, die für Hölderlin im Gegensatz zur orthodoxen Lehre und unter Zuspitzung des protestantischen Prinzips das entscheidende Ereignis im Heilsgeschehen ist, hat es dazu gemacht. Dieses Pneumatische, Geistige, fällt dem Dichter, der nach „Haltbarem" sucht, besonders schwer, es geht soweit, daß er Christus geradezu „suchen" muß (V. 31) und dieser ihm, obwohl er des Hauses Kleinod ist, „verborgen" scheint (V. 35), während die „Bilder" der antiken Götter strahlend leuchten. Es wird kaum ein Zufall sein - audi wenn die Berufung auf die geographische Peripherie mit „Smyrna" und „Ephesos" n a c h den kultischen Hauptorten des Mutterlandes schon in sich sinnvoll genug wäre - , daß Ephesos gerade an letzter Stelle und unmittelbar vor dem Übergang zu dem Gegensatz zwischen antiker und christlicher Religion genannt ist. In dieser Nennung schwingt derselbe Traditionszusammenhang mit wie bei der Nennung des gleichen Ortsnamens in dem zur gleichen Zeit entstandenen Vers von H 3 b in der Elegie „Brod und Wein".
190
Die späte Uberarbeitungsschicht H 3 b
H 3 b Da es dürr ist
H3
H J t> Und den Wolf,
H3
das Grün [auch] aber ernähret das Roß
Donnernd kommen sie drauf. Indessen diinket mir öfters in der Wildniß aber der Geheimnisse denkt man
Besser zu schlafen, wie so ohne Genossen zu seyn,
H 3 b (121) Schwer und der Jugend Haus fassen die Seher nicht mehr. H 3 l > (121 a) Aber dodi etwas gilt, für sidi, allein auch die Regel, die Erde.
H3
So zu harren und was zu thun indeß und zu sagen,
H'l> Eine Klarheit, die Nacht, das und das Ruhige kennt
H3
Weiß ich nicht und wozu Dichter in dürftiger Zeit?
H 3 | > Ein Verständiger wohl, ein Fürstlicherer, und zeiget
H3
Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester,
H 3 b Göttliches, ihrs auch sei lang, wie der Himmel und tief.
H3
Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Ν acht."
Eine komplizierte thematische Komposition: zuerst kurze Andeutung der nächtlich kulturlosen Zeit, dann, mit dem Passus „Auch Geistiges leidet" beginnend und bis zum Ende der ersten Distichentrias reichend als mächtige Gedankenparenthese - ein unvermittelter Wechsel der Perspektive, Hinwendung zur ersehnten Gegenwart der Himmlischen, schließlich wieder, bis zum Schluß der Strophe, der Gedanke an die Zeit der Götterferne. „Auch Geistiges leidet, / Himmlischer Gegenwart zündet wie Feuer, zulezt": „zulezt" hat hier den Sinn von „schließlich". Das „Geistige" sind die auf die Himmlischen bezogenen Kräfte; die mit ihnen begabten, fürs Hohe sensiblen Menschen werden von der Gegenwart der Himmlischen am meisten betroffen, wie vom „Feuer" - sie „leiden" darunter. Dieses Leiden beschreibt schon die Feiertagshymne als Folge genialer Empfänglichkeit: „Denn sind nur reinen Herzens, / Wie Kinder, wir, sind schuldlos unsere Hände,//Des Vaters Stral, der reine versengt es nicht/Und tieferschüttert, die L e i d e n des Stärkeren / Mit l e i d e n d , bleibt in den hochherstürzenden Stürmen / Des Gottes, wenn er nahet, das Herz doch fest 8 ." In dem späten hymnischen Entwürfe „Sonst nemlich, Vater Z e v s . . . " steht: „ . . . alles fassen muß / Ein Halbgott oder ein Mensch, dem L e i d e n nach, / Indem er höret, allein, oder selber / Verwandelt wird, fernahnend die Rosse des Herrn'." Leiden und Schmerz werden empfunden, aber die Fähigkeit dazu ist notwendige Eigenschaft der fürs Göttliche offenen Menschen. So lauten die ersten Verse der Hymne „Mnemosyne" in der zweiten Fassung: „Ein Zeichen sind wir, deutungslos / Schmerzlos sind wir und haben fast / Die Sprache in der Fremde verloren 1 0 ." „Schmerzlos", - ά-παθής, insensibilis - zu sein, ist schwerer Mangel, bedeutet in Hölderlins Sprache fast so viel wie „herzlos". β St. Α. II. S. 120. V. 61 ff. » St. Α. II. S. 227. V. 23 ff. io St. Α. II. S. 195. V. 1 ff.
Die späte Überarbeitungssdiidit H 31 »
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Die durdi die Konjunktion „Audi" hergestellte Verknüpfung des Passus „Auch Geistiges l e i d e t . . . " mit dem vorherigen „Narben gleichbar. zu Ephesus" enthält ein Enthymema. Die „Narben" sind die zerstörten Tempel und Bilder, die am Ende der sechsten Strophe genannt werden. Die Stellen der Erde, an denen sie waren, gleichen Wunden, die dadurch entstanden, daß der Himmel die Erde berührte. Verwundung ist das Enthymema, von dem aus sich die Assoziation „ A u c h Geistiges l e i d e t . . . " entfaltet. Der Begriff der Wunde ist positiv aufzufassen, wie in der zweiten Strophe der Hymne „Mnemosyne", wo das Himmlische ebenfalls „verwundet" - dementsprechend hat das Wort „Narbe" den Sinn von „Spur". Die antiken Ruinen zu Ephesus sind Spur der einstigen Berührung durch das Göttliche. „Eine Versuchung ist es. Versuch, wenn Himmlische da sind / Sidi sein Grab sinnt, doch klug mit den Geistern, der G e i s t . . . " Abenteuerlich mutet diese labyrinthische Spekulation an, und aufschlußreich ist sie für den Grad an Erlebnisgewalt, die den von Apoll geschlagenen Dichter in der Zeit seiner großen späten Dichtungen überflutet. Der Geist ist das Göttliche, es weiß um sein verzehrendes Feuer und sinnt sich deshalb sein „Grab", es umkleidet sich, um nicht mehr direkt zu wirken, - und dies tut es mit den „Geistern", den fürs Göttliche offenen Menschen, die sich mit dem Indirekten kultischer Formen schützen. „ K l u g " ist dieses Verhalten, weil es der Begegnung zwischen Menschlichem und Göttlichem dient und dodi das zerstörerische Übermaß aus ihr fernhält. Zum Abschluß der Gedankenreihe heißt es - in Wiederaufnahme des Beginns „Auch Geistiges leidet" - : „Auch die Geister, denn immer (hin) hält den Gott ein Gebet auf / Die audi leiden, so oft diesen die Erde berührt." Die „Geister", die charismatischen Menschen „leiden", wenn die glühende Stärke göttlidien Lebens mit dem so ganz anderen irdischen Dasein, in dem sie beheimatet sind, in Berührung kommt. Der Satz „denn immer (hin) hält den Gott ein Gebet auf" ist als Parenthese zu verstehn und präzisiert die vorhergehende Aussage, daß „Sich sein Grab sinnt, doch klug mit den Geistern, der Geist": dieses Sich-eingraben, Sich-schützen und Vermeiden allzudirekter Begegnung geschieht also im Gebet, das in der Doppelheit seiner beschwörenden Funktion gefaßt ist, als Akt des Zuwendens und des Abwendens. Audi das Wort „aufhalten" hat diesen Doppelsinn von „festhalten", „gegenwärtighalten" und „abhalten", „hindern". Auf der apotropäisdien Funktion liegt hier, wo von der gefahrvollen Nähe des Göttlichen die Rede ist, der Hauptakzent. Das Gebet besitzt dieselbe Macht wie sie das „Sakrament" Brod und Wein als Inbegriff reinster Naturkräfte hat: die Begegnung zwischen Gottheit und Menschheit im Bereich des Indirekten, des Vermittelnden, des Maßes herzustellen.
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Die späte Überarbeitungsschidit H 3 b
Das Mittelstück der siebten Strophe nimmt nun die Thematik der dunklen, götterfernen Zeit wieder auf. Alles, was zu einer „Kultur" im eigentlichen Sinne des Wortes gehört, das Bebaute, Geregelte, Fruchtbare, Wohleingerichtete, fehlt in dieser Zeit. Nur eine arme, dürftige Vegetation mit bescheidenem Schmuck - weiße „Haide" mit „Blümlein" - ist vorhanden, gerade genug, um einem halbwilden Dasein noch als Grundlage zu dienen, „das Roß und den Wolf" zu ernähren, wie die letzte Distichentrias fortfährt. Die ganze Schilderung symbolisiert eine seelische Verfassung. Der zweite Vers der letzten Distichentrias bringt den entscheidenden Begriff der „Wildniß". „Wildniß" ist Gegenteil der Kultur, des Bebauten und „Gepflegten". Kultur setzt Gegenwart des Göttlichen und diese wiederum Offenheit und Verehrung von seiten der Menschen voraus. „Wildniß" bedeutet also einen schweren inneren Mangelzustand. Dunkel ist der Satz „In der Wildniß aber der Geheimnisse denkt man / Schwer und der Jugend Haus fassen die Seher nicht mehr". Was meinen die „Geheimnisse"? Vorausgehende Varianten lauten 11 : „der Palmen", „der Wunder denket" (sc.: man schwer); sie weisen auf den Orient und dort geoffenbarte Wunder, auf die Gestalt Christi. In ähnlicher Weise läßt die „Friedensfeier" Christus unter „syrischer Palme" weilen12. „Der Jugend Haus" symbolisiert die in der vom wildnishaften Weltwesen nodi nicht getrübten Jugendzeit geschehene Berührung mit den reinen Wahrheiten, den „wunder"baren „Geheimnissen" der Offenbarung - eine Parallele zur zweiten Strophe der Friedensfeiervorstufe „Versöhnender der du nimmergeglaubt..."": „Einst freueten wir uns audi, Zur Morgenstunde w o stille die Werkstatt war Am Feiertag, und die Blumen in der Stille, Wohl blühten schöner audi sie und helle quillten lebendige Brunnen. Fern rauschte der Gemeinde schauerlicher Gesang, Wo heiligem Wein gleidi, die g e h e i m e r e n Sprüche Gealtert aber gewaltiger einst, aus Gottes Gewittern im Sommer gewachsen, Die Sorgen dodi mir stillten Und die Zweifel aber nimmer wußt idi, wie mir geschah, Denn k a u m g e b o r e n , warum breitetet Ihr mir schon über die Augen eine Nacht, Daß idi die Erde nicht sah und mühsam Eudi athmen mußt, ihr himmlischen Lüfte."
Die in der Vergangenheit geschehenen Offenbarungen bleiben unzugänglich, wenn die gegenwärtige geistige Situation einer Wildnis gleicht. " St. A. II. S. 605. Z. 27 f. " St. A. III. S. 534. V. 42. " 2. Fassung. St. A. II. S. 133. V. 14 ff.
Die späte Überarbeitungsschicht H 3 b
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Erkenntnis der „Geheimnisse" von einst ist nicht die Sache einer äußerlichen Wendung zur Überlieferung: sie müßte notwendig unfruchtbar bleiben. Die Wendung zur Überlieferung unterbleibt sogar von vornherein - „der Geheimnisse denkt man schwer" - , wenn nicht innere Antriebe vorhanden sind, Antriebe, die einer anderen, kongenialen Geistesverfassung entspringen. Dies ist das Elementare, das Zweite erst die Erkenntnis des Überlieferten. Ähnlich verhält es sich in der „Friedensfeier", wo es vom „Sohne" Christus heißt 14 : „Und nun erkennen wir ihn, Nun, da wir kennen den Vater Und Feiertage zu halten Der hohe, der Geist Der Welt sich zu Menschen geneigt hat."
Welche Rettung bleibt, wenn der geschichtliche Raum verschlossen ist? Der nächste, zum Teil ebenfalls über V. 121 stehende Vers der Überarbeitung gibt die Antwort: „Aber dodi etwas gilt für sich, allein audi die Regel, die Erde." Die Erde selbst, die Natur, kann Weckerin höheren Lebens sein, sie regt an und inspiriert, ist ein trotz aller „Wildniß" bleibender Wurzelgrund der Kultur. Hölderlin schlägt hier eines seiner größten Themen an. Es beherrscht die Archipelagusdichtung, wird in der Hymne „Am Quell der Donau" entschieden formuliert (V. 86-91) und bildet auch den Hintergrund der Elegie „Brod und Wein", denn Brot und Wein sind Inbegriff der nährenden und inspirierenden Naturkräfte. Die Strophe schließt mit den Versen: „Eine Klarheit, die Nacht, das und das Ruhige kennt / Ein Verständiger wohl, ein Fürstlicherer, und zeiget / Göttliches, ihrs auch sei lang, wie der Himmel und tief." „Eine Klarheit, die Nacht" - für das Spätwerk typische, an karger Herbheit kaum zu übertreffende Brachylogie, Element der harten Fügung. Die jähe Ausdrucksweise ergibt sich durch Ellipse des Prädikats „ist" („Eine Klarheit ist die Nacht" müßte es in gewöhnlicher Sprache heißen). Entstanden ist der Passus durch „Übersetzung" der in H 2 a innerhalb der neunten Strophe (Vers 150) geschriebenen, antikisierenden Formulierung „Orkus, Elysium ists" is . Sein stilistischer Wert ist außerordentlich, denn er spiegelt das Paradox der Aussage, die „Nacht" sei eine „Klarheit". Der Rest der Periode bis zum Strophenende erinnert weiter an Verse der neunten Strophe; sie stehn dort gegen Schluß und sprechen von den seligen „Weisen", deren Augen audi in der Nacht das göttliche Licht wahrnehmen. Hier
i* St. A. III. S. 535. V. 74 ff. is St. A. II. S. 607. Z. 8. 13
Schmidt. H ö l d e r l i n
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Die späte Überarbeitungsschicht H 3 i )
ist es ein „Verständiger, ein Fürstlicherer", der „das" 1 6 , d. h. die Tatsache, daß die Nacht eine Klarheit ist, und das „Ruhige" kennt. Das „Ruhige" ist der göttliche Frieden, Ruhe der Vollendung, Gegensatz zum TitanischVerworrenen götterferner Zeit - Entsprechung zum vorletzten Vers der neunten Strophe: „Sanfter träumet und s c h l ä f t in Armen der Erde der Titan" - und zur späten Überarbeitung (H 3 b ) dieses Verses: „Aber es r u h η die Augen der E r d e . . . " Der „Verständige", „Fürstlichere" sieht, was die Nacht zur heiligen Nacht macht, „zeiget / Göttliches, ihrs audi sei lang, wie der Himmel und tief"; so hält er die Hoffnung wach und hilft den vollendenden Tag vorbereiten. Die Synekdoche „ein Verständiger", ein „Fürstlicherer" weist auf die dem Göttlichen gegenüber besonders offenen Menschen. Als ihr Repräsentant erscheint, wie kein anderer, der Dichter. Daß Hölderlin an den Diditerberuf denkt, wenn auch in stolz-bescheiden verhüllender Form, darf man aus der Druckfassung schließen, über die sich die späte Überarbeitung schiebt. Sie lautet: „ . . . wozu Dichter in dürftiger Zeit? Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester, / Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht." Hölderlin hat gerade in dieser späten Zeit eine Vorliebe für die Worte „Fürst" und „fürstlich" und er verbindet sie gerne mit der dichterischen Sphäre. Derselbe Vorgang wie in den Versen von „Brod und Wein", wo aus dem „Dichter" der Reinschrift ein „Fürstlicher" in H 3 b wird, läßt sich in der Elegie „Stutgard" beobachten: aus dem Vers „Drum erfreuest du auch gerne den S ä n g e r n das H e r z " entsteht in der späten Überarbeitungsschicht H 3 a die versuchende Formulierung „Auch der Garten erfreut gütig des F ü r s t e n d a s H e r z " . 1 6 a Die späteste Schicht hebt den Dichterberuf noch mehr hervor als die Drudefassung. Wie hier am Ende der siebten, so ist am Ende der vierten Strophe von den Dichtern die Rede - „Aber Seher deuten dort und da und heben die Häupter" - und ebenso am Ende der fünften Strophe: „Diener der Himmlischen sind / Aber, kundig der Erd, ihr Schritt ist gegen den Abgrund / Jugendlich menschlicher . . . " Die von Friedrich Beißner beobachtete Eigenart, daß Hölderlin vielfach den Schluß der Gedichte seinem „Eigenthum" widmet 17 , trifft hier auf die Strophensdilüsse zu. In den späten Dichtungen gibt Hölderlin dem bestimmten Artikel öfters den ursprünglichen deiktisdien Charakter wieder; vgl. „Der Ister", St. Α. II. S. 191 f. V. 60 ff.: „Nemlich wenn / Angehen soll der T a g / In der Jugend, wo er zu wachsen / A n f ä n g t . . . Ist der zufrieden." « a St. Α. II. S. 587. Z. 21 ff.; vgl. audi St. Α. II. S. 586. Z. 22 ff.; St. Α. II. S. 625. Z. 5. 1 7 Friedrich Beißner, Reden und Aufsätze, S. 110 f.; vgl. die letzten Verse von „Heimkunft" : „Sorgen, wie diese, muß, gern oder nicht, in der Seele / Tragen ein Sänger und oft, aber die anderen nicht" (St. Α. II. S. 99. V. 107 f.); „Am Quell der Donau" : „Jezt aber endiget, seeligweinend, / Wie eine Sage der 16
Die späte Überarbeitungsschicht H3*>
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Von der achten Strophe ist hauptsächlich die mittlere Distichentrias überarbeitet: H3 Ließ zum Zeichen, daß einst er dagewesen und wieder 3 H Käme, der himmlische Chor einige Gaaben zurük, H 3 Derer menschlich, wie sonst, wir uns zu freuen vermöchten, H 3 b Aber, wie Waagen bridit, fast, eh (es) kommet das Sdiiksaal,
H 3 Denn zur Freude, mit Geist, wurde das Größre zu groß H 3 b Auseinander beinah, und Untheilbares zu deuten
H 3 Unter den Menschen und noch, nodi fehlen die Starken zu höchsten H 3 b Vor Erkenntniß, aber es sieget der Dank.
H 3 Freuden, aber es lebt stille nodi einiger Dank." Das Schicksal des Göttlichen vor seiner Ereignung liegt so gewaltig auf den ahnenden Menschen, daß es sie „wie Waagen", wie überschwer beladene Wagen beinah auseinanderbricht. Ebenso „bridit" sie „auseinander beinah" die Aufgabe einer Deutung noch vor der Erkenntnis. Aber dieses Schwere wird vom Dank für das hohe und als solches erfühlte Geschenk überglänzt. Die für den Spätstil charakteristische Mischung dichter, konkreter Bildlichkeit mit kaum mehr greifbarer Abstraktion ist an diesem Satz beispielhaft zu sehen. Die Syntax wird nicht willkürlich verschraubt, sie folgt mit einem Äußersten an kühner Gestaltungskraft dem von der Vorstellung bestimmten Rhythmus. Diese Vorstellung liegt im „Auseinanderbrechen" - und so bricht zwischen den einrahmenden Randstücken „Aber, wie Waagen bridit" und „aber es sieget der Dank" das schwerpunkttragende Mittelstück in zwei Teile auseinander. Auseinandergebrochen wird es durch den Passus „auseinander beinah"! Das Kolon „eh es kommet" entspricht den Worten „vor Erkenntniß", das Subjekt „das Sdiiksaal" korrespondiert grammatikalisch und logisch der Stelle „Untheilbares zu deuten", so daß sich folgendes symmetrisches Bild ergibt: „ . . . eh es kommet (A) das Sdiiksaal (B), Auseinander beinah („Bruchstelle"), und Untheilbares zu deuten (B1) vor Erkenntniß" (A 1 ). Im vorletzten Vers der achten Strophe „Darum singen sie auch mit Ernst die Sänger den Weingott" steht in H 3 b über „Weingott" „Herbstgeist" und dann „Weingeist". Eine Umwandlung von „Gott" in „Geist" also wieder, mit der schon beschriebenen Bedeutung einer Wendung vom Gestalthaft-Fixierten zum mehr Pneumatischen, Schwebenden, Elementaren, wie es das griechische Wort δαίμων ausdrückt. Liebe, / Mir der Gesang, und so auch ist er / Mir, mit Erröthen, Erblassen, / Von Anfang her gegangen" (St. Α. II. S. 129. V. 113 ff.); „Patmos": „Dem folgt deutscher Gesang" (St. Α. II. S. 172. V. 226); „Andenken": „Was bleibet aber, stiften die Dichter" (St. Α. II. S. 189. V. 59); „Stimme des Volks": „ . . . wohl / Sind gut die Sagen, denn ein Gedäditniß sind / Dem Höchsten sie, dodi audi bedarf es / Eines, die heiligen auszulegen" (St. Α. II. S. 53. V. 69 ff.). 13*
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Die späte Überarbeitungsschidit H 3 b
Die neunte Strophe zeigt nach der siebten die umfangreichste Überarbeitung. Das dritte Distichon hat in H 3 b sogar zwei Fassungen. Zunächst die erste Distichen trias: H 3 „Ja! sie sagen mit Recht, er söhne den Tag mit der Nacht aus, H 3 Führe des Himmels Gestirn ewig hinunter, hinauf, H 3 Allzeit froh, wie das Laub der immergrünenden Fichte, H 3 Das er liebt und der Kranz, den er von Epheu gewählt, H3l> (147) 3
H '' (147 a)
indeß die erkrankte Erde Gott hält vergnügt ist nemlich der in der Wildniß
H 3 Weil er bleibet und selbst die Spur der entflohenen Götter H 3 b (148) Langsam donnernd und Lust unter das Finstere bringt. Η3>> (148 a) Audi. Und süßer Schlaf bleibet und Bienen und Mahl.
H 3 Götterlosen hinab unter das Finstere bringt." Die Erde ist im Zustand der Götterferne „krank", aber nicht hoffnungslos. Sie ist in der göttlichen Vorsehung nodi wohlaufgehoben, Gott „hält" sie. Die merkwürdige Vorstellung vom langsamen Donnern meint die in den Kräften der Natur und des Lebens selbst sich offenbarende Macht der Gottheit. Gegensatz dazu wäre das heftige, laute „Donnern", das Gewitter unmittelbarer göttlicher Epiphanie. Die zweite Fassung dieser Verse enthält eine ähnliche Aussage wie die erste. Selbst wenn kulturlose, „wildniß"hafte Zustände auf der Erde herrschen, weil sich das vollendende Göttliche nodi nidit voll ereignet hat, ist der Weingott als Verkörperung reiner, inspirierender Naturkraft in feuriger Lebendigkeit gegenwärtig, er ist „vergnügt", wie es dem „allzeit frohen" Freudengott zukommt. Der „ s ü ß e S c h l a f " ist Spender der Ruhe vor finster-verworrener Welt, sanfte Gnade des Daseins. Die mit ihm der menschlichen Natur gegebene Möglichkeit erholender Idylle ist kostbar und kann doch nichts Endgültiges haben. Er wird vom Wein und seinem Gott erzeugt, als zweite, eher geringere, weil nicht intensivierende Wirkung im Vergleich zum Heiligtrunkenen, das „wach" macht und begeistert. Der „süße" Schlaf ist ein Topos der Idyllendichtung, er wird mit Vorliebe der Wirkung des Weins und der heißen Mittagszeit zugeschrieben und kommt unter den Schatten der Bäume über die Menschen. So heißt es bei Vergil, Geórgica I, V. 341 f.: „ . . . tum mollissima vina, / tum somni dulces den· saeque in montibus umbrae . . . " ; Geórgica II, V. 470: „ . . . mollesque sub arbore s o m n i . . . " Horaz Epist. II. 2. V. 77 f. schreibt diesen Bereich des idyllischen Schlafes ausdrücklich dem Bacchus zu und bezieht auch die Dichter darin ein: „Scriptorum chorus omnis amat nemus et fugit urbes, / rite cliens Bacchi, somno gaudentis et umbra . . . " Und so schreibt Hölderlin in der dritten Strophe der Hymne „Andenken" : Es reiche aber, / Des dunkeln Lidites voll, / Mir einer den duftenden Becher, / Damit idi ruhen
Die späte Überarbeitungsschicht
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möge; denn süß / War' unter Schatten der Schlummer. / Nicht ist es gut, /' Seellos von sterblichen / Gedanken zu seyn . . ." l s In dem Konjunktiv süß w a r unter Schatten der Schlummer" ist die Unmöglichkeit der Idylle für den Dichter ausgesprochen, und deshalb folgt hier, in der Mitte des Gedichts, wo die zeitlose Versunkenheit erreicht scheint, der Umbruch, wie in der Mitte der Hymne „Mnemosyne". - Dies ist der Horizont des Begriffes vom „süßen Schlaf". Er gilt auch in der späteren Überarbeitung von „Brod und Wein", wo es aber immerhin nicht auf die tragische Unmöglichkeit für den schmerzlichwachen Dichter, sondern auf ein sehr relativiertes Glücksmoment ankommt. Der „süße Schlaf" zeigt eine ferne Verwandtschaft mit der Ruhe der Vollendung, dem göttlichen Frieden, und darin liegt seine heilende und tröstende Kraft, sein „Süßes". Eine erste Steigerung in der stufenweisen Aufwärtsbewegung „süßer Schlaf" - „Bienen" - „Mahl" bringt das Sprechen von den B i e n e n . Wie der „süße Schlaf" so gehören audi sie und ihr Geschenk, der Honig, zum besonderen Wirkungsbereich des Dionysos, denn er hat nach der Sage die Bienen durch die Musik der ihn begleitenden Schar zuerst zu einem Schwärm zusammengelockt, zum Wabenbau und zum Sammeln von Honig gebracht. Ovid erzählt diese Geschichte in Fasti III. V. 736 ff. bei der Schilderung des Bacchusfestes am 17. März (Liberalia - Fest des Bacchus Liber). Er leitet die Darstellung ein mit den Worten: „ . . . et a Bacdio mella reperta ferunt" (V. 736) und fährt dann fort: „ . . . quosque movent sonitus aera, sequuntur apes. / colligit errantes et in arbore claudet inani / Liber et inventi praemia mellis habet . . . " (V. 742 ff.). Keine Absonderlichkeit ist es also, wenn die späte Überarbeitung von „Brod und Wein" inmitten der dem Dionysos gewidmeten Verse der „Bienen" gedenkt. Über diesen mythologischen Zusammenhang hinaus bleibt die Frage nach der Bedeutung der Bienen an dieser Stelle. Sie ist nicht exakt nachzuweisen, aber der umgebende Text macht es wahrscheinlich, daß die Bienen wie in den anderen Dichtungen den Bezirk des Lebens verkörpern, der durch seine innige Verwobenheit mit Licht und Luft und durch seinen wunderbaren Ordnungs- und Gemeingeist die Verbindung der Erde mit himmlischen Kräften symbolisiert. Am Schluß der zweiten Strophe von „Stutgard" ist vom „gemeinsamen Gott" Dionysos die Rede, von seiner Gabe, dem Wein, der den Sinn wie Perlen schmelzt, und vom Chor der Männer, die „wie die Bienen" um den Eichbaum sitzen und singen. Hier und sonst, wenn Hölderlin von den Bienen spricht, folgt er der klassischen Dichtung von den Bienen, dem vierten Teil von Vergils Geórgica. Vergil preist mit deutlicher Anspielung auf die römischen Zustände den Gemeingeist im Leben der Bienen: „omnii» St. A. II. S. 188 f. V. 25 ff.
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Die späte Uberarbeitungssdiicht H 3t >
bus una quies operum, l a b o r omnibus unus" ( I V , V . 1 8 4 ) . . . „mens omnibus una est" ( I V , V . 2 1 2 ) . V o n der Verbundenheit der Bienen mit dem göttlichen Ätherbezirk sprechen späte Verse. D e r Schluß des hymnischen E n t w u r f e s „ W e n n nemlich der R e b e S a f t . . . " stellt die Bienen als Geschöpfe von idealer Sensibilität d a r : „ U n d Bienen, / W e n n sie, v o m Wohlgeruche / Des Frühlings trunken, der Geist / D e r Sonne rühret, irren ihr nadi / D i e Getriebenen, wenn aber / E i n Stral brennt, kehren sie / Mit Gesumm, vielahnend / ob /
dar-
die Eiche r a u s c h e t . . . " M Bezeichnend v o r allem die schönen
Verse aus der T i t a n e n h y m n e : „Mich aber umsummet / D i e Bien und w o der A k e r s m a n n / Die Furchen machet singen gegen / D e m Lichte die Vögel. Manche helfen / D e m H i m m e l . Diese siehet / D e r D i c h t e r . .
"i0
In der gleichen Weise erscheinen die Bienen in der späten Überarbeitung v o n „ B r o d und W e i n " als H e l f e r des H i m m e l s w ä h r e n d der dunklen Zeit der Vorbereitung, sie sind schon, wie die Vögel 2 1 , im lichten Ä t h e r heimisch, beschwingt v o n leichtem, höherem Leben. W e r a u f dieses Leben hofft, hält sich deutend an ihr Dasein. Vergil gibt nach der Schilderung des Bienenlebens eine zusammenfassende Deutung in derselben Richtung: „Zeichen und Beispielen soldier N a t u r nachsinnend, erklärten / Manche, die Bienen durchwirke ein Teil v o m göttlichen Weltgeist, / Feurigen Äthers G e w a l t , denn G o t t durchflute das W e l t a l l . . . "
( H i s quidam signis atque haec
exempla secuti / esse apibus p a r t e m divinae mentis et haustus / aetherios d i x e r e 2 2 ; deum namque ire per omnia . . . " G e ó r g i c a I V , V . 2 1 9 ff.) 2 3 . w St. A. I I . S. 207. V. 7 ft. 20 St. A. I I . S. 218. V. 40 ff. 2 1 Hier sei erinnert an den fünften Abschnitt des Gedichts „An den Äther", St. A. I. S. 205, wo die Vögel ausführlich als „des Äthers Lieblinge" beschrieben sind; an die erste Strophe der Elegie „Stutgard", wo sie nach dem Gewitter als „Kinder des Himmels" (V. 8) und inspiriert vom „göttlichen Geist" (V. 12) fliegen und singen; an die ersten Verse der „Friedensfeier", wo, ebenfalls nach dem „lüftenden" Gewittersturm, die Welt der „himmlischen, still wiederklingenden, / Der ruhigwandelnden Töne" doch wohl der Vögel voll ist; schließlich an die eben zitierten Verse der Titanenhymne, wo die Vögel „gegen dem Lichte" singen und Helfer der Himmlischen heißen. 2 2 Die Berufung geht wohl auf Aristoteles, der in De gen. anim. I I I , 10 gegen Ende den Bienen ausdrücklich ein θείον zuschreibt. 2 3 Übers, von Johannes Götte, Vergil, Landleben, Tuskulum-Büdier, München, 4. Aufl. 1960. - Auf Hölderlins Gedicht „An den Äther", St. Α. I. S. 204 f. und den großen Ätherhymnus im Hyperion (St. A. I I I . S. 49 f., 88, 1 ff.) weist die Fortsetzung dieser von der alldurchflutenden Äthergottheit sprechenden Verse: „ . . . denn Gott durchflute das Weltall: / Länder und Meere, unendlich gedehnt, und die Tiefen des Himmels. / Hieraus schöpfe sich Schaf und Rind und Mensch und der wilden / Tierwelt ganzes Geschlecht das zartentspringende Leben, / Hierhin ströme gelöst dann alles am Ende audi wieder / Heim ins All, nichts sinke in Tod, nein lodere lebend / Auf zu Gestirnen und folge dem Schwung des erhabenen Himmels." (Geórgica IV. V. 221 ff.).
Die späte Oberarbeitungssdiicht H 3 b
199
Das „M a h 1" schließlich gehört in den Bereich des Dionysos als des Gottes der Symposien 24 . Es ist von hoher Bedeutung, weil das gemeinsame Essen und Trinken Zeichen auch innerer Verbundenheit, Ausdruck lebendigen Gemeingeistes ist, eine Urzelle jener Harmonie darstellt, die der Gegenwart des Göttlichen entspricht. Und die Gaben des Mahles sind Brot und Wein, Früchte göttlich beschenkender Natur. Immer durchschwingt das „Mahl" ein besonderes Element dionysischer Erregung. In dem elegischen Bruchstück „Der Gang aufs Land" wünscht der Dichter, daß die Gäste „kosten und schaun das Schönste, die Fülle des Landes, / D a ß , wie das Herz es wünscht, offen, dem Geiste gemäß / M a h l und Tanz und Gesang und Stutgards F r e u d e gekrönt s e i . . ." 2 S Die zweite Strophe der Elegie „Stutgard" beginnt mit der Frage: „Aber meinest du nun, es haben die Thore vergebens / Aufgethan und den Weg f r e u d i g die Götter gemacht? / Und es schenken umsonst zu des G a s t m a h l s Fülle die Guten / Nebst dem Weine nodi auch Beeren und Honig und Obst?" 2 6 Im festlichen Bild des Mahles zentrieren die beiden Hauptelemente der Elegienzeit, Freundesfeier und Feier der Natur als Grundweisen des sich verlebendigenden Göttlichen. Beim Mahle schäumt dionysisches Genießen am kräftigsten auf, immer wird deshalb mit dem „Gastmahl" die „Freude" angerufen, im „Gang aufs Land", in „Stutgard", in „Brod und Wein", am betontesten in der Schlußstrophe der Elegie „Heimk u n f t " : „Wenn wir seegnen das M a h l , wen darf ich n e n n e n . . . Nenn' ich den Hohen dabei? Unschikliches liebet ein Gott nicht, / Ihn zu fassen, ist fast unsere F r e u d e zu klein" 2 7 . Unverkennbar ist bei allem hohen, hymnischen Feuer das Vollströmende der Elegien, die Neigung zum Epischen, das Ausschwingen in der Breite des Metrums und auch das Ruhen im Genuß der schönen Einzelvorstellung: die farbig ausgeführte und mit viel Atmosphäre umgebene Situation des Mahles, für die Homer großartige Schilderungen bot, ist dafür ein Beispiel. Die Hymnendichtung wird, sofern es um ein menschliches Mahl geht, nur knapp das Wesentliche formulieren: „Es e r f r e u e t aber / das G a s t m a h 1 . . · 2 8 ." Dagegen bringt sie eine Überhöhung des Mahles, wo es noch als Situation erscheint. Es wird mythisch, als Bild des Symposions mit der Gestalt des Sokrates im Rheingesang, als Abendmahl mit der Gestalt Christi in „Patmos", als endzeitliches Göttermahl in der „Friedensfeier". Die Darstellung wird hymnisch im sakral feierlichen, nicht mehr erdennah feiernden Ton. Mommsen, S. 356 ff. bringt dazu eine große Anzahl von Belegen aus der antiken Literatur. m St. A. II. S. 84. V. 25 ff. 2 6 St. A. II. S. 86. V. 19 ff. 2 7 St. A. II. S. 99. V. 97 ff. » „Die Titanen", St. A. II. S. 218. V. 29 f. 24
200
Die späte Überarbeitungsschicht H 3 b
Die zweite Distichentrias der neunten Strophe zeigt in der späten Überarbeitungsschicht H 3 b die von Friedrich Beißner entdeckte und inzwischen berühmt gewordene Variante: H3b
H3
„nemlich zu Hauß ist der Geist
„Aber so vieles geschieht
H 3 b Nicht im Anfang, nicht an der Quell. Ihn zehret die Heimath
H 3 Keines wirket, denn wir sind herzlos, Schatten, bis unser H 3 b Kolonie [n] liebt, und tapfer Vergessen der Geist.
H 3 Vater Äther erkannt jeden und allen gehört. H 3 b Unsere Blumen erfreun und die Schatten unserer Wälder
H 3 Aber indessen kommt als Fakelschwinger des Höchsten H 3 b Den Verschmachteten. Fast wäre der Beseeler verbrandt."
H 3 Sohn, der Syrier, unter die Schatten herab." Über diese wenigen Verse ist viel geschrieben worden, ihre Aussage ist ebenso dunkel wie bedeutungsvoll 29 . Friedrich Beißner und ihm mit Abwandlungen folgend Martin Heidegger und Lawrence J. Ryan interpretieren die Variante von dem Brief an Böhlendorf vom 4. Dezember 1801 her. Ryan, S. 360 f. schreibt: „Der hesperische Geist ist in seinem heimatlichen ,Ursprungsgrund' (Heidegger) ( = an der Quell) noch nicht bei sich selbst ( = zu Hauß); er wird von der sich noch verschließenden Heimat ,gezehrt'. Deshalb muß er sich in seine .Kolonie' begeben, d. h. in das ,auf das Mutterland zurückweisende Tochterland' (Heidegger), in jenes Fremde also, in dem er sich selbst verleugnet, sein eigenes Wesen ,tapfer' vergißt, um sich aber in der Aneignung dieses Fremden wiederzufinden. Die Kolonie ist nun für den hesperischen Geist der Schicksalsvollzug, das leidenschaftliche Betroffensein, in dem er fast .verbrennt'; er muß also in der Rückkehr zu der kühlenden Heimat den rettenden Ausgleich suchen, der ihm dann durch die Blumen und die Schauen der abendländischen Wälder gewährt wird." Diese Deutung ist im Ganzen zweifelhaft. Sie kann nur mit den aus dem Böhlendorf-Brief substituierten Gedankengängen gewonnen werden. Ferner steht sie im Zusammenhang der neunten Strophe von „Brod und Wein" isoliert, während es dodi ein nicht nebensächliches Faktum ist, daß 29
Zuerst äußerte sich Friedrich Beißner über sie, in: Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen. Stuttgart, 2. Auflage 1961. S. 147 f.; dann M. Heidegger, Andenken. In: Erläuterungen... Frankfurt 3 1963, S. 75 ff.; Hans G. Gadamer, Hölderlin und das Zukünftige. In: Beiträge zur geistigen Überlieferung. Godesberg 1947, S. 66 f.; Hans Pyritz, Zum Fortgang der Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe. HJb. 7, 1953. S. 80 ff.; Beda Allemann, Hölderlin und Heidegger. 2. Aufl. Freiburg und Zürich 1956. S. 168 ff.; Lawrence J. Ryan, S. 360 f.; Momme Mommsen, Dionysos in der Dichtung Hölderlins. GRM, N F XIII, 1963, S. 351 ff.
Die späte Überarbeitungsschicht H 3 b
201
sich die Variante gerade an dieser Stelle befindet und durch ihren Anfang auf eine enge gedankliche Verknüpfung mit dem Vorausgehenden hindeutet. Im Einzelnen kommt es zunächst auf die Auslegung des Satzes an: „nemlich zu Hauß ist der Geist / Nicht im Anfang, nicht an der Quell". Die Interpreten, welche den Gedankengang des Böhlendorfbriefes in diesem Satz wiederzufinden glauben, verstehn den Passus „im Anfang" als zeitliche Bestimmung, die Wendungen „zu H a u ß " und „an der Quell" dagegen als parallele Ortsbestimmungen, so als hieße es: „nemlich nicht zu Hauß ist der Geist / Im Anfang, nicht an der Q u e l l " , oder: „nemlich im Anfang ist der Geist nicht zu Hauß, nicht an der Quell". Doch ist diese Deutung nur gewaltsam zu gewinnen, sie greift - in Anbetracht der tatsächlich bestehenden Form des Satzes - zu einer lectio difficilior von sehr künstlichem Charakter. Viel näher liegt es, die parallel stehenden Kola „nicht im Anfang, nicht an der Quell" auch parallel zu deuten! Die zweite Gewaltsamkeit der zitierten Deutung besteht darin, daß sie die Verse: „Kolonie liebt, und tapfer Vergessen der Geist. / Unsere Blumen erfreun und die Schatten unserer Wälder / Den Verschmachteten" so auslegt, als sei die Kolonie, die der Geist liebt, woanders als unsere Blumen, die ihn erfreun, - so, als ob er sich aus einer fremdländischen Kolonie in „unser" Land wende. Davon sagt der Text nichts: die Kolonie, die der Geist „liebt", ist also dort, wo ihn unsere Blumen „erfreun". Daraus folgt, daß der Geist - der nun nicht mehr der „hesperische Geist" sein kann - vom Anfang, von der Quell zu uns in die Kolonie, in den Schatten unserer Wälder kommt. Unser Land Hesperien bildet also nicht den Anfang, sondern die Endstation des Geistes. Die in dem Böhlendorf-Brief vorhandene Doppelbewegung Hesperien - Griechenland (Ausfahrt), Griechenland Hesperien (gereifte Rückkehr nach der in der Fremde gewonnenen vertieften Selbsterfahrung) läßt sich in der späten Variante nicht aufweisen: es gibt in ihr nur die eine Bewegung vom Anfang, von der Quell in die Kolonie. D a diese Kolonie unser Land der Blumen und Wälder ist, muß der Anfang, der Quell, woanders sein. Pyritz deutet ihn richtig 30 als „Orient (mit jener Ineinssetzung von Urzeit und Urheimat, die dem Orientbegrifi seit Herder innewohnt)". 3 1 Der Geist kommt „von Osten", bei 3
° H . Pyritz, S. 102. Peter Nickel S. 189 vergleicht Hölderlins und Herders Anschauung vom ostwestlichen Geschichtsstrom und zitiert dazu aus Herders „Ältester Urkunde" folgende Sätze: „Wo lag Eden? J e weiter nach Morgenlande, desto klärer und reiner tönt die S a g e . . . Wo lag Eden? Alles dränget den Ursprung des Menschengeschlechts nach Orient: Gesdiidite, Mähre, Ableitung der Sprachen, Thiere, Früchte, Völker . . ( H e r d e r , Sämmtl. Werke, ed. Suphan, Berlin 1877/1913, Bd. VII. S. 33). L. Kempter S. 70 weist auf Oetingers Schrift
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einer bis aufs Äußerste verlängerten Perspektive von Indien, und ist der göttliche Geist, der die Länder, die auf seinem Wege gen Westen liegen, Griechenland, Italien, Deutschland, beseelt und zu höherem, erfülltem Leben weckt: Hölderlins Grundvorstellung über die räumliche Dimension des Geschichtsverlaufes. Das Gedicht „Am Quell der Donau" beginnt 32 : „Denn, wie wenn hoch von der herrlichgestimmten, der Orgel Im heiligen Saal, Reinquillend aus den unerschöpflichen Röhren, Das Vorspiel, wekend, des Morgens beginnt Und weitumher, von Halle zu Halle, Der erfrischende nun, der melodische Strom rinnt, Bis in den kalten Schatten das Haus Von Begeisterungen erfüllt, Nun aber erwacht ist, nun, aufsteigend ihr, Der Sonne des Fests, antwortet Der Chor der Gemeinde; so kam Das Wort aus Osten zu uns, Und an Parnassos Felsen und am Kithäron hör' idi O Asia, das Echo von dir und es bricht sich Am Kapitol und jählings herab von den Alpen Kommt eine Fremdlingin sie Zu uns, die Erwekerin, Die menschenbildende Stimme." Im „Ister" heißt es 33 : „Wir singen aber vom Indus her Fernangekommen und Vom Alpheus . . . " Und vom Ister selbst meint der Dichter tiefsinnig 34 : „Idi mein, er müsse kommen Von Osten. Vieles wäre Zu sagen davon." „Güldene Zeit oder Sammlung wichtiger Betrachtungen", Tübingen 1759/61, wo davon die Rede ist, „daß von den Morgenländern sich die großen Begebenheiten in unsere Abendländer herausgezogen" ; vgl. auch L. Kempter A. 139, S. 140 f., mit ausführlichen Hinweisen und Literaturangaben zur „Morgenländerei" der Romantik. 32 St. A. II. S. 126. V. 25 ff. Die Sprache hat für Hölderlin wie für Herder ihren Ursprung im Orient, „das Wort", „die Stimme" kommt „aus Osten" und wandert dann westwärts. Sie ist lebendigstes Zeichen der hohen Bestimmung des Menschen - „mensdienbildende" Gabe schlechthin - und damit repräsentativ für die Menschheitsgeschichte. Ihr Weg, die „Sprachgeschichte", gleicht dem Zug des göttlichen Genius von Land zu Land, dem Verlauf der Geschichte selbst. 33 St. A. II. S. 190. V. 7 ff. 34 St. A. II. S. 191. V. 43 ff.
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Die für eine geographische Vorstellung eigentümlichen Formulierungen „im Anfang", „an der Quell" sind exakte Übertragungen von „in oriente"; „oriri" heißt „anfangen" (intr.), „quellen". 35 Jetzt, da die Stunde Hesperiens geschlagen hat, ist der „Geist" nicht mehr im Orient, auch nicht mehr im griechischen Osten, sondern bei uns „zu Hauß". Ryans Deutung der Aussage, der Geist sei nicht im Anfang zu Haus, als ein „Nicht-bei-sichselbst-sein" des Geistes ist m. E. eine Überanstrengung des Textes, zu der er durch die Festlegung des Passus „an der Quell" auf Hesperien gezwungen wird 36 . Wir fassen indes „zu-Hauß"-Sein nicht wie Pyritz als geschichtsmetaphysische Bestimmung 37 , sondern konkret und einfach im bereits angedeuteten Sinne von „wohnen" auf. D i e orientalische Heimat „zehrte" den Geist, bis er beinahe „verschmaditet" und „verbrandt" wäre, weil sie, in der der göttliche, kulturenstiftende Geist ehemals prächtig 35
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Vgl. zu diesem Verfahren die Vorstufe einer späteren Fassung des Patmosgesangs, St. Α. II. S. 177. V. 152. Für das ursprüngliche: „es ist der Wurf des Säemanns" erscheint die Neuformung: „Es ist der Wurf das eines Sinns"; das Wort „Sinn" weist deutlich auf den neutestamentlichen Logos-Begriff. Ferner die in der Einleitung dargelegte Bedeutung des Wortes „Pflege" in Vers 93 der Hymne „Am Quell der Donau": sie ergibt sich aus getreuer „Rückübersetzung" in das Nomen „cultura" (St. A. II. S. 128; S. 4 in dieser Arbeit). Die bisherige Interpretation der Überarbeitungsschicht Η Λ hat schon gezeigt, daß die Übertragung griechischer und lateinischer Wendungen oder von ihnen herrührender Fremdworte ein besonderes Kennzeichen dieser Spätstufe ist: für „Vers" stand „Winkel", für „Drama" stand „Handlung", und so erscheint nun für „Orient" in fast erläuternder Deutlichkeit der Doppelausdruck „im Anfang", „an der Quell". Friedrich Beißner, Hölderlins letzte Hymne (Reden und Aufsätze S. 225), gibt weitere Beispiele für diese dichterische Eigenart; er weist darauf hin, daß in dem Satz „Viel Männer möchten da / Seyn, wahrer Sache" die letzten beiden Worte eine wörtliche Wiedergabe des lateinischen „re vera" sind; als Parallele führt er Verse aus der zweiten Fassung der Ode „Diditermuth" an: „sieh! und das edle Licht Gehet, kundig des Wandels, Gleichgesinnet hinab den Pfad" - , „wo .gleichgesinnet' etwa das meint, was in gewöhnlicher Rede .gleichmütig' bedeutet, und die seltene Prägung genauer betrachtet nichts andres als Horazens .aequam mentem' widerspiegelt (,Aequam memento rebus in arduis servare mentem')." Der Begriff des „Orients" ist Hölderlin geläufig, vgl. „Hyperion", St. A. III. S. 110 f., 34, 12 f.: „Das holde Frühjahr weht' und glänzte vom Orient her . . ." Pyritz lehnt Beißners Deutung von „zu Hauß" als „bei sich selbst zu Hauße" als Umfärbung ab. Pyritz, S. 102; Fr. Beißner in: Erläuterungen, St. A . I I . S. 621. Z. 7 ff. Pyritz, S. 102: » . . . an der Stätte und auf der Stufe, wo alles schweifend Unbehauste zur Ruhe findet, zum Vater zurückkehrt (Novalis : ,Wo gehn wir denn hin? - Immer nach Hause.')."
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wohnte, „zu Hauß" war, längst in Verfall geraten ist. Des Orients Zeit ging vorüber, ohne daß der Geist zum hesperischen Okzident hätte weiterziehn können, weil dieser in seiner Nachtbefangenheit zur Aufnahme des Göttlichen nicht fähig war. Das Göttliche will sich im Irdischen kontinuierlich schön verkörpern, liebt stets neue Pflanzstätten, „Kolonien", in denen es die abgeworfenen Formen erstorbener Kulturen, in denen es ehemals lebte, „tapfer vergißt";und wenn sich kein aufnahmebereites Leben findet, in dem sich das Göttliche, der Geist, verkörpern kann, und lange kein Land bereit ist, sich in die Linie der von Osten nach Westen verlaufenden Offenbarungsräume einzureihen, dann sdvwindet der beseelende Geist, der immer neuer Verjüngung in hoher Kultur bedarf, auf der Erde überhaupt dahin, er wird auf den Trümmern der vergangenen Kultur aus-„gezehrt", er „verschmachtet" und „verbrennt" in dem zur kulturellen Wüste gewordenen Orient. Nun aber erreicht der göttliche „Geist" nach einer dürren Spanne kulturloser Zeit, in der er fast verschmachtet wäre, doch noch rechtzeitig Hesperien, wir dürfen genauer sagen: Germanien; denn darauf deuten die „Blumen" und „Schatten der Wälder". Die Blumen und Wälder versinnbildlichen gegenüber dem ausgebrannten Orient den Bereich neuer Keimkraft, frühlingshaften Wachstums und Blühens, der Bereitschaft zuir weichen Hegen des Künftigen im Schatten tiefer Ahnungen, Gefühle und Gedanken. Die schönste Parallele sowohl für die Wanderung des Geistes vom Orient ins hesperische Germanien als auch für die diesem zugeschriebenen „Blumen" und „Wälder" bietet die Hymne „Germanien" 3 8 : „ . . . D a ß schauen m a g bis in den Orient Der M a n n und ihn v o n d o r t der Wandlungen viele bewegen . . . U n d der A d l e r , der v o m Indus k ö m m t , U n d über des P a r n a s s o s Beschneite G i p f e l fliegt, hoch über den O p f e r h ü g e l n Italias, und frohe Beute sucht D e m V a t e r , nicht wie sonst, geübter im Fluge Der Alte, jauchzend überschwingt er Zulezt die A l p e n und sieht die vielgearteten L ä n d e r . D i e Priesterin, die stillste Tochter Gottes, Sie, die zu gern in tiefer E i n f a l t schweigt, Sie suchet er . . .
38 St. Α. II. S. 150 f. V. 37 ff. In einem eigenen K a p i t e l führt Peter Nickel S. 188 ff. H ö l d e r l i n s A u f f a s s u n g der Weltgeschichte als eines ost-westlichen Geschichtsstromes auf H e r d e r s großen Geschichtsentwurf zurück. E r betont dabei das Element der Verjüngung, der Palingenesie. D i e W a n d e r u n g des göttlichen Genius v o m Orient speziell ins hesperische Germanien ist schon bei Oetinger vorgebildet (vgl. L . K e m p t e r S. 70, Nickel S. 184). In Oetingers S d i r i f t über „die güldene Z e i t " heißt es, die Kirche sei v o m M o r g e n l a n d in die A b e n d l ä n d e r gezogen und Deutschland sei ihr endgültiges Ziel - G o t t
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und ruft es laut, Der Jugendliche 39 , nach Germania schauend: ,Du bist es, auserwählt, Alliebend und ein schweres Glük Bist du zu tragen stark geworden, Seit damals, da im Walde verstekt und blühendem Mohn Voll süßen Schlummers, trunkene, meiner du Nicht achtetest...'" Diese ganze Erklärung der späten Variante betrifft den aktuellen Gehalt der Verse, in dem ein mythischer Gehalt bereits Ausdeutung geworden ist. Der Dionysosmythos bestimmt die eigentliche Kernschicht bis ins Einzelne 40 . Mehrere unmittelbar aus der Sage übernommene Züge weisen den „Geist", der in der dargelegten allgemeinen Bedeutung mit dem Göttlichen im umfassenden Sinne gleichzusetzen ist, im besonderen als Dionysos aus. Die Feststellung, der Geist, der Beseeler, sei „im Anfang", „an der Quell", d. h. am Ursprung, bei seiner Geburt, „fast verbrandt", deutet auf das Schicksal des Dionysos 4 1 , der bei seiner Geburt fast verbrannt wäre, als Zeus in Blitzgestalt auf Semele herniederkam und sie in der feurigen Glut des Gottes den Tod fand. In der erläuterten zweiten Schicht ist dieser Mythos auf den geschichtlichen Bereich übertragen: die Worte „Anfang" und „Quell" beziehen sich auf die Länder des Ostens als „Orient", Ursprung des Göttlichen. Der in einer Variante von H 3 b anstatt der Bezeichnung „Beseeler" 42 gewählte N a m e „Seher" - „Fast wäre der Seher gehabe Deutschland schon lange für diese Aufgabe vorbereitet. Sogar das Bild des Adlers erscheint in diesem Zusammenhange; eine Kapitelüberschrift lautet: „Flug der Kirche mit Adlersflügeln nach Deutschland". 39
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Nun heißt der Adler „der Jugendliche", vorher, als er von den Stätten erloschener Kulturen kam, „der Alte" (Vgl. Fr. Beißner, Erläuterungen, St. Α. II. S. 741. Z. 24 ff.). Dodi sprechen die Verse nicht, wie Allemann interpretiert, von einem Dionysos, der „vom Himmel" zur Erde herabkommt: dafür geben die Wendungen „zu Hauß" und „Kolonie" keinen Anhaltspunkt, noch weniger die griechische Sage. Allemann schreibt weiter (S. 172): „Die Ankunft der Himmlischen auf der Erde bedarf sogleich der Kühlung, anders müßten der Halbgott und der Mensch verbrennen." - Nun ist aber der „ankommende Himmlische" der „Geist", und er, der „Beseeler", wäre fast verschmachtet und verbrannt keineswegs hätte er den „Halbgott" und die „Menschen" verbrannt; davon steht im Text nichts. Hinweis von Momme Mommsen, Dionysos in der Dichtung Hölderlins. GRM. NF. Bd. XIII. Oktober 1963 (Heft 4) S. 345-379. In der dritten Fassung des „Einzigen" heißt es V. 55 ff., der Evier habe „beschieden / Die Seele dem Thier" (St. A. II. S. 162); diese Aussage steht in einer Aufzählung der Haupteigenschaften des Dionysos. Die Beseelung des Lebens gehört also für Hölderlin zu den wichtigsten Wirkungen des Dionysos, und so kann er in der späten Überarbeitung von „Brod und Wein" einfach „der Beseeler" genannt werden. Zeitlich ist die 3. Fassung des „Einzigen" der späten Überarbeitung von „Brod und Wein" unmittelbar benachbart.
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brannt" - spielt erneut auf Dionysos an, der in der griechischen Literatur oft μάντις heißt 43 . Dazu sei noch einmal die im Zusammen!) ang der sechsten Strophe zitierte Stelle aus den Bacchen des Euripides V. 298 ff. angeführt: ,,μάντις δ'ό δαίμων δδε. τό γαρ βακχεύσιμον / και τό μανιώδες μαντικήν πολλήν εχει." Der griechische Mythos berichtet von Dionysos ferner, er sei, nachdem er beim Feuertod der Semele fast mitverbrannt war, als nodi ungeborenes Kind von Zeus gerettet und von Hermes den Nymphen des Waldes zum Aufziehen gebracht worden. Allbekannt ist die Darstellung des Praxiteles, die Hermes mit dem kleinen Dionysosknaben auf diesem Wege zeigt. Vom Aufenthalt im W a 1 d e bei grottenbewohnenden Nymphen spredien der zweite und der dritte homerische Dionysoshymnus; Horn. Hymn. II. V. 7 ίϊ.: ,,Αύτάρ επειδή τόνδε θεαι πολύυμνον εθρεψαν, δή τότε φοιτίζεσκε καθ' ύλήεντας έναύλους, κισσψ και δάφνη πεπυκασμένος. αί δ'αμ' εποντο νύμφαι, ό δ'εξηγείτο. βρόμος δ'εχεν ασπετον ΰλην." „Als die Göttinnen den Besingenswerten erzogen hatten, durcheilte er unaufhörlich w a l d i g e Täler, bekränzt mit Efeu und Lorbeer; die Nymphen folgten ihm, und er führte an; Lärm erfüllte den unendlichen W a ld." Der Name dieses Ortes istNysa (V. 5: Νύσης έν γυάλοις), der dritte homerische Hymnus an Dionysos schildert ihn wiederum als Waldgebirge, V. 8: „'Έστι δε τις Νΐιση, ΰπατον ορος, άνθέον ίίλη . . . " - „. . . Da ist ein gewisses Nysa, ein hohes Gebirge, mit W a l d bedeckt...". - In der zweiten Schicht wird nun das Mythische zur aktuellen Metapher: wie der Gott Dionysos einst zu den Nymphen in die Wälder gebracht wurde, so kommt das Göttliche jetzt in „die Schatten unserer W ä l d e r " , vom östlichen Ursprung ins hesperische Deutschland. Der Mythos von Dionysos, der nadi seiner Geburt zu den Nymphen in tiefe Wälder gebracht wurde, bot einen Ansatzpunkt für dichterische Ausgestaltungen, die den wandernden Gott auch später in Begleitung der Nymphen in waldigen Gegenden sich aufhalten und sein dionysisches Wesen entfalten lassen. Im ersten Stasimon des Oedipus Coloneus spricht Sophokles in farbigen Bildern von einer soldien Heimstatt des Gottes in 43
Dies stellt audi Mommsen S. 353 fest. Der Grund für die Ersetzung des Wortes „Seher" durdi „Beseeler" ist wohl erkennbar: „Seher" kam dem Dichter zu speziell, zu sehr als Einzelzug aus dem Dionysosmythos vor, als daß diese Benennung vom Leser noch hätte auf das intendierte Göttliche überhaupt bezogen werden können. Das vom Besonderen auf das Allgemeine Übertragbare, das „Metaphorische", auf das es in diesen Versen durchgehend ankommt, muß ihm zumindesten nicht mehr deutlich genug erschienen sein. Denn es ist möglich, daß er audi bei der Konzeption des Begriffes „Seher" beide Bereiche, den dionysischen und den allgemeinen, umgriffen sah. Als μάντις ist der Seher Dionysos, als θεός wäre er infolge einer über das Verbum θεάομαι, „sehen", „schauen" laufenden etymologischen Spekulation überhaupt „Gott".
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seiner eigenen Heimat Kolonos. Hölderlin übersetzte gerade dieses Chorlied. Es enthält die meisten der bildhaften Vorstellungen, die in die Verse der späten Variante zu „Brod und Wein" eingegangen sind. Kolonos ist der Ort, „wo durchdringend klagt Die wiederkehrende Nachtigall Unter grünem Buschwald Uberwölbt von dunklem Epheu, Und von des Gottes unzugänglichem Geblätter Dem früchtevollen, sonnenlosen, Keinem Sturme bewegten. Wo immerhin der bacchantische Dionys einhergeht, Wohnend unter den göttlichen Nährerinnen, Wo immerhin vom himmlischen D u f t Die schöntraubigte Narcisse Aufwächst, von Tag zu Tag, Der großen Göttinnen Uralter Kranz, Und der goldglänzende Krocus. Noch mindern sich die schlummerlosen Quellen, Die in Wasser des Cephissus sich theilen . . ," 44
Da ist der „Schatten" der späten Variante und der „Wald" - es ist vom grünen Buschwald, vom dunklen Efeu, vom unzugänglichen Geblätter, dem „sonnenlosen" die Rede - hier nun auch die „Blumen": Narcissen und Krocus. Die Wendung vom Geist, der „Kolonie liebt", deutet innerhalb der mythischen Schicht auf die Wanderzüge des Dionysos, von denen Hölderlin immer wieder spricht und auf die er schon am Ende der siebten Strophe anspielte - mit den Versen von des Weingotts heiligen Priestern, welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht. Der kolonieliebende Dionysos nun ist Metapher des kulturenstiftenden Göttlichen. Schließlich ist Dionysos der Gott des „tapferen Vergessens", der „Vergessenheit", wie die dritte Strophe zeigte, und dieses Vergessen wird auf die Wanderbewegung des Göttlichen von Osten nach Westen angewandt, in deren Verlauf die Gottheit alte Bereiche, Kulturen verläßt, „vergißt", um in neue „Kolonien" weiterzuziehn. Stellen wir nun die späte Überarbeitung in den Zusammenhang der neunten Strophe von „Brod und Wein" ! „Was der Alten Gesang von Kindern Gottes geweissagt, Siehe! wir sind es, wir; Frucht von Hesperien ists! Wunderbar und genau ists als an Menschen erfüllet, Glaube wer es geprüft! nemlidi zu Hauß ist der Geist « St. Α. V. S. 32. V. 6-23.
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Die späte Überarbeitungsschicht H 3 b Nicht im Anfang, nicht an der Quell. Ihn zehret die Heimath Kolonie [n] liebt, und tapfer Vergessen der Geist. Unsere Blumen erfreun und die Schatten unserer Wälder Den Verschmachteten. Fast wäre der Beseeler verbrandt. Seelige Weise sehns; ein Lächeln aus der gefangnen Seele leuditet, dem Licht thauet ihr Auge noch auf."
Die „Alten" sangen ihre Weissagungen von Kindern Gottes im Orient, im Ursprungsland des zu erfülltem Leben weckenden göttlichen Geistes. Daß es nun nicht der Raum, in dem die Alten weissagten, sondern der unsrige in Hesperien ist, dem die geweissagte Erfüllung zu Teil wird, erklärt sich daraus, daß der Geist in immer neue Pflanzstätten, Kolonien, weiterwandert und heute nicht mehr „an der Quell" „zu Hauß" ist; darum beginnt die Neufassung mit einem erklärenden „nemlich . . . " Und selige Weise, die für den „Geist" besonders tiefen, spürenden Sinn besitzen, „sehns", daß er nun bei uns eingekehrt und „zu Hauß" ist, um die heilige Nacht in einen Tag der Vollendung zu verwandeln.
IX. D E R
VATER ÄTHER
UND
DIE
SÖHNE.
Der Anrufung des Vaters Äther kommt in der Elegie „Brod und Wein" zentrale Bedeutung zu. Bei der Schilderung der göttlichen Offenbarung in der vierten Strophe wiederholt sich der heilige Name in höchster Emphasis: „Wo brichts, allgegenwärtigen Glüks voll / Donnernd aus heiterer Luft über die Augen herein? / Vater Aether! so riefs und flog von Zunge zu Zunge / . . . es wächst schlafend des Wortes Gewalt / Vater! heiter! und hallt, soweit es gehet, das uralt / Zeichen, von Eltern geerbt, treffend und schaffend hinab." Und der innere Höhepunkt der Schlußstrophe liegt in den Worten: „ . . . wir sind herzlos, Schatten, bis unser / Vater Aether erkannt jeden und allen gehört". Der Name „Vater Aether" und „Vater! heiter!" erscheint jeweils am Versanfang, zweimal in expressiv steigerndem Enjambement. Der sinngeladene Vers der neunten Strophe kann nicht genug akzentuiert werden: „bis unser / Väter Aé'ther — erkannt! - jeden und allen gehört." Wir sehen in diesen Stellen der Elegie „Brod und Wein" den entscheidenden Anfang des Denkens von der großen Vatergottheit, welche von nun ab Hölderlins Dichtungen beherrscht. Schon in der folgenden Elegie „Heimkunft" erscheint der ätherische Vatergott wieder im Mittelpunkt: „höher hinauf wohnt über dem Lichte der reine / Seelige Gott vom Spiel heiliger Stralen erfreut. / Stille wohnt er allein und hell erscheinet sein Antliz, / Der ätherische scheint Leben zu geben geneigt . . ," 1 ; noch wichtiger die Aussage in V. 85 ff.: „Vieles hab' ich gehört vom großen Vater und habe / Lange geschwiegen von ihm, welcher die wandernde Zeit / Droben in Höhen erfrischt. . . " Dieses „lange Schweigen" wird nun durchbrochen. In der den letzten Elegien benachbarten, vorhymnischen Archipelagusdichtung heißt es V. 237 ff.: „und über Bergen der Heimath / Ruht und waltet und lebt allgegenwärtig der Aether, / Daß ein liebendes Volk in des Vaters Armen gesammelt, / Menschlich freudig, wie sonst, und Ein Geist allen gemein sei"2. Dann wird dieser in der Elegie „Heimkunft" als Zeitengott verehrte Vater Aether „Geist der Natur" genannt, der Dichter hofft, daß „Uns der Geist der Natur, der fernherwandelnde, wieder / Stilleweilend der Gott in goldenen Wolken erscheinet". In der Schluß1 St. Α. II. S. 96. V. 21 ff. 2 St. Α. II. S. 110. V. 237 ff. 14
Schmidt, H ö l d e r l i n
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Der Vater Äther und die Söhne
Strophe des Patmosgesangs ist es der „ V a t e r " , „der über allen waltet" 3 , er liebt am meisten, daß die Überlieferung in heiligen Schriften, „der veste Buchstab", gepflegt wird. Diese Vatergottheit als Geist der N a t u r , als in heiligen S c h r i f t e n sich offenbarende Gottheit - „mit Stimmen erscheinet Gott als / N a t u r von außen. Mittelbar / In heiligen Schriften" sagt die dritte Fassung des „Einzigen" 4 - und als über die G e s c h i c h t e waltende Zeitengottheit ist die umfassende Vorstellung vom Göttlichen in Hölderlins reifer Dichtung. Von der Einkehr und Gegenwart, vom „Erkennen" dieses allumfassenden und über allem thronenden göttlichen Wesens hängt das Glück der Welt, die Erfüllung und Schönheit menschlichen Daseins ab. Sie ist letztes Ziel von Hölderlins Hoffen und Dichten. Die oberste Gottheit bleibt notwendig erscheinungslos, sie duldet kein unmittelbar und ganz darstellendes Bildnis, spricht nur aus N a t u r , Geschichte und heiligen Schriften, erlaubt nur Annäherung, nicht Erfassung, mehr Ahnung als genaue Kenntnis - so daß „ Erkenntniß" nicht als Besitzergreifung durch die menschliche Vernunft, sondern als seelische Offenheit gegenüber dem Hohen zu verstehn ist. Die Sehnsucht nach unmittelbarer Anschauung bleibt, wird aber wenigstens teilweise erfüllt, denn der Vater schickt „Söhne" zur Erde. Sie können Gestalt annehmen, doch begeben sie sich damit in das Verhängnis der Geschichtlichkeit und Sterblichkeit; sie vermögen nicht Fülle göttlichen Lichts, Götter, sondern nur Halbgötter, „Fakelschwinger" zu sein. Wieder ist es die Elegie „Brod und Wein", die zuerst den „Vater" und die „Söhne" nebeneinander nennt, den innerlich notwendigen Doppelaspekt im Denken des Göttlichen bietet: „Wir sind herzlos, Schatten, bis unser / Vater Aether erkannt jeden und allen gehört. / Aber indessen kommt als Fakelschwinger des Höchsten / Sohn, der Syrier, unter die Schatten herab." Auch rhythmisch ist die Gegenüberstellung eindrucksvoll: das Wort „ S o h n " steht am Versanfang ebenso scharf und emphatisch im Enjambement wie vorher das Wort „Vater", es muß beim Lesen eine die Wichtigkeit des Bezuges sofort aufhellende Betonung erhalten. Das Zeitadverb „Indessen" relativiert die Gestalt des „Fakelschwingers" und unterstreicht so die Vollendung im Wesen des Vaters, bezeichnet den Vater als letztes, höchstes Ziel, dessen Erreichung die Söhne nur dienen. In der ersten Patmos-Strophe werden die „Liebsten" genannt, die nah wohnen auf getrenntesten Bergen, den rings gehäuften Gipfeln der Zeit, die es zu verbinden gilt, um zur ganzen, überzeitlichen Wahrheit zu gelangen - und zu einem dieser Liebsten, zu Christus, repräsentiert durch Johannes auf dem Berg der von trennenden
a St. A. II. S. 172. V. 222 f. 4 St. A. II. S. 163. V. 82 ff.
Der Vater Äther und die Söhne
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und doch unschuldigen und verbindenden Wassern umflossenen Insel Patmos, bricht der von den Fittigen des Gedankens beflügelte Dichter selbst auf. Die Schlußstrophe spricht aber wieder vom „Vater", der „über allen waltet" und also auch über den Liebsten und deren „Kleinod", Christus. Schließlich Verse aus der Friedensfeier: „Vom Alllebendigen aber, von dem / Viel Freuden sind und Gesänge, / Ist einer ein Sohn, ein Ruhigmächtiger ist er, / Und nun erkennen wir ihn, / Nun, da wir kennen den Vater / Und Feiertage zu halten / Der hohe, der Geist / Der Welt sich zu Menschen geneigt hat." Wieder ist der Vater das Prinzip, auf das alles ankommt, von dem alles ausgeht. Die Verse lassen erkennen, wie stark das Vaterbild Projektion umfassender, subjektiver Gestimmtheit ist: der Vater - von dem wir nodi sehn werden, daß er auch der Fürst des Festes ist stellt zugleich die „Bereitschaft zu neuer schöpferischer Gottesbegegnung" dar, wie Friedrich Beißner formuliert, denn die Voraussetzung der Erkenntnis des Vaters für die Erkenntnis des Sohnes bedeutet, daß bei den Menschen erst auf dem Grunde einer allgemeinen und vollkommenen seelischen Offenheit für das Göttliche der Sinn auch für die einzelnen Epiphanien im beschränkten Feld der Geschichte reif wird. Damit kehrt die Friedensfeier das in „Brod und Wein" errichtete Schema um: dort wirkte der „Fakelschwinger" „indessen", in der nächtlichen Zwischenzeit, damit der Vater Äther erkannt am Ende jeden und allen gehört. Hier wird erst durch die am Ende der Zeiten geschehende Herabkunft und „Erkenntnis" des Vaters auch der Sohn in seiner Bedeutung erkannt - und daraus ergibt sich sofort die Frage, wozu denn der Sohn überhaupt notwendig gewesen sei, und der fragende Hinweis auf die letzte Strophe von „Brod und Wein". Die Aufhebung des scheinbaren Widerspruchs gibt der Friedensfeierhymnus durch die Unterscheidung zwischen einer während des geschichtlichen Vorganges selbst und einer nicht gleichzeitig, sondern erst am Ende, vom Ergebnis her gewonnenen Erkenntnis des Geschehens, das trotzdem seine volle Geschichtsmächtigkeit behält. Diese zuletzt genannte Ansdiauung herrscht in der „Friedensfeier", die andere in „Brod und Wein" vor, wenn auch nur eingeschränkt, da die Erkenntnis „seeligen Weisen" vorbehalten ist. Das Entscheidende, die Überzeugung von der Geschiditsmächtigkeit der zwischenzeitlichen Epiphanien, ist der Friedensfeierhymne und der Elegie „Brod und Wein" gemeinsam. Die Friedensfeier rückt die Gestalt des Vaters ins Zentrum, erleuditet sie und den Bezug zwischen Vater und Söhnen, Gott und Halbgöttern im Rahmen eines großen Geschichtsentwurfs mit den Energien esdiatologisdier Spekulation. Sie ist hymnischer Gipfel in Hölderlins Denken des Göttlichen, gibt die ganze Breite und Tiefe des dem Dichter ureigenen Betrachtungsfeldes, während andere Dichtungen nur vereinzelte Aspekte bieten. 14*
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Der Vater Äther und die Söhne
Wir können hier nicht eine Interpretation der Hymne geben 5 , sondern nur die für den behandelten Problemzusammenhang wichtigen Stellen deuten. Die Schlüsselstellung kommt der vielumstrittenen neunten Strophe zu. Sie spricht vom Festtag, vom Allversammelnden, „ . . . wo Himmlische nicht Im Wunder offenbar, nodi ungesehn im Wetter, Wo aber bei Gesang gastfreundlich untereinander In Chören gegenwärtig, eine heilige Zahl Die Seeligen in jeglicher Weise Beisammen sind, und ihr Geliebtestes auch, An dem sie hängen, nicht fehlt; denn darum rief idi Zum Gastmahl, das bereitet ist, Dich, Unvergeßlidier, dich, zum Abend der Zeit, O Jüngling, dich zum Fürsten des Festes; und eher legt Sich schlafen unser Geschlecht nicht, Bis ihr Verheißenen all, All ihr Unsterblichen, uns Von eurem Himmel zu sagen, D a seid in unserem Hauße." 6
Ist der „Jüngling" mit dem „Fürsten des Festes" identisch? A m Schluß der dritten Strophe heißt es „Und rathen muß ich, und wäre silbergrau / Die Loke, o ihr Freunde! / Für Kränze zu sorgen und Mahl, jezt ewigen J ü n g l i n g e n ähnlich". An dieses Wort „Jünglinge" knüpft die vierte Strophe an: „Und manchen möcht' ich laden, aber o du . . . " Der Dichter möchte also „manchen" von den ewigen Jünglingen laden und denkt dabei vor allem an Christus, da dieses „du", wie die nachfolgend zitierten Bibelszenen beweisen, auf Christus bezogen ist. Der Passus „o Jüngling" in der neunten Strophe („darum rief ich . . . Dich . . . O Jüngling") bezieht sich auf diese frühere Aussage. Daraus ergibt sich, ebenso wie aus der Benennung „Unvergeßlicher" in der neunten Strophe - die vierte Strophe hat eine der Szenen aus dem Leben Christi in Erinnerung gerufen, die ihn dem Dichter unvergeßlich machen - , daß der Jüngling in der neunten Strophe Christus ist. Ist deshalb der Fürst des Festes identisch mit Christus? Beginnen wir mit der ersten Aussage über den „Fürsten des Festes", in der zweiten Strophe: „Und dämmernden Auges denk' idi schon, / Vom ernsten T a g w e r k lächelnd, / Ihn selbst zu sehn, den Fürsten des Fests." Die ersten Verse der siebten Strophe lauten: „Denn längst war der zum Herrn der Zeit zu groß / Und weit aus reichte sein Feld, wann hats ihn aber erschöpfet? / Einmal mag aber ein Gott auch T a g e w e r k erwählen . . . " Diese Gottheit zu Anfang der Zur weiteren Begründung und Vertiefung der im folgenden erörterten Fragen vgl. Jochen Schmidt, Die innere Einheit von Hölderlins „Friedensfeier", H J b 1965/66, Tübingen 1967, S. 125-175. « St. A. III. S. 536. V. 103-117. s
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Der Vater Äther und die Söhne
siebten Strophe ist mit dem Fürsten des Festes zu Anfang der zweiten S t r o p h e - d e r audi „ein G o t t " ist („wo a b e r / E i n Gott noch auch erscheint,/ D a ist doch andere Klarheit") - identisch, denn es ist beide Male eine Gottheit, die „Tagwerk" getan hat. Nun ist die Gottheit zu Anfang der siebten Strophe der Vater, da die Verse an den Schluß der sechsten Strophe anknüpfen: „ . . . nun, da wir kennen den Vater / Und Feiertage zu halten / Der hohe, der Geist / Der Welt sich zu Menschen geneigt hat. // (7.Str.:) Denn längst war der zum Herrn der Zeit zu groß . . . "
„Der" ist der
„Vater", und da „der", der das „Tagwerk" vollbracht hat, zugleich der Fürst des Festes ist, ist der Vater der Fürst des Festes. Eigentlich erhellt dies schon aus der Stelle: „Nun, da wir kennen den Vater / Und Feiertage zu halten / Der hohe, der Geist / Der Welt sich zu Menschen geneigt hat". Der Feiertag ist dasselbe wie das „Fest" und derjenige, der sich herabneigt, um Feiertage zu halten, ist notwendig der Hauptveranstalter, der „Fürst" des Festes. Auch sagen die zitierten Verse nicht, daß sich nun der Vater, der Weltgeist, herabneige, sondern, daß er sich schon herabgeneigt hat: dies kann nur eine Berufung auf die in der zweiten Strophe geschilderte Ankunft des Fürsten sein. Fürst muß der Vater schließlich als Prinzip alles anderen, als Quell alles partiellen Heilsgeschehens in Natur und Geschichte sein. Er ist „alllebendig", in der Weise der Allheit, und deswegen ist er notwendig auch der Fürst des ihn repräsentierenden „allversammelnden" Festtags. Der für die „Friedensfeier" zentrale Gedanke der Allheit ist auch in den folgenden Versen hervorgehoben, die sagen, daß „Die Seeligen in jeglicher Weise Beisammen sind, und ihr Geliebtestes auch, An dem sie hängen, nicht fehlt; denn darum rief ich Zum Gastmahl, das bereitet ist, Dich, Unvergeßlicher, didi, zum Abend der Zeit, O Jüngling, dich zum Fürsten des Festes."
Das Entscheidende für die Betonung des „Dich" liegt nicht in dem steigernden Bezug der Jünglingsgestalt zuerst zum Gastmahl, dann zum Abend der Zeit, schließlich zum Fürsten des Festes, sondern in dem Gedanken: Dich, D i c h u n d n i c h t e t w a e i n e n d e r a n d e r n (insistierende Emphasis) rufe ich, denn damit mache ich die Gesamtheit der Himmlischen gegenwärtig; indem ich dich beschwöre, ziehe ich die andern, die j a an dir „hängen" - man muß dieses „hängen" wörtlich nehmen - , herbei. „Darum" rief ich dich - das „Darum" kann nicht auf das Vorhandensein, das „Nichtfehlen", sondern nur auf den Passus „ihr Geliebtestes auch, / An dem sie hängen" bezogen sein. Der so in dem Pronomen „Dich" konzentrierte Gedanke an die Gesamtheit, auf die es
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eigentlich ankommt, läßt auch erst die anschließenden Verse als harmonische Fortführung und Aufgipfelung erscheinen: „und eher legt Sich schlafen unser Geschlecht nidit, Bis ihr Verheißenen a l l , A l l ihr Unsterblichen, uns Von eurem Himmel zu sagen, D a seid in unserem Hauße."
Das beherrschende Gesamtbild der Friedensfeier: der Vater, der hohe Geist der Welt, neigt sich zur Erde, um den Frieden zu feiern, er ist der Fürst des Friedensfests. Der Dichter sorgt bei diesem Fest f ü r Kränze und Mahl und spricht die Einladungen aus. Beim Gedanken an die Einladung kommen ihm „manche" der Himmlischen in den Sinn, die als Gäste an der Feier teilnehmen sollen, aber er lädt vor allem Christus ein, weil dann die andern mit ihm, als ihrem Geliebtesten, an dem sie hängen, von selbst kommen. Angeführt von Christus, der auch „ein Sohn" ist, versammeln sich alle die himmlischen Söhne, die in der Geschichte für den Vater gewirkt haben, um sich nun, in vollendeter Zeit, im Chor um den zur Erde Herniedergestiegenen zu scharen und mit ihm die Friedensfeier zu begehn. Der Vater stellt also die gesamtzeitliche und überzeitliche Ganzheit des Göttlichen dar, und sobald er am Ende der Zeiten erscheint, womit zugleich alle Zeit aufgehoben ist - so heißt es denn auch zu Beginn der siebten Strophe rückprojizierend: „Denn längst war der zum H e r r n der Zeit zu groß" - summieren sich in ihm die einzelnen zeitgebundenen, geschichtlichen Erscheinungen des Göttlichen, die nur Teiloffenbarungen seines Wesens waren: im dichterischen Bild scharen sich die Söhne um den Vater. Die vorletzte Strophe der Friedensfeier spricht von der „Gestalt der Himmlischen", sie ist „goldne Frucht, / Uraltem Stamm / In schütternden Stürmen entfallen", am Ende der Zeiten. Auffälligerweise heißt es nicht: „die Gestalten der Himmlischen", sondern „die Gestalt der H i m m lischen". Die Erklärung liegt wiederum darin, daß erst alle Himmlischen zusammen die eine „Gestalt" ergeben, auf die es ankommt, „das Göttliche" in seiner vollkommenen, abschließenden Ganzheit. Der Plural im Singular, das „Alle in Einem" ist eine neue Auslegung der den Dichter seit jeher bewegenden Formel εν και παν; er ist eine Grunderscheinung religiöser Sprache und besitzt eine erstaunliche Parallele in der Bezeichnung der Bibel f ü r Gott, der neben dem N a m e n Jahve auch den N a m e n „Elohim" bekommt. „Elohim" ist ein Plural und heißt „Götter" (so daß der erste Vers der Bibel in genauer Übersetzung eigentlich lautet: „Im Anfang schuf ,Götter' Himmel und Erde").
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Das Bruchstück einer späteren Patmosfassung stimmt mit der Aussage der Friedensfeier überein 7 : ,,.. . da gehäuft sind rings, um Klarheit, Die Gipfel der Zeit, Und die Liebsten nahe wohnen, ermattend auf Getrenntesten Bergen . . . "
Der Ring der Gipfel umschließt den Bereich des vollkommenen Göttlichen, der „Klarheit" 8 ; der Chor der Liebsten, die Versammlung der einzelnen Göttersöhne, macht den Vater, die allumfassende, sonst trotz ihrer Nähe „schwer" zu fassende Gottheit erst erkennbar. Der „Vater Aether" ist eine notwendige Form des Denkens vom Göttlichen. Die Gottheit kann nicht faßbar und zu beschreiben, nicht mit einzelnen konkreten Zügen abzubilden sein - und so ist der „Äther" als das alles durchdringende, erfüllende und belebende und doch zugleich keinerlei Anschauung gewährende, völlig gestaltlose Element die angemessenste Umschreibung. Es läßt sich gerade noch sagen, wie „höher hinauf wohnt über dem Lichte der reine / Seelige Gott vom Spiel heiliger Stralen erfreut" 9 . In der Hymne „Am Quell der Donau" kommt das Göttliche erscheinungslos als „Wort" von Osten, und als menschenbildende „Stimme" schallt es von den Alpen herab - Anklang an den Hymnus zu Anfang des Johannesevangeliums, wo das Wort, der Logos, Gott ist, und an Deut. 4, 12, wo von der Erscheinung Jahves auf dem Berge Sinai gesagt ist: „Die Stimme seiner Worte hörtet ihr, aber keine Gestalt sähet ihr außer der Stimme." Es hat seine Bedeutung, wenn in der Friedensfeier, wo sich der Vater, der hohe Geist der Welt, als Fürst des zu feiernden Festes zur Erde herabneigt - hier ist der in „Brod und Wein" sehnlichst erwünschte Zustand erreicht, da „unser Vater Aether erkannt jeden und allen gehört" wenn in der Friedensfeier der große Vater nirgends als direkt gesehen und als deutlich erscheinend beschrieben wird. Als sei nur ehrfürchtige Ahnung erlaubt, heißt es: „Und dämmernden Auges denk' ich schon, / Vom ernsten Tagwerk lächelnd, / Ihn selbst zu sehn, den Fürsten des Fests." Und trotz dieses nur ahnenden Sehns und obwohl das Herannahen des Numinosen in einer allversöhnenden Erscheinung, in „Freundesgestalt", als συγκατάβασις vorgestellt wird, „beugt fast die Knie das Hohe". Ein später Entwurf beginnt mit den Versen 10 : „Was ist Gott? unbekannt, den-
7 St. Α. II. S. 179. V. 9 ff. 8 Audi in der Friedensfeier ist es die „Klarheit", die dem Vater, dem Fürsten des Fests, zugeordnet ist, V. 22 if.: „Ein Weiser mag mir manches erhellen; w o aber / Ein Gott nodi audi erscheint, / Da ist dodi andere Klarheit." 9 St. Α. II. S. 96. V. 21 f. w St. Α. II. S. 210.
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noch / Voll Eigenschaften ist das Angesicht / Des Himmels von ihm." Dieses Unbekanntsein der Gottheit muß immer bestehen bleiben, sie kann bloß in ihrem Anderssein empfunden werden. Darum heißt es in der Friedensfeier weiter: „Nichts vor dir, / Nur Eines weiß ich, Sterbliches bist du nicht." Das überpersönliche, als „Geist, der weht wo er will" erfahrene und jeder positiven Festlegung widersprechende Wesen der Gottheit hat keinen Namen und kann alle Namen haben; als Prinzipium und Urkraft wird es zwar immer wieder personifiziert als „Vater", doch in einer eigenartig unaufdringlichen Körperlosigkeit und Erscheinungslosigkeit, für welche die Benennung „Äther" Symbol ist und die überhaupt die Art der Rede von der obersten Gottheit bestimmt, so daß gerade solche besonders tief dringenden Abschnitte in den Elegien und Hymnen dunkel und orakelhaft erscheinen. Es waltet eine Spannung zwischen dem notwendig gestalthaften, persönlichen Vorstellen und dem zum Esoterischen, Geistigen neigenden Gefühl. In Gedichten wie „Heimkunft", „Der Rhein", „Friedensfeier" sind äußerste Höhen dieses esoterischen Dichtens erreicht, nirgends in deutscher Dichtung erscheint das Sublime, Feierliche so rein. Heraklits Wort „Eins, das allein Weise, will nicht und will doch mit dem Namen des Zeus benannt werden" 11 bezeichnet den Kern dieses dichterischen Erlebens. An vielen Einzelzügen ist es abzulesen. So fällt etwa in der Spätdichtung neben den deutungsvoll ausgeprägten mythologischen Zeichen und den historischen Namen die entschiedene Steigerung der neutestamentlichen Pneumatologie und der Lichtmetaphysik des Johannesevangeliums auf. Für das Wort „Gott" tritt vielfach das Wort „Geist" ein, und bei der Bezeichnung des Göttlichen rückt an die Stelle des personifizierenden und individualisierenden Maskulinartikels oft das unpersönliche und verallgemeinernde Neutrum. In der dritten Strophe von „Brod und Wein" heißt es „So komm! daß wir d a s O f f e n e schauen . . . " In „Germanien" ist davon die Rede, daß einsmals „ein Wahres" erscheinen muß; in der zweiten Strophe der Friedensfeier beugt „das Hohe" fast die Knie. Es handelt sich hier nicht um blaß abstrahierende Begrifflichkeit, sondern um den Ausdrude einer hcxhentwickelten Empfindung für das unbegrenzbar Flutende, unfaßlich Allgemeine der geheimnisvollen numinosen Macht. Diese Empfindung für das Ätherische ist ebenso notwendig wie die Neigung zum deutlichen Konturieren, zum anthropomorphen Vorstellen des Göttlichen, weit über die Grundformel vom „Vater" und den „Söhnen" hinaus: in der zweiten Strophe der Friedensfeier ist geradezu ein Wechseln zwi11
Heraklit Β 32: „?v τό σοφόν μοΰνον λέγεσθαιούκ έθέλει καί έθέλει Ζηνός όνομα" (Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. 11. Auflage. Herausgegeben von Walther Kranz. l . B a n d . Züri di/Berlin 1964.).
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sehen persönlicher Gestalt und unpersönlicher Macht zu beobachten. Der Fürst des Festes wird in den Versen, die von seiner Verwandlung in Freundesgestalt handeln, mit „du" angeredet („doch wenn d u schon d e i n Ausland gern verläugnest... d e i n Auge s e n k s t . . . D u Allbekannter . . . " ) - und unmittelbar darauf folgt der Passus „doch / Beugt fast die Knie d a s H o h e " . Derselbe Gehalt liegt, in etwas anderer und schwächerer Form, in dem Wechsel der von der hohen, nur zu ahnenden Erscheinung des Fürsten scheu Abstand nehmenden, sehr indirekten Rede v o n i h m und der annähernden, direkten, persönlichen Anrede a η i h η : der Dichter denkt dämmernden Auges „ I h n selbst zu sehn, den Fürsten des Fests", dann erst folgt die direkte Anrede in der zweiten Person, bei der Vorstellung, wie der Fürst des Festes durch seine versöhnende Verwandlung in Freundesgestalt zu einem „du" geworden ist - und nach der „Du"-Anrede wendet sich die hymnische Sprache mit großer Konsequenz wieder in die Gegenrichtung, in den Worten vom „Hohen", so, als sei eine zu vertrauliche Annäherung geschehen. In diesem Wechsel stellt sich, durch Hölderlins unerschöpfliche Sprachmeisterschaft, das Vollendete als Einig-entgegengesetztes dar: die Einheit glänzt hymnisch am Ende dieses Strophenteils auf, in dem Worte: „ein Gott" ( „ . . . wo aber / Ein Gott noch auch erscheint, / Da ist doch andere Klarheit" 12 ). Wie das Denken des Göttlichen im „Vater Aether" seinen adäquaten Ausdruck erhält, so findet das Streben nadi Faßbarkeit, nach einem „Halt", in den Gestalten der auf Erden wirkenden Göttersöhne Herakles, Dionysos, Christus sein Ziel. Beispielhaft ist die Ausprägung der beiden Pole in der dritten Fassung des „Einzigen" : „Herrlich grünet / Ein Kleeblatt. U η g e s t a l t w a r , u m d e s G e i s t e s w i l l e n , dieses, dürfte von solchen / Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie / Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Deß dürfen die Sterblichen wegen dem, weil / O h n e H a l t v e r s t a n d l o s G o t t ist." 1 3 Von den Göttersöhnen wird Christus immer mehr zur Hauptfigur, die andern „Liebsten" treten hinter ihm zurück - keiner wie er gilt statt der übrigen alle. Diese Feststellung des Prosaentwurfs zur Friedensfeier 14 bedeutet Transponierung des in der Hymne vom „Einzigen" ausgedrückten,betont subjektiven Gefühls in den Bereich objektiver Gültigkeit. 15 In der ersten Fassung des „Einzigen" heißt es: „Es hänget aber an Einem / Die Liebe. Diesesmal / Ist nemlich vom eigenen Herzen / Zu sehr gegangen der Gesang, / Gut machen
" St. A. III. S. 533. V. 22 ff. " St. Α. II. S. 163. V. 75-79. 14 St. Α. II. S. 699, Z. 19 f.: „Keiner, wie / du, gilt statt der übrigen alle." 15 Damit soll nicht gesagt werden, daß die „Friedensfeier" später als „Der Einzige" entstanden ist.
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will ich den Fehl / Wenn ich noch andere singe16." Den Zwiespalt zwischen der Notwendigkeit, alle zu singen, und der Liebe zu Einem kennt die Friedensfeier nicht: Christus darf an erster Stelle erscheinen, weil er nicht nur die liebste Gestalt des Dichters, sondern auch das „Geliebteste" der andern Himmlischen ist. Die den Dichter im „Einzigen" als Eigenmächtigkeit beunruhigende Vorliebe schreibt die „Friedensfeier" den übrigen Himmlischen selbst zu. Der Abstand läßt sich genau ermessen, da in beiden Stellen die gleichen Hauptbegriffe stehn: „Und ihr G e l i e b t e s t e s audi, / An dem sie h ä n g e n " (Friedensfeier) - „Es h ä n g e t aber an Einem / Die L i e b e " (Der Einzige). Das Sprechen von den Göttersöhnen, den irdisch anschaubaren Teiloffenbarungen des Göttlichen, ohne die Gott den Menschen, die ohne „Halt" wären, „verstandlos" bleiben müßte, konzentriert sich also immer mehr auf den einen göttlichen Sohn Christus. Er steht als Repräsentant der andern neben dem Vater. Zugleich nimmt seine viel konkretere Erscheinung die „um des Geistes willen" unbestimmte Gestalt des Vaters, des hohen Geistes der Welt, des Aethers und wie alle seine Namen lauten (er kann alle führen) immer wieder auf, rückt fast an ihre Stelle - fast, denn die Grundzweiheit Vater-Sohn bleibt bestehn, sie ist eine notwendige Vorstellungsform beim Denken des Göttlichen - , und es ist nur natürlich, daß umgekehrt auch Christus durch seine Nähe zum Vater in der Dichtung Hölderlins esoterische, „ätherische" Züge erhält.
« St. Α. II. S. 155. V. 83 ff.
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Hölderlins Das Nächste Beste V. I f f . (3. Fassg.):S. 125 V. 1 ff. (3. Fassg.): S. 174 Das Schiksaal S. 115 Der Ardiipelagus S. 20 V. 272 ff.: S. 38 S. 44 V. 290 ff.: S. 48 V. 210: S. 59 S. 73 ff. S. 75 f. V. 179 f.: S. 100 V. 95 ff.:S. 105 V. 196 f.: S. 129 V. 279 f . : S . 130 V. 25: S.132 A.283 V. 293 ff.: S. 132 A. 283 V. 237 ff.: S. 209 Der blinde Sänger V. 51 f.: S. 55 V. 51 f.: S. 77 Der Einzige V. 52 ff. (1. Fassg.): S. 121 V. 1-35 (1. Fassg.): S. 188 f. A. 7 V. 82 ff. (3. Fassg.) : S. 210 V. 75 ff. (3. Fassg.) : S. 217 V. 83 ff. (1. Fassg.): S. 217 f. Der Gang aufs Land V. 23 ff.:S. 13 S. 20; S. 21; V. 13 ff.: S. 51 V. 13 ff.: S. 58 V. 26 ff.:S. 139 A. 296 V. 25 ff.: S. 199 Der gefesselte Strom V. 11 ff.: S. 99 Der Ister V. 58 ff.: S. 3 f.
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Register
V. 7 fî.: S. 202 V. 43 ff.: S. 202 Der Mutter Erde S. 78 f. V. 51 ff.: S. 97 Prosa-Entwurf: S. 101 A. 177 V. I f f . : S. 140 Α. 297
Emilie vor ihrem Brauttag S. 17 Empedokles S. 47; S. 94 A. 160; S. 97; S. 119; S. 144 Ermunterung V. 25 ff. (1. Fassg.): S. 96
Der Rhein V. 210 ff.: S. 23 S. 44 V. 46: S. 44 V. 210 ff.: S. 46 V. I f f . : S. 70 V. 143 ff.: S. 93 V. 46 f.: S. 97 S. 117 Α. 225 V. 153 ff.: S. 140 Α. 297 V. 180 ff.: S. 144 Α. 304 V. 210 ff.: S. 155 Α. 338 V. 7: S. 159 S. 216
Friedensfeier S. 25 A. 21 S. 44 V. 61 ff.: S. 55 1. Str.: S. 69 V. 73: S. 130 S. 133 (Versöhnender, 1. Fassg. V. 86): S. 134 V. 71 f.: S. 140 A. 297 (Versöhnender, 1. Fassg. V. 39 ff.): S.140 A. 297 V. 149 ff.: S. 144 A. 303 V. 135 ff.: S. 152 V. 71 ff.: S. 155 A. 338 S. 171 f. V. 74 ff.:S. 193 S. 199; S. 211; S.211-218
Der Wanderer S. 12 Α. 7 V. 72 ff.: S. 14 S. 15; S. 18; S. 19; S. 20; V. 100 ff.: S. 139 A. 296 Deutscher Gesang V. I f f . : S. 36 f. V. 32 ff.: S. 96 Dichterberuf V. 29 ff.: S. 102 f. S. 121 Die Titanen S. 27 V. 5 f f . : S . 53 V. 64 ff.: S. 59 A. 76 V. 1 ff.: S. 72 f. V. 40 ff.: S. 77 V. 45 f.: S. 119 V. 1 ff.: S. 144 A. 303 S. 169 S.173-178 V. 40 ff.: S. 198 V. 29 f.: S. 199 Die Wanderung S. 44 V. 25 : S. 59 V. 112: S. 73 V. 29 f.:S. 158
Germanien V. 90 ff.: S. 93 f. V. 81 ff.: S. 97 f. V. 7 2 : S . 9 8 A.173 V. 49: S.132 A.283 V. 37 ff.: S. 204 Griechenland (3. Fassg.) V. 3 2 f f . : S . 181 A. 3 Heimkunft V. 79 ff.: S. 18 f. S. 19 f. V. 105 ff.: S. 25 A. 21 V. 25 ff.: S. 130 V. 23:S.132 A.283 V. 75 ff.: S. 139 A. 296 V. 91-108:S.139 A. 296 V. 79 f.:S. 171 V. 97 ff.: S. 199 V. 21 ff.: S. 209 V. 85 ff.: S. 209 S. 216 Hyperion S. 26; S. 47; S. 49 f.; S. 51; S. 53;
Register S. 54; S. 76; S. 91 f.; S. 94; S. 104; S. 109 A. 204; S. 115 f.; S. 119; S. 151 A. 324; S. 159 A. 350; S. 198 A. 23. Menons Klagen um Diotima S. 15; S. 17; S. 25. Mnemosyne S. 25 f. A. 21; S. 27; V. 16 ff. (1. Fassg.) : S. 94 V. I f f . (2. Fassg.): S. 101 A. 177 S.117 A.225 V. 45 ff. (1. Fassg.): S. 130 V. 50 f. (3. Fassg.): S. 134 V. I f f . (2. Fassg.): S. 190 Patmos 1. Str.: S. 2 f. V. 197 ff.: S. 23 V. 25 ff.: S. 42 S. 44 V. 1 6 f f . : S . 54 S. 59; S. 67; V. 25 ff. (Vorstufe einer späteren Fassg.): S. 69 V. 38 ff.: S. 70 V. 179 ff. : S. 79 V. 175 f. (Ansätze zur letzten Fassg.): S. 97 V. 140 ff.:S. 100 f. V. 212 ff.: S. 101 A. 177 V. 136 ff.: S. 112 V. 151 ff. (Bruchstück der späteren Fassg.): S. 113 V. 145 ff.:S. 129 V. 167 ff.:S. 130 V. 191 ff.: S. 131 V. 90: S. 140 V. 108 ff.:S. 144 A. 302 V. 179 ff.: S. 178 A. 9 V. 152 (Vorstufe einer späteren Fassg.): S. 203 A. 35 V. 222 f.: S. 210
225 S. 210 f. V 9 ff. (Bruchstück der späteren Fassg.): S. 215
Sonst nemlich, Vater Zevs V. 23 ff.: S. 190 Stimme des Volks S.117A.225 Stutgard V. 19 ff.: S. 13 V. 13 ff.: S. 14 V. 63 ff.:S. 14 V. 85 ff.:S. 18 V. 97 ff.:S. 19 V. 13: S. 20 V. 103 ff.: S. 25 A. 21 V. 102: S. 51 V. 75 ff.: S. 105 V. 17 f.: S. 121 V. 19 f.: S. 139 A. 296 V. 55 ff.: S. 139 A. 296 V. 73 ff.: S. 139 A. 296 V. 51 f.: S. 148 V. 85 ff.: S. 155 A. 338 V. 33 ff.: S. 197 V. 8 : S . 198 A. 21 V. 19 ff.: S. 199 Über Religion S. 156 Von der Wahrheit (Pindarfragment) S. 91 Wenn nemlich der Rebe S a f t . . . V. 7 ff.: S. 198 Wie wenn am Feiertage (Prosaentwurf) : S. 94 S. 128 V. 32 ff.: S. 155 V. 61 ff.: S. 183 V. 56 ff.: S. 183 V. 61 ff.: S. 190
Namen und Sachen Äther S. 27; als Verdichtung der N a t u r vorstellung S. 73 ff.; in der antiken und zeitgenöss. Literatur S. 73 ff. A. 120, S. 198; der „Vater" Äther u. die Söhne S. 209-218 15
Schmidt, H ö l d e r l i n
Allegorie (-Mythos) S. 39 f. Antike S. 108 ff.; S. 148; S. 153; im Gegensatz z. Christentum S. 187 ff.; - > Griechentum
226
Register
Aufklärung S. 60 f.; S. 109; S. 112 Augenblick Entscheidender A. im Gedicht: S. 99; -»•Kairos Ausklang, hymnischer S. 31; S. 172
„Bereiten" Stilles B. des Göttlichen als Leitmotiv S. 45 f. (Wortstudie) Bibel S. 58; S. 60 f. A. 84; S. 61; S. 77 A. 128; S. 78; S. 95; S. 101; S. 105; S. 108; S. 129; S. 129 A. 266; S. 131; S. 132; S. 135; S. 145; S. 150; S. 151 A. 325; S. 153; S. 155; S. 157 f.; S. 161; S. 162; S. 168; S. 1 7 8 A . 9 ; S. 187 f.; S. 214 Bienen S. 197 f. (Wortstudie) Brentano, Clemens von S. 34
Christus S. 107 f.; S. 130 ff.; S. 133 f.; S. 135; S. 153; S. 161; Chr. u. Dionysos S. 160-167; im Verhältnis zur Antike S. 187 ff.; S. 192; S. 199; im Verhältnis zum „Vater" S. 209-218 Cicero S. 98; S. 117 f. A. 225 Claudius, Matthias S. 61 Dank S. 137; S. 142; ->• Andenken; -»- Gedächtnis Dichter Trunkenheit des D. S. 51; dichter. Erinnerung S. 53; Fähigkeit zur geistigen Wanderung S. 59 f.; ->· Einsamkeit; der gottbezogene Ernst des D. S. 101 ff.; Namen, nennen; Amt des D. S. 117-124, S. 143, S. 194; -*• Dionysos; als Prophet S. 151 f.; als Mittler S. 183, S. 185; Selbstbewußtsein S. 194
Dichtung -»- Dichter; Kultur; -»• Kunst; „Blume" des Dichterworts S. 98; Wirkung der D. S. 102; das Göttliche als Gegenstand der D. S. 102 f.; Sakraler Charakter S. 181 Dionysius von Halicarnassus Stilkriterien des D. S. 28 f. Dionysos In Hs Dichtung um 1800 S. 14 f.; S. 24; S. 49; als Gott der Nacht S. 53 f.; als Gott des heiligen Wahnsinns S. 60, S. 62, S. 93; dionysische Stätten S. 62 ff.; Attribute des D. S. 63, S. 148; als Gott des. Theaters, des Tanzes S. 106 f.; als Gott dichterischer Prophetie S. 107; als Gott großer Wanderungen S. 63 f., S. 120 ff., S. 180, S. 207; als Gott der Dichter S. 122 f., S. 146; als Weingott S. 134, S. 135, S. 146, S. 164 f., S. 167; als Freudengott S. 138, S. 147 f., S. 180, S. 196; Geburt des D. S. 142, S. 205; Chorführer der Gestirne S. 147; als Gott des goldenen Zeitalters S. 153; als Fackelschwinger S. 160 ff.; D. und Christus S. 160-167; Unterweltfahrt S. 163; als Gott des Schlafes S. 196 f.; als Gott der Symposien S. 199; als Gott der Bienen u. des Honigs S. 197f.; als Gott des Gemeingeists S. 197 f.; als „Beseeler" S. 205; als „Seher" S. 205 f., S . 2 0 6 A . 43; als Waldgott S. 206 f.; als Gott des Vergessens S. 49 ff., S. 207 Diotima S. 94; S. 132 Α. 283 Du Anrede im Gedicht S. 23, S. 46, S. 125 Ehre der Götter S. 100 f. A. 177 (Wortstudie) Einsamkeit des Dichters S. 79, S. 118 f. Elegie theoret. Aussagen über d. E. S. 16ff.; Strukturen S. 18 ff.; geschichtliches Element S. 20; Verhältnis zur Wirk-
Register lichkeit S. 21 ff. ; Verhältnis zur Hymnendiditung S. 21-28; Stimmungswechsel S. 24; Erlebnisform S. 27; das „Trunkene" in denE. S. 51, 199; „Freude" als Schlüsselwort S. 11, S. 138 f., S. 199; Mahl; Neigung zum Epischen S. 199 Erinnerung dichterische E. S. 159 f. Erkenntnis, erkennen S. 154 f. (Wortstudie) Euripides S. 50 f.; S. 52; S. 53; S. 63; S. 106; S. 107; S. 120 f. S. 160; S. 162 S. 206 Ferne S. 71 f. (Wortstudie) Fichte S. 116 Freude S. 11; S. 24 f.; S. 57; S. 107; S. 135 bis 140 (Wortstudie); S. 142 f.; S. 199 Freundschaft S. 12 f., S. 23 Gedächtnis S. 52 f.; S. 137 Geist S. 37; S. 135 fî.; S. 142 f.; S. 185 f.; S. 188 A. 7; S. 190; S. 195; S. 216; S.217 Gemeinschaft S. 75-79; S. 102; S. 111; S. 119; S. 156 f. -»- Einsamkeit Genüge, Genügsamkeit S. 94 f. (Wortstudie) Genus sublime S. 32 f.; S. 216 f. Geschichtsbild S. 108-113; S. 132 ff.; S. 155; S. 165 f.; S. 200-208; S. 211 Glück S. 95 A. 162 (Wortstudie) Gnome S. 66; S. 81; S. 99; als Epiphonema S. 88, S. 216 Goethe S. 93; S. 109 f.; S. 112 A. 208 15*
227
Griechentum S. 81; S. 110 ff. Heimat S. 18-20 Heinse S. 13 A. 8; S. 46; S. 120 Heldentum S. 115 f.; S. 137 f. Heraklit S. 216 Herder S. 104; S. 111 f. A. 207; S. 201 A. 31; S. 202 A. 32; S. 204 A. 38 Hesiod S. 124 A. 253; S. 147; S. 153 Hiller S. 130 f. Homer S. 122; S. 146; S. 186; S. 199; S. 206 Horaz S. 122; S. 153; S. 163; S. 196 Ich, Das Ich im Gedicht S. 23; S. 126 f. Idylle S. 25 f.; S. 196 f.; - > Wirklichkeit Inspiration S. 68; S. 73 ff. Irrsal S. 47 f. (Wortstudie); S. 116 Kairos -νAugenblick; S. 143-145; S. 186 Kind S. 91 f. (Wortstudie) Klopstock S. 30; S. 60 f. A. 84; S. 101; S. 111; S. 118; S. 141 Kultur Natur als Quelle S. 73 ff.; religiöser Charakter S. 101 ff.; S. 109 f.; Kunst; Dichtung; - > Griechentum; organische Auffassung der K. S. 103 fï., S. 152; keine Nachahmung S. I l l ; S. 182; S. 192 Kunst - > Dichtung; ->Kultur; Wirkung der K. S. 102 Liebe S. 51 f.
228
Register
Lunéville, Friede von S.170-172 Mahl (Symposion) S. 199 (Wortstudie) Maß S. 59; S. 134; S. 184 f.; S. 191 Matthisson S. 130 Metaphorik Durchgehende M. S. 43 Mythisierung S. 30 f . ; S . 39 f.; S. 43 Mythologie S. 54; S. 146; S. 160 Mythos Berufung auf den M. S. 31, S. 122 f , S. 147, S. 158 ff.; ätiologischer M. S. 43 f.; Mythensynkretismus S. 153, S. 167.; Bedeutung des M. bei H ö l derlin S. 160 Nacht Doppelte Bedeutung der N . S. 124 f.; ->- Bereiten; -»- Dichter; - > Dionysos; -»- Geschichtsbild; - > N a t u r N a m e n , nennen Von Personen u. Orten im Gedicht S. 21 ff.; Bedeutung des N . S. 93, S. 95-98 (Wortstudie) Natur S. 14 f.; S. 73-76; S. 85; S. 133; S. 134; S. 135; S. 143; S. 191; S. 193 Natureingang S. 43 f. Nietzsche S. 51 Novalis S. 102; S. 108 f. A. 203 Oetinger S. 201 f. A. 31; S. 204 f. A. 38 Orient S. 162; S. 203 ff. Ovid S. 146; S. 197 Personifikation S. 22; S. 39 f.; S. 43 f.; S. 86 Pietismus S. 130 f.
Pindar S. 22; S. 28; S. 29; S. 30 ff.; S. 50; S. 55; S. 60 f. A. 84; S. 64; S. 66; S. 71; S. 105; S. 126 f.; S. 128; S. 158; S. 160 f.; S. 169; S. 181 A. 2 Platon S. 14; S. 53; S. 60; S. 62; S. 92; S. 107 Plutarch S. 54; S. 120 Polis Gemeinschaft Polysemie S. 124 f. Α. 253 Präludium, hymnisches S. 30 f.; S. 42; S. 43 Prokataskeue S. 127 Reise, imaginäre S. 31; S. 59 f.; S. 67 Rhythmus, hymnischer S. 32; S. 56; S. 67 f.; S. 81 f.; S. 87 f.; S. 126 Schelling S. 20 f. Α. 11; S. 63 f.; S. 108 Α. 202, S. 145 Schicksal S. 114 ff. Schiller S. 24 ff.; S. 110; S. 118 Schlaf S. 47; S. 116; S. 118; S. 124 A. 253; S. 169; S. 196 f. Schlegel, Friedrich S. 90 f. A. 142 Schleiermacher S. 58; S. 90 f. A. 142; S. 102 Schmid, Siegfried S. 16 Sophokles S. 24; S. 50; S. 52; S. 60; S. 60 f. A. 84; S. 62 f.; S. 63; S. 71; S. 72; S. 105; S. 147; S. 160; S. 161 ; S. 206 f. Städte Preis u. Personifizierung S. 22, S. 105 f. Stil, herber S. 29; S. 38 f.; S. 66 f.; S. 81 f.; S. 84; S. 87 f.; S. 99; S. 126; S. 127; S. 142; S. 172; S. 179 ff.
Register Stil, hymnischer S. 28 ff.; S. 56 f.; S. 64 ff.; S. 81-89; S. 128; S. 141 f.; S. 1 7 2 ; G e n u s sublime Stilfiguren S. 32 f. Stille S. 35 f.; S. 130 ff. (Wortstudie) Stolberg S. 130 f. Strophenschluß Schwellenverse S. 65; S. 187 Der Dichter am S. S. 194; -*• Prokataskeue Theodizee S. 46; S. 114 f.; S. 132 f.; S. 184 f. Thörig S. 93 (Wortstudie) Trauer S. 24 ff.; S. 129 f. (Wortstudie); S. 134 Übergang, gleitender S. 31; S. 48; S. 55
229
Vergil S. 54; S. 118; S. 153; S. 196; S. 197 f.; S. 198 Vision S. 30 f.; S. 38; S. 42; S. 43; S. 68; S. 85 f. Volk -»- Gemeinschaft Wahnsinn S. 60 ff. Wahrheit, Wahres S. 90 f.; S. 93 f. Wechsel S. 24 f.; S. 149; S. 150; S. 177; S. 190 Wein S. 14;S.49 ff.; S. 141 ff.; S. 164 f.; S. 166; -*• Dionysos Widmungen S. 12 f.; S. 46 Winckelmann S. 94; S. I l l A. 207; S. 132 A. 283 Wirklichkeit —>- N a m e n -*• Elegie Zeit
Vergessenheit, vergessen S. 49 f. (Wortstudie); S. 207
Augenblick; -»- Geschichtsbild; -*• Kairos; ->- N a t u r
ALESSANDRO PELLEGRINI
Friedrich Hölderlin Sein Bild in der Forschung
Unter freundlicher Mitwirkung des Verfassers ins Deutsche übertragen von
C H R I S T O P H GASSNER
Groß-Oktav. VI, 594 Seiten. 1965. Ganzleinen D M 8 4 -
„Der Autor setzt sich gründlich mit den Ergebnissen der europäischen und amerikanischen Hölderlinforschung auseinander. Er beginnt seine Darstellung mit dem Urteil der Zeitgenossen und mit dem Hölderlinbild der Romantik. Besonderer Raum wurde der phänomenologischen, philologischen und ästhetischen Forschung sowie der existentialistischen und der Stil-Kritik gewidmet. Die vorliegende deutsche Ausgabe wurde durch die Kapitel ,Friedensfeier' - die Krise in der Hölderlinforsdiung - und ,Die neueste Hölderlinforschung' ergänzt. Zeittafel, Bibliographie, Register, Verzeichnis der besprochenen Werke Hölderlins und eine detaillierte Inhaltsangabe bilden den Apparat der lebendig gestalteten Publikation. Für die Hölderlinforschung liegt hier ein Standardwerk vor, das wesentliche neue Gesichtspunkte für die Hölderlin-Deutung bringt." Moderne Literatur
„Das Werk ist nicht nur f ü r den, der die ins Ungeheuerliche angewachsene Forschung nicht mehr überblicken kann, ein unentbehrliches Hilfsmittel, sondern auch ein ernstzunehmender Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Methodenlehre." Mitteilungen
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„Bei der Uberfülle des darzulegenden Schrifttums - von Schiller, Görres, Brentano, Arnim, Schwab, Menzel über Dilthey, Hellingrath, Pigenot und Böhm bis zu Heidegger und den neuesten Interpreten - ist es ein außerordentliches Verdienst des Autors, über die bloße Darstellung hinaus Zusammenhänge und Analogien innerhalb der Forschung aufzuzeigen, so daß ein sachlich fundiertes kritisches Standardwerk vorliegt, das für jeden Hölderlin-Forscher unentbehrlich ist." Neuer Bücherdienst
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