Historische Graffiti als Quellen: Methoden und Perspektiven eines jungen Forschungsbereichs 3515122044, 9783515122047

Das Bedürfnis, ein Zeichen der eigenen Anwesenheit zu hinterlassen, ist eine Kulturkonstante, die sich durch alle Epoche

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German Pages 330 [334] Year 2018

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Table of contents :
INHALT
DANKSAGUNG
(Polly Lohmann)
Warum sich eigentlich mit historischen Graffiti beschäftigen –
und was sind Graffiti überhaupt? Ein Vorwort zur Einordnung
und Bedeutung der Materialgattung
(Julia Dorothea Preisigke)
Graffiti an ägyptischen Tempeln: Belege für den Zugang der
Bevölkerung zu den Tempeln und das Problem ihrer Datierung
(Polly Lohmann)
„Wer das liest, ist doof.“ Materialität und agency pompejanischer
Graffiti
(Kordula Gostenčnik)
Die Händlergraffiti aus der frührömischen Stadt „Alt-Virunum“
auf dem Magdalensberg in Kärnten
(Angelos Chaniotis) Alltagsskizzen aus Aphrodisias
(Ulrike Heckner)
Spätgotische Handwerkergraffiti in der ehemaligen Klosterkirche
St. Katharina in Wenau (Kreis Düren)
(Thomas Wozniak)
Ritter, Reiter und Bewaffnete im Kontext mittelalterlicher Graffiti
(Romedio Schmitz-Esser)
Tiroler Graffiti als Quellen zur Sozialgeschichte des späten
Mittelalters und der frühen Neuzeit
(Simon Dietrich)
Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti in der
Marburger Elisabethkirche – Befund, methodische
Herausforderungen und Quellenwert
(Detlev Kraack)
Adlige und Patrizier auf Reisen: Graffiti des 14.–16. Jahrhunderts
(Ulrike Götz)
„Nomina stultorum …“ – Graffiti des 18. Jahrhunderts im Karzer
der ehemaligen bischöflichen Hochschule in Freising
(Daniel Schulz)
Sprechende Wände: Graffiti aus dem Schloss Ludwigsburg
(Werner Jung)
Zeugnisse der Opfer: Häftlingsgraffiti im Kölner Gestapogefängnis
BIBLIOGRAFIE
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Historische Graffiti als Quellen: Methoden und Perspektiven eines jungen Forschungsbereichs
 3515122044, 9783515122047

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Altertumswissenschaft Franz Steiner Verlag

Historische Graffiti als Quellen Methoden und Perspektiven eines jungen Forschungsbereichs Herausgegeben von Polly Lohmann

Polly Lohmann (Hg.) Historische Graffiti als Quellen

Polly Lohmann (Hg.)

Historische Graffiti als Quellen Methoden und Perspektiven eines jungen Forschungsbereichs Beiträge der Konferenz am Institut für Klassische Archäologie der LMU München, 20.–22. April 2017

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Franz-und-Eva-Rutzen-Stiftung

Umschlagabbildung: Historische Graffiti von Besuchern des 19. Jh. in der römischen Nekropole Alyscamps in Arles, Frankreich © Polly Lohmann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12204-7 (Print) ISBN 978-3-515-12205-4 (E-Book)

INHALT Danksagung .................................................................................................. 7 Polly Lohmann Warum sich eigentlich mit historischen Graffiti beschäftigen – und was sind Graffiti überhaupt? Ein Vorwort zur Einordnung und Bedeutung der Materialgattung ............................................................. 9 Julia Dorothea Preisigke Graffiti an ägyptischen Tempeln: Belege für den Zugang der Bevölkerung zu den Tempeln und das Problem ihrer Datierung ............... 17 Polly Lohmann „Wer das liest, ist doof.“ Materialität und agency pompejanischer Graffiti ........................................................................................................ 37 Kordula Gostenčnik Die Händlergraffiti aus der frührömischen Stadt „Alt-Virunum“ auf dem Magdalensberg in Kärnten ........................................................... 51 Angelos Chaniotis Alltagsskizzen aus Aphrodisias ................................................................. 77 Ulrike Heckner Spätgotische Handwerkergraffiti in der ehemaligen Klosterkirche St. Katharina in Wenau (Kreis Düren) ....................................................... 93 Thomas Wozniak Ritter, Reiter und Bewaffnete im Kontext mittelalterlicher Graffiti ........ 111 Romedio Schmitz-Esser Tiroler Graffiti als Quellen zur Sozialgeschichte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit ......................................................... 143 Simon Dietrich Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti in der Marburger Elisabethkirche – Befund, methodische Herausforderungen und Quellenwert ....................................................... 169

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Inhalt

Detlev Kraack Adlige und Patrizier auf Reisen: Graffiti des 14.–16. Jahrhunderts ........ 193 Ulrike Götz „Nomina stultorum …“ – Graffiti des 18. Jahrhunderts im Karzer der ehemaligen bischöflichen Hochschule in Freising ............................ 221 Daniel Schulz Sprechende Wände: Graffiti aus dem Schloss Ludwigsburg ................... 239 Werner Jung Zeugnisse der Opfer: Häftlingsgraffiti im Kölner Gestapogefängnis ...... 267 Bibliografie .............................................................................................. 311

DANKSAGUNG Dieser Band ist das Ergebnis der Konferenz „Historische Graffiti als Quellen. Methoden und Perspektiven eines jungen Forschungsbereichs“, die vom 20. bis 22. April 2017 am Institut für Klassische Archäologie der Ludwig-MaximiliansUniversität München stattfand. Die Konferenz hätte nicht stattfinden können ohne die großzügige Unterstützung und vielfältige Hilfe von Seiten des Instituts in Person von Stefan Ritter, Claudia Herkommer, Alexandra Holler, Rosa Galusic, Mia Alice Fischer, Julian Holländer, Marko Runjajic, Elli Papazoi sowie von Roy Hessing, Ingeborg Kader, Andrea Schmölder-Veit und Daniel Wunderlich am Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke. Gedankt sei für die finanzielle Förderung sehr herzlich dem Deutschen Archäologenverband (DArV) und Angelos Chaniotis für seine spontane und unbürokratische Unterstützung über den Anneliese-Maier-Preis der Humboldt Stiftung. Zum Gelingen der Veranstaltung und damit zu einem Rahmen, der offene und konstruktive Diskussionen sehr befördert hat, haben außerdem beigetragen Firat Dalkaya, Ulrike Grammbitter, Gabriel Meyer, Martina Ullman und natürlich die Referentinnen und Referenten, die das interdisziplinäre und epochenübergreifende Konzept der Konferenz von Anfang an begrüßt haben. Der vorliegende Band verdankt sich der großzügigen Unterstützung des Instituts für Klassische Archäologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Franz-und-Eva-Rutzen-Stiftung. Den Autorinnen und Autoren der Einzelbeiträge danke ich sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit, die eine zeitnahe Publikation ermöglicht hat. Polly Lohmann im Juli 2018

WARUM SICH EIGENTLICH MIT HISTORISCHEN GRAFFITI BESCHÄFTIGEN – UND WAS SIND GRAFFITI ÜBERHAUPT? Ein Vorwort zur Einordnung und Bedeutung der Materialgattung Polly Lohmann Die Konferenz „Historische Graffiti als Quellen“ ist eine Frucht des in den Altertumswissenschaften in den letzten Jahren neu gewachsenen Interesses an der Inschriftengattung; sie entstand aus dem Wunsch heraus, das antike Material auch historisch zu verorten, nach Variationen, Ausprägungen und Nachfolgern in anderen Zeitstellungen zu suchen.1 Haben jüngste Forschungen zur antiken Welt unter dem Einfluss des spatial turn und des material turn mit der Kontextualisierung von Graffiti und ihrer Analyse als Schriftartefakte neue Perspektiven eröffnet,2 ist eine diachrone Betrachtung dieser Inschriften bislang ausgeblieben. Wohl wird die Inschriftengattung in neueren Einführungen in die lateinische Epigrafik in jeweils eigenen Abschnitten oder Kapiteln gewürdigt,3 doch werden die Graffiti dabei nur ins Verhältnis zu anderen antiken (z. B. griechischen) Graffiti oder zu anderen Text- und Inschriftenformen gesetzt. Just 2017 fanden nach der Münchner Graffitikonferenz jedoch auch die historisch vergleichende Tagung „Pietre, castelli e palazzi da leggere nell’Europa medievale e moderna“ an der Universität Urbino im Zusammenhang mit einer Ausstellung über die Graffiti aus dem Fürstenpalast der Stadt4 sowie die Konferenz „TAG: Name Writing in Public Space. A Conference about Tagging, in History and Today“ am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin statt.5 Somit hat das Jahr 2017 vielleicht den Beginn einer historischen, oder vergleichenden, Graffitiforschung einläuten können oder jedenfalls über die unterschiedlichen Institutionen, aus denen heraus die Veranstaltungen entstanden, die Bedeutung des Materials unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten demonstriert. Das Interesse an einer epochenübergreifenden Diskussion des Inschriftenmaterials liegt in offensichtlichen Gemeinsamkeiten begründet: Wo wir hinsehen, finden wir an touristischen Sehenswürdigkeiten, romantischen Plätzen und Treffpunkten, auf Schultischen oder in öffentlichen Toiletten die Namensinschriften, 1 2 3 4 5

Die erste wichtige Grundlage dafür lieferte 2001 die Bibliografie von Kraack und Lingens. Beginnend mit Baird – Taylor 2011. – Zu schrifttragenden Artefakten s. die Forschungen des Heidelberger SFB 933 „Materiale Textkulturen“, vor allem Meier – Ott – Sauer 2015. Cooley 2012; Bruun – Edmonson 2015. Sarti u. a. 2017 (Ausstellungskatalog). Der Konferenzband ist in Vorbereitung als Journal of Early Modern Studies 9 (erscheint voraussichtlich 2020). (29.1.2018); der von Edward Birzin herausgegebene Konferenzband ist in Vorbereitung für Possible Books.

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Polly Lohmann

Liebeschwüre und Anwesenheitsbekundungen verschiedenster Personen. Solche Erinnerungsgraffiti6, in denen Menschen Ereignisse und Erlebnisse festhielten, scheinen eine Kulturkonstante zu sein und machen – bis heute – den größten Teil der Graffiti aus allen Epochen der Menschheitsgeschichte aus; davon zu differenzieren ist allein zeitgenössisches Graffiti-Writing oder Tagging in seinen situativen und kulturellen Voraussetzungen, das zwar auch eine Form der Erinnerung oder Selbstdarstellung ist, sich allerdings selbst als Kunst und oftmals als Okkupationsgestus begreift (z. B. Crew-Graffiti, Gang-Graffiti). Während Tagger und Writer mit Pseudonymen arbeiten, die sich nur Szenemitgliedern offenbaren, dürfte es sich bei den historischen Erinnerungsgraffiti um die echten Namen derjenigen handeln, die ihre Spuren an den Wänden hinterließen. Nur der berühmte „Kilroy“ führt den historischen Graffitiforscher auf eine falsche Fährte: Dabei handelte es sich um eine Art running gag amerikanischer Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg mit Vorrücken der Frontlinie diesen Namen hinterließen. Es ist also nicht, wie sonst, eine einzige Person (namens Kilroy), die schrieb, sondern der Graffito stand gewissermaßen stellvertretend für die gesamte Truppe (und war damit vielleicht Ausdruck eines Gemeinschaftsgefühls oder aber des Verlusts der eigenen Identität, des Zurücktretens des Individuums im Militär?). WAS SIND (HISTORISCHE) GRAFFITI? Das/der Graffito ist ein grafisches Zeichen, das an einer dafür primär nicht vorgesehenen Fläche angebracht wird.7 Solche sekundären Anbringungen umfassen Texte, Wörter, einzelne Buchstaben, Zahlen, Symbole und Bilder; als Überbegriff fungiert dennoch, auch für nicht-verbale und -numerische Graffiti, der Terminus Inschrift. Im Sinne einer additiven Praktik könnte man, so Rafael Schacter über zeitgenössisches Graffiti-Writing, auch von einem Ornament sprechen, als Element, das eine primäre Struktur schöner und interessanter macht.8 Dies soll nicht suggerieren, dass historische Graffiti dieselben ästhetischen Ansprüche hatten wie sie Graffiti-Writing und Tagging heute haben. Mag ein dekorativer Charakter einem Teil auch der historischen Graffiti – oftmals z. B. bildlichen Darstellungen9 – beiwohnen, so kann diese Intention den Urhebern der Erinnerungsgraffiti, die schlicht ihren Namen an einem Ort hinterließen, i. d. R. nicht nachgewiesen werden, wenn auch das Ergebnis eine Wand (zumindest für den adleräugigen Graffitiforscher) durchaus interessanter macht.

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Begriff nach Kreuzer 1986. Kraack – Lingens 2001, 9; Langner 2001, 12. Schacter 2016, 144 mit Bezug auf Hill 2006, 176; vgl. auch Schacter 2014. – Graffiti und Tätowierungen werden unter diesem Aspekt ideengeschichtlich in Zusammenhang gebracht, vgl. z. B. die Konferenz „Fleeting Testimonies of Urban Life: Graffiti and Other Transient Writings from Antiquity to the Present“ am Amsterdam Centre for Urban History (ACUH) 2016 über Graffitischreiben und Tätowieren als ephemere Praktiken. Dazu z. B. Lohmann 2017a, 314–327 über römische Graffiti.

Warum sich mit historischen Graffiti beschäftigen?

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Diese sehr knappe – und vorsichtige – Beschreibung dessen, was Graffiti sind, ist weniger eine Definition als ein kleinster gemeinsamer Nenner dessen, was in der historischen Forschung als Graffiti bezeichnet wird. Denn die moderne Wortschöpfung wird für verschiedene Formen von Inschriften aus unterschiedlichen historischen Kontexten verwendet, die in Oberflächen geritzt oder mit Farbe angebracht wurden (abtragendes und auftragendes Verfahren). Die Zuweisung als Graffiti erfolgt je nach akademischer Disziplin auf unterschiedlichen Grundlagen, und die in den hier versammelten Beiträgen analysierten Inschriften unterscheiden sich z. T. technisch, formal und im Hinblick auf ihre Entstehungssituation und Rezeption, wie im Folgenden immer wieder aufgezeigt wird. Bei den Inschriftenträgern historischer Graffiti kann es sich um gebaute, geologische oder biologische Strukturen (vgl. Wandgraffiti, Bodengraffiti, Felsgraffiti, Baumgraffiti u. a.) ebenso wie um bewegliche Artefakte (vgl. z. B. Gefäßgraffiti oder Münzgraffiti) handeln. Letztere waren jedoch nicht Thema der Konferenz und finden deshalb in diesem Band keinen Niederschlag. Vor allem Kohle- und Rötelgraffiti büßen über die Jahrhunderte ihre Sichtbarkeit ein, aber auch geritzten Inschriften setzt die Witterung zu. Die Überlieferungssituation ist deshalb zumeist Zufall oder Willkür geschuldet: So sind mittelalterliche und frühneuzeitliche Graffiti größtenteils von Kirchenbauten überliefert, die kontinuierlich genutzt oder als Kulturerbe konserviert wurden; in den antiken Städten Pompeji, Herkulaneum und Ephesos sind geritzte Inschriften unter Zerstörungshorizonten erhalten geblieben. Es handelt sich bei dem uns bekannten Material deshalb um der Überlieferung geschuldete Selektionen von Inschriften, die nur Ausschnitte der jeweiligen Graffitikultur eines Ortes oder einer Zeit preisgeben. Umso bedauerlicher, dass Inschriftensammlungen wie das Corpus Inscriptionum Latinarum und die Inscriptiones Graecae für nachantike Zeit nicht existieren und besonders für die Erforschung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti im deutschsprachigen Raum eine umfassende Dokumentation fehlt, die selbst in dem Projekt „Die Deutschen Inschriften“ nicht geleistet werden kann. Die jüngsten historischen Graffiti, aus dem 20. Jahrhundert, sind zumeist von öffentlichen Gedenkstätten bekannt und publiziert, wie z. B. über das Projekt „Ghettospuren“ zu den Graffiti aus Terezin/Theresienstadt,10 aus dem Kölner EL-DE-Haus11 oder dem Berliner Reichstagsgebäude mit den Inschriften sowjetischer Soldaten.12 Größtenteils gehen die hier vorgestellten Forschungen jedoch auf Initiativen Einzelner zurück. Da Graffiti von Hand geschrieben wurden, liefern sie i. d. R. zumindest grobe paläografische Datierungshinweise. Individuelle Schriftbilder (ductus), variierende Oberflächenstrukturen und Schreibwerkzeuge erschweren jedoch meist eine genaue Datierung; in noch viel höherem Maße gilt dies für bildliche Darstellungen, bei denen ikonografische oder stilistische Merkmale nur selten Aufschluss

10 https://ghettospuren.de/ (29.1.2018). 11 S. den Beitrag von Werner Jung in diesem Band. 12 Felix 2015.

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Polly Lohmann

geben.13 Oftmals ermöglichen deshalb nur die baulichen Strukturen, die als Inschriftenträger dienen, eine relative Datierung, wie z. B. in der Wenauer Klosterkirche.14 Zumindest die mittelalterlichen und neuzeitlichen „hic fuit“-Inschriften besitzen aber häufig Jahres- oder sogar genaue Datumsangaben;15 antike Graffiti beinhalten dagegen nur selten datierende Angaben, wie in römischer Zeit durch die Nennung der Konsuln eines Jahres. Graffiti können aufgrund ihrer von individuellen Erinnerungswerten geprägten Inhalte als inoffizielle und informelle Inschriften verstanden werden, denn Inhalt und Form mussten keinerlei Vorgaben Anderer folgen, ihre Anbringung geschah zumeist ohne Genehmigung durch Obrigkeiten oder durch Besitzer der zu beschreibenden Fläche. Während Graffiti in römischer Zeit jedoch zumindest toleriert gewesen zu sein scheinen, wie zahlreiche Beispiele aus den Innenräumen pompejanischer Wohnhäuser belegen,16 existieren mittelalterliche Quellen, welche die Inschriften als Rechtswidrigkeit auffassen.17 Und während die Soldaten Napoleons freimütig ihre Namen an ägyptischen Heiligtümern hinterließen,18 können die altägyptischen Graffiti zumindest in bestimmten Tempelarealen nur von Priestern oder mit Erlaubnis der zuständigen Priester ausgeführt worden sein, da der Zugang dorthin Kontrollen unterlag.19 Insofern sind Graffiti, je nach kulturellem Kontext und zeitgenössischer Bewertung, zwischen legal und illegal einzustufen, wobei bedachtsam geurteilt werden sollte: Die textliche Überlieferung eines Graffitiverbots muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass diese Art von Inschriften grundsätzlich als krimineller Akt verstanden (und auch geahndet) wurde; umgekehrt ist das zahlreiche Vorhandensein von Erinnerungsinschriften an einem Ort kein Beleg dafür, dass Graffiti überall gleichermaßen willkommen waren. Zumeist entstanden Graffiti wohl spontan, aus einer Laune oder Langeweile heraus, inspiriert von anderen Graffiti, etwas gerade Gesehenem oder Gehörtem, anlässlich eines persönlichen Erlebnisses oder Besuchs. Als Ausdruck eines ganz akuten Artikulierungsbedürfnisses müssen sie aber nicht immer eine (reale, physisch anwesende) Leserschaft verlangt haben, sondern waren zum Teil vielleicht selbstgenügsam – d. h. eine Befriedigung oder Bestätigung allein für ihre Urheber – oder aber Kommunikate an höhere Mächte. Diese scheinbar ephemere Form der (Selbst)Darstellung hat paradoxerweise mancherorts viele Jahrhunderte überdauert und kann nur dadurch überhaupt Thema dieses Bandes sein. Die Graffiti aus dem EL-DE-Haus in Köln drücken als letzte Nachrichten Todgeweihter an ihre Hinterbliebenen sogar explizit und eindrücklich die Hoffnung auf Überlieferung 13 S. jedoch den Beitrag von Thomas Wozniak in diesem Band zu den Darstellungen von Bewaffnungsformen in Graffiti. 14 S. den Beitrag von Ulrike Heckner in diesem Band. 15 Vgl. die Beiträge von Simon Dietrich, Werner Jung, Romedio Schmitz-Esser und Daniel Schulz in diesem Band. 16 Benefiel 2010; id. 2011; id. 2014; id. 2016; Mouritsen 2011; Lohmann 2015; id. 2016; id. 2017a; id. 2017b. 17 S. dazu den Beitrag von Detlev Kraack in diesem Band. 18 Effland 2010. 19 S. den Beitrag von Julia Dorothea Preisigke in diesem Band.

Warum sich mit historischen Graffiti beschäftigen?

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an die Nachwelt aus.20 Auch die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pilgerinschriften adliger Reisender, die Detlev Kraack untersucht hat, bezeugen einen Wunsch nach Dauerhaftigkeit – und nach Publikum –, musste das Familienwappen doch nachfolgenden Reisenden den eigenen Besuch vor Ort belegen. Die Adelsgraffiti verweisen zusätzlich auf eine aufwändige Vorbereitung, z. T. sogar auf eine Anbringung durch professionelle Wappenschneider; solche im Voraus geplanten oder in Auftrag gegebenen Ritzungen widersprechen der unabhängigen, individuellen Ausdrucksform, die auf die anderen hier behandelten Graffiti zutrifft und bei denen der Macher gewissermaßen auch Auftraggeber war. Sie zeigen einmal mehr, dass Graffiti als Inschriftenform und das Graffitischreiben als Kulturphänomen ganz verschiedene Ausprägungen haben konnten – oder umgekehrt, wieviel Verschiedenes unser Begriff Graffiti umfasst. WARUM SICH MIT GRAFFITI BESCHÄFTIGEN? Historische Graffiti können unter verschiedenen Gesichtspunkten und aus unterschiedlichen Perspektiven als Quellen zur jeweils lokalen Ereignis-, Sozial-, Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte fungieren:21 1. Sie können inhaltlich Informationen liefern, z. B. über Warenpreise, Handelsvorgänge und Währungssysteme22 oder (auch bildlich/motivisch) über Ereignisse wie sportliche Wettkämpfe und politische Auseinandersetzungen.23 2. Sie können aufgrund von Sprache und Orthografie Aufschlüsse geben über Sprachsysteme, Formen von Literalität, das Verhältnis von gesprochener zu geschriebener Sprache oder über fremdsprachige und dialektale Einflüsse.24 3. Sie können in Inhalt, Form und Textlayout oder Ikonografie und Stil die Rezeption anderer Text- und Bildgattungen belegen oder heute verlorene Werke und Objekte überliefern.25 Die Münchner Graffitikonferenz bündelte (deutschsprachige) Forschungen zur Kontextualisierung von Graffiti auf unbeweglichen Inschriftenträgern aus Antike, Mittelalter und Neuzeit: zu informellen Wandinschriften aus spezifischen geografischen, architektonischen oder funktionalen Zusammenhängen. Wandgraffiti (und Bodengraffiti) markieren Plätze, die von Menschen besucht wurden oder an denen Menschen sich – ob gewollt oder ungewollt – für längere Zeit aufgehalten haben. Sie verbinden so Schicksale mit Orten und liefern Informationen über die Menschen, die z. B. das antike Pompeji belebten, Pilgerorte des Heiligen Landes 20 21 22 23

S. den Beitrag von Werner Jung in diesem Band; vgl. speziell Jung 2014, 344 Nr. 435. Vgl. zum Quellenwert von Graffiti auch Lohmann 2020 (in Druck). S. z. B. den Beitrag von Kordula Gostenčnik in diesem Band. Vgl. auch Taeuber 2002. Vgl. z. B. Keegan 2006, 46 über den lateinischen Graffito CIL IV 1293, der eventuell ein Verweis auf die bei Tacitus überlieferten Randale im Amphitheater ist. 24 Dazu z. B. Kruschwitz – Halla-aho 2007 über Graffiti aus römischer Zeit. 25 S. z. B. Langner 2001, 82 über eine Gruppe von Pan-Darstellungen in Graffiti, die vermutlich auf ein heute verlorenes plastisches Vorbild zurückgehen. Vgl. zu denVorbildern von Graffiti auch Lohmann 2017a, 260–264. 291–301.

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Polly Lohmann

bereisten oder im Gestapogefängnis in Köln gefangengehalten wurden. Mit jeglichen gerade verfügbaren Schreibmaterialien angefertigt, geben sie Einblicke in spezifische Situationen und Lebensumstände, die sich aus anderen Quellengattungen in dieser Form nicht erschließen lassen; sie verweisen auf die Bedeutung bestimmter Orte (z. B. als Wallfahrtsorte) oder geben Einblicke in das Alltagsleben (z. B. in Wohnhäusern oder Haftanstalten). Als informelle Inschriften, die (i. d. R., vgl. oben) nicht gegen Bezahlung oder im Auftrag Anderer angefertigt wurden, spiegeln sie persönliche Bedürfnisse und Ansichten wider und stehen somit offiziellen, formalisierten, von einer oder für eine Gemeinschaft generierten Inschriften gegenüber. Sie repräsentieren den einzelnen Menschen, der sich dem Historiker oder Archäologen in von dritter Seite autorisierten und regulierten Texten und Bildern so nicht zeigt. Die historischen Graffiti eröffnen vor diesem Hintergrund eine ganze Reihe möglicher Anknüpfungspunkte und Fragen: Was geben sie preis über den Umgang mit und die Nutzung von zeitgenössischen und früheren sakralen und profanen Bauten und Orten? Was sagen ihre Anbringungsorte über die Wahrnehmung eines Raumes, über Bewegungsmuster im und die Wege durch den Raum aus? Waren die Graffiti gezielt auf Sichtbarkeit ausgelegt oder offenbarten sie sich nur dem eingeweihten Kenner des Ortes – wenn überhaupt? Was wissen wir über die SchreiberInnen und AdressatInnen? Wie stellten sich die Graffitischreiber selbst dar, welche Namens- oder Bildelemente waren ihnen wichtig? Waren nur bestimmte Personen(gruppen) in die Graffitikultur des jeweiligen Ortes oder Gebäudes involviert? (Wie) wurden Graffiti rezipiert? Nicht zuletzt führt der Umgang mit dem Material auch zu Fragen nach Methoden der Dokumentation und Konservierung, die aufgrund der Fragilität der Inschriften oder ihrer Träger ein sensibles Thema darstellen. Während Graffiti in Stein, wie man sie z. B. in Kirchen findet, verhältnismäßig robust sind, sind Graffiti auf und in Wandputz selbst des 20. Jahrhunderts in dem Ghetto Theresienstadt dem stetigen Verfall preisgegeben; in viel stärkerem Maße gilt das für antike Inschriften, die, wie in Pompeji, nach ihrer Ausgrabung bereits seit über 200 Jahren der Witterung ausgesetzt sind. Wie kann man das, was von den Inschriften überlebt hat, überhaupt schützen? Und wie kann man es adäquat dokumentieren und der Wissenschaftsgemeinde für zukünftige Forschung verfügbar machen? Die erstmalige diachrone Zusammenstellung historischer Graffiti in dem vorliegenden Band soll einerseits die Ausprägung speziell dieser „ephemeren“ Erinnerungspraktik in verschiedenen Epochen und Kontexten verstehbar machen und andererseits aufzeigen, für welche unterschiedlichen Lebensbereiche und Personen(gruppen) die Graffiti als Quellen fungieren können. Das Themenspektrum vereint deshalb Graffiti kommerzieller und touristischer Natur, von Bewohnern wie Besuchern, von sakralen wie profanen Orten, von freiwillig Reisenden und mutwillig Gefangenen. Das Material lässt sich aber auch methodisch differenzieren: Behandeln die Beiträge von Detlev Kraack, Julia Dorothea Preisigke, Romedio Schmitz-Esser und Thomas Wozniak Graffiti überregional, widmen sich Simon Dietrich, Ulrike Götz, Kordula Gostenčnik, Werner Jung, Ulrike Heckner und Daniel Schulz jeweils einzelnen Gebäudekomplexen; die Fälle Aphrodisias

Warum sich mit historischen Graffiti beschäftigen?

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und Pompeji wiederum ermöglichen eine Untersuchung des Inschriftenmaterials innerhalb kompletter Stadtgebiete. Gemein haben die jeweils analysierten Inschriften, dass das eigene Andenken identitätstragender Elemente bedurfte, die sowohl textlich als auch bildlich sein konnten und sich neben dem Namen etwa in Form von Wappen, Berufssymbolen, Porträtzeichnungen, Handumrissen präsentierten. Erinnerungsgraffiti mussten dabei nicht reine Selbstdarstellung (vor Anderen oder für Andere) sein, sondern konnten auch eine Form der Präsenz, z. B. an sakralen Orten mit einer Bedeutungssteigerung durch die Nähe zu einer Gottheit, einem kultischen Objekt oder Gebäude, darstellen. Diese gedachte Wirkung des Geschriebenen findet Parallelen in magischen Texten, und es ist nicht auszuschließen, dass manchen Graffiti ebenfalls eine magische oder apotropäische Kraft zugedacht wurde, die sich freilich nicht belegen lässt.26 Die Graffiti resultieren aus beruflichen Tätigkeiten vor Ort (Bautätigkeiten, Handel, Verkauf), Reisen und Pilgerfahrten, Wohn- oder Haftbedingungen (in Wohnhäusern, Karzern, Gefängnissen); dementsprechend homo- oder heterogen sind jeweils ihre Urheber, soweit sie sich nachverfolgen lassen: Handelt es sich bei der Ansammlung von Graffiti im Dachstuhl der Klosterkirche von Wenau um Produkte (wohl illiterater) Handwerker, bei den Warenaufschrieben aus den Magazinen am Magdalensberg offensichtlich um Händlergraffiti und im Freisinger Karzer zwangsläufig um die Hinterlassenschaften männlicher Schüler oder Studierender, sind die Besuchergruppen der Marburger Elisabethkirche weitaus diverser. In Pompeji und Aphrodisias lässt sich das epigrafische Material, weil es aus verschiedensten Gebäudetypen kommt, schwerlich genauer zuweisen, und im Kölner Gestapogefängnis saßen Personen unterschiedlicher Herkunft, verschiedenen Alters, Geschlechts, Berufs und sozialen Status‘ in Haft, denen aber die politische Opposition gemein war. Hier spiegeln die Graffiti die Zwangsgemeinschaft der Inhaftierten wider, die sich unter anderen Umständen nicht an demselben Ort aufgehalten und verewigt hätten. Mit Ausnahme dieser jüngsten Beispiele gilt jedoch für alle (antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen) Graffiti, dass Frauen kaum als Schreiberinnen auftauchen, was historisch bedingt entweder mit dem Zugang zu den entsprechenden Räumlichkeiten/Orten, oder überhaupt der Möglichkeit des freien Ausgangs und Reisens, oder aber mit der für Frauen höher anzusetzenden Analphabetenrate zu begründen sein könnte. Dass historische Graffiti jedenfalls keinesfalls das Produkt von „Narrenhänden“, Kindern und sozial Niedriggestellten sind, wie verschiedentlich postuliert,27 zeigt nicht zuletzt auch der berühmte Graffito des englischen Dichters Lord Byron am antiken PoseidonTempel von Kap Sounion in Griechenland. 26 S. den Beitrag von Romedio Schmitz-Esser in dem vorliegenden Band; vgl. auch denjenigen von Daniel Schulz sowie Lohmann 2015, 75 und id. 2017a, 84 f. mit Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Graffiti und magischen Schreibpraktiken in der römischen Antike. 27 Stellvertretend genannt sei hier der Pompejiforscher August Mau (Mau 1908, 510 f.); vgl. aber auch Lombroso 1899, 302 Anm. 1 und den Beitrag von Simon Dietrich in diesem Band mit Kommentar zur Forschungsgeschichte.

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Polly Lohmann

FAZIT Während offizielle Medien formalen und inhaltlichen Vorgaben folgen mussten oder als Auftragsarbeiten spezifische (z. B. politische) Intentionen Dritter artikulierten, drückten Graffiti persönliche Gedanken und Wünsche von Individuen aus; Auftraggeber und Macher fielen in einer Person zusammen. Gegenüber anderen, kontrollierten Text- und Bildformen stellen sie deshalb als direktes, ungefiltertes Medium eine wertvolle Quelle zu den konkreten Lebensumständen in verschiedenen historischen und geografischen Kontexten dar. Graffiti wurden mit verschiedenen gerade verfügbaren Schreibgeräten angebracht, die von Nägeln zum Ritzen bis zu Kohle oder Lippenstift als Schreibmittel reichen konnten, und waren somit (theoretisch) überall und ganz spontan möglich – auch wenn sie in der Praxis manchmal sehr aufwändig oder nur mit speziellem Schreibgerät angefertigt wurden. Sie bilden Spuren menschlichen Daseins, drücken erfahrenes Leid und empfundene Freude aus und liefern Eindrücke aus dem Alltagsleben des römischen Ephesos ebenso wie Momentaufnahmen der Häftlinge im Ghetto Theresienstadt. Graffiti geben Orten eine Stimme und liefern Historikern und Archäologen Informationen über die Menschen, die heute verlassene Stätten einst belebten – oder in den Termini der Architektursoziologie gesprochen: Sie sind die Produkte sozialer Dynamiken im physischen (gebauten) Raum.28 In den klassischen Altertumswissenschaften ist der Aussagewert von Graffiti in ihrem räumlichen Kontext erst in den letzten Jahren voll erkannt worden; aber während die Alte Geschichte, Klassische Archäologie und Klassische Philologie dabei interdisziplinär und auch vergleichend mit der Ägyptologie zusammenarbeiten, bleibt der Blick von späteren Epochen abgewandt. Das Anliegen der Münchner Konferenz war deshalb die wissenschaftliche Vernetzung mit dem Ziel, Methoden und Perspektiven der Graffitiforschung sowie Dokumentations- und Konservierungsmöglichkeiten der vom Verfall bedrohten Inschriften zu diskutieren; die Konferenzbeiträge sind – mit Ausnahme der bereits andernorts publizierten von Stefan Ritter,29 Hans Taeuber30 und derjenigen von Andreas Effland zu den Graffiti der napoleonischen Orientarmee in Ägypten und von Uta Fischer über die Graffiti aus dem Ghetto Theresienstadt – in den vorliegenden Band eingeflossen. Zur einfacheren Orientierung für den Leser sind die eine Zeitspanne von mehr als 2500 Jahren umfassenden Beiträge chronologisch angeordnet und beginnen jeweils mit einer knappen historischen und räumlichen Einordnung. Mit der vergleichenden Betrachtung und epochenübergreifenden Analyse historischer (Erinnerungs-)Graffiti in der deutschsprachigen Forschung hofft dieses Buch den Kultur- und Geschichtswissenschaften eine neue Perspektive zu eröffnen und das Potenzial einer lange vernachlässigten Inschriftengattung als Quelle zu demonstrieren.

28 Vgl. Schäfers 2010, 30. 29 Ritter 2011. 30 Taeuber 2005; id. 2010a; id. 2010b; id. 2014b; id. 2016.

GRAFFITI AN ÄGYPTISCHEN TEMPELN Belege für den Zugang der Bevölkerung zu den Tempeln und das Problem ihrer Datierung Julia Dorothea Preisigke HINTERGRUND UND EINFÜHRUNG Im Gegensatz zur Klassischen Archäologie, in der technisch gesehen eingeritzte Inschriften als Graffiti definiert werden und klar von den sog. Dipinti (Farbinschriften) getrennt sind, umfasst dieser Gegenstand in der Ägyptologie heute Ritzund Tuscheinschriften gleichermaßen, an Tempeln, in Gräbern, an Felswänden und auf Statuen. Entgegen der ägyptologischen Tradition trenne ich Dipinti von Graffiti, da somit die Einheitlichkeit in den Altertumswissenschaften gegeben ist und es mir sinnvoll erscheint, die sekundären Inschriften nach ihrer Anbringungstechnik einzuteilen und zu benennen. In diesem Sinn bezeichnet „Graffito” hier einen sekundären Text und/oder eine eingeritzte Inschrift auf einer Oberfläche, die nicht ursprünglich dafür vorgesehen war.1 Graffiti sind in Ägypten zu fast allen Zeiten vertreten, sind Teil der Schreibkultur und damit eine eher elitäre Institution.2 Bereits aus dem Alten Reich (ca. 2500–2100 v. Chr.) sind erste Belege bekannt; die Tradition endet nach heutigem Stand mit dem spätesten demotischen Graffito aus dem Jahr 452 n. Chr.3 In der ägyptologischen Forschung wurde der Begriff zuerst von Auguste Mariette genutzt. Die aktuelle ägyptologische Diskussion befasst sich vor allem mit der Terminologie und den Methoden zur Interpretation der Graffiti.4 Häufig wurde versucht Graffiti in Kategorien zu ordnen,5 doch 1

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Thissen 1977, 880 f.; Frood 2013, 286; vgl. hierzu die Definition von Kleinitz 2014, 94: „graffito = an intentional, secondary (or tertiary etc.) modification of a built surface for purposes that do not appear to be directly linked to building processes.“ Frood 2013, 286; vgl. Cruz-Uribe 2008; Wilkinson 2000, 47: In Ägypten sind u. a. textliche Graffiti in den Schriftstufen Hieroglyphisch, Hieratisch, Demotisch, Griechisch und Latein, ebenso Koptisch und Arabisch belegt. Thissen 1977, 880 f.; Frood 2013, 286. Navrátilová 2010, 306. 308: Die Debatte ist jedoch bisher noch zu keinem Ergebnis gekommen zu den Begriffen Graffiti, Dipinti, Felsinschriften etc, Nach dem italienischen Term „graffiare” zu urteilen wären Graffiti nur solche, die eingekratzt oder graviert sind. Alles, was mit Farbe und Pinsel aufgetragen wird, sollte Dipinto genannt werden; vgl. hierzu Ragazzoli – Frood 2012, 30. Frood 2013, 286: Die drei Kategorien von Graffiti, die Frood nennt: „1) scenes of deities that relate to human, nonroyal worshipers, on a traditional or semi-traditional model; 2) single figures of deities in previously undecorated spaces; and 3) the adaptation and transformation

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Hana Navrátilová stellt berechtigt die Frage, ob die sekundären Ritzungen und Inschriften an Tempelwänden Besucherinschriften, offizielle Inschriften, Graffiti oder etwas ganz Anderes sind, wobei diese Kategorisierung natürlich eine künstliche von Ägyptologen gemachte ist. Sie kommt zu dem Schluss, dass „‚Graffiti‘ […] an overarching term for ‚added‘ […] texts“ sind.6 Auch meines Erachtens ist der Terminus Graffiti der Oberbegriff für alle möglichen sekundären Besucherund Priesterinschriften, Proskynemata7, abstrakte und bildliche Einritzungen, von denen aber die Dipinti, also mit Tinte oder Farbe angebrachten sekundäre Inschriften, sowie die Abkratzungen unbedingt zu trennen sind. Lange Zeit wurde gerade der Aspekt des Kontextes der Graffiti vernachlässigt, was sich jedoch in den letzten Jahren mit den Arbeiten u. a. von Eugene Cruz-Uribe, Elizabeth Frood8 und Chloé Ragazzoli9, Hana Navrátilová10, Alexander J. Peden (John Coleman Darnell)11 sowie von Ian Rutherford am Isis-Tempel von Philae12 geändert hat.13 Im Zuge meiner Dissertation werden die ägyptischen Tempelgraffiti zwar nur als Hilfsmittel genutzt, als solches sind sie aber für die Untersuchung der sog. Bittplätze oder traditionell als Gegentempel bezeichneten Strukturen an ägyptischen Tempeln durchaus interessant. Sie können einen Hinweis darauf geben, ob diese Kultstellen an der Rückseite der Tempel für die Bevölkerung Ägyptens erreichbar waren oder nur von Priestern betreten werden durften. Die Zugänglichkeit zu bestimmten Arealen des Temenos ist eines der Hauptanliegen, das ich im Rahmen meiner Arbeit untersuche, mit dem Fokus auf die Oasentempel im Zeitraum vom 7. Jahrhundert. v. Chr. bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. Die Frage nach den Personengruppen, die Zutritt zu einem altägyptischen Tempel hatten, und danach, wie weit bzw. in welche Räume sie vordringen durften, wird seit langem kontrovers diskutiert.14 Die Untersuchung der Graffiti innerhalb der Tempelareale kann dabei helfen, sich dieser Frage anzunähern. Besonders die Verortung von Graffiti in bestimmten, zum Teil ausgesuchten Arealen und der Zusammenhang mit weiteren Kultstellen im Temenos und dort stattfindenden Praktiken lässt nicht nur Aussagen zur Zugänglichkeit, sondern möglicherweise zu ihrer Funktion und den Adressaten zu. Die Wahl der Position und Verortung eines Graffitos ist dabei

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of primary decoration through graffiti“. Froods Kategorien beziehen sich dabei aber nur auf den Luxor-Tempel, können also nicht pauschal übernommen werden. Navrátilová 2010, 328. (11.7.2017): Der Begriff Proskynema stammt von der Proskynese, einer Form der Anbetung, bei der der Boden mit der Stirn berührt wird. Proskynemata sind die schriftliche Form dieser Anbetung; vgl. Jaritz 1980, 70: In Elephantine finden sich Proskynemata in der Form „Anbetung durch den ... (Name)“; Rutherford 1998, 237: The „tradition of proskynemata begins in the early 1st century“. Frood 2013. Ragazzoli – Frood 2012. Navrátilová 2010. Darnell 2002, 885 f. Rutherford 1998. Cruz-Uribe 2008, 189 f. U. a. Davoli 2015; Guglielmi 1994; Wilkinson 2000.

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praktischen, technischen sowie ideologischen Aspekten ebenso wie der Zugänglichkeit zu bestimmten Orten und der Gelegenheit zur Anbringung unterworfen. Die Möglichkeit und der Drang ein Graffito zu hinterlassen, waren also immer in einem kulturellen Rahmen verortet.15 Der gewählte Raum, in dem ein Graffito angebracht wurde, ist für seine Interpretation bzw. die sog. „kontextuelle Lesung“ sehr wichtig.16 Doch ergeben sich auch Schwierigkeiten, die besonders mit der teilweise ungenauen Datierung von Graffiti zusammenhängen. Dies gilt vor allem für bildliche und geometrisch-abstrakte Graffiti, die nur in ihrem Kontext verstanden und relativ datiert werden können. Der Tempel war in Ägypten Ort der Kulte und schirmte die Göttersphäre gegen schädliche und unreine Einflüsse von außen ab.17 So sind seit dem Neuen Reich (1540–1070 v. Chr.) Inschriften an Tempeltoren üblich, wie „Jeder, der eintritt, sei rein, rein“; man sollte also rein in den Tempel treten.18 Der Tempel war jedoch auch Schnittstelle zwischen der Welt der Menschen und der der Götter.19 Sakrale Räume waren in sich selbst bedeutungsvoll in der Erfahrungswelt der Menschen in der Vergangenheit. Hierbei spielte ihre gute und, durch ihre Monumentalität bedingte, deutliche Sichtbarkeit besonders für die Bevölkerung der umliegenden Siedlungen eine wichtige Rolle als räumliche Präsenz des Göttlichen, besonders für die Bevölkerung, die in den umliegenden Siedlungen lebte. Der Raum, in diesem Fall der Tempel, und sein Innenleben können dabei intentional versteckt bzw. nicht einzusehen gewesen sein.20 Im vorliegenden Artikel ist es mein Ziel, auf die Problematik der Zugänglichkeit von bestimmten Bevölkerungsschichten zum Tempel bzw. zu bestimmten Tempelbereichen genauer einzugehen. Ich werde auf der Basis der Arbeit von Eugene Cruz-Uribe zu den Graffiti im Hibis-Tempel in der Oase Charga,21 in der er sich vor allem mit den Charakteristika von Graffiti allgemein und der Verteilung von Graffiti im Tempel beschäftigt hat, weitere Beispiele diskutieren. Eugene Cruz-Uribe versuchte in seiner Untersuchung die Zugänglichkeiten zu bestimmten Arealen des Tempels und die Nutzungsphasen dieser Bereiche zu analysieren. Seine Ansätze sollen anhand von eigenen Beobachtungen kritisch betrachtet und ergänzt werden. EIGENE BEOBACHTUNGEN AUF DER GRUNDLAGE VON CRUZ-URIBES ARBEIT Eugene Cruz-Uribe erstellte eine Checkliste zur Erkennung und Untersuchung von Graffiti, die sich aus 16 Punkten zusammensetzt. Sie schließt Dimensionen 15 16 17 18 19 20 21

Navrátilová 2010, 312 f.; Cruz-Uribe 2008, 202. Navrátilová 2010, 306; s. hierzu auch Darnell, 2002, 885 f. Kockelmann 2011, 41. Brunner 1986, 786. van der Plas 1994, 253. S. auch Harrington 2015, 143–150. Cruz-Uribe 2008.

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wie den Untergrund (1, 322) für Graffiti, die meist auf Steinflächen angebracht wurden,23 die Motivation der Autoren (2, 524) und die Herstellung bzw. Technologie (825, 926) der Ritzung ein. So meint er, dass ein Graffito mittels einer Technologie gefertigt wird, die dem Produzenten bereits zur Verfügung steht und nicht erst erlernt werden muss.27 Dabei unterscheiden sich die Techniken grob in zwei Kategorien: abtragend (kratzen, abplatzen) und auftragend (mit Tinte/Farbe aufgetragen = Dipinto). Je nach dem Untergrund mussten andere Techniken angewandt werden.28 Diese müssten mit denen des Steinbaus, der Steinbearbeitung und Metallbearbeitung etc. abgeglichen werden. Ein solcher Vergleich kann nicht nur für den technischen Aspekt, sondern auch für die Datierung der Inschriften hilfreich sein. So kann z. B. ein Graffito, das mit einem Eiseninstrument hergestellt wurde, erst seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. angebracht worden sein, da zuvor die Metallbearbeitung noch nicht weit genug entwickelt war.29 Cornelia Kleinitz beobachtete in Musawwarat es-Sufra im Sudan, dass die Graffiti historisch jüngerer Zeiten (z. B. während des christlichen Mittelalters im 6.–15. Jahrhundert) durch die Benutzung bestimmter Werkzeuge anders geformt waren: Dort findet man eine Kombination von breiten, tiefen geraden Linien, die in die gelb-braune, über Jahrhunderte entstandene, Kruste der Sandsteinoberfläche geritzt wurden.30 Demnach kann auch die Farbigkeit der geritzten Graffiti im Vergleich zu der des Untergrunds bei ihrer Datierung helfen. a) Zur Form und den Motiven der Graffiti Ein weiterer Punkt in Eugene Cruz-Uribes Aufstellung ist die Form der Graffiti: textlich, bildlich, abstrakt, geometrisch oder eine Kombination aus mehreren Formen.31 Figürliche und textliche Graffiti scheinen dabei häufig in ähnlichen Arealen versammelt zu sein und können miteinander interagieren, so Hana Navrátilová.32 Mögliche Motive von bildlichen Graffiti sind beispielsweise Könige,

22 Cruz-Uribe 2008, 203, Punkt 3: Ein Graffito soll permanent bzw. dauerhaft sein. 23 Cruz-Uribe 2008, 201. 24 Cruz-Uribe 2008, 205, Punkt 9: Ein Graffito wird durch das Wegnehmen oder Hinzugefügen von Material gefertigt. 25 Cruz-Uribe 2008, 207–209; vgl. zur Technik und den technischen Charakteristika Kleinitz 2014, 96: „measurements (height, width), technique(s), line characteristics and measurements (width, depth), superimpositions (over, under), juxtapositions (one or several ‘marking events’), state of preservation”; vgl. Navrátilová 2010, 307: „The techniques for making graffiti and rock inscriptions […] differed based on the surfaces into which they were cut“. 26 Cruz-Uribe 2008, 209. 27 Cruz-Uribe 2008, 207–209. 28 Navrátilová 2010, 307. 29 Cruz-Uribe 2008, 207–209. 30 Kleinitz 2014, 100. 31 Navrátilová 2010, 307; vgl. Cruz-Uribe 2008, 207. 32 Navrátilová 2010, 307.

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Priester, Menschen und Tiere,33 aber auch Gegenstände wie Opferplatten etc. Darstellungen von Göttern, mythischen oder hybriden Wesen, wie Sphingen, oder kultbezogenen Objekten wie Hörneraltären oder Barken, zeigen ihren Bezug zur (magisch-)religiösen Sphäre und zu den am entsprechenden Ort stattfindenden Praktiken oder Handlungen.34 Handgraffiti könnten dem römischen Brauch entsprechen, beim Beten oder bei einem Schwur die Hand an den Altar zu legen.35 b) Zu den Autoren und Adressaten der Inschriften Die Interaktion zwischen verschiedenen Graffiti (436) und die Ebene des Publikums und der Sichtbarkeit (10, 11) spricht auch Eugene Cruz-Uribe an. Ein Graffito soll nämlich erkennbar und verständlich für Personen aus dem gleichen kulturellen Kontext wie der Autor sein. Es kann daher Abkürzungen und Symbole enthalten,37 die sich für uns nicht immer ohne Weiteres erschließen. Ein Graffito ist also an einem Ort platziert, der sichtbar ist für das gewollte Publikum, welches dabei sowohl menschlich (lebendig oder verstorben) als auch göttlich sein kann.38 So konnte Rutherford am Isis-Tempel auf der Nilinsel Philae am ersten Katarakt bestimmte cluster von Graffiti in verschiedenen Bereichen des Temenos feststellen, die soziale Gruppenzugehörigkeiten erkennen lassen. Hier finden sich die demotischen Graffiti vor allem am Mammisi und am Kiosk des Nektanebos, während die griechischen Graffiti besonders am Südpylon angebracht waren. Meroitische Inschriften häufen sich speziell an der äußeren, westlichen Fassade des Hadrianstores und an der Westseite des Südpylons. Sehr wenige sind insgesamt im Tempel und im Pronaos verortet. Inschriften auf dem Tempeldach datieren erst ab der christlichen Zeit, da dieses für Laien, also nicht-priesterliche Kultteilnehmer, erst seit dieser Periode zugänglich war. Verschiedene Areale wurden also von unterschiedlichen Gruppen zu bestimmten Zeiten genutzt. Es zeigt sich eine diachrone Annäherung an den Tempel und das Allerheiligste, doch wird auch klar, dass Laien zur aktiven Zeit des Tempels eben nur bis zu den vorderen Teilen des Temenos gelangen konnten.39 Gab es hier möglicherweise soziale Konventionen, dass bestimmte soziale Gruppen nur zu bestimmten Bereichen des Tempels Zugang hatten und deshalb auch nur dort ihre Namen und Inschriften hinterließen? 33 Wilkinson 2000, 47; s. zu den Formen und Motiven Kleinitz 2014, 97: „Pictorial graffiti: Figurative graffiti include zoomorphs, anthropomorphs and hybrids, plants, objects and architectural features and combinations thereof. Geometric motifs are those graffiti that resemble geometric shapes, such as straight, curved, crossing and touching lines, circles, ovals, rectangles, triangles and combinations thereof.“ 34 Kleinitz 2014, 93. 35 Jaritz 1980, 60. 36 Cruz-Uribe 2008, 203 f. – Punkt 4: Normalerweise wird ein Graffito eine frühere Inschrift nicht beeinträchtigen. Dies kann in der Praxis aber durchaus passieren. 37 Cruz-Uribe 2008, 209. 38 Cruz-Uribe 2008, 211 f., Punkt 11. 39 Rutherford 1998, 240. 250–253; vgl. Cruz-Uribe 2008, 206.

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Oder war vielmehr die Sichtbarkeit der Graffiti der Hauptgrund für die Anbringung in speziellen Arealen?40 Zur Analyse von Graffiti gehören Überlegungen nach den Urhebern dieser Inschriften. Dabei ist die häufigste Frage, ob sie von Priestern41 („staff graffiti“, u. a. Steinmetzzeichen42), Besuchern, Beamten oder Laien angebracht wurden und ob dafür in irgendeiner Weise bezahlt werden musste. Gab es einen professionellen Schreiber, der den Wünschen der Besucher nach Inschriften nachkam? Wurden Inschriften durch Rituale oder Opfer begleitet?43 Graffiti im Tempel sind, nach unserem Verständnis, Belege für die Verehrung der dort ansässigen Götter, doch gibt es Unklarheiten zur genauen Form der Verehrung und der Besuche und ob die sekundären Inschriften möglicherweise von Pilgern oder doch eher von der lokalen Bevölkerung stammen.44 Votivinschriften vom Proskynema bis zum einfachen Einkratzen der Füße und des Namens wurden wohl zum größten Teil von lokalen Ansässigen angebracht, seit griechisch-römischer Zeit entstand jedoch auch eine Art Pilgerwesen.45 Hierzu sind vor allem die Graffiti von Personen der ptolemäischen und römischen Zeit von besonderem Interesse, da sie im Gegensatz zu ihren Vorläufern aus pharaonischer Zeit religiöse Referenzen nennen, vor allem in gut besuchten und monumentalen Stätten, wie in den Orten Ain el-Labakha und Ain Amur.46 Ein Graffito am Temenostor in Ain Amur (im Norden der Oase Charga; alle genannten Orte finden sich auf der Karte Abb. 1) nennt eine Person mit dem Verweis „aus Hibis“47 (benachbarter Ort in Charga, etwa 40–60 km entfernt), was zeigt, dass auch Personen aus der weiteren Umgebung zum Publikum bzw. zu den Besuchern dieses Tempels gehörten und dass diese Besucher zumindest bis zum Tor vordringen durften. Ain Amur liegt an einer der wichtigsten Verbindungsrouten zwischen den zwei großen Oasen Dachla und Charga, dem Darb Ain Amur. Daher ist es keinesfalls verwunderlich, dass Menschen am Tempel Station machten und hier ihren Namen hinterließen. Möglicherweise wollten sie sich auf ihrer Reise das Wohlwollen der Schutz-Gottheit des Tempels, AmunNacht, sichern.48

40 Rutherford 1998, 251. 41 Navrátilová 2010, 320: „The Khonsu temple roof Graffiti, mostly incised testimonies to the presence of what was likely the Khonsu temple personnel.“ 42 Kleinitz 2014, 94: „Mason’s marks are likewise linked to the building and re-building process. They are easily recognisable by their restriction to individual block surfaces and by their adherence to a specific canon of motifs with very consistent form and line characteristics.“ – In den Oasentempeln sind sie m. E. nicht ganz so einfach zu erkennen. 43 Rutherford 1998, 237. 44 Rutherford 1998, 230. 45 Thissen 1977, 881. 46 Lazaridis 2012, 128 f. 47 Winlock 1936, 48 f. 48 Lazaridis 2012, 128 f. Besucher kamen möglicherweise als Teil von Arbeitergruppen zusammen mit meist einem religiös ausgebildeten Priester zu diesem Tempel auf den Karawanenrouten, die durch die Wüsten führten und die Tempel und Orte verbanden.

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Abb. 1: Übersichtskarte Ägyptens mit den genannten Orten, markiert durch Unterstreichung.

In Qasr el-Dusch, im Süden der Oase Charga, finden sich im gesamten Temenos insgesamt 74 antike Graffiti und Dipinti,49 die Auskunft über Besucher geben. So könnten bei zwei Beispielen (Dipinto A250 und Dipinto A451) die Autoren tatsächlich aus den genannten Städten Esna und Armant in die Oase gereist sein. Dies muss jedoch nicht in Form einer Pilgerfahrt passiert sein. Die Angabe einer entfernten Stadt kann auch eine Abstammungs- bzw. Herkunftsangabe des Autors sein, also seinen Geburtsort nennen. Meines Erachtens bestätigt Dipinto A4 genau das, denn es nennt Abraam als „Soldat aus Hermouthis“ (Armant, eine Stadt etwa 20 km südlich von Theben-West, s. Karte Abb. 1). Er stammte also aus diesem 49 S. zu einigen Graffiti ausführlich in Dils 2000 Kapitel 7.1 Die antiken Inschriften und Graffiti (zu deren Verortung s. ab Taf. 97). 50 Dils 2000, 248 f.: „Viel Glück. Mousès, Sohn des Pahermes, Einwohner von Latopolis (= Esna).“ 51 Dils 2000, 249: „Abraam, ein Soldat von Hermouthis [= Armant, Anm. d. Verf.], von der Oase, von […] und von uns fünf […] bitten für mich.“

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Ort im Niltal und wurde als Soldat in die Oase gesandt. Etwas anders sieht es bei Dipinto A2 aus, denn hier scheint der Autor Pahermes tatsächlich in Esna gewohnt zu haben und nur auf Besuch in Qasr el-Dusch gewesen zu sein. Ob es nun aber eine Pilgerreise war oder die Reise aus anderen Gründen angetreten wurde, bleibt unklar. Ein Dipinto (A56) an der Südwand der Vorhalle des gleichen Tempels war in roter Farbe geschrieben, umfasste drei Zeilen griechischer Inschrift und lautete: „Möge das Schicksal gedeihen bei dem, der (dies) liest. Ampius.“52 Jenes Dipinto zeigt, dass Besucher bis in diese Vorhalle des Tempels gelangen konnten, obwohl sie bereits hinter den zwei vorgelagerten Toren und Höfen liegt. Die Besucher wurden laut dem Text des Graffitos A56 sogar mit einem guten Schicksal belohnt. Es wird jedoch nicht berichtet, welche Personen bzw. Personengruppen hier als Publikum erreicht werden sollten – Laien und Pilger oder doch eher privilegierte Beamte und Priester? Ferner ist die Datierung dieses Graffitos ungewiss. Es ist nicht bekannt, ob der im Norden während des 2. Jahrhunderts n. Chr. vorgelagerte Hof bereits existierte. Ohne diesen zusätzlichen Hof und dessen Tor war die Halle am Tempel sicherlich einfacher zugänglich. Dass einige Bereiche von ägyptischen Tempeln für bestimmte Personen und Berufsgruppen zugänglich waren, wissen wir auch von Graffiti der äußeren Wände des NordTempels in Karanis (am Rand des Fayums, Halboase 100 km südwestlich von Kairo). U. a. fand sich dort häufiger das griechische Wort topos („Platz“ oder „Ort“) in den Stein geritzt: Beispielsweise erkennt man an der Südmauer des Tempels, westlich des Haupttors, eine griechische Inschrift: „ΤΟΠΟΣ Μ. AYΡ“ („Der Ort des M. Aur(elius)“). Dieser spezielle Ort war demnach wohl für Aurelius reserviert,53 der möglicherweise ein Händler, Künstler, Schreiber oder Magier (?) war und hier sein Geschäft hatte. Dies zeigt, dass sich Personen mit besonderer Funktion für den Tempel oder für den Handel hier aufhalten durften. Indirekt kann man aber ebenfalls daraus schließen, dass auch andere Menschen, nämlich potentielle Kunden, hier hingelangen mussten, denn sonst würde dieser Ort dem Geschäftsinhaber keinen Erfolg versprechen. c) Trennung von offiziellen und inoffiziellen Graffiti? Es ist möglich, dass Graffiti offiziellen Sanktionen unterlagen, die von lokalen oder nationalen Autoritäten aufgestellt wurden. Nach Eugene Cruz-Uribe können sie jedoch auch oft außerhalb dieser Kontrolle existieren.54 Elizabeth Frood konnte hingegen durch ihre Analyse an mehreren Tempeln, besonders im Bereich von Theben und Karnak, zeigen, dass viele der Tempelgraffiti vom dortigen Personal, also den diensthabenden Priestern, angebracht wurden und als Kultstellen in be-

52 Dils 2000, 219. 53 Lane 1985, 43. 54 Cruz-Uribe 2008, 206.

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stimmte Rituale eingebunden waren.55 Dies macht sie vor allem an der Verortung der Graffiti an Türen und an deren Qualität fest. Zum Teil weisen die Graffiti noch Reste von Bemalung auf, die wohl von Handwerkern und Künstlern eigens für den Kult angebracht wurde.56 Als Beispiel für offizielle Graffiti lassen sich hier auch die zahlreichen Fußgraffiti (z. T. „Pilgerfüße“ genannt), die meist auf den Tempeldächern zu finden sind, nennen, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, wie allgemein angenommen, von Pilgern, sondern vielmehr vom Personal eingeritzt wurden.57 Dies waren Fußdarstellungen im Tempelbereich, die sich vor allem auf den Bodenplatten der Terrassen, Höfe, Umgänge und Dächer der Tempel befanden.58 Die Prozessionen zum und die Zeremonien auf dem Dach fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weshalb eben keine Pilger auf das Dach gelangen konnten.59 Daher ist in diesem Fall der Terminus „Pilgerfüße“ nicht korrekt, zumal in einigen Fällen (z. B. beim Maat-Tempel, Karnak) durch Beischriften eindeutig auf Priester als Autoren hingewiesen wird. Dennoch lassen sie sich definitiv als Votive an einen Gott einordnen, eben nur von der Elite und nicht von Pilgern. Schwieriger ist die Autorenschaft in den äußeren semi-öffentlichen Räumen des Tempels wie den Höfen und Terrassen, zu denen auch Pilger Zugang hatten, zu bestimmen. Einige Fußdarstellungen waren mit einem geritzten Zweig oder Palmwedel oder mit Isisblumen versehen, andere mit zusätzlichen Inschriften wie Namen oder Anbetungsformeln.60 Horst Jaritz meint, dass eingeritzte Fußumrisse Proskynemata sind, auch wenn sie keine Inschrift besäßen, dann seien sie möglicherweise Analphabeten zuzuschreiben. Ihr Sinn sei es, den Akt der Anbetung am heiligen Ort, also in der Gegenwart des Gottes, festzuhalten.61 Graffiti von „Privatpersonen“ liegen also nicht unbedingt außerhalb der Aufsicht der lokalen Autoritäten. Das Anbringen von Graffiti an bestimmten Orten musste sicherlich von offizieller Seite genehmigt werden. Étienne Bernand62 überlegt daher, ob es offizielle Tempelschreiber gegeben haben könnte, die Graffiti im Auftrag für andere und weniger privilegierte Personen anbrachten, wofür jedoch keine textlichen Belege vorhanden sind.63 Eugene Cruz-Uribe meint jedoch, dass 55 Frood 2013, 290: „I argue here that the exterior spaces on which they were carved were probably not widely accessible. Rather, the images would have participated in and ritualized the movements of priests and temple staff.“ 56 Frood 2013, 298; vgl. Ragazzoli – Frood 2012, 33. 57 Navrátilová 2010, 320; vgl. Jacquet-Gordon 2003. 58 Jaritz 1980, 69 f. 59 Barta 1980, 846; vgl. Fazzini 2010, 94: Im Hof hinter dem 10. Pylon in Karnak fand sich weiterhin ein Graffito eines Fußpaares vom Hohepriester des Amun Menkheperre aus der 21. Dynastie; vgl. Kessler 1998, 177; ebenso Kessler 2000, 201: Wab-Priester, z. B. in Medinet Habu, gingen während des Kultdienstes am Morgen auf das Dach des Tempels oder des Pylons. In diesem Zusammenhang sind wohl auch die Fußgraffiti zu sehen. 60 Jaritz 1980, 81, FN 612. 61 Jaritz 1980, 69 f.; sie sind in der ägyptologischen Forschung noch nicht sehr gut untersucht. Tatsächlich gibt es nur eine unpublizierte Magisterarbeit von Martin von Falck über dieses Thema und Untersuchungen zu Fußabdrücken von Miroslav Verner 1973, bes. 13 f. 62 Bernand 1994, 43–60, bes. 52. 63 Cruz-Uribe 2008, 206.

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sie in diesem Fall keine Graffiti mehr seien, sondern offizielle Inschriften,64 da sie von einem offiziellen Schreiber angebracht wurden. Doch auch ein Schreiber kann meines Erachtens private Texte und Graffiti verfassen, hier kommt es auf den Inhalt und die äußeren Umstände an. Eugene Cruz-Uribe postuliert ferner, dass das Ritzen von Graffiti durch Besucher in die Außenwände des Tempels keiner Kontrolle unterlegen habe.65 Dies ist meiner Ansicht nach nicht ganz richtig, denn auch hier war der Zugang nicht ohne weiteres möglich. So sind für viele Tempel Ägyptens Türhüter bereits am Temenostor belegt (u. a. in Karnak, Heliopolis, Ain Tibniya), die mit Sicherheit kontrollierten, wer in den Temenos und zum Tempel vordringen und sein Zeichen hinterlassen durfte. Diese Türhüter sind in den Belegen als „jrj-‘3“66 bezeichnet („Pförtner“ oder „zugehörig zum Tor“67) und spielten im Altertum eine wichtige Rolle. Viele hochgestellte Personen wünschten nach ihrem Tod „Türhüter am Tempel“ zu werden, u. a. auch in Form einer Statue als Mittler zwischen Mensch und Gott.68 Hieraus lässt sich die besondere Bedeutung einer solchen Position für den Tempelkult und die Gläubigen ablesen. d) Die kontextuelle Lesung und Interpretation von sekundären Inschriften Besonders interessant und wichtig für die Interpretation von Graffiti ist die Untersuchung des Kontexts und der Verortung dieser sekundären Inschriften im Raum69 sowie ihrer Anbringungshöhe70 an der Tempelwand, die Eugene Cruz-Uribe mit „average hight“ bezeichnet. Er meint damit die durchschnittliche Höhe für die Anbringung eines Graffitos in sitzender oder stehender Position. Dabei läge die Durchschnittshöhe in sitzender Position zwischen 45 und 110 cm und in stehender Position zwischen 140 und 170 cm. Dies variiert jedoch je nach Bodenniveau.71 So kann die Höhe des Graffitos an der Wand ein Indikator für den Versandungsgrad dieses Areals und damit auch auf die relative Datierung des Graffitos sein: Teilweise sind die Graffiti im Hibis-Tempel so hoch an der Wand eingeritzt, dass deren Autoren auf den umstehenden Häusern gesessen haben müssen. Diese wurden jedoch erst nach der Profanisierung des Tempelgebäudes erbaut, womit die Graffiti in eine Zeit fallen, in der der Tempel wohl nicht mehr aktiv war.72 Chloé Ragazzoli und Elizabeth Frood geben jedoch zu bedenken, dass auch Leitern oder 64 Cruz-Uribe 2008, 226. 65 Cruz-Uribe 2008, 225. 66 Helck 1986, 787: „jrj-‘3“ im Neuen Reich/wn in der Spätzeit, die Schreibungen treten aber bereits im Mittleren Reich auf, im Neuen Reich besonders häufig. 67 Erman – Grapow 1957, 104, vgl. 105: „jrj“ = zugehörig. 68 Brunner 1986, 786. 69 Die Punkte 12–14 in Cruz-Uribes Arbeit. 70 Cruz-Uribe 2008, 213, Punkt 12: Ein Graffito ist in einer angenehmen Höhe angebracht, in Zusammenhang mit dem lokalen Bodenniveau (Brust- bis Nasenhöhe für eine stehende/sitzende Person). 71 Cruz-Uribe 2008, 233. 72 Cruz-Uribe 2008, 215 f.

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Gerüste zum Einsatz gekommen sein könnten.73 Dabei wäre jedoch zu fragen, warum der erhöhte Aufwand hätte betrieben werden sollen, um die Graffiti so hoch an der Wand anzubringen. War dieser Wandteil möglicherweise besonders heilig oder weithin sichtbar? Man könnte auch annehmen, dass die hohe Position eines Graffitos an der Tempelwand zu seinem Schutz vor möglicher Zerstörung bevorzugt wurde. Eugene Cruz-Uribe beschäftigte sich auch mit der kontextuellen Bedeutung von Graffiti.74 So finden sich Graffiti oft in solchen Bereichen, die sicher schon vor ihrer Anbringung Orte für rituelle Praktiken wie Opfer, Libation oder Gebet waren.75 In einigen Fällen lassen sich in dieser Hinsicht direkte Zusammenhänge zwischen Kultpraktik und Graffiti erkennen: Am Eingang zum Ptah-Tempel in Karnak (eines der zwei Tore des Shabaka, 715–700 v. Chr./25. Dynastie) findet sich ein bildliches Graffito eines Gefäßes (für Wasser?), während direkt daneben am Boden eine Einlassung genau für ein solches Gefäß entdeckt wurde.76 Markierte hier das Graffito den Aufstellungsort des Gefäßes oder nahm es eher Bezug auf eine Praktik, die hier stattfand, wie Libation, Säuberung oder Reinigung?77 Ähnliche kontextuelle Überlegungen können wir sicher auch für die Räucheraltargraffiti anstellen, die sich zumeist an den äußeren Toren der Temenoi finden (sowohl in Elephantine,78 in Hibis als auch Ain Birbiya79). Sie nehmen wohl Bezug auf möglicherweise öffentliche Räucher- bzw. Opferhandlungen im Vorfeld des Tempels, die von den Gläubigen bei Festen oder zu anderen Anlässen gesehen werden konnten. Am zweiten Tor des Temenos in Hibis finden sich mindestens sieben Graffiti, die Hörneraltäre, teilweise mit Treppenaufgängen oder Räuchermaterial versehen, darstellen. Diese Altäre wurden in einer Höhe von 110 bis 170 cm eingeritzt, vermutlich in stehender Position, bei einem Bodenniveau, das dem heutigen ähnlich war. Auch wenn im Umfeld des zweiten Tores keine fest installierten Steinaltäre erhalten geblieben sind, so kann man sich doch vorstellen, dass die Graffiti auf ein hier stattgefundenes Räucheropfer Bezug nehmen. Tatsächlich erkennt man beidseitig am zweiten Torbau Verfärbungen, die auf Räucheraktivitäten zurückzuführen sind. Die Verfärbungen finden sich auf der linken Seite genau dort, wo auch die Graffiti eingeritzt wurden. Interessanterweise wurden in den Tempelarealen in Charga mobile, tragbare Räucheraltäre aus Kalkstein und Keramik gefunden (Abb. 2), die sogar noch Rückstände von Räuchermaterial enthalten.80 Durch diese realen Altäre, die in die Zeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n. Chr. datieren, und durch die Färbung der Ritzungen könnte man eine Datierung der Altargraffiti in dieselbe Zeit annehmen. Auch das Vorkommen real datierbarer, inschriftlicher Graffiti im gleichen Areal und teilweise im Zu73 74 75 76 77 78 79 80

Ragazzoli – Frood 2012, 33. Cruz-Uribe 2008, 216 f. Frood 2013, 298 f. Traunecker 1982, 58. Frood 2013, 298 f. Jaritz 1980. Gespräch mit Prof. Olaf Kaper 08.11.2016 (Ähnlichkeit mit dem Hibis-Tempel). Die mobilen Altäre befinden sich heute im lokalen Museum in Charga.

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sammenhang mit den Altardarstellungen wird eine Datierung in die Antike wahrscheinlich.

Abb. 2: Linke Seite: Hörneraltar-Graffiti (mindestens sieben) am zweiten Tor des Temenos in Hibis, teilweise mit Treppenaufgängen oder Räuchermaterial versehen. Rechte Seite: in Charga gefundene mobile, tragbare Räucheraltäre aus Kalkstein und Keramik aus der Zeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n. Chr. (Fotos: J. Preisigke).

Auf der Terrasse des Chnum-Tempels von Elephantine, einer Nilinsel nahe Assuan, sind die genauen Aufstellungsorte zweier kleiner Hörneraltäre belegt (Abb. 3). Diese stehen sicherlich in direktem Zusammenhang mit den nicht weit von dort entfernten Graffiti, die ebensolche Hörneraltäre darstellen. Graffito 41 bestand aus einer mehrzeiligen Inschrift über einem Altar-Graffito, die eine „Anbetung des Domiti(us?)“ nennt und damit bereits einen Hinweis auf die dahinterstehende Praxis gibt. Während das Graffito 43 einen Schrein und einen kleineren Hörneraltar darstellt.81 Die Graffiti könnten also mit den genannten Hörneraltären oder mit dem zentralen Opferaltar vor dem Eingangspylon auf der Tempelterrasse und den dort stattfindenden Aktivitäten in Verbindung stehen. Das Bild eines Hörneraltars für Räucherungen könnte ferner eine verkürzte Darstellung eines Räucheropfers zeigen und dieses Opfer durch das im Stein verewigte „Symbol“ dauerhaft real werden lassen.82 Eine Datierung der Graffiti in die Antike ist wegen der Kontextualisierung mit anderen antiken Graffiti im gleichen Umfeld sehr wahrscheinlich.

81 Jaritz 1980. 82 Salapata 2011, 6.

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Abb. 3: Balustrade der Terrasse vor dem Chnum-Tempel auf Elephantine (aus Jaritz 1980) mit Räucheraltargraffiti. G 41: Mehrzeilige Inschrift über einem Altar-Graffito?; „Die Anbetung des Domiti(us?)“ (Jaritz 1980, 76). G 43: einzeilige Inschrift sowie Graffito eines Schreins und eines kleineren Hörneraltars (aus Jaritz 1980, 76).

Ferner meint Eugene Cruz-Uribe, dass ein Graffito oft in einem schattigen Areal angebracht sei.83 Er bezieht dies in Hibis auf die Graffiti an der äußeren Nordwand, die naturgemäß dauerhaft im Schatten lag; an der sonnigen Südwand befinden sich hingegen keine Graffiti.84 In Qasr el-Ghueita (Ort in der Oase Charga, relativ zentral gelegen) allerdings finden sich der Großteil der – vor allem abstrakten/geometrischen, teilweise bildlichen – Graffiti und zahlreiche Abkratzungen an der Südwand des Tempels, also nicht im eigentlich schattigen Bereich (Abb. 4). Jedoch waren bereits in der Antike im Bereich vor dieser Wand niedrige Lehmziegelstrukturen vorhanden, die heute nur noch als Ruinen erhalten sind und die zumindest auf den unteren Bereich der Südwand Schatten warfen. Falls die Graffiti und Abkratzungen tatsächlich erst nach der Errichtung dieser Lehmziegelstrukturen angebracht wurden, würde dies die These von Eugene Cruz-Uribe bestätigen. Das würde dann auch erklären, warum diese Graffiti nur bis zu einer Höhe von etwa 1,2 m reichen, also in den Bereich der sitzenden Schreiberhaltung fallen. Was sagt dies aber über die Zugänglichkeit beider Tempelumgänge aus?

83 Cruz-Uribes Punkt 14: Ein Graffito ist oft in einem schattigen Areal angebracht. 84 Cruz-Uribe 2008, 217.

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Abb. 4: Links: Grundriss des Tempels in Qasr el-Ghueita (aus Arnold 1999 Abb. 45); markiert ist der linke Umgang. Rechts: Graffito von einem Räucheraltar (?) und abstrakten/geometrischen Graffiti sowie Abkratzungen am linken Umgang im unteren Wandbereich (Foto: J. Preisigke).

War möglicherweise nur der Südumgang zu betreten? Denn obwohl der Nordumgang sich dauerhaft im Schatten befand, finden sich hier nur extrem wenige Graffiti. Auch die Datierung ist problematisch. Laut Eugene Cruz-Uribes Argument der Anbringungshöhe läge eine Datierung in der Antike nahe, in der das Bodenniveau dem heutigen glich. Doch da mir keine Fotografien des Zustandes vor und kurz nach der Freilegung dieser Wand vorliegen, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob der untere Teil von Sand bedeckt war und ob die Graffiti und Abkratzungen zum Zeitpunkt der Freilegung bereits vorhanden waren. Die Farbigkeit der Ritzungen und Graffiti würde aber ebenfalls für eine Anbringung in der Antike sprechen, da sie die gleiche Patina wie die Wand selbst aufweisen.85 Hingegen ist die Farbigkeit der Graffiti am Sandsteintor86 des Tempels in Qasr el-Zayan ausschlaggebend für eine spätere Datierung. Sie zeigt, dass die Graffiti rezent angefertigt wurden, da sie sehr viel heller als ihr Untergrund sind. Auch die Verortung scheint auf diese verhältnismäßig späte Anbringung hinzudeuten. e) Graffiti an heiligen vs. nicht-heiligen Orten Eugene Cruz-Uribe geht davon aus, dass ein Graffito normalerweise nicht an einem heiligen Ort, wie beispielsweise einem Tempel, angebracht wurde, als dieser noch als solcher aktiv war.87 Dabei erfolgte die Aufgabe von aktiven Bereichen von außen nach innen. Besucher kamen also im Verlauf der Jahrhunderte immer näher an den Gott und das Sanktuar heran.88 Nach meiner Erfahrung scheint es jedoch so zu sein, dass Graffiti besonders an solchen bedeutsamen und heiligen Orten angebracht wurden. Man müsste hier eine Trennung zwischen offiziellen 85 Vgl. Kleinitz 2014, 100. 86 (letztes Update 2.6.2011, letzter Zugriff 18.7.2017); s. auch Arnold 1992, 157. 87 Cruz-Uribe 2008, 218 f., Punkt 15; vgl. Navrátilová 2010, 311. 316. 88 Cruz-Uribe 2008, 222. 230.

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und nicht-offiziellen Graffiti vornehmen, was natürlich weitere Probleme aufwirft. Dabei ist die Unterscheidung zwischen „formell“ und „informell“ besonders schwierig in Tempeln, in denen Graffiti zum Teil der Primärdekoration nachempfunden wurden. Dies fällt besonders bei Götterfiguren auf, die fein geritzt, bemalt und mit hieroglyphischen Texten versehen worden sind.89 Denn ein Priester hinterließ sein Graffito natürlich im Tempel, während dieser noch aktiv war, während ein Laie dies möglicherweise nicht konnte. Doch auch ein Graffito, das als Opfer oder religiöse Handlung von einer Privatperson angebracht wurde (eventuell mit einem Hinweis auf ein Gebet, wie die demotischen Graffiti im Hypostyl des Hibis-Tempels, die oft mit der Formel „prayer of“90 – „t3 wšt n“ eingeleitet werden), zeigt, dass der Bereich des Tempels, in dem das Graffito angebracht wurde, zu diesem Zeitpunkt noch eine religiöse Bedeutung hatte und sicher noch in gewissem Maße aktiv war. Hier muss man von Fall zu Fall entscheiden: Ein Beispiel sehen wir in Ain Tibniya am südlichen Rand der Oase Bahariya, am Alexandertempel: Hier wurde eine Pilgerinschrift (?) bzw. Besucherinschrift von einem gewissen Petobastis am linken, westlichen Pfosten des Tordurchgangs angebracht (Abb. 5–6). Sie lautet: „Ich bin gekommen in die Nähe des Amun, der Helfer, in Erfüllung eines Gelübdes.“91 Nach der Argumentation von Eugene Cruz-Uribe wäre dieses Graffito im Tordurchgang ein Indikator dafür, dass dieses Tor zum Zeitpunkt der Anbringung nicht mehr in Betrieb war. Dies ist meines Erachtens hier jedoch nicht anzunehmen. Der Text des Graffitos indiziert nach meinem Dafürhalten, dass der Tempel und sein Hauptgott noch bedeutend für die Bevölkerung waren, denn Amun wird als „Helfer“ angesprochen. Möglicherweise hatte der Gott dem Petobastis in einer Notsituation geholfen und dieser gelobte ein Opfer am Tempel zu hinterlassen oder ein Gebet für den Amun zu sprechen. Damit diese Anbetung permanent am Tempel vorhanden war, tat er dies in Form eines Graffitos. Der Autor des Graffitos scheint möglicherweise privilegiert gewesen zu sein und es war ihm erlaubt (vom hier belegten Türhüter), sein Graffito einzuritzen.92 Dies nahm sicher eine gewisse Zeit in Anspruch und konnte daher nicht geheim geschehen. Ob der Zugang jedoch darüber hinaus für alle Personen oder nur für Eingeweihte möglich war, kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden, da die Graffiti im Temenos sehr rar gesät waren.

89 Frood 2013, 287. 90 Cruz-Uribe 2008, 233. 91 Gesamte Inschrift nach Colin 1997, 92: „Jahr 15, der 9 Epiphi, Ich, Petobastis, Sohn des Petoèris, Enkel des Petôs […]. Ich bin gekommen in die Nähe des Amun, der Helfer, in Erfüllung eines Gelübdes.“ 92 Lane 1985, 43.

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Abb. 5: Grundriss des Temenos von Ain Tibniya (aus Bagnall – Rathbone 2004, 269), mit markiertem Fundort des Graffito des Petobastis.

Abb. 6: Graffito des Petobastis (aus Colin 1997, 96 Abb. 2).

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ERGEBNISSE UND SCHLUSSFOLGERUNG Es lässt sich also festhalten, dass Graffiti uns als wichtige Informationsquelle für die Zugänglichkeit der Bevölkerung in den Tempelbezirk dienen. So sind die Graffiti häufig ein Ausdruck des Versuches, der offiziellen Religion so nahe wie möglich zu kommen (privilegierte Laien, Beamte).93 Dabei wurden Graffiti entweder zu bestimmten oder besonderen Anlässen wie Festen94 von Personen angebracht, die normalerweise keine Möglichkeit hatten, in die entsprechenden Areale zu gelangen oder aber von privilegierten Personen, die zu jeder Zeit Zugang hatten.95 Graffiti sind ferner nur selten in den Innenräumen von Tempeln zu finden, während die Außenwände sowie die steinernen Tore meist zahlreiche Graffiti aufweisen.96 Sie sind vermehrt in den Bereichen vor oder an den Eingängen der Tempel zu finden, in denen sich Besucher und Pilger zusammenfanden und die Nähe der Gottheit suchten. Dort finden wir oft Altardarstellungen, wie in Hibis,97 Ain Birbiya98 oder Elephantine99. Diese nehmen sehr wahrscheinlich Bezug auf in der Nähe stattfindende öffentliche Opferhandlungen und Räucherungen. Zu dieser Aussage passt, dass die Anzahl der Graffiti in den Oasentempeln Ägyptens von vorn nach hinten im Tempelareal abnehmen, was darauf schließen lässt, dass die vorderen Bereiche besser zugänglich waren und häufiger passiert wurden. Die Bittplätze hinter dem Tempel konnten hingegen von Laien vermutlich nicht betreten werden. Tempel-Graffiti in Ägypten sind meist als „popular religion“ oder als Praktiken der nicht-elitären Bevölkerung innerhalb der Tempelareale100 verstanden worden. Laut Frood und, wie auch meine eigenen Untersuchungen gezeigt haben, ist das jedoch nicht unbedingt der Fall, da sie wahrscheinlich Formen der Selbstpräsentation waren und besonders auf das Zurschaustellen von Status und Prestige abzielten.101 Graffiti von antiken Besuchern in Tempeln waren ein Mittel, Identität und Literarität zu kommunizieren.102 Die Graffitikultur an Tempeln in Ägypten zeigt im Gegensatz zu der im Grabkontext, dass sie hochgradig restriktiv gehandhabt wurde und nur privilegierten Personen zustand. Ferner dienten Graffiti der direkten Kommunikation von bestimmten Personen mit ihren Mitmenschen durch den Tempel als „public space“.103 Dabei sind jedoch nur die äußeren Bereiche der Tempel als öffentlich zu bezeichnen. Die durch die Graffiti nachvollziehbaren Bewegungsmuster scheinen zu zeigen, dass der Zugang zu den hinteren 93 Brunner 1983, 98 f. ; vgl. DuQuesne 2011, bes. 58. Gegen diese Annahme spricht sich Luiselli 2010, bes. 83 aus. 94 Kaper – Worp 1999, 236. 95 Navrátilová 2010, 328. 96 Kleinitz 2014, 99; vgl. Ragazzoli – Frood 2012, 32. 97 Cruz-Uribe 2008, 235. 98 Gespräch mit Prof. Olaf Kaper 08.11.2016 (Ähnlichkeit mit Hibis-Tempel). 99 Jaritz 1980. 100 Frood 2013, 285; vgl. Baird – Taylor 2011, 6. 101 Frood 2013, 289 f. 298. 102 Lazaridis 2012, 129; vgl. Navrátilová 2010, 310. 103 Cruz-Uribe 2008, 229.

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Tempelräumen für Laien unmöglich war. Es scheint zudem so, als wäre das Ritzen von Graffiti grundsätzlich eine elitäre Praktik gewesen, denn für die teilweise sehr lange Laufzeit der heiligen Stätten ist die Anzahl der Graffiti dort sehr gering. Ferner war die Sichtbarkeit meiner Meinung nach nicht für die breite Masse gegeben, wenn die Graffiti nicht gerade an den Außenflächen der Tore und im Bereich der Terrassen angebracht waren. Es scheint außerdem tatsächlich Konventionen zur Anbringung von Graffiti gegeben zu haben, die sicher von den lokalen Autoritäten vorgegeben wurden. Wie diese jedoch im Detail aussahen, können wir nicht mehr nachvollziehen. Ebenso lässt sich heute leider nicht mehr genau feststellen, ob bestimmte Rituale oder Opfer das Ritzen von Graffiti begleiteten, auch wenn einige Graffiti offensichtlich auf Opferhandlungen in ihrem Umfeld hinweisen (Altardarstellungen an Toren). Oder war das Ritzen der Graffiti selbst die rituelle Praxis bzw. die Opferhandlung, die ein Gebet oder eine Anbetung begleitete? Die Graffiti-Praktiken variieren jedoch von Tempel zu Tempel in Hinblick auf Zugänglichkeit, Stil, Inhalt, Technik etc. Dies wird zusätzlich verkompliziert durch die ungleiche Beleglage.104 Nach der aktuellen Überlieferung sind Dipinti eher in Innenräumen und überdachten Räumen angebracht worden, während Graffiti sowohl innen als auch außen zu finden sind.105 Dies kann jedoch der Überlieferung und der weniger beständigen Natur der Dipinti geschuldet sein. Selbst wenn der Kontext von Graffiti in einigen Fällen durchaus eindeutig ist, kann ihre Datierung jedoch einige Probleme und Fragen aufwerfen. Eine plausible Datierung setzt meist eine kombinierte Analyse des Kontextes, des Inhaltes, der Orthografie und Paläografie sowie der Prosopografie voraus. Beispielsweise können Überlappungen von datierten und undatierten Graffiti zumindest bei der Feststellung der relativen Chronologie helfen. Ferner kann die Farbigkeit der abgeriebenen, geritzten Stellen im Vergleich zur Färbung des Untergrundes und der anderen Graffiti zur Datierung beitragen, da sich über die Zeit hinweg in vielen Arealen eine gelbliche bis braune oder von hell- bis dunkelgraue Patina bildete. Heutzutage werden Graffiti an Häuserwänden oder an Fahrzeugen des öffentlichen Nahverkehrs von den lokalen Autoritäten als ungewollte, parasitäre Kritzeleien und Beschädigungen des öffentlichen und privaten Eigentums gesehen. Graffiti im Alten Ägypten hingegen waren, ungleich denen der heutigen Zeit, im Tempelbereich vielmehr als gewollte, jedoch von offizieller Seite kontrollierte, sekundäre Inschriften ein Teil von Opfer- und Verehrungspraktiken.106 ENGLISH ABSTRACT Graffiti at temple sites in ancient Egypt are often understood as a popular religious practice of the common people but according to Elizabeth Frood’s work we need to evaluate this thesis critically. It seems likely that, in contrast to the tradi104 Frood 2013, 287. 105 Navrátilová 2010, 327. 106 Vgl. Navrátilová 2010, 311.

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tional way of thinking, temple graffiti are a product of highly elite worship or practice. This paper describes and discusses ancient Egyptian graffiti in temple sites, especially in the western Oasis between the 7th century BCE and the 4th century CE. Within this analysis, the context in which the graffiti were produced and found is the most important aspect. The goal of this article is to show how graffiti can help us to understand which persons had access to which rooms within temple areas and why people put their signs, pictures or inscriptions on the wall. Especially the placement of the engravings in particular areas and their connection with other cult emplacements within the temple enclosure as well as with ritual practices that took place there can answer questions about peoples’ access to and the function of rooms as well as the authors and addressees of the graffiti. But there are also some difficulties with dating the graffiti, which is especially tricky with pictorial or geometric and abstract ones that can only be understood and dated within their spatial context. The critical discussion is based on the helpful check list for identifying graffiti by Eugene Cruz-Uribe, which should be revised in some points.

„WER DAS LIEST, IST DOOF.“ Materialität und agency pompejanischer Graffiti Polly Lohmann POMPEJI: MAKABRER GLÜCKSFALL FÜR DIE FORSCHUNG 79 n. Chr. fiel ein ganzer Landstrich mit seinen Bewohnern einer Naturkatastrophe zum Opfer, die für die Altertumswissenschaften zum Glücksfall werden sollte. Mit dem Ausbruch des Vesuvs wurden die Lebensumstände der römischen Kleinstädte Pompeji und Herculaneum für die Forschung unmittelbar erfahrbar und selbst organische Objekte konserviert, die sich unter anderen Bedingungen selten aus der Antike erhalten. Zu den für die Ausgräber des 18. Jahrhunderts erstaunlichen Entdeckungen gehörten auch ephemere Inschriftenformen wie die geritzten Graffiti, die der Fantasie des Pompejiforschers August Mau halfen, „die stillen Ruinen zu bevölkern mit arbeitenden und genießenden, glücklichen und leidenden, liebenden und hassenden Menschen.“1 Der reiche Befund von ca. 56002 Graffiti aus Pompeji bietet die seltene Möglichkeit, diese Art von Inschriften innerhalb eines kompletten antiken Stadtgebiets zu analysieren. Die pompejanischen Graffiti eröffnen damit Fragestellungen, die jenseits einzelner Gebäudekomplexe auf Entstehungssituationen, bevorzugte Anbringungsorte, Schreiber und Adressatenkreise abzielen können und so auch das antike Graffitischreiben als soziokulturelles Phänomen greifbarer machen. Ein zentrales Thema ist dabei die Wahrnehmung der Praktik durch ihre Akteure, d. h. das Bewusstsein der Schreiber für den Akt des Schreibens, den gebauten Raum, das Medium Wand und die Wirkung der Inschriften. Dieses Selbst-Bewusstsein kann wiederum Hinweise zur Rezeption des Geschriebenen durch Andere liefern und soll deshalb im Fokus dieses Beitrags stehen. ÜBERLIEFERUNGSLAGE Wer Pompeji heute besucht, mag sich wundern, dass er von den Tausenden während der Ausgrabungen entdeckten Graffiti nichts zu sehen bekommt. Das liegt erstens daran, dass ca. 90 % des seit dem 18. Jahrhundert dokumentierten Materials heute verloren ist, weil die Gebäude Pompejis beständig der Witterung ausgesetzt sind. Nur an Wänden, die aus konservatorischen Gründen überdacht wurden 1 2

Mau 1908, 511. Anzahl innerhalb der Stadtmauern, ohne Nekropolen und Villen.

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(Abb. 1), haben die informellen Inschriften überlebt. Es gibt also nur wenige Möglichkeiten, pompejanische Graffiti noch in situ zu sehen. Das gilt genauso für die mit Farbe angeschriebenen offiziellen Wahlwerbungen (programmata) und Spieleankündigungen (edicta munerum), die aufgrund ihrer auftragenden Technik traditionell als Dipinti von den geritzten, informellen Graffiti unterschieden werden, obwohl es auch in Farbe/Tinte, Kohle und Kreide ausgeführte Inschriften gibt, die nach den Kriterien von Form und Inhalt als Graffiti zu bezeichnen sind. Einige ausgewählte Graffiti, die von den Ausgräbern als besonders interessant oder schön empfunden wurden, sind aus den Wänden herausgefräst und in das Nationalmuseum nach Neapel verbracht worden, dessen epigrafische Abteilung 2017 wiedereröffnet wurde.3

Abb. 1: Plan Pompejis (ohne Nekropolen und Gebäude außerhalb der Stadtmauern) mit Kartierung der geschützten, d. h. nach der Ausgrabung überdachten, Gebäude. Grafischer Maßstab: 100 m (Lohmann 2017a, 124 Abb. 29).

Der zweite Grund dafür, dass das ungeübte Auge Graffiti selbst dort, wo sie noch in situ vorhanden sind, nicht erkennt, sind die nur aus unmittelbarer Nähe sichtbaren, feinen Ritzungen der Texte, Bilder, Symbole und Zahlen. Die – jedenfalls uns bekannten – pompejanischen Graffiti wurden überwiegend mit einem Stilus, dem römischen Schreibgriffel, in die verputzten Innen- und Außenwände von Gebäuden geritzt.4 Anders als Graffiti in Stein, wie sie sich an vielen antiken Heiligtümern, z. B. dem Apollon-Tempel in Didyma, oder aus dem Stadtgebiet des anti3 4

Unter Herausgeberschaft von C. Capaldi und F. Zevi ist dazu auch ein neuer Katalog erschienen. Dazu ausführlicher Lohmann 2017a, 243–253.

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ken Aphrodisias erhalten haben,5 sind die Graffiti aus Pompeji deshalb sehr filigran und oft kleinformatig. Der scharfkantige Stilus erlaubte trotz der Härte des Putzes selbst detaillierte Zeichnungen und gekonnt gerundete Buchstaben – auch wenn wir ebenso unförmige Wortgebilde offenbar wenig geübter Schreiber an den Wänden Pompejis finden. Da der Wandputz als erstes der Witterung zum Opfer fällt und außerhalb der Vesuvstädte lediglich in wenigen Gebäudekomplexen aus römischer Zeit überlebt hat, gibt es nur vereinzelte Vergleichsbeispiele großer Putzflächen mit geritzten Inschriften, z. B. aus Rom und Ephesos (Abb. 2).6 Mit Kohle und Kreide angebrachte Graffiti haben so gut wie gar nicht überlebt; man darf aber annehmen, dass Graffiti im auf- und abtragenden Verfahren einst die Wände sämtlicher Städte bekleideten.7

Abb. 2: Wandabschnitt mit Graffiti im Hanghaus 2 in Ephesos (Foto: P. Lohmann, mit freundlicher Genehmigung des Österreichischen Archäologischen Instituts).

5 6

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S. den Beitrag von Angelos Chaniotis in diesem Band. Für Rom s. z. B. Brandt 2008; Solin – Itkonen-Kaila 1966; Castrén – Lilius 1970. Aus dem außerordentlich gut erhaltenen, vom Österreichischen Archäologischen Institut ausgegrabenen und aufgearbeiteten Hanghaus 2 in Ephesos hat Hans Taeuber die Graffiti publiziert: Taeuber 2005; id. 2010a; id. 2010b; id. 2014b; id. 2016. Lediglich die Bände zu den Funden und Befunden der Wohneinheiten 3 und 5 des Hanghauses 2 sind noch nicht erschienen. Erstaunlich ist dabei jedoch immer noch das Gegenbeispiel Herkulaneum: aus der sog. Zwillingsstadt Pompejis sind bei sehr gutem Erhaltungszustand vieler Wände dennoch kaum Graffiti gefunden worden. Warum man in Herkulaneum offenbar weniger gern an die Wände schrieb, ist bisher ungeklärt; s. aber z. B. Milnor 2014, 20 mit Erklärungsmodellen.

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Wie für alle in diesem Band versammelten Beispiele ist auch die Forschungsgeschichte der pompejanischen Graffiti symptomatisch für die moderne Wahrnehmung inoffizieller Inschriften. Zwar hatten die Graffiti, bei aller Banalität ihrer Inhalte, für ihre Entdecker einen mitunter voyeuristischen Reiz, maß man ihnen doch einen romantischen Einblick in das primitive Leben vergangener Zeiten bei.8 Dennoch fand eine wissenschaftliche Auswertung der Inschriften nur vereinzelt statt. Die Selektion des Materials und sein damit durch die Forschung selbst beschränkter Aussagewert sind bereits verschiedentlich prägnant zum Ausdruck gebracht worden und sollen deshalb hier nicht nochmals eingehender thematisiert werden.9 Dennoch, und dieses Verdienst darf hier nicht geschmälert werden, haben die geritzten Inschriften nach ihrer Entdeckung Eingang in das Corpus Inscriptionum Latinarum IV (CIL IV) gefunden, ohne das eine Arbeit mit dem heute größtenteils verlorenen Material nicht möglich wäre. Dabei mag ein kritischer Umgang mit Angaben und Lesungen angeraten sein, 10 auch wenn diese sich nur stichprobenartig am Original überprüfen lassen. MATERIALITÄT UND AGENCY POMPEJANISCHER GRAFFITI Mit der Verlagerung des epigrafischen Interesses der klassischen Altertumswissenschaften von reinen Inhalten hin zu materiellen Aspekten haben die antiken Graffiti in den letzten Jahren aus einem neuen Blickwinkel wieder an Bedeutung gewonnen.11 Die Materialität von Inschriften umfasst ihre physischen oder äußeren Eigenschaften wie die Technik, Form und Größe der Inschriften selbst,12 ihre Position am Inschriftenträger sowie die Position des Inschriftenträgers innerhalb des weiteren räumlichen Kontextes (= Anbringungsort). Der Begriff der Materialität hängt zusammen mit dem nicht zufriedenstellend ins Deutsche übersetzbaren Begriff der „agency“ – der, wenn man so will, die Einflussnahme oder Art und Weise bezeichnet, in der etwas oder jemand handelt, Akteur ist. Mögen beide Termini zunächst abstrakt klingen, lässt sich ihre Verbindung doch einfach erklären: mit dem sog. material turn sind Artefakte oder Dinge im kulturwissenschaftlichen Verständnis aus der Position des vom Menschen gemachten und benutzten, passiven Objekts zu eigenständigen handelnden Subjekten (Akteuren) geworden, die durch ihre Beschaffenheit (Materialität) Handlungen evozieren und den Men-

8 9 10 11

Dazu z. B. Foss 2007, 32–34. S. z. B. Kruschwitz – Halla-aho 2007, 31 f. Vgl. z. B. Solins Rezension zum dritten Supplement des CIL IV: Solin 1973. Am Beginn dieses neuen Interesses an antiken Graffiti stand die Konferenz „Ancient Graffiti in Context“, die auch publiziert ist: Baird – Taylor 2011. Als Vorreiter speziell für die pompejanischen Graffiti können Henrik Mouritsen und Rebecca R. Benefiel mit ihren Pilotstudien gelten: Mouritsen 2011; Benefiel 2010; id. 2011. 12 Auftragendes oder abtragendes Verfahren, Strichstärke, u. U. Farbe, Schriftart, Duktus (bzw. Ikonografie und Stil), Textlayout (bzw. Bildgestaltung), Buchstabenhöhe und -weite, Gesamttextlänge (bzw. -bildbreite).

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schen beeinflussen.13 Grundsätzlich können Graffiti in verschiedener Hinsicht als Akteure verstanden werden: Sie transportierten Inhalte von Produzenten an Rezipienten; sie interagierten mit ihrem Anbringungsort, indem sie formal, inhaltlich oder motivisch Bezug nahmen; sie reagierten auf andere Graffiti, d. h. imitierten, kommentierten, erweiterten.14 Wenn der hiesige Beitrag die Materialität und agency von Graffiti untersucht, so geht es speziell darum, inwieweit die Materialität von Graffiti ihren Inhalt bestimmte oder ihre Entstehung überhaupt erst inspirierte. Anders ausgedrückt, geht es um die Art und Weise, in der die Graffiti gewissermaßen als Akteure ihre Macher beeinflussten. Dafür stehen einerseits selbstreferentielle Graffiti-Texte zur Verfügung, die explizit auf das Graffitischreiben oder die Wand als Inschriftenträger Bezug nehmen, andererseits Texte, deren Inhalt durch ihre Form bestimmt wurde, d. h. die eine Hoheit äußerer über innere Eigenschaften der Inschriften belegen. INHALTE: ERINNERUNGSGRAFFITI UND ANDERES Gegenüber Berichten, Botschaften, Grüßen, literarischen Zitaten, Sentenzen, Zahlen, Alphabeten, Bildern und Strichreihen stellen Personennamen ohne weitere Zusätze einen großen Teil der im CIL IV edierten Graffiti Pompejis dar. Sie sind ebenso wie die „hic fuit“-Graffiti persönliche Hinterlassenschaften und Attestationen der Anwesenheit ihrer Urheber – ob sich selbst genügend oder für ein Publikum gedacht.15 Namen sind auch die zentralen Elemente in Botschaften und Grußworten; sie nennen nicht nur deren Adressaten, sondern häufig auch deren Sender und wurden deshalb in der Regel in der dritten Person verfasst: „Secundus grüßt seinen Bruder Onesimus“.16 Diese zunächst seltsam anmutende Weise, sich selbst als Schreiber in der dritten Person zu nennen, bot die Möglichkeit, den eigenen Namen zu exponieren und sich als Urheber und Absender der Botschaft zu offenbaren. Das Phänomen macht deutlich, dass Graffiti, obwohl sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren, doch spezifische Zielpersonen haben konnten, denen sich die Schreiber zu erkennen geben wollten. Die in den Graffiti oft einzeln verwendeten Rufnamen waren für sich betrachtet allerdings ebenso unspezifisch wie es heute Allerweltsnamen wie „Peter“ oder „Lisa“ sind. So sind beliebte römische cognomina wie Crescens, Secundus, Successus aus Pompeji vielfach überliefert. Doch woher wussten die Leser, um welchen Crescens es sich in einem Graffito handelte? Wie erkannte Onesimus, wel13 Zu Inschriften, Materialität und agency s. Englehardt – Nakassis 2013; Eggert 2014; Karagianni – Schwindt – Tsouparopoulou 2015. Allgemeiner zu schrifttragenden Artefakten als Akteure: Kehnel – Panagiotopoulos 2015. Speziell zu Graffiti und agency Lohmann 2017b, 69. 14 Ausführlich behandelt in Lohmann 2017a, bes. Kap. 4 zu Interaktionen in oder durch Graffiti. 15 Graffiti sind Ausdrucksform, aber nicht zwangsläufig auch Außendarstellung, vgl. Schacter 2014, 15 f. – Zum „Tagging“ in der Antike, d. h. antiken Erinnerungsgraffiti, s. Lohmann 2019 (in Druck). 16 Giordano 1966 Nr. 9. 10; Solin 1975 Nr. 9. 10.

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cher Secundus ihm einen Gruß hinterlassen hatte (wenn wir uns sonst selten vorkommende Zusätze wie die Beschreibung „Bruder“ wegdenken)? Einzig mögliche Erklärung sind – eine gewollte Identifikation der Schreiber vorausgesetzt – die Wahl des Anbringungsortes und der räumliche Kontext der Inschriften: Wo jemand sich häufig aufhielt, wohnte oder arbeitete, konnte er seine Bekanntheit voraussetzen; weitere Zusätze zum Namen waren deshalb offensichtlich nicht notwendig. Trotzdem setzten sich einige Graffitischreiber gezielt von der Masse ab und schufen sich einen Erinnerungswert, z. B. mittels eines Schrift-Bildes wie eines Buchstabenschiffs (dazu weiter unten). Ein gewisser Aemilius schrieb seinen Namen gerne rückwärts an die Wände Pompejis: als „Suilimea“ grüßte er einen Curvius, der sich darauf einließ und als „Suiviruc“ zurückgrüßte: „Suilimea grüßt Curvius“ – „Suivruc grüßt Suilimea“.17 Er involvierte gar noch einen gewissen Sabinus, der wiederum das Spielchen mitmachte, indem er unter dem Namen „Sunibas“ antwortete: „Sunibas grüßt Suivruc“.18 Hier also erreichten die Botschaften ihre Adressaten, die dem Absender antworteten. Auch in einigen Fällen, in denen Namen ohne weitere Zusätze und Besonderheiten genannt wurden, kennen wir eine direkte Antwort der namentlich aufgeführten Adressaten. Gleichzeitig waren solche Grüße nicht nur Botschaften an eine Person, sondern konnte die Nennung zweier Namen an der Wand auch die Verbindung beider Personen öffentlich machen oder einen Besitzanspruch artikulieren, wie im Falle der Rivalen Successus und Severus, die sich an einer Hausfassade schriftlich um die Liebe der Sklavin Iris stritten.19 Doch auch bei anderen Graffiti, die keiner Kenntlichmachung bedurft hätten, setzten ihre Macher den eigenen Namen hinzu. Neben der geritzten Zeichnung eines Schiffs in der Basilika von Pompeji findet sich die Beischrift: „Rufio, Sklave des Publius Sittius, malte dieses Schiff.“20 Es scheint, als hätten wir es hier mit einem künstlerischen Stolz auf das geritzte Bildwerk zu tun, das sein Zeichner nicht anonym ausstellen wollte. SCHREIBER UND ADRESSATEN Anders als bei den übrigen in diesem Band vorgestellten Graffiti handelt es sich in Pompeji um eine heterogenere Klientel von Graffitischreibern und -adressaten, was naturgemäß mit dem Umfang des Materials zusammenhängt, das nicht aus spezifischen funktionalen Kontexten, sondern aus dem gesamten Stadtgebiet – aus verschiedenen Arealen und aus unterschiedlichen Gebäudetypen – stammt. Die informellen Inschriften Pompejis dürften dementsprechend sowohl von Besuchern als auch von Bewohnern der Stadt oder einzelner Gebäude herrühren. So schrieb 17 CIL IV 2400d–e. Dazu auch Lohmann 2017a, 355 f. 18 CIL IV 2400f. Der korrekte Kasus ist dabei jeweils auch bei der Rückwärtsschreibung eingehalten. 19 CIL IV 8258–8259. 20 CIL IV 1847.

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beispielsweise in der großen Palästra Pacatus an eine Säule, er habe mit seinen Leuten in Pompeji verweilt, was auf Nicht-Pompejaner schließen lässt;21 in dem einzigen mit Sicherheit belegten Bordell Pompejis hinterließen Dutzende von Klienten ihre Namen an den Wänden, wobei sie das sonst übliche „fuit“ („so-und-so ist hier gewesen“) mit einem „futuit“ („so-und-so hat hier gefickt“) ersetzten (Abb. 3).22 Umgekehrt grüßte ein Walker (fullo) namens Crescens, der offenbar in Pompeji ansässig war, die Bewohner der umliegenden Städte in mehreren Graffiti. Sie alle stammen von derselben Fassade, die vielleicht zum Wohnhaus des Crescens gehörte (V 2,4 – sog. Casa del Triclinio). In Läden und Werkstätten, ebenso wie in den Atrien von Wohnhäusern, müssen die vielen eingeritzten Zahlen und Preise als Aufschriebe der Besitzer oder Pächter verstanden werden, die sich Geschäftsund Alltagsnotizen an den Wänden machten.23 Auch die Grußwechsel verschiedener Personen legen nahe, dass es sich bei den Genannten um lokale Personen handelte, die an bestimmten Orten immer wieder schriftlich miteinander kommunizierten, weil sie diese regelmäßig passierten und die Augen nach neuen Botschaften aufhielten.24 Genauso etablierten sich innerhalb der Wohnhäuser bestimmte Räume oder Wandstücke als beliebte Plätze für einen regelmäßigen Austausch, so z. B. ein Abschnitt im Peristyl der Casa di Paquius Proculus, im Peristyl der Casa di Maius Castricius oder die Peristylsäulen der Casa del Menandro.25 In der Casa degli Amorini dorati ist ein Primogenes als Sklave (servus publicus) in zwei griechischen Graffiti belegt (Abb. 4), und auch der ebendort zweimal genannte Name Cinnamus deutet auf einen Sklaven hin, der wohl im Haus lebte und arbeitete (Abb. 5).26 Im Peristyl der Casa del Labirinto vermerkte jemand: „Felix est Ianuarius Fuficius qui hic habitat“ („Glücklich ist Ianuarius Fuficius, der hier wohnt“).27 Derartige Besitzerklärungen müssen allerdings im Einzelfall kritisch hinterfragt werden, denn in einigen Fällen macht schon der Anbringungsort deutlich, dass der Genannte wohl kaum im eigentlichen Sinne dort gewohnt haben kann; Kruschwitz hat zudem gezeigt, dass der Ausdruck „hic“ keinesfalls immer wörtlich genommen werden kann.28 Eher bringen die „hic habitat“-Graffiti vielleicht die Ansprüche ihrer Macher zum Ausdruck, die sich damit einen Platz symbolisch aneigneten, oder sie waren eine Form des Spotts durch Andere, wie eine taberna (I 10,1), die laut eines Graffito „der Ort des Saturnalis“ war.29 Möglicherweise war Saturnalis dort Stammgast oder schlicht als Herumlungerer oder Trinker verschrien? Die Beispiele zeigen aber, dass die Graffiti Pompejis nicht nur von Gästen stammten, die ihren Besuch schriftlich festhielten, sondern dass 21 22 23 24 25 26 27 28 29

CIL IV 8660. CIL IV 2173–2296. Lohmann 2015, 75; id. 2017a, 140. Z. B. Tyrannus und Cursor (CIL IV 8045), Secundus und Prima (8364–8366), oder auch die bereits genannten Rivalen Successus und Severus (8258–8259). Lohmann 2017a, 188–191; Benefiel 2010; Mouritsen 2011; Lohmann 2015. CIL IV 6828. 6834. Zu dem Namen Cinnamus vgl. Jakab 2014, 212. CIL IV 1435. Kruschwitz 2014. CIL IV 8433.

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genauso die Pompejaner selbst in ihrer Stadt, ihren eigenen Häusern und Läden an die Wände schrieben. Viele der Namen, und auch die wenigen Berufsbezeichnungen und Attribute, lassen Sklaven und Freigelassene dahinter vermuten.

Abb. 3: Wandaufriss (Skizze) eines Abschnittes der Nordwand von Raum 1 des Lupanare (VII 12, 18–20) (P. Lohmann).

Abb. 4: CIL IV 6828 (Lohmann 2017a Kat. Nr. D27, Teil): (Ἐ)μν(ή)σθη Πρειμ(ογ)ένες πύπλεικος Καίσαρος. Grafischer Maßstab: 1 cm (Umzeichnung: P. Lohmann).

Abb. 5: CIL IV 6834 (Lohmann 2017a Kat. Nr. D23): „Cinnamus“. Grafischer Maßstab: 1 cm (Umzeichnung: P. Lohmann).

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SELBSTREFLEXIVE GRAFFITI: SCHREIBEN UM DES SCHREIBENS WILLEN So verschieden die Graffitischreiber in Pompeji waren, so unterschiedlich konnte ihre Motivation bzw. die Entstehungssituation der Graffiti sein. Nicht immer waren die Inschriften Anwesenheitsbekundungen, persönliche Botschaften oder praktische Notizen, sondern entstanden häufig wohl auch aus Langeweile und waren eine Form des Zeitvertreibs. Inspiriert wurden sie ebenso von alltäglichen Erlebnissen, nachbarschaftlichem Klatsch und Tratsch oder lokalen Gladiatorenspielen wie von der sie umgebenden Text- und Bildwelt, von Wandmalereien, Reliefs und von anderen Graffiti. Das Graffitischreiben selbst führte zu neuen Graffiti, die über die Praktik reflektierten: „Ich bewundere dich, Wand, dass du noch nicht zu Schutt zerfallen bist, die du die Kritzeleien so Vieler ertragen musst“, stand an der Basilika Pompejis geschrieben (Abb. 6).30 Dieser Text findet sich, in jeweils leichten Abwandlungen, insgesamt viermal in Pompeji. Wenn er nicht von demselben Schreiber stammt, so muss der Ausspruch in Pompeji die Runde gemacht haben. Anders als die vielfach in Graffiti zitierten Verse und Sentenzen nach literarischen Vorbildern, funktioniert der genannte Satz nur am Medium Wand, wurde also davon inspiriert.31 Es handelt sich um einen graffitispezifischen Text, der mit seiner Anrede an die Wand auf einem anderen Schriftträger keinen Sinn ergeben würde. Er offenbart ein Bewusstsein seines Autors für das Graffitischreiben als eine Praktik, die so beliebt war, dass manche Wände voll von dergleichen „Kritzeleien“ waren. Mit seinem Text fügte der Autor der Wand, die er bemitleidete, noch eine weitere ebensolche Kritzelei hinzu. Der selbstironische Graffito gab sich damit selbst seine Existenzberechtigung. Er ist Beleg und Ursache des Phänomens Graffiti, prangert an, was er selbst ist. Man könnte auch sagen: Hier schrieb jemand um des Schreibens willen, hier ging es nicht um Informationsvermittlung, sondern handelt es sich um eine humorvolle Reflexion des Graffiti-schreibens.

Abb. 6: CIL IV 2487: „Admiror te paries non cecidisse / qui tot scriptorum taedia sustineas“ (Umzeichnung: P. Lohmann, nach CIL IV).

30 CIL IV 1904. 31 CIL IV 1906. 2461. 2487. Vgl. dazu Milnor 2014, 31.

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Ein ähnliches Selbst-Bewusstsein vermittelt eine Reihe von Graffiti, die Leser und Passanten auf obszöne Weise ansprechen: „Wer (dies) schreibt, ist verliebt, wer (dies) liest, wird penetriert. Wer (dies) hört, ist geil, wer vorbeigeht, lässt es mit sich treiben.“32 Diese Graffiti funktionieren ebenso wie die jedoch harmloser formulierten Texte, die man heute bisweilen auf Schultischen lesen kann: „Wer das liest, ist doof“. Die Leser solcher Texte werden direkt angesprochen und gewissermaßen beim Lesen ertappt; in dem Bewusstsein um die Wahrnehmung ihrer Inschriften nehmen die Autoren ihre Leser aufs Korn. Für die pompejanischen Graffiti bedeutet es wieder eine Reflexion über das Graffitischreiben und eine Erwartungshaltung der Schreiber. Wieder ist der jeweilige Autor nicht namentlich – wenn auch indirekt, als „jemand, der verliebt ist“ – genannt; der Adressatenkreis setzt sich aus all jenen zusammen, welche die Inschrift lasen, darüber hinaus jedoch auch aus Passanten, die beispielsweise den Text vorgelesen bekamen (was für den Vorleser durch das Aussprechen der ihm angedrohten Penetration vor Publikum eine zusätzliche Schmach bedeutete). Auch hier bedingte das Graffitischreiben selbst den Text, war die Praktik Inspiration für einen Text, der nichts weiter als ein obszöner Witz war, mit dem der Autor seine Leser konfrontierte. INHALT FOLGT FORM: LAYOUTKREATIONEN Nehmen die oben behandelten Graffiti Bezug auf Schreiben und Schriftträger, war ihre Entstehung also beeinflusst von der materiellen Präsenz von Texten, so gilt dies auch, in anderer Form, für carmina figurata (griech. technopaignia), Figurengedichte. Sie stellen eine Verbindung von Inhalt und Form dar, wie beispielsweise das bekannte Schlangengedicht (Abb. 7): „[Ser]pentis lusus si qui sibi forte notavit, Sepumius iuvenis quos fac(i)t, ingenio spectator scaenae sive es studiosus e(q)uorum, sic habeas [lan]ces se[mp]er ubiq[ue pares].“33 Der Text formt, durch die Anordnung seiner Wörter an der Wand, eine Schlange, fügt dem Inhalt damit also auch noch eine visuelle Bedeutungsebene hinzu. Die Materialität des Textes forderte hier die Nutzung zusätzlicher Darstellungsformen heraus, welche die gesprochene Sprache allein nicht bieten konnte. Auch für magische Texte wie das sog. Sator-Quadrat, spielte das Textlayout eine Rolle.34 Im Falle des Schlangengraffitos allerdings sind dem Textinhalt durch die Verwendung exzeptionell vieler S-Laute auch akustische Eigenschaften beigefügt worden. Sie legen nahe, dass auch hier ein Auditorium – und nicht nur stilles Lesen – zu erwarten war.35

32 CIL IV 4008. 2360. 1798. 8229; vgl. auch 8617. 1837. Ausführlicher zu diesen Graffiti Milnor 2014, 74 f.; Lohmann 2017a, 277 f. 33 CIL IV 1595: „Wenn jemand zufällig das Spiel mit den Schlangen gesehen hat, das der junge Sepumius treibt mit Talent, ob du Zuschauer bist im Theater oder Freund der Pferde, so halte die Waage immer und überall im Gleichgewicht“ (Übers. Hunink 2011, Nr. 258). 34 Dazu Guarducci 1965. 35 Vgl. Milnor 2014, 24. 135.

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Abb. 7: CIL IV 1595: Schlangengraffito (Umzeichnung: P. Lohmann, nach CIL IV).

Ein für unsere Überlegungen interessanteres Phänomen ist jedoch der umgekehrte Fall: Graffiti, deren Inhalt sich nach ihrer Form richtet, bei denen nicht der Inhalt das Layout inspirierte, sondern die visuelle Darstellung im Vordergrund stand, der man den Textinhalt unterwarf. Beispiel hierfür sind die (nach Martin Langner36) sog. Buchstabenschiffe, d. h. Namen oder Wörter in der Form von Schiffen. Der Name Neptunus rief schon per se die Assoziation mit dem Meer hervor, was drei verschiedene Pompejaner dazu veranlasste, den Buchstaben „T“ in der Mitte des Namens zu einem Schiffsmast, das „S“ am Ende zu Heck (?) und Kiel zu verlängern (Abb. 8).37 Mindestens zwölf solcher Buchstabenschiffe kennen wir aus pompejanischen Graffiti – und nur aus Graffiti – sowie zwei Beispiele aus Rom.38 Offenbar wurde die optische Spielerei mit dem eigenen Namen zu einer kleinen Mode, hervorgerufen durch bestimmte Buchstabenformen. Auch andere Spielereien finden sich im pompejanischen Inschriftenmaterial, wie beispielsweise zu Ästen (?) ausgestaltete Buchstabenhasten einer Veneriana oder den – möglicherweise nachträglich angefügten – Vogel, der aus dem Endbuchstaben des Namens Sextilius Pyrricus entstand.39 Und doch setzten sich diese Gestaltungsformen nicht weiter durch und war nichts so beliebt wie die Buchstabenschiffe. Es liegt jedoch nahe, dass sie ausschließlich bei Männernamen (mit der Endung „-us“ für den Bug) und überwiegend bei Namen mit einem Binnen-T vorkommen, in denen ihr Ursprung liegen muss. Das hinderte jedoch nicht Andere, sich trotzdem an Namensschiffen zu versuchen. Ein Crescens behalf sich mit dem Zusatz „architectus“, der ihm ein „T“ für den Mast bescherte; ein anderer Crescens grüßte den 36 37 38 39

Langner 2001. CIL IV 1764. 7070 (nicht in Umzeichnung überliefert). 9039. Ausführlicher Lohmann 2017a, 266–269. Vgl. Langner 2001 Nr. 1–24. CIL IV 8290. 10104a.

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Spatalus – hier war die Wahl des Adressaten möglicherweise sogar bestimmt von dem gewünschten Layout, denn die Nähe beider Crescens-Graffiti in demselben Haus lässt vermuten, dass einer Vorbild für den Anderen war.40 Das Wort „navigium“ (Schiff) wählte ein gewisser Celer für seinen Graffito „das Schiff des Celer“ (navigium Celeris); damit kam er inhaltlich zwar dem gewünschten Ergebnis näher, das für einen Mast erforderliche „T“ fehlte ihm jedoch immer noch, weshalb er kurzerhand den Buchstaben „M“ zu einem „T“ umfunktionierte.41 Damit war zwar die orthografische Korrektheit seines Textes aufgehoben, das Schiff aber war gebaut. Offensichtlich stand hier die visuelle Darstellung des Graffitos im Vordergrund, an die sein Inhalt angepasst wurde: Form bestimmte Text, Materialität dominierte Inhalt.

Abb. 8: CIL IV 1764. 9039: Zwei Buchstabenschiffe „Neptunus“ (Umzeichnungen: P. Lohmann, nach CIL IV).

FAZIT: GRAFFITI UND POMPEJANISCHES ALLTAGSLEBEN Das Corpus informeller Inschriften aus Pompeji ist naturgemäß heterogener als dasjenige anderer Beiträge dieses Bandes, weil es aus dem gesamten antiken Stadtgebiet – und damit aus Gebäuden unterschiedlicher Funktion und Zugänglichkeit – stammt. Was also können uns die Graffiti über antikes Leben verraten?42 Sie geben Einblicke in individuelle Erlebnisse und Meinungen, manifestieren Freundschaften, Liebeleien, Rivalenkämpfe, Bordellbesuche, berichten von lokalen Ereignissen wie Gladiatorenkämpfen, halten Warenpreise, Käufe und Zahlungen fest. Betrachtet man die Graffiti in ihrem räumlichen Kontext, wird deutlich, dass die Wände Pompejis, auch innerhalb der Wohnhäuser, offenbar als Schreibflächen akzeptiert wurden. An Verkehrsknotenpunkten der Stadt, in öffentlichen Gebäuden und den Haupträumen der Wohnhäuser konzentriert, bezeugen Graffiti konventionalisierte Anbringungsmuster: Sie waren i. d. R. an Orten ähnlicher Art oder Zugänglichkeit, und dort an spezifischen Inschriftenträgern (z. häufig an Säulen) und in meist ähnlichen Positionen (Anbringungshöhen), 40 CIL IV 4755. 4742. 41 CIL IV 8991. 42 Dazu demnächst auch Lohmann 2020 (in Druck).

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zu finden. Trotz ihrer oft geringen Größe konnten sie so von Kennern der Praktik gefunden werden, selbst wenn ihnen, z. B. im Falle der Namens- oder Erinnerungsgraffiti, vielleicht nicht immer der explizite Wunsch nach einer Leserschaft zugrundelag. Auf die tatsächliche Wahrnehmung der geritzten Inschriften verweisen selbstreflexive Graffiti: sie verraten das Bewusstsein ihrer Urheber für ihre Leserschaft und entstanden z. T. allein als Witz an der Wand, bezogen ihre Motivation und Daseinsberechtigung aus sich selbst. Das Graffitischreiben war also eine Praktik, die rezipiert und reflektiert wurde. Wenn Graffitischreiber in ihren Texten die vollgeschriebene Wand bemitleideten, so belegt auch dies die Wahrnehmung von Graffiti im Stadtraum, ebenso wie ein Bewusstsein für das Medium Wand; deren Materialität war hier Inspiration. Die vielen Namen können somit vielleicht als eine ephemere Form der Selbstdarstellung gegenüber Ehreninschriften, Baustiftungen, Weihungen oder Grabdenkmälern auf offizieller Ebene gedeutet werden, in manchen Fällen (sehr kleiner, nahezu unsichtbarer Schriftzüge) möglicherweise aber auch eine stille Anwesenheitsbekundung gewesen sein oder eine Person schlicht ohne intendierte Außenwirkung an einem Ort repräsentiert haben. Auch hier konnten die materiellen Eigenschaften Graffiti inspirieren oder deren Form oder Inhalt beeinflussen. Sie zeigen die Flexibilität des Mediums, das alles erlaubte und damit auch individuelle Formen wie die Buchstabenschiffe ermöglichte. Aus anfänglichen Alleinstellungsmerkmalen konnten sich aber auch schnell Moden entwickeln, so verbreiteten sich die Buchstabenschiffe offenbar in Pompeji; dabei gingen die Schreiber sogar so weit, orthografische Fehler in Kauf zu nehmen, um ein Schrift-Bild zu kreieren, unterwarfen also den Inhalt der Form. So wirken die Graffiti innerhalb Pompejis – wenn man sich die Häufungen geritzter Inschriften desselben Inhalts ansieht und grundsätzlich die große Menge an einzelnen Namen – doch sehr konform: Man tat, was Andere auch taten, indem man die Wand beschrieb. Dieses Phänomen trifft für die römische Zeit ebenso zu wie für alle anderen Epochen, aus denen wir Graffiti kennen. ENGLISH ABSTRACT The sudden destruction of the ancient Roman town Pompeii in 79 AD has been a lucky chance for archaeologists and historians. Having preserved about 5,600 graffiti incised in the walls of public and private buildings, Pompeii allows insights into local personalities and daily-life anecdotes. The article investigates the perception of graffiti and the awareness of the wall as a medium by looking at the materiality and agency of Pompeian graffiti: While certain graffiti address the wall itself which “has to carry so many scribblings”, others directly speak to their readers, revealing an awareness for their audience. A third group of graffiti consists of specific layouts to which the text had been adapted; they show that some graffiti writers gave priority to the visual appearance (form) which dominated over the actual text (content). The analysed examples prove a self-awareness of the graffiti (writers) and clearly show that graffiti could be much more than the thoughtless scribbles they had long been regarded as in Classical scholarship.

DIE HÄNDLERGRAFFITI AUS DER FRÜHRÖMISCHEN STADT „ALT-VIRUNUM“ AUF DEM MAGDALENSBERG IN KÄRNTEN Kordula Gostenčnik

Dr. Susanne und Dr. Heinz Zabehlicky zum 70er gewidmet DIE AUSGRABUNGEN AUF DEM MAGDALENSBERG Die spätrepublikanisch-frühkaiserzeitliche Stadt auf dem Magdalensberg (Abb. 1),1 im Süden der ehemaligen römischen Provinz Noricum im heutigen österreichischen Bundesland Kärnten gelegen, befand sich auf dem Südabhang jenes 1059 m hohen Berges, der als markante Erhebung am Nordostrand des Zollfelds weithin in der Beckenlandschaft Mittelkärntens sichtbar ist. Das auf 925 m Seehöhe2 (ca. 450 m über dem Talboden) befindliche Stadtzentrum mit den umgebenden Bauten und den angrenzenden, auf breiten Terrassen errichteten Stadtteilen, die sich auf dem Berghang über und unter dem Forumsniveau hinziehen, wurde von 1948 bis 2011 in jährlichen Grabungskampagnen auf einer Fläche von 3,5 ha systematisch untersucht (Abb. 1).3 Grabungen fanden bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert statt, nicht zuletzt, da die Bronzestatue genannt „Jüngling vom Magdalensberg“ dort 1502 gefunden wurde; das Original aber ist seit der napoleonischen Zeit in Spanien verschollen.4 Die tatsächliche Ausdehnung ist noch nicht vollständig erschlossen.5 Die Stadt wurde um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. durch Händler aus dem östlichen Oberitalien mit ihren internationalen Handelskontakten als Emporium für den Austausch von mediterranen und lokal erzeugten Gütern im spätkelti-

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Die jährlich ergänzte Liste der Forschungsliteratur zu den Grabungen auf dem Magdalensberg ist online abrufbar, vgl. Schindler-Kaudelka – Gostenčnik 2018. Vetters 1955 Abb. 2. Vgl. ausführlich Piccottini 1977; id. 1989; id., Alt-Virunum; Piccottini – Vetters 2003; Dolenz 2001. Piccottini 1968, Nr. 3; Piccottini – Vetters 2003, 7–11. 27–30; zum Forschungsstand zuletzt Gschwantler 2015. Die jüngst postulierte Spätdatierung zum Beginn der römischen Präsenz in Kärnten, und vor allem zum Siedlungsbeginn in der Stadt auf dem Magdalensberg erst mit der Okkupation Noricums 15 v. Chr., steht jedoch im Widerspruch zur absoluten Chronologie der datierenden Funde und wurde daher abgelehnt, vgl. unter anderem Ebnöther 2017. Zu den frühesten Fundkomplexen auf dem Magdalensberg Dolenz u. a. 2008.

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schen Noricum eingerichtet.6 Die begehrteste Handelsware war das in antiken Quellen als ferrum Noricum bekannte norische Eisen, das Stahlqualität besaß; sein wichtigstes Abbau- und Verhüttungsgebiet lag im Görtschitztal nordöstlich des Magdalensberges.7 Jüngste Untersuchungen zeigen, dass Roheisenluppen von dort nicht nur auf dem Magdalensberg, sondern auch andernorts in Kärnten zu Stahl ausgeschmiedet wurden.8 Die Gründung erfolgte nicht im siedlungsleeren Raum, sondern lehnt sich südseitig an eine noch wenig bekannte, spätlatènezeitliche Wallanlage mit Terrassierungen im Inneren an.9 Ausschlaggebend für eine solche Gründung ist die Nähe zum politischen Zentrum; die wiederholt vorgetragene Funktion der Asylie, analog zur griechischen Tempelasylie, eines latènezeitlichen Sakralbezirks bzw. einer vorrömischen Gottheit am Berggipfel als Schutz für die Händler lässt sich hingegen nicht aufrechterhalten.10 Die chronologische Gliederung der Stadt auf dem Magdalensberg kennzeichnen drei große Ausbauphasen:11 1. Einrichtung als Emporium um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr.: groß angelegt die Errichtung eines Forums von 110 m × 42 m mit umgebenden Tabernenreihen; die Ostseite des Platzes beherrschte eine Marktbasilika (Abb. 1–2), welche als Handels- und Börsengebäude die Funktion als zentraler Ort für Auktionsgeschäfte und den Warenumschlag innehatte und die Drehscheibe für Großhändler, Investoren, Kreditgeber und Bankgeschäfte war. Während dieser Phase nahm die Eisenverarbeitung vor Ort den wichtigsten lokalen Produktionszweig ein; speziell das Ausschmieden von Eisenluppen zu Stahl und die Produktion von Werkzeugen und Geräten ist besonders in Werkstätten direkt am Forum nachgewiesen.12 2. Ausbau nach der Okkupation Noricums: Noricum wurde 15 v. Chr. von Rom okkupiert und die Stadt auf dem Magdalensberg zum römischen Verwal6

Vgl. Graßl 2004 zu den Voraussetzungen für die Einrichtung republikanischer Emporien außerhalb des römischen Staatsgebietes sowie zur Rechtslage der römischen Händler, die sich dort bewegten. Zu Händlern als wichtigem Faktor der Romanisierung in Noricum vgl. Bandelli 2003; id. 2009; Graßl 2004; id. 2006b; Gregoratti 2015; Zimmermann 2017 konnte nicht mehr eingearbeitet werden. 7 Zum römischen Bergbau in Kärnten und den antiken Quellen zum ferrum Noricum vgl. Vetters 1966; Piccottini 1981; id. 2000; Graßl 1987/1988; zur Verhüttung, mit der älteren Forschungsliteratur, Straube 1996, 97–114. 122–134; die jüngeren Grabungen im Görtschitztal sind in den Beiträgen bei Cech 2008 ausgewertet. 8 Preßlinger u. a. 2016, ab der claudischen Zeit. 9 Dolenz u. a. 2008, 235–238. 10 Asylie postuliert bei Glaser 2000, 57; vgl. aber die Quellenanalyse in Graßl 2004, 296 „… Händler im Schutz einer einheimischen Gottheit mit Asylfunktion [sind] im westlichen Mittelmeerraum nirgends zu greifen“, sondern unverzichtbare Voraussetzung ist die unmittelbare Nähe zum politischen Zentrum; Rechtssicherheit bestand nur dann, wenn diese auf politischer Ebene (hospitium publicum, foedus, amicitia) garantiert war. 11 Vgl. die Literatur in Anm. 3; zu Noricum in extenso Alföldy 1974 und Gassner u. a. 2002. 12 Piccottini 1986; id. 1989, mit Periodenplan; Dolenz 1998; Dolenz u. a. 2008, 241–247; zusammenfassend Gostenčnik – Dolenz 2016, 145–147; Übersicht zum Metallhandwerk Gostenčnik 2016.

Die Händlergraffiti aus „Alt-Virunum“

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tungszentrum. Mit der Schleifung der Basilika und dem Aufschütten des Forums wurde die Stadt groß angelegten Umbaumaßnahmen unterzogen; zeitgleich datiert die Errichtung der Gipfelbefestigung mit einem Podiumstempel, der weithin sichtbar Roms Macht demonstrierte. Neben Eisen werden in den lokalen Werkstätten nun vermehrt Kupferlegierungen verarbeitet, abgesehen vom Forum vor allem in Werkstätten auf den umliegenden Terrassen.13 Huldigungsinschriften an das Kaiserhaus der Zeit von 10–9 v. Chr., die in der Stadt gefunden wurden, nennen die Namen von acht der in Noricum ansässigen Stämme.14 3. Umbau nach Erdbeben in spätaugusteischer Zeit: weite Teile der Stadt sowie die Gipfelbefestigung wurden zerstört. Nach einer Stelle bei Cassius Dio (56, 24, 3) gab es in den Alpen im Jahr 9 n. Chr. ein verheerendes Erdbeben, das der Autor unter den Prodigien der Varus-Schlacht desselben Jahres aufzählt.15 Die Nordseite des Forums erhielt im Zuge des Wiederaufbaus den zentralen Tempel vermutlich für Dea Roma und Augustus und die Stadt damit endgültig ein urbanes Gepräge. Zwei Gussformen für Goldbarren mit Eigentumsvermerk des Kaiser Caligula sowie eine Gießereiwerkstatt mit 19 kleinen Schmelzöfen für den Barrenguss in AA/41 und AA/41A (Abb. 1) unterstreichen die Bedeutung der Stadt in der frühen Kaiserzeit.16 In den beiden Kellermagazinen OR/23–OR/26 werden spätestens in tiberischer Zeit die Händlergraffiti angebracht. Das Auflassen und Absiedeln der Stadt unter Kaiser Claudius muss relativ kurzfristig anberaumt worden sein, da einige Großbaustellen im Stadtzentrum unfertig liegen blieben. Mit der Einrichtung Noricums als prokuratorische Provinz unter Kaiser Claudius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. und der Gründung des municipium Virunum17 auf dem Zollfeld nördlich von Klagenfurt als Provinzhauptstadt wird die Stadt auf dem Berg aufgegeben. Der Name der Bergstadt hatte aber offenbar bereits Virunum gelautet. Die Stadtgründungslegende um einen wilden Eber, den nur ein heldenhafter Mann (vir unus) zur Strecke bringen konnte, wurde sowohl als hellenistischer Stadtgründungsmythos als auch als keltische Sage erklärt.18 Ein 1949 im Planierschutt des Gebäudes namens „RP-Haus“ in der Nordwestecke des Forums gefundenes Inschriftfragment mit den Buchstabenresten „Viruṇ[um vel -enses]“ belegt den Namen am Ort selbst.19 13 14 15 16 17 18

Dolenz 2004. Šašel 1967; ausführlich Piccottini 2005a. Zu den Erdbebenbefunden Dolenz 2007, 111 f. mit Zitat von G. Waldherr. Piccottini 2001. Zu Virunum Piccottini 2002. Cod. Paris. Gr. Suppl. 607 A, Περὶ ἀνδρείαϛ; Suda, s. v. Βηρούνιον; eingehend besprochen bei Hofeneder 2010, mit der relevanten Foschungsliteratur. Nollé 2001, 50 f. Anm. 237–248 verweist darauf, dass die Quellen auf die Umbenennung einer bereits existierenden Siedlung schließen lassen. 19 ILLPRON 239; vgl. Piccottini – Vetters 2003, 24 f. 66. Die Interpretation bei Glaser 2003 als ein epigrafisch im römischen Reich nur zweimal belegtes „vir v(ivus) f(ecit)“ und damit als ̣ Teil einer Grabinschrift wurde in Piccottini 2005b widerlegt. Das Fragment kam, wie auch

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Abb. 1: Magdalensberg. Luftbild mit Blick aus Westen und Stadtplan (Foto Magdalensbergarchiv, Aufn. H. Pohl, © Archäologischer Park Magdalensberg; Stadtplan nach Vetters – Piccottini 2003, Beil., Grafik H. Mühlbacher, Addenda K. Gostenčnik, © Archäologischer Park Magdalensberg). einige Fragmente der genannten Dedikationen an das augusteische Kaiserhaus, im Planierschutt der Räume des RP-Hauses zutage; alle diese Inschriften waren an prominenter Stelle wohl im Westteil des Forums aufgestellt, wo nach der Okkupation vielleicht ein Kaiserkultaltar eingerichtet war, wie dies unter anderem gallische Beispiele zeigen; der Forumstempel könnte diesen nach dem Erdbeben dann abgelöst haben.

Die Händlergraffiti aus „Alt-Virunum“

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Abb. 2: Magdalensberg. Erste Bauphase des Forums mit Idealrekonstruktion der östlichen Forumsbauten (Plan nach Dolenz u. a. 2008, Abb. 9, © Archäologischer Park Magdalensberg; Rekonstruktion verändert nach Dolenz 1998, Abb. 6, © Archäologischer Park Magdalensberg).

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RÖMISCHE GRAFFITI AUS DER STADT AUF DEM MAGDALENSBERG Für die Erforschung römischer Graffiti bieten die Ausgrabungen auf dem Magdalensberg eine Vielzahl an Belegen auf unterschiedlichsten Materialien.20 Eine ausführliche Beschäftigung mit der Paläografie dieser zahlreichen Alltagsinschriften und Notizen steht, mit Ausnahme jener an den Wänden, noch aus.21 Bis auf geringe Ausnahmen ist die Sprache dieser Inschriften Latein, eine kleine Anzahl ist in griechischer Sprache respektive in griechischen Buchstaben abgefasst. Die Graffiti, die über die Jahrzehnte an diversen Wänden dokumentiert worden sind, umfassen sowohl Schriftdenkmäler als auch bildliche, in sehr unterschiedlicher Qualität ausgeführte Darstellungen, worunter regelmäßig Gladiatoren zu finden sind.22 Neben den Händlergraffiti mit merkantilen Inhalten kommen Weihungen an Götter (Merkur, ϑεοῖς χϑονίοις), viele Namensgraffiti, schriftlich festgehaltene Opferhandlungen oder ein Jagdopfer vor; in einigen Fällen blieben nur Resten von Buchstaben erhalten. Vieles davon hat Rudolf Egger publiziert.23 Die Graffiti vom Magdalensberg stehen nicht nur chronologisch jenen aus der Vesuvregion nahe, sondern zeigen in ihrem Schriftduktus auch überwiegende Übereinstimmungen mit diesem Material.24 Eine ganze Reihe der Inschriften kam nicht mehr in situ an den Wänden zutage, sondern herabgestürzt auf den Böden oder verlagert in Schuttplanierungen oder sonstigen Fundkontexten. Die Händlergraffiti aus OR/23 und OR/26 wurden jedoch noch direkt an den Wänden angetroffen und ermöglichen daher zusätzliche Beobachtungen über die Art ihrer Anbringung, die Bedeutung der Räume, ihre Zugänglichkeit und den Charakter ihrer Nutzung. DIE HÄNDLERGRAFFITI AUS OR/23 UND OR/26 Die Grabungen des Jahres 1960, durchgeführt von Hermann Vetters, konzentrierten sich unter anderem auf die Nordostecke des Forums (Abb. 3). Bereits im Jahr davor wurden die dort befindlichen Tabernen ergraben, darunter OR/21–OR/22, an deren Vorderfront die beiden Kellerräume OR/23 und OR/26 liegen (Abb. 2);25 diese Tabernenkomplexe stammen aus der ersten Phase der Stadt und gehören der frühesten Forumsanlage an. Wie die Auswertung der Tiefschnitte im Bereich der frühen Marktbasilika am Ostrand des Forums zeigt, befinden sich, tiefer gelegen als die Niveaus der Kellerböden und die Fundamentunterkante der Basilika, wei20 Die Inschriften von 1948 bis 1978 sind geschlossen in den jeweiligen MagdalensbergGrabungsberichten bearbeitet, vgl. Schindler-Kaudelka – Gostenčnik 2018. 21 Zur Paläografie der Magdalensberger Wandgraffiti im Verband der Wandgraffiti aus dem gesamten römischen Österreich vgl. Vlcek 2013, 189–203. 22 Egger 1961; Kenner 1985, 118–134; Piccottini 1992; Langner 2001, passim; Gostenčnik 2004, 63 f.; Vlcek 2013, 67–182. 23 Vgl. Schindler-Kaudelka – Gostenčnik 2018. 24 Egger 1961, 22; Vlcek 2013, 189–203. 25 Vetters 1961, 33–35.

Die Händlergraffiti aus „Alt-Virunum“

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tere Befunde;26 diese älteste Bebauung unter dem Forum wurde bislang nur an wenigen Punkten fassbar.

Abb. 3: Magdalensberg. Forumsgrabung 1960, Blick aus Nordosten, OR/23–OR/26 im Bildvordergrund rechts (Foto nach Piccottini 1989, Taf. II, 1, Aufn. G. Khevenhüller, © Archäologischer Park Magdalensberg).

Die beiden Kellerräume OR/23 und OR/26 waren mit Brandschutt verfüllt, der aus den darüberliegenden Räumen OR/21–OR/22 hinabgestürzt war und unter anderem Teile von Küchenausstattungen enthielt.27 Dieser Brandschutt datiert claudisch und gehört zeitlich in die späteste Phase der Stadt. Die beiden Kellerräume waren zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr als Warenlager in Betrieb.28 OR/23 ergab an allen vier Wänden insgesamt 142 Graffiti, die meisten davon an der West- und Ostwand (Abb. 5; Tabelle 1 am Beitragsende).29 Der Raum misst – von Westen im Uhrzeigersinn – 5,13 m × 4,71 m × 4,90 m × 4,58 m und nimmt annähernd 23,3 m² ein. Die Wände trugen drei Schichten weißen Wandputz, darunter kam ein in drei Schichten aufgetragener Feinputz mit Wandmalerei zutage, der wiederum über grobem Unterputz lag.30 Die Wandmalerei, die an der 26 Dolenz et al. 2008, 241–247 Abb. 12, Lehmboden über anstehendem Fels in PQ/11 sowie Baustruktur OR/39b. 27 Sedlmayer 1999, 129 f. Abb. 13. 28 Vetters 1963, 10–21. 39. 29 Egger 1961 Abb. 8–11; Vetters 1963, 10–16 Abb. 7–10 Beil. 2. 30 Vetters 1963, 10, die Wandmalerei auf tria caementa aufgetragen.

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West- und über die Ecke anschließend an der Südwand mit einer Höhe von 2,11 m noch vorhanden war, wurde von der Bearbeiterin Hedwig Kenner stilistisch dem 2. pompejanischen Stil zugeordnet und in die spätcaesarische Zeit datiert; sie zeigt in ihrem 1,04 m hohen Mittelteil aneinandergereihte Felder mit 0,92 m großen, stehenden Götterbildern, wovon drei erhalten geblieben sind (Abb. 4): Minerva an der Südwand, der nackte Unterleib einer schreitenden männlichen, als Merkur identifizierten Figur sowie Venus Genetrix mit Amor an der Westwand.31 Der Boden des Raumes war mit einem Terrazzo bedeckt, der in der Nordwestecke um eine mit Marmorplatten eingefasste Feuerstelle noch zusätzlich eingestreut Mosaiksteinchen zeigt. Aufgrund der Ausstattung könnte es sich bei OR/23 in der ersten Phase um ein Sanktuar der hier ansässigen Händler handeln, zumal am Forum zu dieser Zeit ein Sakralbau fehlt; die Feuerstelle wäre als Altar zu deuten. Nach Heimo Dolenz (mündliche Mitteilung) könnte es sich auch um den Versammlungsraum (schola) der Händler handeln, was ebenfalls eine sakrale Konnotation einschließt.

Abb. 4: Magdalensberg. OR/23, Wandmalerei an der Westwand mit Merkur und Venus Genetrix (Abbildung nach Kenner 1985, Taf. 5, Aquarell H. Kenner, © Archäologischer Park Magdalensberg).

OR/26 mit den Maßen, von Westen, 4,38 m × 5,73 m × 4,47 m × 5,11 m nimmt knapp 24 m² ein; Rudolf Egger konnte hier 159 Graffiti aufnehmen (Tabelle 1 am Beitragsende).32 Die Wände waren mit drei Feinputzschichten ausgestattet, deren letzte wiederholt weiß übertüncht worden war. Der Befund der letzten Phase 31 Kenner 1963; Kenner 1985, 14–22 Taf. 4–7. 32 Egger 1961 Abb. 12–15; Vetters 1963, 17–21 Abb. 13–16 Beil. 4.

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gleicht dem von OR/23 mit claudisch datiertem Brandschutt. Den Boden bedeckte ein Lehmschlagestrich, der direkt auf dem Verwitterungslehm des anstehenden Felsens aufgetragen war. Noch deutlicher als in OR/23 gaben an den Wänden eingeschlagene Nägel, Holzdübel und Abdrücke von Brettern Hinweise auf ehemals vorhandene Regale und Wandborde.33 Beide Räume waren zu gegebener Zeit über Holzstiegen an den Südwänden zu betreten, die Raumhöhen betrugen ca. 2,65 m. Die Wandmalerei an der Südwand von OR/23 berücksichtigte bereits diese Stiege.34 Da beide Räume Herd- bzw. Feuerstellen aufwiesen, stellt sich die Frage, ob sie in der Frühzeit ebenerdig vom Forum her zu betreten waren, da ein Rauchabzug bei Kellerräumen schwer zustande kommen würde, so vor allem bei Tiefdruckwetter; fehlende Türbefunde im erhaltenen Mauerwerk lassen diesen Schluss aber nur schwer zu. Der Ausgräber Hermann Vetters hielt jedenfalls fest, dass die Außenwände roh ausgeführt bzw. direkt an das anstehende Erdmaterial angebaut gewesen sind. Nachuntersuchungen entlang der Außenmauern wären aufschlussreich.35 Zur Dokumentation der Graffiti aus OR/23 und OR/26 bleibt zu bedenken, dass sie meist erst dann erkennbar wurden, nachdem die Wände nach der Grabung im Spätsommer 1960 einigermaßen getrocknet waren. Da die Wände zusätzlich unter der Humussäure der Baumwurzeln gelitten hatten, gestaltete sich das Lesen überaus mühsam; die Lichtverhältnisse waren jeweils nur zu bestimmten Tageszeiten soweit günstig, um überhaupt Buchstaben erkennen zu lassen. Ob zu diesem Zeitpunkt das Vier-Augen-Prinzip angewandt wurde, um die Lesung durch eine zweite Person zu bestätigen, entzieht sich der Kenntnis. Rudolf Egger erwähnt, dass die Inschriften auf unterschiedlichen Putzschichten vorhanden gewesen sind, die er in der Publikation allerdings nicht auseinanderhielt;36 in wenigen Fällen ließen sich unter einem Graffito die Reste eines älteren erkennen.37 Da Graffiti auch direkt in die Wandmalerei geritzt sind, wie die fotografische Dokumentation zeigt (Abb. 6), sind die Ritzungen ab dieser Oberfläche und auf den darübergelegten Putz- und Kalktüncheschichten zum Vorscheinen gekommen. Die Nutzung als Lagerraum wird kaum vor dem okkupationszeitlichen Forumsumbau ab 15 v. Chr. begonnen haben.38

33 Vetters 1963, Beil. 2. 4. 34 Vetters 1963, 13 Beil. 2, Südwand. 35 Vgl. dazu Dolenz 1998 32–35, besonders der Hinweis auf den ältesten Horizont, der tiefer als die Fundamente der Basilika bzw. der Kellerböden liegt. 36 Egger 1961, 5 f. 37 So z. B. Egger 1961, 16 Nr. 204, beide Male sind Waren genannt. 38 Dem Grabungsbericht sind leider keine genauen Hinweise zu entnehmen, welche der Putzschichten Graffiti aufwiesen, vgl. Vetters 1963; nach Kenner 1985, 14 Anm. 18 sind alle Graffiti in OR/23 in den Feinputz der Wandmalerei eingeritzt gewesen und erst nach dem Entfernen eines darübergelegten weißen Putzes, der nach Vetters 1963, 10 drei Schichten aufwies, überhaupt zum Vorschein gekommen. Laut Dolenz 1998, 32 waren die Graffiti in die zweite und dritte Feinputzschicht eingeritzt. Die Chronologie der Graffiti ist demnach nicht mit Sicherheit zu rekonstruieren. Vgl. auch Piccottini 1990, 74 f. Abb. 1–3.

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Abb. 5: Magdalensberg. OR/23, Westwand, Dokumentation der Graffiti Nr. 1–75 und zeichnerische Aufnahme der Graffiti Nr. 64–73 (Aufriss nach Egger 1961, Abb. 8, Zeichnung H. Vetters / R. Egger, © Archäologischer Park Magdalensberg; Graffiti Nr. 64–73 nach Egger 1961, Taf. 4, Zeichnung R. Egger, © Archäologischer Park Magdalensberg).

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Rudolf Egger hat zur Dokumentation der Inschriften zwar maßstäbliche, aber freihändige Abschriften angefertigt (Abb. 5). Wandputz ist bei den Grabungen auf dem Magdalensberg, trotz sofortiger Sicherung nach der Freilegung, sehr witterungsanfällig;39 dies war der maßgebliche Grund, die Dokumentation noch im September 1960 abzuschließen. Die im Jahr 1961 vom Bundesdenkmalamt abgenommenen Wandmalereien, deren Malschichten auf Platten aufgezogen und konserviert, jedoch mit einer Lasur überzogen wurden, ließen bei einer Autopsie im Grabungsdepot im Jahr 2003 keine Graffiti erkennen.40 Im Grobputz unter den Putzschichten für die Wandmalerei der Westwand von OR/23 kam ein mit dem Finger in den noch feuchten Putz eingeritzter Graffito (Nr. 341) zum Vorschein, der ein Bauopfer an die ϑ(εοῖς) χ(ϑονίοις) festhielt; vom Namen des Opfernden ist nur der Rest des cognomen „[Anti]ochus“ erhalten geblieben, somit des ersten Besitzers der Taberne in Phase 1 des Forums.41

Abb. 6: Magdalensberg. OR/23, Westwand, fotografische Dokumentation der Graffiti Nr. 23. 24. 28 (Foto nach Egger 1961, Taf. 24 Abb. 17, Aufn. G. Khevenhüller, © Archäologischer Park Magdalensberg).

Die 301 Ritzinschriften an den Wänden von OR/23 und OR/26 bestehen in der Hauptsache aus Namen, Zahlen und Warengattungen; ihre Verteilung auf den einzelnen Wänden vermerkt Tabelle 1 am Beitragsende. Wie anhand der Westwand von OR/23 ersichtlich (Abb. 5), sind die Graffiti über die gesamte Höhe der Wände verteilt zu finden gewesen, wiewohl ein großer Teil in 1,5 m bis 1,6 m 39 Egger 1961, 5. 40 Egger 1961, 5 vermerkt, dass die Graffiti auf der harten polierten Fläche der Wandmalereien besser zu lesen gewesen seien als auf den übrigen Putzschichten. 41 Egger 1961, 21 Nr. 341, wo vorerst nur Θ Χ erkennbar war; ausführlich id. 1962 zum gesamten Textfragment. Hainzmann 2000 erwägt einen Bezug des Cognomens zur Inschrift am Bronzejüngling.

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Höhe und darüber angebracht war. Je eine Nische in der Ostwand von OR/23 in 1,8 m Höhe und in der Südwand von OR/26 auf Höhe des untersten Treppenabsatzes (Abb. 7), die am ehesten dem Abstellen von Beleuchtungsmitteln gedient haben werden, wie einige andere Beispiele in der Stadt nahelegen, blieben nach Egger der Aufstellung von Götterstatuetten respektive von Statuetten des Merkur als Schutzgottheit der Händler („Kultnischen“) vorbehalten. In OR/23 las er um die und in der Nische verteilt mehrfach „Mercurius“, einige Male ein „votum susceptum“ oder den Hinweis auf ein Orakel mit ergänztem Personennamen und Bittstellung:42 Nr. 124 (Abb. 9, 124): „[Procu]/lus oraculum / [petens]“.

Abb. 7: Magdalensberg. OR/26, Südwand, Nische mit Graffito des L. Opaius Verrucosus (Aufriss nach Vetters 1963, Beil. 4, Südwand, Zeichnung H. Vetters, © Archäologischer Park Magdalensberg).

Um die Nische in der Südwand von OR/26 las Egger eine mehrzeilige Inschrift, mit Buchstaben von 9 cm bis 20 cm, die in den noch frischen Wandputz mit dem Finger eingeritzt und daher gut sichtbar war; sie findet sich als einzige auch im Grabungsbericht von Hermann Vetters dokumentiert:43 Nr. 292 (Abb. 7): „L(ucius) Opaius / V[err]ucosus / sa[cr]um / M(ercurio) f[e]cit sua /5 m^a^n(u)”. Gemäß Egger hat der Stifter die Nische dem Gott Merkur, so die Auflösung richtig ist, von eigener Hand eingerichtet; diese Ritzung hält 42 Egger 1961, 12 Nr. 124. 43 Umschrift und Ergänzungsvorschläge nach Egger 1961, Nr. 292 und Vlcek 2013, Nr. 366; vgl. Vetters 1963, Beil. 4, Südwand; „u“ ist m. E. Teil der Ligatur, daher wohl „m^a^n^u”.

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den Namen des Inhabers der Taberne zum Zeitpunkt des Anbringens der jüngsten von drei festgestellten Putzschichten fest. Die übrigen um diese Ausnehmung angebrachten Graffiti enthalten keine Götternamen. Der letzte Inhaber des Tabernengebäudes OR/22–OR/26 geht vielleicht aus der eingepunzten Besitzerinschrift auf einem Bronzekessel hervor, der zusammen mit einem zweiten mit dem claudischen Brandschutt in den Keller OR/26 hinabgestürzt war und den Namen Quintus Artorius überliefert, zu einem Zeitpunkt also, als keine Waren mehr eingelagert waren.44 Die beiden Kessel spielten bei der Interpretation der Graffiti eine wesentliche Rolle (s. u.). Die Buchstabenhöhe der 301 Graffiti, die in Majuskelkursive abgefasst sind, variiert von unter 1 cm bis über 20 cm. Neben den Namen sind neun Warengattungen und viele Zahlenangaben enthalten, die sich auf Warenmengen, seltener auf deren Gewicht beziehen; mitunter ist der Herkunftsort der Händler oder der Bestimmungsort der Warenlieferung angegeben. Hinzu kommen Datumsangaben, allerdings nie mit Nennung der consules, sowie Angaben zu Geschäftsgebarungen.45 Der Inhalt der Graffiti wiederholt sich mehr oder minder an allen in OR/23 und OR/26 dokumentierten Wänden in ähnlicher Weise. Beginnend mit der Westwand von OR/23 wurde die Position der Graffiti durchnummeriert, in der zeichnerischen Dokumentation der Wände festgehalten und die Texte maßstäblich im Verhältnis 1:2 abgeschrieben (Abb. 5). „1/3“ bzw. „2/3“ nennen den Faktor, um welchen ein Graffito gegenüber den anderen in der Umzeichnung verkleinert ist. Ausgewählte Beispiele sollen einen Eindruck vom Inhalt der Notizen vermitteln; die Katalognummern sind nach der Publikation von 1961 beibehalten.46 Die schwierigen Erhaltungsbedingungen waren dafür verantwortlich, dass nur einige der Graffiti fotografisch dokumentiert werden konnten. So lassen sich Nr. 23, 24 und 28, die knapp vor der Südwestecke der Westwand von OR/23 in den horizontalen Rahmen über den Götterbildern eingeritzt waren, einigermaßen am Foto der Publikation47 erkennen (Abb. 5–6): Nr. 23 (Abb. 6, 23. 8, 23): „Adgonetus Vindunis filius“, ein einheimischer Käufer, dessen Name nach keltischem Namensformular mit Filiation angegeben wird;48 „filius“ wird in den Graffiti häufig ausgeschrieben; Nr. 24 (Abb. 6, 24. 8, 24): „Vercaius“, ein sonst kaum bekannter, in Noricum häufiger keltischer Eigenname; Nr. 28 (Abb. 6, 28. 8, 28): „Camaius“, ein nach Egger vorkeltischer Name, zu welchem eine Felsinschrift in Ruprechtshofen/Niederösterreich (ILLPRON 861) den einzigen weiteren Beleg liefert. Nur aufgrund ihrer Namen hielt Egger alle drei für lokale Zulieferer des Geschäftsinhabers.49 44 Piccottini 1973; vgl. Sedlmayer 1999, 110 Anm. 710. 45 Vgl. die Auswertung bei Egger 1961, 21–37; weitere Ergänzungen bei Vlcek 2013, 165–167. 46 Egger 1961, 6–21; Ergänzungen finden sich bei Vlcek 2013, die Umschrift der Graffiti folgt hier meist der Edition von Eva Vlcek. 47 Egger 1961, Taf. 24 Abb. 17; weiters Piccottini 1990, 74 f. Abb. 1–3. 48 Zum norischen Namensmaterial inklusive jenem aus OR/23–OR/26 ausführlich Kakoschke 2012. 49 Egger 1961, 28.

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Abb. 8: Magdalensberg. Zeichnerische Aufnahme ausgewählter Graffiti von der West-, Nord- und Ostwand in OR/23 (Abbildung nach Egger 1961, Taf. I–VII, Zeichnung R. Egger, © Archäologischer Park Magdalensberg).

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Abb. 9: Magdalensberg. Zeichnerische Aufnahme ausgewählter Graffiti von der Ostwand in OR/23 und von der Nord-, Ost- und Südwand in OR/26 (Abbildung nach Egger 1961, Taf. IX. XII. XIV-XVIII, Zeichnung R. Egger, © Archäologischer Park Magdalensberg).

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Viele der Graffiti nennen nicht mehr als das cognomen respektive den Individualnamen des Käufers; teilweise sind die Namen mehrerer Personen angeführt, die vielleicht eine Käufer- oder Transportgemeinschaft bildeten. Die Namen stehen im Nominativ: Nr. 1550 (Abb. 8, 15): „Eumolpus“, ein griechischer Sklavenname, geläufig aus den „Satyrica“ des Petronius; Nr. 19 (Abb. 8, 19): „Volusius Ṃ[---“ oder „Ạ[---“, ein römisches Gentile mit Rest des cognomen oder ein weiteres Gentile; Nr. 54 (Abb. 8, 54): „Genuinus Pisus V[---“, eine Gruppe von drei Personen, der erste Name laut Egger Genuinus, sonst nicht belegt, nach Vlcek zutreffender etwa „[In]genuinus“, jedoch zeigt die Dokumentation Eggers davor keine Fehlstelle; Pisus ist ein mythologischer Name keltischen Ursprungs und selten im römischen Namensformular, dazu der Rest eines dritten Namens. Insgesamt halten die Graffiti neun verschiedene Warengattungen fest: cadi (Krüge), cumbae (Kessel), scifi (Trinkgefäße, Becher), urcei (Krüge), disci (Platten), anuli (Ringe), incudes (Ambosse), secures (Äxte) und unci (Haken); die Identität der genannten Gegenstände blieb in der Forschung allerdings nicht unumstritten. Tabelle 2 (am Beitragsende) gibt je Wand die Anzahl der Graffiti mit der eindeutigen Nennung von Warengattungen sowie die Kombinationen wieder.51 Daraus wird deutlich, dass die meisten Inschriften disci, anuli und unci beinhalten, die cumbae weniger oft erscheinen, scifi und urcei je nur einmal, secures und incudes je zweimal; sechsmal kommen cadi bwz. κάδια vor. Tabelle 2 berücksichtigt keine der oft enormen Mengenangaben. Die Begriffe hat Rudolf Egger bereits ausführlich philologisch kommentiert;52 die Gefäße sind interessanter Weise mit griechischen Lehnwörtern benannt. Nr. 12 (Abb. 8, 12): „emit CX cumbas p(ondo) XV Sineros Aquileia“ („Sineros aus Aquileia kaufte 110 Becken zu je 15 Pfund“). Obwohl viele der Graffiti in ähnlicher Weise den Kauf von Waren festhalten, ist nur bei Nr. 12 das Verbum „emit“ tatsächlich vorhanden, auf welches sich die stets im Akkusativ notierten Warengattungen beziehen.53 Sineros behält laut Egger den griechischen Nominativ bei. Der Begriff cumbae, der sich in siebzehn Wandgraffiti (Tabelle 2) wiederholt, wurde als Becken oder Kessel gedeutet, zumal, wie bereits erwähnt, zwei Bronzekessel von 1,5 kg bzw. 1,25 kg im claudischen Brandschutt von OR/26 gefunden wurden;54 im Graffito ist als Gewicht eines einzelnen Exemplars 15 Pfund angegeben, entsprechend 4,913 kg und damit ein Mehrfaches von dem der gefundenen Bronzekessel, die gesamte Warenmenge wog daher 540,375 kg. Helga Sedlmayer stellte eine deutliche Diskrepanz zwischen den tatsächlich nachweisbaren, eher geringen Mengen an Bronzegefäßen auf dem Magdalensberg und den Stückzahlen der Graffiti von 110 bis 170 Exemplaren fest; sie sieht darin 50 Vgl. ergänzend zu Nr. 15. 19. 54 Vlcek 2013, Nr. 92. 96. 131. 51 Nicht mitgezählt sind jene, die zwar Zahlen nennen, wo aber keine Warengattung erhalten ist bzw. nur eine Endung „-os“ lesbar blieb; die Häufigkeit der Warengattungen in Tabelle 2 wird davon nur unwesentlich berührt. 52 Egger 1961, 28 f.; zu den Gefäßnamen vgl. Hilgers 1969. 53 Egger 1961, 22. 54 Egger 1961, 29; Piccottini 1973.

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die Möglichkeit, die Graffiti auf Keramikware zu beziehen.55 Das Diminutiv cymbium für ein Trink- oder Weingefäß56 kommt in OR/23–OR/26 jedoch nicht vor, auch das Gewicht spricht gegen kleine Gefäße. Die Bearbeitung des Bronzegefäßrepertoires ergab aber, dass vor Ort keine Produktion solcher Waren stattfand.57 Nr. 67 (Abb. 8, 67): „Surulus discos DLXV“ („Surulus 565 Platten“); Nr. 69 dokumentiert einen weiteren Graffito gleichen Inhalts, bei welchem die Mengenangabe aber verloren ist. Beide sind aus OR/23. In Nr. 237 (Abb. 9, 237) aus OR/26 folgt der gleiche Name: „Surulus uncos DXX“ („Surulus 520 Haken“). Es könnte derselbe Käufer gemeint sein, was aber ohne weitere Identifikationsmerkmale nicht als gesichert gelten kann. Egger las „Surulus“ in fünf Graffiti.58 In Nr. 25 (Abb. 8, 25) ist „---] X discos p(ondo) XI“ zu lesen, ein Gewicht von 3,603 kg je Stück. Bei den disci erwog Egger große Servierplatten, wie sie in antikem Bildmaterial in Gebrauch zu sehen sind.59 Nr. 93 (Abb. 8, 93): „anulos DLX Secundinus DLX Primus cumbas CX uncos DLXV“ (560 Ringe, (desgleichen) Secundinus 560, Primus 110 Becken (und) 565 Haken); der Name des ersten Käufers ist nicht genannt oder nicht erhalten. Nr. 181 (Abb. 9, 181): „---dis]cos CX Proculus uncos DL anulos DXV[---“ („... 110 Platten, Proculus 550 Haken, 515 (bis 518) Ringe“); der erste Name ist zerstört, Proculus kaufte eine ungleiche Anzahl von Haken und Ringen, die letzte Zahl ist beschädigt. Nr. 278 (Abb. 9, 278): „scifos [–-]X[---“ („Becher“), Zahl nicht erschließbar. Der Begriff begegnet unter den Graffiti mit Warenbezeichnungen nur in dieser einen Inschrift. Rudolf Egger erschloss scifi in zwei Weihungen an die ϑεοῖς χϑονίοις, eine im Unterputz an der Westwand von OR/23 mit einem Opfer von „[sci]fos vi[n]i“ sowie eine weitere an der Südwand von AA/27, wo er gleichfalls „scifos“ las; in letzterem Fall ist die Lesung aber unhaltbar.60 Die Weihung im Unterputz von OR/23 ist als Bauopfer zu verstehen (s. o.), vor dem Anbringen des 55 Vgl. Sedlmayer 1999, 9; Bronzegefäße aus dem niedergebrannten Warenlager von SH/5 bei Sedlmayer 1998; ein Graffito mit 565 cumbae auf einem Steingewicht, vgl. Egger 1961, 20 Nr. 303, ist, wie alle a. O. unter Nr. 301–340 edierten Graffiti solcher Gewichte, am Original nicht nachvollziehbar und hier daher nicht berücksichtigt; hingegen gibt es Steingewichte mit deutlich eingemeißelten Eigentümernamen, vgl. Zabehlicky-Scheffenegger 1985, 253 Anm. 15 Taf. 31, 18. 56 Sedlmayer 1999, 9 Anm. 46. Hilgers 1969, 167 f., s. v. cymbium, bes. Anm. 621. 57 Die Metallanalysen bei Piccottini 1973, 355 f. sprechen zwar für eine mögliche Herkunft von Kupfererz aus dem Ostalpenraum, die typologische Bearbeitung jedoch für den Ursprung zumindest des Formenrepertoires der Kessel Tassinari U1120 in Kampanien; Tonkessel des gleichen Typs kommen unter den Funden vom Magdalensberg dagegen mehrfach vor, vgl. jene aus dem in spätaugusteischer Zeit niedergebrannten Händlermagazin von OR/1–OR/2 bei Piccottini – Vetters 2003, 141 Abb. 42, allerdings in keinem Fall mit 4,9 kg Stückgewicht. 58 Egger 1961, 35 Nr. 67. 69. 81. 141. 237; vgl. a. O. die gesamte Liste der Mehrfachnennungen. 59 Egger 1961, 29; Dolenz 1998, 237 erwägt bei den disci dennoch auch die Möglichkeit von tellerförmigen Eisenluppen – die frisch aus dem Rennofen allerdings kein Normgewicht hatten und über 20 kg auf die Waage bringen konnten –, oder von diskusförmigen Kupferbarren. 60 Egger 1962; id. 1964; vgl. auch Vlcek 2013, Nr. 153. 389.

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Feinputzes für die Wandmalerei mit dem Finger eingeritzt. Der Name des Opfernden – zu lesen war noch das cognomen „[Anti]ochus“ – überliefert somit den ersten Inhaber dieser Taberne.61 Den oder die nachfolgenden Besitzer aus der Zeit der Händlergraffiti kennen wir nicht, auch der zeitliche Abstand ist nicht eindeutig zu fassen; das Anbringen mit dem Finger im feuchten Putz gleicht Nr. 292 an der Nische in OR/26. Einige Graffiti nennen die Herkunft der Käufer oder den Bestimmungsort der Waren wie Nr. 12 (Abb. 8, 12) bzw. nennen nur einen Ortsnamen wie Nr. 47 (Abb. 8, 47): „Aquileia“. Weitere Graffiti nennen Rom wie Nr. 27 (Abb. 8, 27; s. u.), Anxur, Bononia oder Vetulonia.62 In Nr. 81 (Abb. 8, 81): „---]us Surulus Volubilitanus DL anul[o]s“ und Nr. 218 (Abb. 9, 218): „---di]scos CX Orosius Volubilitanus cumba[s---“ nahm Egger eine Herkunft aus Volubilis in Nordafrika an. Maurice Euzennat widersprach dieser Deutung; vielmehr liegt ein vom Toponym Volubilis hergeleiteter Eigenname wie in Surulus und anderen vor und somit kein Hinweis auf die Herkunft des oder der Käufer. Wie öfter unter den Graffiti sind in Nr. 81 daher drei bzw. in Nr. 218 zwei Käufer genannt.63 Fünf Graffiti enthalten Datumsangaben wie Nr. 203 (Abb. 9, 203), allerdings fehlt in allen Inschriften eine Nennung der Konsuln: „ex K(alendis) Mais p(---) l(--) in III K(alendas) Iulias“, also eine Laufzeit vom 1. Mai bis 29. Juni eines unbestimmten Jahres; diese Inschrift weist als Besonderheit teils Interpunktionen auf. Die Kürzung „p(---) l(---)“ begegnet noch zweimal, ebenfalls unter Angabe von Terminen.64 Rudolf Egger vermutete darin, nicht ohne Hinweis auf das Fehlen von Parallelen, den Verleih von Geld und löste sinngemäß „p(ecunia) l(ocata)“ auf. Herbert Graßl sieht in den Graffiti mit Datumsangaben dagegen kurzfristige Mietverträge und schlägt eine Auflösung zu „p(ergula) l(ocata)“ vor, was zwei Inschriften aus Pompeji nahelegen:65 CIL IV 138 „[…] locantur ex (alendis) Iuli(i)s primis tabernae / cum pergulis suis [...]“; oder CIL IV 1136 „[…] locantur / […] tabernae pergulae / cenacula ex Idibus Aug(ustis) primis in Aug(ustas) sextas annos continuos quinque […]“. Die pergula kann danach Teil eines Geschäftslokals sein66 und wurde vom Inhaber vermietet. Die Inschrift besitzt keinesfalls Urkundencharakter, da die Angabe des Jahres und die Namen der Geschäftspartner fehlen; es handelt sich eben um Gedächtnishilfen. Die folgenden Graffiti gehören hinsichtlich ihres Inhalts ebenfalls zu den etwas aufschlussreicheren. Nr. 9 (Abb. 8, 9): „de fide Ombrionis sec(ures) [CCC]LV p(ondo) IIS“ („an Ombrio wurden übergeben 355 (?) Äxte zu je zweieinhalb Pfund“); die Warengattung ist abgekürzt, die Anzahl nicht gesichert, da ergänzt. Legt man dem römischen Pfund 0,3275 kg zugrunde, ergibt dies ein Gewicht von 0,819 kg je Axt und einen Lieferumfang von 290,656 kg. Rudolf Egger 61 62 63 64 65

Vgl. auch die Literatur in Anm. 41. 83. Vgl. die Auswertung bei Egger 1961, 27. Euzennat 1979. Vgl. Egger 1961, Nr. 38. 191. Graßl 2005, 32 f. mit Hinweis auf Rosada 2001, 174–176 mit den entsprechenden Anmerkungen. Die Punkte in eckigen Klammern zeigen meine Auslassungen im Text an. 66 Zur Architektur vgl. Rosada, a. O. (Anm. 65).

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schlug aufgrund des Genetivs beim Personennamen für „de fide“ „vom Kredit des Ombrio …“ vor, Herbert Graßl „aufgrund der Bürgschaft des Ombrio …“.67 Die hier wiedergegebene Übersetzung „an Ombrio wurden übergeben …“ geht auf eine mündliche Erläuterung von Kathrin Jaschke (Bochum) zurück; von einem Kreditgeschäft oder einer Bürgschaft ist demzufolge nicht auszugehen. „De fide“ findet sich unter den Graffiti ein weiteres Mal, zusammen mit dem Namen Ruscus im Nominativ.68 Die sec(ures) kommen ein zweites Mal vor in Nr. 27 (Abb. 8, 27): „a(urum)^bonu(m) sec(ures) pondo XI CCCXCIII Filenus Roma“ („gutes Gold, 393 Äxte zu je 11 Pfund, Filenus aus Rom“); „Roma“ steht an den oberen Zeilenrand gerückt. Neben dieser Kürzung ist „aurum“ vier Mal ausgeschrieben wie in Nr. 33 (Abb. 8, 33); Rom begegnet als Bestimmungsort ein weiteres Mal.69 Die Deutung als „aurum bonum“ in Nr. 27 erwägt auch Graßl, der Gold ebenso als Zahlungsmittel für den Warenverkehr annimmt und den Begriff als reines Gold respektive Barrengold deutet.70 Im Gegensatz zu Nr. 9 sind diese secures mit elf Pfund bzw. 3,603 kg je Axt bedeutend schwerer; die gesamte Warenmenge von 1415,783 kg ging nach Rom. Äxte sind nur in diesen beiden Graffiti genannt, in zwei unterschiedlichen Gewichtsklassen, was eine Normierung nahelegt; sie werden heute gleichfalls nach Gewicht verkauft, wobei schwere Spaltäxte z. B. für das Zimmermannsgewerbe 6 kg und noch darüber wiegen können.71 Die Axtfunde vom Magdalensberg wiegen 0,675 kg bis 2,050 kg, Materialverlust durch Gebrauch und Korrosion bei der Bodenlagerung sind nicht erschließbar.72 Dass die secures, aber auch andere Waren der Graffiti, nicht als Metallbarren anzusprechen sind, da römische Barren keine solchen Formen aufweisen, wurde von Heimo Dolenz erläutert; die vor Ort erhaltenen Metallbarren (Eisen, Kupferlegierungen, Blei, Gussformen für Goldbarren) sind stab- bzw. trapezförmig sowie rechteckige Platten.73 Belegstellen für diese Begriffe in der antiken Literatur als Bezeichnungen für Metallbarren fehlen meines Wissens. Weitere Details zeigt Nr. 10 (Abb. 8, 10): „bissexti eme CCLV incudes“ („am Schalttag kaufe 255 Ambosse“). Diese Eggersche Übersetzung hat Graßl dahin67 68 69 70

Egger 1961, 7. 34 und Nr. 9; Graßl 2005, 33. Egger 1961, Nr. 14. Vgl. auch Vlcek 2013 Nr. 86 zur Lesung „sec[ures] LV“. Egger 1961, aurum in Nr. 7. 29. 33. 36, Rom in Nr. 194. Graßl 2005, 31 f. Anm. 7–8 antike Belegstellen für den Begriff. Irrig ist indes die Annahme a. O. 32, dass auf den Magdalensberger Tesserae nummulariae Beträge in Aurei mit Tinte vermerkt gewesen sein sollen, vgl. Egger 1969, 398, da die Täfelchen weder Tintenreste zeigen noch jemals Beträge oder ein Nominale angeben, vgl. dazu schon Herzog 1937, passim. Vom Magdalensberg sind 13 Stück bekannt, davon vier unbeschriftete, vgl. Gostenčnik 2005, 246– 261 und den bislang letzten Neufund bei Piccottini 2013, jeweils mit der maßgeblichen Forschungsliteratur. 71 Mündliche Auskunft in Handwerksbetrieben und Internetrecherche. 72 Dolenz 1998, 146–149 Tabelle 7. 73 Vgl. die Diskussion bei Dolenz 1998, 231–236, mit Literatur; als Barren angedeutet z. B. bei Graßl 1987/1988, 88; Goldbarren bei Piccottini 1994; id. 2001; Bleibarren Domergue – Piccottini 2003. Vgl. den Depotfund römischer Ambosse im Hochgebirge mit Bezeichnung als Barren bei Lippert 2002.

70

Kordula Gostenčnik

gehend ergänzt, als das Verbum „eme“ aufgrund des Wechsels von „i“ zu „e“ als Perfekt der ersten Person Singular zu verstehen ist, nicht als Imperativ, und der Text daher lautet „am Schalttag kaufte ich 255 Ambosse“.74 Wie bei den secures ist eine Deutung der incudes als Barren aber nicht zutreffend.75 Der Schalttag, „bissextus“, am 24. Februar, galt als Unglückstag; das Geschäft wurde trotzdem abgewickelt. Diese Inschrift vom Magdalensberg, auch wenn das Jahr nicht feststeht, ist der älteste schriftliche Beleg für diesen von Caesar eingeführten Begriff im täglichen Schriftgebrauch.76 115 incudes begegnen zusammen mit urcei (Krügen), die ohne Zahlenangabe blieben, in Nr. 246 (Abb. 9, 246): „Antipalus CXV incudes urc[e]os“.77 Ob im Graffito anstatt „urceos“ eher „uncos“ zu lesen war, da „urcei“ sonst in OR/23 und OR/26 kein weiteres Mal vorkommt, ist nicht nachprüfbar. Als letzte Inschrift sei die einzige in griechischer Sprache abgefasste von der Westwand in OR/23 angeführt, Nr. 4 (Abb. 8, 4): Die Lesung lautet κάδια λανχάνι Δάφνω(ι) („die Krüge fallen dem Daphnos zu“).78 In lateinischer Sprache sind cadi fünfmal genannt (Tabelle 2 am Beitragsende). Dass auf dem Magdalensberg griechische Graffiti nicht unbekannt sind, unterstreicht ein Fund aus der jüngeren Vergangenheit.79 Einer der Händler vor Ort oder ein Mitarbeiter, die den Raum frequentierten, war demnach griechischsprachig. Nr. 4 ist stark an Majuskelbuchstaben angelehnt. NAMEN, STÜCKZAHLEN UND GEWICHTSANGABEN Die 301 Graffiti aus den beiden Kellermagazinen überliefern zahlreiche Namen. Deren statistische Auswertung,80 wobei eine ganze Reihe auch mehrmals aufscheint, ergab: 27 Gentilnamen, weitere acht waren zu fragmentiert, um sinnvoll ergänzt zu werden; 123 cognomina bzw. Individualnamen, dazu die Reste von 20 weiteren, gleichfalls zu fragmentierten. Die cognomina unterteilen sich in 67 lateinische, 33 griechische und orientalische sowie 15 keltische; die restlichen acht entfallen auf Varianten. Keltische Namen sind darin deutlich in der Minderzahl. Die cognomina bieten nur wenige Möglichkeiten zur Differenzierung. Namen, die von einem Toponym hergeleitet sind, wie Surulus, Antiochus oder Volubilitanus, können sowohl Individualnamen von Sklaven als auch cognomina sein, die von Freigelassenen getragen wurden. In einem Fall las Egger „Odenatus“, ein ur74 75 76 77 78 79

Graßl 2006a, 652 f. Vgl. zu den Ambossformen vom Magdalensberg Dolenz 1998, 162–165 Taf. 50, W14–W21. Graßl 2006a, 652. Egger 1961, 17 Nr. 246; Vlcek 2013, 150 Nr. 320. Egger 1961, 6 f. Nr. 4 mit Parallelen zum Gebrauch des Verbums; Vlcek 2013, 85 Nr. 81. Vgl. Gostenčnik 2012, 276 Abb. 9, 3, Rest eines Frauennamens und Grußformel ---]Δ̣ΑΓΙΑΙ ΧΑΙΡЄΙΝ; die Buchstaben tragen stärker kursive Züge als Nr. 4 von der Westwand in OR/23; dieser Neufund kam im Bereich der Unteren AA-Bauten unter weiteren Putzstücken mit Graffiti zutage. 80 Egger 1961, 22–27; Kakoschke 2012, passim.

Die Händlergraffiti aus „Alt-Virunum“

71

sprünglich palmyrenischer Name.81 Selten sind duo oder tria nomina wie Aulus Pontius oder Lucius Opaius Verrucosus. Unter den Namen begegnen keine von Frauen. Aus annähernd 70 Inschriften, vor allem Grabinschriften, und zahllosen Graffiti auf den unterschiedlichsten Schriftträgern sind die Namensformulare der Bevölkerung aus der Stadt auf dem Magdalensberg relativ gut fassbar; diese zeigen eine sehr heterogene Zusammensetzung, die von römischen BürgerInnen und freien Peregrinen über Freigelassene bis hin zu SklavInnen reicht und lateinische, keltische und griechische Namen überliefert.82 Namen von Händlern und Angehörigen von Handelsfirmen aus Aquileia wie die Barbii und Poblicii, die, neben Grabsteinen von vor Ort Verstorbenen, besonders in der Widmungsinschrift des Jünglings vom Magdalensberg vorkommen, zeigen die Verflechtungen im Handel mit dem Süden deutlich auf.83 Aus Graffiti auf Keramik ist die Handelsfirma der Titi Kanii auf dem Magdalensberg gut belegt; sie importierten große Mengen an Tafelgeschirr, aber auch Lebensmittel in Krügen und Amphoren in die Stadt und waren mit dem Export von Metallwaren befasst.84 Diese Gentilizien treten unter den 27 aus den Warengraffiti in OR/23–OR/26 nicht in Erscheinung. Die Angaben von Stückzahlen der Waren und die wenigen Hinweisen auf das Gewicht einer Warenmenge „(librae) p(ondo)“ hat Rudolf Egger bereits ausführlich ausgewertet. Die Bemerkung, dass Waren in der Antike nach Gewicht und nicht nach Stückzahlen verkauft wurden,85 lässt sich mit den Graffiti aus OR/23 und OR/26 relativieren, da zu häufig Stückzahlen vorkommen, die durch fünf oder zehn teilbar sind, was das Wiegen allein nicht erklärt: von 52 Zahlenangaben, die durch fünf teilbar sind, hält Egger nur bei 14 die Graffiti für beschädigt und daher die Zahlen für unvollständig; von 143, die durch zehn teilbar sind, sind laut seiner Dokumentation 59 Zahlen beschädigt. Dass ein solches gezähltes Warenpaket aus gewogenen Einzelstücken besteht, schließen die Zahlen natürlich nicht aus. Hinzu kommen noch sechs Zahlenangaben, die vollständig sind und nicht auf fünf oder zehn enden: Nr. 27, 393; Nr. 156, 118; Nr. 196, 513; Nr. 222, 166; Nr. 226, 513; Nr. 264, 18. Anders als beim römischen Maß- und Gewichtssystem basiert die Zählung in den Graffiti auf dem Dezimalsystem, teilbar durch V und X. Die größten Mengen sind unter den anuli (510 bis 575) und unci (510 bis 610) zu finden;86 wenn beide gemeinsam vorkommen, stimmt die Anzahl teilweise überein bzw. es überwiegt meist die Anzahl der anuli. Wie diese Ringe und Ha81 Egger 1961, 17 Nr. 249. 82 Vetters 1954; Piccottini – Vetters 2003, 133–148. 83 Vgl. Anm. 4 bzw. CIL III 4815 + p. 2328/44; zu den Barbii Šašel 1966 und Zimmermann 2018; Poblicii bei Hainzmann 2000; weiter ausholend jetzt Gregoratti 2015 und Zimmermann 2017. 84 Zabehlicky-Scheffenegger 1985, NG/34, frühclaudisch; Piccottini 1990, 81–85. 85 So unter anderem Graßl 2005, 35 bezüglich der Zahlung in Gold; eine Zahlungsabwicklung, die sich am Geldbetrag und nicht an der Warenmenge orientierte, lässt sich aus den Graffiti nicht verallgemeinernd ablesen. 86 Vgl. Egger 1961, 30–32.

72

Kordula Gostenčnik

ken beschaffen gewesen sind bzw. welchen Zweck sie erfüllt haben könnten, bleibt unklar. Die cumbae kommen von 110 bis 170 Stück vor, die disci in zwei Kategorien von 110 bis 175 und von 500 bis 575. Bei Kombinationen (Tabelle 2) mit anderen Waren zeigen unci 500 bis 575 Stück. Nur fünf Graffiti enthalten Gewichtsangaben, beide Male bei den secures (Abb. 8, 9. 27, s. o.) mit zweieinhalb und elf Pfund, einmal bei cumbae (Abb. 8, 12) mit 15 Pfund, weiters einmal bei disci (Abb. 8, 25) mit elf Pfund sowie einmal unvollständig bei einer nicht erhaltenen Ware (Nr. 34), die Egger zu „[X]XV“ Pfund ergänzte. Alle übrigen Warengattungen sind mit Stückzahlen genannt. Wie Händlermagazine auf dem Magdalensberg bestückt waren, zeigen die niedergebrannten Warenlager von OR/1–OR/2, NG/34 und SH/4–SH/5.87 Besonders in SH/4–SH/5 kamen im frühclaudischen Brandschutt große Mengen an Terra sigillata und anderem Tafelgeschirr, weiters Bronzegefäße, Fibeln, einige Bronze- und ein Eisenbarren, Glas- und Eisenwaren oder 14 Beinwürfel zutage, die uns einen Eindruck von dem vermitteln, was dort – allerdings für den Detailverkauf – magaziniert war.88 OR/23–OR/26 wurden zum Zeitpunkt Ihrer Nutzung als Warenmagazine von den Inhabern, deren Personal, den Zulieferern und den in den Graffiti genannten Kunden frequentiert und waren wohl nur kontrolliert zugänglich. Abdrücke im Putz zeigen die Stelle der hölzernen Stiegen an deren Südmauern; die Waren mussten daher über die Stiegen hinunter- oder hinaufgeschafft werden, sofern sie nicht auch anderswo lagerten. Der Großteil der Graffiti ist in bequemer Augenhöhe von 1,5 m bis 1,6 m und darüber zu finden; die Wände waren bei deren Anbringung also nicht von Waren verstellt. Die Gaffiti zeigen wenige Eigenheiten (Abb. 8–9): „e“ ist durchgehend zweistrichig, das „a“ wird als kapitales „A“ oder mit schräger bzw. ohne Querhaste geschrieben, „d“ manchmal als „d“ (vgl. Nr. 181 und 237); „f“ ist zweistrichig oder ein Strich mit kleinem Haken (Nr. 9), „b“ kommt als „b“ vor (Nr. 9). Ligaturen sind kaum vorhanden, die Interpuktion ist zweimal angegeben (Nr. 203. 292). Das Anbringen der Graffiti erfolgte vermutlich nur durch Inhaber oder Personal. Der sehr ebenmäßige Schriftduktus rührt wohl auch davon her, dass die Inschriften freihändig abgezeichnet sind, was vielleicht zu einem „geschönten“ Schriftbild geführt hat (vgl. Abb. 6, 23. 28; 8, 23. 28). Es kommen kaum „Schreibfehler“ vor, ein Hinweis für gut geübte Schreibende, die im Handel tagtäglich schriftliche Notizen anfertigten, wenn auch auf anderen Medien. Der harte Wandputz ließ sich sicher nur mit Metallstili von geübter Hand beschriften; die vielen Schreibgriffel vom Magdalensberg – publiziert sind 526 Exemplare aus Eisen, Bein und Bronze – geben beredtes Zeugnis über das hohe Maß an Literalität und Schriftkultur in einem Handels- und Verwaltungszentrum der späten Republik und frühen Kaiserzeit.89 87 Moßler 1969; Zabehlicky-Scheffenegger 1998; Sedlmayer 1998; Dolenz 1998, passim; Gostenčnik 2005, Taf. 40. 78, 4. 88 Vgl. den Grabungsbericht bei Piccottini 1998b, 47–75. 89 Öllerer 1998; Gostenčnik 2005, 37–78.

Die Händlergraffiti aus „Alt-Virunum“

73

Ein vergleichbares Phänomen der jüngeren Vergangenheit ist im Museo Archeologico Nazionale von Altino an der oberen Adria bewahrt, das in einem ehemaligen Lagerhaus für Reis untergebracht ist und Teile der Wände mit dem Bestand an Bleistiftgraffiti aus dieser Zeit zeigt. Vielfach sind Namen mit einem genauen Datum versehen, teils noch aus dem 19. Jahrhundert, aber auch Notizen zu Reissorten sind lesbar, weiters mehrere Kolumnen mit Zahlen und Rechenoperationen, und es finden sich auch einige Karikaturen darunter. Das Nebeneinander von berufsbezogenen und privaten Graffiti gewährt eine reizvolle Sicht auf die ehemals dort beschäftigte Arbeiterschaft. SCHLUSSBETRACHTUNG Die Händlergraffiti aus OR/23 und OR/26 bieten direkte Einblicke in die Warenlager römischer Händler, lassen aber viele Fragen offen, so deren chronologische Abfolge oder die Zweckbestimmung der vielen anuli und unci, die Absatz in großen Mengen fanden. Man würde sich mehr Information zu den Preisen im Warenverkehr erwarten; diesbezügliche Angaben fehlen aber bzw. sind nur in fünf Fällen als allgemeiner Hinweis für Gold als Zahlungsmittel vorhanden. Einige der Graffiti erfuhren in der jüngeren Vergangenheit weitere mögliche Lösungsvorschläge. Da die Wände mehrmals übertüncht sind, können die Notizen nicht viel mehr als kurzzeitige Gedächtnishilfen gewesen sein, deren Erhaltung von den Ausführenden selbst nicht auf Dauer angelegt wurde. Die Inventare der Händler und deren Schriftverkehr sowie vor allem Vertragsurkunden mussten ohnehin gesichert auf Wachstäfelchen oder anderen Schreibstoffen festgehalten werden. In keinem Fall ist eine Ritzung ausgestrichen worden, um einen Geschäftsvorgang als abgeschlossen zu vermerken; dies mag ihre Nebensächlichkeit unterstreichen, denn die Graffiti sind wohl über mehrere Jahre hinweg entstanden und bei erneutem Platzbedarf einfach übertüncht worden. Die originalen Ritzinschriften aus OR/23 und OR/26 konnten nicht erhalten werden; eine Überprüfung ist daher nicht mehr möglich. Für die Handelsgeschäfte in der Stadt „Alt-Virunum“ auf dem Magdalensberg sind sie jedoch eine bedeutende Ergänzung zu archäologischen und weiteren epigrafischen Quellen, und ihr Aussagewert bleibt, trotz der fehlenden Originale, auf jeden Fall von herausragender Bedeutung für das Wirtschaftsleben in der frühen Kaiserzeit.90

90 An dieser Stelle danke ich Dr. Eleni Schindler-Kaudelka (Graz) für den Hinweis zu Altino und Dr. Susanne Zabehlicky-Scheffenegger (Wien) für die Durchsicht des Manuskripts und für Ergänzungen.

74

Kordula Gostenčnik

ENGLISH ABSTRACT In the late Republican/early Imperial town on the Magdalensberg (Carinthia, southern Austria), which flourished in between approximately 50 BC and AD 50, systematic excavations were conducted annually from 1948 onwards until 2011. They yielded enormous amounts of graffiti on pottery, lead-labels and different kinds of small finds as well as on the whitewash of walls and on wall paintings. Those graffiti were published extensively in the excavation reports and numerous further studies, and they are highly appreciated as local written sources for the understanding of the town’s history and economy. Owing to this, the “Magdalensberg bibliography” comprises a considerable corpus of “minor inscriptions” which are accessible for further analyses. In 1960 the walls of the basement storerooms OR/23 and OR/26 in the northeast of the town’s forum produced 301 graffiti, at the latest deriving from the times of Emperor Tiberius (AD 14–37). The contents of the inscriptions give evidence of trade in local goods, mostly merchandise made from metal. In particular the details refer to the category and quantity of commodities, date, payment, destination of delivery, wholesale quantities, and, above all, customers’ names. Thin layers of whitewash covered the walls and into these the graffiti were scratched by means of iron stili. As the OR/23 walls wore paintings previous to this, it was considered as essential to recover them, but unfortunately the top layer had to be destroyed to be able to do so. However, Rudolf Egger meticulously recorded the graffiti and a number of them could also be preserved on photographs; the whole corpus, written in Latin with the exception of one in Greek, was published by him in 1961. Until today it is an unmatched source for the understanding of commercial activities in the Eastern Alps in early Roman times and for the distribution of imported and locally produced merchandise made from metal.

76–87

1–75; 341

Katalog Nr.

88–133

OR/23 Ostwand 134–141

OR/23 Südwand

1

2

cumbae

1 1+cadi+unci

6 2+unci 1+disci

1

2

1+? 2+anuli 1+cadi

anuli

incudes

secures

unci

2 3+anuli 1+cumbae+anuli

4 1+cumbae 3+unci 1+cumbae+unci

3

1 1+anuli 1+anuli+unci

OR/23 Ostwand

2 1+cumbae

2

1+unci

OR/23 Südwand

2 1+disci 1+anuli 1+cumbae+anuli

5 1+disci 1+unci 1+cumbae+unci

4 1+anuli 1+unci

1+anuli+unci

OR/26 Westwand

142–160

OR/26 Westwand

9 7+anuli 1+disci+anuli

1 1+disci 2+unci 1+disci+unci

14 1+? 2+cumbae 2+disci 7+unci 1+disci+unci

8 2+disci 2+anuli 1+disci+anuli

1+urcei

5 1+anuli 2+unci 1+anuli+unci

1+incudes

1

1

OR/26 Ostwand

220–265

OR/26 Ostwand

2 1+cumbae 2+anuli 1+anuli+unci

2 2+anuli 1+disci

OR/26 Nordwand

161–219

OR/26 Nordwand

Tabelle 2: Magdalensberg. Häufigkeit der Nennung von Waren und deren Kombinationen nach Räumen und Wänden.

1 1+cadi+anuli

5

disci

6 1+anuli

urcei

scifi

1 1+anuli+unci

1/1 1+unci

OR/23 Nordwand

cadi / κάδια

OR/23 Westwand

Tabelle 1: Magdalensberg. Verteilung der Graffiti nach Räumen und Wänden.

OR/23 Nordwand

OR/23 Westwand

Position

1+disci+anuli

3 1+disci+unci

4 1+anuli+unci

1

3

OR/26 Südwand

266–300

OR/26 Südwand

Die Händlergraffiti aus „Alt-Virunum“

75

ALLTAGSSKIZZEN AUS APHRODISIAS Angelos Chaniotis WAS SIND GRAFFITI? Graffiti sind eingeritzte, eingemeißelte oder bemalte Texte und Bilder, die sich auf Gegenständen befinden, die nicht primär die Funktion des Trägers von Texten oder Bildern hatten.1 Eine auf einer Stele oder der Wand eines öffentlichen Gebäudes von einem Finanzbeamten aufgezeichnete Abrechnung eines Festes ist ebensowenig ein Graffito wie eine Abrechnung auf einem Ostrakon; wenn sich aber eine solche Abrechnung auf der Wand eines Hauses in Ephesos befindet, wo sie nichts zu suchen hat,2 dann können wir von einem Graffito sprechen. Ebensowenig sind Töpfersignaturen oder Legenden auf Fresken oder Vasenbildern Graffiti. Aber ein gekritzelter Text auf einem Gefäß nach seiner Fertigstellung, ein unautorisierter Text auf der Wand eines Theaters oder eine bemalte Inschrift oder bildliche Darstellung auf einer Säule gehören zur Gattung der Graffiti. Kreuze oder Menoroth auf für Christen bzw. Juden produzierten Lampen sind keine Graffiti; die gleichen religiösen Symbole zählen jedoch zu den Graffiti, wenn sie z. B. auf einer Säule oder einer Bodenplatte angebracht sind, die nicht primär als Träger von solchen Bildern gedacht war. Mit dieser Definition als Ausgangspunkt werde ich kurz einen Überblick über die Graffiti von Aphrodisias und ihren Kontexten geben. GRAFFITI IN APHRODISIAS: WANN UND WO? Aphrodisias war vom späten 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. eine der wichtigsten Städte Kleinasiens.3 Namen und Ruhm verdankte sie dem Heiligtum einer anatolischen Göttin, die mit der griechischen Aphrodite identifiziert wurde. Die Bündnistreue gegenüber den Römern während der Kriege der späten Republik verschaffte der Stadt politische und wirtschaftliche Privilegien. Aphrodisias wurde im späten 1. Jahrhundert v. Chr. und im 1. Jahrhundert n. Chr. mit prächtigen Bauten ausgestattet, die den heutigen Besucher beeindrucken, wie etwa das Theater, das Bouleuterion (Sitz des Rates, später Odeion), das Stadion, ein dem Kaiserkult gewidmeter Baukomplex (Sebasteion), Badeanlagen und ein 1 2 3

Zur Definition von Graffiti s. Langner 2001, 12; Chaniotis 2011, 193–196. Z. B. SEG LV 1172. 1181. 1188. 1189. 1191. 1199. 1241; SEG LX 1184. 1185. 1187–1190. Zur frühen Geschichte von Aphrodisias s. zuletzt Chaniotis 2010; zu Aphrodisias in der Spätantike s. Roueché 1989.

78

Angelos Chaniotis

von Hallen umgebener und mit einem großen Becken und einem Palmenhain ausgestatteter Stadtpark, der in der älteren Literatur als ,,South Agora“ bekannt ist (Abb. 1).4 Ein fruchtbares Territorium und Marmorsteinbrüche machten die Stadt der Aphrodite zu einem blühenden urbanen Zentrum. Noch vor dem Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. wurde Aphrodisias Hauptstadt der Provinz Karien. Diese Stadt war von Menschen bewohnt, die gelebt und gearbeitet, sich gestritten und verliebt haben und die Wände der öffentlichen Bauten, die Säulen und die Sitzplätze der Versammlungsorte und die Steinplatten der gepflasterten Straßen mit Zeichnungen, Schlagworten, Spielbretten, ihren Namen und kurzen Texten überfüllt haben. Nur wenige andere Städte in Kleinasien, vor allem Ephesos und Smyrna,5 haben eine derart große Zahl von Graffiti wie Aphrodisias. Die meisten auf Wandputz eingeritzten oder mit Tinte oder Kohle aufgetragenen Texte und Bilder sind zusammen mit dem Putz verloren gegangen. Nur aus dem Bouleuterion stammt eine kleine, aber repräsentative Gruppe, die sich in die spätantike Phase der Stadt datieren lässt.6 Aber Hunderte von eingeritzten und eingemeißelten Texte und Bilder sind an mehreren Orten erhalten, vor allem im Theater, im Stadtpark und im Sebasteion. Das Studium von Graffiti ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, und die Graffiti von Aphrodisias bilden keine Ausnahme. Oft sind die Texte und Bilder nicht klar zu erkennen; ihre Datierung lässt sich nicht leicht bestimmen; und die Bedeutung geht nicht immer aus Text und Bild unmittelbar hervor. Man kann ganz allgemein feststellen, dass die meisten Graffiti aus den späten Phasen der Bauten (ca. 4.–7. Jahrhundert n. Chr.) stammen, aber eine genauere Datierung ist sehr selten möglich. WAS UND VON WEM? Die Graffiti von Aphrodisias sind vielfältig:7 obszöne Texte und Bilder, Gebete, Akklamationen, Liebeserklärungen, Namen, vereinzelte Buchstaben, religiöse Symbole (Kreuze, Menoroth, Doppeläxte) und Darstellungen von Gladiatoren, Schaustellern, Tieren, Gesichtern, rudimentären Menschengestalten, Bauten und Kunstwerken. Im Falle von Spielbrettern, Platzreservierungen und Maßeinheiten dürfen wir nur mit Einschränkungen und Vorbehalten von Graffiti sprechen. Denn solche Texte und Bilder erfüllten in der Regel eine sehr konkrete Funktion am Ort ihrer Anbringung – einem Ort der Unterhaltung oder des Geschäftes.8 Aber wegen ihres inoffiziellen Charakters, der im Fall der Spielbretter klarer als in den anderen 4 5 6 7 8

Zur Topografie und Baugeschichte s. Ratté 2008; für die Ergebnisse der jüngsten Ausgrabungen s. Smith 2016 (mit älterer Bibliografie). Ephesos: Taeuber 2005; id. 2010a; id. 2010b. Smyrna: Bagnall u. a. 2016. Roueché 1993, 38–42. Für einen Überblick s. Roueché 1989, 119–122. 155–159. 172–190. 219–243. 245–247; id. 1993, 31–43. 72. 84–119; Chaniotis 2009; id. 2011; id. 2015a; id. 2015b. Spielbretter: s. u. Anm. 15. Platzreservierungen: s. u. Anm. 13. Maßeinheiten: Chaniotis 2011, 202 m. Abb. 10.4.

Alltagsskizzen aus Aphrodisias

79

Fällen ist, dürfen wir sie zu den Graffiti zählen. Steinmetzzeichen, von denen auch einige Hunderte in Aphrodisias registriert worden sind, sind aber eine andere Gattung inoffizieller Texte. Die sehr große Zahl von Graffiti in Aphrodisias ist bemerkenswert. Ich kann keine andere Erklärung für Zahl, Vielfalt und manchmal hohe Qualität der bildlichen Graffiti finden, als dass sie mit den künstlerischen und handwerklichen Tätigkeiten eines großen Teils der Bevölkerung, die etwa das Theater oder den Stadtpark mit ihrem Handwerkzeug besuchte, zusammenhängt. Zwei Graffiti stammen z. B. vom Vorsitzenden des Berufsvereins der Goldschmiede, Theodotos, auch Kolotron genannt.9 Bis zum Beweis des Gegenteils stammen die Graffiti von Männern, und zwar von Männern der niederen sozialen Schichten; zu diesem Ergebnis führen auch andere Überlegungen (z. B. Schreibfehler, der Inhalt einiger Texte), auf die ich in diesem Aufsatz nicht eingehen kann. AUF DER SUCHE NACH KONTEXTEN Antike Graffiti werden nur verständlich, wenn sie in größeren Gruppen studiert werden können. Zum Glück können wir in Aphrodisias mehrere solche größere Gruppen untersuchen. Die wichtigsten sind Graffiti, die mit der Unterhaltung zusammenhängen und größtenteils von Charlotte Roueché gesammelt und publiziert wurden.10 Eine weitere Gruppe von Graffiti, die kontextualisiert werden können, sind bildliche und textliche Graffiti aus der Zeit der religiösen Auseinandersetzungen der Spätantike. Sie stammen von Christen, Juden und den letzten Verehrern der alten Götter.11 Die spätantiken Akklamationen, am häufigsten für Stadt, Vereine und CircusMannschaften, sind bereits von Charlotte Roueché größtenteils publiziert worden.12 Von Roueché sind ferner viele Platzreservierungen (oder ToposInschriften) gesammelt und studiert worden;13 für beide Gruppen gibt es neuere Funde. Leicht zu erkennen sind ferner Graffiti mit Szenen aus dem Umfeld der Gladiatorenkämpfe und der venationes: Darstellungen von Gladiatoren (vor allem im Theater) sowie Darstellungen von wilden Tieren.14 Schließlich findet man überall in Aphrodisias Spielbretter verschiedener Typen,15 deren systematische Registrierung noch aussteht. 9

10 11 12 13 14 15

Das erste Graffito befindet sich auf einem Sitzplatz im Theater: Roueché 1993, 112 Nr. 46 J m. Taf. xvi. Das zweite Graffito (unpubliziert) ist auf einer Sitzplatte des Beckens am Stadtpark 2016 gefunden worden. Roueché 1993, 31–43. 72. 84–119. Roueché 1989, 119–122. 155–159. 172–190. 219–243. 245–247; Chaniotis 2002a; id. 2002b; id. 2008; id. 2015b. Roueché 1989, 120. 122. 184 f. 223–228. 245; id. 1993, 31–38. 42. 86. 97. 101 f. 104 f. 108. 112. 114–116. Roueché 1993, 85–119. Chaniotis – De Staebler 2018. Roueché 2007.

80

Angelos Chaniotis

Abb. 1: Stadtplan von Aphrodisias (Aphrodisias Archive/New York University).

Alltagsskizzen aus Aphrodisias

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In allen diesen Fällen ist es möglich, den Kontext einigermaßen zu bestimmen und somit die Graffiti als historische Quellen auszuwerten. In diesem Aufsatz werde ich exemplarisch einige interessante Vertreter zweier weiterer Gruppen präsentieren. Die eine, obszöne Texte und Bilder, gehört zu einer an allen Orten verbreiteten Gattung von Graffiti. Die andere, Darstellungen von Bauten und Objekten, die ihre Hersteller vor Augen hatten, stellt ein eher seltenes, aber interessantes Phänomen dar. STADTSKIZZEN Es ist bekannt, dass die Hersteller von Graffiti oft das darstellten, was sie erlebt oder gerade vor Augen hatten, z. B. einen Gladiatorenkampf, ein Kunstwerk oder ein Gebäude.16 Aphrodisias bietet einige interessante Beispiele für diese Praxis. Darstellungen von Gladiatoren, einem Seiltänzer und anderen Schaustellern hängen mit Sicherheit mit Szenen zusammen, die die Hersteller der Graffiti erlebt hatten.17 Unter den Graffiti, die auf der Wand des Korridors hinter der Bühne des Bouleuterion/Odeion erhalten sind, befinden sich mehrere Darstellungen von Statuen und Wasserorgeln.18 Auf einer Säule der Halle vor den Theater-Thermen ist eine sorgfältig eingravierte Darstellung einer christlichen Kirche oder eines Schreins zu sehen.19 Die Skizze eines Gebäudes mit Giebel (des in eine Kirche umgewandelten Tempels von Aphrodite?) sieht man auf einer Platte der südlichen Stylobats des Tempels von Aphrodite.20 Auf der Außenseite der spätantiken Stadtmauer (westlich von Turm 21) ist eine Skizze zu sehen, die Peter De Staebler treffend als Grundriss eben dieser Stadtmauer gedeutet hat (Abb. 2 und 3).21 Die Zeichnung ist sehr präzise; sie zeigt auch den Theaterhügel. Ihr Hersteller muss genaue Kenntnis des Bauwerkes gehabt haben; er war vermutlich ein Architekt oder Bauarbeiter. Unweit dieser Skizze sieht man das Wort ὀρθόν (Abb. 4), das man als Akklamation für eben dieses Bauwerk verstehen muss: „(möge die Mauer) aufrecht (bleiben).22

16 Z. B. Langner 2001, Nr. 1003–1056 (Gladiatorenkämpfe). 1228 (Göttin im Naiskos). 2278 (Tempelfassade in Didyma). 2280 (Bühnengebäude in Milet). 2304 (Tor, Dura-Europos). 17 Gladiatoren: Roueché 1993, 109 Nr. 46H Reihen 3–4. 110 Nr. 46H Reihe 9; Langner 2001, Nr. 855. 858. 908. 912. 916 (?). 980. Athlet: Roueché 1993, 111 Nr. 46J Reihe 3; Langner 2001, Nr. 761; s. auch Chaniotis – De Staebler 2018. Seiltänzer: Roueché 1993, 36 Nr. 8 b ii; Langner 2001, Nr. 1154. Schausteller: Roueché 1993, 41–42; Langner 2001, Nr. 1144. 18 Statuen: Langner 2001, Nr. 2348–2350 (von Roueché 1993, 41 f. als Darstellungen von Pantomimen gedeutet). Wasserorgeln: Langner 2001, Nr. 2364–2369. 19 Langner 2001, Nr. 1238. Eine ähnliche Darstellung ist 2015 auf einem Block in der Nähe des Sebasteions registriert worden. 20 Chaniotis 2011, 200 m. Abb. 10c. 21 De Staebler 2008, 311 Abb. 34; Chaniotis 2011, 199 f. 22 Registriert im Sommer 2003. Lage: Stadtmauer, Südseite, zwischen der Südostecke und Turm 21, links von einem publizierten Monogramm (Roueché 1989, 240 Nr. 210 ii); Buchstabenhöhe: 6–9 cm; erwähnt in Chaniotis 2011, 200 m. Abb. 105d.

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Abb. 2: Skizze des Umrisses der Stadtmauer auf der Außenwand der Mauer (Südseite). Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. (Foto: A. Chaniotis).

Abb. 3: Projektion des heutigen Plans der Stadtmauer auf einem Graffito mit dem Umriss der Mauer (Foto: P. De Staebler).

Abb. 4: Graffito auf der Außenseite der Stadtmauer (Südseite): „ὀρθόν“ (aufrecht) (Foto: A. Chaniotis).

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Eine im Atrium nördlich des hadrianischen Bades vorgelagerte Zisterne war im Altertum mit Statuen dekoriert worden. Auf der Oberfläche ihrer Beckenbegrenzung (Ostseite) sieht man eine Zeichnung und den Namen Patrikios im Genitiv (Abb. 5).23 Der Name gibt einen Datierungshinweis, denn der Personenname Patrikios ist erst seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. geläufig.24 Es handelt sich um die Zeichnung eines Springbrunnens, der einst die Zisterne dekorierte und von einem Besucher des Bades so gesehen und gezeichnet wurde. Östlich des hadrianischen Bades erstreckt sich der Stadtpark, beherrscht von einem 170 m langen Becken (Abb. 6).25 Auf einer Platte an der Westseite des Beckens registrierte ich eine Zeichnung, die m. E. den Grundriss des Beckens relativ getreu wiedergibt (Abb. 7).26 Interessanterweise gibt die Zeichnung nur etwa zwei Drittel des Beckens wieder. Den Grund kann man nicht (oder, noch nicht) bestimmen. Vielleicht war zum Zeitpunkt der Zeichnung ein Teil des Beckens von Erde oder einer anderen Konstruktion bedeckt.

Abb. 5: Graffiti auf der Zisterne im Hof des Hadrianischen Bades: Darstellung eines Springbrunnens und der Name Patrikios im Genitiv. Ca. 5. Jahrhundert n. Chr. (Foto: A. Chaniotis).

23 24 25 26

Langner 2001, Nr. 2424, als Vase gedeutet; Chaniotis 2011, 199 m. Abb. 10.3. Chaniotis 2002a, 235. Zu diesem Becken s. Wilson – Russell – Ward 2016. Südwest-Seite des Beckens, auf einem Block seiner Innenseite; L. = 56 cm, B. = 35 cm. Für ähnliche Grundrisse s. Langner 2001, Nr. 2327–2330 (Zirkuse).

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Abb. 6: Das Becken im Zentrum des Stadtparks (,,South Agora“) im Sommer 2016 (Foto: A. Chaniotis).

Abb. 7: Der Grundriss des Beckens im Stadtpark. Graffito auf einer Platte des Beckens (Foto: A. Chaniotis).

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Auf mehreren Platten und Sitzplätzen des Beckens erkennt man Zeichnungen von Vögeln – darunter auch die eines Pfaus –, die uns einen Eindruck von der Fauna des mit einem Palmenhain ausgestatteten Stadtparks geben. Auf einem Sitzplatz27 sieht man die sehr einfache Zeichnung eines großen Fisches (Abb. 8). Es ist unwahrscheinlich, dass solch ein Fisch im Becken schwamm; vielleicht wird hier eine Plastik dargestellt, die als Speier diente. Eine ähnliche Skulptur, die einen auf einem Delphin reitenden Knaben zeigt, ist am Ostende des Beckens gefunden worden.28

Abb. 8: Graffito auf einem Sitzplatz des Beckens im Stadtpark: Darstellung eines Fisches (Foto: A. Chaniotis).

Vielleicht können wir mit Hilfe von solchen Graffiti auch einen Eindruck davon gewinnen, wie das Areal mit Skulpturen geschmückt war. Der Stadtpark war an drei Seiten von Säulenhallen umgeben. Die Säulen der Westhalle sind vor allem durch die inschriftlich bezeugten Akklamationen für den Wohltäter Albinus bekannt, der im späten 5. oder frühen 6. Jahrhundert n. Chr. die Halle restaurierte.29 In der Nähe von zweien dieser Akklamationen sieht man zwei eingravierte Darstellungen (Abb. 9 und 10).30 Die Erkenntnis, dass Darstellungen dieser Art manchmal Objekte wiedergeben, die vor Ort zu sehen waren, erlaubt m. E. ihre

27 28 29 30

Nordseite, Innenseite des Beckens, 43. Platte (gezählt von Osten nach Westen). Wilson 2016, 116 m. Abb. 7.21. Roueché 1989, 125–136. Erwähnt von Roueché 1989, 128 f. (unter Nr. 83 xiv und xx): ,,a small naked female figure – perhaps Tyche?“ und ,,a small seated male figure, holding something in each hand“. Die zweite Figur identifiziert Roueché (1989, 136) sehr zurückhaltend mit Albinus: ,,a small figure, perhaps representing Albinus“.

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Deutung. Ihre Hersteller haben etwas festgehalten, was sie vor Augen hatten: zwei Statuen, die den Stadtpark oder seine nähere Umgebung dekorierten. Die eine Statue (Abb. 9) zeigt eine nackte Figur mit gehobenen Armen. Die Haltung der Arme erinnert zwar an die Statue des Diadoumenos von Polyklet; aber die Haltung der Beine und zwei kleine runde Eintiefungen an der Stelle der Brüste erlauben es wohl, die Figur mit Aphrodite Anadyomene zu identifizieren. Eine Statue der Göttin war entweder am Stadtpark oder vor dem hadrianischen Bad aufgestellt.31 Die zweite Darstellung (Abb. 10) zeigt eine sitzende nackte Figur mit ausgestreckten Beinen und Armen, die zwei Gegenstände hält. Ich hatte an die gelagerte Statue eines Flussgottes gedacht,32 aber Bert Smith wies darauf hin, dass die Haltung der Beine eher zu einem Satyr passe, der vielleicht ein Musikinstrument in der Hand hält. Auch der große und monströs aussehende Kopf sprechen für diese Deutung. Selbst wenn wir über die Art der Skulpturen keine Sicherheit gewinnen können, gewinnen wir dank der Graffiti einen Eindruck von der Ausstattung des Stadtparkes. Die systematische Registrierung der Graffiti, die 2018 abgeschlossen werden soll, wird sicher mehr Erkenntnisse bringen.

Abb. 9: Graffito auf einer Säule der Westhalle des Stadtparks: Aphrodite Anadyomene (?) (Foto: A. Chaniotis).

Abb. 10: Graffito auf einer Säule der Westhalle des Stadtparks: Statue eines sitzenden Satyrs (?) (Foto: A. Chaniotis).

31 Für eine im Palmenhain des Stadtparkes aufgestellte Aphrodite-Statue s. MAMA VIII 448 = IAph2007 12.204 (1./2. Jahrhundert n. Chr.): ἀνέθηκε τὸν Ἑρμῆ καὶ τὴν ἐπίχ[ρυ]σον Ἀφροδείτην. 32 Für eine solche Statue, die das Nymphäum am Ostende des Stadtparkes dekorierte, s. Erim 1989, 111 m. Abb. 145.

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APHRODISISCHE OBSZÖNITÄTEN Obszöne Texte und Bilder sind eine der gewöhnlichsten Gattungen von Graffiti. Einige Texte und Phallus-Darstellungen waren bereits von Charlotte Roueché registriert worden.33 Im Rathaus/Odeion war die mit Pflaster bedeckte Wand des Korridors hinter der Bühne voll von Graffiti. Sie lassen sich nicht immer leicht lesen, aber ein Text ist unmissverständlich: ,,Karmidianos ist eine Tunte“ (Καρ[μ]ιδιανὸς / παθηκός).34 Auf einigen Sitzplätzen des Theaters findet man Graffiti mit dem Verb πυγίζω („in den Arsch ficken“), dem wir auch wieder begegnen werden, sowie die stolze Ankündigung: ,,Ich bin ein Arschficker“ (ἐγὼ πυγιστὴς / εἶμε).35 Zu diesen Texten und Bildern sind einige Neufunde hinzugekommen.36 Ich präsentiere hier nur zwei Beispiele aus dem Bereich des Stadtparks, deren Kontext einigermaßen bestimmt werden kann. Auf einem Sitzplatz auf der Südseite des Beckens erkennt man einige Buchstaben innerhalb eines sechsgeteilten, kreisförmigen Spielbrettes (Abb. 11). Den Text lasen Joyce Reynolds und Charlotte Roueché wie folgt:37 ΥΓΙ ΟΕΥ ΟΙΣ

Δουλκιτιαν̣ο̣ῦ̣

Eine neue Untersuchung im Sommer 2014 erlaubte eine bessere Lektüre: [Π]υγί/[ζει] ὁ Εὐ/[σέ]βις // Δουλ/κίτιν („Eusebios fickt Dulcitius in den Arsch“). Es kann kaum Zweifel daran bestehen, dass Dulcitius kein anderer als der Statthalter von Karien im späten 5. Jahrhundert n. Chr. war, in dessen Amtszeit der Osteingang des Stadtparks restauriert wurde; dafür wurde Dulcitius geehrt.38 Das Graffito befindet sich direkt gegenüber diesem Bauwerk; der Name Dulcitius ist in Aphrodisias sonst nicht belegt; und die Buchstabenformen führen zu einer Datierung in die Spätantike. Die Inschriften zu Ehren des Dulcitius weisen keine christlichen Elemente (Text, religiöse Symbole) auf; im Gegenteil wird der Statthalter als Veranstalter von Wettkämpfen und des von den Kirchenvätern kritisierten Festes Maioumas gepriesen (τὸν καὶ ἀγωνοθέτην καὶ κτίστην καὶ φιλότιμον καὶ Μαϊουμάρχην). Ursprünglich in Syrien gefeiert, war dieses Fest in der späten Kaiserzeit auch in Kleinasien beliebt und ist, trotz rechtlichen Einschränkungen, bis ins 8. Jahrhundert belegt.39 In Aphrodisias fand der Maioumas eben in diesem Stadtpark statt.

33 Roueché 1993, 105 Nr. 46E Reihe 16. 107 Nr. 46G Reihe 18. 111 Nr. 46J Reihe 4; Langner 2001, Nr. 1291. 34 Roueché 1993, 39 Nr. 11A i. 35 Roueché 1993, 100 Nr. 46A Reihen 6 und 8; 113 Nr. 46K Reihe 9. 36 Chaniotis 2011, 204 f. m. Abb. 10.6. 37 Roueché 2007 und IAph2007 4.6 iii. 38 Die Inschriften für den Statthalter Dulcitius: Roueché 1993, 68–73 Nr. 39–40. 39 Roueché 1993, 72 f.

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Abb. 11: Spielbrett mit obszönem Graffito auf einem Sitzplatz des Beckens (Foto: A. Chaniotis).

Die Zeit der Statthalterschaft des Dulcitius war von religiösen Auseinandersetzungen dominiert.40 Im späten 5. Jahrhundert n. Chr. wurde der Tempel der Aphrodite zu einer christlichen Kirche umgebaut. Trotzdem erlebte die Verehrung der alten Götter in Aphrodisias eine Renaissance, während die Christen durch dogmatische Auseinandersetzungen gespalten waren; auch die größte Blüte einer jüdischen Gemeinde fällt eben in diese Zeit. Die Akklamationen für Albinus auf den Säulen der Halle am Westende des Parks (s. o.) bezeugen die Feindschaft zwischen Christen und Nicht-Christen: ,,In der ganzen Welt gibt es nur einen Gott“; offenbar waren nicht alle dieser Meinung. ,,In den Fluss mit deinen Feinden! Der große Gott möge dies gewähren!”.41 Ähnliche Gedanken drücken die Akklamationen für Kaiser Anastasius (491–518 n. Chr.) aus:42 ,,Sohn des Gottes, gib ihm Leben! Der Glaube der Christen siegt!“. In diesem historischen Kontext könnte das obszöne Graffito gegen Dulcitius möglicherweise eine zusätzliche Dimension haben, zumal der Mann, der den Statthalter ,,in den Arsch fickt“ einen Namen mit

40 Chaniotis 2002b; id. 2008. 41 Roueché 1989, 126 f. Nr. 83 i und xi: εἰς τὸν κόσμον / ὅλον εἷς ὁ Θεός! und Τοὺς ἐχθρούς / σου τῷ ποταμῷ! Ὁ μέγας Θεὸς τοῦτο παράσχῃ. 42 Roueché 1989, 98 Nr. 61 ii: Υἱὲ Θεοῦ, ζ[ωὴν / αὐτ]ῷ! Νικᾷ ἡ πίσ[τις / τῶν ] Χριστιανῶν!

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religiösen Konnotationen hat: Eusebios, ,,der Fromme“.43 Die Wahl eines Spielbrettes für dieses Graffito, das sehr sorgfältig in zwei Segmente des Kreises eingraviert wurde, war natürlich kein Zufall. Das Spielbrett impliziert Unterhaltung und Wettkampf, und dies erhöhte die Wirksamkeit des Witzes auf Kosten des Statthalters. Alle, die das Spielbrett benutzten, konnten den Text lesen. In einer sehr oberflächlichen, wörtlichen Lektüre verraten obszöne Texte etwas über die sexuellen Präferenzen eines Karmidianos oder eines Dulcitius. In Wahrheit benutzten aber ihre Herstellen eine obszöne Ausdrucksweise, um ihre Gegner zu beleidigen und zu erniedrigen. Es ist eine verbreitete Praxis, dem unterlegenen Gegner in einem Wettkampf die passive Rolle im Geschlechtsverkehr zuzuschreiben. Ein in Zypern gefundener Schleuderstein aus Blei trägt z. B. den lakonischen Text: κύε („werde schwanger [hiermit]“).44 Der Erfolg in der Schlacht, d. h. das Treffen des Feindes mit dem Geschoss, wurde mit Geschlechtsverkehr assoziiert. Dahinter steckt eine Idee von Dominanz und Überlegenheit. Bei diesen Graffiti geht es also um Konkurrenz und Macht. Auch das letzte Beispiel gehört in den Bereich der religiösen Konfrontation. Auf einem Sitzplatz des Beckens (Nordseite) registrierte ich 2016 eine Sequenz von fünf Graffiti. Es wurden nacheinander (von Osten nach Westen), vielleicht von unterschiedlichen Personen, zwei Spielbretter, eine Menorah, ein weiteres Spielbrett und dann ein Phallus eingraviert (Abb. 12). Wir registrieren wieder den Zusammenhang zwischen Spiel und Obszönität, Unterhaltung und Konkurrenz, Witz und Aggression. Der Witz scheint diesmal auf Kosten der Juden gegangen zu sein. Dies ist kein vereinzelter Fall in einer Stadt mit einer sehr starken jüdischen Präsenz. Der Name der Hebraioi auf einem Sitz im Bouleuterion ist absichtlich eradiert worden ebenso wie die Darstellung einer Menorah auf einer Säule des Sebasteions.45 Wir können nicht bestimmen, wann dies geschah, aber die religiösen Auseinandersetzungen der Spätantike sind ein wahrscheinlicher Kontext. SCHLUSSBETRACHTUNGEN: GRAFFITI ALS ERFAHRUNG Die wenigen ausgewählten Graffiti, die ich präsentiert habe, verdeutlichen den Quellenwert von Graffiti, wenn sie kontextnah studiert werden können. Ihren Sinn bekommen sie erst unter die Berücksichtigung aller Quellengruppen, schriftlichen und ikonografischen, literarischen und dokumentarischen. Graffiti sind wichtig für eine althistorische Forschung, die sich mit den Erfahrungen, den Träumen und Alpträumen, den Hoffnungen und den Ängsten von Menschen in vergangenen Zeiten beschäftigt. Sie helfen uns, die Althistorie zu einer Geschichte der Emotionen, der Sinne, des Alltags und der Gedankenwelt von Menschen zu machen, deren Stimmen und Erfahrungen in den meisten literarischen Quellen nicht vertreten sind. Die Graffiti, die ich gezeigt habe, beleuchten zentrale Elemente menschli43 Zu den Belegen dieses Namens s. Chaniotis 2002a, 234. 44 Chaniotis 2005, 102. 45 Chaniotis 2002a, 236 Nr. 8. 237 Nr. 18.

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chen Handelns: Erfahrung, Konflikt, Konkurrenz, Identität, Performanz, Gefühl. Mit den beiden Gruppen, die ich hier behandelt habe, können wir Aphrodisias mit den Augen antiker Betrachter sehen; wir können ihre Reaktionen in konfliktgeladenen Situationen erkennen.

Abb. 12: Graffiti auf einem Sitzplatz des Beckens: zwei Spielbretter, eine Menorah, ein Spielbrett, ein Phallus (Foto: A. Chaniotis).

ENGLISH ABSTRACT Everyday life sketches from Aphrodisias Together with Ephesos and Smyrna, Aphrodisias is one the most important finding places of graffiti in Asia Minor. Mostly incised or engraved on walls and columns of public buildings, and the seats of the stadion, the theater, the council, and the pool of a park, the Aphrodisian graffiti date to the 4th–7th century AD. They are very diverse with regard to content: obscene texts and images, prayers, acclamations, displays of affection, names, individual letters, religious symbols, representations of gladiators, entertainers, busts, animals, buildings, and works of art, and game boards. The contexts can sometimes be determined, especially when groups of graffiti survive in significant numbers (religious conflicts, gladiatorial

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combats, and performances of entertainers). Two such groups are presented in this article: pictorial graffiti that represent buildings and works of art (a fountain, a pool, the city wall, statues) and obscene texts, including a text that aimed to humiliate the governor Dulcitius.

SPÄTGOTISCHE HANDWERKERGRAFFITI IN DER EHEMALIGEN KLOSTERKIRCHE ST. KATHARINA IN WENAU (KREIS DÜREN) Ulrike Heckner „Wie oft war ich versucht, vor einer schönen Wand stehenzubleiben und etwas einzuritzen…“1

Mit Denkmälern und Baudenkmälern allzumal verbindet sich die Vorstellung von historischer Größe, Gewichtigkeit und steinerner Präsenz, doch auch in der Denkmalpflege gilt die Aufmerksamkeit bisweilen dem ephemeren, dem nicht absichtsvoll, sondern eher zufällig überlieferten Geschichtszeugnis, das umso unmittelbarer den Blick in die Vergangenheit eröffnet. Die Forschung vor Ort als Grundlage denkmalpflegerischen Handelns und der direkte Kontakt zur historischen Substanz schärfen den Blick für Dinge, die sich manchmal erst beim zweiten Hinsehen als bedeutend erweisen: Historische Graffiti sind solche oft verborgenen und unauffälligen, kaum beachteten Spuren der Geschichte, die von der Entstehung und Nutzung des Bauwerks erzählen, von den Menschen, die es errichtet, besucht oder bewohnt haben. Um diese über Jahrhunderte überlieferten Zeugnisse vor leichtfertiger Zerstörung zu bewahren, ist es wichtig, sie zu erkennen, zu dokumentieren und zu erforschen. DAS PRÄMONSTRATENSERINNEN-KLOSTER WENAU Am Rande der Eifel in einem kleinen Tal am Wehebach westlich von Düren liegt das ehemalige Kloster Wenau, das vermutlich schon um 1121/22 gegründet wurde und damit zu den frühesten Klöstern des neuen Prämonstratenserordens gehörte. Es war zunächst ein Doppelkloster für Mönche und Nonnen, bevor es im 14. Jahrhundert zu einem reinen Frauenkloster wurde. Die idyllisch gelegene Anlage spiegelt noch das Bild des mittelalterlichen Klosters (Abb. 1). Der Gründungsbau der Klosterkirche St. Katharina aus dem frühen 12. Jahrhundert, eine kleine dreischiffige Basilika im Norden der Klausur, ist als Kernbau der jetzigen Kirche noch weitgehend erhalten. Eine Erneuerung und „Modernisierung“ der romani-

1

Pablo Picasso im Gespräch mit Brassai am 10. Juli 1945. Zitiert nach: Stahl 1990, 91. – Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine in Text und Abbildungen gekürzte und überarbeitete Fassung von Heckner 2010, 161–173.

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schen Basilika in spätgotischen Formen erfolgte im späten 15. Jahrhundert.2 Der architektonischen Erneuerung ging eine durchgreifende innere Reform des Klosters voraus, das adelige Chorfrauen beherbergte. 1475 beklagte sich der Herzog von Jülich über die zunehmende Verweltlichung und Lockerung der klösterlichen Disziplin in Wenau beim Abt von Steinfeld. Wie viele andere Klöster im späten 15. Jahrhundert wurde in der Folge auch das Wenauer Frauenkloster reformiert und neu besetzt. Am 15. Juli 1489 schloss der Steinfelder Abt Reiner mit dem Konvent in Wenau ein Konkordat, das als ersten Grundsatz die strenge Einhaltung der Klausur forderte. Aufschlussreich sind darüber hinaus jedoch die Änderungen in der inneren Organisation: Das Amt des (männlichen) Propstes als Leiter der weltlichen Güter und Angelegenheiten wurde abgeschafft und die Leitung des Klosters und der dazugehörenden Einkünfte vollständig der gewählten Oberin der Nonnen übertragen, die künftig den Titel „Meisterin“ („magistra“) führte. Für die geistliche Aufsicht standen ihr eine Priorin und ein Prior zur Seite, letzterer sollte sich jedoch ausdrücklich nicht in die weltliche Leitung einmischen: ein unter „Gender“-Aspekten durchaus bemerkenswertes Dokument!3

Abb. 1: St. Katharina in Wenau, Blick auf Kirche und Klostergebäude von Nordwesten (Foto: V. Blumrich, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR)).

2 3

Zur Geschichte des Klosters: Candels 2004. Zur Baugeschichte: Kubach – Verbeek 1976, 1218 f.; Hartmann – Renard 1910, 333–343. Candels 2004, 67. 184–189 (Quellentext mit Übersetzung).

Handwerkergraffiti in der Klosterkirche St. Katharina in Wenau

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BAUMASSNAHMEN NACH DER REFORM VON 1489 Nach der Bestätigung durch das Generalkapitel wurde die bisherige Priorin Margarete von Fleck aus Kalkum als erste Meisterin gewählt (1492–1506). Sie musste sich alsbald nicht nur um die Durchführung der inneren Reform, sondern auch um die Herrichtung der Baulichkeiten des Klosters kümmern, die sich in äußerst schlechtem Zustand befanden. Bereits 1485 hatte Margarete beim Jülicher Herzog über „baufällige Gebäude und regendurchlässige Räume“ geklagt: „Wir haben trotzdem die ‚hilge reformacien na ordensgebuer gehalden’ und einen großen Notbau begonnen, den wir ohne Gottes und Ihre Hilfe nicht imstande sind zu vollenden.“ 1493 spricht sie in einer weiteren Eingabe an den Herzog von großer Armut und einem „sere alt verfallen cloister, in dem onser vier ind vierzich personen vergaedert sint“4 Mit 44 Personen handelte es sich um einen stattlichen Konvent, zu dem neben den adligen Chorschwestern oder Kanonissen auch Laienschwestern und -brüder sowie Geistliche gehörten. Mit dem 1485 erwähnten „große Notbau“ begann offensichtlich noch in Zeiten großer wirtschaftlicher Not eine bauliche Erneuerung des Klosters, in deren Folge auch der spätgotische Umbau der Kirche in Angriff genommen wurde: Chor und nördliches Seitenschiff wurden neu gebaut und der Nordwestturm aufgemauert. Die Umbaumaßnahmen an der Kirche sind sorgfältig und einheitlich durchgeführt: Die Erneuerung der Eingangsfront, die Errichtung des Nordwestturms und der neuen Chorpartie bedeuten eine recht aufwendige Bautätigkeit, die vom langsamen Wiedererstarken des Klosters zeugen. 1533 war der Konvent bereits wieder auf 50 Personen angewachsen.5 Vielleicht wurden einige der von Margarete begonnenen Baumaßnahmen auch noch im 16. Jahrhundert unter ihren Nachfolgerinnen Elisabeth von dem Pesch (1506–1516), Katharina Bestoltz (1516–1540) und Maria von Streithagen (1540–1558) fortgeführt,6 jedoch gibt es dafür keine Quellenbelege. 1561, unter Katharina von Zevel, ereilte Wenau ein erneuter Schicksalsschlag: Ein Brand zerstörte die Klostergebäude und führte wiederum zu einer Zeit wirtschaftlicher Not. Die Brandfolgen erforderten neue Baumaßnahmen, so dass viele Schenkungen „zum Neubau“ im Memorialbuch des Klosters verzeichnet sind.7 Größere Baumaßnahmen erfolgten dann noch einmal im 17. Jahrhundert mit der Wölbung von Mittelschiff und südlichem Seitenschiff sowie der Erneuerung der Nonnenempore.8

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Landesarchiv NRW, Düsseldorf, Jül.-Berg I, 996, Bl. 6 und 8. Zitate und Umschrift laut Candels 2004, 66. Siehe auch Hartmann – Renard 1910, 334. Candels 2004, 101. Candels 2004, 144–147, verzeichnet eine Auflistung der 18 Meisterinnen von 1492–1802. Candels 2004, 68. Zu den barocken Umbauten und Ausstattungen: Küpper 1964, 193–215.

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BAUPHASEN DER KLOSTERKIRCHE In der Folge von Sanierungsmaßnahmen an Kirche und Klostergebäuden hat die Bauforschung des LVR-Amtes für Denkmalpflege 2009/10 eine Bauuntersuchung durchgeführt,9 die nähere Aufschlüsse über die Bauabfolge ergab: Die Ursprungskirche in Wenau war eine kleine dreischiffige Basilika mit westlicher Nonnenempore. Die frühe Datierung dieses ersten Kirchenbaus wurde bereits 1965 durch die dendrochronologische Untersuchung einer Mauerlatte bestätigt, die das Fällungsjahr 1120 ergab.10 Der schlichte Bautypus ist charakteristisch für zahlreiche frühe Bauten von Doppel- oder Frauenklöstern des sich im Rheinland rasch ausbreitenden Prämonstratenserordens.11 Vorbild für viele dieser Kirchen war vermutlich die 1118 errichtete Klosterkirche St. Nikolaus in Köln-Dünnwald, eine Basilika mit westlicher Turmfassade.12 Die Klosterkirche in Wenau verzichtete allerdings ursprünglich ganz auf Türme und nahm sich daher wesentlich bescheidener aus. Erst nachträglich wurde der bestehende Nordwestturm angefügt, begonnen schon in romanischer Zeit und beim spätgotischen Umbau der Kirche aufgestockt. Ob auch in Wenau eine Doppelturmfassade mit einem südwestlichen Pendant geplant war, ließ sich nicht mehr klären, da sämtliche Befunde in diesem Bereich durch den Anbau des Pastorats verloren gegangen sind. Der Umbau des späten 15. Jahrhundert gab den nach außen sichtbaren Fassaden der Klosterkirche nach Westen, Norden und Osten ein einheitliches repräsentatives Erscheinungsbild in spätgotischen Formen. Die nach 1489 unter Margarethe von Fleck durchgeführten Baumaßnahmen umfassten neben dem Ausbau des Nordwestturmes den Neubau des nördlichen Seitenschiffs mit Spitzbogenfenstern zwischen niedrigen Strebepfeilern und die Errichtung eines dreiseitigen Chores im Osten. Kennzeichnend für diese Bauphase sind markante Eckquaderungen aus dem rötlichen Eifeler Rursandstein, die das schlichte Bruchsteinmauerwerk akzentuieren. Der neue gotische Dachstuhl wurde an der Nordseite bis auf das Seitenschiff heruntergezogen und überbaute den ehemaligen romanischen Obergaden. Der ursprüngliche Zustand der romanischen Basilika blieb nur an der Südseite erhalten, die der Klausur zugewandt und damit den Blicken der Öffentlichkeit entzogen war. Hier wurde ein repräsentativen Zwecken dienender Umbau offensichtlich nicht für notwendig erachtet. Eine zweite „spätestgotische“ Ausbauphase mit einer weiteren Erhöhung des Turmes und des Daches über dem Mittelschiff könnte in der Folge des Brandes von 1561 ausgeführt worden sein. Dieser Zustand blieb im Wesentlichen bis heute erhalten. Der asymmetrische Ausbau und die Lage des ehemaligen nördlichen Obergadens unter dem heruntergezogenen Dachstuhl sind im Querschnitt gut zu erkennen (Abb. 2).

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Zur Bauuntersuchung: Heckner 2010, 162–166 (mit zusätzlichen Abb.) Hollstein 1980, 175. Verbeek 1974, 131–141. Heckner 2006, 1–12.

Handwerkergraffiti in der Klosterkirche St. Katharina in Wenau

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Abb. 2: Querschnitt durch die Kirche mit Blick nach Westen: Spätgotischer Umbau der romanischen Basilika mit Neubau des nördlichen Seitenschiffs und asymmetrisch heruntergezogenem Dachstuhl, grau unterlegt die ehemalige romanische Obergadenwand im Dachbereich (Zeichnung: H. W. Willems, TH Aachen, 1960; LVR-ADR, Planarchiv).

GRAFFITI AUF DEM ROMANISCHEN OBERGADEN Der im Dachbereich der Kirche noch vollständig erhaltene nördliche Obergaden ist seit der Überbauung im späten 15. Jahrhundert weitgehend unverändert und vor Witterungseinflüssen geschützt geblieben. Das romanische Bruchsteinmauerwerk besteht aus Grauwacke und Sandsteinstücken, die in einem ockerfarbigen Kalkmörtel versetzt sind. Darauf liegt der originale romanische Putz, ein feiner zweilagiger Kalkputz, ebenfalls ockerfarben, mit dünner weißer Kalkschlämme. Die insgesamt sieben romanischen Rundbogenfenster sind mit Mauerwerk aus

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Sandsteinstücken und Grauwacke in hellerem Kalkmörtel nachträglich zugesetzt. Auf den Wandflächen zwischen den Fenstern ist der romanische Putz noch großflächig erhalten. Störungen sind vor allem durch den nachträglichen Einzug von Ankern gegeben, die vermutlich zu den barocken Einbauten zu rechnen sind. An einigen Stellen, an denen der Putz abgefallen ist, zeigen sich originale Gerüsthölzer mit rundem Querschnitt. Die beschriebenen Mauerwerks- und Putzbefunde entsprechen üblichen mittelalterlichen Bauweisen und lassen sich eindeutig dem frühromanischen Ursprungsbau und – mit der Vermauerung der Fenster – dem spätgotischen Umbau der Klosterkirche zuordnen. Weitaus ungewöhnlicher sind dagegen Zeichnungen, die sich auf vier Wandflächen zwischen dem zweiten und sechsten Fenster von Osten befinden (Abb. 3–7): Der ehemalige Außenputz ist hier großflächig mit Linien, Kreisen und verschiedenen Zeichnungen bedeckt. Die Linien sind oft nur sehr leicht und dünn eingeritzt, manche erreichen aber auch eine Breite und Tiefe von 2 bis 3 mm (Abb. 8–10). Sie sind nicht in den frischen Putz, sondern erst nachträglich auf die Wände gezeichnet, auf denen teilweise noch die weiße Kalkschlämme der romanischen Außenwandfassung liegt. Die Zeichnungen erstrecken sich auf einer Länge von über 14 m über die ehemalige Obergadenwand: Die vier Wandflächen zwischen den Fenstern sind jeweils in einer Breite von bis zu 2,80 m und mehr als 2,20 m Höhe mit vielfach übereinander und durcheinander gezeichneten Darstellungen bedeckt, die ohne erkennbares System angebracht sind. Auf den restlichen Flächen des Obergadens finden sich keine Darstellungen.

Abb. 3: Übersichtsplan der romanischen Obergadenwand mit den Graffiti im Dachbereich über den Gewölben des nördlichen Seitenschiffs (Vermessung und zeichnerische Auswertung: H. Meyer, LVR-ADR).

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Schon Hans Merian wurde 1961 bei einer Bauuntersuchung auf die Ritzungen aufmerksam, und in der Folge erwähnten Hans Erich Kubach und Albert Verbeek den alten „Außenputz mit geometrischen Ritzzeichnungen“, ohne eine genauere Einordnung vorzunehmen.13 Darüber hinaus fehlte jegliche Dokumentation der Zeichnungen, die durch die beengte Lage, mangelndes Licht und beschränkte Zugänglichkeit im Dachbereich erschwert wurde. Erst 2009 erfolgte eine flächendeckende Bestandsaufnahme durch das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland. Dazu wurden die Wandflächen abschnittsweise mit einer Digitalkamera fotografiert, die Einzelbilder entzerrt und montiert. Mit einem Grafikprogramm konnten die eingeritzten Linien nachgezeichnet und in unterschiedlichen Farben hervorgehoben werden.14

Abb. 4: Graffiti des nördlichen Obergadens, Wandfeld 1: „Musterzeichnungen“ für Zirkelfiguren (Rosetten) und Pentagramm, Hämmer (Foto: V. Blumrich, LVR-ADR; Vermessung und zeichnerische Auswertung: H. Meyer, LVR-ADR).

13 Untersuchungsbericht von Hans Merian vom 18.10.1961, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland. Merian nahm an, die Zeichnungen seien in den frischen Putz geritzt, was jedoch eindeutig nicht der Fall ist. Kubach – Verbeek 1976, 1218. 14 Die fotografische Dokumentation erfolgte durch Viola Blumrich. Vermessung, Entzerrung und zeichnerische Auswertung durch Dipl. Ing. Hans Meyer, beide LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland. Die Verf. dankt Dipl. Ing. Octavia Zanger, zuständige Gebietsreferentin im LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, für den Hinweis auf die Ritzzeichungen in Wenau. – Vgl. die Dokumentation der Aachener Ritzzeichnungen: Heckner 2009, 193–204.

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Abb. 5: Graffiti des nördlichen Obergadens, Wandfeld 2: Zirkelfiguren, Hämmer, Pentagramme, Bauinschrift (rötlich unterlegter Bereich), Wappenumriss (Foto: V. Blumrich, LVR-ADR; Vermessung und zeichnerische Auswertung: H. Meyer, LVR-ADR).

Abb. 6: Graffiti des nördlichen Obergadens, Wandfeld 3: Zirkelfiguren, Hämmer, Pentagramme, Inschrift (rötlich unterlegter Bereich), imitierte Schriftzeichen (Foto: V. Blumrich, LVR-ADR; Vermessung und zeichnerische Auswertung: H. Meyer, LVR-ADR).

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Abb. 7: Graffiti des nördlichen Obergadens, Wandfeld 4: Zirkelfiguren, kleine Rosetten, Hämmer, Pentagramme, Messer (Foto: V. Blumrich, LVR-ADR; Vermessung und zeichnerische Auswertung: H. Meyer, LVR-ADR).

DIE BAUINSCHRIFT Überraschend sind die Fülle und die vielfache Wiederholung einzelner Motive. Neben Kreisfiguren – sorgfältig mit dem Zirkel gezogen oder auch nachlässig aus der Hand gezeichnet – sind zahllose Hämmer und Pentagramme zu erkennen, daneben auch ein Wappenumriss und zahlreiche nicht auf Anhieb zu identifizierende Kritzeleien. Lediglich an zwei Stellen in den Wandfeldern 2 und 3 finden sich gotische Inschriften mit sorgfältig gesetzten Schriftzeichen (Abb. 5 und 6, rötlich unterlegte Bereiche). Die Buchstaben sind mit relativ breiten, aber nur flach eingegrabenen Linien in Zeilen geschrieben und werden von den erst später entstandenen Ritzungen überzeichnet. Helga Giersiepen ist es gelungen, eine der nur schlecht erhaltenen Inschriften in Teilen zu lesen: Es handelt sich um eine Bauinschrift, die sich auf die Reform des Klosters und den spätgotischen Umbau der Kirche bezieht (Wandfeld 2):

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[A]nno [--- mi]llesi(m)o [cccc --- / ---] hanc [---] / bene reforma[--- // ---] p(er) m(a)g(ist)r(a)m / [---] 15 Trotz der nur sehr fragmentarischen Erhaltung geben die wenigen Stichworte wichtige Hinweise auf den Zusammenhang mit dem spätgotischen Umbau. Die nur in Teilen lesbare Jahreszahl „14[-]“ (?) ist zusammen mit der Erwähnung der Reform und vor allem mit der Bezeichnung „per magistram“ ein eindeutiger Hinweis auf die Klosterreform von 1489 und die 1492 gewählte erste Magistra Margarete von Fleck. Diese hatte bereits 1485 in ihrer Zeit als Priorin erste Baumaßnahmen unternommen und einen „Notbau“ errichten lassen.16 Mit der Inschrift kann ihr auch der spätgotische Umbau der Kirche eindeutig zugeordnet werden, denn die Benutzung des neu eingeführten Titels „magistra“ und die unvollständige Jahreszahl „14[-]“ (?) ermöglichen eine eng gefasste Datierung der Inschrift zwischen 1492 und 1499. Der Anbringungsort an einer unzugänglichen Stelle im Dachboden erscheint für eine Bauinschrift ungewöhnlich, aber die sorgfältige Ausführung und der Inhalt zeugen von dem offiziellen Charakter: Margarete von Fleck wurde hier vermutlich als verantwortlich für Reform und Umbau genannt. Die zweite Inschrift im Wandfeld 3 ist in Schrift, Größe und Machart ganz ähnlich, ließ sich aber leider nicht mehr entziffern. Es gibt aber eine interessante Beobachtung: Etwas oberhalb der nur einzeilig erkennbaren gotischen Schrift findet sich eine Zeile mit einer ungelenk eingeritzten Zeichenfolge, die scheinbar die gotischen Buchstaben imitiert. Es scheint, als hätte jemand versucht, die gotische Schrift nachzuahmen, der selbst nicht schreiben konnte. DIE MOTIVE DER GRAFFITI Im Gegensatz zur Bauinschrift handelt es sich bei den eigentlichen Zeichnungen auf dem Obergaden um historische Graffiti, die offenbar unaufgefordert und unautorisiert eingeritzt worden sind. Peter Lingens und Detlev Kraack geben in ihrer Bibliografie folgende Definition: „Graffiti sind graphische Zeugnisse (Kritzeleien, Zeichen, Buchstaben, Wortfolgen, Namenszüge, Zahlen, Wappen, Hausmarken, Bilder), die vor Ort auf oder in dafür nicht vorgesehene Flächen aller Art geschrieben oder geritzt werden.“ 17 Graffiti sind inoffizieller und persönlicher Natur, oft spontan aus der Situation heraus entstanden, und sie besitzen einen ungefilterten, authentischen Quellenwert. Der „Zwang zur Verewigung“ an einem besonderen Ort spielte dabei seit jeher eine große Rolle. Die Art der Aufzeichnungen und der Anbringungsort geben Aufschlüsse über Urheber und Absichten. In 15 Die Verf. dankt Dr. Helga Giersiepen, Arbeitsstelle Inschriften, Universität Bonn, Institut für Geschichtswissenschaft, für die Entzifferung der Inschrift und die Erlaubnis zur Publikation. Detail-Abbildung: Heckner 2010, 171 Abb. 13. 16 S. o. Anm. 4. 17 Kraack – Lingens 2001, 9. S. auch Schweikhart 1989, 121–135; Kraack 1997.

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Wenau lässt sich der in Betracht kommende Personenkreis deutlich eingrenzen: Der Dachboden der Kirche war kaum zugänglich, das vollständige Fehlen von Schrift, Buchstaben oder Initialen innerhalb der Graffiti deutet auf schriftunkundige Personen hin und schließlich geben die Motive der Hämmer und die Nutzung des Zirkels einen klaren Hinweis auf Handwerker. Als Urheber kommen also eben die Handwerker in Frage, die beim Umbau der Kirche im späten 15. Jahrhundert oder im 16. Jahrhundert bei der nachträglichen Erhöhung des Mittelschiffs nach dem Brand von 1561 im Bereich des Dachstuhls gearbeitet haben: Steinmetze, Maurer, Zimmerleute und Dachdecker können die Zeichnungen zum Zeitvertreib oder zur Übung in den Arbeitspausen aufgebracht haben. Graffiti von Handwerkern waren einst sicher verbreitet und sind auch heute noch an meist versteckten Stellen zu finden, allerdings gibt es nur sehr wenige dokumentierte Beispiele,18 so dass die umfangreichen und komplexen Wenauer Ritzungen ein historisch und baugeschichtlich höchst bemerkenswertes Dokument darstellen. Insgesamt 42 Hämmer sind auf den vier Wandfeldern gezeichnet und stellen damit das häufigste Motiv auf der Wand. Sicherlich waren es ursprünglich noch mehr, aber eine eindeutige Bestimmung ist aufgrund des Erhaltungszustandes vieler Ritzlinien nicht immer möglich. Die meisten Hämmer messen zwischen 27 und 33 cm, was etwa der realen Größe entspricht. Es ist denkbar, dass die Werkzeuge an die Wand gehalten wurden, um den groben Umriss zu zeichnen. Viele Hämmer sind so spezifisch gestaltet, dass sie einzelnen Gewerken zugeordnet werden können: Zimmermannshämmer, Maurerhämmer oder Spitzhämmer für die Steinbearbeitung sind oft deutlich zu unterscheiden. Die Hammerformen entsprechen den verschiedenen Gewerken, die bei den Umbauarbeiten an der Wenauer Kirche tätig waren. Besonders charakteristisch sind die vielen spitzen Schieferhämmer der Dachdecker, die ganz offensichtlich unter den Handwerkern zahlreich vertreten waren, was angesichts der großen neu zu deckenden Dachflächen der Kirche nicht verwundert. Ein schön gezeichnetes, 33 cm großes Exemplar, das die spezifischen Merkmale dieses vielseitig einsetzbaren Dachdeckerwerkzeugs sehr genau wiedergibt, befindet sich im Wandfeld 2 (Abb. 5, 8 und 9): Der Kopf des Hammers verfügt an der einen Seite über eine Schlagfläche (Bahn) zum Einschlagen der Nägel, an der anderen Seite über eine Spitze, mit der die Nagellöcher in die Schieferplatten geschlagen werden können. In der spitz zulaufenden Mitte des Hammerkopfes befinden sich drei Löcher, die zum Ziehen von Nägeln und zum Aufhängen des Hammers verwendet werden können. Der flache Metallschaft ist mit einer geschärften Klinge versehen und dient zum Behauen der Schieferplatten. Ein Holzgriff bildet den Abschluss. In der Wenauer Zeichnung ist sogar eine kleine Rautenverzierung zwischen Metallschaft und Holzgriff als individuell gestaltetes Detail des Hammers erkennbar. Noch heute finden Schieferhämmer in ganz ähnlichen Formen Verwendung.19 Etwas oberhalb dieses Schieferhammers sind

18 Kraack 1997, 59. 19 Die Verf. dankt Herrn Jens Lehmann, Fa. Rathscheck Schiefer, Mayen, für Hinweise zum praktischen Gebrauch des Schieferhammers.

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außerdem zwei übergroße Dachdeckerbeile dargestellt mit Köpfen von über 50 cm Breite und nur in Ansätzen wiedergegebenen Stielen (Abb. 5).

Abb. 8: Darstellungen von Schieferhämmern in Wenau, Detail aus Wandfeld 2 (links), und in Marburg, Dachbereich der Elisabethkirche, mit Initialen „DD“ (Daniel Dauber) und Jahreszahl 1796 (rechts) (Fotos: V. Blumrich, LVR-ADR; S. Dietrich, Marburg).

Sämtliche Werkzeuge stehen aufrecht und wirken wie Zunft- oder Handwerkszeichen emblemartig an der Wand aufgereiht.20 Lediglich ein Hammer im Wandfeld 2 ist um ca. 45° nach links gekippt. Die vielfach wiederholte Darstellung des Hammers als individuelles Handwerkszeug entspringt offenbar dem Wunsch der Handwerker, sich an dieser unzugänglichen Stelle der Kirche zu verewigen: als versteckter Hinweis auf die handwerkliche Leistung und die eigene Teilhabe am Umbau – nicht mit dem Namen, den sie nicht schreiben konnten, sondern mit der prominenten Wiedergabe des eigenen Hammers als Zeichen ihres Handwerks. Dass die Hammerdarstellungen als „Handwerkersignaturen“ verstanden werden können, macht ein Vergleich mit einem später entstandenen, aber sehr ähnlichen Beispiel im Dachbereich der Marburger Elisabethkirche deutlich (Abb. 8), auf das Simon Dietrich die Verfasserin bei der Konferenz in München aufmerksam machte (siehe den Beitrag im vorliegenden Band): Hier ist ein aufrecht stehender Schieferhammer ebenfalls in natürlicher Größe von 33 cm in den Stein geritzt, in achsialer Anordnung mit den Initialen DD („Daniel Dauber“) und der Jahreszahl 20 Zu Zunft- und Handwerkerzeichen: Domsta 1985, 24–29 („Die Siegel der Dürener Zünfte“); Müller 1986, 65–82; Dill 1987.

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1796 versehen und auf diese Weise eindeutig als „Signatur“ eines Handwerkers ausgezeichnet.21 Sicherlich gab und gibt es derartige Zeichnungen von Werkzeugen auch in vielen anderen historischen Bauten.

Abb. 9: Detailaufnahme aus Wandfeld 2 mit Wappenumriss, großem Dachdeckerbeil (oben Mitte), Schieferhammer und Mauererhammer (rechte Seite, untereinander) und achtblättriger Rosette (unten Mitte).

Abb. 10: Kleine aus der Hand gezeichnete achtblättrige Rosette, Detail aus Wandfeld 4 (Foto: V. Blumrich, LVR-ADR).

Neben den Hämmern bilden Kreisfiguren ein vielfach wiederkehrendes und schon durch die Größe sehr dominantes Motiv. Die Durchmesser liegen recht einheitlich zwischen ca. 58 bis 65 cm, was auf die Nutzung eines großen Zirkels hindeutet, der beim Gebrauch nur wenig verstellt wurde. Die Kreise sind von deutlich eingetieften Mittelpunkten aus angerissen und überschneiden sich häufig. Es gibt auch einige zwei- oder dreifach konzentrisch angelegte Kreislinien. Viele Kreise sind mit Rosetten gefüllt. Zwei sehr sorgfältig und vollständig ausgeführte Rosetten 21 Die Verf. dankt Simon Dietrich (Emails vom 13./14.7.2017) für den Hinweis, das Foto und folgende Zusatzinformationen: Die Ritzung befindet sich im Dachraum des Mittelschiffs, an der Südseite des Nordturms. Unweit steht der vollständige Name „Daniel Dauber“, so dass die Zuordnung eindeutig ist. Mitglieder der Marburger Familie Dauber tauchen in Akten des 17. Jahrhunderts als Steinmetze auf. Außerdem sind weitere Hammerumrisse in der Nähe zu finden, darunter einer mit der Jahreszahl 1850.

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oben im Wandfeld 1, eine acht- und eine sechsblättrige, erscheinen wie Muster für diese Zirkelfiguren (Abb. 4). Es handelt sich dabei um zwei unterschiedlich aufgebaute Typen: Für die achtblättrige Rosette links hat der Zeichner den Kreis mit radialen Linien – wie eine Torte – in acht gleich große Teilstücke untergliedert. Die acht Strahlen wurden dann durch Kreissegmente zu spitzen Blütenblättern ergänzt. Trotz der recht genauen Ausführung ist eine geometrische Herleitung für die Teilungen oder für die Kreissegmente der Blütenblätter nicht zu erkennen.22 Schließlich wurden die Blattenden durch nur aus der Hand gezeichnete Kreissegmente schirmartig verbunden. Die zweite Rosette rechts oben im Feld 1 zeigt eine sechsblättrige, mit dem Zirkel konstruierte Blüte. Es ist ein wiederkehrendes Motiv, das sich als Ornament oder als beliebtes „Spiel mit dem Zirkel“ gerade auch bei Ritzzeichnungen häufig findet.23 Aus diesen beiden „Musterrosetten“ lassen sich die meisten der Zirkelfiguren auf der Wand ableiten. Während einige der sechsblättrigen „Zirkelblumen“ noch recht sorgfältig ausgeführt wurden, sind andere offensichtlich verunglückt oder nicht vollendet, so als hätte der Zeichner die Lust verloren. Manche Blütenblätter wurden auch aus der Hand gezeichnet. Von den komplizierteren achtblättrigen Rosetten ist sogar nur eine einzige im Wandfeld 2 unten vollständig ausgeführt und selbst diese nur ungenau mit krummer Strichführung aus freier Hand (Abb. 9). Manchmal werden Kreise lediglich radial in acht oder auch sechs Segmente unterteilt und diese dann schirmartig an den Enden verbunden, manchmal noch einzelne Blütenblätter frei aus der Hand ergänzt. Auch hier gibt es viele nur angefangene oder rudimentär ausgeführte Figuren. Neben den großen Formaten befinden sich besonders im Wandfeld 4 einige Kreise mit einem Durchmesser von 14 oder 15 cm, für die ein kleinerer Zirkel benutzt wurde. Auch sie zeigen sechs- oder achtblättrige Blütenrosetten. Die Blütenblätter der kleinen Rosetten sind immer aus der Hand gezeichnet, manchmal auch das gesamte Motiv (Abb. 10). Die Kreisfiguren nehmen den größten Raum auf der Wand ein und zeigen eine vielfache Wiederholung gleichartiger Motive, für die zwei Zirkel in unterschiedlichen Größen benutzt wurden. Besonders die großen Kreise und Rosetten bereiteten dabei einigen Aufwand in der Ausführung. Die vielen verunglückten oder nur angefangenen Figuren können daraufhin deuten, dass es sich um Übungen zum Umgang mit dem Zirkel handelte. Möglicherweise dienten die beiden schön ausgeführten sechs- und achtblättrigen Rosetten oben im Wandfeld 1 als Muster, die als Übungsaufgabe von Lehrlingen wiederholt werden sollten. Falls nur ein Zirkel zur Verfügung stand, aber mehrere Personen gleichzeitig zeichneten, könnte dies auch die häufig aus der Hand gezeichneten Ergänzungen erklären. Die vielen unfertigen Wiederholungen verdeutlichen, dass der Lernerfolg sich nur 22 Die Kreissegmente der Blütenblätter sind wie folgt zu konstruieren: Auf dem jeweiligen Radius wird eine Mittelsenkrechte angelegt. Vom Schnittpunkt der Senkrechten mit der Umrisslinie des Kreises kann mit dem Zirkel das Kreissegment für das Blütenblatt gezogen werden. 23 So auch unter den gotischen Ritzzeichnungen des Aachener Doms: Heckner – Heckes 2002, 341–361, hier bes. 360. Weiteres Beispiel: Giersiepen 2006, 157–173, hier bes. 164 Abb. 171 (sechsblättrige Rosette in konzentrischen Kreisen auf einer Wand des Chores mit Inschriften und Graffiti aus dem 15./16. Jahrhundert).

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mühsam einstellte. Besonders im letzten Wandfeld 4 erscheinen die Zeichnungen immer chaotischer mit vielen kleinen, ganz aus der Hand gezeichneten Rosetten. Vielleicht war die Aufgabenstellung aber auch nicht allzu ernsthaft gedacht, sondern diente in erster Linie dem Zeitvertreib. Als drittes Hauptmotiv finden sich Pentagramme in unterschiedlichen Größen auf allen vier Wandfeldern. Im Gegensatz zu den Kreisfiguren wurden die Pentagramme nicht konstruiert, sondern immer frei aus der Hand gezeichnet, dadurch sind sie nicht regelmäßig, sondern oft stark verzogen oder auch verunglückt. Ein schön gezeichnetes und sehr großes Pentagramm von fast einem Meter Breite in der Mitte des Wandfeldes 1 ruft wiederum den Eindruck eines Musterbildes hervor (Abb. 4). Alle anderen Pentagramme sind wesentlich kleiner und scheinbar wahllos auf den Wandflächen verstreut. Sie sind unterschiedlich gezeichnet, entweder mit zwei Spitzen nach unten als „Drudenfuß“ oder als „umgekehrtes“ Pentagramm mit einer Spitze nach unten. Besonders viele – erkennbar schnell und vielfach nicht korrekt ausgeführt – befinden sich im oberen Bereich von Wandfeld 4 (Abb. 7). Das Pentagramm ist ein sehr häufiges Motiv, dem oft eine übertragene Bedeutung als Abwehrzeichen oder magisches Symbol zugemessen wird, das aber auch im christlichen Kontext auftritt. Die Darstellungen in Wenau erscheinen jedoch ebenso wie die Zirkelübungen eher schnell und zum Zeitvertreib ausgeführt, ohne dass eine symbolische Bedeutung im Vordergrund steht.24 Neben den vielfach wiederholten Motiven – Hämmer, Rosetten und Pentagramme – gibt es einzelne Darstellungen, die nicht in einen größeren Kontext gehören. Hierzu zählen im Wandfeld 4 zwei kleine Messer, die vielleicht noch in Zusammenhang mit den Werkzeugdarstellungen der Hämmer zu bringen sind (Abb. 7). Eine Sonderstellung nimmt im Wandfeld 2 ein großer, mit kräftigem Strich eingeritzter Wappenumriss ein, da es sich um das einzige heraldische Motiv handelt (Abb. 5 und 9). Der aus freier Hand gezeichnete Wappenschild mit stehendem Kreuz und Herzschild durchschneidet willkürlich die Bauinschrift und steht offensichtlich nicht mit dieser im Zusammenhang. Das stehende Kreuz ist ein weit verbreitetes Wappenzeichen, das sich beispielsweise im Kurkölner Wappen findet. In Wenau liegt aber ein Bezug zur vierten Magistra Maria von Streithagen (1540–1558) näher, deren Familie ein Wappen mit stehendem goldenem Kreuz in rotem Feld und einer blauen jüdischen Mütze im rechten Oberwinkel führt. Der Wappenumriss in Wenau ist wenig signifikant und erlaubt daher keine eindeutige Zuordnung: Vielleicht ist nur eine verbreitete Wappenform dargestellt, vielleicht ist aber auch konkret das Wappen der Maria von Streithagen gemeint, wobei der Herzschild ein Hinweis auf eine illegitime Abkunft sein könnte.25 Weitere Ritzungen auf der Wand sind so unspezifisch, dass sie nicht näher gedeutet werden können. Es handelt sich um Kritzeleien ohne erkennbaren Sinn, manchmal um kleine Muster aus Rauten oder Zickzacklinien, manche zeigen auch 24 Ähnlich auch bei einem eingeritzten Pentagramm in St. Johannes Baptist, Warburg: Giersiepen 2006, 162. 25 Die Verf. dankt Dr. Harald Herzog, LVR-ADR, für seine Hinweise zur heraldischen Bestimmung. Zum Wappen der Familie Streithagen: Fahne 1848, 425.

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phallusartige Darstellungen (Wandfeld 2, Abb. 5). Im Gegensatz zu dem Übungscharakter der Zirkelfiguren oder den systematisch wiederholten Hammerdarstellungen erscheinen die Kritzeleien als das Werk Einzelner, die vielleicht gerade durch die schon auf der Wand vorhandenen Zeichnungen angeregt wurden, hier ebenfalls etwas zu hinterlassen. URHEBER UND DATIERUNG DER ZEICHNUNGEN Die Wenauer Graffiti sind in Funktion, Zweck und Ausführung ganz unterschiedlicher Natur und stammen von verschiedenen Urhebern: Die zwei sorgfältig ausgeführten gotischen Inschriften auf den Wandfeldern 2 und 3 können nicht als „Graffiti“ im eigentlichen Sinne gelten; anscheinend handelte es sich um Bauinschriften mit offiziellem Charakter, die von einer schriftgeübten Hand routiniert aufgebracht wurden (Abb. 5 und 6). Der Bezug auf die Reformierung des Klosters und die erste Magistra Margarete von Fleck (1492–1506) verbinden diese Inschriften mit dem spätgotischen Umbau von Kirche und Kloster, durch den der romanische Obergaden unter Dach gelegt wurde. Es ist anzunehmen, dass die Inschriften auf Anweisung von Margarete angebracht wurden, die für den Umbau verantwortlich war und sich an dieser abgelegenen, aber geschützten Stelle als Auftraggeberin bekunden ließ. Den größten Raum nehmen jedoch Zeichnungen von Handwerkern ein, die als Graffiti auf dafür eigentlich nicht vorgesehene Wandflächen aufgebracht wurden, aber doch einer gewissen Systematik und Zweckbestimmung folgen. Sie sind gekennzeichnet durch die vielfache Wiederholung einzelner Motive. Die zahlreichen Hämmer weisen als Werkzeuge auf die Handwerkstätigkeit der Zeichner hin und können teilweise einzelnen Professionen zugeordnet werden. Die spezifische Gestaltung und die emblemartige Aufreihung der Hammerdarstellungen erinnern an Zunft- oder Handwerkszeichen: Die Zeichner haben ihr persönliches Werkzeug als „Handwerkersignatur“ auf der Wand abgebildet und so ihre Beteiligung an der Baumaßnahme dokumentiert. Das vollständige Fehlen von Schriftzeugnissen, Buchstaben oder Initialen macht deutlich, dass die Urheber der Graffiti nicht schreiben und wohl auch nicht lesen konnten. Die Handwerker verstanden sich aber auf den Gebrauch des Zirkels, mit dem Kreise und Rosetten angerissen sind. Die häufigen Wiederholungen mit vielen unvollendeten, verunglückten und freihand gezeichneten Elementen können als Übungsaufgaben oder auch zum Zeitvertreib ausgeführt worden sein. Das gilt ebenso für die nachlässig gezeichneten zahllosen Pentagramme. Auch wenn der Sinn der Darstellungen sich nicht bis ins Letzte erschließt, so zeigen die wiederkehrenden Motive doch einen inhaltlichen Zusammenhang, der auf den gemeinsamen Ursprung schließen lässt: Diese Ritzzeichnungen sind als Graffiti der im Dach tätigen Handwerker in dem zeitlich begrenzten Rahmen einer Baumaßnahme entstanden. Trotzdem gibt allein schon die Ausdehnung der Darstellungen einige Rätsel auf. So ist kein plausibler Grund erkennbar, warum sich die Zeichnungen auf den Bereich von vier Wandfeldern konzentrieren und die übrigen Flächen unberührt bleiben. Vielleicht hängt dies

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mit der Erreichbarkeit zusammen, die jedoch ebenfalls Fragen aufwirft: Die Zeichnungen bedecken eine Wandfläche auf einer Länge von mehr als 14 m und 2,20 m Höhe, ohne dass eine Zäsur durch eine Gerüstlage erkennbar wäre. Die Handwerker können die Zeichnungen im oberen Bereich nur von Leitern oder vielleicht kleinen Bockgerüsten aus eingeritzt haben, was durchaus erstaunlich ist, zumal die Handhabung eines großen Zirkels nicht einfach zu bewerkstelligen war und einen sicheren Stand erforderte. Die Datierung der Ritzzeichnungen steht also in unmittelbarem Zusammenhang mit den Baumaßnahmen an der Kirche. Die zwischen 1492 und 1499 entstandene Bauinschrift ist sicher zuerst auf die noch unberührte Wand aufgebracht worden. Dies muss nicht zwangsläufig erst nach Abschluss der Baumaßnahme, sondern kann auch während des laufenden Baubetriebs erfolgt sein. Die späteren Graffiti nehmen keinerlei Rücksicht auf die beiden vorhandenen Inschriften, sondern durchschneiden vielfach die Schrift. Die Handwerker haben die Bedeutung der Inschriften offenbar nicht erkannt oder beachtet. Es ist möglich, dass die Graffiti noch im weiteren Verlauf der spätgotischen Baumaßnahme am Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts aufgebracht wurden oder aber erst in der folgenden zweiten Umbauphase mit der Erhöhung des Dachs über dem Mittelschiff, die möglicherweise erst nach dem Brand von 1561 ausgeführt wurde. In beiden Fällen war jeweils eine größere Anzahl unterschiedlicher Handwerker im Bereich des Daches tätig, die Zeit und Gelegenheit hatten, die Graffiti einzuritzen. Die barocken Baumaßnahmen des 17. Jahrhunderts, bei denen die Gewölbe des Mittelschiffs eingezogen wurden,26 kommen dagegen nicht mehr in Betracht: Die nachträglich eingebrachten Maueranker im Bereich des Obergadens zerstören im Gegenteil mit ihren Ausbrüchen die auf der Wand vorhandenen Zeichnungen. Eine Datierung der Handwerker-Graffiti im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen nach 1492 oder nach 1561 ist damit naheliegend. Eine Sonderstellung als einziges heraldisches Motiv nimmt dabei der Wappenumriss im Wandfeld 2 ein, der sich möglicherweise auf die vierte Magistra Maria von Streithagen (1540–1558) bezieht. Mit Maria von Streithagen werden zwar keine konkreten Baumaßnahmen an der Kirche in Zusammenhang gebracht, aber das Wappen kann in der Mitte des 16. Jahrhunderts auch unabhängig von den übrigen Graffiti der Handwerker gezeichnet worden sein. Überhaupt diente die einmal genutzte Wand vermutlich durchaus über einen längeren Zeitraum hinweg weiter als Zeichengrund: Einige Zeichnungen und Kritzeleien, die kleinere Muster, unidentifizierbare Gebilde, auch anstößige Darstellungen zeigen, sind offenbar als spontane Zeichnungen Einzelner noch hinzugekommen – ein Nachahmungseffekt, der auch bei heutigen Graffiti häufig zu beobachten ist. Mit der Bauinschrift, den Graffiti der Handwerker und den spontanen Zeichnungen Einzelner sind auf der Wand im Dachboden der Wenauer Klosterkirche ganz unterschiedliche Arten von geritzten Zeugnissen der Vergangenheit bewahrt worden. Historische Ritzzeichnungen konnten sehr verschiedene Funktionen erfüllen: Es gab deutlich zweckgebundene Zeichnungen, die als Baupläne von den 26 Kubach – Verbeek 1976, 1218.

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Bauleuten auf den Boden oder die Wände von Kirchenbauten zur Nutzung für Bauplanung und Bauausführung eingeritzt wurden, ebenso wie rein persönliche Inschriften und Darstellungen, die von Besuchern als Zeichen ihrer Anwesenheit an besonderen Orten hinterlassen wurden. Die Graffiti in Wenau nehmen hier eine Mittelstellung ein. Sie sind zum einen als Signaturen der Handwerker zu verstehen, erscheinen zum anderen als Übungen durchaus einem Zweck verpflichtet oder auch zum Zeitvertreib und aus Lust am Zeichnen entstanden zu sein. Es handelt sich um persönliche Zeugnisse von Menschen, die sonst nicht im Zentrum der historischen Überlieferung stehen. Durch ihren spontanen und inoffiziellen Charakter besitzen die Graffiti einen besonderen Reiz und einen ungefilterten Quellenwert. So häufig Graffiti von Handwerkern als Bestandteil historischer Bauwerke einst gewesen sein mögen und so oft sie auch heute noch an versteckten Stellen entdeckt werden können, so wenig sind sie jedoch bisher dokumentiert, untersucht und in die bauhistorische Forschung eingeflossen, obwohl sie als authentische Zeugnisse von handwerklich tätigen, schriftunkundigen Personen wichtige Hinweise zur Baugeschichte und zum Baubetrieb liefern können. Die Wenauer Ritzzeichnungen stellen daher in ihrer ganzen Fülle und Vielschichtigkeit ein einzigartiges Geschichtszeugnis dar – über Jahrhunderte bewahrt und verborgen auf dem Dachboden des ehemaligen Nonnenklosters. ENGLISH ABSTRACT Hidden under the roof of St. Katharina in Langerwehe-Wenau (Düren district, Germany), geometric figures and other drawings have survived on a wall of the former convent of nuns. The 500 years old graffiti were incised by craftsmen working on a new roof of the convent church. The church dates back to the 12th century and was modified between 1492 and 1506 under the magistra Margarete von Fleck, and again in 1561 after a fire. A wall which was hidden from sight due to the construction of the new roof truss bears graffiti rosettes, pentagrams of diverse sizes, and a large number of hammers. The drawings, engraved in plaster as doodles or exercises, cover an area 14 metres wide and up to 2,20 metres high. The hammers are very realistic and can be attributed to specific crafts (carpenter’s hammer, mason’s hammer, slate hammer). Apparently, the craftmen left their marks on the hidden spot within the church to express pride for their work. Because they probably did not know how to write, they represented themselves through their working tools. Such graffiti are authentical sources and testimonies of persons we can otherwise barely trace. Since we know very few craftmen’s graffiti, the examples from St. Katharina are valuable sources of the medieval daily-life and work.

RITTER, REITER UND BEWAFFNETE IM KONTEXT MITTELALTERLICHER GRAFFITI Thomas Wozniak EINLEITUNG Forschungsstand Graffiti gehören zwar nach Urkunden und Akten zu den häufigsten historischen Quellen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, trotzdem hat ihre epochenübergreifende Erforschung eben erst begonnen.1 Gerade mittelalterliche Graffiti sind oft nur durch besondere Umstände überliefert.2 In den letzten Jahren wurden zunehmend profane Wandmalereien aus dem Mittelalter, die besonders in Frankreich und Italien gefunden wurden, dokumentiert. Dabei traten auch immer wieder Graffiti zutage.3 Im Folgenden werden mehrere, zum Teil erst in jüngster Zeit entdeckte Überlieferungssituationen vorgestellt. Eine Gruppe, die bisher selten beobachtet und beschrieben worden ist und die im Folgenden eingehender betrachtet wird, sind Darstellungen zeittypischer Reiter, Ritter oder Bewaffneter.4 Als Arbeitsthese mag dienen, dass, während in antiken Befunden Darstellungen von Gladiatoren einen breiten Raum einnehmen, im Hoch- und Spätmittelalter die Darstellungen von Schlachten, Turnieren und Zweikämpfen eine ähnliche Beliebtheit erreicht zu haben scheinen. Die bisher bekannten Befunde sind über ganz Europa bis nach Outremer anzufinden, sie stammen (soweit bekannt und chronologisch sortiert) aus der Pfarrkirche St-Martin in Moings (Dép. Charente-Maritime),5 der Kreuzfahrerburg Crac des Chevaliers,6 einer ganzen Reihe norwegischer Stabkirchen,7 aus verschiedenen englischen Kirchen8 und der Burg Knaresborough in England sowie aus der Kollegiatskirche St-Pierre in Châteauneuf-sur-Charente (Dép. Charente),9 aber auch aus einer Kirche in Hagenau im Elsass.10 Weiterhin werden hier Befunde aus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Plesch 2010, 142. Kraack – Lingens 2001; Lingens 1992, 47–50; Kraack 1997. Le Deschault de Monredon 2015, 20. Vgl. Carraz – Dehoux 2016. Glénisson – Seguin 1986, 555–571; Glénisson 1997, 27–40. Großmann 2006, 348–361. Blindheim 1985. Champion 2015, 141–152. Dankenswerter Hinweis von Sonja Hermann (Inschriftenkommission Bonn) im April 2017. Hofer 1940, Taf. 43 Abb. 15.

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dem Wehrturm in Schloss Spiez,11 in Sitten/Sion12 und aus dem Schloss Chillon13 vorgestellt sowie die zahlreichen Graffiti in der Amtsstube in Schloss Rochlitz14 und die jüngst entdeckten Graffiti der ehemaligen Marienkirche auf dem Münzenberg in Quedlinburg.15 Die folgende Zusammenstellung und insbesondere der Katalog im Anhang (A-Nr.) – der den Überlegungen und der Machart des Katalogs von Martin Langner folgt16 – wurden aufgrund der bisher dokumentierten Befunde erstellt und durch eigene Beobachtungen ergänzt. Die tatsächliche Überlieferung dieser Kategorie von Graffiti wird mit Sicherheit deutlich umfassender sein, ist aber bisher noch sehr wenig erforscht. Zuerst muss die Diskussion zur Definition von Graffiti sowie zur Frage einer eventuellen kindlichen Urheberschaft kurz skizziert werden. Auch zum Problem der Datierung mittelalterlicher Graffiti ist vorab Stellung zu nehmen. Was sind Graffiti? Da eine einheitliche Definition dessen, was Graffiti sind, nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheint, sei dazu auf die ausführliche Abwägung in der Einleitung zu diesem Band verwiesen. Es ist beobachtet worden, dass sich Graffiti im mittelalterlichen Kontext häufig in bestimmten Bereichen konzentrieren: Beispiele dafür sind Pilgerstätten, besonders die Altäre ausgewählter Heiliger, aber auch Bereiche, die Wachzwecken dienen. Dazu gehören oft Orte von unfreiwilligen Aufenthalten wie Gefängnisse,17 Kerker18 oder Karzer,19 aber auch von freiwilligen wie Toiletten oder Wachstuben. Für die mittelalterlichen Befunde ist all diesen Orten gemeinsam, dass sich jeweils ein Individuum dort für eine bestimmte, oft längere Zeit aufhielt oder aufhalten musste und dabei ein Zeichen hinterließ. Das leitet über zur Frage nach den Motiven, Kategorien und der Datierung.

11 12 13 14 15 16

Baeriswyl 2013, 152–155; Hofer 1940, 101–108 Taf. 40–43. Dankenswerter Hinweis von Fabian Brenker (Tübingen) im Oktober 2017. Hofer 1940, 103 Anm. 24: „Alte Residenz“, Fensterlaibung um 1250. Schmidt 2012, 332–342. Wozniak 2013, 73–95; id. 2016, 101–128. Langner 2001, 172. Die Katalog-Angaben sind, soweit bekannt, einheitlich aufgebaut, zunächst die Nr., dann die Datierung, der Fundort, die Größenangaben samt Anbringungshöhe und schließlich die Quellen. 17 Motschi 2000, 71–83. 18 Tedeschi 2012. 19 Setzler 1977; Oberdörfer 2005; Hahne 2005.

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Schmiereien von Kinderhänden? Immer wieder wurde auch diskutiert, ob die Graffiti etwas über das Alter der Anbringenden aussagen können, da sie bis in die jüngste Zeit oftmals als irrelevante Zeichnungen von Kindern abqualifiziert werden. Um diese Frage zu verneinen, muss vorab ausgeschlossen werden können, dass es sich bei antiken und mittelalterlichen Graffiti nicht, wie dies in der früheren Forschung immer wieder behauptet wurde, nur um (vermeintlich unwichtige) Kinderzeichnungen handelt. Selbst wenn es sich ausschließlich um Kinderzeichnungen handeln würde, wäre dies keine Schmälerung des Quellenwertes, denn so viele unmittelbare Zeugnisse der Kindheit aus älteren geschichtlichen Epochen hätten für sich bereits einen bemerkenswerten Informationszuwachs über Heranwachsen, Ausbildung und Familienstrukturen. So ist fast zu bedauern, dass es sich wohl nicht nur um Kinderhände handelt. Zum einen gibt es Auswertungen zur Anbringungshöhe von Graffiti; Kinder sind klein, Graffiti aber oft in einiger Höhe angebracht. Sie können aber auf Hilfsmittel steigen und so ihr Graffito auch an höheren Stellen platzieren. Wichtiger als die Anbringungshöhe scheint deshalb die psychologische Entwicklung der Wahrnehmung und der Zeichenfähigkeiten von Kindern zu sein, bei der fünf Entwicklungsphasen unterschieden werden: Die erste Phase beginnt mit Gekritzel, da die handwerklich-technischen Fähigkeiten erst entwickelt werden müssen, die zweite und dritte Phase sind gekennzeichnet von der Darstellung einfacher Schemata, etwa geometrischen Formen. Die vierte Phase wird durch die Herausbildung eines visuellen Schemas charakterisiert und die fünfte und letzte schließlich durch einen visuellen Realismus. Kurz gesagt, Kinder zeichnen nicht, was sie sehen, sondern was sie wahrnehmen und wissen. So werden bei einer Person, die in Seitenansicht dargestellt wird, trotzdem beide Arme vollständig gezeichnet oder es dürfen bei einer Person, die in einem Boot sitzend gezeichnet wird, die Beine nicht fehlen. Kinder verschieben auch die Proportionen stark in Richtung Kopf. Die Studien zu diesem Thema beruhen auf der Auswertung von 500.000 kulturübergreifenden Kinderzeichnungen und könnten anhand genauer Aufschlüsselungen die gezielte Identifizierung von Kindergraffiti möglich machen.20 Da die Forschung an Graffiti allerdings noch in den Kinderschuhen steckt, ist bisher nur sehr wenig darauf geachtet worden, ob Graffiti von Männern, Frauen oder Kindern angebracht wurden. Zwar sind aus Pompeji 5.600 Graffiti (CIL IV) bekannt, diese wurden bisher aber nur sehr selektiv erforscht.21 In der Tendenz scheinen die verwendeten Namen darauf hinzuweisen, dass Graffiti eher von Männern angebracht wurden. Auch die Befunde der Frühneuzeit scheinen in diese Richtung zu deuten. Für das Mittelalter stehen solche Studien aber bisher noch aus. Die einzige Zeichnung, die dem genannten visuellen Realismus von Kindern, entsprechen könnte, ist die Abbildung eines Reiters im Schloss Chillon (A17), in welcher der Helm außen und sichtbar der Kopf innen dargestellt wurde.

20 Huntley 2011, 73–77. 21 Vgl. den Beitrag von Polly Lohmann in diesem Band.

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Zur Kategorisierung Die Antwort auf die Frage, warum sich ein Individuum an einem Ort verewigt, bestimmt die Sicht auf Graffiti in hohem Maße. Als erstes Motiv wird immer wieder die Selbstverewigung genannt, die sich in Konstruktionen wie „ich war hier“ oder „hic fuit“, oft auch nur in der Anbringung des Namens, von Wappen, Kürzeln, Hausmarken oder persönlichen Zeichen äußert. Eine eng damit zusammenhängende, in Teilen überschneidende Motiv-Kategorie ist die des Erinnerungsgraffitos: Hierunter fallen Liebende, die gemeinsam ein Herz mit ihren Initialen in einen Gegenstand ritzen oder Adelige, die auf einer Pilgerreise an einem fernen Pilgerort ihr Wappen hinterlassen.22 Wichtig ist in jedem Fall die Kontextualisierung des Graffitos. Auf die Anbringung eines Graffitos wird häufig reagiert, indem ein gleiches, ähnliches oder völlig abweichendes Graffito danebengesetzt wird. So wurden in der Grabeskirche in Jerusalem während der Kreuzzüge hunderte Kreuze eingeritzt, von denen vermutet wird, dass jedes jeweils eine Person symbolisiert.23 Graffiti haben also auch einen gewissen repetitiven Wert. Als weiteres Motiv für die Anbringung von Graffiti ist in den letzten Jahren – besonders aufgrund der Befunde des Norfolk Medieval Graffiti Survey – ihre Funktion als Ersatz und/oder Ergänzung für Votivgaben vorgeschlagen worden.24 Viele der in England gefundenen großen Schiffsgraffiti wurden im Sichtfeld von wichtigen lokalen Heiligenfiguren angebracht. Ähnlich wie bei Votivgaben aus Wachs oder Holz, die entsprechend teuer waren, könnte damit der Heilige um Schutz für das entsprechende Transportmittel und seine Besatzung gebeten worden sein. Alternativ könnte das Graffito auch als Dank für die Errettung aus einer Notlage gefertigt worden sein. Die bisher erfolgte Sammlung mittelalterlicher Graffiti hat noch keinen so umfangreichen Stand erreicht, der mit jenen der antiken Graffiti im Corpus Inscriptionum Latinarum vergleichbar wäre. Deshalb sind die bisherigen Kategorisierungsversuche stark von den jeweils untersuchten, meist regionalen Befunden gekennzeichnet und können hier zusammengefasst aufgeführt werden: Die Bearbeiter der Graffiti in den norwegischen Stabkirchen haben ihre Befunde in zehn Gruppen unterteilt: 1) geometrische Figuren, 2) menschliche Figuren und menschliche Köpfe, 3) Waffen, üblicherweise im Zusammenhang mit menschlichen Figuren, 4) Vögel und Säugetiere, 5) Fische und marine Tiere, 6) Schiffe, 7) Inschriften mit Runen und lateinischen Buchstaben, 8) Pflanzenmotive, 9) Wappen und 10) unverständliche Zeichen und Piktogramme.25 Aufgrund des Norfolk Medieval Graffiti Survey wurde bisher folgendes Kategoriensystem entwickelt: rituelle Graffiti, kompassartiges Design, Fünfecke, Hexenmarkierungen, Kreuze, Verfluchungen, Schiffsgraffiti, architektonische Graffiti, heraldische Graffiti, Steinmetz-

22 23 24 25

Vgl. den Beitrag von Detlev Kraack in diesem Band. Jacobs 2017, 175–222. Champion 2012, 103–123. Blindheim 1985, 12.

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zeichen, Kaufmannszeichen, Ritter und Drachen, Sonnenuhrziffernblätter, Vögel, Fische, Pilger sowie musikalische Zeichen.26 Anhand des Gesagten lassen sich die mittelalterlichen Graffiti aufgrund der bisher bekannten Befunde also grob in Inschriften und Zeichnungen unterteilen. Unter Inschriften werden hier alle Schriftzeugnisse verstanden, die auf Buchstaben oder Zahlzeichen beruhen und sinnhafte Wörter oder Texte bilden können. Sie lassen sich weiter unterteilen in Inschriften mit memorialem Charakter und Rechnungen bzw. Aufzählungen. Die memorialen Inschriften umfassen Zeugnisse von ehemals Anwesenden für sich selbst (hic-fuit-/hoc-fecit), Gebete für vor kurzem Verstorbene (obiit/obitus) und Erinnerungsinschriften für Dritte. Die Gruppe der Selbstzeugnisse setzt sich aus Darstellungen von Wappen27 und heraldischen Elementen, Pilgerzeichen, weiterhin Händler- und Hausmarken sowie Handwerkerzeichen zusammen, wobei für die besondere Gruppe der Steinmetzzeichen umstritten ist, ob sie überhaupt zu den Graffiti gehören.28 Die größte Gruppe bei den Zeichnungen bilden Darstellungen von Schiffen, weiterhin Ornamente, im Speziellen Rosetten sowie (fünfzackige) Sterne. Zahlreich vertreten sind auch Spielbretter, besonders das Mühlespiel. Daneben kommen sechs weitere Gruppen häufiger vor: Bewaffnete, Ritter, Reiter und Pferde, verschiedene Tiere, darunter vor allem Hunde und Vögel, aber auch die Darstellung architektonischer Elemente. Weitere Kategorien bilden Instrumente und Körperteile. Mit der Kategorisierung verwandt, gleichwohl deutlich schwieriger zu ermitteln ist die Datierung der Graffiti. Datierung Die Zeit der Anbringung eines Graffitos zu ermitteln, ist in höchstem Maße anspruchsvoll. In Bezug auf eine Datierung mit Hilfe von angebrachten Jahreszahlen ist in England beobachtet worden, dass solche direkten Datierungen erst am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert häufiger auftauchen. Tendenziell wird nach der Reformation häufiger eine Jahreszahl hinzugefügt.29 Befunde aus Kirchen in Italien zeigen aber bereits für das 10. Jahrhundert Datierungsangaben.30 Eine Datierung anhand paläografischer Aspekte ist oft schwierig, da die Inschriften aufgrund der schwer zu bearbeitenden Trägermaterialien nicht immer ihre zeittypischen Schrifteigenschaften erahnen lassen. Manchmal lässt sich eine zeitliche Zuordnung mit Hilfe des baulichen Überlieferungszusammenhanges eingrenzen. So kann zum Beispiel ein mögliches Anbringungsfenster einiger Graffiti in der Johanniterburg Crac des Chevaliers in Syrien mit dem Beginn ihres Neubaus im 26 27 28 29 30

Champion 2015, v–vi. Vgl. den Beitrag von Simon Dietrich in diesem Band Champion 2015, 123–130. Champion 2015, 202 f. Bassetti 2015, 323: „An(no) d(omi)ni dccccxv / d(omi)n(us) Stadib(er)ti p(res)b(ite)ri / et Gise(m)p(er)ti d(iacon)i et alior(um) / […] fuit / An(no) eor(um) .xxiii.“

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Jahr 1170 und der Eroberung der Burg 1271 durch die Mameluken auf ziemlich genau 100 Jahre eingeschränkt werden.31 Ein anderes Beispiel bietet der ehemalige Dominikanerkonvent in Treviso, der von spätestens 1282 bis 1389 errichtet wurde. Im Kapitelsaal finden sich auf einer Malschicht von 1282 Graffiti in großer Zahl. Diese Schicht wurde mit Fresken des Malers Tommaso da Modena, welche etwa auch die früheste Darstellung einer Brille bieten, im Jahr 1352 überdeckt.32 An einigen Stellen sind die Fresken des 14. Jahrhunderts abgefallen und geben die darunterliegende ältere Schicht samt der Graffiti wieder frei. Diese sind damit relativ-chronologisch in die 70 Jahre zwischen 1282 und 1352 zu datieren. Wo dies nicht mit dieser Genauigkeit möglich ist, bieten häufig die Art der gezeigten Waffen und der Entwicklungsstand der Rüstungstechnik sowie kostümund modegeschichtliche Details chronologische Anhaltspunkte. Besonders die Datierung von Helmen hat sich, aufgrund der schnellen Anpassung an die Erfordernisse der Waffentechnik, als sehr erfolgreich erwiesen.33 Für die Zeit, in der sie verwendet wurden, bieten auch Wappen einen guten chronologischen Anhaltspunkt. Allerdings tritt die Verwendung von aussagekräftigeren Vollwappen gegenüber einfachen Wappenschilden im Laufe des Spätmittelalters zurück. Ein weiteres Beispiel für diese Datierungen mit Hilfe des Baubefundes findet sich auch in der ehemaligen Krypta der Marienkirche auf dem Münzenberg in Quedlinburg. KONTEXTE VON GRAFFITI BEWAFFNETER PERSONEN Die Marienkirche auf dem Quedlinburger Münzenberg Es ist selten, dass Sakralräume wieder annähernd so rekonstruiert werden können, wie sie im Mittelalter ausgeführt worden sind. Fast 20 Jahre nach dem Beginn eines erfolgreichen, privaten Wiederherstellungsprojektes34 ist seit Anfang des Jahres 2015 die Krypta der ehemaligen Marienkirche auf dem Münzenberg in Quedlinburg wieder als Sakralraum erlebbar (Abb. 1). Damit sind erstmals seit dem 16. Jahrhundert wieder alle drei ottonischen Krypten der Stadt (St.Servatiuskirche, St.-Wipertikirche, Marienkirche) für Besucher zugänglich.35 Fast 500 Jahre lang waren die Marienkirche als Wohnraum zweckentfremdet und die Krypta als Keller- und Lagerraum genutzt worden. Dafür waren entlang der Schiffe die Bögen zwischen den Pfeilern mit Mauern verschlossen worden. Aus überlieferungstechnischer Sicht war diese Umnutzung ein Glücksfall, der dazu geführt 31 32 33 34

Zimmer u. a 2011; Biller u. a. 2006. Mazzarolli 1980. Edge – Paddock 1996, 186 f.; Masser 1983; id. 1986. Die Initiative zur Wiederzusammenführung der einzelnen Teile der Kirche startete Anfang der 1990er-Jahre Prof. Dr. Siegfried Behrens, der ehemalige Chefarzt des Lemgoer Klinikums. Er wurde dafür 2009 zum Ehrenbürger der Stadt Quedlinburg ernannt. Vgl. Korf – Behrens 2007, 4 f. 35 Leopold 2010, 109–117.

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hat, dass an einigen der Pfeiler, die von den frühneuzeitlichen Mauern überdeckt wurden, die mittelalterlichen Originalputze mit ihren Graffiti erhalten geblieben sind und nun wieder freigelegt werden konnten.

Abb. 1: Rekonstruierte und seit 2015 zugängliche Krypta der Marienkirche auf dem Münzenberg in Quedlinburg (Foto: T. Wozniak).

Die Geschichte der Marienkirche begann im Jahr 986, als das Kloster von Äbtissin Mathilde (955–999), der Tochter Ottos I., gegründet wurde.36 Nach einem Brand im Jahr 1015 wurde die Kirche in Anwesenheit von Kaiser Heinrich II. (973–1024) am 26. und 27. Februar 1017 durch Bischof Arnulf von Halberstadt neu geweiht.37 Vermutlich im 15. Jahrhundert brachen im nordöstlichen Teil der Krypta einige Gewölbe weg und mussten erneuert werden; im Rahmen dieser Reparaturphase wurden Teile der nördlichen und östlichen Außenwand neu errichtet. Bald nach der Auflösung des Klosters im 16. Jahrhundert teilte man die Krypta durch Mauern zwischen den Pfeilern und Gewölben ab. Dabei wurde das südliche Seitenschiff dem ehemaligen Haus Münzenberg Nr. 1 zugeordnet, das mittlere und das nördliche Seitenschiff dem Haus Münzenberg Nr. 3, die seitlich anschließenden Räume im Norden dem Haus Münzenberg Nr. 2 und jene im Süden dem Haus Münzenberg Nr. 16.38 Die archäologischen Befunde sind durch Oliver

36 Korf 1998, 33–41. 37 Thietmar von Merseburg, Chronicon (= Holtzmann 1935) 7, 53. 38 Scheftel 2014, 4 f.; id. 2011, 169 f.; id. 2006, 171–180; id. 2005, 116–136.

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Schlegel und Claudia Schaller39 aufgearbeitet worden. Bauhistorisch wurde die Krypta im Jahr 2000 von Peter Bux und 2014 von Udo Drott im Bestand kartiert und erforscht.40 Weitere bauhistorische Untersuchungen wurden in den Jahren 2009 und 2014 von Michael Scheftel durchgeführt. In der Krypta konnte dabei eine ganze Reihe bisher unbekannter Graffiti entdeckt werden (Abb. 2), welche die Zahl der bekannten Inschriften und Graffiti der Marienkirche mehr als verdoppelt haben. Im Folgenden werden die Graffiti von bewaffneten Personen einer näheren Betrachtung unterzogen. An der nördlichen Seite des mittleren Pfeilers der südlichen Reihe kann man etwa 1,39 m über dem Bodenniveau eine Zeichnung und einen Buchstaben erkennen. Dargestellt ist eine frühe und sehr spezifische Vorform des Topfhelmes und ein kapitales „R“ (Abb. 2 Nr. 7. Abb. 3 A12).

Abb. 2: Grundriss der Krypta der Marienkirche auf dem Münzenberg in Quedlinburg (Entwurf T. Wozniak).

Die „klassische“ Form des Topfhelmes war erst im 13. Jahrhundert voll ausgeprägt. Zuvor experimentierte man im 12. Jahrhundert mit variantenreichen Formen des Gesichtsschutzes, die sich aus der Nasenspange entwickelten. Eine dieser Entwicklungen ist der heute sog. „frühe Topfhelm“, der aus zeitgenössischen Bildquellen bekannt ist. Das Graffito in Quedlinburg zeigt einen solchen Helm 39 Schlegel 2005, 220–228; Schaller 2012. 40 Drott 2014. Ich danke Udo Drott für das Manuskript und weitere Hinweise.

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mit Sehschlitz und der typischen pillenboxförmigen Kalotte.41 Das Graffito stellt also eine Frühform des Topfhelms mit Gesichts-, aber ohne Nackenschutz dar, wie er auch auf dem Fresko des Iwein-Zyklus‘ auf dem Palas der Burg Rodenegg bei Brixen in Südtirol bekannt ist (Abb. 4). Die dortigen romanischen Darstellungen, die 1972 entdeckt und freigelegt wurden, gehören zu den frühesten erhaltenen profanen Wandmalereien im deutschsprachigen Raum und entstanden zwischen 1200 und 1230.42 Im Quedlinburger Graffito sind nur die wesentlichen Teile der typischen Helmform aufgenommen, die aber eine Datierung in das erste Drittel des 13. Jahrhunderts nahelegen.

Abb. 3: Graffito eines Topfhelms auf dem mittleren Südpfeiler, Krypta der Marienkirche (Quedlinburg) (Foto: T. Wozniak).

Abb. 4: Topfhelm im Iwein-Zyklus auf Burg Rodenegg (Foto: T. Wozniak).

Auf der Südseite des mittleren Nord-Pfeilers in fast derselben Höhe (1,19 m über dem derzeitigen Bodenniveau) befindet sich ein etwa 5 cm breites Zeichen (Abb. 2 Nr. 10. A13), das oben eckig und unten rund mit einem kleinen Fortsatz nach rechts dargestellt ist. Dies könnte eine weitere Darstellung einer frühen Form des Topfhelmes43 sein, denn gegen Ende des 12. Jahrhunderts erhielt der Nasalhelm 41 Diese Hinweise verdanke ich Oliver Schlegel (Untere Denkmalschutzbehörde des Landkreis Harz, Sitz in Halberstadt). 42 Schupp – Szklenar 1996; Masser 1986, 127–142. Auch auf den Fresken des Iwein-Zyklus auf Burg Rodenegg befinden sich bisher nicht dokumentierte Graffiti. 43 Gamber 1997, 865; id. 1977, 113–118.

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eine abgerundete Glocke, und ein schaufelartig verbreitertes Naseneisen leitete zur eigentlichen Form des Topfhelms über.44 Auch die weiteren in der Umgebung dieser Darstellungen auszumachenden Zeichen könnten verschiedene Elemente früher Helmformen grafisch andeuten (A13). Man könnte das als Szene mit mehreren Bewaffneten interpretieren, die aufgrund der frühen Helmform an den Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert datiert werden kann. Da sie sich zudem fast in derselben Höhe wie die Darstellung des einzelnen Helms befindet, könnte ein inhaltlicher Bezug zwischen beiden Darstellungen angenommen werden. Eine Besonderheit unter den Graffiti in der Krypta ist mit Sicherheit die eingeritzte Zeichnung eines Ritters in mittelalterlicher Rüstung (Abb. 2 Nr. 12. A04). Dieses Graffito (H. 23, Br. 7,5 cm) ist an der Ostseite des östlichen Pfeilers im Süden angebracht. Das hier erhaltene Putzstück (H. 45, Br. 30 cm) ist sehr unregelmäßig und liegt 0,69 m über dem rezenten Bodenniveau. Die Figur trägt einen Nasalhelm, der überwiegend vom 10. bis 13. Jahrhundert verwendet wurde.45 Bei der Defensivwaffe auf dem Graffito in Quedlinburg deutet alles auf einen mandelförmigen Langspitzschild, der auch unter der Bezeichnung „Normannenschild“ bekannt ist und im 11. und 12. Jahrhundert der dominierende Schildtyp in Europa war.46 Allerdings ist der Schild zum Körper des dargestellten Kämpfers gedreht, was darauf hinweisen könnte, dass der Zeichner bei dem Versuch gescheitert ist, die Innenseite des Schilds korrekt mit dem Arm zu verbinden. Der Schild könnte aber auch (aus Sicht des Trägers) von der Innenseite her mit den Halteriemen dargestellt worden sein, ähnlich den Darstellungen auf dem Teppich von Bayeux.47 Die Quedlinburger Figur hält darüber hinaus etwas, das man als Vorderzwiesel eines Sattels deuten könnte, in der rechten Hand. Der Zacken an der Rückseite des Reiters wäre in diesem Fall als Hinterzwiesel zu interpretieren.48 Sein Schwert steckt in der Scheide und hängt vom Gürtel herab, der über einer Kettenrüstung oder einem Kettenpanzer getragen wird. Diese auch als „Kettenhemd“49 bezeichnete Rüstung eines Kämpfers ist typisch für das Hochmittelalter50 und bietet einen hervorragenden Schutz gegen Schnitte – indem die Angriffsenergie über die große Zahl der aus Einzelringen zusammengesetzten Panzerung verteilt wurde51 –, nicht aber gegen Hiebe und vor allem nicht gegen Stiche und Beschuss. Die Wirkung von Hieben konnte abgemildert werden, indem man unter den Kettenhemden ein wattiertes Untergewand, einen „Gambeson“ trug. Allerdings dürfte die Polsterung unter dem Ringpanzer wohl eher dünn gewesen sein, da die Beweglichkeit sonst deutlich einschränkt worden wäre.52 Gegen Beschuss war ein Kettenhemd aber nahezu wirkungslos, da die Geschossspitzen die Kettenringe einfach aufbrachen. 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Gamber 1993, 1031. Edge – Paddock 1996, 19–21. 186 f. Nickel 1958; Kohlmorgen 2002, 26. 48. Wilson 2013, 172. 177. 179 Nr. 20. 180 Nr. 24–25. Wie Anm. 41. Gamber 1991b, 1118. Blair 1959; Edge – Paddock 1996, 176. Gut 2009, 65–90. Dankenswerter Hinweis von Fabian Brenker (Tübingen) im Oktober 2017.

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Daher wurden die Kettenpanzer mit Verbreitung der Armbrust ab dem 13. Jahrhundert immer weiter mit zusätzlichen Rüststücken versehen, bis im 15. Jahrhundert der Vollplattenharnisch komplett entwickelt war. Da das Graffito noch keine weiteren Rüststücke wie Armkacheln etc. zeigt, datiert es in die Zeit vor dieser Entwicklung. Damit stellt sich die Frage, warum diese Figur an so prominenter Stelle nahe am Hauptaltar der Krypta angebracht wurde? Handelt es sich um ein Pilgergraffito, das von einem Ab-/Durchreisenden angebracht wurde, oder um eine Darstellung eines Ereignisses aus der (regionalen) Geschichte? Warum wurden überhaupt im 11./12. Jahrhundert an dieser Stelle Graffiti von Bewaffneten und Waffen-/Helmdarstellungen zugelassen? Da jene Zeit von den Kreuzzügen in das sog. Heilige Land geprägt war, stellt sich die Frage, ob die Helmgraffiti als Ersatz für Votivgaben in diesen Kontext zu stellen sind. Hinweise in anderen Quellen fehlen, es können also nur die Graffiti selbst für sich sprechen. Schon Robert Forrer vermutete aufgrund der Tatsache, dass die von ihm im Elsass dokumentierten Graffiti überwiegend aus der Zeit der Kreuzzüge stammen, dass diese als ex voto, als Zeichen eines Gelübdes angebracht worden seien.53 Dies könnte auch bei der Ritterdarstellung in Quedlinburg der Fall sein. Neben den Funden in der Krypta auf dem Quedlinburger Münzenberg wurden in den letzten Jahren aber viele weitere Graffiti entdeckt. Andere Graffiti von Bewaffneten Die folgende Besprechung der im Anhang gezeigten Graffiti erfolgt überwiegend chronologisch. Die ältesten hier einbezogenen Graffiti, eine Reiterdarstellung aus Libušín54 (A01) und eine stehende Person auf einem Heißluft-Auslaßstein der ehemaligen Pfalz Werla (A02),55 datieren in die Zeit des 10. und 11. Jahrhunderts. Zwar sind auf einem in Flick AG in der Schweiz gefundenen Grabstein mehrere Bewaffnete zu sehen, aber die Datierung des Grabsteins (8./9. Jahrhundert) und der Zeichnungen ist nur sehr ungenau, weshalb sie nicht in den Katalog aufgenommen wurden.56 Schon vor über hundert Jahren wurden in Schlettstadt (A03), Schloss Chillon (A17), Zabern (A19), Hagenau (A20) und am Münster von Straßburg (A18) Graffiti dokumentiert, die bewaffnete Reiter darstellen und deren Gemeinsamkeit der Anbringungsort an der Außenseite der jeweiligen Kirchen ist. Aufgrund der dargestellten Helme und Rüstungen lässt sich dabei das Graffito in Schlettstadt in das 11./12. Jahrhundert datieren, die anderen vier Darstellungen gehören dem 13. Jahrhundert an. Robert Forrer vermutete einen Zusammenhang mit bewaffneten Pilgerfahrten.57 53 54 55 56 57

Forrer 1912/1913, 240. Wieczorek – Hinz 2000, 165. Ring 2001, 19. Hartmann 1978, 126–129. Forrer 1912/1913, 240.

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Ähnlich sind die Graffiti einzuschätzen, die in die Wände der Pfarrkirche St. Martin im französischen Pilgerort Moings im Dép. Charente-Maritime eingeritzt wurden.58 Insgesamt sind an der Nordwand 37 menschliche Figuren abgebildet, davon neun Reiterfiguren.59 Vergleichsweise viele dieser Reiter (A05–A11) lassen sich aufgrund der Helmform, die wie bei dem ältesten Quedlinburger Beispiel die Form eines Nasalhelmes aufweist, sowie aufgrund der gesamten ikonografischen Elemente in das 12. Jahrhundert datieren.60 In Moings wurde die Datierung auf eine vergleichsweise kurze Zeitspanne zwischen den Jahren 1120 und 1150 eingegrenzt.61 Die Abbildungen sind teilweise mit Graffiti von Körperteilen wie etwa eines Fußabdrucks (A10) ergänzt, was auf eine bestimmte Bitte an einen Heiligen oder eine ex voto-Funktion hinweisen könnte. Weitere Beispiele für Darstellungen von Bewaffneten in Form von Graffiti finden sich in Crac des Chevaliers, einer der größten und bekanntesten Kreuzfahrerburgen im heutigen Syrien (A14–A16). Dort konnten vor einigen Jahren mehrere Graffiti aus der Kreuzzugszeit und der späteren (arabisch geprägten) Epoche dokumentiert werden, von denen mindestens drei bewaffnete Personen darstellen.62 Alle drei Graffiti wurden in der Nähe des Eingangs der Kapelle der Burg angebracht. Aufgrund von (eigenen) Neuzeichnungen der Graffiti mit Hilfe der publizierten Fotos können hier auch neue Interpretationen vorgeschlagen werden, die helfen, die bisherigen Deutungen zu erweitern. Das am Südportal der Kapelle angebrachte Graffito eines Bewaffneten (A14), das von einem Unendlichkeitsknoten rechts neben dem Kopf sowie einem arabischsprachigen Graffito in der Mitte gestört wird, zeigt nicht nur einen stilisierten „Krieger mit schildförmigem, frontal gesehenem Kopf und großen Ohren und Lanze“,63 sondern auf der linken Seite einen klar zu erkennenden Jagdvogel, vermutlich einen Falken, und unterhalb oder vor dem Krieger eine Art Käfig. Da Jagdvögel nicht in Vogelkäfigen gehalten werden, wird es sich dabei wohl um eine Aufbewahrung für mögliche kleinere Beutetiere als Belohnungsobjekte für den Jagdvogel handeln. Die großen Ohren und den haarlosen Kopf der menschlichen Gestalt könnte man als Lederkappe mit Schutz von Nase und Ohren deuten. Eine ähnliche Darstellung mit Vogel auf dem Arm findet sich an der Kirche St. James in Wield/Hampshire (A40). Links des Südportals der Kapelle in Crac des Chevaliers ist ein Krieger mit Schild und Angriffswaffe eingeritzt (A15), dessen Gesichtsbereich leider nachträglich zerstört wurde. In Höhe der Augen ist aber der Umriss eines pfeifenförmigen Gegenstandes zu erkennen. Sollte dieser zum Kopf gehören, ließe sich eine Rauchpfeife vermuten, wie sie auch im archäologischen Befund geborgen wurden. Da Tabakkonsum erst nach Entdeckung der Neuen Welt in Europa und im Nahen Osten eingeführt wurde und sich genau gegenüber von Crac des Chevaliers die zentrale 58 59 60 61 62 63

Glénisson – Seguin 1986, 555–571; Glénisson 1997, 27–40. Glénisson 1997, 34. Glénisson 1997, 37. Glénisson 1997, 40. Großmann 2006, 348–361. Großmann 2006, 348, F8.

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Burg der Assassinen, Masyaf, befindet, liegt es nahe, dass die Rauchpfeifen dem Konsum von Haschisch dienten.64 Damit gäbe es eine zeitgenössische Abbildung dieses kulturgeschichtlich wichtigen Aspektes des Burgenlebens im Vorderen Orient. Das dritte Bewaffneten-Graffito in dieser Burg befindet sich an der Treppenwange rechts des Westportals der Kapelle. Die sichelförmige Schraffur soll andeuten, dass die Figur/en (?) in einem Boot oder Schiff sitzen, über dessen Reling Schilde hängen. Auffällig ist, dass einer der Reiter auf dem Pferd sitzend mit Lanze dargestellt wurde. Er trägt einen Bart und führt einen Langspitzschild sowie eine Lanze (A16).65 Hier ist zu fragen, warum der Reiter in dieser Weise, also auf dem Schiff auf einem Pferd sitzend, dargestellt worden sein sollte. Da die weiteren in Crac des Chevaliers dargestellten Schiffe nur an den Außenkanten sichelförmige Linien abbilden,66 ist diese Darstellung höchst ungewöhnlich und widerspricht auch der sonstigen Darstellungsweise von Schiffen im Kontext mittelalterlicher Graffiti.67 Entweder müsste also jede sichelförmige Linie einen eigenen Schiffsbug darstellen, dann wäre von mindestens 13 Schiffen auszugehen oder es handelt sich um die Darstellung von etwas Anderem. Da der Bewaffnete auf dem Pferd sitzt, würde dies für eine Szene an Land sprechen. Da er darüber hinaus mit angelegter Lanze dargestellt ist, könnte dies für eine Turnierszene sprechen, allerdings nicht für einen Zweikampf, da der Bewaffnete keinen Helm trägt und ein zweiter Reiter fehlt. Für diese Interpretation würden die vier parallelen Horizontallinien sprechen, die dann entsprechend eine Vorform einer Turnierbahn andeuten würden; die sichelförmigen Linien wären vielleicht die angedeuteten Verstrebungen der Bahn. Betrachtet man nicht nur isoliert diesen Reiter, sondern die gesamte Szenerie, so scheinen in der rechten Hälfte zeltartige Konstruktionen angedeutet zu sein. Auch das Graffito eines mit Schild und Lanze bewaffneten Reiters an der Kirche St-Pierre in Châteauneuf-sur-Charente (A28), welches wohl in das 13./14. Jahrhundert zu datieren ist, zeigt ähnliche zeltartige Linien. Bei den Graffiti der Bewaffneten in Crac des Chevaliers, für die eine vergleichsweise genaue Datierung aufgrund der Baubefunde auf die Jahre 1240 bis 1270 gegeben werden kann, dominieren Motive, die auf kurzweilige Tätigkeiten – Beizjagd, Rauchen und (Übungs-)Kämpfe – hindeuten. Die weiteren Graffiti der Burg zeigen zudem neben Pferden und Ornamenten auch Spielbretter.68 Letztere wurden neuerdings auch auf anderen Kreuzfahrerburgen festgestellt.69 Zeitlich nahestehende Graffiti mit der Darstellung von Bewaffneten finden sich in der Burganlage von Schloss Spiez (A32–A39) am Südufer des Thunersees in der Schweiz.70 Der älteste Bauteil des Schlosses ist ein massiver Turm, der wahrscheinlich um das Jahr 1200 errichtet wurde. Zwei Hocheingänge führen in den auf dem 15 m hohen Sockel errichteten Eingangsbereich. Dieser ist durch 64 65 66 67 68 69 70

Zimmer u. a. 2011, 88. 336 Nr. H 4.82–H 4.84; Taf. 6. Großmann 2006, 352 f. Abb. 302–304. 358 F4. Großmann 2006, 352 Abb. 302. Arduini – Grassi 2002, 17. 20. 22. 26. 28. 42. 44. 46. 56. 62. Großmann 2006, 353 Abb. 306. Boas 2017, 288. Hofer 1940; Baeriswyl 2014.

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zwei Türnischen, zwei Sitzbanknischen, eine begehbare Nische mit Kamin und Waschbecken sowie weitere Wandnischen gegliedert. Auf den Laibungen der nördlichen Fensternische und der östlichen Küchennische sind Graffiti eingeritzt worden. Deren Motive stellen überwiegend Ritter und Bewaffnete zu Pferd dar, daneben finden sich einige fünfeckige Sterne und Pferde sowie andere Tiere. In der nach Osten weisenden (rechten) Laibung der nördlichen Fensternische hat sich die Zweikampfdarstellung eines Tjosts erhalten;71 sie zeigt zwei Ritter, die mit gesenkten Lanzen aufeinander zureiten (A32). Hier und auch in mehreren anderen Darstellungen wurden die Hengste mit ausgeprägten Geschlechtsteilen gekennzeichnet (A27, A33, A37, A38, A49). Mittels Helmform (Topfhelm) können die Graffiti in die Zeit um das Jahr 1300 datiert werden. Die Topfhelme werden teilweise mit aufwendigen Verzierungen dargestellt, in dieser Hinsicht fällt besonders ein Graffito ins Auge, das aufgrund des abgebildeten Wappens den Herren von Ringgenberg zuordenbar ist (A38).72 Dass auch in norwegischen Stabkirchen viele Graffiti eingeritzt wurden, ist seit Längerem bekannt. Den Darstellungen von Bewaffneten, die bisher noch nicht separat betrachtet wurden, ist gemein, dass sie innerhalb des sakralen Kirchenraumes angebracht wurden. Zwei stehende Kämpfer sind mit Äxten bewaffnet (A22, A23), vier weitere halten Schwerter in der Hand (A21, A24–A26), ein Reiter, der in bemerkenswert guter Qualität abgebildet wurde (A27), trägt Nasalhelm, Lanze und Langspitzschild. Ihm ist ein Hund beigegeben, ob allerdings die gezeigte Bewaffnung auf eine Jagdszene hinweist, ist fraglich. In der Nähe der Bewaffneten sind häufig große bedrohliche (Un-)Tiere dargestellt, die von den Kämpfern abgewehrt werden. Die stehenden Figuren scheinen damit wohl als Wachen oder Wächter anzusprechen zu sein. Zwei ähnliche Figuren sind aus England bekannt: Das in Stetchworth in der St.-Peterskirche angebrachte Graffito (A29) zeigt einen Mann in typischer französischer Mode des 13. Jahrhunderts, einer kurzen Tunika, langen engen Hosen und langen spitzzulaufenden Schuhen, wie sie sich auch in anderen Graffiti (A47, A58) finden. Die in einem Graffito in der Marienkirche in Wallington dargestellte stehende Figur (A30) hält mit dem rechten Arm ein Schwert über den Kopf und anscheinend in der linken Hand die dazugehörige Scheide, anders als die später zu besprechenden Graffiti (A63– A65). Die Rüstung wird in Form eines starken Plattenrockes dargestellt. Statt eines Schwertes eine Lanze hält dagegen der mit einem Schwert umgürtete Kämpfer (A31) auf einer erhaltenen hölzernen Sakristeikiste, deren Holz dendrochronologisch in das Jahr 1290 datiert wurde, in St. Valeria in Sitten/Sion in der Schweiz.73 Knaresborough Castle war zwar eine der größten und bedeutendsten Burganlagen in England, aufgrund des hohen Zerstörungsgrades dieser Burg durch die Sprengung zu Zeiten Oliver Cromwells und den folgenden Steinraub wird dies 71 Fleckenstein 1985. 72 Baeriswyl 2014, 12. 73 Charles – Veuillet 2012, 64–69. Die Maße der Kiste sind H = 73,5 cm, L = 144 cm, T = 51,5 cm.

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heutigen Besuchern jedoch kaum klar. Die Anlage wurde seit der angelsächsischen Zeit immer wieder ausgebaut und weiterentwickelt. Vor allem ihre umfassende Erneuerung in der Zeit zwischen 1300 und 1307 führte zur Anbringung vieler Steinmetzzeichen, mit denen die späteren Graffiti teilweise korrespondieren, indem sie diese grafisch mitverwenden. Obwohl die Gesamtanlage stark abgetragen wurde, sind Teile des Keeps (Donjon, Hauptwehrturm) erhalten geblieben. Dieser ist mit einem heute als „dungeon“ bezeichneten achteckigen Raum mit Mittelpfeiler unterkellert. Der Zugang zu diesem Keller erfolgt von Süden über eine etwa 1,20 m breite Treppe von 13 ungleich hohen Stufen (2,20 m tief, 3,60 m weit). Besonders im unmittelbaren Eingangsbereich der Treppe sind, etwa einen Meter hineinreichend, auf der linken Seite 20, rechts 13 Graffiti eingeritzt. Etwa 14 Pfeilspitzen mit einer Höhe von 11 cm sind auf der westlichen Mauer abgebildet, auf der östlichen findet sich hingegen nur eine. Diese Graffiti „may relate to the Castle’s role in munitions manufacture”,74 denn seit dem Ausbau unter König Johann Ohneland zwischen 1204 und 1216 wurde die Anlage als „one of the country’s most important manufacturers of ‚quarrels’ or crossbow bolts“ genutzt.75 Neben mehreren Einzelgraffiti fallen nicht nur eine Jagd- und eine Schafschlachtungsszene auf, sondern auch zwei stilisierte Rosetten und drei Figuren, die aufgrund ihrer Bewaffnung als Wächter gedeutet werden können. Eine Figur (A41), die heute vom metallenen Handlauf der Treppe verdeckt ist, hält in der erhobenen rechten Hand ein Schwert und in der linken einen kleinen Schild. Sie befindet sich auf einem Stein 51 cm über dem Stufenniveau. Auf demselben Stein, aber weiter rechts bzw. südlich von dieser Figur, findet sich eine weitere, etwas kleinere Figur (A42), die eine Art Schild von sich weg hält. Auf selber Höhe daneben wurde ein Hufeisengraffito eingeritzt. Beide könnten eine Art Übungskampf darstellen. Etwa 1,02 m über den Stufen, auf einem Stein, auf dem eine auf den ersten Blick untypische Rosette abgebildet ist, findet sich eine weitere Figur (A44). Die kreisrunde Zeichnung ist aber nicht in der üblichen Manier gezeichnet, sondern weist ein auf einen Mittelpunkt zulaufendes Linienmuster auf, welches der typischen ‚Steinschärfe‘, also einer künstlichen Rauhung der Oberfläche eines Läufersteins in der Draufsicht entspricht. Es stellt also den oberen Mühlstein eines Mahlgangs dar, womit auch die Maßstäblichkeit der benachbarten Person zum Läuferstein zwanglos erklärbar ist. Was die Figur in der Hand hält, ist schwer zu deuten, könnte aber eine lanzenartige Waffe sein. Das kleine „A“-artige Gebilde links neben dem Läuferstein kann als Stützbock, französisch „tréteau“, gedeutet werden.76 Auf der gegenüberliegenden Wand ist eine größere Jagdszene mit Hirschen angedeutet, die auch von einem Jäger mit Bogen (A43) bedroht werden. Eine ähnliche stehende Person mit Bogen ist in Whittlesford (A45) dokumentiert worden.77

74 75 76 77

Sellars 2016, 8. Sellars 2016, 8 f. Durand, 2012, 104 Abb. 179. Coulton, 1915, 59 Abb. 12.

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Eine bemerkenswerte Ansammlung von Graffiti (A46–A56) ist in Schloss Rochlitz, ungefähr 30 km südöstlich von Leipzig, überliefert. Die wiederholt als Residenz von Angehörigen des sächsischen Fürstenhauses genutzte Anlage, die im Kern auf eine Burg des 10. Jahrhunderts zurückgeht, wurde zwischen 1370 und 1377 unter Markgraf Wilhelm I. von Meißen (1343–1407) ausgebaut; dabei entstand auch ein heute als „Amtsstube“ titulierter Raum, der seit einem Brand im Jahr 1632 auf diese Weise genutzt wird. Die Fensternischen dieses Raumes waren früher mit (80 cm hohen) gemauerten Sitzbänken versehen. Während diese verschwunden sind, ist der bauzeitliche Gipsputz noch vorhanden. In diesen sind Graffiti in großer Zahl und Dichte eingeritzt worden.78 Ihre Anbringung wird in die Zeit zwischen 1376 (Aufbringung des Gipsputzes) und dem Ende des 15. Jahrhunderts datiert.79 Darstellungen zweier Turnierreiter (A48), einer Kampfszene mit Pfeil und Bogen (A49) sowie eine Steinbüchse mit Kanonier (A46) konnten bisher erkannt werden. Bemerkenswert sind zudem eine große Belagerungsszene und mehrzeilige Textfragmente,80 die bisher noch nicht vollständig identifiziert wurden.81 Bestandteil dieser Belagerungsszene sind mehrere stehend dargestellte Kämpfer mit Lanze (A54), Fahne (A55) und Armbrust (A56). Als Besonderheit ist eine ritterartige Figur (A47) zu erwähnen, die einen Stechhelm trägt, der aber die Arme fehlen. Die spitzen Schuhe dieser Figur haben eine Parallele in anderen Befunden (A29, A58). Viele verschiedene Beobachtungen von Bewaffneten lassen sich für Kirchen in England feststellen. Die Kirche St. Giles in der Ortswüstung Imber im Süden Englands, die in der „National Heritage List for England“ aufgenommen ist, wurde im 13. Jahrhundert aus Kalkstein errichtet. In dieser Kirche befindet sich ein Graffito einer bewaffneten Person (A58), das im Zuge des „Wiltshire Medieval Graffiti Survey“ unter Tony Hack dokumentiert wurde.82 Die zwischen 1410 und 1440 angebrachte Ritzzeichnung zeigt eine männliche Person mit einem umgegürteten Schwert und einer Liripipe (der Textilverlängerung einer Kapuzenspitze) in der rechten Hand. Die Liripipe reicht bis auf den Kopf der Person und endet dort in einer Chaperon genannten Kopfbedeckung. Dass der Oberkörper der Figur nackt sein soll, wird mit ausdefinierten Muskeln angedeutet. Deshalb und aufgrund der zahlreichen benachbart abgebildeten Tiere könnte es sich bei dieser Abbildung um eine Jagdszene handeln. In einem ähnlichen Graffito, das in der Allerheiligenkirche in Thurlow Magna dokumentiert (A59) wurde, trägt die mit einem Schwert bewaffnete Figur statt der Liripipe eine Schlange in der Hand. Aufgrund des Heiligenscheins, der um den Kopf der Person angedeutet wurde, ist vorgeschlagen worden, es als Darstellung der alttestamentarischen Geschichte zu interpretieren, in der Moses seinen Stab in 78 Schmidt 2012, 332 f.; Schmidt 2015. Bisher sind 55 Graffiti identifiziert, der Bearbeiter geht aber von einer Anzahl im dreistelligen Bereich aus. 79 Schmidt 2012, 333 f. 80 U. a. Bibel Ps. 89 (90), 1–4. 81 Schmidt 2012, 334. 82 Dankenswerter Hinweis von Tony Hack vom „Wiltshire Medieval Graffiti Survey“ im September 2017.

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eine Schlange verwandelt.83 Diese Darstellung eines alttestamentarischen Motivs stünde aber singulär da. Ein Mann,84 der zwei Schwerter schwingend, aber ohne jede Art von Rüstung in der Allerheiligenkirche in Horseheath (A57) in Form einer Ritzzeichnung dargestellt wurde, scheint dagegen eher auf einen Künstler hinzudeuten. Die weiteren Graffiti, die allesamt stehende Bewaffnete zeigen, lassen sich in Gruppen zusammenfassen: Eine Gruppe von drei Graffiti zeigt Figuren, die eine Lanze oder Hellebarde in der Hand halten. In Leigthon Buzzard (A60) ist es die Hellebarde eines Wächters,85 in Arborio (A61) wird die Lanze (mit dem linken Arm) geworfen86 und in Weybread (A62) hält eine stark gerüstete Person mit hochgeklapptem Visier eine Lanze87 in der Art, in der sonst der heilige Georg den Drachen tötend dargestellt wird. Die nächste Gruppe umfasst drei Darstellungen von Kämpfern in auffallend ähnlicher Pose – mit erhobenen Armen, in der Linken ein Schwert beziehungsweise Falchion, in der Rechten ein kleiner runder Schild –, allerdings mit sehr unterschiedlicher Rüstungsausstattung. Der in Croxton dargestellte Kämpfer (A63) scheint wallende Textilien, Wams und Rock zu tragen. Der in Little Grandsen (A64) abgebildete Krieger trägt dagegen eine taillierte, gepanzerte Schutzweste, also einen eng anliegenden kurzen textilen Leibrock mit eingenieteten Stahlblättchen/Lamellen, der als sog. Lendner88 oder bereits als Brigantine zu bezeichnen ist.89 In komplettem Plattenharnisch ist ein Ritter in Goxhill (A65) dargestellt worden. Auffällig ist, dass alle drei Figuren nur einen sehr rudimentären Kopfschutz, der an eine Hirnhaube (Cervellière) denken lässt,90 tragen. Abschließend seien für weitere chronologische Vergleiche noch vier Graffiti von bewaffneten Figuren aus nachmittelalterlicher Zeit erwähnt. Eine Figur in der Zentralbefestigung von Norwich Castle (A66) scheint in einer Art Übungsszene abgebildet zu sein. Ebenfalls in Croxton (A67), auf dem Schlussstein eines aus dem 13. Jahrhundert stammenden Fensterbogens, einem äußerst schwer zu erreichenden Platz, wurde eine Figur angebracht, die bislang entweder als Thomas Becket oder als Sarazene interpretiert wurde.91 Die dargestellte Ausrüstung verweist jedoch auf andere Interpretationsmöglichkeiten: Der Kragen der Figur ist wohl als Halskrause zu sehen, wie sie im 16. Jahrhundert in Spanien und den Niederlanden in Mode kam. Als weitere Elemente zeigt das Graffito den sog. Gansbauch, auch er war Bestandteil der Spanischen Tracht jener Zeit. Dieser läuft von den Hüften schräg abwärts spitz zusammen und wurde in der Mitte der Brust mit einer oder zwei Knopfreihen geschlossen. Die Figur trägt zwei (!) Angriffswaffen, 83 84 85 86 87 88 89 90 91

Pritchard 1967, 154 Abb. 202; Bibel, Exodus 7, 8–13. Pritchard 1967, 52 Abb. 68. Pritchard 1967, 10 Abb. 11. Plesch 2010, 148. Champion 2015, 115; Pritchard 1967, 156 Abb. 207. Gamber 1991a, 1872. Gamber 1983, 688 f. Edge – Paddock 1996, 186; Gamber 1991c, 34 f. Pritchard 1967, 32.

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der Griff der (aus Sicht des Betrachters) linken Waffe dürfte bereits eine Vorform der asymmetrischen Säbelgriffform sein. Aufgrund der modischen und waffentechnischen Details wird dieses Graffito deshalb eher ins 16. Jahrhundert statt wie bisher ins Mittelalter zu datieren sein. Ebenfalls wohl aus dem 16. Jahrhundert stammt die Ritzzeichnung einer bewaffneten Figur in der Burg Runkelstein in Südtirol. Im obersten Stockwerk des Westpalas, dem sog. „Zimmer der Liebespaare“ an der Südwand eingeritzt (A68), zeigt sie Bekleidungsdetails wie ein Barett mit Federschmuck, ausladende Schulterverzierungen, ein Wams, ein Beinkleid und Stiefel.92 Einen letzten Ausblick bietet eine bewaffnete Figur, die als Graffito im Thronsaal, dem sog. Goldenen Raum des Aljafería, im Stadtpalast von Saragossa angebracht wurde (A69). Sie ist Teil einer Schlachtdarstellung des Siebenjährigen Krieges und kann durch die unmittelbar daneben eingeritzte Jahreszahl 1757 zeitlich eingeordnet werden. Festzuhalten bleibt die Beobachtung, dass die genannten Figuren jeweils zeittypische Kleidung und Bewaffnung tragen. ZUSAMMENFASSENDER AUSBLICK Die meisten mittelalterlichen Graffiti-Darstellungen von Bewaffneten weisen zeittypische Bekleidung und Bewaffnung auf: Sie zeigen Schutzelemente wie Kettenpanzer und Nasalhelm im 10. bis 13. Jahrhundert, eine Art Plattenrock und (Vor)Formen des Topfhelms im 13. und 14. Jahrhundert, gefolgt von Lendnern ab der Mitte des 14. Jahrhunderts und von dem als Brigantine bezeichneten Lamellenpanzer, der ebenfalls im 14. Jahrhundert aufkam. Die Rüstungen erhalten im Laufe der Zeit immer mehr Metallverstärkungen, bis sie zum Beginn des 16. Jahrhunderts das Optimum ihrer Entwicklung erreicht haben und aufgrund veränderter Bedingungen (Einsatz von Feuerwaffen, neue Kampfstrategien wie der „Haufen“ etc.) vom Schlachtfeld völlig verschwinden. Alle diese Entwicklungen spiegeln sich in den Graffiti wider. Die Darstellungen bieten aber auch Informationen zu den zivilen Kopfbedeckungen wie Gugel (A44), Chaperon und Liripipe (A40, A58) oder anderen Hüten (A57, A68, A69), weiterhin zu Schuhen (A29, A47, A58) und Stiefeln (A68). Damit sind die Auswertungsmöglichkeiten für die Realienkunde nur angerissen, keineswegs erschöpft. Die Zusammenstellung im Katalogteil macht deutlich, dass sich für die Zeit vor 1300 die meisten Graffiti mit Darstellungen bewaffneter Personen an Innenund Außenwänden von Sakralräumen erhalten haben. Dies bleibt auch für das Spätmittelalter so, aber die Überlieferung an profanen Bauten, an Wänden, insbesondere aber auch an Fensterlaibungen, tritt hinzu. Die Darstellung mehrerer Bewaffneter steht mehrfach in Verbindung mit Schlachten- oder Belagerungsszenen, so in Moings, der einzigen Kirche, in der sich ein solches Motiv findet, wie auch in den Schlössern in Spiez, Rochlitz und Saragossa. Am häufigsten treten allerdings Darstellungen von Einzelkämpfern mit Lanzen zu Pferde auf. Darauf folgen 92 Dankenswerter Hinweis von Armin Torggler (Bozen) am 23. Juni 2017.

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stehende Einzelkämpfer, meist mit Schwert und Schild, aber auch mit Axt und vereinzelt mit begleitenden Tieren (Jagdvogel, Hund); ihnen kommt eine Wachfunktion zu. Etwa ein Drittel aller hier betrachteten Graffiti zeigt stehende wachende Figuren, die anderen beiden Drittel Kämpfer zu Pferd. In den norwegischen Stabkirchen sind die stehenden Kämpfer oft gegenüber von überproportional großen und bedrohlichen Tieren dargestellt und haben damit wohl eine apotropäische Funktion. Darstellungen von Turnierkämpfen finden sich mehrfach und zeigen zwei aufeinander zureitende Kämpfer beim Tjost, so wahrscheinlich in Crac des Chevaliers (A16), sicher in Spiez (A32, A34, A35, A39) und Rochlitz (A48). Es lässt sich feststellen, dass Darstellungen von Zweikämpfen anscheinend eher auf profanen Gebäuden angebracht wurden, während sich einzelne Reiter häufiger auf Sakralbauten finden. Letzteres könnte darauf hinweisen, dass diese Graffiti im Zusammenhang mit bewaffneten Pilgerfahrten angebracht wurden; so liegt beispielsweise Moings auf dem Jakobsweg. Das Graffito eines Reiters in einer norwegischen Stabkirche (A27) zeigt einen begleitenden Hund. Zu den Motiven kommen damit noch die Jagdszenen. Als bemerkenswerte Details ist eine frühe Steinbüchse mit ihrem Kanonier zu erwähnen, die in Schloss Rochlitz (A49) eingeritzt wurde, wobei zu ergänzen ist, dass auch auf der Schlachtszene im Palast von Saragossa mehrere Kanonen des 18. Jahrhunderts abgebildet wurden. In den Sakralräumen wurden die Pferde selten (A27) mit ausgeprägter Darstellung des Geschlechtsteils versehen, während eine solche Darstellung auf den Ritzungen in profanem Kontext bei den Pferden (A32, A33, A37, A38, A48) die Regel zu sein scheint. Damit könnten die Zeichner auf die Kraft der Hengste hingewiesen haben. Ausdrücklich hingewiesen werden muss auf die Beobachtung, dass – ganz im Gegensatz zu den antiken Graffiti – keine direkte Darstellung menschlicher Penisse als Zeichen für Männlichkeit erfolgte. Der Ausdruck von Kraft oder Stärke scheint über die abgebildeten gezogenen Angriffswaffen (Schwert, Lanze) angedeutet worden zu sein. Diese Beobachtung gilt für die gesamte hier untersuchte Epoche vom 10. bis 16. Jahrhundert. Beigegebenes Merkmal Schwert Axt Lanze Kanone Bogen/Armbrust Tier Langspitzschild Dreiecksschild Rundschild

Stehende Person Anzahl Kat. Nr. 14 (17) A21, A24–A26, A29, A41, A57–A59, A61, A63–A66, [A67–A69] 2 A22, A23 7 A31, A42, A54, A55, A60–A62

Person zu Pferd Anzahl Kat. Nr. 0 --

1 3 3 1 0 4

0 1 1 7 6 5

A46 A43, A45, A56 A14, A40, A59 A25 -A41, A63–A65

0 19

Tabelle: Übersicht der dargestellten Bewaffneten nach Merkmalen.

-A01, A05–A11, A16– A19, A18, A27, A28– A33, A37, A39, A48, A50 -A49 A27 A04–A07, A09, A27 A28, A32, A35, A37–A39 A01, A48, A63–A65

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Die anhand der Darstellung von Bewaffneten im Kontext der mittelalterlichen Graffiti gemachten Beobachtungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1) Ritter/Reiter sind oft auf (bewaffneter) Pilgerfahrt dargestellt. Schon Robert Forrer vermutet aufgrund der Tatsache, dass die von ihm im Elsass dokumentierten Graffiti überwiegend aus der Zeit der Kreuzzüge stammen, dass diese als ex voto, als Zeichen eines Gelübdes angebracht worden seien.93 Dies könnte auch bei der Ritterdarstellung in Quedlinburg der Fall sein. 2) Es fällt auf, dass bewaffnete Reiter oft in Phasen des Zweikampfes oder Turniers dargestellt wurden. So wie Gladiatorenkämpfe in der Antike zur Produktion von Graffiti animierten, scheinen dies Schaukämpfe oder Turniere im Mittelalter getan zu haben. Zu ergänzen ist, dass die bewaffneten Reiter mehrfach in größere Szenen von Belagerungen oder Schlachten eingebunden sind. 3) Die stehenden Bewaffneten scheinen oft Wächter oder Bewacher darzustellen. Diese waren während ihres Dienstes an einem Ort kaum mobil und brachten aufgrund der langen Zeit, die sie ohne weitere Betätigung zubringen mussten, häufig Zeichen in Form von Graffiti an den Wänden an. Sie können – ähnlich wie heutige Selfies – gleichsam als zeitgenössische Abbildungen der Wächter betrachtet werden. 4) Die letzte Gruppe umfasst Darstellungen von kurzweiligen Tätigkeiten wie Jagdszenen oder künstlerischen Vorführungen. Da die Darstellung von Bewaffnung und Kleidung jeweils den zeitgenössischen Entwicklungen verhaftet ist, böte eine großflächige Erfassung der bisher für das Mittelalter völlig vernachlässigten Quellengattung Graffiti einen deutlichen Erkenntniszugewinn für die genannten Bereiche – Pilgerwesen, Schaukämpfe/Turnierwesen/Schlachten, Apotropäisches, Kurzweil und Unterhaltung – ohne etwa durch den „Filter“ von Künstlern verformt worden zu sein, und dadurch sowohl für die Kunstgeschichte wie auch die Mediävistik aufschlussreiche Ergänzungen.94 Besonders die geschilderten Darstellungen von Schlachten und Belagerungen, aber auch von Schaukämpfe/Turnierszenen, benötigen weitere vergleichende und vertiefende Forschungen, für die der folgende Katalog eine neue Ausgangsbasis bietet. ENGLISH ABSTRACT This paper focuses on medieval graffiti representing knights, riders, horsemen and men-at-arms. Over the last few years, and from different places across Europe, graffiti of single knights and men-at-arms have been discovered – such as in 2015, 93 Forrer 1912/1913, 240. 94 Zum Schluss möchte ich mich bei folgenden Personen für Hilfestellungen oder die Erteilung der Publikationserlaubnis herzlich bedanken: Anja Thaller (Stuttgart), Patrick Reinard (Trier), Oliver Schlegel (Quedlinburg), Peter Ettel (Jena), Claudia Schaller (Jena), Udo Drott (Bad Belzig), Michael Scheftel (Lübeck), Olaf Karlson (Halle), Armin Torggler (Bozen), Matthew Champion (Norfolk Medieval Graffiti Survey), Sonja Hermann (Inschriftenkommission Bonn), Armand Baeriswyl (Bern), Frank Schmidt (Rochlitz), Tony Hack (Wiltshire Medieval Graffiti Survey), Fabian Brenker (Tübingen) und Martin Bauch (Leipzig).

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when the Ottonian crypt at the Münzenberg in Quedlinburg (Germany) was reopened after almost 500 years of use as a cellar. Comparing forms of contemporary armor, weapons, clothing and heraldry can help to date the graffiti. We also find armed men and similar figures in the chapel of Crac des Chevaliers in Syria, one with a falcon, dating to 1240–1270, in medieval Norwegian Stave churches (Unredal, Hedal, Fortun, Lom), and in many places in England (Croxton, Weybread, etc.). At Knaresborough castle, for example, four graffiti show armed men, dating to the 14th/15th century. In addition to individual representations of persons, sketches or illustrations of jousts, battles and sieges can sometimes be found, like in Moings (France), Spiez (Switzerland) or Rochlitz (Germany). In Moings, a total of 37 figures can be dated to the 12th century. This paper offers a catalogue including 69 different graffiti. One half represent upright armed men seemingly watching or guarding; the other half show armed men riding horses. Four main interpretations and motives could be proposed for creating such representations: 1) The standing men-at-arms can be seen as watchmen or guards of castles, perhaps produced by people performing such a role who would have had plenty of time to create graffiti (even of themselves as an early form of ‘selfie’); 2) mounted, armed men in churches could be interpreted as (armed) pilgrims; larger scenes show 3) participants of tournaments and jousts; and 4) armed hunters. This paper offers a collection of European examples (including Outremer) and a first investigation of this category of graffiti. This interesting topic demands further research, especially the tournament, battle and siege scenes, for which this paper provides a starting point.

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TIROLER GRAFFITI ALS QUELLEN ZUR SOZIALGESCHICHTE DES SPÄTEN MITTELALTERS UND DER FRÜHEN NEUZEIT Romedio Schmitz-Esser GEMALT, GERITZT, GESCHRIEBEN UND GEZEICHNET: VOM GALGEN ZUR INSCHRIFT Wer heute die Salvatorkirche in Hall in Tirol besucht und bis vor die Wandmalerei mit dem Jüngsten Gericht aus dem frühen 15. Jahrhundert in deren Chor vordringt, kann schon bei oberflächlicher Betrachtung die zahlreichen in Rötelstift gezeichneten oder in den Putz eingeritzten Graffiti darauf erkennen. Sie stammen aus den ersten zwei Jahrhunderten nach Entstehung der Wandmalerei und reichen von der einfachen Namensnennung eines Besuchers bis zu Zeichnungen, die den Kopf eines kleinen Teufelchens, ein paar Schellen und die Darstellung eines Galgens umfassen.1 Im Folgenden werden dieser Befund und sein Tiroler Umfeld genauer untersucht. Genutzt wird dabei die Definition, die von Detlev Kraack und Peter Lingens vorgeschlagen wurde, derzufolge weder Schreibtechnik, Schreibstoff noch Inhalt das Graffito definieren, sondern die offenbar nicht dafür intendierte Stelle der Anbringung das wichtigste Kriterium darstellt.2 Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, welche Aussagen vormoderne Graffiti über die Gesellschaft, in der sie entstanden, ermöglichen. Es handelt sich damit um einen Beitrag zur Erforschung dieser zu oft übersehenen Quellengattung, die in mehreren wichtigen Untersuchungen ihre – freilich weit umfangreicheren und ehrgeizigeren – Vorläufer hat, so in der klassischen Studie von Detlev Kraack zu den Zeugnissen der spätmittelalterlichen Adelsreise3 oder den in jüngster Zeit erschienenen Monografien von Matthew Champion für das mittelalterliche England,4 von Charlotte Guichard für das frühneuzeitliche Rom5 und Raffaella Sarti für den Palazzo Ducale in Urbino.6 Ähnlich wie die letztgenannten Studien nimmt auch dieser Beitrag einen bestimmten, geografisch und zeitlich bestimmten Raum in den Blick. Das führt zu einer breiteren, regionaleren Erfassung der Graffiti und erlaubt Antworten auf die Fragen, wer im 15. und 16. Jahrhundert durch und in Tirol reiste, welche sozialen Schichten in der Lage waren, zu schreiben, und mit welcher Absicht sie dies im Falle der Graffiti taten. 1 2 3 4 5 6

Schmitz-Esser 2006a. Kraack – Lingens 2001. Kraack 1997. Champion 2015. Guichard 2014. Sarti u. a. 2017.

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Abb. 1: Wie in der Salvatorkirche begleiten auch die Auferstehenden auf der Darstellung des Jüngsten Gerichts in der Magdalenenkapelle am alten Kirchhof der Pfarrkirche von Hall in Tirol Rötelinschriften des 16. Jahrhunderts. Hier sind „Hic fuit“-Einträge (wie jener des gut zu erkennenden Christopher Scherdinger) mit mehreren lateinischen Sinnsprüchen kombiniert (Foto: R. Schmitz-Esser).

FORSCHUNGSSTAND UND MATERIAL Die folgenden Beobachtungen basieren auf Untersuchungen und systematischen Erhebungen der Tiroler Epigrafik, die in den letzten Jahren neuen Schwung aufgenommen hat. 2013 erschien im Rahmen der Reihe „Die Deutschen Inschriften“ (DI) der erste Band zu Westösterreich; er umfasst die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften bis 1665 in den Politischen Bezirken Imst, Landeck und Reutte, also dem Nordtiroler Oberland.7 Dieser Beitrag sei dem ehemaligen Landesarchivdirektor Werner Köfler gewidmet, der das Erscheinen dieses Bandes noch bei zwar schon angeschlagener Gesundheit erlebte, zwischenzeitlich aber verstorben ist. Mit ihm ging nicht nur ein großartiger Landeshistoriker verloren, sondern auch ein reger Förderer der Epigrafik im Allgemeinen wie der Graffitiforschung im Besonderen. Ohne seine stete Unterstützung entsprechender Aufnahmen könnte dieses Material hier nicht präsentiert werden. Das ist umso bemer7

Köfler – Schmitz-Esser 2013.

Tiroler Graffiti als Quellen zur Sozialgeschichte

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kenswerter, als das von ihm begonnene Projekt der Erfassung der Tiroler Inschriften seinen Ausgangspunkt ganz klassisch von den Grabmonumenten nahm, die Graffiti also erst bei der Arbeit am Inschriftenband in den Fokus der Bearbeiter gerieten.8 Rechnet man nach Katalognummern dieses Bandes, so sind mit 33 von 341 Inschriften knapp 10% der Einträge Graffiti gewidmet. Dabei schlüsseln sich die meisten dieser Katalognummern nochmals in mehrere Graffiti auf, die in einem engen Sinnzusammenhang (etwa einem bestimmten Wandabschnitt) vorgefunden wurden. Über dieses Material hinaus wurden bereits einzelne GraffitiKomplexe aus dem Tiroler Raum genauer untersucht. Dazu gehören die Graffiti der Salvatorkirche in Hall in Tirol, deren Chorfresko zahlreiche Beispiele für geritzte und mit Rötel geschriebene Inschriften des 15. und 16. Jahrhunderts bietet.9 Ein weiterer, komplexer Bestand geritzter Inschriften findet sich auf der Steinbrüstung der Pfarrkirche von Hall in Tirol, auf der sich seit dem Spätmittelalter bis in die Gegenwart zahlreiche Personen verewigten.10 Eine eingehende Untersuchung der Rückseite des Altars von Schloss Tirol, der heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum vorliegt, ist schon länger in Arbeit und erste Ergebnisse daraus sind bereits publiziert.11 Auf Graffiti auf der Rückseite einer Tafel mit dem Schmerzensmann, die vielleicht aus der Haller Salvatorkirche stammen könnte, verwies Ulrich Söding.12 Auch für einzelne Orte wie Burg Runkelstein bei Bozen sind eingehendere Untersuchungen von Graffiti unternommen worden.13 Schon ein rascher Blick in die somit noch nicht erfassten Bereiche (das Nordtiroler Unterland, der Osttiroler Bestand, den Meinrad Pizzinini für die DI bearbeitet, und weite Teile Südtirols, das auch über Schloss Tirol hinaus über reiche GraffitiBefunde verfügt) zeigt, dass diese Quellengattung längst noch nicht erschöpfend ausgebeutet wurde. Dass dies ein lohnendes Vorhaben für die Forschung ist, möchte dieser Aufsatz gerne einmal mehr zeigen. Dazu wird er auch bislang wenig oder gar nicht erforschte Bestände berücksichtigen, etwa die Graffiti aus dem Widum von Kals in Osttirol, von der Pfarrkirche in Matrei und von Burg Frundsberg in Schwaz. Warum gibt es aber eine solch reiche Ausbeute an Graffiti gerade in Tirol? Hierfür dürfte es eine Reihe von Gründen geben, von denen hier vier kurz skizziert werden sollen. 1. Zunächst ist der Erhaltungszustand einer bestimmten Kunstgattung in Tirol bemerkenswert: Die Wandmalereien der Gotik sind in Tiroler Kirchen gerade jenseits von Innsbruck oftmals gut erhalten. Sie wurden zudem in den letzten Jahrzehnten an vielen Orten durch Renovierungen wieder freigelegt. Ein Beispiel ist die Salvatorkirche in Hall in Tirol: Erst die Renovierung nach einem Bombenschaden im Zweiten Weltkrieg führte hier zu einer kompletten Aufdeckung der bedeutenden Wandmalerei des Jüngsten Gerichts. Da das letzte 8 9 10 11 12 13

Vgl. Köfler 1983. Schmitz-Esser 2006a. Schmitz-Esser 2006b. Hörmann-Thurn und Taxis u. a. 2011. Söding 2011. Bechtold 2000.

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Graffito, das hier nachgewiesen werden konnte, aus dem Jahr 1590 stammt und eine Renovierung für 1592 in den Schriftquellen zu dieser Kirche belegt ist,14 scheint die Annahme naheliegend, dass im Zuge dieser Renovierung des 16. Jahrhunderts auch die Übermalung erfolgte. Damit ist dieser reiche Bestand von Graffiti aus nur einer einzigen Privatkirche über fast vier Jahrhunderte geschützt worden, bevor er gemeinsam mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts und des Salvators im 20. Jahrhundert wieder das Tageslicht erblickte. Dazu spielte auch der Verlauf der Tiroler Geschichte eine wichtige Rolle: Der Bergsegen an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert machte das Land reich und ließ Siedlungen wie Hall in Tirol mit der bedeutenden Saline und Schwaz mit einem der größten Silberbergwerke der Zeit auch in Bezug auf die Bevölkerung boomen, so dass das Land unter bedeutenden Landesfürsten wie Erzherzog Sigismund, Kaiser Maximilian I. und Erzherzog Ferdinand II. ökonomisch blühte und ausgebaut werden konnte. Durch die Europäische Expansion und die Ausbeutung der für die Europäer neu erschlossenen amerikanischen Silber- und Goldressourcen brach dieser Boom jedoch im Barock soweit in sich zusammen, dass mit der Ausnahme von städtischen Zentren wie Innsbruck kaum mehr grundlegende Neubauten vorgenommen wurden; Barockisierung und Regotisierung haben nur einen vergleichsweise geringen Teil der älteren Bausubstanz zerstört. Zugleich blieben die Kriegszerstörungen auf dem Land gering; das gilt ebenso für die zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts wie bereits für den 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert. Gerade kriegerische Zerstörung und ökonomischer Wohlstand sind aber zwei der großen Faktoren, die den älteren Bestand an Graffiti bedrohen.15 2. In Tirol scheinen Wandmalereien mit den darauf befindlichen Graffiti nicht nur umfangreicher erhalten geblieben zu sein als andernorts; Inschriften an Gebäuden sind hier überhaupt weit besser belegt als in Ostösterreich und dürften schon in der Gotik und im Frühbarock eine wichtigere Rolle gespielt haben. Das zeigt ein einfacher Vergleich: Während im Politischen Bezirk Krems für einen vergleichbaren Zeitraum rund 37% der erfassten Inschriften auf Grabdenkmäler entfielen16 und in Wiener Neustadt fast die Hälfte17, sinkt der Anteil im Tiroler DI-Band auf nur knappe 20%, während an Gebäuden angebrachte Inschriften, die den Bau kommentieren oder schmücken, mit mehr als 30% die stärkste Gruppe innerhalb der ausgehobenen Inschriften im Tiroler Oberland ausmachen.18 Mit dieser anderen Gewichtung der Inschriftenlandschaft in Tirol ergeben sich also nicht nur bessere Bedingungen für die Erhaltung der Graffiti, sondern es boten sich für die Zeitgenossen auch viele Kontexte an, in denen sie ihre Botschaften loswerden konnten.

14 15 16 17 18

Schmitz-Esser 2006a, 119. Vgl. Kraack – Lingens 2001, 24. Zajic 2008, LXXVI. Kohn 1998, LII–LIII. Köfler – Schmitz-Esser 2013, XLIII.

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3. Tirol gehörte (und gehört bis heute) zu jenen Regionen Europas, die nicht nur über eine genuine Kultur der Anwohner verfügen, sondern deren Lage zu einem steten Strom an Reisenden führt, dessen Niederschlag sich wiederum auch in den Graffiti finden lässt. Ein großer Teil der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffitischreiber stammte nicht aus Tirol, sondern nutzte die Alpenpässe der Region, um von Süddeutschland nach Norditalien zu gelangen. Dabei können auch gewählte Reisewege rekonstruiert werden. Ein gutes Beispiel sind die Graffiti einer französischen Pilgergruppe, die sich am Fernsteinpass erhalten hat; ihre Mitglieder stammten aus Cambrai und hatten also offenbar den Weg über Land einer Seefahrt über den Atlantik vorgezogen. Ihre Inschriften ergänzten sie durch zwei Zeichnungen: Einmal ein Dreieck aus drei ineinander gelegten Fischen, das als Symbol der Dreifaltigkeit den religiösen Charakter ihrer Reise ausdrücken sollte, sowie einen mit einem Pilgerstab gekreuzten Schlüssel.19 Die Anspielung auf die gekreuzten Petersschlüssel dürfte ihr Ziel, die Stadt Rom, verraten. Auf der gegenüberliegenden Wand findet sich – wohl von anderer Hand – ein Jerusalemer Wappen, so dass auch Jerusalempilger auf ihrem Weg zur Einschiffung nach Venedig diese Kapelle aufgesucht haben müssen. In der kleinen Wallfahrtskirche von St. Vigil in Obsaurs mag eine Jakobsmuschel das Ziel der Pilger verraten.20 Weit seltener sind Reisebewegungen von Süden nach Norden in den Graffiti greifbar. Durch die Verwendung einer ungewöhnlichen Antiqua-Schrift fällt ein Mann auf, der vielleicht aus Pressano im Trentino stammte und sich in der Salvatorkirche von Hall in Tirol verewigte: „15 ˙ 66 hic fuitt Andrea Lassarus / de pressarnio“.21 Vielleicht gehörte er zu den Besuchern der aufgrund der zentralen Lage Halls für die Innschifffahrt bedeutsamen städtischen Messe.22 4. Schließlich gab es im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tirol eine besondere Kultur des Graffitos. Zwar ist das Phänomen der Graffiti aus dieser Zeit auch andernorts gut belegt, doch es scheint, als sei Tirol ein Zentrum dieses Brauchs gewesen, wie die recht enge regionale Überlieferung nahelegt. Freilich wird erst eine quantitative Gegenüberstellung eine solche These wirklich verifizieren (oder falsifizieren) können. Wenn Graffiti aber an anderen Orten auftauchen, so lässt sich mitunter auch wahrscheinlich machen, dass es Tiroler oder süddeutsche Schreiber gewesen sein könnten, die als deren Urheber anzusehen sind. Die satirische Inschrift aus der Sala delle prospettive in der Villa Farnesina ist ein gutes Beispiel. Der Mann, der den Text: „Was sol ich schreibenn und nit lachen, die la[nz]knecht habenn den babst lauffenn machen“ auf der Landschaftsmalerei des Saales anbrachte, war ein Landsknecht aus dem Heer Karls V., das 1527 im Sacco di Roma die Stadt plünderte. Da das Heer von einem verdienten Tiroler Hauptmann, Georg von Frundsberg, 19 20 21 22

Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 51. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 218. Schmitz-Esser 2006a, 113 und Abb. 6. Schmitz-Esser 2017; Noflatscher-Posch 1992.

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geleitet wurde, ist die Vermutung, dass auch der Schreiber dieses Graffitos aus der Gegend stammte, nicht ganz abwegig. Interessant ist der Hinweis von Charlotte Guichard, dass dieses Graffito zudem nicht das einzige Zeugnis dieses kriegerischen Ereignisses war: In der Villa Lante bemerkte ein Schreiber auf Italienisch: „A di 6 de magio 1527 fo la presa de Roma“.23 Matthias Weniger führt zudem Beispiele von Graffiti in Verona und Bergamo auf, die schon im 14. und 15. Jahrhundert auf kriegerische Ereignisse eingehen.24 Das Beispiel des bekannten Graffitos aus der Farnesina macht zugleich deutlich, dass eine genauere Erforschung der Graffiti durchaus Sinn macht, da sie neue Erkenntnisse über die Verfasser verspricht. Der älteren Kunstgeschichte und Geschichtsforschung schien ein solcher Blickwinkel freilich nicht sehr sinnvoll. Noch Arnold Esch bemerkte zum Graffito der Farnesina, dass es ein Landsknecht „bei der Plünderung Roms roh in ein Wandfresko schmierte“.25 Begreift man aber das Graffitischreiben als einen Ausdruck einer bestimmten Kultur solcher schriftlichen Äußerung, so erkennt man auch die formalen Aspekte, denen der Schreibprozess gehorchte: Zum einen nutzten zahlreiche Schreiber einen Rötelstift oder griffen zu einem Ritzinstrument; sie verfügten also in der Regel über diese Schreibstoffe. Zugleich sind die Orte, an denen man die Graffiti findet, recht klar zu umschreiben: Vor allem handelt es sich um den Chorbereich von Kirchen, die Rückseite von Altären und – mit einigem Abstand in der Beliebtheit – die Wandmalereien oder den Putz in repräsentativen Räumen auf Burgen und Schlössern. Ein gutes, aber noch kaum erforschtes Beispiel bietet Burg Frundsberg in Schwaz, der Stammsitz der Familie des erwähnten Georg von Frundsberg. Hier haben sich Graffiti vor allem aus dem 16. bis 19. Jahrhundert einerseits im kleinen Chorraum und auf der Rückseite des Altars in der Burgkapelle erhalten; zum anderen sind Graffiti in den Wandmalereien eines der oberen Turmsäle erhalten. Ein gewisser Sigismund Sultzperger konnte es hier auch nicht unterlassen, sein Graffito sogar mit seinem Doktortitel zu versehen;26 offensichtlich war der Eintrag also eher ehrenhaft und wie bei einem Besucherbuch zu verstehen, der nicht zwingend im Gegensatz zum Willen des Burgbesitzers stehen musste, selbst wenn repräsentative Rankenmalereien den Hintergrund zu diesem Eintrag bildeten. Schon dieser Fall zeigt, dass auch die Intention der Schreiber einer genaueren Analyse bedarf.

23 24 25 26

Guichard 2014, 41. Weniger 2016, 134 f. Esch 2004, 109. Schmitz-Esser 2010, 76.

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ZEICHEN UND/ODER SCHRIFT Die Erforschung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Graffiti hat eindringlich gezeigt, dass es letztlich unmöglich ist, nur den bildlichen oder nur den schriftlichen Anteil an Graffiti zu erforschen; tatsächlich kommt in der Regel eine Kombination aus Buchstaben, Ziffern wie Jahreszahlen, längeren Inschriften, Zeichnungen und kurzen Symbolen gemeinsam an derselben Stelle vor. Sie beziehen sich zudem wechselseitig aufeinander, auch wenn der Sinn der Graffiti nicht immer eindeutig zu klären ist. Wenn ein Christianus Kholler in den Wandmalereien des Burgfrieds von Frundsberg auftaucht, so vergaß er nicht, auch einen Kahn dazuzuritzen, wie er für die Innschifffahrt verwendet wurde (Abb. 2); offenbar gehörte er zu denjenigen, die sich hier Ende des 16. Jahrhunderts mit einem Hinweis auf ihren Beruf verewigten. Solche Skizzen von Schiffen sind ein häufiges Motiv; für den englischen Bereich wurden sie etwa von Matthew Champion ausgewertet.27 Sie finden sich in den Gebäuden des Lazzaretto Nuovo bei Venedig, wo die Mannschaften verdächtiger Schiffe seit dem Spätmittelalter in Quarantäne warten mussten, an den Palastwänden in Urbino28 oder auf der anderen Seite des Atlantiks, in den Gefängnissen im Fort von Saint Augustine in Florida. Im Alpenraum sind hingegen Stadt- und Gebäudeansichten weit häufiger zu finden. So hat man bei Restaurierungen 2007 im Eingangsbereich des Hauses Schlossergasse 1 in Hall in Tirol eine in Rötel ausgeführte Stadtdarstellung gefunden, die wohl zu den ältesten Darstellungen von Hall gehört.29 Erneut stellt sich die Frage, ob eine solche Zeichnung an prominenter Stelle ebenso ephemer durch die Zeitgenossen verstanden wurde wie es die moderne Klassifikation als Graffito nahelegt, die sich durch die Anbringungsart doch zugleich aufdrängt. Darstellungen von Städten und Gebäuden scheinen häufig Identifikation gestiftet zu haben und konnten in unmittelbarer Nähe zum Dargestellten vorkommen.30 Wenn sich etwa der Turm der Pfarrkirche von Imst in der Vorburg der Kronburg bei Zams findet, liegt es nahe, hierin einen Ausdruck der Herkunft des Schreibers zu sehen.31 Die in den Inschriften häufigen Herkunftsangaben der Schreiber hätten somit ein Pendant in den skizzierten Gebäuden. Auf die auch in Tirol vorkommenden Wappendarstellungen soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da sie von Detlev Kraack ausführlich behandelt wurden.32 Zahlreiche Zeichnungen scheinen auch in Form von Karikaturen zu funktionieren, so das im Profil gezeichnete Gesicht, das neben dem Namen eines Johannes Pitl an der Außenmauer der Pfarrkirche von Imst (von ihm? von anderer Hand?) angebracht wurde.33 Zugleich konnten Bildmotive aus der Malerei aufgegriffen werden, etwa wenn unter dem Fresko mit dem Jüngsten Gericht in der 27 28 29 30 31 32 33

Champion 2015, 83–96. Sarti 2017, 31. Schmitz-Esser 2007. Etwa wenn der Palast von Urbino in dessen Graffiti skizziert wurde; Sarti 2017, 84. Arnold-Öttl 1986, 201; Ammann 1978, 412. Kraack 1997; id. in diesem Band. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 40.

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Salvatorkirche von Hall in Tirol der Kopf eines Teufels eingeritzt wurde. Man hat ihn mit einem sehr großen, tiefen Auge versehen; vielleicht wurde dieses Auge aber auch nachträglich beim Versuch ausgehölt, es zu zerkratzen; solche Veränderungen des Bildes durch den Betrachter sind für mittelalterliche Handschriften gut erforscht.34 Zugleich zeigt der Fall, dass man sich mit einer Deutung derjenigen Graffiti, die offensichtlich apotropäischen oder nigromantischen Hintergrund besitzen, stets in ein Gebiet der Spekulationen vorwagt; letztlich bleiben Sicherheiten über die ursprüngliche Intention des Schreibenden selten. Ein gutes Beispiel dafür sind die Darstellungen von Galgen, die sich in Hall in Tirol unter den Graffiti im Chor der Salvatorkirche (Abb. 3) und auf der Brüstung der Pfarrkirche unabhängig voneinander finden ließen (Abb. 4).35

Abb. 2: Christian Kholler nannte sich im repräsentativ ausgemalten Saal des Burgfrieds von Frundsberg in Schwaz nicht nur selbst, sondern bot auch noch eine seltene zeitgenössische Zeichnung eines Schiffes, wie es in der regen frühneuzeitlichen Innschifffahrt genutzt wurde (Foto: R. Schmitz-Esser).

34 Vgl. etwa Camille 1998. 35 Schmitz-Esser 2006b, 104 f.

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Abb. 3: Das Chorfresko der Salvatorkirche von Hall in Tirol weist zahlreiche Graffiti auf. In diesem Abschnitt ist u. a. ein Galgen mit zwei abhängenden Initialen (?) „WP“ zu erkennen (Foto: R. Schmitz-Esser).

Im Beispiel aus der Salvatorkirche sieht man die typische Konstruktion des Galgens mit einem auf zwei Stützbalken aufruhenden Querbalken, an den auch noch die gezeichnete Leiter gelehnt wurde. Zwei Buchstaben, hier sind es „W“ und „P“, hängen mittels einer Linie (dem Strick) vom Querbalken ab.36 Es wäre möglich, dass es sich hierbei um Initialen einer Person handelt, der der Graffitischreiber ein schlechtes Schicksal wünschte; denkbar bliebe freilich auch, dass es sich um die (dann aber doch sehr makabere) Fürsprache für einen Gehängten oder den Dank aus einer Errettung vor dem oder vom Galgen handelt (dann aber wäre dieser Fall in Hall häufig vorgekommen, was freilich im überregionalen Vergleich nicht ganz auszuschließen ist37). Die Darstellung lenkt in jedem dieser Fälle den Blick auf den Ort der Anbringung zurück, nämlich im Chor einer Kirche. Mittelalterliche und frühneuzeitliche Graffiti aus Tirol stammen mehrheitlich aus einem sakralen Kontext; sie waren kein einfacher Vandalismus, sondern transportierten eine weitergehende Bedeutung. Auch die Namensinschriften mögen entsprechend in der 36 Schmitz-Esser 2006a, 113, 123 und Abb. 3. 37 Siehe dazu Bartlett 2004, 42–52.

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Nähe des Heiligen angebracht worden sein, weil man dies für einen wirksamen Ort hielt. Zugleich sind säkulare Kontexte – etwa mit sexueller Thematik – ebenfalls nicht ungewöhnlich; im Küchentrakt von Burg Runkelstein in Südtirol gelang es, zahlreiche sexuelle Anspielungen in den Graffiti auszumachen, die zudem direkt auf die Wandmalereien des Palas mit ihren erotischen Allusionen Bezug nehmen und so die höfisch-elegante Version des Themas derb explizierten.38

Abb. 4: Die Emporenbrüstung der Pfarrkirche von Hall in Tirol weist zahlreiche geritzte Graffiti auf. Unter Ihnen finden sich erneut auch Zeichnungen von Galgen mit abhängenden Buchstaben (hier links und in der Mitte im Bild) (Foto: R. Schmitz-Esser).

Die Zeichnungen konnten aber auch wesentlich harmlosere Inhalte umfassen, etwa wenn sie das Schriftfeld rahmen sollten. Dies konnte mit vier Strichen, die ein Rechteck umschrieben, geschehen, wie dies in einer Inschrift für Martha Kolb in St. Vigil in Obsaurs geschah.39 Frühbarocke Graffitischreiber liebten es hingegen, die Illusion einer Schrifttafel zu erzeugen, die an einen (freilich stets gemalten) Nagel angehängt worden war, wie dies im Falle der Graffiti neben dem Eingang der Kapelle von Burg Bernegg40 oder in einer Wandmalerei mit der Beweinung 38 Bechtold 2000. 39 Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 182. 40 Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 228.

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Christi unmittelbar links vom Westportal der Pfarrkirche von Matrei geschah; hier deutet ein rechter Winkel den Nagel und den Faden lediglich an, der das rechteckige Schriftfeld (imaginär) hält. Schrift und Bild konnten sich aber auch inhaltlich verschränken; so schrieb ein Metzgersknecht auf die Chorwand der Schlosskapelle von Frundsberg: „1660 Jar Mezer Knecht“ (Abb. 5). Wer aufgrund der Orthografie an der korrekten Auflösung des Berufsstands zweifelt, dem hilft das Beil eines Metzgers, das der Knecht hinter der Jahresangabe ergänzte. Im 17. Jahrhundert schrieben also auch Knechte ihre kurzen Vermerke an die Chorwände. WER SCHRIEB? Versucht man sich an einer systematischen Auswertung der bisher erhobenen Graffiti in Nordtirol, so fällt zunächst auf, dass es praktisch keine Frauen unter den Schreibern gab. Ein ähnlicher Befund ergab sich auch für die Steiermark.41 Frauen scheinen als Schreiberinnen keine zentrale Rolle gespielt zu haben, wobei unklar bleibt, ob dies an den anderen Bildungsmöglichkeiten der Geschlechter lag oder an der unterschiedlichen Zugänglichkeit entsprechender Schreibfelder. Dass aber auch im Falle des umfangreichen Bestands von Graffiti in der Salvatorkirche von Hall in Tirol, die im 16. Jahrhundert ein Nonnenkloster beherbergte,42 keine Frauen als Schreiber auftauchen, spricht gegen diese Annahme. Zur Vorsicht mahnt ein jüngerer Befund: Unter den Graffiti der Burg Frundsberg in Schwaz tauchten bei genauer Betrachtung der Chorwände in der Burgkapelle gleich zwei Frauennamen als Schreiberinnen auf, nämlich eine Maria und eine Magdalena aus dem 17. Jahrhundert; das Graffito der Maria datiert auf den April 1620. Der Befund ändert sich also im Laufe der Frühen Neuzeit; für das 15. und 16. Jahrhundert bleibt das Bild jedoch bestehen und verlangt nach einer Erklärung, die vielleicht tatsächlich in der geringen Alphabetisierung von Frauen in Tirol begründet liegen mag. Umgekehrt lässt sich an den Graffiti auch die Alphabetisierung der männlichen Bevölkerung ablesen. So konnten zunächst offensichtlich Kleriker und Adelige schreiben. In einer sehr kleinen Ritzinschrift aus dem Chorbereich der Salvatorkirche hat der Pfarrer von Absam und Hall, Johannes Hamerspach, die kurze und humorvolle Inschrift angebracht: „Hic fuit johannes de hamerspach la la la“.43 Bei ihm handelte es sich um ein Mitglied einer bedeutenden Haller Familie. In der Nähe trug sich etwas später ein Adeliger aus einer Familie ein, die mehrfach in kaiserlichem Dienst stand und über größeren Besitz im Tiroler Oberland verfügte: „15 ˙ 63 hic f[uit ha]n[s] f[ra]n[tz] vo(n) Wehingen“.44 Nicht immer waren die Pfarrherren jedoch in ihren Graffiti so fröhlich wie Johannes Hamer41 42 43 44

Stelzer 2016, 46. Schmitz-Esser 2006a, 119. Schmitz-Esser 2010, 61. Schmitz-Esser 2006a, 115.

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spach; Anton Gachter, Pfarrer von Serfaus, nutzte 1578 seine Möglichkeit, ein Graffito auf Burg Bernegg anzubringen, um eine moralische Botschaft los zu werden. Er schrieb an ein offensichtlich gebildetes, adeliges Publikum gerichtet: „O homo memorare nouisima t[ua]“.45

Abb. 5: Unter diesen Graffitischreibern in der Burgkapelle von Frundsberg in Schwaz finden sich ein Metzgersknecht, der mit seinem Beil firmierte (oben), und eine Maria (unten), eine der wenigen greifbaren weiblichen Graffitischreiber des 17. Jahrhunderts (Foto: R. Schmitz-Esser).

45 Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 204.

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Nur mit kurzer zeitlicher Verzögerung folgten dem Klerus und den Adeligen Bürger, allen voran Handwerker, unter den Schreibern der Graffiti, die sich damit am besten als Vertreter einer ökonomisch besser gestellten Elite der Gesellschaft beschreiben lassen. Das zeigte ja auch bereits das oben zitierte Beispiel des Sigmund Sultzperger, der stolz seinen akademischen Titel neben seinem Namen ergänzte, also wohl zur Bildungs- und Funktionselite des 16. Jahrhunderts gehörte. Die Ausbildung im Schreiben dürfte im 16. Jahrhundert auch für Laien noch vorrangig in Latein erfolgt sein; Handwerker aus Hall in Tirol nennen sich als „Murator“, „Tonsorus“ oder „Cinctor“.46 Dabei handelt es sich zudem um keine Ausnahme aus der im 16. Jahrhundert bedeutenden Großstadt Hall in Tirol; noch vom Ende des Jahrhunderts ist in St. Vigil in Obsaurs ein Graffito folgenden Inhalts erhalten: „1593 Jch Eustackcch auf tann haim zuman zu kunzingen“.47 Dieser Eustachius aus dem Tannheimer Tal im Außerfern bekleidete offenbar eine Funktion in einem Handwerkergremium oder im Rat des niederbayerischen Künzing. Seine Inschrift ist auch deshalb bemerkenswert, weil die ungewöhnliche Schreibung des Vornamens durchaus Sinn macht, wenn man ihn im Tiroler Dialekt ausspricht; das „-ckh“ in Namensschreibungen findet sich entsprechend auch an anderen Stellen, etwa in der Haller Salvatorkirche, wo ein Eintrag, der zeitlich wohl nicht weit von jener des Tannheimer Eustachius entfernt liegt, lautet: „Hic fuit Christoffer(us) Erlpeckh“.48 Auch hier bietet sich eine kehlige, Tiroler Aussprache des Nachnamens an. Ergänzen ließe sich auch der ungewöhnlichere Fall eines „Gabriel Tonsor“, der sich 1592 in die Wandmalereien im Bergfried von Frundsberg eintrug; dieser Fall ist schon deshalb besonders interessant, weil sich dieser Gabriel (oder wohl eher Gabriele) noch einmal darunter fast wortgleich mit derselben Jahreszahl 1592 eintrug, doch ein wichtiges Wort ergänzte: „Gabrielvs Tonsor Neapolitanus“. Handelte es sich also um einen süditalienischen Barbier, der nach Tirol (etwa an den Innsbrucker Hof) gekommen war? Musiker lassen sich für das 17. und 18. Jahrhundert auf der Brüstung der Haller Pfarrkirche ausmachen, wo sie sich als Bassisten oder Tenöre bezeichneten, offensichtlich die Pausen zwischen den Stücken an ihrem Aufführungsort nutzend.49 WOHER KAMEN DIE SCHREIBER? Ein interessanter Fund ergab sich bei der Inschriftenbegehung im Tiroler Oberland an einem ungewöhnlichen Ort: Im Inneren der Glocke der Kirche der Zisterze von Stams ließ sich eine ganze Gruppe von Personen finden, die sich hier um 1560 eingetragen hatte. Dies war eine Krisenzeit in der Stiftsgeschichte, so dass man zunächst an einen vandalischen Akt denken könnte; doch die Graffitischreiber stellten sich als Mitglieder des Konvents dar. Ein hier genannter Johannes 46 47 48 49

Schmitz-Esser 2006a, 120. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 196. Schmitz-Esser 2006a, 115. Schmitz-Esser 2006b, 104 f.

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Kennestain betreute nur kurze Zeit später die dem Kloster inkorporierte Pfarre von Mais bei Meran, während Matheus Stöger Prior des Klosters wurde.50 Sehr oft lassen sich Schreiber festmachen, die aus der näheren Region stammten; sie kamen offenbar als Pilger zu regionalen Heiligtümern (wie in Obsaurs, St. Georgen ob Tösens oder Pians), besuchten Zentren von Handwerk, Bergbau und Handel (wie in Hall oder Schwaz) oder machten auch einfach nur einen Ausflug (so scheinen es die späteren Graffiti auf der Kronburg über Zams nahezulegen) zu den Orten, wo sie sich verewigten. In Frundsberg findet sich in den Wandmalereien des Bergfrieds eine Gruppe von Personen, die sich hier am 15. Oktober (?) 1658 eintrugen und von denen sich zumindest einer als „Eppanensis“ (aus dem Südtiroler Eppan) zu erkennen gibt (Abb. 6). Die Beziehungen zwischen dem mittleren Inntal und Südtirol waren insbesondere im Weinhandel eng; vielleicht hing auch diese Reise mit dem Handel des geschätzten Tiroler Exportprodukts zusammen, an dem auch viele bayerische Klöster mit ihren Weingärten in Südtirol rege beteiligt waren.51 Die Motive dieser regionalen Reisenden sind mitunter aber auch schwierig auszumachen, etwa im Fall jenes Jakob Pach aus Mals, der sich in der Leonhardskapelle in Nauders eintrug. Was ihn um 1600 dazu bewog, aus dem nahegelegenen Südtirol die Passstraße über den Reschen nach Norden zu nehmen, bleibt uns letztlich verborgen. Anders verhält es sich bei den Akademikern, die sich auf der Durchreise von oder zu den italienischen Universitäten in Tirol aufhielten; ihre Reisewege waren länger und überregional, doch lassen sie sich schon deshalb gut greifen, weil diese Personengruppe in anderen Quellengattungen nachweisbar ist. So trug sich der Student Konrad von Thüngen auf seinem Heimweg von Padua im Gasthaus „Zum Hirschen“ in Innsbruck ein; ein ähnliches Zeugnis soll noch im 17. Jahrhundert in einer Herberge in Brixen zu finden gewesen sein.52 Ein Johannes von Bamberg, der sich 1515 in der schon erwähnten Kapelle in Nauders verewigte, verrät mit einem zweiten, arkaneren Eintrag, nämlich „Ens mobile“, seine aristotelische Bildung; wahrscheinlich kann man ihn mit einem Franziskaner gleichen Namens aus dem Umfeld des sächsischen Hofes identifizieren, der in Leipzig studierte.53 Bei manchen der knappen Ortsbezeichnungen scheint es offensichtlich, dass weder eine Pilgerfahrt noch eine Studienreise, sondern ein überregionaler Handel der Grund der Reisetätigkeit gewesen ist, auch wenn dies nicht explizit in der Inschrift gesagt wird. Dafür sprechen Funde wie die Herkunftsbezeichnung Kaufbeuren in einem Graffito im Widum der Kirche von Kals in Osttirol, von St. Gallen in St. Georgen ob Tösens bei Serfaus oder Freising an der Pfarrkirche von Imst.54 In Pians trug sich ein Reisender ein, der offensichtlich aus Hainfeld in Niederösterreich stammte,55 in der Salvatorkirche findet sich für 1483 ein Andreas 50 51 52 53 54 55

Schmitz-Esser 2003, 92; Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 54. Schmitz-Esser 2017, 91. Kraack 1997, 74. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 161. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 40 und 157. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 127.

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aus Salzburg.56 Dieser Befund lässt sich auch um Beobachtungen an anderen Orten ergänzen; im Dom von Freising fanden sich etwa Graffiti mit den Herkunftsangaben Schaffhausen und Luzern.57 Ein reger Ost-West-Handel, der den schwäbischen, alemannischen, oberbayerischen und Salzburger Raum mit Tirol verband, zeichnet sich in solchen Zeugnissen ab. Dabei wird auch, aber eben nicht nur die Bedeutung des Handels über Donau, Salzach und Inn deutlich. Erneut sind Hinweise auf die Präsenz von italienischen Händlern kaum vorhanden; offenbar beschränkten sich die direkten Kontakte im Süden stärker auf den historischen Raum Tirols mit dem Trentino an seiner südlichen Grenze.

Abb. 6: Diese Reisegruppe, aus der sich ein Mitglied als Südtiroler aus Eppan zu erkennen gibt, trug sich in die Rankenmalereien im Bergfried von Frundsberg ein. Interessant ist die Verschreibung am Ende der zweiten Zeile, wo der Schreiber den irrtümlichen Ansatz seines Nachnamens fortwischte (Foto: R. Schmitz-Esser). 56 Schmitz-Esser 2006a, 114. 57 Seufert 2010, Nr. 237. 242.

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WORÜBER SCHRIEB MAN? Eine große Anzahl der Graffiti besteht aus einer einfachen Namensnennung. Das geradezu klassische Formular beginnt dabei mit einem „hic fuit“. Matthias Weniger schätzte, dass rund vier Fünftel der erhaltenen Graffiti solche „hic fuit“Inschriften seien.58 So nennt sich, um nur ein beliebiges Beispiel zu nennen, ein Schreiber der Salvatorkirche in Hall mit folgender Zeile: „Hic fuit Cristoffer ampass 1531“.59 Er ließ also offenbar dem „hic fuit“ nicht nur den Namen, sondern auch die Jahreszahl und seine Herkunft (aus dem nahegelegenen Ampass bei Innsbruck) folgen. Bereits genannt wurde die Variante, bei der dem Namen eine Berufsbezeichnung beigegeben wurde, wie bei der Inschrift: „Hic fuit Laur[e]ntius Cinctor 31 Jar“, die sich nicht weit von der Inschrift des Christoffer aus Ampass findet.60 Auch hier dürfte dieser Gürtler mit „31 Jar“ nicht sein Alter, sondern das Jahr 1531 gemeint haben, in dem somit beide Graffiti entstanden sein dürften. Mitunter findet sich die Ergänzung des konkreten Tages, an dem die Inschrift entstand; dies ist insofern eine wichtige Beobachtung, da es sich dabei zumeist um einen Heiligentag handelt, der nicht einfach als Referenzpunkt der Datierung genutzt wird. Das ist anders als auf Grabdenkmälern; ein Beispiel hierfür wäre etwa die Grabplatte des 1439 verstorbenen Nikolaus Vollenhals in der Pfarrkirche von Hall in Tirol, die „feria • sexta an(te) urbani“ datiert, also am Freitag vor St. Urban.61 In den Graffiti, die solch eine ante-/post-Ergänzung nicht kennen, wird der Tag also offensichtlich deshalb genannt, weil der Festtag eben der Anlass des Besuchs war, den die Graffitischreiber festhalten wollten. So bemerkt eine Inschrift aus der Salvatorkirche von 1460 den Tag des Apostels Matheus (oder Matthias) als Anbringungsdatum, eine andere von 1483 lautet „in die thome“, ein Graffito von 1522 nennt offenbar „an sant l[aure]n[t]i tag“;62 im Widum von Kals ist es der Tag des Apostel Bartholomäus, in Frundsberg bemerkt ein Schreiber auf der Altarrückseite der Burgkapelle: „Mathieß Schadl 1674 den Pfingstmontag“. Die häufige Tagesdatierung nach dem Heiligenkalender zeigt zudem, dass dieser das tägliche Leben im Jahreslauf ganz wesentlich strukturierte. Kniffelig wird die Auswertung der Graffiti dort, wo nur einzelne Buchstaben angebracht wurden. Dies können monogrammatische Abkürzungen des Namens gewesen sein, so dass man diese Inschriften mit den „hic fuit“-Graffiti vergleichen kann. Wenn etwa ein Schreiber in der gotischen Eingangshalle der Burg Landeck „D G 1624“ schrieb, so dürfte es sich um eine Person mit diesen Initialen gehandelt haben;63 solche Jahreszahlen erlauben dabei oftmals weitergehende Aufschlüsse (wann waren bestimmte Stellen zugänglich, seit wann und bis wann wurden Graffiti hier geschrieben, als terminus ante quem für darunter liegende Putz58 59 60 61 62 63

Weniger 2016, 129. Schmitz-Esser 2006a, 112. Schmitz-Esser 2006a, 112. Huber – Schmitz-Esser 2008. Schmitz-Esser 2006a, 112 und 114. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 170.

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und Malschichten), doch nur im Falle der Doppelung des Graffitos mit ausgeschriebenem Namen lässt sich noch etwas mit den Initialen anfangen. Diese sind zudem zumeist in einer Kapitalis geschrieben, die sich ohne Beigabe einer Jahreszahl kaum sicher datieren lässt. Doch nicht alle Buchstabenkombinationen sind auch Initialen. Vielmehr zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass auch Devisen sehr gerne abgekürzt wurden. Insbesondere Pilgergruppen nutzten diese bei ihren Graffiti. Ein Glücksfall für deren Erforschung ist das Kirchlein St. Vigil in Obsaurs, denn hier tauchen beide Varianten, die gekürzte und die aufgelöste Form, nebeneinander auf. Hier trugen sich Besucher der Kirche in großer Zahl an den Wänden des Langhauses ein, etwa ein Melchior Lampader, der seine Inschrift nicht nur auf 1574 datierte und dabei die beiden Ziffernblöcke mit einem „M“ (wohl für seinen Vornamen oder als Anrufung der Gottesmutter Maria) trennte. Hinter der Jahreszahl ergänzte er auch die Buchstabenkombination „WGW“, die mit seinem Namen nichts zu tun haben kann.64 Andere Schreiber an derselben Wand waren jedoch etwas weniger lakonisch, so dass sich das „WGW“ des Melchior Lampader als „Wie Gott Will“ auflösen lässt; die dazugehörige Devise ist in verschiedenen Varianten überliefert, etwa als: „Alß Zeit vnd Zil get wies [Go]t wil“ oder „Wan Gott wil So ist mein zil“.65 Mehrere Schreiber liebten es auch, moralisierende Sprüche festzuhalten, die ihre Leser im Angesicht des drohenden Todes zu einem gottesfürchtigen Leben aufrufen sollten. So findet sich in der Burgkapelle von Burg Landeck ein solcher Spruch von 1543, der mit den Worten beginnt: „O [m]ensch las dier auf Erden nicht so lieb sein [d]as [d]u ver[g]esest got des herrn“.66 In der Haller Salvatorkirche sind nur mehr Fragmente eines solchen Spruches zu erkennen, seine ganz ähnliche Stoßrichtung bleibt aber dennoch deutlich: „O me(n)sch getenck der las[---] der dot kumt mit ainer [---]“.67 Eine bemerkenswerte Parallele zwischen den Graffiti dieser Art ergibt sich beim Vergleich mit Besucherbüchern des 16. Jahrhunderts, also einer gleichzeitig entstandenen und ebenso wie die Graffiti noch wenig untersuchten Quellengattung. Auch hier trug sich die bessere Gesellschaft ein, wie beispielsweise die Ambraser Trinkbücher vom Hof Erzherzog Ferdinands II. von Tirol belegen. Die Einträge sind oftmals ähnlich lakonisch wie die Graffiti; auch hier dominieren die Jahreszahlen, auch sie sind eher chaotisch auf den Seiten verteilt – und auch hier nutzen die Schreiber zahlreiche Buchstabenkürzel, um fromme Devisen abzukürzen. „NGW“ für „Nach Gottes Willen“, „GSMG“ für „Gott Sei Mir Gnädig“ oder „ABE“ für „Allzeit Bedenke das Ende“ sind nur drei der unzähligen, hier auffindbaren Beispiele.68 Eine systematische Abgleichung der Kürzel aus den Graffiti mit den Kürzeln aus dem Ambraser Trinkbuch hat dabei noch niemand unternommen; damit könnten aber vermeintlich aussagelose und arkane Buchstabenreihen auf einmal ihren Sinn zurückerhalten. Deutlich wird aber schon bei dieser knappen 64 65 66 67 68

Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 199. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 196 und 199. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 181. Schmitz-Esser 2006a, 116. Igálffy von Igály 2010, 53 und 57.

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Gegenüberstellung, dass die Graffiti nicht in einem luftleeren Raum, also quasi als Phänomen für sich selbst entstanden, sondern zu einer gesellschaftlichen Situation passten, die auch andernorts – etwa in Gäste- und Trinkbüchern – dokumentiert ist. GRAFFITI = EPHEMERES SCHREIBEN? Bereits die moralisierenden Sprüche lassen Zweifel aufkommen, ob diese Schriftäußerungen wirklich nur spontan vor Ort erfolgten und letztlich für eine begrenzte Zeit sichtbar sein sollten. Oftmals scheinen diese Sprüche vielmehr als dauerhafte Ergänzung der bestehenden Ausmalung gedacht gewesen zu sein. Ein gutes Beispiel dafür ist das Ensemble im Eingangsbereich der Burgkapelle von Burg Berneck in Kauns, das neben den Malereien auch zwei Felder mit Graffiti umfasst (Abb. 7). Eines davon ergänzt einen moralisierenden Spruch; das andere informiert den Leser über die Baudaten der Kapelle: „Jm den J[a]r Christj 1437 Jar ist diß[e] CaP[e]ll[n] Er Pau[t] w[o]rd(e)n darnach Jn dem Jar Christj (etcetera) 1482 Geweich worde[n]“ (Abb. 8).69 Das Graffito fungierte also als Bauinschrift, war um 1600 für die dauerhafte Erinnerung und überlegt angebracht worden; zugleich griff es inhaltlich ältere, spätmittelalterliche Bauinschriften an der Kapelle auf, aus denen der Schreiber das Baudatum übernehmen konnte.70 Neu ergänzte er das Weihedatum, das er vielleicht aus dem Archivmaterial der Burg kannte und nunmehr am betreffenden Ort sichtbar machte. Manchmal sind Graffiti sogar die einzigen schriftlichen Quellen zu Neu- oder Umbauten, wie es im Falle der Rochuskapelle in Biberwier der Fall ist; hier bezeugt ein Graffito den Brand und Neubau des Turms für den Mai 1640.71 Nicht nur im Bereich der Baugeschichte konnten Graffiti zur dauerhafteren, möglichst öffentlichen Erinnerung dienen. Auch Stiftungsakte konnten so festgehalten werden. Die in Rötelzeichnung ausgeführten und mit 1544 datierten Wappenschilde der Familie Grafinger und Altspaur, die an einer Wand der Kapelle am Fernstein angebracht wurden, weisen auf das Ehepaar Hans II. Gräfinger und Dorothea Altspaur hin; dieses einheimische Adelspaar dürfte wohl weniger eine Reise hierher unternommen, sondern vielmehr zum Bau und Erhalt des kleinen Gotteshauses beigetragen haben.72 Sie folgten damit der Intention ihrer Landesfürsten; nur ein Jahr zuvor hatten Kaiser Karl V. und König Ferdinand I. die Straße am Fernsteinpass ausbauen lassen und hier eine gegossene Gedenktafel errichtet, die dieses Infrastrukturprojekts gedachte; sie befindet sich heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.73 Eindeutiger liegt der Fall in einer Kapelle im Umfeld einer anderen bedeutenden Passstraße: Bei einem Graffito aus der Leon69 70 71 72 73

Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 228. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 128–129. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 329. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 49. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 48.

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hardskapelle in Nauders nennt sich der Schreiber explizit als Stifter: „Jch Josef Jäger als stiftter dißes Gotshauß 1609 Jars“.74 Dass Graffiti, die Stiftungsakte verewigten, gerade am Reschen- und am Fernpass zu finden sind, könnte dabei mehr als nur Zufall sein; offensichtlich gehörte es zu den als besonders nützlich angesehenen Taten, Stiftungen für Kirchen an diesen oft nicht ungefährlichen Routen zu tätigen. So soll etwa der Münchner Bürger Balthasar Pötschner am Arlberg eine heute verlorene Votivtafel angebracht haben; das behauptete er zumindest selbst: „Item zu sand Cristof auf dem Adlperg hab ich ein tafel lassen machen, daran sandt Cristof und meine kind darbey“.75 Der heilige Christophorus war nicht nur der Schutzpatron der Arlbergbruderschaft, sondern auch der Reisenden insgesamt.76

Abb. 7: Graffiti können eine prominente Stellung innerhalb der Wandausschmückung erhalten, wie dies hier im Eingangsbereich der Burgkapelle von Burg Berneck bei Kauns der Fall ist. Neben der Darstellung des Baumeisters, des Schutzpatrons Bartholomäus, einer Kreuzigungsgruppe und einem Wappenrelief ergänzen auch zwei Graffiti links des Eingangs das Ensemble (Foto: R. Schmitz-Esser).

74 Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 221. 75 Kraack 1997, 74. 76 Rosenfeld 1937.

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Abb. 8: Das Detail mit den in Abb. 7 in ihrer Lage gezeigten Graffiti von Burg Berneck weist die Rötelinschriften als zweiteilig aus. Sie bieten eine Zusammenfassung der Baugeschichte der Kapelle und einen frommen Spruch, haben also durchaus auch inhaltlich einen nicht nur ephemeren Anspruch (Foto: R. Schmitz-Esser).

Graffiti konnten also durchaus als dauerhafte Schriftzeugnisse verstanden werden, die Erinnerung langfristig ermöglichten. Die von den Stifterinschriften letztlich erhoffte Fürsprache, die dem guten Akt entsprang, verband sich noch deutlicher mit den Inschriften des Totengedenkens; und auch hier lässt sich ein Tiroler Beispiel anführen, dass diese als dauerhafte Inschrift par excellence gedachte Gattung in Rötel als Graffito umsetzte. In St. Vigil in Obsaurs findet sich das im Formular gänzlich an den typischen Grabinschriften orientierte Graffito: „1543 Marta Kolbin leyt hye pegraben gott gnat der sel vnd al glaibigen“ (Abb. 9).77 Bedenkt man die erheblichen Kosten, die ein Steindenkmal oder ein gemaltes Epitaph an der Wand verursachte, so wird deutlich, warum Graffiti auch in diesem Bereich des möglichst dauerhaften Gedenkens eingesetzt wurden; der Rötelstift erlaubte eine günstige Alternative. Möglich wäre auch eine vorläufige Ausführung eines Grabdenkmals, das dann dauerhafter das Graffito ersetzen sollte, wie Matthias Weniger es für diesen Fall vorgeschlagen hat.78 Das führt allerdings auch zu der Überle77 Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 182. 78 Weniger 2016, 138.

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gung zurück, wie spontan und klandestin eine solche Inschrift eigentlich angebracht werden konnte. An den Pfarrkirchen von Imst und Matrei brachte man außen eine Reihe von gemalten Votivbildern an, die umlaufend um die Kirche als Epitaphien dienten; offensichtlich refinanzierte man so den gotischen Kirchenbau, indem man den finanzstärkeren Geschlechtern des Pfarrvolks eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung und zur aufwändigeren Memoria für ihre Toten am Kirchhof bot. Doch zahlte man auch im Falle der Anbringung eines Graffitos eine Spende an die Kirche? Und wenn dies für die Angehörigen der Martha Kolb zutraf, galt das auch für die daneben so zahlreich angebrachten Pilgerinschriften? Eine solche Sicht würde das Verständnis mittelalterlicher Graffiti grundsätzlich verändern; auszuschließen scheint eine solche geführte und bezahlte Anbringung von Graffiti vor dem Befund in Tirol jedenfalls nicht, auch wenn eindeutige Belege bislang fehlen.

Abb. 9: Diese Grabinschrift für Martha Kolb wurde in Rötelstift an der Langhauswand von St. Vigil in Obsaurs angebracht (Foto: R. Schmitz-Esser).

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Zu den ausführlichen Diskussionen, die sich im Umfeld der Münchner Konferenz ergaben, gehörten auch Überlegungen über diesen Befund der Martha Kolb. Simon Dietrich verwies aus seinem reichen Marburger Bestand auf ein Graffito an ungewöhnlicher Stelle: Auf dem Grabmal des Landgrafen Ludwigs II. von Hessen hält ein Mönch ein aufgeschlagenes Buch, in das ein Schreiber die Worte „REQVIESCAT IN PACE AMEN“ einritzte; es bleibt freilich offen, ob dies ein nachträglicher Wunsch für den Landgrafen oder für eine andere verstorbene Person darstellen sollte. Das Spiel mit der Ikonografie des Denkmals (der für den verstorbenen Landgrafen betende Mönch erhält die passende liturgische Formel in sein Buch geschrieben) ist jedenfalls überdeutlich. Graffiti mit solchen konkreten Gebetsbitten und zum Zwecke der Memoria scheinen im Spätmittelalter insgesamt aber eher selten zu sein;79 für den historisch-steirischen Bereich nennt Winfried Stelzer ein Beispiel aus der Wallfahrtskirche von Ptujska gora/Maria Neustift bei Pettau in Slowenien, in dem ein „Orate pro eo“ eingebaut wurde.80 Ein weiteres Beispiel bietet eine frühe Ritzinschrift aus der Michaelskapelle des Klosters in Göss, das für 1390 den Tod eines Dieners der Kapläne der Nonnen nennt.81 Offensichtlich geht es in diesem für die Nonnen überraschenden Fall (der Diener starb plötzlich, wie die Inschrift bemerkt) um das Totengedenken. WARUM SCHRIEB MAN? Damit bleibt zum Schluss die Frage, warum eigentlich Graffiti angefertigt wurden. Einige Antworten darauf sind bereits gegeben worden: Graffiti konnten als günstigerer Ersatz für Inschriften in anderen Medien eingesetzt werden, etwa wenn sie Stiftungen oder Baugeschichte festhielten oder zum Totengedenken aufriefen. Sie waren also durchdachter als man zunächst denken könnte. Die Schreiber erwiesen sich bei einer Betrachtung der sozialen Schichten, die schrieben, als Teilhabende an der schriftkundigen Elite; zudem waren sie dem Tiroler Befund zufolge großteils männlich. In säkularen Kontexten, etwa in den repräsentativen Ausmalungen von Burgen wie im Bergfried von Frundsberg, scheinen die Graffiti so etwas wie ein Besucherbuch ersetzt zu haben, das durchaus nicht gegen den Willen des Burgherren angebracht worden sein muss; ähnlich verhält es sich mit den Musikern auf der Empore der Pfarrkirche von Hall in Tirol, die hier auf der Brüstung ihren Aufenthalt (wohl untereinander) dokumentierten. Freilich konnten Verfall und Anbringung von Graffiti vor allem im 18., 19. und 20. Jahrhundert miteinander einhergehen, wie es bei der Kronburg bei Zams vorgekommen zu sein scheint (Abb. 10). Da dies aber bereits voraussetzte, dass die Schriftlichkeit weit verbreitet, der Ausflug zur Ruine eine Freizeitbeschäftigung war und die Burg nicht mehr als geschlossener, sozialer Raum, sondern öffentliches, historisches Erbe verstanden wurde, dürfte es sich um ein modernes Phänomen handeln, 79 Frühere Beispiele nennt etwa Jäggi 1999. 80 Stelzer 2016, 42. 81 Stelzer 2016, 53.

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das nicht die Schreibakte des 15. und 16. Jahrhunderts zu erklären hilft. Das wird umso deutlicher, wenn man auf die Graffiti im sakralen Bereich blickt, die zudem die große Mehrzahl der erhaltenen Graffiti in Tirol darstellen. Hier sind apotropäische oder nigromantische Anwendungen einzelner Graffiti auszumachen, wie der Fall der Galgen mit Initialen in Hall in Tirol zeigt. Die Nähe zum Heiligen, zum Altar, zum Tabernakel mit dem Allerheiligsten und zu den Reliquien, versprach besondere Wirksamkeit einer Anbringung von Graffiti an diesem Ort. Das wird auch ein wichtiger Grund für die Anbringung der Mehrheit der typischeren Graffiti gewesen sein, die den Namen des Besuchers und die Jahreszahl nennen und damit wohl die Hoffnung ausdrückten, dass ihrer bei Gott gedacht werde und ihre fromme Gesinnung zur Fürsprache der Heiligen führe. Das verraten für den Tiroler Bestand trotz ihrer Unterschiedlichkeit die Zusätze der Graffiti: Sei es die Ergänzung des Heiligentages, an dem die Kirche besucht wurde; die fromme Devise oder der moralisierende Spruch, die die eigene Frömmigkeit demonstrativ vor Augen stellten; oder die Ergänzung von Pilgerzeichen, die damit die religiöse Dimension der Motivation für den Besuch des Gotteshauses unterstrichen.

Abb. 10: Die Ruinen der Kronburg bei Zams weisen zahlreiche Rötelinschriften und Zeichnungen auf. So ist der verbliebene Putz der Vorburg damit verziert; bereits aus der Entfernung sticht die Skizze des Turms der Pfarrkirche von Imst links neben dem die Graffiti überwuchernden Baum heraus (Foto: R. Schmitz-Esser).

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Dass auch die Erinnerung und das Gebet für den Besucher eine Rolle spielten, zeigt sich in der Suche nach Sichtbarkeit. Ein schönes Beispiel dafür bietet ein Graffitischreiber namens Linhart von Mauern, der sich gleich an zwei Stellen in Tirol greifen lässt: Er schrieb sich an der Wand der romanischen Mittelapsis der Stiftskirche von Stams ein82 und setzte denselben Namenszug auch in der Salvatorkirche von Hall in Tirol auf das Chorfresko.83 In Hall trug er seinen Namenszug sehr gut sichtbar auf dem weißen Mantel eines zum Jüngsten Gericht blasenden Engels ein; es handelt sich um eine der hellsten Stellen der Malerei, die eine besonders gute Sichtbarkeit ermöglichten. Dass es ihm darum auch tatsächlich ging, wird umso deutlicher, als er etwas tiefer bereits zuvor angesetzt hatte; die ersten drei Buchstaben seines Namenszuges sind hier auf einem bräunlichen Hintergrund zu sehen. Offenbar befriedigte ihn das Ergebnis aber nicht, so dass er sich für die sichtbarere Stelle entschied und nochmals ansetzte. Der generelle Hang zur Lesbarkeit ist auch an anderen Orten bemerkt worden, etwa für die im 14. Jahrhundert einsetzenden Graffiti auf den Wandmalereien von San Zeno in Verona.84 Dieser Wunsch nach Sichtbarkeit hatte eine weltliche Seite; sie lässt sich bei Graffiti nachweisen, die in säkularem Kontext stehen. Im Bergfried von Frundsberg wird dies besonders deutlich: Geritzte Graffiti in rot gemalten Rahmungen stechen dem Betrachter entgegen; der Rötelstift wird in weißen Feldern eingesetzt. An einer Stelle trug sich hier eine Gruppe von Männern 1658 zwischen den Rankenmalereien ein; der erste Name bezeichnet eines ihrer Mitglieder als „Philipp Jacob Ettlinger“. Doch hinter dem Vornamen ist noch deutlich eine verwischte Spur zu erkennen; es handelt sich dabei nicht um ein Problem der Überlieferung oder Restaurierung, denn es lassen sich noch die Anfangsbuchstaben des Nachnamens erkennen. Offensichtlich hatte Philipp Jacob Ettlinger zunächst seinen Nachnamen schon angesetzt, dann aber bemerkt, dass die Blattranke dahinter und der Wechsel auf einen dunklen Untergrund die Lesbarkeit seines Namens eingeschränkt hätte. Er versuchte also selbst (relativ erfolglos), das schon geschriebene „Ett“ wegzuwischen und setzte in der nächsten Zeile erneut an. In solchen Schreibakten lässt sich erkennen, dass die Graffiti des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit zunehmend auch Ausdruck eines individuellen Bewusstseins und ein Mittel der Selbstdarstellung wurden. Das wird vielleicht selten so deutlich wie in der Formulierung eines Schreibers, der sich auf der Rückseite des Altars in der Pestkapelle von Serfaus konzise und selbstbewusst mit folgender Botschaft eintrug: „Jch hais helrigl“.85

82 83 84 85

Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 38. Schmitz-Esser 2006a, 111 und Abb. 2a–c. Weniger 2016, 131. Köfler – Schmitz-Esser 2013, Nr. 266.

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ZUM SCHLUSS: DER ERKENNTNISGEWINN DER GRAFFITIFORSCHUNG Ein größerer Unterschied zwischen den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti zur Gegenwart besteht in der sozialen Schichtung ihrer Schreiber: Im 15. und 16. Jahrhundert ist es vor allem die religiöse und weltliche Elite, die sich in den Graffiti ausdrückt. Auf der Basis der Graffiti lässt sich erschließen, dass die Schriftlichkeit im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts im Tiroler Raum immer breitere gesellschaftliche Schichten erreichte. Vor allem blieb sie aber zunächst eine männliche Domäne. Die zeichenhaften Graffiti beziehen sich auf die Inschriften, sind mit diesen zeitgleich entstanden und somit nicht deren Vorläufer, sondern Begleiter. Vor allem die Betrachtung von Anbringungsort und Inhalt führen zu einem weiteren Unterschied zur Gegenwart: Obwohl das „hic fuit“-Formular äußerlich vielen modernen Graffiti gleicht, gab es bei den mittelalterlichen Graffiti eine religiöse Dimension. Chöre von Kirchen, Rückseiten von Altären und fromme Pilgerdevisen weisen darauf hin, dass Graffiti in vielen Fällen mehr als nur Vandalismus, eitle Selbstdarstellung oder reiner Zeitvertreib waren. Ihre religiöse, vielleicht sogar magische, apotropäische oder nigromantische Dimension, wie sie etwa bei der Darstellung von Galgen eine Rolle gespielt haben mag, bleibt der spannendste und zugleich rätselhafteste Befund bei einer näheren Betrachtung dieser epigrafischen Quellengattung. Dabei könnte der Vergleich mit anderen Quellen, etwa den Trink- und Besucherbüchern, neue Ansatzpunkte zum Verständnis der inhaltlichen und sozialen Bedeutung der häufigen MajuskelBuchstabenkombinationen bieten, die bisher nur wenig Beachtung fanden. ENGLISH ABSTRACT This paper examines graffiti from medieval and early modern Tyrol. Its focus lies on Northern Tyrol, where a systematic survey of inscriptions – and therewith of graffiti – is under way. Graffiti from this region are a valuable source for late medieval history. They allow an understanding of alphabetisation, highlighting that mainly members of the clergy, the nobility and burghers were amongst the early writers of such graffiti in the 15th and 16th century. This casts doubt on an interpretation of graffiti as mere vandalism, since the phenomenon is tied to the political and economic elite. Examples for graffiti with commemorative content are given, underlining the wish for a more permanent display of the messages conveyed. The intentions of writers are discussed, highlighting another important feature resulting from the scrutiny of graffiti: They allow for a greater understanding of both the social and physical mobility within medieval society. The most challenging aspect of their interpretation lies in the ties to religious or apotropaic ideas. Mainly found in church choirs, they allow for speculations that many of them were thought to prolong the presence of the visitors to sacred spaces by leaving their names behind. This interpretation becomes even more probable when looking at the modes of dating and the accompanying, mainly moralising texts. In

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some cases, magical thinking could play a role, too, when, for example, designs of gallows are combined with a person’s initials.

DIE SPÄTMITTELALTERLICHEN UND FRÜHNEUZEITLICHEN GRAFFITI IN DER MARBURGER ELISABETHKIRCHE Befund, methodische Herausforderungen und Quellenwert Simon Dietrich Der Graffitibefund der Marburger Elisabethkirche lässt einmal mehr erahnen, welch reicher Quellenfundus in den Gemäuern heimischer Sakral- und Profanbauten des Mittelalters vermutlich noch seiner Entdeckung harrt. Denn nicht nur der Graffitiforschung war der rund 1.300 Inschriften und Zeichnungen umfassende Marburger Bestand, dessen älteste Zeugnisse aus dem 14. Jahrhundert datieren, bislang unbekannt. Auch die ausgedehnte kunsthistorische und historische Fachliteratur, die die Elisabethkirche als eine der ersten rein gotischen Kirchen östlich des Rheins sowie als geistliches Zentrum einer bedeutenden Deutschordensniederlassung schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts intensiv behandelt,1 hat die Graffiti – abgesehen von einigen wenigen Bemerkungen in Restaurierungsberichten – schlicht übersehen. Ziel des folgenden Beitrages ist, diesen Graffitibestand erstmals vorzustellen.2 Angesichts der großen Anzahl an Inschriften ist es unumgänglich, sich hierbei auf einige ausgewählte Fundbereiche und Themenkomplexe zu konzentrieren. Eine umfassende Aufarbeitung und Edition sämtlicher Elisabethkirchen-Graffiti ist vom Verfasser in Zukunft beabsichtigt. Am Beginn dieses Beitrages steht ein kurzer Abriss des Forschungsstandes. Es folgt ein Befundüberblick in räumlicher und quantitativer Hinsicht, bevor mit dem Überlieferungsverlust sowie der ex situ-Überlieferung einige methodische Herausforderungen zur Sprache kommen, mit denen sich Graffitiforscher wahrscheinlich nicht selten konfrontiert sehen. Anschließend wird es endlich auch inhaltlich um die Inschriften gehen. Dabei sollen verschiedene Arten und Verfassergruppen von Graffiti angesprochen und ihr Entstehungskontext sowie die Intentionen ihrer Anbringung erörtert werden. Eine an konkreten Fragestellungen exemplifizierte Darstellung des Quellenwerts führt schließlich zu dem eingangs 1

2

Einen knappen Literaturüberblick auf dem Stand von 1983 bieten Bredehorn u. a. 1983, 157– 162. Zum neuesten bauhistorischen Forschungsstand unter Einbeziehung der Ergebnisse mehrerer dendrochronologischer Untersuchungen vgl. Strickhausen 2001. Der folgende Aufsatz greift größtenteils auf die Ergebnisse meiner 2014 an der PhilippsUniversität Marburg unter der Betreuung von Frau Prof. Dr. Ursula Braasch-Schwersmann und Herrn Dr. Thomas Wozniak angefertigten B.A.-Arbeit mit dem Titel „Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti in der Sakristei der Elisabethkirche zu Marburg – Dokumentation, Deutung und Quellenwert“ zurück.

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erläuterten Forschungsdefizit zurück und zeigt auf, welches Potenzial die Auswertung von Graffiti bieten kann. Vorab jedoch einige kurze Erläuterungen zum Fundort. Die Marburger Elisabethkirche wurde ab 1235 vom Deutschen Orden über dem Grab der Heiligen Elisabeth erbaut, die nach dem Tod ihres Gatten, Landgraf Ludwigs IV. von Thüringen, 1228 vor den Toren der Stadt ein Hospital errichtet und dort bis zu ihrem frühen Ableben im Jahre 1231 nach franziskanischem Vorbild Arme und Kranke betreut und gepflegt hatte. Zahlreiche Berichte über Heilungswunder an ihrem Grab bewirkten, dass Marburg für kurze Zeit zu einem Wallfahrtsort mit überregionaler Ausstrahlung wurde. Und schon 1235, nur vier Jahre nach ihrem Tod, sprach Papst Gregor IX. Elisabeth heilig. Weil die 1234 hier gegründete Deutschordensniederlassung in ihrer Anfangszeit einen raschen Aufschwung nahm, konnte die Kirche, die man nach französischen Vorbildern im Stile der Gotik errichtete, zügig fertiggestellt werden. 1283 erfolgte die Gesamtweihe, die Bauarbeiten an den Türmen wurden um 1320 abgeschlossen. In der Folge diente der Bau nicht nur als Grabeskirche der Heiligen Elisabeth und als Konventskirche des Deutschen Ordens, sondern – zumindest bis zur Reformation – auch als Grablege des hessischen Landgrafenhauses.3 FORSCHUNGSSTAND Wenngleich sich nach der Publikation von Detlev Kraacks und Peter Lingens’ „Bibliographie zu historischen Graffiti zwischen Antike und Moderne“4 kleinere Arbeiten über mittelalterliche Graffiti durchaus gehäuft haben,5 so mangelt es – zumindest für den deutschsprachigen Raum – leider noch immer völlig an „zusammenhängende[n] und in der Interpretation weiterreichende[n] Studien.“6 Was den Forschungsstand zu den Graffiti der Marburger Elisabethkirche betrifft, so wurde bereits eingangs erwähnt, dass diese Quellengattung bisher fast kaum Beachtung fand. Wenn überhaupt einmal ein Autor ihre Existenz erwähnte – und auch dann freilich nie unter dem Begriff „Graffiti“ –, wurden sie wahlweise als historische Kuriositäten abgetan oder als Datierungshilfe genutzt. Besonders auffällig ist die häufige Erwähnung von Graffiti im Zusammenhang mit Restaurierungsmaßnahmen. Der erste Niederschlag einer – wenn auch minimalen – Auseinandersetzung findet sich im Notizbuch Johannes Friedrich Langes, der die große Restaurierung der Elisabethkirche von 1854–1861 leitete.7 In seinen Skizzen di3 4 5 6

7

Vgl. hierzu Braasch-Schwersmann 1989, 6–13; Ehlers 2007, 120–122; Werner 1980; Strickhausen 2001. Kraack – Lingens 2001. Neben den Arbeiten der in diesem Konferenzband vertretenen Autoren seien hier exemplarisch zwei jüngere Studien genannt: Weniger 2016; Stelzer 2016. So Kraack 1997, 31. – Sowohl für England und Frankreich als auch für Altrussland liegen derlei Synthesen vor, vgl. Champion 2015; Bucherie 1982; den besten englischsprachigen Überblick zu den altrussischen Zeugnissen bietet Franklin 2002, 70–82 mit weiterer Literatur. Vgl. zu dieser Restaurierung Dolff-Bonekämper 1981.

Die Graffiti in der Marburger Elisabethkirche

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verser Steinmetzzeichen des spätmittelalterlichen Lettners ist auch mindestens ein Graffito enthalten.8 Schriftliche Notizen zu diesem Thema sucht man in seinen Aufzeichnungen allerdings vergeblich. In den Restaurierungsberichten Hubert Lütckes, der die Instandsetzungmaßnahmen der Jahre 1930/31 leitete, sieht dies schon anders aus. Lütcke begegnete den Graffiti der Kirche gleich an mehreren Stellen. Während der Restaurierung der farbigen Wandflächen im Mittelschiff stieß man auf zwei Graffiti, die in seinem Bericht deshalb erwähnt werden, weil sie bei der Datierung der Farbschichten, auf denen sie (vermutlich mit Rötel) angebracht waren, einen hilfreichen Dienst leisteten.9 Zudem war Lütcke überhaupt der erste, der auf die in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Graffiti der Sakristei aufmerksam machte. Bei der Beschreibung der von ihm dort ergriffenen Restaurierungsmaßnahmen bemerkt er: „Es fanden sich dort [auf den Wandschranktüren, Anm. d. Verf.], wie auch an manchen Wandstellen, viele zum Teil sehr zierlich eingeritzte Wappenzeichnungen, offenbar von der Hand einst hier wartender Chorknaben herrührend.“10 Lütckes Interpretation offenbart seine Einschätzung der Graffiti, die in seinen Augen nur von Kinderhänden herrühren konnten, als kaum ernstzunehmende historische Randnotiz. Einen denkmalpflegerischen Wert besaßen sie für ihn offenbar nicht.11 1983 standen die unteren Wandflächen der Sakristei erneut im Zentrum konservatorischer Bemühungen. Und wie schon 52 Jahre früher erregten die Graffiti auch diesmal die Aufmerksamkeit der Restauratoren: „Es zeigten sich auch auf der gesamten Wand sehr viele Eingravierungen (figürliche Darstellungen und Namen – vermutlich sehr früh entstanden).“12 Bereits sechs Jahre zuvor war man bei Restaurierung der Sakristei-Wandflächen oberhalb des Gesimses auf eine „in den Putz nachträglich eingeritzte Inschrift“ gestoßen, die dem Landesamt für Denkmalpflege sogar einen amtlichen Vermerk wert war. Jürgen Michler fertigte nicht nur eine Abzeichnung des Graffitos aus dem Jahr 1808 an, sondern erkundigte sich unter anderem beim Hessischen Staatsarchiv über dessen Urheber, laut Inschrift „Eckstein | Ballei Kanzler | Registrator“, woraufhin er von Archivoberrat Dr. Lachmann zwei Wochen später auch eine entsprechende Antwort mit biografischen Daten erhielt.13 8

9

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13

Dieses vermutlich aus dem 16.–17. Jahrhundert stammende Graffito ist auch heute noch auf der südlichen Westseite des Lettners vorhanden und zeigt Namensinitialen, vgl. das Notizbuch Friedrich Langes, Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. Slg. 1 (H), Nr. 171, Bd. 2, 58, ferner 171. Lütcke 1933, 88; Michler 1984, 56 f. – Zu Datierungszwecken benutzte übrigens auch die Forschung über das Phänomen der Wetzrillen ein Graffito am steinernen Kredenztisch im nördlichen Seitenschiff der Elisabethkirche, vgl. Liessem 1978, 67. Lütcke 1933, 105. Das zeigt seine Zerstörung der Graffiti im Mittelschiff, vgl. u. Anm. 24. Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Außenstelle Marburg, lfd. Denkmalpflegeakten, Ordner „Marburg, Elisabethkirche, Sakristei“, Restaurierungsbericht von Restaurator PracherWürzburg vom 28.9.1983, 3. Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Außenstelle Marburg, lfd. Denkmalpflegeakten, Ordner „Marburg, Elisabethkirche, Sakristei“, Vermerk Jürgen Michlers vom 14.7.1977 und Schreiben des Archivoberrats Dr. Lachmann vom 27.7.1977.

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Abgesehen von den Restaurierungen tauchen die Graffiti der Elisabethkirche in der umfangreichen Literatur aber nur in den seltensten Fällen auf. Neben Wilhelm Bücking, der schon 1884 in einer Anmerkung auf den Ursprung der Umrisszeichnung des Reiters von der Spitze des Südturmes an der Südwand unterhalb der Orgelempore aufmerksam machte,14 ist hier ansonsten lediglich Margret Lemberg zu erwähnen, die Graffiti auf den Hochgräbern der Landgrafen mal als Werk „wenige[r] fromme[r] Menschen“ bezeichnet,15 in ihrem Buch über die Geschichte des Elisabethschreins aber zwei Fotografien von Graffiti mit Bezug zu demselben abdruckt, ohne jedoch diese Quellen weiter einzuordnen.16 Wenngleich die Graffiti der Marburger Elisabethkirche also in wenigen Einzelfällen – insbesondere im Zuge von Restaurierungen – Aufmerksamkeit erlangt haben, so ist bislang keine auch nur ansatzweise ernsthafte und systematische Auseinandersetzung mit dieser Quellengattung zu verzeichnen. RÄUMLICHER UND QUANTITATIVER BEFUNDÜBERBLICK Eine grobe Zählung sämtlicher in den Zeitraum vor 1900 datierbarer Graffiti der Elisabethkirche ergab die im Folgenden geschilderte räumliche Verteilung (Abb. 1). Während sich im Außenbereich rund um die Westfassade ca. 90 meist mit Rötelstift aufgetragene Graffiti vor allem des 16. und 17. Jahrhunderts finden, stellt die einst von einem Totenhof umgebene Südseite mit etwa 180 Exemplaren einen deutlichen Überlieferungsschwerpunkt dar – ein Befund, der so auch an anderen Kirchen beobachtet worden ist.17 Auch hier dominieren Rötelgraffiti aus dem 16. und 17. Jahrhundert, vereinzelt lassen sich jedoch Graffiti aus dem 15. Jahrhundert fassen. Der Außenbereich um die Chöre fällt genauso wie die Nordseite mit nur 20 bzw. 30 Graffiti demgegenüber stark ab, was womöglich mit einer nur beschränkten Zugänglichkeit dieses Areals zu erklären ist.18

14 Der Reiter war 1767 zur Reparatur von der Turmspitze heruntergelassen worden. Bevor man ihn wieder aufsetzte, „wurde erst am 21. Juni eine Zeichnung von Knopf, Stange und Reiter in natürlicher Größe in die Mauer rechts unter der Orgelbühne mit einem Meißel eingerissen“, Bücking 1884, 4, Anm. 1. Die Ritzzeichnung ist heute durch Schränke größtenteils verdeckt. 15 Lemberg 2010, 21. 16 Dies gilt zum einen für ein Graffito auf der Nordseite des Schreins (1814), zum anderen für das in die Mittelsäule der Sakristei eingeritzte Motiv des 1810–1814 abhanden gekommenen Kameos auf der Ostseite des Schreins. Zudem erwähnt sie ein zweites, 1931 entstandenes Graffito auf dem Schrein (Lemberg 2013, 89–92 und 95 Anm. 17). 17 So für französische Dorfkirchen Bucherie 1982, 200. Auch in Erfurt wurden die meisten der untersuchten Rötelgraffiti an der Südfassade gefunden, vgl. Perlich – Cramer 2005. 18 Verschiedene Mauern umschlossen in diesem Areal den nordöstlich der Kirche gelegenen Wohnbereich der Deutschordensbrüder, vgl. die Reproduktion des sog. „Schönbornplans“ (1743) in Schaal 1996, Faltplan in Kartentasche.

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Abb. 1: Elisabethkirche Marburg, Grundriss (Osten oben) (Grafik: Evangelische Elisabethkirchengemeinde Marburg).

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Im Innenbereich weist die die Landgrafengrablege beherbergende Südkonche mit über 200 meist dem 16. und 17. Jahrhundert entstammenden Graffiti den größten Bestand auf. Insbesondere die Hochgräber scheinen sich als Anbringungsort dabei großer Beliebtheit erfreut zu haben. Auch die Ostkonche umfasst mit 160 Exemplaren eine Vielzahl an Graffiti. Die Nordkonche, in der sich das Elisabethgrab befindet, tritt demgegenüber mit nur 20 Graffiti weit zurück. Die knapp 100 Graffiti im Langhaus bestehen – wie übrigens im gesamten Innenraum – hauptsächlich aus Ritzinschriften und -zeichnungen. Einen besonderen Glücksfall stellt die Sakristei der Kirche – Aufstellungsort des Elisabethschreins – dar. Hier haben sich mit 454 Graffiti nicht nur die meisten, sondern aufgrund der hervorragenden Überlieferungssituation auch die ältesten, teils aus dem 14. Jahrhundert datierenden Zeugnisse erhalten.19 Schließlich sei noch erwähnt, dass freilich auch im Dachstuhl, auf den Umgängen und im Turmbereich Graffiti anzutreffen sind. Gemeinsam mit diesen rund 100 Exemplaren kommt man so auf die eingangs erwähnte Gesamtzahl von über 1.300 Graffiti, wohlgemerkt aus dem Zeitraum vor 1900. METHODISCHE HERAUSFORDERUNGEN: ÜBERLIEFERUNGSVERLUST UND ÜBERLIEFERUNG EX SITU Dass diese zunächst beeindruckend klingende Zahl jedoch nur einen Bruchteil des ursprünglichen Graffitibestandes darstellt, lässt sich anhand der vorliegenden Restaurierungsakten zweifelsfrei belegen. Da eigentlich jeder Graffitiforscher, der sich mit dem Gesamtbefund eines Gebäudekomplexes beschäftigt, bei dessen Interpretation früher oder später mit dem Problem des Überlieferungsverlustes konfrontiert ist, mögen die im Folgenden mitgeteilten Beobachtungen von über den Einzelfall hinausgehender Relevanz sein.20 Denn eine annähende Abschätzung dessen, was einst vorhanden, jedoch nicht auf uns gekommen ist, kann die Graffitiforschung vor gravierenden Fehlschlüssen bewahren. So ließe sich etwa der Befund, dass Graffiti in einer bestimmten Kirche ausschließlich außerhalb des Chorraums anzutreffen sind, nur dann eindeutig als Folge der einst beschränkten Zugänglichkeit interpretieren, wenn der Blick auf die Restaurierungsgeschichte zuvor einen möglichen Quellenverlust im Chorbereich definitiv ausgeschlossen hat.21

19 Der Zahl von 454 Graffiti beruht auf der vollständigen Katalogisierung und Dokumentation des Sakristei-Bestandes durch den Verfasser. 20 Zu „Überlieferungmöglichkeiten und Überlieferungshindernissen für historische Graffiti“ vgl. Kraack – Lingens 2001, 20–26 (Zitat 25). Die Gefahr, die (vor allem auch moderne) Restaurierungen für den Graffitibestand von Kirchen darstellen können, betonte bereits Schober 1976/1977, 234 f. 21 Zu Graffiti als Zeugnisse für die Zugänglichkeit mittelalterlicher Chorräume vgl. jetzt Weniger 2016, 138–140.

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Wie die meisten gotischen Kirchen des Mittelalters war auch die Elisabethkirche ursprünglich innen wie außen farbig gefasst.22 Der ursprünglich auf allen Wandflächen und Säulen vorhandene Putz sowie die darauf aufgetragene Farbfassung – insbesondere in ohne Hilfsmittel erreichbarer Höhe – müssen daher als älteste mögliche Träger von Graffiti angesehen werden. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war die mittelalterliche Fassung des Innenraums laut Gutachten des Restaurators Lange auch im Bereich der unteren Wandflächen größtenteils „ziemlich gut oder doch erkennbar erhalten […] und von spätere[r] Übermalung freigeblieben“.23 Zwei Restaurierungen änderten dies jedoch grundlegend: Zum einen die rekonstruierende Übermalung durch eben jenen Friedrich Lange selbst (1856– 1861), vor allem aber die Beseitigung dieser teils neugotischen, teils klassizistischen Fassung durch Hubert Lütcke (1930–1931). Hierbei nämlich befreite man die Wandflächen von sämtlichen, auch original mittelalterlichen Farbresten und schuf damit erst den heutigen, steinsichtigen Zustand des Kircheninneren.24 Dabei sind selbstverständlich auch die einstmals auf Putz und Farbschicht befindlichen Graffiti unwiederbringlich zerstört worden. Dass dies mehr als reine Spekulation ist und sich dort tatsächlich einmal in gewissem Umfang Graffiti befunden haben, beweisen die Bemerkungen im Restaurierungsbericht des Frankfurter Kirchenmalers Hubel von 1930. Dieser nämlich zog zur Datierung von Fassungsschichten gleich zweimal Rötel-Inschriften des 16. und 17. Jahrhunderts heran, von denen heute an den entsprechenden Stellen jede Spur fehlt.25 Angesichts dessen kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der Graffiti, die einst auf Putz und Farbe des Innenraums hinterlassen wurden, inzwischen verloren sind. Lediglich jene Zeugnisse, die mit höherem Kraftaufwand eingeritzt wurden und durch Putz und Farbe hindurch auch im Stein ihre Spuren hinterlassen haben oder die auf einigen der glücklicherweise erhaltenen Fugenverputzungen angebracht wurden, konnten sich erhalten. Diese Überlieferungsproblematik ist natürlich nicht nur in Hinblick auf die Wandflächen und Pfeiler des Innenraums festzustellen, sondern gilt gleichermaßen für die Außenwände sowie sämtliche Ausstattungsstücke. Auch deren Farbigkeit war des Öfteren Gegenstand von Restaurierungen oder – wie im Fall der Außenwände – jahrhundertelang starker Witterung ausgesetzt.26 In diesem Zusam22 Vgl. hierzu Michler 1984, bes. 38–94. 258–272. 23 Zitiert nach Michler 1984, 46. Zur ältesten Farbfassung des Innenraums (vor 1283) vgl. Michler 1984, 43–52. 65–67. 24 Zu den beiden Restaurierungen vgl. Michler 1984, 71–75; Dolff-Bonekämper 1981; Lütcke 1933. 25 Auf dem vom Haupteingang aus zweiten rechten Schiffspfeiler fand Hubel, „über die Fugen gemalt, den Namen J. Kornmann mit der Jahreszahl 1552“, zitiert nach Michler 1984, 56. Als Urheber der Inschrift kommt möglicherweise Johann Kornmann aus Aldendorf in Frage, der sich 1547 an der Marburger Universität immatrikulierte (Falckenheiner 1904, 34). – An anderer Stelle bemerkt Hubel: „Im südl. Querschiff entdeckte ich an einem der Dienste Buchstaben und die Jahreszahl 1600 so und so viel“, zitiert nach Michler 1984, 57; vgl. dazu auch Michler 1984, 60 f. 26 Vgl. zu den Farbfassungen der Ausstattung und des Außenbaues der Elisabethkirche Michler 1984, 203–272.

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menhang vermag eine Fotografie des Johannesaltars der Elisabethkirche vor Augen führen, welche Gefahren auch gut gemeinte Ergänzungen mitunter für den Graffitibestand bergen. Während auf einer vor 1931 entstandenen Aufnahme des Flügelaltars noch eine in die Außenflügel eingeritzte Inschrift mit den Initialen „LAC“ zu erkennen ist,27 sucht man diese heute vergebens. Sie wurde wohl im Zuge der 1931 erfolgten Restaurierung übermalt und ging damit verloren.28 Weitere Graffiti sind vermutlich mit der Zerstörung alter Türen der Elisabethkirche im Laufe des 19. Jahrhunderts verschwunden.29 Eine Tür jedoch hat die Zeiten überdauert. Statt in der Kirche aber befindet sie sich heute im Magazin des Marburger Universitätsmuseums für Kunst- und Kulturgeschichte.30 Und tatsächlich trägt sie ein frühneuzeitliches Graffito, das selbstverständlich zur Überlieferung der Elisabethkirche gehört, seinem unmittelbaren Kontext aber entrissen ist.31 Das Beispiel zeigt: Mit einer Überlieferung ex situ ist eigentlich immer zu rechnen. Die Begutachtung entsprechend museal überlieferter Ausstattungsstücke ist daher für jede auf Vollständigkeit zielende Graffiti-Studie unumgänglich. Umgekehrt übrigens – das hat Matthias Weniger unlängst verdeutlicht – können Graffiti auf museal verwahrten Objekten manchmal entscheidende Hinweise zu ungeklärten Provenienzen geben.32 INHALTLICHER BEFUNDÜBERBLICK Der folgende – freilich unvollständige – Befundüberblick ist teils nach Fundorten, teils nach Schreibergruppen geordnet und konzentriert sich vor allem auf den ältesten Teil des Bestandes. a) Die Graffiti in der Sakristei der Elisabethkirche Die Sakristei der Elisabethkirche nimmt in der Baugeschichte des Gotteshauses eine gewisse Sonderrolle ein, denn sie wurde nicht parallel mit den bereits 1243 27 Das Foto ist abgedruckt in Lemberg 2011, 66. 28 Zu der Restaurierung vgl. Lemberg 2011, 67 f. Ähnliche Beobachtungen anlässlich von AltarRestaurierungen auch bei Plesch 2010, 142–147. 29 So standen 1873 noch drei ausgebaute mittelalterliche Türen in der Nordkonche der Kirche, die dann im Laufe der Zeit jedoch abhanden gekommen sein müssen, vgl. Schäfer 1910b, Nr. 260. 261. 262. 30 Die Tür verschloss ursprünglich die bereits zu Friedrich Langes Zeiten notdürftig zugemauerte Pforte, die aus der Nordkonche heraus auf den unteren äußeren Chorumgang führte und gelangte wohl über den Marburger Geschichtsverein in die Sammlung des Museums, freundliche Auskunft von Frau Dr. Tina Bode, Universitätsmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Marburg, Juni 2014. Die Tür trägt die Inventarnummer 660. Zur Reparatur der Vermauerung dieses Zugangs durch Lange vgl. Dolff-Bonekämper 1981, 165. 31 Das Graffito befindet sich oberhalb des mittleren Eisenbandes der Holztür und weist die Initialen „PAF“ auf. 32 Weniger 2016, 135 f.

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fertiggestellten Konchen,33 zwischen denen sie im Nordosten des kreuzförmigen Grundrisses eingefasst ist, erbaut. Erst in den 1260er Jahren begann man mit der Ausführung des zweistöckigen, quadratischen Baus und lehnte ihn an die Strebepfeiler der Konchen an.34 Der Raum erfüllte aber nicht nur die klassischen Funktionen einer Sakristei – vor allem also Vorbereitung der Gottesdienste und Aufbewahrung der liturgischen Geräte35 –, sondern beherbergte vermutlich schon seit Ende des 13. Jahrhunderts den Reliquienschrein der heiligen Elisabeth.36 Zur Ausstattung des ausgehenden 13. Jahrhunderts gehörte neben einigen einfachen Schränken und einer offenen Nische37 die heute wieder weitgehend sichtbare Farbfassung des Raumes – laut Jürgen Michler gar „das einzige Beispiel, in dem sich das farbige Gesamtgefüge eines hochgotischen Sakralraumes im Original erhalten hat.“38 In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erfolgten dann im Rahmen einer zweiten Ausstattungsphase mehrere Umgestaltungsmaßnahmen, die insgesamt die Aufstellung des Reliquienschreins ins Zentrum rückten und – wie Anne Schaich treffend formuliert – die „Sakristeifunktion […] quasi in die Mauern des Raums verlegt[en].“39 Neben der Einrichtung neuer, mit Gittern und farbigen Türen versehener Schränke sowie der Anfertigung des Schreinunterbaus, des Schreingehäuses – samt Mechanismus zum Hoch- und Runterlassen – und des kostbar verzierten Schreingitters40 gehörte dazu auch eine veränderte Farbfassung des Raumes.41 Während Andreas Köstler den Charakter dieser Ausstattungsphase als weitere Distinktion des in die Sakristei „verbannten“ Reliquienschreins vom liturgischen Geschehen des Kirchenraumes bewertet,42 hat Schaich jüngst überzeugend darauf hingewiesen, dass die Disposition der einzelnen Ausstattungsgegenstände eher darauf hindeute, „dass mit Publikum an diesem Ort gerechnet wurde.“43 Dieser Befund sowie der mehrfache Nachweis von spätmittelalterlichen

33 Strickhausen 2001, 144. 34 Strickhausen 2001, 147, publizierte 2001 erstmals das Ergebnis der dendrochronologischen Untersuchung des Dachstuhls über der Sakristei, der demnach „um 1266“ errichtet wurde. Zur Baugeschichte ferner Schaich 2008, 89 f. 35 Dazu Schaich 2008, 34–41. 36 Die von Köstler 1995, 34, „aus Mangel an Alternativen“ vermutete Aufstellung in der Sakristei seit 1290 ist durchaus plausibel, wenn auch seine Behauptung, dass der Schrein „ab den 1320er Jahren […] in der Sakristei sicher nachweisbar“ ist, aufgrund der jüngst publizierten Neudatierung des Schreingitters (erstes Drittel des 14. Jahrhunderts aufgrund der Zuweisung an Agnes von Hessen) zu relativieren ist, vgl. Lemberg 2013, 23–29. – Zu den Elisabethreliquien kamen im Laufe der Zeit noch unzählige weitere Reliquien hinzu, die vermutlich größtenteils in den Schränken der Sakristei aufbewahrt wurden, vgl. das Inventar des Heiltummeisters von 1480 bei Braasch-Schwersmann 1989, 246 f. 37 Schaich 2008, 94. 38 Michler 1984, 336. 39 Schaich 2008, 98. 40 Schaich 2008, 91–94. 97–99; Michler 1984, 334; Kippenberger 1927. 41 Michler 1984, 330 f. 42 Köstler 1995, bes. 34–41. 43 Schaich 2008, 98.

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Besuchern des Elisabethschreins44 sprechen zusammengenommen dafür, dass zumindest höhergestellten Gästen unter gewissen Voraussetzungen und sicherlich unter Aufsicht eines Ordensbruders die Türen zur Sakristei geöffnet und der Schrein sowie andere Reliquien, die man in den Schränken hinter kostbar gearbeiteten Gittern – und somit gefahrlos präsentierbar – aufbewahrte,45 gezeigt wurden. Vor allem dem Überdauern nicht geringer Teile der spätmittelalterlichen Farbfassung ist es zu verdanken, dass die Sakristei mit rund 150 Exemplaren eine beträchtliche Anzahl von Graffiti aus dem 14. und 15. Jahrhundert birgt. Die insgesamt 454 dort überlieferten Graffiti habe ich in drei Gruppen unterteilt: heraldische (93), inschriftliche (285) und zeichnerische Graffiti (76). Sie sind an unterschiedlichen Positionen der Wandflächen, in und an den Wandschränken sowie auf dem Mobiliar zu finden. Besonders hervorzuheben ist hier die Gruppe der heraldischen Ritzzeichnungen. Sie sind fast ausschließlich im östlichen Bereich der Südwand zu finden und treten meist in Gestalt alleinstehender Schilde auf. Doch auch 22 Vollwappen sowie zwei einzelne Helmzieren konnten ausgemacht werden. Bei der Datierung dieser teils filigranen Zeichnungen waren vor allem die vorkommenden Schildund Helmformen (Dreieck- und Rundschild, Tartsche; Kübelhelm) ausschlaggebend.46 Durch relativchronologische Überlegungen, namentlich die Analyse der Überlagerungen mit jüngeren und Rücksichtnahmen auf andere Graffiti erhielten die so erzielten Datierungsansätze vielfach eine zusätzliche Stütze. Dabei zeigte sich, dass ein Großteil der erhaltenen Vollwappen wohl um Mitte/Ende des 14. Jahrhunderts anzusetzen ist, während die Form der alleinstehenden Wappenschilde meist ins 15. oder frühe 16. Jahrhundert wies. Aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes, mangelnder ergänzender Inschriften und fehlender Tingierung war eine Identifizierung der Wappen meist nur sehr eingeschränkt und unter Vorbehalt möglich. Die fünf Fälle, in denen sich zumindest mit einiger Sicherheit eine sinnvolle Zuordnung vornehmen ließ, sind im Folgenden unter Angabe von Beschreibung, Datierung und Identifizierung aufgeführt (Abb. 2).47 Sämtliche beschriebenen Exemplare befinden sich im Bereich der östlichen Südwand. Ihre Größe schwankt bei den alleinstehenden Schilden zwischen 4–7 cm Höhe und 4–6 cm Breite, bei den Vollwappen zwischen 10– 15 cm Höhe und 5–9 cm Breite. 44 Zu den nachweisbaren Besuchern der Elisabethkirche, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch zum Schrein geführt wurden, gehörten 1357 Karl IV. (Wörster 1983), 1369 der Preußenreisende Johann von Blois (Paravicini 1989, 226 f.) sowie des Öfteren die hessischen Landgrafen (Demandt 1972, 140). 45 Schaich 2008, 92–94. 46 So im Zusammenhang mit heraldischen Graffiti auch Boscardin 1977, 24; Bretscher 1985, 35; Kraack 1997, 43. – Zu den genannten Schild- und Helmformen vgl. Scheibelreiter 2006, 26–29. 98 f. – Ein weiteres Datierungsmerkmal stellt die Länge der verwendeten Helmdecken dar, vgl. zu deren Entwicklung Leonhard 1976, 87. 90. 318 f. 47 Für diverse Hilfestellungen bei der Datierung, Einordnung und Blasonierung der heraldischen Graffiti bin ich Herrn Archivoberrat Dr. Wolfhard Vahl, Staatsarchiv Marburg, zu großem Dank verpflichtet.

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Nr. 1) Eingeritztes Vollwappen. Rechtsgeneigter Dreiecksschild. Kübelhelm. Mitte 14. Jahrhundert. Blasonierung: Im Schild abwärts gekrümmter Fisch, auf Helm derselbe vor Säule. Identifizierung: Das fränkische Geschlecht der von der Tann.48 Nr. 2) Das gleiche Wappen findet sich zweimal in unmittelbarer Nähe nebeneinander: a) Eingeritztes Vollwappen. Rechtsgeneigter Halbrundschild. Kübelhelm. Ende 14./Anfang 15. Jahrhundert. b) Eingeritztes Vollwappen. Rechtsgeneigter Dreiecksschild. Kübelhelm. Mitte/Ende 14. Jahrhundert. Blasonierung: Gemeines Kreuz. Auf dem Helm ein mit dem Schildbild belegtes Schildbrett. Auf der Helmdecke dasselbe. Identifizierung: Erzbischöfe von Köln.49 Nr. 3) Eingeritztes Vollwappen. Rechtsgeneigter Dreiecksschild. Kübelhelm. Mitte 14. Jahrhundert. Blasonierung: Schwertgurt. Auf dem Helm ein Tierrumpf (Einhorn?). Identifizierung: Das wetterauische Geschlecht der von Bellersheim.50 Nr. 4) Eingeritztes Vollwappen. Sehr breiter Dreiecksschild mit fast gleichseitigen, geraden Seiten. Kübelhelm. Anfang/Mitte 14. Jahrhundert. Blasonierung: Sparren. Auf dem Helm Büffelhörner. Identifizierung: Das sächsisch-vogtländische Geschlecht der von Pölnitz.51 Nr. 5) Eingeritzter Wappenschild in Tartschenform. Im oberen Teil Reste dunkler Farbe. Ende 15./Anfang 16. Jahrhundert. Blasonierung: Löwe. Identifizierung: Von Langsdorf.52

48 Vgl. die Blasonierung in von Hueck 2003, 316 und – etwas abweichend – in von Hefner 1856, 60, Umzeichnung Taf. 63. – In unmittelbarer Nähe findet sich ein weiteres Vollwappen, das womöglich der Familie von der Tann zuzuschreiben ist. Seine Helmzier zeigt ebenfalls den gekrümmten Fisch vor einer Säule, das Schildbild allerdings ist völlig vergangen. 49 Vgl. die Blasonierung und Faksimile-Darstellung in Pastoureau – Popoff 2004, Bd. 1, 93; Bd. 2, fol. 18r. 50 Vgl. die Blasonierung und Darstellung in von Hefner 1857a, 4, Taf. 5. 51 Vgl. die Blasonierung und Darstellung in von Hueck 1999, 445 f.; von Hefner 1857b, 42, Taf. 48. 52 Vgl. die Blasonierung und Darstellung in von Hefner 1859, 17, Taf. 17.

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Abb. 2: Identifizierte heraldische Graffiti in der Sakristei, Nr. 1–4 (von links) (Foto: S. Dietrich).

Die Identifizierung der Familien von der Tann, von Bellersheim und von Langsdorf wird dadurch gestützt, dass Sprösslinge aller drei Familien im fraglichen Zeitraum als Mitglieder der hessischen Deutschordensballei oder sogar der Marburger Niederlassung bekannt sind.53 Hier liegt also die Vermutung nahe, dass es Ritterbrüder des Ordens waren, die – über einen regelmäßigen und freien Zugang in die Sakristei verfügend – in unmittelbarer Nähe der Elisabethreliquien die Wappen ihrer Familien in die Wand ritzten. Die Wappen des Kölner Erzbischofs sowie derer von Pölnitz hingegen deuten eher auf einen Autorenkreis außerhalb der Marburger Ordensniederlassung. Letztere traten in der Mitte des 14. Jahrhunderts zwar mehrfach als Zeugen von Grundstücksgeschäften der zur hessischen Ballei gehörigen Erfurter Ordensniederlassung auf, Mitglieder des Marburger Hauses sind aus dieser Familie jedoch nicht bekannt.54 Die Anbringung des Wappens erfolgte in diesem Fall also vermutlich während eines reisebedingten Aufenthalts in Marburg, womöglich im Rahmen einer Wallfahrt. Zu den Graffitiautoren, für die der Besuch des Elisabethschreins in der Sakristei ein einmaliges oder zumindest ein besonderes Ereignis dargestellt haben dürfte, gehörte wohl auch der Kölner Erzbischof. Der einzige Fall, in dem die Schriftquellen des in Frage kommenden Zeitraumes die Anwesenheit eines Kölner Hir53 Ein „bruder Dreybode von der Danne“ ist 1359 als Komtur der von Marburg abhängigen Ordensniederlassung in Griefstedt bezeugt, Wyß 1884, Nr. 985. – Die von Bellersheim stellten im 14. Jahrhundert mehrfach Brüder der hessischen Ordensballei. Konrad von Bellersheim amtierte von 1395 bis 1412 sogar als Marburger Komtur, vgl. Braasch-Schwersmann 1989, 211, ferner 347 im Personenregister unter Beldersheim/Bellersheim. – Eine Identifizierung mit denen von Langsdorf liegt insbesondere deshalb nahe, weil ein Mitglied dieser Familie, Johann, 1509 in das Marburger Deutschordenshaus eintrat, wovon bis heute ein hölzerner Wappenschild zeugt, vgl. Schäfer 1910b, Nr. 214; zu diesem ferner Schaal 1996, 434. Wenn die dunklen Farbreste tatsächlich auf eine einstmals vorhandene Tingierung hindeuten, so findet diese Zuordnung eine weitere Stütze, denn das Langsdorfische Wappen stellte einen goldenen Löwen in Blau dar, wie oben, Anm. 52. 54 Wyß 1899, Nr. 1036. 1045. 1047. 1061. Zur Erfurter Niederlassung vgl. BraaschSchwersmann 1989, 28 f.

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ten in Marburg belegen, stellt das Treffen von vier Kurfürsten dar, die am 2. Juni 1399 in der oberhessischen Residenzstadt ihr Bündnis gegen König Wenzel bekräftigten.55 Keine nähere Verbindung zum Deutschen Orden wiesen vermutlich auch die Urheber jener vier gut erhaltenen und teils sehr filigran ausgeführten Wappenritzungen auf, deren Identifizierung mir bislang trotz intensiver Durchsicht der gängigen, den mitteldeutschen Raum betreffenden Siebmacher-Bände und Wappenbücher nicht gelungen ist, weshalb ich eine weitläufigere Herkunft der Graffitiautoren für nicht unwahrscheinlich halte (Abb. 3).

Abb. 3: Bislang unidentifizierte Wappenritzungen in der Sakristei (Foto: S. Dietrich).

Der Entstehungskontext und die Motivation hinter der Anbringung dieser Graffiti dürfte weitestgehend dem von Detlev Kraack ausführlich untersuchten Phänomen der monumentalen Verewigung im Zuge der spätmittelalterlichen Adelsreise entsprechen.56 Die heraldischen und inschriftlichen Spuren adliger Reisender aus dieser Zeit haben sich nicht nur an mehreren Orten in Europa erhalten, sondern vor allem an bedeutsamen Reisezielen des Heiligen Landes und des Sinai.57 Dieser monumentalen Verewigung, die sich nicht nur in Form von Graffiti, sondern auch durch Aufhängen von Holz- oder Papiertafeln niederschlagen konnte,58 lag nach Kraack zunächst eine „betont profane Intention“ zugrunde.59 Den Anbringenden ging es demnach in aller erster Linie um den Erwerb von Ehre, den sie durch die möglichst publikumswirksame Platzierung ihrer Namen und Wappen an 55 Andernach 1987, Nr. 1802 sowie retrospektiv Nr. 2218. 56 Kraack 1997; s. auch dessen Beitrag im vorliegenden Band. – Die Frage, ob die Adligen selbst als Urheber der Ritzungen anzusehen sind oder ob in deren Auftrag „Profis“ zu Werke schritten, ist im vorliegenden Fall kaum zu entscheiden. Vgl. zu diesem Problemkreis Kraack 1997, 309–321. 57 Kraack 2005, 147 f. Einen ausführlichen Überblick über das Vorkommen solcher Zeugnisse auf dem Weg zu verschiedenen Reisezielen gibt Kraack 1997, Kap. II. 58 Kraack hat mehrere Belege dafür zusammengetragen, dass es dem spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rezipienten dieser Zeugnisse „nicht so sehr auf die Form, sondern auf den in der Regel wohlverstandenen Inhalt dieser Botschaften ankam“ (Kraack – Lingens 2001, 34). 59 Kraack – Lingens 2001, 33.

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bedeutenden (Wallfahrts-)Orten, wo sie sich „des lebhaften Interesses einer durchaus gleichgesinnten Öffentlichkeit“ sicher sein konnten, zu fördern gedachten.60 Ihre Monumente sollten Erinnerung stiften und Andenken „über die eigene Vergänglichkeit hinaus“ sichern.61 Daneben freilich konnte die Anbringung von Namen und Wappen zugleich einem religiösen Impetus entspringen.62 Gerade bei der Verewigung in unmittelbarer Nähe der Elisabethreliquien wird man der Intention, „durch das Hinterlassen eines persönlichen Monuments mit individualisierenden Zeichen wie Namen und Wappen auch über die eigene Anwesenheit hinaus stellvertretend […] am Ort des Heils […] präsent [zu] bleiben“, eine nicht unbedeutende Rolle zusprechen müssen.63 Wenn auch die bislang identifizierten Wappen darüber keinen Aufschluss geben, so scheint es nicht allzu abwegig, manche der heraldischen Graffiti in der Sakristei mit den etwa von 1320–1420 andauernden Preußenfahrten des europäischen Adels in Verbindung zu bringen, während derer sich die Entstehung nicht weniger monumentaler Zeugnisse belegen lässt.64 Dafür spricht nicht nur die passende Datierung einiger teils äußerst kunstfertig eingeritzter Vollwappen, sondern auch der unmittelbare Bezug zu den Gastgebern jener Reisender an ihrem Ziel, eben dem Deutschen Orden.65 Mit Johann von Blois ist ein solcher Preußenfahrer zudem 1369 als Besucher des Elisabethschreins nachgewiesen.66 Ähnliche Intentionen wie bei den ortsfremden, reisenden Adligen dürften auch für jene Graffitiautoren eine Rolle gespielt haben, die als Marburger Deutschordensmitglieder über einen regelmäßigen Zugang zur Sakristei verfügten. Als Ritterbrüder entstammten sie meist niederadligen Familien der Umgebung und verspürten selbstverständlich auch nach ihrem Ordenseintritt noch ein Bedürfnis nach standesgemäßer Repräsentation, wie diverse in der Elisabethkirche erhaltene Heraldica belegen.67 Eine andere Hypothese wäre, dass die Deutschordensbrüder mit dem Einritzen ihrer Wappen in der Sakristei womöglich

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Kraack – Lingens 2001, 34. Kraack 1997, 333; id. 2004, 148. Kraack 1997, 329–331. Kraack – Lingens 2001, 35. Als Preußenfahrten werden jene Reisen europäischer Adliger in den preußischen Deutschordensstaat bezeichnet, die der Unterstützung des Ordens im Kampf gegen die „heidnischen“ Litauer dienten. Zur zeitlichen Ausdehnung dieses Phänomens siehe Paravicini 1989, 21–44; zu den verlorenen heraldischen Monumenten der Reisenden im Königsberger Dom vgl. Kraack 1997, 66 f. mit weiterer Literatur. 65 Wenngleich einige Aufenthalte von Preußenfahrern in Niederlassungen der Balleien im Reich bezeugt sind, so stellt Werner Paravicini doch auch fest, dass diese an der Betreuung der Reisenden keinen erkennbaren Anteil hatten: „Erst wenn preußischer Boden betreten wurde, begann der Orden die ‚Gäste‘ in seine Obhut zu nehmen“ (Paravicini 1989, 226 f.). 66 Wie oben, Anm. 44. 67 Vgl. etwa die mit Wappen versehene Gedächtnistafel zur Einkleidung des Grafen von Solms aus dem Jahre 1448 sowie die spätmittelalterlichen Schilde weiterer Ordensbrüder, Schäfer 1910b, Nr. 127. 168–193. 195. 200–203. 207–209.

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eine Art konventualer Memoria pflegten, durch die sie ihren Ordenseintritt in der Nähe der Elisabethreliquien für die Ewigkeit dokumentierten.68 Auch unter den ältesten der 285 Inschriften haben mindestens zwei Adlige ihre Spuren hinterlassen. Deren Schriftzüge befinden sich ebenfalls an der östlichen Südwand, liegen auf gleicher Höhe im Abstand von etwa 90 cm nebeneinander und offenbaren einige paläografische Ähnlichkeiten, die grob ins 14./15. Jahrhundert deuten, sich einer genaueren Bestimmung aber entziehen. Trotz einiger kleiner Fehlstellen können die beiden unauffälligen Inschriften (Buchstabenhöhe jeweils nur ca. 0.5–1 cm) bedenkenlos zu den Namen „Wolf von Beldersheim“ und „Eberhard Weise“ ergänzt werden (Abb. 4). Sowohl die oben bereits erwähnte Familie von Bellersheim als auch die Wais von Fauerbach (oft nur Weise, Weyse oder Weisen genannt) hatten ihre Stammsitze in der Wetterau.69 Aus ihnen gingen nicht nur zahlreiche Burgmannen,70 sondern sogar einige Burggrafen der Reichsburg Friedberg hervor.71 Während die von Bellersheim im 14. und 15. Jahrhundert mehrere Mitglieder der hessischen Deutschordensballei stellten, lassen sich für die Wais von Fauerbach im 14. Jahrhundert lediglich „geschäftliche“ Kontakte zur Ballei nachweisen.72 Sucht man nun nach einer Verbindung von Deutschem Orden in Marburg, Reichsburg Friedberg sowie zwei passenden Namensträgern der genannten Familien, wird man in den Jahren 1400 und 1401 fündig. Nachdem im August 1400 König Wenzel abgesetzt und an seiner statt Ruprecht von der Pfalz gewählt worden war, fertigte man auf der Reichsburg Friedberg anlässlich ihres Übertritts zur Partei Ruprechts Aufzeichnungen an, die bis Ende Oktober des gleichen Jahres fortlaufend geführt wurden.73 Darin sind mehrere Namenslisten von allen bei unterschiedlichen Versammlungen anwesenden Burgmannen enthalten. Am 29. September 1400 befanden sich zeitgleich „her Eberhard […] Weise, Wolff von Beldersheim“ sowie „Conrad von Beldersheym, kompthure zu Margburg“ auf der Friedberger Burg.74 Letzterer lässt sich von 1395 bis 1412 im höchsten Amt der hessischen Deutschordensballei nachweisen,75 war aber zugleich Burgmann in Friedberg.76 Ein 1382 urkundlich bezeugter Wolf von Beldersheim, „edelknecht“, ist mit dem hier genannten Burgmann offenbar identisch.77 Eberhard Weise schließlich war seit spätestens 1398 Burgmann in Friedberg und amtierte ab 1405 68 Ähnliches ist aus dem Zisterzienserkloster Mariental bekannt, wo die dortigen Mönche sich in einem besonderen Raum offenbar stets zu ihrer Profess verewigten, vgl. Wehking – Wulf 1996, 52–55. 69 Zu den Wais von Faurbach vgl. von Goeckingk 1882, 40. Für die angegebenen Namensvariationen siehe im Register von Schilp 1987, 448–450. 70 Schilp 1982, 54–58. 71 Schilp 1982, 88 f. 72 Vgl. die Nachweise im Register bei Wyß 1899, 666. 73 Schilp 1982, 56. Die Edition dieser Aufzeichnungen findet sich in Schilp 1987, 346–356. 74 Schilp 1987, 350 f. 75 Wie oben, Anm. 53. 76 Offenbar waren im 15. Jahrhundert noch weitere Marburger Komture Burgmannen in Friedberg, Braasch-Schwersmann 1989, 221 f. 77 Reimer 1897, Nr. 270.

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bis zu seinem Tod 1407 sogar als Burggraf.78 Wolf und Eberhard treten in den erwähnten Namenslisten von 1400 noch zwei weitere Male gemeinsam auf,79 genauso wie in einer die Abhaltung des Burggerichts betreffenden Urkunde aller Burgmannen von März 1401 – nun allerdings jeweils ohne den Marburger Komtur.80 Die genannten familiären und dienstlichen Verbindungen machen eine Identifizierung der Inschriftensetzer in der Sakristei mit den beiden Friedberger Burgmannen sehr wahrscheinlich. Die Graffiti entstanden also vermutlich um 1400 während einer gemeinsamen Reise Wolfs und Eberhards zum Deutschen Orden nach Marburg, die neben der Verehrung der Elisabethreliquien wohl auch einen Verwandtenbesuch einschloss.

Abb. 4: Ritzinschriften der Sakristeibesucher Wolf von Beldersheim und Eberhard Weise (Foto: S. Dietrich).

Unter den älteren Ritzinschriften sind ferner die zwei wohl ins 15. Jahrhundert zu datierenden Graffiti über dem sog. „Komturstuhl“ in der Südwestecke der Sakristei erwähnenswert. Beide Schriftzüge scheinen sich in ihrem Wortlaut zu ähneln; da sie nur noch sehr schwer lesbar sind, lässt sich an weiterführenden Einzelbestandteilen kaum mehr als „wyßes licht“, „Christburch“ und „Dyderich“ ausmachen. Ein Name, ein Toponym sowie die Erwähnung von Kerzen könnten wo-

78 Schilp 1987, Nr. 678. 790. 804. 79 Schilp 1987, 354–356. 80 Schilp 1987, Nr. 748.

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möglich Anzeichen dafür sein, dass hier kleinere Stiftungen durch einen Ordensbruder (vorläufig) an der Wand fixiert wurden.81 Im Gegensatz zu den heraldischen Darstellungen entziehen sich die zeichnerischen Graffiti weitestgehend einer schlüssigen Interpretation. Die hier anzutreffenden Hunde, Vögel, Pferde sowie Fabelwesen – teils relativchronologisch ins 15. Jahrhundert datierbar – lassen den Forschenden mangels einer vergleichenden Untersuchung, wie sie für die Antike mit Martin Langners Studie vorliegt,82 ziemlich ratlos zurück. Es sei lediglich die Vermutung geäußert, dass auch die Hundezeichungen womöglich in Verbindung mit den Adligen stehen. Als Jagdtiere waren jene vielleicht hinreichend geeignet, um als verewigungswürdiges adliges Standessymbol zu dienen.83 b) Spätmittelalterliche Graffiti außerhalb der Sakristei Außerhalb der Sakristei haben sich nur wenige Graffiti aus vorreformatorischer Zeit erhalten. In der Türlaibung der Nordpforte findet sich das mit Rötelstift aufgetragene „Ich-war-hier“-Graffito eines Besuchers aus dem 15. Jahrhunderts (Buchstabenhöhe ca. 2 cm): „Hic fuit Marc(us)“. Neben der Südpforte hinterließ – wohl zu Beginn des 16. Jahrhunderts – ein ungenannter Verfasser den Schriftzug (Buchstabenhöhe ca. 3 cm) „Za(ncta) Maria“ zusammen mit einem kreuzbekrönten Dreieck (Abb. 5). Der Zusammenhang des Graffitos mit einer in unmittelbarer Nähe angebrachten Wandmalerei des 15. Jahrhunderts, die die Anbetung Christi durch die heiligen drei Könige zeigte, liegt nahe und macht eine Interpretation als Votivgraffiti mit Marien-Anrufung wahrscheinlich.84 c) Studenten- und Schülergraffiti Der letzte Teil dieses Überblicks ist einer besonderen Gruppe frühneuzeitlicher Graffiti gewidmet. Im ganzen Kirchenraum haben sich Namensritzungen erhalten, die sich dank der überlieferten Matrikeln einem bestimmten Personenkreis zweifelsfrei zuordnen lassen: Studenten der 1527 gegründeten Marburger Universität und Schülern des daran angegliederten Pädagogiums. Einige wenige Beispiele mögen dies illustrieren. Am Kredenztisch im nördlichen Seitenschiff finden sich übereinander folgende in Kapitalis verfasste Inschriften (Buchstabenhöhe ca. 2 cm): „NICOLA(US) WEB[ER] MAR(BURGENSIS) HOC FECIT AN(NO) 94“ sowie „HERMAN(US) MARBECHER HOC FACTUM A(NNO) 1594“ (Abb. 81 Für den Hinweis auf diesen Deutungsansatz bin ich Herrn Prof. Dr. Romedio Schmitz-Esser zu Dank verpflichtet. 82 Langner 2001. 83 Die adligen Preußenfahrer etwa führten offenbar nicht selten Hunde mit sich, vgl. Paravicini 1989, 223. 84 Diese heute stark vergangene Wandmalerei konnte Schäfer 1910b, Nr. 23, im 19. Jahrhundert noch erkennen. – Zu Votivgraffiti vgl. Kraack – Lingens 2001, 31–33; Champion 2012.

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6). Nikolaus und Hermann immatrikulierten sich 1591 bzw. 1592 als Schüler im Marburger Pädagogium,85 brachten die Graffiti also vermutlich bei einem gemeinsamen Besuch der Elisabethkirche während ihrer Schulzeit an. Ein weiterer Schüler verewigte sich 1593 ebenfalls im nördlichen Seitenschiff, und zwar am Pfeiler westlich des Kredenztisches (Buchstabenhöhe ca. 2 cm): „ENGELHART | BRECHNITZ | MARPUR(GENSIS) ANNO | 1593 GI | CECINI 6 AN(NOS)“ (Abb. 7). Engelhart, der 1594 in der Matrikel des Pädagogiums erscheint,86 hatte im Kindesalter also vermutlich dem lutherischen Pfarrer der Elisabethkirche als Singknabe gedient.

Abb. 5: Votivgraffito mit Marien-Anrufung außen neben der Südpforte (Foto: S. Dietrich).

Reguläre Marburger Studenten hinterließen ihre Graffiti etwa auf der Rückseite des Hochaltars („LAVRENTIVS | BREVL“, 1561 immatrikuliert), auf den zinnernen Velumsleuchtern im Ostchor („PHILIPPVS IAVPIVS“, 1607 immatrikuliert) sowie auf den Landgrafenhochgräbern im Südchor („Ioan | Stip“, 1551 immatrikuliert).87 Ein zeitlicher Schwerpunkt dieser Graffiti liegt eindeutig in der zweiten Hälfte des 16. und im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Der Grund, warum die Elisabethkirche für die Marburger Studenten offenbar ein so attraktiver Ort zur Graffitianbringung war, ist vielleicht darin zu suchen, dass die Kirche als Grablege der heiligen Elisabeth sowie des hessischen Fürstenhauses ein bedeutender Erinnerungsort der Landesherrschaft war und daher wohl gerade auch im Ge-

85 Falckenheiner 1904, 171. 103. 86 Falckenheiner 1904, 16. 87 Vgl. zu den genannten Studenten Falckenheiner 1904, 18. 89. 159.

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schichtsbewusstsein der Angehörigen der landgräflichen Universität einen besonderen Stellenwert einnahm.88

Abb. 6: Ritzinschriften der Pädagogiumsschüler Nikolaus Weber und Hermann Marbecher (Foto: S. Dietrich).

Abb. 7: Ritzinschrift des späteren Pädagogiumsschülers Engelhart Brechnitz im nördlichen Seitenschiff (Foto: S. Dietrich). 88 Dass die Elisabethkirche und insbesondere die dortige Fürstengrablege spätestens seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in diesem Sinne als historische Erinnerungsorte dienten, belegt die 1661 gedruckte geschichtliche Kurzbeschreibung des damaligen Opfermanns sehr eindrücklich, vgl. Molter 1661. – Im Rahmen der Gottesdienste werden die Studenten vermutlich nicht regelmäßig in der Elisabethkirche geweilt haben, denn der Deutschordenspfarrer war lediglich für die Bewohner des Ordensbezirks und der angrenzenden Marbach zuständig, vgl. Bredehorn u. a. 1983, 121. Die Studenten besuchten wohl meist die Gottesdienste der städtischen Pfarrkirche.

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Die Spuren zwei weiterer Personengruppen, die sich in den frühneuzeitlichen Graffiti der Elisabethkirche fassen lassen, seien hier nur kurz angesprochen. Zum einen handelt es sich dabei um Küster, von denen Inschriften aus dem 17. Jahrhundert vorhanden sind, und zum anderen um Handwerker, die vor allem im 18. Jahrhundert ihre Namenszüge und Werkzeugumrisse hinterlassen haben.89 Dieser Überblick soll nicht abgeschlossen werden, ohne zumindest angedeutet zu haben, dass der Graffitibestand der Elisabethkirche noch weitaus mehr als das hier Besprochene bietet – genannt seien etwa die Beispiele von Hausmarken, einer „Totengedenk-Inschrift“ sowie einem Mühlebrett. QUELLENWERT Auf welche Weise der Graffitigesamtbefund eines Sakralbaus für die Forschung fruchtbar gemacht werden kann, soll abschließend anhand einiger exemplarischer Fragestellungen aufgezeigt werden, für deren Bearbeitung die Graffiti wertvolles Quellenmaterial liefern. An erster Stelle ist dabei die Forschung zur spätmittelalterlichen Elisabethwallfahrt in Marburg zu nennen. Nachdem die spärlichen Angaben der spätmittelalterlichen Rechnungen schon im letzten Jahrhundert ausführlich ausgewertet worden waren, hatten sich mögliche Quellen für diesen Themenkomplex weitestgehend erschöpft. Der bisherige Forschungsstand, demnach die Wallfahrt nach Marburg vermutlich schon um Mitte des 13. Jahrhunderts in ihrem Umfang stark nachgelassen hatte und im 14. und 15. Jahrhundert abgesehen von einigen Ausnahmen nur noch lokale und regionale Anziehungskraft besaß,90 wird durch den Graffitibefund zwar nicht grundlegend angetastet, erhält aber einige Nuancen. Dies betrifft nicht nur die durch Inschriften und Wappen erweiterte Kenntnis von Personen, die nachweislich den Elisabethschrein besucht haben, sowie die neugewonnenen Hinweise auf die konkrete Gestalt adliger Wallfahrtspraxis in der Sakristei. Insbesondere die Frage nach dem Ort der Elisabethverehrung in der Marburger Deutschordenskirche wird dadurch nun erhellt. Die Graffiti nämlich liefern einen handfesten Beleg dafür, dass die laut Köstler vom Deutschen Orden initiierte „Verbannung“ und „Hermetisierung“ des Elisabethschreins so undurchdringlich nicht gewesen sein kann:91 Zumindest für bestimmte adlige Besuchergruppen scheint die Sakristei trotz baulicher Hindernisse grundsätzlich zugänglich gewesen zu sein.92 89 Zu dem im Dachstuhl der Elisabethkirche eingeritzten Schieferhammer vgl. den Beitrag von Ulrike Heckner im vorliegenden Band. 90 Vgl. zur Elisabethwallfahrt die maßgeblichen Aufsätze von Demandt 1972; Brückner 1981; Krafft 2012. 91 Vgl. dazu Köstler 1995, bes. 34–41. 92 Damit kann die von Schaich 2008, 98, anhand der Sakristeiausstattung entwickelte These, „dass mit Publikum an diesem Ort gerechnet wurde“, bekräftigt werden. – Dass auch bauliche Hindernisse wie Lettner oder Chorschranken nicht zwangsläufig eine hermetische Abriegelung zur Folge hatten, beweist zudem der Befund von Weniger 2016, 138: Die Graffiti auf

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Auch für Fragen nach der ursprünglichen Ausstattung der Sakristei können die Graffiti in bestimmten Fällen herangezogen werden. Für den aus Eichenholz gearbeiteten Stuhl, der in der Südwestecke des Raums steht und Besuchern im 19. Jahrhundert als „Elisabeths Beichtstuhl“ präsentiert wurde,93 hat sich in der jüngeren Forschung die Bezeichnung als „Komtursitz“ durchgesetzt, dessen ursprünglichen Aufstellungsort man neben dem Chorgestühl der Vierung vermutet.94 Diesen Stuhl durfte der Verfasser im Sommer 2014 zur Untersuchung der dahinterliegenden Wandfläche auf Graffiti freundlicherweise abrücken. Dabei zeigte sich, dass im Gegensatz zu der äußerst graffitireichen Fläche oberhalb des Stuhlrückens die vom Stuhl üblicherweise verdeckte Wandfläche kein einziges Graffito aufwies. Da einige der oberhalb des Stuhlrückens und in außergewöhnlicher, nur durch Besteigen des Stuhls erreichbarer Höhe eingeritzten Inschriften ins 15. Jahrhundert datiert werden konnten, ist es nun möglich, für die Aufstellung des Stuhls in der Sakristei einen entsprechenden terminus ante quem zu bestimmen: Er stand wohl spätestens seit dem 15. Jahrhundert an seinem heutigen Standort in der Sakristei; eine ursprüngliche Aufstellung neben dem Chorgestühl als hervorgehobener „Komtursitz“ erscheint angesichts dessen eher unwahrscheinlich. Auch außerhalb der Sakristei können die Graffiti nützliche Dienste tun und etwa unser Wissen um historische Zugänglichkeiten einzelner Areale befruchten. Die in allen drei Konchen zahlreich vorhandenen Namensgraffiti Marburger Studenten belegen, dass dieser Bereich in nachreformatorischer Zeit keineswegs verschlossen war,95 sondern zumindest gelegentlich für Besucher offengestanden haben muss. Auch die durch ein Schülergraffito für Ende des 16. Jahrhunderts belegten Chordienste bereichern das bisherige Bild vom gottesdienstlichen Alltag in der Elisabethkirche, denn archivalisch lassen sich Chorknaben erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fassen.96 Zugleich eröffnen die Graffiti der Marburger Studenten und Pädagogiumsschüler der Universitätsgeschichtsforschung neue Möglichkeiten. Nicht nur lässt sich durch deren Inschriften in der Elisabethkirche ein bisher unbeachteter Aspekt der Marburger Studentenkultur – etwa die Frage nach beliebten Aufenthaltsorten – erhellen.97 Die Namensgraffiti könnten vor allem auch zur Ergänzung und Korrektur der Matrikel, namentlich zur Verbesserung der nicht selten fehlerhaften

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manchen Altarretabeln seien „ein wichtiges Indiz, dass die Chorbereiche von Kirchen und selbst der Raum hinter den Retabeln zugänglich waren.“ Bücking 1884, 30. Köstler 1995, 94; Schaich 2008, 95. Die hessische Deutschordensballei wurde zwar anders als die übrigen hessischen Klöster und Stifte nicht säkularisiert, doch spätestens seit Ende der 1520er Jahre waren die Ordensbrüder mehrheitlich protestantisch. Die katholische Ordensliturgie im Ostchor wurde seitdem nicht mehr zelebriert, vielmehr besoldete der Orden einen lutherischen Prädikanten, vgl. dazu Schaal 1997. Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 106 a, Nr. 42/229. Genau in diesem Sinne plant Frau Kristin Langefeld, Marburg, die Studentengraffiti der Elisabethkirche in ihr laufendes Promotionsvorhaben zur Studentenkultur und zum akademischen Alltag der Marburger Universität im 18. Jahrhundert einzubeziehen.

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Namens- und Ortsangaben herangezogen werden. Ein ähnlicher Befund aus der ehemaligen Wallfahrtskapelle im thüringischen Ziegenhain wurde auf diese Weise bereits 1991 für die Jenaer Universitätsgeschichte fruchtbar gemacht.98 SCHLUSS Angesichts der skizzierten Möglichkeiten, die die Graffiti im vorliegenden Fall für die Lokal- und Landesgeschichtsforschung, die Universitäts- und Kunsthistorie bieten, ist es umso erstaunlicher, dass sie – wie eingangs geschildert – in der Literatur bisher keinerlei ernsthafte Behandlung erfahren haben. Dies ist vermutlich einerseits mit dem mangelnden Problembewusstsein für derartige Zeugnisse zu erklären – schließlich sieht auch ein Historiker nur, was er weiß –, andererseits spielt(e) hierbei wohl die Zurückhaltung der „seriösen“ Geschichtsschreibung, „sich mit Graffiti zu beschäftigen, ja die fehlende Bereitschaft, sie überhaupt als historisches Quellenmaterial wahr-, geschweige denn ernstzunehmen“,99 eine nicht unwesentliche Rolle. Was – um einen weiteren Bestandteil des Konferenztitels aufzugreifen – die allgemeinen Perspektiven der deutschsprachigen Forschung zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti betrifft, so ist das dringendste Ziel daher sicherlich noch immer die Etablierung dieser Zeugnisse als ernstzunehmende Quellengattung.100 Auch die schon 2001 von Kraack und Lingens schmerzlich vermissten „Studien, die gleichartige Graffiti verschiedener Regionen und Länder vergleichend und zusammenfassend bearbeiten oder diachronen Entwicklungen nachspüren“, sind nach wie vor ein Desiderat.101 Zugleich zeigt das Beispiel der Marburger Elisabethkirche, dass unsere Kenntnis des Gesamtbestands an mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti im deutschsprachigen Raum vermutlich noch sehr lückenhaft ist. Die Quellenerschließung steckt – so möchte ich behaupten – noch in den Kinderschuhen. Allein aus dem Marburger Raum etwa sind mir noch zwei weitere der Graffitiforschung bislang entgangene Bestände von spätmittelalterlichen Graffiti bekannt.102 98 Hallof – Hallof 1991. 99 Kraack – Lingens 2001, 13. 100 „Die Beschäftigung mit historischen Graffiti und deren Auswertung sollte daher im Kreis der heute schon allgemein anerkannten und angewandten historischen Hilfswissenschaften einen festen Platz finden“, Kraack – Lingens 2001, 18. 101 Kraack – Lingens 2001, 18. 102 Beide Bestände sind bislang unpubliziert, lediglich in teils abgelegenen lokalhistorischen Publikationen wurden sie beiläufig als interessante Kuriositäten erwähnt. Dies betrifft zum einen den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffitibestand der Oberburg Fronhausen („Flechtwerk- und andere geometrische Muster (rechts Schachbrettmuster), zwei gekrönte Köpfe, Wappen (Schilde), Vögel, Hirsch, Strichmännchen etc.“), vgl. Katzenmeier 2009, 510; zum anderen die durch Restaurierungen wohl stark dezimierten Graffiti der Marburger Schlosskapelle („zahlreiche Namensinschriften, von müßigen Händen eingekratzt, teilweise mit Jahreszahlen versehen, und unter letzteren war die späteste: 1520“), vgl. Schäfer 1910a, 131. Darüber hinaus haben sich dort einige heraldische Graffiti erhalten.

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Abhilfe verspräche hier die systematische Untersuchung der architektonischen Überreste des Mittelalters auf Graffiti samt Erfassung des Quellenbestandes. Angesichts der diesbezüglichen Bemühungen in England, wo der von Freiwilligen getragene „Norfolk Medieval Graffiti Survey“ inzwischen in zahlreichen Regionen Nachahmung gefunden hat,103 erscheint ein solches Unterfangen gar nicht allzu realitätsfern. ENGLISH ABSTRACT The paper deals with the 1,300 late medieval and early modern graffiti discovered inside and outside of the St. Elizabeth’s church in Marburg (Germany, Hesse). Until now they have gone almost unnoticed by previous researchers. The scratched or painted inscriptions and drawings are spread across all parts of the church but with particular focus on the exterior south wall, the southern choir (containing the tombs of the duces of Hesse) and the sacristy which alone includes an impressive amount of 454 graffiti. Dealing with methodical challenges like the loss of records as a result of modern restorations, the paper presents several types of inscriptions in detail. The 93 scratched coats of arms in the sacristy were left, on the one hand, by members of the Teutonic Order which used to be the owner of the church. On the other hand, they were left by late medieval nobel travelers who hoped for secular honour and celestial intercession of St. Elizabeth. Students of the University of Marburg, which was founded in 1527, represent another big group of graffiti authors. Subsequently, the paper points out the eminent value which graffiti can claim as source material for various areas of research, such as the late medieval pilgrimages to St. Elizabeth or the early modern student body in Marburg.

103 Vgl. zum Survey in Norfolk (11.7.2017); ferner etwa zu East Sussex (11.7.2017).

ADLIGE UND PATRIZIER AUF REISEN Graffiti des 14.–16. Jahrhunderts Detlev Kraack ZUR EINFÜHRUNG IN DEN GEGENSTAND: „NAMEN, SCHILDE UND HELME“? Als der gelehrte Berner Chorherr Heinrich Wölfli (1470–1532) im Jahre 1520/21 ins Heilige Land reiste, hielt er in seinem Tagebuch zum Besuch der Kirche des Heiligen Markus in Candia auf Kreta folgende Beobachtung fest: „Uff den 1. tag Augustens giengen wir in der statt hin unnd har. Und im portal der S. Marxens kilchen funden wir naman, schilt unnd hälm ettlicher Edellüthen von Bern, als Ludwig von Diesbachs, Hanns Rudolf von Scharnachthals, Casper von Mühlinens, Bastian unn Hans von Steins, Item Adrian von Bugenbergs deß jüngeren, unn sines priesters Bendicht Erki. Und was die jarzal underschrieben 1480.“1 Dass die genannten Eidgenossen wirklich ihre Schilde und Helme am Portal der Kirche hinterlassen hatten, erscheint eher unwahrscheinlich. In Kombination mit den „Namen“ und der „unterschriebenen“ Jahreszahl klingt es eher so, als habe Wölfli eine Tafel mit den entsprechenden Schriftzeichen und heraldischen Symbolen, das heißt Wappen und Helmzierden, am Portal der Kirche erblickt oder ein entsprechendes Graffito bzw. Dipinto vor sich gehabt. Ganz ähnliche Beobachtungen werden von ihm übrigens auch für die Pilgerherberge in Candia („Da wir viler Eidgenossen Schilt unnd hälm gfunden, mit iren namen, die wir abzeichnet.“) sowie für andere Orte entlang seines Weges mitgeteilt. So sah er die Namen, Schilde und Helme dieser und anderer Eidgenossen am Felsen des Kalvarienberges in der Grabeskirche zu Jerusalem, wobei für diesen Ort ausdrücklich von Zeugnissen die Rede ist, die mit einem Eisen in den Stein „eingestochen“ sind („An dem velsen sinnd mitt ysen yngstochen Schilt und waapen deren von Scharnachtal, Mülinen, zum Stein, burgeren von Bärn.“). Vergleichbares wird auch für die Kirche der Heiligen Katharina zu Famagusta auf Zypern („darinnen vil schilt unnd helm und namen unser Edellüthen.“), für das Wirtshaus „Zur Cronen“ auf Korfu bzw. Corcyra („Da han ich vil Schilt und waapen der unseren funden.“) und für Otranto („Viler Eidgnoßen namen hend wir da gschriben funden, die auch zu Jerusalem gsin unnd von Corcyra dahin warend gfaren.“) erwähnt. Leider erfahren wir hier nicht, wo die Namen angebracht („geschrieben“) waren, ob es sich wo1

Kraack 1997, 435–437 (mit den betreffenden Auszügen aus dem Reisebericht des Heinrich Wölfli); id. 2001, 232; zur Person Wölflis und zur Überlieferung Paravicini 1994/1999/2000, Teil 1, 342–344 (Nr. 139).

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möglich um eine Art legales „Gästebuch an der Wand“ handelte, das am Ende nicht nur den Reisenden zur Ehre, sondern gleichsam als „touristischer Viewpoint“ auch dem Wirt zum Vorteil gereichte. Immerhin geht aus den Erwähnungen der Zeugnisse bei Wölfli hervor, dass es für ihn ganz offensichtlich keinen Unterschied machte, ob er diese an sakraler oder an profaner Stelle vorfand. Da er davon berichtet, man habe die Zeugnisse „gefunden“, liegt es auf der Hand, dass man Herbergen und Heiligtümer mit einer gewissen Vorkenntnis und Erwartungshaltung aufsuchte und sich an diesen Orten offensichtlich gezielt auf die Suche begab. Dass die Anbringung dieser Zeugnisse heimlich oder gar illegal erfolgt sein könnte, klingt bei Wölfli nicht an, wohl dagegen, dass er sich ganz besonders für seine eidgenössischen Landsleute interessierte, deren Namen, Schilde und Wappen er regelrecht suchte und abzeichnete, um die Informationen darüber seinem eigenen Reisebericht beizufügen. Ein gewisses Moment der landmannschaftlichen Verbundenheit und der Kontextualisierung der Zeugnisse im Rahmen der Pilgerfahrt ins Heilige Land klingt dabei durchaus mit, wenn das Auffinden der eidgenössischen Namen in Otranto mit dem vorausgehenden Aufenthalt der Namensträger in Jerusalem und auf Korfu (Corcyra) in Verbindung gebracht wird. Während an den von Wölfli ausdrücklich erwähnten Orten von diesen Zeugnissen kein einziges mehr erhalten ist, könnte das, was man bis heute bei einem Besuch im „Alten Refektorium“ des Katharinenklosters auf dem Sinai auf Nachfrage zu sehen bekommt, zumindest eine Idee davon vermitteln, wie wir uns die von Wölfli erwähnte Überlieferung vorzustellen haben. Bis heute sind die Eingänge zu diesem Raum, der den abendländischen Gästen des Klosters im Spätmittelalter als Herbergs- und/oder Andachtsraum gedient haben mag, sowie die den ansonsten verputzten Raum überspannenden steinernen Gurtbögen mit Namen, Wappenschilden und Helmzierden west- und mitteleuropäischer Adliger bedeckt. Ein besonders beeindruckendes dieser Zeugnisse, das ganz offensichtlich von professioneller Hand in den Stein geschnitten und fachkundig koloriert wurde, zeigt Namen, Wappen und Helmzier des fränkischen Adligen Karl von Hessburg (karll vo[n] hespurg) sowie verschiedene Ritterordenszeichen und stammt laut beistehender Jahreszahl aus dem Jahre 1414 (in der Inschrift in römischen Zahlzeichen geschrieben als xiiijc xiiij) (Abb. 1).2 Andere Adlige kamen ganz offensichtlich zu zweit oder in kleinen Gruppen ins Kloster und verewigten sich gemeinsam, wie etwa der ein gleichsam sprechendes Wappen führende Alex Gradner und dessen Begleiter (Abb. 2),3 deren Wappen durch eine Art Kette miteinander verbunden sind, oder auch Wilhelm von Vlatten-Merode (wilhe[l]m [van] vlatten) und Johann von Schönborn (johan va[n] schon[n]bor[n]), die ihre „Namen und Wappen“ untereinander an der rechten Seiteneinfassung der heutigen Tür zu dem Raum hatten anbringen lassen (Abb. 3).4 2 3 4

Kraack 1997, 230–232 (Inschrift Nr. K111). Kraack 1997, 216 f. (Inschrift Nr. K89). Kraack 1997, 182–184 (Inschriften Nr. K38 und K39). – Hier spricht die parallele Art der Ausführung übrigens dafür, dass sich beide der Hand eines Dritten bedienten.

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Abb. 1: Kolorierte Inschrift mit dem Namen, dem Wappen (Schild 17 cm × 15 cm) und der Helmzier sowie dem in römischen Zahlzeichen geschriebenen Aufenthaltsjahr (1414) des fränkischen Adligen Karl von Hessburg an einem der Gurtbögen im „Alten Refektorium“ des Katharinenklosters auf dem Sinai (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

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Abb. 2: Durch eine Kette verbundene Wappen Alex Gradners (Schild 17 cm × 16 cm) und eines Begleiters (Schild 14 cm × 12 cm) an einem der Gurtbögen im „Alten Refektorium“ des Katharinenklosters auf dem Sinai (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

Warum die eidgenössischen Patrizier und die Niederadligen aus ganz unterschiedlichen Regionen des spätmittelalterlichen Reiches und seiner Randgebiete sowie Westeuropas sich auf diese Weise verewigten, was davon als zeitspezifisch zu bewerten ist und was eventuell sogar dazu beitragen kann, das Gesamtphänomen der historischen Graffiti ein wenig besser zu verstehen, darum geht es in den folgenden Ausführungen. DIE WEITE DES GEGENSTANDES UND DIE SCHWIERIGKEIT SEINER DEFINITION Wer sich mit der inhaltlich wie formal weit aufgefächerten Quellengruppe der historischen und modernen Graffiti beschäftigt, ist gut beraten, sich zunächst einmal seines Gegenstandes zu vergewissern. Dabei erweist es sich als durchaus schwierig, eine griffige, die unterschiedlichen Spielarten des Phänomens gleichermaßen fassende Definition zu finden. Minuskeln und Majuskeln gehen bunt durcheinander, kursive und andere Schriften bisweilen sogar archaisierenden Charakters, wie sie die klassische Epigrafik aufführt, um die von ihr dokumentierten und erforschten „offiziellen“ Zeugnisse von den bis auf den heutigen Tag vielfach vernachlässigten Graffiti abzuheben, bieten bei genauerem Hinsehen keine wirklich geeigneten Kriterien. Sicherlich spielt dagegen eine gewisse Spontaneität im Entstehungszusammenhang der als Graffiti zu charakterisierenden Zeugnisse eine

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Rolle, zumal es um Ritzungen, Zeichnungen und Dipinti geht, die auf Beschreibstoffen angebracht wurden, die dafür ursprünglich gar nicht bestimmt waren. Diesen Zeugnissen eignet in der Regel ein inoffizieller, sehr persönlicher Charakter, was umgekehrt bedeutet, dass wir über sie sehr dicht an die Menschen der jeweiligen Epochen, an ihr Denken und Fühlen, an Hoffnungen, Ängste und Nöte herankommen. Dies führt zu Annäherungen und Begegnungen, wie sie sich bei der Auseinandersetzung mit der vergangenen Wirklichkeit ansonsten kaum je bieten, und macht die Graffiti – ungeachtet ihrer vordergründigen Bedeutungslosigkeit – zu einer ungemein wertvollen Quellengattung für die Erforschung der Alltagsund Mentalitätsgeschichte. Notwendige oder gar hinreichende Kriterien für eine strenge Definition dessen, was Graffiti eigentlich sind, haben wir damit aber noch lange nicht gewonnen, da das Gesamtphänomen sehr viel reichhaltiger ist und in Randbereiche hineinkragt, die wiederum andere Kriterien an Bedeutung gewinnen und in den Vordergrund treten lassen.5 Dies gilt im vorliegenden Fall etwa dann, wenn Graffiti substituierend an die Stelle anderer Äußerungen treten, wenn ihnen etwa im Rahmen eines „Gästebuches an der Wand“ – ungeachtet der äußeren Form – bisweilen eben doch ein offizieller Charakter beikommt, oder wenn das Graffito auf dem Weg in die Gegenwart – selbstreferenziell und ironisierend – zur Kunst wird. Dass wir das intellektuelle Spiel mit Abkürzungen, Homophonen und Rebusverschlüsselungen durchaus auch schon im Spätmittelalter finden, belegen einige aus dem frühen 15. Jahrhundert überlieferte Graffiti mit den geistreich verfremdeten Devisen von Adligen.6 Die hier verwendeten Kürzungen und Kodierungen setzen entsprechende Lese- und Dekodierungskompetenzen bei dem ins Auge gefassten Adressatenkreis der Mittellungen an Mit- und Nachwelt voraus. Gerade weil die in situ erhaltenen Zeugnisse selbst wie auch die in den zeitgenössischen Reiseberichten fassbaren Erwähnungen derselben zahlreiche, keinesfalls triviale Fragen aufwerfen, sind auch das historische Umfeld und die konkreten Entstehungssituationen sowie die sozialen und die mentalen Voraussetzungen zu beachten, unter denen diese Zeugnisse jeweils entstanden sind. Dies gilt für Zeugnisse des 20. und 21. Jahrhunderts ebenso wie für historische Spielarten des Phänomens in vorausgegangenen Epochen, wobei für letztere bisweilen deutlich mehr Kontextualisierungsarbeit zu leisten ist bzw. zu leisten wäre, wenn wir über entsprechend flankierende Quellenzeugnisse verfügten.

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Kraack – Lingens 2001, 9 f. (Begriffsbestimmung). Besonders eindrucksvolle Beispiele für Graffiti mit entsprechenden Devisen sind bis heute in situ erhalten von Jean de Werchin, dem Seneschall des Hennegau, im „Alten Refektorium“ des Katharinenklosters auf dem Sinai, und von dem frankophonen Gelehrten und Edelmann Antoine de La Sale (1385–1461) an verschiedenen Orten Mittelitaliens, Kraack 1997, 212 f. (Inschrift Nr. K83): „n(u)l n´est / hainau au senescal“ bzw. 280–283 und 400–402: „sans s´en dispercer – il convient La Sale“. – Vgl. zu der La Sale-Überlieferung auch Kraack 1999.

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Abb. 3: Jeweils Wappen und Name des Wilhelm von Vlatten-Merode (oben, Schild 14 cm × 12 cm) und des Johann von Schönborn (unten, Schild 12 cm × 11,5 cm) an der aus der Sicht des Eintretenden rechten Seite der Türeinfassung zum „Alten Refektorium“ im Katharinenkloster auf dem Sinai (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

Ganz in diesem Sinne beschäftigen sich die folgenden Ausführungen mit Inschriften und Graffiti, die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche adlige Reisende und Patrizier an den Stationen ihrer Reisen, vor allem aber an deren exponierten Zielorten hinterlassen haben und die von nachfolgenden Reisenden wie Heinrich Wölfli (1520/21) als „Namen, Schilde und Helme“ beschrieben werden. All dies ist bislang nur in Ansätzen dokumentiert und wohl nicht zuletzt deshalb wenig bekannt, und nur in einigen wenigen Fällen dieser vormals sehr viel umfangreicheren Überlieferung erhellen sich die Aussagen der gegenständlichen und der Schriftquellenüberlieferung gegenseitig. Da es aber solche Fälle durchaus gibt, lassen sich die Entstehungszusammenhänge und Wirkungsintentionen der an der Entstehung dieser Zeugnisse Beteiligten rekonstruieren, auch wenn wir dabei auf Inter- und Extrapolation angewiesen sind und begründete Spekulation über manch Überlieferungslücke hinweghelfen muss.

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REISEN UND EHRSTIFTENDE ERINNERUNG Im Spätmittelalter gehörte das Reisen zu den Tätigkeiten, mit denen Adlige und Patrizier Ruhm und Ehre erwerben konnten.7 Dies war in der ebenso agonalen wie hierarchisch strukturierten Sozialordnung der Zeit statusbegründend und statuserhaltend. Folglich ging es nicht nur darum, möglichst exklusive, weit entfernte Reiseziele anzusteuern, sondern man musste die eigene soziale Bezugsgruppe auch über das der Intention nach ehrenvolle Handeln unterrichten, war diese Gruppe es doch, die einem am Ende Stand und Status zuwies: mobiliora – nobiliora („je weiter und gefahrvoller, desto ehrenvoller“), hieß es damals nicht von ungefähr, zumindest sinngemäß, denn wortwörtlich erscheint die ebenso geistreiche wie treffende Formulierung erst im 17. Jahrhundert.8 Gleichzeitig lassen sich innerhalb von einzelnen Adelsfamilien, aber auch von lokalen Adelsgesellschaften und Patriziergruppen regelrechte Reisetraditionen festmachen. Waren schon Vater und Onkel im Kreis von Verwandten, Bekannten oder Landsleuten nach Rom, Santiago oder ins Heilige Land gereist und waren vom Papst zu einer Audienz empfangen worden oder hatten sich in der Grabeskirche zum Ritter schlagen lassen, so weckte das entsprechende Erwartungen an nachfolgende Generationen und fand in diesem Sinne auch Niederschlag in der Schriftquellenüberlieferung und in der Erinnerungskultur der Familie, der Stadt oder der betreffenden Region. Hier korrespondierte das vor Ort in der Fremde Vorgefundene und Hinterlassene mit den genauen Angaben für nachfolgende Reisende, wo man entsprechende Zeugnisse würde finden können: So hat nach Ausweis seines Reiseberichts Alexander von Pappenheim 1563 in der Pilgerherberge zu Ramla im Heiligen Land, „alda Ich gelegen, baider meiner freundlicher lieber Vettern Christof Marschalcks, undt Christof von Laubenbergs auch Caspar Nothafts, Nehmen und wappen gefunden, und den [eigenen] Namen gleich hart darneben geschrieben, wann Man zu der Kamer hinein gehet, zu der lincken handt.“9 Christoph Fürer von Haimendorf, der die Zisterne dieser Pilgerherberge 1565 besuchte, hielt fest: „da findet man sehr vieler Pilgramwappen in Stein eingehawen. Unter andern funden wir ein Mansfeldisches / Item Ruprecht von Mehrot / der von Thungen / Truchses / Ebener / Kötzel / und viel andere Wappen.“10 Ehrstiftende und traditionsbildende Erinnerung wurde mithin nicht nur an den Heimatorten der Reisenden erzeugt bzw. fortgeschrieben, indem man Kirchenfenster, Grabmonumente und Epitaphien mit entsprechenden Symbolen wie den Petrusschlüsseln, dem ganzen oder dem halben Rad der Heiligen Katharina (je nachdem, ob man den Sinai oder Zypern besucht hatte), der Jakobsmuschel oder bestimmten Ritterordenszeichen zierte oder Berichte über seine und seiner Ver7

Paravicini 1994/1999/2000; Ohler u. a. 1995; Reichert 2015, 24–26 und die Beiträge in Paravicini 2018. 8 Kraack 1997, 6 zu dem Motto, das der frühneuzeitliche Gelehrte Sigismund A. von Birken (1626–1681) seiner Reise- und Länderbeschreibung voranstellte. 9 Kraack 1997, 444 f.; id. 2001, 233 f. 10 Kraack 1997, 446 f.; id. 2001, 234.

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wandten Reisen verfasste bzw. Teil der verschriftlichten Familienerinnerung werden ließ: Auch und vor allem an den Stationen ihrer Reisen, die die Adeligen und Patrizier ins Heilige Land, nach Santiago de Compostela, nach Rom und zu vielen anderen sakralen und profanen Orten führten, nahmen diese die Zeichen vorausgehender Reisender wahr, suchten bisweilen regelrecht nach diesen und hinterließen entsprechende Zeichen der eigenen Anwesenheit. Diese Zeichen, die in sehr unterschiedlicher Form, Materialität und Größe daherkommen konnten, dienten gleichsam als Beleg für die eigene, statusbegründende Mobilität. Schilde, Wappentafeln und bisweilen mit großem finanziellem Aufwand gestiftete Kirchenfenster erfüllten in diesem Sinne dieselbe Funktion wie Papier- oder Pappblätter mit entsprechenden Zeichnungen oder von den adligen Reisenden selbst angebrachte Graffiti oder Dipinti mit ihren Wappen, Helmzierden, Namen und Aufenthaltsdaten. Und an einigen dieser in situ erhaltenen Zeugnisse oder anhand der in der Schriftquellenüberlieferung erhaltenen Nachrichten von „Namen und Wappen“ lassen sich bis heute bisweilen sogar die Itinerare von Reisenden rekonstruieren.11 ÜBERLIEFERUNGSLAGE UND QUELLENZEUGNISSE Von den in sehr unterschiedlicher materieller Ausprägung nachgewiesenen Zeugnissen, die neben Namen und Aufenthaltsjahren bzw. -daten insbesondere auch heraldische Zeichen, d. h. Wappen und Helmzierden, sowie individuelle Devisen und Motti zeigten, hat sich in situ kaum etwas erhalten. Gleichwohl erfahren wir aus Reiseberichten und Reiserechnungen von den ganz unterschiedlichen Ausprägungen des Phänomens in der zeitgenössischen Wirklichkeit: So hinterließen die Reisenden, wo dies möglich war, bereits vorher angefertigte, zum Teil sogar gedruckte kleine Pergament-, Papp- oder Papierblätter oder auch Holztäfelchen mit Namen und Wappen, ließen durch Künstler oder Handwerker mehr oder weniger professionelle Inschriften anbringen (und die Zeugnisse anderer tilgen, abhängen oder herunterreißen) oder kratzten, wenn dies nicht anders möglich war, sobald sie sich unbeobachtet glaubten, selbst entsprechende Graffiti in die Wände profaner oder sakraler Gebäude, und zwar wenn möglich an exponierter Stelle, wo diese Zeugnisse von möglichst vielen anderen Reisenden gesehen werden konnten („in eis locis […] singulariter, quae aspectui intrantis vel transeuntis erant patentia“ [13]).12 Das bereits der Antike geläufige, schon recht bald zur Chiffre für den Aufenthalt an Orten in der Fremde verflachte, an sich sinnentleerte „hic fui“ („Ich bin hier gewesen“; in moderner Adaption entsprechend ironisierend „Kilroy was 11 Vgl. zum Phänomen Kraack 1997; id. 2005. – Vgl. zu einer Überlieferung, über deren Ausdeutung sich das Itinerar des schleswig-holsteinischen Adligen Detlev Schinkel, der im Jahre 1436 ins Heilige Land reiste, rekonstruieren lässt, weiter unten. 12 Vgl. hierzu wie auch zu den weiteren Zitaten aus dem Bericht Felix Fabris, der in den 1480er Jahren gleich zweimal ins Heilige Land reiste, ausführlicher weiter unten im Anhang. Die den Fabri-Zitaten hier wie im Folgenden in eckigen Klammern beigegebenen Nummern beziehen sich auf die dortigen Abschnitte. – Zur Person Fabris und zur Überlieferung Paravicini 1994/1999/2000, Teil 1, 195 (Nr. 83, 1480) und 210–220 (Nr. 88, 1483/84).

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here“) erschien im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit vielfach unter Hinzufügung von Namen oder Wappen und war damit individualisierbar – und die mit der weiten, gefahrvollen und auch finanziell aufwendigen Reise verbundene Ehre somit klar zuzuweisen. Dabei war die Anbringung entsprechender Zeugnisse an sakralen Orten streng verboten,13 wurde vor allem von geistlicher Seite als unpassend empfunden und mit bisweilen drastischen Strafen sanktioniert, wenn man einen der edlen Reisenden bei seinem Tun erwischte. Gleichzeitig sind uns aber auch Tipps dafür überliefert, wie man entsprechende Verbote unterlaufen, an den heiligen Stätten die Aufseher täuschen und sich dort möglichst nachhaltig verewigen konnte. So gaben der bekannte Ulmer Dominikaner Felix Fabri, der in den 1480er Jahren gleich zweimal ins Heilige Land reiste, und Bernhard Walter von Waltersweil, der sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ins Heilige Land aufmachte, den Reisenden den Hinweis, sie sollten heimlich („occulte“) zu Werke gehen bzw. „solches nicht bey Tag / […] sondern bey der Nacht verrichten.“14 Nach dem, was Fabri in dem betreffenden Abschnitt seines „Evagatoriums“ berichtet, legten gerade die deutschen Adligen bei entsprechenden Tätigkeiten eine besondere Verewigungswut an den Tag („Soli nostri teutonici nobiles hac vanitate utuntur, ac si mundus non haberet nobiles, nisi ipsos.“ [9]). Bereits ein flüchtiger Blick auf die spätmittelalterliche Überlieferung verdeutlicht, dass dies die Wirklichkeit zwar der Tendenz nach richtig, aber durchaus perspektivisch verzerrt wiedergibt. Nach Ausweis der materiellen wie auch der Schriftquellenüberlieferung war das Phänomen keinesfalls auf die deutschen Adligen und Patrizier beschränkt. Es scheint vielmehr von universellem Charakter gewesen zu sein und tritt uns als ein gesamtabendländisches Phänomen entgegen. Warum aber nach Fabris Einschätzung gerade Niederadelige aus den Territorien des Reiches und Patrizier aus den großen oberdeutschen Städten darum bemüht waren, Stand und Status deutlich herauszustreichen, wirft weiterführende Fragen nach der damaligen Lage des Adels auf, der sich gegenüber aufsteigenden frühbürgerlichen Kräften wirtschaftlich und sozial zunehmend in die Defensive gedrängt sah. Nur beobachten wir bei diesen nach oben drängenden neuen Eliten ganz ähnliche Verhaltensmuster, wie etwa Beispiele von Patriziern und ganzen Patriziergruppen aus Nürnberg und anderen oberdeutschen und eidgenössischen Städten nahelegen. Der Versuch, sich ständisch abzusetzen, und das Bemühen um Anerkennung und Akzeptanz äußerten sich hier zeitlich parallel und in ganz ähnlicher äußerer Erscheinungsform. Deshalb bedarf die inschriftliche Überlieferung auch jeweils einer eingehenden Kontextualisierung und Interpretation, will man aus ihr belastbare Aussagen über das Selbstverständnis und die ständische Akzeptanz der jeweiligen historischen Akteure ableiten. 13 Vgl. zu dem bei Felix Fabri mitgeteilten Verbot („Quod de sanctis locis … nihil descindant, et non depingant arma sua, ne loca sancta per haec dehonestentur.“), das den Pilgern und Reisenden zunächst in Ramla und dann noch einmal vor Betreten der Grabeskirche zu Jerusalem mitgeteilt wurde, Kraack 1997, 415; id. 2001, 224 (mit dt. Übertragung). 14 Vgl. zu dem „occulte“ bei Felix Fabri weiter unten im Anhang unter [2], außerdem Kraack 1997, 455 f. (nach Walter von Waltersweil 1609, fol. 34).

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Bei der Rekonstruktion des Phänomens sieht man sich bei dem wenigen, was an Inschriften von adeligen Reisenden des Spätmittelalters in situ überhaupt erhalten ist, mit einem spezifisch asymmetrischen Überlieferungsverlust konfrontiert. Da sich entsprechende Zeugnisse auf Holz und Papier als mehr oder weniger ephemer erwiesen, sind heute fast ausnahmslos die von den Adeligen selbst hinterlassenen geritzten oder auf dem Putz der Wände angebrachten Zeugnisse erhalten: So sehen wir uns auf der Suche nach der spätmittelalterlichen Wirklichkeit – grob gesprochen – eher mit geritztem Dilettantismus oder mit ungelenken Dipinti als mit repräsentativem Glanz und professioneller Farbigkeit konfrontiert. Hier kann nur eine Extrapolation fragmentarischer Überlieferungsreste und die intensive Auseinandersetzung mit der parallel entstandenen Schriftquellenüberlieferung dabei helfen, das Phänomen in seiner gesamten Tiefe und in seiner Breite zu erfassen. Erschwerend kommt hinzu, was bereits Felix Fabri andeutet, dass nämlich die inschriftliche und vor allem heraldische Überlieferung der Adligen und Patrizier zu vielfachen Adaptionen und Imitationen durch die weniger privilegierten Zeitgenossen führte. Statt aufwendig gefertigten Wappen, Helmzierden und Devisen hinterließen die einfachen Menschen der Zeit mit Rötel oder Kohle gekritzelte, unbekannte Namen als Zeichen ihrer Anwesenheit („Et exemplo horum aliqui simplices mechanici acceptis carbonibus sua ignota nomina et suae rusticitatis signa parietibus apponunt.“ [18]) und gefielen sich auf diese Weise in Nachfolge der hohen Herren, während sie doch in Wirklichkeit heilige Stätten und Orte der ständischen Repräsentation entweihten bzw. verunzierten. Welch eitler Wahn, welch Schmach für nachfolgende Angehörige, die sich als Verwandte der Kratzer und Schmierer dem Spott und der Verachtung ihrer eigenen Mitreisenden ausgesetzt sahen, so sieht es zumindest Felix Fabri. Und doch scheint das Phänomen eben doch mindestens so viele Menschen zur Fortsetzung der Verewigungstradition oder zur Nachahmung des Vorgefundenen animiert zu haben, dass diese Traditionen nicht jäh abrissen, sondern über mehrere Jahrhunderte blühten und gediehen. Daran scheint übrigens weder der Übertritt ins 16. Jahrhundert noch die Reformation etwas geändert zu haben. Auch wenn Wallfahrt, Heiligenkult und Reliquienverehrung für die Bevölkerungen der protestantisch gewordenen Territorien eine andere Bedeutung bekamen, änderte sich an dem Geltungs- und Repräsentationsbedürfnis des in die Defensive gedrängten niederen Adels und der angestammten städtischen Führungsschichten kaum etwas. Auch Protestanten zogen weiter ins Heilige Land, ließen sich am Grabe Christi zu Rittern schlagen, berichteten darüber den Zeitgenossen in der Heimat und verewigten sich an exponierten Orten in der Fremde, wo ihre Hinterlassenschaften wiederum von nachfolgenden Reisenden bewundert werden konnten. Das an sich spätmittelalterliche Phänomen der adligen und patrizischen Selbstdarstellung auf der Reise und durch Reisen fand unter Konzentration auf profane Aspekte durchaus eine frühneuzeitliche Fortsetzung.

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METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN Wer das Phänomen der adligen Verewigung auf Reisen und seine tiefe Verankerung in der spätmittelalterlichen Lebenswirklichkeit verstehen möchte, ist gut beraten, zunächst konkrete Beispiele dieser Überlieferung, die sich an einigen Orten im Heiligen Land (Grabeskirche und Abendmahlssaal auf dem Berg Zion zu Jerusalem, Geburtskirche zu Bethlehem), im Katharinenkloster auf dem Sinai und im Antoniuskloster in Ägypten, aber etwa auch in Italien mehr oder minder bruchstückhaft erhalten haben, näher in den Blick zu nehmen. Dass diese fast ausnahmslos außerhalb der abendländischen Welt gelegenen bzw. heute vielfach in Vergessenheit geratenen Orte damit gleichsam Überlieferungsnischen für eine vormals sehr viel breitere und dichtere Überlieferung darstellen, sollte bei der Beschäftigung mit dem Gegenstand stets bedacht werden. Während diese Überlieferung heute nur noch sehr fragmentarisch erhalten ist, handelte es sich bei der ehrstiftenden Verewigung im Zusammenhang mit der standesgemäßen Mobilität im Mittelalter selbst um ein zentrales, da statusbegründendes Phänomen der Zeit, dem die Menschen nach Ausweis der Schriftquellenüberlieferung große Beachtung schenkten. In einem zweiten Schritt sollte es dann darum gehen, die erhaltenen Fragmente der vormals sehr viel reicheren materiellen Überlieferung durch Einbeziehung der zeitgenössischen Schriftquellenüberlieferung einer adäquaten Interpretation zuzuführen. Der Austausch mit Spezialistinnen und Spezialisten für die materiellen Zeugnisse aus anderen Epochen kann schließlich dabei helfen, die Parallelen und Unterschiede gegenüber antiken und heutigen Spielarten des Phänomens zu beleuchten und in diesem Sinne die spezifische Ausprägung der repräsentativen Verewigung im Mittelalter herauszuarbeiten. KONKRETE ANTWORTEN AUF FRAGEN DER VEREWIGUNGSPRAXIS Materialität, Ausführung und Ausführende Auf die eingangs aufgeworfene Frage, was sich ganz konkret hinter den bei Wölfli erwähnten „Namen, Schilden und Helmen“ verbirgt, ergibt sich aus der Beschäftigung mit den in situ erhaltenen inschriftlichen Zeugnissen wie auch denen der Schriftquellenüberlieferung ein vielgestaltiges Bild. So war den meisten adligen Reisenden ganz sicher schon vor Reiseantritt bewusst, dass sich während der Reise die Gelegenheit eröffnen würde, an den Stationen derselben Erinnerungszeugnisse zu hinterlassen. Material für Verewigungen konnte man bereits in der Heimat, spätestens aber in Venedig anfertigen lassen, bevor man das Schiff in Richtung Heiliges Land bestieg. Entsprechende Hinweise fassen wir in den Reiserechnungen der Zeit, aber etwa auch im Zusammenhang mit der Reise der Nürnberger Patrizier Hans Tucher Senior und Sebald Rieter Junior ins Heilige Land (1479/80), wo der Rat ergeht: „Wiltu underwegen deine Wapen auffschlagen / so

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laß dir die daheimen machen / und führe die mit dir.“15 Bereits im Jahre 1462 hatten der Nürnberger Patrizier Sebald Rieter Senior und sein Schwager Axel von Liechtenstein auf der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela ebendort bei der Restaurierung und Erweiterung eines vorgefundenen Erinnerungszeugnisses der Familie Rieter „unser wappen auf pirgamen gemalt daruber schlagen lassen.“16 Andererseits wurde, wenn sich keine andere Möglichkeit bot, geritzt bzw. mit Rötel, Kohle oder Kreide geschrieben.17 Der Brügger Patrizier Anselme Adournes und sein Sohn Jean, die im Jahre 1470 ins Heilige Land und zum Katharinenkloster auf dem Sinai reisten, hinterließen ebendort im „Alten Refektorium“ eine geritzte Erinnerungsinschrift mit ihren Namen.18 Außerdem liest man in ihrem Bericht, dass sie an einem Felsen in der Sinai-Wüste voller Freude die Namen vorausgehender Reisender entdeckten und neben diesen ihre eigenen Namen an den Felsen anbrachten.19 Da Zeugnisse wie diese Witterung, Lichteinfall oder anderen widrigen Einflüssen ausgesetzt waren, scheinen sich im Laufe der Zeit auch Überlieferungsverluste eingestellt zu haben. Dies galt sicher vor allem für Zeugnisse, die im Freien an Felsen oder Wänden angebracht wurden, aber es galt durchaus auch für Innenräume. So teilt etwa Graf Albrecht zu Löwenstein, der im Jahre 1561 ins Heilige Land reiste, die Namen von zahlreichen Adligen mit, deren Wappen und Namen er an verschiedenen Stellen im Heiligen Land und auf dem Weg zum Katharinenkloster auf dem Sinai beobachtete. Beim Abstieg vom Moses-Berg stieß er in der Kirche des Klosters der 41 Heiligen auf „diesen Teutschen Namen, Albrecht und Wenzel von Rechberg, Item Ludwig zu Rechberg und anderer, die ich alters halb nicht lesen kondt.“20 Neben der vielfältigen Materialität und Herstellungsweise der Erinnerungszeugnisse ist nicht zuletzt von großem Interesse, wer diese Zeugnisse vor Ort herstellte. Auch in dieser Frage gibt es keine einheitliche Antwort. So berichtet Felix Fabri von einem Adligen, der selbst sein und seiner Reisegefährten Wappen mit hoher Kunstfertigkeit an die Wand gezeichnet hatte und dann mit ansehen musste, wie ein Muselmane hinzueilte und dieses Kunstwerk verunglimpfte und zerstörte – und damit auch noch ungestraft davon kam: „Quidam nobilis peregrinus taedium fugere volens, depinxit in pariete arma sua et suorum sociorum satis pulchre et ornate, et cum jam opus perfecisset, in quo multis horis laboraverat, quidam de sarracenis occurrit, et manu stercorizata, et stercore linivit turpiter picturam istam, et abscessit ridens.“21 15 Kraack 1997, 322–327 (Tabelle zu den Preisen für die heraldische Repräsentation auf der Reise). 413 (zu Rieter/Tucher 1479/80). – Zu Personen und Überlieferungen Paravicini 1994/1999/2000, Teil 1, 188–194 (Nr. 81–82). 16 Kraack 1997, 408 f. – Zu Person und Überlieferung Paravicini 1994/1999/2000, Teil 1, 143 f. (Nr. 58). 17 Kraack 1997, 430; id. 2001, 231. 18 Kraack 1997, 210 f. (Inschrift Nr. K82): „Anselmus Adournes / Jo[han] Adournes / 1470.“ – Vgl. zu Personen und Überlieferung Paravicini 1994/1999/2000, Teil 3, 108–115 (Nr. 13). 19 Kraack 1997, 411; id. 2001, 223 (mit dt. Übertragung). 20 Kraack 1997, 441–443; id. 2001, 232 f. 21 Kraack 1997, 415; id. 2001, 224 (mit dt. Übertragung).

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Abb. 4: Geritzte heraldische Inschrift mit dem Wappen und der Helmzier (Höhe 18 cm) der Grafen von Looz an der Nordwand des Bogenelements, das Altarraum und Kirchenschiff trennt im Antoniuskloster in Ägypten (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

Gerade weil manche der Zeugnisse, die sich bis heute in situ erhalten haben, den heraldischen Zeichnungen gleichen, die die zeitgenössischen Herolde und ihre Gehilfen in ihren Wappenbüchern festhielten, könnte es sein, dass dieses „heraldische Fachpersonal“ im Gefolge der abendländischen Großen auch an den Stationen der Reise präsent war oder dass die Reisenden von fachkundiger Hand angefertigte Vorlagen mitführten, die dann von Handwerkern vor Ort, die mit abendländischen Darstellungskonventionen vertraut waren, in die Wände gemeißelt und geritzt oder mit Farbe aufgebracht wurden und damit sukzessive in der Tat eine Art „Wappenbuch an der Wand“ entstehen ließen. Einige der heraldischen Zeugnisse im „Alten Refektorium“ des Katharinenklosters auf dem Sinai und im Antoniuskloster in der oberägyptischen Thebais lassen aufgrund der professionellen Ausführung und Kolorierung vermuten, dass hier entsprechende Profis meißelnd,

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zeichnend und malend am Werk waren.22 Dass im Antoniuskloster zusätzlich auch noch eine weitere, sehr viel kleinere, flüchtig geritzte und weiter unten an der Wand angebrachte Inschrift mit Wappen und Helmzier der Grafen von Looz überliefert ist (Abb. 4), gibt Rätsel auf, zumal diese Inschrift durch einen Nagel gestört wird, mit dem eventuell einmal eine entsprechende Wappentafel oder ein ephemeres Zeugnis aus Pergament angebracht war, das als Vorlage für die prachtvolle Zeichnung in 3 m Höhe gedient haben mag (Abb. 5).23 Neben der ephemeren Ritzung fassen wir hier – außerhalb der normalen Reichweite und damit sicher vor den Händen böswilliger Zeitgenossen geschützt – die kunstfertige Ausführung des Wappen für die ebenso nachhaltige wie repräsentative Erinnerung für den weitegereisten Grafen.

Abb. 5: Gemalte heraldische Inschrift mit dem Wappen und der Helmzier (ca. 67 cm × 32 cm) der Grafen von Looz („g. / los“) in ca. 3 m Höhe an der Westseite des Bogens, der Narthex und Kirchenschiff voneinander trennt, im Antoniuskloster in Ägypten (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

22 Dies gilt in besonderem Maße für die Inschrift mit Wappen und Namen von Karl von Hessburg (Kraack 1997, 230–232, Inschrift Nr. K111; vgl. auch o. Abb. 1), die ebenfalls im „Alten Refektorium“ des Katharinenklosters angebrachte Inschrift mit Namen und Wappen von Detlev Schinkel (Kraack 1997, 197–199, Inschrift Nr. K61; vgl. Abb. 6) sowie die in 3 m Höhe angebrachte, prächtig kolorierte Inschrift mit Wappen und Helmzier eines Grafen von Looz im Antoniuskloster (Kraack 1997, 259 f., Inschrift Nr. A1; vgl. Abb. 5), aber durchaus nicht nur für diese. 23 Kraack 1997, 263 (Inschrift Nr. A4).

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Abb. 6: Gemeißelte Inschrift mit dem Namen, dem Aufenthaltsjahr (1436) und dem kolorierten Wappen (Schild 18 cm × 16 cm) des schleswig-holsteinischen Adligen Detlev Schinkel (Sehestedt) im „Alten Refektorium“ des Katharinenklosters auf dem Sinai: „deitlof skinkel m cccc xxxvi“ (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

Abb. 7: Geritzte Inschrift mit dem Namen, dem Aufenthaltsjahr (1436) und dem Wappen (Schild 8 cm × 6,5 cm) des schleswig-holsteinischen Adligen Detlev Schinkel (Sehestedt) sowie zwei ritterlichen Ordenszeichen, dem Schwertorden des Königs von Zypern und dem Rad der Heiligen Katharina an der Westwand der Kirche im Antoniuskloster in Ägypten: „deitl[of] skinkel m cccc xxxvi“ (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

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Eine entsprechende Arbeit nach Vorlage liegt allem Anschein nach auch im Falle der an unterschiedlichen Orten, nämlich im Katharinenkloster auf dem Sinai und – mehrere Hundert Kilometer entfernt – im Antoniuskloster in Ägypten überlieferten Inschriften des schleswig-holsteinischen Adligen Detlev Schinkel nahe, zumal sich – bei unterschiedlichem Format – Inhalt und Aufbau (Name – Wappen – Aufenthaltsjahr) bis auf einen einzigen, wenn auch nicht unwichtigen Punkt ähneln (Abb. 6 und 7).24 Hier mag mangelnde Verweildauer vor Ort oder fehlende bzw. sich bietende Gelegenheit zu unterschiedlichen Ausformungen geführt haben. Anhaltspunkte zur Rekonstruktion von Itineraren Unabhängig davon, dass wir uns durch die inschriftliche Überlieferung in situ mehr oder weniger von selbst auf entsprechende Fragen verwiesen sehen, können wir diese nicht immer sicher beantworten. So stellt sich etwa die Frage nach der mit einer weiteren Schinkel-Inschrift im Antoniuskloster verbundenen Wirkungsintention. Diese zeigt lediglich das grob gezeichnete Wappen der Familie, ohne dass sich daraus weitere Aussagen ableiten ließen. Dagegen bieten die beiden vorausgehend angesprochenen Schinkel-Inschriften in einem anderen Punkt durchaus Konkreteres, lässt sich aus ihnen doch durch die im Antoniuskloster hinzugefügten Ritterordenszeichen gleichsam das Itinerar des Reisenden rekonstruieren.25 Dieser muss demnach, bevor er nach Ägypten reiste, auf Zypern gewesen sein. Darauf weisen zumindest das „halbe Rad“ der Heiligen Katharina und der Schwertorden des Königs von Zypern hin. Es ist außerdem zu vermuten, dass sein Weg dem „Standardprogramm“ der meisten Pilgerreisen ins Heilige Land folgte. Demnach wird Detlev Schinkel 1436 in Venedig ein Schiff in Richtung Heiliges Land bestiegen haben und über Kreta, Rhodos und Zypern nach Jaffa gefahren sein. Auf Zypern wird er den Geburtsort der Heiligen Katharina und den Hof des Königs von Zypern besucht haben, um dann nach dem Besuch der Heiligen Stätten Palästinas seine Reise über das Katharinenkloster auf dem Sinai nach Ägypten fortzusetzen und von dort aus wieder nach Italien zurückzukehren. Warum die Ordenszeichen in der Schinkel-Inschrift im Katharinenkloster nicht erscheinen, muss an dieser Stelle offenbleiben.

24 Kraack 1997, 197–199 (Inschrift Nr. K61). 261 (Inschrift Nr. A2). 261–263 (Inschrift Nr. A3). – Vgl. ausführlicher id. 2003, 58–62. 25 Vgl. mit einer Vielzahl von Ritterordenszeichen, die in der Heimat der Reisenden gleichsam die Weite von deren Reisen bestätigten und vielfach in die individuelle wie in die familiäre Selbstdarstellung Eingang fanden, die Erinnerungszeugnisse der Familien Rieter und Ketzel, Kraack 1997, 413 Abb. 168 bzw. 459 Abb. 171. – Vgl. darüber hinaus auch ibid., 130 f. (Inschrift Nr. C1, im Abendmahlssaal auf dem Berg Zion) mit verschiedenen Ritterordenszeichen (vgl. Abb. 8) und 195 f. (Inschrift Nr. K59, im „Alten Refektorium“ des Katharinenklosters) mit Kreuz und Glocke des Heiligen Antonius.

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Abb. 8: Geritzte und kolorierte Wappeninschrift (Schild 10,5 cm × 8 cm) aus dem Abendmahlssaal auf dem Berg Zion zu Jerusalem mit diversen Ritterordenszeichen (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

Gemeinsames Unterwegssein – gemeinsame Verewigung Es fällt bei der Beschäftigung mit den in situ erhaltenen inschriftlichen Zeugnissen und mit der zeitgenössischen Schriftquellenüberlieferung auf, welch große Bedeutung gerade dem gemeinsamen Unterwegssein zukam. Insbesondere die landsmannschaftliche Einbindung in eine Gruppe, die Wahrnehmung von Zeugnissen, die Verwandte oder Landsleute aus derselben Region oder dem territorial gegliederten und in Gruppen vernetzten Adel hinterlassen hatten, fallen immer wieder ins Auge. Wohl nicht zuletzt dadurch war sowohl die Wahrnehmung von Erinnerungszeugnissen Anderer als auch die Anbringung des eigenen Namens oder Wappens auf einen fest ins Auge gefassten Rezipientenkreis abgestimmt. Dadurch kam die produktive Weitergabe entsprechender Informationen über Erinnerungszeugnisse an Orten fern der Heimat in Gang. Durch die Weitergabe dieser Informationen und durch das bewusste, durch Vorabinformation geleitete, zum Teil gezielte Suchen nach den Zeugnissen von Verwandten und Landsleuten gerieten vor allem diese in den Fokus der Betrachtung. Dadurch entstanden systemhafte Informationskreisläufe, die in der Konsequenz dazu führten, dass weitgereiste Mitglieder der jeweiligen sozialen Bezugsgruppe damit rechnen durften, dass man ihnen Rang und Status zuwies und ihnen ein entsprechendes soziales Prestige zumaß. So erst wurde das Reisen zu einem standesgemäßen Unterwegssein und

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gewann eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die spätmittelalterlichen Adligen und Patrizier. Durch die in den unterschiedlichsten Formaten fern der Heimat hinterlassenen Erinnerungszeugnisse, durch die in der Regel landsmannschaftlich selektierende Wahrnehmung dieser Zeugnisse und durch die in die Heimat und an die soziale Bezugsgruppe vermittelten Berichte von diesen Zeugnissen konnte der Reisende darauf hoffen, dass das durch persönliche Entbehrungen und zum Teil nicht unerhebliche finanzielle Aufwendungen realisierte mobiliora zu einem in soziales Kapital konvertierbaren nobiliora wurde. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Die vorausgehend beschriebenen, systemhaften Zusammenhänge scheinen während des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit dazu beigetragen zu haben, dass durch Reisen Ehre erworben werden konnte. Die von Heinrich Wölfli angesprochenen „Namen, Schilde und Helme“ bzw. die von zahlreichen anderen Reisenden erwähnten „Namen und Wappen“ waren für das Selbstverständnis und die Fremdwahrnehmung von Adligen und Patriziern zentrale Elemente. Zwar wurde Ehre jeweils individuell zugemessen, doch geschah dies nicht außerhalb der eigenen Familie und in der Regel durch die Angehörigen der territorial organisierten Adelsverbände bzw. der auf die eigene Stadtgemeinde bezogenen Oberschichten. Weder der oftmals als tiefer Einschnitt und Epochenwende wahrgenommene Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert noch die Reformation scheinen an diesen Verhältnissen substanzielle Änderungen herbeigeführt zu haben. Die spätmittelalterliche soziale Ordnung mit ihren Regeln, Wahrnehmungsgewohnheiten und Bewertungsmaßstäben kragte in diesem Sinne bis weit in die Neuzeit hinein. Indes begannen sich die Dinge im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts allmählich zu ändern, traten Wappen und Helmzierden in dem Maße in den Hintergrund, wie neue gesellschaftliche Gruppen an Bedeutung gewannen und das Reisen als Domäne der eigenen sozialen Verortung entdeckten. Aus der spätmittelalterlichen Adelsreise wurde der Grand Tour, an dem sich zunehmend auch Angehörige bürgerlicher Oberschichten beteiligten. Im Laufe der Zeit verschoben sich mit der Trägerschaft dieser Oberschichtenmobilität auch die Orte, die im Rahmen des Unterwegsseins angesteuert und von den Reisenden als zentral wahrgenommen wurden. So trat neben die exponierten Pilgerziele der abendländischen Christenheit manch profaner Ort, neben den Hof die Universität, statt Italien traten dabei verstärkt Frankreich und nur wenig später die Niederlande und England in den Blick der Reisenden – und über deren Berichte auch in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Aus dem „Wappenbuch an der Wand“ wurde das „Gästebuch an der Herbergstür“; „Namen und Aufenthaltsdaten“ traten sukzessive an die Stelle von „Namen, Schilden und Helmen“. Zu der inschriftlichen Überlieferung an der Tür des Franziskanerklosters auf dem Berg Zion zu Jerusalem (Abb. 9) bemerkt der neuzeitliche Reisende Ulrich Jasper Seetzen (1806/07) Folgendes: „Ich fand an einem paar Thüren der Gastzimmer im Kloster unter mehreren folgende Namen eingeschnitten: T. Shaw; K.

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Fawkener 1712; Will. Drew 1701; J. Taylor 1710; Will. Eaton, Sept. 1715; P. John Gordon 1804; J. M. Cripps und E. Clarke, Jul. 1801; R. Chandler 1800; James Brown, 1801. Auch ich fügte meinen Namen hinzu. Will man mich dafür der Thorheit beschuldigen: so wird man wenigstens gestehen müssen, dass ich sie in guter Gesellschaft beging.“ 26

Abb. 9: Graffiti von neuzeitlichen Reisenden an der Tür des Franziskanerklosters auf dem Berg Zion in Jerusalem (Foto D. Kraack/M. Walz 1993).

26 Kraack 1997, 471 f. (m. Abb.); id. 2001, 240 (nach Kruse 1854–1859, Bd. 2, 213 f.); dort auch jeweils sehr viel umfangreichere Listen der Namen aus dem für den Druck überarbeiteten Tagebuch („J. L. Pastour 1722; Henry; Maynard; G. Mostyn; W. Wittmann 1800; J. Loudon, Jul. 1801; J. Gulvenhouse 1801; Bon. Claude Alexander Hanard 1717; Edw. Bouverte 1712; Francius Grundley 1719; A. Satgier 1702; Humphrey Edwin 1699; C. Canolle 1715; James Balsford 1699; C. Nogaret; A. Rochefort; R. Pory 1710; J. Eidous; Lahaye; J. Watson 1751; Charles Lombard 1699; Fran. Adami; D. Falconar 1751; B. R. Cros 1755; Schulte 1754“).

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Als eine kuriose Zwischenstation auf dem Weg dorthin mag die „Pierre levée“, ein gewaltiges Hünengrab bei Poitier, dienen, das von den Reisenden und Studenten der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als ein gleichsam touristisches Ereignis gefeiert wurde (Abb. 10).

Abb. 10 Ritzinschriften mit Namen und Aufenthaltsdaten frühneuzeitlicher Reisender auf einem Hünengrab eine halbe Meile von Poitiers am Weg nach Bourges (nach den Civitates Orbis Terrarum von Georg Braun und Franz Hogenberg).27

Während sich die Trägerschichten und die Inhalte der Verewigung verschoben und damit wohl auch die gesellschaftlich konstituierende Bedeutung in den Hintergrund trat, wandelten sich Materialität und konkrete Herstellungsart der Verewigung nur unmerklich. Das Graffito behauptete vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit durch die Jahrhunderte seine Bedeutung als Medium, über das das eigene Selbstverständnis und der beanspruchte soziale Status an eine fest umrissene Rezipientengruppe vermittelt wurden. Auf die Feinheit der dabei zu beobachtenden Veränderungen, auf die Bezugnahme auf ältere Überlieferungsschichten und -praktiken, auf die Parallelen und Unterschiede gegenüber den heutigen Spielarten von Verewigung und Selbstdarstellung wäre in Zukunft noch genauer zu achten. Es besteht Hoffnung, dabei ungemein dicht an die Menschen der jeweiligen Epochen heranzukommen und sie im Sinne einer auf den Menschen fokussierten Sozial- und Mentalitätsgeschichte in ihrem Fühlen, Hoffen und Bangen zu erfassen.

27 Kraack 1997, 451–453. Vgl. Braun – Hogenberg 1572–1618, Bd. 5, Nr. 18 (Rückseite): „Plerique viatores solent illi memoriae causa nomen insculpere“ („Sehr viele Reisende pflegen in ihn [d. h. den Deckstein des Hünengrabes] zum Zwecke der Erinnerung ihren Namen einzuritzen.“).

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ANHANG Der Ulmer Dominikanerlesemeister Felix Fabri, der 1480 und 1483/84 ins Heilige Land reiste, berichtet in seinem „Evagatorium“ ausführlich über den Brauch der Reisenden, überall Wappen und Namen einzuritzen, Schilde anzubringen und Stücke von den heiligen Stätten abzuschlagen:28 [1] Quidam enim nobiles vanitate ducti nomina sua cum signis progeniei et ingenuitatis suae parietibus templi inscribebant et arma suae nobilitatis depingebant, vel chartas depictas cum hujusmodi affigebant in illa29 et in aliis ecclesiis. Et quidam eorum cum ferreis instrumentis et malleolis columnis et tabulis marmoreis sua nomina insculpebant, et omnes inquietabant et scandalizabant. [2] Vidi quosdam vanos nobiles ad tantam fatuitatem deductos, quod, quando in capellam montis Calvariae adscendebant et procumbentes supra sanctam rupem, in qua foramen crucis est, orare se simulabant, et circumpositis brachiis occulte acutissimis instrumentis insculpebant scuta cum signis, non dico nobilitatis sed stultitiae suae in perpetuam suae fatuitatis memoriam. [3] Oportebat autem eos hoc occulte facere, quia, si custos sanctae rupis, qui est Georgicus, vidisset, cum crinibus eos detraxisset. [4] Eadem insania moti quidam supra tabulam tumbae sanctissimi sepulchri Domini aculeis sua nomina, scuta et signa infixerunt, Dei timorem et reverentiam postponentes, ut memoria insaniae et vanitatis eorum non deleatur, sed jugiter perseveret ad hoc, ut per singulos dies recipiant maledictionem, tam in monte Calvariae coram cruce dominica, quam in monumento ante Domini sepulchrum. [5] Quilibet enim devotus et sincerus peregrinus, qui magnis sumptibus et laboribus et per mille pericula ad ista sancta loca devenit, dum in praefatis locis se ad orandum ponit et vanitatem istam inspicit, statim sub oratione fatuo illi maledicit, qui hanc irreverentiam istis sanctissimis locis facere praesumpsit, et ei mortem aut manus ariditatem, contractionem vel abscissionem imprecatur, vel Deum exorat, ut suum honorem in illo vindicet, qui in saxum, positum in titulum divini honoris, praesumpsit insculpere signum sui honoris. [6] Putant enim tales, quod omnes arma eorum mirentur, et libenter videant: sed hoc dico, quod inter decem mille peregrinos non unus venit, cui placeant. [7] Si sunt peregrini alieni, qui ejus signa non agnoscunt, videntes abnominantur et praesumptionem mirantur et fatuum cum praedicant, quem numquam viderunt. [8] Si vero sunt compatriotae, ea detestantur, despiciunt et detrahunt, nisi forte filius ejus venerit, qui imitator paternae stultitiae factus complacentiam habebit. [9] Soli nostri teutonici nobiles hac vanitate utuntur, ac si mundus non haberet nobiles, nisi ipsos. [10] Quantas autem irrisiones ex hoc sustineant tam a fidelibus quam ab infidelibus, ego scio et dolens suffusione vultus et verecundia expertus 28 Hassler 1843–1849 2, 94–97. – Vgl. auch Kraack 1997, 416–419. 343–353 (Interpretation); id. 2001, 225–229 (dt. Übertragung). – Zur besseren Orientierung sind dem lateinischen Text und der deutschen Übertragung in der vorliegenden Version Abschnittsnummerierungen in eckigen Klammern beigegeben. 29 „illa“ bezieht sich hier ganz konkret auf die Grabeskirche; die Verewigungssucht der Adligen schlug sich jedoch nicht nur hier, sondern auch in anderen Gotteshäusern („in aliis ecclesiis“) nieder.

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sum aliquoties inter Christianos et paganos. [11] Longum nimis esset scribere experientias. [12] Novi quendam, qui habuit semper in bursa sua lapidem rubeum, cum quo ad omnia loca, ad omnes parietes nomen suum inscribebat, ascendit hic fatuus nonnumquam altaria et literas nominis sui tabulis altarium vel lapide rubeo vel pugione aut stilo hoc faciebat, et nomen suum antiphonariis, gradualibus, missalibus, psalteriis supra marginibus vacuis inscribebat, ac si esset auctor libri, cum tamen non unam latinam propositionem intelligeret, quia purus laicus erat. [13] Studebat tamen nomen suum et arma in eis locis depingere singulariter, quae aspectui intrantis vel transeuntis erant patentia. [14] Sed quid accidit huic? Dicere pudet et taedet, nec evagatorio nostro inserere ea digna judicavi. [15] Hoc tamen dico, quod praedicti peregrini amici et consanuinei multo auro si possent tollere nomen suum de terra, facerent; sed et hiimet optarent numquam novisse nomen ejus, qui tanto studiio ubique id depinxit. [16] Tolerabile esset et ad aliquid utile, quod nobiles nomina sua cum scutis et armis in hospitiis et tabernis, in praetoriis et in curiis, in turribus, castris, portis et moeniis, in theatrorum locis, in foris et in torneamentorum et hastiludiorum plateis et in aliis saecularium locis depingerent et conscriberent, sed in ecclesiis et in locis sanctis hoc facere est injustum et irrationabile et criminosum. [17] Tantum enim quidam studium ad hoc adhibent, et orationem et locorum sanctorum visitationem, im[m]o propriam dormitionem negligunt. [18] Et exemplo horum aliqui simplices mechanici acceptis carbonibus sua ignota nomina et suae rusticitatis signa parietibus apponunt. [19] Sed et clerici et religiosi quidam symea fatutate depravati idem faciebant et cum incausto, quod ad sancta loca consignanda secum tulerunt, parietes deturpabant. [20] De omnibus his miror, quod non considerarunt vulgare dictum, quod etiam pueri suis coaequalibus objiciunt, dicentes: Narrenhend beschisen den liuten die wend; Stultorum manus deturpant latera domus. [21] Si ergo stulti sunt secundum illud proverbium populare, qui maculant hominum parietes, vere stultiores aestimandi sunt, qui parietes domus Dei et loca dominica maculare praesumunt: stultissimi vero dicendi sunt, qui scuta et arma sua imaginibus Dei et beatae Virginis Mariae, sanctae crucis et electorum Dei superdepingunt vel affigunt; [22] cum tamen frequenter nobilium insignia sint figurae aliquarum animalium, vel larvatae facies, aut monstruosae species, aut inanis colorum aut figurarum ordo, quae omnia ab antiquis idolatris et gentilium stultissimis diis plenis daemoniis sunt accepta. [23] Sicut legimus, quod duo filii Osiridis, Anubis et Macedo, peragrantes et vexantes orbem, quorum primus canem, alter lupum suis armis expressos ferebant, et undique templis constructis affigebant et caeterorum deorum contumeliam: [24] sic etiam per nostros nobiles factum est in ecclesia dominici sepulchri, cujus parietes jam confusi stant propter scuta appensa super picturas. [25] Per circuitum enim rotunditatis erant olim parietes musaico opere decorati, sed militesa et nobiles imaginibus et pretiosis picturis non parcentes sua scuta appenderunt, quibus Christi et beatae Virginis imagines velaverunt et clavis perforaverunt. [26] Hujus despectus suscitavit Dominus ultorem, quadam namque vice venit rex Egypti, Soldanus, Jerosolymam, adorare in templo suo, quod nominant Salomonis, et oratione finita ascendit in Anastasim i. e. in ecclesiam dominicae resurrectionis, ut et ibi oraret; et cum cir-

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cumspiceret et ecclesiae magnitudinem et ornatum miraretur, vidit scuta nobilium parietibus affixa et picturis super inducta, et cum cognovisset, cujus rei gratia ibi penderent, iratus est valde et cogitavit istam Anastasim totam ad solum deducere, nisi Deus immutasset mentem ejus. Jussit tamen omnia scuta dejici et avelli et a parietibus abradi, et in unum congesta cumulum ignem fecit supponi eaque combussit. Sic ergo iam nec scuta ibi suunt, nec integrae picturae, sed corrosae et confusae. [27] Alii prae templum circumiverunt cum occultis ferreis instrumentis, et ad loca sancta accedentes lapides sacros radebant et rodebant et eis particulas descindentes et discerpentes, ut ad suas partes deferrent pro reliquiis. [28] Hoc quamvis speciem pietatis habeat, impietate tamen et vitiosa curiositate minime caret; privare enim loca sancta suo decore, et truncare artificiose laboribus et expensis ornata et deformare, quae ratio dictat nisi errans, vitio obfuscata? [29] Ex hac stulta corrosione lapidum devenimus in magnas angustias, non semel, sed plus. Quadam namque vice post peregrinorum recessum cum per noctem in Anastasi mansissemus, inventum est mane, quod rupes Calvariae corrosa fuit et tabula monumenti et lapis iunctionis Domini. [30] Quod dum alii Christiani orientales vidissent, clamaverunt in ecclesia contra nos sicut contra fures et raptores, et excitata est seditio in nos periculosa, et comminati sunt nobis, quod vellent conqueri de nobis dominis Mauris et Sarracenis. [31] Hoc audiens Pater Gardianus expavit, considerans, grande nobis imminere periculum, et omnes nos ad capellam beate Virginis convocavit et auctoritate apostolica excommunicavit corrosores nec de ecclesia exire permisit, quousque petiae decisae fuerunt sibi praesentatae. [32] Et ita cum ignominiosa confusione stetimus, et omnes in nos tamquam in sacrilegos fremebant. [33] Venimus etiam propter similem causam in magnam tribulationem ad sanctam Catharinam in Arabia, et profecto horrore et tremore concutior, quando recordor. [34] Fuimus enim traditi Calogeris ipsis Arabibus, quousque amara necessitate coacti fuimus ablata reponere. [35] Has corrosiones non faciunt devotionis causa, sed aliqui nobiles curiosi, aliquarum ecclesiarum vel altarium patroni hoc faciunt, ut illis rebus suis ecclesiis concursum hominum excitent et quaestum habeant, et ita avaritia eos instigat, ut talia attentent contra prohibitiones peregrinis factas. Übertragung (Kraack): [1] Gewisse Adlige nämlich schrieben durch eitlen Wahn verblendet ihre Namen gemeinsam mit Zeichen ihrer Abstammung und ihrer adligen Geburt an die Wände der Gotteshäuser und malten dort ihre Wappen als Zeichen für ihren Adel auf oder befestigten bemalte Tafeln [aus Pappe oder Papier] mit solcherlei Zierrat in jener [d. h. in der Grabeskirche, Anm. d. Übers.] und in anderen Kirchen. Manche unter ihnen ritzten gar mit eisernen Geräten und mit kleinen Hämmern ihre Namen in Säulen und Altäre aus Marmor, kurz: sie versetzten alles in Unruhe und sorgten für allerhand Ärger. [2] Ich selbst sah einige verblendete Adlige, die sich dermaßen in ihrer Narrheit verstiegen hatten, dass sie wenn sie in die Kapelle des Kalvarienberges emporgestiegen waren und sich über den geheiligten Felsen mit den Aussparungen für die Kreuze beugten, zu beten vorgaben, in Wirklichkeit aber unter dem Schutz ihrer vorgehaltenen Arme heim-

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lich mit scharfen Gerätschaften ihre Wappenschilde einmeißelten, mit Zeichen, wie ich meine, nicht ihrer Ehre, sondern vielmehr ihrer Dummheit, die ihrer Torheit zum ewigen Angedenken gereichten. [3] Dass sie dabei heimlich vorgingen, war wohlbegründet: Wenn der Wächter des heiligen Felsens, ein Georgier, sie dabei erwischt hätte, hätte er sie wohl an den Haaren davongezogen. [4] Von derselben Verblendung getrieben meißelten andere ihre Namen, Wappenschilde und Zeichen mit kleinen Metallsticheln sogar in die Deckplatte des Heiligen Grabes ein. Dabei stellten sie die Ehrfurcht und Scheu vor Gott hintan und setzten ihrer Torheit und Verblendung ein ewiges Denkmal. Dies führte für immer und ewig dazu, dass sie Tag für Tag Verfluchungen empfangen, und zwar sowohl auf dem Kalvarienberg im Angesicht des Kreuzes des Herrn als auch am Heiligen Grabe selbst. [5] Wer nämlich als andächtiger und gottgefälliger Pilger unter großen Kosten und Mühen durch Tausende von Gefahren an diesen heiligen Ort gelangt ist, sich dort zum Gebet niederlässt und dabei dann auf diese Spuren der Verblendung stößt, der wird sofort und noch im Gebet begriffen jenen Tor verfluchen, der diesem heiligen Ort eine solche Verachtung gegenüber an den Tag gelegt hat, und er wird ihm den Tod oder die Lähmung, Verstümmelung oder gar den Verlust der [dafür verantwortlichen] Hand wünschen oder Gott darum bitten, dass er seine verletzte Ehre an demjenigen rächen möge, der sich dazu verstiegen hat, den zur Ehre Gottes errichteten Gedenkstein mit einem eigenen Ehrenzeichen zu verunstalten. [6] Solche [verblendeten] Adligen glauben nämlich, dass alle [nachfolgenden Besucher des Ortes] ihre Wappen bewunderten und mit Freuden betrachteten: Ich möchte ihnen vielmehr entgegenhalten, dass unter Zehntausenden von Pilgern nicht einer sein wird, dem diese gefallen. [7] Handelt es sich um Pilger aus fremden Gegenden, die das Wappen des betreffenden nicht kennen, so werden sie ihn verfluchen, sich über seine Hybris wundern und ihn einen Toren nennen, den sie selbst nie gesehen haben. [8] Sind sie dagegen Landsleute von jenem, dann verfluchen und verachten sie ihn und versuchen, die Zeichen zu entfernen, wenn nicht gerade ein Sohn des Betreffenden daherkommt, der als Nacheiferer der väterlichen Torheit Gefallen daran finden wird. [9] Nun sind allein [vielleicht besser: vor allem] die deutschen Adligen von solchem Wahn befallen, als wenn die Welt keine anderen Adligen außer ihnen kennen würde. [10] Welcher Spott ihnen nun aber zuteil wird, und zwar sowohl von Seiten der Christen als auch von Seiten der Ungläubigen, das weiß ich sehr wohl, und ich habe es verschiedentlich schmerzhaft und voller Schamgefühl erfahren müssen. [11] Allzu langwierig wäre es, diese Erfahrungen [ausführlich] beschreiben zu wollen. [12] So kannte ich einen Mann, der stets einen Rötelstift in seiner Tasche mit sich führte, mit dem er überall und an allen Wänden seinen Namen hinterließ. Bisweilen erstieg jener Tor sogar den Altar und brachte dort auf der Altarplatte die Buchstaben seines Namens an, sei es, dass er dabei mit besagtem Rötel, mit einem Dolch oder mit einem Stift zu Werke ging. Auch schrieb er seinen Namen auf die freien Ränder der Seiten von Antiphonarien, Gradualen, Missalien und Psaltern ein, als sei er selbst der Verfasser der betreffenden Bücher, während er doch nicht einmal eine einzige lateinische Wendung verstand, da er ein reiner Laie war. [13] Dennoch sorgte er sich darum, dass sein Name und sein Wappen allein an solchen Orten angebracht

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würden, wo sie dem Blick des Eintretenden oder Vorübergehenden nicht verborgen blieben. [14] Was geschah nun aber mit diesem Tor? Es schämt mich, davon zu berichten, ja ich ekele mich regelrecht, und so hielt ich es für wenig angebracht, davon in meinem Evagatorium zu berichten. [15] Nur so viel: Die Freunde und Verwandten des besagten Pilgers würden seinen Namen, wenn sie es irgend könnten, auch mit Geld von der Erde zu tilgen versuchen; und sie würden sich wünschen, den Namen dieses Verblendeten niemals gekannt zu haben, der selbigen überall mit großer Sorgfalt hinterlassen hatte. [16] Dulden könnte man dies, und es wäre sogar noch zu irgendetwas nütze, wenn die Adligen ihre Namen, mit Schild und Wappen daneben in Gasthäusern und Herbergen, in Rathäusern und Ehrenhöfen, an Türmen und Festungswerken, an Toren und Mauern, auf ihren Sitzen im Theater, an öffentlichen [Markt-]Plätzen sowie an solchen für Turniere und Kampfspiele und an anderen profanen Orten aufmalten oder anschrieben, aber in Gotteshäusern und an sakralen Orten dies zu tun, ist unpassend, unvernünftig und [geradezu] verbrecherisch. [17] Manche verwenden nämlich großen Ehrgeiz auf diese Tätigkeit, und sie setzen sich dabei über die dort gepflegte Andacht, über die Besichtigung der heiligen Stätten und über die Ruhe dieser Orte hinweg. [18] Und deren Beispiel folgend greifen dann einfache Handwerker zu Kohlestücken und schmieren ihre unbekannten Namen sowie Zeichen ihres einfältigen Charakters an die Wände. [19] Aber selbst Geistliche und ansonsten gottgefällige Zeitgenossen versteigen sich zu ganz ähnlicher Torheit und lassen sich zu vergleichbaren Dingen hinreißen; mit einem Kohlestift, den sie zur Bezeichnung der heiligen Stätten mit sich führen, verunstalten sie die Wände. [20] Über alledem kann ich mich nur darüber wundern, dass sie sich nicht des weitverbreiteten Sprichwortes entsinnen, das sogar Schuljungen ihren gleichaltrigen Kumpanen vorzuhalten pflegen, indem sie sagen: „Narrenhend beschisen den liuten die Wend“ („Narrenhände beschmieren den Leuten die Wände“). [21] Wenn aber [schon] diejenigen, die die Wände der Menschen besudeln, gemäß jenem bekannten Sprichwort dumm sind, dann sind wahrlich diejenigen als umso törichter einzuschätzen, die bewusst die Wände der Gotteshäuser und der Orte des Heils verunstalten; die schlimmsten unter diesen aber sind diejenigen, die ihre Schilde und Wappen einfach über die Bilder des Heilands oder der Jungfrau Maria, des heiligen Kreuzes und der von Gott Auserwählten [d. h. der Märtyrer und Heiligen] malen oder sie dort anbringen; [22] und dies ist umso schlimmer, als ja die Wappenbilder der Adligen oftmals Bilder von irgendwelchen Tieren zeigen oder verwunschene Gestalten oder unnatürliche Kreaturen oder auch eine eitle Kombination von Farben und Figuren, die allesamt von vorzeitigen Götzendienern oder von den Abgöttern der Heiden unter Mitwirkung zahlreicher Dämonen übernommen wurden. [23] So lesen wir etwa, dass die beiden Söhne des [ägyptischen Gottes] Osiris, Anubis und Macedo, von denen der eine einen Hund und der andere einen Wolf als Wappen führten, plündernd durch die Lande zogen. Überall hinterließen die beiden diese Wappenzeichen zur Schmähung der übrigen Gottheiten. [24] Ganz so geschieht das auch durch unsere adligen Landsleute in der Grabeskirche, an deren Mauern eine Fülle von Wappenschilden die Malereien überdeckt. [25] Im Umgang der Rotunde waren dort nämlich einstmals die Wände mit Mosaiken

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verziert, aber Ritter und Adlige haben sich um die Bilder und die kostbaren Verzierungen nicht gekümmert und ihre Wappenschilde dort aufgehängt, mit denen sie die Darstellung Christi und der Heiligen Jungfrau Maria verdeckten und mit Nägeln durchbohrten. [26] Aus Ärger über eine derartige Verachtung entsandte Gott einen Rächer: Es traf sich nämlich, dass einmal ein König von Ägypten, der Sultan, nach Jerusalem kam, um dort in einem Heiligtum, den sie den Tempel Salomons nennen, zu beten. Als er seine Andacht verrichtet hatte, stieg er in die Anastasis hinauf, das heißt in die Kirche der göttlichen Wiederauferstehung, um auch dort zu beten. Und als er sich dort umschaute und sich voller Bewunderung für die Größe du die Schönheit dieses Gotteshauses zeigte, erblickte er auch die Wappenschilde der Adligen, die diese dort über die Malereien an den Wänden angebracht hatten. Als man ihm nun also erzählte, weshalb die Schilde dort hingen, wurde er sehr zornig und wollte schon die gesamte Anastasis dem Erdboden gleichmachen lassen. Doch besänftigte Gott seinen Zorn. Dennoch befahl der Sultan, alle Schilde herabzureißen, sie zu entfernen und von den Wänden abzukratzen. Dann ließ er sie auf einen großen Haufen werfen, Feuer daranlegen und sie verbrennen. So kommt es, dass man dort heute keine Wappenschilde mehr sieht, aber eben auch keine unversehrten Malereien mehr, sondern entsprechend zerstörte und verunstaltete Wände. [27] Andere gingen heimlich mit ihren eisernen Ritzwerkzeugen in der Kirche umher. Sie traten dabei dicht an die heiligen Orte heran und schlugen oder kratzten bei dieser Gelegenheit heilige Steinbrocken ab. Die auf diese Weise von den heiligen Stätten abgetrennten und gestohlenen Partikel wollten sie als Reliquien mit in die Heimat zurücknehmen. [28] Auch wenn das zumindest den Anschein frommen Sinnes erweckt, so ermangelt es doch nicht im Geringsten einer frevlerischen Einstellung und einer verwerflichen Weltlichkeit. Wer nämlich die heiligen Stätten ihrer Zier beraubt, wer kunstvoll mit hohem Aufwand und viel Mühe verzierte Kunstwerke verstümmelt oder entstellt, wie sollte man den anders nennen als einen wahnsinnigen, von Laster und Frevel verblendeten Menschen? [29] Diese äußerst törichte Verstümmelung der heiligen Stätten hat uns nicht einmal, sondern gleich mehrfach in große Notlagen geführt. Als wir nämlich einmal nach der [abendlichen] Prozession der Pilger durch die Grabeskirche die Nacht in der Anastasis verbracht hatten, wurde am Morgen darauf festgestellt, dass vom Fels des Kalvarienberges ein Stück abgeschlagen war, ebenso vom Heiligen Grab und vom Salbstein. [30] Als die orientalischen Christen das bemerkten, gingen sie in der Kirche lärmend gegen uns vor, als wären wir Diebe und Räuber. Daraus entwickelte sich eine für uns äußerst gefährliche Auseinandersetzung, und man drohte uns an, sich bei den Muselmanen über uns zu beschweren. [31] Als der Guardian der Franziskaner dies hörte, bekam er es mit der Angst zu tun, meinte er doch, uns drohe große Gefahr, und so rief er uns alle in der Kapelle der Heiligen Jungfrau Maria zusammen. Dann exkommunizierte er all diejenigen, die sich an den Verunstaltungen beteiligt hatten, und verbot ihnen, die Kirche zu verlassen, bis sie ihm die abgeschlagenen Stücke ausgehändigt hätten. [32] So standen wir nun da in heilloser und schändlicher Verwirrung, und alle klagten uns zähneknirschend an wie sonst nur meineidige Frevler. [33] Wegen einer ganz ähnlichen Sache ka-

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men wir auch im Katharinenkloster auf dem Sinai noch einmal in große Bedrängnis, und ich erschaudere noch heute vor Schreck und Furcht, wenn ich mich daran erinnere. [34] Wir waren von den dortigen [griechischen] Mönchen den Arabern übergeben worden und wurden von diesen in dieser misslichen Situation so lange festgehalten, bis wir das Entwendete zurückgegeben hätten. [35] Solche Abschlagungen nehmen die betreffenden Personen nicht aus religiösen Gründen vor, sondern irgendwelche von eitler Neugierde getriebenen Adligen, Herren über Kirchen und Altäre, machen dies, um durch die auf diese Weise erworbenen Reliquien ihren Kirchen den Zustrom der Pilgerscharen zu verschaffen und entsprechende Einnahmen daraus zu ziehen. Aus diesem Grunde treibt sie ihre Habgier an, solches zu tun, und zwar selbst gegen die ausdrücklichen Verbote, die den Pilgern gegenüber ausgesprochen werden. ENGLISH ABSTRACT Heraldic Traces of Later Medieval Noble Travellers – Graffiti from the 14th to the 16th century In the later Middle Ages the nobility and the upper urban classes of the Occident went on pilgrimage to the Holy Land, to the Monastery of Saint Cathrine on the Sinai, to Santiago de Compostela and to Rome. Apart from these main destinations they visited many less important sanctuaries, as well. However, the journeys were not limited to religious sites. Visiting residences and courts of princes as well as spas and universities the noble travellers were obviously concerned with a lot of more than the mere salvation of their souls. According to the motto “the longer the journey the better” (in Latin “mobiliora – nobiliora”) they took part in a real „quest for honour“. It was good practice to attach one’s coat of arms or to leave a graffito with one’s coat of arms, encoded devices, emblems of chivalric orders, name and date of sojourn at inns and lodging houses or even at sacral places. In a way these signs which provide us with entire itineraries of some of the travellers let us understand medieval noble mentality, and they may be compared with the tags of later centuries. While little remains of the monumental relics, written tradition provides us with a clear picture of what these signs looked like and why they were left at places far away from home. The “monumental evidence” was endeed noticed by following travellers. In their travel reports we find different interpretations of those signs: for some of the travellers they were of course signs of honour, others, mainly clerics, criticised the noble desire for representation and immortal honour.

„NOMINA STULTORUM …“ Graffiti des 18. Jahrhunderts im Karzer der ehemaligen bischöflichen Hochschule in Freising Ulrike Götz Karzergraffiti, also Graffiti in den Karzern von Schulen, Hochschulen und Universitäten, bilden unter den vielfältigen Erscheinungsformen historischer Graffiti eine eigene Gruppe. Sie sind dem Phänomen der Gefängnisgraffiti verwandt, entstehen aber doch im „milderen“ und spezifischen Kontext von Bildungseinrichtungen und sollten gesondert betrachtet zu werden. Die Literaturrecherche ergibt für den deutschsprachigen Raum, dass bisher keine Gesamtbetrachtung zum Gegenstand zur Verfügung steht. Was vorliegt, sind – meist populärwissenschaftliche – Einzeldarstellungen zu den bekannten deutschen Universitätskarzern, etwa in Heidelberg, Marburg, Greifswald oder Göttingen, unter Berücksichtigung der dort jeweils überkommenen Graffiti.1 Die akademische Gerichtsbarkeit reicht mit der allgemeinen europäischen Hochschulgeschichte ins Mittelalter zurück. Der Karzer an Hochschulen ist für den deutschen Raum spätestens seit der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit belegt.2 Man kann wohl davon ausgehen, dass das Entstehen der Karzer und das Entstehen eines entsprechenden Graffitiwesens zeitlich zusammenfallen. Eine frühe gedruckte Quelle, die Graffiti im Karzer als eigenes Phänomen thematisiert, ist das unter den Pseudonymen Robert Salmasius und Lizentius Prokax herausgegebene Wörterbuch zur deutschen Studentensprache von 1749. Da heißt es unter dem Stichwort „Carcer“ ironisch: „[...] Tapezirt sind dergleichen Zimmer nicht; sondern stat der Tapeten findet man lauter artige Gemählde, Verse, Sinbilder, Denksprüche, Namenregisters u.d.g. an den Wänden [...]“.3 Die Beschreibung des Gegenstands in einem solchen gedruckten Vokabularium zeigt, dass das Graffitiwesen im Karzer im 18. Jahrhundert fest etabliert war. 1

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Vgl. z. B. Oberdörfer 1991 (Greifswald); Schubart 1996 (Heidelberg); Hahne 2005 (Göttingen); Oberdörfer 2005 (Heidelberg); Bickert – Nail 2013 (Marburg). Jeweils mit weiteren Literaturhinweisen. – Universitätskarzer sind darüber hinaus etwa auch für Jena, Freiburg, Tübingen, Erlangen und die Bergakademie Freiberg bezeugt; vgl. (3.6.2017). Zur akademischen Gerichtsbarkeit am Fall Heidelbergs, aber auch allgemein vgl. Oberdörfer 2005, 10-33, zum frühen Karzerwesen 11 f. Lizentius Prokax, Beitrag zu des Herrn Robert Salmasius Wörterbuche der akademischen Kunstwörter, Erfurt 1749; Reprint in: Henne – Objartel 1984, hier 19 f. Zu dieser historischen Quelle jüngst auch: Objartel 2016, 247 f.

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Ganz anders schaut es mit der tatsächlichen materiellen Überlieferung aus dieser Zeit bzw. mit deren Dokumentation aus. Mit den großen deutschen Universitätskarzern sind nämlich fast ausschließlich Befunde des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beschrieben. Was zeitlich früher liegende Beispiele betrifft, so ist die Kenntnis darüber bisher sehr spärlich, von möglichen Publikationen ganz abgesehen. In Heidelberg bestehen noch Räume eines älteren Karzers aus dem 18. Jahrhundert, der Graffiti, darunter Namen, Jahreszahlen und sonstige Bildmotive, zeigt.4 Ein durch die Münchner Graffiti-Konferenz ans Licht gebrachtes ebenfalls frühes Beispiel könnte mit dem ehemaligen Jesuitengymnasium in Hall in Tirol verbunden sein, wo sich Graffiti – vermutlich Karzergraffiti – im Dachgeschoß erhalten haben.5 Vor diesem nur durch wenige Belege akzentuierten Hintergrund stellt sich der Fall der Freisinger bischöflichen Hochschule als bedeutsam und von überregionalem Interesse dar. Dort hat sich eine vielgestaltige Inschriften- und Bilderwelt an Karzergraffiti aus dem 18. Jahrhundert erhalten. Die derzeit datierbaren Elemente – neben der Jahreszahl 1764 eine ganze Reihe von Namenszügen – verweisen auf die Jahrzehnte zwischen etwa 1740 und 1770.6 DIE BISCHÖFLICHE HOCHSCHULE UND IHR KARZER Die alte Bischofsstadt Freising liegt rund 40 km von München flussabwärts an der Isar. Ihre Geschichte reicht weit über die Geschichte der Landeshauptstadt zurück bis in die Zeit um 700. Von jeher war Freising ein Hort der Gelehrsamkeit. 1697 wurde unter Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck erstmals eine verfasste und öffentliche Institution für die höhere Bildung eröffnet. Dieses sog. Lyceum diente in Erfüllung der Forderungen des Tridentinischen Konzils vor allem der Ausbildung des Priesternachwuchses am Bischofssitz, stand aber auch „weltlichen“ Schülern und Studenten offen. Zugrundegelegt war ein Gymnasium. Darauf baute eine Hochschule für das Philosophie- und Theologiestudium auf. Die Einrichtung war – eine Ausnahme in der bayerischen Hochschul-

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Vgl. u. a. Schubart 1996, 3. – Der Sachverhalt wurde freundlich bestätigt durch Gabriel Meyer M.A., Universitätsarchiv Heidelberg, während der Münchner Graffiti-Konferenz. Unter den von ihm mitgeteilten weiteren Literaturhinweisen, die den älteren Karzer marginal erwähnen, sei hervorgehoben: Ruperto Carola 1386–1886. Illustrirte Fest-Chronik der V. Säcular-Feier der Universität Heidelberg, Heidelberg 1886, hier 71. Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Romedio Schmitz-Esser, Universität Graz. Zu überprüfen wäre, ob die Graffiti tatsächlich aus der Zeit der Jesuiten vor 1773 oder – weniger wahrscheinlich – aus der Schulgeschichte des Gebäudes im 19. Jahrhundert stammen. Zu den Graffiti im Karzer der Freisinger Hochschule bisher: Götz 2001. – Schon die Studienanstalt der Freisinger Franziskaner, die bis zur Gründung des Lyceums provisorisch als bischöfliche Lehranstalt genutzt wurde, besaß einen Karzer und bediente sich für diesen Zweck des Bürgerturms am Graben, in dem sich ebenfalls einige wenige Graffiti erhalten haben, die auf die Karzernutzung zurückgehen könnten.

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landschaft und dem Vorbild Salzburgs folgend – nicht den Jesuiten, sondern den Benediktinern anvertraut.7 Für diese Lehranstalt wurde ein eigenes Gebäude am Fuß des Dombergs, am Hauptplatz der Bürgerstadt, dem Marienplatz, errichtet – heute „Asamgebäude“ genannt (Abb. 1). Es handelt sich um einen großen Vierflügelbau, eine um einen Hof errichtete Anlage, deren einzelne Trakte in Bauabschnitten seit dem Ende des 17. bis ins fortgeschrittene 18. Jahrhundert sukzessive errichtet wurden.8 1803, im Zuge der Säkularisation, wurde das bischöfliche Lyceum aufgelöst. Das Gebäude gelangte schließlich in das Eigentum der Stadtgemeinde, wo es weiterhin schulischen, aber auch behördlichen, in jüngerer Zeit allgemein kulturellen und kommerziellen Zwecken zugeführt wurde. Derzeit wird an dem denkmalgeschützten Bauwerk eine Generalsanierung durchgeführt mit dem Ziel, für Freising ein erneuertes kulturelles Zentrum inmitten der Stadt zu schaffen.

Abb. 1: Die ehemalige bischöfliche Hochschule am Freisinger Marienplatz zu Füßen des Dombergs (Stadtmuseum Freising, S. Lenk).

Obwohl das Bauwerk in seiner Substanz relativ unangetastet überkommen ist, haben sich doch nur wenige markante Zeugnisse originaler Innenausstattung als Abbild der ursprünglichen Raumfunktionen erhalten. Der repräsentativste und 7 8

Hierzu zuletzt: Benker 1999, mit Hinweisen auf die ältere Literatur. Im Vorfeld der kürzlich begonnenen Generalsanierung des Gebäudes wurden in den letzten Jahren im Auftrag des städtischen Hochbauamtes Freising eingehende Untersuchungen zur Baugeschichte vorgenommen: Vgl. die Berichte Fritz 2008; Fritz 2010; John – Nadler 2012.

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bedeutendste Raum ist die ehemalige Hochschulaula im zweiten Stock des Westflügels. Wegen seiner barocken Deckenfresken von Georg Asam aus dem Jahr 1709, die in einem opulenten Bildprogramm den Triumph von Tugend und Wissenschaft feiern, wird er heute „Asamsaal“ genannt. Daneben und gleichsam als Gegenpol zur öffentlichkeitswirksamen Aula mit ihrer prächtigen Stuck- und Freskendecke bezeugen im dritten Stock des Ostflügels und im Dachboden des Südflügels Graffiti die Existenz von Räumen eines ehemaligen Schul- bzw. Hochschulkarzers. Auf den Karzer des bischöflichen Lyceums am Marienplatz weist zunächst die Schulordnung, wie sie sich aus dem späten 18. Jahrhundert erhalten hat. Etwa das nächtliche Lärmen auf öffentlichen Gassen und Plätzen sollte nach fruchtloser gütlicher Ermahnung beim zweiten Vorkommnis den Karzer nach sich ziehen, bevor beim dritten Vorkommnis die Dimittierung, die Entlassung, drohte. Auch andere Vergehen wurden mit der „poena carceris“ geahndet: Raufereien in Wirtshäusern, Teilnahme an öffentlichem Tanz, der freundschaftliche Umgang mit dem anderen Geschlecht oder das Baden in öffentlichen Gewässern. Am Freisinger Lyceum war die Karzerstrafe laut Schulordnung in der Regel „auf einige Stunden“ angesetzt. Für die jüngeren Schüler scheint eher die Rute, also die körpernahe Strafe, für die älteren eher der Karzer als geeignete Strafe angesehen worden zu sein.9 DER GRAFFITIBESTAND Der ansehnlichste Befund ist im 1714 errichteten, zum Hof gewandten Teil des Osttrakts des Gebäudes überkommen (Abb. 2–5). Das Geschoss unter dem Dachstuhl bildet einen großen Raumbereich von circa 240 m2 Fläche aus, der bis zum Jahr 2000 nicht ausgebaut war. Die durchfensterte Westwand zum Hof hin und ein Teil der Südwand sind verputzt, die Ostwand ist unverputzt, die Nordwand neueren Datums. Inmitten des Raumes befinden sich zwei ebenfalls verputzte Pfeiler, bei denen es sich um Kamine handelt. Auf allen verputzten Flächen fanden sich gemalte, gezeichnete und – vereinzelt – geritzte oder eingeschlagene Graffiti. Sogar auf der Außenseite der Südwand, die sich bis 1769, als die Südostecke des Gevierts baulich geschlossen wurde, frei über einem niedrigeren älteren Gebäude erhoben haben muss, sind entsprechende Zeugnisse zu finden; möglichweise konnte man hier durch ein Fenster aussteigen und in Form einer besonderen Mutprobe vom niedrigeren Dach des Nebengebäudes aus Graffiti an der Außenwand anbringen.10 9

Vgl. „Verordnungen und Schulgesetze, welche [...] von allen Studenten des Fürstbischöflichen Schulhauses in Freysing [...] zu beobachten sind [...] 1797“, abgedruckt in: Beyträge 1854, 415–419, bes. Nr. 14–19. 10 Diese Überlegung freundlich mitgeteilt von Dipl-Ing. Eva Fritz, Weißenburg, aufgrund ihrer Bauforschung (vgl. Anm. 8). Dass die Graffiti nicht erst nach Schließung der Baulücke angebracht wurden, könnte sich aus der Tatsache ergeben, dass sich die betreffenden Zeichnungen zum Teil hinter einem Dachbalken verbergen.

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Abb. 2: Auf dem nördlichen Kamin die Gestalt des Herkules mit umgelegtem Löwenfell und Keule (Stadtmuseum Freising, C. Willner).

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Abb. 3: Der südliche Kamin mit der Beschriftung „Nomina Stultorum Scribuntur Ubique [L]ocorum.“ (Stadtmuseum Freising, C. Willner).

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Abb. 4: Detail vom südlichen Kamin mit Namenszügen, Galgendarstellungen und der Datierung „1764“ (Stadtmuseum Freising, C. Willner).

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Abb. 5: Graffiti an der Fensterwand u. a. mit Namenszügen, Darstellungen von Pentagrammen sowie einer Person, deren Gesicht absichtsvoll zerstört wurde (Stadtmuseum Freising, C. Willner).

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Im Dachboden des 1707 errichteten Südtrakts, der sich auf etwa gleichem Niveau wie der dritte Stock des Osttrakts befindet, ist es die verputzte Mauer zum Westtrakt hin, die weitere Graffiti trägt (Abb. 6). Zusätzlich fanden sich in diesem Speicherraum Bemalungen an den Dachbalken und Einritzungen in den Bodendielen.11 Dass der Freisinger Schulkarzer sich nicht, wie die Phantasie es vielleicht imaginiert, als Verließ im Keller darstellt, sondern in einem Obergeschoss, unter dem Dach angesiedelt war, passt durchaus zur Beschreibung anderer historischer Karzer in der Literatur.12 Es ist kaum möglich und wohl auch nicht sinnvoll, die Graffiti des Freisinger Karzers durch Zählen quantifizieren zu wollen, da sie nur teilweise als klar umrissene Einheiten ausgebildet sind. Will man den Befund trotzdem messbar machen, so könnte man sagen: Man kommt auf etwa 20 – 25 m² gestaltete Fläche, wenn man die betreffenden verputzten Partien gedanklich zusammensetzt. Von einem ehemals deutlich größeren Bestand ist auszugehen. Offensichtlich wurden Teile im Laufe der Zeit im Zuge verschiedener baulicher Eingriffe zerstört. Zudem scheinen Partien der Wände immer wieder überstrichen worden zu sein. Teilweise liegen die Darstellungen in Schichten übereinander. Wie der große Raum im dritten Stock des Osttraktes und der Dachboden des Südtrakts im 18. Jahrhundert genau aussahen und gegebenenfalls eingerichtet waren, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Womöglich waren es einfach große leere Räume.13 Auch wenn die Datierung der Graffiti im Südtrakt (bisher) nicht so präzise möglich ist wie im Osttrakt, hat es doch den Anschein, dass beide Räume zeitlich parallel genutzt wurden und es somit zumindest zwei Möglichkeiten gab, Schüler getrennt voneinander unterzubringen. Dass es in den Obergeschossen des Gebäudes Graffiti gab, war in jüngerer Zeit zwar einigen Personen bekannt gewesen, deren vollständige Bedeutung – damit auch die ursprüngliche Funktion der Örtlichkeit als Karzer – trat aber erst im Jahr 2000 zu Tage, als für das Freisinger Stadtmuseum, das sich im ersten Stock des Hauses befindet, im fraglichen Raumbereich des Osttrakts ein Depot eingerichtet wurde. Im Zuge des Ausbaus wurden die Graffitiflächen sorgsam geschützt, gereinigt, stellenweise auch erst freigelegt. Die Depoteinrichtung wurde so auf die Zeichnungen und Malereien abgestimmt, dass diese gut sichtbar blieben. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege begleitete die Maßnahmen. Es erfolgte eine erste Publikation des Befunds.14 Im Zuge von Depotführungen wurden die Graffiti als eindringliche Zeugnisse der Hausgeschichte seither immer wieder zugänglich gemacht und die Karzerfunktion des Raumes erklärt. Eine ähnliche Untersuchung, Sicherung und Dokumentation der Graffiti im Dach-

11 Freundlicher Hinweis Dipl.-Ing. Eva Fritz, Weißenburg. 12 Vgl. Anm. 1. 13 Die Binnengliederung durch Holzlattengitter, die den Raum im Osttrakt bis zum Jahr 2000 aufteilte, muss jedenfalls aus späterer Zeit stammen, da ihre Befestigungen stellenweise in die mit Graffiti bedeckten Flächen hineingeschlagen wurden. 14 Götz 2001.

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boden des Südtraktes (Abb. 6), die erst im Zuge der Bauforschungen der letzten Jahre neu entdeckt wurden, steht aus.

Abb. 6: Weitere, in jüngerer Zeit entdeckte Karzergraffiti im Dachboden des Südflügels (Stadtmuseum Freising, C. Willner).

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Die Beschriftungen und Bebilderungen des Karzers sind mit dem Pinsel und mit Farben, die mittels Öl, Ei oder Kasein gebunden waren, sowie mit Rötelstift und Kohle auf die Wand aufgetragen.15 Es sind aber auch Graffiti im engeren Sinn vorhanden, „eingekratzte“, eingeritzte, ja geschlagene Buchstaben und Motive. An mindestens einer Stelle wurde durch Hineinschlagen von Löchern in die Wand Vorhandenes auch bewusst zerstört. Die Graffiti des Freisinger Karzers bestehen aus Namenszügen, einer Jahreszahl, einem lateinischen Spruch, figürlichen Darstellungen sowie weiteren Bild- und Symbolmotiven. Zwei ganzfigurige Gestalten fallen im Raum des Osttrakts ins Auge. Ikonografisch eindeutig bestimmbar ist eine am nördlichen Kamin dargestellte, circa 1,60 m hohe, in gräulich bis schwärzlicher Farbe gezeichnete Herkules-Gestalt mit umgelegtem Löwenfell, auf eine Keule gestützt – ein Zeugnis der an der Benediktinerschule genossenen klassischen Bildung und eines der besonders auffallenden und ambitionierteren Motive im Freisinger Karzer (Abb. 2). Eine andere ganzfigurige Gestalt an der Fensterwand, ebenfalls circa 1,60 m hoch, erinnert an einen Kleriker oder Mönch (Abb. 5). Diese Motivwahl wäre an einer von einem Orden geführten bischöflichen Schule ebenfalls nicht abwegig. Die vorwiegend in Grau gezeichnete Figur mit einem rotbraunen Kopf trägt eine Fahne und scheint – ironisch gemeint? – mit einem winzigen Heiligenschein versehen zu sein. Das Gesicht wurde später durch einige Schläge teilweise zerstört und die gemeinte Person damit wohl der damnatio memoriae anheimgestellt. Hinzu kommen nicht weiter zu spezifizierende – zum Teil sehr große – Darstellungen von Köpfen, fast alle im Profil gezeigt, darunter ein Männerkopf mit langen offenen, gewellten Haaren. Dabei könnte es sich um ausgesprochen karzertypische Motive handeln. In einer Publikation zum Heidelberger Universitätskarzer wird eigens auf die dort reichlich vorhandenen Profilgesichter in Schattenriss verwiesen, die mit Hilfe einer Kerze an die Wand gebracht worden seien – dort freilich ein Befund des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.16 An weiter zu identifizierenden Bildmotiven fallen fünfzackige Sterne ins Auge. Das Pentagramm ist ein magisches Symbol, das ohne Abzusetzen in einem einzigen Zug gezeichnet werden kann, in diesem Fall aber vielleicht auch einfach als Schülerspielerei zu interpretieren ist. Im Holzdielenboden des Speichers im Südflügel ist ein Motiv von Mond und Sternen eingeritzt. NAMENSGRAFFITI Sich mit seinem Namen zu verewigen, gehört in der Welt der Graffiti bekanntlich zu den ursprünglichsten und häufigsten Ausdrucksformen. Auch im Karzer der Freisinger Hochschule wurden zahlreiche Namen an die Wände geschrieben, in größerer Anzahl und teilweise gut zu lesen im Osttrakt, vereinzelt und bisher weniger eindeutig zu bestimmen im Südtrakt. 15 Freundlicher Hinweis Restaurator Alfons Empl, Landshut. 16 Vgl. Oberdörfer 2005, 113 bzw. ibid. verstreute Abbildungen.

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Soweit sie einigermaßen gut erhalten waren, ließen sich die Namen – etwa ein Dutzend – fast ausnahmslos in den Catalogi Studiosorum, den von 1697 bis 1803 jährlich angelegten Schüler- bzw. Studentenverzeichnissen der Anstalt, verifizieren.17 Es handelt sich dabei um eine hervorragende, vielfältig verwendbare Quelle, die nicht nur die Namen der Schüler und Studenten sowie die Jahre ihres Aufenthalts, sondern auch ihren Herkunftsort, zum Teil den Beruf des Vaters angibt, sowie die jeweiligen Zensuren vermerkt, letztere zumeist aufgelistet nach Begabung („ingenium“), Fleiß („diligentia“), Fortschritt („profectus“) und Sitten („mores“). Aus den in den Akten identifizierten Personen und ihrem Aufenthalt an der Schule ergibt sich nun auch eine ungefähre Datierung der Karzergraffiti, nämlich in die Zeit von etwa 1740 und 1770. Dies gilt zumindest für den Raum im Osttrakt, womöglich aber auch für den Dachboden des Südtrakts: Unter den dort vorhandenen Namensspuren lässt sich bisher der Name Zaubzer eindeutig identifizieren. Soweit bisher recherchiert taucht er über die Jahrzehnte zweimal auf, um 1750 und in den späten 1760er Jahren. Warum sich (bisher) keine älteren und jüngeren Zeugnisse, also solche aus dem früheren und späten 18. Jahrhundert fanden, muss offen bleiben. Womöglich verschwanden ältere Spuren durch Überstreichen. Auch ist nicht auszuschließen, dass in den letzten Jahrzehnten des Bestehens der Schule andere Räume als Karzer genutzt wurden. Im Folgenden sind die identifizierten Gymnasiasten bzw. Studenten – ihr genaues Alter beim Aufenthalt im Karzer ist zumeist nicht oder nur ungefähr festzustellen – in annähernd chronologischer Reihenfolge aufgeführt. Zeitlich nicht genauer zuzuordnen sind etwa die Schriftzüge „Bader“ im Osttrakt und „Schwai[ger?]“ im Südtrakt – verbreitete Namen, die durch die Jahrzehnte hindurch immer wieder in den Verzeichnissen der Anstalt auftauchen. Auch aus der Freisinger Familie Naderer besuchten mehrere Mitglieder das Lyceum. Der Schüler, der „Naderer“ in roter frakturähnlicher Schrift an die Wand schrieb, ist vermutlich Bartholomäus Naderer, Sohn eines Briefboten, der erstmals 1730 als 13-Jähriger in der Klasse der Rudimentisten, der ersten eigentlichen Gymnasialklasse, nachweisbar ist und dann zwölf Jahre später, 1742, sein Theologiestudium vollendete. Gleich daneben haben sich zwei kleine Adelige verewigt: Der Namenszug „Butler“ weist auf Karl Joseph Sebastian Graf von Butler aus Amberg, Offizierssohn, der mit elf Jahren 1738 in die Anfängerklasse der Schule eintrat und bis 1742, bis zur vierten Gymnasialklasse, der Poesis, an der Schule blieb. „Khuen“ ist Franz Johann Nepomuk Graf von Khuen Liechtenberg Belasy und von Contegg, aus Böhmen stammend. Er trat mit 13 Jahren 1741 in die Schule ein, verließ sie aber, obgleich hochbegabt („ingenium praestantissimum“), bereits wieder im Schuljahr 1743/44 als Syntaxist („discessit“, „er schied aus“). Der kleine Graf, der wie sein Schulkamerad Butler zugleich Page am 17 Catalogi et notae Studiosorum Lycei et Gymnasii Frisingensis. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München HL 3 Fasz. 331 und 332. – Womöglich würden sich bei eingehender Beschäftigung vor Ort und im Archiv auch noch einige weitere Karzerinsassen identifizieren lassen.

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fürstbischöflichen Hof war, hatte es wohl nicht nötig, länger die Schulbank zu drücken. Die Namen der beiden sind in der gleichen ockergelben Farbe in etwas ungelenker, dick aufgetragener Kursivschrift direkt übereinander an die Wand geschrieben. Der Schriftzug „KöniGER“ ist in schwarzen Groß- und Kleinbuchstaben in einer Fensterlaibung verewigt, auf der Unterseite des Sturzes mühsam angebracht. Er stammt entweder von Kastulus oder von Andreas Königer, einem der Söhne eines Musicus aus Moosburg, die beide im Jahr 1740 mit fünfzehn bzw. zwölf Jahren in die Schule eintraten. Während jedoch Kastulus die Schule bereits zwei Jahre später wieder verließ, ging Andreas den langen Weg bis hin zur Priesterweihe, die er 1754 empfing. Da ist sodann „Casparus Kirschenhofer“, dessen Name in großer grauer, ebenfalls recht ungleichmäßiger Kursivschrift an die Südwand gezeichnet ist. Kirschenhofer stammte aus Freising und war Sohn eines Sattlers („Ephipiarii filius“). Er begann 1750 mit der Anfängerklasse und verließ 1761, im vierten Jahr seines Theologiestudiums, als „Reverendus dominus“, als Hochwürden, die Schule. Seine Zensuren bewegten sich im oberen Bereich („valde capax“, „diligentia egregia“). Ein kurzes, zwei- oder dreijähriges Zwischenspiel an der Schule gab in der Mitte der Fünfziger Jahre Karl Schön aus Friedberg. Auf der Außenseite der Südwand des Osttrakts verewigte sich „Schranner“ – Matthias Schranner aus Stadtamhof bei Regensburg, Sohn eines Landwirts. Er besuchte Gymnasium und Hochschule ab 1760 bis zur Priesterweihe 1770. Zunächst schwankend in den Bewertungen („diligentia: nulla, nulla“) steigerte er seine Leistungen zuletzt so weit, dass er im letzten Jahr zu den Besten („inter optimos“) gezählt wurde. 1762 bzw. 1763 sind Korbinian Eberhard aus Vötting bei Freising und Jakob Waldleitner (auch „Waldleutner“), Sohn eines Kutschers in Eichstätt, erstmals an der Schule nachweisbar. Sie waren durch all die Jahre bis zur Priesterweihe Kurskameraden. Waldleitner, von eher mittelmäßiger Begabung („inter mediocres“), wird 1775 geweiht. Eberhard, immer mit besten Noten bedacht („in omnibus summa laude“), verlässt 1776 als Priester die Hochschule („sacerdos factus“ – „discessit“). Waldleitner verewigte sich in gelben dicken Schriftzügen an der Fensterwand (Abb. 5), Eberhard einige Meter weiter links davon in zarten schwarzen Buchstaben. Mit ihm geht der letzte im Karzer fassbare Zögling von der Studienanstalt ab. DIE GESCHICHTE DES SCHÜLERS ANTON ANDREAS LANG Besondere Aufmerksamkeit verdient schließlich ein Namensgraffito auf der Schmalseite des südlichen der beiden verputzten Kamine: Dort ist ein rot gezeichneter, auf zwei Pfosten stehender Galgen zu erkennen (Abb. 4). Hinrichtungsinstrumente scheinen über die Zeiten hinweg zum spezifischen Bildrepertoire von Schülern zu gehören. Auch im Freisinger Karzer sind weitere Galgen sowie ein anderes Instrument der Tortur, das Rad, vertreten. Am Seil des beschriebenen

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Galgens hängt der Name „LANG“, in ockergelben Großbuchstaben an die Wand gemalt. Darunter ist die einzige im Raum erhaltene Jahreszahl, „1764“, zu lesen, ebenfalls in Ockergelb, darunter der Schriftzug „Fraz“, wiederum in Rot. Tatsächlich ergibt die Überprüfung der Schülerverzeichnisse einen Schüler Lang in besagter Zeit: Es handelt sich um Anton Andreas Lang, „Pfaffenhofiensis“, also aus Pfaffenhofen stammend. Lang, dessen genaues Alter nicht bekannt ist, kam 1762 in die Anfängerklasse. Von Beginn an und über mehrere Jahre hinweg war er der beste Schüler seines Jahrgangs: „inter primos primus“, „unter den Ersten der Erste“. Seine Begabung wird als „longe capacissimum“ beschrieben, Lang also als der bei weitem Fähigste eingeschätzt. Allerdings musste schon im zweiten Jahr festgestellt werden, dass sein Fleiß seiner außerordentlichen Begabung nicht entsprach („non respondens“). Dies ist auch der Beurteilungsstand im Jahr 1764, als der Graffito an die Karzerwand gemalt wurde. Wie ist diese Zeichnung nun zu interpretieren? Plausibel scheint folgende Deutung: Zuerst verewigte sich Lang einschließlich der Jahreszahl in Gelb; danach griff ein Schulkamerad zur roten Farbe, zeichnete den Galgen um den Namen seines Mitschülers herum und setzte den abschätzigen Titel „Fraz“ darunter.18 So ist die Graffitigruppe auch ein Beispiel dafür, wie aus einem einzelnen Graffito durch Hinzufügungen ein neues Bild und eine neue Bedeutung entstehen konnten. Ein vergleichbarer Fall hat sich im Südflügel erhalten, wo um den Namenszug „Schwai[ger?]“ ebenfalls ein Galgen gezeichnet wurde. Mit Lang nahm es nicht nur im Karzer, sondern auch an der Schule schließlich ein unrühmliches Ende. Nachdem sein Fleiß über die Jahre immer mehr nachgelassen hatte („diligentia vix ulla“), begannen auch „mores“, seine Sitten, die schon zuvor als „nondum maturi“, als „noch nicht reif“ charakterisiert worden waren, bedenkliche Formen anzunehmen. 1766 wurde vermerkt, dass sich der Schüler bei Tag und Nacht Trinkgelagen und sonstigen Zügellosigkeiten hingäbe und dass sich sein sittlicher Wandel von Jahr zu Jahr verschlechterte („mores potationibus nocturnis ac diurnis, ac [---] licentiae dediti, peiores de anno in annum futuri“). Zu diesem Zeitpunkt war Lang immer noch der fünftbeste unter den rund 25 Gymnasiasten seines Jahrgangs. Im Schuljahr 1766/67 erreichte er die Rhetorik-Klasse und hätte damit das Gymnasium abschließen können. Am Ende des Schuljahres jedoch vermerkte der Rhetorikprofessor P. Johann Evangelist Manikor aus Scheyern unter dem Namen „Lang“ ohne Angabe von Zensuren nur noch lapidar: „discessit“, „er schied aus“. Lang – offensichtlich hochbegabt, charakterlich aber labil – hatte noch während des Schuljahres die Anstalt verlassen.

18 Für diese Reihenfolge kann auch sprechen, dass sich der Galgen auf der rechten Seite aufgrund der dort verlaufenden Ecke kaum mehr am Namenszug „Lang“ vorbeiführen ließ, also wohl nicht von Anfang an geplant war.

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„NOMINA STULTORUM …“ Im Gesamtblick auf die Gruppe der im Karzer verewigten Schüler und Studenten lässt sich folgern: Weder Intelligenz noch Fleiß, weder Rang noch Namen, auch nicht das künftige Priestertum konnten die Karzerstrafe verhindern. Jeden konnte es treffen, ob klug oder unbegabt, ob faul oder fleißig, ob Grafen- oder Handwerkerssohn; auch Schüler mit gewöhnlich exzellenten Betragensnoten sind unter den Karzerinsassen. Freilich darf man die Karzerstrafe – gerade an der kleinen, unaufgeregten Benediktinerschule in Freising – in ihrer Bedeutung und Härte wohl auch nicht überschätzen, sondern muss sie vermutlich als ein zum Alltag der Schule mehr oder minder selbstverständlich zugehöriges Element bewerten. In der Achtung der Schulkameraden mochte derjenige, der im Karzer saß, noch steigen. Grundsätzlich wäre es eine eigene psychologische Studie wert, die Gemengelage der durch die Karzerstrafe ausgelösten und an der Wand ausgelebten Emotionen genauer zu analysieren. Diese pendelten wohl zwischen Verunsicherung, dem Drang nach Selbstvergewisserung und dem Gefühl von Langeweile. Neben Unbehagen und Angst traten vermutlich Stolz und Wut. Nicht zuletzt gedieh in der Atmosphäre der Schul- und Unversitätskarzer auch die Ironie. Davon zeugt besonders deutlich ein weiteres schriftliches Zeugnis an der Wand des Freisinger Karzers. Am südlichen Kamin (Abb. 3) ist folgender lateinischer Reim in schwarzen Buchstaben zu lesen: „Nomina Stultorum Scribuntur Ubique [L]ocorum.“ – „die Namen der Dummköpfe werden überall hingeschrieben“,19 oder in sehr freier Übersetzung: „Narrenhände verschmieren Tisch und Wände.“ Der Spruch spielt letztlich nicht nur auf das an, was im Freisinger Karzer konkret vor sich ging, sondern ist eigentlich eine selbstironische Beschreibung der Graffiti-Geschichte überhaupt und ein wohl auch andernorts sinngemäß immer wieder anzutreffender Graffiti-„Klassiker“. SCHLUSSFOLGERUNGEN Die Münchner Konferenz fragte nach dem Quellenwert historischer Graffiti. Auf den Fall des Freisinger Karzers bezogen können folgende Überlegungen angestellt werden. Als Schriftquelle zur biografischen und statistischen Erfassung der Schüler des Freisinger Lyceum werden die Graffiti weit überholt von den Dokumenten auf Papier, die aus der frühen Neuzeit eben doch bereits in großen Mengen überkommen sind – in unserem Fall die Catalogi Studiosorum des Freisinger Lyceums aus den Jahren zwischen 1697 und 1803. So gut wie alle lesbaren Namen aus dem 19 Für die Unterstützung beim Entziffern des nicht mehr ganz erhaltenen Wortes „[L]ocorum“ danke ich Prälat Dr. Sigmund Benker, Freising. – Während der Graffitikonferenz wurden die Lesart und Übersetzung insbesondere dieses letzten Wortes des Spruches ebenfalls diskutiert. Die Lesart „Locorum“ erschien alles in allem plausibel. Auch wurde angemerkt, dass es eine Schreibgewohnheit des 18. Jahrhunderts war, das letzte Wort eines Absatzes abgesetzt in eine neue Zeile an den rechten Rand zu schreiben.

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Karzer finden sich hier wieder, mit zahlreichen zusätzlichen Angaben zur Person, der lokalen und sozialen Herkunft, den schulischen Leistungen, dem genauen Zeitpunkt des Aufenthalts an der Einrichtung. Umgekehrt übertreffen die Zeugnisse an der Karzerwand die Informationen in den Akten natürlich deutlich an psychologischer und emotionaler Aussagekraft: Hier begegnet der Betrachter von heute den Karzerinsassen des 18. Jahrhunderts ganz unmittelbar und auf persönlichste Weise – in Dokumenten, die diese mit eigner Hand hinterlassen haben, in Bild- und Textzeugnissen, die in Größe, Farbe, Charakter entsprechend ganz individuell variieren. Ein besonders berührendes Beispiel ist der Fall des Schülers Anton Andreas Lang, dessen Geschichte freilich erst wieder im Miteinander mit dem Aktenbefund so besonders lebendig wird. Darüber hinaus gibt die Graffitilandschaft des Freisinger Hochschulkarzers direkt und indirekt Auskünfte zur Institution und damit vermutlich auch allgemeiner zum Schulwesen der Zeit oder regt zu entsprechenden Fragen an. Die Graffiti sind unmittelbare Zeugnisse des Disziplinarwesens der Schule. Die bemalten Wände gewähren dabei Einblicke, die in der gedruckten Karzerordnung keinen Niederschlag fanden. So wurde das Graffitiwesen ganz offensichtlich durch die Schulleitung geduldet. Die technisch und organisatorisch aufwendige Art und Weise, wie hier mittels Farben, Pinsel, Stiften und in ansehnlicher Größe Inschriften und Bilder auf die Wand gebracht wurden, konnte der Obrigkeit nicht verborgen bleiben und wurde anscheinend stillschweigend hingenommen. Die Lehrerschaft mag darin einen nicht anzutastenden Brauch, vielleicht sogar einen pädagogischen Mehrwert, ein sinnvolles Ventil, gesehen haben – auch wenn offiziell davon nicht gesprochen wurde. Überhaupt wird offensichtlich, dass das Graffitiwesen gerade im Schulbereich – aber sicher nicht nur dort – nicht nur spontane, sondern zu einem guten Teil auch ritualisierte Züge trägt. Es bestand zweifellos eine Tradition, sich an der Karzerwand zu verewigen, und dies in überlieferten Formen und Symbolen, in einer bereits überkommenen Ikonografie. Es könnte ein sinnvolles Unterfangen sein, eine allgemeine Karzerikonografie oder überhaupt eine Schüler- und Studentenikonografie zu erarbeiten. Die Freisinger Graffiti könnten hierzu einen Beitrag leisten. So spielen etwa das Galgenmotiv und Motive anderer Folterinstrumente sicher eine große orts- und zeitübergreifende Rolle. Auch das Symbol des Pentagramms wäre auf eine häufigere Verwendung zu prüfen. Von der Darstellung von Köpfen im Profil als einer möglicherweise karzerspezifischen Motivik war schon die Rede. Deutlich atmen die Graffiti im Freisinger Karzer sodann den höheren Bildungsanspruch der Einrichtung. So wird verstreut die lateinische Sprache benutzt: Der Spruch „Nomina Stultorum Scribuntur Ubique Locorum.“ wurde bereits zitiert; aber auch die lateinische Namensform „Ioannes“ taucht an der Wand auf, und ein weiterer Name trägt den nur teilweise lesbaren Zusatz „[---] theologiae“. Mit der motivisch ambitionierten Darstellung der Gestalt des Herkules wird auf die antike Mythologie und damit auf entsprechende klassische Lehrinhalte am Lyceum Bezug genommen.

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Schließlich scheinen die Graffiti des Freisinger Karzers auch zum Ausdruck zu bringen, dass an einer solchen Schule des feudalen Zeitalters Standesunterschiede zumindest in bestimmten Situationen aufgeweicht waren – der kleine Adelige teilt mit dem Briefbotensprössling dasselbe Schicksal im Karzer und verewigt sich direkt neben ihm durch einfache Nennung seines Namens.20 In einem nächsten Schritt der Einordnung und Schlussfolgerung wären nun natürlich weitere Beispiele von Karzergraffiti der Zeit vor dem 19. Jahrhundert gefragt, um einerseits das Typische und andererseits das Individuelle des Freisinger Falls herauszuarbeiten. Stellt man schließlich noch einmal die beiden am besten überlieferten und aussagekräftigsten Räume der Freisinger Hochschule – Hochschulaula und Karzer – gedanklich nebeneinander, so lässt sich resümieren: Auf ihre Weise machen beide Räumlichkeiten und die darin befindlichen Bild- und Textbotschaften bedeutende Aussagen zur Institution. In der Aula – wie zu erwarten – in einer idealisierten, überhöhten, abstrakten Form. Das große Deckenfresko zeigt eine Verherrlichung der Allegorien von Wissenschaft und Tugend, verbunden mit der Darstellung dreier beispielhafter Schüler der Benediktinerschule, die sich diesen hehren Zielen mit ihrer Arbeit und ihrem Fleiß verschreiben. An den Karzerwänden zeigen sich Schule und Studierende dagegen weitgehend ungeschminkt. Die Graffiti schildern die Einrichtung nah am Schulalltag, sprechen von problematischen und schwierigen Seiten des Schullebens. Sie tun dies in persönlichster Art und Weise, sind berührende Zeugnisse des individuellen Schülerschicksals, bedienen sich dabei aber durchaus ihrerseits Ausdrucksweisen, die bestimmt sind von Traditionen und überlieferten Bild- und Textformeln. ENGLISH ABSTRACT Graffiti from the detention rooms of schools, colleges, and universities form an individual group among the many different kinds of historical graffiti. They are related to prison graffiti but were made within the more “moderate”, and more particular context of educational institutions which require an individual investigation. So far, only the epigraphic evidence from the 19th and 20th century has been analysed, coming from the detention rooms of the large German universities such as Heidelberg, Greifswald, Marburg, and Göttingen. Earlier examples are less well-known and studied which is why the episcopal academy at Freising (1697– 1803) is of specific interest. A large number of inscriptions (texts and images) has survived, referring to the time between 1740 and 1770. The detention rooms were located on the third floor of the eastern part of the building, and the attic of the southern wing. The major part of the graffiti consist of names which can be verified thanks to the existing lists of students; there are 20 Dagegen werden in den Namensauflistungen der Catalogi Studiosorum (vgl. Anm. 17) die Adeligen jeweils an erster Stelle genannt.

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also images and symbols, as well as the date “1764”, and the Latin inscription “Nomina Stultorum Scribuntur Ubique [L]ocorum.”

SPRECHENDE WÄNDE Graffiti aus dem Schloss Ludwigsburg Daniel Schulz Schloss Ludwigsburg, erbaut 1704–1733 durch Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg, ist eine der wenigen großen Barockresidenzen Deutschlands, die im zweiten Weltkrieg keine nennenswerten Schäden davongetragen hat.1 Die Schlossanlage hat durch ihre ständige Nutzung vielfältige Veränderungen erfahren. In der originalen Bausubstanz sind noch ungeahnte Entdeckungen möglich, Fußböden und Wände geben Geheimnisse preis. Darum gebührt der Ludwigsburg ein besonderer Schutz, den ich „Recht auf (Ur)Sprünge“ nenne. Menschen – Architekten, Handwerker, Künstler, Schlossbewohner, Personal, Wachsoldaten, Besucher, Touristen, Reisende, Liebespaare – haben am und im Schloss ihre Spuren hinterlassen. Sie verewigten sich an den Schlossmauern, den Wänden im Inneren, auf Türen, Fensterscheiben und Figuren. Namen, Jahreszahlen, Sprüche, Zeichnungen und Karikaturen finden sich in einer Bandbreite, die von eingeritzten Monogrammen bis zu Hakenkreuzen reicht, über einen Zeitraum von 1704 bis heute. Daneben geben Fußböden Hinterlassenschaften der Bewohner und Nutzer preis: Fragmente von Briefen, Rechnungen, Kleidung, Schuhe, Keramik und Gebrauchsgegenstände. So werden Wände und Fußböden des Gebäudes zu einem lebendigen Geschichtsbuch, zu einem gewaltigen steinernen Kalender, der bis in unsere Gegenwart reicht und ständig fortgesetzt wird. Alle diese Hinterlassenschaften erzählen vom Alltag aus der 300-jährigen Historie des Schlosses. Geschichte wird so zu „Ge-schichte“, denn Spuren aufweisen heißt, dass viele Schichten übereinander und nebeneinanderliegen. Die Geschichte des Schlosses spiegelt sich in einem stetigen Prozess des Verdeckens und Aufdeckens wieder. Was fasziniert uns am Denkmal Schloss? Wozu erhalten und pflegen wir es? Das Denkmal ermöglicht uns die Zeitreise, vorausgesetzt, dass es als authentische Urkunde erhalten bleibt. Die Spuren bewegen sich auf einem Grat zwischen „high and low art“. Sie geben nicht nur Auskunft, was Personen zu welchem Zeitpunkt getan oder gedacht haben, sondern auch über deren Umgang mit dem historischen Objekt Schloss. Spuren erzählen Alltagsgeschichten und sind deshalb ein Bestandteil des Denkmals und gehören zu seinem Inventar. Vor rund 15 Jahren – ich war als Museumsführer im Schloss tätig – fielen mir anlässlich von Bauarbeiten die Graffiti erstmals auf. Von offizieller Seite interes1

Vgl. Schulz 2005, 157–162.

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sierte sich niemand dafür, als ich mit einer Dokumentation begann. Zum Teil wurden Graffiti von mir selbst freigelegt und katalogisiert, was schließlich in meiner Dissertation mündete.2 GRAFFITI ALS HISTORISCHE QUELLEN Graffiti finden sich seit der Antike in den verschiedensten Kulturdenkmälern oder fanden Eingang in Werke der bildenden Kunst, z. B. als Signatur in Gemälden von Hendrik Avercamp, Pieter Saenredam oder Jean-Siméon Chardin. Schließlich setzte sich Brassaï als erster ernsthaft künstlerisch mit Graffiti auseinander und fotografierte die Wände von Paris.3 In diesem Zusammenhang seien zwei Graffiti erwähnt, die mit der württembergischen Geschichte zu tun haben. Mit Herzog Carl Eugen ist in Bezug auf ein Graffito eine pikante Geschichte von dessen erster italienischer Reise verknüpft, die ein Schreiben von Papst Benedikt XIV an Kardinal Tencin vom 23. Mai 1753 offenbart. Der Papst berichtete, er wollte dem Herzog von Modena antike Statuen abkaufen, die in dessen Villa d’Este in Tivoli stehen. „Unter Ihnen ist eine schöne nackte Venus, und auf einer Hinterbacke von ihr hat man, eingeritzt mit der Spitze eines Diamanten, den Namen des Herzogs von Württemberg gefunden, und auf der anderen den der Fürstin, seiner Frau; Eingriffe, ausgeführt von beiden, als sie kurz vor der Abreise aus Rom in Tivoli waren.“4 Bis 1830 stand jene Venusfigur im Salon der Kapitolinischen Museen und ist seitdem nicht mehr auffindbar.5 Auch mit dem Ende von Carl Eugens Karlsakademie ist ein Graffito verknüpft. Anlässlich der Auflösung der Universität 1794 unter Herzog Ludwig Eugen sollten die Gebäude zu Pferdeställen umgebaut werden. Der ehemalige Akademist Johann Christoph Friedrich Haug schrieb mit Kreide folgendes Epigramm über die Tür: „Olim musis, nunc mulis“ (Einst den Musen, nun den Maultieren).6 Wir sehen, Graffiti sind doch alltägliche Erscheinungen, und das noch heute verbreitete allgemeine Erstaunen, dass sie keine moderne Erfindung sind, kommt durch eine Wahrnehmungslücke der Kulturwissenschaften zustande, die Graffiti schlicht nur vereinzelt zur Kenntnis genommen haben. Ältere Graffiti können abgrenzend als „historische Graffiti“ bezeichnet werden. Sie sind als eigenständige Quellengattung, als Dokument und Urkunde zu begreifen: Spuren oder Hinterlassenschaften zwischen Hochkunst, Urkunde, Kritzelei und Vandalismus. Auch Depotfunde – in die Zwischenböden eingefülltes oder dort entsorgtes Material – finden sich allerorts in Gebäuden. Es sind oft ungewöhnliche Zeugnisse der Alltagskultur, die allein durch die Deponierung die Zeiten überdauerten. Betrachtet 2 3 4 5 6

Dissertation im Druck. Die Graffiti des 18. Jahrhunderts wurden von mir erstmals 2004 in einem Aufsatz vorgestellt, vgl. Schulz 2004. Vgl. Brassaï 1960. Zitiert nach Zahlten 1993, 28. Vgl. Uhlig – Zahlten 2005, XXXII. Württembergisches Landesmuseum Stuttgart 1987, 942. Zur Person Haugs siehe ibid. 800. Vgl. Schulz 2017, 6 f.

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man für das Ludwigsburger Schloss nun beide Quellengattungen, Graffiti und Depotfunde, ergibt sich ein facettenreiches, wenngleich noch immer fragmentarisches Bild des Alltagslebens im Schloss. Das Graffito ist eines der unmittelbarsten Werke, dass ein Mensch hinterlassen kann – „weil die Menschen den Stein, den Knochen, gebrannte Tontäfelchen, den Papyrus, das Papier, das Tonband, die Diskette bearbeitet haben, ihnen ihr Schaffen anvertraut haben, überleben ihre Werke ihren Schaffensprozeß; die Menschen gehen vorüber, die Werke bleiben.“7 Doris Jones-Baker verweist auf Graffiti als Quellengattung und als Stimme der unprivilegierten Volksschichten, „belonging to the archaeology of history”8, wenn auch die Absicht, die der Zeichner eines Graffito verfolgte, meist unbekannt bleibt und selten nachvollzogen werden kann. Graffiti sind somit Quellen einer informellen Geschichte von Menschen, die sonst in ihrem Leben keine Möglichkeit hatten sich darzustellen. TYPOLOGIE DER LUDWIGSBURGER GRAFFITI Die Ludwigsburger Graffiti lassen sich typologisch folgendermaßen unterscheiden: –

– – –

Text- oder Schriftgraffiti: Namen, Initialen, Jahreszahlen (Spuren, die Menschen hinterlassen haben, mit dem Ziel, an sich zu erinnern. Sie lassen sich mit dem Begriff „Erinnerungskultur“ belegen); Inschriften und Sprüche; Abrechnungen, Kritzeleien (die Nutzung der Wand als Notizblock durch Handwerker oder Archivangestellte). Figurengraffiti: Karikaturen, Figuren, Tiere. Architekturgraffiti: Häuser, Kirchen, sonstige Gebäude. Ornamentgraffiti: Ornamente, Entwürfe und Werkskizzen (die in einem Zusammenhang mit der Schlossausstattung stehen); bautechnische Zeichen; apotropäische Zeichen.

Detlev Kraack und Peter Lingens unterteilen Graffiti in drei Gruppen.9 Da gibt es erstens „schlichte Zeichen, Symbole, Buchstaben und Ziffern“, die sich oft jeder weiterführenden Deutung entziehen. Zu nennen sind hier z. B. Monogramme oder einzelne Jahreszahlen. Die zweite Gruppe bilden „Wörter, Sätze oder Texte“, die denselben Quellenwert wie andere schriftliche Überlieferungen haben und oft Hinweise auf Ereignisse enthalten, die nicht auf Papier fixiert wurden. Als „zeichnerische Darstellungen“ gibt es drittens naive, schlichte Skizzen, aber auch künstlerisch hochwertige Zeichnungen. Kein Merkmal der Begriffsdefinition „Graffito“ und einer Typologie ist die Ausführung, also mit welchen Werkzeugen Graffiti erzeugt sind. In Ludwigsburg 7 8 9

Ricoeur 1991, 191. Jones-Baker 1993, 4. Vgl. Kraack – Lingens 2001, 30 f.

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finden sich im abtragenden Verfahren geritzte Graffiti in Putz, Holz, Glas und gemeißelte Graffiti in Stein. Im auftragenden Verfahren finden sich Graffiti in Rötel, Kohle, Kreide und Grafit auf Putz, Holz und Stein. Dabei ist auffällig, dass im 18. Jahrhundert überwiegend Rötelkreide und im 19. Jahrhundert Grafit benutzt wurde. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert finden sich auch einige Graffiti in Kreide und farbigen Buntstiften oder Wachskreiden. Bei Kohle und Kreide ist wohl auch mit Überlieferungsverlusten zu rechnen, da das Material weniger beständig ist. Im 20. und 21. Jahrhundert werden Graffiti vor allem geritzt oder mit dem Bleistift und Kugelschreiber aufgebracht. Gesprayte Graffiti – die Technik, unter der wir uns heute vor allem Graffiti vorstellen – gibt es im Ludwigsburger Schloss überhaupt keine. STATISTISCHE AUSWERTUNG DER GRAFFITI Von den rund 891 erfassten Graffiti im Ludwigsburger Schloss sind 387 datiert (Abb. 1). Davon entfallen lediglich 7,5 % auf das 18. Jahrhundert. Nur fünf Graffiti stammen aus der Regierungszeit des Schlossbauherrn Herzog Eberhard Ludwig 1716–1731, 24 entstammen der Zeit Herzog Carl Eugens, bzw. der bis zu seiner Mündigkeit regierenden Administratoren 1737–1790. 46 % der Graffiti stammen aus dem 19. Jahrhundert. Davon entfallen zwölf auf die Zeit König Friedrichs, bzw. der Königinwitwe Charlotte Mathilde 1797–1828, 45 Graffiti wurden zwischen 1828–1864 und 120 zwischen 1865–1918 angebracht. 46,5 % aller datierten Graffiti wurden im 20. Jahrhundert angebracht: 46 im Zeitraum von 1919–1949, 74 von 1950–1979 und 61 von 1980–2006. Nimmt man zu den datierten die undatierten Schriftgraffiti hinzu und analysiert das Schriftbild, ergibt sich folgendes Bild: 17 % der Schriftgraffiti stammen aus dem 18. Jahrhundert (80 undatiert, 29 datiert), 44 % aus dem 19. Jahrhundert (95 undatiert, 177 datiert) und 39 % aus dem 20. Jahrhundert (67 undatiert, 179 datiert). Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man die zeichnerischen Graffiti betrachtet: 59 % stammen aus dem 18. Jahrhundert (156 von 264 erfassten zeichnerischen Graffiti), 15 % entfallen auf das 19. und 26 % auf das 20. Jahrhundert (40, bzw. 68 von 264). Fasst man dann die zeichnerischen mit den Schriftgraffiti zusammen, ergibt sich fast eine exakte Drittelung: 30 % aller Graffiti stammen aus dem 18. Jahrhundert, 35 % aus dem 19. Jahrhundert und 35 % aus dem 20. Jahrhundert. Dies belegt schließlich, dass das Hinterlassen von Graffiti durch alle Jahrhunderte annähernd gleich gebräuchlich war, wenn auch mit verschiedenen Intentionen. Allerdings wäre der Bestand an Graffiti des 18. Jahrhunderts wesentlich höher, würde man alle Wandflächen untersuchen.

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Abb. 1: Statistische Auswertung der Graffiti (D. Schulz).

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ERINNERUNGSKULTUR: NAMEN, INITIALEN UND JAHRESZAHLEN An den Schlossmauern verewigten sich Handwerker, Wachsoldaten und Besucher. Viele hinterließen nur einen Namen, oft nur die Initialen, manchmal auch nur eine Jahreszahl, was besonders auf das 18. Jahrhundert zutrifft. In dieser Zeit wurde aber auch viel Witz getrieben. Im nordöstlichen Treppenhaus im Festinbau wurde im 18. Jahrhundert sogar ein Alphabet an die Wand geschrieben und darunter steht „der das geschrieben hat ist ein Prafer (?)“. Direkt daneben hat jemand ein lateinisches „Vater Unser“ angeschrieben, das aber mittendrin bei „wie im Himmel so auf Erden“ abreißt. Im Zwischenboden des Alten Corps de logis (Alter Hauptbau, das erste Schlossgebäude) schrieb jemand ebenfalls im 18. Jahrhundert „[---] der alte iß ein praffes [braver] Mann er thut wie Wanndputz“, d. h. er haftet zuverlässig. Und um 1730 schrieb jemand in Raum 259, Neues Corps de logis an die Wand: „Wer in das Zimmer scheist der soll den Dreck mit der hand zum fenster raus werfen“. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden die Personen mitteilungsbedürftiger – wir erfahren Namen, ein Datum, einen Beruf, die Herkunft, eine Mitteilung. Die Mitteilungen, die sie hinterlassen haben, reichen von Liebesschwüren bis zum Beschreiben ihrer Tätigkeit im Schloss. Wir erfahren, wer wen liebte und wer welche Fenster repariert hat. Im alten Corps de logis haben sich z. B. mehrere Mitglieder einer Glaserfamilie nebeneinander verewigt. Hierher oder in das Treppenhaus im Glockenturm der Ordenskapelle kamen nur Handwerker. Treppenhäuser und Portale sind Orte, die leicht für Besucher zugänglich sind, denn in den Treppenhäusern, den Galerien oder dem Gardesaal verweilten Wartende, aber auch die Wachen. Auf den Brüstungen der Treppenhäuser im Neuen Corps de logis (Raum 128a, 163a) sind u. a. folgende datierte Inschriften eingemeißelt: „MK 1737“, „HH 1738“ (die Zahl „1“ erinnert an das Symbol eines Ankers), „HSPVW 1738 DEW“, „ATBE 1738“, „HIRFS 1739“ und „BM 1781“. Eine aufwendigere Verewigung hat „HMK“ vorgenommen, indem er über seinen Initialen eine Brezel (oder ein heraldisches Symbol?) einmeißelte und das ganze einrahmte. Daneben sind zahlreiche andere Ritzungen zu sehen, u. a. „HM“ und „iFM“ mit drei gekreuzten Degen, ein Hinweis, dass es vermutlich Wachsoldaten waren, die ihre Monogramme in den Sandstein gemeißelt haben. Das bloße Initial gewährt eine gewisse Anonymität, es richtet sich an Eingeweihte. Ähnliche Monogramme, gekreuzte Degen und Kreuze finden sich auch am Portal des Alten Corps de logis: „IHKF 1739“, „FKM 1741“, „iMTS 1743“, „SH 1744 HCS“, „HGG 1747“, „HFK 1747“, „G.E.O.RG VSLT ANO 1747“ (daneben ein Schwert oder Dolch), „MK 1751“, „HB 1797“. Beide Portallaibungen haben auffällige tiefe Längsriefen im Sandstein. Eine Erklärung wäre, dass die Wachen dort immer wieder ihre Säbel oder Degen gewetzt haben.10 Im Schloss haben sich Menschen verewigt, die ansonsten in der Geschichte nicht hervorgetreten sind. Sie haben sich ihr Denkmal der „Erinnerungskultur“ geschaffen. 300 Jahre Schloss Ludwigsburg: 1704, 1804, 1904, 2004 – nicht ganz 10 Heller 1993, 226–229.

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zu jedem Jahr, aber mindestens aus jedem Jahrzehnt der Geschichte des Ludwigsburger Schlosses findet sich ein Graffito. Hier folgt eine chronologische Auswahl aus den Seiten dieses „Geschichtskalenders“ (Abb. 2): – In eine Scheibe im Gardesaal des Alten Corps de logis wurde der Spruch „si tout les vis volet 1716“ geritzt (Abb. 2/1).11 An der Westfassade der Schlosskirche findet sich unter dem obersten Gesims eine in einen Kasten gesetzte große Rötelinschrift. Sie besteht vermutlich aus dem Vor- und Nachnamen, dem Herkunftsort und einem Spruch, vermutlich von einem Dachdecker. Lesbar sind aber nur der Vorname „Johann“ und die Datierung „Ano 1717“ (Abb. 2/2). Der Bau der Schlosskirche wurde 1715 begonnen und nach dem Einwölben der Kuppel begann 1718 der Innenausbau.12 „Johannes Streitl 1721“ ist im Vorsaal der alten Bildergalerie im Alten Corps de logis in einer Fensterlaibung zu lesen, „HR 1722“ steht auf einer Vase aus Stuck im ersten Stock des Treppenhauses geritzt (Abb. 2/3) und im Dachgeschoss ist mit Kreide „MBH 1728“ angeschrieben. Auf einem Wandpfeiler in der Sala Terrana im Neuen Corps de logis steht „Esel Matheis 1728“, in Raum 249 steht nur „1731“. Zu jener Zeit war der Innenausbau des Neuen Corps de logis in vollem Gange. Zwei Jahre später verstarb der Schlosserbauer Herzog Eberhard Ludwig im Jahr 1733. – Auf der Brüstung im Treppenhaus der Königin im Neuen Corps de logis steht u. a. „.H.H. 1738“; „iMTS 1743“, am Portal des Alten Corps de logis findet sich „MK 1751“ (wir sind jetzt in der Regierungszeit Herzog Carl Eugens (1744–1793) und in einer aufwendig in den Stein gemeißelten Rahmung in der Sala Terrana im Neuen Corps de logis steht „CRAR 1753“ (Abb. 2/4). Im Festinbau steht in einer Dachgaube ein Spruch, vermutlich eines Dachdeckers: „Zum Creitz und leidten bin ich gemacht gott fahr mihr zur fall ich heit und nicht das gelt (?) 1768“ – sinngemäß hofft er also, dass ihm nur das Geld aus der Tasche rutscht und vom Dach fällt und nicht er (Abb. 2/5). Im Zwickelraum über dem Marmorsaal verewigte sich „Hiller“. Die weiter unten stehenden Zahlen „1767“, „1777“ haben keinen Bezug zum Namen, sie hat wohl jemand anderes geritzt, der anonym bleibt. Es scheint sich aber in 1777 um eine Bezugnahme auf die zehn Jahre ältere Ritzung zu handeln. Auf dem Sockel einer der Vasen auf der Treppenbalustrade im Alten Corps de logis ist „C.F.R.“, „HF“ und „.I.C.F.G. 1790“ geritzt (Abb. 2/6). – Dann folgen wir den wenigen Spuren aus der Regierungszeit Friedrichs (1797–1816), Herzog, Kurfürst, dann König, und seiner Frau Charlotte Mathilde (gest. 1828). Unter der nördlichen Treppe der Schlosskirche steht mit schwarzer Farbe „Weigel 1798“ angeschrieben (Abb. 2/7). Wieder an der Westfassade der Schlosskirche finden sich unter dem obersten Gesims mehrere Namen: „Honorus Honorusys / Jacob Marqwardt / von Massenbach [? Bei Schwaigern, Anm. d. Verf.] / Anton Schnekenbürzer von Deilingen [bei 11 „Vis“ ist die Schraube, „volet“ der Fensterladen oder „voler“ fliegen – sinngemäß „Wenn alle Schrauben fliegen“ oder „Alle Schrauben sind im Fensterladen“. 12 Vgl. Wenger 1998, 19.

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Balingen, Anm. d. Verf.] Ano 1812“. Die Kirche muss zu diesem Zeitpunkt wieder eingerüstet gewesen sein, denn diese Stelle lässt sich sonst nicht erreichen. Eine ebenso ungewöhnliche Stelle ist das Innere des großen Fasses im Keller unter dem Spielpavillon. Dort finden sich zahlreiche Kreideinschriften von Küfern und Küferknechten, z. B. von „Christian Friedrich Schelling von Derdingen ano 1820 Küferknecht“ (Abb. 2/8). Auf einer Tür im dritten Stock des Alten Corps des Logs verewigte sich „Christian 1825“, in eine andere Tür ritzte sich „Wenzler 1844“ ein. – Am Dachfenster im Festinbau stehen die Initialen „K. D. 1879 b. 1898“, in ein marmornes Türgewände in der westlichen Galerie am Alten Corps de logis ist geritzt „Klemm Maler 1884“ und im Treppenhaus des Glockenturms der Ordenskapelle verewigte sich „W. Wanner von Urach 1893“. Dort erfahren wir auch „Richard Drexel u. W. Wanner haben hier oben Tauben verjagt!! […] 1894“ (Abb. 2/9). – In einem Kasten mit einem flammenden Herz im dritten Stock des Alten Corps de logis steht „Paul Albrecht (?) Monteur 20.3.1913, H. Hohenstein Installateur 24.3.1920“. Die Inschriften sind nachträglich ausgestrichen worden. Klara Krautt hat sich auf einer Tür im Erdgeschoss des Neuen Corps de logis mehrfach verewigt: „1932 Klara Krautt Ossweil“. Aus einem anderen Graffito erfahren wir, dass sie am 5. November 1882 geboren ist. „Karl Lillich Elektromeister 29.5.1934“ stand an der Decke der Galerie im zweiten Stock (R. 235). Unter seine Inschrift zeichnete Lillich einen Blitz, der heute noch das Firmenlogo von „Elektro Lillich“ ist.13 In den Arkaden der östlichen Galerie zum Spielpavillon stand in einem Herz: „1939 Helmut Breuninger“ (Abb. 2/10) und in den Arkaden der westlichen Galerie hatten sich ewige Liebe geschworen „Erika + Robert 24.2. [19]57“ (Abb. 2/11) und „Eddy + Marina 7.5.1967“. Im Treppenhaus der Ordenskapelle verewigte sich auf einer Tür „Eckstein Ossweil 1975“, wieder in der westlichen Arkadengalerie stand „Dave loves Gina 1990“ und in einer Dachgaube im Festinbau lesen wir „2001 Wirth“. Im Folgenden stelle ich einige Graffiti des 18. Jahrhunderts aus den verschiedenen Schlossgebäuden vor: Inschriften, Abrechnungen, Sprüchen, Zeichnungen, Karikaturen und Jahreszahlen. Die Wand als Notiz- oder Skizzenblock, manchmal auch als „Schmierpapier“, zu verwenden, war keine Ausnahme, sondern die Regel. Die Wandflächen im Rohbau des Ludwigsburger Schlosses waren offensichtlich ein üblicher Träger für allerlei Notizen und Späße, zumal Papier noch nicht wie heute ständig verfügbar war. Die Ludwigsburger Graffiti bleiben ambivalent, erzählen zwar etwas von der Person, die sie auf die Wand zeichnete oder schrieb und ihrer Zeit, aber niemals alles. Wir erfahren nicht den vollen Grund, der zur 13 Lillich arbeitete bei der Renovierung für die Einrichtung der Büroräume des Technischen Landesamts im zweiten Stock des Neuen Corps de logis. 1937 machte sich Karl Lillich selbständig. Seine Werkstatt befand sich in einem Hasen- und Schweinestall in der Gartenstraße und mit Fahrrad und Leiterwagen wurde zu den Kunden gefahren. Die Firma „Elektro Lillich“ existiert heute noch in Asperg.

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Entstehung der Zeichnungen und Texte führte. Nicht einmal bei den häufigsten Spuren, den Berechnungen, bekommen wir heraus, was gemessen oder errechnet wurde. Die Spuren bleiben Fragment. Was sich die Person damals dachte und was ich als heutiger Betrachter denke, ist nie deckungsgleich.

Abb. 2: „Geschichtskalender“ – Graffiti verschiedener Jahrhunderte aus dem Ludwigsburger Schloss (Fotos: D. Schulz).

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KARIKATUREN AUF HERZOG EBERHARD LUDWIG Den Auftakt zu unserem Ausflug in die Figurenwelt des 18. Jahrhunderts im Ludwigsburger Schloss bilden zwei Karikaturen, deren Zeichner anscheinend den Schlossbauherrn Herzog Eberhard Ludwig im Visier hatten. Die Karikaturen sind recht unauffällig, sowohl von ihrer Größe als auch vom Zeichenstil und Material. Eine Grafitzeichnung in der Bildergalerie im Alten Corps de logis zeigt eine aristokratisch charakterisierte Person (Abb. 3). Der Kopf, im Profil dargestellt, hat markante Details: Das im Vergleich zur Proportion des Gesichtes viel zu kleine Auge, die gerade lange Nase, die schmale abfallende Oberlippe und die vollere Unterlippe. Das Gesicht wird von einer welligen Linie gerahmt, die lockiges langes Haar andeutet, wohl eine Allongeperücke. Schräg gegenüber der Skizze befindet sich über dem Mitteleingang in die Galerie die Stuckbüste Herzog Eberhard Ludwigs, die Donato Giuseppe Frisoni um 1711 anfertigte (Abb. 4).14 Profillinie und Charakter der Zeichnung ähneln dem der Büste. Bei der Zeichnung könnte es sich um eine Werkskizze zur Anbringung der Stuckbüste handeln. Neben der Zeichnung scheint ein Türrahmen angedeutet zu sein, darüber ein Kreis, der den Umfang der Komposition der „Büste“ angibt. Das Gesichtsprofil passt sich in die Kreislinie ein, die Striche vor dem Kopf werden die Wandfläche andeuten. Das Graffito zeigt aber auch Merkmale der Übertreibung, wie die große Nase, ein Stilmittel, das auch Bernini oder Tiepolo in ihren Karikaturen einsetzten.15 Während in der Bildergalerie der Herzog in einer karikierenden Werkskizze erscheint, ist er im Neuen Hauptbau anscheinend Hauptperson einer ungewöhnlich deutlichen Karikatur: Ein junger Fechter ersticht mit entschlossenem Blick einen wohlgekleideten Herrn in modischer Tracht des 18. Jahrhunderts mit einem Dreispitz auf dem Kopf (Abb. 5).16 Während der Dreispitz durch seine lange Spitze verballhornt oder misslungen ist, ist die übrige Kleidung sehr detailliert dargestellt: Die Figur trägt ein Justaucorps mit langer Knopfleiste und aufgesetzten Taschen, Kniebundhose und Stiefel. Der Kopf mit kurzen, lockigen Haaren hat portraithafte Züge. Aus dem Mund scheinen der Figur die Lebensgeister zu entweichen. Rechts oberhalb ist eine weitere Figur sichtbar. Eine übergroße und beleibte Dame versucht anscheinend mit der geballten Faust den Fechter aufzuhalten. Vergleicht man Gesichtszüge, Kleidung – vor allem die aufgesetzten Taschen am Justaucorps – und Statur der Figur mit dem Portrait Eberhard Ludwigs von Antoine Pesne aus dem Jahr 1731, lässt sich eine Ähnlichkeit nicht verleugnen (Abb. 6). Die Karikatur könnte durchaus in derselben Zeit entstanden sein wie das Gemälde, denn um 1731/32 war der Ausbau des Neuen Corps de logis in vollem

14 Vgl. Fleischhauer 1958, 152. 15 Vgl. Brauer – Wittkower 1931, Taf. 149b. 16 Der Fechter stammt von der gleichen Hand, so dass die gesamte Karikatur in einem Zug entstanden ist. Dankenswerter Hinweis von Dr. Corinna Höper, Graphische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart.

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Gange.17 Doch ist wirklich Herzog Eberhard Ludwig dargestellt? Ist dies eine sozialkritische Skizze oder eine Witzzeichnung?

Abb. 3: Karikatur auf Herzog Eberhard Ludwig in der Bildergalerie des Alten Corps de logis (Foto: D. Schulz).

Abb. 4: Stuckbüste des Herzogs von Donato Giuseppe Frisoni über der Tür der Galerie (Foto: D. Schulz). 17 Vgl. Fleischhauer 1958, 193 f. 1727 war das Gebäude bereits bedacht. Zwischen 1725 und 1727 ließe sich also vom Rohbau sprechen, dann von der Ausstattungsphase.

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Abb. 5: Portrait Eberhard Ludwigs von 1731 von Antoine Pesne (Foto: D. Schulz).

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Abb. 6: Graffito Herzog und Fechter (Foto: D. Schulz).

Vor allem die Unterschiede der Kleidung zeigen, dass der Zeichner zwei Personen verschiedenen sozialen Rangs gemeint und dargestellt hat. Auffällig ist, dass der „Herzog“ in den Details genau ausgeführt ist und der Zeichner Wert auf eine Erkennbarkeit der Figur legte. Bei der Figur des Fechters dagegen wurde eher auf eine Nichterkennbarkeit der Figur Wert gelegt. Sie wirkt stereotyp – ein nicht näher identifizierbarer junger Mann, nur mit einem einfachen Hemd, einer Kniebundhose und flachen Schuhen bekleidet. Die Vorstellung, jemand ersteche den Landesherrn Eberhard Ludwig in einer Karikatur, ist gar nicht so abwegig. Die mangelnde Zahlungsmoral des Hofes könnte ein Grund sein, dass einer der Künstler oder Handwerker mit dieser Zeichnung seinem Frust Luft verschaffte. Vielleicht ist der Herzog als eine Art „Windbeutel“ gemeint, der gar nicht ermordet wird, sondern dem die Luft herausgelassen wird. Es gibt in der Geschichte der Karikatur im 18. Jahrhundert kein Vergleichsbeispiel, das in irgendeiner Form Vorbild gewesen sein könnte. Niemand scheint sich getraut zu haben, eine fürstliche Person so darzustellen. Ähnlich drastische Darstellungen gibt es nur zuvor während des 30-jährigen Krieges in Flugblättern auf die Ermordung Wallensteins oder später in William Hogarths „Marriage à la Mode“ von 1745. Im fünften Blatt wird der junge Graf von dem Liebhaber seiner Frau erstochen. Geradezu brutal ist dann James Gillrays 1793 entstandener Stich von der Hinrichtung Ludwig XVI.18

18 Vgl. Hogarth 1986, 133 Abb. 86; vgl. Guratzsch 1986, 77.

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Erst viel später werden in Württemberg vereinzelt Herzog Carl Eugen und dann häufig sein Neffe König Friedrich I. Ziel des Spotts der Karikaturisten.19 Die Karikatur auf Eberhard Ludwig bleibt in ihrer Zeit einzigartig, wohl deshalb zog es der Zeichner auch vor, anonym zu bleiben. Nur der unmittelbar am Schlossbau beteiligte Personenkreis der Handwerker wusste, wer und was gemeint waren. Mit Abschluss der Arbeiten und dem Übertünchen der Wände wurde dieses Wissen verdeckt. SMOKING – NO SMOKING: PFEIFENRAUCHER UND RAUCHGENUSS Im Neuen Corps de logis befanden sich in einem Raum insgesamt vier Karikaturen von Pfeifenrauchern, die unterschiedliche Gesteckpfeifen italienischer sowie klassische Tonpfeifen deutscher Herkunft rauchen (Pfeifenraucher 1–4).20 Die Zeichnungen sind flüchtig an die Wand geworfene, spotthafte Portraits, von Arbeitskollegen oder Vorgesetzten, entstanden um 1725–1733. Am Schlossbau waren Taglöhner aus verschiedenen Nationen beteiligt, es herrschte also ein multikulturelles Getümmel und die unterschiedlichen Pfeifen zeigen, dass jeder seine eigene Tradition hatte. Der Tabakkonsum war schon im 18. Jahrhundert beträchtlich, und weil der Tabakhandel lukrativ war, wollte Herzog Carl Alexander nach Schönleber 1736 in Ludwigsburg eine Tabakfabrik einrichten. Das Ziel sollte sein, ohne ausländische Einfuhren auszukommen.21 „Pfeifenraucher 4“ zeigt die volkskundlich karikierende Beobachtung eines Italieners oder Kroaten, der im Leben sicher einen ausgeprägten Charakterkopf hatte. Er raucht eine für diese Region typische zweiteilige Gesteckpfeife, bei welcher der Pfeifenkopf auf ein Rohr gesteckt wird, das aus einem durchbohrten Stöckchen besteht (Abb. 7). Der Zipfel unter dem Kopf der Figur stellt ein Halstuch, eine Krawatte dar. Wegen der vielen Handwerker aus Oberitalien und dem Balken, die durch ihre Halstücher auffielen, wurde deren Ansiedlung unweit des Schlosses „Krawattendörfle“ genannt.22 Gesteckpfeifen rauchte man in Italien, auf dem Balkan und in Südosteuropa. Wichtigstes Zentrum der Pfeifenherstellung in dieser Region, aus der eine Vielzahl der am Schlossbau Beschäftigten stammte, war Chioggia in der Lagune von Venedig.23 Die Form der Pfeife von „Raucher 4“ gleicht den fassförmigen Pfeifenköpfen aus Chioggia. Der Pfeifenkopf scheint allerdings in frontaler Ansicht wiedergegebenen zu sein, das merkwürdig geknickte Rohr hingegen in Seitenan19 Vgl. Schulz 2017. 20 Vgl. Schulz 2003. Dank für Hinweise zu den Pfeifen und Tabakfunden gilt Martin Kügler vom Arbeitskreis zur Erforschung der Tonpfeifen und Mitherausgeber der Zeitschrift „Knasterkopf“. 21 Vgl. Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL) E 258 VI Bü 2365, Manuskript des Landschaftsregistrators Schönleber zur Geschichte von Ludwigsburg und Umgebung im 18. Jh., Fasz. 9 und 10. 22 Vgl. Schulz 2009, 42–46. 23 Vgl. Articus 1999, 63.

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sicht. Der obere Teil des Pfeifenkopfs könnte einen Deckel zum Schutz vor Funkenflug andeuten.

Abb. 7: Pfeifenraucher 4 mit Gesteckpfeife, deren Kopf den fassförmigen Pfeifen aus Chioggia gleicht (Foto: D. Schulz).

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„Pfeifenraucher 4“ hat offensichtlich nicht nur den Zeichner, sondern auch eine andere Person zu Spott gereizt, denn die Bildunterschrift „Ein Genusmann“ ist mit einem Grafitstift von anderer Hand geschrieben. Dem Leser kommt das Sprichwort „Jemanden in der Pfeife rauchen“ in den Sinn. Wenn man jemanden im übertragenen Sinn in der Pfeife raucht, wird man leicht mit ihm fertig: „Das ist doch kein Gegner für mich“. Es kann gut sein, dass so ein Sprichwort oder ein ähnlicher Witz hinter den Karikaturen steht. So manche Späße der Handwerker werden Zoten gewesen sein. Überhaupt ging es am Schlossbau wohl eher derb zu, wie ja im selben Raum der Spruch über das „Scheißen“ illustriert: "Wer in das Zimmer scheißt, der soll den Dreck mit der Hand zum Fenster rauswerfen". „Pfeifenraucher 1“ raucht ebenfalls eine Gesteckpfeife mit einem Pfeifenkopf in Form eines Tiers oder Männchens.24 Vermutlich ist auch hier ein italienischer oder kroatischer Handwerker karikiert worden, wobei der angedeutete geschwungene Oberlippenbart eher für einen kroatischen Volkstypus spricht. Seine windschnittige Frisur wird durch die Länge der Pfeife betont. Der Pfeifenkopf ist in der Form eines Tieres (Hund oder Eule?) oder eines Männchens gestaltet. Für diesen Kopf findet sich keine genaue Entsprechung im Fundspektrum der ChioggiaPfeifen. Grobe Ähnlichkeit besteht mit Pfeifen in Form menschlicher Köpfe, wie einem Türkenkopf, einem bärtigen Alten mit Hut oder dem „Zuavo“, einer um die Mitte des 18. Jahrhunderts typischen Figur mit Hut und gekräuseltem Schnurrbart.25 Woher dieser Charakter stammt, ist unbekannt, er ist aber vielleicht ein Glücksbringer. „Pfeifenraucher 1“ hat zudem einen ähnlichen Schnurbart wie der „Zuavo“. „Pfeifenraucher 3“ war zunächst als ein großer Kopf mit Grafit gezeichnet. Wahrscheinlich hat dann eine zweite Person mit einem Rötelstift dem Kopf eine Pfeife in den Mund gesteckt, die Gesichtslinie nachgezogen und dann zum Scherz eine Linie kreisförmig aus dem Gesicht herausgezogen.26 Die Kreise symbolisieren vielleicht die Rauchwolke, die den Kopf umgibt. Dieser Raucher raucht eine sehr lange einteilige Tonpfeife, aber der Pfeifenkopf ist von Farbschichten verdeckt. Diese Pfeifen waren in Deutschland und Holland verbreitet. Sie waren aber weniger robust, denn das lange Rohr zerbrach recht häufig. „UNSERE KLEINE STADT“: GRAFFITI VON HÄUSERN UND KIRCHEN Im Vorsaal zur Bildergalerie des Alten Corps de logis befinden sich in beiden Seiten einer Fensterlaibung zahlreiche Inschriften und Zeichnungen mehrerer Häuser und anderer Gebäude. Handwerker haben sich hier gewissermaßen ihre eigene kleine Stadt erschaffen. Eine 1721 datierte Namensinschrift gibt Auf24 Abgebildet in Schulz 2003, 155. 25 Vgl. Boscolo 2000, 134. Die Figur tritt, wie andere menschliche Figuren oder Tierformen, vor allem ab ca. 1750 auf (Periode 2). Da aber die Einteilung der Pfeifen von Chioggia nur grob erfolgen kann, ist ein Auftreten solcher Figuren um 1725–1733 durchaus möglich. 26 Abgebildet in Schulz 2003, 156.

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schluss über die Entstehungszeit der Zeichnungen. Der Vorsaal war bis zum Jahr 2001 durch Einbauten unkenntlich und bildete als Flur ohne Tageslicht den Zugang zu diversen Wohnungen. Bei der Wiederherstellung des Vorsaals wurden auch die Graffiti denkmalpflegerisch konserviert. Betrachten wir zunächst die Zeichnungen in der östlichen Fensterlaibung (Abb. 8). Zu sehen sind drei Fachwerkgiebel, ein schwach sichtbares großes Fachwerkhaus mit verputzter Geschosszone, zwei kleine verputzte Häuser oder Steinbauten, zwei Türme, ein längliches Gebäude, ein Türmchen und eine Kuppel, sowie die Profilzeichnung einer Figur, ein gitterartiges Ornament, ein achtförmiger magischer (?) Knoten und unleserliche Inschriften. Die Fachwerke stechen ins Auge, sind bei genauem Hinsehen alle unterschiedlich konstruiert und genau beobachtet. Zum Beispiel zeigt der kleine Fachwerkgiebel „Haus 1“ eine axiale Betonung und eine Gliederung durch K-Streben (gebildet durch Ständer mit Kopf- und Fußstreben) und Andreaskreuze. Auf der Firstspitze sitzt eine Kugel oder ein Halbmond. Die reduzierte und klare Form dieses Giebels, aber auch aller anderen, entspricht üblichen Fachwerkbauten des 18. Jahrhunderts, wie sie in den umliegenden Dörfern überall zu finden sind. Auch in Ludwigsburg waren die meisten Häuser keine massiven Steinbauten, sondern verputzte Fachwerke. In der westlichen Fensterlaibung sind dargestellt: Ein Gebäude mit Aufbau, ein Fachwerkhaus, mehrere Sterne, ein Hirschgeweih, mehrere Namensinschriften, drei Vögel und ein Fantasietier. Auffällig sind im mittleren Teil der Laibung viele kleine Druckspuren im Putz, so als ob hier immer etwas gegen die Wand gestellt worden oder der Fensterflügel dagegen geschlagen hätte. „Haus 5“ ist ein zweistöckiges Gebäude mit einem Fachwerkgiebel und verputzten Geschossen. Der Giebel besteht aus vier Zonen, unten die Giebelschwelle, darüber zwei Riegel und der Kehlbalken. Die vertikale Gliederung erfolgt durch geschosshohe Schwerter parallel zu den Sparren und zwei durchgehende (?) Ständer. Auf dem First sitzt eine Kugel oder Zierscheibe. Im mittleren oberen Fenster steht etwas Unleserliches mit Grafit geschrieben, daneben ist ein Pentagramm gezogen, welches das Haus schützen soll.27 Links des Giebels ist ein kleiner Stern zu sehen, ähnlich dem bei „Haus 1“, und rechts ist ein etwas naiv wirkender Vogel gezeichnet, wohl ein Fasan, mit dem darüber stehenden Namen: „Jacob Beury (?)“. Wahrscheinlich fühlte sich Beury durch die Zeichnung verunglimpft, weshalb er den Namen durchgestrichen hat.28 Über die Zeichnungen von „Haus 5“ und „Gebäude 2“ ist schwungvoll eine Namensinschrift gesetzt: „Johannes Streitl (?) 1721“. Weitere in den Putz geritzte Namen sind links oberhalb von „Gebäude 2“ zu lesen: „Von Körn“; „Von K[-]ttolin[s]ky“; „Von Rieder“; darüber befindet sich eine Berechnung. Vielleicht stammen die eingeritzten Namen von den Pagen am

27 Vgl. dazu unten S. 262 und Abb. 10. 28 Derselbe Name erscheint nochmal auf der gegenüberliegenden Fensterlaibung in einer von Kringeln umschlossenen Grafit-Inschrift, die aber völlig unleserlich ist.

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Hof Carl Eugens, denn die Galerie im zweiten Stock diente ihnen spätestens seit 1767 als Schlafsaal.29

Abb. 8: Graffiti von Häusern in einer Fensterlaibung (Foto: D. Schulz).

29 Vgl. Scholderer 2004, 27. Die Ritzungen müssen nicht zwingend mit den Rötelzeichnungen entstanden sein.

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Im oberen Teil der Laibung fällt die Rötelzeichnung eines weiteren Pentagramms auf; statt spitzer Zacken sind Schlaufen gezogen (s. u. Abb. 10). Rechts daneben befindet sich die etwas naiv wirkende Grafitzeichnung eines Hirschgeweihs mit nebenstehender unleserlicher Inschrift. Weiterhin sind Tiere dargestellt: Die Zeichnung eines Flamingos (?)und vielleicht ein Affe (?) mit langem Schwanz.30 Weiter rechts sind zwei Pfauen gezeichnet. Fasane, Flamingos und Pfauen gab es wahrscheinlich in den herzoglichen Gärten leibhaftig zu sehen, jedenfalls hatte Eberhard Ludwig um das Lustschloss Favorite einen Fasanengarten angelegt, auf den man von hier aus blicken konnte. Dabei scheint der Flamingo etwas Neues gewesen zu sein, da die Zeichnung doch ziemlich misslungen ist. Insgesamt zeigt die westliche Laibung mit den zahlreichen Inschriften, dass die Wand rege beschrieben wurde. Warum sind in der Fensterlaibung im Alten Corps de logis vor allem Fachwerkhäuser dargestellt? Fachwerkbauten sind im 18. Jahrhundert immer noch selbstverständlich. Die Handwerker stellten Häuser dar, deren Bautypus vor allem im ländlichen Raum üblich war und ihnen bekannt war. Zum Bauen bekamen die Handwerker und neuen Bürger der Stadt vor allem Holz gestellt, während Steine lediglich als Fundamentsteine und für die Keller Verwendung fanden. Selbst in Ludwigsburg waren wohl – trotz Vorschrift – nicht alle Häuser sofort verputzt, sondern die Fachwerkkonstruktion blieb eine zeitlang sichtbar. Allerdings gab es in der Stadt höchstens in den Hinterhöfen oder in der unteren Stadt giebelständige Gebäude, während an den Straßenzügen nur traufständige Häuser standen. Zwar sind hier dennoch wahrscheinlich keine realen Häuser gezeichnet worden, aber um gedankenlose Kritzeleien handelt es sich bei den Hausdarstellungen wohl kaum. Dafür sind zu viele unterschiedliche und detaillierte Haustypen auf zu engem Raum abgebildet. Doch was dachten sich die Zeichner? Vertrieben sich die Handwerker mit den Skizzen die Langeweile? Gab es Engpässe im Bauablauf, so dass sie sich einfach die Zeit vertreiben mussten? Gab es Gespräche über Haustypen und Konstruktionsweisen? Ein Zusammenhang der Häuschen besteht vermutlich zur Ansiedlung der Bauarbeiter und Handwerker. Um 1707 wurde die sog. „Colonie“31, Krawattendörfle genannt, in der heutigen Bauhofstraße angelegt, bzw. wurden dort Bauplätze zur Verfügung gestellt. Jedenfalls dürfte die Gegend mit ihren Häuschen, Hütten und Baracken ein buntes Bild geboten haben, ähnlich jener Ansammlung gezeichneter Häuser. Andere Gebäudezeichnungen scheinen herrschaftliche Bauten dazustellen und könnten etwas mit den Umbauten am Alten Corps de logis zu tun haben, die 1721 in vollem Gange waren. So könnte das „Gebäude 1“, ein mit klarem festem Strich gezeichneter, langgestreckter, rechteckiger Bau mit drei Portalöffnungen oder Arkaden in der Mitte einen Entwurf der geplanten Substruktionsmauern an der Nordseite des Alten Corps de logis darstellen. Frisonis Erweiterungsentwurf von 1721 sah eine Verbreiterung des Gebäudes nach Norden vor, das sich dann über 30 Allerdings ist beim Flamingo der Schnabel anders gebogen, d. h. hier hätte der Zeichner nicht genau beobachtet. 31 Sting 2000, 66.

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mächtigen Substruktionsmauern und Terrassen erheben sollte.32 Es könnte aber auch das Erdgeschoss des Alten Hauptbaus mit dem nordseitigen Portal und weiteren Portalöffnungen statt der Fenster gemeint sein oder die ehemaligen Kaskadennischen im Unterbau der Terrasse. Für einen deutlicheren Zusammenhang mit den Baumaßnahmen am Alten Corps de logis spricht „Turm 1“. Der Zeichner hat zunächst eine Mittelachse gezeichnet, die zugleich die Spitze des Türmchens bildet. Das Türmchen zeigt scheinbar rechts und links der Achse unterschiedliche Silhouetten einer Dachhaube. Darunter ist ein Alternativentwurf für die Dachhaube gezeichnet, und schließlich hat jemand der Turmspitze scherzhaft eine Blume aufgesetzt. Dachform und Spitze des Türmchens gleichen dem Glockenturm des Alten Corps de logis. Zwischen 1719 und 1722 wurde nach Frisonis Plänen das Gebäude mit einem fünfachsigen pavillonartigen Aufbau aufgestockt, in den Bauakten Mezzanin genannt.33 Der Aufbau erhielt ein hohes Mansardenwalmdach mit Uhrgehäuse und dem Glockenturm. Es ist also nicht abwegig, dass Graffiti im Zusammenhang mit der Bauplanung und Ausführung stehen. Das scheint auch auf diverse Kirchendarstellungen in der nordöstlichen Wendeltreppe des Festinbaus zuzutreffen. „Turm 1“ ist in klaren Linien um eine angerissene Mittellinie konstruiert; die Zeichnung könnte durchaus von der Hand eines geübten Bauzeichners stammen. Über dem Schaft erhebt sich der sanft geschwungene, glockenförmige Turmhelm, darüber eine Galerie mit doppeltem Rundbogenfenster. Obenauf sitzt die Turmhaube, bzw. Laterne, deren Form an eine längliche Zwiebel, Vase oder Amphora erinnert. Ganz ähnlich sind die Türme in Frisonis erstem Entwurf zur Fassade der Stadtkirche von 1717 dargestellt, deren Bau sich aber unglaublich lange hinzog. Erst 1726 wurde ein Akkord zur Erbauung der Kirchtürme mit Baumeister Friedrich Weyhing geschlossen und die Zimmerarbeiten an Werkmeister Johann Leonhard Frey vergeben. 1729 waren die zwei untersten Stockwerke fertig „wie auch die Dachstühle“.34 „Turm 3“ zeigt dagegen einen glockenförmigen Turmhelm, der Ähnlichkeit mit Rettis Entwurf der reformierten Kirche gegenüber der Stadtkirche am Markt hat, die er ab 1731 plante. Der Kirchenbau war bereits 1721 begonnen worden, allerdings kamen die Bauarbeiten schnell ins Stocken. Erst 1732 wurde die Kirche von Kreisbaumeister Frey weitergebaut und 1738 fertiggestellt.35

32 Vgl. Olschewski 2004, 54. Diese Maßnahmen kamen aber über die Arbeiten an den Fundamenten nie hinaus. 1724 wurde Retti angewiesen, das Begonnene abzubauen und die Terrasse samt Treppe und Wachhäuschen wieder herzustellen. 33 Durch den Aufbau wurde der ehemalige Dachboden der Flachdachkonstruktion Nettes zu einem Zwischenboden. Schon der Beginn der Arbeiten zog sich hin. Im Juni 1719 standen die Arbeiten am Dachwerk samt der „Cuppel“ noch aus (Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStAS) A 282 Bü 810, Schreiben Frisonis an den Herzog vom 22. Juni 1719) und im Oktober waren die „Mezoline“ (Mezzanin) und das Dach immer noch nicht fertig gestellt (HStAS A 5 Bü 92, Kabinettsakten, Schreiben vom 6. Oktober 1719). 34 Zilling 1777, 93 (neue Zählung der Kopie im Stadtarchiv Ludwigsburg (Stadt ALB) S40/5). 35 Vgl. Sting 2000, 136 f.

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ENTWÜRFE UND WERKSKIZZEN Im westlichen Kavaliersbau befindet sich ein interessantes Graffito auf der Südwand in Raum 227. Ein jugendlicher nackter Ganymed mit erhobenem linkem Arm scheint sich an den Rahmen eines Wandfelds zu lehnen (Abb. 9). Von dieser Rahmendekoration einer Raumausstattung um 1788 ist größtenteils nur die Vorzeichnung mit Bleistift sichtbar. Tatsächlich liegt die Figur unter der jüngeren Dekoration und ist sicher bauzeitlich. War der Körper noch detailliert vom Zeichner ausgeführt, ist der Kopf abstrahiert: Ein Kreis mit Strichen – wie eine Sonne – , die wohl Haare darstellen sollen. In diesen gesichtslosen Kopf hat eine zweite Person mit Grafit das Gesicht des älteren, bärtigen Göttervaters Zeus eingezeichnet. Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Zeichnung und dem Deckenbild „die Entführung des Ganymed in den Olymp“ aus dem Umkreis von Luca Antonio Colomba um 1720. Das Bild, unter einer abgehängten Decke verborgen, war für diesen Raum mit seinem individuell ausgeprägten Deckenspiegel angefertigt worden, was die deutlich am Rand der Leinwand erkennbare Malkante beweist, die bei Beschnitt oder einer Formatänderung nicht mehr vorhanden wäre.36 Die Rötelzeichnung könnte ein Entwurf zum Deckenbild sein, da die Körperhaltung des Ganymed mit der Ausführung in Öl deutlich übereinstimmt. Die Figur ist allerdings recht dilettantisch gezeichnet. Warum ist der Kopf so eigenartig abstrahiert und das Gesicht des Zeus hinein gezeichnet? Warum ist er nicht als eigene Figur dargestellt? Es muss sich anders verhalten: Die Zeichnung scheint kein Entwurf, sondern eine Persiflage auf das Deckenbild zu sein. Die Handwerker oder Arbeiter haben sich über den Pathos von Colombas Bild lustig gemacht und ihre Späße an der Wand getrieben, so auch neben Ganymed die Witzfigur eines kleinen Männchens gezeichnet. Einer malte vielleicht den Ganymed, ein Anderer in die Figur des Jünglings das Gesicht des Älteren. Ob den Zeichnern bewusst war, dass sie die Idee der platonischen Liebe illustrierten? Zwei Personen Verschmelzen zu einer. In verschiedenen Schlossgebäuden finden sich noch andere Graffiti als ornamentale Werkskizzen der dekorativen Ausgestaltung. Im Erdgeschoss des Neuen Corps de logis (Raum 4, heute Lapidarium) sind Entwurfszeichnungen für das vom Fürstenhut bekrönte Monogramm „EL“ des Schlossbauherrn Herzog Eberhard Ludwig zu sehen. Damit verraten die Zeichnungen unmissverständlich ihre Entstehungszeit zwischen 1725 und 1733. Es scheint, als seien die Wandflächen einer Fensterlaibung und einer angrenzenden Wand als Übungsfläche benutzt worden. Die großen Initialen stehen ineinander verschlungenen auf einer Art Rollwerk oder Volute, links richtig herum, rechts gespiegelt. Die Buchstaben enden in Akanthusblättern und über dem Monogramm sitzt ein detailreicher, souverän und realistisch gezeichneter Herzogshut. Der Reif ist mit Hermelin verkleidet, die purpurne Mütze von Bügeln eingefasst, die Perlen zieren, und obenauf sitzt der 36 Freundliche Auskunft von Frau Iris Henke, Restauratorin.

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Reichsapfel. Links deutet ein Pfeil zu einem zweiten Herzogshut, der, mit wenigen Strichen abstrahiert, flott an die Wand geworfen wurde. Daneben befinden sich auch noch ein unvollendeter Reichsapfel (dem Kreuz fehlt der Querbalken) und der Name „Fridrich“. Neben dem großen Monogramm befindet sich rechts ein kleineres mit Grafit gezeichnet, aber weniger detailreich. Der Reichsapfel auf dem Herzogshut ist nur als Ring angedeutet, der ein hohes Kreuz trägt. Dann sind noch mehrere herzogliche Monogramme ohne Herzogshut aufgezeichnet. Bei einem findet sich die Inschrift „ELutt [Eberhard Luttwig (Ludwig), Anm. d. Verf.] ich habe zieret“– Aufschluss über das „ich“ gibt es aber nicht. Auch der Namenszug des Herzogs Eberhard, feingliedrig in Rötel ausgeführt, erscheint an der Wand. Darüber hinaus gibt es noch einen Knoten und mehrere Sterne, die wohl Hexagramme oder Pentagramme werden sollten.

Abb. 9: Ganymed, Graffito im westlichen Kavaliersbau, eine Persiflage (?) auf Colombas Deckenbild (Foto: D. Schulz).

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Die Skizzen sind Übungsentwürfe für das herzogliche Monogramm und den Fürstenhut, die sich allerorts in Ludwigsburg finden. In unsere gegenwärtige Formensprache übertragen, entspräche das herzogliche Monogramm den Tags der Writer. Entstanden aus der Tradition der Erinnerungsgraffiti, besteht es „in der Regel nur aus dem Namen (oder Pseudonym) des Sprühers (Writing-Name)“,37 oft stark stilisiert, grafisch überzeichnet und damit kaum noch dechiffrierbar. APOTROPÄISCHE GRAFFITI: PENTAGRAMME, HEXAGRAMME UND KNOTEN Im Ludwigsburger Schloss gibt es einige Graffiti, die zunächst rätselhaft sind: Labyrinthe, Knoten und Sterne (Hexagramme und Pentagramme), die keine Dekorationsentwürfe sind. Da an verschiedenen Stellen eindeutig Pentagramme, so genannte Drudenfüße zu finden sind, ist zu überlegen, ob die im Folgenden vorgestellten symbolhaften Ornamente insgesamt apotropäischen Charakter haben und die labyrinthartigen Formen als Knoten anzusprechen sind.38 Natürlich haben alle diese Formen auch einen spielerischen Charakter, da ja zumindest das Pentagramm in einer durchgehenden Linie ohne Absetzen gezeichnet werden muss, was auch auf die Knoten bzw. Labyrinthe zuzutreffen scheint. Deshalb soll hier die Interpretation auch nicht überstrapaziert werden. Seit der Antike ist das Pentagramm, später auch als „Drudenstern“ oder „Drudenfuß“ bezeichnet, ein magisches, apotropäisches Zeichen, das alle bösen Einflüsse abwehren sollte. Der „Drud“ oder „Trud“ ist ein Plagegeist, der den Menschen bedroht. Im Aberglauben soll das Pentagramm vor bösen Geistern, dem bösen Blick, Toten, Hexen, Krankheit und Unheil schützen. Die fünf Zacken des Drudensterns symbolisieren die fünf Wunden Christi. Soll das Pentagramm seine Wirkung entfalten, muss es in einer durchlaufenden, also einer unendlichen Linie, in einem Zug gezeichnet werden, ohne dass der Stift abgesetzt wird. Oft wird es als Schutz gegen Hexen an Türen, Bettstellen etc. angemalt.39 In Pfisterers „Barockes Welttheater“ von 1716 gibt es z. B. die Darstellung eines entlassenen herumziehenden Soldaten mit seiner Frau. Sie trägt auf dem Rücken das Kind in einer Wiege, die durch ein Pentagramm geschützt ist, und auch auf einem anderen Blatt ist am Fußende einer Kinderwiege ein Pentagramm angebracht.40 Pentagramm und Hexagramm versinnbildlichen die sichtbare und unsichtbare Welt. Die Ambivalenz dieser Zeichen kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie auch von Dämonen verwendet wurden, um sich zum Menschen Zutritt verschaffen zu können. Das Hexagramm, ist ein sechszackiger Stern, auch „Salomonssiegel“ genannt, der aus einem aufrechten und einem darüber gestürzten Dreieck gebildet wird. Es 37 van Treeck 1993, 148 38 Dankenswerte Hinweise: Walter Schweiger, Volkskundemuseum in Graz; Gustav Schöck, Landesstelle für Volkskunde Stuttgart 39 Vgl. Adler – Mandl 1991, 86; Seligmann 1910, 293 f. 40 Vgl. Pfisterer 1996.

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dient wie das Pentagramm dem Aberglauben und ist ein Schutzzeichen. Die Seiten der beiden Dreiecke stellen die sechs Seiten der Welt dar (oben, unten, vorn, hinten, rechts, links); die drei geraden Striche symbolisieren die heilige Trias.41 Vielfach wird das Hexagramm auch „Schild Davids“ genannt, weil dieser sich nach der Überlieferung dadurch unverwundbar gemacht habe.42 Oft sind allerdings Pentagramm, Hexagramm und Oktagramm variiert, dienen aber im Prinzip demselben abergläubischen Zweck. In der Fensterlaibung im Vorsaal der Bildergalerie (Altes Corps de logis) – wir kennen diesen Ort schon von den Häusergraffiti – befindet sich ein mit Grafit gezeichnetes Pentagramm über der Zeichnung eines Fachwerkhauses, das dadurch möglicherweise geschützt werden sollte (Abb. 10; s. dazu schon S. 255). Oberhalb des Hauses erscheint ein weiteres Pentagramm. Da die Enden statt in Spitzen in Schlaufen auslaufen, scheint es sich hierbei nur um eine Spielerei zu handeln. Ferner ist noch ein kleiner sechszackiger Stern zu sehen, der auch nichts als ein Stern sein mag, und nochmals in der gegenüberliegenden Laibung neben einem eindeutigen Hexagramm erscheint. Drei eingeritzte Hexagramme finden sich noch in der nördlichen Treppe der Schlosskirche. In der westlichen Dienerschaftstreppe (Neues Corps de logis) befinden sich neben Bandelwerk-Entwürfen ein Pentagramm, aber auch drei siebenzackige Sterne. Der Siebenstern (Heptagramm) gilt ebenfalls als unheilabwehrendes Zeichen.43 Allerdings könnte es sich hier auch nur um misslungene Pentagramme oder um „Spielfiguren“ handeln, denn in Raum 4 im Erdgeschoss sind neben den Entwürfen des herzoglichen Monogramms weitere misslungene Penta- oder Hexagramme zu sehen. Es scheint sich hier um ein Übungsfeld zu handeln, auf dem versucht wurde, eine solche geometrische Form zeichnerisch zu bewältigen. So ist ein Hexagramm gleichmäßiger als ein Pentagramm, aber die Winkel sind schwieriger zu zeichnen. Dass manche der Drudenfüße offenbar hastig gezeichnet wurden, kann durchaus an der Hektik der jeweiligen Situation gelegen haben. Da es sich hierbei um magische Zeichen handelte, war eine Geheimhaltung unbedingt erforderlich. Wird der Drudenfuß vor seiner Vollendung von jemand anderem gesehen, ist er unwirksam. Auch ein zeichnerisch misslungener Drudenfuß kann seine Wirkung nicht entfalten. Im Ludwigsburger Schloss gibt es auch einige Knotendarstellungen, die mit mittelalterlichen Knotengraffiti vergleichbar sind, wie sie vielfach in englischen Kirchen dokumentiert wurden.44 Im Vorsaal der Bildergalerie (Altes Corps de logis) befindet sich bei einer Hausdarstellung ein Knoten in Form einer „8“ oder Schlaufe, deren sich kreuzenden Linien in der Mitte neun Rauten bilden. Diese Form entspricht auch dem Zeichen der Unendlichkeit. Ein mehrfach verschlunge41 Vgl. Seligmann 1910, 295; Pritchard 1967, 88. 42 Vgl. Hansmann – Kriss-Rettenbeck 1977, 238. 43 Im Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen gibt es auf einer Wand in der Galerie zur Sommerstube ein Graffito mit Drudenfuß und Siebenstern (Heptagramm). Die Wand trägt eine Schmuckmalerei des 18. Jahrhunderts und die Jahreszahlen 1762 und 1789. Vgl. Bentle 1995, 77. 44 Vgl. Pritchard 1967, 86 Abb. 119. 43. 71.

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ner Knoten befindet sich im nördlichen Treppenhaus im Ordensbau. Es handelt sich um einen sog. Salomonsknoten, konstruiert aus zwei übereinanderliegenden Achten bzw. einer Swastika.45 Ein ganz ähnlich konstruierter, aber weniger kunstvoll verschlungener Knoten ist bei der Darstellung des Herzogshuts zu sehen (Raum 4, Neues Corps de logis), daneben gibt es noch einen misslungenen Knoten.

Abb. 10: Ein mit Grafit gezeichnetes Pentagramm über der Zeichnung eines Fachwerkhauses, soll dieses möglicherweise schützen (Foto: D. Schulz). 45 Vgl. Pritchard 1967, 33 Abb. 43. Vgl. Biedermann 2000, 238 (Stichwort: Knoten).

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Wie sehr der Aberglauben noch im 18. Jahrhundert verbreitet war, zeigen zahlreiche Hexenprozesse. Als Herzog Eberhard Ludwig sich 1730 von seiner langjährigen Mätresse Wilhelmine von Grävenitz trenne, wurde ihr der Prozess gemacht. Ein Vorwurf lautete, sie habe den Herzog verhext und versucht, sich dessen Blut und Haare zu beschaffen. Übrigens belegen nicht nur dieser Fall und die vorgestellten Graffiti magische Praktiken, bzw. Aberglauben, sondern auch unter den Fußböden deponierte Objekte. Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass Graffiti eine ernst zu nehmende Quellengattung sind. Sie bereichern im Ludwigsburger Fall die Schloss- und Ausstattungsgeschichte ungemein, da sie einen Einblick in den Baualltag gewähren, der den Schlossbauakten kaum zu entnehmen ist. So schließe ich diese Darstellung mit einem Zitat von Doris Jones-Baker, denn dieses gilt auch für die Graffiti des Ludwigsburger Schlosses. Sie betrachtet Graffiti als Aufzeichnungen oder Statements, „as records of secular life, as historic records, as records of names and initials, as a local record of natural happenings, as a record of religious life in the parish, as record of the design and fabric of buildings, record of the church builders: architects, masons and craftsmen.”46 Sie sind manchmal nichts als kleine Randnotizen, aber sie bereichern die klassische kunsthistorische Sichtweise ungemein. ENGLISH ABSTRACT Schloss Ludwigsburg, built between 1704 and 1733 by Duke Eberhard Ludwig of Wurttemberg, is one of the few great baroque residences of Germany which did not get any significant damage during the Second World War. The castle complex has undergone many changes due to its constant use. In the original building, unexpected discoveries are possible, floors and walls reveal secrets. People – architects, artisans, artists, inhabitants, personal, guards, visitors, tourists, travellers, lovers – have left their marks at the castle. They immortalized themselves on the castle walls, the walls inside, on doors, window panes and statues/reliefs/…. Names, sayings, drawings and cartoons can be found, ranging from incised monograms to hooks, over a period from 1704 to today. Thus the walls of the building become a living history book, a huge stone calendar, which is still being continued. All these backgrounds tell of everyday life from the 300-year history of the castle. There are traces that lie one above the other. The history of the castle is reflected in a continuous process of covering and uncovering; the monument can be a time travel, provided that it is being preserved as an authentic document. The traces are in between "high and low art". They do not only provide information aboutwhat certain persons did or thought but also how they dealed with the castle as their built environment. Traces tell everyday stories and are a part of the monument; they belong to its inventory. 46 Jones-Baker 1993, 5.

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About 15 years ago – I was working as a museum guide in the castle –, I saw many of the graffiti for the first time on the occasion of construction works taking place. From an official point of view, nobody was interested in it when I began with the documentary. Graffiti were partly uncovered and catalogued by myself, a work that ultimately resulted in my PhD dissertation.

ZEUGNISSE DER OPFER Häftlingsgraffiti im Kölner Gestapogefängnis Werner Jung „Sei gegrüßt, meine Frau, aus der Ferne schreibt dein Mann. Weit hinter der Mauer, bei der Gestapo, quält er sich, wenn er zum Fenster schaut. Aber die Freiheit und das liebe Töchterchen sind weit von ihm entfernt. Vergeblich beschmiert er die Wände, indem er Briefe an seine liebe Frau verfasst. Ihm erscheint das Foto seiner Frau an der Wand, und das liebe Töchterchen auf dem Arm. Du wirst heranwachsen und groß werden und die Stütze Deiner Mutter in ihren alten Tagen sein. Mit fester Hand am Steuer des Wagens, der über die Weiten des geliebten Landes fliegt – vergiss nicht, erinnere dich, schau auf das Foto Deines Vaters.“ 1 So schreibt ein unbekannter Gefangener in Kyrillisch auf eine Wand der Zelle 1 im Gefängnis der Kölner Gestapozentrale. Abschiedsworte, die die Adressatin nie erreichten. Es ist eine von über 1.800 sehr eindrücklichen Inschriften, die Häftlinge in lebensbedrohlicher Gestapohaft auf den Wänden hinterlassen haben. Zeichen an der Wand – Worte des Abschieds, des Protestes, der Verzweiflung, der Hoffnung, der Sehnsucht, der Liebe. Diese Gefängniswände sind Wände, die sprechen. Nur durch eine Ironie der Geschichte ist das Gestapohaus mit seinem Gefängnis im Krieg stehen geblieben und danach kaum verändert worden. 1981 wurde die Gedenkstätte Gestapogefängnis eingeweiht, die dank der zahlreichen Inschriften einen ungewöhnlich authentischen Gedenkort von nationalem und europäischem Rang darstellt. Denn die Inschriften der Gefangenen erinnern hier wie kaum an einem anderen Ort sehr eindringlich an die Schrecken der NSHerrschaft. Sie lassen die Häftlinge unmittelbar zu Wort kommen. Dieser Beitrag trägt wie der Vortrag auf der Konferenz im Titel das Wort „Häftlingsgraffiti“. Und doch werde ich im Folgenden von „Wandinschriften“ sprechen, wohl wissend, dass es sich bei den Texten und Zeichnungen der Häftlinge nach allen denkbaren Definitionen um Graffiti handelt. Allein die Tatsache, dass sich die Häftlinge nicht nur auf den Wänden, sondern auf den Zelleninnentüren verewigt haben, spräche dafür. Die Begriffe „Inschriften“ oder „Wandinschriften“ sind jedoch seit der Freilegung der Texte und Zeichnungen im Zuge der Einrichtung der Gedenkstätte Anfang der 1980er Jahre verwendet worden und haben sich eingebürgert. Seinerzeit hat man sich offensichtlich gescheut, den Begriff Graffiti zu verwenden, weil man die ernsthaften Zeugnisse der Häftlinge, die sie in lebensbedrohender Situation im Gefängnis hinterlassen haben, nicht mit einem modernen Medium der Kommunikation, das flüchtig und spaßig daherkam, in 1

Jung 2014, 355 m. Abb. auf 253.

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Verbindung bringen wollte. Deswegen hoffe ich auf Nachsicht, dass ich den Begriff „Wandinschriften“ in diesem Beitrag weiter verwende. DIE GESCHICHTE DES EL-DE-HAUSES Die Kölner Gestapo nutzte von 1935 bis 1945 ein Haus, das nach den Initialen seines Bauherrn Leopold Dahmen EL-DE-Haus (gesprochen: L-D-Haus) genannt wurde.2 Dieses Haus befand und befindet sich mitten in Köln am Appellhofplatz 23–25. Der Kölner Dom ist nicht weit entfernt. Der Name EL-DE-Haus wurde zum Inbegriff der NS-Schreckensherrschaft in Köln, aber auch für den Umgang und die spätere Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte der Stadt nach 1945. Der katholische Goldwaren- und Uhrengroßhändler Leopold Dahmen wohnte mit seiner Familie am Appellhofplatz 21 und hatte dort auch sein Geschäft. Zum Neubau des angrenzenden Hauses ließ er auf dem Eckgrundstück zur Elisenstraße zwei Wohnhäuser abreißen und in den Jahren 1934/35 ein größeres Wohn- und Geschäftsgebäude errichten. Das Gebäude wurde in einer strengen neoklassizistischen Bauweise errichtet und mit einer Tuffsteinfassade sowie einer abgerundeten Hausecke versehen. Der Baustil wurde vom NS-Blatt „Westdeutscher Beobachter“ als zeitgemäß gelobt. Die Eingangstür, die im Original erhalten geblieben ist, versah man mit den Initialen des Hausbesitzers und gab damit dem Haus seinen Namen. Das Haus verfügte über eine eigene Brunnenanlage, die auch heute noch existiert. Garagen wurden ebenso gebaut wie ein Luftschutzraum für rund 60 Personen. Im Sommer 1935 wurde das Haus nach einem Baustillstand noch im Rohbau von der Gestapo in Beschlag genommen. Bereits bestehende Mietverträge mussten aufgelöst werden; der neue Mieter war fortan das Deutsche Reich. Für die Gestapo besaß das repräsentative Gebäude mitten im Herzen der Stadt eine ausgezeichnete Lage, befand es sich doch in unmittelbarer Nähe des Polizeipräsidiums in der Krebsgasse, des Gerichtsgebäudes und des Zentralgefängnisses Klingelpütz. Die Gestapo ließ das Gebäude für ihre Zwecke umbauen: In den vorgesehenen Wohnräumen wurden Büros eingerichtet und in dem oberen von zwei Kellergeschossen das Hausgefängnis mit zehn Zellen geschaffen. Dieses Gefängnis grenzte unmittelbar an die Garage. Am 1. Dezember 1935 nahm hier die Gestapostelle Köln ihren Betrieb auf und beendete ihn erst am 2. März 1945, also wenige Tage vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in der Stadt am 6. März 1945.

2

Vgl. NS-Dokumentationszentrum 2011, 6–15; Kier u. a. 1999, 86–88. 228 f.

Zeugnisse der Opfer

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Abb.1: Außenansicht des EL-DE-Hauses, Köln Appellhofplatz 23-25 Ecke Elisenstraße, 2016 (Foto: J. Neumann. NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln).

DAS HAUSGEFÄNGNIS IM EL-DE-HAUS Unmittelbar nach der Übernahme des EL-DE-Hauses durch die Gestapo wurde im Keller des Gebäudes das Hausgefängnis der Gestapo gebaut (Abb. 2).3 Es sollte vom Prinzip her der Unterbringung von Häftlingen dienen, solange die Gestapo die Verhafteten verhörte. Doch Inschriften belegen, dass Häftlinge mehrere Wochen und sogar Monate dort verbringen mussten. Das Hausgefängnis bestand aus zehn Zellen, Waschräumen und sanitären Einrichtungen sowie aus Räumen für die Wachleute der Gestapo. Bauliche Veränderungen wurden während des Krieges durchgeführt, nachdem das Haus 1943 nach schweren Bombenschäden geräumt und renoviert wurde. In die Zelle 7 wurde eine Dunkelzelle von nur 2,6 m2 mit einer schmalen Steinbank eingebaut, der ein Raum für „verschärfte Verneh3

Die Geschichte der Kölner Gestapo ist aufgrund der schlechten Quellenlage bislang noch nicht in einer wissenschaftlichen Arbeit beschrieben worden. Doch ein entsprechendes Projekt soll 2019 zum Abschluss kommen. Siehe zur Kölner Gestapo Johnson 1999/2001; Daners – Wißkirchen 2013; Lukaßen 2006; Fings 1996; Buhlan – Jung 2000; Rüther 2005; Roth 2010. Einen Überblick zur Gestapo allgemein bei Dams – Stolle 2008.

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mungen“ vorgelagert war. Danach wurde bis zum Ende der Tätigkeit der Gestapo Anfang März 1945 baulich nichts mehr verändert.

Abb. 2: Blick in die Gedenkstätte Gestapogefängnis im Keller des EL-DE-Hauses, Köln (Foto: M. Mennicken. Rheinisches Bildarchiv/rba d018325-33).

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In diesem Zustand ist das Hausgefängnis weitgehend bis heute erhalten geblieben (Abb. 3). Lediglich die Trennwände zwischen den Zellen 2 und 3 sowie den Zellen 5 und 6 wurden nach dem Krieg herausgerissen. Dies ist durch eine hellere Markierung kenntlich gemacht worden. Die ehemaligen Zellen 5 und 6 haben nach dem Krieg lange als Kohlenkeller gedient. Dort ist die originale Wandoberfläche fast völlig zerstört, zumal später die Wände mit Dispersionsfarbe übertüncht wurden. Nur noch auf der (vom Eingang aus gesehen) rechten Seitenwand der Zelle 6 sind oben einige Wandinschriften zu erkennen. Dieser Raum wird daher für eine kleine Ausstellung genutzt. Die Eisengitter zu den Treppenaufgängen Appellhofplatz und Elisenstraße sind original, beim Treppenaufgang zum Eingang Elisenstraße zum Teil nachgebaut. Auch das Eisengitter auf dem Flur zwischen Zelle 1 und dem Versorgungstrakt (Wachräume) der Gestapo ist original. In den letzten Jahrzehnten wurden im Keller allerdings die Leitungen für Erdgas und Telefon auf die Wände verlegt. Der Gefängnistrakt ist über zwei schmale Treppen zu erreichen. Die eine Treppe führt vom Haupteingang Appellhofplatz in das Hausgefängnis. Es ist der Weg, den die meisten Häftlinge gegangen sind und der heute den Zugang zur Gedenkstätte bildet. Die zweite Treppe führt vom Nebeneingang Elisenstraße in den Versorgungstrakt des Hausgefängnisses. Auf den mit Stahlblech beschlagenen Türen der zehn Zellen sind die Originalnummern noch zu erkennen. Die erhaltenen Schlösser funktionieren noch. Die Zellen verteilen sich auf zwei enge, rechtwinklig angelegte Gänge. Vier Zellen (1 bis 4) liegen zur Elisenstraße hin, sechs Zellen (5 bis 10) zum Appellhofplatz. Diese Zweiteilung des Gefängnisses wird noch dadurch verstärkt, dass die Zellen 4 und 5 unterbrochen sind durch den Einbau eines großen Heizungskellers, der sich über zwei Etagen einschließlich des Tiefkellers erstreckt und den Gang zusätzlich verengt. Das Gefängnis liegt im Souterrain, in das durch kleine Fenster Tageslicht dringt. In den Zellen sind die Fenster durch starke Eisengitter, Drahtglas und eiserne Außenläden gesichert. Da das EL-DE-Haus mitten in der Stadt liegt, konnten Geräusche der vielen Häftlinge und Schreie nach draußen dringen, wovon auch Zeitzeugen berichten. Die Größe der Zellen beträgt bei einer Länge von 3,7 m bis 4,2 m und einer Breite von 1,1 m bis 2,3 m zwischen 4,6 m2 (Zelle 8 und 9) und 9,0 m2 (Zelle 6) bzw. 9,3 m2 (Zelle 7). Die zur Elisenstraße gelegenen Zellen 1 und 4 sind mit 5,2 m2 bis 5,3 m2 fast gleich groß. Die Zellen waren für ein bis bestenfalls zwei Personen gedacht, doch wurden sie – insbesondere in den letzten Kriegsjahren – extrem überbelegt. Selbst die Gestapo sprach im November 1944 von einer achtbis zehnfachen Überbelegung, d. h. – geht man von einer normalen Belegung von ein bis zwei Personen aus – acht bis 20 Personen. Nach einer französischen Inschrift sollen in Zelle 6 bis zu 33 Häftlinge eingepfercht gewesen sein.4 An den Wänden und im Boden sind noch deutlich die Einkerbungen für die Befestigung der ursprünglich vorhandenen Pritschen zu erkennen, die wohl in den letzten Monaten des Krieges entfernt wurden, um Platz zu gewinnen. Voneinander getrennte Frauen- und Männertrakte haben nicht bestanden, obwohl häufig behauptet wird, 4

S. u. S. 286.

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dass die Zellen 1 und 4 den Frauentrakt gebildet hätten. Die erhalten gebliebenen Inschriften belegen, dass in beiden Teilen des Gefängnisses sowohl Männer als auch Frauen eingesperrt waren, allerdings nicht gleichzeitig in einer Zelle. Die meisten Inschriften stammen von Frauen. Da die Mehrzahl der Inschriften in den Zellen 1 bis 4 erhalten geblieben sind, befinden sich dort dementsprechend vermehrt Inschriften von Frauen, was Anlass gegeben hat, von einem Frauentrakt zu sprechen.

Abb. 3: Grundriss des EL-DE-Hauses 1944/45 (Zeichnung: U. Beha. NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln).

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Im hinteren Teil des Gefängnistraktes, der nach dem Zwischengitter auf dem Gang hinter Zelle 1 beginnt, befanden sich Aufenthaltsräume der Gestapobeamten, wahrscheinlich auch ein Arzt- oder Sanitätsraum, von dem einige ehemalige Häftlinge berichten, sowie Lagerräume für Gepäck, eine Toilette und ein erhalten gebliebener Wasseranschluss, der links unter dem Treppenaufgang angebracht ist. Von diesem Teil des Gefängnisses aus führt auch der Weg auf den Innenhof, auf dem die Hinrichtungen vollzogen wurden. Im Tiefkeller war bereits mit dem Bau des EL-DE-Hauses ein Hausbunker (Luftschutzraum) errichtet worden. Die Stahltüren und Entlüftungsanlagen des Bunkers sind erhalten geblieben. Die Gefangenen wurden in der Regel nicht oder nicht alle in den Bunker geführt. Die in den Gefängniszellen Verbliebenen mussten bei Bombenangriffen zusätzliche Todesangst ausstehen. Im Tiefkeller wurden Häftlinge gefoltert. Von hier aus waren die Schreie der Gefolterten nicht so leicht zu hören wie aus dem Gefängnis oder den Büros der Gestapobeamten. Viele überlebende Häftlinge berichten von Schreien der dort Gemarterten. Es sollen dort auch Gefängniszellen vorhanden gewesen sein und ein Holzbock, auf dem die Häftlinge angeschnallt wurden. Nach einem Bericht im „Kölnischen Kurier“ vom 23. Oktober 1945 waren seinerzeit noch Reste von Eisenfesseln an den Wänden und Spuren von kleinen Zellen, in denen kaum ein Mensch stehen konnte, zu sehen. Im Tiefkeller ist lediglich eine Inschrift (von Hans Weinsheimer) erhalten geblieben. VERSCHÄRFTER TERROR IM KRIEG: HINRICHTUNGEN AUF DEM GELÄNDE DES EL-DE-HAUSES Der Kriegsbeginn 1939 bedeutete den Schritt in ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß des Terrors. Die Kriegsjahre waren geprägt durch eine Dynamisierung und Radikalisierung der Gestapoarbeit. Insbesondere gegen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene wurde brutal vorgegangen. Während des Krieges wuchs die Zahl der Verhaftungen. So nahm die Kölner Gestapo im August 1943 2.090 Personen fest. Zudem wurden Sonderkommandos gebildet, die wegen ihrer Brutalität besonders berüchtigt waren, wie das „Kommando Bethke“ unter der Leitung von Kommissar Kurt Bethke, das ab April 1944 die Widerstandsbewegung polnischer Offiziere (Fähnriche) bekämpfte, und das „Kommando Kütter“ unter der Leitung von Kommissar Ferdinand Kütter, das ab Herbst 1944 gegen das „Bandenunwesen“ in Köln, d. h. auch gegen Edelweißpiraten und die Widerstandsgruppe Nationalkomitee Freies Deutschland, vorging. Beide Kommandos hatten ihren Sitz in Brauweiler. In den letzten Kriegsmonaten wurde ein weiteres Sonderkommando unter der Leitung von Kommissar Kurt Best gegründet, das im Gerichtsgebäude Appellhofplatz untergebracht war.5 Zunehmende Brutalisierung kennzeichnete die Gestapoarbeit in der Endphase des Krieges. Seit Mitte 1944 erreichte der Terror seinen Höhepunkt. Das Reichs5

Vgl. Rusinek 1989; Daners – Wißkirchen 2013.

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sicherheitshauptamt ermächtigte am 4. November 1944 die örtlichen Stapostellen, Hinrichtungen an „fremdvölkischen Personen“ ohne die bis dahin notwendige Erlaubnis aus der Zentrale in Berlin zu vollstrecken. Die regionalen Stapostellen konnten nun eigenmächtig und noch willkürlicher über Leben und Tod von ausländischen Häftlingen entscheiden. Auf dem Hofgelände des EL-DE-Hauses, das unmittelbar vom Gefängnis aus zu erreichen ist, fanden Hinrichtungen bereits spätestens seit Ende Oktober 1944 statt. Sie wurden vor allem durch Erhängen, seltener durch Erschießen vollzogen. Es war ein transportabler Galgen gebaut worden, an dem sieben Personen gleichzeitig gehängt werden konnten. Für die Hinrichtungen wurde das Galgengerüst aus den Erdgeschossräumen neben der Küche des EL-DE-Hauses geholt und im Innenhof aufgebaut. Der genaue Standort des Galgens ist nicht mehr festzustellen. Vermutlich stand er nicht im heutigen Innenhof, sondern in Höhe des Hintergeländes des Hochbunkers auf dem benachbarten Trümmergrundstück Elisenstraße. Der Galgen war wahrscheinlich hinter einer Mauer abgeschirmt. Jedoch konnten die Hinrichtungen aus den wenigen noch stehen gebliebenen Häusern in der Schwalbengasse und den höheren Stockwerken des EL-DE-Hauses beobachtet werden. Die Leichen wurden auf Wagen der städtischen Müllabfuhr zum Westfriedhof transportiert, wo die Gestapo über ein eigenes Areal, das „Gestapofeld“, verfügte. Dort liegen noch heute 792 Tote begraben, obwohl nach dem Krieg zahlreiche ausländische Opfer in ihre Heimatländer überführt worden sind. Der größte Teil der dort Begrabenen ist nicht hingerichtet worden, sondern durch Bombenangriffe, Hunger oder Seuchen gestorben. Für die Exekutionen wurden Listen der hinzurichtenden Personen zusammengestellt, die wahrscheinlich von den einzelnen Referaten der Kölner Gestapo benannt wurden. Ein Hinrichtungskommando des zuständigen Leiters der Abteilung organisierte die Hinrichtung. Die zur Exekution bestimmten Häftlinge wurden aus dem Hausgefängnis im EL-DE-Haus sowie den Haftstätten und den Lagern – insbesondere aus dem Zentralgefängnis Klingelpütz – zum EL-DE-Haus gebracht. Seit Oktober 1944 fanden zum Teil mehrmals in der Woche Hinrichtungen statt, bei denen bis zu über 100 Personen an einem Tag ermordet wurden. Noch am 1. März 1945 wurden in vier oder fünf stark gesicherten Transporten 105 Häftlinge vom Klingelpütz zum EL-DE-Haus gebracht und erhängt. Die letzte Hinrichtung von mindestens zehn Personen wurde am 2. März 1945 – vier Tage vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen – vollstreckt, unter ihnen ein 15-jähriger Kölner Jugendlicher, ein russischer Kriegsgefangener und ein Pole. Die Leichen der letzten Hinrichtung konnten nicht mehr weggeschafft werden und wurden im Oktober 1945 zusammen mit dem Galgen auf dem Gelände des EL-DE-Hauses gefunden. Am 3. März 1945 wurde der polnische Zwangsarbeiter Josef Biczszack, der vier Jahre als Laufbursche bei der Gestapo tätig gewesen war, ermordet, offensichtlich weil er zu viel wusste. Die genaue Zahl der von der Kölner Gestapo im Innenhof des EL-DE-Hauses Hingerichteten lässt sich nicht bestimmen. Jedoch sind es mindestens 400 Menschen gewesen. Es handelte sich vor allem um Ausländer (Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene).

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DANACH: VERDRÄNGEN UND ERINNERN – GEDENKSTÄTTE GESTAPOGEFÄNGNIS SEIT 1981 Das EL-DE-Haus ist inmitten der während des Krieges stark zerstörten Kölner Innenstadt wie durch eine Ironie des Schicksals nur wenig beschädigt worden. Das Hausgefängnis der Gestapo ist nach dem Krieg weitgehend im Originalzustand erhalten geblieben; nur zwei Trennwände im Zellentrakt wurden abgebrochen. Nach 1945 rückte in der Zeit des Kalten Krieges und des Wirtschaftswunders die Aufarbeitung der NS-Zeit rasch völlig in den Hintergrund – an ihre Stelle traten Verdrängen und Vergessen. Auch die Geschichte des EL-DE-Hauses als ehemalige Kölner Gestapozentrale geriet in Vergessenheit. Die früheren Häftlingszellen wurden als Abstellräume und Aktenkeller genutzt. Zunächst war es ein Einzelkämpfer, Sammy Maedge, Vergolder von Kirchturmhähnen, der bereits seit Mitte der 1960er Jahren auf die Geschichte des ELDE-Hauses mit öffentlichen Aktionen hingewiesen hat. Die viel beachtete Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln „Widerstand und Verfolgung in Köln 1933–1945“ behandelte 1974 erstmals ausführlich wesentliche Teile der NSVergangenheit Kölns, doch sie erwähnte die Geschichte des EL-DE-Hauses nur beiläufig. Erst infolge der US-amerikanischen Fernsehserie „Holocaust“ und des bundesweit aufsehenerregenden Prozesses gegen Kurt Lischka und weitere NSTäter am Justizgebäude gegenüber dem EL-DE-Haus gelang es Maedge, Anfang 1979 in neuen Aktionen eine größere Aufmerksamkeit zu erreichen. Etwa zur gleichen Zeit hatten sich der Lehrer Kurt Holl und der Fotograf Gernot Huber im Keller des EL-DE-Hauses versteckt und sich nach Dienstschluss des städtischen Rechts- und Versicherungsamts einschließen lassen, um über Nacht Fotos von den Zellen und den Inschriften anzufertigen und diese anschließend der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Forderung, in dem ehemaligen Hausgefängnis der Gestapo eine Gedenkstätte einzurichten, fiel nun endlich auf fruchtbaren Boden, so dass der Stadtrat dies schließlich am 13. Dezember 1979 beschloss.6 Am 4. Dezember 1981 erfolgte die Übergabe des ehemaligen Hausgefängnisses der Kölner Gestapo als Gedenkstätte an die Öffentlichkeit. Im Jahr 2009 wurde die Gedenkstätte grundlegend umgestaltet. Es entstanden 26 neue Tafeln mit Abbildungen und Transkriptionen der Inschriften, die zu verschiedenen Themenblöcken zusammengefasst und mit deutschen und englischen Übersetzungen versehen wurden. Weitere Tafeln zeigen die Biografien von fünf Häftlingen, die Inschriften hinterlassen haben. Zudem wurde die Gedenkstätte um wesentliche Teile des ehemaligen Gefängnisses erweitert: Die Dunkelzelle mit dem Vorraum, der Hausbunker der Gestapo und der hintere Teil des Gefängnisses als ehemaliger Bereich der Wachleute wurden integriert. Seit 2013 ist der Innenhof als Teil der ehemaligen Hinrichtungsstätte ein integraler und damit zentraler Teil der Gedenkstätte Gestapogefängnis. Er wurde nach einem Entwurf von Thomas Locher durch eine Verspiegelung aller Wandflächen künstlerisch gestal-

6

NS-Dokumentationszentrum 2011, 16–21; Leib 2017, 17–79.

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tet. Erst seit dem Einbezug des Innenhofs ist die 1981 eingeweihte und 2009 erweiterte Gedenkstätte vollständig und in allen ihren Teilen ein würdiger Gedenkort. DIE INSCHRIFTEN UND ZEICHNUNGEN DER GEFANGENEN Nachdem der Rat der Stadt Köln beschlossen hatte, im ehemaligen Gestapogefängnis eine Gedenkstätte einzurichten, war es zunächst notwendig, die Inschriften der Gefangenen freizulegen und zu restaurieren. Durchgeführt wurden diese Arbeiten von dem freiberuflich arbeitenden Restaurator Michael Woznik in Zusammenarbeit mit Amtsrestaurator Horst Hahn vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege in den Jahren 1980 und 1981. Die Leitung und fachliche Aufsicht hatte die damalige Stadtkonservatorin der Stadt Köln, Dr. Hiltrud Kier, inne. Viele Zellenwände waren durch jahrzehntelangen Staubanfall, durch Kondenswasser, Fett und Schweiß „verfettet“ und mussten sorgfältig gesäubert werden. Die Wandflächen konnten jedoch nicht einheitlich behandelt werden. In den Zellen 1 bis 4 waren die Inschriften nach 1945 durch einen Kalkanstrich überdeckt worden. Dadurch sind die zahlreichen Inschriften darunter sehr gut konserviert worden (Abb. 4). Zum Freilegen der Inschriften wurde der Kalkanstrich mit dem Skalpell Millimeter für Millimeter abgekratzt, mit einem Marderhaarpinsel bearbeitet und mit einer feinen Spritzpistole mit Polyvinyl-Alkohol zur Festigung behandelt. Im ehemaligen Kohlenkeller (Zellen 5 und 6) wurden die Wände noch Anfang 1979 mit weißer Dispersionsfarbe gestrichen, die die Inschriften zerstörte. In anderen Zellen geschah dies durch Feuchtigkeit. Dies gilt insbesondere für die Zelle 10, in die nach 1945 die neue Wasserleitung verlegt wurde, wodurch große Flächen vollständig von der Betonwand abblätterten. Zudem wurden einige Heizungsrohre – wie die noch vorhandenen Rohre – mit Stroh, Mull und Gips umwickelt und Fenster und Türen repariert.7 Die einzelnen Inschriften wurden zum Teil mühselig entziffert, fotografisch dokumentiert und von einem Archivar des Historischen Archivs der Stadt Köln ediert.8 Nach den aufwändigen Restaurierungen sind rund 1.800 selbstständige Inschriften oder Zeichnungen gezählt worden, jedoch lässt sich bei genauem Hinsehen eine Vielzahl weiterer kleiner Eingravierungen erkennen. Von den 1.800 Inschriften sind rund 1.400 so erhalten, dass sie einen Sinn ergeben. Mehr als 600 Inschriften – über ein Drittel – wurden in kyrillischer Schrift von Russen und Ukrainern verfasst, 306 in Deutsch, 126 in Französisch, 56 in Polnisch, 28 in Niederländisch, 14 in anderen Sprachen. Über 150, z. T. sehr schöne und gelungene Zeichnungen sind erhalten geblieben.9 Die Inschriften oder Zeichnungen wurden mit Bleistift, Kreide- und Kohlestücken geschrieben oder mit Eisennägeln, Schrauben oder Fingernägeln eingeritzt; es wurde auch Lippenstift verwendet. 7 8 9

Fraunhofer IRB 1980; Goege – Hahn 1989. Huiskes 1983. Jung 2014, 410–417 m. Abb. auf 106–121.

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Abb. 4: Zeichnungen und Inschriften in Zelle 4 (Foto: A. C. Wagner. Rheinisches Bildarchiv/rba d015387-71).

Die Inschriften stammen aus der Zeit von Ende 1943 bis zum 30. Juni 1945. Am 7. März 1945, einen Tag nach der Befreiung, trug sich ein amerikanischer Soldat in Zelle 2 ein. Am 30. Juni 1945 wurde die kyrillische Inschrift „Am Leben geblieben“ auf eine Wand in Zelle 1 geschrieben.10 Der letzte Anstrich der Zellen wird wohl Ende 1943 nach schweren Bombenschäden aufgetragen worden sein. Ältere Inschriften wurden dabei übertüncht. Ab und zu schimmern sie durch die obere Farbschicht hindurch oder kommen dort zum Vorschein, wo diese abgeplatzt ist. Versuche, mit Hilfe von Infrarotlicht unter der Oberfläche liegende Farbschichten sichtbar zu machen, verliefen ergebnislos. Die Inschriften spiegeln damit die Endphase des Zweiten Weltkrieges wider, als sich eine große Anzahl von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern sowie Kriegsgefangenen in Köln befand, Juden bereits deportiert waren und der politische Widerstand der ersten Jahre nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten längst gebrochen war.

10 S. u. S. 305.

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QUELLENWERT DER INSCHRIFTEN Der Quellenwert der Inschriften ist von überragender Bedeutung. Sie geben wichtige Informationen über die Haftsituation, die Herkunft und Persönlichkeit der Häftlinge, über die Täter und vieles mehr. Da die Gestapo das Anbringen der Inschriften und Zeichnungen nicht untersagt bzw. nicht verfolgt hat, spiegeln die Inschriften unmittelbar die Haltung und Meinung der Häftlinge wider. Dagegen sind beispielsweise Aussagen von Häftlingen, wie sie sich in Verhörprotokollen der Gestapo finden, alles andere als authentische Aussagen der Opfer. Die Inschriften lassen sich verschiedenen Themen zuordnen, die im Folgenden aufgeführt sind. Kalender, Daten und Dauer der Haft Um den Tagesrhythmus nicht zu verlieren, wurden von den Gefangenen häufig Striche in die Wände geritzt oder Kalender angelegt mit den Wochentagen, Monaten und Ziffern für die Tagesangaben. Bei einer Inschrift werden von 1 bis 30 alle Ziffern eine Monats über eine Breite von 67 cm in die Wand geritzt. TAGE, DIE ICH HIER VERBRACHT HABE: (2 Striche)11 (Niederländisch, Zelle 10) Über die Inschriften lassen sich präzise Angaben zur Dauer der Haft machen. Die Funktion des so genannten Hausgefängnisses bestand darin, dass die Häftlinge hier nur solange untergebracht waren, wie sie von der Gestapo verhört wurden. Daher könnte von einer Haftdauer von maximal einigen Tagen ausgegangen werden. Inschriften belegen jedoch, dass die Opfer z. T. mehrere Wochen in den engen Zellen in Haft waren. Mittwoch den 18 Oktober 1944 bin ich hier 26 Tage. Donnerstag den19ten Oktober 27 Tage, Freitag den 20. Oktober 28 Samstag „ 21. Oktober 29 + Sonntag „ 22. Oktober 30 Tage Also einen Monat am Sonntag d. 22. Oktober 194412 (Deutsch, Zelle 2)

11 Jung 2014, 386 m. Abb. auf 69. 12 Jung 2014, 309 m. Abb. auf 75.

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Samstag, 12. 10.44 So – Wodjanizki Mo – Schistakow S. Di – Mi – 15. Do – 16. Fr – 17. Sa – 18. Donezbecken So – 19. Jenakijewo Mo – 20. Wodjanizki Di – 21. Mi – 22. 10. 44 Wiktor Do – 23.13 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 9) Am 4. Nov. 44 morgens um 10°° Uhr hier hinein gebracht! Wann werde ich diese Zelle wieder verlassen???? Und wohin geht's dann??? M. W. Köln14 (Deutsch, Zelle 2) Irmgard Reinemann ….Köln am 7-11-44 kam mein Vater auch hier an

5.11.44 6.11.44 7.11.44 8.11.44 9.11.44 10.11.44 11.11.44

Sonntag 12.11.44 13.11.44 14.11.44 15.11.44 16.11.44 17.11.44 18.11.4415

(Deutsch, Zelle 4) Von den meisten Inschriften wissen wir nicht, wer sie geschrieben hat und welches Schicksal die Häftlinge erleiden mussten. Bei dieser Inschrift ist der Hintergrund jedoch bekannt. Irmgard Reinemann war Dolmetscherin für Französisch und gehörte zum Widerstandskreis um die Elsässerin Martha Heublein, die auch französische Zwangsarbeiter zur Mitarbeit gewann. Mit Wurfzetteln trat die Gruppe für die sofortige Beendigung des Krieges ein. Am 5.11.1944 wurde Irmgard Reinemann zusammen mit acht Deutschen und fünf Franzosen verhaftet. Martha Heublein, ihr Ehemann Karl und der französische Jude Jean Pierre May wurden zum Tode verurteilt und erschossen. Irmgard Reinemann wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie starb am 15.10.1991 in Luzern, Schweiz. 13 Jung 2014, 376 m. Abb. auf 76. 14 Jung 2014, 315 m. Abb. auf 77. 15 Jung 2014, 315 m. Abb. auf 77.

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Olja Tschaus hat (hier) gesessen vom 24. Oktober 1944 bis zum 9. Januar 1945, dann wurde sie in ein anderes Gefängnis gebracht. Alle . . .16 (Russisch, Zelle 4) In dieser Zelle hier ist Sch. Katja 1944 zweimal gewesen, vom 4. Oktober bis zum 21. November, hat 3 Wochen draußen gearbeitet, und wieder wird man irgendwo(hin) geschickt. 12. 12. 4417 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 2) Ein kleiner Tipp, ihr Jungs, wenn ihr einmal hier hineinkommt: versucht, hier nicht lange zu bleiben! Was mich betrifft, bin ich hier seit drei Wochen, und es ist immer noch nicht zu Ende! Ein Pariser18 (Französisch, Zelle 10) So vergehen die Jahre, junge Jahre, in diesem verfluchten Lande.19 (Russisch, Zelle 1) Diese Inschrift hat eine ukrainische Zwangsarbeiterin (Geburtsort Kramtorsk/Stalino) geschrieben, die nach 1945 in Köln blieb und einen Deutschen heiratete. Die Frau lebt heute in Köln. Namen und Herkunft Zum Gefängnisalltag zählt es, dass Häftlinge ihre Namen hinterlassen. Dies geschieht auch im Kölner Gestapogefängnis sehr zahlreich. Die Angaben sind häufig sehr genau. Mitunter wird der Wohnort einschließlich der Adresse genannt. 16 17 18 19

Jung 2014, 370 m. Abb. auf 131. Jung 2014, 363 m. Abb. auf 172 Jung 2014, 339 m. Abb. auf 135. Jung 2014, 348 m. Abb. auf 135.

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Die Vielzahl der in Kyrillisch abgefassten Eintragungen belegen, dass viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die ins Visier der Gestapo gerieten, aus der Sowjetunion stammten, insbesondere aus der Ukraine. Vielfach werden Alter und Geburtsjahr genannt. Hier zeigt sich, dass die meisten Häftlinge sehr jung waren, häufig nicht älter als um 20 Jahre! Hier sitzt Walja Wrik, 14. 6. 44, (aus dem) Gebiet Swerdlowsk, Bezirk Wissimo-Schaitansk, Wissimo-Schaitansk.20 (Russisch, Zelle1) Hier haben 3 Mädels Walja, Marija + Motja gesessen. Stoitschewa Marija, (aus dem) Gebiet Saporoshje, Bezirk Nogaisk, Dorf Mironowka. Petrowna ist im Gefängnis angekommen am 5. 8. 44 Prischedko Matrjona Anissimowna, Gebiet Dnepropetrowsk, 1925., 3. 10. – Oktober Bezirk Nishnedneprowsk, Dorf Loniwka, Prischedko Tschkalowstr. 191 ins Gefängnis gekommen am 6. 8. Mädels, wer hier nicht war, der kommt noch und wird die Freiheit vergessen und auch Mädels und Jungs und seine Freunde. 8. 8. 44 Geschrieben von Prischedko Motja. Prischedko21 (Russisch, Zelle 1) Mädels, ich war 5 Tage im Gefängnis vom 4. bis zum 9. Mädels, keinem wünsche ich, hier zu sein, nur demjenigen, der mein Todfeind ist. Geschrieben von Prischedko Motja, aus der Stadt Dnepropetrowsk, Bezirk Nishnepropetrowsk,

20 Jung 2014, 347 und m. Abb. auf 86. 21 Jung 2014, 348 m. Abb. auf 87.

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Dorf Loniwka Nr. 95, Wohnungs-Nr. 1 in der Tschkalowstraße 191.22 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 1) Seit dem 22. 11. 44 hat hier von der Krim aus der Stadt Feodossija, Proletarskajastr. 16, Wladimir Jasykow gesessen Lebe wohl Freiheit, es lebe das Gefängnis! Für den Einen ist das ein Gefängnis, für mich aber ist das Gefängnis wie meine eigene Mutter. Im Gefängnis sind wir geboren, im Gefängnis werden wir sterben.23 (Russisch, Zelle 1) Stadt Rostow! Rostow am Don! Der blaue Sternenhorizont, die Gartenstraße, die kleine Ahornbank. Ach! Du Stadt Rostow, Rostow am Don! Gaidai Wladimir 194524 (Russisch, Zelle 1) Olja Tschaus, ich sitze hier 3 Monate und weiß nicht, wann ich herauskomme. Mein junges Leben ist schnell vergangen, und die Liebe für immer vergessen. Stadt Rostow25 (Russisch, Zelle 1) Stadt Kiew Anna Wladimirowna W. Gaidai, Leninstr. 65, Wohnung-Nr. 13 Gadai, + geboren am 24. Mai A. D. Shurebnenko (Gaidai) 1944 Gebiet Woronesh, Bezirk Budjonnowsk, in Köln Dorf Wesjolaja26 (Russisch, Zelle 1) 22 23 24 25 26

Jung 2014, 352 m. Abb. auf 88. Jung 2014, 359 m. Abb. auf 96. Jung 2014, 356 m. Abb. auf 168. Jung 2014, 357 m. Abb. auf 169. Jung 2014, 344 m. Abb. auf 92.

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Die Inschrift enthält den Hinweis auf die in einem Kölner Lager geborene Tochter. JANON de ENSIVAL (5 Striche)27 (Französisch, Zelle 4) Ensival ist eine Stadt (heute Teilgemeinde) in der Nähe der belgischen Stadt Verviers in der Provinz Lüttich in der Wallonie. Michael Hamacher Köln a/Rh(ein) Gr(oße) Brinkgasse 3628 (Deutsch, Zelle 9) Die Wohnung des Häftlings Michael Hamacher in der Großen Brinkgasse in Köln lag nur etwa 800 m vom Kölner Gestapogefängnis am Appellhofplatz entfernt. Verhörmethoden, Schläge und Folter Die Inschriften belegen eindeutig die Brutalität der Gestapo. Häftlinge dokumentieren an den Wänden, dass sie bei Verhören geschlagen und gefoltert wurden. Auch eine Vernehmungstaktik der Gestapo wird häufig erwähnt: Die Häftlinge müssen lange, teilweise über Wochen warten, bis sie überhaupt das erste Mal verhört wurden. Sie wurden hingehalten und im Ungewissen belassen. (Hier) haben 5 Frauen gesessen seit dem 5. 1. 45 Fatima Anna Heute ist der 10. 1. 45. Shenja Wir werden ins Gefängnis Marija geschickt ohne Verhör. Olga29 (Russisch, Zelle 1) Heute bin ich schon zehn Tage hier ohne jedes

27 Jung 2014, 336 m. Abb. auf 89. 28 Jung 2014, 323 m. Abb. auf 93. 29 Jung 2014, 346 m. Abb. auf 90.

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Verhör, das ist zum Verrücktwerden!30 (Französisch, Zelle 3) Hier haben von Ford Fatima, Anna, Shenja gesessen. Heute ist schon der 13. Tag, aber noch immer kein Verhör. 17. 1. 4531 (Russisch, Zelle 4) Am 6. 10. 1944, ist um 12.00 nachts Marianka Melnik hierher geraten, am Freitag. Schon den dritten Tag hier, 8. 10. 44. Ich weiß nicht, wie lange ich noch sitzen werde.32 (Russisch, Zelle 3) Die Gestapo besteht aus lauter Sadisten33 (Deutsch, Zelle 4) Weh Weh [. . . . . . .] [. . . . .] Folterkammer [2 unlesbare Zeilen]34 (Deutsch, Zelle 5) Hier habe ich viel mitmachen müssen. (eine) Holländerin35 (Niederländisch, Zelle 4) Stunden vergehen wie Jahre u. 30 31 32 33 34 35

Jung 2014, 335 m. Abb. auf 182. Jung 2014, 371 m. Abb. auf 185. Jung 2014, 364 m. Abb. auf 94. Jung 2014, 315 m. Abb. auf 177. Jung 2014, 317 m. Abb. auf 178. Jung 2014, 384 m. Abb. auf 178.

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der Raum Kennt nur Seufzer das Lachen weicht bei diesem Gram die Sonne scheint hier nicht mehr Wann nimmt diese Qual ein Ende?36 (Deutsch, Zelle 1) Hier hat eine Krankenschwester gesessen aus dem Gebiet Polessk, Bragin, Iwanowa Olja. Liebe Freunde, wer hier nicht war, der hat den Jüngsten Tag Gottes nicht erlebt. Es ist die Strafe Gottes für uns junge Leute. Das heißt . . . Ich habe einen toten Menschen gefunden.37 (Russisch, Zelle 1) Belegung und Überbelegung der Zellen Die Inschriften informieren auch darüber, wie und mit wem die Zellen belegt wurden und dass die für ein bis zwei Personen gedachten Zellen sehr stark überbelegt waren. 7. 9. 44 Donnerstag allein 8. 9. 44 Freitag allein 9. 9. 44 Samstag allein 10. 9. 44 Sonntag allein 11. 9. 44 Montag 2 Französinnen 12. 9. 44 Dienstag „ – „ 13. 9. 44 Mittwoch eine Deutsche 14. 9. 44 Donnerstag „ – „ 15. 9. 44 Freitag „ – „38 (Russisch, Zelle 2) Hier waren 6 Mädels: 36 Jung 2014, 316 m. Abb. auf 179. 37 Jung 2014, 356 m. Abb. auf 184. 38 Jung 2014, 361 m. Abb. auf 74.

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1. aus Polen 2. aus Kiew 3. aus Saporoshje 4. aus Dnepropetrowsk 5. aus Kiew 6. aus Paris, Franziska Hier hat ein Mädel gesessen . . .39 (Russisch, Zelle 1) Da ich hier sitze in einer Zelle zu 6 Mann und weiß nicht warum Mein Name … (Name unkenntlich gemacht)40 (Deutsch, Zelle 4) DIE DEUTSCHEN SITTEN ENTHÜLLEN SICH BESONDERS IN ZELLE 6 WO DIE ES FERTIGBRINGEN, BIS ZU DREIUNDDREISSIG MENSCHEN AUF EINMAL HINEINZUPFERCHEN!41 (Französisch, Zelle 8)

Abb. 5: Zeichnungen in Zelle 10 (Foto: M. Wiesehöfer. NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln/Bn 9039).

39 Jung 2014, 357 m. Abb. auf 97. 40 Jung 2014, 312 m. Abb. auf 131. 41 Jung 2014, 339 m. Abb. auf 145.

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Haft- und Lebensbedingungen42 Die zahlreichen und ungewöhnlich langen Inschriften einer jungen Französin geben auch Informationen über die Bedingungen der Gestapohaft. Heute bin ich schon den elften Tag hier, ohne Nachricht von . . . Ich bin zusammen mit kleinen Ukrainerinnen, aber es gibt hier keine Französin, deshalb wird die Zeit sehr lang. Morgens um 7.15 Uhr stehen wir auf, um 8.00 Uhr bekommen wir ein Stück Brot und um 4.00 Uhr Suppe, und das ist alles bis zum nächsten Morgen. Deshalb braucht man uns nicht zu fragen, ob wir die Figur halten! Nun, wir werden es in Frankreich nachholen, denn ich hoffe doch sehr, eines Tages dorthin zurückzukehren, um unsere liebe Familie und unser liebes Vaterland wiederzusehen! Nichts geht über unser liebes Frankreich, wo wir es so gut hatten: Man arbeitete nicht allzu viel, man aß gut, man hatte seine Vergnügen, man hatte seine zwei Wochen bezahlten Urlaub, man wusste es nicht zu schätzen! Daher wird man sich jetzt erst bewusst, was Freiheit war, aber ein bisschen spät! Und ich glaube, dass jede Französin, die wie ich die Dummheit begangen hat, sich als Freiwillige zu verpflichten, meiner Meinung ist! Sie hat auch bestimmt verstanden, was es heißt, fern von Zuhause zu leben, und wenn sie eine kleine Mama hätte, die sie in Frankreich zurückgelassen hat, muss sie den Schmerz verstehen, den diese fühlen muss, wenn ihre Tochter weg ist! Denn ich habe eine solche liebe kleine Mama, und ich weiß sehr genau, welches Leid sie durch mein Fortgehen gehabt hat! Aber wenn man jung verheiratet ist, folgt man seinem Mann. Doch wenn ich jetzt zu entscheiden hätte, würde ich in meinem kleinen Haus bleiben, oder bei meinen Brüdern und Schwestern und meiner kleinen Mama, die ich so lieb habe. Es lebe Frankreich! Eine junge Frau von 25 Jahren, die eine echte Französin ist. Dienstag, den 6. Februar, während des großen Fliegeralarms43 (Französisch, Zelle 3) Weise: immer höher Wir sind geboren, um zwei Kartoffeln zu essen, Einen Teller Suppe mit einem langen Wurm. Hitler gab uns die Kartoffelreste Und als Schmalz 25 auf den Arsch. 42 S. dazu auch die Erinnerungen und Berichte ehemaliger Häftlinge: NS-Dokumentationszentrum 2011, 42–56; Schwering 1988. 43 Jung 2014, 334 f. m. Abb. auf 136 f.

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Refrain: Kartoffeln, Kartoffeln, Kartoffeln, Ihr Kartoffeln, faul und madig! Für diese faulen Kartoffeln arbeiten wir drei Jahre!44 (Russisch, Zelle 1) Während der zahlreichen Bombenangriffen auf Köln mussten die Häftlinge in den Zellen verharren, da sie nicht in den Bunker gebracht wurden. Die Todesangst, der sie ausgesetzt waren, war sehr real. Das EL-DE-Haus ist als eines der wenigen Häuser in der Umgebung unzerstört stehen geblieben. Ein schwerer Treffer auf das Haus hätte den sicheren Tod für die im Souterrain eingekerkerten Häftlinge bedeutet. Meine allerliebste Mutter, ich wünschte, ich könnte bei dir sein. Damit du mich trösten kannst. Ich bin allein eingesperrt mit vier Russinnen, ich habe eine Reihe Bombenangriffe über mich ergehen lassen müssen und bin noch am Leben, aber der nächste verfehlt mich vielleicht trotz allem nicht!45 (Französisch, Zelle 3) Zwangsarbeit Die Häftlinge erwähnen in den Inschriften öfters die Fabriken, in denen sie als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Hier saß ein Pole von „Zellwolle“, Poldek Tag: 10. 2. 45. 11. 2. 45 12. 2. 45 13. 2. 45 14. 2. 45 15. 2. 45 16. 2. 4546 (Polnisch, Zelle 1) 44 Jung 2014, 350 m. Abb. auf 132. 45 Jung 2014, 331 m. Abb. auf 269. 46 Jung 2014, 390 m. Abb. auf 79.

Zeugnisse der Opfer

Wulotschnik Nikolai Ford47 (Russisch, Zelle 1) Hier hat ein [bu]lgarisches Mädel gesessen, Stoitsche[wa M]arija Petrowna aus dem Gebiet Saporoshje, Bezirk Nagoisk, Dorf Marinowka. Ich bin geboren am 21. 1. 1924. Am 5. 8. 1944 bin ich zur Polizei geraten. Es ist ungewiss, ob ich freigelassen werde. Ich habe in der Fabrik Mühlenwerke, Lagerhaus, gearbeitet, Köln-Deutz, Siegburger Str. 191–19348 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 1) Am 9. 7. 44 hat hier Katja wegen der Flucht aus der Fabrik Gelen, Rodenkirchen, gesessen. Dort waren wir 30 Verschwörer49 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 2) Messe, Arbeitsnummer 575. Ist wegen Alkohol (hierher) geraten 3.3. 45 aus dem Arbeitshaus (Ehrenfeld) 24.12.4450 (Russisch, Zelle 1)

W. Gaidai

Gaidai Wolodja Ich sitze seit dem 24. 12. 44. Bin im Arbeitshaus festgenommen worden. Geboren im Jahre 1920, am 30. August. Stadt Kiew, Leninstr. (Funduklejewstr.) 65, Wohnungs-Nr. 13. Ich habe in Köln-Deutz, Messe-Halle, Roter Saal (Bauhilfe der DAF) gearbeitet. Arbeitsnummer 575.

47 48 49 50

Jung 2014, 375 m. Abb. auf 139. Jung 2014, 359 m. Abb. auf 143. Jung 2014, 362 m. Abb. auf 162 f. Jung 2014, 346 m. Abb. auf 163.

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Heute ist der 9. 2. 4551 (Russisch, Zelle 1) 1. 12. 44 Hier haben von Ford gesessen Schewtschenko Wassili Nr. 1338, Scheludko Wassili Nr. 24. Wir gehen hinaus, ohne zu wissen wohin. 10. 12. 44. Schewtschenko Ford. Scheludko52 (Russisch, Zelle 9) Am 6. November sind angekommen Ira und Lida und Soja und Katja. Gaststätte Kolpinghaus. Negoroshina Ira, 1944. Wer hier war, der wird (es) nie vergessen.53 (Russisch, Zelle 3) Protest In zahlreichen Inschriften beteuern die Inhaftierten ihre Unschuld und protestieren gegen ihre Haft. Ihre klaren Worte gegen die Peiniger werden viele der Nachkommenden als eine Ermunterung und moralische Unterstützung empfunden haben. Ruhe im Puff Ich habe gar nichts getan54 (Deutsch, Zelle 4) 51 52 53 54

Jung 2014, 354 m. Abb. auf 164 f. Jung 2014, 376 m. Abb. auf 167. Jung 2014, 368 m. Abb. auf 181. Jung 2014, 314 m. Abb. auf 133.

Zeugnisse der Opfer

Ich habe nichts getan und ich weiß auch nicht warum ich hier bin55 (Deutsch, Zelle 4) Ich sitze unschuldig56 (Polnisch, Zelle 4) Hier haben Dusja, Njura 24 Tage gesessen wegen einer blöden Kleinigkeit. Ich bin ein unglückliches Mädel, erst 19 Jahre alt, aber ich leide unschuldig.57 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 1) Ich habe es satt, hier in dieser Zelle zu sitzen.58 (Russisch, Zelle 9) Verfluchtes Gefängnis, hat mich um den Verstand gebracht, weil ich meine Jahre in so einer Gefangenschaft verloren habe.59 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 9) Sie sagen, ich sei eine Spionin. So sehe ich doch wahrhaftig nicht aus !!!60 (Französisch, Zelle 1) Hier hat gesessen Dusja Martschenko, wegen nichts 13 Tage! Ich weiß nicht, wann ich herauskomme und warum diese Qual.61 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 1)

55 56 57 58 59 60 61

Jung 2014, 314 m. Abb. auf 143. Jung 2014, 391 m. Abb. auf 137. Jung 2014, 347 m. Abb. auf 138. Jung 2014, 377 m. Abb. auf 138. Jung 2014, 377 m. Abb. auf 138. Jung 2014, 328 m. Abb. auf 141. Jung 2014, 352 m. Abb. auf 141.

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Hier ist es scheißlangweilig. Komisches Land und Sitten, weniger zivilisiert als die Araber!62 (Französisch, Zelle 10) Hier haben 2 Freunde Fedja + Tolja gesessen, die in Troisdorf gearbeitet und keinem etwas angetan hatten. Sie sitzen hier ohne Schuld. Sie wollten nur heiraten, aber die Heirat platzte endgültig. Wer diese Leute kennt, bitte keine Verzeihung.63 (Russisch, Zelle 1) O Gott, wie schwer vergeht die Zeit, wie schwer ist es, an die Freiheit des Vaterlandes dort zu denken! Ich bin unschuldig und unsere Jugend vergeht in dieser schweren Gefangenschaft.64 (Polnisch, Zelle 1) Wer hier nicht war, der kommt noch, und wer hier war, der wird es nicht vergessen.65 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 1) Liebe Mädels, vermeidet diesen „Zufluchtsort“. Ich habe das Glück genossen! Sascha Bassunowa66 (Russisch, Zelle 1)

62 63 64 65 66

Jung 2014, 339 m. Abb. auf 144. Jung 2014, 356 m. Abb. auf 154. Jung 2014, 390 m. Abb. auf 157. Jung 2014, 346 m. Abb. auf 155. Jung 2014, 361 m. Abb. auf 159.

Zeugnisse der Opfer

Wer (hier) nicht war, der kommt noch, und wer (hier) war, der wird es nicht vergessen.67 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 1) . . . . . . . . . . . .die Fabrik Glanzstoff. Die Unschuldige hat einen gerettet, aber dafür am 27. 11. 44 ihren eigenen Kopf hingehalten. Er war ein schwerer Verbrecher. Ich werde bestimmt umkommen, umsonst, ich und Wolodja, wegen unserer Gutmütigkeit! Ach! (ich) habe es satt, mein Blut zu vergießen in diesem Sklavenland, (ich) habe es satt, meinen Hals zu riskieren.68 (Russisch, Zelle 1) Tod den Faschisten!69 (Russisch, Zelle 1) Rot Front70 (Deutsch, Zelle 9) Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher !!! Kinder müssen kommen für den Krieg Räder müssen rollen für den Sieg Köpfe müssen rollen nach dem Krieg HI Ihr könnt mich nicht wenn ich nicht will. Ganz meine Meinung 5. 11. 44 i. Ordnung M. W. Köln 5. 11. 4471 (Deutsch, Zelle 4) 67 68 69 70 71

Jung 2014, 354 m. Abb. auf 179. Jung 2014, 367 m. Abb. auf 158. Jung 2014, 358 m. Abb. auf 197. Jung 2014, 322 m. Abb. auf 199. Jung 2014, 312 m. Abb. auf 202 f.

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Nur Mut, zeigen wir ihnen, dass wir Franzosen keine Angst haben!72 (Französisch, Zelle 1) In diesem Gefängnis [sitzt kein] Gesindel [sondern die Elite Hollands. Verdammt noch mal.] Henk G [. . .] Rotterdam73 [Bekannter Spruch holländischer Widerstandskämpfer] (Niederländisch, Zelle 2) Mädels, unterwerft Euch denen nicht!! Den Hurensöhnen! Seid mutig und tapfer, auch wenn Ihr eine schwere Strafe verbüßen werdet. „Auch ein Weg durch Dornen führt zum Ziel“ Gasukina Lidija, aus dem Lazarett.74 (Russisch, Zelle 1) Funz Heil Hitler (rechts daneben Penis) Pitz Klaus 8 Monate Werner SS Aschloch 194275 (Deutsch, Zelle 4) Kriminaldirektor Gustav Pitz leitete 1942 bei der Kölner Gestapo das Referat II „Gegnerforschung und Bekämpfung“. Ihr Aschlöcher der Gestapo76 (Deutsch, Zelle 8) Nieder mit den Boches!77 (Französisch, Zelle 1)

72 73 74 75 76 77

Jung 2014, 329 m. Abb. auf 204. Jung 2014, 384 m. Abb. auf 204. Jung 2014, 362 m. Abb. auf 205. Jung 2014, 313 m. Abb. auf 207. Jung 2014, 318 m. Abb. auf 209. Jung 2014, 328 m. Abb. auf 207.

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Die Sonne hat sich hinter der Wolke versteckt, will nicht am Himmel spazierengehen Ich ficke euch in den Mund (oder: Ich scheiße euch in die Fresse)78 (Russisch, Zelle 1) Freiheit!79 (Deutsch, Zelle 2) Alles rächt sich auf Erden80 (Deutsch, Zelle 4) Hoffnung und Sehnsucht Eine größere Anzahl der Inschriften ist ungewöhnlich lang. Sie drücken die Hoffnung aus, doch wieder frei zu kommen, und die Sehnsucht nach den in der Heimat verbliebenen Angehörigen. Mein Gott, wie gerne möchte ich frei sein, meine Nächsten noch einmal sehen, an der frischen Luft mich erholen, aber ich kann die Kette nicht zerbrechen! Brecht die Ketten auf! Lasst mich frei! Ich werde (Euch) lehren, wie man die Freiheit liebt!81 (Russisch, Zelle 2) Hier hat ein Mädel gesessen, Danilowa Tosja aus der Stadt Stalinsk. Brecht die Ketten auf und lasst mich frei, ich werde (Euch) lehren, wie man die Freiheit liebt! Ach, wie gerne möchte ich frei sein, meine nahen Freunde sehen und vor allem meinen geliebten Freund Peterchen. 14. 11. 4[4] Tosja82 (Russisch, Zelle 1)

78 79 80 81 82

Jung 2014, 351 m. Abb. auf 208. Jung 2014, 310 m. Abb. auf 209. Jung 2014, 315 m. Abb. auf 211. Jung 2014, 361 m. Abb. auf 213. Jung 2014, 353 m. Abb. auf 215.

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Jetzt sind es schon 12 Tage, seit ich hier bin. Brecht die Ketten auf und lasst mich frei, ich werde (Euch) lehren, wie man die Freiheit liebt! Wie gerne möchte ich frei sein, meinen geliebten Freund sehen, Alle meine Freunde sehen, und vor allem meinen geliebten Freund Peterchen und (ihn) küssen wie früher. Ach, (mein) Freund, ich werde Dich bestimmt nie wiedersehen und nie mehr Deine Lippen küssen! Wie leid tut mir alles, dass ich nichts tun kann, nicht die eiserne Tür und die Gitter zerbrechen kann! Danilowa Tosja Stadt Artjomowsk, Gebiet Stalino83 (Russisch, Zelle 3) Oft höre ich nachts den Schritten der Bewacher zu, verfluche mein hartes Bett. Oft erinnere ich mich (und überlege) spät abends, wie ich dich, Mischa, küssen könnte.84 (Russisch, Zelle 1) Ich sitze auf der Pritsche im Kölner Gefängnis, in der trostlosen Zeit ziehe ich meine Brauen zusammen, ungewollt kommen die Heimat und meine wahre Liebe in Erinnerung! Marianka85 (Russisch, Zelle 3) Wann (kommt) die Befreiung? (6 Striche)86 (Französisch, Zelle 4 und 2) Wann kommt die Freiheit87 (Deutsch, Zelle 2)

83 84 85 86 87

Jung 2014, 366 m. Abb. auf 216 f. Jung 2014, 345 m. Abb. auf 144. Jung 2014, 365 m. Abb. auf 223. Jung 2014, 330. 336 m. Abb. auf 224. Jung 2014, 309 m. Abb. auf 225.

Zeugnisse der Opfer

Seit sechs Wochen hier in Haft. Wir sind vier Französinnen, und die Zeit wird ziemlich lang. Aber wir leben in der Hoffnung, eines Tages Frankreich wiederzusehen, unser geliebtes Vaterland, und unsere Familie. Und wir haben auch noch einen Liebsten Wie alle jungen Mädchen, und diese Liebsten sind in Deutschland als Kriegsgefangene oder was sie sonst sein mögen. Unsere liebsten Gedanken sollen für ihn sein! Eine Französin. Es lebe Frankreich!88 (Französisch, Zelle 3) Alles geht zu Ende auch das größte Leid nimmt dein Schicksal Wende wirst auch du befreit89 (Deutsch, Zelle 8) Kopf hoch, wenn’s auch schwer fällt. Anita Weber Köln90 (Deutsch, Zelle 4) Zelle 8 Vielleicht kommt die Stunde Vielleicht darf ich gehen Vielleicht können wir sagen Gestapo ade. In der Heimat, in der Heimat Da gibt’s ein Wiedersehn.91 (Deutsch, Zelle 9) Dora ist hierher gekommen am 11. 11. 44. Heute ist der 16., aber es gibt 88 89 90 91

Jung 2014, 331 m. Abb. auf 226. Jung 2014, 320 m. Abb. auf 228. Jung 2014, 315 m. Abb. auf 228. Jung 2014, 323 m. Abb. auf 231.

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keine Freiheit. Oh, wie gerne möchte ich die liebe Sonne sehen, wie gerne möchte ich doch einen freien Menschen sehen.92 (Russisch, Zelle 3) Oh! Wann kommt endlich der Tag, an dem man mich von hier wegbringt, an dem ich wiedertreffen und wiedersehen werde meine frühere Liebe, meinen . . . . . . . Vater, meine Schwesterchen und mein Brüderchen? Marianka93 (Russisch, Zelle 3) Bin am 14. 11. 44 (hierher) geraten – am 23. 12. 44 rausgekommen. am 5. 1. 45 zum zweiten Mal (hierher) geraten. Mein lieber Wolodka wieder wurden wir getrennt, aber ich werde Dich nicht vergessen, solange mein junges ermüdetes Herz schlägt und meine Augen die Welt sehen können. Gnädiger Gott, heilige Weihnachten, hilf mir und lass mich am Leben! Wie gerne möchte ich leben und lieben! Ich bin doch noch jung und hab’ gar nichts vom Leben gesehen! Herr, erbarme dich! Wolodja + Nadja Ich sitze und denke nur an Wolodja, wo (ist er) und was ist mit ihm???94 (Russisch, Zelle 3)

92 Jung 2014, 368 m. Abb. auf 232. 93 Jung 2014, 365 m. Abb. auf 233. 94 Jung 2014, 367 f. m. Abb. auf 234.

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Alles ist vergänglich auch Lebenslänglich95 (Deutsch, Zelle 3) Es geht alles vorüber Es geht alles vorbei96 (Deutsch, Zelle 8) 22. 11. 44. Es sind neue Besucher dieser Wohnung angekommen Olja, Ala und Ljonka. Ach, wie kostbar ist uns die Freiheit! Aber wir brauchen sie nicht mehr zu bewahren, Denn unsere Herzen können (es) nicht ertragen.97 (Russisch, Zelle 8) Abschiedsworte Die Häftlinge saßen in einem Gefängnis, in dessen unmittelbar angrenzendem Innenhof seit dem Oktober 1944 mehrere Hundert Menschen erhängt wurden. Sie wussten um die Todesgefahr, in die sie geraten waren. Viele von ihnen waren davon überzeugt, dass auch sie ermordet werden würden. In sehr bewegenden Worten nahmen sie Abschied von ihren Angehörigen und schrieben Abschiedsworte auf die Wand. Doch niemand wird davon erfahren haben. DUBREUIL, RENE 24793 11. 12. 1944 BONN 15. 12. 1944 CÖLN 20 – – Hinrichtung ? Fr 22. -------Sa 23. Dezember 1944 So 24. Montag 25., Weihnachten 1944 Di 26. Dezember 1944 Fr 29. Dezember 1944 Ich wünsche von jetzt an „FRIEDEN“, meiner Mutter ein gutes neues Jahr, 95 Jung 2014, 306 m. Abb. auf 235. 96 Jung 2014, 319 m. Abb. auf 236. 97 Jung 2014, 373 m. Abb. auf 237 f.

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und auch meinen Verwandten, meine besten Wünsche meinen Lieben! Ob man ihnen wohl dies hier mitteilen wird?98 (Französisch, Zelle 3) Mein Herz tut weh, Mein Kopf tut weh. In qualvoller Gefangenschaft Werde ich allein sterben. Polistschuk Galja99 (Russisch, Zelle 1) Dir, Wowka Scherinaskji, schicke ich Vielleicht den letzten Brief. Zeige ihn keinem, Du, Geschrieben ist er (nur) für Dich. Ich sitze bei der Gestapo, in der Isolierzelle, Bald werden wir in Lager weggeschickt, Ich sitze in der feuchten, kalten Zelle (Und) denke, Wowa, an Dich. Oft lausche ich den Schritten der Bewacher, Verfluche ich mein hartes Bett, Oft erinnere ich mich (und denke) spät abends Wie ich Dich, Wowotschka, küssen könnte. Das Gericht ist versammelt, und unser Prozess geht zu Ende, Der Richter liest das Urteil vor. Dort sitzt er und lächelt boshaft, Der dicke, glotzäugige Schinder. Der Staatsanwalt hat für uns die Erschießung verlangt, Vierzig harte Folterungen habe ich hinter mir, Ich schaute mich, Wowotschka, doch noch einmal um, ich habe Dich aber dennoch nicht gefunden. Der Mutter wirft (sie) sich in die Arme, wendet sich dem Vater zu, Das Herz erstarrt und tut weh. Mutti, liebe Mutter, hör’ auf, weine nicht, Es hat keinen Zweck, der Tochter nachzutrauern.100 (Russisch, Zelle 3)

98 Jung 2014, 338 m. Abb. auf 251. 99 Jung 2014, 347 m. Abb. auf 252. 100 Jung 2014, 367 m. Abb. auf 254.

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22. 12. 44 Mutti und Vati sind schon zu Hause, aber ich werde nicht nach Hause zurückkehren. Schwesterchen und Brüderchen sagen von mir, dass ich nicht mehr am Leben bin. Habe hier gesessen in diesem Lande nur wegen meines Charakters und meines Freundes. Wera (aus dem) Gebiet Witebsk. Es ist sehr langweilig hinter Gittern zu sitzen, frei kann ich nicht kommen. Du, meine liebe Mutter, ich weiß selbst nicht, warum.101 (Russisch, Zelle 1) Smolensk 26. 11. 44 Soja Mischa Liebe Treue und Freundschaft Soja + Mischa – treue Freunde bis zum Grabe. Ich werde meine Mutter und meinen Vater nicht vergessen. Uljanowa Soja Bronislawowna Fest drücke ich Deine Hand, Mutter, Und küsse Dich auf die Lippen. Bestelle meinem Vater einen Gruß. Ich sterbe, aber sei nicht traurig. Deine Tochter Soja Es gibt im Leben keine Liebe.102 (Russisch, Zelle 3)

101 Jung 2014, 344 m. Abb. auf 256 f. 102 Jung 2014, 364 m. Abb. auf 258.

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Hinrichtungen Die Inschriften belegen, dass die Häftlinge von den Hinrichtungen und den Erhängungen wussten. In Zelle 1 ist eine Zeichnung des Galgens erhalten (Abb. 6). Kurin Tolja Nikol(ajewitsch) Geboren 1925 – 1945 gehängt103 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 1) Bulotschnik hat 21 Jahre gelebt und wurde gehängt104 (Russisch, Zelle 8)

Abb. 6: Zeichnung eines Galgens mit Schlinge in Zelle 1; rechts daneben ein doppelarmiges russisches Kreuz, darunter ein Sarg (Foto: A. C. Wagner. Rheinisches Bildarchiv/rba d015387-21).

103 Jung 2014, 358 m. Abb. auf 271. 104 Jung 2014, 373 m. Abb. auf 273.

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Hier haben gesessen Jurij Zygane[nko] Pawlowitsch und Fedja, Kirinin Anatolij und wurden gehängt105 (Russisch, Zelle 3) Hier hat Wallja Baran gesessen, die von den eigenen russischen Leuten verraten wurde. Mein Mann und ich wurden in eine Zelle gesteckt; in dieser Zelle waren noch 3 russische Zivilisten und 1 Kriegsgefangener. Sie hatten Pistolen. Die Sache . . ., uns steht der Galgen bevor, es tut einem leid, sich von dem geliebten Mann zu trennen und der weiten Welt Ja, Mädels, weshalb ist unsere Jugend verpfuscht? Ich bin jetzt 18 Jahre alt, bin schwanger, möchte noch mein erstes leibliches Kind sehen. Nun, es wird nicht gelingen, ich muss sterben. Walja + Ljonja = = ewige Freunde106 (Russisch/Ukrainisch, Zelle 3) Shenja wurde umgebracht, 11. 12. 44 Der Gefangene seiner Ehre ist gefallen, Durch böse Zungen getötet. Die Brust voll Blei und Verlangen Senkte er sein stolzes Haupt! 30. 12., Anja wurde gehängt.107 (Russisch, Zelle 3) Anja Koslowa und Galina Krikun, Donezbecken, Tschistjakowo. Liebe Freunde! Haben wegen der Politik gesessen. Man hat uns verraten! Unser Bezirk wird bald gehängt, oder wir werden erschossen. Oh! Wie ist es schwer,

105 Jung 2014, 368 m. Abb. auf 276 106 Jung 2014, 364 m. Abb. auf 272 f. 107 Jung 2014, 366 m. Abb. auf 274 f.

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ich sterbe in der Blüte der 18 – 20 Jahre, in der Blüte des Lebens. Lebt wohl! (18 Striche) 9. 10. 44 Anja und Gal(ina)108 (Russisch, Zelle 9) Es sind schon 25 Tage vergangen, wir warten auf den Galgen. Kostja, Jewgenij, Pawel, Grigorij, Anotolij, Ljontschik, Mischa.109 (Russisch, Zelle 10) Befreiung Kämen doch die Amerikaner !!!110 (Deutsch, Zelle 4)

Abb. 7: Inschrift in Zelle 4 (Foto: A. C. Wagner. Rheinisches Bildarchiv/rba d015387-73).

7. März 1945 Earl Huge, Cleveland/Ohio 108 Jung 2014, 378 m. Abb. auf 278 f. 109 Jung 2014, 379 m. Abb. auf 280. 110 Jung 2014, 314 m. Abb. auf 298 f.

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Dritte Panzerdivision111 [Am 7. März 1945, einen Tag nach der Befreiung, trug sich ein amerikanischer Soldat in Zelle 2 ein.] (Englisch, Zelle 2) Am Leben geblieben. 30.6.(19)45112 (Russisch, Zelle 1) Biografien Von der Großzahl der Inschriften ist nicht bekannt, wer sie geschrieben hat. Doch von einigen Häftlingen, die Inschriften hinterlassen haben, sind mittlerweile die Biografien bekannt, die für die Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte besonders interessant und anrührend sind. Die Geschichte der 25-jährigen Französin Marinette ist besonders ausführlich überliefert, weil ihre Inschriften in der Zelle 3 eine ganze Wand bedecken. Sie liefert auch – wie bereits oben erwähnt113 – wichtige Informationen über die Haftund Lebensbedingungen. Marinette war 1944 ihrem Ehemann nach Deutschland gefolgt und arbeitete als Hausmädchen bei einer deutschen Familie. Gemeinsam mit Mitgliedern der Familie wurde Marinette von der Gestapo wegen des Verdachts auf Widerstandsaktivitäten verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt war sie im achten Monat schwanger. Zur Geburt ihres Kindes kam sie in ein Kölner Krankenhaus, musste jedoch zehn Tage danach ohne die kleine Tochter Christiane zurück in die Zelle im Kölner Gestapogefängnis. Mutter und Tochter überlebten und kehrten zusammen mit Ehemann bzw. Vater nach Frankreich zurück. Meine liebe kleine Mama, ich habe dich in einem Augenblick der Verwirrung verlassen, wenn du wüsstest, wie sehr mir das leid tut, dass kannst du dir nicht vorstellen! Ich bin im Gefängnis, ich weiß nicht warum, ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen, und trotzdem bin ich schon fünfzehn Tage eingesperrt! Wenn ich wenigsten verhört würde! Aber trotz allem vertraue ich auf Gott, er wird mir helfen, aus dieser bösen Sackgasse herauszukommen, in der ich stecke. Nichts geht über unser geliebtes Frankreich, wo wir soviel Freiheiten hatten, und das wussten wir nicht zu schätzen! Aber ich hoffe, dass ich bald wieder zurück bin in Frankreich, bei meinen Brüdern und Schwestern, 111 Jung 2014, 395 m. Abb. auf 297. 112 Jung 2014, 358 m. Abb. auf 300 f. 113 S. o. S. 287.

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und dir, liebe kleine Mama, der ich soviel Tränen bereitet habe, verspreche ich, dass ich in Zukunft ganz lieb sein werde, und hoffentlich sind meine Schwestern nicht so dumm, so weit wegzugehen! Und als Wiedergutmachung bringe ich dir meine kleine Tochter Christiane mit, die am 12.1.45 geboren wurde. Alle meine zärtlichsten Küsse von deiner Tochter Marinette, und ebenso von deiner Enkelin und deinem Schwiegersohn Jeannot! Ja, ich wollte ihm folgen, damit er ein besseres Leben führen könnte, und jetzt bin ich es, die eingesperrt ist.114 (Französisch, Zelle 3)

Abb 8: Weitere Inschrift der Französin Marinette in Zelle 3 (Foto: A. C. Wagner. Rheinisches Bildarchiv/rba d015387-95).

114 Jung 2014, 332 m. Abb. auf 262 f.

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Askold Kurow war als 16-Jähriger aus der Sowjetunion zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden. Wegen Sabotageakten kam er in Gestapohaft. Auch wenn er bereits einen Abschiedsbrief an die Wand in Zelle 1 schrieb (Abb. 9), überlebte er, weil ihm als einer der ganz Wenigen auf abenteuerliche Weise die Flucht aus der Gestapohaft im EL-DE-Haus gelang. Hier bei der Gestapo haben zwei Freunde gesessen aus dem Lager Messe seit dem 24.12. 44, Kurow Askold und Gaidai Wladimir, jetzt ist schon der 3. 2. 45. Heute ist der 3. 2. 45., 40 Leute wurden gehängt. Wir haben schon 43 Tage gesessen, das Verhör geht zu Ende, jetzt sind wir mit dem Galgen an der Reihe. Ich bitte diejenigen, die uns kennen, unseren Kameraden auszurichten, dass auch wir in diesen Folterkammern umgekommen sind. Heute ist der 4. 2. 45, 5. 2., 6. 2., 7. 2., 8. 2. 45, 9. 2., 10. 2.115 (Russisch, Zelle 1)

Abb. 9: Inschrift von Askold Kurow in Zelle 1 (Foto: A. C. Wagner. Rheinisches Bildarchiv/rba d015387-03).

115 Jung 2014, 344 m. Abb. auf 292.

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Werner Jung

Gertrud („Mucki“) Kühlem kam als Edelweißpiratin in Gestapohaft. Im Gestapogefängnis sind die Anfangszeilen von zwei Liedern erhalten, die Edelweißpiraten auf ihren Ausflügen sangen. In Junkers Kneipe116 (Deutsch, Zelle 4) Rio die Schanero AHeu Kapalero Edelweißpiraten sind treu117 (Deutsch, Zelle 9) Die 19-jährige polnische Zwangsarbeiterin Teoflia („Tola“) Turska wurde 1944 von der Gestapo verhaftet, weil ihr Freund Leonard („Lolek“) Kedzierski in einer Widerstandsgruppe polnischer Unteroffiziere aktiv war und bei dessen Verhaftung ein Foto mit ihr gefunden wurde. Tola überlebte die Gestapohaft in Köln und die Internierung in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Mauthausen. Lolek, durch Deine Liebe Leide ich hier. Tola118 (Polnisch, Zelle 4) Der Kölner Junge Hans Weinsheimer kam Anfang 1944 als 15-Jähriger in sechswöchige Gestapohaft, weil er Verbindungen zur bündischen Jugend und zu den Edelweißpiraten hatte. Seine Mutter kam jeden Abend zum EL-DE-Haus und sprach mit ihm durch das Zellenfenster und gab manchmal auch Butterbrote bei den Wachleuten ab, die Hans auch gegeben wurden. Wenn keiner An dich denkt. Deine Mutter Dankt an dich. Hans Weinsheime(r) 1944119 (Deutsch, Zelle 1) (Abb. 10)

116 117 118 119

Jung 2014, 314 m. Abb. auf 83. Jung 2014, 323 m. Abb. auf 83. Jung 2014, 391 m. Abb. auf 241. Jung 2014, 308 m. Abb. auf 303.

Zeugnisse der Opfer

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Abb. 10: Inschrift von Hans Weinsheimer in Zelle 1 (Foto: A. C. Wagner. Rheinisches Bildarchiv/rba d015387-11).

Sich ein Denkmal gesetzt Die Kölner Gedenkstätte Gestapogefängnis stellt einen sehr gut erhaltenen authentischen Gedenkort dar. Die zahlreichen Inschriften und Zeichnungen üben auf die Besucherinnen und Besucher eine starke Wirkung aus. Diese wird wesentlich dadurch erzeugt, dass die Inschriften dem heutigen Betrachter die Häftlinge menschlich nahe bringen. Hier sprechen nicht anonyme Opfer, sondern Menschen mit ihren Ängsten, in großer Verzweiflung, aber auch mit Widerständigkeit, die sogar selbst in der lebensbedrohlichen Gefängnishaft mitunter Ironie und Humor aufbrachten. Immer wieder betonen die Häftlinge, man möge sie nicht vergessen, auch nicht die Taten ihrer Peiniger. Die Opfer wollten nicht auch noch durch Vergessen ausgelöscht werden. Dass dies nicht geschieht, ist vor allem den vielen Häftlingen, die sich auf eine ganz beeindruckende Art und Weise auf den Zellenwänden und Zellentüren verewigt haben, zu verdanken. Sie sind es, die sich ein Denkmal gesetzt haben. Und sie sind es, die den Nachkommenden (auch dem NSDokumentationszentrum) den Auftrag gegeben haben, an sie und die an ihnen begangenen Taten zu erinnern.

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ENGLISH ABSTRACT Witnesses of the victims: graffitis in the Cologne Gestapo prison. The EL-DE Building was the headquarters of the Cologne Gestapo. The prison consisted of ten cells, washrooms and sanitary facilities as well as rooms for the Gestapo guards. The prisoners left over 1,800 very emphatic graffitis on the walls during their life-threatening imprisonment. Words of farewell, protest, despair, hope, longing and of love. These prison’s walls have a voice. It is a matter of historical irony that the Gestapo house and prison were spared during the war and hardly altered afterwards. In 1981, the Gestapo prison memorial opened its gates and, thanks to the numerous inscriptions, represents an unusual and authentic place of remembrance of national and European significance. Unique in nature, the prisoners’ graffitis are an imminent and intense reminder of the terrors of the NS regime. The graffitis date from the period of the end of 1943 until the 30th of June 1945. The walls of the cells had been painted at the end of 1943 after having been damaged during a bomb attack. Elder graffitis were whitewashed. Sometimes they are shimmering through the upper layer of colour which has chipped off. Though the graffitis are mirroring the final stage of World War II when there had been a great number of forced workers as well as prisoners of war in Cologne, the Jews had been deported and the political resistance of the first years after the seizure of power long since had been broken down. The prisoners’ graffitis are an authentic historical source giving important informations about the situation of custody, the prisoners’ origin and personality, about the culprits and much more. As the Gestapo had not prohibited the graffitis and drawings neither had prosecuted respectively the graffitis are mirroring immediately the prisoners’ attitudes and opinions. In comparison the prisoners’ statements found in the records of interrogation are nothing like authentic statements of the victims.

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Frank Daubner

Makedonien nach den Königen (168 v. Chr. – 14 n. Chr.)

hIstorIa – eInzelschrIft 251 der autor Frank Daubner lehrt Alte Geschichte an der Universität Trier. Seine Forschungsschwerpunkte liegen zum einen in Makedonien, Epiros und Süditalien, wo er das Verhältnis von Stammesgesellschaften und Stadtentwicklung untersucht, zum anderen beschäftigt er sich mit den Ursprüngen des hellenistischen Königtums.

2018 357 Seiten mit 1 Karte und 4 s/w-Abbildungen 978-3-515-12038-8 gebunden 978-3-515-12041-8 e-book

Im Zuge der Eroberung Makedoniens durch Rom im Jahr 168 v. Chr. und der darauf folgenden Gesetzgebung veränderten sich die gesellschaftlichen Strukturen, wurden die königszeitlichen Führungsschichten zerschlagen. Wie konnte sich im Anschluß daran aus den heterogenen Identitätsgruppen der provinzialen Gesellschaft Makedoniens – Makedonen, Griechen, Thrakern, Illyrern, Epiroten, Kleinasiaten, Italikern und Römern – eine übergreifende Identität bilden? Frank Daubner geht dieser Frage anhand eines weiten Spektrums an Quellen nach und betrachtet dabei die gesamte Provinz unabhängig von den heutigen Staatsgrenzen. Schwerpunkte setzt er bei der Untersuchung der römischen Gesetzgebung nach der Eroberung, der Integration von römischen Kolonien und Kolonisten in die Provinzlandschaft und der augusteischen Zeit – in der sich anhand von Inschriften und Bauten erstmals die neuentstandene „provinziale“ Elite nachweisen läßt. Daubner kann so den chronologischen und regional differenzierten Prozeß zeigen, in dem sich aus den Überresten der zerstörten staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen des Landes wieder eine funktionsfähige Gesellschaft entwickelte. aus dem Inhalt Einleitung | Der Beginn der römischen Herrschaft in Makedonien | Die Zeit des Protektorats, 167–148 v. Chr. | Von Dyrrhachion bis Akontisma – Bevölkerungsgeschichtliche Entwicklungen | Augustus in Makedonien | Appendix: Die Münzprägung der königszeitlichen Merides | Quellen- und Literaturverzeichnis | Register

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Klaus Tausend

Pylos und sein Heer Untersuchungen zum spätmykenischen Militärwesen Mit Beiträgen von Fritz Blakolmer, Andreas Konecny und Michaela Zinko

GeoGraphIca hIstorIca – banD 39 Der autor Klaus Tausend, Studium der Alten Geschichte und Klassischen Philologie, ist Leiter des Zentrums Antike der Universität Graz. Forschungsschwerpunkte: Mykenologie, Antike Militärgeschichte, Germanische Geschichte.

2018 361 Seiten mit 6 Karten und 31 s/w-Abbildungen 978-3-515-12120-0 kart. 978-3-515-12122-4 e-book

Am Beispiel des Reiches von Pylos und auf Basis der Linear B-Texte bietet dieser Band eine umfassende Darstellung des spätmykenischen Militärwesens, seiner Organisation und seiner wirtschaftlichen Implikationen. Ein kommentierter Überblick über die Funde von Waffen und Rüstungen der spätmykenischen Zeit veranschaulicht den letzten Stand der Forschung – ergänzt durch eine Zusammenstellung der bildlichen Darstellung von Waffen, Kriegern und vor allem Kampfszenen. Die gemeinsame Präsentation von Texten, Bildern und archäologischen Quellen ermöglicht so erstmals ein Gesamtbild der bisher wenig erforschten Militärgeschichte der spätmykenischen Zeit. Ein Anhang über das hethitische Militärwesen des 13. und 14. Jahrhunderts ermöglicht zudem den Vergleich zweier spätbronzezeitlicher Militärorganisationen im Hinblick auf Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede im Heereswesen der beiden Kulturen – die gegenseitigen Einflüsse und der Austausch auf diesem Gebiet können so sichtbar gemacht werden. aus Dem Inhalt Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund | Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit | Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte | Formen und Einsatz des mykenischen Streitwagens | Die o-ka-Tafeln | Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln | Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos | Der geographische Aspekt: Lokale Herkunft und räumliche Verteilung des pylischen Heeres | Das hethitische Militär: Struktur und Organisation | Mykenische und hethitische Militärorganisation: Ein Vergleich | Literatur | Register

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Das Bedürfnis, ein Zeichen der eigenen Anwesenheit zu hinterlassen, ist eine Kulturkonstante, die sich durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte zieht. Namen, Berufssymbole, Porträtzeichnungen oder Handabdrücke sind Ausdruck der eigenen Identität und kennzeichnen Plätze, die von Menschen besucht wurden oder an denen sich Menschen aufgehalten haben. Solche Erinnerungsgraffiti verbinden Schicksale mit Orten und liefern Informationen über die Menschen, die z. B. das antike Pompeji belebten, mittelalterliche Pilgerorte bereisten oder im Gestapogefängnis in Köln gefangen gehalten wurden. Mit jeglichen gerade verfügbaren Schreibmaterialien angefertigt, geben sie Einblicke in spezifische Situationen und Lebensumstände, die sich aus anderen Quellengattungen in dieser Form nicht erschließen lassen: Sie verweisen auf die Bedeutung bestimmter Orte oder geben Einblicke in das Alltagsleben. Erstmals zeigen die Autorinnen und Autoren mit dieser diachronen Zusammenstellung historischer Graffiti auf, für welche unterschiedlichen Lebensbereiche, Personen oder Gruppen die informellen Inschriften als Quellen fungieren können.

ISBN 978-3-515-12204-7

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7835 1 5 1 2 204 7

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