Heilige Poesie: Zu einem literarischen Modell bei Pyra, Klopstock und Wieland [Reprint 2014 ed.] 9783110922349, 9783484181441

The upheavals in European philosophy, religion and literature caused by the advent of the Age of Enlightenment did not l

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German Pages 263 [264] Year 1997

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Table of contents :
Einleitung
I. Die schöne Fülle der Vollkommenheit
Vollkommenheit
Ästhetisches Licht
Herrlichkeit
Lebendige Erkenntnis
II. Architektur der Heiligen Poesie: Immanuel Jakob Pyra, Der Tempel der wahren Dichtkunst
Poesie als Aergerniß
Allegorie der Heiligen Poesie
Visio christiana
Ein anderer Tempel
Das Gedächtnis Heiliger Poesie
Heilige Poesie als Kunst
Heilige Poesie und das Erhabene
III. Darstellung der Heiligen Poesie: Friedrich Gottlieb Klopstock, Der Messias
Heiliger Wettstreit
Typologie
Von der heiligen Poesie
Heilige Poesie und das Böse
Gott denken
IV. Heilige Poesie zwischen Natur- und Heilsordnung: Christoph Martin Wieland, Die Natur der Dinge
Heilige Poesie der Natur
Beseelte Ordnung
Poetische Kosmologie nach Origenes
Ästhetik
Heilige Poesie als Eklektizismus
V. Differenz und Differenzierung
Heilige Poesie als Differenzierung
Die Differenz zwischen Religion und Poesie
Die Differenz zwischen Literatur und Heiliger Poesie
Literaturverzeichnis
Personenregister
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Heilige Poesie: Zu einem literarischen Modell bei Pyra, Klopstock und Wieland [Reprint 2014 ed.]
 9783110922349, 9783484181441

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STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR

Herausgegeben von Wilfried Barner, Georg Braungart, Richard Brinkmann und Conrad Wiedemann

Band 144

Joachim Jacob

Heilige Poesie Zu einem literarischen Modell bei Pyra, Klopstock und Wieland

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1997

Die Entstehung der Arbeit wurde gefördert durch ein Stipendium des Evangelischen Studienwerkes e.V., Villigst. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort.

D 30 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Jacob, Joachim: Heilige Poesie : zu einem literarischen Modell bei Pyra, Klopstock und Wieland / Joachim Jacob. - Tübingen : Niemeyer, 1997 (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 144) ISBN 3-484-18144-3

ISSN 0081-7236

© Max Niemeyer Verlag G m b H & Co. KG, Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Buchbinder: Geiger, Ammerbuch

Inhalt

Einleitung I.

ι

Die schöne Fülle der Vollkommenheit

17

— Vollkommenheit

18

— Ästhetisches Licht

31

— Herrlichkeit

39

— Lebendige Erkenntnis

43

II. Architektur der Heiligen Poesie: Immanuel Jakob Pyra, Der Tempel der wahren Dichtkunst

55

— Poesie als Aergerniß

57

— Allegorie der Heiligen Poesie

60

— V i s i o Christiana

70

— Ein anderer Tempel

78

— Das Gedächtnis Heiliger Poesie

82

— Heilige Poesie als Kunst

90

— Heilige Poesie und das Erhabene

96

III. Darstellung der Heiligen Poesie: Friedrich Gottlieb Klopstock, Der Messias

in

— Heiliger Wettstreit

112

— Typologie

126

— Von der heiligen Poesie

135

— Heilige Poesie und das Böse

151

— Gott denken

157

IV. Heilige Poesie zwischen Natur- und Heilsordnung: Christoph Martin Wieland, Die Natur der Dinge — Heilige Poesie der Natur — Beseelte Ordnung

172 175

'

184

— Poetische Kosmologie nach Orígenes

192

— Ästhetik

198

— Heilige Poesie als Eklektizismus

205

V. Differenz und Differenzierung

217

— Heilige Poesie als Differenzierung

219

— Die Differenz zwischen Religion und Poesie

221

— Die Differenz zwischen Literatur und Heiliger Poesie

237

Literaturverzeichnis

242

Personenregister

257

V

[...] wer kan schreiben wie GOtt? (Samuel Gotthold Lange, Oden Davids, Halle 1746)

Einleitung

Mein Tag ist sehr besetzt. Außer der täglichen griechischen Stunde gebe ich dreimal die Woche englische Stunde im Milton an Andreas und Kellermann und dreimal die Woche lese ich den Messias mit meinen Töchtern. Dazu reißt der Ossian mich täglich verschiedene Stunden hin und irgend eine Lectüre daneben ist mir Bedürfniß.' Das zeitraubende Lesepensum, über das Friedrich Leopold G r a f zu Stolberg seiner Schwester Katharina am 1 5 . 1 1 . 1 8 0 3

aus

Münster Bericht erstattet, u m -

reißt den aus dem vergangenen Jahrhundert ererbten Kanon der epischen Literatur. Für die wöchentliche Unterrichtung des Stolbergschen Nachwuchses sind dabei die maßgeblichen Exempel Heiliger Poesie reserviert. Daß zum Z e i t p u n k t dieser Zeilen der » M i l t o n « , J o h n Miltons Paradise

Lost, und der »Messias«,

Friedrich Gottlieb Klopstocks Der Messias, nicht mehr die Avantgarde, sondern eher die Nachhut des literarischen Geschmacks bilden — anders als J a m e s Macphersons elegische und wohl eher heidnisch als heilig zu nennende

Ossian-Poe-

sie, an deren deutscher Übertragung Stolberg arbeitet —, muß ihren pädagogischen Wert nicht mindern. Daß dabei im Stolbergschen Hause die Lektüre von Paradise Lost der Erziehung des männlichen und die des Messias dem weiblichen Geschlecht vorbehalten ist, ist kein Zufall. Konnte doch wohl Miltons homerisches Epos vom K r i e g der Engel und dem Abfall der Menschen eher zur Ertüchtigung stärkerer G e m ü t e r dienen, während sich am »zärtlichen K l o p s t o c k « 2 schon Generationen von Lesenden zur Empfindsamkeit gebildet hatten. D e r Epoche der Ausprägung dieser Heiligen Poesie in Deutschland gilt das Interesse der folgenden Untersuchung. In ihrem Z e n t r u m steht Klopstocks Epos Der Messias, dessen erste drei Gesänge 1 7 4 8 im vierten Band der Bremer Neuen Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes erscheinen. Der entschiedene, >hohe Tonzärtliche< Klopstock, in: Friedrich Gottlieb Klopstock, hrsg. v. H. L. Arnold, München 1 9 8 1 , S. 59—69. I

logische und theologische Komplexionen eingewoben, die dieser Literatur reflexive Widerstände verleihen, die auch die geschickt gelegten Spuren enthusiastischer B e w e g u n g und die suggerierte Unmittelbarkeit seines Ursprungs nicht auflösen oder überspringen. Die hier vorgestellte Heilige Poesie ist sich vielmehr von B e g i n n an selbst problematisch, und die Behauptung des

Messias-Oichters,

d a ß , wo eine so g r o ß e und herliche Materie sich f i n d e t , auch die g a n z e Schönheit der Poesie, g l e i c h s a m w i e auf einem e i n z i g e n u n d d e m g r ö ß t e n Schauplatze erscheinen müsse, 3

beschreibt denn auch mehr ein herausforderndes Programm als deren selbstgewisse Erfüllung. Schon als solches ist dieses Vorhaben nicht unumstritten. Einer der schärfsten zeitgenössischen Kritiker Klopstocks etwa, L u d w i g Friedrich H u d e m a n n , konnte in solch gemeinsamem A u f t r i t t von Dichtkunst und Religion nur den abstoßenden Versuch entdecken, das allerteuerste G e h e i m n i ß der d u r c h den Sohn G o t t e s g e s t i f t e t e n Erlösung

mit

einer poetischen T ü n c h e zu überziehen, und sie z u einem g e r i n g s c h ä t z i g e n Spiel der ausschweifenden Phantasey z u machen. 4

So sah sich K l o p s t o c k genötigt, ausgreifendere Erläuterungen nachzutragen, die 1 7 5 5 der Kopenhagener Ausgabe der ersten zehn Gesänge des Messias vorangestellt wurden. K l o p s t o c k s A b h a n d l u n g Von der heiligen Poesie beschäftigt sich nun allerdings nicht — wie etwa zur gleichen Z e i t Robert Lowth in seinen 1 7 5 3 publizierten, höchst einflußreichen Vorlesungen De sacra Poesi Hehraeorum"' — m i t der »heiligen Poesie der Hebräer«, der biblischen Poesie der Psalmen, sondern belegt statt dessen m i t dem B e g r i f f der Heiligen Poesie nachbiblische G e d i c h t e , die »auf den erhabnen Schauplatz der Religion führen«/' Z u rechtfertigen seien diese, so Klopstock, insofern, auch nach poetischer D e n k u n g s a r t , dasjenige, was uns die O f f e n b a r u n g lehrt, weiter zu entwickeln7

sei. Diese Formulierung führt in das Z e n t r u m des Problems. Sie gründet das Projekt einer Heiligen Poesie auf einer Gedankenfigur, die das Zeitalter als Ganzes und als modernes charakterisiert, der Idee der Differenzierung. N i c h t nur für K l o p s t o c k , sondern auch für den ersten Propagandisten Heiliger Poesie in

5

Friedrich G o t t l i e b K l o p s t o c k , Abschiedsrede, zitiert nach: C . F. Cramer, Klopstock. Er; und Uber ihn, Teil 1, H a m b u r g 1780, S. 6 1 .

4

L u d w i g Friedrich H u d e m a n n , Gedanken Uber den Messias in Absicht auf die

Religion,

R o s t o c k u n d W i s m a r 1 7 5 4 , S. 5. 5

1 7 5 7 erscheint i m ersten Band der Bibliothek

der schönen Wissenschaften und der freyen

Künste ein ausführlicher A u s z u g der V o r l e s u n g e n , d e m eine k o m m e n t i e r t e A u s g a b e des g a n z e n W e r k s v o n Johann David Michaelis, G ö t t i n g e n 1 7 5 8 - 1 7 6 1 , f o l g t . Friedrich G o t t l i e b K l o p s t o c k , Von der heiligen Poesie, zitiert nach: ders., Der Messias. Gesang I—lll, 7

2

E b d . , S. 1 1 6 .

hrsg. v. E. H ö p k e r - H e r b e r g , S t u t t g a r t 1 9 8 6 , Anhang,

S. 1 1 5 .

dieser Bedeutung, Immanuel J a k o b Pyra, wie auch für einen ihrer ersten Rezipienten, Christoph Martin Wieland, g i l t , daß die Heilige Poesie erst als ein spezifisch literarisches bzw. sprachästhetisches Modell ihren Sinn g e w i n n t . 8 N i c h t von ungefähr ist der »Schauplatz« eine leitende Metapher, um diese neue Literatur zu etablieren. Dabei verkehrt sich deren aus Mittelalter und Barock überlieferte Bedeutung als eines von einem allgewaltigen G o t t gelenkten

theatrum

mundi9

auf

bezeichnende

Weise

in

eine

anthropozentrierte

Ästhetik. Denn die Heilige Poesie versteht sich als eine eigene Form der Darstell u n g der Religion, die deren Gehalt in einem neuen Licht inszenieren und erscheinen lassen will. Doch koinzidiert diese Absicht weniger, als zu vermuten wäre, mit der Karriere »malender Poesie« in der Literatur und Poetologie der A u f k l ä r u n g . Der Leser wird vielmehr einer imaginären Vorstellung folgen, welche die seit Augustinus im christlichen Kontext problematisierte Augenlust nurmehr höchst sublimiert b e f r i e d i g t . 1 0 Nicht mit den Mitteln eines naiv malenden Illusionismus, der die Beschränkungen des vom unmittelbaren optischen Eindruck abstrahierenden sprachlichen Mediums zu überspielen trachtet, sondern nach »poetischer Denkungsart« soll entwickelt werden, was nur Heilige Poesie darstellen kann. Mit der später im einzelnen zu entfaltenden »poetischen Denkungsart« stehen differenzierte Möglichkeiten bereit, die »große und herliche Materie« des Alten und Neuen Testaments als ein Ereignis zu präsentieren, das die Sinne ihrer Leser aufs höchste erfüllt und bewegt — und die christliche Offenbarung als Heilige Poesie nicht trotz, sondern wegen ihrer Sprachgestalt zur Sensation steigern will. Die Erweiterung der Vorstellungskraft und das Interesse an anschaulicher Erkenntnis, die sich der Heiligen Poesie als wesentliche Motive zuschreiben lassen, berühren sich nicht zufällig mit dem Grundgedanken der sich gleichzeitig formierenden philosophischen Ästhetik. In Alexander Gottlieb Baumgartens Dissertation Meditationes philosophkae de nonnullis et poema pertinentibus

(1735),

welche die Disziplin begründet und ihr ihren Namen g i b t , " erscheint die Poesie nicht nur als Paradigma ästhetischer Erkenntnis, sondern deutet sich auch schon an, was Baumgarten in der Folgezeit genauer ausarbeiten wird, daß die »sinnliche Erkenntnis« ein notwendiges Korrelat der Verstandeseinsicht ist. Besonders der bei Baumgarten in Halle studierende Pyra wird aus diesem Gedanken ein Argument f ü r Heilige Poesie und gegen ihre kunst- oder genauer:

8

9

10 11

Ob daraus — gegen übliche Periodisierungen — auch schon folgen muß, die Heilige Poesie als Teil einer literarischen Moderne zu verstehen, ist damit noch nicht entschieden. Zur Tradition vgl. E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern und München ' 1 9 6 1 , S. I48ff. Aurelius Augustinus, Confessiones VI,8. Alexander Gottlieb Baumgarten, Meditationes philosophkae de nonnullis et poema pertinentibus, § cxvi. 3

sprachkritischen Verächter machen. So ist die Literarisierung der christlichen Religion und die Sakralisierung der Literatur durchaus nicht nur ein unter theologischen Voraussetzungen zu beschreibendes Programm, sondern m i t gleichem Recht auch eines, das zur poetologischen Reflexion auf die Möglichkeiten und den Zusammenhang von Vorstellung und Darstellung einer nicht nur »großen und herrlichen«, sondern auch einer schwierigen und bisweilen ganz unanschaulichen Materie drängt. Wenn es auch gute Gründe g i b t , die Heilige Poesie zunächst als ein literarisches Projekt zu lesen, ist doch ebenso deutlich, daß nicht der artifiziellen Differenzierung das Interesse ihrer Autoren g i l t . Versucht werden soll vielmehr, einer zeitgenössischen, christlich g u t unterrichteten Lesegemeinde die christliche O f f e n b a r u n g auf eine neue Weise zu vergegenwärtigen. Im Ergebnis führt dies zu einer komplexen Struktur, die Funktion und Verfahren innerhalb einer sich durchaus heteronom bestimmt verstehenden K u n s t trennt und darum eine mit hoher ästhetischer Sensibilität entfaltete »poetische Denkungsart« gleichwohl der » E n t w i c k l u n g « religiösen Sinns unterstellt. 1 2 Dies irritierte und irritiert bis heute die eingespielten autonomieästhetischen Kategorien späterer Leser, wie andererseits die theologisch begründete Askese gegenüber dem Arkanum der christlichen Religion. In der Folge reagierte die sich im wesentlichen auf Klopstock konzentrierende literaturwissenschaftliche Forschung zur Heiligen Poesie auf dieses komplexe Programm und seine doppelte Irritation m i t der zwar auf unterschiedlichste Weise und mit unterschiedlichster Sorgfalt begründeten, aber doch überraschend einhellig getroffenen Feststellung, daß die Heilige Poesie ein gescheitertes Projekt sei. Entsprechend der erklärten, doppelseitigen Absicht der Heiligen Poesie K l o p stocks - deren K r i t i k hier exemplarisch für die Problemstellung im ganzen zu nehmen ist —, die christliche Offenbarung poetisch zu denken, scheitert diese nach dem Urteil der Forschung entweder an den vermeintlichen Ansprüchen des Heiligen oder der Poesie. Insofern läßt sich abstrahierend eine >theologische< und eine >ästhetische< Variante der K r i t i k unterscheiden. G.

Kaisers

wegweisende

Monographie

Klopstock.

Religion

und

Dichtung

( 1 9 6 3 ) , deren ausdrücklich formuliertes Anliegen gerade war, dem im Titel genannten Verhältnis in seiner Komplexität gerechter zu werden als die vorangegangene Klopstockforschung, situiert gleichwohl die Heilige Poesie im theologischen R a h m e n . Z w a r wendet sich Kaiser zunächst ausdrücklich dagegen, »das

12

4

Darum zentriert R. Herzog, Die Bibelepik der lateinischen Spätantike. Formgeschichte einer erbaulichen Gattung, München 1975, seine Überlegungen zur »Heteronomie christlicher Literatur«, oder allgemeiner: zur Form »unliterarisch verstandener und sich antiliterarisch proklamierender Literatur«, S. 58ff., um den Begriff der Erbauung, vgl. S. LXXVIff., pass.

Dichterische mit religiösen, das Religiöse mit dichterischen Maßstäben mess e n « 1 3 zu wollen, trotzdem müsse aber der »innere Zusammenhang von Form und Gehalt und damit jene Gesetzmäßigkeit ins Blickfeld« geraten, »unter der sich das dichterische Werk -

auch im Scheitern noch — als ganzheitliches

G e b i l d e a u s p r ä g t « . 1 4 Die hier erst einmal nicht weiter explizierte These vom »Scheitern« des Werks »als ganzheitliches Gebilde« — gemeint ist die innige Vermittlung von religiösem »Gehalt« und poetischer »Form« - läßt nach den diffundierenden Kräften fragen, die sein Gelingen verhindern. Kaisers Resümee über die Dichtung Klopstocks g i b t die Antwort: Beim Versuch, die Menschenwelt zu sprengen und in die Welt Gottes vorzudringen, muß Klopstock in einer grenzenlosen Unendlichkeit landen, die sich in einer abstrakten Innerlichkeit spiegelt. Alle Bilder sind hier eigentlich Mißverständnisse, und alle Erscheinungen verfließen. Die unepischen Eigenschaften des »Messias« haben also nicht in formaler Willkür oder einem subjektiven artistischen Versagen ihre letzte Ursache. Die Problematik des Werkes ist in der geistigen Gesamtkonzeption begründet, und diese trägt wiederum in fast tragischer Weise das Siegel einer geschichtlichen Situation. 15 Kurz, anders als Klopstock glaubte, ist der Schauplatz falsch gewählt. D i e »Welt Gottes« ist für den Dichter, folgt man jedenfalls Kaiser, unerlaubtes Terrain, und der »Versuch, die Menschenwelt zu sprengen«, destruiert allein die literarische G a t t u n g . 1 6 Die Tragödie, die auf diesem Schauplatz gegeben wird und deren H e l d der Dichter ist, der das »Siegel einer geschichtlichen Situation« nicht lösen kann, ist die Säkularisierung. 1 7 Klopstocks D i c h t u n g markiert in diesem Prozeß der Verweltlichung ursprünglich theologischer Besitzstände genau den Punkt, in dem sich nach Kaisers Vorstellung Literaturund Religionsgeschichte m i t bemerkenswerter Präzision gerade so kreuzen, daß Dichtung und Offenbarung zu Heiliger Poesie verschmelzen. 1 8 Der Sinn dieser ,J

G. Kaiser, Klopstock. Religion und Dichtung, Gütersloh 1963, S. 25. Ebd. " Ebd., S. 258. ,heilige Poesiegeistfemer< Sprachmagie verfangen. In der Diskussion

des Extremphänomens des Erhabenen konzentriert sich damit noch einmal die poetisch differenzierte, eigenmächtig gewordene Einbildungskraft in ihrer ganzen Problematik. Pyra sucht sein Heil bei der Lösung dieses Dilemmas darin, das sprachliche Zeichen nach den Regeln aufgeklärter Semiotik zu neutralisieren. Dessen heilszuträgliche Verwendung wird zu einer Frage der Moral, welche die rhetorisch-poetische Dynamik gleichsam am Abdriften hindern und die Religion m i t der Poesie verklammern soll. Im Z e n t r u m der Untersuchung steht die Heilige Poesie Friedrich Gottlieb K l o p stocks, wie sie sich als Theorie und Praxis einer »poetischen Denkungsart« christlicher Offenbarung darstellt (III). Möglich wird eine solche Heilige Poesie durch die in Klopstocks Abhandlung Von der heiligen Poesie näher begründete systematische Trennung der christlichen Materie: dem »Hauptplan der Religion: Grosse wunderbare Begebenheiten, die geschehen sind, noch wunderbarere, die geschehen sollen! eben solche Wahrheiten!«, 4 4 von ihrer literarischen Artikulation: der »Schreibart der O f f e n b a r u n g « . 4 5 Während der »Hauptplan der Religion« den modernen Dichter Heiliger Poesie zur Nachfolge verpflichtet, tut dies die »Schreibart der Offenbarung« nicht. Keine historische Bibelkritik, wie sie die theologische Aufklärung einige Jahre später betreiben wird, sondern gewissermaßen eine poetische Bibelkritik mit einer ganz eigenen » K u n s t des Plans« 4 6 begründet eine Heilige Poesie, die der christlichen Offenbarung einen neuen Text schreiben will. Das Motiv für das gemeinsame Auftreten der Poesie und der Religion auf einem Schauplatz ist die kunstfertige Entwicklung einer »poetischen Denkungsart«, die der Vergegenwärtigung der Offenbarung hilfreich sein kann. N a c h

44 45 46

12

die Erfindung frommer und dabey vernünftiger Entdeckungen, theils das Vergnügen darüber die A n d a c h t der E i n b i l d u n g s k r a f t heißen.« Gedanken über die Frage: Wie weit Erdichtungen in Epopeen, welche Begebenheiten in der Religion zum Gegenstände haben, zugelassen seyn können?, in: Sammlung Vermischter Schriften, von den Verfassern der Bremischen neuen Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, Bd. 3 (1752), S. 38. Friedrich Gottlieb Klopstock, Von der heiligen Poesie, S. 125. Ebd. Ebd., S. 1 2 1 .

Klopstocks Auffassung ist sie dies vor allem darum, weil durch das kalkulierte Verfahren poetischer Darstellung eine Bewegung der ganzen Seele stimuliert werden kann, die deren Vorstellungskraft potenziert. Diesen Zusammenhang entfaltet Klopstock in einer eigenen Abhandlung, Von der besten Art über Gott zu denken (1758). 4 7 Ihre Merkmale sind Schnelligkeit und Komplexität, mit denen insbesondere die durch die rationalistische Analytik der Seelenvermögen gezogenen naturgegebenen Grenzen der Vorstellungskraft überspielt werden sollen. Das Heilige erscheint hier ganz von der Gestalt eines christlichen »Mittlers« gelöst als die unendliche Fülle einer komprimierten göttlichen Offenbarung, deren Entfaltung nicht beruhigt und fromm für das Ende der Zeit erwartet, sondern bewegt durch die permanente Steigerung der Vorstellungskraft begonnen werden soll. Die sich hier andeutende eschatologische Bewegung Heiliger Poesie zeichnet sich auch in der formulierten Absicht ab, die christliche Offenbarung zu »entwickeln«. Die zeitgenössisch vertraute theologische Figur, auf die hin dieser Entwicklungsgedanke interpretiert werden kann, ist die der >TypologieTypus< und erfüllendem >Anti-Typusneuer Welten< ernst nehmend, präsentiert Klopstock nun auf dem Schauplatz des Messias die auf eine neue, verklärte Welt geöffnete christliche Heilsgeschichte. Doch die Absicht dieser poetische Antizipation ist nicht, das typologische Spannungsverhältnis zwischen Geheimnis und Offenbarung aufzulösen, sondern es für ihre christlich vorbereiteten Leser als eine Wechselbewegung von Erfüllung und Erwartung empfindbar zu aktualisieren.

47

So bedauerlich wie bezeichnend ist, daß W. Menninghaus in seiner höchst verdienstvollen kommentierten Neuausgabe der poetologischen Schriften Klopstocks auf diesen bemerkenswerten Text verzichtet, den schon Κ. A. Schleiden für seine zweibändige Klopstock-Ausgabe, Ausgewählte Werke, München und Wien ( 1 1 9 6 2 ) 4 1 9 8 1 , übersehen hat.

48

Ironie der (Literatur-)Geschichte ist, daß Klopstock dann umgehend selbst zum Opfer dieser Figur und seinerseits zum >Typus< erniedrigt werden wird. Mit schöner Deutlichkeit resümiert M. Freivogel, Klopstock der heilige Dichter, S. 1 1 9 : »Im >heiligen Dichter< war die >künftige< Gestalt des Genies gewissermaßen praefigurativ vorweggenommen [...] Als Gestalt der Ahnung und des Anspruchs steht Klopstock zwiespältig zwischen zwei Epochen: er ist >nicht mehr< und zugleich >noch nicht*, Dehnung der Herzen, um das Kommende zu fassen.«

!3

Daß der hier entwickelte Begriff Heiliger Poesie sinnvoll auch auf Christoph Martin Wielands frühes Lehrgedicht über Die Natur der Dinge anzuwenden ist, versteht sich nicht von selbst (IV). Mehr als die biographisch dokumentierte Klopstock-Verehrung des Autors, die auch im Text der Natur der Dinge ihre Spur hinterlassen hat, ist in dem hier rekonstruierten Zusammenhang Wielands Lehrgedicht als ein erstes Dokument der Rezeption der Heiligen Poesie von Bedeutung, deren Programm nun in gewisser Weise auf die Naturlehre übertragen werden soll. Poetisch soll mit Wielands komplementären Entwurf zum MessiasEpos nicht das Evangelium oder die christliche Dogmatik, sondern die Ordnung des Kosmos werden, deren Vollkommenheit von der Heilszuträglichkeit - dem aufgeklärten Begriff von Heiligkeit — dieser Schöpfung überzeugen soll. Entsprechend wetteifert diese Heilige Poesie nicht mit biblischen, sondern mit theoretischen Texten. Auch Wieland ist an der Überbietung gelegen, doch sein

Mittel

ist

nicht

die

Typologie,

sondern

der

frühaufklärerische

Eklektizismus. Aus der Fülle kosmologischer und erkenntnistheoretischer Modelle, die in der Natur der Dinge zitiert werden, um »die vollkommenste Welt welche möglich ist zu schildern, und zu zeigen, daß diejenige, von welcher wir einen sehr unansehnlichen Theil inne haben, eben nach diesem vollkommensten Grundriß gebauet sey«, 4 9 soll ein »philosophischer Roman« 5 0 entstehen, der seine Leser glückselig werden läßt. Im besonderen drängt sich mit Wielands Entwurf das Problem auf, welche Funktion der Natur, die bekanntlich in der zeitgenössischen Poetologie zur zentralen Begründungsinstanz erhoben worden war, in der Ästhetik einer Heiligen Poesie zukommt, die Natur- und Heilsgeschichte noch einmal harmonisch vermitteln will. Bleibt doch mit der christlichen - im lutherisch-orthodoxen Protestantismus wie auch im Pietismus verschärften — Vorstellung der gefallenen Natur gegenüber der erscheinenden herrlichen Natur ein Vorbehalt wirksam, der erst in der consummatio mundi, der Vollendung der göttlichen Schöp-

49

50

H

Christoph Martin Wieland, Die Natur der Dinge. Vorläufige Anmerkungen über die vollkommenste Welt, von welcher dieses Lehrgedicht ein Entwurf ist, Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften, ι . Abt. Werke, hrsg. v. F. Homeyer u. a., Nachdruck der Ausgabe Berlin 1 i ç o g f f . , Hildesheim 1 9 8 6 , Bd. I . i , S. 5. Christoph Martin Wieland, Briefwechsel, hrsg. v. H . W. Seiffert, Berlin 1 9 6 3 f r . , Bd. 1 , Nr. 3 7 , S. 54. Auch hier ist ein »Widerspruch« schnell bei der Hand. Doch an ihm »scheitert« nicht nur Wieland, sondern eine ganze Gattung: die Lehrdichtung. V g l . etwa H. T h o m é , Roman und Naturwissenschaft. Eine Studie zur Vorgeschichte der deutschen Klassik, Frankfurt a. M . , Bern und Las Vegas 1 9 7 8 , oder B . Fabian, Das Lehrgedicht als Problem der Poetik, in: Die nicht mehr schonen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen (Poetik und Hermeneutik Bd. III), hrsg. v. H. R . Jauß, München 1 9 6 8 , S. 6 7 - 8 9 , und dazu die Zweite Diskussion: Die poetische Illegitimität der Lehrdichtung, ebd., S. 549 — 557·

f u n g , a m E n d e der Zeit aufgelöst werden w i r d . 5 1 Die von Wieland vorgeschlag e n e L ö s u n g z e i g t e x e m p l a r i s c h die I n t e g r a t i o n s f ä h i g k e i t des r a t i o n a l i s t i s c h e n V o l l k o m m e n h e i t s b e g r i f f s , in d e n m i t e i n e m R ü c k g r i f f a u f d i e m a ß g e b l i c h v o n O r í g e n e s e i n g e f ü h r t e L e h r e v o n d e r >ApokatastasisEinfalt< zu

5

' Daraus resultierte für Hans Blumenberg der Grund, »christliche Ästhetik« überhaupt als Widerspruch in sich zu begreifen: »Die These, daß es eine genuin christliche Ästhetik nicht gegeben hat und nichc geben konnte, beruht auf dem elementaren Widerspruch der Zulassung und Formierung eines ästhetischen Weltverhältnisses zu dem eschatologischen Grundcharakter der neutestamentlichen Aussagen.« Hans Blumenberg, Vierte Diskussion. Gibt es eine christliche Ästhetik?, in: Die nicht mehr schönen Künste . . . , a.a.O., S. 605. Entsprechend schroff polarisiert Blumenberg an anderer Stelle zwischen der spielerisch reichen »Umständlichkeit« des Mythos und der »kargen Heilsökonomie« des Christentums, Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos, in: Terror und Spiel (Poetik und Hermeneutik Bd. IV), hrsg. v. M . Fuhrmann, München 1 9 7 1 , S. 42ff. Daß die Heilige Poesie aus dieser paradoxen Z u m u t u n g ein poetologisches Programm macht und »auf dem elementaren Widerspruch« eine poetische Praxis gründet, welche die eschatologisch begründete Negation oder vorsichtiger formuliert: die Destabilisierung des antiken Kosmosvertrauens ästhetisch einholt, soll wenigstens im Ansatz gezeigt werden. Blumenberg selbst, so scheint es, differenziert sein Verdikt mit seinen jüngeren Reflexionen zur »Matthäuspassion« Johann Sebastian Bachs, vgl. ders., Matthäuspassion, Frankfurt a. M. 1 9 8 8 , bes. S. 88ff. v Mit derart veränderter Voreinstellung kann dann auch >Säkularisierung< (oder E m a n zipation«) nicht als Ursache, sondern als Folge von Differenzierung beobachtet werden. So Niklas Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt a. M. 1 9 7 7 , S. ιιηί:. »Säkularisierung« ist ein Terminus, mit dem das Religionssystem den Aggregatzustand seiner gesellschaftlichen U m w e l t bezeichnet. Der Bedarf für eine solche Aggregation ist selbst ein Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung. Er tritt erst auf, wenn das Religionssystem sich nicht mehr in erster Linie als Gesellschaft an der personalen U m w e l t des Gesellschaftssystems, sondern als [differenziertes; J . J . ] Teilsystem der Gesellschaft an der innergesellschaftlichen U m w e l t orientiert; insofern löst Säkularisierung Sünde ab als Leitbegriff für erfahrene Nichtübereinstimmung.«

IS

verfolgen. Insofern die Einfalt der Seele in christlicher Tradition nicht nur eine moralische Qualität, sondern auch eine Skepsis gegenüber der Kunstfertigkeit der Sprache beschreibt, muß sie eine artifizielle Heilige Poesie zum Widerspruch provozieren, die vielmehr zur Entfaltung offenbarter Fülle und zur Erweiterung der Vorstellungskraft drängt. Wenn die Heilige Poesie derart Teil einer sich ausdifferenzierenden Moderne ist, entsteht sie gleichwohl aus dem Impuls zur Uberwindung der Entzweiungen, die sich mit dieser abzeichnen. Anders als spätere Generationen, die mit dem Hinweis auf die Einfalt der Natur im Zeichen rousseauistischer Kulturkritik den Zerfall von Natur und Gesellschaft, oder mit Neuer Mythologie die Trennung von Sinnlichkeit und Verstand kurieren oder zumindest utopisch bewußt halten wollten, reagiert die bewegte »poetische Denkungsart« insbesondere Klopstocks mit einem Konzept empfindungsreicher Mannigfaltigkeit und »moralischer Schönheit«, das die modernen Dissoziierungen überspielen soll. Die Pointe dieses Projekts ist, daß es die zentralen modernen Tugenden der Gegenwärtigkeit, des Überraschenden und der Schnelligkeit sind, die hierfür aktiviert und in einen unendlichen Diskurs poetischer Rede überführt werden, der die eschatologische Verheißung des »Sihe / Jch machs alles new« (Offb.21;5) zur Sprache bringen will.

16

I. Die schöne Fülle der Vollkommenheit

Wir sehen jtzt durch einen Spiegel in einem tunckeln wort / Denn aber von angesucht zu angesichte. < ι .Kor. i};i2) Religion und Dichtung sind in der deutschen Aufklärung in vielfältiger Weise aufeinander bezogen. Ebenso vielgestaltig sind die Beschreibungen dieses Verhältnisses. Der Rekurs literarischer Texte auf christliche Vorstellungen und die biblischen Schriften wird dabei nicht selten und bisweilen mit kritischem Unterton als deren >Ästhetisierung< charakterisiert. Diese allgemeine Feststellung läßt sich durch eine Analyse der Rahmenbedingungen des in den späten dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts von Immanuel Jakob Pyra begründeten und dann vor allem von Friedrich Gottlieb Klopstock virtuos ausgeschriebenen Konzepts einer Heiligen Poesie präzisieren, mit welchem die Autoren in die Debatte um die literarästhetische Präsentation christlicher Gehalte eingreifen, um die Heilige Poesie als eine reflektierte Kunstform auf hohem Niveau zu etablieren. Die etwa gleichzeitig zur Heiligen Poesie verlaufende Ausprägung einer philosophischen Ästhetik ist in diesem Zusammenhang mehr als eine zufällige historische Parallele und auf nicht unähnliche Intentionen zurückführbar. Uber die vermutete persönliche Bekanntschaft Pyras mit Alexander Gottlieb Baumgarten hinaus — dessen die philosophische Disziplin begründende Dissertation Meditationes philosophicae de nonnullis et poema pertinentibus 1735 in Halle erscheint - verbindet Heilige Poesie und philosophische Ästhetik das Interesse an der »sinnlichen Erkenntnis« (Baumgarten) als notwendiger und darum legitimer Konkretion abstrakter Verstandeswahrheiten durch die Vergegenwärtigung ihrer »schönen Fülle«. Die behauptete und gleichwohl nicht unproblematische Verwandtschaft zwischen der systematischen Rationalität der Ästhetik und der Literatur der Heiligen Poesie läßt sich am Begriff der Vollkommenheit entwickeln, der die ästhetische Diskussion der folgenden Jahrzehnte beherrscht, bis Immanuel Kant mit seiner Kritik der Urteilskraft dessen Karriere schroff unterbricht und nun im Gegenteil zu zeigen sucht, daß das Geschmacksurteil [...] von dem B e g r i f f e der Vollkommenheit gänzlich unabhängig ist (§ 15). Baumgartens einschlägige Definition im § 14 seiner Aesthetica bestimmt die »perfectio cognitionis sensitivae« als den - doppelsinnig auf »Vollkommenheit« und »Vervollkommnung« der »sinnlichen Erkenntnis« zu beziehenden — Gegenstandsbereich einer neu gewonnenen philosophischen Disziplin, der »Ästhetik«. Im Kontext der Heiligen Poesie trägt der Begriff der Vollkommenheit zwar nicht in vergleichbarer Weise zentrale systematische Bedeutung, doch 17

sind aus deren ästhetischer Funktion Anknüpfungspunkte für die Vorstellung einer Vollkommenheit zu gewinnen, auf welche die Heilige Poesie als der Versuch gerichtet ist, die christliche Offenbarung als die höchste denkbare Vollkommenheit poetisch darzustellen. Deren ästhetische Zugänglichkeit ist in der theologischen Tradition vor allem mit dem Begriff der Herrlichkeit reflektiert worden. Schon an der physikotheologischen Literatur der Frühaufklärung ist erkennbar, wie — etwa in Barthold Heinrich Brockes' Irdisches Vergnügen in Gott — die Vorstellung der Herrlichkeit Gottes zu einer poetischen Artikulation drängt, die die Sensibilität für die Schönheit der Schöpfung wecken und von ihrer in jeder Hinsicht weisen Einrichtung überzeugen will. Eine Bedingung der poetischen Produktion liegt dabei in der schönen Fülle der Schöpfung, der sie nachschreibt. Für den Hamburger Kaufmann Brockes ist es nicht zuletzt der Reiz einer möglichst weitreichenden Vollständigkeit, der zu immer neuen Dokumentationen des »Irdischen Vergnügens in Gott« treibt und schließlich zwischen 1721 und 1748 neun Bände füllen wird. Die Heilige Poesie schließt an dieses Programm an, die göttliche Vollkommenheit als Mannigfaltigkeit der schönen Fülle zu konkretisieren. Mit der Modifikation, daß es nicht mehr die Natur, sondern die poetische Vergegenwärtigung der christlichen Offenbarung selbst ist, die solche Fülle der Vorstellung und der Empfindung stiftet.

Vollkommenheit Consensus ipse est perfectio. (A. G. Baumgarten, Metaphysica)

Die zentrale Stellung des Vollkommenheitsbegriffs in der philosophischen Ästhetik Baumgartens ist maßgeblich durch die Leibnizsche Metaphysik prädisponiert. Die diese prägende und auch in theologischer Hinsicht folgenreiche Uberzeugung, daß die existierende Welt die »beste aller möglichen Welten« sei, formulierte Gottfried Wilhelm Leibniz als die notwendige Annahme, daß ihr Schöpfer bei ihrer Erschaffung nach dem principe du meilleur auf die vollkommenste Weise gehandelt habe. Weil Macht und Wissen Gott in höchster Vollkommenheit als Allmacht und Allwissen zukomme, so Leibniz' Argument, müsse sich auch der göttliche Wille bei der Schöpfung der Welt in höchster Vollkommenheit als höchste Güte offenbart haben. 1 Insofern ist es hier zunächst die ungeteilte Einheit der göttlichen Vernunft, in der sich ihre Vollkom' Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l'Homme et l'Origine du Mal (' 1710), § 8, und ders., Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison, § 9. 18

menheit bewährt und aus der die Vollkommenheit ihrer Werke resultiert. Für Leibniz wird erst durch diese an höchste Weisheit gebundene Vollkommenheit der Schöpfung auch ihr Schöpfer liebenswert: Wenn man sagt, daß die Dinge nicht durch eine Regel der Güte, sondern allein durch den Willen Gottes gut seien, zerstört man auch (wie mir scheint), ohne daran zu denken, alle Liebe zu Gott und allen seinen R u h m . Denn warum sollte man ihn für das loben, was er getan hat, wenn er gleicherweise lobenswert wäre, sofern er genau das Gegenteil tut? 2

So ist auch das Ergebnis des göttlichen Handelns, wie es im gleichen Abschnitt heißt, nicht allein »aus dem formellen Grunde gut«, weil es eben so und nicht anders von Gott »willkürlich« gewollt wurde, sondern die Werke Gottes sind die Wirkung einer vernünftigen und darum erkennbaren Regeln folgenden »Güte«. 3 Ihre Vollkommenheit zeigt sich als harmonische Ordnung, die auf ewigen Vernunftprinzipien beruht. Sie verleihen dieser Konstruktion des Universums eine K o n t i n u i t ä t und Stabilität, die die potentia absoluta des Urhebers

nicht leugnet, sondern vielmehr in einer liebenswerten Vollkommenheit aufgehen läßt. 4 Aus ihr läßt sich eine prästabilierte Harmonie zwischen Natur und Gnade, Offenbarung und Vernunft oder Körper und Seele ableiten, die Leibniz mit dem charakteristischen und häufig wiederkehrenden Bild des Spiegels veranschaulicht. Die zentrale Funktion dieser Metapher verdankt sich nicht allein der Leibnizschen Lehre von den Monaden, welche perspektivisch auf je individuelle Weise den Kosmos >spiegeln[]> im Zitat.]

3

Ebd. Diese Bindung des göttlichen Willens an die »ewigen Wahrheiten«, die vom göttlichen Verstand abhängen, ergibt sich aus der Kritik Leibniz' an der cartesischen Auffassung von der unbedingten Willkür Gottes. Waren für Descartes die mathematischen Prinzipien Wirkungen des göttlichen Willens, so muß nach Leibniz die göttliche W i l l k ü r diesen folgen. V g l . Gottfried Wilhelm Leibniz, Les principes de la philosophie ou la Monadologie, § 46.

4

In diesem Sinn interpretiert Hans Blumenberg die Théodicée als »Sicherung des radikalsten Prinzips philosophischer Autonomie, das sich denken läßt, des Prinzips vom zureichenden Grunde«, Säkularisierung und Selbstbehauptung, Frankfurt a. M . 1 9 7 4 , S. 67.

5

G . W Leibniz, Discours de Métaphysique, § 9. V g l . auch z. B . die Rede von der Sprache

19

Diese von G o t t auf die W e l t übertragene Vollkommenheit nach dem »bestmöglichen Plan« zeigt sich nach Leibniz als »die größte Vielfalt im Rahmen der größten Ordnung«, »bei dem Raum, Ort und Zeit am besten genutzt« und »die größte Wirkung mit den einfachsten M i t t e l n « 6 erzielt worden sei. Das Indiz göttlicher Vollkommenheit ist demnach ihre Ökonomie, ihre Effektivität — die sich in der göttlichen Vernunft als höchster Weisheit auch in höchstem Maße realisieren muß. Von besonderer Bedeutung für die später auf diese Vollkommenheit der harmonía mundi gegründete Ästhetik Baumgartens ist, daß sich innerhalb dieser Ordnung eine Vielfalt organisiert, deren mannigfaltige Fülle als Ausdruck der höchsten Güte ihres Schöpfers verstanden werden kann und dementsprechend den » R u h m « des göttlichen Urhebers durch »ganz verschiedenartige Darstellungen [representations toutes différentes] seines Werkes vermehrt«. 7 Garant ihrer Zusammenstimmung ist die prästabilierte Harmonie der Schöpfung. Innerhalb dieser existieren nun jedoch Dinge von unterschiedlicher Komplexität, deren Vollkommenheit sich nach dem Grad der zweckmäßigen Mannigfaltigkeit ihrer Zusammensetzung bemißt, der aufsteigend von bloßer »Ubereinstimm u n g « über »Ordnung« schließlich zur »Schönheit« 8 reicht. So ist die »Schönheit« Ausweis höchster Vollkommenheit und Erscheinung höchster, göttlicher Vernunft. 9 Aus dieser Bestimmung der Vollkommenheit als maximaler Regelhaftigkeit ergibt sich nebenbei eine bemerkenswerte Formulierung des Verhältnisses zwials >Spiegel< des Verstandes, Gottfried W i l h e l m Leibniz, Unvorgrei}liehe Gedanken, betreffend die Verbesserung und Ausübung der teutschen Sprache, Deutsche Schriften, hrsg. v. G . E. Guhrauer, Bd. I, § i . Zu Geschichte und Funktion der Spiegelmetapher vgl. R . K o n e r s m a n n , Spiegel und Bild. Zur Metaphorik

neuzeitlicher Subjektivität,

Würzburg

1 9 8 8 , insbesondere zu Leibniz S. I22ff. Aufschlußreich für die Bedeutung der Metapher im H i n b l i c k auf Erkenntnissicherheit ist auch Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge ( 1 7 2 3 ) [Deutsche Teleologie], Frankfurt und Leipzig 2 1 7 2 6 , zitiert nach: Gesammelte Werke, hrsg. v. H . W . Arndt u . a . , Hildesh e i m , N e w York und Zürich 1965ff., Bd. 1.7, § 8 : » D J e Haupt-Absicht der W e l t ist diese / daß wir daraus G O t t e s V o l l k o m m e n h e i t erkennen sollen. W e n n nun G O t t dieselbe hat erreichen wollen / so hat er auch die W e l t dergestalt einrichten müssen / d a ß ein vernünfftiges Wesen aus Betrachtung derselben Gründe ziehen kan / daraus sich seine Eigenschafften und was man sonst von ihm erkennen kan / mit G e w i ß h e i t schliessen lassen. W ä r e sie anders als so eingerichtet / so wäre es nicht möglich / daß man sein unsichtbahres Wesen und was darinnen verborgen lieget in ihr als in einem Spiegel erblicken könte.« 6

G . W Leibniz, Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison, § 10, Werke, Bd. I.

7

G . W. Leibniz, Discours de Métaphysique, § 9.

8

Gottfried W i l h e l m Leibniz, Von der Glückseligkeit,

9

G o t t f r i e d W i l h e l m Leibniz, Théodicée ...,

Werke, Bd. I, S. 394.

Préface, Werke, Bd. I I . ι , S. 9: » O r d n u n g ,

E b e n m a ß , Harmonie entzücken uns, Malerei und Musik sind Proben davon; G o t t ist ganz O r d n u n g , er bewahrt stets die R i c h t i g k e i t der Proportionen, er bewirkt die universale Harmonie: alle Schönheit ist Ausfluß seiner Strahlkraft.«

20

sehen Natur und Kunst. Einerseits verschwindet deren Differenz, insofern die Natur eine göttliche Kunst ist — darum ist auch der irdische Künstler in der Natur ein »petit dieu«. 1 0 Andererseits m u ß die Kunstfertigkeit des Menschen notwendig an der Vollkommenheit der Natur scheitern und dieser unterliegen, da sie den extremen Grad ihrer Organisiertheit nicht erreichen kann: So ist jeder organische Körper eines Lebewesens eine Art göttlicher Maschine oder so etwas wie ein natürlicher A u t o m a t , der alle künstlichen A u t o m a t e n unendlich übertrifft, weil eine durch die K u n s t des Menschen geschaffene Maschine nicht in jedem ihrer Teile Maschine ist [ . . . ] D i e Maschinen der N a t u r aber, das heißt die lebendigen Körper, sind noch im kleinsten ihrer Teile bis ins Unendliche Maschinen. Das macht den Unterschied zwischen Natur und K u n s t , das heißt zwischen der göttlichen K u n s t und unserer a u s . "

Weil die menschliche Seele ein Teil der göttlichen Schöpfung ist und diese auf ihre Weise repräsentiert, ist auch deren Ordnung - wenn auch nicht bis auf den letzten Grund - menschlicher Erkenntniskraft zugänglich. Einsicht in den nach dem principe du meilleur organisierten Schöpfungsplan kann die Seele vermöge ihrer Vernunft nehmen, die sie als Abbild Gottes auszeichnet. Wie nun die Schöpfung Ausdruck der Weisheit und Güte ihres Schöpfers ist, so läßt sich umgekehrt auch durch die Betrachtung der Werke auf ihren Urheber und seine Vollkommenheit schließen. 12 Die Wahrnehmung der Vollkommenheit ihrer harmonischen Ordnung bereitet eine Lust, die sich mit der Komplexität des Wahrgenommenen zur Liebe steigern kann. Und indem nun solche Wahrnehmung der vollkommenen Schöpfung auch ein sicheres Zeichen der Übereinstimmung mit dieser ist, erweist sich mit ihr ihre eigene Vollkommenheit. Die gewissere Einsicht in die Verknüpfung des Werk- oder Handlungszusammenhangs ist die möglichst »deutliche« Vorstellung seiner Organisation, und daraus folgert Leibniz, daß der Seele »Vollkommenheit [...] nach dem Maße ihrer deutlichen Perzeptionen [perceptions distinctes]« 1 3 zukomme. Die Wahrnehmung der Schönheit als höchster Mannigfaltigkeit wird damit zur Leistung des analytischen Verstandes, der durch die deutliche Bestimmung ihrer Zusammensetzung die Regeln ihrer harmonischen Ordnung möglichst weit zurückverfolgt. Dieser Erkenntnis sind nun Schranken durch die metaphysische Unvollkommenheit der menschlichen Seele gesetzt, die in ihrer wesenhaften Begrenzung als Geschöpf liegen - denn: »Allein Gott hat eine deutliche Er-

IO

V g l . G . W . Leibniz, Théodicée . . . , § 147.

" G . W . Leibniz, Monadologie,

Werke, Bd. I, § 64.

12

G . W . Leibniz, Discours de Métaphysique,

13

G . W . Leibniz, Principes de la nature et de la grâce ...,

§ 2. § 13. Z u r Unterscheidung von

»deutlicher« und »verworrener« Erkenntnis siehe G . W . Leibniz' Meditationes tione, veritate et ideis und Discours de Métaphysique,

de cogni-

§ 24. W i c h t i g ist hier nur, d a ß erst

die »deutliche« Erkenntnis in zunehmenden Graden bis zur »intuitiven« fortschreitend der K o m p l e x i t ä t ihres Gegenstandes gerecht werden kann.

21

kenntnis von allem, denn er ist dessen Quelle.« 1 4 Ausdruck dieser Einschränkung oder Unvollkommenheit ist die große Zahl ihrer undeutlichen Vorstellungen, den sogenannten »petites perceptions«, die aus den Sinnesempfindungen rühren und sich nicht zur Deutlichkeit erheben können. Ihnen wird die Aufmerksamkeit der späteren Ästhetik gelten. Schon bei Leibniz sind sie zwar nach der lex continua in die Wahrnehmungsleistungen der Seele integriert und als Geschmacksvermögen schon in gewisser Weise dem Bereich ästhetischer Erkenntnis zugeordnet, 1 5 jedoch als eine notwendige Unvollkommenheit, die daraus resultiert, daß die menschliche Seele mit der adäquaten Vorstellung der Fülle des Schönen als höchster Mannigfaltigkeit überfordert ist. Zugleich öffnet dieser Defekt die menschliche Vorstellungskraft jedoch auf eine »wirkliche Unendlichkeit« 1 6 ihrer Repräsentationen der in unausdenkbarer Feinheit verknüpften vollkommenen Welt. Ihre Vorstellungsleistungen bleiben immer steigerbar und mit ihr die Lust, die aus der Wahrnehmung von Vollkommenheit entsteht: »So wird unser Glück niemals in einem vollen Genuß bestehen«, wie Leibniz zur Einsichtsfähigkeit der menschlichen Seele in die unendliche Vollkommenheit Gottes ausführt, »sondern in einem dauernden Fortschritt zu neuen Vergnügungen und neuen Vollkommenheiten«. 1 7 Die schulphilosophische Durchbildung des Vollkommenheitsbegriffs bei Christian Wolff schließt an die skizzierte Leibnizsche Tradition an. Im § 152 der Deutschen Metaphysik bestimmt Wolff die Vollkommenheit als Zusammenstimm u n g des Mannigfaltigen zu einem Zweck und den Grad ihrer Regelhaftigkeit und Zweckdienlichkeit als Maß ihrer Vollendung: D i e Z u s a m m e n s t i m m u n g des mannigfaltigen machet die V o l l k o m m e n h e i t der D i n g e aus. Ζ. E. D i e Vollkommenheit einer Uhr beurtheilet man daraus, daß sie die Stunden und ihre Theile richtig zeiget. Sie ist aber aus vielerley Theilen zusammengesetzet, und so wohl diese insgesamt als ihre Zusammensetzung gehen dahinaus, daß der Zeiger die Stunden und ihre Theile richtig zeiget. Solchergestalt findet man in einer Uhr mannigfaltige Dinge die alle m i t einander zusammen s t i m m e n . ' 8

So ist auch nach Christian Wolff die Welt eine wohlgeordnete Darstellung der Vollkommenheit ihres Schöpfers. Insofern nun darüber hinaus das Merkmal

14

G. W. Leibniz, Principes de la nature et de la grâce . . . , § 13. Zur »ursprünglichefn] U n v o l l k o m m e n h e i t im Geschöpf« siehe Tbéodicée ..., § 20f., pass.

' 5 Vgl. Gottfried W i l h e l m Leibniz, Nouveaux Werke, Bd. III. 1, S. X X V und X X I X . Ebd., S. X X I X . 17 18

22

essais sur l'entendement

humain,

Préface,

Gottfried W i l h e l m Leibniz, Principes de la nature et de la grâce ..., § 18. Christian Wolff, Vemiinfftige Gedanken von Gott. Der Welt und der Seele des Menschen, Auch allen Dingen überhaupt C 1 7 2 0 ) [Deutsche Metaphysik], Halle " 1 7 5 1 , Gesammelte Werke, Bd. I.2., § 1 52. [Wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, folgen Hervorhebungen in den zitierten Quellen immer dem Originaldruck.]

einer »wahren« V o l l k o m m e n h e i t g e g e n ü b e r einer »scheinbaren« V o l l k o m m e n heit ihre U n v e r ä n d e r l i c h k e i t ist, m u ß auch deren E r k e n n t n i s durch D a u e r h a f t i g k e i t , durch

Gewißheit

bestimmt

sein.19

D i e s e resultiert

aus

möglichst

» d e u t l i c h e n « Vorstellungen, und darum ist die A u s a r b e i t u n g einer L o g i k der nach schulphilosophischer E i n t e i l u n g

»oberen« Erkenntnisvermögen,

welche

die d e u t l i c h e E r k e n n t n i s h e r v o r b r i n g e n , von v o r r a n g i g e m Interesse, weil m i t dieser die E i n s i c h t in die F u n k t i o n s z u s a m m e n h ä n g e der wahren V o l l k o m m e n h e i t e n systematisch erschlossen und gesichert werden kann. D a r u m hat der »Mensch

[...]

n i c h t s vortreflichers

von G O t t

empfangen,

als seinen

Ver-

s t a n d « . 2 0 Dessen Leistungen werden m i t H i l f e der demonstrierenden M e t h o d e formalisiert, deren präzise A n w e n d u n g die M a t h e m a t i k vorführt, welche d a r u m »zu der allergenauesten und v o l l k o m m e n s t e n E r k ä n t n i ß , welche zu erlangen möglich ist«,21 hinleitet. In der Wolffschen B e g r i f f s s y s t e m a t i k scheint d a m i t V o l l k o m m e n h e i t allein d e m V e r m ö g e n des Verstandes zugeordnet zu sein. D o c h wenn auch die V o l l k o m m e n h e i t einer Sache, die Ü b e r e i n s t i m m u n g eines M a n n i g f a l t i g e n zu e i n e m Z w e c k , am zuverlässigsten durch die deutliche E r k e n n t n i s des Verstandes zu e r m i t t e l n ist, so hatte W o l f f andererseits auch schon der » a n s c h a u e n d e n « und n i c h t auf den G r u n d der D i n g e g e r i c h t e t e n E r k e n n t n i s einen B e z u g zur V o l l k o m m e n h e i t zuerkannt. Insofern n ä m l i c h diese W a h r n e h m u n g

harmonischer

S t i m m i g k e i t schon für sich V e r g n ü g e n und Lust bereite, die sich jedoch m ö g l i cherweise als n i c h t sehr zuverlässige Indikatoren herausstellen k ö n n t e n . 2 2 Solch »erscheinende« V o l l k o m m e n h e i t , deren W a h r n e h m u n g

gefällt, nennt

Wolff

» S c h ö n h e i t « . 2 3 D a m i t hat sich das P h ä n o m e n der S c h ö n h e i t von L e i b n i z zu W o l f f vom G e g e n s t a n d des oberen zu e i n e m des unteren E r k e n n t n i s v e r m ö g e n s verschoben. Beiden Entwürfen g e m e i n ist dabei, daß die S c h ö n h e i t als solche systematisch n i c h t eigens p r o b l e m a t i s i e r t werden m u ß , sondern sich aus der v o l l k o m m e n e n Organisation des K o s m o s zwanglos ergibt. B a u m g a r t e n s system a t i s c h e E r s c h l i e ß u n g der unteren E r k e n n t n i s v e r m ö g e n , die eine e i g e n s t ä n d i g e philosophische Ästhetik

b e g r ü n d e n sollten, an deren erster Stelle die » S c h ö n h e i t

der E r k e n n t n i s « 2 4 steht, zielt nun darauf, den unteren

Erkenntnisvermögen

eine eigene Perspektive a u f V o l l k o m m e n h e i t zuzuerkennen. E n t s c h e i d e n d ist

15 20

21 22 25

24

Chr. Wolff, Deutsche Metaphysik, § § 4o6ff. Christian Wolff, Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit C 1 7 1 3 ) [Deutsche Logik], Halle 1 4 1 7 5 4 , Gesammelte Werke, Bd. 1.1, Vorrede, S. 105. Ebd., Vorbericht von der Welt-Weisheit, § 16. Chr. Wolff, Deutsche Metaphysik, §§ 404fr. Vgl. Christian Wolff, Psychologia empirica ( ' 1 7 3 2 ) , Frankfort und Leipzig 2 i 7 3 8 , Gesammelte Werke, Bd. II.5, §§ 543fr. Vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, Aesthetica, Sectio l: Pulchritudo cognitionis, §§ I4ff·

23

dabei, daß diese nicht potentiell in deutlicher Erkenntnis aufgehoben werden kann, sondern die Einsicht des Verstandes vielmehr notwendig ergänzt und zu einer umfassenderen Bestimmung der Vollkommenheit menschlicher Erkenntnisweisen führt. Das Ziel der Ästhetik ist die Vollkommenheit (Vervollkommnung) der sinnlichen Erkenntnis als solcher. Damit aber ist die Schönheit gemeint. 2 5

Daß der »sinnlichen Erkenntnis als solcher« ein eigener Begriff von Vollkommenheit zugedacht wird, wie der § 1 4 der Aesthetica ( 1 7 5 0 / 1 7 5 8 ) unterstellt, birgt gegenüber der schulphilosophischen Tradition zunächst eine Provokation. Denn Baumgarten will zeigen, daß die »sinnliche Erkenntnis« als ein »analogon rationis« 2 6 eine eigene Wahrheit artikuliert, die sich nicht propädeutisch, sondern komplementär zur deutlichen Erkenntnis der Welt verhält. Diese spezifische Form der Wahrheit ist das Erscheinen der Schönheit. 27 Deren Erkenntnis soll nun nicht mehr wie bei Leibniz aus einer möglichst deutlichen Vorstellung resultieren, sondern dem sensitiven Urteil obliegen. Anders nun als der analytisch verfahrende logische »Tiefsinn«, der die Dinge mittels einer möglichst vollständigen begrifflichen Definition durchdringt (cognitio profunda), 28 versammelt die ästhetische Erkenntnis die Merkmale ihrer Gegenstände in möglichst reichhaltiger »Fülle« (cognitio extensiva). Schon in Baumgartens erster Auseinandersetzung mit diesem Thema, in den Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus, bemißt sich der Grad der Vollkommenheit eines Gedichtes nach der Zahl der sensitiven Vorstellungen, die es zu erzeugen im

25

»Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae, qua talis, haec autem est pulchritudo.« A . G . Baumgarten, Aesthetica, § 1 4 , zitiert nach: Theoretische Ästhetik. Die grundlegenden Abschnitte aus der »Aesthetica« (1J50I1J58), lat./dt., übers, und hrsg. v. H. R . Schweizer, H a m b u r g ^ 1988.

26

A . G . Baumgarten, Aesthetica, § 1 , vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica (' 1 7 3 9 , 7 I 7 7 9 ) , § 640. V g l . zum folgenden insbesondere U . Franke, Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik des Alexander Gottlieb Baumgarten, Wiesbaden 1 9 7 2 ; H . R . Schweizer, Ästhetik als Philosophie der sinnlichen Erkenntnis. F.ine Interpretation der »Aesthetica« A. G. Baumgartens mit teilweiser Wiedergabe des lateinischen Textes und deutscher Übersetzung, Basel und Stuttgart 1 9 7 3 ; H. Adler, Fundus Animae — der Grund der Seele. Zur Gnoseologie des Dunklen in der Aufklärung, DVjs 62 (1988), S. 197 — 2 2 0 , und ders., Die Prägnanz des Dunklen. Gnoseologie — Ästhetik — Geschichtsphilosophie bei Johann Gottfried Herder, Hamburg 1 9 9 0 .

27

A . G . Baumgarten, Aesthetica, § 1 8 : »Die allgemeine Schönheit der sinnlichen Erkenntnis ist 1 ) die Übereinstimmung der Gedanken [ . . . ] unter sich zur Einheit, die Erscheinung [phaenomenon] genannt sei [ . . . ] «

28

V g l . Chr. W o l f f , Deutsche Metaphysik, § 209: »Weil aber die Deutlichkeit durch Grade zunimmet; so erhalten dadurch die Gedancken eine Tiefe, und verstehet man dadurch, was t i e f s i n n i g heisse [ . . . ] Nehmlich derjenige ist t i e f s i n n i g , der einen ferneren Grad der D e u t l i c h k e i t in seinen Gedancken erreichet.«

24

Stande ist. 29 Darum ist die »zusammengesetzte« »sensitive Rede« poetischer als die »einfache« 30 und darum sind »deutliche«, »tiefgehende Vorstellungen [ . . . ] folglich auch nicht poetisch«. 31 Die Fülle der Vorstellungen wird auf diese Weise zu einem poetischen Prinzip schlechthin, das metaphysisch durch die Ordnung der harmonía mundi und den nexus universalis, den allgemeinen Zusammenhang aller Dinge, begründet ist. 32 Die Folgen dieser - bildlich gesprochen - Unterscheidung von logischer >Tiefe< und ästhetischer >Breite< sind gerade in poetologischer Hinsicht für die Herausbildung einer Literatursprache aus der Prosa philosophischer Determinationen beträchtlich. So entwickelt Johann Jakob Breitinger in seiner Critischen Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse (1740) die Differenz zwischen einer Logik des Verstandes und einer analog strukturierten, die Einbildungskraft leitenden »Logik der Phantasie«, 33 welcher der Dichter zu folgen habe. Während »ein Mensch, der nach Wissenschaft trachtet«, so Breitingers auf Anschaulichkeit Wert legende Erklärung, » [ . . . ] die äusserliche Fläche der Dinge, als die betrüglich ist, fahren läßt, und beflissen ist, auf den Grund der Dinge durchzudringen«, 34 kümmere sich die im Wortsinn gerade um das »Wahrscheinliche« bemühte »Phantasie [ . . . ] um den innerlichen Grund und das wahre Wesen der Dinge gar nicht«, sondern stehe »bey der äusserlichen Fläche stille«. 3 5

29

Alexander Gottlieb Baumgarten, Meditationes philosophicae de nonnullis et poema pertinentibus. Philosophische Betrachtungen Uber einige Bedingungen des Gedichtes, lat./dt., übers, und hrsg. v. H . Paetzold, Hamburg 1 9 8 3 , § VIII: »Eine sensitive Rede wird umso vollkommener, je mehr Bestandteile in ihr dazu beitragen, sensitive Vorstellungen anzureizen.« V g l . die zusammenfassende Darstellung bei W. Strube, Alexander Gottlieb Baumgartens Theorie des Gedichts, in: Dichtungstheorien der deutschen Frühaufklärung, hrsg. v. T h . Verweyen, Tübingen 1 9 9 5 , S. 1 — 2 5 . V g l . A . G . Baumgarten, Meditationes ..., § X X I I I : »Da der zusammengesetzte Begriff [ C O N C E P T U S C O M P L E X U S ] mehr als der einfache vorstellt, so sind d i e z u s a m m e n g e s e t z t e n v e r w o r r e n e n B e g r i f f e extensiv klarer als die einfachen, folglich s i n d sie p o e t i s c h e r als d i e e i n f a c h e n . «

" A . G . Baumgarten, Meditationes ..., § X I V . ,2 V g l . A . G . Baumgarten, Metaphysica, § 3 0 6 , § 5 4 4 , § 5 6 1 . Dazu U . Franke, Kunst als Erkenntnis . . . , S. 78fr. ·'•' Johann J a k o b Breitinger, Critische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse, Nachdruck der Ausgabe Zürich 1 7 4 0 , hrsg. v. M . Windfuhr, Stuttgart 1 9 6 7 , S. 4 f f . , hier S. 9. V g l . ders., Critische Dichtkunst, Nachdruck der Ausgabe Zürich 1 7 4 0 , hrsg. v. W. Bender, 2 Bde., Stuttgart 1 9 6 6 , Bd. I, S. 1 3 9 : »Das Wahre des Verstandes gehöret für die Weltweißheit, hingegen eignet der Poet sich das Wahre der Einbildung zu [ . . . ] « 34 55

J . J . Breitinger, Critische Abhandlung von der Natur . . . , S. 5. E b d . , S. 7. Z u r Metaphorik der »Wahrscheinlichkeit«, vor deren Hintergrund die hier vorgestellte Grenzziehung zwischen Philosophie und Poesie komplizierter wird, siehe Hans Blumenbetg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Archiv für Begriffsgeschichte 6 ( i 9 6 0 ) , S. 88ff.

25

In der Aesthetica differenziert Baumgarten die spezifische Vollkommenheit sinnlicher Erkenntnis weiter aus: Reichtum (ubertas), Größe (magnitudo), Wahrheit (veritas), Klarheit (claritas), Gewißheit (certitudo) und lebendige Bewegtheit (vita cognitionis) bestimmen die Vollkommenheit einer jeden Erkenntnis, wenn sie miteinander harmonieren. Erscheinen jedoch diese Qualitäten, bringen sie die Schönheit der sinnlichen Erkenntnis hervor, und zwar die allgemeingültige, vor allem der Sachen und Gedanken, in denen uns erfreut die Fülle, die edle A r t , das Licht der bewegenden Wahrheit. 3 6

Die Voranstellung der »Fülle« in der Reihe der aufgezählten Merkmale der Schönheit sinnlicher Erkenntnis ist kein Zufall, denn auch hier hängt wiederum der Grad der Lust, den die Wahrnehmung einer Vollkommenheit bereitet, von der Mannigfaltigkeit ihrer Zusammensetzung ab. Wie die »beste Welt« durch die am meisten zusammengesetzte Ordnung ausgezeichnet ist (ordo maxime compositus), 37 so steigt auch die Vollkommenheit der Schönheit mit dem Maß ihrer Komplexion und mit dieser wiederum auch die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis.' 8 Darum gilt der Fülle der Erscheinung »die erste Sorge« des Ästhetikers: Prima nempe cura sit in rebus cogitandis u b e r t a s (copia, abundantia, multitudo, divitiae, opes) sed a e s t h e t i c a , qua datum subiectum, certus cogitaturus, de dato objecto, certa cogitandi materia, plura pulcre cogitare possit. 3 9

Uber die Eigenständigkeit der »sinnlichen Erkenntnis« hinaus erfordert doch nicht zuletzt die metaphysisch garantierte Ordnung, zu welcher diese und die Verstandesbegriffe stimmen müssen, die Integration der oberen und unteren Erkenntnisvermögen zu einem Ensemble sich nicht ausschließender, sondern ergänzender Denkarten »quer durch die Wissenschaften hindurch«, so »daß man sagen kann, ungefähr in jeder Wissenschaft beginne die ästhetische Denk-

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A . G. Baumgarten, Aesthetica, § 2 2 .

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A . G. Baumgarten, Metaphysial, § 444: »In omni perfectione est ordo. Hinc in mundo perfectissimo maximus est ordo, qui in mundo possibilis. Ergo plurimae regulae perfectionis communes [ . . . ] Sc ordo maxime compositus [ . . . ] « A . G . Baumgarten, Aesthetica, § 2 4 : »Die Schönheit der sinnlichen Erkenntnis und die Feinheit der ästhetischen Gegenstände selbst stellen zusammengesetzte Vollkommenheiten dar, und zwar allgemeingültige.« Von der Mannigfaltigkeit der Zusammensetzung hängt schließlich auch die Stärke der Vorstellung ab, Metaphysica, § 5 1 7 : »Quo plures notas perceptio complectitur, hoc est fortior.«

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A . G. Baumgarten, Aesthetica, § 1 1 5 , hier zitiert nach dem Nachdruck der Ausgabe Frankfurt 1 7 5 0 / 1 7 5 8 , Hildesheim 1 9 6 1 . Der angeführte § 5 1 5 der Metaphysica - der einzige, der sich mit der ubertas cognitionis beschäftigt - verknüpft u.a. den Wahrheitsgrad der Erkenntnis mit der Zahl der Dinge, auf die sie gerichtet ist. Die Aesthetica dagegen beschäftigt sich eingehend in mehreren Abschnitten mit der ubertas·. so Sectio Vili: Ubertas aesthetica, §§ 1 1 gff., Sectio IX: Ubertas materiae, § § 1 i y f f . oder Sectio XII: Ubertas ingenti, §§ I49ff.

art dort, wo die logische aufhört«. 4 0 Dieses Zusammenspiel von Logik und Ästhetik läßt sich als Vermittlung von Konkretion und Abstraktion verstehen oder mit einer Begriffsbildung Baumgartens von »formaler« und »materialer« Vollkommenheit."' 1 Während die logische Erkenntnis auf größtmögliche Allgemeingültigkeit und Eindeutigkeit gerichtet ist und darum von der individuellen Erscheinung abstrahiert, interessiert sich der ästhetisch Denkende für die »schöne Fülle« (venusta plenitudo) als »gedrängterer Zusammenhang« (contractor nexus) 42 der Erscheinung: D e r Ästhetiker freut sich innerhalb seines Horizontes an seinem unübersehbaren Reichtum, an dem Chaos und dem Stoff. Dazu gehören die allgemeinsten, abstraktesten Erkenntnisse [ . . . ] , so weit sie zum Teil dem logischen Erkenntnisbereich ganz und gar fernstehen, zum Teil auch ihm entzogen worden sind [ . . . ] Dazu gehören vor allem die am genauesten bestimmten individuellen Einzeldinge, welche die höchste Stufe materialer Vollkommenheit [ . . . ] darstellen. Aus all diesem Material bringt er die ästhetische Wahrheit in eine [ . . . ] schöne Form, und zwar so, daß während der Arbeit möglichst wenig materiale Vollkommenheit der Wahrheit verloren geht und um der geschmackvollen Darstellung willen beim Feilen abgerieben wird.""

Diese Arbeitsanweisung für den »Ästhetiker« stellt nicht nur mit einer ungewöhnlichen metaphorischen Wendung einen neuen Begriff »materialer« Vollkommenheit vor, aus dem eine eigene »ästhetische Wahrheit« hervorgehen soll. Sie läßt sich auch als programmatische Begründung dessen lesen, was die folgende Untersuchung beschäftigen wird: die Ästhetisierung der mit Baumgartens Worten »allgemeinsten, abstraktesten Erkenntnisse« der christlichen Religion zu Heiliger Poesie. Im Zusammenhang mit diesem Begriff ästhetischer Vollkommenheit ist auch die zweite Bedeutung der perfectio im § 1 4 der Aestbetica zu denken: das Moment der »Vervollkommnung«, 4 4 mit dem das »schöne Denken« als kontinuierliche Integration neuer Vollkommenheiten begriffen werden kann. Dieses verdankt sich nicht nur einer angeborenen Ausstattung, die Baumgarten zunächst als aestbetica naturalis beschreibt, sondern ist auch das Ergebnis einer planmäßigen Übung (exercitatio aesthetica), mithin eine durch Kunstmittel herzustellende Fertigkeit. So ist die »perfectio cognitionis sensitivae« in diesem

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A . G . Baumgarten, Aesthetica, § 569. In diesem Sinn fragt Baumgarten schon in den Meditationes, § X I V , » [ . . . ] warum man kaum einmal erwägt, daß die Philosophie und die Dichtung in einem gemeinsamen Wohnsitz verweilen können: J e n e erstrebt vor allem die Deutlichkeit der Begriffe, um die diese sich freilich nicht sorgt, da sie über ihre Sphären [suos circuios] hinaussteigt.« Ebd., § 5 5 8 , §§ 562fr. Ebd., § 5 8 5 . H. R . Schweizer übersetzt »venusta plenitudo« als »anziehende Fülle«. Ebd., § 5 6 4 . Die Idee der Vervollkommnung folgt der Leibnizschen lex continua, vgl. Théodicée ..., § 3 4 1 , und vor allem dem Gedanken der appetition der Monade in der Monadologie, §§ i 5 f f 2

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Sinn eine von natürlichen Anlagen ausgehende fortschreitende Praxis sinnlicher Erkenntnis. Ihr Ziel ist der »felix aestheticus«. 45 Nun sind der ästhetischen Erkenntnis als Konkretion von Vollkommenheit in der schönen Fülle ihrer Erscheinung freilich Grenzen gesetzt, die aus dem bei Leibniz formulierten Begriff der »metaphysischen Unvollkommenheit« resultieren. 46 Deswegen muß die Fülle, um überhaupt wahrgenommen werden zu können, begrenzt werden, um auf diese Weise Gestalt zu gewinnen. Nicht nur die Heilige Poesie wird dieses Problem nachhaltig beschäftigen, auch der philosophisch gebildete Gotthold Ephraim Lessing exponiert noch die von Leibniz übernommene Notwendigkeit solcher Besonderung aus dem nexus universalis prägnant im 70. Stück seiner Hamburgischen Dramaturgie·. In der Natur ist alles mit allem verbunden; alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem, alles verändert sich eines in das andere. Aber nach dieser unendlichen Mannichfaltigkeit ist sie nur ein Schauspiel für einen unendlichen Geist. Um endliche Geister an dem Genüsse desselben Anteil nehmen zu lassen, mußten diese das Vermögen erhalten, ihr Schranken zu geben, die sie nicht hat; das Vermögen abzusondern, und ihre Aufmerksamkeit nach Gutdünken lenken zu können. 47

Die Mannigfaltigkeit der Natur, die nur für einen »unendlichen Geist« schön ist, bedarf, wenn sie »endlichen Geistern« schön erscheinen soll, einer kunstvollen Einschränkung. Baumgarten reflektiert in verschiedener Hinsicht dieses Formproblem, das sich mit der Verflechtung des menschlichen Körpers und seiner Wahrnehmungsfähigkeit in den nexus universalis stellt, dessen Teil er ist und den er darum nicht ganz überschauen kann. 48 In den Meditationes erhalten die extensiven, sensitiven Vorstellungen einerseits Gestalt durch die »Klar-

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A. G. Baumgarten, Aesthetka, §§ 47ff. Vgl. A. G. Baumgarten, Aesthetka, § 557: »Ich glaube nicht, daß es nötig ist, darauf hinzuweisen, [ . . . ] daß nichts von irgendeinem menschlichen Verstand auf der Stufe der höchsten, logischen Wahrheit erkannt wird, denn wer nur einen Gegenstand in dieser Weise erfaßt, der kennt alle zugleich. Daher ist der Abstand jeder dem Menschen zugänglichen ästhetikologischen Wahrheit, die nur der Allwissenheit zugänglich ist, infolge einer metaphysischen Unvollkommenheit unendlich groß. Und weil daher ein gesunder Geist auch mit der liebevollsten Bemühung um die Wahrheit nicht bis zu den Erkenntnissen gelangt, von denen er wissen kann, daß sie nicht möglich sind, wobei er aber nicht auf jede Erkenntnis verzichten will, sobald er erkannt hat, daß ihm nicht alles zugänglich werden kann: so muß er mit einem unendlich kleinen Teil der höchsten, logischen Wahrheit im weitern Sinne [d. h. Logik und Ästhetik umfassend; J . J . ] zufrieden sein, wohlgemerkt mit demjenigen, den er überhaupt erlangen kann.«

Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie (1769), zitiert nach: Werke, hrsg. v. H. G. Göpfert, München 1970—1979, Bd. 4, S. 557. 4 " Die Einsicht in diese grundsätzliche Beschränkung der Vorstellungskraft geht zurück auf den Perspektivismus in der Leibnizschen Monadenlehre. Im Hinblick auf die Ästhetik vgl. A. G . Baumgarten, Aesthetka, § 5 6 1 , allgemeiner Metaphysica, §§ 507ff.

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heit«, 4 9 die im Gegensatz zu den »dunklen« Vorstellungen die Wiedererkennbarkeit des Vorgestellten gewährleistet, andererseits durch die Einheit der mannigfaltigen Vorstellungen im » T h e m a « , 5 0 das die Fülle der Vorstellungen zusammenfaßt. Die Aesthetica expliziert diese Forderung zunächst unter dem Beg r i f f der »absoluten Kürze« (brevitas absoluta), welche dem » R e i c h t u m « der ästhetischen Erkenntnis (ubertas aesthetica) seine Prägnanz verleihen soll. 5 1 Darüber hinaus reflektiert die notwendige Begrenzung der schönen Mannigfaltigkeit die noch eingehender zu erörternde Lehre vom »ästhetischen Licht« (lux aesthetica), die sich in wirkungsästhetischer Hinsicht als die kunstvolle Führung der Aufmerksamkeit formulieren läßt, die auf das interessante Detail in der schönen Fülle auszurichten ist. 5 2 Diesem Problem hat sich Baumgartens produktivster Schüler Georg Friedrich Meier, dessen populäre

Anfangsgründe

aller schönen Wissenschaften ( 1 7 4 8 - 1 7 5 0 ) auf der Grundlage der Vorlesungen Baumgartens zur Ästhetik in Halle die neue Disziplin bereits vor der Publikation der Aesthetica verbreiteten, 5 3 in eben diesen Untersuchungen ausführlich gewidmet. D i e Aufmerksamkeit, so Meier, sei das »vornehmste« Erkenntnisvermögen und alle anderen — mit Ausnahme der Abstraktion — seien darum von ihm abgeleitet. Kennzeichnend für die ästhetische Aufmerksamkeit ist nun, daß sie »jederzeit mit einiger Zerstreuung, auf eine nothwendige A r t verbunden« ist, da sie sich auf die extensive Fülle des schönen Gegenstandes einzustellen habe. Weil aber andererseits die Wahrnehmungsfähigkeit der Seele begrenzt ist, kann diese nicht Alles aufmerksam beachten: »unsere Kräfte haben Grenzen, und alle ihre Vollkommenheiten sind mit lauter Unvollkommenheiten durchflocht e n « . 5 4 Darum ist die »Samlung des G e m ü t h s « auf begrenzte Formen hin not49 50 51

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A. G. Baumgarten, Meditationes . . . , § § XHIf. Ebd., §§ LXVIff. A. G. Baumgarten, Aesthetica, Sectio XIII und XIV, §§ 158ff. Zur poetologischen Debatte um die Qualität der Kürze eines dadurch »körnigen« und »nachdrücklichen« literarischen Stils siehe H. Küntzel, Essay und Aufklärung. Zum Ursprung einer originellen deutschen Prosa im 18. Jahrhundert, München 1969, S. 160—168. Die »Aufmerksamkeit« in Verbindung mit der »Kunst der Absonderung«, die für eine »Wissenschaft der Verbesserung sinnlicher Erkenntnis« »unentbehrlich« sei, erscheint in dieser Funktion schon im zweiten von A. G. Baumgartens Philosophischen Briefen von Aletheophilus (1741), zitiert nach: Alexander Gottlieb Baumgarten, Texte zur Grundlegung der Ästhetik, lat./dt., übers, und hrsg. v. H. R. Schweizer, Hamburg 1983, S. 6ç>{. Auf die Schwierigkeiten dieser einflußreichen, aber naturgemäß nicht verzerrungsfrei vorgetragenen, > vorweggenommenem Darstellung der Ästhetik kann hier nicht eingegangen werden. Über sie unterrichtet die einschlägige Literatur, etwa A. Baeumler, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft, Nachdruck der Ausgabe Tübingen *ιε>6η, Darmstadt 1975, S. 1 r5ff. Georg Friedrich Meier, Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften ( ' 1 7 4 8 —1750), 3 Bde., zitiert nach dem Nachdruck der Ausgabe Halle 1754 —1759, Hildesheim und New York 1976, Bd. II, § 290. Ebd.: »Gar zu viele klare Vorstellungen überhäufen

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wendig. G a n z besonders gilt dies, wenn die Vorstellungskraft der Seele auf Vorstellungen höheren Grades, d . h . größerer Komplexion, gerichtet werden soll. Und eben diese konzentrierende Sammlung des Lichts der Seele ist nicht durch eine logische, sondern durch eine ästhetische »Abstraktion« in dem Sinne zu erreichen, daß »man den ganzen übrigen Schauplatz in der Seele gleichsam v e r d u n k e l n « 5 5 muß, um den einen Gegenstand der Aufmerksamkeit um so klarer zu erhellen. Aufschlußreich ist nun, daß Meier diesen Gedanken mit einem Hinweis auf Friedrich Gottlieb Klopstocks Messias veranschaulicht, dessen erste Gesänge 1 7 4 8 erschienen waren. Klopstocks Verzicht auf den R e i m n i m m t Meier zum Beispiel dafür, die Aufmerksamkeit der Lesenden nicht auf Nebensächliches zu konzentrieren. U n d tatsächlich beansprucht die Poetik des Messias auf eine bis dahin unübliche Weise die ästhetische Aufmerksamkeit der Rezipienten und wurde dementsprechend häufig mit dem Vorwurf belegt, im ganzen nur »Dunkelheit« zu verbreiten. 5 6 Daneben ist der Bezug auf den Messias auch dadurch motiviert, daß Meier die Notwendigkeit der Abstraktion m i t der »Größe« und »Würdigkeit« der ästhetisch vorzustellenden Gegenstände proportional ansteigen läßt. 5 7 Denn mit der Größe wächst auch die Anforderung an die Vorstellungskraft, wie auch die Gefahr steigt, daß diese Vorstellung gleichsam ins dunkle Leere läuft. Darum gilt es, so Meier, die ästhetische A b straktion zu kontrollieren: »man muß sie erweitern und enger zusammenziehen, verstärken und schwächen, fortsetzen und unterbrechen können, nachdem es uns gefällig ist, und nachdem es die Nothwendigkeit erfordert«.' 8

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die Seele, die Kraft derselben wird ermüdet und geschwächt, und ein gar zu grosses Licht blendet, daß man gar nichts sehen kan [ . . . ] Das hiesse seine Aufmerksamkeit misbrauchen, oder durch den Gebrauch schwächen und verderben. In diesen Fehler fallen alle diejenigen Gelehrten, welche sich mit gar zu vielen Arbeiten überhäufen.« Ebd., § 287. Zur Kritik der distractio als Folge »vagierender Imagination« vgl. H . P. Herrmann, Naturnachahmung und Einbildungskraft. Zur Entwicklung der deutschen Poetik von ÍÓ70 bis 1740, Bad Homburg v.d.H., Berlin und Zürich 1970, S. I94ff. G. Fr. Meier, Anfangsgründe..., Bd. II, § 292. Vgl. W. Küster, Das Problem der Dunkelheit in Klopstocks Dichtungen. Ein Beitrag zur Geschichte des Verstehens von Dichtung im 18. Jahrhundert, Diss, [masch.], Köln 1955. G.Fr. Meier, Anfangsgründe ..., Bd. II, § 323. Ebd., § 319. Bemerkenswert ist das bis zur kalkulierten Verdrängung des Bewußten ins Unbewußte reichende Übungsprogramm, das Meier hierzu vorschlägt: Es konkretisiert den Grad der Beherrschbarkeit, den der Philosoph intendiert. Die Heilige Poesie Klopstocks wird solche Führung der Aufmerksamkeit bzw. Abstraktion literarisch kalkulieren und nicht dem Leser überlassen, sondern diesen vielmehr zu überwältigen trachten. Vgl. ebd., § 318: »[...] 3) Man stelle sich die Sache, von der man abstrahiren will, als aesthetisch klein vor. Nichts bedeutende Dinge, die man für unerhebliche Kleinigkeiten hält, schätzt man nicht der Mühe werth zu seyn, mit seinen Gedanken dabey stehn zu bleiben. So schlägt man sich eine Beleidigung aus dem Sinne mit leichter Mühe, die man sich als eine grosse Kleinigkeit vorstellt [...] 5) Man tödte die Vorstellung des Gegenstandes, von welchem man abstrahiren will; oder man verhindere das Rührende derselben. So kan man eine Person gar leicht vergessen, die

So zeichnet sich ab, daß mit der ästhetischen Artikulation der Vollkommenheit und ihrer poetischen Konkretion in der schönen Fülle materialer Darstellung neue Probleme hervortreten, die sich in der Heiligen Poesie noch verschärfen, insofern deren Gegenstand Inbegriff »großer W ü r d i g k e i t « ist, die jede Vorstellungskraft potentiell übersteigt. Innerhalb der philosophischen Ästhetik findet diese Problemstellung ihre Differenzierung und Lösung in der Lehre vom »ästhetischen Licht«, die Baumgarten in seiner Aesthetica eingehend entwickelt. An der Geschichte dieses Terminus läßt sich im hier interessierenden Zusammenhang eine doppelt gerichtete Differenzierungsbewegung ablesen: zum einen die Profilierung eines ästhetischen gegenüber einem rationalistischen Wahrheitsbegriff durch die Absetzung des ästhetischen vom natürlichen Licht und zum anderen die Unterscheidung vom übernatürlichen Licht, dem lumen supranaturale oder lumen fidei nach theologischem Verständnis.

Ästhetisches Licht Der Erfolg des Baumgartenschen Vorhabens, die philosophische Dignität der ästhetischen Wahrnehmung als eine der logischen ebenbürtige Erkenntnisform zu erweisen, hängt von deren Wahrheitsfähigkeit ab. Darum n i m m t die Erörterung dieses Problems in der Aesthetica breiten R a u m ein, wie schon aus den Titeln der entsprechenden Abschnitte zu erkennen ist: Die ästhetische Wahrheit (Sectio X X V I I ) , Das unbedingte ästhetische Streben nach Wahrheit (Sectio X X X I V ) oder Das poetische Streben nach Wahrheit (Sectio X X X V I ) . Besondere Bedeutung k o m m t in diesem Zusammenhang der ebenfalls in der Aesthetica entwickelten Lehre Baumgartens über Das Ästhetische Licht (Sectio X X X V I I ) zu. 5 9 D i e Metaphorisierung der Wahrheit als Lichtphänomen zeigt sich in der Tradition der Metaphysik auf vielfältigste Weise. 6 ° D i e Priorität, mit der die Frage nach der Wahrheit und ihrer Erkennbarkeit in der Geschichte ihrer Problematisierung mit dem Gesichtssinn verbunden wurde, ist antiken Ursprungs.

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man entweder nicht liebt, oder die man aufhört zu lieben. 6) Man bemühe sich eine Vorstellung viel dunkeler zu machen, als andere dunkele Vorstellungen. Dadurch wird sie so tief in den Grund der Seele gesenkt, daß sie uns nicht einmal ins Gemüth komt.« Dies war auch die Auffassung Moses Mendelssohns, vgl. die ausführliche Darstellung der lux aesthetica bei der Besprechung des 1758 erscheinenden zweiten Teils der Aesthetica Baumgartens in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, hrsg. v. I. Elbogen u.a., Nachdruck der Ausgabe Berlin I929ff. und fortgeführt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1 9 7 i f f . , Bd. 4, S. 263 — 275. Zur lux aesthetica auch F. Braitmeier, Geschichte der poetischen Theorie und Kritik von den Diskursen der Maler bis auf Lessing, Bd. 1, Frauenfeld 1888. S. 47ff. Vgl. zum Folgenden Hans Blumenberg, Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung, Studium Generale 10 (1957), S. 432—447. 31

Von diesem hat sich die ausgezeichnete Bedeutung des Sehens der Neuzeit auf verschiedenen Wegen vererbt, bis hin zur Signatur des Zeitalters als »Aufklärung erstarrten< Glaubenspraxis oberstes Anliegen war, läßt sich mit dem Programm einer lebendigen Erkenntnis< des geoffenbarten Worts nahezu identifizieren. Im Gegensatz zur rationalistischen Begriffsbildung ist als lebendige Erkenntnis< hier nicht nur eine Einsicht angesprochen, die das Begehrungsvermögen bewegt, sondern bezeichnet eine tätige Erkenntnis, die durch gnädige göttliche Zuwendung erwirkt wird. Ein interessantes Beispiel für den Versuch, diese Differenz noch einmal in dem von Wolff vorgeprägten Rahmen wirksam werden zu lassen, ist die Christliche Sitten-Lehre (1736) des halleschen Theologen Johann Jakob Rambach. Gegen den rationalistischen Universalismus will Rambach zeigen, daß nach christlichem Verständnis die nach dem Sündenfall ihrer Vollkommenheit beraubte Natur des Beistands göttlicher Gnade bedarf. Von diesem Verlust ist in besonderem Maße der Verstand betroffen, und darum beschäftigt sich Rambach eingehend mit dem postlapsarischen Zustand dieses Erkenntnisvermögens. In der Aufzählung der Momente, an denen die Verdorbenheit des Verstandes im unerlösten Naturzustand deutlich wird, wird schließlich auch der Verlust der l e bendigen Erkenntnis< vermerkt, der nur durch die gnädige Zuwendung des Heiligen Geistes kompensiert werden kann: Z u m fünften finden wir in dem Verstände eine todte Erkentniß. Denn wenn ja der Mensch einmahl eine richtige Erkentniß von der Sache hat, wenn ohngefehr sein Begriff mit den Grundsätzen der Vernunftlehre überein körnt: so ist doch seine Erkentniß todt und unkräftig, indem er durch eigene Schuld verhindert, daß keine geistliche Lebensbewegungen in ihm erwecket werden, und in äusserliche Handlungen a u s b r e c h e n . " 0

>Lebendig< ist eine Erkenntnis nun nach Wolffs näheren Ausführungen in der Philosophia practica universalis in dem Maße, wie sie gesichert ist, während andererseits der Zweifel an ihrer Gewißheit die Erkenntnis >tötetabgestorbene< vergangene Sinneseindrücke wieder zu beleben. Wie nun die zeitgenössische Poetologie die Einbildungskraft als fundierendes Vermögen

der

" 8 A. G. Baumgarten, Aesthetka, § 565. Vgl. § 619: »Mit Recht glaube ich daher alle diejenigen Gedanken schliesslich lebhaft nennen zu können, in denen eine besondere Vielseitigkeit und gleichsam ein rascher Wechsel der sich gegenseitig bedrängenden Merkmale wahrgenommen wird, aus deren ausserordentlichem, strömendem Reichtum jener Glanz und jene Leuchtkraft des Denkens im Einzelnen entspringt [...]« " 9 G.Fr. Meier, Anfangsgründe . . . , Bd. 1, § 35. Ausführlich dazu dann Anfangsgründe ..., Bd. I, §§ 119ff.: Von der Lebhaftigkeit der Gedancken, und §§ ιγδίί.: Von dem sinlichen Leben der Gedanken. Bezeichnend im Hinblick auf die systematische Begründung der cognitio viva ist, daß Meier zwischen diesen Abschnitten Von der aesthetischen Gewishett der Gedanken, §§ 1 5 i f f . , handelt. Z u Meiers Beschäftigung mit der cognitio viva vgl. außerdem Theoretische Lehre von den Gemüthsbeivegungen überhaupt, Nachdruck der Ausgabe Halle 1744, Frankfurt a.M. 1 9 7 1 , bes. §§ 5 4 - 5 8 , und die eigenständige Abhandlung, De vita cognitionis, Halle 1747. ,2 G.Fr. Meier, Anfangsgründe . . . , Bd. 1, § 35. 48

Dichtkunst entdeckt, so wird entsprechend auch die Lebhaftigkeit der Darstellung auf ihre Wirkung zurückgeführt. Auch wenn die doppelte Zweckbestimmung des Belehrens und Ergötzens darum nicht aufgegeben wird, ist doch die Belehrung keine vorzügliche Leistung der schönen Künste, im Gegensatz zu ihrer Möglichkeit, das Gemüthe in Bewegung zu setzen, an sich zu ziehen und einzunehmen; dasselbe in einer angenehmen Unruh aufzuhalten, es beschäftiget zu halten, und dadurch den verdrießlichen Zustand einer Bewegungs-leeren Stille aufzuheben. 1 2 1

Warum jedoch aus dem Vermögen, »dem Menschen abwesende Dinge als gegenwärtig vorzustellen, und ihm dieselben gleichsam zu fühlen und zu empfinden zu g e b e n « , 1 2 2 bewegende Energie entspringen soll, die eine die Gemüter erregende Lebendigkeit verbürgt, erhellt nur vor dem Hintergrund der empiristischen Erklärung der Funktionsweise der Einbildungskraft, wie sie sich besonders im englischen Empirismus ausgebildet hatte und dann insbesondere durch Joseph Addisons Essays The Pleasures of the Imagination ( 1 7 1 2 ) im Spectator verbreitet worden war. Besonders anschaulich wird der Zusammenhang von Einbildung bzw. Empfindung und Bewegung bei Thomas Hobbes, dessen Anthropologie hier implizit wirksam ist. Verursacht wird die Empfindung, so lehrt Hobbes im ersten Buch des Leviathan ( 1 6 5 1 ) , durch einen äußeren Gegenstand, der auf die affizierten Sinnesorgane des Menschen Druck ausübt. Dieser wörtlich zu verstehende >Eindruck< wird durch die Vermittlung der Nerven und Membranen im menschlichen Körper weitergeleitet und löst dort einen entsprechenden Gegendruck aus. Der Effekt der Wahrnehmung ist nichts als Bewegung: A l l wich qualities called S e n s i b l e , are in the object that causeth them, but so many several motions of the matter, by wich it presseth our organs diversly; (for motion, produceth nothing but motion). 1 2 3

Entscheidend an dieser konsequent mechanistischen Erklärung ist die Dynamisierung der Vorstellungswelt, die im Inneren des wahrnehmenden Subjekts schließlich langsam zerfällt, wenn sie nicht durch neuerliche Eindrücke wieder aktiviert wird. Insofern nun auch die Affekte nach Hobbes auf bestimmte Vorstellungen zurückgehen, sind auch diese an die inneren Bewegungen gebund e n . 1 2 4 Es liegt nun für einen Rationalisten nahe, daß sich die Bewegungsfolge dieser Empfindungen regeln, in eine bestimmte Sukzession bringen läßt, und genau dafür ist die menschliche Sprache vorzüglich geeignet: 121 122 125

124

J . J . Breitinger, Critische Dichtkunst, Bd. I, S. 85. Ebd., S. i 4 f . Thomas Hobbes, Leviathan, ed. by R . Tuck, Cambridge u.a. 1 9 9 1 , Chap. I.: Of Sense, S. 14. V g l . ebd, Chap. VI.: Of the Interiour Beginnings of Voluntary Motions; commonly called the PASSIONS. And the Speeches by wich they are expressed.

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The generali use of Speech, is to transferre our Mentali Discourse, into Verbal; or the Trayne of our Thoughts, into a Trayne of W o r d s . 1 2 5

Die in der Tradition des Empirismus stehende aufgeklärte Poetologie wird nun genau diese Ordnung durch Schriftzeichen evozierbarer Vorstellungsbilder zu einem Maximum an bewegender Wirkung zu entwickeln suchen. 120 So raten Bödmet und Breitinger in einer ihren frühen Abhandlungen Von dem Einfluß und Gebrauche Der Einbildungs-Krafft (1727) den Dichtern, sich zunächst »Geschmack in den Wercken der Natur [...] und eine vollkommene Kundschafft derer mannigfaltigen Schau-Gerichten« zu erwerben und »einen guten Vorrath von Gefilden und Wald-Scenen« anzulegen, um überhaupt in der »untersten Gattung der Poeterey« 127 bestehen zu können. Sie resümieren: Wenn die Einbildungs-Krafft so reichlich angefüllt ist, so muß sie nothwendig einen herrlichen Einfluß über eine Schrifft haben, indem sie dieselbe mit lebhafften Bildnissen und Gemählden belebet, welche den Leser gleichsam bezaubern; Er vergißt darüber, daß er nur die Beschreibungen der Sachen lieset, und fällt auf den Wahn, er sehe die Dinge selber vor sich [.. . ] 1 2 8

Insofern die Einbildungskraft sich also nicht nur reproduktiv auf die wirkliche Welt, sondern auch produktiv auf fiktive, mögliche Welten erstreckt, kündigen sich in der vereinheitlichenden Rückführung auf die Vorstellung neue Probleme an, die aus diesem illusionistischen poetologischen Programm lebendiger > Verzauberung < entspringen. Doch andererseits ist mit der empiristischen Konstruktion auch ein Geheimnis gelöst oder besser, neu formulierbar geworden: der Ursprung der poetischen Inspiration. Die Einbildungskraft tritt gewissermaßen das Erbe der überkommenen Vorstellung vom poetischen furor an, mit der sich die besondere Form des poetischen Vermögens diskutieren ließ, und paßt sie in den veränderten erkenntnistheoretischen Horizont der Aufklärung ein. Die Einbildungskraft ist die aufgeklärte Version der Inspiration und entbindet jene affektive Energie, die die Poesie in besonderer Weise einer lebendigen Erkenntnis< zuführen kann.

125 126

127

,2B

Ebd., Chap. IV: Of Speech, S. 25. Z u r Wirkungsgeschichte Hobbes' siehe C. D. Thorpe, The Aesthetic Theory of Thomas Hobbes. With Special Reference to the Psychological Approach in English Literary Criticism, Ann Arbor 1 9 4 0 , und R . Woodfield, Thomas Hobbes and the formation of Aesthetics in England, British Journal of Aesthetics 20 (1980), S. 1 4 6 — 1 5 2 . Johann J a k o b Bodmer und Johann J a k o b Breitinger, Von dent Einfluß und Gebrauche Der Einbildungs-Krafft, zitiert nach: Schriften zur Literatur, hrsg. v. V. Meid, Stuttgart 1 9 8 0 , S. 34. Ebd., S. 3 5 . Ausführliche Betrachtungen zu diesem Thema und zur Methode, »die Phantasie mit Bildern zu bereichern und verständig anzuführen«, bieten dann etwa Johann J a k o b Bodmers Critische Betrachtungen über die Poetischen Gemähide Der Dichter (1741).

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Besondere Bedeutung kommt im Zusammenhang der lebendigen Erkenntnis< darum auch dem >Erhabenen

Darum ist die poetisch-dramatische Vermittlung lebendiger Erkenntnis< ein komplexes Unternehmen. Die Darstellung des Erhabenen muß vor allem die Affekte der Zuschauer mobilisieren, denn nur deren Bewegung kann auch ihre Besserung erwirken. Darum erfordert das Erhabene eine ihm entsprechende »erhabene Schreibart« nachdrücklicher Kürze und Prägnanz.' 3 1 Festzuhalten ist nun, daß der Argumentation im Brief-Wechsel zufolge das Erhabene nur den Zuschauer lebendig bewegen und erheben wird, der selbst schon einen Begriff von hoher Tugend hat, und nur darum auch etwa die Kollision der sittlichen Größe mit den Zeitumständen, die einen Cato in den Selbstmord treibt, nachvollziehen kann. Damit ist für die Bewegung des Erhabenen und der lebendigen Erkenntnis< der Tugend auf der Bühne - im Gegensatz zu den primären, gewissermaßen demokratischen durch die Tragödie ausgelösten Affekten wie Mitleid und Schrecken — nicht jedermann empfänglich. Die elitäre Leistung des Erhabenen wird im Gegenteil darin bestehen, wie Bodmer und Breitinger später in den Critischen Briefen ausführen, gerade denjenigen noch bewegen zu können, dem » w e n i g S a c h e n

[ . . . ] fremd und der Verwunderung würdig

Johann J a k o b Bodmer und Johann J a k o b Breitinger, Critische Briefe, Nachdruck der Ausgabe Zürich 1 7 4 6 , Hildesheim 1 9 6 9 , S. 1 0 2 . 130

Johann J a k o b Bodmer, Brief-Wechsel von der Natur des Poetischen Geschmackes, Nachdruck der Ausgabe Zürich 1 7 3 6 , hrsg. v. W. Bender, Stuccgart 1 9 6 6 , S. 98. Wenig später heißt es gegenüber der unmittelbaren W i r k u n g >poetischer G e r e c h t i g k e i t nicht weniger skeptisch, S. 1 0 1 : »Die grossen Unthaten werden in der Tragödie nur zufälliger Weise gebessert, wann z.E. ein Tyrann ums Leben gebracht wird. Aber diese Strafe dienet mehr die Leute zufrieden zu stellen und zu erfreuen als zu bessern.«

1,1

V g l . dazu J . J . Bodmer und J . J . Breitinger, Critische Briefe, S. 103fr.: Vom Erhabenen in der Sprache.

J!

vorkommen. Und dieses wenige ist eben das Erhabene, und verdienet allein diesen vornehmen Namen.« 1 3 2 Im Diskussionszusammenhang zwischen Bodmer und Calepio erweist sich damit für die Wirkungsabsicht der Tragödie die Exklusivität des Erhabenen als ein Problem, auf das der rationalistische Ästhetiker mit einem abgestimmten Übungsprogramm reagieren würde. Die Heilige Poesie wird die solcherart durch den Seelenadel seiner Rezipienten bedingte Zugänglichkeit des Erhabenen zum Zweck der Differenzierung gegenüber profaner Literatur einsetzen - es werden erklärtermaßen nur wenige sein, bei denen sich ihre Wirkung entfalten wird. Die Poetologie Heiliger Poesie knüpft an die philosophische Ästhetik Baumgartens und Meiers auf verschiedene Weise an. Systematisch am fruchtbarsten erweist sich dabei zweifellos die Einsicht der Ästhetiker, daß die logisch zu ermittelnde formale Vollkommenheit auf die Konkretion durch sinnliche Erkenntnis angewiesen ist, auf die Komposition schöner Fülle. Die Heilige Poesie läßt sich nach diesen Maßgaben als eine Veranschaulichung der nüchternen Wahrheit der christlichen Offenbarung verstehen, deren heilige Fülle sie poetisch entwikkelt. In diesem Zusammenhang übernimmt das Moment der Steigerung des biblischen Textes und der beim Publikum vorab zu unterstellenden Vertrautheit mit der Materie der christlichen Religion zentrale legitimatorische Funktion. Es sind, um in der Terminologie zu bleiben, neue Vollkommenheiten eines bekannten Stoffs, die aus der Poetisierung der Offenbarung zu gewinnen sind und neue Facetten ihrer Liebenswürdigkeit zu erkennen geben. Mit der poetisch entwickelten Mannigfaltigkeit des Gegenstands läßt sich auch die

1,2

Î2

J . J . Bodmer und J. J . Breitinger, Critische Briefe, S. 96. In diesem Zusammenhang scheint es problematisch, das >Erhabene< und das >Schöne< als eine Dichotomie zu begreifen, die »die Ästhetik im 18. Jahrhundert in umfassender Weise organisiert« habe, so C. Zelle, Schönheit und Erhabenheit. Der Anfang doppelter Ästhetik bei Boileau, Dennis, Bodmer und Breitinger, in: Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn, hrsg. v. C. Pries, Weinheim 1989, S. 56. Denn daß Bodmer und Breitinger das Erhabene in Hinsicht auf sein herzrührendes Vermögen dem Ergötzen am Schönen überordnen — ebd., S. 67if. —, erläutert noch nicht die behauptete Dichotomie. Zelle will der seiner Meinung nach irrigen Annahme entgegentreten, daß die Schönheit ursprünglich die »Zentralkategorie« der Ästhetik sei. Unter »Schönheit« subsumiert Zelle Symmetrie, Harmonie, Proportion und Vollkommenheit, und überzeugend kann er nachweisen, wie das »Nichtschöne« unter »dem Mantel des Erhabenen [ . . . ] Einlaß in die Kunsttheorie des 18. Jahrhundert« findet, ebd., S. 60. Außer acht bleibt bei dieser Rekonstruktion jedoch, daß nicht die Vollkommenheit eine Bestimmung der Schönheit ist, sondern, wie gezeigt, die Schönheit eine Erscheinung der Vollkommenheit. Das ist ein entscheidender Unterschied darum, weil in den Begriff der Vollkommenheit ungleich mehr >häßliche< Phänomene kontrastiv integriert werden können, als daß sie eine »doppelte Ästhetik« nötig erscheinen ließen. Von einer solchen wäre erst dort zu sprechen, wo sich Häßlichkeit oder Erhabenheit so weit differenziert haben, daß sie nicht mehr eine metaphysisch garantierte Vollkommenheit bestätigen.

Fülle seiner E m p f i n d u n g mehren und das schöne Denken der christlichen O f fenbarung lehren. 1 3 3 Von besonderer B e d e u t u n g ist hierbei die >lebendige Erkenntnismalend< auf das >Unmalbare< zu verweisen. Die Hei/ige Poesie — insbesondere Klopstocks — wird diese Herausforderung durch Dynamisierung zu lösen suchen und als eine fortdauernde Bewegung zur Sprache bringen, die ihre Leser das ewige Leben ahnen lassen will.

1,6

54

Zur allgemeinen Orientierung in historischer Hinsicht vgl. P. Cornehl, Die Zukunft der Versöhnung. Eschatologie und Emanzipation in der Aufklärung, bei Hegel und in der Hegeischen Schule, Göttingen 1 9 7 1 , und S. Hjelde, Das Eschaton und die Eschata. Eine Studie über Sprachgebrauch und Sprachverwirrung in protestantischer Theologie von der Orthodoxie bis zur Gegenwart, München 1987.

II. Architektur der Heiligen Poesie: Immanuel Jakob Pyra, Der Tempel der wahren Dichtkunst Mache ein gehege vmb den Berg / vnd beilige jn. (2. Mo. 19:23)

1 7 3 7 gratuliert die »Deutsche Gesellschaft in Halle« ihrem G r ü n d u n g s m i t glied Samuel Gotthold Lange zu dessen Installation als Pfarrer in Laublingen ihrem Programm gemäß mit einem Gedicht in deutscher Sprache. Es trägt den Titel: Der Tempel der wahren Dichtkunst. Ein Gedicht in reymfreien Versen, und sein Verfasser ist Immanuel J a k o b Pyra, der Lange freundschaftlich verbunden war. Pyra, der mit Lange und dessen späterer Frau Anna Dorothea empfindsame Gedichte wechselt, die nach dem frühen Tod des ersteren als Thirsts und Damons Freundschaftliche Lieder ( 1 7 4 5 ) einer zahlreichen Leserschaft bekannt werden und dieser Freundschaft ein literarisches Denkmal setzten sollten, knüpft m i t dem Tempel der wahren Dichtkunst an die Tradition poetologischer Lehrdichtung in epischer Form an. Zugleich artikuliert sich mit Pyras Gedicht ein neuer Versuch, das Verhältnis von literarischer Dichtung und christlicher Offenbarung zu bestimmen. N i c h t als eine »verborgene Theologie«, wie Opitz formulierte, 1 will Pyra die Dichtkunst verstehen, sondern vielmehr deren theologisches Moment als Heilige Poesie explizieren. Denn zum »Tempel der wahren Dichtkunst« gelangt nach Pyras allegorischem Arrangement, wer sich der Führung der »heiigen Poesie« anvertraut. Der Tempel der wahren Dichtkunst schildert in fünf Gesängen die Wanderschaft zweier Dichter im G e f o l g e der »heiigen Poesie« durch das ausgedehnte Reich der Literatur zu deren Tempel, in welchem schließlich der eine in den Kreis der »wahren« Dichter erhoben und zu einem Priester wahrer Dichtkunst geweiht wird - der Dedikation des Gedichts entsprechend wird S. G . Lange diese Ehre zuteil. Daß Pyra das T h e m a der »wahren Dichtkunst« mit dem B e g r i f f der »Heiligkeit« assoziiert, ist vor dem Hintergrund des gerade in Halle einflußreichen Pietismus durchaus noch provozierend. Gegen das pietistische Kunstverdikt setzt Pyras darum eine aufwendige Rechtfertigung seines Vorhabens, nicht mehr erbauliche Einfalt, sondern erklärtermaßen kunstvolle Literatur zu »heilig e n « , ihr also nach alttestamentlichem Gebrauch des Wortes einen eigenständi-

1

Martin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624), Gesammelte Werke, hrsg. v. G. Schulz-Behrend, Stuttgart I908ff., Bd. II. 1, S. 344. Dazu R. Bachem, Dichtung als verborgene Theologie. Ein dichtungstheoretischer Topos vom Barock bis zur Goethezeit und seine Vorbilder, Bonn 1955. 55

gen Bezug zum Göttlichen zuzuschreiben. 2 »Heiligkeit« erscheint i m Tempel der wahren Dichtkunst

schon als ein innerliterarischer Steigerungsbegriff, der

Heilige Poesie gegenüber profaner Poesie differenziert. Dazu paßt, daß Pyra im ganzen viel Wert auf Abgrenzungen legt. So führt der Weg zum » H e i l i g t u m « der Dichtkunst, den der Autor als Aufstieg zum hochgelegenen Tempel auf der Spitze eines Berges inszeniert, die Poetologie der Heiligen Poesie im G a n g durch die anderen, profanen »Bezirke« der Poesie vor, um schließlich im Uberblick die Grenzziehungen, die das Reich der »heiigen Poesie« konstituieren, anschaulich werden zu lassen. Darüber hinaus ist daran zu erinnern, daß »Heiligkeit« nach dem Verständnis der Zeit vor allem ein moralisch-praktischer Begriff ist. G . W. Leibniz' in der Théodicée »en passant« gegebene Definition pointiert eben diese Bedeutung: Ich füge hier beiläufig noch hinzu, daß seine [Gottes; J . J . ] Heiligkeit nichts anderes ist als der höchste Grad der Güte [ . . . ] ' Als »höchster G r a d der G ü t e « deutet die Heiligkeit noch einmal auf die vernünftige Vollkommenheit Gottes, insofern in dieser der W i l l e der höchsten Weisheit folgt. Vor dem Hintergrund solcher Ausrichtung des Heiligen am Moralischen muß die Verbindung des Poetischen m i t dem Heiligen, mit der die wahre Dichtkunst als Heilige Poesie zu einer Poesie »höchster G ü t e « wird, eine besondere praktische Relevanz für die Glückseligkeit ihrer Leser reklamieren, die den schon von der aufgeklärten Poetologie herausgestellten Aspekt der

2

5

56

Vgl. zum Folgenden N. Wokart, Art. »Heilig, Heiligkeit«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, und G. Lanczkowski u.a., Art. »Heilig«, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hrsg. v. K. Galling, Tübingen ' 1 9 5 7 - 1 9 6 5 . G. W. Leibniz, Théodicée..., § 1 5 1 . Vgl. zum Heiligen als Moralität auch J . G. Walch, Philosophisches Lexicon, Art. »Heiligkeit Gottes«, und Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart..., Leipzig ' 1 7 7 4 - 1 7 8 6 , Art. »Heilig«, »Die Heiligkeit«. Noch Kant schließt an dieses Verständnis — jedoch auf charakteristisch modifizierte Weise — an, wenn er in der Kritik der praktischen Vernunft definiert: »Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze ist H e i l i g k e i t , eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt, in keinem Zeitpunkte seines Daseins, fähig ist.« A 220, Werkausgabe, Bd. VII. Erst mit Schleiermachers Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) wird die >Heiligkeit< zu einem unreduzierbaren Spezifikum der Religion. In diesem Sinne dann auch R. Ottos Begriff des Heiligen als des »Numinosen«, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (1917), München 1979. Die Applikation dieses romantisch-existentialistischen Verständnisses auf die Heilige Poesie bekommt dieser schlecht, wie etwa die Studie von Α. E. Hohler, Das Heilige in der Dichtung. Klopstock. Der junge Goethe, Zürich 1954, unfreiwillig zeigt. Allein »die Ahnung des Numinosen und der Wille zu ihm«, S. I03ff., bekundet sich nach Hohler in Klopstocks Dichtung, deren Anspruch vollends erst »der einsame Hölderlin« einlösen wird, S. 1 1 .

Nützlichkeit richtig verstandener D i c h t u n g noch einmal unterstreicht. 4 N u t z bar wird die wahre Dichtkunst durch ihren Gegenstand, die Wahrheit der christlichen Religion, m i t deren poetischer Präsentation Pyra jedoch noch zu einer zweiten maßgeblichen Grenzziehung genötigt ist - der Abgrenzung von einer unpoetischen Vorstellung des Heiligen. Der Sinn dieser letzteren Grenzziehung ist am Publikationsort des Tempels der wahren Dichtkunst, vorsichtig formuliert, nicht selbstverständlich; daß die Poesie ein wahres M e d i u m christlicher Vorstellungen sein könne, ist mit Blick auf die halleschen Theologen erst zu erweisen.

Poesie als »Aergerniß« Jch sage euch aber / Das die Menschen müssen rechenschafft geben am jüngsten Gericht / von einem jglichen vnniitzen wort / das sie geredt haben. (Mt. 12:36)

Inwiefern das Verhältnis des Pietismus zur schönen Kunst problematisch ist, läßt sich beispielhaft nachvollziehen an einer Predigt, die August H e r m a n n Francke - einflußreichster Vertreter des Halleschen Pietismus - am Michaelistag 1697 über Λ 1 μ 8 ; ι - 1 2 hält. 5 Die Lehre von dem Aergerniß, so ihr späterer Titel, erläutert Francke zunächst m i t der Unterscheidung von »Aergerniß nehmen« - in der Bedeutung, daß die Welt Anstoß an Christus und den Christen nehme - und »Aergerniß geben«. Letzteres steht im M i t t e l p u n k t der folgenden Belehrung, worunter Francke dasjenige versteht, »wodurch man seinen

4

Vgl. zur Begriffsgeschichte des >Heiligen< auch I. Papmehl-Rüttenauer, Das Wort HEILIG in der deutschen Dichtersprache von Pyra bis zum jungen Herder, Weimar 1937. Papmehl-Rüttenauers These jedoch, daß bei Pyra und insbesondere Klopstock >heilig< zu einem Ausdruck persönlichen Empfindens werde, der vom moralisch-praktischen Wortgebrauch der Aufklärung strikt geschieden sei, bewährt sich — wie zu zeigen sein wird — gerade am von Pyra und Klopstock geprägten Begriff der Heiligen Poesie nicht.

' August Hermann Francke, Die Lehre vom Aergerniß, Schriften und Predigten, hrsg. v. E. Peschke, Berlin und New York i()8iff., Bd. 9: Predigten I, S. 303 —327. V g l . zu Francke E. Peschkes Studien zur Theologie August Hermann Franckes, Berlin 1964—1966 und die Darstellung M. Brechts, August Hermann Francke und der Hallische Pietismus, in: Geschichte des Pietismus, Bd. 1: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, hrsg. v. M. Brecht, Göttingen 1993, S. 440 — 539. Z u den hier interessierenden Aspekten sind vor allem zu nennen: W. Schmitt, Die pietistische Kritik der »Künste«. Untersuchungen über die Entstehung einer neuen Kunstauffassung im 18. Jahrhundert, Diss., Köln 1958, bes. S. I2ff., und W. Martens, Literatur und Frömmigkeit in der Zeit der frühen Aufklärung, Tübingen 1989.

57

Nächsten ä r g e r m a c h e t , oder wodurch einer a e r g e r w i r d « . 6 Das von Jesu ausgesprochene »Wehe der Welt der Aergerniß halben« (7V1/.i8;7) rühre nicht nur daher, daß Böses getan werde, sondern viel häufiger versündige man sich durch Unterlassung des Guten. Diese Auslegung Franckes verdient Aufmerksamkeit, weil sie zum eigentlichen Thema und Motiv der Unterweisung überleitet: Ferner so wird das Aergerniß gegeben nicht allein mit äusserlichen bösen Thaten, sondern auch am allermeisten mit W o r t e n : wenn die Menschen entweder offenbar faul Geschwätz treiben, oder doch solche Reden führen, wodurch die Erbauung und Besserung des Nächsten nicht befördert, sondern die Zeit nur muthwillig verderbet, und andere Gemüther von einigem Guten abgehalten werden. 7

Das »Aergerniß«, welches Reden geben, die nicht der Erbauung nützlich sind, verlangt besonders bedacht zu werden, [ . . . ] dieweil die Menschen insgemein ein Wort oder Geberde nicht so groß achten, und nicht meynen, daß es eben so viel auf sich habe; da doch dem Menschen wegen eines i e g l i c h e n u n n ü t z e n W o r t e s e i n e g a r s c h w e r e R e c h e n s c h a f t oblieget. 8

Die Drohung, die mit der Paraphrase von Mt. 1 2 5 3 6 der Mahnung des Predigers Nachdruck verleihen soll, erinnert an die Verantwortung des irdischen Handelns am Tag des Jüngsten Gerichts. Bemerkenswert ist diese individualisierende eschatologische Perspektivierung weltlicher Rede, weil sie ihrer Idee nach jedes gesprochene Wort zur persönlichen Rechenschaft am Ende der Zeit aufbewahrt. Im Hinblick auf die ewige Verwerfung oder die gnädige Erlösung kann der Appell, mit dem Francke seine Unterweisung schließlich beenden wird, »sihe nur dahin, daß du vor allen Dingen deiner Seelen Heyl und Wohlfarth wahrnehmest«, 9 als Aufforderung zu strikter Effizienz gelesen werden. Die frühchristliche Überzeugung, daß die Zeit nach dem Paulinischen Wort: »Als wir nu Zeit haben / so lasset vns gutes thun« (GW.6; 10), knapp und darum kostbar sei, ist damit aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang — der Berufung auf den Kairos der Naherwartung Christi - herausgelöst und zu einer geschichtsunabhängigen individuellen Verpflichtung geworden. In der Konsequenz wird jeder Augenblick für die Seligkeit bedeutend. Zeit, die nicht in Pflege und Beförderung des Seelenheiles investiert wird, ist vertan und bringt die Gläubigen den Höllenqualen näher: [ . . . ] nun aber bringt das Aergerniß den Menschen nicht nur um sein L e b e n ; sondern es bringet ihn auch in den e w i g e n T o d , zu der ewigen Verdammniß."'

6 7 8 9 ,0

58

Francke, Ebd., S. Ebd. Ebd., S. Ebd., S.

Die Lehre vom Aergerniß, S. 3 0 7 . 308. 324. 313.

Zerstreuung zu suchen wird so zur Sünde schlechthin, die von ihrer ästhetischen Problematisierung noch weit entfernt i s t . " Solche eschatologische Verschärfung disponiert nicht nur nach der These Max Webers für den »Geist des Kapitalismus«, sondern widerspricht vielmehr auch — und damit wird die Relevanz der Franckeschen Lehre vom Aergerniß für den hier interessierenden Zusammenhang deutlich — der Existenz heilsindifferenter >AdiaphoraMittelding< galt, was eindeutig weder als g u t noch böse zu qualifizieren war, also keine unmittelbare moralische Relevanz besaß, wie etwa das Tanzen oder der vieldiskutierte Besuch von Schauspielen und Opernaufführungen. Die protestantische Orthodoxie und auch noch Philipp J a k o b Spener stellten die Beschäftigung mit den Adiaphora dann frei, wenn der Bibel kein ausdrücklicher Hinweis auf deren Heilsschädlichkeit zu entnehmen war. Für Francke dagegen resultiert diese jedoch allein schon aus ihrer Zweckfreiheit, mithin aus der »Unterlassung des G u t e n « . Darüber hinaus verführt der schöne Schein, der etwa mit »äusserlicher Kleider-Pracht« ausgestellt wird, zur H i n g a b e an die eitle Welt und zu nutzlosem Zeitvertreib. Ausdrücklich mahnt Francke darum vor den [ . . . ] M i t t e l - D i n g e n , die nemlich weder für gut noch böse gehalten werden, oder auch wircklich an und für sich selbst weder gut noch böse sind; dadurch aber der Mensch gleichwol eines andern Gewissen beschweret [• • •]' 2 Sensibel für die Eigendynamik der >Zerstreuung Wiedergeburt^ Das hier interessierende Charakteristikum der pietistischen convenio ist die auf den >Bußkampf< folgende augenblickshafte, plötzliche Erlösung des sündhaften >natürlichen< Menschen aus der Niedergeschlagenheit zum neugeborenen K i n d Gottes, »wie man eine H a n d u m w e n d e t « . 5 0 Das Ende des ersten und der A n f a n g des zweiten Gesangs konstruiert Pyra in diesem Sinn nach dem Schema von Mortifikation

und Vivifikation·.

Es gehet aber insonderheit dieses Werck GOttes bey dem Menschen also vor, daß derselbe zuerst zur Erkäntniß seines Elendes [...] gebracht werden muß [...] In solcher Erkäntniß muß er erst g e t ö d t e t , in die Holl geführet, arm gemachet und erniedriget werden. Wenn dieses bey dem Menschen geschiehet, und er dergestalt zur Erkäntniß seines Elendes gebracht ist, so kommt denn GOtt zu seinem eigenen Werck, nemlich, daß er ihn l e b e n d i g m a c h e t . 5 1 Die Stadien der pietistischen Biographie, die nach dem >Durchbruch< mit der Einkehr in den >Gnadenstand< ihren vorläufigen Abschluß

findet,

überträgt

Pyra auf die Darstellung der G e b u r t des wahren Dichters. Mortifikation Vivifikation

und

gelten nicht mehr dem sündigen Menschen, sondern der lebendigen

Erkenntnis einer wahren Dichtkunst, die zu Heiliger Poesie in »Ein andres Paradies« führt (11,5). Bezeichnend ist, daß die Schilderung des Übergangs in das Reich der »heiigen Poesie« wiederum einem Psalm Davids nachgebildet ist, der eben durch dieses Moment des diskontinuierlichen Umschlags aus tiefster Niederdrückung: » M E i n G o t t / mein G o t t / warumb hastu mich verlassen?« (Ps.22;2),

in die Vision vom

ewigen Leben der Bekehrten geprägt ist: »Vnd die nach dem H E R R N fragen / werden jn preisen / Ewer Hertz sol ewiglich leben« (Ps.22;27).52

W i e dieser Psalm

auch insofern die passende Vorlage für den Durchgang von der Mortifikation

zur

Vivifikation darstellt, als er im christlichen Kontext als typologische Präfiguration der Passion und Erlösung J e s u Christi gelesen wurde, so ist andererseits in den »grausen A b g r u n d « , der hierfür zu überwinden ist, neben der biblischen auch antike Poesie in die Darstellung eingeschlossen: denn die Schilderung zitiert zu-

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51

52

So August Hermann Francke über sein Erweckungserlebnis im Lebenslauff, zitiert nach: Werke in Auswahl, hrsg. v. E. Peschke, Berlin 1969, S. 28. August Hermann Francke, Predigten über die Sonn- und Fest-Tags-Episteln (1726), Halle 2 1 7 2 9 , S. 860, zitiert nach: E. Peschke, Studien zur Theologie August Hermann Franches, Berlin 1964, Bd. I, S. 38. Pyra gibt den Hinweis mit 1,204: »Die Zunge klebte mir vor Schrecken an den Gaumen«, nach Ps.22,16: »[...] meine Zunge klebt an meinem gaumen / vnd du legest mich in des Todes staub.« 75

dem — wie zahlreiche Verse des Gedichts — Vergils Aeneis, hier teils wörtlich aus dem Abstieg des Aeneas in das Totenreich der Unterwelt. 5 3 Jenseits des »grausen Abgrunds« einer entfesselten Einbildungskraft erfahrt der Dichter schließlich die »leutselige« Zuwendung der »heiigen Poesie«, die ihn im verlassenen Garten Eden empfängt (II,i2ff.). Der Zweifel jedoch, der dem Erwachen folgte: »Ob ich noch auf der Welt, ob ich im Himmel wäre« (11,7), wird dadurch nicht aufgelöst. Denn diese »heiige Poesie« intendiert nicht die imaginative Rückkehr in ein Verlorenes Paradies, wie Milton es ausgemalt hatte. Denn »Sion ist entweiht« ( Ι , ι ι ι ) , wie es schon im ersten Gesang hieß, und so ist diese nachbiblische »heiige Poesie« eschatologisch auf einen »neuen Tempel« hin orientiert, der hier erst noch zu erreichen ist. Die detaillierte Ausgestaltung des Aufstiegs ermöglicht nun fortgehend die Rangfolge der literarischen Werke und Dichter, die Aufnahme in Pyras Reich der wahren Dichtung gefunden haben, durch die vertikale Anordnung zu veranschaulichen. Zunächst führt die »heiige Poesie« durch das »untere Reich« der wahren Dichtkunst. In ihm sind die tugendhaften Dichter, die sich um die Wiederkehr des Goldenen Zeitalters bemühen, beheimatet. Ihr Interesse gilt der Welt, und ihre Werke beschäftigen sich mit Landwirtschaft oder mit unschuldiger Liebe, verbreiten Einsicht in die Wissenschaften und preisen die weisen Herrscher. Warum die Verbreitung der Tugend in dem geteilten Reich der wahren Dichtkunst nur dem unteren Bezirk zugeordnet ist, läßt sich an dem Landschaftsbild ablesen, das Pyra für dieses Gebiet entwirft: Schau zwischen diesen Hügeln Die schönen Thäler dort, die nacheinander hin Uns weit und breit gestreckt in dem Gesichte liegen: Die erste hat ein Strich von Büschen eingefaßt, Aus denen nach der Reih viel hohe Bäume steigen, Worunter Heerden gehn und mancher Hirte pfeift. Die nähsten hält ein Wald in seinem Schoß umschlossen. Und jene hat ein Fluß, der wie das Silber gläntzt, Recht mitten durch getheilt. Die scheinen immer kleiner, Die weiter von uns seyn; bis du die hintersten, So ein Gebürg umgrentzt, fast nicht kanst unterscheiden, Sie bilden sich so klein in unsern Augen ab, Wie eine Landschaft ist, die man mit blauer Farbe Durch eines Künstlers Hand gantz klein getuschet sieht, Und die, so nah sie ist, doch weit entfernet scheinet. (II,106-120)

53

76

Vergil, Aeneis, V I . Buch, Verse 42ff. Pyra beschäftigte sich intensiv mit Vergil und arbeitete seit 1 7 3 6 an einer Übersetzung der Aeneis, vgl. G . Waniek, Immanuel Pyra . . . , S. 1 6 und 68.

Den Blicken der Wandernden öffnet sich der hier angelegte R a u m allein in die Tiefe. Die beschriebene Landschaft, in der Pyra die tugendsamen Dichter auftreten läßt, ist genau umgrenzt und bietet sich mit geschlossenen K o n t u ren — der »Strich von Büschen«, die Reihe der hohen B ä u m e , Wald, Fluß und Gebirge -

dem Überblick der Aufsteigenden dar. 5 4 Doch dieser harmo-

nisch zusammenstimmenden

Idylle

fehlt die

Transzendenz,

welche

Pyras

Heilige Poesie gegenwärtig halten will, und darum muß der W e g die Wanderer aus der >extensiven Fülle< dieser Welt in höher gelegene G e f i l d e f ü h ren. Auch nach dem Eintritt in das Reich der wahren Dichtkunst bleibt die Beherrschung der Einbildungskraft für Pyra ein Problem. Der » K r a f t der Z a u ber-Lieder«, der Vorstellung falscher visiones ist auch der wahre Dichter ausgesetzt, wenn diese sich nun im Traum seiner Imagination zu bemächtigen droht. So lenkt die »heiige Poesie« die Aufmerksamkeit ihrer Schutzbefohlenen auf zwei »Höhlen«. Die eine beherbergt die »holden Träume«, die andere hingegen die »grausen«: Den Schlüssel aber trägt als ihre Hüterinn Die leichte Phantasie, die um die beyden Thore Gantz ausgelassen schertzt und hin und wieder fliegt, Und stets bald die bald die pflegt da heraus zu ruffen; Doch die Vernunft sitzt dort auf der erhabnen Burg Als ihr gestrenger Fürst, sie trägt den weisen Zepter Und herschet über sie, [...] Geschehe dieses nicht, so würde sie verwirrt Der Menschen Seelen stets betriegen und erschrecken, Wie in dem Reiche dort, wo meine Feindin herscht, Da sie unordentlich wie bey Beseßnen schwärmen. (11,185-196) K e i n Zweifel, daß Pyra einige J a h r e später an Verse wie diese dachte, als er in seiner zweiten Kampfschrift gegen die Gottschedianer, der Fortsetzung des Erweises, daß die G*ttsch*dianische

Sekte den Geschmack verderbe ( 1 7 4 4 ) , rückblickend

feststellte, daß sein Tempel der wahren Dichtkunst

noch im »vermischten G e -

schmacke« geschrieben sei. 5 5 Im H i n b l i c k auf Heilige Poesie ist die Delegierung der Sorge um »Der Menschen Seelen« an die Vernunft jedoch auffallend. Auch die »leichte Phantasie« ist nicht mehr schlechthin ein Betrug der Seele, sondern als belebendes Prinzip anerkannt, demgegenüber die strenge Abgrenzung von

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55

Die Szenerie belegt den Zusammenhang von »Rahmenschau« und »Rationalismus«, den A. Langen in seiner Dissertation, Anschauungsformen in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts (Rahmenschau und Rationalismus), Nachdruck der Ausgabe Jena 1934, Darmstadt 1968, anschaulich entfaltet hat. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1744, Hildesheim und New York 1974, S. 6.

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der »Schwärmerei« zweitrangig 1st. 5 6 Die Vernunft bürgt nun als Ordnungsmacht für die Wahrhaftigkeit einer Poesie, deren wahrer Schein m i t Gottsched neu begründbar ist. Heilige Poesie ist hier noch keineswegs als christlich inspiriertes Korrektiv rationalistischer Regelpoetik zu verstehen — wie es später in der Parteinahme der Schweizer für Klopstock scheinen mag - , sondern diese stiftet erst die O r d n u n g , mit der sich jene legitimieren kann.

Ein anderer Tempel Der Tempel der wahren Dichtkunst profiliert seine Poetologie nicht nur über intern explizierte Unterscheidungen in Hinsicht auf wahre und falsche Poesie, wahres und falsches P u b l i k u m oder wahre und falsche Dichter. Das Epos als Ganzes reagiert auf einen anderen Tempelbau, Alexander Popes Temple of Fame ( 1 7 1 5 ) . Gerade die thematische Nähe der i m Temple of Fame verhandelten Unterscheidung zwischen wahrem und falschem R u h m zu Pyras K r i t i k der Eitelkeit läßt die Differenz in der Ausrichtung beider Entwürfe um so deutlicher hervortreten. Entsprechend wird Pyra in seiner Architektur Heiliger

Poesie gegenüber

Popes Temple einige Umbauten vornehmen, der unbekümmert um christlich motivierte Skrupel gegenüber einer klassischen, aber heidnischen A n t i k e seine literaturkritischen Reflexionen gerade an dieser orientiert und die sakralisierende Transzendierung seines vielmehr aus dem Urteil der Geschichte erwachsenden Dichterkanons »wahren R u h m s « bewußt vermeidet. High on a Rock of Ice the Structure lay, Steep its Ascent, and slipp'ry was the Way; The wond'rous Rock like Parian Marble shone, And seem'd to distant Sight of solid Stone. Inscriptions here of various Names I view'd, The greater Part by hostile Time subdu'd; Yet wide was spread their Fame in Ages past, And Poets once had promis'd they should last. (27-34) Es ist nicht die Tugend der Dichter oder der Gehalt der Werke, sondern die Z e i t , die in dieser frühen Allegorie der Rezeptionsästhetik über wahren und falschen R u h m entscheidet. Dichter, Gelehrte und Kunstrichter sind gleichermaßen der natürlichen Erosion ihres Andenkens »by hostile T i m e « ausgesetzt. D e m Vergessen widerstehen nur die N a m e n , die an der Spitze des Felsens — welche im Schatten des Tempels vor widrigen Natureinflüssen geschützt ist — eingetragen sind und ihren Trägern unvergänglichen R u h m sichern: 56

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Dagegen zur Fiktionskritik im Pietismus, besonders im Hinblick auf A. H. Francke, vgl. W. Schmitt, Die pietistische Kritik ..., S. 22ff. und W. Martens Literatur und Frömmigkeit . . . , S. i o i f f .

There Names inscrib'd unnumber'd Ages past From Time's first Birth, with Time it self shall last; These ever new, nor subject to Decays, Spread, and grow brighter with the Length of Days.

(49-52) Der Tempel selbst, wie Pope ihn schildert, übertrifft an Pracht die Bauten R o m s , Griechenlands und Babylons — und zwar darum, weil in ihm die herausragenden Monumente der Kulturen vereinigt sind: A m Westportal des Tempelbaues sind griechische Helden zu bewundern, im Osten hat sich der R u h m der Perser und Assyrer verewigt, im Süden stellt sich Ä g y p t e n , im Norden schließlich die G o t i k dar — »O'erwrought with Ornaments of barb'rous Pride« ( 1 2 0 ) . So wird der wahre R u h m in der Architektur nicht nur zeit-, sondern auch weltumspannend vorgeführt. Im Inneren des Tempels sitzt Alexander der Große auf dem Thron, sechs Säulen tragen Statuen antiker Schriftsteller, deren erste Homer zeigt: »Father of Verse! in holy Fillets drest« ( 1 8 4 ) . Er verdient nicht nur als Vater der Dichtkunst verehrt zu werden, sondern auch seinem Stil gebührt höchste Bewunderung, »strong Expression« und »brave N e g l e c t « zeichnen ihn aus ( 1 9 4 ^ ) . An Vergil wird die Vollkommenheit, an Pindar die »Irregularly great« ( 2 2 1 ) hervorgehoben, Horaz, Aristoteles und Cicero nehmen die übrigen Plätze ein. Popes Feier der ruhmreichen, unsterblichen Antike — bei der biblische oder christliche Dichter nirgends zu entdecken sind - reflektiert den R u h m in den R a u m der Geschichte und führt damit seine A b h ä n g i g keit von der Erinnerung vor, die allein der Zeit in der Zeit trotzen kann. Darum sind die antiken Werke für den Klassizisten Pope kein >Ärgernis< und vor allem keine Konkurrenz, sondern ihre Uberlieferung bestätigt die Qualität der vergangenen Werke. Über den Denkmälern der klassischen Autoren erhebt sich schließlich ein gewaltiger Dom: Scarce to the Top I stretch'd my aking Sight, So large it spread, and swell'd to such a Height. Full in the midst, proud F a m e ' s Imperial Seat With Jewels blaz'd, magnificently great; [...] The Dome's high Arch reflects the mingled Blaze, And forms a Rainbow of alternate Rays.

(246-257) Pyra dagegen schließt sein Bauwerk auf andere, weniger vollendete Weise ab: Die Silberdecke zeigt, gleich Spiegeln, was da war, Was ist und werden wird, ist in der Mitten offen, Und läßt der Dichter Blick bis in den Himmel gehn. Kein Nebel, keine Nacht verschlägt den Lauf der Blicke. Ihr Thron ist an dem Kreutz, das in der Mitten stehet, Wobey auf dem Altar der muntern Dichter-Hand Ihr himmlisch Feuer nährt, das aus dem Himmel stammet. (IV, 1 9 3 - 199)

79

A n d e r G e g e n ü b e r s t e l l u n g zeigt sich auf d e m S c h e i t e l p u n k t d e r p o e t o l o g i s c h a r c h i t e k t o n i s c h e n K o n s t r u k t i o n , was d e n Tempel der wahren Dichtkunst

v o m Tem-

ple of Fame u n t e r s c h e i d e t . W ä h r e n d P o p e d e n G l a n z des w a h r e n R u h m s sich v o n d e r geschlossenen T e m p e l d e c k e z u m B e t r a c h t e r z u r ü c k s p i e g e l n l ä ß t , reißt P y r a ein Loch in d i e s o l c h e r m a ß e n sich selbst b e s t ä t i g e n d e W e l t der L i t e r a t u r h i n e i n u n d läßt » d e r D i c h t e r Blick bis in d e n H i m m e l g e h n « . W e n n d e r » B l i c k « des Lesers d a b e i zunächst auf das K r e u z g e l e n k t w i r d , ist an d i e Läuter u n g d e r E i n b i l d u n g s k r a f t zu d e n k e n , d i e J . J . R a m b a c h in d e r

Sitten-Lehre

m i t d e r V o r s t e l l u n g der Leiden C h r i s t i e m p f a h l . 5 7 P o p e s g l ä n z e n d e r , f a r b i g e r T e m p e l s c h m u c k ist d u r c h reines Silber ersetzt, d e n n DEr HERR wolte ausrotten alle Heuchley / Vnd die Zunge die da stoltz redet. Die da sagen / Vnser Zunge sol vber hand haben / Vns gebiirt zu reden / Wer ist vnser Herr? [...] Die Rede des H E R R N ist lauter / Wie durchleutert Silber im erdenen tigel / beweret sieben mal. (Ps. 12;4ff.) D i e asketische W e n d e z u m reinen »Silber« ist d a m i t in d o p p e l t e r H i n s i c h t f ü r Heilige

Poesie b e d e u t e n d : Sie reduziert d i e p r ä c h t i g e u n d b u n t e Vielfalt, d i e

P o p e ins Bild setzte, auf die F a k t i z i t ä t der H e i l s g e s c h i c h t e u n d d i e lautere A u f r i c h t i g k e i t des s p r a c h l i c h e n A u s d r u c k s . So s p a n n t sich d i e s p i e g e l n d e T e m p e l d e c k e als P r o j e k t i o n s f l ä c h e des V e r g a n g e n e n , G e g e n w ä r t i g e n u n d Z u k ü n f t i g e n z w i s c h e n den zwei Z e n t r e n christlicher H e i l s g e s c h i c h t e auf, zwischen d e r » M i t t e « des K r e u z e s u n d d e r » M i t t e « , d i e auf d e n H i m m e l u n d das eschatolog i s c h e E r l ö s u n g s v e r s p r e c h e n hin g e ö f f n e t ist. I h r e u n v e r z e r r t e R e p r ä s e n t a t i o n : » K e i n N e b e l , k e i n e N a c h t verschlägt d e n Lauf d e r Blicke« (IV,196), d i e z u d e m das Silber i m I n n e r e n des »Tempels d e r w a h r e n D i c h t k u n s t « als Ideal einer u n v e r f ä l s c h t e n , s c h l e c h t h i n w a h r e n R e d e b e z e u g e n soll, d e u t e t auf d i e P r o b l e m e einer A s t h e t i s i e r u n g des H e i l i g e n d u r c h eine Heilige Poesie, die » w a h r e D i c h t k u n s t « sein will. Es ist die R e g i e r b a r k e i t d e r Sprache u n d der E i n b i l d u n g s k r a f t , d i e a m » T h r o n « der » h e i i g e n Poesie« als b e s t i m m e n d e p o e t i s c h e H e r a u s f o r d e r u n g Heiliger Poesie e r k e n n b a r w i r d . Pyras A u s s t a t t u n g seiner T e m p e l a n l a g e vollzieht dieses r e i n i g e n d e

Pro-

g r a m m a n s c h a u l i c h . D i e heidnische M y t h o l o g i e , d i e P o p e i m Temple of Tame ausstellte, m u ß b i b l i s c h e n Figuren weichen: Saul löst A l e x a n d e r auf d e m T h r o n a b , u n d d i e vier F l ü g e l des Tempels s c h m ü c k t Pyra m i t S t a n d b i l d e r n des Alten u n d Neuen Testaments, d e r P r o p h e t e n u n d A p o s t e l . I n s p i r a t i o n g e w ä h r t n u n allein das » h i m m l i s c h F e u e r « , dessen W a h r h e i t d e n B e d i n g u n g s z u s a m m e n h a n g w e l t l i c h e r A n e r k e n n u n g transzendiert. D a m i t schließt Pyra d i e Heilige Poesie n a c h d e m Beispiel d e r biblischen P s a l m e n in eine K r e i s b e w e g u n g z w i s c h e n H i m m e l u n d Erde e i n , in der »auf d e m A l t a r d e r m u n t e r n D i c h t e r - H a n d [ . . . ] n ä h r t « , was »aus d e m H i m m e l s t a m m e t « (IV,198f.). D e m g e g e n ü b e r stellen bei

57

80

Siehe oben, S. 72ff.

Pope die Musen ihre inspirierende K r a f t allein in den Dienst der G ö t t i n des Ruhms: For Fame they raise the Voice, and tune the String. With Time's first Birth began the Heav'nly Lays, And last Eternal thro' the Length of Days. (273-275) Wenn im Temple of Fame der Glanz des R u h m s in den R a u m zurückgeworfen wird, in dem seiner gedacht wird, so darum, weil die K u n s t nur um seines willen getrieben wird — »the Length of Days«. Der Tempel der wahren Dichtkunst dagegen orientiert die Funktion der Poesie auf das Ende aller Tage und wird so zu einem Tempel der Seele, zum Sinnbild der Zuriistung für das J ü n g s t e G e r i c h t . 5 8 Eschatologie erschien im Temple of Fame nur in der Form der Parodie. In Popes Tempel hält die »Goddes« ein höchst ungerechtes Gericht:

»The

Trumpet sounded, and the Temple shook, / A n d all the Nations, summon'd at the Call« ( 2 7 7 ^ , doch nicht Gnade, sondern R u h m wird von der Göttin erbeten, die es nun mit ihrem Richtspruch vor allem darauf anzulegen scheint, die gerechte Relation von Verdienst und Lohn außer K r a f t zu setzen: Some she disgrac'd, and some with Honours crown'd; Unlike Successes equal Merits found. Thus her blind Sister, fickle F o r t u n e reigns, And undiscerning, scatters Crowns and Chains. (294-297) Der besondere Ehrgeiz der Göttin richtet sich darauf, die rühmlichen Verdienste derjenigen, welche bescheiden

— womöglich aus christlicher Uberzeu-

g u n g - im Verborgenen tugendvoll wirken, ans Licht zu bringen und zu belohnen, denn: » W h o then with Incense shall adore our N a m e ? « ( 3 6 7 ) A u f diese Weise verleiht der R u h m das ewige Leben, und darum kann schließlich auch die Auferstehung hier etwas früher stattfinden: Rise! Muses, rise! add all your tuneful Breath, These must not sleep in Darkness and in Death. (37°f.)

58

Vgl. zur Geschichte und poetologischen Relevanz dieses Zusammenhangs G. Peters Interpretation von Edward Young, On the last Day (1713), Der zerrissene Engel ..., S. 1 3 9 f r . 81

Das G e d ä c h t n i s Heiliger Poesie Vnd spielet auff dem Psalter / vnd ertichtet euch Lieder / wie Dauid. (Am. 6; 5)

Wenn sich auch Pyras Tempel der wahren Dichtkunst von Popes Temple of Fame in seiner heilsgeschichtlichen Ausrichtung unterscheidet, steht andererseits solcher enthistorisierenden Überbietung der bunten Geschichte durch die reine Heilsgeschichte nicht entgegen, daß auch Pyras Tempel der Erinnerung gewidmet ist. Diesem Zweck — dem Gedächtnis Heiliger Poesie — dient nicht nur die Aufstellung von Standbildern und Denkmälern für ihre vorbildlichen Autoren, sondern auch die Struktur der Anlage des Tempels selbst als eines Gedächtnisortes, dessen imaginäres Abschreiten die wahren Kunstwerke und ihre Dichter wieder in die Erinnerung rufen kann. Die antike, im Zusammenhang der rhetorischen memoria ausgebildete Mnemotechnik, deren Spuren sich in Pyras allegorischem Tempelbau verfolgen lassen, unterschied loci, die dem Aufbau imaginärer >Gedächtnisorte< dienten, und imagines, einprägsame Bilder und Gegenstände, die an den präparierten Orten >aufgestellt< wurden. Diese sollten dann die Anhaltspunkte geben, um sich im Vortrag die Reihe der Gedächtnisbilder abschreitend an das Vorzutragende in richtiger Reihenfolge zu erinnern. 5 9 N u n besteht die Gedächtnisleistung, die in den Tempel der wahren Dichtkunst eingeht, nicht darin, pragmatische Argumente zu memorieren, sondern in der Erinnerung und Präsentation Heiliger Poesie. In dem Maße, wie Pyras Lehrgedicht Literatur über Literatur ist und der Heiligen Poesie eine Literaturgeschichte schreiben will, liegt der Reiz des mnemotechnischen Verfahrens in der Ordnung von Texten, die sich schon mit dem Aufstieg zum Tempelberg als Rangund Reihenfolge der begutachteten literarischen Denkmäler darstellte. Daß die Reihe der Gedächtnisorte im Heiligtum des Tempels am Kreuz endet, ist nun nicht nur im Hinblick auf die >Läuterung< der Einbildungskraft von Bedeutung, sondern auch als Klimax der imagines von besonderem Interesse. Das zentrale Symbol der christlichen Religion verweist nicht mehr auf ein Doku59

82

Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei F. A. Yates, Gedächtnis und Erinnern. Mnemotechnik. von Aristoteles bis Shakespeare, Weinheim 2 1991. Die Kenntnis der klassischen antiken Texte darf hier vorausgesetzt werden, zur Bildungsgeschichte Pyras im einzelnen siehe G. Waniek, Immanuel Pyra . . . , S. ioff. Gottfried Ehrenfried Behrnauer, Rektor des Gymnasiums in Bautzen, das Pyra ab 1 7 3 0 besuchte, maß dem Unterricht in der Beredsamkeit größte Bedeutung zu: vgl. Behrnauers Kurtzer Entwurf/ wie In dem Budißinischen Gymnasio seithero Die anvertraute Jugend so wohl in Doctrina, als Disciplina unter Göttlichem Segen angefiihret worden . . . , Baudißin [Bautzen] 1722, und dazu R. Breymayer, Pietistische Rhetorik als eloquentia nov-antiqua. Mit besonderer Berücksichtigung Gottfried Polykarp Müllers (1684-1747), in: Traditio-Krisis-Renovatio aus theologischer Sicht. Festschrift für Winfried Zeller zum 65. Geburtstag, hrsg. v. B. Jaspert und R. Mohr, Marburg, 1976, S. 265.

ment wahrer Dichtkunst, sondern auf den Gegenstand Heiliger Poesie selbst. Es ist ihr ausgezeichneter Gedächtnisort insofern, als im Kreuz die Erinnerung an die Sünde der Welt und die Hoffnung auf christliche Erlösung zusammengeführt sind. J . J . Rambach erläutert in der Christlichen Sitten-Lehre, inwiefern sich mit dem Gedächtnis Jesu Christi am Kreuz Erinnern und Vergessen miteinander verschränken: Wenn man nemlich von G O t t in den Schmelz-Tiegel des Kreuzes geworffen wird, so werden von dem Gedächtniß manche Schlacken abgeschmolzen. Man vergisset der eitlen Dinge, und es werden durch die Angst manche schädliche Vorstellungen [ . . . ] gleichsam ausgelöschet. 60

Pyras Plazierung des Kreuzes im Mittelpunkt des Heiligtums seines Tempels als Mittel gegen »manche schädliche Vorstellungen« folgt dieser Logik. Mit der puristischen Ausstattung des Innenraumes gibt sie die spezifische Differenz des christlichen Gedächtnisses zum Popeschen Ruhmes-Dom zu verstehen: Intendiert ist eine Erinnerung, die die Welt vergessen kann. Schließlich lassen sich als Merkmale der Erinnerung nicht nur die Denkmäler lesen, die der Text den verdienten Autoren Heiliger Poesie im und vor dem Tempel errichtet, sondern auch die zahlreichen textuellen Verweise auf Heilige Poesie selbst, die in das Gedicht als mehr oder weniger verdeckte Zitate eingewebt sind. Wie diese von den Lesern -

nach ihrem Gedächtnis — realisiert

und ergänzt werden müssen, so führt Der Tempel der wahren Dichtkunst nicht nur Mnemotechnik vor, sondern fordert sie auch heraus. Pyras Darstellung kann als eine artifizielle Reaktion auf die Diskussion um das Gedächtnis und sein Verhältnis zur lebendigen Erkenntnis< verstanden werden, die sich im Pietismus entfaltet hatte. Die Gedächtniskunst war hier insofern höchst umstritten, als gerade gegen Ende des 1 7 . Jahrhunderts eine mnemotechnisch ausgefeilte Bibelgelehrsamkeit zu beobachten ist, die das mühelose Einprägen der kanonischen Texte versprach. Johannes Möllers

Erklärungs-

schlüssel der biblischen Figuren über die 4 Evangelien . . . ( 1 6 8 1 ) wirbt beispielsweise damit, daß man sich diese mit seiner Hilfe in zwei Monaten einprägen könne, während Michael Wiedemanns Biblischer Gedächtniß-Redner ...

(Leipzig 1 7 0 6 )

die Bibel komplett in Merkverse faßt und zweihundert »Gedächtniß-Stellen« in einem fünf Zimmer umfassenden >Gebäude< anordnet, um den Inhalt der 1 1 4 7 biblischen Kapitel in wohl zweifelhafter Anschaulichkeit auf diese zu verteilen. 6 ' Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum für Α. H. Francke in seinem Lebenslauff mit Berufung auf i.Kor.y,^

60 61



J . J . Rambach, Christliche Sitten-Lehre, S. 568. N a c h L. Volkmann, Ars memorativa, Jahrbüch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, N . F. Bd. 3 ( 1 9 2 9 ) , bes. S. I 7 7 f f .

83

die jr offenbar worden seid / das jr ein brieff Christi seid / durchs Predigampt zubereitet / vnd durch vns geschrieben / Nicht mit tinten / sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes / Nicht in steinern Taffein / sondern in fleischern Taffein des hertzen — die Gedächtniskunst eine »todte wissenschafft« für den » K o p f f « ist. Das, »was im Gedechtnis und phantasie schwebte«, muß vielmehr durch die »lebendige Erkentniß« ausgelöscht werden, die allein geeignet ist, »durch den Geist G o t t e s auff die Taffein des Herzens zu schreiben«. 6 2 Die Polemik gegen das geschulte Gedächtnisvermögen als einer dem >toten Buchstaben< verfallenen weit- und glaubensfernen Beschäftigung mit dem geoffenbarten biblischen Wort spielt die Mnemotechnik gegen die Allgegenwart eines inspirierenden Geistes aus, der nicht allein den Verstand beschäftigt, sondern bewegend ans Herz rührt. So steht auch für J . J . Rambach die »vivificado memoriae« nach der gnädigen Wiedergeburt im Mittelpunkt bei der Erörterung des Gedächtnisvermögens. Das Gedächtnis sei [ . . . ] besonders dem Heiligen Geist übergeben, und zu einer Werkstatt demselben eingeweihet, darinn er hinfort sein Erinnerungs-Amt unverhindert verrichtet.63 D i e Erinnerungsarbeit einer Heiligen Poesie muß im Horizont dieser pietistischen K r i t i k der Gedächtnis->Kunst< darum die Form einer bewegenden Darstellung anzunehmen suchen, und die allegorische Ausgestaltung in Pyras Tempel der wahren Dichtkunst ist ein erster Versuch dazu. Doch die Idee des bewegenden Gedächtnisses entfaltet weit über diesen Zusammenhang hinaus in der Heiligen Poesie W i r k u n g , insofern die bewegendere Darstellung zum A r g u m e n t werden kann, den biblischen Text poetisch fortzuschreiben und durch eine ästhetisch versierte Darstellung christlicher Offenbarung eine lebendige Erinnerung neuer Qualität zu ermöglichen. Weil die Erinnerung, welche Der Tempel der wahren Dichtkunst bewahren soll — anders als i m Temple of Fame -

nicht an ein launisches Schicksal gebunden,

sondern der transzendenten Inspiration einer absoluten christlichen Wahrheit verpflichtet ist, können und müssen darum die Denkmäler wahrer Dichtkunst zum Teil auch gegen das irdische Vergessen neu errichtet werden. Das Gedächtnis Heiliger

Poesie ist erst wieder zu stiften. D e m dient in Teilen der fünfte

G e s a n g des Gedichts, in welchem nun vor den A u g e n der am Z i e l ihres A u f 62

Francke, Lebenslauff..., S. 13. An späterer Stelle heißt es, die wissenschaftlich-theologischen Studien resümierend, S. 24: »Denn ich hatte ungefehr 7 Jahr theologiam Studiret, [...] hatte die Schrifft durch und wieder durch gelesen, ja auch von andern libris practicis nicht wenig, aber weil dieses alles nur in die vernunfft und ins Gedächtniß von mir gefasset, und das wort Gottes nicht bey mir ins Leben verwandelt war, sondern ich hatte den lebendigen Saamen des worts Gottes bey mir ersticket und unfruchtbar seyn lassen, so muste ich nun gleichsam auffs neue den anfang machen ein Christ zu werden.«

63

J . J . Rambach, Christliche Sitten-Lehre, S. 564.

84

stiegs angelangten Dichter die beispielgebenden frommen Vorgänger selbst vor dem Thron der »heiigen Poesie« aufziehen — nachdem in den vorhergehenden Gesängen die Tempelanlage selbst, Standbilder bedeutender biblischer Figuren und schließlich im Heiligtum des Tempels die »liebsten Töchter« der »heiigen Poesie« Gegenstand der Schilderung waren: allegorische Personifikationen der poetischen Gattungen: Ekloge, Elegie, Ode, Tragödie und Epos - : Nunmehr erzähle mir, du grosse Dichterin! Die du dis alles weist, der frommen Dichter N a m e n , Die ich damals gehört, als ich sie kommen sah: Weil doch nicht wenige fast unbekandt geworden.

(V.i-4) Die >Rettungen< gegen den irdischen Ruhm werden - jetzt ohne Rücksicht auf mnemotechnische Praktikabilität - in Form eines Registers vorgenommen. Als erster wird Mose genannt, dann folgen in der Reihe Mirjam, David, Assaph, Salomo, Luther, Milton, Vida, Sannazar, Sedulius, Prudentius, Marino, Sallust, Opitz, Fleming, Dach, Francke, Gerhard, Gryphius und Rist. Die Literaturgeschichte Heiliger Poesie, die hier durch die eigentümlich strukturierte Reihenfolge der Aufzählung entworfen wird, ist typologisch um den biblischen David geordnet. Denn der Psalmendichter - »der frömste Mann doch auch der gröste Dichter« (V,i6) -

vermittelt den in Pyras Aufzählung bezeichnenderweise

nicht kommentierten Übergang von biblischer zu nachbiblischer Literatur, den Martin Luther markiert. Luther nämlich wird als »der David unsrer Zeit« gefeiert, dessen Inspiration in die Gegenwart hineinreicht: »Die Lieder schallen noch in unsern Tempeln wieder, / Die er voll Feuer sang.« ( V 2 4 — 26) Eben dies »Feuer« ist es nun, das die Dichter durch die Zeiten hindurch eint und auszeichnet. Wenn die »heiige Poesie« ihre Ansprache vom Thron mit den Worten beginnt: Ihr Söhn! in deren Geist mein himmlisch Feuer herscht, Verlaßt die eitle Bahn, verlaßt den Weg der Sünder. Ihr meine Priester! lehrt der Knaben zarten Mund Ein neu und hohes Lied nebst keuschen Töchtern singen (V,56-59),

ist es die Inspiration durch den Heiligen Geist, welche - im Gegenzug zu der im rationalistisch-poetologischen Diskurs noch zeitübergreifend aus der Antike abgeleiteten Normativität des guten Geschmacks — die Möglichkeit nachbiblischer frommer Dichtung begründen soll. Der christliche Enthusiasmus, der in der Heiligen Poesie auf vielerlei Weise nach dem antiken Muster des furor poeticus durchgespielt wird, dient nicht allein der Vorstellung von Legitimität, sondern auch der zeitlosen Gültigkeit wahrer Dichtkunst. Auf diese Weise kann David zum allgegenwärtigen Vorbild werden, dem moderne poetische Erzeugnisse an die Seite gestellt werden können, denn im »Geist« des »himmlisch Feur« spannt sich eine literarisch vermittelte Gegenwart der Heiligen Poesie durch die

85

J a h r t a u s e n d e , in die so heterogene Autoren wie Milton, Sallust, O p i t z und A. H . Francke unterschiedslos eingereiht werden können. I m H i n b l i c k auf die in Frankreich begonnene und zu diesem Z e i t p u n k t abgeschlossene Querelle des Anciens et des Modernes dementiert die heilsgeschichtliche Perspektivierung der Literaturgeschichte, die der wahren D i c h t k u n s t eine historisch ungebrochene G e g e n w ä r t i g k e i t sichern soll, den Ertrag einer D e b a t t e , der sich als Einsicht in die »absolute Verschiedenheit« der Epochen und den B e g i n n eines neuen geschichtlichen Verstehens beschreiben läßt. 0 4 Pyra reformuliert vielmehr eine Querelle, welche das beau relatif m i t Eschatologie konfrontiert. D a s Problem des Fortschritts in der K u n s t und die Frage nach Über- oder Unterlegenheit der zeitgenössischen K u n s t p r o d u k t e , die sich in eine Historisierung des Ideals ästhetischer V o l l k o m m e n h e i t auflöste, 6 5 kann in der Heiligen Poesie gerade nicht m i t d e m H i n w e i s auf die »absolute Verschiedenheit« entschieden werden. Denn ihre Differenzierung ist kein Problem der Literaturgeschichte, sondern nur auf jene s t u m m e Transzendenz bezogen, auf welche die Ö f f n u n g in Pyras Tempel verweist. D a m i t ist die A u f n a h m e in die V e r s a m m l u n g der wahren Dichter auch nicht vom strengen Urteil des Geschmacks a b h ä n g i g — wie bei Voltaire —, noch wird wie i m Temple of Fame um den R u h m vor d e m Richterstuhl verhandelt. Vielmehr ist der Prozeß i m Tempel der wahren Dichtkunst längst entschieden. Der Erheb u n g des Freundes S. G . Lange in den Priesterstand, m i t der die »heiige Poesie« ihre R e d e und Pyra sein Epos schließt, geht kein D i s k u r s voran, sondern sie vollzieht sich als G n a d e n a k t : [...] Drauf ruft sie ihn zum Thron, Und hier bedeckten ihm die drey vertrauten Schwestern Die Gottesfurcht, Natur und Anmuth alsobald Die Schultern und sein Haupt mit einem weissen Schleyer, Den dieses Kleeblatt selbst mit eigner Hand gewebt. (V,136-140) 64

So H. R. Jauß. Jauß zitiert eine Formulierung Friedrich Schlegels, für den »die Wahrnehmung der absoluten Verschiedenheit« im deutschen Sprachraum mit Johann Joachim Winckelmann beginnt, H. R. Jauß, Ästhetische Normen und geschichtliche Reflexion in der »Querelle des Anciens et des ModernesEinleitung zu: Charles Perrault, Parallele des Anciens et des Modernes en ce qui regarde les Arts et les Sciences, Nachdruck der Ausgabe Paris 1688—1697, München 1964, S. 8 - 6 4 . Zur Rezeption der Querelle in Deutschland vgl. die Quellensammlung und Darstellung bei P. K. Kapitza, Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt. Zur Geschichte der Querelle des Anciens et des Modernes in Deutschland, München 1981, bes. S. 3 6 7 - 3 7 3 , die sich mit dem »Offenbarungsargument« innerhalb der Auseinandersetzung zwischen antiqui und moderni beschäftigen. Einige Jahre später allerdings wird sich Pyra mit einem Erweis, daß die G*[o]ttsch*[e]~ dianische Sekte den Geschmack verderbe (1743), an der deutschen Neuauflage der Querelle des Anciens et des Modernes beteiligen, und zwar auf Seiten der Zürcher »Modernen«, vgl. dazu C. Zelle, »Logik, der Phantasie« ..., S. 70ff.

65

H. R. Jauß, Ästhetische Normen . . . , S. 64. Eine solche Historisierung Heiliger Poesie wird erst Johann Gottfried Herders 1782—1783 erscheinende Schrift Vom Geist der Ebräischen Poesie vornehmen.

86

Spuren der französischen Querelle w e r d e n an anderer Stelle sichtbar. Drei Jahre vor d e m Tempel der wahren Dichtkunst

erscheint 1 7 3 4 J o h a n n J a k o b B o d m e r s

Character der Teutschen Gedichte in Z ü r i c h . Pyra war das W e r k bekannt, er erw ä h n t diese k l e i n e d e u t s c h e Literaturgeschichte des » u n v e r g l e i c h l i c h e f n ] C r i t i cus B o d m e r « in der Vorrede zur O d e Das Wort des Höchsten.66 In diesem Z u s a m m e n h a n g ist B o d m e r s Versuch eines literarhistorisch-poetologischen

Lehrge-

d i c h t s nicht nur d a r u m interessant, w e i l er i m g a t t u n g s g e s c h i c h t l i c h e n K o n t e x t Pyra m ö g l i c h e r w e i s e z u m eigenen V e r s u c h anregt. D e r V e r g l e i c h m i t B o d m e r s Character der Teutschen Gedichte ist darüber hinaus a u f s c h l u ß r e i c h , w e i l m i t diesem eine andere M ö g l i c h k e i t aufgeklärter, w e l t i m m a n e n t e r

Literaturhistorio-

g r a p h i e v o r g e g e b e n war, vor der sich Pyras christliche A l t e r n a t i v e noch einmal aus einer neuen P e r s p e k t i v e darstellt. So ist B o d m e r s P r o b l e m n i c h t die Eitelkeit einer weltverfallenen Literatur, sondern der schlechte G e s c h m a c k

ihrer

A u t o r e n und Leser. B o d m e r s Character w i l l zur D e b a t t e u m die B i l d u n g des literarischen G e s c h m a c k s beitragen, i n d e m er v o r b i l d l i c h e Beispiele der

Literaturgeschichte

v e r s a m m e l t u n d k o m m e n t i e r e n d vorstellt. » A u c h Teutsche k ö n n e n sich a u f den Parnassus s c h w i n g e n « , 6 7 verspricht der E i n g a n g s v e r s , d o c h ein neuer H ö h e n f l u g ist d u r c h eine e i n g e h e n d e B e s t a n d s a u f n a h m e der tradierten

deutschen

D i c h t k u n s t vorzubereiten. Z u diesem Z w e c k w i r d »Critica«, die personifizierte L i t e r a t u r k r i t i k , angerufen. In ihrem N a m e n soll der » D i c h t e r lange R e y h , / D i e Teutschland a u f g e s t e l l t « , durch eine >charakterisierende< D a r s t e l l u n g angemessen g e w ü r d i g t und der herumirrende »bessere G e s c h m a c k « befördert werden, w e l c h e r b i s l a n g noch von einem » s c h l i m m e r e n G e s c h m a c k

verdrungen

und verwirret« ( 3 - 1 0 ) ist. D e r A u f s c h w u n g a u f d e n Parnaß ist d e m Character

der Teutschen

z u f o l g e w e d e r das E r g e b n i s einer linear fortschreitenden

Gedichte

Literaturgeschichte,

noch v o l l z i e h t sich dieser i m Schatten antiker H ö h e . D i e in der Querelle des Anciens et des Modernes f o r m u l i e r t e A l t e r n a t i v e z w i s c h e n D e k a d e n z und Fortschritt d u r c h b r i c h t B o d m e r s M o d e l l m i t der K o n s t r u k t i o n einer s t e t i g a b w e c h selnden A u f s t i e g s - u n d Verfallsgeschichte in der » D i c h t e r l a n g e R e y h « , d i e die spezifische P r ü f u n g der einzelnen A u t o r e n u n d die i n d i v i d u e l l e K r i t i k

ihrer

W e r k e v e r l a n g t . 6 8 B e g r e n z t wird dieser H i s t o r i s m u s d u r c h d i e A n n a h m e zeit-

6i

Freundschaftliche Lieder, S. 126. Pyra beschäftigt sich seit der Studienzeit 1736 in Halle mit den Schriften Bodmers. Von 1737 datiert die erste Korrespondenz mit Gottsched, an Bodmer sind zwei Briefe aus dem Jahr 1744 bekannt, siehe Anhang in: I. J. Pyra, Über das Erhabene, S. 89ff.

67

Johann Jakob Bodmer, Character Der Teutschen Gedichte, zitiert nach: ders., Vier kritische Gedichte, hrsg. v. J. Baechthold, Heilbronn 1883, S. 3, Vers 1 [Im Folgenden als (1)]. M. Wehrli beschreibt dieses Verfahren treffend als »pragmatischen Geschichtsatomismus«, Johann Jakob Bodmer und die Geschichte der Literatur, Frauenfeld und Leipzig 1936, S. 1 1 9 - 1 2 2 .

6lf

87

übergreifender poetischer Normen, die sich als »besserer Geschmack« beschreiben lassen. Gegen »Schmeychelei« und »falsche Höflichkeit« (4f.) richtet sich darum das Bildungsziel des Characters der Teutschen Gedichte auf das Urteilsvermögen der Rezipienten und zukünftigen Autoren schöner Literatur, dem durch die unbestechliche Einsicht der aufgeklärten Urteilskraft aufgeholfen werden soll. Darum umfaßt der Character schließlich auch eine ausführliche kritische Würdigung ausgewählter Übersetzungen antiker Autoren, durch die der allgemeine zeitgenössische Geschmack Zugang zu den alten Vorbildern gewinnen kann, wenn denn die Verdeutschungen den Vorzügen der Originale zu entsprechen vermögen. Die Möglichkeit moderner Dichtung ist in diesem Rahmen nicht an die Fortschreibbarkeit Heiliger Poesie gebunden, sondern auf die Wiederentdeckung einer >natürlichen< Ordnung der Poesie zurückgeführt, die Bodmer und Breitinger seit den Discoursen der Mahlern ( 1 7 2 1 - 1 7 2 3 ) verfolgen. Der solcher Natürlichkeit angemessene »natürliche Geschmack< gibt nicht nur das Richtmaß in Stilfragen, sondern die Ordnung des unendlich feinen Naturzusammenhangs als nexus universalis eröffnet vor allem auch neue poetische Betätigungsfelder und erfüllt somit die Bedingung der Möglichkeit moderner Dichtkunst im Geiste Leibniz-Wolffscher Metaphysik. Naturdichtung kann somit zum Sinnbild unendlich vielfältiger, schöpferischer Dichtkunst überhaupt werden: Brocks ist der letzte nicht, ich sehe vor der Thür, Die aus der düsteren letheischen Revier, W o das Vergessen herrscht, ans offne Tags-Licht führet, Ein Heer von Dichtern stehn. Wann die N a t u r sich rühret, Und ihre Frühlings-Lust in Thier' und Menschen senckt, Wie dann das Bienen-Volck sich um die Fluhren drengt: So wimmelts u m das Thor von künfftigen Poeten, Die jetzt noch unberühmt an Lethens Ufer treten.

(773-780) Im Licht des aufbrechenden Frühlings ist darum nach dem Beispiel des Barthold Heinrich Brockes gegenüber den überlieferten Werken der Literatur noch Ruhm zu gewinnen. Nicht ein im Tempel »heiiger Poesie« gehütetes »himmlisch Feuer«, sondern der Kreislauf der Natur entbindet künstlerische Potenz. Doch die im Frühling zwanglos sich einstellende Erneuerung der N a t u r ist eine problematische Allegorie für eine moderne Dichtkunst, der schöne Wiederholung nicht genügen kann. Darum kündigt sich mit dem Bild des Frühlings zugleich ein größerer, aussichtsreicherer Zyklus der Literaturgeschichte an. Die in Aussicht gestellte erfolgreiche künstlerische Selbstbehauptung gegenüber der Antike greift im Character der Teutschen Gedichte mit Blick auf diese Herausforderung nicht von ungefähr auf die Figur des Christoph Kolumbus zurück (867ff.). Der Entdeckung der Neuen Welt, die zum Symbol einer selbstbewußten Neuzeit wurde, korrespondieren die mit Leibniz und Wolff wahrscheinlich gewordenen möglichen Welten der rationalistischen Metaphysik, aus denen die 88

Aufklärungspoetologie Gottscheds wie der Schweizer ihren Fiktionalitätsbegriff gewinnt: Gesetzt daß, was du meldst, vom G r u n d der Wahrheit weicht, So hänget es gleichwohl, so fern das Wissen reicht, A n einer Ketten fest, woran kein R i n g verfehlet, Und Wolf, dem die Natur die Weißheit vorgezehlet, Kan nichts darinne sehn, das selbst sich widerspricht; Und seine Meinung gilt nicht mehr als dein Gedicht. (929-934)

Im Gegensatz zur eschatologischen Perspektive Heiliger Poesie über die Natur hinaus, gründet Bodmer seine Poetik auf die >verkettete< Ordnung der Natur, 69 in der die Poesie ihren Sinn fürs Mögliche einzurichten hat. Das Neue erschließt sich darum noch nicht von selbst, sondern muß - mit der Eroberungsfahrt Kolumbus' ist auch an Odysseus erinnert — der Natur durch Arbeit und List abgelauscht werden. Ist erst einmal die Natur [ . . . ] entkleidt, die Regeln aufzudecken, Wie Ziel- und Reyhen-Weiß die D i n g ' in Dingen stecken, Ein Rad im andern Rad; demselben ist vergönnt, Daß er das Meister-Stück der Poesie beginnt. Erscheine grosser Geist, und singe Ding und Thaten So theils die Zeit begrub, theils ihr noch nicht gerathen. (855-860)

Die Einsicht in die Teleologie des Naturzusammenhangs läßt den Dichter zum Propheten werden, und erst in der Folge wird durch dieses >Wunderbare< der poetische Enthusiasmus wahrscheinlich und nicht umgekehrt. 70 Kolumbus, der »arm und ohne Gelt noch eine Welt verheissen« (868), kann in diesem Sinn als paradigmatischer Dichter gelten und die Schilderung seines Aufbruchs zu neuen Welten darum den gleichrangigen Stoff zu einer modernen >Odyssee< 69

Z u r historischen Spannweite dieses platonischen Modells vgl. A . O. Lovejoy, Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens, Frankfurt a. M. 1 9 9 3 . Wie beides auch zusammengeht, läßt sich an Wielands Oie Natur der Dinge beobachten. Dazu Kapitel 4.

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D i e Vorstellung, daß »Ziel- und Reyhen-Weiß die D i n g ' in Dingen stecken« (in der Erstausgabe von 1 7 3 4 : »Wie Zeil- und Reyhen-Weiß die D i n g ' in Dingen stecken«), f o l g t der Leibnizschen Präformationstheorie, vgl. Théodicée ..., Préface, S. 4 3 f f . Z u r aufgeklärten Stilisierung poetischer Inspiration siehe Character..., Verse 9 0 7 — 9 1 6 : »Damit auch dein Gedicht nicht menschlich und gemeine, Damit es dir bey Nacht geoffenbahret, scheine, So führe Geister ein verschieden an Gestalt, [...] Der Handlung, die du singst, erhabenes Gewicht, Woran America mit seiner Freyheit ligt, Ists wehrt, daß Engel selbst mit sorgens-vollen Blicken N a c h ihrem Ausgang sehn, und die Geschieht beschicken; [...]«

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abgeben. 7 1 Das durch ihn verkörperte poetologische Programm ist wenig geeignet, an einem >neuen Tempel· mitzubauen, vielmehr dazu, durch das in der N a t u r entdeckte Geheimnis und die poetische Vorstellung der im nexus universalis verborgenen Möglichkeiten zu überraschen und zu unterhalten. Literaturund Naturgeschichte sind so auf eigentümliche Weise miteinander verschränkt. D i e N a t u r sichert die Erfindungskraft, wie sie auch die Maßstäbe zur Beurteilung ihrer Produkte bereithält. Unausschöpflich ermöglicht sie den Fortgang der Literatur, wie das Vergnügen und die Belehrung ihrer Leser.

Heilige Poesie als Kunst Im Verlauf des Epos scheint mit der christlich-allegorischen Ausgestaltung des »Tempels der wahren Dichtkunst« auf dem G i p f e l p u n k t das eingangs mit den Psalmen Davids angedeutete ästhetische Programm der Heiligen Poesie in den Hintergrund zu rücken - ein Eindruck, den die penible Christianisierung des Popeschen Arrangements verstärkt. Doch der letzte, fünfte Gesang des Tempels der wahren Dichtkunst nimmt das T h e m a noch einmal auf. D i e Heilige Poesie ist Kunst: Nein es ist nicht genug ein frommer Mann zu seyn, Es muß ein Dichter seyn, der sich ans Dichten waget. (V,66f.) Diese in der einschlägigen Forschung gern zitierten Verse, mit denen Pyra sich als Ästhetiker zu erkennen gibt, formulieren zunächst nur die Uberzeugung, daß das Dichten Heiliger Poesie mehr als die fromme Gesinnung verlangt. Das tautologische Postulat: »Es muß ein Dichter seyn, der sich ans Dichten w a g e t « , g i b t , ernst genommen, zu verstehen, daß die poetische Darstellung ein besonderes ingenium verlangt und die Artikulation des Heiligen kein sich wie von selbst einstellender, nachgeordneter E f f e k t frommer Ergriffenheit ist — auch wenn dies die Selbststilisierung heiliger Poeten bisweilen suggeriert. Genau solch unmittelbarer Ausdruck war nun jedoch die intendierte Darstellungsform einer im präzisen Sinn kunstfeindlichen pietistischen Sprachpraxis, die das aufrichtige Z e u g n i s des Herzens über das dichtende K a l k ü l stellte, denn »Wes das Hertz vol ist / des gehet der Mund vber« (Mt. 1 2 ¡34). G e g e n dieses Ideal einfältiger Authentizität einer geistlichen Beredsamkeit wird dem Dichter

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Heiliger

Bodmer verfaßt dann einige Jahre später selbst ein Kolumbus-Epos: Colombaria. Ein Gedicht in fynf Gesängen, Zürich 1 7 5 3 . Vgl. zur »metaphorischen Offenhaltung des Horizonts der Erwartungen« durch das Motiv der >terra incognitas H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 59ff.

Poesie der Ausdruck zu einem e i g e n e n P r o b l e m . 7 2 M e h r als ein v i e l l e i c h t des öfteren allein d e m Verszwang g e s c h u l d e t e s D e t a i l ist d a r u m , daß i m Tempel wahren

Dichtkunst

der

» h e i i g e Poesie« und » D i c h t k u n s t « S y n o n y m e s i n d . 7 3

Für d i e anzustrebende ästhetische Q u a l i t ä t einer wahren D i c h t k u n s t , die » G O t tes G e i s t « i m »reinen H e r z « auch seine angemessene F o r m verleihen k a n n , ist w i e d e r u m die a l t t e s t a m e n t l i c h e P s a l m e n d i c h t u n g beispielhaft: J a ist das Hertz nicht rein, und voll von GOttes Geist; So tragt ihr unverdient der frommen Dichter Namen. Euch ziert er nur mit Recht, euch, denen die Natur Durch diesen seltnen Schatz den edlen Sinn bereichert. Ihr aber folget stets des hohen Davids Spur, Der sich aus tieffer Noth bis in den Himmel schwinget, Des Lied mit heiliger, doch eigner Unordnung Pflegt aus dem Jammerton in GOttes Lob zu fallen. Lernt diese Kunst von ihm [ . . . ] (V.72-80) Des » h o h e n Davids S p u r « führt zu »heiliger, doch eigner U n o r d n u n g « oder, in d i e poetologische T e r m i n o l o g i e übersetzt: D i e K u n s t f o r m der Heiligen

Poesie

ist die erhabene, die >hohe Odeschöne U n o r d n u n g < , so will es jedenfalls die » h e i i g e P o e s i e « , vorbildlich erfüllt. E i n e andere Spur wird

jedoch

durch diese b i b l i s c h e G e n e a l o g i e sorgfältig verwischt. Sie führt zu d e m a n t i k e n Lyriker Pindar — d e m Popes Temple of Fame i m G e g e n s a t z zu Pyra als »furious P r o p h e t « , » s e e m ' d to labour w i t h t h ' i n s p i r i n g G o d « , ein ehrendes A n d e n k e n b e w a h r t h a t t e ( 2 i 2 f . ) . Pindars überlieferte E p i n i k i e n sind i m zeitgenössischen poetologischen D i s k u r s I n b e g r i f f der >hohen Oden«, deren enthusiastischer Ton m i t seinem sprunghaften und in jeder H i n s i c h t e i g e n w i l l i g e n Sprachstil als M u s t e r einer aufs höchste begeisterten E i n b i l d u n g s k r a f t g i l t . Für eine u m vern ü n f t i g e K l ä r u n g e n b e m ü h t e G e s c h m a c k s k r i t i k keine leichte M a t e r i e , und B o i leaus spannungsreiche B e s c h r e i b u n g des Pindarischen D u k t u s als beau

désordre

verrät das provozierende und faszinierende P o t e n t i a l . 7 5 I m K o n t e x t der

Heiligen

Poesie m u ß jedoch vor allem die Ü b e r z e u g u n g des anderen m a ß g e b l i c h e n a n t i ken O d e n d i c h t e r s , Horaz, b e u n r u h i g e n , der die neuzeitliche Pindarrezeption m a ß g e b l i c h g e p r ä g t hat: N i e m a l s m e h r würde es g e l i n g e n , so Horaz, die G r ö ß e

72

Zum Problem der >Einfalt< und ihrer ästhetischen Kritik siehe eingehend unten, S. 223fr.

73

Etwa 1,189; III.235. P 3 5 5 · Nicolas Boileau-Despréaux, Discours sur l'Ode (1693). Zum beau désordre vgl. C. Zelle, Oie doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche, Stuttgart und Weimar 1995, S. 4 6 f r

74 75

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Pindars zu übertreffen, »[...] quamvis redeant in aurum / Tempora priscum«. 7 6 Läßt doch dieses Urteil an der Überlegenheit der christlichen Inspiration zweifeln, zumindest jedoch an einem ihr angemessenen Ausdrucksvermögen. Der Hinweis auf den Psalmisten David, der die schon seit Hieronymus gepflegte Parallelsetzung von Pindar und David fortschreibt, 7 7 klärt diese Problematik nur rückwärtsgewandt. Im Hinblick auf die Ausbildung einer neuen Heiligen Poesie jedoch, die die »heiige Poesie« im Tempel der wahren Dichtkunst forcieren will, bleibt der ungenannte Pindar die verdeckte ästhetische und theologische Herausforderung, die es einzuholen und zu überbieten gilt. 7 8 Zur pädagogisch umsichtigen Aufmunterung führt Pyra darum ebenso diskret vor, daß die Widerlegung des Horazschen Diktums, der Brückenschlag von Davids Psalmen über Pindar hinweg zu einer nachbiblischen Heiligen Poesie, doch auch schon gelungen ist. Der zentrale, Davids Schwungkraft benennende Vers verknüpft Vorbild und Nachfolge auf engstem Raum: Der Gesang, der »sich aus tieffer N o t h bis in den Himmel schwinget« (V,77), assoziiert nicht nur den biblischen Psalm (Pi. 130; 1 ), sondern auch dessen Nachdichtung durch den Pindar vergessen lassenden »David unsrer Zeit«, Martin Luthers Aus tieffer not schrey ich zu dyr (1524). Doch jenseits des theologisch-dogmatischen Bemühens, die »schöne« in eine »heilige« Unordnung zu verwandeln, die auf den alten David allein zurückgeführt werden kann, läßt sich aus der indirekt zitierten Pindartradition auch ein neuen poetischen Versuchen dienstbarer Ertrag ziehen. Dem »Lied mit heiliger, doch eigner Unordnung« muß, die Interjektion weist daraufhin, eine »eigne«, eigentümlich poetische Freiheit zugestanden sein, wenn es mit Erfolg »bis in den Himmel schwingen« soll. So befördert die Identifikation von Pindar und David im weiteren Verlauf der deutschen Diskussion um Heilige Poesie sowohl

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»Stieg selbst noch einmal in die Welt herab das / Goldene Alter«, Horaz, carm. IV. 2, Verse 39f., zitiert nach: Sämtliche Werke, lat./dt., übers, v. W. Schöne, hrsg. v. H. Färber, München 1 9 6 4 . Z u Pindar und Horaz im 18. Jahrhundert siehe J . Schmidt, Pindar ah Genie-Paradigma im 18. Jahrhundert, Goethe-Jahrbuch 1 0 1 ( 1 9 8 4 ) , S. 63 — 7 3 .

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V g l . D . Gutzen, Poesie der Bibel..., S. 28. In der zeitgenössischen Literatur zur Heiligen Poesie der Bibel gehört die Überlegenheit Davids über Pindar herauszustellen zum festen Bestand. Der Abhandlung Von dem guten Geschmack der heiligen Schreibart, die auf den 1 0 . September 1 7 4 8 datierte 7 8 . Folge der moralischen Wochenschrift Der Gesellige, gelingt dabei das Kunststück, den besonderen »feurigen Schwung« der Psalmen auf die pindartypischen Stilmittel zurückzuführen, um sie genau dadurch von Pindar abzuheben: »die unvermutheten Uebergänge und Verknüpfungen, welche die Leser übereilen, zeigen, daß ein stärkerer Geist, als Pindar und Horaz, von einer höhern G l u t h angetrieben, alle irdische Begeisterung und Entzückung übersteige«, Der Gesellige. Eine moralische Wochenschrift, hrsg. v. Samuel Gotthold Lange und Georg Friedrich Meier, Nachdruck der Ausgabe Halle 1 7 4 8 - 1 7 5 0 , Hildesheim, Zürich und N e w York 1 9 8 7 , B d . 1 , S. 6 5 3 ^

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d i e ä s t h e t i s c h e n W e r t s c h ä t z u n g d e r P s a l m e n als a u c h d i e p o e t o l o g i s c h e E x p l i k a t i o n d e r O d e n f o r m . S a m u e l G o t t h o l d L a n g e s Ü b e r t r a g u n g d e r Oden oder poetische Übersetzung der Psalmen ( 1 7 4 6 ) , 7 9 d e r 1 7 4 7 d a n n d i e

Davids

Horatzischen

Oden i m >mittleren< S t i l f o l g e n , o d e r d i e v e r m u t l i c h e b e n f a l l s v o n L a n g e v e r f a ß t e n A b h a n d l u n g e n Von dem guten Geschmack der heiligen Schreibart u n d Die Lehre von der Ode a u s d e r m o r a l i s c h e n W o c h e n s c h r i f t Der Gesellige s i n d h i e r f ü r f r ü h e Beispiele. Eine gewisse Nonchalance g e g e n ü b e r konventionellen regelpoetischen Erw a r t u n g e n s t e h t d e r >hohen Ode< d a r u m g u t , u n d d a z u p a s s e n d e i n g e k l e i d e t e r s c h e i n t sie s p ä t e r i m Tempel der wahren Dichtkunst

unter den »Töchtern« der

»heiigen Poesie«: Die Ode aber steht mit hohen Mienen da. Ein Lorber deckt ihr Haar. Den Rücken aber Flügel, Mit welchen sie sich oft bis zu den Sternen hebt Und in der Engel Chor an GOttes Throne singet. Sie hasset allen Zwang. Es fliegt ihr prächtigs Kleid Nachläßig um sie her; doch ziert sie das am meisten. (IV,165-170) D i e a u f f a h r e n d e B e w e g u n g »hasset allen Z w a n g « , u n d d a r u m g e h t f e h l , w e r ihre poetische Form den für niedere u n d m i t t l e r e Stillagen geltenden Regeln u n t e r w e r f e n w i l l . 8 0 E n t s p r e c h e n d h e i ß t es in e i n e r d e r f r ü h e n O d e n F r i e d r i c h G o t t l i e b K l o p s t o c k s : » W i l l s t d u zu S t r o p h e n w e r d e n , o Lied, o d e r / U n u n t e r w ü r f i g Pindars Gesängen gleich, / Gleich Zeus erhabenen t r u n k e n e n Sohne, / Frey a u s d e r s c h a f f e n d e n Seele t a u m e l n ? « 8 '

D i e suggestive Alternative läßt

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Z u diesen steuert der Hallenser Theologe Siegmund Jakob Baumgarten, Bruder von Alexander Gottlieb und Wegbereiter der theologischen Aufklärung, ein Vorwort bei, das ein wichtiges Dokument für die Revision der radikalen pietistischen Kunstkritik darstellt. Vgl. W. Martens, Literatur und Frömmigkeit ..., S. i5Ç)ff· Zum Folgenden auch ders., Frommer Widerspruch. Pietistische Parodien auf Oden der frühen Aufklärungszeit, in: Literatur und Frömmigkeit..., S. 182 — 198.

8c

»Diejenigen werden sich irren, welche nach den altäglichen Oden ihren Spruch hierüber fällen. David und die altern Lyrischen Poeten sind die Muster, nach welchen man Gesänge beurtheilen soll«, Freundschaftliche Lieder, S. heißt es darum einige Jahre später, nun immerhin »die ältern Lyrischen Poeten« David gleichgestellend, in der Vorrede zu Pyras eigener >hoher Odehohen OdeHohen< geschrieben. Pyra hebt nach der rhetorisch-poetologischen Überlieferung das Erhabene zunächst als eine eigene sprachästhetische Kategorie ab, um dann in der Darstellungsform des Erhabenen poetische Praxis und christliche Erbauung zu vermitteln. Bestimmt ist Pyras Erörterung durch den von ihm verehrten Longin, dessen Traktat Peri hypsous seit Boileaus französischer Übersetzung Traité du Sublime, ou du Merveilleux dans le Discours von 1 6 7 4 die poetologische Diskussion des Erhabenen bestimmte — Pyra selbst arbeitete an einer in Teilen erhaltenen deutschen Übertragung —, und diese Reverenz formuliert schon das Problem: das Hohe in der Biebel, und noch darzu nach der Anleitung eines Heiden zu suchen, welch ein Gräuel wird das bey Leuten heißen müßen, die immer auf die Einfalt dringen! 93 Pytas Entwurf Uber das Erhabene erinnert in seinem Aufbau an die alte, humanistische Tradition der Lehrdialoge. Fragen und Antworten, Aufforderungen und Zurückweisungen

unterstreichen die persuasive Intention der A b h a n d l u n g ,

denn das Interesse fürs Erhabene ist gerade in halleschen Verhältnissen nicht unproblematisch. So läßt die Anlage der Untersuchung schon erkennen, daß die Erörterung des Erhabenen in viel stärkerem Maße als Bodmers und Breitingers zeitlich in etwa parallele Erklärungen der »vernünftigen Verwunderung« am »Grossen« auf die Abgrenzung und Auseinandersetzung mit der pietistischen Theologie abgestimmt ist. Gleich der erste Abschnitt des Entwurfs beschäftigt sich m i t der theologisch motivierten Ablehnung der »hohen Schreibart« nach patristischer Tradition, dem genus sublime das genus humile als angemessenes Stilideal einer schlichten christlichen Beredsamkeit vorzuziehen. D e m entgegen will Pyra nun das Erhabene als ein Moment des Heiligen reflektieren: Indem die erhebende Seelenbewegung zu G o t t nicht allein einer unvermittelten W i r k u n g des Heiligen G e i -

93

Immanuel Jakob Pyra, Über das Erhabene, S. 54 [Im Folgenden als (54)]. Zur poetologischen Reflexion des Erhabenen im hier interessierenden Zeitraum vgl. die Materialsammlung bei K. Viëtor, Die Idee des Erhabenen in der deutschen Literatur, in: Geist und Form. Aufsätze zur deutschen Literaturgeschichte, Bern 1952, S. 234—266, und die Studien, die C. Zelle wiederholt diesem Problem gewidmet hat: »Angenehmes Grauen. « Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im achtzehnten Jahrhundert, Hamburg 1987, Schönheit und Erhabenheit..., in: Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn, hrsg. v. C. Pries, Weinheim 1989, S. 5 5 - 7 3 , Schönheit und Schrecken. Zur Dichotomie des Schönen und Erhabenen in der Ästhetik des achtzehnten Jahrhunderts, in: Literaturkritik. Anspruch und Wirklichkeit. DFG-Symposion 1989, hrsg. v. W. Barner, Stuttgart 1990, S. 252 — 270 und schließlich die oben zitierte Monographie über Die doppelte Ästhetik der Moderne..., 1995. Z u m Verhältnis von Erhabenem und Naturerfahrung C. Begemann, Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung. Zu Literatur und Bewußtseinsgeschichte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1987, bes. S. 97ff., und ders., Erhabene Natur. Zur Übertragung des Begriffs des Erhabenen auf Gegenstände der äußeren Natur in den deutschen Kunsttheorien des 18. Jahrhunderts, DVjs 58 (1984), S. 7 4 - 110.

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stes überlassen werden muß, sondern auch durch eine Sprachform befördert werden kann, die als Poetologie des Erhabenen — bei dem »Heiden« Longin — zunächst unabhängig von einer christlichen Funktion formuliert worden ist. Schon innertheologisch ist die Diskussion zwischen Pietismus und lutherischer Orthodoxie, wie >Natur< und >Gnade< i m erhebenden A u f s c h w u n g der Seele zu G o t t aufeinander zu beziehen sind, kompliziert. Pyra versetzt das Problem der rechten aedificatio der Seele nun in den ästhetischen Horizont, der auf neue Weise die Frage nach der Vorstellung

und Darstellung

jener erbauenden

» K r a f t « stellen läßt, die in das »Reich Gottes« führt. Paulus' polemische Formulierung: »Denn das reich Gottes stehet nicht in worten / sondern in krafft« ( i . K o r . 4 ; 2 o ) , nicht mehr als Alternative, d . h . als Verdikt über die Worte schlechthin, sondern als Nötigung zu einer nachdrücklichen, kraftvollen Redeweise zu lesen motiviert das Erhabene im Kontext Heiliger Poesie. Pyras B e m ü hen, die theologische Skepsis gegenüber dem Erhabenen schließlich durch den Nachweis der »hohen Schreibart« im originären Medium christlicher Erbauung, der Bibel, zu entschärfen, soll darum über die Apologie hinaus dazu dienen, die der Heiligen Poesie eigentümliche dynamische Konjunktion von »Wort« und » K r a f t « zu belegen. 9 4 Pyra eröffnet seine »Erklärung des Hohen« mit einer anthropologischen These: Der Mensch ist zur Hoheit geboren. Der Schöpfer hat ihn dazu bestimmt. Aus der Betrachtung seiner Natur erkennen wir es, die Erfahrung bestätiget es. Auch in dem geringsten wachet ein geheimer Trieb seinen Zustand zu verbeßern, und sich aus dem unglücklichem Staube auf erhobnere Stufen zu schwingen. (51) » Z u r Hoheit geboren« ist der Mensch zum Erhabenen disponiert. Wohl ist mit dem Sündenfall die Differenz von solcher B e s t i m m u n g und ihrer Erfüllung in der Welt etabliert, doch ihre Uberwindung ist mit dem »Trieb seinen Zustand zu verbeßern« in der Kreatur selbst angelegt. Und schon hier erinnert die B e w e g u n g , sich »aus dem unglücklichem Staube auf erhobnere Stufen zu schwingen«, nicht zufällig an den »Adlerflug« des Psalmisten David im Tempel der wahren Dichtkunst (I,49ff.). Den »Trieb seinen Zustand zu verbeßern« bes t i m m t Pyra näher als das Verlangen, »überhaupt suchen volkomner zu werden« ( 5 1 ) . M i t dem Prinzip solcher an der »Hoheit« der Vollkommenheit orientierten allmählichen Vervollkommnung erreicht Pyra eine doppelte A n schlußfähigkeit seiner Argumentation. Einerseits nimmt das Streben, »volkom94

Diesem hier primär interessierenden ersten »Hauptstück« folgen in Pyras Entwurf drei weitere, welche der genaueren Bestimmung des Erhabenen selbst gewidmet sind: Das zweite handelt zunächst »Von der Schreibart überhaupt«, um dann vor dieser die Eigenart der »hohen Schreibart« abzuheben. Das dritte Hauptstück gibt die »Erklärung des Hohen«, der materia des Erhabenen. Der vierte Teil der Abhandlung schließlich beschäftigt sich mit anderen »Erklärungen verschiedener Kunstrichter« des Erhabenen.

IOO

ner zu werden«, das Modell pietistischer Individualeschatologie auf, wie es Spener mit der Lehre vom Aufgang des Reichs Gottes im Menschen als einer individuell zu erreichenden Vollkommenheit formuliert hatte. 9 5 Damit wird eine Vervollkommnung einzelner Seelen denkbar, die in gewisser Weise die noch ausstehende consummatio mundi, die Vollendung der Heilsgeschichte am Ende der Zeit, antizipiert. Andererseits weist der Gedanke der Vervollkommnung auf den doppelsinnigen Vollkommenheitsbegriff der Ästhetik Baumgartens, mit dem die Intention, »überhaupt suchen volkomner zu werden«, als eine Vervollkommnung des Vorstellungsvermögens begriffen werden kann. Präzise in diesem ästhetischen Sinn argumentiert Pyra so für das Erhabene: Man bewundert die Weltweisen, die ihren Verstand anstrengen, in die dunckeln Tiefen der Wahrheit zu dringen; u m die gründe zu erblicken, wozu sie andre mit ihrem Lichte führen. Ist es denn nicht minder löblich, seinen Geist bis zu den Volkommenheiten und Gipfeln der Dinge zu erheben, und seine Kräfte in der Vorstellung ihrer Hoheit und Fürtreflichkeit zu üben? (51)

Die Ästhetik als Vervollkommnung der »Kräfte in der Vorstellung« begründet auf diese Weise eine Seelsorge, die der pietistischen Skepsis gegenüber den naturbedingten Irritationen der Einbildungskraft mit einem Programm allseitiger Ausbildung des gottverliehenen Geistes begegnen kann. 9 6 Der Baumgarten-Schüler Pyra hatte gelernt, daß die sinnliche Anschauung das notwendige Korrelat der Verstandesbegriffe ist, und wie der Verstand gleichsam in die Tiefe führt, so bedarf es zur Wiedererlangung der menschlichen »Hoheit« auch schon der vorbereitenden Gewöhnung der Anschauung an die Höhe, auf die sich der Geist zu den »Gipfeln der Dinge« erhebt. 9 7 Pyras zur »Hoheit geborene[r] Mensch« ist Baumgartens felix aestheticus, und prädestiniert für die Funktion der Triebfeder ist das Erhabene.

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Insofern scheint es problematisch, hier einen »fortschrittlichen anthropologischen Ansatz« unvermittelt einem »im strengen Sinne theologischen« gegenüberzustellen, J. Heinz, Architektur des Erhabenen . . . , S. 74, Anm. 4. Vgl. dazu auch M. Schmidt, Das Verständnis des Reiches Gottes im Hallischen Pietismus, in: ders., Der Pietismus als theologische Erscheinung. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus, Bd. II, hrsg. v. K. Aland in Verbindung mit K. Breuer und E. Stove, Göttingen 1984, S. 230—256.

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Zuletzt kann die Ästhetik sogar noch für die Seelen nach dem Tode nützlich sein und auf das Begreifen des Unbegreiflichen vorbereiten, denn: »Büken wir über das Ziel dieses Lebens, Was erwarten uns vor unbegreiflich hohe Vorstellungen? Solte man sich durch gleichmäßige Übungen nicht vorbereiten?« (51) In seinem Erweis, daß die G*[o]ttsch*[e]dianische Sekte den Geschmack verderbe, Nachdruck der Ausgabe Hamburg und Leipzig 1743, Hildesheim und New York 1974, S. 53f., belegt Pyra das Argument, daß die sinnliche Einbildungskraft zur Vorstellung Gottes notwendig sei, mit der Beobachtung, daß die Wirkungen des Heiligen Geistes in der Bibel gerade mit Worten geschildert seien, die den Bewegungen körperlicher Dinge entlehnt seien, dagegen die Begriffe des reinen Verstandes gerade in ihrem Scheitern im Begreifen der göttlichen Vollkommenheit vorgeführt würden.

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ΙΟΙ

Befördert man nicht anderer wahres Vergnügen, Wann man ihnen solche Herliche Aufzüge sehen laßt? W a r u m soll denn dieses fruchtbarste Theil der Seele voll Unkraut, und ungebauet bleiben? (51)

Daß der Dichter des Erhabenen m i t der Einbildungskraft den »fruchtbarste[n] Theil der Seele« kultiviert, nimmt einen Gedanken vorweg, dem Pyra selbst in seiner Heiligen Poesie nicht weiter nachgeht. Klingt doch mit der Wortwahl ein produktives, eigene >Früchte< hervorbringendes Moment beim Lesen Heiliger Poesie an, das die anschaulich >poetische Gemälde< schildernden oder eben »Herliche Aufzüge« enthüllenden Vorstellungen hier noch nicht ahnen lassen. Nicht Pyras, sondern Klopstocks Heilige Poesie wird den »fruchtbarste[n] Theil« der Seele in ihr ästhetisches Kalkül mit einbeziehen und ihre Leser zwar augenscheinlich vor »einen grossen Schauplatz von Trümmern« führen — wie Klopstock selbst es formuliert, auf dem jedoch der entsprechend gerüstete christliche Leser »einen majestätischen Tempel« 98 in seiner inneren Vorstellung zu imaginieren im Stande sein wird. Die Energie des Aufschwungs zur Hoheit gewinnt Pyra, dem üblichen Erklärungsmuster folgend, aus der »gewaltigen Bewegung der EinbildungsKraft« (52), für die die sprachliche Darstellung in besonderer Weise geeignet ist: Die Rede ist das Mittel, wodurch wir in andrer Gemüte diejenigen Begriffe die wir wollen, bilden können. Diese Fähigkeit sind wir der Weißheit des algemeinen Schöpfers schuldig [ . . . ] Die Bewunderung des Urhebers der Welt und seinen Werke die Liebe der Tugend, der H a ß des Lasters sind die anständigsten Absichten des ewigen, die glückseeligsten Geschäfte der Sterblichen. Nichts ist gottlicher als deren Beförderung. Durch nichts wird ein Mensch Gott selbst ähnlicher. (52)

Die Kraft, welche das bewegende Erhabene entfalten kann, ist diese »Beförderung« der menschlichen Glückseligkeit durch die »Bewunderung des Urhebers der Welt« und seiner Güte. Heilig ist die erhabene Vorstellung des Himmlischen, die auf den menschlichen Willen wirkt und zur Triebfeder seiner Seelenbildung wird. Die Heilige Poesie soll einer lebendigen Erkenntnis dienen, die »Gott selbst ähnlicher« werden läßt. Zu diesem Zweck war, so Pyra, schon die Heilige Schrift verfaßt, deren »annehmungswürdige Unterweisungen« eine erhabene Beredsamkeit »von einer recht himlischen Hoheit« offenbaren, die von der Zuversicht zeugt, durch die Vorstellungskraft auf die Vervollkommnung der Seele hinwirken zu können (51). Diesem Beispiel erhabener Hoheit nachzueifern ist die vornehmste Aufgabe Heiliger PoesieDie Heilige Poesie, die 98 99

Friedrich Gottlieb Klopstock, Von der heiligen Poesie, S. I20f. Ganz anders dagegen Edmund Burke, für den die Stärke des Erhabenen aus einer potentia absoluta resultiert, die um so eindrucksvoller ist, wie sie sich einsehbarer Nützlichkeit verweigert. Dementsprechend ist auch nicht die Liebe das primäre religiöse Gefühl, sondern die Angst, und darum ist schließlich das Alte dem Neuen Testament an Erhabenheit bei weitem überlegen. Vgl. Edmund Burke, A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful, Philosophische Untersuchung

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Pyra im Sinn hat, schreibt darum biblischen Texten nach. Wie sich im Tempel der wahren Dichtkunst zeigte, folgt solche mimesis einem Ideal der Verwebung, das die Grenzen zwischen biblischer und nachbiblischer Dichtung unscharf werden lassen will. In einem auf poetische Originalität bedachten Zeitalter ist jedoch eine derartige Begründung eines erklärtermaßen poetischen Projekts nicht unproblematisch, und es ist bezeichnend, daß sich der vielleicht modernste Vertreter Heiliger Poesie, Klopstock, ganz von ihr abwenden wird. Klopstocks Ziel wird nicht die Nachahmung, sondern die Uberbietung des biblischen Textes sein. Wenn nun auch die Funktion des Erhabenen als treibende Kraft zum Erreichen christlicher Glückseligkeit bestimmt ist, so wäre doch zunächst, um diesen Zusammenhang zu belegen, dessen angebliche Artikulation in der Bibel nachzuweisen — gegen die Ansicht derjenigen, »die immer auf die Einfalt dringen«. Für die bislang von Pyra nur behauptete literarische Form »einer recht himlischen Hoheit« in der Bibel bedarf es rhetorisch-poetologischer Kriterien - und für diese hält sich Pyra an Longin. Nachdem Pyra schon mit dem Tempel der wahren Dichtkunst seine Vorliebe für architektonische Konstruktionen zu erkennen gegeben hatte, wendet er sich nun dem »Lehrgebäude« des Longin zu: Ein natürlicher Z u g , riß mich durch seine Hoheit entzücket, in sein bezauberndes Lehrgebäude [ . . . ] Alles schien mir hier erstaunenswürdig. So gehet es einem reisenden der in ein königliches Schloß den Eintritt erlanget, die marmornen Mauren die prächtigen ohrientischen Säulen die Bildsäulen der Gotter lauter glänzende Zieraten die des durchlauchtigen Erbauers würdig sind, setzten ihn allenthalben in Verwunderung. Er siehet sich in den weitläuftigen Vorhofe um. Er wirft seine Blick zu den stolzen Zinnen, die sich fast in den Wolken verbergen [ . . . ] (53)

Longin hatte seine Abhandlung mit der Bemerkung eingeleitet, daß die von einem Lehrbuch zu erwartende abstrakte Definition seines Gegenstandes, hier also des Erhabenen, von nachgeordnetem Interesse gegenüber der Aufgabe wäre, zu zeigen, mit welchen Mitteln dieses praktisch zu erlangen sei. 1 0 0 Pyras Rekonstruktion nimmt diesen Gedanken auf und führt Longins Theorie des Erhabenen selbst schon als ein vortreffliches Beispiel erhabener Darstellung ein. Sie entzückt, bezaubert und erregt Erstaunen — gerade so, wie Longin die Wirkung des Erhabenen beschreibt. Für den Leser des Tempels der wahren Dichtkunst muß dieses »Schloß« des Erhabenen zunächst wie ein zusammengestückter Nachbau eines >Tempels der falschen Dichtkunst< anmuten, wenn das Innere des Anwesens Bildsäulen orientalischer Götter, »glänzende Zieraten«, in

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über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen ( 2 i 7 5 9 ) , übers, ν. E Bassenge, hrsg. v. W. Strube, Hamburg ' 1 9 8 9 , S. i o i f f . Pseudo-Longinos, Vom Erhabenen, 1 . 1 .

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der weiteren Ausschilderung auch »Prunkzimmer« und »bewundernswürdige Bildergänge« schmücken. Jedoch: Mitten unter diesem P o m p der Eitelkeit heißet ihn seine Andacht bey der geweihten, stillen Capelle stehen bleiben, wo er das Wort Gottes wiederschallen und preisen höret. Also traget er lauter prächtige Vorstellungen und erhaben fromme Gedanken m i t sich aus diesem königlichen Baue. ( 5 3 )

Die »Capelle«, die in diesem dem »Pomp der Eitelkeit« gewidmeten Grundriß einsam aus der Pracht des Altertums herausragt, deutet auf ein ebenso isoliertes wie in der Longin-Rezeption besonders prominentes, zusammengezogenes Zitat aus dem biblischen Schöpfungsbericht, welches Longin angeführt hatte, um einen gelungenen sprachlichen Ausdruck göttlicher Würde zu verdeutlichen: Also hat der Gesetzgeber der Juden, gewiß kein geringer Mann, Nachdem er sich die Almacht Gottes nach aller Hoheit und W ü r d e vorgestelt, bald im Anfange seines Gesetzbuches hören laßen. Gott sprach was? Es werde Licht, und es ward. Es sey die Erde, und sie w a r . 1 0 1

Bei Longin ist dies die einzige Belegstelle unter der Fülle der Beispiele aus der antiken Literatur, die Pyras Argument unterstützt, daß die Sprachkunst der Bibel von erhabener Schönheit sei. Doch für die Einführung des Erhabenen in die Heilige Poesie ist sie dafür von um so größerem Interesse. So ist Longins Genesis-Zitat wert, daß man ihm eine Kirche baut, denn Longins »scharfsinnige Anmerkung«, so Pyra weiter, habe ihn selbst erst erkennen lassen, daß man sich nicht an dem heiligsten Worte versündige, Wann man seine Hoheit bewundre. (54)

Longins Hinweis auf Gen. 1 ;3ff. hatte schon einige Jahre vorher zu einer Kontroverse zwischen dem Longin-Ubersetzer Boileau und den Theologen Pierre Daniel Huet und Jean Le Clerc um diese Entdeckung des Erhabenen im biblischen Text geführt. 1 0 2 Die seit der Auseinandersetzung der Kirchenväter mit den an der antiken Rhetorik geschulten Verächtern des biblischen Stils strittige Frage, ob der Heilige Geist >Stil< habe, hatte Boileau schon in der Vorrede zu seiner Ubersetzung des Longinschen Traktats mit der gerade im Hinblick auf Longin problematischen Unterscheidung zwischen dem Stil des Erhabenen und dem Erhabenen selbst zu lösen versucht: Il faut sçavoir que par S u b l i m e longin n'entend pas ce que les Orateurs appellent le stile sublime; mais cet extraordinaire et ce merveilleux qui fait qu'un Ouvrage

" " Pseudo-Longinos, Vom Erhabenen, 9.9, zitiert nach der Übersetzung Pyras, Über das Erhabene, S. 4 6 . Ioi Nicolas Boileau, Reflexions critiques sur quelques passages de Longin X: Réfutation d'une dissertation de Monsieur Le Clerc contre Longin ( 1 7 1 3 ) . V g l . Κ . Borinski, Oie Antike in Poetik und Kunsttheorie. Vom Ausgang des klassischen Altertums bis auf Goethe und Wilhelm von Humboldt, B d . 2, aus dem Nachlaß hrsg. v. R . Newald, Leipzig 1 9 2 4 , S. I90f. I04

enleve, ravit, transporte. Le stile sublime veut tousjours de grands mots, mais le Sublime se peut trouver dans une seule pensée, dans une seule figure, dans un seul tour de paroles.103 Der A u s w e g , den Boileau sucht, liegt in der simplicité. M i t der W e n d u n g >Gott sprach .. .< lasse sich, so Boileau, belegen, daß das Erhabene m i t d e m Einfachen durchaus zu vereinbaren sei: »le s u b l i m e n'estant point opposé a u s i m p l e « . 1 0 4 Für Pyra birgt die Ubersetzung dieser klassizistischen Lösung jedoch ein Problem. Denn die simplicité Boileaus, w i e etwa Gottsched, als »natürliche Einfalt< in den poetologischen N o r m e n k a t a l o g einzutragen, würde nicht nur schlecht zur >übernatürlichen< christlichen Offenbarung passen, sondern zudem eine Assoziation wecken, die Pyra gerade auszugrenzen suchte, i n d e m er das » H o h e « der » E i n f a l t « zunächst scharf gegenübergestellt hatte: »das Hohe in der Biebel [ . . . ] zu suchen, welch ein Gräuel w i r d das bey Leuten heißen m ü ß e n , die i m m e r auf die Einfalt d r i n g e n ! « ( 5 4 ) Die » E i n f a l t « als S t i l m e r k m a l der Heiligen Schrift hatte gerade in der pietistischen B i b e l h e r m e n e u t i k A. H . Franckes - dort veranschaulicht i m Bild von »Schale« und » K e r n « — besondere B e d e u t u n g gewonnen. Nach Francke war d i e irdische Selbsterniedrigung des h i m m l i s c h e n Erlösers J e s u s C h r i stus in der »Niedrigkeit« der biblischen Texte wiederzuerkennen, die d a r u m g e rade g e g e n den äußeren Anschein ihre H e i l s q u a l i t ä t erwiesen. Darum bezeichnet Pyra nun seine von Longin und Boileau angeleitete Einsicht, » d a ß m a n sich nicht an d e m heiligsten W o r t e versündige, W a n n m a n seine Hoheit b e w u n d r e « , zunächst nicht m i t d e m Begriff einer erhabenen Einfalt, sondern m i t dem allegorischen A r r a n g e m e n t von » S c h l o ß « und » C a p e l l e « , durch welches das Problem eines sich den » g r a n d s mots« verweigernden christlichen Erhabenen aufgelöst werden soll. Doch w i e schon Boileaus zweifelhaftes und im übrigen m i t Longins Beispielen selbst zu widerlegendes A r g u m e n t , das den antiken Rhetoren ein » S u b l i m e [ . . . ] dans une seul pensée« abspricht, erkennen ließ, zeigt auch das unvermittelte Nebeneinander von » S c h l o ß « und » C a p e l l e « in Pyras Darstellung, daß die Zuschreibung des biblischen Worts z u m genus sublime g e g e n eine w i r k u n g s m ä c h t i g e D e u t u n g s t r a d i t i o n nicht einfach ist. W i e denn in dem der »Eitelkeit« g e w e i h t e n » k ö n i g l i c h e n B a u e « des Longin die » A n d a c h t bey der g e w e i h ten, stillen Capelle stehen bleiben« könne und auf welche W e i s e » p r ä c h t i g e Vorstellungen und erhaben f r o m m e G e d a n k e n « ( 5 3 ) in Heiliger Poesie zu vermitteln seien, sind d a r u m Fragen, d i e ihre rhetorisch aufgeklärten Dichter weiter beschäftigen werden.

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Nicolas Boileau, Traité du Sublime, ou du Merveilleux dans le Discours, traduit du Grec de Longin (1674), Préface, zitiert nach: Oeuvres complète, ed. par F. Escal, Paris 1966, S. 338. Boileau zitiert dieses Argument gleich zu Beginn der späteren Réfutation, siehe ebd., S. 544. N. Boileau, Réfutation ..., S. 547. 105

Und auch Pyra n i m m t das Problem der Einfalt in seinen Gedanken Über das Erhabene noch einmal auf. Doch bemerkenswerterweise nicht als eine Qualität christlicher, sondern antiker Literatur. Wenn, so Pyra, Longins Analyse des Erhabenen zwar in einiger Hinsicht zu korrigieren sei - »Es dünkte mir daß nicht genug Abtheilungen gemacht worden, daß verschiedne Theile nicht genug Licht hatten, ja daß auch viele Bilder anders zu stellen wären« - , so trachte er mit seiner Abhandlung doch [ . . . ] nicht nach dem großen Lobe, daß nur dem Longin eigen ist. Ich bin zufrieden; Wenn man nur meiner Bemühung und Einrichtung nicht allen Beyfall versagt; Es gehet den meisten neuern Schriftstellern so wie den neuern Baumeistern, daß sie ja wohl manchmahl ein richtigeres verhältnüß heraus bringen aber doch selten die Einfältige Majestät der alten Kunst erreichen. Sie müßen meistens mit einem mäßigen Lobe zufrieden seyn, wann die grauen Wunderwerke bewundert werden. (55)

Nicht die bescheidene, >uneitle< Selbsteinschätzung an sich, sondern ihre Begründung ist aufschlußreich. Die Überlegenheit der modernen Reflexion, der es vielleicht gelingen mag die Theorie des Erhabenen genauer auszuarbeiten, läßt doch die »Einfältige Majestät der alten Kunst« verlorengehen. Postulierte Der Tempel der wahren Dichtkunst noch die verlustfreie Substitution der antiken durch die christliche Kunst, deren Erfolgsgeschichte mit der Weihe S. G. Langes zum Priester der »heiigen Poesie« in die Gegenwart hineinreichte, müssen die »neuern Baumeistern« des Erhabenen mit »grauen Wunderwerken« zufrieden sein. Der Aufruf der »heiigen Dichtkunst« an die versammelten Dichter im Tempel erscheint von hier aus in einem neuen Licht; J a ich erlaub es euch, entreißt mit kluger Hand Den Dichtern Griechenlands und Latiens ihr Gutes; Doch eh ihr es dem HErrn auf seinem Altar legt; So heiligt erst den Raub [ . . . ]

(V, 126-129) Uber die christliche >Heiligung< antiker >Schätze< hinaus wird nun der »Raub« selbst zum Problem, wie nämlich den Werken »Griechenlands und Latiens ihr Gutes« in eine moderne Heilige Poesie eingehen kann, die sich eben nicht von einem inspirierenden »himmlisch Feuer« zehrend wieder in den Stand der Ursprünglichkeit zurückversetzen läßt. Ist die »einfältige Majestät der alten Kunst« unerreichbar, fragt sich statt dessen, wie eine Kunst auf diese Begrenzung reagiert, die gleichwohl den Aufschwung einer zur »Hoheit« geborenen Seele befördern will. Eine mögliche Lösung dieses Problems liegt in der Trennung des Erhabenen von der Einfalt — die Heilige Poesie Klopstocks, die sich mit »grauen Wunderwerke[n]« nicht bescheiden mag, wird sie vorführen. Daß Pyra Longin folgend die »einfältige Majestät« nicht nur in der Bibel entdeckt, sondern »der alten Kunst« überhaupt zuschreibt, führt wieder zu dem schon am Beginn der Abhandlung Über das Erhabene erkennbaren Problem zu10 6

rück, wie denn eine christlicher Erbauung dienende »Hoheit« spezifisch zu differenzieren sei. In einer poetisch nicht zu überbietenden antik-heidnischen Tradition des Erhabenen kann dieses nur über seinen Gehalt weiter unterschieden und ausgezeichnet werden. Und so leitet sich die »Würde« eines christlichen Erhabenen aus seinen »hohen Gedancken« her, mit denen es auf die eingangs erläuterte, mit Baumgartens Ästhetik argumentierende Weise zu einer christlich verstandenen Glückseligkeit führen kann. 1 0 3 Von größter Bedeutung für solche Heiligkeit des Erhabenen im Sinne seiner Heilszuträglichkeit ist nun jedoch, daß es gegen die Vermutung einer eitlen Ablenkung der Aufmerksamkeit von seinem Gegenstand durch die überwältigende Pracht seines Ausdrucks als Medium die »Würde« seines Gehalts nicht tangiert. Denn mit der gerade von Longin herausgestellten überwältigenden Kraft erhabener Rede steigt die gleichfalls in Peri hypsous angedeutete Möglichkeit, daß der intendierte >Gedanke< der Eigendynamik einer sprachlichen Bewegung zum Opfer fällt, die die Heiligkeit des Erhabenen in Frage stellt. Dagegen will Pyra nun im zweiten Hauptstück seiner Untersuchung Über das Erhabene, »Von der Schreibart überhaupt«, zeigen, daß auch im Erhabenen die Bedeutung die Worte regiert. D i e Worte sind Zeichen der Gedanken und erhalten ihre ganze Gültigkeit und ihren Wert von der Bedeutung. Sie sind dem Schatten gleich, weichet der Körper so verschwindet sein Wesen. Ich darf diese Vergleichung noch weiter ausdehnen. W i e diese finstre Gestalt der Dunckelheit, die etwa auf eine weiße Wand oder eine sandigte Fläche geworfen ist, ob sie gleich vor sich Bewegung Leben und Geist zu haben scheinet, dennoch leblos, und ohne die W ü r k u n g e n des Korpers unthätig ist. Also sind auch die Worte ohne die K r a f t der Gedanken und außer ihrer Verbindung ohnmächtig und Tod.""'' (56)

Z u r >Auferstehung< der Worte aus dem Schattenreich der Zeichen bedarf es der »Kraft der Gedanken«, die der »scheinbaren« Bewegung durch die Worte erst Bedeutung und damit >wirkliches< Leben verleiht. Der christliche Piatonismus, 105

In diesem Sinne argumentiert auch Johann Georg Walther, der den Unterschied des Erhabenen in einer Rede nach des Hermogenes und Longins Grundsätzen bestimmen will, f ü r die Inferiorität des antiken gegenüber dem christlichen Erhabenen. Während bei den antiken Rhetoren die erhabene Rede nur »die bedrängte Republik« verteidigen und »eine Glückseligkeit, die vergänglich war« befördern sollte, lenke die christliche Beredsamkeit die Aufmerksamkeit auf »die Republik des Allerhöchsten, die sich über die wundervollen Werke der Natur, über die erstaunenden Wirkungen der Gnade, und über die ganz unaussprechliche Herrlichkeit jenes Lebens ausbreitet«. Belustigungen des Verstandes und des Witzes B d . II ( 1 7 4 2 ) , 4. Stück, S. 3 3 2 .

,0Bild< und >WesenKampfplatz< der Weltliteratur:

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So wurde derzeit etwa am Halleschen Pädagogium Franckes der Lateinunterricht nach Hieronymus Freyers Auswahlsammlung Fasciculi Poematum Latinorum, Halle '1713, gehalten und auch der verrufene Terenz seiner stilistischen Schönheit wegen in einer moralisch unbedenklichen Version nach Freyers Colloquia Terentiana ( 4 i 7 5 8 ) gelesen. Vgl. G. Kramer, A. H. Francke und seine Stiftungen in Halle, in: August Hermann Francke, Pädagogische Schriften, hrsg. v. G. Kramer, Nachdruck der Ausgabe 2 1 8 8 5 , Osnabrück 1966, S. LXIIIf.

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C. Fr. Cramer, Klopstock ..., S. 37. Z u r Bedeutung der Rhetorik in Klopstocks Schulbildung vgl. K. Hilliard, Philosophy, Letters and the Fine Arts in Klopstocks Thought, London 1987, S. iç>({. Friedrich Gottlieb Klopstock, Abschiedsrede, Declamatio qua poetas epopoeiae auctores recensa F. G. Κ., zitiert nach der ersten Edition und Übersetzung Carl Friedrich Cramers, in: Klopstock. Er: und über ihn, Bd. 1: 1 7 2 4 — 1 7 4 7 , Hamburg 1780, S. 63, im lateinischen Text S. 107 [Im Folgenden als (63/107)].

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Unwillen ergreift meine Sele, wenn ich, von dem gerechtesten Zorne entbrant, die Schlafsucht unsers Volkes hierinnen erblicke! Mit niedrigen Tändeleyen beschäftigt, suchen wir, — ach! ganz unwerth des deutschen Namens! — den Ruhm des Genius [ . . . ] Nicht so träge donnerten einst unsre Vorfahren mit ihren Waffen [...] Durch die Sache selbst, durch ein großes unvergängliches Werk müssen wir zeigen, was wir können! ( 8 5 - 8 8 / 1 2 3 - 1 2 5 ) Doch der Wettstreit der Nationalliteraturen ist nur eines der Elemente, welches die Situation moderner Literatur beschreibt und strukturiert. Die L o g i k der Steigerung, der aemulatio, prägt in Klopstocks Abschiedsrede das poetologische Selbstbewußtsein im ganzen. A l s F i g u r der Uberbietung organisiert sie zudem die vorgetragenen Argumente auf eine Weise, die einen ersten Aufschluß für Klopstocks Begriff Heiliger Poesie gibt. Dies zeigt sich schon an dem unausweichlichen Thema zeitgenössischer poetologischer Untersuchungen, mit welchem auch Klopstock seine Rede eröffnet — das Problem der Verbindlichkeit der >Natur< für die Dichtkunst: Wenn irgend etwas wegen seiner Größe und Erhabenheit des menschlichen Geistes würdig verdient gehalten zu werden; wenn irgend etwas die Seele in die unendliche Reihe der Dinge einführt, und indem sie darinnen umherschweift, mit unsterblicher Wollust erfült: So ist das unstreitig die vornemste und erste Nachahmerin der Natur [princeps naturae imitatrix], die Dichtkunst; aber die Dichtkunst, die als Königin aller der übrigen Künste einhertrit, und in neuer Ordnung so die Sachen zusammen sezt [novoque res ordine ita componit], daß sie, überal nach der natürlichen Schönheit und höchsten Volkommenheit strebend, den Namen der Schaffenden [creatricis nomine] zu verdienen scheint. (54f./99f.) Worauf es bei dieser B e s t i m m u n g des Verhältnisses zwischen N a t u r und Dichtkunst ankommt, ist die Relation von imitatio und creatio. Wohl bleibt die Poesie der N a t u r verpflichtet, aber der Akzent liegt auf der neuen Ordnung, zu der die »unendliche Reihe der D i n g e « kombiniert werden soll. Klopstock faßt die Lektion Bodmers und Breitingers zusammen, deren Schriften er zu diesem Z e i t punkt bereits studiert hatte. 1 3 Breitinger etwa hatte in seiner Critischen

Dicht-

kunst ( 1 7 4 0 ) die poetische K r a f t des Dichters daraus begründet, daß dieser »die D i n g e [ . . . ] gleichsam erschaffet, das ist, aus dem Stande der Möglichkeit in den Stand der Würcklichkeit hinüberbringet«. 1 4 M i t der Formulierung aus Breitingers Critischer Abhandlung

von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche

der Gleichnisse folgt der Poet der »Logik der Phantasie«, die mit dem Vermögen des Witzes Ähnlichkeiten zwischen den Dingen aufspürt und zu neuartigen »Gleichniß-Bilder[n]« 1 5 verknüpft. Durch solche phantasiegeleitete K o m b i n a torik ist der Poet nicht mehr ein schlicht nachschildernder Historiograph der Natur, sondern das poetische G e m ä l d e kann vielmehr sein natürliches Vorbild

" Siehe Klopstocks Brief an Bodmer vom 10.8.1748, a.a.O. [Anm. 3]· 14 Johann Jakob Breitinger, Critische Dichtkunst, Bd. I, S. 60. ' 5 Johann Jakob Breitinger, Critische Abhandlung von der Natur . . . , S. 9. Vgl. oben, S. 25.

Hi

übertreffen, insofern der Dichter in seiner Schilderung die N a t u r interpretiert. Er kann in seine Darstellung moralischen Sinn einarbeiten und vor allem durch die A r t seines Verfahrens die Wirkung seines Naturbildes im G e m ü t der Leser regieren: Darum kan man mit Grund sagen, daß er durch seine geschickte Nachahmung die Schönheit und Kraft seines Urbildes nicht nur erreichen, sondern auch übertreffen könne [ . . . ] ' 6 Diese aemulatio im Verhältnis des Dichters zur Natur, die durch Auswahl und neue Zusammensetzung der natürlichen Anschauungen »die Seele in die unendliche R e i h e der Dinge einführt« (55/99), wird zunächst durch Klopstocks vorsichtige Einschränkung, daß die Dichtkunst »den Namen der Schaffenden zu verdienen scheint«, insofern sie »überal nach der natürlichen Schönheit und höchsten Volkommenheit« strebt, scheinbar relativiert. Doch die »natürliche Schönheit« als produktionsästhetische N o r m läßt sich zurückführen auf den metaphysisch in der göttlichen Schöpfungsordnung begründeten Zusammenhalt eben der »unendlichen Reihe der D i n g e « , die Wirkliches und Mögliches i m m e r schon in sich begreift. In dieser »Reihe« zu vagabundieren, »erfüllt« die Seele m i t »unsterblicher Wollust«, weil sie Teil dieses harmonischen Schöpfungs- und Naturzusammenhanges ist, der als nexus universalis zwar nicht überschritten, aber entfaltet werden k a n n . 1 7 D i e Abschiedsrede interpretiert nun diese Konkurrenz zwischen dem Dichter und der N a t u r als innerliterarisches Problem des Wettstreits mit derjenigen Literatur, in der sich die Natur bereits vollendet dargestellt hat: Die Natur war Homer, und Homer war die Natur! Homer also ist jenes große und reiche Genie das mit Hülfe der Natur, mit dem höchsten Urbilde dichterischer Vollkommenheit in seiner Sele, das Heldengedicht nicht allein erfunden, sondern es auch nach diesem schönsten Urbilde so glücklich vollendet hat. (64/107) Homers naturidentisches Genie scheint im Horizont der eingangs aufgerichteten N o r m der »natürlichen Schönheit und höchsten Volkommenheit« nach diesem Urteil nicht zu überbieten zu sein, und tatsächlich bleibt Vergil, auf den die R e d e nun k o m m t , nur noch die N a c h a h m u n g des perfekten Nachahmers H o m e r ( 6 4 / i o 8 ) . i H Die Homer zugeschriebene Vollendung der G a t t u n g schon 17

18

J. J . Breitinger, Critische Dichtkunst, Bd. I, S. 28. Vgl. J. J. Breitinger, Critische Dichtkunst, Bd. I, S. 426: »Ich sehe den Poeten an, als einen weisen Schöpfer einer neuen idealischen Welt oder eines neuen Zusammenhanges der Dinge [...]« Die zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbstverständliche rühmende Gleichsetzung von Homer mit der Natur konnte Klopstock in Alexander Popes An Essay on Criticism (1711/1713) finden, das in einer Übersetzung Karl Friedrich Drollingers im ersten Band von Bodmers Sammlung Critischer, Poetischer und andrer geistvollen Schriften, Zürich 1741, erschienen war: Vergil habe den Homer studiert und »da fand er, daß die Natur und Homer einerley waren [...] Lernet hieraus eine gehörige Hochachtung für die Regeln der Alten. Ihnen folgen ist der Natur nachfolgen.« Ebd., S. 57f.

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an i h r e m B e g i n n , die in ihrer K o n s e q u e n z jede aemulatio

i m vorhinein z u m

Scheitern v e r u r t e i l t , erweist sich jedoch in einer H i n s i c h t als k o r r e k t u r b e d ü r f tig. I m V e r g l e i c h m i t H o m e r und Vergil müssen zwar, [ . . . ] weil sie nicht überwunden und übertroffen [vinci superarique] werden können, die Thränen meiner Weteiferung [aemulationis meae lacrimis] beständig fliessen. Aber, o liebenswürdige und beweinte Schatten! nur Eins wars, daß eurer Verkommenheit noch fehlte, um dessentwillen ich euer Loos bedaure, — Eins! Religion der Heiden verblendete euch; da ihr unserer, dieser anbetungswerthen Geheimnisse wäret würdig gewesen. (66/109) Das A r g u m e n t , das einspringen m u ß , um die drohende N i e d e r l a g e abzuwenden, ist seit den K i r c h e n v ä t e r n vertraut und auch im zeitgenössischen p o e t o l o gischen D i s k u r s p r ä s e n t . 1 9 G e o r g Friedrich Meier, hier stellvertretend für viele zitiert, e r h e b t in den Anfangsgründen

aller schönen Wissenschaften

die » G o t t e s g e -

lahrheit« z u m würdigsten G e g e n s t a n d eines schönen Geistes. N i c h t , daß k e i n e r der a n t i k e n D i c h t e r h ä t t e »edel und erhaben d e n k e n « k ö n n e n , doch »wie vielm e h r kan dieses ein h e u t i g e r D i c h t e r t h u n , wenn er die christliche und p h i l o s o phische G o t t e s g e l a h r h e i t v e r s t e h t ? « 2 0 N e b e n b e i ist b e m e r k e n s w e r t , daß der R a t i o n a l i s t G o t t s c h e d i m G e g e n s a t z zu M e i e r und anderen darauf verzichtet, die überlegene W a h r h e i t der c h r i s t l i chen R e l i g i o n als poetologischen T r u m p f auszuspielen — zumindest i m einer Critischen

Dichtkunst.

Versuch

I m H i n b l i c k a u f sein systematisches B e m ü h e n , den

B e g r i f f poetischer W a h r s c h e i n l i c h k e i t a u f v e r n ü n f t i g e K r i t e r i e n zu b r i n g e n , ist die Auseinandersetzung zwischen antiker u n d c h r i s t l i c h e r R e l i g i o n hier n i c h t an sich, sondern nur in H i n s i c h t a u f das P u b l i k u m interessant. N u r der W a h r s c h e i n l i c h k e i t zuliebe sollte der zeitgenössische D i c h t e r seine W e r k e an d e m G l a u b e n seiner Leser orientieren und n i c h t wegen des B e k e n n t n i s s e s der wahren R e l i g i o n . 2 1 D e n n gerade letzteres schützt vor Fehlern nicht: » W a s die h e i d n i schen P o e t e n von ihren G ö t t e r n für W u n d e r d i n g e haben geschehen lassen; das haben die c h r i s t l i c h e n D i c h t e r den E n g e l n u n d Teufeln z u g e s c h r i e b e n . « 2 2 D e m g e g e n ü b e r wäre die Frage nach der -

für G o t t s c h e d i m übrigen außer Z w e i f e l

stehenden — Ü b e r l e g e n h e i t der christlichen W a h r h e i t ein theologisches P r o b l e m , von w e l c h e m das poetologisch R e l e v a n t e z u unterscheiden ist. D i e Z u h ö r e r K l o p s t o c k s m ö g e n die » T h r ä n e n « des engagierten Schülers in dieser » W e t e i f e r u n g « m i t den » b e w e i n t e n S c h a t t e n « der A n t i k e vielleicht als

Vgl. zum christlichen Bekenntnis als Argument in der poetologischen Auseinandersetzung der »Modernen« mit den »Antiken« seit Jakob Masenius' Palestra stylt romani (1659) die Quellenhinweise bei P. K. Kapitza, Ein bürgerlicher Krieg ..., S. 37off. 20 21

G. F. Meier, Anfangsgründe . . . , Bd. 1, § 234. Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 4 9 6 : »Am besten ist es, wenn christliche Dichter keine heidnische Götter anrufen, als die heute zu Tage niemand glaubet oder ehret.«

" Ebd., S. 182.

117

hyperbolischen Kunstgriff aufgefaßt haben, die Leser der Biographie Cramers wissen, daß sich hinter ihnen der Plan zur Messiade verbirgt. Möglich wird die moderne aemulatio als Triumph christlicher über heidnische Religion. Die Formulierung des Problems, wie es sich in Pyras Rat der »heiigen Poesie« an die Dichter im Tempel der wahren Dichtkunst darstellte: J a ich erlaub es euch, entreißt mit kluger Hand Den Dichtern Griechenlands und Ladens ihr Gutes; Doch eh ihr es dem HErrn auf seinem Altar legt; So heiligt erst den Raub [ . . . ] , 2 3

hat sich dabei auf charakteristische Weise verschoben. Die »Heiligung« ist keine nachträgliche Modifikation vorgegebener antiker Kunstfertigkeit mehr, sondern aus dem »Raub« ist ein Projekt geworden, das der christlichen Logik gehorcht. Mit dem Messias wird nicht Heiligung, sondern Heiliges versprochen. Die Querelle, die Pyra noch beschäftigt hatte, verliert in dem Maß ihre Wirkungskraft, wie die Ästhetik Heiliger Poesie eigenen Regeln folgt. Die Auseinandersetzung mit den »Dichtern Griechenlands und Latiens« um die Vollkommenheit, die in der Abschiedsrede noch allein eine Glaubensfrage zu sein scheint, wird spätestens im Messias den Dichter als ein Problem der Darstellung beschäftigen. Doch zeigt schon die Abschiedsrede, wie die christliche Religion zu einer Differenzierung im Begriff der Vollkommenheit dienen kann, die der Heiligen Poesie im Paradigma einer den Regeln der aemulatio folgenden Literaturgeschichte unübertroffene Geltung verschafft. Denn wenn auch die antike Perfektion Homers und Vergils insofern nicht zu überbieten ist, als sich dort »mit Hülfe der Natur, mit dem höchsten Urbilde dichterischer Vollkommenheit« das Heldengedicht mit seiner Erfindung auch schon »so glücklich vollendet hat« (64/ 107), so läßt sich im Horizont Heiliger Poesie ein anderer Begriff unvollendeter Vollkommenheit denken, der durch die christliche Eschatologie offen gehalten wird. Aus den, rezeptionsästhetisch gesprochen; >Unbestimmtheitsstellen< der göttlichen Offenbarung lassen sich Möglichkeiten schöpfen, die dem gegenwärtigen Poeten ein neues Betätigungsfeld erschließen - im doppelten Sinn bis zur Vollendung der Heilsgeschichte. Insofern läßt sich die in der Abschiedsrede

21

Immanuel J a k o b Pyra, Der Tempel der wahren Dichtkunst, Gesang V, Verse 1 2 6 — 1 2 9 . O b und in welchem U m f a n g Klopstock mit Pyras Dichtung bekannt war, ist m.W. nicht belegt. F. Muncker »vernimmt« in Klopstocks Abschiedsrede »mehrfach A n klänge an Pyras >Tempel der wahren Dichtkunst*«, Friedrich Gottlieb Klopstock. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften, Berlin 1 8 8 8 , S. 3 9 , und G . Waniek konstatiert eine »direkte Anregung« Klopstocks durch Pyra, Immanuel Pyra . . . , S. 1 4 4 , die er durch eine Fülle von Belegstellen nahelegen will, formuliert aber schließlich doch als — wenig ermutigende — Maxime, S. 1 4 7 : »In den meisten Fällen wird das Gefühl entscheiden müssen, ob bei Ähnlichkeiten ein direkter Zusammenhang mit Pyra vorliegt [ . . . ] «

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auffallend häufig verwendete Metaphorik des >Raumes neuen Zustands< der neuen Vollkommenheit, der Erlösung und Versöhnung der Menschheit mit dem Neuen Testament noch aus. Unter solchen Vorzeichen kann aus der poetisch-rhetorischen aemulatio ein neuer Verweisungszusammenhang entstehen, der das innerliterarische

121

Folge- und Überbietungsverhältnis mit christlicher Semantik versieht. K l o p stock führt sein eigenes Epos, eine christlich-theologische Denkform poetologisch u m w i d m e n d , als >typologische< E r f ü l l u n g ein. In diesem Sinn erklärt sich der oben zitierte A n r u f Miltons als »geheiligter Schatten«, der so in die Reihe der zuvor beweinten, unerlösten antiken Dichterheroen einrückt. Denn nach typologischer Redeweise ist der »Schatten« {umbra) die verborgene Vorankündig u n g eines Heilsgeschehens, das sich erst zukünftig erfüllen w i r d . ' 0 Demnach ist Miltons bewundertes Paradise Lost gleichsam erst der Schatten, den ein zukünftiges Epos auf die derart zur Heilsgeschichte gewendete

Literaturge-

schichte vorauswirft. Der Messias, den der hier noch verhüllte Dichter Klopstock im Sinn hat, soll ihn ausfüllen.' 1 Eine typologische Struktur prägt die Abschiedsrede auch an anderer Stelle aus. So fällt auf, daß Klopstock anders als Pyra im Tempel der wahren

Dichtkunst

zunächst nicht den Psalmisten David, sondern Mose als »das volkommenste Muster des erhabnen und wahrhaftig göttlichen Ausdrucks bewundert« (57/ 1 0 1 ) . Daß die Reihe der Dichter Heiliger Poesie nicht um den bewunderten Psalmendichter, sondern um den Führer des Volks Israel zentriert wird, mag seinen G r u n d darin haben, daß Mose in der Bibel nicht nur als der Sänger des alten Bundes — Klopstock erinnert an 5.ΛΙ0.32 —, sondern auch in der Offenbarung des Johannes erscheint: Aber auch jene Welt verehrte Mosen als Dichter. Denn es war der Himmel und seine glücklichen Vorhöfe, wo Johannes, dieser sehende Zeuge der wundervolsten Offenbarungen, beym Cristalmeere das neue Lied Mosis hörte. (58/102) Im »Dichter« Mose vermittelt sich damit A n f a n g und Ende der Heilsgeschichte, die die irdische Welt und »jene W e l t « des Himmels umgreift. Das »neue Lied Mosis« am gläsernen und mit Feuer vermengten Meer nach der Vision des Johannes (Offb. 1 5 ) erinnert und überbietet das Lied, das der Prophet nach der wunderbaren Errettung der Israeliten am Schilfmeer gesungen hatte. Diese Beziehung ist wiederum eine typologische. M i t ihr reicht der Schauplatz und die Spannweite Heiliger Poesie bis an das Ende der Zeit. In diesen Gründungsmythos der Heiligen Poesie wird sich Klopstocks eigenes Unternehmen eintragen und dessen eschatologische D y n a m i k konsequent auszureizen trachten. ,Q

Vgl. Κο1.ι\ιη und Hebr.8,4t. Dazu im folgenden mehr. " Über die Aktualität der Figur der aemulatio belehrt die Literaturtheorie Harold Blooms. Bezeichnend ist, daß Blooms Beschäftigung mit dem Thema »Heiliger Poesie*: Ruin the sacred truth (1989), John Milton in den Mittelpunkt des »literary agon« rückt und dessen Werk in eben der Perspektive interpretiert, die hier die Heilige Poesie Klopstocks für sich in Anspruch nimmt. Insofern läßt Blooms Würdigung Milton die Gerechtigkeit widerfahren, die im Vorliegenden nach den Regeln des »literary agon« zugunsten des Nachfolgers Klopstock unterschlagen werden muß, vgl. Die heiligen Wahrheiten stürzen. Dichtung und Glaube von der Bibel bis zur Gegenwart, Frankfurt a.M. 1 9 9 1 , bes. S. 94ff.

122

Das eigentliche Thema der Abschiedsrede, die Geschichte und die Gestalt des Epos, kann nun in den derart heilsgeschichtlich konstruierten Rahmen eingetragen werden. Das schwierige Faktum, daß sich gerade für die höchste Gattung in der Bibel kein Beispiel findet, 3 2 unterschlägt der Redner. Die im Folgenden gegebene, sich an die Konvention haltende Gattungsdefinition des Epos vermeidet vielmehr zunächst den direkten Bezug auf die Heilige Poesie. Das Epos, so führt Klopstock aus, stellt eine »berühmte Handlung« dar, »die, wo nicht den ganzen Erdkreis, doch wenigstens, viele und die größten seiner Einwohner angeht« (61/105), so daß es selbst mit der Gestalt der Erde verglichen werden kann: Denn die Erde, erscheint, wegen der freundschaftlichen Uebereinstimmung aller ihrer Theile, alsdenn nur am meisten bewundernswürdig und vollkommen schön, wenn man sie mit Einem Blicke ganz überschaut; da ihre Theile [ . . . ] von der Herlichkeit des Ganzen übertroffen werden. (62/105f.) Der Heldendichter wird zum »himlischen Genius«, der die Beschränktheit der menschlichen Erkenntnisgrenzen überwindet, denn »dieser sieht, vom hohen Himmelsitze, mit einem Blicke [uno intuitu] auf die ganze Erde herab« (62/ 106). 3 3 Die poetische Entwicklung der »Herlichkeit des Ganzen« impliziert damit in der Perspektive Heiliger Poesie nicht nur ein physikotheologisches Projekt, sondern auch ein historisches: Sie intendiert die vorausschauende Einsicht in den Plan der göttlichen Ökonomie und >überschaut< die Heilsgeschichte. Indem sich so der epische Dichter dem genialen Propheten nähert, erscheint nun doch David im nachhinein als Vorbild. Denn der Beschreibung des Heldendichters als eines »himmlischen Genius« entspricht die vorangegangene Charakterisierung des Propheten David bis in die Formulierung hinein: Gleich einem jungen Genius des Himmels singt er mit göttlicher Kühnheit und erblickt den unzugänglichen Schauplatz der künftigen Jahrhunderte, verklärt in hellem Lichte. (jSf./ioj) Pyra begegnete diesem Makel im Tempel der wahren Dichtkunst damit, daß er der Bibel das fehlende Epos durch ein Milton-Zitat zuschrieb, vgl. Immanuel Jakob Pyra, Der Tempel der wahren Dichtkunst, Gesang IV, Verse 181 ff. " Klopstock demonstriert an dieser Stelle seine schulphilosophischen Kentnisse: »Uno intuitu« den ganzen Erdkreis wahrnehmen zu können, bezieht sich auf die Wolffsche Bestimmung der cognitio intuitiva. Diese bezeichnet die anschauende und deutliche Erkenntnis, welche, wenn sie auf die Erde bezogen ist, tatsächlich einen göttlichen Betrachter verlangt, da die menschliche Erkenntnis wegen der Leibgebundenheit ihrer Wahrnehmung das Ganze — den nexus universalis — immer nur ausschnittsweise und perspektivisch verzerrt erfassen kann. So wird der Heldendichter zum göttlichen Betrachter, der sich von den übrigen Menschen unterscheidet, die »hingegen [ . . . ] einen Theil der Erde nach dem andern und ihre Schönheiten, immer von neuen Gränzen umschränkt, zu betrachten gezwungen sind« (62/106). Zu Klopstocks Beschäftigung mit Christian Wolff, vgl. den Kommentar von K. Hurlebusch zu Klopstocks Arbeitstagebuch, HKA, Abt. Addenda, Bd. II, S. 298f.

32

123

Die anvisierte »Herlichkeit des Ganzen« zeichnet den Plan des Messias vor, insofern sich m i t dem Neuen Testament die christliche Heilsgeschichte zur »freundschaftlichen Uebereinstimmung aller ihrer Theile« erhebt. Ihrer »Verklärung« im poetischen Vorgriff dient die Hei/ige Poesie, auf welche die Abschiedsrede prospektiv verweist. Sie inszeniert sich dabei selbst als die Prophetie, an deren E r f ü l l u n g der Dichter im Verborgenen bereits arbeitet: [ . . . ] so werde gebohren, großer Tag! der den Sänger hervorbringen, und nahe dich schneller, Sonne! die ihn zuerst erblicken, und mit sanftem Antlitze beleuchten sol! [ . . . ] Möge das ganze Feld der Natur ihm sich eröfnen, und die ganze, Andren unzugängliche Größe der anbetungswürdigen Religion! Selbst die Reihe der künftigen Jahrhunderte bleibe ihm nicht gänzlich in Dunkel verhült; und von diesen Lehrern werd' er gebildet, des menschlichen Geschlechtes, der Unsterblichkeit, und Gottes selbst, den er vornemlich preisen wird, werth! (88f./126) 34 So wie zur Prophetie auch das Geheimnis gehört, ist die Verheimlichung ein stets wiederkehrendes Motiv in der Selbstinszenierung des Dichters. N i c h t zuletzt das nur allmähliche Fortschreiten der Publikation der einzelnen Gesänge der Messiade ließ — jedenfalls die ersten J a h r e — die neuen Offenbarungen ihres Dichters m i t Spannung erwarten. Ein Beispiel hierfür ist das Geheimnis um das Schicksal des >reuigen Teufels< Abbadonaa (II,632ff.). In Klopstocks Briefwechsel und unter den Lesern des Messias leidenschaftlich diskutiert, ist die B e g n a d i g u n g des ehemaligen >Widersachers< gegen alle theologisch-dogmatischen Bedenken zwar schon im zweiten Gesang des Messias angedeutet, 3 5 wird jedoch erst im neunzehnten Gesang des Epos — fünfundzwanzig Jahre und siebzehntausend Verse später - vollzogen. Ein anderes Beispiel ist das Rätseln um den strukturierenden »Grundriß« der Messiade, der die Sachkundigen interessierte. A n Christian Wilhelm Becker, dem vor der ersten Publikation des Messias in den Bremer Beiträgen Teile des Gedichtes vorliegen, schreibt K l o p stock am 5 . 8 . 1 7 4 7 von sich selbst in der dritten Person sprechend: Nehmen Sie's dem Menschen nicht ungütig, er ist bisweilen ein bißchen eigensinnig. Daß sie aber wirklich einige Absichten damit zu haben scheinen, erhellet daraus, daß sie den Grundriß verlangen. Den Grundriß? sagte er, und wenn ihn Bodmer von mir verlangte, so würde er ihn nicht bekommen.' 6 54

35

,6

Noch deutlicher der Hinweis am Ende der sich anschließenden Danksagung·. »Du endlich, Pforte [...] Ewig werde ich mich deiner mit Dankbarkeit erinnern, und dich als die Mutter jenes Werkes, das ich in deiner Umarmung durch Nachdenken zu beginnen gewagt habe, betrachten, verehren!« (98/132) Klopstocks Manuskript verrät, daß bereits 1747 der Entschluß des Autors feststand, im Falle Abbadonaas Gnade vor Recht ergehen zu lassen, siehe Anhang, Der Messias. Gesang /—///, hrsg. v. E. Höpker-Herberg, S. I39ff. Z u m Problem der Apokatastasis vgl. G. Kaiser, Klopstock. Religion und Dichtung, S. I74ff., zu ihrer Rezeption bei C. M. Wieland siehe unten, S. I92ff. HKA, Abt. Briefe, Bd. I, Nr. 6. Vgl. K. Manger, Klopstocks poetische Kathedrale. Zu einem Bauprinzip im »Messias« und seiner Bedeutung, in: Was aber bleibet stiften die Dichter?, hrsg. v. G. vom Hofe, P. Pfaff und H. Timm, München 1986, S. 37 — 64.

124

Die Kehrseite der Verheimlichung ist die Offenbarung. In ihrem Zeichen soll die poetische Selbstzuschreibung des Prophetenamts nicht nur das Erbe der antiken twter-Tradition nach Pindar, Vergil und Horaz aufnehmen, auf die Klopstock besonders in seinen Oden immer wieder anspielt, sondern diese überbieten. Im Wortgebrauch der Abschiedsrede bezeichnen darum die vates gerade den Kreis der minderen Dichter: »[...] mihi justa tarnen videtur esse comparatio, si p o e t a m e p i c i carminis effectorem, c a e l e s t i g e n i o , c e t e r o s v e r o v a t e s , qui minora meditantur poemata, h o m i n i b u s p a r e s esse existimem.« (62/106; Hervorhebungen von mir, J. J.) Damit die »Reihe der künftigen Jahrhunderte [...] nicht gänzlich in Dunkel verhült« bleibt (89/126), bedarf es christlicher Aufklärung. In diesem Sinn schreibt Klopstocks Heilige Poesie die Offenbarung fort, und die Abschiedsrede antizipiert hier schon gewissermaßen die Formulierung, mit der Klopstock in seinem späteren Aufsatz Von der heiligen Poesie deren Programm zuspitzen wird: »nach poetischer Denkungsart, dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln«. , 7 Pyras Argument für die Heilige Poesie als notwendige Veranschaulichung der religiösen Denkvorstellungen steigert Klopstock, indem er Heilige Poesie auch als Vorschein zukünftiger Offenbarung inszenieren will. In dieser Hinsicht gewinnt Klopstocks Interesse für die typologische Betrachtung des Alten und Neuen Testaments, welches zwar konstatiert und nachgewiesen,' 8 aber bislang in seiner systematischen Bedeutung für Klopstocks Poetologie der Heiligen Poesie unterschätzt wurde, besondere Bedeutung.

57

F. G . Klopstock, Von der heiligen Poesie, S. 116. G . Kaiser b r i n g t Klopstocks Verbind u n g von G e h e i m n i s , Prophetie und fortschreitender O f f e n b a r u n g m i t der zeitgenössischen Föderaltheologie in Z u s a m m e n h a n g , die Klopstock während seiner Studienzeit bei d e m in Leipzig lehrenden Philosophen und Theologen Christian A u g u s t Crusius kennengelernt habe, Klopstock. Religion und Dichtung, S. I28f., 1 5 j f . Dagegen spricht nicht n u r das von Kaiser ebenfalls zitierte Briefzeugnis Klopstocks, d a ß ihn Crusius' System wenig interessiere, sondern auch die Präsenz dieser Motive schon in d e r Abschiedsrede. Einfacher und überzeugender scheint mir, sie i m Z u s a m m e n h a n g christlicher Typologie zu interpretieren. Dazu im folgenden mehr.

58

V g l . G . Kaiser, Klopstock. Religion und Dichtung, S. 1 1 4 . J . Drägers U n t e r s u c h u n g , Typologie und Emblematik in Klopstocks »Messias», G ö t t i n g e n 1 9 7 1 , zeigt den Z u s a m m e n h a n g von Typologie, E m b l e m a t i k und prophetischem Gestus. Die typologische u n d die emblematische Struktur wird dabei auch als spezifische Darstellungsform als »Verweisungsstil«, der »auf ein ständiges N e b e n - und Ineinander von O f f e n b a r u n g u n d Verhüllung hinausläuft« — g e d e u t e t , die eine der Bibellektüre ähnliche, exegetische Lesehaltung erfordere (S. 242). Ansonsten aber beschränkt sich Dräger ausdrücklich auf den Nachweis dieser S t r u k t u r e n im Messias, die i h m andererseits Indiz eines idealistischen W i l l e n s zum »Werk« zu sein scheinen, als »dieses W e r k als K u n s t g e bilde wesentlich m i t t r a g e n d e integrative Kraft« (S. 229), u n d verzichtet darauf, den Messias im ganzen als Teil einer sich typologisch verstehenden Heiligen Poesie zu interpretieren.

I2

5

Typologie Denn das gesetz des Geistes / der da lebendig machet in Christo Jhesu / hat mich frey gemacht von dem Gesetz der Sünden vnd des todes. ( Rom. 8; 2 )

Die Überbietungsstruktur, die in der literarisch-rhetorischen Figur der aemulatio angelegt ist, kehrt in gewisser Weise in der christlich-heilsgeschichtlichen Figur der Typologie wieder. 39 Die christliche Typologie ist ein schon mit den neutestamentlichen Texten überliefertes Deutungsmuster, welches das Neue Testament als gesteigerte Wiederholung des Alten Testaments und Erfüllung der überlieferten Prophetien verstehen will. Personen, Handlungen und Sachen des Alten Testaments werden als göttlich bestimmte »Symbola«, »Typen«, »Vorbilder« oder auch »Schatten« aufgefaßt, die auf kommende Geschehnisse von höherer Bedeutung vorausweisen. Dieser zu ihrer Zeit noch verborgene Sinn erhellt sich mit den sogenannten »Anti-Typen« im Neuen Testament, welche die vorangegangenen Hinweise bestätigen, aufheben und erfüllen: Da aber die Zeit erfüllet ward / sandte Gott seinen Son / geborn von einem Weibe / vnd vnter das Gesetz gethan / A u f f das er die / so vnter dem Gesetz waren / erlöset [...] (GalA-At)

Mit Paulus läßt sich diese Verknüpfung der Testamente als das Verhältnis von >Gesetz< und >Gnade< verstehen, in der sich die Teleologie der göttlichen Ökonomie erfüllt. Beispiele hierfür sind etwa die Präfiguration Jesu durch Adam, der Taufe durch die Arche Noah oder das Volk Israel als Vorbild für die ganze Christenheit. Das typologische Modell ist eine heilsgeschichtliche Konstruktion. Die Verkündigung des christlichen Evangeliums als Erfüllung der Heilserwartunw

Das Folgende ist einer Reihe von Untersuchungen verpflichtet, die mittlerweile zur literarischen Bedeutung der Typologie erschienen sind. Einschlägig ist die Abhandlung E. Auerbachs, Figura, Archivum Romanicum 2 2 ( 1 9 3 8 ) , S. 4 3 6 — 4 8 9 ; dann F. Ohly, Synagoge und Ecclesia. Typologisches in mittelalterlicher Dichtung, in: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1 9 7 7 , S. 3 1 2 — 3 3 7 , und ders., Halbbiblische und außerbiblische Typologie, ebd., S. 3 6 1 — 4 0 0 . Von der umfassenden Bedeutung typologischer Konstruktionen als »präfigurativer Weltsichten« zeugen schließlich die Beiträge des Sammelbands Typologie. Internationale Beiträge zur Poetik, hrsg. v. V. Bohn, Frankfurt a. M. 1 9 8 8 , deren von einem weit aufgefächerten Begriffsverständnis geleitete Applikationen jedoch im einzelnen zu diskutieren wären. Den poetologischen Problemgehalt der hier im engeren interessierenden Fragestellung bringt R. Herzog zur Geltung, Metapher — Exegese - Mythos. Interpretationen zur Entstehung eines biblischen Mythos in der Literatur der Spätantike, in: Terror und Spiel (Poetik und Hermeneutik B d . IV), hrsg. v. M. Fuhrmann, München 1 9 7 1 , S. 1 5 7 - 1 8 5 , vgl. dazu die anschließende Diskussion 4: Literarisierung der Bibel und mythische Figur, ebd., S. 5 9 3 — 6 1 6 .

126

gen aus dem Alten Testament versteht sich jedoch nicht nur ais fortgesetzte Heilsgeschichte, sondern setzt sie als Einheit des sich offenbarenden christlichen Schöpfer- und Erlösergottes auch voraus. Doch diese mit dem Geist Gottes erfüllte Einheit hat sich auch mit dem »Neuen Bund« noch nicht vollendet. Der retrospektive Bezug auf das Alte Testament findet durch die Inkarnation des Gottessohnes nur erst seine vorläufige Erfüllung. Zugleich ist mit dem Versöhnungswerk auf das Eschaton vorausgewiesen, welches sich zwar in der Allgegenwart Gottes bereits erfüllt hat, aber in der Welt nicht ausgesprochen werden kann. Der christliche Anti-Typus steht damit in einer Spannung von Kontinuität des Evangeliums und Diskontinuität der Apokalypse. Die typologische Erfüllung ist dementsprechend einerseits die Einlösung eines geschichtlichen Versprechens, andererseits aufhebende und überbietende Fülle in der Zeitlosigkeit. So verweist die Typologie auf die Eschatologie, wie die typologische

Auslegung

auch auf den

eschatologischen

Schriftsinn der »heimlichen verborgenen Weisheit Gottes« (i.Kor.2\j)

gerich-

tet ist. 4 0 D i e vielschichtigen theologischen Implikationen dieser christlich-apologetischen Selbstverständigung gegenüber der jüdischen Tradition und ihre verschiedenen historischen Konfigurationen können hier nicht im einzelnen verfolgt werden. Festzuhalten ist jedoch, daß die »Typische Theologie« mit ihren weitreichenden Implikationen auch zur Mitte des 18. Jahrhunderts noch fest etabliert und keine eigens zu rechtfertigende Auslegungsweise der biblischen Texte ist. 4 1 Wesentliche Elemente typologischen Denkens, wie die durchgängige, geistinspirierte Harmonie der Bibel, der stetig mitzudenkende eschatologische Bezug und im besonderen die Verschränkung von erfüllender Uberbietung und offengehaltenem Geheimnis des göttlichen Heilsplans, kehren in der Begründung Heiliger Poesie bei Klopstock wieder. Es liegt nahe, als Beispiel für die typologische Begründung der Heiligen Poesie Klopstocks genau den Text heranzuziehen, mit welchem schon in der Abschiedsrede im verborgenen der literarische Wettstreit im Zeichen der Typologie geführt wurde. Das Proömium zum Messias verdient in dieser Hinsicht eine eingehendere Betrachtung:

40

I m Z u s a m m e n h a n g : » D A w i r aber von reden / das ist dennoch Weisheit / bey den V o l k o m e n / N i c h t eine Weisheit dieser W e l t / auch nicht der Obersten dieser weit / w e l c h e vergehen / Sondern wir reden von der heimlichen verborgenen Weisheit G o t tes / welche G o t t verordnet hat vor der w e i t / zu vnser herrligkeit [ . . . ] «

41

Siehe A r t . »Typische Theologie« in Z e d l e r s Universal-Lexicon.

schen Prominenz die H i n w e i s e bei J . Dräger, Typologie und Emblematik theologischen B e d e u t u n g L. G o p p e l t , Typos. Die typologische Deutung im Neuen. Anhang:

Apokalyptik

und Typologie bei Paulus

(\.Kor.2\6{.)

V g l . zur zeitgenössi. . . , S. 1 0 ; zur

des Alten

Testaments

(1939), Nachdruck, Darmstadt

1981.

127

Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung, Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet, Und durch die er Adams Geschlechte die Liebe der Gottheit Mit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geschenkt hat. Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich Satan wider den göttlichen Sohn; umsonst stand Judäa Wider ihn auf; er thats, und vollbrachte die grosse Versöhnung. Aber, o Werk, das nur Gott allgegenwärtig erkennet, Darf sich die Dichtkunst auch wohl aus dunkler Ferne dir nähern? Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich im stillen hier bete; Führe sie mir, als deine Nachahmerinn, voller Entzückung, Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit, entgegen. Rüste sie m i t jener tiefsinnigen einsamen Weisheit, Mit der du, forschender Geist, die Tiefen Gottes durchschauest; Also werd ich durch sie Licht und Offenbarungen sehen, Und die Erlösung des grossen Messias würdig besingen. Sterbliche, kennt ihr die Ehre, die euer Geschlechte verherrlicht, Da der Schöpfer der Welt, als Erlöser, auf Erden gekommen: So hört meinen Gesang, ihr besonders, ihr wenigen Edlen, Theure gesellige Freunde des liebenswürdigen Mittlers, Ihr m i t der Z u k u n f t des grossen Gerichts vertrauliche Seelen, Hört mich, und singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben. 42 Z u r L o g i k d e r U b e r b i e t u n g g e h ö r t , an d a s U b e r b o t e n e zu e r i n n e r n . S o w o h l H o m e r s llias

als a u c h M i l t o n s Paradise

Lost s c h e i n e n d u r c h d e n B e g i n n d e s

K l o p s t o c k s c h e n E p o s h i n d u r c h . D o c h d i e A n f a n g s v e r s e d e s Messias

variieren

n i c h t e i n f a c h d i e M u s t e r d e r a n g e s p i e l t e n T e x t e , s o n d e r n d e u t e n sie als t y p o l o g i s c h e P r ä f i g u r a t i o n e n d e s e i g e n e n V o r h a b e n s u m . D i e llias

beginnt:

Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus, Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren J a m m e r erregte Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Ais Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden Und dem Gevögel umher. So ward Zeus' Wille vollendet: Seit dem Tag, als erst durch bitteren Zank sich entzweiten Atreus' Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus. 4 ' O f f e n s i c h t l i c h z i t i e r t K l o p s t o c k präzise d i e S t r u k t u r d e s h o m e r i s c h e n P r o ö m i u m s . D i e e r s t e n s i e b e n Verse des Messias g e b e n , w i e b e i H o m e r , das n a c h z e i t g e 43

43

Friedrich Gottlieb Klopstock, Der Messias, Erster Gesang, Verse 1 —22 [Im Folgenden als (1,1 — 22)]. Zitiert wird die Fassung des Erstdrucks der Übersichtlichkeit halber nach der Ausgabe: Der Messias. Gesang I—Ill, Text des Erstdrucks von 1748. Studienausgabe, hrsg. v. E. Höpker-Herberg, Stuttgart 1986 (inzwischen auch in HKA, Abt. Werke, Bd. IV. 3, S. 3 — 66). Den Text des Erstdrucks mit den Varianten der verschiedenenen Überarbeitungen geben in synoptischer Darstellung HKA, Abt. Werke, Bd. IV. 4 und IV. 5.1 — 2, wieder; umfangreiches Material zur Entstehungs-, Druckund Rezeptionsgeschichte des Messias versammelt HKA, Abt. Werke, Bd. IV. 3, S. 175ÍF. Homer, llias, 1,1—7, zitiert nach der Übersetzung von Johann Heinrich Voß, München , ö I 9 8 7 .

128

nössischem poetoiogischem Verständnis geforderte einheitsstiftende M o m e n t des Epos: die Fabel, aus der die

folgende

H a n d l u n g zu entwickeln ist. D i e

»poetische N a c h a h m u n g einer b e r ü h m t e n H a n d l u n g , die so wichtig ist, daß sie e i n ganzes Volk, ja wo m ö g l i c h , mehr als eins a n g e h t « , 4 4 stellt nun jedoch nicht mehr den g o t t g e w o l l t e n Streit zwischen Achill und A g a m e m n o n vor Troja dar, der die Achaier an den R a n d der N i e d e r l a g e treibt, sondern »der s ü n d i g e n Menschen E r l ö s u n g « . D i e ersten drei Verse verfolgen thematisch die Heilsgeschichte zurück: D i e »unsterbliche Seele« verdankt sich der E r l ö s u n g durch den »Messias a u f E r d e n « , die den Sündenfall A d a m s aufhebt. D i e zentrale Stellung des »heiligen B u n d e s « in der M i t t e des vierten Verses u n d des ersten Abschnitts des P r o ö m i u m s symbolisiert das messianische Versöhnungswerk. N u r eingeschoben in diese Ö k o n o m i e des Heils ist das nach den epischen R e g e l n eigentlich s p a n n u n g s g e b e n d e und handlungsmotivierende M o m e n t : der satanische Widersacher und die Verblendung des judäischen Volks. D i e Vollend u n g des göttlichen Willens im Messias kann, anders als die homerische Exposition, den A u s g a n g des K a m p f e s nicht unentschieden lassen: » V e r g e b e n s « und » u m s o n s t « ist die Bestreitung des christlichen Heilsplans nach » d e s E w i g e n Wille«. Genauerer Interpretation

bedarf die Substitution der antiken

»Göttin«

durch die »unsterbliche Seele« im ersten Vers. I m Sinne einer einfachen christlichen Konversion der antiken Vorlage entspräche der H e i l i g e G e i s t - oder der » G e i s t Schöpfer«, wie es weiter unten im P r o ö m i u m heißt — der himmlischen M u s e H o m e r s und wäre v o m Dichter u m Beistand anzurufen. D i e s e m M u s t e r folgt Milton in Paradise Lost. Statt dessen wird hier jedoch die »unsterbliche Seele« als U r s p r u n g des folgenden G e s a n g s vorgestellt. D a s E p o s b e g i n n t , so scheint es, m i t einer Selbstevokation des Autors. Diese U m s t r u k t u r i e r u n g ist folgerichtig, denn insofern in den ersten drei Versen die Heilsgeschichte zurückverfolgt wird, setzt der erste m i t der G e g e n w a r t der vollendeten Erlösung ein. D a ß die Seele unsterblich ist, ist der Effekt des messianischen Werkes, das sie b e s i n g t . H e i l i g ist diese Poesie als seine V e r g e g e n w ä r t i g u n g . Dies unterscheidet sie, ihrem A n s p r u c h nach, von Miltons Paradise Lost, dessen S t o f f aus der Perspektive d e s ersten Verses des Messias typologisch z u m >Schatten< erniedrigt ist. Paradise Lost's der epischen Tradition folgende A n f a n g : » S i n g e h i m m l i sche M u s e , von d e m ersten U n g e h o r s a m des Menschen, und der verbothenen Frucht [ . . . ] « , 4 5 kann K l o p s t o c k nach der in der Abschiedsrede a n g e k ü n d i g t e n

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45

Gottsched, Versuch einer Critischm Dichtkunst, S. 485. Johann Miltons Episches Gedichte . . . , S. 1 [Im Folgenden als (1)]. Bemerkenswert ist die Verfälschung, die Bodmers Übertragung in bezug auf die Wortstellung gegenüber der Vorlage vornimmt, indem er gräzisierend den Musenanruf an den Anfang rückt. Im Original heißt es dagegen, Paradise Lost, 1,1 ff.: » O F Mans First Disobedience, and the Fruit O f that Forbidden Tree, whose mortal tast 129

Absicht, sich »an einen noch größern und herlichern Stoff zu wagen«, nun im Namen der »unsterblichen Seele« überbieten. So verspricht Messias 1,1 gegenüber Miltons Ankündigung, Geschehen und Folgen des Sündenfalls zu erzählen, die Vorlage des Vorgängers typologisch fortentwickelnd »der sündigen Menschen Erlösung«. Der zweite Abschnitt des Proömiums des Messias ist nicht mehr dem Stoff, sondern dem Problem seiner angemessenen Darstellung gewidmet. Daraus wird schließlich die Frage nach der Legitimität Heiliger Poesie überhaupt hervorgehen. Milton hatte das Problem der >würdigen< Darstellung in seinem Proömium gleichsam implizit gelöst. Dem Musenanruf folgt dort die Anrede des Heiligen Geistes: »unterrichte du mich, denn du weissest von diesen Dingen, du wärest zuerst dabey gegenwärtig [...]« (2) Dieser überirdischen Versicherung der Glaubwürdigkeit der epischen Erzählung entspricht die Bitte des irdischen Dichters um die würdige Zurüstung: »Erleuchte was in mir dunckel ist; erhöhe und unterstütze, was niedrig ist, daß ich der Hoheit meines edeln Vorhabens gemäß die ewige Vorsehung vertheidigen [...] möge.« (2f.) Die vorausgesetzte Bedingung für solche Erleuchtung des Dichters, aus der die angemessene Bewältigung der »Hoheit« folgen kann, ist das Bekenntnis zum »aufrichtigen und reinen Hertzen« (2). Klopstock dagegen schwächt diese Differenz zwischen irdischer Disposition und himmlischer Inspiration ab, die das Gebet des Dichters um den Beistand des Geistes doch bekundet, auch wenn sie diese eben dadurch scheinbar überwinden will. Zwar ist auch Klopstocks Proömium als Ganzes als Gebet ausgewiesen (1,10), doch mit der Evokation der »unsterblichen Seele« am Beginn des Messias ist die entscheidende Zurüstung bereits vollzogen, in welcher gerade der Sinn der messianischen Versöhnung liegt. Das Epos als Gesang der »unsterblichen Seele« ist darum das literarisch imaginierte Exempel der schon vollzogenen Erlösung und das Bekenntnis des Dichters zum >reinen Herzen< - bei Milton und Pyra deutlich herausgestellt - in der Erstfassung des Messias von 1748 ausgespart. 46

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Brought Death into the World, and all our woe, W i t h loss of E d e n , till one greater Man Restore us, and regain the blissful Seat, Sing Heav'nly Muse [...]« In der Kopenhagener Ausgabe des Messias von 1 7 5 6 trug Klopstock dies nach: »Rein sey mein Herz! So darf ich [...] / [ . . . ] doch den Gottversöner würdig besingen, / Und die furchtbare Bahn, mit verziehnem Strauchlen, durchlaufen« heißt es nun am Ende des zweiten Abschnitts mit demütiger Gebärde. (Der Messias 1,15 — 17, HKA, Abt. Werke, Bd. IV. 4, Kopenhagener Ausgabe [= A3]) Doch hinter dieser kann sich im Kontext der selbst erteilten Erlaubnis, den Messias zu »besingen«, eine Anspielung auf die sechste Seligpreisung im Matthäusevangelium verbergen: »Selig sind die reines hertzen sind / Denn sie werden Gott schawen.« (M/.5;8) Die fromme Geste

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Aber, o Werk, das nur Gott allgegenwärtig erkennet, Darf sich die Dichtkunst auch wohl aus dunkler Ferne dir nähern? Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich im stillen hier bete; Führe sie mir, als deine Nachahmerinn, voller Entzückung, Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit, entgegen. Rüste sie mit jener tiefsinnigen einsamen Weisheit, Mit der du, forschender Geist, die Tiefen Gottes durchschauest; Also werd ich durch sie Licht und Offenbarungen sehen, Und die Erlösung des grossen Messias würdig besingen.

(1,8-16) Die subjektive Disposition erscheint nebensächlich angesichts der diese übergreifenden Frage, ob die »Würdigkeit« der Dichtkunst zureicht, sich dem Erlösungswerk zu »nähern«. Dementsprechend wird die Distanz, welche die Verse 8 - 9 zunächst zwischen den Stoff des Epos und seine dichterische Darstellung legen, in den folgenden Versen durch die Heiligung der Poesie überwunden und nicht durch die Inspiration des Dichters. Auf diese nun durch die »Weihe« des Heiligen Geistes ausgezeichnete Dichtkunst richtet sich das Gebet des Dichters: »Führe sie mir, als deine Nachahmerinn [...] entgegen.« Gotthold Ephraim Lessing bemerkt bei seiner ersten, dem Proömium geltenden Beschäftigung mit dem Messias in den literaturkritischen Briefen: »Wie viel der feinsten Anspielungen, welche durch ein einziges Wort ein Meer von Gedanken in der Seele zurücklassen, findet man nicht darinne?« 47 Der Wortlaut der Bitte des Dichters, die Dichtkunst möge ihm »entgegen« geführt werden, bestätigt diesen Eindruck Lessings. Wortbildungen mit »entgegen« sind aus dem mystischen und pietistischen Vokabular geläufig, und Klopstock verwendet sie häufig. 4 8 Sie gehören meist in den Bereich der Vereinigungsmetaphorik und beschreiben im Wortgebrauch des Pietismus, dem Klopstock sich hier anschließt, den Weg der Seele zu Gott. Über diesen Umkreis hinaus läßt sich mit zwei Belegstellen aus dem Neuen Testament die Semantik präzisieren. Angespielt wird auf das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen, »die jre Lampen namen / vnd giengen aus dem Breutgam entgegen« (Mt.25;1), und auch auf die Vision des Paulus im Thessalonicber-Brief über die Auferstehung der »Todten in Christo«: »Darnach wir / die wir leben vnd vberbleiben / werden zu gleich mit denselbigen hin gerückt werden in den wolcken / dem H E r r n entgegen in der lufft / vnd werden also bey dem HErrn sein alle zeit. So tröstet euch mit diesen Worten vnternander.« (\.ThessA\\G((.) Wie sind Hochzeit und Auferstehung mit Dichtkunst und Dichter in Verbindung zu bringen? Die Antwort gibt das Ergebnis, welches nach der Vorstellung des mildert die Selbstzensur, die gegenüber der Erstfassung auch die Aussicht auf »Licht und Offenbarungen« ( 1 , 1 5 ) getilgt hat, und weist nun auf das eschatologische Versprechen der ewigen Seligkeit voraus. 47 48

Gotthold Ephraim Lessing, 1 7 . Brief, Werke, Bd. 3 , S. 3 1 3 . V g l . A . Langen, Der Wortschatz des deutschen Pietismus, bes. S. 84F.

Iii

Dichters aus dieser Verbindung resultiert: »Also werde ich durch sie Licht und Offenbarungen sehen [ . . . ] « Die Heilige Poesie, die sich der Darstellung des »grossen Messias« widmet, schließt an die vergangene biblische Offenbarung an und entwickelt im Lichte Gottes neue Offenbarungen. Die Vereinigung, die der Schöpfergeist im Proömium des Messias m i t seiner »Nachahmerinn« und dem Dichter stiften soll, ist nichts weniger als die Präfiguration der Hochzeit des Lammes und der Braut am Ende der Zeit nach der Offenbarung des Johannes. Das Neue Jerusalem als Braut des Lammes (Offb.21;9) erlangt seine vorläufige Erfüllung in der menschlichen Seele als Braut Christi. So finden durch die Vermittlung des Heiligen Geistes die »unsterbliche Seele« und die zum Messias werdende Dichtkunst zusammen. »Gesang« und »Erlösung« bilden einen Chiasmus, der im Zeichen des Kreuzes die ersten sechzehn Verse des Messias umschließt. W ä h r e n d jedoch im ersten Vers, » S i n g [ . . . ] der [ . . . ] Menschen E r l ö s u n g « , der Dichter sein Projekt noch unpersönlich der »unsterblichen Seele« zuschreibt, ist es nun am Ende des Proömiums zum eigenen geworden: »Also werd ich [ . . . ] / [ . . . ] die E r l ö s u n g [ . . . ] würdig b e s i n g e n . « (1,15 — 16; Hervorhebungen von mir, J . J . ) Diese Aneignungsbewegung, die die Gegenwärtigkeit des messianischen Geschehens verfolgt, motiviert auch die auffallende Bezeichnung des Geistes als creator spiritus (1,10). 4 9 Die derart eigens herausgestellte Schöpfungspotenz des Geistes, welche die christliche Offenbarung stetig aktualisiert, legt erst den Grund für die den Abschnitt beschließende Folgerung: »Also werd ich durch sie Licht und Offenbarungen sehen [ . . . ] « Der creator spiritus belegt die in der Abschiedsrede etablierte poetologische Normierung der Dichtkunst als »erste Nachahmerin der Natur [princeps naturae imitatrix]« im Sinne origineller Kombinatorik in der unendlichen Reihe der Dinge mit theologischer Bedeutung. Die Auflösung der Dichotomie von imitatio und creatio ist nun jedoch nicht mehr primär durch den Wettstreit mit der literarischen Tradition begründet, sondern die Heilige Poesie als mimesis des schaffenden Geistes beansprucht für sich eine typologische Funktion. Die typologische Struktur, die Klopstock für diese Rechtfertigung seiner Heiligen Poesie der christlich-theologischen Tradition entlehnt und für sein modernes Projekt u m w i d m e t , heiligt das poetische Vermögen des Dichters im Namen der Schöpfungsmacht des Heiligen Geistes. In der vorgestellten Gegenwart des Geistes kann das vergangene, im biblischen Text niedergelegte Heilsgeschehen im Messias aktualisiert und durch neue »Of-

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Sie spielt auf den lateinischen Hymnus Veni creator spiritus an, vgl. E. Haufe, Zu Klopstocks B e g r i f f »Geist Schöpfer«, Messias 1 io, in: F. G. Klopstock. Werk und Wirkung, Wissenschaftliche Konferenz der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hrsg. v. H . - G . Werner, Berlin 1 9 7 8 , S. 43—47. Vgl. dazu auch O. Walzel, Das Prometheus-Symbol von Shaftesbury zu Goethe, München 2 I 9 3 2 , S. 32ff.

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fenbarungen« — der Plural ist hier entscheidend — bereichert werden. Das Wechselspiel von Erwartung und Erfüllung wird mit neuen literarischen Mitteln noch einmal aufgenommen und der biblische Text im genauen Sinn ästhetisch überboten. 5 0 Indem die Heilige Poesie derart an der fortgesetzten Offenbarung des vor der Zeit beschlossenen göttlichen Schöpfungswerks teilhaben soll und das vollendete Reich Gottes erwarten läßt, erscheinen auch die sprachlichen Neologismen, die Klopstock in großer Fülle ausprägt, als Beleg solch geheiligter poiesis, die sich schließlich in den hymnischen Triumphgesängen des Messias, in denen das Epos ausklingt, auch in der Metrik mit neuen, von rhythmischer Phantasie weit vorangetriebenen Silbenmaßen offenbart. Im Hinblick auf die grundlegende Bedeutung von biblischer und nachbiblischer Homogenität für eine sich typologisch verstehende Heilige Poesie g i b t der »Geist« die theologische Garantie. Andererseits gibt der Bezug auf den creator spiritus ein produktives Moment frei, das nach der Argumentation der Abschiedsrede dem modernen christlichen Epos gemäß ist. Es ist noch einmal daran zu erinnern, daß es die »unsterbliche Seele« ist, der im ersten Vers der Messias zugeschrieben wird. Auf sie geht die Schöpfungspotenz des Geistes über. Gegenüber dieser Umdeutung des schöpfungstheologischen Geist-Begriffs sind die himmlischen Geister im Messias, an denen die zeitgenössischen poetologischen und theologischen Kontroversen Anstoß nahmen, eigentlich weniger interessant. 51 Auch wenn diese es waren, die als Belegstellen des >Wunderbaren< Klopstock die Verehrung der Schweizer Bödmet und Breitinger eintrugen, so resultiert ihre Einführung doch erst aus der Lizenz, mit »forschendem« Geist beseelt zu sein, der über die Evangelienberichte imaginativ hinausgreifen

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W i e sich die Bewegung von E r w a r t u n g und E r f ü l l u n g schon in der Zeit gestaltenden Versform des Hexameters im Messias artikuliert, zeigt K. Weimar, Theologische Metrik. Überlegungen zu Klopstocks Arbeit am »Messias«, H'olderlin-Jahrbuch 1 6 (1969/70), S. 1 4 2 - 1 5 7 . 5 ' Freilich ist auch den zeitgenössischen Kritikern die Inanspruchnahme des creator Spiritus nicht verborgen geblieben. Christoph O t t o Freiherr v. Schönaich w i d m e t in seiner K r i t i k des »St. Klopstocks O f f e n b a r u n g e n « , Die ganze Aesthetik in einer Nuss oder neologisches Wörterbuch (1754), dem »Geistschöpfer« einen eigenen empörten Eintrag. J o hann G o t t f r i e d Herder erkennt dagegen einige J a h r e später in Klopstocks »Schöpfungsgeist« das Genie, das nicht zu theologischen Bedenken, sondern vielmehr zu sprachästhetischen H o f f n u n g e n Anlaß gibt: U m die »Stärke« der deutschen Sprache zu fördern, so Herder, »sollte m a n die I d i o t i s m e n sammlen, und insonderheit m e h r von K l o p s t o c k lernen, diesem G e n i e in Schönheiten und Fehlern, der selbst in der deutschen Sprache sich den Schöpfungsgeist a n m a ß t e , und auch diesen Geist der Freiheit eigentlich in Deutschland zuerst ausbreitete: wirklich ein Genie, das selbst in seiner Eccentricität groß ist [ . . . ] « J o h a n n G o t t f r i e d Herder, Über die neuere deutsche Literatur. Erste Sammlung von Fragmenten. Eine Beilage zu den Briefen, die neueste Literatur betreffend (1767), Werke, hrsg. v. M. Bollacher u . a . , Frankfurt a . M . 1985ff., Bd. 1, S. 193.

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kann. 5 2 M i t ihr gelangt Klopstock zu einem Schöpfungsbegriff, der eine neue Heilige Poesie ermöglicht und durch eine typologische Fiktion gesichert w i r d , 5 3 welche die »Offenbarungen« dieses prophetischen Dichters in der Bahn der Heilsgeschichte organisiert. Gegenüber Pyras vorsichtiger — durch ein imaginationsskeptisches U m f e l d provozierte — Diskussion der Einbildungskraft und seiner Verteidigung der Allegorie als notwendiger Veranschaulichung christlich-religiöser Vorstellungen bietet Klopstocks Bezug auf den creator spiritus eine diesen Rahmen übersteigende neue Anschaulichkeit und Bewegungskraft, welche Heilige Poesie im Wortsinn als poiesis begreift. Der dritte Abschnitt des Proömiums schließlich läßt erkennen, daß sich die Darsteüungsform des Messias als Gespräch entfaltet. 5 4 Wie sich die Figuren des Epos in immer neuen Konstellationen besprechen und die Darstellung von Passion und Auferstehung des »Mittlers« J e s u Christi von ihren anteilnehmenden Kommentaren geprägt ist, so reflektiert sich auch die Heilige Poesie selbst als erbauende >Anrede< über die Werkgrenze hinaus mit der sich jetzt abzeichnenden Struktur des Proömiums als Ganzes. Seine drei Evokationen, welche die durch Zeileneinrückung auch im Originaldruck markierten Abschnitte einleiten, vergegenwärtigen im Präsens einer Verkündigung die >ursprüngliche< Situation einer fiktiven Gemeinschaft von Dichter, Text und Lesenden. Sie versammeln nacheinander mit der »Seele« den A s p e k t der Produktion, m i t dem »Werk« des Heilsgeschehens den Gegenstand der Rede und schließlich nun mit den »Sterblichen« den Aspekt der Rezeption. Sterbliche, kennt ihr die Ehre, die euer Geschlechte verherrlicht, Da der Schöpfer der Welt, als Erlöser, auf Erden gekommen: So hört meinen Gesang, ihr besonders, ihr wenigen Edlen, Theure gesellige Freunde des liebenswürdigen Mittlers, Ihr mit der Zukunft des grossen Gerichts vertrauliche Seelen, Hört mich, und singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben. (L17-22) Die Anrede des Publikums als »Sterbliche« kontrastiert der im ersten Vers angerufenen »unsterblichen« Seele und erinnert so an den Vorbehalt, unter dem die schon vollbrachte Versöhnung durch den Messias steht. Doch wie die »Sterblichen« noch auf die versprochene Erlösung zur himmlischen Ewigkeit angewiesen

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Lessings auf Vers 14 bezogene Kritik im 18. Brief, Werke, Bd. 3, S. 316f,, daß »forschend« nur ein Prädikat des menschlichen Geistes, nicht aber des göttlichen Geistes sein kann, trifft genau diese vom Dichter aus gedachte Rückübertragung seiner poetisch-»forschenden« Enthüllungsarbeic auf den »Geist Schöpfer«. Diese heteronome Begründungsfigur unterscheidet Klopstocks Inspirationsmodell von genieästhetischen Konstruktionen poetischer Produktivität. Zur »kommunikativen Vermitteltheit« des Messias vgl. A. Haverkamp, Klopstock als Paradigma der Rezeptionsästhetik, [masch., unveröff.] Konstanz 1982.

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sind, sind sie auch schon ausgezeichnet durch jene verherrlichende »Ehre«, welche ihnen durch die Inkarnation Gottes auf Erden zuteil geworden ist. Im » G e sang« soll sich dieses messianische Geschehen nun so präsentieren, daß das W i s sen u m die »Ehre, die euer Geschlechte verherrlicht«, zur Teilhabe gesteigert wird. So verdichtet der letzte Vers des Proömiums die dreistellige Situation zum gegenwärtigen Mitvollzug: »Hört mich, und singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben.« Im Hören des Messias »singen« nun auch die »geselligen Freunde«. Sie sind in die Kreuzfigur von »Gesang« und »Erlösung«, welche die beiden ersten Abschnitte des Proömiums zusammengefaßt hatte, eingetragen. Die irdische Gemeinschaft, in der durch Heilige Poesie die himmlische G e m e i n schaft der Seligen präfiguriert werden kann, ist begrenzt. Klein ist die Z a h l der »Edlen«, die mit der » Z u k u n f t des grossen Gerichts« vertraut sind, d. h. eschatologischen Sinn für das hier Vorgetragene beweisen können. Wie schon bei Pyra, zeigt sich auch für den Messias die konstitutive Bedeutung der Differenzierung des Publikums für das Selbstverständnis Heiliger Poesie. Der elitäre Gestus Heiliger Poesie reagiert damit auf eine bereits ausdifferenzierte literarische Welt, in der die Poesie eben auch ganz unheilige Zwecke verfolgen kann, wofür die zeitgleiche Anakreontik das beste Beispiel g i b t . 5 5 Hatte jedoch im Tempel der wahren Dichtkunst die Beschränkung des Publikums offensichtlich legitimatorischen Charakter, insofern die Bereitschaft der Leser zum Purgatorium mittels reimfreier Verse die Zulässigkeit der Dichtkunst überhaupt ermöglichen sollte, ist Klopstocks P u blikum in besonderer Weise ausgezeichnet. Es sind die apokalyptisch informierten, »mit der Z u k u n f t des grossen Gerichts vertrauliche Seelen«, die für den G e sang der »unsterblichen Seele« aufgeschlossen sind und zum typologischen Vorbild f ü r die »grosse Versöhnung« werden können.

Von der heiligen Poesie [...] da Jhesus Christus der Eckstein ist / Auff welchen / der gantze Baw in einander gefüget / weckst / zu einem heiligen Tempel Ì in dem HErrn / Auff welchen auch jr mit erbawet werdet / zu einer behausung Gottes / im Geist. (Eph.2,-20-22) Klopstock stellt 1 7 5 5 beim Druck des ersten Bandes der Kopenhagener Ausgabe des Messias — innerhalb derer das Epos bis 1 7 7 3 erstmals vollständig erscheinen wird -

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den ersten fünf Gesängen seines Epos eine sein Vorhaben

Die, wie oben zitiert, besonders Wieland zu drastischen Abgrenzungen provozierte, siehe auch unten, S. I 9 7 f .

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erläuternde Schrift Von der heiligen Poesie voran. D e m A u t o r scheint es g e b o t e n , a u f die kritischen R e a k t i o n e n , die der Messias

ausgelöst hatte, seinerseits zu

reagieren. M i t der im folgenden J a h r den zweiten B a n d der A u s g a b e einleitenden A b h a n d l u n g Von der Nachahmung

Kopenhagener

des griechischen

Sylben-

masses im Deutschen lassen sich die beiden S c h r i f t e n entsprechend der Verschränk u n g von D i c h t u n g und O f f e n b a r u n g in der Heiligen

Poesie als A u s d r u c k eines

zweifachen R e c h t f e r t i g u n g s b e d a r f s verstehen: g e g e n ü b e r poetologischen V o r b e h a l t e n einerseits, g e g e n ü b e r theologischen Vorbehalten

andererseits.Schon

K l o p s t o c k s unter d e m T i t e l Von der heiligen Poesie z u s a m m e n g e f a ß t e Ü b e r l e g u n g e n z u m T h e m a enttäuschen diese E r w a r t u n g e n in beiden H i n s i c h t e n n i c h t . V o r g e t r a g e n wird jedoch weder eine t h e o l o g i s c h - d o g m a t i s c h e B e d e n k e n zerstreuende

Apologie

noch

eine

Verteidigung

des

eigenen

poetischen

s c h m a c k s . V i e l m e h r e n t w i c k e l t K l o p s t o c k einen eigenständigen B e g r i f f

Ge-

Heiliger

Poesie, der den P r o b l e m g e h a l t dieses P r o j e k t s konzentriert. D i e D i c h t e der A b h a n d l u n g rechtfertigt ihren genauen N a c h v o l l z u g .

K l o p s t o c k weist schon a m B e g i n n seiner A u s f ü h r u n g e n darauf hin, d a ß diese den erläuternden Status einer ü b l i c h e n werkbezogenen Vorrede

übersteigen

werden. Er g e d e n k e n i c h t , wie es die Plazierung seiner Schrift vielleicht erwarten ließe, »vom Messias; sondern von d e r j e n i g e n Poesie, die ich die h e i l i g e n e n n e , überhaupt zu r e d e n « . 5 7 B e m e r k e n s w e r t ist hier n i c h t , wie K l o p s t o c k s u g g e r i e r t , d a ß nun statt einer E r k l ä r u n g des Messias a l l g e m e i n von » G e d i c h t e n dieser A r t « die R e d e sein soll. V i e l m e h r ist es der eingeschobene H i n w e i s a u f die eigene Verwendung des Ausdrucks >heilige Poesie< -

»Poesie, die ich die

h e i l i g e n e n n e « —, der tatsächlich eine erläuterungsbedürftige B e d e u t u n g s v e r s c h i e b u n g anzeigt. D e n n von d e m , was zu diesem Z e i t p u n k t und w e i t darüber hinaus als »heilige Poesie< gilt: die b i b l i s c h e n P s a l m e n als die >heilige Poesie der HebräerMessias< mit einer guten Vorrede begleitete und darinn die eint- und andere zur Vertheidigung seines Gedichts dienliche Materie abhandelte [ . . . ] Einerseits über seine gute und christliche Absicht, unsere heilige Religion und den göttlichen Stifter zu verherrlichen und anderseits über die Beschaffenheit und die Vortheile seiner besonderen Versart.« Zitiert nach: Briefe berühmter und edler Deutschen an Bodmer, hrsg. v. G. F. Stäudlin, Stuttgart 1794, S. 132.

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Friedrich Gottlieb Klopstock, Von der heiligen Poesie, a.a.O., S. 114.

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für den Dichter Heiliger Poesie vorbildlich ( 1 2 5 ) . Darum hält sich Klopstock nun auch nicht mit der Analyse der Sprachkunst eines Davids, Jesajas oder Jesu auf, sondern erörtert unter dem Titel Heilige Poesie vielmehr - wie im Ansatz schon Immanuel Jakob Pyra - die Poetologie moderner christlicher Gedichte, welche »auf den erhabnen Schauplatz der Religion [ . . . ] führen« (115). Gegenüber Pyras wechselndem Wortgebrauch von »heiiger Poesie« und »Dichtkunst« im Tempel der wahren Dichtkunst, der biblische und nachbiblische Literatur verwob, Offenbarung und Dichtung ineinanderlas, entscheidet sich Klopstock jedoch dafür, unter dem Begriff Heilige Poesie Offenbarung als Dichtung zu verstehen, um nun »von derjenigen Poesie, die ich die heilige nenne, überhaupt zu reden«. Den Sinn dieser Entscheidung zeigt die Entgegnung auf den ersten Einwand, der gegen die Heilige Poesie vorgebracht werden kann: »Ob es erlaubt sey, den Inhalt zu Gedichten aus der Religion zu nehmen?« (115) Die Konkurrenz zwischen geoffenbartem Text der Bibel und gedichtetem Text löst Klopstock mit dem Hinweis auf die Offenheit der biblischen Überlieferung, die der poetischen Imagination noch Raum gebe. Die Bibel, so das Argument, habe dort, wo sie »uns Begebenheiten meldet«, nicht ein »ausgebildetes Gemälde« der einstigen historischen Wirklichkeit, sondern nur mehr deren »Grundriß« fixiert. Der nachgeborene Dichter ist nach diesem Bild lediglich Restaurator, der das ihm überlieferte Rudiment wieder »nach den Hauptzügen« ausmalt Zugleich weis man von ihm, daß er dieß für nichts mehr, als Erdichtungen ausgiebt. Er thut, in seiner Art, nichts weiter, als was ein andrer thut, der, aus den nicht historischen Wahrheiten der Religion, Folgen herleitet. Sie dachten, auf verschiedne Weise, über die Religion nach. ( 1 1 5 )

Die Möglichkeit und Rechtfertigung Heiliger Poesie liegt nach dieser ersten Überlegung in der Abstraktheit des biblischen Textes begründet. Dessen Schlichtheit ist nicht an sich poetisch, sondern fordert Poesie heraus, die zunächst »nichts mehr, als Erdichtungen« vorzustellen geben will. Der gemeinsame Bezugspunkt des angefügten Vergleichs, der diese Art des »Nachdenkens« über die Religion erläutern soll, liegt in der notwendigen Applikation der durch die Zeiten gültigen Wahrheit der christlichen Religion. Die moralisch interessierte Exegese, die »aus den nicht historischen Wahrheiten der Religion« Folgerungen ableitet, und die poetische Interpretation des biblischen Textes gelten gleichermaßen - aber nicht auf gleiche Weise - seiner Vergegenwärtigung. Doch der folgende Einspruch, mit dem Klopstock sein Argument vorantreibt, läßt indirekt schon erkennen, daß der Dichter sich nicht damit begnügen wird, seine Heilige Poesie als bloße »Erdichtung« zu verteidigen. Denn die den Dichter von theologischen Skrupeln entlastende schlichte Unterscheidung von Offenbarung und Dichtung ist labil. Sie fällt zusammen, sobald infolge der »mächtigen Künste« des Dichters »ich zu der Zeit, da ich ihn lese, oder !3 7

auch noch länger, vergesse, daß es ein Gedicht ist« ( 1 1 5 ) , also das sorgfältig differenzierte ästhetische Bewußtsein durch die »mächtigen Künste« der Poesie aufgelöst wird. Gerade dieses »Vergessen« der theologisch begründeten Differenz zwischen biblischem und gedichtetem Text und das Überspielen des fiktiven Status der Dichtung ist auf dem »erhabnen Schauplatz der Religion« jedoch zu erwarten, wie denn auch das Proömium des Messias einige Seiten weiter »Licht und Offenbarungen« versprechen wird. Im Horizont solcher Selbstbeschreibung erweist sich die eingeführte Trennung von Dichtung und Offenbarung als wenig plausibel. Sie mutet dem Lesenden ein hohes Maß an Distanzierungsfähigkeit zu, die aber gerade mit der »mächtigen« Kunstfertigkeit des Dichters — deren Funktionsweise Klopstock im Folgenden eingehend vorstellt — überwältigt werden soll, so daß die hier zunächst sorgfältig etablierte Distinktion zusammenfällt. Die Sorge bei der Engführung Heiliger Poesie gilt vielmehr der Autonomie der Religion. Denn Klopstock will nun zeigen, daß die Folgen aus dieser Entdifferenzierung das Seelenheil der Rezipienten nicht tangieren können. Wird doch die »Erinnerung« an den fiktiven Status der künstlich ausgestalteten »Geschichte«, so zumindest die hier formulierte Erwartung, genau in dem Moment einsetzen, in welchem sie dem »moralischen Charakter« der Lesenden »schädlich« werden könnte ( 1 1 6 ) . Warum nun das moralische Bewußtsein die ästhetische Erfahrung im kritischen Moment kontrollierend dominieren soll, erläutert Klopstock nicht.' 8 Deutlich wird jedoch, daß Klopstock das schon angedeutete Moment der Applikation auch für die Heilige Poesie ernst nimmt. Die Rede vom »moralischen Charakter« zielt auf die Willenskraft und damit auf die handlungsbestimmende Instanz, die durch die Lektüre - hier nur negativ im Sinne der Verhinderung von schädlichen Konsequenzen — angesprochen werden soll. 5 9 Es zeichnet sich ab, was an späterer Stelle der Schrift ausgeführt wird: daß es Klopstocks Heiliger Poesie, wie schon ansatzweise auch Pyras Konzept, um die lebendige Erkenntnis< ihres Gegenstandes zu tun ist.

Nachdem auf diese Weise »die Erlaubniß, in der Religion zu dichten«, eingeholt ist, streut Klopstock, mehr nebenbei noch einmal den Gehalt dieser »Erlaubniß« paraphrasierend, die bereits zitierte prägnante Definition Heiliger Poesie ein:

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Vielmehr zeigt Klopstocks eigene poetische Praxis, daß der Leser hierzu auf die Hilfe des Dichters angewiesen ist, vgl. unten S. 1 5 1 ff., Heilige Poesie und das Böse.

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Einen Hinweis auf die Auszeichnung der Willenskraft vor den anderen Seelenkräften des Verstandes und der Empfindung gibt eine Notiz in Klopstocks Arbeitstagebuch v o m 2 9 . 1 . 1 7 5 6 : »Der Trieb zu handeln, ist die schnellste u stärkste unter den drey angeführten Hauptkräften der Seele.« Friedrich Gottlieb Klopstock, Arbeitstagebuch, S. 4 2 . Dazu im folgenden ausführlicher.

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[ . . . ] oder mit andern Worten, [ . . . ] ich für erlaubt halte, auch nach poetischer Denkungsart, dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln [ . . . ] (116) Klopstocks Programm

impliziert

zweierlei. Z u m einen differenziert

es die

» p o e t i s c h e D e n k u n g s a r t « von anderen A r t e n , d e n Lehrgehalt der O f f e n b a r u n g zu » e n t w i c k e l n « . Dieser A s p e k t ließe sich gewissermaßen als das a u t o n o m i e ästhetische M o m e n t Heiliger Poesie bezeichnen. Z u m anderen b e s c h r e i b t K l o p s t o c k m i t seiner F o r m e l die Heilige Poesie als F o r t e n t w i c k l u n g der c h r i s t l i c h e n Offenbarung -

und so prägt dieser G e d a n k e auch das P r o ö m i u m des

Messias,

das die Teilhabe an der G e g e n w a r t des H e i l i g e n Geistes verspricht. In diesem Sinn ist die Heilige Poesie ein b e w u ß t heteronom angelegtes P r o j e k t , und »vergessen, daß es ein G e d i c h t i s t « , ist die M a x i m e für ihre verständige Lektüre — h i n t e r der sich g l e i c h w o h l die entscheidende ästhetische P r o v o k a t i o n der T h e o logie verbirgt. N a c h dieser E x p o s i t i o n des P r o b l e m s d i s k u t i e r t K l o p s t o c k die Heilige Poesie nach zwei Seiten. Einerseits nach den Anforderungen, welche die R e l i g i o n an die >poetische Denkungsart< stellt, andererseits nach den B e d i n g u n g e n , welche die Heilige Poesie als ein E x e m p e l der >höheren Poesie< erfüllen m u ß . K l o p s t o c k w i d m e t sich zunächst d e m zweiten, poetologischen A s p e k t . Als >höhere Poesie< ist die Heilige Poesie d e m genus sublime zugehörig. I h r e E r h a b e n heit offenbart sich für den W i r k u n g s ä s t h e t i k e r in d e m M a ß e , wie es ihr g e l i n g t , die ganze Seele in höchste B e w e g u n g zu versetzen: Man fordert von demjenigen, der unsre Seele so zu bewegen unternimmt, daß er jede Saite derselben, auf ihre Art, ganz treffe. Sie bemerkt hier jeden Miston, auch den feinsten. (117) W e i l »jede Saite derselben, a u f ihre A r t « anzusprechen, k o m p l e x e S t i m u l a n t i e n erfordert, sind g e l u n g e n e B e i s p i e l e der >höheren Poesie< selten: » W e r dieses recht überdacht h a t , wird sich oft entschlossen h a b e n , lieber g a r n i c h t zu schreib e n . « (ebd.) I m Falle des Erfolgs jedoch übertreffen die derart erzeugten E m p findungen

die »höchste philosophische Ü b e r z e u g u n g « und die W i r k u n g e n der

niederen poetischen Schreibarten (ebd.). H i e r k ü n d i g t sich eine neue aemulatio an, die n i c h t m e h r historisch a u f die literarische Tradition, sondern systematisch a u f die W i r k u n g s m a c h t poetischer D a r s t e l l u n g bezogen ist. D i e erhabene R e d e überbietet jede andere A u s d r u c k s f o r m , weil sie » j e d e

S a i t e « der Seele

spezifisch » a u f i h r e A r t « b e w e g t . K l o p s t o c k zitiert, ohne seine Q u e l l e zu nennen, Longins Peri hypsous. F ü r die >poetische Denkungsart< Heiliger

Poesie hat

die hier zugrundeliegende V o r s t e l l u n g Longins einer h a r m o n i s c h a u f die angeborene S t r u k t u r der Seele a b z u s t i m m e n d e n >pathetischen< W o r t f ü g u n g w e s e n t liche B e d e u t u n g . Sie sei d a r u m i m Z u s a m m e n h a n g wiedergegeben: Ist es nicht so: schon die Flöte vermittelt den Zuhörern bestimmte Affekte, versetzt sie gleichsam außer sich und verzückt sie zu einem rauschenden Taumel. Mit dem Rhythmus der Bewegung, die sie ihm einflößt, zwingt sie den Hörer, in ihrem Takte zu schreiten [ . . . ] und, beim Zeus, die Klänge der Kithara, die für sich allein ganz

11>9

bedeutungsleer sind, üben durch den Wechsel der Töne, durch ihr Miteinanderschwingen und die harmonische Konsonanz häufig, wie du weißt, einen betörenden Zauber aus; dies jedoch sind nur schattenhafte, unechte Nachahmungen der Überredung [ . . . ] ; das G e f ü g e aber der Worte, dieser bestimmte Zusammenklang der dem Menschen eingeborenen Sprache, der in die Tiefe seiner Seele, nicht nur in die Ohren dringt, dieses Wortgefüge, das vielfältige Vorstellungen von N a m e n , Gedanken und Sachen, von der Schönheit und vom Wohlklang in uns erregt - [ . . . ] das zugleich durch die ineinandergewobene Vielgestalt seiner K l ä n g e das Pathos, das den Redenden bewegt, auch den Seelen der Umstehenden einflößt und alle Hörenden dazu bringt, jeweils an diesem Pathos teilzunehmen; das durch den sich türmenden Bau der Sätze das Große zusammenfügt — glauben wir nicht, daß es uns durch eben diese Eigenschaften betört und zugleich einstimmt in die würdige Größe, in das Erhabene und all das andere, das es in sich schließt, und uns vollkommen beherrscht in unseren Gedanken? 6 0

Longin beschäftigt hier die Bedeutung der Wortfügung für den erhabenen Ausdruck als Möglichkeit, Pathos zu erregen. Die harmonische Ordnung der Worte vermag die »eingeborene« Konsonanz der Seele so ins Schwingen zu bringen, daß der Redner und seine Zuhörer in eine gemeinsame Bewegung erhabenen Aufschwungs verbunden werden. In dem Kontext, in welchem Klopstock zu einem späteren Zeitpunkt diese Passage noch einmal paraphrasieren wird, in der Schrift Vom deutschen Hexameter (1779), soll - stark verkürzt formuliert — der Hinweis auf Longin die Geltung belegen, die dem Rhythmus und der Harmonie der »Wortbewegung« für die vergnügliche Befriedigung des Ohres zukommen. Wie die Bedeutung der Worte für den Verstand, so muß das Metrum für die bewegende Empfindung, die sich über den Klang vermittelt, komponiert sein. 6 ' Im Hinblick auf die Heilige Poesie gerät diese Verpflichtung des Poeten, jedes Seelenvermögen spezifisch anzuregen, bei der Darstellung der Religion zu ihrer Auszeichnung gegenüber anderen Formen ihrer Repräsentation. Longins Analyse der Ursache und der Wirkung des rhetorischen Pathos, das die vielfältigen Vorstellungen der Seele zu überwältigender Harmonie zusammenschließt, ist für den Dichter Klopstock von so großer Bedeutung, weil es dem Sprachausdruck eine nicht aufzuhebende Vermittlungsfunktion zuweist. Von der Poesie kann nicht abstrahiert werden, weil erst sie durch ihre Wortfügungskunst die spröde Semantik, die der Verstand realisiert, harmonisch werden läßt. Lassen sich etwa schon durch die Wortfolge Erwartung, Leidenschaft und Überraschung provozieren, 62 so gewinnt insbesondere durch die gezielte Ausnutzung der Sprachrhythmik die poetische Darstellung eine Bewegungs-

60

62

Zitiert nach: Pseudo-Longinos, Vom Erhabenen, gr./dt., übers, und hrsg. v. R . Brandt, Darmstadt 1 9 6 6 , 3 9 . 2 f . Klopstocks frühzeitige Kenntnis des Traktats ist in der K o r respondenz mit Bodmer 1 7 4 8 belegt, vgl. HKA, Abt. Briefe, B d . I, Nr. 1 9 und K o m mentar. Friedrich Gottlieb Klopstock, Vom deutschen Hexameter, Sämmtliche sprachwissenschaftliche und ästhetische Schriften . . . , Bd. III, S. 204. Siehe Friedrich Gottlieb Klopstock, Von der Wortfolge ( 1 7 7 9 ) .

140

kraft, die »steigend« in den H i m m e l drängen kann. 0 3 Das Heilige m u ß poetisch werden, weil die Verlebendigung des christlichen Geistes erst durch die bewegende K r a f t des erhabenen Wortes >wirklich< wirksam wird. In der Tradition von ι .Kor.4;2o:

»Denn das reich Gottes stehet nicht in worten / sondern

in krafft«, steht das Wort nun nicht mehr in Konkurrenz zur K r a f t des Geistes, sondern kräftigt diesen erst. Die bewegende K r a f t des erhabenen Ausdrucks rührt, wie in Peri hypsous zu lesen, aus seiner »ineinandergewobenen Vielgestalt«, die ebenso »vielfältige Vorstellungen von N a m e n , Gedanken und Sachen, von der Schönheit und vom Wohlklang« in der Seele erregen kann - mit Klopstocks Worten: »jede Saite derselben, auf ihre A r t , ganz treffe«. »Vielfältige Vorstellungen« zu evozieren ist mithin die A u f g a b e einer Poesie, die auf die ganze Seele wirken w i l l und darum einem eigenen — von Klopstock in späteren Schriften ausformulierten — Begriff poetischer Darstellung folgen muß, der alle Seelenvermögen beschäftigt und welchem darum insbesondere die >höhere Poesie< als Form höchster Bewegung verpflichtet ist. 6 4

6>

64

Zur aufschwingenden Bewegung vgl. die Darstellung der Klopstockschen Lehre vom »Tonverhalt« bei H.-H. Hellmuth, Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock, München 1973, S. 222ff. Den hier naheliegenden Zusammenhang mit Breitingers Begriff der >herzrührenden Schreibart rekonstruiert K. L. Schneider, Klopstock und die Erneuerung der deutschen Dichtersprache im 18. Jahrhundert, Heidelberg i960, S. Syff. Klopstock versteht unter >Darstellung< zunächst die so lebhaft vergegenwärtigende Vorstellung von Dingen, daß sich der Eindruck, wie Klopstock es nennt, »fastwirklicher Dinge« herstellt. Darum führt K. Hilliard Klopstocks Darstellungsbegriff auf die evidentia zurück, fraglich ist allerdings, ob er darin aufgeht, vgl. Philosophy, Letters and the Eine Arts in Klopstocks Thought, bes. S. i i8ff. Solche Präsenz durch belebende Darstellung ist durch eine überwältigende Bewegung im Sinne Longins zu erreichen, denn die Seele muß nach schulphilosophischem Verständnis dazu gebracht werden, künstliche Einbildungen für wirkliche, sinnliche Empfindungen zu nehmen. Darum formuliert Klopstock: »Der Zweck der Darstellung ist Täuschung. Zu dieser muß der Dichter den Zuhörer, so oft er kann, hinreißen, und nicht hinleiten.« Friedrich Gottlieb Klopstock, Von der Darstellung (1779), Sämmtliche sprachwissenschaftliche und ästhetische Schriften ..., Bd. III, S. 5. W.Menninghaus hat zu Recht daraufhingewiesen, daß Klopstocks Begriff der »Täuschung« im Zusammenhang seiner Darstellungstheorie jedoch nicht allein nach dem »Schema der illusionistischen Verwechslung« zu verstehen ist, Klopstocks Poetik der schnellen >Bewegungüberströmende< Fülle göttlicher Zuwendung ins Bild gesetzt wird, die der >Wiedergeborene< erfährt: »alle Traurigkeit und unruhe des Hertzens ward auff einmahl weggenommen, hingegen war ich als mit einem Strom der Freuden plötzlich überschüttet«, ebd., S. 28. Z u r Strom-Metapher bei Klopstock siehe B . Blume, Orpheus und Messias. Die Mythologie der Unsterblichkeit in Klopstocks Dichtung, Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 6 ( 1 9 6 2 ) , S. 2 1 — 34.



V g l . etwa auch Quintilian, Institutio oratoria, I X , 4 , 7 , oder Cicero, Orator, 1 2 8 .

146

Rekonstruierten den B e g r i f f Heiliger Poesie erst nach der Seite des Poetischen hin entwickelt, indem Klopstock seine Auffassung von >höherer Poesie< dargelegt hat. Darum muß nun das Moment des Heiligen in Heiliger Poesie zur Geltung gebracht werden. M i t ihm kann sich der Endzweck der höheren Poesie, die »moralische Schönheit«, auf eine die A n t i k e übertreffende Weise erfüllen, weil erst im Horizont der christlichen Offenbarung der hoffnungsvolle Ausblick auf das Heil der Seele gewonnen werden kann. Klopstock beschäftigt sich nun jedoch im zweiten Teil seiner Abhandlung nicht mit einer theologischen Explikation des Heiligen, sondern mit den darstellungsspezifischen Konsequenzen, die eine >poetische Denkungsart< der christlichen Offenbarung nach sich zieht. Der Verfasser des heiligen Gedichts ahmt der Religion nach; wie er, in einem nicht viel verschiedenen Verstände, der Natur nachahmen soll. (122) Die traditionelle Begrifflichkeit, mit der Klopstock in diese zweite Fragestellung einleitet, reicht nicht sehr weit. Wie in der Abschiedsrede in diesem Z u s a m menhang ausgeführt, sollte das moderne christliche Epos sich vom antiken Epos gerade in seiner Haltung zur >Natur< unterscheiden, und so drängt sich die Frage nach der genaueren Bedeutung der Formulierung »in einem nicht viel verschiedenen Verstände« auf. Der folgende Absatz beantwortet sie: Ob gleich die Offenbarung, in Absicht auf die Lehren fürs Herz, nur auf dem Wege der Natur fortgegangen war; so ist doch ihr Mittel uns von neuem glückselig und tugendhaft zu machen, weit über die Natur erhaben. Das heilige Gedicht ist auf einem viel höhern Schauplatze. Der Plan der Offenbarung ist seine erste Regel. (122) Entscheidend für die neue Ausrichtung des christlichen Epos ist das neue Mittel der Offenbarung, »uns von neuem glückselig und tugendhaft zu machen«. W i e sich der neue B u n d des Neuen Testaments mit dem Mysterium Christi in der Überwindung des Todes durch die Auferstehung weit über die N a t u r erhebt, so darf sein Dichter nicht mehr dem Plan der Natur, sondern muß dem übernatürlichen der Offenbarung folgen. Während einem Gedicht nach dem Stoff des Alten Testaments »noch eine Art Weltlichkeit erlaubt« ist, so Klopstock weiter, führt die Materie des Neuen Testaments in das »Innre der Religion« ( 1 2 2 ) . Parallel zum Lehrgehalt der Offenbarung muß sich also auch die Darstellungsform ihrer poetischen Fortentwicklung verändern. D i e typologische U b e r w i n d u n g A d a m s durch Jesus Christus muß auch das »heilige Gedicht« auf dem »viel höhern Schauplatze« auf eine Weise vollziehen, die nicht mehr nur »auf dem W e g e der Natur« fortzusetzen ist. 7 5 75

In welcher Weise im Messias die Natur in thematischer und poetologischer Bedeutung distanziert wird, erforderte eine eigene Untersuchung. Auf dem Gang ins »Innre der Religion« mochten im übrigen nicht alle Leser Klopstock folgen. So führt für Friedrich Schiller — ganz gegen die Intention des Autors — die Abstraktion von der anschaulichen Natur im Messias geradewegs zur Wiedereinsetzung des abstrahierenden

147

W i e der »Plan der Offenbarung« sich zur poetologischen Regel konkretisiert, ist Gegenstand der folgenden Erläuterungen Klopstocks. Es zeigt sich, daß der anfangs der Heiligen Poesie erteilte Auftrag, »dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln«, genau zu nehmen ist: Gewisse Wahrheiten, deren völlige Erkenntniß uns in diesem Leben noch nicht nothwendig ist, sind uns so offenbart, daß sie so viel Winke zu seyn scheinen, weiter über diese Wahrheiten nachzudenken. Entdeckungen, die wir auf diese Art machen, gehören in das heilige Gedicht. Und oft können wir Erdichtungen darauf gründen. ( 1 2 3 )

Klopstock liest die dunklen Stellen der Offenbarung, »deren völlige Erkenntniß uns in diesem Leben noch nicht nothwendig i s t « , als » W i n k e « , die zu Heiliger Poesie auffordern. Auf dem Geheimnis des geoffenbarten Wortes läßt sich eine »Entdeckungen« versprechende Dichtung bauen, wie sie sich in den Eingangsversen des Messias angekündigt hat. Ihren bewegenden Reiz erhält sie aus der Fiktion seiner Enthüllung. 7 6 Die Leitlinien dieser poetischen Fortentwicklung werden nun im Folgenden ausgezogen. Die Offenbarung besteht, so heißt es, aus »moralischen Wahrheiten; aus Begebenheiten; aus Prophezeyhungen; aus Geheimnissen; und aus solchen Stellen, wo das Geheimnißvolle mit jenen [ . . . ] vermischt ist« (124). Jede dieser biblischen Formen erfordert eine eigene Art der Poetisierung. Die moralische Wahrheit verlangt »Stärke« des Ausdrucks und die Begebenheit » A u s b i l d u n g « . Die Prophetie ist an die allgemeinen Regeln der Schriftauslegung gebunden: » N u r müste der Dichter die Erfüllung in eben dem Tone beschreiben, in welchem der Prophet die Begebenheit vorher verkündigt hat.« (ebd.) Die Geheimnisse schließlich sollen mit äußerster »Einfalt« dargestellt werden. M i t der Aufzählung wird noch einmal deutlich, wie genau Klopstock seine Heilige Poesie den verschiedenen Lehrformen der biblischen Offenbarung anpassen will. Entscheidend ist aber nun, daß Klopstock die moralischen Wahrheiten, Begebenheiten, Prophezeiungen und Geheimnisse strikt als Sachgehalt der

76

Verstandes, der für die »viel zu sehr freigestelltfe]« Einbildungskraft einspringen muß, Über Naive undsentimental'uche Dichtung, Sämtliche Werke, München s 1 9 8 9 , Bd. 5, S. 735. Doch gegen U. Schödlbauer gerade nicht mit der Absicht, »die Substanz der Offenbarung restlos nach den Gesetzen poetischer Divination [ . . . ] als p r o j e k t i v e Idee des Ganzen [darzustellen; J . J.], die erst im fertigen Werk zu der vollen Bestimmtheit findet, in der sie vergeht«, Entwurf der Lyrik, S. 2 1 7 . Das angebliche Ziel vollkommener Aufhebung der »Substanz« im »Werk« ist vielmehr eine idealistische Projektion Schödlbauers. Demgegenüber ist »die Substanz der Offenbarung«, welche die Heilige Poesie bestimmt — wenn dieser Begriff hier überhaupt sinnvoll zu verwenden ist —, durch eine unendliche Fülle ausgezeichnet, die vielleicht >dargestelltLehrgehalts< der Passion Christi durch den Gesang Adams und Evas hebt sich durch die Darstellung des mitleiderregenden Schicksals Benonis die einzelne Seele hervor, auf die sich die empfindsame Teilnahme der Lesenden richten kann. Die versprochene Auferstehung wird mit ihr dringend, denn der »Mittler« heilt nur den Vater und erweckt den Sohn nicht mehr zum Leben - von der Erlösung des unschuldigen Opfers wird erst der elfte Gesang des Messias berichten. Daneben veranschaulicht die Heilung des Vaters Samma die Macht und die Liebenswürdigkeit des Gottessohnes als Retter der verirrten Seele und stimmt mit dem Triumph über Satan auf die folgende

Höllendarstellung

ein,

deren

Betrachtung

Zurüstung

erfordert.

Schließlich läßt sich das sinnlose Opfer des unschuldigen Sohnes Benoni durch den besessenen Vater auch als Parodie auf den in der Darstellung des Epos noch ausstehenden Kreuzestod des Gottessohnes lesen. Es ist die falsche Erfüllung, welche das durch Adam und Eva erinnerte und verherrlichte Opfer des »Mittlers« für die Menschheit kontrastiert. D i e anschließenden Szenen zeigen die Rückkehr Satans von seinem erfolglosen K a m p f um die Seele Sammas in den höllischen Bezirk. Doch bevor der Dichter den Höllenfürsten Adramelech in der einberufenen Versammlung der Bewohner der Unterwelt als ersten das Wort ergreifen läßt, unterbricht eine reflexive Besinnung die Darstellung: Die du entzückt voll Feuer und Ernst nach der Höllen hinabsiehst, Weil du zugleich im Angesicht Gottes Klarheit erblickest, Und Zufriedenheit über sich selbst, wenn er Sünder bestrafet, Zeige sie mir, Göttinn, doch laß die mächtige Stimme Rauschend, wie den Sturmwind, wie Gewitter Gottes, ertönen. (11,308-312)

Der Anruf der himmlischen Muse ist in diesem Kontext — anders als bei den hier angespielten Vorgängern Homer und Milton 8 3 -

nicht allein ein Gebot

poetischer Wahrscheinlichkeit, um das fiktive Wissen des Dichters zu motivieren. Die aversio, die Abwendung vom Publikum und Hinwendung zur »entzückten« »Göttinn«, ist eine rhetorische Figur der Pathossteigerung und für die »poetische Denkungsart< der höheren Poesie Klopstocks als Möglichkeit interessant, leidenschaftliche Bewegung zu erregen. 8 4 Auffallend an der Art, wie Klopstock die aversio hier einsetzt, ist jedoch, daß die der Muse zugeschrie-

82

Mt.i2;22ff.

83

V g l . Homer, Utas, I L 4 8 4 - 4 9 3 , und J . Milton, Paradise Lost, 1 , 3 7 6 . V g l . Quintilian, Institutio oratoria, I V , 2 , i 0 3 f f . und I X , 2 , 3 8 f .

84

und Luk.i

i;i4ff.

153

bene vermischte E m p f i n d u n g - »Feuer und Ernst« — in der Funktion dieses Musenanrufs selbst zum Ausdruck kommt. Denn neben dem »Feuer« der Leidenschaft, das die aventó

nach traditionellem Verständnis intensivieren soll,

unterbricht der Perspektivenwechsel auf den Dichter und seine Muse im Arrangement der Szenen gleichzeitig die bewegende Darstellung der höllischen Szenerie. Die Reflexion der Darstellung, die in die fortschreitende Imagination eingreift, räumt dem »ernsten« Verstand (Lese-)Zeit ein, den Abstieg in die Unterwelt zu bedenken. D i e eingerückten Verse dienen demnach dazu, das Rezeptionsmodell zu etablieren, nach dem die Lektüre des nachfolgend Berichteten — jedenfalls nach Maßgabe des Dichters - vorzunehmen sei. D e r Blick der himmlischen Göttin, »entzückt voll Feuer und Ernst«, folgt der in Von der heiligen Poesie geforderten mannigfaltigen Verwebung der Seelenkräfte in der »höheren Poesieentflammtneuen ReichNatur der DingeNatur< und >Gnade< resultiert aus der besonders in der protestantischen Orthodoxie, aber eben auch im Pietismus tradierten Vorstellung, daß die Natur mit dem Sündenfall schlechthin verworfen und wie der Mensch auf gnädige Erlösung aus der Immanenz der Welt angewiesen ist. Diese Differenz zwischen Natur und Gnade stellt besonders deutlich das pietistische Bekehrungsmodell heraus. Im übergangslosen Umschlag von Mortifikation und Vivifikation in der augenblicksartigen Erlösung der naturverfallenen Seele, »wie man eine Hand umwendet«,4 sind Heils- und Naturordnung nicht prästabiliert, sondern polarisiert. Solche Distanzierung konkurriert nun mit dem seit Leibniz machtvoll erneuerten theologischen Gedanken, daß der Schöpfer sich mit der von ihm geschaffenen Natur in seiner Herrlichkeit selbst dargestellt hat und seine Schöpfung wie ein Spiegel die Güte ihres Urhebers, wenn auch nicht verzerrungsfrei, so doch zuverlässig sehen läßt. Schon die physikotheologische Literatur der Frühaufklärung hatte aus der Ordnung der Natur ein poetologisches Programm entworfen und die beobachtbare Harmonie in der schönen und nützlichen Natur zum Gottesbeweis ausgeschrieben: Glänzt Garten, Fluht und Feld in solchem Schmuck und Schein, W i e herrlich muß ihr Quell, wie schön der Schöpfer, seyn! 5

lautet einer von Barthold Heinrich Brockes Allerhand Garten-Gedancken. Gerade weil hier nun die Naturordnung als Heilsordnung »herrlich« erscheint und als solche gelesen werden kann, läßt sich der irdische Garten nicht nur als Abbild der weisen Einrichtung der Schöpfung vorstellen, sondern wird darüber hinaus auch zum schönen Zwischenstadium der Heilsgeschichte: zum Abglanz des Paradieses und zum Vorschein des himmlischen Jerusalems. 6 4 5

6

Siehe oben, S. ηΑ,ί. Barthold Heinrich Brockes, Irdisches Vergnügen in Gott, i . Teil ( 1 7 2 1 ) , Nachdruck der Ausgabe Hamburg 1 7 3 7 , Bern 1 9 7 0 , S. 1 7 4 . So in Brockes' Gedicht Die auf ein starkes Unwetter erfolgte Stille, ebd., S. I54Í.: » [ . . . ] wann, wie ein Glas, Das jüngst gefall'ne H i m m e l s - N a ß A u f dem gesteiften Laub, w o sich's gemählig bieget, W i e Diamantne Kugeln lieget,

173

D i e Stärke dieses O r d n u n g s d e n k e n s m u ß sich schließlich an der Frage bewähren, wie die V o l l e n d u n g der N a t u r - und Heilsgeschichte vorzustellen ist. O b die O r d n u n g der W e l t a m Ende revolutioniert oder perfektioniert wird, ist nicht zuletzt ein Indiz für die Zuverlässigkeit oder Scheinhaftigkeit ihrer erkennbar schönen H a r m o n i e . G e g e n den voluntaristischen G o t t e s b e g r i f f der lutherischen Orthodoxie, die m i t der unbeschränkten Souveränität des Schöpfers über seine S c h ö p f u n g auch die Weltvernichtung als Bestandteil des eschatologischen Geschehens denken konnte, 7 beharrt d a r u m nun der Leibniz-Wolffsche R a t i o n a l i s m u s auf einer gleichsam horizontalen Perfektibilität der Schöpfungso r d n u n g . 8 D e r O r d n u n g ist zu trauen, insofern die harmonisch ineinandergreifenden Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison zeitlos g ü l t i g sind. 9 Sie beschreiben eine Vollkommenheit, die durch die Zeiten hindurch nur gesteigert und nicht mehr u m g e s t ü r z t zu werden braucht. D i e ästhetische Relevanz dieser Alternative ist beträchtlich - nicht nur im H i n b l i c k a u f die theologische Ü b e r l e g u n g , daß die E n t f a l t u n g einer eigenständigen Ästhetik überhaupt erst dann naheliegt, wenn sich die eschatologische B e d r o h u n g der Welt so weit abgeschwächt hat, daß die V e r v o l l k o m m n u n g der »sinnlichen Erkenntnis< zu einem wahrheitsfähigen, auch für die E w i g k e i t sinnvollen Projekt werden k a n n . 1 0 So bleibt das Verhältnis von N a t u r - und

In welchen sich, samt den beblühmten Hügeln, Die Wiesen, Büsch' und Bäume spiegeln, Daß alles gläntzt und lacht. [·.·]

7

8

9

10

Mit wenigem, es scheint Luft, Wiese, Wald und Feld Ein altes Eden noch, und eine neue Welt.« Umfassend dazu U. K . Kecelsen, Die Naturpoesie der norddeutschen Frühaufklärung. Poesie als Sprache der Versöhnung: alter Universalismus und neues Weltbild, Stuttgart 1974. Anlaß dazu gibt etwa 2.Petr.y,io: »ES wird aber des HErrn tag komen / als ein Dieb in der nacht / J n welchem die Himel zergehen werden / mit grossem krachen / Die Element aber werden fur hitze schmeltzen / Vnd die Erde vnd die werck die drinnen sind / werden verbrennen.« Vgl. J e s . O f f b . 2 i ; i . Dazu A. Koschorke, Die Geschichte des Horizonts. Grenze und Grenzüberschreitung in literarischen Landschaftsbildern, Frankfurt a.M. 1990, bes. S. 70ff.: »Die Semantik der unendlichen Landschaft«. G. W. Leibniz, Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison, § 15: Nicht »durch eine Abweichung von der Natur« treten die Seelen in die Gemeinschaft mit Gott, »sondern gemäß der Ordnung der natürlichen Dinge selbst kraft der zu j e d e r Z e i t prästabilierten Harmonie zwischen den Reichen der Natur und der Gnade, zwischen Gott als Architekten und Gott als Monarchen, derart daß die Natur selbst zur Gnade führt und die Gnade die Natur vervollkommnet, indem sie sich ihrer bedient« [Hervorhebung von mir; J . J . ] . In diesem Sinne etwa A. Baeumler, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Mit einem Nachwort zum Neudruck 1967, Nachdruck, Darmstadt 1975, S. 208: »Die Entdeckung der Sinnlichkeit (und damit des Individuums) ist - diesen Gedanken kann ich zwar nicht belegen, halte

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Heilsordnung einer ästhetisch reflektierten Heiligen Poesie problematisch, weil sie einerseits als Artikulation sinnlicher Erkenntnis nicht mehr dem alten M u ster eschatologisch begründeter Weltverwerfung Folgen kann, andererseits jedoch die bewegende Erhabenheit ihrer Vorstellungen gerade aus der jedes natürliche Maß übersteigenden transzendenten Vollkommenheit gewinnt, die sich erst in der Apokalypse enthüllen wird. Von dieser Ambivalenz ist nun nicht nur die A r t und Weise, wie die N a t u r in der Entwicklung der Offenbarung nach poetischer Denkungsart thematisch wird, berührt, sondern von der bezweifelbaren Zuverlässigkeit der schönen Fülle der N a t u r hängt auch die Sinnhaftigkeit einer Asthetisierung des für >heilig< befundenen ab. D a m i t rührt die eschatologisch begründete Spannung zwischen N a t u r und Gnade nicht zuletzt an die Grundlagen der Heiligen Poesie selbst. Schließlich wird sich als Folge dieser doppeldeutigen Haltung zur N a t u r auch deren Leitfunktion für die aufgeklärte Poetologie verändern, und nicht zufällig sind es die den poetischen Möglichkeitssinn weit ausdehnenden Darstellungen Heiliger Poesie, an denen sich die zeitgenössische Diskussion um die Natürlichkeit des Wunderbaren immer wieder entfachte.

Heilige Poesie der Natur Klopstocks Heilige Poesie läßt mit dem Messias auf dem W e g ins »Innre der R e l i g i o n « 1 1 nicht nur die Weltlichkeit profaner Literatur, sondern in gewisser Weise auch die N a t u r hinter sich zurück. Denn während die »unsterbliche Seele« als solche Gericht und Erlösung erwartet, m u ß die äußere N a t u r zunächst untergehen, bevor sie sich — wiederum nach dem typologischen Modell überbietender Erfüllung - mit »hellerer Schöne« erneuert: [...] Die Erde lag unter dem Fluche, Ihren vordem unsterblichen Kindern ein allgemein Grabmahl. Aber dereinst, wenn sich die Weltgebäude verjüngen, Und aus der Asche des grossen Gerichts triumphirend hervorgehn, Wenn Gott alle Bezirke der Welten mit seinem Himmel Durch gleich allgegenwärtiges Anschaun zusammen vereinbart, Alsdann wird der ätherische Strom vom himmlischen Urquell Wieder mit hellerer Schöne zum neuen Eden sich senken. (1,218 — 225)' 2 ihn aber für zweifellos sicher - unter Führung des Gedankens der Theodizee geschehen. Die neue Wissenschaft ist eine R e c h t f e r t i g u n g der Sinnlichkeit.« " F. G. Klopstock, Von der heiligen Poesie, S. 122. 12 So erinnert den Sänger auch zu Beginn des dritten Gesangs, der nach Himmel und Hölle wieder auf das Geschehen am Ölberg führt, der Anblick der Erde vor allem an seine Sterblichkeit: »Sey mir gegrüßt! ich sehe dich wieder, die du mich gebahrest, Erde mein mütterlich Land, die du mich im kühlenden Schosse

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Die höchsten himmlischen Welten, die der Messias entwirft, bleiben der A n schauung entzogen und gehen im reinen Glanz unterschiedslosen Lichts auf. H i e r »füllen nur Sonnen den heiligen U m k r e i s « , und die irdische N a t u r entschwindet dem B l i c k in erhabene Tiefe: [ . . . ] Entfliehend und ferne Geht die bewölkte Natur vorüber: Die Erden fliehn mit ihr Klein und unmerkbar dahin, wie unter dem Fusse des Wandrers Niedriger Staub, von Gewürmen bewohnt, aufwallet und hinsinkt.

(1,190-193) So erscheint die unerlöste irdische N a t u r im Messias als ein D e n k m a l des gefallenen Adams und »ein allgemein Grabmal« (I, 2 1 9 ) . Doch es bleibt nicht bei dieser orthodox-protestantischen Perspektive auf die natura naturata. Denn wie der Messias die himmlische Seligkeit christlicher Seelen poetisch antizipiert, so fällt ein Vorschein der Versöhnung auch auf die Natur. Die Tendenz zur seelenkonzentrierten Verinnerlichung läßt freilich aus der Herrlichkeit der natürlichen Schönheit eher die Herrlichkeit der empfindenden Seele werden. Und darum ist in den ersten drei Gesängen des Messias nur ein einziger, dafür höchst aufschlußreicher Hinweis auf die »schöne N a t u r « zu finden. Klopstock schildert die Einrichtung der Hölle zum »strafenden Endzweck«, deren Pforten im Gegensatz zu Miltons Schreckensgestalten nun zwei Engel hüten, die »mit allmächtiger R ü s t u n g « versehen sind, um das Böse einzuhegen: [ . . . ] Sie sollten den Ort der dunklen Verdamniß Ewig in seinen Bezirken erhalten, damit nicht der Satan Kühn mit seiner verfinsterten Last die Schöpfung bestürmte, Und das Antlitz der schönen Natur durch Verwüstung entstellte.

(11,277-280) Gerade der Kontext der Höllendarstellung, welche den zweiten Gesang des Messias bestimmt, läßt »das Antlitz der schönen N a t u r « um so heller leuchten. Die unvergänglich »schöne Natur« bedarf nicht mehr der christlichen Erlösung, sondern garantiert vielmehr durch die Z e i t hindurch vom Beginn der christlichen Heilsgeschichte an eine weise Heilsordnung, die ihren Widersacher » E w i g in seinen Bezirken« einschließt. So bleibt die N a t u r im Messias im Horizont der Eschatologie z w e i d e u t i g . 1 ' Ihre >Darstellung< in Klopstocks Sinn findet diese Ambivalenz in einer DynaEinst zu den Schlafenden Gottes begräbst, und meine Gebeine Sanft bedeckst; doch dann erst, dieß hoff ich zu meinem Erlöser, Wenn von ihm mein heiliges Lied zu Ende gebracht ist.« (III,1-5) " An Klopstocks Ode Der Ziirchersee ( 1 7 5 0 ) ließe sich mit den Versen »Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht« und »Oder, flohest du schon wieder zum Himmel auf« eine ähnlich spannungsreiche Beziehung zwischen Herrlichkeit und Transzendenz zeigen, die J . W. Goethes spätere Replik am gleichen Ort Auf dem See ( 1 7 7 5 ) in die Immanenz »freier Welt« auflösen wird.

176

m i k , welche die N a t u r in permanente B e w e g u n g versetzt - in der Präsentation eines in sich bewegten, sphärenharmonisch klingenden Makrokosmos, dessen Schwung sich jedoch bis ins sprachliche Detail

fortschreibt,

wie besonders an-

schaulich beispielsweise die Schilderung des wandernden Engels Gabriel durch eine ins Verb gesetzte Landschaft zeigt: Wie zur Zeit des belebenden Winters ein heiliger Festtag Über beschneyten Gebirgen nach trüben Tagen hervorgeht; Wolken und Nacht entfliehen vor ihm, die beeisten Gefilde Hohe durchsichtige Wälder entnebeln ihr Antlitz und glänzen: Also gieng Gabriel itzt auf den mitternächtlichen Bergen, [...] (1,593-597)

M i t Christoph Martin Wielands Lehrgedicht Die Natur der Dinge ( 1 7 5 2 ) rückt nun die in Klopstocks Messias vor allem als Medium von B e w e g u n g oder Erstarrung interessierende N a t u r in den Mittelpunkt Heiliger Poesie. Gerade Wielands ebenfalls gegenüber christlichen Vorbehalten nicht unempfindlicher Versuch, im Geiste Leibniz' Naturordnung und Heilsordnung zusammenzuführen, ja deren Harmonie, wie es in der Vorrede zu dem Gedicht heißt, noch weiterzuentwickeln,' 4 führt die behauptete ambivalente Bedeutung der N a t u r für eine aufgeklärte Heilige Poesie sehr deutlich vor. Wie Wielands frühe Dichtung meist auf antike oder moderne literarische Vorbilder bezogen ist — etwa der Anti-Ovid(1752) mit Timoklea ( 1 7 5 6 ) , Der Frühling

oder das Gespräch des Sokrates

( 1 7 5 2 ) in der Tradition von J a m e s Thomsons

The Seasons ( 1 7 2 6 - 1 7 3 0 ) und Ewald von Kleists Der Frühling

( 1 7 4 9 ) oder die

Briefe von Verstorbenen an hinterlassene Freunde ( 1 7 5 3 ) nach Elizabeth Friendship

in death in twenty letters from the Dead to the Living

Rowes

( 1 7 2 8 ) —, so

imitiert auch das erste, noch anonym durch Vermittlung Georg Friedrich Meiers publizierte Werk Wielands über Die Natur der Dinge einen berühmten Vorgänger. Z u r christlichen aemulatio nach Klopstocks Beispiel stimuliert Wieland das schon mit dem Titel angespielte epikureische Lehrgedicht des Lukrez, De rerum natura. Anders jedoch als das bewunderte Vorbild Klopstock sucht Wieland keine Auseinandersetzung sprachlich-poetischer A r t , sondern »lukrezisch singend« soll das System des antiken Atomisten widerlegt und überboten werden. Wielands rückblickende Selbstinterpretation, nach der diese ehrgeizige Absicht »einer sehr schwermütigen Einsamkeit« zuzuschreiben sei, in welcher er »die Ungereimtheit begieng, zu einem so antilucrezischen Gedicht sich den L u c r e z zum Muster zu nehmen«, verstellt - souverän gegenüber dem eigenen 14

»Ich habe geglaubt, daß der Herr von Leibnitz diese Harmonie noch nicht so weit getrieben, als es möglich ist [...]«, Christoph Martin Wieland, Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Abt. Werke, hrsg. v. F. Homeyer u.a., Nachdruck der Ausgabe Berlin 1 1909ff., Hildesheim 1986, Bd. 1.1, S. 5.

177

Werk und der historischen literarischen Situation, in der es entstand — freilich eher dessen implizite Problematik. 1 5 Denn der Drang zur aemulatio, der sich auch in Wielands Lehrgedicht artikuliert, ist nicht allein individuell bedingt, sondern exponiert im Kontext Heiliger Poesie noch einmal die diese nachdrücklich prägende Schwierigkeit, wie eine als literarästhetisch überlegen wahrgenommene Antike mit einer dagegen >vernünftiger< gewordenen Moderne zu vermitteln sei — oder anders: wie ein zeitgemäßes Wissen poetisch werden könne. Johann Georg Sulzer charakterisiert ebendies wenige Jahre später so: Es ist der einzige Vortheil, den die heutigen Künstler vor den alten voraus haben, daß sie, durch die Entdeckungen der Philosophie, ein weiteres Feld erlangt haben, als ihre Vorgänger hatten [ . . . ] Glücklich sind die heutigen Künstler, die sich dieses zu Nutz machen; es ist das einzige Mittel, sich über die Alten zu erheben. Durch diese Beyhülfe ist H o m e r von M i l t o n und von B ö d m e t , und L u k r e z von P o p e übertroffen worden. 1 6

Wenn darum die Form durch die poetische Imitation der vollendeten Antike gebunden ist, kann sich moderne Originalität nur im Hinblick auf die Materie des Gedichts entfalten. Wieland beschränkt sich dabei nun nicht auf die kritische Widerlegung der von Lukrez verarbeiteten epikureischen Lehre, sondern läßt in kaum überschaubarer Zahl Natursysteme und -theorien aus der Antike bis hin zu den zeitgenössischen Systemen in den kritisch-gelehrten Diskurs seines Werks eingehen. Gleichwohl ist De rerum natura für die Exposition eigener Vorstellungen gut geeignet, konzentrieren sich doch in dem antiken Lehrgedicht mit dem materialistischen Atomismus Epikurs für einen »sehr platonischen Liebhaber« 17 alle Provokationen, die eine heidnische Naturlehre vom Prinzip des Zufalls bis zur Sterblichkeit der Seele bieten kann. 1 8 ' 5 C. M. Wieland, Vorbericht (1762), Gesammelte Schriften, Bd. L i , S. 128. Die Forschung ist dieser Einschätzung in unterschiedlichen Abwandlungen gern gefolgt, vgl. F. Sengle, Wieland, Stuttgart 1949, S. 35: »[...] wie Nachahmer zu tun pflegen, er übertreibt die Form der Meister bis zur Unmöglichkeit.« Ähnlich H. W. Seiffert, Der vorweimarische Wieland. Leben und Werk 1733-1772, Diss, [masch.], Greifswald 1949, S. 35, der die Anlehnung an Lukrez als Mangel an Originalität auslegt. 16 Johann Georg Sulzer, Gedanken über den Ursprung und die verschiedenen Bestimmungen der Wissenschaften und schönen Künste (1762) [Französische Erstfassung: Pensées sur l'origine ...des sciences et des beaux-arts, Berlin 1757], zitiert nach: Vermischte philosophische Schriften, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1 7 7 3 - 1 7 8 1 , Hildesheim und N e w York 1974, 2. Teil, S. 124. Die von Sulzer konstatierte Überbietung des Lukrez gelingt A. Pope durch An Essay on Man ( 1 7 3 3 - 1 7 3 4 ) - ein Urteil, das Wieland später teilte. Die Natur der Dinge wären nicht geschrieben worden, so der Autor im Vorbericht zur Ausgabe von 1762, wenn er damals »den Pope schon gekannt«, Wieland, Gesammelte Schriften, Bd. L I , S. 128. Vgl. B. Fabian, Lukrez in England im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Einige Notizen, in: Aufklärung und Hmnanismus, hrsg. v. R. Toellner, Heidelberg 1980, S. 1 0 7 - 1 2 9 , zum »Anti-Lukrez« als »einer symbolischen Aufgabe für das achtzehnte Jahrhundert« (ebd., S. 119). ' 7 So Wieland über sich, Gesammelte Schriften, Bd. I . i , S. 128. ,H Wielands Versuch hatte einen zeitlich nahen Vorläufer in Gestalt von Melchior de

178

>Heilig< ist diese Poesie nun i m zeitgenössischen, moralisch-aufgeklärten Verständnis des B e g r i f f s , weil sie >die N a t u r der Dinge< g e g e n Lukrez als eine absichtsvolle O r d n u n g der Weisheit und G ü t e vorstellen will. D i e durch das Lehrgedicht vermittelte Einsicht in die weise S c h ö p f u n g werde, so Wielands optimistische Ü b e r z e u g u n g , auch dessen Leser zur heiligen Weisheit erziehen. In der N a c h f o l g e der moralischen Lehrdichtung Friedrich von Hagedorns, f ü r die in eben diesem Sinn »des Weisen Herz ein wahres H e i l i g t h u m / D e s höchsten G u t e n B i l d , der Sitz von seinem R u h m « 1 9 war, ist auch Die Natur

der

Dinge solcher B i l d u n g zur H e i l i g k e i t verpflichtet. D a r u m ist für W i e l a n d die Form des Lehrgedichts die Form Heiliger

Poesie, wie er in einem B r i e f vom

2 . 6 . 1 7 5 2 J o h a n n Christian Volz, Gymnasialprofessor für M a t h e m a t i k

und

Dichtkunst in Stuttgart, erläutert: Nach meinen Begriffen von der Poesie ist sie die vernünftigste Lehrart der nützlichsten und zur Glükseligkeit nötigsten Wahrheiten; denn sie erreicht Ihren Zwek gewisser als die philosophische Lehrart, weil Sie uns durch unsere Neigung zum Schönen und zum Vergnügen zu ihren Zwecke führt, und Leidenschaften u: lebhafte Entschliessungen in uns hervorbringt [ . . . ] aus eben diesem Grund ist mir die Poesie heilig [ . . . ] * · Aus dieser H a r m o n i e des Schönen und des N ü t z l i c h e n begründet sich ein Parallel-Unternehmen zum Messias, welches nun auf seine Weise der Vergegenwärtig u n g der »zur G l ü k s e l i g k e i t nötigsten Wahrheiten« g e w i d m e t i s t . 2 1

Polignacs Anti-Lucretius, der 1747 posthum in Paris veröffentlicht worden war, AntiLucretius sive De deo et natura libri novem, hrsg. v. Charles de Rothelin. 1748 erscheint eine von Rothelin und J.Chr. Gottsched edierte Ausgabe in Leipzig, 1749 eine Übersetzung ins Französische. Polignacs poème sur la religion naturelle, so der Untertitel der französischen Ausgabe, beschäftigte sich neben der Widerlegung des Lukrez vor allem mit der Kritik an Pierre Bayles skeptischer Trennung von Glauben und Verstand. 19

2C

21

Friedrich v. Hagedorn, Die Glückseligkeit (1743), Poetische Werke, Nachdruck der Ausgabe Hamburg 1 7 5 7 , Bern 1968, S. 1 5 . Christoph Martin Wieland, Briefwechsel, hrsg. v. H. W. Seiffert, Berlin Bd. 1, Nr. 5 1 , S. 83. Das Argument folgt Lukrez. Vgl. De rerum natura, IV, i8ff., zitiert nach: Lukrez, Von der Natur, lat./dt., übers, und hrsg. v. H. Diels, München 1993: »So nun wollt' ich auch selber, weil unsere Lehre den Meisten, Die noch nie sie gehört, zu trocken erscheint und der Pöbel Schaudernd von ihr sich kehrt, mit der Dichtung süßestem Wohlklang Unsere Philosophie dir künden und faßlich erläutern Und sie gleichsam versüßen mit lieblichem Honig der Musen, Ob es mir so wohl gelingt, dein Denken bei unseren Versen Solang fesseln zu können, bis endlich die ganze Natur sich Deinen Sinnen erschließt und ihr Nutzen sich fühlbar gemacht hat.« Z u einzelnen Motiven der Klopstock-Rezeption in Die Natur der Dinge, die hier nicht weiter verfolgt werden, vgl. U. Blasig, Die religiöse Entwicklung des frühen Christoph Martin Wieland, Frankfurt a.M., Bern, New York und Paris 1990, S. I 4 i f f . J/9

Die Poetisierung des Wissens verlangt zunächst Originalität. Johann Jakob Breitinger hatte in diesem Sinn in der Critischen Dichtkunst notiert: Selbst die philosophische Wahrheit, die auf die Erleuchtung des Verstandes zielet, kan uns nicht gefallen, wenn sie nicht neu und unbekannt ist; niemand läßt sich gerne immer vorsagen, die Sonne mache helle, die Menschen können sterben, und s.f. 2 2

Darum wird auch die belehrende Naturdichtung von dem Problem der aemulatio tangiert. Denn die unbedingte poetologische Ausrichtung auf das Neue zwingt dazu, gegen die von Breitinger in diesem Zusammenhang auch zitierte Auffassung des skeptischen Terenz: »Nihil dictum est, quod non dictum sit prius« - und den von Breitinger mit Bedacht nicht zitierten Prediger Salomo: »Die Sonne gehet auff vnd gehet vnter [...] Vnd geschieht nichts newes vnter der Sonnen« (Pr.Sal. 1;5,9) - anzuschreiben und sich der Unerschöpflichkeit >interessanter< Erkenntnis zu versichern. 2 ' Gegenüber Klopstocks Heiliger Poesie, die sich mit ihrem Programm, »nach poetischer Denkungsart, dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln«, einen unendlichen Schauplatz erst selbst eröffnen mußte, kann nun jedoch die poetische Beschäftigung mit der Natur nach Leibniz und Wolff ihre Originalität aus den unendlichen Verknüpfungen des nexus universalis sichern. Dieser birgt eine unendliche Zahl an Geheimnissen aus der Fülle der Welt und denkbarer >möglicher Weltens die eine poetische Präsentation der >Natur der Dinge< ins Spiel bringen und ihren Lesern überraschend entdecken kann. 24

22

J . J . B r e i t i n g e r , Critische Dichtkunst,

25

M i t gleicher Intention eröffnet schon rund hundert Jahre vorher Martin Opitz sein Naturgedicht Vesuvius (1633), in dem zu Beginn m i t Lukrez die N a t u r überredet wird, etwas von ihren Geheimnissen preiszugeben. Gottsched zitiert die Eingangsverse im Versuch einer Critischen Dichtkunst,

B d . I, S. n o f .

S. 579:

» O Göttinn! gönne mir, daß mein Gemiithe dringe In deiner W e r k e Reich, und etwas sagen m a g , Davon kein deutscher M u n d noch bis auf diesen Tag Poetisch hat geredt.« 24

Autor und Leser verbindet, mit einer schönen Formulierung A. Koschorkes, »Freude an Vorläufigkeit«, Die Geschichte des Horizonts ..., S. 107. So auch J . J . Breitinger, Critische Dichtkunst, Bd. I, S. 114: » [ . . . ] das Reich der N a t u r ist so geraum und weitläuftig, hing e g e n sind die menschlichen Sinnen so blöde und eingeschränckt, daß auch die allergröste Fertigkeit des menschlichen Geistes viel zu schwach ist, den Reichthum der N a t u r in ihrem unbegräntzten Umfange nur m i t den Gedancken zu ermessen, geschweige durch die N a c h a h m u n g zu erschöpfen.« Dementsprechend g ü n s t i g sind die Aussichten für einen >neuen< Lukrez, ebd., S. 116f.: »Ich habe m i r zuweilen in Gedancken vorgestellet, was vor unbeschreibliche Vortheile ein heutiger Lucretius nur mittelst der rohen Materie seines Gedichtes durch die blosse Neuheit und Seltzamkeit seiner Vorstellungen dem römischen Poeten abgewinnen könnte, und die Versuche, welche die deutschen Poeten einige J a h r e daher, durch das Exempel des geschickten Hrn. Brockes aufgewekket, in dieser Art Gedichte an das Licht gestellet haben, machen die Hoffnung bey m i r rege, daß die Tage nicht mehr ferne seyn, die uns einen Poeten hervorbringen werden,

180

A u f solches Unterhaltungsbediirfnis reagiert der Dichter mit einer Paraphrase des bekannten Eingangs des vierten Buches seines Vorbildes, De rerum natura, an gleicher Stelle: Ihr Nymphen vom Parnaß, helft jetzt dem Dichter singen! O laß ihm jetzt, Apoll, den hohen Flug gelingen, Da ihn ein kühner Trieb, der Deutsche nie bewegt, Ins Innerste der Welt, ins Reich der Geister trägt. 2 5 »Ins Innerste der Welt, ins Reich der Geister« vorzudringen ist die vornehmste A u f g a b e einer poetischen Einbildungskraft, die den beschränkten äußeren Sinnen im Interesse der Weisheit beispringen soll. W i e schon Joseph Addison die ersten drei

Lukrezischen

Verse als

Motto

zum 4 1 1 .

Stück

des Spectator

( 2 1 . 6 . 1 7 1 2 ) dienten, das eine Folge von Untersuchungen zu den »pleasures of the imagination« einleitete, so verspricht auch der Dichter der Natur der Dinge, seine Leser im »hohen F l u g « durch neue Ausblicke in das Reich der N a t u r zu beschäftigen. Indem Wieland jedoch nun solches Erstaunen einer christlichen Glückseligkeit verpflichten will, sind die von Rationalismus und Aufklärungspoetologie vorgezeichneten möglichen Welten auf die Imagination himmlischer Glückseligkeit zu konzentrieren. Daß über die christliche Transzendierung der geschaffenen N a t u r poetisch zu spekulieren sei, unterscheidet die Heilige Poesie Wielands von der prominenten Naturdichtung Albrecht von Hallers, die in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben darf. Die einschlägigen Verse, m i t denen Haller vor der Falschheit menschlicher Tugenden ( 1 7 3 0 ) gewarnt hatte: Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist, Zu glücklich, wann sie noch die äußre Schale weist!, 20

25

26

der sich die bedeuteten Vortheile rechtschaffen zu Nutze machen, und dadurch sich über den Ruhm der Alten hinaufschwingen wird.« Christoph Martin Wieland, Die Natur der Dinge, zitiert nach: Gesammelte Schriften, Bd. I . i , Viertes Buch, Verse 1 - 4 [Im Folgenden als (IV,1-4)]. Vgl. Lukrez, De rerum natura, IV,Iff.: »Avia Pieridum peragro loca nullius ante trita solo, iuvat íntegros accedere fontis atque haurire, iuvatque novos decerpere flores insignemque meo capiti petere inde coronam, unde prius nulli velarint tempora Musae; [...]« (»Unwegsame,von Niemand betretene Musengefilde / Will ich durchwandern. Da freut's, jungfräuliche Quellen zu finden, / Draus ich schöpfe, da freut's, frischsprießende Blumen zu pflücken, / Um sie zum herrlichen Kranz um das Haupt mir zu winden, wie solchen / Keinem der Früheren je um die Schläfen gewunden die Musen.«) Albrecht v. Haller, Die Falschheit menschlicher Tugenden (1730), zitiert nach: Die Alpen und andere Gedichte, hrsg. v. A. Eischenbroich, Stuttgart 1965, Verse 289t. 181

fassen einen Erkenntnisvorbehalt zusammen, der die gleichmütige Seelenruhe über einen sinnlosen Wissensdrang setzt. Die »äußre Schale« begrenzt auf natürliche Weise die forschende Vernunft, die einem christlich-stoischen Lebensideal folgend in dieser Welt allenfalls als Zeitvertreib gelten kann und so lange blind bleiben muß, bis einst die »wahre Welt, / Wann Gottes Sonnen-Licht durch unsre Dämmrung fallt«,2"7 sich offenbaren wird. Sind das Reich der Natur und das Reich der Gnade derart strikt getrennt, muß auch die poetische Imagination über die Grenzen des ersteren hinaus aussichtslos bleiben. Der Glückseligkeit läßt sich allenfalls durch den demütigen Respekt vor dieser Grenze der Erkenntnis dienen: Wie Gott die Ewigkeit erst einsam durchgedacht, Warum einst, und nicht eh, er eine Welt gemacht; Was unser Geist sonst war, eh ihn ein Leib bekleidet; Wie erst ein ewig Nichts in uns zum Etwas ward; Wie Denken erst begann und Wesen fremder Art Der Seele Werkzeug sind; wie sich die weiten Kreise Der anfangslosen Dauer gehemmt in ihrer Reise, Und ewig ward zur Zeit; und wie ihr seichter Fluß Im Meer der Ewigkeit sich einst verlieren muß: Das soll ich nicht verstehn und kein Geschöpfe fragen: Es möge sich mein Feind mit solchem Vorwitz plagen! 28

So verwirft Haller noch all jene Fragen, für die Wielands Natur der Dinge einige Jahre später lehrreiche oder unterhaltsame Antworten vorstellen wird. Wenn dann Wieland Haller mit den folgenden Versen scheinbar zustimmend zitiert: Betrogne Sterbliche! vom unbegrenzten All Seht ihr den äußern Rand, die Schale, nicht einmal; Und doch rühmt ihr getrost der Dinge Herz zu kennen (11,191-193),

dann gerade nicht, um dem Hallerschen Demutstopos einen weiteren hinzuzufügen, 29 sondern um gegen die Ansicht des Lukrez und der Materialisten dafür zu argumentieren, daß Seele und Geist unabhängig von der »Schale« des natürlichen Stoffs existieren können. Das Zitat der Hallerschen Erkenntniskritik dient nicht dem Nachweis der Sinnlosigkeit, »der Dinge Herz zu kennen«, sondern vielmehr dazu, die sinnliche Schranke des bloßen Augenscheins zu überwinden und Einsicht in die wahre innere Natur empfindender Wesen zu nehmen. 27

28 29

Albrecht v. Haller, Gedanken über Vernunft, Aberglauben und Unglauben (1729), zitiert nach: Die Alpen . . . , Verse 30if. Ebd., Verse 3 1 3 - 3 2 4 . So L. L. Albertsen, Das Lehrgedicht. Eine Geschichte der antikisierenden Sachepik in der neueren deutschen Literatur, Aarhus 1967, S. 322. Dies gilt auch für weitere Parallelstellen in der Natur der Dinge, etwa (111,229 — 254) oder (111,627-642), in denen zunächst die Unendlichkeit und Unergründlichkeit des allein von Gott zu übersehenden Alls hervorgehoben wird, um dann aus diesem Um-

182

Der eschatologische Horizont bildet nicht länger die unüberwindbare Grenze, hinter dem erst mit Hallers Worten »Gottes Sonnen-Licht durch unsre Dämmrung fällt«, sondern dieser wird in das Lehrgedicht selbst eingezogen. An Beginn und Ende der Natur der Dinge klammern Hinweise auf die erneuerte Schöpfung die Dichtung gewissermaßen ein. So schließt das letzte, sechste Buch mit der Vision vom Ende der Zeit: Die Erden, die sich jetzt zum fernen Tode drehn, Die werden glänzender aus ihrer Asche gehn, Wie nach durchstürmter Nacht, wenn Nord und Regen schweiget, Die Welt Auroren sich in neuer Schöne zeiget. (VI.4I ι - 4 1 4 )

Demgegenüber führt das erste Buch auf eine neue Welt, die als solche nicht »aus ihrer Asche« erstanden ist, sondern sich einer sensibilisierten Wahrnehmung »in neuer Schöne« offenbart: Komm, Klio, welche stets der Wahrheit Freundinn war, Stell du ihr himmlisch Bild entzückten Augen dar; Komm, mal an meiner Statt, dein Pinsel kann nicht trügen, Die reizendste Gestalt mit ungeschminkten Zügen. So rührt sie auch den Blick, den der Gewohnheit Nacht Und der Begierden Wuth empfindungslos gemacht. Wie, wenn [...] Ein Wandrer, den, ermüdt, ein sanftgeblähtes Moos In einem dunklen Busch, und Morpheus Arm umschloß, Vom Licht erweckt, sich rührt; er reibt die Augenlieder, Der Morgen hebt sie auf, der Schlummer schlägt sie nieder, [...] Doch endlich streckt er sich, und Traum und Schlaf verschwinden; Der nahe Tag grüßt ihn, das aufgewachte Feld Lacht ihm ermunternd zu, ihn blickt das Aug der Welt Mit sanften Freuden an; von neuer Lust entzücket, Wird eine neue Welt ihm, wie er glaubt, erblicket: So wird der träge Sinn, der mehr empfindt als denkt, Und jetzt in engen Kreis sein trübes Auge schränkt, Des alten Schlummers frey, durch mein Gedicht entzündet. (1,19-41)

Die Lehre von der Natur der Dinge führt sich als Wahrnehmungsübung ein, mit der ein durch die »Gewohnheit« »träge« gewordener »Sinn« neu »entzündet« werden soll. Das Thema der Erweckung, das diese Verse in einigen Variationen des homo-viator-Motivs durchspielen, läßt dabei mit seinen christlichen Assoziationen ebenso an Heilige Poesie denken wie der sprachkritische Akzent auf den »ungeschminkten Zügen«, die diesem Gedicht seine Wahrheit als »reizendste stand ein Argument für den eigenen spekulativen Piatonismus abzuleiten. Keinesfalls »kulminiert« hier »der Gedanke von der fehlenden Kraft der Vernunft«, Albertsen, Das Lehrgedicht..., S. 325. 183

Gestalt« verbürgen wollen. Vor allem aber deutet sich mit diesen Versen an, daß der Aufschwung, zu dem das Gedicht stimulieren will, mit dem »Wandrer« auch die neu belebte Natur selbst in Bewegung versetzt. Wie das »himmlisch Bild« der Wahrheit den »Wandrer« aus »Moos« und »dunklen Busch« erhebt, ihn »Morpheus Arm« entreißt und auf »das aufgewachte Feld« führt, das den Ausblick auf die »neue Welt« gewährt, so bleibt auch die Natur selbst nach der Vorstellung des Lehrdichters nicht, was sie ist, sondern in statu viatorum in steigender Bewegung, um sich »glänzender« (VI,412) zu immer größerer Vollkommenheit zu erheben. Aus dieser bewegten Natur eine weise geordnete Heilsgeschichte werden zu lassen ist die Absicht, welche Die Natur der Dinge gegen den zufallsgesteuerten Atomismus des Lukrez verfolgt. Die Leibnizsche Metaphysik und die Platonische Seelenlehre, die insbesondere Wielands Lehrgedicht inspirieren, sind für eine solche poetische Spekulation besonders geeignet, weil sie den Kosmos und die Seele in ständiger, aber vor allem in gerichteter Bewegung begriffen vorstellen. Und eben diese wirkende Kraft, die die Ursache der harmonischen Bewegung ist, heißt in der Wieland vertrauten Terminologie der Leibniz-Wolffschen Schule die »Natur der Dinge«. 31 So führt schon die getreue Übersetzung des Lukrez-Titels De rerum natura in die Diskussion kosmologischer Argumente.

Beseelte Ordnung Auff das Gott sey alles in allen. (1.Kor. 15:28)

Wieland gibt Die Natur der Dinge nicht unkommentiert zu lesen. Umfangreiche Vorläufige Anmerkungen über die vollkommenste Welt, von welcher dieses Lehrgedicht ein Entwurf ist leiten seine poetische Naturlehre ein, die deren dogmatischen Gehalt rechtfertigen und über die Absichten ihres Autors orientieren sollen. Bey dem Lehrbegriff, welchen ich hier, in Verse eingekleidet, der Welt übergebe, war mein Hauptabsehen, die vollkommenste Welt welche möglich ist zu schildern, und zu zeigen, daß diejenige, von welcher wir einen sehr unansehnlichen Theil inne haben, eben nach diesem vollkommensten Grundriß gebauet sey [...] In der vollkommensten Welt, welche ich schildre, sind alle mögliche Verschiedenheiten, und sie sind doch alle auf das vollkommenste übereinstimmig. Hin Zweck, eine Endursache rufet sie und verbindet sie in Einem. Majestät, Einfalt, Schönheit, Harmonie, und dieses alles im möglichst höchsten Grade, dieses ist die Seele meiner Welt.' 2

32

Christian Wolff, Deutsche Metaphysik, § 629. Johann Christoph Gottsched, Erste Gründe Der Gesamten Weltweisheit ( ' 1 7 3 3 - 1 7 3 4 ) , Teil I, § 3 1 7 , und Zedlers Universal-Lexicon, Art. »Natur der Dinge«, befassen sich in einzelnen Einträgen mit dem Begriff. Christoph Martin Wieland, Vorläufige Anmerkungen Uber die vollkommenste Welt, von welcher dieses Lehrgedicht ein Entwurf ist, Gesammelte Schriften, Bd. I . i , S. 5.

184

Unübersehbar hat Leibniz' Théodicée hier den Plan zur poetischen Imagination einer »vollkommensten Welt« vorgezeichnet, die sich über die beste verwirklichte Welt noch erheben will, insofern sie die in der vollkommenen Harmonie angelegten unendlichen Möglichkeiten in ihre Spekulation mit einzubeziehen trachtet. Darum folgt Wielands Entwurf nicht allein Leibniz, dem »Piaton unsrer Zeit« (111,518), sondern Plato selbst, dessen erfüllter Kosmos dem funktionalen Vollkommenheitsbegriff der Rationalisten Substanz verleihen kann. 3 3 Die poetische Verwirklichung des Möglichen soll ein Vergnügen an der Unendlichkeit befördern, das mit deren rationalistisch abstrakter, mathematischer Formulierung schwierig geworden war. In diesem Sinn läßt sich Die Natur der Dinge im zeitgenössischen Zusammenhang als eine ästhetische Konkretion >formaler Vollkommenheit« verstehen. 34 In der Terminologie der Baumgartenschen Dissertation sind es >heterokosmische Erdichtungen«, mit denen der Lehrdichter den horror vacui der von Epikur bzw. Lukrez vorgestellten Idee eines absolut leeren Raums abwehren will. Gegen diesen hatte schon die Leibnizsche Metaphysik argumentiert, der hier nun die Einbildungskraft des Dichters beispringen will. Mit neuen Welten soll empfindbar ausgemalt werden, was sich eigentlich der anschaulichen Vorstellung entzieht. 3 5 Einer solchen Beseelung des Kosmos, die gegen die drohende Leere eines unendlichen Raums von der Allgegenwart des Schöpfers überzeugen will, hat sich das Lehrgedicht über Die Natur der Dinge verschrieben, und darum wird die Empfindungsfähigkeit zu deren Signatur: G o t t ist ein empfindendes Wesen; es müssen demnach alle einzelne Substanzen, welche Bilder der Gottheit sind, zur Empfindung geschickt seyn.' 6

Aus diesem Zusammenhang erklärt sich, warum Wieland in seinem Lehrgedicht über den Erweis einer vollkommenen kosmischen Ordnung hinaus dem 33

Entsprechend 1 , 7 6 4 - 7 6 9 : »Im ewigen Verstand der göttlichen Natur Schwebt ein unendlich Bild der ganzen Creatur, Von allen Schatten frey. Hier stehn in langen Reihen Die Wesen, welche sich der Möglichkeit erfreuen. Unendlich ist die Schaar, die ihren Platz hier hat, U n d , von dem öden Nichts, sich bis zur Gottheit naht.«

34

Z u den Begriffen >formaler< und >materialer Vollkommenheit« siehe oben, S. 2 7 .

35

A . G . Baumgarten, Meditationes ..., con, Art. »Raum (leerer)«.

36

Wieland, Vorläufige Anmerkungen . . . , S. 7. So will das Lehrgedicht durch die Erweiterung des Vorstellungshorizontes seiner Leser auch deren Empfindungskraft anregen, ebd., S. 8: »Welch ein unendliches Feld zu den angenehmsten Betrachtungen für einen Weltweisen? Ich werde itzo nur einige Schritte in demselben thun, theils weil dieses zu meinem Vorhaben hinlänglich ist, theils um meinen Lesern das Vergnügen zu lassen, die zarte Wollust zu empfinden, welche uns dergleichen Ueberlegungen machen, wenn wir sie aus uns selbst zeugen.«

§§ L l l f f . V g l . hierzu auch Zedlers

Universal-Lexi-

185

Schöpfungs- und Erhaltungsgedanken gegenüber dessen orthodoxer Herkunft eine neue Bedeutung zukommen läßt. Die Liebenswürdigkeit der Schöpfung resultiert nicht allein, wie Leibniz Schloß, aus der rationalen Einsicht in ihre harmonische Konstruktion; sondern ihre empfindsame Präsentation scheint in gewisser Weise eine Repersonalisierung zu verlangen, mit der die >Natur der Dinge< einem souveränen Urheber zugeschrieben werden kann, der sich als machtvolles, gleichwohl »empfindendes und verständiges Wesen« 3 7 vorstellen läßt. Im Hinblick auf Lukrez gilt es nun jedoch zunächst, die planvolle Ordnung des Kosmos überhaupt zu verteidigen. 38 Eben diese bestritt das antike Lehrgedicht des Lukrez mit der den neuzeitlichen Aufklärer provozierenden These, daß die Natur als eine atomare Konstellation vorzustellen sei, deren Gestalten zufällig entsprungen und nicht nach dem fürsorgenden Plan einer göttlichen Vorsehung gebildet worden seien. So erschien in De rerum natura schließlich nicht nur das Entstehen, sondern auch das Vergehen der Welt als eine allein vom Zufall bestimmte Zirkelstruktur, die nicht auf einen höheren, ihr transzendenten Sinn verwies. 39 Insofern nun aber Lukrez nicht eine Ordnung der Natur, sondern allein deren gütige - eben >heilige< — Einrichtung bestreitet, ist gegen ihn nicht die Naturordnung an sich, sondern die Naturordnung als eine Heilsordnung zu erweisen: Die Gottheit kennst du nicht, so nah ihr Stral dir ist, Der, segnend, durch den R a u m des Ungemeßnen fließt. Aus Stäubchen ohne Sinn, gefügt von innrer Regung, Baust du die schönste Welt durch schwärmende Bewegung, Und machst aus jenem Geist, der alle K r a f t gebiert, Ein träges Schattenbild, das kaum sich selber rührt. (1,179-184)

Gegen die Götter des Lukrez, die sich in genügsamer Seligkeit zurückgezogen in den >Intermundien< einer mühelosen Ruhe hingeben, deren Seelenfrieden für die Jünger Epikurs vorbildlich ist, 4 0 setzt Wieland die organisierte Bewegung. Nicht als »träges Schattenbild, das kaum sich selber rührt«, sondern als »Geist, der alle Kraft gebiert«, ist die Natur der Dinge auf einen lebhaften Beweger zurückzuführen, dessen wichtigste Auszeichnung Weisheit ist. 41 " E b d . , S. 6.

58

Zum Folgenden vgl. vor allem M. Hacker, Anthropologische und kosmologische utopien. Christoph Martin Wielands »Natur der Dinge«, Würzburg 1989.

39

V g l . Lukrez, De rerum

40 41

natura,

Ordnungs-

1 , 1 0 2 i f f . und I I , i i 4 4 f f .

Vgl. Lukrez, De rerum natura, VI,68ff. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich die Attraktivität des Stoizismus für Wieland, insofern sich mit ihm die vollkommene Ordnung kosmologischer Stabilität und ein diese abbildendes Ethos der Weisheit verbinden lassen. Die Natur der Dinge können in dieser Hinsicht auch als eine Neuauflage von De natura deorum - der Auseinandersetzung Ciceros mit dem Epikureismus - gelesen werden. Ciceros De natura deorum

186

N i c h t weniger als der Lukrezische Mangel an Ordnungssinn bedroht dessen Widerpart, die Steigerung der geordneten N a t u r der Dinge zur strikten N o t w e n digkeit, den Bewegungsspielraum für die vorgestellte weise Absicht in Wielands »vollkommenster Welt welche möglich ist«. Die Idee einer streng determinierten Naturordnung, die in unterschiedlichen Graden der zeitgenössische Deismus nachhaltig vertrat, Schloß die Schöpfungsvorstellung zwar nicht aus, überließ im weiteren aber die N a t u r der Dinge gleichsam sich selbst. Die Konstruktion der N a t u r als Maschine, die ihren Schöpfer zum Zuschauer werden läßt, führt Wieland seinen Lesern in ihrer berüchtigsten Version in Gestalt des Spinozismus vor ( L 2 8 3 - 3 4 0 ) . 4 2 Z u r »Schande seiner Z e i t « ( 1 , 2 8 3 ) gerät dieser vor allem, so der Lehrdichter, weil die ewig unveränderte Einrichtung der Welt deren Entwicklungsfähigkeit zu höherer Vollkommenheit ausschließt, so daß ihre »verschiednen Grad von Häßlichkeit« (1,308) für die E w i g k e i t bestehen bleiben. Die immer wiederkehrende Figur in Wielands Versuch, die weise Ordnung der Welt gegen ihre chaotische oder deterministische Entstellung zu belegen, ist darum nicht ohne G r u n d die des Künstlers. Gegen den »blinden Fall« ( 1 , 2 3 1 ) wie gegen den »Maschinentrieb« (1,267) kann die vollkommenste Welt nur aus »weisem Wählen« (1,265) hervorgegangen sein. Denn die N a t u r an sich bildet nach der Uberzeugung des Dichters kein »Werk« von Bestand aus eigener Kraft: Wenn hat der Sturm versucht den sterbenden Gefilden In Zara, Florens Pracht zephyrisch anzubilden? Wenn er mit toller Wuth in holen Wüsten zischt, Den Sand zum Meere machc, und Erd und Himmel mischt. Wenn hat sein Blasen je im Staub, mit dem er spielet, Ein Werk, das deinem gleicht, o Phidias, erwühlet? (1,213-218)·« war Wieland wohlvertraut, im Schulheft aus Klosterberge von 1 7 4 8 finden sich Übersetzungen ausgewählter Passagen. Vgl. Wieland, Gesammelte Schriften, Bd. III.4, S. 6 8 3 - 6 8 5 . Nachweise zur Stoa-Rezeption Wielands bei M. Doell, Wieland und die Antike. Beitrag zur Geschichte der Entwicklung der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert, München 1896. 42

Dessen theologische Brisanz dokumentierte in einem umfangreichen Eintrag das Dictionnaire historique et critique ( 1 7 0 4 ) Pierre Bayles. In der deutschen Ubersetzung trug der Herausgeber J.Chr. Gottsched dazu noch die kritischen Entgegnungen Leibniz' zu den weitreichenden Zugeständnissen Bayles gegenüber Spinoza nach, Pierre Bayle, Historisches und Crittsches Wörterbuch. Nach der neuesten Auflage von IJ40 ins Deutsche übersetzt ... von Johann Christoph Gottsched, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1 7 4 1 — 1 7 4 4 , Hildesheim und New York 1 9 7 4 - 1 9 7 8 , Art. »Spinoza«.

43

Oder 1 , 3 2 5 - 3 2 8 : »Wird auch aus eigner Kraft ein träger Baum sich zimmern? Kann ohne Phöbus Glanz Aurorens Purpur schimmern? Schmückt sich wohl von sich selbst und ohne Titans Stral, Der alle Saamen zeugt, das bluhmenreiche Thal?«

187

Doch diese Analogie, die der Natur einen weisen Schöpfer erhalten soll, belebt auch ein altes Problem neu. Wie Leibniz schon in der Theodicée im Zusammenhang der Erörterung der Willensfreiheit den Topos vom homo alter deus mit der Formulierung aufgegriffen hatte, daß der Mensch »gleichsam ein kleiner Gott in seiner eigenen Welt« sei, die »er nach seiner Weise regiert: er schafft zuweilen Wunderwerke darin, und oft ahmt seine Kunst die Natur nach«, 44 so bleibt damit doch zunächst offen, was den göttlichen vom menschlichen Künstler unterscheidet. Leibniz leitete deren Differenz aus der Feinsinnigkeit der Verknüpfung ab, die einem endlichen Geist nur unvollkommen, einem göttlichen unendlichen Geist jedoch auf vollkommene Weise mit unendlicher Regelhaftigkeit gelingen kann. 4 5 Wieland dagegen neigt eher einer orthodoxen Lösung dieser Schwierigkeit zu, die den Schöpfungsbegriff über die - im übrigen ebenfalls von Lukrez attackierte 46 - Idee der creatio ex nibilo differenziert: Wenn durch empfangnen Trieb ein reges Uhrwerk geht, So gleich kann es die Hand, die es gebaut, entbehren, Und wird durch eigne K r a f t die Räder zirkeln lehren. So schließt die Phantasie, was schon geschaffen sey, Besteh nun durch sich selbst, von fremdem Beystand frey. Doch läßt ihr Gleichniß sich wohl auf den Schöpfer wenden? Der Künstler giebt dem Stoff, der unter seinen Händen Mit fremder Schönheit reizt, die ihm Cassandra leiht, N u r eine neue Art der vorgen Wirklichkeit. Er schuf ihn nicht aus Nichts: Allein, die K r a f t der Wesen Kann nie sich von der Hand des ewgen Schöpfers lösen; [...] (11,96-106)

Im Kontrast zu Christian Wolffs umstrittenem Beispiel aus dem § 1 5 2 der Deutschen Metaphysik, das die Definition der Vollkommenheit als geordnete Z u sammenstimmung einzelner Teile zu einem Zweck mit einem präzise gefügten Uhrwerk veranschaulicht hatte, weist Wieland — wie die gegenüber dem Wolffianismus

kritisch eingestellten Theologen seiner Zeit sensibel für den Eigen-

sinn dieses Beispiels im Hinblick auf die Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung — nachdrücklich auf die Notwendigkeit der kraftverleihenden Erhaltung des perfekt konstruierten Werkes hin. Das Bekenntnis zur lutherischen Lehre von der creatio contìnua - nach der auch die Dauer der aus dem Nichts geschaffenen Welt nicht garantiert, sondern diese kontinuierlich auf die erhaltende Gnade ihres göttlichen Schöpfers angewiesen ist — überläßt dem irdischen »Künstler« im Unterschied zum »ewgen Schöpfer« nur die Form der 44

G . W. Leibniz, Theodicée ...,

45

V g l . oben, ahmung der 10 (1957), Lukrez, De

46

188

§ 147.

S. 2of.; zum Problemzusammenhang im ganzen Hans Blumenberg, NachNatur. Zur Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen, Studium Generale S. 266 — 2 8 3 . rerum natura, I,i46ff.

Welt: Gegenüber der göttlichen Ursprungsmacht gelingt ihm nur, dem Stoff »eine neue Art der vorgen Wirklichkeit« zu verleihen, die gleichwohl »nie sich von der Hand des ewgen Schöpfers lösen« kann. 47 Diese traditionelle Differenzierung paßt in zweierlei Hinsicht gut zu Wielands Absicht, die Heiligkeit der Schöpfung zu entwickeln. Z u m einen bindet die Vorstellung einer über die creatio hinaus notwendigen conservatio den Schöpfer als »empfindendes und verständiges Wesen« aktuell an seine Schöpfung, deren Fortdauer zum Beleg der guten Absicht dienen kann. Wie die Vorstellung einer Weisheit, die aus Allmacht herrührt, wenn auch nicht unbedingt für einen leibnizschen Philosophen, so doch für einen am Erstaunen interessierten Poeten ihre Bewunderung fördert, so kann die absolute Souveränität des Schöpfers über sein Werk auch dessen Liebenswürdigkeit steigern. Z u m anderen hält der Gedanke der Erhaltung die Endlichkeit der Schöpfung bewußt, die für Die Natur der Dinge einen neuen Horizont des Möglichkeitssinns eröffnet. Denn mit der Endlichkeit der einen Welt lassen sich auch noch unverwirklichte, unendliche Möglichkeiten neu auf- und wieder untergehender vielzähliger Welten imaginieren, wodurch schließlich auch der Poet nicht nur zum Schöpfer, sondern ebenso zum — mehr oder weniger gnädigen — conservator wird. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang auch Georg Friedrich Meiers ästhetische Übertragung der creatio und conservaría auf die Funktionsweise der Einbildungskraft, die er in den Anfangsgründen aller schönen Wissenschaften vorträgt: Ich will [ . . . ] nur jetzo bemerken, daß die Einbildungskraft dasjenige Vermögen sey, welches alle unsere Vorstellungen erhält und fortdaurend macht. Gleichwie durch die Schöpfung GOttes alle Creaturen ihren Anfang genommen haben, und durch die Erhaltung ihre Fortdauer bekommen; so kan man sagen, daß alle unsere Vorstellungen den Sinnen ihren ersten Ursprung zu danken haben, und daß sie durch die Einbildungskraft erhalten werden, und ihre Fortdauer bekommen."* 8

Die orthodoxe Konsequenz, mit der Angewiesenheit der Schöpfung auf ihre beständige Erhaltung auch die selbständige Kreatur an sich gering zu schätzen, zieht Wieland jedoch nicht. Vielmehr erscheint ihm diese, Leibniz folgend, als ein »Spiegel« göttlicher Weisheit und Güte. Insofern ist es kein Zufall, daß zu Beginn des fünften Buchs der Natur der Dinge, welches sich mit der Körperwelt beschäftigt, die eingeführte Differenz zwischen irdischem und göttlichem Schöpfer wieder zurückgenommen und Phidias, der griechische Meisterbildhauer, nun dem »Urgrund aller Welten« gleichgestellt wird.

47

Z u r neutralisierenden Umformulierung der creatio continua nach Leibniz in ein die Beständigkeit der vollkommenen Ordnung sicherndes »Gesetz der Weisheit«, vgl. etwa Théodice'e · · · , § § } 8 8 f f . — Wieland überzeugte sie indes nicht: »Kein Leibniz selbst begreift, wie Gott die Welt / In ewger Wirklichkeit unmittelbar erhält.« (1,485^)

48

G . Fr. Meier, Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Bd. II, § 3 7 1 .

189

Wie Phidias den Stein, der Paros Spitzen weißt, Den ungeformten Stein, zur Venus werden heißt, Der Stoff liegt vor ihm da und wartet auf das Leben, Das, m i t dädalscher Hand, der Künstler ihm wird geben; Er aber baut aus ihm das schönste Meisterstück; Und Cypria strait recht aus ihres Bildes Blick: So gab der höchste Geist, der Urgrund aller Welten, Dem All die beste Form; es floh vor seinen Schelten Das Chaos schüchtern hin, er streute seinen Schein Und O r d n u n g und Verstand dem Stoff der Dinge ein. Welch eine Schönheit glänzt in allen seinen Reichen! [···] Wie strait die Creatur vom mitgetheilten Lichte! Wie schmückt sie nicht das Bild vom göttlichen Gesichte! Wie malt, was, ohne ihn, dem Nichts sein Hoffen gab, So prächtig seinen Gott in hellen Spiegeln ab! (V,l —18)

Die Analogie, nach welcher der »höchste Geist« wie Phidias dem All seine Form gegeben hat, bindet Schöpfung und Schöpfer durch »Ordnung und Verstand« wechselseitig aneinander. Wie »die Creatur vom mitgetheilten Lichte« beschienen wird, so »schmückt« sie ihrerseits »das Bild vom göttlichen Gesichte«, in dem das schöne Werk die Weisheit seines Werkmeisters offenbart. Doch die Spiegelmetapher führt in Wielands Lehrgedicht über Die Natur der Dinge auch in eine Tradition zurück, die der Leibniz-Wölfische Rationalismus in gewisser Hinsicht gerade überwinden wollte. Im Neuplatonismus nämlich erschien - nach Piatons Abbildtheorie - die materielle Welt als ein Spiegel des göttlichen Angesichts, aber als ein solcher, der in äußerster Entfernung zu diesem aufgestellt war. 49 Die Ambivalenz, die sich aus dieser mit ihrer Relativierung gleichermaßen einhergehenden Aufwertung der sichtbaren Natur als Spiegelbild Gottes entwickeln läßt, spielt der Platoniker Wieland mit dem in den Vorläufigen Anmerkungen angekündigten »Hauptabsehen, die vollkommenste Welt welche möglich ist zu schildern«, auf vielfältige Weise durch. Schon im ersten Buch der Natur der Dinge, das den vorurteilsfreien, aufgeklärten Blick auf die irdische Natur lenken will, findet sich dafür die pointierte Formel: Die Welt, die meinem Blick kaum ihre Schale weist, Erhält sich durch die Kraft vom allerhöchsten Geist; Zu schlecht, die Wirklichkeit im eignen Seyn zu finden, Zu schön, von ungefähr sich aus dem Nichts zu winden. (1,155-15«)

19

Vgl. Marsilio Ficino, Über die Liebe oder Platons Gastmahl, lat./dt., übers, v. K. P. Hasse, hrsg. v. P . R . Blum, Hamburg ' 1 9 9 4 , Kap. 4. Zur Spiegelmetaphorik bei Leibniz siehe oben, S. 19.

190

Weil die Natur der Welt ein ähnliches und ein unähnliches Zeugnis ihres Schöpfers ist, kann sie sich bei ihrer wahrnehmbaren Schönheit nicht beruhigen. Vielmehr klafft zwischen zukünftiger »Wirklichkeit« und gegenwärtigem »Seyn« eine Lücke, die den Kosmos in Bewegung hält. Doch dessen Telos verwirklicht keine Revolution der Naturverhältnisse am Ende der Zeit, sondern seine Vervollkommnung ist als Natur- und Heilsgeschichte in die Zeit einer ganz anderen creatio continua hineinverlegt: Die Welt fließt ohne End in neue Formen ein, Kein Zeitpunct sieht sie gleich. Selbst Sonnen, deren Schein Uns jetzt den Tag gewährt, und die die Nacht durchglänzen, Fand eine ältre Zeit noch nicht in diesen Gränzen. Ein alter Himmel wich, da noch umwölkt und schwach, Ihr kaum gebohrnes Licht aus seiner Rinde brach: Und, o! wie lang währts wohl, daß sie noch stralend blühen, So werden sie, erblaßt, vor neuen Himmeln fliehen! (V,251-258)

Die N a t u r der Dinge treibt über ihre »Gränzen« hinaus, und dementsprechend bewegt, präsentiert der Lehrdichter seinen Kosmos. Schon Klopstock hatte im Messias die kopernikanische Abkehr vom geozentrischen Weltgebäude des ptolemäischen Systems poetisch inszeniert. Doch war dort dem Thema des Messias gemäß die Vorstellung der vielen Welten des kopernikanischen Kosmos noch dem messianischen Geschehen auf der einen, durch den Ort der Passion ausgezeichneten Erde untergeordnet und auf die triumphale Vollendung der Heilsordnung im Jüngsten Gericht am Schluß des Epos ausgerichtet. Wieland interessiert sich dagegen für die mannigfaltige Apokalypse. Der neue Himmel und die neue Erde stehen nicht mehr am Ende einer linearen christlichen Heilsgeschichte, sondern gehen in die Fülle einer formenreich belebten Naturordnung ein. Doch um diese vielfältige Auf- und Abbewegung der imaginierten Welten nicht zu einem mythischen Kreislauf werden zu lassen — derart, wie ihn Lukrez mit dem zu erwartenden zufälligen Untergang der Erde vorgestellt hatte, wenn sich die atomaren Konstellationen lösen würden, um sich wieder zu neuen Formen zu verbinden —, m u ß sich auch diese kosmische Dynamik einem weisen »Gesetz« unterstellen: Der Tod, der alles wendt, und bauet im Zerstören, Dieß ewige Gesetz, der Wesen steter Lauf, Löst die Verwirrung uns von größern Scenen auf. Dem rauchenden Planet, verlöschenden Titanen Muß, wie dem Thier, der Tod den Weg zum Steigen bahnen. (V,574-578) Und dieses Uebel wirkt ein sterbender Planet, Der, ob er uns gleich irrt, doch nach Gesetzen geht, Die ihm sein Schöpfer gab; und Welten dort zertrümmert, Da eine andre hier, durch ihn verschönert, schimmert

[...]

(V,633-636)

191

Dieß Schicksal gab dem Stern, der unsre Schalen erbet, Die Schönheit, welche schon verblühend sich entfärbet; Vielleicht daß er vorher in einem andern Land Des Unermeßlichen, Aeonen durchgebrannt. Sein Ende naht zuletzt, er weicht aus seinen Gleisen, Und schweifet manches J a h r in regellosen Kreisen, Bis der getrennte Geist zu andern H i m m e l n fährt.

(V,643-649) Die christliche Alternative von >alter< und >neuer< Schöpfung bildet Wieland so zu einer Theodizee nach platonischem Muster um, in ein Stufenmodell kontinuierlichen Aufschwungs des Geistes »zu andern Himmeln«. 5 0 Daß sich mit dieser Überbietung des Jüngsten Gerichts durch seine Vervielfältigung in der permanenten Umgestaltung der Natur auch dessen Strafcharakter zu einer Funktion der Perfektion der Schöpfung im ganzen verwandelt, ist ein nicht unbedeutender Nebeneffekt. Denn Wieland will nicht nur zeigen, wie eine Ordnung, die »bauet im Zerstören« (V,574), sich zu einer schöneren Form entwickelt, sondern will seine Leser auch von deren Heiligkeit überzeugen. Darum ist das sechste und letzte Buch des Lehrgedichts dem Thema der Glückseligkeit gewidmet.

Poetische Kosmologie nach Orígenes Die Natur der Dinge bewegt der Wille zur Glückseligkeit. Die »vollkommenste Welt welche möglich ist« strebt auf eine Vollendung zu, die die geschaffenen Seelen schließlich von aller Disharmonie geläutert zu ihrem Schöpfer zurückkehren läßt: Und führt der Wesen Schaar, von Mängeln endlich rein, Durch den bequemsten Weg in Schooß der Gottheit ein. (I,788f.)

Die vollkommene Heiligkeit des Schöpfungsplans offenbart sich nun darin, daß er keine Seele verloren gibt. Wie schon in Klopstocks Messias die Erlösung des gefallenen Engels Abbadonaa zu einem Exempel der heiligen Harmonie wird, mit dem die Güte über die endgültige Entzweiung triumphiert, so ist auch in der Natur der Dinge die Lösung des theologisch-dogmatischen Problems, ob die Sünder auf ewig verworfen seien oder ob einst mit deren Begnadigung zu rechnen sei, der Probierstein auf die durchgängige Ordnung der Welt und auf die vollkommene Weisheit ihres Schöpfers.

50

Das Motiv der >Kette der Wesen< in Die Natur der Dinge — siehe 1 , 1 3 7 f r . , I I I , 7 4 3 f f . , pass. - , das diesen Aufschwung ins Bild bringt, erläutert M. Hacker, Anthropologische und kosmologische Ordnungsutopien ..., S. I 9 f f .

192

D i e »bekannte Hypothese des Origines« hierzu ist die schon bald als Häresie verworfene Lehre von der >ApokatastasisVollendung< 111,6,iff. Zur Rezeption der Apokatastasis-Lehre in der deutschen Aufklärungstheologie vgl. K. Aner, Die Theologie der Lessingzeit (1929), Nachdruck, Hildesheim 1964, S. 27off., und darüber hinaus E. Benz, Der Mensch und die Sympathie aller Dinge am Ende der Zeiten, Eranos-Jahrbuch 24 (1955), S. 133 — 197. 52 Wieland, Die Natur der Dinge, »Inhalt des Sechsten Buchs«, Gesammelte Schriften, Bd. I . i , S. 1 1 7 . 53 Gottfried Arnolds Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie Von Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1729, S. I02ff. 5

193

Die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge [...] ist nicht nur ungegründet, [...] sondern auch in der That sehr gefährlich. Denn damit legt man ein Polster der Sicherheit unter die Arme der gottlosen und rohen Welt-Kinder. 5 ' 4 Vor allem jedoch war die »bekannte Hypothese des Origines« durch den theologisch nicht minder umstrittenen Johann Wilhelm Petersen wieder ins G e spräch gebracht worden. Petersen vertrat in seiner mehrteiligen Abhandlung Mysterion apokatastaseos panton ( 1 7 0 0 ) 5 5 offensiv die Lehre von der Allversöhnung der Schöpfung am Ende der Zeit und wandte sich darum auch entschieden gegen die E w i g k e i t der Höllenstrafen. D i e Darstellung der Lehren des Orígenes nahm dabei breiten Raum ein. I m Gegensatz zu dem »Ertz Kätzer« Marcion, der die immerwährende Eigenständigkeit des luciferischen Prinzips angenommen habe, 5 '' sei, so Petersen, von Orígenes zu lernen, daß das Böse und m i t ihm die Sünde nicht ewig, sondern endlich sei: Wan denn die Sünde und das Böse keine ewige Wurtzel noch Anfang hat [...] so wird sie auch [ . . . ] nicht ewig währen [...] und das Geschöpffe / das zerfallen war / durch den allgemeinen Wiederbringer und Erlöser JEsum Christum wieder ergäntzet / restituiret / und wieder hergesteilet werden in den Stand / da es war / als die Sünde noch nicht war. 57 Insofern nun die A b k e h r von Gott mit dem Sündenfall als Ausdruck der unbeschränkten Willensfreiheit des Menschen verstanden werden muß, liegt nach aufgeklärtem Umkehrschluß auch der Aufstieg zu ihm im Vermögen der Kreatur — bis schließlich das ewige Bleiben aller G u t e n in G o t t das Schöpfungswerk

54

Johann Georg Walch, Historische und Theologische Einleitung in die Religions-Streitigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirchen, von der Reformation an bis auf jetzige Zeiten, Nachdruck der Ausgabe Jena 1730—1739, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1972—1985, Bd. III, S. 345, zu G. Arnolds Kirchen- und Ketzter-Historie im besonderen, Bd. II, S. 687ff. Vgl. auch die Darstellung bei Pierre Bayle, Historisches und Critisches Wörterbuch, Art. »Orígenes«, und den anschließenden Kommentar Gottscheds zur Apokatastasis-Rezeption in Deutschland.

55

Deren Titelblatt bereits das Programm zur Gänze fixiert: Mysterion apokatastaseos panton. Das ist: Das Geheimniß Der Wiederbringung aller Dinge / Darinnen In einer Unterredung zwischen PHILALETHAM und AGATHOPHILUM gelehret wird / Wie das Böse und die Sünde l Die keine Ewige Wurtzel hat / sondern in der Zeit geuhrständet ist / wiederum gäntzlich solle auffgehoben / und vernichtet; hergegen die Creaturen Gottes / Die nach seinem Willen das Wesen haben / doch eine jegliche in ihrer Ordnung / von der Sünde / und Straffe der Sünden / nach Verfliessung derer in der Göttlichen Oeconomie darzu bestimmten Perioden, und nach Außübung der Gerechtigkeit / krafft des ewigen Rath-Schlusses Gottes / durch JESUM CHRISTUM. Den Wiederbringer aller Dinge / Zum Lohe und Preiß seines herrlichen Namens / sollen befreyet und errettet werden / auff daß da bleibe Das Gute / Und Gott sey Alles in Allen / Offenbahret durch Einen Zeugen Gottes und seiner Warheit, Pamphilia [= Offenbach] 1700.

Ebd., Gespräch zwischen Philaletha und Agathophilo Von der Wiederbringung aller Dinge . . . , ι. Teil, S. 5 3 f r . " Ebd., S. 66. 56

194

vollendet. W i e Petersen getreu nach dem origenistischen Modell die allmähliche Perfektion in diesem Aufschwung der einzelnen Seele zu G o t t a n n i m m t , 5 8 so gilt dies auch für die Schöpfung als ganze. Darum: Wird also nicht eine Außtilgung des Himmels / und der Erden / und anderer Creaturen seyn / sondern eine Veränderung / Verneuerung / Läuterung und Verklährung derselben geschehen [ . . . ] 5 9 J . W. Petersens Wiederbringungs-Lehre zieht die theologische Konsequenz aus dem aufgeklärten Ordnungsdenken. Sie läßt die G ü t e der >höchsten Vollkommenhein universell werden. Kein Z u f a l l ist, daß Leibniz zwar einerseits in der Théodicée mit Petersen im Blick die Auffassung kritisiert, »daß das G u t e zu seiner Zeit in allem und überall die Oberhand gewinnen werde«, 6 0 jedoch an anderer Stelle unter dem Namen seines Sekretärs J o h a n n Georg Eckhart J . W. Petersens Mysterion apokatastasis panton einer ausführlichen, keineswegs kritischen Rezension w ü r d i g t . 6 1

Schließlich scheint auch Petersens

lateinisches

Versepos Uranias, qua Opera Dei Magna omnibus retro seculis et oeconomiis transactis usque ad Apocatastasin ... ( 1 7 2 0 ) , das sich die ganze Heilsgeschichte bis hin zur Allversöhnung zum T h e m a nimmt, von Leibniz angeregt zu sein, der m i t Petersen korrespondierte und das Manuskript der Uranias mit einigen Anmerkungen versah, die der Autor in der späteren Druckfassung berücksichtigte. Das Interesse und die N ä h e zu solch unorthodoxen theologischen Spekulationen, die Leibniz' privatim vertretene Äußerungen verraten, erklären sich vielleicht aus der Eigendynamik, die der Leibnizsche Vollkommenheitsbegriff universaler Harmonie entfalten kann. Tatsächlich läßt sich wohl nur aus der theologischen

Ebd., S. 179: »Denn ich glaube und bekenne / daß der Mensch / und die Creatur von Grad zu Grad immer herrlicher in die Verklärung auffsteigen werden [...]« 59 Ebd., S. 48. Zur Kritik Petersens vgl. J. G. Walch Historische und Theologische Einleitung . . . , Bd. II, S. 586fr. 60 G. W. Leibniz, Théodicée ..., § 17. Im gleichen Sinn auch die von Gotthold Ephraim Lessing erstmals veröffentlichte kritische Vorrede Leibniz' zu einer Abhandlung des Theologen Ernst Soner, die sich gegen die Ewigkeit der Höllenstrafen wandte, in welcher Leibniz die Gerechtigkeit unendlicher Bestrafung verteidigte, Leibniz von den ewigen Strafen (1773), in: G. E. Lessing, Werke, Bd. 7, München 1976, S. 1 7 1 - 1 9 7 . ( " G. W. Leibniz, [Rezension von] Wilhelm Petersen, »Mysterion apokastaseos panton, das ist, das Geheimniß der Wiederbringung aller Dinge...«, in: Monatlicher Auszug aus allerhand neue herausgegebenen, nützlichen und artigen Büchern, Hannover 1701, Deutsche Schriften, Bd. II, S. 342—347. Leibniz eingehender Beschäftigung mit der Apokatastasis wäre ein eigenes Kapitel zu widmen, erwähnt sei hier nur seine fragmentarische Abhandlung Apokatastasis (panton), welche die Wiederbringungslehre mathematisch beweisen will, in: M. Ettlinger, Leibniz als Geschichtsphilosoph, S. 27 — 34, mit zusätzlichen Dokumenten auch in: G. W. Leibniz, De l'Horizon de la Doctrine humaine. Apokatastasis panton (La Restitution universelle), ed. par M. Fichant, Paris 1991- Weiteres Material bei A. Pichler, Die Theologie des Leibniz aus sämtlichen gedruckten und vielen noch ungedruckten Quellen, Nachdruck der Ausgabe München 1879f-, 2 Bde., Hildesheim 1965, Bd. II, S. 414flf. 58

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Außenperspektive eines extramundanen Gottes die Perfektibilität und vollkommene Versöhnung des Schöpfungswerks für die Ewigkeit begrenzen, so daß, wenn schon nicht den Philosophen, so doch der poetischen Imagination die vollendete Vollkommenheit gestattet werden darf. 62 Damit darf denn auch in der »poetischen Cosmologie« Wielands mit dem sechsten Buch der Natur der Dinge die weise Ordnung ganz unverhüllt zur Allversöhnung streben. Klopstocks im fünften Gesang des Messias entworfene Vision eines Planeten, der nur von unschuldigen und dementsprechend unsterblichen Seelen bewohnt ist, »vollkommene Menschen, welche der göttliche Klopstock so liebenswürdig [...] schildert«, 6 ' ist darum mehr als ein motivisches Vorbild. Die »vollkommenste Welt welche möglich ist« verträgt keine Einschränkung der Glückseligkeit, welche den Trieb der Seelen zu ihrem Schöpfer hin unüberwindbar aufhielte. Dies zeigt sich insbesondere an der Rationalität der göttlichen Strafaktionen, mit der sich der gütige und allwissende Schöpfer als erfolgreicher Pädagoge bewährt: Glaubt nicht, daß ohne Huld die Gottheit strafen kann, Die Liebe bessert stets. Ein wüthender Tyrann Straft bloß um weh zu thun, G o t t züchtiget zu bessern, Und wird dem, den er straft, die Huld auch einst vergrößern; Er schaut die Wesen durch, und wieget die Natur, Die Kraft, den Geist, das Herz, von jeder Creatur, Und wie die Handlungen aus ihren Wesen fließen, Und sich als Wirkungen an ihre Ursach schließen, Die sich an andre reiht, und oft die Zwecke stört, Wornach, was ist und fühlt, der Schöpfer zielen lehrt. Dieß weis er, und dereinst wird seine Weisheit siegen, Und was sie schuf, wird froh in ihren Armen liegen. (VI, 3 2 1 - 3 3 2 )

Die vollkommene Heiligkeit des Schöpfers erweist sich hier am Satz vom zureichenden Grund. Sie offenbart sich im »stets« erfolgreichen Einsatz der Mittel zum Zweck - die Definition der Vollkommenheit — nach den Gesetzen der Diese Differenzierung teilt auch Lessing. Während er in seinem eigenen ausführlichen K o m m e n t a r zu Leibniz von den ewigen Strafen, a.a.O., sich für diese und gegen Johann August Eberhard ganz auf der Seite der Orthodoxie stellt, heißt es im 8. der Briefe, die neueste Literattur betreffend ungeachtet des häretischen Gehalts zur Uranias und ihrem Autor, Werke, B d . 5, S. 45: »Petersen war ein sehr gelehrter und sinnreicher Mann, und kein gemeines poetisches G e n i e . Seine >Uranias< ist voll trefflicher Stellen; und was kann man mehr zu ihrem Lobe sagen, als daß Leibniz sie zu verbessern würdigte, nachdem et selbst den Plan dazu gemacht hatte?« Wieland, Vorläufige Anmerkungen . . . , S. 8. Wieland selbst veröffentlicht 1 7 5 8 ein nach eigener Angabe 1 7 5 5 verfaßtes Gesicht von einer Welt unschuldiger Menschen, Gesammelte Schriften, B d . I.2, S. 4 0 5 — 4 2 3 . Die ideengeschichtliche Tradition rekonstruiert E Baudach, Planeten der Unschuld — Kinder der Natur. Die Naturstandsutopie in der deutschen und westeuropäischen Literatur des ly. und 18. Jahrhunderts, Tübingen 1 9 9 3 , zu Klopstock und Wieland S. 2 7 4 f f . und 2 8 9 f f .

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Aufklärungspsychologie. So wird die »Weisheit siegen«, die disharmonischen Seelen wieder zur Ähnlichkeit stimmen und sie nicht für immer aus der Ordnung ausschließen. Die Universalität der Heilsordnung, die sich auf diese Weise kontinuierlich durchsetzen soll, bis »in dem ganzen All wird Dank und Lob erschallen« ( V I , 4 1 0 ) , ist eine seelenzentrierte. Wenn die >Wiederbringung aller Dinge< auch als Restitution einer paradiesischen Natur vorstellbar wäre, so ist dies doch nicht die Vision, die einer von Piaton und Leibniz inspirierten »poetischen Cosmologie« naheliegt. In deutlicher Abgrenzung zu einer entschieden anderen Wiederbringungslehre, zum neu entdeckten Frühling des Goldenen Zeitalters in der zeitgenössischen Anakreontik, läßt Wieland seine beseelte Schöpfung mit ihrer allmählichen Läuterung Distanz von der stofflichen Natur nehmen. So gibt einmal mehr die Anakreontik den Widerpart zum >heiligen Ernst< Heiliger Poesie, wie schon die ersten Verse die Natur der Dinge einleiten: Von deiner Kraft befeurt, Minerva, will ich singen, O möchte mir durch dich ein würdig Lied gelingen! Ein Werk, das du beseelst, treibt kein gemeiner Zug; Ich sing nicht Lieb und Wein [ . . . ]

(1,1 -A)M

Die sich der Transzendenz verweigernden Anakreontiker folgen nach Wielands Vorstellung einer Lust, die allein dem geistfernen Stoff verhaftet bleibt. Darum muß Anakreon ins finstere Purgatorium auf den Saturn verbannt werden: Dort am einsamen Bach, der aus unfruchtbarn Schössen Erstorbner Felsen bricht, und stürzt mit matten Stössen, Erschrecklich murmelnd ab, dort sitzt er und begehrt Umsonst die alte Lust, die ihn jetzt nimmer hört. (VI,355-358)^ 64

Entsprechend auch der Eingang zum sechsten Buch: »O Muse, die durch mich Gott und die Welt besang, Hoch überm niedern Schwärm, der an des Berges Hang, Wo sich der Lorberhayn in tiefe Hecken endet, Die musikalsche Luft mit rauhen Halmen schändet: Misch deine Sayten jetzt in meine Töne ein, Und laß des Liedes End des Vorwurfs würdig seyn!« (VI, 1 - 6 ) Hier kündigt sich bereits der Literaturstreit mit Johann Peter Uz an, den die Vorrede zu den Empfindungen eines Christen ( 1 7 5 4 ) auslösen wird, Gesammelte Schriften, Bd. I.2, S. 3 3 6 — 345. Vgl. die ausführliche Darstellung A. Sauers in der Einleitung zu Johann Peter Uz, Sämtliche poetische Werke, S. X X — L X I I , und U. Blasig, Die religiöse Entwicklung . . . , S. 2 5 i f f .

65

Und auch Epikur ist kein freundlicheres Schicksal vergönnt: »Der Garten Epikurs verwächst in wilde Sträuche, Mit denen ungestraft der rauhe Nordwind spielt, Und wo kaum hie und da ein scheuer Hase wühlt.« (L254-256)

197

Der einstige locus amoenus ist der Endlichkeit überlassen und im Gegensatz zu den von irdischer Lust und Last befreiten, auffahrenden christlichen Seelen durch die abwärts gerichtete Bewegung einer geistlosen und entsprechend unbelebten N a t u r gezeichnet/' 6 Wenn sich die wahre Einsicht in die N a t u r der D i n g e darum von der unbeseelten Stofflichkeit der materiellen N a t u r fortbewegen muß, um sich nach der L o g i k des göttlichen Schöpfungswerks von der Betrachtung der W i r k u n g zur Erkenntnis ihrer Ursache aufzuschwingen, so fragt sich, ob und wie diese N ö t i g u n g zur Transzendierung auch die — von einem Naturgedicht in einem ästhetisch sensibilisierten Zeitalter zu erwartende — Erklärung der N a t u r der Wahrnehmung berührt.

Ästhetik Der Muse hoher Schwung hub uns im zweyten Lied Der Welt der Geister zu; was Sinn und Bilder flieht, Sah unser inners Aug im allgemeinen Risse, Frey von gefärbtem Kleid durch tiefgeholte Schlüsse. Itzt steiget sie herab und dringt mit sicherm Fuß In die Natur des Stoffs, die ihrer Formen Fluß Vor unserm Geist verbirgt, und selbst den Weisen trüget, Der oft betrüglich glaubt, daß sie jetzt vor ihm lieget. Wie der Caméléon die wandelbare Haut Nach seinem Vorwurf färbt und nie wird gleich geschaut, So weis sich die Natur Gestalten anzudichten, Und läßt sich nicht nach dem, was sie uns scheinet, richten. (III,ι —12) 66

In anderen Kontexten ist dagegen anderes möglich. Im gleichen Jahr wie Die Natur der Dinge, 1 7 5 2 , erscheint Der Fryhling. Hier nimmt Wieland das Thema der Allversöhnung im Bild des wiederkehrenden Frühlings auf. Das Gedicht beginnt mit den Versen: »Sey mir in deiner verneuerten Schönheit, du Jyngling der Zeiten Blumichter Fryhling gegryst!« Christoph Martin Wieland, Der Fryhling, zitiert nach: Gesammelte Schriften, Bd. I.i., Verse if. Und endet, ebd., Verse 345 — 357: »Ach wenn kehrt ihr zuryk, verheisne goldene Zeiten, Da das Laster entflieht, da, von der Thorheit gereinigt, Der entfesselte Geist zu seinem Ursprung zurykfließt? Da die Stimme des Danks die Hayne wieder erfyllet, Da die Seelen sich wieder im Stillen dem Ewigen nähern, Da die himmlische Liebe mit ihrer Gespielin der Unschuld, Wieder die Herzen im schönsten Gefyhl der Unsterblichen ybet. Alsdann wird die verneuerte Erde, zur ersten Schönheit Der Erschaffung verklaert, ein ewiger Fryhling umarmen. Alsdann werden die Menschen mit allen Bewohnern des Aethers, Jede Olympische Schaar, und wer sein Daseyn empfindet, Mit der ganzen Natur, in ewigen Harmonien, Die kein Mißlaut mehr schwaecht, Unendliche Gottheit, dich preisen.«

198

Das Extreme vereinigende Versprechen des Lehrdichters, einerseits »Ins Innerste der Welt« einzudringen und andererseits im »hohen Flug« sich bis »ins Reich der Geister« zu erheben (IV,4), erlaubt keinen einfachen Umgang mit der »Natur des Stoffs«. Darum geht die kritische Betrachtung einer selbst in Bewegung geratenen Natur, die »ihrer Formen Fluß / Vor unserm Geist verbirgt, und selbst den Weisen trüget«, in einer christlich-platonischen Verwerfung der materiellen Stofflichkeit der Schöpfung und ihres täuschenden Augenscheins nicht auf. Vielmehr weist die »vollkommenste Welt welche möglich ist« in einer harmonischen Ordnung, die nichts unbegründet läßt, auch der Natur der materiellen Dinge ihre Funktion zu. So entwirft Wieland eine dieser dynamisierten Naturordnung analoge Wahrnehmungslehre, die auf die inzwischen ausgearbeiteten Ergebnisse der philosophischen Ästhetik zurückgreifen kann. Doch wird sich zeigen, daß die Theorie der sinnlichen Erkenntnis nicht spannungsfrei in Wielands zum Übersinnlichen tendierenden Lehrgedicht zu integrieren ist. Im fünften Buch der Natur der Dinge werden zunächst zahlreiche traditionelle Wahrnehmungstheorien vorgestellt — eingeschlossen die Erfahrungskunst der zeitgenössischen Ästhetik: Doch da die Sinne uns mit tausend Bildern trügen, Die nur in uns, und nicht im Gegenstande, liegen, Ist nicht die Wissenschaft, die man auf sie gegründt, Ein leeres Hirngespinst, das vor der Wahrheit schwindt? (V, 2 0 7 - 2 ι ο ) ή 7

Den Grund für diese Verwirrung sieht Wieland nun, wie die rationalistische Metaphysik es lehrte, in der verzerrenden Bindung der wahrnehmenden Seele an den Leib, der als Körper innerhalb der Welt diese nicht überschauen, sondern immer nur aus seiner Perspektive vorstellen kann. 68 Mit dem Ausblick auf die »vollkommenste Welt welche möglich ist« stellt diese, mit Leibniz zu reden, »ursprüngliche Unvollkommenheit im Geschöpf« 6 9 jedoch nur eine vorläufige Grenze dar. So ruft der Dichter die »umleuchtete Vernunft« an, von der Aufschluß über die »wahre Form der geistervollen Welt« zu erwarten ist

67

Wieland ist ein genauer Leser der Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften Georg Friedrich Meiers. »Von den Sinnen« als Propädeutik zur methodischen Erschließung und Ausbildung der Einbildungskraft handeln in deren zweiten Band die §§ 3 2 9 - 3 7 0 .

68

So heißt es ¥ , 2 2 5 - 2 3 0 : »Der Sinn muß trügrisch seyn, der Stoff muß uns verführen, So lange wir in uns der Schöpfung Schranken spüren, Und dieß wird ewig seyn. N i e wird die Nacht vergehn, Die unsern Mittag trübt; so deutlich wir auch sehn, Bleibt doch die Dämmerung, die einen Theil umfließet, Indem der andre Theil des Lichtes Gunst genießet.« G . W. Leibniz, Théodicée ..., § 20.

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199

(V,246f.). D i e erste E i n s i c h t , die diese v e r m i t t e l t , ist, d a ß d i e U r s a c h e f ü r d i e T ä u s c h u n g der Sinne n i c h t nur »in u n s « (V,2o8) zu s u c h e n ist, s o n d e r n a u c h in d e r p e r m a n e n t e n M u t a t i o n d e r W e l t , d e r N a t u r selbst, die » o h n e E n d in n e u e F o r m e n « e i n g e h t (V,25i). D i e t i e f s i n n i g e W e i s h e i t aber e r k e n n t h i n t e r dieser f o r t w ä h r e n d e n V e r ä n d e r u n g d e r M a t e r i e die a l l m ä h l i c h e

Entwicklung

d e r » G e i s t i g k e i t e n [ . . . ] , die ä n d e r n d sich e r h ö h e n « (V,301) u n d d e n e n d i e G e s t a l t des Stoffes sich diesen a n p a s s e n d f o l g t . 7 0 Interessant ist n u n , d a ß W i e l a n d diesen A u f s c h w u n g der » G e i s t i g k e i t e n « — nach platonischer oder a u c h origenistischer Weise zu i h r e m Schöpfer aufsteig e n d e Seelen — auf e i n e n D r a n g nach g r ö ß e r e r W a h r n e h m u n g z u r ü c k f ü h r t . W i e Leibniz d e n E n t w i c k l u n g s g r a d d e r Seele u n d ihre G o t t ä h n l i c h k e i t von d e r S t ä r k e ihrer V o r s t e l l u n g s k r a f t a b h ä n g e n l i e ß , 7 1 so d r ä n g e n auch die » G e i s t i g k e i t e n « zur V e r v o l l k o m m n u n g ihres V o r s t e l l u n g s v e r m ö g e n s . D a h e r r ü h r t eine B i l d e r l u s t in d e n Seelen, welcher d e r g e g e b e n e N a t u r z u s a m m e n h a n g n i c h t g e n ü g t u n d d i e sich nach neuen R e i z e n s e h n e n . P e r f e k t ist d i e v o n W i e l a n d in m a n n i g f a c h e B e w e g u n g g e b r a c h t e S c h ö p f u n g n u n e b e n d a r u m , weil sie zu d i e s e m B e d ü r f n i s h a r m o n i s c h s t i m m t . D e r Sinn von i h r e m [ . . . ] Unbestand, Dem schönen Unbestand, der ewig das Gewand Der Körperwelt verkehrt [...] (V,283-285), l i e g t s o m i t im f o r t d a u e r n d e n V e r g n ü g e n an i h m sich e n t w i c k e l n d e r » G e i s t i g k e i t e n « . Solch b e w e g e n d e N a t u r ä s t h e t i k k a n n das Lukrezische Chaos

zum

»schönen U n b e s t a n d « v e r w a n d e l n , d u r c h den d e r b e w e g t e K o s m o s als v o l l e n d e tes K u n s t w e r k der h ö c h s t e n W e i s h e i t als ein beau désordre erscheint u n d m i t Boileau w i e eine e m p f i n d u n g s s t e i g e r n d e O d e rezipiert w e r d e n k a n n . D a r u m ist d i e S c h ö n h e i t der i r d i s c h e n N a t u r auch n u r v o n b e g r e n z t e m Reiz, u n d die u n s t e r b l i c h e Seele will ü b e r d i e sterbliche E r d e h i n a u s , w e n n diese i h r B e d ü r f n i s nach M a n n i g f a l t i g k e i t n i c h t zu stillen v e r m a g : Hier ist der dunkle Ball, an dem die Menschen hängen, Und um ein schimmernd Nichts, das keinem bleibt, sich drängen.

70

71

Vgl. 111,753-762: »Ist nicht ein bloßer Stoff, der unbeseelt veraltet, Nein, Geistigkeiten sinds, die uns ihr Leib gestaltet. Gott, der, was er erschuf, in weise Ordnung zwang, Vertheilt der Wesen Schaar in tausendfachen Rang, [...] So ward die Form der Welt, die sich in jedem Geist, Und jeglichem Geschlecht, in anderm Lichte weist, Und, wie die Geisterwelt sich immer höher schwinget, Zugleich verschönert wird, und ewig sich verjünget.« Siehe oben, S. 21.

200

N i m m t in der Welten Zahl er gleich den untern Platz, So ist sein Kreis doch voll von unerkanntem Schatz. Er soll, in kurzer Zeit, uns höherm Glück bereiten, Drum schmückt die Weisheit ihn mit solchen Trefflichkeiten, Die, ist ihr Reiz gleich groß, doch die Gewohnheit bald Mit ekler Galle färbt. Der kurze Aufenthalt, (Kaum einer Herberg gleich) auf der zu kleinen Erden Soll uns durch sie versüßt, nicht paradiesisch werden; [...] (IV,33-42)

Die »vollkommenste Welt welche möglich ist« bewährt sich nicht zuletzt als eine solche, weil sie nicht langweilig wird — gleichsam als eine weise göttliche Vorhersehung der nach Jean Baptiste DuBos in den Réflexions critiques sur la Poésie et sur la Peinture ( 1 7 1 9 ) ersten und vornehmsten Aufgabe der schönen Künste, die immer drohende »ennui«, die Langeweile, zu zerstreuen und auf jede nur mögliche Weise zu bewegen und zu unterhalten.72 So dient in Wielands Entwurf schließlich auch der Tod einem ästhetischen Kalkül, das mit der »Gewohnheit« auch die Melancholie verhindert. War für den Aufklärer Lukrez der Tod des Leibes auch das Ende der Seele - und darum nicht zu fürchten, weil dem Bewußtsein entzogen 73 - , so öffnet sich der Natur der Dinge zufolge mit dem Tod ein neues, unendliches Feld für die Vorstellungskraft, von dessen vielversprechender Fülle Die Natur der Dinge einen Vorgeschmack vermitteln will: O Mannichfaltigkeit, die hier mein Auge füllt! O Weisheit, Geist der Welt, wie groß wird mir dein Bild! (IV, 1 2 5 0

Der Weg zum Schöpfer führt nicht über die Tugend der christlichen Einfalt, sondern über die Vorstellung des entfalteten Bilderreichtums seiner Schöpfung. Deren Fülle bestimmt denn auch maßgeblich die Heiligkeit des Lehrgedichts, das mit der Explikation der Natur der Dinge nicht allein durch sein Thema den Entwurf der weisen Heilsordnung —, sondern auch durch die imaginäre Erweiterung der Vorstellungskraft die Gottesebenbildlichkeit seiner Leser steigert. Das Wissen, das Die Natur der Dinge versammelt und - mehr oder weniger — poetisch präsentiert, wird mit dem Ausblick auf das unendliche Leben der Seele zu einem intellektuellen Erhabenen, das mit der Unermeßlichkeit keine Überwältigung, sondern mit der Unausschöpflichkeit des nexus universalis ein ewiges, seliges Vergnügen verspricht. 74 72

73 74

Ein Auszug der Réflexions war 1745 in den Bremer Beiträgen erschienen: Abhandlung von der Notwendigkeit, beschäftiget zu sein, wenn man dar verdrüßlichen langen Weile ausweichen will..., Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und des Witzes, Bd. II, 1. Stück, S. 14—21. Vgl. C. Zelle, Angenehmes Grauen . . . , S. 139ft. Lukrez, De rerum natura, III,83off. Ähnlich spekulieren die Belustigungen des Verstandes und des Witzes, sie veröffentlichen

201

Die Anreicherung der subjektiven Vorstellungswelt mit — neuen — E m p f i n dungen und Gedanken ist eine der tragenden Ideen aufgeklärter Lehrdichtung überhaupt. So rührt die zeitgenössische Bewunderung bzw. umgekehrt die A b lehnung der epochemachenden Lehrdichtung Albrecht v. Hallers gerade von deren Gedankenfülle her. Haller will, indem er viel zu denken g i b t , seiner Poesie eine spezifische »Schwere« verleihen, die sich vom barocken Stil lohensteinscher Prägung absetzt, der »auf Metaphoren wie auf leichten

Blasen

s c h w i m m t « . 7 5 Das neue Stilideal beruht dagegen auf Kompression: [ . . . ] daß ich wünschen möchte, noch viel mehr Gedanken in viel mindre Zeilen gebracht zu haben. Nach meinem Begriffe muß man die Aufmerksamkeit dess Lesers niemahls abnehmen lassen. Dieses geschieht ohnfehlbar auf eine mechanische Weise, so bald man ihm einige lähre Zeilen vorlegt, wobey er nichts zu denken findet. 7 6 Durch die Verdichtung der Gedanken, der Bilder und Vorstellungen, läßt sich nun jedoch auf ebenso »mechanische Weise« die Aufmerksamkeit der Leser aufreizen, wenn sich »Bilder, lebhaffte Figuren, kurze Sprüche, starke Z ü g e und unerwartete Anmerkungen auf einander häuffen«. 7 7 Es ist nicht erstaunlich, daß diese Intention besonders den Beifall der wirkungsästhetisch auf das »Herzrührende« bedachten Schweizer Poetologen findet. Breitinger, der 1 7 4 4 eine eigene Verteidigung

der Schweitzerischen Muse Hrn. D. Albrecht Hallers er-

scheinen läßt, lobt schon in der einige J a h r e vorher erschienenen Dichtkunst

Critischen

- nicht ohne Grund im Abschnitt über die »Machtwörter« - eben

die Gedankenschwere Hallers als beispielhafte Verwirklichung einer »nachdrücklichen« und darum in besonderem Maße poetischen und bewegenden

im zweiten Stück des Jahres 1741 Philosophische Muthmaßungen von dem Aufenthalte der abgeschiedenen Seelen, die die historische Signifikanz des Problems erhellen. Nach dem Tode, so die Muthmaßungen, sei eine neue Vollkommenheit zu erwarten, die der Seele »eine größere Fähigkeit des Verstandes zu einem deutlichen und gründlichen Erkenntnisse« sichere, und so würden »Naturforscher, Sternseher und überhaupt alle Weltweisen [ . . . ] ihre Wissenschaft alsdann zu weit größerer Gewißheit und Deutlichkeit bringen können. Dieses Erkenntniß nun wird ihnen das süßeste Vergnügen geben, zumal da sie ungehindert darinnen fortgehen, und nicht besorgen dörfen, daß es ihnen jemals an neuen Entdeckungen fehlen werde.« Zitiert nach: Belustigungen des Verstandes und des Witzes, Bd. 1, 2 1 7 4 2 , S. 305f. 75

76 77

Albrecht v. Haller, Vorrede zur vierten Auflage der Gedichte, Göttingen 1748, zitiert nach: Gedichte, hrsg. v. L. Hirzel, Frauenfeld 1882, S. 248f. Ebd., S. 249. Ebd. Ihre physikalische Entsprechung finden diese Überlegungen in Hallers nervenphysiologischen Forschungen, die die zeitgenössische Irritabilitätstheorie — die Lehre von der Reizbarkeit der Körper — erstmals im naturwissenschaftlichen Experiment fundiert: Albrecht v. Haller, De partibus corporis humant sensilibus et irritabilibus, Göttingen 1753, dt.: Von den empfndlichen und reizbaren Teilen des menschlichen Körpers, hrsg. v. K. Sudhoff, Leipzig 1922. Vgl. G. Rudolph, Hallers Lehre von der Irritabilität und Sensibilität, in: Von Boerhaave bis Berger. Die Entwicklung der kontinentalen Physiologie im 18. und 19. Jahrhundert, hrsg. ν. Κ. E. Rothschuh, Stuttgart 1964, S. 14 — 34.

202

Schreibart. 7 8 Solche Affektation hat auch W i e l a n d im Sinn, die nun jedoch gegenüber Hallers eher bescheidenem G e s t u s einer moralisch bildenden Unterhaltung spekulativ auf eine V e r v o l l k o m m n u n g des menschlichen Geistes hin erweitert wird und die schließlich auch dessen naturgegebene Einschränkungen transzendieren soll. D i e B e d i n g u n g solch eines >über-irdischen Vergnügens in Gott< in den höheren Sphären der » G e i s t i g k e i t e n « ist die u n g e h e m m t e E n t f a l t u n g der Erkenntniskräfte der Seele, die, erst einmal v o m beschränkenden Körper befreit, d e m G e i s t ungeahnte neue Vorstellungen eröffnen: Die Wahrheit liegt vor ihm in ihrem eignen Licht, Er wiegt der Wesen Kraft, er faßt den Stoff in Zahlen, Dringt in der Dinge Mark und hängt sich nicht an Schalen. Nie hemmt des Körpers Last des Geistes freyen Lauf; Von neuen Sinnen faßt er neue Bilder auf; Manch fühlend Gliedmaß zeigt ihm neue Eigenschaften, Die, unsichtbar für uns, an andern Körpern haften: [...] Wer mißt wohl Ohr und Aug in diesem Aufenthalt? (IV,620-632) Das Platonisch-Leibnizsche Erkenntnisideal, d e m sich der G e i s t in höhere Sphären aufsteigend nähert, scheint zunächst m i t den » S c h a l e n « auch die ästhetische Perspektive sinnlicher Erkenntnis zu distanzieren. D o c h wie den höchsten Geist Verstand und E m p f i n d u n g in höchstem Maße zugleich auszeichnen, so denkt sich der Lehrdichter auch die diesem ähnlicher werdende Seele mannigfach begabt. Z u den »neuen S i n n e n « und in die ausgedehnteren Bereiche der Vorstellung schwingt sie sich nach d e m Modell »ästhetischer Beg e i s t e r u n g « auf, wie es G e o r g Friedrich Meier in den Anfangsgründen

aller schö-

nen Wissenschaften dargestellt h a t t e . 7 9 Bei Wieland liest sich die Steigerung der Vorstellungskraft von der alltäglichen W a h r n e h m u n g zur B e g e i s t e r u n g höherer Art dann so: Mit dieser Kraft sieht sich, was geistig ist, geschmückt, Der Unterschied wird bloß in ihrer Form erblickt. Wer mehr Ideen faßt, wer deutlicher empfindet, Die Theile besser Scheidt, sein Wissen tiefer gründet, Wer schöner denkt und fühlt, von edlern Trieben glüht, Und mit erhitzterm Flug aus seinen Schranken flieht: Der überstralt das Heer der trägeren Substanzen, Wie Iris hohe Pracht den Pöbel falber Pflanzen. Auch liegt in jedem Geist, die ungleich starke Macht, Ein sich verdunkelnd Bild, das wir einmal gedacht,

78 79

J . J . Breitinger, Critische Dichtkunst, Bd. II, S. 64Í Vgl. G.Fr. Meier, Anfangsgründe . . . , Bd. 1, § 24off. 203

W e n n u n s ein ähnlichs r ü h r t , aufs neue zu g e n i e ß e n ; D i e ß d i e n t des Geistes B a h n erweiternd aufzuschließen. U n d w e n n sich nach und nach d e r Bilder M e n g e m e h r t , W i r d auch die H a u p t - I d e e lebhafter a u f g e k l ä r t . D i e wachsende Begier beflügelt jetzt die K r ä f t e , U n d m a c h t sie w i r k s a m e r z u m geistigen Geschaffte; So d e h n t die Seele sich, u n d b l ü h e t auf, u n d w e i c h t Z u einer h ö h e r n A r t , die ihr an Schönheit gleicht. [-.] So w i r k e t die N a t u r geschaffner G e i s t i g k e i t e n ; D i e U e b u n g stärket sie, d i e F r u c h t g e b r a u c h t e r Z e i t e n , D u r c h sie wächst unsre K r a f t zu unsrer G r ö ß e an, U n d d r i n g t zu i h r e m Ziel, u n d eilt stets m e h r i m N a h n . D e r vor auf l e i c h t e m R o h r d e r stillen A r e t h u s e n N u r H i r t e n l i e d e r sang, f ü h l t jetzt die h ö h e r n M u s e n , U n d s i n g t Aeneens Sieg. E i n W u r m , d e r Erde gleich, W ä h l t sich, von ihr b e s c h w i n g t , ein neu, ein schöner Reich; D u r c h sie w i r d einst m e i n M u n d , e n t w ö h n t so schwach zu singen, Dir, H e r r , ein w ü r d i g Lied, gesellt zu Engeln, b r i n g e n . (V,331-368)

Ausgehend von der aesthetica naturalis bemißt sich die Kraft zum »schöner« Denken in der Komplexität seiner Form. Analog zum göttlichen Schöpfer als »empfindendes und verständiges Wesen« 8 0 wird, wer »deutlicher empfindet«, Gott ähnlicher. So beruht das Vermögen, einst dem »Herrn ein würdig Lied, gesellt zu Engeln« darzubringen, nicht auf überirdischer Inspiration, sondern ist das auf dem Wege der Übung zu erreichende Ergebnis einer versierten Gewöhnung. Zu einem »von edlern Trieben« befeuerten »Flug aus seinen Schranken« läßt sich, wie Meier in den Anfangsgründen dargelegt hatte, anleiten. Dazu gehört, den Umfang der Ideen und der einzelnen Momente der Vorstellung so zu erhöhen, daß ihre Mannigfaltigkeit das Erkenntnisvermögen zu andauernder Aufmerksamkeit nötigt. Durch die Gedächtniskunst lassen sich vergessene Erinnerungsbilder reaktivieren, durch Kombinatorik neue hinzu erfinden. Das Vermögen des Witzes, unendliche Ähnlichkeiten zu entdecken und durch der »Bilder Menge« »des Geistes Bahn erweiternd aufzuschließen« - oder wie Meier geschrieben hatte: »Materialien zum schönen Denken im reichen Ueberflusse herbeyzuschaffen« 81 - , läßt schließlich »die höhern Musen« fühlen. Die Mannigfaltigkeit der Einzelvorstellungen die Seele treibt schließlich zur »Haupt-Idee«, welche die »wachsende Begier beflügelt« und mit der Lebhaftigkeit schließlich zur cognitio viva bewegt. Es ist die Vorstellungskraft, welche die Seele erhebt. Longins erhabene Seelengröße — an die hier zu denken ist, auch wenn sie nicht genannt wird - ist zeitgemäß zu einem Wahrnehmungsproblem geworden und kann darum auf dem Wege eines ästhetischen Bil-

80 81

W i e l a n d , Vorläufige Anmerckungen G.Fr. Meier, Anfangsgründe ..Bd.

204

...,

S. 6. 1, § 2 4 1 .

dungsprogramms befördert werden. Der A u f s c h w u n g , der sich mit dem A u f stieg von der Naturnähe der »Hirtenlieder« zum hohen »Aeneens Sieg« besingenden Epos dokumentiert, gipfelt schließlich in Heiliger Poesie und verkündet »ein neu, ein schöner Reich«. Solche Heiligkeit kann das Lehrgedicht jedoch nur zitieren. Für Meier hatte sich die Gelehrsamkeit im poetischen Diskurs an die Baumgartenschen Vorgaben >extensiver Klarheit< zu halten: »weitläuftig« sollten seine Vorstellungen sein und nicht »gründlich«. Denn die dem »aesthetischen Horizont« angemessene Beschäftigung des Verstandes verlange, daß die exponierte Gelehrsamkeit nicht so sehr den Erkenntnisdrang befriedige, sondern vielmehr Erstaunen errege. 8 2 Der Dichter der Natur

der Dinge versucht — wie vielleicht das Lehrge-

dicht überhaupt —, den Sinn für die gründliche >Tiefe< und die ästhetische >Weite< nützlich zu vermitteln. D i e m i t den Mitteln des Lukrez im »aesthetischen Horizont« lebhaft gewordene Einsicht des Verstandes, genauer: die poetische Spekulation über die »vollkommenste Welt welche möglich ist«, soll einer unterhaltenden Vermittlung philosophischer B i l d u n g dienen, die gleichwohl dem Ernsthaftesten gewidmet ist, was dem aufgeklärten Weltweisen in den Sinn kommen kann: die Beförderung der allgemeinen Glückseligkeit. Hierzu präsentiert das Lehrgedicht im Laufe seiner philosophisch-metaphysischen A r gumentation eine kaum überschaubare Menge an Versatzstücken des gelehrten Diskurses der Naturphilosophie und Erkenntnistheorie von Piaton, Aristoteles, Epikur, Descartes, Leibniz, Bayle, Meier und zahlreichen anderen Vertretern der Weltweisheit, die als solche schon ein Beleg ästhetischer Fülle zu sein scheint. Doch Wielands Verfahren motiviert mehr als die unterhaltende Präsentation gelehrten Wissens, es ist deutet vielmehr auf das in der Frühaufklärung etablierte Theorieverständnis des >EklektizismusEklektisch< zu philosophieren, war seit Christian Thomasius die fortgeschrittene Form vorurteilsfreier und von eigener Erfahrung geleiteter philosophischer Aufklärung. Kritisch gegenüber der »Sectirischen« Denkart einer dogmatisch erstarrten Scholastik einerseits und den »Syncretisten« andererseits, die in zweifelhafter Synthese Inkonsistentes zu vereinheitlichen suchten, galt es, aus den

82

G.Fr. Meier, Anfangsgründe ..., Bd. 1, § 233. 205

zahlreich überlieferten Lehrmeinungen durch eine »geschickte analytische Meditation«® 3 die wahren Einsichten auszuwählen. Darüber hinaus sollte sich das Ergebnis solch kritischer Prüfung praktisch bewähren. D.h. gegen die abstrakten metaphysischen Spekulationen war zunächst der Beweis der Nützlichkeit einer eingehenden Beschäftigung mit dem im Verlauf der Geschichte angesammelten theoretischen Wissen für die Gegenwart zu erbringen und von seiner Anwendbarkeit zu überzeugen.84 Durch das Dunkel einer drohenden Übermacht tradierter heterogener Theorien hilft dem Eklektiker das Licht der n a türlichen Vernunfteklektischen< Philosophen ist lang und ehrwürdig: Pythagoras, Sokrates, Piaton, Aristoteles — und auch Epikur — gehören dazu. Entsprechend verfährt auch die von J . G. Walch selbst vorgelegte Einleitung In die Philosophie ( ' 1 7 2 7 ) eklektisch: Was ich bey andern, sie mögen ältere; oder neuere gewesen seyn, nach meiner Einsicht als richtig angetroffen, habe [ich; J . J . ] angenommen und bin wieder in andern Stükken, wo ich einen Grund zu haben vermeynet, von ihnen abgegangen [ . . . ] alle diejenigen Subtilitäten, die keinen sonderlichen Nutzen haben, [sind; J . J . ] entweder kurtz; oder gar nicht berühret und dafür lieber eine nützlichere Materie umständlicher abgehandelt worden." 7 83 84

85 86 87

J . G . Walch, Philosophisches Lexicon, Art. »Eclectische Philosophie«, Sp. 8 3 5 . V g l . zum Folgenden L. Braun, Geschichte der Philosophiegeschichte, Darmstadt 1 9 9 0 ; H. Holzhey, Philosophie als Eklektik, Studia Leibnitiana 1 5 ( 1 9 8 3 ) , S. 1 9 - 2 9 , und Aufklärung., H . i : Eklektik, Selbstdenken, Mündigkeit, hrsg. v. N . Hinske, 1 (1986); und die umfangreiche Monographie von M . Albrecht, Eklektik. Eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1 9 9 4 . Hier von besonderem Interesse sind W. Schmidt-Biggemanns unter dem Titel Theodizee und Tatsachen. Das philosophische Profil der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1 9 8 8 , versammelte Studien zum Verhältnis von Rationalismus und Eklektizismus, die als die beiden — gegenläufigen — »Hauptrichtungen der deutschen Aufklärungsphilosophie« vorgestellt und diskutiert werden. Z u m Eklektizismus in der zeitgenössischen Theolog i e siehe W. Sparn, Auf dem Wege zur theologischen Aufklärung in Halle: Von Johann Franz Budde zu Siegmund Jakob Baumgarten, in: Halle. Aufklärung und Pietismus, hrsg. v. N . Hinske, Heidelberg 1989, S. 7 1 - 8 9 . Aufschlußreiches Material zur Bedeutung des Eklektizismus für die Rhetorik versammelt R . Breymayer, Pietistische Rhetorik als eloquentia nov-antiqua ..., das dieser jedoch nicht als Beleg für eine eklektische, sondern für eine pietistische Rhetorik deutet. Z u r »lebendigen Erkenntnis< siehe oben, S. 4 3 ff. J . G . Walch, Philosophisches Lexicon, Art. »Eclectische Philosophie«, Sp. 8 3 5 . Johann Georg Walch, Einleitung In die Philosophie ..., Vorrede, O.S.

206

Das Ideal einer vorurteilsfreien Selbständigkeit im Denken zieht mit dem Postulat des freien Gebrauchs der Vernunft auch eine neue Art der Beschäftigung mit der Autorität der Philosophiegeschichte nach sich. Unter den Händen des Eklektikers verwandelt sich diese zu einem zeitlosen Hypothesenvorrat, der jeweils kritisch zu prüfen und a posteriori zu bestätigen oder zu verwerfen ist. Auf diese Weise entsteht ein homogenes Theoriefeld, das — bei sorgfältiger enzyklopädischer Aufbereitung —, durch das iudicium auf dem fortgeschrittensten Stand der Reflexion organisiert werden kann. 8 8 So ist auch Walch davon überzeugt, daß die »Aristotelische, scholastische und Cartesianische Philosophie« von den »neuern Eclectici [ . . . ] durch ihr eigenes Nachdencken« 8 9 weit überholt worden sei. Der vorurteilslosen Bereitstellung des historischen Wissens widmen sich zahlreiche zeitgenössische Projekte, die vielfach den Beginn der jeweiligen Disziplinengeschichtsschreibung markieren. 9 " In diesem Kontext entsteht Gottfried Arnolds Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie Von Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688 (1729) und auch deren orthodoxes Pendant, Johann Georg Walchs umfangreiche Historische und Theologische Einleitung in die Religions-Streitigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirchen, von der Reformation an bis auf jetzige Zeiten (1730—1739), dessen theologischer Lehrer Johann Franz Budde in Halle die eklektische Methode in der Theologie eingeführt hatte. Schließlich ist in diesem Zusammenhang die zwischen 1731 und 1737 erscheinende Philosophiegeschichte Kurtze Fragen aus der Philosophischen Historie Johann Jakob Bruckers zu nennen. Brucker, der wiederum ein Schüler Walchs gewesen war, versammelt in diesem Tausende Paragraphen umfassenden Kompendium die ganze Weltweisheit der Weltgeschichte: »Von der Beschaffenheit der Philosophie vor der Sündfluth« bis zu »den vornehmsten Restauratoribus der Eclectischen Philosophie« der Zeitgenossen. Und auch Brucker unterrichtet seine Leser zur »Vorbereitung« von dem Nutzen dieser enzyklopädischen Auf88

Wieland, der 1 7 5 7 seinen Züricher Privatschülern eine Geschichte der Gelehrtheit diktiert, reflektiert als früher Medientheoretiker die >Schriftlichkeit< als Bedingung solcher Homogenität. Einem ersten Abschnitt »Vom Nutzen der gelehrten Historie« folgt eine ausgedehnte Erörterung »Von der Kunst zu schreiben und Bücher zu drukken«, ohne welche »die Wissenschaften noch immer in ihrer ersten Kindheit liegen

würden«, Christoph Martin Wieland, Geschichte

der Gelehrtheit,

Gesammelte

Schriften,

B d . III.4, S. 2 3 3 .

"9 J . G. Walch, Einleitung in die Philosophie

..., Vorrede. Die von W. Schmidt-Biggemann

dem Eklektizismus gegen die »Höhen der Spekulation« zugeschriebene »Topologie der Ebene«, Theodizee und Tatsachen . . . , S. 3 1 ff., belegt auch Walchs kritische Anmerkung zum unbedingten Erkenntnisinteresse der »neuern Eclectici«, Einleitung In die Philosophie ..., Vorrede·. »Sie haben sich mit ihrer Vernunfft so hoch schwingen wollen, daß sie alles, was in dem Reich der N a t u r und der Gnade unbekannt, und mit allem Recht unter die Geheimnisse muß gezehlet werden, einzusehen und zu begreiffen getrachtet, wodurch die Wahrheit mehr Schaden; als Nutzen gehabt.« 90

Z u r enzyklopädischen >Verwaltung der Erfahrung< vgl. Schmidt-Biggemann,

Theodi-

zee und Tatsachen ..., S. 32ff.

207

bereitung: Nicht nur seien der Philosophiegeschichte viele »Haupt-Wahrheiten« zu entnehmen, sondern vor allem könne die Kenntnis der Irrtümer und Fehler, »in welche auch grosse Leute gerathen sind«, vor dem »der Erkänntniß der Wahrheit so schädlichen praejudicii auctoritatis« 9 1 bewahren und derart zum selbständigen Denken ermuntern. Bruckers kompendienartige Philosophiegeschichtsschreibung, die Wieland eingehend studiert hatte, 9 2 bildet neben Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique jedoch nicht nur den Wissensfundus, aus welchem sich auch der gelehrte Diskurs der Natur der Dinge speist - jedenfalls dort, wo die eigene Lektüre des Autors noch nicht zu den Quellentexten vorgedrungen war - , sondern teilt auch dessen Intention: der menschlichen Glückseligkeit zu dienen, wie sie indirekt auch schon in Walchs Abwehr der »Subtilitäten, die keinen sonderlichen Nutzen haben«, für das philosophische Denken zum Ausdruck kam. So bestimmt Brucker in seinem Einführungswerk für die Schüler der Philosophie, Erste Anfänge der philosophischen Geschichte (1736), schon auf der ersten Seite das Ziel der »Weltweisheit« als eine gründliche u n d ruhige Einsicht und Wissenschaft derjenigen Dinge, welche zur Erlangung, E r h a l t u n g u n d Vermehrung der wahren Glückseligkeit nöthig u n d nützlich s i n d , in so f e r n sie a u s d e n G r u n d s ä t z e n d e r V e r n u n f f t e r h a l t e n w e r d e n k a n . 9 3

An die Stelle abstrakten gelehrten Wissens soll darum die an der »wahren Glückseligkeit« orientierte, »nützlich[e]« Vermittlung von theoretischer Einsicht und erfahrungsgeleiteter Praxis treten, die im neuzeitlichen Horizont das Ideal ciceronianischer sapientia wieder aufnimmt. Offensichtlich ist auch Wielands Lehrgedicht über Die Natur der Dinge vom Eklektizismus geprägt. 9 4 Nicht nur die erklärte Absicht, aus der Fülle der kritisch präsentierten Theorien und Weltmodelle die »vollkommenste Welt welche möglich ist« zu dem nützlichen Zweck hervorgehen zu lassen, die Glückseligkeit ihrer Leser zu befördern, sondern auch die doppelsinnige Form des Lehrgedichts als solcher kommt den theoretischen Intentionen der zeitgenössischen >Eclectici< in besonderer Weise nahe, Wahrheit, Nützlichkeit und Lebhaftigkeit der Erkenntnis zur Deckung zu bringen.

91

J o h a n n J a k o b B r u c k e r , Kurtze

Fragen aus der Philosophischen

Historie

. . . , U l m 1731 —

1 7 3 7 , B d . I, S. I 5 f . 92

W i e l a n d b e s a ß B r u c k e r s s e c h s b ä n d i g e Historia

criticaphilosophiae,

a u c h W i e l a n d s B r i e f v o m 6 . 3 . 1 7 5 2 a n B o d m e r , Briefwechsel, 93

J o h a n n J a k o b B r u c k e r , Erste Anfangsgründe h i e r z i t i e r t nach d e r A u s g a b e

94

2

Leipzig I742ff., vgl.

B d . 1, N r . 3 5 , bes. S. 5 o f .

der Philosophischen

Geschichte,

D a s s i e h t a u c h M . D o e l l , jedoch o h n e d i e s e m e i n e e i g e n e B e d e u t u n g M i t C i c e r o teile W i e l a n d

»auch d e n M a n g e l an G r ü n d l i c h k e i t u n d

W i s s e n , d i e N e i g u n g zu seichter Vielwisserei [ . . . ] « , Wieland

208

Ulm

1736,

i 7 5 i , S. 1. beizumessen. tiefgehendem

und die Antike

. . . , S. 3 4 .

Ihre Verbindung in einer »poetischen Cosmologie« verlangt zunächst den souveränen Uberblick — ihm gilt der im Proömium vorgetragene Anruf der Minerva, der Göttin der Weisheit: O Göttinn! die du einst mit alter Weisen Zungen Manch überirrdisch Lied von Gott und Welt gesungen, Steh jetzt dem Dichter bey, den, von dir selbst bewegt, Ein hoher Adlerflug durch alle Welten trägt, Und laß in seinem Geist erhabnere Ideen, Als seine Kraft sonst zeugt, von dir gewirkt, entstehen. Die Gottheit sing ich selbst, den Quell der schönen Welt, Und wie durch ihre Kraft das Ganze sich erhält. O möchte doch mein Lied, das mit der Engel Chören, Um seinen Thron, sich mischt, der ganze Weltkreis hören! (1,49-58) Der »Adlerflug« trägt nicht nur auf die spekulative Höhe Heiliger Poesie, die in »der Engel Chören« einstimmen will, sondern läßt auch das N i v e a u gewinnen, von welchem aus der Eklektiker seine überlegene Auswahl treffen kann. Wielands Lehrgedicht wird zu einem Epos des Wissens mit H i l f e des gleichen Bildes, das auch Klopstock in seiner Abschiedsrede für den »himlischen Genius« des Heldendichters herangezogen hatte, der wie »vom hohen Himmelsitze, mit einem Blicke auf die ganze Erde herab« 9 5 sehen könne. M i t dem Überblick über alle Wissenswelten ausgezeichnet, kann der moderne Dichter nicht nur Lukrez mit dem souveränen Gebieten über den fortgeschrittenen Erkenntnisstand der Neuzeit entgegentreten, sondern selbst noch den vollkommenen Leibniz übertreffen. So motiviert zum Eklektizismus in der »poetischen Cosmologie« nicht zuletzt die aemulatw. Ich lese allemal mit empfindlichem Vergnügen die Stellen, worinn der scharfsinnige Descartes uns einbindet, daß man von den Werken Gottes nicht zu groß und erhaben denken könne. Der unvergleichliche Piaton der Deutschen, wenn dieser Name nicht zu gering für den großen Leibnitz ist, hat eben diese Idee, und es hat ihm geglückt, sie in seinem Lehrgebäude viel besser auszuführen als Descartes. Seine allgemeine Harmonie ertheilet seiner Welt eine Größe und Schönheit, welche allen philosophischen Köpfen einnehmend vorkommen muß. Ich habe geglaubt, daß der Herr von Leibnitz diese Harmonie noch nicht so weit getrieben, als es möglich ist, und indem ich mir seine Lehrsätze und die Meynungen andrer Weisen zu Nutze gemacht, bin ich auf den Lehrbegriff gerathen, von dem dieses Lehrgedicht einen Entwurf giebt. 9 ®

95

96

F. G. Klopstock, Declamatiti qua poetas epopoeiae auctores . . . , S. 62/106, vgl. oben, S. 123. L. E. Kurth-Voigt macht zwar auf die aus der Höhe blickende Perspektive Wielands aufmerksam, durch die sich die optische Metaphorik der Natur der Dinge von der des Lukrez unterscheide, interpretiert dies jedoch nicht als eklektisches Motiv. Perspectives and Points of View. The Early Works of Wieland and Their Background, Baltimore und London 1974, S. 94. Wieland, Vorläufige Anmerkungen ..., Gesammelte Schriften, Bd. I.i, S. 5.

209

Wenn schon nicht in poetischer, so will der Lehrdichter doch in theoretischer Hinsicht noch Neues versprechen, - wenn schon nicht Lukrez, dann doch immerhin Descartes und Leibniz überbieten. Darum ist Die Natur der Dinge weniger ein Lehrgedicht von der Natur, als vielmehr ein Gedicht über »Lehrsätze und die Meynungen andrer Weisen« über die Natur, ein Lehrgedicht zweiter Stufe. Der Vergleich mit dem Proömium der Vorlage De rerum natura läßt in dieser Hinsicht einen bezeichnenden Unterschied erkennen. Während Lukrez mit dem Anruf der Venus sein Lehrepos der »Mutter der Aneaden«, aber vor allem dem belebenden Prinzip der Natur selbst unterstellt, 9 7 bricht der moderne Autor der Natur der Dinge von Beginn an solche poetische Suggestion der Unmittelbarkeit auf. Nicht »alma Venus«, sondern die wissende Minerva inspiriert den Dichter: »Von deiner Kraft befeurt, Minerva, will ich singen [...]« (1,1) Und weil auch die Wahrheit sich nicht von selbst versteht, bedarf es neben des Beistandes der Minerva auch Klio, um die Herausforderung ihrer getreuen und gleichwohl reizvollen Fixierung in einer wahren Geschichte der Natur zu bewältigen. Daß es zu dieser viele Alternativen gibt, ist dem vielbelesenen Wieland bewußt,' ; s ihre Vielfalt zu bewältigen das Anliegen seiner ausgebreiteten eklektischen Aufklärung. Der Eklektizismus bietet sich nun jedoch nicht nur auf Grund seines Wahrheit und Glückseligkeit vermittelnden Weisheitsideals für Wielands Verständnis von Heiliger Poesie an, sondern auch insofern, als das eklektische Verfahren nach zeitgenössischer Auffassung die angemessene Form einer im besonderen christlichen Philosophie darstellte. Erklärt wurde diese Bindung mit der historischen Genese des Eklektizismus, der nach der anerkannten Philosophiegeschichtsschreibung des Diogenes Laertius auf Potamon von Alexandrien zurückging. Der Begründer der »eklektischen Sekte< hatte die Vielzahl konkurrierender Lehrmeinungen durch die Auswahl der >besten< zu vereinheitlichen gesucht, um auf diese Weise den skeptischen Leugnern entgegenzutreten, die aus den Widersprüchen der Systeme untereinander auf die Unmöglichkeit einer einzi97

Lukrez, De rerum natura, 1,1—5: »Aeneadum genetrix, hominum divumque voluptas, alma Venus, caeli subter labentia signa quae mare navigerum, quae terras frugiferentis concelebras; per te quoniam genus omne animantum concipitur visitque exortum lumina solis: [...]«

y8

(»Mutter der Aneaden, du Wonne der Menschen und Götter, / Lebenspendende Venus: du waltest im Sternengeflimmer / Über das fruchtbare Land und die schiffedurchwimmelte / Meerflut, / D u befruchtest die K e i m e zu jedem beseelten Geschöpfe, / Daß es zum Lichte sich ringt und geboren der Sonne sich / freuet.«) V g l . die Lektüreliste, die Wieland als »Geschichte der Abentheuer meines Verstandes« im Brief vom 6 . 3 . 1 7 5 2 für Bodmer verfaßr, Briefwechsel, B d . 1, N r . 35.

210

g e n W a h r h e i t s c h l o s s e n . " I n s o f e r n n u n » d i e s e A r t zu p h i l o s o p h i r e n a u c h v o r nehmlich unter denen damals lebenden Christen großen Beyfall g e f u n d e n « 1 0 0 hatte, wird der E k l e k t i z i s m u s zur eigentlichen Philosophie der Kirchenväter, d i e i n der A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t S k e p t i k e r n u n d E p i k u r e e r n u m d i e G l a u b haftigkeit der biblischen Texte die christliche R e l i g i o n zu philosophischer D i g n i t ä t zu e r h e b e n t r a c h t e t e n . J o h a n n H e i n r i c h Z e d l e r s Universal-Lexicon

merkt

d a z u an: Denen Christen stunde diese Art zu p h i l o s o p h i r e n um so viel eher an, weil sich keine eintzige Secte in allen Stücken mit der christlichen Religion gäntzlich zusammen reimte, und sie auf solche Weise das beste heraus nehmen konnten. D i e t h e o l o g i s c h e L i z e n z h i e r f ü r f a n d sich i m ersten T h e s s a l o n i c h e r - B r i e f des P a u l u s : » P r ü f e t a b e r alles / v n d d a s G u t e b e h a l t e t . « (i.Thess.^·,2i)l°2 allerdings

habe

nun, wie Walch

i m Philosophischen

Lexicon

Dabei

kritisch zu

den

» E c l e c t i c i « a n m e r k t , d i e »an sich so g u t e A b s i c h t n i c h t a l l e m a l eine g l e i c h g u t e W i r k u n g n a c h sich g e z o g e n « . 1 0 3 D e n n b e s o n d e r s O r í g e n e s u n d C l e m e n s v o n A l e x a n d r i e n h ä t t e n sich v o r n e h m l i c h an P i a t o n o r i e n t i e r t , u n d »so ist es g e s c h e h e n , d a ß d a d u r c h u n v e r m e r k t d e r P i a t o n i s m u s in d i e C h r i s t l i c h e L e h r e m i t e i n g e m i s c h e t w o r d e n « . 1 0 4 D i e s e h i s t o r i s c h e S i t u i e r u n g ließ s c h l i e ß l i c h , w i e B r u c k e r s e i n f l u ß r e i c h e D a r s t e l l u n g in d e r Historia

critica philosophiae

belegt, den

E k l e k t i z i s m u s zum O b e r b e g r i f f f ü r die gesamte neuplatonische Philosophie der Spätantike werden.105 99

Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 1 , 2 1 . Walchs Philosophisches Lexicon unterscheidet darum in zwei eigenen Artikeln die historischen »Eclectici« und die »Eclectische Philosophie« im allgemeinen.

100

J . G . Walch, Philosophisches Lexicon, Art. »Eclectici«, Sp. 8 3 4 . Zedlers Universal-Lexicon, Art. »Eclectici«, Sp. 1 5 9 . Ganz im Gegensatz dazu wird Denis Diderot im Art. »Eclectisme« der Encyclopédie den Eklektizismus als Verfahren der Vernunft und der Toleranz gegen den Alleinvertretungsanspruch des Christentums mobilisieren, Demokrit, Aristoteles und Bacon werden zu den exemplarischen Eklektikern erhoben. V g l . Denis Diderot, Encyclopédie, Oeuvres complètes, tome V I I , ed. par J . Lough et J . Proust, Paris 1 9 7 6 , S. 3 6 - 1 1 3 .

101

102

Von hier aus konnte dann auch die theologische Aufklärung am Ende des 1 7 . J a h r hunderts in Gestalt eines >eklektisch< prüfenden Umgangs mit der dogmatischen Tradition ihren Ausgang nehmen. V g l . dazu W. Sparn, Auf dem Wege zur theologischen Aufklärung in Halle . . . , S. 7 1 — 8 9 . Interessant ist, daß auch August Hermann Francke in seinem Lebenslauff, Werke in Auswahl, S. 2 i f . , mit Hinweis auf i.Thess.y,2i seine Beschäftigung mit den häretischen Lehren des spanischen Mystikers Miguel de Molinos rechtfertigt: »Denn man ja die warheit allezeit lieben sol, sie finde sich bey einem freunde oder Feinde; ja man soll alles prüffen und das Beste behalten [ . . . ] « , und so werde er, Francke, niemals » [ . . . ] was ich der Schrifft gemäß zu seyn erkenne, um des willen verwerffen oder geringer achten, weil es einer, der nicht unser religion verwandt ist, gesaget hat.«

103 ,a

J . G . Walch, Philosophisches Lexicon, Art. »Eclectici«, Sp. 834. < Ebd.

105

Brucker stellt im zweiten Band der Historia critica philosophiae zunächst die »secta 211

Vor diesem Hintergrund spiegelt Die Natur der Dinge die systematisch-historische Ambivalenz des Begriffes selbst wider, insofern nämlich das Lehrgedicht einerseits auf die philosophiehistorische Tradition im Sinne einer kritischen Zusammenschau der verschiedensten Lehrsysteme eklektisch zugreift und andererseits auf diesen ein an Plato und Orígenes orientiertes eigenes Weltsystem in der Nachfolge der christlichen >Eclectici< errichtet. Die Nützlichkeit dieses Wissens von der Natur der Dinge, die der Eklektiker verlangt, belegt schließlich dessen Perspektivierung auf den vorgestellten Heilsweg der aufstrebenden Seele. So schreibt Wieland hier an einer Heiligen Poesie eigener Art, die mit den Empfindungen eines Christen in den folgenden Züricher Jahren des Autors im Hause Bodmers nicht sehr viel gemeinsam hat, sondern als »vernünftigste Lehrart der nützlichsten und zur Glückseligkeit nötigsten Wahrheiten« 1 0 6 zur lebendigen Erkenntnis der Heiligkeit einer beseelten Naturordnung beitragen will. Einige Jahre später äußert sich Wieland in einem anderen Zusammenhang noch einmal zu dem Problem, welchem Lehrbegriff ein modernes Lehrgedicht zu folgen habe. In seinen in Zürich vorgetragenen Vorlesungen zur Poetik, Theorie und Geschichte der Red-Kunst und Dichtkunst ( 1 7 5 7 ) , referiert Wieland -

ohne

seinen eigenen Versuch auch nur einer Anmerkung zu würdigen — die Kritik zum Anti-Lucretius des Melchior de Polignac, der [ . . . ] einen alten römischen Poeten so mühsam widerlege, der fast von niemand gelesen wird und also wenig oder nichts schaden kann, daß er mit großem Wortgepräng und subtilen Schlüssen einige Lehrsätze desselben widerlege, deren Absurdität alle Widerlegung unnöthig macht, und daß er endlich, welches noch das Schlimmste ist, statt des Epicureischen Systems kein besseres als das Cartesianische behaupte, welches auf eben so willkührliche Hypothesen gebaut ist und durch das Leibnizische und Newtonische oder vielmehr durch die Methode a p o s t e r i o r i zu philosophieren, längstens verdrängt worden ist."' 7

Daß als Beispiel für die zeitgemäße - eklektische — »Methode a p o s t e r i o r i zu philosophieren« der eigene Entwurf zum Thema nicht erscheint, mag vordergründig auf die harte Kritik zurückgeführt werden können, die der Autor eclectica« vor, ebd., S. 1896?., während im vierten Band dann von den»restauratoribus philosophiae eclecticae universae« gehandelt wird und die Philosophie der Neuzeit insgesamt unter dem nun systematisch zu verstehenden Titel einer »philosophia eclectica« erscheint, vgl. auch Bruckers Erläuterungen hierzu, ebd., S. 4ff. Dieser geschichtlichen Festlegung, welche die Intention der systematischen Begriffsbildung der zeitgenössischen Erfahrungswissenschaft eigentlich konterkarierte, widerspricht erst Christoph Meiners Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt. In einigen Betrachtungen über die Neu-Platonische Philosophie, Leipzig 1 7 8 2 . V g l . H. Holzhey, Philosophie als Eklektik, S. 24. 106 107

Siehe A n m . 20. Wieland, Gesammelte Schriften, Bd. III.4, S. 4 0 1 .

212

für sein häretisches »System« erfahren mußte. Darüber hinaus kann das Verschweigen jedoch auch als Beleg f ü r die rückblickende Einschätzung gedeutet werden, daß das eigene Lehrgedicht gerade nicht das spannungsvolle Verhältnis zwischen spekulativer Metaphysik und eklektischer Glückseligkeit überzeugend aufgelöst hat. Vielmehr scheint sich Wieland von dem Projekt einer »poetischen Cosmologie« als Vermittlung zwischen Natur- und Heilsordnung zu entfernen und das »Hauptabsehen, die vollkommenste Welt welche möglich ist zu schildern«, von eindeutigeren Unternehmungen abgelöst zu werden. A n die Stelle des zwiespältigen Anspruchs dieser Heiligen Poesie, Glauben und Wissen poetisch zu harmonisieren, rückt in den folgenden Jahren zunächst eine aufs

Empfindsame

zurückgezogene

schließlich Der Sieg der Natur

christlich-moralisierende

Literatur,

bis

über die Schwärmerey oder die Abenteuer des Don

Sylvio von Rosalva ( 1 7 6 4 ) die ausbalancierte Einbildungskraft über die »Schwärmerey« und die heitere Immanenz über die Transzendenz triumphieren läßt. Z u dieser unaufgelösten Mittelstellung paßt schließlich auch das ambivalente Verhältnis der Natur der Dinge zur Ästhetik. Uber die dargelegten Thesen des Lehrdichters zur »Natur des Stoffs« einer Welt hinaus, der als,

»Zu

schlecht, die Wirklichkeit im eignen Seyn zu finden, / Z u schön, von ungefähr sich aus dem Nichts zu winden« ( 1 , 1 5 7 f . ) , vorgestellt wird, provoziert die Form des Lehrgedichts selbst die Frage nach der Funktion der Ästhetik in dieser Art Heiliger Poesie. Hans Blumenberg zufolge, der die Geschichte des Lehrgedichts als eine »historische Phänomenologie der ästhetischen Grenzbezirke« liest, ist deren neuzeitliche Tradition von dem Widerspruch geprägt, daß die Form den antiken Optimismus des Zusammenhangs von tbeoria und eudaimonia bewahren will, den jedoch die neuzeitliche Moderne gesprengt habe, mit der das Wissen nicht mehr das G l ü c k v e r b ü r g e . 1 0 8 Wielands Lehrgedicht über Die Natur

der

Dinge, in dem dieser Widerspruch spürbar registriert ist, versucht gleichwohl dessen beunruhigendes Potential noch einmal zu befrieden. M i t anderen Worten, im Horizont der neuen Ästhetik die metaphysische Vollkommenheit auf die Glückseligkeit des Menschen hin zu zentrieren. Unter anderen Vorzeichen läßt sich damit auch bei Wieland die schon Klopstock charakterisierende A b sicht beobachten, eine moderne Differenz mit poetischen Mitteln einzuholen. Anders als der Messias strebt Wielands Lehrgedicht zwar nicht danach, »nach poetischer Denkungsart, dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln«, doch hat die poetische Präsentation der Naturgeschichte als Heilsgeschichte eine ähnliche Entwicklung zur Glückseligkeit im Sinn. Die

Natur

der Dinge reformuliert den antiken Zusammenhang von Wissen und Glückselig-

108

Hans Blumenberg, Diskussion: Die poetische Illegitimität der Lehrdichtung, in: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen (Poetik und Hermeneutik Bd. III), hrsg. v. H. R. Jauß, München 1968, S. 553ff. Vgl. ebd. B. Fabian, Das Lehrgedicht als Problem der Poetik, S. 67—89. 2I

3

keic als empfindsame Reanthropozentrierung der zeitgenössischen Metaphysik durch die liebenswürdige Beseelung des vollkommenen nexus universalis. Das Lehrgedicht soll noch einmal einen glaubwürdigen Zusammenhang restituieren, in dem die lux aesthetica mit dem lumen naturale und supranaturale harmoniert, und imaginieren, wie die Ordnung in der Theorie zum Glück des einzelnen führen kann. Von der weisen Verfassung des Kosmos zu überzeugen ist das Ziel einer poetischer Darstellung, für die das Lehrgedicht >wahrscheinliche< Argumente vereinigen kann, die aus den >wahren< Diskursen des Wissens der zeitgenössischen Philosophie und Theologie ausgeschieden wurden. Insofern legitimiert die Ästhetik des Lehrgedichts hier eine Zwischenstellung, von der aus einerseits mit Poesie und häretischer christlicher Lehre die aufgeklärte Kosmologie und die orthodoxe Theologie kritisiert werden können und andererseits der Poesie >heiliger Ernst< durch den der Glückseligkeit geltenden dogmatischen Gehalt des Lehrgedichts zuwächst. 109 Dieses Programm der poetischen Uberspielung moderner Differenzierungan hat Die Natur der Dinge jedoch nicht vor einer charakteristisch modernen Kritik bewahrt, die das Lehrgedicht auf seine Geltungsansprüche hin begutachtete. So unterscheidet Johann Heinrich Waser, unter anderem auch Verfasser der satirischen Briefe zweyer Landpfarrer, die Meßiade betreffend (1749), in einem Brief an Bodmer genau zwischen dem Dichter des Messias — » K l o p s tok fliegt allezeit in dem Himmel herum, und redet die Sprache der Engel, die er dichten kann, wie er will« — und dem Autor der Natur der Dinge·, »dieser hingegen bleibt auf Erden, redet menschlich, und darf den Leuten nicht blos vorschwäzen, was er will, weil sie auch Menschen sind«. 1 1 0 Darum ist der Rezensent skeptisch, ob es diesem gelingen werde, seine zur >Natur der Dinge< vorgestellten Thesen - unter denen Waser bezeichnenderweise an erster Stelle die von der Ewigkeit der Welt bedenklich erscheint - der Sache nach zu rechtfertigen: [ . . . ] er mag zusehen, wie er dem Feuer entrinne, wann er das U n g l ü k haben sollte, in die philosophische und die theologische Inquisition zu fallen [ . . . ] Es ist zwar gewiß, d a ß eben diese neue, unerwartete und zum Theil unerhörte D i n g e sein Gedicht aufstuzen, und den Leser auch dadurch desto m e h r in der A u f m e r k s a m k e i t erhalten; 109

Die Funktion der Poetizität des Lehrgedichts bleibt d a r u m schillernd. Einen rationalisierten Kosmos poetisierend spielt sie m i t dem Doppelsinn der >Möglichkeit< und m i t den der Einbildungskraft und dem Verstand gesetzten Grenzen. Die von H . T h o m é in Wielands Lehrgedicht beobachtete »Diskrepanz von A r g u m e n t und Dicht u n g « , insofern die »Redeformen der philosophisch-wissenschaftlichen oder auch pseudowissenschaftlichen Argumentation [ . . . ] m i t denen der poetischen Vergegenw ä r t i g u n g oder V e r k ü n d i g u n g « kollidierten, Riman und Naturwissenschaft, Eine Studie zur Vorgeschichte der deutschen Klassik, Frankfurt a. M . , Bern u n d Las Vegas 1978, S. 108, m u ß d a r u m eben noch nicht, wie T h o m é folgert, zur »Depravierung der Poetizität durch die Elemente der Argumentation« führen, ebd., S. 112. Brief vom 7 . 2 . 1 7 5 2 , zitiert nach: Briefe berühmter und edler Deutschen an Bodmer, S. 251.

214

allein, da er seine Sache beherzt f ü r W a h r h e i t ausgiebt, so giebt er auch einem jeden das Recht, demselben das poetische Kleid abzunehmen, und zu urtheilen, ob es wirkliche Wahrheiten, oder wichtige Irrthiimer seyn. 1 " Wielands Verteidigung gegenüber solchen Differenzierungen bestätigt doch zugleich »im Vertrauen« die Vermutung seines Kritikers, wie J o h a n n Heinrich Schinz in Zürich am 2 6 7 2 8 . 3 . 1 7 5 2 vom Dichter aus T ü b i n g e n erfahren darf: Sie, mein Wehrtester Freund, sind unter den Wenigen welche meine C o s m o l o g i e oder wie mann sie nennen will, aus dem wahren Gesichtspunct ansehen. Sie ist und soll nichts anders seyn als ein philosophischer Roman. Ich hätte wohl gethan wenn ich in dem Vorbericht weniger ernsthaft gethan hätte. Nichtsdestoweniger eröfne ich Ihnen im Vertrauen daß ich die χυριας δόξας meines S y s t e m s vor d e m o n s t r a b i ler halte." 2 Interessant ist an Wielands Rechtfertigung jedoch nun nicht so sehr die insgeheim eingeräumte Uberzeugung von der »demonstrierbaren« Wahrheit des umstrittenen Lehrgehalts der Natur der Dinge als vielmehr der Hinweis auf die ungünstige »Ernsthaftigkeit« ihrer Rezeption. E r scheint den Wahrheitsanspruch, der doch dem Text kontinuierlich eingeschrieben ist, begrenzen und ganz dem unterhaltenden Moment der Lehrdichtung unterordnen zu wollen. Doch führt diese — jedenfalls im nachhinein behauptete -

Intention in ein

rezeptionsästhetisches Paradox, das ein »philosophischer R o m a n « w i e Die Natur der Dinge kaum einlösen kann, deren Text gerade nicht seine unbedingte N ü t z lichkeit einer ironischen Brechung unterwirft, die am strengen Ernst des G a n zen zweifeln ließe. A b e r diese zweifelhafte Apologie deutet doch auch schon an, warum der Autor später die A u f n a h m e seines frühen Lehrgedichts in die Sammlung seiner Werke damit rechtfertigt, daß es immerhin sehen lasse, »von welchem Punkt er ausging, und welch einen Zwischenraum er zurückzulegen hatte, um 1 5 Jahre später nur zu M u s a r i o n

zu g e l a n g e n « . 1 1 3 Denn wenn

Musarion ( 1 7 6 8 ) im ganzen als eine feinsinnige Ironisierung der frühen Heiligen Poesie Wielands gelesen werden kann, so insbesondere darum, weil die wahre Weisheit der Philosophie der Grazien zufolge nun darin besteht, sich in gelassener Bescheidenheit zu üben. Glücklich wird, wer seine Neugierde und seinen Wissensdrang in natürlichen Grenzen zu halten vermag und [...] was Natur und Schicksal uns gewährt, Vergnügt genießt, und gern den Rest entbehrt; Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite " ' Ebd., S. 252. " 2 C. M. Wieland, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 37, S. 54t Vorbericht zur dritten Ausgabe von /770 (mit einigen Auslassungen und Zusätzen), zitiert nach: Christoph Martin Wieland, Sämmtlkhe Werke, Nachdruck der Ausgabe letzter Hand, Leipzig 1 7 9 4 - 1 8 1 1 , hrsg. v. der »Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur« in Zusammenarbeit mit dem »Wieland-Archiv«, Biberach/ Riß, und H. Radspieler, Hamburg 1984, Bd.XIII, Suppl.i, S. 10.

215

Betrachtet; dem Geschick sich unterwürfig macht, N i c h t wissen will was alles das bedeute, Was Zeus aus Huld in räthselhafte Nacht Vor uns verbarg [ . . . ] ' 1 4

1,4

Christoph Martin Wieland, Musarion oder die Philosophie der Grazien, Gesammelte Schriften, Bd. VII, S. 204, Verse 338—344. Z u dieser aufgeklärten »Antithese von N e u gierde und Lebensglück« siehe H . Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, S. 2 i 4 f f . Beispielhaft für die andere Möglichkeit, die Form des Lehrgedichts >ganz ernst< zu nehmen, erscheint dessen ideale, in erhabener Ferne aufgerichtete Konstruktion in der Kunstphilosophie Schellings: »Das Lehrgedicht κ α τ ' ε ξ ο χ ή ν kann nur ein Gedicht vom Universum oder der Natur der Dinge seyn. Es soll den Reflex des Universums im Wissen darstellen. Das vollkommene Bild des Universums m u ß also in der Wissenschaft erreicht seyn [ . . . ] Der Ursprung des absoluten Lehrgedichts oder des speculativen Epos fällt also m i t der Vollendung der Wissenschaft in eins zusammen [...]« Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Philosophie der Kunst (1802/1803), zitiert nach: Ausgewählte Schriften, hrsg. ν. M. Frank, Frankfurt a.M. 1985, Bd. 2, S. 494f.

216

V. Differenz und Differenzierung

Die Konjunktion von Heiligem und Poetischem zu Heiliger Poesie scheint auf den ersten Blick zu den vielfältigen theoretischen Differenzierungsbemühungen der Aufklärung wenig zu passen. Die in den vorangegangenen Kapiteln vorgenommene Rekonstruktion der problembewußten Engführung von >Dichtung< als >Offenbarung< in der Heiligen Poesie sollte jedoch zeigen, daß die Heilige Poesie gegenüber aufgeklärten Unterscheidungen kein naives Unternehmen ist. Ihr Integrationsanspruch will die Selbstbegrenzung aufgeklärter Poetologie auf Vergnügen und Belehrung nicht aufheben, sondern diese emphatisch aufs >Höchste< steigern. Insofern markiert die Heilige Poesie kein Zwischenstadium auf dem Weg einer sich gegenüber der Religion ausdifferenzierenden eigenen Darstellungsform autonomer Kunst, sondern reagiert selbst schon auf dieses bewußt werdende Auseinandertreten 1 -

mit ästhetisch-literarischen Mitteln.

Die Heilige Poesie läßt sich in diesem Sinn als ein Projekt der Aufklärung lesen, deren Differenzierungen sich, wenn auch nicht explizit, so doch implizit in ihrer Poetologie abzeichnen. Damit läßt sich Klopstocks beharrliches Insistieren auf »moralischer Schönheit« nicht nur als Verweigerung ästhetischer Modernität, sondern auch als Indiz dafür verstehen, daß diese Synthese gerade im Zusammenhang der artifiziellen Vers- und Bewegungs-Kunst des Dichters problematisch, aber darum nicht obsolet geworden ist. Entsprechend setzt die poetische Konkretion des Bösen im II. Gesang des Messias die Anfechtung »moralischer Schönheit« in Szene. Ahnlich birgt auch die Poetisierung des dichtenden Selbst in der Figur des Heiligen Poeten ein reflexives Moment, das die christliche Konversion der antiken Enthusiasmusvorstellung nicht einfältig tradiert. Weniger als unbe-

' Sehr aufschlußreich hierfür ist Gottscheds Ansicht Vom Ursprünge und Wachsthume der Poesie überhaupt, Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 6~jf{. Sich gegen diejenigen wendend, welche »abergläubischer Weise, den Wissenschaften gern einen heiligen Ursprung geben wollen«, statt »ihren Ursprung aus der Natur selbst« herzuleiten, ebd., S. 81 f., offenbart sich der Poetologe als früher Kritiker der Säkularisierungs-These, indem er die Abhängigkeiten umdreht: »Meines Erachtens würde man nimmermehr auf die Gedanken gekommen seyn, Gott zu Ehren Lieder zu singen; wenn man nicht vorher schon gewohnt gewesen wäre, zu singen. Und ich glaube vielmehr, daß man durch die geistlichen Lobgesänge, eine an sich selbst gleichgültige Sache geheiliget; als durch die weltlichen Lieder, eine an sich heilige Sache entweihet habe.«

217

dingte, fromme Resubstantialisierung des dichterischen Wortes zur Prophetie, sondern vielmehr als — allerdings bewegendes — Spiel mit einer Grenze des Vorstellbaren und ihrer imaginären Überschreitung im Medium der Poesie wären die literarischen Selbstdarstellungen des >göttlichen< Klopstock zu lesen. 2 Insofern nun die Heilige Poesie in und nicht vor der Ausdifferenzierung der kulturellen Systeme der Moderne zu situieren ist — deren Differenzierungen sie erkennen läßt, gerade wo sie diese zu überbieten oder zu überspielen trachtet —, fehlt ihren Texten jene ästhetische Selbstgewißheit, die sie homogen oder stabil sein ließe. Uber die eschatologische Verunsicherung hinaus, die Hans Blumenberg als Argument gegen eine »genuin christliche Ästhetik« 3 zu bedenken gab, erscheinen in ihnen kontinuierlich Figuren der Hypertrophie oder der Differenz, Bekenntnisse eines Überschusses an Empfindung oder an Fülle des Gegenstandes, vor denen Ausdruck und Vorstellung versagen und problematisch werden. Diese die poetische Darstellung erschwerende und doch auch provozierende Widerständigkeit ist im Sujet Heiliger Poesie angelegt, das ästhetischer Repräsentation zwar nicht schlechthin inkommensurabel ist, doch weltimmanent immer auf eine Weise unvollendet bleibt, die - um eine spätere Differenzierung zu bemühen — im literarischen Sinn nicht symbolisch, sondern nur allegorisch präsentiert werden kann. Andererseits soll jedoch >Heiliges< gerade durch die Texte Heiliger Poesie >wirklich< werden, insofern die poetische Darstellung als eine Form > lebendiger Erkenntnis< seine Wirkungsmacht ungehemmt entbinden kann. Darum steht dem Bekenntnis zur Inkommensurabilität, die sich in den Texten Heiliger Poesie immer wieder neu artikuliert und deren Motivation man im übrigen nur glauben kann, weil sie auf die eschatologische

2

Noch in einem Kommentar von 1 9 8 1 ist zur Enstehungsgeschichte des Messias zu lesen: »Mitten in diesen Überlegungen brachte eine nächtliche Traumvision ihm [Klopstock; J. J . ] die Lösung, die er in der Ode >An Freund und Feind< dargestellt hat. In einer weiteren Traumvision stand eine der wichtigsten Szenen des künftigen Heldengedichts von der Erlösung, das Weltgericht, vor ihm.« Friedrich Gottlieb Klopstock, Ausgewählte Werke, hrsg. ν. Κ. A. Schleiden, Bd. II, S. 1265. Oder, mit umgekehrtem Vorzeichen, als Beispiel für eine im schlechten Sinne aufgeklärte Klopstock-Kritik: W. Muschg, Tragische Literaturgeschichte, Bern ' 1 9 5 7 , S. 125, »In Wahrheit fehlte auch ihm [Klopstock; J . J . ] die wichtigste Voraussetzung zur Wiederherstellung des inspirierten Wortes. Er war gar keine religiöse Natur, erst die Lektüre von Bodmers hölzerner Milton-Übersetzung hatte ihn auf den Gedanken eines heiligen Gedichts gebracht.« Vermittelnd schließlich G. Kaiser, Klopstock. Religion und Dichtung, S. 135f., der die prophetische Inspirationsvorstellung Klopstocks »nicht nur als literarische Reminiszenz« verstehen möchte, sondern vielmehr als »das zentrale Motiv seines dichterischen und menschlichen Selbstverständnisses«. Mit dieser versöhnenden Vermittlung erscheint, zugespitzt, der >heilige Poet< als später Prä- oder früher Postmoderner: »Die Fiktion wird ihm zur lebensbestimmenden Wirklichkeit [...]«

' H. Blumenberg, in: Vierte Diskussion: Gibt es eine »christliche Ästhetik»?, mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen . . . , S. 605.

218

in: Die nicht

Transzendenz hin gerichtet ist, ein unirritierbarer Darstellungsoptimismus gegenüber, der im Extrem an wortmagische Beschwörungen erinnert. So negiert das Heilige der Heiligen Poesie nicht die Möglichkeit seiner literarischen Darstellung oder poetischen Repräsentation, wie es andererseits doch auch nicht in ihr aufgeht.

Heilige

Poesie als Differenzierung

Seit Max Webers oft zitierter Zwischenbetrachtung in der Wirtschaftsethik der Weltreligionen ( 1 9 2 0 ) ist der Prozeß fortschreitender Differenzierung als die Form erkennbar geworden, in der sich der spezifisch abendländische Prozeß fortschreitender Rationalisierung vollzogen hat. Webers Interesse gilt in der Zwischenbetrachtung den Motiven und Strukturen, den Stufen und Richtungen der religiösen Weltablehnung. Er will zeigen, wie im Zuge der Rationalisierung sich voneinander abgehobene gesellschaftliche Wertsphären differenzieren, und » i n nere E i g e n g e s e t z l i c h k e i t e n der einzelnen Sphären in ihren Konsequenzen b e w u ß t werden und dadurch in jene Spannungen zueinander geraten«, welche im Verhältnis der Religion »zur Welt und ihren Ordnungen« 4 immer schon latent angelegt war. Die Differenzierung der Religion beschreibt Weber im einzelnen als Disjunktion der »magischen« Bindungen zwischen dem religiösen Bereich und den Bereichen der Ökonomie, der Politik, des denkenden Erkennens, des Erotischen und der Kunst, aus der die »entzauberte« moderne Welt hervorgeht. Diese Profilierung einzelner Wertsphären oder in den Termini der hierin an Weber anschließenden Systemtheorie Niklas Luhmanns: die Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems in Subsysteme mit spezifischer Funktion, 5 ist im 18. Jahrhundert entschieden vorangetrieben worden, und die Ausbildung eines autonomen, also in seiner Funktion nicht ersetzbaren Literaturbegriffs wird gemeinhin auf seine letzten Dekaden datiert. Die »Betrachtung des Schönen [ . . . ] u m sein s e l b s t w i l l e n « , 6 nach der die Literatur nicht mehr primär moralischer oder religiöser Nützlichkeit unterworfen ist, sondern als ein In sich selbst Vollendetes geschätzt werden soll, findet in Karl Philipp Moritz' gleichnamiger Schrift Über den Begriff des In sich selbst Vollendeten (1785), die als Grün4

Max Weber, Zwischenbetrachtung. lehnung, in: Gesammelte Aufsätze

5

V g l . Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1 9 8 9 , S. 2 5 9 - 3 5 7 : »Die Ausdifferenzierung der Religion«. Dazu jetzt auch Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1 9 9 5 , bes. S. 2 1 5 - 3 0 0 : »Die Funktion der Kunst und die Ausdifferenzierung des Kunstsystems«.

6

Karl Philipp Moritz, Über den B e g r i f f des in sich selbst Günther, Frankfurt a.M. 1 9 8 1 , Bd. 2, S. 543.

Theorie der Stufen zur Religionssoziologie

und Richtungen der religiösen Weltab/, Tübingen '->1988, S. 5 4 1 .

Vollendeten,

Werke, hrsg. v. H .

219

dungsurkunde

einer klassischen

Autonomieästhetik

gelten

kann,

ein

erstes

t h e o r e t i s c h e s F u n d a m e n t u n d in d e r L i t e r a t u r d e r W e i m a r e r K l a s s i k i h r e p r a k t i s c h e P e r f e k t i o n . 7 D o c h diese s p ä t e D a t i e r u n g v e r s t e l l t l e i c h t d e n B l i c k f ü r d i e ihr voranliegenden Differenzierungsbemühungen, die gerade den betrachteten Zeitraum der Früh- und Hochaufklärung zwischen 1 7 3 0 und 1 7 5 0 prägen.8 D i e D i f f e r e n z i e r u n g e n d e r >Denkarten< b i s z u r J a h r h u n d e r t m i t t e , d i e s w a r d i e T h e s e , s i n d f ü r d a s E n t d i f f e r e n z i e r u n g s p r o g r a m m Heiliger Poesie k o n s t i t u t i v . B e g r ü n d e t sich d o c h d i e Heilige Poesie — b e i P y r a , K l o p s t o c k u n d W i e l a n d m i t je eigener A k z e n t u i e r u n g - gerade im B e w u ß t s e i n ihrer spezifisch literarischen oder ästhetischen Form, die nicht an die R e l i g i o n oder die Philosophie delegiert w e r d e n k a n n . Das schließt nicht aus, d a ß das unterschiedene Verfahren

nach

>poetischer Denkungsart< eine ü b e r die G r e n z e n d e r Literatur h i n a u s w e i s e n d e F u n k t i o n ü b e r n e h m e n s o l l . D e n n i h r e r F u n k t i o n n a c h , d i e sich als d i e V e r m i t t lung

l e b e n d i g e r Erkenntnis< d e r christlichen O f f e n b a r u n g beschreiben

läßt,

w o l l e n d i e A u t o r e n Heiliger Poesie i n d i e s e r g e r a d e M o r a l i t ä t , R e l i g i o n

und

Poesie z u s a m m e n s c h l i e ß e n , wie eben aus der derart angestrebten Synthese die Ü b e r l e g e n h e i t d e r >höheren< Poesie ü b e r d i e g e t r e n n t e n E i n z e l d i s k u r s e r e s u l t i e ren soll.

7

V g l . zur Epochendiskussion W. Vosskamp, Klassik als Epoche. Zur Typologie und Funktion der Weimarer Klassik, in: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein (Poetik und Hermeneutik B d . X I I ) , hrsg. v. R. Herzog und R . Koselleck, München 1 9 8 7 , S. 4 9 3 - 5 1 4 . Dort auch weitere Literatur.

8

So beispielweise bei S. Vietta, Die literarische Moderne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschsprachigen Literatur von Hölderlin bis Thomas Bernhard, Stuttgart 1 9 9 2 , f ü r den literarische Modernität eine geschichtsphilosophisch gebundene Kategorie ist und erst dort beginnen darf, wo sie, bezogen auf die Religion, einerseits als »Träger eines Utopieversprechens« geeignet ist, die Lücken zu stopfen, die die »Säkularisierung der Aufklärung« hinterlassen hat, und andererseits »Anteil am Prozeß der Dekonstruktion der traditionellen Metaphysik und Theologie« nimmt, ebd., S. 1 0 . N i c h t ganz so einfach macht es sich N . Werbers systemtheoretische Modellierung des Sachverhalts, Literatur als System. Zur Ausdifferenzierung literarischer Kommunikation, Opladen 1 9 9 2 . Werber führt die Ausdifferenzierung des Kunstsystems auf den um 1 8 0 0 ausgeprägten, spezifischen Code »interessant/langweilig« zurück und muß darum etwa die »interessante Gestaltung des theologisch Bösen«, mit der sich eine autonome literarische Codierung ausweise, als »für die Züricher Poetik zweifellos noch undenkbar« halten, ebd., S. 1 6 4 . A n der Dichtung Klopstocks beobachtet Werber entsprechend eine »fremdreferentielle B i n d u n g an die Religion«, die Klopstock gegenüber profaner Genieästhetik noch ein naives Sprachvertrauen sichere und ihn auf die ungebrochene Kommunikationspotenz seiner Literatur vertrauen lasse, ebd., S. 1 7 i f . Die Möglichkeit, die Werbers evolutionär angelegter »Trend von der Fremdsteuerung zur Selbstorganisation«, ebd., S. 38, unbegründet ausschaltet, liegt in dem gerade Klopstocks Heilige Poesie charakterisierenden Vermögen, trotz »Fremdsteuerung« auf sein Medium zu reflektieren, oder anders: dem Fremden ein hohes Maß an literarästhetischer »Selbstorganisation« zu implementieren.

220

D i e Differenzierungen, durch die sich das spezifische Verfahren Heiliger Poesie abhebt, sind diejenigen zwischen Religion und Poesie, Philosophie und Poesie und die innerliterarische Unterscheidung zwischen >heiliger< und > nichtheiligem Poesie. Kompliziert ist der Grenzverlauf zum Reich der Moral. Soll sich an ihm zumeist die klassische Autonomie der K u n s t und der ästhetischen Erfahrung entscheiden, 9 so ist bezogen auf die Heilige Poesie fraglich, ob und wie sich die Moralität eigens differenzieren läßt. Vielmehr scheint die »moralische Schönheit« als der »letzte Endzweck der höhern Poesie« — durch welche ihre Leser »auch schon in diesem Leben viel glückseliger seyn k ö n n t e n « 1 0 — nur zum Differenzierungskriterium innerhalb der schönen Literatur selbst zu dienen, eben um >höhere< von >niederer< zu trennen, wie andererseits auch die christliche Religion den Weg zur höchsten Glückseligkeit weist, denn »wie weit ist der Christ über Sokrates erhaben!« 1 1

Die Differenz zwischen Religion und Poesie Es sey aber ferne von mir / rhiimen / denn allein von dem Creutz vnsers HErrn Jhesu Christi / Durch welchen mir die Welt gecreutziget ist / vnd ich der weit. (Gal. 6; 14)

N a c h Max Weber resultiert die spezifische Differenz, die in der »Entfaltung der Eigengesetzlichkeit der K u n s t « gegenüber der Religion ausgetragen werde, aus der zunehmenden Relevanz der »Form« gegenüber dem »Sinn«: Alle sublimierte Erlösungsreligiösität blickt allein auf den Sinn, nicht auf die Form, der für das Heil relevanten Dinge und Handlungen. Die Form entwertet sich ihr zum Zufalligen, Kreatürlichen, vom Sinn Ablenkenden."

Die Heilige Poesie ist ein Grenzphänomen solcher Differenzierung, insofern sie einerseits den Formaspekt als eigenständigen geltend macht, andererseits religiösen Sinn aus der ästhetisch-literarisch artikulierten Form hervorgehen lassen will. Die Bedingungen, die Weber anführt, unter denen sich ein »unbefangenes Verhältnis« zwischen K u n s t und Religiosität weiter aufrecht erhalten kann, sind in diesem Zusammenhang aufschlußreich: Es müsse sich »das bewußte Interesse des Rezipierenden naiv am Inhalt des Geformten, nicht an der Form 9

10 11 12

Etwa bei H. R . Jauß im Prozeß der »Emanzipation« ästhetischer von religiöser Erfahrung, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik (1982), Frankfurt a.M. 1 9 9 1 , S. 3 0 3 f f . F. G . Klopstock, Von der heiligen Poesie, a.a.O., S. 1 1 8 . Ebd. M. Weber, Zwischenbetrachtung ..., S. 555.

221

rein als solcher« orientieren und »die Leistung des Schaffenden sich entweder als (ursprünglich: magisches) Charisma des >Könnens< oder als ein freies Spiel« 1 3 verstehen. Für ein derart zwischen Sinn und Form vermittelndes artistisches »Charisma« ließen sich in der Heiligen Poesie einige Anhaltspunkte finden. Klopstocks Stilisierung des Dichters zum heiligen Propheten in der typologischen Relation, die auf diese Weise von einem Interpretations- zu einem Produktionsmodell umgewidmet wird, kann als Erzeugung eines solchen »Charismas des Könnens« interpretiert werden, wie entsprechend auch das Interesse der Rezipienten Heiliger Poesie gerade nicht der »Form rein als solcher« gelten darf, wenn sie durch jene bewegt, überwältigt und erhoben werden sollen. Zur Begründung einer kunstvollen Heiligen Poesie gegen die religiöse Transzendierung des Wortes durch die >Kraft< des Geistes — oder, mit Weber, die Relevanz der ästhetischen Form für den religiösen Sinn — hatte, wie gezeigt, A. G. Baumgartens Ästhetik wesentliche Argumente bereitgestellt. Die Notwendigkeit »sinnlicher Erkenntnis< wurde Pyra zum Beleg für die Legitimität, sich um die künstlerisch anspruchsvolle Versinnlichung der abstrakten Verstandeswahrheiten der Religion zu bemühen. Demgemäß verteidigt Pyra den Dichter des Paradise IMt in seinem Erweis, daß die G*[o]ttsch*[e]dianische Sekte den Geschmack verderbe mit der Bemerkung, Milton habe »weiter nichts gethan, als die grösten Religionswahrheiten durch sinnliche Vorstellungen in ein recht würdig hohes Licht [zu] setzen«. u Doch diese Apologie läßt mehr als die Absicht erkennen, die Ästhetik für das religiöse Interesse zu instrumentalisieren. Ihre Metaphorik verrät, daß umgekehrt auch »die grösten Religionswahrheiten« dunkel bleiben, wenn sie nicht im — ästhetischen - »Licht« poetischer, sinnlicher Vorstellungen erscheinen. So resultiert für Pyra aus dieser Funktionsbestimmung der Dichtung als Konkretion sinnlicher Erkenntnis eben jener Eigensinn der Poesie, der nicht nur erklärt, warum »die Theologie ins besondre von einem epischen Dichter muß unterstützet werden«, 1 5 sondern im Gegenschluß nun auch die Trennung des theologischen vom poetischen Aspekt begründen kann. Diese Folgerung belegt Pyras Hinweis auf den »weisen Unterscheid«, den schon die »Alten« in ihrer Beurteilung des Homer getroffen hätten: Zwar seien die Fabeln des antiken Dichters unter einem »theologischen und philosophischen Gesichtspunkt« als »gottlos« zu beurteilen, doch sei darum nicht zu leugnen, »daß Homer demohngeachtet der größte Dichter bliebe«. Pyra resümiert: [ . . . ] es ist a b g e s c h m a c k t , eine d i c h t e r m ä ß i g e V o r s t e l l u n g , w i e einen theologischen oder p h i l o s o p h i s c h e n A u f s a t z zu richten, da sie durch g a n t z verschiedne

Gemüts-

kräfte, f o l g l i c h nach g a n t z verschiednen R e g e l n g e m a c h t s i n d . 1 6 Ebd. 14

I m m a n u e l J a k o b Pyra, Erweis. derbe, S. 3 0 .

15

E b d . , S. 54.

222

daß die G*[o]ttsch*[e]dianische

Sekte den Geschmack,

ver-

Breitingers Unterscheidung zwischen der Logik des Verstandes und der Phantasie entfaltet hier eine deutlich erkennbare Wirkung. Mit seiner der Poetik der Schweizer folgenden produktionsästhetischen These, daß »die Poesie nichts anders als eine W ü r k u n g der Einbildungskraft« 1 7 sei, die sich darum auch nur auf die subjektive Einbildungskraft ihrer Rezipienten einzustimmen habe, löst Pyra das Urteil über die »dichtermäßige Vorstellung« von dem über ihren Gegenstand. Was sich im Tempel der wahren Dichtkunst erst andeutete, ist hier vollzogen und bestimmt die Rechtfertigung Miltons: In der kunstvollen Artikulation religiöser Vorstellungen in Heiliger Poesie bringt sich ein Eigenrecht der Form zur Geltung, das nicht theologischen, sondern ästhetischen Regeln folgen muß. In diesem Zusammenhang ist nun der Begriff der »Einfalt < vorzüglich geeignet, über die referierten theoretischen Differenzierungsbemühungen hinaus die Problematik einer Heiligen Poesie in dem hier betrachteten Zeitraum noch einmal zu konturieren. An der komplexen Bedeutungsgeschichte der Einfalt läßt sich exemplarisch die Spannung verfolgen, welche die Differenzierung zwischen Religion und Dichtkunst als Differenz eines religiös-aufrichtigen, einfältigen und eines literarisch-artifiziellen, dichtenden Sprachverständnisses bewußt werden läßt. Die hier angedeutete Unterscheidung ist dabei nicht als Gegensatz zu verstehen, der sich in der Heiligen Poesie zur einen oder anderen Seite auflöste. 1 8 •6 Ebd., S. 42f. 17 Ebd., S. 5 3 . In dieser Wendung von einer objektbezogenen zu einer subjektbezogenen Orientierung der Dichtung liegt, wie W. Preisendanz gezeigt hat, die entscheidende Neuerung und die Differenz zwischen Gottsched und Breitinger, Mimesis und Poiesis in der deutschen Dichtungstheorie des 18. Jahrhunderts, in: Rezeption und Produktion zwischen 15JO und / 7 3 0 . Festschrift für Günther Weydt zum 65. Geburtstag, hrsg. v. W. Rasch u.a., Bern und München 1 9 7 2 , S. 5 3 7 — 5 5 2 . Die gegenüber der üblichen sozialhistorischen Datierung bemerkenswerte Einschätzung R . Grimmingers in bezug auf Pyra differenziert dagegen das Falsche: »Gottsched wollte die >Einheit< der Vernunft auch im sinnlichen Schein der Kunst durchsetzen; Pyra denkt schon wieder an »Ausdifferenzierung« der unterschiedlichen Bereiche«, Die Ordnung, das Chaos und die Kunst. Für eine neue Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a. M . 1 9 8 6 , S. 1 2 0 . Denn nicht die »Einheit der Vernunft« steht hier zur Debatte, sondern die Unterscheidung von Einbildungskraft und Verstand. Daß die Kunst nicht logisch Remonstriert«, steht auch für Gottsched, wie gezeigt, außer Zweifel. 18

Im Unterschied zur zeitgleichen Anakreontik, der nach eigenem Bekenntnis nicht zu >trauen< ist, insofern die poetische Rede nicht »Aufrichtigkeit«, sondern »Witz« zu beweisen habe. So ist nur konsequent, daß J . W. L. Gleim auch nicht den Autor, sondern »Doris« in der Vorrede zum zweiten Teil des Versuchs in Scherzhaften Liedern ( 1 7 4 5 ) warnen läßt: »Schliesset niemals aus den Schriften der Dichter auf die Sitten derselben. Ihr werdet euch betriegen; denn sie schreiben nur, ihren Witz zu zeigen, und solten sie auch dadurch ihre Tugend in Verdacht setzen.« Johann Wilhelm Ludw i g G l e i m , Versuch in Scherzhaften Liedern und Lieder, hrsg. v. A . Anger, Tübingen 1 9 6 4 , S. 7 1 .

22

3

Aus diesem Spannungsverhältais, das aus dem Einsatz neuer sprachästhetischer Mittel zu einem alten erbaulichen Zweck entsteht, resultieren vielmehr gesteigerte Anforderungen an das veri simile·, das Wahrscheinliche, und an das credibile·. das Glaubwürdige der poetischen Rede. Erst im Licht dieses Problems läßt sich der Aufwand verstehen, mit dem die Heilige Poesie auf die Aufrichtigkeit ihrer Dichter reflektiert und in verschiedensten Ausprägungen deren Beweise zu inszenieren versucht. Er ist nicht zuletzt als der Versuch zu deuten, das Ende der Einfalt, das die originelle Artifizialität einer ästhetisch differenzierten und gesteigerten Sprachform einleitet, so zu bewältigen, daß diese gleichwohl noch als Heilige Poesie eine tradierte Funktion erfüllen kann: ihre Leser zur Glückseligkeit zu bilden. 19 Die dabei hier erst einmal unterstellte Semantik der Einfalt als >Aufrichtigkeit< rekurriert auf die christliche Tradition des Wortgebrauchs. Nach dieser gewinnt die Einfältigkeit (simplicitas) als Tugend der Demut, die nicht mehr wissen will, als sie wissen kann, und insbesondere als Tugend der Wahrhaftigkeit die Bedeutung eines vorrangigen ethischen Postulats. Das »reine Herz« eine Seele ohne verborgene Falten: »sine plica« — ist die Bedingung der Seligkeit. 20 Wie die damit geforderte christliche Aufrichtigkeit sich in der Identität von Gesinnung, Handlung und Sprache bewährt, so erlaubt umgekehrt mit Mt. I2J34 — »Wes das Herzt vol ist / des gehet der Mund vber« - , die individuelle Rede auch, auf die Gesinnung rückzuschließen. Diese Unmittelbarkeit läßt jedes Wort zum >Ausdruck< und zum >Zeugnis< werden, und entsprechend heißt es bei Paulus 2.K»r.i;i2ff.: D E n n vnser R h u m ist der / nemlich / das Zeugnis vnsers Gewissens / Das wir in einfeltigkeit vnd Göttlicher lauterkeit / nicht in fleischlicher Weisheit / sondern in d e r g n a d e Gottes auff der Welt gewandelt haben / [ . . . ] Denn wir schreiben euch nichts anders / denn das jr leset / vnd auch befindet [ . . . ] sondern bey mir ist ja / J a / v n d nein ist N e i n .

Die hier etablierte Differenz zwischen »einfeltigkeit vnd Göttlicher lauterkeit« und »fleischlicher Weisheit« führt mittelbar zu einem Stilideal, das die Einfalt 19

Eine andere, doch aus der Ferne höchst wirksame, Ursache für das zu beobachtende »Ende der Einfalt« resultiert aus der metaphysischen B e g r ü n d u n g der » K o m p l e x i t ä t bei Leibniz. In der Mannigfaltigkeit des Kosmos die Repräsentation der Einfalt zu suchen, ist für die in ihm befangene Seele ein vergebliches Ideal, Monadologie, § 61: »Eine Seele kann aber in sich nur das lesen, was auf deutliche Weise in ihr dargestellt ist, sie k a n n nicht alle ihre Falten m i t einem Schlage auseinanderwickeln [elle ne sauroit développer tout d'un coup ses replis], d e n n sie gehen bis ins Unendliche.« Gille Deleuze f ü h r t vor, wie sich aus der »Falte« nicht n u r das Denken Leibniz' gegen die »Geradheit des Descartes«, sondern auch das ganze Zeitalter u n d schließlich eine bis h e u t e reichende Rationalitätskritik entwickeln läßt: Oie Falte. Leibniz und der Barock, F r a n k f u r t a. M. 1995.

20

V g l . N . Brox, Der einfache Glaube und die Theologie. Zur allkirchlichen Geschichte eines Dauerproblems, Kairos 14 (1972), S. 161 — 187.

224

als pia simplícitas zum christlichen E r k e n n u n g s m e r k m a l werden läßt. In der frühchristlichen Bibelapologie motiviert sie die U n t e r s c h e i d u n g zwischen einer profanen, prunkvollen, d e m Schein der W e l t dienenden R e d e k u n s t und einer christlichen Rhetorik, die ihre höchste W a h r h e i t nicht i m genus sublime, sondern den Heiden zum >Argernis< i m genus humile a r t i k u l i e r t . 2 1 Schon bei den K i r chenvätern jedoch gerät die simplicitas in eine semantische A m b i v a l e n z , nach der die Einfalt nicht m e h r nur A u f r i c h t i g k e i t , sondern i m pejorativen Sinn auch f r o m m e D u m m h e i t bezeichnet, der durch christliche B e l e h r u n g zu b e g e g nen ist. 2 2 Im P i e t i s m u s erlebt die Einfalt als K a m p f b e g r i f f g e g e n eine >herzloselebendig< werden lassen, sondern - dieses A r g u m e n t entfaltet

21

22

Vgl. H. Auerbach Sermo humilis,

in: Literatursprache

und Publikum in der

lateinischen

Spätantike und im Mittelalter, Bern 1958, S. 25—63. Hinter dieser Ambivalenz steht das Problem der Balance von pistis und gnosis, siehe N . Brox, Der einfache Glaube ..., S. I 7 3 f f · , und für den größeren Zusammenhang H .

Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, S. Ó5ff. ' Vgl. A. Langen, Der Wortschatz des deutschen Pietismus, S. 362ÍT. 24 August Hermann Francke, Einfältiger Unterricht wie man die H. Schrift zu seiner Erbauung lesen solle (1694), Werke in Auswahl, S. 2 1 6 - 2 2 0 . 2

25 26

wahren

Ebd., S. 2 1 6 . Ebd. 22

5

Francke in zahlreichen Schriften und Predigten -

die Einfalt des biblischen

Textes selbst verfehlen. Darum m u ß Francke zeigen, daß es die Einfalt der Rede J e s u Christi und der Evangelien ist, die ihre einfältige Lektüre verlangt. Diese Einfalt, so läßt sich zusammenfassen, imitiert m i t ihrer Schmucklosigkeit nicht nur das christliche Proprium des Kreuzes, sondern ist, allgemeiner noch, A u s druck des Vorrangs der »Sache selbst« vor ihrer sprachlichen Darstellung, deren » N i e d r i g k e i t « die Hoheit der christlichen Botschaft nur u m so stärker herausstellt: Bey dieser Einfälcigkeit siehet der geistliche Mensch allein auff die Sache selbst / und ist im geringsten nicht um hohe Worte und verblümte Reden / noch um irgend einige Kunst / welche die weltlichen Redner suchen / bekümmert; sondern er suchet allein einen festen und gewissen Grund der Weißheit / darinnen die Seele wahrhafftige Ruhe finden könne [ . . .] 2 7 A u s diesem Z i t a t spricht nicht n u r die unverhohlene Skepsis gegenüber der rhetorischen Tradition, sondern vielleicht auch ein M o t i v ihrer Distanzierung. 2 8 Denn es scheint gerade das Pathos der sprachgewaltigen Bewegung zu sein, welches die intendierte Seelenruhe stört. So g i b t Francke denn auch, Spiegeigegen S t r o m m e t a p h o r i k ausspielend, der »stillen« Betrachtung des biblischen Textes den Vorzug:

37

A u g u s t H e r m a n n F r a n c k e , Christus der Kern Heiliger Schrift ( 1 7 0 2 ) , Werke in

28

S. 239. Das Verhältnis des Pietismus zur Rhetorik bedürfte einer eigenen Untersuchung. Vgl. dazu vor allem die differenzierte Darstellung bei W. Martens, Hallescher Pietismus und Rhetorik.

Zu Hieronymus Freyers »Oratoria«,

Auswahl,

i n : d e r s . , Literatur und Frömmigkeit in der

Zeit der frühen Aufklärung, Tübingen 1989, S. 1 — 23. R. Breymayer vertritt in seinen S t u d i e n Pietistische Rhetorik ...,

a . a . O . , u n d Die Erbauungsstunde als Forum pietistischer

Rhetorik, i n : Rhetorik. Beiträge zu ihrer Geschichte in Deutschland vom 16. — 20.

Jahrhun-

dert, hrsg. v. H. Schanze, Frankfurt a. M. 1974, S. 87 — 104, dagegen die These, daß der Pietismus der Rhetorik nicht ablehnend gegenüberstand, sondern die pietistische Kritik an der Rhetorik als »rhetorica contra rhetoricam« aufgefaßt werden müßte. In diesem Sinne auch G. Ueding, Art. » A u f k l ä r u n g « , in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik·. »Doch die scheinbar antirhetorische Tendenz [der pietistischen Rhetorik; J . J . ] erweist sich bei näherem Zusehen als bloße Verlagerung der rhetorischen Wirkungsintentionen.« Zweifellos kann jede Äußerung in diesem Problemzusammenhang auf eine der »zahlreichen innerrhetorischen Auseinandersetzungen in der Geschichte der rhetorischen Traditionen«, R. Breymayer, Pietistische Rhetorik ..., S. 267, zurückbezogen werden, die dann »durchaus nicht im Widerspruch zu altehrwürdigen rhetorischen Theoremen« stehe, ebd., S. 263. Doch eben diese von Breymayer eindrucksvoll vorgeführte Omnipräsenz rhetorischer Muster bedarf der Differenzierung. Denn zur Diskussion steht im Zusammenhang des Problems einer christlichen Rhetorik nicht die Rhetorik als Reflexion sprachlicher Darstellung überhaupt, sondern die Rhetorik als eine von menschlicher Weisheit geführte »Kunstfertigkeit«, gegenüber der die »Kunstlosigkeit« »göttlicher« Beredsamkeit ins Spiel gebracht werden kann, vgl. dazu D. Gutzen und M. Ottmers, Art. »Christliche Rhetorik«, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik.

226

Und wird niemand mehr Nutz davon bringen / denn die ihr Hertz stille halten / alle Ding ausschlagen / und mit Fleiß drein sehen / gleich wie die Sonne in einem stillen Wasser gar eben sich sehen lasset / und kräfftig wärmet / die im rauschenden und lauffenden Wasser nicht also gesehen werden mag / auch nicht also wärmen kan. 29 Wohl kein größerer Gegensatz zu Klopstocks bester Art über Gott zu denken läßt sich formulieren als diese Absage an die bewegende Macht des Wortes. Ein Gegensatz, der um so schwerer wiegt, als der Pietist Francke und der Poet Klopstock das gleiche Z i e l im Sinn haben: die l e b e n d i g e Erkenntnis< Gottes. N u n sind die zitierten Äußerungen Franckes nicht so zu verstehen, daß das biblische Wort den Gläubigen nicht bewegen solle — gerade die Franckesche Bibelhermeneutik widmet dem A f f e k t die größte Aufmerksamkeit. Doch ist es nicht eine dem Wort wesentlich zukommende eigene K r a f t , sondern die gnädige Zuwendung des Heiligen Geistes, die ursächlich für dessen >lebendige< W i r k u n g ist. Darum ist nach Franckes Vorstellung die Bibellektüre u m das Gebet konzentriert. Die Angewiesenheit des Wortes auf >Kräftigung< läßt ein von Francke in diesem Zusammenhang vorgeschlagenes Gebet erkennen, das die Lesung der Bibel beschließen solle. Entscheidend ist hier die zeitliche Verschiebung von Lektüre und W i r k u n g , die deren kausalen -

gleichsam aus

eigener K r a f t zu erwirkenden — Zusammenhang suspendiert: O du getreuer / himmlischer Vater / Lob / Ehr / Preiß und Danck sey dir demilhtiglich gesagt / [...] Schreibe es nun alles / was ich gelesen / mit dem Göttlichen Finger deines heiligen Geistes in mein Hertz / und versiegle es mit demselbigen [.. .] i 0 Im Horizont solch spiritualistischen Schriftverständnisses kann nun die Einfalt des sprachlichen Ausdrucks gegen die traditionellen Figuren des ornatus ausgespielt werden. Die Verweigerung »hoher Worte« für die Majestät des Neuen Testaments interpretiert Francke als gottgewolltes >Ärgernis< für die weltliche Weisheit des »natürlichen Verstandes« der verbildeten »Gelehrten nach dem Fleisch«, 3 1 die nicht erkennen mögen, daß es die Liebe Gottes ist, die sich in die »aller einfältigsten niedrigsten und schlechtesten Worte« kleidet, so daß sie »jederman [ . . . ] leicht verstehen« kann und »der W ü r c k u n g des heiligen G e i s t e s « 3 2 kein künstliches Hindernis entgegengestellt ist. 29 ,0

51 32

A. H. Francke, Einfältiger Unterricht, S. 2 1 8 . Ebd., S. 219. Die Verse An den Leser, mit denen Gerhard Tersteegen sein Geistliches Blumengärtlein, S. 35, eröffnet, zeigen die interessante Folge für eine Literatur, die sich in diesem Kontext ansiedelt — ihre potentielle Verzichtbarkeit: »Mensch, Gott dein Anfang ist; hast du ihn selbst im Wesen, So hast du schon das End' von dieser Schrift gelesen. Suchst du ihn noch, so lies dies auf der Pilgerbahn! Bist du ein solcher nicht, so geht es dich nicht an.« Francke, Christus der Kern Heiliger Schrift, S. 24of. Ebd., S. 242. Daß Francke andererseits eine hoch reflektierte Predigtlehre entwickelt, die »mit beweglichen Worten, Reitzungen und Evangelischen Gründen« den Seelen den Weg weisen will, August Hermann Francke, Send-Schreiben vom erbaulichen Predigen

227

An der Deutungsgeschichte, die sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts am Begriff der Einfalt entfalten läßt, wird gerade im Zusammenhang der Diskussion um die Heilige Poesie sowohl der Hebräer als auch der Zeitgenossen ablesbar, wie gegenüber der an Francke exemplifizierten Position der Aspekt der literarischen Form weiter an Bedeutung gewinnt. Schon das Beispiel Immanuel Jakob Pyras, der mit Longin die »recht himmlische Hoheit« der Bibel gegen ihre einfältige Lesart erweisen wollte, 33 belegte, daß die Überzeugungskraft der Differenz von »Wort« und »Kraft« — nach 1 .Kor.4,20 »Denn das reich Gottes stehet nicht in worten / sondern in krafft« - abnimmt. Ihr wird auf verschiedene Weise widersprochen. Friedrich Christoph Oetingers Versuch etwa in seiner Abhandlung Etwas Ganzes vom Evangelio ( 1 I739), die »Vortrefflichkeit der Redekunst heiliger Schrift ohne Kunst« 3 4 zu entwickeln, führt die Einfalt zwar immer noch als Oppositionsbegriff zu heidnischer Beredsamkeit ein, begreift aber analog zur paradoxen Formel der »Redekunst ohne Kunst« die Einfalt nun als erfüllte Einheit der Mannigfaltigkeit der Schöpfung in ihrer »schönsten Übereinstimmung«, 3 5 wie Oetinger in der Schrift Von den unerkannten Zierlichkeiten der heiligen Schrift (1750) formuliert. Mit dieser in der theologischen Tradition insbesondere bei Nikolaus von Kues vorgeprägten Umorientierung des Begriffs bei Oetinger, nach der sich nun die Einfalt als eine harmonische Ordnung der Mannigfaltigkeit begreifen läßt, ist sie auf diese Weise auch an die geoffenbarte Herrlichkeit der Schöpfung und des göttlichen Wortes anschließbar. Die Einfalt kann damit zu einem ästhetischen Begriff im aufgeklärten Sinn werden, mit dem sich die in der Fülle erscheinende Vollkommenheit denken läßt. Oetingers Interesse gilt der verlorengegangenen Einheit von Empfindung und Verstand, von Sprache und Gegenstand, die in der heiligen »Einfalt« der biblischen Schrift »unerkannt« verborgen liege: O wären wir aus Gott geboren, wir würden das Zarte, das Wundersame, das Schöne in der Rede und Sprache Gottes mehr bewundern [ . . . ] , wir würden es nicht als bloße Bilder und Metaphern ansehen, w i r würden durch eine innere Verwandschaft der Sachen und Verhältnisse übermeistert werden [.. ( 1 7 2 5 ) , Schriften und Predigten, Bd. 1 0 : Predigteη II, S. 7 , muß dem hier Entwickelten nicht widersprechen. So endet Francke auch sein Send-Schreiben mit einem Gebet, darin heißt es, Predigten II, S. c>{.: »Drucke doch auch einem ieden Lehrer tief in sein Hertz / daß weder der da pflantzet / noch der da begeusset / etwas ist / sondern du / der du da das Gedeyen gibst / alles bist / damit er nicht meyne / er wolle es durch sein predigen ausrichten [ . . . ] « » V g l . oben, S. i o 3 f f . Friedrich Christoph Oetinger, Etwas Ganzes vom Evangelio, Sämtliche Schriften, Nachdruck der Ausgabe Stuttgart i 8 5 2 f f . , hrsg. v. K.Chr.E. Ehmann, neu hrsg. v. E. Beyreuther, Stuttgart 1 9 7 7 , Bd. II. 3 , S. 5 1 5 . V g l . dazu D . Gutzen, Poesie der Bibel..., S. 5 0 - 5 3 .

34

"

Friedrich Christoph Oetinger, Von den unerkannten Zierlichkeiten der heiligen Anhang zu: Die Psalmen Davids, Sämtliche Schriften, Bd. I I . 3 , S. 4 9 1 . Ebd., S. 4 9 2 .

228

Schrift...,

So hält sich in dieser Interpretation der Einfalt gleichwohl noch ein rhetorikkritisches Moment, das aus der angestrebten Resubstantialisierung des göttlichen Wortes herrührt. Nicht die »Blumen« des Heiligen Geistes gelte es zu verehren, sondern »die Realität darunter«. 37 In der zeitgenössischen Dichtungstheorie ist es nun jedoch nicht die sancta simplícitas, sondern die Konnotation der Einfalt mit der ungekünstelten Natur, welche als natürliche Einfalt< erhebliche Wirkung entwickelt und maßgeblich zur Karriere des Begriffs bei J . J . Winckelmann als »edle Einfalt und stille Größe« der griechischen Kunst und bei F. Schiller als Charakteristikum der »naiven« gegenüber der »sentimentalischen« Dichtung beiträgt. Anders als die Einfalt des Herzens beschreibt die Einfalt der Natur weniger eine religiösmoralische als vielmehr eine ästhetische Qualität, die sich jedoch, wie schon Schiller registrierte, ebensowenig zum Ideal einer eben naturfernen, »sentimentalischen« Heiligen Poesie eignet. 38 Ihren Ausgang nimmt diese andere Bedeutungstradition der Einfalt von den Vorstellungen, die im französischen Kontext mit simplicité und besonders im englischen mit simplicity verbunden sind. Simplicity ist für den Earl of Shaftesbury der Inbegriff der vollkommenen Natur, die ihre Mannigfaltigkeit in die wunderbare Ökonomie einer harmonischen Ordnung integriert, welche die Quelle alles Schönen ist. Insofern ist simplicity die Auszeichnung höchster Schönheit und die Antike gerade darum vorbildlich, weil sie simplicity und nature vereint. 39 In diesem Sinn argumentiert auch Joseph Addison im Spectator, wenn er die »Simplicity« der menschlichen Natur in lange zurückliegenden Zeiten entdeckt: If we look into the Manners of the most remote Ages of the World, we discover Human Nature in her Simplicity; and the more we come downward towards our own Times, may observe her hiding herself in Artifices and Refinements, [ . . . ] and at length entirely lost under Form and Ceremony [.. ,]4(> 37

38 39

40

Ebd., S. 499. R . Breymayer versucht dagegen, diese Differenz mit der Unterscheidung von »Affektrhetorik« und »Regelrhetorik« noch als innerrhetorische zu beschreiben, siehe Pietistische Rhetorik . . . , S. 266f. F. Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 7 3 4 f f . Vgl. R . D . Havens, Simplicity, a changing concept, Journal of the History of Ideas 1 4 ( 1 9 5 3 ) , S. 3 - 3 2 . Der Aspekt der Ökonomie der »edlen Einfalt« der Natur, die »bey rührenden Gegenständen nach den Gesetzen einer vernünftigen Sparsamkeit zu Werke gegangen ist«, kehrt etwa bei Friedrich v. Hagedorn wieder, zitiert nach: W. Stammler, »Edle Einfalt«. Zur Geschichte eines kunsttheoretischen Topos, in: Worte und Werte. Bruno Markwardt zum 60. Geburtstag, hrsg. v. G . Edelmann und A . Eichstaedt, Berlin 1 9 6 1 , S. 3 6 1 . Joseph Addison und Richard Steele, The Spectator, ed. by Donald F. Bond, vol. II, Nr. 2 0 9 ( 3 0 . 1 0 . 1 7 1 1 ) , S. 3 1 8 . Hier klingt bereits ein kulturkritisches Moment an, das etwa Johann Georg Sulzer in seinen Unterredungen über die Schönheit der Natur ( 1 7 5 0 ) , die im ganzen von einer intensiven Shaftesbury-Lektüre zeugen, in der kritischen Opposition von »einfältiger Natur« und »großer Welt« aufnimmt: »Laßt uns indessen bemühen, die Menschen erst in die Schule der N a t u r zu führen, daß sie auf ihre Schönheit aufmerksam werden; [ . . . ] Himmel! welche Aussicht, sagte ich, wenn

22 9

D i e »Simplicity«, durch die sich die unverstellte menschliche N a t u r auszeichnet, eignet auch den Kunstwerken, die diese hervorbringt. 4 ' So verteidigt der Spectator den »Divine Poet« Homer und die »Homeliness of some of his Sentiments« gegenüber seinem modernen Kritiker Charles Perrault mit der bezeichnenden Unterscheidung von »Delicacy« und »Greatness of G e n i u s « . 4 2 Diese H o m e r zugeschriebene

natürliche

EinfaltHeiligen< den kunstvollen Gebrauch der Sprache ihrem einfältigen vorzuziehen, sondern vor allem mit der Akzentuierung des Moments der Mannigfaltigkeit und der Fülle, das die Konzeption der Heiligen Poesie Pyras wie auch Klopstocks bestimmt. Insofern die skizzierte Bedeutungsgeschichte Einfalt sowohl in religiöser als auch in literarästhetischer Hinsicht mit der Bedeutung einer absichtsvollen, sprachkritischen >Bescheidenheit< belegt hatte, stand sie

50

V g l . Friedrich Gottlieb Klopstock, Von der Bescheidenheit ( 1 7 5 9 ) , Sämmtliche sprachwissenschaftliche und ästhetische Schriften . . . , Bd. V, S. 1 2 5 - 1 3 2 . Dort werden »Natürlichkeit und edle Einfalt« als »Kennzeichen« der »Bescheidenheit« vorgestellt, die dem falschen »Schein« entgegengesetzt sind, ebd., S. 1 2 7 . Dagegen fehlt bezeichnenderweise die »Einfalt« in dem Gespräch von der wahren Hoheit der Seele aus dem gleichen Jahr, Sämmtliche Werke, B d . X I , S. 2 5 2 — 258. Denn »wahre Hoheit« ist nicht einfältig, sondern erhaben: Sie offenbart sich als »eine außerordentliche Ueberwindung unsrer selbst«, ebd., S. 254.

51

Friedrich Gottlieb Klopstock, Von der Wortfolge (1779), Sämmtliche sprachwissenschaftliche und ästhetische Schriften ..., Bd. II, S. 2 8 1 . Friedrich Gottlieb Klopstock, Eine Beurtheilung der Winckelmannischen Gedanken Uber die Nachahmung der griechischen Werke in den schonen Künsten ( 1760), Sämmtliche sprachwissenschaftliche und ästhetische Schriften . . . , Bd. IV, S. I29f.

52

2

32

q u e r zu der A b s i c h t , »auch nach poetischer D e n k u n g s a r t , dasjenige, was uns die O f f e n b a r u n g l e h r t , weiter zu e n t w i c k e l n [. . . ] « 5 3 D o c h insofern sich m i t d e m B e g r i f f der Einfalt n i c h t nur S c h l i c h t h e i t oder A u f r i c h t i g k e i t v e r b i n d e t , sondern m i t einer F o r m u l i e r u n g aus N i k o l a u s von K u e s ' De docta ignorantïa

auch die K r a f t der Z u s a m m e n f a l t u n g des M a n n i g f a l t i -

gen in G o t t , »der alles in der E i n f a c h h e i t der E i n h e i t einfaltet [ o m n i a in sua s i m p l i c i t a t e unitas c o m p l i c a n s ] « , 5 4 b l e i b t auch die Heilige

Poesie a u f die F o r m -

s t r u k t u r christlicher E i n f a l t bezogen. Sie läßt sich als entfaltende U m k e h r u n g einer derart verstandenen g ö t t l i c h e n >Einfaltung< verstehen, die n i c h t für G o t t , sondern für M e n s c h e n schreibt, deren Vorstellungskraft a u f die poetische E n t b i n d u n g der » u n i t a s c o m p l i c a n s « angewiesen ist. D a s Besondere der K l o p s t o c k schen P o e t o l o g i e b e s t e h t nun darin, diese E n t f a l t u n g g l e i c h w o h l » m i t der m ö g lichsten S p r a c h k ü r z e « zu vereinbaren, welche die B e d i n g u n g für die bewegende S c h n e l l i g k e i t der poetischen D a r s t e l l u n g ist. B e z e i c h n e n d ist die vorgeschlag e n e Lösung, die aus der effektiven Ö k o n o m i e der L e i b n i z - W o l f f s c h e n M e t a physik ein P r i n z i p ästhetischer V e r d i c h t u n g werden läßt, das schon in J o h a n n J a k o b B r e i t i n g e r s T h e o r i e der » M a c h t w ö r t e r « a n g e l e g t war. Als » M a c h t w ö r t e r « bezeichnete B r e i t i n g e r d i e j e n i g e n A u s d r ü c k e , die einen weitläufigen

Begriff

symbolisieren und d a r u m viel zu denken A n l a ß g e b e n . 5 5 Aus ihnen resultiert d a m i t eine besondere poetische L e b h a f t i g k e i t . M i t K l o p s t o c k s W o r t e n : »Durch Zusammendrängung des Mannichfaltigen.« Allein dieß muß nicht Uberfluß seyn, und mit der möglichsten Sprachkürze ausgedrückt werden. Bey der Einfachheit und Stärke kommen Gedankenkürze und Sprachkürze zusammen; hier findet nur die letzte statt. 5Totenbeschwörung< ist in seiner Größe erhabener als alles, was Rede wird.«

62 63

F. G . Klopstock, Von der heiligen Poesie, S. 1 2 5 . Ebd., S. 126: »Einfalt und Hoheit sind hier die Züge der lezten Hand.«

235

d a r a u f h i n d e u t e n , daß sich die geschilderte » H a n d l u n g « nicht in ihrer historischen Bedeutung als »Begebenheit« erschöpft, sondern zugleich auch auf einen messianischen Sinn verweist. D i e korrespondierende Fähigkeit zu dieser vermischten Darstellungsform wäre der Tiefsinn, der die Lesenden befähigt -

um

noch einmal die Schlußformel aus Klopstocks Von der heiligen Poesie zu zitieren - , aus den »Bruchstücken« der poetischen Darstellung einen »Tempel« in ihren Herzen entstehen zu lassen. Einen M o m e n t in Klopstocks Messias g i b t es nun, in welchem Stille, G e heimnis und Einfalt zusammengeführt werden — das » G e h e i m n i ß « sich als solches darstellt und einfältig wird. Es ist die Darstellung des Kreuzestodes, m i t der, einmal, auch der Dichter schweigt: U n d er neigte sein H a u p t , und starb. (X,I052)

D e n n dieser letzte Vers des zehnten Gesangs des Messias, der nach dem vierten Versfuß gleichsam >verstummtprofanen< Literatur, die im übrigen mehr der polemischen Kontrastierung dienen, als für sich ernst zu nehmen sind, gelten der Kritik einer gewissermaßen selbstgenügsamen Literatur, die als »eitle«, »tändelnde« oder »niedrige« und »gewöhnliche« Kunst distanziert wird. Die Erhebung über die Niedrigkeit einer im Weltlichen befangenen Poesie führt zum Erhabenen als Leitbegriff einer Differenzierung Heiliger Poesie aus dem Bereich einer nach zeitgenössischer Ansicht dem prodesse und delectare

zugeschriebenen Dichtkunst, die deren Ziele nach

eigenem Verständnis in ihrer höchsten Form verfolgt. Erhabenheit verbürgt der Heiligen Poesie zunächst ihr Gegenstand - die christliche Offenbarung - , deren angemessene poetische Darstellung der rhetorischen Tradition den >hohen Ton< verlangt. Es scheint demnach, als ob die Unterscheidung Heiliger Poesie von anderer Literatur gerade aus einer gesteigerten und mit besonderer Aufmerksamkeit versehenen Entdifferenzierung gegenüber Moral und Religion resultiert. Jedoch vollzieht sich diese die Opitzsche Vorstellung der Dichtung als einer »verborgenen Theologie« explizierende Integration nach »poetischer Denkungsart«, und ihr bemerkenswertes Ergebnis ist, daß sie zu einem neuen Differenz- und Problembewußtsein der Möglichkeiten poetischer Darstellung führt. M i t dem Erhabenen ist damit nicht nur die sprachmächtige, bewegende Entfaltung, sondern auch das Scheitern poetischer Artikulation gegenwärtig. Damit gerät jedoch insbesondere die Heilige Poesie Klopstocks in eine komplexe Situation, insofern ihr höchster, »unendlich erhabenen

Darstellungsge-

genstand als solcher gerade durch seine Undarstellbarkeit charakterisiert ist. Wenn auch die christliche Offenbarung Dichter und Leser »von einem Hügel auf ein Gebirge« 6 6 führt, so ergibt sich doch aus diesem Zugewinn an >Ausblick< das Problem, wie die sich damit notwendig einstellende Differenz von >Anschauung< und >Ausdruck< so dargestellt werden kann, daß sie ihre Leser nicht erschöpft, sondern erhebt. Darum gilt die Anstrengung Heiliger

Poesie

einer Bewegung, die dieser Erweiterung Rechnung trägt. Sich zur »besten Art über G o t t zu denken« zu erheben, heißt, sich durch die größtmögliche Fülle der Vorstellungen seiner Unermeßlichkeit nahe zu bringen. Darum ist das Erhabene der Heiligen

Poesie vor allem ein Phänomen der Mannigfaltigkeit und

unendlicher sprachlicher Explikation und erst in zweiter Linie eine Repräsentation verweigernde Figur. Im kunstvoll vorgeführten Scheitern der Form an der 66

F. G. Klopstock, Von der heiligen

Poesie, S. 118.

237

theologisch oder metaphysisch unterstellten Fülle der Substanz wird auf diese Weise die von M. Weber erörterte religiös-artistische Polarität von »Sinn« und »Form« unvermittelt offensichtlich/' 7 So artikuliert sich mit der Heiligen Poesie als ausdifferenzierter literarischer Form eine aus ihrem spezifischen Gegenstand resultierende Differenz, gerade weil sie die entdeckte Spannung zwischen religiösem »Sinn« und ästhetischer »Form« durch eine gesteigerte Dichtkunst mit der Darstellung offenbarter >heiliger< Fülle überspielen will. Bekanntlich hat gerade den literarisch ambitionierten Zeitgenossen diese komplizierte Konstruktion nicht lange eingeleuchtet. Ihre Labilität und ihre Vergänglichkeit rühren daher, daß sie auf >mitspielende< oder >tiefsinnige< Leser angewiesen ist, welche gewillt sind, die Lücken des Textes - mit Longin die »bloßen Vorstellungen«, die, auch wenn sie stumm bleiben, Bewunderung erregen 6 8 -

ihrerseits zu füllen. Die frühe >Krise der Repräsentationentfaltenden M a n n i g f a l t i g k e i t , welche sowohl Klopstocks wie auch Pyras und Wielands D i c h t u n g auf dem W e g zu heiliger V o l l k o m m e n h e i t ästhetisch zu entwickeln trachtete, verdiente besonders auch die weitere Rezeption dieser die Heilige Poesie konstituierenden Idee einer literarisch vermittelten >Fülle< der W e l t und der E m p f i n d u n g eingehendere Beachtung. Sie inspiriert beispielsweise Friedrich Leopold zu Stolbergs sich eng an Klopstock anschließende h y m nische N a t u r d i c h t u n g , und bestimmt auch Stolbergs bedeutenden, unübersehbar von klopstockschem Vokabular durchsetzten Aufsatz Uber die Fülle des Herzens ( 1 7 7 7 ) , der die »göttliche Dichtkunst« als eine besondere Gestalt der H e r zensfülle feiert: » D u entströmst der Fülle des Herzens [ . . . ] erhebst das H e r z auf F l ü g e l n des Adlers, und bildest es zu allem, was groß ist und e d e l . « 7 5 Vor allem aber ist in diesem Z u s a m m e n h a n g an die poetologischen E n t w ü r f e Hölderlins zu denken, dem schon früh »Klopstocksgröße« v o r s c h w e b t . 7 6 H ö l derlins Reflexionen etwa Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes erweitern Klopstocks noch aus den metaphysischen Prämissen des Rationalismus abgeleitete Poetik der M a n n i g f a l t i g k e i t zu einem P r o g r a m m des dialektischen Idealism u s , nach dem die vielfältige Teilung in der unendlichen, lebendigen Einheit des Geistes im »harmonischen Wechsel« f ü h l b a r werden soll. Wenn es »der G a n g und die B e s t i m m u n g des Lebens überhaupt ist, aus der ursprünglichen

74

75

76

Wie etwa M. Kommereils Deutung Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik. Klopstock. Herder. Goethe. Schiller. Jean Paul. Hölderlin, Berlin 1928, zeigt, die in der Spur Stefan Georges selbst ein Dokument der Fortwirkung dieser Idee in der literarischen (Gegen-)Moderne des 20. Jahrhunderts ist. Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Gesammelte Werke, Nachdruck der Ausgabe H a m b u r g 1827, Hildesheim und New York 1974, Bd.X, S. 37of. Z u m weiteren Umfeld vgl. A. Lüchow, »Die heilige Cohorte«. Klopstock und der Göttinger Hainbund, in: Klopstock an der Grenze der Epochen ..., S. 152 — 220. Friedrich Hölderlin, Mein Vorsatz (1787). Zu den durchaus noch nicht erschöpfend dargestellten Beziehung zwischen Klopstock und Hölderlin siehe K. Kroll, Klopstocks Bedeutung für Hölderlins Lyrik, Diss, [masch.], Kiel I960, B. Böschenstein, Klopstock als Lehrer Hölderlins. Die Mythisierung von Freundschaft und Dichtung (» An des Dichters Freunde«), Hölderlin-Jahrbuch 17 (1971/72), S. 30—42, und I. Böger, Bewegung als formendes Gesetz in Klopstocks Oden, S. 5 7ff.

240

Einfalt sich zur höchsten Form zu bilden, wo dem Menschen ebendeswegen das unendliche Leben gegenwärtig ist«, 7 7 so wird es die Dichtkunst sein, die »dem Geistigen sein Leben, dem Lebendigen seine Gestalt, dem Menschen seine Liebe und sein Herz und seiner Welt den D a n k « 7 8 wiederbringt, in der sich schließlich die erfüllte Einheit von Geist und Leben vollendet darstellen kann. Schon vor diesen weit ausgreifenden Transformationen des Problems bei H ö l derlin läßt die von ihren Kritikern erkannte doppelte Verlegenheit des Ausdrucks und der Darstellung die Heilige Poesie nicht resignieren. Sie entbindet im G e g e n t e i l eine beträchtliche sprachliche Erfindungskunst, dem Inkommensurablen eine Form zu geben, die als Vorschein der Erlösung lesbar sein möge. Eine A u f g a b e für die Ewigkeit, die eine Poesie, als K u n s t der B e w e g u n g verstanden, gleichwohl nur in der Z e i t zu lösen vermag. [...] Du aber, Gesang von dem Mittler, Bleib, und ströme die Klüfte vorbey, wo sich viele verlieren, Sieger der Zeiten, Gesang, unsterblich durch deinen Inhalt, Eile vorbey, und zeuch in deinem fliegenden Strome Diesen Kranz, den ich dort an dem Grabmahl von der Cypresse Thränend wand, in die hellen Gefilde der künftigen Zeit fort.7'-'

77

Friedrich Hölderlin, Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes, Werke und Briefe, hrsg. v. Fr. Beißner und J . Schmidt, Frankfurt a.M. 1969, Bd. 2, S. 625. 78 Ebd. " F. G. Klopstock, Der Messias, X V , 4 7 0 - 4 7 5 , HKA, Abt. Werke, Bd. IV. 2. 241

Literaturverzeichnis

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256

Personenregister

Addison, Joseph 49, 1 8 1 , 2 2 c / f .

Epikur 1 7 8 , 185, 186, 197

A g r i p p a ν. N e t t e s h e i m 162

Ficino, Marsilio 1 9 0

Aristoteles 3 2 , 7 9 , 1 4 5

Francke, A u g u s t H e r m a n n 5 7 - 6 0 , 7 5 , 7 8 ,

A r n o l d , G o t t f r i e d I 9 3 f . , 207

83Í., 1 0 5 , 1 1 4 , 1 4 6 , 2 1 1 , 225 — 2 2 8

A u g u s t i n u s , A u r e l i u s 3, 3 6

Gleim, Johann W i l h e l m Ludwig 223

B a c o n , Francis 1 0 9 Baumgarten,

Alexander Gottlieb

3,

10,

I 7 f . , 20, 2 3 - 2 9 , 3 1 , 3 4 - 3 8 , 4 3 , 4 7 f . ,

G o e t h e , J o h a n n W o l f g a n g v.

176,

239,

240 G o t t s c h e d , Johann C h r i s t o p h 6 1 , 7 3 , 7 8 ,

62, 7 1 , ΙΟΙ, 185, 222 B a u m g a r t e n , S i e g m u n d J a k o b 93

89, 9 4 , 1 1 7 , 1 2 9 , 1 7 2 , 1 8 4 , 1 9 4 , 2 1 7 ,

B a y l e , Pierre 1 7 9 , 1 8 7 , 1 9 4 , 208

223, 231

Becker, Christian W i l h e l m

124

H a g e d o r n , Friedrich v. 1 7 9 , 2 2 9 , 2 3 o f .

Behrnauer, G o t t f r i e d Ehrenfried 82 B o d m e r , J o h a n n J a k o b 4 3 , 5 0 — 5 2 , 60, 6 1 , 7 3 , 87 — 90, 9 9 , i o 8 f . , i n ,

112,

119,

91,

99,

129, 154, 168, 172, 1 7 9 Boileau-Despréaux,

Nicolas

61,

i 0 4 f . , 200 Breitinger, J o h a n n J a k o b 2 5 , 4 3 , 4 9 — 5 2 , 6 1 , 73, 98, 107, io8f.,

ii5f.,

i54f.,

1 7 2 , i8of., 2 0 2 Í , 223, 233 Heinrich

18, 4 0 ,

88,

I73Í., 180

Wilhelm

Friedrich

169,

Herder, J o h a n n G o t t f r i e d 86, 1 3 3 ,

165,

233

H ö l d e r l i n , Friedrich 2 4 o f . Homer 7 1 , 79, 95, 1 1 6 — 1 2 1 , I28f., 153, 178, 222, 230, 235 H o r a z 3 4 , 35, 7 9 , 9 i f , 1 2 5 , 2 3 1

Kant, Immanuel 17, 43, 56

C a l e p i o , Pietro 5 i f .

Kebes 63

Campanella, Martianus 63 Tullius

H o b b e s , T h o m a s 49Í.

H u e t , Pierre D a n i e l 1 0 4

Burke, Edmund I02f.

Marcus

Georg

238, 2 3 9

H u d e m a n n , L u d w i g Friedrich 2 , 1 0

Brucker, J o h a n n J a k o b 207Í., 21 i f .

Cicero,

Hegel,

H e ß , J o h a n n Caspar 1 3 6

B o y l e , Robert 1 6 7

Brockes, B a r t h o l d

Haller, A l b r e c h t v. 9 7 f . , i 8 i f . , 202f.

79,

109,

i 8 6 f . , 208 C r a m e r , Carl Friedrich 1 1 1 , 1 1 2 Cramer, J o h a n n A n d r e a s 1 1 1 , 162 C r u s i u s , Christian A u g u s t 1 2 5 Dante Alighieri 74 Descartes, R e n é 32, 33, 2 0 9 , 224 Diderot, Denis 2 1 1 D i o g e n e s Laertius 2 1 of. D u B o s , Jean B a p t i s t e 201 Eberhard, J o h a n n A u g u s t 1 9 3 , 1 9 6

146,

K l e i s t , E w a l d v. 1 7 7 K l o p s t o c k , Friedrich G o t t l i e b 1 - 1 6 ,

17,

30, 5 3 f . , 6 3 , 93f., 1 0 2 , 1 0 3 , 1 0 6 , 1 1 0 , i n —171,

172,

175, 177, 179,

180,

1 9 1 , 192, 196, 209, 2 1 3 , 2 1 4 , 2 I 7 f . , 220, 2 2 1 , 2 2 2 , 2 2 7 , 2 3 1 — 2 3 6 ,

237-

241 Lange, S a m u e l G o t t h o l d 5 5 , 60, 8 6 , 9 2 , 9 3 , 1 0 6 , 1 1 0 , 162 Le C l e r c , Jean 1 0 4 Leibniz, G o t t f r i e d W i l h e l m

18-22,

23,

24, 2 8 , 33f., 3 6 , 3 7 , 39, 40, 4 1 , 4 7 ,

257

j 6 , 88, 109, 164, 1 7 4 , 177, i85f., 187, 189, 190, I95f., 199, 209, 224 Lessing, Gotthold Ephraim 28, 1 3 1 , 1 4 3 , 165, 169, 1 9 5 , 2 3 3 Longin, s. Pseudo-Longinos Lowth, Robert 2 Lukrez 10, 1 7 7 - 1 8 4 , i86f., 188, 2 0 1 , 209f. Luther, Martin 85, 92, 189

180, 200, 134,

191,

Macpherson, James 1 Meier, Georg Friedrich 10, 29f., 30f. 40— 4 2 , 4 8 , 109, 1 1 7 , 1 6 1 , 1 7 7 , 189, 199, 203-205 Meiners, Christoph 2 1 3 Meister, Johann Heinrich 9 Mendelssohn, Moses 3 1 , 1 6 5 , 236 Milton, John i , 10, 6 1 , 63, 76, 96, 109, 1 1 2 , 1 1 9 , 1 2 0 — 1 2 2 , 128—130, 1 5 3 , 1 7 8 , 222f., 230, 2 3 1 , 2 3 5 Möller, Johannes 83 Molinos, Miguel de 2 1 1 Moritz, Karl Philipp 63, 2 i 9 f . , 238f. Nikolaus v. Kues, 228, 233 Novalis 240 Oetinger, Friedrich Christoph 228f. Opitz, Martin 55, 1 8 0 Orígenes 1 5 , 1 9 2 - 1 9 8 Perrault, Charles 230 Petersen, Johann Wilhelm 194 — 196 Pindar 79, 9 1 — 94, 1 2 5 Platon 32, 184, 1 8 5 , 190, 1 9 2 , 2 1 1 , 2 1 2 Polignac, Melchior de 64, I78f., 2 1 2 Pope, Alexander 10, 6 3 - 6 5 , 7 8 - 8 1 , 83, 9 1 , 1 1 6 , 178 Pseudo-Longinos 1 2 , 99, 1 0 3 - 1 0 8 , 1 3 9 1 4 1 , 144, 146, 1 5 1 , 2 3 5 , 238 Pyra, Immanuel Jakob 3, 1 0 - 1 2 , 17, 5 5 1 1 0 , 1 1 8 , 123, 125, 137, 151, 157, 222Í., 228 Quintiiianus, Marcus Fabius 62, 7 1 , 109, 112Í., 120, 146, 1 5 3 Rambach, Johann Jakob 46, 66, 72f., 80, 83f.

258

Rowe, Elizabeth 1 7 7 Sack, August Friedrich Wilhelm 1 1 f. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 2 1 6 , 239 Schiller, Friedrich I47f., 159, 2 2 9 Schinz, Johann Heinrich 2 1 5 Schlegel, August Wilhelm 239 Schlegel, Friedrich 86 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 56 Schönaich, Christoph Otto Freiherr v. 1 3 3 Semler, Johann Salomo 94 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Earl of 145, 229 Spalding, Johann Joachim 166 Spener, Philipp Jakob 59, ι ο ί Spinoza, Baruch de 187 Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu 1 , 240 Sulzer, Johann Georg 178, 229f. Terenz 180 Tersteegen, Gerhard 108, 227 Thomas von Aquin 32 Thomasius, Christian 205 Thomson, James 1 7 7 Uz, Johann Peter 38, 64, 197 Vergil 63, 76, 79, 1 1 6 - 1 1 9 , Vida, Hieronymus 63 Voltaire 63—65 Volz, Johann Christian 1 7 9

I2

5

Walch, Johann Georg 44, 45, I93Í., 1 9 5 , 2o6f., 2 1 1 Walther, Johann Georg 107 Waser, Johann Heinrich 214f. Weber, Max 1 5 , 59, 2 1 9 , 2 2 i f . , 238 Wiedemann, Michael 83 Wieland, Christoph Martin 3, 10, I4f., 38, 172 — 216 Winckelmann, Johann Joachim 229, 232 Wolff, Christian 20, 2 2 - 2 4 , 3 2 , 34, 39, 4 i , 43, 4 5 - 4 7 , 88f., 1 2 3 , I42f., 1 5 7 , 1 6 3 - 1 6 6 , 170, I72f., 180, 184, 188 Young, Edward 81 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf v. 67