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German Pages X+172 [186] Year 1973
STUDIEN ZUR E N G L I S C H E N P H I L O L O G I E N E U E FOLGE Herausgegeben von Gerhard Müller-Schwefe und Friedrich Schubel
Band 17
Der gute Outlaw Studien zu einem literarischen Typus im 13. und 14. Jahrhundert
VON INGRID BENECKE
MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N 1973
Gedruckt mit Unterstützung des Kultusministeriums Baden-Württemberg.
I S B N 3-484-45016-9 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1973 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Satz und Druck: Buchdruckerei Eugen Göbel, Tübingen Einband von Heinrich Koch, Tübingen
VORWORT
Die ursprüngliche Absicht der Verfasserin, einen wissenschaftlidi ergiebigen Beitrag zur Robin Hood-Forschung zu leisten, mußte im Verlauf der Arbeit aufgegeben werden, da die literatur- wie kulturgeschichtliche Bedingtheit der uns überlieferten literarischen Robin Hood-Gestalt immer stärker hervortrat. Infolgedessen wurde es notwendig, den Rahmen der vorliegenden Untersuchung weiter zu spannen, als anfangs geplant, und auch Randgebiete der Anglistik in die Erforschung des guten Outlaw als eines kultur- und literarhistorischen Problems einzubeziehen. Die diesem Ziel dienende Dissertation konnte nur mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, der Universität Durham und des Cusanuswerks zustande kommen. Ihnen gebührt deshalb mein besonderer Dank. Gleichermaßen danke ich den Herren Professoren Dr. W. Mohr, Dr. G. Müller-Schwefe, Dr. F. Schubel und Dr. K. Ziegler, bei denen ich das wissenschaftliche Handwerk erlernte. Ihre Vollendung verdankt die Arbeit vor allem der unermüdlichen Geduld meines Doktorvaters, Herrn Professor Dr. F. Schubeis, ebenso der anspornenden Teilnahme meiner Freunde in Durham, den zahlreichen Ratschlägen des Tübinger Oberassistenten Dr. K . Faiß bei der Fertigstellung des Manuskripts und der stetigen Opferbereitschaft meiner Eltern. Schließlich danke ich den Herausgebern der Studien zur Englischen Philologie, Herrn Professor Dr. Müller-Schwefe und Herrn Professor Dr. Schubel, für die Aufnahme meiner Dissertation in diese wissenschaftliche Buchreihe.
Stuttgart, im April 1972
Ingrid Benecke
I N H A L T
EINLEITUNG
I
VORBEMERKUNGEN
2
A . Allgemeine Bemerkungen 1 . Z i e l der Untersuchung 2. Stand der Forschung a) Arbeiten zur Motivforschung b) Vergleichende literarhistorische Forschungsarbeiten 3. Methode der Untersuchung a) Methodische Forderungen, die sich aus dem Stand der Forschung ergeben a) Die Interpretation des Einzelwerks als Grundlage der Untersuchung ß) Die Deutung des Einzelwerks als „dargestellte Wirklichkeit" . . y) Die vergleichende Interpretation als Methode zur Erforschung des thematischen Zusammenhangs zwischen den Outiaw Legends und des guten Outiaw als literarischer Typus b) Die Anwendung der methodischen Forderungen auf den Aufbau der vorliegenden Untersuchung a) Die systematische Auswahl der Werke aus der Outlaw-Literatur ß) Die Gruppierung der vier ausgewählten Outiaw Legends . . . y) Die thematische Gliederung des Hauptteils
2 2 5 5 6 7
B . Lokalisierung und Datierung der vier ausgewählten Outiaw Legends 1. Zur Lokalisierung a) Gesta Herwardi (= Gesta) b) Fouke Fitz Warin (= Fouke) c) The Tale of Gamelyn ( = Gamelyn) d) A Gest of Robyn Hode ( = A Gest) e) Zusammenfassung 2. Zur Datierung a) Gesta Herwardi a) Bisherige Datierungsversuche ß) Die Quellen von Gesta Herwardi 7) Die Datierung von Gesta Herwardi ca. 1224-50 b) Fouke Fitz Warin c) The Tale of Gamelyn d) A Gest of Robyn Hode a) Stand der Forschung ß) Die Forschungsergebnisse des Historikers P. HARRIS und die Datierung von A Gest of Robyn Hode ca. 1340-50 e) Zusammenfassung VII
7 7 7
8 8 8 9 10 11 11 11 11 12 12 12 12 13 13 15 17 21 22 22 24 25 28
HAUPTTEIL Kapitel I Die ritterlich-kämpferische Vorbildlichkeit des Outlaw
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A. Gesta Herwardi und Fouke Fitz Warin 1. Die ritterlich-kämpferische Vortrefflichkeit der Helden a) Gesta Herwardi und Fouke Fitz Warin als Biographien b) Die Abstammung Herewards und Fulks von historisch bedeutenden Rittern c) Die ritterliche Vorzüglichkeit der jungen Helden d) Die ritterliche Idealisierung der Helden im Kampf gegen den König 2. Die Bedeutung des höfischen Ritterideals 3. Die Vorbildlichkeit des kämpferischen Heldenideals 4. Zusammenfassung
29 29 29 30 32 34 38 40 41
B. The Tale of Gamelyn und A Gest of Robyn Hode 1. Die ritterlich-kämpferische Vortrefflichkeit der Helden a) The Tale of Gamelyn und A Gest of Robyn Hode als Biographien . . b) Die Verinnerlichung der verwandtschaftlichen Beziehungen c) Die Helden als hervorragende ritterliche Vertreter ihres jeweiligen Standes d) Die kämpferische Vortrefflichkeit des Outlaw 2. Die Bedeutung des höfischen Menschenbilds 3. Die Vorbildlichkeit des kämpferischen Heldenideals 4. Zusammenfassung
42 42 42 44
C. Vergleich der Ergebnisse
55
46 49 J4 54 5j
Kapitel II Die Outlaw-Motivik als Mittel z. dichterischen Idealisierung der Helden
56
A. Gesta Herwardi und Fouke Fitz Warin 1. Juristische Bestimmungen über Outlawry in Gesta Herwardi Fitz Warin und ihre Umprägung zugunsten der Helden a) Hereward und Fulk als Verbannte und Outlaws b) Die unrechtmäßige Ächtung Herewards und Fulks c) Der Outlaw als Sieger über seine Verfolger d) Die Begnadigung des Outlaw durch den König 2. Der böse Outlaw als Gegentypus a) Die unbegründeten Vorwürfe der Feinde b) Das Spiel mit dem schlechten Ruf 3. Die Idealisierung des Outlaw durch Wunder und Prophetien 4. Zusammenfassung
J7 und Fouke
B. The Tale of Gamelyn und A Gest of Robyn Hode i. Juristische Bestimmungen über Outlawry in The Tale of Gamelyn und A Gest of Robyn Hode und ihre Umprägung zugunsten der Helden . . . . a) Gamelyn und Robin Hood als Outlaws b) Die unrechtmäßige Ächtung Gamelyns und der Fortfall des Motivs der Ächtung in A Gest of Robyn Hode c) Der Outlaw als Herrscher in der sorgenfreien Welt des Waldes . . . d) Die Begnadigung des Outlaw durch den König VIII
J7 57 58 60 62 63 63 64 66 70 7° 71 71 71 73 76
2. Der böse Outlaw als Gegentypus a) Die Vorwürfe der Feinde b) Die Lebensregeln der Outlaws 3. Der Outlaw als Richter 4. Zusammenfassung
78 78 78 80 84
C . Vergleich der Ergebnisse
8$
Kapitel I I I Der Outlaw als rechtmäßiger Sieger im feudalen Konflikt
87
A . Gesta Herwardi und Fouke Fitz Warin 1. Hereward und Fulk als Rebellen 2. Der erfolgreiche Kampf der Helden um das Erbe a) Der Beginn des feudalen Konflikts b) Feudale Züge der Vorgeschichte c) Der feudale Charakter der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen dem Outlaw und seinem König d) Die profeudale Lösung des Konflikts 3. Die Rechtmäßigkeit des Kampfes aufgrund des Widerstandsrechts . . . . a) Der Kampf gegen das feudale Unrecht des Königs b) Der gerechte Krieg des Outlaw 4. Zusammenfassung
88 88 90 90 92 93 95 98 98 100 102
B. The Tale of Gamelyn und A Gest of Robyn Hode 1 . K e i n Aufstand der Outlaws in The Tale of Gamelyn und A Gest of Robyn Hode 2. Der erfolgreiche Kampf des Outlaw um das Erbe a) Die Verknüpfung der Outlaw-Motivik mit dem Kampf um das Erbe b) Der feudale Charakter des Kampfes c) Der Ritter als Gutsherr 3. Die Rechtmäßigkeit des Widerstands a) Der Kampf des Outlaw gegen feudales Unrecht b) Die Selbsthilfe der Outlaws 4. Zusammenfassung
103 103 106 106 108 110 113 113 115 117
C . Vergleich der Ergebnisse
117 Kapitel I V
Die feudalethische Vorbildlichkeit des Outlaw im Wandel
119
A . Gesta Herwardi und Fouke Fitz Warin 1. Die persönliche Seite der feudalen Beziehungen zwischen dem Outlaw und dem König a) Der mächtige Kronvasall und der unkluge Feudalherrscher b) Die feudale Partnerschaft von Outlaw und König 2. Das Königsbild: König oder Tyrann? a) Der König als Tyrann b) Die Inkonsequenz in der Darstellung des Tyrannen 3. Der Outlaw als vorbildlicher Vasall a) Die feudalethische Korrektur des Tyrannen durch Gewalt b) Die geistliche Verherrlichung der feudalen Pflichterfüllung 4. Zusammenfassung
119 119 119 121 122 122 124 126 126 128 132 IX
B. The Tale of Gamelyn und A Gest of Robyn Hode 1 . Untertan und Majestät a) Die begrenzte Unabhängigkeit des Outlaw und des Königs b) Das Königsbild: Der souveräne Herrscher 2. Das feudale und ,höfische' Versagen der Gegner a) Die ,höfische' Deutung vorwiegend feudaler Vergehen b) Der Verrat des Gegners 3. Die ,höfische' Vorbildlichkeit des Outlaw a) Die Korrektur und Bestrafung feudaler und .höfischer'Vergehen . . . b) Der Lobpreis der .höfischen' Vortrefflichkeit des Outlaw auf feudalritterlicher Grundlage 4. Zusammenfassung
14 j 147
C . Vergleich der Ergebnisse
148
SCHLUSSBEMERKUNGEN: Die Stellung des guten Outlaw und der Outlaw Legends des 1 3 . und 14. Jahrhunderts in der Erzählliteratur des mittelalterlichen Englands
150
SUMMARY
155
LITERATURVERZEICHNIS
163
NAMENREGISTER
171
X
133 133 133 135 136 137 139 141 141
EINLEITUNG
Die Outlaw-Figur hat in der Literatur Englands seit dem Mittelalter eine wichtige Rolle gespielt. Dabei hat sich die Deutung der mittelalterlichen Outlaws in der Literatur im Laufe der Jahrhunderte gewandelt. So pries sie z. B. das 19. J h . als entschlossene Patrioten. SIR WALTER SCOTT schildert Robin Hood in Ivanhoe in der Rolle des allgegenwärtigen Helfers und Beschützers. Zur Regierungszeit König Richards I. steht dieser Outlaw den bedrängten angelsächsischen Aristokraten, dem Volk, aber auch dem edlen Richard Löwenherz im Kampf gegen die hochmütigen und tyrannischen anglonormannischen Barone bei. In ähnlicher Weise verherrlicht CHARLES KINGSLEY einen anderen mittelalterlichen Outlaw in seinem historischen Roman Hereward the Wake. The Last of the English. Hereward, bei Kingsley der Sohn des mächtigen angelsächsischen Grafen Leofric von Mercia, ist der Anführer aller, die sich in E l y zusammengefunden haben, um gegen die normannischen Eroberer zu kämpfen. Im 20. J h . erfreut sich Robin Hood in England zwar gleicher Beliebtheit, aber in einer anderen Rolle als im historischen Roman des 19. Jhs. Er hat seine politische Bedeutung verloren und ist statt dessen in den Pantomimes zur Weihnachtszeit, in Jugendbüchern und Fernsehfilmen 1 der galante Räuber, dessen Herz f ü r die Armen schlägt. Die vorliegende Arbeit befaßt sich nicht mit der Genese dieses Robin Hood- und Outlaw-Bildes. Sie untersucht vielmehr an der OutlawLiteratur des 1 3 . und 14. Jhs. in England, was das mittelalterliche Publikum am Outlaw als literarischen Helden so schätzte, daß mehreren individuellen Outlaw-Gestalten in leichter Abwandlung dieselben Merkmale mitgegeben wurden. Ihre wissenschaftliche Grundlage und zugleich ihr Ziel besteht darin, die ausgewählten mittelalterlichen Erzählwerke über den guten Outlaw in England möglichst aus ihrer eigenen Zeit heraus — d. h. historisch - zu verstehen. 1
Zur gleichbleibenden Beliebtheit Robin Hoods vom I J . bis ins 20. J h . hinein vgl. J . Gable, "Chronological Index", Bibliography of Robin Hood (Lincoln, Neb.,
1939). iJ9ffI
VORBEMERKUNGEN
A. A L L G E M E I N E
BEMERKUNGEN
i. Ziel der Untersuchung Das mittelalterliche Großbritannien kennt bereits mehrere Erzählwerke, die einen aus der Gesellschaft ausgeschlossenen Helden, einen Outlaw 1 - wie Hereward, Fulk Fitz "Warm, Gamelyn, Robin Hood oder William Wallace - verherrlichen.2 Ihre preisende Darstellung des Outlaw und ihre Nähe zu historischen Ereignissen3 mögen H . LEACH4 dazu veranlaßt haben, den Begriff Outlaw Legends für sie zu prägen. Unter den vielen Zügen, die die literarischen Outlaws miteinander teilen, ist einer besonders auffallend und interessant. Die Helden befehden vor allem die offiziellen Repräsentanten der staatlichen Ordnung. Sie handeln, als treffe sie das eigentlich schmähliche Los, wie ein verbrecherischer Outlaw leben zu müssen,5 mit Recht, und werden dennoch sehr gerühmt. Die wissenschaftliche Literatur hat diesen Widerspruch vor allem in der Gestaltung der Robin Hood-Figur erkannt und zu deuten ver1
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Der engl. Ausdruck " o u t l a w " und meist auch der zugehörige Begriff " o u t l a w r y " werden im folgenden wie Fremdwörter behandelt; die dt. Sprache kennt keine Wörter, die genau dieselben Inhalte bezeichneten. Vgl. dazu z. B. E. Muret, D . Sanders, Langenscheidts enzyklopädisches Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache, hg. v . O. Springer (Berlin, 2 i9Ö3), Eintrag " o u t l a w " . Zum Outlaw in der mittelalterlichen Erzählliteratur Großbritanniens vgl. J . Crosland, Outlaws in Fact and Fiction (London, 1959) und M. Keen, The Outlaws of Medieval Legend (London, 1961). Eine systematische Darstellung des Outlaw in der Geschichte des mittelalterlichen Englands fehlt. Hinweise geben J . Crosland und M. Keen. Vgl. dazu auch im folgenden S. 1 2 - 2 8 und die Hinweise im Hauptteil der vorliegenden Untersuchung. Angevin Britain and Scandinavia (Cambridge, Mass., 1 9 2 1 ) , 3 3 5 - 5 5 . Outlaw Legend wird nicht als Outlaw-Sage ins Deutsche übertragen, da A . Jolles dem Begriff der Sage einen hier unpassenden Inhalt zugeteilt hat: Einfache Formen (Tübingen, 62-90. Zu Outlawry im England des Mittelalters vgl. K a p . II, bes. S. 56-63.
2
sucht. Die abschließenden Worte von A Gest of Robyn Hode6 sollen ihrer nachhaltigen Wirkung wegen die Diskussion eröffnen. Sie formulieren die Meinung ihres Verfassers über seinen Titelhelden, ohne jedoch die Summe der Handlung dieses Werks zu bilden: For he was a good outlawe, And dyde pore men modi god. (Str. 456, 3f.)
W. LAWRENCE 7 hält im Anschluß daran Robin Hood für "the incarnation of democratic revolt" und sagt, Robin "typifies above all else the protest of the English people against social injustice". 8 Der Historiker M. K E E N vertritt dieselbe Meinung; die ganze Outlaw-Literatur des mittelalterlichen Großbritanniens, meint er, sei "part of a literature of popular protest". 9 Folgende gesellschaftspolitische Situation habe zu ihrer Entstehung geführt: "It was this blindness of uneducated persons who sincerely deplored corruption, but were too set in their ideas to perceive its root cause, which idealized the bandit into a figure typifying social justice." 10 Keiner der beiden Forscher kann jedoch nachweisen, daß die literatursoziologische Voraussetzung seiner These erfüllt ist und die Outlaw Legends für das ungebildete Publikum verfaßt wurden. J. HOLT11 hält der eben angeführten Ansicht deshalb entgegen, Robin Hood sei kein volkstümlicher Rebell, er setze sich nicht für die Verwirklichung eines sozialpolitischen Ideals ein, sondern befinde sich vielmehr auf der Seite der herrschenden Gesellschaftsschicht, der Adligen und Grundbesitzer.12 Wenn A Gest das früheste unter den über Robin Hood erhaltenen Werken sei,13 müsse man folgendes bedenken: " I t could be argued that the Gest presents us with a distorted 'gentle' Robin, a relatively respectable version of some primitive social rebel. Of this there is no evidence. Indeed, any effort to penetrate behind the Gest leads us, not to rustic figures, but to the knightly heroes of the thirteenth-century romances and gestes."u • F. Child (Hg.), The English and Scottish Popular Ballads (New York, repr. 1965), No. 117, HI, 39-89. 7 Medieval Story and the Beginnings of the Social Ideals of English-Speaking People (New York, repr. 2i