Literatur in der Stadt: Studien zu den sozialen Voraussetzungen und kulturellen Organisationsformen städtischer Literatur im 13. und 14. Jahrhundert 9783111389912, 9783484350076


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German Pages 336 [340] Year 1983

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Table of contents :
Vorwort
Abkürzungen
EINLEITUNG
I. ›BÜRGERTUM‹ UND ›BÜRGERLICHE‹ LITERATUR IM MITTELALTER
1. Die ›bürgerliche‹ Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts als Forschungsproblem
2. Der Gegensatz von Stadt und Land
3. Die Mentalität der Stadtbewohner
4. Der höfische Kaufmann als Held: Der Gute Gerhard des Rudolf von Ems
5. ›Bürgertum‹ und Adel in der mittelalterlichen Literatur
II. STÄDTE ALS LITERARISCHE ZENTREN
1. Literaturkreise in der Stadt: Arras im 13. Jahrhundert
2. Der städtische Autor und sein Publikum im 13. Jahrhundert: Zürich, Basel, Straßburg
3. Städtische Sammler im 14. Jahrhundert: Der Würzburger Leonerkreis
III. ORGANISATORISCHE VORAUSSETZUNGEN DES STÄDTISCHEN LITERATURBETRIEBS
1. Der Literaturbetrieb am Fürstenhof und in der Stadt: das Zeugnis fürstlicher und städtischer Rechnungsbücher des 14. Jahrhunderts
2. Zur Vorgeschichte städtischer Singschulen: genossenschaftliche Vereinigungen literarischer Unterhalter im 14. und 15. Jahrhundert
IV. DIE BEDEUTUNG STÄDTISCHER BEAMTER FÜR DAS LITERARISCHE LEBEN IHRER STADT
1. Der gemeyne nutz als verpflichtendes Programm: Stadtschreiber als Autoren
2. Laienunterweisung als ›Unterrichtsziel‹: literarische Aktivitäten städtischer Lehrer
ERGEBNISSE UND PERSPEKTIVEN
LITERATURVERZEICHNIS
REGISTER
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Literatur in der Stadt: Studien zu den sozialen Voraussetzungen und kulturellen Organisationsformen städtischer Literatur im 13. und 14. Jahrhundert
 9783111389912, 9783484350076

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STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR

Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino, Rainer Wohlfeil

Band 7

Ursula Peters

Literatur in der Stadt Studien zu den sozialen Voraussetzungen und kulturellen Organisationsformen städtischer Literatur im 13. und 14. Jahrhundert

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1983

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Peters, Ursula: Literatur in der Stadt : Studien zu d. sozialen Voraussetzungen u. kulturellen Organisationsformen städt. Literatur im 13. u. 14. Jh. / Ursula Peters. - Tübingen : Niemeyer, 1983. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur ; Bd. 7) NE: GT ISBN 3-484-35007-5

ISSN 0174-4410

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1983 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz und Druck: Sulzberg-Druck GmbH, Sulzberg im Allgäu Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Abkürzungen EINLEITUNG I. >BÜRGERTUM< UND >BÜRGERLICHE< LITERATUR IM MITTELALTER

1. Die >bürgerliche< Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts als Forschungsproblem 2. Der Gegensatz von Stadt und Land 3. Die Mentalität der Stadtbewohner 4. Der höfische Kaufmann als Held: Der Gute Gerhard des Rudolf von Ems 5. >Bürgertum< und Adel in der mittelalterlichen Literatur II. STÄDTE ALS LITERARISCHE ZENTREN

1. Literaturkreise in der Stadt: Arras im 13. Jahrhundert Die Charite Notre-Dame des Ardents und der Arraser Pui Arraser Theaterkultur im 13. Jahrhundert Die Arraser Satiren der Pariser Handschrift (Bibl.nat.ms.fr. 12615) 2. Der städtische Autor und sein Publikum im 13. Jahrhundert: Zürich, Basel, Straßburg Der Zürcher Kreis Der Literaturkreis um Waither von Klingen Konrad von Würzburg in Basel und Straßburg 3. Städtische Sammler im 14. Jahrhundert: Der Würzburger Leonekreis Manuale und Hausbuch als lokale Sammlungen Die >literarischen< Partien des Hausbuchs

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63 67 77 85 97 102 105 114 138 145 155

III. ORGANISATORISCHE VORAUSSETZUNGEN DES STÄDTISCHEN LITERATURBETRIEBS

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1. Der Literaturbetrieb am Fürstenhof und in der Stadt: das Zeugnis fürstlicher und städtischer Rechnungsbücher des 14. Jahrhunderts ..

172 V

Musikalische und literarische Unterhalter am Hof der Grafen von Holland Städtische Musiker und Sprecher Spiele in der Stadt 2. Zur Vorgeschichte städtischer Singschulen: genossenschaftliche Vereinigungen Uterarischer Unterhalter im 14. und 15. Jahrhundert Musikervereinigungen Die Confreries du Puy nordfranzösischer Städte Die Toulouser Companhia del gay saber

176 190 198 207 210 214 219

I V . D I E BEDEUTUNG STÄDTISCHER BEAMTER FÜR DAS LITERARISCHE LEBEN IHRER STADT

1. Der gemeyne nutz als verpflichtendes Programm: Stadtschreiber als Autoren Stadtschreiber als offiziöse Stadtchronisten Stadtschreiber als Literaturliebhaber und Verfasser geistlicher wie weltlicher Didaxe 2. Laienunterweisung als >UnterrichtszielSchulbüchern< und historiographischen Werken Lehrer-Autoren im 13. Jahrhundert

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227 234 240 269 279 284

ERGEBNISSE UND PERSPEKTIVEN

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LITERATURVERZEICHNIS

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REGISTER

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VI

Vorwort

Die vorliegende Arbeit, die im Sommersemester 1980 von der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz als Habilitationsschrift angenommen wurde, ist im wesentlichen im Sommer 1979 abgeschlossen, für den Druck nur leicht überarbeitet und um das Kapitel IV,2 erweitert worden. Die später erschienene bzw. mir erst danach bekannt gewordene Literatur habe ich nicht mehr systematisch verwerten, nur noch in Ausnahmefällen einarbeiten können. Auch an dieser Stelle möchte ich allen danken, die mir bei der Fertigstellung dieses Buches geholfen haben. Mein besonderer Dank gilt Joachim Bumke, der die Entstehung der Arbeit über eine weite Entfernung hinweg kontinuierlich begleitet und durch sachkundige wie kritische Ratschläge ganz wesentlich gefördert hat; Ulrich Gaier, der mich großzügig von den üblichen Assistentenaufgaben entlastet und den notwendigen Freiraum zur selbständigen Forschung gegeben hat; Ingeborg Glier für zahlreiche Anregungen und aufmunternde Gespräche und schließlich Arno Borst, Horst Brunner und Ulrich Gaier für wertvolle Hinweise, die der Druckfassung zugute gekommen sind. Ich danke schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Gewährung einer Druckkostenbeihilfe und dem Max Niemeyer Verlag für eine zügige und unkomplizierte Herstellung des Drucks. Konstanz, im Juni 1982

Ursula Peters

VII

Abkürzungen

ABäG Annales Anz. ATB BDL Beitr. BLVS BU BUB

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BZGA CFMA CH Ch. dt.St.

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VIII

Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik Annales. Economies, Societes, Civilisations. Revue bimestrielle. Paris Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur Altdeutsche Textbibliothek Blätter für deutsche Landesgeschichte. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart. Georg Korn: Breslauer Urkundenbuch (s. Historische Quellen) Rudolf Wackernagel: Urkundenbuch der Stadt Basel (s. Historische Quellen) Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Les classiques francjais du moyen äge Carl Haltaus: Liederbuch der Clara Hätzlerin (s. Textsammlungen) Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert Cultura Neolatina Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters; ab Band 8 (1951): Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Deutsche Texte des Mittelalters Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Etudes Germaniques Hanns Fischer: Die deutsche Märendichtung (s. Textsammlungen) Friedrich Heinrich von der Hagen: Gesammtabenteuer (s. Textsammlungen) Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen (Göttinger gelehrte Nachrichten) Germanic Review Germanisch-romanische Monatsschrift Historisches Jahrbuch Friedrich Heinrich von der Hagen: Minnesinger (s. Textsammlungen) Johann Martin Lappenberg: Hamburgisches Urkundenbuch (s. Historische Quellen) Historische Zeitschrift Carl von Kraus: Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts (s. Textsammlungen) Literaturgeschichte (s. Forschungsliteratur: Helmut de Boor; Jan te Winkel) Urkundenbuch der Stadt Lübeck (s. Historische Quellen) Le Moyen äge Monumenta Germaniae Historica. Scriptores Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung

MR MTU NGA PMLA QFW RBS RF SATF SM TNTL US WDGB1. Verf. Lex.

VSWG WW ZfdA ZfdPh. ZffSL ZfG ZfrPh. ZGO ZRG

= Anatole de Montaiglon: Recueil general et complet des fabliaux des Χ Ι Ι Γ et X I V s sifecles (s. Textsammlungen) = Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters = Heinrich Niewöhner: Neues Gesamtabenteuer (s. Textsammlungen) = Publications of the Modern Language Association of America = Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg = Alfred Hessel: Regesten der Bischöfe von Straßburg (s. Historische Quellen) = Romanische Forschungen = Societe des anciens textes fran9ais = Karl Bartsch: Die Schweizer Minnesänger (s. Textsammlungen) = Tijdschrift voor nederlandsche taal- en letterkunde = Aloys Schulte: Urkundenbuch der Stadt Straßburg (s. Historische Quellen) = Würzburger Diözesangeschichtsblätter = Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch. Bde I - V . Berlin 1933-1955. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter hg. von Kurt Ruh, zusammen mit Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger, Franz Josef Worstbrock. Redaktion Christine Stöllinger. Bd. I. Berlin, New York 1977/78. Bd. II. Berlin, New York 1980. Bd. III. 1 - 3 . Berlin, New York 1980/81. = Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte = Wirkendes Wort = Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur = Zeitschrift für deutsche Philologie = Zeitschrift für französische Sprache und Literatur = Zeitschrift für Geschichtswissenschaft = Zeitschrift für romanische Philologie = Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins = Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte

IX

Einleitung

Die mediävistische Literaturgeschichtsschreibung konzentriert sich seit einigen Jahren wieder verstärkt auf die Frage nach den soziokulturellen Voraussetzungen der Entstehung, Rezeption und Entwicklung literarischer Gattungen, Themen und Stile. Diesem neu entfachten Forschungsinteresse für den >Sitz im Leben< verschiedener literarischer Typen, das zugleich an Fragestellungen und Vorarbeiten der romanistischen und germanistischen Diskussion des 19. Jahrhunderts anknüpfen konnte, verdanken sich eine Reihe von Arbeiten, in denen die Anfänge der romanischen Liebeslyrik und höfischen Epik sowie deren Rezeption in Deutschland auf die Konstituierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen als ihres potentiellen Publikums zurückgeführt, die Evolution literarischer Typen, etwa des roman courtois, mit gesellschaftlichen Entwicklungen des 13. Jahrhunderts korreliert und schließlich die Dominanz bestimmter literarischer Themen auf konkrete soziale Erfahrungen einer als feste Sozialgruppe konstituierten Zuhörerschaft bezogen wurde. Fixpunkt dieser Diskussion war das sogenannte Rittertum, das in den letzten Jahren durch eine intensive Zusammenarbeit von Historikern und Literarhistorikern zunehmend von seinen - vornehmlich literarisch vermittelten - ideologischen Konnotationen befreit werden konnte und in seiner allmählichen Formierung zu einer sozialen Gruppe eine Art Paradigma sowohl für bestimmte gesellschaftliche Prozesse im 12. und 13. Jahrhundert als auch für den spezifischen Gesellschaftsbezug höfischer Dichtung wurde.1 Dem Historiker lieferte die Entstehung eines Rittertums Informationen über den bis in die Neuzeit reichenden sogenannten Territorialisierungsprozeß, der bereits im 12. Jahrhundert eingesetzt und sich u. a. in der Ausbildung von Fürstenhöfen, der Gruppenbildung des niederen 1

Einen repräsentativen Überblick über die Ergebnisse der historischen und literarhistorischen Forschung bietet neuerdings der Sammelband: Das Rittertum im Mittelalter. Hg. von Arno Borst. Darmstadt 1976. (Wege der Forschung 340); vgl. außerdem Daniel Rocher: >Chevalerie< et litterature >chevaleresqueHandwerker< für ein städtisches Publikum verfaßten, sind in den Rahmen städtischer Feste und Lustbarkeiten, offizieller Anlässe und gruppenbezogener Unterhaltungen eingespannt und jederzeit vom Interesse des Rats getragen. Ihre Kennzeichnung als spezifisch städtische Literatur ist deshalb in der Forschung unumstritten. Schwierigkeiten bereitet hingegen die Klassifizierung der Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts. Da bereits im 13. Jahrhundert Städte als literarische Zentren hervortreten, liegt es nahe, Merkmale des Nürnberger Literaturbetriebs auf die 1

Vgl. dazu die dokumentarischen Belege bei Gerhard Hirschmann: Archivalische Quellen zu Hans Sachs. In: Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und Probleme reichsstädtischer Literatur. Hans Sachs zum 400. Todestag am 19. Januar 1976. Hg. von Horst Brunner, Gerhard Hirschmann, Fritz Schnelbögl. Nürnberg 1976. (Nürnberger Forschungen 19) S. 14-54.

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weniger reich dokumentierte Literatursituation des 13. und 14. Jahrhunderts zu übertragen und in der Dichtung dieser Jahrhunderte zumindest eine Art Vorgeschichte stadtbürgerlicher Literatur zu sehen. Während sich allerdings der städtische Charakter der Nürnberger Literatur vornehmlich in lebensweltlichen Bezügen, ihrer oft institutionellen Bindung an städtische Organisationen und Unterhaltungsformen abzeichnet, bietet die Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts nur wenig Anhaltspunkte für ihren organisatorischen Sitz im Leben der Stadt. Dennoch ist die Bedeutung der Stadt für die Entwicklung der Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts von der mediävistischen Forschung nie unterschätzt worden. Das zeigt sich an literarhistorischen Überblicken, die seit August Wilhelm Schlegel2 explizit oder implizit von der Gliederung in >ritterliche< und >bürgerliche< Literatur bestimmt waren, wie auch an den zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzenden Spezialarbeiten zur Literatursituation des 13. und 14. Jahrhunderts, in denen die >Verbürgerlichung< der spätmittelalterlichen Literatur an einzelnen literarischen Texten und Themen verfolgt worden ist.3 Grundlage dieser Überlegungen ist die Auffassung von einem schon im 13. Jahrhundert einsetzenden Ablösungsprozeß des Rittertums zugunsten eines erstarkenden >Bürgertumsbürgerlichen< Autoren, Gönner und Zuhörer, andererseits auf einen von der ökonomischen und kulturellen Konkurrenz des >Bürgertums< bewirkten Wandel im literarischen Geschmack und den Lebensformen des ritterlichen Adels zurückgeführt. Wie sehr diese Betrachtungsweise von der Kulturzyklentheorie geprägt ist, zeigt sich besonders deutlich bei Waither Rehm, der in dem Aufsatz »Kulturverfall und spätmittelhochdeutsche Didaktik« das 14. Jahrhundert als eine Zeit des »Übergangs vom Ritterlichen zum Bürgerlichen« (S. 304) betrachtet, dessen adäquate Ausdrucksformen die Satire und die Didaktik seien. 4 Es sei kennzeichnend für 2

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A. W. Schlegel: Geschichte der romantischen Literatur (1802/03). Hg. von E. Lohner. Stuttgart 1965. (Kritische Schriften und Briefe IV) S. 40. Vgl. dazu etwa Fritz Karg: Die Wandlungen des höfischen Epos in Deutschland vom 13. zum 14. Jahrhundert. In: GRM 11, 1923. S. 321-336; Walther Rehm: Kulturverfall und spätmittelhochdeutsche Didaktik. Ein Beitrag zur Frage der geschichtlichen Alterung. In: ZfdPh. 52, 1927. S. 289-330; Wolfgang Stammler: Die >bürgerliche< Dichtung des Spätmittelalters (1928). Wieder in: Stammler, Kleine Schriften zur Literaturgeschichte des Mittelalters. Berlin 1953. S. 7 1 - 9 5 ; Hans Friedrich Rosenfeld: Das Ethos der bürgerlichen Dichtung im späten Mittelalter. In: Von deutscher Art in Sprache und Dichtung. 2. Bd. Stuttgart, Leipzig 1941. S. 2 8 1 - 3 1 9 ; Friedrich Ranke: Vom Kulturzerfall und Wiederaufbau in der deutschen Dichtung des späten Mittelalters. In: Ranke, Gott, Welt und Humanität in der deutschen Dichtung des Mittelalters. Basel 1953. S. 7 3 - 1 0 3 ; Hellmut Rosenfeld: Die Literatur des ausgehenden Mittelalters in soziologischer Sicht. In: WW 5, 1954/55. S. 330-341. Sehr ähnlich argumentiert Friedrich Ranke in dem Anm. 3 genannten Aufsatz sowie ders.: Zum Formwillen und Lebensgefühl in der deutschen Dichtung des späten Mittelalters (1940). Wieder in: Ranke, Kleinere Schriften. Hg. von Heinz Rupp und Eduard Studer. Bern und München 1977. S. 7 1 - 8 7 .

diese »Übergangszeit«, daß >bürgerliche< Autoren, die den Verfall des Rittertums beklagen und vornehmlich gegen die zerstörerische Macht des Geldes polemisieren, die geistige und soziale Umschichtung wahrnehmen, jedoch am alten Kulturideal festhalten, zugleich jedoch — ganz unhöfisch - kirchlich-dogmatische Lehren und eine hausbacken->bürgerliche< Moral propagieren und damit der neuen Welt des >Bürgertums< - wenn auch unbewußt - zum Durchbruch verhelfen. Während Rehm betont, daß im 13. und 14. Jahrhundert noch kein spezifisch >bürgerliches< Kulturideal habe entstehen können und man deshalb neue literarische Ansätze eher indirekt an Krisensymptomen - literarischen Klagen und Polemiken - ablesen müsse, stellt Hans Friedrich Rosenfeld den dezidiert bürgerlichen« Geist der spätmittelalterlichen Literatur heraus. Er unterscheidet zwischen den literarischen Interessen des Großbürgertums, der Geschlechter der Städte, die sich an den Lebensformen und der ritterlich-höfischen Literatur des Adels orientierten, und der Dichtung des Kleinbürgertums, der spätmittelalterlichen Didaktik, den Schwänken und Fastnachtspielen, deren spezifisch bürgerlichen Charakter in einer illusionslos-realistischen Weltsicht, einer scholastisch-realistischen Frömmigkeit, einem ausgeprägten Sinn für Gelehrsamkeit und grimmigen Ritter- und Bauernsatiren zum Ausdruck kämen. Hellmut Rosenfeld schließlich bezieht die gesamte Literatur des Spätmittelalters auf die speziellen Bedürfnisse eines in der beengten, von Zweckrationalität bestimmten Welt der Städte lebenden Stadtpublikums, für das die Ritterdichtung eine eskapistisch-befreiende Wirkung, die Drastik der Schwänke eine Entlastungsfunktion gehabt, die Fastnachtspiele, Städtechroniken, die Gemeinschafts- und Meisterlieder hingegen ein spezifisches Gruppenbewußtsein der Stadtbewohner artikuliert haben. Von besonderer Bedeutung ist bei der Beschreibung gattungs- und stilgeschichtlicher Entwicklungen der spätmittelalterlichen Dichtung der Terminus >bürgerlichbürgerlich< umfaßt dabei die verschiedensten Aspekte des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in der Stadt. Denn >bürgerlich< ist sowohl das Gewinnstreben der wohlhabenden Fernkaufleute und Geldhändler als auch der kleindimensionierte Gelderwerb der Krämer, das religiös fundierte Gemeinschaftsgefühl der städtischen Bruderschaften, Zünfte und Gilden wie auch die Ethik franziskanischer und dominikanischer Prediger in den Städten. Entsprechend der wachsenden Bedeutung der Stadtwirtschaft, dem politischen Einfluß einzelner Städte, dem Reichtum der Kaufleute und städtischer Funktionsträger orientiere sich die höfische Literatur zunehmend an dem Lebensstil und Normensystem dieser Stadtbewohner und zeige in ihrer Abwendung von ritterlich-höfischen Themen und Idealen allmählich >bürgerliche< Züge. Dabei wird das Gegensatzpaar ritterlich->bürgerlich< zur Antinomie von idealistisch vs. realistisch, pragmatisch, materialistisch.5 >Bürgerlich< sind sowohl Hugos von Trimberg Polemiken gegen weltliche Unterhaltungsdichtung als auch die pragmatischen Verhaltensvorschriften der spätmittelalterlichen Hofzuchtliteratur, der gelehrte Kunstanspruch meisterlicher Spruchdichter und Epiker, die >realistische< Darstellung adeligen Verhaltens im Seifried Helbling, die Präsentation von Geld- und Handelsgeschäften höfischer Kaufleute in spätmittelalterlichen Texten wie auch die >Nüchternheit< der Volksbücher. Dabei überlagern sich - wie kürzlich Jan-Dirk Müller 6 gezeigt hat - sehr unterschiedliche Vorstellungen: die Konzeption der mittelalterlichen Stadt als einer sich die eigene Rechtssphäre erkämpfenden autonomen Schwurgemeinschaft wird kontaminiert einerseits mit Informationen über weitausgreifende Geld- und Handelsgeschäfte führender Bankiers und Kaufleute, andererseits mit Zeugnissen einer auf Sparsamkeit und Zweckrationalität ausgerichteten Lebensführung städtischer Mittelschichten des 15. Jahrhunderts. Durch diese Vermischung sehr unterschiedlicher, teilweise unvereinbarer Aspekte des städtischen Lebens entsteht das Bild des wohlhabenden, antiaristokratischen, zweckrationalen >Bürgers< des Spätmittelalters, der sich hinsichtlich seiner ständischen und rechtli-

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Vgl. dazu Dieter Richter: »Ritterliche Dichtung«. Die Ritter und die Ahnengalerie des deutschen Bürgertums. In: Literatur im Feudalismus. Hg. von Dieter Richter. Stuttgart 1975. (Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 5) S. 9 - 3 9 . Er vervollständigt diese Antinomie >ritterlich< vs. >bürgerlich< im Hinblick auf: »Phantasie und Tatsachensinn, zweckfrei und zweckgerichtet, idealistisch und realistisch, aristokratisch und demokratisch« (S. 27). J.-D. Müller: Melusine in Bern. Zum Problem der »Verbürgerlichung« höfischer Epik im 15. Jahrhundert. In: Literatur - Publikum - historischer Kontext. Hg. von Gert Kaiser. Bern, Frankfurt, Las Vegas 1977. (Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte 1) S. 2 9 - 7 7 , hier S. 3 3 - 3 5 . Vgl. auch die Kritik am >BürgerBürgertums< eingesetzt habe. Zwar hatte sich bereits im Jahre 1924 Wolfgang Stammler 7 gegen die Auffassung gewandt, daß dem kontinuierlichen Aufstieg der Städte im Spätmittelalter sowohl die Konstituierung eines selbstbewußten >Bürgertums< als auch ein ökonomischpolitischer wie kultureller Niedergang des Adels entsprochen habe, und auf die bis in die Reformationszeit anhaltende kulturelle Vormachtstellung des Adels hingewiesen. Da aber auch er sich für den >bürgerlichen< Geist interessiert, der seit dem Ende des 13. Jahrhunderts zunehmend die Literatur bestimme und darüberhinaus den Begriff >bürgerlich< zwar ohne negativen Akzent, aber in der gleichen inhaltlichen Fixierung wie bisher verwendet, blieben nicht nur seine Kritik an der in literaturgeschichtlichen Darstellungen verbreiteten Vorstellung von der durch b ü r gerliche< Autoren und Zuhörer geprägten unhöfischen, >bürgerlichen< Literatur praktisch ohne Wirkung, sondern auch seine Hinweise auf die verschiedenen Ansätze spezifisch bürgerlichen Adaptation der thomasischen Moraltheologie in der Volkssprache ohne Nachfolge. 8 Denn auch er spricht von einem auf ritterlichen wie scholastisch-kirchlichen Tugendlehren gestützten Normensystem, das wesentlich von dem Gruppenbewußtsein der in Gilden, Zünften, einem Wehr- und Steuersystem zusammengeschlossenen Stadtbewohner getragen sei und deshalb eine spezifisch bürgerliche« Ethik darstelle, und versteht unter bürgerlichen« Geist eine nüchtern-praktische Lebensauffassung und einen gegen höfische Phantastik gerichteten schulmeisterlich-moralischen Pragmatismus, der sich in der Vorliebe des Spätmittelalters für didaktische Literaturtypen am deutlichsten niederschlage. Dementsprechend wird in literarhistorischen Darstellungen im Anschluß an Stammlers Arbeit zwar betont, daß die Bezeichnung bürgerlich« schlecht gewählt sei, da sie sich weder auf den Stand der Autoren und des Publikums noch auf spezifische literarische Leitbilder und Kulturideale der Stadtbewohner beziehe. Gleichzeitig werden jedoch neue Ansätze innerhalb der literarischen Reihe mit dem Hinweis auf den Autor als einen bürgerlichen« Literaten, einen nüchternen >Bür-

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W. Stammler: Ideenwandel in Sprache und Literatur des deutschen Mittelalters (1924). Wieder in: Stammler, Kleine Schriften, S. 2 9 - 4 2 , hier S. 31; vgl. auch Stammlers Bemerkungen in dem Aufsatz über die bürgerliche« Dichtung des Spätmittelalters, S. 71f. Erst neuerdings hat Kurt Ruh in dem bereits in der Einleitung erwähnten Aufsatz Stammlers Annahme einer spezifisch bürgerlichen« Ethik thomasischer Prägung wieder aufgegriffen und durch Beispiele bürgerlicher« Thomas-Rezeption im Spätmittelalter präzisiert.

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ger< mit seiner Neigung zum Vernünftigen und Überlegten erklärt, der sein Publikum beim behäbigen >Bürgertum< gefunden habe. 9 D i e Gleichsetzung von Stadtbewohner mit >Bürger< und >bürgerlich< mit antihöfisch bzw. antiaristokratisch hat sich - trotz aller kritischen Distanzierung im einzelnen - bis in die neuesten Arbeiten durchgehalten. D a s zeigt sich schon an der Textauswahl. D i e bevorzugten Autoren bzw. Texte sind der Gute Gerhard Rudolfs von Ems 1 0 sowie Ruprechts von Würzburg Erzählung Von zwein koufmannen11 12 wegen des Kaufmanns als literarischen Helden, der Stricker wegen seiner an der Vorliebe für neue literarische Typen und Themen abzulesenden Distanz zur höfi-

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Vgl. etwa Helmut de Boor: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn. Erster Teil. 1250-1350. München 1967. (LG III.l) S. 7ff. oder FriedrichWilhelm und Erika Wentzlaff-Eggebert: Deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250-1450. I. Rittertum, Bürgertum. Reinbek 1971. (rowohlts deutsche enzyklopädie 3 5 0 - 3 5 2 ) S. 53ff. Ähnliches gilt für die neueste romanistische Forschung: etwa die Entwicklungslinie »Von der >chanson courtoise< zur bürgerlichen LyrikDer gute Gerharde Soziologische und dichtungsgeschichtliche Studien zur Frühzeit Rudolfs von Ems. In: DVjs 24, 1950. S. 5 3 - 8 2 ; Urs Herzog: Die erlösung des kaufmanns. Der guote Gerhart des Rudolf von Ems. Versuch einer lecture sociologique. In: WW 24, 1974. S. 3 7 2 - 3 8 7 ; Werner Wunderlich: Der >ritterliche< Kaufmann. Literatursoziologische Studien zu Rudolf von Ems< »Der guote Gerhart«. Kronberg 1975. (Scriptor Hochschulschriften. Literaturwissenschaft 7); vgl. dazu unten S. 36ff. 11 Winfried Frey: Tradition und bürgerliches Selbstverständnis. Zu Ruprechts von Würzburg Märe >Von zwei KaufleutenBürgertumsPfaffen Amis< und im >Willehalm von WendenBürgertum< und Literatur im 13. Jahrhundert. Probleme einer sozialgeschichtlichen Deutung des >Pfaffen ÄmisDaniel vom blühenden Tal< und dem >Pfaffen Ämisbürgerlichen< Mäzene und Auftraggeber. Bei allen Unterschieden im methodischen Vorgehen und in den Ergebnissen zu den vorangegangenen literaturgeschichtlichen Darstellungen werden hier im wesentlichen Fragestellungen und Argumente der älteren Diskussion über die Verbürgerlichung« der spätmittelalterlichen Literatur aufgegriffen. Dabei konzentriert sich die Diskussion auf zwei Problemkreise: einerseits wird nach Ansätzen >bürgerlichen< Denkens gefragt und die Verbindung höfischer Wertvorstellungen mit bürgerlichen« Anschauungen sozialgeschichtlich erklärt, andererseits werden eine Reihe spätmittelalterlicher Texte als literarische Reaktion des Adels auf die Expansion der Stadtwirtschaft und den Erfolg >bürgerlichBürgertum« trotz deutlich antifeudalen Verhaltens im wirtschaftlichen und politischen Bereich im 13. und 14. Jahrhundert kein selbständiges ideologisches System entwickelt, sondern sich am höfisch-ritterlichen Kulturideal orientiert habe. 16 Diese an der Literatur des Spätmittelalters abzulesende punktuelle Veränderung adeliger Standesideale zugunsten bürgerlicher« Wertvorstellungen bei dem gleichzeitigen Fehlen eines ausge13

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Vgl. etwa Inge Leipold: Die Auftraggeber und Gönner Konrads von Würzburg. Versuch einer Theorie der >Literatur als soziales Handeln«. Göppingen 1976. ( G A G 176) oder Thomas Cramer: Minnesang in der Stadt. Überlegungen zur Lyrik Konrads von Würzburg. In: Literatur - Publikum - historischer Kontext, S. 9 1 - 1 0 8 . Dieses Deutungsmuster bestimmt die in dem von Dieter Richter herausgegebenen Band »Literatur im Feudalismus« versammelten Beiträge von Hubertus Fischer, Paul-Gerhard Völker: Konrad von Würzburg: >Heinrich von Kempten«. Individuum und feudale Anarchie, S. 8 3 - 1 3 0 ; Gerhard Schindele: >Helmbrecht«. Bäuerlicher Aufstieg und landesherrliche Gewalt, S. 131—211; Dieter Kartschoke: Weisheit oder Reichtum? Zum Volksbuch von Fortunatus und seinen Söhnen, S. 2 1 3 - 2 5 9 . Sehr ähnlich auch Ragotzky: Das Handlungsmodell der list. Sehr pointiert etwa Spiewok und Könneker. Diese Diskrepanz konstatiert z.B. Cramer: Normenkonflikte, am Beispiel des Pfaffen Amis.

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prägt >bürgerlichen< Standesbewußtseins verdanke sich der spezifischen sozialen Stellung und Mentalität einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe in der Stadt, des Patriziats, das zwar in der Stadt lebe, in das städtische Wirtschaftsleben eingebunden sei und damit auch >bürgerliche< Normen internalisiert habe, gleichzeitig jedoch adeliges Verhalten adaptiere und höfisch-ritterliche Ideale für sich beanspruche. Im Anschluß an die Analyse des Guten Gerhard hatte Friedrich Sengle den Terminus >Patrizierdichtung< zur Charakterisierung einer Gruppe höfischer Romane des 13. Jahrhunderts vorgeschlagen, die als »Übergangserscheinung zwischen der Ritter- und der eigentlichen Bürgerdichtung« (S. 73) den höfischen Romantypus mit einem geistlichen Anspruch und >bürgerlichen< Geist verbinde und hierin dem Lebensstil und literarischen Geschmack der städtischen Oberschicht entspreche. Der Begriff Patrizierdichtung ist fast durchweg abgelehnt worden. 17 Dennoch bestimmt Sengles Auffassung von dem spezifisch adelig->bürgerlichen< Selbstverständnis eines von Fernkaufleuten durchsetzten städtischen Patriziats auch die neuesten literatursoziologischen Arbeiten. Urs Herzog und Winfried Frey sehen z.B. im Guten Gerhard bzw. in Ruprechts von Würzburg Erzählung konkrete Identifikationsangebote für die städtische Führungsschicht, die ihren wirtschaftlich-politisch fundierten Herrschaftsanspruch durch adelige Verhaltensnormen sublimiere: denn der höfische Kaufmann, der sein Geld zur Rettung des Adels einsetze, oder die literarische Figur der treuen Ehefrau, die - ganz im Gegensatz zu den >bürgerlichbürgerlichen< Geld- und Handelsgeschäfte des Patriziats, die aristokratischen Wertvorstellungen entgegenstehen und deshalb den Stadtadel vom eigentlichen Adel abgrenzen. Die 17

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Vgl. dazu die Anm. 10 genannten neueren sozialgeschichtlich orientierten Arbeiten zum Guten Gerhard.

soziale und ideologische Zwischenstellung der Ministerialen als adelige Dienstleute präge die Uterarische Ausgestaltung der höfischen Dichtung des 12. Jahrhunderts; die Zugehörigkeit des Patriziats zum stadtbürgerlichen wie adeligen Lebenskreis sei hingegen für den Charakter der spätmittelalterlichen Dichtung als Vorgeschichte >bürgerlicher< Literatur verantwortlich. Im Gegensatz zu diesen Versuchen, die bestimmte Texte des 13. und 14. Jahrhunderts unter dem Gesichtspunkt ihrer potentiellen Identifikationsangebote für eine bestimmte städtische Gruppe betrachten, werden am Beispiel anderer Texte die Folgen des wirtschaftlichen Aufstiegs der Städte für das Selbstverständnis und den literarischen Geschmack des Adels analysiert. 18 Diese Überlegungen stehen in der Tradition der älteren Arbeiten, in denen ausgehend von literarischen Klagen über den Verfall höfisch-ritterlicher Ideale und Sitten wie den Niedergang adeligen Mäzenatentums die literarische Entwicklung auf die durch die offensive Stadtwirtschaft verursachte, seit dem 13. Jahrhundert einsetzende Verarmung des Landadels zurückgeführt worden ist. Auch in diesem Punkt hat Wolfgang Stammler bereits im Jahre 1924 vor einer Überschätzung der negativen Folgen der städtischen Geldwirtschaft für die ökonomische Stellung des Adels gewarnt. 19 Offenbar ohne Erfolg, denn immer wieder werden etwa in Strickers Pfaffe Amis, den Erzählungen Rittertreue oder Der Junker und der treue Heinrich literarische Zeugnisse für die wirtschaftliche und infolgedessen auch ideologische Verunsicherung eines durch den Aufstieg der Städte bedrohten Adels gesehen. Verstärkt kommt diese Betrachtungsweise bei den Arbeiten zur Geltung, in denen - wie in den Beiträgen des Sammelbandes »Literatur im Feudalismus« - auf der Basis einer materialistischen Geschichtsauffassung die Stadt in ihrer modernen Organisationsform und ökonomischen Überlegenheit als die entscheidende antifeudale Macht herausgestellt wird, die bereits im 13. Jahrhundert die spätere Überwindung der feudalen Gesellschaft ankündige. Aus dieser Sicht werden von dem und für den Adel produzierte Werke, zumal die des Spätmittelalters, vornehmlich als Versuche des Feudaladels betrachtet, auf diese Bedrohung ideologisch zu reagieren und die durch die städtische Produktionsweise provozierten Widersprüche des Feudalsystems auf je verschiedene Weise literarisch zu bewältigen. Ein Hauptthema der Literatur des 13. Jahrhunderts sei deshalb die Diskrepanz von höfischen Ritteridealen und ökonomischen Zwängen, die in der Figur des durch Ritterschaft bzw. Freigebigkeit verarmten Adeligen vorgeführt und in ironischer Brechung oder märchenhaft-utopischem Insistieren auf feudaladeligen Tugenden aufgelöst werde. Der Stadt kommt dabei eine zwar grundsätzliche,* aber eher indirekte Bedeutung für die Entstehung literarischer Werke zu: Ihre für den Adel bedrohliche wirtschaftliche Expansion bewirke, daß die in der Adelsliteratur des 13. und 14. Jahrhunderts formulierten ritterlich-höfischen Standards zunehmend ausdrücklich gegen >bürgerlichBürgerliche< Dichtung, S. 71f.

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Städte entspreche demnach eine verstärkt normensetzende und gruppenstiftende Funktion der Adelsliteratur. Diese sehr unterschiedlichen Überlegungen zur gesellschaftsgeschichtlichen Erklärung der literarischen Evolution im 13. und 14. Jahrhundert gehen von einem tiefgreifenden Gegensatz von Stadt und Land aus. Die Städte, die auf Kosten des Adels zu ökonomischen, politischen und kulturellen Zentren geworden seien, hätten - als Fremdkörper innerhalb der feudalen Welt des Adels — im Wirtschaftsverhalten, in der Lebensweise und Mentalität ihrer Bewohner mehr oder weniger explizit Gegenstrukturen entwickelt. Im Rahmen dieses spannungsvollen Nebeneinanders gegensätzlicher Kulturideale habe die Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts die unterschiedlichsten Erfahrungen und Interessen organisiert. Dementsprechend vielfältig sind die Betrachtungsweisen: an bestimmten Texten werden antifeudale Autorpositionen herausgestellt, an anderen eher unbewußte Veränderungen aristokratischer Leitbilder zugunsten bürgerlichen Verhaltensmuster; einzelne Werke werden als Dokumente eines patrizischen Selbstverständnisses gewertet, andere hingegen als Hinweis auf ideologische Abgrenzungsversuche des Adels gegenüber städtischem Sozialverhalten. Gemeinsam ist diesen Forschungspositionen die Annahme einer Opposition zwischen einem ausgeprägten adeligen und einem sich erst allmählich herausbildenden bürgerlichen« Kultursystem, die der Entwicklung der Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts zugrunde liege und dadurch die spätmittelalterliche Dichtung zur verschlungenen Vorgeschichte der Stadtliteratur des 15./16. Jahrhunderts und der bürgerlichen« Dichtung des 18. Jahrhunderts mache. Diese Vorstellung von einem sich langsam entwickelnden und artikulierenden bürgerlichen« Kultursystem, das zunehmend gegen etablierte Normvorstellungen des Adels gerichtet sei, verdankt sich allerdings weniger einer Analyse der sozialen und kulturellen Situation der spätmittelalterlichen Stadtbürger, sondern scheint eher von der die politischen Auseinandersetzungen im 18. und 19. Jahrhundert beherrschenden Diskussion um die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit geprägt zu sein, als der antifeudale Impetus des >Bürgertums< betont wurde. Es fragt sich deshalb, ob bereits für das 13. und 14. Jahrhundert von einer grundsätzlichen Antinomie von adeligem und städtischem Lebenskreis ausgegangen werden kann, die nicht nur das Selbstverständnis von Adel und Stadtbewohner sowie ihre gegenseitigen Beziehungen geleitet, sondern auch die literarische Entwicklung in thematisch-ideologischer Hinsicht bestimmt hat.

2. D e r Gegensatz von Stadt u n d L a n d Auch wenn in der neueren Stadtgeschichtsforschung immer wieder vor Generalisierungen gewarnt und betont wird, daß man nicht von der mittelalterlichen Stadt ausgehen könne, da mit den verschiedensten Stadttypen, Stadtlandschaften und regionalen Sonderformen zu rechnen sei, ist man sich einig darin, daß die Abgrenzung der Stadt gegenüber dem umliegenden Land das Hauptkennzeichen, ja geradezu die entscheidende Grundlage für die Bestimmung mittelalterlicher Stadtty16

pen darstelle. 20 Der Mauerring, der die verteidigungsbereite Stadt schon von weitem von ihrer Umgebung abhebt, gilt als die äußere Demarkationslinie für eine Organisationsform, die sich in rechtlicher und ökonomischer Hinsicht grundlegend von der Welt des Adels und der Bauern unterscheide. Ein der ständischen Herrschaftswelt des Adels entgegenstehendes Element zeige sich in Schwurverbänden und Gemeindebildungen des 11. bis 13. Jahrhunderts, die wesentlich zur Konstituierung eines >Bürgertums< beigetragen und bald zur Entstehung eines städtischen Rats und zur Fixierung eigener Stadtrechte geführt hätten. Dieses Stadtrecht grenze schließlich die mittelalterliche Stadt als eine autonome Vereinigung freier >Bürger< gegen außen ab und garantiere eine auf kollektive Selbstverwaltung ausgerichtete Organisation des Zusammenlebens. Dieser rechtlichen Sonderstellung der mittelalterlichen Stadt entspreche ihre ökonomische Orientierung: den verschiedenen Formen adeliger Grundherrschaft auf dem Lande kontrastiere die extrem arbeitsteilige, geldwirtschaftlich organisierte Welt des städtischen Marktes, die auf der persönlichen Freiheit und wirtschaftlichen Freizügigkeit der Kaufleute, Geldhändler und Handwerker beruhe. Diese Stadtbewohner, die sich in den berufsgenossenschaftlichen Vereinigungen der Zünfte und Gilden organisierten, seien vornehmlich an der Sicherheit der Straßen und Märkte interessiert, regelten ihre Stadtwirtschaft durch Marktgesetze, Zunftordnungen und Schutzzölle und zeigten einen spezifisch ökonomischen Erwerbsgeist, dem sich im wesentlichen die wirtschaftliche Expansion der Städte im 13. Jahrhundert verdanke. Diese rechtliche und ökonomische Sonderstellung der Stadt stand von Anfang an im Zentrum der Diskussion, da sich in ihr Ansätze einer kontinuierlichen Entwicklung von der mittelalterlichen Feudalgesellschaft zur neuzeitlichen bürgerlichen Gesellschaft abzuzeichnen schienen. Stichworte dieser Diskussion sind: die persönliche Freiheit der Stadtbewohner, ihr ausgeprägtes Erwerbsstreben, die spezifischen Eigentumsverhältnisse und wirtschaftliche Organisation in der Stadt sowie der städtische Geldverkehr. Die Bedeutung dieser einzelnen Aspekte des Gegensatzes von Stadt und -Land als geschichtswirkenden Faktoren sind allerdings umstritten. Während die rechtshistorische Stadtgeschichtsforschung im freien mittelalterlichen Stadtbürger eine Vorform des neuzeitlichen Staatsbürgers und in der Freiheit der mittelalterlichen Stadt einen entscheidenden Ansatzpunkt für die allmähliche Herausbildung des neuzeitlichen Staates sah, 21 sind in sozial- und wirt20

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Die Forschung zur mittelalterlichen Stadt kann im Rahmen dieser Arbeit nicht einmal ansatzweise in einer repräsentativen Auswahl vorgestellt werden. Deshalb sei hier lediglich auf die grundlegende Einführung mit weiterführenden Literaturangaben von Edith Ennen: Die europäische Stadt des Mittelalters. 2., ergänzte und verbesserte Aufl. Göttingen 1972 verwiesen. Im folgenden werden historische Arbeiten nur dann aufgenommen, wenn ihre Argumentation in die Diskussion von Einzelproblemen eingegangen ist. Zu den ideologischen Voraussetzungen dieser im 19. Jahrhundert gängigen bürgerlichliberalem Forschungsdoktrin vgl. Karl Kroeschell: Stadtrecht und Stadtrechtsgeschichte. In: Studium Generale 16, 1963. S. 481-488, der vornehmlich die Arbeiten von Planitz im Blick hat; den Einführungsvortrag von F. Vercauteren: Les libertes urbaines et rurales du ΧΓ au XIV" siecle. In: Les libertes urbaines et rurales du XP au XIV e sifecle. Colloque International Spa 5 - 8 IX 1966. Actes. Bruxelles 1968. (Pro Civitate. Collection Histoi-

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schaftsgeschichtlichen Arbeiten zur mittelalterlichen Stadt eher das Marktprinzip bzw. die arbeitsteilige Wirtschaftsorganisation als die ökonomischen Faktoren herausgestellt worden, die an der Ablösung des Feudalismus durch kapitalistische Organisationsformen beteiligt gewesen seien. 2 2 Eine besondere Rolle bei diesem Prozeß der Überwindung traditioneller Wirtschaftsformen wird im Anschluß an und in Auseinandersetzung mit Werner Sombarts Arbeiten dem Gewinnstreben und der ökonomischen Rationalität des mittelalterlichen Fernkaufmanns und spätmittelalterlichen >Unternehmers< zugeschrieben. 23 Im Gegensatz zu diesen Überlegungen, die punktuell einzelne Aspekte der mittelalterlichen Stadt mit vergleichbaren Erscheinungsformen der neuzeitlichen Gesellschaft in Beziehung setzen, hat in marxistisch orientierten Arbeiten die Stadt ihren systematischen Ort im Rahmen der materialistischen Geschichtstheorie von der prozeßhaften Entstehung des Kapitalismus aus der Feudalgesellschaft. Auf der Grundlage von Karl Marx' Äußerungen im Kapital24 über den Gegensatz von Stadt und Land als des wirkungsmächtigsten Faktors der Geschichte und Friedrich Engels' 25 Erörterungen zum antifeudalen Charakter des mittelalterlichen Stadtbürgertums wird anhand der Stadtgeschichte - von den Anfängen frühstädtischen >Bürgertums< über die Periode des mittelalterlichen Stadtbürgertums und frühkapitalistischen >Bürgertums< zur Handels- und Manufakturbourgeoisie des 16. bis 18. Jahrhunderts — die allre) S. 13-25 und vor allem Klaus Schreiner: >Kommunebewegung< und >Zunftrevolutionmodernen< Aspekte mittelalterlicher Wirtschaftsführung herausgestellt: etwa die ausgebildete Schriftlichkeit kaufmännischer Buchführung, die elaborierte Kreditwirtschaft des mittelalterlichen Handels, das geradezu technokratische Verlagssystem der flandrischen Tuchindustrie und das extensive Gewinnstreben mittelalterlicher Großkaufleute. Vgl. dazu unten S. 30ff. 24 Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Bd. 23. Berlin 1972: »Die Grundlage aller entwikkelten und durch Warentausch vermittelten Teilung der Arbeit ist die Scheidung von Stadt und Land. Man kann sagen, daß die ganze ökonomische Geschichte der Gesellschaft sich in der Bewegung dieses Gegensatzes resümiert.« (S. 373). 25 Im 1. Kapitel der 1850 verfaßten Abhandlung: Der deutsche Bauernkrieg. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Bd. 7. Berlin 1976. S. 327-413, hier S. 330ff.; vgl. aber vor allem den für eine Neuausgabe der Bauernkrieg-Arbeit bestimmten fragmentarischen Überblick von 1884: Über den Verfall des Feudalismus und das Aufkommen der Bourgeoisie. In: Marx-Engels, Bd. 21. Berlin 1962. S. 392-401. 18

mähliche Herausbildung kapitalistischer Produktionsformen verfolgt. 26 Im Rahmen dieses Erkenntnisinteresses sind die vom 11. bis 13. Jahrhundert in zahlreichen Städten auftretenden, z.T. erbitterten Auseinandersetzungen zwischen der städtischen Oberschicht und ihrem Stadtherrn als sogenannte Kommunebewegung ein revolutionärer Vorgang, der wesentlich für die Formierung einer neuen Klasse der Feudalgesellschaft verantwortlich sei und die Voraussetzungen für den Übergang in eine höhere Gesellschaftsordnung geschaffen habe. Das Ergebnis dieser kommunalen Bewegung sei die Konstituierung eines mittelalterlichen Stadtbürgertums, das sich durch seinen freien Rechtsstatus, einen Stadtrat und eigene Stadtrechte feudalen Abhängigkeitsverhältnissen entziehe und neben den Bauern und dem Adel eine neue Klasse darstelle. Denn diese Stadtbürger, die sich zunehmend ihrer besonderen Stellung in der Feudalgesellschaft bewußt werden, treten trotz interner Spannungen gegenüber den Feudalgewalten als geschlossene Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft auf, die sich durch ihre ökonomische Grundlage der einfachen Warenproduktion und ihr persönliches Eigentum an Produktionsmitteln von der feudalen Umwelt abhebt. Der wirtschaftliche Aufstieg der Städte, vor allem aber die rasche Expansion der städtischen Geldwirtschaft bewirke im Spätmittelalter auf dem Lande tiefgreifende strukturelle Veränderungen im System der adeligen Grundherrschaft, bereite damit den Übergang zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen im 15. Jahrhundert vor und führe schließlich zur Entstehung der Klasse der neuzeitlichen Handels- und Manufakturbourgeoisie. Trotz aller Unterschiede in der Geschichtsauffassung und den Erkenntnisinteressen stimmt die Beurteilung entscheidender Aspekte des Verhältnisses der mittelalterlichen Stadt zum umgebenden Land in marxistisch orientierten Arbeiten und stadtgeschichtlichen Untersuchungen, die nicht von der materialistischen Geschichtstheorie ausgehen, weitgehend überein. In beiden Fällen werden die Auseinandersetzungen der Stadtbewohner mit dem Stadtherrn als Autonomiebestrebungen eines >Bürgertums< gedeutet, wird der Rechtsstatus der >Bürger< als anti26

Grundlegend dazu die übergreifenden historischen Darstellungen von Leo Kofier: Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Versuch einer verstehenden Deutung der Neuzeit. Neuwied, Berlin 2 1966 und Maurice Dobb: Entwicklung des Kapitalismus. Vom Spätfeudalismus bis zur Gegenwart. Köln, Berlin 1970; vgl. auch Brigitte Berthold, Eva-Maria Engel, Adolf Laube: Die Stellung des Bürgertums in der deutschen Feudalgesellschaft bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. In: ZfG 21, 1973. S. 196-217; Erika Uitz. Die europäischen Städte im Spätmittelalter. Haupttendenzen der Entwicklung der Stadt und der Stadt-Land-Beziehungen von der zweiten Hälfte des 13. bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts. In: Ebda., S. 400-425; Günter Vogler: Probleme der Klassenentwicklung in der Feudalgesellschaft. Betrachtungen über die Entwicklung des Bürgertums in Mittel- und Westeuropa vom 11. bis zum 18. Jahrhundert. In: Ebda., S. 1182-1208; vgl. dazu auch die in dem Sammelband: Städtische Volksbewegungen im 14. Jahrhundert. Hg. von Erika Engelmann. Berlin 1960. (Tagung der Sektion Mediävistik der deutschen Historikergesellschaft vom 21.-23. 1. 1960 in Wernigerode 1) dokumentierte Diskussion um die >Krise des Feudalismus< sowie die in dem Band: Feudalismus - Materialien zur Theorie und Geschichte. Hg. von Ludolf Kuchenbuch in Zusammenarbeit mit Bernd Michael. Frankfurt, Berlin, Wien 1977. (Ullstein-Buch 3354) zusammengestellten >neomarxistischen< Ansätze in England und Frankreich (S. 384ff.).

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feudales Moment gewertet und in der städtischen Geldwirtschaft eine Bedrohung der adeligen Grundherrschaft auf dem Lande gesehen. Auf beiden Seiten wird jedoch in letzter Zeit eher die Integration der mittelalterlichen Stadt in die Feudalgesellschaft herausgestellt. Sie biete zwar ein alternatives Modell der Sozial- und Wirtschaftsordnung, sei jedoch in die altständische Gesellschaft eingebunden und aus deren Grundlagen und Voraussetzungen entstanden. Diese Sicht zeichnet sich zunächst in herrschaftsgeschichtlich orientierten Arbeiten zu den Stadt-Land-Beziehungen einzelner Städte ab, die sich durch Beobachtungen der rechtlichen und ökonomischen Bindungen bestimmter Städte an das Umland bestätigen lassen. So betont etwa Otto Brunner, 27 daß die mittelalterliche Stadt vielfältig in die Herrschaftswelt des Adels eingegliedert ist, daß Stadtgemeinde und adelige Herrschaft - durch ihre Zugehörigkeit zu Sonderfriedensbezirken — auf den gleichen Voraussetzungen beruhen, lange Zeit hindurch nebeneinander bestanden haben, bis sie beide den nationalen Zentralstaaten zum Opfer fielen und auf dieser neuen Grundlage die sogenannte bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts entstand. Diese Zusammengehörigkeit von mittelalterlicher Adelsherrschaft und Stadtgemeinde zeigt sich an zahlreichen Filiationen zwischen Stadt und Land: denn die Entwicklung des mittelalterlichen >Bürgertums< vollzieht sich — wie Karl Bosl 28 am Beispiel Regensburg detailliert vorführt - im Rahmen der Herrschaft des Stadtherrn, die städtische Oberschicht steht in enger Verbindung zum Landadel und erwirbt Besitzungen und Herrschaftsrechte außerhalb der Stadt. Diese übt demnach - durch Besitzungen ihrer Bewohner, aber auch des Stadtrats - selbst Herrschaft über das umliegende Land aus. Ähnliches gilt für bestimmte Sektoren der Stadtwirtschaft, deren Ausgreifen auf das Umland sich in dem allmählichen Ausbau eines ländlich-städtischen Verlagswesens - zumindest im Bereich der Textilund Metallindustrie — dokumentiert. Und im Innern ist die Sozialstruktur der Städte wie die der Adelswelt von hierarchischen Ordnungen und geburtsständischen Prinzipien durchsetzt: der reichen Oberschicht führender Familien, die lange Zeit hindurch die wichtigsten Ämter besetzen, steht die Gruppe der kleineren Kaufleute und Handwerker gegenüber. Diese sondern sich wiederum von der breiten Unterschicht der Gesellen und Mägde, der Bewohner der Vorstädte und Angehörigen unehrlicher Berufe, der Bettler und unehelich Geborenen ab, die das Bürgerrecht nicht besitzen. 29 27

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Otto Brunner: Stadt und Bürgertum in der europäischen Geschichte (1953). Wieder in: Brunner, Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. Göttingen 2 1968. S. 213-224; Ders.: >Bürgertum< und >Feudalwelt< in der europäischen Sozialgeschichte (1956). Wieder in: Die Stadt des Mittelalters. Dritter Band: Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Carl Haase. Darmstadt 1973. (Wege der Forschung 245) S. 480-501. Karl Bosl: Die Sozialstruktur der mittelalterlichen Residenz- und Fernhandelsstadt Regensburg. Die Entwicklung ihres Bürgertums vom 9.-14. Jahrhundert. München 1966. (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse NF 63) Während zur städtischen Oberschicht zahlreiche übergreifende Darstellungen und lokale Spezialuntersuchungen vorliegen, hat sich bis vor kurzem vornehmlich die marxistische Geschichtsforschung für die übrigen sozialen Gruppen in der Stadt interessiert: im Rah-

Während allerdings diese Überlegungen zu den Stadt-Land-Beziehungen im Mittelalter lange Zeit hindurch als Sonderfälle einer intensiven herrschaftlichen, rechtlichen und ökonomischen Verflechtung einzelner Städte mit dem Umland betrachtet worden sind und deshalb auch die Einschätzung der mittelalterlichen Stadt als eines Fremdkörpers innerhalb einer adelig-bäuerlichen Herrschaftswelt nicht entscheidend verändert haben, rezipiert die Stadtgeschichtsforschung in den letzten Jahren zunehmend neuere Ansätze der Stadtgeographie und Zentralitätsforschung und versucht, auch die mittelalterliche Stadt in ihrer Funktion als eines centralen Ortes< zu sehen, der vielfältig in den ländlichen Raum eingebunden ist. 30 Damit verliert aber die mittelalterliche Stadt endgültig ihren Sonderstatus und rückt als Kristallisationspunkt übergreifender räumlicher Verflechtungen in das Zentrum des Forschungsinteresses. Auch in den neuesten Arbeiten, die im Zusammenhang mit dem FeudalismusProjekt des Zentralinstituts für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR entstanden sind, 31 wird nicht mehr ausschließlich der antifeudale Charakter der Stadt, sondern ihre ambivalente Stellung innerhalb der Feudalgesellschaft hervorgehoben: Das mittelalterliche Stadtbürgertum sei zwar eine nichtfeudale >NebenklasseZunftrevolutionen< wie auch der Diskussion über die sozialen Voraussetzungen des Bauernkriegs. Vgl. dazu Erich Maschke: Deutsche Stadtgeschichtsforschung auf der Grundlage des historischen Materialismus. In: Jahrbuch für Geschichte der oberdeutschen Reichsstädte. (Esslinger Studien) 12, 1966/67. S. 124-141. In der westlichen Forschung hat sich in letzter Zeit vor allem Erich Maschke auf die Erforschung städtischer Mittel- und Unterschichten konzentriert. Vorbildlich in methodischer Hinsicht Erich Maschke: Die Unterschichten der mittelalterlichen Städte Deutschlands (1967). Wieder in: Stadt des Mittelalters III, S. 345-454. Vgl. dazu die Hinweise bei Alfred Haverkamp: Die >£rühbürgerliche< Welt im hohen und späteren Mittelalter. Landesgeschichte und Geschichte der städtischen Gesellschaft. In: HZ 221, 1975. S. 571-602, hier S. 598ff.; neuerdings vor allem den Forschungsüberblick von Rolf Kießling: Stadt-Land-Beziehungen im Spätmittelalter. Überlegungen zur Problemstellung und Methode anhand neuerer Arbeiten vorwiegend zu süddeutschen Beispielen. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 40, 1977. S. 629-867. Vgl. dazu die Einleitung Bernhard Töpfers zu dem von ihm im Auftrag des Zentralinstituts für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR herausgegebenen Sammelband: Stadt und Städtebürgertum in der deutschen Geschichte des 13. Jahrhunderts. Berlin 1976. (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 24) S. 9ff. Vogler, S. 1182.

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systemstabilisierenden Faktor (...) immer mehr zu einem Hebel der Zersetzung der feudalen Wirtschaft und Gesellschaft« 33 und leite den Übergang zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen ein. Demnach wird auch in diesen Arbeiten eine qualitative Differenz zwischen dem mittelalterlichen Stadtbürgertum des 11. bis 13. Jahrhunderts und der Handels- und Manufakturbourgeoisie des 16. Jahrhunderts angesetzt, die es verbietet, von einer kontinuierlichen Entwicklung der in der mittelalterlichen Stadt angelegten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft der Neuzeit auszugehen. Auch der Literarhistoriker sollte deshalb die Bedeutung der mittelalterlichen Stadt als antifeudaler Macht oder alternativen Modells der Sozialordnung nicht überschätzen. Die von den Historikern zunehmend hervorgehobene Rolle des 16. bis 18. Jahrhunderts als >Epochenschwelle< bei der Entstehung der neuzeitlichen bürgerlichen Gesellschaft sollte davor warnen, wegen des wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs der Städte bereits im 13. und 14. Jahrhundert von der Entwicklung bürgerlichen Bewußtseins- und Verkehrsformen auszugehen und in der Literatur dieser Zeit entweder Ansätze bürgerlichen« Denkens zu verfolgen oder eine Auseinandersetzung des Adels mit bürgerlichen« Verhaltensformen und Denkweisen zu sehen. Denn es ist anzunehmen, daß auch auf der literarischen Ebene keine kontinuierliche Entwicklung von einer bürgerlichen« bzw. bürgerliche« Normvorstellungen voraussetzenden Literatur des Spätmittelalters zur bürgerlichen Dichtung des 18. und 19. Jahrhunderts erfolgt. Auch hier wird mit einem Kontinuitätsbruch zu rechnen sein, der die für Stadtbewohner bzw. von städtischen Autoren verfaßte Literatur des Spätmittelalters grundsätzlich von der bürgerlichen Dichtung des 18. Jahrhunderts abtrennt, die ein auf Abgrenzung gegenüber dem Adel ausgerichtetes bürgerlichen Sozialverhalten und Selbstverständnis propagiert. Die Bedeutung der Stadt für die Evolution der spätmittelalterlichen Dichtung sollte deshalb nicht im Hinblick auf die spätere literarische Entwicklung mit den inhaltlichen Kategorien der die Literatur des 18. Jahrhunderts bestimmenden Selbstdarstellung eines antifeudalen >Bürgertums< beurteilt, sondern im Kontext zeitgenössischer Quellen analysiert werden, die das Verhältnis von mittelalterlichem Adel und Stadtbürgertum beleuchten. Das gilt vor allem für die Frage nach der Existenz und Relevanz rivalisierender Systeme kollektiven Verhaltens und Normbewußtseins, die als eine Opposition von adeliger und bürgerlicher« Mentalität der literarischen Entwicklung zugrunde liegen.

3. Die Mentalität der Stadtbewohner Für den Literarhistoriker, der sich um die gesellschaftsgeschichtliche Deutung literarischer Texte bemüht, ist die Frage nach der Mentalität von Autor und Publikum ein wichtiger Arbeitsgang, denn sie bietet das für die funktionsgeschichtliche Textanalyse entscheidende Bindeglied zwischen den Fakten der politischen, sozialen 33

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Berthold, Engel, Laube, S. 212.

und ökonomischen Geschichte und der literarischen Reihe. Sie bestimmt als ein epochen- und gruppenspezifisches System kollektiver Erfahrungen, Emotionen und Verhaltensweisen das Zusammenleben, Sozial- und Wirtschaftsverhalten der Beteiligten, steuert die Affekte und Einstellungen und bedingt die kommunikationsstiftende Funktion literarischer Texte. Insofern ist es nur konsequent, wenn sich die Gruppe französischer Sozialhistoriker im Umkreis der Zeitschrift Annafes, die sich mit ihrem Programm einer Nouvelle Histoire um die historische Konkretisierung und Präzisierung des Basis-Uberbau-Modells bemüht, zunehmend der Geschichte der kollektiven Mentalitäten zugewendet und den Prozeßcharakter der Geschichte am Beispiel gesellschaftlich vermittelter mentaler Strukturen vorgeführt hat. Die Vorzüge dieses Vorgehens zeigen sich vornehmlich an mediävistischen Arbeiten. Denn die verschiedenen Formen des Zusammenlebens, die gruppenbezogenen Normen des Sozialverhaltens und kollektiven Verhaltensformen im Mittelalter dokumentieren, daß im Mittelalter kollektiven Verhaltensmustern und Denkweisen im Vergleich zur Neuzeit eine ungleich bedeutendere und positivere Funktion zukam. 34 Das gilt auch für die Literatur, die im Mittelalter durch die Ö f fentlichkeit ihres Vortrags in weitaus größerem Maße als in der Neuzeit in feste Rituale und gesellschaftliche Zeremonien eingebunden und deshalb eher auf kollektive Erfahrungen und Erwartungen ausgerichtet gewesen ist. Literarischer Wandel scheint demnach im Mittelalter direkter als in der Neuzeit an die Veränderung mentaler Strukturen gebunden zu sein. Auf dieser Annahme beruhen sowohl die Überlegungen zur Verbürgerlichung« der spätmittelalterlichen Literatur als auch die Interpretationen, die den anti->bürgerlichen< Affekt literarischer Texte herausstellen. Sie gehen beide davon aus, daß der literarischen Entwicklung sehr direkt die Opposition eines adeligen und eines >bürgerlichen< Kultursystems korreliert, die sich allmählich zugunsten der Mentalität des >Bürgertums< verschiebt. Während jedoch in der historischen und literarhistorischen Forschung das Selbstverständnis der Mönche, Kleriker und Adeligen detailliert analysiert und in verschiedenen Konstellationen jeweils voneinander abgesetzt wird, konzentriert sich die Diskussion über die Mentalität der Stadtbewohner vornehmlich auf das Sozialverhalten und die Normvorstellungen der Kaufleute, die einseitig von denen des Adels abgegrenzt werden. Diese Gleichsetzung von >bürgerlich< mit kaufmännisch geht offenbar auf die historische Forschung zurück, die lange Zeit hindurch fast ausschließlich auf die Rolle der Kaufleute bei der Entstehung und wirtschaftlichen wie rechtlichen Entwicklung der Stadt geachtet und in dem »wagenden Unternehmergeist« bzw. dem zweckrationalen Denken dieser Kaufleute die das Verhalten der Stadtbewohner bestimmenden und das städtische Leben organisierenden Faktoren bürgerlichen Mentalität gesehen hat. Inzwischen ist dieses einseitige Bild vom kaufmännisch orientierten Stadtbewohner als dem repräsentativen Typus des mittelalterlichen Stadtbürgers korrigiert und darauf hingewiesen worden, daß in der herrschaftlich geordneten Stadtgesellschaft des Mittelalters die ver34

Diesen Aspekt betont vor allem Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter. Frankfurt 1973 in den übergreifenden Partien dieses Buchs.

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schiedensten sozialen Gruppen mit ganz unterschiedlichem Sozialverhalten, wirtschaftlichem Gewicht und ethischem Normensystem existieren, die eine inhaltliche Bestimmung dessen, was unter spezifisch >bürgerlichem< bzw. städtischem Denken und Verhalten im Mittelalter zu verstehen sei, sehr erschweren. 35 In der Regel wird von einer groben Gliederung der Stadtgesellschaft in die Oberschicht des Stadtadels, der Fernkaufleute und Geldhändler, die Mittelschicht der kleineren Kaufleute und Zunftbürger und schließlich die Gesellen, Mägde, Tagelöhner, die Bettler, Kranken und unverheirateten Frauen ausgegangen, die kein Bürgerrecht besitzen, wirtschaftlich am Rande des Erträglichen leben, in den Quellen pauperes bzw. arme lute genannt und deshalb der breiten Masse städtischer Unterschichten zugerechnet werden. Diese drei Schichten unterscheiden sich - nach Erich Maschke, 36 der sich am ausführlichsten um die Erforschung der verschiedenen städtischen Gruppierungen bemüht hat - weniger im Hinblick auf ständische Prinzipien als aufgrund sozialer Lagemerkmale, ihrer beruflichen Position und politischen Stellung in der Stadt, vor allem aber ihrer finanziellen Verhältnisse. Dem Reichtum der Oberschicht, die die wichtigsten Ämter besetzt und die städtische Wirtschaft beherrscht, stehen einerseits die eher bescheidenen Vermögen der kleinen Kaufleute und Handwerker, andererseits die >Armut< städtischer Unterschichten gegenüber. Während die Kaufleute und Handwerker in vielen Städten zumindest seit dem 14. Jahrhundert neben den führenden Geschlechtern im Rat vertreten sind und städtische Ämter übernehmen, bleiben die Unterschichten völlig von der Teilhabe an der Macht ausgeschlossen. Entsprechend unterschiedlich ist das Kollektivbewußtsein und Gruppenverhalten der verschiedenen Schichten dokumentiert. Zeugnisse für das Selbstverständnis der sozial und ökonomisch sehr heterogenen Gruppen innerhalb der Unterschichten fehlen fast völlig. Erich Maschke 37 hat lediglich für die noch am stärksten in das städtische Leben integrierte Gruppe der Gesellen auf Gesellenbriefe des 15. Jahrhunderts aufmerksam gemacht, die eine Art Kollektivbewußtsein der Gesellen gegenüber 35

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Vgl. vor allem die in dem Sammelband: Das Leben in der Stadt des Spätmittelalters. Internationaler Kongreß Krems an der Donau 20. bis 23. September 1976. Wien 1977. (Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 325: Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 2) vereinigten Arbeiten, die sich um eine materiell-kulturhistorische Aufarbeitung städtischen Lebens bemühen. E. Maschke: Die Schichtung der mittelalterlichen Stadtbevölkerung Deutschlands als Problem der Forschung. In: Methodologie de l'histoire et des sciences humaines. Bd. 2. Melanges en l'honneur de Ferdinand Braudel. Paris 1973. S. 3 6 7 - 3 7 9 ; detaillierter neuerdings ders.: Soziale Gruppen in der deutschen Stadt des späten Mittelalters. In: Uber Bürger, Stadt und städtische Literatur, S. 1 2 7 - 1 4 5 ; zum Problem der gesellschaftlichen Schichtung in den mittelalterlichen Städten vgl. auch Wilfried Ehbrecht: Zu Ordnung und Selbstverständnis städtischer Gesellschaft im späten Mittelalter. In: BDL 110, 1974. S. 8 3 - 1 0 3 sowie die kritischen Bemerkungen von Jürgen Eilermeyer: Sozialgruppen, Selbstverständnis, Vermögen und städtische Verordnungen. Ein Diskussionsbeitrag zur Erforschung spätmittelalterlicher Stadtgesellschaft. In: Ebda. 113, 1977. S. 2 0 3 - 2 7 5 . Maschke: Unterschichten, S. 413ff.; vgl. dazu neuerdings Wilfried Reininghaus: Die Entstehung der Gesellengilden im Spätmittelalter. Wiesbaden 1981. (VSWG Beihefte 71)

den Meistern erkennen lassen. Im übrigen treten die >ArmenArmen< in den Städten vgl. vor allem Frantisek Graus: Au bas moyen äge: Pauvres des villes et pauvres des campagnes. In: Annales 16, 1961. S. 1053-1065 sowie Michel Mollat: Les pauvres au moyen äge. Etude sociale. Paris 1978, hier S. 198-202. Systematische und regionale Informationen über diese städtischen Gruppen bietet der Sammelband: Städtische Mittelschichten. Protokoll der VIII. Arbeitstagung des Arbeitskreises für südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung. Biberach 14.-16. Nov. 1969. Hg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow. Stuttgart 1972. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe B, Forschungen 69). Vgl. dazu Reinhard Barth: Argumentation und Selbstverständnis der Bürgeropposition in städtischen Auseinandersetzungen des Spätmittelalters. Lübeck 1403-1408 - Braunschweig 1374-1376 - Mainz 1444-1446 - Köln 1396-1400. Köln, Wien 1974. (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter 3) Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg. 2. Bd. Chronik des Burkhard Zink. 1368-1468. Hg. von F. Frensdorff (1866). Nachdruck: Göttingen 1965. (Ch.dt.St. 5); die autobiographischen Notizen des Chronisten sind im 3. Buch eingeschaltet, hier S. 122-143. Zur Augsburger Chronik Burkhard Zinks als Dokument städtischer Geschichtsschreibung vgl. Heinrich Schmidt: Die deutschen Städtechroniken als Spiegel des bürgerlichen Selbstverständnisses im Spätmittelalter. Göttingen 1958. (Schriftenreihe

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sönlichen Kommentare, mit denen er die Augsburger Ereignisgeschichte versehen hat. Sie bieten das Bild eines Mannes, der sich durch Eigeninitiative und flexible Anpassung an veränderte Situationen ein mittleres Vermögen und eine geachtete Stellung in Augsburg erworben hat, und informieren präzise über die Lebensverhältnisse und Interessen eines kleineren Kaufmanns im späten Mittelalter. Burkhard Zink, Sohn eines gewerbig man (S. 122) in Memmingen, verläßt - nach eigener Darstellung - aus familiären Gründen mit 11 Jahren sein Elternhaus, wandert mit einem Schüler nach Reisnitz zu einem Bruder seines Vaters, einem Pfarrer, der ihm eine Schulbildung vermittelt. Nach sieben Jahren kehrt er gegen den Willen seines Onkels, der ihn auf die Universität nach Wien schicken will, nach Memmingen zurück, findet jedoch veränderte Familienverhältnisse vor, die ihn zwingen, sich als eine Art Hauslehrer durchzuschlagen. Nach einem kurzen Intermezzo einer Kürschnerlehre, die er nach 14 Tagen abbricht, weil ihn der Rücken schmerzt, verdient er seinen Lebensunterhalt als fahrender Schüler und Hauslehrer in Biberach, Ehingen, Balingen und Ulm. Schließlich beendet er sein >Schülerbürgerlich< abdecken. Denn sobald der adelig-repräsentativen Lebensführung die auf Sparsamkeit ausgerichtete Einnahmenwirtschaft, die Seßhaftigkeit und Redlichkeit des mittelalterlichen >Bürgertums< gegenübergestellt wird, steht hinter diesem Gegenbild die Vorstellung eines von Burkhard Zink repräsentierten Angehörigen städtischer Mittelschichten des 15. und 16. Jahrhunderts, dessen Wertvorstellungen sich zumindest teilweise bis in die Neuzeit durchgehalten haben und in der Regel mit dem Etikett >kleinbügerlich< versehen werden. Zu diesem Ergebnis kommt auch Jörn Reichel, 4 5 der die Lebensverhältnisse des in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts in Nürnberg bezeugten Spruchdichters Hans Rosenplüt detailliert dokumentiert und in den literarischen Werken dieses Nürnberger Autors die Prinzipien einer spezifisch >bürgerlichen< Moral formuliert sieht, die im Spätmittelalter nur für die städtische Mittelschicht gegolten habe. Für uns ist dieser Nürnberger Sarwerker, Rotschmied und Büchsenmeister deshalb interessant, weil er jener Gruppierung der städtischen Mittelschicht angehört, die wir mit dem Augsburger Kaufmann Burkhard Zink noch nicht erfaßt haben: die Gruppe der Handwerker, über deren Selbstverständnis und Normensystem möglicherweise die literarischen Werke dieses Nürnberger Autors Auskunft geben. 4 6 Rosenplüt ist - wie Burkhard Zink - ein zugewanderter Bürger. Er tritt 1426 erstmals in Nürnberg als Tagewerker beim Handwerk der Harnischmacher auf, erwirbt bereits ein Jahr später die Meisterwürde, zieht bald in die Innenstadt, weist bei einer Volkszählung des Jahres 1429 nur einen Knecht, d.h. die Minimalausstattung eines Handwerksbetriebs, auf und scheint im Laufe der folgenden Jahre seinen Beruf gewechselt zu haben: denn 1449 wird er unter den Nürnberger Rotschmieden erwähnt, ist bald geschworener Meister und erhält bereits im Jahre 1444 eine Anstellung als Büchsenmeister, die mehrfach verlängert wird. Damit ist es ihm offensichtlich gelungen, bereits nach einigen Jahren als Handwerker und Inhaber eines städtischen Amts in der städtischen Gesellschaft Nürnbergs fest etabliert zu sein. Er zeigt dabei - ähnlich wie Burkhard Zink - eine erstaunliche Flexibilität, die sich in seinem häufigen Wohnungswechsel, besonders aber in seiner beruflichen Veränderung dokumentiert. Im Gegensatz zu Burkhard Zink scheint er es jedoch nie zu einem besonderen Wohlstand gebracht zu haben, sondern verharrt nach Reichels Untersuchungen zeitlebens in einer eher ungesicherten ökonomischen Existenz. Dieser Rotschmied und städtische Büchsenmeister, der offenbar als >Nebenbeschäftigung< die verschiedensten literarischen Werke verfaßt hat und dieser Tätigkeit wahrscheinlich seinen Beinamen >Snepperer< - der Schwätzer bzw. beredte Poet - verdankt, ist vor allem 45

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J. Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt. Studien zu Leben und Werk. Heidelberger Habilitationsschrift, die mir der Verfasser freundlicherweise bereits vor der Drucklegung zur Verfügung gestellt hat. Ein ähnlicher Fall eines zugewanderten Handwerker-Autors ist der Wundarzt Hans Folz, der allerdings als Drucker seiner Werke bereits eine Sonderstellung innehat. Zur gesellschaftlichen Existenz dieses Nürnberger Dichters vgl. Johannes Janota: Hans Folz in Nürnberg. Ein Autor etabliert sich in einer stadtbürgerlichen Gesellschaft. In: Philologie und Geschichtswissenschaft. Demonstrationen literarischer Texte des Mittelalters. Hg. von Heinz Rupp. Heidelberg 1977. (medium literatur 5. Studienbibliothek für Wissenschaft und Unterricht) S. 7 4 - 9 1 .

als Autor von Fastnachtspielen und sehr unterschiedlichen Typen kleinerer Dichtung hervorgetreten: von ihm sind nicht nur Mären und geistliche Erzählungen, weltlich-didaktische, geistliche und aktuelle politisch-historische Reden, sondern möglicherweise auch Formen der Kleinstdichtung wie Priamel und Klopfansprüche erhalten. Diese Texte zeichnen sich - nach Jörn Reichel - durch thematisch-ideologische Eigenarten aus, in denen spezifische Identifikationsangebote für ein bestimmtes Publikum, die handwerkliche Mittelschicht Nürnbergs, zu sehen seien: ein besonders ausgeprägtes Leistungs- und Arbeitsethos, das sich in Rosenplüts dezidierter Polemik gegen die Figur des >Müßiggängers< äußere; eine persönlich gehaltene Frömmigkeitshaltung, die der Legitimation der eigenen Gruppe diene, und schließlich eine extrem enge Eheauffassung bzw. restriktive Sexualmoral, die der eher liberalen Ehepraxis des Adels und städtischer Oberschichten entgegenstehe, hingegen sehr direkt mit der wirtschaftlichen Notwendigkeit einer Mitarbeit der Ehefrau im Handwerksbetrieb korreliere. Diese drei Aspekte seien entscheidende Faktoren eines >bürgerlichen< Normensystems, das im Spätmittelalter ausschließlich der Mittelschicht der Zunfthandwerker vorbehalten gewesen sei und erst spät die Konzeption allgemein >bürgerlicher< Wertvorstellungen geprägt habe.

Hans Rosenplüts Werke scheinen demnach die Konturen jenes neuzeitlichen >BürgerBürgerbürgerlichen< Mentalität mittelalterlicher Stadtbewohner. Denn die Charakteristika jener >bürgerlichen< Moral handwerklicher Mittelschichten spätmittelalterlicher Städte sind z.T. - besonders deutlich etwa im Falle der Ehethematik aus festen literarischen Themen gewonnen, die sich einer unvermittelten Korrelation mit spezifischen gesellschaftlichen Bedürfnissen einer bestimmten Gruppe entziehen. Insofern wird man Reichels Überlegungen zum Selbstverständnis der handwerklichen Mittelschicht spätmittelalterlicher Städte nicht ohne weiteres zustimmen können. Und es bleiben als >Material< für die Frage nach den Verhaltensstandards und Wertvorstellungen städtischer Mittelschichten lediglich die Lebensverhältnisse eines eher bescheidenen Vertreters der handwerklichen Mittelschicht des 15. Jahrhunderts, der durch seine Zunftzugehörigkeit und sein städtisches Amt in die städtische Gesellschaft eingebunden ist, keine großen Kontakte pflegt und mit seinen kleindimensionierten literarischen Werken zur Belehrung und Unterhaltung seiner Standesgenossen beiträgt. Hierin werden allerdings — wie im Falle des Augsburgers Burkhard Zink - die Umrisse eines >Bürgerbürgerlich< ist angesprochen, wenn von der >bürgerlichen< Oberschicht mittelalterlicher Städte die Rede ist, den großen Fernkaufleuten und Geldhändlern. Diese Gruppe unterscheide sich durch ihr extensives Gewinnstreben von der städtischen Mittelschicht, durch die rationale 29

Form systematischer Erwerbsarbeit vom Landadel und den in den Städten lebenden adeligen Rentnern. Während der Adel und damit auch die adelige Oberschicht der Städte den Gelderwerb lediglich als Voraussetzung für den standesgemäßen Konsum betrachte, sich deshalb nur gelegentlich an Handelsgeschäften beteilige und eine eher traditionale Haltung dem wirtschaftlichen Bereich gegenüber einnehme, sei für die Gruppe der großen Fernkaufleute und Geldhändler der ökonomische Bereich von zentraler Bedeutung und bestimme ihre auf Zweckrationalität ausgerichtete Lebensführung und Mentalität.47 Diese Opposition kollektiver Einstellungen, die die Oberschicht mittelalterlicher Städte spalte, die soziale Abgrenzung von Adel und >Bürgertum< im Spätmittelalter fördere und noch dem Antagonismus von Hofaristokratie und Berufsbürgertum im 18. Jahrhundert zugrunde liege, wird von Historikern und Soziologen unterschiedlich akzentuiert: die mediävistische Stadtgeschichtsforschung arbeitet mit dem Gegensatzpaar patrizische Rentnergesinnung versus kaufmännisch-wagender Unternehmergeist48, Werner Sombart etwa mit Ausgaben- versus Einnahmenwirtschaft49 und schließlich Norbert Elias, der die höfische Gesellschaft des Ancien Regime analysiert, mit »status-consumption-ethos« versus »saving-for-future-profit-ethos«.50 Diese Bestimmungen, die — abgesehen von dem jeweiligen historischen Untersuchungsgegenstand - eine grundsätzliche Abgrenzung von adeliger und bürgerlichen Mentalität anstreben, definieren die beiden Gruppen vornehmlich im Hinblick auf ihr Wirtschaftsverhalten. In Anlehnung an diese Unterscheidung von Adel und >Bürgertum< hat die Figur des mittelalterlichen Großkaufmanns in der im Anschluß an Sombarts Thesen entfachten Diskussion um die Entstehung des Kapitalismus eine besondere Rolle 47

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Diese Vorstellung bestimmt die meisten Arbeiten zur Rolle der Kaufleute in der mittelalterlichen Stadtgesellschaft. Ein umfassendes und differenziertes Bild von der Mentalität des mittelalterlichen Fernkaufmanns bieten hingegen Armando Sapori: Le Marchand Italien au Moyen Age. Conference et Bibliographie. Introduction de Luden Febvre. Paris 1952. (Ecole Pratique des Hautes Etudes - VI. Section. Centre de Recherches Historiques. Affaires et Gens d'Affaires 1); Jacques Le Goff: Marchands et banquiers du moyen äge (1956). Paris 2 1969. (»Que sais-je?« 699); Erich Maschke: Das Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Fernkaufmanns (1964). Wieder in: Stadt des Mittelalters III, S. 177-216 sowie Robert S. Lopez: The Culture of the Medieval Merchant. In: Medieval and Renaissance Studies 8, 1979. S. 5 2 - 7 3 . Eine vergleichende Übersicht über die in dieser Diskussion verwendeten Termini >UnternehmergeistGewinnstreben< und »rationale Grundhaltung< findet sich bei Renate Märtins: Wertorientierungen und wirtschaftliches Erfolgsdenken mittelalterlicher Großkaufleute. Das Beispiel Gent im 13. Jahrhundert. Köln, Wien 1976, (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter 5), hier S. 1 - 2 8 . Am pointiertesten etwa Fritz Rörig: Die geistigen Grundlagen der Hansischen Vormachtstellung. In: HZ 139, 1929. S. 242-251; sehr ähnlich auch Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. 5., revidierte Aufl. besorgt von Johannes Winkelmann. Tübingen 1976; er unterscheidet zwischen »ritterlich-adeliger Rentnergesinnung« und »kapitalistischer Grundhaltung« (S. 772ff.). Sombart: Bourgeois, S. l l f f . ; 137ff. Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft. Neuwied und Berlin 1969. (Soziologische Texte 54) S. 102ff.

gespielt. E s ging dabei um die Frage, ob der Typus des mittelalterlichen Kaufmann-Verlegers, wie ihn etwa Jehan Boinebroke aus Douai 5 1 in extremer Form vertritt, durch sein rücksichtsloses Gewinnstreben und seine planmäßige Organisation des Produktionsbereichs bereits den Rahmen feudaler Wirtschaft sprenge und in entscheidenden Punkten dem frühindustriellen Unternehmer der Neuzeit zu vergleichen sei. D i e Antworten gehen sehr weit auseinander. Auf der einen Seite wird im Anschluß an Pirennes Untersuchungen zur Entwicklung des mittelalterlichen Handels den Fernhandelskaufleuten, zumindest ihren exponiertesten Vertretern, die zukunftweisenden Züge ökonomischer Rationalität und systematischer Erwerbsarbeit zugewiesen. 5 2 Demgegenüber wird jedoch - vornehmlich in übergreifenden Untersuchungen zur Entstehung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft der Neuzeit — dem mittelalterlichen Großkaufmann die Fähigkeit zu planmäßiger Organisation der Handelsgeschäfte abgesprochen und das 16. Jahrhundert als Epochenschwelle herausgestellt, da sich erst zu dieser Zeit der Typus des neuzeitlichen Unternehmers und das Ethos des modernen Wirtschaftsmenschen herausgebildet habe, das sich grundlegend von den Wertvorstellungen und Interessen mittelalterlicher Großkaufleute, Geldhändler und Verleger unterscheide. 5 3 D e r entscheidende Vorstoß in dieser Richtung ist von Max Weber ausgegangen, 51

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Zu Jehan Boinebrokes wirtschaftlicher Tätigkeit und sozialer Stellung in Douai vgl. Georges Espinas: Jehan Boine Broke, bourgeois et drapier douaisien. In: VSWG 2,1904. S. 3 4 - 1 2 1 ; 219-253; 382-412, der in Broinebroke den Prototyp eines rücksichtslosen Kapitalisten sieht. Das gleiche gilt für die Einschätzung der >ökonomischen< Aktivitäten Jacques Coeurs, der als Waren- und Finanzkaufmann im Dienste des französischen Königs Karl VII. zu einer der einflußreichsten Persönlichkeiten wurde. Auch er wird - vor allem in der Arbeit von Hendrik de Man: Jacques Coeur, Der königliche Kaufmann. Bern 1950, der von Jacques Coeurs »spiritus capitalisticus« (S. 74) spricht - als profilierter Vertreter neuzeitlicher industriell-kapitalistischer Praktiken angesehen. Kritisch gegenüber dieser Geschichtskonstruktion äußert sich Otto Brunner: Jacques Coeur (c. 1396-1456). Ein Beitrag zum Problem >Bürgertum und AdelKapitalisten< bei Henri Pirenne: Les periodes de l'histoire sociale du capitalisme. In: Pirenne, Histoire economique de l'occident medieval. Preface de Ε. Coornaert. o.O. 1951. S. 1 5 - 2 0 ; sehr ähnlich argumentiert auch Georges Espinas in seinen Arbeiten über Douai und die führende Wirtschaftsstellung Jehan Boinebrokes. Vgl. hingegen die Kritik an diesen Überlegungen zur Entwicklung der Tuchindustrie in Flandern und die führende Rolle Jehan Boinebrokes bei Alain Derville: Les draperies flamandes et artesiennes vers 1250-1350. In: Revue du Nord 54, 1972. S. 353-370. Auf deutscher Seite wird das »wagende Unternehmertum« des mittelalterlichen Fernkaufmanns vor allem von Fritz Rörig: Unternehmerkräfte im flandrisch-hansischen Raum (1939/40). Wieder in: Altständisches Bürgertum. Zweiter Band: Erwerbsleben und Sozialgefüge. Hg. von Heinz Stoob. Darmstadt 1978. (Wege der Forschung 417) S. 9 6 - 1 1 9 betont. Ansatzpunkt ist hier vor allem die Monopol-Diskussion des 16. Jahrhunderts; vgl. dazu etwa Clemens Bauer: Conrad Peutinger und der Durchbruch des neuen ökonomischen Denkens in der Wende zur Neuzeit. In: Augusta 955-1955. Forschungen und Studien zur Kultur und Wirtschaftsgeschichte Augsburgs. Augsburg o. J. S. 219-230; aber auch die übergreifenden Arbeiten zur Genese des Kapitalismus von Strieder und Dobb. 31

der in seinen Studien »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« 54 den spezifisch neuzeitlichen Aspekt der rationalen Berufsarbeit aus der Prädestinationslehre des Calvinismus und vergleichbarer Sekten ableitet und in der ökonomisch-rationalen Lebensführung des modernen Wirtschaftsmenschen eine Adaptation der christlichen Askese des Mönchtums sieht. Diese Ethik »innerweltlicher Askese«, die für Weber das wichtigste Merkmal bürgerlichen Geistes ist, ersetze charakteristische Aspekte vorreformatorischer Wertvorstellungen: sie wende sich gegen Luxuskonsum und irrationales Gewinnstreben und befreie zugleich den neuzeitlichen Berufsbürger von den Fesseln einer traditionalistischen Ethik, die das Gewinnstreben stigmatisiert habe. Max Webers Thesen zu den religiösen Grundlagen des kapitalistischen Geistes sind seit ihrer Veröffentlichung heftig diskutiert und weitgehend korrigiert worden. 55 Unumstritten scheint mir allerdings die für unsere Fragestellung entscheidende Behauptung zu sein, daß ein auf ökonomisch-rationale Lebensführung ausgerichtetes Berufsethos erst im 16. Jahrhundert, in einer bestimmten historischen Situation, entstanden, demnach spezifisch neuzeitlich sei. Begriffe wie ökonomische Rationalität oder zweckrationales Handeln, die den modernen >bürgerlichbürgerlich< zur Kennzeichnung des Verhaltens mittelalterlicher Großkaufleute verwendet werden und gelten dann ebenso für das Wirtschaftsverhalten der anderen Sozialgruppen. 56 Die aggressiven Eingriffe eines Jehan Boinebroke in die Produktion zugunsten einer Expansion seines Tuchhandels mögen zwar ein planmäßiges Vorgehen des Großkaufmanns erkennen lassen. Sein ökonomisches Verhalten ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem von Max Weber beschriebenen Ethos rationaler Lebensführung auf der Grundlage der Berufsidee, das — nach Weber - das neuzeitliche bürgerliche Denken prägt. Wenn mit einer kontinuierlichen Entwicklung der ökonomischen Aktivitäten und Interessen herausragender Großkaufleute des Mittelalters zum Wirtschaftsverhalten neuzeitlicher Unternehmer nicht zu rechnen ist, demnach die Begriffe »wagender Unternehmergeist« oder »zweckrationales Denken« zur Kennzeichnung der Mentalität mittelalterlicher Kaufleute und Geldhändler zumindest miß54

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M. Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1920). In: Weber, Die protestantische Ethik I. Eine Aufsatzsammlung. Hg. von Johannes Winckelmann. Hamburg 1975. (Siebenstern-Taschenbuch 53/54) S. 2 7 - 2 7 7 . Vgl. etwa die zusammenfassende Diskussion von Webers Protestantismus-Kapitalismus-These in dem Band: Seminar: Religion und gesellschaftliche Entwicklung. Studien zur Protestantismus-Kapitalismus-These Max Webers. Hg. von Constans Seyfarth und Walther M. Sprondel. Frankfurt 1973. (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 38) Zur Problematik der Begriffe >RationalitätErwerbssinnRealitätssinn< im Hinblick auf die verschiedenen Gruppen mittelalterlicher Stadtbewohner vgl. neuerdings die überzeugenden Ausführungen von Hans Martin Klinkenberg: »Bürgerliche Bildung< im Mittelalter? In: Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Mit 45 Abbildungen. Hg. von Rudolf Schützeichel in Verbindung mit Ulrich Fellmann. Bonn 1979. S. 3 3 4 - 3 7 0 .

verständlich sind, bleibt zu fragen, inwiefern sich Angehörige städtischer Oberschichten in ihrem Sozialverhalten und Selbstverständnis überhaupt vom Adel unterscheiden. In der Regel wird davon ausgegangen, daß sich die Führungsschichten mittelalterlicher Städte aus zwei Gruppierungen zusammensetzen: den wohlhabenden Kaufleuten und Bankiers, die im Rat sitzen, wichtige städtische Ämter innehaben und auf diese Weise die Verwaltung und wirtschaftliche Organisation der Stadt beherrschen, und den adeligen bzw. ministerialischen Geschlechtern, die zwar als Grund- und Hausbesitzer, Ratsherren und Inhaber entscheidender städtischer Ämter ebenfalls in der Stadt dominieren, zugleich jedoch Herrschaftsrechte, Güter und Burgen außerhalb der Stadt besitzen, verwandtschaftliche Bindungen zu landadeligen Familien haben und als Turnierteilnehmer, Gönner und Publikum höfischer Werke ein repräsentativ-adeliges Leben führen. Diese unterschiedliche Orientierung gleiche sich zwar allmählich aus: denn kaufmännische Familien bauen repräsentative Wohnhäuser, erwerben Besitzungen auch außerhalb der Stadt und übernehmen adelige Verhaltensformen, der Stadtadel wiederum kann sich den Erfordernissen des städtischen Wirtschaftslebens nicht entziehen und entfremdet sich durch seine Teilnahme an Handelsgeschäften zusehends einer ritterlich-adeligen Lebensweise. Dennoch lasse sich eine ursprünglich >bürgerliche< von einer adeligen Oberschicht abgrenzen, die von jeweils verschiedenen Interessen geleitet seien. 57 Diese Unterscheidung einer aristokratischen und einer aufsteigenden bürgerlichem Gruppierung innerhalb der städtischen Oberschicht läßt sich jedoch in den Quellen nicht in der vermuteten Deutlichkeit nachweisen. Es scheint sich zwar anzubieten, die seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Urkunden südwestdeutscher Städte auftretende Differenzierung zwischen milites und cives bzw. ritter und burger auf das Nebeneinander einer sogenannten ritterlich-adeligen und einer >bürgerlichen< Gruppierung zu beziehen, die sich unter dem Gesichtspunkt ihrer Mentalität unterscheide und damit die Existenz zweier konkurrierender Verhaltenssysteme in der städtischen Oberschicht bestätige. Tatsächlich zeigen sich — wie Knut Schulz58 am Beispiel der cives und milites rheinischer Bischofsstädte vorge57

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Diese Sicht bestimmt die meisten Arbeiten zur städtischen Führungsschicht; sehr typisch ist für diese Betrachtungsweise etwa der Beitrag von Philippe Dollinger: Patriciat noble et patriciat bourgeois ä Strasbourg au XIV® siecle. In: Revue d'Alsace 90, 1950/51. S. 5 2 - 8 2 ; auf der literarhistorischen Seite vgl. etwa die detaillierten Ausführungen am Beispiel Kölns von Horst Wenzel: Aristokratisches Selbstverständnis im städtischen Patriziat von Köln, dargestellt an der Kölner Chronik Gottfried Hagens. In: Literatur - Publikum - historischer Kontext, S. 9 - 2 8 ; erweiterte Fassung in Horst Wenzel: Höfische Geschichte. Literarische Tradition und Gegenwartsdeutung in den volkssprachigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters. Bern, Frankfurt, Las Vegas 1980. (Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte 5) Kap. 5: Stadtchroniken (das ritterliche Köln), S. 191-253. Knut Schulz: Die Ministerialität in rheinischen Bischofsstädten. In: Stadt und Ministerialität. Protokoll der IX. Arbeitstagung des Arbeitskreises für südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung Freiburg i.Br. 13.-15. Nov. 1970. Hg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow. Stuttgart 1973. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe B. Forschungen 76) S. 1 6 - 4 2 .

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führt hat — Unterschiede in der wirtschaftlichen und sozialen Orientierung: Beide Gruppen haben zwar Haus- und Grundbesitz in und außerhalb der Stadt, sind an Kreditgeschäften beteiligt und stehen in verwandtschaftlichen Verbindungen mit landadeligen Familien. Die milites aber verfügen über umfangreichere außerstädtische Besitzungen und gehen vornehmlich Eheverbindungen mit dem rundum wohnenden Landadel ein. Hingegen konzentrieren sich Grundbesitz und Konnubium der cives eher auf die Stadt. Es gibt jedoch keine Hinweise dafür, daß diesen graduellen Verschiebungen in der wirtschaftlichen und sozialen Orientierung Unterschiede hinsichtlich der Mentalität beider Gruppen entsprechen, daß sich etwa die adeligen milites von einer auf Gelderwerb ausgerichteten, nüchtern kalkulierenden Gruppe der cives abgrenzen. Vielmehr besetzen - wie zahlreiche Arbeiten zum Patriziat verschiedener Städte übereinstimmend dokumentieren 59 — milites wie cives als Ratsherren gemeinsam bedeutsame städtische Ämter, beteiligen sich an Handels- und Geldgeschäften, bauen repräsentative Häuser, treten bei Auseinandersetzungen gegenüber ihren Gegnern und Konkurrenten rücksichtslos und selbstherrlich auf und sind gemeinsam als Mäzene höfischer Autoren bezeugt. Insofern konstatiert das oft verwendete Gegensatzpaar adeliges contra >bürgerliches< Patriziat bzw. ritterliche contra >bürgerliche< Ministerialität eine Differenzierung der städtischen Oberschicht hinsichtlich des sozialen Auftretens, des Wirtschaftsverhaltens und der Integration in das Leben der Stadt, die sich im 13. Jahrhundert nicht nachweisen läßt. Die städtischen Führungsschichten der milites und cives bilden vielmehr in ihrem Sozialverhalten und ihren Wertvorstellungen eine gemeinsame Gruppe, die sich kaum von dem rundum wohnenden Landadel unterscheidet, der zunehmend in die Stadt zieht, zumindest über Grund- und Hausbesitz in der Stadt verfügt und verwandtschaftliche wie wirtschaftliche Beziehungen zu städtischen Familien unterhält. Der oft konstatierte Gegensatz von Stadt und Land 59

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Aus der umfangreichen Literatur zur adelig->bürgerlichen< Oberschicht einzelner Städte vgl. neben dem Beitrag von Knut Schulz die folgenden Arbeiten, die sich explizit mit diesem Problem auseinandersetzen: Otto Brunner: Zwei Studien zum Verhältnis von Bürgertum und Adel (1949/50). Wieder in Brunner, Neue Wege, S. 242-280; Heinz F. Friederichs: Herkunft und ständische Zuordnung des Patriziats der wetterauischen Reichsstädte bis zum Ende des Staufertums. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 9, 1959. S. 3 7 - 7 5 ; Hans Hubert Hofmann: Nobiles Norimbergenses. Betrachtungen zur Struktur der reichsstädtischen Oberschicht. In: Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte in Europa. Reichenau-Vorträge 1963-1964. Konstanz, Stuttgart 1966. (Vorträge und Forschungen 11) S. 5 9 - 9 2 ; Thomas Zotz: Bischöfliche Herrschaft, Adel, Ministerialität und Bürgertum in Stadt und Bistum Worms (11.-14. Jahrhundert). In: Herrschaft und Stand, S. 9 2 - 1 3 6 ; neuerdings auch Erich Maschke: Bürgerliche und adlige Welt in den deutschen Städten der Stauferzeit. In: Südwestdeutsche Städte im Zeitalter der Staufer. 16. Arbeitstagung in Stuttgart 2 2 . - 2 4 . 4 . 1977. Hg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow. Sigmaringen 1980. (Stadt in der Geschichte. Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung 6) S. 9 - 2 7 . Über die regionalen und systematischen Probleme der Patriziat-Forschung informiert Ingrid Bätory: Das Patriziat der deutschen Stadt. Zu den Forschungsergebnissen über das Patriziat, besonders der süddeutschen Städte. In: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege 2, 1975. S. 1 - 3 0 .

kann deshalb nicht ohne weiteres auf die Lebensweise und Mentalität der Führungsschichten in und außerhalb der Stadt bezogen werden. Der Terminus >bürgerlich< ist demnach für die Charakterisierung der Mentalität einer bestimmten Gruppe innerhalb der städtischen Oberschicht untauglich, da seine neuzeitlichen Konnotationen von antifeudal, nüchtern-rational und sparsam das Verhältnis von Adel und Stadtgesellschaft im Mittelalter verzeichnen. 60 >Bürgerlich< im neuzeitlichen Sinne scheinen vielleicht — wie die biographischen Notizen des Augsburger Chronisten Burkhard Zink zeigen - Angehörige der städtischen Mittelschicht im 15. Jahrhundert gelebt zu haben, die gezwungenermaßen einen Teil ihrer Einkünfte sparten, es auf diese Weise zu einem bescheidenen Vermögen und einer geachteten Stellung in der Stadt bringen konnten und Prinzipien einer persönlichen Redlichkeit erkennen lassen, die dem von Max Weber beschriebenen bürgerlichen Berufsethos zumindest nahekommen. Die Oberschicht mittelalterlicher Städte ist jedoch weder ein auf systematische Erwerbsarbeit und Sparsamkeit ausgerichtetes antifeudales >Bürgertum< im neuzeitlichen Sinne, noch ein durch seinen in Handels- und Geldgeschäften erworbenen Reichtum sozial aufgestiegenes Kaufmannspatriziat, das adelige Lebensformen und Wertvorstellungen übernimmt, sondern eine Herrenschicht, deren Reichtum - regional verschieden - auf einer Verbindung von stadtherrlichen Ämtern, Handels- und Kreditgeschäften und ihrem ausgedehnten Grundbesitz in und außerhalb der Stadt zu beruhen scheint und die - wie ihre landadeligen Standesgenossen - am herrenmäßigen Konsum dieses Reichtums interessiert gewesen ist. Erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts brechen grundsätzliche Auseinandersetzungen zwischen dem Stadtrat und adeligen burgern aus, die allmählich so vehement werden, daß diese die Städte verlassen und diese sich ihrerseits zunehmend gegen >adeliges< Verhalten wenden. Gleichzeitig ist eine vom ritterlichen Adel ausgehende ständische Abgrenzung gegenüber der städtischen Oberschicht zu beobachten, die dazu führt, daß Ende des 15. Jahrhunderts das Konnubium zwischen städtischer Oberschicht und Landadel abbricht, in Turnierordnungen dem Handel treibenden Stadtpatriziat die Ebenbürtigkeit abgesprochen und schließlich sogar dem Adel die Beteiligung an Handelsgeschäften untersagt wird. 61 Erst jetzt scheint sich allmählich je60

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Zur systematischen Kritik an dem unhistorischen Antagonismus von >feudal< und >bürgerlich< vgl. auch Haverkamp: >Frühbürgerliche< Welt. Diese ständische Aufspaltung des Stadt- und Landadels im 15. Jahrhundert skizziert Hofmann am Beispiel von Nürnberg (S. 74ff.); den Rückzug der Kölner Geschlechter von ihren Handelsgeschäften im Spätmittelalter dokumentieren Wolfgang Herborn: Bürgerliches Selbstverständnis im spätmittelalterlichen Köln. Bemerkungen zu zwei Hausbüchern aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. In: Die Stadt in der europäischen Geschichte. Festschrift Edith Ennen. Hg. von Werner Besch u.a. Bonn 1972. S. 4 9 0 - 5 2 0 ; Franz Irsigler: Soziale Wandlungen in der Kölner Kaufmannschaft im 14. und 15. Jahrhundert. In: Hansische Geschichtsblätter 92, 1974. S. 5 9 - 7 8 . Allgemein zur Entwicklung von >Adel< und >Bürgertum< im Spätmittelalter vgl. Heinz Lieberich: Rittermäßigkeit und bürgerliche Gleichheit. Anmerkungen zur gesellschaftlichen Stellung des Bürgers im Mittelalter. In: Festschrift für Hermann Krause. Hg. von Sten Gagner, Hans Schlosser und Wolfgang Wiegand. Köln, Wien 1975. S. 6 6 - 9 3 .

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ner ideologische Gegensatz zwischen einem auf repräsentativen Konsum ausgerichteten Adel und einem Handel treibenden, nüchtern kalkulierenden >Bürgertum< herauszubilden, der im 17. und 18. Jahrhundert die Auseinandersetzungen zwischen feudalem Adel und antifeudalem >Bürgertum< bestimmt, aber zu Unrecht auf das Verhältnis von mittelalterlichem Adel und Stadtbürgertum übertragen worden ist. Durch die Verwendung des Begriffs >bürgerlich< oder patrizisch zur Kennzeichnung der Mentalität städtischer Führungsschichten werden demnach spätere Entwicklungen im Verhältnis von Landadel, Reichsritterschaft und Stadtgesellschaft vorweggenommen, die der gesellschaftlichen Formation der Städte im 13. und 14. Jahrhundert nicht entsprechen.

4. Der höfische Kaufmann als Held: Der Gute Gerhard des Rudolf von Ems Die in der historischen und literarhistorischen Forschung verbreitete Annahme einer wohlhabenden städtischen Oberschicht der Kaufleute und Geldhändler, die in den Städten praktisch unumschränkt herrschen, adeliges Verhalten adaptieren und gegen die Verachtung des Adels zu kämpfen haben, läßt sich demnach in den historischen Quellen nicht ohne weiteres nachweisen. Im Gegenteil, alle Informationen, die wir über das Selbstverständnis und das Auftreten städtischer Führungsschichten haben, sprechen eher gegen die Existenz eines durch Handel reich gewordenen, sozial deklassierten und aufstiegswilligen Patriziats. Es ist deshalb zu vermuten, daß sich die stereotype >BürgerBürgern< reflektieren und deutliche Unterschiede im Sozialverhalten des Adels und der Stadtbewohner profilieren. Das würde bedeuten, daß sich nicht nur im Falle des erst in den letzten Jahren genauer durchschauten thematischen Komplexes >Rittertum< in der Forschung die vornehmlich literarische Physiognomie eines sozialen Typus durchgesetzt hat. Auch das spezifisch konturierte Bild des >Patriziers< geht möglicherweise auf einen Entwurf der mittelalterlichen Dichtung zurück, in der der Figur des höfischen >Bürgers< als Gegentypus zum adeligen Ritter eine besondere Rolle zukommt. Tatsächlich wird bei der Frage nach dem Selbstverständnis städtischer Oberschichten häufig auf die literarische Figur des höfischen >Bürgers< verwiesen, der im 13. Jahrhundert das Personal der höfischen Dichtung erweitere und auf diese Weise - wenn auch literarisch sehr vermittelt - die gesellschaftliche Existenz und zunehmende Bedeutung einer bestimmten städtischen Gruppierung demonstriere. Im deutschen Bereich übernimmt vor allem der Gute Gerhard Rudolfs von Ems diese Rolle. Denn dieser Roman scheint mit der Figur des höfisch vorbildlichen Kölner Kaufmanns nicht nur den Beginn einer literarischen Karriere des >Bürgertums< in der Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts zu bezeichnen, sondern zugleich in besonderer Weise den erfolgreichen sozialen Aufstieg des städtischen Patriziats und die latente Antinomie adeliger und bürgerlichen Verhaltensmodelle

zu bezeugen. Dies ist das Ergebnis einer in den letzten Jahren intensiv geführten Auseinandersetzung um ein adäquates sozialhistorisches Verständnis wie auch den möglichen gesellschaftlichen Dokumentationswert der literarischen Innovationen dieses Texts. Ausgangspunkt dieses Forschungsinteresses war die im literarischen Kontext des roman courtois ungewöhnliche Thematik des Guten Gerhard: hier übersetzt zu Beginn des 13. Jahrhunderts ein literater dienest man zu Muntfort62 für einen Ministerialen des Konstanzer Bischofs eine lateinische Exempelgeschichte, in der ein Kaiser Otto durch den Bericht eines Kölner Kaufmanns von den unglaublichen Verzichtleistungen, die dieser im Vertrauen auf gotes rät vollbracht hat, zur Einsicht in sein verfehltes ruom-Handeln kommt. Diese moralisch-didaktische Exempelgeschichte hat zugleich eine deutlich soziale Dimension mit einer Reihe auffallender, z.T. sogar irritierender Elemente, die die literarischen Konventionen der höfischen Dichtung in thematisch-ideologischer Hinsicht zu durchbrechen scheinen: dazu gehören etwa die überragende Position eines Kaufmanns als vorbildliche Exempelfigur, die bedeutende Rolle, die Geld und Reichtum für das Handeln der beteiligten Personen spielen, die Bischofsstadt Köln als der zentrale Ort des Geschehens, das höfische Auftreten der Kölner burgaere, die Ritterweihe des Kaufmannsohns und schließlich die verschiedenen Konstellationen der Begegnung von >Bürgern< und Adeligen bzw. der Konfrontation von kaufmännischen Überlegungen und Standesthematik. Und das alles für ein Publikum, das - wenn Rudolf von Steinach 63 tatsächlich jener zwischen 1209 und 1221 urkundlich bezeugte Ministeriale des Konstanzer Bischofs gewesen ist - möglicherweise in der Bischofsstadt Konstanz anzusiedeln ist. Der Gute Gerhard scheint demnach bereits auf der Darstellungsebene ein im Vergleich zur bisherigen Tradition des roman courtois ungewöhnlich breites Spektrum möglicher thematischer Ansatzpunkte für seine gesellschaftsgeschichtliche Einordnung zu bieten. Entsprechend vielfältig sind in der neueren Forschungsdiskussion die Überlegungen zur sozialen Programmatik dieses Textes. Bis vor kurzem galt der Gute Gerhard als ein sehr direktes literarisches Zeugnis für den gelungenen sozialen Aufstieg des >BürgertumsPatrizierdichtung< zusammen, der nicht nur die soziale Bindung, sondern auch den ideologisch zwiespältigen Charakter dieser Werke verdeutlichen soll. Merkmale dieses Texttypus seien ein allmählicher Wandel im Adelsethos von einem ständisch fixierten Verhaltenskodex zu überständischen Wertvorstellungen, eine Verbindung von geistlichen, höfischen und >bürgerlichen< Elementen bei einem deutlichen Übergewicht der geistlichen Lehre und schließlich - im Falle des Guten Gerhard — die Figur des höfischen Kaufmanns. Mit Sengles Arbeit, dem gewichtigsten Beitrag zum Verständnis des Guten Gerhard als Artikulation eines Selbstbewußtseins städtischer Oberschichten und spezifisches literarisches Identifikationsangebot für das Patriziat der oberrheinischen Städte, war freilich zugleich der Endpunkt einer Forschungsrichtung erreicht, die in Rudolfs Text einen unverstellten Spiegel patrizischer Aufstiegsbewegung und Selbstdarstellung gesehen hat. In der neueren Forschungsdiskussion sind zwar Sengles Prämissen bei der Beurteilung des Verhältnisses von >Bürgertum< und Adel nie ganz aufgegeben worden, es überwiegt jedoch die Einschätzung des Guten Gerhard als eines dezidiert adelighöfischen Romans, in dem ein konservativer ministerialischer Autor dem Aufstiegswillen und den politischen Emanzipationsbestrebungen des >Bürgertums< der Bischofsstädte das harmonische Bild einer intakten Ständegesellschaft entgegenstellt. 66 Thematische Ansatzpunkte für diese Umorientierung sind Rudolfs Darstellung der politischen Willensbildung in Köln und vor allem die literarische Rolle des Kölner Kaufmanns als einer Helfer-Gestalt, die ihren Reichtum in den Dienst des Adels stellt, die herrschende ständische Ordnung voll akzeptiert und als Muster sozialer diemüete vorgeführt wird. Bereits Xenja von Ertzdorff hat Sengles These von der Geschichte des guoten Gerhard als eines >Patrizierwunschbildes< bezweifelt und auf die Diskrepanz zwischen der literarischen Konzeption eines bi-

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wig Kahn: Rudolf von Ems' Der gute Gerhard. Truth and Fiction in Medieval Epics. In: GR 14, 1939. S. 2 0 8 - 2 1 4 ; Hermann Schneider: Heldendichtung. Geistlichendichtung. Ritterdichtung. Neugestaltete und vermehrte Ausgabe Heidelberg 1943. (Julius Petersen und Hermann Schneider, Geschichte der deutschen Literatur 1) S. 448; Helmut de Boor: LG II, S. 178ff. Sengles Arbeit zur »Patrizierdichtung« Der gute Gerhard begründet eine Tradition der gesellschaftsgeschichtlichen Entzifferung des Textes, deren Fixierung auf die Stadt sich bis heute durchgehalten hat. Vgl. dazu vor allem die Arbeiten von Xenja von Ertzdorff, S. 71ff.; Urs Herzog und Werner Wunderlich; aber auch Daniel Rocher: Un couronnement ambigu: ascension sociale et noblesse morale dans le >Guoter Gerhart< de Rudolf von Ems. In: EG 32, 1977. S. 1 4 4 - 1 5 3 ; Michel Huby: »Le Bon Gerard« ou »Comment faire son salut sans trop de peine«. In: Ebda. S. 1 7 0 - 1 7 3 ; B. Gicquel: »Der guote Gerhart«. D e l'hermeneutique ä l'analyse de systemes, en passant par le texte. In: EG 33, 1978. S. 1 8 1 - 1 8 6 .

schöflichen Rats und der Entstehung eines relativ autonomen städtischen Rats in den Bischofsstädten zu Beginn des 13. Jahrhunderts verwiesen: jenes vom Bischof einberufene, abhängige Beratungsgremium der gräven, vrien, dienestman, korherren und burgaere,67 die im Guten Gerhard der Entscheidung des Bischofs zur Übernahme des Kaufmannsohns in die genozschaft der bischöflichen Ministerialen zustimmen, entspreche dem in den Bischofsstädten des 12. Jahrhunderts bezeugten bischöflichen Rat, der im Laufe des 13. Jahrhunderts, in Konstanz wahrscheinlich bereits im Jahre 1212, durch einen eigenen Stadtrat des städtischen Meliorats abgelöst worden sei. Rudolf von Ems negiere offenbar jenen sich in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts abzeichnenden Prozeß einer allmählichen Lösung der städtischen Oberschicht und ihrer Politik von der Vorherrschaft des Bischofs, wenn er in den Kölner Szenen des Guten Gerhard das Bild einer unumschränkten, von allen Seiten akzeptierten Stadtregierung des bischöflichen Stadtherrn biete. Diese anachronistische Darstellung städtischer Regierungspraxis sei zwar den Interessen des ministerialischen Auftraggebers entgegengekommen, nicht jedoch den Erwartungen eines patrizischen Publikums, das zur gleichen Zeit mit dem bischöflichen Stadtherrn um die Bestätigung seines eigenen städtischen Rats gekämpft habe. Auch die Figur des höfischen Kaufmanns, die bislang als Inbegriff patrizischer Selbstbestätigung galt, wird neuerdings eher als eine spezifische literarische Projektion eines höfischen Autors gewertet. Der entscheidende Anstoß kam durch die strukturanalytische Arbeit von Wolfgang Walliczek,68 der sich gegen die von Christoph Cormeau 69 vorgeschlagene Einpassung des Guten Gerhard in das Strukturschema des Artusromans Chrestien-Hartmannscher Prägung und damit auch gegen das Verständnis des Kölner Kaufmanns als des Haupthelden des Romans wendet. Die Gerhard-Gestalt der Binnengeschichte erfülle vielmehr die bereits durch den Kaufmann Wimar in Wolframs Willehalm vorgeprägte literarische Rolle der exempelhaften Helfer-Figur, die Angehörigen des höchsten Adels zugeordnet ist und in dieser Konstellation weder neu noch in sozialgeschichtlicher Hinsicht erklärungsbedürftig sei. 70 Walliczeks Beurteilung des guoten Gerhard als einer kaufmännischen Helfer-Figur war der Auftakt zu einer Fülle von Einzelbeobachtungen zur literarischen Typik des Kaufmann-Helden, der in den nachfolgenden Arbeiten allerdings wieder sozialgeschichtlich fixiert wurde: als spezifisch adeliges Wunschbild eines Vertreters des aus adeliger Sicht sozial und moralisch deklassier67 68 69

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Vv. 3475-3477. W. Walliczek: Rudolf von Ems, >Der guote GerhartBürgertumsBürgersbürgerlichen< Finanz in Gerhards Hilfsaktionen. Beide Gruppen seien erlösungsbedürftig: der finanzschwache Adel, weil er die Unterstützung des >Bürgertums< benötige, um seine Herrschaftspositionen wieder einzunehmen; das >BürgertumBürgertumsBürgers< vorstelle. Der Gute Gerhard sei demnach zwar für die Stadt bestimmt, in seiner ideologischen Programmatik jedoch zutiefst antistädtisch. Diese verschiedenen Forschungspositionen zum Guten Gerhard sind hier so ausführlich vorgestellt worden, weil sich an diesem Beispiel die spezifischen Probleme einer sozialgeschichtlichen Literaturbetrachtung, die die Faktoren Stadt und >Bürgertum< bei der Analyse einzubeziehen versucht, besonders gut zeigen lassen. Auffallendstes Kennzeichen der verschiedenen Beiträge ist ihre Gleichförmigkeit in der Argumentation hinsichtlich des Aufstiegs einer städtischen Oberschicht. Mit dem Thema >mittelalterliche Stadt< scheint für eine sozialgeschichtliche Interpretation der Deutungsrahmen bedrohter Adel - aufsteigendes >Bürgertum< vorgegeben zu sein, der dann die verschiedensten Argumentationsmöglichkeiten zuläßt. Denn so sehr sich auch in den letzten Jahren die Einschätzung der ideologischen Dominante des Guten Gerhard verändert haben mag, konstanter Ausgangspunkt aller Versuche zu einer gesellschaftsgeschichtlichen Einordnung des Textes ist doch jeweils die Annahme einer sich bereits im 13. Jahrhundert abzeichnenden Ablösung der Führungsrolle des Adels durch die städtische Oberschicht des Patriziats, die ihren mehr oder weniger vermittelten Niederschlag in Rudolfs Text gefunden habe. Dieses Erklärungsmuster liegt nicht nur sehr direkt der älteren Vorstellung vom Guten Gerhard als einer Patrizierdichtung zugrunde, sondern auch den nur scheinbar sehr unterschiedlichen neueren Deutungsversuchen: es bestimmt sowohl Urs Herzogs globale Geschichtsteleologie von der Krise des Adels und dem Aufstieg der >bürgerlichen< Finanz als auch Werner Wunderlichs stadtbezogene Überlegungen zur Rivalität von ritterlicher Ministerialität und >bürgerlichem< Patriziat; ja, es steht sogar hinter Xenja von Ertzdorffs Bemerkungen zu Rudolfs konservativer Darstellung städtischer Politik im Guten Gerhard. In allen diesen Arbeiten, die die Stadt als sozialgeschichtlichen Faktor für die Entstehung und thematische Ausrichtung des Textes herausstellen, erscheint die Stadt als eine Art Konfliktpotential im Verhältnis Adel - >BürgertumBürgertums< und dessen Auseinandersetzung mit adeligen Herrschaftsansprüchen, die für die thematische Ausrichtung und ideologische Fixierung des Guten Gerhard konstitutiv sei. Die generellen Probleme dieser Betrachtungsweise sind bereits in den einleitenden Kapiteln diskutiert worden. Ihre sehr konkreten Gefahren einer Fehleinschätzung literarischer Darstellungsformen zeigen sich an den vorliegenden stadtbezogenen Interpretationen einzelner Szenen des Guten Gerhard. Als Beispiel mögen jene bereits angesprochenen Kommentare zu Rudolfs Erwähnung eines bischöflichen Beratungsgremiums dienen, das als gesellschaftliche Institution — zumindest 41

in Konstanz - einer schon überwundenen Phase der Stadtentwicklung angehöre und in dieser Negation erreichter städtischer Positionen zumindest punktuell Auskunft über die antipatrizische Sicht des Autors gebe. Diese Überlegungen können sich auf die Ergebnisse rechts- und verfassungsgeschichtlicher Arbeiten zur Stadtentwicklung berufen, in denen die Entstehung und zunehmende Kompetenz städtischer Institutionen der Selbstverwaltung verfolgt und dabei zurecht auf die Bedeutung der im 13. Jahrhundert in praktisch allen Bischofsstädten einsetzenden Auseinandersetzungen um die Ratsverfassung abgehoben wird. 72 In diesem Kontext stellen sich die Kämpfe um die Bewilligung eines Stadtrats tatsächlich als eine entscheidende Etappe in dem Prozeß städtischer Autonomiebestrebungen dar. Im konkreten Fall ist es hingegen sehr schwierig, die Konstituierung eines Stadtrats als Ausdruck städtischen Emanzipationswillens zu beobachten. Das betrifft die Bestimmung des Zeitpunkts seiner Etablierung wie auch die inhaltliche Fixierung seiner Kompetenzen. In Konstanz 73 wird z.B. die Entstehung eines städtischen Rats in den Jahren 1 2 1 2 - 1 2 1 5 lediglich aus einer Zeitangabe im sogenannten Sühnebrief von 1255 erschlossen, der die Aufhebung des Rats verfügt und an einen Rechtszustand anknüpft, der vor 40 Jahren bestanden habe: alse vor vierzic jarin, e ie rat wrde.74 Man vermutet deshalb, daß Friedrich II. bei seinem Zug nach Deutschland im Jahre 1212 nicht nur den Bischofsstädten Basel und Straßburg, sondern - anläßlich eines Besuchs in Konstanz - auch dieser Stadt einen eigenen Rat bewilligt hat, dessen Aufhebung der Bischof 4 0 Jahre später wieder erreichte. Rechtsstatus und Tätigkeitsbereiche dieses heftig umkämpften Rats bleiben freilich - wie auch in anderen Städten - weitgehend unklar. In ihm sind offenbar wei72

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Etwa die Arbeiten von Elisabeth Rütimeyer: Stadtherr und Stadtbürgerschaft in den rheinischen Bischofsstädten. Ihr Kampf um die Hoheitsrechte im Hochmittelalter. Stuttgart 1928. (Beiheft zur VSWG 13); Horst Rabe: Der Rat der niederschwäbischen Reichsstädte. Rechtsgeschichtliche Untersuchungen über die Ratsverfassung der Reichsstädte Niederschwabens bis zum Ausgang der Zunftbewegungen im Rahmen der oberdeutschen Reichs- und Bischofsstädte. Köln, Graz 1966. (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 4), der allerdings nur am Rande auf die rheinischen Bischofsstädte eingeht; Gisela Möncke: Bischofsstadt und Reichsstadt. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Stadtverfassung von Augsburg, Konstanz und Basel. Diss. FU Berlin 1971. Zur Konstanzer Verfassungsgeschichte im 13. Jahrhundert vgl. etwa Konrad Beyerle: Zur Verfassungsgeschichte der Stadt Konstanz im 12. und 13. Jahrhundert. Ausblicke und Ziele. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 26,1897. S. 3 3 - 5 0 ; Ders.: Die Konstanzer Ratslisten des Mittelalters. Hg. von der Badischen historischen Kommission. Heidelberg 1898. S. 9ff.; Ders.: Die Entwicklung des Konstanzer Stadtrechts. In: Das Rote Buch. Hg. von Otto Feger. Konstanz 1949. (Konstanzer Stadtrechtsquellen 1) S. 1 - 5 0 , hier S. 3ff.; Otto Feger: Vom Richtebrief zum Roten Buch. Die ältere Konstanzer Ratsgesetzgebung. Darstellung und Texte. Konstanz 1955. (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 7) S. 23*ff.; Karl Heinrich Rexroth: Die Entstehung der städtischen Kanzlei in Konstanz. Untersuchungen zum deutschsprachigen Urkundenwesen des dreizehnten Jahrhunderts. Konstanz 1960. (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 12) S. 9ff.; Karl Mommsen: Zu den Anfängen der Ratsverfassung und des Spitals in Konstanz. In: ZGO 120, 1972. S. 469-479. Thurgauisches Urkundenbuch. III. 1251-1300. Redigiert von Friedrich Schaltegger. Frauenfeld 1925. Nr. 346, S. 89.

terhin die Domherren, ministerielles und burgenses des bisherigen bischöflichen Rats vertreten, ihm stehen bischöfliche Beamte wie der Ammann vor und der Bischof selbst fällt in der Regel zusammen mit diesem Rat einvernehmlich seine Entscheidungen. Kernpunkte der Konflikte um die Ratsverfassung scheinen normalerweise einerseits das Satzungsrecht des Rats gewesen zu sein, andererseits das Recht des Bischofs zur Bestimmung der Ratsvertreter. Unumstritten waren offenbar nur die Entscheidungsbefugnisse des Rats in speziellen Bereichen des städtischen Wirtschaftslebens. Diese Unsicherheit bei der Konturierung des Stadtrats als eines innovativen städtischen Gremiums läßt vermuten, daß - trotz aller Auseinandersetzungen um die Ratsverfassung in den Bischofsstädten des 13. Jahrhunderts - die Existenz eines sogenannten städtischen Rats nicht in jedem Fall einen Bruch mit der bisherigen Praxis bedeuten muß, sondern eher die kontinuierliche Entwicklung von einem punktuellen Zusammentreten eines bischöflichen consilium zur schriftlichen Fixierung der Rechte und Kompetenzen dieses Rats bezeichnet, die sich kaum als Demonstrationsobjekt für das Vorhandensein einer grundsätzlichen Antinomie Stadt - Bischof bzw. widerstreitender Interessen bei den eher herrschaftlich orientierten bischöflichen Ministerialen und einem auf die Autonomie der Stadt bedachten >bürgerlichen< Patriziat eignet. In diesem Sinne scheint mir auch die Darstellung der Ratsszene im Guten Gerhard völlig unproblematisch zu sein: hier entscheiden Adelige, bischöfliche Dienstleute, Domherren und burgaere über die Aufnahme eines Herrn in die bischöfliche Ministerialität. Rudolf von Ems negiert mit dieser Szene in keiner Weise die möglichen Kompetenzen eines städtischen Rats. Denn abgesehen davon, daß die Existenz eines Stadtrats in Konstanz für das Jahr 1212 keineswegs gesichert ist und wir zudem die Organisationsform und Rechte dieser Institution nicht abschätzen können, die hier verhandelte Frage der Aufnahme des jungen Gerhard in die genözschaft der bischöflichen Dienstmannen wäre ohnehin nicht in die Kompetenz eines städtischen Rats gefallen, sondern hätte einer Entscheidung des Bischofs und seines >Rats< bedurft. Schon aus diesem Grund sollte die bischöfliche Beratungsszene des Guten Gerhard nicht mit dem Problem eines städtischen Rats verknüpft werden. Darüberhinaus zeigen die historischen Quellen, daß in den Bischofsstädten noch eine geraume Zeit der Rat der Domherren, Ministerialen und >Bürger< gemeinsam mit dem Bischof oder einem seiner Beamten für die meisten Rechtshandlungen, die nicht spezifische Bereiche des städtischen Marktrechts betreffen, verantwortlich gewesen ist. Insofern ist eine andere Ausgestaltung der Kölner Ratsszene im Guten Gerhard überhaupt nicht zu erwarten. Und die von Xenja von Ertzdorff und Werner Wunderlich als historisch adäquate Darstellung angesehene Konzeption eines städtischen Rats der >BürgerBürgertums< um Selbstverwaltung, verzeichnet jedoch sowohl das im wesentlichen gemeinsame Auftreten der 43

milites und civ es als consules im 13. Jahrhundert als auch die Intentionen eines höfischen Autors bei der literarischen Umsetzung städtischen Rechtslebens. Die Beurteilung der Kölner Beratungsszene des Guten Gerhard als eine antistädtische literarische Projektion ist repräsentativ für eine sozialgeschichtliche Entzifferung des Textes, bei der die Stadt als Erfahrungsbereich von Autor und Publikum berücksichtigt wird: die Stadt ist hier ein Gegeneinander von Adel und städtischer Oberschicht, von adelig-ministerialischen und >bürgerlichAussage< des Textes bestimmt. Diese Fixierung auf das Thema Adel->Bürgertum< gilt natürlich in besonderer Weise für die Einschätzung der Figur des Kölner Kaufmanns, die in erster Linie dafür verantwortlich ist, daß überhaupt die Stadt als ein konstitutiver Faktor für Rudolfs Roman angesehen wird. Die Überlegungen zur sozialen Dimension der Kaufmannsgestalt sind allerdings besonders problematisch, weil dabei die literarische Form des Guten Gerhard als eines Exemplums mit Rahmenerzählung und Binnengeschichte nicht genügend beachtet wird: die Figur des Kölner Kaufmanns wird hier als ein vorbildlicher Romanheld gesehen, dessen — im sozialen Status angelegte ideologische Implikationen es zu erkennen gilt. Bereits Xenja von Ertzdorff und Wolfgang Walliczek haben hingegen auf die Exempelstruktur des Guten Gerhard verwiesen, 75 die als Variante der jüdischen Erzählung Der fromme Metzger oder der Genösse im Paradies von einem sozialen Kontrastschema bestimmt ist: ein geistlicher Würdenträger von hohem Rang wird auf die moralische Vorbildlichkeit einer Person geringer Achtung und niederer sozialer Stellung aufmerksam gemacht. 76 Die Konsequenzen dieses inhaltlichen Schemas für die soziale Typik der Figuren im Guten Gerhard und damit auch für die sozialgeschichtliche Einordnung des Textes hat jedoch erst kürzlich Kurt Ruh 7 7 erkannt: er geht davon aus, daß der Gute Gerhard mit seiner programmatischen Kaufmannsfigur keine Standesdichtung, sondern eine Exempelgeschichte ist, deren spezifischer Lehrgehalt die Rolle des Kaufmanns verlangt, der durch die Überwindung des spezifisch Kaufmännischen dem wenig herrscherlich gesinnten Kaiser zum Vorbild werden kann. Damit scheint mir sehr präzise das Konstruktionsschema des Guten Gerhard getroffen zu sein, das nicht nur die sozialen Rollen der auftretenden Figuren, sondern auch die ideologische Funktion des Textes festlegt. Denn auf der Basis dieser Beobachtungen läßt sich zeigen, daß die Rahmen- und Binnengeschichte verklammernde Exempelstruktur des Guten Gerhard, die auf eine Umkehrung normaler Einschätzungen zielt, von einer moralischen und sozialen Perspektive bestimmt ist, die der Stadt bzw. dem Patriziat als sozialgeschichtlichen Faktoren keinen Raum läßt. Die 75

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Ertzdorff, S. 162ff.; Walliczek, S. 158f. in beiden Fällen ist diese Erkenntnis jedoch folgenlos für die Beurteilung der sozialen Typik der Kaufmann-Figur geblieben: Ertzdorff interessiert sich für das Quellenproblem, Walliczek für die literarische Rolle des höfischen Kaufmanns als Helfer-Gestalt. Vgl. die Geschichte bei Reinhold Köhler: Zum Guten Gerhard (1867). Wieder in: Köhler, Kleinere Schriften zur Märchenforschung. Hg. von Johannes Bolte. Weimar 1898. S. 3 2 - 3 9 . Ruh: Versuch einer Begriffsbestimmung, S. 324f.

Geschichte ist tatsächlich weder auf eine soziale und ethische Nobilitierung bürgerlichen Kaufleute noch auf eine Sublimierung und Legitimierung kaufmännischer Lebensformen oder gar den Versuch einer moralischen Disziplinierung städtischer Oberschichten ausgerichtet, sondern als Variante des geistlichen Rangstreit-Schemas auf einer Art Überraschungseffekt aufgebaut: der in geringem Ansehen Stehende erhält gegenüber dem Herrschenden die glanzvolle Rolle des moralisch Überlegenen und >bekehrt< diesen durch unerwartetes Handeln. Dementsprechend wird im Guten Gerhard die Ion -Forderung des Kaisers mit dem Beispiel des ungewöhnlichen Ion-Verzichts eines Kaufmanns beantwortet. Rudolf von Ems zentriert - wie Helmut Brackert78 gezeigt hat — diese Bekehrungsgeschichte um den spannungsvollen Gegensatz von Adel bzw. Herrscher und Kaufmann: der Herrscher demonstriert in seiner Lohngewißheit eine geradezu kaufmännische Mentalität, der Kaufmann hingegen eine herrscherliche Haltung. Diese Funktion der Kaufmannsgestalt bestimmt ihre Typik: Gerhard ist kein ritterlich-höfischer Stadtadeliger, dessen historische Faktizität es zu erweisen gilt. Im Gegenteil, Rudolf von Ems stellt ihn prononciert als Kaufmann heraus, betont sein Gewinnstreben, seine nüchtern-kaufmännischen Überlegungen, sein kaufmännisches Selbstverständnis und Ehrgefühl und entwirft geradezu demonstrativ den Typus eines selbstbewußten, wohlhabenden, im städtischen Leben eine geachtete Stellung einnehmenden Großkaufmanns,79 der auf eine kontinuierliche Vergrößerung seines Reichtums bedacht ist. Diese spezifisch kaufmännische Haltung führt Rudolf überdeutlich in der - von Kaufmannsvokabular durchsetzten - Stranmurszene vor, wenn Gerhard über seine Gewinne spricht,80 über die Unsicherheit des vorgeschlagenen Handels reflektiert81 und bei den englischen Gefangenen mehrmals seine Spekulation auf zukünftige Bezahlung hervorhebt.82 Er erweist sich hier — bei allem höfischen Auftreten - als Prototyp eines klugen, rechtschaffenen Kaufmanns, der seine Gewinnchancen abwägt und seinen Vorteil zu wahren weiß. Die mit diesem Kaufmannsbild verbundenen Erwartungen an das Denken und Handeln des Protagonisten werden freilich in der dreifach gesteigerten VerzichtsHandlung sukzessive durchbrochen. Denn Gerhard entschließt sich im Vertrauen auf Gottes Lohn zu einem unter kaufmännischen Gesichtspunkten abwegigen Tauschgeschäft, schickt die englischen Adeligen vorzeitig nach Hause, bewegt seinen Sohn zum Verzicht auf die ihm bereits angetraute Dame und lehnt schließlich sogar die Herzogs- und Grafenwürde ab, die ihm vom englischen König als Entgelt für seine finanziellen und moralischen Hilfsleistungen angetragen wird. Diese Verzichtsleistungen betreffen zwei Bereiche, die offenbar konstitutiv für die literarische Konzeption des Kaufmanns sind: das Gewinnstreben und die Problematik des 78

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H. Brackert: Rudolf von Ems. Dichtung und Geschichte. Heidelberg 1968. (Germanische Bibliothek. Dritte Reihe. Untersuchungen und Einzeldarstellungen) S. 212f. Vgl. Brackerts Hinweise auf kaufmännische Terminologie, Metaphorik und Perspektiven im Text (S. 40ff.). Vv. 1512ff. Vv. 1793ff. Vv. 2067ff.; 2132ff.; 2198ff.; 2358.

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sozialen Aufstiegs. Gerhard, der schon in Köln ein prachtvoll höfisches Hochzeitsfest ausgetragen und keine finanziellen Opfer für eine angemessene Ausstattung des englischen Königspaares gescheut hat, verzichtet sogar auf eine Erstattung seiner Auslagen und nimmt lediglich von der Königin die symbolische Gabe von Brosche und Ring entgegen. Im sozialen Sinn wahrt er die gleiche Zurückhaltung: er hebt seinen Status als Kaufmann strikt von dem adeligen und fürstlichen Stand der ihm anvertrauten Gefangenen ab, verweist bereits zu Beginn der >Kaufverhandlungen< auf seine niedere Geburt 83 und verweigert schließlich mit dieser Begründung seine Belehnung mit einem Herzogtum bzw. einer Grafschaft: daz riche herzogentuom/sol von art einfürste hän./des hat mich min geburt erlän.84 Dieser Verzicht auf Gewinn, entsprechende finanzielle Entgeltung der Auslagen und ständische Erhöhung bestimmen die Konstruktion der Binnengeschichte. Denn modellhaft im Sinne des Exemplums ist Gerhards güete, weil sie sich abhebt von einer durch kirchliche Polemiken und aristokratische Vorurteile geprägten Konzeption des Kaufmanns, die diesen auf ein diskreditiertes Wirtschafts- und Sozialverhalten festlegt und ihn der Usurpation adeliger Privilegien verdächtigt. Gerade weil sich der Kölner Fernkaufmann nicht kaufmännisch im Sinne literarischer Erzählmuster verhält, kann er zum Protagonisten einer Exempellehre werden, die auf dem Gegensatz beruht: moralisches Versagen eines höchsten Würdenträgers versus vorbildliches Handeln eines Vertreters weniger geachteter Sozialgruppen. Die Figur des wohlhabenden Fernkaufmanns, der freiwillig ungeheure Gewinnchancen ungenutzt läßt und mit dem Hinweis auf die geburtsständische Kluft zwischen Adel und Kaufleuten die Möglichkeit sozialen Aufstiegs ausschlägt, ist ganz aus einer adeligen Perspektive gesehen 85 und setzt die Beurteilung der Kaufleute als einer verachteten Gruppe voraus, die sich auf Kosten des Adels bereichern und sich aufgrund ihres Reichtums um die soziale Gleichstellung mit dem Adel bemühen. Diese Erwartungen sind konstitutiv für die Exempellehre und werden vom Autor bewußt eingesetzt, denn Rudolf von Ems ist auffallend bemüht, das Erstaunliche im Handeln des Kaufmanns hervorzuheben: er läßt Gerhard wiederholt auf die von ihm ausgeschlagenen sozialen Ehren und finanziellen Möglichkeiten, auf seine Sonderstellung innerhalb der gendzschaft der Kaufleute 86 verweisen und 83 84

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Vv. 2054ff. Vv. 6188ff.; sehr ähnlich begründet er seine Ablehnung der Grafschaft: solt ich landes herre sin,/diu herschaft waere mir ze gröz./ich häti so manigen iibergenoz/in diser stat gesehen hie, /des werdekeit so gröz was ie/daz mir niht wol gezaeme,/ob ich dienest naeme/den er ze rehte solte tuon/durch die herschaft, durch den ruon/daz er mich herre nande/und ze herren mich erkande (Vv. 6 2 8 0 - 6 2 9 0 ) . Wie sehr Gerhard als eine Helfergestalt konzipiert ist, die die durch das Exempelschema vorgegebene adelige Perspektive des Textes bestätigt, zeigen noch einmal am Schluß die Worte des Kaisers, mit denen er die moralische Überlegenheit von Gerhards Handeln anerkennt: stift ich ein gotes hüs durch got/und gab ich dran durch sin gebot/dienstman unde eigenschaftjdaz was dannoch ein ringiu kraft/gen diner süezen güete gröz./fürsten, gräven, der genöz/kouftest du in din gebot/und gaeb si dar nach durch got (Vv. 6 6 8 7 - 6 6 9 4 ) . Vv. 5594ff.; 603 8ff.

akzentuiert dadurch in besonderer Weise die Dimensionen dieses Verzichts. Zugleich spitzt er die Exempelkonstellation auf den extremen Gegensatz Kaiser Kaufmann zu, dessen provozierende Implikationen den gesamten Text durchziehen. 8 7 Diese durch das Exempelschema vorgegebene literarische Typik des Kölner Kaufmanns zeigt freilich, daß der Gute Gerhard keine Auskunft über die gesellschaftlichen Erfahrungen einer städtischen Oberschicht gibt. Damit fällt dieser Text als Beispiel für eine literarische Reaktion auf den Aufstieg der Städte im 13. Jahrhundert aus. D e n n Rudolf von Ems interessiert sich mit der Figur des Kölner Handelsherrn ganz offensichtlich nicht für die Stadt und ihre Bewohner. Er bietet weder eine aufwertende Selbstdarstellung patrizischer Kaufleute noch einen appellativen Gegentypus zum gesellschaftlichen Verhalten aufstiegsambitionierter patrizischer Oberschichten, sondern er konzipiert ein Exemplum, in dem die Kaufmannsrolle funktional in eine spezifische Adels- bzw. Fürstenlehre eingebunden ist. 8 8 Zugleich verweist aber die Exempelgeschichte des guoten Gerhard, der gegen seine kaufmännischen Interessen handelt und alle Angebote eines sozialen Aufstiegs ausschlägt, auf die Vertrautheit des Publikums mit der sozialen Typik einer Kaufmannswelt, die in ihrer Rechenhaftigkeit, ihrer auf Sparsamkeit und auf permanente Vergrößerung des Vermögens bedachten Lebensführung als Gegenmo87

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Bereits zu Beginn zeigt sich der Kaiser irritiert über das Ungewohnte eines vorbildlichen Kaufmanns (vgl. Vv. 570ff.); auch der Engel betont den Gegensatz von Kaiser und Kaufmann: ... guoter koufman/der fürsten namen nie gewan (V. 555f.) und schließlich stellt auch der Autor im Epilog noch einmal - in einer Handlungsanweisung an sein Publikum - das extreme Kontrastschema Kaiser - Kaufmann appellativ heraus: swer sich des kan behüeten nihtjverrüemet er sich, dem geschiht,/ als dem keiser geschach,/dd er ze hohe sich versprach, /und des koufmannes güete/mit richer demüete/sine guottät über want. (Vv. 6883-6889). Bestätigt wird dieses Ergebnis durch Joachim Bumkes Überlegungen zu Rudolfs Gönner, die darauf hinauslaufen, daß auch der Auftraggeber keine Fixierung des Texts auf die Stadt verbürgt; vgl. dazu Joachim Bumke: Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150-1300. München 1979, hier S. 2 7 4 - 2 7 6 ; 440f. Der von Rudolf von Ems genannte Rudolf von Steinach ist ein zwischen 1209 und 1221 urkundlich bezeugter Ministeriale des Konstanzer Bischofs, der seinen Stammsitz im Kanton St. Gallen hat und offenbar als erstes Mitglied seiner Familie diesen lokalen Raum verlassen hat, um am Konstanzer Bischofshof eine geachtete Stellung einzunehmen. Dieser adelige Herr gehört als bischöflicher Ministeriale nicht ohne weiteres der Konstanzer Oberschicht an und ist gewiß nicht in das städtische Leben integriert gewesen. Er verweist vielmehr mit seinem Auftreten bei bischöflichen Rechtsgeschäften auf die Umgebung des Bischofs, dessen curia - wie Bumke, S. 441, Anm. 178 betont - in besonderer Weise an der Ubersetzung eines lateinischen Exempels zum Thema der vanagloria Gefallen finden mochte. Damit würde bereits beim Guten Gerhard eine Autor-Publikum-Konstellation sichtbar, die gegen Ende des 13. Jahrhunderts in sehr ausgeprägter Form die Literaturszene der oberrheinischen Städte Konstanz, Basel und Straßburg bestimmen wird: einflußreiche geistliche und weltliche Herren aus der näheren Umgebung des Bischofs, die als Gönner oder Ansprechpartner volkssprachiger wie lateinischer Autoren fungieren und durch ihre Zugehörigkeit zum Domstift bzw. zur bischöflichen Ministerialität die Bedeutung des Bischofshofs für den literarischen Betrieb herausstellen; vgl. dazu unten S. 126f. 47

dell zum adelig-fürstlichen Normensystem konzipiert ist. Auch wenn hier dieses Stereotyp des Kaufmanns gerade nicht erfüllt, sondern — im Sinne des Exempelschemas - sukzessive destruiert wird, so bestätigt dennoch die Geschichte des Kölner Handelsherrn sehr eindrücklich die Existenz der Vorstellung einer Opposition von adelig-ritterlichen und kaufmännisch->bürgerlichen< Verhaltensmustern, vor deren Hintergrund Rudolf von Ems das Rangstreit-Exempel profiliert. Das bedeutet aber, daß jene vermutete Antinomie von adelig-ritterlicher und kaufmännischbürgerlichen Lebensweise, die sich im sozialen Leben mittelalterlicher Städte kaum nachweisen läßt, offenbar in der Literatur ein festes Denkschema darstellt, das - wie das Beispiel des Guten Gerhard zeigt - bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts als Publikumserwartung vorausgesetzt werden kann.

5. >Bürgertum< und Adel in der mittelalterlichen Literatur Der allmähliche Aufstieg der >Bürger< in der Dichtung des Mittelalters ist in der Forschung unumstritten. Während die höfische Literatur in ihrer Fixierung auf den Fürstenhof und die adelige Burg die Welt der mittelalterlichen Stadt und damit auch den Lebenskreis der Stadtbewohner praktisch ganz negiere, werde zu Beginn des 13. Jahrhunderts mit dem Typus des höfischen Fernkaufmanns den fürstlich-adeligen Rittern ein ihnen im höfischen Verhalten und Auftreten gleichwertiger Vertreter jenes >Bürgertums< an die Seite gestellt, das in der Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts zunehmend in den Vordergrund der literarischen Szene trete. Denn bald gehörten die Stadtbewohner als Ratsherren und Juristen, als Großkaufleute und kleine Händler, Wirte und Handwerker nicht nur zur erzählten Welt der höfischen Dichtung, sondern auch zum festen Personal der Mären und zum Repertoire ständekritischer Passagen in der spätmittelalterlichen Dichtung. Diese literarische Karriere des höfischen >Bürgers< sei das Ergebnis der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung städtischer Oberschichten und ihrer gelungenen sozialen und kulturellen Integration in den Adel. Diese Überlegungen zum Hervortreten des >Bürgers< in der Literatur des Mittelalters orientieren sich allerdings einseitig an der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandenen sogenannten höfischen Dichtung der Blütezeit, die tatsächlich breite Bereiche der sozialen Realität, etwa die Welt der Stadt und damit auch die des >Bürgers< ausblendet. Ihre Kanonisierung zum Paradigma ritterlichhöfischer Dichtung verstellt jedoch häufig den Blick für die Präsenz des Stadtbewohners in der frühhöfischen und gleichzeitigen lateinischen Dichtung: denn hier gehören die verschiedensten Bewohner einer Stadt und das städtische Leben zur erzählten Welt; hier treten Stadtbewohner in ihren vielfältigen Tätigkeiten als Handelstreibende, Ärzte, Juristen auf, verteidigen ihre Stadt gegen äußere Angriffe und die Kaufleute sind schließlich - in den literarischen Konstellationen: Verkleidung als Kaufmann, Menschenraub durch Kaufleute oder die Rettung Schiffbrüchiger durch Kaufleute - sogar das Personal fester Erzählmuster. Eine vergleichbare Rolle spielen die Städte und ihre Bewohner in der spätmittelalterli48

chen Literatur: auch hier werden wieder Angehörige städtischer Berufe und Szenen städtischer Betriebsamkeit in den Blick gerückt. 89 Unter dieser Perspektive präsentiert sich die in sozialer Hinsicht >reduzierte< Darstellung hochhöfischer Dichtung als eine Art Sonderfall. Und im Kontext der mittelalterlichen Erzähltradition ist das Auftreten des höfischen Kaufmanns Wimar in Wolframs Willehalm oder des Kölner Handelsherrn im Guten Gerhard nicht erstaunlich, jedenfalls weniger interpretationsbedürftig als eine Reihe sozialgeschichtlich orientierter Deutungsversuche vermuten lassen. Auch für diesen thematischen Bereich scheint jene Devise zu gelten, die Rüdiger Schnell kürzlich im Hinblick auf die Forschungsdiskussion zum angeblichen Aufkommen neuer literarischer Typen und Themen im Spätmittelalter vertreten hat, daß »die Beurteilung der spätmittelalterlichen Literatur deshalb zu Verzerrungen führte, weil man stets die deutschen Dichtungen um 1200 als Vergleichsmaßstab und Ausgangspunkt heranzog und darüber die langsame, kontinuierliche Entwicklung der deutschen Literatur von 1100 bis 1400 aus dem Blick verlor« (S. 13). Diese Einschätzung bewährt sich nicht nur im Hinblick auf die von Schnell diskutierte Beliebtheit parodistischer Verfahren in spätmittelalterlicher Dichtung, den Erfolg des Prosaromans, die Präsentation von foi-Handeln oder die forcierte Polemik gegen die avaritia verschiedener sozialer Gruppen. Auch die nur scheinbare Novität des Auftretens von >Bürgern< als Nebenfiguren und Handlungsträgern in der späthöfischen Dichtung findet hier ihre überzeugende literaturgeschichtliche Erklärung. Es bleibt zu fragen, ob die mittelalterliche Dichtung ein kontingentes Bild des Stadtbürgers vermittelt und - im Gegensatz zu dem Schweigen der historischen Quellen über spezifisch >bürgerliche< Lebensformen städtischer Oberschichten Informationen über die mögliche Existenz opponierender Verhaltenssysteme von ritterlichem Adel und antifeudalem >Bürgertum< liefert. 89

Zur Rolle des >Bürgers< und Kaufmanns in der Literatur vgl. für den deutschen Bereich Max Rudolf Kaufmann: Der Kaufmannsstand in der deutschen Literatur. Diss. Bern 1908; Peter Nolte: Der Kaufmann in der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters. Diss. Göttingen 1909; Edith Rothe: Die Stellung des Kaufmanns und Bürgers in der mittelhochdeutschen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. Diss. Leipzig 1925; für Frankreich Gijsbert Schilperoort: Le commerfant dans la litterature franfaise du moyen äge. (Caractfcre, vie, position sociale). Groningen, La Haye, Batavia, Paris 1933; das Kapitel »Les bourgeois« bei Josef F. Falk: Etude sociale sur les chansons de geste. Nyköping 1899. S. 8 8 - 1 2 9 ; das Kapitel »Marchands et usuriers« bei Jean V. Alter: Les origines de la satire anti-bourgeoise en France. Moyen Age - XVI e siecle. Geneve 1966. (Travaux d'Humanisme et Renaissance 83) S. 2 5 - 5 1 sowie der Abschnitt »Commerce et marchand« bei Regine Pernoud: Histoire de la bourgeoisie en France. Des origines aux temps modernes. Bd. 1. Paris 1960. S. 96-137. Welch bedeutende Rolle bereits in der Dichtung des 12. Jahrhunderts die Städte, weniger ihre Bewohner spielen, zeigt neuerdings Jacques Le Goff: Guerriers et bourgeois conquerants. L'image de la ville dans la litterature fran^aise du XII e sifecle. In: Culture, Science et Developpement. Contribution ä une histoire de l'homme. Melanges en l'honneur de Charles Moraze. Toulouse 1979. S. 113-136; zu diesem Thema vgl. auch die Überlegungen von Ulrich Mölk: Die literarische Entdeckung der Stadt im französischen Mittelalter. In: Uber Bürger, Stadt und städtische Literatur, S. 203-215.

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Es bietet sich an, zuerst von der terminologischen Ebene, der Verwendung des burgaere-Begriffs durch mittelalterliche Autoren, auszugehen, da zumindest die >BürgerBürger< der Neuzeit zu verbürgen scheint. Da es jedoch bislang keine den Arbeiten zum literarischen Ritterbegriff vergleichbare Untersuchung zur >BürgerBürgerBürgerBürgerBurg< und >Stadt< in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Beitr. 80, Halle 1958. S. 2 7 2 - 3 2 0 ; zum Sprachgebrauch hochhöfischer Autoren vgl. Peter Wiesinger: Die Funktion der Burg und der Stadt in der mittelhochdeutschen Epik um 1200. Eine sprachliche und Uterarische Studie zu Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg. In: Die Burgen im deutschen Sprachraum. Ihre rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung, I. Hg. von Hans Patze. Sigmaringen 1976. (Vorträge und Forschungen 19) S. 2 1 1 - 2 6 4 . Erstaunlich optimistisch ist Edward Schröder: Stadt und Dorf in der deutschen Sprache des Mittelalters. In: Nachrichten der kgl. Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse. Geschäftliche Mitteilungen. Heft 2. Göttingen 1906. S. 9 6 - 1 0 8 im Hinblick auf die ausgeprägte Unterscheidung von burgliute als Burgmannen und burgaere als im »rechtlichen Sinne die Bewohner der Stadt« (S. 104); ebenso Walter Schlesinger: Burg und Stadt (1954). Wieder in: Schlesinger, Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters. Band II. Städte und Territorien. Göttingen 1963. S. 9 2 - 1 4 7 . Über die Terminologie der historischen Quellen informieren Edith Ennen: Frühgeschichte der europäischen Stadt. Bonn 2 1964. (Veröffentlichung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn) S. 127ff.; Walter Schlesinger: Stadt und Burg im Lichte der Wortgeschichte. In: Studium generale 16, 1963. S. 433—445; Gerhard Köbler: Civis und ius civile im deutschen Frühmittelalter. Diss. jur. Göttingen 1965; Ders.: bürg und stat Burg und Stadt. In: HJb. 87, 1967. S. 305-325; Ders.: Zur Entstehung des mittelalterlichen Stadtrechts. In: ZRG Germ. Abt. 86, 1969. S. 177-198; Hans Andersson: Urbanisierte Ortschaften und lateinische Terminologie. Studien zur Geschichte des nordeuropäischen Städtewesens vor 1350. Göteborg 1971. (Acta Regiae Societatis Scientiarum et Litterarum Gothoburgensis Humaniora 6); K. Kroeschell: Bürger. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 1. Bd. Hg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann. Berlin 1971. Sp. 5 4 3 - 5 5 3 ; Jiri Kejr: Burgus und burgensis in den böhmischen Ländern. In: Die Stadt in der europäischen Geschichte. Festschrift Edith Ennen. Bonn 1972. S. 2 1 0 - 2 3 3 ; die knappen Bemerkungen von Edith Ennen: Europäische Stadt, S. 98ff. sowie neuerdings Edith Ennen: Die Forschungsproblematik Bürger und Stadt von der Terminologie her gesehen. In: Über Bürger, Stadt und städtische Literatur, S. 9—26; Gerhard Köbler, Civis und verwandte Begriffe im Spiegel niederdeutscher Stadtrechtsquellen. In: Ebda., S. 2 7 - 4 1 ; Hartmut Boockmann: Civis und verwandte Begriffe in ostdeutschen, insbesondere preußischen Stadtrechtsquellen. In: Ebda., S. 4 2 - 5 8 ; Ruth Schmidt-Wiegand: Burgensis/Bürger. Zur Geschichte von Wort und Begriff nach Quellen des ostmitteldeutschen Raums. In: Ebda., S. 106-126.

und den Bauern eine Art städtisches >Bürgertum< an die Seite gestellt und damit die spätere Trias weltlicher Gruppen Adel - Bürger - Bauern terminologisch vorbereitet zu werden. Es fragt sich jedoch, ob die Wendung ritter und burgaere tatsächlich einen Gegensatz zwischen ritterlichem Adel und burgaere anspricht. Denn die ritter und burgaere wohnen - das wird sehr deutlich etwa in Konrad Flecks Flore und Blanscheflur - 9 1 gleichermaßen in der Stadt und nehmen als städtische Oberschicht an Rechtshandlungen, Empfängen und Festen des Stadtherrn teil. 92 Sie sind nach dem Zeugnis literarischer Quellen des 13. Jahrhunderts reiche, einflußreiche und oft auch anmaßende Herren, die in der Umgebung geistlicher und weltlicher Herren auftreten, in den Städten leben und zur politischen und militärischen Oberschicht dieser Städte gehören. Und da sich keine Anhaltspunkte für eine Unterscheidung dieser ritter und burgaere hinsichtlich ihrer sozialen Stellung und wirtschaftlichen Orientierung finden, ist nicht anzunehmen, daß in der Wendung ritter und burgaere der burgaere-Begriff eine Gruppe kaufmännischer Stadtbewohner, eine Art >Bürgertum< vom ritterlichen Adel abgrenzt. Vielmehr scheint hier - neben der Verwendung des burgaere-Begriffs als Burg- bzw. Stadtbewohner - jene engere Bedeutung des burgaere-Begriffs vorzuliegen, der sich auch für die lateinischen Entsprechungen burgensis und civis nachweisen läßt: abgesehen von der rechtlichen Bedeutung Inhaber des Bürgerrechts sind die Begriffe burgensis, civis und burgaere zugleich als eine Art Titel Personenkreisen mit weitergehenden Rechten, den Geschlechtern, vorbehalten. 93 Diese burgaere, die zusammen mit den rittern den Rat und die wichtigsten städtischen Ämter besetzen, haben offenbar auch die volkssprachigen Autoren im Blick, wenn sie von dem festlichen Empfang der ritter und burgaere, von ihrer Ratgeber· und Vermittlerfunktion, ihren militärischen Aktionen, ihrem Reichtum sprechen. Eine ständische Konnotation, die den burgaere vom Adel absondert, scheint der burgaere-Terminus in dieser Formulierung nicht zu besitzen. Insofern läßt sich an der Geschichte des burgaere-Terminus, wie sie sich in der volkssprachigen Dichtung darbietet, kaum die Entwicklung eines >Bürgertums< innerhalb der mittelalterlichen Adelsgesellschaft verfolgen. Die burgäre — burgaere stellen einerseits die gesamte Einwohnerschaft eines befestigten Orts dar, zunehmend eingeschränkt auf die Inhaber des Bürgerrechts der Städte, andererseits sind sie eine sozial herausragende Gruppierung, die in der Umgebung der jeweiligen Stadtherrn auftritt und wichtige administrative und repräsentative Funktionen innehat. Diese Verwendung des burgaere-Begriffs für eine städtische Oberschicht prädestiniert ihn nicht dazu, eine ständische Aussonderung eines >Bürgertums< neben Adel und Bauern zu bezeichnen. Das zeigen auch literarische Ständereihen bzw. ständekritische Passagen: die burgaere werden hier -

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Sie sind an den festlichen >Hoftagen< des Admirals von Babilon beteiligt: Flore und Blanscheflur. Eine Erzählung von Konrad Fleck. Hg. von Emil Sommer. Quedlinburg und Leipzig 1846. (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 12) V. 6510; 7634. Wie sehr in diesen edelliuten und burgaeren im 13. Jahrhundert eine gemeinsame Gruppe mit gleichem oder zumindest vergleichbarem Sozialverhalten gesehen wird, zeigt Hugos von Trimberg Bispel Von einem ruochen und einem pfäwen, in: Der Renner von Hugo von Trimberg (1908). Hg. von Gustav Ehrismann. Mit einem Nachwort und Ergänzungen von Günther Schweikle. Bd. I. Berlin 1970. (Deutsche Neudrucke. Reihe: Texte des Mittelalters): der Pfau verweist auf die edelliute und riehen burgaere, die beide noch hiute groziu dinc Volbringen (Vv. 1760f.). Der einzelne wird - wie Erich Maschke: Das Problem der Entstehung des Patriziats in den südwestdeutschen Städten. In: Patriziat und andere Führungsschichten in den südwestdeutschen Städten. Protokoll der III. Arbeitstagung des Arbeitskreises für südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung in Memmingen 1964. o. 0 . 1 9 6 5 . S. 6 - 1 6 am Beispiel südwestdeutscher Städte gezeigt hat - in städtischen Urkunden des 13. Jahrhunderts nur dann burger bzw. civis genannt, wenn er dem Patriziat angehört. Diese Verwendung der >BürgerBerufen< aufgeführt, ohne daß dabei dem burgaere-Begriff eine übergreifende Bedeutung zukommt. 94 Diese unsystematischen Hinweise auf die Verwendung des burgaere- Begriffs in den Uterarischen Texten bleiben jedoch unverbindlich, solange eine detaillierte Geschichte der literarischen >BürgerBürger< und >Bürgertum< für die mittelalterliche Stadtgesellschaft erweisen wird. Denn ihre Verwendung setzt eine Bürgen-Konzeption der Zeitgenossen und ein Gruppenbewußtsein der Stadtbewohner voraus, die sich erst um die Wende zur Neuzeit entwickelt haben. Auch auf der thematischen Ebene sind keine entscheidenden Übereinstimmungen zwischen den >Bürgern< der literarischen Texte und dem neuzeitlichen Bürger zu erwarten. Die Stadtbewohner, die als Kaufleute, Gastwirte und Hausbesitzer in den höfischen Romanen und Chansons de geste den adeligen Helden aufnehmen und unterstützen bzw. als Handwerker, Kaufleute und Münzmeister die Fabliaux/Mären bevölkern, übernehmen z.T. sehr gattungsspezifische Rollen als >HelferTölpelBürgertums< konzipiert. Aus diesem Grund wird in der Forschung zum mittelalterlichen >Bürgertum< immer wieder zurecht vermerkt, daß es für die Autoren des 13. Jahrhunderts den >Bürger< als solchen nicht gegeben zu haben scheint. 95 94

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Vgl. die Übersicht über ständekritische Dichtungen des Spätmittelalters bei Wolfgang Heinemann: Zur Ständedidaxe in der deutschen Literatur des 13.-15. Jahrhunderts. In: Beitr. 88, Halle 1967. S. 1 - 9 0 ; 89, 1967. S. 290-403; 92, 1970. S. 388-437 sowie die Beispiele bei Joachim Bumke: Studien zum Ritterbegriff im 12. und 13. Jahrhundert (1964). 2. Auflage mit einem Anhang: Zum Stand der Ritterforschung 1976. Heidelberg 1977. (Beihefte zum Euphorien 1) S. 137f. Allgemein zum Problem des Verhältnisses von Deutungsschemata zur sozialen Wirklichkeit im Mittelalter vgl. Otto Gerhard Oexle: Die funktionale Dreiteilung der >Gesellschaft< bei Adalbero von Laon. Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im früheren Mittelalter. In: Frühmittelalterliche Studien 12, 1978. S. 1 - 5 4 . Erst in spätmittelalterlichen Texten, wenn der burger als Typus dem hofman, dem ritter odergebüre gegenübergestellt wird, zeichnet sich allmählich eine zwar traditionellen Deutungsmustern verpflichtete, aber auf ständische Interessen ausgerichtete Fixierung des burgaere-Terminus ab, die möglicherweise die neuzeitliche Verwendung des >BürgerStreitgesprächs< vgl. Hans Wellmann: Ain burger und ain hofmann, Ein >Ständestreit< bei Oswald von Wolkenstein. In: Oswald von Wolkenstein. Beiträge der philologisch-musikwissenschaftlichen Tagung in Neustift bei Brixen 1973. Hg. von Egon Kühebacher. Innsbruck 1974. (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 1) S. 332-343. Sehr eindeutig etwa Alter: »Bref, pour les contemporains, la bourgeoisie du moyen äge ne formait pas un groupe precis, separe nettement des autres« (S. 20).

Das bedeutet jedoch nicht, daß die mittelalterlichen Autoren ganz darauf verzichten, bestimmte Vorstellungen vom >Bürger< zu entwerfen. Sie lassen sich dabei allerdings - wie auch im Falle der Figur des Ritters oder des Bauern - weniger von sozialen Erfahrungen als von traditionellen Konzeptionen und gattungsspezifischen Darstellungsformen leiten. 9 6 Besonders deutlich zeigt sich etwa die traditionelle Konturierung des literarischen >Bürgers< an dem gelegentlich in der Dichtung auftretenden Typus des wohlhabenden burgaere, dessen Lebensformen und Wertvorstellungen mit der Welt des Adels konfrontiert werden, demnach eine Art >bürgerliche< Gegenwelt vertreten. 9 7 D e n n hinter diesem literarischen >BürgerBürger< Geld leihen will und sich nach dessen Reichtum erkundigt. Es folgt eine programmatische Verhaltenslehre des >BürgersBürger< in Teichners Gedicht Nr. 479, der bei einer Auseinandersetzung mit einem Adeligen entsprechend der Einsicht: er hat gewalt, so han ich gut (V. 24) seinen adeligen Widersacher mit Geschenken besänftigt und damit ruinöse Aktionen des Adels verhindert. Dieser Gegensatz von verarmtem Adel und reichen >Bürgern< wird bald zum Stereotyp zeitkritischer Passagen; er ist schließlich auch das Thema von Oswalds von Wolkenstein Lied Nr. 25, in dem eine Kupplerin entscheidet, daß der >Bürger< wegen seines Geldes dem armen hofmann als Liebhaber vorzuziehen sei. Vgl. die differenzierte Darstellung der kirchlichen Position gegenüber dem Tätigkeitsbereich der Kaufleute bei Le Goff: Marchands, und John Gilchrist: The Church and Economic Activity in the Middle Ages. London, Melbourne, Toronto, New York 1969; über die Wucher-Diskussion informiert Max Neumann: Geschichte des Wuchers in Deutschland bis zur Begründung der heutigen Zinsengesetze (1654). Aus handschriftlichen und gedruckten Quellen dargestellt. Halle 1865; John T. Noonan, Jr.: The Scholastic Analysis of Usury. Cambridge, Mass. 1957; Jean Ibanes: La doctrine de l'eglise et les realites economiques au ΧΙΙΓ siecle. L'interet, les prix et la monnaie. Paris 1967. (Travaux et Recherches de la Faculte de Droit et de Sciences Economiques de Paris. Serie >Sciences Economiques< 4) und Erich Sommerfeld: ökonomisches Denken in Deutschland vor der frühbürgerlichen Revolution. Der >Tractatus de contractibus< des Heinrich von Langenstein. Diss. Berlin (masch.) o. J. Zur Problematik des Zeitfaktors bei Handelsgeschäften vgl. Jacques Le Goff: Zeit der Kirche und Zeit des Händlers im Mittelalter (1960). Wieder in: M. Bloch, F. Braudel, L. 53

die die Risikobereitschaft, die Mühen der Kaufleute betonen und die Nützlichkeit, ja Notwendigkeit des Handels für das Zusammenleben hervorheben. 100 Diese tradierte Diskussion über den Beruf des mercator bestimmt - auf sehr unterschiedliche Weise — die literarische Rolle des Kaufmanns, der schließlich zum Repräsentanten einer Gegenwelt werden kann, in der ritterlich-höfische Wertvorstellungen keinen Platz haben. Diese literarischen Versuche, aristokratisches Auftreten von kaufmännischem Verhalten abzusetzen, sind besonders aufschlußreich, da sie durch ihre suggestive Gleichsetzung von kaufmännisch und antiaristokratisch die Vorstellung eines Nebeneinanders adeliger und >bürgerlicher< Wertvorstellungen entwerfen, das etwa dem in der historischen und literarhistorischen Forschung vorausgesetzten Gegensatz von aristokratischer und >bürgerlicher< Mentalität entspricht. Dieses literarische Bild tiefgreifender Unterschiede in der Lebensweise und den Interessen des Adels und der Kaufleute setzt sich aus verschiedenen literarischen Themen zusammen, die eine Abgrenzung von adeliger und kaufmännisch->bürgerlicher< Welt anvisieren: dazu gehören jene bereits erwähnten Polemiken gegen Handelsgeschäfte, den Wucher und Gelderwerb des Adels, die die Unvereinbarkeit von adeligem Ethos und kaufmännischen Geschäften appellativ herausstellen, aber auch die literarische Figur des geadelten reichen Kaufmanns, der zu wahrhaft adeligem Verhalten unfähig ist, oder die konfliktreiche Konstellation verarmter Adel - reicher kaufmännischer Wucherer, die in der Variante >unebenbürtige Heirat< ihre spezifische Ausprägung erfährt. Während allerdings die deutsche Literatur für die Figuration verarmter Adel - reicher Kaufmann nur wenige Beispiele bietet, 101 ist in der französischen Dichtung der Gegensatz zwischen der ritterlichen

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Febvre u. a. Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse. Hg. von Claudia Honegger. Frankfurt 1977. (edition suhrkamp 814) S. 393-414. Vgl. dazu Le Goff: Marchands, S. 77ff.; Schilperoort verweist auf französische Texte, die — wie Le Dit des Marcheanz oder Gilles' le Muisis C'est des Marchands — eine Apologie kaufmännischen Lebens bieten (S. 98ff.). Diesen berufsspezifischen Aspekt betont Paul Grabein: Die altfranzösischen Gedichte über die verschiedenen Stände der Gesellschaft. Diss. Halle o.J. Die ambivalente Haltung der Prediger gegenüber dem in Handelsgeschäften erworbenen Reichtum der Kaufleute zeigt am Beispiel der ad sfafus-Predigten Guiberts von Tournai D. L. D'Avray: Sermons to the Upper Bourgeoisie by a Thirteenth Century Franciscan. In: Church in Town, S. 187-199. Lediglich die Erzählung Rittertreue (GA 1,6) scheint deutlich von dem Gegensatz zwischen verschuldetem Adel und reichen Kaufleuten bestimmt zu sein: Ein Graf Wilhelm von Montabaur löst hier anläßlich eines Turniers mit seinem letzten Geld bei seinem Gastgeber, einem Kaufmann und Münzmeister der Stadt, einen Ritter aus, der als Gast und Schuldner dieses >Bürgers< in dessen Haus verstorben ist und - da die verarmten Verwandten und Freunde des Toten dem reichen >Bürger< die schuldige Summe nicht hatten erstatten können - von seinem Wirt im Mist verscharrt worden war. Während allerdings die Wertvorstellungen und Verhaltensstandards des Ritters, seine triuwe und milte, detailliert vorgeführt werden, hat der wohlhabende Kaufmann offenbar nur die Funktion, durch seine verächtliche Bemerkung über die Armut des Adels dem Protagonisten Gelegenheit zu geben, adelige Verhaltensideale zu realisieren, deren Vorbildlichkeit der selbstbewußte >Bürger< voll akzeptiert. Die Welt des >bürgerlichen< Kaufmanns bleibt

Vorstellungswelt des verarmten Adels u n d den bürgerlichen« Anschauungen der wohlhabenden Kaufleute u n d Geldhändler ein beliebtes T h e m a als konfliktauslösendes M o m e n t . Hier werden vor allem die Schwierigkeiten u n d negativen Folgen einer Mesalliance zwischen Angehörigen eines verarmten Adelsgeschlechts und einer reichen Bürgerfamilie in den verschiedensten Varianten durchgespielt: im Fabliau Berangier verspottet etwa die adelige D a m e , die mit d e m Hauptgläubiger ihres Vaters verheiratet ist, ihren Mann, einen fils a vilain, der durch die Heirat zwar Ritter wurde, sich jedoch nicht ritterlich zu verhalten weiß, sondern >feige< bleibt. 1 0 2 U n d in d e m höfischen R o m a n Joufrois heiratet der Titelheld, der Graf von Poitiers, während seines Aufenthalts in L o n d o n , nachdem er mit seinen G e fährten seine finanziellen Ressourcen verpraßt und sogar seine Rüstung versetzt hat, die Tochter eines reichen >bürgerlichen< Wirts, verteilt zum Entsetzen seines Schwiegervaters schon am Tage der Hochzeit die e n o r m e Mitgift von 1000 Silbermark und verläßt kurz darauf seine Frau. Wie sehr der A u t o r des Joufrois daran interessiert ist, den Gegensatz von aristokratischen Verhaltensstandards und >bürgerlichen< Wertvorstellungen der Kaufmannswelt zu demonstrieren, zeigt die U n terredung des Chevaliers Joufrois mit seinem L o n d o n e r Wirt, der seine Einwilligung in die Hochzeit an die Bedingung knüpft, daß der Gast in Z u k u n f t sparsamer sei. Joufrois antwortet jedoch: He! beaus hostes, qu'avez vos dit?/Par icel Deu que lo mont fit,/Mielz ameroie desconfes/Morir que dortasse ja mes/En lou ο me tort a folie,/Car qui avoir puet ma nantie/Si est serviz et honorez,/Ne povres horn n'iert ja amez.103 Dieser Kontrast zwischen adeliger u n d kaufmännisch->bürgerlicher< Mentalität ist schließlich das zentrale Thema einiger R o m a n e des Enfances -Typus, die die Probleme eines adeligen jungen Mannes vorführen, der in einer kaufmännischen

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dabei merkwürdig konturenlos. Das gilt auch für die wenigen Mären, in denen - wie bei der Geschichte des Betrogenen Blinden (NGA 1.7) oder Hans Schneebergers Der Mönch als Liebesbote C (FM 37) - eine generelle Animosität zwischen verarmtem Adel und reichem >Bürgertum< eine Rolle spielt: die ständische Thematik wird nur sehr verdeckt deutlich. Vgl. dazu Hanns Fischer: Studien zur deutschen Märendichtung. Tübingen 1968. S. 123ff. Der Vater des Ehemanns ist ein usurier riche et combtt (MR 111.86, V. 17), dessen unermeßlicher Besitz mit der Armut des >Ritters< kontrastiert wird. Vgl. auch in der Chanson de geste Aiol die Geschichte einer adeligen Dame, die ebenfalls mit dem >bürgerlichen< Hauptgläubiger ihres Vaters unglücklich verheiratet ist, deren Sohn sich allerdings von der Lebensweise des Vaters abwendet und zum Ritter geschlagen wird. Diese Episode ist stereotyp auf den ständischen Gegensatz zwischen verarmter chevalerie und reich gewordenem usurier aufgebaut: Aiol. Chanson de geste publie d'apres le manuscrit unique de Paris par Jacques Normand et Gaston Raynaud (1877). Nachdruck: New York, London 1966. (SATF 7): La nuit le a Humbeaus, uns hostes, herbergies:/Cil estoit riches homes et d'avoir enforchie(s)./Si estoit par usures monies et essauchie(s);/Et ot molt gentilfeme, fille de chevalier/Qui fu par maladie de 1'avoir abaissies./Par poverte dona sa fille α l'usurier./Poverte si fait faire a home maint meskief! (Vv. 7062-7068). Zum Gegensatz zwischen Adel und »bürgerlichen» Gläubiger in den Chansons de geste vgl. Falk, S. 88ff. Joufroi de Poitiers. Roman d'aventure du XIIIe siöcle. Edition critique par Percival Β. Fay and John L. Grigsby. Genfeve, Paris 1972. (Textes litteraires fran(ais) Vv. 3467-3474. 55

Umwelt aufwächst und sich angesichts seiner angeborenen adeligen Interessen gegen die ganz anderen Vorstellungen seiner Umgebung durchsetzen muß. 1 0 4 In der Chanson de geste Les Enfances de Vivien wächst Vivien, der berühmte Neffe Guillaumes d'Orange, unerkannt bei einem reichen Kaufmannsehepaar in Pamplona auf, das ihn zu einem tüchtigen Kaufmann erziehen will. Allerdings ohne Erfolg, denn Vivien, der sich nicht für Handelsgeschäfte, umso mehr aber für Pferde und Jagdhunde interessiert, lehnt die Sparsamkeit seines Vaters ab, bezeichnet dessen Gelderwerb als Wucher, tauscht schließlich auf dem Markt die gesamte Handelsware gegen Jagdhunde und einen Falken ein und bricht im Laufe einer Handelsfahrt nach Südspanien endgültig aus seiner kaufmännischen Umgebung aus, um seine militärische Laufbahn als Sarazenenkämpfer einzuschlagen. 105 Der Autor suggeriert hier unüberbrückbare mentalitätsmäßige Unterschiede zwischen Adel und Kaufleuten und projiziert im Typus des wohlhabenden Fernkaufmanns das Bild des fleißigen, sparsamen, nüchternen, auf kontinuierlichen Gewinn bedachten >BürgersBürgertum< zu demonstrieren, das Norbert Elias im Hinblick auf die Gesellschaft des Ancien Regime als den Gegensatz von berufsbürgerlichem »saving-for-future-profit-ethos« und adeligem »status-consumption-ethos« expliziert. Die schillernde >BürgerBürgers< scheint vornehmlich jene verbreitete Forschungsrichtung zu bestätigen, die dem Kaufmann die entscheidende Rolle bei der Entstehung und Entwicklung mittelalterlicher Städte zuweist und in seinen Lebensformen und Wertvorstellungen bereits die spezifische Rationalität, das ökonomische Denken und den antifeudalen Charakter des neuzeitlichen >Bürgertums< angelegt sieht. Es ist jedoch in methodischer und sachlicher Hinsicht problematisch, dieses literarische Kaufmannsbild unvermittelt auf den wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg >bürgerlicher< Kaufleute zu beziehen und davon auszugehen, daß die Dichtung in der literarischen Darstellung der Konfrontation von Adels- und Kaufmannswelt die Reaktionen des Adels auf die Formierung einer neuen, bedrohlichen Sozialgruppe registriere. Diese Betrachtungsweise, bei der der Funktionsaspekt literarischer Texte auf ihren Abbildcharakter reduziert wird, setzt einen grundsätzlichen Gegensatz von Stadt und Land, von adeliger und bürgerlichen Lebensweise und damit bereits die Existenz einer Art kaufmännischer Mentalität voraus, wie sie sich in den außerliterarischen Quellen nicht nachweisen läßt. Es ist vielmehr anzunehmen, daß im Falle der literarischen Figur des Kaufmanns das Problem ihrer gesellschaftsgeschichtlichen Grundlagen nicht weniger kompliziert ist als bei der dichterischen Konzeption des Ritters oder des Bauern. Auch das literarische Bild des Kaufmanns läßt sich nicht ohne weiteres mit der historischen Wirklichkeit kaufmännischer Stadtbewohner verrechnen, sondern erscheint - bestimmt von festen literarischen Traditionen - als ein literarisches Modell, das der spezifischen Wirkungsabsicht der Texte untergeordnet ist. Denn in den Texten, die in der variantenreichen Konstellation verschuldeter Adel - reicher Kaufmann oder der Jugendgeschichte eines Adeligen in bürgerlichen Umgebung den Zusammenstoß von Adels- und Kaufmannswelt demonstrieren, vertritt der Kaufmann eine Gegenwelt, von der die höfische Adelsgesellschaft abgesetzt wird: vor dem Hintergrund kaufmännischer Sparsamkeit und unhöfischer Nüchternheit heben sich Freigebigkeit und Wagemut des ritterlichen Adels umso vorteilhafter ab. In seiner Stilisierung zum Gegentypus ist der Kaufmann der Figur des dörperlichen gebäre bzw. vilains vergleichbar, der in der höfi57

sehen Dichtung den Anspruch der höfischen Gesellschaft auf Exklusivität des Verhaltens verdeutlicht. Und entsprechend der literarischen Darstellung der Bauern etwa in Neidharts Liedern, die weniger einen für den Adel bedrohlichen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg der Bauern als ein exklusives Selbstverständnis des Adels thematisiert, scheint sich auch der literarische Typus des reichen, unhöfischen Kaufmanns weniger den Aufstiegsbestrebungen nichtadeliger Kaufleute zu verdanken als dem literarischen Versuch, vorbildliches adeliges Verhalten in Gegenüberstellung zur Lebensweise anderer Gruppen herauszustellen. Die Autoren des 13. Jahrhunderts bestimmen den ritterlichen Adel zunehmend ständisch, d.h. in Absetzung von anderen Sozialgruppen. Sie konstruieren dafür eine Gegenwelt der Bauern und Kaufleute, von der sich der ritterliche Adel als höfische Elite mit spezifischen Verhaltensnormen abgrenzt. Die Annahme, daß sich bereits im 13. Jahrhundert Unterschiede zwischen einem ritterlich-aristokratischen Ethos des Adels und den Wertvorstellungen kaufmännischer Stadtbewohner abzeichnen, die später den ausgeprägten Gegensatz von adeligen und >bürgerlichen< Verhaltenssystemen ausmachen, verdankt sich demnach in erster Linie der Dichtung, die bei der Fixierung aristokratischer Vorbildlichkeit alles nichtadelige Verhalten als dörperlich bzw. kaufmännisch ausgrenzt und diese unhöfische Gegenwelt u. a. in der Figur des reichen Kaufmanns bzw. >Bürgers< realisiert, der die ritterlich-adelige Lebensführung des Luxuskonsums entweder verständnislos ablehnt oder staunend als vorbildlich akzeptiert, in der Regel allerdings von ihr ausgeschlossen bleibt. Diese >bürgerliche< Gegenwelt reicher Kaufleute, die vornehmlich einer gruppenbestätigenden Selbstdeutung des Adels dient und in Zukunft das Bild des >Bürgers< entscheidend bestimmen wird, informiert zwar präzise über die Wertvorstellungen des Adels und die Konstituierung spezifisch adeliger Verhaltensstandards. Sie gibt jedoch keinen Aufschluß über kollektive Einstellungen mittelalterlicher Kaufleute, eine allmähliche Herausbildung spezifischer Wertvorstellungen und Verhaltensnormen städtischer Oberschichten oder gar die Entwicklung bürgerlichen Verkehrs- und Bewußtseinsformen im Mittelalter. Für eine gesellschaftsgeschichtlich orientierte Untersuchung der literarischen Entwicklung vom 13. bis 15. Jahrhundert ist demnach das literarische >BürgerStadt< in seiner Relevanz für die literarische Betätigung von Autoren, die Konstituierung eines Publikums und sogar die spezifische literarische Ausgestaltung einzelner Texte bzw. Texttypen plausibel machen, ohne dabei auf die problematische Vorstellungswelt einer Antinomie von adeligen und >bürgerlichAblösung< des Fürstenhofs als sozialen Ortes der literarischen Kommunikation einleite, gelten für Frankreich neben Paris vor allem die nordwestliche Städtelandschaft Flandern mit der Handelsmetropole Arras, für Deutschland die südwestdeutschen Städte Zürich, Basel, Konstanz und Straßburg, der rheinische Bischofssitz Köln, die bedeutende >Schulstadt< Erfurt und die Residenzstadt Wien, die bereits im 13. Jahrhundert ein sehr farbiges Bild städtischen Literaturbetriebs bieten: ein an höfischer Dichtung interessiertes Publikum, die verschiedensten Kreise sehr aktiver Gönner und eine Reihe als Stadtbewohner ansässiger Autoren, Minnesänger und höfische Epiker, Legendendichter und Dramatiker, Satiriker und panegyrische Spruchdichter, Gelehrte und städtische Chronisten, die auf sehr unterschiedliche Weise in das städtische Leben eingebunden sind. Noch vielfältiger wird die städtische Literaturproduktion im 14. Jahrhundert, wenn - etwa mit dem Buch von Troja des Nördlinger Ratsherrn Hans Mair, dem breiten literarischen Oeuvre des Eisenacher Scholasticus Johannes Rothe oder der Fabelsammlung des Berner Dominikaners Ulrich Boner - neben den etablierten städtischen Literaturzentren auch andere Städte als Schauplätze literarischer Aktivitäten hervortreten. Diese von Stadtbewohnern für ein Stadtpublikum verfaßten literarischen Texte, die in autoren- und publikumssoziologischer, aber auch in gattungsgeschichtlicher Hinsicht sehr verschiedenen Traditionen angehören und deshalb nur bedingt miteinander vergleichbar sind, lassen sich nicht ohne weiteres als städtische Literatur den sehr verschiedenen Typen fürstlicher bzw. adelig-höfischer Dichtung entgegensetzen. Sie bieten jedoch die Möglichkeit, nach den organisatorischen Voraussetzungen wie spezifischen Merkmalen der literarischen Kommunikation in der Stadt zu fragen. Deshalb sollen im folgenden am Beispiel einzelner Literaturzentren sowohl die verschiedenen Probleme einer historisch abgesicherten Berücksichtigung des Faktors >Stadt< bei der Beurteilung der literarischen Produktion diskutiert als auch übergreifende Aspekte des literarischen Lebens in der Stadt konturiert werden. Dabei sind aus dem breiten Angebot städtischer Literaturbereiche im 13. und 14. Jahrhundert drei Paradigmen ausgewählt worden: die literarischen Aktivitäten der flandrischen Handelsstadt Arras, die 61

oberrheinischen Städte Zürich, Basel und Straßburg im 13. und der mainfränkische Bischofssitz Würzburg im 14. Jahrhundert, die in regionaler, zeitlicher und stadtspezifischer Hinsicht genügend Differenzen aufweisen, um repräsentative Ausschnitte für die verschiedenen Möglichkeiten städtischen Literaturbetriebs zu garantieren.

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1. Literaturkreise in der Stadt: Arras im 13. Jahrhundert Eine besondere Rolle spielt in der literarhistorischen Diskussion um den Funktionsverlust des Fürstenhofs als sozialen und ideologischen Fixpunktes der literarischen Produktion die bedeutende Handels- und Finanzmetropole Arras, deren literarische Zirkel bereits im 13. Jahrhundert die adeligen Dichterkreise in der Umgebung des champagnischen Grafen Thibaut IV. bei weitem an Bedeutung übertreffen. 1 Diese Hauptstadt der ehemals flandrischen Grafschaft Artois, die im Jahre 1180 - als Mitgift Isabellas von Hennegau - an die französische Krone fällt, im Jahre 1223 von Ludwig VIII., dem Sohn Isabellas, seinem zweiten Sohn Robert als Apanage übergeben und schließlich 1237 von Ludwig IX. endgültig als Herrschaft des Grafen Robert I. von Artois bestätigt wird, 2 ist eines der führenden politischen und wirtschaftlichen Zentren jener flandrisch-französischen Städtelandschaft, die sich seit dem 12. Jahrhundert im Zusammenwirken von fürstlicher Initiative, kirchlicher Bistumspolitik und wirtschaftlichen Aktivitäten ansässiger Geschlechter zu einem ökonomisch wie politisch sehr bedeutenden Gebiet entwickelt hat. Diese Blüte flandrisch-französischer Städte als fürstlicher Herrschaftszentren, geistlich-kirchlicher Mittelpunkte und führender Handelsmetropolen zeigt sich in besonderer Weise bei Arras, das nicht nur Bischofssitz und Herrschaftsraum eines einflußreichen Abtes, sondern zugleich eine beliebte Residenz der Grafen von Flandern, im 13. Jahrhundert der Grafen von Artois, später des französischen Königs und ihrer Stellvertreter ist, und als weitgespannter Aktionsraum einer Gruppe sehr bedeutender Kaufleute und Bankiers ein überaus vielseitiges, die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen und Tätigkeiten umgreifendes städtisches Leben aufweist. Diese Vielfalt bestimmt auch den literarischen Sektor dieser Stadt. Denn in Arras sind nicht nur die bedeutenden Werke einzelner berühmter Autoren, etwa Jean Bodels und Adams de la Halle, entstanden. Die Literaturszene dieser Stadt setzt sich zugleich aus ungewöhnlich vielen weniger bekannten Autoren zusammen, die seit dem Ende des 12. Jahrhunderts die verschiedensten literarischen Texte, Minnekanzonen, Rondeaus, Pastourellen, Motetten und Jeux-partis, vor einem Arraser Publikum, dem Grafen von Artois und Adeligen der näheren Umgebung vorgetragen haben. Die teilweise sehr engen literarischen Kontakte dieser Arraser Autoren dokumentieren sich in einer Vielzahl von Jeux-partis, 3 den Namensnen1

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Eine knappe Übersicht über die >Arraser Schule< der nordfranzösischen Lyrik gibt Silvia Ranawake: Höfische Strophenkunst. Vergleichende Untersuchungen zur Formentypologie von Minnesang und Trouvörelied an der Wende zum Spätmittelalter. München 1976. (MTU 5) S. 15-31. Zur Geschichte der Grafschaft Artois im 13. Jahrhundert vgl. Le Colonel Borrelli de Serres: La röunion des provinces septentrionales ä la couronne par Philippe Auguste. Amienois - Artois - Vermandois - Valois. Paris 1899; A. Mabille de Poncheville: Histoire d'Artois. Paris 1935. Einen guten Überblick über die Verbindungen von Jeux-partis-Autoren und ihrem Arraser Publikum bietet die Einleitung von Arthur Längfors: Recueil general des jeux-partis

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nungen in Widmungsstrophen der Lieder und in den Conges, die Jean Bodel, Baude Fastoul und Adam de la Halle nacheinander in Arras verfaßt haben und die als literarischer Typus in dieser Form eine Arraser Spezialität zu sein scheinen. 4 Das besondere Interesse der Literarhistoriker haben allerdings die Spiele gefunden, die im 13. Jahrhundert in Arras entstanden sind: als frühestes Beispiel zu Beginn des 13. Jahrhunderts Jean Bodels Jeu de St. Nicolas,5 eine geistliche Mirakelerzählung mit deftigen Wirtshausszenen. Es folgen der Courtois d'Arras6 eines anonymen Autors, der die biblische Geschichte des >Verlorenen Sohnes< dramatisiert und dabei den finanziellen und moralischen Abstieg des jungen Mannes in ausführlichen Wirtshausszenen vorführt, die zu einem geradezu gattungstypischen Merkmal der Arraser Spiele werden; und schließlich das komplizierte Jeu de la Feuillie1 Adams de la Halle, das mit maistre Adams Entschluß einsetzt, seine durch die Heirat unterbrochenen Studien in Paris wieder aufzunehmen. Diese vorgeblich persönliche Thematik des maistre Adam ist allerdings in eine Szenenfolge von Arzt- und Mönchsatire, Feenauftritt und Tavernenheiterkeit eingebaut, deren aktuell-politische, moralisch-psychologische und geistliche Hintergründe zwar punktuell sichtbar werden, deren Relation zur Geschichte des maistre Adam jedoch undeutlich sind. Es ist jedenfalls bislang noch nicht gelungen, dieses Vexierspiel von persönlich-psychologischem Konflikt, politischer Stadtsatire, Normendiskussion und spiritueller Thematik befriedigend zu entziffern. Am Ende dieser literarischen Reihe Arraser Spiele des 13. Jahrhunderts steht ein untypisches Beispiel: das Schäferspiel Robin et Marion,8 das - nach dem Zeugnis des in der handschriftlichen Überlieferung dem Stück zugeordneten Jeu du Pelerin — Adam de la Halle möglicherweise auf Wunsch des Grafen von Artois in Süditalien verfaßt hat und jetzt, im Jahre 1287, nach dem Tode des berühmten Autors in seiner Heimatstadt Arras aufgeführt werden soll. Neben diesen Arraser Spielen, den frühesten Zeugnissen weltlichen Theaters in Frankreich, die für ein Stadtpublikum bestimmt gewesen zu sein scheinen, konzentriert sich das Interesse einer literarhistorischen Forschung, die den Übergang der Literatur des 13. Jahrhunderts vom Hof zur Stadt nachzuzeichnen versucht, auf

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fran^ais. Tome premier. Ed. par Arthur Längfors avec le concours de A. Jeanroy et L. Braudin. Paris 1926. (SATF) S. XI-LX. (Die Jeux-partis werden im folgenden ausschließlich nach dieser Ausgabe zitiert) Zu diesem Arraser Literaturtypus vgl. Pierre Ruelle: Les Conges d'Arras. (Jean Bodel, Baude Fastoul, Adam de la Halle). Paris 1965. (Universite libre de Bruxelles. Travaux de la Faculte de Philosophie et Lettres 27) Jean Bodel. Das Spiel vom Heiligen Nikolaus. Übersetzt und eingeleitet von Klaus Henning Schröder, Werner Nitsch, Marcella Wenzel. München 1975. (Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 14) Courtois d'Arras. Jeu du XIIP siöcle. Ed. par Edmond Faral. Paris 1961. (CFMA 3) Adam de la Halle. Das Laubenspiel. Einleitung - Text - Deutsche Übersetzung von Rüdiger Bördel u.a. Redaktion Klaus Henning Schröder. München 1972. (Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 11) Adam le Bossu. Trouvere artesien du XIIIe sifecle. Le Jeu de Robin et Marion suivi du Jeu du Pölerin. Ed. par Ernest Langlois. Paris 1965. (CFMA 86)

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zwei Organisationen, die in Arras den Literaturbetrieb entscheidend geprägt hätten und für die Entstehung einer spezifisch städtischen literarischen Öffentlichkeit verantwortlich wären: die Confrerie des Ardents, eine wahrscheinlich Ende des 12. Jahrhunderts gegründete Bruderschaft, der offenbar — nach dem Zeugnis des erhaltenen Nekrologs 9 — eine ungewöhnlich große Anzahl Arraser >Bürger< und ansässiger Autoren als Mitglieder angehört haben, und der sogenannte Pui, eine Art literarischer Zirkel, der in enger Verbindung mit der Confrerie - den erst sehr viel später bezeugten Singschulen deutscher Städte vergleichbar - literarische Wettbewerbe veranstaltet, den Sieger zum prince del Pui gewählt und auf diese Weise für eine kontinuierliche Belebung der literarischen Produktion in Arras gesorgt habe. Als Zentralfigur dieses Pui gilt Jehan Bretel, ein Beamter der einflußreichen Abtei St. Vaast, der als prince del Pui in zahlreichen Jeux-partis mit Arraser Herren, etwa dem clericus Jehan de Grieviler oder Lambert Ferri, einem Kanoniker von Notre-Dame, minnekasuistische Probleme diskutiert, aber auch als Partner des berühmten Adam de la Halle auftritt. Seine vielfältigen literarischen Kontakte dokumentieren die Bedeutung des Pui für die Arraser Literatur, die im 13. Jahrhundert offenbar von einem Zusammenspiel von Berufsautoren, Geistlichen und kirchlichen Beamten, patrizischen Kaufleuten und Bankiers getragen gewesen ist. Bei dieser Fülle an historischen und literarischen Zeugnissen eines regen literarischen Lebens in Arras bietet es sich an, die Literaturszene dieser Stadt als eine Art Modellfall für die Analyse eines spezifisch städtischen Literaturbetriebs anzusehen und im Hinblick auf charakteristische Unterschiede zwischen der Stadt und dem Fürstenhof als literarischen Zentren zu befragen. Diesen Versuch unternimmt Marie Ungureanu in ihrer Arbeit »La bourgeoisie naissante. Societe et litterature bourgeoises d'Arras aux ΧΙΓ et XIII e siecle«. 10 Sie untersucht die verschiedenen literarischen Texte, die seit der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts und im Laufe des 13. Jahrhunderts in Arras und für eine Arraser Zuhörerschaft verfaßt worden sind, auf ihren >Sitz im Leben< dieser reichen und turbulenten Stadt und führt im einzelnen vor, wie direkt und vielfältig diese Dichtung der Berufsdichter, Geistlichen und Bankiers von Arras in das städtische Leben integriert gewesen sei. Die meisten Autoren hätten sich als Angehörige der angesehenen Confririe des Ardents an den berühmten Pui-Sitzungen beteiligt, in deren Rahmen Literaturwettbewerbe und Theateraufführungen veranstaltet worden seien. Wegen dieser Bindung an städtische Institutionen und Feste sei die Literatur von Arras geradezu ein Spiegel des städtischen Lebens und damit auch der im Laufe des 13. Jahrhunderts ausbrechenden sozialen Gegensätze und Spannungen. Kennzeichnend dafür sei ihre Un-

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Roger Berger: Le Necrologe de la Confrerie des Jongleurs et des Bourgeois d'Arras (1194-1361). I. Texte et tables. II. Introduction. Arras 1963-1970. (Memoires de la Commission Departementale des Monuments Historiques du Pas-de-Calais XIII.1.2) M. Ungureanu: La Bourgeoisie naissante. Societe et litterature bourgeoises d'Arras aux ΧΙΓ et XIIIe siöcles. Arras 1955. (Memoires de la Commission des Monuments Historiques du Pas-de-Calais VIII)

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einheitlichkeit in stilistischer und ideologischer Hinsicht, die - wie das vielfältige O e u v r e A d a m s de la Halle zeige - sogar für die W e r k e ein u n d desselben Autors gelte. Verantwortlich f ü r diese stilistischen u n d thematisch-ideologischen Diskrepanzen der A r r a s e r Literatur sei die soziale Heterogenität des Publikums, die auf zwei literarische Richtungen verweise: Jean Bodels Sachsenkrieg, die zahlreichen Jeux-partis, Minnekanzonen, Motetten u n d Pastourellen seien noch auf den traditionell höfischen Geschmack einer relativ h o m o g e n e n Oberschicht patrizischer Kaufleute u n d Bankiers ausgerichtet, die seit d e m 12. Jahrhundert als reiche Grundbesitzer und echevins die Stadt beherrschten, als Gläubiger des Adels der Region wie der benachbarten Städte über weitreichende Verbindungen verfügten und schließlich als Mäzene Arraser A u t o r e n bezeugt seien. Sie strebten die soziale Gleichstellung mit dem Adel an, adaptierten dessen aristokratischen Lebensstil, zugleich auch dessen Vorliebe f ü r ritterlich-höfische Literaturtypen, die allerdings bei der Rezeption durch dieses höfische Stadtpublikum entscheidende V e r ä n d e rungen erfahren hätten: in Bodels Sachsenkrieg werde z.B. die militärische Thematik der Chansons de geste zurückgedrängt zugunsten der Erörterung wirtschaftlich-finanzieller Fragen, die eher d e m Erfahrungsbereich dieser Arraser Kaufleute und Bankiers entsprächen. Eine vergleichbare Umorientierung zeige sich an der Minnethematik der chansons courtoises und Jeux-partis, die sich in Arraser Texten entweder als raffiniert-psychologische Argumentation oder in einer eher distanzierten, tendenziell parodistischen F o r m darbiete. D e n n diese patrizische O b e r schicht von A r r a s stehe zwar hinsichtlich ihres Reichtums u n d Einflusses d e m A d e l nicht nach, h a b e jedoch eine spezifische Mentalität, einen »esprit positif, materialiste du bon sens«, eine »sagesse prevoyante qui implique experience pratique, une solide connaissance de la vie et des hommes« (S. 178), die sich auch in der von ihr geschätzten ritterlich-höfischen Dichtung abzeichne. 1 1 Im Gegensatz zu diesen auf ein patrizisches Publikum ausgerichteten Gattungen artikulierten sich allerdings in den Spielen u n d verschiedenen Typen satirischer R e d e n bereits die antipatrizischen Interessen eines seit der zweiten H ä l f t e des 13. Jahrhunderts wirtschaftlich u n d politisch aufstrebenden mittleren >Bürgertums< von kleineren Kaufleuten u n d H a n d w e r k e r n . Diese städtische Mittelschicht, die unter der drückenden Herrschaft des Patriziats am direktesten gelitten habe, sei das adäquate Publikum f ü r die zahlreichen Texte, in d e n e n betrügerische Geschäfte einzelner Persönlichkeiten angesprochen, gegen Steuerskandale der städtischen Oberschicht polemisiert u n d die finanzielle Cliquenwirtschaft bestimmter Familien herausgestellt werde. 1 2 I h r e E r bitterung über die finanziellen Manipulationen und juristischen Willkürhandlungen der Familien Crespin, Pouchin, Louchart, Cosset, Lanstier oder Huchedieu ä u ß e r e sich in polemisch-satirischen R e d e n , d e m Vers de la mort Roberts le Clerc 11

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Marie Ungureanu ordnet sich demnach in jene Forschungsrichtung ein, die versucht, literarische Texte im Hinblick auf patrizische Wertvorstellungen zu analysieren. Daneben will Marie Ungureanu sogar im Jeu de la Feuillee Hinweise auf die Existenz des Arraser kemun sehen, jener Handwerker und Weber, die sich zusammen mit der Arraser Mittelschicht zumindest punktuell gegen die Alleinherrschaft des Patriziats gewendet und im Jahre 1285 einen - sofort niedergeschlagenen - Aufstand versucht hätten (S. 205f.).

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und vor allem im Jeu de la Feuillee, das aus diesem Grund nicht von Adam de la Halle, dem bevorzugten Autor jener patrizischen Familien, verfaßt sein könne. Marie Ungureanu wendet sich gegen die globale Beurteilung der städtischen Literatur als einer antihöfischen, nüchtern->bürgerlichen< Dichtung und unterscheidet zwischen einer konventionell-höfischen, für ein patrizisches Publikum bestimmten Dichtung und einer kritisch-realistischen Literatur des >BürgertumsHa! Biaus dous fieus, sees vous jus,/Si vous metis a genoillons,/Se che non, Robers SommeillonsJQui est nouviaus prinches du pui,/Vous ferra.Bien kie de lui./Je sui mieus prinches qu'il ne soit./A sen pui canchon faire doit/Par droit maistre Wautiers as Paus,/Et uns autres leur paringaus/Qui a non Choumas de Clari./L'autrier vanter les en oi./Maistre Wautiers ja s'entremet/De chanter par mi le cornet,/Et dist qu'il sera courones.< (Vv. 402-415). Die Existenz dieser städtischen Literaturgesellschaft ist jedoch weniger gesichert als im allgemeinen angenommen wird. Denn es fehlen zeitgenössische historische Zeugnisse. Alle Vermutungen über die Rolle des Arraser Pui-Prinzen oder die Organisation literarischer Wettbewerbe mit Preisverteilung verdanken sich einerseits den bereits erwähnten literarischen Anspielungen auf den Arraser Pui, andererseits historischen Berichten über Puy-Feste oder erhaltene Statuten des Puy anderer nordfranzösischer Städte, etwa der Confrerie Notre-Dame du Puy von Amiens, der Confririe du Puy von Valenciennes, der Confrerie des clercs parisiens ou clercs du grand Puy de Notre-Dame von Douai oder der Confririe du Puy de la Conception von Abbeville. 31 Diese historischen Zeugnisse stammen allerdings aus dem 15. Jahrhundert, bieten bestenfalls Informationen über die Organisation des Puy dieser Städte im späten 14. Jahrhundert. Sehr detaillierte Angaben über den Ablauf von Puy-Festen liefern beispielsweise die Statuten der bereits im späten 14. Jahrhundert gegründeten Confririe Notre-Dame du Puy von Amiens aus dem Jahre 1451. 32 Von zentraler Bedeutung ist hier die Organisation des Hauptfestes 31

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Zu diesen Puy-Gesellschaften vgl. A. Breuil: La confrerie de Notre-Dame du Puy d'Amiens. In: Memoires de la Societe des Antiquaires de Picardie II. 3, 1854. S. 4 8 5 - 6 6 2 ; Rigollot: Discours sur la confrerie de Notre-Dame du Puy d'Amiens. In: Ebda., S. 663-680; L. Cavrois: Le Puy academique d'Arras ou l'art de la menestrandie. In: Memoires de l'Academie des Sciences, Lettres et Arts II. 19, 1888. S. 225-243; Edmond Faral: Les jongleurs en France au moyen äge (1910). Neudruck: New York 1970. S. 129-142; Georges Espinas: Les origines de l'association. I. Les origines du droit d'association dans les villes de l'Artois et de la Flandre franjaise jusqu'au debut du XVI* siücle. Tome I. Histoire. Tome II. Documents. Lille 1941-1942. (Bibliotheque de la Societe d'Histoire du droit des pays flamands, picard et wallon XIV.XV) hier I, S. 590-599, II, S. 262-328; Jacques Heers: Fetes, jeux et joutes dans les societes d'occident ä lä fin du moyen äge. Montreal, Paris 1971. (Conference Albert-le-Grand 1971) S. lOlff. Abgedruckt bei Breuil, S. 609-613.

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zu Maria Lichtmeß (S. 609), an dem der neue maistre gewählt, ein Festessen veranstaltet und ein jeu de mistere aufgeführt wird. Die maistres et rhetoriciens expers en rhetorique ziehen sich nach dem Essen zurück, um den besten chant royal auszuwählen, dessen Autor am nächsten Tag nach der gemeinsam besuchten Totenmesse bekanntgegeben und mit einer Silberkrone geehrt wird. Der neue maistre des Puy muß an jedem Marientag eine Messe zelebrieren lassen und Festessen organisieren, bei denen ballades und refrains a la louenge de la glorieuse Marie (S. 610) vorgetragen und prämiert werden, deren Refrains ein bis zwei Wochen zuvor festgelegt worden waren. Zu diesem disner und dem jeu de mistere lädt der maistre neben seinen Vorgängern vornehmlich notables, gens d'eglise, rhetoriciens ou altres dehors (S. 611). Die Confrerie Notre-Dame du Puy von Amiens ist demnach eine Vereinigung, bei der sich karitativ-soziale Elemente einer Bruderschaft mit spezifisch literarischen Intentionen verbinden. Sie stimmt darin mit den Confreries der anderen nordfranzösischen Städte überein: auch in Abbeville, Valenciennes und Douai treffen sich die confreres bei Totenmessen und organisieren literarische Wettbewerbe, bei denen die Anwärter ballades und chants royaux auf bestimmte Themen bzw. auf bereits fixierte Refrains vortragen müssen und der Sieger eine Krone erhält. In allen Puys tritt ein prince oder maistre als Organisator des Festes bzw. Wettbewerbs auf. Die Statuten verschiedener Confreries du Puy aus dem 15. Jahrhundert scheinen demnach den organisatorischen Stand einer literarischen Institution zu repräsentieren, wie sie im allgemeinen bereits für den Arraser Pui des 13. Jahrhunderts vermutet wird. Sie bieten genau die Informationen, die die Arraser Quellen verschweigen. Es fragt sich jedoch, ob es zulässig ist, Elemente der Puy-Zeremonien des 15. Jahrhunderts auf die Arraser Verhältnisse des 13. Jahrhunderts zu übertragen und — mit dem Blick auf die institutionalisierten Festessen der Confrerie in Abbeville und Amiens - davon auszugehen, daß auch in Arras der Pui im Rahmen der Confrerie ritualisierte Feste und literarische Wettbewerbe veranstaltet habe und deshalb der prince del Pui — wie Jehan Bretel — ein wohlhabender Mann gewesen sein müsse, der sich die Kosten des Prinzenamts leisten konnte. 33 In Arras florierte zwar im 13. Jahrhundert die berühmte und mitgliederstarke Charite NotreDame des Ardents, deren Totenregister bereits 1194 einsetzt. Ihre von Georges Espinas 34 und Roger Berger 35 detailliert kommentierten Statuten und Festregeln zeigen jedoch, daß diese vom Ende des 12. bis ins 16. Jahrhundert gut dokumentierte Confrerie des Jongleurs et Bourgeois andere Aufgaben wahrnahm, als die Puy-Gesellschaften des 15. Jahrhunderts. Die Gründung der Arraser Bruderschaft, die im 13. und 14. Jahrhundert eine bedeutende Rolle im religiös-sozialen Leben der Stadt spielte, geht nach Meinung 33

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Dieses Argument für das Prinzenamt Jehan Bretels neuerdings wieder bei Ranawake, S. 24. Espinas: Origines I, S. 80ff.; II, S. 48ff. Vgl. Berger: Necrologe II, S. 39ff.

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der Zeitgenossen auf ein Marienwunder zurück, das zwei Jongleurs Ende des 11., Anfang des 12. Jahrhunderts, zur Zeit des Arraser Bischofs Lambert, erlebten. Nach einer durch lateinische und französische Texte beglaubigten Legendentradition 36 sind zwei verfeindete Jongleurs von der Jungfrau Maria aufgefordert worden, sich in die Kathedrale von Arras zu begeben, um sich in Gegenwart des Bischofs zu versöhnen und zugleich die dort versammelten Kranken, die von der unheilbaren mal des ardents befallen seien und deshalb in der Kirche Gott gemeinsam um Hilfe anflehten, auf wunderbare Weise zu heilen. Die Frauengestalt prophezeit ihnen, daß um Mitternacht eine Frau aus dem Chor des Doms herabsteigen und ihnen eine brennende Kerze überreichen werde, deren herabfallende Tropfen in Wasser aufgefangen bei den Kranken die sofortige Heilung bewirken. Nachdem sich sämtliche Prophezeiungen erfüllt hatten, die Kranken tatsächlich durch das Wachs der brennenden Kerze geheilt waren, gründeten die beiden Jongleurs zur Erinnerung an dieses Wunder eine Confrerie, die zunächst nur wenige Mitglieder zu verzeichnen hatte, durch den Zustrom von angesehenen >Bürgern< und Adeligen allerdings bald eine bedeutende Bruderschaft wurde, die sich vor allem der gemeinsamen Fürbitte, dem Begräbniskult der Mitbrüder und der Unterstützung der Armen widmet. Die in den französischen Versionen berichteten Spannungen zwischen den Jongleurs und einigen adeligen Herren, die erfolglos versucht hätten, nach dem Tode der beiden Gründer die anderen Jongleurs aus der Bruderschaft auszuschließen, haben sich — nach Roger Berger — in der dezidierten Behauptung der Statuten niedergeschlagen: Ceste Carites est estoree des jogleors et Ii jogleor en sont signor; et eil cui il metent si est et cui il metent hors n'i puet estre se par els non; car sor jogleors n'i a nus signorie.37 Diese Statuten, die offenbar zu Beginn des 13. Jahrhunderts begonnen und durch Zusätze des 13. und 14. Jahrhunderts kontinuierlich erweitert worden sind, bieten das Bild einer Bruderschaft, die Männer und Frauen aufnimmt, die regelmäßige Teilnahme an kirchlichen Zeremonien voraussetzt, das Begräbnis ihrer Mitglieder genau regelt, verarmte Brüder unterhält, bald ein Hospital gründet, über ein gewisses Vermögen verfügt, feste Zusammenkünfte, als zeremoniellen Höhepunkt den dreitägigen grand siege, veranstaltet und für ihre Organisation ein Gremium von maires, sergents und clercs wählt. Neben dem maire des bourgeois wird ein maire des jogleors d'Arras und ein maire des jogleors forains erwähnt. Beide wechseln sich bei der festlichen Prozession am Tage des grand siege ab, wenn die Hl. Kerze von ihrem >TurmSängerkrieg< des 13. Jahrhunderts und die meistersingerliche Praxis von Fürwurf- und Straflied des 14. Jahrhunderts wird offenbar erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts durch reale Wettkämpfe im Rahmen städtischer Singschulen ergänzt; vgl. dazu unten S. 207ff.

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ses Nachspielen eines literarischen Themas in der Form einer spezifischen Puy-Gesellschaft nicht durchgesetzt hat, liegt möglicherweise an der überragenden Bedeutung der Confririe des Ardents, die bereits alle zeremoniellen und karitativen Aktivitäten absorbiert: Das bruderschaftliche Element hat sich in der Confrerie des Jongleurs et Bourgeois in den Prozessionen und gemeinsamen Essen weitgehend erhalten und offenbar eine Umorientierung der Charite des Ardents in eine literarische Gesellschaft verhindert. Für unsere Frage nach der Rolle städtischer Organisationen für die Literaturszene der Stadt ist dieses Ergebnis eher negativ. Denn das literarische Thema des Arraser Pui beleuchtet zwar den Spielcharakter und den spezifischen Realitätsbezug der in Arras vorgetragenen Lieder und Jeux-partis, die eine gesellige Praxis von Sängerwettbewerben evozieren und an die Urteilsfindung eines literaturkundigen Publikums appellieren. Es bezeugt jedoch nicht die Existenz einer besonderen Institution, die die Uterarische Produktion und Rezeption in dieser Stadt entscheidend geprägt hätte. Die Erörterung der organisatorischen Voraussetzungen des Arraser Literaturbetriebs kann sich deshalb nicht auf die Entstehung eines literarischen Pui-Betriebs beziehen, sondern muß sich auf die historische Rolle der Confririe des Ardents beschränken. Auch wenn die Statuten das Bild einer typischen, auf karitative Funktionen und religiöse Zeremonien ausgerichteten Bruderschaft bieten, bei der die Vereinigung von Jongleurs und >Bürger< offensichtlich nicht zur Ausbildung spezifisch Uterarischer Rituale geführt hat, wäre dennoch zu fragen, ob es Hinweise dafür gibt, daß diese Confrerie des Jongleurs et Bourgeois die Uterarische Betätigung Arraser Autoren beeinflußt hat. Denn eine Reihe von ihnen scheint der berühmten Arraser Bruderschaft als Mitgüed angehört zu haben. Jedenfalls verzeichnet das Totenregister der Confrerie, das zwischen 1194 und 1361 ca. 10600 Namen auflistet, Zahlungen anläßUch des Todes eines Bodel (1209,3), Baudes Fastous (1295,2), Bretel Jehan (1244,2) oder De Grieviler Jehans (1240,2). Diese Notierungen sind zwar — trotz aller Probleme im einzelnen - von großem Wert für die historische Identifikation und zeitliche Einordnung der Autoren. Die Zugehörigkeit zur Confrerie besagt jedoch noch nicht viel. Denn schon die Fülle der in dem Nekrolog verzeichneten Namen weist darauf hin, daß die Confririe des Ardents im 13. Jahrhundert keineswegs eine spezifische JongleurBruderschaft gewesen ist, sondern offenbar eine riesige Organisation, der neben den Jongleurs praktisch sämtUche Damen und Herren der städtischen Oberschicht, lokale Adeüge, aber auch eine große Anzahl weniger bekannter Stadtbewohner beigetreten sind. Der berufsspezifische Aspekt des Zusammenschlusses von Jongleurs in einer Bruderschaft, der sich in der legendären Gründungsgeschichte und einigen Bestimmungen des ProzessionszeremonieUs abzeichnet, wird demnach weitgehend überdeckt von der sozialen Bedeutung einer wohlhabenden Organisation, die von den führenden Famiüen der Stadt bestimmt und von dem Grafen von Flandern finanzieü unterstützt wird. Daß jedoch der für die Gründung ausschlaggebende berufsspezifische Aspekt der Confrerie noch zu Beginn des 13. Jahrhunderts spürbar gewesen ist, zeigt eine der letzten Strophen des Conges, den Jean Bodel wahrscheinUch im Jahr 1202 in 75

Arras vorgetragen hat. Jean Bodel tritt hier in der Rolle eines Leprakranken auf, der - da er sich aus der Welt zurückziehen muß - von seinen Arraser Freunden und Bekannten Abschied nimmt. Diese Klage- und Abschiedsrede, deren autobiographischer Wahrheitsgehalt merkwürdigerweise in der Forschung unumstritten ist, 42 steht formal und thematisch in der Tradition von Helinands de Froidmont Vers de la mort und wirkt selbst traditionsbildend für den Congis des Arraser Autors Baude Fastoul, der sich 70 Jahre später in derselben Rollenstilisierung von seinem Arraser Publikum verabschiedet. Jean Bodel spricht eine Reihe bekannter Arraser Persönlichkeiten an, appelliert an ihr Mitleid und fordert sie zur Teilnahme am Kreuzzug auf; in der 40. Strophe wendet er sich an den maire d'Arras, die Schöffen und in der 42. schließlich an die Dame, cui Diex est pere et fis. (V. 493). Es folgen zwei Strophen, in denen an das Marienwunder bei der Gründung der Chariti des Ardents erinnert, der >Turm< der Confrerie auf dem Petit Marche erwähnt und die brüderliche Gemeinschaft der Menestrels appellativ herausgestellt wird: He! menestrel, douch conpaignon,/Ami m'avez este et bon/Conme tres fin loial confrere (V. 517—519). Auch Baude Fastoul verweist auf die Gemeinschaft der Jongleurs in der Confrerie des Ardents, wenn es bei ihm im Anschluß an den Abschied von mehreren comperes heißt: Trop volentiers fuisse avoec eus,/Mais Ii mals que j'ai me conselle/Que ne doi porter le Candelle,/Car je sui uns hors menestreus (Vv. 632-636). Beide Autoren stellen sich demnach als Angehörige der Arraser Confririe des Ardents dar, die an den berufsspezifischen Aspekten dieser Bruderschaft interessiert sind und das Gruppenbewußtsein der in der Charite organisierten Jongleurs herausstellen. Damit ist zwar der >Sitz im Leben< dieser Texte noch keineswegs gesichert. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Conges für den Vortrag im Rahmen der Confrerie des Ardents bestimmt gewesen sind. Jean Bodels und Baude Fastouls Appell an die comperes bzw. confreres demonstrieren jedoch die Existenz eines spezifischen Gruppengefühls, das an die Mitgliedschaft in der Chandelle- Bruderschaft gebunden ist und offenbar die Entstehung solcher gruppenbezogener Texte wie die Conges zwar nicht bewirken, aber doch erheblich fördern konnte. Die Arraser Confrerie des Jongleurs et Bourgeois bietet demnach dem Literarhistoriker ein ambivalentes Bild. Einerseits erweisen sich die in der Forschung gängigen Überlegungen zur Rolle der confreres als Literaturpublikum bzw. zur Entstehung eines Pui innerhalb der Confrerie bei einer genaueren Überprüfung der historischen Dokumente als unzutreffend. Denn die Charite Notre-Dame des Ardents scheint im 13. Jahrhundert eine zwar sehr erfolgreiche, in ihrer Organisationsform jedoch eher gewöhnliche Bruderschaft karitativ-sozialen Zuschnitts gewesen zu sein. Es finden sich jedenfalls keine Hinweise dafür, daß die Confrerie im 13. Jahrhundert im Rahmen eines Pui-Zirkels anläßlich ihrer Festlichkeiten Uterarische Vorträge oder gar Dichterwettbewerbe veranstaltet hat. Auch die Stellung, die die Autoren in dieser Bruderschaft eingenommen haben, ist offenbar bei weitem überbewertet worden. Die in der Gründungslegende angesprochene Füh42

Vgl. dazu die Einleitung von Ruelle zur Ausgabe der Arraser Conges.

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rungsrolle der Jongleurs innerhalb der Confrerie zeigt sich lediglich in einigen Bestimmungen des Festzeremoniells: in dem auch von Baude Fastoul erwähnten Recht der Jongleurs, in der Prozession des grand siege die Kerze durch die Stadt zu tragen. Die Arraser Confririe des Jongleurs et Bourgeois dokumentiert demnach im Vergleich zu späteren Vereinigungen in nordfranzösischen Städten oder zu den deutschen Singschulen im 15. und 16. Jahrhundert nur sehr bedingt eine spezifisch städtische Seite des Arraser Literaturbetriebs im 13. Jahrhundert. Andererseits sollte die Bedeutung der Confrerie des Jongleurs et Bourgeois für die Literaturszene von Arras im 13. Jahrhundert nicht unterschätzt werden, denn sie bietet zumindest die Voraussetzungen dafür, daß die Jongleurs in das städtische Leben integriert werden, aktiv an städtischen Zeremonien beteiligt sind und — wie Jean Bodels und Baude Fastouls Anrede an die confreres zeigt - an eine Art Gruppenbewußtsein der in der Confrerie des Ardents organisierten Jongleurs appellieren können. Konstitutiv wird dieses Zugehörigkeitsgefühl vor allem für die Arraser Conges, da hier der Autor in einer Abschiedssituation seine Beziehung zur Stadt und ihren einzelnen Institutionen definiert und auf diese Weise eine Art Gruppenbewußtsein eines städtischen, einer angesehenen Charite angehörenden Autors formuliert.

Arraser Theaterkultur im 13. Jahrhundert Während sich im Falle der Charite des Ardents und des Pui die Diskussion vornehmlich auf die Frage nach möglichen institutionellen Voraussetzungen eines städtischen Literaturbetriebs erstreckt hat, bemüht sich die Forschung zu den Arraser Spielen vornehmlich um die spezifisch städtischen Aspekte ihrer >Aufführungbürgerlichen< Lehren: der Warnung vor Vergeudung und Risiken; dazu vor allem Schoell, S. 7 1 - 8 3 . Georges de Lagarde: La naissance de l'esprit lai'que au declin du moyen äge. I. Bilan du XIir e m e siecle. Troisieme edition. Louvain, Paris 1956, hier vor allem S. 174ff.

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habe. Am pointiertesten stellt Konrad Schoell48 den städtischen Charakter der Arraser Spiele heraus: er erklärt die Entstehung des komischen Theaters in Arras aus der spezifisch Urbanen Lebensform und Mentalität eines breiten Publikums, das seine finanziellen Mittel für die Inszenierung einer kollektiven Selbstdarstellung eingesetzt habe, die sich fundamental von den repräsentativen Unterhaltungsformen des Hofes unterscheide: »Während an den Höfen die Möglichkeit zur Herausbildung eines wirklichen Theaterpublikums durch die zahlreichen anderen und standesgemäßen Vorführungen (Turniere) und durch die Zur-Schau-Stellung der Herren selbst sehr beschränkt war, konnte sich auf den Plätzen der dicht besiedelten Städte mit ihrer verhältnismäßig geschlossenen Sozialstruktur um die volkstümlichen Stücke ein Publikum herausbilden« (S. 55). Hinter diesen Überlegungen steht die Annahme, daß die Aufführung der Arraser Spiele bereits von einer spezifischen Art von >öffentlichkeit< getragen gewesen sei, die den repräsentativen Formen bisheriger Adelskultur entgegenstehe. Diese Betrachtungsweise knüpft an den Typus der »bürgerlichen Öffentlichkeit« an, den Jürgen Habermas in der Arbeit »Strukturwandel der Öffentlichkeit« 49 als epochentypische Kategorie der neuzeitlich-bürgerlichen Gesellschaft herausstellt und von bestimmten Formen der sogenannten »repräsentativen Öffentlichkeit« des Mittelalters abgrenzt. Er sieht in der »repräsentativen Öffentlichkeit« ein wesentliches Strukturmerkmal der mittelalterlichen Adelsgesellschaft, die sich in der grundherrlichen Gewalt konstituiere und im Gegensatz zur bürgerlichen Gesellschaft der Neuzeit keine Trennung von Öffentlichkeit und privater Sphäre kenne. Diese spezifisch mittelalterliche Öffentlichkeit der Herrschaftsträger entfalte sich vornehmlich in Insignien, Gesten, rituellen Handlungen und Zeremonien, die das gesellschaftliche Leben und das Verhalten des einzelnen normierten. 50 Dieser Typus feudaler Repräsentation werde allerdings bereits im 13. Jahrhundert punktuell im Bereich der Städte durchbrochen, deren Fernhandel von Anfang an auf einen überregionalen Waren- und Nachrichtenverkehr angewiesen gewesen sei und dadurch Elemente einer sogenannten publizistisch bestimmten Öffentlichkeit hervorgebracht habe. Im spätmittelalterlichen Fürstenstaat werde die »repräsentative Öffentlichkeit« der mittelalterlichen Adelswelt zunehmend reduziert und schließlich abgelöst durch eine Sphäre der öffentlichen Gewalt des Landesherren, der die Welt der >Privatleute< gegenüberstehe. Die Abtrennung der öffentlichen Interessen des Staates von einem Privatbereich der bürgerlichen Kleinfamilie sei schließlich die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung einer spezifisch »bürgerlichen Öffentlichkeit«, die Habermas als Organisationsmodell der bürgerlichen Gesellschaft analysiert.

48 49

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Schoell, S. 54ff. J. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied und Berlin 5 1971. (Sammlung Luchterhand 25) Ebda., S. 17-25. Wie sehr allerdings Habermas von einem literarisierten Mittelalterbild ausgeht, zeigen seine Bemerkungen zur Geltung ritterlicher Verhaltensweisen und Praxis höfischer Repräsentation (S. 20f.).

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Diese von Habermas als epochentypische Kategorien verwendeten Termini »repräsentative« bzw. »bürgerliche Öffentlichkeit« werden in der Forschung zu den Arraser Spielen inhaltlich konkretisiert und auf den Gegensatz von ritterlichhöfischer Stilisierung der Adelswelt und realistischer Darstellung der Alltagswelt von Privatleuten bezogen. Wie sehr damit wieder die in der mediävistischen Forschung übliche Unterscheidung von feudaladeligen und >bürgerlichen< Verhaltensweisen reproduziert wird, zeigt die Einleitung zu der deutschen Übersetzung von Jean Bodels Nikolausspiel. Die Autoren gehen davon aus, daß man es bei dem Nikolausspiel »mit einem nachweisbaren Form- und Öffentlichkeitswandel in der volkssprachlichen Stadtliteratur zu tun« (S. 13) habe, der sich in dem Abrücken von höfischen Verhaltensstandards und ritterlichen Wertvorstellungen feudaler Herrschaftsträger abzeichne. Diese »Ablösung vom bisherigen Repräsentationsschema episch-höfischer Modelle« (S. 14) trete im Nikolausspiel erst in wenigen Szenen hervor - in dem zwar vorbildlichen, aber nicht ritterlichen preudhom oder dem Profitdenken des Heidenkönigs - , bestimme hingegen bereits sehr deutlich die Szenenfolge im Laubenspiel. Denn hier »präsentieren sich in der kleinen, privatem Öffentlichkeit des Laubenspiels die Hauptdarsteller selbst (der Autor und seine Begleiter) als handelnde, zu kritisierende und historische Personen, die in einigen Szenen die Distanz zwischen Außenwelt und Spielwelt durchbrechen und somit erstmals auch das Schema feudaler Repräsentation« (S. 15). Die von Habermas analysierte Herausbildung der Kategorie einer »bürgerlichen Öffentlichkeit« raisonnierender Privatleute wird demnach an der Evolution der Arraser Spiele nachvollzogen, in der sich eine zunehmende Absetzung von Mustern der höfisch-ritterlichen Literatur und die allmähliche Entstehung einer »bürgerlichen Öffentlichkeit« im Sinne des privaten und politischen Räsonnements des Freundeskreises um maistre Adam dokumentiere: »Die Entfaltung städtischer Warenproduktion und Handelsautonomie begleitet eine Ausweitung privater (»bürgerlicher«) Öffentlichkeit im Bereich der literarischen Produktion und Rezeption, die sowohl das ästhetische Bewußtsein als auch die literarische Form des Dramas selbst verändert« (S. 16). Diese Einschätzung der Arraser Spiele beruht allerdings nicht nur auf einer unhistorischen Übertragung epochentypischer Kategorien auf den Inhalt mittelalterlicher Texte, sondern sie verkennt auch mögliche philosophische bzw. moraltheologische Hintergründe der einzelnen Szenen des Laubenspiels. Auch wenn man Alfred Adlers 51 Vorschlägen zur Entschlüsselung der Sinnstruktur des Jeu de la Feuillee im einzelnen nicht folgt, so zeigt seine Textanalyse doch 51

Adler präsentiert ein - im einzelnen angreifbares, jedoch in seiner thematischen Konsistenz beeindruckendes - spekulativ-philosophisches Verständnis des Laubenspiels als einer sehr persönlichen und zugleich systematisch-intellektuellen Auseinandersetzung Adams de la Halle mit scholastischen Positionen. Hauptthema des Werks sei das von maistre Adam angestrebte Ideal der »reconnaissance de soi-meme«, deren intellektueller Entfaltung die Szenen des Laubenspiels als Durchgangsstufen gelten: »II (maistre Adam) se rend compte que pour mieux aspirer cet ideal, il doit opter pour un chemin plus ardu, traverser le monde du laid qui donne la nostalgie de I'ideal dont il dechoit, sa bonne volonte recompensee.« (S. 38).

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sehr deutlich, daß die Gespräche des Freundeskreises um maistre Adam nicht zu vergleichen sind mit den Diskussionen eines Kaffeehauspublikums im 18. Jahrhundert und sich deshalb wenig dazu eignen, als Modellfall einer »bürgerlichen Öffentlichkeit« raisonnierender Privatleute im Sinne von Habermas zu figurieren. Das Laubenspiel gilt aber auch unabhängig von der Frage nach dem Öffentlichkeitscharakter der Arraser Spiele als eine Art Paradigma städtischer Literaturproduktion und -rezeption. Die um maistre Adam gruppierten >Bürger< von Arras, die in allen Szenen auftreten und Adams Entschluß, seine Studien in Paris wieder aufzunehmen, glossieren, sich gegenseitig verspotten, sich über das Verhalten der Arraser Oberschicht mokieren und schließlich gemeinsam den Mönch überlisten, werden im allgemeinen als der Fixpunkt des Textes angesehen, an dem sich sein städtischer Charakter am deutlichsten entfalte. Konrad Schoell vermutet etwa, daß die Plaudereien von maistre Adam, Rikier Auri, Hane le Mercier, Guillos Ii Petit etc. auf das gesellige Beisammensein einer Freundesgruppe um Adam de la Halle zurückgehen, das Laubenspiel deshalb eine Art Gelegenheitsstück zur Selbstdarstellung dieser Gruppe Arraser junger Männer gewesen sei.52 Gertrud Lütgemeier 53 betont hingegen die repräsentative Rolle dieser >Bürger< von Arras als Instanz einer Kollektivnorm, die der des >bürgerlichen< Mittelstandes von Arras entsprochen habe. Diese Arraser Mittelschicht habe sich als das Publikum des Laubenspiels zwar mit den ironischen Kommentaren der literarischen >Bürger< zu Adams Ausbruchsversuch oder ihrer Verspottung des abweichenden Verhaltens einzelner >Bürger< und Patrizier identifizieren können, sei jedoch zugleich durch die Figur des maistre Adam und des Derves auf die Grenzen der Gültigkeit dieser bürgerlichem Verhaltensstandards aufmerksam gemacht worden. Für ein solches Stück, das eine Kollektivnorm des mittleren >Bürgertums< appellativ herausstelle und zugleich auf hintergründige Weise destruiere, sei die Stadt auch in ideologischer Hinsicht der zentrale Ort seiner Aufführung. Diesen Überlegungen liegt freilich die neuzeitlichem Denken verpflichtete Vorstellung von der Existenz eines normbestimmenden bürgerlichen« Mittelstandes zugrunde, dessen kleinbürgerlich-normativer Enge der intellektuelle Künstler erfolglos zu entfliehen suche. Damit werden spezifische gesellschaftliche Erfahrungen und literarische Themen der Neuzeit auf die literarische Konstellation maistre Adam — Arraser >Bürger< des Laubenspiels projiziert und die Verhaltensstandards und das Selbstverständnis eines >Bürgertums< auf die Arraser Mittelschicht im 13. Jahrhundert übertragen. Die in der mediävistischen Forschung gängige Applikation bürgerlichen Wertvorstellungen auf das Verhalten und die literarischen Interessen des städtischen Patriziats verlagert sich damit auf die städtische Mittelschicht, die im Gegensatz zu den aristokratischen Lebensformen des Patriziats Verhaltenssysteme einer spezifisch bürgerlichen« Provenienz zeige und als Publikum das Laubenspiel ideologisch bestimme. Diese Zuspitzung des Laubenspiels auf eine Auseinandersetzung mit der Kollektivnorm einer bürgerlichen« Mittel52 53

Schoell, S. 127ff. Lütgemeier, S. 126ff.; 145ff.

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Schicht ist jedoch wenig überzeugend. Denn abgesehen davon, daß es keine Hinweise auf eine Aufführung des Laubenspiels vor diesem speziellen Publikum gibt, haben wir keine Informationen über die kollektiven Einstellungen der Arraser Mittelschicht, die eine ideologische Zuordnung des Laubenspiels erlaubten. Darüber hinaus ist der literarische Charakter der einzelnen Gespräche im Laubenspiel offensichtlich: die Hinweise auf den Pui-Betrieb setzen die Kenntnis der höfischen Dichtung voraus, der ironische Schönheitspreis geht auf die Descriptio-Lehre der mittelalterlichen Poetik zurück, die Unterhaltung der Freunde des maistre Adam über die verschiedenen sozialen >Krankheiten< der Arraser Bevölkerung, die bigamen Kleriker oder die Labilität des politischen und wirtschaftlichen Aufstiegs herrschender Geschlechter, ihr Spott über maistre Adams Studienwunsch, die >Krankheit< von Dame Douce und den Reliquienhandel des Mönchs orientieren sich schließlich an festen literarischen Themen der lateinischen und volkssprachigen didaktischen und satirischen Dichtung. 54 Sie sind eine brillante Montage bzw. ironische Verkehrung von Beschreibungsmustern und Themen der verschiedensten literarischen Typen und lassen sich deshalb nicht ohne weiteres auf die antipatrizischen Interessen und kollektiven Einstellungen einer Arraser Mittelschicht beziehen. Es bleiben die konkret-historischen Anspielungen auf Arraser Verhältnisse: die Gespräche über den Geiz führender Geschlechter, den Pui-Betrieb, die Turniererfolge des Robert Sommeillon, die politische Karriere der Familien Crespin und Louchart, den wirtschaftlichen Ruin des Thomas de Bouriane, die für ein Arraser Publikum besonders attraktiv gewesen sein mögen. Auch wenn diese Anspielungen in ihrem Aussagewert nicht überschätzt werden sollten, da sie eher als historische Konkretisierung literarischer Muster figurieren, so bezeichnen sie jedoch in ihrer aktualisierenden Ausrichtung auf Arras möglicherweise einen spezifisch städtischen Aspekt des Laubenspiels: die Präsenz der Stadt Arras mit ihren speziellen Problemen des engen Zusammenlebens. Die Bemerkungen des fisicien über die Geiz-Krankheit der Familien Cossel, Favel, Crespin, die Fettsucht der Wagons und Anstiers überschreiten nicht die Grenzen der gängigen historischen Konkretisierung der beliebten Geiz-Thematik; die Spottrede des Derves über den neuen Pui-Prinzen Robert Sommeillon bzw. die Unterhaltung zwischen Morgue und Arsile über das ungeschickt->ritterliche< Auftreten dieses Herrn bleiben weitgehend dunkel, weil die möglichen Hintergründe dieser Polemik nicht bekannt sind. Hingegen bieten Maglores Kommentare zum Fortunarad zumindest ansatzweise die Möglichkeit einer historischen Entzifferung: in der sogenannten Feenszene erklären die drei Feen Morgue, Maglore und Arsile das esamples gens (V. 768) des Fortunarades: Fortune./Ele est a toute riens commune,/Et tout le mont tient en se main./L'un fait povre hui, riche demainJNe

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Zum literarischen Charakter der einzelnen Themen und Figuren vgl. Otto Gsell: Das >Jeu de la Feuillee< von Adam de la Halle. Kritischer Text mit Einführung, Übersetzung, Anmerkungen und einem vollständigen Glossar. Würzburg 1970.

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point ne set cui ele avanche. (Vv.773-777). Die Position des regno nehmen Ermenfroi Crespin und Jakemon Louchart ein, die Vertrauten des Grafen und Herren der Stadt, deren Nachkommen schon jetzt ähnlich einflußreich seien; in der Rolle des Abstürzenden figuriert Thomas de Bouriane, der bisher in der Gunst des Grafen gestanden, jedoch seine einflußreiche Stellung verloren habe und - offenbar auf Veranlassung eines Ungenannten — ohne eigene Schuld völlig zugrunde gerichtet sei. Sein Leidensgenosse in der Position des regnavi ist Leurin le Cavelau, der nach der Meinung der Fee Morgue den Aufstieg nicht mehr schaffen werde. Dieses Bild von der Krisenanfälligkeit der Machtposition führender Stadtgeschlechter, deren sozialer und ökonomischer Auf- und Abstieg direkt auf das Eingreifen des Grafen von Artois bezogen wird, läßt sich teilweise durch historische Dokumente bestätigen. Die Vormachtstellung der Crespins und Loucharts geht eindeutig aus den Quellen hervor: 55 Angehörige der von Jean Lestocquoy als »rois de finances« bezeichneten Familie Crespin sind bereits im 12. Jahrhundert als Haus-, Mühlen- und Grundbesitzer in- und außerhalb von Arras bezeugt, treten als Kaufleute und Geldhändler hervor, verlegen sich im 13. Jahrhundert vornehmlich auf Finanzgeschäfte und verleihen schließlich Riesensummen auf internationaler Ebene an Fürsten, Städte, geistliche Institutionen, kleinere Herren und >BürgerFeinde< gerichtet ist. Genauso gut könnte aber auch die Feenszene des Laubenspiels für ein - vielleicht geistliches — Publikum bestimmt gewesen sein, das die Arraser Verhältnisse kannte, jedoch den erbitterten Auseinandersetzungen im Schöffenkolleg eher distanziert gegenüberstand und eher an dem Exempelcharakter der Fortunarad-Episode interessiert gewesen ist. Beim Fehlen von präzisen Informationen über das Publikum des Laubenspiels bleiben diese Überlegungen freilich ohne Evidenz. Überhaupt sollte die politisch-soziale Brisanz aktuell-persönlicher Aussagen über das gesellschaftliche Leben von Arras — wie schon Henri Roussel bei vergleichbaren historischen Anspielungen in anderen Arraser Texten betont hat - nicht überschätzt werden, denn der finanzielle Ruin des Thomas de Bouriane, der in der Realität offenbar ein juristisches Nachspiel hatte, figuriert im Laubenspiel lediglich als eine der zeitgeschichtlichen Aktualisierungen des in Literatur, Buchmalerei und bildender Kunst weit verbreiteten Fortunarad-Exempels.

Die Arraser Satiren der Pariser Handschrift (Bibl. nat. ms. fr. 12615) Entscheidend für unsere Frage nach dem städtischen Charakter des Laubenspiels scheint mir allerdings die Tatsache zu sein, daß überhaupt Konflikte zwischen führenden städtischen Familien angesprochen und dabei die Instabilität und Krisenanfälligkeit der Führungspositionen in der Stadt thematisiert werden. Darin ist das Laubenspiel jenen Arraser Texten vergleichbar, in denen u. a. von Steuerskandalen, finanziellen Manipulationen und Willkürhandlungen der Arraser Oberschicht die Rede ist. Diese von Alfred Jeanroy und Henry Guy 59 veröffentlichten 24 artesischen Lieder und Reden des 13. Jahrhunderts haben immer wieder das Interesse der Forschung zur Arraser Literaturgeschichte und Lokalhistorie gefunden. Denn man glaubte, in ihnen sowohl Hintergrundsinformationen für das Verständnis des Laubenspiels oder Roberts le Clerc Vers de la Mort60 zu erhalten, als auch Angaben zur Sozialstruktur von Arras, zum Handeln städtischer Amtsinhaber und zu historisch sonst nicht dokumentierten Vorfällen des gesellschaftlichen Lebens in Arras. Aus diesem Grund blieb die Gruppe der eher allgemein gehaltenen weltlich-didaktischen Reden über die Trunksucht (V), den Wucher der Kaufleute (VI), eine angemessene Heirat (VII), die böse Nachrede (VIII), den Geiz (IX), den Ver-

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Chansons et dits artesiens du XIIIe siöcle. Publies avec une Introduction, un Index des noms propres et un Glossaire, par Α. Jeanroy et H. Guy. Bordeaux, Marseille, Montpellier, Paris, Toulouse 1898. (Bibliothöque des Universites du Midi 2) Li Vers de le Mort. Poöme artesien anonyme du milieu (?) du XIIIe sifccle. Publie pour la premiere fois d'aprös tous les manuscrits connus et accompagne d'une introduction, de notes, d'un glossaire et d'une liste des rimes par Carl August Windahl. Lund 1887. Es ging dabei vor allem um die Strophen 63 und 159 gegen die eskevins, die - zusammen mit den Arraser Satiren - auf einen speziellen Vorfall der Arraser Politik bezogen werden. Dagegen mit überzeugenden Argumenten Roussel, S. 2 6 6 - 2 7 4 .

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rat (X), die Relation von Reden und entsprechendem Handeln (XI), den Luxus der Frauen (XII), die Freigebigkeit (XX) und den Geiz der Reichen (XXI), weitgehend unbeachtet gegenüber den Reden und Liedern, in denen bekannte Arraser Persönlichkeiten genannt werden. Aber auch diese Texte wurden hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der in ihnen angesprochenen Fakten unterschiedlich beurteilt. Jene Texte, deren Uterarische Muster offenkundig sind, schienen sich nur in sehr eingeschränkter Weise auf historische Ereignisse zu beziehen: etwa die Rede XV, deren Autor die Mitglieder der Arraser carite saint Oison, einer Art >NarrenzunftBurgbelagerung< und dem Einsetzen sprachlicher Komik bestanden haben wird. Exakter auf Arraser Verhältnisse scheinen die Pointen der sogenannten Pui-Satire (I) zu zielen. Der Autor beginnt mit einem Lob des Arraser Kulturlebens: Ar ras est escole de tous biens entendre (V. 1) und berichtet von einem merkwürdigen Erlebnis, das Gott in Arras gehabt habe, als er krank im ostel le Prince (V. 9) abgestiegen sei por lui rehaitier (V. 8). Beim literarischen Vortrag einzelner namentlich genannter Herren habe sich sein Zustand zunächst gebessert, beim Auftreten von Gares und Baudes Becons jedoch sofort wieder verschlechtert. Der Autor zitiert bekannte Dichternamen, einen Ghilebers, der canta de sa dame eiere (V. 20), mit dem vielleicht Gillebert de Berneville gemeint ist, und Bretiaus, der möglicherweise auf den Pui-Prinzen Jehan Bretel verweist. Aus diesem Grund wird in diesem Lied die satirische Darstellung einer Arraser Pui-Sitzung gesehen, mit der ein antipatrizischer Autor die Geselligkeitsformen des Arraser Pui habe desavouieren wollen. Da jedoch der Pui überhaupt nicht erwähnt wird, wird man in dem Lied über die zweifelhaften Vortragserfolge Arraser Autoren eher das komische Gegenbild einer Arraser Literaturgesellschaft zu sehen haben, das — wie in den Reden über Arraser Bruderschaften — von einer komisch-aktualisierenden Präsentation literarischer Muster bestimmt ist. Im Zentrum des historischen und literarhistorischen Interesses stehen allerdings vier Texte, in denen führende Persönlichkeiten der Arraser Oberschicht mit einer aufsehenerregenden Betrugsaffaire im Zusammenhang gebracht und mehr oder weniger direkt für den Niedergang der Stadt verantwortlich gemacht werden. 66 Sie scheinen demnach am ehesten dem literarischen Typus eines historischen Gelegenheitsgedichts mit einer spezifisch städtischen Thematik zu entsprechen. Zentra-

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63 64 65 66

A. Guesnon: La satire ä Arras au XIIIe siecle. In: MA 12, 1899. S. 156-168; 2 4 8 - 2 6 8 (= I); 13, 1900. S. 1 - 3 4 ; 117-168 (= II), hier II, S. 131-137. Ungureanu, S. 145-148. In der Hinleitung zur Ausgabe der Chansons et Dits, S. 27. Roussel, S. 260f. Zu diesen Arraser Satiren vgl. neuerdings Beverly Cary Mayne Kienzle: The Flowering of Satire in Medieval Picardy. Ph. D. (micr.) Boston College 1978.

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les Thema ist offenbar die taille, die nach der Meinung der Autoren Arras ins Unglück gestürzt habe. Diese Problematik wird freilich in den einzelnen Texten sehr unterschiedlich konturiert. Am dunkelsten ist das Lied Nr. III über den Niedergang von Arras, dessen Anspielungen sich bislang nicht einmal ansatzweise haben entziffern lassen und deshalb für die Frage nach den Hintergründen und der Funktion der literarischen taille-Thematik wenig beitragen. Für den Autor des Scheltlieds Nr. XIII ist hingegen die taille vilaine (V. 11) geradezu ein Paradigma für den Abstieg der Stadt: E! Arras vile,/De vos naist Ii ghile/Dont vos estes en tel doleur;/Tresk' en Sezile,/N'a gent si nobile/Com d'Arras, ne de tel valeur;/Mais Ii ruihote/A no cite morteJCe dient Ii plaigneur/ Tailleur/ Ont fait taille vilaine a peu d'honneur (V. 1 - 1 1 ) . Er spricht von dem Aufsehen, das diese taille- Geschichte erregt habe, von der Bestrafung der Übeltäter und von ungerechtfertigten Vorwürfen gegen den bon ab0 (V. 58) - alles Anspielungen auf einen Vorfall, der offenbar als bekannt vorausgesetzt wird. Die Reflexionen des Autors in den letzten drei Strophen über die Gefahr, die der Seele drohe, wenn felenie/Orgueus et vilenie (V. 89 f.) sich im Innern angesiedelt hätten, sind möglicherweise als eine Art moraltheologischer Kommentar zur Bedrohung städtischer Gemeinschaften durch >innere< Feinde gedacht. Auch bei diesem Text lassen sich die Anspielungen nicht eindeutig fixieren. Ebenso unklar bleiben die Hinweise auf einen taille- Vorfall in dem Lied Nr. II, dessen Autor es sich zunächst ironisch verbietet, die Frekinois (V. 22), Cossetens oder Poucinois (V. 24) zur faus eskevinage (V. 18) zu zählen, und über die Brüder Jakemon und Simon Pouchin, Robert Maraduit, Henri Nazart oder Audefroi nur das Beste zu sagen wagt. Der Text endet mit Anspielungen auf die Tätigkeit des Schöffen Audefroi als tailleur, auf eine Art Kontrollfunktion des Abtes und seine Überlistung durch die Schöffen, die in ihrer pointierten Kürze nicht recht verständlich sind. Auch dieser Text zielt offenbar auf ein Publikum, das mit den Prozeduren und Hintergründen einer uns unbekannten taille- Geschichte vertraut gewesen sein muß. Detailliertere Informationen liefert hingegen die Rede Nr. XXIV, die ausschließlich der taille-Thematik gewidmet ist. Der Autor erinnert an das Spielverbot des französischen Königs, das nun wieder aufgehoben sei, bis auf eines: a dire voir (V. 30). Als Reaktion auf dieses ausdrückliche Verbot des französischen Königs, die Wahrheit zu sagen, hätten sich die reichen Bankiers und Kaufleute von Arras redlich bemüht, bei ihren Vermögenserklärungen zu >lügenvergißt< 20000 livres, Jakemon de Monchi klagt über bittere Armut, Willaume as Paus bietet zwei Stumme als Zeugen auf etc. In diesem Sinne wird der Einfallsreichtum von ca. 30 Damen und Herren der Arraser Oberschicht bei der Manipulation ihrer brevets charakterisiert. Danach wechselt der Autor den Ton: D'autre matiere vos dirai/Ne ja de rien n'en mentirai (V. 197 f.) Er spricht im folgenden als Betroffener und bezieht sein Publikum in die Klage ein: vor dem Abt hätten die Schöffen gestanden, wie sie sich über >uns< mokiert und dabei ihren Eid gebrochen haben. Der Abt habe sie anklagen können, sich jedoch nicht durchzusetzen vermocht. Es folgen die 88

Namen der 12 schuldigen Schöffen, die nach der Meinung des Autors durch ihre Willkürhandlungen bei der Steuererhebung Arras zugrunde gerichtet haben. Der Text schließt mit der resignierten Feststellung: Ore est Ii clapoire effondree/Dont Arras est en le cendree.67 Diese offenbar nach 1262 68 verfaßte ironisch-sarkastische, dem Schema der Lügendichtung verpflichtete Scheltrede gegen bestimmte Schöffen scheint die spärlichen und z.T. unverständlichen Anspielungen der anderen Texte zu erhellen und zumindest teilweise historisch zu konkretisieren. In diesem Sinne hat Henry Guy 69 in seinem Buch über Adam de la Halle durch eine Kontamination der literarischen Anspielungen versucht, die historischen Vorfälle zu rekonstruieren, auf die sich die vier Arraser Satiren beziehen. Er sieht in der hier angesprochenen Steueraffaire eine Art Eckstein für das Gebäude seiner Adam de la Halle-Biographie: der französische König Ludwig der Heilige habe im Jahre 1267/68 den nordfranzösischen Städten eine Sondersteuer auferlegt, die wie gewöhnlich auf alle >Bürger< umgelegt worden sei. Im Laufe der in Arras üblichen Prozedur, daß die eschevins die brevets, die schriftlichen Vermögenserklärungen, der >Bürger< entgegennehmen und überprüfen, hätten die einflußreichsten Arraser Bankiers und Kaufleute mit dem Einverständnis der mit ihnen zum Teil verwandten eschevins geradezu groteske Angaben über ihre Vermögenslage gemacht und auf diese Weise Riesensummen unterschlagen. Dieser Skandal habe in der Stadt erhebliches Aufsehen erregt, sei zunächst von dem Abt von St. Vaast untersucht, schließlich vor dem Gerichtshof des Königs verhandelt worden. Guy vermutet, daß die schuldigen Patrizier und Schöffen für eine bestimmte Zeit aus der Stadt verbannt worden seien. Mit ihnen habe auch Adam de la Halle die Stadt verlassen müssen, da er sich mit nicht überlieferten - Liedern und Reden zugunsten seiner Gönner in den Streit eingeschaltet habe. 70 Diese auf literarische Anspielungen aufbauende kühne Version der Arraser Steueraffäre hat zu Recht wenig Zustimmung gefunden. 71 Denn Guys Konzeption der Hintergründe und des angeblichen Ablaufs des Geschehens verdankt sich nicht historischen Informationen über die Arraser Steuerpolitik und die Rolle des Abts von St. Vaast als Kontrollinstanz, sondern einer Kombination

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Vv. 239f. Sehr ähnlich äußert sich Adam de la Halle in seinem Conges über Arras; er bietet hier das Bild einer uneinigen, krisengeschüttelten Stadt, die ihren einstigen Ruhm verspielt habe: Arras, Arras, Vile de plait/Et de haine et de detraitJQui solies estre si nobile,/On να disant c'on vous refait,/Mais se Diex le bien n'i retrait,/Je ne voi qui vous reconcile. (Vv. 13-18). Da der Autor genau angibt, welcher der schuldigen Schöffen bereits verstorben ist, läßt sich die Rede durch einen Vergleich mit den Todesdaten des Confrerie-Nekrologs etwa datieren; vgl. dazu Berger: Necrologe II, S. 114ff. H. Guy: Essai sur la vie et les oeuvres litteraires du trouvere Adan de le Haie (1898). Neudruck: Genfeve 1970. S. 8 7 - 1 5 0 . Ähnlich sieht P(aulin) P(aris) in der Histoire Litteraire de la France. Tome XX. Paris 1895. S. 661 die Hintergründe der taille- Affaire, vermutet allerdings, daß Adam de la Halle - vielleicht als Autor der vorliegenden Satiren - gegen die Schöffen Stellung genommen und deshalb Arras verlassen habe. Vgl. etwa die Argumentation von Guesnon: Satire I, S. 164f.

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literarischer Aussagen in den Satiren, dem Congis Adams de la Halle, seiner Motette A Dieu comant amouretes und dem Vers de la mort Roberts le Clerc. Aber auch der Historiker Jean Lestocquoy, 72 der in mehreren Arbeiten die Entwicklung der Arraser Stadtgesellschaft im Mittelalter darstellt, sieht in den Texten Reflexe einer in den 60er Jahren des 13. Jahrhunderts bereits spürbaren Unzufriedenheit der Stadtbevölkerung mit der Herrschaft der Schöffen, die einige Jahre später zu offiziellen Klagen, 1285 zu blutigen Unruhen geführt und erst mit der nach seiner Rekonstruktion im Jahre 1289 eingeleiteten Untersuchung des Grafen von Artois einen vorläufigen Abschluß gefunden habe. Auch er rechnet mit sozialen Unruhen um 1260, die durch manipulierte Steuererklärungen und der daran deutlich sichtbaren Cliquenwirtschaft der Arraser Schöffen ausgelöst worden seien und nur in den Arraser Satiren ihren Chronisten, allerdings aus der Perspektive der benachteiligten städtischen Mittelschicht, gefunden hätten. 73 Wenn diese Vermutung stimmt, dann wären die vier Arraser Texte sehr frühe Beispiele einer direkten thematischen Ausrichtung auf aktuelle städtische Konflikte und zugleich sehr ungewöhnliche Zeugnisse einer literarischen Parteiergreifung bei sozialen Auseinandersetzungen in den Städten. 74 Im deutschen Bereich lassen sich jedenfalls vergleichbare Beispiele einer literarischen Opposition im Rahmen städtischer Auseinandersetzungen erst im 15. Jahrhundert finden. Tatsächlich sind eine allgemeine Unzufriedenheit mit der taille- Politik der herrschenden Geschlechter und die Empörung über neue Steuerlasten Hauptgründe für Appelle städtischer Oppositionsgruppen an den Grafen von Artois, aber auch für spontan ausbrechende Unruhen in einer Reihe von Städten. Das gilt auch für Arras in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. 75 Da jedoch in den Arraser Quellen Hinweise auf eine aufsehenerregende taille- Affaire fehlen, bleiben sowohl

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Lestocquoy: Patriciens, S. 5 9 - 7 1 (Kap. VII: »La lutte du commun contre le patriciate); Ders.: Aux origines de la bourgeoisie: Les villes de Flandre et d'Italie sous le gouvernement des patriciens ( X P - X V e sifecles). Paris 1952. S. 80ff.; 136ff. Lestocquoy: Patriciens, S. 65: Erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts hätten die Klagen über die Mißwirtschaft der Arraser Oligarchie zu einer Erweiterung der Schöffenherrschaft durch Angehörige des »commun« geführt, wodurch sich jedoch der drohende >Bankrott< des städtischen Finanzhaushalts nicht habe aufhalten lassen. Auch für Henry Gruy: Historie d'Arras. Arras 1967 belegen die Arraser Satiren die korrupte Willkürherrschaft der Arraser Schöffen, die das Eingreifen der Gräfin Mathilde von Artois provoziert hätte (S. 7 9 - 8 1 ) . Gegen diese negative Beurteilung der Arraser Schöffenpolitik wendet sich allerdings Georges Besnier: Finances d'Arras ( 1 2 8 2 - 1 4 0 7 ) . In: Recueils de Finances Offerte ä M. Clovis Brunei. I. Paris 1955. (Memoires et documents X X X ) S. 1 3 8 - 1 4 6 . Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet Alter, S. lOlff., die Arraser Texte, die er unter die Rubrik »Satire de classe contre la haute bourgeoisie« (S. 1 0 1 - 1 0 4 ) einordnet und in die Nähe von Pamphleten gegen die Steuerpolitik der Oberschicht stellt, die in Metz die Auseinandersetzungen des Jahres 1324 begleitet hätten (S. 103). D a ß die taille tatsächlich ein Dauerthema der »politischem Diskussion gewesen ist, zeigt die Anklageschrift gegen einzelne Schöffen, in der eine Reihe der Artikel ausschließlich ihrer taille-Politik gewidmet sind (Lestocquoy: Patriciens, S. 1 3 1 - 1 3 7 ) ; zur taille als Anlaß für soziale Konflikte in nordfranzösischen Städten vgl. Lestocquoy: Origines, S. 1 3 6 - 1 4 5 .

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die Versuche einer Entschlüsselung der taille- Anspielungen als auch die Überlegungen zum historischen Kontext der Entstehung und Rezeption dieser Texte ungesichert. Denn es wird sich kaum entscheiden lassen, ob die Reden und Lieder über die taille tatsächlich auf einen konkreten Vorfall der Arraser Politik Bezug nehmen und damit möglicherweise über frühe Auseinandersetzungen um das Finanzgebaren der herrschenden Geschlechter informieren. Auch die Publikumsfrage ist völlig ungeklärt. Daß die Arraser Satiren die Unzufriedenheit einer in den historischen Quellen bislang noch schweigenden städtischen Opposition artikulieren, läßt sich leichter behaupten als evident machen, da wir über die gesellschaftlichen Erfahrungen und literarischen Interessen städtischer Mittelschichten im 13. Jahrhundert praktisch nicht unterrichtet sind, ihre antipatrizische Einstellung möglicherweise zu den Mythen der Literaturgeschichte gehört. Es wäre ebenso denkbar, daß die Texte, die auf literarisch ambitionierte Weise das taille-Thema umkreisen, für ein geistliches Publikum bestimmt waren, das permanent um seine Befreiung von der städtischen Steuer kämpfen mußte und deshalb an einer ironischsatirischen Darstellung der Steuerpolitik der Schöffen Gefallen finden mochte. 76 Aber auch punktuelle Auseinandersetzungen zwischen den führenden städtischen Geschlechtern könnten für die Entstehung der auf die taille- Thematik fixierten Scheit- und Klagegedichte verantwortlich gewesen sein, die dann der Gruppenbestätigung einer Art innerpatrizischer Opposition gegen bestimmte Schöffen gedient hätten. 77 Diese Überlegungen zur >politischen< Dimension der Arraser Texte, denen eine Vorstellung von politischer Dichtung zugrunde liegt, die eher an neuzeitlichen Formen der Publizistik als an mittelalterlichen Literaturtypen der Didaxe gewonnen zu sein scheint, sind allerdings wenig überzeugend, solange die gesellschaftliche Aussage< der Texte wegen fehlender Informationen über die Mentalität und ideologisch-politische Orientierung der einzelnen städtischen Gruppierungen relativ beliebig im Hinblick auf die verschiedensten oppositionellem Kreise konkretisiert wird. Um die Arraser Texte internen Spannungen zuzuordnen, müßten wir präziser über das Konfliktpotential der Arraser Stadtgesellschaft im 13. Jahrhundert informiert sein: über die Gruppenbildungen und erbitterten Auseinandersetzungen innerhalb der Oberschicht, wie sie in der Ende des 13. Jahrhunderts vorgelegten Anklage gegen einzelne Schöffen aufleuchten; 78 über die anhaltenden Dif76

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Zu diesem Ergebnis kommt Guesnon: Satire, II, S. 167; ähnlich Ungureanu, S. 228: sie rechnet mit einer Art Koalition zwischen der städtischen Mittelschicht und der Gruppe verheirateter Kleriker, die unter der Willkür der Schöffen und der hohen Geistlichkeit zu leiden gehabt hätten. In diesem Sinne argumentiert etwa Nancy F. Regalado: Poetic Patterns in Rutebeuf: A Study in Noncourtly Poetic Modes of the Thirteenth Century. New Haven, London 1970. (Yale Romanic Studies II. 21); sie verweist auf die gruppenbestätigende und -verbindende Funktion bei historisch-politischen Texten des 13. Jahrhunderts im Rahmen punktueller Auseinandersetzungen, wobei die Empörung der breiten Masse als rhetorisches Mittel eingesetzt worden sei. Vgl. in der Anklageschrift den Bericht von Auseinandersetzungen zwischen den patrizischen Schöffen und dem ichevin Robert Nazart, der fut de le parti del comun (Lestocquoy:

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ferenzen des Stadtrats mit der Geistlichkeit des Bischofsbezirks und der Abtei St. Vaast, die zu den zentralen gesellschaftlichen Problemen fast jeder Stadt gehören; 7 9 über die p r e k ä r e Rolle des G r a f e n von Artois bzw. seines juristischen Vertreters, des Burggrafen von Arras, und des königlichen bailli in der Stadt, 8 0 die ambivalenten Beziehungen städtischer Familien zum lokalen A d e l im U m k r e i s der Stadt und schließlich die bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts ausbrechenden Konflikte zwischen den herrschenden Geschlechtern u n d den Z ü n f t e n . 8 1 Alle diese A s p e k t e scheinen in den Arraser Texten ihren Niederschlag gefunden zu haben: der lokale Adel steht ζ. B. im Z e n t r u m des Windmühlengedichts Nr. XVI, das mit Auseinandersetzungen zwischen adeligen H e r r e n und Arraser >Bürgern< abschließt, bei denen die vilains, die bourgeois d'Arras (V. 170), jämmerlich verprügelt werden; die Belagerung der Adelsburg Neuville durch eine dörperlich auftretende Arraser T r u p p e ist das T h e m a der Chanson de geste-Parodie Nr. X X I I I ; die kirchlichen Heiratsbestimmungen sind der Ausgangspunkt der Spottrede Nr. X V I I I ; Auseinandersetzungen zwischen Patriziat und Geistlichkeit wegen der Besteuerung des Klerus werden im Vers de la mort erwähnt; 8 2 die Polemik gegen die Steuerpolitik einzelner Schöffenfamilien, die voloient abatre/Arras, et tout sucier l'argent (XIII, 16f.), bestimmen die taitte-Texte; und die Abhängigkeit der wirtschaftlichen u n d sozialen Stellung der Arraser Oberschicht von der Politik und Gunst des G r a f e n von Artois wird im Jeu de la Feuillie unmißverständlich vorgeführt. Diese Technik der punktuellen, komisch-satirischen Aktualisierung der verschiedensten T h e m e n und Probleme der Stadtgesellschaft sperrt sich allerdings entschieden gegen die Bemühungen, das Publikum der einzelnen Texte im Z u sammenhang mit der ideologisch-politischen Fixierung der Autorintention zu ermitteln. D e n n man m ü ß t e dann die verschiedensten Gruppierungen ansetzen, für die jeweils ein Teil der Arraser Texte bestimmt gewesen war: die R e d e n , deren Komik oder Pointe - wie in Nr. X V I und X X X I I - auf einer aristokratisch-ständischen Perspektive zu beruhen scheint, wären demnach auf den Standesstolz eines

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Patriciens, S. 137); zur Rolle >patrizischer Agitatoren gegen die Politik der herrschenden Geschlechter vgl. Lestocquoy: Origines, S. 154ff. Zu diesem Problem vgl. Dieter Demandt: Stadtherrschaft und Stadtfreiheit im Spannungsfeld von Geistlichkeit und Bürgerschaft in Mainz (11.-15. Jahrhundert). Wiesbaden 1977. (Geschichtliche Landeskunde 15), der S. 1, Anm. 3 die wichtigsten Arbeiten aufführt. Vgl. dazu die Hinweise bei Pierre Feuchere: De l'epee ä la plume: Les chätelains d'Arras. Arras 1948. (Memoires de la Commission Departementale des Monuments Historiques du Pas-de-Calais I. 6) Zu den >antipatrizischen< Entscheidungen des Grafen von Artois im Rahmen der Untersuchungen über die Auseinandersetzungen um 1285 vgl. Lestocquoy: Origines, S. 139. Bereits für 1242 zeichnet sich in den Quellen eine Auseinandersetzung zwischen den Schöffen und den Webern ab, deren Hintergründe allerdings dunkel bleiben; vgl. dazu C. Wyffels: Le contröle des finances urbaines au XIIIe siecle: un abrege de deux comptes de la ville d'Arras (1241-1244). Gent 1964. (Studia Historica Gandensia 25) S. 231. Vers de la mort, Str. 149.

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adeligen Publikums ausgerichtet gewesen; die Namenreihen in den eher harmloskomischen carite-Gedichten (Nr. XV, XVII) verwiesen auf eine patrizische Zuhörerschaft und die grimmige Polemik der taille- Tfcxte schließlich auf die Erbitterung einer städtischen Opposition. Völlig unberücksichtigt bleiben bei diesem voluntaristischen Verfahren der Publikumsbestimmung die auffälligen Gemeinsamkeiten in der literarischen Machart der Arraser Texte, die eine gewisse Kontinuität der literarischen Kommunikation verbürgt. Der dezidiert literarische Charakter aller Texte, die an gängige literarische Muster anknüpfen und beliebte Vorgangsmodelle der minnekasuistischen und didaktischen Literatur aufgreifen, 83 verweist durchgehend auf ein literarisch anspruchsvolles Publikum, das an didaktisch-moralischen Reden, an spielerisch-ironischen Formen der Huldigung in Spottgedichten, aber auch an sarkastischen Scheltliedern und Reden über die taille- Politik der Arraser Schöffen Interesse zeigte. Und es besteht kein Grund, die auch sonst am Arraser Dichtungsbetrieb beteiligten literaturkundigen Kreise, die weltliche und geistliche Oberschicht der Stadt und den lokalen Adel, aus den Publikumsüberlegungen auszuschließen. Der Anlaß für die Entstehung der Arraser Texte und ihr spezifischer Publikumsbezug werden sich allerdings erst dann präziser bestimmen lassen, wenn ein Teil der bislang dunklen Anspielungen in den Texten entziffert und die gesellschaftlichen Hintergründe der taille- Thematik genauer erhellt worden sind. Angesichts dieses Grads an Unsicherheit über den historischen Kontext und die mögliche gesellschaftliche Funktion einzelner Texte sind die Arraser Satiren ebenso unverläßliche Zeugen für sonst nicht dokumentierte städtische Konflikte wie problematische literarische Beispiele für ein literarisch-publizistisches Eingreifen in aktuelle städtische Auseinandersetzungen. In diesem Sinne wird die Frage nach ihrem spezifisch städtischen Charakter negativ zu beantworten sein. Hingegen zeigt die Offenheit dieser Arraser Texte für die verschiedensten Aspekte des städtischen Lebens, wie sehr in Arraser Literaturkreisen bereits im 13. Jahrhundert die Stadt als der gemeinsame Erfahrungsraum die literarische Thematik bestimmt hat. Arras gilt zu Recht als eines der schlagendsten Beispiele für die führende Stellung flandrisch-französischer Städte als Handelsmetropolen und literarischer Zentren im 13. Jahrhundert. Die Charakterisierung der Arraser Literaturszene als eine Art Paradigma städtischer Literaturproduktion ist allerdings nicht unproblematisch, wenn man damit die Vorstellung eines Paradigmenwechsels im literarischen System, eine Umorientierung auf der thematisch-ideologischen Ebene der Texte und einen Funktionswandel in den Formen des literarischen >Konsums< verbindet. Denn die Arraser Literatur dokumentiert die Entstehung spezifisch städtischer Literaturtypen und eine allmähliche Herausbildung neuer Organisationsformen des Literaturbetriebs weniger deutlich, als bei der Vielzahl von Autoren und Texten,

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Etwa die Burgbelagerung (XXIII), das cariti- (XV, XVII) bzw. Windmühlenmuster (XVI, XXII) oder das >verkehrte Sprechern der Texte Nr. II und XXIV. 93

dem literarischen Bild eines vertrauten Umgangs von Dichtern und Publikum und dem Hinweis auf besondere literarische Institutionen eigentlich zu erwarten war. Darüber hinaus vertritt Arras im 13. Jahrhundert nicht den Normalfall eines städtischen Literaturzentrums, an dem sich exemplarisch mögliche Veränderungen des literarischen Betriebs verfolgen ließen, sondern bietet als flandrisch-französischer Fürstensitz und Handelsmittelpunkt das Beispiel einer besonders avancierten Metropole der flandrisch-französischen Städtelandschaft, deren ökonomischer, politischer und eben auch kultureller Anspruch und Aufschwung sich nicht ohne weiteres generalisieren lassen. Dennoch erlaubt das literarische Arras zumindest Einblicke in die Mechanismen eines weitgefächerten Literaturbetriebs, die einer Diskussion um die Entstehung einer spezifischen Stadtliteratur zugute kommen können. Bestimmte Literaturformen sind in Arras auffallend reich, z.T. sogar ausschließlich vertreten: etwa die Jeux-partis, die von Jean Bodel initiierten Conges oder die verschiedenen Typen spezifisch aktualisierender moralisch-historischer Reden und Lieder. Auch für die Entstehung weltlicher Spiele waren offenbar in Arras im 13. Jahrhundert die Voraussetzungen besonders günstig. Damit zeichnen sich zwar möglicherweise bestimmte Prioritäten einer städtischen Literaturszene ab, die mit einer relativ breiten Publikumsbasis verbunden und von verschiedenen Literaturkreisen bestimmt gewesen sein mag. Merkmale einer spezifisch städtischen Organisation des Literaturbetriebs lassen sich jedoch aus diesem Befund nicht ableiten, wie schon die Praxis minnekasuistischer Diskussionen im Umkreis des champagnischen Hofes, der Vortrag moralisch-didaktischer und zeitgeschichtlicher Reden etwa Baudouins und Jeans de Conde am hennegauischen Fürstenhof, die Entstehung des Spiels Robin et Marion im Auftrag des Grafen von Artois sowie die Aufführung von Spielen im Rahmen höfischer Festlichkeiten im 15. Jahrhundert zeigen. Es gibt weder sichere Hinweise darauf, daß bestimmte Arraser Texte für den Vortrag im Rahmen städtischer Organisationen bestimmt waren, noch begründete Anhaltspunkte dafür, daß Arraser Zünfte oder Bruderschaften im 13. Jahrhundert für die Aufführung von Spielen verantwortlich gewesen sind. Die berühmte Confrerie Notre-Dame des Ardents ist keine städtische Jongleurszunft; sie bewirkt deshalb weder eine Veränderung im sozialen Status der Autoren noch eine organisatorische Umorientierung der literarischen Produktion. Die Arraser Autoren sind wie die Dichter der Fürstenhöfe auf Mäzene angewiesen, die sie in der geistlichen und weltlichen Oberschicht der Stadt, dem lokalen Adel und dem Grafen von Artois finden. Dieses Publikum hat offenbar sehr weitgefächerte literarische Interessen: seine Vorliebe für höfische Dichtung dokumentiert sich in zahlreichen Minnekanzonen, Rondeaux, Motetten und vor allem Jeux-partis, in deren minnekasuistische Diskussionen die Arraser Mäzene einbezogen sind; sein Einverständnis mit raffinierten Formen der Panegyrik wird an dem Erfolg deutlich, den Jean Bodels Conges gehabt hat; sein Interesse für moralisch-didaktische Themen zeigt sich an der Vielzahl weltlich-didaktischer Reden und Roberts le Clerc Vers de la mort; und sein Gefallen an der komischen Präsentation Arraser Persönlichkeiten oder der satirisch-ironischen Polemik gegen spezifische Aspekte des Arraser 94

Lebens spiegelt sich in Spott- und Scheltliedern, zeitgeschichtlich-aktualisierenden Reden und dem Jeu de la Feuillee. Für die enormen Unterschiede zwischen den verschiedenen literarischen Typen hinsichtlich des Realitätsbezugs, der Einstellung ihrer Autoren zu den genannten Arraser Persönlichkeiten und der ästhetischen Funktion der einzelnen Texte wird in der Regel die Existenz verschiedener Literaturkreise verantwortlich gemacht, die sich aufgrund der gesellschaftlichen Stellung, der literarischen Interessen und >politischen< Einstellung ihrer Mitglieder grundlegend unterschieden hätten: die höfische Dichtung sei eher zur aristokratischen Gruppenbestätigung der Patrizier, die >realistischbürgerliche< Texte. Die Zuhörer seiner höfischen Lieder und Jeux-partis, seiner Dits d'amour, des Conges oder Singspiels Robin et Marion werden im Prinzip derselben sozialen Gruppierung angehört haben wie das Publikum des komisch-satirischen Jeu de la Feuillee. Wie wenig selbst augenfällige Unterschiede in der Thematik und dem literarischen Charakter über die mögliche soziale Situierung der Texte aussagen, zeigen Adams beide Spiele, das Laubenspiel und die dramatisierte Pastourelle Robin et Marion, die von der Forschung hinsichtlich ihrer Entstehung und Aufführung zwei getrennten Bereichen zugeordnet werden: einem städtischen Publikum in Arras und der Hofgesellschaft Roberts von Artois in Sizilien. Aber auch das angeblich dezidiert auf die literarischen Interessen eines aristokratischen Hofpublikums ausgerichtete Schäferspiel sollte — wenn man den Angaben des Jeu du Pelerin glauben darf - in Arras aufgeführt werden. Allerdings bieten sich in der Stadt mit ihrer Vielzahl von potentiellen Gönnern, ihrer aristokratischen Oberschicht, dem fürstlichen Herrschaftssitz und den geistlichen Institutionen tatsächlich günstige Bedingungen für die Konstituierung verschiedener Literaturkreise, deren literarische Interessen möglicherweise nicht immer übereinstimmen. In Arras, dem Bischofssitz und geistlichen Zentrum, der Residenzstadt und Wirtschaftsmetropole, überlagern sich etwa drei Bereiche: der Umkreis der bischöflichen civitas und der bedeutenden Abtei St. Vaast mit ihrem administrativen Stab an Klerikern, von denen einige als höfische Dichter hervortreten; der Hof des Grafen von Artois, der normalerweise durch den Burggrafen von Arras vertreten wird, sich aber auch häufig selbst in Arras aufhält und z.B. zum bedeutendsten Gönner Adams de la Halle wird; und schließlich die Gruppe reicher Bankiers und Kaufleute, die als Schöffen die Stadt beherrschen und die Arraser Dichtung - in panegyrischer wie polemisch-satirischer Hinsicht - bestimmen. In der literarischen Praxis zeichnen sich engere Filiationen zwischen diesen Bereichen ab: bischöfliche Kleriker und Verwaltungsbeamte der Abtei sind die Diskussionspartner von Berufsdichtern in Jeux-partis und rufen Angehörige der weltlichen Oberschicht von Arras zur Entscheidung dieser minnekasuistischen Probleme auf; in den Conges huldigen die Autoren nicht nur führenden Arraser Ge95

schlechtem, dem Bürgermeister, dem Stadtrat und der Arraser Confrerie des Ardents, sondern auch dem Burggrafen von Arras und lokalen Adeligen. Und Adam de la Halle diskutiert mit Jehan Bretel, einem Beamten von St. Vaast, über minnekasuistische Fragen, betrachtet die Patrizier Robert und Baude Nazart als seine Mäzene und hält sich offenbar am Ende seiner >Laufbahn< in der Umgebung des Grafen von Artois auf. Diese personellen Verbindungen zeigen sehr deutlich, daß für Arras im 13. Jahrhundert nicht nur die Vorstellung einer strikten Trennung von Fürstenhof und Stadt als dem sozialen Ort der literarischen Produktion und Rezeption nicht der Wirklichkeit entspricht, sondern auch die Unterscheidung verschiedener städtischer Kreise mit in thematisch-ideologischer Hinsicht stark differierenden Literaturbedürfnissen von der literarischen Praxis nicht bestätigt wird. Arras bietet im 13. Jahrhundert als fürstlicher Verwaltungsmittelpunkt, Sitz bedeutender geistlicher Institutionen und führende Wirtschafts- und Finanzmacht die besten Voraussetzungen für die Entstehung eines literarischen Zentrums, das von vielfältigen Beziehungen zwischen Berufsdichtern, ansässigen geistlichen Herren als Autoren, einflußreichen städtischen Geschlechtern, lokalen Adeligen und dem Grafen von Artois als Gönnern und Publikum bestimmt ist. Darin deutet sich allerdings bereits eine Intimisierung und Regionalisierung des literarischen Lebens an, die zwar nicht auf die Stadt beschränkt bleibt — verwiesen sei nur auf vergleichbare Literaturkreise adeliger Herren um Ulrich von Lichtenstein oder die literarischen Interessen des mittelrheinischen Adels zu Beginn des 14. Jahrhunderts - , 8 4 die sich aber in den Städten mit ihrer Vielzahl potentieller Gönner möglicherweise am besten entwickeln konnte. Beide Aspekte sind nicht als ausgeprägte Gegenpositionen zum repräsentativen Literaturbedürfnis des Fürstenhofs faßbar. Sie lassen sich bestenfalls an Details des Literaturbetriebes und leichten Verlagerungen der literarischen Interessen des Arraser Publikums ablesen: etwa der Dominanz kleindimensionierter Literaturtypen, die sich nicht nur im sogenannten höfischen Bereich - es fehlt etwa die Großform des höfischen Romans - , sondern auch bei der didaktischen Dichtung, den Conges und moralisch-satirischen Reden und Liedern durchhält; oder der literarischen Praxis der geradezu revuemäßigen Namensnennungen, die den gruppenbestätigenden Charakter der Arraser Texte unterstreicht, und schließlich der thematischen Fixierung zahlreicher Texte auf Arras und seine Probleme des gesellschaftlichen Lebens.

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Zu dem historischen Umkreis der mittelrheinischen Minnereden vgl. Ingeborg Glier: Artes amandi. Untersuchung zu Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden. München 1971. (MTU 34) S. 5 7 - 8 1 .

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2. Der städtische Autor und sein Publikum im 13. Jahrhundert: Zürich, Basel, Straßburg

Angesichts der im Vergleich zur französischen Dichtung generell zu beobachtenden Zurückhaltung der deutschen Literatur des Mittelalters gegenüber Geselligkeitsformen, spielerisch-zeremoniellen Gesellschaftsritualen und bestimmten Themen des konkreten sozialen Zusammenlebens ist zu erwarten, daß sich die am Beispiel Arras gewonnenen Kennzeichen einer in der Stadt und für ein städtisches Publikum verfaßten Literatur nicht ohne weiteres auf den deutschen Bereich übertragen lassen. Tatsächlich unterscheiden sich die südwestdeutschen Städte Zürich, Konstanz, Straßburg und Basel als literarische Zentren erheblich von der flandrisch-französischen Metropole Arras. Ihr Literaturbetrieb läßt sich in seinem Ausmaß, seinen Organisationsformen und seiner soziokulturellen Funktionsbestimmung im Leben der Stadt mit dem von Arras nur bedingt vergleichen. Während hier die Kooperation von geistlichen Herren, Patriziern und Berufsdichtern ein vielfältiges Uterarisches Leben garantiert, das in den zahlreichen Jeux-partis die spielerische Realität literarischer Zirkel und Wettkampfsituationen aufscheinen läßt, in den Conges mit ihren gruppenbestätigenden Namensnennungen und den weltlichen Spielen mit ihren Arraser Wirtshausszenen sogar literarische Sonderformen aufweist und in den sogenannten Arraser Satiren Probleme des städtischen Zusammenlebens anspricht, ist die literarische Produktion der südwestdeutschen Städte eher spärlich und wesentlich spezialisierter. Basel verdankt die Bezeichnung städtisches Literaturzentrum< vornehmlich den Angaben Konrads von Würzburg über seine Auftraggeber und Gönner, die - abgesehen von dem Straßburger Dompropst Berthold von Tiersberg und dem Liehtenberger1 - ausschließlich aus Basel stammen. Da auch der Epiker Konrad Fleck und die Lyriker Walther von Klingen, Goeli, Pfeffel und Boppe für Basel beansprucht worden sind, wird diese Stadt in lokalgeschichtlichen und literarhistorischen Arbeiten als vielseitiges Kulturzentrum des 13. Jahrhunderts bezeichnet. 2 1

Bischof Konrad III. von Lichtenberg, dem Konrad von Würzburg einen Lobspruch widmet; vgl. Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg. Hg. von Edward Schröder. Mit einem Nachwort von Ludwig Wolff. III. Die Klage der Kunst, Leiche, Lieder und Sprüche (1926). 3. unveränderte Auflage. Dublin, Zürich 1967. V. 32,373. 2 Zu den vermuteten literarischen Beziehungen Basels vgl. Wilhelm Wackernagel: Ritterund Dichterleben Basels im Mittelalter (1858). Wieder in: Wackernagel, Kleinere Schriften. Bd. 1. Abhandlungen zur deutschen Alterthumskunde und Kunstgeschichte. Leipzig 1872. S. 258-301; Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Erster Band (1907). Nachdruck: Basel 1968. S. 86f; Werner Fechter: Das Publikum der mittelhochdeutschen Dichtung (1935). (Deutsche Forschungen 28) Nachdruck: Darmstadt 1972. S. 19. Zum literarischen Patronat deutscher Städte im allgemeinen und Basels im besonderen vgl. neuerdings die kurze Darstellung bei William C. Mc Donald under the Collaboration of Ulrich Goebel: German Medieval Literary Patronage from Charlemagne to Maximilian I. A Critical Commentary with Special Emphasis on Imperial Promotion of Literature. Amsterdam 1973. (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 10) S. 136-146; neuerdings Bumke: Mäzene, S. 283-293, hier besonders S. 287ff.

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Der Ruhm von Straßburg, Konstanz und Zürich geht in erster Linie auf die drei großen Liederhandschriften Α, Β und C zurück, von denen angenommen wird, daß sie in Straßburger, Konstanzer und Zürcher Skriptorien entstanden sind. Die Annahme, daß in Konstanz im 13. Jahrhundert ein reger Literaturbetrieb geherrscht habe, stützt sich vornehmlich auf Heinrich von Klingenberg, seit 1295 Bischof von Konstanz, der als möglicher Auftraggeber der Handschrift Β gilt. Zürich, das Ende des 13. Jahrhunderts als Zentrum des Minnesangs bezeugt ist, hat vor allem wegen Hadlaubs Hinweis auf die Liedersammlung der Manesse das Interesse der Minnesangforschung gefunden. 3 Ausgehend von Hadlaubs Liedern skizziert ζ. B. Herta Renk die historischen Umrisse eines Zürcher Kreises, eines Zirkels gebildeter geistlicher und weltlicher Damen, Herren und verschiedener Minnesänger, deren literarische Interessen und Sammelaktivitäten sich möglicherweise auch in der wahrscheinlich in Zürich entstandenen Liederhandschrift C manifestierten. Eine besondere, die übrigen Städte weit überragende Rolle für die Produktion, Rezeption und Distribution der höfischen Literatur wird freilich Straßburg zugesprochen. Seine Bedeutung als Literaturzentrum setze mit Gottfrieds Tristan ein, sei an der Huldigung Rudolfs von Ems für den Stadtschreiber Meister Hesse, an Konrads von Würzburg Lob des Liehtenbergers sowie des Dompropstes Berthold von Tiersberg, seiner für Bischof Konrad gedichteten Goldenen Schmiede und am Steinmar-Portrait im Münster abzulesen, zeige sich am Aufenthalt Waithers von Klingen, den Beziehungen Boppes zum Bischof Konrad und der Entstehung der Liederhandschrift Α in Straßburg und dokumentiere sich schließlich noch im 14. Jahrhundert im Rappoltsteiner Parzifal der Straßburger Goldschmiede Claus Wisse und Philipp Colin.4 Daß sich diese Literaturkreise in Basel, Konstanz, Zürich und Straßburg nicht unabhängig voneinander konstituiert zu haben scheinen, wird an Kontakten zwischen diesen Städten deutlich, die neben den im 13. Jahrhundert gut bezeugten politischen Beziehungen für enge kulturelle Verbindungen sprechen: Dazu gehören etwa Konrads von Würzburg Auftraggeber in Basel und Straßburg, Waithers von Klingen Wohnsitz in Basel und Straßburg, Heinrichs von Klingenberg Bindungen an Zürich und Konstanz und schließlich die Zusammen3

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Einen ersten zusammenfassenden Überblick über die literarische Bedeutung Zürichs im Mittelalter gibt Max Wehrli: Vom literarischen Zürich im Mittelalter. In: Librarium 4, 1961. S. 99-115. Uber die neueren Überlegungen zur Herkunft der großen Liederhandschriften informiert Herta-Elisabeth Renk: Der Manessekreis, seine Dichter und die Manessische Handschrift. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1974. (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur 33) S. 107ff; zu Α und C vgl. neuerdings Gisela Kornrumpf in: Verf. Lex. 2III, 1981. Sp. 577-597; sehr interessante, weil mit den literarhistorischen Ergebnissen übereinstimmende Angaben zum Mäzenatentum führender Zürcher Geschlechter des 13. und 14. Jahrhunderts für bildende Künstler bietet neuerdings Liselotte Stamm: Der >heraldische Stile Ein Idiom der Kunst am Ober- und Hochrhein im 14. Jahrhundert. In: Revue d'Alsace 107, 1981. S. 3 7 - 5 4 . Einen kurzen Überblick über die literarischen Beziehungen Straßburgs bieten Fechter, S. 18f.; Ewald Jammers: Das Königliche Liederbuch des deutschen Minnesangs. Eine Einführung in die sogenannte Manessische Handschrift. Heidelberg 1965. S. 179; Bumke: Mäzene, S. 283-285.

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gehörigkeit der Liederhandschriften Α, Β und C, die auf einen Austausch von Liedersammlungen und vermuteten >Wanderwegen< einzelner Handschriften bzw. Vorlagen zwischen den Städten Straßburg, Konstanz und Zürich zurückgeführt werden. Wie sehr jedoch diese Vorstellungen von einem regen literarischen Betrieb und kulturellen Austausch in bzw. zwischen den Städten Basel, Straßburg, Konstanz und Zürich auf einer Kombination von punktuellen Informationen über den Wohnsitz von Autoren, Auftraggebern und Literaturrezipienten mit mehr oder weniger abgesicherten Vermutungen über den Tätigkeitsbereich einzelner Autoren oder die Provenienz literarischer Werke und Handschriften beruhen, zeigt das Beispiel von Basel und Straßburg. Denn eine Überprüfung der einzelnen Angaben zum Basler und Straßburger Literaturbetrieb ergibt ein wesentlich zurückhaltenderes Bild von der Literaturszene beider Städte. Konrad Flecks Zugehörigkeit zur Basier Familie Flecka, die durch die Brüder Dietrich und Hugo Fleck in Basler Urkunden vertreten ist, ist völlig ungesichert, da der Autor ausdrücklich auf jeden biographischen Hinweis verzichtet.5 Die in der Handschrift C unter dem Namen her Goeli verzeichneten vier Lieder werden seit Karl Bartsch6 ohne weiteres dem in Basler Urkunden von 1254 bis 1276 nachgewiesenen miles Diethelm dictus Goli zugesprochen, obwohl es keineswegs sicher ist, daß der Name Goeli, der zudem in dem Inhaltsverzeichnis der Handschrift als Goeni erscheint, eine Familienzugehörigkeit des Autors bezeichnet. Ausschlaggebend war offenbar der Wunsch, in dem Autor einen miles zu sehen. Als Argument für die Basier Heimat des Dichters verweisen Hans Herzog und Karl Bartsch auf die Erwähnung der Kolmerhüete (V. 1,32) und des Rine (V. 1,9) sowie des Weibels Küenzelin (V. 3,23), den sie als Anspielung auf einen in Basier Urkunden bezeugten praeco Conradus dictus Rifo werten. Weder der Hinweis auf den Rhein und die Kolmarer Hüte noch das Auftreten eines Küenzelin der weibel (V. 3,23) in einem Lied der Neidhart-Nachfolge, in dem im Stile Neidharts eine Reihe von Namen genannt werden, erlauben jedoch eine Lokalisierung des Autors nach Basel. Im Falle des Spruchdichters Pfeffel, von dem die Handschrift C drei Sprüche, einen auf den österreichischen Herzog Friedrich II., überliefert, entbehrt die Argumentation für einen Basler jeder Wahrscheinlichkeit. Denn Pfeffel ist mit dem in Basler Urkunden bezeugten Henricus Pheffili miles nur deshalb identifiziert worden, weil man davon ausgegangen ist, daß wegen des Herrentitels der Handschrift C das Schweizer Adelsgeschlecht ge-

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Konrad Flecks Basler Herkunft vermutet Edward Schröder in der Rezension von Johannes Ninck: Flore und Blanscheflur. Altdeutscher Versroman von Konrad Fleck. Frauenfeld und Leipzig 1924. In: Anz. 44, 1925. S. 73f.; vgl. jedoch Flecks Verzicht auf Namensnennung und biographische Angaben: Flore und Blanscheflur, Vv. 7998-8006; zum Auftreten des Namens Fleck in Basler Urkunden vgl. Adolf Socin: Mittelhochdeutsches Namenbuch. Nach oberrheinischen Quellen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts (1903) Nachdruck: Hildesheim 1966. S. 304; 574. Bartsch SM, S. LXXXVIIff.; er bezieht sich dabei auf Hans Herzog: Urkundliches zu mittelhochdeutschen Dichtern. In: Germania 29, 1884. S. 3 1 - 3 6 , hier S. 34f.; Ders.: Herr Goeli (Zu Germ. 29,34). In: Ebda. 31, 1886. S. 326f.

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genüber anderen Pfeffel den Vorzug verdiene. 7 Schließlich ist auch Wilhelm Wackernagels Versuch, den Spruchdichter Boppe mit dem Basier Boppe der Annales Basiiienses zu identifizieren, zu Recht zurückgewiesen worden.® Auf diese Weise reduziert sich die Basler Literaturszene des 13. Jahrhunderts im volkssprachigen Bereich auf die Autoren Konrad von Würzburg und Waither von Klingen, die als Stadtbewohner von Basel bezeugt sind. Auch im Falle von Straßburg werden historische Fakten durch zahlreiche ungesicherte und problematische Überlegungen ergänzt. So ist die These von der Entstehung des Tristan in Straßburg, die sich auf Gottfrieds Herkunftsbezeichnung >von StraßburgUnserer Lieben Frau< ist ohne textliche Evidenz. 10 Noch skepischer sind Steinmars Beziehungen zu Straßburg zu beurteilen. Sie gehen auf eine Steinskulptur des Straßburger Münsters zurück, deren Inschrift Steimar Franz Schultz 11 auf den Minnesänger Steinmar bezogen hat und auf die Beliebtheit dieses Autors, der angeblich mit Walther von Klingen nach Straßburg übergesiedelt sei. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Minnesänger Steinmar mit einem der in Walthers von Klingen Umgebung auftretenden Steinmare identisch ist, lassen sich keine Beziehungen dieser Steinmare zu Straßburg nachweisen, da sie nach Walthers Übersiedlung nach Straßburg 7 8

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Vgl. die Argumentation bei Bartsch SM, S. XLIXf. Wilhelm Wackernagel: Der starke Boppe. In: ZfdA 8, 1851. S. 347f. Er bezieht die meistersingerliche Überlieferung vom >starken Boppe< auf die Notiz in den Annales Basiiienses (MGH SS 17): in Basilea fuit quidam Boppo nomine, vir mediocris stature, qui dicebaturXvelXX vel etiam multorum amplius vires hominum habuisse (S. 194,4f.); vgl. jedoch die Kritik an dieser Identifizierung von Georg Tolle: Der Spruchdichter Boppe, sein Leben und seine Werke. Diss. Göttingen 1887. S. 9ff. Zur Person des Straßburger Stadtschreibers Hesse vgl. unten S. 250ff. E. Schröder: Studien zu Konrad von Würzburg IV. In: GGN Phil.-hist. Klasse 1917. Heft 1. S. 9 6 - 1 1 6 , hier S. 1 1 4 - 1 1 6 ; vgl. auch das Nachwort von Edward Schröder: Die Goldene Schmiede des Konrad von Würzburg. Hg. von E.S. (1926). 2., unveränderte Auflage. Darmstadt 1969. S. 83f.; zur Kritik an dieser These neuerdings Peter Ganz: »Nur eine schöne Kunstfigur«. Zur »Goldenen Schmiede« Konrads von Würzburg. In: GRM NF 29, 1979. S. 2 7 - 4 5 , hier S. 38f. F. Schultz: Steinmar im Straßburger Münster. Ein Beitrag zur Geschichte des Naturalismus im 13. Jahrhundert. Mit einer Tafel in Lichtdruck. Berlin und Leipzig 1922. (Schriften der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft in Heidelberg NF 6); zum Problem der Identifizierung des Autors Steinmar vgl. unten S. 109f.

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offenbar im Aargau geblieben sind. In der Inschrift des fraglichen Reliefbildes wird zudem von Edward Schröder 12 wohl zu Recht ein Kennzeichen des Steinmetzen gesehen. Auch die Straßburger Provenienz der Liederhandschrift Α ist nicht gesichert. 13 Die in Handbüchern übliche Entscheidung zugunsten der Stadt Straßburg, in der zumindest die Vorlage entstanden sei, orientiert sich einerseits an bezeichnenden Verschreibungen in der Handschrift, die eine Vertrautheit des Sammlers mit der Straßburger Umgebung erkennen ließen, 14 andererseits an der Vorstellung eines regen Straßburger Literaturbetriebs als des geeigneten Hintergrunds für die Entstehung einer solchen Liedersammlung.15 Wie sehr diese Lokalisierungsversuche von problematischen Prämissen getragen sind, zeigen die Überlegungen von Ewald Jammers und Walter Blank zum Auftraggeber der Handschrift: sie verweisen auf die in der Zusammenstellung namengleicher Autoren bzw. in der Anfangstellung umfangreicherer Oeuvres hervortretende »rationale Ordnung« im Aufbau der Handschrift, die einem adeligen Denken widerspreche und eher den Bedürfnissen von Städtern bzw. Stadtadeligen im aufstrebenden Straßburg entgegenkomme. Diese Begründung der Straßburger Herkunft von A, der die Unterscheidung von adeliger Willkür und bürgerlichen Rationalität zugrunde hegt, setzt zugleich Informationen über städtische Literaturkreise und die literarischen Interessen von Stadtbewohnern voraus, die sich nicht nachweisen lassen. Möglicherweise war Straßburg tatsächlich im 13. Jahrhundert ein überragendes kulturelles Zentrum, das mit Basel, Zürich und Konstanz in engem kulturellem, besonders literarischem Kontakt stand, der sich — sehr vermittelt — auch in der Entstehung der drei großen Liederhandschriften niedergeschlagen hat. Diese Vorstellung beruht allerdings auf einer vergleichsweise schmalen Basis historischer bzw. literarischer Fakten. Denn als Material für die Beurteilung der Straßburger

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E . Schröder: Steinmar im Straßburger Münster. In: Anz. 42, 1923. S. 81f.; ihm schließt sich an Diether Krywalski: Untersuchung zu Leben und literaturgeschichtlicher Stellung des Minnesängers Steinmar. Diss. München 1966. S. 13; anders Hella Frühmorgen-Voss: Bildtypen in der Manessischen Liederhandschrift ( 1 9 6 9 ) . Wieder in: Frühmorgen-Voss, Text und Illustration im Mittelalter. Aufsätze zu den Wechselbeziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst. Hg. und eingeleitet von Norbert H. Ott. München 1975. (MTU 5 0 ) S. 5 4 - 8 8 , die das Zwickelrelief des Straßburger Münsters als >Januarbild< deutet, das Steinmars »zech- und schlemmerseliges Herbstlied« (S. 8 1 ) zitiere. Die sprachliche Untersuchung der Handschrift führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Margarete Regendanz: Die Sprache der kleinen Heidelberger Liederhandschrift A (Ν. 357). Diss. Marburg 1912 stellt z . B . die orthographischen und grammatikalischen Gemeinsamkeiten mit Straßburger Urkunden heraus (S. 104ff.); Leo Weisz: Verfassung und Stände des alten Zürich. Zürich 1938 konstatiert hingegen typisch zürcherische Abkürzungen (S. 132). Vgl. etwa neuerdings Gisela Kornrumpf: Heidelberger Liederhandschrift A, die aus sprachlichen Gründen eine Entstehung des Grundstocks im Elsaß erwägt »und dann am ehesten in Straßburg« (Sp. 578). Vgl. etwa Jammers, S. 146; Walter Blank: Die Kleine Heidelberger Liederhandschrift Cod. Pal. germ. 3 5 7 der Universitätsbibliothek Heidelberg. Einführung von W. B. Wiesbaden 1972. (Facsimilia Heidelbergensia. Ausgewählte Handschriften der Universitätsbibliothek Heidelberg 2 ) S. 36.

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Literaturszene im 13. Jahrhundert bleiben lediglich Rudolfs von Ems lobende Erwähnung des Straßburger schribaere Meister Hesse, Konrads von Würzburg Verbindungen zu Berthold von Tiersberg, sein Lobspruch auf den Lichtenberger, Boppes Würdigung des Straßburger Bischofs Konrad von Lichtenberg und die Umsiedlung Walthers von Klingen nach Straßburg. Aber selbst diese Fakten, in denen die germanistische Forschung beredte Zeugen für die literarhistorische Bedeutung Straßburgs sieht, sind erklärungsbedürftig, da sie sehr verschiedenartige Straßburger Kontakte einzelner Autoren bezeichnen, teilweise nur bedingt literarische Interessen von Straßburger Bewohnern dokumentieren und deshalb von unterschiedlicher Relevanz für die Untersuchung der Literaturszene Straßburgs im 13. Jahrhundert sind. Das gleiche gilt für Zürich und Basel. Zwar sind Hadlaubs Beziehungen zu dem von Herta Renk konturierten Zürcher Kreis ebenso unbestritten wie Konrads von Würzburg Auftragsarbeiten für Basler Gönner oder die Niederlassung Walthers von Klingen in Basel. Es fragt sich jedoch, welchen Erkenntniswert Informationen dieser Art für die Analyse der spezifischen Voraussetzungen und Konstitutionsbedingungen literarischer Produktion und Rezeption in der Stadt haben können. Das bedeutet, daß die Problematik des Stichworts >Stadt als literarisches Zentrum< neu diskutiert werden muß. Denn auch eindeutige Fakten, etwa der Preis eines Straßburger Bischofs durch einen Spruchdichter oder die Huldigung eines historisch nachweisbaren Publikums durch einen städtischen Autor, geben nicht ohne weiteres Auskunft über den städtischen Literaturbetrieb. Diese Schwierigkeiten bei der Interpretation historischer Fakten unter dem Gesichtspunkt einer funktionsgeschichtlichen Bestimmung von literarischen Werken im städtischen Kontext im 13. Jahrhundert lassen sich besonders deutlich am Beispiel von Hadlaubs Zürcher Kreis, Waithers von Klingen Wohnsitz in Straßburg und Basel und Konrads von Würzburg Basler und Straßburger Gönner demonstrieren.

Der Zürcher Kreis Unsere Kenntnis des literarischen Lebens in Zürich Ende des 13. Jahrhunderts beruht vornehmlich auf Johannes Hadlaubs sogenannten autobiographischen Liedern, 16 in denen der Sänger im Kreise einer Dame, von Zürich diu vürstin (V. 2,43), und zahlreicher historisch nachweisbarer geistlicher und weltlicher Herren typische Minnesituationen durchspielt. Dieses Zürcher Publikum, eine an Minnesang interessierte Gruppe adeliger Damen und Herren im Umkreis der Familie Manesse, ist jedoch nicht unbedingt identisch mit der städtischen Oberschicht, sondern setzt sich — wie Herta Renk gezeigt hat - mit dem Konstanzer Bischof Heinrich von Klingenberg, den Äbten von Petershausen und von Einsiedeln, der Äbtissin Elisabeth von Wetzikon, dem Grafen Friedrich von Toggenburg, den Herren von Trostberg, Regensburg und Landenberg und schließlich den Zürchern 16

SM Lieder 2; 5; 8.

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Rüdiger und Johannes Manesse, aus einer lockeren Gruppe angesehener Damen und Herren von Zürich und der weiteren Umgebung zusammen, die in vielfältigen Beziehungen untereinander stehen und enge Verbindungen zu den geistlichen Institutionen Zürichs haben. Renk vermutet eine Gruppenbildung um Heinrich von Klingenberg, den Konstanzer und Zürcher Chorherrn und späteren Konstanzer Bischof, vor allem aber um die Familie Manesse, deren curiae in Zürich das Zentrum eines >Freundeskreises< und literarischen Zirkels gewesen seien. Ihre Charakterisierung des Zürcher Kreises: »Es war nicht mehr der Hof, der sich an Stil und Persönlichkeit eines einzelnen orientierte, es war ein Kreis von Gleichgesinnten, die hier ihren eigenen Stil fanden« (S. 101), zielt darauf ab, einer auf die Person des Fürsten ausgerichteten literarischen Produktion die Literaturgesellschaft der Stadt zu kontrastieren, der ein gruppenbestätigender »Stil des Einverständnisses« (S. 101) entspreche. Sie versucht, auch die Minnesänger Jacob von Warte, den von Buwenberg, von Trostberg und Kraft von Toggenburg aufgrund mehr oder weniger überzeugender historischer Filiationen zu den bei Hadlaub genannten Personen diesem Zürcher Kreis anzugliedern und ihren wie Hadlaubs Liedern einen spezifischen >Zürcher Stil< zuzusprechen, der den repräsentativen Ansprüchen jenes homogenen, kultivierten Publikums entgegengekommen sei. Damit setzt sie sich jedoch nicht nur über zahlreiche Probleme der historischen Identifizierung dieser Dichter hinweg,17 sondern überschätzt auch bei weitem die Bedeutung, die Zürich bzw. ein Zürcher Kreis um Hadlaub und Manesse als Anziehungspunkt und Leitbild für Minnesänger gehabt haben mochte. Schon die Bezeichnung >Zürcher Kreis< suggeriert eine Zusammengehörigkeit von Autoren und ihrem Publikum, die sich in der von Herta Renk charakterisierten Gruppierung nicht nachweisen läßt. Die Zugehörigkeit der Minnesänger von Buwenberg, von Trostberg, Jacob von Warte und Kraft von Toggenburg ist weder historisch gesichert, noch als »stilistische Verbundenheit« (S. 218) ihrer Lieder mit denen Hadlaubs greifbar, da ihre Gemeinsamkeiten den Rahmen traditioneller Muster des Minnesangs nicht überschreiten. Eine Untersuchung des Zürcher Literaturbetriebs bleibt demnach vornehmlich auf die von Hadlaub genannten Namen angewiesen, die mit einiger Sicherheit die Umrisse einer auch als Minnesangpublikum hervortretenden lokalen Gruppe adeliger Damen und Herren bezeichnen. Dieses Minnesangpublikum zeigt allerdings zugleich die Grenzen, die einer Betrachtung der Literatur in deutschen Städten des 13. Jahrhunderts gezogen sind. Von einer organisierten Gruppenbildung im Stile der Arraser Confrerie des Ardents oder auch nur der dichterischen Konzeption eines literarischen Zirkels in der Art des Arraser Pui, dem Geistliche, Adelige, >Bürger< und Berufsdichter angehören, kann hier nicht die Rede sein. Im Gegensatz zu dem regen literarischen Leben der Wettbewerbe, Theateraufführungen und des 17

Zu den Problemen der Identifizierung von Minnesängern vgl. die Überlegungen von Joachim Bumke: Ministerialität und Ritterdichtung. Umrisse der Forschung. München 1976; von den hier genannten Autoren wird ausführlicher der von Buwenberg (S. 2 4 - 2 8 ) behandelt.

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gemeinsamen Liedvortrags, an denen Mitglieder der Confririe des Ardents als Literaturproduzenten, Richter und Zuhörer beteiligt gewesen zu sein scheinen, inszeniert Hadlaub spielerisch Minneszenen, in die er seine Zuhörer huldigend einbezieht. Während in Arras die Jeux-partis ein - zumindest literarisches - Bild der Beteiligung der städtischen Oberschicht an der Diskussion literarischer Minnethemen bieten, sind Hadlaubs Zuhörer neben wenigen Zürchern offenbar hauptsächlich der geistliche und weltliche Adel der weiteren Umgebung Zürichs gewesen. Zwar scheint die Stadt Zürich, die Hadlaub im Zusammenhang mit der Sammeltätigkeit der Familie Manesse erwähnt, für dieses Minnesangpublikum der gemeinsame Fixpunkt zu sein, zumal der Hof der Manesse eigens angesprochen wird. 18 Aber diese Zentrierung von Hadlaubs Publikum in Zürich bedeutet nicht, daß Hadlaubs Lieder in den städtischen Kontext einzuordnen wären. Dieser Zürcher Kreis ist weniger ein Paradigma für ein städtisches Publikum als ein Beispiel der literarischen Praxis lokaler Adelsgruppen im 13. Jahrhundert. Das zeigt ein Vergleich mit Ulrichs von Lichtenstein Literaturkreis, der charakteristische Merkmale mit den Zürchern gemeinsam hat. Auch Ulrichs Frauendienst verweist auf eine Gruppe z.T. miteinander verwandter und politisch wie geschäftlich kooperierender Herren, die als Kenner der höfischen Literatur an der spielerischen Montage literarischer Muster mit historisch-biographischen Fakten Gefallen finden. 19 In beiden Fällen steht hinter den literarischen Texten eine regionale Adelsgruppe als literarisch gebildete Kommunikationsgemeinschaft. Ihr organisatorischer Mittelpunkt ist beim Frauendienst der führende steirische Politiker und adelige Minnesänger Ulrich von Lichtenstein, bei Hadlaubs Liedern einerseits Heinrich von Klingenberg, andererseits Rüdiger Manesse, dessen curia in Zürich den literarischen Austausch zwischen hohem geistlichen Stadt- und lokalem Landadel garantiert. Zürich bietet zwar als politisches und administratives Zentrum im Bistum Konstanz die Voraussetzungen für die Begegnung adeliger Damen und Herren als Publikum des Zürcher Minnesängers Hadlaub. Da aber ein großer Teil von ihnen nicht in Zürich seßhaft ist, tritt die Stadt in den Hintergrund und bestimmt in keiner Weise die Thematik und literarischen Formen der vor diesem punktuell in Zürich zusammentreffenden Publikum vorgetragenen literarischen Werke. Insofern dokumentiert Hadlaubs Publikum zwar die Bedeutung Zürichs als Verwaltungsund Kulturzentrum, nicht jedoch das Hervortreten eines Stadtpublikums bzw. das Entstehen einer städtischen Literatur im organisatorischen Sinne. 18 19

SM Lied 8, V. 7. Zur Frage der literarischen Stilisierung historischer Fakten und der historischen Konkretisierung literarischer Muster in Ulrichs >Frauendienst< vgl. die Arbeiten von Α. H. Touber: Der literarische Charakter von Ulrich von Lichtensteins >FrauendienstBürgern< Besitzungen und Rechte in der Umgebung Straßburgs, urkundet bereits ab 1269 in Straßburg und besitzt spätestens seit August 1274 in Straßburg ein Haus, in dem König Rudolf eine Urkunde ausstellt. Und es ist nur konsequent, wenn der nobilis Waither von Klingen in einer Straßburger Ratsurkunde im Jahre 1274 als unser burger bezeichnet wird. 22 Daß er nicht nur in Straßburg ansässig gewesen ist, sondern auch in Basel wohnte, bezeugt eine am 11. 5. 1283 ausgestellte Tauschurkunde zwischen dem Basler St. Peter-Stift und dem Kloster ölenberg, in der es von einem Haus neben dem St. Peter Friedhof heißt: quam nunc nobilis vir Waltherus dominus de Klingen inhabitat.23 In dieser Zeit urkundet Walther von Klingen häufig in Basel, gelegentlich im Gefolge des Königs, übergibt dem inzwischen nach Kleinbasel verlegten Frauenkloster Klingenthal und dem Predigerkloster einen Teil der ihm von König Rudolf in der Form der Zürcher Reichssteuer erstatteten Summe von 1100 Mark und stirbt im Jahre 1286. Diese Fakten dokumentieren die glänzende Laufbahn eines schweizerischen Freiherrn, der den lokalen Umkreis seines Stammsitzes verläßt, seine Töchter mit angesehenen elsässischen und badischen Grafen verheiratet, sich in den städtischen Zentren Straßburg und Basel niederläßt und als Vertrauter des Königs an dessen Rechtsgeschäften im Südwesten des Reichs beteiligt ist.24 Da Walther von Klingen wie alle adeligen Minnesänger in den historischen Quellen nicht als Min-

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beiden Berichten vgl. Erich Kleinschmidt: Herrscherdarstellung. Zur Disposition mittelalterlichen Aussageverhaltens, untersucht an Texten über Rudolf I. von Habsburg. Mit einem Editionsanhang. Bern und München 1974. S. 129 und 249ff. US IV. 1, Nr. 261, S. 158; es handelt sich hier um ein Verkaufsgeschäft Walthers von Klingen, das Bürgermeister und Rat von Straßburg besiegeln auf Bitten des Herrn von Klingen, wann er unser burger ist (S. 158,21f.). B U B II., Nr. 415, S. 239, 6. Walther von Klingen scheint es offenbar gelungen zu sein, den in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts für nobiles drohenden Gefahren des sozialen Abstiegs und wirtschaftlichen Niedergangs zu entgehen und im Anschluß an die habsburgische Landesherrschaft eine zumindest vorläufige Konsolidierung seiner Stellung zu erreichen. Zum krisenhaften Prozeß der Umstrukturierung und Neuorientierung ostschweizerischer Adelsgeschlechter im 13. Jahrhundert vgl. die präzise und differenzierte Darstellung von Roger Sablonier: Adel im Wandel. Eine Untersuchung zur sozialen Situation des ostschweizerischen Adels

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nesänger bezeugt ist, kommt dem Auftreten von Minnesänger-Namen in einer Reihe von ihm bezeugter Urkunden eine besondere Bedeutung bei der Identifizierung und literarhistorischen Einordnung des nobilis Walther von Klingen zu. In der germanistischen Forschung wird von einer Art Literaturkreis um Waither von Klingen ausgegangen, der sich in den Namen Steinmar, Heinrich von Tettingen, Ulrich von Gutenburg, Ulrich von Winterstetten, Bruno von Hornberg, Burkhard von Hohenfels, Jacob von Warte und dem von Buochein konkretisiert. Diese Vorstellung ist allerdings seit von der Hagens 25 Artikel über Waither von Klingen nicht mehr an den historischen Quellen überprüft worden. Von der Hagen suggeriert in seiner biographischen Skizze ein Geflecht historischer Beziehungen zwischen Waither von Klingen und den verschiedensten Dichtern bzw. ihren Familien, indem er sämtliche Orts- und Personennamen, die entfernt an Dichternamen anklingen, drucktechnisch hervorhebt. Zu streichen sind vorweg: Ulrich von Gutenburg aus chronologischen Erwägungen, 26 ebenso Burkhart von Hohenfels, da die Familie Hohenfels mehrere Vertreter des Namens Burkhart aufweist und der bischöfliche Zeuge Bur. von Hohenvels in Waithers Verkaufsurkunde von 1269 27 in der Regel nicht mit dem Minnesänger identifiziert wird; und schließlich auch der von Buochein, der wegen des fehlenden Vornamens ohnehin kaum identifizierbar ist. Es bleiben der Augsburger Kanoniker Ulrich von Winterstetten, der in der Klingnauer Verkaufsurkunde von 1269 zusammen mit seinem Bruder, dem Konstanzer Kanoniker Konrad, zu den Bürgen Bischof Eberhards gehört, 28 Bruno von Hornberg, der im Jahre 1275 mit Walther von Klingen Urkunden Rudolfs von Habsburg bezeugt, 29 und schließlich die Brüder Berthold und Conrad Steinmar 30

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um 1300. Göttingen 1979. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 66), der hier die ζ. T. erfolgreichen Anpassungsversuche der Familie Klingen hervorhebt (S. 101f.; 150; 218). HMS IV, Nr. 103, S. 468-471. Der Minnesänger Ulrich von Gutenburg wird bereits in der etwa 1220 verfaßten Cröne Heinrichs von dem Türlin als tot beklagt: Diu Cröne von Heinrich von dem Türlin. Hg. von Gottlob Heinrich Friedrich Scholl (1852). Nachdruck: Amsterdam 1966. V. 2444. Vgl. die Konstanzer Urkunde Bischof Eberhards II. vom 20. Mai 1269 über den Zahlungsmodus des Kaufgeschäfts in den Regesta Episcoporum Constantiensium. Geschichte der Bischöfe von Constanz von Bubulcus bis Thomas Berlower 517-1496. Hg. von Paul Ladewig und Theodor MüUer. 1. Bd. 517-1293 (1895). Nachdruck: Glashütten 1970. Nr. 2214, S. 253; zu den verschiedenen Burkharts des Sipplinger Adelsgeschlechts von Hohenfels vgl. Fritz Grimme: Geschichte der Minnesinger I. Die rheinisch-schwäbischen Minnesinger. Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Minnegesangs im südwestlichen Deutschland. Paderborn 1897. S. 41-48; im allgemeinen hat man sich auf den urkundlich von 1212 bis 1242 nachgewiesenen Burkhard der Sipplinger Familie geeinigt. Regesta Episcoporum I: {jl. von Winterstetten, dem tümherren von Ogispurch (S. 253). Vgl. etwa US II, Nr. 47, S. 32,10. Zum Auftreten der Brüder Steinmar in der Umgebung Walthers von Klingen vgl. vor allem die Steinmar-Urkunden bei Johann Huber: Die Regesten der ehemaligen Sanktblasier Propsteien Klingnau und Wislikofen im Argau. Ein Beitrag zur Kirchen- und Landesgeschichte der alten Grafschaft Baden. Luzern 1878 sowie die Darstellung von Mittler, S. 44-49. 107

sowie Heinrich von Tettingen, 31 die bis 1270, Walthers Übersiedlung nach Straßburg, in seinen Klingnauer Urkunden auftreten. Der seit 1241 urkundlich bezeugte Augsburger Kanoniker Ulrich von Winterstetten, der Enkel Konrads von Winterstetten und Sohn des Schenken Konrad von Schmalnegg, wird fast übereinstimmend als der Minnesänger Schenk Ulrich von Winterstetten angesehen, der seine teilweise sehr derben Lieder in seiner Frühzeit gedichtet habe. Diese Identifizierung ist allerdings - wie kürzlich Joachim Bumke 32 gezeigt hat - nicht so eindeutig, wie im allgemeinen angenommen wird, da in einer Kemptner Urkunde ein Ulricus de Winterstettin auftritt, der als möglicher Konkurrent des Schenken und Augsburger Kanonikers zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Die Annahme, daß es sich bei dem Dichter Ulrich von Winterstetten um den Augsburger Kanoniker handelt, ist demnach zwar eine ansprechende Vermutung, wird sich jedoch kaum verifizieren lassen. Wesentlich problematischer sind die historischen Identifizierungsversuche im Falle Brunos von Hornberg. Denn es ist sehr fraglich, ob jener Bruno von Hornberg, der ζ. B. im Jahre 1275 in Hagenau zusammen mit Walther von Klingen in einer königlichen Urkunde auftritt, überhaupt mit dem Dichter her Bruno von Hornberg gleichgesetzt werden darf. Abgesehen davon, daß es zahlreiche Familien Hornberg gibt, treten in dem badischen Geschlecht Hornberg, dem der Dichter in der Regel wegen des Vorkommens des Vornamens Bruno zugeordnet wird, gleich drei Träger dieses Namens auf, die von 1132-1148,1219-1234 und 1275-1320 nachweisbar sind. Die beiden letzten werden aufgrund unterschiedlicher stilistischer Argumente für den Dichter beansprucht. 33 Wie ungesichert jedoch diese Identifizierungsversuche sind, zeigt sich schon daran, daß nicht einmal geklärt ist, ob es sich bei dem im Jahre 1275 mit Walther von Klingen urkundenden Bruno von Homberg noch um den zweiten oder bereits den dritten Träger des Namens Bruno handelt. Während der Augsburger Kanoniker Ulrich von Winterstetten und Bruno von Hornberg völlig unabhängig von ihrem urkundlich bezeugten Zusammentreffen mit Walther von Klingen als Minnesänger angesehen werden, spielt bei der Identifizierung Heinrichs von Tettingen und Steinmars mit den entsprechenden Dichtern ihr Auftreten im Umkreis Waithers von Klingen eine Rolle. Für den Dichter Heinrich von Tettingen werden aufgrund des Vornamens zwei Familien in Betracht gezogen: das Geschlecht Dettingen am Bodensee und das an der Aare in der Nähe von Klingnau, wobei man sich nicht einig ist, ob es sich nicht auch bei der Klingnauer Familie um Angehörige des am Bodensee beheimateten Geschlechts handelt, die zugleich Besitzungen im Aaretal von den Herren Tiefenstein zu Lehen hatten. Unter den verschiedenen Herren Heinrich von Tettingen entschied man 31

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Neben Bartsch SM, S. CII-CIV vgl. vor allem Grimme, S. 109-114; neuerdings auch Mittler, S. 4 2 - 4 4 . Bumke: Ministerialität und Ritterdichtung zeigt am Beispiel der scheinbar unproblematischen Figur des Dichters Ulrich von Winterstetten die prinzipiellen Schwierigkeiten einer historischen Identifizierung der Minnesänger (S. 65f). Grimme, S. 114-120.

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sich in der Regel für jenen Heinrich von Tettingen, der von 1260 bis 1270 in Klingnauer Urkunden bezeugt ist. 34 Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist abgesehen von dem Auftreten eines Burkard spilman von Tettingen als Zeuge bei einem Verkaufsgeschäft Walthers von Klingen, 35 das als Hinweis auf ein geselligliterarisches Leben im klingnauischen Döttingen gedeutet wird - der Aufenthalt dieses Herrn in der Umgebung Walthers von Klingen. Hinter dem Zusammentreffen beider Herren bei Rechtsgeschäften werden gesellige Kontakte in Klingnau, die Basis ihres Auftretens als adelige Minnesänger, vermutet. Die Initiative sei von Waither von Klingen ausgegangen, der durch die Begegnung mit anderen Minnesängern zur literarischen Produktion angeregt worden sei und in Klingnau im Kreis seiner Ministerialen bzw. Vasallen ein lokales Uterarisches Zentrum aufgebaut habe. Auch die Identifizierung des Minnesängers her Steinmar mit einem der Brüder Berthold und Conrad Steinmar ist entscheidend dieser Konzeption eines Dichterkreises um Waither von Klingen verpflichtet. Obwohl sich die Dichternamen des Typs Steinmar ohnehin kaum bestimmten Familien zuordnen lassen und der Name Steinmar in den verschiedensten Gegenden vorkommt, konzentriert sich in der germanistischen Forschung die Diskussion auf zwei historische Steinmare. Während im allgemeinen der Dichter dem Kreis Walthers von Klingen zugeordnet wird, 36 hat neuerdings Diether Krywalski37 den Vorschlag Luitpold Steinmayrs 38 aufgegriffen, den Minnesänger in der schwäbischen Familie Steinmar von Siessen-Stralegg zu suchen. Er entscheidet sich für den von 1259 bis 1294 urkundlich nachweisbaren Heinricus miles Steinmarus de Uotingen. Hinter beiden Vorschlägen steht die Überlegung, daß die historischen Anspielungen in Steinmars Liedern eine Beteiligung des Autors an König Rudolfs Kriegszug gegen Ottokar voraussetzen. Dies wird für beide Steinmare bejaht, da beide Herren — über ihre jeweiligen Lehensherren Walther von Klingen bzw. Hugo von Tübingen — Beziehungen zu König Rudolf von Habsburg gehabt hätten und in den Jahren 1276/77, zur Zeit des Kriegszugs, in ihrer Heimat urkundlich nicht nachweisbar seien. Für den schwäbischen Ritter sprechen nach Krywalski das in der linken Ecke der Handschrift C vermerkte her Steinmar bzw. das ritterliche Auftreten des Dichters in der Miniatur, die Identifizierung von Gebewin (SM 1,15) mit Friedrich von Uotingen, genannt Gebeine, einem Onkel Heinrich Steinmars, und schließlich die literari-

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Skeptisch gegenüber den Möglichkeiten einer Identifizierung dieses Dichters ist jedoch Günther Schweikle: Heinrich von Tettingen. In: Verf. Lex. 2III, 1981. Sp. 892-894, der auf eine Entscheidung verzichtet. Huber, S. 14f. (8. 1. 1270); vgl. dazu auch Mittler, S. 43. Vgl. etwa Joseph Freiherr von Laßberg: Lieder-Saal, das ist: Sammelung altteutscher Gedichte aus ungedrukten Quellen. Hg. von J. Frh. von L. Zweiter Bd. (1822). Nachdruck: Darmstadt 1968. S. LIXff.; HMS IV, S. 4 6 8 - 4 7 1 ; Bartsch SM, S. CVI-CXIV; Mittler, S. 44 ff. Krywalski, S. 2ff. L. Steinmayr, Ritter Steinmär, ein »schwäbischer« Minnesänger. Genealogische Studie. In: Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde 9, 1931. S. 1 — 13.

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sehen Beziehungen Steinmars zu der schwäbischen Dichtergruppe um Gottfried von Neifen. Bei Berthold Steinmar von Klingen wird auf textliche Parallelen zu Walther von Klingen und vor allem den Literaturkreis um Waither von Klingen verwiesen. Tatsächlich sind die Brüder Berthold und Conrad Steinmar, die in Tegerfelden nahe Klingnau Besitzungen von Walther von Klingen und Hugo von Tiefenstein zu Lehen haben, zwischen 1251 und 1270 häufig und fast ausschließlich in Urkunden Waithers von Klingen bezeugt, gelegentlich gemeinsam mit Heinrich von Tettingen. Daß auch nach der Übersiedlung Walthers von Klingen nach Straßburg und Basel die Beziehungen der Steinmare zur Familie Klingen nicht abgebrochen sind, zeigt sich daran, daß Conrad Steinmar auch nach 1270 als Zeuge in Waithers Urkunden auftritt, gelegentlich Rechtsgeschäfte des jüngeren Bruders Ulrich von Klingen, des Komturs von Beuggen, bezeugt, später in Beuggen begütert ist und die Hälfte des Deutschordenshauses in Waldshut kauft. 39 Die Zuordnung des Dichters Steinmar zur schwäbischen oder schweizerischen Familie Steinmar ist gleichermaßen ungesichert. Die Annahme, der Autor müsse an König Rudolfs Kriegszug gegen Ottokar teilgenommen haben, verdankt sich einer unzulässigen biographischen Ausdeutung historischer Anspielungen in den Liedern. Karl Stackmann 40 wendet sich deshalb zu Recht dagegen, Beziehungen des Autors zu König Rudolf zum Ausgangspunkt seiner Identifizierung zu machen. Krywalskis Argumente für den schwäbischen Ritter sind wenig überzeugend; aber auch die Entscheidung für einen der Klingnauer Brüder ist zumindest voreilig, wenn 1267 in einer Tegerfelder Urkunde ein Rudolf Steinmar, 1282 in einer Salemer Urkunde ein Ulrich Steinmar auftritt. 41 Leider bieten auch die von Krywalski konstatierten literarischen Beziehungen Steinmars zur Neifen-Gruppe keine brauchbare Orientierungshilfe, da sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stilistische Muster Gottfrieds von Neifen bereits bei schwäbischen wie schweizerischen Minnesängern durchgesetzt haben. Ohne zusätzliche historische und stilistische Argumente scheint deshalb eine Zuweisung Steinmars zu einer der verschiedenen Familien Steinmar nicht möglich zu sein. Das eindrucksvolle Bild eines Literaturkreises um Waither von Klingen, wie es eine oberflächliche Durchsicht der Zeugenlisten vermittelt, verblaßt bei der historischen Überprüfung zusehends. In der Umgebung Waithers von Klingen treten zwar eine Reihe von Herren mit bekannten >Dichternamen< auf, jedoch kaum einer von ihnen läßt sich mit Sicherheit als Minnesänger erweisen. Die Vermutung, bei dem Augsburger Kanoniker Ulrich von Winterstetten handle es sich um den Dichter, ist historisch ebenso ungesichert wie die Gleichsetzung des Minnesängers Steinmar mit einem der Klingnauer Steinmare oder wie Heinrichs von Tettingen mit dem aargauischen Henricus de Tettingen bzw. Brunos von Hornberg mit dem badischen Freiherrn gleichen Namens. Allerdings bleibt die Vielzahl der Dichternamen in Walthers Urkunden auffallend. Und es wäre ein merkwürdiger Zufall, 39 40 41

Mittler, S. 45 und vor allem die urkundlichen Zeugnisse bei Krywalski, S. 5ff. K. Stackmann: Herr Steinmar, Berthold. In: Verf. Lex IV, 1953. Sp. 267-271. Bartsch SM, S. CXIII; Krywalski, S. 12 mit weiteren urkundlichen Steinmaren.

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wenn im lokalen Umkreis seines Stammsitzes Klingnau gleich zwei Namen von Minnesängern auftauchen, die in keiner Beziehung zu den Dichtern gleichen Namens stehen sollten. Aus diesem Grund scheint es mir - trotz der skizzierten Identifizierungsprobleme - wahrscheinlich zu sein, daß die Dichter Heinrich von Tettingen und Steinmar Mitglieder des aargauisch-badischen Geschlechts Tettingen bzw. der Familie Steinmar in Klingnau gewesen sind. Falls aber hinter den Dichternamen Walther von Klingen, Heinrich von Tettingen und Steinmar tatsächlich engere historische Beziehungen im Zusammenhang mit Walthers Stammsitz Klingnau stehen, dann stellen sie eine der für die Literaturszene des 13. Jahrhunderts typischen Gruppierung eines literaturinteressierten lokalen Adels dar. Das bedeutet freilich nicht, daß im Umkreis Walthers von Klingen eine Art >Dichterkreis< oder gar >Dichterschule< entstanden ist. Die von der literarhistorischen Forschung zusammengestellte Liste der in Walthers Urkunden auftretenden Dichternamen suggeriert spezifische Kontakte zwischen diesen Herren, die dem Befund der historischen Quellen eher widersprechen. Denn die verschiedenen Herren, die zwischen 1250 und 1286 zusammen mit Waither von Klingen Rechtsgeschäfte beurkunden, bilden keineswegs eine homogene Adelsgruppe, sondern gehören unterschiedlichen regionalen Gruppierungen an: einerseits begegnet der einflußreiche thurgauische Freiherr mit seinen Kontakten in Zürich, Konstanz, Straßburg und Basel als lokaler Schiedsrichter, Geschäftspartner des Konstanzer Bischofs und Vertrauter des Königs adeligen Herren, die literarische Interessen haben, möglicherweise sogar - wie er selbst - Minnelieder gedichtet haben; andererseits treten mit Heinrich von Tettingen und der Familie Steinmar in der lokalen Umgebung der Klingenschen Besitzungen im Aaretal in seinen Urkunden Dichternamen auf, die offenbar abseits von seinen überregionalen politischen und wirtschaftlichen Verbindungen stehen. Ein >Klingenkreis< im Sinne kontinuierlicher Kontakte entspricht deshalb nicht dem Bild, das die historischen Quellen von Klingens Beziehungen zu Ulrich von Winterstetten, Bruno von Hornberg, Heinrich von Tettingen und Steinmar bieten. Wenn man davon ausgeht, daß es sich bei dem thurgauischen Adeligen Walther von Altenklingen um den Minnesänger der Handschrift C handelt, stellt sich in unserem Zusammenhang die Frage nach der Bedeutung, die die Stadt, d. h. der Aufenthalt dieses Autors in Straßburg und Basel, für die Produktion und Rezeption seiner Lieder gehabt haben mochte. Da Walther von Klingen in den historischen Quellen nicht als Minnesänger erscheint, wissen wir nicht, wann und wo er seine Lieder vorgetragen hat. In der Forschung werden deshalb mehrere Möglichkeiten diskutiert: die Dichternamen Heinrich von Tettingen und Steinmar im Umkreis von Klingnau gelten als Hinweis auf eine frühe Minnesangperiode des nobilis Walther von Klingen, der mit adeligen Literaturfreunden zwischen dem Bodensee und Zürich in Verbindung gestanden und zusammen mit seinen dichtenden Ministerialen seine Stammburg Klingnau zu einem lokalen Zentrum gemacht habe. Später habe er in Straßburg und Basel neue Uterarische Anregungen erhalten, die sich an dem Einfluß Konrads von Würzburg auf seine Lieder zeigten. Merkwürdigerweise ist für Waither von Klingen nie der königliche Hof als Gelegenheit zum 111

Liedvortrag in Betracht gezogen worden. Die Überlegungen konzentrierten sich neben Klingnau vor allem auf Basel. Walther von Klingen habe in seinen letzten Jahren in einer Stadt gewohnt, in der sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts einflußreiche geistliche und weltliche Adelige sowie wohlhabende >Bürger< neben ihren politischen und wirtschaftlichen Verbindungen zu literarisch interessierten Kreisen zusammengeschlossen hätten. Ihnen sei auch der nobilis Waither von Klingen zuzurechnen. Da die Basler Literaturfreunde fast ausschließlich als Gönner, bestenfalls einmal — nach dem Zeugnis Konrads von Würzburg - als übersetzende Helfer am literarischen Betrieb beteiligt gewesen seien, habe der adelige Minnesänger Walther von Klingen als Literaturproduzent die Literaturszene dieser städtischen Oberschicht bereichert. Im Gegensatz zur Klingnau-These, die von Unsicherheitsfaktoren bei der Identifizierung Heinrichs von Tettingen und Steinmars belastet ist, ist die Existenz eines literarischen Lebens in Basel unbestritten, da hier zur Zeit von Klingens Basler Aufenthalt Konrad von Würzburg gelebt und eine Reihe seiner Werke verfaßt hat. Es fragt sich jedoch, ob mit Walthers Wohnsitz in Basel für die Beurteilung seiner Lieder etwas gewonnen ist. Denn eine Beteiligung Walthers von Klingen am Basier Literaturbetrieb ist weniger gesichert als das urkundlich bezeugte Wohnhaus am St. Peter-Friedhof zunächst vermuten läßt. Jedenfalls scheint der nobilis Walther von Klingen während seines Basler Aufenthalts nicht an jenen Rechtsgeschäften der Basler Oberschicht teilgenommen zu haben, die den gemeinsamen gesellschaftlichen Hintergrund der Gönner Konrads von Würzburg darstellen. Er bezeugt vornehmlich Rechtsgeschäfte, die seine ehemaligen Klingnauer Besitzungen betreffen, 42 betätigt sich als Förderer des Basler Predigerklosters sowie des inzwischen nach Kleinbasel umgesiedelten Klosters Klingenthal 43 und tritt weiterhin im Umkreis Rudolfs von Habsburg auf. 44 Auch der immer wieder behauptete Einfluß Konrads von Würzburg auf seine Lieder setzt keineswegs ein persönliches Zusammentreffen der beiden Dichter in einer Art Basler Literaturbetrieb voraus. Denn einerseits ist Konrad von Würzburg im Oberrheingebiet schon sehr bald zum stilistischen Vorbild geworden, andererseits sind Übergangsreime, grammatische Reime und die in Klingens Liedern deutliche Tendenz zum Objektiv-Formelhaften, die auf das Vorbild Konrads von Würzburg zurückgeführt werden, zugleich Merkmale der von Hugo Kuhn 45 analysierten Evolution und Stilwende der Minnelyrik im 13. Jahrhundert. Die Lieder Walthers von Klingen lassen sich zwar ver-

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Vgl. etwa die in Klingnau ausgestellten Urkunden des Jahres 1280 bei Huber, S. 18f. Er schenkt z.B. am 26. 2. 1284 dem Predigerkloster und dem Kloster Klingenthal 300 Mark Silber von der Zürcher Reichssteuer, die ihm König Rudolf im Jahre 1283 verpfändet hatte: BUB II, Nr. 445, S. 257f. Vgl. etwa die Schuldverschreibung König Rudolfs an Walther von Klingen vom 6. 3. 1283 in: Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich. Hg. von einer Commission der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, bearbeitet von J. Escher und P. Schweizer. V. Bd. 1277-1288. Zürich 1900-1901. Nr. 1868, S. 209f. H. Kuhn: Minnesangs Wende (1952). 2. vermehrte Auflage. Tübingen 1967. (Hermaea NF 1)

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schiedenen literarischen Traditionen, etwa einer durch Gottfried von Neifen geprägten Fonnkunst, zuordnen, nicht jedoch einem bestimmten Entstehungsort bzw. Rezipientenkreis. Die Problematik solcher Zuweisungen zeigt sich an den Versuchen Herta Renks und Thomas Cramers, 46 das Minnesangoeuvre einzelner Autoren des 13. Jahrhunderts im Hinblick auf lokale Rezipientengruppen zu analysieren. Herta Renk spricht den Liedern Jacobs von Warte, Konrads von Buwenberg oder Krafts von Toggenburg einen spezifischen Zürcher Stil zu, Thomas Cramer bezieht charakteristische Merkmale der Lyrik Konrads von Würzburg, das Zurücktreten eines ästhetischen Rollenspiels zugunsten lehrhaft-geistlicher Argumentation, auf die spezifische literarische Kommunikationssituation in Basel. Diese sei von einer tiefgreifenden sozialen Inhomogenität der Zuhörer geprägt, deren unterschiedliche politisch-soziale Interessen und literarische Erwartungen eine das Einverständnis aller Beteiligten voraussetzende Lyrikproduktion im Sinne einer höfischen Repräsentationskunst nicht mehr garantierten. Beide Versuche sind wenig überzeugend: Die von Renk konstatierten Merkmale des Zürcher Stils, der Motivkanon des sogenannten Subjektliedes sowie die paradoxe Liebesauffassung der Zürcher, gehören ebenso wie die Zurückhaltung gegenüber dem spielerischen Einsetzen der Sängerrolle bei Konrad von Würzburg zu den verbreiteten literarischen Mustern des Minnesangs im 13. Jahrhundert. In beiden Fällen lassen sich zwar literarische Filiationen zu lokalen Rezipientengruppen feststellen; die soziokulturelle Rückbeziehung der Texte auf die spezifischen Bedürfnisse eines Zürcher bzw. Basier Publikums ist jedoch unbefriedigend. Für die Lieder Walthers von Klingen bedeutet das, daß sie sich stilistisch-thematisch weder einer Klingnauer noch einer Basler bzw. Straßburger Gruppe zuordnen lassen. Der nobilis Waither von Klingen mag sie in Klingnau im Umkreis der Herren Heinrich von Tettingen und Steinmar, in der Umgebung Rudolfs von Habsburg oder in Straßburg bzw. Basel vorgetragen haben. Die Texte bieten jedoch keine Anhaltspunkte, die es erlauben, sie im Hinblick auf diese Kommunikationsgruppen zu analysieren. Das Beispiel Walthers von Klingen zeigt die besonderen Schwierigkeiten, die sich bei der Untersuchung der in der Stadt vorgetragenen und für ein städtisches Publikum verfaßten Literatur im 13. Jahrhundert ergeben. Zwar ist die Bedeutung der Stadt als politisches und wirtschaftliches Zentrum für den Adel im 13. Jahrhundert offensichtlich. Während etwa Friedrich von Hausen im 12. Jahrhundert zunächst auf seinen heimatlichen Besitzungen, später vornehmlich im Umkreis der Kaiser Friedrich I. und Heinrich VI. bezeugt ist, 47 veräußert der nobilis Walther von Klingen im 13. Jahrhundert seinen Stammsitz und bewohnt bereits Häuser in Straßburg und Basel, in denen Rudolf von Habsburg Rechtsgeschäfte abwickelt. Walthers Biographie demonstriert sehr deutlich die Anziehungskraft der Städte auf den Adel. Sie sind offenbar im 13. Jahrhundert für einen Adeligen, der sich in 46 47

Cramer: Minnesang in der Stadt. Zum historisch dokumentierten Auftreten Friedrichs von Hausen vgl. Hans Jürgen Riekkenberg: Leben und Stand des Minnesängers Friedrich von Hausen. In: AfK 43, 1961. S. 163-176.

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der Umgebung des Königs aufhalten will oder muß, 48 die entscheidenden politischen und gesellschaftlichen Beziehungspunkte. Für diese adeligen Herren, die in die Stadt ziehen, läßt sich die klare Trennung von Stadt und Land bzw. städtischer und ländlich-adeliger Lebensform nicht aufrechterhalten. Auftreten und Stellung des nobilis Walther von Klingen, der als Stadtbewohner ganz selbstverständlich burger von Straßburg genannt wird, bleiben die eines bedeutenden Adeligen, der weiterhin als Förderer geistlicher Institutionen, als Schiedsrichter in lokalen Streitigkeiten und als Vertrauter, Helfer und Gläubiger des Königs auftritt. Die Ausrichtung des adeligen Minnesängers auf die Stadt bedeutet weder, daß er in städtische Literaturkreise integriert ist, noch daß seine Lieder sich von denen seiner landadeligen Standesgenossen unterscheiden. Walther von Klingen mag seine Lieder in Straßburg oder Basel, möglicherweise sogar in engerem oder weiterem Kontakt zu Konrad von Würzburg und seinen literarisch interessierten Gönnern vorgetragen haben. Ein Zeugnis für die Literaturszene in Straßburg oder Basel sind sie jedoch nur sehr bedingt, ein Dokument eines spezifisch städtischen Literaturbetriebs überhaupt nicht.

Konrad von Würzburg in Basel und Straßburg Im Gegensatz zur Dichtung Walthers von Klingen, die der Tradition adeliger Gesellschaftskunst angehört, scheinen sich in der literarischen Praxis Konrads von Würzburg tatsächlich spezifische Voraussetzungen und Möglichkeiten städtischer Literatur im 13. Jahrhundert abzuzeichnen. Jedenfalls gelten zumindest Konrads Basler Werke in der Literaturgeschichte als ungewöhnlich frühe Dokumente eines typisch städtischen Literaturbetriebs. Diese Beurteilung bezieht sich auf die Lebensverhältnisse des Autors, die gesellschaftliche Stellung seiner Basier Mäzene und nicht zuletzt bestimmte Eigenarten seiner Werke. Während Konrads Herkunft und sein anfänglicher Wirkungsbereich unbekannt und dementsprechend umstritten sind, 49 ist sein Aufenthalt in Basel urkundlich belegt: in einer Schiedsurkunde von 1295 figuriert der Name des magister Cünradus de Wirzeburg als bereits verstorbener Hausbesitzer in der Spiegelgasse,50 im 48

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Sablonier geht davon aus, daß der Anschluß an den österreichischen Landesherrn für Walther von Klingen eine notwendige Reaktion auf den Territorialisierungsdruck des Konstanzer Bischofs gewesen sei (S. 217). Zur Kontroverse über Basel bzw. Würzburg als Konrads Geburtsort und Hauptwohnsitz vgl. J. Denzinger: Ueber den Geburtsort des Minnesängers Conrad von Würzburg. In: Archiv des historischen Vereins für Unterfranken 12, 1852. S. 6 1 - 8 1 und Wilhelm Wackernagel: Konrad von Würzburg aus Würzburg oder aus Basel? In: Germania 3, 1858. S. 257-266. Helmut de Boor: Die Chronologie der Werke Konrads von Würzburg, insbesondere die Stellung des Turniers von Nantes. In: Beitr. 89, 1967. S. 2 1 0 - 2 6 9 vermutet eine Art »niederrheinische Wanderperiode« Konrads von Würzburg, die sein Interesse für die Genealogie niederrheinischer Adelsgeschlechter, das sich im Schwanritter abzeichnet, erklären würde (hier S. 25Iff.). BUB III, Nr. 238; es handelt sich hier um einen Vergleich zwischen Katharina, Meister Dietrichs Tochter, und ihrer Stiefmutter über ihre Rechte an einem Haus in der Spiegel-

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Anniversarienbuch des Basler Münsters wird Cünradus de Wirtzburg als verstorbener Stifter einer Jahrzeit erwähnt; 5 1 die Literaturliste der Annales Argentinienses führt ihn zusammen mit gelehrten Predigermönchen, Freidank und Primas als vagus auf 5 2 und die von einem Basler Dominikaner zusammengestellten Colmarer Annalen registrieren schließlich im Jahre 1287 seinen Tod: obiit Cuonradus de Wirciburch, in Theutonico multorum bonorum dictaminum compilatur.53 In der Forschung wird in der Regel Konrads Hausbesitz, seine Seßhaftigkeit in Basel, hervorgehoben, die für die Frage nach den sozialen Voraussetzungen eines städtischen Literaturbetriebs eine große Rolle spiele. Auffallend ist allerdings gerade in diesem Zusammenhang die für einen ansässigen Dichter merkwürdige Bezeichnung vagus in den Annales Argentinienses. Falls vagus nicht im Sinne Helmut de Boors den Wanderdichter Konrad von Würzburg der frühen Zeit meint, 5 4 sondern - wie Edward Schröder 55 und Inge Leipold 5 6 annehmen - den weltlichen Berufs-

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gasse: domus quondam dicti magistri Dietrici site in civitate Basiliensi in vico dicto Spiegelgas versus Renum, contigue ex uno latere domui domine dicte de Warttenfels et ab alio domui quondam magistri Cünradi de Wirzeburg (S. 129,24f.). Vgl. den Eintrag bei Aloys Schulte: Zum Tode Konrads von Würzburg. In: Z G O NF 1, 1886. S. 4 9 5 - 4 9 6 : Cünradus de Wirtzburg, Berchta uxor ejus. Gerina et Agnesafilie eorum, o(biit), qui s(epulti) s(unt) in latere beate Marie Magdalene ... (S. 496). Konrad von Würzburg scheint demnach in Basel verstorben und begraben worden zu sein. Eine spätere Tradition, ein biographischer Zusatz zum Text der Goldenen Schmiede im sogenannten Leonebuch Michaels de Leone, verweist jedoch auf Freiburg als Begräbnisort; vgl. die Notiz bei Gisela Kornrumpf: Das Hausbuch Michaels de Leone 2° cod. Ms. 731. In: Kornrumpf, Paul Gerhard Völker, Die deutschen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek München. Wiesbaden 1968. S. 6 6 - 1 0 7 : Hie get uz die guldin smitte. die meister Cünrad geborn von wirzeburg ächte, und ist zu friburg ϊprisgeve begraben (S. 81). Im Anschluß an diese Bemerkung ist wiederholt eine Verbindung, gelegentlich sogar eine Zugehörigkeit Konrads von Würzburg zu den Freiburger Dominikanern erwogen worden; etwa von C. Greith: Die deutsche Mystik im Prediger-Orden (von 1250-1350) nach ihren Grundlehren, Liedern und Lebensbildern aus handschriftlichen Quellen (1861). Nachdruck: Amsterdam 1965. S. 206 oder Kurt Moriz-Eichborn: Der Skulpturenzyklus in der Vorhalle des Münsters zu Freiburg im Breisgau. Straßburg 1898. S. 59f.; neuerdings wieder von T. R. Jackson: Konrad von Würzburg's Legends: their Historical Context and the Poet's Approach to his Material. In: Probleme mittelhochdeutscher Erzählformen. Marburger Colloquium 1969. Hg. von Peter F. Ganz und Werner Schröder. Berlin 1972. S. 197-213, hier S. 202, Anm. 3. Detaillierte Angaben zur Freiburg-These neuerdings bei Ganz: »Nur eine schöne Kunstfigur«, S. 40 und 44, Anm. 67. Der - wahrscheinlich irrtümliche - Hinweis von L. Schneegans: Zur Feststellung des Todestags Meister Konrads von Würzburg. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit NF 4, 1856. Sp. 3 4 - 3 5 auf einen Eintrag Magister Cünradus de Herbipoli zum Jahre 1282 im Liber vitae von JungSt.-Peter in Straßburg läßt sich nicht überprüfen, da die entsprechende Handschrift verbrannt ist. Der Chronist kennt ihn offenbar in erster Linie als Autor der Goldenen Schmiede, denn es heißt hier: Cuonradus de Wirciburc vagus fecit rhitmos Theutonicos de beata Virgina preciosos (MGH SS 17, S. 233,61). MGH SS 17, S. 214,84f. De Boor: Chronologie, S. 25 Iff. Schröder: Studien, S. 112. Leipold, S. 10. 115

dichter vom geistlichen Literaten absetzen will, muß mit einer Vielfalt der unter dem Begriff vagus zusammengefaßten Unterhaltungskünstler gerechnet werden. Tatsächlich bieten die Rechnungsbücher des 13. und 14. Jahrhunderts, in denen Zahlungen an die verschiedensten Vortragskünstler notiert sind, nur sehr grobe und unscharfe terminologische Unterscheidungen der einzelnen Sparten. 57 Aber die übergreifende Bedeutung von vagus als Laiendichter läßt sich hier gerade nicht nachweisen. Wenn deshalb der Straßburger Dominikaner den zumindest in seiner späten Zeit in Basel wohnhaften Konrad von Würzburg als vagus bezeichnet, so zeigt das, daß die Zeitgenossen der von der germanistischen Forschung so sehr betonten Seßhaftigkeit Konrads weniger Bedeutung zugemessen und ihn als Stadtbewohner nicht sozial von anderen Autoren abgesetzt haben. Noch merkwürdiger scheint die Formulierung magister Cunradus de Wirzeburg in der Basler Schiedsurkunde von 1295 zu sein: einem volkssprachigen Autor wird hier wie seinem Nachbarn, dem Arzt Dietrich, der magister-Titel beigefügt, der möglicherweise das lateinische Pendant zur meister- Würde ist, die Konrad von Würzburg von zeitgenössischen Literaturkollegen zugesprochen wird. In der germanistischen Forschung wird dieser magister-meister-Titel, der lange Zeit hindurch als ein Indiz für den >bürgerlichen< Stand des Autors und seine handwerkliche Produktion galt, neuerdings - im Sinn der Verwendung des meister- Begriffs bei den Sangspruchdichtern des 13. und 14. Jahrhunderts - als Hinweis auf Konrads Ansehen als gelehrter und kunstfertiger Berufsautor gewertet. 58 Es fragt sich jedoch, ob die sich im meister- Titel konkretisierende Konzeption eines neuen Literatentyps auch für den lateinischen magister-Begriff der Basler Urkunden angesetzt werden kann. Die Bedeutung des Terminus magister in den Quellen des 13. Jahrhunderts ist nicht eindeutig: 59 er wird gelehrten Geistlichen und Juristen der geistlichen und weltlichen Verwaltung zugesprochen, scheint eine Art Ehrentitel zu sein und ist schließlich - wie das volkssprachige Pendant meister - für Handwerker bestimmt. Dies gilt auch für das Auftreten des magister- Titels in den Basler Urkunden des 13. Jahrhunderts: abgesehen von Kanonikern, bischöflichen Offizialen und Lehrern werden eine Reihe von Handwerkern magister genannt. 60 Daneben 57

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Zur Spielleute-Terminologie der Rechnungsbücher vgl. Ursula Peters: Herolde und Sprecher in mittelalterlichen Rechnungsbüchern. In: ZfdA 105, 1976. S. 2 3 3 - 2 5 0 , hier auch weitere Literatur zu diesem Problem. Zum meister als Typus des kunstbewußten Berufsliteraten vgl. etwa die Überlegungen von Kuhn: Minnesangs Wende, S. 145; 180f.; Karl Stackmann: Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln. Vorstudien zur Erkenntnis seiner Individualität. Heidelberg 1958. (Probleme der Dichtung. Studien zur deutschen Literaturgeschichte 3); Wachinger: Sängerkrieg. Umstritten ist vor allem seine Bindung an ein Studium bzw. eine Lehrtätigkeit. Eine ausführliche Diskussion dieses Problems findet sich bei Johannes Fried: Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert. Köln, Wien 1974. (Forschungen zur Neuen Privatrechtsgeschichte 21) S. 9ff., der davon ausgeht, daß »die Bezeichnung >magister< und die Stellung vor oder nach dem Namen (keinen) sicheren Aufschluß über ein Studium oder eine Lehrtätigkeit« (S. 11) gibt; vgl. neuerdings auch Rainer Maria Herkenrath: Studien zum Magistertitel in der frühen Stauferzeit. In: MIÖG 88, 1980. S. 3 - 3 5 . Beispiele bei Socin, S. 336.

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tragen der chirurgicus, medicus, physicus und apothecarius den magister-Titel sowie einige wenige Laien, deren soziale Stellung und berufliche Tätigkeiten sich nicht eindeutig bestimmen lassen. Sie gehören offenbar weder einer der geistlichen Institutionen der Stadt an, noch sind sie als Handwerker bezeugt. Dieser Gruppe, die naturgemäß undeutlich bleibt, sind z. B. die magistri R. dictus de Richenshein,61 und Rudolf dictus de Rinvelden 62 zuzuzählen, die an der Erstellung von Rechtsgutachten beteiligt sind und den Typ des gelehrten Laienjuristen zu vertreten scheinen, der in Basel zwar schon im 13. Jahrhundert durch Berthold Brotmeister doctor legum63 bezeugt ist, aber erst im Laufe des 14. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dieser Gruppe von magistri, gelehrten Laien, die u. a. als Arzt oder Jurist in der Stadt auftreten, scheint auch der magister Cunradus de Wirzeburg anzugehören, der in der Spiegelgasse neben dem Arzt magister Dietrich, in der Nachbarschaft von Domherren und Offizialen des Domstifts wohnt 64 und im Auftrag wohlhabender geistlicher und weltlicher Herren lateinische und französische Texte in die Volkssprache überträgt. 65 Der magister- Titel verweist ihn in die Gruppe gelehrter Laien, die in einer Bischofsstadt wie Basel im Umkreis des Domstifts und des städtischen Rats durch ihre Fähigkeiten zunehmend an Bedeutung gewinnen. Während sich die allmähliche Herausbildung dieser städtischen Gruppe am Auftreten weltlicher Juristen, Lehrer und Schreiber im 13. Jahrhundert relativ deutlich verfolgen läßt, scheint der magister Cunradus de Wirzeburg ein sehr frühes Beispiel eines volkssprachigen gelehrten Berufsautors zu sein, der in der Stadt in losem Kontakt zur geistlichen und weltlichen Oberschicht lebt. Konrad von Würzburg hat offenbar in Basel eine ähnliche Stellung gehabt wie sein Arraser Kollege maistre Adam de la Halle, der — nach eigenen Aussagen - von

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BUB II, Nr. 89, S. 47, 30; er erstellt am 7. 7. 1272 zusammen mit Johannes Rauber ein Rechtsgutachten; zur Bedeutung beider Herren als Juristen vgl. Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel I, S. 168f. BUB II, Nr. 322: magistro Rü(dolfo) dicto de Rinvelden (S. 187,12). BUB II, Nr. 36, S. 22,12 (es heißt hier allerdings nur domino Ber. doctore legum); Wakkernagel: Geschichte der Stadt Basel I, S. 169 sieht in ihm einen der bedeutendsten Basler Juristen; zurückhaltend gegenüber diesen Überlegungen verhalten sich S. et S. Stelling-Michaud: Les juristes suisses ä Bologne (1255—1330). Notices biographiques et regestes des actes bolonais. Genfeve 1960. (Travaux d'Humanisme et Renaissance 38) S. 71 (Nr. 51). Über die Bewohner der Spiegelgasse informiert Daniel Albert Fechter: Topographie mit Berücksichtigung der Kultur- und Sittengeschichte. In: Basel im vierzehnten Jahrhundert. Geschichtliche Darstellungen zur fünften Säcularfeier des Erdbebens am S. Lucastage 1356. Basel 1856. S. 1 - 1 4 6 , hier S. 23f. Die urkundlichen und chronikalischen Bezeugungen unterstreichen Konrads Kontakte zu geistlichen Herren und Institutionen: Sie verweisen auf den Umkreis des Münsters bzw. Domstifts und auf eine besondere Vertrautheit der Dominikaner mit Konrads literarischen Aktivitäten. Aber auch die Zeitgenossen scheinen den Eindruck gehabt zu haben, daß Konrad vor allem an einem geistlichen Publikum interessiert gewesen sei; vgl. etwa die Bemerkung Hugos von Trimberg im Renner über Konrads >gelehrte< Dichtung: Meister Cuonrät ist an Worten schoene,/Diu er gar verre hat gewehselt/Und von latin also gedrehseltJDaz lützel leien si vernement.. Jlh hoere aber sin getihte selten/Wol gelerte pfaffen schelten (Vv. 1202-1216).

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einflußreichen Bankiersfamilien unterstützt wurde, zusammen mit dem geistlichen Beamten Jehan Bretel, dem Pui-Prinzen, eine Reihe von Jeux-partis vorgetragen und für ein Arraser Publikum seine Lieder, seinen Conges und das Spiel Jeu de la Feuillee verfaßt hat. Konrads literarische Produktion ist zwar kaum mit der Adams zu vergleichen, auch spielen die Basler Mäzene und Literaturkreise in seiner Dichtung bei weitem nicht jene bestimmende Rolle, die das Arraser Publikum in Adams Werken einnimmt. Die Gemeinsamkeiten ihrer gesellschaftlichen Situierung sind jedoch frappierend. Beide leben als gelehrte Berufsliteraten in einer reichen Stadt, stehen nicht - wie etwa Jehan Bretel, Simon d'Authie oder Adam de Givency — im Dienst städtischer oder kirchlicher Institutionen, sondern haben Verbindungen zu Angehörigen der geistlichen und weltlichen Oberschicht ihrer Stadt, die offenbar ihr hauptsächliches Publikum darstellt. Wie wenig spezifisch städtisch allerdings diese Form einer Autorexistenz ist, zeigt sich an der Biographie Adams de la Halle, der sich 1280 in der Umgebung des Grafen Robert II. von Artois aufhält, diesen 1282 nach Italien begleitet, dort offenbar sein Schäferspiel Robin et Marion verfaßt und für Karl von Anjou die fragmentarisch erhaltene Chanson de geste Roi de Sicile dichtet. Er konnte demnach ohne Schwierigkeiten von städtischen zu fürstlichen Gönnern überwechseln. Das bedeutet aber zugleich, daß die Stadt als literarisches Zentrum sich nicht grundsätzlich vom Fürstenhof unterscheidet und der Aufenthalt eines Dichters in der Stadt diesen nicht automatisch zum städtischen Autor macht. Das gilt offenbar auch für den Basler magister Cünradus de Wirzeburg. Zwar gehört Konrad von Würzburg während seines Basler Aufenthalts - ebenso wie Adam de la Halle in Arras — als gelehrter Berufsliterat zur gebildeten Mittelschicht der Stadt. Seine gesellschaftliche Situierung läßt sich jedoch nicht als >städtisch< charakterisieren. In literaturgeschichtlichen Darstellungen wird Konrad von Würzburg allerdings gerne als städtischer Autor bezeichnet, dessen Basler Werke im Zusammenhang mit einem spezifisch städtischen Literaturbetrieb zu sehen seien. Verwiesen wird dabei auf Konrads Vielseitigkeit, die Montage fester Formeln und Erzählmuster sowie der in einzelnen Texten pointiert formulierte Kunstanspruch, die sich aus der spezifischen Situation eines städtischen Autors erklären ließen. 66 Wie sehr diese Überlegungen von der Vorstellung eines >bürgerlichVorrat< arbeitenden Literatur-Meisters« 67 Konrads Seßhaftigkeit in Basel verdanke und weist auf die literarischen Parallelen eines gelehrt-lateinischen Meistertums adeliger Minnesänger des 13. Jahrhunderts hin. Konrads Arbeitsweise, seine literarische Technik und dichtungstheoretischen Vorstellungen lassen sich nicht auf die quasi-handwerkliche Tätigkeit eines städtischen Autors zurückführen. Sie sind vielmehr in die allgemeine Entwicklung der dichterischen Technik und des Literaturbewußtseins im 13. Jahrhundert eingebunden, die im Rahmen einer detaillierten Untersuchung der Herausbildung eines neuen Literatentyps im 13. Jahrhundert, des gelehrten, kunstbewußten, volkssprachigen Berufsdichters, zu analysieren wären. Der magister Cünradus de Wirzeburg läßt sich nur sehr undeutlich in die städtische Gesellschaft Basels einordnen. Umso präziser informieren uns die Basler Quellen über seine Mäzene. Sie haben deshalb als Paradigma der kulturellen Oberschicht von Bischofsstädten im 13. Jahrhundert die Aufmerksamkeit der germanistischen Forschung gefunden. Nach Edward Schröder, der als erster das urkundliche Material zusammengestellt hat, 68 handelt es sich um eine wohlha67

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Kuhn, S. 181. Allerdings übernimmt auch er die Vorstellung von der literarischen Technik und Arbeitsweise des »nun fast zünftigen Meisters«, der »als >GoIdschmied< jeder verlangten oder selbständig versuchten Literaturgattung« (S. 188) hervortritt. Schröder: Studien IV; zu Konrads Basler Gönnern vgl. auch die detaillierte Darstellung von Inge Leipold sowie die zusammenfassenden Uberblicke bei Jackson, Cramer: Minnesang und Bumke: Mäzene, S. 287-290. Schröders umfangreiche Materialsammlung, der bereits die Arbeit von Franz Pfeiffer: Über Konrad von Würzburg. I. Partonopier und Meliur. II. Zum Alexius. In: Germania 12, 1867. S. 1 - 4 8 vorausgegangen war, ist immer noch die beste Voraussetzung für eine sozialgeschichtliche Einordnung von Konrads Bas-

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bende städtische Führungsschicht, die sich aus auswärtigen Hochadeligen, Stadtadeligen, >Bürgern< und einer Reihe von cives zusammensetzt, die vom ländlichen Rittertum ins >Bürgertum< übergetreten seien. Dieses Bild einer sozial und politisch inhomogenen Basler Oberschicht, das durch neuere Untersuchungen nur unwesentlich ergänzt wird, bestimmt auch die Beurteilung ihres Mäzenatentums. 6 9 Schon Edward Schröder differenziert zwischen dem literarischen Auftrag des vornehmen geistlichen Herrn Leuthold von Röteln, der »etwas bescheidenen Bestellung« der beiden »braven Bürger« (S. 104) Johannes Bermeswil und Heinrich Isenlin und dem ehrgeizigen Mäzenatentum Johanns von Arguel. Inge Leipold sieht sogar einen direkten Zusammenhang »zwischen der Gattungszugehörigkeit der einzelnen Dichtungen, dem in der Tatsache des Auftrags sich artikulierenden Gebrauchsinteresse sowie der Zugehörigkeit der jeweiligen Auftraggeber zu einer bestimmten sozialen Schicht« (S. 135). Sie unterscheidet zwischen dem Anspruch des aufstrebenden >Bürgertums< auf Kulturfähigkeit, der sich in der Vorliebe dieser mittleren Schicht für die traditionellere, volkstümliche Gattung der Legende äußere, und den auf spielerische Selbststilisierung ausgerichteten Interessen des Stadtadels an höfischen literarischen Typen. Thomas Cramer führt schließlich bestimmte Eigenarten von Konrads Lyrik, das Zurücktreten der Minnesänger-Rolle zugunsten einer sentenziösen und religiösen Argumentation, auf die soziale und politische Inhomogenität der Basler Mäzene zurück, die sich bei ihren sozialen und territorialpolitischen Auseinandersetzungen nicht zu einem das ästhetische Rollenspiel des Minnesangs akzeptierenden und zugleich fördernden Literaturkreis im Stile der Zürcher zusammengeschlossen hätten. 7 0 Diese Überlegungen zum wechselseitigen Verhältnis von Auftraggeber und literarischen Texten beruhen einerseits auf der in Basler Urkunden seit etwa 1240 auftretenden terminologischen Unterscheidung von miles/ritter und civis/burger, die auf eine soziale Differenzierung innerhalb der Oberschicht hinzuweisen scheint, andererseits auf dem Bericht des Chronisten Matthias von Neuenburg von Auseinandersetzungen innerhalb des Basler Stadtadels und des Stadtrats, an denen auch Konrads Auftraggeber beteiligt waren. Die Unterscheidung von milites und burgenses bzw. cives in den Basler Quellen 7 1 wird in der Regel als das terminologische Ergebnis einer Spaltung der städtischen Oberschicht in ein adeliges und ein >bürgerliches< Patriziat verstanden. Ihre

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ler Werken, die auch durch neuere Arbeiten zu Konrads Basler Gönnern nicht überholt ist. Diese gehen von ζ. T. neuzeitlich-unhistorischen Vorstellungen über die Lebensformen und Mentalität städtischer Führungsschichten aus; das gilt vor allem für die Arbeiten von Inge Leipold und T.R. Jackson. Nur Bumke: Mäzene, wendet sich gegen die Annahme, Konrads Basler Gönner entstammten den verschiedensten sozialen Gruppierungen, und betont die gesellschaftliche Homogenität dieser Auftraggeber (S. 288f.). Cramer: Minnesang, S. 102ff. Erstmals im Jahre 1237 als milites - burgenses (BUB I, Nr. 144). Zur Differenzierung der Laien in milites und burgenses bzw. cives in den Basler Quellen vgl. Andreas Heusler: Verfassungsgeschichte der Stadt Basel im Mittelalter. Basel 1860. S. 135ff.; Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel I, S. 77ff. und neuerdings Möncke, S. 140ff.

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unterschiedlichen Interessen zeigten sich besonders deutlich in dem von Matthias von Neuenburg zitierten Wortwechsel zwischen den Ratsmitgliedern Peter Schaler und Johann von Arguel, beide Mäzene Konrads von Würzburg, in dem der miles valentissimus Peter Schaler gegenüber dem civis programmatisch formuliert: Nescis, quod in una domo paterfamilias et scrofa morantur, set aliter et aliter teneantur?12 Es fragt sich jedoch, ob dieser Differenzierung der Quellen in milites und fives, in ritter und burger tatsächlich tiefgreifende Unterschiede in der wirtschaftlichen Orientierung und sozialen Ausrichtung entsprochen haben, die es erlauben, einen ritterlich-ministerialischen Stadtadel von einem wohlhabenden kaufmännischen >Bürgertum< abzugrenzen. Die Problematik dieser Betrachtungsweise ist in den letzten Jahren im Anschluß an Knut Schulz' 73 Arbeiten im Hinblick auf die soziale und ökonomische Stellung der Stadtministerialität rheinischer Bischofsstädte diskutiert worden. Schulz war davon ausgegangen, daß die gängige Vorstellung von persönlich unfreien, in das Dienstrecht ihres Herrn eingebundenen Ministerialen der tatsächlichen Stellung ministerialischer Familien als führender Geschlechter rheinischer Bischofsstädte nicht gerecht werde, da nach dieser Auffassung Ministeriale wegen ihres >unfreien< Status ein Fremdkörper im Bereich der städtischen Freiheit seien, als Beamte des Stadtherrn oder geistlicher Institutionen eher die Interessen ihres Dienstherrn als die der Stadt verträten und aufgrund ihrer Zuordnung zur Feudalwelt vom städtischen Wirtschaftsleben abgesondert seien. Er führte hingegen am Beispiel einzelner prominenter Familien in Basel, Worms, Trier, Mainz und Köln vor, daß der ministerialische Status die servientes des Bischofs, des Domkapitels und der Klöster keineswegs von städtischen Ämtern ausschließt, im Gegenteil nicht selten die Voraussetzung für ihre bevorzugte Stellung in der Stadt darstellt. Denn die Dienstmannen besetzen die städtischen Ämter, beteiligen sich im Auftrag ihres Dienstherrn am städtischen und regionalen Handel und genießen gerade als servientes besondere Privilegien in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, die zu ihrer Vormachtstellung in der Stadt führen und ihren Handelsgeschäften zugute kommen. Da für die meisten der im Stadtrat und in anderen städtischen Gremien vertretenen führenden Geschlechter — unabhängig von ihrer Bezeichnung als milites oder cives - eine ministerialische Herkunft nachweis-

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MGH SS rG NS IV, S. 6 6 , 1 5 - 6 7 , 1 . Knut Schulz: Ministerialität und Bürgertum in Trier. Untersuchungen zur rechtlichen und sozialen Gliederung der Trierer Bürgerschaft vom ausgehenden 11. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts. Bonn 1968. (Rheinisches Archiv 66); Ders.: Die Ministerialität als Problem der Stadtgeschichte. Einige allgemeine Bemerkungen, erläutert am Beispiel der Stadt Worms. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 32, 1968. S. 1 8 4 - 2 1 9 ; Ders.: Richerzeche, Meliorat und Ministerialität in Köln. In: Köln, das Reich und Europa. Abhandlungen über weiträumige Verflechtungen der Stadt Köln in Politik, Recht und Wirtschaft im Mittelalter. Köln 1971. (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 60) S. 1 4 9 - 1 7 2 sowie die bereits im 1. Kapitel aufgeführte Arbeit: Die Ministerialität in rheinischen Bischofsstädten. Zur Applikation dieser Überlegungen auf weitere Städte vgl. etwa Helga Mosbacher: Kammerhandwerk, Ministerialität und Bürgertum in Straßburg. In: Z G O 119, 1971. S. 3 3 - 1 7 3 ; Ludwig Schmugge: Ministerialität und Bürgertum in Reims. Untersuchungen zur Geschichte der Stadt im 12. und 13. Jahrhundert. In: Francia 2, 1974. S. 1 5 2 - 2 1 2 . 121

bar sei, vermutet Knut Schulz, daß die in den Quellen südwestdeutscher Städte um die Mitte des 13. Jahrhunderts auftretende Unterscheidung von milites und cives, die den Gegensatz von ministeriales und burgenses ablöst, nicht einer Differenzierung der städtischen Oberschicht in einen ministerialischen Stadtadel und ein kaufmännisch-patrizisches >Bürgertum< entspricht. Die Termini milites und cives bezeichneten keine ständischen Unterschiede, sondern eher soziale Abstufungen. Denn innerhalb der städtischen Ministerialität ließen sich im 13. Jahrhundert zwei Gruppen unterscheiden: einerseits die sozial avancierte Oberschicht der milites, die durch städtische Ämter, Haus- und Grundbesitz wie auch Handelsgeschäfte zwar in die Stadt integriert seien, sich jedoch zunehmend dem Landadel zuwendeten, andererseits die cives, die trotz auswärtiger Güter und Wohnsitze eher auf das städtische Leben konzentriert blieben. Sein Vorschlag, in Anlehnung an die Terminologie der Quellen von >ritterlicher< und >bürgerlicher< Ministerialität zu sprechen, ist allerdings nicht sehr glücklich, da die Gegenüberstellung von ritterlich und >bürgerlich< wieder die Vorstellung eines Gegensatzes von ritterlichem Stadtadel und städtischem >Bürgertum< suggeriert. Auch im Falle der Basler Oberschicht von milites und cives bestätigen detaillierte Untersuchungen zur wirtschaftlichen Aktivität und sozialen Stellung einzelner Familien bzw. Persönlichkeiten 74 diese Vermutung gradueller sozialer Unterschiede, nicht jedoch die Annahme einer ausgeprägten Trennung der Oberschicht in einen Stadtadel und ein >BürgertumLaufbahn< des civis Johann von Arguel, 76 der Häuser und Güter in und um Basel besitzt, 1297 und 1309 als burger von dem rate und 1288 als Pfleger des städtischen Spitals bezeugt ist, zum Schiedsrichter von Seiten Basels bei einer Auseinandersetzung mit Luzern bestellt, vom Papst mit der Durchsetzung päpstlicher Rechtspositionen gegenüber Basler Domherren beauftragt wird, als selbstherrlicher Herr bei Streitigkeiten mit dem benachbarten Kloster St. Alban auftritt und schließlich als bedeutender Ratsherr bezeugt ist, der sich nicht nur mit Peter Schaler, sondern auch mit dem Bischof Peter Reich anlegt. Diese Auseinandersetzungen im Stadtrat werden meist im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Basler Zünfte gesehen, wobei Johann Arguel seit Andreas Heusler stereotyp als ein »Führer der unteren Stände«, der »Volkspartei« 77 bezeichnet wird, der bei der Besetzung einer Ratsstelle die Zünfte habe begünstigen wollen. Diese Charakterisierung verdankt sich vornehmlich der Bemerkung Johannes de Arguel, cui plebs adhesit (S. 66,11) von Matthias von Neuenburg, der die heftige Reaktion des Bischofs Peter Reich auf Arguels nicht näher gekennzeichneten >Widerspruch< im Stadtrat schildert: Qui episcopus cum quadam vice quedam in consilio Basiliensi peteret, Johannes de Arguel, cui plebs adhesit, contradicens ab episcopo dicente: >Ego faciam tibi erui oculos tuosNescis... (S. 66,13-15). Matthias von Neuenburg scheint demnach Geschichten von Arguels Auseinandersetzungen im Stadtrat ge-

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schmidt: Historiae memorabiles. Zur Dominikanerliteratur und Kulturgeschichte des 13. Jahrhunderts. Köln, Wien 1974. (Beihefte zum AfK 10) S. 107f. Da Peter Schaler der Ältere mit Elisabeth von Ölten, sein Sohn, Peter Schaler der Jüngere, der vermutete Mäzen Konrads von Würzburg, zwar mit Elisabeth von Stauffen verheiratet war, jedoch erst kurz vor 1308 gestorben ist, muß entweder mit einem Irrtum des Erzählers oder mit der Existenz eines uns unbekannten Peter Schaler gerechnet werden, der als literarische Figur in die Basler Historiae memorabiles des Rudolf von Schlettstadt eingegangen ist. Dieser Herr könnte dann aber auch der Gönner Konrads von Würzburg gewesen sein. Bevor wir jedoch nicht genauere Informationen über mögliche andere Basler Peter Schaler haben, wird man bei der üblichen Identifizierung des Partonopjer-Auftraggebers mit dem bekannten miles Peter Schaler bleiben müssen. Zum Auftreten Johanns von Arguel vgl. Schröder: Studien IV, S. 102ff.; Leipold, S. 89ff. Heusler, S. 145; vgl. auch Schröder: Studien IV: »Führer der Demokratie« (S. 103); Leipold, S. 95; Cramer: Minnesang in der Stadt: »Wortführer dieser >Volksbewegungbürgerlichen< Interessen der Auftraggeber zu unterscheiden. Das städtische Zusammenleben ist zwar in Basel - wie in den meisten anderen Städten - durch permanente Machtkämpfe und Auseinandersetzungen innerhalb der Führungsschichten zeitweise empfindlich gestört. Diese Konflikte scheinen jedoch weniger auf tiefgreifende ständisch-soziale oder ideologische Differenzen zurückzugehen, sondern eher den Herrschaftsanspruch einer Gruppe wohlhabender milites und cives zu dokumentieren, die ihre Machtpositionen in der Stadt mit wechselnden Koalitionen zu erhalten und erweitern sucht. Dieser städtischen Führungsschicht gehören Konrads Basler Gönner an, deren Standesstolz auf ihrer politischen Führungsrolle, ihrer sozialen Vormachtstellung und ihrer wirtschaftlichen Macht beruht. Diese adeligen Domherren, milites und cives sind in die Quellen eingegangen, weil sie über Besitzungen in und außerhalb von Basel verfügen, Wappen und Siegel führen, als Förderer geistlicher Institutionen auftreten, weil einige von ihnen über mehrere Jahre hinweg wichtige Stadtämter besetzen, als ritter oder burger von dem rate Mitglieder des Stadtrats sind, die Stadt bei Rechtsentscheidungen repräsentieren oder in öffentliche und private Streitigkeiten verwickelt sind. Ihre adelig-selbstherrliche Mentalität leuchtet vornehmlich in Konfliktsituationen auf: in Johanns von Arguel >Galgenstreit< mit dem Kloster St. Alban, 82 den von Matthias von Neuenburg berichteten Auseinandersetzungen im Stadtrat, die in Peter Schalers aristokratisch-ständischem Wutausbruch gegenüber Johann von Arguel gipfeln, und schließlich in den erbitterten Kämpfen zwischen den Psittichern und Sternern. Mögliche Abstufungen in der sozialen und ökonomischen Stellung treten hinter einem Bündel an Gemeinsamkeiten zurück, die für eine Funktionsbestimmung von Konrads Basler Werken ausschlaggebend sind: ihr z.T. sogar nachbarlicher Haus- und Grundbesitz in und um Basel sowie ihr institutionell bedingtes Zusammentreffen bei städtischen Angelegenheiten als Domherren, Ratsmitglieder, Spitalpfleger oder Schiedsrichter. Gerade dadurch, daß Konrads Basier Gönner als

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Skeptisch gegenüber der üblichen ständischen Fixierung der beiden Gruppen ist bereits Burckhardt: Herkunft und Stellung, S. 105. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die durch Matthias von Neuenburg dokumentierte Bestimmung des Bischofs Peter Reich zur Besetzung der entscheidenden städtischen Posten: Hie ordinavit, quod, cum uno anno Basilee Siticus esset magister civium, eodem anno Stellifer esset magister zunftarum et anno sequenti e contra, et quod tot milites et tot probi cives in consilium de una parte sicut de reliqua sumerentur (S. 6 6 , 4 - 9 ) . Auf beiden Seiten waren demnach milites und cives, die Ratsstellen beanspruchten. B U B IV, Nr. 268; vgl. dazu Leipold, S. 94f.

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Pröpste bzw. Kantoren des Domstifts, als Bürgermeister, als Pfleger des städtischen Spitals, als Ratsherren gezwungen gewesen sind, sich gemeinsam mit städtischen und privaten Rechtsgeschäften auseinanderzusetzen, verweisen sie auf eine spezifische Voraussetzung städtischen Literaturbetriebs: die durch das enge Z u sammenleben in der Stadt bedingte kontinuierliche Begegnung und Konfrontation einer relativ konstanten G r u p p e von Stadtbewohnern in den verschiedensten städtischen Institutionen. Die Zusammengehörigkeit dieser städtischen Oberschicht von vornehmen D o m h e r r e n und wohlhabenden haus- und grundbesitzenden Familien, die auf gleichen Interessen und gemeinsamen Ä m t e r n beruht, zeigt sich auch an d e m A u f t r e t e n einzelner H e r r e n als Mäzene des in der Spiegelgasse wohnenden magister Cünradus de Wirzeburg, der kontinuierlich f ü r diese Basler Herren arbeitet. D a s literarische Patronat dieser Oberschicht der canonici, milites und cives erhält dadurch einen deutlich gruppenbestätigenden Charakter. D a ß allerdings diese Basler Literaturgesellschaft nicht unabhängig vom Bischofshof und den geistlichen Institutionen der Stadt, vor allem d e m Predigerkloster, zu sehen ist, zeigen eine R e i h e in der zweiten H ä l f t e des 13. Jahrhunderts entstandener lateinischer Gedichte, 8 3 auf deren Bedeutung f ü r die Basler Literaturgeschichte, insbesondere f ü r die Konrad von Würzburg-Forschung, neuerdings Erich Kleinschmidt 8 4 und Joachim B u m k e 8 5 hingewiesen haben. Diese von offenbar verschiedenen geistlichen A u t o r e n verfaßten, an aktuell-politischen und lokalhistorischen Anspielungen reichen Bitt-, Lob- und Scheltgedichte verweisen auf ein Basler Publikum, das um den Bischofshof, das Domstift und die Ordensgeistlichkeit der Stadt zentriert ist, denn die Verfasser wenden sich - neben einem urkundlich nicht bezeugten Dr. decretorum Egidius, J o h a n n e s von Wilon, einem nobilis H e n ricus und frater Conradus - an den ehemaligen Basler Bischof Heinrich von Isny und seinen Nachfolger Peter Reich, an ungenannte H o f b e a m t e und schließlich an den D o m k a n t o r Dietrich an dem Orte, den wir bereits als G ö n n e r f ü r Konrads Trojanerkrieg kennen. Diese personelle Überschneidung von Konrads G ö n n e r n und d e m Publikum der lateinischen Gelegenheitsgedichte zeigt, daß sich Konrad von Würzburg in einem Kreis literarisch interessierter H e r r e n aus der U m g e b u n g des Bischofshofs, der bedeutenden Klöster und des städtischen Magistrats bewegt, die die Geschichte der Stadt leiten und zugleich die Bildungselite der von einem ungenannten Verfasser gerühmten Basilea civitas darstellen. D e r Zürcher Kreis, Walther von Klingen und Konrad von Würzburg d o k u m e n tieren die Verbreiterung höfischer Literaturinteressen im 13. Jahrhundert. N e b e n die großen Fürstenhöfe u n d fürstlichen Residenzstädte treten einerseits Literaturkreise lokaler Adels- und Ministerialengruppen, andererseits einzelne Städte, die als Bischofssitz oder b e d e u t e n d e r Sammelpunkt geistlicher Institutionen lateini83

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Ediert und kommentiert von J. Jak. Werner: Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. In: GGN. Phil.-hist. Klasse 1908. S. 449-496. E. Kleinschmidt: Basler Sammlung lateinischer Gedichte. In: Verf. Lex. 2I, 1977/78. Sp. 629-632. Bumke: Mäzene, S. 289f.

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sehe wie volkssprachige Autoren anziehen. Die Literaturkreise der oberrheinischen Städte Zürich, Konstanz, Basel und Straßburg sind hierfür sehr prononcierte Beispiele. Diese Städte bieten offenbar für die Produktion und Rezeption höfischer Literatur ähnliche Voraussetzungen wie die Fürstenhöfe und literarischen Zentren des Landadels: eine wohlhabende, aristokratisch lebende Führungsschicht mit einem gemeinsamen Standes- und Elitebewußtsein. Und wie sich das Publikum der Fürstenhöfe und des Landadels aus verschiedenen sozialen Gruppierungen - Angehörigen gräflicher Familien, geistlichen Herren, Freiherren und Ministerialen - zusammensetzt, die als Literaturrezipienten eine homogene höfische Gesellschaft darstellen, so bildet auch in Basel die Gruppe der geistlichen Herren, der milites und cives trotz möglicher Unterschiede in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Position als aristokratische Elite und Publikum volkssprachiger wie lateinischer Autoren eine Kommunikationsgemeinschaft höfischer Literaturkenner. Konrads Basler Werke lassen sich demnach zwar auf das Selbstverständnis seines Publikums als städtischer Führungsschicht beziehen, nicht jedoch in einen spezifisch städtischen Rahmen einordnen. Während in zahlreichen Werken Arraser Autoren die Stadt mit ihren Zirkeln und Gruppenbildungen, ihren Auseinandersetzungen und Finanzskandalen durchweg präsent ist, verzichtet Konrad von Würzburg abgesehen von der Nennung seiner Mäzene auf entsprechende historisch-aktuelle Anspielungen und Kommentare. Seine Dichtung registriert offenbar weder die heftigen Parteikämpfe und Konflikte innerhalb der Oberschicht, die — nach dem Zeugnis der Quellen - schon in der Zeit seines Aufenthalts in Basel das städtische Leben erschüttert haben, 86 noch die eher alltäglichen Probleme der städtischen Sozial- und Finanzordnung, die wie in anderen Städten auch in Basel das Zusammenleben entscheidend bestimmt haben. Die Bedeutung der Stadt als des gesellschaftlichen Ortes der literarischen Produktion und Rezeption bleibt deshalb nicht nur für Hadlaubs und Walthers von Klingen Lieder, sondern auch für Konrads Basler Werke undeutlich. Es bleibt zu fragen, ob dies auch für Konrads Straßburger Werk, den Heinrich von Kempten87 gilt, das im Auftrag eines Straßburger Gönners zwischen 1260 und 1277 entstanden ist, also während oder kurz nach dem sogenannten Bellum Waltherianum, den erbitterten Auseinandersetzungen zwischen dem Stadtrat von Straßburg und dem bischöflichen Stadtherrn, die den oberrheinischen Adel, die meisten Städte und vor allem Graf Rudolf von Habsburg zur Parteinahme zwangen, im Jahre 1261 zu einer vernichtenden Niederlage des bischöflichen Heeres 86

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Vgl. hingegen die Überlegungen von Cramer: Minnesang in der Stadt, der die Erwähnung des grünen Sittich als eines Mariensymbols in der Goldenen Schmiede auf die Psitticher bezieht, die ihre Verbundenheit mit der Basler Bischofskirche durch eine verstärkte Marienverehrung demonstrativ unterstrichen hätten. (S. 105) Konrad von Würzburg. Heinrich von Kempten. Der Welt Lohn. Das Herzmaere. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Edward Schröder. Übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Heinz Rölleke. Stuttgart 1968. (Universal-Bibliothek 2855/55a) S. 6 - 4 9 .

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bei Hausbergen führten und erst 1265 mit einem Friedensschluß endeten. 8 8 Für den Straßburger Dompropst Berthold von Tiersberg, 89 der als prominentes Mitglied des Domkapitels von diesen Konflikten ganz unmittelbar betroffen sein mußte, übersetzt Konrad die in der Chronistik bekannte lateinische Geschichte des Ritters Heinrich von Kempten, der am Hoftag Kaiser Ottos gegen die Behandlung des jungen Herzogs von Schwaben durch den kaiserlichen Truchseß einschreitet, diesen im Laufe eines heftigen Wortwechsels erschlägt und kurzentschlossen den Kaiser, der ihn für diese Tat mit dem Tod bestrafen will, am Bart über den Tisch zieht, mit einem Messer bedroht und dadurch zwingt, ihn unbehelligt ziehen zu lassen. Er wird vom kaiserlichen Hof verbannt und kehrt nach Kempten zurück. Zehn Jahre später muß er als Ministeriale des Abts von Kempten mit diesem dem Kaiser Heeresfolge in Apulien leisten. Er meidet dort zwar die Nähe des Kaisers, beobachtet aber eines Tages, als er im Badezuber sitzt, Verhandlungen des Kaisers mit den feindlichen >BürgernWürzburger< Zeit entstanden und im Rahmen der anderen Lupold-Texte in die Leonesammlung geraten sei. 5 2 Ihre Übernahme in das Hausbuch scheint mir jedoch eher dafür zu sprechen, daß diese Ehrenrede auf einen ehemaligen Fehdegegner des Bischofs in Würzburg nicht als mehr oder weniger verdeckte Kritik an der bischöflichen Haltung verstanden worden ist. Tatsächlich konzentriert sich das Interesse des Autors ausschließlich auf die Kritik am Verhalten des Kaisers, der seiner Schutzpflicht als Dienstherr nicht nachgekommen sei. Lupoid, der die Gattungsstereotypien der Ehrenrede sehr genau zu kennen scheint, 5 3 erweitert den seit dem Ende des 13. 52 53

Vgl. dazu Keyser, S. 128. Er vermerkt ausdrücklich, daß er auf die - sonst offenbar den Typus Ehrenrede bestimmende - Schilderung der Wappen des Verstorbenen verzichte (Vv. 51 f.). Zur >Gattungsgeschichte< der Ehrenreden, die mit der Totenklage auf Graf Werner von Hohenberg (Vgl. Tilo Brandis: Mittelhochdeutsche, mittelniederdeutsche und mittelniederländische Minnereden. Verzeichnis der Handschriften und Drucke. München 1968. [MTU 25] Nr. 475) einsetzt, vgl. die Hinweise bei Otfried Weber: Peter Suchenwirt. Studien über sein Wesen und Werk. Greifswald 1937. (Deutsches Werden. Greifswalder Forschungen zur deutschen Geistesgeschichte 11) S. 112ff.; Ulrich Müller: Untersuchungen zur politi153

Jahrhunderts bezeugten literarischen Typus der panegyrischen Wappenrede, der gerne mit zeitkritischen und minnedidaktischen Themen verknüpft wird, zu einer politischen Scheltrede auf Kaiser Ludwig, der als kaiserlicher Lehensherr versagt habe. Denn der Tod des angesehenen fränkischen Adeligen wird hier zum Paradigma für Ludwigs Fehlverhalten als Kaiser. In Lupoids Totenklage verbindet sich demnach das Lokalinteresse an dem Untergang einer bedeutenden fränkischen Adelsfamilie mit der Polemik gegen den kurz nach Konrad von Schlüsselberg verstorbenen Kaiser Ludwig, dem fundamentale Herrschertugenden abgesprochen werden. In dieser Form mochte die Ehrenrede auf den Herrn von Schlüsselberg Gefallen finden in der Umgebung des Würzburger Bischofs, der sich bereits vor dem Tod Ludwigs des Bayern dem Gegenkönig Karl zugewandt hatte. In Michaels Sammelhandschriften werden demnach personelle Konstellationen und lokale Hintergründe eines städtischen Literaturzentrums sichtbar: hohe geistliche Beamte in der Umgebung des Bischofs, die — bei engem gegenseitigen Austausch — theologische, juristische und historische Schriften, aber auch dichterische Werke verfassen, Kleriker der Diözese zu literarischer Produktion, vielleicht auch zur Übersetzung anregen und - wie Michael de Leone - die verschiedensten lateinischen und deutschen Werke abschreiben lassen. Diese spezifisch städtisch-klerikale Gruppierung steht offenbar in loser Verbindung mit lokalen Berufsautoren, deren Werke in die Sammelhandschriften eingehen. Michaels literarische Sammelaktivitäten entfalten sich in diesem Kreis und offenbar in weiterer Verbindung mit seinen verschiedenen Aufgaben in der bischöflichen Kanzlei, der kirchlichen Verwaltung und der Schule des Neumünsterstifts.54

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sehen Lyrik des deutschen Mittelalters. Göppingen 1974. (GAG 55/56) S. 392ff.; Stephanie Cain Van D'Elden: The Ehrenreden of Peter Suchenwirt and Gelre. In: Beitr. 97, 1975. S. 8 9 - 1 0 1 ; Dies.: Peter Suchenwirt and Heraldic Poetry. Wien 1976. (Wiener Arbeiten zur germanistischen Altertumskunde und Philologie 9) S. 37ff. Als prägnantes Beispiel dafür, wie sehr literarische Verbindungen auf politisch-administrativen Kontakten basieren, gilt in der Forschung die nachträgliche Aufzeichnung der Werke Heinzelins von Konstanz. Ihre Vermittlung verdanke Michael dem Grafen Albrecht V. von Hohenberg, dem episcopus provisus der Jahre 1345 bis 1349, in dem Heinzelins Gönner gesehen wird. Mit ihm hat Michael - einem Eintrag in seiner Chronik zufolge - über die Bischofsnachfolge verhandelt. Vgl. dazu Ruland, S. 39f.; Edward Schröder: Heinzelin von Konstanz. In: ZfdA 53, 1912. S. 395-398; ausführlich Keyser, S. 123ff. und neuerdings wieder Ingeborg Glier in: LG III.2. Auch wenn in diesem speziellen Fall die literarische Vermittlung nicht so gesichert ist, wie die eindrucksvollen historischen Fakten politischer Relationen nahelegen, so ist doch zu vermuten, daß die literarischen Wege der Dichtung oberrheinischer Literaturzentren nach Würzburg auf ähnlichen politisch-administrativen Kontakten beruhen, die ein geistlicher Herr wie Michael de Leone in hervorragender Weise hatte. Die Überlegungen zur persönlichen Vermittlung von Heinzelins Texten beruhen auf der in die Berner Handschrift von Matthias' von Neuenburg Chronik eingetragenen Notiz zu Heinzelins Von den zwein Sanct Johansen: daz hat getihtet Klein Heinze Grave Albrehtes von Hohenberg Kuchinmeister. Vgl. dazu Edward Schröder: Die Berner Handschrift des Matthias von Neuenburg. In: GGN. Phil.-hist. Klasse 1899. S. 4 9 - 7 1 . Es ist zwar möglich, daß mit dem Hohenberger Grafen der Konstanzer Domherr Albrecht V. von Hohenberg gemeint ist, der im Jahre 1345 vom Papst zum Würzburger Bischof providiert wurde. Er scheint jedoch — nach Wendehorst, S. 74 -

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Die >literarischen< Partien des Hausbuchs Michaels Sammlungen bieten freilich nicht nur kulturhistorische Informationen über die Voraussetzungen und Zusammensetzung eines lokalen Literaturkreises, sie geben zugleich Auskunft über die spezifischen literarischen Interessen dieser Gruppe. Dies gilt vor allem für das Hausbuch wegen seines Bestands an mittelhochdeutscher Dichtung. Angesichts der großen Anzahl und Vielfalt der hier versammelten Werke kann es nicht darum gehen, einzelne Texte spezifischen Erwartungen des Sammlers zuzuordnen und so den literarischen Geschmack Michaels zu ermitteln. Es lassen sich bestenfalls Trends ablesen, die sich in der Masse des Aufgezeichneten durchsetzen und auf mögliche Vorlieben des Sammlers verweisen. Dazu gehört die schon oft konstatierte Fülle an praktischen Gebrauchstexten, die zusammen mit dem Besitzeintrag Aufschluß über einen tendenziell pragmatischen Verwendungszweck der Handschrift geben; ebenso das von Ingeborg Glier betonte Nebeneinander von lateinischen und deutschen Fassungen einzelner Texte, das Michaels Hausbuch von vergleichbaren Sammlungen abhebe und ein spezielles, mit der Leistungsfähigkeit beider Sprachen experimentierendes Literaturverständnis des geistlichen Kanzleibeamten konturiere. 55 In den volkssprachigen literarischen Partien der Handschrift zeichnen sich — wie mir scheint - vor allem drei Aspekte von Michaels Literaturinteressen ab: sein ausgeprägter >LokalpatriotismusSchulbuchLügens< der Großen zu reflektieren und in der bereits erwähnten Totenklage auf Konrad von Schlüsselberg (IV) verbindet er schließlich das elaborierte Genre der Ehrenrede mit Elementen der politischen Scheltrede. Lupoid scheint — wie seine Verwendung des Predigtmusters, des Spaziergangtopos oder sein Hinweis auf die Wappenrede demonstrieren — die beliebten Erzählmuster der Redendichtung sehr genau zu kennen. Er greift diese Modelle jedoch nur sehr punktuell auf und interessiert sich offensichtlich eher für die verschiedenen Möglichkeiten politischer Didaxe. Seine Flexibilität bei der Montage bekannter Vorgangsmodelle der Redendichtung, seine Verarbeitung lokalen Chronikmaterials und schließlich die geschickte Neufassung eines vorliegenden Textes scheinen jedenfalls bei seinem Würzburger Publikum Gefallen gefunden zu haben. Ganz andere Wege geht Lupoid Hornburg allerdings in den drei Preisstrophen auf ältere Dichter (V), die im Hausbuch-Register unter dem Titel von allen singern eyn lobelich rede aufgeführt und am Ende des Walther- und Reinmar-Corpus auf die freien Spalten des letzten Blattes nachgetragen sind. 60 Der Sammler bzw. Schreiber hat in ihnen offensichtlich eine Art biographischen oder literaturkritischen Kommentar zu den voranstehenden Waither- und Reinmar-Liedern gesehen und sie deshalb — mit einer Vorrede — diesem Corpus beigefügt. Lupoids Strophen eröffnen jedoch weitere Perspektiven: in Marners langen Ton werden hier >12 alte Meisten, Reinmar, Walther, Konrad von Würzburg, Wolfram, Neidhart, Boppe, Marner, Regenbogen, Frauenlob, Sunnenburg, Ehrenbote und Bruder Wernher, gepriesen und mehr oder weniger genau in ihrer künstlerischen Spezifik charakterisiert. Das besondere Interesse des Autors gilt dabei dem Spruchdichter Reinmar, wodurch sich der Schreiber offensichtlich veranlaßt sah, diese Strophen aus dem Lupold-Oeuvre auszugliedern und den Reinmar-Liedern zuzuordnen. Die kunstvolle Übernahme eines fremden Tons, die Zwölfzahl der Meister und die Gesanges-frunt- Anrede der ersten Strophe (V. 18) verweisen auf die Kunstpraxis 59

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Während der Prolog (Vv. 1 - 2 1 ) der topischen Zeitklage über das Desinteresse der Herren an >edler Kunst< gilt, beziehen sich die anderen Zusätze - ein ausführliches Lob auf Herzog Albrecht den Lahmen von Österreich (Vv. 337-366), der Hinweis der allegorischen Reichsgestalt auf ihren Diener Karl IV. (V. 538) und ihre Bitte um Weitergabe der Nachrichten vom >Reich< an die Fürsten in Passau (Vv. 525-555) - auf den sogenannten Fürstentag in Passau im Jahre 1345. Für dieses Treffen, das offenbar auf die Initiative jenes österreichischen Herzogs zurückgeht, dessen überragender Rolle Lupoid mit seinem Lob Rechnung trägt, war eine Versöhnung Karls IV. mit seinem Gegner, dem Markgrafen Ludwig von Brandenburg, geplant, zu der es jedoch nicht kam. Lupoid will — dem Epilog zufolge - sein Reichsgedicht den in Passau versammelten Fürsten und adeligen Herren vorgetragen haben. Aus dieser Angabe wird geschlossen, daß er im Gefolge des Würzburger Bischofs nach Passau gekommen ist; vgl. dazu Keyser, S. 128. Fol. 191va-vb; sie sind hier von Hand Α (als Teil des Nachtrags I) in einer wesentlich kleineren Schrift als der vorangehende Text eingetragen. 157

des schulmäßigen Meistersangs. 61 Und da die Kolmarer Handschrift unter dem Titel Der kriec von Würzburg62 einen 23strophigen frouwe-wip-Streit zwischen Regenbogen und Frauenlob überliefert, fragt es sich, ob es in Würzburg frühe meistersingerliche Praktiken gegeben hat, die sich in Lupoids Preisstrophen niederschlagen. Das Gedicht der Kolmarer Handschrift läßt sich allerdings nach Alter und Herkunft nicht bestimmen, 63 so daß von ihm keine Auskunft über Würzburger Traditionen des Meistersangs zu erwarten ist. Und es gibt auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, daß es in Würzburg bereits im 14. Jahrhundert Ansätze eines in Singschulen organisierten Meistersangs gegeben hat. Lupoids Strophen sind demnach ein sehr frühes und merkwürdig isoliertes Zeugnis für die Entwicklung literarischer Techniken, wie sie im literarischen Betrieb der späteren städtischen Singschulen praktiziert werden. Sie werfen allerdings zugleich ein bemerkenswertes Licht auf die literarischen Interessen des Würzburger Protonotars und Scholasters. Denn Lupoids meistersingerliche Preisstrophen ordnen sich relativ bruchlos jener in den volkssprachigen Partien des Hausbuchs hervortretenden Tendenz ein, möglichst vollständig Texte alter >Meister< wie Walther und Reinmar, Konrad von Würzburg, Marner, Frauenlob und Sunnenburg zu sammeln und biographisches Material über sie zusammenzustellen. Dies zeigt, daß bestimmte Elemente der literarischen Traditionsbildung, die als entscheidende Voraussetzungen des schulmäßigen Meistersangs gelten, bereits die literarischen Interessen klerikal-städtischer Kreise des 14. Jahrhunderts bestimmt haben. 64 In den Leone-Handschriften dokumentieren sich nicht nur die speziellen literarischen Interessen eines geistlichen Würzburger Literaturkreises, sie bieten zugleich wertvolle Informationen über geradezu handwerklich-technische Aspekte des Literaturbetriebs. Für uns ist freilich nicht die Aufführungspraxis, sondern die rezeptive Seite des Sammlers, Schreibers und Bearbeiters faßbar. Doch auch dieser Bereich bleibt normalerweise verschlossen, während die Leone-Handschriften, zumal das Hausbuch, den Prozeß ihres Entstehens und die internen Zusammenhänge einzelner Texte relativ präzise erkennen lassen. Wegen der speziellen Zusammensetzung der beiden Leone-Handschriften und der Tätigkeit ihres Sammlers als Scholaster im Neumünsterstift ist wiederholt vermutet worden, daß Michael einen großen Teil seiner Texte, auch der volkssprachigen, der Bibliothek die-

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Vgl. dazu Keyser, S. 127; Eduard Brodführer: Lupoid Homburg, in: Verf. Lex. II, 1936. Sp. 488-491, hier Sp. 489.; Horst Brunner: Die alten Meister. Studien zu Uberlieferung und Rezeption der mittelhochdeutschen Spruchdichter im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. München 1975. (MTU 54) S. 3, Anm. 8. Meisterlieder der Kolmarer Handschrift. Hg. von Karl Bartsch. Stuttgart 1862. (BLVS 68) Nr. 61. Bartsch erwägt die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts (S. 176), ohne seine Vermutung zu begründen. Vgl. dazu die Hinweise bei Wachinger: Sängerkrieg, S. 287f. sowie ders. in einer Rezension der von Walter Blank besorgten Facsimile-Ausgabe der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. Germ. 350. In: Anz. 87, 1976. S. 186-198, hier S. 197.

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ses Stifts verdanke. 65 Dies ist zwar im einzelnen nicht nachweisbar, mag jedoch für bestimmte Teile der Handschriften zutreffen, zumal bei einzelnen Autoren Beziehungen zum Neumünsterstift wahrscheinlich sind oder zumindest lokale Traditionen vorliegen. Die fast ausschließlich lateinischen Manuale-Texte juristischer, historischer oder theologischer Prägung mögen tatsächlich in erster Linie der Stiftsbibliothek entstammen. Für die volkssprachigen Texte des Hausbuchs sollte allerdings differenziert werden zwischen früheren und späteren Partien. Jedenfalls läßt die von Gisela Kornrumpf detailliert analysierte Schichtung der Handschrift bestimmte Schlüsse auch auf Wandlungen in bezug auf die Verfügbarkeit der Vorlagen zu. Gisela Kornrumpf unterscheidet zwischen einem in den Jahren 1345 bis 1347 von einer Hand (B) geschriebenen Grundstock, der die Kapitel 9 - 1 4 des verlorenen ersten Bandes sowie die Kapitel 1 5 - 2 8 des zweiten Bandes umfaßt, und drei zwischen 1350 und 1353/54 von verschiedenen Händen geschriebenen Nachträgen, die die restlichen Kapitel 29—33 bieten, aber auch leere Seiten füllen und nachträglich eingeschobene Blätter und Lagen darstellen. 66 Für den Grundstock, den Hauptteil der Sammlung mit dem Renner, Freidanks Bescheidenheit, der Märensammlung und dem Walther-Reinmar-Corpus, verfügte Michael de Leone offenbar über einen festen Schreiber, auf den auch eine weitere RennerHandschrift zurückgeht. 67 An den Nachträgen sind hingegen die verschiedensten Schreiber beteiligt, die z.T. auch im Manuale vertreten sind. Michael de Leone hat offenbar zunächst einen festen Textbestand, der vielleicht auf die Bibliothek des Neumünsterstifts zurückgeht, relativ kontinuierlich abschreiben lassen, um im folgenden jeweils andere Schreiber mit dem Aufzeichnen von Nachträgen zu beauftragen. 68 Da sich diese Nachträge ζ. T. aus literarischen Novitäten rekrutieren oder auf aktuelle Lokalereignisse beziehen, ist anzunehmen, daß Michael zumindest für diese Partien nicht auf die Bestände seiner Stiftsbibliothek zurückgreifen konnte, sondern sich die Vorlagen eigens besorgt hat. Das gilt vor allem für das Oeuvre des Königs vom Odenwald, das in verschiedenen, gut rekonstruierbaren Etappen in die Handschrift eingetragen worden ist. Die Reden I - V gehören noch zum Grundstock, sie folgen auf das Walther-Reinmar-Corpus und sind - abgesehen von sechs Α-Zeilen in Rede V - von der Grundstockhand Β nacheinander auf ei65 66 67 68

Ein wohl allzu optimistisches Bild von den Beständen der Würzburger Neumünster-Bibliothek bietet Keyser, S. 37ff. Kornrumpf, S. 70f. Es handelt sich dabei um die Äen/ier-Handschrift X, von der inzwischen 17 Blätter gefunden worden sind; genaue Angaben in: Der Renner IV, S. 344f. Da die >Nachtragsphase< mit wechselnden Schreibern zu einer Zeit einsetzt, als Michael nicht mehr als Protonotar, sondern als Scholaster des Neumünsterstifts auftritt, wäre zu fragen, ob es hier Zusammenhänge mit Michaels Ausscheiden aus der bischöflichen Kanzlei gibt. Bisher ist uns nur der Name eines Schreibers, Gyselher, bekannt, der im Jahre 1350 in das Manuale Johannes' von Lauterbach Vita Sti Kyliani eingetragen hat; vgl. dazu die Notiz bei Grauert, S. 445. Er wird mit Hand Α identifiziert, die im Hausbuch für die beiden ersten Lagen, das Register und eine Reihe von Nachträgen verantwortlich ist. In ihr wird - entsprechend dem Manuale-Eintrag - Michaels >vertrautester< Schreiber gesehen; dazu Keyser, S. 146f. Vgl. jedoch die skeptische Äußerung bei Komrumpf, S. 68. 159

ner neuen Lage, fol. 192-196 und 200-201, abgeschrieben worden. Die Reden VI und VII sind von Hand Α auf drei Blättern in - wie die Tintendifferenz nahelegt - zwei Etappen nachgetragen und als fol. 197-199 an geeigneter Stelle des Odenwald-Corpus eingeschoben worden. 69 Die restlichen Texte stehen am Ende der Handschrift, durch Querverweise mit dem ersten Teil verbunden: Zur Nachtragsschicht II gehören die von den Schreibern Α und F aufgezeichneten Texte V I I I - X , im Rahmen des Nachtrags III werden schließlich die letzten OdenwaldTexte, XI und XII, von einer Spielart der Hand Α eingetragen, die Gisela Kornrumpf mit den auf 1353/54 datierten Abschnitten des Liber privilegiorum identifiziert. 70 Schon Edward Schröder hat aus dieser komplizierten zeitlichen Stufung der Odenwald-Einträge geschlossen, daß Michael de Leone die Werke dieses Autors nur stückweise kennengelernt und sich um die jeweils neuen Exemplare dieses ostfränkischen Dichters bemüht habe. 71 Diese Sammeltechnik verdeutlicht ein Prinzip, das Michael bei der Zusammenstellung des Hausbuchs geleitet haben mag: der Wunsch nach einer gewissen Vollständigkeit, der ihn ζ. B. die nur sukzessive verfügbaren Werke eines erfolgreichen Autors in fünf Ansätzen eintragen läßt. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich in der Aufnahme von >Doppelfassungen< einzelner Texte in Latein und der Volkssprache; am deutlichsten etwa in der zweifachen, bearbeitenden Übertragung von Lupoids Ritmaticum durch Otto Baldemann und Lupoid Hornburg. Daß dieser das lateinische Original offenbar nicht kennt, sondern - wie ein Eintrag am Ende des Textes prägnant vermerkt 72 — im wesentlichen Baldemanns Fassung bietet, scheint Michael de Leone nicht gestört zu haben. Er läßt Hornburgs Rede im Rahmen des Oeuvres dieses Autors aufzeichnen und an einzelnen Stellen mit lateinischen und deutschen historischen Kommentaren versehen. Daß er allerdings die zweifache Bearbeitung des lateinischen Reichsgedichts seines Kollegen Lupoid von Bebenburg selbst angeregt hat, ist nicht gesichert. Für uns ist nur das Interesse des zeitgenössischen, persönlich mit dem Dichter des Originals bekannten Sammlers greifbar. Nur bei einem Werk, dem Renner Hugos von Trimberg, werden für uns konkretere Formen einer literarischen Rezeption Michaels deutlich, die über seine Sammelaktivitäten hinausgehen und ihm in der Literaturgeschichte den Ruf eines systematisch-intellektuellen Bearbeiters eingetragen haben. Wie sehr der Würzburger Protonotar und Literaturfreund an Hugos von Trimberg Werk interessiert gewesen ist, zeigt sich schon daran, daß der Grundstockschreiber Β den Renner nicht nur in das Hausbuch eingetragen, sondern auch eine weitere Abschrift angefertigt

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Sie schließen unmittelbar an die Rede III an, die - bis auf zwei Schlußverse - fol. 196vb füllt. Die beiden Schlußverse dieser Rede stehen auf einer neuen Seite (fol. 200ra) und sind nun - durch den Einschub - von der Rede III abgetrennt. Kornrumpf, S. 71. Schröder: Gedichte des Königs vom Odenwald, S. 5ff. fol. 232vb; vgl. Bell-Gudde: von Karlstat Otte Waldeman/Vienge die rede zu ächten an,/Die der lange Luppolt hat/Geraubet hie an maniger stat (S. 218, Vv. 591-594).

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hat, von der heute allerdings nur noch vereinzelte Fragmente erhalten sind. 73 Michaels Bemühen um die Verbreitung dieses Textes geht jedoch noch weiter: Denn die Renner- Fassung des verlorenen ersten Hausbuch-Bandes weist - wie aus den wenigen erhaltenen Fragmenten hervorgeht 74 - eine Kapiteleinteilung und am Rand notierte Überschriften auf, die Hugos von Trimberg Distinctionen-Gliederung überlagert, sich aber als Gliederungsprinzip in einem Teil der Renner- Überlieferung durchgesetzt hat. 75 Diese Neugliederung des Renners wird in dem Registrum der 1347 entstandenen Erlanger Handschrift Ε ausdrücklich Michael de Leone zugesprochen, der ditz buch also gecorrigiert rechtvertigt vn capituliert und geregistriert hat zu gemeinem nutze und lere aller der die ditz buch lesen und hören lesen.16 Auch dieses Register, das dem Renner-Text der Handschriften Ε und a vorangeht, da mit man begriffet und auch snelliclich bi der zal der ordenunge da bi vindet swaz und wo in dem selben buche lobelichen getihtet ist,77 scheint demnach auf Michael de Leone zurückzugehen. Er hat offenbar Hugos Werk nach seinem Geschmack eingerichtet und in seinem Sinne die enzyklopädische Breite der Didaxe strukturiert. Diese Registrierung der Renner-Didaxe, die der im Hausbuch hervortretenden Tendenz zur Systematisierung entspricht, wird von Gustav Ehrismann zu Recht auf die Literaturkonzeption und das Aufgabenfeld des Kanzleibeamten bezogen, dem an einer Katalogisierung der Themenbereiche gelegen ist. 78 Das Renner- Beispiel konturiert demnach eine Einstellung zur Literatur, die sich möglicherweise sehr direkt Michaels Tätigkeit als bischöflicher Protonotar und Scholaster verdankt. Insofern beleuchtet Michaels Renner- Rezeption noch einmal von einer anderen Seite jene Überlegungen, die dieser hohe Kanzleibeamte mit der Anlage des Hausbuchs verbunden haben mag: einer Sammlung von Gebrauchs- und dichterischen Texten, die lokal-aktuellen Interessen entgegenkommen, praktischen Bedürfnissen entsprechen, literarische Traditionen verbürgen und durch eine übersichtliche Gliederung dem Gebrauch verfügbar gemacht werden soll. Der Beitrag, den eine Erörterung des Leonekreises für die Untersuchung städtischer Literaturzentren leisten kann, betrifft zwangsläufig weniger den Bereich der literarischen Produktion als den der Rezeption, wie er sich in den Leone-Handschriften als Sammelaktivität, Materialkompilation und Textbearbeitung des bischöflichen Protonotars Michael de Leone abzeichnet. Dabei zeigt sich freilich in aller Deutlichkeit, daß auch in Würzburg im 14. Jahrhundert weder die Literatur 73 74

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Vgl. Anm. 67. Fünf im germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und in der Bayerischen Staatsbibliothek in München liegende Blätter der Renner-Handschrift Wb; vgl. die Angaben in: Der Renner IV, S. 344. Gustav Ehrismann unterscheidet deshalb - in seinem Überblick über die Renner- Überlieferung - zwei Überlieferungszweige: eine Klasse I mit Hugos Distinctionen-Einteilung und eine Klasse II mit Michaels Kapitel-Gliederung (Der Renner IV, S. 27ff.). Der Renner IV, S. 13; zum Schlagwort des gemeynen nutz vgl. unten S. 243ff; 260ff. Der Renner IV, S. 4. Ebda., S. 225; in diesem Sinne auch Keyser, S. 135-139. 161

städtisch geworden ist, noch der literarische Geschmack des Publikums >bürgerlichIntimisierung< der literarischen Rezeption, die sich bereits am Beispiel von Arras und der oberrheinischen Bischofsstädte konstatieren ließen. In dem Projekt des Hausbuchs — wie problematisch der Begriff auch sein mag - konkretisieren sich diese Aspekte am sichtbarsten. Zwar verweist der Besitzeintrag eher auf eine adelige, am Haus und Geschlecht orientierte Traditionsbildung. Die Anlage der Sammlung setzt jedoch zugleich andere Akzente: sie eignet sich weniger zur Repräsentation des Geschlechts oder eines höfisch-elitären Geschmacks. Sie vermittelt hingegen Informationen über verschiedene Lebensbereiche, Orientierung über aktuell-lokale Ereignisse bzw. lokale literarische Betätigungen, aber auch literarische Unterhaltung durch die Aufnahme didaktischer Literaturtypen, einer Märensammlung oder der Texte >alter< Meister. Zur Kennzeichnung dieses Umgangs mit Literatur bietet sich die Kategorie des >Gebrauchs< an, die für bestimmte Aspekte jener Regionalisierung und >Intimisierung< des literarischen Lebens im Spätmittelalter verantwortlich zu sein scheint. Bei Michael de Leone läßt sich dieser >Gebrauch< von Literatur sehr differenziert beschreiben und sozialgeschichtlich erklären: er geht nicht auf spezifisch städtische oder gar >bürgerliche< Formen des Literaturbetriebs zurück, sondern auf die gesellschaftlichen Erfahrungen und das Literaturverständnis eines in städtisch-klerikale Kreise integrierten hohen geistlichen Verwaltungsbeamten des Würzburger Bischofs. Die ausgewählten Beispiele städtischer Literaturzentren können natürlich nur ein partielles Bild von den Möglichkeiten städtischen Literaturlebens im Spätmittelalter bieten. Sie sind eine relativ beliebige Auswahl aus einem Angebot von Städten, die in der literarhistorischen Forschung als Stationen des Wegs der Dichtung vom Hof in die Stadt Beachtung gefunden haben: neben Wien mit seiner ausgefächerten Literaturszene von fürstlicher Hofpoesie, lokaler Geschichtsdichtung und gelehrter Ordensliteratur, Erfurt mit den literarischen Aktivitäten seiner Schulen und Klöster, Köln mit Gottfried Hagens Buch von der stede Colne, einer Reimchronik über einen aktuellen städtischen Konflikt, Magdeburg mit den literarischen Werken des Brun von Schönebeck oder etwa Regensburg und Augsburg als Zentren aszetisch-mystischen Schrifttums der Franziskaner. Im 14. Jahrhundert erweitert sich dieses eher monolithische Bild vereinzelter städtischer Literaturzentren zu einer Fülle an Hinweisen auf städtische Autoren, Schreiber, Mäzene und Sammler, die in einer übergreifenden Darstellung kaum mehr überblickt werden kann. Es bilden sich neue Literaturzentren und neuartige Konstellationen des literarischen Betriebs heraus: die norddeutschen Hansestädte treten mit einer blühenden Stadtchronik-Literatur hervor, um die sich interessierte Ratsmitglieder, informierte Kanzleibeamte und literaturkundige Geistüche der städtischen Klöster kümmern. Die neugegründeten Universitäten in Prag, Wien und Erfurt sind Anziehungspunkte für Wissenschaftler und Studenten und schaffen ein Potential ge162

lehrter Herren, die ihre im Studium geweckten Interessen für Grammatik, Rhetorik, Moralphilosophie und Theologie auch als städtische Kanzleibeamte, Lehrer und Pfarrer weiterführen. Und - um einen anderen Bereich anzusprechen - die literarischen Bedürfnisse religiös erregter Laienkreise initiieren vor allem in den Großstädten Basel, Straßburg und Nürnberg das Sammeln und Kopieren mystischer Predigten, Traktate und Dichtung und führen zu einem literarischen Austausch mit für mystisch-aszetische Texte aufgeschlossenen Klosterinsassen. Neben diesen neu entstandenen Uterarischen Gruppen und Zirkeln behalten aber die als Literaturzentren bereits etablierten Bischofssitze, fürstlichen Residenzstädte und Handelsmetropolen ihre Bedeutung für die Uterarische Produktion bei. Die hier vorgestellten Beispiele, die französische Bankiersmetropole Arras, die oberrheinischen Kulturzentren Zürich, Basel, Straßburg und der mainfränkische Bischofssitz Würzburg beleuchten vor aUem vier Aspekte des Themenkomplexes >Literatur in der Städte die vornehmUch für die Bischofsstädte charakteristische Literaturgesellschaft geistücher und weltücher Herren, die zu einer engen Verbindung von klerikalen und weltlichen Literaturinteressen und lateinischer wie volkssprachiger Literaturproduktion führt; die ausgeprägten regionalen Unterschiede in den gesellschaftlichen Voraussetzungen und Realisationen des städtischen Literaturbetriebs, die sich besonders deutlich im Verhältnis Frankreich — Deutschland abzeichnen; die Problematik einer Opposition von Hof und Stadt, von adelig-höfischer und >bürgerlichVorgeschichte« städtischer Literatur im 13. und 14. Jahrhundert. Eine der auffallendsten Gemeinsamkeiten der hier vorgeführten städtischen Literaturzentren ist das Neben- und Miteinander von geistlichen und weltlichen Mäzenen, lateinischen wie volkssprachigen Autoren, die - in dieser Mischung - das literarische Leben dieser Städte entscheidend prägen. In Arras bestimmen neben dem Berufsdichter maistre Adam de la Halle Geistliche des Bischofshofs, Angehörige deifamilia von St. Vaast und führende Bankiersfamilien als Gönner wie Autoren die literarische Szenerie und erreichen eine ungewöhnliche Vielfalt der literarischen Produktion. Die oberrheinischen Literaturzentren Zürich, Basel und Straßburg bieten mit Uterarisch interessierten Domherren und Stiftskanonikern, Äbten und städtischen Geschlechtern, um die sich geistliche wie weltUche Dichter scharen, ein sehr prägnantes Bild klerikal-städtischen Literaturbetriebs: in Zürich versammelt sich um die Familie Manesse Hadlaubs Publikum, eine Gruppe hoher geistUcher wie weltlicher Herren der Stadt und näheren Umgebung, zu der auch Konrad von Mure gehört, der als Scholaster, später Kantor des Großmünsters eine Reihe wissenschaftlicher und Uterarischer Werke aus dem Bereich der Historiographie, Rhetorik, Musik und Naturkunde verfaßt hat und mit seiner Wappensammlung Clipearius Teutonicorum ein Pendant zu den Wappenbildern der Heidelberger Liederhandschrift C bietet. 79 In den Bischofsstädten Basel und Straß79

Zur Bedeutung Konrads von Mure für das literarische Leben Zürichs vgl. Renk, S. 2 6 - 2 9 . 163

burg nimmt natürlich die curia des Bischofs eine besondere Stellung im literarischen Leben der Stadt ein: der Bischof und seine Hofkleriker, die Domherren und bischöflichen Ministerialen betätigen sich als Auftraggeber lateinischer wie volkssprachiger Werke und sind von geistlichen wie weltlichen Berufsdichtern umgeben. In konzentrierter Form spiegelt sich dieses Nebeneinander von geistlichen und weltlichen Gönnern, lateinischen und volkssprachigen Autoren schließlich in den Sammelhandschriften des Würzburger Domherrn Michael de Leone, die mit ihrer Mischung von lateinischen Texten, volkssprachiger Gebrauchsliteratur und Hofdichtung die spezifischen geistlich-weltlichen literarischen Aktivitäten und Literaturinteressen im Umkreis des Bischofshofs abbilden. Diese Verbindung von gelehrt-wissenschaftlichen, juristischen und ritterlich-höfischen Literaturinteressen scheint für das literarische Leben der Städte, zumal der Bischofsstädte, charakteristisch zu sein, da hier am Bischofshof, in den adeligen Stiftern und Klöstern eine Reihe geistlich gebildeter, wissenschaftlichen Problemen aufgeschlossener und zugleich aristokratisch lebender Herren zusammentreffen, die genau jene Verbindung von Wissenschaft, Geschichtsschreibung und Hofpoesie garantieren. Allerdings wird man diese Bestimmung städtischer Literatur nicht überschätzen dürfen, denn auch an den Fürstenhöfen des 12. Jahrhunderts, am deutlichsten etwa in der Umgebung des englischen Königs Heinrichs II., 80 lassen sich vergleichbare Personenkonstellationen und eine entsprechende Verbindung von geistlicher Gelegenheitsdichtung, lateinischer Historiographie und volkssprachiger Hofdichtung nachweisen. Freilich konzentrieren sich hier die literarischen Aktivitäten auf den Fürsten, dem Äbte benachbarter Klöster, Hofkleriker und volkssprachige Berufsdichter ihre Werke widmen, während sich in den Bischofsstädten des 13. und 14. Jahrhunderts das literarische Patronat auf die verschiedensten geistlichen und weltlichen Herren verteilt, die - zum großen Teil in engen persönlichen Beziehungen untereinander - zur weiteren Umgebung des Bischofs gehören. Dieses Nebeneinander von hohen geistlichen Würdenträgern und bedeutenden städtischen Geschlechtern, die zusammen mit dem bischöflichen Stadtherrn die Stadt regieren, führt hier zu einer Annäherung bzw. Überschneidung lateinischer und volkssprachiger Literaturtypen und zu einer ungewöhnlichen Vielfalt literarischer Betätigung. Damit sind jedoch die spezifischen Gemeinsamkeiten im Literaturbetrieb der hier betrachteten Städte bereits erschöpft. Denn auch für den kulturellen Bereich trifft das von der Stadtgeschichtsforschung immer wieder betonte Faktum zu, daß es den Typus der mittelalterlichen Stadt als eines mit festen Strukturmerkmalen ausgestatteten Sozialsystems nicht gebe, sondern daß mit einer Fülle von Stadttypen und verschiedenen Städtelandschaften zu rechnen sei. Jedenfalls ist das literarische Leben in den hier besprochenen Städten von jeweils sehr verschiedenen Faktoren bestimmt und läßt sich - trotz äußerlicher Übereinstimmungen - nur 80

Vgl. dazu den Überblick bei Walter F. Schirmer, Ulrich Broich: Studien zum literarischen Patronat im England des 12. Jahrhunderts. Köln, Opladen 1962. (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 23)

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sehr bedingt miteinander vergleichen. Die Arraser Literatur scheint im 13. Jahrhundert sehr direkt in das gesellschaftliche Leben der Stadt integriert gewesen zu sein: berühmte Berufsdichter, geistliche Beamte der angesehenen BenediktinerAbtei St. Vaast und Angehörige der reichen Arraser Familien sind in der Confrärie des Ardents organisiert und erproben als Autoren und Publikum die verschiedensten literarischen Typen. Es entstehen >komische< Theaterstücke mit historisch-politischen Anspielungen, eine Vielzahl von Streitgedichten mit Namensnennungen, die Conges, die Arras und sein literarisches Publikum zum thematischen Fixpunkt machen, und anonyme Texte, die komisch-satirische Erzählmuster ζ. T. sehr konkret auf die >Oügarchie< der Arraser Bankiers beziehen. Zürich ist zur gleichen Zeit eine Art Kristallisationspunkt für ein anspruchsvolles Minnesangpublikum, das sich aus geistlichen Würdenträgern der näheren und weiteren Umgebung, lokalem Adel und Angehörigen der reichen Zürcher Familie Manesse zusammensetzt. In Basel bestimmen die bedeutendsten Herren des Domstifts und die führenden städtischen Geschlechter das literarische Leben: sie sind von anonymen geistlichen Autoren lateinischer Gelegenheitsgedichte umgeben; für sie arbeitet aber auch der volkssprachige, gelehrte Berufsdichter Konrad von Würzburg, den sie über mehrere Jahre hinweg zu einer kontinuierlichen Literaturproduktion ermuntern. Hinter diesen literarischen Aktivitäten scheint - wie auch in Straßburg — der Bischofshof als Forum des literarischen Vortrags zu stehen. Diese Seite des gesellschaftlichen Lebens einer Bischofsstadt ist - 50 Jahre später - das Zentrum der Literaturszene in Würzburg. Hier bleiben die städtischen Geschlechter stumm, während hohe Geistliche des Domstifts, der Stifter und Klöster der Stadt miteinander in gelehrt-wissenschaftlichem Austausch stehen, Berufsautoren um sich versammeln und sich für die Dichtung berühmter volkssprachiger Autoren interessieren. In diesen sehr verschiedenen Konstellationen des literarischen Lebens spiegeln sich Unterschiede der jeweiligen Stadtentwicklung: in Arras tritt die bischöfliche civitas als Faktor des städtischen Lebens gegenüber dem Einfluß des Grafen von Artois bzw. des französischen Königs und der bedeutenden Stellung der Abtei St. Vaast zurück, die - als frühes herrschaftliches und wirtschaftliches Zentrum der Stadtbildung - noch im 13. Jahrhundert zusammen mit den städtischen Geschlechtern, oft ehemaligen Dienstleuten der Abtei, die städtische Politik bestimmt. In Zürich entspricht der führenden gesellschaftlichen Stellung der Fürstäbtissin des Frauenmünsters ihre literarische Rolle als von Zürich diu vürstin,81 die im Kreis hoher geistlicher und weltlicher Adeliger Hadlaubs Publikum repräsentiert. Die im 13. Jahrhundert zunehmende wirtschaftliche Potenz und politische Führungsrolle der Basier milites und cives dokumentiert sich auch in ihrem Mäzenatentum für Konrad von Würzburg, das ihrem Selbständigkeitsstreben und ihrem Repräsentationsbedürfnis beredten Ausdruck verleiht. In Würzburg präsentiert sich hingegen die im gesellschaftlich-politischen Sektor evidente Vorherrschaft des Bischofs und seiner Geistlichkeit gegenüber den städtischen Geschlechtern auch im kulturellen Bereich: hohe Verwaltungsbeamte des Bischofs treten als Autoren, Literaturken81

Hadlaub, SM Lied 2, 43.

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ner, Bearbeiter und Sammler auf. Schon diese deutlichen Differenzen in den sozialen Voraussetzungen der Literaturszene einzelner Städte zeigen, daß die Stadt als der soziale Ort der literarischen Produktion und Rezeption für eine funktionsgeschichtliche Einordnung der Texte bzw. Sammelaktivitäten nicht unter systematischen Gesichtspunkten relevant sein kann, sondern nur als lokaler sozialgeschichtlicher Rahmen der literarischen Kommunikation. Diese Einschränkung einer generalisierenden Betrachtung der Stadtliteratur betrifft vor allem das Verhältnis Frankreich — Deutschland. Während im 12. Jahrhundert die sogenannte ritterliche Dichtung der französischen Fürstenhöfe an den sehr ähnlich strukturierten Höfen deutscher Territorialfürsten rezipiert wurde und deshalb für diese Phase ein Vergleich der französischen und deutschen Dichtung im Kontext des jeweiligen Sozialsystems naheliegt, ändern sich die Voraussetzungen solcher vergleichenden Untersuchungen, sobald es sich um städtische Kontexte handelt. Das liegt zum einen daran, daß seit dem 13. Jahrhundert die französische Dichtung generell nicht mehr im gleichen Umfang ins Deutsche übertragen und damit natürlich auch die Literatur der flandrisch-französischen Städte nicht wie noch 50 Jahre vorher - sofort von deutschen Autoren aufgegriffen und einem den französischen Verhältnissen entsprechenden sozialen Umkreis vorgetragen wurde. Zum anderen ist aber für die unterschiedliche Entwicklung der französischen und deutschen Stadtliteratur des 13. Jahrhunderts jener besondere Regionalismus des Städtewesens verantwortlich, der sich in dem Fehlen systematischer Aspekte und in der absoluten Dominanz lokaler Faktoren für die jeweilige Stadtentwicklung dokumentiert. Die Arraser Literatur, die sich einem Zusammenspiel von Fürstenhof, Abtei, bischöflicher Verwaltung und städtischen Geschlechtern verdankt und auf sehr unterschiedliche Weise persönliche Relationen eines städtischen Publikums verdeutlicht, steht in der Tradition französischer Gesellschaftsdichtung, die schon immer in besonderer Weise auf Geselligkeitsformen ihres Publikums rekurriert und bestimmte Themen der gesellschaftlichen Realität mehr oder weniger direkt anspricht. Die Jeux-partis und verschiedenen Formen komischen Theaters, die historisch-konkreten Satiren und Conges sind spezifisch französische Genres, die in Deutschland keine Nachfolge gefunden haben. Arras ist deshalb in seiner Vielfalt des literarischen Lebens weniger ein Paradigma eines städtischen Literaturzentrums als ein charakteristisches Beispiel für die Existenz spezifisch französischer Literaturzirkel. Die literarische Praxis städtischer Literaturzentren des 13. und 14. Jahrhunderts läßt sich offenbar nicht systematisch-vergleichend, sondern nur lokal-deskriptiv analysieren, denn die Offenheit des Stadtbegriffs und die sich daraus ergebende Fülle möglicher sozialer Konstellationen bieten kaum Ansatzpunkte für kategoriale Gemeinsamkeiten eines sogenannten städtischen Literaturbetriebs. Zugleich haben die vorgestellten Beispiele sehr nachdrücklich gezeigt, daß auch auf dem kulturell-literarischen Sektor die Stadt nicht eine Art gesellschaftliches Gegensystem zum Hof darstellt. Adeliges Hofleben ist nicht nur sehr häufig entscheidend an der Stadtentwicklung beteiligt und auf vielfältige Weise in die Stadt integriert, sondern auch ein zentraler Faktor der städtischen Literaturszene. Das 166

gilt vor allem für Residenz- und Bischofsstädte wie Arras, Basel, Straßburg und Würzburg, deren kulturelles Leben von der curia der geistlichen und weltlichen Fürsten, adeliger Stifter und Abteien bestimmt wird, aber auch für eine Stadt wie Zürich, in der sich eine Gruppe geistlicher und weltlicher Adeliger als ein ambitioniertes Minnesangpublikum zusammenfindet. Die Aussichtslosigkeit, adelig-höfische von städtischer literarischer Kommunikation abzutrennen, zeigt sich besonders deutlich, wenn Mitglieder adeliger Familien in den Städten als Mäzene oder Autoren hervortreten: etwa das Auftreten Waithers von Klingen in Straßburg und Basel oder die Herren von Hohenberg-Haigerloch, ein einflußreiches südwestdeutsches Adelsgeschlecht, das im 13. Jahrhundert vielfältige Uterarische Kontakte - durch Heinzehn von Konstanz auch nach Konstanz - pflegt. Bestimmte Aspekte des literarischen Lebens im 13. und 14. Jahrhundert scheinen allerdings — unabhängig von den Problemen einer Unterscheidung von städtischen und höfischen Literaturformen - so sehr auf die Stadt als den gesellschaftlichen Ort der literarischen Kommunikation zu verweisen, daß zu diskutieren ist, ob sich nicht in bestimmten Bereichen des literarischen Lebens im 13. und 14. Jahrhundert zumindest eine Art >Vorgeschichte< städtischer Dichtung abzeichnet: Auf dem autorensoziologischen Sektor etwa das Hervortreten gelehrter Laien, die als städtische Ärzte, Ratsherren oder Juristen ohne Mäzene sich um die Übersetzung lateinischer Texte bemühen und — mit dieser literarischen Nebenbeschäftigung — eine spezifisch städtische Autorexistenz darstellen; auf der thematischen Ebene die Diskussion dezidiert städtischer Probleme, die - wie die Arraser Satiren oder etwa Kaufringers gesellschaftsdidaktische Reden zeigen — gesellschaftliche Erfahrungen und literarische Erwartungen eines Publikums ansprechen, die auf einem Leben in der Stadt basieren; und schließlich im Bereich des Uterarischen Geschmacks die zunehmende Beliebtheit der verschiedensten Formen kleiner Literaturtypen, auch wenn die Gründe für diese Verlagerung üterarischer Interessen nicht sehr deutlich sind. Diese punktuellen Veränderungen im literarischen System verweisen aUerdings nicht auf eine folgerichtige Linie von einer adelig-repräsentativen Hofdichtung zu einem städtischen Literaturbetrieb, wie er uns in den Singschulen, den stadtbezogenen Reden und Sprüchen oder den Fastnachtspielen Nürnbergs im 15. und 16. Jahrhundert entgegentritt. Es lassen sich bestenfalls Ansätze einer Veränderung in der Einstellung zur Literatur konstatieren, die ein Jahrhundert später als eine Dominante des üterarischen Systems für spezifisch städtische Organisationsformen der Üterarischen Produktion verantwortlich sind. Die Nürnberger Literaturszene des 15. und 16. Jahrhunderts ist freilich nicht das Ziel einer literarischen Entwicklung, die von der Literaturpraxis städtischer Literaturzentren des 13. und 14. Jahrhunderts auf den Dichtungsbetrieb des Nürnberger Typs zuliefe. Denn auch das literarische Nürnberg ist ein lokaler Sonderfall, dessen gesellschaftliche und literarische Faktoren sich nicht ohne weiteres ins 13. und 14. Jahrhundert vorverlegen lassen. Die hier vorgestellten Literaturzentren des 13. und 14. Jahrhunderts zeigen vielmehr, daß sich in sehr unterschiedlichen Kontexten bestimmte Konstellationen von Autor und Publikum wie auch literarische Vorlieben herausbilden, die zwar später zu einer Art Uterarischer Program167

matik eines spezifisch städtischen Literaturkreises werden können, jedoch nicht auf erkennbaren genetischen oder auch nur strukturellen Zusammenhängen basieren. Sie dokumentieren deshalb nur in sehr eingeschränktem Sinne eine >Vorgeschichte< städtischer Literatur.

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III. Organisatorische Voraussetzungen des städtischen Literaturbetriebs

Städtische Literaturzentren informieren punktuell über Literaturkreise und die gesellschaftliche Situierung der Autoren in den Städten, aber auch über mögliche lokal ausgerichtete Literaturinteressen eines städtischen Publikums. Dabei werden zwar Besonderheiten des Literaturbetriebs sichtbar, die sich dem städtischen Kontext zu verdanken scheinen: etwa das Nebeneinander mehrerer Basler Gönner Konrads von Würzburg, das sich abhebt von der Fixierung eines Hofpoeten auf die Person des Fürsten, oder die Gruppe bischöflicher Verwaltungsbeamter in Würzburg, die offenbar neben dem bischöflichen Hof einen städtisch-klerikalen Literaturkreis etabliert, und schließlich die Aufgeschlossenheit Arraser Autoren für Probleme städtischer Politik. Diese sogenannten städtischen Aspekte der literarischen Kommunikation sind jedoch wenig charakteristisch für das literarische Leben in den bisher betrachteten Literaturzentren. Die literarische Produktion und Rezeption verläuft hier - soweit wir es verfolgen können - im wesentlichen nach denselben Mustern wie an den bekannten Fürstenhöfen des 12. Jahrhunderts: Autoren halten sich für eine bestimmte Zeit in der Umgebung einflußreicher geistlicher und weltlicher Herren auf, in deren Auftrag und zu deren Unterhaltung sie höfische Romane, politisch-didaktische Reden, Legenden, panegyrische Texte und Liebeslieder verfassen. Das ist in Arras, Basel und Würzburg nicht anders als im Falle des Mäzenatentums Hermanns von Thüringen oder Herzog Friedrichs II. von Österreich. Die Städte bieten lediglich eine größere Vielfalt an möglichen Konstellationen von Autor und Publikum. Aber selbst dieser Versuch einer generellen Differenzierung zwischen Stadt und Hof als dem gesellschaftlichen Ort der literarischen Kommunikation verzeichnet eher die tatsächlichen Verhältnisse. Denn auch die profilierten städtischen Literaturzentren des 13. und 14. Jahrhunderts wie Arras, Basel, Straßburg und Würzburg wären ohne die Präsenz geistlicher oder weltlicher Fürstenhöfe undenkbar: in Arras bestimmen die Beamten der Abtei von St. Vaast und die Umgebung des Grafen von Artois das literarische Leben; in Basel, Straßburg und Würzburg die Personengruppe um den Bischof und das Domkapitel, die Domherren, Verwaltungsbeamten und bischöflichen Ministerialen, die als Mäzene, Literaturkenner und Autoren die Stadt zu einem literarischen Zentrum machen. Diese geradezu >konventionellen< Konstellationen von Autor, Mäzen und Publikum verhindern in den hier besprochenen städtischen Literaturzentren eine entschiedene Umstrukturierung des Systems städtischer Literaturproduktion und -rezeption. Es ist deshalb nicht zu erwarten, daß die Literaturkreise in Arras, Basel 169

oder Würzburg Aufschluß über spezifisch städtische Formen des Literaturkonsums oder daß etwa die literarischen Werke eines Adam de la Halle, Johannes Hadlaub und Konrad von Würzburg Auskunft über städtische Voraussetzungen der literarischen Produktion bzw. besondere literarische Interessen eines stadtbürgerlichen Publikums geben. Insofern muß auch die Frage nach möglichen unterschiedlichen Bedingungen der literarischen Kommunikation in der Stadt und am Hof anders gestellt werden. Sie wird sich auf Anhaltspunkte für spezifisch städtische Organisationsformen des literarischen Betriebs im 13. und 14. Jahrhundert zu konzentrieren haben, wie sie sich zwar in der etablierten Literaturszene der berühmten städtischen Literaturzentren nicht finden lassen, sich aber vielleicht in anderen Kontexten bereits im 13. und 14. Jahrhundert abzeichnen und zumindest die Konturen einer möglichen >Vorgeschichte< der städtischen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts erhellen. Diese - systematisch angelegten - Überlegungen sind nicht unproblematisch. Denn im Hintergrund steht natürlich das Bild einer städtischen Literaturproduktion, wie es sich im 15. und 16. Jahrhundert darbietet und dessen Merkmale dadurch möglicherweise unzulässig auf frühere Zeiten projiziert werden. Diese Gefahr zeigt sich sehr deutlich an der bisherigen Forschungsdiskussion zum Thema >Literatur in der Stadt«, die in der Regel von festen, dem literarischen« Nürnberg des 15. und 16. Jahrhunderts entlehnten Vorstellungen über die besonderen organisatorischen Voraussetzungen der städtischen Literaturproduktion getragen ist. Aus diesem Grund sollen im folgenden bei der Frage nach spezifisch städtischen Formen der literarischen Produktion und Rezeption vornehmlich jene organisatorischen Aspekte städtischen Literaturbetriebs berücksichtigt und auf ihre Relevanz für das literarische Leben im 13. und 14. Jahrhundert hin untersucht werden, die im 15. und 16. Jahrhundert besonders hervortreten und das Bild städtischer Literatur prägen. Es bieten sich zwei Bereiche an: Einerseits die Frage nach der gesellschaftlichen Stellung von professionellen Vortragskünstlern in der Stadt, nach der Aufnahme, die sie hier finden, nach ihrem Publikum und im besonderen nach möglichen Organisationsformen ihres Auftretens. Zum anderen die organisatorischen Vorstufen von zwei dezidiert städtischen Formen literarischer Praxis im Spätmittelalter: der Aufführung geistlicher wie weltlicher Spiele, die im 16. Jahrhundert in manchen Fällen, etwa als groß angelegte Passionsspiele, praktisch die ganze Stadt beschäftigen bzw. als Fastnachtspiele zum Markenzeichen einer Stadt, etwa Nürnbergs, werden konnten, und die literarische Produktion städtischer Singschulen, jener Meistersinger-Vereinigungen, die in zahlreichen Städten das literarische Leben entscheidend geprägt haben. In beiden Fällen ist die organisatorische Seite ausschlaggebend: bei den Spielen zeigt sich der städtische Charakter in den Vorbereitungen der Aufführungen, in der Initiative städtischer Institutionen, dem Interesse des Magistrats, der Beteiligung städtischer Beamter, dem Zusammenwirken von Stadtgeistlichen und Laien. Die Singschulen bewirken durch spezifische organisatorische Bestimmungen die Entstehung und Durchsetzung bestimmter literarischer Typen und Formen und gelten deshalb als eine Art Paradigma städtischen Literaturbetriebs. Informationen über das Stadtspezifische an den Spielen, wie es sich in 170

den äußeren Umständen der Aufführungen abzeichnet, bieten weniger die Spieltexte und erhaltenen Dirigierrollen als historische Quellen, in denen Aufführungen dokumentiert sind, vor allem die städtischen Rechnungen, die finanzielle Zuwendungen des städtischen Rats verzeichnen und gelegentlich zugleich Angaben über Termin, Ort, Organisatoren, Spieler und Publikum der Aufführung machen. Im Blick auf die reiche Spielkultur zahlreicher Städte im 16. Jahrhundert steht hier der Anfang bzw. die frühe Geschichte städtischer Spielpraxis im 13. und 14. Jahrhundert zur Diskussion. Ähnliches gilt für unser Interesse an den MeistersingerVereinigungen. Im Hinblick auf die Rolle dieser Singschulen im 16. Jahrhundert ist nach Vorläufern, d.h. nach der Existenz vergleichbarer städtischer Sängergemeinschaften bzw. genossenschaftlicher Vereinigungen von Vortragskünstlern im 14. Jahrhundert und ihrer Bedeutung für das kulturelle Leben einer Stadt zu fragen.

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1. Der Literaturbetrieb am Fürstenhof und in der Stadt: das Zeugnis fürstlicher und städtischer Rechnungsbücher des 14. Jahrhunderts

Unsere Kenntnis von den Anlässen und Gegebenheiten des literarischen Vortrags, von dem Repertoire der Vortragskünstler und den Vorlieben des Publikums ist für das 12. und 13. Jahrhundert sehr beschränkt, da die historischen Quellen im allgemeinen über das Auftreten und die Resonanz von Vortragskünstlern schweigen. Dieser Mangel an Informationen über konkrete Details des Literaturbetriebs ist umso störender, als feste Vorstellungen über das literarische Leben im Mittelalter allen funktionsgeschichtlichen Analysen mittelalterlicher Dichtung zugrunde liegen und gerade dieser kulturhistorische Aspekt der gesellschaftlichen Situierung der Literaturrezeption eines der Kriterien zur Unterscheidung von höfisch-adeliger und städtisch->bürgerlicher< Literaturpraxis ist. Erst für das 14. Jahrhundert ändert sich diese Situation. Die Informationen über die gesellschaftliche Stellung und Tätigkeit der Autoren, über die den literarischen Vortrag umrahmenden Geselligkeitsformen und die literarische Rezeption leitenden Interessen werden zahlreicher. Und auch die Autoren und Schreiber äußern sich deutlicher über die Hintergründe und Anlässe der literarischen Produktion. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die bereits im 13. Jahrhundert einsetzenden Rechnungen für fürstliche, adelige und städtische Haushalte. Sie sind oft die einzige außerliterarische Quelle für die gesellschaftliche Existenz von Autoren. 1 Das gilt etwa für den niederländischen Redendichter Willem van Hildegaersberch, der nach dem Zeugnis der Hofhaltungsrechnungen der holländischen Grafen zu den bevorzugten Sprechern Herzog Albrechts von Bayern gehört hat, 2 für Muskatplüt, der in Nördlinger und Augsburger Rechnungen als des von Meincz Sprecher3 aufgeführt wird oder auch Michel Beheim, der in verschiedenen städtischen Rechnungen als Herzog Albrechts singer oder des kaisers dichter erscheint und sich aufgrund dieser Einträge als ein Fahrender des 15. Jahrhunderts erweist.4 1

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Ein sehr frühes Beispiel für diese Art der historischen Identifizierung ist Walther von der Vogelweide, der nur in der ungewöhnlich frühen Reiserechnung des Bischofs Wolfger von Passau bezeugt ist. Zur kulturhistorischen Bedeutung dieser Rechnung als Informationsquelle für das Auftreten verschiedenster Normalfall< fürstlicher Hofhaltung, so daß sich für unsere Fragestellung die detaillierten Wardrobe Accounts nicht als Informationsquelle anbieten. 173

storiker eher dürftige Informationen über die Beziehungen bekannter Autoren zu den einzelnen fürstlichen und städtischen Literaturzentren. Denn in den erhaltenen Rechnungen treten nur sehr selten uns namentlich bekannte Autoren auf. Bestimmend sind sowohl die allgemeinen Einträge des Typus eyme Sprecher, enen fremden Sprecher bzw. des Hern von ... Sprecher als auch Namen der Art Hopezomer oder Zulowffe, die nicht zu identifizieren sind. Eine empirisch orientierte Untersuchung der Organisation fürstlichen und städtischen Literaturkonsums, die sich auf das Material der Rechnungsbücher stützt, muß deshalb mit einer schmalen Dokumentationsbasis, mit punktuellen Angaben und oft sehr vagen, interpretationsbedürftigen Schreibernotizen rechnen, die sich nicht ohne weiteres generalisieren lassen. Ein weiteres Problem ist die Vergleichbarkeit des Materials für den Fürstenhof und die Stadt. Das kulturelle Leben an den Pürstenhöfen des 14. Jahrhunderts ist relativ gut dokumentiert durch eine Reihe von Hofhaltungsrechnungen, die im Umkreis des Grafenhauses von Holland entstanden sind. Dazu gehören die von H. G. Hamaker 6 und Η. K. Smit 7 veröffentlichten Rechnungen der hennegauischen Grafen von Holland, Johanns II. und Philippines von Luxemburg, Wilhelms III. und Johannas von Valois sowie Wilhelms IV.; ferner die in ihren Spielleute-Partien auszugsweise durch J. A. Jonckbloet 8 zugänglich gemachten Ausgabennotizen der wittelsbachischen Grafen von Holland, Wilhelms V., Albrechts I. von Bayern und dessen Sohn Wilhelms VI., des Grafen von Ostrevant; sowie die ebenfalls von Jonckbloet 9 exzerpierten Rechnungen des Grafen Johann von Blois, der - ein jüngerer Bruder Ludwigs II. von Chätillon, des regierenden Grafen von Blois - als Enkel Johanns von Beaumont, des berühmten Bruders Graf Wilhelms III. von Holland, große Besitzungen in Holland, Zeeland und Hennegau hatte, sich normaler6

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De Rekeningen der Grafelijkheid van Holland onder het Henegouwsche Huis. Uitg. door Η. G. Hamaker. 3 Bde. Utrecht 1 8 7 5 - 1 8 7 8 . (Werken uitg. door het Historisch Genootschap Utrecht NR 21.24.26) Zur Hofhaltung der Grafen von Holland und Hennegau vgl. auch J. Finot: L'hötel des comtes et comtesses de Hainaut. In: Bulletin historique et philologique du Comite des travaux historiques et scientifiques, 1891. S. 1 8 8 - 2 0 9 und sehr detailliert für den administrativ-finanziellen Sektor - Theodoras van Riemsdijk: D e tresorie en kanselarij van de graven van Holland en Zeeland uit het henegouwsche en beyersche huis. 's-Gravenhage 1908. De Rekeningen der Graven en Gravinnen uit het Henegouwsche Huis. Uitg. door Η. J. Smit. 3 Bde. Amsterdam 1 9 2 4 - 1 9 3 9 . (Werken uitg. door het Historisch Genootschap Utrecht III. 46.54.69) J. A. Jonckbloet: Geschiedenis der middelnederlandsche Dichtkunst. III. Amsterdam 1855. S. 5 9 5 - 6 1 7 . Einzelne Jahrgänge dieser Rechnungen sind vollständig bzw. in ihren Spielleute-Partien auch gesondert veröffentlicht: d i e f o r e i n e partien der Jahre 1355/56, 1358/59 sowie 1377/78 bei Pietzsch, S. 1 6 4 - 1 6 9 ; die Rechnung des Grafen von Ostrevant für seine Preußenfahrt 1386/87 in: Scriptores Rerum Prussicaram. Die Geschichtsquellen der Preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Hg. von Theodor Hirsch, Max Töpper und Ernst Strehlke. 2. Bd. (1863). Neudruck: Frankfurt 1965. S. 7 6 2 - 7 8 1 : Pipers en hirauden (S. 7 6 7 - 7 6 9 ) ; die Jahrgänge 1 3 9 6 - 1 4 0 1 in: D e oorlogen van Hertog Albrecht van Beieren met de Friezen in de laatste jaren der XIV s eeuw. Uitg. door Eelco Verwijs. Utrecht 1869. (Werken uitg. door het Historisch Genootschap Utrecht II.8) Vergleiche mit diesen Rechnungen und den Pipers ende hyrauderc-Partien der Jahrgänge 1371-1373 sowie 1382-1387, die mir das Algemene Rijksarchief in 's-Gravenhage freundlicherweise in Kopien zur Verfügung gestellt hat, zeigen, daß Jonckbloet sehr unterschiedlich genau exzerpiert und sich durchgängig vor allem für die Sprecher-Einträge interessiert hat. Jonckbloet, S. 6 1 7 - 6 5 2 ; die Jahrgänge 1361/62 auch in: D e tocht van Jan van Blois met Hertog Aelbrecht naar Gelre Nov. 1362 (Rekening van Jan van Blois 1 3 6 1 - 1 3 6 2 ) . Uitg. door P. Ν. V. Doorninck. Haarlem 1899.

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weise in Schoonhoven oder Gouda aufhielt, in enger verwandtschaftlicher und politischer Verbindung zur holländischen Grafenfamilie stand, der Statthalter von Holland und engster Vertrauter Albrechts von Bayern war; und schließlich der von Karl Euling10 exzerpierte Liber Rationis, ein die Jahre 1389 bis 1394 abdeckendes Einnahmen- und Ausgabenbuch Herzog Albrechts II. von Niederbayem-Straubing, eines Sohns Herzog Albrechts, der die niederbayerischen Besitzungen des Wittelsbachers übernahm. In den gleichen Raum verweisen die Rechnungen Herzog Reinalds II. von Geldern der Jahre 1342/43,11 die ein weniger buntes, im Prinzip jedoch vergleichbares Bild höfisch-fürstlicher Geselligkeit bieten, wie auch die Rechnungen des Brüsseler Hofs unter Johanna von Brabant und Wenzel von Luxemburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.12 Sie alle dokumentieren in hervorragender Weise nicht nur die Vielseitigkeit des >Unterhaltungsangebots< an den Höfen dieser Fürsten, sondern auch die engen politischen und verwandtschaftlichen Verbindungen, die sich in Geschenken und Zahlungen an bekannte wie fremde Musiker, Sprecher und Herolde niederschlagen.13 10

K. Euling: Studien über Heinrich Kaufringer. Breslau 1900. (Germanistische Abhandlungen 18) S. 120-122 (1389-1391; 1393); Frh. von Freyberg: Sammlung historischer Schriften und Urkunden geschöpft aus Handschriften. 2. Bd. Stuttgart und Tübingen 1829 bietet die Rechnung des Jahres 1392: Nota Varenden läuten (S. 146-149). 11 Dieser Jahrgang ist der einzige der geldrischen Hofhaltungsrechnungen, der zumindest in seinen Spielleute-Partien zugänglich ist durch die Exzerpte der Rubrik Hoestheden ende ghesindeloen von Η. E. van Gelder: De kunst aan een veertiende-eeuwsch Nederlandsch Hof. In: Oud-Holland 34, 1916. S. 38-46 sowie Wilhelm Janssen: Ein niederrheinischer Fürstenhof um die Mitte des 14. Jahrhunderts. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 34, 1970. S. 219-251. Eine Durchsicht der Kopien anderer Jahrgänge, die mir Herr Dr. W. Janssen aus dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, hat ergeben, daß die Spielleute-Einträge der Rechnung des Jahres 1342/43 repräsentativ sind. 12 Sie sind allerdings bislang noch sehr unvollständig veröffentlicht; spärliche Exzerpte dieser Rechnungen in den Anmerkungen bei Alexandre Pinchart: La cour de Jeanne et de Wenceslas et les arts en Brabant pendant la seconde moitie du XIVs siecle. In: Revue trimestrielle 6, 1855. S. 5 - 3 1 . Johanna von Brabant, die - nach ihrer Ehe mit Graf Wilhelm IV. von Holland - Herzog Wenzel von Luxemburg heiratete, erbte 1355 das Herzogtum Brabant und machte zusammen mit Herzog Wenzel ihre Residenzstadt Brüssel zu einem Zentrum prächtiger Turnierfestlichkeiten. Zur Organisation der curia ducis unter Johanna und Wenzel von Brabant vgl. neuerdings Andre Uyttebrouck: Le gouvernement du duche de Brabant au bas moyen äge (1355-1430). 2 Bde. Bruxelles 1975. (Universite Libre de Bruxelles. Faculte de Philosophie et Lettres 59) 13 Die Bedeutung französischer Fürstenhöfe als musikalisch-Uterarischer Zentren und gesellschaftlicher Ort höfisch-zeremonialer Feste, des Auftritts kunstbewußter Autoren und der Präsenz eines anspruchsvollen Hofpublikums um die Wende des 14. Jahrhunderts profiliert sehr eindrucksvoll Daniel Poirion: Le pofcte et le prince. L'evolution du lyrisme courtois de Guillaume de Machaut ä Charles d'Orleans. Paris 1965. (Universite de Grenoble. Publications de la Faculte des Lettres et Sciences Humaines 35) Er montiert die detaillierten Informationen über das geradezu >intime< Verhältnis von Fürst und literatem Berufsautor, über persönliche Erlebnisse der Autoren, die spielerische Realität literarischer Fehden und die Funktion des Uterarischen Vortrags bzw. der Privatlektüre im Rahmen eines fürstUchen Hoflebens, wie sie durch die literarischen Werke von Guillaume de Machaut, Jean Froissart, Eustache Deschamps, Christine de Pisan, Alain Chartier und Charles d'Orleans vermittelt werden, zu einem glanzvollen Bild fürstlichen Mäzenatentums und höfischer GeselUgkeit. Es ist klar, daß die nüchternen Angaben unserer Rechnungsbücher über das Auftreten verschiedener Unterhalter dieser VorsteUung eines Uterarisch amibitionierten Fürstenhofs nicht entsprechen. Sie Uefern im Vergleich dazu 175

Problematisch ist hingegen die Quellenlage für den städtischen Bereich. Es existieren zwar bereits für das 14. Jahrhundert eine Reihe städtischer Rechnungen. Sie bieten jedoch in ihrer Mehrzahl keine oder nur sehr spärliche Informationen über Stellung und Auftreten von Musikern und Autoren in der Stadt. Erst im 15. Jahrhundert gehören extensive Spielleute-Einträge zum normalen Bestand einer städtischen Rechnung. Für diesen Zeitraum geben allerdings auch andere Quellen - etwa die Nürnberger Ratsprotokolle und Ratsverlässe - Aufschluß über den städtischen Literaturbetrieb, der nur unwesentlich durch städtische Rechnungseinträge ergänzt wird. Schlecht dokumentiert ist jedoch das 14. Jahrhundert, die sogenannte Vorgeschichte städtischen Literaturlebens. Hier sind wir auf eine Kombination der verschiedensten Quellen angewiesen, sobald wir versuchen, dem farbigen Bild, das etwa die holländischen Rechnungen von dem literarischen Leben an den Fürstenhöfen des 14. Jahrhunderts bieten, Informationen über bestimmte Formen städtischer Literaturrezeption gegenüberzustellen. Auskunft über Details des städtischen Kulturlebens geben nicht nur sehr direkt einige Stadtrechnungen des holländisch-flandrisch-brabantischen Raums, in denen mehr oder weniger regelmäßig Ausgaben des Stadtrats für den Dienst von Musikern, Rezitatoren und Herolden verzeichnet sind,14 oder etwa jene als Pendant zu den Finanzdokumenten des holländischen Grafenhofs besonders interessante Rechnung der Stadt Middelburg über ihre Sonderzahlungen an zahlreiche menestrele, die an den Festlichkeiten der Fronleichnamsprozession des Jahres 1364 teilgenommen haben. 15 Informationen über die Organisation des Kulturbetriebs in der Stadt liefern auch - eher indirekt - die fürstlichen Rechnungen, in denen städtische Unterhalter erwähnt oder spezielle Ausgaben des Fürsten beim repräsentativen Einzug in Städte verzeichnet werden. Einer solchen Quellenkontamination verdanken sich die folgenden Überlegungen zu den sozialen Voraussetzungen und Prinzipien städtischen Literaturbetriebs, die sich in bestimmten Punkten von den Äußerungsformen fürstlicher Literaturrezeption unterscheiden.

Musikalische und literarische Unterhalter am Hof der Grafen von Holland Ausgangspunkt dieser empirischen Untersuchung ist der Fürstenhof als der gesellschaftliche Ort zeremonialer Repräsentation, musikalischer Aktivitäten und litera-

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eher dürftige, allerdings historisch dokumentierte Informationen über die Rolle von Musik und literarischem Vortrag am Hof des Fürsten, über die Aufgaben höfischer Unterhalter im Rahmen des Hofzeremoniells und die literarischen Interessen eines Hofpublikums. Vgl. etwa für Brügge: De Rekeningen van de Stad Brugge (1280-1319). Eerste Deel (1280-1302). Uitg. door C. Wyffels met de medewerking van J. de Smet. Bruxelles 1965-1971. (Academie Roy ale de Belgique. Commission Royale d'Histoire. Collection de Chroniques beiges inedits et de Documents inedits relatifs ä l'Histoire de la Belgique 62); für Ypern: Comptes de la ville d'Ypres de 1267 ä 1329. Publies par G. des Marez et E. de Sagher. I.II. Bruxelles 1909-1913. (Academie Royale de Belgique. Commission Royale d'Histoire); für Gent: De Rekeningen der Stad Gent. Tijdvak van Philip van Artevelde 1376-1389. Uitg. door Napoleon de Pauw en Julius Vuylsteke. Gent 1893; für Arnhem: De stadsrekeningen van Arnhem uitg. door W. Jappe Alberts met medewerking van het gemeentearchief te Arnhem. Deel II. 1377-1401. Groningen 1969. (Rijksuniversiteit Utrecht. Teksten en dokumenten VIII); für Leiden: Stadsrekeningen van Leiden (1390-1434) uitg. door Α. Meerkamp van Embden. 2 Bde. Amsterdam 1913-14. (Werken uitg. door het Historisch Genootschap III. 32.34) Exzerpt bei J. A. Sillem: Aanteekeningen omtrent muzikanten en muziek, uit XIV e eeuwsche noord-nederlandsche bronnen. In: Tijdschrift der Vereniging voor Nederlandse Muzikgeschiedenis 6, 1900. S. 218-232, hier S. 227-229.

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rischer Darbietungen, wie sie durch fürstliche Rechnungen des 14. Jahrhunderts vermittelt werden. Die Hofhaltungsrechnungen der holländischen Grafen und Johanns von Blois, die wegen ihrer Fülle an Informationen im folgenden als Hauptquelle dienen, verzeichnen die regelmäßigen Ausgaben an Hofunterhalter unter den Rubriken cleyn foreinen, pipers, pipers ende hyrauden, pipers ende menestrele oder hyrauden ende menestrele, in denen verschiedene Formen höfischer Geselligkeit ihren Niederschlag finden. Dabei lassen sich vier große Sparten an Unterhaltern bzw. am Hofzeremoniell beteiligter Bediensteter unterscheiden: akrobatische Schaukünstler, die Narren, Zauberer und Tierbändiger, die mit vielfältigen Kunststücken aufwarten, 1 6 in den französischen Quellen u.a. auch jongleurs genannt werden und normalerweise aus dem Gesichtskreis einer literarhistorischen Forschung fallen, die sich vornehmlich für musikalisch-literarische Formen der Geselligkeit interessiert; die verschiedensten Instrumentalmusiker, die feste Aufgaben im Rahmen fürstlicher Geselligkeit und Repräsentation haben; die Herolde, die im militärisch-zeremoniellen Bereich gebraucht werden und schließlich die Sprecher, seggher, tihter und singer, die das Hofpublikum mit gesanglich-literarischem Vortrag unterhalten. Die Musiker und Herolde haben ihren festen Platz im repräsentativen Hofzeremoniell: von besonderer Bedeutung für den Fürstenhof sind die Instrumentalmusiker, die menestrele,17 die als piper, vedelaere, trompener, floyter, bonghener oder clareyter im Solovortrag oder gemeinsamen Auftritt den Grafen und seine Familie unterhalten, zum Tanz aufspielen und den Fürsten auf seinen Reisen und Kriegsfahrten begleiten. 18 Die Herolde nehmen dagegen spezifische Zeremonialaufgaben auf dem militärischen und gesellig-repräsentativen Sektor wahr: sie laden zu den Hoftagen ein und verkünden Ort wie Termin von Turnierfesten, sie treten als Ausrufer hervor und begleiten den Fürsten auf seinen Preußenfahrten und anderen Heerzügen, betätigen sich hier als eine Art Quartiermeister, sorgen für die adäquate Präsentation der gräflichen Wappen und werden — wie auch die Mu16

Sie treten in den holländischen Rechnungen als zot, jugler, narr, twerch, aber auch als ghesellen die daer speelden mitten wilden manne (634) auf. (Die Hofhaltungsrechnungen der holländischen Grafen und Johanns von Blois werden - wenn nicht anders vermerkt nach Jonckbloet zitiert.) 17 Menestrele setzt sich in den Rechnungen - neben spillude — als der übergreifende Terminus für Instrumentalmusiker durch. Nur in den ersten Rechnungen Albrechts von Bayern des Jahres 1358 finden sich noch einige Einträge, aus denen hervorgeht, daß menestrele belohnt werden, weil sie vor dem Fürsten >gesprochen< haben (598). Zur breiten Verwendung des französischen menestrel-Begcifis im 13. Jahrhundert und seine Einengung auf Hofmusiker bzw. -dichter vgl. Emile Freymond: Jongleurs und Menestrels. Diss. Halle 1883; Josef Sittard: Jongleurs und Menestrels. Eine Studie. In: Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft 1, 1885. S. 175- 200; Edmond Faral: Les jongleurs en France au moyen äge (1900). Nachdruck: New York 1970. (Burt Franklin: Research and Source Work Series 606) S. 103ff. 18 Zur Rolle der Musiker an den Fürstenhöfen vgl. vor allem die Dokumentation bei Pietzsch; über die soziale Stellung der Musiker informiert Walter Salmen: Der fahrende Musiker im europäischen Mittelalter. Kassel 1960. (Die Musik im alten und neuen Europa 4)

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siker - relativ häufig als Übermittler von Botschaften eingesetzt. 19 Musiker und Herolde gehören zum festen Personal des Fürsten. Das zeigen die zahlreichen Rechnungseinträge des Typs mijns heren pipers bzw. mijns heren heraude, die den Hauptbestand der Auslagen an Unterhalter ausmachen, zu einem großen Teil jedoch von Jonckbloet nicht aufgenommen worden sind. Diese festangestellten Musiker und Herolde werden regelmäßig für ihre vielfältigen Dienste bezahlt, erhalten Kleidung und Pferde und melden sich — wie das Beispiel des Menestrels Tambureaut zeigt - bei längeren Fahrten regelrecht ab: er erhält ζ. B. einen größeren Geldbetrag doe men hem verlof ghaf thuus te riden (618). Gelegentlich gewinnen auch einzelne Personen schärfere Konturen, ζ. B. Colinet sgraven menestrel van Bloys, der zwischen 1360 und 1365 regelmäßig in den Rechnungen erwähnt wird, über einen eigenen kneht verfügt 20 und im Auftrag Johanns von Blois fremde Musiker für ihre Dienste belohnt. 21 Oder der Herold Schoonhoven, der bei Johann von Blois eine Vorzugsstellung einzunehmen scheint, sich jedenfalls jahrelang in der Umgebung des meist in Schoonhoven residierenden Grafen aufhält, ihn auf seinem Preußenzug 1362/63 begleitet, das gräfliche Wappen trägt und sich um die Wappen der gräflichen Unterkunft kümmert. 22 Die meisten der von den holländischen Grafen und Johann von Blois beschenkten Musiker und Herolde halten sich freilich nur für kürzere Zeit am gräflichen Hof auf: sie sind entweder unbekannte und unbedeutende Fahrende, die in den Rechnungen lapidar als enen videler oder enen piper van ... bezeichnet werden, oder sind im Auftrag bzw. im Gefolge fremder Herren unterwegs und als solche leicht zu erkennen. Es finden sich jedenfalls zahlreiche Einträge des Typs: des hertogen menestrel van Brabant (626), 3 des hertogen trompenaers van Gulich (626), des heren hyraude van Gomengies (606) oder speelres upter quintaernen, toebehorende miinre vrouwen van Gelre (608). Für den im engeren Sinne literarischen Unterhaltungssektor sind die Autoren und Rezitatoren verantwortlich, die in den Rechnungen spreker,23 seggher, tihter 19

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Zur Rolle der Herolde am Hof der holländischen Grafen und Johanns von Blois vgl. Peters: Herolde und Sprecher. 1363/64: Colinet den menestrele ende sinen knecht, te teergelde thus te riden (632); 1364/65: Colinet den piper ende Pieret sinen knecht, thws mede te riden, te helpen hören coste (634). 1361/62: des hertoghen 2 menestr. van Ghelre, tot miins joncheren bevelen, bi Colinet (620). 1362/63: Item, 22 dage in November tScoenhoven, Scoenhoven den hyraut, te Preuyssen waert mede te riden (625);... ghegheven Scoenhoven miins heren hyeraut tenen amanse te helpe, daer miins heren wapene an stonden, dat hi voer him droech (628); Item dede Scoenhoven die hyeraut daer maken 10 blason van mijns heren wapen voer zine herberghe te setten (630); 1371/72: Scoenhoven onsen hieraut, tot eenen paerde te coopen, want hi tsine ofghereden hadde (647). Auf die Gruppe der Autoren und Rezitatoren, die in den Rechnungen spreker genannt werden, hat bereits die ältere Forschung aufmerksam gemacht; vgl. etwa die Diskussion über die >Sprecher< bei Henrik van Wyn: Historische en Letterkundige Avondstonden. Amsterdam 1800. S. 335ff. (er bezieht sich auf die holländischen Rechnungen); oder für den deutschen Bereich Johannes Bolte: Fahrende Leute in der Literatur des 15. und 16.

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oder singer/sangher genannt werden. Auch bei ihnen treten einzelne Persönlichkeiten hervor, die über mehrere Jahre hinweg dem Hof zur Verfügung stehen und praktisch regelmäßig Zahlungen beziehen: etwa jener als Dichter geistlicher wie weltlicher Reden moralisch-didaktischen, aber auch politisch-historischen Charakters bekannte Autor Willem van Hildegaersberch, der zwischen 1383 und 1408 in den Rechnungen der holländischen Grafen sehr häufig genannt wird, regelmäßig den gräflichen Hof in den Hage aufsucht, dem Grafen und seiner Familie an hohen Festtagen alrehande gedichten (613) bzw. ene sproke (614) vorträgt und neben den gewöhnlichen Zahlungen gelegentlich einen Geldbetrag für besondere Zwecke - enen roc mede te copen ende te drincgelde (610) - erhält.24 In den lapidaren Rechnungseinträgen zeichnet sich sogar so etwas wie eine >Karriere< dieses Sprechers am Hof Herzog Albrechts ab: bei dem Eintrag vom 5. 2. 1383, in dem Willem van Hildegaersberch erstmals in den holländischen Rechnungen erwähnt wird, notiert der Schreiber noch: Willem van Hildegaertsberghe, enen spreker (602); in den folgenden Jahren heißt es meistens: meester Willem van Hildeghaersberghe die spreker (605) und schließlich gegen Ende seines Lebens sehr oft nur noch: meister Willem van Hillegaertsberghe (610). Bei dem Bekanntheitsgrad dieses Sprechers scheint nun der Schreiber auf jede Erläuterung verzichten zu können. Dieser Willem van Hildegaersberch hat offenbar nicht zum >Hofpersonal< des Grafen gehört, sondern — wie Ingeborg Glier25 vermutet — möglicherweise als eine Art »freier Schriftsteller« gelebt, der allerdings - wie die kontinuierlichen Zahlungen und der Rechnungseintrag meester Willem van Hilleghaersberghe die spreker, die minen here vervolcht hadde op die Vastenavont (605) zeigen - in relativ enger Verbindung zum gräflichen Hof steht und regelmäßig zum Vortrag geladen wird. Die Resonanz, die dieser Sprecher am Grafenhof gehabt hat, zeigt sich nicht nur in seinen häufigen Auftritten vor dem holländischen Grafen, sondern auch an dem Eintrag vom 12. 4. 1409: Item bi Jan den Beelen betailt van enen boeck, dat mijn lieve here dede copen, dairin stonden vele schoonre sproken, die Willem van Hille-

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Jahrhunderts. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften Jg. 1928. Phil.-hist. Klasse. S. 625-655, hier S. 634. Diese Hinweise sind jedoch nicht weitergeführt worden. Erst neuerdings wird wieder die Rolle dieser >Sprecher< für die Entwicklung und Verbreitung kleinerer Literaturtypen im Spätmittelalter diskutiert; vgl. dazu etwa Arend Mihm: Überlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter. Heidelberg 1967. (Germanische Bibliothek. Dritte Reihe. Untersuchungen und Einzeldarstellungen) S. 88ff.; Hanns Fischer: Studien zur deutschen Märendichtung. Tübingen 1968. S. 255ff.; Eberhard Lämmert: Reimsprecherkunst im Spätmittelalter. Eine Untersuchung der Teichnerreden. Stuttgart 1970; Heinz Mundschau: Sprecher als Träger der >tradition vivante< in der Gattung Märe. Göppingen 1972. (GAG 63), der einen Uberblick über die Sprecherbelege niederländischer und deutscher Rechnungen des Spätmittelalters bietet. Die Rechnungseinträge sind von W. Bisschop und E. Verwijs: De Gedichten van Willem van Hildegaersberch. Vanwege de Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden uitg. door W. B. en Ε. V. 's Gravenhage 1870. S. VII f. zusammengestellt und für eine soziale Biographie ausgewertet worden. Glier: Artes amandi, S. 284.

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gairtsberge gemaeckt hadde, V cronen.26 Nach dem Zeugnis der Rechnungen war Willem van Hildegaersberch Pfingsten 1408 zum letzten Mal vor der gräflichen Familie aufgetreten. Es ist deshalb anzunehmen, daß sich in diesem Rechnungseintrag eine Reaktion der gräflichen Familie auf den Tod dieses am holländischen Hof beliebten Dichters manifestiert: der Graf kauft eine Sammlung jener kleineren Reimpaardichtungen, die der Autor in den letzten Jahren bei praktisch allen größeren Festlichkeiten der Hofgesellschaft vorgetragen hat. Willem van Hildegaersberch dokumentiert am deutlichsten die gesellschaftliche Existenz einer Gruppe namentlich genannter Sprecher, die relativ regelmäßig am Grafenhof auftreten, aber nicht zum Hofgesinde gehören. Einer der bekannteren unter ihnen ist Augustijn, den Jan te Winkel 27 mit Augustijn van Dordt, dem Autor moralisch-didaktischer, politisch-historischer und geistlicher Reden identifiziert. Dieser Augustijn erscheint sehr häufig in den Rechnungen Albrechts von Bayern und Johanns von Blois, begleitet diesen offenbar auf der Preußenfahrt des Jahres 1362/63 und erhält gelegentlich Sondergaben. Ähnliches gilt für die Sprecher Jan de Bot, Jan van Mechelen, Berteimes, Jan van Vlaerdinghen oder Jan van Raemsdonck, die über mehrere Jahre hinweg in den Rechnungen aufgeführt werden und den Grafenhof offenbar regelmäßig aufsuchen. 28 Im Gegensatz zu den Musikern und Herolden, von denen einzelne zum Hofpersonal zu gehören scheinen und feste Aufgaben wahrnehmen, gibt es in den Rechnungen keine terminologischen Hinweise darauf, daß auch Sprecher in einem speziellen Dienstverhältnis zu den holländischen Grafen standen. Wir kennen jedoch einige dichter, die geradezu festbesoldete Hofpoeten sind: Jan te Winkel verweist z.B. auf Wilhelm van Delft, der bereits in den Rechnungen Graf Wilhelms III. erwähnt wird und nach dem Tod dieses Grafen von seinem Sohn, Graf Wilhelm IV., im Jahre 1337 eine Art festes >Gehalt< vertraglich zugesichert bekommt. 29 Und einzelne Autoren werden - wie Willem van Hildegaersberch oder Augustijn - bevorzugt zur Unterhaltung der Hofgesellschaft herangezogen und erhalten geradezu turnusmäßig — etwa zu Neujahr — Zahlungen. Der Rechnungsschreiber verweist auch gelegentlich auf eine besondere Beziehung zwischen dem Unterhalter und 26 27

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Gedichten van Willem van Hildegaersberch, S. IX. J. te Winkel: D e Ontwikkelingsgang der Nederlandsche Letterkunde. II. Geschiedenis der Nederlandsche Letterkunde van Middeleeuwen en Rederijkerstijd ( 1 9 2 2 - 1 9 2 7 ) . Neudruck: Utrecht, Leuwarden 1977. S. 103f. Sehr deutlich kommt diese lockere Verbindung eines unabhängigen Rezitators zum Grafenhof auch in der folgenden Rechnungsnotiz von 1408/09 zum Ausdruck: enen blinden dichter van Cuelen, die alrehande nye dichten voir m.l. vrouwen sprac, ende jairlix te hove plech te comen (615). J. te Winkel: LG II, S. 99; vgl. diese Urkunde bei H. van Wyn e. a.: Byvoegsels en aanmerkingen voor het vierde deel der Vaderlandsche Historie van Jan Wagenaar. Amsterdam 1791: Willaem. Grave van Heynn: ombieden V, heren Janne van Polane, onsen bailiu van Kenemland eh van Vriesl., iofsoe wie onse bailiu aldaer namaels wesen sal. Dat ghe, van onsen weghen, alle jare, vytreket en betalet Will, van Delf, den Dicht, die wi hem ghegheue hebbe, toit onsen wed'segghen, een paer cled'e mitten voeder, na sine stane, daer die t'myn of wesen sal alle jare, te kersauonde, en vyf pond holl tsyaers, te paeschen, daernaest comende, sond' and's enich ghebot van ons te hebben ... (S. 82).

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dem Fürsten, etwa im Falle jenes Herman den sangher, die miins heren paedse plach te wesen (647). Es fehlt jedoch die bei den Musikern und Herolden übliche Formulierung mins heren Sprecher, die auf ein spezielles Dienstverhältnis zum Grafen bzw. ihre Zugehörigkeit zum Hofpersonal schließen läßt. Normalerweise scheinen sich die Sprecher nur für einige Tage in der Umgebung des Fürsten aufgehalten zu haben, wie es aus der Bemerkung des Schreibers in Johanns von Blois Rechnung des Jahres 1368/69 hervorgeht: Item Frosset den spreker, die te Byaumont twee daghen bi minen here was (644). 30 Diese lockere Beziehung der Sprecher zum Grafenhof ist um so erstaunlicher, als zahlreiche Notizen über Zahlungen an fremde Sprecher die Zugehörigkeitsformel der Art des heren spreker van Gaesbeke (608) oder des bisscops spreker van Trier (604) aufweisen. Die namentlich nicht bekannten, meist nur ausnahmsweise vor dem Grafen auftretenden Autoren und Rezitatoren werden von den Schreibern sogar sehr genau unterschieden in die Gruppe der Rezitatoren, die sich als Sprecher eines bekannten adeligen Herrn ausgeben bzw. im Gefolge eines Fürsten unterwegs sind, und jenen fahrenden Sprechern, die sich keinem >Dienstherrn< zuordnen lassen und damit auf diese Form der Empfehlung verzichten. Ihr fehlendes Dienstverhältnis wird eigens vermerkt: Item drie sprekers die genen here en hadden (610). Daß diese fehlende Dienstbeziehung bereits äußerlich sichtbar ist, zeigt der Eintrag: enen vreemden spreker sonder wapen (609). Die rechtliche Grundlage dieser Zugehörigkeitsformel ist unklar, ihre Wirkung für Auftritt und Belohnung des Unterhalters jedoch offenkundig: enen spreker uut Polanen, 2 gl. Item denselven ghegh., want mijn here seyde want hi mire vrouwen vader toe behoerde, 7 gl. (607) oder: den seggher, die de sulveren borch an sijn hals droech, enen zwaren gulden; ende den selven op den Paeschdach, want hi den hertoghe van Zossen toebehoerde, enen gulden (643). Die faktische Bedeutung dieser Zugehörigkeitsformeln und Herrennennungen, die auch für Musiker und Herolde verwendet werden, sind umstritten. Während etwa Hans-Joachim Moser 31 für die Musiker Geleitbriefe und Empfehlungen vermutet, mit deren Hilfe sich die fahrenden Instrumentalisten an fremden Höfen legitimiert und eine positive Aufnahme erworben hätten, wird in der literarhistorischen Forschung für die Sprecher mit zeitweiligen längeren Aufenthalten am Hof eines Fürsten gerechnet, währenddessen sie zum >Personal< dieses Herrn gehört hätten. 32 Diese Annahme eines fließenden Ubergangs von der Existenz eines Fah30

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Möglicherweise ist mit diesem Sprecher Frosset der berühmte französische Dichter und Chronist Jehan Froissart gemeint, der in Graf Guy von Blois, dem Bruder Johanns von Blois, seinen Gönner gefunden hat und sich offenbar seit 1369 regelmäßig im Umkreis dieses Grafen, oft in Beaumont, aufgehalten hat. Zur Biographie Froissarts vgl. Rob Roy Mc Gregor, Jr.: The Lyric Poems of Jehan Froissart. A Critical Edition. Chapel Hill 1975. (North Carolina Studies in the Romanic Languages and Literatures 143) S. 11-16. Die Verwendung des Sprecher-Begriffs für diesen Autor, der seit 1381 Kapellan des Fürsten von Blois ist und ein Kanonikat in Chimay innehat, ist allerdings merkwürdig. H.-J. Moser: Die Musikergenossenschaften im deutschen Mittelalter. Diss. Rostock 1910. S. 28. Fischer: Studien, der im Rahmen der Frage nach der Aufführungssituation und Verbreitung der Mären auf die Rolle der Sprecher als Autoren und Rezitatoren kleinerer literari-

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renden und der eines festangestellten Musikers oder Hofpoeten entspricht etwa dem Bild, das die Rechnungen von der gesellschaftlichen Situation der Hofunterhalter vermitteln. Einzelne Unterhalter, die - wie Willem van Hildegaersberch oder Jan van Vlaerdinghen — offenbar in der Nähe wohnen, kommen regelmäßig an den Hof, vor allem bei großen Festlichkeiten, wie etwa Jan van Mechelen, von dem es im Jahr 1385 heißt: meesterJan van Mechelen den spreker, die aldaer bi minen here ende bi mijnre vrouwen ghecomen was ter brulofte van minen jonchere Willem ende van des hertoghen dochter van Borgongen, ende van des hertoghen soen van Borgongen ende mijnre joncvrouwen (603). Für andere ist der Grafenhof eine Durchgangsstation, an der sie sich einige Tage aufhalten, wie für jenen bereits erwähnten Sprecher Frosset. Die meisten >Spielleute< werden freilich von den Schreibern mit bestimmten Fürsten in Zusammenhang gebracht. Dabei scheinen die Schreiber von verschiedenen Formen der Zugehörigkeit auszugehen, denn neben der stereotypen Formulierung des heren spreker van ... variieren sie: enen spreker die den here van Lymborch toebehoorde (608), enen piper te Berghen, die bi den grave van Hollant plach te wesen (638) oder eenen vedelaer, die seide dat hi den grave van Berghen toebehoerde (632). Auch wenn die Gründe für die unterschiedlich formulierten Einträge im einzelnen für uns nicht mehr erkennbar sind, so zeigt doch die Variation in der Bezeichnung der Zugehörigkeit der Unterhalter, daß es verschiedene Ausprägungen der Fahrendenexistenz gegeben haben wird. Einzelne Musiker und Sprecher kommen offenbar im Gefolge eines Herrn an den holländischen Grafenhof bzw. zu Johann von Blois, treten hier als Unterhalter des adeligen Gastes auf und werden als solche reich beschenkt, wie etwa die Musiker des Herrn von Arkel: Item in de weke voor Vastelavond sheren menestrelen van Arkel, omdat si ghepepen hadden dewile de vrouwe van Arkel ende andere doe bi minen here waren (649), oder: op den Pinxteravond gheg. tScoenh. heren Florens pipers van Borssele, die daer (zu Johann von Blois) mit hertoghe Aelbrecht ende metter vrouwen van Beieren ghecomen waren (636). Andere sind offensichtlich im direkten Auftrag eines Fürsten unterwegs und werden als Ubermittler von Botschaften entlohnt, wie die menestrele Herzog Albrechts von Bayern, die minen joncheren (= Johann von Blois) brieve brochten van Jans huwelike van Egmonde (618). Wieder andere scheinen durch äußere Kennzeichen - ihre Kleidung oder wappenähnliche Abzeichen - ihre Zugehörigkeit zur Umgebung eines Fürsten zu demonstrieren, etwa jener speelman, die van den conync van Ingelant gecomen was, ende des conynxs oirde met enen croon daer hangende aen sijn hals hadde (612). 33 Einigen gelingt es, für längere Zeit in der Umgebung des Fürsten zu blei-

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scher Formen aufmerksam gemacht hat, geht z.B. davon aus, daß die Sprecher, die normalerweise als fahrende Rezitatoren unterwegs gewesen seien, gelegentlich auch - vornehmlich zu besonderen Festzeiten - im Gefolge eines Fürsten und damit zumindest für kürzere Zeit eine kontinuierliche Versorgung gefunden hätten. Für diesen Zeitraum seien sie dann als Angehörige des Hofgesindes aufgetreten; ähnlich Mundschau, S. 63ff. Daß sich diese äußeren Attribute nicht unbedingt einem festen Dienstverhältnis verdanken, läßt sich einigen Ausgabenposten unserer Rechnungen für Kleidung und Wappeninsignien entnehmen. Denn auch der Graf von Holland versorgt einzelne Musiker mit

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ben und spezielle Aufgaben zu übernehmen oder zumindest regelmäßig am Hof vorgelassen zu werden. Andere ziehen - vielleicht im Gefolge eines Besuchers nach einigen Tagen weiter. Diese verschiedenen Möglichkeiten in der gesellschaftlichen Existenz als Vortragskünstler spiegeln sich in der Terminologie der Schreiber, die nur unzureichend zwischen festangestellten Menestrelen und fahrenden Musikern, zwischen Hofdichtern und fahrenden Sprechern unterscheiden. Diese Unscharfe in der Kennzeichnung entspricht offenbar der realen Situation der verschiedenen Typen von Hofunterhaltern. Von besonderem Interesse für den Literarhistoriker sind freilich die Informationen, die die Rechnungen über die an diesen Höfen auftretenden Autoren, die literarischen Interessen des Hofpublikums, die Anlässe und Gegebenheiten des literarischen Vortrage und schließlich die verschiedenen Formen literarischer Kommunikation bieten. Zahlungen an bekannte Autoren wie den prominenten Redendichter Willem van Hildegaersberch werden in den Rechnungen nur ausnahmsweise verzeichnet: Johanna van Valois, Schwester des französischen Königs Philipp VI. und Gemahlin des Grafen Wilhelm III. von Holland, entlohnt ζ. B. in den Jahren 1325 und 1331 einige Mal Jean de Conde, 34 den hennegauischen Dichter zahlreicher moralisch-didaktischer und zeitkritischer Reden, panegyrischer Gedichte, Fabliaux und höfischer Lais, der sich als Menestrel des Grafen Wilhelm III. bezeichnet und offenbar für längere Zeit in Quesnoy und Valenciennes, der Sommer- und Winterresidenz seiner Gönner, aufgehalten hat. 35 Er gehört im ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jahrhundert neben seinem Vater Baudouin de Conde und Watriquet de Couvin zu den bedeutendsten hennegauischen Dichtern und vertritt den Typ eines lokalen Hofdichters, der zeitweiüg der curia eines Für-

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neuer Kleidung und eine Gruppe von Pfeifern, die zu einem Hochzeitsfest herbeiströmen, mit Wappenbildern: XXXV piperen vander Heren wapen geg. die tot miins heren brulofte gecomen waren (608). Diese Ausgaben für eine angemessene Ausstattung der Hofunterhalter dokumentieren Ausschnitte eines repräsentativen Hofzeremoniells, an dem die Musiker, Herolde und Sprecher vorrangig beteiligt sind. Entsprechend der Darstellung der höfischen Romane scheinen diese >Spielleute< und >FahrendenSchulen< in französischen, flandrischen, holländischen und deutschen Städten im 14. Jahrhundert ist der organisatorische Status dieser Veranstaltungen nicht eindeutig bestimmbar. Die musikhistorische Forschung, vor allem Walter Salmen, vermutet, daß diese >SchulenSchulungsstätten< für die in Bruderschaften vereinigten Musiker gewesen seien, die sich gebietsweise jährlich einmal versammelt hätten, um sich über neue Techniken und musikalische Formen zu informieren, ihr Können zu vervollständigen und neue In64

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Zu diesen städtischen >Spielmannsschilden< vgl. Salmen, S. 144. Deutliche Reflexe dieser Praxis finden sich in den holländischen Hofhaltungsrechnungen, die zwischen fremden Musikern und jenen fürstlichen bzw. städtischen Spielleuten differenzieren, die gelegentlich Wappen, Insignien und die Kleidung ihrer >Dienstherren< tragen. Signifikant in diesem Sinn ist jene auf einen Sprecher bezogene Formulierung: Item enen vreemden spreker sonder wapen (609). Vgl. etwa die zahlreichen Belege bei Edmond vander Straeten: Les menestrels aux Pays-Bas du XIII e au X V I i r sifecle. Leurs gildes, leurs statuts, Ieurs ecoles, leur fonction, leurs instruments, leur repertoire, leurs moeurs etc. d'apres des documents inedits. Bruxelles 1878; über die Rolle dieser Musiker-Schulen informiert vor allem Salmen, S. 180ff. 606. Auch in den Rechnungen Johanns von Blois sind gelegentlich Zahlungen an pipers für die >Schule< notiert; vgl. etwa 1366: Item reden miins heren pipers ter scolen des saterdaghes na grote Vastellavont, dien Jan Breye mede gaftot teerghelde (638) oder im Jahre 1371: Item in die weke voor grote Vastelavont ghegheven te Brüssel Hanssen onsen piper, ende Henseliin den bonghenere, mede ter scolen te riden (647). Sillem, S. 226. Des Marez, de Sagher, I, S. 495. Eine detaillierte Analyse dieses Eintrags gibt Paul Bergmans: Simon, maitre de νϊέΐε (1313). In: Annales du Congres d'Archeologie de Malines. Malines 1911. S. 761-766: Simon, ein berühmter Meister auf der Leier, ist während der Messe nach Ypern gekommen, um hier Unterricht zu geben.

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strumente zu besorgen. 69 Sie seien von ihren Herren, den Fürsten oder Städten, entsandt worden, die ein Interesse an der Verbesserung der musikalisch-technischen Fähigkeiten und der Erweiterung des Repertoires ihrer Musiker gehabt hätten. Es fragt sich jedoch, ob nicht auch bei diesem Typus von >Schule< die — in der Meistersingerforschung neuerdings diskutierte 70 - generelle Bedeutung des Terminus >Schule< als Vorführung anzusetzen ist. Diese in städtischen und fürstlichen Rechnungen häufig erwähnten Musiker->Schulen< wären dann weniger eine Art Ausbildungsstätte gewesen, mit deren Hilfe sich die lokalen Musikergenossenschaften ihren Nachwuchs heranziehen, als normale >KonzerteSchule< verantwortlich gewesen zu sein. Diese >Schulen< sind jedenfalls eine spezifisch städtische Form musikalischer Praxis, da sie offenbar stets unabhängig von fürstlichen Unterhaltungsbedürfnissen in den Städten stattfinden, von lokalen Musikergesellschaften getragen sind und das besondere Interesse des Stadtrats finden. Dieses Ergebnis ist nicht erstaunlich. Schon die Existenz fest besoldeter Stadtpfeifer im 14. Jahrhundert zeigt, daß in den Städten die Musiker feste Funktionen wahrnehmen, eine gesicherte Stellung haben und sich deshalb auf diesem Sektor relativ früh bestimmte Formen städtischer >Aufführung< entwickeln. Im Falle der uns interessierenden Sänger und Sprecher, die die musikalisch-literarische Unterhaltung ihres Publikums übernehmen, sind jedoch unsere Informationen ungleich spärlicher. Auch die holländischen Hofhaltungsrechnungen sind hier sehr zurückhaltend. Unter den Ausgaben Johanns von Blois kommt praktisch nur eine Notiz in Frage, die einen Sprecher mit einer Stadt in Zusammenhang bringt: meyster Peter den seggher van Breda (633). Dieser Eintragstyp ist in den Rechnungen der Grafen von Holland zwar häufiger: enen spreker van Colen (604), enen spreker van Monikedam (610); diese Zugehörigkeitsbezeichnung bedeutet jedoch nicht, daß diese Sprecher städtische Bedienstete im Sinne der Stadtpfeifer gewesen sind. Das Nebeneinander von Jan die dichter van Raemsdonck (603) und meester Jannetgen van Raemsdonck die spreker (605) zeigt vielmehr, daß es sich bei der Formulierung 69

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Salmen, S. 180-184; er sieht in diesen >Schulen< ein Argument dafür, daß auch die fahrenden Musiker eine geregelte Lehrzeit absolviert hätten. Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte für den >Lerneffekt< dieser Institution; vgl. etwa die Angabe bei De La Fons-Melicocq: Les menestrels de Lille aux XIVe, XV e et XVI e siöcles. In: Archives historiques et litteraires du Nord de la France et du Midi de la Belgique III. 5, 1855. S. 5 7 - 6 7 über die Zahlung des Magistrats der Stadt Lille an ihre Menestrels: pour aidier a susporter leurs despens en allant aux escolles ä Cambray, pour apprendre des nouvelles chanchons (S. 58). Zum Problem der Singschulen vgl. die Hinweise auf die Forschungsdiskussion unten S. 207ff. Merkwürdigerweise ist in der germanistischen Meistersang-Forschung bislang der gesamte Bereich der seit dem 14. Jahrhundert gut dokumentierten Musiker-Schulen unberücksichtigt geblieben; nur Günter Mayer: Probleme der Sangspruchüberlieferung. Beobachtungen zur Rezeption Konrads von Würzburg im Spätmittelalter. Diss. München 1974. S. 71 verweist auf Salmens Bemerkungen zu den scholae mimorum, ohne sich allerdings aus germanistischer Sicht kritisch damit auseinanderzusetzen.

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spreker van ... eher um eine Herkunftsbezeichnung handelt. Auffallend im Sinne einer Art städtischer Existenzform ist eigentlich nur der Eintrag von 1394: tot Gent der stat spreker van Gent (609), der der verbreiteten Formulierung der stede piper van ... entspricht. Allerdings fehlen uns im Falle der Sprecher weitere Informationen, um die Bedeutung der Genitivformel ähnlich genau zu bestimmen wie bei den Stadtpfeifern. Jan te Winkel 71 vermutet in diesem >Stadtsprecher< den Genter Dichter Bouden van der Lore, einen Autor zeitkritischer Gelegenheitsgedichte mit z.T. dezidiert städtischer Thematik: etwa der Traumrede De maghed van Gend, in der die Stadt Gent als Personifikation auftritt und innerstädtische wie - zeitlich nicht fixierbare - außenpolitische Probleme dieser Stadt angesprochen werden. Diese Identifizierung ist allerdings schon deshalb problematisch, weil der Rechnungseintrag keinen Namen bietet. Sie verdeckt darüber hinaus die prinzipiellen Schwierigkeiten des Versuchs, die gesellschaftliche Stellung eines solchen der stat spreker van Gent zu rekonstruieren. Der Schreiber hebt hier offensichtlich auf die städtische Zugehörigkeit dieses Sprechers ab. Es gibt jedoch m. W. keine Anhaltspunkte dafür, daß Städte im 14. Jahrhundert neben Musikern auch Rezitatoren bzw. Autoren in Dienst genommen haben, um ihnen bestimmte Aufgaben städtischer Repräsentation, etwa den literarischen Vortrag bei Fürstenbesuchen, zu übertragen. Jedenfalls scheint es kein dem Stadtpfeifer vergleichbares Amt eines Stadtsprechers gegeben zu haben. Es wäre deshalb zu fragen, ob es Informationen über den Aufenthalt von Sprechern in Städten gibt, die mögliche Hintergründe der in den Rechnungen auffallenden Formulierung der stat spreker van Gent erhellen. In den holländischen Hofhaltungsrechnungen werden einzelne Sprecher erwähnt, von denen wir wissen, daß sie nicht nur am Grafenhof aufgetreten sind, sondern auch bestimmten Städten bzw. dem jeweiligen Stadtrat zur Verfügung gestanden haben: etwa jener meester Jan van Vlaerdinghen, der sehr häufig von Johann von Blois, einmal auch von Albrecht von Bayern, entlohnt wird,72 zugleich aber auch in einer Middelburger Rechnung der Jahre 1364/65 auftaucht, in der die städtischen Kosten für die wegen der Anwesenheit Herzog Albrechts sehr aufwendige Fronleichnamsprozession des Jahres 1364 zusammengestellt sind. Neben gräflichen Pfeifern, städtischen Trompetern, einer Reihe namentlich genannter Musiker, Sänger und Sprecher wird meester Jan van Viaerdingen erwähnt, einige Einträge weiter seine Frau und seine Tochter. 73 Da wir über die Hintergründe dieser Rechnung nur unzureichend informiert sind, wissen wir nicht, ob dieser Jan van Vlaerdinghen in Middelburg wohnt, ob er möglicherweise mit seiner Familie wegen der zu erwartenden Festlichkeiten die Stadt aufgesucht hat oder ob er vielleicht im Gefolge des Herzogs nach Middelburg gekommen ist. Der Schreiber der Rechnung scheint ihn allerdings genauer gekannt zu haben, da er den Namen ohne weitere Angaben notiert. Ein vergleichbarer Fall ist der dichter Bertelmeus van 71 72

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te Winkel: LG II, S. 96ff. Er tritt zwischen 1361 und 1367 regelmäßig vor Johann von Blois auf; vor Albrecht von Bayern nur im Jahr 1361 (600). Sillem: Item meester Jan van Vlaerdinghe (S. 228); einige Einträge weiter: ende meester Jans dochter van Vlaerdinghe (S. 229); Meester Jans wijfvan Vlaerdinghe (Ebda.).

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Watersloet, der seit 1414 in den holländischen Grafenrechnungen gelegentlich erwähnt wird, 74 in den Jahren 1412,1423 und 1424 aber auch in Leidener Rechnungen auftritt. 75 Die Leidener Rechnungen zeigen freilich sehr deutlich das Übergewicht fürstlicher Musiker und Dichter in den Städten: unter den städtischen Ausgaben dominieren eindeutig die Zahlungen an fürstliche Boten, an Herolde lokaler geistlicher und weltlicher Herren und vor allem die Pfeifer des holländischen Herzogs. Auch Bertelmeus van Watersloet wird in Leiden in erster Linie als fürstlicher Hofdichter entlohnt worden sein. Da die städtischen Zahlungen an verschiedene Unterhalter oft in engem Zusammenhang mit Besuchen, Festen oder Botschaften des Fürsten stehen, verweisen auch die Spielleute-Partien städtischer Rechnungen nicht unbedingt auf ein städtisches Kulturleben, das sich neben und unabhängig von den Geselligkeitsformen des Fürstenhofs entwickelt. Sie verdeutlichen vielmehr die engen Verbindungen zwischen Hof und Stadt: jene lokalen Musiker und Sprecher, die wir aus den fürstlichen Rechnungen kennen, waren auch in den Städten bei weltlichen und kirchlichen Festen gern gesehene Gäste und sind hier nicht minder reichlich entlohnt worden. Ähnlich uneindeutig im Sinne einer städtischen Sprechertätigkeit sind die Aachener Stadtrechnungen, die u. a. auch Zahlungen an sprucher76 und singer verzeichnen. In einem Fall vermerkt der Schreiber sogar eigens: eyme sprucher in latinen (S. 327,39). Die Hintergründe dieser Sprecher-Entlohnung sind jedoch unklar. Auffallend ist allerdings eine detaillierte Rechnung über die städtischen Kosten während einer Burgbelagerung, in der u.a. auch die Auslagen für sprucher, singer, pfeifer und Herolde notiert sind. Sie verdeutlicht möglicherweise auch ein >literarisches< Unterhaltungsbedürfnis der städtischen Truppe, denn neben den Zahlungen an die Pfeifer verbündeter adeliger Herren, an fremde Fiedler und Pfeifer fallen hier vor allem die Ausgaben an Sprecher und Sänger auf, die während der Zeit der Belagerung aufgetreten sind: dem cleynen senger (278), dem sprucher Wendehare und den sengeren (280). Und es fragt sich, ob etwa im städtischen Heer neben den bediensteten Pfeifern und Herolden auch eine Art offiziellstädtische Sprecher mitgezogen sind, die der städtischen Truppe bzw. einzelnen Herren zur Verfügung standen. Diese Überlegungen bleiben jedoch ungesichert, da wir keine genaueren Informationen über mögliche Beziehungen dieser Sprecher zum Stadtrat oder anderen städtischen Institutionen sowie ihren Beitrag im Rahmen städtischer Festlichkeiten bzw. militärischer Aktivitäten der Städte haben. Über die Bedeutung der Stadt als Wohnsitz, gesellschaftlicher Ort des literarischen Vortrage und Potential verschiedener Auftraggeber der Sprecher verweigern die Rechnungen praktisch sämtliche Angaben. Rezitatoren und Autoren literari74 75 76

S. 616f.; er sucht den Grafenhof auf, um sproken te seggen (617). Meerkamp van Embden I: 1412 (S. 271); 1423 (S. 491); II: 1424/25 (S. 54). Vgl. die - unvollständigen - Sprecher-Exzerpte bei Mundschau, S. 41. Weitere Sprecher-Belege der Aachener Rechnungen bei Laurent: zween sprucheren (S. 376,1); vreymden sprucheren (S. 379,35); Pirelet den sprucher (S. 391,12).

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scher Kleinformen wohnen zwar in der Stadt; Sprecher werden bei Festempfängen entlohnt; sie sind - wie die Aachener Rechnungen zeigen - an militärischen Aktivitäten der Stadt beteiligt, zugleich auch — wie die Middelburger Rechnung vorführt — in das Festprogramm städtischer Prozessionen einbezogen und werden mit anderen mynistrelen vom Stadtrat eingeladen und offiziell bezahlt. Ihr gesellschaftlicher Status ist jedoch weitgehend unklar, so daß sich auch die Bedeutung der Formulierung der stat spreker van Gent nicht hinreichend erschließt. Wir erhalten demnach nur ein sehr unscharfes Bild sowohl von den Aufgabenbereichen und der Position städtischer Unterhalter als auch den Möglichkeiten städtischen Literaturbetriebs im 14. Jahrhundert. Das liegt z.T. an den Quellen: die städtischen Haushaltsbücher dokumentieren das Auftreten von Musikern, Sprechern und Herolden eher zurückhaltend; und auch die relativ ausführlichen fürstlichen Hofhaltungsrechnungen berücksichtigen städtische Formen von Geselligkeit und Repräsentation nur am Rande. Zugleich verdeutlicht diese Unkonturiertheit des städtischen Literaturbetriebs in den Rechnungsbüchern noch einmal sehr eindrücklich jene grundsätzliche Schwierigkeit, die sich bei dem Versuch ergibt, im 14. Jahrhundert auf dem literarischen Sektor zwischen Fürstenhof und Stadt als den sozialen Orten und organisatorischen Voraussetzungen der künstlerischen Aktivitäten zu unterscheiden. Während Musiker seit dem 14. Jahrhundert in den Städten als Bedienstete des Rats fest verankert sind, genau fixierte Aufgaben haben und im Rahmen von Musikervereinigungen sogenannte >Schulen< abhalten, ist die Bindung der literarischen Vortragskünstler an die Städte unklar. Für sie sind keine den Aufgaben der Musiker vergleichbare Tätigkeitsbereiche im Dienste der Stadt bzw. städtischen Institutionen bezeugt. In den Städten sind zwar Sprecher und Sänger aufgetreten und vom Stadtrat für ihre Dienste entlohnt worden. Über die Anlässe dieser Sprecherauftritte erfahren wir jedoch kaum etwas. Die seltenen Ausnahmen verweisen auf Fürstenbesuche, städtische Prozessionsfeste und militärische Unternehmungen der Städte, an denen auch adelige Herren beteiligt sind. Und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß es in der Stadt bereits im 14. Jahrhundert bestimmte Vortragssituationen - etwa den regelmäßigen Vortrag von Sprechern vor dem Stadtrat bzw. dem Schöffenkollegium oder die Praxis von Rezitationswettbewerben im Zusammenhang mit städtischen Bruderschaften - gegeben hat, die sich grundsätzlich von den Sprecherauftritten an der curia des Fürsten abheben. Die Rechnungen vermitteln eher ein Bild des Ausgleichs. Autoren und Rezitatoren halten sich in der Umgebung von geistlichen und weltlichen Fürsten auf, wohnen aber auch in Städten; sie suchen regelmäßig ihr Publikum am Hof des hier oder in der Nähe residierenden Fürsten, werden aber auch im Auftrag des Stadtrats entlohnt, der bei bestimmten Gelegenheiten für einen angemessenen Empfang des Fürsten zu sorgen hat. Für ihre Tätigkeit scheinen die Präsenz und das Unterhaltungsbedürfnis des Fürsten - auch im Rahmen städtischer Aktivitäten - bestimmend gewesen zu sein. Eine spezifisch städtische Variante des Sprecherauftritts ist jedenfalls in den Rechnungen nicht dokumentiert. Unter dem Gesichtspunkt der in den Rechnungsbüchern dokumentierten Aufführungspraxis und Rezeption literarischer Werke unterscheidet sich demnach das Auftreten von Spre197

ehern und Sängern in den Städten nicht von ihrem Aufenthalt im Umkreis des Fürsten. Spiele in der Stadt Während die am Fürstenhof und in der Stadt rezitierten literarischen Texte in den Rechnungen nur in Ausnahmefällen eigens vermerkt werden, informieren die Schreiber relativ präzise über die Aufführung von Spielen, an denen der Fürst mit seinem Gefolge teilnimmt. Auffallend ist dabei die Vielseitigkeit des Angebots an Maskerade-Umzügen und Passionsspielen, an Ein-Mann-Vorstellungen, Puppenspiel und kostspieligen Veranstaltungen etablierter Spielgruppen. So bestätigen die Rechnungen etwa die von der Forschung zur Entwicklung mittelalterlicher Spieltraditionen unterstrichene Bedeutung der Schülergruppen, die zum Jahresende einen >BischofBischof< bzw. ihrem >König< regelmäßig zu Beginn des Jahres vor dem Fürsten auftreten, sind jedenfalls ein fester Ausgabenposten in den Rechnungen. 77 Einmalig ist hingegen die Bezahlung eines Puppenspielers, der een dockespil voir mijnen here up siin camer upgeslagen hadde (610). Und untypisch scheint auch jene >Inszenierung< eines >Spiels< durch eine einzige Person zu sein, die Johann von Blois auf seiner Preußenfahrt des Jahres 1363 in Böhmen erlebt: enen man, die minen here een spei toende vanden heylighen 3 coningen (630). Eine vergleichbare Ein-Mann-Vorstellung wird offenbar auch dem Grafen von Ostrevant mit seiner Familie anläßlich einer Einladung im Hause seines Gastgebers vorgeführt: Item des sonnend, na Aghate, doe mijn here van Oestervant, mijn vrouwe van Oestervant ende mijn jonevrouwe tot sproefts hys aten, 2 sanghers, die daer voir minen here songhen ... Item enen anderen, die een speelkijn voir minen here seyde.78 Normalerweise sind an der Aufführung mehrere gesellen beteiligt, deren Vorführung der Graf mit seinem Gefolge aufsucht. In den stereotypen Ausgabenposten: den gesellen van den speie, in den Hage bzw. den gesellen

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Vgl. etwa S. 596 (1343 und 1344); 599 (1359); 610 (1394); 616 (1414). 606. Vgl. auch den Eintrag in den brabantischen Rechnungen bei Pinchart: Johan Onkele, van Duway, die een spelspeelde voir Mynrevrouwen (S. 27, Anm. 53). In diesen Fällen wäre allerdings zu überlegen, ob spei überhaupt eine dramatische Aufführung meint. Zur Problematik der Spiel-Terminologie vgl. die Überlegungen von Bernd Neumann: Mittelalterliches Schauspiel am Niederrhein. In: ZfdPh. 94, 1975. Sonderheft. S. 147-194, hier S. 162, der auf die detaillierten Ausführungen von Leo van Puyvelde: Het ontstaan van het modern tooneel in de oude Nederlanden. De oudste vermeldingen in de rekeningen. In: Verslagen en Mededeelingen der koninklijke Vlaamsche Academie voor Taal en Letterkunde Jg. 1922. Gent 1922. S. 9 0 9 - 9 5 2 und Al. de Maeyer: Over de beteekenis van >Spel< en >Spelen< in de Middeleeuwen. In: Ebda. Jg. 1927. Gent 1927. S. 1061-1070 verweist.

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uten Hage spiegelt sich die Konstituierung einer Spielergruppe, die als Gruppe - in einem Fall ausdrücklich zur Deckung ihrer Kosten 79 - bezahlt wird. Ob diese gesellen im 14. Jahrhundert noch ausschließlich Kleriker gewesen sind 80 oder bereits Mitglieder einer städtischen Bruderschaft, einer literarischen Gesellschaft im Sinne der später bezeugten Rederijkers, vielleicht sogar eine richtige Schauspielertruppe wie die französische Confririe de la Passion oder eher eine lose Gruppierung fahrender oder ansässiger menestrele/spellute, läßt sich den Einträgen nicht klar entnehmen. Der Terminus gesellen van den speie verweist allerdings auf eine Art professionelle Schauspieltruppe, die eine gewisse Kontinuität der Spielaufführungen garantiert. Sie erhalten Zuwendungen vom städtischen Rat. Einen Teil ihrer Kosten scheint aber auch der holländische Graf zu ersetzen, wenn er ihre Aufführungen besucht. Diese gesellen van den speie bevorzugen eindeutig die Präsentation geistlicher Themen des Passions- und Ostergeschehens: sie spielen van d'Heylig Cruysdach, ons heren verrissenisse oder onsz zueter vrouwen kercgang.81 Feste Räumlichkeiten scheint es nicht gegeben zu haben; zumindest variieren die Angaben über den Ort der von den Haager gesellen aufgeführten Spiele: sie spielen upten Viiverberch, op't plaetse, in der kerchen und am Grafenhof op hoire camer. 82 Lediglich eine Art Bühne wird erwähnt, denn es heißt in einer Rechnung des Jahres 1364: tot eenen speie op eenen zolre, dat min here ghinc sien (632). Im Gegensatz zu den Darbietungen der Musiker, Sänger und Sprecher, die den Grafenhof aufsuchen, um hier ihre Kunst vorzuführen, wird diese Form der Unterhaltung nur ausnahmsweise in die Räumlichkeiten des Fürsten verlegt. 83 In der Regel begibt sich der Fürst mit seinem Gefolge eigens zu der Spielaufführung. Sehr deut79

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1395: Ende den gesellen uten Hage die een spilgahadt hadden upter plaetsen, te hulpe te hören costen (610). So Aem. W. Wybrauch: Opmerkingen over het geestelijk drama hier te lande in de Middeleeuwen. In: Studien en Bijdragen op 't gebied der historische theologie 3, 1876. S. 1 9 3 - 2 9 0 , der auf die Notiz door priesters in Stadtrechnungen des 14. Jahrhunderts verweist (S. 210ff.). Detaillierte Rechnungsangaben aus Brügge bietet Edmond Vander Straeten: Le theatre villageois en Flandre. Histoire, litterature, musique, religion, politique, moeurs d'aprfcs des documents entifcrement inedits. Tome premier. Bruxelles 1874: den gesellen van der kercken (S. 32, Anm. 1), den gesellen van der stede (S. 32, Anm. 1), den gesellen van den choore in Onser Vrauwen Kerke (S. 34, Anm. 1); vgl. auch die Diskussion dieses Problems bei Puyvelde und Maeyer. Vgl. dazu die Angaben in dem Artikel: 's Gravenhage onder de regeering der graven uit de huizen van Holland, Henegouwen en Bejeren. In: Mededeelingen van de Vereeniging ter beoefening der Geschiedenis van 's Gravenhage. 'sGravenhage 1861. S. 2 0 7 - 3 4 2 , hier S. 316ff. Ebda., S. 316ff. Bemerkenswert im Hinblick auf Stoff wie Publikum eines am gräflichen Hof aufgeführten Spiels ist die Notiz: IUI gesellen, die voir den rade speelden die contumacie van der aexter ende van Quadebeck. Angabe in dem Anm. 81 genannten Artikel, der S. 317 weitere Aufführungsbelege bietet. Ein niederländisches Spiel dieses Titels ist m.W. nicht bekannt. W. P. Gerritsen und F. van Buuren, die sich freundlicherweise um eine Identifizierung dieser merkwürdigen Angaben bemüht haben, vermuten, daß es sich hierbei um eine Art Streitgespräch zwischen einer Elster (aexter) und einem Vogel namens Quadebeck handelt.

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lieh formuliert das der Ausgabenposten Johanns von Blois, der auf der Rückkehr von seiner Preußenfahrt im Jahre 1369 in Marburg eine Aufführung besuchte: Item van eneti speie, dat mijn here daer mit sinen lüde was gaen sien (644). Schon diese Bemerkung über den Spielbesuch des Fürsten verweist auf die Bedeutung der Stadt für diese Form der Unterhaltung. Und tatsächlich zeichnet sich in den holländischen Rechnungen etwas deutlicher die Rolle der Stadt bei der Aufführung von Spielen ab. Denn normalerweise ist von den gesellen uten Hage die Rede, die auf den Plätzen der Stadt ihr Spiel von der Passion und Auferstehung Christi präsentieren, zu dem sich zahlreiche, auch fürstliche Zuschauer einfinden. Noch ausgeprägter als in den fürstlichen Rechnungen zeigt sich natürlich in städtischen Finanzdokumenten die Rolle der Stadt als Fixpunkt mittelalterlicher Spielpraxis. Hier geben regelmäßige Einträge Auskunft über städtische Spielaufführungen. 84 Diese Zentrierung auf die Stadt hat sich auch in der Forschung zum mittelalterlichen Theater niedergeschlagen, denn hier hat die Stadt einen zentralen Platz: als der gesellschaftliche Ort der Realisierung geistlicher wie weltlicher Spiele, im organisatorischen Sinne als institutioneller Träger der Spielaufführungen und in ideologischer Hinsicht als eine Art Resonanzboden der in den Spielen angesprochenen Themen und vermittelten Lebenslehren. Diese verschiedenen Aspekte sind allerdings sehr unterschiedlich belegt und erforscht. 85 Während sich die Forschung zu den geistlichen Spielen bislang eher den Fragen der Gattungsgeschichte, der Spiellandschaften und literarischen Verbindungen gewidmet hat und erst neuerdings auch generelle Fragen der Realisierung städtischer Spielaufführungen in den Vordergrund des Interesses rücken, 86 haben die weltlichen Spiele schon immer als Paradigma städtischer Literatur gegolten. Die Germanistik konzentriert sich hier vornehmlich auf die Nürnberger Fastnachtspiele bzw. Hans Sachs' Dra-

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Vgl. dazu im folgenden S. 204ff.; speziell zum niederländischen Bereich vgl. die zahlreichen Aufführungsbelege bei Puyvelde und Maeyer. Die folgenden kursorischen Hinweise sind nicht als ein repräsentativer Überblick über die Forschung zum mittelalterlichen Drama gedacht, der in einer solchen Arbeit auch gar nicht geleistet werden könnte. Es werden lediglich einige Argumentationsmuster der germanistischen und romanistischen Forschung zur organisatorischen Seite der Spielaufführungen angesprochen, die in besonderer Weise auf den städtischen Charakter der Spiele abheben. In der älteren Literatur sind vor allem lokalhistorische Arbeiten auf die äußeren Umstände der Spielaufführung eingegangen. Vorzügliche Informationen bietet etwa J. E. Wackerneil: Altdeutsche Passionsspiele aus Tirol. Das neue Forschungsinteresse für die Beteiligung der Stadt an der Aufführung zeigt sich vor allem in den Arbeiten von Bernd Neumann: Zeugnisse mittelalterlicher Aufführungen im deutschen Sprachraum. Eine Dokumentation zum volkssprachigen geistlichen Schauspiel. Teü 1: Die Erforschung der Spielbelege. Diss. Köln 1979; Ders.: Mittelalterliches Schauspiel, und Wilhelm Breuer: Zur Aufführungspraxis vorreformatorischer Fronleichnamsspiele in Deutschland. In: ZfdPh. 94, 1975. Sonderheft. S. 5 0 - 7 1 . In der Romanistik sind freilich diese Fragen der Spielrealisierung schon früher diskutiert worden; vgl. dazu vor allem Gustave Cohen: Histoire de la mise en scene dans le theatre religieux fran;ais du moyen äge. Bruxelles 1906. (Academie Royale Belgique. Classe des Lettres et des Sciences morales et politiques et Classe des Beaux Arts 1.6)

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men, deren städtische Prägung unumstritten ist. 87 Die romanistische Forschung verweist hingegen auf die im französisch-flandrischen Raum vorliegenden frühen Zeugnisse einer ausgebildeten weltlichen Spielkultur und vor allem auf die Arraser Spiele, die mit ihren »bürgerlichem Wirtshausszenen und Stadtsatiren eine frühe Form komischen Theaters der Städte darstellten.88 Sie finden im 14. und 15. Jahrhundert zahlreiche Nachfolger in den farces, sotties, moralitis und mysteres, die ein breites Spektrum komisch-satirischer und moralisch-didaktischer Themen abdekken. Und während in Deutschland im 14. Jahrhundert mit den Neidhart- oder Jahreszeitenspielen nur ein sehr schmales Repertoire weltlicher Stoffe bezeugt ist, können in den französischen und niederländischen Städten mit der Dramatisierung epischer Stoffe und der Inszenierung pseudohistorischer oder aktuell-politischer Dramen die verschiedensten Themen zum Spielgegenstand werden. Diese zumindest für die französisch-niederländischen Städte relativ gut bezeugte weltliche Spielkultur des 14. und 15. Jahrhunderts läßt sich allerdings nur bedingt für eine die Aufführungsbedingungen einbeziehende Interpretation der erhaltenen Texte fruchtbar machen. Für das früheste Beispiel komischen Theaters, Adams de la Halle Jeu de la Feuillee, ist z.B. die Forschung ganz auf Vermutungen angewiesen, da dokumentarische Belege einer Arraser Aufführung im 13. Jahrhundert fehlen und die für das 15. Jahrhundert bezeugten jeux de rimes surs cars, banyeux etc." sich nicht ohne weiteres auf das thematisch äußerst komplexe Spiel des maistre Adam übertragen lassen. Diese Unsicherheit hinsichtlich der konkreten Realisierung von Spielen gilt noch mehr für die organisatorischen Voraussetzungen städtischer Aufführungen. 87

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Vgl. vor allem die neueren Arbeiten von Werner Lenk: Das Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Theorie und zur Interpretation des Fastnachtspiels als Dichtung. Berlin 1966. (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 33. Reihe C. Beiträge zur Literaturwissenschaft); Johannes Mathias Merkel: Form und Funktion der Komik im Nürnberger Fastnachtspiel. Diss. Freiburg i. Br. 1971, hier S. 242ff.; speziell zu Hans Sachs vgl. Niklas Holzberg: Die Tragedis und Comedis des Hans Sachs. Forschungssituation - Forschungsperspektiven. In: Hans Sachs und Nürnberg, S. 105-136; Erika Kartschoke, Christiane Reins: Nächstenliebe - Gattenliebe - Eigenliebe. Bürgerlicher Alltag in den Fastnachtspielen des Hans Sachs. In: Hans Sachs, S. 105-138; zum Theaterspiel der Meistersinger vgl. die informative Darstellung von Constantin Kooznetzoff: Das Theaterspielen der Meistersinger. Diss. Heidelberg 1964; Zusammenfassung wieder in: Deutscher Meistersang, S. 442-497. Für Frankreich-Flandern vgl. die historischen Dokumente für Spielaufführungen im 14. und 15. Jahrhundert bei Le Bon de la Fons-Melicocq: Les artistes dramatiques des provinces de Flandre et d'Artois aux XIVe, XVe et XVIe sifecles. In: Memoires de la Societe des Antiquaires de la Morinie 22, 1886/87. S. 341-456; Justine de Pas: Mysteres et Jeux sceniques a Saint-Omer aux XV et XVI sifccles. In: Ebda. 21, 1893. S. 345-377; Frank G. van der Riet: Le theatre profane s£rieux en langue flamande au moyen-äge. Paris 1936; er verweist auf Spielaufführungen pseudohistorischer Stoffe (S. 133ff.); zusammenfassend neuerdings Jean-Claude Aubailly: Le theatre medieval profane et comique. La naissance d'un art. Paris 1975; zu den Arraser Spielen vgl. die im Arras-Kapitel, S. 77ff. genannten Arbeiten. Le Bon de la Fons-Melicocq, S. 375. 201

Die romanistische Forschung, in der diese Frage intensiver als in der Germanistik diskutiert worden ist, verweist einerseits auf städtische >literarische< Gesellschaften des 13. bis 15. Jahrhunderts, die Puys nordfranzösischer Städte und die societes joyeuses des 15. und 16. Jahrhunderts, die u.a. auch Theateraufführungen veranstaltet hätten, andererseits auf bruderschaftliche Organisationen, die confriries und charitis, die seit dem 14. Jahrhundert für die Ausrichtung geistlich-weltlicher Spiele in den Städten verantwortlich gewesen seien. 90 Als produktivste und interessanteste Gruppe gilt die Pariser Confrerie de la Passion, die seit 1402 — von König Karl VI. privilegiert - ihren festen Sitz im Höpital der Trinite-Kirche hatte und zunächst vornehmlich geistliche Stücke, später auch - gemeinsam mit anderen Gruppen, den Basoches und Enfants-sans-souci91 - Farcen und Sottisen aufführte. Die bereits im späten 14. Jahrhundert bezeugten Theater-Aktivitäten dieser Confrerie gelten als repräsentativ auch für die Verhältnisse des 13. und 14. Jahrhunderts. Dementsprechend wird auch für die Realisation des Laubenspiels im 13. Jahrhundert eine Arraser Confrerie verantwortlich gemacht, jene berühmte Charite des Ardents, in deren organisatorischem Rahmen — vielleicht im engeren Kreis der Pui-Mitglieder - das Laubenspiel seine spezifischen komisch-aggressiven Pointen hätte entfalten können. 92 Vergleichbare Überlegungen zur Rolle städtischer Bruderschaften und literarischer Zirkel stehen auch für den niederländischen und deutschen Bereich zur Diskussion. Für die niederländische Spielpraxis konzentriert sich die Diskussion auf die Bedeutung der sogenannten Rederijkerskamern, einer Art literarischer Gesellschaften, die - vergleichbar den Puy-Gesellschaften und den Chambres de rhitorique nordfranzösischer Städte - in zahlreichen niederländischen Städten seit dem 15. Jahrhundert als Initiator literarischer Wettbewerbe, den sogenannten landjuweelen, und als Organisator geistlicher und weltlicher Spiele bezeugt sind. 93 Sie gelten als Nachfolgeorganisationen verschiedener städtischer Gruppen, die im 13. und 14. Jahrhundert Feste veranstaltet, dabei die verschiedensten Formen literarischer Produktion propagiert und szenischer Darstellungen präsentiert hätten:

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Sehr ausführlich informiert über mögliche organisatorische Vorformen französischer Spieltruppen Louis Petit de Juleville: Histoire du theatre en France. Les comediens en France au moyen äge (1885). Neudruck: Gen£ve 1968; ähnlich ders.: La comedie et les moeurs en France au moyen äge. Paris 1886. Zu diesen Gruppen vgl. Howard Graham Harvey: The Theatre of the Basoche. The Contribution of the Law Societies to French Medieval Comedy (1941). Nachdruck: New York 1969. Vgl. die Überlegungen zu den Arraser Spielen des 13. Jahrhunderts und den ConfrerieAufführungen im 14. Jahrhundert bei Gustave Cohen: Le theatre en France au moyen äge. II. Le theatre profane. Paris 1938; über mystere-Aufführungen in Puys oder Confreries ders.: Le theätre en France au moyen äge. I. Le theätre religieux. Paris 1938. Zur Vorgeschichte und Entstehung der Rederijkers vgl. Prudens van Duyse: De Rederijkkamers in Nederland. Hun invloed op letterkunde, politiek en zedelijk gebied. Eerste deel. Gent 1900; J. J. Mak: De Rederijkers. Amsterdam 1944. (Patria 34); zu den literarischen Wettbewerben G. Jo. Steenbergen: Het landjuweel van de Rederijkers. Leuven 1950/52. (Keurreeks van het Davidsfond 44)

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Schützengilden, die in den Städten große Feste organisiert hätten, zu denen auch literarische Wettkämpfe gehörten; städtische Bruderschaften, die - wie die französischen C o n f r e r i e s - u.a. auch geistliche Spiele aufgeführt hätten; die sogenannten sottengilden, spezielle Schülervereinigungen, die burleske Maskeraden vorgeführt und in der Person des episcopus puerorum kirchliche wie weltliche Hierarchien parodiert hätten, und schließlich jene gesellen van den speie, die nach dem Zeugnis historischer Quellen im 14. Jahrhundert in den Städten und an den Fürstenhöfen geistliche wie weltliche Spiele realisiert, daneben aber offenbar auch andere Aufgaben der Unterhaltung wahrgenommen hätten. Bei den Nürnberger Fastnachtspielen des 15. Jahrhunderts wird etwa auf das organisierte Auftreten junger Handwerker und Patriziersöhne unter der Leitung eines Spielführers verwiesen; 94 für die Lübecker Spiele auf die patrizische Zirkelbruderschaft, deren Administrationsbuch die Liste der von dieser Bruderschaft zwischen 1430 und 1515 ausgerichteten Fastnachtspiele liefert. 95 Und auch die szenische Realisation geistlicher Spiele des 14. und 15. Jahrhunderts wird - neben den Schülern der lokalen Kloster-, Dom- und städtischen Pfarrschulen - den besonderen Aktivitäten städtischer Laienbruderschaften und Zünfte zugesprochen. 96 Dieses Bild einer konsequenten Entwicklungslinie von verschiedenen städtischen Organisationen, die neben anderen Aufgaben — der bruderschaftlichen Hilfe, kirchlichen Totenzeremonien oder termingebundenen Unterhaltungen — auch die szenische Darstellung von Spielen übernehmen, bis hin zu jenen literarischen Gesellschaften, den Chambres de rhetorique und Rederijkers bzw. regelrechten städtischen Theatergruppen des 15. und 16. Jahrhunderts, läßt sich jedoch in dieser Stringenz nicht nachweisen. Denn die ζ. T. sehr detaillierten Angaben über die Vorbereitungen, Proben, Bühnengestaltung und Finanzierung der berühmten Aufführungen in Tirol und Luzern 97 und die im Vergleich zu den deutschen Verhältnissen ungewöhnlich gut dokumentierte Theatergeschichte der Confrerie de la Passion verdecken die unbequeme Tatsache, daß unsere Kenntnis von den organisatorischen Voraussetzungen mittelalterlicher Aufführungen zumindest für das 14. und 15. Jahrhundert äußerst lückenhaft ist und die regional und typenspezifisch punktuellen Informationen zur Aufführungspraxis bislang keine tragfähige Basis für generelle Aussagen darstellen. Entsprechend vage bleibt notwendigerweise die Stadt als Träger mittelalterlicher Spielkultur. 94

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Zu Handwerkergesellschaften als den Trägern der frühen Fastnachtspiele vgl. Dietz-Rüdiger Moser: Fastnacht und Fastnachtspiel. Zur Säkularisierung geistlicher Volksschauspiele bei Hans Sachs und ihrer Vorgeschichte. In: Hans Sachs und Nürnberg, S. 182-218, hier S. 185. Vgl. dazu C. Wehrmann: Fastnachtspiele der Patrizier in Lübeck. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 6, 1880. S. 1 - 5 ; C. Walther: Ueber die Lübekker Fastnachtspiele. In: Ebda., S. 6-31. Zur Rolle der Spielbruderschaften und Beteiligung der Zünfte vgl. die knappen Bemerkungen von Neumann: Zeugnisse, S. 175f. sowie Breuer, S. 68. Zu den Tiroler Aufführungen vgl. vor allem die Angaben bei Wackernell, zu den berühmten Luzerner Passionsspielen vgl. M. Blakemore Evans: The Passion Play of Lucerne. An Historical and Critical Introduction (1943). Nachdruck: Millwood, N.Y. 1975. 203

Dieser Forschungsstand hat sich allerdings in den letzten Jahren zumindest für den Bereich des geistlichen Spiels ganz entscheidend geändert, vor allem durch Bernd Neumann, der die historischen Quellen systematisch auf Belege für Spielaufführungen des 13. bis 16. Jahrhunderts durchgesehen und eine Sammlung von ca. 3200 Belegen angelegt hat. 98 Aufgrund dieses Materials wird sich auch das Stadtspezifische an der Aufführung geistlicher Spiele profilieren lassen. Neumanns Untersuchungen haben jedenfalls ergeben, daß die Städte nach einigen Vorläufern im 13. Jahrhundert seit dem 14. Jahrhundert eine breite und kontinuierliche Spieltradition aufweisen; und dies nicht nur in den bekannten Spiellandschaften, in denen sich im Spätmittelalter spezielle Spiel-Städte wie Bozen, Sterzing oder Luzern mit überragenden Regisseuren und Textsammlern herausgebildet haben, sondern auch in den bislang als >Leerstellen< betrachteten Gebieten, deren städtische Rechnungen ebenfalls seit dem 14. Jahrhundert eine Reihe von Nachrichten über Spielaufführungen aufweisen. Bernd Neumann geht sogar davon aus, daß »in allen Städten des deutschsprachigen Raums im späten Mittelalter geistliche Spiele aufgeführt wurden und daß folglich überall dort, wo sich noch mittelalterliche Archivalien erhalten haben, mit Spielnachrichten gerechnet werden kann.« (S. 157) Er demonstriert diese These sehr eindrücklich am Beispiel zahlreicher niederrheinischer Städte," deren Rechnungen ein sehr vielfältiges Bild städtischer Spielkultur bieten. In kleinen wie großen Städten sind nicht nur Oster- und Passionsspiele aufgeführt worden, sondern seit dem Ende des 14. Jahrhunderts auch Dreikönigsspiele, Lichtmeßspiele, ein Theophilus- und Alexiusspiel, Dramatisierungen biblischer Szenen und schließlich in der Fastenzeit sogar weltliche Spiele: in Arnhem spielen di^gesellen im Jahre 1395 ein her Nyters spil (S. 168), im Jahre 1404 ein Jahreszeitenspiel und im 16. Jahrhundert schließlich ein thematisch bislang noch nicht bestimmbares Spiel Henrick die Wijlde (S. 169). Von diesen Spielen sind weder Texte noch Dirigierrollen erhalten. Wir verdanken unser Wissen von ihrer Aufführung lediglich dem städtischen Rat, dessen finanzielle Zuwendungen für die Aufführenden in die Rechnungsbücher eingetragen worden sind. Gleichzeitig liefern diese Spieleinträge wertvolle Informationen über die äußeren Umstände der Spielrealisierung: die geistlichen sind vornehmlich vor der Kirche aufgeführt worden, die weltlichen im Rathaus oder auf dem Marktplatz. Als Initiatoren und Spieler werden in den Rechnungen häufig die >Gesellen< genannt, die allerdings nicht feste Spielgruppen im Sinne der niederländischen ge98

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Neumann: Zeugnisse, bemüht sich im Gegensatz zu anderen Arbeiten, die sich - wie etwa Elke Ukena: Die deutschen Mirakelspiele des Spätmittelalters. Studien und Texte. Studien. Bern, Frankfurt 1975. (Europäische Hochschulschriften. Reihe I. Deutsche Literatur und Germanistik 115) für das Mirakelspiel - bestenfalls um die Aufführungszeugnisse eines Spieltyps gekümmert haben, um eine möglichst lückenlose Erfassung sämtlicher Aufführungsbelege. In dem bisher erschienenen ersten Teil seiner Dissertation gibt er einen Uberblick über die Quellen und die verschiedenen Spiellandschaften. Der für die Erforschung mittelalterlicher Spielpraxis überaus wichtige Dokumentationsteil, in dem die Spielbelege in ihrem vollständigen Wortlaut gesammelt sind, ist allerdings bisher noch nicht veröffentlicht worden. Neumann: Mittelalterliches Schauspiel.

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seilen van den speie gewesen zu sein scheinen, sondern als burger und burgers kinder100 eher Angehörige der städtischen Oberschicht, die sich ad hoc zur Spielaufführung zusammengefunden haben. Daneben werden in den Quellen immer wieder die Schüler erwähnt, die - wie auch in anderen Gegenden — die Aufführung geistlicher Spiele entscheidend bestimmen, zunächst unter der Leitung des Ordensklerus, später des städtischen Schulmeisters, der zunehmend die Organisation der Spiele übernimmt. Und im 15. Jahrhundert existieren schließlich auch Bruderschaften, die eigens zur Pflege des Spiels gegründet werden und über Jahre hinweg für die Vorbereitung und Realisierung von Spielaufführungen verantwortlich sind. Ein berühmtes Beispiel für solche Spiel-Organisationen ist die Bruderschaft der Bekrönung, die Ende des 16. Jahrhunderts in Luzern mit dem Stadtschreiber Renwart Cysat, einem sehr erfolgreichen Spielleiter, mehrere Passionsaufführungen in Szene setzt. 101 Diese punktuellen Angaben zur Organisation städtischer Spielaufführungen sollen hier nur den Bereich abstecken, in dem sich der städtische Charakter der Spiele nachweisen ließe. Dies ist auf der schmalen Materialbasis unserer holländischen Rechnungen nicht möglich. Erst eine systematische Kommentierung der von Bernd Neumann gesammelten und bislang unveröffentlichten Aufführungsbelege könnte im einzelnen zeigen, in welcher Form städtische Organisationen und Institutionen an der Vorbereitung und Aufführung von Spielen beteiligt und wie sehr diese Spiele in das städtische Leben integriert gewesen sind. 102 Bereits die wenigen von Bernd Neumann ausgewerteten und zugänglich gemachten Details lassen allerdings ein beeindruckendes Ergebnis hinsichtlich des städtischen Charakters der Spiele erwarten, die offenbar auf ein besonderes Interesse bei den städtischen Gremien, Organisationen und den verschiedenen städtischen Bevölkerungsgruppen gestoßen sind. Das zeigt sich an den finanziellen Zuwendungen des Rats, der Mitwirkung der verschiedensten städtischen Bewohner, der Beteiligung organisierter Gruppen, der Schüler oder Bruderschaften, und schließlich vor allem an der führenden Stellung städtischer Beamter, der Stadtschreiber und Lehrer, bei der Realisierung geistlicher, aber auch weltlicher Spiele. Zugleich erweist sich gerade auf diesem Sektor das bei literarischen Aktivitäten städtischer Kreise immer wieder angetroffene Zusammenwirken von Geistlichkeit und Laien als besonders fruchtbar, denn die von Ordensangehörigen, Pfarrern, Schülern, Stadtschreibern und burgern bzw. burgers kint realisierten Spiele befriedigen in ihrer Mischung aus Volkssprache und Latein, ihrer geistlich-weltlichen Szenengestaltung die Interes100 101

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Zu den Mitwirkenden der niederrheinischen Spiele vgl. ebda., S. 191. Zur Bekrönungsbruderschaft vgl. neben Evans: Passion Play, S. 77f. vor allem Hans Dommann: Die Luzerner Bekrönungsbruderschaft als religiöse Spielgemeinde. In: Jahrbuch der Gesellschaft für schweizerische Theaterkultur 3, 1930/31. S. 5 4 - 6 8 . Dies wird zur Zeit von Margot Westlinning nachgeholt, die - auf der Grundlage des Kölner Quellenmaterials - eine Dissertation mit dem Arbeitstitel »Untersuchungen zur Sozialgeschichte des volkssprachigen geistlichen Dramas. Ein Beitrag zur Typologie stadtbürgerlicher Literatur im deutschen Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit« vorbereitet.

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sen sehr verschiedener Zuschauerkreise, die nur gelegentlich in den Quellen genauer benannt werden: etwa des Fürsten, der mit seinem Gefolge städtische Spiele besucht, des städtischen Rats, der einzelne Mitglieder zur Aufführung entsendet, der lokalen Geistlichkeit, der Stadtgemeinde und schließlich der auswärtigen Besucher, von denen - in Ausnahmefällen - zur Deckung der Kosten Eintritt verlangt wird. Jedenfalls ist anzunehmen, daß die seit dem 14. Jahrhundert verstärkt bezeugte Aufführung geistlicher wie weltlicher Spiele eine sehr spezifische Form städtischer Literaturpraxis dokumentiert, die nicht an bestimmte Personenkonstellationen gebunden war, sondern - wenn Bernd Neumanns Befund zutrifft — in praktisch jeder Stadt ausgeübt werden konnte. Dabei wird man - auch das ergibt sich aus Neumanns Dokumentation - mit sehr unterschiedlichen Organisationsformen rechnen müssen, die sich nach dem Typus des jeweils aufgeführten geistlichen oder weltlichen Spiels, mehr jedoch nach den jeweiligen institutionellen Konstellationen der einzelnen Städte richten: neben rein klösterlichen Inszenierungen und einer deutlichen Dominanz geistlicher Spieler gibt es das Spiel von Schülern unter der Leitung ihres Lehrers, neben eigens für die Aufführung gegründeten Spielbruderschaften und der Beteiligung von Zünften gehen zahlreiche Inszenierungen auf die Initiative einzelner Stadtbewohner zurück, die sich der Hilfe des Stadtschreibers und der Förderung des Rats versichern. Neben diesen eher punktuellen Spiel-Vereinigungen existieren aber auch — vor allem in den niederländischen Städten — quasi-professionelle Spielgruppen, die gesellen van den speie, die ein festes Programm haben und auch in Nachbarstädten ihre Spiele aufführen. Diese organisatorische Vielfalt ist im 14. und 15. Jahrhundert nicht als ein geradliniger Prozeß einer kontinuierlichen Ablösung klösterlich-geistlicher Inszenierungen durch städtische Laienaufführungen von Bruderschaften bzw. Handwerkszünften beschreibbar. Es haben sich vielmehr regionale und lokale Spieltraditionen herausgebildet, die - entsprechend den jeweiligen Möglichkeiten - gelegentlich mehr durch geistliche Institutionen, in anderen Fällen eher durch städtische Beamte, den Magistrat und einzelne Angehörige der städtischen Oberschicht bestimmt werden. In allen Fällen ist jedoch die Stadt mit ihren Kirchen und Plätzen, ihren Klöstern und Schulen, dem städtischen Rat und seinen Beamten, den Bruderschaften, Zünften und lockeren Spielvereinigungen präsent. Sie ist der zentrale gesellschaftliche Ort für die szenische Realisation geistlicher wie weltlicher Spiele, die von der eigenen Stadtbevölkerung, von auswärtigen Zuschauern und gelegentlich auch von dem residierenden Fürsten besucht werden.

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2. Zur Vorgeschichte städtischer Singschulen: genossenschaftliche Vereinigungen literarischer Unterhalter im 14. und 15. Jahrhundert

Die Aufführung geistlicher und weltlicher Spiele ist zwar nicht ausschließlich und vornehmlich, aber doch auch von Bruderschaften getragen, die neben ihren bruderschaftlichen Diensten und Zeremonien bestimmte kulturelle Aufgaben wahrnehmen. Schon hieran zeigt sich, daß bruderschaftliche Vereinigungen aktiv am städtischen Kulturleben teilnehmen und sich um die Organisation einer spezifisch städtischen Literaturpraxis kümmern. Noch deutlicher müßte der Einfluß städtischer Bruderschaften auf die literarische Produktion der Stadt sein, wenn sich literarische Unterhalter in bruderschaftlichen oder zunftartigen Institutionen zusammenschließen und die literarisch aktiven Mitglieder ihre Texte auf das Publikum dieser fraternitas ausrichten. Damit steht zugleich die Frage nach der Vorgeschichte städtischer Singschulen zur Diskussion. Sie gelten zurecht als die spezifischste Ausprägung städtischen Literaturbetriebs. Denn diese zunftartigen Organisationen, in denen zu bestimmten Terminen nach festen Vorschriften Lieder gedichtet, einer Gemeinschaft Kunstverständiger vorgesungen und von eigens bestellten >Merkern< korrigiert werden, scheinen am direktesten dem in Bruderschaften, Zünften und Gilden geordneten städtischen Leben zu entsprechen. 1 Solche Meistersinger-Vereinigungen, deren organisatorischer Rahmen sich in Statuten, offiziellen Gründungsgesuchen und den Genehmigungen des städtischen Magistrats abzeichnet, sind seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts urkundlich bezeugt: die Nürnberger Schule in den Ratsprotokollen erstmals im Jahre 1503, 2 die Freiburger Schule in einem Stiftungsbrief des Jahres 1512 3 und die Augsburger schließlich im Jahre 1534. 4 Man hat allerdings bereits für das 14. und 15. Jahrhundert mit der literarischen Praxis singschulartigen Meistersangs und damit auch mit der Existenz städtischer Singschulen gerechnet, die erst im Laufe des 16. Jahrhunderts ihre Bestätigung durch die städtische Obrigkeit erfahren hätten und deshalb so spät in die historischen Quellen einge1

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Diesen Aspekt betont vor allem Heinz C. Christiansen: Meistersinger Schools and the Guilds: A Note on their Relationship. In: GLL 26, 1972/73. S. 119-124; Ders.: The Guilds and the Meistersinger Schools: Parallelism in Educational Patterns. In: ABäG 3, 1972. S. 201-218. Vgl. dazu die Angaben bei Horst Brunner und Erich Strassner: Volkskultur vor der Reformation. In: Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt. Hg. von Gerhard Pfeiffer. München 1971. S. 199-207, hier S. 204; hier auch Argumente für die Existenz einer Nürnberger Singschule in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts. Vgl. den Text des Stiftungsbriefs bei Heinrich Schreiber: Urkunden der Meistersinger zu Freiburg im Breisgau. Aus dem dortigen Stadtarchiv mitgetheilt. In: Badisches Archiv 2, 1827. S. 195-209, hier S. 195-202. Vgl. den Text der Supplikation des Jahres 1534 bei Fritz Schnell: Zur Geschichte der Augsburger Meistersingerschule. Augsburg o.J. (1958). (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg. Schriftenreihe des Stadtarchivs Augsburg 11) S. llOf. Hier wird allerdings eine bereits genehmigte Singschule erwähnt.

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gangen seien. 5 D i e s e >Frühdatierungen< werden jedoch in den letzten Jahren zunehmend problematisiert. Bereits Theodor H a m p e hatte vermutet, daß mit dem Terminus singschul nicht nur eine Meistersinger-Gesellschaft, sondern auch eine unorganisierte Singveranstaltung, eine Vorführung im Sinne eines Konzerts gemeint sein kann. 6 Der in Liedern des 15. Jahrhunderts auftretende Begriff singschul würde demnach nicht in jedem Falle auf eine gesellschaftliche Institution im Sinne städtischer Singschulen der Meistersinger verweisen. Mit dieser semantischen Differenzierung des singschul-Terminus argumentieren neuerdings Horst Brunner, 7 Günther Mayer 8 und Christoph Petzsch 9 im Hinblick auf die Frage nach der Evidenz literarischer Zeugnisse für die Entstehung früher Meistersinger-Vereinigungen im 14. und 15. Jahrhundert: sie gehen davon aus, daß sich die Verwendung des Begriffs singschul in Liedern des 15. Jahrhunderts zureichend mit der Bedeutung >Singvorführung< erklären läßt, die Texte, in denen singschulen erwähnt werden, demnach keine Informationen über die Existenz früher, historisch sonst nicht bezeugter Meistersinger-Organisationen bieten. 1 0 5

Diesen Forschungsstand verdeutlich am besten Bert Nagel: Meistersang. 2. mit einem Nachwort versehene Auflage. Stuttgart 1970. (Sammlung Metzler 12) in der Überschrift: »Von Mainz bis Memmingen (1315-1875).« (S. 22). 6 Theodor Hampe: Spruchsprecher, Meistersinger und Hochzeitlader, vornehmlich in Nürnberg. In: Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum 7, 1894. S. 2 5 - 4 4 , hier S. 27. Seine Überlegungen beziehen sich auf die inzwischen in der Singschul-Diskussion berühmte Strophe Augsburg hatt ain weisen ratt (CH 29,85), mit der ein unbekannter Dichter auf ein von Ulrich Wiest im Jahre 1449 gegen die Fürstenpartei verfaßtes Lied reagiert. Er behauptet von den Augsburgern: Sy hand gemacht ain singschül/Vnd setzen oben uff den stul/Wer übel redt vonn pfaffen (Vv. 8 8 - 9 0 ) . Aufgrund dieser Verse wird mit einer bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts existierenden Singschule der Augsburger Meistersinger gerechnet. Hampe hat mit seinem Hinweis auf die Verwendung des 5i'ngicÄu/-Terminus im Sinne von Konzert den Dokumentationswert dieser Verse erschüttert, diese problematisierende Haltung allerdings in dem Artikel: Meistergesang und Reformation (1898). Wieder in: Deutscher Meistersang, S. 8 7 - 1 1 5 , hier S. 102 wieder aufgegeben. 7 Brunner: Die alten Meister, S. 14ff. 8 Mayer, S. 64ff. 9 Chr. Petzsch: Singschule. Ein Beitrag zur Geschichte des Begriffes. In: ZfdPh. 95, 1976. S. 4 0 0 - 4 1 6 ; Ders.: Die Kolmarer Liederhandschrift. Entstehung und Geschichte. München 1978. S. 42f. 10 Vgl. hingegen Hellmut Rosenfeld: Vorreformatorischer und nachreformatischer Meistersang. Zur Augsburger Meistersingerschule von Ulrich Wiest bis Raphael Duller. In: Studien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters. Festschrift für Hugo Moser zum 65. Geburtstag. Hg. von Werner Besch, Günther Jungbluth, Gerhard Meissburger und Eberhard Nellmann. Berlin 1974. S. 2 5 3 - 2 7 1 , hier S. 2 5 6 - 2 5 8 sowie ders.: Singschule und Meistersinger vor 1500. Zur Problematik der Meistersangforschung. In: Studien zur deutschen Literatur, S. 687-712, hier S. 6 9 3 - 6 9 5 , der sich erneut mit dem Augsburger singschul-Beleg auseinandersetzt, die Lesart >Konzert< für eine Fehlinterpretation hält und sich vehement für die Existenz einer organisierten Singschule des Jahres 1449 ausspricht. Diese Einschätzung ist wohl überzogen. Die polemischen Verse über die singschul des Augsburger Rats sind sicher kein historischer Beleg für eine in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Augsburg etablierte Meistersinger-Organisation. Sie zeigen jedoch, daß im 15. Jahrhundert der Terminus singschul, der hier - vergleichbar den bereits er208

Damit entsteht in unserem Wissen von den sozialen Voraussetzungen der literarischen Praxis eine Lücke von etwa 150 Jahren: von dem Auftreten vagierender bzw. ansässiger Berufsliteraten an Fürstenhöfen und in den Städten des 13. und 14. Jahrhunderts bis zu den seßhaften Meistersingern der Städte; von der Lied-, Spruch- und Redendichtung des 13. und 14. Jahrhunderts, die zunehmend >meisterlich< ausgerichtet ist, die mit den literarischen Typen des Fürwurf- und Strafliedes auf bestimmte Formen und Techniken des Preis- und Wettsingens zurückzugehen und bereits feste Kunstausdrücke des meistersingerlichen Brauchs zu kennen scheint, bis zur historisch bezeugten Institution städtischer Singschulen um die Wende des 15. Jahrhunderts. Der Versuch, diese Kluft durch eine detaillierte Analyse der Fürwurf- und Straflieder des Spätmittelalters im Sinne von literarischen Reflexen einer Singschul-Praxis zu überbrücken, ist nur bedingt erfolgversprechend. Burghart Wachinger, 11 der die verschiedenen Ausprägungen des literarischen Themas >Sängerkrieg< vom 13. Jahrhundert bis ins Spätmittelalter verfolgt, stellt vielmehr das >Wettsingen< der Fürwurf- und Antwortlieder des 14. und 15. Jahrhunderts zurecht in den Kontext des seit dem Wartburgkrieg traditionellen Sängerwettstreit-Themas der Spruchdichtung. Damit wendet er sich gegen den Versuch, von dieser literarischen Wettkampfsituation auf eine mögliche Praxis des Wettsingens zu schließen und die Entstehung dieser Texte frühen Singschul-Institutionen zuzuordnen. Er geht eher umgekehrt davon aus, daß die Singschulen des späten 15., des 16. und 17. Jahrhunderts mit ihrem Wettsingen, den Siegerehrungen und den >Merkern< als Institution auf jene literarische Sängerkrieg-Konzeption der Spruchdichtung rekurrieren und diese in die Praxis eines institutionalisierten literarischen Wettkampfs der Singschul-Mitglieder umsetzen. Von den in der Jenaer, Donaueschinger und Kolmarer Handschrift überlieferten meisterlichen Liedern des 14. und 15. Jahrhunderts sind demnach keine zureichenden Informationen über eine mögliche - durch Statuten und Magistratsgenehmigungen nicht dokumentierte - Frühgeschichte städtischer Singschulen zu erwarten. Es liegt deshalb nahe, nicht von frühen >meisterlichen< Texten, sondern von der institutionellen Seite des Singschul-Problems auszugehen und Ansätze bruderschaftlicher Vereinigungen literarischer Unterhalter im 14. und frühen 15. Jahrhundert zu eruieren, um hierbei mögliche organisatorische Vorformen der späteren Singschulen in den Blick zu rücken. Damit wird zugleich ein spezifisch städtischer Sektor des literarischen Lebens angesprochen: denn es wäre zu fragen, ob und inwieweit sich bereits in den Städten im 14. bzw. 15. Jahrhundert nicht nur die Musiker, sondern auch die literarisch-gesanglichen Vortragskünstler in bruderschaftlichen und zunftartigen Organisationen zusammengeschlossen haben, um als Angehörige dieser Institution ihren >Beruf< bzw. ihre >Nebenbeschäftigung< des literarischen Vor-

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wähnten Musiker-Schulen (S. 193f.) - eine Veranstaltung des Unterrichts, öffentlichen Vortrage wie Wettbewerbs sein kann, bereits die Vorstellung bestimmter Regelungen und Praktiken impliziert und damit eine bedeutende Station auf dem Weg zu organisierten Meistersingervereinigungen markiert. Wachinger, S. 69ff.

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trags - unter bestimmten Auflagen und im Hinblick auf eine bestimmte Rezipientengruppe - auszuüben.

Musikervereinigungen Einzelne Ansätze genossenschaftlicher Vereinigung musikalischer Unterhalter in den Städten sind relativ gut dokumentiert. Das gilt vor allem f ü r die sogenannte St. Julians-Bruderschaft von Paris, deren Statuten im Jahre 1321 vom Pariser Prevost genehmigt worden sind. 1 2 In dieser Bruderschaft sind zunächst 37 Jongleurs und Jongleresses organisiert - darunter auch Pariset, der menestrel le Roy (S. 402) - , die an einer Regelung ihrer Berufsausübung interessiert sind. Sie verzeichnen in 11 P u n k t e n eine R e i h e von Bestimmungen, die darauf abzielen, den organisierten Mitgliedern das Monopol des Spiels auf Hochzeiten und Festen zu sichern, gegenseitige Übervorteilung und konkurrierende Gruppenbildungen zu verhindern und den guten Ruf bzw. die Leistungsfähigkeit des musikalischen Handwerks zu erhalten. A n ihrer Spitze steht ein roy des jongleurs bzw. menestrels, der die Bruderschaft nach außen vertritt und mit seinen Bediensteten die Einhaltung der Bestimmungen erzwingt. Diese Bruderschaft, die einige J a h r e später das Hospital de Saint-Julien et Saint Genois f ü r ihre kranken u n d alten Mitglieder errichtet, eine Kapelle baut und bald auch die Vorherrschaft über auswärtige Menestrels beansprucht, ist eine regelrechte Musikerzunft, die die berufliche Tätigkeit ihrer Mitglieder kontrolliert, auf die handwerkliche Qualität achtet, die Ausbildung und das Verhalten des Nachwuchses überwacht u n d abweichendes Verhalten ahndet. Nach ihren Bestimmungen war diese Vereinigung ausschließlich f ü r Instrumentalmusiker bestimmt, die bei Hochzeiten und Festen aufspielen. B. Bernard, der sich als erster mit der Geschichte dieser Organisation beschäftigt hat, geht allerdings davon aus, daß auch literarische Unterhalter in dieser Spielleute-Zunft organisiert gewesen seien, denn eine Polizeiverordnung des Jahres 1395 spreche ausdrücklich von menestriers de bouches, d e n e n im N a m e n des Königs bestimmte literarische T h e m e n untersagt werden: nämlich aucun ditz, rymes ne chanqons qui facent mention du pape, du roy notre seigneur, de nos diz seigneurs de France, au regard de ce 12

Publikation der Statuten bei B. Bernard: Recherches sur l'histoire de la corporation des menetriers ou joueurs d'instruments de la ville de Paris. In: Bibliothöque de l'Ecole des Chartes 3, 1841/42. S. 377-404, hier S. 400-403. Zur Geschichte dieser Bruderschaft vgl. auch Antoine Vidal: Les vieilles corporations de Paris. La Chapelle St.-Julien-desMenestriers et les Menestrels ä Paris. Paris 1878; Eugene d'Auriac: La corporation des menetriers et le roi des violons. Paris 1880; H. M? Schletterer: Geschichte der Spielmannszunft in Frankreich und der Pariser Geigerkönige. Berlin 1884. (Studien zur Geschichte der französischen Musik 14) S. 20ff. (Übersetzung der Statuten: S. 115-118); Wilhelm Hertz: Spielmannsbuch. Novellen in Versen aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert ( 3 1905). Nachdruck: Wiesbaden 1973. S. 43; Faral, S. 128ff.; Francis Lesure: La communaute des >joueurs d'instruments< au XVT siöcle. In: Revue historique de droit franfais et etranger IV. 31, 1953. S. 79-109, hier S. 91ff. Hinweise auf andere städtische Musikerbruderschaften - darunter einen bereits 1295 bezeugten roi des menestrels de la ville de Troyes - bei Moser, S. 59.

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qui touche le fait de I'union de l'Eglise ne les voyages que il on faits ou feront pour cause de ce.13 Bereits Edmond Faral hat jedoch zurecht betont, daß sich diese Polizeiverordnung nicht auf die Pariser Jongleurs-Vereinigung beziehe und deshalb auch keine Auskunft über den möglichen Zutritt von Rezitatoren zu dieser Organisation geben könne. 14 In der Gründungsgeschichte, den Statuten und späten Redaktionen dieser Bestimmungen finden sich jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, daß in der St.-Julians-Bruderschaft auch literarische Unterhalter vertreten sind. Sie scheint tatsächlich ausschließlich eine Vereinigung von Instrumentalmusikern gewesen zu sein, die als städtische Handwerker ihre wirtschaftliche Existenz genossenschaftlich sichern wollten. Dies zeigt noch einmal sehr deutlich, wie direkt die Musiker, die sich - wie andere Handwerker - in einer bestimmten Straße, der Rue des jongleurs bzw. menestrels konzentrieren und hier auf ihre >Kunden< warten, in das städtische Leben integriert gewesen sind: sie stehen nicht nur als festbesoldete Stadtpfeifer den städtischen Institutionen zur Verfügung, sondern bilden als >freischaffende< Handwerker eine Zunft, die mit der städtischen Verwaltung zusammenarbeitet. Auch in Deutschland scheint es vergleichbare Musikervereinigungen gegeben zu haben. Ihre Geschichte ist allerdings weit weniger gut dokumentiert. Das erweist sich bereits bei dem frühesten und berühmtesten Beispiel für einen genossenschaftlichen Zusammenschluß von Musikern, der sogenannten St.-Nikolai-Bruderschaft in Wien, die schon im Jahre 1288 bestanden haben soll, jedoch urkundlich erst 1354 erwähnt wird. 15 Über diese Bruderschaft, die ihren Sitz an der St.Nikolaus-Kapelle bei der Wiener Michaelskirche hat, sind wir erst im Spätmittelalter etwas besser informiert. Josef Bacher hat die wichtigsten Daten zusammengestellt: im Jahre 1354 wählt die Organisation einen Vogt aus einer der mächtigsten Adelsfamilien des Landes, Peter von Eberstorff, den obersten Erbkämmerer von Österreich unter der Enns. Er ist bis 1376 als Schutzherr der Bruderschaft bezeugt und errichtet in dieser Eigenschaft das Amt des obersten Spielgrafen, der im Namen des Vogts die Jurisdiktion über alle Spielleute des Landes ausübt. Über diese Institution, die nicht mehr an die Wiener Bruderschaft gebunden ist, verfügte die 13 14 15

Bernard, S. 404. Faral, S. 131. Zur Geschichte dieser Bruderschaft vgl. Karl Lind: Die St. Michaels-Kirche in Wien. In: Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien 3, 1859. S. 1 - 5 9 , hier S. 9; Joseph Bacher: Das oberste Spielgrafenamt im Erzherzogthume Österreich unter und ob der Enns. In: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Classe 35, 1860. S. 200-202; Karl Schalk: Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Spielgrafenamtes in Niederösterreich im XV. Jahrhundert. In: Blätter des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich NF 14, 1880. S. 3 1 2 - 3 1 5 ; Josef Ritter von Bauer: Das Bruderschaftswesen in Niederösterreich. In: Ebda. NF 19, 1885. S. 201-223, hier S. 211; Josef Mantuani: Die Musik in Wien. In: Geschichte der Stadt Wien. III. 1. Wien 1907. S. 119-458, hier S. 195; Moser, S. 54ff.; Robert Lach: Zur Geschichte des musikalischen Zunftwesens. Wien und Leipzig 1923. (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophisch-historische Klasse 199.3) S. 28; Hellmut Federhofer: Der Musikerstand in Österreich von ca. 1200 bis 1520. In: Deutsches Jahrbuch der Musikwissenschaft 3, 1958. S. 9 2 - 9 7 , hier S. 94.

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Familie noch im 15. Jahrhundert. Die Hintergründe der Entstehung jener Nikolai-Bruderschaft, die im 15. Jahrhundert Spielgrafenbruderschaft zum Hl. Nikolaus genannt wird, sind nicht bekannt. Ebenso fehlen Informationen über ihre Statuten, ihre Organisationsform als religiöse Bruderschaft bzw. Berufsorganisation von Musikern und praktisch alle Zwischenstationen ihrer Geschichte. Es bleibt lediglich das Faktum der Existenz einer Wiener Musikerbruderschaft, die bereits Ende des 13. Jahrhunderts entstanden sein soll. Die Wiener Nikolausbruderschaft der Musiker ist keine völlig isolierte Erscheinung. Auch in anderen Städten hat es Musikerbruderschaften gegeben, in Lübeck etwa die Marienbruderschaft der Spielleute. 16 Über sie wissen wir jedoch noch weniger als über die Wiener Nikolai-Brüder. Indirekte Hinweise auf die Existenz städtischer Musikervereinigungen bieten auch einige Stadtrechte, in denen die juristischen und administrativen Kompetenzen und Aufgaben sogenannter Spielgrafen fixiert sind. Hans-Joachim Moser verweist z.B. auf die Wiener Bestimmungen aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, die die >Fahrenden< der Gerichtsbarkeit des Spielgrafen unterstellen, 17 und auf das Regensburger Stadtrecht von 1320, das den Spielgrafen mit der Kontrolle über die Berufstätigkeit der Musiker auf Hochzeiten und Festen beauftragt: Swer spilgrafist, der schol wann XIIpresentyren ze vertigen swer die Hochzeit hat oder er muss ein jar uz der stat sin ob er mer vertigen hiezzet. (S. 57) Dieser Spielgraf scheint ähnliche Aufgaben der Aufsicht über die Berufsausbildung der städtischen Musiker zu haben wie jener roy des menestrels für die Mitglieder der Pariser St. Julians-Bruderschaft: er hat für ein geregeltes Auftreten der Musiker bei Festen zu sorgen, überwacht ihre ordnungsgemäße Berufsausübung und ist von der städtischen Obrigkeit zum Gerichtsherrn der Spielleute bestimmt worden. Diese Funktionsbestimmungen des Spielgrafen sind allerdings nur dann sinnvoll, wenn die Musiker der jeweiligen Stadt bereits organisiert sind und sich der administrativ-juristischen Herrschaft eines sogenannten Spielgrafen unterordnen. Den Aufgaben eines sogenannten Spielgrafen vergleichbare Kompetenzen haben die sogenannten Pfeifer- und Fiedlerkönige, die seit dem Ende des 14. Jahrhunderts häufig bezeugt sind. Sie werden von geistlichen und weltlichen Fürsten eingesetzt und haben — im Auftrag dieser Fürsten - die oberste Aufsicht über die Musiker einer ganzen Landschaft: sie laden zu >Pfeifertagen< ein, kontrollieren die Einhaltung der Bestimmungen dieser in großen Berufsverbänden organisierten Musiker, nehmen die Abgaben der Musiker ein, entscheiden über die Aufnahme neuer Mitglieder und sprechen zusammen mit ihren Beamten, den >MeisternKönig< an der Spitze sind für unsere Frage nach städtischen Spielleute-Organisationen allerdings weniger interessant, denn sie sind keine städtischen Musikervereinigungen, sondern riesige ländliche bzw. territoriale Musikerverbände, die in verschiedene Unterabteilungen aufgegliedert sind. Darüber hinaus gilt auch hier die bereits bei der Pariser St. JuliansBruderschaft getroffene Feststellung: die Wiener Nikolaus-Bruderschaft, die Lübecker Marienbruderschaft der Spielleute und auch das elsäßische Kunigrich Varender lüte sind reine Musikervereinigungen, die eine Beteiligung von Sängern und Rezitatoren nicht erkennen lassen. Es ist deshalb immer wieder nach vergleichbaren Organisationen für Fahrende im Sinne musikalisch-literarischer Unterhalter gefragt worden. Ansatzpunkt dieser Überlegungen war die merkwürdige Bezeichnung >König vom Odenwald< für den Autor einer Reihe pragmatisch-parodistischer Reden des 14. Jahrhunderts. 22 Doch die Vermutung, daß dieser Autor seinen Namen einer der Position der roys des menestrels, Spielgrafen oder Pfeiferkönige entsprechenden Stellung als >Spielmannskönig< im Rahmen einer lokalen Fahrenden-Bruderschaft verdankt, hat sich nicht bestätigen lassen. 23 Es fehlen sowohl Informationen über die Entstehung und Bedeutung des König-Titels in diesem 19 20

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Christiani Gottlob Haltaus: Glossarium Germanicum Medii Aevi. Leipzig 1758. Sp. 1705. Vgl. die Urkunde bei Schenk von Schweinsberg: Erzbischof Adolf von Mainz ernennt seinen Pfeifer und Diener Bracht zum Könige der fahrenden Leute in seinem Erzbisthum und Land. Gernsheim 1385 Dec. 9. In: Quartalblätter des historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen. Darmstadt 1882. S. 26f. Vgl. die Ernennungsurkunde bei Martin Vogeleis: Quellen und Bausteine zu einer Geschichte der Musik und des Theaters im Elsaß. 5 0 0 - 1 8 0 0 . Straßburg 1911. S. 78ff. Weitere Dokumente zur Geschichte des Rappoltsteiner Pfeifer-Königs: Ebda., S. 98ff.; Ernst Barre: Uber die Bruderschaft der Pfeifer im Elsaß. Colmar 1873. Moser verweist auf die 1407 gegründete Bruderschaft der farend liit giger und pfiffer von Utznach, die den Grafen von Toggenburg als Vogt hatte (S. 70f.); genauere Angaben bei Ildefons von Arx: Geschichte des Kantons St. Gallen. II. Bd. St. Gallen 1811. S. 209. Wilhelm Wackernagel: Geschichte der deutschen Litteratur. Ein Handbuch. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage besorgt von Ernst Martin. 1. Bd. Basel 1879. (Wilhelm Wackernagel, Deutsches Lesebuch IV. 1) sieht im König vom Odenwald einen rex heraldorum (S. 376); Karl von Bahder: Der König vom Odenwalde. In: Germania 23, 1878. S. 1 9 3 - 2 2 2 verweist auf die Spielmannskönige (S. 216); vgl. auch Hertz, S. 43. Bereits Edward Schröder: Die Gedichte des Königs vom Odenwalde, wendet sich gegen diese Einschätzung, da die >Spielmannskönige< vornehmlich Musiker gewesen seien. (S. 23).

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speziellen Fall als auch generelle Hinweise auf die Existenz bruderschaftlichzunftartiger Organisationen für gesanglich-literarische Unterhalter im 14. Jahrhundert.24 Die Confreries du Puy nordfranzösischer Städte Diese negative Feststellung betrifft jedoch nur den deutschen Bereich: hier sind m. W. für das 14. Jahrhundert keinerlei Spuren einer organisatorischen Gruppenbildung von Autoren, Rezitatoren und Sängern im Rahmen städtischer Bruderschaften, Zünfte oder Gilden bezeugt. Ganz anders ist das in Frankreich: hier scheint es nicht nur gut dokumentierte Musikervereinigungen gegeben zu haben, sondern auch eine Reihe städtischer Organisationen, die sich vornehmlich der Produktion und dem Vortrag literarischer Werke gewidmet haben. Als besonders instruktive Beispiele für die Organisation und kulturelle Rolle solcher literarischer Vereinigungen gelten jene bereits erwähnten Bruderschaften nordfranzösischer Städte, die sogenannten Confreries du Puy, deren Anfänge gelegentlich - wie bei der berühmten Charite Notre-Dame des Ardents in Arras - auf das 12. Jahrhundert zurückgehen, im Normalfall jedoch für das 13. und 14. Jahrhundert vermutet werden: die Confririe du Puy von Valenciennes sei im Jahre 1229 gegründet worden, die Confririe des clers parisiens ou clers du grand puy de Notre-Dame in Douai im Jahre 1330, der Puy Notre-Dame in Amiens im Jahre 1388, die Confririe du Puy de la Conception von Abbeville und schließlich der Puy Notre-Dame von Lille Ende des 14. Jahrhunderts.25 Diese Confreries werden von der lokalhistorischen Forschung als religiös-literarische Bruderschaften gekennzeichnet, die einerseits die

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Insofern ist auch Eberhard Lämmerts Versuch, den Teichner in direkten Kontakt mit Wiener Bruderschaften zu bringen (S. 137ff.), eine Vermutung, die sich kaum wird bestätigen lassen. Lämmert sieht einerseits in der Polemik des Teichners gegen singer mit laientheologischen Intentionen eine Auseinandersetzung dieses Autors mit bruderschaftlich organisierten singern, mit Kollegen, die in Zechbruderschaften von der Art der St. Nikolai-Bruderschaft integriert gewesen seien und mit ihren Sprüchen die geistliche Erziehung ihres Publikums fördern wollten. Andererseits ordnet er den Teichner der Wiener Bruderschaft der Unbefleckten Empfängnis Mariae zu, in deren Kontext die Teichnersche Mariendichtung eine prononcierte Funktion der bruderschaftlichen Bestätigung gehabt habe. Peter Suchenwirts Teichner-Nachruf wäre dann eine Art Leichenrede anläBlich einer bruderschaftlichen Totenfeier für den verstorbenen Autor. Beide Überlegungen sind jedoch eher unwahrscheinlich. Die Wiener Nikolai-Bruderschaft war offenbar eine reine Musikervereinigung und nicht eine Zechbruderschaft für singer und Spruchsprecher, gegen deren laientheologisch-literarische Konkurrenz ein Autor sich hätte wehren müssen. Und für die Annahme einer Mitgliedschaft volkssprachiger Autoren in einer städtischen Laienbruderschaft, deren ideologische Ausrichtung und bruderschaftliche Rituale sie literarisch unterstützt und begleitet hätten, fehlen überzeugende historische und literarische Anhaltspunkte: es existiert im 14. Jh. weder ein historisches Zeugnis für die Zugehörigkeit eines Autors zu einer städtischen Bruderschaft, noch haben sich bisher eindeutige literarische Indizien finden lassen, die auf ein bruderschaftliches Publikum verweisen. Vgl. dazu vor allem die bereits in dem Arras-Kapitel angeführte Arbeit von Breuil, der zugleich über die Puy-Gesellschaften der anderen Städte informiert. Weitere Literaturan-

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üblichen bruderschaftlichen Aufgaben - wie gegenseitige Hilfe, Sorge für arme und alte Mitglieder, feste Begräbniszeremonien, gemeinsame Messen - wahrgenommen, andererseits aber auch bestimmte Formen literarischer Praxis eingeführt hätten. Diese kulturell-literarischen Aktivitäten seien zunehmend in den Vordergrund getreten und hätten die Bruderschaften im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit in regelrechte literarische Gesellschaften verwandelt, die die rhetoriciens zum gemeinsamen Essen laden, literarische Wettbewerbe veranstalten und jeux de misteres aufführen. Das Hauptfest der Confrerie Notre-Dame du Puy von Amiens, das jährlich zu Mariä Lichtmeß stattfindet, demonstriert sehr deutlich diesen kulturell-literarischen Charakter der Bruderschaften: Wahl eines maistre, Essen der rhetoriciens, die am Wettbewerb des chant royal interessiert sind, während des Essens Präsentation eines jeu de mistere, Übergabe der Lieder mit Refrains, die den Kandidaten 8 oder 14 Tage vorher bekanntgegeben waren, Lektüre dieser Lieder durch die maistres der letzten Jahre, Diskussion der Jury und am nächsten Tag nach der gemeinsamen Totenmesse — Ehrung des Siegers, der eine Silberkrone erhält. Die prämierten Lieder wie auch die Namen der jeweiligen Autoren werden in die Akten der Bruderschaft eingetragen. Die weniger gut dokumentierten Festveranstaltungen der Confreries von Valenciennes, Douai, Lille, Abbeville oder Rouen scheinen ähnlich abgelaufen zu sein: auch in Valenciennes sind Silberkronen für die Sieger der literarischen Wettbewerbe bestimmt, in Douai schlägt der prince der Confrerie am Portal der Kirche einige Verse an, die als Grundlage der Themen und Refrains der verlangten Balladen und chants royaux dienen, in Abbeville werden Tafeln mit den gekrönten Liedern aufgestellt, in der Acad0mie de Palinod von Rouen werden ausdrücklich Lieder zum Lob der Jungfrau Maria gewünscht und öffentlich beurteilt.26 Diese Informationen verdanken sich freilich den erhaltenen Statuten dieser Bruderschaften, die erst im 15. Jahrhundert einsetzen: die Confrerie von Valenciennes erarbeitet im Jahre 1416 neue Statuten, die die Gründung der Vereinigung auf 1229 datieren; die angeblich 1388 entstandene Confrerie in Amiens fixiert ihre Statuten im Jahre 1451, die literarischen Aktivitäten der Academie de Palinod von Rouen sind sogar erst seit dem Ende des 15. Jahrhunderts bezeugt. Alle Überlegungen zur Entstehung dieser Bruderschaften und ihrer Organisation von Festen vor dem 15. Jahrhundert bleiben deshalb problematisch. Selbst wenn die Angaben in den Statuten über die Gründung der jeweiligen Bruderschaft im 13. oder 14. Jahrhundert gesichert wären, so ist damit noch keineswegs gesagt, daß der Zuschnitt dieser Bruderschaften in dieser Zeit unverändert geblieben ist. Es ist sehr gut möglich, daß zunächst rein religiös-karitative Bruderschaften im Laufe der Zeit literarische Veranstaltungen aufgenommen haben und erst nach dieser Neu-

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gaben zu den Confreries du Puy vgl. in dieser Arbeit S. 71, Anm. 31. Die Geschichte des Puy Notre-Dame von Lille verfolgt Leon Lefebvre: Le Puy Notre-Dame de Lille du XIV e au XVI e sidcle. Lille 1902. Zum Puy de Palinod in Rouen vgl. - abgesehen von Breuil - Edward Montier: Le Puy de Palinod ä Rouen. In: Revue de la Renaissance 11, 1910. S. 125-134; Chas. B. Newcomer: The Puy at Rouen. In: PMLA 31, 1916. S. 2 1 1 - 2 3 1 . 215

Orientierung ihre Statuten entsprechend verändert haben. Historische Zeugnisse für literarische Wettbewerbe im Rahmen von Confreries, für den Vortrag von ballades und chants royaux durch die confreres setzen jedenfalls erst um die Wende des 14. Jahrhunderts ein. Und alle erreichbaren Informationen über die Ausprägung dieser Confreries vor dem 15. Jahrhundert verweisen auf mehr oder weniger bedeutende Bruderschaften karitativ-sozialen Charakters. Das zeigen vor allem die von Georges Espinas 27 zusammengestellten Dokumente der berühmten Arraser Charite Notre-Dame des Ardents, die als eine Art Paradigma einer literarischen Gesellschaft und als Initiator der später entstandenen Confreries der anderen nordfranzösischen Städte angesehen wird. Schon in dem Arras-Kapitel ließ sich jedoch zeigen, daß die Statuten, Festbestimmungen, die juristischen und finanziellen Dokumente dieser Bruderschaft bis ins frühe 16. Jahrhundert keine Anhaltspunkte für eine dezidiert literarische Gesellschaft bieten, deren Mitglieder sich an literarischen Wettkämpfen und der Aufführung von Spielen beteiligt hätten. Die wahrscheinlich Ende des 12. Jahrhunderts gegründete Arraser Charite des Ardents ist offenbar eine sehr angesehene Bruderschaft gewesen, die ihre Angehörigen zu den üblichen bruderschaftlichen Aufgaben verpflichtet und jedes Jahr zu Pfingsten den sogenannten grand siege, ein dreitägiges Fest veranstaltet, zu dem eine Prozession durch die Stadt, der Kult der Hl. Kerze, ein großes Festessen und musikalische Einlagen gehören. Dieses zentrale Ereignis der Confrerie, dem bereits im 13. Jahrhundert zahlreiche detaillierte Bestimmungen gewidmet sind, setzt sich aus den verschiedensten Zeremonien zusammen, an denen die maires, sergents und eschevins der Charite, die clers, menestrels, tromperes und canteres beteiligt sind. Es fehlen jedoch in der detaillierten Festordnung 28 alle Hinweise auf eine Art literarisches Programm der Confrerie, das zumindest indirekt und punktuell mögliche literarische Aktivitäten der Mitglieder vermuten ließe. Die Arraser Charite des Ardents scheint — jedenfalls in ihrer historisch bezeugten Form — die ihr von der Forschung zugewiesene Rolle eines organisatorischen Vorbilds für die im 15. Jahrhundert verbreiteten Puy-Gesellschaften nordfranzösischer Städte nicht gehabt zu haben. Ansatzpunkte finden sich nur in der Dichtung des 13. Jahrhunderts, die Arras als ein bedeutendes literarisches Zentrum mit dem berühmten Pui als Urteilsgremium vorstellt, zu dem die Dichter herbeiströmen, um ihre Werke einem sachverständigen Publikum zur Beurteilung vorzutragen. 29 Dieses literarische Bild eines Arraser Pui-Betriebs mit einem prince del Pui, literarischen Wettbewerben und Siegerehrungen hat möglicherweise im 15. Jahrhundert bei der Gründung literarischer Puy-Gesellschaften seine Wirkung entfaltet und zur Organisation literarischer Wettkämpfe im Rahmen von Puy-Confreries geführt. Die Parallelen zur historischen Abfolge von literarischer Sängerkrieg-Thematik, Fürwurf- und Strafliedern mit Wettkampf-Situationen im 13. und 14. Jahrhundert und der Etablierung von städtischen Singschulen im frühen 16. Jahrhundert in 27 28 29

Espinas: Les origines de l'association II, S. 48ff. Ebda., S. 67ff. (Nr. 30). Genauere Angaben dazu und zum folgenden im Arras-Kapitel, S. 67ff.

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Deutschland liegen auf der Hand: Auch in Frankreich scheint die Literatur bestimmte brauchtümliche Formen der literarischen Praxis bzw. Spielrealitäten des Literaturbetriebs vorwegzunehmen, bevor diese literarisch vorgeprägten Situationen im Spätmittelalter zumindest teilweise in gesellschaftliche Praktiken umgesetzt werden. Die Arraser Chartä des Ardents eignet sich zwar nicht als frühes Beispiel einer den späten deutschen Singschulen vergleichbaren französischen literarischen Bruderschaft. Als eine Confririe des Jongleurs et Bourgeois bietet sie aber zumindest Informationen über die Anfänge genossenschaftlicher Vereinigungen von Unterhaltungskünstlern und die mögliche Wirkung einer bruderschaftlichen Organisation auf die literarische Produktion. Dabei hat es sich allerdings gezeigt, daß ihre faktische Bedeutung für den literarischen Betrieb in Arras - trotz der relativ guten Quellenlage - weniger deutlich ist, als normalerweise vermutet wird. Denn die Charite Notre-Dame des Ardents ist weder eine Arraser Jongleurs-Zunft, in der sich musikalische und literarische Unterhalter über organisatorische und finanzielle Fragen ihrer Berufsausübung einigen, noch eine Art literarischer Zirkel, in dem Arraser Autoren ihre Texte vortragen oder ihre Spiele aufführen lassen. Sie ist in erster Linie eine normale Bruderschaft mit einem Hospital, einem Fonds für hilfsbedürftige Mitglieder, der Praxis von Totenmessen und einem Festzeremoniell ihrer prächtigen Jahresfeiern. Ihr auffallendstes Kennzeichen ist allerdings die soziale Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft, die aus Jongleurs und >Bürgern< besteht, zu denen auch einige Landadelige der Arraser Umgebung gerechnet werden. Dieses offenbar nicht immer harmonische Nebeneinander von Jongleurs und Arraser >Bürgern< bestimmt seit dem Beginn der dokumentarischen Uberlieferung die Gründungslegenden und Statuten dieser Charite und schlägt sich in genau geregelten Kompetenzen und Aufgabenbereichen der beiden Gruppen nieder. Die Jongleurs bzw. Menestrels, die nach frühen Berichten als Gründer und Anführer dieser Bruderschaft schon bald nach der Entstehung der Charite sich mit den Herrschaftsbestrebungen Arraser milites und burgenses auseinandersetzen mußten, haben nach den Statuten und Festordnungen auch im 13. und 14. Jahrhundert noch eine gewisse Sonderstellung: sie verfügen über eigene maires, den maire des jongleurs d'Arras und den maire des forains, die neben dem maire des bourgeois eher repräsentativ-organisatorische Aufgaben wahrnehmen. Im Rahmen des Festzeremoniells des grand siege konzentrieren sie sich vor allem auf den Kult der Hl. Kerze, 30 jenes - nach der Gründungslegende - den Jongleurs von Maria übergebenen >Kleinods< der Confrerie, dem auch im 13. und 14. Jahrhundert noch wunderbarheilende Wirkungen zugeschrieben werden. Die >Bürger< scheinen hingegen eher für die finanziell-administrativen Belange der Charite verantwortlich gewesen zu sein. Es gibt allerdings keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Verbindung von Jongleurs und Arraser >Bürgern< in einer Bruderschaft zu einer besonderen literari30

Die Bedeutung dieser >Kerze< von Arras dokumentiert sich auch in jenen bereits (S. 190) erwähnten Einträgen der Stadtrechnungen von Brügge: die histriones der Stadt erhalten Geldzahlungen, um nach Arras ad candelam zu pilgern.

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sehen Kommunikation zwischen den beiden Gruppen geführt hätte, daß etwa die Gemeinschaft der Confrerie-Mitglieder das Publikum der von Arraser ConfrereAutoren verfaßten Texten gewesen wäre. Dennoch hat die Arraser Chariti des Ardents ihre Spuren in der Arraser Literatur hinterlassen: denn auch die in Arras nur zeitweise arbeitenden Autoren sind - durch ihre Mitgliedschaft in dieser Confrerie — in eine bedeutende städtische Organisation eingebunden und artikulieren gelegentlich — wie etwa Jean Bodel oder Baude Fastoul in ihren Conges - ein spezifisches Gruppengefühl der Jongleurs des Ardents.31 Dieses Zugehörigkeitsgefühl der Arraser Berufsautoren zu einer angesehenen, angeblich von Jongleurs gegründeten Bruderschaft, in der die Musiker und >Literaten< neben den wohlhabenden >Bürgern< eine geachtete Stellung haben, ist in seiner Bedeutung für den literarischen Betrieb dieser Stadt zwar nur selten greifbar. Diese Einbindung der Autoren in eine städtische Institution ist jedoch sicher einer der grundlegenden Faktoren für die Entstehung jener im 13. Jahrhundert überaus vielfältigen Arraser Literaturszene. Wie wenig vergleichbar freilich die Arraser Chariti des Ardents mit anderen Bruderschaften ist, die ebenfalls Jongleurs als Mitglieder aufnehmen, zeigen die Bestimmungen der Confrerie de Saint-Martin in Fecamp, 32 die immer wieder als Parallele zur Arraser Confrerie des Jongleurs et Bourgeois herangezogen wird und als Zeugnis für die weite Verbreitung solcher Jongleurs-Bourgeois-Bruderschaften in Frankreich gilt. Mitglieder dieser Confrerie, die sich unter der Herrschaft des Abts von Fecamp konstituiert, sind joculatores, milites und - wie es in der Abschrift der Bestimmungen dieser Confrerie aus dem 15. Jahrhundert heißt - quilibet alii.33 Sie widmen sich vornehmlich der Hilfe für Arme und Kranke, veranstalten große Prozessionen, pflegen kirchliche Musik wie Chorgesang. Die joculatores haben jedoch in dieser dezidiert kirchlichen Bruderschaft - entsprechend ihrer üblichen Einschätzung durch die Kirche - eine wenig geachtete Stellung. Sie sind überhaupt nur zu dieser fraternitas zugelassen, weil man ihnen damit die Möglichkeit eröffnen wolle, ihren verachteten Lebenswandel zu verändern: Ea propter infirmitati compatientes et devotionem accedentes inter caritatis nostre sinum in unitate fraternitatis quosdam homines seculares, arti joculatorie deditos, volenter et diligenter admisimus. Quorum et si ludicra et lubicra sit vita, fundamentum tarnen fidei quod in Christo fundamentum est, facit optimo capiti membra cohere debilia ... (S. 379). Die Mitgliedschaft von joculatores in der Confrerie de Saint Martin bedeutet offensichtlich keine genossenschaftliche Vereinigung von Musikern bzw. literarischen Unterhaltern, sondern verdankt sich karitativen Überlegungen kirchlicher Kreise.

Die Arraser Chariti Notre-Dame des Ardents ist demnach als eine angesehene städtische Bruderschaft, der sowohl Jongleurs als auch einflußreiche Arraser >Bürger< angehören, ein ausgesprochener Sonderfall. In den benachbarten Städten gibt es m. W. im 13. und 14. Jahrhundert keine vergleichbare Institution - und schon gar nicht in Deutschland, wo das Bruderschaftswesen ohnehin erst später bezeugt 31 32

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Vgl. die Textbeispiele im Arras-Kapitel, S. 75f. Vgl. dazu Ch. de Beaurepaire: Anciens inventaires du tresor de l'Abbaye de Fecamp. In: Bibliotheque de l'Ecole des Chartes 20, 1859. S. 153-170; 3 9 9 - 4 1 1 ; Schletterer, S. 21; Faral, S. 138, Anm. 1. Publikation der Abschrift dieser Urkunde bei Leroux de Lincy: Essai historique et litteraire sur l'Abbaye de Fecamp. Rouen 1840. S. 378-382, hier S. 381.

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ist. Diese Arraser Confrerie ist deshalb - auch wenn sie nicht alle Erwartungen der Literarhistoriker erfüllt - ein frühes und schlagendes Beispiel für die Integration von Berufsautoren in eine städtische Organisation und damit ein Dokument für eine spezifisch städtische Existenzform mittelalterlicher Autoren. Von dieser Confrerie des Jongleurs et Bourgeois führt jedoch kein direkter Weg zu den Confreries du Puy anderer nordfranzösischer Städte im 15. Jahrhundert, zu den niederländischen Rederijkamers oder den deutschen Singschulen der Meistersinger im 16. Jahrhundert, Vereinigungen, in denen die literarische Produktion ihrer Mitglieder und die Praxis literarischer Wettbewerbe im Rahmen von Festveranstaltungen bestimmend sind.

Die Toulouser Companhia del gay saber Genau dies ist allerdings das Hauptinteresse der Toulouser Companhia dels set trobadors,34 die - als bedeutender Anziehungspunkt für lokale Trobadors - im 14. und 15. Jahrhundert mit ihren joias del gay saber genannten Dichterwettbewerben und -krönungen die Pflege provenzalischer Lieddichtung ganz entscheidend gefördert hat. Wir sind über diese Toulouser Dichtervereinigung ungewöhnlich gut unterrichtet, da sie sich in besonderer Weise um die schriftliche Fixierung ihrer Statuten, Prozeduren und literarischen Vorstellungen gekümmert hat. Jedenfalls verdanken wir ihr eine in zwei Fassungen überlieferte umfängliche Poetik provenzalischer Lyrik, die Flors del gay saber35 bzw. Leys d'Amors,36 die offenbar als Regelbuch für die literarischen Wettbewerbe der Toulouser Companhia gedacht gewesen ist und zugleich - zumindest in der Fassung der Leys d'Amors — in einem dokumentarischen Einleitungsteil die Geschichte dieser höchst erfolgreichen Trobador-Organisation präsentiert. Nach dieser mit Gründungsurkunden und gereimten Briefen belegten Darstellung haben sich im Jahre 1323 sieben Toulouser Troba-

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Zur Geschichte dieser Trobadorvereinigung vgl. M. Poitevin-Peitavi: Memoire pour servir ä l'histoire des Jeux-Floraux. 1. Bd. Toulouse 1815; Franjois de Gelis: Histoire critique des Jeux Floraux depuis leur origine jusqu'ä leur transformation en Academie (1323-1694). Toulouse 1912. (Bibliothfcque meridionale 2 e serie. t. XV); Alfred Jeanroy: Une academie six fois seculaire. L'academie des Jeux Floraux de Toulouse. In: Revue Bleue oct. 1913. S. 4 2 2 - 4 2 8 ; Joseph Anglade: Las Leys d'Amors. Manuscrit de 1'Academie des Jeux Floraux. Tome IV. Etudes, notes, glossaire et index. Toulouse, Paris 1920. (Bibliothdque meridionale I. 20) S. 1 5 - 5 1 ; Armand Praviel: Histoire anecdotique des Jeux Floraux. Toulouse, Paris 1924; Alfred Jeanroy: La Poesie lyrique des Troubadours. Tome II. Histoire interne. - Les genres: leur evolution et leurs plus notables representants. Toulouse, Paris 1934. S. 347-364. Monumens de la litterature romane depuis le quatorzifeme siöcle I.II.III. Las flors del gay saber estier dichas las leys d'amors. Publiees par Μ. Gatien-Arnoult (1841-43). Neudruck: Genfcve 1977. Vgl. die Anm. 34 genannte Ausgabe von Joseph Anglade in vier Bänden. Diese kürzere Fassung ist für uns besonders interessant, weil sie mit einer detaillierten Geschichte der Companhia einsetzt.

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dors 37 zur Gründung des Consistori del gay saber zusammengefunden und für den 1. Mai des folgenden Jahres einen Dichterwettbewerb ausgeschrieben, bei dem der Trobador Arnaut Vidal die als Preis ausgesetzte violeta d'or gewonnen hat. Diese jährlich abgehaltenen Dichterwettkämpfe der Companhia werden schließlich zu einer bedeutenden Veranstaltung, an der die geladenen Trobadors ihre gay saber, ihre literarischen Kenntnisse, handwerklichen Fähigkeiten und thematische Vielseitigkeit vorführen. Der Ablauf ist genau geregelt: am ersten Tag tragen die Kandidaten ihre Texte vor, am zweiten Tag tritt die Jury der sieben Gründungsmitglieder, später der sog. sieben mantenedors del gay saber, zusammen und am dritten Tag erfolgt die Siegerehrung. Die Regeln für die Aufnahme von Mitgliedern, die Organisation der Wettbewerbe und Ehrung der Kandidaten, die fortlaufend verändert und präzisiert werden, gleichen sich zunehmend den Universitätsgepflogenheiten an: neben den doctors gibt es bacheliers und einen cancelier, zur >Doktorprüfung< gehört neben dem Liedvortrag auch eine öffentliche Lesung bzw. Disputation über ein poetologisches Problem; und Voraussetzung zur Kandidatur ist eine moralische Lebensführung. Entsprechend dieser Anpassung der Companhia an universitäre Strukturen wird kurz nach 1350 Guilhem Molinier mit der Fixierung aller institutionellen Statuten und poetologischen Regeln beauftragt. Das Ergebnis dieser Kompilation ist das 1356 veröffentlichte Regelbuch Leys d'Amors, das in verschiedenen Abschriften verbreitet wurde und den Kandidaten wie Urteilern als Grundlage für die Jeux Floraux diente. Diese Bezeichnung setzte sich im Laufe der Zeit für die Dichterwettbewerbe bzw. Prüfungen der Companhia durch, die sich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts so weit den Universitätspraktiken angenähert hatte, daß sie als College de Rhetorique weiterlebte. 38 Um die Mitte des 15. Jahrhunderts hat Guilhem de Galhac, ein prominentes Mitglied der Vereinigung, eine Sammlung der prämierten Lieder angelegt, die eine gewisse Vorstellung von der Dichtungspraxis der Toulouser Trobadorvereinigung im 14. und 15. Jahrhundert vermittelt. 39 Die Gewichte sind freilich ungleich verteilt, denn sieben Texten des 14. Jahrhunderts — darunter ein Marienlied Arnaut Vidals - stehen ca. 60 Lieder des 15. Jahrhunderts gegenüber. Entsprechend einseitig ist die typenmäßige und thematische Ausrichtung der von Galhac gesammelten Texte: neben wenigen Liebesliedern, die in Terminologie und Sängerhaltung den Ich-Aussagen der fin'amors-Rhetorik des grand chant courtois verpflichtet sind, 40 überwiegen Marienhymnen und Lieder moralisch-didaktischer, dogma37

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Der Adelige Bernard de Panassac, der >Bürger< Guilhem de Lobra, die Bankiers Berenguier de Sant Plancat und Peyre de Mejanaserra, die Kaufleute Guilhem de Gontaut und Pey Camo und der Jurist Bernard Oth (Anglade: Leys d'Amors I, S. 13). Das Weiterleben der Toulouser Dichtervereinigung als Academie dokumentiert Axel Duboul: Les deux siecles de l'Academie des Jeux-Floraux. 2 Bde. Toulouse 1901. Les joies du gai savoir. Recueil de poesies couronnees par le Consistoire de la gaie science (1323-1484) publie avec la traduction de J.-B. Noulet, revue et corrigee, une introduction, des notes et un glossaire par Alfred Jeanroy. Toulouse, Paris 1914. (Bibliothöque meridionale I. XVI) Vgl. etwa das Lied Nr. 8 mit dem le noble moss'en Peyre de Monlasur, cavalier, gasanhec la violeta, a tholosa, l'an MCCCLXXIII (S. 29) oder Nr. 36, eine canso d'amors (S. 166).

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tisch-spekulativer, allegorisch-exegetischer oder politisch-aktueller Thematik. Einzelne Exemplare zeichnen sich durch eine formale Virtuosität und reimtechnische Perfektion aus, die in der Galhac-Sammlung eigens vermerkt werden. 41 Jedenfalls scheinen Lieder mit technischen Finessen, mit grammatischen und strophenverknüpfenden Reimen in besonderer Weise Gefallen bei der Toulouser Jury gefunden zu haben. Die Toulouser Companhia del gay saber unterscheidet sich grundlegend von den bisher behandelten Organisationen: sie ist eine dezidiert literarische Vereinigung von Trobadors, die - wie es in dem geschichtlichen Abriß der Leys d'Amors heißt - an die Tradition höfischer Trobadorpoesie anknüpfen, sich schon seit längerer Zeit zum Liedvortrag getroffen haben und nun, im Jahre 1323, einen institutionellen organisatorischen Rahmen dieses Treffens vereinbaren. Diese nicht dokumentierte Vorgeschichte der Companhia ist für uns weniger als — letzten Endes problematisches - Zeugnis für städtische Autorenzirkel im Sinne der deutschen Meistersingervereinigungen interessant, sondern eher wegen der Selbstdarstellung der Initiatoren als Bewahrer und Propagatoren literarischer Institutionen und Praktiken der hochgeschätzten Trobadorpoesie des 12. und 13. Jahrhunderts - eine Selbsteinschätzung, die dem literarischen Programm der deutschen Sangspruchdichter im 13. und 14. Jahrhundert und Angehörigen städtischer Singschulen im 16. Jahrhundert entspricht. Diese >rückwärtsgewandte< Intention bestimmt auch die literarische Programmatik der Companhia·. das zeigt sich bereits bei der Bezeichnung fin ayman für die Kandidaten. Noch mehr gilt das aber für Moliniers Traktat über die lyrischen Dichtungstypen: Er knüpft so sehr an die etablierten Termini der höfischen Trobadorlyrik an, daß die Forschung sehr häufig die Leys d'Amors für die Analyse der von den Trobadors im 12. und 13. Jahrhundert verfaßten literarischen Typen herangezogen hat. Die vorgetragenen Texte entfernen sich allerdings - zumindest im 15. Jahrhundert — sehr weit von den literarischen Typen der höfischen Trobadors. Orthodoxie im thematischen und handwerkliche Perfektion im formtechnischen Bereich scheinen zentrale Prinzipien der literarischen Produktion und Beurteilung gewesen zu sein. Und damit stehen sie — ähnlich wie die Meisterlieder deutscher Singschulen - dem Typus der Sangspruchdichtung näher als der Tradition höfischer Minnedichtung. Zugleich ist die Companhia sehr direkt in das städtische Leben von Toulouse eingebunden: die Gründer gehören als Adelige, Kaufleute, Bankiers und Juristen der städtischen Oberschicht an, die offenbar auch als Trobadors auftreten und sich gegenseitig ihre Lieder vorgetragen haben. Bald sind auch geistliche Würdenträger und Angehörige der Toulouser Universität beteiligt. Wie sehr diese von avancierten Herren initiierte Dichtervereinigung und ihre jährlichen Feste die Zustimmung des Magistrats erregt haben, zeigen die finanziellen Zuwendungen der Stadt für den Siegerpreis der violeta d'or, der Empfang der Kandidaten beim städtischen Rat und schließlich das offizielle Angebot, als Ersatz für den durch kriegerische 41

Etwa zu Lied Nr. 14: Canso de Nostra Dona, am rims maridatz, alias dirivatius (S. 58) oder zu Lied Nr. 16: Vers fayt per coblas unisonans e reffrayn (S. 69).

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Ereignisse verwüsteten Versammlungsort bei den Augustinern die Sitzungen künftig im Kollegiatstift St. Martial abzuhalten. Die Toulouser Companhia ist demnach als Gründung etablierter städtischer Geschlechter eine vom Magistrat unterstützte bedeutende literarische Vereinigung, die durch ihre Feste und literarischen Wettbewerbe die Stadt Toulouse im Spätmittelalter zu einem Zentrum lyrischer Dichtung gemacht hat. Durch die Wettbewerbe werden nicht nur die Berufsdichter der Gegend zur Liedproduktion angeregt, sondern auch lokale Adelige, Toulouser Geistliche, Juristen und Bankiers bzw. Kaufleute. 42 Der Vergleich mit den Singschulen deutscher Städte liegt auf der Hand: in beiden Fällen bemühen sich professionelle und dilettierende Sänger - im Rahmen einer zunehmend schulmäßigen Institution mit bestimmten Aufnahmeriten, Prüfungen und >Sängerkarrieren< - um eine formal wie thematisch anspruchsvolle, zumindest streng geregelte Liedproduktion, die für das vertraute Publikum der eigenen Gruppe, zugleich aber auch für den öffentlichen Wettbewerb der fin aymans bzw. sanges friunt bestimmt ist. Während allerdings die deutschen Singschulen deutlich bruderschaftliche bzw. zunftmäßige Züge tragen, orientiert sich die Toulouser Dichtervereinigung eher an der Organisationsstruktur der Universitäten. Dieser Unterschied ist allerdings weniger tiefgreifend, als die sehr differierenden Statuten vermuten lassen. Denn in der Toulouser Companhia wie in den 150 Jahre später bezeugten Singschulen deutscher Städte fühlten sich die Mitglieder als Erben einer höfischen Literaturtradition, die im organisatorischen Rahmen von Wettbewerben bzw. Preissingen eine neue Blüte erfahren sollte. Die Toulouser Herren knüpften dabei an Spiel-Praktiken und literarische Geselligkeitsformen der französischen Dichtung an, die Meistersinger an Themen, vielleicht sogar praktizierte >Sängerkriege< der spätmittelalterlichen Sangspruchdichter. In beiden Fällen führte dies zu einer reichen städtischen Liedproduktion, in der die laienethische Unterweisung einen breiten Raum einnimmt. Die Ergebnisse dieses Überblicks über die Anfänge genossenschaftlicher Vereinigung von musikalisch-literarischen Unterhaltungskünstlern im Spätmittelalter sind demnach sehr eindeutig: es gibt in französischen wie deutschen Städten Musiker-Bruderschaften mit dezidiert berufsständischer Ausrichtung, jedoch offenbar nur in Frankreich Ansätze von Literaten- bzw. Rezitatoren-Gruppierungen: im Süden beherrscht die als Trobadorvereinigung berühmte und einflußreiche Sobregaia Companhia dels set trobadors de Tolosa die Szene, die - allerdings ein Einzelfall — geradezu paradigmatisch die Möglichkeiten eines städtischen Literaturzirkels präsentiert; im Norden gibt es keine vergleichbare Organisation. Hier existieren lediglich bestimmte >ZwischenstufenBürger< bestimmten Confrerie Notre-Dame des Ardenls dokumentie-

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Die Bedeutung der Stadt zeigt sich auch in einzelnen Strophen auf Tholosa molt cortesa (Nr. 35, V. 1); ähnlich: Nr. 21, Str. 5; 32, Str. 8; 49, Str. 3; der Stadtbezug der prämierten Lieder dokumentiert sich am deutlichsten in Lied Nr. 58, einem Vers de lauzors de Tholosa per loqualforec jutgat lo gauch α Belenguie de l'Ospital, estudian (S. 253), in dem am Ende die Nobles senhors de l'Auditori Gay (V. 42) angesprochen werden.

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ren. Allerdings sind Stellung und Auftreten der Jongleurs-Confreres als Autoren und Rezitatoren so unklar und speziell literarische Aktivitäten im Rahmen dieser Confrerie so wenig wahrscheinlich, daß die Puy-Gesellschaften nordfranzösischer Städte des 15. Jahrhunderts, deren literarische Veranstaltungen etwa den literarischen >Vorführungen< der niederländischen Rederijkamers und deutschen Singschulen entsprechen, mit Sicherheit nicht direkt an Praktiken und Zeremonien der Arraser Confrerie anknüpfen konnten. Es zeichnen sich bestenfalls bestimmte Stationen einer generellen Entwicklungslinie ab, die von den literarischen Themen des Pui-Wettsingens, der Siegerehrungen und gekrönten Lieder über eine bekannte Confrerie des Jongleurs et Bourgeois ohne konkrete literarische Aktivitäten bis zu den Puy-Gesellschaften des Spätmittelalters führt. In Deutschland fehlen hingegen alle Anhaltspunkte dafür, daß Autoren, Sänger und Sprecher bereits im 14. Jahrhundert in irgendeiner Weise berufsbezogen« organisiert waren oder zumindest Mitglieder einer städtischen Bruderschaft gewesen sind. Und es gibt keine überzeugenden Hinweise auf ein >bruderschaftliches< Publikum. Das bedeutet aber, daß hier die Vorgeschichte der städtischen Singschulen in ihrer organisatorischen Seite und damit einer der entscheidenden Aspekte städtischen Literaturbetriebs im dunkeln bleibt. Diese sehr heterogenen Aspekte städtischen Literaturbetriebs bieten ein entsprechend uneinheitliches Bild, das kein übergreifendes Ergebnis erwarten läßt. Dennoch werden zumindest punktuell bestimmte Bereiche städtischer Literaturorganisation sichtbar. Dies gilt am wenigsten für die etablierten Formen professionellen Literaturvortrags, die ein städtisches Publikum ebenso sehr wie die familia des Fürsten geschätzt hat. Die städtischen Rechnungsbücher dokumentieren jedenfalls relativ regelmäßig das Auftreten von Musikern und Sprechern und vor allem die Anwesenheit zahlreicher Unterhalter bei großen Festen. Dies ist nicht erstaunlich, da in den Städten geistliche Würdenträger, adelige Damen und Herren und städtische Geschlechter zusammentreffen, die auch im literarischen Mäzenatentum ihre aristokratische Lebensform demonstrieren. Es läßt sich jedoch auf diesem Sektor keine spezielle Form einer städtischen Autor- bzw. Rezitator-Existenz nachweisen, die sich von dem Auftreten der fahrenden Literaten oder Hofdichter grundlegend unterscheidet. Zumindest gibt es keine Hinweise dafür, daß etwa Autoren bzw. Rezitatoren in besonderer Weise dem städtischen Rat verpflichtet gewesen sind und — wie die städtischen Musiker - von diesem Gremium zu bestimmten Dienstleistungen herangezogen wurden. Es sind zwar Zuwendungen des städtischen Rats an Sprecher und Sänger bezeugt. Diese Einträge beziehen sich jedoch auf zeremonielle Empfänge und fürstliche Treffen, in deren Rahmen der städtische Rat die im Gefolge weltlicher bzw. geistlicher Fürsten oder als Einzelpersonen eintreffenden Unterhalter beköstigt und belohnt hat. Anders ist das im Falle großangelegter städtischer Veranstaltungen, den Spielaufführungen oder jährlichen Festen bedeutender Dichter-Vereinigungen, bei denen der im weiteren Sinne >literarische Teil< von ausschlaggebender Bedeutung gewesen ist. Sowohl bei den städtischen Spielaufführungen wie auch bei den 223

Puy-Wettbewerben nordfranzösischer Städte bzw. den Toulouser Jeux Floraux ist die Stadt nicht mehr nur die eher zufällige Lokalität des literarischen Geschehens, sondern der zentrale Ort der literarischen Praxis. In beiden Fällen versammelt sich eine Gruppe von Stadtbewohnern - die Spielgemeinde oder die Mitglieder einer literarischen Gesellschaft — über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig, um ein bestimmtes literarisches Projekt auszuführen: eine städtische Spielaufführung oder die gemeinsame Pflege höfischer Literaturtradition. Dabei treten städtische Institutionen hervor, die sich zusammen mit städtischen Geschlechtern und dem Rat um Spieltexte, um einen Spielleiter, um Requisiten und die nötigen Geldmittel bemühen, um ein Spiel aufzuführen, das - zumindest im Spätmittelalter - für die gesamte Stadt bestimmt ist. Ähnlich ist es bei den - im 14. und 15. Jahrhundert freilich nur in Frankreich bezeugten — literarischen Gesellschaften, deren Festveranstaltungen mit öffentlichen Gottesdiensten und Umzügen zunehmend die Stadt als Ganzes einbeziehen. Diese bislang wenig erforschten literarischen Gruppierungen, deren städtischer Charakter sich vor allem auf der organisatorischen Ebene, in der Angleichung an spezifisch städtische Gemeinschaftsformen, den Bruderschaften, Zünften oder Universitäten, zeigt, initiieren in den Städten eigenständige und kontinuierliche literarische Aktivitäten, die im 15. und 16. Jahrhundert zu einer reich ausgebildeten Stadtliteratur führen.

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IV. Die Bedeutung städtischer Beamter für das literarische Leben ihrer Stadt

Als städtische Dichter haben wir bisher alle jene Autoren bezeichnet, die sich zumindest zeitweise in der Stadt aufhalten, die hier - wie Adam de la Halle oder Konrad von Würzburg - für ein städtisches Publikum arbeiten, die - wie der Nördlinger Ratsherr Hans Mair oder der Wiener Arzt Heinrich von Neustadt - als eine Art >Nebenbeschäftigung< Übersetzungen aus dem Lateinischen anfertigen oder wie möglicherweise Waither von Klingen - als adeliger Herr an ihrem städtischen Wohnsitz Minnelieder vortragen. Die Problematik dieser Betrachtungsweise ist offensichtlich: das spezifisch Städtische an der literarischen Produktion dieser städtischen Autoren ist nicht ersichtlich. Es gibt weder Hinweise auf ein sogenanntes städtisches Selbstverständnis dieser Autoren noch Anhaltspunkte für spezifisch städtische Formen der literarischen Kommunikation. Das Wohnen in der Stadt verbürgt offenbar keine Gemeinsamkeit im Sinne einer städtischen Literatur. Diesem Befund entsprechen die negativen Ergebnisse bei der Frage nach spezifisch städtischen Organisationsformen des Literaturbetriebs in der Stadt. Abgesehen von Spielaufführungen im Rahmen städtischer Feste lassen sich keine grundlegenden Unterschiede zur Literaturszene an den Fürstenhöfen feststellen. Das städtische Publikum ist eine Oberschicht hoher Geistlicher, adeliger Herren, Ministerialen und sogenannter cives, die sich für dieselben Texte wie die höfische Gesellschaft des Fürstenhofs interessiert und sich offensichtlich - wie diese - als eine auch literarisch anspruchsvolle Elite fühlt. Die Stadt bedeutet als literarisches Zentrum im 13. und 14. Jahrhundert keine Konkurrenz zum literarischen Leben der Fürstenhöfe, sondern sie bezeugt zusammen mit den lokalen Literaturkreisen des Landadels lediglich eine Erweiterung der literarischen Produktion im 13. und 14. Jahrhundert. Auch auf der Seite der Autoren und Rezitatoren hat sich kaum etwas geändert: Spielleute und Sprecher, die die Fürstenhöfe aufsuchen, werden gleichermaßen in den Städten reich beschenkt; Minnesänger treten im Kreis der städtischen Oberschicht auf und huldigen dieser Elite; Berufsautoren nehmen auch in der Stadt Übersetzungsaufträge von geistlichen und weltlichen Gönnern entgegen, denen sie ihre Werke widmen. Nur an der Figur des gebildeten Stadtbewohners, der sich im 14. Jahrhundert unabhängig von Mäzenen und Gönnern der Übersetzung lateinischer Texte widmet, zeichnen sich die Anfänge eines städtischen Autorentyps ab: der literate städtische Arzt, Jurist oder Ratsherr, der sich für historische, juristische, theologische, moralisch-didaktische Werke, aber auch — wie Heinrich von Neustadt — für unterhaltende Romane der Antike interessiert. Ihnen verdanken wir seit dem 14. Jahrhundert eine Reihe literarischer Werke. Und sie 225

sind auch in den folgenden Jahrhunderten ganz entscheidend an dem literarischen Leben ihrer Städte beteiligt. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Gruppe der Stadtschreiber und Lehrer, die in ihrer Eigenschaft als städtische Funktionsträger literarische Werke verfassen, abschreiben oder zumindest anregen und auf diese Weise vielleicht einen spezifisch städtischen Charakter dieser Literatur verbürgen. Im 15. und 16. Jahrhundert treten diese Stadtschreiber und Lehrer - oft in Personalunion — als bedeutende Autoren und Literaturkenner hervor und bereichern die städtische Literatur durch juristische, historische und didaktische Werke. Die berühmtesten Beispiele sind Niklas von Wyle und Sebastian Brant, die die Bedeutung der Stadtschreiber bzw. Lehrer für das literarische Leben der Städte im 16. Jahrhundert exemplarisch vorführen. Da die ersten Stadtschreiber und städtischen Lehrer bereits im 13. Jahrhundert erwähnt werden, ist es denkbar, daß diese Gruppe schon im 13. und 14. Jahrhundert ein relevanter Faktor im städtischen Kulturleben gewesen ist und als Autoren und Schreiber möglicherweise spezifisch städtische Formen des Literaturgebrauchs initiiert, die sich erst später als ausgeprägte Beispiele von Stadtliteratur etablieren. Die Namen des Straßburger Stadtschreibers Magister Hesse und Bamberger Lehrers Hugo von Trimberg, die bereits im 13. Jahrhundert auf sehr unterschiedliche Weise - Hesse als Schreiber und Sachverständiger, Trimberg als Autor - an der literarischen Produktion beteiligt sind, scheinen diese Vermutung zu bestätigen. An beiden Figuren zeigen sich freilich zugleich die Probleme, die sich bei der Frage nach der Rolle der Stadtschreiber und Lehrer für das literarische Leben der Städte und die Entstehung spezifisch städtischer Literaturformen ergeben.

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1. Der gemeyne nutz als verpflichtendes Programm: Stadtschreiber als Autoren Zu jener Gruppe lateinkundiger Stadtbewohner, die durch ihre Ausbildung und gesellschaftliche Stellung in besonderer Weise zu literarischen Aktivitäten als Gönner, Sammler und Schreiber prädestiniert sind, gehören vor allem die Stadtschreiber, die um die Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals in den städtischen Quellen genannt werden. Sie sind durch ihre Tätigkeit als Schreiber des Stadtrats bzw. des Schöffenkollegs, durch ihren Dienstvertrag mit der Stadt ganz direkt in das städtische Leben eingebunden und repräsentieren eine geradezu offizielle Seite der Stadt. Diese Stellung als Ratsbediensteter und lateinkundiger Schreiber macht den notarius civitatis zu einer bedeutenden Figur im Rahmen unserer Frage nach spezifisch städtischen Organisations- und Kommunikationsformen von Literatur. Denn er vertritt den Typus des gebildeten Stadtbewohners, der durch seine Dienstaufgaben Umgang mit >Literatur< pflegt und — nicht selten in offiziellem Auftrag der Stadt — selbst literarisch tätig wird. Es ist deshalb zu vermuten, daß die literarische Produktion dieser Personengruppe an die Bedürfnisse und das Selbstverständnis städtischer Institutionen, des städtischen Rats bzw. des Schöffenkollegs, gebunden und damit auf eine spezifisch städtische Öffentlichkeit ausgerichtet ist. Tatsächlich kennen wir aus dem 15. und 16. Jahrhundert Werke von Stadtschreibern, die diesen Kriterien entsprechen: historische Berichte, Denkschriften, tagebuchartige Notizen über aktuelle Ereignisse und Chroniken, die die Kenntnis städtischer Urkunden und Akten verraten, gelegentlich sogar mit offiziellen Dokumenten durchsetzt sind:1 etwa Konrad Justingers Chronik von Bern,2 Niclaus Rüschs Bericht über die Burgunderkriege,3 Peter Eschenlohers Breslauer Chro1

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Vgl. die Angaben bei Walther Stein: Deutsche Stadtschreiber im Mittelalter. In: Beiträge zur Geschichte vornehmlich Kölns und der Rheinlande. (Zum 80. Geburtstag Gustav von Mevissens.) Köln 1895. S. 2 7 - 7 0 ; Schmidt, S. 22f.; Gerhart Burger: Die südwestdeutschen Stadtschreiber im Mittelalter. Böblingen 1960. (Beiträge zur schwäbischen Geschichte 1 - 5 ) S. 216ff.; Ferdinand Elsener: Notare und Stadtschreiber. Zur Geschichte des schweizerischen Notariats. Köln und Opladen 1962. (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften 100) S. 22ff. Jean-Pierre Bodmer: Chroniken und Chronisten im Spätmittelalter. Bern 1976. (Monographien zur Schweizer Geschichte 10); Urs Martin Zahnd: Die Bildungsverhältnisse in den bernischen Ratsgeschlechtern im ausgehenden Mittelalter. Verbreitung, Charakter und Funktion der Bildung in der politischen Führungsschicht einer spätmittelalterlichen Stadt. Bern 1979. (Schriften der Berner Burgerbibliothek) Die Berner-Chronik des Conrad Justinger. Nebst vier Beilagen: 1. Cronica de Berno. 2. Conflictus Lampensis. 3. Die anonyme Stadtchronik oder der Königshofen-Justinger. 4. Anonymus Friburgensis. Hg. von G. Studer. Bern 1871. Zu Justingers Kenntnis und Verwendung von briefen so in der statkisten ligent vgl. Hans Strahm: Der Chronist Conrad Justinger und seine Berner Chronik von 1420. Bern 1978. (Schriften der Berner Burgerbibliothek) S. 82ff. Die Beschreibung der Burgunderkriege durch den Basler Stadtschreiber Niclaus Rüsch. Hg. von Wilhelm Vischer. In: Basler Chroniken. Hg. von der historischen and antiquarischen Gesellschaft in Basel. Bd. 3. Leipzig 1887. S. 275-332.

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nik, 4 Bernhard Melzers Görlitzer Annalen 5 oder des Soester Stadtschreibers Bartholomäus van der Lake >TagebuchKriegstagebuch< ist allerdings nur in einer Bearbeitung aus dem 16. Jahrhundert erhalten, in der als Autor ein schriver genannt wird, den der Soester Bürgermeister während der Kriegshandlungen bei sich gehabt habe. Dieser schriver wird mit dem Stadtschreiber Bartholomäus van der Lake identifiziert. Zur politischen Rolle Konrad Humerys in Mainz vgl. Wieland Schmidt: Konrad Humery. In: Verf. Lex. II, 1936. Sp. 537-541 sowie Otto Herding: Probleme des frühen Humanismus in Deutschland. In: AfK 38, 1956. S. 344-389, hier S. 374ff. Zu den diplomatischen Aktivitäten Wyles als Eßlinger Stadtschreiber und seiner Übersetzertätigkeit vgl. neuerdings Rolf Schwenk: Vorarbeiten zu einer Biographie des Niklas von Wyle und zu einer kritischen Ausgabe seiner ersten Translatze. Göppingen 1978. (GAG 227) Über die literarischen Verbindungen Wyles mit den verschiedensten >Humanisten< informiert immer noch am besten Paul Joachimsohn: Frühhumanismus in Schwa-

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Texte, verfassen — wie Ulrich Tenngier 9 und Sebastian Brant 10 — juristische Werke, wie Johannes Rothe 1 1 in Eisenach politisch-historische Texte, moralisch-didaktische Werke und Heiligenlegenden oder - wie der Danziger, später Kulmer Stadtschreiber Konrad Bitschin 12 - eine Enzyklopädie zeitgenössischen Wissensstoffs über Ehe, Familie und das städtische Gemeinwesen und sind schließlich - wie ein Metzer Stadtschreiber namens Fourcelle 13 im 15. Jahrhundert und die Sterzinger Hans Pölsterl und Konrad Gartinger 14 um die Wende des 15. Jahrhunderts als Autoren bzw. Regisseure für die Aufführung von Spielen verantwortlich. D i e Stadtschreiber gehören im Spätmittelalter als Universitätsabsolventen und juristisch wie literarisch gebildete Herren zur obersten Bildungsschicht der Städte und sind - auch wenn sie oft weitgespannte Beziehungen pflegen — auf vielfältige Weise an dem >kulturellen< Leben ihrer Stadt beteiligt. Besonders profilierte Vertreter dieses Typus des gebildeten, literarisch überaus aktiven Stadtschreibers sind die sogenannten Humanisten Niklas von Wyle in Eßlingen und Sebastian Brant in

ben. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte NF 5, 1896. S. 63-126. 9 Zu dem Nördlinger Stadtschreiber Ulrich Tenngier, dem Autor des Laienspiegels vgl. Roderich Stintzing: Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland am Ende des fünfzehnten und im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts (1867). Neudruck: Aalen 1959. S. 409-447; Knut Hannemann: Ulrich Ten(n)gler. In: Verf. Lex. IV, 1953. Sp. 386-399; V, 1955. Sp. 1078-1084; neuerdings auch Erich Kleinschmidt: Das »Epitaphium Ulrici TennglerLaienspiegels< von 1511. In Daphnis 6, 1977. S. 4 1 - 6 4 . 10 Von ihm sind Vorlesungsskripten über die Dekretalen, Editionen von Quellen des römischen Rechts und - mit Ulrich Tennglers Laienspiegel sowie des Richterlichen Klagspiegels - zeitgenössischer Rechtssammlungen erhalten. Vgl. dazu vor allem Manfred Lemmer: Sebastian Brant. In: Verf. Lex. 2 I, 1978. Sp. 992-1005, hier Sp. 995. 11 Zu Johannes Rothe vgl. unten S. 242ff. 12 Vgl. die Teiledition dieses umfangreichen Texts: Konrad Bitschins Pädagogik. Das vierte Buch des enzyklopädischen Werkes: »De vita coniugali«. Nach der lateinischen Handschrift zum erstenmal herausgegeben, mit deutscher Einleitung, historisch-literarischer Einleitung sowie mit Erklärungen und Anmerkungen versehen von R. Galle. Gotha 1905. Zu den Lebensdaten und Schriften dieses Stadtschreibers vgl. Franz Schultz: Conrad Bitschin während seines Aufenthaltes in Culm (1430-38). In: Altpreußische Monatsschrift NF 12, 1875. S. 513-530; Franz Hipler: Die Pädagogik des Konrad Bitschin. In: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 2, 1892. S. 1 - 1 0 ; A. Methner: Conrad Bitschin als Danziger Stadtschreiber. In: Zeitschrift des westpreußischen Geschichtsvereins 69, 1929. S. 7 1 - 8 3 und neuerdings Udo Arnold: Konrad Bitschin. In: Verf. Lex. 2 I, 1978. Sp. 884-887. 13 Vgl. die Angabe bei F. P. Bremer: Claude Chansonette aus Metz (14977-1550). In: Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde 5, 1893. S. 157-217, hier S. 168. 14 Vgl. die Angabe bei J. E. Wackerneil: Altdeutsche Passionsspiele aus Tirol, S. LI. Interessante Details über die Rolle der Stadtschreiber im Rahmen von Spielaufführungen finden sich auch bei Elsener, S. 49, Anm. 81. Vgl. auch den Bericht des Stolbergischen Ratsjahrbuches über die Aufführung eines Passionsspiels im Jahre 1457, an der sich auch der Stadtschreiber Berld Trute als Cayphas beteiligt hat; Besprechung dieser für die Theatergeschichte bedeutsamen Aufführung bei Neumann: Zeugnisse, S. 137ff. 229

Straßburg, die neben ihrer literarischen Arbeit auch Werke verfassen, die direkt auf ihre Tätigkeit als Stadtschreiber bezogen sind: Niklas von Wyle eine fragmentarische Verdeutschung der Colores rhetoricalesls und Sebastian Brant, der Doktor beider Rechte, juristische Kompendien. 16 Diese Beispiele, die sehr deutlich die Stadtschreiber als spezifisch städtische Kulturträger und Autoren herausstellen, stammen freilich aus dem 15. und 16. Jahrhundert, als sich mit der Entstehung der Singschulen und der Aufführung von Fastnachtspielen auch in anderen Bereichen dezidiert städtische Formen der literarischen Produktion und Rezeption entwickelt haben. Es bleibt deshalb zu fragen, ob die Stadtschreiber bereits in ihrer >FrühgeschichteUnterschreiberStadtintelligenz< und deren Laufbahn als Lehrer, Arzt und Stadtschreiber. 231

schofsstädten vor allem das Zusammengehen von öffentlichem Notariat und Stadtschreiberamt gewesen zu sein. 24 Ungewöhnlich präzise Informationen über das Amt des Stadtschreibers bietet lediglich das Augsburger Stadtbuch aus dem 14. Jahrhundert, das dem stetschriber einen ganzen Abschnitt widmet. Es heißt hier u.a.: Er sol auch der stat schriben stiur und alle die den die burger und die gemaind von dem rat verbietent und alle die sache die die stat ze schaffen hat, ez si mit briefen oder mit andern Sachen ...Er sol auch alle die brief die er schribt von der stat wegen und auch von der burger wegen schriben ufrehtes pirmit und niht ufpapir. Er sol auch an dem geriht und an dem rat kein urteil sprechen und sin urteil sol kain kraft han ... Und swan man ze der lichtmezz den clainen rat welen wil da sol er niht bei sin und sol die selben weil hie uz vor der tür sin, hintz si ainen rat geweint; und die selben die geweit werdent sol er an schriben ...Er sol auch der stet rehtbüch inne han und kain ander buch die die stat an gehoernt; und sol daz selb buch an dem geriht und an dem rat lesen ane alle geverde swer sin begert und sol anderswa nieman lesen noch zaigen dann da ein burgermaister bei ist oder si baid, und sol ez nieman lazzen abschriben noch er selb sol ez auch niht abschriben .. , 25 Hinter diesen Bestimmungen werden die Umrisse eines bedeutenden Amtes sichtbar: der Stadtschreiber verfaßt städtische Urkunden und Briefe, notiert die Ratserlässe, die Wahlergebnisse des Rats und Steuerbescheide, verwahrt das Stadtbuch und liest auf Verlangen dem Rat alte Beschlüsse und Urteile vor. Er unterstützt die Verwaltungstätigkeit des Rats, an dessen Sitzungen und Gerichtsverhandlungen er teilnimmt, ohne allerdings selbst rechtskräftig urteil sprechen zu dürfen. Gerade diese letzte Bestimmung, die die Kompetenzen des Stadtschreibers beschränkt, verweist auf Möglichkeiten zu aktivem Eingreifen, die mit diesem Amt des über die Rechtsentscheidungen der letzten Jahre bestens informierten Schreibers offenbar verbunden waren. Andere Städte — ζ. B. Zwickau 26 — haben ausdrücklich die diplomatischen Fähigkeiten des Stadtschreibers in Anspruch genommen: sie werden mit städtischen Gesandtschaften und auswärtigen Verhandlungen beauftragt, begleiten die Ratsherren als juristische Berater auf ihren Fahrten zum päpstlichen oder kaiserlichen Hof und sind für die Kodifizierung der jeweiligen Stadtrechte verantwortlich. Durch ihre Vertrautheit mit den städtischen Rechtsstandpunkten und Verhandlungspositionen, vor allem durch ihre Kenntnis der Hintergründe der Ratspolitik konnten die Stadtschreiber in bestimmten Konfliktsituationen einflußreiche politische Persönlichkeiten werden. Ein berühmtes Beispiel für die politischen Dimensionen des Stadtschreiberamtes ist etwa die Karriere des Erfurter Stadtschreibers Heinrich von Kirchberg, der in den Jahren 1 2 7 9 - 1 2 8 2 , während der Auseinan24

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Zur Stellung des Stadtschreibers als öffentlicher Notar vgl. neuerdings Peter-Johannes Schuler: Geschichte des südwestdeutschen Notariats. Von seinen Anfängen bis zur Reichsnotariatsordnung von 1512. Bühl 1976. (Veröffentlichung des Alemannischen Instituts Freiburg 39) S. 174ff. Das Stadtbuch von Augsburg, insbesondere das Stadtrecht vom Jahre 1276. Hg. von Christian Meyer. Augsburg 1872. S. 251-253, hier S. 252. Vgl. die Bestimmungen bei Ermisch, S. 94 (Zwickauer Stadtrecht 1348).

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dersetzungen der Stadt mit dem Erzbischof, praktisch selbständig verhandelt haben soll.27 Bei seinem Ausscheiden aus dem städtischen Dienst verpflichtet er sich, alle städtischen Dokumente, vor allem die der Stadt unliebsamen Briefe, abzuliefern. Hier werden Möglichkeiten sichtbar, daß die Stadtschreiber ihre Verantwortung für den städtischen Schriftverkehr politisch einsetzen und ihr Wissen auch gegen einzelne Gruppen verwenden können. Ein deutliches Indiz für die politische Brisanz, die dieses Amt zu bestimmten Zeiten haben konnte, sind schließlich jene Fälle, in denen die Quellen von Prozessen und der Hinrichtung von Stadtschreibern im Rahmen politischer Spannungen in der Stadt berichten. So wird ζ. B. der Kölner Stadtschreiber Gerlach von Hauwe, der auch nach dem Sieg der Ämter im Jahre 1396 für den neuen Rat tätig war und die >ZunftverfassungRevolution< des Jahres 1396 informiert ausführlich Hermann Keussen: Der Verfasser des Verbundbriefes und des >Neuen Buchest Zur Geschichte der Kölner Revolution 1396. In: Mittheilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 15, 1888. S. 1 - 5 4 ; neuerdings wieder Johannes Bernhard Menke: Geschichtsschreibung und Politik in deutschen Städten des Spätmittelalters. Die Entstehung deutscher Geschichtsprosa in Köln, Braunschweig, Lübeck, Mainz und Magdeburg. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 33, 1958. S. 1 - 8 4 (= I); 34/35, 1960. S. 8 5 - 1 9 4 (= II), hier I, S. 22ff.; vgl. auch unten S. 238; neuerdings auch Wolfgang Herborn: Die politische Führungsschicht der Stadt Köln im Spätmittelalter. Bonn 1977. (Rheinisches Archiv 100) S. 357ff.

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Stadtschreiber als offiziöse Stadtchronisten Stadtschreiber bemühen sich nicht erst im 15. Jahrhundert um die Geschichte ihrer Stadt. 29 Schon im 14. Jahrhundert verfassen sie großangelegte chronikalische Werke: von dem Zittauer Stadtschreiber Johann von Guben 30 stammt z.B. eine zeitgenössische Chronik seiner Stadt bis zum Jahre 1375, die — durchsetzt mit wörtlich zitierten Urkunden - vornehmlich Ereignisse der Stadt Zittau — Auseinandersetzungen zwischen dem Rat und den Handwerkern, kriegerische Konflikte mit anderen Städten, 31 Verhandlungen mit Kaiser Karl IV. — bietet. Aus einer vorangestellten lateinischen Ratsverordnung geht hervor, daß diese Annalen des Stadtschreibers Johann von Guben sorgfältig aufbewahrt und von den nachfolgenden Schreibern ergänzt werden sollen. Tatsächlich setzen die annalistischen Berichte nach einer Lücke von etwa 40 Jahren wieder ein. 32 Jetzt allerdings in sehr komprimierter Form, wobei lateinische Urkunden und Akten einen großen Teil der Darstellung ausmachen. Berühmter ist die Chronik des Limburger öffentlichen Notars Tilemann Elhen von Wolfhagen, 33 der zeitweise das Stadtschreiberamt innehatte. Seine sogenannte Limburger Chronik, die Aufzeichnungen über die Jahre 1334 bis 1398 bietet, hat wegen ihrer kulturhistorischen Details schon immer große Beachtung in der Forschung gefunden. Denn dieser Chronist interessiert sich für die Wandlungen der Kleidermode, die Veränderungen des literarischen Geschmacks, er zitiert zeitgenössische Lieder, informiert über ihre Beliebtheit, ihre Verfasser und - am Beispiel des adeligen Herrn Reinhard von Westernburg sogar über bestimmte Formen der Aufführungspraxis. Sein Hauptinteresse gilt allerdings den politisch-militärischen Aktionen in seiner Heimat. Er berichtet von den Auseinandersetzungen um das Lahntal und die Stadt Limburg, ohne daß er seine Stadt bzw. die städtische Politik in besonderer Weise in den Vordergrund 29

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Allgemeine Angaben über die historiographische Tätigkeit von Stadtschreibern bei Stein, S. 28ff.; Emannuel Schwab: Einiges über das Wesen der Städtechronistik mit besonderer Berücksichtigung der Sudetendeutschen. In: AfK 18, 1928. S. 258-286; Schmidt, S. 22f.; Burger, S. 216ff.; zur Rolle italienischer Notare als Kopisten, Redaktoren und Autoren städtischer Historiographie vgl. etwa Girolamo Arnaldi: II notaio-cronista e le cronache cittadine in Italia. In: La Storia del diritto nel quadro delle scienze storiche. Firenze 1966. (Atti del primo congresso internazionale delle societä italiana di storia del diritto 1) S. 293-309, der eindrückliche Beispiele für die Beteiligung italienischer Stadtschreiber an stadthistoriographischen Werken des 13. Jahrhunderts behandelt. Die Jahrbücher des Zittauer Stadtschreibers Johannes von Guben und einiger seiner Amtsnachfolger. Hg. von Ernst Friedrich Haupt. In: Scriptores rerum Lusaticarum. Sammlung ober- und niederlausitzischer Geschichtsschreiber. NF 1. Bd. Görlitz 1839. S. 1 - 2 1 3 . Unter anderem ein sehr ausführlicher Bericht über den Zug der Oberlausitzer Städte gegen Neuhaus, bei dessen Vorgeschichte der Görlitzer Stadtschreiber eine große Rolle als Diplomat und Verhandlungsleiter spielt; vgl. S. 35ff. S. 96,7ff. Die Limburger Chronik des Tilemann Elhen von Wolfhagen. Hg. von Arthur Wyss (1883). (MGH Deutsche Chroniken IV.l); zur Person des Chronisten vgl. neuerdings Peter Johanek: Tilemann Elhen (Ehlen) von Wolfhagen. In: Verf. Lex. 2II, 1978. Sp. 4 7 4 - 4 7 8 , hier Sp. 474.

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rückt. Die Limburger Chronik konzentriert sich zwar auf Lokalereignisse, ist jedoch keine Stadtchronik, die die Geschichte der eigenen Stadt bieten oder brisante Geschehnisse des städtischen Lebens herausstellen will. Das zeigt sich auch an der Position des Chronisten: Seine Darstellung verrät weder eine besondere Präferenz für Limburger Verhältnisse noch eine intensive Kenntnis städtischer Urkunden und Akten. Seine Tätigkeit als Stadtschreiber scheint demnach für die Chronik in thematischer Hinsicht ohne Bedeutung zu sein. Das gleiche gilt offenbar für die äußeren Umstände der Entstehung. Es gibt weder einen Hinweis auf einen offiziellen Auftrag des Limburger Stadtrats an seinen Stadtschreiber noch Anhaltspunkte für ein spezifisch städtisches Publikum der Limburger Chronik. Demgegenüber äußert sich z.B. der Verfasser der sogenannten Magdeburger Schöppenchronik, ein Schöffenschreiber der Stadt, in dem man Heinrich von Lammspringe 34 vermutet, sehr konkret über sein potentielles Publikum. Dieser Chronist, der neben seinem Amt als Schreiber des Schöffenstuhls gelegentlich die Pflichten eines Stadtschreibers wahrgenommen zu haben scheint, hat als Zielgruppe seiner weitausgreifenden Magdeburger Chronik seine Dienstherren, die Schöffen, im Blick. Ihnen widmet er in einer Prosavorrede seine Arbeit: To leve minen heren den schepen segge ik dar umme, wente ik dat arbeit disses bokes dor orert willen hebbe gedan (S. 1,8-10). Und diese Schöffen werden schließlich am Ende der nachfolgenden Reimvorrede aufgefordert, nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst seine Nachfolger mit der Fortsetzung dieser Chronik zu betrauen: Juk, heren schepen, mane ik dar to,/hir na, wenn dat kumpt also,/dat ik juwe schriver nicht enbinjso dat dorch der stad gewin/und dor juwes sulves ere/und dorch min gebetetet/'.../juwen schriveren heitetjdat se vorbat schrivenjwor ik dat late bliven (S. 5,V. 31 - S. 6, V. 6). Dieser Schöffenschreiber bindet demnach seine Chronik sehr direkt an seine berufliche Tätigkeit und an jene städtische Institution, für die er arbeitet. Seine Stellung als Schöffen- und Stadtschreiber und die mit dieser Tätigkeit vermittelten Kenntnisse von Rechtsstreitigkeiten der Stadt zeichnen sich gelegentlich auch in seiner Darstellung ab, wenn er etwa sehr detailliert von bestimmten Gesandtschaften und Rechtsgeschäften der Stadt berichtet und dabei einfließen läßt, daß er als Stadtschreiber die Verhandlungen geführt habe. 35 Noch deutlicher wird dieser Einblick des Chronisten in die Geschäfte der Stadt und sein Umgang mit städtischen Dokumenten bei seinem Bericht von einer Auseinandersetzung des Erzbischofs von Magdeburg mit der Stadt Halle: hier spart er die von Schöffen und Rat gefällte Entscheidung mit folgender Begründung aus: de scheiding steit in miner heren der schepen bok, dar umme schrive ik dar hir nicht van (S. 251,25f.). Der Schöffenschreiber-Chronist setzt demnach ein mit den genauen Umständen vertrautes Publikum voraus und verweist zugleich die an der juristischen Argumentation Interessierten — geradezu geschäftsmäßig — auf die Lektüre 34

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Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Magdeburg. 1. Bd. Die Magdeburger Schöppenchronik. Hg. von Karl Janicke (1869). (Ch. dt. St. 7) Nachdruck: Göttingen 1962. S. Xlff. S. 228 bzw. 249 (Verhandlungen mit dem Kaiser). 235

des offiziellen Aktenstücks im Schöffenbuch. Hier wird punktuell die Position eines städtischen Beamten sichtbar, der neben seinen Aufgaben als Schöffenschreiber für ein spezifisch informiertes städtisches Publikum eine Geschichte der Stadt und ihrer Probleme mit dem Erzbischof, dem Domkapitel und den umwohnenden adeligen Herren zusammenstellt. Ziel seiner Darstellung ist - wie der Verfasser in den beiden Vorreden verdeutlicht - der vromen der stad (S. 1,10), der durch die Kenntnis der Stadtgeschichte, durch das Wissen um vergangene Konflikte und die Vertrautheit mit städtischen Rechtspositionen gefördert werden könne: To vromen der stad segge ik dar umme, wente me in disseme boke schal vinden van dem ersten beginne dusser stad und wo dusse stad geregeret is unde vore stan wente an unse tid ... (S. 1,10-12). Noch deutlicher in der Reimvorrede: mi dunket, id mach to vromen/der stad hir na komen.lwat vor in den tiden is gesehen,/dar mach men dicke na bespen,/bewaren leit und ungemak./.. Jalsus mach me ok bewaren/der stad leit krich und ungemach,/wann me weit wat vor geschach (S. 6, V. 9 - 2 3 ) . Diesem Leitprinzip fühlen sich offenbar auch die Fortsetzer verpflichtet, in denen - wegen ihrer exakten Kenntnis städtischer Politik - Schöffen- bzw. Ratschreiber vermutet werden. Zumindest macht der erste Fortsetzer zum Jahre 1372 noch einmal lapidar auf diesen >Zweck< der Chronik aufmerksam: Bi dissen dingen de gescheen sin mach men tokomene ding proven, hir umme hebbe ik ut dissen langen reden der stad to vromen umme to samene vorkoret disse na schrivene stucke, uppe dat me schade und koste beware (S. 263,26-29). Und ein weiterer Fortsetzer formuliert schließlich im Rahmen seines Berichts über innerstädtische Unruhen des Jahres 1402 den >Nutzen< der Geschichte sehr konkret als Handlungsanweisung an den Rat der Stadt: Hir umme seet gi leven olden wisen borgere dat men solik ding mer beware, dar schaden van komen mach disser stad, und denket dar to dat gi eine redelike gude pollicien und regeringe vor ju nemen, dat men dem meinen volke sinen willen al to sere nicht enlate, als men dan heft (S. 313,6—9). Diese Magdeburger Chronik, die nach der Einteilung des Verfassers mit dem ortspringe disser stad Madgeborch (S. 1,21) einsetzt, die Stadtgeschichte in einem zweiten Teil von Kaiser Otto bis zum Pestjahr 1350 weiterführt und in einem dritten Teil vornehmlich auf Selbsterlebtes des Autors rekurriert, erfüllt - hinsichtlich des Autors, seines potentiellen Publikums, der thematischen Konzentration und Zielsetzung - alle Voraussetzungen einer Stadtchronik. Denn hier fixiert ein städtischer Beamter für die Schöffen die Geschichte der eigenen Stadt zum vromen dieser Stadt. Stadtgeschichte bietet sich hier als Entscheidungshilfe für die Verantwortlichen an. Johann Bernhard Menke 36 hat allerdings zu Recht betont, daß die Magdeburger Schöppenchronik nicht den offiziellen Status eines dem Schöffenbuch vergleichbaren Dokuments des Schöffenkollegs habe, sondern bestenfalls von offiziöser Geltung gewesen sein könne. Zwar sei die vom Verfasser angesprochene Zielgruppe der Schöffen bekannt. Es gebe jedoch weder Anhaltspunkte für einen dezidierten

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Menke, II, S. 1 4 8 - 1 6 1 .

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Auftrag dieser Schöffen noch Hinweise darauf, daß etwa einzelne Kapitel dieser Stadtgeschichte zu bestimmten Gelegenheiten im Schöffenkolleg vorgetragen worden seien, um dieses Gremium möglicherweise an bestimmte Ereignisse der Stadtgeschichte zu erinnern und auf ein entsprechendes Verhalten zu verpflichten. Damit hat Menke einen wichtigen Punkt angesprochen: das Problem einer spezifisch städtischen Öffentlichkeit. Er versteht darunter die Gebrauchssituation des >Vorlesens< als Akt der Meinungs- und Entscheidungsbildung im städtischen Rat bzw. Schöffenkolleg. 37 Dieser Form städtischer Öffentlichkeit, die einem Text seine offizielle Geltung verleiht, ist die Magdeburger Schöppenchronik tatsächlich nur bedingt zuzuordnen. Der Schöffenschreiber versucht zwar, seinem Werk durch die Widmung an die Schöffen, die Zweckbestimmungen seiner Chronik und den Appell zu ihrer Fortsetzung — eine Art amtlichen Anspruch als Dokument städtischer Geschichte, als eine zusammenfassende Darstellung der für die Stadt entscheidenden Ereignisse der Vergangenheit und Gegenwart zuzuweisen. Die Fortsetzung der Chronik bis ins 16. Jahrhundert scheint dies sogar zu bestätigen: vielleicht sind tatsächlich die städtischen Gremien dem Wunsch nach Weiterführung der Chronik durch nachfolgende Schöffenschreiber nachgekommen und haben damit auch die angesprochene Zielsetzung akzeptiert. Es fehlen jedoch Zeugnisse für eine durch die >Lesung< im Schöffenkolleg institutionell abgesicherte Funktion des Textes, die die Magdeburger Schöppenchronik als eine im spezifischen Sinn städtische, weil der offiziellen Situation des Schöffenkollegs verpflichtete Auftragsarbeit des Schöffenschreibers Heinrich von Lammspringe erweisen würde. Sämtliche Merkmale eines für die Lesung im Rat bestimmten offiziellen Dokuments sieht Menke hingegen in dem sogenannten Nuwen Boich38 konzentriert, einem Prosabericht über die heftigen Auseinandersetzungen in Köln, die dem Sieg der Zünfte im Jahre 1396 vorausgegangen waren. Die Zielsetzung dieses Textes ist eindeutig: Dit sint alle alsulgen Sachen, gevernisse und geschichte, as sich diese nieste 36 jair her und langer enbinnen der stat van Coelne ergangen haint overmitz die ghene, die die gesiechte hiessen, ind oevermitz die scheffene, ire vrunde maige und partien, ind vort overmitz die ghene die mit in vur und na zo rade gesessen haint, danaf de stat van Coelne und die gemeinde grosen unverwinlichen schaden, cost, krut und veetschaf gehat und geleden haint, dat kundich is und hernageschreven volgt (S. 272,9-15). Es folgt eine Sammlung von Einzelberichten über die Geschlechter, die bisher den Rat und das Schöffenkolleg gestellt haben, über ihre Willkürherrschaft und Regierungsunfähigkeit, ihre ämterfeindlichen Entscheidungen und ihre ungeschickte Außenpolitik, ihren Parteienstreit und ihren Eigennutz und schließlich die Korruption und Konspiration einzelner führender Herren. Thematisches Zentrum dieser nur lose aneinandergereihten Einzelgeschichten ist der be37 38

Zur spezifischen >öffentlichkeit< städtischer Gremien vgl. Menke, II, S. 164-167. Dat nuwe boich (c. 1360-1396). Hg. von H. Cardauns. In: Die Chroniken der niederrheinischen Städte. Coin. 1. Bd. (1875). (Ch. dt. St. 12) Nachdruck: Göttingen 1968. S. 272-309; zum Nuwen Boich vgl. Menke, I, S. 2 2 - 4 2 .

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reits eingangs erwähnte >Schaden der StadtÜberarbeitung< des Textes durch den Kölner Protonotar Edmund Frunt, der Ende des 15. Jahrhunderts dem Nuwen Boich die Bemerkung Dit sal men lesen vur unsen heren (S. 272,2) sowie eine kurze Zusammenfassung vorangestellt42 und am Rande des 39

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zo verderflichen schaden der gemeinden (S. 283,15f.); zo verderflichen schaden der stede und gemeinden, dat kondich is (S. 285,2f.); zo grosme verderflichen schaden die danaf komen is (S. 285,33) etc. Zur Verfasserdiskussion vgl. vor allem Keussen. Gerlach van Hauwe ist - neben Godefridus und Heinrich von Lintorf - der dritte Kölner Stadtschreiber, dem die Autorschaft eines stadthistorischen Werks zugeschrieben worden ist. Die Identifizierung Gotfrit Hagens, des Autors der Kölner Reimchronik Dat boich van der stede Colne, mit dem seit 1268 als Stadtschreiber bezeugten Godefridus ist inzwischen mehrfach zurückgewiesen worden; vgl. dazu neuerdings die Angaben bei Wenzel: Aristokratisches Selbstverständnis, S. 9, Anm. 2. Die Annahme von Walther Stein: Über den Verfasser des Kölnischen Liedes von der Weberschlacht. In: Hansische Geschichtsblätter 9,1900. S. 147-164, daß der in einer städtischen Rechnung als trufator bezeichnete Rentkammerschreiber Heinrich von Lintorf im Auftrag des Rats die Weverslaicht verfaßt habe, wird sich kaum halten lassen können. Sie beruht lediglich auf der merkwürdigen Bezeichnung trufator, in der Stein eine ironische Umschreibung für >Autor< sieht. Aber auch die Identifizierung des Verfassers des Nuwen Boich mit dem Stadtschreiber Gerlach van Hauwe ist nicht gesichert. Zentrales Argument ist hier das Faktum, daß Gerlach van Hauwe den Verbundbrief, die Verfassung des neuen Rats, geschrieben hat, in deren engerem Umkreis auch das Nuwe Boich angesiedelt wird. Menke, I, S. 20f.: die Namen der >Greifen< Arnoult Losschart, Heinrich Walraff, Costin Greve, Johann Overstolz, Syvart von Uberportzen sind im Nuwen Boich sorgfältig getilgt; ebenso in einem Verhör-Protokoll, das im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen Hilger von der Stessen 1398 angefertigt wurde; vergleichbare Namenstilgungen finden sich offenbar auch in den Eidbüchern. Item in desem sexterne sal men vinden die geschickte ind verhandelunge, die van den ghenen die sich noement van den gesiechten, binnen Coelne vurzitz verhandelt haint, darumb

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Textes die einzelnen Abschnitte mit der Notiz lege bzw. non lege versehen hat. Auch der Autor selbst scheint mit Ergänzungen seines >Publikums< zu rechnen, da er an einigen Stellen Informationen - bestimmte Namen oder Geldbeträge 4 3 - ausspart und der späteren Konkretisierung überläßt. Menke sieht in diesen Rezeptionszeugnissen, die das Nuwe Boich punktuell der jeweiligen politischen Situation anpassen, Hinweise auf den offiziellen >Gebrauch< dieses Textes im Rat. Die öffentliche Lesung von Briefen, Aktenstücken und historischen Berichten, die im 15. Jahrhundert fester Bestandteil der Geschäftsordnung des Rats gewesen sei, 44 diene hier nicht in erster Linie der Information der Ratsherren, sondern stelle - als akzeptierendes Anhören einer offiziellen Aussage — die Entscheidungen dieser Behörde dar. Dementsprechend bedeute die ratsöffentliche Lesung des Nuwen Boich, einer amtlichen Aufzeichnung aus der Schreibstube des Rats, die Einsicht des Rats in die Notwendigkeit des Ausschlusses der Geschlechter und das heiße Ende des 14. Jahrhunderts: die Bestätigung der neuen Verfassung. Mit seiner Erörterung des situativen Kontextes der Entstehung und Rezeption des Nuwen Boich hat Johannes Menke an einem sehr konkreten Beispiel die uns interessierende Frage nach der Bedeutung von Stadtschreibern für die Ausbildung spezifisch städtischer Formen der literarischen Kommunikation angeschnitten: die Stadtschreiber als Autoren historischer Berichte offiziellen Charakters, deren Lesung im Rat die Entscheidungsbildung dieser Behörde konstituiert. Dieser Funktionsbestimmung wäre dann auch die literarische Darstellung dieser von Menke als >Relation< bezeichneten amtlichen Texte verpflichtet: sie weisen kanzleisprachliche Wendungen auf, verraten den Umgang ihrer Verfasser mit Urkunden und städtischen Akten, sind mit solchen Dokumenten durchsetzt und stehen thematisch nahe bei den zur Zeit ihrer Entstehung gefällten Entscheidungen und Urteilen des Rats. Diese Bestimmungen gelten - nach Menkes überzeugender Untersuchung — in besonderer Weise für das Nuwe Boich. Seine Ausführungen lassen sich jedoch nicht im Hinblick auf einen von Stadtschreibern verfaßten spezifisch städtischen Texttypus generalisieren. Denn sowohl die Verfasserschaft eines Stadtschreibers als auch die offizielle Geltung des Nuwen Boich für die Ratsbehörde sind nur ansprechende, bestenfalls naheliegende Vermutungen, die nicht zu weitergehenden Schlüssen ausgebaut werden können. Beide Überlegungen sind erst im 15. Jahrhundert historisch abgesichert, wenn sich nachweislich ein Stadtschreiber, der Protonotar Edmund Frunt, im Auftrag des Rats dieses Textes annimmt und ihn für die ratsöffentliche Lesung einrichtet. Für die Zeit der Entstehung des Textes sind hingegen die Hinweise auf seine konkrete Gebrauchssituation weniger eindeutig. dat upleufe ind mancherleie ungelucke binnen der stat van Coelne untstanden geweist sint. Item in desen sexterne steit ouch dat instrument sulchs bekenntnisse, as her Heinrich vame Stave in sime testen gedain hait (S. 272,3-8). 43 S. 274,1; 279,8; 291,9; 309,18. 44 Zur Funktion der Lesung vor dem Rat im 15. Jahrhundert vgl. Menke, I, S. 28; auch die lege- bzw. non /ege-Kommentare des Bearbeiters Edmund Frunt sprechen für diese öffentliche Gebrauchssituation des Textes. 239

Es zeigt sich demnach: Im 14. Jahrhundert treten zwar Stadt- und Schöffenschreiber als Chronisten ihrer Stadt hervor, die ζ. T. sehr präzise ihre beruflichen Erfahrungen einbringen wie auch die gesellschaftspolitischen Einstellungen ihrer städtischen Behörde artikulieren. Wir können jedoch nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß diese Stadtschreiberchroniken von vornherein einen amtlicheren Charakter als andere historiographische Texte haben und etwa als Werke eines städtischen Beamten vornehmlich für die Öffentlichkeit des städtischen Rats bestimmt gewesen sind. Die Limburger Chronik, aber auch die Magdeburger Schöppenchronik sind deutliche Beispiele für den nicht-ratsöffentlichen Charakter solcher Stadtgeschichten. Erst wenn Stadtschreiber im Auftrag des Rats Berichte über bestimmte städtische Ereignisse verfassen und deutlich die amtliche Seite dieses Dokuments profilieren, muß auch mit einer neuen, durch die Lesung im Rat städtisch-institutionalisierten Kommunikationssituation gerechnet werden, auf die diese Texte ausgerichtet sind. Das Nuwe Boich mag - trotz fehlender dokumentarischer Evidenz - eines der frühesten Beispiele für diese spezifische Form städtischer Literatur sein. Gesicherte Belege für diesen Typus ratsöffentlicher literarischer Tätigkeit von Stadtschreibern haben wir freilich erst aus dem 15. Jahrhundert. Stadtschreiber als Literaturliebhaber und Verfasser geistlicher wie weltlicher Didaxe Die verschiedenen historiographischen Arbeiten von Stadtschreibern, das Abfassen und Redigieren von Relationen für den Stadtrat, aber auch ihre Bemühungen um die Stadtchronistik gehören offenbar zu dem Umfeld ihrer beruflichen Tätigkeit als Stadtschreiber. Das hat sich sehr deutlich an der sogenannten Magdeburger Schöppenchronik gezeigt, die ein Schöffenschreiber, wenn auch nicht unbedingt im offiziellen Auftrag des Schöffenkollegs, verfaßt hat. Denn wenn er im Prolog seine Dienstherren darum bittet, seine Nachfolger mit der Fortsetzung dieser Chronik zu betrauen, bindet er die Arbeit des Stadtchronisten sehr direkt in die Dienstaufgaben des Schöffenschreibers ein. Diese Beziehung zwischen der literarischen Praxis städtischer Schreiber und ihrem städtischen Amt gilt allerdings in dieser Weise wohl nur für ihre Tätigkeit als Stadthistoriograph. Sobald dje Stadtschreiber als Autoren oder Kopisten der verschiedensten Typen geistlicher oder weltlicher Dichtung auftreten, müssen wir wahrscheinlich mit eher lockeren Kontakten zwischen ihrer Tätigkeit als notarius civitatis und ihrer literarischen Produktion, wenn nicht sogar mit einer Art >Freistellung< von dem Amt des Stadtschreibers rechnen. Hier sind wir jedoch ganz auf Vermutungen angewiesen. Da die Anfänge des Stadtschreiberamts im 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts weitgehend im dunkeln liegen, wissen wir ζ. B. nicht genau, ob etwa die Bezeichnung notarius civitatis immer an ein festes Amt gebunden war, das seinen Inhaber über einen längeren Zeitraum hinweg kontinuierlich zu verschiedenen Dienstaufgaben für den Stadtrat verpflichtete, oder ob es auch möglich war, daß ein notarius civitatis zwar wiederholt, aber nur punktuell zu bestimmten Verwaltungsakten herangezo240

gen wurde. In diesem Fall hätte ein Stadtschreiber reichlich Gelegenheit zur literarischen Arbeit gehabt. Über die Arbeitsweise der Stadtschreiber als Autoren, Bearbeiter oder Kopisten erfahren wir jedoch normalerweise nicht genug, um die möglichen Relationen zwischen ihren Aufgaben als notarius civitatis und ihrer literarischen Betätigung abschätzen zu können. Um so wertvoller ist deshalb unsere Kenntnis einiger Details aus dem Leben des Luzerner Stadtschreibers Johannes Friker de Brugga, 45 der in die Literaturgeschichte als Schreiber geistlicher Prosa eingegangen ist. Denn von ihm sind eine auf 1378 datierte Abschrift von Heinrich Seuses Büchlein der ewigen Weisheit, eine Predigt-Handschrift des Jahres 1380 und zwei Exemplare von Der tugenden buoch, einem mittelhochdeutschen Exzerpt der Summa theologiae II-II, der Jahre 1381-1382 erhalten. Nach einem Eintrag in das Luzerner Ratsbüchlein ist dieser Johannes Friker im Jahre 1378 aus dem Stadtschreiberamt aus Gesundheitsgründen ausgeschieden, um sich auf eine Laienpfründe zurückzuziehen. 46 Hier scheint er in den folgenden vier Jahren - offenbar im Auftrag von Luzerner Herren 47 - die eben erwähnten Handschriften geistlicher Prosa geschrieben zu haben. Das Beispiel dieses Johannes Friker zeigt, daß offensichtlich in Luzern bereits Ende des 14. Jahrhunderts die Tätigkeit des Stadtschreibers an ein festes Amt gebunden ist, das größere Nebenbeschäftigungen nicht zuzulassen scheint. Eine kontinuierliche Kopistentätigkeit wie auch umfangreichere literarische Arbeiten von Stadtschreibern würden demnach bestimmte Formen der >Freistellung< voraussetzen. Demgegenüber scheint im 14. Jahrhundert der Preßburger Stadtschreiber Liebhard Eghenvelder 48 genügend Zeit gehabt zu haben, um eine Reihe lateinischer wie volkssprachiger Handschriften zu schreiben, die er - entsprechend den Angaben seines im Jahre 1455 verfaßten Testaments 49 - verschiedenen Klöstern, Schulen, Freunden und >armen Schülern< vermacht. Dieser notarius civitatis, der nach seinen Studium in Wien zunächst in Haimburg das Amt des Schulmeisters, seit 1442 in Preßburg das des Stadtschreibers innehatte, ist zugleich ein bedeutender Schreiber und Büchersammler, der neben theologischen Texten und geistlicher Erbauungsliteratur, neben philosophischer, juristischer und medizinischer Schullektüre und historischen Werken auch Wirnts von Gravenberg Wigalois, Seifrieds Alexander und Texte Heinrichs des Teichner besessen und offenbar wäh45

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Zur Person dieses Stadtschreibers vgl. J. Schneller: Annalistisches aus dem nunmehr ältesten Bürgerbuche der Stadt Luzern. In: Der Geschichtsfreund 22, 1867. S. 151-161; P. X. Weber: Das älteste Luzerner Bürgerbuch (1357-1479). In: Ebda. 74, 1919. S. 179-256; Ders.: Beiträge zur altern Luzerner Bildungs- und Schulgeschichte. In: Ebda. 79, 1924. S. 1 - 7 6 ; auf literarhistorischer Seite neuerdings Berg, S. 123-126. Schneller: 1378 Die XVI Januarii. Hie nam Johannes Fricker der unser Schriber ist gesin wol XVII jar, und uns des uns dunkt, getrüwlich gedienet hat, urlob und wolte in den Hof uff die leyen pfruonde zien, wan er sich über arbeitet hat, das er es nüt me erzügen mochte (S. 154). Zumindest hat - wie aus einem Schenkungsvermerk der Engelberger Handschrift Cod. 243 des Tugenden buoch hervorgeht - der Luzerner Ratsherr Heinrich von Gerlingen diesen Texte bereits im Jahre 1383 dem Kloster Engelberg vermacht; vgl. Berg, S. 125. Zu den biographischen Daten dieses Stadtschreibers vgl. vor allem Franz Maschek: Die Handschriftensammlung des Stadtschreibers Liebhard Eghenvelder. In: Unsere Heimat. Monatsblatt des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich und Wien 24, 1953. S. 9 3 - 9 6 ; Rainer Rudolf: Die Bibliothek des Preßburger Stadtschreibers Liebhard Eghenvelder. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des deutschen Südostens. In: Königsteiner Studien 19, 1973. S. 6 5 - 8 9 ; Helmut Lomnitzer: Liebhard Eghenvelder. In: Verf. Lex. 2 II, 1978. Sp. 377-379. Veröffentlicht von Rainer Rudolf SDS: Das Testament des Preßburger Stadtschreibers Liebhard Eghenvelder (1455). In: Karpaten Jahrbuch 27, 1976. S. 3 2 - 4 7 .

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rend seiner Tätigkeit als Schulmeister in Haimburg den Kernbestand des Wiener Codex S.N. 3344, eine Liedersammlung mit Neidharten und meisterlicher Sangspruchdichtung geistlicher wie weltlicher Thematik, selbst zusammengestellt und geschrieben hat. 50 Er repräsentiert demnach den Typus des gebildeten, den verschiedensten literarischen Bereichen aufgeschlossenen städtischen Beamten, der sich neben seiner Tätigkeit im Dienste der Stadt, teilweise aber auch in Verbindung mit seinen Aufgaben als Schulmeister bzw. Stadtschreiber um ältere und zeitgenössische Literatur kümmert und kulturelle Kontakte pflegt. Seine durch Urkunden, tagebuchartige Notizen und testamentarische Verfügungen ungewöhnlich gut dokumentierten beruflichen Aktivitäten und literarischen Interessen lassen vermuten, daß dieser städtische Beamte weniger als Kopist auf Bestellung gearbeitet, sondern vornehmlich für den eigenen >Bedarf< wissenschaftliche und literarische Texte abgeschrieben hat. Wir müssen demnach bei den Stadtschreibern mit sehr unterschiedlichen organisatorischen Formen der >literarischen< Betätigung rechnen: auf der Ebene der Kopisten reicht jedenfalls die Skala von dem Typus des professionellen Schreibers, der als >pensionierter< Stadtschreiber die verschiedensten Auftragsarbeiten übernimmt, bis zum bibliophilen homo litteratus, der sich während seiner Tätigkeit als Schulmeister bzw. Stadtschreiber - zum großen Teil durch eigenes Kopieren - eine umfangreiche, anspruchsvolle und vielseitige Bibliothek erwirbt. A m interessantesten sind allerdings für unsere Frage nach der Bedeutung der städtischen Beamten für das literarische Leben der Städte vor allem jene Stadtschreiber, die nicht als Kopisten fungieren oder als Verfasser speziell stadthistorischer Arbeiten bekannt sind, sondern als Autoren von Texten der weltlichen Unterhaltungsliteratur und geistlichen wie weltlichen Didaktik auftreten oder zumindest als Bearbeiter, Literaturkenner bzw. Mäzen an dem literarischen Leben ihrer Stadt beteiligt sind. Diese Form der literarischen Praxis scheinen allerdings die Stadtschreiber im 13. und 14. Jahrhundert nur sehr zurückhaltend wahrgenommen zu haben. Erst am Ende unserers Zeitraums steht die bedeutende Figur des Eisenacher Stadtschreibers, Geistlichen, Juristen und Lehrers Johannes Rothe, 5 1 der neben juristischen, stadtgeschichtlichen, landes- und weltchronikalischen Werken mit seiner Elisabeth-Vita, dem Lob der Keuschheit, dem Liber devotae animae, sogenannten >Ratsgedichten< und schließlich dem Ritterspiegel eine nicht unbeträchtliche Reihe geistlicher und weltlicher Lehrdichtungen verfaßt hat. Diese ζ. T. kompliziert überlieferten und in vielen Fällen nur unvollständig edierten Texte entstammen den verschiedensten literarischen Traditionen: das Lob der Keuschheit52 50

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Zum Bestand dieser für unsere Kenntnis des >Normalgebrauchs< an Lieddichtung im 15. Jahrhundert bedeutenden Sammlung vgl. Helmut Lomnitzer: Liebhard Eghenvelders Liederbuch. Neues zum lyrischen Teil der sogenannten Schratschen Handschrift. In: ZfdPh. 90, 1971. Sonderheft. S. 190-216. Zu Johannes Rothe vgl. Hans Neumann: Johannes Rothe. In: Verf. Lex. V, 1955. Sp. 995-1006; neuerdings auch die knappe Darstellung von Herbert Wolf, in: Geschichte Thüringens. II.2. Hohes und spätes Mittelalter. Hg. von Hans Patze und Walter Schlesinger. Köln, Wien 1973. (Mitteldeutsche Forschungen 48. II.2) S. 231-233; zur Betätigung Rothes als Schreiber vgl. A. L. J. Michelsen: Urkundenveizeichnis: Johann Rothe betreffend. In: Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Alterthumskunde 3, 1859. S. 2 1 - 4 4 ; Hans Neumann: Die eigenhändigen Urkunden Johannes Rothes und ihre wissenschaftliche Bedeutung. In: Ebda. NF 31, 1935. S. 351-357. Johannes Rothe. Das Lob der Keuschheit. Nach C. A. Schmids Kopie einer verschollenen Lüneburger Handschrift. Hg. von Hans Neumann. Berlin 1934. (DTM 38) Johannes

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sowie das mit dem Akrostichon Katharina Johannes versehene Liber devotae animae53 sind geistlich-didaktische Werke stark allegorisierender Prägung, die vornehmlich mit den in der geistlichen und weltlichen Dichtung des Spätmittelalters beliebten Beschreibungsmustern bzw. Erzählmodellen der Kleider-, Pflanzen- und Tierallegorese versetzt sind. Die beiden kleineren, von dem Herausgeber Herbert Wolf 54 als Dye Vorrede und Von dem Rathe bezeichneten Texte, die die verschiedensten Institutionen, Ämter und Berufe einer Stadt abhandeln, sowie der Text Von der Fürsten Ratgeben entsprechen etwa dem mit der Redendichtung des Strikkers bereits im 13. Jahrhundert etablierten literarischen Typus der weltlich-didaktischen Rede, in der standes- bzw. berufsspezifische Aspekte der Lehre profiliert werden. Auffallend ist die thematische Konzentration der beiden erstgenannten Reden auf die Stadt, deren einzelne Organisationseinheiten in ihrer wechselseitigen Relation und ihrer Bedeutung für das städtische Gemeinwesen vorgeführt werden. Dye Vorrede stellt die Relevanz der städtischen Ämter und Berufe im traditionellen Bild des menschlichen Körpers vor; in der Rede Von dem Rathe beschränkt Johannes Rothe die Didaxe auf die Ratsherren und einige wenige städtische Beamte, denen er vor allem den gemeynen nutz55 als Leitprinzip ihrer Tätigkeit vor Augen führt. Diese Texte, deren Entstehung in der Regel für die letzten Jahre des 14. Jahrhunderts vermutet wird, bieten zwar im einzelnen sehr konkrete Details des städtischen Zusammenlebens, im ganzen jedoch kaum neue Überlegungen zum Stadtleben, die sich direkt auf spezifische Erfahrungen des Eisenacher Stadtschreibers beziehen ließen. 56 Auch die bestimmende Lehre des gemeynen nutz, deren antik-staatsrechtliche, genossenschaftlich-germanische und christlich-moral-

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Rothe widmet dieses Werk als eine Art Neujahrsgabe einer liebe(n) magit (V. 89), in der - nach dem Akrostichon Alheid der Eingangsstrophe - die Eisenacher Zisterzienserin Alheit Tuchin gesehen wird. Bislang noch unediert; zum Akrostichon vgl. Ludwig Ahmling: Liber devotae animae. Ein neues Werk Johannes Rothes. Vorstudien zu einer Ausgabe des Gedichts. Diss. Hamburg 1933. S. 46ff. Johannes Rothes Ratsgedichte. Nach den Handschriften hg. von H. Wolf. Berlin 1971. (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 25) Β 349; Β 382; F 341; F 427. Vielleicht mit einer Ausnahme, denn Julius Petersen: Das Rittertum in der Darstellung des Johannes Rothe. StraBburg 1909. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker 106) sieht in der Rede Von der Fürsten Ratgeben eine konkrete Anspielung auf einen Vorfall, der sich in Eisenach im Zusammenhang mit städtischen Auseinandersetzungen um die Ratsverfassung Ende des 14. Jahrhunderts ereignet habe: im Jahre 1387 sei der Landgraf Balthasar bestochen worden und habe daraufhin 12 Bürger zu Ratsherren gemacht, eine Entscheidung, die er wenige Jahre später wieder habe revidieren müssen. Diesen Eisenacher Skandal spreche Rothe in den Versen F 8 2 6 - 8 4 5 an, wenn er hier die Dummheit von Fürsten beklagt, die sich zum Schaden ihres Landes bestechen lieBen und die Folgen ihres Handelns nicht abschätzten (S. 32f.). Die Warnung vor Bestechung gehört jedoch zu den traditionellen Themen von Fürstenspiegeln und erfährt auch hier keine spezifische Konkretisierung, die einen aktuellen Vorfall vermuten läßt.

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philosophische Konnotationen bislang nicht hinreichend analysiert sind, 57 gehört zu den traditionellen Themen der Fürstenspiegel-Literatur und Moraltheologie. Sie hatte sich bereits seit dem 13. Jahrhundert im städtischen Bereich - in Vereinbarungen von Städtebünden, Schwörbriefen, Stadtrechten, Zunftverfassungen und Stadtbucheinträgen - wie auch in der kaiserlichen Kanzlei - vornehmlich in Landfriedensordnungen - durchgesetzt und wird sich im 15. Jahrhundert unter König Ruprecht und Sigismund in der Reichsreformliteratur zu einem zentralen staatsrechtlichen Terminus, vor allem aber in der propagandistischen Auseinandersetzung der Bauernunruhen zu einem der bedeutendsten politischen >Schlagworte< entwickeln. In der volkssprachigen Didaxe scheint Rothes konkrete Konzeption des gemeynen nutz nicht vorgeprägt zu sein. Im Gegenteil, die >Ratsgedichte< sind — soweit ich sehe — eines der frühesten Beispiele für die Übernahme dieses Terminus, den im Jahre 1476 der Görlitzer Stadtschreiber Johann Frauenberg als Leitidee seiner Schrift über die Pflichten des Bürgermeisters herausstellt, 58 den aber auch Niklas von Wyle in seinen Translatzen häufig einsetzt und der im Spätmittelalter zum Zentralbegriff eines umfassenden politischen und sozialen Programms wird. 59 Verantwortlich für dieses ausgeprägte Interesse Johannes Rothes an der Lehre des >Gemeinen Nutzen< wird in erster Linie seine juristische und theologi-

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Es fehlt bislang ein übergreifender Artikel zum Thema des >Gemeinwohls< in den neueren rechtsgeschichtlichen Wörterbüchern, in dem die theologischen und rechtlichen Hintergründe der Rezeption der Vorstellung von utilitas publica im Spätmittelalter untersucht werden. Veraltet und z.T. einseitig sind die Arbeiten von Waither Merk: Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung. In: Festschrift Alfred Schultze. Hg. von W. M. Weimar 1934. S. 451-520; Adolf Diehl: Gemeiner Nutzen im Mittelalter. Nach süddeutschen Quellen. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 1,1937. S. 296-315; zur theologischen Diskussion vgl. Richard Egenter: Gemeinnutz vor Eigennutz. Die soziale Leitidee im >Tractus de boni communis< des Fr. Remigius von Florenz (+1319). In: Scholastik 9, 1934. S. 7 9 - 9 2 ; vgl. neuerdings auch Ernst-Wilhelm Kohls: Die Schule bei Martin Bucer in ihrem Verhältnis zu Kirche und Obrigkeit. Heidelberg 1963. (Pädagogische Forschungen 22) Exkurs: Zur Bedeutung und Geschichte des Begriffs gemein nutz (S. 121-129). Vgl. den Text dieser >Anweisung< bei Richard Jecht: Die Pflichten eines mittelalterlichen Bürgermeisters. In: Deutsche Geschichtsblätter. Monatsschrift zur Förderung der landesgeschichtlichen Forschung 10, 1909. S. 89-102. Aber auch der Breslauer Stadtschreiber Peter Eschenloher verweist in seiner Stadtgeschichte häufig auf den gemeinen nutz, der leider in der Regel hinter dem Eigennutz zurücktrete. Niklas von Wyle appelliert an den gemeynen nutz vor allem in der 4. Translatze, der Ubersetzung von Poggios Schrift Von der Wandelbarkeit des Glücks; vgl. Translationen, S. 105,30; 106,14; 106,34; 109,37; 111,17; 111,38; 112,5; 112,17; vgl. aber auch Wyles Appell an den gemainen nutz in dem 1469 verfaßten Brief an den Rottweiler Stadtschreiber Berthold Egen bei Schwenk, S. 379. Zum gemeynen nutz als einem Zentralbegriff von Sebastian Brants Narrenschiff vgl. neuerdings Ulrich Gaier: Zur Pragmatik der Zeichen in Sebastian Brants >NarrenschiffBearbeitung< durch Purgoldt noch nicht geklärt ist. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß Johannes Purgoldt zumindest Teile von Rothes Rechtsbuch unverändert übernommen hat. Das gilt möglicherweise auch für die Bücher IX und X von Purgoldts Rechtsbuch, die sich mit der städtischen Verwaltung, den Ratsherren und städtischen Beamten beschäftigen und auffallende Übereinstimmungen mit Rothes >Ratsgedichten< aufweisen: auch hier werden die Pflichten und das Verhalten der Ratsherren diskutiert und die einzelnen städtischen Ämter, darunter auch das des Stadtschreibers, abgehandelt. Besonders bemerkenswert ist allerdings das häufige

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Dye Vorrede, F. 93ff. Friedrich Ortloff: Sammlung deutscher Rechtsquellen. In 2 Bänden. Band 2. Das Rechtsbuch Johannes Purgoldts nebst statuarischen Rechten von Gotha und Eisenach (1860). Neudruck: Aalen 1967. Zu Rothes juristischen Schriften und ihrer >Bearbeitung< durch Johannes Purgoldt vgl. die Einleitung bei Peter Rondi: Eisenacher Rechtsbuch. Bearbeitet von P. R. Weimar 1950. (Germanenrechte Neue Folge: Abteilung Stadtrechtsbücher 3) S. IXff. Im Prolog der Thüringischen Chronik in der Fassung von R. v. Liliencron: Düringische Chronik des Johann Rothe. Hg. von R. v. L. Jena 1859. (Thüringische Geschichtsquellen 3) heißt es: recht sampnete ich lOgantze jar/derstat zu Ysenache/und dorzu manche hobische lar,/unde begunde ir bucher mache (S. 1, V. 7 - S. 2, V. 7); und in der Vorrede nach der Gothaer Handschrift: min selgerede ich wolde/nue setzen unde mache/mit büchern, als ich soldejmit den von Isenache./er worden sechse an der zcaljdne von den guten seien,/die andern drte uz prisen sal/daz recht von andern steten. Diese Angabe ist verzeichnet bei Fedor Bech: Über Johannes Rothe. In: Germania 6, 1861. S. 4 5 - 8 0 ; 257-287, hier S. 66ff., der als erster die Beziehungen zwischen Rothes juristischen Schriften und Purgoldts Rechtsbuch diskutiert hat.

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Thematisieren des gemeynen nutz,64 auf den die Ratsherren und städtischen Beamten wiederholt verpflichtet werden. Auch wenn diese beiden Bücher und damit die Konzeption des gemeynen nutz in dieser Form nicht direkt auf Johannes Rothe zurückgehen, so zeigt doch die >Inflation< dieses Begriffs bei Purgoldt, daß für einen Stadtschreiber die Rechte und Verfassung der Stadt offenbar vornehmlich von der Programmatik des >Gemeinen Nutzem bestimmt sind. Weniger deutlich sind solche thematischen Filiationen zwischen der beruflichen Tätigkeit dieses Autors und seinen Werken bei der Rede über die fürstlichen Ratgeber und vor allem seinem bekanntesten Werk, dem Ritterspiegel,65 einer großangelegten Standesdidaxe des spätmittelalterlichen Rittertums, die in der Forschung als eine nüchterne Bestandsaufnahme der konkreten gesellschaftlichen Situation dieser Adelsgruppe angesehen wird. 66 Denn Ausgangspunkt und thematisches Zentrum dieser Ritterlehre ist die These von dem wirtschaftlichen und moralischen Niedergang des Adels und dem gleichzeitigen gesellschaftlichen Aufstieg der gebäre, die zu hohem Ansehen gelangt seien und den alten Adel allmählich aus seinen gesellschaftlichen Positionen verdrängt hätten. Der Autor will seinen Text als eine Antwort auf die Klage des Adels über diese aussichtslose Lage verstanden wissen und seinen adeligen Freunden im Ritterspiegel die Möglichkeit geben, Ideal und Wirklichkeit des eigenen Handelns zu erkennen und — als Reaktion auf die systematische Lehre - das persönliche Verhalten zu ändern. Er konkretisiert in Anknüpfung an die Einführung zunächst die traditionelle Lehre des >Tugendadels< an dem Beispiel des freigelassenen Leibeigenen, dessen Nachkommen durch Tüchtigkeit und Dienst zu Recht Ritter, Graf, Fürsten, ja sogar König werden könnten, während adelige Familien, die auf eine angemessene Erziehung und Dienstbereitschaft ihrer Söhne verzichten, in kurzer Zeit gesellschaftlich absteigen. Im folgenden bietet er — gestützt auf die Autorität zahlreicher antiker und mittelalterlicher Autoren, Bibelstellen und Kirchenväter - die verschiedensten Informationen und Lehren über die Entstehung, Organisation, Ausbildung und Standesideale des ritters orden: er informiert über die Bedeutung der Wappenbilder, Sinn und Abfolge der Ritterweihe, gibt eine - auf sieben Punkte konzentrierte — detailliert-systematische Auslegung der ritterlichen Ausrüstung im Sinne der Verantwortung des ritters als miles christianus und expliziert sehr ausführlich die verschiedenen Bereiche 64

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Buch IX: Kap. II (S. 259); IX (S. 261); XI (S. 262); XXIX (S. 271); X X X (S. 271); XXXIII (S. 272); XXXVI (S. 273); XLII (S. 276 nuez der gemeyne); XLV (S. 277); LV (S. 280 der stat nucz); LXXI (S. 286 der stad nucz); LXXXIII (S. 289 nucz des gemeynen gutes); XCII (S. 292); CV (S. 295); Buch X: nach der Fassung Η bereits in der Überschrift: Das zehend buech sagt von den amptleuten und bevelchhaber der Stadt, und was einen dern yn seinen ampt gemeinen nuz zu guet gebueren will; XIII (S. 307); XIV (S. 307); X V (S. 307); XVI (S. 308); XVII (S. 308); XL (S. 313); XLIV (S. 315); XLV (S. 315); XL VI (S. 316 der Stadt nucz); XL VII (S. 316 der Stadt nucz). Johannes Rothe. Der Ritterspiegel. Hg. von Hans Neumann. Halle 1936. (ATB 38) Eine detaillierte Untersuchung von Rothes Quellen und Arbeitsweise im Ritterspiegel sowie der gesellschaftlichen wie politischen Hintergründe der im Ritterspiegel behandelten Themen bietet Julius Petersen, dessen Arbeit allerdings durch eine dem heutigen Forschungsstand angepaßte sozialgeschichtliche Analyse des Textes ersetzt werden müßte.

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der ritterlichen >Erziehungbürgerliche< Programmatik des >Tugendadels< noch die nur scheinbar nüchtern-realistischen Klagen über den Verfall des Adels an. Beide Themen sind traditionelle Elemente der moralisch-didaktischen Literatur. Aufschlußreich ist aber auch hier wieder das Auftreten des Schlagworts vom gemeynen nutz,6* das wir bereits aus den >Ratsgedichten< kennen. Während dort das Handeln der Ratsherren dem gemeynen nutz verpflichtet wird, geht es hier ausschließlich um die militärischen Aktivitäten des Ritters. Kriegerische Aktionen sind nach der Lehre des Ritterspiegels nur dann erlaubt und sinnvoll, wenn sie dem landisfrede (V. 1001), der rechten Sache (V. 1000), dem Schutz der Christenheit und eben dem gemeynen nutz dienen. Auch das sind traditionelle Fürstenpflichten, die aus der Fürstenspiegel-Literatur bekannt sind. Ihre Einordnung in die Konzeption des gemeynen nutz läßt aber möglicherweise die Sicht des Juristen erkennen, der einen in städtischen Dokumenten und kaiserlichen Verlautbarungen üblichen Sprachgebrauch aufgreift und zur Fixierung der fürstlichen Aufgaben des Ritters verwendet. An Rothes literarischen Werken werden demnach an einzelnen Stellen Verbindungen zu seiner Stellung als juristisch kompetenter Stadtschreiber deutlich, deren Tragfähigkeit und Relevanz ein Vergleich mit seinen - bislang unvollständig edier-

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Auffallend ist dabei der mehrfache Verweis auf die David-Goliath-Geschichte, an die Rothe sofort die appellative Versicherung anschließt, daß sich die scheinbare Überlegenheit der Feinde ohne weiteres ausgleichen lasse durch technisches Training, eine kluge Kriegsführung und die kampfbereite Stimmung der eigenen Leute. Auch der Herausgeber Hans Neumann macht auf die Lehre des gemeynen nutz aufmerksam, S. XI: Vv. 999; 2314; 2326; 3010; 3354; 3367. 247

ten - juristischen Schriften und chronikalischen Arbeiten genauer erweisen müßte. Schon ein eher oberflächlicher Blick auf seine literarische Praxis zeigt freilich, daß hier die theologischen Interessen eines Geistlichen, die juristischen Kenntnisse eines Rechtsexperten und die gesellschaftlichen Erfahrungen eines Stadtschreibers zusammengehen und ein sehr ausgeprägtes Bild von den literarischen Fähigkeiten und der Arbeitsweise eines Stadtschreiber-Autors entwerfen, der um die Wende des 14. Jahrhunderts für die verschiedensten Auftraggeber historische, juristische, geistliche und moralisch-didaktische Werke verfaßt hat. Während bei Johannes Rothe die biographischen Stationen als Eisenacher Stadtschreiber, Chorherr und Schulleiter wie auch seine literarischen Werke, ζ. T. sogar die näheren Umstände ihrer Entstehung, so weit bekannt sind, daß es sinnvoll ist, am Beispiel dieses Autors nach Verbindungen zwischen dem Amt eines Stadtschreibers und der literarischen Produktion dieses Beamten um die Wende des 14. Jahrhunderts zu fragen, läßt sich für den Zeitraum des 13. und 14. Jahrhunderts über die mögliche Rolle der Stadtschreiber als Autoren oder literarische Bearbeiter nur sehr wenig sagen. Es kommen für diese Diskussion praktisch nur die Namen von vier Stadtschreibern in Frage: der in den Jahren 1233 und 1237 urkundlich bezeugte Straßburger notarius burgensium Hesse, 69 der mit dem von Rudolf von Ems im Willehalm rühmend erwähnten Literaturkenner maister Hesse/Von Strasburg den sribaere (V. 2280f.) identifiziert wird; im 14. Jahrhundert der seit 1312 bezeugte Jan de Clerk bzw. Jan van Boendale, 70 der seit 1324 als Antwerpener Schöffenschreiber, 1326 als procurator oppidi urkundlich auftritt. Er wird mit Jan van Boendale, dem berühmten Autor zahlreicher chronikalischer, historisch-aktueller und moralisch-didaktischer Werke gleichgesetzt. Weiter der von 1348 bis 1353 urkundlich nachgewiesene Ulmer Stadtschreiber Hermann Fressant, 71 der als der Verfasser des Märe Hellerwertwitz72 gilt, und schließlich der ab 1378 als Saazer Stadtschreiber, ab 1383 auch als rector scholarum, später auch als kaiserlicher Notar bezeugte Johannes von Tepl, 73 der Dichter des Ackermann aus Böhmen, der im Jahre 1411 Saaz verläßt und die letzten Jahre seines Lebens - er stirbt wahrscheinlich im Jahre 1414 - als Protonotar in Prag-Neustadt verbringt. Die vermuteten literarischen Kontakte und Aktivitäten dieser vier städtischen Schreiber sind nicht nur sehr unterschiedlich begründet, sondern auch wenig mit-

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RBS II, Nr. 1006, S. 64 (1233); 1053, S. 75 (17. 8. 1237); 1055, S. 75 (Dez. 1237). Zur urkundlichen Bezeugung Hesses vgl. E(rnst) M(artin): Meister Hesse, der Schreiber von Straßburg. In: Straßburger Studien 1, 1883. S. 99. Zu den biographischen Daten Jans van Boendale vgl. te Winkel: LG II, S. 3 - 2 2 . Die urkundlichen Bezeugungen dieses Stadtschreibers sind zusammengestellt bei Fischer: Studien, S. 186f. Gedruckt unter dem Titel Ehefrau und Buhlerin (GA II, Nr. XXXV). Zu den biographischen Daten dieses in den Quellen unter mehreren Namen auftretenden Saazer Stadtschreibers vgl. die Einleitung von Willy Krogmann: Johannes von Tepl. Der ackerman. Auf Grund der deutschen Überlieferung und der tschechischen Bearbeitung kritisch herausgegeben von W. K. Mit zwei Abbildungen. Wiesbaden 1954. (Deutsche Klassiker des Mittelalters NF 1) S. 9ff.

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einander vergleichbar. Deshalb ist von ihnen kein übergreifend-homogenes Bild von der literarischen Tätigkeit der Stadtschreiber-Autoren im 13. und 14. Jahrhundert zu erwarten. Im Gegenteil, sie sind eher instruktive Beispiele für die speziellen Probleme, die sich bei der Frage nach der literarischen Bedeutung der Stadtschreiber stellen. Am wenigsten gesichert scheint mir die Identifizierung des Ulmer Stadtschreibers mit jenem Märenautor zu sein, der sich am Ende des Hellerwertwitz nennt: unde went ir sinen namenjDer dise rede hat beriht/unde vür bräht in getihtJDer wirt iu allen hie bekant:/er heizet Herman FressantJAlso hat er sich genennet;/ze Augspurg man in (wol) erkennet (Vv. 747-752). Da die Augsburger Familie Fressant keinen Träger des Vornamens Hermann aufweist, hat sich inzwischen die in älteren lokalhistorischen Arbeiten, 74 neuerdings wieder von Gerhart Burger 75 vertretene Auffassung durchgesetzt, daß die Ulmer Stadtschreiber Hermann und Nikolaus Fressant aus Augsburg stammten und Hermann Fressant der Autor des Hellerwertwitz sei. Dieser Ulmer Hermann Fressant wäre dann ein relativ frühes Beispiel für einen literaturkundigen Stadtschreiber, der sich nicht nur für die höfische Dichtung interessiert, sondern sich sogar selbst als Autor betätigt und hierbei die Rolle des höfischen Erzählers souverän beherrscht. Zugleich wäre dieser Stadtschreiber-Autor der - nach Hanns Fischer - »erste sicher bezeugte stadtbürgerliche Dilettant« (S. 187) im Bereich der Märendichtung und in dieser Eigenschaft ein entscheidender Anhaltspunkt bei der Diskussion des sozialen Umfelds der Entstehung und Rezeption dieses literarischen Typus. Die Argumente für die Autorschaft des Ulmer Stadtschreibers sind jedoch weniger überzeugend als die Namenidentität vermuten läßt. Denn die Ulmer Quellen informieren uns im Falle des Hermann Fressant nur über seine wirtschaftliche Stellung in Ulm, 76 nicht jedoch über seine mögliche Augsburger Herkunft. Diese verdankt sich ausschließlich einer Interpretation der Epilog-Angabe ze Augspurg man in (wol) erkennet (V. 752), die nicht einmal sehr überzeugend ist. Denn es wäre merkwürdig, wenn ein Ulmer Stadtschreiber, der nach dem Zeugnis der historischen Quellen in dieser Stadt fest etabliert ist, als Autor eines literarisch ambitionierten Märe seine Augsburger Herkunft hervorhebt, seine aktuelle gesellschaftliche Situation in Ulm hingegen völlig übergeht. Der Verweis auf Augsburg im Hellerwertwitz bezeichnet m. E. eher den lokalen Rahmen der Entstehung und Rezeption des Textes als die Herkunft des Autors. Deshalb wird man den Dichter des Hellerwertwitz doch eher im Umkreis der Augsburger Familie Fressant zu suchen haben, auch wenn sich hier ein Hermann Fressant nicht urkundlich hat nachweisen lassen. Jedenfalls scheint die Rolle des Ulmer Stadtschreibers als Märenautor so lange fraglich zu sein, bis wir neue Informationen über mögliche Verbindungen der Ulmer Fressants nach Augsburg haben. Auch Hanns Fischers Überlegungen zur Bedeutung der Stadtschreiber als »Bildungselite des Bürgertums« (S. 187) und potentielle Akteure im literarischen Leben spätmittelalterlicher Städte beruhen im Falle Herman Fressants nur auf ansprechenden Vermutungen über dessen Augsburger Herkunft und Karriere in Ulm. Dem Ulmer Stadtschreiber Hermann Fressant sollte deshalb weder im Rahmen der Märenforschung noch bei der Diskussion über die literarischen Aktivitäten von Stadtschreibern ein zu großes Gewicht als Märenautor beigemessen werden.

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Vgl. etwa W. Oslander, Rudolf Pfleiderer und G. Seuffer: Ulm, sein Münster und seine Umgebung. Ulm o. J. (1890). S. 18; (Hans) Greiner: Das Archivwesen Ulms in seiner geschichtlichen Entwicklung. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 25, 1916. S. 293-324, hier S. 299. Burger, S. 326f. Vgl. dazu Fischer: Studien, S. 187, Anm. 200: der Ulmer Stadtschreiber Hermann Fressant verkauft das Kornhaus zu Waldsee an die Stadt; die Stadt Ulm verleiht ihm die Brotbänke unter seinem Haus.

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Wesentlich unproblematischer scheinen die Überlegungen im Falle des Straßburger Stadtschreibers Hesse zu ein. Seine literarischen Interessen sind nicht erschlossen, sondern werden durch Rudolf von Ems dokumentiert, der sich - im Literaturexkurs des Willehalm von Orlens über die ungewöhnliche literarische Kritikfähigkeit eines Meisters Hesse aus Straßburg äußert: >Nu täte ichz, ob ich wisse/Ob mir maister Hesse/Von Strasburg de sribaere/Wolde disu mare/Prisen ob si warent gut. < -/ >Ja er, binamen ja, er tut!/Er hat beschaidenhait so vil,/Swa er tihte bessern wilJDas er ze rehte bessern sol, /Da kumt sin uberhören wol,/Wan ez besserunge holt.< - (Vv. 2279-2289). Die Identifizierung dieses Meister Hesse mit jenem in Straßburger Urkunden der Jahre 1233 und 1237 auftretenden Hesso notarius burgensium scheint mir - dank Rudolfs von Ems präziser Angabe - gesichert zu sein. 77 Damit erweist sich dieser Hesso notarius burgensium freilich als eine höchst ungewöhnliche Person, denn er gehört nicht nur zu den ersten urkundlich bezeugten Stadtschreibern überhaupt, sondern figuriert zugleich als eines der frühesten und überzeugendsten Beispiele für die Zugehörigkeit eines Stadtschreibers zur höfischen Literaturgesellschaft einer Stadt. In späterer Zeit werden sich höfische Literaturinteressen von Stadtschreibern nicht mehr in dieser Eindeutigkeit nachweisen lassen. Insofern ist dieser Meister Hesse für unsere Fragestellung eine der interessantesten und wichtigsten Persönlichkeiten. Es fragt sich jedoch, welche Rolle er im politisch-gesellschaftlichen und literarischen Leben dieser Stadt gespielt hat. Über seine Tätigkeit als Stadtschreiber wissen wir wenig: in Bischofsurkunden, in denen er - einmal neben dem bischöflichen Schreiber 78 - unter den cives auftritt, wird er notarius burgensium genannt; er scheint bei den im Bischofspalast abgeschlossenen Rechtshandlungen die städtische Partei als Zeuge zu vertreten. Von spezifisch städtischen Verwaltungsaufgaben, etwa Ratsprotokollen, die schriftliche Fixierung von Urteilen, Briefen des städtischen Rats, an denen dieser notarius burgensium aktiv beteiligt gewesen wäre, erfahren wir nichts. Dieses Schweigen der historischen Quellen über die Aufgabenbereiche Meister Hesses entspricht allerdings sehr genau dem Entwicklungsstand der städtischen Selbstverwaltung in der Bischofsstadt Straßburg: in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts konsolidieren sich zwar auf der Grundlage des sogenannten zweiten Stadtrechts Stellung und Kompetenzen des städtischen Rats gegenüber den Einflußmöglichkeiten des Bischofs und des Domkapitels; dennoch war die Stadt in weiten Bereichen noch der bischöflichen Herrschaft untergeordnet. 79 Diese zwiespältige Situation zeigt sich 77

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Burger verschiebt das Problem der literarischen Interessen dieses Stadtschreibers, indem er den 1233-1237 urkundlich bezeugten notarius burgensium als »Meister Gottfried von Straßburg (Verfasser von Tristan)« (S. 318) bezeichnet. RBS Nr. 1053: Bischof Berthold I. bestätigt eine Schenkung; unter den Zeugen wird ein Petrus notarius noster und am Ende der cives ein Hesso notarius erwähnt (S. 75). Zur Entwicklung städtischer Institutionen in Straßburg vgl. etwa Georg Winter: Geschichte des Rathes in Straßburg von seinen ersten Spuren bis zum Statut von 1263. Breslau 1878. (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 1); Martin Baltzer: Ministerialität und Stadtregiment in Straßburg bis zum Jahre 1266. In: Straßburger Studien 2, 1883. S. 5 3 - 6 7 ; Ernst Kruse: Verfassungsgeschichte der Stadt Straßburg

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auch an der Person des Stadtschreibers: zwar verfügt die städtische Verwaltung offensichtlich schon um 1230 über einen eigenen Schreiber, der auch in Bischofsurkunden ausdrücklich notarius burgensium genannt wird. Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, daß dieser Schreiber als eine der zentralen Figuren städtischer Politik dezidiert städtische Interessen zu vertreten hatte und auf diese Weise etwa zu einer Art Prototyp städtischer Autonomie werden konnte. Wir erfahren auch nichts von speziellen Tätigkeiten dieses notarius burgensium als Schreiber, von der Existenz einer städtischen Kanzlei, dem Grundbestand einer Art städtischen Archivs oder etwa den Anfängen eines Stadtbuchs. Wir kennen von diesem Stadtschreiber lediglich die Amtsbezeichnung notarius burgensium und das Faktum, daß er bei bischöflichen Entscheidungen, die auch die Stadt betreffen, auf der Seite der cives als Zeuge fungierte. Um so erstaunlicher ist das Bild, das Rudolf von Ems von dieser Persönlichkeit vermittelt: hier ist Meister Hesse ein geschätzter Literaturkenner, dem Texte zur kompetenten Korrektur vorgetragen werden. Zusammen mit dem merkaere Vasolt, der kenntnisreich dichterische Mängel eines Werks aufzuspüren versteht, 80 vertritt Hesse im Literaturexkurs des Willehalm von Orlens offensichtlich die Gruppe der >LiteraturkennerAutornennung< Jan, u arme clerc (Lekenspieghel III, S. 278, V. 24) auf; in Η fehlt die Widmung des Werks an Rogier van Leefdale. Daer bi heb ic sonderlinghe/Ute ghelesen die dinge/Die den hertogen ane gaen;/Soe moechdi claerlijc verstaen/Van beghinne thercomen alJAlsoe mi bat ende beval/Van Antwerpen her Willem,/Bornecalve noemt men hem:/Ic hadde onrecht en dedict niet,/Vroech ende spade, dat hi ghebietJMet al dat ic mach gheleesten (I, Vv. 3 9 - 4 9 ) . Hier met laet ict bliven/Mijn dichten ende mijn scriven;/Want ic nemmer en can gheleesten/Van der hertoghen yeesten;/Want nu regneert dese Jan./Ghelevic den tijt, voert dan,/Dat hem ghevallen eneghe saken/Die sal ic dichten ende makenJEnt dat ic hebbe die Stade... (V, Vv. 8 7 7 - 8 8 5 ) ; das nächste Kapitel beginnt: Sinter dat ic desen boec liet/Ende beloec, soe ghi hier sietJSoe sijn ghevallen sakenJDie ic u cont wille maken./Otto van Bueren ... (V, Vv. 9 0 1 - 9 0 5 ) . Dazu vornehmlich J. H. Bormanns: Einleitung zum 3. Band der Gestes des Dues de Brabant, S. XXVI ff.

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(V, Vv. 3 9 7 5 - 3 9 7 8 ) . Es wird in der Forschung übereinstimmend angenommen, daß es sich bei diesem boeke um das anonym überlieferte Gelegenheitsgedicht Van den derden Eduward97 handelt, das streckenweise wörtlich mit den entsprechenden Partien der Brabantsche Yeesten übereinstimmt. Für weitere Werke — Melibeus of d'boek van troeste, Dboec van Wrake und Dietsche Doctrinale - hat sich hingegen Jans de Clerk Verfasserschaft nicht als gesicherte Forschungsmeinung durchgesetzt. Ausgangspunkt für die Zuschreibung war jeweils ein Texthinweis auf Antwerpen als Entstehungsort. 98 Nur für das Lehrgedicht Dietsche Doctrinale, das nach den Angaben des Prologs im Jahre 1345 in Antwerpen aus dem Lateinischen übersetzt wurde, existiert ein zusätzliches Zeugnis: jener bereits erwähnte Eintrag auf dem Vorsatzblatt der Kluit-Handschrift der Brabantsche Yeesten: Anno 1351 sterf Jean de Clerck, secretaris van Antwerpen, die den Duytschen Doctrinael hadde gemaeckt. In chronico rhytmico parvo. Schon W. J. A. Jonckbloet," der Herausgeber des Dietsche Doctrinale, hat allerdings die Zuverlässigkeit dieser Notiz sehr gering eingeschätzt. Und auch in der neueren Forschungsdiskussion überwiegt die Meinung, daß hier ein später Leser der Werke Jans de Clerk in einer Handschrift der Brabantsche Yeesten diesem berühmten Autor auch eines der bekannteren Lehrgedichte des Spätmittelalters zugeschrieben hat. Der Antwerpener Schöffenschreiber Jan van Boendale scheint demnach zugleich ein profilierter Autor verschiedener, z.T. sehr bekannter literarischer Werke gewesen zu sein. Er könnte sich demnach als ein geradezu ideales Beispiel für die Diskussion der literarischen Interessen und Arbeitsweise eines Stadtschreiber-Autors im 14. Jahrhundert erweisen. Dies ist jedoch nur mit Einschränkungen

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Van den derden Eduward, koning van Engeland uitg. door J. F. Willems. In: Belgisch Museum voor de nederduitsche tael-en letterkunde en de geschiedenis des Vaderlands 4, 1840. S. 298-367. Eine ähnliche Bemerkung findet sich anläßlich der englisch-französischen Kämpfe im Zusammenhang mit der Schlacht bei Crecy: Die de yeesten van el desen/Horen wil oflesen./Ga ten boecke ende lese int licht,/Dat ic daer af heb ghedicht./Want dese yeesten en hören niet/Toten Brabantschen iet (V. Vv. 4571-4576). Aufgrund dieser Verse ist gelegentlich das von D. J. van der Meersch im Belgisch Museum 8, 1844. 5. 254-260 veröffentlichte fragmentarische Gelegenheitsgedicht Die strijt van Crecy als selbständiges historisches Werk Jans van Boendale reklamiert worden. Diese Zuweisung hat sich jedoch nicht durchgesetzt; vgl. dazu te Winkel: LG II, S. 10. Zum Problem dieser Zuschreibungen vgl. ebda., S. 9ff.; Antwerpen als Entstehungsort ist auch im Falle des mittelniederländischen Sidrac das Hauptargument für eine mögliche Autorschaft Boendales; vgl. dazu neuerdings J. J. Mak: Boendale-Studies. In: TNTL 75, 1957. S. 2 4 1 - 290. Die Dietsche Doctrinale, Leerdicht van den Jare 1345, toegekend aan Jan Deckers, Clerk der stad Antwerpen. Uitg. door W. J. A. Jonckbloet. 's Gravenhage 1842. S. XXXV. Skeptisch ist auch W. H. Beuken: Aantekeeningen bij enige middelnederlandse leerdichter. In: TNTL 46, 1927. S. 161-179. Vgl. auch die Diskussion um Jans de Clerk Verfasserschaft bei Gunilla Ljunggren: Der Leyen Doctrinal. Eine mittelniederdeutsche Übersetzung des mittelniederländischen Lehrgedichts Dietsche Doctrinale (nach der Handschrift Codex Guelf. Blankenburg 127 Α der Herzog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel). Hg. von G. L. Lund, Kopenhagen 1963. (Lunder germanistische Forschungen 35) S. 12-18.

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möglich, da wir zu wenig über die Organisation der städtischen >Kanzlei< Antwerpens bzw. die Aufgabenbereiche des Antwerpener stadclercs wissen und auf Analogieschlüsse zu vergleichbaren Städten - etwa Brüssel - angewiesen sind. 100 Nicht nur in Brüssel, sondern auch in Antwerpen sind offenbar bereits im 14. Jahrhundert mehrere Geistliche als stadclerc in städtischen Diensten, die das Schreiben und Signieren städtischer Dokumente übernehmen, an den Ratssitzungen teilnehmen, für die Schöffenprotokolle verantwortlich sind und Botschaften erledigen. Im Falle Jans van Boendale können wir allerdings nur vermuten, daß er bereits im Jahre 1312 in seiner Eigenschaft als Schöffenschreiber einen Antwerpener Schöffen nach Tervueren begleitet hat und von da an bestimmte Aufgaben als Schreiber, Diplomat und Jurist der Stadt zumindest bis 1336 wahrgenommen hat. Seine dokumentierte Bezeugung als Stadtschreiber ist so lückenhaft, daß wir nicht ohne weiteres von einer kontinuierlichen Tätigkeit Jans van Boendale als stadclerc ausgehen können. Damit bleibt uns auch eine mögliche Verbindung von literarischem Werk und Stadtschreiberamt weitgehend verschlossen. Denn wir wissen noch nicht einmal, ob Jan van Boendale auch während der Arbeit an seinen größeren literarischen Werken in städtischen Diensten gewesen ist. 101 Es fragt sich deshalb, ob Jans literarische Werke hinsichtlich ihrer Auftraggeber, ihrer thematischen Ausrichtung und ihrer Funktionsbestimmung einen expliziten Zusammenhang mit dem städtischen Amt ihres Autors erkennen lassen. Jan van Boendale hat seine Texte weder im Auftrag einer städtischen Institution verfaßt noch für den Vortrag vor einem städtischen Gremium bestimmt oder auch nur dem Interesse eines solchen institutionell abgegrenzten Publikums anempfohlen. Vielmehr widmet er seine Werke - wie 50 Jahre später auch Johannes Rothe profilierten Einzelpersonen, in deren Auftrag er sie jeweils verfaßt haben will: den Lekenspieghel und Jans Teesteye dem nobilis Rogier van Leefdale, einem der einflußreichsten adeligen Herren des Landes; den Lekenspieghel - in der Epilog-Fassung der Handschriften Η und J - auch dem Herzog von Brabant und die Brabantsche Yeesten dem Antwerpener Schöffen Wilhelm Bornecalve, der zu den angesehensten Persönlichkeiten dieser Stadt gehört. Diese persönliche Mäzenatenbeziehung verweist - wie wir bereits am Beispiel Konrads von Würzburg gesehen haben — auf eine gesellschaftliche Situation und eine Arbeitsweise, die den Arbeitsbedingungen des sogenannten höfischen Autors entsprechen, zumindest keine Anhaltspunkte für eine spezifische institutionelle Absicherung bzw. Fixierung eines Stadtschreiber-Autors bieten. 100

Auch Floris Prims: Geschiedenis van Antwerpen. IV. Onder Hertog Jan den Derde (1312-1353). I s " Boek. - Politische en economische orde. Antwerpen 1933 bietet keine genauen Informationen über die städtische Verwaltung Antwerpens. Für Brüssel vgl. A.-M. Bonenfant-Feytmans: Note sur Γ organisation de la secretairerie de la ville de Bruxelles au XIV e sifccle. In: MA 55, 1949. S. 2 1 - 3 9 . 101 Nur der Prolog des Jan? Teesteye läßt möglicherweise erkennen, daß der Autor zumindest zum Zeitpunkt der Arbeit an diesem Text nicht mehr als Schöffenschreiber tätig gewesen ist, denn es heißt hier: Ende wone te Andwerpen nu/Daer ic ghescreven hebbe menech jaer/Der scepenen brieve, dat segghic u (Vv. 6 - 8 ) .

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Diese fehlende Einbindung Jans van Boendale in städtische Institutionen zeigt sich auch an seiner Darstellung der brabantischen Geschichte: seine historischen Werke verraten keine spezifischen Kenntnisse eines Stadtschreibers von den berichteten Ereignissen. In den Brabantsche Yeesten folgt er zunächst sehr eng der Darstellung seines literarischen Vorbilds Jacob van Maerlant. 102 Aber auch in den Partien, in denen er die selbsterlebte Geschichte der Regierung Herzog Johanns III. bietet, verzichtet er auf Informationen, die sich deutlich seiner Tätigkeit als Antwerpener Schöffenschreiber verdanken, der im Dienste seiner Stadt Gesandtschaftsreisen unternimmt und politische Verhandlungen führt. Eine besondere Vorliebe oder auch nur thematische Konzentration auf Ereignisse der Antwerpener Geschichte ist ebensowenig zu erkennen wie die Verwendung städtischer Dokumente und Materialien bei der Zusammenstellung der historischen Fakten. Jans van Boendale historische Werke informieren weder über städtische Auseinandersetzungen Antwerpens noch über bestimmte Privilegien und Rechtspositionen dieser Stadt. Sie bieten die Geschichte der Herzöge von Brabant nicht einmal partienweise aus einer spezifisch städtischen Perspektive oder im Blick auf ihre Bedeutung für die Stadt Antwerpen. Die Brabantsche Yeesten sind offensichtlich weder durch die Tätigkeit ihres Autors als - ehemaliger - Schreiber noch - im Sinne etwa einer Art >Entscheidungshilfe< in städtischen Konflikten oder auch nur einer gruppenbestätigenden Stellungnahme zu städtischen Ereignissen - in besonderer Weise auf mögliche aktuelle Erwartungen eines Antwerpener Schöffenpublikums ausgerichtet. Sie sind zwar für einen Antwerpener Schöffen bestimmt, damit jedoch offenbar nicht für ein Publikum, das sich in besonderer Weise für diese Stadt interessiert. Diese Zurückhaltung gegenüber der Einbeziehung städtischer Ereignisse und Konflikte gilt allerdings nur für die historischen Werke Jans van Boendale. Seine Lehrdichtungen verraten demgegenüber eine intensivere Auseinandersetzung mit Problemen städtischer Verwaltung und Politik. Besonders deutlich wird das beim Lekenspieghel, einem enzyklopädisch angelegten Kompendium alles Wissenswerten, das über naturkundliche Fakten, die Schöpfungsgeschichte und die Gründung Roms informiert (Buch I), die Kindheit und Jugend Jesu ausbreitet (Buch II), neben Tugend- und Lasterlehren eine Reihe praktischer Themen, etwa Fragen der Ehepraxis und Kindererziehung, diskutiert (Buch III) und schließlich mit Prophezeiungen über das Kommen des Antichrist und das Jüngste Gericht (Buch IV) abschließt. Dabei kommt der Autor in den verschiedensten Zusammenhängen immer wieder auf das Thema >Stadtregiment< zurück und diskutiert das Verhalten der raetsmanne. Bereits im 1. Buch ist ein Kapitel Hoemen een stat ofte een lantscap regieren sal (Kap. 34) eingeschoben, das den Blick ausschließlich auf die Probleme städtischer Herrschaft lenkt und den verantwortlichen Ratsherren Leitprinzipien ihres Handelns vorstellt, die eine erfolgreiche Herrschaft garantieren. Als historisches Exemplum für Aufstieg und Niedergang von Herrschaft steht Rom, das so

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Vgl. dazu te Winkel: LG II, S. 6.

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lange auf der Höhe seiner Macht gewesen sei, wie die Römer den ghemenen oorbaer vander stat (I, 34, V. 28) im Auge gehabt hätten, das aber sofort seine Vormachtstellung eingebüßt habe, als die Ratsherren vor allem ihren eigenen Vorteil verfolgt hätten. Dieses Deutungsmuster wird auf die flandrischen Städte übertragen, deren Herren sich nur um eigene Gewinne kümmerten und den ghemenen oorbaer außer Acht ließen. Als Lehre zieht Jan van Boendale aus diesen historischen Beispielen für die Ratsherren zwei Aspekte einer Grundeinstellung, die für eine kluge Stadtherrschaft unabdingbar sei: die absolute Priorität des ghemenen oorbaer sowie der gewissenhafte Umgang mit städtischem Gut. Auffallend ist in diesem Abschnitt die häufige Verwendung des Begriffs ghemener oorbaer,103 der in etwa dem von Johannes Rothe betonten gemeynen nutz entspricht: das Gemeinwohl einer Stadtgemeinde, das vor dem Eigennutz des einzelnen gehen soll. Diese Programmatik des ghemenen oorbaer formuliert Jan van Boendale auch in anderen Kapiteln des Lekenspieghel, sobald er Fragen städtischer Regierungspraxis anspricht: Im 4. Kapitel des 3. Buches Van hovescheden ende van andren goeden zeden, einer kurz kommentierten Liste praktischer Lebensregeln, werden z.B. den städtischen Ratsherren vor allem Eintracht und die Achtung des ghemenen oorbaer anempfohlen. 104 Und im 16. Kapitel dieses Buchs diskutiert der Autor am Beispiel des adeligen Herrn Jacques von Chätillon, der als französischer Statthalter durch seinen Egoismus im Jahre 1302 seine Vertreibung und den Aufstand der flandrischen Städte gegen die französische Krone provoziert habe, die verhängnisvollen Folgen, wenn eigennützige >Beamte< eingesetzt werden: Ooc is sul(c)stont ghevallen dat,/Dattie berechters van eenre stat/Om haers selfs quade ghenieten/Ghemenen oorbaer achter liefen,/of datsi den here, lüde of stille/Lieten doen al zinen wille/Jeghen trecht vander stat guide,/Om te hebben des heren hulde (III, 16, Vv. 127-134). Ähnliches gilt iiii Jans Teesteye, ein Lehrgespräch zwischen einem Jans und einem Wouter über die verschiedensten gesellschaftlichen, historischen und moraltheologischen Probleme. Auch hier konzentriert sich das Interesse des Autors auf die Lehre des ghemenen oorbaer, sobald er - wie etwa in den Kapiteln Vanden state ende vanden ghebreke der scepenen. CXIII bzw. Hoe men een stat regeren sal. CX1V - Fragen städtischer Verwaltung behandelt: Ay Jan, dat u God moet behoedenJMochti mi nu voert bevroeden/Hoe u die heren nu behaghen/Die der stat bordene draghen,/Alse scepenen, ratesmannen eh ghesworne./Dat lust mi nu wel te hoerneJWant mi ende andren knechten/Dunct dat sijt qualijc berechten/En ghemey-

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I, 34, V. 28; 80; 85; 87; 103. Raetsmanne zonderlinghe/Behoren toe twee dinghe:/Eendrachtecheit es deen,/Dander es datmen ghemeen Oorbaer altoes sette voert:/Dit es dat recht van ere poert;/Ende daermen deser twee niene pliet,/En mach die stat ghedien niet (III, 4, Vv. 349-356). Am Ende des 12. Kapitels Van seven poenten die heren hebben seien sind in der Handschrift Η noch einmal Überlegungen zu dem Thema Hoemen en stat regeren sal eingefügt: auch hier stehen die Stichworte >Eintracht< und ghemeener oorbaer an der Spitze der Verhaltensregeln (Bd. 3, S. 143).

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nen orbore niet en aensien/Maer haers selfs bate voert tien.105 Jan van Boendale interessiert sich demnach in besonderer Weise für die Legitimation von Herrschaft, die Mechanismen und Hintergründe des Aufstiegs und Niedergangs von politischer Macht und vor allem die Probleme städtischer Regierung, mit denen ein procurator oppidi besonders vertraut gewesen sein dürfte. Eine zentrale Rolle weist er dabei der Lehre vom ghemenen oorbaer zu. Diese Konzeption des ghemenen oorbaer betrifft aber nicht nur den gesellschaftspolitischen Bereich der Ausübung von Herrschaft, vor allem des Stadtregiments. Sie wird von Jan van Boendale auch auf die Dichtungspraxis übertragen. Bereits im Prolog des Lekenspieghel formuliert er diesen Grundsatz: Want om ghemenen oorbaer zoe/Leidic dit wercskijn eerst toe (Vv. 13f.). Und im 15. Kapitel des 3. Buches Hoe dichters dichten sullen ende wat si hantieren sullen, nach Jan te Winkel einer der frühesten systematischen Ansätze zu einer Poetik in niederländischer Sprache, 106 wird dem ghemenen oorbaer eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Zielsetzung von Literatur zugewiesen. Der Autor diskutiert hier die seiner Meinung nach unabdingbaren persönlichen Voraussetzungen für die literarische Betätigung: ein richtiger dichter müsse ein grammarijn (III, 15, V. 11), warachtig (V. 12) und eersaem van levene (V. 13) sein. Er schätzt rhetorisch geschulte Autoren, die sich für historische Stoffe, Bibelexegese, Heiligenviten und moralisch-didaktische Themen interessieren. Am vollkommensten seien diese schriftstellerischen >Tugenden< von jenen geistlichen Dichtern verwirklicht worden, die ihre Werke nicht mit dem Blick auf Gunstbeweise oder Geschenke, sondern um des ghemenen oorbaer willen verfaßt hätten: Dit waren die clerkeJDie wilen die goeden werke/Toe leiden in ghescrifte,/Niet om onste noch om ghifte,/Maer om ghemeen oorbaer daer toe/Datse nature vermaende doe (III, 15, V. 285—290). Diese Ausweitung bzw. Übertragung der Kategorie des ghemenen oorbaer auf die Dichtungspraxis ist auffallend. Jan van Boendale verpflichtet nicht nur die Ratsherren und territorialen >Beamtengemeinnützige< Tätigkeit, die für die Gesamtheit bestimmt ist. 107 Das Insistieren Jans van Boendale auf der Bedeutung des ghemenen oorbaer rückt sein literarisches und soziales Programm in die Nähe von Johannes Rothes Lehre vom gemeynen nutz, die eine selbständige Adaptation rechtlicher Bestimmungen und moralphilosophischer Diskussionen zu sein scheint. In Antwerpen stellt ein Schöffenschreiber bereits etwa 50 Jahre vorher sehr ähnliche Überlegun105

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Vv. 1080-1089; oder auch zu Beginn des Kapitels Hoe men een stat regeren sal CXIV: Die ene stat wille regeren/Merke op die oude heren,/Die Rome wilen teeren brachten/Meer meet wijsheden dan met crachten./Sie gheboden sonderlinghe/Te houdene dese II dinghe:/Datmen der ghemeynten recht altemale/Vaste hilde ende wale,/Eh des en spaerden ghenen man/Eh ghemeyn orboer sagen an ... (Vv. 1218-1227). te Winkel: LG II, S. 13. Vgl. dazu auch Michaels de Leone Hinweis auf den gemeynen nutz im Äenrcer-Register (im Leone-Kapitel S. 161).

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gen über die Priorität des >Gemeinen Nutzen< an. Das ist sicher kein Zufall. Es fragt sich deshalb, ob die pragmatische Programmatik des >Gemeinen Nutzen< bei diesen beiden Autoren, die sonst keine spezifischen Gemeinsamkeiten aufweisen, nicht auch auf ihre Tätigkeit als Stadtschreiber zurückgeht. Denn es ist zumindest anzunehmen, daß die Gruppe der städtischen Schreiber und Juristen die praktische Relevanz und die Implikationen des Schlagworts vom >Gemeinen Nutzem am ehesten einschätzen und dementsprechend auch als eine Art Grundeinstellung bei der Bewältigung der verschiedensten Lebensbereiche empfehlen konnten. Wie unsicher jedoch generelle Aussagen über sog. Stadtschreiber-Literatur sind, zeigt die Ackermann-Dichtung des Saazer civitatis notarius Johannes von Tepl, die gerade dieses von uns als stadtschreiberspezifisch klassifizierte Thema des >Gemeinen Nutzem vermissen läßt und auf ganz andere literarische Traditionen verweist. Und doch scheint auch hier die berufliche Tätigkeit dieses Autors als civitatis notarius und rector scolarum deutliche Spuren in seinem literarischen Werk hinterlassen zu haben. In der Forschung ist allerdings das StadtschreiberAmt des Ackermann-Oidattrs kaum berücksichtigt worden. 1 0 8 Im Zentrum des Interesses stand weniger die literarische Produktion eines erfolgreichen Stadtschreibers und Schulmeisters als die anspruchsvolle Prosadichtung eines Prager Frühhumanisten, der mit den führenden Persönlichkeiten der Hofkanzlei in Verbindung steht, den Kanzleistil, die Übersetzungen eines Johann von Neumarkt sowie die rhetorischen Schriften eines Nicolaus Dybinus kennt und Anteil an der Rezeption eines neuen italienischen Prosastils hat. 1 0 9 Bei dieser Diskussion über die 108

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Zur Forschungsgeschichte des Ackermann aus Böhmen vgl. den Überblick bei Giorgio Sichel: Der Ackermann aus Böhmen. Storia della critica. Firenze 1971. (Universita di Genova. Publicazioni dell'Istituto di Lingua e Letteratura Tedesca e di Filologia Germanica 1); er betont auch - als Gegenzug gegen geistesgeschichtlich fundierte Stilanalysen des Ackermann - Tepls Tätigkeit als rector scolarum et civitatis notarius (S. 161ff.). Die wegweisenden Ackermann-Beiträge der letzten 50 Jahre sind zusammengestellt von Ernst Schwarz: Der Ackermann aus Böhmen des Johannes von Tepl und seine Zeit. Hg. von E. S. Darmstadt 1968. (Wege der Forschung 143), der zugleich eine informative Darstellung der sich wandelnden Forschungsinteressen bietet. Zum Aufgabenbereich und Arbeitsfeld des Saazer Stadtschreibers Johannes von Tepl vgl. auch Wilhelm Wostry: Saaz zur Zeit des Ackermanndichters. Mit einem Nachwort von Rudolf Schreiber. München 1951. (Adalbert-Stifter-Bund. Collegium Carolinum 1) Diese Überlegungen, die inzwischen in literaturgeschichtliche Darstellungen und sprachhistorische Überblicke Eingang gefunden haben, sind vornehmlich von Konrad Burdach im Zusammenhang mit seinen Humanismus-Studien im Rahmen des von der Preußischen Akademie der Wissenschaften geförderten Projekts >Vom Mittelalter zur Reformation vertreten worden. Vgl. Burdachs Überlegungen zum Ackermann in der zusammenfassenden Arbeit: Platonische, freireligiöse und persönliche Züge im Ackermann aus Böhmen (1933). Wieder in: Der Ackermann aus Böhmen, S. 148-238. Burdachs Humanismus-Thesen wie auch seine Ackermann-Studien waren der Anlaß nicht nur einer verstärkten Beschäftigung der Germanistik mit den literarhistorischen Voraussetzungen des Ackermann (vgl. etwa die in dem genannten Sammelband abgedruckten Arbeiten von Arthur Hübner), sondern auch einer sehr fruchtbaren Kontroverse zwischen Germanisten und Historikern, wie sie sich vor allem in der Reaktion des Historikers Paul Joachimsen abzeichnet: vgl. etwa die grundlegende Abhandlung von P. J.: Vom Mittelalter zur Reformation. In: Historische Vierteljahrsschrift 20, 1920/21. S. 426-470. 263

Rolle des Ackermann-Dichters als glänzenden Vertreters der böhmischen Kultur der kaiserlichen Kanzlei in Prag und als Vorbereiters eines >Humanismus< böhmischer Prägung blieben die Zugehörigkeit dieses Dichters zur Gruppe der Stadtschreiber-Autoren und damit auch bestimmte Informationen zum gesellschaftlichen und literarischen Umkreis dieses Autors unbeachtet. Von Johannes von Tepl sind die verschiedensten literarischen Aktivitäten bezeugt: als Stadtschreiber hat er nicht nur Rechtsgeschäfte fixiert, Briefe formuliert, städtische Ereignisse notiert, sondern auch als Kontrolle für den Stadtrat eine Art Stadtbuch geführt, in das er die wichtigsten, Saaz betreffenden Urkunden eingetragen hat. 110 Zugleich tritt er als Wohltäter der Kirche auf, der auf Bitten von zwei Herren aus Eger für den neuerrichteten St.-Hieronymus-Altar der St. Niklas-Kirche in Eger ein St.-Hieronymus-Offizium stiftet, eine illuminierte Notenhandschrift mit einem Reimoffizium und einer "Prosalegende von Hieronymus, die als Titelblatt ein Votivbild des Stifters bietet und mit einer gereimten deutschen Widmungsstrophe endet. 111 Eine aktive Beteiligung des Ackermann-Dichters an der Entstehung dieser Handschrift als Schreiber, Kompilator der Hieronymus-Legende oder Verfasser der deutschen Verse läßt sich nicht nachweisen und wird in der neueren Forschung aus paläographischen wie literarischen Gründen eher verneint. Gesichert sind lediglich die engen Verbindungen des Saazer Stadtschreibers zu einigen Herren der Egerer Oberschicht, die den Bau des Altars fördern, sowie sein Beitrag zum Hieronymuskult, der bereits durch Johann von Neumarkt 112 auch literarisch Aufschwung genommen hatte. Während das St.-Hieronymus-Offizium weniger über den Autor Johannes von Tepl als über die gesellschaftliche Stellung des geachteten und wohlhabenden Stadtschreibers informiert, verweist die Sammelhandschrift O.LXX der Prager Metropolitankapitel-Bibliothek mit dem Eintrag Item nota, quod Ulricus concessit Johanni Teple super isto libro quartum medium grossum auf den Literaturkenner und Handschriftenbesitzer bzw. -benutzer Johannes von Tepl. 113 Diese Textsammlung mit Werken von Ps.-Seneca, Richard von St. Victor, Bernhard von Clairvaux, Bonaventura und Augustin im Besitz des Saazer Stadtschreibers zeigt 110

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Zur Überlieferung und Anlage der vier erhaltenen Saazer >Formelbücher< vgl. neuerdings Heinz H. Menge: Die sogenannten »Formelbücher« des >AckermannWerkstatt< des Ackermann-Dichters, der mit seinem dezidierten Interesse für stoische und scholastische Abhandlungen thematische Schwerpunkte des Ackermann erkennen läßt und mit dem Tractatus de crudelitate mortis einen Text besitzt, der - ein Streitgespräch zwischen einem Ankläger und dem Tod - bereits das Konstruktionsprinzip des Ackermann als einer Altercatio zwischen Tod und Ackermann vorwegnimmt. Den Ackermann schließlich, diesen volkssprachigen Prosadialog zwischen Tod und Ackermann, der für den Literarhistoriker die entscheidende literarische Leistung dieses Stadtschreibers ist, hat Johannes von Tepl offenbar kurz nach: 1400 in Saaz verfaßt und zusammen mit einem lateinischen Widmungsbrief durch einen Boten seinem Freund Petrus Rothers in Prag übersandt. Dieses Begleitschreiben, das als Brief einer Saazer Formularsammlung in der Freiburger Hs. 163 erst seit 1933 bekannt ist 114 und in der Ackermann-Forschung eine ungeheure Resonanz gefunden hat, informiert als Musterbeispiel eines Dedikationsbriefs den Empfänger über Anlaß, Funktion, Sprache, Thema und stilistische Machart des beigefügten Werks und liefert damit für mittelalterliche Werke ungewöhnlich konkrete Angaben zur produktionsästhetischen Seite des Ackermann. Die entscheidenden Passagen sind - abgesehen von der Beteuerung des Briefschreibers, daß er dieses Streitgespräch contra fatum mortis ineuitabile (S. 9) auf Veranlassung des Prager Freundes als Trost verfaßt habe - eine Reihe schulrhetorischer Fachtermini, mit denen Johannes von Tepl den Stil seines Werks charakterisiert. Diese Selbstaussage des Autors, der den Ackermann einen Text nennt, in qua rhetorice essencialia exprimuntur (S. 10), hat dazu geführt, daß die Forschung die von Konrad Burdach vorgegebenen Bahnen einer geistesgeschichtlichen Interpretation des Ackermann verlassen, sich zunehmend der Analyse dieses Textes als eines - nach Arthur Hübners vielzitierter Formulierung — »stilistischen Experiments« 115 gewidmet und dabei die verschiedensten literarischen Traditionen und rhetorischen Modelle als >Vorgaben< bzw. Vorlagen des Ackermann herausgearbeitet hat: während noch Arthur Hübner 116 forciert heimische Traditionen - den Meistersang, das Gesellschaftslied, die Fastnachtspiele, Schwankliteratur und Marienhymnen - für die 114

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Vgl. seine Erstveröffentlichung von dem >Entdecker< Konrad Josef Heilig: Die lateinische Widmung des Ackermanns aus Böhmen (1933). Wieder in: Der Ackermann aus Böhmen, S. 130-147, hier S. 137-141. Im folgenden zitiert nach der Ackermann-Ausgabe von Willy Krogmann (S. 9f.). A. Hübner: Deutsches Mittelalter und italienische Renaissance (1937). Wieder in: Der Ackermann aus Böhmen, S. 368-386, hier S. 371f. Vgl. die in dem von Ernst Schwarz herausgegebenen Sammelband abgedruckte grundlegende Abhandlung: Das Deutsche im Ackermann aus Böhmen (1935). S. 239-344.

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thematische und stilistische Struktur des Prosadialogs verantwortlich gemacht hat, ist in letzter Zeit vornehmlich der schulrhetorische Charakter dieses Textes, sein rhetorischer Aufbau als Prozeßverfahren, seine Nähe zum genus iudicale und den artes dictaminis betont worden. 1 1 7 Damit sind die Rhetorik-Kenntnisse dieses Stadtschreibers und Schulmeisters angesprochen, der als Magister und damit Absolvent eines Universitätsstudiums und rector scolarum der Saazer Lateinschule offensichtlich die geläufigen rhetorischen Lehren gekannt und — entsprechend der Ankündigung im Widmungsbrief im Ackermann eingesetzt hat. Diese Vertrautheit mit schulrhetorischem Wissen entspricht dem Bildungsstand eines avancierten Stadtschreiber-Schulmeisters um die Wende des 14. Jahrhunderts. Umstritten ist allerdings die seit Konrad Burdachs Humanismus-Studien immer wieder angesprochene These, daß der Ackerwann-Dichter mit seinem Prosadialog zugleich ein Vertreter der >neuen Latinitätneuen Rhetorik beteiligt habe. Eine Zentralfigur in dieser Diskussion ist - seit Burdach - der Dresdener rector scolarum Nicolaus Dybinus, 1 1 8 der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Briefmustersammlungen und - in Form von Kommentaren zu bekannten mittelalterlichen Poetiken, aber auch zu eigenen Werken - eine Reihe rhetorischer Schriften verfaßt hat, bereits zu seinen Lebzeiten Kontakte zur Prager

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Vgl. etwa die >rhetorische< Ausrichtung der Ackermann-Forschung in den letzten 20 Jahren bei Franz H. Bäuml: Rhetorical Devices and Structure in the Ackermann aus Böhmen. Berkeley and Los Angeles 1960. (University of California Publications in Modern Philology 60); Karl Heinz Borck: Juristisches und Rhetorisches im >ackermannakkermannackermann aus Böhmen< des Johannes von Tepl. Ein Beitrag zur Interpretation. Göppingen 1978. (GAG 235), die sogar im Widmungsbrief eine konkrete »Interpretationsanleitung des Streitgesprächs« (S. 182) sieht. Vorsichtige Einschränkung dieser Extrempositionen bei Gerhard Hahn: Die Einheit des Ackermann aus Böhmen. Studien zur Komposition. München 1963. (MTU 5), der eine »Rückkehr zum Aussagecharakter des Werks« (S. 9) anvisiert. Zur Bedeutung und Wirkung dieses Rhetorik-Lehrers vgl. den Exkurs IV: Über Herkunft und Schriften des Magister Dybinus (Tybinus) in: Briefwechsel des Cola di Rienzo. Hg. von Konrad Burdach und Paul Piur. Zweiter Teil. Kritische Darstellung der Quellen zur Geschichte Rienzos. Mit einer Abhandlung über die Briefsammlungen Petrarcas. Berlin 1928. (Vom Mittelalter zur Reformation 2.2) S. 360-368; neuerdings die informative Einleitung von Samuel Peter Jaffe: Nicolaus Dybinus' Declaracio oracionis de beata Dorothea: Studies and Documents in the History of Late Medieval Rhetoric. Wiesbaden 1974. (Beiträge zur Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 5) S. 13-92 und die Arbeit von Hans Szklenar: Magister Nicolaus de Dybin. Vorstudien zu einer Edition seiner Schriften. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Rhetorik im späteren Mittelalter. Zürich, München 1981. (MTU 65), die mir der Verf. freundlicherweise bereits vor ihrem endgültigen Erscheinen zur Verfügung gestellt hat.

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Universität gehabt zu haben scheint und bereits Ende des Jahrhunderts als führender Rhetorik-Autor galt, dessen Werke in Universitäts- und Schulkreisen viel gelesen wurden. Da bislang die entscheidenden Schriften dieses Rhetorik-Spezialisten nicht gedruckt vorlagen, mußte sich die Forschung bei der Frage nach der Rolle des Ackermann-Dichters bei der Rezeption und Verbreitung neuer Rhetorik-Vorstellungen mit Vermutungen über mögliche Übereinstimmungen der Akfcerm««rt-Rhetorik mit Dybins Schriften begnügen und über Johannes' von Tepl Kenntnisse jener Dybinus-Rhetoriken spekulieren, die in Prager Universitätskreisen sehr geschätzt waren und die auch der Saazer Stadtschreiber - mit seinen Kontakten nach Prag - besessen und zumindest studiert haben mochte. Inzwischen hat Samuel Peter Jaffe mit der Edition der Declaracio Oracionis de Beata Dorothea des Nicolaus Dybinus nicht nur einen zentralen Rhetorik-Text des Dresdener Schulmeisters veröffentlicht, sondern zugleich auch die mögliche Wirkung dieses in Böhmen um 1400 offenbar führenden Rhetorik-Lehrers auf Johannes von Tepl diskutiert. Das Ergebnis ist allerdings negativ, da sich zwischen der Declaracio und Tepls Widmungsbrief bzw. der von Hammerich 119 dem Ackermann-Dichter zugeschriebenen Commendacio grammatice neben allgemeinen Parallelen keine ausgeprägten Übereinstimmungen nachweisen lassen, die eine besondere Vertrautheit des Saazer Stadtschreibers mit Dybinus' rhetorischer Terminologie und Doktrin erweisen würden. 120 Da Jaffe mit seiner Declaracio-Edition nur einen — wenn auch bedeutenden - Teil des Dybinus-Oeuvres erfaßt hat, muß dieses negative Resultat einer vergleichenden Betrachtung von Tepls und Dybinus' rhetorischer >Theorie< nicht endgültig sein. Es ist jedoch gut möglich, daß der Akkermann-Dichter zwar über die für einen notarius civitatis und rector scolarum üblichen Kenntnisse der artes dictaminis und colores-Lehren verfügte, aber nicht ohne weiteres Zugang zu den rhetorischen Systematisierungsversuchen im Sinne von Dybins Schriften gehabt hat. Ähnliches mag für den Prosastil des Ackermann gelten. Auch hier werden erst detaillierte Stilanalysen den oft behaupteten Anteil des Ackermann-Dichters an der Ausbildung eines neuen Kanzleistils erweisen können. In unserem Zusammenhang sind freilich diese bislang wenig erhellten Probleme von sekundärer Bedeutung. Denn für uns ist Johannes von Tepl in jedem Fall — mit oder ohne sog. >humanistischen< Tendenzen - ein vorzügliches Beispiel für die literarischen Möglichkeiten und Ambitionen von Stadtschreibern, die durch ihre Ausbildung und Berufspraxis Latein beherrschen und rhetorische wie literarische Kenntnisse haben, durch ihre berufliche Tätigkeit - in ihrer Ämterverbindung von Stadtschreiber und Lehrer - Handschriften selbst schreiben oder zumindest be-

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L. L. Hammerich: Der Dichter des >Ackermann aus Böhmern als lateinischer Schriftsteller. Vorläufige Mitteilung. In: Fides quaerens intellectum. Festskrift tilegnet Heinrich Roos. Kopenhagen 1964. S. 4 3 - 5 9 , hier S. 53f. Vgl. Jaffe: Nicolaus Dybinus, S. 4 9 - 5 8 . Darüber hinaus betonen Jaffe und Szklenar den >scholastischen< Charakter der Werke Dybins, der ohnehin seiner Einschätzung als Frühhumanisten widerspricht.

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sitzen und schließlich durch ihre geachtete Stellung als städtische Juristen mit einflußreichen Herren - als Gönnern oder Literaturfreunden - in Verbindung stehen. Johannes von Tepl repräsentiert diesen Typus eines gebildeten und literarisch interessierten Stadtschreiber-Schulmeisters besonders eindrücklich: nicht nur wegen der Vielzahl seiner literarischen Aktivitäten als Stadtjurist, kirchlicher Stifter, Handschriftenbesitzer und Autor, sondern schon allein als Dichter des Ackermann, in dem die verschiedensten Traditionen volkssprachiger und lateinischer Literatur verarbeitet sind. Er scheint - wenn man den Angaben des Widmungsbriefs Glauben schenken darf — in seinem Bekanntenkreis bereits als >Literaturfachmann< geachtet gewesen zu sein, den man zur literarischen Produktion aufgefordert hat. Und er verfügt als Stadtschreiber über die nötigen literarischen, rhetorischen und juristischen Kenntnisse, um als Reaktion auf diese Bitten jenen Prosadialog, eine inueccio contra fatum mortis ineuitabile (S. 9), nach allen Regeln der ars rhetorica zu verfassen - nicht für einen adeligen Gönner, sondern für einen J u gendfreunds der inzwischen nach Prag umgesiedelt ist. Die Stadtschreiber-Autoren vertreten eine besondere Gruppe städtischer Literaturproduzenten: sie sind geistlich, oft sogar theologisch gebildete, juristisch kompetente und historisch interessierte Herren, die zumindest zeitweise den städtischen Gremien als Schreiber, Juristen und Diplomaten, nicht selten auch als Lehrer der städtischen Lateinschule, zur Verfügung stehen und oft weitausgreifende literarische Kenntnisse haben. Manchmal beteiligen sie sich — wie Meister Hesse in Straßburg - nur passiv als Literaturliebhaber am literarischen Betrieb einer Stadt. Gelegentlich verfassen sie aber im Auftrag oder mit der wohlwollenden Zustimmung angesehener Damen und Herren der Stadt und lokalen Umgebung selbst Texte: vornehmlich chronikalische und moralisch-didaktische, gelegentlich auch juristische Werke. Sie behandeln jedoch nur selten dezidiert städtische Themen und sind kaum für spezifisch städtische Texte von offizieller Geltung, etwa historische Berichte über aktuelle Probleme der Stadt, verantwortlich. Diese Stadtschreiber stellen eine spezifisch städtische Bildungselite dar, deren literate Bildung, historische Kenntnisse und — zumindest in späterer Zeit — juristisches Studium nicht nur bei ihren Aufgaben als Schreiber, Jurist und Diplomat der Stadt von besonderer Bedeutung waren, sondern zugleich auch ihre literarischen Interessen entscheidend geprägt haben. Das gilt ebenso für den Antwerpener Schöffenschreiber Jan van Boendale in der Mitte des 14. Jahrhunderts wie etwa 50 Jahre später für den Eisenacher Stadtschreiber, Juristen und Lehrer Johannes Rothe und den Saazer civitatis notarius Johannes von Tepl, aber auch noch im 15. Jahrhundert für Niklas von Wyle und im 16. Jahrhundert für Sebastian Brant. Wir verdanken diesen Stadtschreibern zwar keine spezifisch städtische Dichtung, jedoch ein ungewöhnlich vielseitiges Angebot an Chroniken und historischer Kleindichtung, enzyklopädisch angelegter Lehrdichtung und moralisch-didaktischen Reden, juristischen Arbeiten und Übersetzungen, die im Spätmittelalter einige Städte zu bedeutenden Zentren literarischer Produktion und kulturellen Austausche werden ließen. 268

2. Laienunterweisung als >UnterrichtszielBeamteBerufsgruppe< mit Hugo von Trimberg im 13. oder Johannes von Tepl im 14. Jahrhundert sehr bedeutende Autoren stellt, mit Bernhard Hirschfelder oder Christoph Hueber im 15. Jahrhundert wirkungsmächtige >Rhetoriker< oder Liebhard Eghenvelder und Peter van Zirn Schreiber und Besitzer interessanter Sammelhandschriften hervorbringt, bietet es sich an, nach der spezifischen Bedeutung zu fragen, die die Lehrer nicht nur im Rahmen des städtischen >SchulwesensSchulgeschichte< des Mittelalters vgl. die übergreifenden Darstellungen von Heinrich Heppe: Das Schulwesen des Mittelalters und dessen Reform im sechszehnten Jahrhundert. Mit einem Abdruck von Bugenhagens Schulordnung der Stadt Lübeck. Marburg 1860; Martin Meister: Die deutschen Stadtschulen und der Schulstreit im Mittelalter. Ein Beitrag zur Schulgeschichte des Mittelalters. Weilburg 1868. (Programm des königlichen Gymnasiums zu Hadamar); Otto Zimmermann: Zur Geschichte der deutschen Bürgerschule im Mittelalter. Leipzig 1878. (Programm der Realschule II. Ordnung zu Leipzig); Heinrich Julius Kaemmel: Geschichte des Deutschen Schulwesens im Uebergange vom Mittelalter zur Neuzeit. Aus seinem Nachlasse hg. von Otto Kaemmel. Leipzig 1882; Eva Hesselbach: Die >deutsche< Schule im Mittelalter. In: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 10, 1920. S. 1 - 5 6 ; Franz Xaver Thalhofer: Unterricht und Bildung im Mittelalter. München 1928. (Sammlung Kösel); Rudolf Limmer: Bildungszustände und Bildungsideen des 13. Jahrhunderts. Unter besonderer Berücksichtigung der lateinischen Quellen (1928). Nachdruck: Darmstadt 1970; Paul Seelhoff: Die deutsche Schule. Eine Kulturgeschichte der deutschen Schule und des deutschen Lehrers. Detmold 1932; Edith Ennen: Stadt und Schule in ihrem wechselseitigen Verhältnis vornehmlich im Mittelalter (1957). Wieder in: Ennen, Gesammelte

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stehung spezifisch stadtbürgerlicher Ausbildungsstätten als frühen Etappen einer Art >Schulstreit< haben auch die Lehrer, die vom Stadtrat eingesetzt bzw. finanziell unterstützt oder von einzelnen Stadtbewohnern als Privatlehrer engagiert worden sind, eine bedeutende Rolle als Protagonisten antikirchlicher, städtischer Positionen und als Vertreter bzw. Verbreiter eines prononciert kaufmännisch->bürgerlichen< Laienwissens. Allerdings ist diese Sicht der Frühgeschichte städtischer Schulen nicht unumstritten. Sie beruht auf eher spärlichen Informationen über Auseinandersetzungen, in die schon im 12., häufiger im 13. Jahrhundert in einigen flandrisch-brabantischen und norddeutschen Städten das jeweilige Stift, das das Patronatsrecht über die Schulen behauptete, der Stadtrat, der an neuen Schulen interessiert war, der Landesherr, gelegentlich auch der zuständige Bischof oder sogar der Papst verwickelt waren. Da das Stift mit dem Scholaster an der Spitze und der Stadtrat, die beiden Kontrahenten des Streits, oft über Jahre hinweg zäh ihre jeweiligen Rechtspositionen im Kampf um die Errichtung neuer Schulen verteidigten, mehrmals an den Bischof, den Landesfürsten und Papst appellierten und sich oft erst nach jahrelangen Verhandlungen zu einem Kompromiß herbeiließen, ist immer wieder vermutet worden, daß sich hinter diesen komplizierten Rechtsfällen zugleich erbitterte ideologische Auseinandersetzungen um die Zielsetzung und inhaltliche Ausrichtung des Schulunterrichts verbergen. Diese These hat schließlich Henri Pirenne 2 in seinem im Jahre 1929 erschienenen berühmten Aufsatz über die Ausbildung der Kaufleute prononciert vertreten. Er geht davon aus, daß bereits im 11. und 12. Jahrhundert der Handel mit seinem komplizierten Verteilungssystem und ausgebildeten Schriftverkehr nicht ohne weiteres von illiteraten Kaufleuten bewältigt werden konnte. Die avancierten Handelsherren hätten deshalb für ihre Korrespondenz entweder Geistliche beschäftigen oder selbst die notwendigen Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen erwerben müssen. Bei den reichsten Familien hätten Hauslehrer die Ausbildung der

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Abhandlungen zum europäischen Städtewesen und zur rheinischen Geschichte. Hg. von Georg Droege u.a. Bonn 1977. S. 154-168; Rudolf Limmer: Pädagogik des Mittelalters. Mallersdorf 1958; Gernot Lucas: Stadt und Schule. Stationen der Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des niederen Schulwesens. Diss. Stuttgart 1968; Andre Uyttebrouck: L'enseignement et les bourgeois. In: Revue de l'Universite de Bruxelles 1978. S. 451-467; zu den in der Forschung vielbeachteten Schulen niederländischer Städte vgl. Friedrich Cramer: Geschichte der Erziehung und des Unterrichts in den Niederlanden während des Mittelalters. Mit Zurückführung auf die allgemeinen literarischen und pädagogischen Verhältnisse jener Zeit (1843). Neudruck: Aalen 1966; R. R. Post: Scholen en onderwijs in Nederland gedurende de middeleeuwen. Utrecht, Antwerpen 1954. Die auch für unsere Darstellung entscheidenden Quellen zur Schulgeschichte sind zusammengestellt von F. J. Mone: Schulwesen vom 13. bis 16. Jahrhundert. In: ZGO 1, 1850. S. 257-302; Ders.: Ueber das Schulwesen vom 13. bis 18. Jahrhundert. In: Ebda. 2, 1851. S. 129-184 und Johannes Müller: Vor- und frühreformatorische Schulordnungen und Schulverträge in deutscher und niederländischer Sprache. Hg. von J. Μ. 1. Abteilung: Schulordnungen aus den Jahren 1296-1505. Zschopau 1885. H. Pirenne: L'instruction des marchands au moyen äge (1929). Wieder in: Pirenne, Histoire economique de l'occident medieval. Preface de Ε. Coornaert. Bruges 1951. S. 551-570.

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Söhne übernommen, in den übrigen Fällen seien die Kaufleute auf die etablierten geistlichen Bildungsanstalten der Kloster- und Stiftschulen angewiesen gewesen, die auch Kaufmannssöhne als externe Schüler aufgenommen hätten. Wie wenig jedoch die hier erworbene Ausbildung den speziellen Bedürfnissen dieser späteren Kaufleute Rechnung getragen hätte, zeige die in den Gesta Sanctorum der Abtei Villers-en-Brabant überlieferte Jugendgeschichte des Mönchs Abundus, der als Sohn eines Kaufmanns im Konvent die für die Handelskorrespondenz und Buchführung seines Vaters notwendigen Fähigkeiten erlangen sollte, 3 sich jedoch in der Schule bald von diesem Leben abgewandt, für das höhere Studium der Wissenschaften entschlossen habe und deshalb Mönch geworden sei. Als Reaktion auf die Inflexibilität geistlicher Bildungsanstalten, in denen die Kaufmannssöhne nicht nur einen praxisfernen Unterricht erhalten hätten, sondern auch mit einer dezidierten Aversion der geistlichen Lehrer gegenüber den Handels- und Geldgeschäften ihrer Väter konfrontiert worden seien, hätten sich die städtischen Geschlechter um die Errichtung neuer Schulen bemüht und damit den erbitterten Widerstand der kirchlichen Partei herausgefordert. Frühe und prägnante Beispiele dieses >Schulstreits< seien die Auseinandersetzungen, die ζ. B. in Gent und Ypern zu eigenen städtischen Schulen geführt hätten. In Gent handelte - nach einem langen Streit zwischen dem Stift St. Pharahild und der Stadt - Graf Philipp von Elsaß im Jahre 1179 einen Kompromiß aus, indem er beim Erzbischof Wilhelm von Reims für einen seiner Kapelläne, der zugleich Kanoniker des Stifts war, die Oberaufsicht über die neuen Schulen erreichte und damit — nach Pirenne - sowohl der Rechtsposition des Stifts als auch den Interessen der >Bürger< entgegengekommen sei.4 In Ypern 5 hingegen habe ein Vertrag vom 6. November 1253 die Schulsituation in der Stadt sehr zugunsten der Bürger geregelt: die drei scholae majores fallen zwar völlig in die Kompetenz des Kapitels von St. Martin; und Hauslehrer werden nur für die ei-

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Vgl. die interessante Formulierung der Gesta Sanctorum: Ex gestis Sanctorum Villariensium. Hg. von J. Heller. In: MGH SS 25: Qui cum litterarum studiis esset traditus ea de causa utpaths debita sive commercia stylo disceret annotare ... (S. 232, 43f.). Dieser außergewöhnliche und vielzitierte Fall eines Zusammengehens von städtischen und gräflichen Interessen bei der Errichtung und Unterhaltung von Schulen ist dokumentiert bei Leopold August Warnkönig: Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte bis zum Jahr 1305. Zweiten Bandes erste Abtheilung (1836/37). Neudruck: Wiesbaden 1967. S. 4 1 - 4 3 ; vgl. auch die Darstellung von Hans van Werveke: Gent. Schets van een sociale geschiedenis. Gent 1947. (Uitgave van het Willems-Fond 183) S. 39 und Μ. H. Voordekkers-Declercq: De S. Veerlescholen en de schoolstrijd te Gent tot het einde der XIIIe eeuw. In: Collationes Brugenses et Gandavenses 9, 1963. S. 382-393. Im Jahre 1191 erreicht die Stadt bei Mathilde, der Witwe Philipps von Elsaß, sogar eine Art totale >SchulfreiheitAufstieg< des rector puerorum zum A m t des notarius civitatis ab, der in den größeren Städten so mit Kanzleiarbeit und diplomatischen wie juristischen A u f g a b e n ausgelastet ist, daß er normalerweise seine Tätigkeit als Lehrer aufgibt. 3 0 A u c h bei den uns interessierenden literarisch aktiven Schulmeistern bzw. Stadtschreibern ist in einzelnen Fällen diese Ä m t e r k o m b i n a t i o n bzw. -abfolge nachweisbar: etwa der Görlitzer Chronist Johann Frauenberg, der im Jahre 1492 als Schulrektor, danach als Stadtschreiber und schließlich als Bürgermeister be-

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Vgl. dazu die Angabe bei J. Pölzl: Die lateinische Bürgerschule zu Wiener-Neustadt. In: Blätter des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich NF 9, 1875. S. 125-127; 196-200; 282-288, hier S. 197 sowie Neumann: Zeugnisse, S. 181. Vgl. etwa den Eintrag in den Weseler Stadtrechnungen des Jahres 1461: Item des mandags to paschen speelden die scholmeister ind schoelre dat speel van der opverstentnisz ons hern op den marct. Angabe bei Julius Heidemann: Vorarbeiten zu einer Geschichte des höheren Schulwesens in Wesel. 1. Zusätze zur ersten Abtheilung 1342 bis 1543. In: Jahresberichte des Gymnasiums zu Wesel für 1858/59. Wesel 1859. S. 1 - 5 0 , hier S. 3, Anm. 11. Angaben bei Neumann: Zeugnisse, S. 134 mit Hinweis auf Carl Christian Heffter: Urkundliche Chronik der alten Kreisstadt Jüterbock und ihrer Umgebungen namentlich des Klosters Zinna ... Jüterbock 1851, der mehrere Beispiele für die Beteiligung von Lehrern an Spielen anführt (S. 161). Zur Rolle dieses Bozener Lehrers in der Umgebung Vigil Rabers vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Norbert Richard Wolf: Benedikt Debs, In: Verf. Lex 2II, 1980. Sp. 59-61; zu Vigil Rabers Angaben zur Person und Tätigkeit dieses Lehrers vgl. die Dokumentation bei Wackerneil: Altdeutsche Passionsspiele, S. Iff. Müller, S. 87, 2 - 6 . Zur >Karriere< von Schulmeistern als Stadtschreiber vgl. die Einzelbeispiele und Darstellung bei Zahnd, S. 183-185. 277

zeugt ist. 31 Johannes von Tepl, der Autor des Ackermann aus Böhmen, der in Saaz nicht nur Stadtschreiber, sondern auch rector scolarum gewesen ist, 32 oder schließlich jener Hans Lenz aus Rottweil, der Verfasser des im Jahre 1500 abgeschlossenen Schwabenkriegs, der Ende des 15. Jahrhunderts als Schulmeister in Freiburg im Uechtland, zuletzt als Lehrer und Stadtschreiber in Brugg auftritt. 33 Diese magistri puerorum der städtischen Lateinschulen waren geachtete Persönlichkeiten, die mit den Notaren und Ärzten zur städtischen Bildungselite gehörten, gelegentlich mit offiziellen Aufgaben der städtischen Korrespondenz, Diplomatie und Politik betraut wurden und dadurch - zumindest in Ausnahmefällen - zu den höchsten Ämtern aufsteigen konnten. Sie haben in der Regel ein Universitätsstudium absolviert, sind — zumindest in der ersten Zeit - Geistliche, die vom Stiftsscholaster und der Stadtgemeinde zum rector puerorum der neuen Pfarrkirchen bestellt werden und haben vertraglich geregelte Rechte und Pflichten: die Stadt sorgt für Räumlichkeiten und verfügt über die Höhe des Schulgelds, den Umfang zusätzlicher Sachleistungen und die Abgaben an den Scholaster; der Lehrer bietet dafür einen elementaren Grammatikunterricht, der zugleich eine Vorbereitung für die höheren Studien der Dom- und Stiftsschulen ist. Er kann aber auch — entsprechend den lokalen Gegebenheiten — zu weiteren Dienstleistungen herangezogen werden: zusammen mit seinen Schülern als Chorleiter, Rezitator und Spielführer bei kirchlich-städtischen Festlichkeiten oder als lateinkundiger Schreiber bei städtischen Rechtsgeschäften. Komplizierter und vielfältiger sind die Verhältnisse bei den Lehrern jener deutschen Schreibschulen, die sich - nach vermuteten Vorläufern im 14. Jahrhundert seit dem 15. Jahrhundert in den verschiedensten Städten nachweisen lassen. Diese >Kinderlehrerdeutsche Schreiben oder >Modist< genannten Lehrer arbeiten auf wesentlich privaterer Basis als die magistri puerorum der Pfarrschulen. Sie sind oft ehemalige Schüler, die - wie etwa jener bereits erwähnte Burkhard Zink 34 - ihre Ausbildung abgebrochen haben und sich neben Schreibarbeiten als eine Art Hauslehrer durchschlagen, oder Handwerker, die auf eigene Initiative einige Kinder und Erwachsene im Lesen und Schreiben unterrichten, gelegentlich auch für Kost und Logis ihrer Schüler sorgen, bei erfolgreichem Unterricht sich um das Bürgerrecht und eine institutionelle Absicherung ihrer >Schule< bemühen, jedoch in der Regel gezwungen sind, häufig den Ort zu wechseln. Aus dem 15. Jahrhundert sind Bittgesuche solcher Lehrer an den städtischen Magistrat bzw. den Landesfürsten überliefert, die — wie etwa das Schreiben Bernhard Hirschfelders an die Herzöge Johann und Sigismund von München 35 - Auskunft über die Lebensverhältnisse dieser Lehrer geben: über ihre Ungesichertheit, den Konkurrenzdruck und die geradezu handwerkliche Ausrichtung ihrer Tätigkeiten, die mit Plakaten angekün31 32 33 34 35

Zu Johann Frauenberg vgl. S. 244 und Anm. 58. Zu Johannes von Tepl vgl. S. 263ff. Zu Hans Lenz vgl. unten S. 282f. Zu Burkhard Zink vgl. die biographischen Angaben S. 26f. Vgl. den Text dieses Briefs bei Paul Joachimsohn: Aus der Vorgeschichte des >Formulare und Deutsch Rhetorical In: ZfdA 37, 1893. S. 2 4 - 1 2 1 , hier S. 36.

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digt, gegen lästige Konkurrenten abgesichert und zunehmend vom Stadtrat quasizunftmäßigen Ausführungsbestimmungen unterworfen werden. Die Unterschiede im Ansehen und Anspruch dieses Unterrichts sind enorm: neben den zahlreichen ungenannten und offenbar wenig geachteten Schreiblehrern, die in oft unzumutbaren Räumlichkeiten unterrichten, die praktisch jederzeit von Konkurrenzunternehmungen und obrigkeitlichen Verboten bedroht sind und deren Ehefrauen bzw. Töchter nicht selten dieses >Handwerk< weiterführen, treten vor allem im 15. Jahrhundert auch bedeutende Persönlichkeiten auf, die - wie der eben genannte Bernhard Hirschfelder in Straubing, Christoph Hueber in München oder Niklas von Wyle in Eßlingen 36 - neben ihren literarischen Aktivitäten eine berühmte >Privatschule< führen und hier einen anspruchsvollen Unterricht in Grammatik und Rhetorik erteilen. Lehrer als Verfasser von >Schulbüchern< und historiographischen Werken Die städtischen Lehrer, die als rector scolarum von Stiftsschulen, als magister puerorum von Pfarrschulen oder schryfmester deutscher Schreibschulen sehr verschiedene gesellschaftliche Positionen einnehmen und sehr unterschiedlichen Bildungstraditionen angehören, sind — wie die Stadtschreiber - nicht nur passiv als >LiteraturfreundeSchulbuch< bestimmt gewesen sind. Das zeigt sich bereits bei dem Bamberger Stiftslehrer Hugo von Trimberg, dessen lateinische Werke geradezu idealtypisch Fachbücher des Grammatik-, Auetores- und Rhetorikunterrichts sind. Und diese Traditionslinie hält sich bis ins 16. Jahrhundert durch: Lehrer verfassen, bearbeiten und kopieren Vokabularien und grammatische Stellenkommentare für den Lateinunterricht, Briefsteller und Formelbücher für den Rhetorikunterricht, den Cisiojanus und Computus für den Rechenunterricht, zunächst in lateinischer, später auch in volkssprachiger Fassung. Für die Vokabularien zeichnen sich verschiedene Lateinschulen - etwa in Ulm 38 - als Zentren der Verbreitung ab. Aber einzelne Lehrer verfassen auch Wörterbücher für ihren eigenen Gebrauch: etwa der Kon36 37

38

Vgl. den Hinweis auf seine >Privatschüler< in den Translatzen, S. 9, 14ff. So deutet zumindest R. Kautzsch: Diebold Lauber und seine Werkstatt in Hagenau (Mit einer Tafel.). In: Centraiblatt für Bibliothekswesen 12, 1895. S. 1 - 3 2 ; S. 5 7 - 1 1 3 den Eintrag in die Sammelhandschrift cod. pal. germ. 314, fol. 4: Item zu hagenow py dypold läber schreib' lert die kinder sind die buch tutsch (S. 4). Zur Bedeutung der Ulmer Lateinschule für einen Strang der Überlieferung vgl. Klaus Grubmüller: Vocabularius Ex quo. Untersuchungen zu lateinisch-deutschen Vokabularen des Spätmittelalters. München 1967. (MTU 17) S. 167.

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Stanzer Rektor der Stadtschule Wenzeslaus Brack 39 oder der in mehreren niederdeutschen Städten als rector puerorum bezeugte maglster Dietrich Engelhus. 4 0 Von dem auch theologisch gebildeten Ulmer und Rottweiler rector scolarum Johann Müntzinger, der seine umfangreiche Büchersammlung der Universität Heidelberg vermacht, ist - neben theologischen Schriften - auch ein Kommentar zum Doctrinale des Alexander de villa Dei erhalten. 41 U m geeignete Bücher des Rhetorikunterrichts scheinen sich - neben den Lehrern der städtischen Lateinschulen 42 — vor allem jene Lehrer bemüht zu haben, denen an der Etablierung einer gut besuchten anspruchsvollen deutschen Schreibschule gelegen war: etwa jener Bernhard Hirschfelder, von dem im cgm 3607 Briefmuster, Salutationes und Synonymensammlungen überliefert sind, oder Christoph Hueber, Lehrer in Dingolfing, Eggenfelden und Landshut, der in eine Sammelhandschrift, den cgm 216, neben juristischen und medizinischen Texten, neben Briefentwürfen, einer Anleitung zum Lesenlernen und einzelnen Spruchstrophen auch eine — wahrscheinlich im Jahre 1477 von ihm selbst verfaßte - deutsche Rhetorik, eine rhetorica vulgaris, eingetragen hat. 43 Diese Münchner Handschrift bietet nicht nur eine der frühesten deutschsprachigen Rhetoriken, sie ist zugleich ein wertvolles Dokument für die literarischen Interessen und Kenntnisse eines städtischen Lehrers in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts: dieser teutsche schulmaister Christoph Hueber kümmert sich - mit einem Bilderalphabet und einer Einführung ins Lesen — um die elementarsten und gebräuchlichsten Hilfsmittel des Schreib- und Leseunterrichts, bemüht sich - mit der rhetorica vulgaris, einer Sy39

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Zu den biographischen Angaben dieses Lehrers vgl. den Artikel von Peter Schmitt in: Verf. Lex. % 1978. Sp. 983; zur Rolle der Stadtschreiber und Schulmeister als Schreiber und Besitzer mittelhochdeutscher Vokabularien vgl. Heinrich Hänger: Mittelhochdeutsche Glossare und Vokabulare in schweizerischen Bibliotheken bis 1500. Diss. Zürich 1972. S. 13ff. Zur vielfältigen literarischen Tätigkeit dieses Lehrers vgl. neben der alten Arbeit von Karl Grube: Beiträge zu dem Leben und den Schriften des D. Engelhus. In: HJb. 3, 1882. S. 4 9 - 6 6 vor allem den neuen Artikel von Dieter Berg und F. J. Worstbrock in: Verf. Lex. 2 II, 1980. Sp. 556-561 sowie Franz Josef Worstbrock: Die Biblia metrica des Dietrich Engelhus und ihre Überlieferung. In: DA 36, 1980. S. 177-192. Zur Person und den Schriften dieses offenbar hochgebildeten Lehrers vgl. Albert Lang: Johann Müntzinger, ein schwäbischer Theologe und Schulmeister am Ende des 14. Jahrhunderts. In: Aus der Geisteswelt des Mittelalters. Studien und Texte. Martin Grabmann zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Hg. von A. L. Münster 1935. S. 1200-1230. Etwa der als Kommentator und Verfasser eigener rhetorischer Schriften noch im 15. Jahrhundert geschätzte Rektor der Dresdener Kreuzschule Nicolaus Dybinus; zur Bedeutung seiner rhetorischen Schriften bzw. Artes dictaminis als viel benutzten Lehrbücher vgl. die S. 266, Anm. 118 genannten Arbeiten. Weniger anspruchsvoll ist eine Practica dictaminis, die ein Iglauer Lehrer zu Beginn des 15. Jahrhunderts verfaßt hat; vgl. dazu W. Wattenbach: Candela Rhetoricae. Eine Anleitung zum Briefstil aus Iglau. In: Archiv für Kunde österreichischer Gesichts-Quellen 30, 1864. S. 179-202. Beschreibung bei Karin Schneider: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München cgm 201-350. Neu beschrieben von K. S. Wiesbaden 1970. (Catalogue codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis Tomus V. Editio altera pars II. Codices germanicos 201-350 complectens) S. 60-68.

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nonymenliste und den verschiedensten Brief- und Urkundenmustern - um den weiterführenden Unterrichtsstoff der Rhetorik, interessiert sich aber auch - wie die Abschriften eines Oberbayerischen Landrechts, eines Münchner Stadtrechts, des Schwabenspiegeb und deutscher Privaturkunden zeigen - sehr dezidiert für juristische Texte und bietet schließlich mit einigen wenigen gnomischen bzw. historischen Sprüchen einen - allerdings sehr schmalen - Ausschnitt aus der spätmittelalterlichen Gebrauchsdichtung. 44 Während in diesen Beispielen die literarischen >Spitzenleistungen< von Lehrern berühmter deutscher Schreibschulen einzelner süddeutscher Städte hervortreten, führt die Wolfenbütteler Handschrift des Peter van Zirn, 45 der Ende des 15. Jahrhunderts in Wesel eine deutsche Schreibschule unterhalten hat, nicht nur in lokaler Hinsicht in einen anderen Raum. Sie setzt zugleich ganz andere inhaltliche Akzente als der juristisch orientierte Codex Christoph Huebers und vermittelt mit ihren zahlreichen Einträgen einen guten Einblick in den Bildungshorizont und Schulbetrieb eines weitaus weniger ambitionierten Lehrers. Dies zeigt bereits der Entwurf einer Unterrichtsankündigung, in der neben dem üblichen Unterricht im Lesen und Schreiben auch das Rechnen hervorgehoben wird. Diese verbreiterte Basis des Unterrichts schlägt sich auch in den Einträgen jener Sammelhandschrift nieder, in die Peter van Zirn neben den Disticha Catonis, A uctoritates -Vierzeilern, ABC-Gedichten, Frage- und Antwortgedichten und Briefmustern auch die verschiedensten Elementarübungen zum Kalender- und kaufmännischen Rechnen eingetragen hat. Es fehlen bei ihm sowohl Ansätze einer Huebers Bemühungen um eine deutsche Rhetorik vergleichbaren theoretischen Auseinandersetzung mit den Arles dictaminis als auch Spuren eines juristischen Interesses. Er scheint sich hingegen mehr den verschiedenen Typen didaktischer und geistlicher Literatur geöffnet zu haben, denn er kopiert nicht nur zahlreiche Sprüche, ein Liebeslied, ein Lob auf die Schreibfeder und ein Reimpaargedicht von Sybillen Weissagung, sondern auch zwei, allerdings fragmentarische Prosatexte: Die 100 Artikel vom Leiden Christi und eine deutsche Ars moriendi. Dieser eher bescheidene Weseler Lehrer, der - wahrscheinlich ohne besondere lateinsprachige Ausbildung - die ansässigen Handwerker und ihre Söhne im Lesen, Schreiben und Rechnen unterweist, bemüht sich zwar nicht um eine volkssprachige Adaptation lateinischer Schulbücher 44

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Bernhard Hirschfelder und Christoph Hueber scheinen mit ihrem Interesse für deutsche Rhetoriktraktate in einer von der Forschung bislang noch nicht hinreichend geklärten Beziehung zu Niklas von Wyle zu stehen, der bis zum Jahre 1469 als Stadtschreiber in Eßlingen gewesen ist, hier offenbar eine Reihe von Gehilfen hatte, die später als Kanzleibeamte und Stadtschreiber Wyles Briefstil weitergeführt und verbreitet haben. Beschreibung dieser Handschrift bei Hans Butzmann: Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppen Extravagantes, Novi und Novissimi. Frankfurt 1972. (Kataloge der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Die neue Reihe 15) S. 3 4 4 - 3 4 8 . Eine detaillierte Analyse des Codex hinsichtlich der Lebensumstände, Lehrpraxis und literarischen Interessen dieses Weseler Lehrers bietet Ruth Franke: Peter van Zirns Handschrift. Ein deutsches Schulbuch vom Ende des 15. Jahrhunderts (1932). (Germanische Studien 127) Neudruck: Nendeln 1967, die zudem - als Vergleich - die Münchner Handschrift des Christoph Hueber heranzieht.

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und bietet sicher keinen anspruchsvollen Rhetorikunterricht, er zeigt jedoch eine Vertrautheit mit bestimmten >Moden< der geistüchen und weltlichen didaktischen Literatur, die ihn aus der Masse der Schreib- und Rechenlehrer des Spätmittelalters hervorhebt. Neben ihrer literarischen Tätigkeit als Autor, Übersetzer, Redaktor und Schreiber der verschiedensten Typen mittelalterlicher >Schulbücher< scheinen sich die Lehrer auch für historiographische Werke interessiert zu haben. Nicht mit jener quasi-offiziellen Kompetenz der Stadtschreiber, die nicht selten in ihrer Eigenschaft als Vorsteher der städtischen Kanzlei chronikalische Aufzeichnungen und Darstellungen amtlichen Charakters verfassen, aber doch auch als gut informierte Zeitgenossen, deren Lateinkenntnisse, Quellenwissen und eigene Beobachtung des Geschehens historische und zeitgenössische Ereignisdarstellungen ermöglichen. In manchen Fällen sind diese historiographischen Arbeiten für den Schulunterricht bestimmt oder lassen zumindest ihre Verwendung in der Schule erkennen. Dies gilt - wie in der Forschung immer wieder konstatiert wird - besonders für die historischen Schriften des bereits erwähnten Magisters Dietrich Engelhus, der als berühmter Lehrer eine lateinische Weltchronik mit lateinischen und deutschen Auszügen bzw. Bearbeitungen, zwei kleinere Erfurter Stadtchroniken und eine Genealogie der brandenburgischen Herrscher verfaßt hat. 46 Weniger bestimmend scheint hingegen die Schule für die historiographischen Tätigkeiten des mutmaßlichen Thorner Lehrers Konrad Gesselen gewesen zu sein, der auf Veranlassung des polnischen Historiographen Johann Dtugosz im Jahre 1464 die Reimchroniken Nikolaus' von Jeroschin und Wigands von Marburg über die Geschichte des Deutschen Ordens in lateinische Prosa übersetzt.47 Bei den deutschsprachigen Chroniken halten sich freilich die Lehrer gegenüber den offensichtlich wesentlich besser unterrichteten Stadtschreibern zurück, die in vielen Fällen als Teilnehmer des Geschehens eine sehr genaue, wenn auch parteiische Darstellung der städtischen Ereignisse bieten. Um so interessanter sind deshalb die literarischen Aktivitäten des Freiburger und Saarner Schulmeisters Hans Lenz, der während seiner Lehrertätigkeit in Saarnen im Jahre 1498/99 eine Reimchronik von 22 000 Versen über den Schwabenkrieg des Jahres 1499 verfaßt hat. 48 46

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Zu den historischen Schriften des Dietrich Engelhus vgl. neben den Anm. 40 genannten Arbeiten vor allem L. v. Heinemann: Ueber die Deutsche Chronik und andere historische Schriften des Magisters Dietrich Engelhus. In: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere Geschichtskunde 13, 1888. S. 171-187. Zur literarischen Tätigkeit dieses Ubersetzers, Verfassers eines niederdeutschen Cisiojanus und Handschriftenschreibers und -besitzers vgl. M. Perlbach: Der Übersetzer des Wigand von Marburg. In: Altpreußische Monatsschrift NF 32, 1895. S. 411-424; Anton Blaschka: Monumentum Thorunense. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 7, 1958. Gesellschafts- und sprachwiss. Reihe. S. 715-726; Ders.: Konrad Gesselen - ein Mitarbeiter von Johannes Dtugosz. Epilog zum >Monumentum ThorunenseKünstlernamen< wegen seiner gelehrten Bildung erhalten hätte. 58 Sammler wie Maler von C haben 55

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KLD I, S. 1 8 5 - 2 1 7 ; II, S. 2 4 4 - 2 6 4 , hier S. 244f.; Elisabeth Karg-Gasterstädt in Verf. Lex. II, 1936. Sp. 7 5 7 - 7 5 9 . Vgl. die Liste der urkundlich im 13. und der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts bezeugten Kanzler bei Harald Krieger: Der Kanzler. Ein mittelhochdeutscher Spruch- und Liederdichter um 1300. Phil. Diss. Bonn 1931. S. 2 3 - 2 5 , der auch den Offenburger Lehrer für die plausibelste Lösung hält. KLD I, S. 6 1 - 6 7 ; II, S. 6 3 - 6 7 . HMS IV, S. 4 4 8 - 4 5 4 , hier S. 448; sehr ausführliche Dokumentation bei Grimme: Rheinisch-schwäbische Minnesinger, S. 2 0 2 - 2 2 8 ; 2 9 4 - 2 9 6 . Diese Identifizierung hat sich auch in der Eßlinger Lokalforschung durchgesetzt, vgl. etwa Otto Mayer: Geistiges Leben in der Reichsstadt Eßlingen vor der Reformation der Stadt. Eine kulturgeschichtliche Studie. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte NF 9, 1900. S. 1 - 3 2 ; 3 1 1 - 3 6 7 , hier S. 2; Karl Müller: Die Eßlinger Pfarrkirche im Mittelalter. Beitrag zur Geschichte der Organisation der Pfarrkirchen. Ii): Ebda. NF 16, 1907. S. 2 3 7 - 3 2 6 , hier S. 258; Karl Pfaff: Geschichte der Reichsstadt Eßlingen. Nach Archivalurkunden und andern bewährten Quellen dargestellt. 1. Bd. Eßlingen 1840 vermutet allerdings in dem Schulmeister von Eßlingen den Leiter einer Schule von Meistersingern (S. 38f.). Zusammenfassung der Überlegungen bei Elisabeth Karg-Gasterstädt in: Verf. Lex. IV, 1953. Sp. 1 1 7 - 1 1 8 .

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allerdings weder Anstoß an den scharfen Scheltstrophen eines Eßlinger Schulmeisters genommen noch die Polemik des Schuolmeister von Ezzelingen als unvereinbar mit dem Amt eines städtischen Lehrers betrachtet. Sie sahen in dem Spruchdichter einen Lehrer, der mit allen Attributen eines rector puerorum ausgerüstet ist. Zutreffender begründet scheint mir deshalb Erich Kleinschmidts59 Zurückhaltung gegenüber der Eßlinger Lehrer-These zu sein. Er geht davon aus, daß — bei dem Fehlen des Namens und Magistertitels in C - die Gleichsetzung des Schuolmeister von Ezzelingen mit dem zufällig dokumentierten Eßlinger rector puerorum wenig zwingend ist und verweist auf die Möglichkeit, daß die Bezeichnung schuolmeister auch auf scholasticus zurückgehen kann und dann lediglich Scholar, d. h. Student bedeuten würde. Damit ist jedoch das Problem des Schuolmeister von Ezzelingen nicht erledigt. Erich Kleinschmidt betont zwar zu Recht, daß die lokale Herkunftsbezeichnung für eine Identifizierung des Dichters mit einem der eher zufällig urkundlich bezeugten Lehrer der Eßlinger Stadtschule nicht ausreicht. Es bleibt jedoch die Aussage des Malers, der den Titel schuolmeister nicht als Schüler bzw. Student, sondern ganz eindeutig als Lehrer verstanden und entsprechend ausgestaltet hat. 60 Dies zeigt, wie unproblematisch offenbar für die Sammler der Manesse-Handschrift die Vorstellung gewesen ist, daß Lehrer zugleich als Dichter scharfer Scheltstrophen, weltlich-didaktischer Sprüche, Tanzlieder und Minnekanzonen auftreten. Die Selbstverständlichkeit der Lehrer-Bezeichnung macht deshalb den Schuolmeister von Ezzelingen - auch wenn seine Identifizierung mit einem urkundlich bezeugten Lehrer der Eßlinger Stadtschule keineswegs gesichert, vielleicht sogar eher unwahrscheinlich ist - zu einem bedeutenden, weil relativ frühen Beispiel für die Zugehörigkeit der städtischen Lehrer zur höfischen Literaturszene: als potentielle Verfasser von Minnelyrik und Spruchstrophen. Und es wird hierdurch deutlich, daß die städtische Bildungsschicht im 13. Jahrhundert nicht nur in der Person von Stiftsherren und geistlichen Stadtschreibern, sondern möglicherweise auch in den etwas weniger avancierten Lehrern am höfischen Literaturbetrieb beteiligt gewesen ist. Sehr viel eindrücklicher dokumentiert sich freilich die literarische Produktivität der Lehrer in der Person Hugos von Trimberg, der — gebürtig aus der Würzburger Gegend — in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts über 40 Jahre lang die Schule des Stifts St. Gangolf in der Bamberger Vorstadt Theuerstadt geleitet hat, um die Wende des 13. Jahrhunderts in seiner Eigenschaft als rector puerorum urkundlich bezeugt ist und in dieser Zeit ein umfangreiches lateinisches und deutsches Oeuvre verfaßt hat. 61 Er beendet im Jahre 1300 in bereits vorgerücktem Alter den Renner, 59 60

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Kleinschmidt: Herrscherdarstellung, S. 143, Anm. 235. Allerdings wird man - wie die Selbstaussagen von Schulmeistern des 15. Jahrhunderts zeigen - die Unterschiede zwischen einem Schüler bzw. Studenten und einem etablierten Lehrer nicht zu sehr betonen dürfen, da die Lehrer oft nur für kürzere Zeit angestellt waren und der Niederlassung eines rector puerorum sehr häufig eine Art Wanderdasein voranging bzw. folgte. Uber die biographischen Daten und literarischen Werke dieses Bamberger Stiftslehrers

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ein didaktisches Großwerk von ca. 2 4 6 0 0 Versen, das in seinem thematischen Aufbau, seiner enzyklopädisch-kompilierenden Anlage bislang nur oberflächlich analysiert worden ist, 62 das für uns allerdings vor allem wegen seiner verstreuten Bemerkungen über die Schule, die Probleme des Lehrers und die Reaktion der Schüler eine bedeutende Informationsquelle für die Erfahrungen und Selbsteinschätzung eines Lehrer-Autors darstellt. Dieser Bamberger Stiftslehrer ist ein sehr kenntnisreicher Mann, der die verschiedensten Disziplinen überblickt, in seinen lateinischen und deutschen Werken literarhistorische, naturkundliche und lebensweltliche Probleme behandelt und der in seinem langen Leben als Schulmeister — wie er selbst sagt 6 3 - 2 0 0 Bücher geschrieben, davon 12 selbst verfaßt hat. D i e Bedeutung der Schule für seine literarischen Aktivitäten ist - zumindest im lateinischen Bereich - unübersehbar: während die Exempelsammlung Solsequium den Geistlichen als Illustrationsmaterial für ihre Predigt empfohlen wird, 64 ist die gereimte Literaturgeschichte Registrum multorum auctorum, eine charakterisierende Liste antiker, christlicher und zeitgenössischer Autoren, ausdrücklich für die Schüler bestimmt. 6 5 Aber auch die Laurea Sanctorum66, eine Zusammenstellung von

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informiert am besten Günther Schweikle in dem Neudruck von Ehrismanns Renner- Ausgabe: Der Renner IV, S. 316-325. Zur Schule des Kollegiatstifts St. Gangolf vgl. Hans Paschke: St. Gangolf zu Bamberg. 900 Jahre Geschichte und Topographie des Kollegiatstifts und der Pfarrei St. Gangolf in der Theuerstadt zu Bamberg. Bamberg 1959. (Studien zur Bamberger Geschichte und Topographie 18) S. 113. Gegenüber der seit Gustav Ehrismann: Hugo von Trimbergs Renner und das mittelalterliche Wissenschaftssystem. In: Aufsätze zur Sprach- und Literaturgeschichte. Wilhelm Braune zum 20. Februar 1920 dargebracht von Freunden und Schülern. Dortmund 1920. S. 2 1 1 - 2 3 6 gängigen Einschätzung des Renner als einer großangelegten Enzyklopädie versuchen neuerdings Dietrich Schmidtke: Die künstlerische selbstauffassung Hugos von Trimberg. In: WW 24, 1974. S. 3 2 5 - 3 3 9 und Grubmüller: Meister Esopus, S. 2 5 6 - 2 7 9 den >Predigtstil< dieses Werks zu profilieren. Zum thematischen Aufbau des Renner vgl. auch Heinz Rupp: Zum >Renner< Hugos von Trimberg. In: Typologia Litterarum. Festschrift für Max Wehrli. Zürich, Freiburg 1969. S. 233-259. Renner Vv. 16645ff. Hugo von Trimbergs Lateinische Werke. I. Das Solsequium. Hg. von Erich Seemann. München 1914. (Münchener Texte 9) ist nur eine Teilausgabe. Die Prologe mit Hugos Hinweisen zur Funktionsbestimmung sind abgedruckt in: Das >Registrum Multorum Auctorum< des Hugo von Trimberg. Untersuchungen und kommentierte Textausgabe von Karl Langosch. Berlin 1942. (Germanische Studien 235) S. 2 7 3 - 2 7 7 , hier vor allem S. 274, Vv. 5f; vgl. auch den Epilog bei Bernhard Bischoff: Das rhythmische Nachwort Hugos von Trimberg zum >SolsequiumBürgertum und A d e k In: Anzeiger der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse Nr. 11. S. 127-139. - : Stadt und Bürgertum in der europäischen Geschichte (1953). Wieder in: Brunner, Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. Göttingen 2 1968. S. 213-224. - : >Bürgertum< und >Feudalwelt< in der europäischen Sozialgeschichte (1956). Wieder in: Die Stadt des Mittelalters III, S. 4 8 0 - 5 0 1 . ALBERT BÜCHI: Die Chroniken und Chronisten von Freiburg im Uechtland. In: Jahrbuch für schweizerische Geschichte 30, 1905. S. 197-326. Uber BÜRGER, Stadt und städtische Literatur im Spätmittelalter. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1975-1977. Hg. von Josef Fleckenstein und Karl Stackmann. Göttingen 1980. (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 121) JOACHIM BUMKE: Ministerialität und Ritterdichtung. Umrisse der Forschung. München 1976. 303

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Register

Das Register enthält neben den Autoren bzw. Werken der Primärliteratur vor allem die behandelten bzw. genannten Städte und Literaturtypen sowie eine Auswahl der diskutierten Sachfragen. Aachen 191 u. Anm. 58, 196 u. Anm. 76, 197 Abbeville s. Confrerie du Puy de la Conception Academie de Palinod (Rouen) 215 u. Anm. 26 Adam de Givency 69, 118 Adam de la Halle 63, 64, 65, 66, 69, 70, 89 u. Anm. 70, 95, 96, 117f., 163, 170, 225 Congis 89 Anm. 67, 90, 95, 118 Jeu de la Feuillee 64 u. Anm. 7, 67, 71, 78 u. Anm. 46, 80-85, 92, 95, 118,134, 201, 202 Robin et Marion 64 u. Anm. 8, 94, 95, 118 Roi de Sidle 118 Adel Verarmung (Krise) des - 9, 11, 15,40, 41, 54 Anm. 101, 55, 106 Anm. 24, 246, 247, 295 (Rittertum) - >Bürgertum< 4 u. Anm. 11, 5, 8, 11, 22, 30, 35 Anm. 61, 36, 38, 41, 44, 48-59, 120, 121, 122 adelig Lebensformen, Verhaltensformen etc. 9, 14,15, 33, 35, 56, 66,78, 79 Anm. 50,125, 129, 223 Wertvorstellungen, Normen, Tugenden etc. 9, 14, 15, 16, 54 u. Anm. 101, 135 Selbstdarstellung 2 Literaturinteressen 135 (feudal, ritterlich) - »bürgerlich 9, 10 u. Anm. 5, 12, 28, 33, 35 Anm. 60, 36, 48, 80, 81, 122, 125, 130f„ 163, 167, 295 - Mentalität 22, 30, 34 - Kultursystem 16, 23, 48-59, 79f., 101, 114, 295 - Interessen 44, 130 - Literatur (Literaturpraxis) 8, 67, 93, 95, 172-206, 293, 295 Adenet le Roi 172 Anm. 1 Aiol 55 Anm. 102 Albrecht V. von Hohenberg, Graf 143, 154 Anm. 54 Albrecht von Hohenlohe, Bischof 143, 145, 147, 152 Albrecht II. von Niederbayern, Herzog 175, 188 Anm. 54 Amiens s. Confrerie Notre-Dame du Puy Antwerpen 6, 248, 255-263 Arnhem 176 Anm. 14, 191 Anm. 58, 204 Arras (s. auch Bankier, Confrerie des Ardents, Kaufmann, Pui, Satire) 6,61, 63-96, 97,103, 104,117f., 127,133, 134,156,162,163, 165,166, 167,169,190, 201 u. Anm. 88, 202 u. Anm. 92, 214 u. Anm. 25, 216-219, 222, 223, 291f. Artusroman (s. auch höfischer Roman, roman courtois) 39, 40 315

Arzt 7, 28 Anm. 46, 48, 117, 139, 140, 167, 225, 231 Anm. 23, 276, 278, 290, 291 Audefroi s. Louchart Augsburg 25-28, 35, 162, 172, 191, 207, 208 Anm. 6 u. 10, 232, 249, 276, 284 Anm. 52 Augustijn (van Dordt) 180, 189 Baldemann, Otto Von dem romschen riche eyn clage 144, 146, 147, 148, 155, 157, 160 Bamberg 26, 153, 155, 226, 276, 279, 286-290 Bankier (Geldhändler) 10, 17, 24, 29-33, 36, 53, 118, 134, 163, 165, 220 Anm. 37, 221, 222 Arraser Bankiers 63, 65, 66, 70, 83, 88, 89, 95, 165 Bartholomäus van der Lake 228 u. Anm. 6 Basel 38, 42, 47 Anm. 88, 61, 62, 97 u. Anm. 2, 98, 99, 100, 101, 102, 105, 106, 110, 111, 112, 113, 114-127, 128 Anm. 89, 131 Anm. 93, 133, 134, 136, 138, 139, 141, 163, 165, 167, 169, 192, 254, 293 Baudouin de Conde 94 Beheim, Michel 172 u. Anm. 4 Berangier 55 Bermeswil, Johannes 120, 123 Bern 61, 135, 140, 227, 283 Berteimes (van Watersloet) 180, 195f. Berthold von Tiersberg 97, 98, 102, 128 u. Anm. 89, 131 Anm. 93, 133, 254 Berufsdichter 65, 68, 71, 95, 96, 97, 103, 116, 117, 118, 119, 134, 137, 139, 140, 154, 163, 164, 165, 175 Anm. 13, 209, 222, 225, 294 Betrogene Blinde, Der 55 Anm. 101 Bischofshof 47 Anm. 88, 92, 95, 126, 128 Anm. 89, 138, 163, 164, 165, 166, 169, 250 Bischofsstadt 33 u. Anm. 58,37,38,39,40,42 u. Anm. 72,43,61,62,63, 95,117,119, 121, 126, 130, 138, 141-162, 163, 164, 165, 167, 231f„ 250, 252, 292, 294 Bispel 145, 156, 288 Bitschin, Konrad 229 Bodel, Jean 63, 64, 75 Conges 75-77, 94, 134, 218 Jeu de St. Nicolas 64 u. Anm. 5, 77 Anm. 44, 78 u. Anm. 46, 80 Saisne 66 Boinebroke, Jehan 31 u. Anm. 51 u. 52, 32 Boner, Ulrich 61, 140 Boppe 97, 98, 100, 102, 157 Bornecalve, Wilhelm 257, 259 Bote, Hermann Schichtbuch 273 Anm. 10 Bouden van der Lore 195 Bozen 204, 277 u. Anm. 28 Brack, Wenzeslaus 280 Brant, Sebastian 226, 229, 230 u. Anm. 16, 268 Narrenschiff 244 Anm. 59 Braunschweig 273 Anm. 10, 275 Anm. 15 Breisach 284 Breslau 227, 244 Anm. 58, 273 u. Anm. 10, 274, 276 Anm. 24 Bretel, Jehan 65, 68 u. Anm. 19, 69, 70, 72 u. Anm. 33, 74, 86, 87, 96, 118 Bruderschaft (s. auch Confrdrie du Puy) 10, 65, 67-77, 78, 86, 87, 94, 134, 193, 197, 199, 202, 203 u. Anm. 96, 205, 206, 207-224, 291 St. Julians-Bruderschaft (Paris) 210f., 212, 213 Marienbruderschaft der Spielleute (Lübeck) 212, 213 St.-Nikolai-Bruderschaft (Wien) 211f., 213, 214 Anm. 24 Bruderschaft der Unbefleckten Empfängnis Mariae (Wien) 214 Anm. 24 316

Brügge 176 Anm. 14, 190, 191 Anm. 58, 192 Anm. 63, 199 Anm. 80, 217 Anm. 30 Brüssel 175 u. Anm. 12, 188 Anm. 54, 255, 259 u. Anm. 100 Brugg 278 Brun von Schönebeck 162 Bruno von Hornberg 107, 108, 110, 111 Bürger Terminologie 50-52 Konzeption 5, 10 u. Anm. 6, 29, 36, 52, 53-58, 295 bürgerlich Terminologie 4, 9, 10, 11, 28, 32, 35, 36, 58 Lebensformen, Verhaltensformen etc. 13, 15, 16, 22, 49, 79 Geist, Denken, Mentalität, Selbstverständnis, Kulturideal etc. 3, 6, 9, 11, 13, 14, 16, 22, 23, 24, 29, 32, 79, 81, 129, 135, 136, 247, 269f. Ethik, Moralsystem, Nonnen etc. 4 Anm. 13, 9, 11 u. Anm. 8, 14, 29 Charakter (Geist) der Literatur 9, 10, 13, 67, 134-136, 161f„ 200f. - adelig (feudal, ritterlich) s. adelig >Verbürgerlichung< der Literatur 8, 13, 23, 134-136, 161f., 292 >Bürgertum< aufstrebendes 4, 13, 37, 295 - Adel s. Adel Buochein, Der von 107 burgaere, burger 33, 35, 37, 43, 50-52, 53, 94, 114, 120, 121, 125, 132, 205 burgenses 43, 51, 120 Anm. 71, 122, 217 Burkart von Hohenfels 107 Buwenberg, Der von 103 u. Anm. 17, 113 Johannes Cele 276 u. Anm. 22 chanson courtoise (s. auch Lied, Minnesang) 66, 220 Chanson de geste 52, 55 Anm. 102, 56, 66, 86f., 92 cives 33, 34, 44, 50, 51 u. Anm. 93, 120 u. Anm. 71, 121, 122, 123, 124, 125 u. Anm. 81, 126, 127, 130f., 133, 150, 165, 225, 250 u. Anm. 78, 251 - milites s. milites Coeur, Jacques 31 Anm. 51 Colin, Philipp s. Rappoltsteiner Parzifal Companhia del gay saber (Toulouse) 6, 219—223, 224 Confrerie du Puy 202 u. Anm. 93, 203, 214-219, 223, 224 Confrerie du Puy de la Conception (Abbeville) 71, 214, 215 Confrerie Notre-Dame du Puy (Amiens) 71f., 74, 214, 215 Confrerie des Ardents (Confrerie des Jongleurs et Bourgeois, Charite des Ardents, Arras) 65 u. Anm. 9, 67-77, 89 Anm. 68, 94, 96, 103, 104, 134, 165, 190, 202, 214, 216, 217-219, 222, 223, 292 Confrerie des clercs parisiens ou clercs du grand Puy de Notre Dame (Douai) 71, 214, 215 Confrerie de Saint-Martin (Fecamp) 218 Confrerie de la Passion (Paris) 199, 202, 203 Confrerie du Puy (Valenciennes) 71, 214, 215 Cong6s 64 u. Anm. 4, 76 u. Anm. 42, 95, 96, 97, 165, 166 Contredit, Andrieu 68 Courtois d'Arras 64 u. Anm. 6, 78 u. Anm. 46 Crespin 66, 70, 82, 83 u. Anm. 55, 84 Anm. 56 Balduin 83 Ermenfroi 70, 83, 84 Henri 70 Robert 70, 83 Cysat, Renwart 205 Danzig 229 317

Debs, Benedikt 277 Derrer, Konrad 276 Deventer 193 Didaktik 8, 9, 11, 82, 91, 93, 96, 156, 157, 161, 240-244, 247, 288, 290 Dieprecht (s. auch Eßlingen) 140 u. Anm. 7, 141 Dietrich an dem Orte 122, 126 Dille, Jan 184 Dit des Marcheanz 54 Anm. 100 Domherr 43,103,116, 117,122,123,125,126,133, 142,154 Anm. 54, 163,164,169, 254, 255, 286 Domstift 47 Anm. 88, 117 u. Anm. 65, 121, 123, 126, 128 u. Anm. 89, 130, 131, 133, 138, 165, 169, 231, 236, 250, 273, 275 Douai 31 u. Anm. 51 u. 52 (s. auch Confrerie des clercs parisiens) 71, 72, 74 Dresden 266f., 280 Anm. 42 Dringenberg, Ludwig 276 u. Anm. 23 Dukus Horant 39 Anm. 70 Dybinus, Nicolaus 263, 266f., 280 Anm. 42 Declaracio Oracionis de Beata Dorothea 267 Eberhard II. von Konstanz, Bischof 105, 106, 107 u. Anm. 27, 114 Anm. 48 Egen, Berthold 244 Anm. 59 Eghenvelder, Liebhard 241f., 269 Ehrenrede (s. auch Totenklage) 135, 153 u. Anm. 53, 154, 156, 157, 186, 187 Eisenach 61, 229, 242-248, 265 Elhen von Wolfhagen, Tileman Limburger Chronik 234f. u. Anm. 33, 240 Elisabeth von Wetzikon 102, 106, 165 Enfances de Vivien, Les 56 u. Anm. 105 Engelhus, Dietrich 280, 282 u. Anm. 46 Erart, Jehan 70 Erbauungsliteratur 3, 138, 293, 294 Erfurt 61, 162, 232, 282 Eßlingen 140 u. Anm. 7, 141, 228 Anm. 8, 229, 279, 281 Anm. 44, 285 u. Anm. 57, 286 Eschenloher, Peter 227, 228, 244 Anm. 58 Exempel 37, 44, 46, 47 u. Anm. 85 u. 88, 48, 135, 186, 287 u. Anm. 64, 288 Fabel 156, 186, 288 Fabliau 52, 55, 183 Fastnachtspiel 3, 7, 9, 29, 167, 170, 200, 203 u. Anm. 94, 230, 265, 292 Fastoul, Baude 64, 74, 77 Conges 76f., 134, 218 Fern, Lambert 65, 68 Anm. 17, 69, 70 Fleck, Konrad Flore und Blanscheflur 51 u. Anm. 91, 97, 99 u. Anm. 5 Flors del gay saber s. Companhia del gay saber Folz, Hans 7, 28 Anm. 46 Fourcelle 229 Frauenberg, Johann 244, 277, 278 Anm. 31 Frauenlob, Heinrich 145, 155, 157, 158 Marienieich 155 Anm. 56 Freiburg 115 Anm. 51, 207, 284f. Freiburg/Uechtland 282, 283 Freidank 115, 156, 159, 289 Fressant, Hermann 248, 249 u. Anm. 76, 254 Friedrich von Hausen 113 u. Anm. 47 318

Friker, Johannes 140, 241 u. Anm. 46, 253 Anm. 85 Froissart, Jehan 175 Anm. 13, 181 Anm. 30, 182, 188 Anm. 54 Front, Edmunt 238, 239 u. Anm. 44 Fuchs, Arnold 123 Fürstenhof 1, 5, 48, 61, 63, 65, 94, 95, 96, 126, 127, 133, 134, 136, 138, 164, 166, 169, 172-206, 209, 223, 225, 291 Gartinger, Konrad 229 Geißler 150-152 Geißlerlied 3 gemeyner nutz (ghemeener oorbaer) 161 Anm. 76, 227, 243-246, 261-263 Gent 176 Anm. 14, 195, 197, 256, 271 u. Anm. 4, 273 Gerlach van Hauwe 233 u. Anm. 28, 238 u. Anm. 40 gesellen (van dem spele) 189, 198, 199 u. Anm. 80, 200, 203, 204f., 206 Gesselen, Konrad 282 GUde 10, 11, 17 Gille le Vinier 69 Gillebert de Berneville 70 Anm. 26, 87 Gilles le Muisis 54 Anm. 100 Goeli 97, 99 Görlitz 228, 234 Anm. 31, 244, 277 Gottesfreunde 138, 293 Gottfried von Neifen 110, 113, 285, 289 Gottfried von Straßburg Tristan und Isolde 38, 98, 100, 250 Anm. 77, 251, 252 u. Anm. 84, 253 Anm. 84, 289 Guibert von Tournai 54 Anm. 100 Guillaume le Vinier 69 Hadlaub, Johannes 98, 102-104, 127, 136, 141, 163, 165, 170 Hägen, Gottfried Boich van der stede Colne 162, 238 Anm. 40 Hagenau 279 u. Anm. 37 Hamburg 272, 273, 274 Anm. 12, 275 Handwerker 7, 17, 20, 24, 25, 28 u. Anm. 46, 48, 52, 66, 116, 117, 118, 203 u. Anm. 94, 206, 211, 234, 272, 278, 281 Hansestadt 162, 272 Hartmann von Aue 252, 253 Anm. 84 Erec 289 Iwein 289 Hausbuch s. Michael de Leone Heinrich der Teichner 52 Anm. 94, 53 Anm. 97, 139, 185, 214 Anm. 24, 241 Heinrich von Kirchberg 232f. u. Anm. 27 Heinrich von Klingenberg, Bischof 98, 102, 103, 104 Heinrich von Lammspringe s. Magdeburger Schöppenchronik Heinrich von Lintorf 238, Anm. 40 Heinrich von Neustadt 139 u. Anm. 5, 140, 225 Von Gottes Zukunft 139 Apollonius von Tyrland 139 Heinrich von Nördlingen 138, 293 Heinrich von Tettingen 107, 108-111, 112 Heinzelin von Konstanz 138 u. Anm. 1, 154 Anm. 54, 167 Von den zwein Sanct Johartsen 144, 145 Von dem Ritter und dem Pfaffen 145 Hellerwertwitz (s. auch Fressant, Hermann) 248, 249 Herier, Thomas 70 Anm. 26 Hermann von Schildesche 143, 144, 146 u. Anm. 24, 148f., 150 319

Herold 175, 176, 177-178, 180, 181 u. Anm. 33, 188, 190, 191, 196, 197 Hervis von Metz 56 Anm. 105 Hesse, Meister 98, 100 u. Anm. 9, 102, 226, 248 u. Anm. 69, 250-254, 268 Hirschfelder, Bernhard 269, 278, 279, 280, 281 Anm. 44 Hof - Stadt 64, 65, 96, 105, 118, 162, 163, 166, 169, 170, 172-206, 225, 291 höfisch Normensystem 13 Dichtung (Aventiuredichtung, Minnedichtung, ritterlich-höfische Dichtung) 1, 2, 3, 4, 5, 9, 10, 14, 15, 37, 48, 49, 66, 82, 98, 120, 128, 129, 133, 134, 136, 138, 166, 221, 222, 224, 249, 252, 293 Roman (s. auch roman courtois) 14, 96, 135, 136, 169, 183 Anm. 33 Hofzuchtliteratur 10 Hohenberg-Haigerloch, Grafen von 140 Anm. 7, 167 Holland, Grafen von 176-190 Johann II. 174 Philippine von Luxemburg 174 Wilhelm III. 174, 180, 183 u. Anm. 35, 187, 190 Johanna von Valois 174, 183 Wilhelm IV. 174, 175 Anm. 12, 180, 183 Anm. 35, 189 Anm. 55, 192 Anm. 62 Wilhelm V. 174, 187 u. Anm. 47 Albrecht (von Bayern) 172, 174, 175, 177 Anm. 17, 179, 180, 182, 184 u. Anm. 40, 185 Anm. 42, 186, 187 u. Anm. 46 u. 47 u. 48, 188, 189, 191, 195 u. Anm. 72 Wilhelm VI. (Graf von Ostrevant) 174 u. Anm. 8,184 Anm. 40, 187 u. Anm. 48,193,198 Hornburg, Lupoid 145, 147 Anm. 32, 148 u. Anm. 38, 151, 152,153, 154, 155 u. Anm. 56, 156-158, 160, 292 Hueber, Christoph 269, 279, 280f., 281 u. Anm. 44 u. 45 Hugo von Trimberg 226, 269, 276 u. Anm. 21, 279, 284, 286-290 Solsequium 287 u. Anm. 64 Registrum multorum auctorum 287 u. Anm. 65 Laurea sanctorum 287 Der Renner 51 Anm. 92, 117 Anm. 65, 155, 156, 159 u. Anm. 67, 160f., 262 Anm. 107, 286, 288-290 Humery, Konrad 228 u. Anm. 7 Iglau 280 Anm. 42 Isenlin, Heinrich 120, 122f. Jacob von Warte 103, 107, 113 Jan de Bot 180, 187 Jan de Clerk s. Jan van Boendale Jan de Visiere 184 u. Anm. 37 Jan van Boendale (Jan de Clerk) 6, 248 u. Anm. 70, 254-263 Jans Teesteye 255, 256, 259 u. Anm. 101, 261f. Brabantsche Yeesten 255 u. Anm. 88, 257, 258, 259, 260 Lekenspieghel 256, 259, 260f., 262 Dietsche Doctrinale 255 u. Anm. 88, 258 Jan van Mechelen 180, 182 Jan van Raemsdonck 180 Jan van Vlaerdinghen 180, 182, 195 Jean de Conde 94, 183 u. Anm. 34 u. 35, 190 Jehan de Grieviler 65, 69, 70, 74 Jehan de Renti 68, 69 Jeu du Pelerin 64, 95 Jeu-parti 63 u. Anm. 3, 65, 66, 69, 70, 71, 75, 94, 95, 97, 104, 118, 134, 166 Jeux-Floraux s. Companhia del gay saber 320

Johann von Arguel 120, 121, 123 u. Anm. 76, 125 Johann von Blois, Graf 174, 176-190, 191, 193 Anm. 65, 194, 195 u. Anm. 72, 198, 200 Johann von Guben 234 Johann von Lauterbach 147, 159 Anm. 68 Johann von Neumarkt 263, 264 u. Anm. 112 Johann von Würzburg Wilhelm von Österreich 140 u. Anm. 7 Johanna von Brabant, Herzogin 175 u. Anm. 12, 188 Anm. 54 Johannes von Tepl Ackermann aus Böhmen 248, 263-268, 269, 278 u. Anm. 32, 284 Joufroi de Poitiers 55 u. Anm. 103 Jüterborg 277 Junker und der treue Heinrich, Der 15 Jurist 48, 116, 117 u. Anm. 61 u. 63, 133, 139, 142, 145, 167, 220 Anm. 37, 221, 222, 225, 230 Anm. 16, 231, 233, 242, 247, 248, 255, 256, 259, 263, 265, 268 Justinger, Konrad 227 u. Anm. 2, 283 Kanzlei bischöfliche 142 u. Anm. 13, 144, 148 Anm. 37, 154, 159 Anm. 68 kaiserliche 244, 263, 264, 266 fürstliche 184 Anm. 40 städtische 230, 233, 251, 252, 253 Anm. 84, 259, 279, 282 Kanzleibeamter 138, 141, 154, 155, 161, 162, 163, 165, 169, 281 Anm. 44, 284 Kanzler, Der 284, 285 u. Anm. 55 Karl IV. 150, 153, 154, 157 Anm. 59, 234, 266 Karl von Anjou 118 Kaufmann 10, 17, 18, 20, 23, 25, 26, 27, 52-58,220 Anm. 37, 221, 222, 255, 270f., 272 u. Anm. 7, 273 Arraser Kaufleute 65, 66, 70, 83, 88, 89, 95 Fernkaufmann (Großkaufmann) 9, 10, 18, 24, 27, 29-33, 45, 46, 48, 52-59, 63, 66 - als literarische Figur 10, 12, 14, 36-48, 49 Anm. 89, 52-59 kaufmännisch Lebensformen, Interessen etc. 4 Anm. 13, 45, 47, 271-273 Mentalität 45, 5 2 - 5 9 Kaufringer, Heinrich 167 Klingnau 105, 106, 111, 112 u. Anm. 42, 113 Klopfanspruch 29 Köln 33 Anm. 57, 35 Anm. 61, 36-48, 49, 61, 121, 138, 162, 233 u. Anm. 28, 237-240, 293 König (der Pfeifer, Fiedler, roy des menestrels) 194, 210 u. Anm. 12, 212 u. Anm. 18, 213 u. Anm. 21 u. 22 u. 23 König vom Odenwald, Der 145, 148 u. Anm. 39, 155, 156 u. Anm. 58, 159f., 213 u. Anm. 22 Konrad III. von Liechtenberg, Bischof 97 u. Anm. 1, 98, 100, 102 Konrad von Megenberg 139 Konrad von Mure 163 u. Anm. 79 Konrad II. von Schlüsselberg 152 u. Anm. 51, 153, 154, 157 Konrad von Winterstetten 108, 251 Anm. 81, 252 Konrad von Würzburg 13 u. Anm. 13, 38, 97 u. Anm. 1, 98, 102, 105, 111, 112, 113, 114-133, 136, 139, 141, 145, 155, 157, 158, 165, 169, 170, 225, 254, 259, 289 Die Goldende Schmiede 98, 100, 115 Anm. 51 u. 52, 127 Anm. 86, 155 Anm. 56 Heinrich von Kempten 127-133 Klage der Kunst 145, 156 Legenden 119 Lieder 113, 120 321

Partonopier und Meliur 119, 122 Anm. 75, 123 Anm. 75, 124 Schwanritter 114 Trojanerkrieg 119, 126 Turnier von Nantes 156 Konstanz 37, 39, 40, 42 u. Anm. 73, 43, 47 Anm. 88, 61, 97, 98, 101, 103, 104, 107 Anm. 27, 111, 127, 138, 141, 167, 253 Anm. 84, 275 Anm. 19, 279f. Kraft von Toggenburg 103, 113 Kulm 229 Lai 183 Lauber, Diebold 279 u. Anm. 37 Legende 117 Anm. 66, 118, 120, 137, 169, 229, 264 Lehrer 6, 116, 117, 163, 205, 206, 226, 231 u. Anm. 23, 241, 242, 248, 263, 266, 267, 268, 269-290, 294 Leiden 176 Anm. 14, 196 Lenz, Hans Schwabenkrieg 278 u. Anm. 33, 282f. Leuthold von Röteln 120, 122, 254 Leys d'Amors s. Companhia del gay saber Lied 67, 75, 84, 8 5 - 9 3 , 94, 96, 148, 156, 169, 188 Anm. 53, 209, 215, 220f., 234, 242 Anm. 50, 284 Liederhandschrift Große Heidelberger (Manesse) 98 u. Anm. 3, 99, 101, 105, 111, 163, 2 8 4 - 2 8 6 Kleine Heidelberger 98 u. Anm. 3, 99, 101 u. Anm. 13 u. 14 Weingartner 98, 99, 101 Lille 194 Anm. 69 Limburg 234f. Losse, Rudolf 142 Anm. 12 Louchart 66, 70, 82, 83 u. Anm. 55, 84 Anm. 56 Audefroi 70 u. Anm. 26, 88 Jakemon 83, 84 Lucidarius 156 Ludwig der Bayer 143, 153, 154 Lübeck 203, 212, 231 Anm. 22, 272 u. Anm. 7, 273 u. Anm. 10, 274 Anm. 12, 275 Lupoid von Bebenburg 143, 146 u. Anm. 25 u. 29, 147 u. Anm. 33, 148, 150 Ritmaticum 144, 160 Luzern 123, 140, 141, 203 u. Anm. 97, 204, 205, 241, 253 Anm. 85 magister, meister Titel 116f„ 286 Magdeburg 162, 2 3 5 - 2 3 7 Magdeburger Schöppenchronik 231 Anm. 21, 235-237, 240 Märe 29, 48, 52, 55 Anm. 101, 145, 159, 181 Anm. 32, 186, 248, 249 Mainz 121, 142 u. Anm. 13, 155, 188, 228 u. Anm. 7 Mair, Hans Buch von Troja 61, 139 u. Anm. 6, 140, 225 Manesse 98, 102, 103, 163, 165 Johannes 103 Rüdiger 103 Manuale s. Michael de Leone Mariendichtung 72, 156, 188, 189, 190, 214 Anm. 24, 220, 265 Marner, Der 145, 157, 158, 289 Mathieu de Gand 68, 70 Matthias von Neuenburg 120, 121, 123, 124, 125 u. Anm. 81, 154 Anm. 54 Meistersang 3, 7, 9, 158, 194 Anm. 70, 207, 221, 265, 294 Meistersinger 7, 118, 140, 170f., 194, 201 Anm. 87, 207, 208 u. Anm. 6 u. 10, 209 u. Anm. 322

10, 219, 221, 222, 285 Anm. 57, 293 Melzer, Bernhard 228 Merschant, Heinrich 123 Merswin, Rulman 138, 293 Michael de Leone 115 Anm. 51, 138-162, 164, 262 Anm. 107, 292 Middelburg 176, 185, 195, 197 milites 33, 34, 44, 51 Anm. 93, 120 u. Anm. 71, 121, 122, 123, 125 u. Anm. 81, 126, 127, 130f. u. Anm. 93, 133, 165, 217, 218 - cives 33f., 120-126, 130f. Ministerialität ritterliche (adelige) - >bürgerliche< 34, 122, 130f. Minnesang (s. auch chanson courtoise, Trobadorlyrik) 1, 63, 66, 68, 94, 98, 102-104, 105, 112f., 120, 165, 167, 221, 225, 286 Molinier, Guilhelm 220f. Motette 63, 66, 90, 94 München 279 Müntzinger, Johann 280 Muset, Colin 12 Anm. 9 Musiker 173, 175,176, 177f., 180,181,182 u. Anm. 33,183 u. Anm. 33,184,185, 186,188 u. Anm. 54, 189, 190-198, 199, 209, 210-214, 218, 222, 223 Muskatplüt 172, 185 Nazart 70 Baude 96 Henri 88 Robert 70 u. Anm. 29, 91 Anm. 78, 96 Neidhart von Reuental 58, 99, 157, 242 Neidhart-Spiel 201 Niklas von Wyle 226, 228 u. Anm. 8, 229, 230 u. Anm. 15, 244 u. Anm. 59, 268, 279 u. Anm. 36, 281 Anm. 44 nobilis 105, 106 u. Anm. 24, 107, 111, 112, 113, 114, 259 Nördlingen 61, 139, 140, 172, 225, 229 Anm. 9, 275 u. Anm. 14, 277 Nürnberg 3, 4, 7, 8, 26, 28f., 35 Anm. 61, 138, 149, 153, 163, 167, 170, 176, 200, 203, 207 u. Anm. 2, 292, 294 Nuwe Boich, Das 237-240 Offenburg 285 u. Anm. 55 Oswald von Wolkenstein 52 Anm. 94, 53 Anm. 97 Otto von Wolfskehl, Bischof 142, 144, 145, 147, 149, 152 Paris 61, 210f., 212, 213 Pastourelle 63, 66 Patriziat 12 Anm. 10, 14, 15, 34, 36, 38, 40, 43, 44, 66, 68, 81, 92, 95, 203, 272 adeliges - >bürgerliches< 34 u. Anm. 59, 41, 120 patrizisch Terminologie 36, 58 Wertvorstellungen 66 Anm. 11 Selbstverständnis, Geist etc. 16, 30, 120 Anm. 68 >Patrizierdichtung< 14, 38 u. Anm. 65, 41, 292 Peter van Zirn 269, 28 lf. Pfeffel 97, 99f. Pierre de Corbie 69 Pölsterl, Hans 229 Potter, Dirc 184 Anm. 40 Pouchin 66, 70 Jaket 70, 84, 88 Simon 70, 88 323

Prag 162, 264, 265, 266f„ 268 Predigt 53, 54 Anm. 100, 140, 163, 241, 287 u. Anm. 62, 289 Preßburg 24 lf. Priamel 7, 29 Prosaroman 49 Pui 65, 67-77, 82, 86, 87, 103, 118, 134, 202, 216, 223 Purgoldt, Johannes 245f. Puy s. Confrerie du Puy Puy Notre-Dame (Lille) 214, 215 u. Anm. 25 Raber, Vigil 277 u. Anm. 28 Rappoltsteiner Parzifal 98, 134f., 138, 140 Ratsherr 26, 33, 48, 125,126, 134, 139, 140, 162, 167, 225, 231 Anm. 21, 243 u. Anm. 56, 245, 246, 247, 260f., 262, 291 Rede 7, 29, 66, 67, 84, 85-93, 94, 96 u. Anm. 84, 139, 145, 148, 156, 157, 167, 169, 180, 183, 184 u. Anm. 40, 186, 189, 190, 195, 209, 213, 243, 246, 268, 283, 284 Anm. 52 Rederijkers 199, 202 u. Anm. 93, 203, 219, 223 Regenbogen 157, 158 Regensburg 20, 162, 212 Reich, Peter, Bischof 123, 125 u. Anm. 81, 126 Reinald II. von Geldern, Herzog 175, 188 Anm. 54, 189 Anm. 55 Reinmar 145, 155, 157, 158, 159, 289 Reinmar von Zweter 155 Residenzstadt 61, 63, 94, 95, 126, 138, 163, 167, 294 ritter 33, 120, 121, 125, 131 Rittertum 1, 2, 36, 246 — >Bürgertum< s. Adel Rittertreue 15, 54 Anm. 101 Robert II. von Artois, Graf 63, 70, 84, 90, 92 u. Anm. 80, 94, 95, 96, 118, 165, 169 Robert du Chastel 68 Anm. 16, 70 Robert le Clerc Vers de la mort 66, 85 u. Anm. 60, 92, 94 Robert de le Piere 69f. Rogier van Leefdale 256, 259 roman courtois (s. auch Artusroman, höfischer Roman) 1, 37, 52, 55 Rondeau 63, 94 Rosenplüt, Hans 7, 28 f. Rothe, Johannes 61, 229 u. Anm. 11, 242-248, 259, 261, 262, 265, 268 Liber devotae animae 242f. Lob der Keuschheit 242f. >Ratsgedichte< 243 u. Anm. 56, 247 Ritterspiegel 242, 246f. Thüringische Chronik 245 Anm. 63 Rothenburg 148, 149, 153, 155 Rothers, Petrus 265 Rottweil 278, 280 roy des menestrels s. König Rudolf von Ems 98, 100, 102 Der Gute Gerhard 12 u. Anm. 10, 14, 36-48, 49, 292 Willehalm von Orlens 248, 250-254 Rudolf von Habsburg 105, 106, 109, 110, 112 u. Anm. 44, 113, 124, 127, 130, 285 Rudolf von Steinach 37 u. Anm. 63, 47 Anm. 88 Rüsch, Niclaus 227 Ruprecht von Würzburg Von zwein koufmannen 12 u. Anm. 11, 14 324

Saarnen 282, 283 Saaz 248 u. Anm. 73, 263-268, 278, 284 Sachs, Hans 3 Anm. 9, 7, 200, 201 Anm. 87 Sänger 173, 184, 185, 189, 194, 195, 196, 198, 199, 213, 214, 222, 223 Satire 8, 82, 97, 166, 167 Arraser Satiren 85-93 Schaler, Peter 121, 122 u. Anm. 75, 124 u. Anm. 78, 125 Schlettstadt 276 Schmied, Klaus 283 u. Anm. 51 Schmieher, Peter 284 Anm. 52 Schneeberger, Hans Der Mönch als Liebesbote 55 Anm. 101 Schöffe 66, 70, 84, 85 Anm. 60, 87-93, 95, 190, 197, 227, 235, 238, 255, 256, 259, 260 Schreiber 139, 140, 141, 157, 158, 159 u. Anm. 68, 162, 172, 179, 180, 181, 182, 183, 185, 186 u. Anm. 43,188, 189 Anm. 55, 191,195, 196, 198, 226,227-268, 272 Anm. 7,285, 290 Schule 139, 154, 162, 203, 206, 269-290, 293 - der Musiker 193f., 197, 209 Anm. 10 Schulmeister von Eßlingen, Der 284, 285f. Schwank 9, 186 Anm. 45, 265 Seifried Der Große Alexander 241 Seifried Helbling 10 Seuse, Heinrich Büchlein von der ewigen Weisheit 140, 241 Simon d'Authie 69, 118 Singschule 3,6, 7,65, 71,74 Anm. 41, 77,158,167,170f., 194 Anm. 70,207 u. Anm. 2 u. 4, 208 u. Anm. 6 u. 10, 209, 216, 217, 219, 221, 222, 223, 230, 291, 292, 293, 294 Soest 228 Spiel 3, 64, 66, 67, 77-85, 94, 97, 166, 170f., 173, 189, 198-206, 207, 223, 224, 225, 229 u. Anm. 14, 277, 278, 293, 294 Spielgraf 211, 212, 213 SpieUeute 116 Anm. 57, 173, 174 u. Anm. 8, 175 Anm. 11, 176, 182, 183 Anm. 33, 189, 191, 192, 193 Anm. 64, 196, 199, 210, 211, 212, 213, 225 Sprecher 173, 174 u. Anm. 8, 175, 176, 177, 178-198, 199, 213, 214 Anm. 24, 223, 225 Spruchdichter 10, 116, 119, 221, 285, 286 Spruchdichtung 7, 131 Anm. 93, 145, 156, 167, 209, 214 Anm. 24, 242, 286 Stadt (s. auch Bischofsstadt, Residenzstadt) Aufstieg der - 2, 11, 15, 16, 19, 22, 47, 61 Oberschicht (Stadtadel, Geschlechter) 3, 4 Anm. 11, 9, 14, 19, 20 u. Anm. 29, 24, 25, 29-36, 38, 39,41, 45, 47 u. Anm. 88, 48, 49, 51, 66, 70, 75, 81, 84f., 91 u. Anm. 78, 93, 94, 95, 102, 104, 112, 117, 118, 119-127, 134, 138, 139, 149 Anm. 40, 205, 206, 221, 225, 264, 269, 271, 273, 291, 294 Mittelschicht 10, 21 Anm. 29, 24, 25-29, 35, 66 Anm. 12, 67, 81, 84, 90, 91 u. Anm. 76, 95, 118, 140 Unterschicht 20, 21 Anm. 29, 24, 25, 68 Stadt - Land - Gegensatz 16-22, 34, 57, 114, 125, 130f„ 132 Stadtrat 7, 17, 19, 20, 24, 25, 27, 33, 39, 42, 43, 78, 92, 96, 106 Anm. 22, 117, 120, 121, 123, 125, 126, 127, 130, 131, 149, 170f„ 176, 190, 192, 193, 194 u. Anm. 69, 195, 196, 197, 199, 204, 205, 206, 207, 208 Anm. 10, 221, 222, 223, 224, 227, 228, 230, 231, 232, 234, 235, 236, 237, 238 u. Anm. 80,239 u. Anm. 44, 240,250, 253 u. Anm. 85, 254, 264, 270, 272, 275, 278, 279, 290 Stadtschreiber 6, 117,141 Anm. 9,205, 206, 226,227-268,269,276,277 u. Anm. 30, 278, 279, 280 Anm. 39, 281 Anm. 44, 282, 283, 284, 286, 290, 291, 294 325

Städtechroniken 9, 25, 138, 162, 227f., 234-240, 282, 293 Steinmar 98, 100 u. Anm. 11, 101 Anm. 12, 107 u. Anm. 30, 108-111, 112 Sterner, Ludwig 283 u. Anm. 49 Sterzing 204, 229 Stolberg 229 Anm. 14 Straßburg 42,47 Anm. 88, 61, 62, 97, 98 u. Anm. 4, 99, 100,101,105,106 u. Anm. 22,108, 110, 111,113, 114, 115 Anm. 51, 116, 127-133, 134,135, 136, 138, 140,141,163,165, 167, 169, 230, 248, 250-254, 268, 293 Straubing 279 Stricker, Der 12 u. Anm. 12, 243 Pfaffe Amis 12 Anm. 12, 13 Anm. 16, 15 Suchenwirt, Peter 139, 188, 214 Anm. 24 Sunnenburg, Der von 157, 158 Tagelied 284 Tenngier, Ulrich 229 u. Anm. 9 u. 10 Thomas von Aquin Summa theologiae 141, 241 Thomas-Rezeption 4 Anm. 13, 11 u. Anm. 8, 293 Thomas von Bouriane 82, 83, 84, 85 Thorn 282 Thüring von Ringoltingen Melusine 135f. Thun 283 u. Anm. 51 Totenklage (s. auch Ehrenrede) 70, 139, 152, 153, 154, 157, 183 Anm. 35, 187, 188 Anm. 51, 189, 190 Toulouse s. Companhia del gay saber Trobadorlyrik (s. auch chanson courtoise, Minnesang) 220, 221 Trute, Berld 229 Anm. 14 Tugenden buoch, Der 140, 241 u. Anm. 47 Ulm 26, 248, 249 u. Anm. 76, 279 u. Anm. 38, 280 Ulrich von Gutenburg 107 u. Anm. 26 Ulrich von Lichtenstein 96, 104 u. Anm. 19 Frauendienst 104 u. Anm. 19 Ulrich von Winterstetten 107, 108 u. Anm. 32, 110, 111 Valenciennes s. Confrerie du Puy Verdiere, Phellipot 70 Vidal, Arnaut 220 Volksbuch 10, 135 u. Anm. 96, 136 Waither von Breisach 284 Walther von Klingen 97, 98, 100, 102, 105-114, 126, 127, 136, 167, 225 Walther von der Vogelweide 131 Anm. 93, 145, 155, 157, 158, 159, 172 Anm. 1, 285, 289 Watriquet de Couvin 183, 190 Wesel 277 u. Anm. 26, 281 u. Anm. 45 Weverslaicht, Die 238 Anm. 40 Wien 26, 61, 138, 139 u. Anm. 5, 162, 211f., 214 Anm. 24, 225, 241, 277 Wilhelm van Delft 180 Willem van Hildegaersberch 172, 179f., 182, 183, 184, 185, 186 u. Anm. 43, 189 Wion 70 Jakemon 70 u. Anm. 29 Pierre 70 Wagues 70 Wirnt von Gravenberg Wigalois 241, 289 Wisse, Claus s. Rappoltsteiner Parzifal 326

Wolfram von Eschenbach 157, 284 Parzival 135, 251, 252 u. Anm. 84, 289 Willehalm 39 u. Anm. 70, 49 Würzburg 62, 138-162, 163, 164, 165, 167, 169, 170, 291, 292 Ypern 176 Anm. 14, 191 Anm. 58, 192 Anm. 63, 193 u. Anm. 68, 271 Zink, Burkhard 25-28, 29, 35, 278 u. Anm. 34 Zirkenbach, Andreas 147, 150 Zittau 234 Zürich 61, 62, 97, 98 u. Anm. 3, 99, 101, 102-104, 106, 111,113, 120, 126, 127, 133,134, 136, 141, 163 u. Anm. 79, 165, 167 Zunft 10, 11, 17, 78, 92, 94, 123, 149, 203 u. Anm. 96, 206, 207, 210, 211, 214, 217, 224, 237 Zwolle 276

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