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German Pages [336] Year 2013
Hans Otto Roth
s t u d i a t r a n s y lva n i c a im Auftrag des arbeitskreises für siebenbürgische landeskunde Herausgegeben von Harald roth und Ulrich A. wien
band 43
Hans Otto Roth Biographie eines rumäniendeutschen Politikers (1890–1953)
von Thomas Frühmesser
2013
BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Die Studia Transylvanica erscheinen als Ergänzungsbände des „Siebenbürgischen Archivs“, das in III. Folge die alte und neue Folge des „Archivs des Vereins für siebenbürgische Landeskunde“ (1843–1944) fortsetzt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Hans Otto Roth. Foto aus dem Privatbesitz von Frau Dr. Maria Luise Roth-Höppner.
© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Cornelia Trinkaus, Meerbusch Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-21026-7
Inhalt Vorwort ............................................................................................................ 7 Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... 9 Einleitung ........................................................................................................ 11
I. Kapitel
Der Politiker Hans Otto Roth 1890–1932 ..................................................... 35 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen vor dem Ersten Weltkrieg.... 35 Die Familie und Hans Otto Roths Jugendzeit bis 1918 ........................... 38 Roth als Sekretär des „Deutsch-sächsischen National- bzw. Volksrates“..... 45 Roth als Verfasser des neuen sächsischen Volksprogrammes ..................... 57 Probleme aus der rumäniendeutschen Alltagspolitik.................................. 66 1.5.1 Das Verhältnis zu Rudolf Brandsch ............................................... 69 1.5.2 Die Finanzierung der Schulen ....................................................... 77 1.5.3 Roths Engagement für Gewerbe und Industrie .............................. 86 Roths Einschätzungen der rumänischen Politik 1918–1932 ..................... 89 Roths Verhältnis zum aufkommenden völkischen Gedanken ................... 98
II. Kapitel
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in Rumänien 1933–1944 ........... 111 2.1 Die NS-Zeit in Rumänien 1933–1944..................................................... 111 2.2 Roth als Präsident des „Verbandes der deutschen Volksgruppen“.............. 115 2.3 Roth auf dem Nationalitätenkongress in Bern (16.–19. September 1933)........................................................................................................ 123 2.4 Der Verlust des kirchlichen Einflusses an den Nationalsozialismus während der Amtszeit Roths als Landeskirchenkurator ............................ 135 2.5 Politische Umwälzungen 1940/41............................................................. 173 2.6 Opposition gegen die Politik der DViR 1941–1944................................. 180
III. Kapitel
„Zusammenbruchsgesellschaft“ der Rumäniendeutschen und Kommunismus (1944–1953)........................................................................... 207 3.1 Kriegsende in Siebenbürgen 1944 ............................................................ 207 3.2 Hetzkampagne gegen Hans Otto Roth .................................................... 235
6 Inhalt
3.2.1 Die Anschuldigungen der Zeitung România Viitoare gegen Hans Otto Roth ............................................................................ 239 3.2.2 Die Anschuldigungen von Rudolf Brandsch gegen Hans Otto Roth............................................................................. 245 3.2.3 Die Anschuldigungen von Viktor Glondys gegen Hans Otto Roth ............................................................................ 250 3.3 Die aktuelle Quellenlage: Der Hintermann der Kampagne und Roths Tod................................................................................................. 253 Zusammenfassung ............................................................................................ 263
Anhang Anhang 1: Historischer Rückblick und Statistik Siebenbürgens ..................... 279 Anhang 2: Das sächsische Volksprogramm von 1919 .................................... 281 Anhang 3: Das Bistritzer Programm der Einheitsbewegung............................ 285 Anhang 4: Predigt von Bischofsvikar Friedrich Müller, Trinitatis 1942........... 288 Anhang 5: Hans Otto Roth bei Wilhelm Deppner......................................... 294 Anhang 6: Rede von Hans Otto Roth zur Einführung Bischof Müllers am 24. Juni 1945 ......................................................................... 295 Anhang 7: Ansprache bei dem Gedenkgottesdienst für die Familie am 23. Mai 1953 in der Sakristei der Schwarzen Kirche im Rahmen einer Abendmahlsfeier / Deutsche Messe / zum Gedächtnis für H.O.R. ................................................................ 297 Anhang 8: Stammbaum Hans Otto Roth....................................................... 301 Anhang 9: Minderheitenbestimmungen im Friedensvertrag von Trianon....... 302 Anhang 10: Forderung nach Bestrafung Roths ................................................ 307 Anhang 11: Roths Brief an Karl Gündisch bezüglich der Forderungen nach seiner Bestrafung .................................................................. 308 Anhang 12: Roths Interpretation seiner eigenen Rede 1941 anlässlich der Wahl Bischof Staedels.................................................................... 309 Anhang 13: Roths Erklärungen zu seiner Rede anlässlich der Einsetzung Wilhelm Staedels 1941 zum Bischof der Evangelischen Landeskirche A.B. ........................................................................ 310 Quellen- und Literaturverzeichnis .................................................................... 313 Personenverzeichnis........................................................................................... 330
Vorwort Die Siebenbürger Sachsen sind die älteste deutsche Minderheit in Südosteuropa. Seit rund 800 Jahren leben sie in Transsylvanien, dem Land, dem sie den Namen Siebenbürgen gaben. Generell haben mich die Deutschen mit ihren verschiedenen Ausprägungen und Entwicklungen in aller Welt schon immer interessiert, denn ich habe Verwandte in den Vereinigten Staaten von Amerika sowie deutschstämmige Freunde in Chile und Namibia. Mein Interesse speziell für Siebenbürgen wurde im Jahr 2002 geweckt, als ich in Erfurt zum ersten Mal das internationale Symposium der Stiftung Ettersberg zum Thema „Alte Eliten in jungen Demokratien“ besuchte. Dieses beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit die alten kommunistischen Machthaber noch heute die Schicksale der Menschen in den mittelosteuropäischen Ländern bestimmen. Auf diesem Seminar lernte ich Herrn Dr. Harald Roth vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. kennen, der mich kurz darauf auf Schloss Horneck in Gundelsheim am Neckar einlud. Dort kam ich mit gleichaltrigen Menschen aus Siebenbürgen in Kontakt, mit denen ich seitdem befreundet bin. 2003 besuchte ich sie und bereiste mit ihnen zusammen fast ganz Rumänien. Diese Reise weckte in mir die Überzeugung, dass die Thematik Siebenbürgen/Rumänien nicht nur eine historische, sondern angesichts der EU-Osterweiterung, gerade auch eine zukunftsweisende ist. Daher befasste ich mich in meiner Magisterarbeit mit den Siebenbürger Sachsen und der Nationalitätenfrage im 19. Jahrhundert. Heute sehe ich diese Überzeugung bestätigt und so beschloss ich, diese Thematik in meiner Dissertation zu vertiefen. An dieser Stelle möchte ich Herrn Professor Dr. Altgeld für die entsprechende Themenstellung und die wissenschaftliche Betreuung herzlich danken sowie meiner Familie, die mich in jeder Phase meines Studiums unterstützt hat. Mein weiterer Dank gilt der Tochter von Hans Otto Roth, Frau Dr. Maria Luise Roth-Höppner, seiner Nichte Brigitte Möckel (†), dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde Heidelberg e.V. und seinem Vorsitzenden, Dr. Ulrich A. Wien, sowie dem Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim am Neckar – hier insbesondere seinem früheren wissenschaftlichen Leiter, Herrn Dr. Harald Roth.
Abkürzungsverzeichnis AA ASI BA DAO DSNR DSVR DVR DViR Evangelische Landeskirche A.B F.N.D. GuG HjGLP
Auswärtiges Amt Archiv des Siebenbürgen-Institutes, Gundelsheim am Neckar Bundesarchiv Koblenz Deutsche Antihitleristische Organisation Deutsch-Sächsischer Nationalrat Deutsch-Sächsischer Volksrat Deutsche Volkspartei in Rumänien Deutsche Volksgruppe in Rumänien Evangelische Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses
Frontul National-Democrat – Nationaldemokratische Front Geschichte und Gesellschaft. Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik HOR Hans Otto Roth IfZ Institut für Zeitgeschichte in München NAF National Arbeitsfront NS Nationalsozialismus NSDAP-DViR Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei-Deutsche Volksgruppe in Rumänien NSDR Nationalsozialistische Selbsthilfebewgung der Deutschen in Rumänien NEDR Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien PA AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn. RAP Rumänische Arbeiter Partei RND Archiv des Rumänischen Nachrichtendienstes, Bukarest. SDT Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, Hermannstadt SS Schutzstaffel SS-Frw.-Div. Schutzstaffel-Freiwilligen-Division SS-VT Schutzsstaffel-Verfügungstruppe SSHK Siebenbürgisch-Sächsischer Haushaltskalender StAH Staatsarchiv Hermannstadt [Arhivele statului, Sibiu] StAKl Staatsarchiv Klausenburg [Arhivele statului, Cluj] Sodt. Vjbll bzw. SOV. Südostdeutsche Vierteljahresblätter.
10 Abkürzungsverzeichnis
VoMi VDR VDU ZfSL ZAEKR (ZK)
Volksdeutsche Mittelstelle Verband (Volksgemeinschaft) der Deutschen in Rumänien Verband der Deutschen Ungarns Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Rumänien
Einleitung „Der glänzendste und bedeutendste parlamentarische Vertreter unserer Volksinteressen, den wir jemals gehabt haben.“1 Hans Otto Roth ist mit der Geschichte der Rumäniendeutschen von 1918 bis 1949 untrennbar verbunden. Seine politische Karriere begann Ende 1918, als er auf den neugeschaffenen Posten eines Sekretärs des sächsischen Zentralausschusses (später „Deutsch-sächsischer Nationalrat“) berufen wurde. Von November 1919 bis Februar 1938 war er ständig wiedergewähltes Mitglied in der ersten Kammer des rumänischen Parlamentes und wurde danach automatisch Senator auf Lebenszeit. 1922 übernahm Roth den Vorsitz der Deutschen Parlamentspartei, deren strategischer Denker er bis in die 1930er Jahre hinein war. Seit 1926 gestaltete Hans Otto Roth als Mitglied der Kirchenleitung auch die Politik der Evangelischen Landeskirche A.B. (Augsburgischen Bekenntnisses) in Rumänien mit. 1932 wurde er als deren Landeskirchenkurator ihr höchster weltlicher Repräsentant. In diesen Positionen nahm er den Kampf mit dem vordringenden Nationalsozialismus auf, bis er schließlich 1943 das Amt des Landeskirchenkurators niederlegte. Schon ein Jahr später – nach dem Frontwechsel Rumäniens am 23. August 1944 – übernahm er jedoch erneut die politische Führung der Rumäniendeutschen, bis er 1949, angesichts des kommunistischen Drucks, endgültig aufgeben musste. Obwohl Roth seitdem keine offiziellen Ämter mehr bekleidete, wurde er von den neuen Machthabern kurz darauf grundlos verhaftet und starb am 1. April 1953 im Gulag Ghencea bei Bukarest. Diese Tatsachen sind unter den fachkundigen Siebenbürger Sachsen allgemein bekannt und gewürdigt. Dennoch wurde bislang erstaunlich wenig über Hans Otto Roth veröffentlicht. Weder wurde die Person als solche beleuchtet und seinem Werdegang nachgespürt, noch wurden die Umstände und Hintergründe seiner Entscheidungen analysiert oder die Tragweite seines Handelns festgestellt. Bislang findet man lediglich vereinzelte Aufsätze über ihn, wie etwa in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern von Hans Beyer oder von Rudolf Schuller, Wilhelm Bruckner, Hannelore Baier und Ulrich Andreas Wien. In der Veröffentlichung von Karl Kessler über Rudolf Brandsch wird auch kurz auf Hans Otto Roth eingegangen. Herbert 1 Karl Ernst Schell, ehemaliger Bürgermeister von Kronstadt, über Hans Otto Roth. In: Bruckner, Wilhelm: Der Politiker Dr. Hans Otto Roth vor 100 Jahren geboren. SOV 39, 1990, S. 241.
12 Einleitung
Roth, der Sohn von Hans Otto Roth, dokumentiert in seinem Buch „Kein Jahr war vergeblich. Hinter Stacheldraht und Gittern, 1958–1964“ den Tod seines Vaters im Gulag. Vasile Ciobanu untersuchte die Politik der Zwischenkriegszeit. In ihrer Dissertation „Zerbrochene Nachbarschaft“ geht Hildrun Glass ebenfalls auf Roths Positionen ein. Und nicht zuletzt hielt Hans Otto Roths Enkel Florian Roth am 13. Mai 2009 in München im Haus des Deutschen Ostens einen Vortrag über seinen Großvater. Ein Gesamtbild lässt sich aus diesen Veröffentlichungen aber nicht gewinnen. Eine umfassende Arbeit über das Leben und Wirken dieses bedeutenden siebenbürgisch-sächsischen Politikers fehlt, was der geschichtlichen Bedeutung seiner politischen Arbeit nicht angemessen ist. Diese Lücke in der Geschichtsforschung soll mit dieser Arbeit ein Stück weit ausgefüllt werden. Aus diesem Impuls erwuchs die Überlegung, die lebensgeschichtliche Untersuchung eines führenden siebenbürgischen Politikers so anzulegen, dass hierbei im biographischen Zusammenhang ein Bogen zur allgemeinen Geschichte einer deutschen Minderheitengruppe geschlagen wird, vom Anschluss Siebenbürgens an Rumänien 1919 über die „Weimarer Zeit“ bis hin zum Aufstieg und Niedergang des Nationalsozialismus, mit allen Folgen für die deutschen Minderheiten in Mittelosteuropa, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein wirken – eine Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der sehr spezifischen Perspektive eines Mitgliedes der engsten Führungsgruppe der deutschen Minderheit in Rumänien. Die Überlegung, eine Lebensgeschichte zur Grundlage einer explorierenden Untersuchung von persönlicher Lebensgeschichte und gleichzeitig allgemeiner Geschichte zu machen, wurde bereits in den frühen 1980er Jahren von Ulrich Herbert und seinen Essener Kollegen – namentlich Lutz Niethammer und Detlev Peukert – diskutiert. Dies führte zu Versuchen, lebensgeschichtliche Untersuchungen für die zeitgenössische Historiographie fruchtbar zu machen und dabei den Vorzug des Biographisch-Individuellen mit generalisierbaren Fragestellungen zu verknüpfen2, so wie es etwa bei Ulrich Herberts Biographie von Werner Best geschehen ist. Dieser Idee folgend liegt das Ziel der vorliegenden Arbeit in dem Versuch der Analyse des politischen Werdeganges von Hans Otto Roth. Die Fragen nach seiner Persönlichkeit und Überzeugungswelt und deren Veränderung in den 30 Jahren seines politischen Wirkens, die Frage nach der politischen Sozialisation und ideologischen Aufladung seines Umfeldes, die Frage nach der weltanschaulichen Motivation seines Handelns, außerdem die Untersuchung der rumäniendeutschen Politik (und teilweise auch der internationalen Politik) aus der Sicht Roths, sowie die Analyse des Abstieges Roths nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zu seinem Tod im Gulag 1953 müssen im Kontext betrachtet werden, um Roth als Menschen und als Politiker richtig beurteilen zu können. Die vorliegende Untersuchung folgt methodisch den von Roth durchlaufenen Zeitabschnitten der allgemeinen Geschichtsabfolge: Jugendzeit Herbert, Ulrich: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, S. 19. 2
Einleitung 13
bis 1918, Zwischenkriegszeit bis 1932, die Zeit des Nationalsozialismus bis 1944 und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg 1944–1953. Die Arbeit beschreibt diese Zeitabschnitte und analysiert sie jeweils in der auf Roth konzentrierten Perspektive. Dabei ist die moderne Betrachtung der Geschichte im Licht von „Generationen“ hilfreich, wie es Karl Mannheim aufgezeigt hat. Seiner Betrachtungsweise folgend wird heute immer häufiger auch von einer „Identität von Generationen“ bzw. von „Alterskohorten“ gesprochen.3 Diese Art der Betrachtung der Geschichte ist bei der biographischen Analyse des Lebens von Hans Otto Roth besonders hilfreich, da Roth in einer Zeit lebte, in der der Erste Weltkrieg die jungen Jahrgänge in Roths Alter ganz besonders stark prägte. Diese Kriegserfahrung hatte natürlich große, aber auch unterschiedliche Auswirkungen auf alle jungen Männer in Roths Alter: Während die einen aus dem Ersten Weltkrieg pazifistische Lehren zogen („nie wieder Krieg“), zogen die anderen revanchistische Lehren, verklärten den Krieg und überschätzten Deutschlands militärische Möglichkeiten (mit bestem Beispiel Hitler). Was also bezeichnet man als „Generation“ und wie wirken sich tiefgreifende Prägungen auf ihre Mitglieder aus? Eine Generation muss man sich als kollektive – oder nach Heinz Bude – horizontale Identität vorstellen. Entscheidend für das Entstehen eines Generationenbewusstseins ist hierbei nicht die tatsächliche Außerordentlichkeit einer gemeinsamen Erfahrung, sondern ihre Glaubwürdigkeit und Authentizität.4 Die gemeinsame Erfahrung darf sich nicht in gängige Schablonen einfügen. Eine Authentisierung wird durch die Verankerung im persönlichen, insbesondere im leiblichen Erlebnis hergestellt. Eine erste und elementare Form eines solchen leiblichen Erlebnisses ist die Anwesenheit am Ort des Geschehens, um mit eigenen Augen das Außerordentliche zu sehen, zu hören und zu fühlen. Rituale – gemeinsames Singen, Marschieren, Tanzen, Beten, Jubeln, Zuhören oder Schweigen – verstärken eine solche Erfahrung. Noch weiter gesteigert wird die Leiblichkeitserfahrung durch die Anwesenheit eines Gegners, der die eigene körperliche Unversehrtheit und die der Generationsgenossen bedroht, eine authentische Erfahrung, die nur noch schwer zu überbieten ist, die nur noch durch die direkte Erfahrung von Todesnähe übertroffen werden kann. In der Außerordentlichkeit der Gewalterfahrung, im Erlebnis der äußersten Bedrohung schwindet das Vertrauen in den Schutz durch die Eltern und die Überlegenheit der Älteren, und es öffnet sich ein Naturzustand, in dem überkommene Regeln nicht mehr gelten. Eine Generation entwertet die Erfahrung der Vorgänger und kann sich nun nicht mehr als deren bloße Fortsetzung begreifen. Sie tritt jetzt aus dem Schatten und dem Schutz der Eltern heraus und ist auf sich selbst gestellt. Durch die direkte Konfrontation mit Niethammer, Lutz: Sind Generationen identisch? In: Reulecke, Jürgen [Hg.]: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert. Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquium 58, S. 1. 4 Giesen, Bernhard: Generation und Trauma. In: Reulecke, Jürgen [Hg.]: Generationalität, S. 61 ff. 3
14 Einleitung
dem eigenen Tod ist man nun gleichsam kein Kind mehr, dem der Tod nur als Tod von anderen vorstellbar ist, nicht aber als unabweisbare Begrenzung des eigenen Lebens. Diese Todeserfahrung stellt die stärkste Erfahrung von Leiblichkeit dar. Das Erlebnis der Möglichkeit des eigenen Todes versperrt sich zumeist der Wahrnehmung, es wirkt wie eine Erschütterung, die zunächst nicht erzählt, sondern nur beschwiegen werden kann. In dieser Hinsicht zeigt die gemeinsam erfahrene Bedrohung des Lebens Züge eines kollektiven Traumas, das erst aus einigem Abstand erinnert und ausgesprochen werden kann. Diese traumatische Grundstruktur der Erinnerung, das Erlebnis der außerordentlichen Bedrohung, in dem der Schutz der Älteren versagt, stellt den äußersten Horizont dar, vor dem sich die kollektive Identität einer Generation bildet. Das Gegenstück eines solchen Traumas liegt in der Erfahrung eines unerwarteten Sieges, in einem Wagnis, das gegen den Rat der Eltern unternommen wurde und gelang.5 Hier geht es um kollektive Selbstvergewisserung des Geborgenseins. Eine solche Generation erfährt dabei nicht ihre eigene körperliche Geburt als Individuen, sondern erzeugt ihr eigenes Geburtserlebnis als Kollektiv, indem sie die Mahnungen der Älteren zur Vorsicht missachtet, das Unvernünftige, Ungewöhnliche und Neue riskiert und gewinnt. Die Teilnahme an neuen sozialen Bewegungen, an Revolutionen und Befreiungskämpfen vermittelt, wenn sie erfolgreich sind, ein solches triumphales Gefühl des Wiedergeborenseins, der Selbstfindung und der Selbstständigkeit. Über solche Triumphe oder solche Todesgefahren lassen sich die Erfahrungen der Älteren entwerten und die Diskontinuität der Generationen begründen. Wenn hingegen eigene traumatische oder triumphale Erinnerungen nicht vorhanden sind, so muss man die Erinnerungen von anderen übernehmen, die die eigenen hätten sein können. Jede Generation mit starkem geschichtlichem Selbstbewusstsein muss sich so ihre eigenen Erfahrungen suchen. Wichtig im Zusammenhang mit Hans Otto Roth ist vor allem die sogenannte „Generation Verdun“ oder „Generation Langemarck“ 6, also die Generation junger Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkrieges, wie sie in Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ oder in Remarques „Im Westen nichts Neues“ literarisch repräsentiert werden (unter den Rumäniendeutschen steht dafür exemplarisch Heinrich Zillich). Hans Otto Roth gehörte ihr ebenso an wie Hitler. Ihr generationsstiftendes Erlebnis waren die Schützengräben. Roth selbst hat diese Schützengrabenerfahrung allerdings niemals gemacht, denn schon im Ersten Weltkrieg hatte er es geschickt verstanden, sich aus der unmittelbaren Gefahrenzone herauszuhalten (vgl. Kapitel 1.1: Die Familie Roth und Hans Otto Roths Jugendzeit bis 1918). Als die „Generation Verdun“, oder „Isonzo-Generation“ für die Habsburger-Monarchie, dann in den 1930er-Jahren maßgebliche politische Verantwortung übernahm, führte ihre Politik in die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und vor allem
5 6
Ebd., S. 63 ff. Ebd., S. 66.
Einleitung 15
auch die Erfahrung der totalen moralischen Niederlage 1945 schockierten und desillusionierten dann die späteren Generationen, die Zweite-Weltkriegsgeneration sowie die „Flakhelfer und Hitlerjungen“ bzw. die „Trümmerfrauen“, die nach dem Krieg den Wiederaufbau Deutschlands betrieben. Die radikale Opposition der Studentenbewegungen gegen Sachzwänge, Establishment oder ganz allgemein gegen „die Herrschenden“ vermittelte das kollektive Oppositionsbewusstsein der „68er-Generation“, die den Konflikt auf der Straße suchte. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Links-Rechts-Koordinaten der politischen Weltdeutung führte dann möglicherweise zu einer neuen „Generation Berlin“7, die politische Bewegungen nicht mehr für besonders aufregend hält und sich stattdessen in Börsenspekulationen versucht – ein Engagement, das der „68er-Generation“ noch als unmoralisch galt.8 In all diesen Fällen werden Generationen aber nicht nur durch besondere Entwertungen der bisherigen Erfahrungshorizonte, sondern auch durch Grenzen des Verstehens markiert. Den Älteren, aber auch den Nachgeborenen, lassen sich die grundlegenden Erfahrungen und Erlebnisse nicht mehr mitteilen: „Ihr seid damals nicht dabei gewesen, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was es bedeutet …“ bzw: „Ihr versteht das nicht mehr, lasst uns nur machen.“9 Anders als in der Sowjetunion, wo nach dem Zweiten Weltkrieg die Kriegsgeneration noch über Jahrzehnte beherrschend blieb, trat in Deutschland die kompromittierte Generation politisch zurück zugunsten eines anfänglichen Rückgriffs auf die ältere Generation, die noch im Kaiserreich aufgewachsen war und die bereits in der Weimarer Republik die tragende Rolle gespielt hatte.10 So geschah es auch in Siebenbürgen, wo 1944/1945 auf Roths Politikerfahrung zurückgegriffen wurde (vgl. III. Kapitel), als die nationalsozialistischen Ideen gescheitert waren. Hans Otto Roth war hierbei insofern eine Ausnahme, als er ja eigentlich der kompromittierten „Generation Verdun“ angehörte. Aufgrund der Tatsache jedoch, dass er schon sehr frühzeitig – nämlich ab 1918, viel früher als seine Altersgenossen – politische Verantwortung übernommen hatte, war er 1945 vom Alter her noch verhältnismäßig jung. Während aber in Westdeutschland die vergleichsweise ältere Generation in der Folge ein Bündnis mit ihren Enkeln (der „Flakhelfergeneration“ im Westen und der „FDJ-Aufbaugeneration“ im Osten) als neuen Systemträgern einging – die wegen ihrer Enttäuschung vom Nationalsozialismus in besonderer Weise prädestiniert waren, die Verwestlichung bzw. Sowjetisierung in den deutschen Teilstaaten zu verinnerlichen –, wurde Hans Otto Roth in Rumänien daran gehindert, den „Staffelstab“ geordnet an die Nachfolgegeneration weiterzugeben, da er von den neuen kommunistischen Machthabern schon Giesen, Bernhard: Generation und Trauma. In: Reulecke, Jürgen [Hg.]: Generationalität, S. 66. 8 Ebd. 9 Ebd., S. 66. 10 Niethammer, Lutz: Sind Generationen identisch? In: Reulecke, Jürgen [Hg.]: Generationalität, S. 3. 7
16 Einleitung
zwischen 1945 und 1949 fortschreitend aus seinen Ämtern verdrängt wurde und 1953 gar im Gulag zu Tode kam. Roths Schicksal ist damit beispielhaft für die unterschiedliche Entwicklung der Generationen in Ost- und Westeuropa, weil im Osten die FDJGründergeneration angesichts der Verdrängung der alten Eliten sehr frühzeitig zur funktionalen Führungsschicht wurde. Ihre kurzzeitige Ausbildung und lange Verweildauer an der Macht frustrierte dann alle folgenden Altersgruppen. Im Westen hingegen hatte die Kriegsfolgegeneration/Flakhelfergeneration angesichts der gesellschaftlichen Reintegration der NS-Generation einen wesentlich langsameren Start, was das Bündnis mit den Patriarchen verzögerte und spannungsvoller gestaltete. Gegen diese Bündnisse regte sich dann seit den 1950er-Jahren in den Jugendkulturen der Kriegskinder Protest, der in den Studentenunruhen der 1968er-Jahre seinen wirksamsten Ausdruck fand. An sich waren diese Unruhen ein internationales Phänomen, das sich jedoch in Deutschland angesichts der NS-Katastrophe besonders ausprägte und einen besonders selbstgerechten Moralismus bei der „68er-Generation“ erzeugte.11 Als Roth 1918 in die Politik einstieg, ging es bei den zentralen politischen Fragen um die Rechte von Völkern, Nationen und Minderheiten (Selbstbestimmungsrecht der Völker). Um Missverständnisse zu vermeiden, bedürfen diese Begriffe im Vorfeld einer Definition. Des Weiteren muss klargestellt sein, dass man das historische Verständnis von Begriffen nicht mit dem heutigen Verständnis vermischen kann. Missverständnisse wären unvermeidlich und ganze Themenkomplexe würden unverständlich. Daher müssen in dieser Arbeit die historischen Definitionen der Begriffe „Volk“ und „Nation“ gelten, so, wie sie die Zeitgenossen damals verstanden haben, nämlich ethnisch. In den 1930er-Jahren bildete sich dieses ethnische Nationsverständnis in weiten Kreisen zu einem extrem rassistischen Verständnis aus, wofür der maßlos übersteigerte Nationalismus verantwortlich war, den die Nationalsozialisten proklamierten. Schon Immanuel Kant warnte jedoch vor einer solchen nationalistischen Einstellung: „Weil es die Absicht der Vorsehung ist, daß Völker nicht zusammenfließen, sondern durch gewisse zurücktreibende Kraft sich selber untereinander im Konflikte sind, so ist der Nationalstolz und Nationalhaß zur Trennung der Nationen notwendig … Dieses ist der Mechanismus in der Welteinrichtung, welcher uns instinktmäßig verknüpft und absondert. Die Vernunft gibt uns andererseits das Gesetz, das, weil Instinkte blind sind, sie die Tierheit an uns zwar dirigieren, aber durch Maximen der Vernunft müssen … ersetzt werden. Um deswillen ist der Nationalwahn auszurotten, an dessen Stelle Patriotism und Cosmopolitanism treten muß.“12 Ebd., S. 5. Kant, Immanuel: Aus dem handschriftlichen Nachlass zur „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ (1798). In: Alter, Peter: Nationalismus. Dokumente zur Geschichte und Gegenwart eines Phänomens, S. 39. 11 12
Einleitung 17
Seit dem Beginn der 1930er-Jahre musste sich Hans Otto Roth zunehmend mit einem radikalen Nationalismus auseinandersetzen. Wie konnte es sein, dass sich dieser ausgerechnet zu einer Zeit unter den Rumäniendeutschen ausbreitete, als Roth maßgebliche politische Verantwortung trug? Hat Roth Fehler gemacht, und wenn ja, welche? Um dies beurteilen zu können, ist es nötig, das Phänomen des Radikalnationalismus, welcher im Dritten Reich einen vorbildlosen Höhepunkt erreichte, mit den Modellen der modernen Nationalismusforschung zu untersuchen. Schon ab 1918 musste sich Roth mit der grundsätzlichen Frage befassen: Was ist eigentlich eine Nation? Dies war für die Siebenbürger Sachsen deshalb so wichtig, weil sich ab 1918 im Zusammenhang mit dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien aus dieser Frage schon die nächste grundsätzliche Frage ergab: Welche Rechte lassen sich daraus für eine „nationale Minderheit“ – hier konkret für die „Rumäniendeutschen“ – ableiten (vgl. Kapitel 1.2 und 1.3)? Das Nationsverständnis der Siebenbürger Sachsen (und damit auch von Roth), wie es 1918 allgemein verbreitet war, geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Hans Meyer schrieb 1898: „Das Wort Volkstum hat Friedrich Ludwig Jahn gebildet. In der Einleitung zu seinem Hauptwerk ,Deutsches Volkstum‘ sagt er: ,Volkstum ist das Gemeinsame des Volkes, sein innewohnendes Wesen, sein Regen und Leben, seine Wiedererzeugungskraft, seine Fortpflanzungsfähigkeit. ...‘ Jahn faßt in den Begriff ,Volkstum‘ alles zusammen, was das Leben eines Volkes Eigenartiges erzeugt und erhält ... Nach dem heutigen Sprachgebrauch scheint die Bedeutung des Wortes ,Volkstum‘ und ,volkstümlich‘ auf den ersten Blick schwankend zu sein, je nachdem man unter ,Volk‘ die Gesamtheit eines durch gemeinsame Abstammung, Sprache und Sitte verbundenen Teiles der Menschheit versteht oder nur den größeren Teil einer solchen Menschheitsgruppe, der, noch am tiefsten in dem natürlichen Boden wurzelnd, schon durch seine Überzahl dem Ganzen sein Gepräge gibt und als ,große Menge‘ der kleineren, von der Kultur reicher beeinflußten Gruppe der ,Gebildeten‘ ergänzend gegenüber steht. In diesem zweiten, beschränkten Sinne, versteht man das Wort ,volkstümlich‘, ... Dabei ist die Wiederholung der Bemerkung nützlich, daß wir unter Volk ausschließlich eine durch gemeinsame Abstammung, Sprache und Sitte dargestellte ethnische Einheit verstehen, die man als ,natürliches Volk‘ dem ,Staatsvolk‘, der Gesamtheit der Individuen eines Staates, gegenüber stellen kann. Wir gebrauchen den Ausdruck ,natürliches Volk‘ und nicht ,Naturvolk‘, weil der letztere von der Ethnologie angewandt wird, um den Gegensatz zum ,Kulturvolk‘ zu bezeichnen. Für ,natürliches Volk‘ kann aber auch der Name ,Nation‘ gesetzt werden, da in dem lateinischen natio die Bedeutung der gemeinsamen Abstammung enthalten ist; und in diesem Sinne deckt sich das Fremdwort ,Nationalcharakter‘ größtenteils mit dem deutschen Wort ,Volkstum‘. Dagegen bezeichnen Franzosen und Engländer mit dem Worte nation das Staatsvolk, dem sie das natürliche Volk, das wir unter Nation verstehen, als ,Völker lateinischer Rasse‘ bzw. ,angelsächsischer Rasse‘ gegenüberstellen.“13 Meyer, Hans: Das deutsche Volkstum, S. 7 ff.
13
18 Einleitung
Die unheilvollen Erfahrungen mit dem Nationalismus, die die Epoche bis zum Zweiten Weltkrieg mit sich gebracht hatte, wirkten sich auch auf die historische, soziologische und politologische Nations- und Nationalismusforschung aus. Die politische Aktualität war deutlich gestiegen und damit auch das Interesse der Wissenschaftler. Deren Anschauungen unterschieden sich natürlich auch weiterhin, doch stimmten sie nun in mehreren Punkten überein, was es zu betonen gelte und was überwunden sei. Die rassistischen Theorien der Blutsgemeinschaft verschwanden nun. Übereinstimmung herrschte jetzt auch darin, dass sich die Nation nicht allein durch ethnische Merkmale definieren lasse, wie dies zum Beispiel Meyer 1898 getan hatte. Die Nation wurde zunehmend erst dann als eigenständige politische und soziale Gemeinschaft anerkannt, wenn sich ihre Angehörigen nachweislich ihrer Zusammengehörigkeit bewusst waren und sie als Wert betrachteten. Daraus folgte dann die stärkere Akzentuierung der Erforschung des Nationalismus als subjektive Voraussetzung, Ausdrucksform oder gar Bedingung der Existenz der Nation.14 Meyers Nationsdefinition war aber schon 1898 nicht allgemein gültig. Bei seiner Argumentation musste man sich natürlich fragen, wann man zeitlich ansetzt, um die von Meyer so betonte ethnische Zusammengehörigkeit eines Volkes zu bestimmen. So waren z.B. auch die frühmittelalterlichen Germanenstämme, aus deren Zusammenschluss der Kern des deutschen Volkes entstand, ursprünglich mehr politische als ethnische Einheiten, wie u.a. Reinhard Wenskus 1961 gezeigt hat.15 Trotzdem erwuchs aus dem Zusammenschluss dieser Stämme langsam ein deutsches Volksempfinden auf Grundlage einer „gemeinsamen ethnischen Abstammung“, wohingegen sich ein solches ethnisches Zusammengehörigkeitsgefühl auf den britischen Inseln – trotz der Vereinigung 1707 – nicht in gleichem Maße ausgebildet hat16, obwohl die angelsächsische Einwanderung dort genau so alt ist wie die Bildung der vordeutschen Germanenstämme. Nicht nur Meyer, auch der französische Religionswissenschaftler, Orientalist und Schriftsteller Ernest Renan beschäftigte sich 1882 in Paris intensiv mit der Frage, was eine Nation ist.17 Er definierte dabei in erster Linie, was eine Nation aus seiner Sicht NICHT ist und bildet damit ein interessantes Gegengewicht zu Meyer. Renan ermahnte zur Differenzierung im Umgang mit der Idee der Nation, „die, obwohl sie dem Anschein nach klar ist, zu den gefährlichsten Missverständnissen Anlass gibt.“ 18 Zu diesen Missverständnissen gehöre, so Renan, die Verwechslung der 14 Hroch, Miroslav: Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, S. 16/17. 15 Vgl. dazu: Estel, Bernd: Nation und nationale Identität. Versuch einer Rekonstruktion, S. 59. Zitiert nach: Wenskus, Reinhard: Stammesbildung und Verfassung. Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 1961. 16 Ebd., S. 58. 17 Kunze, Rolf-Ulrich: Nation und Nationalismus. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, S. 11. 18 Renan, Ernest: Qu’est-ce que une nation? Deutsch: Was ist eine Nation? und andere politische Schriften, S. 41.
Einleitung 19
Rasse mit der Nation, wodurch man den ethnischen und sprachlichen Gruppen eine Souveränität nach dem Muster der wirklich existierenden Völker zuspreche. Seine erste nationalismusgeschichtliche Hauptthese lautet daher: „Die so verstandenen Nationen sind in der Geschichte etwas ziemlich Neues. Das Altertum kennt sie nicht: Ägypten, China, das alte Chaldäa waren nicht im Geringsten Nationen.“ 19 Eine wesentliche Voraussetzung für die Qualität als „Vaterland“ habe das Römische Reich im Unterschied zu diesen gezeigt: „Das Imperium war eine große Assoziation – Synonym für Friede, Ordnung und Zivilisation.“20 Die Frage, wie spätere germanische Invasoren sich Bestandteile dieser Identität zu eigen machten, führte Renan zu seiner zweiten nationalismusgeschichtlichen Hauptthese: „Das Vergessen – ich möchte fast sagen: der historische Irrtum – spielt bei der Erschaffung einer Nation eine wesentliche Rolle, daher ist der Fortschritt der historischen Wissenschaften oft eine Gefahr für die Nation.“21 Dies begründete Renan damit, dass eine kritische Geschichtswissenschaft das Konstrukt der Nationallegende dekonstruieren müsse: „Die historische Forschung bringt in der Tat die gewaltsamen Vorgänge ans Licht, die sich am Beginn aller politischen Formationen (…) ereignet haben. Die Vereinigung vollzieht sich immer auf brutale Weise.“22 Die im Kern auf Gewalt beruhende Schaffung eines Herrschaftskerns gelänge auch nicht überall: „Was dem französischen König teils durch Tyrannei, teils durch Gerechtigkeit gelang, scheiterte unter dem Hause Habsburg in Ungarn.“23 In diesem Zusammenhang wies Renan auch darauf hin, dass es nicht immer eine Dynastie sein müsse, die durch ihre Eroberungen und Integrationspolitik einen Herrschaftskern und die Identifizierung mit ihm stifte, wie die Fälle der Schweiz und der Niederlande zeigten. Renan teilte die Nation in fünf Hauptfaktorengruppen ein: Rasse, Sprache, Religion, Interessen und Geographie. In seiner dritten nationalgeschichtlichen Hauptthese erklärte er dann aber, warum keines dieser Kriterien zur Definition der Nation geeignet sei. So sah Renan das Entscheidende an der Erklärung der Nation auf der Basis des „rassischen“ Prinzips darin, ein Recht auf die Vereinigung aller Angehörigen einer Rasse zu konstruieren. „Dabei handelt es sich um einen schweren Irrtum, der, würde er sich durchsetzen, die europäische Zivilisation zugrunde richten würde.“24 Diese Warnung begründete Renan mit dem Hinweis auf die historisch gewachsene Gemengelage der Völker in Europa: „Frankreich ist keltisch, iberisch und germanisch. Deutschland ist germanisch, keltisch und slawisch. Italien ist das Land mit der verwirrendsten Ethnographie. (…) Die Wahrheit ist, dass es keine Rassen gibt und dass die Politik einem Trugbild aufsitzt, wenn sie sich auf ethnographische 21 22 23 24 19 20
Ebd., S. 42. Ebd., S. 43. Ebd., S. 45. Ebd., S. 45. Ebd., S. 45. Ebd., S. 48.
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Analysen gründet.“25 Genau diesem Trugbild saß später auch die nationalsozialistische Ideologie auf. Am deutschen Beispiel umriss Renan schon 1882 die Konsequenzen einer solchen „rassischen“ Interpretation der nationalen Grenzen: „Ist es sicher, dass die Deutschen, die die Flagge der Ethnographie so hoch halten, nicht eines Tages erleben werden, dass die Slawen ihrerseits die Dorfnamen Sachsens und der Lausitz erforschen, die Spuren der Wilzen und der Obodriten verfolgen und Rechenschaft für die Gemetzel und Massenverkäufe fordern werden, die ihren Ahnen von den Ottonen angetan wurden? Es ist für alle gut, vergessen zu können.“26 Die Sprache bewertete Renan wie die Rasse: Sie stelle keinen zwingenden Grund für die Ausbildung eines gemeinsamen nationalen Staates dar. „Beim Menschen gibt es etwas, das der Sprache übergeordnet ist und das ist der Wille.“27 So seien zum Beispiel die Schweizer eine Nation, weil sie es wollten. Den genauen Gegenpol zu dieser Meinung formulierte dagegen 1913 Josef Stalin: Er koppelte mehrere Faktoren zusammen: „Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinschaft der Kultur offenbarenden psychischen Wesensart. … Fehlt nur eines dieser Merkmale, so hört die Nation auf, eine Nation zu sein.“28 Diese Position blieb bis in die 1980erJahre die offizielle Position der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten.29 Für Renan schied des Weiteren das Kriterium Religion aus, weil es keine Staatsreligionen mehr gebe und Religion Privatsache geworden sei. Wirtschaftliche Interessen sah Renan ebenfalls nicht als nationsbildend an, da die Gemeinschaft von solchen Interessen zu Handelsverträgen führe, die Nation jedoch eine Gefühlsseite, eine Seele und einen Körper zugleich habe. Renan: „Ein Zollverein ist kein Vaterland.“30 Eine von natürlichen Grenzen sprechende Geographie war für Renan letztendlich nichts anderes, als eine Rechtfertigung jeder Form von Gewalt. Letztlich sah Renan die Nation als historisch bestimmt, aber durch den freien politischen Willen vieler Einzelner konstruiert: „Eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip. Zwei Dinge, die in Wahrheit nur eins sind, machen diese Seele, dieses geistige Prinzip aus. Das eine liegt in der Vergangenheit, das andere in der Gegenwart. Das eine ist der Besitz eines reichen Erbes an Erinnerungen, das andere das gegenwärtige Einvernehmen, der Wunsch zusammenzuleben, der Wille, das Erbe hoch zu halten, welches man ungeteilt empfangen hat.“31 Renans Interpretation der Nation Ebd., S. 49. Ebd., S. 51. 27 Ebd., S. 52. 28 Stalin, Josef 1913. In: Estel, Bernd: Nation und nationale Identität. Versuch einer Rekonstruktion. Weil 1913, S. 63. 29 Estel, Bernd: Nation und nationale Identität. Wiesbaden 2002, S. 63. 30 Renan, Ernest: Qu’ est-ce que une nation?, S. 55. 31 Ebd., S. 56. 25 26
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war streng individualistisch: „Wie der Einzelne, so ist die Nation der Endpunkt einer langen Vergangenheit von Anstrengungen, Opfern und Hingabe.“32 Das nationale Programm fasste Renan formelhaft zusammen: „Gemeinsamer Ruhm in der Vergangenheit, ein gemeinsames Wollen in der Gegenwart, gemeinsam Großes vollbracht zu haben und weiter vollbringen zu wollen – das sind die wesentlichen Voraussetzungen, um ein Volk zu sein.“33 Demzufolge ließe sich die Nation verstehen als „eine große Solidargemeinschaft, getragen von dem Gefühl der Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man noch zu bringen gewillt ist.“34 In diesem Zusammenhang fiel der meistzitierte Satz Renans: „Die Existenz einer Nation ist – erlauben Sie mir diese Metapher – ein Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt, so wie die Existenz eines Individuums eine dauernde Bestätigung des Lebensprinzips ist.“35 Da sich der politische Wille wandeln könne, seien auch Nationen nichts Ewiges. „Die europäische Konföderation wird sie wahrscheinlich ablösen.“36 Nach Heinrich August Winkler ist die industrielle Revolution der eigentliche Motor des Nationalismus gewesen. Winkler ist der Ansicht, dies habe sich erst mit der wirtschaftlichen Depression der 1870er-Jahre verändert. Im radikalen Nationalismus sah Winkler schließlich gar „einen im magischen Kult der Erde und der Toten gipfelnden profaschistischen Religionsersatz, in dessen Zeichen nunmehr auch die Gewaltanwendung gegenüber Andersdenkenden legitimiert wurde.“37 Damit sprach Winkler eine für diese Arbeit besonders interessante Überlegung an: Nationalismus als Religionsersatz? Diese Frage gewinnt gerade in Bezug auf die Rumäniendeutschen besondere Bedeutung, weil die Evangelische Landeskirche A.B. die siebenbürgischsächsische Politik bis 1938 maßgeblich bestimmte, bevor sie zunehmend gleichgeschaltet wurde. Landeskirchenkurator – und damit formal zuständig und verantwortlich für alle weltlichen Angelegenheiten der Evangelischen Landeskirche A.B. – war Hans Otto Roth, der mit dem Landesbischof Glondys als Gesamtrepräsentant der Landeskirche vorstand. Damit stand Roth in dieser Hinsicht im Zentrum der Verantwortung. Wie konnte es geschehen, dass sich die Masse der Siebenbürger Sachsen ausgerechnet unter seiner Kirchenführung von der althergebrachten Kirchenführung zunehmend abwandte und statt dessen dem „neuheidnischen NS-Kult“ huldigten? Wie konnte es geschehen, dass sich das bei den Siebenbürger Sachsen seit langem vorhandene Nationalgefühl so schnell in der „Generation Verdun“ in eine so aggressive nationalsozialistische Version umwandelte, das die altbewährten kirchli Ebd., S. 56. Ebd., S. 56. 34 Ebd., S. 57. 35 Ebd., S. 57. 36 Ebd., S. 57. 37 Winkler, Heinrich August: Der Nationalismus und seine Funktionen. In: ders. [Hg.]: Nationalismus, S. 15. 32 33
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chen Führungsstrukturen der Siebenbürger Sachsen in wenigen Jahren völlig ausschalten konnte – und das ausgerechnet während Roths Kirchenführung? Wie kam es, dass die – als Abstammungs-, Geschichts-, Sprach- oder politische Gemeinschaft definierbare – Nation im Leben der Menschen eine so zentrale, nicht selten sogar eine individuell und kollektiv sinnstiftende Rolle übernahm, die die älteren individuellen und kollektiven Bindungen und Loyalitäten zur Evangelischen Landeskirche schnell verdrängte? Ist es überhaupt richtig, hier von einer Verdrängung zu sprechen, oder gingen die viel älteren Bindungen wie ethnische Zugehörigkeit, die Konfession und die selektive Wahrnehmung der „eigenen“ und „fremden“ Geschichte nur besondere Mischungsverhältnisse mit der Ideologie des Nationalsozialismus ein, und wenn ja, wie? Was begründete die so außerordentliche Anpassungsfähigkeit der Rumäniendeutschen an den Nationalsozialismus, so dass selbst der erfahrene Politiker Roth das Vordringen dieser Ideologie nicht verhindern konnte? Welche mentalitätsgeschichtlichen Bedingungen förderten die Resonanz, die der Nationalsozialismus in Siebenbürgen und Rumänien fand? Wie waren die Entstehungsbedingungen des Nationalsozialismus in Rumänien gelagert? Die Diskussion um das Verhältnis von Gott und Nation sowie der Nation als eine „natürliche Einheit“ wurde entscheidend von der deutschen Romantik geprägt.38 Fichte und vor allem Herder können hier als ideologische Stammväter gelten.39 Charakteristisch war bei diesen frühen Ansätzen die theologische Interpretation des Natürlichen als des Göttlichen: Was natürlich war, wurde durch den Schöpfungsplan Gottes festgelegt. Jede Nation wurde als besonderer Gedanke Gottes begriffen, der eine besondere Aufgabe zugedacht war und die deswegen mit besonderen Eigenschaften und Talenten ausgestattet worden sei. Auf dieser Grundlage wurde entweder eine relativistische Position begründet, nach der alle Nationen in ihrer Verschiedenheit gleichwertig seien, oder eine chauvinistische Position vertreten, nach der eine bestimmte Nation den anderen Nationen überlegen sei. Neben dieser Verknüpfung von Natur und Religion sind noch zwei andere Tendenzen zu erwähnen: Auf der einen Seite die radikale Transzendentalisierung der Nation, auf der anderen Seite die Lösung der Nation aus dem transzendentalen Bezug und ihre Begründung alleine durch die Natur. Während in der angeführten Vorstellung die Nation immerhin noch einer supranationalen Instanz untergeordnet wurde, gingen andere Nationalisten noch einen Schritt weiter und setzten die Nation höher als Gott, setzte sie sogar als wahren Gott.40 Eine andere Art, die Nation als natürliche Einheit zu begründen, gab den transzendenten Bezug auf und setzte die Natur selbst als die oberste Legitimationsinstanz. Dabei wurde die Nation weniger als Sprach- und Kultur-, denn als Rassen- und 38 Sonnert, Gerhard: Nationalismus und Krise der Moderne. Theoretische Argumentation und empirische Analyse am Beispiel des neueren schottischen Nationalismus. Transfines Studien zu Politik und Gesellschaft, S. 38. 39 Ebd., S. 38. 40 Ebd., S. 39.
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Blutsgemeinschaft verstanden, die es zu erhalten galt, um einer Degeneration durch Rassenmischung vorzubeugen.41 Zu den modernen Vertretern eines säkularisierungsgeschichtlichen Ansatzes zur Nationalismusforschung gehört Hans Ulrich Wehler. Seine Argumentation enthält zwei Schritte: 1. Der außerordentliche Erfolg des Nationalismus in der europäisch-atlantischen Moderne beruhe auf der Adaption des weit verbreiteten und erfolgreichen „Ideenfundus“ aus der jüdisch-christlichen Tradition. 2. Diese Adaption sei auf die schlichte Übernahme archetypischer Zentralideen und Stilelemente reduzierbar: „Heiliges Land“, Eingriff Gottes in die Geschichte, „goldene Ära“ in der Vergangenheit und „Erlösung“ in der Zukunft.42 Am Ende sind für Wehler die Begriffe „Religion“ und „Nationalismus“ funktional austauschbar. „Man kann sich darüber streiten, ob die großen Erlösungsreligionen, die unstrittig noch weitere wichtige Merkmale besitzen, nicht zusätzliche Eigenarten, etwa ihre heiligen Texte und ein Corps von Heilsverwaltern besitzen. Zum einen haben jedoch auch mehrere Nationalismen ihre ,heiligen‘ Texte, wie etwa die amerikanische Verfassungsurkunde, zum anderen das funktionale Äquivalent von Heilsfunktionären, etwa in der Gestalt des nationalistischen Oberlehrers im Alldeutschen Verband oder im Ostmarkverein.“43
Wehler betont, dass dieser funktionalistische Reduktionismus durch eine Ablösung des Religionsbegriffes von der historischen Gestalt der vertrauten Erlösungslehren und ihre Betrachtung als ein kulturelles Deutungssystem entstehe. Den daraus resultierenden Religionsbegriff fasst er in zehn funktionalen Merkmalen zusammen: • Verheißung der Kontingenzbewältigung und der umfassenden Sinndeutung der menschlichen Existenz im Diesseits. • Ein Sinnstiftungsversprechen mit Unfehlbarkeitsanspruch bis hin zur Forderung des Märtyrertodes für die höchsten Werte. • Die kompromisslose Verteidigung eines Deutungsmonopols im Verhältnis zur Konkurrenz. • Hohe Adaptionsfähigkeit, um trotz des dogmatischen Kerns neuen Umständen gerecht werden zu können. • Der Entwurf eines umfassenden Weltbildes mit Normen und Verhaltensimperativen für möglichst alle Situationen. • Solidarische Vergemeinschaftung mit in-group- und out-group-Effekt.
Ebd., S. 39. Kunze, Rolf-Ulrich: Nation und Nationalismus, S. 56. 43 Wehler, Hans Ulrich: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen, S. 33. 41 42
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• Rituelle Praxis im Hinblick auf die Herrschaftsfestigung, Binnensolidarisierung und die Modellierung der Denkmuster als tröstende Kompensation für das schlechte Diesseits durch ein utopisches Jenseitsversprechen. • Intergenerationeller Charakter der Glaubenslehre, Transzendenzbezug, der den Opfertod rechtfertigt.44 Trotzdem kann auch Wehlers These nicht als allgemeingültig betrachtet werden. Nach Rolf Ulrich Kunze bildet – abgesehen von den Redundanzen dieser Merkmalsliste – der hier erkennbar werdende Begriff von Religion als kulturellem System nicht die historische Realität von Religionen in der Universalgeschichte ab. Die drei elementaren Grundfunktionen aller Religionen seien Verkündigung, Seelsorge und Diakonie. Letztere käme bei Wehler nicht vor, Seelsorge und Verkündigung reduziere er auf Herrschaftssicherungsstrategien. Die strukturell zur religiösen Lebenswelt gehörenden Glaubensinhalte und die ihnen verbundenen Gläubigen sähe Wehler offenbar nicht als Strukturmerkmale der Religion. Wolfgang Altgeld stellte diesbezüglich fest, dass die Grundlage von Wehlers Religionsbegriff in einem bestimmten Bündel von Annahmen über die Bedeutung der Säkularisierung besteht. Altgeld hat dieses Säkularisierungsverständnis exemplarisch untersucht und bringt gegen die säkularisierungsgeschichtliche, funktionale These vom Nationalismus als Religion drei Haupteinwände vor:45 • Die These setzt einen ahistorischen, anthropologisch-phänomenologischen bzw. soziologisch-funktionalistischen Begriff von Religion zwingend voraus: Religion ist demzufolge entweder allgemeinmenschlich „religious sense“46 oder individuell wie kollektiv determiniertes „Weltorientierungsmittel im sozialen Prozess.“47 Die These ist in beiden Varianten ein klassischer Zirkelschluss: ein Beweis mit Voraussetzungen, in denen das zu Beweisende schon enthalten ist. Wenn man den Religionsbegriff auf diese Weise ahistorisch aus Makrokategorien deduziert, ist sie plausibel. • Die These ist konfessionell undifferenziert, sie berücksichtigt also nicht die erhebliche Bedeutung konfessioneller Verschiedenheit, zum Beispiel in der Geschichte des deutschen aber auch des englischen und amerikanischen Nationalismus.48 In Wehlers Beispiel für einen nationalistischen „Heilsverwalter“ fehlt der Hinweis, dass der nationalistische Oberlehrer im Alldeutschen Verband oder im Ebd., S. 32. Kunze, Rolf-Ulrich: Nation und Nationalismus, S. 57. 46 Hoover, Arlie: The Gospel of Nationalism. German Protestantic Preaching from Napoleon to Versailles, S. 2. 47 Dülmen, Richard: Religionsgeschichte in der historischen Sozialforschung. In: GuG 6, 1980, S. 36–59. 48 Gellner, Ernst: Nationalismus. Kultur und Macht, S. 125–130. 44 45
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Ostmarkverein sehr viel wahrscheinlicher evangelischer als katholischer Konfession gewesen sein dürfte und die heilsgeschichtlichen Legitimationsideen im amerikanischen Anglosaxonismus unzweideutig protestantischer Natur sind. Religion ist selbst in ihrer konfessionsfeindlichen Form – z. B. in sektenähnlichen Glaubensgemeinschaften – im Hinblick auf den religiösen Habitus und die religiöse Deutungskultur des Alltags konfessionsbezogen. • Die These geht einseitig von der Übernahme religiöser „Zentralideen“ und Integrationsformen durch den Nationalismus aus. Diese Annahme blendet die umgekehrte Perspektive, nämlich die sehr aufschlussreich nationalreligiösen Denktraditionen bis hin zur antichristlichen völkischen „Deutschgläubigkeit“ komplett aus. Auf diese Weise wird ein wichtiges Element der Konstruktion nationalistischer Identität, das vor allem im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen völkischem Denken und Nationalsozialismus wichtig ist, der historischen Rahmenbetrachtung entzogen.49 Altgeld hat auch Wehlers Grundannahmen für dessen säkularisierungsgeschichtlichen Ansatz zusammengefasst: 50 Säkularisierung sei ein wesentlicher Aspekt von Modernisierung. Der Nationalismus löse bloß die alten Religionen ab und ersetze sie im religiösen Bedürfnishaushalt des modernen Menschen, außerdem in ihren sozial und politisch integrierenden und legitimierenden Funktionen.51 Er sei somit „Motor des Modernisierungsprozesses und (...) ein Palliativ gegen dessen mental verunsichernde und sozial desintegrierende Konsequenzen.“52 Möglich werde die behauptete Kausalkette von Modernisation – Säkularisierung – Nationalismus durch die Ausscheidung sämtlicher Glaubensinhalte aus dem Religionsbegriff unter anderem durch Ludwig Feuerbachs anthropologischen Ansatz, Karl Marx materialistische Religionskritik und die Religionssoziologie im Anschluss an Emile Durkheim. Da nun dieser betont funktionale, abstrakte und profane Religionsbegriff selbst ein Ausdruck von Säkularisierungsgeschichte und damit alles andere als wertneutral sei, tauge er für historische Beschreibungen schon an sich nicht, erst recht aber tauge er deshalb nicht, weil er den Kern des Religiösen ausblende. Die Anwendung des abstrakten Religionsbegriffes auf konkrete historische Abläufe führe zu paradoxen Ergebnissen: „So müsse der Schluss gezogen werden, dass das abendländische Christentum – wie andere Religionen in anderen Weltteilen – in dem Maße nicht mehr als Religion zu begreifen wäre, in dem mehr und mehr Menschen die Nation oder andere rein diesseitige Phänomene bis hin zur Fußballmannschaft – als ihr ,Heiligstes‘ bezeichnen und sich einigerma Kunze, Rolf-Ulrich: Nation und Nationalismus, S. 57. Ebd., S. 58. 51 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 395. 52 Altgeld, Wolfgang: Katholizismus, Protestantismus, Judentum. Über religiös begründete Gegensätze und nationalreligiöse Ideen in der Geschichte des deutschen Nationalismus, S. 11. 49 50
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ßen dementsprechend verhalten, in dem der Nationalismus – oder eine andere Ideologie – ,religiöse‘ soziopolitische Funktionen erfüllt und (...) zum ,Weltorientierungsmittel‘ von Massen wird. Säkularisierung könnte folglich für den Abendländischen Kulturraum nur noch (...) Ent-christlichung bedeuten. Der Nationalsozialismus, hochideologische rassistische Perversion des integralen Nationalismus, müsse als bloßes Anti-Christentum und in höherem Maß als Religion verstanden werden denn das Christentum und das Judentum unter seiner Herrschaft.“53
Im Hinblick auf den Säkularisierungsbegriff bilanzierte Altgeld: „Als geschichtswissenschaftlicher, auf die abendländische Welt bezogener Begriff taugt ,Säkularisierung‘ nicht zur Kennzeichnung gegeneinander abgrenzbarer Epochen – dort Gesellschaften, in denen das Christentum und, natürlich in anderen Konstellationen, das Judentum menschliche und soziale Identitäten zu begründen, soziale und politische Ordnungen zu legitimieren vermögen, die christlichen Kirchen unmittelbar soziale Kontrolle und teils direkte politische Herrschaft ausüben; hier moderne Gesellschaften, in denen sich das Individuum, die Wissenschaften, der Staat von diesen Religionen und Kirchen emanzipiert haben, in denen diese Religionen und Kirchen von modernen Ideologien und Bewegungen ersetzt werden mussten oder ersetzt worden sind, bis sich auch deren ,Ende‘ im vollkommen durchgesetzten Pluralismus des Westens ankündigt.“54
Von diesen säkularisierungsgeschichtlichen Automatismen sei, so Altgeld, eine Interpretationsrichtung der älteren Totalitarismusforschung abzuheben, der es um Kennzeichnung bestimmter phänomenologischer Aspekte des modernen Totalitarismus im 20. Jahrhundert im Hinblick auf seine besondere Massenintegrationsfähigkeit gegangen sei. Hinzuweisen sei hier vor allem auf das Grundlagenwerk des Politikwissenschaftlers Eric Voegelin (1893–1974), „Die politischen Religionen“ aus dem Jahr 1938. Die Arbeit von Altgeld enthält eine siebzigseitige Auswahlbibliographie zu Nationalismus und Religion.55 Nützlich für die Diskursgeschichte nationalreligiöser Symbolisierung und ritualhistorisch nationaler Gründungsmythen ist auch der von Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche 2001 herausgegebene Sammelband zum Thema „Nation und Religion“ aus dem Jahr 2001. Vor allem die konfessionellen Verschiedenheiten werden hier entsprechend gewürdigt. Auch innerhalb der einzelnen Konfessionen gab es Unterschiede in der Einstellung zum Nationalismus. Während im liberalen Protestantismus – wie er unter den Siebenbürger Sachsen vorherrschte –, aber auch im Katholizismus und im Judentum große Sympathien für das Projekt der Nationalisierung bestanden, reagierten die Ebd., S 15. Ebd., S. 18. 55 Ebd., S. IX–LXXX. 53 54
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konservativen Teile jener Konfessionen eher zurückhaltend bis ablehnend, denn sie standen im Bund mit den Monarchen und Fürsten und sahen sich als Teil des Ancien Régimes.56 Die positiven Beziehungen zwischen Religion und den europäischen Nationalbewegungen bezogen sich also auf die national integrationswilligen Teile tendenziell überstaatlicher religiöser Gemeinschaften. Diese fanden sich insbesondere in der protestantischen Konfession vor und unter den Siebenbürger Sachsen waren genau diese national integrationswilligen Personengruppen, intellektuell prägende Gestalten (wie G.D. Teutsch, Schuler v. Libloy, Gebbel, Müller), in der Evangelischen Landeskirche A.B. besonders einflussreich. Der Katholizismus hingegen stand für die laizistischen Nationalbewegungen überall „im Geruch des Aberglaubens, des Ewiggestrigen und der Gegenrevolution.“57 Mit der französischen Revolution war die Nation als ein säkulares Ordnungsmodell auf die Tagesordnung gekommen. Die katholische Kirche sah sich dagegen als Verteidigerin einer religiös und nicht national integrierten politischen Ordnung.58 Überall erzeugte dieses Gegeneinander von national-säkularen und national-religiösen Dispositionen scharfe Spannungen und Kulturkämpfe, denn mit dem Aufkommen der Nationalbewegungen war die Vorstellung der homogenen Nation mit Mehrkonfessionalität nicht mehr recht in Einklang zu bringen. Ganz besonders bei nationalen Minderheiten stärkte die Religion nun das Selbstbewusstsein von Nationalitäten59, so auch in Siebenbürgen, wo die Evangelische Landeskirche A.B. im 19. Jahrhundert zum Träger der sächsischen Politik wurde. Nach den in der Zeit Hans Otto Roths entscheidenden Kriterien der gemeinsamen Abstammung, der gemeinsamen Sprache und der gemeinsamen Sitten und Kultur waren (und sind) die Siebenbürger Sachsen ein Teil des deutschen Volkes. Als solcher wurden sie auch als deutsche „Volksgruppe“60 bezeichnet. Dieser Begriff ist jedoch noch ziemlich jung. In früherer Zeit verwendete man eher die Begriffe Minderheit oder Nationalität. Nach dem Handbuch der europäischen Volksgruppen61 besagt der Begriff, dass eine Volksgruppe „Teil eines Volkes ist, und zwar wird es einerseits für solchen gebraucht, der vom Volksganzen abgetrennt ist; zum anderen wird es auf ein staatenloses Volk angewandt, das in einem anderen Staatsvolk eingebettet ist. Typisch ist für beide, dass ihr Wohngebiet nicht in einem konatialen Staat liegt, sie daher in einem ihrer Eigenart fremden Staate leben.“62 56 Weichelin, Siegfried: Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa. In: Geschichte Kompakt, S. 20. 57 Ebd., S. 20. 58 Ebd., S. 20. 59 Ebd., S. 21. 60 Vgl. Veiter, Theodor: Nationalitätenkonflikt, S. 160–165 (Kapitel: Was ist eine Volksgruppe). 61 Mannhardt, Johann Wilhelm: Die Volksgruppe in Volk und Staat, S. 5. 62 Ebd., S. 5.
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Damit kann man heute zwei Arten von „Volksgruppen“ unterscheiden wie zum Beispiel die deutsche Minderheit in Rumänien oder aber die Bretonen in Frankreich. Theodor Veiter teilt diese Auffassung der Begriffsdefinition, stellt aber noch deutlicher soziologische Momente in den Vordergrund: „Volksgruppe ist eine erlebte und gelebte Gemeinschaft, gekennzeichnet durch das Leben im Verbande, durch eine Heimat, nämlich die Heimat der Gruppenangehörigen, das Eingebundensein in die Geschlechterfolge, dies als Volk oder Teil eines Volkes, die als ethnos (ethnische Schicksalsgruppe) in einem nicht von ihr allein beherrschten Staat oder Gliedstaat sich zur Selbstbehauptung gegenüber einer zahlenmäßig oder wirkungsmäßig andersethnischen Mehrheit gezwungen sieht, wenn sie nicht eingeengt werden oder untergehen soll.“63
Auch heute noch bezeichnet der Begriff „Nationalität“ größere Volksgruppen wie auch das staatsführende Volk, soweit es im Staat, mag es auch die übergroße Mehrheit der Bewohner umfassen, doch nur eine ethnische Teilgruppe neben anderen ist, so wie es im konkreten Fall in Siebenbürgen der Fall war.64 In der Deklaration der Menschenrechte, die 1948 von den Vereinten Nationen angenommen wurde und die noch immer internationaler Standard der Menschenrechte ist, wird Nationalität in Artikel 15 folgendermaßen definiert: „Niemandem darf seine Nationalität willkürlich entzogen werden, noch darf einem Menschen das Recht vorenthalten werden, seine Nationalität zu ändern.“65 In der Terminologie der Vereinten Nationen können Individuen die Nationalität also frei wählen, mit der sie sich selber identifizieren und mittels derer sie von anderen identifiziert werden wollen, womit Nationalität der Staatsbürgerschaft womöglich sehr nahe kommen kann. Im deutschen Kulturraum des späten 19./Anfang 20. Jahrhunderts hielt man jedoch genau diese Auffassung für falsch: „Noch tiefer ist der Unterschied zwischen ,Volkstum‘ und ,Staatszugehörigkeit‘, denn beide stehen einander wie Freiheit und Willkür, wie Natur und Kunst gegenüber. Die staatlichen Grenzen eines natürlichen Volkes, einer Nation, fallen nur ganz selten mit den ethnischen Grenzen zusammen. ... Nur bei wenigen Völkern decken sich die staatlichen und ethnischen Grenzen fast ganz. Es kann also jemand einem Staate angehören, ohne die Nationalität des den Staat vorwiegend ausfüllenden Volkes zu haben, und umgekehrt; und in noch viel höherem Maße können äußere Staatszugehörigkeit und innerliches Volkstum in einem Individuum auseinanderliegen. ... Bei lebendigem Nationalbewußtsein streben die in verschiedenen Staaten zersplitterten Teile einer Nation nach Einheit, wie es die Geschichte Deutschlands und Italiens so pa Veiter, Theodor: Nationalitätenkonflikt, S. 165. Kloss, Heinz: Grundfragen der Ethnopolitik im 20. Jahrhundert, S. 67. 65 MacArthur, Marylin: Zum Identitätswandel der Siebenbürger Sachsen, S. 15. 63 64
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ckend zeigt, wogegen verschiedene zu einem gemeinsamen Staatsverband vereinigte Nationen nach Sonderung und Selbständigkeit streben, wie wir es vornehmlich in ÖsterreichUngarn und Belgien sehen. Das aus dem natürlichen Gefühl hervorgehende Verlangen, daß jede Nation, die Kraft zur Selbsterhaltung hat, einen eigenen Staat zu bilden, nennen wir ,Nationalitätsprinzip.‘66
Das UN-Nationsverständnis darf also nicht mit dem Nationsverständnis der Siebenbürger Sachsen 1918 verwechselt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden durch die neuen Grenzziehungen in den Pariser Vorortverträgen im ganzen südosteuropäischen Raum „nationale Minderheiten.“ Schon dieser Begriff entstammte der Völkerrechtspraxis nach dem Ersten Weltkrieg. „Minderheiten“ können sich dabei nach sehr verschiedenen Gesichtspunkten bilden. Für den politischen Raum wird das Wort meist im zahlenmäßig-statistischen Sinne gebraucht. „National“ bedeutet in diesem Zusammenhang auch hier so viel wie ethnisch, ist also – Meyer folgend – auf die ethnische Nation, die Kulturnation, bezogen.67 In diesem Zusammenhang interessant ist aber auch die Interpretation, die der englische Sprachgebrauch zulässt, nämlich als „minority“ die „non-dominantgroup“ zu bezeichnen. Theodor Veiter beschreibt dieses Problem so: „Aber mit Minderheit wurde, wie auch heute noch, immer wieder etwas zugleich Minderberechtigtes, ja nicht selten Minderwertiges verstanden und der Nationalitätenkonflikt hat seine Ursachen auch in dieser Ausdeutung von Minderheit gehabt“.68 Als ein entpolitisierendes Synonym für Nationalität wird heute auch manchmal der amerikanische Terminus „Ethnizität“ gebraucht. Der Begriff Nationalität ist jedoch – insbesondere im europäischen Raum – gebräuchlicher69 und wird auch in dieser Arbeit verwendet werden. Nach den Vorstellungen von Hans Meyer aus dem Jahre 1898, dass Menschen Angehörige eines Staates sein können, ohne Teil der betreffenden Nation zu sein, ergab sich nun zwangsläufig die Frage, welche Rechte diesen Menschen zustanden, hier konkret: Hatten sie als nationale Minderheit ein Recht auf Autonomie – wie Hans Otto Roth dies einforderte (vgl. besonders Kapitel 1.2 und 1.3) –, oder waren sie, wie die Rumänen das sahen, als rumänische Staatsbürger wie Rumänen zu behandeln (vgl. ebenda)? Dies wirft nun die Frage auf, was genau unter Autonomie verstanden werden muss. Autonomie stellt einen zentralen Begriff des modernen Volksgruppenrechtes aber auch des historischen Nationalitätenrechtes dar. Besonders in Siebenbürgen kam dem Kampf um den alten sogenannten „Königsboden“ (fundus 68 69 66 67
Meyer, Hans: Das deutsche Volkstum, S. 9. Veiter, Theodor: Nationalitätenkonflikt, S. 133. Ebd., S. 133. MacArthur, Marylin: Zum Identitätswandel der Siebenbürger Sachsen, Fußnote S. 15.
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regius) der Siebenbürger Sachsen – auf dem die Sachsen weitgehende Autonomierechte hatten – besondere Bedeutung zu, war die Behauptung dieser Autonomierechte doch das wesentlichste Ziel der Siebenbürger Sachsen bis 1867 gewesen. Danach kämpften die Sachsen noch lange Zeit für die Wiederherstellung ihrer Autonomie. Autonomie bezeichnet eine Form der Selbstbestimmung des einzelnen, aber auch einer Personengruppe. Auch für Volksgruppen wird durch Autonomie das zugestandene Recht auf Selbstbestimmung zum völkerrechtlichen Prinzip. Der „Entwurf eines Protokolls zur Durchführung des UNO-Abkommens über den Schutz nationaler oder ethnischer Gruppen oder Minderheiten für den Bereich der Mitgliedsstaaten des Europarates“70 enthält klare Abgrenzungen der verschiedenen Autonomiearten und -formen. Wann einer Volksgruppe Autonomie zu gewähren ist, klärt Artikel 5 des Entwurfes: „Art. 5. Volksgruppen haben das Recht, ihren rechtlichen Status nach dem öffentlichen Recht des Staates (Gliedstaates), in dem sie leben, in voller Freiheit selber zu bestimmen. Bewohnen sie geschlossene Siedlungsgebiete, so hat der betreffende Staat (Gliedstaat) in diesem Gebiet territoriale Autonomie zu gewähren. Den in diesem Staat lebenden und dort minoritären ethnischen Gemeinschaften und Gruppen (Minderheiten in der Minderheit) ist entweder der Status einer Exklave des Staatsvolkes oder personelle Autonomie zuzuerkennen.“71
Der vorstehende Artikel 5 enthält damit zwei unterschiedliche Formen der Autonomie: die Territorialautonomie und die Personalautonomie. Wird einer Volksgruppe ein geschlossenes Gebiet (Territorium) vom Staat zur Selbstverwaltung übertragen, so spricht man von Territorialautonomie. Eine solche war in Siebenbürgen noch bis 1868 durch das sogenannte „Andreanum“ des Jahres 1224 vom ungarischen König garantiert. Welche Lebensbereiche von einer Volksgruppe autonom verwaltet werden, ist bei territorialer und personaler Autonomie von Fall zu Fall verschieden. Artikel 10 des UN-Entwurfes erläutert: „Art. 10. Die Errichtung einer Territorialautonomie setzt ein hinreichend großes Gebiet voraus, das verkehrsmäßig und wirtschaftlich eine Einheit bildet. Bei der Entscheidung darüber, ob diese Merkmale vorliegen, ist großzügig und entgegenkommend zu verfahren.“ 72 Diese Merkmale lagen in Siebenbürgen zwar vor, doch ist zu beachten, dass Siebenbürgen nicht nur Siedlungsgebiet der Sachsen war und daher nicht als geschlossenes Siedlungsgebiet ausschließlich einer nationalen Gruppe angesehen werden konnte. Internationales Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus (INTERG) [Hg.]: Volksgruppenrecht und Minderheitenschutz, Entwurf einer Internationalen Konvention und eines europäischen Regionalprotokolls, S. 64–67. In: Kotzian: Das Schulwesen der Deutschen in Rumänien unter dem Aspekt des Volksgruppenrechtes, S. 54/55. 71 Ebd., S. 64. 72 Ebd., S. 64. 70
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Der zitierte Entwurf des UNO-Abkommens stellt nach der Unterscheidung von Territorial- und Personalautonomie drei Autonomiebereiche gleichberechtigt nebeneinander: Sprachautonomie, Schulautonomie und Kulturautonomie. Die Sprachautonomie bezieht sich auf den Gebrauch der Sprache der Volksgruppe als Amtssprache der Verwaltung und der Gerichte. Außerdem sollen topographische Bezeichnungen auch in der Sprache der Volksgruppe vorgenommen werden. Gerade der Kampf um die Sprache in Siebenbürgen wurde dort immer mit großer Erbitterung geführt und war sehr eng mit dem Kampf um die Erziehung der Jugend in den Schulen verknüpft. Die Kulturautonomie wird im genannten Entwurf auf die Bewahrung und Erhaltung der Kulturgüter, Kunstwerke, Archivmaterialien und Schriften sowie auf die Gestaltung und Benutzung von Medien durch die Volksgruppe bezogen. Auch die Beibehaltung der Familiennamen in der Sprache der Volksgruppe wird als Forderung der Kulturautonomie genannt. Man könnte aber auch Kulturautonomie im weiteren Sinne als Oberbegriff verstehen, der Sprachautonomie und Kulturautonomie im engeren Sinne des UNO-Entwurfes umfasst. Kulturautonomie im weiteren Sinne entspräche dann etwa dem Begriff der Personalautonomie.73 Um diese verschiedenen Arten von Autonomie drehten sich politischen Forderungen der „Rumäniendeutschen“ in der Zwischenkriegszeit, deren Durchsetzung durch die Staatsregierung Hans Otto Roth forderte und erwartete. Bis 1989/90 war das Archivmaterial in Rumänien für die Forschung zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen weitgehend unzugänglich. Heute ist das anders. Die rumänischen Archive stehen nun uneingeschränkt zur Verfügung. Für siebenbürgischsächsische Zeitgeschichte ist vor allem das Staatsarchiv Hermannstadt, bis 1948 Archiv der Sächsischen Nation und Archiv der Stadt Hermannstadt, von Bedeutung. Da sich dieses Archiv – als ein letzter Rest der sächsischen Nationaluniversität – ebenso wie das Brukenthalmuseum bis 1948 im Besitz der Evangelischen Landeskirche befand, fanden hier viele Bestände Zugang, die sonst wahrscheinlich verloren gegangen wären. Informationen über Hans Otto Roth findet man hier in den Akten des Deutsch-sächsischen Volksrates für Siebenbürgen (vereinigt mit den Akten des Deutsch-sächsischen Nationalrates für Siebenbürgen 1918–1919 im Fonds Consiliul National Sasesc). Hier sind Korrespondenzen mit dem Verband der Deutschen in Rumänien, mit dem Deutschen Kulturamt in Hermannstadt und mit reichsdeutschen Stellen erhalten, teilweise auch Kopien von Verträgen und der Sitzungsprotokolle.74 Auch Korrespondenz von Hans Otto Roth ist hier archiviert. Für die Jahre 1933–40 findet man Unterlagen unter dem Bestand „Deutsche Volksgemeinschaft in Rumänien.“ 73 Kotzian: Das Schulwesen der Deutschen in Rumänien unter dem Aspekt des Volksgruppenrechtes, S. 60. 74 Die Originale wurden anscheinend an einem anderen Ort „sicher“ aufbewahrt, wo sie wahrscheinlich verloren gingen. Darauf deuten wiederholte Hinweise in den Akten des Volksrates hin.
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Im Varia-Bestand des Hermanstädter Staatsarchivs, dem Fonds „Brukenthal“, finden sich weitere zahlreiche kleine Erwerbungen von informativem Wert (Nachlässe von Persönlichkeiten aus Politik, Kirche, Akten des „Hermannstädter Bürgerabends“ oder eine umfangreiche Sammlung wichtiger Dokumente zur Geschichte der Landeskirche und der Schule während der Zwischenkriegszeit). Weiteres wichtiges Quellenmaterial beherbergt das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (ZAEKR) im Friedrich-Teutsch-Haus, das die Akten des Landeskonsistoriums seit dem Jahr 1922 enthält.75 Sie sind in jahrweise angelegten Registern erschlossen. Auch die Bibliothek des Brukenthalmuseums ist für die Forschung über Hans Otto Roth von Bedeutung. Hier wurden – bis zur Enteignung nach dem Zweiten Weltkrieg – sämtliche Druckschriften der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte gesammelt, weswegen dort zahlreiche Periodika und Kleinschriften einzusehen sind. Nachlässe und Gerichtsakten in Klausenburg geben Aufschluss zur Übergangszeit 1918–1920 sowie zu den Anfängen des Nationalsozialismus. Das Staatsarchiv Kronstadt (Brasov) indessen bewahrt die für die Zwischenkriegszeit wichtigen Unterlagen der städtischen Behörden auf. Ebenfalls in Kronstadt befindet sich der politische Nachlass von Hans Otto Roth. Der aus Originaldokumenten (Briefen, Protokollen, Denkschriften, Telegrammen, Postkarten, Zeitungsexemplaren, Zeitungsausschnitten usw.). Abschriften, handschriftlichen Aufzeichnungen und Entwürfen Hans Otto Roths zusammengesetzte politische Nachlass befindet sich in vier Mappenkonvoluten im Archiv der Schwarzen Kirche. Außer einer Zahl von Zeitungsexemplaren liegen die Dokumente in Mappen verteilt, die im Zuge der Neuordnung des Kirchenarchivs in den frühen 1960er-Jahren auf der Hinterseite mit laufenden Nummern von 218 bis 247 versehen wurden. Bis auf eine Mappe, in der sich die handschriftliche Aufstellung und Verteilung ausgewählter Dokumente auf drei Exemplare und auf einen Anhang befindet, hat Roth jede Mappe mit einem Hinweis auf den jeweiligen Inhalt und die meisten Mappen mit dem Vermerk „Kr“ (für Kronstadt) in roter Farbe versehen. Diese Angaben weisen darauf hin, dass Roth aus Sicherheitsgründen ausgewählte Dokumente seines Nachlasses in drei Exemplaren aufheben ließ, wovon das eine in Kronstadt, ein weiteres in Groß-Schenk, wie der Vermerk „Gr. Sch.“ auf einer Mappe verrät, und das dritte in Hermannstadt aufbewahrt wurde. Dieser Teil des Nachlasses von Hans Otto Roth wurde von Klaus Popa ediert.76 Außer den regulären Archivbeständen existieren Nachlässe von/über Hans Otto Roth, die sich in privatem Besitz befinden. Hier sind vor allem die Aufzeichnungen von Hans Otto Roth zu nennen, die von seiner Tocher, Frau Dr. Maria-Luise Roth-
75 Die Akten bis zum Jahr 1922 mussten in den 1970er-Jahren ans Staatsarchiv Hermannstadt abgegeben werden, wo sie als Fonds Landeskonsistorium geführt werden. 76 Popa, Klaus [Hg.]: Die Rumäniendeutschen zwischen Demokratie und Diktatur. Der politische Nachlass von Hans Otto Roth 1919–1951. Fortan: Politischer Nachlass HOR.
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Höppner in Zusammenarbeit mit dem rumänischen Historiker Vasile Ciobanu77 geordnet wurden und in Hermannstadt aufbewahrt werden. Leider durfte die Familie Roth, als sie 1969 in die Bundesrepublik Deutschland auswanderte, nur 40 kg Gepäck pro Person mitnehmen. Darunter durften sich nur 100 Fotos und keine schriftlichen Unterlagen befinden. Daher besitzt die Familie heute selbst nur noch wenige Hinterlassenschaften von Hans Otto Roth. In Deutschland ist neben dem Archiv des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn und das Bundesarchiv in Koblenz von Bedeutung. Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn befinden sich umfangreiche Bestände zu Kirchenfragen, wie auch umfangreiche Korrespondenzen der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest sowie des Deutschen Konsulats in Kronstadt mit dem Auswärtigen Amt, die häufig Bezug auf die internen Fragen der deutschen Minderheit in Rumänien nehmen. Dabei ist besonders das Archiv des Deutschen Auslands-Instituts (DAI) in Stuttgart wichtig, das bei der Kulturförderung deutscher Minderheiten im Ausland schon in der Zwischenkriegszeit eine koordinierende Funktion einnahm. Partner des DAI war das Deutsche Kulturamt in Hermannstadt. In Koblenz wird der Nachkriegsnachlass des in der Jugend- und Erneuerungsbewegung tätigen Pfarrers und späteren Bischofs Wilhelm Staedel aufbewahrt. Auch dieser Bestand enthält Anmerkungen zu vielen Persönlichkeiten der 20er- und 30er-Jahre. An zeitgenössischen gedruckten Quellen ist in erster Linie das Siebenbürgischdeutsche Tageblatt als halboffizielles Organ des Deutsch-sächsischen Volksrates zu nennen, das als Ergänzung zu den archivalischen Unterlagen unverzichtbar ist. Meinungsverschiedenheiten zu politischen und weltanschaulichen Fragen wurden nämlich zu jener Zeit meist nicht in politischen Gremien, sondern über die Presse in der Öffentlichkeit ausgetragen.78 Diese Pressefehdekultur wurde landläufig auch „wenn sich die Herren streiten“ genannt. Sie ist auf fehlende Tradition politischer Diskussion zurückzuführen, die aufgrund der notgedrungen einheitlichen Ausrichtung der sächsischen Politik nicht entstehen konnte.79 Zeitungspolemiken erhalten dadurch eine größere Bedeutung als andernorts, da sich oftmals nur mit ihrer Hilfe die Entwicklung in ideologischen und weltanschaulichen Fragen nachzeichnen lässt. Für die Auseinandersetzungen der politisch führenden sächsischen Persönlichkeiten – insbesondere von Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth – sind daher besonders das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt und die Kronstädter Zeitung von Bedeutung. Auch die Zeitung der „Unzufriedenenbewegung“, das Sächsische Volks77 Professor an der Hermannstädter Universität und gleichzeitig Forscher an dem Hermannstädter Institut für Geisteswissenschaften. 78 Roth, Harald: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919– 1933. [Künftig: Politische Strukturen], S. 18. 79 Ebd.
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blatt, die Blätter der nationalsozialistischen „Selbsthilfebewegung“ Selbsthilfe (bzw. Ostdeutscher Beobachter) und die Sachsenburg sowie das Organ des Hermannstädter Bürgerabends Neue Zeitung sind interessant. Die Kronstädter Zeitschrift Klingsor war ein Sprachrohr junger Intellektueller, welches von Heinrich Zillich herausgegeben wurde.
I. Kapitel
Der Politiker Hans Otto Roth 1890–1932 1.1 Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen vor dem Ersten Weltkrieg In Österreich-Ungarn hatten sich vor dem Ersten Weltkrieg Kontakte zwischen Siebenbürger Sachsen und Siebenbürger Rumänen entwickelt.80 Diese basierten auf der gemeinsamen Ablehnung der ungarischen Politik in Siebenbürgen nach 1867. 1918/19 bestimmte diese Vorgeschichte dann maßgeblich das Handeln der sächsischen Politiker, insbesondere das von Rudolf Brandsch.81 Im 19. Jahrhundert blieb die Zusammenarbeit der Siebenbürger Sachsen mit den Siebenbürger Rumänen nur auf punktuelle Kooperation beschränkt. Beide Volksgruppen waren sich in der Kritik an der ungarischen Politik zwar stets einig, doch die Ausgangspunkte ihrer beiden Nationalbewegungen waren sehr unterschiedlich und ihre Sorge galt meistens nur den Interessen der jeweils eigenen Nationalität. Zudem kämpften die Sachsen teilweise noch für die Wiederherstellung ihrer alten Privilegien des Andreanischen Freibriefes, während sich die Rumänen lediglich um die Einlösung der in den 1860er Jahren versprochenen Gleichberechtigung bemühten. Auch die Richtung, in der beide Volksgruppen nach Schutz suchten, war jeweils eine andere: Die Siebenbürger Sachsen orientierten sich nach Westen und hier immer stärker auf das Deutsche Reich. Gegenüber der Habsburger Monarchie legten sie hingegen ein zunehmend reserviertes Verhältnis an den Tag. Einerseits hatte man nach den zahllosen Enttäuschungen in der Geschichte immer stärker das Gefühl, von Wien an die ungarische Regierung ausgeliefert worden zu sein, andererseits legte auch der in der Abwehr der Magyarisierung immer stärker forcierte evangelisch-lutherische Glaube eine Orientierung an das vom protestantisch geprägten Preußen dominierte Reich nahe.82 Die Rumänen hingegen suchten verständlicherweise Unterstützung bei ihren Vgl. dazu auch Frühmesser, Thomas: Die Siebenbürger Sachsen und die Nationalitätenfrage im 19. Jahrhundert. Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades des Magister Artium. Würzburg 2006. 81 Zur Person von Rudolf Brandsch siehe: Eisenberger, Eduard: Rudolf Brandsch. In: Drotleff, Dieter: Taten und Gestalten. Bd. II, S. 157–160. 82 Volkmer, Gerald: Die Siebenbürgische Frage (1878–1900), S. 59. 80
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Landsleuten in Rumänien. Die dortige öffentliche Stimmung verschob sich – besonders nach dem Berliner Kongress – mehr und mehr gegen das Habsburgerreich. Bereits 1875 war es anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Annexion der Bukowina durch die Habsburger Monarchie zu rumänischen Protesten vor Ort und in Rumänien selbst gekommen. Doch nun gesellte sich zu der Angst vor den expansionistischen Tendenzen Russlands und Österreich-Ungarns auch das Gefühl dazu, von Österreich-Ungarn an der Verwirklichung des großrumänischen Traumes gehindert zu werden.83 Auf dem Berliner Kongress hatte Rumänien allerdings Südbessarabien an Russland abtreten müssen, was die russlandfeindliche Orientierung Rumäniens bis zum Ersten Weltkrieg bewirkte. Den jüngeren sächsischen Politikern, die die kompromissbereite Linie der älteren Politiker ablehnten, gab 1894 die Ernennung Baron Bánffys zum ungarischen Ministerpräsidenten massiven Auftrieb. Baron Bánffy hatte sich nämlich bereits in seiner Zeit als Obergespan des Komitats Bistritz-Nassod durch seine besonders kompromisslose und nationalistische Magyarisierungspolitik bei den Sachsen verhasst gemacht. Die neuen sächsischen Kritiker der bislang eher gemäßigten Linie sammelten sich nun um die von Lutz Korodi84 geleitete Kronstädter Zeitung und griffen die neue ungarische Regierung scharf an. Die älteren, pragmatischeren Politiker um Carl Wolff versuchten, diese Jungen als „grün“ – unreif – zu disqualifizieren, was jedoch misslang. Die Jungen nahmen die Bezeichnung an, deuteten grün als die Farbe der Hoffnung und bezeichneten im Gegenzug die kompromissbereiten Politiker als „Schwarze“ (eine Anspielung auf die Kirchenführung, die diese Linie vertrat).85 Die Grünen – zu denen dann auch Rudolf Brandsch gehörte – forderten nun eine entschiedene Ablehnung des neuen ungarischen Ministerpräsidenten durch Verweigerung jeglicher Mitarbeit und den Austritt aller sächsischen Abgeordneten aus der Regierungspartei. 1894 gründeten sie die „Burzenländer sächsische Bürger- und Bauernpartei“ und intensivierten die Kontakte zu deutschnationalen Zusammenschlüssen in Deutschland, insbesondere zum „Deutschen Schulverein“ und zum „Alldeutschen Verband.“ Außerdem wandten sie sich verstärkt den Donauschwaben zu, wobei sie eng mit Edmund Steinacker86 zusammenarbeiteten, der in den Jahren 1875–1888 die Wahlkreise Bistritz bzw. Heltau im ungarischen Reichstag vertrat und als einzig wirklich aktiver deutscher Nationalitätenpolitiker in Ungarn galt.87 Er betrieb den Zusammenschluss aller Deutschen im Königreich Ungarn und gründete 1906 die „ungarländische deutsche Bürgerpartei.“ Gleichzeitig begannen die Grünen nun mit dem Aufbau von Kontakten zur Rumänischen Nationalpartei Siebenbürgens, Ebd., S. 59. Zur Person Lutz Korodis siehe: Drotleff, Dieter: Taten und Gestalten. Bd. II, S. 137 ff. 85 Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 160. 86 Zur Person von Emund Steinacker siehe: Drotleff, Dieter: Taten und Gestalten. Bd. II, S. 90 ff. 87 Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 161. 83 84
Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen vor dem Ersten Weltkrieg
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die wegen eines an Kaiser Franz Joseph gerichteten Memorandums 1894 verboten wurde (Memorandum-Prozess). 1895 scheiterten die Grünen allerdings mit ihrem Versuch, die Teilnahme sächsischer Vertreter an einem Nationalitätenkongress zu erreichen, auf dem Rumänen, Slowaken und Serben ein gemeinsames Vorgehen gegen die Magyarisierungspolitik erörterten. Die Grünen bemühten sich jedoch weiter um einen Zusammenschluss mit den anderen Nationalitäten in Siebenbürgen, insbesondere den Rumänen, was die Schwarzen strikt ablehnten.88 Besonders während des Memorandum-Prozesses gegen die rumänische Nationalpartei stellten sich die Grünen entschieden auf die rumänische Seite, während die „schwarz“ geprägten Zeitungen – wie das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt – den Rumänen gegenüber zwar wohlwollend, jedoch distanziert berichteten. Die Kronstädter Zeitung hingegen berichtete fast täglich über Wochen hinweg über den Verlauf des Prozesses, beschwerte sich über Schikanen der ungarischen Behörden, und Lutz Korodi lobte in seinen Kommentaren die rumänische Nationalbewegung sehr. In der zweiten Hälfte des Jahres 1894 beschäftigte sich dann Korodi in einer ganzen Artikelserie mit Überlegungen zu einem politischen Bündnis zwischen Sachsen und Rumänen: „Die bemerkenswerte Energie, mit der sich die rumänische Nation aus tiefster Unkultur zu der Höhe gebildeter Völker emporgerafft hat, der mutvolle Nationalgeist, den die Rumänen noch in jüngster Zeit aller Welt bekundet haben, hat ihnen einen hohen Adel verliehen, der sie zu würdigen Bundesgenossen erhob, zu Bundesgenossen, deren sich kein Kulturvolk zu schämen braucht.“89 Der Memorandum-Prozess habe gezeigt, so Korodi, dass die öffentliche Meinung in Europa mit der Sache der nichtmagyarischen Völker Siebenbürgens sympathisiere. Die Siebenbürger Sachsen gehörten folglich „ins Lager der Feinde unserer Feinde“90, wo sie „starke und mutvolle Bundesgenossen“91 erwarteten. Carl Wolff indessen erschien eine solche Opposition der Siebenbürger Sachsen gegen die ungarische Regierung nach dem Vorbild der anderen Nationalitäten als unzweckmäßig, da die anderen Völker in geschlossenen Siedlungsgebieten lebten und sich im Falle der Serben und Rumänen auch an die benachbarten Nationalstaaten anlehnen konnten, eine Rolle, die bei den Sachsen weder die Deutschen noch die Österreicher übernehmen konnten und auch nicht übernehmen wollten. Insgesamt gelangen so den Grünen zwar einige Erfolge, doch vollständig konnten sie sich mit ihrer Haltung in der Sächsischen Volkspartei gegen die Schwarzen nicht durchzusetzen. Stattdessen führte der Zwang der Umstände ab Mitte der 1890erJahre zu einer Annäherung zwischen Schwarzen und Grünen. Gerade angesichts des seit Sommer 1897 im ungarischen Reichstag debattierten Ortsnamensgesetzes, das die ausschließliche Verwendung ungarischer Ortsnamen vorschrieb, erkannten beide 90 91 88 89
Volkmer, Gerald: Die Siebenbürgische Frage (1878–1900), S. 252. Ebd., S. 253. Ebd., S. 253. Ebd., S. 253.
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politischen Flügel der Sachsen, dass ein gemeinsames Handeln notwendig war. Im Hinblick auf 1918/19 ist aber die Zusammenarbeit der „grünen“ Sachsen mit den Rumänen höchst bedeutsam: Man erhoffte sich durch die guten Kontakte zu den Rumänen in einem rumänischen Staat ein besseres Verhältnis zu den rumänischen Politikern und außerdem durch die rumänischen Erfahrungen im zuvor ungarisch regierten Siebenbürgen auch mehr Verständnis für die Minderheitenprobleme, also mehr Autonomie und Selbstbestimmung.92
1.2 Die Familie und Hans Otto Roths Jugendzeit bis 1918
Abb. 1 Hans Otto Roth (Kinderfoto)
„Cand jur Hans Otto Roth 93 Ich bin am 29. April 1890 in Schässburg geboren. Meine drei ersten Tage des Lebens habe ich – geschlafen und träumte mein Leben! Und über diesen Träumer berieten meine Eltern, ob ich Otto heissen solle oder nicht, mein Bruder aber mühte sich und seiner Violine [sic!] ab, mich zu erwecken! Ich erwachte am dritten Tag und meine Mutter entschied, ich solle Hans Otto heissen, weil ich doch nicht Bismark [sic!] werden könne! Bisher war ich passiv, doch nun begann ich als ,Ich‘ zu existieren! – Siehe dazu auch Anhang 6: Historischer Rückblick und Statistik Siebenbürgens. Alle privaten Fotos von Hans Otto Roth, die in dieser Arbeit abgebildet werden, stammen aus dem privaten Fotoalbum der Familie Roth. 92 93
Die Familie Roth und Hans Otto Roths Jugendzeit bis 1918
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Abb. 2 Großvater Hausenblaß, der Vater von Hans Otto Roths Mutter
Meine Penälerjahre machte ich in Schässburg durch und verliess im Juni 1908 als ,Bräutigam‘ das Gymnasium, unter dem festen Vorsatz, ,Sie‘ und keine andere zu heiraten. Doch es sollte anders kommen! – Meine zwei ersten Semester studierte ich in Ofenpest, das dritte in dem unvergesslichen Wien, das vierte brachte ich wieder in Ofenpest zu. Gegenwärtig bin ich in Berlin, wohin sich meine Schritte wenden, wird die Zukunft zeigen! Zeiden am 2. Dez. 1910“ 94 Über die Kindheit und Jugendzeit von Hans Otto Roth ist leider nur wenig bekannt. Die wenigen Informationen stützen sich daher hauptsächlich auf die Erzählungen von Hans Otto Roths Tochter Maria-Luise Roth-Höppner (heute wohnhaft in Hermannstadt) und ihrer Cousine Brigitte Möckel, geb. Csaki (†2010 ?). Im August 2001 wurde aber von Frau Dr. Maria-Luise Roth-Höppner ein Stamm-baum95 erstellt, der einen Einblick in die Familiengeschichte erlaubt, der allerdings nur bis zum Brief von Hans Otto Roth. ASI: Signatur B III–11, Bd. 4/29 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 95 Stammbaum in Anhang 14. Dabei auch ein Bild der Familie aus dem privaten Fotoalbum Roth. Auch bei diesem Stammbaum sind in den Lebensdaten teilweise Fehler vorhanden. Alle Lebensdaten, die hier genannt werden, so jedoch nicht auf dem Stammbaum verzeichnet sind, stammen aus dem persönlichen Gespräch mit Frau Dr. Maria Roth-Höppner in Hermannstadt am 28.4.2008. – Vgl. auch Pitters, Hermann: Hans Otto Roth. In: „Ihr Ende schaut an …“. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Hgg. Harald Schultze und Andreas Kurschat. Leipzig 2006 (22008), S. 691–692. 94
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Abb. 3 Das Geburtshaus von Hans Otto Roth in Schäßburg
Jahre 1846 zurückreicht. Der Vater von Hans Otto Roth war demnach der Rechtsanwalt Karl Roth (*13.10.1846, †1901). Er war verheiratet mit Luise Roth, geb. Hausenblaß (*15.1.1855, †18.12.1915?). Zusammen hatten sie sechs Kinder, Hans Otto Roth war das jüngste davon. Während der Vater von Hans Otto Roth aus eher kleinbürgerlichen Verhältnissen kam, entstammte die Mutter einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater hatte sich von einem einfachen Bauernjungen zu einem Fabrikbesitzer emporgearbeitet, und als er starb, besaß er bereits drei Fabriken (die Hauptfabrik stand in Cernesti). Er hinterließ einen Sohn und fünf Töchter. Da sein Sohn jedoch kein Interesse an den Fabriken hatte, verkaufte der Vater diese und hinterließ das Geld seinen Kindern. Hans Otto Roth wurde am 29. April 1890 in Schäßburg geboren. Von 1896 bis 1900 besuchte er die Elementarschule in Schäßburg und von 1900 bis 1908 das dortige evangelische Gymnasium, wo er 1908 auch maturierte. Dort wurde er Mitglied der Schülerselbstverwaltung, der Coetus Chlamydatorum, in dem er bereits im Jahre 1907 wegen seiner Redegewandtheit zum Rex gewählt wurde.
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Abb. 4 Schulklasse Hans Ottos
Von 1908 bis 1912 folgte ein Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Budapest, Wien, Berlin und Zürich. Während dieser Zeit wurde Roth zum Vorsitzenden des Bundes Sächsischer Hochschüler gewählt und publizierte in dieser Funktion seine ersten Artikel in der Hochschülerzeitschrift „Akademische Blätter“. Ab 1913 promovierte er schließlich zum Doktor der Rechtswissenschaften an der Universität Budapest und arbeitete anschließend von 1913 bis 1915 in den Budapester Anwaltsbüros Dr. A. Teteleni und Dr. Karl Schmidt als Advokaturskonzipient.96 Auch Hans Otto Roth wurde im Januar 1916 als Hilfsdiensttauglicher zum Militärdienst der österreich-ungarischen Armee einberufen97, den er im Infanterieregiment Nr. 31 verrichtete, wobei er aber nicht an die Front musste, sondern bis zum Kriegsende ausschließlich Kanzleidienste verrichtete. Infolge dieser Kommandierung zum Kanzleidienst erhielt er keine richtige militärische Ausbildung. Außerdem war er während seiner Militärzeit noch ein Jahr lang als invalid beurlaubt: Im Februar 1917 wurde er wegen einer Erkrankung gänzlich vom Militärdienst be96 StAH Fond DSVR Nr. 68 A. Biographische Daten HOR. Sowie maschinenschriftlicher Lebenslauf im politischen Nachlass von HOR. 97 StAH Fond DSVR 28/1919. Schreiben des Nationalrates an die Organisationssektion VI.– VII. des Hohen Regierungsrates. ASI: B III–11, Bd. 4/29 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt).
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Abb. 5 Hans Otto Roth (im Flaus)
Abb. 6 Schülerverbindung (Hans Otto Roth in der Mitte)
freit.98 Vom Frühjahr 1917 bis zum Herbst 1918 arbeitete er als Redakteur des Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes in Hermannstadt. Auch nach dem Krieg sollte Hans Otto Roth noch einmal eingezogen werden. Am 18. Mai 1919 erließ der Regierungsrat einen Einrückungsbefehl.99 Am 20. Mai 1919 richtete der Deutsch-sächsische Nationalrat für Siebenbürgen ein Gesuch an die Organisationssektion VI.–VII. des Regierungsrates mit der Bitte, Hans Otto Roth wieder aus der Militärstruktur auszugliedern: „Herr Dr. Roth ist für das Büro der obersten politischen Vertretung des sächsischen Volkes heute vollkommen unentbehrlich und unsere Organisation würde durch seine Einrückung eine nicht gutzumachende Einbusse erleiden“, hieß es in dem Schreiben. „Es steht dem deutschsächsischen [sic!] Nationalrat für Siebenbürgen keinesfalls ein Ersatz für seine Arbeitskraft zur Verfügung.“100 Auch die Schriftleitung der Landwirtschaftlichen Blätter intervenierte im gleichen Sinne und erklärte dem Regierungsrat: StAH Fonds DSVR Nr. 68 A: Biographische Daten HOR. StAH Fond DSVR 28/1919. Schreiben des Nationalrates an die Organisationssektion VI.– VII. des Hohen Regierungsrates. ASI: B III–11, Bd. 4/29 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 100 Ebd. 98 99
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Abb. 7 Hans Otto Roth nach der Matura 1908
Abb. 8 Paula Copony, Hans Otto Roths spätere Frau, 1918
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Abb. 9 Hans Otto Roth 1918 vor der Hochzeit mit Paula Copony
„Die ,Landwirtschaftlichen Blätter‘ sind das am weitesten verbreitete Organ des sächsischen Volkes und erscheinen in ungefähr 12.000 Exemplaren. Ausser Herrn Dr. Roth arbeitet an dem Blatte nur noch der Direktor des siebenbürgisch-sächsischen Landwirtschaftsvereines, der gewesene Reichstagsabgeordnete, Herr Fritz Connert, der aber durch seine anderweitige vielseitige Tätigkeit als Direktor ausserordentlich in Anspruch genommen ist und tatsächlich nicht seine ganze Arbeitskraft den ,Landwirtschaftlichen Blättern‘ widmen kann. Die Schriftleitung hat einen Ersatz für Herrn Dr. Roth keinesfalls zur Verfügung.“101
Aufgrund dieser Interventionen blieb ihm eine weitere Militärzeit erspart. Es bleibt unklar, inwieweit Hans Otto Roth die Wirkung dieser Interventionen beeinflussen konnte, es zeigt aber auf jeden Fall, dass er im Gegensatz zu den meisten anderen jungen Männern seiner Generation nicht begeistert in den Krieg zog, da er sich ansonsten freiwillig gemeldet hätte. Am 7. Dezember 1918 heiratete er Paula Copony und baute sich sein Leben auf.
Ebd.
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Roth als Sekretär des „Deutsch-sächsischen National- bzw. Volksrates“
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1.3 Roth als Sekretär des „Deutsch-sächsischen National- bzw. Volksrates“ „Angesichts der wiederholten Enttäuschungen durch die Habsburger und noch mehr durch die Budapester Regierung ist es einigermaßen überraschend, mit welcher Selbstverständlichkeit die Siebenbürger Sachsen – wie die Angehörigen aller Nationalitäten des Vielvölkerreiches – für die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie in den Krieg ziehen, in den diese nicht zuletzt wegen der unbewältigten Nationalitätenfrage nach der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand hineinschlittert“102, schrieb Konrad Gündisch in seinem Buch Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen. „Es ist davon auszugehen, daß das auf die Gesamtmonarchie bezogene Zusammengehörigkeitsgefühl der Völker Österreich-Ungarns doch stärker war als der vor allem von der jeweiligen Elite geschürte Nationalismus, der in den Quellen viel deutlicher in Erscheinung tritt als die Identität und Mentalität der breiten Schichten der Bevölkerung.“ Ende 1918 war der Erste Weltkrieg verloren und das österreich-ungarische „Zusammengehörigkeitsgefühl“ verfiel ebenso schnell wie der Vielvölkerstaat. Bei den Siebenbürger Sachsen jedoch erwachte plötzlich eine bislang nicht gekannte Treue zu Ungarn, denn jetzt bekamen die Sachsen Angst: „Ob das Gefühl nun berechtigt oder unberechtigt war, es war da; die Sachsen fürchteten, wenn der Staat, zu dem sie gehörten, zugrunde gehe, seien auch sie verloren, und was bisher nur wenige erfahren hatten, jetzt erlebten es viele, sie fühlten ihres Volkes Zukunft an Ungarn gebunden.“103 1916 nämlich war Siebenbürgen für kurze Zeit zum Kriegsschauplatz geworden, als Rumänien auf Seiten der Entente zur Eroberung Siebenbürgens angetreten war. Da die Verteidigungslinie am Mieresch aufgebaut werden sollte, ordneten die Behörden die Räumung Süd- und Ostsiebenbürgens an, und die Sachsen flüchteten zusammen mit anderen Landesbewohnern zumeist in Richtung Klausenburg. Damit bekamen sie zum ersten Mal zu spüren, was Heimatverlust bedeutete. Mehrere Wochen allgemeiner Unsicherheit folgten, bis die Rumänen bei Hermannstadt (26.– 29.9.1916) und Kronstadt (7.–9.10.1916) besiegt wurden. General Mackensen eroberte mit einem deutsch-bulgarischen Heer Bukarest (6.12.1916), und im Frühjahr 1918 musste Rumänien mit den Mittelmächten Frieden schließen. Ende 1918 standen nun aber mit der Niederlage der Mittelmächte die rumänischen Ansprüche auf Siebenbürgen erneut zur Debatte, und die Siebenbürger Sachsen mussten sich entscheiden: Sollten sie für einen Verbleib beim Königreich Ungarn plädieren oder für einen Anschluss Siebenbürgens an Rumänien? Diese Entscheidung fiel den Sachsen nicht leicht, obwohl sie bei einem Entscheid gegen Rumänien den Anschluss Siebenbürgens an Rumänien wohl kaum hätten verhindern können. Dennoch befanden sich die Sachsen nun in einem besonders komplizierten Dilemma: Wofür waren Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 164. Bischof Friedrich Teutsch. In: Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 166. 102 103
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die Väter, Söhne und Brüder an der Front gestorben, wenn man jetzt mit fliegenden Fahnen zum Feind wechselte? Es war also durchaus einige Überzeugungsarbeit der politisch Verantwortlichen nötig, um breite Schichten der Sachsen von den Vorteilen zu überzeugen, die ein Anschluss an Rumänien voraussichtlich mit sich bringen würde. Die Zugehörigkeit Siebenbürgens zu Ungarn stand wohl bei der Sitzung des „Zentralausschusses“104 am 29. Oktober 1918 noch außer Frage. Jedoch änderte sich die Situation mit der Auflösung Österreich-Ungarns grundlegend, so dass ab Anfang November 1918 mit der Möglichkeit gerechnet werden musste, dass Siebenbürgen an Rumänien fallen könnte. Noch im November begann der siebenbürgisch-sächsische Reichstagsabgeordnete Rudolf Brandsch, der schon als Abgeordneter im ungarischen Reichstag enge Kontakte zu den siebenbürgisch-rumänischen Politikern und zu den Banater Schwaben unterhalten hatte, folglich Gespräche mit den Siebenbürger Rumänen.105 Der am 29. Oktober 1918 zusammengetretene erweiterte „Zentralausschuss“ – die politische Leitung der Siebenbürger Sachsen – sprach sich indessen für eine Zusammenarbeit mit allen deutschen Gruppen Österreich-Ungarns aus. Zu diesem Zeitpunkt bekräftigte die oberste sächsische Führung noch ihre Treue zu Ungarn.106 Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde ein Wechsel im Vorsitz des „Zentralausschusses“ vorgenommen. Dr. Karl Wolff107 (1849–1929) gab den Vorsitz aus Altersgründen auf. Sein Nachfolger wurde der Stadtpfarrer von Hermannstadt D. Adolf Schullerus (1864–1928). Des Weiteren wurde erstmals ein Sekretärsposten des „Zentralausschusses“ geschaffen. Als Sekretär wurde am 1. November 1918 Hans Otto Roth gewählt,108 der damit den bisherigen Hauptschriftleiter Emil Neugeboren ablöste.109 Damit war an der Spitze des „Zentralausschusses“ ein Generationenwechsel vollzo104 Nach der Zerschlagung der Sächsischen Nationaluniversität 1876 durch die ungarische Regierung fehlte ein gemeinsamer organisatorischer Rahmen auf nationaler Grundlage. Als neues Gremium wurde der „Sächsische Zentralausschuss“ eingerichtet, dem je drei Vertreter der einzelnen sächsischen Wahlkreise angehörten. Mit dem Zentralausschuss als einer Art Parteivorstand war somit eine Instanz geschaffen, die während der nächsten Jahrzehnte die politischen Anliegen der Sachsen vertreten und die Richtlinien für die sächsischen Abgeordneten des Ungarischen Reichstages festlegen konnte. Vgl. Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 22/23. 105 Roth, Harald: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919– 1933, S. 24 ff. 106 Sitzung des sächsischen Zentralausschusses. In: Siebenbürgisch-deutsches Tageblatt, 30.10.1918, S. 1. Im Staatsarchiv Hermannstadt ist ein Protokoll dieser Sitzung nicht ausfindig zu machen. 107 Zur Person von Karl Wolff siehe: Ungar, Reimar-Alfred: Carl Wolff. In: Drotleff, Dieter: Taten und Gestalten Bd. II, S. 106 ff. 108 StAH Fond DSVR Nr. 64 (1926), ASI: B III–11, Bd. 4/29 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). Nachträglicher Einstellungsvertrag. Erst am 15.10.1926 wurde Hans Otto Roth, nach einigen Irritationen, mit einem formalen Vertrag eingestellt. 109 Sitzung des Sächsischen Zentralausschusses. In: SDT 30.10.1918. S. 1. Roth, Harald: Der Deutsch-sächsische Nationalrat, S. 24/26.
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gen. Als Sekretär oblagen Roth nicht nur die gesamten Kanzleigeschäfte, sondern vor allem auch die Verwirklichung der Bestimmungen des sächsischen Volksprogrammes.110 Die Stelle als Sekretär (Hauptanwalt) war mit der eines Abgeordneten oder eines Senators vergleichbar.111 Als Besoldung erhielt Roth 10.000 Lei (Verhältnis der deutschen Reichsmark zum rumänischen Leu: Ca. 1:35112) monatliches Grundgehalt, 5.000 Lei monatliches Quartiergeld und eine monatliche Teuerungszulage von nochmals 5.000 Lei.113 Für Dienstreisen standen Roth außerdem – außer der Erstattung der Fahrtkosten – Diäten zu, deren Höhe vom Finanzausschuss des Volksrates festgesetzt wurde. Geschlossen wurde der Vertrag zwischen Roth und Präsident Schullerus. Hans Otto Roth entstammte nicht der traditionellen bürgerlichen Elite, sondern dem gehobenen Bürgertum. Die Voraussetzungen für diesen schnellen Aufstieg in die Spitze der sächsischen Führungselite waren gewiss einerseits seine überragenden Fähigkeiten, doch vollzog sich seine Karriere auch dank der Protektion einflussreicher Gönner, etwa seines Schwiegervaters Traugott Copony, der Präsident des „Siebenbürgischen Industriellenverbandes“ war.114 In Siebenbürgen wurde es jetzt aber notwendig, ein schneller politisch entscheidungsfähiges Gremium als den „Zentralausschuß“ zu schaffen. Am 2. November 1918 bildete sich aus den in Hermannstadt anwesenden Mitgliedern des „Zentralausschusses“ der sogenannte „Deutsch-sächsische Vollzugsausschuss“, eine Art geschäftsführender Vorstand 115, der sich ab dem 11. November 1918 „Deutsch-sächsischer Nationalrat“ nannte. Er übernahm bis zur Klärung der politischen Verhältnisse die Führung der Geschäfte der Siebenbürger Sachsen. Die Leitung dieses Gremiums hatte ein Ausschuss inne, der aus fünf Personen bestand. Präsident wurde der Hermannstädter Stadtpfarrer D. Adolf Schullerus (1864–1928). Weitere Mitglieder waren die früheren Reichstagsabgeordneten Rudolf Brandsch, Rudolf Schuller und Dr. Arthur Polony sowie in der Funktion des Sekretärs Hans Otto Roth.116 Dieser Deutsch-sächsische Nationalrat löste sich am 5. November StAH Fond DSVR Nr. 64 (1926) a.a.O.: Nachträglicher Einstellungsvertrag. Ebd. 112 Politischer Nachlass HOR/Quelle 125. „Die deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen und die deutsche Minderheit in Rumänien. Vom Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth, Vorsitzender der Deutschen Partei in Rumänien.“ 113 Die Teuerungszulage war flexibel und wurde vom Finanzausschuss des Volksrates den jeweiligen Teuerungsverhältnissen angepasst. Maßgeblich für diese Regelung war der Lebenshaltungsindex der Hermannstädter Handels- und Gewerbebank. StAH Fond DSVR Nr. 64 (1926) a.a.O.: Nachträglicher Einstellungsvertrag. 114 StaH Fond DSVR 68 B: Hans Otto Roth am 31. August 1929 an Hans Hedrich. Vgl. Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 156/157. Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft, S. 92. 115 StaH Fond DSNR Z./1/1918: Nationalratsprotokoll vom 2.11.1918. 116 Roth, Harald: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919– 1933, S. 26. 110 111
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1919 formell wieder auf, dafür wurde am 6. November 1919 der „Deutsch-sächsische Volksrat“ für Siebenbürgen ins Leben gerufen. Auch dieser stellte nichts Neues dar, sondern war nur eine institutionelle Fortsetzung des 1876 gegründeten sächsischen „Zentralausschusses.“117 Wie der „Zentralausschuss“ zu Zeiten der Habsburgermonarchie fungierte auch der Volksrat als Lenkungsinstanz für die sächsischen Abgeordneten im gesamtstaatlichen Parlament. Auch personell gab es eine enge Verklammerung zwischen Volksrat und den Bukarester Repräsentanten der Sachsen. Der Volksrat war Dachorganisation und Zentrum der Kreisausschüsse. Hans Otto Roth hatte als Hauptanwalt bis Mitte 1932 eine Art Geschäftsführerfunktion inne.118 Am 20. November 1919 gründete sich dann auch noch die „Parlamentspartei“ (ursprünglich „Deutsche Volkspartei in Großrumänien“, später „Deutsche Parlamentspartei“, dann „Deutsche Partei“). Auch sie war wie die 1876 gegründete Sächsische Volkspartei keinesfalls eine richtige Partei, sondern – so der Terminus des österreichischen Reichsrats – der parlamentarische „Klub“ der deutschen beziehungsweise sächsischen Abgeordneten im Zentralparlament. Diese waren an die jeweilige Programmatik und an die Direktiven des Volksrates der Sachsen beziehungsweise entsprechender Gremien der anderen deutschen Minderheitsgruppen in Rumänien gebunden.119 Die politischen Strukturen der Sachsen wurden also mit dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien nicht grundlegend erneuert. Dies spricht für die These einer weitgehenden Kontinuität der sächsischen Politik über 1918 hinaus.120 Insgesamt, so folgert Schödl, haben „die Sachsen ... auf die durchgreifende Umgruppierung des politischen Szenarios seit Kriegsende realistisch und zum richtigen Zeitpunkt geantwortet. Mit ausreichender Geschlossenheit hatten sie den notwendigen Wechsel der Staatszugehörigkeit absolviert.“121 Im Laufe des Novembers und Dezembers 1918 verlagerte sich die politische Macht in Siebenbürgen. Das Land wurde von rumänischen Truppen besetzt und gelangte so unter die Kontrolle der Regierung des Königreichs Rumänien. Der zentrale siebenbürgisch-rumänische Nationalrat, ab Dezember 1918 die große rumänische Nationalversammlung, und der leitende Regierungsrat für Siebenbürgen übernahmen die politische Gewalt. Der Einfluss der ungarischen Regierung auf Siebenbürgen wurde dadurch weitgehend ausgeschaltet, die Beauftragung sächsischer Abgeordneter in Budapest zur Vertretung sächsischer Interessen hinfällig. In dieser Zeit, im November 1918, fand in der sächsischen Führung ein Stimmungsumschwung zu Gunsten der Rumänen statt.
119 120 121 117 118
Schödl, Günter: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, S. 541. Ebd., S. 541. Ebd., S. 541. Ebd., S. 540. Ebd., S. 549.
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Am 1. Dezember 1918 erklärte die Nationalversammlung der Rumänen Siebenbürgens, des Banats, des Kreischgebietes und der Maramuresch in Karlsburg-Weißenburg [Gyulafehérvár, Alba Iulia] den Anschluss an Rumänien.122 Den nationalen Minderheiten wurden in diesen sogenannten Karlsburger Beschlüssen durch diese Nationalversammlung Autonomie und weitgehende Berücksichtigung ihrer Belange zugesagt, unter anderem die volle nationale Freiheit für alle mitwohnenden Völker, das hieß: Jedes Volk dürfe den Unterricht, die Verwaltung und die Rechtspflege in seiner eigenen Sprache und durch Personen aus seiner Mitte erhalten, und jedes Volk werde das Recht der Vertretung in den gesetzgebenden Körperschaften und in der Regierung im Verhältnis der Zahl seiner Volksangehörigen haben.123 Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die siebenbürgisch-rumänische Nationalversammlung nur für die Siebenbürger Rumänen sprach, nicht jedoch für die rumänische Regierung in Bukarest. Aufgrund dieser Erklärung jedoch folgte am 8. Januar 1919 die Mediascher Anschlusserklärung der Siebenbürger Sachsen an Rumänien als der ersten Minderheitengruppe Siebenbürgens, zu früh und ohne ausreichende Zusicherungen, wie Schödl bemerkte124, denn bei der Entscheidungsfindung schätzten die Sachsen die Machtverteilung im künftigen Großrumänien falsch ein. Während die Sachsen die zu erwartende Hilfe der siebenbürgisch-rumänischen Nationalpartei als feste Größe einkalkulierten, erwiesen sich schon bald die bisherigen altrumänischen Machtzirkel als maßgeblich125, die keinen Bezug zu den siebenbürgischen Verhältnissen und den Siebenbürger Sachsen hatten. Im Macht- und Interessenkalkül dieser altrumänischen Führungsgruppen fand sich kein Platz für offene parlamentarische Konkurrenz, für Autonomieansprüche und Loyalitätsvorbehalte nichtrumänischer Minderheiten. Wer keine unmittelbare Anbindung an eine der alten Eliten fand, wurde schnell in deren Wettstreit zur bloßen Verfügungsmasse und zum Spielball unbeeinflussbarer Interessenkoalitionen. Angesichts des erdrückenden Übergewichts der Rumänen und deren Stützung durch die Siegermächte wäre es aber wohl 1918/19 noch nachteiliger für die Sachsen gewesen, die künftige Staatsnation durch langes Zögern mit der Anschlusserklärung zu provozieren.126 So wurden am 6. November 1919 in Schäßburg auf dem vierten Sachsentag die Wünsche an den rumänischen Staat formuliert. Sprecher war hier Rudolf Brandsch. Das beschlossene neue Volksprogramm war jedoch von Hans Otto Roth verfasst worden.127 Schon vorher hatten sich alle deutschen Siedlungsgebiete Rumäniens zum Verband der Deutschen in Rumänien zusammengeschlossen. Außer den Siebenbürger Sachsen waren dies die Banater Schwaben, die Sathmarer Schwaben, die Deutschen 124 125 126 127 122 123
Wagner, Ernst: Geschichte der Siebenbürger Sachsen, S. 78–85. Schödl, Günter: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, S. 538. Ebd., S. 539. Ebd., S. 539. Ebd., S. 539. Vgl. Kapitel 2.3: Roth als Verfasser des neuen sächsischen Volksprogramms.
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der Bukowina, diejenigen aus Altrumänien und der Dobrudscha und später auch die Bessarabiendeutschen. Insgesamt lebten somit in Rumänien zwischen den Weltkriegen fast 800.000 Rumäniendeutsche. Hans Otto Roth erwartete im Namen all dieser Rumäniendeutschen eine kulturelle Gruppenautonomie auf Grundlage der Karlsburger Beschlüsse. Doch nur die Evangelische Landeskirche A. B. (Augsburgischen Bekenntnisses) erhielt eine gewisse Schulautonomie. Zu einer ausdrücklichen Kulturautonomie und der Anerkennung des Verbandes der Deutschen in Rumänien als Körperschaft des öffentlichen Rechtes kam es erst 1940 auf Druck des Deutschen Reiches. Bald wurden in Siebenbürgen – wie in ungarischer Zeit – Minderheitler aus den Behörden und Magistraten verdrängt und durch Rumänen aus dem Altreich ersetzt.128 Am 6. November 1918 stand der Nationalrat vor der Frage, wie sich die Siebenbürger Sachsen in dieser Umbruchszeit verhalten sollten.129 Einige Mitglieder, etwa der Obmann des Hermannstädter I. Kreisausschusses Dr. August Gmeiner, empfahlen eine Politik des Lavierens, um auch die ungarische Seite nicht vor den Kopf zu stoßen. Hans Otto Roth vertrat hingegen klar eine andere Position: „Der Schwerpunkt in der siebenbürgischen Politik ruht heute schon ausschließlich auf den Romänen“130, stellte er fest. Dies zeigt, dass Hans Otto Roth schon zu diesem frühen Zeitpunkt ein zutreffendes Urteil über die weitere politische Entwicklung gefasst hatte, obwohl die Frage der Staatszugehörigkeit Siebenbürgens noch ungeklärt war. Auch Präsident D. Adolf Schullerus wollte unbedingt jeden Gegensatz zu den Rumänen vermeiden. Rudolf Brandsch rief für Anfang November 1918 Vertreter aller deutschen Parteien zur Gründung eines „Deutschen Volksrates für Ungarn“ (Siebenbürgen war hier noch ungarisch) zusammen, um auf diese Weise ein Gremium zu schaffen, das in der Lage war, die Forderungen der Deutschen zu artikulieren. Lediglich eine Gruppe um Professor Jakob Bleyer (1884–1933)131 blieb dieser Einladung fern, da für diesen die Treue zum Stephansreich und zur ungarischen Nation außer Frage stand und sogar gegenüber dem nationalen Bekenntnis zum Deutschtum Priorität genoss. Die Forderungen des „Deutschen Volksrates für Ungarn“, die dieser unmittelbar nach seiner Konstituierung verabschiedete, stimmten im Wesentlichen mit der Entschließung des „Zentralausschusses“ vom 29. Oktober 1918 überein: Das Recht auf Selbstbestimmung, kulturelle Autonomie (primär im Bereich des Schulwesens), Berücksichtigung der geistigen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen der Deutschen sowie freier Gebrauch der Muttersprache. Auffallend ist die einleitende Formulierung: „Wir stehen auf dem Boden des ungari Wagner, Ernst: Geschichte der Siebenbürger Sachsen, S. 78–85. StaH Fond DSNR Z. 3/1918: Nationalratsprotokoll vom 6.11.1918. 130 Ebd. 131 Jakob Bleyer: *25.1.1874 in Tscheb/Dunacseb (heute Celarevo in Serbien). † 5.12.1933 in Budapest, Ungarndeutscher, Dr. phil., Dr. h.c., Ehrensenator, Universitätsprofessor, Literaturwissenschaftler, Abgeordneter, 1919–1920 Minister für nationale Minderheiten. 128 129
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schen Vaterlandes und treten für dessen Unversehrtheit ein, solange es möglich ist.“132 Demnach war die unerschütterliche Bindung an Ungarn, die noch in der Entschließung des „Zentralausschusses“ vom 29. Oktober 1918 an erster Stelle stand, bereits abgemildert.133 Damit begann sich die Politik der sächsischen Vertreter in Budapest von der Politik der Sachsen in Siebenbürgen zu unterscheiden, denn der sächsische Abgeordnete Emil Neugeboren nahm in Budapest entschieden Partei für Ungarn. In der Sitzung des „Deutsch-sächsischen Nationalrates“ vom 11. November 1918 stellte Hans Otto Roth diesbezüglich zwar ausgleichend fest: „Politisch dürfen wir den Zusammenhang mit keiner Gruppe verlieren. Da in Klausenburg das Zentrum des siebenbürgischen Magyarentums ist und sich um Dr. Francu auch eine romänische Machtgruppe zu bilden beginnt, ist es jedenfalls notwendig, mit diesen Gruppen in Verbindung zu treten.“134 In der Sitzung des „Deutsch-sächsischen Nationalrates“ am 13. November 1918 betonte Roth jedoch noch einmal ausdrücklich, dass die Entschließung des „Deutschen Volksrates für Ungarn“, die an der Unversehrtheit des ungarischen Staates festhielt und die die sächsischen Abgeordneten in Budapest mitgetragen hatten, den Anschauungen der Nationalratsmitglieder in Hermannstadt nicht entsprach.135 Als ein weiteres Argument für die Kooperation mit den Rumänen konnten die prorumänisch eingestellten Sachsen anführen, dass der Präsident der siebenbürgischen Zweigorganisation des rumänischen Nationalrates, Dr. Amos Francu (1866– 1933), den Sachsen brüderliche Grüße entbot und sie um Unterstützung bat. Gleichzeitig wurden die Beschlüsse des rumänischen Nationalrates in Siebenbürgen vom 9. November bekannt, in der es hieß: „Es ist selbstverständlich, daß wir unsererseits gegenüber den anderen auf diesem Gebiet lebenden Nationen die Grundsätze Wilsons achten werden.“136 Solche Worte beeindruckten die Mitglieder des (seit 11. November 1918 sogenannten) Deutsch-sächsischen Nationalrates. Rudolf Brandsch kam als einer der ersten zu dem Schluss, dass die Zukunft Siebenbürgens in Rumänien liege. In einem Brief vom 15. November 1918 an Adolf Schullerus beurteilte er die Lage treffend: „Von dem bisherigen Ungarn wird voraussichtlich nur ein kleiner Teil übrig bleiben. Der größte Teil sowohl der slowakischen als auch der rumänischen Ansprüche wird in Erfüllung gehen.“ Und weiter: „Es kann wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß Siebenbürgen und Banath unter rumänische 132 Gründung eines „Deutschen Volksrates für Ungarn.“ In: Pester Lloyd, 12.11.1918, S. 3. In: Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 31. 133 Roth, Harald: Der Deutsch-sächsische Nationalrat, S. 31. 134 StaH Fond DSNR Z. 13/1918: Nationalratsprotokoll vom 11.11.1918. Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 33. 135 Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 35. 136 StaH Fond DSNR Z. 13/1918: Nationalratsprotokoll vom 11.11.1918. Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 33.
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Abb. 10 Dr. Otto Fritz Jickeli (vermutlich auf dem Sachsentag 1933)
Herrschaft“137 kommen. Dabei hielt er eine Autonomie der Rumänen im Rahmen Ungarns für eine günstigere Lösung für die Deutschen als die seiner Meinung nach wahrscheinlichere Vereinigung mit Rumänien. Der endgültige Umschwung zu Gunsten Rumäniens erfolgte schließlich in der Nationalratssitzung vom 16. November 1918. An der großen sächsischen Nationalversammlung am 8. Januar 1919 in Mediasch nahmen schließlich 138 stimmberechtigte Mitglieder teil.138 Der Verfasser der Abschlusserklärung war Rudolf Schuller. In einer Sitzung des Fünfer-Ausschusses kurz vor der Nationalversammlung, wurde die Erklärung noch einmal überarbeitet und unter anderem eine Wiederholung der Berufung auf die Karlsburger Beschlüsse eingeschoben.139 Während der Versammlung schrieb der zweite Sekretär des Nationalrats, Fritz Klein, mit, allerdings blieb nur ein Bruchstück der Übertragung
137 StaH Fond DSNR Z. 33/1918: Brief Rudolf Brandschs vom 15. November 1918 an den Nationalrat. Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 35. 138 StAH Fond DSNR Z. 26/1918: Nationalratsprotokoll vom 18. November 1918. Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 58. 139 Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 59.
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dieser Mitschrift erhalten140. Zunächst einmal begründeten die Mitglieder des FünferAusschusses des „Deutsch-sächsischen Nationalrates“ die Notwendigkeit der zu verabschiedenden Resolution. Bei der Nationalversammlung dürften bis auf wenige Schwankende alle Delegierte dieser Ansicht zugestimmt haben. Nur ein einziger Delegierter, Dr. Friedrich Ipsen, lehnte bis zum Schluss die Vereinigung mit Rumänien ab.141 Otto Fritz Jickeli hingegen bekräftigte sogar, dass die Sachsen bereit seien, für Rumänien zu kämpfen.142 Die Entschließung wurde in dritter Lesung nach achtstündiger Debatte angenommen. Das Dokument wurde unter dem Titel „An unser Volk!“ umgehend in den sächsischen Zeitungen veröffentlicht und gelangte als Flugblatt, unterzeichnet von den Mitgliedern des Fünferausschusses, in Umlauf. Der Entschluss lautete: „Durch die Vereinigung Siebenbürgens und der von Romänen bewohnten Teile Ungarns mit Rumänien wird ein Gesamtgebiet geschaffen, dessen Zusammengehörigkeit in den ethnographischen Verhältnissen begründet ist. Angesichts dieser Tatsachen und der Überzeugung, daß sich hier ein weltgeschichtlicher Vorgang vollzieht, spricht das sächsische Volk in Siebenbürgen, indem es sich auf den Boden des Selbstbestimmungsrechtes der Völker stellt, seinen Anschluß an das Königreich Romänien aus und entbietet dem romänischen Volke seine brüderlichen Grüße und herzlichen Glückwünsche zur Erfüllung seiner nationalen Ideale.“143
Die Sächsische Nationalversammlung akzeptierte also das Selbstbestimmungsrecht der Völker und nahm dieses gleichzeitig für sich in Anspruch, indem sie der Erwartung Ausdruck gab, dass die Rumänen ihre Versprechungen, die diese mit den Karlsburger Beschlüssen gemacht hatten, auch einhalten würden. Zuletzt – und das freute die Rumänen ganz besonders – hieß es: „Es [das sächsische Volk] hofft und wünscht, daß auch die übrigen deutschen Volksgenossen im neuen Staate seinem Vorgehen sich anschließen werden und daß die völkische und politische Zusammengehörigkeit aller Deutschen in dem neuen Staate anerkannt wird. Im vollen Bewußtsein der Bedeutung seines Entschlusses betrachtet sich das sächsische Volk von heute an als Glied des romänischen Reiches, seine Söhne und Töchter als Bürger dieses Staates.“144 140 Die Mitschrift der Mediascher Anschlußversammlung vom Januar 1919. In: ZfSL (26) 2003, S. 194–216. 141 Ebd. S. 60. Dies steht in gewissem Widerspruch zur Aussage im abschließenden Bericht, der davon sprach, dass die Entschließung einstimmig gefasst worden war. StAH Fond DSNR Z. 1343/ [1919]. 142 Ebd., S. 60/61. 143 Druck der Entschließung der sächsischen Nationalversammlung in Mediasch vom 8. Januar 1919. ASI: B III–11, Bd. 6/50 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 144 Ebd.
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Hatten die Siebenbürger Sachsen die Zeichen der Zeit erkannt oder war es nur „politischer Opportunismus?“145 Vielleicht war es beides. Gerade aber bei Hans Otto Roth trat hier zum ersten Mal jene Kombination aus politischem Weitblick und Pragmatismus auf. Er war überzeugt, dass Siebenbürgen auf jeden Fall an Rumänien fallen werde und stemmte sich daher nicht gegen eine Entwicklung, die er ohnehin nicht hätte verhindern können. Deshalb sprach er sich als einer der ersten klar für die Zugehörigkeit Siebenbürgens zu Rumänien aus.146 Damit hatte auch Hans Otto Roth gewichtigen Anteil an dieser Entschließung der Sächsischen Nationalversammlung in Mediasch. Neben den Unterschriften von Schullerus, Brandsch, Polony und Schuller steht auch seine Unterschrift als Mitglied des leitenden Ausschusses unter dieser Entschließung.147 Die sächsische Anschlusserklärung wurde von den Rumänen in Siebenbürgen wie auch in Altrumänien durchweg positiv aufgenommen. Mehrere rumänische Zeitungen widmeten dem Ereignis Leitartikel und druckten die Erklärung vollinhaltlich ab. Am 10. Januar 1919 überbrachte eine Delegation, bestehend aus Brandsch, Polony, Schuller und Schullerus, dem leitenden Regierungsrat in Hermannstadt die Entschließung. Bei der Übergabe hob Nationalratspräsident Schullerus noch einmal das Vertrauen hervor, das die Sachsen dem rumänischen Staat und Volk gegenüber bekundeten. Am gleichen Tag schrieb Maniu148 an den rumänischen Ministerpräsidenten Bratianu nach Bukarest und berichtete über die sächsische Nationalversammlung, über deren Ergebnis und über die Unterredung bei der Übergabe der Entschließung. Er fügte den Text des Dokumentes bei und sandte ihn auch an den König. Gleichzeitig bat Maniu um die Abklärung eines Termins für den Empfang einer sächsischen Delegation beim Ministerpräsidenten und beim rumänischen König149 in Bukarest. Dies geschah schließlich Ende Januar 1919. Eine siebenköpfige Delegation, bestehend aus den Mitgliedern des Fünferausschusses sowie Dr. Eugen Filtsch und Ludwig Jeckeli, brach am 27. Januar in einem Sonderwagen der Bahn nach Bukarest auf, wo sie bei der Ankunft am Abend des darauf folgenden Tages von mehreren Ministern der rumänischen Regierung sowie den Vertretern der Bukarester Sachsen empfangen wurden. Die offizielle Zusammenkunft mit der Regierung fand am 29. Januar 1919 statt. In seiner Funktion als Sekretär des „Deutsch-sächsischen Nationalrates“ erstat Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 167. Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 29. 147 Für eine detaillierte Studie über die Entscheidungsfindung der Sachsen siehe: Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat.“ 148 Iuliu Maniu (*8.1.1873 in Badacin † 5.2.1951 in Sighet). Bedeutender rumänischer Jurist und Politiker. Am 19. Juli 1947 wurde seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben und er wurde verhaftet. Am 11. November 1947 wurde er zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt, welche aus Altersgründen in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde. In der Gefangenschaft starb er 1951. 149 Roth, Harald: Der „Deutsch-sächsische Nationalrat“, S. 67. 145 146
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tete Hans Otto Roth dem „Deutsch-sächsischen Nationalrat“ am 8. Februar 1919 über die Ergebnisse dieser Reise nach Bukarest Bericht.150 Darin stellte er zunächst fest, dass diese Reise eine unumgängliche politische Notwendigkeit gewesen war. Er betonte dies deswegen, weil es offensichtlich noch zahlreiche Widerstände gegen den Anschluss an Rumänien gab. So hätten einige Sachsen diese Reise als besonders „drückend“ empfunden und bei einigen seien „innere Hemmnisse“ vorhanden gewesen.151 Die Erlebnisse der Reise hätten die Teilnehmer jedoch sehr angenehm berührt. Hans Otto Roth stellte fest, dass sich die politische Stellung der Siebenbürger Sachsen durch die Reise nach Bukarest erheblich verbessert habe. Beeindruckt war Roth auch durch den feierlichen Staatsakt, mit dem die Rumänen die sächsische Anschlusserklärung an Rumänien würdigten. Die durch diese Reise entstandene „guenstige Konjunktur“152 auszunutzen, sei nun die Aufgabe der sächsischen Unterhändler. Hans Otto Roth wies im Folgenden darauf hin, dass der territoriale Zuwachs Rumäniens diesem Staat nach allen Seiten hin Gegner geschaffen habe, Gegner, die sich zum größten Teil in der „slavischen Phalanx“153 treffen würden. „Der einzige aufrichtige Helfer der romaenischen Bestrebungen ist Frankreich“, erklärte Roth, „das zwar gegenwaertig eine starke Macht repräsentiert, fuer die Zukunft aber doch weit vom Schusse ab liegt. So steht denn Romaenien inmitten seiner slavischen Neider und gegenueber den niedergezwungenen Magyaren ... Der Anschluss des saechsischen Volkes, ist ihm in dieser Lage eine unersetzliche Hilfe.“154 Die „letzte, geheimste Frage aller romaenischen Politiker“155 an die sächsische Delegation war – Roth zufolge – jedoch die Frage eines Anschlusses der Banater Deutschen. Die Rumänen hofften, dass die Siebenbürger Sachsen unter den Banater Schwaben ebenfalls Stimmung für den Anschluss an Rumänien machen würden. Dann hätten die Rumänen auch im Banat die sichere Mehrheit für den Anschluss.156 Durch eine sächsische Hilfe bei diesem Problem könne sich die sächsische Stellung „noch ganz besonders heben.“157 Auch einen weiteren Punkt sprach Hans Otto Roth an, der den sächsischen Delegierten den Anschluss an Rumänien weiter näherbringen sollte: Er brachte die Hoffnung zum Bericht über den Aufenthalt der Abordnung des deutsch-sächsischen Nationalrates in Bukarest – erstattet vom Sekretär Hans Otto Roth in der Vollsitzung des Nationalrates vom 8.2.1919. ASI: Signatur B III–11, Bd. 6/50; N.R.-Zahl 169 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 151 Ebd. 152 Ebd. 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Ebd. 156 Man beachte die Bevölkerungsstatistik im Anhang 1: Im Banat hatten die Rumänen nur die relative Mehrheit und waren daher für die absolute Mehrheit auf die Stimmen aus anderen Völkern angewiesen. 157 Bericht über den Aufenthalt der Abordnung des deutsch-sächsischen Nationalrates in Bukarest – erstattet vom Sekretär Hans Otto Roth in der Vollsitzung des Nationalrates vom 8.2.1919, a.a.O. 150
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Ausdruck, dass Rumänien in Zukunft wieder den Weg zum Deutschen Reich finden werde. Dabei wies Roth noch einmal darauf hin, dass Frankreich zu weit weg von Rumänien liege, um das Land im Ernstfall wirksam schützen zu können. „Wenn die deutschfeindliche Stimmung im romaenischen Volke einmal verflogen ist, und die Feinde Romaeniens werden dafür sorgen, dass dies bald geschieht, werden die Beziehungen zu Deutschland allmaehlich wieder aufgenommen werden.“158 Als Nächstes teilte Roth dem Nationalrat mit, dass sich zufällig zum gleichen Zeitpunkt wie die Sachsen-Abordnung auch eine Delegation von Bessarabiendeutschen in Bukarest aufgehalten hatte. Mit diesen hatten sich die sächsischen Vertreter natürlich ausführlich unterhalten und dabei vieles über die Deutschen in Bessarabien erfahren. Insgesamt lebten dort 60.000 bis 70.000 Deutsche, zumeist Bauern. Durch den Krieg und besonders den folgenden Bolschewikensturm seien insbesondere die großen Gutsbesitzer fast ruiniert worden, insgesamt seien die deutschen Kolonien jedoch so reich gewesen, dass sie beides überstanden hätten. Seit 1917 gäbe es in jedem Dorf deutsche Vereine. Die bessarabiendeutsche Delegation muss Hans Otto Roth sehr beeindruckt haben, denn im Folgenden ließ er sich lange und ausführlich über ihre Lebensumstände aus. Schließlich endete er mit der Feststellung, dass sich auch die Deutschen Bessarabiens grundsätzlich zum Anschluss an Rumänien bereit erklärt hätten, wenngleich es in Bessarabien sehr viel größere Probleme als in Siebenbürgen gäbe. „Aus den Mitteilungen der deutschen Vertreter aus Bessarabien tritt uns eine neue Welt entgegen, deutsches Leben, von dem wir bis heute eigentlich gar keine Kenntnis hatten“, schloss Roth geradezu begeistert159 und fuhr im selben Atemzug fort: „Auch in Bukarest tritt uns allen eine neue Welt entgegen.“160 Gegen Ende seines Berichtes kam Roth dann auf das wohl wichtigste Ergebnis der Reise nach Bukarest zu sprechen: Auf die Gefahren des Nationalismus. Dazu erklärte er: „In den vielen Gesprächen mit rom. Politikern ist uns die magyarische Terminologie der ,Einheitlichen Nation‘ nur einmal entgegengetreten, in der Begruessungsansprache des Ministerpräsidenten Pherekyde. Aber auch er hat bei anderer Gelegenheit ausdruecklich von der Gleichstellung des saechsischen und romaenischen Volkes gesprochen. Sonst fanden wir den Geist der Nationalitaetenbedrueckung nirgends vor. Besonders schoen waren die Worte des Koenigs, mit denen er die Ansprache unseres Praesidenten bei der Audienz beantwortete ...“161
Zuletzt wies Roth noch kurz darauf hin, dass sich der Anschluss auch auf die sächsische Industrie und den Handel sehr positiv auswirken werde und dass auch die 8.000 Ebd. Ebd. 160 Ebd. 161 Ebd. 158 159
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Sachsen in Bukarest eine Stärkung der Siebenbürger Sachsen bedeuteten. Als Fazit beendete er den Bericht: „Der erste Weg in die neue Hauptstadt hat den Mitgliedern der Abordnung wichtige persoenliche Bekanntschaften gebracht, die politisch spaeter von noch groesserem Werte sein koennen. Die Reise im Ganzen war die erste Orientierung und gleichzeitig die Grundsteinlegung fuer eine neue politische Entwicklung. ... Wir sind ueberzeugt, dass wir auch in der neuen Entwicklung für uns die richtige Lebensform bald finden werden.“162 Dies war also die Lageanalyse von Hans Otto Roth im Februar 1919. Als die durch die Rumänen bei den Sachsen geweckten Hoffnungen in der Folgezeit jedoch schnell zerstoben, breitete sich eine Missstimmung gegen diejenigen aus, die in den Augen der sächsischen Öffentlichkeit den Anschluss zu verantworten hatten, darunter natürlich auch gegen Hans Otto Roth. Die sächsische Führung geriet unter erhöhten Rechtfertigungsdruck. Die deutsche Botschaft in Budapest stellte schon 1920 fest: „Die überstürzte Proklamation des Anschlusses an Großrumänien, die im fatalen Gegensatz zu der oft gepriesenen deutschen Treue steht“, habe seinerzeit bei den in Budapest verbliebenen Sachsen ein „Gefühl der Scham Ungarn gegenüber“ hervorgerufen.163 Obschon die sächsischen Führungskreise in Siebenbürgen vermutlich nicht von solchen Gefühlen geplagt wurden, wog der Vorwurf der Treulosigkeit doch so schwer, dass man sich von Anfang an bemühte, ihn zu entkräften oder gar umzukehren.164 Der Friedensvertrag von Trianon165 vom 4. Juni 1920 (Friedensvertrag Ungarns mit den Siegermächten des Ersten Weltkrieges) bestätigte die geschaffenen Tatsachen auch offiziell: Auch Siebenbürgen gehörte völkerrechtlich nun zu Rumänien.
1.4 Roth als Verfasser des neuen sächsischen Volksprogrammes Die Hoffnungen, die sich die Siebenbürger Sachsen wie auch die übrigen „deutschen Stämme Romäniens“166 durch den Anschluss an Rumänien gemacht hatten, verflogen schnell wieder. Schon die neue rumänische Staatsverfassung 1923 war für die Sachsen eine Enttäuschung. Die ganzen negativen Erfahrungen mit der früheren ungarischen Minderheitenpolitik wurden bei den Sachsen wieder wach gerufen. In keiner einzigen Bestimmung der neuen Staatsverfassung konnten sie einen Anklang an die Beschlüsse von Karlsburg oder auch nur an das ungarische Nationalitätengesetz von 1868 finden. Hans Otto Roth fasste die Enttäuschung der Rumäniendeutschen zu Ebd. Budapest an AA, 28.10.1920. PA, R 73649. 164 Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft, S. 82/83. 165 Minderheitenbestimmungen im Friedensvertrag von Trianon, s. u.: Anhang 16. 166 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. Roths Vortragstext von „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ Vortrag gehalten im Institutul Social in Bukarest 1924. 162 163
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sammen und kritisierte das rumänische Verhalten:167 Die Konzeption der Verfassung in der Minderheitenpolitik sei vollkommen negativ und überlasse die Lösung des Problems der Spezialgesetzgebung. Damit sei die Minderheitenfrage aber tief unter das Maß der staatspolitischen Bedeutung degradiert, das ihr in Wirklichkeit zukomme. Roth prophezeite, dass die weitere Entwicklung folglich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schweren nationalpolitischen Kämpfen führen werde. Er betonte, dass die Sachsen diese nicht wünschten, sondern ihre ganze Hoffnung auf die von König und Regierung verbürgten Beschlüsse von Karlsburg richteten. Roth führte weiterhin aus, dass den Sachsen eines der wichtigsten Volksrechte – das sie über die gesamte ungarische Zeit hätten bewahren können und dessen sich auch ihre rumänischen Mitbürger in Ungarn immer hätten erfreuen können – durch die neue Verfassung bereits genommen worden war, nämlich das Selbstbesteuerungsrecht der Kirche. Die rumänische Intention war dabei klar: Wenn der Kirche die Möglichkeit genommen war, sich die Mittel zur Erhaltung ihrer Schulen unter Zuhilfenahme des staatlichen Verwaltungsapparates von ihren Kirchenmitgliedern selbst zu beschaffen, mussten die Siebenbürger Sachsen zwangsläufig in eine finanzielle Abhängigkeit vom rumänischen Staat gelangen und so in eine Kulturkrise hineinsteuern, wie sie in ihrer 800-jährigen Geschichte noch nie da gewesen war. Sollte die Verfassung so bleiben, hinge alles von der Spezialgesetzgebung ab, worin Roth aber keine große Möglichkeit für den Erhalt der sächsischen Kultur sah. Weil sich die Sachsen nach dem Ersten Weltkrieg im Kampf um die Sicherung ihrer Volksrechte befanden, war es sehr wichtig, die Grundzüge eines neuen sächsischen Volksprogramms rechtzeitig genau festzulegen. Schon frühzeitig verfasste Hans Otto Roth daher den Entwurf eines neuen politischen Volksprogramms168 für die Siebenbürger Sachsen. Das Volksprogramm wurde dann auch im November 1919 auf dem Sachsentag in Schässburg beschlossen. Roth setzte hierbei voraus, dass von der Minderheitenfrage als politischem Problem nur dann gesprochen werden könnte, wenn das Minderheitenvolk selbst als geschlossene Volkspersönlichkeit, als einheitliche Volks- und Kulturgemeinschaft anerkannt werde. Kulturleben war nach seinem Dafürhalten stets ein kollektives Leben und nicht die rechnerische Summierung der zusammenhanglosen Kulturbetätigung einzelner Individuen. Daher war Roth stets darauf bedacht, dass das sächsische Kulturleben als kollektives Leben geachtet wurde. Zweifellos verfügten die Deutschen in Rumänien über die Voraussetzungen, um als besondere und geschlossene Volkspersönlichkeit und als selbstständige politische Nation angesehen werden zu können. Geschichte, eigene Kultur und vor allem ein eigener „völkischer Lebenswillen“169 waren in ausgeprägter Form vorhanden. So war es selbstverständlich, dass Roths Grundgedanke für das politische Volksprogramm in Ebd. Das neue sächsische Volksprogramm, siehe unten: Anhang 7. 169 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 167 168
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der Forderung der Anerkennung der Deutschen als besondere Volksgemeindschaft lag.170 Der Gegensatz dazu – die Auflösung der Volksrechte in reine Individualrechte, die lediglich eine gewisse Lebenserleichterung für die einzelnen darstellen würde – war hingegen seiner Meinung nach nicht geeignet, das kulturelle Gemeinschaftsleben der Rumäniendeutschen als Gesamtheit sicherzustellen. Roths Entwurf für ein politisches Programm forderte daher, dass dem deutschen Volk in Rumänien als Gesamtheit verfassungsmäßig das Recht zustehen sollte, Schulen und sonstige Kultureinrichtungen zu gründen und sie aus besonderen Steuern der Rumäniendeutschen zu erhalten, die mit Zuhilfenahme des staatlichen Verwaltungsapparates erhoben werden sollten, wohingegen der amerikanische Präsident Wilson mit „self determination“ die Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen bezeichnet hatte. Des Weiteren forderte Roth die uneingeschränkte Vereinigungsfreiheit zu kirchlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Zwecken auf „völkischer Grundlage.“171 Aus diesen politischen Grundgedanken ging hervor, dass Roth keine territoriale Autonomie mehr (wie die Sachsen nach 1867) anstrebte, sondern ein kulturelles Selbstbestimmungsrecht sowie die völlige wirtschaftspolitische Gestaltungsfreiheit. Roth betonte dies, da die Sachsen vor dem Hintergrund ihrer ehemaligen Privilegien172 teilweise verdächtigt wurden, wieder nach Rechten zu streben, die der Schaffung eines Staates im Staate gleichkamen. Roths Volksprogramm-Entwurf erhob jedoch nicht die Forderung nach Übertragung von staatlichen Souveränitätsrechten auf die deutschen Bevölkerungsteile. Die entscheidendste Forderung, die Roth in seinem Volksprogramm-Entwurf stellte, war die Anerkennung des freien Gebrauches der deutschen Muttersprache in Schulen, Kirche, Verwaltung und Rechtspflege. Roth kritisierte 1923 scharf, dass dieser Grundsatz in der rumänischen Staatsverfassung nicht beachtet worden war. Das ungarische Nationalitätengesetz wie auch der Verfassungsentwurf der Nationalen Bauernpartei hatten für den freien Gebrauch der Muttersprache als Voraussetzung festgelegt, dass 20% der Orts- bzw. Bezirksbevölkerung der betreffenden Minderheit angehörten.173 Roths politisches Programm forderte weiterhin, dass sowohl die Einteilung der Wahlkreise für die gesetzgebenden Körperschaften wie auch die der Verwaltungsgebiete unter möglichster Beachtung der Ausdehnung der deutschen Siedlungsgebiete zu erfolgen habe. Dabei betonte Roth, dass dies auch im rumänischen Interesse läge, da es die Minderheitenfrage lokalisiere. Weiterhin schlug Roth ein proportionales Listen Ebd. Ebd. 172 Basierend auf dem Andreanischen Freibrief von 1224 n.Chr. Vgl. Ernst Wagner: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Köln, Wien ²1980, S. 15–20; vgl. auch Urkundenbuch online: www.siebenbürgen-institut.de/special-menu/e-transylvanica/urkundenbuch-zur-geschichteder-deutschen-in-siebenbuergen-online/ 173 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ Die finnländische Verfassung verlangte sogar nur 10% und die estländische, lettländische und georgische Verfassung stellten diesbezüglich überhaupt keine Forderungen. 170 171
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wahlrecht auf Grundlage des nationalen Katasters vor, ein System, wie es auch in Mähren und der Bukowina zu österreichischer Zeit angewandt worden war. Zuletzt brachte Roth weitere elementare Ansprüche nach Autonomie der Kirche sowie der Selbstverwaltung der Gemeinden, Städte und Komitate als Forderungen vor. Dies waren die wesentlichen Punkte, die Roth im sächsischen Volksprogramm verankerte. Dieses Programm sollte nicht nur das Programm der Siebenbürger Sachsen darstellen, sondern auch Geltung für alle Rumäniendeutschen haben. Daraus entwickelte sich ein Gesamtbewusstsein, das die Siebenbürger Sachsen mehr und mehr mit den anderen „deutschen Stämmen in Rumänien“174 verband, so dass fortan häufiger von „Rumäniendeutschen“ gesprochen werden muss und nicht nur von „Siebenbürger Sachsen.“ In der politischen Praxis der Bukarester Zentralstaatskonzeption erwies sich dieses Programm jedoch als undurchführbar175 und das, obwohl es in allen Teilen den Beschlüssen von Karlsburg entsprach, die den Gedanken der Volksgemeinschaft in klassischer Form neu geprägt hatten. Eine nähere Betrachtung zeigt weiterhin, dass die Beschlüsse von Karlsburg nicht das Ergebnis einer augenblicklichen Entschließung waren, sondern in gedrängter Form den Kern der Forderungen darstellten, welche das politische Bewusstsein der Führung des rumänischen Volkes Siebenbürgens seit dem Beginn der Streitigkeiten 1878 um seine „nationale Befreiung“ geprägt hatte. In der „Cartea de aur“, dem Sammelwerk der geschichtlichen Dokumente der Siebenbürger Rumänen, finden sich die Inhalte der Karlsburger Beschlüsse in allen möglichen Variationen wieder. In dem Programm der siebenbürgischen rumänischen Nationalpartei, das im Jahre 1905 in Hermannstadt aufgestellt worden war, sind die Karlsburger Beschlüsse – soweit sie die Fragen der ethnischen Minderheiten enthalten – in drei Punkten fast wörtlich enthalten.176 Sie stellten also tatsächlich nicht nur ein Bekenntnis der siebenbürger Rumänen zur eigenen politischen Vergangenheit dar, sondern bildeten auch den Kern ihrer politischen Erfahrungen. Auch trugen die Karlsburger Beschlüsse dem neuen Weltgedanken des nationalen Selbstbestimmungsrechtes der Völker und dem Schutz der ethnischen Minderheiten Rechnung, also jenen Gedanken, die letztendlich die Gründung Großrumäniens nach dem Ersten Weltkrieg mitbestimmt hatten. Roth wies darauf hin, dass ähnliche Gedankengänge, wie sie in den Beschlüssen von Karlsburg formuliert worden waren, auch der altrumänischen Politik keineswegs unbekannt waren. Die rumänische Regierung forderte im Jahre 1913 nämlich selbst die Aufnahme von Minderheitenrechten der Rumänen in Mazedonien und in
Ebd. Siehe dazu Roth, Harald: Politische Strukturen. 176 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 174 175
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Albanien nicht nur in den internationalen Vertrag von Berlin sondern auch in die Staatsverfassung Albaniens. „Für die nationale Individualität der Rumänen aus Pind, zwischen Samarine und Metzivo, die Albanien angegliedert werden, werden die Großmächte sich dafür einsetzen, nicht nur in den internationalen Vertrag, der den Vertrag von Berlin aber auch die Verfassung und das organische Statut [Kirchenverfassung] von Albanien ersetzen wird, das Prinzip einfügen, dass in der Verwaltung aller Ortschaften, wo die Mehrheit rumänisch sein wird, aber auch in den rumänischen Kirchen und Schulen die verwendete Sprache das Rumänische sein wird.“177
Auch in anderen Staatsverfassungen ging man auf das Problem nationaler Minderheiten ein. Sehr klar war zum Beispiel die Anerkennung der ethnischen Minderheiten als Volksgemeinschaften in Artikel 109 der polnischen Staatsverfassung ausgesprochen, der wörtlich lautete: „Den Minderheiten im polnischen Staat wird unter Mitwirkung ihrer autonomen Föderationen volle und freie Entwicklung ihres Volkstums gewährleistet.“178 Die georgische Verfassung enthielt folgende Bestimmung: „Jede völkische Minderheit hat das Recht, nationale Einheiten zu bilden und frei und unbehindert ihre Kultur zu entwickeln.“179 Roth verwies als Vorbild auch auf einen Gesetzentwurf über die national-kulturelle Selbstverwaltung der deutschen Volksgemeinschaft in Lettland. Artikel 1 dieses Gesetzentwurfes besagte: „Sämtliche lettländische Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit bilden zur Befriedigung ihrer völkischen und kulturellen Bedürfnisse eine autonome deutsche Volksgemeinschaft öffentlich-rechtlichen Charakters.“180 Im Artikel 6 des Gesetzentwurfes war das Selbstbesteue-rungsrecht der deutschen Volksgemeinschaft Lettlands näher umschrieben und im Artikel 9 war das kulturpolitische Tätigkeitsgebiet der Volksgemeinschaft genau festgesetzt. In weiteren Bestimmungen war dann schließlich auch die innere Organisation der Volksgemeinschaft geregelt. Auch eine Verfügung der tschechoslowakischen Verfassung ist hierbei inter-
177 Im Dokument 122 des Grünbuches (Cartea verde) über die Ereignisse des Jahres 1913 aus der Zeit von Titu Majorescu findet man folgende Stelle: „Pentru apararea individualităţii naţionale a Românilor din Pind, între Samarina şi Metzivo, care vor fi încorporate la Albania, marile puteri vor interveni să înscrie nu numai în tratatul international care va înlocui tratatul de Berlin dar şi în Constituţia sau Statutul organic al Albaniei principiul ca în administrţtia tutor localităţilor unde majoritatea va fi română, ca şi’n toate bisericile şi şcolile româneşti, limba întrebuinţată sa fie cea română.“ Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 178 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 179 Ebd. 180 Ebd.
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essant: In Artikel 134 wurde dort festgelegt: „Jede Art von erzwungener Entnationalisierung ist verboten. Dieses Prinzip nicht zu beachten, wird als Straftat bezeichnen.“181 Wenn man die hier kurz zusammengestellten Regelungen der Minderheitenfrage zusammenfassen will, so kommt man zum Ausgangspunkt und Grundgedanken von Roths Volksprogramm für die Rumäniendeutschen zurück, nämlich zu dem Gedanken der verfassungsmäßigen Anerkennung der ethnischen Minderheit als Volksgemeinschaft. Roth war überzeugt: „Ist diese Frage in einwandfreier Weise gelöst, so fällt es nicht schwer, das Verhältnis der Minderheit zum Staat im einzelnen in zufriedenstellender Weise zu lösen.“182 Zur Klarstellung des sächsisch-deutschen Verhältnisses zum neuen rumänischen Staat ist es notwendig, auch einen Blick auf die rumänische Sicht der Dinge zu werfen: Die Rumänen verstanden ihren neuen Staat nämlich als homogenen Nationalstaat. Auch das war für die Sachsen nichts grundlegend Neues. Schon in Ungarn gab es die Idee des ungarischen Nationalstaates, der einheitlichen ungarischen Nation. Die Siebenbürger Sachsen mussten nun feststellen, dass nach dem Ersten Weltkrieg auch in Rumänien die Theorie des Nationalstaates Ausgangspunkt bei der Beurteilung der Minderheitenfrage wurde. Zwischen einem einheitlichen Nationalstaat und einem Vielvölkerstaat standen aber – gemäß Hans Otto Roths Überlegungen – Staaten mit gemischter nationaler Bevölkerung, aus der jedoch ein einzelnes Volk nach seinem zahlenmäßigen und politischen Gewicht besonders herausrage und aus der Dynamik der politischen Kräfte heraus staatsführend werde. Ein solcher Staat war Rumänien zwischen den beiden Weltkriegen tatsächlich, und die ethnischen Minderheiten spielten darin trotz des dargestellten Kräfteverhältnisses eine wichtige Rolle. Roth war überzeugt, dass in diesen Staaten die mehr oder weniger staatsmännische Behandlung des Minderheitenproblems relevant sei für die innerstaatliche Sicherheit des betroffenen Staates.183 Er begründete dies damit, dass die Unterdrückungspolitik gegenüber den Minderheiten, die im 19. Jahrhundert fast überall versucht worden war, sich als undurchführbar erwiesen habe und nur zu schweren innerstaatlichen Konflikten geführt habe. Roth sah diese Gefahr auch nach dem Ersten Weltkrieg nicht als gebannt an, sondern durch den überall erwachten neuen, weltweit aufgegriffenen Gedanken der nationalen Selbstbestimmung der Völker eher noch vergrößert: „Die brutale Gegenüberstellung von Mehrheit und Minderheit kann das nationalpolitische Kräftespiel in Staaten mit national gemischter Bevölkerung nie entscheiden, sondern nur aufs äusserste vergiften.“184 Für das Behauptungsrecht eines Volkes, das innerhalb 181 „Orice fel de desnationalizare fortata este interzisa. Neluarea in considerare a acestui principiu poate fi calficata de lege ca fapt penal.“ Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. Roths Vortragstext von „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 182 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 183 Ebd. 184 Ebd.
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eines national gemischten Staates eine ethnische Minderheit darstellte, konnte nach Roths Meinung auch nicht die absolute oder die relative Bevölkerungszahl entscheidend sein. Entscheidend war für ihn vielmehr die Kultur, die Volkskraft und letztlich der Lebenswille der betreffenden Minderheit: „Die Theorie des nackten Mehrheitsprinzips würde dazu führen, dass beispielsweise Polen, wenn es dem russischen Reich angeschlossen würde, von diesem ohne weiteres nationalpolitisch verspeist werden könnte, weil es doch nur eine zahlmässige Minderheit in Russland ausmachen würde. Ähnlich müsste es Bessarabien oder auch ganz Romänien ergehen, wenn es durch einen Wechselfall Russland zufallen würde.“185 Die ethnischen Minderheiten machten in Rumänien zu jener Zeit fünf Millionen Menschen aus, also über 30% der Gesamtbevölkerung des Landes.186 Bei diesem Kräfteverhältnis und der Zersplitterung der Minderheiten auf verschiedene Völker kam dem rumänischen Volk selbstverständlich die staatsführende Rolle zu, Rumänien konnte aber nicht als Nationalstaat mit homogener Bevölkerung bezeichnet werden. Daraus folgte für die Minderheitenpolitiker, dass in dem gesamten staatspolitischen Aufbau des Landes und in der gesamten Gesetzgebung Rücksicht auf die fünf Millionen Menschen der nationalen Minderheiten zu nehmen war. Für alle nationalen Minderheiten im neuen rumänischen Staat war es daher ungünstig, dass die neue rumänische Verfassung von 1923 nicht nur in der Begriffsbestimmung, sondern auch in ihrer ganzen Ideologie und in ihren Einzelbestimmungen vollkommen an die Theorie des homogenen Nationalstaates anknüpfte. Roth folgerte daraus: „Es ist nicht möglich, unsere Politik auf dem Boden dieser Staatstheorie aufzubauen, wenn wir auch der führenden politischen Stellung des romänischen Volkes in unserem Lande in vollstem Masse Rechnung tragen.“187 In diesem Zusammenhang ergab sich für die Minderheiten zwangsläufig die Frage, bis zu welcher Grenze die Minderheitenpolitik gehen konnte, ohne mit Staatsinteressen in Konflikt zu geraten. Auch hierbei musste grundsätzlich natürlich zwischen Nationalstaaten mit einzelnen Staatsbürgern fremder Volkszugehörigkeit, Vielvölkerstaaten und Staaten mit gemischter Bevölkerung unterschieden werden. Roth verwies hierbei auf Jugoslawien, wo das Problem durch territoriale Autonomie gelöst worden war. Eine territoriale Autonomie, wie sie in Vielvölkerstaaten wohl die einzig zufriedenstellende Lösung sein musste, kam für Rumänien mit seiner gemischten Bevölkerung natürlich nicht in Frage. Hier war diese Frage schwerer zu beantworten. „Auf jeden Fall aber ist die kulturelle Autonomie das Mindestmaß dessen, was ein Staat mit gemischter Bevölkerung seinen Minderheiten zuerkennen muss“,188 forderte Roth. Unter dieser kulturellen Autonomie verstand Roth nicht nur das Selbstbestimmungs-recht der Minderheiten in Schulfragen und Fragen der Schaffung Ebd. Ebd. 187 Ebd. 188 Ebd. 185 186
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anderer Kultureinrichtungen, sondern auch das ungehinderte Recht auf freien Gebrauch der Muttersprache in der Verwaltung, bei Gericht und allen übrigen Zweigen des Staatsapparates. Eine solche Verwirklichung von kultureller Autonomie setzte jedoch wieder die Anerkennung der Minderheit als Volksgemeinschaft voraus. Daher war diese Forderung der Grundgedanke von Roths gesamtem Volksprogramm. Roth war hierbei überzeugt, dass er damit streng die Grenze einhielt, die der Staat und das staatsführende Volk der Rumänen ohne Gefährdung seiner Interessen den Minderheiten als Rahmen der eigenen Bewegungsfreiheit zugestehen könnte. Seiner Meinung nach hätten die Rumänen aus höheren staatserhaltenden Gründen sogar selbst an einer solchen Lösung interessiert sein müssen. Zur Durchsetzung dieser Interessen gründeten die Deutschen in Rumänien am 20. November 1919 eine Partei: die Deutsche Parlamentspartei (nach 1929 nannte sie sich „Deutsche Partei“), um als solche gegenüber der rumänischen Regierung geschlossen auftreten zu können. Darin brachten alle Deutschen Rumäniens ihre gegenseitige Solidarität zum Ausdruck. Diese Partei unterschied sich in einigen Punkten von gewöhnlichen Parteien. Zunächst einmal konstituierte sie sich immer aus den jeweiligen in ein neues Parlament gewählten deutschen Parlamentsmitgliedern, Kammerabgeordneten und Senatoren. 189 Die Mitgliedschaft war also an den Parlamentarierstatus gebunden und somit wechselnd. Die Mitglieder der regionalen deutschen Volksorganisationen wurden intern nie als Parteimitglieder bezeichnet. Auch gehörte diese Partei in die Reihe jener Parteien, die – wie die sogenannten nationalen und klerikalen Parteien – nicht in erster Linie auf Grund von sozialpolitischer Selektion entstanden waren.190 Doch die Schlagkraft solcher Parteien war nicht zwangsläufig klein.191 Bei einer sozial relativ ausgeglichenen Minderheit wie den Deutschen in Rumänien war es damals noch nicht notwendig, besondere sozialpolitische Fraktionen aufzubauen. Ein möglichst knappes sozialpolitisches Programm, das ungefähr die Mitte zwischen kapitalistischen und sozialistischen Forderungen darstellte, war für diese Partei ausreichend (diesem Thema hätte allerdings später in der Weltwirtschaftskrise viel mehr Beachtung geschenkt werden müssen!). Zu den charakteristischsten Merkmalen der politischen Parteien gehörte zu allen Zeiten das Streben nach Macht zum Zweck der Verwirklichung der eigenen politischen Gedanken. Bei der Deutschen Partei war dieser Zug aufgrund der beschränkten Zielsetzung allerdings schwächer ausgeprägt als bei anderen Parteien.192 Das Streben nach politischer Macht beschränkte sich zunächst bloß auf die lokale Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 65. Politischer Nachlass HOR/Quelle 59 „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 191 Man denke hierbei auch an die Zentrumspartei in Deutschland, die den Umschwung vom Kaiserreich zur Republik ohne jeden Kräfteverlust überstanden hatte. 192 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 189 190
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Verwaltung, auf die Vertretungskörper und auf die durch Wahl zu besetzenden Beamtenstellen der Gemeinden, Städte und Komitate. Roth strebte dennoch unter gewissen Voraus-setzungen langfristig nach politischer Macht im Rahmen von Koalitionen mit rumänischen Parteien, was allerdings Anfang der 1920er Jahre noch unmöglich war.193 Den grundsätzlichen Rahmen der politischen Tätigkeit der Deutschen Parlamentspartei kann man in drei Punkten zusammenfassen: • Rückhaltlose Anerkennung des rumänischen Staates, so wie es die Sachsen auf ihrem Anschluss von Mediasch zum Ausdruck gebracht hatten. • Volle politische und parlamentarische Aktivität auch in Fragen, die nicht unmittelbar das Minderheitenproblem berührten, soweit sie im Interesse des Staatsaufbaues und der Staatsentwicklung lagen. • Verwirklichung von Roths politischem Volksprogramm in Anlehnung an den Friedensvertrag und die Karlsburger Beschlüsse.194 Interessant ist das Selbstbild der Partei, das Hans Otto Roth 1925 gegenüber den rumänischen Behörden zeichnete. Wenn er schrieb, „Die kommunalen Kreisorganisationen ebenso wie der Sächsische Volksrat sind organische Einheiten der Deutschen Partei in Rumänien, da sie von ihm geleitet werden“195, verkehrte er die Abhängigkeiten, um der Partei nach außen hin ein stärkeres Gewicht zu verleihen.196 Zum gleichen Zweck betonte er den gleichwertigen Charakter seiner Partei mit dem der großen Parteien des Landes.197 Aufschlußreich war auch Roths Feststellung, „Diese Organisation [der Volksrat] wurde 1867 gegründet und hat seinen Charakter bis zum heutigen Tage nicht geändert.“198 Roth suchte damit eine geschichtliche Kontinuität der politischen Organe der Siebenbürger Sachsen zu zeichnen.199 Im Hinblick auf den späteren Nationalsozialismus und die Verunglimpfungen Roths unter kommunistischer Herrschaft ist eine weitere Bemerkung Roths interessant, die er in seinem Aufsatz „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit“ 1924 niederschrieb: „Wir erleben heute im Fascismus [sic!] einen Rückschlag der nationalpolitischen Bewegung, die in den letzten Jahren des Weltkrieges zum Schutze des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und der völkischen Minderheiten Ebd. Ebd. 195 Übersetzung aus dem Rumänischen. StAH Fonds DSVR 63: Hans Otto Roth am 12. Juni 1925 an die Militär-Kommandantur Hermannstadt. 196 Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 65/66. 197 Ebd. 198 Übersetzung aus dem Rumänischen. StAH Fonds DSVR 63: Hans Otto Roth am 12. Juni 1925 an die Militär-Kommandantur Hermannstadt. 199 Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 66. Hier ist auch die weitere politische Entwicklung der Partei detailliert nachzulesen. 193 194
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Abb. 11 Hans Otto Roth um 1922
eingesetzt hat.“200 Hier wird ein ungewöhnlich scharfer Weitblick und ein treffsicheres Urteilsvermögen von Hans Otto Roth deutlich. Es beweist, dass Roth bereits 1924 – also schon in einer frühen Entstehungsphase von Faschismus und Nationalsozialismus – diesen Bewegungen nichts Gutes abgewinnen konnte, obwohl doch gerade sie vorgeblich für das Wohl der gesamten Volksgemeinschaft eintraten.
1.5 Probleme aus der rumäniendeutschen Alltagspolitik Im Alltag hatte sich Hans Otto Roth aber bald mit „banaleren“ Fragen zu beschäftigen. Es waren persönliche Dinge, finanzielle und wirtschaftliche Fragen, mit denen sich Roth auseinanderzusetzen hatte. Zum Verständnis dieses Themas ist jedoch zunächst eine kurze Einführung und ein Überblick über die höchsten Repräsentanten Rumäniens und die rumänischen Parteien notwendig, da Details rumänischer Innenpolitik zwischen den Weltkriegen berührt werden.201 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ 201 Zu der Thematik siehe auch: Kolar, Othmar: Rumänien und seine nationalen Minderheiten 1918 bis heute. Vgl. auch: Maner, Hans-Christian: Parlamentarismus in Rumänien 1930–1940. Demokratie in autoritärem Umfeld. Oldenburg Verlag, München 1997. 200
Probleme aus der rumäniendeutschen Alltagspolitik
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Der rumänische König Ferdinand (* 24. August 1865)202 starb am 20. Juli 1927. Da sein Sohn Prinz Carol (* 15. Oktober 1893 in Sinaia, † 4. April 1953 in Estoril in Portugal)203 zunächst aufgrund eines Eheskandals auf die Thronfolge verzichtete, folgte sein Sohn Michael I. (* 25. Oktober 1921)204 unter Vormundschaft. Am 6. Juni 1930 jedoch kehrte Carol im Zusammenspiel mit Iuliu Maniu – dem Führer der Nationalen Bauernpartei – zurück und wurde von der Nationalversammlung als Carol II. zum König von Rumänien ausgerufen. Dieser begann alsbald mit einem persönlichen Regiment. Maniu trat am 6. Oktober 1930 zurück. Nach kurzem Zwischenspiel der Regierung Gheorge Mironescu folgte am 19. April 1931 die Regierung Nicolae Iorga, die am 31. Mai 1932 ebenfalls wieder zurücktreten musste.205 In Rumänien bestanden 1918 zwei große Parteien, die Konservativen und die Liberalen, die sich nach englischem Vorbild in der Regierung abwechselten. Die kleineren Gruppen um den 1922 verstorbenen Take Ionescu (ein konservativer Dissident) und den bekannten Historiker und Universitätsprofessor Nikolae Jorga hatten parteipolitisch keine Bedeutung. Die Konservativen standen unter der Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Alexandru Marghiloman, die Liberalen unter Führung des amtierenden Ministerpräsidenten Jonel Bratianu. Durch die Unterzeichnung des Bukarester Friedens mit den Mittelmächten im Frühjahr 1918 waren die Konservativen zunächst so kompromittiert, dass sie parteipolitisch ganz an Bedeutung verloren, bis sie sich im Frühjahr 1925 nach dem Tod Marghilomans ganz auflösten und in die 1918 gegründete sogenannte Volkspartei des Generals Alexandru Averescu eintraten. So wurden die Liberalen als die „Sieger im I. Weltkrieg“ ganz die Herren der Situation. Charakteristisch für die Liberalen war ihre völlige Beherrschung des Wirtschaftslebens mit allen Großbanken und Industrien.206 Selbst die Notenbank behandelten sie als ihr Privateigentum. Auch auf die Beamtenschaft, das Offizierskorps und die Gendarmerie hatten sie starken Einfluss. Allerdings war die Zahl ihrer Mitglieder nicht besonders hoch, doch diese waren fast ausschließlich Intellektuelle. Folglich befanden sich in ihren Reihen auch ausgezeichnete Redner. Aus dem Geist der neuen Zeit nach dem I. Weltkrieg wurden jedoch auch neue Parteien geboren. Zum einen die bereits erwähnte Volkspartei des Generals Averescu. Dieser General war so volkstümlich, dass er bei verhältnismäßig demokratischen Wahlen (für Rumänien in dieser Zeit außergewöhnlich) im Frühjahr 1920 die absolute Mehrheit im Parlament erhielt. Hans Otto Roth urteilte über ihn: „Wenn er politisch Bild in Anhang 13. Bild in Anhang 13. 204 Bild in Anhang 13. 205 Ploetz. Auszug aus der Geschichte. S. 1316. 206 Politischer Nachlass HOR/Quelle 93. Arbeitsexemplar Roths: „Schlagwortartige Skizzierung der politischen Verhältnisse in Rumänien.“ Sowie Kolar, Othmar: Rumänien und seine nationalen Minderheiten 1918 bis heute, S. 67 ff. 202 203
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geschickter gewesen wäre, hätte er ein von den Sympathien der breiten Volksmassen getragener Mussolini Rumäniens werden können.“207 Seine Popularität gründete sich auf seine Feldherrenerfolge und seine Agrarreform, die er als Ministerpräsident am 31. Oktober 1921 durchführte. Hans Otto Roth war dennoch von ihm enttäuscht, weil er seiner Ansicht nach mit seinen Reformideen nicht weit genug ging.208 Die zweite Nachkriegspartei war die Zaranistenpartei (auf deutsch: Bauernpartei). Sie gewann die Mehrheit der Wähler Altrumäniens, Bessarabiens und eines Teils der Bukowina und konnte sich auf die breiten Massen der Landbevölkerung stützen. In ihrer Tendenz war die Partei sozialrevolutionär eingestellt. Sie vertrat den Standpunkt der völligen Neuverteilung von Grund und Boden ohne Entschädigung, womit die Partei ideologisch nahe an die kommunistische UdSSR rückte. Der Dualismus der rumänischen Parteipolitik drückte sich in der Folgezeit am stärksten in der Spannung zwischen den Liberalen und der Bauernpartei aus. Für Siebenbürgen besonders interessant wurde jedoch die sogenannte Nationalpartei. Die Nationalpartei war in ihrem Wesen eine Regionalpartei, eine ausgesprochene Interessensvertreterin Siebenbürgens. Ihr Führer war der Rechtsanwalt Dr. Juliu Maniu. Um sich vom Vorwurf zu befreien, eine provinzielle Partei zu sein, verband sie sich nach dem Tod von Take Ionescu mit dessen Anhängern, die zumeist frankophil gesonnen waren. Die Stellung des Königs war in dieser politischen Landschaft stark. Hans Otto Roth bemerkte dazu: „Seine Prärogativen sind in Rumänien außerordentlich stark. Er schickt und beruft die Parteien wie Dienstboten. Der alte König Karl betrieb eine kluge Schaukelpolitik und berief abwechselnd Liberale und Konservative. Heute ist das nicht mehr möglich. Heute entscheidet für den König ausschließlich die Frage, wie die Parteien zum Thron stehen.“209 Bei diesen Maßstäben waren die Liberalen dem König naturgemäß lieber als die sozialrevolutionäre Bauernpartei. Dennoch merkte Hans Otto Roth an: „Aber es ist immer gefährlich, wenn eine einzige Partei, wie in unserem Fall die Liberalen, die Situation allein beherrschen. Sie werden zu Despoten und Tyrannen der ganzen Landespolitik und in mancher Hinsicht auch dem König recht unbequem.“210 Diese Bemerkung ist auch im Hinblick auf den späteren Nationalsozialismus interessant. Roth schrieb diese Zeilen im November 1925, zu einer Zeit also, als Hitler noch relativ unbekannt war. Sie zeigen, dass Roth schon damals einer Einparteienherrschaft skeptisch gegenüber stand. Auf kulturellem Gebiet entwickelte vor allem die Generation der Kriegsteilnehmer neue Aktivitäten. Leiter des Verbandes der Deutschen in Rumänien mit Sitz in 207 Politischer Nachlass HOR/Quelle 93. „Schlagwortartige Skizzierung der politischen Verhältnisse in Rumänien.“ 208 Ebd. 209 Ebd. 210 Ebd.
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Hermannstadt wurde Hans Otto Roths Schwager, Dr. Richard Csaki (1886–1943). Er gab die Zeitschrift „Ostland“ heraus. Für seine Sommer-Hochschulwochen gelang es ihm, regelmäßig bekannte Persönlichkeiten aus dem Deutschen Reich zu gewinnen. 1933 wurde er als Leiter des Deutschen Auslandsinstitutes nach Stuttgart berufen. Heinrich Zillich (1898–1988) sammelte um seine Zeitschrift „Klingsor“ vor allem die literarisch Interessierten. Ab 1930 wandelte Karl Kurt Klein das Korrespondenzblatt des Landeskundevereins in die Siebenbürgische Vierteljahresschrift um und schuf damit eine in rascher Folge erscheinende geisteswissenschaftliche Zeitschrift hohen Niveaus.211
1.5.1 Das Verhältnis zu Rudolf Brandsch Die bedeutendsten deutschen Politiker in Siebenbürgen/Rumänien jener Zeit waren Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth sowie die Banater Schwaben Dr. Kaspar Muth (15.1.1876–9.2.1966) und – vorwiegend beschränkt auf die Förderung der katholischen Schul- und Kirchenangelegenheiten des Banats – Dr. Franz Kräuter (12.5.1885– 21.3.1969).212 Als in Siebenbürgen der Erste Weltkrieg zu Ende ging, war zunächst einmal Rudolf Brandsch213 der Mann der Stunde. Er war es, der die noch zögernde sächsische Führung auf die schon vor 1914 geschaffenen Grundlagen und Entwicklungstendenzen hinwies.214 Brandsch hatte sich vor 1919 bereits politisch betätigt und kämpfte seit 12 Jahren gegen die Politik der ungarischen Regierung, wohingegen der zehn Jahre jüngere Hans Otto Roth erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges politische Funktionen ausübte. Zeichnet man in einer Biographie ein Bild vom politischen Leben Hans Otto Roths, so ist es unerlässlich, auch seinen sächsischen politischen Gegenspieler in die Betrachtung mit einzubeziehen, denn zwischen Hans Otto Roth und Rudolf Brandsch gab es viele Unterschiede und Differenzen, aber auch zahlreiche Gemeinsamkeiten. Rudolf Brandsch (*22. Juli 1880 in Medias; †1953 im kommunistischen Gulag, wahrscheinlich in Jilava) entstammte einer evangelischen Pfarrersfamilie aus Siebenbürgen. An den Universitäten Marburg, Berlin und Jena studierte er Theologie und Philosophie. Er war schon während dieser Zeit politisch aktiv und hatte sich nationalen Organisationen angeschlossen, wie etwa dem „Alldeutschen Verband.“ 1910 zog Brandsch als Abgeordneter des Hermannstädter II. Wahlkreises in den un Ebd. Kessler, Karl: Rudolf Brandsch: Ein Südostdeutscher Volksmann, S. 86 f. 213 Zur Person von Rudolf Brandsch siehe auch: Eisenburger, Eduard: Rudolf Brandsch. In: Drotleff, Dieter: Taten und Gestalten Bd. II, S. 157 ff. Sowie: Kessler, Karl: Rudolf Brandsch: Ein Südostdeutscher Volksmann. 214 Schödl, Günter: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, S. 536. 211 212
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garischen Reichstag ein. Sein politischer Rückhalt war der bürgerliche Mittelstand Hermannstadts, der sich im „Hermannstädter Bürgerabend“215 politisch zusammengeschlossen hatte. Neben der Unterstützung der anderen deutschen Gruppen des Landes trat Brandsch für eine gemeinsame Opposition aller nichtungarischen Völker gegen die als nationalistisch empfundene Politik der ungarischen Regierung ein und wurde so einer der bekanntesten politischen Vertreter der „grünen“ Richtung.216 Besonders lag ihm eine Unterstützung der Donauschwaben in ihrem Kampf gegen den zunehmenden Magyarisierungsdruck am Herzen. Die tonangebenden siebenbürgisch-sächsischen Politiker von der „schwarzen“ Gruppierung verfolgten dagegen eine Politik der Unterstützung der jeweiligen Regierungsfraktion im Reichstag von Budapest im Tausch gegen eine Erleichterung des Magyarisierungsdruckes im sächsischen Siedlungsbereich und betrachteten eine Zusammenarbeit mit den Vertretern der anderen deutschen Minderheitspolitiker skeptisch. Von seiner „grünen“ Einstellung rührten aber auch Brandschs gute Kontakte zu den Siebenbürger Rumänen sowie den Banater Schwaben her. Anfang November 1918 gründete Brandsch den „Deutschen Volksrat“ für Ungarn. Brandsch verstand es, diesen so aufzubauen, dass er nicht bloß die Hochschulverbände und den Deutschen Bauernbund, sondern auch die Organisationen der deutschen Arbeiterschaft umfasste. Dabei ergab die innere Auseinandersetzung mit dem Nationalitätenprogramm der österreichischen Sozialdemokratie eine Festlegung auf das Ziel der Kulturautonomie. In der Zwischenkriegszeit war Brandsch einer der bekanntesten europäischen Minderheitenpolitiker. Nach dem Vertrag von Trianon wurde er Abgeordneter im rumänischen Abgeordnetenhaus (I. Kammer) und nach zehnmaliger Wiederwahl Senator auf Lebenszeit. Nach der Errichtung Großrumäniens führte er den „Verband der Deutschen in Großrumänien“, der auf einer Tagung in Czernowitz vom 17.– 19. September 1921 gegründet worden war.217 Von 1922 bis Frühjahr 1931 war er Vorsitzender des „Verbandes der deutschen Volksgruppen in Europa“, eines Verbandes, dessen Gründung Rudolf Brandsch gemeinsam mit dem Deutschbalten Ewald Ammende initiierte (Hans Otto Roth übernahm später ebenfalls dessen Leitung). Dem im Oktober 1922 ins Leben gerufenen Verband gehörten die deutschen Minderheiten in Belgien, Dänemark, Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarns, Rumäniens, Jugoslawiens, Italiens (Süd-Tirol) und Russlands an. Der Verband wurde auch vom Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches subventioniert, obwohl er sich in Wien konstituierte, um im Ausland den Eindruck einer Abhängigkeit von reichsdeutschen Stellen zu vermeiden. In der Hauptsache vertraten seine gewählten Abgeordneten die Interessen der deutschen Minderheiten vor dem Völkerbund. 215 Eine politische Vereinigung von Handwerkern und kleinen Kaufleuten in Hermannstadt. Mehr dazu bei Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 24. 216 Vgl. dazu auch die Volkstumspolitik von Edmund Steinacker. 217 Schödl, Günter: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, S. 544.
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Außerdem setzte sich der Verband – ebenso wie die Bewegungen der nichtdeutschen Minderheiten – für ein europäisches Volksgruppenrecht ein. Das 1923 eingerichtete „Büro Bruns“ beriet die Minderheitenführer in rechtspolitischen Fragen und sorgte dafür, dass eventuelle, der gemeinsamen Position der Minderheiten schadende Petitionen unterbunden wurden. Damit wirkte sich der Verband positiv auf die Bildung eines gesamtdeutschen Bewusstseins unter den deutschen Minderheiten aus. Dieser Verband der deutschen Volksgruppen in Europa wurde später für Hans Otto Roth noch bedeutsam (vgl. Kapitel 2.2: Roth als Vorsitzender des „Verbandes der deutschen Volksgruppen“ 1931–1934). Rudolf Brandsch war generell ein gerne gesehener Gast auf zahlreichen Tagungen außerhalb Rumäniens. Er betrieb bis 1931 eine gesamtdeutsche Volkstumspolitik, die sich zu einem großen Teil außerhalb des sächsischen und rumänischen Raumes vollzog. Auf dem Genfer Nationalitätenkongress 1925/26 erklärte er den oppositionellen Minderheiten im Deutschen Reich (Polen, Dänen, Wenden), dass die von der Mehrheit des Kongresses gewünschte Festlegung auf das Ziel der Kulturautonomie auch in ihrem Interesse läge. Als das Deutsche Kulturamt in Rumänien 1930 ein kleines Handbuch zum europäischen Minderheitenproblem herausgab, war Rudolf Brandsch einer der Autoren. 1922 musste Rudolf Brandsch jedoch sein Amt als Vorsitzender der „Deutschen Volkspartei“ in Rumänien niederlegen. An seine Stelle trat Hans Otto Roth. Zum Vizepräsidenten wurde der Banater Schwabe Dr. Franz Kräuter gewählt. Der Rücktritt Brandschs war notwendig geworden, da er nicht mehr das Vertrauen dieses Parlamentarier-Clubs genoss.218 Brandsch hatte verschiedentlich seine Abneigung gegen den Wahlpakt mit der rumänischen Regierungspartei, den Liberalen, zum Ausdruck gebracht und betont, dass die Rumäniendeutschen nun nach den Wahlen durch keine Fesseln mehr an die Regierung gebunden seien, sondern ihr Verhalten im Parlament frei bestimmen könnten. Von der rumänischen Regierungsseite her hatte man Brandsch diese Äußerungen sehr verübelt. Die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest urteilte, dass Brandsch wohl nicht zu Unrecht von der Mehrzahl der Rumäniendeutschen, insbesondere von den Abgeordneten, der Vorwurf gemacht wurde, dass seine Äußerungen zur Zeit wenig opportun und taktisch nicht richtig gewesen seien, da die Sachsen gerade in Verhandlungen mit der liberalen rumänischen Regierung über die vielleicht wichtigste Frage ihres Volkstums, nämlich der Schulfrage, standen. Solange diese Verhandlungen dauerten und solange Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss bestand, war es wohl auch wenig angebracht, die Regierung unnötigerweise zu reizen. Brandschs Rücktritt werde den Gang der Verhandlungen daher wesentlich erleichtern, urteilte die Deutsche Gesandtschaft.219 Der Gegensatz der Anschauungen zwischen Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth beruhte im Wesentlichen darauf, dass Brandsch die Ansicht vertrat, man dürfe 218 Akten Deutsche Gesandtschaft in Bukarest an das AA in Berlin. K 354/K114948. ASI: B III–11, Bd. 6/43 (Kopie nach PA AA R73650). 219 Ebd.
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es nicht mit der siebenbürgischen Nationalpartei verderben, die eine ausschlaggebende Stelle in der Politik Rumäniens – insbesondere in Siebenbürgen – einnehme. Hans Otto Roth hingegen wollte durch Verhandlungen mit der stärkeren liberalen Partei schnelle und greifbare Erfolge erzielen und war außerdem der Ansicht, dass die Nationale Partei unter der heranwachsenden Generation der siebenbürger Rumänen immer mehr an Boden verlieren und die Liberalen eine immer stärkere Rolle spielen würden. „Der geschickten Politik Roth’s ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass die Deutschen noch zwei weitere Mandate erhalten werden“220, urteilte die Deutsche Gesandtschaft. Am 30. Januar 1924 schrieb die Gesandtschaft dann nach Berlin: „Bei den Verhandlungen über das neue Schulgesetz für die Minderheiten scheiden sich auf Seite der Deutschstämmigen immer mehr die Geister. Die deutsch-rumänische Partei, geführt von Dr. Hans Otto Roth, versucht in langwierigen Verhandlungen, mit viel Energie und Zähigkeit durch persönliche Einwirkung auf die leitenden Mitglieder der Regierung und der liberalen Partei Konzessionen zu erreichen und einen erträglichen Zustand zu schaffen, in der Hoffnung, allmählich noch mehr zu erwirken. Diese Anschauung wird auch von den kirchlichen Kreisen sowohl in Siebenbürgen als im Banat vertreten. Meines Erachtens ist diese Taktik, die den tatsächlichen Kräfteverhältnissen Rechnung trägt, die einzig richtige, und trotz aller Schwierigkeiten halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass sie zum Ziele führt. Seitens der rumänischen Regierung würde man gerne mit der deutschen Minorität zu einer Verständigung kommen.“221
Die deutsche Gesandtschaft unterstützte Roths Verhandlungstaktik also ausdrücklich. Dass diese jedoch nicht selbstverständlich war, zeigten Beispiele anderer deutscher Politiker, die entweder zu weich oder zu hart auftraten. Die deutschen Vertreter aus Bessarabien zum Beispiel waren aus den russischen Zeiten so eingeschüchtert und bescheiden in ihren nationalen Ansprüchen, dass sie geneigt waren, alles anzunehmen, wenn man nur ihre Schulen nicht schlösse.222 Rudolf Brandsch hingegen soll gedroht haben, ein wiedererstarktes Deutschland werde von den Rumänen erzwingen, was Rumänien jetzt den Deutschen verweigere. 223 „Natürlich reizen solche Ausführungen die Rumänen sehr, ohne irgendwie zu helfen“224, schloss die Deutsche Gesandtschaft. Die Verhandlungen Roths über die deutschen Schulen endeten für die Sachsen mit einem Ergebnis, das Hans Otto Roths Verhandlungstaktik bestätigen musste. In einem Privatbrief vom 14.10.1924 an Legationssekretär von Grundherr ließ sich der Ebd. Deutsche Gesandtschaft in Bukarest an AA in Berlin: 30.1.1924. K 115005. ASI: B III–11, Bd. 6/43 (Kopie nach PA AA R73650). 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ebd. 220 221
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Diplomat Hans Freytag in Bukarest über die Unterschiede zwischen Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth aus. Die Auffassung, dass Brandsch die Massen der Siebenbürger Sachsen vertrete, Hans Otto Roth hingegen die Intellektuellen, sei „schief.“ 225 Tatsächlich sei Roth zwar kein Mann der Massen, die Bauernschichten stünden aber zu Connerth und dieser wiederum zu Roth. „Brandsch hat es verstanden, sich in Deutschland populär zu machen, während die anderen zu Hause wirkliche Arbeit geleistet haben“, schrieb Freytag. „Er [Brandsch] wirkt ja sehr sympathisch, man hat sich davon blenden lassen, schätzt natürlicherweise auch, daß er sich so sehr mit den allgemeinen Minoritätenfragen befaßt, und übersieht darüber, daß er nicht als Führer der Siebenbürger Sachsen angesehen werden kann. Er ist ein Eigenbrödler.“226 Das ist ein eindeutiges Urteil über den Wirkungsgrad der beiden rivalisierenden Politiker. Interessanterweise ist dies ein ähnliches Urteil über politische Führungsfähigkeiten, wie es auch Hans Otto Roth nach 1944 zum Ausdruck brachte.227 Auch an anderer Stelle wurde über die Führungseigenschaften von Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth ähnlich geurteilt. Brandsch habe krasse Beispiele politischer Unbotmäßigkeit gegeben und habe als Führer der Sachsen und der gesamten deutschen Partei starke autokratische Allüren an den Tag gelegt. 228 Seine „Führerschaft“229 sei nicht von Dauer gewesen, denn sie habe, wie selbst unbefangene Anhänger zugegeben hätten, nicht auf irgendwelchen Führungseigenschaften, sondern einzig und alleine auf seinen Verbindungen zu Rumänen aus der früheren Zeit beruht, die ja unter ganz anderen Bedingungen geknüpft worden waren. Brandschs Leitungsanspruch habe daher auf einer Art „politischen Kriegsgewinnlerschaft“230 beruht. Demgegenüber stehe „die rastlose, von ungewöhnlicher politischer Begabung, riessigem [sic!] Fleiss und ausserordentlicher diplomatischer Geschicklichkeit getragene Tätigkeit von Dr. H.O. Roth, der unter Verschmähung jeglichen Ausblicks auf Volkstümlichkeit und jeglicher demagogischer Mache in den Jahren von 1919 herwärts dem Deutschtum in Rumänien hervorragende Dienste geleistet“ habe.231 Für eine ausgeglichene Sichtweise muss man jedoch anführen, dass Brandsch durch seine langjährige Oppositionsarbeit im Ungarischen Reichstag einfach anders geprägt war als Hans Otto Roth. Brandschs Einstellung war liberal, bürgerlich und reform225 Privatbrief des Gesandten des Dt. Reiches in Bukarest, Freytag, an Legationssekretär von Grundherr. 14.10.1924. ASI: B III–11/Bd. 6/42 (Kopie nach PA AA R73650). 226 Ebd. 227 Politischer Nachlass HOR/Quelle 471: Roth fasst seine Rezeption des rumäniendeutschen Nationalsozialismus zusammen und äußert sein Verständnis von Führertum und politischem Erfolg oder Misserfolg. 228 Unterredung Freytags mit Krahmer-Möllenberg am 6.10.1924. ASI: Signatur B III–11, Bd. 6/43 (Kopie nach PA AA R73650). 229 Ebd. 230 Ebd. 231 Ebd.
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freudig. Hans Otto Roth hingegen erlebte in Rumänien ein liberal-demokratisches System, dessen Krise und Niedergang. So entwickelte er eine Synthese liberaler und konservativer Gedanken. Roth war der Meinung, dass sich politische Eigenständigkeit nur mit finanzieller Unabhängigkeit behaupten ließ. Er arbeitete überwiegend in Siebenbürgen sowie im Parlament in Bukarest und verhandelte meist nur mit den maßgeblichen Stellen, wobei er als gleichberechtigter Partner auftrat. Beiden Politikern gemeinsam war ihre – aus alter siebenbürgisch-sächsischer Tradition stammende – demokratische Grundeinstellung. Hans Otto Roth war dabei konservativer als Rudolf Brandsch, welcher anfangs etwas liberaler und sozialer eingestellt war. Beide erkannten in der Reichskrise 1918 sofort die Gefahren für das Vielvölkerreich Österreich-Ungarn. Beide lehnten schon Anfang der 1930er Jahre den Nationalsozialismus ab. So hielt Brandsch beispielsweise Anfang 1933 auf einer Versammlung des Hermannstädter Bürgerabends eine scharfe Wahlrede gegen den Nationalsozialismus und widersetzte sich den rumäniendeutschen NS-Gruppierungen. In zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen attackierte er die lokale NS-Politik. Allerdings kooperierte er Mitte der 1930er Jahre mit den radikalen Nationalsozialisten um Dr. Waldemar Gust. Trotzdem hoffte er, Berlin werde die deutsche Minderheit in Rumänien unterstützen. Rudolf Brandsch war in der Politik wahrlich nicht unumstritten. Seine Aussöhnungspolitik mit Rumänien wurde oft als erfolglos angegriffen, da sich Rumänien strikt weigerte, die in den Karlsburger Beschlüssen und den Pariser Vorortverträgen zugesagten Minderheitenrechte einzuhalten und stattdessen eine nationale Homogenisierungspolitik verfolgte. Außerdem wurde Brandsch die Vermischung privater und politischer Interessen vorgeworfen. Im April 1931 wurde er jedoch als Unterstaatssekretär für Minderheitenfragen im Regierungskabinett von Nicolae Iorga nach Bukarest gerufen (bis September 1932). Nach 1933 wurde er auch mit außenpolitischen Sonderaufgaben der rumänischen Staatsregierung betraut. Die Einigung der deutschen Volksgruppen in Rumänien mit den übrigen deutschen Volksgruppen in Europa war im Wesentlichen sein Verdienst. International wuchs aber auch die Aufmerksamkeit für Hans Otto Roth. Im November 1924 besuchte der Völkerbunddelegierte für Minderheitenfragen Colban auf der Durchreise nach Athen Hans Otto Roth.232 Roth berichtete über das Treffen, dass Colban im Gegensatz zu seinem letztjährigen Besuch sehr viel zugänglicher gewesen sei. In den vergangenen Jahren habe Colban festgestellt, dass in der Minderheitenfrage manches zu wünschen übrig geblieben sei, wohingegen er in diesem Jahr eine Wendung zum Besseren erkennen könnte. In Regierungskreisen sei man des Lobes voll über die deutsche Minderheit. Colban versicherte, dass der Völkerbund von nun an in Minderheitenfragen eine größere Aktivität zeigen werde. Die Deutsche Gesandtschaft glaubte indessen nicht, dass der Völkerbund viel in der Bericht der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest an AA in Berlin am 10.11.1924. Inhalt: Völkerbund und Minderheitenfragen. ASI: B III–11, Bd. 6/43 (Kopie nach PA AA R73650). 232
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Minderheitenfrage bewirken könnte und dass auch die Rumäniendeutschen keinen besonderen Wert auf ein Eingreifen des Völkerbundes legten, doch natürlich begrüßten sie jede Unterstützung für ihren Standpunkt.233 Besonders aber in der innersächsischen Politik wuchs die Rivalität der beiden Politiker. Ein gutes Beispiel für den Machtkampf zwischen Roth und Brandsch ist ihr Streit um die Zeitung des „Hermannstädter Bürgerabends.“ Der „Hermannstädter Bürgerabend“ war um die Jahrhundertwende entstanden und erfasste das mittlere und untere Bürgertum der Stadt, vor allem Gewerbetreibende, Kleinhändler und Angestellte. Der Bürgerabend übernahm das „Nachbarschaftswesen“234, belebte es neu und erreichte auf diese Weise große Teile der Bevölkerung. Politisch trat der Bürgerabend gegen „kleinsächsische“ (also nur auf die Siebenbürger Sachsen bezogene) und für gesamtdeutsche Standpunkte liberaler Richtung ein, wie sie sein prominentester Vertreter, Rudolf Brandsch, formulierte. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer starken Bindung an die Person Brandschs, der aufgrund der gewandelten Verhältnisse nun im Rampenlicht der sächsischen Politik stand. 235 Publizistisches Organ des Bürgerabends war die „Deutsche Tagespost“, gewissermaßen ein Konkurrenzblatt zum „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt.“ Es kam nicht selten zu Beschwerden der Tagespost, sie würde gegenüber dem Tageblatt bei der Versorgung mit „offiziellen“ sächsischen Mitteilungen ungleich behandelt.236 Dieses Spannungsverhältnis belebte die politische Diskussion und erweckte den Anschein einer Meinungsvielfalt. Diese Situation bot die Möglichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung und oft auch des Streits zwischen Brandsch und konservativen Politikern wie Hans Otto Roth. Finanzielle Gründe machten es zur Jahreswende 1925/26 nötig (und ein zeitweiliges Abflauen der Gegensätze machte es auch möglich), dass die beiden Zeitungen vereinigt wurden und ab dem 1. Januar 1926 als „Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt. Allgemeine Volkszeitung für die Deutschen in Rumänien“ 237 erschien. Die Hintergründe, die zu dieser Zusammenlegung führten, hatten jedoch mit politischer Entspannung zwischen Roth und Brandsch wenig zu tun. In der Auseinandersetzung der Tagespost mit dem Tageblatt hatte nämlich das Tageblatt schließlich doch den längeren Arm. Im Laufe des Jahres 1924 geriet die Tagespost in finanzielle Bedrängnis, aus der ihr Brandsch durch die Beschaffung materieller Unterstützung aus Deutschland heraushelfen wollte. Dabei fand er beim Berliner Regierungsrat Krahmer-Möllenberg 233 Bamberger-Stemmann, Sabine: Der Europäische Nationalitätenkongreß 1925–1938. Nationale Minderheiten zwischen Lobbyistentum und Großmachtinteressen. 234 Sozialstruktur, die auf gegenseitige Unterstützung und Konfliktbewältigung im kirchlichen Rahmen ausgerichtet war und in den durch Binnenmigration stark wachsenden sächsischen Städten um 1900 weitgehend vernachlässigt worden verschwunden war. 235 Zum Hermannstädter Bürgerabend siehe auch: Roth, Harald: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919–1933, S. 101 ff. 236 Mehrfache Eingaben der Tagespost-Redaktion an den Volksrat (StAH Fonds DSVR). 237 SDT vom 1. Januar 1926, S. 1
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Gehör, der offenbar für die Vermittlung von 30.000 RM durch die dem Auswärtigen Amt nahestehende „Deutsche Stiftung“ verantwortlich zeichnete.238 Diese Maßnahme rief allgemein unter den sächsischen Politikern Entrüstung hervor. Man beanstandete, wie unbekümmert Brandsch sich in politischen Fragen an reichsdeutsche Stellen wandte und wie sich diese bereitwillig für politische Zwecke in Siebenbürgen gebrauchen ließen. Hans Otto Roth äußerte sich in einem Brief an Krahmer-Möllenberg scharf: „Wir wollen in klarer Erkenntnis der inneren und äußeren Gefahren verhindern, daß von Deutschland für politische Zwecke Geld zu uns komme.“ Roth lehnte jede Einmischung Deutschlands in die sächsische Politik ab: „Innere Gegensätzlichkeiten sind unsere engere Familienangelegenheit, die über die Grenzen unserer Siedlung nicht hinausgetragen werden dürfen.“ Selbst eine Vermittlung zwischen ihm und Brandsch durch Berlin lehnte er ab: „Ein Ausgleich zwischen uns beiden kann nur auf dem Boden unserer eigenen Volkspolitik und unter der Bürgschaft und Mitwirkung der maßgebenden Persönlichkeiten unseres eigenen Volkes gesucht werden.“239 Dies mochte zwar durchaus der historischen Handhabung innersächsischer Streitigkeiten entsprechen, doch angesichts der völligen Unbekümmertheit, mit der auch Hans Otto Roth in der Weltwirtschaftskrise aus dem Reich Kredite für die Hermannstädter Sparkassa oder die Landeskirche befürwortete, kann man diese Kritik Roths an Brandsch nur als in der Sache nicht konsequent bezeichnen. Sie muss daher als politisches Manöver gewertet werden, um die konkurrierende Tagespost in einer schwierigen finanziellen Situation endgültig auszuschalten. Unterstützt wurde Roth dabei vom deutschen Gesandten Freytag. Ganz der Meinung Roths entsprechend bezeichnete Freytag die Angelegenheit als „eine unzulässige Einmischung von reichsdeutscher Stelle in die innerpolitischen Verhältnisse der Minderheit“240, mit der Begründung, dass ein angeblich „in der politischen Auseinandersetzung unterlegenes Blatt“241 von Deutschland künstlich am Leben erhalten würde. In diesem Licht wird auch die Einschätzung der Tagespost durch das Auswärtige Amt als „sehr weit rechts, beinahe völkisch eingestellt“ interessant, während Roths Politik als „gemäßigt“ bezeichnet wurde.242 Diese Einschätzungen als solche waren allerdings für sich genommen ebenso eine Einmischung in die innersächsischen Angelegenheiten, weil sie eine Schützenhilfe von den offiziellen deutschen Stellen in Rumänien für Hans Otto Roth darstellten. Zwar trifft es zu, dass die Politik des Volksrates – und damit das Siebenbürgisch-deutsche Tageblatt – um Ausgleich und um Abdeckung eines weiten 238 PA AA R 73650, Nationalitätenfragen, Rumänien: Aufzeichnung im Auswärtigen Amt am 20. Dezember 1924. 239 PA AA R 73650, Nationalitätenfragen, Rumänien: Hans Otto Roth am 21. November 1924 an Regierungsrat Krahmer-Möllenberg. 240 PA AA R 73650, Nationalitätenfragen, Rumänien: Gesandter Freytag am 12. Dezember 1924 an Auswärtiges Amt. 241 Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 103. 242 PA AA R 73650, Nationalitätenfragen, Rumänien: Aufzeichnungen im Auswärtigen Amt am 20. Dezember 1924.
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politischen Spektrums bemüht war, während sich die Tagespost immer wieder neu profilieren musste und daher eher schwankende, oftmals gegensätzliche Positionen vertrat. Doch heutige Historiker halten eine tendenzielle Rechtslastigkeit der Tagespost für unwahrscheinlich.243 Wie die Angelegenheit bezüglich der Unterstützung der Tagespost durch Berlin weiter verlief, ist nicht ganz klar. Roth bot sich Krahmer-Möllenberg gegenüber an, die in Berlin bereits begonnene „Aufklärungsarbeit“ fortzusetzen. Ein auf den 20. Januar 1925 in Berlin datierter und von Brandsch, Roth und Krahmer-Möllenberg zur Unterzeichnung vorgesehener Entwurf eines Ausgleichs zwischen Tageblatt und Tagespost, der die Verschmelzung beider Blätter vorsah, dürfte in der erhaltenen Form nicht zustande gekommen sein. Vor allem ist es schwer vorstellbar, dass Roth einer Vermittlung durch Berlin und damit einer reichsdeutschen Einmischung in sächsische Angelegenheiten zustimmte. Die Einzelheiten des Kompromisses, der Ende 1925 zur Vereinigung der beiden Zeitungen führte, sind nicht bekannt. Die Tagespost konnte jedoch weiterhin bei der Siebenbürgisch-Deutschen Verlags AG unter der Leitung der alten Redaktion herausgegeben werden und musste sich auch vom Inhalt her nur unwesentlich wandeln. Viereinhalb Jahre später gab der Bürgerabend dann die „Neue Zeitung“244 heraus.
1.5.2 Die Finanzierung der Schulen Ein Problem, mit dem sich Hans Otto Roth ständig befassen musste, waren die staatlichen Gelder für die Schulen der Evangelischen Landeskirche A. B., nachdem die rumänische Regierung den sächsischen Institutionen ihre wirtschaftlichen Grundlagen mehr und mehr entzog. So war schon in den Karlsburger Beschlüssen eine umfassende Agrarreform proklamiert worden, die am 31. Oktober 1921 dann auch durchgeführt wurde. Unter den Sachsen gab es zwar nur wenige Großgrundbesitzer, weswegen die den sächsischen Privatpersonen enteigneten Flächen nicht sehr erheblich waren. Viel schlimmer traf es jedoch die sächsischen Körperschaften und Stiftungen. Die Nationsuniversität verlor mit einem Schlag ihren großen Grundbesitz, vor allem die vorbildlich bewirtschafteten Siebenrichter-Waldungen. Auch die Kirchengemeinden durften höchstens noch 18,4 ha Land behalten. Damit verlor die evangelische Landeskirche 55% ihres Landbesitzes.245 Auch die sächsischen Gemeinden wurden hart getroffen. In den Dörfern des früheren Königsbodens machte die Gemeinerde (Allmende), die ihrem Wesen nach nicht Gemeinde-, sondern Gemeindegliedervermögen darstellte (bei der Agrarreform jedoch nicht als solches behandelt wurde), im Durchschnitt bis zur Hälfte der Gesamtgemarkung aus. Sie war Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 104. Ebd., S. 104. 245 Wagner, Ernst: Geschichte der Siebenbürger Sachsen, S. 78–85. 243 244
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ein wichtiger Teil der Ertragsbasis der Kleinbetriebe. Auch davon wurden große Flächen enteignet. Die Gesamtdaten wurden zwar nicht veröffentlicht, es ist aber bekannt, dass zum Beispiel die Gemeinden Großau, Heltau und Talmesch 57% ihres Gemeinbesitzes verloren.246 Mit dieser Enteignung des Gemeinschaftsbesitzes wurde nicht nur die wirtschaftliche Basis der bäuerlichen Kleinbetriebe geschmälert, sondern vor allem die Einnahmen zur Deckung der Ausgaben für das deutschsprachige Schulwesen. Deshalb mussten die Schul- und Kirchensteuern erheblich angehoben werden und waren fortan meist höher als die direkten Steuern. Außerdem war man zunehmend auf staatliche Unterstützung angewiesen. Den Gemeinschaftseinrichtungen der Siebenbürger Sachsen kamen auch weitere wichtige Einkünfte nicht mehr zugute, vor allem jene der sächsischen Banken, die satzungsgemäß mindestens 10% ihres Gewinns – in der Regel sogar noch erheblich mehr – gemeinnützigen Einrichtungen gespendet hatten. Durch einen ungünstigen Währungsumtausch, die Zeichnung hoher Kriegsanleihen Österreich-Ungarns (die 1918/19 mit einem Schlag wertlos geworden waren) und eine hohe Inflation verloren die Banken ihre gesamten Reserven. Der nächste Schlag kam dann durch die Weltwirtschaftskrise mit ihren Banken-Zusammenbrüchen und späteren Umschuldungsaktionen. Durch diese Entwicklung behielten die sächsischen Banken trotz großer Fusionen nur noch einen Bruchteil ihrer früheren wirtschaftlichen Bedeutung. Dies wiederum wirkte sich auf die gesamte Wirtschaft der Siebenbürger Sachsen äußerst ungünstig aus. Es kam zu einem chronischen Kapitalmangel bei schlechter Auftragslage. Die Situation verbesserte sich erst kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges wieder, vor allem durch einen neuen deutsch-rumänischen Wirtschaftsvertrag. Die unbefriedigenden wirtschaftlichen Verhältnisse führten später in den 1920er Jahren unter den Siebenbürger Sachsen folglich auch zu einer Unzufriedenenbewegung. Fritz Fabritius gründete Mitte der zwanziger Jahre die als Bausparkasse getarnte „Selbsthilfe“, mit der er auch sozialreformerische und nationale Ideen durchsetzen wollte. Aus ihr entstand die „Erneuerungsbewegung.“ Dem Führer des Südostdeutschen Wandervogels, Dr. Alfred Bonfert, gelang es ab 1931 durch Sommerarbeitslager breite Kreise der städtischen Jugend zu gewinnen, die sich der „Erneuerungsbewegung“ anschlossen247. Diese errang auf dem fünften und letzten Sachsentag 1933 in Hermannstadt die Mehrheit und näherte sich den inzwischen in Deutschland an die Macht gekommenen Nationalsozialisten an. Die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse Rumäniens begünstigten hierbei die politische Radikalisierung.248
Ebd. Vgl. Möckel, Andreas: Umkämpfte Volkskirche: Leben und Wirken des evangelisch-sächsischen Pfarrers Konrad Möckel (1892–1965), Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 2011. 248 Wagner, Ernst: Geschichte der Siebenbürger Sachsen, S. 78–85. 246 247
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Das siebenbürgisch-sächsische Schulwesen war seit jeher ein konfessionelles. Da es hoch entwickelt war, bildeten die Schuleinrichtungen als Ganzes eine übermäßig große finanzielle Belastung für die Landeskirche249. Bis zum Herbst 1918 standen der Evangelischen Landeskirche nicht unerhebliche Geldquellen zur Verfügung. Die Einnahmen des Zehntrentenfonds betrugen – umgerechnet auf das Jahr 1930 – 21.328.000 Lei.250 Die Dotation der Sächsischen Nationsuniversität erreichte den Betrag von 15.849.800 Lei. Dazu kamen steigende Beitragsleistungen des ungarischen Staates (seit 1908) in Höhe von 32.078.000 Lei. So ergaben sich für die Landeskirche bis zum Ende des I. Weltkrieges direkte Einnahmen von umgerechnet insgesamt 69.255.800 Lei pro Jahr. Infolge der Bodenreform verlor die Landeskirche dann jedoch nach dem Krieg Grundbesitz im Ausmaß von 35.000 Joch, was etwa einem Verlust von 20 bis 25 Millionen Lei entsprach251, wozu dann noch der daraus resultierende Verlust an Erträgen kam. Insgesamt ergibt sich ein Betrag von 117.438.238 Lei, der der Landeskirche bis zum Jahr 1918 dauernd zur Verfügung stand und nach der rumänischen Bodenreform am 31. Oktober 1921 fast komplett wegfiel – 1929 bekam man aus denselben Quellen gerade noch 26.237.300 Lei. Diese Zahlen machen die Situation der Evangelischen Landeskirche A. B. nach dem Ersten Weltkrieg deutlich. Seit der Angliederung Siebenbürgens an Rumänien bemühte sich das Landeskonsistorium (oberste Verwaltungsbehörde der Landeskirche) natürlich darum, die Regierung und die politischen Parteien Rumäniens dazu zu bewegen, der Kirche einen angemessenen Betrag zur Erhaltung von Kirchen und Schulen zukommen zu lassen. Dabei konnte man sich auf Rechtsüberlieferungen aus der ungarischen Zeit wie auch auf die Bestimmungen des Friedensvertrages von Trianon stützen. Gleichzeitig wurde auch geltend gemacht, dass ein großer Teil des für kulturelle Zwecke gebundenen Kirchenvermögens durch die Bodenreform einer gemeinnützigen Bestimmung gewaltsam entzogen worden war und dass sich daher für die Evangelische Landeskirche ein moralischer Anspruch auf Schadensersatz ergab. Auch konnte das Landeskonsistorium darauf hinweisen, dass aus den Verpflichtungen der politischen Gemeinden zur Erhaltung der Volksschulen (14% der kommunalen Haushalte), die im Jahre 1923 gesetzlich festgelegt worden waren, im Sinne des Artikels 161 des staatlichen Volksschulgesetzes auch formale proportionale Anteilsfinanzierung abzuleiten waren. Hans Otto Roth sah also die sächsischen Ansprüche sowohl gewohnheitsrechtlich als auch durch Landesgesetze und internationale Verträge untermauert. Vgl. dazu: Wien, Ulrich Andreas: Die landeskirchliche Schulpolitik. In: Ders.: Resonanz und Widerspruch, Bd. I. Erlangen 2012. 250 Alle Zahlen aus: Politischer Nachlass HOR/Quelle 137. Rede von Hans Otto Roth vor der 33. Landeskirchenversammlung im August 1930. Verhandlungsbericht über die 33. Landeskirchenversammlung 1930. Hermannstadt 1930, S. 22–26. 251 Ebd. 249
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In der Praxis war diese Frage jedoch weniger ein Rechtsproblem als eine Angelegenheit der politischen Auseinandersetzung. Dementsprechend hatte das Landeskonsistorium auch gemeinsam mit der politischen Leitung der Sachsen die Frage der Beitragsleistungen in den Mittelpunkt der gesamten Volkspolitik gestellt. Vom Mediascher Anschluss-Beschluss an bis zur Wahlvereinbarung mit der nationalzaranistischen Partei wurden alle Mittel der friedlichen Einwirkung auf die politischen Parteien Rumäniens versucht, um die Erhaltung und den finanziellen Unterhalt des konfessionellen Schulwesens unter allen Umständen sicherzustellen. Hans Otto Roth betonte diesen Punkt noch einmal ganz entschieden: „Es kann mit aller Bestimmtheit gesagt werden, dass in dieser Richtung hin nichts unversucht gelassen worden ist.“252 Dennoch war sich das Landeskonsistorium bereits im Herbst 1918 zur Erkenntnis gelangt, dass auch die Siebenbürger Sachsen erhöhte Beitragsleistungen würden aufbringen müssen253, denn die tatsächlich erreichten Ergebnisse der sächsischen Bemühungen auf politischer Ebene ließen mehr als zu wünschen übrig. Zwar umfasste die vom rumänischen Staat geleistete Ergänzung der Pfarrergehälter – die sogenannte Kongrua – die tatsächlich angemessene Höhe von 15.860.000 Lei für die Evangelische Landeskirche. Dies war allerdings eine verfassungsmäßig festgelegte Leistung, die allen Religionsgemeinschaften proportional zugutekam, womit Rumänien weniger dem Drängen der Evangelischen Landeskirche als vielmehr dem Verlangen der rumänisch-orthodoxen Kirche nachgab254. Was die Frage der Beitragsleistungen des Staates zur Erhaltung der konfessionellen Schulen angeht, muss man feststellen, dass trotz aller Bemühungen der sächsischen kirchlichen und politischen Leitung das Ergebnis sehr dürftig war. Es konnte lediglich erreicht werden, dass sämtliche politischen Parteien die Verpflichtung des Staates zur ausreichenden Beitragsleistung grundsätzlich anerkannten. Die liberale Partei sowie Marschall Averescu bekundeten ihre Bereitschaft zur Beitragsleistung sogar in schriftlichen Wahlvereinbarungen in den Jahren 1922 und 1926. Dieselbe Bereitschaft betonte auch die nationalzaranistische Partei wiederholt in mündlichen Erklärungen. Über die formale Anerkennung der Ansprüche durch die Parteien kamen die Sachsen allerdings nicht wesentlich hinaus. Das Geld, das die Landeskirche vom rumänischen Staat empfing, reichte zur Lösung des Problems keinesfalls aus. 1919 erhielt man 2,5 Millionen Lei. 1921 stieg dieser Betrag unwesentlich auf 3 Millionen Lei an, 1925 erreichte er die Summe von 4 Millionen Lei. Dazu erhielt die Evangelische Landeskirche im Herbst 1922 einen einmaligen Betrag von 10 Millionen Lei. 1929 erhielt man dann nochmals einen
Ebd. Ebd. 254 Brusanowski, Paul: Rumänisch-orthodoxe Kirchenordnungen 1768–2008. SiebenbürgenBukowina-Rumänien. Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 33. Hg. von Karl W. Schwarz und Ulrich Andreas Wien. Köln, Weimar, Wien 2011, S. 282–315, hier 291–293. 252 253
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Kredit über 5 Millionen Lei.255 Dagegen forderten die Sachsen wiederholt beim rumänischen Ministerpräsidenten die Erhöhung des Staatsbeitrages auf 53 Millionen Lei, was dieser mehrfach mit Hinweis auf die prekäre Kassenlage ablehnte und „vielleicht für das Jahr 1931 gewisse neue Beiträge“256 in Aussicht stellte. Gleichzeitig empfahl der Ministerpräsident den Sachsen, „Fassung und Geduld zu bewahren, bis die allgemeinen Wirtschaftsverhältnisse unseres Landes eine wesentliche Besserung erfahren haben werden.“257 Der ernste Wille zur Lösung dieses für die Sachsen so entscheidenden Punktes war also bei der rumänischen Regierung einfach nicht vorhanden. Vermutlich wussten nicht nur die Sachsen, sondern auch die Rumänen genau, „dass mit dem Bestand des autonomen Schulwesens auch der Bestand unseres Volkes schicksalhaft und unlösbar verbunden ist.“258 Die bis 1918 bestehende materielle Absicherung des landeskirchlichen Schulwesens durch die Einkünfte aus den umfangreichen Besitzungen der Gemeinden und der sächsischen Nationsuniversität, aus dem Überschuss der prosperierenden sächsischen Bankinstitute und aus staatlicher Unterstützung entfiel nach dem Krieg also beinahe gänzlich. Auch die Wirtschaft und allen voran die Banken wurden durch den nachteiligen Eintausch der ungarischen Krone gegen den rumänischen Leu an den Rande des Zusammenbruchs gebracht und die Unterstützungen des Staates trotz Zusicherungen in dem Minderheitenschutzvertrag für Schul- und Kirchenautonomie nicht nur erheblich reduziert, sondern auch unregelmäßig ausgezahlt. Die Existenz der gesamten Landeskirche war daher wegen der unsicheren und belastenden Situation des Schulwesens gefährdet.259 Bereits zu Beginn der zwanziger Jahre führte die Knappheit des Geldes in vielen Gemeinden vor allem des Hermannstädter Umlands dazu, dass den Lehrern die Gehälter gar nicht oder zumindest teilweise nicht mehr ausgezahlt wurden, so dass sich die Lehrer zum Streik entschlossen. Entscheidendes Ergebnis dieser Ereignisse war ein gestärktes Selbstbewusstsein der Lehrer und zugleich ein Beleg dafür, dass die Kirchenleitung nun nicht mehr wie bisher nahezu unantastbar war. Formell sorgte ein neues Gesetz über die Besoldung der Schulangestellten Ende des Jahres 1922 für Klärung.260 Insgesamt betrug der Finanzbedarf der Evangelischen Landeskirche A. B. für ihre Schulen 23 Millionen Lei. 261 Diese Gelder waren der Evangelischen Ebd. Ebd. 257 Ebd. 258 Ebd. 259 Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 93. – Wien, Ulrich: Kirchenleitung, S. 46. 260 StAH Fonds Brukenthal FG 1–51, Nr. 86: Akten der Jahre 1919–1922 zum Lehrerstreik und zur Frage der Lehrerbesoldung. 261 Die Evangelische Landeskirche A. B. in Siebenbürgen unterhielt insgesamt 257 Volksschulen. In diesen Volksschulen unterrichteten insgesamt 628 Volksschullehrer, inklusive der Hilfslehrer. Die Zahl der an diesen Schulen unterrichteten Schüler betrug 36.675. Die Gehälter der in der Statistik ausgewiesenen Volksschullehrer machten nach den Normen der staatlichen Gehaltsregelung die Gesamtsumme von 13 Millionen Lei pro Jahr aus. Dieser Betrag entsprach dem jährlichen Bedarf 255 256
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Landeskirche tatsächlich von der Bugetkommission der rumänischen Regierung für den 1. April 1922 zugesagt worden, trafen jedoch bei den Sachsen nicht ein, während die im Jahre 1921 erhaltene staatliche Unterstützung nur 3 Millionen Lei (also nur 13% der benötigten Summe) betragen hatte. Die gesamte restliche Summe von 20 Millionen Lei hatte die Kirche selbst aufbringen müssen, obwohl sie ohnehin bereits die Kosten für die Erhaltung der Gebäude, die Beleuchtung und die Beheizung trug. Hans Otto Roth verfasste daraufhin mehrere Schreiben an den Außenminister262 sowie den Vorsitzenden des Unterrichtsausschusses der Budgetkommission für Unterricht, Universitätsprofessor Simon Mândrescu263. Das Problem der Finanzen ließ Hans Otto Roth jedoch auch weiterhin nicht los. In seinem politischen Nachlass sind noch zahlreiche weitere Briefe erhalten, die Roth auch in den folgenden Jahren immer wieder an führende Persönlichkeiten der rumänischen Regierung schrieb, so etwa an Unterstaatssekretär Bucṣan, an Unterrichtsminister Petrovici, Finanzminister Lepedatu oder auch Ministerpräsident Averescu selbst. Doch bereits ab Mitte der zwanziger Jahre war die Evangelische Landeskirche A. B. auf Finanzspritzen aus Berlin angewiesen. Als Initiatoren des Weges nach Berlin müssen alle führenden Persönlichkeiten der Landeskirche und des Volksrates gelten.264 Ein erster Versuch, größere reichsdeutsche Unterstützung zu erhalten, begann 1924. Damals wurde im Auswärtigen Amt in Berlin die Möglichkeit der Aufnahme der evangelischen Landeskirche in Siebenbürgen für Volksschullehrergehalte. Weiterhin besaß die Evangelische Landeskirche A. B. in Siebenbürgen sechs Vollgymnasien in Hermannstadt verbunden mit einer Oberrealschule und einer Mädchenmittelschule – Kronstadt, Schässburg, Bistritz und Mediasch, eine Unterrealschule in Kronstadt und je ein Untergymnasium in Mühlbach und Sächsisch-Regen. An diesen Mittelschulen standen nach der amtlichen Statistik insgesamt 124 Mittelschullehrer im Dienst. Die Zahl der an diesen Mittelschulen unterrichteten Schüler betrug im Jahre 1922 insgesamt 3.125. Zur Ausbildung der Volksschullehrer besaß die Evangelische Landeskirche auch ein Lehrerbildungsseminar, das sogenannte Landeskirchenseminar, in Hermannstadt und eine Lehrerinnenbildungsanstalt in Schässburg. An diesen beiden Seminaren waren 18 Lehrkräfte zur Unterrichtung von 151 Schülern im Einsatz. Zuletzt unterhielt die Evangelische Landeskirche auch noch acht Bürgerschulen in Hermannstadt, Schässburg, Bistritz, Kronstadt und Sächsisch-Regen. Die Zahl der hier unterrichteten Schüler betrug 1.413. Daneben bestanden weitere Fachschulen, u.a. zwei Ackerbauschulen und eine Kindergärtnerinnenbildungsanstalt. So ergibt sich für diese Gymnasien, Seminare und Bürgerschulen eine Gesamtlehrerzahl von 176 und eine Gesamtschülerzahl von 4.689. Die Gehälter für die in dieser Statistik ausgewiesenen Mittelschullehrer machten nach den Normen der staatlichen Gehaltsregelung die Gesamtsumme von 10 Millionen Lei jährlich aus. Alle Zahlen aus: Politischer Nachlass HOR/Quelle 11. Roth schreibt an den Vorsitzenden des Unterrichtsausschusses der Bugetkommission für Unterricht, Universitätsprofessor Simon Mandrescu, über den Subventionsbedarf der von der evangelischen Landeskirche A. B. geführten Schulen. 262 Politischer Nachlass HOR/Quelle 10. Roth an den Außenminister I.G. Duca unter Berufung auf die Vereinbarung mit der Regierung bezüglich der Schulen. 263 Politischer Nachlass HOR/Quelle 11. Roth schreibt an den Vorsitzenden des Unterrichtsausschusses der Budgetkommission für Unterricht, Universitätsprofessor Simon Mândrescu, über den Subventionsbedarf der von der evangelischen Landeskirche A. B. geführten Schulen. 264 Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 135.
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einer Anleihe von einer halben Million Reichsmark durch die sächsische Landeskirche aus deutschen Fonds diskutiert. Der Gustav-Adolf-Verein wollte hierfür die Bürgschaft übernehmen.265 Im März 1925 stellte das Reichsfinanzministerium dem Auswärtigen Amt dann tatsächlich 600.000 RM zur Verfügung, welches das Geld an den GustavAdolf-Verein als Mittler weiterleitete. Dieser trat dann gegenüber der Landeskirche als Darlehensgeber auf. Die eigentliche Herkunft des Geldes sollte in Siebenbürgen nicht bekannt gemacht werden.266 Dieser Betrag entsprach etwa 30 Millionen Lei267 und damit drei Viertel des damals veranschlagten Jahreshaushaltes der Landeskirche.268 Trotz dieser großen Unterstützung blieb die finanzielle Notlage der Kirche unverändert. Eine neue Verordnung der rumänischen Regierung forderte jetzt die Angleichung der Lehrergehälter der konfessionellen Schulen an jene der Staatslehrer, so dass diese Maßnahme für 1926 erneut einen ungedeckten Mehrbedarf von 20 Millionen Lei ergab. Die Kirchenleitung und die politische Führung der Sachsen strebten daher bald nicht nur die Stundung der Zinsen, sondern weitere Unterstützungen beim GustavAdolf-Verein wie auch beim Deutschen Reich direkt an. So bemühte sich Hans Otto Roth 1927 in Berlin um eine Unterstützung von 500.000 RM269, der Gustav-AdolfVerein nochmals um 300.000 RM270, diesmal jedoch beide ohne Erfolg. Bei der Gewährung weiterer Unterstützung hatte sich wohl der Umstand ungünstig ausgewirkt, dass die Landeskirche nicht in der Lage war, das 1925 gewährte Darlehen zurückzuzahlen und sowohl von ihr selbst als auch vom Gustav-Adolf-Verein und dem Auswärtigen Amt271 Bemühungen unternommen worden waren, dieses Darlehen in PA AA R 61662, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Aktennotiz und Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zur Lage der Landeskirche vom 1. Oktober 1924. 266 PA AA R 61663, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Vereinbarung zwischen Auswärtigem Amt und Centralvorstand des evangelischen Vereins der Gustav-Adolf-Stiftung. Vom 20. März 1925. Schon hier wurde festgelegt, dass der etwaige Verlustträger das Reich sein sollte. Später wurde die Herkunft der Unterstützung zumindest der engeren sächsischen Volks- und Kirchenführung bekannt. 267 PA AA R 61663, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Denkschrift der Landeskirche, mitgeteilt in einer Aufzeichnung der Deutschen Gesandtschaft Bukarestan das Auswärtige Amt vom 14. Dezember 1926. 268 Der Kostenvoranschlag der Landeskirche für 1925 betrug 38 Millionen Lei. Voranschlag für das Erfordernis der Gesamtgemeinde im Jahre 1925. In: Kirchliche Blätter vom 30. Oktober 1924, S. 456–458. 269 PA AA R 61663, Evangelische Angelegenheiten Rumänien: Interne Aktennotiz des Auswärtigen Amtes vom 30. Mai 1927. Hieraus geht hervor, dass der sächsischen Landeskirche 1927 bereits 60.000 RM vom AA gewährt worden waren. 270 PA AA R 61663, Evangelische Angelegenheiten Rumänien: Interne Aktennotiz des Auswärtigen Amtes vom 11. Juli 1927. 271 PA AA R 61664, Evangelische Angelegenheiten Rumänien: Auswärtiges Amt am 16. April 1930 an das Generalhaushaltsreferat. Das Darlehen aus dem Jahre 1925 wurde intern tatsächlich abgeschrieben, aber nach außen hin wurde es weiterhin als gestundete Forderung aufrechterhalten. 265
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eine verlorene Reichsbeihilfe umzuwandeln. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch ebenfalls an der Ablehnung des Reichsfinanzministeriums.272 Trotz alledem flossen auch weiterhin kleinere Beträge aus Deutschland an die Landeskirche. Alle weiteren Bemühungen um größere reichsdeutsche Unterstützungen scheiterten jedoch. 1927 schrieb Bischof Dr. Friedrich Teutsch an Reichsaußenminister Gustav Stresemann und bat um Unterstützung.273 Stresemann unterstützte das Ersuchen in einem Brief an den Reichsfinanzminister ausdrücklich: „So stehen wir heute vor der Tatsache, daß trotz der größten Anstrengungen des sächsischen Volkes in Siebenbürgen das deutsche Schulwesen vor dem Zusammenbruch steht. Wir würden, wenn nicht helfend eingegriffen wird, diesen kulturellen Stützpunkt im Südosten verlieren. Die Folge davon wäre nicht nur der Zusammenbruch unserer kulturpolitischen Expansionspolitik im Südosten Europas, sondern auch die schwerste wirtschaftliche Schädigung des gesamten Deutschtums.“274
Stresemann sprach dabei von einer Unterstützung von 600.000 RM, wobei 500.000 RM für das evangelische und 100.000 RM für das katholische Schulwesen bestimmt sein sollten.275 Damit ging Stresemann offenbar auf Roths Ersuchen vom Frühjahr 1927 und nicht auf Teutschs Vorschläge ein. Über den Ausgang dieser Angelegenheit ist leider nichts bekannt.276 Auch weitere persönliche Vorsprachen von Teutsch (etwa bei Reichspräsident von Hindenburg), von Roth und Brandsch während der Jahre 1926 bis 1928277, ebenso wie eine Initiative von Roth im Jahre 1931 blieben ohne Erfolg. Da sich die Lage der Landeskirche erneut dramatisch zuspitzte, legte Roth in einer Denkschrift die zunehmenden Belastungen der Landeskirche einerseits und die bereits durchgeführte Streichung von Pfarrer- und Lehrerstellen andererseits dar und richtete einen neuen Hilferuf nach Deutschland.278 Das Reichsfinanzministerium lehnte jedoch mit Hinweis auf die Finanzlage des Reiches und auf das verlorene
Hierzu zahlreiche Vorgänge in PA AA R 61663 und in PA AA G 19, Gesandtschaft Buka-
272
rest.
273 Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1933. Serie B: 1925–1933. Bd. VII. Göttingen 1975, S. 48f.: Teutsch am 27. September 1927 an Stresemann. 274 Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1933. Serie B: 1925–1933. Bd. VII. Göttingen 1975, S. 48: Stresemann am 7. Oktober 1927 an den Reichsminister der Finanzen Köhler. 275 Ebd. 276 Auch die Bearbeiter der „Akten zur deutschen auswärtigen Politik“ konnten über den Fortgang dieser Angelegenheit nichts ermitteln. Ebd., S. 50. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass Stresemanns Ersuchen angenommen wurde, da sich anderenfalls in den späteren Akten mit Sicherheit ein Hinweis darauf gefunden hätte. Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 138. 277 Verschiedene Vorgänge in PA AA R 61663, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien. 278 PA AA R 61664, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Denkschrift von Hans Otto Roth vom März 1931.
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Abb. 12 Wilhelm Schreiber, Hans Otto Roth, Bischof Teutsch, Dr. Karl Ernst Schnell, Karlsburg 1929
Darlehen von 1925 erneut jede weitere Unterstützung für die Landeskirche ab.279 Trotzdem unternahm auch Dr. D. Viktor Glondys, damals noch Stadtpfarrer von Kronstadt und Bischofsvikar, einen erneuten Versuch in Berlin, bei dem er ein Konzept vorstellte, wonach die Landeskirche nach Durchführung verschiedener Sparmaßnahmen und einem auf bis zu fünf Jahre angesetzten jährlichen Zuschuss von 125.000 RM, der nachher allmählich wieder abzubauen wäre, nach zwölf Jahren ohne Zuschüsse auskommen würde.280 Ob das aber realistisch war, ist fraglich. Für die unmittelbaren Folgejahre scheint es dennoch auf weitere finanzielle Unterstützungen aus Deutschland hinausgelaufen zu sein. In einer Besprechung im deutschen evangelischen Kirchenausschuss, wo sich oberste Kirchenvertreter für die Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien einsetzten, sagten die Vertreter des Auswärtigen Amtes in Berlin die einmalige Finanzspritze von 125.000 RM zur Tilgung der Schulden zu: „Das Auswärtige Amt hat sich trotz der außerordentlich ernsten Finanzlage und der dadurch bedingten Beschränkung der für kulturelle Zwecke zur Verfügung stehenden Mittel zu diesem Zuschuß entschlossen, weil es den Bestand der Siebenbürgisch-Sächsischen Landeskirche und damit des deutschen 279 PA AA R 61664, Evangelische Angelegenheiten Rumänien: Der Reichsminister der Finanzen im August 1931 an das Auswärtige Amt. 280 PA AA R 61664, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Innerer Aktenvermerk des AA vom 16. November 1931 mit handschriftlichem Konzept von Glondys.
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Volkstums in Siebenbürgen im Interesse des gesamten Auslandsdeutschtums und der deutschen Minderheit politisch für unerläßlich hält.“281 Über diese materielle Förderung hinaus sollte der Vorsitzende des Gustav-AdolfVereins, Geheimrat Prof. Franz Rendtorff, „das ganze Problem eingehend mit den zuständigen Instanzen [in Siebenbürgen] besprechen und diesen mit seinem bewährten Rat zur Verfügung stehen.“282 Dies ist wohl ein Zeichen dafür, dass die fördernden Reichsstellen um die zweckmäßige Verwendung der Gelder besorgt waren. Obwohl diese nicht zur Schuldentilgung, sondern für Sach- und Personalkosten sowie für Ruhegehälter landeskirchlicher Angestellter eingesetzt wurden283, ergab sich für das Jahr 1932 ein Defizit von 175.000 RM im Haushalt der Landeskirche. Die Landeskirche war im Frühjahr 1932 zahlungsunfähig.284 Hans Otto Roth, der inzwischen zum Landeskirchenkurator gewählt worden war, wurde mit der dringenden Bitte um Gewährung des gleichen Betrages wie im Frühjahr abermals in Berlin vorstellig.285 Im März 1933 wurde dieser Betrag schließlich mühevoll stückweise aus den Mitteln des Kulturfonds des Auswärtigen Amtes, des deutsch-evangelischen Kirchenausschusses und des Schulfonds des Auswärtigen Amtes aufgebracht.286 Eine finanzielle Konsolidierung der Landeskirche war aber auch weiterhin nicht in Sicht, im Gegenteil: Die Evangelische Landeskirche A. B. war faktisch bankrott, da ihr ihre eigenen Einnahmequellen entzogen worden waren und die zugesagten rumänischen Kirchensubventionen nicht ausgezahlt wurden. Nur die verschiedenen reichsdeutschen Unterstützungen bewahrten die evangelische Landeskirche und damit auch das konfessionelle Schulwesen in Siebenbürgen vor dem Zusammenbruch.
1.5.3 Roths Engagement für Gewerbe und Industrie Weite Teile der sächsischen Wirtschaft nahmen während der zwanziger Jahre aber auch eine zufriedenstellende Entwicklung. Industrie und Handel etwa behielten ihre führende Stellung in Siebenbürgen und gewannen teilweise selbst in anderen Landesteilen Einfluss. Die Organisationsformen von Gewerbe und Industrie konnten gegenüber der Vorkriegszeit ausgebaut werden: Im „Bund Siebenbürgischer PA AA R 61665, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Auswärtiges Amt am 21. März 1932 an den Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses. 282 Ebd. 283 PA AA R 61665, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Verwendungsnachweis des Landeskonsistoriums vom 17. August 1932. 284 Vgl. Wien, Ulrich Andreas: Kirchenleitung über dem Abrund, S. 63. 285 PA AA R 61665, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Aktenvermerk des Auswärtigen Amtes vom 30. November 1932. 286 PA AA R 61665, Evangelische Angelegenheiten, Rumänien: Aktenvermerk des Auswärtigen Amtes vom 28. März 1933. 281
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Industrieller“ (eine Untergliederung der Generalunion der Industriellen Rumäniens) waren überwiegend Sachsen vertreten. Der Verband der deutschen Handelsgremien hatte weitverzweigte Untergliederungen in Siebenbürgen. Die Gewerbetreibenden schlossen sich in den Städten in den Gewerbevereinen zusammen, gingen aber von weniger guten Voraussetzungen aus als Handel und Industrie.287 Die Tendenz zu überregionalen Zusammenschlüssen führte 1928 zur Gründung des „Deutschen Gewerbebundes in Rumänien“ mit Sitz in Hermannstadt.288 Über den von Hans Otto Roth gegründeten „Zentralausschuß deutscher Wirtschaftsverbände“, ein Zentralorgan für die gesamte sächsische Wirtschaft, sind kaum Anhaltspunkte vorhanden. Ein Teil der Tätigkeit dieser Institution sollte die Abwicklung einer Kreditaktion für sächsische Banken sein.289 Das vor dem Krieg gut entwickelte und potente sächsische Bankenwesen erholte sich von dem Kapitalschnitt aufgrund des Währungswechsels nach dem Ersten Weltkrieg, den Enteignungen und dem Verlust der Kriegsanleihe nur sehr allmählich. Die zunehmende Verarmung der Bevölkerung verstärkte diese Krise. Mit Hilfe von Kreditaktionen wurde daher wiederholt versucht, die deutschen Banken in Rumänien vor Auflösungstendenzen zu bewahren. So bemühte sich Hans Otto Roth während der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre um Kredite für die sächsischen Banken sowohl bei den zentralen rumänischen Stellen als auch in Deutschland. Als Voraussetzung für eine Kredithilfe durch Deutschland wurde die Forderung nach der Schaffung eines zentralen Kreditinstitutes für alle deutschen Siedlungsgebiete erhoben.290 Dies wurde – soweit feststellbar – nicht erreicht, doch gab es in Siebenbürgen selbst Bemühungen, das stark aufgesplitterte Bankenwesen – darunter sehr viele Zwerginstitute – zu zentralisieren.291 Die auf Betreiben von Roth beschafften Auslandskredite kamen in Siebenbürgen aber offenbar ausschließlich der Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa als dem größten Bankinstitut zugute. Dies erweckte nicht nur Verwirrung 287 Eine aktuelle Übersicht über die wirtschaftlichen Gremien und Gliederungen bot während der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre das vom Kulturamt in Hermannstadt herausgegebene Jahrbuch der Deutschen in Rumänien. 288 StAH Fonds DSVR 67 A: Deutscher Gewerbebund am 20. Juni 1928 an den Volksrat. 289 StAH Fonds DSVR 68 A: Hans Otto Roth am 17. April 1928 an den Verband deutscher Handelsgremien Siebenbürgens in Kronstadt. 290 PA AA Po VI 2: Auswärtiges Amt am 8. Januar 1926 an Gesandtschaft Bukarest. Anfang 1927 bemühte sich der Volksrat, die sächsischen Banken zu Zusammenschlüssen zu bewegen, um dadurch die Chancen, Kredite zu erhalten, zu erhöhen. StAH Fonds DSVR 65: Protokoll der Vollzugsausschußsitzung des Volksrats am 25. März 1927. 291 So schloss sich die Kronstädter Allgemeine Sparkasse mit der siebenbürgischen Industrie- und Handelsbank zusammen (BA R 57 [DAI-Archiv, Abteilung Banken]: Hans Otto Roth am 18. April 1928 an Kronstädter Sparkasse); ebenfalls im April war der Zusammenschluss der Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa mit der Mediascher Bank geplant, kam jedoch nicht zustande (BA R 57 [DAI-Archiv, Abt. Banken]; StAH Fonds DSVR 68 A: Hans Otto Roth am 19. April 1928 an Vizegespan Johann Schöpp).
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und den Eindruck einer fehlgeschlagenen Aktion292, sondern erregte das ausgesprochene Missfallen der „nicht fusionierten Geldinstitute“, die sich dagegen verwahrten, dass sich die parlamentarischen Vertreter an die Spitze der sächsischen Geldwirtschaft stellten. So forderten sie, dass die Parlamentarier den Vertretern des gesamten sächsischen Bankwesens „helfend und fördernd“, also nicht selbst handelnd, zur Seite stünden.293 Diese Kritik richtete sich in erster Linie gegen Hans Otto Roth, der seit 1928 Präsident der Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa war, so dass nur zu leicht der Eindruck entstehen konnte, er wollte mit der Konzentration der Kredite sein Institut sanieren. Über Höhe und Abwicklung der Kredite lässt sich mangels Quellenmaterial nichts aussagen.294 Die Weltwirtschaftskrise und der Zusammenbruch großer Banken in Rumänien verunsicherte auch die sächsischen Geldeinleger, so dass sich der sächsische Volksrat im November 1931 veranlasst sah, über Kreisausschüsse zu einer großangelegten „Stillhalteaktion“ der sächsischen Einleger aufzurufen.295 Leider ist über die Durchführung und den Erfolg solcher Aktionen nichts bekannt. Sollten die sächsischen Spareinleger den Aufruf des Volksrates tatsächlich befolgt haben, so hieße das, dass sie sich der internationalen Entwicklung in ihrem eigenen Bereich widersetzen konnten.296 Nur wenige sächsische Parlamentarier unterhielten enge Beziehungen zu Vertretern der Wirtschaft. Hans Otto Roth war hier diesbezüglich eine Ausnahme. Er stellte 1929 fest, „daß die Industriellen heute ohne jede parlamentarische Vertretung sind“ und „daß die Industriellen auch wirtschafts- und sozialpolitisch völlig im Dunkeln tappen.“297 Er schlug daraufhin seinem Abgeordnetenkollegen Hans Hedrich vor, im rumänischen Parlament als Vertrauensmann die sächsische Industrie zu vertreten.298 Die Interessen der Landwirtschaft wurden durch Fritz Connert fast durchgehend wahrgenommen, die der Kreditinstitute durch Hans Otto Roth. Roth war außerdem auch Mitglied im Zentralausschuss der deutschen Wirtschaftsverbände in Rumänien StAH Fonds DSVR 68 A: Hans Otto Roth am 19. April 1928 an Vizegespan Johann Schöpp. 293 StAH Fonds DSVR 68 B: Karl Ernst Schnell am 20. April 1929 über Beschluss des Revisionsverbandes von Provinz-Kreditanstalten vom November 1928 an Hans Otto Roth. 294 Im Januar 1930 etwa stellte das Reichsfinanzministerium einen Rediskontkredit von drei Millionen RM fürs Banat und für Siebenbürgen zur Verfügung, der jedoch nicht ausreichte, „um der durch die Agrarkrise und den Zusammenbruch anderer Banken ausgelösten Erschütterungen Herr zu werden.“ Weitere Unterstützungen waren bereits Mitte April 1930 notwendig, um den Zusammenbruch des Banater Bankvereins und in der Folge der Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa zu verhindern; daraufhin wurden weitere drei Millionen RM aus Mitteln der Exportkredit-Versicherung vorschussweise zur Verfügung gestellt. Akten zur deutschen Auswärtigen Politik. Serie B, Bd. XIV. Göttingen 1980, S. 492–494: Aufzeichnungen des Konsuls Seiler vom 12. April 1930. 295 StAH Fonds DSVR 70 B: Volksrat am 16. November 1931 an Kreisausschüsse. 296 Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 91. 297 StAH Fonds DSVR 68 B: Hans Otto Roth am 31. August 1929 an Hans Hedrich. 298 Ebd. 292
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und im Aufsichtsrat der Siebenbürgisch-Deutschen Verlags-AG. Zumindest aus einer dieser Funktionen dürfte Hans Otto Roth auch Bezüge erhalten haben, da es ihm 1928 möglich war, auf einen wesentlichen Teil seines Gehaltes als Hauptanwalt des Volksrates sowie auf Bezüge von der Landeskirche zu verzichten.299 Roth wurde im Übrigen im Frühjahr 1929 auch in den Verwaltungsrat der Hermannstädter Maschinenfabriken Andreas Rieger AG gewählt.300
1.6 Roths Einschätzungen der rumänischen Politik 1918–1932 Als einer der führenden Politiker der Siebenbürger Sachsen beschäftigte sich Hans Otto Roth nicht nur mit der siebenbürgischen Politik, sondern mit Themen des gesamten politischen Spektrums. Zahlreiche seiner Einschätzungen der rumänischen und internationalen Politik sind erhalten, insbesondere seine Meinung zu den diplomatischen Beziehungen zwischen Rumänien und dem Deutschen Reich.301 Zunächst einmal zu Roths Einschätzungen der innenpolitischen Lage in Rumänien. Innenpolitisch stand das Land vor sehr großen Schwierigkeiten. Jeder dritte Bürger war Angehöriger einer nationalen Minderheit.302 Trotzdem stellte Rumänien in den Augen aller rumänischen Parteien einen einheitlichen Nationalstaat dar. Auf dieser theoretischen Grundlage war die neue Verfassung von 1923 aufgebaut. „Die einstmals Unterdrückten sind eifrige Nachbeter der vor 1918 in Ungarn verfolgten Nationalitätenpolitik“303, urteilte Roth. Der Wandel der Zeit und der neue Zeitgedanken sei in Rumänien nicht verstanden worden, die Agrarreform sei „gehässig gegen uns“304 gerichtet und mehr ein Werk „nationaler Vergeltung“305 als gerechten sozialen Ausgleichs. Die Schulpolitik sei in einigen Punkten etwas besser als die in Ungarn, in anderen Punkten aber auch viel schlechter. Tatsächlich gab es rumänische Staatsschulen für Minderheiten, was es in Ungarn seinerzeit nicht gab. Dagegen wurde aber die Autonomie der konfessionellen Schulen im Vergleich zu früher bedeutend beeinträchtigt. Der Nationalitätenkampf wurde zunehmend schärfer. StAH Fonds DSVR 68 A: Hans Otto Roth am 19. April 1928 an die Leitung des Volksrates. Zu seinen Ämtern in der Wirtschaft u.a.: StAH Fonds DSVR 68 A: Hans Otto Roth am 17. April 1928 an den Verband deutscher Handelsgremien Siebenbürgens in Kronstadt. Ebd.: Dr. Hans Otto Roth biographische Daten [ca 1928]. 300 StAH Fonds DSVR 68 B: Hans Otto Roth am 30. April 1929 an Generaldirektor Richard Rieger. 301 Zur rumänischen Politik siehe auch: Oschlies, Wolf: Rumäniendeutsches Schicksal 1918– 1988, S. 10 ff. 302 Politischer Nachlass HOR/Quelle 93. Arbeitsexemplar Roths: „Schlagwortartige Skizzierung der politischen Verhältnisse in Rumänien.“ 303 Ebd. 304 Ebd. 305 Ebd. 299
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Trotzdem stellte Roth fest: „Im grossen und ganzen kann allerdings so viel gesagt werden, dass es uns vergleichsweise bedeutend besser geht, als den Deutschen in Südtirol und in Jugoslawien, und immer noch besser, als den Deutschen in Polen und in Ungarn.“306 Am 8. Dezember 1925, hatte Hans Otto Roth die Ehre, von Seiner Majestät König Ferdinand empfangen zu werden.307 Der König äußerte sich gegenüber Roth verschiedentlich über die Politik. Zunächst einmal war Ferdinand erleichtert, dass die Sachsen zur Durchsetzung ihrer Minderheitenrechte nicht nach Genf vor den Völkerbund gezogen waren. Auch er bedauerte, dass außer den Liberalen keine zweite ernst zu nehmende Partei im Lande bestehe. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass es möglich sein werde, das bessarabische Volk mit dem Altreich auszusöhnen und auch zu verbinden. Da die bessarabischen Bauern durch die Agrarreform mit der Scholle verbunden worden seien, könnten sie keine Bolschewiken sein. Im Ernstfalle, so sei ihm versichert worden, werde ganz Bessarabien gegen Russland kämpfen, wobei er selbst hinter diese Versicherung drei dicke Fragezeichen machen würde. Den Liberalen attestierte er gegenüber Hans Otto Roth, dass sie geschickte und politisch hochbegabte Leute seien. Trotz aller ihrer Fehler hätten sie doch den entscheidenden Einfluss auf die Wirtschaftspolitik. Ihre Politik sei zielbewusst. Als das größte Problem des Landes betrachtete der König die Korruption. In Zusammenhang mit dem Schulgesetz wandte er sich gegen die Errichtung von Gymnasien auf Landgemeinden und kleinen Städten, da dort nur geistiges Proletariat gezüchtet werde, das politisch gefährlich sei. Stattdessen solle man Fachschulen errichten und die Leute in bestimmten praktischen Berufen fortbilden, so der König zu Roth. Es war dies das letzte Zusammentreffen Roths mit König Ferdinand. Dieser starb eineinhalb Jahre später. Anlässlich seines Todes gab Roth am 25. Juli 1927 in der Trauersitzung des Parlamentes eine Treueerklärung für den verstorbenen König ab.308 Der Monarch habe sein Leben dem Lande zum Opfer gebracht „und dem Lande alles geopfert, was ein Mensch überhaupt opfern kann.“ 309 Für das Schicksal der Minderheiten habe der König „tiefes Verständnis“ gehabt und „dem deutschen Volke durch Blut verbunden“ sei er „in väterlicher Sorge zugetan“ gewesen.310 Zuletzt dankte Roth dem verstorbenen Herrscher und betonte, dass die tiefe Trauer um den verlorenen König das Bekenntnis der Sachsen zu Thron und Staat zum sichtbaren 306 Ebd. Zur Situation der deutschen Minderheit in Polen, Tschechien und Südtirol siehe auch: Hoensch, Jörg: Geschichte Polens, S. 250 ff. – Mauritz, Markus: Tschechien, S. 91 ff. – Lill, Rudolf: Südtirol in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 49 ff. – Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. S. 39 ff. Ders.: Südtirol im 20. Jahrhundert. Dokumente. Ders.: Südtirol. Vom ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, S. 9 ff. 307 Politischer Nachlass HOR/Quelle 96. Audienz bei König Ferdinand am 8.XII.1925. 308 Politischer Nachlass HOR/Quelle 117. Treuebekundung von Hans Otto Roth, abgedruckt in der Banater Deutschen Zeitung am 27. Juli 1927. 309 Ebd. 310 Ebd.
Roths Einschätzungen der rumänischen Politik 1918–1932
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Abb. 13 Empfang Hans Otto Roths bei Kronprinz Michael
Ausdruck bringen würde. Abschließend erklärte er, dass die Liebe und Anhänglichkeit, die die Sachsen König Ferdinand entgegen gebracht hätten, in vollem Maße auch auf den neuen König übertragen werde. Hans Otto Roth erntete für seine Worte „stürmischen Beifall und Händeklatschen im ganzen Haus.“311 Ein weiteres Politikfeld bereitete den Rumänen offenbar noch größere Schwierigkeiten als die Minderheitenpolitik: die Wirtschaftspolitik. Wirtschaftlich war Rumänien in den 1920er Jahren ein völlig zerrüttetes Land. Die von General Averescu durchgeführte Agrarreform mochte wohl populär gewesen sein, wirtschaftlich war sie aber nicht, weil die Landverteilung meist weniger als 5 ha für den Einzelbetrieb bereitstellte. Als Folge der Reform kam es zu einem gewaltigen Rückgang der Produktion. Obwohl Rumänien mit einem sehr fruchtbaren Boden reiche Ernten von Mais und Weizen einfahren konnte, herrschte 1925 Hungersnot in Bessarabien und der Moldau.312 Eine unsinnige Agrarpolitik sperrte die Grenzen für Vieh, Wein und an Ebd. Politischer Nachlass HOR/Quelle 91. Interpellation des Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth über die massenweise Auswanderung bessarabischer deutscher Bauern nach Brasilien. Gehalten in 311 312
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dere landwirtschaftliche Produkte und brachte dadurch die entsprechenden Landwirtschaftszweige zum Verkümmern. Auch die Währung stand schlecht. Kaum ein Land in Europa war diesbezüglich so rückständig wie Rumänien. Eine Auslandsanleihe war nicht möglich, weil das Vertrauen des Auslandes in die rumänische Wirtschaft fehlte. Die Umbruchsjahre 1918/19 hatten die Grundlagen der Wirtschaft erschüttert und die falsche Agrarpolitik ihre Erneuerung unmöglich gemacht. In diesen schweren Zeiten benötigte insbesondere die deutsche Bevölkerung Bessarabiens dringend Hilfe. Die Deutschen dort waren in der Tat in einer sehr prekären Lage. Tausende von Bauern und Landarbeitern waren erwerbslos geworden und suchten in letzter Verzweiflung ihr Heil in der Landflucht. Diese Not nutzten skrupellose Geschäftemacher aus, um die verarmten Leute mit großen Versprechungen zur Auswanderung aus Rumänien zu animieren. So wurde in Bessarabien systematisch für die Auswanderung nach Brasilien geworben, etwa von der Schiffahrtsagentur „Cossulich Line.“ In den Vorstädten Bukarests lungerten etwa tausend Auswanderer (darunter rund 500 Deutsche aus dem Kreis Ackermann und Cahul313) aus Bessarabien ungeduldig herum und warteten auf ihre Einschiffung nach Brasilien, weil sie trotz wiederholter Versprechungen der „Cossulich Line“ die Auswandererpässe vom rumänischen Arbeitsministerium nicht erhielten. Hans Otto Roth besuchte diese Leute zusammen mit anderen deutschen Abgeordneten und fand dort „ein herzzerreißendes Bild“314 vor. In einem aus Brettern zusammengeschlagenen Stall von gerade einmal 15 m² Größe, der unmittelbar neben einem großen Dunghaufen untergebracht war, wohnten nicht weniger als 55 deutsche Auswanderer.315 Drei Viertel dieser Leute waren Kinder und Greise. Hans Otto Roth war von diesen Verhältnissen so schockiert, dass er unmittelbar nach seinem Besuch eine ärztliche Untersuchung sämtlicher Auswanderer veranlasste. Dabei traten zahlreiche Krankheitsfälle zu Tage und die betroffenen Personen wurden zur ärztlichen Obhut in Privathäusern untergebracht. Unter diesen Geborgenen befanden sich auch schwangere Frauen und junge Mütter. Nach den ersten Hilfeleistungen nahm sich Roth die Verantwortlichen bei der „Cossulich Line“ vor. Dabei deckte Roth auf, dass der Rechtsvertreter der „Cossulich Line“, der Advokat Saraga, für die Beschaffung der Reisepässe jeweils 2.000 Lei einkassiert hatte. Sogar von den jungen Leuten zwischen 14 und 20 Jahren, für die die Beschaffung besonderer Pässe gar nicht notwendig war, hatte er diesen Betrag erhoben. Dabei waren sämtliche Auswanderer völlig besitzlose Leute, die ihr letztes Hab und Gut – eine Kuh, eine Ziege oder ihr fast wertloses Lehmhaus – zur Finanzierung ihrer Auswanderung nach Brasilien verkauft hatten. Schon einen Tag nach Roths Besuch im Büro der „Cossulich Linie“ erschien der Advokat bei Roth in der Wohnung und erklärte sich „freiwillig“ bereit, den Auswanderern 1.500 Lei, je der Sitzung der rumänischen Kammer am 25. November 1925. 313 Ebd. 314 Ebd. 315 Ebd.
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nach Pass, zurückzuzahlen und die jungen Leute ganz abzufertigen. Die Herausgabe dieser Beträge erfolgte dann auch unverzüglich. Dennoch mussten die deutschen Abgeordneten zunächst auch eigene Mittel aufwenden, um die ärgste Not zu lindern, denn einige der Auswanderer wussten zum Teil nicht mehr, wie sie bis zur Abreise nach Brasilien überleben sollten. Die dramatische Situation der deutschen Bauern aus Bessarabien war am 25. November 1925 auch Gegenstand in der rumänischen Abgeordnetenkammer. Auch hier ergriff Hans Otto Roth das Wort, schilderte seine Erlebnisse und forderte eindringlich, dass es die Pflicht der Regierung sei, diesem „sinnlosen Menschenhandel“316 Einhalt zu gebieten. Doch Roth sah nicht nur die Regierung in der Pflicht, sondern auch insbesondere seine deutschen Landsleute. Daher hatte er sich unter den Rumäniendeutschen umgehört und bot vor der Abgeordnetenkammer Hilfe an: „Ich habe mich gewissenhaft umgefragt und kann versichern, dass wir Deutsche in der Lage sind, die auswanderungslustigen deutschen Bauern aus Bessarabien restlos im Lande unterzubringen. Wir müssen aber bei dieser menschenfreundlichen Aktion, die dem Staate eines seiner zuverlässigsten Elemente erhalten will, von der Regierung unbedingt Unterstützung erfahren.“317 Dazu forderte er vor allem die Annullierung der bereits ausgestellten Auswanderungspässe und eine strenge Untersuchung der „Cossulich Linie.“ Weiterhin forderte er, dafür Sorge zu tragen, dass die arbeitslosen bessarabischen Bauern in Rumänien untergebracht würden. Am 26. November 1925 riefen Hans Otto Roth, Hans Kräuter, Rudolf Brandsch und Hans Hedrich gemeinsam alle Deutschen in Rumänien dazu auf, den notleidenden Deutschen dort Hilfe zu leisten318, so dass mit vereinten Kräften die akute Not und das Elend der Bessarabiendeutschen gelindert werden konnte. Auch über die rumänische Außenpolitik machte sich Hans Otto Roth viele Gedanken.319 Diesbezüglich war eine allgemeine Franzosenfreundlichkeit der Rumänen die Regel. Dennoch stellte Hans Otto Roth fest: „Das Charakteristikum für die auswärtige Politik Rumäniens ist der Oportunismus [sic!].“320 Er war überzeugt, dass die Franzosenfreundlichkeit der Rumänen die Regierung nie daran hindern werde, Bündnisse und Koalitionen auch mit den Gegnern der Franzosen einzugehen, wenn man sich dadurch Vorteile versprechen konnte. „Gefahr droht vom Slaventum, vor allen Dingen von Russland, das Bessarabien sehr ernst bedroht, dann Ebd. Ebd. 318 Politischer Nachlass HOR/Quelle 94. Aufruf der Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth, Dr. Hans Kräuter, Dr. Rudolf Brandsch und Dr. Hans Hedrich an die deutsche Bevölkerung Großrumäniens, der notleidenden deutschen Bevölkerung Bessarabiens Hilfe zu leisten. 319 Siehe dazu auch: Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer., S. 219 ff. 320 Politischer Nachlass HOR/Quelle 93. Arbeitsexemplar Roths: „Schlagwortartige Skizzierung der politischen Verhältnisse in Rumänien.“ 316 317
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aber auch von Bulgarien und Jugoslawien. Der rettende Ausweg aus der slavischen Umfassung führt geradlinig [sic!] von Bukarest über Budapest und Wien nach Berlin.“321 Hans Otto Roth wies auch hier auf die Möglichkeiten einer zukünftigen deutschen Außenpolitik hin. Darin stimmte er genau mit Gustav Stresemann überein, der ebenfalls überzeugt war, dass die deutsche Regierung über die deutschen Minderheiten in den mittelosteuropäischen Staaten diese enger an das Deutsche Reich heranführen könnte.322 Für ein freies Bekenntnis zu einer deutschfreundlich orientierten Politik Rumäniens war es 1925 allerdings noch zu früh. Dafür war der Erste Weltkrieg mit der deutschen Besetzung Rumäniens den Menschen innerlich noch zu nahe. Außerdem stellte sich dem das „unendlich heikle Problem mit Ungarn“323 in den Weg. „Mit ihrem ganzen Sentiment sind die Rumänen gegen Ungarn engagiert“324, schrieb Roth. Das traf vor allem für die Rumänen Siebenbürgens und des Banats zu. Abneigung und zum Teil auch Angst machten so die Ungarnfrage zum zweiten großen Problem der auswärtigen Politik Rumäniens. „Tagesinteressen ist, als Rettung aus politischer Isolierung, der Gedanke der kleinen Entente entsprungen“325, urteilte Roth über dieses Bündnis der Balkanstaaten. Die Kleine Entente stellte von 1920 bis 1938 eine von Frankreich und Polen geförderte Koalition der politisch, militärisch und wirtschaftlich schwächsten Staaten Mitteleuropas dar: Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien. Für Rumänien trug sie eine entscheidende Schwäche in sich. Hans Otto Roth: „Sie kann das für Rumänien entscheidende Problem, die russische Frage nie im rumänischen Sinne fördern oder gar zu einer befriedigenden Lösung bringen. Sie ist und bleibt ein räumlich und sachlich beschränkter Zweckverband zum Schutz der drei Nachfolgestaaten [ÖsterreichUngarns] gegen das armselige Rumpfungarn von heute.“326 Gerade weil die Kleine Entente keine wirkliche Befriedigung der rumänischen außenpolitischen Ziele darstellen konnte, hatte Bukarest auch in Athen und Warschau nach Unterstützung Ausschau gehalten. Ein militärisches Schutz- und Trutzbündnis mit Polen sollte Schutz gegen die drohende Gefahr eines erstarkten Russlands bieten. Roth verächtlich: „Betrogene Betrüger!“327 Die rumänische Außenpolitik suchte verzweifelt, aber vergeblich nach einer starken und rettenden Konzeption. Und wieder folgerte Hans Otto Roth: „Sie [die rumänische Außenpolitik] wird nach meinem Dafürhalten solange nichts finden, bis sie sich nicht wieder dazu entschließt, einzu Ebd. Haffner, Sebastian: Von Bismarck zu Hitler, S. 193/194. 323 Politischer Nachlass HOR/Quelle 93. Arbeitsexemplar Roths: „Schlagwortartige Skizzierung der politischen Verhältnisse in Rumänien.“ 324 Ebd. 325 Ebd. 326 Ebd. 327 Ebd. 321 322
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lenken ins Kielwasser mitteleuropäischer Politik im alten Sinn, d.h. deutlich gesprochen, bis sie den Weg zu Deutschland nicht zurück findet.“328 Nur die Bauernpartei hatte eine klare Lösung dieser verfahrenen Situation vor Augen: Ein Zusammengehen mit den „demokratischen slavischen Staaten“329. Roth: „In Wirklichkeit wollen sie damit nur ihren Partei- und Standesinteressen dienen und denken weniger an ein Bündnis mit Bulgarien, Jugoslavien und der Tschechei als an die Solidarität Stambulinsky’s, Raditsch’s und Svehla’s. O sancta simplicitas!“330 Interessanterweise kann man rückblickend feststellen, dass sich die Verhältnisse letztlich tatsächlich ausgerechnet nach den Vorstellungen der Bauernpartei entwickelten, als Rumänien nach dem II. Weltkrieg gar nichts anderes übrig blieb, als unter Abtretung Bessarabiens mit der UdSSR zusammenzuarbeiten. Mit dem vorläufigen wirtschaftlichen Wiedererstarken der Weimarer Republik intensivierten sich tatsächlich auch wieder die Handelsbeziehungen Deutschlands mit Rumänien, eine Entwicklung, die Hans Otto Roth in Begeisterung versetzte, da sie direkt auf den von ihm skizzierten Weg der künftigen außenpolitischen Zusammenarbeit Rumäniens mit dem Deutschen Reich hinauszulaufen schien. Davon konnten die Rumäniendeutschen nur profitieren. Am 18. Oktober 1928 schrieb Roth seine großen Hoffnungen in einem Aufsatz nieder.331 Seiner Überzeugung nach hatten nicht politische Beweggründe Deutschland und Rumänien wieder zusammengeführt, sondern die Erkenntnis, dass der wirtschaftliche Wiederaufbau Rumäniens ohne Mitwirkung Deutschlands nicht in vollem Maße gelingen könnte. Nach dem Hochgefühl gestiegener Macht und Geltung nach dem Ersten Weltkrieg habe Rumänien den kühnen Entschluss gefasst, seine wirtschaftliche Erneuerung völlig aus eigener Kraft durchzuführen. Dabei seien viele Fehler gemacht worden, etwa die Investition des Großteils des mobilen Kapitals in die neuen Gebiete oder die Forcierung der Aufwertung der Währung zur Erreichung wirtschaftlicher Autarkie. Die Folge davon sei die völlige Erstarrung der Wirtschaft gewesen, woraus der große, momentane Kapitalmangel entstanden sei. Die Versuche, Hilfe von England, Frankreich oder Italien zu erhalten seien gescheitert. Im Herbst 1927 habe sich dann die rumänische Regierung genötigt gesehen, ihre Wirtschaftspolitik von Grund auf zu ändern und im Sommer 1928 sei den verantwortlichen Politikern schließlich klar geworden, dass ohne die Einbeziehung Deutschlands weder die Tätigung einer Auslandsanleihe noch die Durchführung der Stabilisierung der Währung in befriedi328 Ebd. Roth dachte hier wohl an das Verteidigungsbündnis zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Rumänien aus dem Jahre 1883 (noch 1913 erneuert). 329 Ebd. 330 Ebd. 331 Politischer Nachlass HOR/Quelle 125. „Die deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen und die deutsche Minderheit in Rumänien. Vom Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth, Vorsitzender der Deutschen Partei in Rumänien.“
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gender Weise möglich sei, woraus sich dann die im August 1928 begonnenen Wirtschaftsverhandlungen mit Deutschland ergeben hätten. In der Tat war man auf der Ebene der deutsch-rumänischen Beziehungen 1928 dabei, einen Schlussstrich unter den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Wirtschaftspolitisch waren das Deutsche Reich und Rumänien vor dem Ersten Weltkrieg eng miteinander verbunden gewesen. Deutschland hatte den englischen Einfluss verdrängt und dann eine geradezu überragende Rolle übernommen. Auch ein großer Teil der rumänischen Ausfuhr fand auf deutschen Märkten seinen Absatz.332 Beide Staaten ergänzten sich wirtschaftlich also gut und schon 1926 lieferte Rumänien wieder in großen Mengen Getreide, Vieh, Lebensmittel, Öl und Holz nach Deutschland. Der Wert dieser Ausfuhren nach Deutschland betrug in diesem Jahr 35 Milliarden Lei, was fast einer Milliarde Reichsmark entsprach.333 Umgekehrt importierte Rumänien – trotz § 18 des Versailler Vertrages, der die Beschlagnahmung deutschen Nachkriegsvermögens noch bis zum 10. November 1928 ermöglichte334 – aus Deutschland Textilwaren, Maschinen, Metallwaren, Wagen, Autos, Wolle, Konfektionswaren, Häute, Leder, chemische Artikel, Kautschuk und vieles mehr im Gesamtwert von 32 Milliarden Lei, also ebenfalls fast eine Milliarde Reichsmark.335 „Werden erst einmal die Tore gegen Deutschland geöffnet, so wird zwischen beiden Ländern in kürzester Zeit ein reger und reicher Wirtschaftsverkehr beginnen“336, schwärmte Hans Otto Roth. In dieser Ausgestaltung der deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen sah Roth vor allem für die deutsche Minderheit in Rumänien eine tragende Rolle voraus: „Es lebt in Rumänien fast eine Million Deutscher, die über grosse wirtschaftliche Erfahrungen verfügen und selbst achtenswerte Industrie- und Handelsunternehmungen besitzen. Es liegt nicht nur im Interesse der deutschen Minderheit selbst sondern entspricht – wie ich glaube – auch in hohem Masse den Interessen des rumänischen Staates, wenn wir bewusst und systematisch die Rolle des Vermittlers zwischen der reichsdeutschen und der rumänischen Wirtschaft übernehmen. Die reichsdeutschen Firmen und Unternehmungen werden bei ihren Volksgenossen in Rumänien leicht Absatz für ihre Waren, vor allem aber auch aufrichtige und zuverlässige Berater in der Einleitung von Wirtschaftsbeziehungen zu unserem Lande finden. Der Gegenseitigkeitsgedanke in den 332 Siehe dazu auch: Frühmesser, Thomas: Die Siebenbürger Sachsen und die Nationalitätenfrage im 19. Jahrhundert. 333 Politischer Nachlass HOR/Quelle 125. „Die deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen und die deutsche Minderheit in Rumänien. Vom Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth, Vorsitzender der Deutschen Partei in Rumänien.“ 334 Rumänien und Deutschland. STAH Fond DSVR Nr. 68 A. ASI: B III–11, Bd. 4/23 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 335 Politischer Nachlass HOR/Quelle 125. „Die deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen und die deutsche Minderheit in Rumänien. Vom Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth, Vorsitzender der Deutschen Partei in Rumänien.“ 336 Ebd.
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Beziehungen der Deutschen des Mutterlandes und der Deutschen unserer Minderheit drängt sich bei der Betrachtung der Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder mit aller Deutlichkeit auf. Es wäre nur zu wünschen, dass der Gedanke der Gegenseitigkeit in den Wirtschaftskreisen des Deutschen Reiches von allem Anfang an klar erkannt werde.“337
Dem neuen Geist folgte am 10. November 1928 die endgültige Wiederherstellung von freundschaftlichen Beziehungen zwischen Rumänien und dem Deutschen Reich. Plötzlich wurden Stimmen laut, dass ja nur mittelbare Gegensätze zum Krieg gegen Deutschland geführt hätten und Rumänien daher den aufrichtigen Wunsch hege, mit Deutschland bald wieder in freundschaftliche Beziehungen zu treten.338 Roth meinte, dass diese Auslegung der Kriegsgegensätze der beiden Länder schnell zum Gemeingut aller maßgebenden rumänischen Politiker geworden sei. Angesichts dieser Entwicklung konnte es Hans Otto Roth nun endlich wagen, das auszusprechen, was sich wohl alle Rumäniendeutschen seit 1918 immer erträumt hatten: „Die deutsche Minderheit unseres Landes begrüßt die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland mit besonderer Herzlichkeit. Es gehört zum eisernen Bestand unserer Politik, in Fragen der Aussenpolitik eine gewisse Reserve zu bewahren. Wir haben in den letzten Jahren oft mit verkrampftem Herzen gewissen Kundgebungen unserer Außenpolitik gegenübergestanden, die noch ganz in den Irrungen des Krieges verankert waren. Die Vereinbarungen vom 10. November geben uns zum ersten Mal seit unserer Zugehörigkeit zum rumänischen Staate die Möglichkeit, auch in Fragen der Aussenpolitik etwas mehr aus uns heraus zu treten.“339
Roth kam auch gleich auf die großen Hoffnungen, ja sogar die ganz neue Existenzberechtigung der Rumäniendeutschen zu sprechen, die er sich aus den neuen Wirtschaftsbeziehungen für die deutsche Minderheit in Rumänien herleitete: „Als Schicksalsminderheit sind wir mit dem Staate, in den uns ein höheres Geschick gestellt hat, auf Gedeih und Verderb verbunden. Darum ist unser Bekenntnis zum Staate auch ernst gemeint und von starken sittlichen Entschlüssen getragen. An dem staatsführenden Volke liegt es, uns den Staat, der unsere Heimat umschliesst, durch gerechte und schonungsvolle Politik zum – Vaterlande – zu machen. Sind wir einmal so weit, so wird es uns innerlich auch möglich sein, in vielen Fragen die Rolle des Mittlers zu übernehmen zwischen dem Staate, dessen Bürger wir sind und dem grossen Reiche, das unser Mutterland ist. Wäre das nicht eine geschichtliche Aufgabe, eine Aufgabe, die unsere Ebd. Rumänien und Deutschland. STAH Fond DSVR Nr. 68 A. ASI: B III–11, Bd. 4/23 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 339 Ebd. 337 338
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Existenz als Minderheit für Rumänen und Deutsche von neuem rechtfertigen würde? Es mag ein Wagnis sein, solche Gedanken offen auszusprechen. Ich glaube aber, dass die Zeit reif ist, um sie auch vor der grossen Öffentlichkeit auszubreiten.“340
1.7 Roths Verhältnis zum aufkommenden völkischen Gedanken Angesichts dieser positiven Entwicklung der deutsch-rumänischen Beziehungen 1928 stellt sich die Frage, wie der plötzliche Aufstieg des Nationalsozialismus unter den Rumäniendeutschen zu erklären ist.341 Dazu muss man zunächst daran erinnern, dass es unter den Siebenbürger Sachsen schon seit dem 19. Jahrhundert einen regen Nationalismus gab. Der deutsche Gesandte in Bukarest Freytag urteilte bereits 1923: „Die Siebenbürger Sachsen sind fast durchweg alldeutsch gesinnt und stehen der innerdeutschen Politik gegenüber auf dem Standpunkt der alleräußersten Rechten.“342 Ein geradezu glaubenshaftes Bekenntnis zum deutschen Volk wurde bei allen politischen und kirchlichen Aktivitäten vorgebracht. Die Hin-wendung der Rumäniendeutschen hin zum Nationalsozialismus hatte jedoch noch andere Ursachen. 1928 war für die Rumäniendeutschen, wie auch für ganz Rumänien, in mancher Hinsicht ein Wendepunkt. Nach dem Tod von Adolf Schullerus am 27. Januar 1928 kam es zunächst zu einem Wechsel in der Leitung des Volksrates. Der Kronstädter Bürgermeister Dr. Karl Ernst Schnell wurde neuer Präsident der obersten politischen Vertretung der Sachsen. In der rumänischen Landespolitik verloren die Liberalen mit dem Tod Ion Bratianus im November 1927 auch ihren dominierenden Einfluss. Im November 1928 übernahmen die Nationalzaranisten die Macht. Die Sachsen hofften nun auf die Verwirklichung der Zusagen von Karlsburg, doch die neue Regierung enttäuschte die hohen sächsischen Erwartungen so nachhaltig, dass Volksratspräsident Schnell nach drei Jahren verbittert feststellen musste, dass der Volksrat und die deutschen Parlamentarier „trotz heißen Bemühens und ohne eigenes Verschulden fast ganz erfolglos den Kampf für die Rechte des Volkes führen mußte[n].“343 Aus Sicht der Ebd. Dazu siehe auch z. B.: Böhm, Johann: Nationalsozialistische Indoktrination der Deutschen in Rumänien 1932–1944. Ders.: Das nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936–1944. – Oschlies, Wolf: Rumäniendeutsches Schicksal 1918–1988. – Kolar, Othmar: Rumänien und seine nationalen Minderheiten 1918 bis heute. 342 PA AA R 73650, Nationalitätenfragen Rumänien: Gesandter Freytag am 23. April 1923 an Auswärtiges Amt. 343 STAH Fonds DSVR 70 F: Protokoll der Volksratssitzung vom 14. November 1931. Eröffnungsrede Schnells abgedruckt in: Die konstituierende Sitzung des deutsch-sächsischen Volksrates. 340 341
Roths Ansichten zur Resonanz des Nationalsozialismus
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Rumäniendeutschen waren den Nationalzaranisten noch wesentlich weniger Zugeständnisse als den Liberalen abzuringen, da ihre Schul-, Kultur-, Wirtschaftsund Verwaltungspolitik sogar noch mehr Nachteile für die Sachsen in sich barg. So merkte Hans Otto Roth 1936 an: „Was wir heute noch an Minderheitenrechten haben, stammt fast ausnahmslos aus der Zeit der liberalen Ära.“344 Eigene Versäumnisse der sächsischen Führung kamen hinzu. So hatte – anders als im binnendeutschen Raum – in Siebenbürgen in einigen wichtigen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu wenig Modernisierung stattgefunden und neue gesellschaftliche Entwicklungen wurden nicht ausreichend aufgenommen. Die politischen Strukturen wurden nicht säkularisiert, während überkommene Institutionen und die gewohnte politische Praxis aufrechterhalten wurden. Soziale Fragen wie die Arbeiterschaft als neue Gruppe der Gesellschaft, Arbeitslosigkeit oder Armut wurden praktisch nicht rezipiert und hatten keinen Einfluss auf die politische Konzeption. Im Bereich der Wirtschaft erfolgte eine Neuorientierung aufgrund der Zerstörung der vormaligen Grundlagen nur sehr zögernd. Vergleiche der siebenbürgisch-sächsischen Situation mit den reichsdeutschen Problemen dieser Zeit müssen dennoch vorsichtig angegangen werden, da unterschiedliche Voraussetzungen herrschten.345 Auch die zunehmende politisch-wirtschaftliche Vernetzung – gerade von Hans Otto Roth – trug nicht gerade zur Volksnähe bei. Hans Otto Roth besaß in der Bevölkerung keine aktive soziale Basis, die seine Politik überzeugt und aktiv mittrug; dies war eine frappierende Ähnlichkeit zu den Politikern des Weimarer Deutschland. Kaum erkennbar ist auch ein selbstkritisch-innovativer Ansatz, ein Konzept für selbsttätigen Wandel für ein aktives Zugehen auf die seit 1918/19 veränderte politisch-staatliche Umwelt.346 Andererseits muss man den sächsischen Politikern zugestehen, dass der verfassungsmäßig-informelle Rahmen und der politische Betrieb auf gesamtstaatlicher Ebene letztlich die Absorbierung jedweder rumäniendeutscher Initiative geradezu unausweichlich machten und die Möglichkeiten der politischen Führungen der Minderheiten sehr begrenzte.347 Diese eindeutige politische Erfolglosigkeit sowie die immer kritischer werdende wirtschaftliche Situation mit ihren sozialen Folgeerscheinungen hatte eine Veränderung der politischen Landschaft bei den Siebenbürger Sachsen zur Folge. Unter den Rumäniendeutschen entstand nun eine Unzufriedenheit mit der politischen Führung auf einem ganz neuen Niveau. Diese richtete sich nicht mehr nur gegen die rumänische Regierung, sondern auch gegen die siebenbürgisch-sächsischen Volksräte und die traditionellen Führungsgruppen. Insofern ist es verständlich, dass die Volksratsführung, In: SDT vom 17. November 1931, S. 1 f. 344 Roth, Hans Otto: Die Bukarester Politik und unser Volk. In: Kronstädter Zeitung, Festausgabe zum hundertjährigen Bestehen, 24. Mai 1936, S. 103. 345 Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 143. 346 Schödl, Günter: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, S. 546. 347 Ebd., S. 550.
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Hans Otto Roth 1890–1932
Abb. 14 Privates Glück in einer Zeit, als politisch der „völkische Gedanke“ in Gestalt des Nationalsozialismus zur großen Gefahr für die Demokratie und später der ganzen Welt wird: Die Geburt von Hans Otto Roths Tochter Maria Luise 1930
wenn sie gegenüber der wachsenden innersächsischen Kritik nach Argumenten suchte, im Grunde immer nur ihre Gegner bestätigen konnte: Ohne Erfolge mussten sich Hans Otto Roth oder Rudolf Brandsch geradezu als das Gegenstück ihrer eigenen Grundüberzeugungen darbieten. Was Mitte der zwanziger Jahre in unübersehbarer Weise hervortrat und nach einem Auf und Ab schließlich 1931/32 in einen offenen Führungskampf mündete, war eine echte Vertrauenskrise zwischen der sächsischen Führung und der Bevölkerung. Ohne eine andere sächsische Gesamtkonzeption zu fordern, wurde vor allem eine tiefgreifende Entfremdung zwischen Führung und Volk zum Thema gemacht. Dies geschah zunächst unter nüchterner Hervorhebung bestimmter behaupteter Missstände. Da aus der Tradition sowie der Gegenwart tatsächlich eine außerordentlich enge Verbindung von politischer und kirchlicher Führung auf Volksrats- wie auf Gemeindeebene bestand, richtete sich der Unmut auch gegen die Kirche. Von der Schärfe und Ernsthaftigkeit dieser Proteste schon Mitte der 1920er Jahre sowie vom Ausmaß des Vertrauensverlustes zeugte zum Beispiel eine Eingabe der Bürgerinitiative, die sich „Die Unzufriedenen“ nannte, am 8. Dezember 1925. Sie war nicht etwa an die Volksorganisation gerichtet, sondern ausgerechnet an den Präsidenten des rumänischen Parlaments. Darin wurde gefordert, dass in einem künftigen Gesetz zur Organisation der Kirchen endlich von staatlicher Seite Vorkehrungen getroffen werden sollten, dass die evan-
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gelische Kirche ihre Angehörigen nicht mehr mit unzumutbaren Steuern belasten könnte.348 Die Zukunft schien nun nur noch die Wahl zwischen zwei Perspektiven zu bieten: Der offene Machtkampf der Rumäniendeutschen um die eigene Identität oder die Assimilierung wie bei den Deutschen in Ungarn.349 In dieser Verbindung von Enttäuschung und Aggressivität waren die verhängnisvollen Tendenzen der inneren Minderheitenentwicklung angelegt: Zum einen die Radikalisierung des natürlichen Bedarfs der Minderheit an Zusammenhalt und Abgrenzung gegen andere, zum anderen die inhaltliche Umprägung des deutschnationalen Minderheitsbewusstseins zur Idee einer „Volksgemeinschaft“ aller Deutschen in Mittel- und Osteuropa.350 Die Bewegung der „Selbsthilfe“ begann nun langsam, ihr Tätigkeitsfeld über den lokalen und sozialen Bereich hinaus auszudehnen. Die Selbsthilfe war eine Organisation, die unter programmatischem Namen den Versuch startete, sozialen Protest und Unzufriedenheit mit kirchlicher Bevormundung auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Beweggründe dieser Bewegung, die nach den Anfängen um 1920 herum erst 1927 allmählich politisch aktiv wurde, bilanzierte Heinrich Zillich 1931: „Nach der Angliederung Siebenbürgens an Rumänien lag das Schwergewicht der sächsischen Politik zwölf Jahre lang in der Abwehr der auf unseren Volksbestand gerichteten Angriffe der rumänischen Regierungen ... unser gemeinschaftliches Nationalvermögen widerrechtlich enteignet, unsere staatsrechtliche Stellung als Minderheitenvolk ungeregelt ... Unser Volk ... fühlt sich besonders in breiten Schichten verlassen, durch bestimmte Wirtschaftskreise, die in mancher Hinsicht mit der politischen Führerschaft zusammenfallen, bedrückt ... Man hat versäumt, ... die sich aufdrängende soziale Frage einer schöpferischen Lösung zuzuführen. Man hat weiter versäumt, die heranwachsenden Kräfte für den Volksdienst wirksam zu machen ... Dafür bot sich uns das Schauspiel von überalterten Körperschaften, von Parteiwesen, Führergezänk und Günstlingswirtschaft.“351
Diese Kritik an der aktuellen Lage und am Versagen der Führung führte zu der Einsicht, dass eine „Selbsthilfe“ notwendig sei. Es wuchs die Überzeugung, dass man das Schwergewicht der Politik endlich in die Mitte des Volkes legen müsse. Diese Forderung war mehr als nur Kritik an den aktuellen Missständen oder dem Versagen einzelner Personen. Es ging um eine grundsätzliche Absage an das Selbstverständnis der Sachsen als Kirchenvolk, um eine grundsätzliche Abwendung von jener politischen Führungsrolle, welche die Kirchenführung seit dem mittleren 19. Jahrhundert
Ebd., S. 553. Ebd., S. 551. 350 Ebd., S. 551. 351 Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 230. Entschließung der Tagung sächsischer Volksgenossen aller Stände und Siedlungsgebiete, 7. Juni 1931. 348 349
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innehatte.352 Dennoch handelte es sich noch nicht um die Forderung nach einem konsequenten Elitenwechsel, nach einem radikalen minderheitspolitischen Konzeptionswechsel, sondern eher nach einer Forderung nach „völkischer Säkularisierung.“353 Ende der zwanziger Jahre begann die „Selbsthilfe“ mit Versuchen von politischer Artikulation. Lauter meldeten sich inzwischen auch die jungen Intellektuellen der Kriegsgeneration zu Wort, die sich um die Zeitschrift „Klingsor“354 sammelten, die von Heinrich Zillich in Kronstadt herausgegeben wurde.355 So kamen hier nun schließlich – mit einer Zeitverzögerung von etwas über einem Jahrzehnt – Forderungen nach Modernisierung der politischen Kultur, der Gesellschaft und der Wirtschaft auf.356 Zu Beginn der dreißiger Jahre war dabei weder eine ideologische noch eine terminologische Affinität der jungen sächsischen Intellektuellen zum Nationalsozialismus festzustellen, wobei natürlich das bekannte, stark ausgeprägte, nationale Selbstbewusstsein auch hier vorhanden war. 1932 jedoch setzte sich in der „Selbsthilfe“ das nationalsozialistische Gedankengut durch und am 22. Mai 1932 wurde als politischer Arm der „Selbsthilfe“ die „Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien“ (NSDR) gegründet.357 Um sich über das Verhalten von Hans Otto Roth als in dieser Zeit politisch Verantwortlichem ein Urteil bilden zu können, muss man auch die Stimmen anderer sächsischer Politiker jener Zeit in die Betrachtung mit einbeziehen, vor allem die Stimmen der Freunde von Hans Otto Roth. Hier wäre einmal Professor Jakob Bleyer anzuführen. Dieser lehnte jegliche Form der Zusammenarbeit unter nationalsozialistischen Vorstellungen von vorneherein strikt ab. Schon am 17. März 1933, unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers, weigerte er sich, noch einmal nach Berlin zu fahren.358 „Wir sind in der Gefahr ein zweites Südtirol zu werden und mich erreicht eher oder später das Schicksal des Führers, der stets nur Misserfolge hat. Ich reibe mich selbst auf, aber auch unsere Bewegung reibt sich auf. Ich stelle fest, dass seither gar nichts unternommen wurde und unsere Lage und meine Lage noch unhaltbarer gewor Schödl, Günter: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, S. 554. Ebd., S. 555. Vgl. dazu auch Wien, Ulrich Andreas: Von der „Volkskirche“ zur „Volksreligion“. In: Resonanz und Widerspruch, Bd. I. Erlangen 2012. 354 Klingsor – Zauberergestalt in der deutschen Mythologie, ähnlich dem englischen Merlin aber ohne dessen Bekanntheitsgrad. Findet sich beispielsweise in Wolfram von Eschenbachs Parzival. 355 Zu Heinrich Zillich siehe auch: Böhm, Johann: Hitlers Vasallen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945, S. 60 ff. 356 Zum Studium dieser Entwicklung ist besonders die Zeitschrift Klingsor interessant. An dieser Zeitschrift lässt sich die graduelle Entwicklung von rein kulturpolitischen Fragen hin zu einer intensiven Auseinandersetzung mit allen politischen Fragen gut nachvollziehen. 357 Schödl, Günter: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, S. 563. 358 Politischer Nachlass HOR/Quelle 210: Jakob Bleyer berichtet Roth in Hermannstadt über seine politische Verbitterung. 352 353
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den ist.“359 Damit meinte Bleyer die neue Politik unter Hitler, die die Minderheiten in Deutschland – und hier insbesondere die Juden – gerade zu diskriminieren begann. Der neue deutsche Regierungsstil bot natürlich eine breite Angriffsfläche, die die rumänische Regierung für ihre Zwecke nutzen konnte, wenn sie sich mit den Rumäniendeutschen auseinanderzusetzen hatte. Nun konnte die rumänische Regierung jederzeit darauf hinweisen, wie in Deutschland mit Minderheiten umgegangen wurde. Bleyer folgerte: „Wir befinden uns auf einer schiefen Ebene und die ganze Sache rollt rasch abwärts.“360 Nicht nur mit diesem Urteil sollte Jakob Bleyer vor der Geschichte Recht behalten. Auch andere Zitate zeigen deutlich, wie klar Jakob Bleyer die neue Gefahr in Deutschland erkannte: „... wirkliche Minderheitenpolitik machen nur Herren vom Ministerialdirektor abwärts. An hohen und höchsten Stellen werden zwar immer wieder sehr laute, vielleicht sogar zu laute Erklärungen über die warme Liebe für die deutschen Minderheiten abgegeben, aber auch nur ohne jede Ahnung dessen, was für eine Verantwortung damit verbunden ist. Jedenfalls fühlen diese Herren sich keineswegs verantwortlich in Bezug auf das Südostdeutschtum.“361
Auch dies hatte Jakob Bleyer schon frühzeitig richtig erkannt und auch Hans Otto Roth schrieb 1948 rückblickend: „Der Nationalsozialismus hätte seinen Charakter verleugnet, wenn er nicht alsbald das Problem des ,Auslandsdeutschtums‘ für sein machtpolitisches Streben ausgenutzt hätte. Zunächst bedeuteten ihm freilich die ,Auslandsdeutschen‘ nichts. Schlagender Beweis dafür war die völlige Verständnislosigkeit Hitler’s für eine der geschlossensten und wertvollsten deutschen Minderheiten, nämlich die Deutschen Südtirols, die er bedenkenlos Mussolini opferte.“362
Jakob Bleyer wusste aber auch genau, dass er mit seiner Argumentation nirgends mehr Gehör finden würde. „Ich habe dir [Hans Otto Roth] alles unverblümt gesagt, was mir am Herzen liegt und was von mir als todernst gefühlt wird. Du mögest an gegebener Stelle mein Dolmetsch sein und wirst dafür vielleicht mehr Erfolg haben als wenn ich es selbst vortrüge. Wem könnte ich die Dinge dort sagen? Wohl nur, wie bisher zumeist, in unserer Sitzung, wo Ebd. Ebd. 361 Ebd. 362 Politischer Nachlass HOR/Quelle 496: Roth liefert eine analytische Übersicht der Minderheitenfrage und der deutschen Politik zwischen den beiden Weltkriegen. 359 360
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vielleicht ein Herr Legationsrat als Beobachter anwesend wäre. Und auch die wenigen Herren, die an dieser Sitzung teilnehmen würden, würden einen nur mit Ungeduld und Kopfschütteln anhören, weil sie natürlich andere Verbindungen und andere Interessen haben.“363
Dann betonte Bleyer, dass er noch einige Zeit abwarten wollte, wie sich die Dinge entwickelten, aber er stellte auch klar, dass – wenn sich die Dinge nicht grundlegend ändern würden – er die politische Bühne verlassen werde. Zuletzt zog Bleyer resigniert ein Fazit der Geschichte mit Weitblick in die Zukunft: „Ich habe die besten Jahre meines Lebens für unsere Sache geopfert, wie so manche nichtsiebenbürgische Männer, deutsche Männer, im Laufe des 19. Jahrhunderts. Ich kenne ihre Geschichte genau und ich kann nachweisen, dass seit hundert Jahren zumindest viermal ein ähnlicher Versuch, unter vielleicht noch günstigeren Verhältnissen wie den heutigen, unternommen wurde, um das Zipser Deutschtum, das Schwabentum und namentlich das städtische Deutschtum zu retten. Die Kraftentfaltung war vielleicht noch eine grössere, als die unsrige und doch hat sie immer mit einer vollkommenen Niederlage geendet. Es war dies der politischen Taktik der Habsburger und später der Bismarck-Wilhelminischen Aera zu danken. Ich hoffte vor 16 Jahren, dass diese Taktik für immer überwunden ist, nun bin ich erschüttert, feststellen zu müssen, dass das keineswegs der Fall ist.“364
Treffsicherer konnte man die nahe Zukunft nicht beschreiben. Jakob Bleyer starb bald darauf. Bleyer hatte Roth gegenüber seiner Verbitterung über den Gang der Dinge Ausdruck gegeben, doch viele andere Stimmen erhoben sich nun und entwickelten Visionen für eine bessere Zukunft der deutschen Minderheiten unter möglichst enger Anbindung an das Deutsche Reich. Vielfach spiegelte sich in diesen Sehnsüchten die tiefe Enttäuschung über die allgemeine Erfolglosigkeit der bisherigen Politik in Sachen Minderheitenschutz wieder. Neue Rezepte wurden Hans Otto Roth jetzt vorgeschlagen, nicht nur aus seiner Umgebung in Siebenbürgen sondern zum Beispiel auch von Eugen Naumann aus Westpreußen: „Wenn wir die uns zugefallene Aufgabe meistern wollen, deren Grösse darin besteht, aus unserem Erleben die neue europäische Rechtsordnung mitzubestimmen und zu formen, dann müssen wir uns als Revolutionäre fühlen und uns mit dem fortreißenden Fanatismus von Revolutionären erfüllen. ... Revolutionärer Fanatismus kann sich aber nur entzünden an der Stärke einer Idee. Mir scheint, dass in unserem Kreise die Idee immer mehr an Geltung verloren hat, und daß in steigendem Maße plattester Oppor363 Politischer Nachlass HOR/Quelle 210: Jakob Bleyer berichtet Roth in Hermannstadt über seine politische Verbitterung. 364 Ebd.
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tunismus die Vorherrschaft angetreten hat. So sehr wir uns in herben Worten über die Charitas des Minderheitenschutzes erregt haben: im Grunde ist die Haltung der meisten die von Bittgängern, die auf die Mitleidsdrüse zu drücken suchen, um bald hier bald dort ein Almosen für sich herauszuschlagen. Die grosse Idee, das deutsche Volk zu einer bewußten Einheit zusammenzuschließen und in gleichgeordneter Zusammenfassung der übrigen staatlich aufgespaltenen Ostvölker den von ihnen erfüllten Raum zu befrieden – damit aber Blut, Raum und Wirtschaft zu Trägern eines deutschen Imperiums werden zu lassen – ist völlig verblaßt. Oder richtiger: sie ist erstickt worden durch die falschen Methoden, die ihrer Durchsetzung dienstbar gemacht wurden. Wir sind allzu willig den liberalistisch-demokratischen Gedankengängen eines Schiemann und eines Junghann gefolgt, die da meinten, von der Gleichheit der Menschenrechte ausgehend dem Individuum die denkbar größte Freiheit erstreben zu sollen und damit die Voraussetzungen für eine völkische Kollektivität zu schaffen. Ich halte solche demokratisch-liberalistische Denkweise für einen unerträglichen Anachronismus. Sie kann in einer Zeit, die das Individuum als Teil eines Ganzen sieht, keine werbende Kraft entfalten. Der einzelne will ja gar nicht so oder anders in individueller Freiheit leben, sondern er will so oder anders einem größeren Ganzen dienen. Wenn ich ihm nicht das Volk als Ganzes schaffe und seine Gliedschaft im Volksganzen mit Pflichten und Rechten stabilisiere, bleibt für ihn nur der Staat als die ihn erfassende Gesamtpersönlichkeit bestimmend.“365
Eugen Naumann argumentierte hier gegenüber Hans Otto Roth durchaus mit einem Gespür für das Empfinden vieler Menschen jener Zeit. Insofern konnte Roth diese Argumente nicht wie haltlose Propaganda behandeln und einfach vom Tisch wischen oder ignorieren. Viele andere Stimmen kamen hinzu. Die „Selbsthilfebewegung“ unter Fritz Fabritius und Otto Fritz Jickeli wurde stärker. Bei den Wahlen zum schwäbischen Volksrat im April 1933 konnte die „Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien“ (NSDR) einen großen Erfolg erzielen: • Die alte Volksgemeinschaft erhielt von 45.586 Stimmen 21.112 Stimmen, also 45,5%. • Die Vereinigte Opposition erhielt 14.957 Stimmen, 32,5%. • Auf die NSDR entfielen 10.046 Stimmen, was 22% entspricht.366 Auch in der Presse wurden jetzt vermehrt Stimmen laut, die sich für nationalsozialistische Ideen stark machten. Dabei wurde geschickt immer die soziale Komponente betont:
365 Politischer Nachlass HOR/Quelle 209: Der westpreußische Volkstumsführer Eugen Naumann wirbt bei Roth für den Gedanken des „differentiellen Staatsbürgerrechtes.“ 366 29. April 1933, Hermannstadt: „Die Schwabenwahlen – ein entscheidender Erfolg für die N.S.D.R.“ In: „Ostdeutscher Beobachter“, 17. Folge, 12. Jg., S. 1.
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„Wenn wir uns fragen, welches die Hauptforderungen sind, die wir auf dem Sachsentage durchsetzen wollen, so ist es zunächst die Forderung, daß das Wort ,Gemeinnutz geht vor Eigennutz‘ in unserer Wirtschaft zum Siege gelangt. Es genügt nicht, wenn wir in unserem Volksprogramm festlegen, daß wir unsere Jugend zu sozialem Denken und Handeln erziehen wollen. Wir müssen jetzt schon unsere wirtschaftlichen Einrichtungen, vor allem unsere Banken, dann aber auch unsere Presse von den Auswüchsen des Kapitalismus befreien. Wenn unsere Banken den Schutz unserer völkischen Organisation beanspruchen, wie sie es getan haben, dann müssen sie zu der gemeinnützigen Einstellung zurückgeführt werden, aus der heraus seinerzeit die Gründung erfolgte. Wenn unsere Presse eine völkische sein will, darf sie nicht im Besitz einer bestimmten Klasse von Volksgenossen sein, denen nicht das Allgemeinwohl sondern das Eigenwohl vorangeht. Unsere deutschen Blätter müssen sich dessen bewußt sein, daß sie nicht Geschäftsunternehmungen sind, die auf Gewinn zu arbeiten haben, sondern Einrichtungen, denen das Wohl des Volkes das Höchste sein muß. ... Niemals dürfen wir vergessen, daß der Nationalsozialismus aus zwei Begriffen besteht. Das Soziale muß uns ebenso wichtig sein wie das Nationale. Niemals dürfen die vielen Hunderte von Volksgenossen, die sich uns in gläubigem Vertrauen, daß wir uns stets auch für ihre soziale Besserstellung einsetzen werden, enttäuschen. Der 21. Mai muß auch in sozialer Hinsicht ein Wendepunkt in der Geschichte unseres sächsischen Volkes bringen!“367
Insbesondere die Betonung des Sozialen weist auf die bereits erwähnten Versäumnisse der sächsischen Führung hin. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass diese Argumentation bei den breiten Massen Gehör fand. Hier ist eine klare Parallele zur politischen Entwicklung im Deutschen Reich erkennbar, wo der Nationalsozialismus gerade mit den bekannten Wahlplakaten „Hitler – unsere letzte Hoffnung“ seine großen Erfolge erzielte. Dabei gilt es aber zu berücksichtigen, dass die sächsische Führung – anders als die letzten Regierungen der Weimarer Republik – nie über die Möglichkeiten eines Staatsapparates verfügte, um der großen, allgemeinen Wirtschaftskrise Herr zu werden. Während man in Deutschland die Maßnahmen von Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht (*22.1.1877 in Tingleff/Nordschleswig, †3.6.1970 in München) zur Wiederankurbelung der Wirtschaft schon viel früher hätte durchführen können, hatte die sächsische Führung diese Option nicht. Ihr Schicksal hing völlig von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und Rumänien ab. Insofern kann sie auch nur bedingt im Rahmen ihrer eigenen Fehler für die Verelendung ihrer Bevölkerung in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise verantwortlich gemacht werden. Angesichts der folgenden geschichtlichen Entwicklung ist es interessant, einen Blick auf Roths eigenes Nationalbewusstsein zu werfen. Bereits 1927 betonte Roth:
6. Mai 1933, Hermannstadt: „Auf zum Sachsentag!“ In: Ostdeutscher Beobachter, 18. Folge, 12. Jg., S. 1. 367
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Abb. 15 Hans Otto Roth (rechts) mit Hjalmar Schacht und Frau, 1930
„Das größte Ergebnis der letzten Jahre ist die Entwicklung des deutschen Volksgedankens, der vom staatlichen immer mehr auf das völkische übergegriffen hat, zum Gedanken der Volksgemeinschaft aller, die deutsch sind und für die deutsche Gedankenwelt leben. Aus dem fahlen Licht der Nachkriegszeit steigt die Fackel des deutschen Geistes und deutscher Gesittung wieder heller empor. Die Schöpfung dieser Gemeinschaft aller, die deutsch sind in geistigem Sinn, ist das größte und gewaltigste Erlebnis dieser Zeit, etwas, das wir seit Jahrhunderten ersehnt haben und nun zum ersten mal erleben.“368
In einer Rede, die er am 15. Mai 1932 in Elbing anlässlich des 52. Jahrestages des Vereins für das Deutschtum im Ausland hielt, brachte Roth dann erneut sein Geschichtsbild zum Ausdruck. Er bedauerte, dass die Deutschen niemals ein „einig Volk“ mit „bestimmtem nationalem Wollen“ geworden seien.369 Die frühe Nationalstaatsbildung von Frankreich und England betrachtete er als ein „glückhaftes Schicksal.“370 Die Auswirkungen der Reformation in Deutschland seien „grandios und Hans Otto Roth über politische Grundfragen. In: SDT vom 8. Mai 1927, S. 2. Politischer Nachlass HOR/Quelle 180: Ansprache des Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth, gehalten beim Festakt der 52. Jahrestagung des Vereins für das Deutschtum im Ausland, Elbing, 15. Mai 1932 in der Aula der Pädagogischen Akademie. 370 Ebd. 368 369
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tragisch zugleich“ gewesen.371 Im Blick zurück auf die deutsche Geschichte stellte Roth fest, dass auf „höchste Taten und taghellen Glanz“ immer wieder „Hader und Zwiespalt“ gefolgt seien.372 Erst in den Befreiungskriegen habe sich die Sehnsucht des Volkes nach Gemeinsamkeit und Einigkeit durchgesetzt und nach vielen Rückschlägen schließlich am Ende des 19. Jahrhunderts doch noch zu den „schönsten Ergebnissen deutscher Geschichte“ geführt.373 Schon 1918 jedoch sei dieses stolze Gebäude jäh zusammengebrochen. Seitdem ziehe das deutsche Volk nun „vereinsamt, arm und wehrlos“ durch seine Straße und versuche „in mühevoller Arbeit und unter qualvollen Opfern, sein Haus von neuem aufzurichten.“374 Dann stellte er die Frage, ob denn das deutsche Volk heute wenigstens einig sei, eine Frage, die natürlich das Thema Nationalsozialismus berührte, da diese Ideologie ja immer wieder die Einigkeit des Volkes unter dem Führer Hitler beschwor. Es ist interessant, wie Hans Otto Roth diese Frage beantwortete ohne dabei auf den Nationalsozialismus einzugehen: „Haben nicht Beharrlichkeit, Klugheit und Mannesmut allein unser Volk zum Ziel geführt? Bravourleistungen und wundersame Fügungen werden das Schicksal der Deutschen nie bestimmen. ... Aus der Not unserer Zeit wird sich das deutsche Volk in verdoppelter Kraft erheben. Dabei soll das ganze Volk eingeschlossen sein, ohne Unterschied von Klasse und Partei. ... Das ganze Volk muss in seinen tiefsten Tiefen aufgerüttelt, erschlossen und lebendig gemacht werden für die gewaltige Aufgabe der Selbstbehauptung und den ausgreifenden Kampf um eine würdigere Zukunft. Die Fäuste der Gegner und die Not der Tage sorgen dafür, dass unser Volk hart, einig und zukunftssicher werde. ... Aus Not und Leid wird allmählich ein neues Erlebnis des deutschen Schicksals geboren. Ein Erlebnis, das uns alle restlos einig macht. Darum gebe ich auf die Frage, die ich meinen Ausführungen wegweisend vorangestellt habe, auch die sichere und bestimmte Antwort: „Wir sind und werden immer mehr ein einig Volk!“375
Es waren schon neue Töne, die hier bei Hans Otto Roth zu hören waren. Sie trugen dem neuen Zeitgeist Rechnung. Außerdem hielt er diese Rede auch nicht in Rumänien, sondern im Deutschen Reich. Doch auch Roths außenpolitische Ansichten unterstrichen nun immer entschiedener, dass das neue Gewicht der deutschen Außenpolitik im Osten liegen müsste. Er betonte mehr und mehr die Bedeutung der „alte[n] Ostmark“376 (Österreich) für die deutsche Politik. Österreich sah er als Umschlagstelle für den gesamten südosteuropäischen Handel. Roth kriti Ebd. Ebd. 373 Ebd. 374 Ebd. 375 Ebd. 376 Politischer Nachlass HOR/Quelle 200: Süd-Ost-Europa. Skizze zu einem Vortrag November 1932, ein von Roth in Deutschland gehaltener Vortrag. 371 372
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sierte, dass die österreichische Politik seit dem Scheitern der Zollunionsidee mit Deutschland eine neue Richtung annahm und die österreichische Idee wieder lebendig wurde. Damit verbunden sah Roth die Lockerung der Beziehungen des deutschen Volkstums. Insbesondere das Kabinett Dollfuss, das um die Existenz der christlich-sozialen Partei rang, drängte immer mehr zu einer altösterreichischen Politik zurück, die von der im Jahre 1918 begonnenen großdeutschen Linie abwich. Roth kritisierte dies, indem er die Worte Johann Ludwig Uhlands377 zitierte: „Mag immerhin Österreich den Beruf haben, eine Laterne für den Osten zu sein, es hat einen näheren, höheren Beruf: eine Pulsader zu sein im Herzen Deutschlands.“378 Eine großdeutsche Politik im Sinne der Einbeziehung Österreichs wurde also auch von Hans Otto Roth ausdrücklich gutgeheißen, mehr noch: Alle Deutschen, die in Südosteuropa lebten, sollten das „Glück“ haben, unter deutscher Vorherrschaft zu leben: „Im Raume dieser 7 Staaten des Südostens leben nicht weniger als 12 Millionen Deutsche. Deutsche Menschen, die die Geschichte und Wirtschaft des Raumes aus eigener Erfahrung gut kennen, in dem sie seit Jahrhunderten leben. Deutsche Menschen, die mit den Völkern des Südostens seit Generationen umgehen, sie kennen und behandeln wissen. Diese deutschen Menschen sind bereit und befähigt, Mittler zu sein in dem Ringen um die Gewinnung des osteuropäischen Raumes. Wirtschaftspolitisch und volkspolitisch liegt die Zukunft des deutschen Volkes im Osten. Keine festen Siedlungsgrenzen schliessen Deutschland vom Osten ab. Immer noch sind grosse Volksteile weit im Osten, immer noch suchen die Gebiete des Ostens produktions- und wirtschaftspolitisch ihre Ergänzung in Deutschland. Ein Plan deutscher Aussenpolitik müsste geschaffen werden auf lange Sicht und mit gründlicher Überlegung und vor allem ohne imperialistische Spitze! Erst wenn das ganze Volk erkennt, dass seine Freiheit und sein äusseres Glück in der Auseinandersetzung mit dem Osten entschieden wird, findet der Plan einer vernünftigen Politik seine notwendige Verankerung im Bewusstsein des Volkes und wird getragen werden von der Überzeugung all der Menschen, mit denen wir ein gemeinsames Volk bilden.“379
Hier wurde der entscheidende Unterschied der Vorstellungen über eine deutsche Ostpolitik deutlich, die zwischen den Ideen eines konservativen Politikers (wie Hans Otto Roth oder auch Gustav Stresemann380) und Hitler bestanden: Schon im nächsten Satz betonte Hans Otto Roth nämlich: „Wir Deutsche im Osten wünschen vor allem, dass die neue deutsche Politik möglichst friedfertigen Charakter habe und Johann Ludwig Uhland (*26.4.1787 in Tübingen, †13.11.1862 in Tübingen); deutscher Dichter, Literaturwissenschaftler, Jurist und Politiker. 378 Politischer Nachlass HOR/Quelle 200: Süd-Ost-Europa. Skizze zu einem Vortrag November 1932, ein von Roth in Deutschland gehaltener Vortrag. 379 Ebd. 380 Haffner, Sebatstian: Von Bismarck zu Hitler, S. 193/194. 377
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darauf Rücksicht nehme, dass wir im Südosten positiv zu unseren Heimatstaaten stehen.“381 Es ist immer wieder dieser entscheidende Punkt, der Roths Vorstellungen über die Entwicklungsmöglichkeiten deutschen Einflusses von den Vorstellungen Hitlers unterschied. Roth wünschte sich eine deutsche Volkspolitik unter Einbeziehung der Minderheiten im Ausland und eine friedliche Durchsetzung deutscher Interessen, nicht aber die brutale Unterwerfung der halben Welt. Dies wurde auch in seinen Vorstellungen deutlich, wie zum Beispiel mit der Tschechoslowakei umgegangen werden sollte: „... so steht fest, dass Eduard Benesch überall, wo er auftritt und wo er wirkt, Deutschlands Gegner ist. ... Es steht heute noch so, dass der grösste Feind der deutschen Ostpolitik in Prag sitzt. Entweder muss Prag bezwungen oder gewonnen werden. Eine kluge Auslandspolitik müsste das letztere versuchen.“382 Ein Punkt, den Hans Otto Roth bei diesen Betrachtungen allerdings außer Acht ließ, waren die Folgen einer Ausdehnung des deutschen Einflusses auf dem Balkan für die freie und ungebundene Position Deutschlands im Zentrum Europas, jener Position also, die gerade durch den Versailler Vertrag entstanden war. Jedwede Form einer deutschen Expansion auf den Balkan musste das Deutsche Reich zwangsläufig in einen Konflikt mit der aufsteigenden Supermacht UdSSR bringen. Von der daraus resultierenden Frontstellung hätten wohl einzig die Westmächte und Japan profitiert, vielleicht auch die deutschen Minderheiten in diesem Raum, nicht jedoch das Deutsche Reich selbst. So bleibt die simple Frage offen, ob ein solch großes Engagement für Deutschland wirklich ein lohnenswertes Ziel gewesen wäre oder ob eine kluge deutsche Außenpolitik nicht doch eher den Grundsätzen Bismarcks gefolgt wäre, nach denen der ganze Balkan für Deutschland keine wichtige Rolle spielt.
381 Politischer Nachlass HOR/Quelle 200: Süd-Ost-Europa. Skizze zu einem Vortrag November 1932, ein von Roth in Deutschland gehaltener Vortrag. 382 Ebd.
II. Kapitel
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in Rumänien 1933–1944 2.1 Die NS-Zeit in Rumänien 1933–1944 1933 bildete sich in Rumänien die nationalistische, rumänische Bewegung der Eisernen Garde unter Corneliu Zelea Codreanu, die schon am 9. Dezember 1933 wieder aufgelöst wurde. Am 14. November übernahmen die Liberalen unter Ion G. Duca die Regierung, der jedoch schon Ende Dezember ermordet wurde. Der innenpolitischen Entscheidung König Carols 383 gegen den Faschismus entsprach die Abwendung von Italien und die Hinwendung zu Frankreich. Die Kleine Entente wurde am 16. Februar 1933 erneuert und mit der Sowjetunion ein Nichtangriffspakt geschlossen. Die bessarabische Frage wurde zurückgestellt. Diese Linie der Außenpolitik, die bis 1939 konstant verlief, war das Werk Nicolae Titulescus, der 1932–1936 rumänischer Außenminister war (sein Nachfolger wurde 1936 Gheorghe Tâtârescu). Innenpolitisch setzte König Carol die liberale Regierung mit Ministerpräsident Tâtârescu durch. Gleichzeitig konnte ein Anwachsen des Nationalismus und Antisemitismus nicht verhindert werden. Nach den Wahlen 1937 und der überraschenden Niederlage der Regierung wurde Octavian Goga von der Nationalchristlichen Partei Ministerpräsident. Wegen seiner antisemitischen Gesetzgebung wurde er schon im Februar 1938 von König Carol wieder entlassen und ein „Kabinett der Konzentration“ unter Patriarch Miron Cristea gebildet. Die Verfassung wurde aufgehoben und alle Parteien wurden verboten. Am 24. Februar 1938 wurde dieser Staatsstreich König Carols durch ein manipuliertes Plebiszit gutgeheißen. Die Eiserne Garde wurde fortan unterdrückt und Codreanu am 30. November 1938 erschossen. Trotz dieser Ereignisse stieg der deutsche Einfluss in Rumänien (Wirtschaftsabkommen mit Deutschland 23. März 1939). In der „Polenkrise“ 1939 erklärte König Carol sein Land für neutral. Nach dem deutschen Sieg über Frankreich 1940 musste König Carol schließlich doch die Anlehnung an die Achsenmächte suchen. Das neue Kabinett Gigurtu erklärte am 11. Juli 1940 den Austritt aus dem Völkerbund. Der zweite Wiener Vgl. auch Hillgruber, Andreas: Hitler, König Carol und Marschall Antonescu: Die deutschrumänischen Beziehungen, 1938–1944. 383
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Schiedsspruch am 30. August 1940 nahm Rumänien den nördlichen Teil Siebenbürgens mit dem Szeklerland, damit auch das Reener Ländchen, Klausenburg und die Sprachinsel der Sathmarer Schwaben. Diese Gebiete wurden wieder Ungarn zugesprochen. Mittel- und Südsiebenbürgen mit der größten Gruppe der Sachsen blieben bei Rumänien.384 Nach einem sowjetischen Ultimatum musste Rumänien aber auch Bessarabien und die Nordbukowina an die UdSSR abgeben. Dies alles führte zu einer Staatskrise in Rumänien, in deren Verlauf König Carol am 4. September 1940 den ehemaligen Generalstabschef Ion Antonescu zum Staatsführer ernannte. Dieser zwang den König schon am 6. September 1940 zur Abdankung zu Gunsten seines Sohnes Mihai. Carol begab sich ins Ausland. Antonescu schloss sich den Achsenmächten an (23. November 1940: Beitritt Rumäniens zum Dreimächtepakt) und holte im Herbst 1940 deutsche Lehrtruppen ins Land. Vom 21.–23. Januar 1941 schlug Antonescu den Putsch der Eisernen Garde nieder, deren Führer Horia Sima nach Deutschland floh, wo er unter dem Schutz der SS stand. Seit dem 22. Juni 1941 beteiligte sich Antonescu am Ostfeldzug Hitlers gegen die UdSSR. Bessarabien wurde zurückgewonnen, Transnistrien385 rumänischer Verwaltung unterstellt.386 Zu Beginn der 1930er Jahre breitete sich unter den Siebenbürger Sachsen die nationalsozialistische Bewegung rasch aus.387 Das Zentrum der NS-Organisation war Hermannstadt. Dort befand sich das Parteibüro unter Leitung von Fritz Fabritius, der auch zugleich als verantwortlicher Schriftleiter des gleichfalls in Hermannstadt erscheinenden Parteiorgans, die „Selbsthilfe, Kampfblatt für das ehrlich arbeitende Volk“ zeichnete. NS-Zeitungen und Zeitschriften gewannen ein immer breiteres Publikum. Die führenden politischen Persönlichkeiten der Siebenbürger Sachsen mussten sich also zunehmend mit der nationalsozialistischen Ideologie auseinandersetzen. Da die Nationalsozialisten in Siebenbürgen – wie im Reich auch – geschickt bei den wirtschaftlichen Problemen ansetzten, erfolgte der erste Zusammenstoß mit Wagner, Ernst: Geschichte der Siebenbürger Sachsen, S. 85. Interessantes über die Zustände in Transnistrien während der rumänischen Verwaltung bzw. der Herrschaft der SS über die dortigen Volksdeutschen berichtet der sächsische Pfarrer Hermann Binder: Aufzeichnungen aus Transnistrien. U.a. erfährt man einiges über die Siedlungen der pfälzischen und badischen Auswanderer, etwa Landau, Karlsruhe, Rastatt oder München. 386 Vgl. zu der Thematik auch Andrea Schmidt-Rösler 1993: Dobrudscha. In: Weithmann, Michael (Hg.): Der ruhelose Balkan. Die Konfliktregionen Südosteuropas, S. 94–107. Andrea SchmidtRösler 1994: Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg: Die Grenzziehung in der Dobrudscha und im Banat und die Folgeprobleme. 387 PA AA R 73687, Nationalsozialismus in Siebenbürgen. Deutsche Gesandtschaft in Bukarest an das AA. Bukarest, 12. September 1931. Die genaue Entwicklung des Einfluss des Faschismus und Nationalsozialismus auf die deutschen Minderheiten in Ost und Südosteuropa war nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich vielfach Gegenstand der Forschung. Vgl. dazu z.B.: Hausleitner, Mariana und Roth, Harald: Der Einfluss von Faschismus und Nationalsozialismus auf Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa. München 2006. 384 385
Die NS-Zeit in Rumänien 1933–1944
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ihren sächsischen Gegnern auf wirtschaftlichem Gebiet. Der Anlass war die Gründung einer eigenen Verkaufsstelle für NS-Ausrüstung in Hermannstadt. Namhafte sächsische Personen nahmen pro und contra Stellung. Besondere Beachtung fand dabei die Predigt des Kronstädter Stadtpfarrers und Bischofsvikars Viktor Glondys (*7.12.1882 in Bielitz-Biala in Schlesien, †28.10.1949 in Hermannstadt)388, der auf den grundsätzlichen Unterschied und die Unvereinbarkeit der christlichen Auffassung mit dem Nationalsozialismus hinwies. Ein weiterer Anlass zu Gegensätzen ergab sich mit der „Selbsthilfe“, die die Schaffung eines besonderen Spar- und Darlehensfonds anstrebte. Diesem Fond sollten nach Willen der Nationalsozialisten auch die Fonds der kirchlichen und deutschnationalen Organisationen der Sachsen zugeführt werden, was das Landeskonsistorium und die sächsischen Parteiorganisationen natürlich strikt ablehnten. Der deutsche Sieg über Frankreich 1940 war dann das entscheidende Ereignis, das dem Nationalsozialismus zum endgültigen Durchbruch unter den Deutschen in Rumänien verhalf. Am 20. November 1940 konnte der deutschen Volksgruppe in Rumänien plötzlich von der rumänischen Regierung der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes verliehen werden, was die Siebenbürger Sachsen seit 1918 vergeblich gefordert hatten. Volksgruppenleiter Dr. Wolfram Bruckner wurde durch den ganz auf Berlin und die SS eingeschworenen Andreas Schmidt389 ersetzt, der Sitz der Volksgruppenführung von Hermannstadt nach Kronstadt verlegt und die meisten der bislang ehrenamtlichen Amtswalter durch hauptamtliche Amtswalter ersetzt. Bischof Viktor Glondys trat zurück. Sein Nachfolger wurde Wilhelm Staedel 390 (*12.1.1890 im Hamruden/Siebenbürgen, †11.10.1971 in Marburg/Lahn) aus der „Erneuerungsbewegung.“ In den Gebieten Nordsiebenbürgens, die durch den zweiten Wiener Schiedsspruch an Ungarn gefallen waren, erfolgte eine fast vollständige Einreihung der wehrpflichtigen Männer in die Waffen-SS, nachdem dies im Februar 1942 zwischen dem Reich und Ungarn vertraglich geregelt worden war.391 Mit Rumänien gab es eine solche Vereinbarung – wegen rumänischer Vorbehalte – erst am 12. Mai 1943. Diesem Vertrag nach konnten sich alle Volksdeutschen ab dem 17. Lebensjahr freiwillig in die Waffen-SS einreihen lassen. Dafür wurde Rumänien der Pflicht enthoben, die Familien der Eingerückten zu unterstützen oder zu entschädigen. In einer ersten Wien, Ulrich Andreas: Glondys. In: RGG 4. Auflage, Band 3, Sp. 1007–1008. Roth, Harald: Schmidt. In: SSL (= Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 7/X), S. 275–
388 389
277.
Wilhelm Staedel: *12.1.1890 in Hamruden/Siebenbürgen, †11.10.1971 in Marburg/ Lahn. Zu Staedel siehe auch: Böhm, Johann: Hitlers Vasallen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945. S. 109 ff. – Vgl. dazu: Wien, Ulrich Andreas: Staedel. In BBKL 20. 391 Siehe dazu auch Stein, George: Geschichte der Waffen-SS. – Milata Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS. Köln, Weimar, Wien ²2010. 390
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Freiwilligenaktion waren allerdings bereits im Juni 1940 zwischen 1.000 und 1.500 Siebenbürger Sachsen – getarnt als landwirtschaftliche Arbeitskräfte – nach Wien gebracht worden, wo sie gemustert und auf ihre Tauglichkeit in der Waffen-SS überprüft und dann in deren Verbände eingereiht wurden (sogenannte Tausend-MannAktion). Bis Ende 1943 dienten dann rund 54.000 Rumäniendeutsche in der Waffen-SS und etwa 15.000 in der Wehrmacht, der Organisation Todt und in Rüstungsbetrieben. Per Führererlass wurde ihnen am 19. Mai 1943 die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Nach ihrer Ausbildung wurden die eingerückten Sachsen dann an der Ostfront und auf dem Balkan zumeist in der 7. SS-FreiwilligenGebirgsdivision „Prinz Eugen“ eingesetzt. Der Blutzoll war mit etwa 17.500 Gefallenen hoch (ca. 27,5%)392 und viele der Überlebenden konnten nach dem Krieg nicht zu ihren Familien nach Siebenbürgen zurückkehren.393 An dieser Stelle muss auch das Verhältnis der Siebenbürger Sachsen zu den Juden angesprochen werden. Hildrun Glass394 stellte fest, dass es zwischen Deutschen und Juden in Rumänien vor dem Nationalsozialismus faktisch keine Interessengegensätze gab.395 In den Quellen gibt es keine Anzeichen dafür, dass eine besondere jüdische Frage vor dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Siebenbürgen existierte, die über jenen „latenten“ Antisemitismus hinausgegangen wäre, der in ganz Europa verbreitet war. Die „zerbrochene Nachbarschaft“ (Hildrun Glass) ist also ausschließlich auf die antisemitische Ideologie des Nationalsozialismus zurückzuführen, dessen Gedankengut nach der Machtergreifung Hitlers auch in siebenbürgisch-sächsischen Kreisen rasch Einzug hielt. Dies erscheint eigentlich unverständlich, da die antijüdischen Maßnahmen des NS-Regimes gegen eine Minderheit in Deutschland ja ein sehr negatives Vorbild geben mussten, während gleichzeitig die deutsche Minderheit in Rumänien das Recht auf Gleichbehandlung einforderte. Die Anhänger des Nationalsozialismus in Rumänien rechtfertigten diesen Widerspruch mit einer Verteidigung der Deutschen gegen eine angebliche Dominanz des internationalen Judentums: „Er [der NS] kann und will es aber nicht dulden, daß der internationale Jude die deutsche Wirtschaft, die deutsche Presse und die deutsche Kunst beherrscht und das deutsche Volk wirtschaftlich, moralisch und sittlich zersetzt.
Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 277. Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen. S. 207 f: Die Siebenbürger Sachsen in der Waffen-SS. 394 *1961 in Varia/Rumänien. Historikerin. Studium der Geschichte Osteuropas und Südosteuropas 1982–1989 in München und London. 1995 Promotion in München. Seit 1996 mit Unterbrechungen wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Ludwig-MaximiliansUniversität München. 395 Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft, S. 14/15. 392 393
Roth als Präsident des „Verbandes der deutschen Volksgruppen“
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Das nationalsozialistische Deutschland bietet dem Juden also dasjenige an, was wir uns als beinahe unerreichbares Ideal erträumen. Denn wir sind vollkommen zufrieden, wenn wir überall im Ausmaße unserer Bevölkerungszahl zur Geltung kommen. Wir würden nie im Traume daran denken, die rumänische Wirtschaft, die rumänische Presse oder gar die rumänische Kultur beherrschen zu wollen. Wir fassen das Judentum als eine rassische Minderheit in Rumänien auf, soweit es sich als solche Minderheit bekennt und im geschlossenen Kreise des eigenen Volkes sich auszuwirken versucht. Wir stehen aber selbstverständlich auf der Seite des rumänischen Volkes, wenn es das Judentum in diese natürlichen Schranken zurückweisen will ...“396
Entgegen solchen Propagandabehauptungen schadete die neue Politik Hitlers den Auslandsdeutschen fundamental. In seiner Funktion als Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Volksgruppen in Europa war es die Pflicht Hans Otto Roths, den Reichskanzler darauf aufmerksam zu machen. Roth bekam schon kurz nach der Machtergreifung Hitlers die Gelegenheit, diesen persönlich zu sprechen.
2.2 Roth als Präsident des „Verbandes der deutschen Volksgruppen“ Im Sommer 1933 beschloss die Leitung des Verbandes der deutschen Volksgruppen in Europa (vgl. Kapitel 1.4.1: Das Verhältnis zu Rudolf Brandsch) mit Hans Otto Roth als Vorsitzenden wegen der von den Nazis eingeleiteten Judenpolitik bei Hitler vorzusprechen, um die Einstellung der Judendiskriminierung einzufordern. Auf Grund dieses Beschlusses wurde Hans Otto Roth am 15. Juni 1933 bei Hitler vorstellig. Als Präsident des Verbandes hatte er die Aufgabe, darauf zu verweisen, dass die Fortsetzung der von Hitler begonnenen staatlichen Eingriffe in die Autonomie der Kirchen sowie die Fortsetzung der Judengesetzgebung und seiner Österreichpolitik für die deutschen Volksgruppen von verheerender Wirkung sein würden. Hans Otto Roth bemühte sich in einer mehr als halbstündigen Ausführung, Hitler die ernsten Konsequenzen seiner Politik für die deutschen Volksgruppen klar zu machen und ihm vor Augen zu führen, dass es sich dabei immerhin um das Schicksal von etwa zehn Millionen Deutschen handelte. Er verlangte: 1. Jeden staatlichen Eingriff in Kirchenfragen zu unterlassen. 2. Die Judenfrage durch gerechte Behandlung der Einzelfälle zu lösen und jede weitere Rassengesetzgebung zu vermeiden. 3. Die Differenzen mit Österreich durch friedliche Verhandlungen mit Bundeskanzler Dollfuss zu lösen.397 Politischer Nachlass HOR/Quelle 218: Die Judenfrage. In Ostdeutscher Beobachter, 6. Mai
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1933.
Roth, Hans Otto: „Ergänzung zu meiner Aufzeichnung über meine Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933.“ ASI: B III–11, Bd. 4/30 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 397
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Leider überlieferte Hans Otto Roth nichts Ausführlicheres über seine Argumentation in diesem Gespräch, sondern mehr darüber, was Hitler ihm entgegnete. Bekanntlich war Hitler in seiner Einstellung keinen vernünftigen Argumenten zugänglich. Das zeigte sich einmal mehr, als er im Anschluss an Roths Ausführungen das Wort ergriff. In mehr als eineinhalb Stunden trug Hitler mit offensichtlich großer Leidenschaft Hans Otto Roth seine Position vor. Roth hielt die Unterredung in einem knapp gehaltenen Gedächtnisprotokoll fest:398 1. Hitler gegenüber Hans Otto Roth zur Kirchenfrage: Die evangelische Kirche habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie hätte eine große Volkskirche werden können und dadurch die katholische Kirche – zu der er als „Ausgestoßener“399 völlig distanziert sei – dazu gezwungen, die Lateranverträge auch für Deutschland zuzugestehen. Leider säßen in der Bürokratie der evangelischen Kirche nicht die Reformatoren vom Schlage Martin Luthers, sondern kleine Religionsbeamte. Für sich persönlich erklärte Hitler, dass er der katholischen Kirche innerlich zwar völlig fern stehe, aber mit Rücksicht auf seine Stellung in Staat und Volk keinesfalls aus der katholischen Kirche austreten werde: „Viel gefährlicher als die evangelische Kirche ist die katholische Kirche. Trifft die deutsche Regierung auch nur die geringste Massnahme gegen die katholische Kirche, so erscheint der päpstliche Nuntius und macht einen internationalen Konflikt daraus. Die katholische Kirche ist wie eine elastische Wand. Man schlägt in sie hinein aber sie weicht aus. Ist der Schlag jedoch vorüber, kehrt sie wieder in ihre alte Lage zurück. Ich bin mit der katholischen Kirche fertig und will nichts mehr von ihr wissen. Wäre ich nicht Führer und Reichskanzler des deutschen Volkes, so wäre ich schon längst aus der Kirche ausgetreten.“400
Roth, Hans Otto: Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933. Erklärungen des Reichskanzlers. ASI. Auf den im ASI als Kopie vorliegenden Dokumenten ist kein Datum dieser Aufzeichnungen vermerkt, wohl aber auf der „Ergänzung zu meinen Aufzeichnungen über meine Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933.“ Diese Ergänzungen sind maschinenschriftlich mit Datum 14. Juli 1933 unterzeichnet. Dieses Datum auf den „Ergänzungen“ ist aber ganz offensichtlich falsch, da Roth in den „Ergänzungen“ auch auf Ereignisse nach 1933 eingeht. In seinen „Ergänzungen“ vermerkt Roth bezüglich Hitlers Bemerkungen über die Judenpolitik: „Heute ist es jedermann klar, was er schon damals am 15. Juni 1933 mit den Juden vor hatte!“ Dies legt nahe, dass die ersten Aufzeichnungen über die Unterredung mit Hitler tatsächlich zeitnah zum Gespräch mit Hitler 1933 gemacht wurden, die „Ergänzungen“ aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Beide Aufzeichnungen widersprechen sich indessen nicht, sondern unterscheiden sich lediglich durch die betont starke Emotionalität, die in der „Ergänzung“ zum Ausdruck kommt. 399 Roth, Hans Otto: Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933. Erklärungen des Reichskanzlers. ASI: B III–11, Bd. 4/30. 400 Ebd. Angesichts der vielen öffentlichen Lügen zur Verschleierung seiner wahren Ziele ist diese Offenheit Hitlers gegenüber Hans Otto Roth bemerkenswert. 398
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2. Hitler gegenüber Hans Otto Roth zur Judenfrage: Hitler behauptete, auch er habe die Judengesetzgebung vermeiden wollen. Auch er wolle die Judenfrage via facti und auf dem Wege über den Marxismus lösen. Durch die Gräuelpropaganda und den Warenboykott in Amerika401 hätten die Juden ihn aber gezwungen, andere Wege zu suchen. Die Juden stellten für Deutschland im doppelten Sinne ein Faustpfand dar. Erstens sei Deutschland an die Juden der Welt 30 Milliarden RM schuldig. Man könne diese Schulden bezahlen oder nicht bezahlen, man könne Zinsen zahlen oder nicht zahlen. In all diesen Fragen habe Deutschland die Initiative. Zum zweiten aber stellten die im Reich lebenden Juden rein physisch ein Faustpfand dar. In Genf müsse das Judentum zur rassischen und politischen Minderheit gemacht werden. Darauf freue er sich. Einschüchtern aber lasse er sich keinesfalls. Unter allen Umständen sei er gegen die Assimilation. Und wenn die Judenfrage zu großen Konflikten in Genf und in der Welt führen werde, so sei das Schicksal. Deutschland sei nun einmal das Volk der Emporkömmlinge. Niemand in Deutschland wisse aber so gut wie er, was es heiße, Emporkömmling zu sein. Amüsant ist die Tatsache, dass Hans Otto Roth bei diesen Worten an Beethoven, Mozart, Bach, Goethe und Kant dachte.402 Doch dann wurde er von Hitler sofort belehrt, was dieser sich unter einem Emporkömmling vorstellte: „Herr Roth, wissen Sie was ein Emporkömmling ist?“ Und als ich ruhig antwortete: „Ja, gewiss“, erklärte er lautschallend: „Nein! Sie wissen es nicht. Dafür weiss ich es umso besser, denn ich bin ein Emporkömmling!“ Dabei schlug er sich mit weit ausholender Geste mit beiden Fäusten in die Brust und fügte tobend hinzu: „Jetzt ahnen Sie wohl auch, warum ich Führer des deutschen Volkes bin! Weil ich ihm kongenial bin – ein Emporkömmling!403 Nur indem wir unsere Ellenbogen einsetzen, können wir uns durchsetzen und wir werden der Welt zeigen, was wir sind!“ Diese Worte begleitete er mit einer demonstrativen Geste, indem er seine Ellenbogen mehrmals vom Rumpf entfernte und hochwarf. „Ich bin ein Frontschwein, ich habe gelernt, mich auch aus den jämmerlichsten Situationen zu befreien, ich werde auch mit der jüdischen Frage fertig werden!“404
Wenn diese Worte tatsächlich so zutreffen sollten, dann ist es durchaus glaubhaft, dass das Urteil des stets eleganten Hans Otto Roth über Hitler schon 1933 vom Urteil vieler anderer Zeitgenossen abwich: Nicht nur in Amerika, auch in Siebenbürgen bekam die sächsische Wirtschaft bald die Reaktion der jüdischen Bevölkerung auf die Politik Hitlers zu spüren. Vgl. StAH, Fond DVGR 10/1933. Bund der Siebenbürgischen Industriellen an die Ortsgruppe Hermannstadt (18. Mai 1933). Betreff: Stellungnahme jüdischer Kaufleute gegen sächsische Erzeuger. 402 Roth, Hans Otto: „Ergänzungen zu meiner Aufzeichnung über meine Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933.“ ASI: B III–11/Bd. 4/30. 403 Roth, Hans Otto: „Ergänzungen zu meiner Aufzeichnung über meine Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933.“ ASI: B III–11/Bd. 4/30. 404 Ebd. sowie Politischer Nachlass HOR/Quelle 458. Nr. I. 401
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„Diese leidenschaftlich ausgestossenen Worte machten auf mich den allerpeinlichsten Eindruck. Aus jedem einzelnen Wort und noch mehr aus der verkrampften Art des Vortrages sprach ein tief verwurzelter Minderwertigkeitskomplex. Waren das seelische und geistige Voraussetzungen für das Führertum eines (...) Volkes? Es wurde mir in dieser Unterredung völlig klar, dass sich in der Erscheinung Adolf Hitlers Dämonen vereinigten, die wie eine düstere Gewitterwolke über dem Haupt des so leichtgläubigen, unpolitischen und unbeherrschten deutschen Volkes brüteten.“405
Während von anderen Zeitgenossen immer wieder Hitlers geradezu hypnotische Anziehungskraft zum Ausdruck gebracht wurde, erkannte Roth Hitlers gefährliche Komplexe: „Ich gewann von A. H. den Eindruck einer ausserordentlich starken, eigenartigen und eigenwilligen Persönlichkeit, bei der aber das Flackerhafte und Unausgeglichene ins Krankhafte gesteigert erschien. Die Entwicklung der folgenden Jahre hat den im persönlichen Gespräch gewonnenen Eindruck dann immer wieder verdichtet.“406 3. Hitler gegenüber Hans Otto Roth zur Frage der deutschen Volksgruppen in Ungarn: Ungarn sei vielumworben, so auch durch die Franzosen. Es sei Ziel der deutschen Außenpolitik, eine Koalition Deutschland, Italien und Ungarn für einen Zeitabschnitt von 100 Jahren zustande zu bringen. Die Ungarn hätten schon immer entnationalisiert und zwar, im Gegensatz zu anderen, mit Erfolg. Das sei möglich gewesen, weil in Ungarn neben den Magyaren minderwertige Rassen gelebt hätten. In Deutschland sei es umgekehrt. Darum sei die Assimilation als Instrument der Politik gegen die Minderheiten im Deutschen Reich unmöglich. Es werde nicht leicht sein, die Frage der deutschen Volksgruppe in Ungarn einer guten Lösung entgegenzuführen. Die Magyaren seien Pannationalisten.407 4. Hitler gegenüber Hans Otto Roth zur Österreichfrage: Österreich sei, so wie es durch den Friedensvertrag geschaffen worden sei, ein wirtschaftliches Zuschussunternehmen. Es müsse finanz- und wirtschaftspolitisch von der einen oder anderen Gruppe der Großmächte erhalten werden. Er wolle sich allein an Österreich finanzpolitisch nicht beteiligen. Aber selbst, wenn es möglich sei, Österreich finanzpolitisch zu stützen, laufe das Reich doch Gefahr, politisch auf die Entwicklung in Österreich ohne Einfluss zu bleiben. Vom Anschluss Österreichs an Roth, Hans Otto: „Ergänzungen zu meiner Aufzeichnung über meine Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933.“ ASI: B III–11/Bd. 4/30. 406 Politischer Nachlass HOR/Quelle 471: Roth fasst seine Rezeption des rumäniendeutschen NS zusammen und äußert seine Vorstellung von Führertum und politischem Erfolg oder Misserfolg. 407 Roth, Hans Otto: Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933. Erklärungen des Reichskanzlers. ASI: B III–11/Bd. 4/30. 405
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das Reich könne jetzt keine Rede sein. Dasselbe gelte auch für die bis 1918 deutschen Teile Polens. Nur machtpolitische Entscheidungen – Krieg oder Revolution – könnten helfen. Am grünen Tisch und bei diplomatischen Konferenzen seien noch nie entscheidende Grenzregelungen beschlossen worden. Leider mache ihm Italien große Sorgen. Die Italiener seien im Augenblick völlig stur. Er hoffe, Mussolini im direkten Männergespräch gewinnen und überzeugen zu können. Es sei tief bedauerlich, dass ein großes Volk, wie es die Italiener seien, sich nicht zutraue, mit dem großen deutschen Volk in Frieden leben zu können, selbst wenn sie eine gemeinsame Grenze verbinde. Frankreich aber glaube immer noch an Zita und die Habsburger. Habsburg aber stelle für Deutschland und Europa die größte Gefahr dar. An Habsburg werde alles zerschellen, nur Frankreich werde großen Gewinn daraus ziehen. Die Ausweisung der Österreicher aus Deutschland gehe weiter, ebenso werde die Grenzsperre aufrechterhalten bleiben.408 Das Fazit dieser Unterredung war für Hans Otto Roth ernüchternd: „Leider hatte meine Unterredung mit Hitler keinerlei Erfolg, so dass ich als Ausfluss dieser Gegensätzlichkeiten im Frühjahr 1934 den Vorsitz im Verband der Deutschen Volksgruppen niederlegte, der dann nach kurzer Übergangszeit vom Führer der Sudetendeutschen Partei Konrad Henlein übernommen wurde.“409 An anderer Stelle bemerkte Hans Otto Roth: „Die Antwort Hitlers war vollkommen unbefriedigend, weil sie die eindeutige Absicht des Kanzlers eröffnete, die jüdische Gesetzgebung nicht aufzuheben und den Kampf gegen die Juden fortzusetzen.“410 Interessant ist der Vergleich dieses Zusammentreffens von Hans Otto Roth mit Hitler mit dem eines weiteren Siebenbürger Sachsen kurze Zeit später: Am 12. Juli 1933 wurde Otto Fritz Jickeli, Roths alter Jugendfreund,411 von Hitler empfangen. Wahrscheinlich wusste Jickeli von Roths Forderungen bei Hitler, denn er formulierte nun die genaue Gegenposition zu Roth: „Sehr geehrter Herr Reichskanzler, ich habe Ihnen im Auftrage der N.S.D.R. und unseres Führers, Rittmeister Fabritius, zwei Dinge zu sagen: Das erste ist der Dank dafür, was uns wie allen deutschen Menschen der Nationalsozialismus gegeben hat. ... Als zweites möchte ich unsere Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass auch der Auslandsdeutsche ... in Ihrem grossen Kampfe um die Befreiung Deutschlands eine Mission zu erfüllen hat. ... Als solche Soldaten bitten wir Sie, unsere Erklärung hinzunehmen, dass wir bereit Ebd. Roth, Hans Otto: „Ergänzungen zu meiner Aufzeichnung über meine Unterredung mit Adolf Hitler vom 15. Juni 1933.“ ASI: B III–11/Bd. 4/30. 410 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458/I. 411 Politischer Nachlass HOR/Quelle 375: Unterschrift in einem Brief Hans Otto Roths an Otto Fritz Jickeli 19. April 1942. 408 409
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sind, uns restlos für die Zukunft des Mutterlandes einzusetzen. Wir unterscheiden uns von den übrigen Auslandsdeutschen dadurch, dass wir Sie niemals bitten werden, Dinge, die im Interesse des Reiches geschehen, zu unterlassen, weil dadurch vielleicht Interessen des Auslandsdeutschen geschädigt werden können. Wir sind bereit, unser kleines Schicksal dem grossen Schicksal des Mutterlandes bedingungslos unterzuordnen.“412
Es ist nicht verwunderlich, dass Hitler auf diese Ausführungen sehr viel gnädiger reagierte, als auf Hans Otto Roths Fundamentalkritik an seiner Politik. Dementsprechend freundlich war seine Antwort, obwohl er in diesem Gespräch sogar ganz offen die vollständige Vernichtung der Auslandsdeutschen im Falle der Niederlage Deutschlands ankündigte: „Was Sie mir sagen, stimmt mit meinen Ansichten vollkommen überein. ... Der Auslandsdeutsche darf sich heute nicht als Selbstzweck betrachten, sondern muss sich in den Dienst dieser Aufgabe stellen. Ich sehe die Aufgabe insbesondere der Deutschen in Südosteuropa darin, dass sie die Sympathien ihrer Staaten für das neue Deutschland gewinnen. Das Schicksal des deutschen Mutterlandes entscheidet letzten Endes auch das Schicksal der Auslandsdeutschen. Die auslandsdeutschen Siedlungen gleichen belagerten Festungen. Solange das deutsche Mutterland frei und stark ist, gleicht es der Armee, die diesen Festungen Entsatz bringen kann. Wird aber das deutsche Mutterland vernichtet, so können die auslandsdeutschen Festungen auf keinen Entsatz mehr hoffen und sind verloren. ... Deshalb verlange ich heute die restlose Unterordnung der Interessen der Auslandsdeutschen unter die Interessen des deutschen Mutterlandes, wie Sie es ausgesprochen haben.“413
Diese Gegenüberstellung der beiden unterschiedlichen Begegnungen mit Hitler zeigt deutlich, warum Hans Otto Roth mit seinen Argumenten bei Hitler völlig ins Leere lief. Es ist daher interessant, auf einzelne Aspekte von Hitlers Worten noch einmal genauer einzugehen, um ihre Bedeutung für die Siebenbürger Sachsen und alle anderen Auslandsdeutschen zu analysieren: 1. „Das Schicksal des deutschen Mutterlandes entscheidet letzten Endes auch das Schicksal der Auslandsdeutschen. Die auslandsdeutschen Siedlungen gleichen belagerten Festungen. Solange das deutsche Mutterland frei und stark ist, gleicht es der Armee, die diesen Festungen Entsatz bringen kann. Wird aber das deutsche Mutterland vernichtet, so können die auslandsdeutschen Festungen auf keinen Entsatz mehr hoffen und sind verloren.“414 412 Jickeli, Otto Fritz: Bericht über meinen Empfang bei Adolf Hitler. Berlin, den 12. Juli 1933. ASI: B III–11, Bd. 6/42: (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 413 Ebd. 414 Ebd.
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Diese Worte beweisen, dass sich der Reichskanzler des Risikos seiner Politik für die Auslandsdeutschen – nämlich der totalen Vernichtung – vollauf bewusst war. Hitler wusste um die Gefahren für die Auslandsdeutschen, die Hans Otto Roth ihm nahe bringen wollte. Aber er war bedenkenlos bereit, dieses Risiko einzugehen, auch wenn der Nationalsozialismus scheitern sollte. Das wiederum beweist, wie zutreffend die Fundamentalkritik von Jakob Bleyer an der neuen nationalsozialistischen Führung war: „An hohen und höchsten Stellen werden zwar immer wieder sehr laute, vielleicht sogar zu laute Erklärungen über die warme Liebe für die deutschen Minderheiten abgegeben, aber auch nur ohne jede Ahnung dessen, was für eine Verantwortung damit verbunden ist. Jedenfalls fühlen diese Herren sich keineswegs verantwortlich in Bezug auf das Südostdeutschtum.“415 Das war zweifellos richtig. War man sich in Siebenbürgen dessen bewusst? Nicht nur Jickeli verabschiedete sich mit der Versicherung, dass sich seine Bewegung „restlos in den Dienst der Gedanken einstellen“416 werde, wie sie Hitler ausgesprochen hatte. Genau diese bedingungslose Gefolgschaft musste die reziproke „Antwort“ auf Hitlers Szenario sein, welche der Reichskanzler und die NS-Politiker erwarteten. Hitlers Vorstellung von Deutschland als einer belagerten Festung fand auch bei anderen Siebenbürger Sachsen Anklang, bei etwa Bischofsvikar Friedrich Müller: „Deutschland ist heute einer belagerten Riesenfestung zu vergleichen, und die auslandsdeutschen Volksgruppen sind Aussenforts. Die Entscheidung wird im Sieg des Mittelpunktes fallen – aber für sie ist es nicht unwesentlich, wie lange und wie stark die Aussenforts durchhalten. Niemand der weiss, worum es heute in der Welt für das Gesamtdeutschtum geht und welche Sendung der Nationalsozialismus für die säkulare Neugründung deutschen Lebens und Wesens hat, wird für die auslandsdeutschen Volksgruppen eine Verteidigung nur um ihrer selbst willen fordern; es ist das Schicksal von Aussenforts, dass sie fürs Ganze aufopferungsbereit sein müssen. Aber wenn den auslandsdeutschen Volksgruppen eine Hilfe gewährt werden kann, die in der Richtung der Verteidigung der Hauptlinie liegt, ist sie nicht nur möglich sondern unbedingt geboten, weil sonst das Hauptziel beeinträchtigt würde. Gerade dieser Fall ist für die deutschen Volksgruppen in Rumänien gegeben.“417
Auch bei diesen Worten, die nicht aus dem Munde eines der NS-Exponenten Siebenbürgens stammen, fällt auf, dass Müller hier wie selbstverständlich von einem Erfolg des Nationalsozialismus ausging. Ebenso fällt auf, dass auch Müller selbstver415 Politischer Nachlass HOR/Quelle 210: Jakob Bleyer berichtet Roth in Hermannstadt über seine politische Verbitterung, vgl. S. 90. 416 Jickeli, Otto Fritz: Bericht über meinen Empfang bei Adolf Hitler. Berlin, den 12. Juli 1933. ASI: B III–11, Bd. 6/42: (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 417 Bundesarchiv Koblenz: R43 II/1486, Bl. 149. In: Wien, Ulrich: Wahrnehmung der Peripherie – deutsche politische Perspektiven in Siebenbürgen. In: Svorc, Peter; Danilak, Michal; Heppner, Harald: Vel’ká politica a malé regióny 1918 – 1939, S. 289.
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ständlich bereit war, die „Aussenforts“ nicht um ihrer selbst willen zu erhalten, sondern deren Dasein mit der Notwendigkeit der Unterstützung des „Mittelpunktes“ begründete. Demzufolge wäre dann 1944/45 die Auswanderung der Siebenbürger Sachsen nur konsequent gewesen, da sie nach der totalen Niederlage „des Mittelpunktes“ auch nicht mehr gebraucht worden wären. Man kann einwenden, dass Müller diese Worte möglicherweise nur wählte, um beim Adressaten mehr Gehör zu finden. Doch übernahmen viele unkritische Zeitgenossen Hitlers Worte, um eigene Vorteile zu erlangen. Hier – im Falle Müllers – forderte dieser unter Hinweis auf die antisemitische Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches mit ihren negativen Konsequenzen für die sächsische Wirtschaft Unterstützung aus Deutschland ein. Seine Begründung hierbei: Um die „Ausschaltung des jüdischen Elementes im nichtdeutschen Donauraum“418 betreiben zu können. Müller war also um die wirtschaftlichen Nachteile von Hitlers Politik besorgt, die Judenverfolgung als solche kritisierte er nicht. So erwuchs schließlich auch jene Bereitschaft in den Massen, noch einmal alles für den Erfolg einer Ideologie zu geben, deren Gedankengut man sich zuvor unkritisch zu eigen gemacht hatte und deren langfristigen Erfolg man gar nicht erst angezweifelt hatte. Hans Otto Roth war hierbei eine Ausnahme. Eine Aufzeichnung Roths aus dem Jahr 1935 ist hierbei sehr interessant, in der Roth auf ein Gespräch mit Bischof Glondys im Herbst 1933 Bezug nahm. Im Oktober 1933 war Roth zusammen mit Bischof Glondys bei der Beerdigung von Lyzealdirektor Dr. Hermann Jekeli419 in Mediasch gewesen. Auf der Heimfahrt führten beide im Auto lange Gespräche über die „innervölkische Lage.“420 Im Laufe der Unterhaltung sagte Glondys, es sei ihm schon oft durch den Kopf gegangen, warum Roth die nationalsozialistische Bewegung nicht rechtzeitig eingefangen und sich nicht an die Spitze der Bewegung gestellt habe. Roth sei doch so häufig in Deutschland gewesen, dass er das Emporkommen des Nationalsozialismus sicher schon lange erkannt hätte, und die Herstellung der persönlichen Beziehungen wäre doch für Roth ein Kinderspiel gewesen. Hätte Roth sich an die Spitze der Bewegung gestellt, so wäre es nie zu den unheilvollen Kämpfen gekommen, die heute die Siebenbürger Sachsen in ihrem Bestand bedrohen würden. Bischof Glondys meinte, Roth habe doch sicher Gründe gehabt, warum er diesen Weg nicht beschritten habe und er sei begierig, diese Gründe zu erfahren. Roth beantwortete diese Frage mit einem bildlichen Vergleich.
Ebd., S. 289. Hermann Jekeli (1878–1933) war von 1912 bis 1933 der Direktor des evangelischen Gymnasiums in Mediasch. Zudem bekleidete er wiederholt die Stelle eines Kreisausschussobmanns und war Mitglied und stellvertretender Präsident des Volksrates. 420 Politischer Nachlass HOR/Quelle 287: 15. März 1935, Hermannstadt. Aufzeichnungen Roths über ein Gespräch mit Bischof Glondys im Oktober 1933. 418 419
Roth auf dem Nationalitätenkongress in Bern
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„Ich erinnere mich an eine Stelle im Sallust, in der geschildert wird, wie römische Krieger im punischen Krieg in Nordafrika durch die Wüste reiten. Die edlen Römerpferde trabten in vollem Gang, als sie plötzlich ohne irgendeinen sichtbaren Grund störrisch wurden, sich wild aufbäumten und nicht weitergehen wollten. Die römischen Krieger hielten Ausschau, um die Gründe für das Scheuen der Pferde zu eruieren. Aber sie konnten weit und breit nichts wahrnehmen. Erst viel später tauchte am Horizont eine Staubwolke auf und die römischen Krieger stellten nach einer Weile fest, dass eine Kamelkarawanne [sic!] herannahte. Was mit dem freien Auge nicht feststellbar war, hatten die Pferde durch ihre Witterung schon lange wahrgenommen. Der Geruch der Kamele war der Karawanne [sic!] offenbar vorangeeilt.“421
Roth erklärte, dass es ihm auch so gehe. Er habe das Gefühl, dass die führenden Männer der nationalsozialistischen Bewegung im Reich aus „fremdem Material“422 seien, aus einem Stoff, den er instinktiv ablehne. Dies sage ihm seine politische Witterung. Maßgebend seien die Männer, die die Politik machten, und die lehne er ab. Angesichts dieser Beurteilung der Lage sei es kein Zufall, dass er sich nicht an die Spitze der nationalsozialistischen Bewegung gestellt habe. Glondys fragte Roth hierauf, wie denn seiner Meinung nach der Ablauf der Dinge sein werde. Roth antwortete, dass er dies selbstverständlich nicht voraussehen könnte, dass er aber von der gesamten Entwicklung nichts Gutes erwarte.423 Dies waren kritische Gedanken, ein Zweifeln am Erfolg des Nationalsozialismus, wie es zu jener Zeit durchaus nicht selbstverständlich war.
2.3 Roth auf dem Nationalitätenkongress in Bern (16.–19. September 1933) Das Minderheitenproblem in Ostmittel- und Südosteuropa war zweifelsohne ein wichtiges Politikfeld in der Zwischenkriegszeit424, denn es war nicht nur ein bedeutendes innerrumänisches Problem, sondern auch ein Problem der Beziehungen der europäischen Staaten untereinander. Die Gründung des Europäischen Nationalitätenkongresses im Jahre 1925 stellte daher eine Internationalisierung der Minderheitenfrage dar. Der Europäische Nationalitätenkongress entstand aus einer privaten Initiative Ewald Ammendes, um eine europäische „Minderheitenlobby“ zu schaffen. 421 Politischer Nachlass HOR/Quelle 287: 15. März 1935, Hermannstadt. Aufzeichnungen Roths über ein Gespräch mit Bischof Glondys im Oktober 1933. 422 Ebd. 423 Ebd. Diese Notiz aus dem Jahre 1935 bestätigt Roths Aufzeichnungen nach dem Seitenwechsel 1944, wonach er den NS von Beginn an kritisch betrachtet habe. Vgl. Politischer Nachlass HOR/Quelle 471. 424 Bamberger-Stemmann, Sabine: Der Europäische Nationalitätenkongreß 1925–1938. Nationale Minderheiten zwischen Lobbyistentum und Großmachtinteressen.
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Ziel war es, die Vertretung der Minderheiten als politische Organe in die eigene Hand zu nehmen, um die Minderheiten als Subjekte im Spiel der europäischen Interessen zu installieren. Sie wurden im gesamteuropäischen Umfeld als casus belli verstanden, was auf Konsens bei den internationalen Organisationen stieß. Sabine BambergerStemmann führt in ihrer umfangreichen Studie aus, dass der Europäische Nationalitätenkongress jedoch auch zwischen diesem Lobbyistentum und den Großmachtinteressen zu sehr eingebunden war, um wirklich funktionieren zu können. Daher blieb der politische Einfluss des Europäischen Nationalitätenkongresses sehr gering. Dennoch wurde durch die internationale Ebene die Minderheitenpolitik instrumentalisiert und für die Sammlung lobbyistischer Gruppen genutzt. So standen Minderheitenpolitik und zwischenstaatliche Beziehungen im Europa der Zwischenkriegszeit in einem gegenseitigen Abhängigkeits- und Wechselverhältnis. Bis heute fehlt eine Analyse dieser Internationalisierung der Minderheitenfrage, zumal die bisher erschienenen Werke sich zumeist auf die Perspektive einer einzelnen Minderheit und nicht auf eine internationale Perspektive stützen. Insgesamt versteht Sabine Bamberger-Stemmann den Europäischen Nationalitätenkongress als Teil des internationalen Systems, wobei sie allein schon durch die Schwerpunktsetzung und die Bezugnahme auf die deutsche Haltung deutlich macht, dass das Interesse des deutschen Staates und der deutschen Minderheiten einen wichtigen Faktor der internationalen Minderheitenpolitik darstellten und insbesondere ein Anknüpfungspunkt für eine verstärkte Interessenvertretung und ein Zusammenarbeiten der ungarischen und ukrainischen Minderheiten mit den Deutschen war.425 Auf den im Frühjahr und Sommer 1933 abgehaltenen Sitzungen des Rates426 des europäischen Nationalitätenkongresses war einmütig – also auch mit Zustimmung der jüdischen Gruppen – beschlossen worden, die Frage der Dissimilation auf die Tagesordnung des für Mitte September nach Bern einzuberufenden Nationalitätenkongresses zu setzen.427 Die Verhandlungen sollten allerdings – und darüber war ebenfalls Einvernehmen erzielt worden – innerhalb der Grenzen der Kongresssatzung bleiben. Am 9. September 1933 erhielt der Präsident des Europäischen Nationalitätenkongresses Dr. Iosip Wilfan ein Schreiben der jüdischen Gruppen, in dem gefordert wurde, „dem Kongress im Einverständnis mit den deutschen Gruppen eine Resolution vorzulegen, in welcher die Entrechtung der Juden Deutschlands in klaren Worten als ein Verstoss gegen die Gesetze der Menschlichkeit und gegen die Dies belegt Sabine Bamberger-Stemmann, indem sie auf zahlreiche, den Nationalitätenkongress und die Minderheitenpolitik der einzelnen Staaten betreffende Archivalien und Publikationen zu Minderheitenfragen und zum Nationalitätenkongress zurückgreift. 426 Im Rat waren alle auf dem Nationalitätenkongress anwesenden Nationalitäten mit je einer Stimme vertreten. In Bern 1933 nahmen Bulgaren, Jugoslawen, Litauer, Ukrainer, Russen, Tschechen, Weissrussen, Galiegos, Spanier, Katalanen, Ungarn und Deutsche teil. Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 1. Die Vorbereitung des Nationalitätenkongresses. 427 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II. 1: Die Vorbereitung des Nationalitätenkongresses. 425
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Minderheitenbewegung gekennzeichnet und verurteilt werden sollte.“428 Das Schreiben war von dem bekannten jüdischen Vorkämpfer Leo Motzkin (1867– 1933)429 unterzeichnet. Am späten Abend des 15. September 1933 fanden dann im Hotel Savoy in Bern direkte Verhandlungen zwischen den deutschen und jüdischen Gruppen des Nationalitätenkongresses statt, die bis zwei Uhr nachts dauerten. Auf deutscher Seite waren Hans Otto Roth, Kurt Graebe aus Bromberg und Werner Hasselblatt aus Reval beteiligt. Jüdischerseits waren L. Motzkin, Dr. H. Rosmarien, Dr. E. Margulies und Ch. Farchy anwesend. Wenn bei den Beratungen auch, wie der offizielle Bericht besagte, „von beiden Seiten viel guter Wille gezeigt wurde, konnte es doch nicht zu einer Einigung kommen“430. Infolge des Scheiterns der direkten Verhandlungen trat am Morgen des 16. September 1933 der Rat des Kongresses zusammen. Dieser kam – so der offizielle Bericht – einmütig zu der Entscheidung, dass die von den jüdischen Gruppen zum Punkt Dissimilation und Nationalitätenrecht vorgeschlagene Erweiterung der Diskussion sowie die Formulierung einer kritischen Resolution gegenüber Deutschland mit namentlicher Kritik, nur unter Verletzung bzw. Abänderung der bewährten Verhandlungsgrundsätze möglich wäre und daher nicht zugelassen sei.431 Die Regel, dass die inneren Verhältnisse der europäischen Staaten in der Diskussion des Kongresses nicht namentlich behandelt werden durften, war gängige Praxis des Kongresses. So war zum Beispiel auf der Tagung des VIII. Nationalitätenkongresses 1932 in Wien eine schwere Krise entstanden, weil Graf Johann Esterházy, ein Vertreter der ungarischen Minderheit aus der Tschechoslowakei, die Politik der Prager Regierung gegenüber den dortigen Minderheiten einer scharfen Kritik unterzogen hatte. Präsident Wilfan rief daraufhin den Grafen zur Ordnung und entzog ihm das Wort. Nach dieser Regel war es zwar kein Wunder, dass der Rat des Nationalitätenkongresses das im September 1933 gestellte Ansuchen der jüdischen Gruppen einmütig ablehnte, doch stellt diese Regel als solche die Frage nach dem Sinn des Nationalitätenkongresses, da Missstände und deren Verursacher nicht namentlich benannt werden durften. Am Nachmittag des 16. September 1933 wurde der Nationalitätenkongress im Sitzungssaal des Schweizerischen Bundesparlamentes in Bern mit einer Eröffnungsansprache von Dr. Wilfan eröffnet.432 Wilfan beschäftigte sich in seiner Rede vor allem mit der „Dissimilation“ und führte aus, dass sich in den meisten der am Kongress teilnehmenden Nationen große Veränderungen anzubahnen schienen. Gerade deswegen sei aber Ebd. Leo Motzkin (*1867 in Browary nahe Kiew, †7.11.1933 in Paris). 430 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 1. Die Vorbereitung des Nationalitätenkongres428 429
ses.
Ebd. Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 2. Die Eröffnungsrede des Kongresspräsidenten Dr. Iosip Wilfan. 431 432
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der Kongress diesmal besonders wichtig, denn das gemeinsame Organ der europäischen Nationalitäten dürfte nicht zu einer Zeit stumm bleiben, in welcher Strömungen und Bewegungen immer stärker zutage träten, die auf das Schicksal der europäischen Nationalitäten entscheidend einwirken könnten. Um Missverständnissen und Enttäuschungen vorzubeugen, ließ Wilfan dann einige Bemerkungen über das Wesen des Kongresses folgen, um zu ermessen, welche Möglichkeiten sich überhaupt den gemeinsamen Aktionen des Nationalitätenkongresses böten und welche Grenzen ihm gezogen seien. Diese Worte dürften wohl im Hinblick auf das zuvor abgelehnte jüdische Ansinnen gewählt worden sein. Sodann kam Wilfan auf den schwierigen Zwiespalt zu sprechen, der sich ergäbe, wenn man zu einem bestimmten Volk gehöre, jedoch in einem anderen, andersnationalen Staat lebe. Damit leitete er auf das Thema des Kongresses, die „Dissimilation“ über. Wilfan lehnte es ab, auf konkrete Ereignisse einzugehen: „Es ist nach den Grundsätzen, die ich mir kurz vorher Ihnen ausführlich darzulegen und zu begründen erlaubt habe, nicht zulässig, vor allem aber liegt es gar nicht im Interesse unserer Arbeit, dass wir dieses Problem hier in seinen konkreten, tatsächlichen Grundlagen und seinem konkreten Wesen behandeln“,433 erklärte er. „Aber dieses Problem hat auch seine grundsätzliche Seite, und soweit wir imstande sind – und dass wir es sind haben wir schon bewiesen – aus dem, was Tagesereignis ist, das Grundsätzliche, aus dem Vorübergehenden das Dauerhafte und das für unsere Frage Entscheidende herauszuheben, insoweit können wir uns mit dem erwähnten Probleme in unserem Kreise befassen, und in dem Sinne werde ich mir darauf einzugehen gestatten ...“434
Hans Otto Roth dürfte nach seinem Gespräch mit Hitler gewusst haben, dass die Nationalsozialisten mit so zaghaften Grundsatzdebatten nicht zu beeindrucken waren. Über die Frage der Dissimilation selbst führte Wilfan dann allgemein aus: „Es widerstrebt uns, uns damit einverstanden zu erklären, dass ein Volk, das seit weit mehr als tausend Jahren in der europäischen Kulturgemeinschaft lebt und dank seinen Eigenschaften und hervorragenden Fähigkeiten und entsprechend seiner eigenartigen Entwicklung ganz besonders wertvolle Güter zugebracht hat, um eine oder gar mehrere Stufen in der Hierarchie der europäischen Völker zurückgedrängt werde. ... Ein Recht ... , das, was anders ist, deswegen auch als minderwertig zu deklarieren und zu entrechten, ein solches Recht können wir nicht anerkennen.“435
Bei Hans Otto Roth selbst offenbarte sich deutlich der Zwiespalt zwischen dem Wunsch, einerseits Deutschland zu schützen und andererseits der Erkenntnis des Ebd. Ebd. 435 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 2. Eröffnungsrede des Kongresspräsidenten Dr. Iosip Wilfan. 433 434
Roth auf dem Nationalitätenkongress in Bern
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Abb. 16 Der Europäische Nationalitätenkongresses in Wien 1932.
Unrechts gegenüber den Juden Rechnung zu tragen. Im Verlaufe des Nationalitätenkongresses gab er drei Erklärungen ab. Die erste Erklärung im Namen der deutschen Kongressteilnehmer, die Roth gleich im Anschluss an die Eröffnungsrede des Kongresspräsidenten vortragen konnte, blieb noch relativ vage. Roth bedauerte hierin, dass das Referat über „Nationale Dissimilation und Nationalitätenrecht“436 ausfallen würde und betonte, dass sich die deutsche Gruppe stets gegen die Assimilation gewandt habe, weil sie die Bindungen an das Volkstum und an die Kultur des eigenen Volkes als höchstes Gut und als wichtigsten Gegenstand des Kongresses betrachte. Dann ging Roth sogar so weit zuzugestehen: „Die Ausgliederung von andersartigen, insbesondere von andersrassigen Menschen aus einer Volkskultur, wie man sie in letzter Zeit beobachten konnte, halten wir grundsätzlich für berechtigt, wobei wir es jedoch auch für gerechtfertigt erachten, dass die durch die Dissimilation zu
436 „Dissimilation und Nationalitätenrecht“ von dem Lettlanddeutschen Paul Schiemann. Es rechtfertigt die damals als „Dissimilation“ bekannte Entrechtung, Diskriminierung und Ausgrenzung von dem [deutschen] Volk missliebigen Menschengruppen unter Berufung auf das vorgeblich auf natürlichen Grundlagen beruhenden „Volksgemeinschaftsrecht.“ Politischer Nachlass HOR/ Quelle 232.
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Minderheiten gemachten Menschengruppen bestrebt sind, die Rechte auch für sich geltend zu machen, für die unser Kongress bisher eingetreten ist.“437 Diese Aussage passt nicht zu den ansonsten immer so klar und scharf vorgetragenen Minderheitenforderungen, die Roth gegenüber der rumänischen Regierung stets vortrug438. Man darf fragen, was Roth wohl im rumänischen Parlament einem rumänischen Politiker erwidert hätte, wenn ein solcher ihm derartige Ansichten hätte nahebringen wollen. Roth ließ sich hier nämlich – trotz seiner verklausulierten Redewendungen – sehr weit auf nationalsozialistisches Gedankengut ein, indem er die Ausgrenzung „andersrassiger“ Menschen grundsätzlich für gerechtfertigt erklärte. Hätte sich die rumänische Regierung nach 1944 an diese Aussage erinnert, hätte man sie politisch durchaus auch gegen Roth und die Rumäniendeutschen verwenden können, als Roth sich im Februar 1945 bei der Deportation der Rumäniendeutschen in die UdSSR beklagte, dass die Rumäniendeutschen nicht als rumänische Staatsbürger, sondern als Deutsche behandelt wurden. Fast noch befremdlicher wirkt jedoch der zweite Teil seiner Aussage, in welchem er den so ausgegrenzten und zu Minderheiten gemachten Menschen noch nicht einmal das Recht auf Minderheitenrechte zugesteht, sondern allenfalls das Recht, bestrebt sein zu dürfen, ihre sich aus der Dissimilation ergebenden Minderheitenrechte durchzusetzen. Wenn Roth schon die Ausgrenzung von Menschen generell für berechtigt hielt, so hätte er wenigstens erklären müssen, dass diesen Menschen nach ihrer Dissimilation Minderheitenrechte ohne jeden Zweifel zustünden. So jedoch legitimierte diese Aussage im Kern auch die gesamte rumänische Politik gegenüber den Rumäniendeutschen seit 1918: Die Rumäniendeutschen hätten demnach zwar das Recht zu versuchen, ihre Interessen durchzusetzen, wenn sie es aber nicht schaffen, so sei es ihr eigenes Problem; die Nationalsozialisten hätten dann möglicherweise gesagt: „Sie waren zu schwach“ – und daraus ihre Politik (das Recht des Stärkeren) legitimiert. Diese böswillige Art der Interpretation von Roths Worten wäre jedoch falsch. Roths Aussagen zeigen in Wahrheit deutlich, wie schwer er sich mit der neuen Lage tat. Roth hätte es sich einfach machen können und – wie der Lettlanddeutsche Paul Schiemann in seinem ausgefallenen Referat – die Dissimilation speziell der Juden einfach rechtfertigen können. Dies wollte Roth jedoch offensichtlich nicht. Um sich selbst nicht angreifbar zu machen, betonte Roth daher schon im nächsten Satz: „Wir erklären damit zugleich, daß wir ohne Schmälerung und ohne Einschränkung nach wie vor auf den Grundsätzen des Kongresses stehen, die in seinen Resolutionen und seiner Arbeit neun Jahre lang zum Ausdruck gekommen sind.“439 Dies waren ganz offensichtlich nicht mehr die Worte eines entschlossenen Vorkämpfers für 437 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 3. Die Erste Erklärung Hans Otto Roths auf dem Nationalitätenkongress in Bern. 438 Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1818–1938). Oldenburg Verlag, München 1996, S. 209 ff. 439 Ebd.
Roth auf dem Nationalitätenkongress in Bern
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Minderheitenrechte, sondern die eines Diplomaten, der sich auf einem schwierigen Parkett bewegt und sich dabei ziemlich unwohl fühlt. Der Spagat zwischen der Verteidigung der neuen deutschen Politik und der gleichzeitigen Kritik an derselben war mit diesen Worten jedenfalls misslungen. Kongresspräsident Wilfan nahm zwar Roths Erklärung „mit Genugtuung“ 440 zur Kenntnis. Doch angesichts der Tatsache, dass auch er in seiner Position als Präsident genau so lavierte wie Hans Otto Roth, bedeutete das wenig. „Wir müssen uns dessen bewußt sein“, erklärte er in seiner Einverständniserklärung zur Rede von Roth, „daß unsere Kongreßgemeinschaft nicht konkrete Fragen lösen und auch nicht in konkrete Situationen eingreifen kann. Sie ist deswegen doch nicht bloß eine akademische Körperschaft, unser Kongreß nicht eine zwecklose Versammlung wo nur leere Worte gemacht werden. Wir glauben, daß, wenn sich nach den letzten Ereignissen deutsche Vertreter in unserem Kreise offen und entschieden zu unseren Grundsätzen bekennen, dies keine leere Geste ist, sondern eine reelle Unterlage für weitere Arbeit. Das ist eben der Wert unserer Kongresse, und das sollten all diejenigen, in denen von Zeit zu Zeit Zweifel an der Nützlichkeit unserer Kongresse rege werden, sich vor Augen halten: das solidarische Festhalten an unseren Grundsätzen und seine Bekundung vor der Öffentlichkeit ist schon an und für sich Dienst an der Aussöhnung und Befriedung der Völker, am wirklichen Frieden unter den Völkern Europas.“441
Daraufhin folgte Beifall der Kongressteilnehmer.442 Offensichtlich wurde jedoch auch damals schon der Nutzen des Kongresses in Frage gestellt. Angesichts solcher Worte waren die jüdischen Kongressteilnehmer denn auch – zu Recht – empört. In der Sitzung am 18. September 1933 musste Wilfan mitteilen, dass die jüdischen Gruppen einen Brief an den Kongress geschrieben hatten, in dem sie mitteilten, dass sie zwar aus der Kongressgemeinschaft nicht austreten würden, dass sie aber außer Stande seien, an den Beratungen des diesjährigen Kongresses teilzunehmen. Diese Entscheidung begründeten sie damit, dass sie die in der Eröffnungssitzung abgegebene Erklärung von Hans Otto Roth nicht zufrieden stellte und dass daraus eine stillschweigende Billigung der bei der Dissimilation der Juden in Deutschland angewandten Methoden herausgelesen werden könnte443 – was ja durchaus zutraf, auch wenn man Roth angesichts seines Gespräches mit Hitler unterstellen darf, dass seine Worte so nicht gemeint waren. 440 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 4. Einverständniserklärung des Kongresspräsidenten Wilfan. 441 Ebd. 442 Sitzungsbericht. Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 4. Einverständniserklärung des Kongresspräsidenten Wilfan. 443 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 5. Erneute Stellungnahme des Präsidenten Dr. Wilfan und die Verabschiedung einer Entschließung.
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Wilfan sprach in seiner Antwort davon, wie klug es gewesen sei, dass die Kongressleitung sich von Anfang an – also schon seit 1925 – mit Zustimmung des Kongresses daran gehalten hätte, das Eingehen auf konkrete Fragen und Konflikte zu vermeiden. Es sei dies eine Enthaltung, die der Kongress sich auferlegen müsse, um „seine Gesamttätigkeit“444 nicht zu gefährden. Die jüdischen Gruppen wiederum gaben ihrem Wunsch Ausdruck, dass der Kongress in einer auch von den deutschen Gruppen gutgeheißenen Entschließung Stellung beziehe, und zwar nicht nur zu den prinzipiellen Fragen, die sich aus den Ereignissen in Deutschland ergaben, sondern auch zu den eigentlichen Ereignissen. Die Kongressleitung konnte diesem Anliegen jedoch nicht zustimmen, da es im Widerspruch zu den Prinzipien des Nationalitätenkongresses gestanden hätte. Es folgten stattdessen weitere, ganz allgemein gehaltene Verständnisbekundungen für die jüdischen Kongressteilnehmer. „Vom Standpunkt des Kongresses aus habe ich aus dieser Erklärung das Positive erfaßt, nämlich das positive, für unsere Zusammenarbeit unbedingt notwendige und vielleicht auch hinreichende Bekenntnis zu den von unseren Kongressen, unter Mittun der deutschen Gruppen, seit acht Jahren proklamierten Grundsätzen und Idealen. ... Das Wesentliche in dieser Erklärung, der ich mich anschloß, war jedenfalls das Bekenntnis zu unseren Grundsätzen. Insofern unsere jüdischen Kollegen diese positive Seite der deutschen Erklärung vielleicht nicht in vollem Maße eingeschätzt haben, dürfte ich sagen, daß ihr Brief von einer irrigen oder einer mangelhaften Voraussetzung ausgeht.“445
Es folgte Wilfans Versicherung, dass der Kongress die „gefühlsmäßige Einstellung“ der jüdischen Kollegen, die in diesem Brief „mitvibriert“, würdige.446 Wilfan beteuerte, dass man aber nicht so weit gehen könnte, wie die jüdischen Kollegen sich dies wünschten. Im weiteren Verlauf seiner Rede schien es manchmal, als würde er schließlich doch noch Worte für das Unrecht in Deutschland finden: „Es ist eine Tragödie, wenn Menschen auf einmal von der Mehrheit des Volkes sagen hören: Wir zählen euch nicht mehr zu uns, wir anerkennen euch nicht mehr als zu uns gehörend!“447 Das wären angemessene Worte gewesen, hätte Wilfan sie nicht sofort wieder faktisch zurückgenommen: „Andererseits liegt aber in diesem Nichtanerkennen wollen, in diesem Aberkennen einer bestimmten Volkszugehörigkeit, eines bestimmten nationalen Charakters bei einzelnen Individuen oder Gruppen etwas, was sich eigentlich mit dem begegnet, was unsere Kongresse seit acht Jahre als eines unserer höchsten Postulate vertreten. Denn die Einengung, die engere Präzisierung der Vorstellung, die sich ein Volk von seinem eigenen Wesen Ebd. Ebd. 446 Ebd. 447 Ebd. 444 445
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macht und die daraus sich ergebende Ausschließung von Elementen, die bisher als zu dem betreffenden Volke gehörig betrachtet wurden, auf was läuft sie eigentlich hinaus? Auf die Verneinung des vorangegangenen Prozesses, der zur früheren Erweiterung des Begriffes des betreffenden Volkes geführt hatte, auf den Versuch der Zurückschraubung der Entwicklung: im Wesen auf nichts anderes als die Ablehnung einer erfolgten Assimilation. Was ist nun das, um was unsere Kongresse seit acht Jahren wohl vor allem übrigen kämpfen, wenn nicht gerade die Ablehnung der Assimilation?“448
Solche Worte müssen angesichts der Ereignisse in Deutschland in den Ohren der jüdischen Kongressteilnehmer wie Hohn und blanker Zynismus geklungen haben. Es war nichts anderes als das völlige auf-den-Kopf-Stellen jeglichen Rechtsverständnisses. Am Ende seiner Rede stellte Präsident Wilfan einen Antrag zur Entschließung: „Im Falle der Einleitung und Durchführung nationaler Dissimilierung sollen die Freiheiten und Rechte, für die die Kongresse der europäischen Nationalitäten in ihren Kundgebungen und Beschlüssen seit Anfang eingetreten sind, unbeeinträchtigt bleiben.“449 Anschließend erteilte Wilfan Hans Otto Roth das Wort. Er und die anderen Mitglieder der deutschen Kongressteilnehmer waren von der Existenz des obigen jüdischen Briefes bislang noch nicht in Kenntnis gesetzt worden und erfuhren erst durch die Rede Wilfans von diesem. Da Roth der Wortlaut des Briefes nicht bekannt war, war es ihm nicht möglich, zu den Darlegungen der jüdischen Gruppe abschließend Stellung zu beziehen, behielt es sich aber vor, zu gegebener Zeit auf den Brief zu antworten. Dann stellte er fest: „Der tiefere Sinn der von uns am Sonnabend abgegeben Erklärung hatte gerade darin gelegen, die Grundlagen unserer Kongreßgemeinschaft ausdrücklich zu unterstreichen. Unterschiedliche Auffassungen bestimmter Begriffe haben offensichtlich zu unzutreffenden Auslegungen geführt, daher sieht sich die Leitung der deutschen Gruppen veranlaßt, folgende Feststellung zu machen: Die deutschen Gruppen haben die nationale Assimilierung von jeher auf das schärfste bekämpft. Dieser grundlegende Standpunkt schließt aus, das Recht eines Volkes auf nationale Dissimilierung in Abrede zu stellen. Wir verkennen allerdings nicht, daß die Dissimilierung an sich ein außergewöhnlicher und vielfach schmerzhafter Prozess ist und seinem Wesen nach überall und immer sein wird. Wir erachten es aber mit den Grundsätzen des Kongresses nicht für vereinbar, in nicht zu verhüllender Bezugnahme auf bestimmte Geschehnisse zur Frage der bei der Dissimilierung zu befolgenden Methoden Stellung zu nehmen. Jedenfalls sollten unserer Auffassung nach im Falle nationaler Dissimilierung diejenigen Rechte nicht berührt werden, für die der Kongress der europäischen Nationalitäten in seinen Kundgebungen und Beschlüssen seit seinem Bestehen
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eingetreten ist. Daraus ergibt sich für die deutschen Gruppen der bereits bekanntgegebene Beschluss, sich für die Grundsätze des Kongresses auch in Zukunft einzusetzen.“450
Nach diesen Ausführungen von Hans Otto Roth wurde die von Präsident Wilfan unterbreitete Entschließung mit der Zustimmung der deutschen Gruppen einstimmig angenommen. Anzumerken ist diesbezüglich, dass die deutschen Vertreter, Roth, Graebe und Hasselblatt, am folgenden Tag im Namen der deutschen Gruppen ebenfalls ein Schreiben an Präsident Wilfan richteten, in dem sie unter Berufung auf den Brief der jüdischen Gruppen erklärten: „Die deutschen Mitglieder des Kongresses haben in keiner Weise zu den in Deutschland gegen die Juden getroffenen Massnahmen Stellung genommen, sondern sich bewusst und absichtlich jeden Urteils darüber enthalten. Jede gegenteilige Behauptung widerspricht der Wahrheit. Der schwere Ernst der Auseinandersetzung zwischen dem deutschen Volke und dem Judentum verträgt keine Unklarheit.“451 Schon an diesen sprachlichen Ausführungen Roths und Wilfans ist offensichtlich, dass beide unfähig waren, mit dem Problem der Judenverfolgung angemessen umzugehen. Sie wussten, dass die Judenverfolgung Unrecht war, doch sie versteckten sich hinter Satzungen und juristischen Feinheiten und erzeugten damit genau jene Unklarheiten, die sie angeblich zu vermeiden suchten, nur um keine offene Kritik an Deutschland und seiner Regierung üben zu müssen. Prinzipientreue wurde über sittliche Verantwortung gestellt. Das war zu wenig angesichts der moralischen Autorität, die der Nationalitätenkongress beanspruchte. Am 19. September 1933 hielt der tschechische Vertreter A. Machat auf dem Nationalitätenkongress eine Rede, in der er unter anderem beklagte, dass in Deutschland auch die Polen und Sorben verfolgt würden und diese keine Möglichkeit hätten, am Kongress teilzunehmen. Präsident Wilfan unterbrach ihn und mahnte erneut, solche Fragen hier nicht zu diskutieren. Dennoch sah sich Hans Otto Roth nochmals zu einer Erklärung veranlasst. In dieser dritten Erklärung Roths vor dem Nationalitätenkongress kritisierte er zunächst einmal unterschwellig seinen Vorredner für dessen Ausführungen („wie er glaubt sagen zu sollen“452). Nochmals wiederholte Roth dann das Bekenntnis zu den Grundsätzen des Kongresses und äußerte sein Bedauern, dass tatsächlich nicht alle Minderheiten in Europa vertreten seien, wobei er auch von den „germanischen Minderheiten“ sprach, womit er die „flämische Minderheit“ in Belgien meinte. „Wenn sie hier wären, so würde es vollständig klar zum Ausdruck kommen, dass gerade wir es sind, die, fussend auf gewissen Prinzipien, die in letzter Zeit neue Formulierungen gefunden haben, nicht nur auf dem 450 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 6. Zweite Erklärung Hans Otto Roths auf dem Nationalitätenkongress in Bern. 451 Schreiben der deutschen Kongressteilnehmer an Kongresspräsidenten Wilfan vom 19. September 1933. Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 6. Zweite Erklärung Hans Otto Roths auf dem Nationalitätenkongress in Bern. 452 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 7. Dritte Erklärung Hans Otto Roths auf dem Nationalitätenkongress in Bern.
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Abb. 17 Hans Otto Roth (schreibend in der Mitte der ersten Reihe) auf dem Nationalitätenkongress
Standpunkt stehen, jede Assimilierung abzulehnen, sondern auch auf dem Standpunkt, dass es keine nationalen Staaten geben kann und darf, die aufgebaut sind auf dem Untergang und der Vernichtung anderer Volkstümer, die in ihren Staaten leben!“ 453 Diese Worte Hans Otto Roths sind schon deutlicher. Ihnen folgte großer Beifall des Kongresses. Roth führte weiter aus, dass sich gerade für Deutschland Staat und Volkstum nicht deckten, und er betonte die Bereitschaft, daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Diese Konsequenzen müssten für Deutschland gelten, ebenso aber auch für jene Staaten, in denen der „Volkstumskampf“ geführt werde. Roth betonte, dass die Grundgedanken, auf denen sich der „Volkstumskampf“ der deutschen Minderheiten ethnisch und geistig trotz einer gewissen Änderung in der Auffassung über Minderheitenrechte in keiner Weise verändert sei. „Wir kämpfen nicht für den nationalen Staat als einzige und letzte Erscheinungsform unseres Volkstums“, fuhr Hans Otto Roth im weiteren Verlauf seiner Rede fort, „sondern wir kämpfen für die Achtung der Volkssrechte in allen Staaten, wo Minderheiten leben.
Politischer Nachlass HOR/Quelle 458 II: 7. Dritte Erklärung Hans Otto Roths auf dem Nationalitätenkongress in Bern. 453
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Die selbstverständliche Folge davon ist, dass diese Grundsätze auch für diejenigen Staaten verpflichtend sind, in denen unser deutsches Volkstum führend ist!“454 Roth forderte an dieser Stelle nochmals von den Staaten, in denen Deutsche lebten, die Achtung der Volksrechte, womit er wiederum nicht nur die Freiheit in der Betätigung der Kultur, sondern die Anerkennung der Volksgruppen als juristische Personen meinte. Auch hierauf erhielt er Beifall. Roth betonte seine Überzeugung, der konsequente Volkstumskampf gelte der Gestaltung der „Volkspersönlichkeiten über die Grenzen der Staaten hinaus“455 und damit der Überwindung des eng gezogenen Nationalstaatsgedankens. Am Ende seiner Rede schloss Hans Otto Roth mit deutlichen Worten: „Was vielleicht anders ist im Vergleich zu dem, was vorher war, ist das ausgeprägte Ringen um eine neue Form für die Anerkennung der Volkstumsrechte, die wir nicht nur für uns in Anspruch nehmen, sondern mit aller Gewissenhaftigkeit entschlossen sind, auch denen zuzuerkennen, die nicht unseres Blutes sind!“456 Diesen Worten folgte nochmals großer Beifall des Kongresses. Es war gewissermaßen auch das Schlusswort, denn bald nach dieser Rede wurde der Kongress von Präsident Wilfan beendet. Für Hans Otto Roth brachte der Kongress sicherlich einen neuen Erkenntnisstand. Ihm musste die völlige Unvereinbarkeit seines Rechtsempfindens mit dem der Nationalsozialisten bewusst geworden sein, denn am 8. April 1935 legte er den Vorsitz der deutschen Volksgruppen in Europa vorzeitig nieder. „Gründe verschiedenster Art veranlassen mich dazu, das von mir bekleidete Amt als Vorsitzender schon jetzt in die Hände der Verbandsleitung zurückzulegen“457, schrieb Roth dem Verband. Ein Vorbild für Roth mag der geschäftsführende Präsident des Verbandes der deutschen Volksgruppen gewesen sein: Kurt Graebe aus Bromberg, Oberstleutnant a.D. und Mitglied des polnischen Senates, hatte sein Amt kurz zuvor – am 6. Februar 1935 – niedergelegt.458 Nach dem Zweiten Weltkrieg suchte Roth sein Verhalten auf den Nationalitätenkongress zu nutzen, um die Rechtschaffenheit seines eigenen Handelns zu belegen: „Als sich die Politik Hitler’s gegenüber den Juden sowie gegenüber den beiden christlichen Kirchen und gegenüber Österreich auch nach dem Nationalitätenkongress vom Jahr 1933 nicht änderte, legte ich den Vorsitz im Verband nieder. Mein Nachfolger im Ebd. Ebd. 456 Ebd. 457 Politischer Nachlass HOR/Quelle 289: Hans Otto Roth richtet ein Verzichtsschreiben auf den Vorsitz an den Verband der Deutschen Volksgruppen in Europa nach Berlin. 458 Politischer Nachlass HOR/Quelle 284: Bromberg/Berlin-Charlottenburg: Kurt Graebe, Oberstleutnant a.D., geschäftsführender Präsident der Deutschen Volksgruppen in Europa, benachrichtigt Hans Otto Roth über die Niederlegung seines Amtes als Präsident. 454 455
Der Verlust des kirchlichen Einflusses
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Vorsitz des Verbandes wurde der Führer der sudetendeutschen Nationalsozialisten Konrad Henlein. Der europäische Nationalitätenkongress trat nur noch einmal zusammen, um dann endgültig in der Versenkung zu verschwinden. Dämonische Kräfte bemächtigten sich des deutschen Volkes und führten in letzter Folge zu Krieg und Katastrophe. Das Gedankengut der einstigen deutschen Minderheitenpolitik aber ist von all dem unberührt geblieben. Es hat in meiner Intervention bei Hitler und in meinen Erklärungen auf dem IX. Nationalitätenkongress in Bern vielleicht zum letztenmal öffentlich Ausdruck gefunden. Gewiss, die Aktion der deutschen Minderheiten im Jahre 1933 hatte nur noch akademischen Wert. Sie stellt aber den geschichtlichen Beweis dafür dar, dass die deutsche Minderheitenpolitik den sittlichen Grundsatz der Gleichberechtigung der Völker und Rassen bis zuletzt verteidigt hat.“459
2.4 Der Verlust des kirchlichen Einflusses an den Nationalsozialismus während der Amtszeit Roths als Landeskirchenkurator Im September 1932 legte Bischof Friedrich Teutsch anlässlich seines 80. Geburtstages sein Bischofsamt nieder. Sowohl der Klingsor-Kreis als auch die „Selbsthilfe“ drängten unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Gerüchte über die bevorstehende Abdankung Teutschs darauf, dass die nächste Landeskirchenversammlung erst Anfang 1933 einberufen werden sollte, da die Bischofswahl von einer bis Ende 1932 neu zu besetzenden Kirchenvertretung460 vorgenommen werden müsste, die tatsächlich die aktuelle Meinung des Volkes repräsentierte. Zillich forderte darüber hinaus auch eine Reform der kirchlichen Wahlordnung, da sich im Ergebnis nicht der Wille des Volkes widerspiegele.461 Nach der Abdankung Teutschs am 17. September 1932 wurde die 35. Landeskirchenversammlung dann aber für den kirchenordnungsgemäßen Zeitpunkt einberufen, nämlich den 14. und 15. November 1932. Von der Zeitschrift Klingsor und der Selbsthilfe wurde dies wohl nicht zu Unrecht dahingehend gewertet, dass ihr Einfluss möglichst gering und der Einfluss der alten kirchlichen Körperschaften möglichst groß sein sollte.462 Unter der Vielzahl der Namen, die für den Bischofsposten gehandelt wurden, kristallisierten sich alsbald einige Namen heraus, denen man die größten Chancen einräumte: Der Hermannstädter Stadtpfarrer D. Friedrich Müller (*24.10.1884 in Langenthal, †1.2.1969 in Hermannstadt), der Bischofsvikar und Kronstädter Stadt459 Politischer Nachlass HOR/Quelle 496: Roth liefert eine analytische Übersicht der Minderheitenfrage und der deutschen Politik zwischen den Weltkriegen. 460 Vgl. dazu: Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 170 ff. 461 Heinrich Zillich: Die Wahl des Siebenbürgisch-sächsischen Bischofs. In: Klingsor 9 (1932), S. 289–295. Wer soll den neuen Bischof wählen? [Eingabe von Fritz Fabritius an das Landeskonsistorium vom 22. August 1932]. In: Ostdeutscher Beobachter vom 27. August 1932, S. 4. 462 Vgl. dazu: Roth, Harald: Politische Strukturen, S. 172.
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pfarrer Dr. Viktor Glondys (*7.11.1882 in Biala bei Bielitz in Schlesien, †28.10.1949 in Hermannstadt) sowie der in der nationalsozialistischen Erneuerungsbewegung aktive Pfarrer Wilhelm Staedel (*12.1.1880 in Hamruden/Siebenbürgen, †11.10.1971 in Marburg) vom Kronstädter Martinsberg. Es folgte ein erbitterter Wahlkampf und am 14. November fiel die Entscheidung dann mit 84 Stimmen auf Viktor Glondys (Müller 46; Staedel 4). Glondys wurde als Bischof zwar akzeptiert, er verfügte aber über seine spezielle Kronstädter Anhängerschaft hinaus weder unter den Konservativen noch unter den Erneuerern der Selbsthilfe oder dem Klingsor-Kreis über Unterstützung. Auch die von der 35. Landeskirchenversammlung gewählten beiden anderen obersten Kirchenvertreter standen nicht in enger Beziehung zu Glondys: Friedrich Müller wurde zum Bischofsvikar (also geistlichen Stellvertreter des Bischofs) gewählt und Hans Otto Roth zum Landeskirchenkurator, dem obersten weltlichen Vertreter der Kirche. Die Funktion des Landeskirchenkurators war in § 87 der 1926 approbierten Kirchenordnung definiert463. Der Landeskirchenkurator war als höchster weltlicher Repräsentant der Gemeinde mit der Vertretungskompetenz des Bischofs betraut. Neben vielen alltäglichen Dienstgeschäften, der Vorbereitung von Landeskonsistorial- und anderen Gremiensitzungen sowie Repräsentationsaufgaben hatte Roth den Bischof auch auf Kirchenvisitationen zu begleiten. Die Zusammenarbeit mit Bischof Glondys war dabei durchaus vertrauensvoll, allerdings nicht immer spannungsfrei.464 Die Wahl Roths zum Landeskirchenkurator erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich auch im Volksrat Kritik an seiner Politik als Sekretär des Volksrates bemerkbar machte. Nachdem Roth damit rechnen musste, in einem neuen Volksrat aufgrund der Zunahme des nationalsozialistischen Einflusses wesentlich an Einfluss zu verlieren, ist es wahrscheinlich, dass er sich diesen über die Wahl zum Landeskirchenkurator zu sichern versuchte.465 Diese Neuwahl des Landeskonsistoriums brachte keinen grundlegenden politischen Richtungswechsel, da nur ein „Erneuerer“, Dr. Alfred Pomarius, aus dem Klingsor-Kreis hineingewählt wurde. Roths Wahl bot die Möglichkeit, sowohl die kirchlichen als auch die parlamentarisch-politischen Kräfte zu bündeln und zusammenzufassen. In den traditionellen Strukturen der Siebenbürger Sachsen – der Komplementarität von ethnischer und politischer Repräsentanz und kirchlichem Handeln – war diese Kombination in der Tat vielversprechend. Allerdings stand die neue kirchliche Führungsmannschaft 1932 auch vor großen Aufgaben: Das kirchlich geführte Schulwesen musste auch weiterhin finanziell erhalten werden, die alte sächsische Nationsuniversität wurde zerschlagen und die Verwaltung von deren 463 Wien, Ulrich Andreas und Karl W. Schwarz (Hg.): Die Kirchenordnungen der Evangelischen Landeskirche A.B. in Siebenbürgen (1807–1997). Köln, Weimar, Wien 2005, S. 297 (= Schriften 30) 464 Wien, Ulrich: „Vor das Kreuz gestellt gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 28. 465 Die 35. Landeskirchenversammlung. In: Kirchliche Blätter vom 1. Dezember 1932, S. 451.
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Abb. 18 (v.l.n.r.) Landeskirchenkurator Roth, Bischof Glondys und Bischofsvikar Müller, 1932
Restvermögen musste neu organisiert werden. Besonders aber die innerdeutschen Konflikte in Rumänien aufgrund des aufsteigenden Nationalsozialismus nahmen immer mehr an Schärfe zu. Abgesehen vom generellen Problem der Finanzierung der kirchlichen Schulen, bedeutete vor allem die Zerschlagung der Nationsuniversität 1937 durch die rumänische Regierung einen neuen Schlag für die Evangelische Landeskirche. Sie als Treuhänderin erhielt nur noch ein Viertel des Vermögens der Nationsuniversität. Der große Rest wurde über den staatlich fingierten, tatsächlich aber nicht existierenden Kulturfonds Mihail Viteazul (Michael der Tapfere) der Metropolie in Hermannstadt zugeführt.466 Die Landeskirche wählte sich besonders symbolträchtige Immobilien aus, zum Beispiel das Comes-Haus und die Gebäude mit dem Archivgut des Archivs der sächsischen Nation oder auch die Ackerbauschule in Mediasch. Für den Rest des Vermögens wurden ihr zwar Staatspapiere ausgehändigt467, doch der reale Wert dieser Papiere war gering. Die Zerschlagung der Sächsischen Nationsuniversität bedeutete 466 Verhandlungsbericht über die 34. Landeskirchenversammlung 1930. S. LXXIV. Protokoll der 12. Landeskonsistoriums-Sitzung vom 30. Juni 1937, Tagesordnungspunkt 140. 467 Kirchliche Blätter 29 (1937), S. 313–314.
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also faktisch eine Enteignung. Damit war die sächsische Nationsuniversität bzw. deren Restvermögen, deren rein sächsischer Eigentumsanspruch allerdings noch aufrechterhalten wurde468, endgültig liquidiert worden. Das Restvermögen wurde als in kirchlicher Treuhänderschaft befindlicher Kulturfonds betrachtet. Die Kontrolle und die Verwaltung des Vermögens wurden einem paritätisch aus der Volksorganisation und dem Landeskonsistorium zusammengesetzten Kuratorium unter Vorsitz von Bischof Glondys übertragen. Bei der ersten Benennung des Kuratoriums gelangten neben dem Bischof, dem Bischofsvikar und Landeskirchenkurator Roth auch Gauobmann469 Wolff470 (*1897, †1971) und Otto Fritz Jickeli als „Erneuerer“ in dieses Gremium.471 Erstmals waren außerhalb kirchlicher Gremien nominierte Delegierte in einem Gremium vertreten, das über landeskirchliches Eigentum zu beschließen hatte, ohne durch innerkirchliche Entscheidungsträger legitimiert worden zu sein. Proteste wegen dieser Verletzung der Kirchenordnung verhallten ungehört.472 Mit der Konzessionsbereitschaft in der Frage der Vermögensverwaltung der Nationsuniversität war bewusst der über die Kooperationsvereinbarung vom 14. Januar 1936 hinausgehende erste Schritt getan worden, das Landeskonsistorium dem Einfluss äußerer Instanzen, nämlich dem an außerkirchlichen Maximen orientierten Willen und Machtanspruch der NS-Volksorganisation, zu öffnen und den Willen der neuen Volksorganisation als maßgeblich zu beachten.473 Die kirchlich strukturierte Jugendarbeit der Sachsen war der erste Ansatzpunkt für den nationalsozialistisch geprägten Einbruch in traditionell kirchliche Arbeitsfelder.474 Friedrich Müller: Die geschichtlichen Rechtsgrundlagen der sächsischen Nationsuniversität in Siebenbürgen und ihres Vermögens, S. 2 und S. 25. Erwin Wittstock: Die Liquidierung des sächsischen Nationalvermögens und die Enteignung der Sieben-Richter-Waldungen, S. 47. 469 Etwa seit 1935 änderten sich die Amtsbezeichnungen der politischen Repräsentanten der deutschen Minderheiten in Rumänien ständig. Dr. Helmut Wolff übernahm das Amt des Volksratspräsidenten von Otto Fritz Jickeli im Juni 1935, wurde aber bald nur noch als Gauobmann bezeichnet. Wien, Ulrich: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich dem Gebot der Pflicht!“, S. 11. 470 Dr. Helmut Wolff (1897–1971): Sohn des Schäßburger Stadtpfarrers Johann Wolff war ein großer Befürworter des Nationalsozialismus. Als Stellvertreter von Landeskirchenkurator Hans Otto Roth betrieb er mit Geschick die Unterwanderung der Landeskirchenführung durch die Nationalsozialisten. So wurde Bischof Glondys ab 1938 fast nur noch zu einem Statisten degradiert. Politischer Nachlass HOR/Quelle 295. Fußnote. 471 Protokoll der 20. Landeskonsistoriumssitzung vom 24. September 1937, Tagesordnungspunkt 241. 472 Protokoll der 18. Landeskonsistoriums-Sitzung vom 20. Mai 1937, Tagesordnungspunkt 231. 473 Wien, Ulrich: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 45 474 Protokoll der 10. Landeskonsistoriums-Sitzung vom 6. Juli 1933, Tagesordnungspunkt 114. Protokoll der 4. Landeskonsistoriumssitzung vom 13. Februar 1936, Tagesordnungspunkt 52. Protokoll der 19. Landeskonsistoriums-Sitzung vom 24. September 1937, Tagesordnungspunkt 233. Wilhelm Staedel: Um unsere Jugend. In: Kirchliche Blätter 26 (1934), S. 201–204. Fritz Cloos: 468
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Zwar wurde mit den beachtlichen gemeinnützigen Leistungen in den Arbeitslagern (mit fester Lagerverordnung und straffer Disziplin) viel Aufsehen erregt475, realistischerweise wird aber der Erfassungsgrad der Jugendlichen in den Arbeitslagern bis zu deren Verbot 1934 durch die rumänische Regierung auf anfänglich nur ein bis drei, später auf über fünf Prozent geschätzt.476 Diese wenigen übten jedoch eine Art Multiplikatorenfunktion aus, was eine allgemein fortschreitende Umorientierung innerhalb der siebenbürgisch-sächsischen Gesellschaft bewirkte und zu einem Verlust kirchlicher Integrationsleistung führte.477 Doch verlief die kirchenpolitische Entwicklung in der evangelischen Landeskirche in Rumänien in den 1930er Jahren nicht geradlinig. Insbesondere die Frage der Jugendarbeit beherrschte die Gemüter der Kirchenleitung und der Pfarrerschaft.478 Aus dieser Motivation heraus kam es zu unterschiedlichen Handlungsoptionen. Einerseits engagierten sich Pfarrer und Lehrer in der nationalsozialistischen Erneuerungsbewegung, um diese auf dem Pfad christlicher Tugend zu halten und antiklerikaler Agitation und Propaganda entgegenzuwirken. Einen Mittelweg suchte der Kronstädter Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel (1892–1965) durch die Einführung sogenannter „Konfirmanden-Arbeitslager“479 aufzuzeigen. Eine dritte Gruppe orientierte sich mehr an der traditionellen Jugendarbeit mit der konfirmierten, schulentlassenen Jugend in der im ländlichen Bereich obligatorischen Fortbildungsschule. Diese waren stark schulpädagogisch ausgerichtet und zielten auf die Vermittlung von Moral und lebens- und berufsorientierten Kenntnissen hin. Die Jugendarbeit hingegen war meist ungesellig. Die Attraktivität hing daher besonders vom Geschick der sie leitenden Pfarrer, Prediger oder Lehrer ab.480 Einen in inhaltlicher und pädagogischer Hinsicht erneuten Handlungsbedarf bei der seit der reformpädagogischen Öffnung „Arbeitsgemeinschaften der konfirmierten Jugend“ genannten Einrichtung erkannte der Pfarrverein im Sommer 1936. Eine Gruppe aus acht jungen Pfarrern481, Zur Jugendfrage. In: Kirchliche Blätter 27 (1935), S. 119–120. Fritz Cloos: Zur praktischen Jugendarbeit. In: Kirchliche Blätter 27 (1935), S. 151–153. 475 Kirchliche Blätter 24 (1932), S. 328–330. Kirchliche Blätter 25 (1933), S. 181, 190–191 und 493–494. 476 Wenn man die Zahl der konfirmierten Fortbildungsschüler (plus einiger hundert Gymnasiasten und Studenten) durch die Zahl der Arbeitslagerteilnehmer dividiert, kommt man zu diesem Ergebnis. Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 31. 477 Konrad Möckel: Die Sektenfrage. In: Kirchliche Blätter 25 (1933), S. 367–369 und 379– 383. 478 Tagebuch Glondys, S. 204. 479 Kirchliche Blätter 27 (1935), S. 222–223. Möckel, Andreas: Umkämpfte Volkskirche: Leben und Wirken des evangelisch-sächsischen Pfarrers Konrad Möckel (1892–1965). Köln, Weimar, Wien 2011, S. 145–147. 480 Walter König: Das Schulwesen der Siebenbürger Sachsen in der Zwischenkriegszeit. In: Ders. (Hg.): Siebenbürgen zwischen den beiden Weltkriegen (Sieb. Arch. 28). Köln, Weimar, Wien 1994, S. 265–299. 481 Tagebuch Glondys, S. 201.
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die vom „geistlichen Arbeitslager“ in Freck und Klosdorf geprägt waren, erarbeitete auf einer Klausurtagung in Klosdorf und in enger Abstimmung mit Bischof Glondys482 ein neues, nur bedingt ideologiekritisches Konzept mit umfangreichen Materialsammlungen, die in fünf „Jugendschulungsheften“ 1936/37 publiziert wurden.483 Eine dazu stark kontrastierende Richtung repräsentierte die Bukaresterin Thea Constantinidis, die eine bekenntniskirchlich, am Berlin-Dahlemer Burkardhaus orientierte Konzeption evangelischer Jugendarbeit vorstellte. Ihr wurde sowohl in den Kirchlichen Blättern als auch beim Allgemeinen Frauenverein ein Forum geboten.484 Insbesondere jedoch die Leitung des Deutsch-sächsischen Jugendbundes um Dr. Alfred Bonfert und Pfarrer Wilhelm Staedel setzten ihre Bemühungen um den Aufbau einer nationalsozialistischen Jugendarbeit fort. Bischof Glondys hatte in einem Erlass empfohlen, die kirchliche Jugendarbeit auch geselligen Formen zu öffnen485, was Staedel öffentlich kritisierte, weil er im Abkopieren attraktiver Jugendarbeitsmodelle ein Konkurrenzverhalten und den Versuch sah, dem Jugendbund „den Wind aus den Segeln zu nehmen.“486 Dennoch ernannte Glondys auf Wunsch einer Deputation sächsischer Jugendvertreter – unter Vorbehalt – den in der Jugend beliebten und verankerten Pfarrer Wilhelm Staedel zum landeskirchlichen Jugendpfarrer.487 Gegen seine schriftlich abgegebenen Garantien488 verstieß Staedel allerdings bereits nach wenigen Wochen und bekannte sich im November 1935 ausdrücklich zu Bonfert und der nationalsozialistisch orientierte Deutsche Volkspartei in Rumänien (DVR).489 Aufgrund parteipolitischer Indoktrination, Illoyalität, Kompetenzanmaßung und öffentlicher Diffamierung des Bischofs enthob ihn Glondys schließlich wieder seiner Position als Jugendpfarrer.490 Staedels Loyalität zu dem Kreis um die radikalen Nationalsozialisten Dr. Alfred Bonfert, Dr. Waldemar Gust, Herwart Scheiner (Staedels Schwager), Friedrich Cloos und Winfried Schenker war stärker als seine Bindung an die Landeskirche. Die sich gegenseitig ausschließenden politischen und kirchlichen Interessen waren so entgegengesetzt, dass auch ohne Loyalitätspräferenzen Staedels die Integration beider miteinander um die Gesamtheit der Jugend konkurrierender Seiten zu diesem Zeitpunkt aussichtslos war: Einerseits eine säkulare, an der national Ebd., S. 263. Hermann Rehner: Jugendschulungshefte. In: Kirchliche Blätter 28 (1936), S. 535–538. 484 Kirchliche Blätter 29 (1937), S. 590–592. 485 Kirchliche Blätter 26 (1934), S. 246–248. 486 Tagebuch Glondys, S. 119. 487 Diese Forderung hatte kurz zuvor auch schon Cloos schriftlich fixiert; vgl. dazu Friedrich Cloos: Zur praktischen Jugendarbeit. In: Kirchliche Blätter 27 (1935), S. 151–153. 488 Tagebuch Glondys, S. 183–184. 489 Miege, Wolfgang: Das Dritte Reich und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1933– 1938. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Volkstumspolitik. S. 200. 490 Tagebuch Glondys, S. 189. 482 483
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sozialistischen Ideologie und am Führerprinzip orientierte, von kirchlicher Bevormundung befreite und vom christlichen Gedankengut unauffällig entkleidete, einheitlich gelenkte, „völkisch“ orientierte Jugendorganisation491 und andererseits die von volksmissionarischer Vereinnahmungsabsicht getragene, auf die Erhaltung der kirchlichen Einflusssphäre in den Bruder- und Schwesterschaften, der Fortbildungsschule und in den neu geschaffenen Schulwandergruppen ausgerichtete Motivation. Die Landeskirche musste erkennen, dass das bisher geltende kirchliche Monopol in der Jugendarbeit systematisch aufgeweicht und aufgehoben wurde. Das Heraushalten der Jugend aus der Politik war veraltet. Nach Ablauf der Amtsperiode des bis 1938 gewählten konservativen Landeskonsistoriums gestand Glondys zu, dass die überkonfessionelle Volksgemeinschaft die gesamte siebenbürgisch-sächsische Jugend zusammenfassen sollte, dass aber selbstverständlich, wie bisher immer wieder versichert, auch der Kirche die Möglichkeit religiöser Jugenderziehung zugestanden werden sollte.492 Noch vor der Installierung der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ im Jahre 1940 hatte sich die Kirchenleitung also bereit gefunden, sich in der Jugendarbeit ganz in den religiösen Bereich zurückzuziehen. Umso wichtiger wäre es nun für die Erhaltung des Einflusses der Kirche gewesen, insbesondere die Schulen unter kirchlicher Leitung zu behalten. Doch auch hier zeichneten sich die von den Rumäniendeutschen seit eh und je angestrebten Lösungen erst unter dem Druck des immer stärker werdenden Deutschlands ab.493 So wurde beispielsweise die rumänische Bakkalaureatsprüfungsordnung (Abiturprüfung) aus dem Jahre 1925 – gegen die auch Hans Otto Roth heftig interveniert hatte494 – erst im Sommer 1939 wieder geändert: Jetzt konnten die rumäniendeutschen Schüler in den wissenschaftlichen Fächern wieder in deutscher Sprache geprüft werden. Drei Kommissionen prüften nun in Bukarest, Hermannstadt und Kronstadt.495 In den Jahren 1939/1940 wurde dann von Rumänien eine ganze Reihe von politischen Forderungen erfüllt: Die Aufnahmemöglichkeit von reichsdeutschen Schülern, das Recht zur Erstellung von eigenen Lehrplänen, Unterrichtung von Geschichte und Erdkunde in deutscher Sprache und Deutsch als Prüfungssprache. Dieses ausschließliche Nachgeben der rumänischen Regierung unter Druck von Außen spielte den Nationalsozialisten in die Hände.496 Auf diese Weise wurde zwischen der nationalsozialistischen Idee und den Erfolgen eine Verknüpfung hergestellt, die es den Nationalsozialisten nun rasch erlaubte, parallel zu „ihren Erfolgen“ auch Cloos, Friedrich: Zur praktischen Jugendarbeit. In: Kirchliche Blätter 27 (1935), S. 151–
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Tagebuch Glondys, S. 289. König, Walter: Das Schulwesen der Siebenbürger Sachsen in der Zwischenkriegszeit, S. 286. 494 Vgl. Politischer Nachlass HOR/Quellen 68, 69, 72, 75; 495 König, Walter: Das Schulwesen der Siebenbürger Sachsen in der Zwischenkriegszeit, S. 292. – Wien, Ulrich Andreas: Die landeskirchliche Schulpolitik. In: Ders.: Resonanz und Widerspruch, Bd. I. Erlangen 2012. 496 Vgl. dazu auch König: Ebd., S. 296. 492 493
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ihre Ideologie mehr und mehr durchzusetzen. So beschloss das Hermannstädter Presbyterium im Oktober 1939, jüdische Kinder/Schüler nicht mehr in den Schulen neu einschreiben zu lassen.497 Hinzu kam der Beschluss über ein Verbot, Zeugnisse oder Matrikelauszüge an Juden beziehungsweise an im Ausland lebende Ausländer auszuhändigen.498 Das maßgebliche Problem, das in den 1930er Jahren alle rumäniendeutschen Führungspersönlichkeiten bewegte, waren aber nicht mehr die Schulfrage oder die Enteignung der Nationsuniversität, es war vielmehr die Auseinandersetzung mit dem aufstrebenden Nationalsozialismus. Schon gleich nach dem 5. Sachsentag vom 1. Oktober 1933 – bei dem die NSDR von Fritz Fabritius die absolute Mehrheit errungen hatte – setzte auch in der rumänischen Öffentlichkeit eine besonders heftige Kritik an der Betätigung der „Erneuerungsbewegung“ ein. Der damalige rumänische Ministerpräsident Vaida-Voivod499, der aus einer gewissen Sympathie für den Rechtsradikalismus der Jugend diesen stillschweigend geduldet, ja in mancher Hinsicht sogar aktiv gefördert hatte, äußerte sich nach dem besonders auffälligen und geräuschvollen Auftreten der damaligen NSDR am Sachsentag gegenüber Hans Otto Roth dahingehend, dass er diese nationalistischen Zustände nicht weiter dulden könne und daher gezwungen sein werde, Gewalt anzuwenden, wenn diesem Treiben nicht aus sächsischer Initiative Einhalt geboten werde. Der Ministerpräsident bat Roth, in diesem Sinne alles Notwendige zu veranlassen.500 Am 9. November 1933 erfolgte der Sturz der nationalzaranistischen Regierung Rumäniens und die Liberalen gelangten wieder an die Macht. Dies bedeutete eine eindeutige Wendung in der Politik. Anstelle der bisherigen Duldung des sächsischen Rechtsradikalismus trat nun eine Politik, deren Kurs scharf gegen rechts gerichtet war. Die Auswirkungen dieser Kursänderung bekamen auch die Rumäniendeutschen bald zu spüren. Der rumänische Ministerrat sprach am 29. November 1933 die Auflösung der NSDR aus. Durch Interventionen bei der Regierung in Bukarest gelang es den sächsischen Politikern schließlich aber, die drohende Auflösung der „Erneuerungsbewegung“ zu vermeiden, da gerade die konservativen sächsischen Politiker noch ganz im alten Grundsatz der sächsischen Ablehnung von äußeren Eingriffen in ihre inneren Angelegenheiten verwurzelt waren. So vertrat auch Hans Otto Roth die Auffassung, dass dies eine innersächsische Angelegenheit sei, in die man sich von außen nicht einmischen dürfte. Bei einer Unterredung Roths mit 497 XIII. Protokoll des Hermannstädter Presbyteriums vom 4. Oktober 1939 (Protokoll Zeichen 2565/1939). 498 Ebd. (Pr.Z. 28/1940). Vgl. auch Kirchliche Blätter 32 (1940), S. 483. Protokoll des Presbyteriums vom 2. Oktober 1940. 499 Rumänischer Ministerpräsident vom 14. Januar bis 9. November 1933. 500 Politischer Nachlass HOR/Quelle 258: 9. Juli 1934, Mediasch: Protokoll der Sitzung der Einheitsbewegung. Vortrag von Hans Otto Roth.
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Ministerpräsident Tătărescu501 im Februar 1934, stellte dieser an Hans Otto Roth die Frage, ob er die NEDR (Anfang 1934 änderte die NSDR ihren Namen in „Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien“, NEDR, um) auflösen sollte, ihre Zeitungen einstellen und ihre Versammlungen verbieten sollte. Hans Otto Roth antwortet darauf hin mit einem klaren Nein.502 Roth erklärte, dass die Mitglieder der NEDR ebenso staatstreu seien wie die anderen Rumäniendeutschen auch, und dass es sich hier nur um eine „innervölkische“ Auseinandersetzung – gewissermaßen um eine Familienangelegenheit – handelte, in die von außen niemand hineinreden dürfte. Roth vertrat die Position, dass jeder gewaltsame Eingriff nur dazu beitragen würde, die innere Entwicklung der Rumäniendeutschen störend zu beeinflussen. Auch bei anderen Gelegenheiten lehnte Roth die angedachten Regierungsmaßnahmen gegen die NEDR entschieden ab. Die unter Führung von Dr. Gust stehenden radikalen Elemente begannen nun aber mit einem gegen alle offiziellen politischen Führer der Rumäniendeutschen gerichteten Verleumdungsfeldzug. Alle Parlamentarier wurden systematisch angegriffen und in übelster Weise aller möglichen Vergehen verdächtigt. Dieses hemmungslose Wüten der radikalen Nationalsozialisten machte dann auch vor dem Bischofsamt nicht mehr halt. Allerdings konnte sich aufgrund der schlichten Tatsache, dass Siebenbürgen nicht Teil des Deutschen Reiches war und damit auch Hitlers direktem Zugriff entzogen war, die alte konservative Führungselite um Bischof Glondys und Landeskirchenkurator Hans Otto Roth relativ lange gegen die nationalsozialistischen „Revolutionäre“ behaupten. Gleich nach der Erringung der Mehrheit im Volksrat durch die „Nationalsozialistische Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien“ (NEDR) kam es zu einem ersten Eklat bei der Sitzung am 22. Januar 1934. Auf einer Volksratssitzung versuchte Bischof Glondys, die rivalisierenden Gruppen von NEDR unter Waldemar Gust und den Konservativen unter Hans Otto Roth zu mäßigen, wurde dann aber von Gust durch Zwischenrufe massiv gestört. Daraufhin verließen Glondys und die Mehrheit des Volksrates den Saal. Der Schäßburger Bürgermeister Dr. Seiwerth hatte nach dem dramatischen Auszug der konservativen Volksratsmitglieder die noch verbliebenen Nationalsozialisten als Jakobinerpack tituliert, während Hans Otto Roth schon beim Verlassen des Saales – in Anspielung auf Pfarrer Staedel – rief: „Ist ein evangelischer Pfarrer hier?“503 501 Gheorge Tătărescu – Ministerpräsident Rumäniens vom 5. Januar 1934 bis 29. August 1936 und nochmals vom 5. Januar bis 28. Dezember 1937, wobei er gleichzeitig auch verschiedene Ministerposten innehatte. Er war auch Botschafter in Paris (9. Dezember 1938 bis 30. August 1939) und anschließend erneut Ministerpräsident vom 24. November 1939 bis 4. Juli 1940. 502 Politischer Nachlass HOR/Quelle 258: 9. Juli 1934, Mediasch: Protokoll der Sitzung der Einheitsbewegung. Vortrag von Hans Otto Roth. 503 Tagebuch Glondys, S. 86. Seitenhieb auf Pfarrer Staedel.
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Dieser Zwischenfall war dann der Start zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den Nationalsozialisten und der evangelischen Kirche. Roth organisierte nun im Kirchenvolk und unter den Konservativen einen ersten massiven Protest gegen die rumäniendeutschen NS-Führer. Er nutzte die Gelegenheit, der NEDR eine erste moralische Niederlage und eine politische Demütigung beizubringen. Empörungs- und Solidaritätsadressen zugunsten des Bischofs gingen ein, in Hermannstadt fand sogar ein demonstrativer Solidaritäts-Fackelzug statt. Des Weiteren wurde ein umfangmäßig einer Normalausgabe des SiebenbürgischDeutschen Tageblatts entsprechendes Flugblatt publiziert, das diese Solidaritätskundgebungen veröffentlichte und eine zweiseitige „Klarstellung der Lage“ von Bischof Glondys enthielt. Trotz des Abratens von Bischofsvikar Müller und trotz der Bedenken von Hans Otto Roth504 nahm Glondys in diesem Flugblatt Bezug auf das bislang geheim gehaltene Dienstbuch der NEDR und zitierte daraus einschlägige Passagen.505 Der öffentlichkeitswirksame Effekt, den Glondys beabsichtigt hatte, trat auch tatsächlich ein: Die NEDR-Führung steckte zurück506 und traf mit der Landeskirche am 16. März 1934 eine Abmachung, in der sie sich schriftlich verpflichtete, das Führerprinzip bei kirchlichen Angestellten nicht zur Anwendung zu bringen, sondern die Bestimmungen der Kirchenordnung vorbehaltlos anzuerkennen.507 Die NEDR-Führung musste notgedrungen dieses taktische Manöver vollzie Tagebuch Glondys, S. 96 f. Viktor Glondys: Zur Klarstellung der Lage. Ein Wort an alle Sachsen (Hermannstadt, 24. Februar 1934), S. 2: „Auf Seite 81 des Dienstbuches der NEDR heißt es: ,Entscheidend ist, daß jedes im Vollbesitz seiner freien Entschlußkraft befindliche Mitglied dieser Gemeinschaft ganz oder teilweise auf sein Selbstbestimmungsrecht zugunsten des Voranschreitenden – also des Führers – verzichtet und sich ihm unterordnet in dem Glauben und Vertrauen, daß jener über bessere Wegkenntnis, höhere Einsicht und größere Fähigkeiten verfüge als der Verzichtende selbst.‘ Ich bemerke hierzu, daß ich dem Herrn Fritz Fabritius gegenüber diesen Glauben und dieses Vertrauen durchaus nicht besitze. Es würde wohl auch dem sächsischen Volk seltsam vorkommen, wenn der Bischof der Landeskirche dem Herrn Fritz Fabritius gegenüber sich in solchem Glauben und Vertrauen zu unbedingtem Gehorsam verpflichtete.“ Widerspruch zur Bewegung erweise in deren Augen die Gegnerschaft; Gegner aber müssten nach Meinung der NS-Exponenten bis zur völligen Beseitigung bekämpft werden.“ Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 35. 506 Kirchliche Blätter 26 (1934), S. 127. Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 35. 507 Diese Vereinbarung wurde in den Kirchlichen Blättern 26 (1934), S. 130 f. veröffentlicht: Z 1486/1934. Rundschreiben an alle Bezirkskonsistorien, Presbyterien (Kirchenräte), Pfarrämter, an das Diasporapfarramt, sowie an die Leitungen aller Schulanstalten – betr. Mitteilung der Vereinbarung zwischen dem Landeskonsistorium und der NEDR. Zwischen dem Landeskonsistorium der evang. Kirche A. B. in Rumänien und dem Präsidenten der NEDR ist am 16. März 1934 eine Vereinbarung geschlossen worden, deren Wortlaut hiermit allen kirchlichen Behörden und Ämtern und allen Schulanstalten mitgeteilt wird: 504 505
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hen, tatsächlich waren die Nationalsozialisten aber weder vor noch nach dem staatlichen Verbot der NEDR am 4. Juli 1934 an der Vertragserfüllung interessiert.508 Trotz der die NEDR demütigenden Teil-Annulierungen des Führerprinzips hatte die Kirchenleitung durch die gegenseitige schriftliche Vereinbarung die Erneuerungsbewegung als anerkannten Verhandlungspartner zugleich diplomatisch aufgewertet. Dies war zunächst einmal schon prinzipiell ungewöhnlich. Erstmals hatte das Landeskonsistorium sich dazu bereit gefunden, mit dem innersächsischen politischen Gegner von gleich zu gleich zu verhandeln und eine programmatische Erklärung zu unterzeichnen. Außerdem war es überhaupt ungewöhnlich und politisch riskant, mit einer durch eine Schonfrist bis zum 1. Juli 1934 nur vorläufig geduldeten, extremis „Von dem Willen geleitet, der Rechtslage der evang. Kirche A. B. in Rumänien voll Rechnung zu tragen, erklärt sich die Leitung der NEDR zur Anerkennung der nachfolgenden grundsätzlichen Forderungen der evang. Kirche A. B. in Rumänien bereit und schließt auf dieser Grundlage nachfolgende bindende Vereinbarung: Die NEDR verpflichtet sich, wissentlich an die Mitglieder der evang. Landeskirche A. B. in Rumänien keine Forderungen zu richten, die mit der kirchlichen Verkündigung oder mit den aus der Kirchenordnung und den Vorschriften der evang. Landeskirche A. B. in Rumänien fließenden Verpflichtungen in Widerspruch stehen. Sollte sie es unwissentlich tun, so verpflichtet sie sich, eine solche Verfügung sofort rückgängig zu machen, sobald sie darauf aufmerksam gemacht wurde. Die Leitung der NEDR verzichtet daher auf die Anwendung des Führerprinzips im Sinne der Berechtigung, bindende Anordnungen für die Mitglieder der evang. Landeskirche A. B. in Rumänien in allen Dingen, die durch die Vorschriften dieser Kirche geordnet werden, zu treffen. Soweit die Leiter der NEDR selbst Mitglieder der ev. Landeskirche A. B. in Rumänien sind, erkennen sie die Kirchenordnung und die Vorschriften dieser Kirche für sich als verbindlich an. Alle Angestellten der evang. Landeskirche A. B. in Rumänien, die Mitglieder der NEDR sind, haben eine schriftliche Erklärung abzugeben, dass sie Anordnungen, die im Widerspruch mit der vorliegenden Vereinbarung mit der NEDR stehen, für sich nicht anerkennen, sondern als unwirksam ansehen. Die NEDR wird innerhalb ihrer Jugendorganisationen streng darauf achten, daß kein Verstoß gegen die Bestimmungen der Satzungen der Bruder- und Schwesterschaften der evang. Landeskirche A. B., im Besonderen des § 2 und § 8 dieser Satzung geschehe, wird dafür sorgen, daß keine Untergrabung der kirchlichen Autorität vorkomme[,] und wird streng vermeiden, daß die Jugend in den politischen Tageskampf einbezogen werde. Diese Verpflichtung bezieht sich auf die Mitglieder der schulentlassenen evang. Jugend bis zur erlangten gesetzlichen politischen Wahlfähigkeit bezw. Mündigkeit. Der Einflußnahme auf die schulpflichtige Jugend wird sich die NEDR überhaupt enthalten. Das auf die geistige Formung der Jugend bezügliche Schulungsmaterial wird die Leitung der NEDR der kirchlichen Oberbehörde rechtzeitig zur Einsichtnahme zugänglich machen. Um die NEDR instand zu setzen, die Gesichtspunkte kennen zu lernen, unter denen die Kirche die Jugendbildung anstrebt, wird die Kirche das von ihr für die kirchliche Jugendpflege bestimmte Material der Leitung der NEDR zur Verfügung stellen. Die NEDR verpflichtet sich, vom Augenblick des Abschlusses dieser Vereinbarung an nach den obigen Grundsätzen vorzugehen und alle Verfügungen, die die Belange der Kirche berühren könnten, der Kirchenleitung zur Einsichtnahme vorzulegen. Alle bisher von der NEDR getroffenen Verfügungen, die im Gegensatz zu den im obigen Übereinkommen enthaltenen Bestrebungen stehen, wird die NEDR sofort außer Kraft setzen. ...“ Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 36. 508 Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 36.
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tischen, politischen Formation eine Vertragsbeziehung einzugehen. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wurde die politische Unverdächtigkeit des Landeskonsistoriums nun vielfach ebenso angezweifelt, wie die der politischen (konservativen) Repräsentanten der Siebenbürger Sachsen, wie Glondys mehrfach in seinem Tagebuch anmerkte.509 Parallel zum kirchlichen Protest gründete Hans Otto Roth mit seinen konservativen Gesinnungsgenossen am 4. März 1934 die sogenannte „Einheitsbewegung.“510 In seiner Doppelfunktion als Volkspolitiker wie auch als Kirchenpolitiker versuchte er, die NEDR gleichsam in einen Zweifrontenkrieg zu verwickeln. Diese Doppelstrategie gegenüber der NEDR – einerseits die Zähmung durch das NEDRKirche-Abkommen unter Inkaufnahme diplomatischer Aufwertung und andererseits die Marginalisierung durch den persönlich gesteuerten Zweifrontenkonflikt – schloss auch sich teilweise widersprechende Absichten und Verhaltensweisen ein. Die verhängnisvollen Auswirkungen dieser innerdeutschen Streitigkeiten blieben aber nicht aus: Die rumäniendeutsche Position gegenüber der Regierung in Bukarest wurde aufgrund der eigenen Uneinigkeit in einem nie dagewesenen Ausmaß geschwächt. Die NEDR wurde fortan von der rumänischen Regierung für die Ablehnung rumäniendeutscher Forderungen als Begründung herangezogen.511 Seitens der rumänischen Regierung wurde dabei betont, dass die Arbeit der NEDR eines Tages mit Sicherheit zu einer Kluft zwischen Rumänen und Sachsen führen werde. Roth bat den Ministerpräsidenten, dies auch den Führern der NEDR mitzuteilen und tatsächlich wurden die Herren Dörr, Hedrich und Gust zu Tătărescu geladen.Was bei dieser Unterredung dann tatsächlich besprochen wurde, ist nicht ganz klar, denn die drei Nationalsozialisten bewahrten darüber eisiges Schweigen.512 Roth erwähnte jedoch, dass Dörr ihm nach der erfolgten Auflösung der NEDR mitgeteilt hatte, Tătărescu habe versichert, die Auflösung der NEDR würde unterbleiben, wenn eine im großen Stil aufgezogene „Ergebenheitskundgebung“ der Partei erfolgen würde. Diese „Ergebenheitskundgebung“ der NEDR fand dann am 24. Juni 1934 in Kronstadt tatsächlich statt. Es war ein in der Geschichte der Sachsen einzigartiges Ereignis. Hans Otto Roth bezeichnete sie als eine „in der sächsischen Geschichte beispiellose Erniedrigung, die aus einem unglaublichen Byzantinismus und aus einem tieftraurigen Mangel an Gefühl für nationale Würde entsprungen ist“513 und er analysierte sofort die sich daraus ergebenden Konsequenzen: Sie sei „nicht wieder wegzuwischen und wird unser Volk auf lange Zeit hin politisch schwerstens belasten.“514 Tatsächlich Tagebuch Glondys, S. 91, 200 und 285. Vgl. SDT vom 7. März 1934, das über die Gründungsversammlung in Neustadt/Burzenland am 4. März 1934 unter Beteiligung von 1500 Personen berichtet. Vgl. Anhang 8: Das Bistritzer Programm der Einheitsbewegung. 511 Ebd. 512 Ebd. 513 Ebd. 514 Ebd. 509 510
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gab es gute Gründe für die sächsische Führung, diese auch rein formal gegen das sächsische Volksprogramm verstoßende politische Sonderaktion der NEDR scharf zu kritisieren. Diese Kundgebung hatte die Rumäniendeutschen sowohl gegenüber den Magyaren als auch gegenüber den Rumänen in eine schlechte Lage gebracht, weil die Sachsen mit dieser Kundgebung erneut Partei für Rumänien und gegen die Ungarn ergriffen und weil die Anbiederung an Rumänien und der folgende neuerliche innersächsische Streit von der rumänischen Regierung als ein Zeichen der Schwäche gewertet werden musste. Das war den NEDR-Führern allerdings weniger wichtig als ihre gleich im Anschluss an diese Kundgebung erklärte Kampfansage an die alte sächsische Führung. Zunächst schien die Rechnung der NEDR aufzugehen. Noch im Juni 1934 erklärte Staatsminister Lapedatu, dass die NEDR nicht aufgelöst werden sollte. Doch die Meinung der Regierung änderte sich – wie so oft – schnell, und als Roth am 2. Juli von einer Auslandsreise zurückkehrte, empfing ihn Lapedatu mit der Erklärung, dass es jetzt nötig sei, die Auflösung der NEDR auszusprechen. Dies begründete er gegenüber Roth mit den Ereignissen in Deutschland vom 30. Juni 1934 (Röhm Putsch). Diese Ereignisse hätten auf die rumänische Bevölkerung dahingehend einen großen Eindruck gemacht, dass sie sich nun gegen die Methoden des Nationalsozialismus wenden würde. Daraus ergebe sich für die Regierung die Notwendigkeit, die Auflösung der NEDR auszusprechen. Offiziell wurde das Verbot mit drei Argumenten begründet: Geheime Statuten/Dienstbücher seien vorhanden, die Mitglieder der NEDR seien in ihrer Gewissensfreiheit beschränkt, was gegen die Verfassung verstoße, und die NEDR störe durch ihre herausfordernden Manifestationen und durch ihr Auftreten das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung. Lapedatu betonte dabei, dass die Regierung wegen dieser Sache nicht in Konflikt mit dem deutschen Volk in Rumänien kommen wollte, sondern die Auflösung der NEDR sogar – wenn möglich – in gegenseitigem Einvernehmen vornehmen wollte.515 Das war jetzt aber nicht mehr so leicht möglich, denn nach der großen Ergebenheitskundgebung war ein solches Verbot moralisch nicht mehr recht zu begründen und musste zwangsläufig zu einer Solidarisierung weiter Kreise der Rumäniendeutschen mit der NEDR führen. Insofern muss an dieser Stelle auch die inkonsequente rumänische Politik kritisiert werden. Die NEDR-Spitze konnte das Verbot jetzt unschwer und glaubhaft als einen „schweren Schlag gegen das gesamte Deutschtum“ in Rumänien darstellen: „In Rumänien hat die liberale frankophile Regierung zu einem schweren SCHLAG GEGEN DAS DEUTSCHTUM ausgeholt. Sie hat die Organisationen der Nationalen Erneuerungsbewegung der Deutschen, die auf nationalsozialistischer Grundlage eine Volksgemeinschaft aller deutschen Stämme in Rumänien herbeiführte, verboten. Und Politischer Nachlass HOR/Quelle 258: 9. Juli 1934, Mediasch: Protokoll der Sitzung der Einheitsbewegung. Vortrag von Hans Otto Roth. 515
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dies, obwohl die NEDR kürzlich erst in einer grossen Kundgebung den entschlossenen Widerstand der Deutschen gegen alle Revisionsgelüste Ungarns proklamiert hatte. Dass die in fremdem Solde stehende rumänische Regierung, gegen die Interessen ihres eigenen Landes handelnd, französische Aufträge ausführt, mag zunächst ihre eigene Angelegenheit sein. Für Deutschland ist die Frage beachtenswert, weil dabei ,deutsche‘ Reaktionäre und Zentrums-Machenschaften eine Rolle gespielt haben. Es ist seit langem ein offenes Geheimnis, dass im Bereich des Auslandsdeutschtums BOLLWERKE DER REAKTION gegen das neue Reich errichtet worden sind, in trauter Zusammenarbeit gewisser Zentrumsemmissäre mit der Wiener Regierung und jener volksfeindlichen reaktionären Richtung, die sich um den ,deutschen‘ Abgeordneten im rumänischen Parlament, Hans Otto Roth, gruppiert. Diese Leute dürften bei der deutschfeindlichen Aktion der bukarester Regierung mitgespielt haben. Ein Beitrag zur Erläuterung der Methoden, die im Weltkampf gegen das Deutschtum angewandt werden.“516
Hierbei ist es interessant zu sehen, wie schnell die Nationalsozialisten nicht in der rumänischen Regierung, sondern in Hans Otto Roth ihren Hauptfeind gefunden hatten. Es war ganz offensichtlich dieser Mann, der ihnen bei ihrem Durchmarsch an die Macht in Siebenbürgen im Wege stand. Roth seinerseits sah seine Warnungen bezüglich des aggresiven Politikstils der NEDR bestätigt: „In dieser Stunde, wo die verhängnisvollen Folgen der Politik der NEDR, vor der wir so oft und eindringlich gewarnt haben, nun eingetreten sind, können wir mit gutem Gewissen bekennen, dass wir die Existenz der NEDR wiederholt mit unserem Leibe gedeckt haben. Wir haben alles aufgeboten, um das nun eingetretene Ereignis zu verhindern.“517 Roth betonte weiterhin, dass die NEDR nicht willens gewesen sei, die von den sächsischen Anführern immer wieder ausgestreckte Hand der Versöhnung zu ergreifen, um damit innerhalb der traditionellen Volksorganisationen eingebunden zu werden und so die gemeinsame Phalanx nach außen hin zu stärken. „Vielleicht wird heute nun der eine oder andere von der Gegenseite doch erkennen müssen, dass unsere Warnungen, die wir seit langem immer wieder ausgesprochen haben, sehr wohl begründet waren.“518 Die Einbindung der NEDR in die traditionellen sozialen und politischen Organisationen war in Siebenbürgen also ebenso gescheitert wie in Deutschland die Einbindung Hitlers in ein konservatives Kabinett. Auch Roths Hoffnungen, dass die NEDR-Funktionäre ihre eigenen Fehler erkennen würden und ein Umdenken einsetze, erfüllten sich nicht, im Gegenteil. Die Führer der NEDR durften diesmal zu Recht zornig sein. Sollte die rumänische Regierung ihnen tatsächlich das Fortbestehen ihrer Partei im Falle einer Ergebenheitskundgebung zugesichert haben, dann waren 516 Politischer Nachlass HOR/Quelle 256: 5. Juli 1934, Berlin: Acht-Uhr-Abendblatt. Nationalzeitung: Schlag gegen das Deutschtum. 517 Politischer Nachlass HOR/Quelle 258: 9. Juli 1934, Mediasch: Protokoll der Sitzung der Einheitsbewegung. Vortrag von Hans Otto Roth. 518 Ebd.
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sie in der Tat von der Regierung betrogen worden (Roth verächtlich: „... und die NEDR ist zum betrogenen Betrüger geworden“519). Den daraus resultierenden Zorn richteten die NEDR-Führer aber weniger gegen die rumänische Regierung als vielmehr gegen Hans Otto Roth. Die Führer der nun verbotenen NEDR drehten den Spieß um und schoben die Schuld auf ihn, indem sie Roth unterstellten, er habe heimlich die Auflösung der NEDR betrieben. Insofern hatte die rumänische Regierung mit ihrer wankelmütigen Politik auch Roths Position schwer geschadet. Dieser geriet jetzt in den Fokus nationalsozialistischer Agitation. Zunächst aber triumphierte Roth: „Die Verantwortung der Einheitsbewegung ist heute zehnmal grösser als bisher, weil wir nun für das Ganze klug, massvoll und überlegt handeln müssen. Ich habe den Vertretern der NEDR bereits gesagt, dass es uns ferne liegt, unsere Meinungsgegner in ihrer schweren Lage nun demütigen zu wollen. Im Gegenteil, wir sind auch jetzt, so wie bisher, zu jeder Verständigung und Versöhnung bereit.“520 Wie sich zeigen sollte, trogen die Hoffnungen, die Roth aus der Position des augenblicklichen Siegers heraus hegte. Seine Hoffnungen, über die Stützung gemäßigter Elemente den „natürlichen Gesundungsprozess des Nationalsozialismus“521 unterstützen zu können, war eine völlige Verkennung der Lage. Zum einen hing das Überleben der nationalsozialistischen Idee nicht von dem Verhalten der rumänischen Regierung, sondern fast ausschließlich von der Entwicklung des Nationalsozialismus im Deutschen Reich ab, der zu dieser Zeit gerade seine ersten wirtschaftspolitischen Erfolge feierte. Diese Erfolgsmeldungen aus Deutschland, die in allen deutschen Tageszeitungen in Rumänien abgedruckt wurden, trugen in einem wesentlichen Maße dazu bei, dass die NS-Bewegung – trotz aller Gegenmaßnahmen seitens der sächsischen Führung und der rumänischen Regierung – immer mehr an politischem Gewicht gewann. Dies hatte zur Folge, dass sich innerhalb der NS-Bewegung ein radikaler und ein „gemäßigter“ Flügel bildete. Fritz Fabritius, der Führer der NEDR, gehörte dem „gemäßigten“ Flügel an.522 Ihm ging es in erster Linie – in alter sächsischer Tradition – darum, die Unabhängigkeit seiner Bewegung gegen Eingriffe aus dem Reich zu verteidigen, was schließlich 1936 zu einer Zusammenarbeit mit den alten Führungskräften um Hans Otto Roth führte.523 Zum zweiten reagierte die NEDR anders als Roth erwartete. Roth hatte die nationalsozialistischen Gruppierungen in anderen Ländern im Blick, etwa die in der Tschechoslowakei oder in Estland, wo diese Gruppen der behördlichen Auflösung durch Selbstauflösung zuvorgekommen waren und freiwillig die Führung an die alten Eliten zurück gaben.524 Ebd. Ebd. 521 Ebd. 522 Glondys Tagebuch, S. XII. 523 Vgl. ebd., S. 137 f. 524 Politischer Nachlass HOR/Quelle 258: 9. Juli 1934, Mediasch: Protokoll der Sitzung der Einheitsbewegung. Vortrag von Hans Otto Roth. 519 520
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Roth hoffte, dass etwas Ähnliches jetzt auch in Rumänien geschehen werde. Daher beschloss die Hauptleitung der Einheitsbewegung, Hans Otto Roth, Dr. Otto Herzog, Professor Andreas Rosenauer und Dr. Wilhelm Seiwerth als Vertreter zu einer Tagung nach Temeswar zu schicken, auf der am 10. Juli 1934 ein einheitliches Vorgehen aller deutschen Gruppen abgesprochen werden sollte, die nicht der NEDR angehörten. Doch schon am 21. Juli 1934 verbreiteten die Führer der jetzt verbotenen NEDR ein Rundschreiben525, in dem jede weitere Zusammenarbeit unmöglich gemacht wurde. Darin wurde insbesondere Bischof Glondys wieder schwer angegriffen. Es sei Tatsache, dass er in einer Predigt in der „Schwarzen Kirche“ von Kronstadt die nationalsozialistische Auffassung der Rassenfrage in schärfster Weise abgelehnt habe. Die Predigt wurde in den Folgen 28 und 29 der „Selbsthilfe“ vom 3. und 10. Oktober 1934 abgedruckt und dann einer Analyse des „Rassenforschers“ Professor Dr. Hans F. K. Günther aus Jena gegenübergestellt.526 Als nächstes wurde Bischof Glondys vorgeworfen, er habe schon im März 1934 versucht, Otto Fritz Jickeli dazu zu bewegen, die „Selbsthilfe“ für aufgelöst zu erklären. Drittens habe Glondys im Landeskonsistorium einen Beschluss fassen lassen, demzufolge es den Kirchen- und Schulangestellten verboten wurde, Mitglieder der NEDR zu werden oder zu bleiben. Außerdem habe Glondys Teile des Dienstbuches der NEDR mit völlig irreführenden Kommentaren veröffentlicht, um die NEDR als eine destruktive Organisation erscheinen zu lassen und überhaupt lehne er ja bekanntlich jede Art von Nationalsozialismus sowohl im Deutschen Reich als auch unter den Rumäniendeutschen grundsätzlich ab.527 Dann wurde aufgezählt, was Glondys alles getan habe, um der NEDR zu schaden: Glondys lehne die Arbeitslager528 der NEDR ab, versuche aber gleichzeitig selbst etwas Ähnliches aufzubauen; Glondys wolle die Schuld des „innervölkischen Streites“ auf die NEDR abschieben; Glondys habe in Kronstadt dafür gesorgt, dass NEDR-Mitglieder nicht mehr am Gottesdienst in der Schwarzen Kirche teilnehmen könnten; Glondys habe eine jüdische Abordnung in hebräischer Sprache gesegnet, was auch in reichsdeutschen Kreisen als „Volksverrat“ empfunden werde. Für die Nationalsozialisten war klar: „Infolge der Haltung, die Bischof Glondys gegenüber dem Nationalsozialismus eingenommen hat und heute noch einnimmt, erachten wir seine Tätigkeit innerhalb der deutschen Volksgemeinschaft in Rumänien als mit der Würde des gesamten Deutschtums für unvereinbar und als dem Wohle
Politischer Nachlass HOR/Quelle 264: 21. Juli 1934: Das Schreiben ehemaliger Führer der aufgelösten NEDR „Zur Klarstellung der Lage. Ein Wort an alle deutschen Volksgenossen.“ 526 Ebd. 527 Ebd. 528 Keine Konzentrationslager, sondern die gemeinnützigen Arbeitsdienstlager für die sächsische Jugend mit indoktrinierenden „Erlebnis- und Schulungsteilen.“ 525
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des deutschen Volkes in Rumänien abträglich.“529 Unterzeichnet wurde dieses Schreiben unter anderem von Fritz Fabritius, Waldemar Gust und Alfred Bonfert.530 Auch die reichsdeutschen Blätter „Völkischer Beobachter“ und „Der Angriff“ leisteten den Kameraden in Siebenbürgen lautstarke Unterstützung.531 Diese Vorwürfe waren für Hans Otto Roth deswegen von besonderer Bedeutung, weil Dr. Waldemar Gust bereits am 28. Juli 1934 den „wahren Schuldigen“ entdeckt hatte: „Der Bericht des Innenministers, der den Auflösungsbeschluß unterbaut, stützt sich aber ausschließlich auf die seit Jahr und Tag von den innervölkischen Gegnern der NEDR durch die Presse der Regierung gelieferten Beweisgründe. Es ist somit beschämende Tatsache, daß der NEDR von ihren Feinden aus dem eigenen deutschen Lager der Todesstoß versetzt wurde. ... Es erhebt sich nun aber die Frage, ob der Bischof aus eigenem Antrieb gehandelt hat, oder ob er zu seinen Handlungen verleitet worden ist? Wenn man die seit dem Auftreten der NEDR im öffentlichen Leben des deutschen Volkes in Rumänien sich abspielenden Vorgänge verfolgt, so erkennt man, daß es ein Mann ist, der alle Ursache hatte, die NEDR zu bekämpfen, weil mit dem Siege der durch sie vertretenen Idee zwangsläufig seine eigene Machtstellung zu Ende gehen mußte. Dieser Mann ist der gewesene Präsident des größten sächsischen Bankinstitutes, den in dieser Eigenschaft in erster Reihe der Zusammenbruch des früher ein völkisches Bollwerk bil-
529 Politischer Nachlass HOR/Quelle 264: 21. Juli 1934: Das Schreiben ehemaliger Führer der aufgelösten NEDR „Zur Klarstellung der Lage. Ein Wort an alle deutschen Volksgenossen.“ 530 Bischof Glondys nahm zu diesen Vorwürfen auch schriftlich Stellung. Siehe Politischer Nachlass HOR/Quelle 270. 531 Zum Beispiel am 24. Juli. Siehe Politischer Nachlass HOR/Quelle 266: „Im Zusammenhang mit der kürzlich erfolgten Auflösung der Nationalen Erneuerungsbewegung der Deutschen Rumäniens durch den rumänischen Ministerrat hat der „Angriff“ von führenden Männern des Deutschtums in Rumänien eingehende Berichte erhalten. Aus diesen Berichten geht einwandfrei hervor, daß es die Kreise um Bischof Dr. Glondys und den Parlamentarier Dr. Roth waren, die, um ihre eigene Stellung besorgt, die deutsche Erneuerungsbewegung bei der rumänischen Regierung verdächtigt und die Auflösung herbeigeführt haben. Die rumänische Regierung stand von sich aus der NEDR wohlwollend gegenüber. Noch vierzehn Tage vor der Auflösung hatte eine große Treuekundgebung stattgefunden, bei der die NEDR Treue zu Krone und Staat gelobt hatte. König und Regierung hatten ihren Dank für dieses Gelöbnis ausgesprochen. In diese Stimmung platzte wie eine Bombe der Auflösungsbeschluß. Der Ministerbeschluß zur Auflösung stützt sich in seinen wesentlichen Teilen auf Material, das von den Kreisen Glondys– Dr. Roth aufgebracht wurde. In dem Auflösungsbeschluß ist genaue Uebereinstimmung mit Angaben der volksverräterischen Kreise festgestellt worden. Das wichtigste Argument aber, das zu dem Auflösungsbeschluß geführt hat, war die von Bischof Glondys aufgestellte Verleumdung, „daß die Grundsätze und Kampfmethoden dieser Bewegung eine Gefahr für die ruhige öffentliche Ordnung und normale Tätigkeit der Kirche und ihre Einrichtungen darstellen. …“. Siehe weiterhin Politischer Nachlass HOR/Quelle 267.
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denden Institutes belastet, der gegenwärtige Präsident der deutschen Volksgruppen in Europa, der Präsident der deutschen Parlamentspartei und ev. Landeskirchenkurator: Dr. HANS OTTO ROTH Als die Nationale Erneuerungsbewegung in unserem Volke daran ging, ihr Programm in die Tat umzusetzen, da verstand er es, die Spitze der gegen das ganze bisherige System gerichteten Angriffe auf Rudolf Brandsch zu lenken und nun versucht er, sich hinter dem Rücken des Bischofs zu verkriechen. Als höchster weltlicher Würdenträger der evang. Kirche in Rumänien ist er aber für alle Schritte des Bischofs ebenso verantwortlich wie dieser.“532
Als diese Vorwürfe der NEDR veröffentlicht wurden, befand sich Bischof Glondys gerade in Deutschland, nämlich in Glücksburg in der Nähe von Wittenberg. Dort bemühte er sich um weitere finanzielle Zuwendungen für die Evangelische Landeskirche in Siebenbürgen.533 Roth unterrichtete Glondys natürlich sofort über die Anschuldigungen und die Ereignisse534 und verband dies mit der Bitte, der Bischof möge sofort nach Siebenbürgen zurückkehren. Roth schilderte, dass Alfred Pomarius, der ebenfalls gegen Glondys polemisiert hatte, aus dem Landeskonsistorium ausgetreten war. Presbyterien, Bezirkskonsistorien und Bezirkskirchenversammlungen führten umgehend nach Bekanntwerden der Anschuldigungen Vertrauenskundgebungen für Bischof Glondys durch, so etwa in Reps, Hermannstadt, Schäßburg, Kronstadt, Mediasch, Sächsisch-Regen, Mühlbach und Broos. Insbesondere in Hermannstadt demonstrierten am 29. Juli 1934 3.000 Männer und Frauen für Bischof Glondys.535 In diesem Zusammenhang ist auch die Vertrauensabstimmung in Bistritz für Bischof Glondys interessant. Es war die einzige Vertrauensabstimmung, bei der es gegen die 58 Pro-Glondys-Stimmen auch 12 Gegen-Glondys-Stimmen gab. Unter den Glondysgegnern waren vier Schulangestellte und zwei Frauen von Kirchenangestellten. Das Abstimmungsverhalten dieser Kirchenangestellten und Angehörigen von Kirchenangestellten gegen ihren eigenen Brotgeber rief damals im ganzen Sachsenland große Empörung hervor und es wurde nun auch von disziplinarischen Maßnahmen gegen die Abweichler gesprochen.536 532 Politischer Nachlass HOR/Quelle 269: 28. Juli 1934, Hermannstadt: „Der wahre Schuldige“ von Waldemar Gust aus Folge 30, 13. Jg. des Ostdeutschen Beobachters. 533 Politischer Nachlass HOR/Quelle 270: 2. August 1934, Glücksburg: Bischof Glondys schreibt Roth und nimmt Stellung zu der Hetzkampagne der Nationaslozialisten gegen sein Amt und seine Person. 534 Politischer Nachlass HOR/Quelle 271: 2. August 1934: Hans Otto Roth unterrichtet Bischof Glondys über die in seiner Abwesenheit eingetretenen Ereignisse. 535 Ebd. 536 Ebd. So richtete zum Beispiel der Dechant der Hermannstädter Kirchenbezirks Kaestner diesbezüglich zwei Eingaben an das Landeskonsistorium, ebenso das Kronstädter Presbyterium. Roth stellte die beiden Anträge in der Sitzung des Landeskonsistoriums vom 31. Juli 1934 nicht zur Debatte, weil übereinstimmend die Ansicht vertreten wurde, dass man zuerst Bischof Glondys telegraphisch ersuchen sollte, sofort nach Hermannstadt zurückzukehren und dann gleich nach seiner
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Als man schließlich keinen Ausweg mehr sah, den innerdeutschen Konflikt zu beenden, trafen sich Vertreter der NEDR und der Einheitsbewegung in den ersten Novembertagen des Jahres 1934 in Berlin. Für die Einheitsbewegung war Hans Otto Roth dabei. Er beharrte auf seinem Standpunkt, dass sich das Deutsche Reich nicht in die politischen Angelegenheiten der Sachsen einmischen dürfe. Dieser Punkt wurde zunächst einmal akzeptiert und daher stimmte die Einheitsbewegung am 12. November 1934 einem Ausgleich zu:537 Vereinbart wurde ein fünfgliedriges Direktorium, das vorübergehend wirken sollte. Der Vorsitzende dieses „Fünferausschusses“ sollte – so war zunächst angedacht – von den Gesandten der beiden Gruppen gewählt werden. Dieser Fünferauschuss, der die politische Führung der Rumäniendeutschen nun übernehmen sollte, war aber durchaus keine harmonische Lösung des Problems. Bischof Glondys: „Hans Otto Roth wollte über die gestrige Sitzung in Mediasch berichten; ich sagte, das Ergebnis sei bekannt und teilte ihm (in Anwesenheit Bruckners) meine Beurteilung mit: 1. Durch eine auswärtige Stelle ist unsere Volksverfassung aufgehoben worden, ob vorübergehend oder dauernd, wird sich zeigen. Jedenfalls ist der Fünferausschuß nicht verfassungsgemäß, sondern unter Diktatur erfolgt. ...“538
Damit hatte Glondys Recht, denn der Vorsitzende des Ausschusses sollte nun doch, obwohl Roth und die anderen Mitglieder seiner Gruppe dies als unannehmbar bezeichnet hatten, von Berlin bestimmt werden. Der erste Vorsitzende sollte Stadtpfarrer Müller werden. Glondys meinte gegenüber Friedrich Müller zu diesem System: „In unserem Volk wird dieser Fünferausschuß, wenn Volksräte nicht rebellieren (obwohl sie mit Fug und Recht erklären können, daß der Fünferausschuß sie gar nichts angeht), bald als kompetente, politische Stelle betrachtet werden. Wenn sich die zwei Vertreter der Einheitsbewegung gegenüber den drei Stimmen der beiden Gegenvertreter und dem Vorsitzenden nicht beugen, werden sie mit dem Vorwurf belastet, die Beschlüsse zu sabotieren, im eigenen Volk angeprangert und von Deutschland aus unter Druck gestellt. Die Einheitsbewegung hat den ersten Schritt der Unterwerfung getan. Ich habe den Eindruck, es ist eine Lawine ins Rollen gekommen, deren Wirkung gar nicht abzusehen ist. Auch belastet sich [Absatz sic!]
Rückkehr eine erneute Sitzung abzuhalten, in der dann die erforderlichen kirchenregimentlichen Maßnahmen getroffen werden sollten. Roth betont hierbei Glondys gegenüber: „Ich bin unverändert der Ansicht, dass wir ohne Deine sofortige Rückkehr die Dinge nicht zu einem guten Ende bringen können. So wichtige kirchenregimentliche Massnahmen [sic!] können aber meiner Ansicht nach ohne die persönliche Stellungnahme des Bischofs nicht beschlossen werden.“ Ebd. 537 Tagebuch Glondys, Fußnote S. 141. 538 Ebd., S. 142.
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5. Roth und Genossen dem Staat gegenüber mit dem Vorwurf, daß sie mit einer vom Staat aufgelösten Gruppe paktieren.“539
Roth entgegnete auf diese Argumentation, dass es aber in einem anderen Fall zu einem furchtbaren Kampf gekommen wäre, worauf Glondys einwandte, dass Deutschland auch weiterhin die NEDR gegen die Einheitsbewegung unterstützen werde. Roth versuchte, sich seinem Bischof gegenüber auch am 15. November 1934 nochmal für sein Handeln zu rechtfertigen. Er habe unter starkem Druck den Weg gewählt, der ihm unter den gegebenen Umständen als der einzig gangbare erschienen sei und dabei auch die Einstimmigkeit der Beschlüsse des Fünferausschusses durchgesetzt.540 Der Fünferausschuss trat nie in Aktion, doch Hans Otto Roth hatte einen schweren Fehler im Kampf gegen den Nationalsozialismus begangen und in seinem Bestreben, die politische Einigkeit der Rumäniendeutschen wieder herbeizuführen, tatsächlich „den ersten Schritt zur Unterwerfung getan“, wie es Glondys formulierte. Roth hatte ganz offensichtlich die Gefahren, die von dieser Bewegung ausgingen, noch nicht so klar erkannt wie Bischof Glondys. Zunächst schien sich die Entwicklung etwas zu entspannen. Der gemäßigte Flügel der NEDR um Fitz Fabritius schloss sich mit dem gemäßigten Flügel der Konservativen unter Hans Otto Roth am 29. Juni 1935 im „Verband (Volksgemeinschaft) der Deutschen in Rumänien“ (VDR) zusammen. Fritz Fabritius übernahm den Vorsitz des neuen Verbandes.541 Der radikale Flügel der Nationalsozialisten um Dr. Alfred Bonfert, Dr. Waldemar Gust, Herwart Scheiner und Fritz Cloos gründete dagegen am 14. Juli 1935 die radikale „Deutsche Volkspartei in Rumänien“ (DVR). In der Folgezeit entbrannte jedoch nun zwischen diesen beiden politischen Gruppierungen ein heftiger Kampf um die Ausübung der Führung der Rumäniendeutschen. Dieser Kampf führte auch zu einer Spaltung der deutschen Bevölkerung in Rumänien, was sich wiederum negativ auf das geistige und kulturelle Leben auswirkte. Die Radikalen versuchten nun zunächst einmal, Hans Otto Roth durch einen Kuhhandel mit Bischof Glondys auszuschalten und damit Roths Zweifrontenkrieg, den er koordinierte, zu überwinden. Bischof Glondys sollte im Gegenzug zu einer Kooperationskundgebung mit den „Fabritianern“ von diesen eine „Ehrenerklärung“ erhalten. Daneben sollte ein Drittel der Mandate im Plenum des Landeskonsistoriums für die „Fabritianer“ zugewiesen werden und Hans Otto Roth zugleich zum Amtsverzicht als Landeskirchenkurator genötigt werden. Doch dazu war Glondys nicht bereit. Die Konflikte eskalierten jedoch, als die landeskirchliche Führung vor dem Hintergrund der seit Sommer 1935 bestehenden Koalition der Konservativen mit Fabritius einen Schwenk zugunsten der gemäßigteren „Fabritianer“ unternahm. Fabritius suchte nämlich die abgespaltene, radikal-nationalsozialistische DVR seinem Ebd., S. 142/143. Ebd., S. 143. 541 Ebd., S. XII. 539 540
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Verband unterzuordnen und durch ein plebiszitär einzuführendes, mit eindeutig nationalsozialistischen Merkmalen ausgestattetes neues Volksprogramm taktisch auszuschalten. Obwohl Glondys, wie viele Konservative, diesem neuen Volksprogramm noch bis Anfang Januar 1936 ablehnend gegenüber stand, sah Glondys die Möglichkeit, im Austausch für die Zustimmung zu diesem Programm schriftliche Sicherheiten für die landeskirchliche Autonomie herauszuhandeln. Auch Hans Otto Roth war überrascht und begeistert über dieses taktische „Meisterwerk“542 seines Bischofs. Allerdings erschien bis zu diesem Augenblick eine Mehrheit für das neue, nationalsozialistisch beeinflusste Volksprogramm eher unwahrscheinlich. Als Glondys – in Anwesenheit Roths – Helmut Wolff und Fritz Fabritius über seinen Plan informierte, konnte deren spontane Zustimmung zu dieser überraschenden Wahlkampfhilfe daher nicht überraschen. Hans Otto Roth überbrachte selbst den Vereinbarungsentwurf an Wolff und Fabritius543 und schon am nächsten Tag wurde die Vereinbarung paraphiert. Diese Vereinbarung vom 14. Januar 1936 zwischen der Landeskirche und der Führung der Volksgemeinschaft war ein Fehler von Bischof Glondys und Hans Otto Roth, der eine entscheidende Wendung in der Kirchenpolitik der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien bedeutete. Ab diesem Zeitpunkt ist eine Tendenz des Zurückweichens vor den nationalsozialistischen Machtansprüchen erkennbar. Die Kirche zeigte zunehmend Konzessionsbereitschaft. Obwohl Glondys und Roth überzeugt waren, die landeskirchliche Autonomie abgesichert zu haben544, traf das Gegenteil zu. Die Vereinbarung stellte zwar eine bewusste Frontstellung der Landeskirche gegen die radikale DVR dar, die signalisierte Bereitschaft der Kirche, das nationalsozialistische Volksprogramm auf Basis schriftlicher Bestandsgarantien für die Kirche anzuerkennen und in diesem Sinne die Annahme des Plebiszits in den Kirchenbezirken zu propagieren, stellte aber andererseits auch eine neue Qualität der gegenseitigen Beziehungen dar: Die Kooperationsbereitschaft der Kirche mit den „gemäßigten“ Nationalsozialisten der VDR im praktischen Tagesgeschäft. Ergänzend beschloss am 14. Februar 1936 das Landeskonsistorium auf seiner Sitzung nach längerer Diskussion einstimmig, ein Verbot parteipolitischer Agitation für kirchliche Angestellte auszusprechen (Rundschreiben 924/1936).545 Glondys hatte zuvor in zwei Vorträgen546 auf die in den Augen der Kirchenleitung inakzeptabel extreme Politisierung von Angestellten hingewiesen. Die Mitarbeit in den innerdeutschen Gremien und Repräsentativorganen der „gemäßigten“ VDR wurde daher
Ebd., S. 197 und 207. Ebd., S. 196. 544 Ebd., S. 194–195. 545 Vgl. Tagebuch Glondys, S. XII. – Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 40. 546 Kirchliche Blätter 28 (1936), S. 61 und S. 65–71. 542 543
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den Kirchenangestellten erlaubt547, die Mitglieder der radikalen DVR waren jedoch ihres kirchlichen Amtes zu entheben, falls sie ihre Zugehörigkeit zur DVR nicht lösen sollten.548 Bevor Glondys sich jedoch zu einer solchen Amtsenthebung entschied, regte er ein seelsorgerisches Gespräch mit den Betroffenen an, um diese von ihrem Irrweg abzubringen. Einige Betroffene widersetzten sich dennoch dem Verbot der Zugehörigkeit zu politischen Gruppen und Parteien – ja sogar einem Gespräch – und wurden somit von Glondys ihrer Stellungen enthoben. Diese schlossen sich dann in der „Kampfgemeinschaft der enthobenen Angestellten“ innerhalb der radikalen DVR zusammen und sagten der Evangelischen Landeskirche den offenen Kampf an. Diese „Kampfgemeinschaft“ berief eine „Ordenswoche“ in Großschenk ein, wo sich die Mitglieder zur „Neuen Kirche“ im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung bekannten. Damit gingen sie in die Geschichte der Evangelischen Landeskirche A. B. als die sechzehn Apostel der „Neuen Kirche“ ein.549 Die „Kampfgemeinschaft der enthobenen Angestellten“ nutzte die Disziplinarverfahren von Glondys, um gegen diesen und die ganze Kirchenführung eine intensive Verleumdungskampagne zu eröffnen. Unterstützt wurden sie hierbei von der gesamten DVR-Führung. Die „Deutsche Volkspartei in Rumänien“ wütete nun dermaßen gegen die eigene Kirchenführung, dass Michael Kamner550 gegenüber Roth von „volks- und kirchenverräterischem Treiben“551 sprach: „Was da gegen Konsistorium, vor allem gegen unseren Hochw. Bischof gehetzt wurde, ist ausgesprochene Anarchie. ... Es gibt keinen anderen Ausweg u. keine andere Möglichkeit der Wiederherstellung der Ordnung und des Ansehens unserer Kirchenführung, als diesen verschiedenen Revolutionären, von Pf[arrer] Staedel angefangen, bis zum jüngsten Dorflehrer, endlich einmal klar zu machen, dass es mit dem ständigen Sabotieren und Unterminieren an unserer kirchlichen Organisation aus ist u. sich diese Herrschaften den Anordnungen ihrer Brotgeber zu fügen haben oder sonst eben u. möglichst rasch vom Dienste enthoben werden. Die Unzufriedenheit mit dem ständigen Nachgeben diesen Leuten gegenüber ist sehr 547 Z. 924/1936. In: Kirchliche Blätter 28 (1936), S. 84–85. Vgl. dazu auch Wien, Ulrich A.: Briefwechsel zwischen Karl Barth und siebenbürgischen Pfarrern in den Jahren 1930–1947. In: ZfSL 18 (1995), S. 147–172. 548 Tagebuch Glondys, S. XII. 549 SDT vom 6. Dezember 1936; vgl. dazu auch Böhm, Johann: Das Nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936–1944, S. 138–140. 550 22. April 1936: Michael Kamner, konservatives Mitglied des Burzenländer Kreisausschusses, berichtet Hans Otto Roth über das Treiben der DVR in Kronstadt am 18./19. April 1936, wo eine Versammlung der DVR stattfand. Bischof Glondys schrieb am 23. April 1936 in sein Tagebuch: „Nun hat sich alles verändert. Die Meuterei ist organisiert.“ 551 Politischer Nachlass HOR/Quelle 294: 22. April 1936: Misch Kamner, konservatives Mitglied des Burzenländer Kreisausschusses, berichtet Hans Otto Roth über das Treiben der DVR in Kronstadt am 18./19. April 1936.
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gross u. wird schon als Hauptfehler bezeichnet, der immer wieder das Leiden unseres Volkes verlängert. Dieser ‚Schrecken ohne Ende‘ ist wirklich nicht mehr tragbar und muss daher Schluss gemacht werden. ... Dieses ist meine bescheidene Ansicht, lieber Herr Hans-Otto – werden wir endlich einmal energisch u. retten wir dadurch unser Volk, sonst geht wirklich alles der Auflösung entgegen.“552
Leider ist Roths Antwort auf diese deutliche Kritik und Warnung nicht vorhanden. Michael Kamner fügte allerdings auch als Postscriptum seinem Brief noch hinzu: „Bitte keine Antwort – Sie haben zu wenig Zeit.“553 Dies könnte darauf hindeuten, dass Kamner davon ausging, dass Roth mit ihm prinzipiell einer Meinung war, da er ansonsten mit Sicherheit Roths Standpunkt zu seinen Ausführungen erfragt hätte. Während der USA-Reise von Glondys im Sommer 1936 kam es dann sogar zu einer parallel gerichteten Aktion von Hans Otto Roth und Helmut Wolff gegen die unentwegt wütende DVR. Geplant war die Bildung regionaler Aktionsausschüsse unter der Leitung der Bezirksobmänner. Diese sollten präventive und aktive Gegenmaßnahmen gegen die Agitation der DVR vorbereiten und durchführen und auf die öffentliche Meinungsbildung Einfluss nehmen. Die Kooperationsvereinbarung vom 14. Januar 1936 wurde also sowohl von kirchlicher Seite als auch von der Seite der Volksgemeinschaft zur Bekämpfung des gemeinsamen innenpolitischen Gegners ausgebaut und vertieft.554 Damit konnte trotz gegenteiliger Absicht von Glondys die Landeskirche nicht mehr als neutral angesehen werden. „Die Kirche wird, wie mir neulich auch Pfarrer Eitel sagte, als politische Verbündete der Fabritiusgruppe, also als politisiert angesehen“555, bekannte Glondys in seinem Tagebuch. Sowohl die Konservativen als auch die sogenannten gemäßigten Nationalsozialisten betrachteten diese Maßnahme als gegen die politische Agitation der DVR gerichtet.556 Das Landeskonsistorium wäre wegen dieser offenen Parteinahme beinahe zurückgetreten.557 Glondys aber setzte jetzt angesichts der Fanatisierung der DVR-Anhänger unter den kirchlichen Angestellten einen harten Kurs durch. Im Juli 1936 erfuhr die Evangelische Landeskirche in ihrem Kampf gegen die „zusammengeballte Kraft der organisierten Gottlosenbewegung“558 immerhin einen sym Ebd. Ebd. 554 Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 42. 555 Tagebuch Glondys, S. 223. 556 So auch Müller, der meinte, Glondys daran erinnern zu müssen. Vgl. Tagebuch Glondys, S. 205. 557 Tagebuch Glondys, S. 217. 558 Glondys bezog seine Äußerung auf all diejenigen, die die christliche Verkündigung im herkömmlichen Sinne ablehnten. Damit meinte er – so Johann Böhm – auch die Nationalsozialisten mit ihrer neuheidnischen Ideologie. Tagebuch Glondys, S. XV, Fußnote 12. 552 553
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bolischen Akt protestantischer Unterstützung: Auf der Konferenz des Lutherischen Weltkonvents auf Schloss Hemmen in Holland brachte Glondys eine Entschließung zur protestantischen Solidarität ein, die angenommen wurde. „Die große Solidaritätskundgebung von 80 Millionen Lutheranern und von 180 Millionen Protestanten sind erfolgt über Anregung der kleinen Sachsenkirche“559, durfte Bischof Glondys mit berechtigtem Stolz verkünden. So erlaubte es die Lage Siebenbürgens (als außerhalb des Deutschen Reiches gelegenes Gebiet) der Evangelischen Landeskirche A. B. sich hier zunächst noch erfolgreicher gegen den Nationalsozialismus zu behaupten als es der Evangelischen Kirche in Deutschland möglich war.560 Dabei trat nun allerdings die Frage auf, ob man von nun an den Weg der „Bekennenden Kirche“ in Deutschland einschlagen sollte. Glondys jedoch wollte die Evangelische Landeskirche in Rumänien und die anderen auslandsdeutschen Landeskirchen von einer zielstrebigen Parteinahme fernhalten. Er ging von der Annahme aus, dass „Weltanschauung“ und religiöser Glaube streng zu trennen seien. Weil aber der Nationalsozialismus den Totalitätsanspruch der „Weltanschauung“ beanspruchte, wurde eine solche Unterscheidung in der folgenden Zeit mehr und mehr in Frage gestellt.561 Zunehmend vertraten aber auch die „gemäßigten“ Nationalsozialisten in Siebenbürgen ihre Ziele gegenüber der Landeskirche, die allmählich mehr und mehr manövrierunfähig wurde.562 Die kirchlichen Initiativen fanden zunehmend weniger Anklang, während die nationalsozialistischen Gruppierungen immer stärkeren Zulauf erhiel Tagebuch Glondys, S. XV. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass 1937 der Kirchenkampf in Deutschland einen neuen Höhepunkt fand: Kollektenverbot für die Bekennende Kirche, Schließung freier theologischer Hochschulen, weitere Verhaftungen von Pfarrern und Kirchenjuristen wegen angeblichen Ungehorsams gegen die Staatsgesetze, so etwa am 1. Juli 1937 auch Pastor Martin Niemöller, der (anfänglich im Gefängnis und anschließend im KZ Dachau) bis Kriegsende nicht wieder auf die Kanzel zurückkehren durfte. Dieses Einschreiten setzte der deutschen evangelischen Kirche enge Schranken, so dass ihre Vertreter nicht an der Weltkirchenkonferenz in Oxford 1937 teilnehmen konnten. Die Evangelische Landeskirche A. B. in Rumänien hingegen wurde in Oxford vom Kronstädter Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel vertreten. Da in der Entschließung der Konferenz gegen die Kirchenführung in Deutschland schwere Vorwürfe erhoben wurden, wurde die Teilnahme von Möckel von der radikalen DVR scharf angegriffen. In einem Aufsatz der Deutschen Tageszeitung vom 8. August 1937 auf Seite 3 warf Herwart Schreiner die Frage auf, „warum die Evangelische Landeskirche A. B. in Rumänien den seit Jahrhunderten bewährten geistigen Gleichschritt mit der Deutschen Evangelischen Kirche heute verrät.“ Glondys verwies daraufhin auf die Zustimmung der Teilnahme durch das kirchliche Außenamt der evangelischen Kirchen Deutschlands in Berlin. Vgl. dazu den Aufsatz des Bischofs für auswärtige Angelegenheiten der evangelischen Kirche Deutschlands in Berlin, D. Heckel, in: Berliner Börsenzeitung vom 4. Juli 1937, S. 1. Zur Thematik siehe auch: Kunze, Rolf Ulrich: Theodor Heckel. Eine Biographie, S. 119 ff. – Möckel, Andreas: Umkämpfte Volkskirche: Leben und Wirken des evangelisch-sächsischen Pfarrers Konrad Möckel (1892–1965), Köln, Weimar, Wien 2011, S. 186–205. 561 Tagebuch Glondys, S. XVII. 562 Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 42. 559 560
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ten. Die Beziehungen zwischen politischer Führung und dem Landeskonsistorium auf gesellschaftlichem wie auch auf kulturpolitischem Gebiet waren sehr angespannt. So gründeten die Nationalsozialisten beispielsweise am 19. März 1936 die „Nationale Arbeits-Front NAF“563, deren Gelöbnisformel „in gewissem Widerspruch mit“ kirchlichen „Bestimmungen und Verordnungen“564 stand. Bischof Glondys vertraute dennoch auf ihre Kommunikationsbereitschaft und ihre Vertragstreue und forcierte nun die Kooperation trotz teilweise starker Spannungen mit Helmut Wolff. Auf der 36. Landeskirchenversammlung im Jahre 1938 – als Hitler mit dem Anschluss Österreichs und später mit dem Münchner Abkommen triumphierte – ließ Glondys schließlich auch nationalsozialistisches Führungspersonal in die Schlüsselstellungen der Landeskirche. Um Hans Otto Roth wurde es nun hingegen zunehmend stiller. Den Einzug der nationalsozialistischen Mehrheit in das Gremium des Landeskonsistoriums begleiteten er und Bischofsvikar Müller fast wortlos. Im politischen Nachlass von Roth in Kronstadt ist von dem sonst so streitbaren Mann kein Wort mehr dazu zu finden. Das Problem des Nationalsozialismus stellte inzwischen alles andere in den Schatten. So waren zum Beispiel die früher so gravierenden finanziellen Probleme der Kirche fast beiläufig verschwunden: Als im Juli 1938 die 36. Landeskirchenversammlung der Evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien stattfand, hatten sich die finanziellen Verhältnisse der Kirche – im Gleichschritt mit der allgemeinen wirtschaftlichen Erholung nach der Weltwirtschaftskrise bei gleichzeitigem Wiedererstarken Deutschlands – bereits wieder spürbar gebessert. Die Schulden der Landeskirche konnten seit der Amtseinführung von Glondys von 37 Millionen Lei auf nur noch 12,5 Millionen Lei gesenkt werden.565 Die früheren jährlichen Fehlbeträge von fünf bis sechs Millionen Lei waren inzwischen völlig verschwunden. Die Subventionen der rumänischen Regierung flossen seit 1936 plötzlich großzügiger. So teilte Roth Bischof Glondys am 30. März 1936 mit, dass die Kongrua der Evangelischen Landeskirche nunmehr über 8 Millionen Lei betragen sollte. Das rumänische Parlament hatte dies ohne Weiteres akzeptiert. Die Gründe dafür wusste er nicht, aber Roth war fassungslos, dass die Evangelische Landeskirche so viel Geld erhalten sollte.566 Bischof Glondys bemerkte dazu: „Roth wird sicher wieder sagen, dies sei sein Verdienst gewesen und daraus politisches Kapital schlagen.“ 567 Ministerpräsident Armand Calinescu betonte dann 1939 gegenüber Roth, es sei selbstverständlich, dass die Art der Behandlung der deutschen Volksgruppe immer auch Rückwirkungen auf die Beziehungen von Staat zu Staat haben müsse.568 Wenn Politischer Nachlass HOR/Quelle 293: 19. März 1936, Hermannstadt: Richtlinien der
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NAF.
Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 45. Tagebuch Glondys, S. XV. 566 Ebd., S. 210. 567 Ebd. 568 Politischer Nachlass HOR/Quelle 330: 13. Juli 1939, Bukarest: Roths Unterredung mit Ministerpräsident Armand Calinescu, Ministerpräsident und Innenminister vom 7. März bis zum 564 565
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sich der Ministerpräsident um die Rückwirkungen seiner Nationalitätenpolitik auf die Beziehungen zu Deutschland sorgte, dann spricht das dafür, dass die Änderung der rumänischen Politik gegenüber den Rumäniendeutschen eher eine Reaktion Rumäniens auf das Wiedererstarken des Deutschen Reiches war als ein Nachgeben gegenüber Roths Forderungen. Auch von offizieller deutscher Seite kam jetzt mehr Unterstützung für die Rumäniendeutschen: Am 27. Februar 1937 teilte der deutsche Gesandte Wilhelm Fabricius (nicht zu verwechseln mit Fritz Fabritius!) Bischof Glondys mit, dass er Außenminister Tătărescu und auch den König im Zusammenhang mit den laufenden Wirtschaftsverhandlungen darauf aufmerksam gemacht habe, dass man in Berlin auf eine angemessene Behandlung der deutschen Minderheit Gewicht lege.569 Allerdings erhoben sich nun unter den Sachsen Stimmen, die jetzt von der rumänischen Regierung noch weit mehr forderten, als nur Minderheitenrechte. Im Frühjahr 1938 beschloss Fritz Fabritius, der rumänischen Regierung ein Gesetz über die Autonomie der deutschen Minderheit in Rumänien vorzuschlagen. Fabritius forderte Roth auf, einer Abordnung, welche den Gesetzesvorschlag einreichen sollte, den Weg zu König und Regierung zu bahnen und die Abordnung bei der Audienz zu begleiten. Dies lehnte Roth aber ab, da er erstens gegen dieses Vorhaben war und zweitens den Standpunkt vertrat, dass ein Vorbringen dieses Entwurfes in jeder Hinsicht ungelegen sei. Stattdessen trat er für die Übergabe einer Denkschrift ein, die ein Minimalprogramm enthalten sollte, das zur Aufhebung der bedeutsamsten rumänischen Eingriffe in das innersächsische Leben führen sollte. Diese Meinungsunterschiede zwischen Roth und Fabritius führten schließlich endgültig zum Bruch zwischen diesen beiden Männern. In einem Brief vom 15. Juli 1938 schrieb Fritz Fabritius an Roth: „Es trennen uns grundsätzliche Unterschiede in der Sache der Vertretung unseres Volkes. Sie befürworten eine passive Haltung des Abwartens, die unser Volk in seiner bedrängten Lage nicht versteht und die es nur entmutigen kann, während ich für eine aktive Führung eintrete, die, sofern sich die Möglichkeit bietet, die Initiative an sich reisst, selbst wenn sie dadurch in Bukarest in Verruf geraten sollte. Wenn diese Haltung auch in der Vergangenheit vertreten worden wäre, würde man jetzt kein Minderheitenstatut vorbereiten, ohne uns nach unseren Wünschen zu fragen.“570
21. September 1939. 569 Tagebuch Glondys, S. 245/246. 570 Politischer Nachlass HOR/Quelle 457: Die von Roth zusammengestellte 20-seitige Sammlung von Dokumenten DOCUMENTE DE INAITE ŞI DUPA 23. August 1944 (Documente vor und nach dem 23. August 1944), V. Der Konflikt Hans Otto Roths mit Fritz Fabritius wegen eines Gesetzentwurfs über die Autonomie der Deutschen in Rumänien.
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Gemäß dieses Prinzips der „aktiven Führung“ wurde der Gesetzentwurf von Fabritius über rumäniendeutsche Autonomie Ende Juli 1938 der rumänischen Regierung durch Hans Hedrich und Fritz Fabritius persönlich vorgelegt. Am 25. August berichtete Franz Kräuter in einem Brief an Roth über den Vorstoß von Fabritius: „Ich war heute zusammen mit Hans Hedrich beim Ministerpräsidenten, Patriarch Miron Cristea. Bevor er uns Gehör schenkte, machte er folgende Erklärung: „Ich bin sehr empört über die durch Ihren Herrn Fabritius Seiner Majestät und mir vorgelegte Denkschrift, in der er hier in Rumänien ein neues Deutschland gründen möchte, das wir, die Rumänen, nur von aussen ansehen sollen. Ich will Ihnen nicht mitteilen, was der deutsche Gesandte, Herr Wilhelm Fabricius sagte, als ich ihm die Denkschrift zeigte. Ich glaube, dass Ihr Fabritius entgleist ist oder glaubt, dass der rumänische Staat in Auflösung begriffen ist, und dass man uns Rumänen so diktieren kann, wie den Tschechen.“571
Ministerpräsident Miron Cristea bemerkte Ähnliches gegenüber Roth selbst: „Die Mitglieder der Regierung und besonders der König sind über den Schritt des Herrn Fabritius sehr verstimmt.“572 Das war kein Wunder. Der von Fabritius und Hedrich eingereichte Entwurf ging in einigen Punkten sogar über das Gesetz vom 21. November 1940 hinaus, in dem Andreas Schmidt die Deutsche Volksgruppe in Rumänien etablierte. Der Konflikt zwischen der Regierung und Fabritius vertiefte sich schließlich dermaßen, dass Fabritius auf die Erörterung seines Entwurfes verzichten musste. Die Bedenken Roths gegen seine Autonomie-Vorstellungen waren also auch diesmal richtig gewesen und selbstverständlich wären ähnliche Vorschläge noch viel schneller auch in den 1920er Jahren gescheitert, wenn die Rumäniendeutschen damals eine solche „aktive Führung“ versucht hätten. Auch für Farbritius selbst hatte dieser Unsinn Konsequenzen, weil dieser von ihm initiierte Entwurf letztendlich mit zu seinem Fall beitrug.573 Inzwischen gab es aber auch neue Probleme der Rumäniendeutschen mit dem wiedererstarkten Deutschland, die es so bislang noch nicht gegeben hatte, etwa mit dem Auswärtigen Amt (AA). Am 13. Oktober 1936 berichtete Roth Bischof Glondys von angedrohten Repressalien des Auswärtigen Amtes. Der deutsche Gesandte in Bukarest hatte Roth mitgeteilt, dass das AA die Schulunterstützung für Ploesti nicht auszahlen Ebd. Politischer Nachlass HOR/Quelle 324: 16. September 1938, Bukarest: Roths Aufzeichnungen über ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten Miron Cristea. Vgl. dazu auch Politischer Nachlass HOR/Quelle 322: 6. September 1938, Bukarest: Aufzeichnungen Roths über eine Unterredung beim Generalkommissar für die Minderheiten Silviu Dragomir. 573 Politischer Nachlass HOR/Quelle 457: Die von Roth zusammengestellte 20-seitige Sammlung von Dokumenten DOCUMENTE DE INAITE SI DUPA 23. August 1944 (Documente vor und nach dem 23. August 1944), V. Der Konflikt Hans Otto Roths mit Fritz Fabritius wegen eines Gesetzentwurfs über die Autonomie der Deutschen in Rumänien. 571 572
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könnte, weil dort die Reichsdeutschen von der Führung der evangelischen Gemeinde ausgeschlossen würden. Roth erwiderte, dass dem gesetzliche Bestimmungen im Wege stünden, und man bisher die Teilnahme von Ausländern lediglich stillschweigend habe dulden können.574 Abgesehen von der generell zunehmenden Aggressivität der NS-Außenpolitik dürften solche Spannungen – nämlich der Mitspracheanspruch von Geldgebern – kein spezifisch nationalsozialistisches Problem gewesen sein. Die wirtschaftliche Ausgangsbasis für die 36. Landeskirchenversammlung im Jahre 1938 war besser denn je. Wie sehr sich aber die politischen Verhältnisse gewandelt hatten, wurde an einer Bemerkung von Bischof Glondys deutlich, in welcher er behauptete, mit der seit 1938 möglichen Mitarbeit der Nationalsozialisten im Landeskonsistorium sei für ihn angeblich ein „langgehegter Wunsch“575 in Erfüllung gegangen. Demgegenüber stand die Tatsache, dass das seit 1933 amtierende Landeskonsistorium die volle Amtsperiode ausgereizt hatte und bis zuletzt eine in dreijährigem Turnus empfohlene Tagung der Landeskirchenversammlung hinausgezögert hatte.576 Die hinter den Kulissen ablaufende Vorbereitung der Landeskirchenversammlung von 1938 und die Regieführung durch Bischof Glondys demonstrierten den kirchenpolitischen Wechsel auffällig. Hauptelemente dieser Richtungsänderung waren die Unterwanderung der kirchlichen Strukturen durch die Nationalsozialisten, die abnehmende geistige Immunität gegenüber den nationalsozialistischen Erfolgen und letztlich auch der Ehrgeiz kirchenleitender Persönlichkeiten, in der Evangelischen Landeskirche die Priorität einer friedlichen Koexistenz von Nationalsozialismus und evangelischer Kirche zu bewerkstelligen. „Der evangelischen Kirchenwelt soll gezeigt werden, dass eine Kirche auch mit Nationalsozialisten zusammenarbeiten könne und dass diese bereit seien, in kirchlichen Ämtern mitzuwirken.“577 Diese im Landeskonsistorium getane Äußerung des Bischofs fand aber nicht nur Zustimmung. So erklärte Dr. Julius Schaser – konservatives Mitglied des Konsistoriums – rückblickend verbittert: „Bischof Glondys hatte mit den Nationalsozialisten eine Wahlvereinbarung getroffen, von welcher er voraussetzte, daß er durch sie den ihm lästigen Einfluß der Konservativen und damit gleichzeitig den des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth im Konsistorium beseitigen und sich zum alleinigen Führer der Kirche machen werde. Durch diese Wahlvereinbarung erhielten die Nationalsozialisten eine so große Anzahl von Mandaten zugesichert, wie sie es nie erhofft hatten, nämlich die Hälfte, doch waren unter diesen einige Männer, von denen Glondys annahm, daß sie ihm unbedingte Gefolgschaft leisten würden und von den verbleibenden Konservativen setzte er auch voraus, daß sie doch eher mit ihm als mit den Nationalsozialisten stimmen würden. Wir sagten es Bischof 576 577 574 575
Tagebuch Glondys, S. 226. Verhandlungsbericht über die 36. Landeskirchenversammlung 1938, S. 116. Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S 46. Tagebuch Glondys, S. 116.
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Glondys voraus, daß seine Rechnung falsch sei, daß er sich täusche und der Gefangene der Nationalsozialisten sein werde, denen er sich in einer Art verpflichtet hatte, daß er schon im restlichen Halbjahr 1939 [muss heissen: 1938!], in welchem ich noch Mitglied des Landeskonsistoriums war, oft gezwungen wurde, gegen seine Überzeugung zu stimmen, was einen beschämenden Eindruck machte.“578
Glondys befürwortete nun die Integration der nationalsozialistischen Politiker in die Kirchenleitung, um auf der Basis der bisherigen schriftlichen Vereinbarungen die Kirchenautonomie abzusichern. Für Glondys war das „ein gewaltiger Schritt zur Verwirklichung der christlichen Bruderliebe, eines praktischen und in diesem Sinne wirklich positiven Christentums.“579 Ab diesem Zeitpunkt wurde es offensichtlich, dass der Widerstand der Evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien gegen den Nationalsozialismus in sich zusammenbrach. Konsequent wäre ein Rücktritt von Bischof Glondys gewesen. Doch trotz Glondys’ neuer „christlicher Bruderliebe“: Helmut Wolffs Programm zeigte ein scharfes Kontrastprogramm zum Konzept von Glondys auf. Wolff versteckte seine Absicht – nämlich die zunehmende Vereinnahmung der Landeskirche – geschickt hinter einer Zustimmungserklärung zu Glondys’ Worten, um ihn anschließend bewusst und unwidersprochen fehlzuinterpretieren: „Ich begrüße es mit Freuden, dass der Herr Bischof in seiner Eröffnungsrede sich so klar zur Trennung der Aufgabengebiete der Volksorganisation und der Kirche bekannt hat.“580 Die auf der 36. Landeskirchenversammlung 1938 neu gewählte nationalsozialistische Mehrheit des Landeskonsistoriums versuchte sofort, die Grenzen des kirchlichen Einflussbereiches ständig stärker und systematischer einzuschränken. Auch die eigentliche Arbeit des Landeskonsistoriums wurde zunehmend von außen gesteuert und durch politische Rücksichtnahmen beeinflusst. Ende Dezember 1938 wurde Hans Otto Roth – wiedergewählter Landeskirchenkurator – das Angebot unterbreitet, der NAF beizutreten mit der Maßgabe, sich dementsprechend auch dem umfassenden Parteibefehl zu unterwerfen.581 Roth lehnte ab. Im März 1939 wurde aber der Eintritt in die – formal entpolitisierte – NAF für alle kirchlichen Angestellten durch das Rundschreiben 631/1939 von der Kirchenführung quasi verbindlich angeordnet. Damit hatte die Gauleitung die kirchlichen Gremien endgültig in ihrer Hand. Hans Otto Roth tat erst am 2. Mai 1939 seine Bereitschaft kund, der NAF beizutreten und überschritt damit bewusst den Aufnahmetermin.582 Schaser, Julius: Erinnerungen. S. 176–177. – Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S 47. 579 Verhandlungsbericht über die 36. Landeskirchenversammlung 1938, S. 21. – Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 47. 580 Verhandlungsbericht über die 36. Landeskirchenversammlung 1938, S. 36. 581 Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 48. 582 Ebd., S. 14. 578
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Als nächstes setzte sich das neue Landeskonsistorium mit dem Rundschreiben 631/1939 ohne Weiteres über das Rundschreiben 924/1936 hinweg. Bischofsvikar Müller wies darauf in der 2. Sitzung des Landeskonsistoriums vom 2. März 1939/ Tagesordnungspunkt 17 hin. Ändern konnte er damit nichts. Auch Roths Widerspruch gegen die Anordnung des Rundschreibens 631/1939 signalisierte noch einmal Roths Ablehnung der direkten parteipolitischen Bindung kirchlicher Angestellter und Amtsträger. Aus der Argumentation im Plenum des Landeskonsistoriums wird ersichtlich, dass die Konservativen die NAF als getarnte Partei ansahen, die nun alle Nationalsozialisten in sich vereinigte.583 Doch auch Bischof Glondys trat nun der NAF bei: „Gestern vormittag, den 30.5.[1939], war Dr. Wolff bei mir. Ich sagte ihm, es sei für die Zusammenarbeit zwischen Kirche und politischer Führung wichtig, sich klar vor Augen zu halten, daß die Kirche nicht etwa der Volksführung zu gehorchen habe und somit auch nicht der Bischof oder die Angestellten und Würdenträger der Kirche. Der Bischof habe stattdessen dem ganzen Volk ein gutes Beispiel völkischer Diszipliniertheit zu sein, indem er sich in die NAF hat eintragen lassen und damit der Befehlsgewalt der Volksführung unterstellt hat, die sich selbstverständlich nur auf völkische Angelegenheiten beziehen könne. Ich hielte dies für notwendig zu sagen, weil wie mir gemeldet worden sei, in Deutschland und auch in Siebenbürgen, das Schlagwort aufgetaucht sei, die Kirche und der Bischof hätten die Volksführung zu ihren Partnern gemacht.“584
Dr. Wolff stimmte Glondys’ Ausführungen – kaum erstaunlich – vollkommen zu und versprach „großzügig“, die Angelegenheit in seinen Kreisen zu klären. Bischof Glondys aber hatte mit dieser Unterwerfung unter die Führung der NAF endgültig jeden Führungsanspruch verwirkt. Im Plenum des Landeskonsistoriums fielen nun die Entscheidungen nur noch formal, denn von der dominanten NS-Fraktion wurde bereits vorher alles abgesprochen. Wolff beanspruchte mit Billigung von Glondys nun sogar ein Weisungsrecht gegenüber den NAF-Mitgliedern in nachgeordneten kirchlichen Gremien.585 Obwohl Glondys auch dem zustimmte, war seine Zeit abgelaufen. Seine Absetzung durch die Nationalsozialisten war der letzte logische Schritt am Ende seiner immer weiter fortschreitenden Entmachtung. Ein weiterer Schritt auf diesem Weg war Wolffs Vorschlag, „zu Glondys persönlicher Entlastung“ sowie „zur Steigerung der Effektivität“, das Referentenprinzip einzuführen.586 Wolff tat alles, um Glondys diese Zustimmung abzuringen. Dieser lehnte zwar zunächst noch ab, än583 Eine offizielle Partei durfte die NAF nicht sein, da in Rumänien im Zuge der Königsdiktatur 1938 sämtliche Parteien verboten worden waren. Somit war die NAF die einzige Formation, in der sich die deutschen Nationalsozialisten in Rumänien zu dieser Zeit organisieren konnten. 584 Tagebuch Glondys, S. 297. 585 Ebd., S. 306. 586 Ebd., S. 307. Mit diesem System sollten die Vollmachten des Bischofs erweitert werden, wobei Wolff mit Sicherheit bereits an einen neuen Bischof (Staedel) dachte.
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derte dann jedoch seine Meinung und stimmte zu.587 An den Aufzeichnungen in seinem Tagebuch wird an diesem Beispiel eine geradezu grotesk verzerrte Wankelmütigkeit und völlige Orientierungslosigkeit des Bischofs sichtbar, der eigentlich als Führungsfigur agieren sollte: • 16. Februar 1940 bzw. S. 311: „Für die Vorschläge Wolffs bezüglich des Referentensystems habe ich mich entschlossen, sie abzulehnen ...“ • 17. Februar 1940 bzw. S. 312: „Ich sagte ihm, daß ich die Sache noch einmal überdenken wolle.“ • 17. Februar 1940 bzw. S. 313: „Das Referentensystem ist eine dem Bischof gebotene Möglichkeit, die es zu nutzen gilt und nicht eine den Bischof verpflichtende Einführung“. Als Folge wurde durch das Landeskonsistorium das neue Konzept beschlossen und 14 Sachgebietsreferenten mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet. Im Jahre 1940 bot sich den Nationalsozialisten dann eine günstige Gelegenheit, Glondys endgültig abzusetzen. Erstens war der Bischof durch eine DiabetesErkrankung schwer beeinträchtigt. Zweitens – und das war entscheidend – konnte sich der Nationalsozialismus nach dem deutschen Sieg über Frankreich auch unter den Rumäniendeutschen vollends durchsetzen. Antonescu hatte den König zum Rücktritt genötigt, nachdem dieser den territorialen Verlust Nordsiebenbürgens, Bessarabiens, der Nord-Bukowina und der Süd-Dobrudscha hingenommen hatte. So wurde aufgrund des „Volksgruppen-Dekrets“ (Dekretgesetz 830) vom 21. November 1940 die „Deutsche Volksgruppe in Rumänien“ (DViR) zur Person des öffentlichen Rechts erklärt und die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Deutsche Volksgruppe in Rumänien“ (NSDAP-DViR) als deren politische Vertretung durch die rumänische Regierung zugelassen. Durch Artikel 4 des Dekrets wurde dem neuen Volksgruppenführer Andreas Schmidt das Recht zugeteilt, innerhalb der Volksgruppe Verfügungen zu treffen, die für alle Mitglieder verpflichtend waren. Obwohl Roth das damit erfolgte politische Betätigungsverbot der Konservativen (wie jeder anderen Nicht-NS-Gruppe) beklagte588, erwähnte er mit keinem Wort die ähnliche Strategie der politischen Ausschließlichkeit, die die Konservativen lange Zeit verfolgt hatten (zum Beispiel 1927 bei der Bekämpfung des Sachsenbundes).589 Hans Otto Roth war zwar inzwischen in den rumänischen parlamentarischen Gremien nochmals aufgestiegen (Anfang 1938 war er aufgrund seiner langen Mitgliedschaft im rumänischen Parlament zum Senator auf Lebenszeit ernannt wor-
Tagebuch Glondys, S. 306, 311–313 und 315. Politischer Nachlass HOR/Quelle 496: Roth liefert eine analytische Übersicht der Minderheitenfrage und der deutschen Politik zwischen den beiden Weltkriegen. 589 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 80. 587 588
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den590), doch sein tatsächlicher Einfluß auf die politischen Entscheidungen war deutlich gesunken. Beim Rücktritt von Bischof Glondys mischte er sich allerdings noch einmal stark ein. Über den Rücktritt von Glondys gibt es zwei verschiedene Darstellungen der beteiligten Personen. Die erste macht mehr oder weniger Hans Otto Roth für Glondys Rückzug verantwortlich. Roth habe Glondys so sehr zugesetzt, dass er Glondys schließlich sozusagen aus dem Amt gedrängt und sich damit zum Handlanger von Andreas Schmidt und Helmut Wolff gemacht habe. Diese Ansicht wird vertreten von Johann Böhm sowie den Familienmitgliedern von Glondys. Die zweite Darstellung hingegen besagt, dass Roth Glondys dazu gedrängt habe, im Amt zu bleiben und den Kampf gegen den Nationalsozialismus fortzusetzen. Dies glauben konservative Kreise und Historiker um Ulrich Andreas Wien. Beide Thesen können mit Quellen belegt werden und beide Thesen wären nachvollziehbar, je nachdem ob man annimmt, dass sich Hans Otto Roth inzwischen der neuen Volksgruppenführung unterwarf oder dass er sie immer noch zu bekämpfen suchte. Andererseits lassen sich bei dieser komplizierten, von persönlichen Interessen geprägten Frage auch leicht die Quellen generell anzweifeln. Hans Otto Roth wäre in dem Fall einer tatsächlichen Unterstützung von Glondys’ Rücktritt im Sinne von Volksgruppenführer Andreas Schmidt, im Nachhinein mit Sicherheit geneigt gewesen, die Ereignisse etwas anders darzustellen als sie wirklich waren. Das gleiche könnte man jedoch auch den Familienmitgliedern von Viktor Glondys unterstellen. Diese könnten bestrebt gewesen sein, seinen aus gesundheitlichen Gründen ohnehin bevorstehenden Rücktritt im Nachhinein nicht als Kapitulation vor Andreas Schmidt erscheinen zu lassen. Ähnlich der Dolchstoßlegende hätten sie versuchen können, die Verantwortung für den Rücktritt den eigenen Leuten anzulasten, sozusagen: Der Bischof stand im Kampf gegen die Nationalsozialisten an vorderster Front und wurde dann von den eigenen Leuten verraten. Diese Frage ist insofern bedeutungsvoll, als man durch ihre Beantwortung Rückschlüsse ziehen kann, inwieweit Hans Otto Roth Ende 1940 – auf dem Höhepunkt der nationalsozialistischen Machtentfaltung in Europa – seinen Widerstand aufgegeben hatte. Hatte sich Hans Otto Roth von den nationalsozialistischen Erfolgen nun doch endlich blenden lassen oder sollte hier im Nachhinein versucht werden, die Verantwortung des Bischofs für sein Handeln auf niedrigere Chargen abzuwälzen, um den Bischof in besserem Licht erscheinen zu lassen? Tatsache ist: Am 15. Oktober 1940 schrieb Roth an den in Karlsbad weilenden Bischof erstmals diesbezüglich einen Brief. In diesem Brief legte er Glondys in eigenem Interesse eine schnellstmögliche Rückkehr nach Siebenbürgen nahe. Roth betonte, dass sich in der deutschen Volksgruppe in Rumänien in den letzten Wochen grundlegende Änderungen vollzogen hätten, die das Schicksal der Kirche auf das Tiefste berührten, sowohl in grundsätzlichen Fragen als auch in Personalfragen. „Um 590 Politischer Nachlass HOR/Quelle 314: 3. Mai 1938: Die Kirchengemeinde Bistriz beglückwünscht aus der Sitzung der evangelischen Gemeindevertretung A.B. Hans Otto Roth, Landeskirchenkurator, Hermannstadt, anlässlich seiner Ernennung zum Senator.
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eine sachliche Stellungnahme der gesamten Kirchenführung herbeizuführen, habe ich mich heute mit Bischofsvikar D. Müller und dem stellvertretenden Landeskirchenkurator Dr. Wolff beraten, die einmütig der Ansicht waren, dass Deine baldigste Heimkehr aus allen Gesichtspunkten dringendst erwünscht sei“591, schrieb er. Für den Fall jedoch, dass Glondys „aus gesundheitlichen Gründen“ noch nicht heimkehren könnte, bat Roth Glondys ganz direkt – auch im Namen von Müller und Wolff – um „absolute Vollmachten“592, um „auch in den relevantesten Fragen Entscheidungen zu treffen, die endgültig sind und keiner Überprüfung mehr unterzogen werden dürfen.“593 Roth gab selbst zu, dass dies vielleicht unverständlich und hart klingen möge, doch „die zur Entscheidung stehenden Schul- und Kirchenfragen sind eben so bedeutungsvoll, dass wir sowohl von Dir als auch vom Landeskonsistorium absolute Deckung haben müssten.“594 Eine schriftliche Aussprache über die zur Diskussion stehenden Fragen sei „aus den verschiedensten Gründen“595 unmöglich. Schließlich schlug Roth dem Bischof vor, sich am 30. Oktober in Wien zu treffen, was „zur Klärung der Lage ausserordentlich viel beitragen“ würde.596 „Ich bitte dich herzlichst, mir nicht zu verübeln, dass ich Dir diesen Brief schreibe, aber ich konnte angesichts der sich auftürmenden Gefahren gewissenhafter Weise nicht anders handeln“, erklärte Roth dem Bischof zum Schluss, wobei er unklar ließ, worin diese sich plötzlich auftürmenden Gefahren bestehen sollten. Roth nimmt hier wohl Bezug auf den 27. September 1940, als Andreas Schmidt offiziell die Führung der Deutschen in Rumänien übernahm. Schmidt ließ bereits im Herbst verlauten, dass er nicht länger zu einer Zusammenarbeit mit Glondys bereit sei.597 Um mit Glondys zu sprechen fuhr Roth am 30. Oktober 1940 tatsächlich nach Wien. Leider gibt es von Roth selbst keine Aufzeichnungen über die Unterredung und auch das Tagebuch von Bischof Glondys schweigt. Ausgerechnet in diesem entscheidenden Zeitraum machte er keine Notizen.598 Erst rückblickend 1944599 notierte Glondys: „Nun legte Roth großen Wert darauf, daß in meiner Eingabe an das Landeskonsistorium nicht der Anschein erweckt werden solle, als habe er mir geraten, der Forderung Politischer Nachlass HOR/Quelle 361: 15. Oktober 1940: Abschrift des Briefes von Roth an den in Karlsbad weilenden Bischof Viktor Glondys, in dem er dem Bischof eine schnelle Rückkehr nahelegt. 592 Ebd. 593 Ebd. 594 Ebd. 595 Ebd. 596 Ebd. 597 Tagebuch Glondys, S. 330. 598 Vom 9. August 1940 bis zum 30. November 1940 finden sich keine Einträge im Tagebuch von Viktor Glondys. 599 Tagebuch Glondys, S. 430. 591
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Schmidts nachzugeben. Er habe mir auf meine Frage in Wien, was er als Landeskirchenkurator meine, gesagt: wenn ich ihn als Kurator frage, müsse er antworten, ich müßte den Kampf aufnehmen. Ich sei ja dann tatsächlich nach Hause gefahren und hätte die Amtsführung aufgenommen. Ich sagte Roth, an diese Antwort seinerseits bei unserem Wiener Gespräch, könne ich mich nicht erinnern. Heute fragte ich Alice, ob auch bei ihr der Eindruck entstanden sei, Roth sei gekommen um mich zum Rücktritt zu veranlassen und habe zu diesem Zweck mir berichtet, Schmidt fordere meinen Rücktritt, weil er nun einen seiner eigenen Leute in die Bischofsstelle haben wolle und habe mir mitgeteilt, Schmidt habe erklärt, er habe gegen mich persönlich nichts, wolle mich auch nicht mit Gewalt diszipliniert entfernen, sondern sei bereit, mir eine Ehrenzulage zu verschaffen. Alice erinnerte sich genau, was Roth mir sagte: ,Geld spielt keine Rolle.‘ Der allgemeine Eindruck bei ihr sei gewesen, Roth habe mich zum Rücktritt bewegen wollen und auf der einen Seite eine Ehrenzulage, auf der anderen Schmidts Kampf in Aussicht gestellt. Vielleicht war dies tatsächlich nicht seine Absicht, aber bei uns beiden blieb dieser Eindruck bestehen. Jedenfalls können wir beide uns gar nicht erinnern, daß Roth gesagt hätte, ich müßte den Kampf führen! Übrigens wird unser Eindruck aus dem Wiener Gespräch durch die Tatsache weiter unterstrichen, daß Roth kam, um mir die Mitteilung zu bringen, auch der deutschen Gesandtschaft erscheine mein Rücktritt wünschenswert, wenn die Form würdig gestaltet werde.“600
Alice Glondys, die Gattin von Viktor Glondys, machte zu diesem Punkt folgende Anmerkung: „Zu der Besprechung in Wien mit Hans Otto Roth habe ich als Zeugin dieses Gesprächs folgendes richtigzustellen: Mein Mann und ich waren aus Gesundheitsgründen in Wien, als sich an einem Vormittag Hans Otto Roth telephonisch zu einem Besuch für den Nachmittag bei uns ansagte. Wir wohnten damals in der Pension Szanwald in der Hörlgasse. Roth war auf der Durchreise nach Berlin. Das mit ihm geführte Gespräch war nicht von langer Dauer. Ohne viel Umschweife machte er bekannt, daß man meines Mannes Rücktritt von seinem Posten wünsche und dies möglichst bald zu geschehen hätte. Wir beide waren wie aus allen Wolken gefallen; diese Nachricht kam ganz plötzlich und traf meinen Mann völlig unvorbereitet, was sich dann auf seinen labilen Gesundheitszustand sehr ungünstig auswirkte. Daß Roth damals meinem Mann geraten haben will, den Kampf in Hermannstadt aufzunehmen, entspricht nicht den Gegebenheiten. Das ist eine Tatsache, die ich selbst bezeugen könnte! Roth hat später behauptet, daß die deutsche Gesandtschaft in Bukarest meines Mannes Demission gefordert habe. Tatsache ist, daß dieser Wunsch erst viel später (auch von H. O. Roth), diesmal in Hermannstadt, überbracht wurde. In Wien war davon noch keine Rede.“601
Ebd., S. 430. Ebd., S. 430/431.
600 601
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Auch Irmgard Glondys, Viktor Glondys’ Schwiegertochter, stieß in das gleiche Horn: „Die Intervention von Dr. Hans Otto Roth, mit der er meinem Schwiegervater zusetzte, vom Bischofsamt zurückzutreten, hat dabei eine wesentliche Rolle gespielt“ 602. Johann Böhm folgere diesbezüglich: „Auf S. 226 schreibt [Bischof ] Müller: ,Hans Otto Roth hat sich nachher alle Mühe gegeben, Glondys von seiner Abdankung abzuhalten. Auch von anderen Seiten müssen Einwirkungen in dieser Richtung erfolgt sein, doch habe ich darüber Genaueres nicht erfahren‘, stimmt mit den Aufzeichnungen von Glondys und des Quellenmaterials, auf das hier nicht eingegangen werden kann, nicht überein. Schon die Äußerung ,doch habe ich darüber Genaueres nicht erfahren‘, stellt die Behauptung in Frage.“603
In der Tat muss man feststellen, dass der Brief Roths an seinen Bischof in mehrerer Hinsicht ungewöhnlich war: • Das Ansinnen als solches war bemerkenswert: „Absolute Handlungsfreiheit“ für das von Nationalsozialisten dominierte Landeskonsistorium zu verlangen, war bei Hans Otto Roth ganz ungewöhnlich. • Der Tonfall war sonderbar. Dass Hans Otto Roth sich aus undefinierten Gründen weigerte, Bischof Glondys schriftlich über „so bedeutungsvolle“ Probleme zu unterrichten, war sehr seltsam, um so mehr, da ja vorgeblich höchste Eile geboten war. • Hans Otto Roth sprach auch im Namen des Nationalsozialisten Wolff. • Hans Otto Roth war sich offenbar selbst bewusst, dass dies ein außergewöhnlicher Brief war, sonst hätte er den Bischof nicht gebeten, ihm den Brief nicht zu verübeln. Der Brief war in Tonfall und Ansinnen in einem Stil gehalten, der gegenüber einer solchen Respektsperson wie dem Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien in früheren Zeiten wohl nicht möglich gewesen wäre. Insbesondere die Tatsache, dass sich Roth mit Wolff abgestimmt hatte und „absolute Vollmacht“ auch für „relevanteste Fragen“ verlangte, legt nahe, dass man gemeinsam die Amtsenthebung von Glondys verabredet hatte. Nach dieser Quellenlage kam Böhm zu einem klaren Ergebnis: „Mit welchen unmenschlichen Methoden Bischof Glondys aus seinem Amt entfernt wurde und dieses von einigen bewährten konservativen Politikern stillschweigend hingenommen wurde, kann man heute nur schwer verstehen“604 Konkret machte Böhm Hans Otto Roth schwere Vorwürfe: 602 Brief von Irmgard Glondys an Dr. Johann Böhm vom 18.10.1996. Tagebuch Glondys, S. XVIII. 603 Tagebuch Glondys S. 430. Fußnote 655. Der Tagebucheintrag bezieht sich auf Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen 1944–1964, S. 224–227. 604 Tagebuch Glondys, Fußnote Böhm, S. 336.
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„Aus dem Schreiben605 des Landeskirchenkurators geht hervor, daß am 17. Dezember 1940 eine Besprechung bei Generalkonsul Rodde in Kronstadt stattfand, an der neben Rodde Andreas Schmidt und Hans Otto Roth teilnahmen. Hier wurde die Beseitigung Bischof Glondys bis spätestens zum 1. Februar 1941 und die Wahl eines neuen Bischofs, die für den 16. Februar 1941 angesetzt wurde, besprochen, ohne auf die Mehrheit der dazu Stimmberechtigten Rücksicht zu nehmen. Am 21. Dezember beschloß das Landeskonsistorium unter dem Vorsitz von Dr. Hans Otto Roth, Bischof Glondys ,über eigenes Ansuchen wegen Krankheit mit dem 16. Februar 1941 in den Ruhestand‘ zu versetzen. Die Äußerung Roths, Andreas Schmidt habe ihm gesagt, ,vor einigen Tagen ist die deutsche Entscheidung zur Bischofswahl eingetroffen und lautet für Staedel‘, stimmt nur teilweise. Die Beseitigung Glondys, wie oben dargestellt, geschah auf Drängen Andreas Schmidts und seiner Nazikollegen (und auf Zustimmung Roths), weil Glondys ihnen geistig überlegen war und die Kirche und ihre Vereine nicht der Naziorganisation unterordnen wollte.“606
Die zeitlich von Ende Oktober und Anfang November 1940 stammenden Quellen stellen Roths Handeln aber anders dar. Nach seinem Besuch bei Bischof Glondys in Wien reiste Roth weiter nach Berlin. Hier versuchte Roth, die Position der dortigen kirchlichen und politischen Stellen zu eruieren. Dabei berichtete Roth dem Kirchlichen Außenamt über die angesichts der jetzt absoluten nationalsozialistischen Dominanz unvermeidlich bevorstehende Schulübergabe der Kirchenschulen an die Volksgruppe. Dabei gedachte er, das Schulvermögen der Kirche formell einzubehalten, um – weitblickend – für den Fall einer Veränderung der politischen Lage, die seiner Ansicht nach bei den „labilen Verhältnissen in Rumänien durchaus denkbar“607 schien, das Schulvermögen nicht zu verlieren. Des Weiteren bemerkte Roth, dass Volksgruppenführer Andreas Schmidt den Rücktritt von Glondys wegen Unpopularität fordere und Wilhelm Staedel als Nachfolger anvisiere. Für diesen Fall prognostizierte Roth aber „Streit in der Kirche“, was umso bedauerlicher wäre, als gegenwärtig sonst keine Streitigkeiten vorhanden wären608, notierte das Protokoll im kirchlichen Außenamt in Berlin. Weiter: Roth berichtete auch über seinen Eindruck aus dem Gespräch mit Glondys in Wien. Er hatte den Eindruck, dass der Bischof „sehr amtsmüde“ sei und „kein rechtes Zutrauen [mehr] zur Fortsetzung seines Amtes“ besäße. „In diesem Sinne“ würde ihn auch seine Frau bestärken. „Den gleichen Eindruck hatte [auch schon] das Kirchliche 605 Archiv des Landeskonsistoriums der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien/Hermannstadt. Index 1940, S. 283, Grundzahl 2872. Landeskirchenkurator Roth an Generalkonsul SS-Oberführer Wilhelm Rodde, 24. und 28. Dezember 1940. Tagebuch Glondys, S. 336, Fußnote 587. 606 Tagebuch Glondys, S. 336, Fußnote 587. 607 EZA 5/986: Vermerk über den Bericht des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth vom 14. November 1940. Vgl. auch Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 50. 608 EZA 5/986, ebda.
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Außenamt“ aus der Korrespondenz mit Glondys gewonnen.609 Dennoch waren sich Roth und das Kirchliche Außenamt einig, dass Glondys nicht zurücktreten dürfe. Die Gesundheit müsse er notfalls opfern, das müsse man von einem Bischof erwarten können. „Die entscheidende Frage“ sei daher, „ob der Bischof kämpfen“ wolle.610 Glondys wäre demnach bereits zum Rücktritt bereit gewesen, als Roth ihn in Wien aufsuchte. Diese Darstellung wird gestützt durch Glondys selbst. In seinem Tagebuch schrieb er am 13. Dezember 1940: „Ich hätte ohnehin gehen wollen, und dies Roth schon in Wien mitgeteilt. Die angewandte Methode mache es mir aber unmöglich.“611 Dieses klare Bekenntnis von Glondys widersprach nun aber eindeutig der nachträglichen Aussage seiner Frau. Wie auch immer: Glondys kehrte erst am 30. November wieder aus dem Krankenurlaub zurück.612 Doch es bedurfte schließlich noch etwas Druck, um den Bischof aus seinem Amt zu entfernen. Am 9. Dezember 1940 lehnte Glondys die ultimative Forderung von Wolff noch ab, sein Bischofsamt unverzüglich niederzulegen. Daraufhin erschien am 11. Dezember Stabsführer Andreas Rührig613 bei Glondys und legte diesem nochmals im Namen von Andreas Schmidt nahe, sein Amt freiwillig niederzulegen, anderenfalls sehe sich der Volksgruppenführer gezwungen, ihn zwangsweise seines Amtes zu entheben. Am 18. Dezember 1940 legte Bischof Glondys schließlich sein Amt nieder: „Das unterzeichnende Landeskonsistorium hat in seiner Sitzung vom 21. Dezember 1940 von dem Ansuchen des Herrn Bischof D. Dr. Viktor Glondys um Versetzung614 in den dauernden Ruhestand zu versetzen615 mit tiefem616 Bedauern zur Kenntnis genommen. Indem das Landeskonsistorium das Ansuchen des Herrn Bischofs mit Wirksamkeit vom 16. Februar 1941 genehmigt, sagt617 es dem Herrn Bischof für die seit vielen Jahren und in schwerer Zeit in der Kirchenführung zum Wohle von Kirche und Volk618 geleistete un-
609 EZA 5/986, ebda. Vgl. auch Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 50. 610 EZA 5/986, ebda. 611 Tagebuch Glondys, S. 333 (13. Dezember 1940). 612 Ebd., S. 328. 613 Rührig, Andreas: Stabsleiter der Volksgruppenführung und Leiter des Hauptamtes für Volkswirtschaft. 614 „Um Versetzung“ von Roth handschriftlich gestrichen. Hier fügt Roth mit blauem Stift ein: „ihn im Hinblick auf seine ernste Erkrankung“, wobei „ernste“ mit rotem Stift geschrieben ist. 615 „Zu Versetzen“ von Roth handschriftlich nachgetragen. 616 „Tiefem“ gestrichen und „grossem“ von Roth handschriftlich nachgetragen. 617 Statt „sagt“ „dankt“ mit Tinte von Roth handschriftlich korrigiert. 618 „Zum Wohle ... Volk“ handschriftlich von Roth mit Tinte gestrichen.
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ermüdliche und erfolgreiche619 Arbeit aufrichtigen Dank620 und knüpft daran den dringenden (innigen621) Wunsch, dass der Herr Bischof nach Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit die volle Arbeitskraft wieder zurückgewinne622 und ihm noch viele gesegnete Jahre geschenkt sein mögen.“623
Obwohl die große Mehrheit der Wahlberechtigten Friedrich Müller als Bischof favorisierte, stand der neue Bischof bereits fest: Wilhelm Staedel. Am 16. Februar 1941 wurde er gewählt, obwohl dies formal-kirchenrechtlich gar nicht möglich war: Erstens war Staedel juristisch verurteilt und zweitens war der Wahltermin viel zu früh angesetzt. Die Tatsache, dass diese beiden Punkte von der konservativen „Opposition“ nicht ausgeschlachtet wurden, zeugt von der Kapitulation der Konservativen vor dem Nationalsozialismus angesichts der aktuellen Erfolge Hitlers. Hans Otto Roth führte 1947 ganz allgemein „dogmatische und taktische“624 Gründe an, weswegen man damals nichts unternommen habe (vgl. dazu Kapitel 3.2.3: Die Anschuldigungen von Viktor Glondys). Das ist jedoch nicht konkret genug, um die angeblich so entschlossene Opposition der Konservativen zu diesem Zeitpunkt überzeugend zu belegen. Besonders Hans Otto Roth musste sich später an diesem Punkt zu Recht unangenehme Fragen gefallen lassen, denn als Landeskirchenkurator oblag es ihm beide Male, eine Ansprache zu halten. Diese Reden klangen nicht sonderlich nach Opposition oder gar „Widerstand“ (ein Wort, das Roth nach dem Zweiten Weltkrieg gerne benutzte). Anlässlich Staedels Wahl am 16. Februar erinnerte Roth an die Zeit ihrer gemeinsamen Jugend, als sie beide das Bischof-TeutschGymnasium in Schäßburg besuchten. Roth betonte, dass er von der Lauterkeit von Staedels Vorhaben wisse und den „heiligen Eifer“625 seiner Seele kenne. „Nur zu oft hat der heisse Atem Deiner Rede die Herzen entzündet“626, lobte Roth. Dann betonte er, dass in der heutigen Zeit Entscheidungen anstünden, „die die letzten Grundlagen unseres Daseins berühren.“627 Als Oberhaupt der Kirche liege es nun an Staedel, den Weg zu bestimmen:
„Und erfolgreiche“ handschriftlich von Roth mit Tinte gestrichen. „Aufrichtigen Dank“ handschriftlich von Roth mit Tinte gestrichen. 621 Handschriftlich von Roth mit Tinte gestrichen. 622 Ursprüngliches „n“ von Roth handschriftlich gestrichen. 623 Politischer Nachlass HOR/Quelle 367: Die mit Korrekturen versehene Endfassung des Landeskonsistoriums, in der es den „Wunsch“ von Viktor Glondys zur Kenntnis nimmt, in den dauernden Ruhestand versetzt zu werden. 624 Z.K. 2146/1947 vom 29. Juni 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 2. 625 Politischer Nachlass HOR/Quelle 369: 16. Februar 1941: Ansprache des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth nach der erfolgten Wahl von Wilhelm Staedel zum Bischof. 626 Ebd. 627 Ebd. 619 620
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„Du weisst, dass unsere Kirche von Anfang an ihrem innersten Wesen nach deutsch war628 und in ihrer Deutschheit vielfach ihren höchsten Beruf erblickte. Das wird auch nach Abtrennung der Schule nicht anders sein, doch wird die Kirche von nun an vor allem an demjenigen zu bauen haben, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Ich weiss, dass Du die Einheit der Kirche suchst und den organischen Aufbau. So allein kann wahrhaft Grosses geschaffen werden. Indem ich Dich auffordere, dem an Dich ergangenen Ruf zu folgen und die Führung der evang. Landeskirche A. B. in Rumänien zu übernehmen, versichere ich Dich der Bereitschaft aller verantwortungsbewussten Träger der Kirche, Dir zu folgen und Dein Wirken zu unterstützen. Möge Gott unser Volk und unsere alte Volkskirche und unseren neuen Bischof segnen! Und nun, hochwürdiger Herr, ,steige hinauf in die Höhe und wirf Deine Netze aus!‘ Seine Hochwürden, der neugewählte Bischof Wilhelm Staedel: Heil!“629
Vorerst sollen Roths Worte hier so stehen bleiben. Ähnlich klingt auch seine Rede am 23. März 1941 anlässlich der Einsetzung von Staedel in Amt und Würden.630 Da Roth unter anderem diese Rede 1947 analysierte, um zu erklären, wie er seine eigenen Worte interpretiert wissen wollte, wird sie in Kapitel 3.2.3 vollinhaltlich behandelt.
2.5 Politische Umwälzungen 1940/41 Im Nichtangriffsvertrag zwischen der UdSSR und dem Deutschen Reich am 23. August 1939 wurden in einem geheimen Zusatzprotokoll auch die gegenseitigen Interessenssphären der beiden Großmächte abgesteckt. In einem Punkt dieses Zusatzprotokolls wurde von der sowjetischen Seite das Interesse an Bessarabien betont. Dagegen erklärte die deutsche Seite ihr völliges Desinteresse an diesem Gebiet. Die nach dem gemeinsamen Polenfeldzug geschaffenen Tatsachen wurden am 28. September 1939 durch den deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag besiegelt. Das dazu gehörige vertrauliche Protokoll legte die Umsiedlung jener Reichsangehörigen und Personen deutscher Abstammung fest, die sich nach der neuen Grenzziehung auf sowjetischem Interessensgebiet befanden. 631 Am 26. Juli 1940 nutzte Stalin dann die Gunst der Stunde und stellte im Windschatten des deutschen Sieges über Frankreich der rumänischen Regierung eine ultimative Aufforderung, Hervorhebung in der Vorlage. Politischer Nachlass HOR/Quelle 369: 16. Februar 1941: Ansprache des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth nach der erfolgten Wahl von Wilhelm Staedel zum Bischof. 630 Politischer Nachlass HOR/Quelle 371: 23. März 1941: Ansprache des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth anlässlich der Einsetzung von Bischof Wilhelm Staedel in Amt und Würden. 631 Akten der deutschen Außenpolitik, Serie D, Bd. VIII, Nr. 158. Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 202. 628 629
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innerhalb kürzester Zeit das zwischen Pruth und Dnjester gelegene Bessarabien sowie die nördliche Bukowina und die Stadt Herta abzutreten. Angesichts der Unmöglichkeit, diese Gebiete mit Erfolg zu verteidigen, und auf Anraten der deutschen Regierung kam Rumänien der sowjetischen Forderung nach. Im August 1940 einigte sich Rumänien auch mit Bulgarien über dessen Gebietsansprüche und Bulgarien erhielt die Süddobrudscha wieder zurück, die das Land bis zum Zweiten Balkankrieg 1913 besessen hatte. Mit dem Zweiten Wiener Schiedsspruch am 30. August 1940 musste Rumänien auch Nordsiebenbürgen mit dem ungarisch besiedelten Szeklerzipfel an Ungarn zurückgeben (42.243 Quadratkilometer mit 2,6 Millionen Einwohnern, davon die Hälfte Rumänen, 37% Ungarn und etwa 70.000 Siebenbürger Sachsen632), worauf hin König Carol II. vor der aufgebrachten rumänischen Bevölkerung fliehen musste, die ihn dafür verantwortlich machte. Die territorialen und machtpolitischen Veränderungen zogen zum Teil erhebliche Bevölkerungstransfers nach sich. Zuerst betroffen waren die in Bessarabien und der Bukowina lebenden Deutschen. Als unter diesen die Veränderungen bekannt wurden, entschlossen sich nahezu alle, aus Bessarabien und der Bukowina auszuwandern. So verließen 1940 43.600 Deutsche die Nordbukowina und 93.300 Deutsche Bessarabien.633 Ihre neue Heimat sollte das – inzwischen beträchtlich vergrößerte – Großdeutsche Reich werden. In Westpreußen, Oberschlesien, im Warthegau, in Böhmen und Mähren und in der „Westmark“ (speziell in Lothringen) sollten sie das deutsche Volkstum stärken. Die Auswanderer waren davon ebenso wenig begeistert wie die Einheimischen. Josef Bürckel zum Beispiel, der Gauleiter der „Westmark“, hatte sogar beträchtliche Vorbehalte. Für ihn besaß die emotionale Bindung an seine pfälzische Heimat und die dortigen Menschen eine große Bedeutung. Die nach Bevölkerungsausweisungen aus Lothringen freigewordenen Siedlerstellen hätte er am liebsten ausschließlich mit Pfälzern oder Saarländern besetzt, um ihnen die Beteiligung an der Ostsiedlung zu ersparen.634 Als Bukowina-Deutsche in Lothringen angesiedelt werden sollten, soll er darauf bestanden haben, dass nur solche mit pfälzischer Abstammung berücksichtigt werden dürften.635 Doch nicht nur die Deutschen aus der Bukowina und Bessarabien waren von Hitlers Umsiedlungsplänen betroffen. Die am 2. Oktober 1939 gehaltene Rede Hitlers versetzte alle Auslandsdeutschen in tiefste Erregung, da Hitler die Umsiedlung Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 119. Informationen zur politischen Bildung 142/143. Deutsche und Polen. Neudruck 1991,
632 633
S. 38.
634 IfZ München, MA 3 (6) (Brief Berkelmanns an den Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums vom 23. Juli 1942, S. 6). Wolfanger, Dieter: Populist und Machtpolitiker. Josef Bürckel: Vom Gauleiter der Pfalz zum Chef der Zivilverwaltung in Lothringen. In: Nestler, Gerhard und Ziegler, Hannes [Hg.]: Die Pfalz unterm Hakenkreuz. 635 Wolfanger, Dieter: Die Nationalsozialistische Politik in Lothringen (1940–1945). Diss. Saarbrücken 1977, S. 187 f.
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aller Auslandsdeutschen in das neue Großdeutsche Reich ins Auge fasste.636 Als Modell diente hierbei Südtirol637, wo die deutschstämmige Bevölkerung sich für Deutschland – das hieß Auswanderung – oder für Italien – dies bedeutete Verbleiben – entscheiden sollte (in Tremezzo wurden bei einem Treffen von Himmler und dem italienischen Polizeichef Boccini am 11.–13. Oktober 1939 der definitive Charakter dieser Option betont, der das Südtirolproblem zwischen dem Großdeutschen Reich und Italien für immer aus der Welt schaffen sollte638, was bei den Südtirolern genauso zu fassungsloser Wut und Entsetzen führte, wie bei den Siebenbürger Sachsen – dessen ungeachtet votierten bis zum 31. Dezember 1939 86% der Südtiroler für die Auswanderung639). Viele Auslandsdeutsche, darunter auch Roth, wandten sich strikt gegen diese Idee.640 Diese Umsiedlungspläne wurden den Auslandsdeutschen von den Nationalsozialisten folgendermaßen erklärt: Der Führer und Reichskanzler Hitler habe von Anfang an den Grundsatz vertreten, dass alle Deutschen im Deutschen Reich vereinigt sein müssten. Nachdem er durch seine „weitschauende Politik“641 den Anschluss Österreichs, des Sudetenlandes, Memels, Danzigs und der von Deutschen besiedelten Gebiete Polens erreicht und darüber hinaus Gebiete gewonnen habe, die seiner Meinung nach zum deutschen Lebensraum gehörten – obwohl sie von Nichtdeutschen besiedelt waren – wolle er jetzt vollkommen klare ethnographische Grenzen schaffen. Zu diesem Zweck habe er beschlossen, eine umfangreiche Umsiedlung der deutschen Minderheiten vorzunehmen. Einerseits solle dadurch ihr unausweichlicher Untergang inmitten von Nichtdeutschen vermieden werden; andererseits habe die Aktion das Ziel, den dauernden Besitz des gewonnenen Lebensraumes durch die Ansiedlung von Deutschen und die Entfernung der fremdvölkischen Bewohner zu sichern. Wie man schon mehrmals erklärt habe, wünsche Deutschland, seine Friedensliebe darzutun. Durch die Umsiedlung der deutschen Minderheiten und Ziehung klarer ethnographischer Grenzen würde jeder Grund für künftige Konflikte aus der Welt geschafft. Solche Konflikte wären unvermeidlich, wenn die Rechte der deutschen Minderheiten in den Gastländern missachtet werden würden. Das nationalsozialistische Deutschland hielte es für seine Pflicht, über das Schicksal aller Deutschen zu wachen, ohne Rücksicht darauf, wo sie lebten. Daher würde Deutschland durch die Umsiedlung dem Friedensgedanken einen großen Dienst erweisen. Die Umsiedlung der Deutschen aus den Südoststaaten habe aber außerdem Vgl. dazu auch Hecker, Hellmuth: Die Umsiedlungsverträge des Deutschen Reiches während des Zweiten Weltkrieges. 637 Vgl. dazu auch Lill, Rudolf: Südtirol in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 179 ff. 638 Ebd., S. 192. 639 Ebd., S. 194. 640 Politischer Nachlass HOR/Quelle 496: 5. März 1948: Roth liefert eine analytische Übersicht der Minderheitenfrage und der deutschen Politik zwischen den beiden Weltkriegen. 641 Politischer Nachlass HOR/Quelle 335: 13. Oktober 1939, Berlin: „Politischer Tagesbericht. Die Umsiedlung von Deutschen aus Jugoslavien, Romänien und Ungarn. Journalisten aus den Südoststaaten erhalten Aufklärung an massgebender [sic!] Stelle in Berlin.“ 636
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eine besondere wirtschaftliche Bedeutung. Es sei richtig, dass die Beziehungen Deutschlands zu Ungarn, Jugoslawien und Rumänien in jeder Hinsicht zufriedenstellend seien. Deutschland habe keinen Grund zur Klage. Aber die Kriegsverhältnisse hätten zur Folge, dass der gegenseitige Güteraustausch trotz beiderseitiger Anstrengungen in ständigem Rückgang begriffen sei. Deutschland wolle wie bisher aus diesen Staaten landwirtschaftliche Erzeugnisse beziehen. Da sich seine Ausfuhr infolge der Kriegsverhältnisse bedeutend verringert habe, wären auch die Deviseneingänge geringer geworden. Die Exporteure forderten von Deutschland aber – wie von den übrigen Staaten – Zahlung in bar, also in Devisen. Deutschland sei folglich gezwungen, sich Devisen auf andere Weise zu beschaffen. Und darin liege die tiefere Bedeutung der Umsiedlung der deutschen Minderheiten aus den genannten Staaten. Ihre Besitzungen, Unternehmungen, Bankkonten usw. stellten den Gegenwert für Devisen dar, mit denen Deutschland die Warenbezüge aus diesen Ländern würde bezahlen können. Das Vermögen der deutschen Minderheiten in den Südoststaaten wurde auf mehrere Milliarden RM geschätzt. Deutschland würde sich also für längere Zeit den Bezug von Lebensmitteln und Rohstoffen sichern. Die genannten Staaten seien nicht in der Lage, das Vermögen der Minderheiten in bar, also in Devisen abzulösen. Die Rumänen würden also gerne auf die erwähnte Art der Abrechnung eingehen. Was die Deutschen betraf, die umgesiedelt werden sollten, so würde deren Existenz in jeder Weise gesichert. Sie würden von Deutschland vollen Ersatz erhalten in der Weise, dass man ihnen gleichwertige Anwesen in Gebieten zuweisen werde, die ihrer bisherigen Lebensführung am ehesten entsprächen. In Betracht kamen für die Siedlungsplaner im Reich hierbei 750.000 Deutsche aus Rumänien, 600.000 Deutsche aus Jugoslawien und 480.000 Deutsche aus Ungarn.642 Hans Otto Roth und Bischofsvikar Friedrich Müller mussten sich nun mit diesen neuen Gedanken auseinandersetzen. Als Hauptargument gegen die Umsiedlung führten beide an, dass das Siedlungsgebiet im Karpathenbogen ein ideales Scharnier und natürliches Grenzgebiet mitteleuropäischer und speziell deutscher Einflusssphäre sei, das man erhalten müsse.643 Hierbei seien die Siebenbürger Sachsen nicht nur dafür prädestiniert, sie seien unentbehrlich und müssten vielmehr noch eine Stärkung erfahren. Daher schlug Müller sogar vor, die Deutschen Bessarabiens, der Dobrudscha und der Bukowina in das Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen umzusiedeln.644 In Siebenbürgen nämlich könnten diese Volkssplitter sinnvoll angesiedelt werden. Das dann wieder geschlossene deutsche Siedlungsgebiet könnte dann erneut in einem Selbstverwaltungskörper zusammengefasst werden. Roth betonte auch die historische Selbstverpflichtung der Siebenbürger Sachsen im Dienst einer deutschen Kulturmission. Auch wies er auf die Wichtigkeit von stabilen Verhältnissen in Rumänien für Ebd. Wien, Ulrich: Wahrnehmung der Peripherie – deutsche politische Perspektiven in Siebenbürgen. In: Svorc, Peter: Vel’ka politika a malé regióny 1918–1939, S. 291. 644 Ebd., S. 292. 642 643
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die deutsche Kriegswirtschaft hin, weswegen man noch festere Klammern um das deutsche Einflussgebiet in Südosteuropa legen müsse.645 Roth wollte damit die Pläne zur Umsiedlung dahingehend beeinflussen, dass die volkstumspolitische Position der Siebenbürger Sachsen soweit gestärkt würde, dass sie nicht mehr als eine deutsche Splittergruppe angesehen werden konnten und ihr Verbleiben in Siebenbürgen somit gesichert wäre. Roths Ausführungen zeigen aber auch, dass er sich noch immer primär um die Interessen der Siebenbürger Sachsen bemühte und nicht um die Interessen aller Deutschen in Rumänien. Des Weiteren wird ersichtlich, dass auch die konservativen Kreise der Siebenbürger Sachsen noch immer von der Wiederherstellung ihrer alten Autonomierechte träumten. Das wiederum beweist eine gewisse geistige Nähe zu den Vorstellungen von Fritz Fabritius, der mit seinem Autonomievorschlag 1938 komplett gescheitert war, doch offensichtlich unterschieden sich die Konservativen nur in der Beurteilung der Frage nach der realistischen Durchsetzung solcher Autonomierechte von Fabritius, nicht jedoch in der grundsätzlichen Frage, ob ein solches Ziel überhaupt erstrebenswert sei. Die rumänischen Befürchtungen, die Siebenbürger Sachsen könnten einen Staat im Staate aufbauen wollen, waren also nicht ganz unbegründet. Roths Ausführungen 1939/40 zu diesem Thema klangen ganz anders als seine große Entrüstung in der Nachkriegszeit: Nach 1945 schimpfte er: „Unglaublich! Dieser Mann behandelt uns wie Ware, nicht wie Menschen.“646 Und: „Dieser Bericht ist geradezu erschütternd. Er zeigt, dass Hitler die deutschen Volksgruppen des Ostens wie das liebe Vieh behandelte und sie ohne gefühlsmässige Hemmungen einfach als Ware gegen ,Devisen‘ eintauschte. Dass sich gegen diese Vergewaltigung alles in uns sträubte, muss nicht erst gesagt werden.“647 Für die Siebenbürger Sachsen gewann aber zunächst einmal insbesondere der zweite Wiener Schiedsspruch Bedeutung. In dem Gebiet, das nunmehr an Ungarn gefallen war, lagen die Städte Klausenburg, Bistritz, Sächsisch-Regen, Neumarkt und Großwardein. Damit war das Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen erstmals in ihrer Geschichte auf zwei Staaten aufgeteilt. Um den Zusammenhalt nicht zu verlieren, galt es, Einiges neu zu organisieren. Da Bischof Glondys aufgrund seiner Behandlung verhindert war, fuhr Hans Otto Roth in seiner Eigenschaft als Landeskirchenkurator am 6. September 1940 mit dem Auto nach Bistritz, um für die beiden durch den zweiten Wiener Schiedsspruch von Rumänien abgetrennten Kirchenbezirke Bistritz und Sächsisch-Regen ein besonderes Ebd., S. 293. Politischer Nachlass HOR/Quelle 335: 13. Oktober 1939, Berlin: „Politischer Tagesbericht. Die Umsiedlung von Deutschen aus Jugoslavien, Romänien und Ungarn. Journalisten aus den Südoststaaten erhalten Aufklärung an massgebender [sic!] Stelle in Berlin.“ 647 Politischer Nachlass HOR/Quelle 496: 5. März 1948: Roth liefert eine analytische Übersicht der Minderheitenfrage und der deutschen Politik zwischen den Weltkriegen. 645 646
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Organisationsstatut zu schaffen.648 Roth schloss die beiden Kirchenbezirke organisatorisch zusammen, verlieh ihnen die erforderlichen Organe zur autonomen Verwaltung und ernannte den Bistritzer Bezirksdechanten, Stadtpfarrer Dr. Karl Molitoris, zum Generaldechanten. Gleichzeitig brachte er zum Ausdruck, dass die beiden Kirchenbezirke trotz ihrer staatlichen Abtrennung von Rumänien aus dem Verband der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien nicht ausscheiden, sondern auch weiterhin unter deren Oberaufsicht stehen sollten. Roth tat dies in der richtigen Annahme, dass die Einheit Siebenbürgens in absehbarer Zeit wiederhergestellt werden würde. 649 Die von Roth getroffene Entscheidung wurde dann vom Landeskonsistorium und später auch von der Landeskirchenversammlung einstimmig gutgeheißen.650 Am 6. September 1940 traf Roth gegen 5.00 Uhr nachmittags in Bistritz ein und benutzte die Zeit bis spät in die Nacht, um den Teil der präsidialen Entscheidung nach Beratungen mit den führenden Kreisen der beiden Kirchenbezirke noch am selben Tag fertigzustellen. Mitten in der Nacht wurde er aufgefordert, sich in die Präfektur zu begeben. Dort teilte ihm der Präfekt mit, Ministerpräsident General Antonescu lasse ihn bitten, noch während der Nacht mit dem Auto nach Bukarest zu fahren und ihn im Laufe des 7. September aufzusuchen. Roth war darüber umso erstaunter, als er von dem am 6. September 1940 in Bukarest erfolgten Regierungswechsel noch keine Kenntnis hatte. Der Telefondraht der Komitatspräfektur war nämlich die einzige Verbindung, die Bistritz noch mit Rumänien verknüpfte. Die rumänischen Behörden waren bereits im Abzug begriffen und das öffentliche Interesse war bereits völlig den Fragen zugewandt, die mit der Überführung in den neuen Staat zusammenhingen. Roth antwortete, dass er am Nachmittag des 7. September nach Bukarest fahren und sich dann am 8. September im Ministerium melden werde.651 Als Hans Otto Roth am Nachmittag des 8. September 1940 bei General Antonescu vorsprach, forderte dieser ihn umgehend auf, als Justizminister in sein Kabinett einzutreten. Roth dankte zwar für diesen Auftrag, lehnte dieses Ersuchen aber umgehend ab. Ein Minderheitler, so begründete er diese Ablehnung, sei nicht geeignet, in einem Kabinett Gesetzgeber zu werden, wenn sich dieses Kabinett eine ausgesprochen nationalistische Politik zum Ziel gesetzt habe. Antonescu meinte daraufhin, dass Roth auch ohne Weiteres das Unterrichtsministerium übernehmen könnte. Auch das lehnte Hans Otto Roth ab, da er sich nicht berufen fühlte, die nationale Erziehung des Rumänentums zu leiten. Daraufhin meinte Antonescu sogar, er überlasse Roth
648 Politischer Nachlass HOR/Quelle 370: Aufzeichnungen von Hans Otto Roth über seine Unterredung mit General Antonescu im September 1940. 649 Ebd. 650 Ebd. 651 Ebd.
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die Wahl des Ministeriums; offenbar lag ihm viel daran, Roth für seine Arbeit zu gewinnen. Am Ende der Unterredung merkte Roth noch an, dass der Ministerpräsident „interessante Besuche“652 habe. Antonescu fragte, wen er damit meinte und Roth antwortete, dass er auf Horia Sima – den Führer der faschistischen und antisemitischen „Eisernen Garde“ – anspielte, der im Vorzimmer wartete. Antonescu war durch Roths Bemerkung betroffen und fragte, was Roth mit seiner Bemerkung habe sagen wollen. Roth wich zunächst aus und meinte, es stehe ihm nicht an, zur großen Politik Stellung zu beziehen, und er habe bloß seiner Neugierde über den auffallenden Besuch Horia Simas Ausdruck gegeben. Antonescu drang jedoch weiter und betonte, dass er großen Wert auf Roths Meinung über die Legionärsbewegung legte. Roth bat um die Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen und führte dann aus, dass er die Legionärsbewegung weder methodisch noch organisatorisch oder personell für ministeriabel halte. Ihr Programm und ihre bisherige Wirksamkeit seien rein revolutionär gewesen, eine zuverlässige Führung bestünde nicht mehr und organisatorisch fehlten den Gardisten ebenfalls feste Kader. Infolgedessen sei er der Meinung, dass eine Zusammenarbeit der Regierung mit den Legionären in keiner Weise ratsam sei. Das äußerste Zugeständnis, das man machen könnte, bestünde darin, dass man den Legionären gestattete, ihre Tätigkeit als Partei wieder aufzunehmen. Antonescu warf daraufhin nervös ein, dass die Teilnahme der Legionäre an der Regierung aber gewünscht werde. Roth entgegnete, dass er nicht wisse, wie weit dieser Wunsch ernst gemeint sei, dass er aber angesichts der Lage Rumäniens auch in diesem Fall nicht weiter gehen würde, als die Partei der Legionäre an sich wieder zu gestatten. Notfalls könnte man den Gardisten noch einen Unterstaatssekretär in der Regierung als Beobachter zur Verfügung stellen, allerdings nicht im Außen-, Innen- oder Kriegsministerium. Nach einem Jahr könnte man dann aufgrund der gemachten Erfahrungen überlegen, ob und inwieweit eine maßgeblichere Beteiligung der Legionäre an der Regierung angesichts der bestehenden allgemeinen Weltlage im Interesse des Landes tragbar sei. Antonescu antwortete, die Lage sei viel ernster, als Roth annehme und er müsse daher auch viel wesentlichere Zugeständnisse machen. Immerhin seien ihm Roths Ausführungen sehr wertvoll, weil sie von einem Deutschen kämen, der gleichzeitig auch die Interessen seines rumänischen Vaterlandes im Auge habe. Damit war die Unterredung von Hans Otto Roth mit Ministerpräsident Antonescu beendet. Gleich im Anschluss betrat Horia Sima mit zwei Parteifreunden das Amtszimmer des Ministerpräsidenten.653 Damit nahm jene Entwicklung ihren Anfang, die in der Januarrevolte der Eisernen Garde 1941 ihr Ende fand. Eine der Folgen der zwischen Antonescu und den Legionären der Eisernen Garde zunächst Ebd. Politischer Nachlass HOR/Quelle 370: Aufzeichnungen von Hans Otto Roth über seine Unterredung mit General Antonescu im September 1940. 652 653
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geschlossenen Regierungsvereinbarung war aber auch das Fallenlassen von Roths Aufnahme ins Kabinett.
2.6 Opposition gegen die Politik der DViR 1941–1944 In der Sitzung des Landeskonsistoriums am 21. Dezember 1940, in der Glondys’ Rücktritt vom Bischofsamt akzeptiert wurde, wurde den radikalen, disziplinarisch verurteilten Kirchenangestellten der Weg zurück in ihre alten Ämter geebnet.654 Das Rundschreiben 924/1936 mitsamt dem Zusatzschreiben 2245/1936 wurde durch das Landeskonsistorium „von Amts wegen und ohne jede weitere Begründung außer Kraft gesetzt.“655 Ebenso wurde die „Lex Staedel“ der Landeskirchenversammlung vorgeschlagen, die das Rehabilitationsverfahren des amtsenthobenen Pfarrers und nunmehr als Kulturamtsleiter der Deutschen Volksgruppe in Rumänien tätigen Wilhelm Staedel ermöglichte. Trotzdem konnte Staedel erst nach vollzogener Wahl zum neuen Bischof durch dieses Ausnahmegesetz rehabilitiert werden. Das Revisionsurteil wurde unter dem Vorsitz von Hans Otto Roth durch das landeskirchliche Oberdiszi-plinargericht gefällt.656 Während das Disziplinargericht 1937 unter dem Vorsitz von Bischof Glondys und Hans Otto Roth Wilhelm Staedel als Pfarrer abgesetzt hatte, erschien es demselben Gremium (ohne Glondys) nun opportun, ohne Gegenrede oder Einsprüche seinen Rechtsstandpunkt zu ändern. Hierbei ist zu betonen, dass damals gegen Staedel eine juristisch-administrative Handhabe bestanden hatte: „Es ist für den Nachlebenden kaum fasslich, daß die Spitze der Landeskirche, hauptverantwortlich in dieser „Vakanz“-Zeit bestimmt durch den amtierenden Landeskirchenkurator H. O. Roth sich nicht effektiver zu wehren im Stande fühlte ...“657 Erklärungsversuche im Hinblick auf die Zeitumstände, die scheinbare Unbesiegbarkeit der Wehrmacht und die Zugriffsmöglichkeiten des Dritten Reiches auf die siebenbürgische Region sind Erklärungen, die allerdings die Frage nach der Zivilcourage und die Integrität der Landeskonsistorialräte inklusive Bischof und Landeskirchenkurator nicht berühren, ebenso die Frage nach dem Wesen und Ursprung des Kirchenrechts.658 Mit dem Amtsantritt von Bischof Staedel wurde von der Volksgruppenführung unter Andreas Schmidt von nun an die Gleichschaltung der Landeskirche durchgeführt. Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 53. Protokoll der 6. Landeskonsistoriumssitzung vom 21. Dezember 1940, Tagesordnungspunkt 58. Z.K. 2870/1940. 656 Protokoll der 3. Landeskonsistoriumssitzung vom 17. Februar 1941, Tagesordnungspunkt 24 (ZK 381/1941); das Revisionsurteil lautete: „Das Urteil des Oberdisziplinargerichts ZK 561/1937 vom 19. April 1937 wird außer Kraft gesetzt.“ Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 55. 657 Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 55. 658 Ebd., S. 55. 654 655
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Die wichtigste Entwicklung hierbei war das sogenannte „Gesamtabkommen“, das die Landeskirche durch den Entzug ihrer Finanzautonomie von der Volksgruppe abhängig machte. Durch das Dekretgesetz 977 vom 7. November 1941 wurde es der Deutschen Volksgruppe von der rumänischen Regierung nun auch gestattet, eigene Schulen zu gründen unter der Voraussetzung, dem rumänischen Staat ein bis dahin nicht gekanntes Verfügungsrecht über die deutschen Minderheitenschulen einzuräumen. 1941 wurden die Landeskonsistorialräte mit einer Beschlussvorlage überrascht: Die Volksgruppenführung verlangte von der evangelischen Landeskirche die sofortige Übergabe ihres Schulwesens, und der linientreue Bischof Staedel forderte die sofortige Annahme der in der Nacht zuvor aus Kronstadt eingetroffenen Beschlussvorlage. Den Mitgliedern des Landeskonsistoriums selbst wurde der Text erst unmittelbar vor der Sitzung überreicht, wobei es zu Kontroversen kam. Die konservativen Teilnehmer beklagten sich über die unangemessene Eile. Stadtpfarrer Dr. Wagner plädierte ebenso wie Hans Otto Roth für die Vertagung des Antrages auf den folgenden Vormittag.659 Roth erklärte, er habe die Absicht gehabt, denselben Antrag wie Pfarrer Wagner zu stellen. Roth war erst zwanzig Minuten vor Beginn der Sitzung in Hermannstadt eingetroffen und hatte infolgedessen auch erst unmittelbar vor der Eröffnung der Sitzung von dem vorliegenden Entwurf Kenntnis erhalten. Schon nach dem ersten Durchlesen des Beschlussantrages hatte Roth eine ganze Reihe von ernsten Bedenken. Wenn man die Schulen zu 100% an die deutsche Volksgemeinschaft überführen wollte, so müsste man das in einem vollwertigen Vertrag tun. Die Volksgruppe aber sei als juristische Person noch gar nicht konstituiert und könne daher nach den bestehenden Gesetzen die ihr zuerkannten Rechte vorläufig auch noch gar nicht in Anspruch nehmen. Es sei schade, wenn jemand zu einer Ablehnung des Vorhabens käme, nicht weil er das Vorhaben an sich ablehnte, sondern weil er die Bedingungen ablehnte, unter denen dies geschehe. Roth versicherte, er sei schon seit mehr als einem halben Jahr für eine möglichst baldige Übergabe der Schulen an die Volksgruppe eingetreten, weil es für die Kirche keinen Vorteil bedeutete, die Schulen unter den jetzigen Voraussetzungen weiter zu betreuen. Nun, da die Kirche aber so lange auf die Vorschläge der Volksgruppenführung gewartet habe, könnte man der Kirche jetzt noch 24 Stunden Bedenkzeit einräumen, um zu gut fundierten Beschlüssen zu gelangen. Dann bestand er darauf, protokollarisch festzuhalten, dass ihm der Beschlussantrag erst vor 25 Minuten zur Kenntnis gebracht worden sei.660 Nachdem dieser Antrag durch die NS-Fraktion abgelehnt worden war, nahm Bischofsvikar Friedrich Müller ausführlich zu prinzipiellen Schwachpunkten der Vorlage Stellung. Daraufhin ergriff Hans Otto Roth nochmals das Wort. Roth betonte, dass hier eine geschichtliche Entscheidung getroffen werden sollte. Alle wüss659 Vgl. Protokoll der 9. Landeskonsistoriumssitzung vom 20. November 1941, Tagesordnungspunkt 102. Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 56. 660 Ebd.
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ten, wovon sich die Kirche trennen sollte, wenn sie die Schulen aufgäbe. Um seinen Ausführungen Gewicht zu geben, griff Roth schließlich auf die Ausführungen des einzigen Mannes zurück, dessen Wort bei den anwesenden Nationalsozialisten Gewicht hatte: Hitler. Roth erklärte, der Führer habe ihm in einer Unterredung offenbart, wie sehr er es bedauere, dass die evangelische Kirche des Reiches die Zeichen der Zeit nicht verstünde und nicht die Kraft aufgebracht hätte, eine „deutsche Volkskirche“661 zu schaffen. Diese Erklärung des Führers hätte bei ihm die Hoffnung geweckt, dass der deutschen Volkskirche in Siebenbürgen auch in heutiger Zeit noch eine große Aufgabe vorbehalten sei. Die Volkskirche in Siebenbürgen sei nicht zu vergleichen mit der katholischen Kirche aber auch nicht mit der evangelischen Kirche im Reich. Es schmerze ihn daher tief, wenn die alte Volkskirche nun in Spannungen gerate, und er wolle beitragen, sie zu verhindern. Darum müsse er nochmals fragen, ob es nicht doch möglich sei, in ruhiger Aussprache die geeignete Form für die Überführung der Schule zu suchen, denn einen geschichtlichen Beschluss könnte man nicht wie eine Geste der Tagespolitik behandeln. Roth betonte, seine Bedenken gegen die Form und die Bedingungen der Übergabe seien nicht Ausdruck eines mangelnden Vertrauens gegenüber der Deutschen Volksgruppe, denn die Bereitschaft zur Übergabe der Schulen hätten sich ja alle Mitglieder des Landeskonsistoriums abgerungen. Roth warf aber die Frage auf, warum es denn bei einer solch weitgehenden Einigkeit nicht möglich sei, zu einem einheitlichen Beschluss zu gelangen, der auch den Interessen der Kirche Rechnung trüge. Es sei keine Frage der Politik. Heute gebe es keine andere Verpflichtung, als alles zu tun, um den Krieg für das deutsche Volk zu gewinnen. Alles andere müsste hinter dieses Ziel zurücktreten. Darum ließ Hans Otto Roth auch protokollarisch festhalten, dass er sein Votum nicht politisch gewertet wissen wollte. Auch die Erklärung Müllers zu diesem Punkt habe er hier zum ersten Mal gehört, sie sei also nicht – wie angedeutet worden sei – im Namen einer bestimmten Gruppe (der Konservativen) abgegeben worden. Zum Teil halte er die Erklärung für sehr richtig, zum Teil sei er anderer Meinung und hätte noch manches hinzuzufügen. Wenn er aber jetzt zur Abstimmung genötigt werde, so müsse er sowohl den Beschlussantrag des Bischofs als auch denjenigen des Bischofsvikars ablehnen.662 Roths Ausführungen sind in mehreren Punkten interessant. Hier ist zum einen die Rhetorik zu beachten. Roths Worte waren speziell an die nationalsozialistischen Mitglieder des Landeskonsistoriums gerichtet. Insofern sollten seine Ausführungen nicht dahingehend bewertet werden, dass Roth sich nun zum überzeugten Nationalsozialisten gewandelt habe. Andererseits belegen Roths Worte aber auch einen hohen Grad der Anpassung an die neuen Verhältnisse. Zweitens muss hervorge Vgl. Roths Gespräch mit Hitler, Kapitel 2.2. Vgl. Protokoll der 9. Landeskonsistoriumssitzung vom 20. November 1941, Tagesordnungspunkt 102. Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 58. 661 662
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hoben werden, dass alle beteiligten Mitglieder des Landeskonsistoriums in der Frage der Übergabe der Schulen von der Kirche an die Volksgruppe grundsätzlich zugestimmt hatten. Hans Otto Roth wurde in diesem Punkt nicht widersprochen. Er begründete dies 1947 folgendermaßen: „Alle Vorbereitungen für den Kampf gegen die Übergabe der Schule waren getroffen, doch änderte sich die Lage in entscheidender Weise, als die Landeskirchenversammlung am 16. Februar 1941 bei der Ergänzungswahl so viele Nazisten ins Landeskonsistorium wählte, dass Andreas Schmidt über 16 von 24 Stimmen verfügte. Die hitleristische Mehrheit des Landeskonsistoriums konnte also ebensogut die Uebergabe [sic!] der konfessionellen Schulen an die Volksgruppe beschliessen, wie die Nazifizierung des gesamten Unterrichtes im Schoß der Kirche. Welche dieser beiden Möglichkeiten hätte für die Kirche die grössere Belastung dargestellt? Ohne Zweifel die Nazifizierung des Unterrichtes der konfessionellen Schulen! Wäre dieser Weg beschritten worden, so hätte die Kirche die direkte Verantwortung für die Hitlerisierung der gesamten Erziehung gehabt. Darum bedeutete die Uebergabe [sic!] der Schulen an die Volksgruppe das geringere Uebel.“663
Als „Opposition“ oder gar „Widerstand“ kann man eine solche Argumentation allerdings nicht bezeichnen. Es war für die konservative „Opposition“ der einfachste Weg, die Verantwortung abzuschieben, anstatt für die Beibehaltung eines ideologiefreien Schulunterrichtes zu kämpfen. Gleichzeitig wirft das Verhalten der Konservativen die Frage auf, was Roth eigentlich noch erreichen wollte, wenn sich das gesamte Landeskonsistorium grundsätzlich im Punkt der Übergabe der Schulen einig war. In namentlicher Abstimmung wurde der Antrag Staedels zum Abschluss des sogenannten Gesamtabkommens664 mit 12 gegen 6 Stimmen angenommen. Gegen den Antrag stimmten Roth, Müller, Wagner, Binder, Möckel und Seraphin.665 Auf der 39. Landeskirchenversammlung vom 1.–3. Juni 1942 musste unter dem NS-Druck das Gesamtabkommen zur Regelung des Verhältnisses der evangelischen Landeskirche A.B. zur Deutschen Volksgruppe in Rumänien beschlossen werden. Darin wurde vornehmlich die Übergabe der Schulen von der Kirche an die DViR geregelt, die Finanzbeziehungen festgelegt (was faktisch das Ende der Finanzautonomie der Landeskirche darstellte), sowie der weitestgehende Verzicht der Landeskirche auf binnenkirchliche Sozialformationen mit gesellschaftlicher Relevanz akzeptiert.666 Ab ZAEKR 103, ZK. 2146/1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 7. 664 ZK. 1321/1942. Gesamtabkommen zur Regelung der Verhältnisse der Evangelischen Landeskirche A. B. zur Deutschen Volksgruppe in Rumänien. Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 59. 665 ZK. 2146/1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 9. 666 Wien, Ulrich A.: „Entjudung“ und Nationalsozialismus als Ziel des Religionsunterrichts 1942. In: ZfSL/30 2007, S. 69. 663
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dem Schuljahr 1942/43 wurde das Schulwesen vom Schulamt der Deutschen Volksgruppe geführt. Jegliche Opposition oder Versuche differenzierter Meinungsbildung waren unerwünscht und auf der Landeskirchenversammlung 1942 nicht mehr möglich. Bereits 1941 wurden durch das Rundschreiben 1126/1941 die alten sächsischen „Bruderschaften“ und „Schwesterschaften“ aufgefordert, ihre Tätigkeit sofort einzustellen. Danach war jede legale kirchliche Jugendarbeit bis 1989 unmöglich. Im Gesamtabkommen wurden die Zuständigkeit und die materiellen Güter der Bruder- und Schwesterschaften entschädigungslos der Volksgruppe übereignet. 667 Nachdem im Frühjahr 1942 die kleine Schar der verbliebenen Konservativen noch einen Sitzungsboykott des Landeskonsistoriums betrieben hatte, traten sie anschließend ganz von ihren Ämtern zurück. Am 9. März 1942 forderte die Deutsche Volksgruppe in Rumänien auch Hans Connerth, den Präsidenten der Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa, schriftlich auf, Hans Otto Roth das Mandat als Mitglied des Verwaltungsrates der Bank wegen politischer Disziplinlosigkeit zu entziehen.668 Die neuen Aufgaben und Ziele der Volksgruppe auf dem Gebiet der Wirtschaft – hieß es in dem Schreiben – erforderten eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Volksgruppenführung und den wirtschaftlichen Institutionen der Volksgruppe. Das gelte insbesondere für Institutionen, welche, wie die Hermannstädter Allgemeine Sparkassa, „völkische“ Aufgaben zu erfüllen hätten. Hans Otto Roth werde wegen gröbster politischer Disziplinlosigkeit von der Volksgruppenführung für unwürdig und ungeeignet erklärt, weiterhin dem Verwatungsrat der Hermannstädter Sparkassa anzugehören. Die Volksgruppenführung ordnete deshalb an, dass die am 10./11. März 1942 stattfindende Generalversammlung der Hermannstädter Sparkasse Roth sein Mandat als Mitglied des Verwaltungsrates entziehen sollte. Die Debatte um die Übergabe der Schulen zeigt im Nachhinein deutlich, dass sich Roth – wie Bischof Glondys schon 1940 – später glücklich schätzen konnte, endlich ausgeschaltet und damit geradezu gegen seinen Willen von der Mitverantwortung für die nationalsozialistischen Politik enthoben worden zu sein. Roth konnte in solchen Debatten – wie sie im nationalsozialistisch dominierten Landeskonsistorium stattfanden – nichts mehr nach seinen Vorstellungen bewegen und dabei mit allem, was er sagte, nur seine eigene Zukunft verspielen. Denn das Ende des Nationalsozialismus lag sehr viel näher als sich 1941/42 im Stadium der großen Anfangssiege der Wehrmacht gegen die Rote Armee erahnen ließ. In dieser Zeit wurde Roth der Mitverantwortung enthoben und in die „Opposition“ gedrängt. Eine der wenigen Oppositionsmöglichkeiten, die Roth um 1942 besaß, war, seinen alten Freunden ins Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 70. Politischer Nachlass HOR/Quelle 372. Abschrift der Aufforderung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien an Hans Connerth, Präsident der Allgemeinen Hermannstädter Sparkassa, das Mandat von Hans Otto Roth als Mitglied des Verwaltungsrates dieser Bank wegen politischer Disziplinlosigkeit durch die am 10. oder 11. März stattfindende Generalversammlung entziehen zu lassen. 667 668
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Gewissen zu reden. Ein Beispiel hierfür ist ein Brief Roths an seinen „alten Jugendfreund“ Otto Fritz Jickeli vom 19. April 1942. Schon aus Orts- und Datumsangabe sprach Resignation: „Bukarest an einem stillen Sonntagnachmittag, dem 19. April 1942“669. In diesem Brief bezog sich Roth auf eine Ansprache Jickelis „Parole oder Gewissen?“ „Nachdem meine Politik aber gegenwärtig darin besteht, keine Politik zu machen, so kann ich Dir als Antwort auch nur ein Wort geben, das aus einer andern Welt kommt“670, schrieb er seinem Freund. In diesem Brief beschrieb Roth das Gewissen als eine innere Macht, die Parole als eine äußere Macht. Der Wirkung äußerer Mächte könnte man sich entziehen, der Wirkung innerer Mächte jedoch niemals. Keine der beiden Mächte werde jemals zum Schweigen kommen, doch das Gewissen stünde als die stärkste und gewaltigste Tatsache mitten in unserem Leben. „Ja es bestätigt erst eigentlich, dass wir Menschen sind“, schrieb Roth.671 Als einen Beweis dafür führte er Jickelis Aufsatz „Parole oder Gewissen?“ an. Dieser stelle nichts anderes als eine Gewissensregung Jickelis dar. Allerdings beinhalte die Fragestellung „Parole oder Gewissen“ einen grundlegenden Irrtum. Die in ihr enthaltene Alternative schlösse sich selbst aus, eine solche Frage gäbe es überhaupt nicht. „Vor dem Gewissen habe ich Achtung und Scheu, gleichgültig ob sich Müller672 darauf beruft oder – Staedel. Es ist im Jahre 1941 nicht weniger wirksam und Quell aller edlen Handlungen als anno Domini 1934.“673 Damit war Roth auch schon am Ende seines Briefes, nicht jedoch ohne Jickeli noch zu prophezeien: „Eines weiss ich allerdings sicher: Dass wir uns nach Jahr und Tag über das behandelte Thema noch unterhalten und leicht einigen werden.“674 Damit sollte er Recht behalten. Aus diesen Worten spricht auch erstmals die deutliche Ahnung, dass der Nationalsozialismus bald scheitern würde. Diese Ahnung muss für Roth nach der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad im Winter 1942/43 zur Gewissheit geworden sein. Denn trotz anders lautender Bitten von Bischofsvikar Müller legte Roth am 13. März 1943 jetzt demonstrativ sein Amt als Landeskirchenkurator – und die damit noch immer verbundene formale Mitverantwortung – nieder.675 Nach der Bekanntgabe des Rücktrittsschreibens stellte Bischof Staedel den Antrag, dieses Schreiben zur Kenntnis zu nehmen und das Präsidium zu ermächtigen, Roth in einer amtlichen Zuschrift davon Mitteilung zu machen. Der Antrag wurde einstimmig und ohne weitere Bemerkungen angenommen.676 Doch Roths demonstrativer Rücktritt war nicht end669 Politischer Nachlass HOR/Quelle 375. Roth bezieht zu einem Aufsatz Otto Fritz Jickelis über das Gewissen in einem Brief an den Autor Stellung. 670 Ebd. 671 Ebd. 672 Bischofsvikar und Stadtpfarrer Friedrich Müller. 673 Politischer Nachlass HOR/Quelle 375. 674 Ebd. 675 Protokoll der 1. Landeskonsistoriumssitzung vom 16. Juni 1943, Tagesordnungspunkt 1: ZK 903/1943. 676 Ebd.
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gültig, wie sich schon ein Jahr später nach dem rumänischen Frontwechsel am 23. August 1944 herausstellen sollte. Dass unter der rumäniendeutschen Führung nun ein Machtwechsel vollzogen und Hans Otto Roth aus der Verantwortung innerhalb der Kirchenleitung gedrängt worden war, bedeutete nicht, dass Roth nun politisch nicht mehr aktiv war, er musste nur – wenn man so will – nun in die „Opposition“ wechseln. Dabei war er nicht ganz alleine. DViR-kritische Meinungen zirkulierten in Teilen von drei Milieus der Rumäniendeutschen: In der evangelischen und katholischen Kirche, bei den Konservativen und schließlich auch – parallel zum Kriegsverlauf – in der Bevölkerung. Schon Anfang 1941 nach der Ernennung von Bischof Staedel entstand in der Evangelischen Landeskirche A.B. eine gewisse Opposition.677 Ihr Einfluss begründete sich – vor allem bei der älteren Bevölkerung – auf ihr unvermindert hohes Prestige und das Resonanz-Potenzial des gesprochenen Wortes von der Kanzel.678 Bekannt ist vor allem das evangelische Oppositionsmilieu. Einen Tag nach der Wahl Staedels gründeten am 17. Februar 1941 fünf evangelische Pfarrer in der Michelsberger Kirche die „Michaelsbruderschaft Siebenbürgen“, um, laut Ulrich Wien, „die wahre Kirche zu bewahren und einen Kontrapunkt gegen den befürchteten nationalkirchlichen Schwenk der Oberbehörde zu setzen.“679 Bischofsvikar Müller gründete im Frühjahr 1941 den sogenannten „Verteidigungsring“, dem evangelische Pfarrer aus allen siebenbürgischen Dekanaten angehörten. Sie trafen sich monatlich in der Kanzlei der Hermannstädter Stadtpfarrkirche und berichteten über kirchenfeindliche Handlungen sowie über Konflikte mit den NS-Funktionären. Bischofsvikar Friedrich Müller trug Nachrichten zur Lage Rumäniens vor. Der Kreis blieb unentdeckt, obwohl die DViR festgestellt hatte, dass Müller eine bedeutende Rolle in der Opposition innehatte.680 Die spätere Aussage Bischof Müllers, dass 80% der evangelischen Pfarrer dem Widerstand angehört hätten, bezeichnete Wien allerdings wohl zu Recht als Geschichtsklitterung, ebenso den Versuch, die Hauptschuld nur bei DViR-Funktionären zu suchen, um dabei die Schuld der Bevölkerung und der alten Eliten zu ignorieren.681 Die breite Masse der Bevölkerung kritisierte zwar tatsächlich gerne die eigene Volksgruppenführung, verehrte aber das Großdeutsche Reich und beteiligte sich bereitwillig in den Strukturen der DViR, die insgesamt 505.000 Mitglieder verzeichnete.682 Die konservative Opposition bestand allgemein aus Großbauern, Dorfhonoratioren, Bildungsbürgertum, Freimaurern, Politikern der Zwischenkriegszeit und Industriellen. Für eine detaillierte Beschreibung siehe: Wien, Ulrich A.: Kirchenleitung über dem Abgrund. 678 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 96. 679 Wien, Ulrich A.: Kirchenleitung über dem Abgrund, S. 177. 680 Ebd. 681 Ebd., S. 224. 682 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 96. 677
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Sie betrachteten Hans Otto Roth weiterhin als ihre Führungspersönlichkeit und bauten auf ihren Informationsvorsprung, die Stärke ihrer Wirtschaftskraft sowie auf die Kontakte zu den mittlerweile verbotenen rumänischen Parteien. Hans Otto Roth selbst stellte den Kontakt zu einflussreichen, höheren politischen Kreisen Bukarests her und zeichnete verantwortlich für den Nachrichtenfluss in beiden Richtungen.683 Um unentdeckt zu bleiben, nahmen die verschiedenen Oppositionskreise untereinander nur selten Kontakt auf. Angeblich erfuhren nicht einmal Personen, denen die Opposition Literatur und Informationen zustellte, von der wirklichen Organisationsstruktur der Opposition.684 Nach dem Popularitätshöhepunkt der DViR im September-Dezember 1940 (Anerkennung der deutschen Minderheit als juristische Körperschaft sowie Einmarsch der Wehrmacht in Rumänien) waren schon Anfang 1941 die Einschätzungen bezüglich der Unterstützung der DViR widersprüchlich. Während Zeitzeugen von einer angeblich überschäumenden NS-Begeisterung sprachen, einigten sich die Berichte der Geheimdienste auf ein gegenteiliges Bild. Ihnen zufolge stand Anfang 1941 nur eine kleine Gefolgschaft von inkompetenten Opportunisten und politischen Abenteurern hinter der DViR.685 So zensierte zum Beispiel die deutsche „Abwehr“ 281 Briefe und schloss daraus, dass die Gefolgschaft der Volksgruppe gering sein müsste. Die „Abwehr“ stellte auch fest warum: Die Führung lege zu viel Wert auf Äußerlichkeiten (Fahnen und Uniformen), die Verlegung der Führung von Hermannstadt nach Kronstadt sei teuer und sinnlos, und 90% der Banater Schwaben seien gegen die DViR, weil sie von Siebenbürger Sachsen geführt werde, denen Geldmissbrauch vorgeworfen wurde. Rumänische Behörden zeichneten ein ähnliches Bild.686 Dieser Widerspruch ist wohl damit zu erklären, dass die rumäniendeutsche Bevölkerung – wie bereits erwähnt – das Dritte Reich verehrte („das Reich ist mit einer Glorie umgeben“687), die Maßnahmen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien hingegen ablehnte. Ab 1942 kam es zu einem vermehrten Aufbegehren der Rumäniendeutschen gegen die NS-Führung in Kronstadt.688 Bei einer DViR-Sitzung in Heltau zürnte die ältere Generation. Sie warf der Führung unter anderem vor, überhöhte Gehälter zu kassieren, Uniformen zu tragen und sich teure Autos zu kaufen, mit denen sie über die Dörfer fahren würden, um die Seele der Jugend zu vergiften.689 Das war allerdings Ebd., S. 97. Wien, Ulrich A.: Kirchenleitung über dem Abgrund, S. 177. 685 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 99. 686 Ebd. 687 PA Mikro, Inland IIg, 2599–601. Abwehrtrupp 330 an Abwehrkommando 330, 17.5.1944 „Stimmungsbericht aus Siebenbürgen.“ Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 99. 688 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 100. 689 Ebd. 683 684
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nichts Neues. Hans Otto Roth wusste schon 1935 von einem solchen Ereignis zu berichten. Schon damals wurden die rumäniendeutschen Nationalsozialisten vom Deutschen Reich aus finanziell unterstützt: „Ich fuhr an einem kalten Wintertag in Pelze gehüllt mit einem Pferdeschlitten durch die Bukowina und sah Scheiner und Gust im bequemen Mercedes-Benz an mir vorbeiflitzen.“690 Die alarmierte NSFührung in Kronstadt versuchte indessen, die Gründe für die Unzufriedenheit der Menschen zu analysieren. Die meisten Klagen der Bevölkerung richteten sich gegen die Volksbesteuerung sowie gegen das – vorläufig noch geltende – Verbot, in deutschen Einheiten dienen zu dürfen.691 Anfang 1943 konstatierte die rumänische Polizei einen steten Zuwachs der oppositionellen Kräfte im Volk. Allein im ersten Quartal berichtete sie von zahlreichen Austritten und Zahlungsverweigerungen gegenüber der DViR. Zumindest in einem Punkt konnte der Volksgruppenführer Anfang 1943 die Wünsche seiner Volksgenossen befriedigen: Im Frühjahr 1943 begann die Waffen-SS, die rumäniendeutsche Bevölkerung in großem Stil zu rekrutieren. Dieses Vorhaben der NS-Volksgruppenführung wurde von Hans Otto Roth rückblickend auf das Schärfste kritisiert: „Die SS-Aktion aus dem Jahre 1943 ist die größte Hypothek, die die Nazis bei uns hinterlassen haben. Wie immer sich die Gespräche über unsere politische Vergangenheit hier auch wenden: Am Schluss taucht immer wieder der schwarze Schatten der unüberlegten und leichtfertigen SS-Aktion auf. Wir haben heute schon soweit Distanz von den Ereignissen, dass wir rein sachlich feststellen können: Die SS-Aktion war der folgenschwerste Fehler der sächsischen Geschichte!“692
Daher stellt sich natürlich die Frage, was die konservative Opposition und besonders Hans Otto Roth in dieser entscheidenden Frage unternommen hat, um die Rekrutierung zu verhindern. In München-Freimann trat am 4. Januar 1938 der erste rumäniendeutsche Rekrut in die damalige SS-Verfügungstruppe (SS-VT) ein. Sein Name war Andreas Friedrich und er stammte aus Kerz in Siebenbürgen.693 Er wurde zunächst der 4. SS-Standarte „Germania“ zugewiesen. Nach dem Krieg lebte er bis zu seinem Tod in Deutschland. Schon im Juli 1937 waren zwei Bessarabiendeutsche in die Standarte „Germania“ eingetreten. Beide schieden jedoch aus ungeklärten Gründen wieder aus. Weitere Vorgänge belegen, dass eine kleine Anzahl Rumäniendeutscher zu den ersten nicht690 Politischer Nachlass HOR/Quelle 471: Aufzeichnungen von H. O. Roth nach dem 23.8.1944 aber noch vor 1946. 691 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 100. 692 Politischer Nachlass HOR/Quelle 499: Roth am 19.4.1948 im sowjetisch besetzten Bukarest in einem Brief an die nach Österreich und Deutschland geflüchteten Siebenbürger Sachsen, namentlich Karl Molitoris in Ried in Oberösterreich und Brigitte Csaki in Stuttgart. 693 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 35.
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reichsdeutschen Angehörigen militärischer SS-Einheiten gehörten.694 Wie kam es jedoch dazu, dass 1943 fast alle waffenfähigen rumäniendeutschen Männer der Waffen-SS beitraten und welche Rolle spielte Hans Otto Roth bei den Rekrutierungen? Wie alle rumänischen Staatsbürger waren auch die Rumäniendeutschen in den rumänischen Streitkräften wehrpflichtig. Sowohl die Länge des Dienstes als auch das Datum der Einberufung schwankten jedoch vor Kriegsausbruch. Theoretisch sollte der aktive Militärdienst zwei Jahre dauern. Da die rumänische Armee eine Angehörigenunterstützung aber nicht kannte und der Sold nur gering war, verfolgte die armata (die rumänische Armee) die Praxis kurzer, aber zahlreicher aktiver Dienstzeiten, um den bäuerlichen Soldaten die Möglichkeit zur Verrichtung landwirtschaftlicher Arbeit zu lassen.695 Das Verhältnis der rumänischen Offiziere zu ihren rumäniendeutschen Mannschaften war wechselhaft und spiegelte die Stimmung der rumänischen Öffentlichkeit zu Deutschland wider. So wurden im August 1940 die Rumäniendeutschen stellvertretend für Hitler für die territorialen Verluste Rumäniens infolge des 2. Wiener Schiedsspruch verantwortlich gemacht. Insbesondere nach der Schlacht von Stalingrad fiel das Verhältnis zwischen rumänischen und rumäniendeutschen Soldaten dann auf den Nullpunkt. Andererseits wurden die deutschen Soldaten aber auch geachtet. Aufgrund positiver Ansichten über Deutsche galten Rumäniendeutsche oft auch als „die besseren Soldaten.“696 Wie bei den Rumänen so herrschte auch unter den rumäniendeutschen Wehrpflichtigen eine Abneigung gegenüber dem Dienst in der armata. Dabei wurde diese nicht als Einrichtung des rumänischen Staates abgelehnt, vielmehr wurden die Verhältnisse beanstandet, die den einfachen Soldaten unabhängig von seiner ethnischen Herkunft erwarteten. Mit den Folgen schlechter Ausstattung und schlecht ausgebildeter Offiziere hatten deutsche, ungarische und rumänische Wehrpflichtige gleichermaßen zu kämpfen. Unter den Rumäniendeutschen wurde vor allem die gängige Prügelstrafe verabscheut. Ungenügende Motorisierung, die geringe Zahl von Panzern, panzerbrechender und schwerer Artillerie ließen den Fronteinsatz rumänischer Truppen als Himmelfahrtskommando erscheinen, was sich später an der Ostfront auch bestätigen sollte. Schon in Friedenszeiten gab es im Winter Tote durch Erfrierungen. So wurden im Januar 1940 in den Viehwaggons eines Transportzuges 60 Soldaten erfroren aufgefunden, weil nichts getan worden war, um die Mannschaften gegen die Kälte zu schützen, während gleichzeitig die Offiziere des Trupps eine sehr viel bessere Behandlung erfuhren. Insgesamt stuften deutsche Diplomaten den Zustand der rumänischen Armee Ende 1939 als erbärmlich ein.697 Im Vergleich dazu waren die Ebd. Ebd., S. 58. 696 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 59. 697 Ebd., S. 60. 694 695
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Verhältnisse in der Wehrmacht ausgezeichnet. Die Ankunft der Lehrtruppen der Wehrmacht im Oktober und November 1940 führte unter der rumänischen Bevölkerung zu entsprechend heftigen Reaktionen. Die Präsenz der Wehrmacht, die an zahlreichen Orten Rumäniens stationiert wurde, ermöglichte der gesamten Bevölkerung einen Vergleich mit der eigenen Armee, der für diese unweigerlich katastrophal ausfiel. Auch das Verhalten von reichsdeutschen Offizieren gegenüber ihren untergeordneten Diensträngen ließ die eigene Behandlung in der rumänischen Armee als vermeidbar und damit als nur noch schlimmer erscheinen. Als sich den Rumäniendeutschen die Aussicht eröffnete, den Militärdienst in der angeblich „besten Armee der Welt“698 zu verrichten, war die Faszination natürlich entsprechend groß, um so mehr als von Deutschland seit je her eine starke Faszination ausging bei gleichzeitiger Unglaubwürdigkeit der rumänischen Regierung. An dieser Stelle muss ein kurzer Blick auf die Arbeit des Volksgruppenführers der Siebenbürger Sachsen – Andreas Schmidt – geworfen werden. Über diesen ist bislang wenig bekannt. Er spielte jedoch als „Erzfeind“ von Hans Otto Roth in dessen Leben eine bedeutende Rolle. Andreas Schmidt wurde am 24. Mai 1912 in Donnersmarkt (rum. Manarade) in Siebenbürgen geboren.699 Er war der dritte von insgesamt vier Söhnen einer Bauersfamilie. Seine Brüder waren Georg Schmidt (*19.12.1908, †31.5.1963), Michael Schmidt (*25.5.1910, †14.8.1985) und Adolf Schmidt (*26.10.1932, †7.4.1958).700 Er besuchte die deutschsprachige Volksschule in seinem Heimatort, später das deutschsprachige Stefan-Ludwig-Roth-Gymnasium in Mediasch. Wegen schulischer Unzulänglichkeiten wechselte er vor dem letzten Schuljahr zum rumänischsprachigen Sf.-Vasile-Lyzeum nach Blasendorf (rum. Blaj). Nach seinem Abitur arbeitete er von 1930 bis 1935 vor allem bei den Eltern. Gleichzeitig begann er ein Jurastudium in Klausenburg, das er nach dem Vorexamen nicht weiterführte. Schmidt gab später an, den Vorlesungen aus finanziellen Gründen nicht länger beiwohnen zu können, allerdings verschwieg er auch seine schwachen Leistungen. Die Zeit in Klausenburg brachte ihm aber die dauerhafte Freundschaft mit Andreas Rührig, dem späteren Stabsleiter der DViR. Schmidts politische Tätigkeit begann nach dem Abitur. Er selbst gab an, bereits im Herbst 1930 der „Bewegung“ beigetreten zu sein und zusammen mit seinem Bruder Georg die ersten „Ortsgruppen“ der Erneuerungsbewegung in ihrem Heimatkreis gegründet zu haben. Sicher erscheint nur, dass Andreas Schmidt durch die Vermittlung seines Bruders Georg die
Ebd., S. 70. BA RS F 385, Position 2494 f. Lebenslauf Andreas Schmidt, Kronstadt, 6.2.1944. – Roth, Harald: Schmidt, Andreas. In: Schriftsteller Lexikon der Siebenbürger Sachsen, Bd. 10. BoehlauVerlag. Köln, Weimar, Wien 2012, S. 275–277 (= Schriften 7/X). 700 Der Autor der Donnersmarkt-Monographie ist Andreas Schmidts Neffe Adolf Georg (*18.11.1963), der Sohn des 1912 geborenen Adolf. 698 699
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Siebenbürger Artamanen701 und den Nationalsozialismus kennenlernte (Georg war in Deutschland der Artamanen-Bewegung beigetreten). Wie Andreas Schmidts politische Tätigkeit unmittelbar nach dem Abitur 1930 bis 1935 verlief, ist nicht bekannt. Im Sommer 1935 trat er als Arbeitsdienstlagerführer einer NS-Jugendorganisation auf. Im Herbst wurde er befördert und zum stellvertretenden Leiter des Siedlungsamtes der DVR ernannt. Den Herbst und Winter 1935/36 verbrachte er auf Richard Langers Artamanen-Farm „Hermannshof“ in Großschenk. Langer bekleidete dann später unter Schmidt hohe Positionen in der DViR. 1936 leistete Schmidt seinen Wehrdienst bei der rumänischen Kavallerie ab und war anschließend bis zum Herbst 1937 erneut auf dem Hermannshof. Noch vor den rumänischen Parlamentswahlen Ende 1937 bekam er im Herbst von dem führenden DVR-Mitarbeiter Fritz Cloos die Leitung des Wahlkampfes im Kreis Hermannstadt übertragen. Anfang 1938 fuhr er nach Berlin, „um, wie ich meiner jungen Schar von Kameraden mitteilte, den Anschluss an das Reich zu finden.“702 Dass die DVR nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 aktiv den Kontakt nach Berlin suchte, ist gut möglich. Vielleicht hing die Reise nach Deutschland auch mit der erfolgten Erklärung der Königsdiktatur in Rumänien und dem damit einhergehenden Verbot aller Parteien zusammen. In Berlin suchte Schmidt dann sogleich die Dienststellen der SS auf, die er während seiner Arbeit im Siedlungsamt kennengelernt hatte. Schon bald fand er im Rasse- und Siedlungshauptamt und dem Sicherheitsdienst (SD) „herzliche Aufnahme zur Mitarbeit.“703 Ob seine Mitarbeit bezahlt wurde, ist unbekannt. Man weiß jedoch, dass er unqualifizierte Lohnarbeit annahm.704 Dann unternahm er schließlich einen Schritt, der seine Beziehungen zur SS entscheidend fördern sollte: Er begann, Rumäniendeutsche für die SS zu rekrutieren. Obwohl die 15 bis 20 Rekruten, die er für Henleins „Sudetendeutsches Korps“ geworben hatte, aus unbekannten Gründen abgelehnt wurden, muss er dabei dem SS-Verbindungsoffizier Gottlob Berger aufgefallen sein. Dieser war im Juli 1938 zum Chef des SS-Ergänzungswesens ernannt worden und kämpfte mit großen Startproblemen, insbesondere mit der totalen Opposition der Wehrmacht gegen jede SS-Rekrutierung. In dieser heiklen Karrierephase wurde ihm wohl von Schmidt im Herbst 1938 die Idee einer SS-Rekrutierung Volksdeutscher vorgetragen.705 Schmidt lernte bald darauf Bergers Tochter Krista kennen, mit der er sich am 3. März 1941 verlobte. Himmler selbst führte die 701 Artamanen, Mitglieder des völkisch-rechtsradikalen Bundes Artam e. V. 1924–1931. Propagierte und organisierte ländliche Arbeitsdienste für Jugendliche. Meyers Grosses Taschenlexikon, Bd. 2. Vgl. dazu auch: Milata, Paul: Der Lebenslauf des „Volksguppenführers“ Andreas Schmidt. In: ZfSL 28 (2005), S. 70–76. 702 BA RS F 385, Position 2494 f. Lebenslauf Andreas Schmidt, Kronstadt, 6.2.1944. 703 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 53. 704 Ebd. 705 Die Vermutung, dass die Idee der massiven Rekrutierung ausländischer Staatsbürger von Schmidt stammt, kann nicht belegt werden, erscheint aber glaubwürdig. Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 54.
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„Eheweihe“ durch. Auch nachdem Krista Berger am 11. November 1942 einer Tuberkulose erlegen war, und Schmidt 1944 die siebenbürgisch-sächsische Adele Kaufmes geheiratet hatte, funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Berger und ihm reibungslos weiter. Berger blieb für Schmidt die politische Vaterfigur. In der SS wurde er bald von verschiedenen Persönlichkeiten (z. B. auch Heydrich) gefördert. Im Sommer 1939 begann sein Aufstieg. Während Fritz Fabritius in Rumänien stark in Bedrängnis kam, profilierte sich Schmidt in Berlin. Zu Kriegsbeginn warb er über den Bund Auslandsdeutscher Studenten (BADSt) und den Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) abermals 150 Rumäniendeutsche für die Waffen-SS. Wenige Wochen nach Kriegsbeginn lancierte die SS dann ihren Schützling gezielt auf die politische Bühne Rumäniens: „Herbst 1939 wurde ich – durch Obergr. Berger und Obergr. Heydrich gefördert – zum Stabsleiter der Volksgruppe ernannt.“706 Seine erste Aufgabe war die Durchführung der sogenannten „1.000-Mann-Aktion.“ Die „1.000-Mann-Aktion“ war die erste größere SS-Rekrutierung außerhalb des Deutschen Reiches. Sie fand von Oktober 1939 bis zum Juni 1940 statt. Etwa tausend Rumäniendeutsche wurden für die SS rekrutiert und in das Deutsche Reich gebracht. Die Aktion wurde von Bukarest, Berlin und der Volksgruppenführung in Hermannstadt vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Schon vor dem Krieg hatte die SS vergeblich versucht, sich das Potenzial der Rumäniendeutschen zu erschließen.707 Doch erst im Oktober 1939 herrschten in Rumänien und Deutschland die Bedingungen, die die Aufnahme von Rekrutierungen als möglich erscheinen ließen. Der Kriegsausbruch hatte Bukarest an die eigene militärische Schwäche erinnert und König Carol II. erfuhr auch bei einer Reise keine überzeugende Unterstützung durch die Westalliierten. In Deutschland stellte Himmler inzwischen drei Waffen-SSDivisionen auf. Damit war aber der Bestand der militärisch trainierten SS-Männer und die von der Wehrmacht gestattete Mannschaftsstärke ausgeschöpft. Um für die SS-VT weiterhin Ersatz, Nachschub und Reserveeinheiten zu bekommen, wandte sich der Chef des SS-Hauptamtes und somit des SS-Ergänzungswesens, Gottlob Berger, dem volksdeutschen Rekrutierungspotenzial zu. Die Auslandsdeutschen (Volksdeutschen) unterlagen – da sie außerhalb des Deutschen Reiches lebten – im Gegensatz zu den Reichsdeutschen nicht den Vorschriften des Oberkommandos der Wehrmacht. Sie zählten mehrere Millionen, sprachen Deutsch und befanden sich außerdem seit kurzem ausschließlich in der Zuständigkeit Himmlers, der im Oktober 1939 zum „Reichskommissar für die Festigung des Deutschen Volkstums“ ernannt worden war. In der Person seines zukünftigen Schwiegersohnes Andreas Schmidt fand Berger eine erstklassige Möglichkeit, die Idee größerer Auslandsrekrutierungen zu sondieren. Im Herbst 1939 erhielt Schmidt daher den Auftrag, bis Dezember in Rumänien 1.000 Rumäniendeutsche für die SS zu rekrutieren.708 BA RS F 385, Position 2494 f. Lebenslauf Andreas Schmidt, Kronstadt, 6.2.1944. Vgl. Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 49 f. 708 BA NS 19/3888 Berger an Himmler, Berlin 5.1.1940. 706 707
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Bei seiner Ankunft in Hermannstadt im Herbst 1939 stieß Andreas Schmidt zunächst einmal auf wenig Zustimmung. Die ablehnende Haltung des rumänischen Königshauses und der Regierung gegenüber der legionärfreundlichen SS war bekannt. Zudem sah die rumäniendeutsche Volksgruppenführung in ihm eine Bedrohung und Konkurrenz.709 Daher stützte Schmidt sich auf den Kreis der ehemaligen DVR-Mitarbeiter, die nun der mittleren Führung der DViR angehörten. Auch kannte er die einschüchternde Wirkung seiner reichsdeutschen Vollmachten. Den größten Rückhalt für sein Ziel erfuhr er jedoch in der rumäniendeutschen Bevölkerung selbst, die den Eintritt in deutsche Einheiten einhellig befürwortete. Der Kriegsausbruch hatte ihre Zukunftsängste geschürt. Der Beistandspakt Rumäniens mit Polen ließ an eine Allianz Rumäniens mit Frankreich denken und Repressionen gegen die Deutschen befürchten. Hitlers Reichstags-Rede am 7. Oktober 1939 und die Umsiedlung der Südtiroler verstärkte das Gerücht einer bevorstehenden Zwangs-umsiedlung nach Deutschland.710 Die in Rumänien verbreitete Angst vor einer sowjetischen Besetzung galt auch für die deutsche Minderheit und wurde vom Verhalten Moskaus geschürt, als die Rote Armee im Oktober 1939 Truppen in den entmilitarisierten Streifen an der rumänischen Grenze verlegte.711 Hinzu kam ein weitgehender Verlust der Staatsloyalität der Rumäniendeutschen als Folge der Bukarester Rumänisierungspolitik in den vergangenen zwei Jahrzehnten. 15 Freiwillige der 1.000-Mann-Aktion nannten 1994 auf die Frage nach ihrer Motivation, in die SS einzutreten, insbesondere die politischen Verhältnisse in Rumänien in der Zwischen-kriegszeit: „Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte statt Frieden ein neues Chaos von Veränderungen. [...] Diese Zeit und ihre Folgen hat damals unsere Jugend geprägt!“712 Rumänische Behörden schätzten die rumäniendeutsche Stimmungslage nach Kriegs-beginn indessen als ruhig ein, allerdings beobachtete sie eine steigende Erregung durch die militärischen Erfolge Deutschlands.713 Schmidts Aktivitäten bis zum Jahresende 1939 sind nicht genau belegt. Es erscheint als sicher, dass er durch das gesamte deutsche Siedlungsgebiet fuhr und dabei ein Nachrichtennetz für den Sicherheitsdienst (SD) aufbaute. 714 Bis Jahresende konnte Schmidt nicht mehr tun, als Informationen zu sammeln, Beziehungen zu knüpfen und Stimmungen vor Ort zu beobachten. Dabei musste er bald feststellen, dass seine Mission nicht an Mangel von Freiwilligen, sondern an der genehmigungs In seinem Lebenslauf beklagt Schmidt oft die Distanz der „Volksgemeinschaft“ zu Berlin. BA RS F 385, Position 249 f. Lebenslauf Andreas Schmidt, Kronstadt 6.2.1944. 710 BA R 58/150 Meldungen aus dem Reich, Ausgabe 5.4.1940. 711 PA Inland II g I F 2 K. Czernowitz Aufzeichnung, Czernowitz, 18.10.1939. 712 Henning, Emil: Die „Tausend-Mann-Aktion“. Farchant 1994, S. II, S. IV. 713 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 57. 714 Darauf deutet insbesondere die Aussage von Bruckner, der ein bereits existierendes Netz von V-Leuten für die Abwehr der Wehrmacht organisiert hatte. Diese berichteten ihm nun ständig, dass sie überall auf ein zweites Nachrichtennetz stoßen würden, das von Schmidt für den SD aufgebaut worden war. 709
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pflichtigen Ausreise aus Rumänien scheitern würde. Eine individuelle Ausreise war kriegsbedingt nicht mehr möglich, da die rumänische Regierung keine Pässe mehr für Reisen nach Deutschland ausstellte. Die Idee von illegalen Grenzübertritten wurde fallen gelassen, weil Ungarn und Jugoslawien seit Kriegsbeginn ihre Grenzen verstärkt bewachten. Eine Flucht über die UdSSR war ausgeschlossen. Weitere Optionen waren also nur mit Hilfe der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest denkbar, an die Schmidt bis Jahresende förmlich nicht herangetreten war. Mangels anderer effektiver Alternativen entschied sich Berger Anfang 1940, die Hilfe des Auswärtigen Amtes zu beantragen. Am 5. Januar 1940 bat er Himmler, das AA von der Rumänienaktion zu informieren.715 Während in Berlin Bergers Vorschläge dem AA vorgetragen wurden, besuchte Andreas Schmidt in Bukarest die Deutsche Gesandtschaft. Laut Legationsrat Hans Bernd von Haeften, Gesandschafts-Attaché und Beauftragter für Angelegenheiten der Volksdeutschen, war Schmidt im Besitz einer reichsdeutschen Vollmacht und wünschte Unterstützung beim Erhalt der rumänischen Ausreisegenehmigung für tausend Mann.716 Die Gesandtschaft beantragte daraufhin beim rumänischen Minderheitenminister die Genehmigung der Ausreise von tausend Volksdeutschen, die „zur Dienstleistung“ nach Deutschland fahren sollten. Der Minister genehmigte die Ausreise noch Mitte Januar, machte sie aber von der Entlassung aus der rumänischen Staatsbürgerschaft abhängig und dem Verbot der Wiedereinreise nach Rumänien.717 Die Gesandtschaft lehnte diese Bedingungen ab und führte die Verhandlungen fort. Gleichzeitig setzte sich von Haeften mit Hans Otto Roth in Bukarest in Verbindung, da dieser durch seine langjährige Tätigkeit in Bukarest die nötigen Kontakte zu den maßgeblichen rumänischen Stellen und Erfahrungen besaß. Beide waren – laut Roth – durch ein enges Vertrauensverhältnis und eine NS-feindliche Einstellung verbunden. Der Inhalt ihrer Gespräche ist aus zwei problematischen Quellen bekannt: Erstens den Aufzeichnungen Roths, die allerdings erst im Juli 1945 im sowjetisch besetzten Bukarest niedergeschrieben wurden, vier Monate nach der Deportation zahlreicher Rumäniendeutscher in die UdSSR, und zweitens den am 25.11.1983 in Deutschland protokollierten Aussagen Oswald Teutschs, eines ehemaligen Mitarbeiters von Hans Otto Roth, der vom 11.11.1938 bis zum 30.10.1940 in Roths Anwaltskanzlei in Bukarest arbeitete und später DViR-Führer unter Schmidt wurde.718 Laut Roth berichtete von Haeften davon, dass Schmidt Unterstützung in der Einholung einer Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 63. Politischer Nachlass HOR/Quelle 455: 1. Juli 1945, Bukarest. Memoriu–Denkschrift, in der Roth über die 1000-Mann Aktion berichtet. 717 BA NS 19/3888. AA (Staatssekretär Keppler) an SS-Gruppenführer Wolff, 12.1.1940. 718 Seine Aussage wurde von Reinerth veröffentlicht und von Schuster aufgenommen (Schuster, Hans Werner: Die Rumäniendeutschen in der Waffen-SS). Ebd., S. 63. 715 716
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Ausreisegenehmigung für tausend Mann beantragt habe. Angesichts der reichsdeutschen Bevollmächtigungen Schmidts müsste die Gesandtschaft den Antrag bearbeiten. Die Aktion könnte daher nicht aufgehalten, zumindest aber sabotiert werden. Roth erwähnte nicht, ob ihm von Haeften den Zweck der Ausreise mitteilte. Teutsch behauptete, von Haeften habe Roth vorgeschlagen, als Mittler zur rumänischen Regierung zu fungieren. Von einer solchen Mittlertätigkeit ist in Roths Bericht aber keine Rede. Er verwies – wie auch die Korrespondenz im AA – auf die Gesandtschaft als Unterhändlerin der reichsdeutschen Seite. Roth gab an, nach von Haeftens Besuch die Gesandtschaft aufgesucht, die Bevollmächtigung Schmidts überprüft und nach dem Zweck und der Dauer des Aufenthaltes der Jungen gefragt zu haben.719 Die Gesandtschaft soll ihm gegenüber von einem Arbeitsaufenthalt gesprochen haben. Daraufhin hätte Roth in Berlin eine Bestätigung der Aussage des Gesandten beantragt. Nach einigen Tagen soll Reichsaußenminister Ribbentrop geantwortet haben, dass die jungen Männer für höchstens ein Jahr zur Berufsausbildung ins Reich fahren sollten. Trotzdem will Roth die Gesandtschaft um eine weitere Versicherung gebeten haben, dass die Jungen nicht in der Wehrindustrie oder in militärischen Einheiten zum Einsatz kommen sollten. Als darauf eine kategorische und verneinende Antwort aus Berlin gekommen sei, habe Roth gemeint, daraus schließen zu können, dass es sich um keine militärische Rekrutierung handelte. Gleichzeitig habe von Haeften ein Telegramm mit Roths Bitte nach Berlin geschickt, man möge keine weiteren geheimen Rekrutierungen von Rumäniendeutschen für reichsdeutsche militärische Einheiten (also SS) durchführen und die bereits Rekrutierten nach Hause senden. Nachdem dieser Antrag von Haeftens in Berlin bewilligt worden war, legte Roth ein Treffen mit Andreas Schmidt fest.720 Laut Roth war von Haeften und ihm zu dieser Zeit schon bekannt, dass Schmidt 800 Mann aus Siebenbürgen und dem Banat und 200 aus Bessarabien, der Bukowina und der Dobrudscha für die „Ausbildung im Reich“ vorgesehen hatte. In Anbetracht der für Herbst 1940 geplanten Umsiedlung der Deutschen aus den drei letztgenannten Gebieten entschied Roth, den Anteil der Siebenbürger und Banater zu drücken. So will er – nach eigener Darstellung – Schmidt überzeugt haben, nur 400 Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben ins Reich fahren zulassen, dafür aber 600 Deutsche aus Bessarabien, der Bukowina und der Dobrudscha. In Roths Darstellung endete die 1.000-Mann-Aktion dank seiner Intervention letztendlich gleichermaßen günstig für Rumänien und die Rumäniendeutschen. Zwar hätten 1.000 Mann das Land verlassen, aber dafür wären „mehrere Male so viele“721 infolge des Antrags von Haeften bis Ende 1940 ins Land zurückge-
Ebd., S. 63. Politischer Nachlass HOR/Quelle 455: Bukarest: Memoriu – Denkschrift in der Roth über die Tausend-Mann-Aktion berichtet. 721 Ebd. 719 720
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kehrt. In diesem regionalen Verteilungsschlüssel der insgesamt 1.060 Rekruten unterscheidet sich Roths Darstellung jedoch von den Angaben der DJ-Organisation.722 Weder Roths Darstellung vom Juli 1945, noch die Aussage Teutschs können ohne Weiteres akzeptiert werden. Roth versuchte sich hier zu offensichtlich von der Mitarbeit an einer militärischen Rekrutierung zu distanzieren. Schmidt hatte der Gesandtschaft den Zweck der Ausreise der tausend Mann offen genannt.723 Roth behauptete, nur von einer Ausbildungsreise gewusst zu haben. Angesichts des Vertrauensverhältnisses zu von Haeften muss Roth den wahren Verwendungszweck der Tausend aber gekannt haben. Roths angebliche Telegramme an das AA konnten dort nicht gefunden werden. Doch selbst wenn Roth tatsächlich mehrmals darauf gedrängt haben sollte, dass die tausend Mann nicht militärisch eingesetzt werden dürften, so würde gerade dieses Drängen beweisen, dass Roth über den wahren Verwendungszweck informiert war oder zumindest etwas ahnte. Außerdem erscheint Roths Bericht ungenau. Er nennt weder das Datum seines ersten Treffens mit von Haeften noch mit Schmidt und setzt sich damit der Vermutung aus, eine Überprüfung seiner Angaben verhindern zu wollen. Auch erwähnt er das Aufgeben der Staatsbürgerschaft nicht. In dieser Hinsicht erscheint die Erklärung Teutschs glaubhafter, wenn er behauptet, dass Roth den Verwendungszweck der Tausend sehr wohl kannte, sich aber auch der großen Unterstützung Schmidts in der rumäniendeutschen Bevölkerung bewusst war.724 Aber auch die Darstellung Teutschs ist nicht stichhaltig. Angeblich soll Schmidt Roth erfolgreich gebeten haben, als Mittler zur rumänischen Regierung zu fungieren.725 Die diplomatische Korrespondenz beweist aber eindeutig, dass nicht Roth, sondern die Deutsche Gesandtschaft die Verhandlungen mit der rumänischen Regierung führte. Die Präsenz Roths während der Verhandlungen war daher weder notwendig noch ausschlaggebend. Teutsch arbeitete in führender Funktion in der DViR. Roth hingegen gehörte dem Lager der Konservativen an. Daher ist es durchaus möglich, dass Teutsch im Nachhinein seinen ehemaligen politischen Gegner durch die Unterstellung einer führenden Rolle während der 1.000-Mann-Aktion zu verleumden suchte. Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte: Roth könnte vom wahren Zweck der Rekrutierung gewusst haben, ohne aber maßgeblich an der Aktion beteiligt gewesen zu sein. Eine aktive Beteiligung an der Aktion kann man ihm auf jeden Fall nicht nachweisen. Die rumänische Regierung kannte seitens der reichsdeutschen Unterhändler jedenfalls nur den offiziellen „Ausbildungszweck“ der Reise. Bukarest erfuhr den wah Vgl. Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 70/71. BA NS 19/3888. AA (Staatssekretär Keppler) an SS-Gruppenführer Wolff, Berlin 12.1.1940. BA NS 19/3888 AA (Kult) an Himmler, Berlin 23.1.1940. 724 Aussage Dr. Oswald Teutsch vom 25.11.1983. Schuster, Hans Werner: Die Rumäniendeutschen in der Waffen-SS, S. 22. 725 Ebd. 722 723
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ren Verwendungszweck der tausend Mann wahrscheinlich erst zwei Wochen vor deren Abreise. Trotzdem verhielt sich die rumänische Polizei auch weiterhin passiv. Schwierigkeiten kurz vor der Ausreise erhärten den Verdacht einer rumänischen Mitwisserschaft in letzter Minute.726 Nach weiteren Verzögerungen scheint die Angelegenheit dann durch Schmiergeldzahlungen und den persönlichen Einsatz Ribbentrops gelöst worden zu sein.727 Als Belohnung für die 1.000-Mann-Aktion wurde Andreas Schmidt im September 1940 von der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi) zum Volksgruppenführer der DViR ernannt. Schmidt betrachtete diese Position allerdings nie als Endziel. Für ihn war der neue Posten nur ein Sprungbrett für eine weitere Karriere im Reich.728 Die schwierige Aktion selbst hatte keine militärische Bedeutung. Sie wurde nur als Pilotprojekt für spätere, größere SS-Rekrutierungen durchgeführt.729 Die Folgen des somit eröffneten ausländischen Rekrutenpotenzials übertraf denn auch später alle Erwartungen: Gegen Kriegsende bestand die SS zu 56% (510.000 von 910.000 Mann) aus fremden Staatsbürgern.730 Das bereits erwähnte Verbot, in deutschen Einheiten dienen zu dürfen, das Gegenstand so vieler Beschwerden der rumäniendeutschen Bevölkerung war, war selbstverständlich nicht der Überzeugung Andreas Schmidts entsprungen. Es ging auf eine Anweisung des AA in Berlin zurück, die wiederum einen interessanten Ursprung hatte: Anfang 1940 hatten – wie bereits erwähnt – Legationsrat Hans Bernd von Haeften und Hans Otto Roth dem AA im Gegenzug für die 1.000-Mann-Aktion ein Verbot weiterer Aufnahmen von Rumäniendeutschen in reichsdeutsche militärische Einheiten abgerungen.731 Es ist nicht bekannt, ob Andreas Schmidt bei der Verhängung des Verbots um die Rolle von Roth wusste. Bemerkenswert erscheint jedoch in diesem Zusammenhang die minimale Entscheidungsgewalt der DViR. Die erreichte „verbotene Freiwilligkeit“ enttäuschte dann aber nicht nur überzeugte Nationalsozialisten, sondern auch alle anderen, da die meisten Deutschen aus den bereits aufgeführten Gründen alles versuchten, um speziell dem rumänischen Einberufungsbefehl zu entkommen. In den inzwischen zu Ungarn gehörenden Teilen Nordsiebenbürgens war das anders: Dort unterzeichnete die Waffen-SS schon am 24. Februar 1942 mit der ungarischen Regierung den ersten von insgesamt drei Verträgen zur Rekrutierung der Volksdeutschen.732 Anders als in Rumänien gab es Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 65. Ebd., S. 66. 728 Ebd., S. 55. 729 Ebd., S. 75. 730 Ebd., S. 75. 731 Politischer Nachlass HOR/Quelle 455: H. O. Roth in Bukarest am 1.7.1945. 732 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 120. Vgl. dazu auch Stein, George: Geschichte der Waffen-SS, S. 152 ff. 726 727
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dort allerdings auch heftigen Widerstand der VDU-Führung (Verband der Deutschen Ungarns), deren Verhältnis zur SS denkbar schlecht war. In Rumänien wehrte sich nur die Regierung gegen SS-Rekrutierungen. Erst nach persönlichen Gesprächen Hitlers mit Marschall Antonescu (12./13.4.1943) konnte dem Marschall seine Zustimmung abgerungen werden.733 Als Antonescu am 14. April 1943 nach Bukarest zurückkehrte, hatten die ersten Rekrutierungen bereits begonnen.734 Nur zwei Tage später, am 16. April 1943, wurde der rumänischen Polizei nachweislich aus der „Quelle Hans Otto Roth“735 mitgeteilt, dass die DViR seit zwei Tagen in Siebenbürgen Rekrutierungen für die SS durchführe.736 Roth nannte sogar die genaue Zahl: 20.000 Mann.737 Außerdem meldete er nach Bukarest, dass die DViR für die Mannschaft ein Höchstalter von 35 Jahren und für Offiziere 45 Jahre festgesetzt habe.738 Von dieser Geschwindigkeit war die rumänische Regierung jedoch überrascht. Antonescu konnte von seinen Zusagen keinen Abstand mehr nehmen. Es war dies erst die erste Phase, die frühe Rekrutierung des Jahres 1943. Sie dauerte vom 14. April bis zum 12. Mai 1943. An diesem Tag wurde dann schließlich das „Abkommen zwischen der Reichsregierung und der rumänischen Regierung hinsichtlich der Einreihung rumänischer Staatsbürger volksdeutscher Zugehörigkeit in die deutsche Wehrmacht-SS“ vom Chef des Königlichen Rumänischen Großen Generalstabs General Steflea und vom Gesandten des Deutschen Reiches, Manfred Frhr. von Killinger, unterzeichnet. Der Text umfasste dreieinhalb Seiten und wurde während des Krieges nicht veröffentlicht. Artikel 1 des Vertrages bezog sich auf die Musterungskriterien. Nicht gemustert werden durften aktive Offiziere der rumänischen Armee, Unteroffiziere, Korporäle und Sergeanten (Musterungsjahrgänge 1942–1944), Frontsoldaten, Spezialisten, Tierärzte und Ingenieure. Auch enthielt der Artikel eine Bestimmung, die besagte, dass die Gemusterten ihren freiwilligen Eintritt in die SS erklären mussten.739 Besonders diese Freiwilligkeitsklausel sollte theoretisch verhindern, dass Rumäniendeutsche zwangsweise für die SS rekrutiert wurden. Tatsächlich kamen denn auch Berichte über Zwangsmaßnahmen und hilfesuchende Rumäniendeutsche nach Bukarest. Allerdings gewährten die rumänischen Behörden in der Praxis nur den wenigsten Personen wirkliche Unterstützung. Es waren dies Personen, die gute Beziehungen hatten – so etwa auch die Söhne von Hans Otto Ebd. Ebd., S. 140. 735 Ebd., S. 140. 736 RND, dosar 3159, grupa a III-a, nota, 16.4.1943. – Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 140. 737 RND, dosar 3159, nota, 16.4.1943. – Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 214. 738 Ebd. 739 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 152. 733 734
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Roth und Viktor Glondys. Beide verblieben in der rumänischen Armee740, wohingegen zum Beispiel beide Söhne von Friedrich Müller der Waffen-SS beitraten und 1945 noch in den letzten Kriegstagen fielen. Die Opposition der konservative Rumäniendeutschen um Bischofsvikar Friedrich Müller und Hans Otto Roth, von der eine heftige Reaktion gegen die SS-Aktion hätte erwartet werden können, unternahm allerdings denkbar wenig. Das Tagebuch von Viktor Glondys verzeichnet ab Sommer 1943 vor allem seine Sorge um die Veröffentlichung theologischer Abhandlungen.741 Von Hans Otto Roth fehlen aus dieser relevanten Zeitspanne persönliche oder öffentliche Reaktionen gleich ganz.742 In keiner Quelle ist ein Hinweis zu finden, dass die konservative Elite die Position der rumänischen Behörden zur Aushebung sondierte oder die SS-Rekrutierung öffentlich ablehnte. Zwar zirkulierten Flugblätter und Denkschriften, doch kritisierten diese nicht die Rekrutierung als solche, sondern Schmidts diktatorischen Führungsstil und fragten vorwurfsvoll, warum so wenige DViR-Funktionäre der Waffen-SS beigetreten waren. Die Konservativen verhielten sich in dieser Zeitspanne zuwartend-passiv. Das Argument einer Einschüchterung der Konservativen muss hierbei kritisch hinterfragt werden, denn womit hätte die Volksgruppenführung den prominentesten Konservativen denn im schlimmsten Fall drohen können? Dem Kronstädter ehemaligen Kreisausschussvorsitzenden Dr. Depner zum Beispiel wurde allenfalls Prügel angedroht, als er sich kritisch zur SS-Werbung geäußert hatte. Spätere Behauptungen von Hans Otto Roth und anderen Konservativen, 1943 gegen die SS-Aktion gewesen zu sein, können mit Quellen nicht belegt werden.743 Dabei soll Stalingrad angeblich auch für Friedrich Müllers „Verteidigungsring“ in Hermannstadt das Ende des Dritten Reiches eingeläutet haben. Sollte diese Behauptung zutreffen, wiegt das Schweigen der Konservativen 1943 umso schwerer. Die konservative Opposition versuchte bis zum 12. Mai 1943 einzig, die juristischen Folgen der „frühen“ Rekrutierung festzustellen.744 Nach diesem Datum und ohne den Text des Waffen-SS-Abkommens nachweislich gesehen zu haben, begnügte sich die Opposition mit der Weiterleitung von Informationen über Zwangsmaßnahmen bei der Rekrutierung nach Bukarest. Das Hauptaugenmerk der Konservativen galt den eigenen Söhnen, die in der rumänischen Armee bleiben durften. Paul Milata urteilt: „Das rumäniendeutsche Bürgertum, aus dessen Reihen sich die organisierte Opposition mehrheitlich rekrutierte, bewies damit, wie sehr sie sich von der Bevölkerung isoliert hatte.“745 Das stimmt so aber nicht ganz, da die Masse der jungen rumäniendeutschen Männer freiwillig in die SS eintrat. Roth konnte sie daran nicht hindern. Das rumänische 742 743 744 745 740 741
Ebd., S. 195. Tagebuch Glondys, S. 349 ff. Siehe Politischer Nachlass HOR. Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 203. Tagebuch Glondys, S. 349f. Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 204.
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Bürgertum hingegen stand in der rangmäßig polarisierten rumänischen Armee im Offiziers- und Unteroffiziersrang und genoss daher eine weitaus bessere Behandlung als die rumäniendeutschen Bauern und Handwerker, die als Mannschaften dienten. Daher gab es für die Söhne der bürgerlichen Oberschicht auch weniger Anreize, die armata zu verlassen. Milata: „Dass ihre Entscheidung auch einer patriotischen Haltung entspringen konnte, ist gewiss, doch erscheint ihr Zurückführen ausschließlich auf Patriotismus als ein Zeichen von Zynismus.“746 Gerade die deutsche Kriegslage hätte für die konservative Opposition ein Argument gegen die SS-Rekrutierung sein müssen. Auch die rumänische Polizei bemerkte, dass die Niederlagen der Wehrmacht in Stalingrad, Tunis und die Landung der Alliierten in Italien die Endsieg-Euphorie dahinschmelzen ließen. Dennoch blieb die Zahl der rumäniendeutschen Skeptiker zunächst noch in der Minderzahl. Nach Mansteins Sieg bei Charkow herrschte in den entscheidenden Monaten April bis Juni 1943 eine relative Ruhe an der Ostfront und die Verluste fielen auf ein relativ niedriges Niveau. Aus Sicht der Bevölkerung befand sich die Front noch weit weg – nämlich 750 Kilometer Luftlinie von der Grenze am Dnjepr. Nach dieser Zeit der strategischen Balance zwischen Wehrmacht und Roter Armee bis zur Schlacht von Kursk Anfang Juli 1943 übernahm die Rote Armee jedoch die Offensive. Zu diesem Zeitpunkt waren die Musterungen der Rumäniendeutschen für die SS aber schon durchgeführt. Es gibt ein gewichtiges Argument, warum die Konservativen so wenig aktiv waren. Hans Otto Roth brachte es während einer Bahnfahrt mit dem Chefredakteur des umbenannten „Südostdeutschen Tageblatts“, Alfred Hönig, auf den Punkt: „Dieser Verbrecher [Hitler], er bringt das Deutschtum im Ausland um alles, was es in Jahrhunderten aufgebaut hat und wir müssen auch noch wünschen, dass er siegt, denn eine Niederlage Deutschlands bedeutet auch für uns die totale Vernichtung.“747 Hönig, Exponent der Propagandamaschine der DViR, vertrat eine Meinung, die für sich genommen diskutabel erscheint, während des Krieges weit verbreitet war und bis heute für seine Generation gültig geblieben ist: „Für unsere kleine und bedrohte Minderheit gab es einfach keine Alternative. Von uns aus konnten wir den Gang der Weltgeschichte nicht verändern. Wir waren genauso Gefangene der Auseinandersetzung von Weltmächten wie die Rumänen.“748 Kritisch anmerken sollte man dazu aber schon, dass der Nationalsozialismus in der rumäniendeutschen Bevölkerung eine breite Unterstützung erfuhr. Diese sah dem Geschehen nicht nur unbeteiligt zu oder wurde gar unschuldig in die Ereignisse hineingezogen (Stichwort: „Beutegermanen“749), sondern sie ergriff selbst mit ganzer Leidenschaft Partei für das Dritte Reich, mit allen Vorzügen in den Zeiten der Siege (Lösung aller Probleme der 1920er Jahre), mit allen Verstrickungen in die Kriegsverbrechen (SS-Frw.-Div. „Prinz Eugen“ in Jugoslawien) 748 749 746 747
Ebd., S. 204. Ebd., S. 204. Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 205. Ebd., S. 273.
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und mit allen daraus folgenden Konsequenzen in der Niederlage (Entrechtung/ Deportation). Nachdem die konservative „Opposition“ also im Frühjahr 1943 bei der wichtigen Frage der Rekrutierung der Rumäniendeutschen für die Waffen-SS weitgehend versagt hatte, stellt sich die Frage, wo und unter welchen Umständen sie denn überhaupt einmal erfolgreich agiert hat und wie Hans Otto Roth schließlich doch noch zu der Ehre kam, von Andreas Schmidt als „Volksfeind Nr. 1“ betitelt zu werden. Die Frage nach den äußeren Umständen ist dabei leicht zu beantworten: Der Widerspruch gegen die DViR wuchs mit dem für die NS-Diktatur zunehmend negativen Kriegsverlauf. Aber auch der Volksgruppenführer selbst gab Anlass zum Anstoß. Am 18.8.1943 zum Beispiel sang Andreas Schmidt zusammen mit Bekannten, darunter zwei von der DViR eingesetzte Würdenträger der evangelischen Kirche (LandeskirchenkuratorStellvertreter Dr. Hermann Schöpp und Landeskonsistoriumsmitglied Dr. Alfred Pomarius), im Zeidner Waldbad beim Vorbeigehen zweier Geistlicher ein Spottlied auf Jesus. Innerhalb von sechs Wochen hatte die Kirchenopposition um Bischofsvikar Müller infolge des Vorfalls die schriftliche Unterstützung des Protests von 77 Pfarrern (im Januar 1944 schon von 110). Im Herbst drohte Müller, Schmidt wegen antikirchlichen Verhaltens und Staedel wegen Amtsübergriffs vor einem rumänischen Verwaltungsgericht anzuklagen. Erst das Reichsaußenministerium vermittelte einen kontroversen „Burgfrieden“ am 18.11.1943.750 Dennoch führte dieser sogenannte „Zeidner-Waldbad-Vorfall“ zum offenen Bruch zwischen dem Gros der evangelischen Pfarrschaft und der DViR sowie Bischof Staedel. Sowohl Geheimdienste als auch Zeitzeugen berichten, dass die Zahl der NS-Kritiker am Sommerende 1943 zum ersten Mal eine kritische Masse erreichte. Am 27. September 1943 wagte Schmidt schließlich den Sprung nach vorne und griff in seiner Winterhilfswerk-Rede die Opposition scharf an – namentlich Hans Otto Roth: „Die reaktionären Kreise unserer Volksgruppe mit Hans Otto Roth an der Spitze, haben es verstanden, im Jahre 1935 die Bewegung zu spalten. Ich habe Gelegenheit gehabt, Herrn Dr. Hans Otto Roth näher kennenzulernen während unserer Zusammenarbeit in der Volksgruppenführung, ein ganzes Jahr: 1940. Herr Hans Otto Roth wurde auf meinen Vorschlag im Jahr 1940 in den Führerrat der Volksgruppenführung hereingenommen. Ganz genau wie heute, stänkerte er auch damals gegen die Führung und tat so, als würde, wenn man ihn in die Führung aufnehme, alles in Ordnung gehen und sein Anhang bedingungslos mittun. Ich habe mich leider damals aus dem Gefühl heraus, daß es gut sein würde, wenn tatsächlich alle Kreise sich endlich in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft einreihen, dazu überreden lassen, ihn in den Führerrat der Volksgruppe vorzuschlagen. Nachdem er nicht lange Zeit in der Volksgruppenführung mit dem Sitz in Bukarest mitgearbeitet hatte, nach Monaten wollte er schon Minister Wien, Ulrich A.: Kirchenleitung über dem Abgrund, S. 172.
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werden, da uns die Regierung einen Ministersitz angetragen hatte. Er sollte es werden und wahrscheinlich, um die Sicherheit dafür zu haben, trug er mir damals den Unterstaatssekretär in seinem Ministerium an. Ich hatte ihn allmählich erkannt und habe damals selbstverständlich abgelehnt und zugleich auch dafür gesorgt, daß er nicht Minister wurde. Er hatte mir nämlich vorher die Mitteilung gemacht, daß wir dann nachher beide dafür sorgen müßten, daß die Volksgruppenführung allmählich von uns in Bukarest gemacht und die Führung von ihm übernommen werde. Die Reaktion jedoch hatte davon erfahren und durch viele Telegramme ihrer Freude Ausdruck gegeben. Ich habe von diesen Dingen niemals gesprochen bis heute. Ich muß es heute jedoch tun, um den Beweis zu erbringen, damit jeder Volksgenosse Bescheid weiß, wer in diesen Jahren für und wer gegen unsere Einheit gekämpft hat. Ich glaube, wir können heute glücklich sein, daß Hans Otto Roth nicht der Führer dieser Volksgruppe ist. ...“751
Im Nachhinein durfte Roth stolz sein, dass gerade er vom Volksgruppenführer als der größte Volksfeind erkannt worden war. Er selbst forderte Schmidt wegen dessen beleidigender Äußerungen prompt zum Duell, das allerdings nie ausgetragen wurde. Am 20. Dezember 1943 erhielt Roth dann vom Bukarester Schatzamt der Deutschen Volksgruppe in Rumänien die Mitteilung, dass „aus gegebener Veranlassung“752 der sogenannte „Volksbeitrag“ (Beitrag für die Mitgliedschaft in der Deutschen Volksgruppe in Rumänien) für das Jahr 1943/44 – 165.000 Lei – gestrichen worden war. Auch der Beitrag für die Volksgruppe 1942/43 – 62.500 Lei – wurde Roth zurückerstattet. War Hans Otto Roth damit aus der Deutschen Volksgruppe ausgeschlossen? Nicht ganz. Auf Roths Nachfrage, was diese ihm „völlig unverständliche“753 Mitteilung für einen Sinn haben solle, ob „die von der Volksgruppenführung getroffenen Massnahmen meinen Ausschluss aus dem Verbande der Deutschen Volksgruppe in Rumänien zum Ziel“754 hätten, antwortete Amtsleiter Otto Liess755 vom Stabsamt der Volksgruppe ganz eindeutig: „Entscheidend für die Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft ist das Blut. Wer deutschen Blutes ist, gehört der deutschen Volksgruppe an und kann aus dieser nicht ausgeschlossen werden – auch wenn es sich um einen Volksschädling handelt. Es kann daher von Ihrem Ausschluss aus der Volksgemeinschaft, oder wie Sie schreiben, aus dem „Verbande der Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ 751 Politischer Nachlass HOR/Quelle 387: 30. September 1943: Auszüge aus der in der „Südostdeutschen Tageszeitung“, Folge 227, S. 3 abgedruckten Rede des Volksgruppenführers Andreas Schmidt bei der Eröffnungsfeier des Winterhilfswerks in Hermannstadt, in der er Hans Otto Roth persönlich angreift. 752 Politischer Nachlass HOR/Quelle 391: 20. Dezember 1943, Bukarest: „Ein Briefwechsel.“ Die von Roth in einem Faszikel zusammengefassten Brieftexte vom 20. Dezember 1943, 10. Januar 1944, 4. Februar 1944, 15. Februar 1944, 5. März 1944, 10. März 1944 und 25. März 1944. 753 Ebd. 754 Ebd. 755 Zu Otto Liess siehe auch Böhm, Johann: Hitlers Vasallen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945, S. 187 ff.
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keine Rede sein.“756 Bezüglich der Rückerstattung von Roths Beiträgen für die Deutsche Volksgruppe ließ Otto Liess Roth wissen: „Ihnen wurde das Ehrenrecht völkische Dienste zu leisten (z.B. Zahlung des Volksbeitrages) entzogen, womit Sie jeglicher Pflichterfüllung in unserer Volksgruppe enthoben sind. Sie stellen somit einen Volksgenossen ledig jeglicher Pflichterfüllung dar.“ Dabei ließ es Roth jedoch nicht bewenden. Er begann nun mit für die Volksgruppenführung anstrengenden, tiefschürfenden Nachfragen über das Wesen des Nationalsozialismus, womit er – in der Tat brillant und ohne sich selbst angreifbar zu machen – die reine Willkürherrschaft der Nationalsozialisten offenlegte. Was Hans Otto Roth hier gelang, darf geradezu als Musterbeispiel für die Bloßstellung der nationalsozialistischen Willkürherrschaft und der juristischen Inkompetenz der betreffenden Amtsstellen angeführt werden. So wollte Roth – ganz Jurist – jetzt exakt wissen: 1. „Was machen Sie mir zum Vorwurf, bezw. welches ist der genaue Tatbestand der mir offenbar zur Last gelegten ,volksschädigenden‘ oder ,die Volksdisziplin verletzenden‘ Handlung, und wann, wie und wo soll ich diese begangen haben? 2. Welches Forum oder welche Amtsstelle hat den mir zur Last gelegten Tatbestand untersucht und festgestellt? 3. Welches Forum oder welche Amtsstelle der Volksgruppenführung hat die in Rede stehende Entscheidung getroffen? 4. Nach welcher Verfahrensordnung ist die Volksgruppenführung vorgegangen? 5. Ist in der Verfahrensordnung der Volksgruppe – falls eine solche Verfahrensordnung überhaupt besteht – die Mitwirkung oder auch nur die Anhörung des Verdächtigen nicht vorgesehen? 6. Auf welches Landesgesetz oder auf welches Organisationsstatut stützt die Volksgruppenführung die getroffene Entscheidung? 7. Besteht aber ein derartiges Organisationsstatut der Deutschen Volksgruppe in Rumä-nien, ist es gemäss Art. 4 des Dekretgesetzes Zahl 3.884 vom 21. November 1940 vom Stabsführer genehmigt und den Mitgliedern der Volksgruppe in angemessener Form bekannt gemacht worden? 8. Worin bestehen die gegen mich getroffenen Massnahmen [sic!] eigentlich, d.h. hat mich die Volksgruppenführung nur der Pflichterfüllung innerhalb der Volksgruppe enthoben oder hat sie mich auch der den Mitgliedern der Volksgruppe zustehenden Rechte für verlustig erklärt? Im letzteren Falle käme die getroffene Massnahme praktisch dem Ausschluss aus dem Verbande der Deutschen Volksgruppe gleich. 9. Hat die getroffene Entscheidung endgültigen Charakter oder handelt es sich um eine provisorische Massnahme [sic!]?
756 Politischer Nachlass HOR/Quelle 391: 20. Dezember 1943, Bukarest: „Ein Briefwechsel.“ Die von Roth in einem Faszikel zusammengefassten Brieftexte vom 20. Dezember 1943, 10. Januar 1944, 4. Februar 1944, 15. Februar 1944, 5. März 1944, 10. März 1944 und 25. März 1944.
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10. Was kann im letzteren Falle im Sinne der eventuell bestehenden Verfahrensordnung gegen die getroffene Entscheidung unternommen werden?“757 Keck setzte Roth dem Stabsamt dann sogar noch eine Art Ultimatum: „Sollte ich bis zum 20. November l.J. auf die obigen Fragen keine Antwort erhalten, müsste ich annehmen, dass die gegen mich getroffenen Massnahmen [sic!] reine Willkürakte darstellen.“758 Man möchte heute vermuten, dass man bei der Volksgruppenführung vielleicht wenigstens einen linientreuen Juristen hinzugezogen hätte. Doch offenbar legte Roth seine Finger in eine so offene Wunde, dass Amtsleiter Liess sich nur noch in Ausflüchte zurückziehen konnte: „Sie gehören zu den seltenen Ausnahmen, die im 5. Kriegsjahr die nationalsozialistische Revolution noch immer nicht verstehen wollen. Dies offenbart Ihre Haltung der Volksgruppe gegenüber, sowie die Ihrem Briefe zugrunde liegende typisch liberal-individualistische Rechtsauffassung, die mit formal-juristischen Masstäben [sic!] weltanschaulich bedingten Grundsätzen und Erkenntnissen zu Leibe rücken will. Gerade heute müssen wir immer wieder feststellen, dass allein der Nationalsozialismus das deutsche Volk zu der eisernen Gemeinschaft geschmiedet hat, die imstande ist, diesen schwersten aller Kriege erfolgreich durchzustehen. Unserem Schreiben vom 22.1. d.J. haben wir bloss hinzuzufügen, dass allein Ihre zukünftige Einstellung dem Nationalsozialismus und der Volksgruppe gegenüber für das Bestehenbleiben der gegen Sie getroffenen Massnahmen [sic!] bestimmend ist.“759
Damit war keine von Roths Fragen beantwortet, doch wie hätte Liess sie auch beantworten sollen? Die Maßnahmen waren reine Willkür, was Liess nur nicht zugeben konnte. Dieses gegenüber dem Stabsamt tatsächlich festzustellen, tat Hans Otto Roth: „Leider enthält Ihre Zuschrift vom 15. Februar l.J. keinerlei Antwort auf mein letztes Schreiben. Sie bewegt sich vielmehr in allgemeinen Erörterungen über Dinge, die mit den von mir gestellten konkreten Fragen in keinem Zusammenhang stehen. Damit geben Sie selbst zu, dass die gegen mich getroffenen ,Massnahmen‘ nicht das Ergebnis eines ordnungsgemäss [sic!] durchgeführten Verfahrens sind, sondern reine Willkürakte darstellen. Ich halte diese Tatsache hiermit ausdrücklich fest.“760
Wenige Jahre später wurde Roth in einer kommunistischen Verleumdungskampagne wegen seines Verhaltens in der Zeit der NS-Herrschaft scharf angegriffen, unter an Ebd. Ebd. 759 Ebd. 760 Ebd. 757 758
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derem auch von seinen sächsischen politischen Gegnern. Keiner dieser Gegner hatte es aber selbst jemals gewagt, einem NS-Amtsleiter eine so schroffe Kritik entgegenzubringen. Doch damit noch nicht genug: Roth machte sich in seinem Antwortschreiben nun daran, einen Frontalangriff gegen die gesamte Volksgruppenführung zu starten, indem er sogar die Ausflüchte des Amtsleiters Liess widerlegte und mit konkreten Beispielen als falsch nachwies. Zwischen Weltanschauung und Rechtsordnung, so argumentierte er, bestehe kein Gegensatz, Rechtsordnungen bauten sich vielmehr auf bestimmten Weltanschauungen auf und verkörperten sogar das aus diesen Weltanschauungen sich ergebende Ordnungsprinzip. Auch die nationalsozialistische Gemeinschaft könne nicht auf eine bestimmte und genau umrissene Rechtsordnung verzichten, was sie auch nicht tue, wie das nationalsozialistische Deutsche Reich beweise, wo das Privatrecht und auch das Strafrecht seinen Richter habe. Als zweites führte Roth an, dass Liess dem Rechtsanwalt Karl Gündisch im Dezember des vorherigen Jahres schriftlich mitgeteilt habe, dass ein Ausschluss aus dem Verbande der Volksgruppe nur aufgrund einer Entscheidung der „völkischen Strafgerichte“ möglich sei, was ja nun offensichtlich ganz klar im Widerspruch zu der Bluttheorie stand, nach der eine Person deutschen Blutes gar nicht aus der Volksgruppe ausgeschlossen werden könnte. Außerdem seien doch eine gewisse Frau Bonfert aus Hermannstadt und ein Herr Schmidt aus Kronstadt aus der Volksgruppe ausgeschlossen worden und das sogar, obwohl gar kein völkisches Strafgericht über sie geurteilt habe. Geradezu dreist wurde Roth dann in seinem dritten Punkt, was den Sinn der nationalsozialistischen Revolution anbelangte: „Leider scheinen aber die Ausnahmen, die den Sinn der national-sozialistischen Revolution immer noch nicht verstanden haben, nicht so selten zu sein, wie Sie nach Ihrer Zuschrift vom 15. Februar l.J. fälschlicherweise annehmen.“761 Eine solche Unverfrorenheit wäre im nationalsozialistischen Deutschland mit Sicherheit mit der Einweisung in ein Konzentrationslager beantwortet worden. Außerdem belehrte Roth den gewiss nicht humanistisch gebildeten Amtsleiter mehrmals in Latein: „Quod erat demonstrandum!“ Oder: „Sic volo, sic jubeo!“ Oder: „Bellum omnium contra omnes.“762 Abschließend gab Hans Otto Roth Liess zu verstehen, dass er den Geldbetrag, den er von der Volksgruppe nun zurückbekommen hatte, einer „in unserer völkischen Geschichte besonders bewährten Organisation“ spenden wollte, der er aus tiefster Überzeugung zugetan sei und die gewissenhaft dafür sorgen würde, dass der Betrag denjenigen Volksgenossen zugutekomme, die durch den Krieg am meisten gelitten hatten. Es ist nicht schwer zu erraten, welche Organisation Roth meinte. Tatsächlich fand Roths Freund Bischofsvikar Müller sehr bald zwei Briefe von Roth vor, in denen er 85.000 Lei beilegte. Dafür wollte Roth keine Spendenquittung, denn er tat dies in dem Vertrauen, dass der Betrag nach „eigenem Gutdünken für die durch den gegenwärtigen Krieg am
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schwersten getroffenen Volks- und Glaubensgenossen Deiner Kirchengemeinde“ 763 verwendet werde. Gegen Andreas Schmidt aber ging Roth nun vor dem rumänischen Gericht wegen Verleumdung vor: „Ich habe den Schmidt zum Duell fordern lassen, ich habe ihm ein frei zu bestimmendes Schiedsgericht vorgeschlagen und mich schliesslich sogar an das A.A. gewendet und ihm anheimgestellt, von sich aus etwas zu unternehmen, um eine öffentliche Austragung zu vermeiden. Über das hinaus habe ich versucht, die Einleitung der Untersuchung im Interesse einer eventuellen anderweitigen Austragung der Angelegenheit nach Möglichkeit zu verzögern. Nachdem das alles nicht verfangen hat, sehe ich mich nunmehr genötigt, der Sache freien Lauf zu lassen. ... Ich glaube, ich habe wirklich alles nur irgend mögliche versucht, um eine Auseinandersetzung dieser Art zu vermeiden. Wenn man aber nicht will, dann muss ich eben dem Zwang folgen und meine Ehre verteidigen, die mir über alle Rücksichten geht, die man auf der anderen Seite so bewusst und grosszügig ignoriert.“ 764
Das Verfahren wurde bis 1948 weitergeführt. Dann fällte der Appelationshof ein Urteil: „... wird der Beschuldigte Andreas Schmidt, zuletzt wohnhaft in Kronstadt, N. Jorgastrasse Nr. 2, augenblicklich unbekannten Aufenthaltes, auf Grund all dieser Motive, die von Herrn Gerichtsrat Racota zusammengefasst wurden, durch den Appelationshof Im Namen des Gesetzes Hiermit wegen Beleidigung, vorgesehen in Art. 512 und qualifiziert durch den Art. 513 des Strafgesetzbuches zu 4/vier/ Monaten Korrektionsgefängnis verurteilt und verpflichtet, dem Kläger Dr. Hans Otto Roth, einen Schadenersatz von Lei 5.000,- /fünftausend/ und dem Staat für Gerichtskosten den Betrag von Lei 3.000.- zu zahlen. Das Urteil ist endgültig. Gegeben und verlesen in der öffentlichen Sitzung des Appelationshofes in Hermannstadt, heute am 18. Oktober 1948.“765
Ebd. Politischer Nachlass HOR/Quelle 398: 12. Juni 1944 Hans Otto Roth antwortet Rechtsanwalt Gündisch in Hermanstadt auf dessen Schreiben vom 7. Juni 1944 und erläutert seine Einstellung zum Verfahren gegen Andreas Schmidt. 765 Politischer Nachlass HOR/Quelle 502: 18. Oktober 1948, Hermannstadt: Abschrift der deutschen Übersetzung des Strafurteils des Appelationshofes Hermannstadt gegen den Beschuldigten Andreas Schmidt. In dieser Quelle wird auch der Wohnort von Hans Otto Roth angegeben: Bukarest, Strada Lutherana 19. 763 764
III. Kapitel
„Zusammenbruchsgesellschaft“ der Rumäniendeutschen und Kommunismus (1944–1953) 3.1 Kriegsende in Siebenbürgen 1944 Nach der Katastrophe von Stalingrad im Winter 1942/43, von der auch die 3. und 4. rumänische Armee betroffen waren und 18 rumänische Divisionen vernichtet wurden, blieben nur noch wenige rumänische Divisionen an der Ostfront eingesetzt. Sie hatten Anteil an den nachfolgenden deutschen Rückzügen und Verlusten. Die Rote Armee erreichte im Oktober 1943 den Dnjepr, im März 1944 den Prut nördlich von Kischinew und überschritt im April den oberen Seret. Dann hielt sie eine durch Bessarabien und die Moldau verlaufende Front vorübergehend auf. Am 20. August 1944 setzte die Rote Armee zu einer neuen Großoffensive an. Sie drang durch die Moldau in südwestlicher Richtung in das Kerngebiet Rumäniens ein. Am 23. August 1944 rief König Michael Antonescu zu sich, überraschte ihn durch seine Entlassung und ließ ihn gefangen nehmen (am 1. Juni 1946 wurde er als „Kriegsverbrecher“ erschossen). Gleichzeitig befahl König Michael die Einstellung des Kampfes. Constantin Sănătescu bildete ein neues Kabinett, das aufgrund seiner bereits im März in Kairo eingeleiteten Verhandlungen auf einen Waffenstillstand mit den Alliierten drang. Man bot den deutschen Truppen freien Abzug an. Ein am 25. August 1944 durchgeführter deutscher Luftangriff auf Bukarest führte jedoch zur Kriegserklärung an das Deutsche Reich. Die durch den Umschwung überraschten deutschen Vertretungen in Bukarest gerieten in Gefangenschaft, der deutsche Gesandte von Killinger beging Selbstmord. Bis Monatsende besetzten die sowjetischen Truppen Bukarest und die Erdölgebiete von Ploesti und drangen in die breit aufgerissene Frontlücke ein. Am 2. September 1944 wurde die 1938 suspendierte Verfassung von 1923 wieder in Kraft gesetzt. Am 4. September rückte die Rote Armee in Kronstadt ein und am 25. Oktober 1944 war ganz Siebenbürgen besetzt. Bereits am 12. September 1944 wurde in Moskau der Waffenstillstand zwischen Rumänien und der UdSSR unterzeichnet. Diese Ereignisse trafen die deutsche Regierung und die Volksgruppenführung unvorbereitet766, was umso unverständlicher ist, als es nicht nur zahlreiche Zeichen Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 211.
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und Warnungen gab, sondern weil man spätestens ab Ende 1943 angesichts des Kriegsverlaufs auch einfach zwangsläufig mit einer Invasion Rumäniens durch die Rote Armee rechnen musste, so wie es denn auch zum Beispiel die deutsche Volksgruppenführung im ungarischen Nordsiebenbürgen getan hat. So aber passierten die sowjetischen Truppen schnell und ohne größere Schwierigkeiten die natürliche Verteidigungslinie Siebenbürgens, die Karpaten, wo der Roten Armee wegen fehlender Vorbereitungen kaum Widerstand entgegengesetzt werden konnte. Nur ein deutsch-ungarischer Vorstoß Anfang September 1944 erlaubte es, die Bevölkerung einiger südsiebenbürgischer Gemeinden (Felldorf, Maniersch, Rode, Zendersch, Draas, Katzendorf, Zuckmantel) in aller Hast in Sicherheit zu bringen. Die Volksgruppenführung selbst verließ Siebenbürgen zum größten Teil mit der abziehenden Wehrmacht. Der überwiegende Teil der Bevölkerung blieb jedoch in ihren Wohnorten. Anders verlief die Evakuierung in dem an Ungarn gefallenen Teil Nordsiebenbürgens. Hier konnte 1944 aufgrund von ausgearbeiteten Plänen und dem langsameren Vorrücken der Sowjets fast eine vollständige Evakuierung der sächsischen Bevölkerung durchgeführt werden. Im Gegensatz zur Volksgruppenleitung in den rumänischen Gebieten Siebenbürgens hatte die Gebietsleitung Nordsiebenbürgens, als die ersten Trecks Russlanddeutscher das Gebiet passierten, Pläne für eine als notwendig erachtete Evakuierung erstellt. Pferdefuhrwerke wurden gekauft, Treckleiter bestimmt, Verpflegung bereitgestellt und Verpflegungsstationen an festgelegten Fahrrouten eingerichtet. Als der mit dem Oberkommando der neuen Front in Siebenbürgen betraute General Artur Phleps (selbst ein Siebenbürger Sachse) den Evakuierungsbefehl erteilte, brachen zwischen dem 9. und dem 19. September 1944 die Trecks aus den Gebieten um Sächsisch-Regen und Bistritz in Richtung Sathmar auf. Die Alten, Gebrechlichen und Mütter mit Kleinkindern wurden mit der Bahn evakuiert. Die Trecks umfassten so – je nach Größe der Gemeinden – 50 bis 400 Fuhrwerke. Ohne dass es zu ernsthaften Zwischenfällen kam, passierten sie Groß-Karol, überquerten die Theiß, dann die Donau und erreichten schließlich Ödenburg. Im November trafen die ersten Trecks in Österreich ein, wo sie vor allem in Nieder- und Oberösterreich untergebracht wurden. Offiziellen Angaben zufolge wurden so bis Ende November 1944 aus Nordsiebenbürgen 48.000 Volksdeutsche evakuiert. Etwa ein Viertel dieser Evakuierten, die 1945 in Niederösterreich von der vorrückenden Front überrollt wurden, führte man dann auf Befehl der sowjetischen Behörden wieder nach Siebenbürgen zurück.767 Insgesamt bewirkte der Krieg und seine Folgen einen starken Rückgang des deutschen Bevölkerungsanteils in Rumänien, wenngleich auch keine völlige Flucht bzw. Vertreibung wie anderenorts stattfand. Ergaben rumänische und ungarische Volkszählungen 1941 für Südsiebenbürgen noch 213.000 Deutsche und für Nordsiebenbürgen 38.000 Deutsche (zusammen also 251.000), so ergab eine Volkszählung am 25.1.1948 in Rumänien noch eine
Ebd., S. 214.
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deutsche Bevölkerung von 157.105 Personen.768 Von diesen knapp 100.000 Verlorenen zählen 25.000 bis 30.000 zu den Gefallenen und Vermissten an der Front. Der andere Teil – 50.000 bis 60.000 Siebenbürger Sachsen – lebte seit Ende der 1940er-Jahre in Österreich oder in der Bundesrepublik Deutschland. Sie bildeten den Brückenkopf für die ab den 1950er Jahren einsetzende und sich bis 1991 hinziehende Auswanderung der Siebenbürger Sachsen aus Siebenbürgen.769 In der rumänischen Regierung, die nun wiederholt umgebildet wurde, verstärkte sich rasch der kommunistische Einfluss. Der stellvertretende sowjetische Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten Vysinskij zwang den König, dem Führer der Splittergruppe „Pflügerfront“, Petru Groza, als Nachfolger des von den Kommunisten angegriffenen Generals Radescu am 27. Februar 1945 die Regierung zu übertragen. Die Rumäniendeutschen waren indessen politisch rechtlos und örtlicher Willkür ausgesetzt. Die einzige Einrichtung, die noch einigermaßen intakt blieb, war die evangelische Landeskirche. Sie übernahm ab Herbst 1944 wieder das deutschsprachige Schulwesen bis zu dessen Verstaatlichung 1948. Erst 1949 wurde ein deutsches antifaschistisches Komitee zugelassen und 1950 erhielten die Rumäniendeutschen auch ihr Wahlrecht und 1953 ihre Häuser zurück. Der Prozess der kommunistischen Machtübernahme dauerte bis Ende Dezember 1947 an. Während dieser Zeitspanne wurden die Grundlagen der Gesellschaftsordnung des Kalten Krieges gelegt und die wirtschaftliche und politische Unterordnung gegenüber der Sowjetunion durchgeführt. Im Zuge der sogenannten „volksdemokratischen Umgestaltung“ der Gesellschaft wurden nach und nach alle „bürgerlichen Elemente“, das heißt Vertreter der früheren Parteien und Personen, die vor dem 23. August 1944 ein Amt innehatten, entfernt und durch „vertrauenswürdige“, also sich zur marxistisch-leninistischen Ideologie bekennende (tatsächlich oftmals aus dem Rechtsextremismus kommende) Personen ersetzt. In diesem Vorgang spielte die „Siguraņta“, die nun, unter KGB-Anleitung, in den gefürchteten und ab 1948 „Securitate“ genannten Repressionsapparat umgewandelt wurde, eine bedeutende Rolle. Am 30. Dezember 1947 musste auch König Michael unter dem Druck der Kommunisten abdanken.770 Nicht nur für König Michael, sondern auch für Hans Otto Roth war es im August 1944 offensichtlich, dass die nationalsozialistische Herrschaft dem Ende entgegenging. In ganz Europa war die Wehrmacht und damit die NS-Herrschaft im Zusammenbruch begriffen. Folglich gebot es die Stunde den NS-Gegnern, wieder aktiv in die Politik einzugreifen. Als Roth Ende August/Anfang September 1944 die Führung Ebd., S. 221. Ebd., S. 222. 770 Wagner, Ernst: Geschichte der Siebenbürger Sachsen, S. 91 ff. 768 769
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der Rumäniendeutschen übernahm, tat er dies „auf Grund des Vertrauens, das mir unser Volk in der Zeit zwischen 1919 bis 1933 zehnmal in freier Wahl hat zu Teil werden lassen, vor allem aber aufgrund der Tatsache, dass ich als einer der wenigen gegen den Nationalsozialismus und das Gewaltregime Andreas Schmidts durch mehr als ein Jahrzehnt mit allen Mitteln und Methoden angekämpft habe.“771 Bereits am 27. August 1944 nahm er mit der Regierung von General Sănătescu Fühlung auf, und am 30. August fuhr er mit dem Entschluss von Bukarest nach Siebenbürgen, einen Aufruf an die Menschen zu richten, in welchem er sich gegen den Nationalsozialismus wenden wollte. Auf der Fahrt nach Kronstadt und Hermannstadt musste er allerdings feststellen, dass die abziehende SS Vorbereitungen für einen bewaffneten Widerstand getroffen hatte und dass ein Teil der noch vorhandenen Jugend darin mit einbezogen war. Angesichts dieser Lage verschob er die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit auf die Zeit nach dem Einmarsch der Roten Arme.772 Stattdessen begnügte er sich mit einem Appell, der zu Ruhe und Ordnung aufforderte, der am 1. September 1944 in einem Artikel im „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt“ veröffentlicht wurde: „Deutsche Volksgenossen in Rumänien! In einem Augenblick schwerster Heimsuchung übernehme ich die Führung des deutschen Volkes in Rumänien. Über Vergangenes zu sprechen ist nicht an der Zeit. ... Es geht in diesen schicksalhaften Tagen um das Heute und Morgen, um Leben und Sterben. Und wir wollen leben! Darum fordere ich euch auf, den Blick von dem Vergangenen abzuwenden und von heute an nur noch an die Gegenwart und die allernächste Zukunft zu denken. Was soll geschehen? Das erste ist Ruhe und Ordnung. Unser Volk befindet sich im Augenblick in tiefster seelischer Verwirrung. Daraus muß es mit jähem Ruck und männlichem Entschluß heraus! Kein Gerücht darf uns verwirren, keine falsche Tragik wankend machen. Wir wollen leben und werden leben. Darum rufe ich euch auf, Hof und Werkstatt nicht zu verlassen und in ruhiger Kraft dort zu verharren, wohin uns Gottes Wille gestellt hat. Wer unnötig türmt verletzt das Erbe unserer Väter und die heilige Pflicht gegenüber seinen Kindern. Die Treue zum Staat war durch Jahrhunderte die unverrückbare Grundlage unseres völkischen Lebens. Sie ist es auch heute. Darum stellen wir uns loyal auf den Boden der neugeschaffenen Ordnung. Nach Fühlungnahme mit der Regierung General Sanatescu’s kann ich unser Volk versichern, daß die in den letzten Tagen getroffenen Maßnahmen lediglich der öffentlichen Ordnung dienen und den Gesetzen des Krieges Rechnung tragen. Alle Gerüchte über
771 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 772 Ebd.
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beabsichtigte Gewaltmaßnahmen sind Blüten einer überspitzten Phantasie. Die Behörden erfüllen ihre amtliche Pflicht mit Schonung und Takt. Ueber Drängen weitester Kreise unseres Volkes und im Einvernehmen mit der Regierung unseres Landes übernehme ich mit dem heutigen Tage die Führung des deutschen Volkes in Rumänien. Deutsche Volksgenossen! In diesen Tagen tiefster Bedrängnis wollen wir keine unnötigen Worte machen, sondern männlich uns [sic!] stumm unsere Pflicht erfüllen. Wenn euch Sorge und Not beschleicht, wendet euch vertrauensvoll an mich und an die von mir bestellten Führer unserer deutschen Volksgemeinschaft. Und nun: Seid einsichtig, ruhig und gefaßt, seid mutig in der Not und denkt an unsere wundervolle Heimat in den bergen [sic!] Siebenbürgens und den gesamten Ebenen des Banats und vor allem: denkt an das Wohl und an die Zukunft unserer geliebten Kinder!“773
Tatsächlich bewahrten die verbliebenen Siebenbürger Sachsen beim Einmarsch der Roten Armee weitgehend Ruhe. Roth: „Es gehört zu den grössten Genugtuungen meines Lebens, dass sich unsere Bevölkerung der Roten Armee gegenüber bis heute überall vorbildlich und entgegenkommend verhalten hat. So hat mein Aufruf seinen Zweck in einem geschichtlich so bedeutungsvollen Augenblick voll erfüllt. Wäre es anders gewesen, hätte unsere 800jährige Geschichte in einem Blutbad ihr Ende finden können. Es hat sich aber gerade in diesen entscheidungsvollen Tagen gezeigt, dass unser Volk bei richtiger und vorsichtiger Leitung vertrauenswürdig, besonnen und klug ist.“774
In einem zweiten Aufruf, der am 2. September 1944 im „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt“ erschien, brachte Roth zum Ausdruck, dass er entschlossen war, die sächsische Gemeinschaft so bald als möglich wieder auf der Grundlage echter Demokratie aufzubauen: „Die Übernahme der Leitung durch Hans Otto Roth war nur der erste Schritt zur Aufrichtung der Volksgemeinschaft in Rumänien. Die Zusammenfassung aller Volksgenossen in Siebenbürgen und dem Banat wird der ersten Maßnahme auf dem Fuße folgen. Die Volksgemeinschaft umschließt alle Teile und Schichten unseres Volkes. Jedermann, der auf der Grundlage unseres gestrigen Aufrufes steht, soll an der Arbeit der Volksgemeinschaft teilhaben. Sobald die allgemeine Lage es erlaubt, werden der Gesamtleitung und der Leitung der Kreise Mitarbeiterbereitschaften beigegeben, die in Freiheit und 773 Politischer Nachlass HOR/Quelle 401: 1. September 1944: Hans Otto Roths „Aufruf. An die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben.“ Dieser Aufruf wurde von den politischen Konkurrenten Roths dahingehend interpretiert, dass sich Hans Otto Roth zu einer Art neuem „Volksgruppenführer“ oder „Führer“ erheben wolle. 774 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“
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Zucht den Willen des Volkes zur Geltung bringen. Schon jetzt stehen die Arbeitsstellen der Volksgemeinschaft allen Volksgenossen zur Beratung und werktätigen Unterstützung zur Verfügung. Sobald die technischen Vorbereitungen getroffen sind, werden die Anschriften sämtlicher Arbeitsstellen der Volksgemeinschaft durch Verlautbarung bekannt gegeben. Für die Volksgemeinschaft: Hans Otto Roth Präsident“775
Schon am 1. September 1944 hatte Roth diesbezüglich Bischof Staedel aufgesucht und ihm angesichts der völlig veränderten Lage den Rücktritt nahegelegt. Staedel lehnte Roth zufolge den Gedanken nicht ab, erbat sich aber eine Bedenkzeit von zwei bis drei Tagen. Nach dieser Zeit entschloss er sich allerdings „unter dem unheilvollen Einfluss seiner Freunde, die ihm rieten standhaft zu bleiben“776, doch nicht zu demissionieren. Diesen Entschluss teilte er in einem Brief an Rechtsanwalt Dr. Gündisch mit, in dem er erklärte, dass die Fortführung der Rücktrittsverhandlungen angesichts der unterdessen eingetretenen „grundsätzlichen Wendung“777 keinen Sinn mehr habe. Eine grundsätzliche Wendung der Dinge gab es aber nicht und Rücktrittsforderungen kamen nun von allen Seiten (Pfarrschaft, Lehrerschaft, Laien) und mit aller Schärfe. Am 4. Oktober 1944 gab Staedel schließlich bekannt, dass er mit Rechtswirksamkeit vom 6. Oktober 1944 demissionieren werde.778 Staedel stellte jedoch Forderungen und Bedingungen, bis Bischofsvikar Müller energisch wurde. Glondys: „Müller selbst teilte mir auf der Straße mit, er habe mit Staedel gesprochen und ihm vorgehalten, welchen Eindruck es machen müsse, wenn Staedel in einer Zeit, in der man nicht wüßte, wie man die Bedürfnisse der Pensionisten erfüllen könne, als Hauptschuldiger dieser Katastrophe an nichts anderes denke, als an seine materiellen Forderungen. Dies habe auf Staedel sichtlich Eindruck gemacht.“779 Roth indessen zog in diesem unübersichtlichen Augenblick sein 1943 schriftlich eingereichtes Rücktrittsgesuch vom Amt des Landeskirchenkurators einfach wieder zurück und beanspruchte somit wieder das Amt des Landeskirchenkurators. Dies war formal-kirchenrechtlich möglich, da die Landeskirchenversammlung als eigentlicher Wahlkörper alleine berechtigt war, den Rücktritt eines Landeskirchenkurators for775 Politischer Nachlass HOR/Quelle 402: „Von der Volksgemeinschaft der Sachsen und Schwaben.“ Im „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt“, 71. Jg., Folge 2021, S. 1, ein Aufruf der Volksgemeinschaft und der „Beratungsstelle“. Wie aus der Unterschrift des Aufrufes ersichtlich ist, unterzeichnete Hans Otto Roth als „Präsident“. Auch dies machten ihm seine Gegner bald darauf zum Vorwurf. 776 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 777 Ebd. 778 Tagebuch Glondys, S. 428 (14. Oktober 1944). 779 Ebd.
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mell zu genehmigen. 780 Eine Landeskirchenversammlung hatte aber seit dem Rücktrittsgesuch 1943 nicht mehr stattgefunden, womit der Rücktritt formal-rechtlich auch nicht wirksam werden konnte. Nach dem 23. August 1944 konnte Roth sein Rücktrittsgesuch dann infolge der neuen Ereignisse einfach zurückziehen. In der Funktion als Landeskirchenkurator begann Roth sofort, das alte – im Juli 1938 gewählte – Landeskonsistorium einzuberufen, wobei er die politisch belasteten ausklammerte.781 Viktor Glondys war skeptisch: „Mit diesen Menschen wird es nicht möglich sein, einen Beschluss zu fassen. Darauf sagte Roth: „Wir machen ein Konklave und gehen nicht auseinander, bis die Einstimmigkeit erzielt ist.“ Als ich einwandte: dies wird nicht erreicht werden, sagte er: „Das ist meine Sache!“782 Am 19. Oktober 1944 trat das alte Landeskonsistorium dann tatsächlich zu einer neuen Sitzung zusammen. Die unter Staedels Regime gewählten Mitglieder waren nicht mehr dabei, dafür aber diejenigen, die 1938 gewählt worden waren und sich dann aber unter Staedel zurückgezogen hatten. Das Landeskonsistorium fasste einstimmig den Beschluss, alle in der Zeit vom 20. November 1940 bis zum 23. August 1944 gefassten grundsätzlichen Beschlüsse der Landeskirchenversammlung und des Landeskonsistoriums sowie alle in dieser Zeit durchgeführten Wahlen mit Rücksicht auf den von außen verübten Zwang im Sinne der Kirchenordnung und des Kultusgesetzes für ungültig zu erklären (Roth: Eine „Reformation an Haupt und Gliedern“783). Die Initiative hierfür nahm Roth mit Stolz für sich in Anspruch.784 Des Weiteren forderte das Landeskonsistorium Altbischof Glondys auf, den Vorsitz im Landeskonsistorium wieder zu übernehmen. Die gesamte Landeskirche nahm diesen Beschluss über die Wiedereinsetzung der alten Kirchenführung als rechtmäßig hin und leistete den neuen Verfügungen umgehend Folge.785 Damit wurde eine Übergangsführung der Sachsen geschaffen, die agieren sollte, bis man in ruhigeren Zeiten korrekte Neuwahlen aller Kirchenorgane durchführen konnte. Diese Übergangsführung war auch dringend nötig. Die ersten verbalen Angriffe auf die Rumäniendeutschen hatten nämlich bereits begonnen. Am 9. September 1944 war Roth von seiner Reise nach Siebenbürgen und dem Banat nach Bukarest zurückgekehrt. Sein Empfang dort war immer noch freundlich, aber auch etwas reservierter als in den Tagen um den 23. August.786 Am 11. September 1944, drei Tage nach dem Einzug der Roten Armee in Hermannstadt, erschien in der Zeitung 780 Ebd., S. 28. Sowie Z.K. 2146/1947 vom 29. Juni 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 10. 781 Ebd., S. 431 (14. Oktober 1944). 782 Ebd. 783 Z.K. 1576/1947. Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 12. 784 Ebd., S. 12. 785 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 786 Ebd.
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„România Noua“ erstmals ein feindlicher Artikel gegen die Rumäniendeutschen. Darin wurde die These aufgestellt, dass man Sachsen und Schwaben nicht länger als rumänische Staatsbürger ansehen könnte, da sie sich selbst von dieser Staatsbürgerschaft gelöst hätten. Am 14. September veröffentlichte dieselbe Zeitung unter dem Titel „Ein neues Problem“ einen Aufsatz des bekannten siebenbürgischen Politikers Ionel Pop, eines Neffen Manius, in dem ausgeführt wurde, dass Sachsen und Schwaben von Anbeginn an eine Art 5. Kolonne geschaffen hätten, um einen deutschen Staat im rumänischen Staat zu errichten. Auf diese Artikel setzte unmittelbar eine Kampagne in den Blättern „Dreptatea“ und „Curierul“ gegen Hans Otto Roth speziell ein. Beides waren amtliche Organe der nationalzaranistischen Partei. „Wenn sie auch nicht allzu scharf war, so ging aus ihr doch deutlich hervor, dass man in mir unser Volk treffen wollte. Man wollte mir offenbar nicht die Chance lassen, unserem Volke neue Lebensmöglichkeiten zu schaffen.“787 Im „Curierul“ erschien dann am 1. Oktober 1944 Roths Antwort, die offenbar zu einem Abbruch der Kampagne führte. Allerdings waren inzwischen die beiden sächsischen Zeitungen in Hermannstadt und Temesvar eingestellt worden, was angesichts der bekannten Zeitungsstreitkultur der Sachsen eine hochpolitische Maßnahme darstellte.788 Mitte Oktober 1944 hatte Roth dann eine Unterredung mit Julius Maniu. Maniu meinte, dass das Schicksal der Sachsen alleine durch die Friedenskonferenz entschieden werden könnte und dass bis dahin auch nichts Grundsätzliches in dieser Angelegenheit geschehen werde. Angesichts dieser Erklärung wunderte es Roth nicht, dass Ionel Pop am 26. Oktober 1944 in einer in der Bukarester Presse veröffentlichten Erklärung erneut scharfe Kritik übte. Hatte er am 14. September noch geschrieben, dass untersucht werden müsste, ob der Hitlerismus789 der Rumäniendeutschen als eine vorübergehende Seelenverwirrung zu betrachten sei oder ob es sich um eine endgültige Verlagerung des seelischen Gleichgewichtes handelte, so erklärte er diesmal mit der ihm inzwischen verliehenen Autorität des Hochkommissars für Nordsiebenbürgen, dass sich die Rumäniendeutschen endgültig vom rumänischen Staat losgelöst und sich politisch in den Interessenkreis des Deutschen Reiches eingegliedert hätten. Die Sachsen seien Kolonisten in einem fremden Staat, und er glaube nicht, dass dieser Seelenzustand geändert werden könnte. Die Rumäniendeutschen hätten die Lösung des Problems übrigens selbst dadurch angedeutet, dass sie sich überall dort, wo deutsche Truppen bei den jüngsten Kämpfen in Siebenbürgen und dem Banat durchgezogen seien, ihnen angeschlossen hätten und in ihre „Urheimat“790 gezogen seien. Diese Erklärung Ionel Pops war nicht nur deswegen so bedeutsam, Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 788 Ebd. 789 „Hitlerismus“ und „Hitlerist“: Von Hans Otto Roth geprägte Begriffe. 790 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 787
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weil er in seiner Eigenschaft als Minister für Nordsiebenbürgen gesprochen hatte, sondern weil er selbst auch ein Mann von Bildung und Charakter war und sogar Roth zugab: „Wenn ich zur Stellungnahme Ionel Pop’s heute etwas sagen soll, so ist es folgendes: Dass die Politik der Volksgruppe in den letzten Jahren nach Anlage und Ausführung grundverfehlt und in ihren Folgen geradezu unheilvoll war, ist leider richtig und soll keinen Augenblick geleugnet werden. Die Schuld daran trägt aber in erster Linie das nationalsozialistische Deutschland und – Antonescu, der alles geduldet und unterstützt hat, was Schmidt getan hat. Von der Eroberung der Kirche und der Überführung der Schule an die Volksgruppe bis zur Einreihung unserer Jugend in die Waffen-SS, dem verhängnisvollsten Schritt, den unser Volk in seiner 800-jährigen Geschichte unternommen hat, hat Antonescu seine besondere Zustimmung erteilt. Andreas Schmidt aber ist unserem Volke von Himmler und Antonescu aufoktroyiert worden, ohne dass man uns gefragt oder gar unsere Zustimmung eingeholt hätte. Einer gewaltigen Propaganda ausgeliefert, unter seelischen, materiellen und vielfach sogar physischen Zwang gestellt, durch zweitweilige Erfolge Hitlers gefangen genommen, hat unser Volk Schritte geduldet und vielfach sogar mitgemacht, die es nie unternommen hätte, wenn es – wie früher in seiner Jahrhunderte langen Geschichte – selbstverantwortlich nur auf sich allein gestellt gewesen wäre. Was aber unsere Heimatliebe anbelangt so möchte ich laut ausrufen, dass ich kein zweites Volk kenne, das seine Heimat so leidenschaftlich liebt wie die Sachsen das wellige Bergland Siebenbürgens und die Schwaben die weiten Fluren der Banater Heide.“791
Ob in erster Linie das nationalsozialistische Deutschland schuld an der Katastrophe war oder wie weit die Eigen- bzw. Mitverantwortung der Sachsen ging, sei vorerst einmal dahingestellt. Die Erklärungen Ionel Pops sprachen unabhängig von dieser Frage eine klare Sprache. Pop wollte die Rumäniendeutschen durch einen in der Friedenskonferenz zu fällenden Beschluss nach Deutschland aussiedeln lassen. Das Ziel der Ausweisung der Sachsen durch die Rumänen deckte sich ausnahmsweise sinngemäß mit dem letzten Befehl der alten Volksgruppenführung. Diese hatte inzwischen auf Anweisung Hitlers endlich auf die neuen Entwicklungen reagiert und einen Evakuierungsbefehl formuliert. Am 9. September 1944 erließ Stabsführer Andreas Rührig den Befehl zur Evakuierung des Banats: „Bolschewistische Horden bedrohen unsere Heimat. Durch die Gegenmassnahmen der Wehrmacht wird auch das Banat Operationsgebiet. Der Führer hat daher die Evakuierung der deutschen Bevölkerung des Banats befohlen. Kein Deutscher soll in die Hände der Russen fallen. Volksgenossen, die zurückbleiben, setzen sich der sicheren Verschleppung nach Sibirien aus.
Ebd.
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Es ist besonders darauf zu achten, dass all jene Menschen herausgebracht werden, die von den Bolschewisten als Arbeitskräfte nach Russland deportiert werden könnten. Uns gutgesinnte, antibolschewistisch eingestellte Mitbewohner anderer Volkszugehörigkeit können sich der Evakuierung anschliessen. Vor allem bezieht sich dies auf Legionäre und Angehörige der an der Ostfront gefallenen rumänischen Soldaten.“792
Es war die letzte Anweisung der Nationalsozialisten, die – da sie viel zu spät kam – kaum noch Wirkungen zeigte. Mitte Oktober 1944 verabschiedete der rumänische Ministerrat einen von allen Parteien angenommenen Gesetzentwurf über die sogenannte „Bestrafung der Hitleristen“793. Nach diesem Entwurf sollten all jene Rumäniendeutschen ihren gesamten ländlichen und – soweit er kriegswichtig war – auch ihren industriellen Besitz verlieren, die ein Gelöbnis für Adolf Hitler abgelegt hatten. Dieselben Maßnahmen sollten auch bei den in die Wehrmacht oder die Waffen-SS eingereihten jungen Leute und deren Ehefrauen zur Anwendung kommen. Zur selben Zeit war auch die Plattform der „Frontul National Democrat“ (FND)794 erschienen, die programmatisch verlangte, dass die entsprechenden Personen verhaftet und ihr Vermögen konfisziert werden sollte. Hans Otto Roth: „Wenn es uns auch gelungen ist, die Gesetzwerdung des im Oktober durch den Ministerrat beschlossenen Entwurfes soweit zu verzögern, dass er schliesslich in der Flut der aufeinanderfolgenden Regierungskrisen unterging, ist die darin zum Ausdruck gekommene Tendenz doch eine politische Tatsache, der wir bei der Agrarreform und bei den sonst noch zu erwartenden grossen Reformen wieder begegnen werden.“795 Als Roth dann Mitte Oktober den kommunistischen Minister Pătrăşcanu in Bukarest besuchte, konnte Roth trotz eines freundlichen Empfangs dessen Zurückhaltung den Rumäniendeutschen gegenüber feststellen. Das war nicht verwunderlich. Pătrăşcanu hatte in seinem gerade erschienenen Buch den Standpunkt eingenommen, dass das „Problem“796 mit den Siebenbürger Sachsen durch die Beseitigung der politischen Struktur als Deutsche Volksgruppe nicht gelöst sei, sondern dass vielmehr das Bürgertum der Sachsen zerstört werden müsste, um dann eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen. Noch klarer trat die ablehnende Haltung gegenüber den Rumäniendeutschen in einer Unterredung Roths mit dem neuen 792 Politischer Nachlass HOR/Quelle 405: 9. September 1944, Groß-Kikinda: „Befehl zur Evakuierung des Banats“ von Stabsführer Andreas Rührig. 793 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 794 Frontul National Democratic (Nationaldemokratische Front), ein unter kommunistischer Initiative ins Leben gerufenes politisches Gebilde, das den Kommunisten die politische Vorherrschaft unter allmählichem Ausschluss der anderen Parteien sichern sollte. 795 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 796 Ebd.
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Nationalitätenminister Vlădescu-Răcoasa am 20. November 1944 hervor. Der Minister meinte, dass alle politischen Kreise der Rumäniendeutschen durch den Nationalismus verblendet gewesen seien, wenn auch nicht zu Andreas Schmidts Zeit so doch zur Zeit von Fritz Fabritius, was ebenso gravierend gewesen sei. Es müssten von unten neue Kräfte nach oben gebracht werden, um die rumäniendeutschen Probleme auf einer neuen Grundlage zu lösen. Roth: „Tief bedauerlich ist, dass sich Vladescu-Racoasa bei seiner Äusserung offenbar auf Einflüsterungen und Intriguen [sic!] gewisser Volksgenossen stützte.“797 Trotzdem gab das Gespräch Anlass zur Hoffnung. Die der deutschen Volksgruppe in Rumänien 1940 verliehenen Rechte waren zwar per Dekret am 8. Oktober 1944 aufgehoben worden798, doch VlădescuRăcoasa versicherte, dass die Karlsburger Beschlüsse nun endlich zur Geltung kommen sollten, dass er um die Minderheiten werben und eine Entspannung erreichen wollte.799 Tatsächlich wurden schon im Herbst 1944 die Schulen der Kirchengemeinden wieder administriert und die Gehälter – soweit möglich – ausgezahlt.800 Was aber die tatsächliche Einstellung weiter politischer Kreise Rumäniens gegenüber den Rumäniendeutschen offenbarte, war ein Kommuniqué der Regierung. In diesem wurde angedroht, dass man sich im Falle von Übergriffen gegenüber den in Deutschland internierten Rumänen außer an die noch in Rumänien befindlichen Reichsdeutschen auch an die Angehörigen der deutschen Minderheit halten werde. Die rumänische Regierung behandelte die Rumäniendeutschen jetzt also so, als seien sie keine rumänischen Staatsbürger mehr, sondern Angehörige des Deutschen Reiches, eine Dissimilation, die Roth – wie man an dieser Stelle anmerken darf – im Jahre 1933 auf dem Nationalitätenkongress für „grundsätzlich berechtigt“ erklärt hatte. Dennoch ließ die erste verbale Angriffswelle gegen die Rumäniendeutschen ab November 1944 etwas nach, da die Frage der Rückgliederung Nordsiebenbürgens hochaktuell wurde und das Interesse an den Rumäniendeutschen vorübergehend in den Hintergrund drängte. Die Einstellung der siebenbürgischen Nationalzaranisten gegenüber den Rumäniendeutschen blieb indes unverändert.801 Angesichts der Lage plädierte Roth nun bei den Besprechungen in Kronstadt (1. Dezember 1944) und Hermannstadt (3. Dezember 1944) dafür, dass man sich nun politisch nach links orientieren müsste, wie ihm dies schon Hans Bernd von Haeften geraten hatte. Roth überlegte, ob man entweder als corpus separatum in die FND eintreten sollte oder als außerhalb stehender Verband mit der FND freundschaftliche Beziehungen knüpfen könnte. Persönliche Fragen dürften dabei für nie Ebd. Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 223. 799 Politischer Nachlass HOR/Quelle 416: 20. November 1944: Gedächtnisprotokoll der ersten Audienz von Roth und Kräuter beim Minderheitenminister Vlădescu-Răcoasa. 800 Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 60. 801 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 797 798
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manden eine Rolle spielen. Bei der Besprechung am 3. Dezember wurde denn auch beschlossen, mit den Vertretern der neuen Linken – den Kommunisten – Fühlung aufzunehmen. Bei seinen Landsleuten stellte Roth indessen Anfang Dezember 1944 eine „bedenkliche Leichtfertigkeit“802 fest. „Es war ihnen offenbar noch immer nicht klar, dass der für Deutschland seit Jahren verlorene Krieg am 23. August 1944 für uns auch politisch unwiderruflich zu Ende war und dass sich dadurch auch für sie die selbstverständliche Verpflichtung ergab, alle Schlussfolgerungen aus dieser Lage abzuleiten.“803 Als Roth am 10. Dezember 1944 wieder in Bukarest eintraf, fand er das erste Gerücht über die Aufstellung von Sammellisten vor, auf denen alle Sachsen und Schwaben erfasst wurden.804 Während Roths Abwesenheit aus der Hauptstadt hatte General Rădescu die Regierung übernommen, wodurch zunächst einmal eine gewisse Beruhigung der Öffentlichkeit eintrat. Roth setzte sich nach seinem Eintreffen sofort mit den Kreisen der Linken in Verbindung, doch ihm wurde zu verstehen gegeben, „dass unser Volk in seiner Gesamtheit noch zu sehr vom Hitlerismus durchsetzt sei, als dass man sich mit ihm als Ganzem bereits in diesem Augenblick stellen könnte.“805 Nur einzelne könnten jetzt schon Aufnahme in den verschiedenen Organisationen der FND finden. Darum müsste die Entgiftung des „so arg verseuchten Volkes vom Hitlerismus mit allem Nachdruck betrieben werden.“806 Da Roth bei seiner politischen Tätigkeit immer nur das Interesse der Gesamtheit und nicht das Interesse einzelner Teile oder gar von Einzelpersonen vertrat, musste er die Richtigkeit dieser Argumente anerkennen.807 Am 18. Dezember erhielt Roth von Dr. Depner808 die telefonische Mitteilung, dass der sächsischen Bevölkerung von Kronstadt und dem Burzenland durch die Militärbehörden wegen der Verbergung deutscher Soldaten angedroht worden war, sie ins Prahovatal oder in die Dobrudscha zu verschleppen. Dr. Depner verfasste daraufhin gemeinsam mit anderen führenden Männern von Kronstadt und dem Burzenland im Einvernehmen mit den Behörden eine eindringliche Mahnung an seine Landsleute in Kronstadt und im Burzenland: „In den letzten Tagen sind einige Sachsen verhaftet und dem Gericht übergeben worden, weil sie beschuldigt sind, deutsche Wehrmachtsangehörige beherbergt zu haben. Solche Handlungen ziehen nach dem Dekretgesetz Nr. 604 vom 29. November 1944 schwere Ebd. Ebd. 804 Ebd. 805 Ebd. 806 Ebd. 807 Ebd. 808 Wilhelm Depner (1873–1949), Chirurg, ehemaliger Vorsitzender der Burzenländer Sächsischen Kreisausschusses, einer der führenden bürgerlichen Politiker von Kronstadt und dem Burzenland, zu dem Roth engste Kontakte pflegte. 802 803
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Strafen für die Betreffenden nach sich, aber auch für diejenigen, die davon Kenntnis haben und es willentlich nicht den Behörden zur Anzeige bringen. Im vollen Bewusstsein der schweren geschichtlichen Verantwortung für die Zukunft unseres sächsischen Volkes appellieren wir mit höchster Eindringlichkeit an die Vernunft, an die angestammte Loyalität und Staatstreue und fordern die Volksgenossen mit allem Nachdruck auf, sich solcher gesetzwidrigen Handlungen zu enthalten, da nicht nur die Existenz der Betreffenden und deren Familien, sondern auch der Bestand des Volkes aufs schwerste gefährdet werden kann. Wer sich solcher Vergehen schuldig macht, stößt auf die entschlossenste Abwehr der Gemeinschaft und wird von dieser mit aller Entschiedenheit bekämpft und abgelehnt.“809
Am 21. Dezember wurde Roth dann vom Ministerpräsidenten, General Rădescu, empfangen, der im Zusammenhang mit den von Roth vorgebrachten Fragen bezüglich der Verhaftung von Nationalsozialisten erklärte, dass den Sachsen „viel schwerwiegendere Dinge“810 drohten, wobei zwischen Hitleristen und Nichthitleristen kein Unterschied mehr gemacht werde. Die Rumäniendeutschen müssten erst die nächsten drei bis vier Monate „übertauchen“[sic!] 811, bevor man an andere politische Fragen denken könnte. Auf Roths Frage, was er denn unter diesen schwerwiegenden Dingen verstehe, wich Rădescu aus. Am 23. Dezember 1944 fuhr Roth nach Hermannstadt zurück. Dort bereitete er einen Aufruf an die sächsische Bevölkerung vor, in dem zur strengsten Loyalität gegenüber dem rumänischen Staat und den russischen Behörden aufgefordert wurde. Gleichzeitig warnte auch er energisch davor, Soldaten der mit Rumänien im Krieg befindlichen Staaten – also Deutschlands – zu unterstützen. Diese Mahnung wurde in Hermannstadt bereits zwischen Weihnachten und Neujahr, im übrigen Sieben-bürgen in den ersten Januartagen herausgegeben. Am 30. Dezember verdichtete sich in Hermannstadt das Gerücht von der polizeilichen Auflistung der Männer zwischen 17 und 45 Jahren und der Frauen zwischen 18 und 30 Jahren. Die erste Nachricht über die geplante Auflistung war in Hermannstadt indessen schon am 20. Dezember 1944 bekannt geworden.812 Anfang Januar 1945 bestätigten sich diese Nachrichten mehr und mehr. Am 4. Januar gaben die Bukarester Stellen zu, dass es sich um eine Aktion zur Verschickung nach Russland handelte, aber doch noch Hoffnung sei, gewisse Milderungen zu erreichen. Als Roth am 8. Januar 1945 erneut bei Rădescu erschien, erinnerte dieser ihn an seine am 21. Dezember 1944 ausgesprochene Warnung und meinte, dass sich in dieser Angelegenheit der Verschickung nach Russland zu seinem 809 Politischer Nachlass HOR/Quelle 419: „Aufruf!“ repräsentativer Bürger des Burzenlandes, von der Beherbergung Angehöriger der Wehrmacht Abstand zu halten, weil das eine Verletzung der Staatstreue zu Rumänien und eine Gefährdung der eigenen deutschen Minderheit darstellt. 810 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ Zitat auf S. 702, wohl ein Abschreibefehler: Es muss „untertauchen“ heißen. 811 Ebd. So in Quelle. Gemeint ist wohl „durchtauchen“. 812 Ebd.
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Bedauern nichts mehr ändern ließe und dass die Aushebung der in Frage kommenden Jahrgänge bereits am nächsten Tag beginnen werde. „Wir hatten unsererseits Stock und Stein in Bewegung gesetzt, um das Äusserste zu verhüten“813, beteuerte Roth. Als Roth am 11. Januar 1945 wieder bei General Rădescu vorsprach, wurde er unfreiwillig Zeuge eines Gespräches, das der Ministerpräsident in Roths Gegenwart mit dem in das Empfangszimmer kommenden Mittelsmann der englischen Mission führte. Der Vertrauensmann der Engländer begann mit der vorwurfsvollen Frage, warum die rumänische Regierung England und Amerika nicht rechtzeitig von der Deportation der Sachsen und Schwaben Mitteilung gemacht hatte. Er fügte hinzu, dass die Missionen der beiden Länder darüber recht ungehalten waren. Rădescu antwortete, dass er die Engländer und Amerikaner ständig auf dem Laufenden gehalten hätte und dass er General Winogradov, den Vizepräsidenten der Waffenstillstandskommission, entschieden in Schutz nehmen müsste. General Winogradov und seine Mitarbeiter hatten sich nämlich zwei Tage zuvor bereit erklärt, die Deportation auf die Nationalsozialisten zu beschränken, wodurch die Zahl der zu Verschickenden um etwa die Hälfte reduziert worden war. Im Sinne dieser Absprache sollten nur diejenigen Sachsen und Schwaben der festgesetzten Jahrgänge nach Russland geschickt werden, die Mitglieder der NS-Partei oder NS-Formationen gewesen waren. Die Verhandlungen über diese Sache waren auch recht gut voran gekommen, so dass der Ministerpräsident bereits die Verschiebung der Deportationen verfügt hatte, als am frühen Nachmittag des 10. Januar 1945 ein Telegramm von Moskau eintraf, das weitere Verhandlungen unmöglich machte und die Übergabe der gesamten Jahrgänge ohne politische Unterscheidung von „Hitleristen“ und „Nichthitleristen“ verlangte. Infolge dieser Entscheidung des Kremel lief die Aktion zur Aushebung der Sachsen und Schwaben am Morgen des 11. Januar 1945 dann im ganzen Land an. Gleichzeitig erfuhr Roth von Rădescu, dass die Verhandlungen über die Aushebung bis in den November 1944 zurück reichten und bereits Anfang Dezember konkrete Formen angenommen hatten. So gab das rumänische Innenministerium schon in den ersten Dezembertagen Weisung zur Erfassung der betroffenen Jahrgänge. Am 9. Januar 1945 begannen die Aushebungen.814 Vom 9. bis 12. Januar wurden alle sächsischen Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren und alle Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren unter russischer Leitung in Haft genommen. Der rumänische Geheimdienst berichtete: „16. Januar 1945: In der Nacht des 10.–11. bzw. am 11. Januar d.J. haben im ganzen Land die Verhaftungen rumänischer Untertanen deutscher Herkunft begonnen, was diese in Verzweiflung Ebd. Zur Deportation der Rumäniendeutschen in die UdSSR siehe auch: Weber, Georg; WeberSchlenther, Renate; Nassehi, Armin (Hg): Die Deportation der Sachsen in die Sowjetunion 1945– 1949. Bd. 1–3. 813 814
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gestürzt hat. Vor Beginn der Verhaftungen zirkulierten in der deutschen Bevölkerung zahlreiche und unterschiedliche Gerüchte, die alle in der Überzeugung gipfelten, daß die Deportation aller Deutschen in die UdSSR beabsichtigt werde. Vermutungen dieser Art wurden durch den Umstand bestärkt, daß die sowjetischen Behörden stellenweise Listen der deutschen Bewohner beiderlei Geschlechts angefertigt haben, noch bevor die sichere Nachricht über die beabsichtigten Maßnahmen gegen sie verbreitet wurde. Nach Kenntnisnahme der ersten Gerüchte war die deutsche Minderheitsbevölkerung von zunehmender Besorgnis beherrscht, ohne jedoch die Hoffnung aufzugeben, schließlich doch von der Deportation verschont zu bleiben. Diese Hoffnungen wurden in der deutschen Bevölkerung auch nach der Verbreitung der Nachricht über die bevorstehenden Maßnahmen und sogar bis zum Vorabend der Verhaftungen gehegt, da man wußte, daß einige ihrer Führer (Dr. Hans Otto Roth, Dr. Rudolf Brandsch, Dr. Viktor Glondys) Interventionen unternehmen und daß sich, einigen Versionen zufolge, sogar die rumänische Regierung den sowjetischen Forderungen widersetzte. Die deutschen Minderheitler haben sogar auf eine Intervention der AngloAmerikaner zu ihren Gunsten gehofft. Parallel zu diesen Hoffnungen waren die deutschen Minderheitler aber auch damit beschäftigt, Möglichkeiten zu finden, um sich zu entziehen, mit unterschiedlichen Plänen: Flucht, Mobilisierung in rumänischen Einheiten, Widerstand, Selbstmord etc. ... Die Moral der deutschen Bevölkerung brach endgültig in der Nacht des 10.–11.1. und am 11.1. zusammen, als die sowjetischen und rumänischen Organe mit den Verhaftungen begannen.“815
Am 10. Januar 1945 bat Roth den Ministerpräsidenten wenigstens um eine Frist von 8 Tagen, damit er eine Liste von jenen Deutschen aufstellen könnte, die als Hitleristen zu gelten hätten und als solche in die UdSSR transportiert werden sollten, anstatt die gesamte Bevölkerung zu deportieren.816 Am 11. Januar verfasste er eine Denkschrift, in der er die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung betonte, sich dem neuen Gang der Ereignisse bedingungslos zu unterwerfen und ihre gesamten Ressourcen der UdSSR zur Verfügung zu stellen.817 Am 14. Januar überbrachten die Rumäniendeutschen der Sowjetbotschaft in Bukarest ein Angebot an die UdSSR, alle politischen, wirtschaftlichen, materiellen und persönlichen Garantien für eine loyale Haltung der UdSSR gegenüber anzubieten, die gesamte Industrie in den Dienst und 815 Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 215, Dokument 32: Berichte des Rumänischen Geheimdienstes über die Deportation der Deutschen in die Sowjetunion, Januar 1945. 816 Politischer Nachlass HOR/Quelle 423: Hans Otto Roth bittet den Ministerpräsidenten um eine Frist von 8–10 Tagen, um Listen jener Deutschen aufstellen zu können, die als Hitleristen zu gelten haben und als solche nach Russland deportiert werden sollen. 817 Politischer Nachlass HOR/Quelle 425: Denkschrift Roths, in der er die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung betont, sich dem neuen Gang der Ereignisse bedingungslos zu unterwerfen und ihre gesamten Ressourcen der UdSSR zur Verfügung zu stellen.
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unter die Kontrolle der UdSSR zu stellen, besondere wirtschaftliche Lasten zu schultern und jegliche Propaganda für die UdSSR zu machen, wenn die Regierung der UdSSR die Jugend nur nicht zur Zwangsarbeit ausheben werde und die Sachsen auf ihrem alten Boden siedeln lasse.818 Am 17. Januar erreichte der rumänische Ministerpräsident, dass die im rumänischen Heer dienenden Deutschen und deren Familienangehörigen von den Deportationen ausgenommen werden sollten.819 Zu diesem Zeitpunkt war es jedoch für einige Betroffene schon zu spät: So waren auch deutsche Frauen von rumänischen Offizieren deportiert worden.820 Offiziell sollte später eine Sortierungskommission all jene aussortieren, die nicht deportiert werden sollten, was jedoch niemals geschah.821 Auch eine Intervention Roths am 26. Januar 1945 wegen Missachtung der Altersgrenzen822 der Deportierten blieb erfolglos. Am 29. Januar protestierte er gegen die Aushebung sächsischer und schwäbischer Männer für die armata in Mediasch823 und am gleichen Tag reichte er bei der Audienz beim Ministerpräsidenten Rădescu eine Denkschrift gegen die Deportation der Rumäniendeutschen in die UdSSR ein.824 Eine weitere Denkschrift folgte am 1. Februar 1945.825 Am 10. Februar 1945 verfasste Roth in Bukarest eine erneute Denkschrift, in der er die Lage der Rumäniendeutschen festhielt. Dabei stellte er zunächst einmal grundlegend fest, dass die gesamte europäische Entwicklung darauf hinweise, dass Russland in Zukunft eine entscheidende Rolle in der Gestaltung Europas spielen werde. Ebenso stehe fest, dass die angeblich von einem großen Teil des Volkes bekundete Ablehnung des Nationalsozialismus unter allen Gesichtspunkten richtig gewesen sei. „Adolf Hitler ist zum Verderber des deutschen Volkes geworden und hat darüber hinaus die
818 Politischer Nachlass HOR/Quelle 427: 14. Januar 1945: Ein der Sowjetbotschaft in Bukarest überreichtes Angebot der Rumäniendeutschen an die Regierung der UdSSR. 819 Politischer Nachlass HOR/Quelle 429: 18. Januar 1945: Der Chef des Generalstabes benachrichtigt das 90. Infanterieregiment des 6. Armeekorps Birlad über die Verordnung des Ministerpräsidenten vom 17. Januar 1945, dass die im rumänischen Heer dienenden Deutschen sowie deren Familienangehörigen von der Aushebung und Deportierung in die UdSSR ausgenommen werden. 820 Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 218, Dokument 32: Berichte des Rumänischen Geheimdienstes über die Deportation der Deutschen in die Sowjetunion, Januar 1945. 821 Ebd. 822 Politischer Nachlass HOR/Quelle 430: 26. Januar 1945, Bukarest: Hans Otto Roth und Franz Kräuter bitten den Ministerpräsidenten, Korpsgeneral Rădescu, um eine Sonderaudienz wegen der Missachtung der Altersvorgaben für ausgehobene Personen. 823 Politischer Nachlass HOR/Quelle 432: 29. Januar 1945, Bukarest: Roth protestiert gegen die Aushebung sächsischer und schwäbischer Soldaten. 824 Politischer Nachlass HOR/Quelle 434: 29. Januar 1945, Bukarest: „Memoriu“, die am 30. Januar in der Audienz beim Ministerpräsidenten von Roth, Kräuter und Herzog eingereichte Denkschrift. 825 Politischer Nachlass HOR/Quelle 437: 1. Februar 1945, Bukarest: Denkschrift bezüglich der in Lagern verwahrten Sachsen und Schwaben.
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Verantwortung für unendliches Leid auf sich geladen, das die übrige Menschheit betroffen hat.“826 Dann folgerte er: 1. Die sächsische und schwäbische Nationalität Rumäniens wünsche den Kontakt zu den nach Russland zur Arbeitsleistung geschickten Volksgenossen, sei es in ständigem Briefverkehr oder gar durch persönliche Fühlungnahme. Dazu sei es nötig, mit den dafür maßgeblichen Kreisen in vertrauensvolle Beziehungen zu treten, auch um nach Ableistung der Arbeiten eine baldige Rückführung zu ermöglichen. 2. Die Sachsen und Schwaben wollten gerne eine ähnliche Aktion einleiten, wie es die Bewegung „Freies Deutschland“ für die deutschen Kriegsgefangenen in Russland tat. Der wesentliche Unterschied müsse allerdings sein, dass man treue rumänische Staatsbürger bleiben wolle, während die Bewegung des „Freien Deutschland“ natürlich staatliche Interessen des Deutschen Reiches im Auge habe. 3. Aus dieser Aktion würde sich eine intensive Propaganda gegen den Nationalsozialismus und für den von Russland so nachhaltig vertretenen Gedanken des Friedens unter den Völkern ergeben. 4. Die Wirtschaft der Sachsen und Schwaben sei bereit, ihre Erzeugnisse den Zwecken der Roten Armee zur Sicherung eines baldigen Friedens zur Verfügung zu stellen. 5. Die Sachsen und Schwaben seien bereit, mit der F.N.D. freundschaftliche Beziehungen zu pflegen.827 Roth war überzeugt, dass er für diese Pläne die Zustimmung des gesamten Volkes gewinnen könnte. Allerdings müssten diese Pläne schon in allernächster Zeit zur Durchführung gelangen. Hierbei verwies Roth noch einmal auf seine ähnlichen Vorschläge vom 14. Januar 1945 an die sowjetische Botschaft in Bukarest. „Eines müssen wir uns klar vor Augen halten“, stellte Roth noch einmal fest: „das Rad der Geschichte wird niemals zurückgedreht und ein früherer Zustand nicht einfach wieder hergestellt. ... Die durch den Krieg hervorgerufenen Umwälzungen sind so ungeheuer, dass buchstäblich kein Stein auf dem anderen bleibt. ... Das Gebäude der bisherigen sozialen Ordnung ist völlig erschüttert. Wenn wir heute von Demokratie sprechen, so meinen wir damit auch nicht die Demokratie von gestern, die Demokratie von Weimar oder diejenige der rumänischen Parlamentszeit vor 1938, sondern eine Volksherrschaft, die völlig neue Formen annimmt und sich auf neuartige Reformen besitzpolitischer und sozialer Art stützt. Es darf uns darum auch nicht Wunder nehmen, wenn der geplan826 Politischer Nachlass HOR/Quelle 440: 10. Februar 1945, Bukarest: Denkschrift Roths, in der er die damalige Lage der Rumäniendeutschen festhält und Vorschläge der Zusammenarbeit mit dem F.N.D. (Frontul National-Democrat–Nationaldemokratische Front) unterbreitet. 827 Ebd.
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ten Agrarreform noch andere Reformen grossen Stils in Industrie und Handel folgen werden.“828
Diese Schlüsse Roths waren zutreffend. Im Angesicht der Deportationen können aber seine nächsten Ausführungen – zumindest was die Ausführungen über die Duldsamkeit der Sowjetunion angeht – nur als Anbiederung an die Sowjetunion gelten: „Zu den vielen Überraschungen, die uns Sowjetrussland bereitet, gehört auch die nationale Duldsamkeit, die es den verschiedenen Völkern gegenüber an den Tag legt. Was wir bisher nach dieser Richtung hin wussten, war nichts als Propaganda, die völlig einseitig aufgebaut war. Wir haben für die Einstellung des Kommunismus gegenüber den verschiedenen Völkern in Siebenbürgen in den letzten Monaten eindrucksvolle Proben erhalten. Den chauvinistischen Parolen der Nationalzaranisten setzten die Linksparteien den Grundsatz nationaler Duldsamkeit gegenüber. Ein klarer Ausdruck für diese neue Haltung ist das am 7. Februar l.J. verlautbarte Nationalitätengesetz und die Absicht der Regierung, in Klausenburg eine rumänisch-ungarische Universität zu errichten. Wenn sich diese veränderte Politik zunächst auch nur den Ungarn gegenüber auswirkt, so ändert diese Tatsache doch nichts an der grundsätzlichen Haltung der Linksparteien. Wir dürfen nie vergessen, dass wir als Deutsche bis zur Beendigung des Krieges und vielleicht noch darüber hinaus eine besondere Behandlung erfahren werden. Das hängt einmal mit der unheilvollen Politik der ehemaligen deutschen Volksgruppe zusammen, zum anderen aber damit, dass die Ungarn aussenpolitisch und sozialpolitisch gesehen für Sowjetrussland in Südosteuropa eine der interessantesten und wichtigsten Manövriermassen darstellen. Trotzdem dürfen wir nicht ausser Acht lassen, dass sich in der Nationalitätenpolitik des Südostens tiefgreifende grundsätzliche Änderungen vollziehen.“829
Roth erwartete also eine „besondere Behandlung“ der Rumäniendeutschen, wobei das Wort „besonders“ als „besonders negativ“ zu verstehen ist. Er war sich darüber klar, dass Repressionen auf die Rumäniendeutschen zukamen. Das Ziel einer klugen Politik konnte es nur sein, diese möglichst abzumildern. Das war nicht so einfach, denn die Russen, so war Roth überzeugt, stünden gerade den Deutschen besonders misstrauisch gegenüber und das aus drei Gründen: Erstens würden die Russen generell einen Argwohn gegenüber den übrigen europäischen Völkern hegen, zum Zweiten beargwöhnten speziell die Kommunisten die bürgerliche Welt, und zum Dritten stünden die Russen den Deutschen als Kriegsfeinden natürlich sehr misstrauisch gegenüber.830 Diesen Argwohn könnten die Rumäniendeutschen nur zerstreuen, wenn 828 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 829 Ebd. 830 Ebd.
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sie eine eindeutig freundliche Haltung gegenüber den Russen einnehmen und sich vom Nationalsozialismus eindeutig distanzieren würden. Leider sei in dieser Richtung bis zum Dezember 1944 zu wenig getan worden. Stattdessen habe sich teilweise eine Hoffnung auf eine Rückkehr der Wehrmacht durchgesetzt, ein Illusionismus, der rein sentimental aufgebaut gewesen sei, aber an der realen Wirklichkeit völlig vorbeigegangen sei. Hier sah Roth jedoch auch eine Mitschuld der neuen rumänischen Regierungen: „Hätte man uns nicht schon im September unserer ganzen Presse beraubt, hätten wir unendlich viel zur Aufklärung und Beeinflussung der breiten Massen unseres Volkes beitragen können.“831 Der russische Argwohn gegenüber den Rumäniendeutschen war tatsächlich groß. Dass sie als Deutsche und damit – trotz des sowjetisch-rumänischen Waffenstillstandes – noch immer als kriegsführende Partei angesehen wurden, zeigten die beträchtlichen Vorbehalte gegenüber den Sachsen von „massgeblicher Seite“832: Die Sowjetunion argumentierte, dass sie zwar mit Rumänien Waffenstillstand geschlossen hätte, nicht jedoch mit den Siebenbürger Sachsen und Schwaben, da deren Divisionen in der Waffen-SS noch immer an der Ostfront auf die Rote Armee schossen. Ihre Familien würden zu ihnen gehören.833 Das war zweifellos richtig. Roth entgegnete, dass die Einreihung der rumäniendeutschen Jugend in die Waffen-SS unter Zwang und mit ausdrücklicher Förderung der Regierung Antonescu erfolgt sei. Tatsache war zwar, dass ein Niederlegen der Waffen der Siebenbürger Sachsen in der Waffen-SS am 23. August 1944 praktisch unmöglich war, selbst wenn die Sachsen das gewollt hätten. Roths Einwand war aber nur eine Schutzbehauptung, da die Sachsen ja ausdrücklich in deutschen Einheiten hatten dienen wollen834 und sie es auch nach dem rumänischen Seitenwechsel in der Masse vorzogen, einem Aufruf Himmlers Folge zu leisten, in der Waffen-SS weiter zu kämpfen.835 Treffend folgerte Roth: „... so zeigt sich doch, wie bedeutsam der Eintritt eines grossen Teils unserer Jugend in die Waffen-SS für die Gestaltung unseres ganzen Schicksals geworden ist. So lassen sich die Ereignisse von heute nicht trennen von der geschichtlichen Entwicklung der letzten Jahre. Lediglich veränderte Haltung und Handlung können im Laufe der Zeit Wandel schaffen. Mit Hausmitteln und Handauflegen geht es nicht. Unsere demokratische Politik, die wohl an eine starke und stolze Überlieferung anknüpft, muss mit der Zeit erst wieder glaubwürdig gemacht werden. Dabei ist zu wünschen, dass dieser unheilvolle
Ebd. Ebd. 833 Ebd. 834 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 102. 835 Ebd. S. 291. Himmler erklärte, dass die deutschen Truppen Rumänien in kürzester Zeit besetzen würden. 831 832
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Krieg so rasch wie möglich zu Ende geht, da jede weitere Verlängerung der kriegerischen Auseinandersetzungen unsere Lage nur weiter verschlechtert.“836
Aus den durchgeführten Deportationen ergaben sich für die Rumäniendeutschen große Probleme. Daher reichte Roth am 30. Januar 1945 bei Ministerpräsident Rădescu wieder eine Denkschrift ein. Roth schlug vor, eine besondere Organisation zu gründen, in der Vertreter der betroffenen Bevölkerung und der Kirchen teilnehmen sollten. Gleichzeitig bat Roth, die Gehälter der konfessionellen Lehrerschaft im Hinblick auf die rapide fortschreitende Verarmung der Rumäniendeutschen wieder auf Staatsniveau anzuheben und den pensionierten Pfarrern und Lehrern wieder eine Jahreszuwendung von insgesamt 125 Millionen Lei zukommen zu lassen. Bezüglich der Existenz der konfessionellen Schulen war es Roth und seinen politischen Freunden gelungen, vorerst wenigstens einmal einen Duldungszustand zu erreichen. Einer endgültigen Klärung der Rechtslage standen aber noch große Schwierigkeiten entgegen. Die Nationalzaranisten standen auf dem Standpunkt, dass man das Bestehende nicht anrühren sollte.837 Entsprechend der Parole Manius lehnten sie jede Entscheidung in den rumäniendeutschen Angelegenheiten bis zu einem Friedensvertrag ab. Auch die Linksparteien wollten in der Schulfrage keine Initiative ergreifen. Der sozialdemokratische Unterrichtsminister Stefan Voitec schob die Entscheidung immer wieder mit der Begründung hinaus, dass es sich bei den sächsischen Schulen nicht um eine Ressortfrage, sondern um ein reines Politikum handle.838 Roth hoffte, dass die Lösung der innenpolitischen Krise Rumäniens auch für die Lösung der Schulfrage günstige Bedingungen schaffen würde. Bezüglich der Frage, inwieweit die Sachsen um die Kriegsverbrechen der SS wussten, gab Roth zu, dass man von diesen Grausamkeiten von Mundpropaganda sowie Radio London und Radio Moskau gehört habe. Die deutschen und rumänischen Behörden hätten sie jedoch – natürlich – konsequent verleugnet. „Trotzdem haben wir nie verfehlt [sic!], gegen diese Handlungsweise der SS in unseren Kreisen grundsätzlich scharf Stellung zu nehmen“839, beteuerte Roth, wobei er hier offen ließ, wer konkret wann und wo zu welchen Verbrechen Stellung genommen haben soll. „Ein öffentlicher Protest oder eine öffentliche Aktion aber war ebenso wenig möglich, wie es der rumänischen Opposition zur Zeit der Diktatur möglich war, mit irgendeiner öffentlichen Stellungnahme in dieser Frage hervorzutreten.“840 In diesem Zusammehang muss man feststellen, dass Roth zwar persönlich auf sein Gespräch mit Hitler 1933 verweisen konnte, als er Protest gegen Hitlers Politik 836 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 837 Ebd. 838 Ebd. 839 Ebd. 840 Ebd.
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eingelegt hatte, und auch sein Sohn als Angehöriger der rumänischen armata vom Verdacht, Kriegsverbrecher zu sein, freizusprechen war. Allerdings ist es auch eine Tatsache, dass sich allgemein die Siebenbürger Sachsen in der Waffen-SS nicht durch besondere „Ritterlichkeit“ ausgezeichnet haben. Die SS-FrwGebDivision „Prinz Eugen“ kam zum Beispiel im jugoslawischen Partisanenkrieg zum Einsatz.841 Der Division wurden später im Nürnberger Prozess schwerste Kriegsverbrechen vorgeworfen, insbesondere von der jugoslawischen Delegation. Den rumäniendeutschen Führern – allen voran General Arthur Phleps – war ein solches Verhalten auch durchaus nicht fremd.842 Im März 1944 etwa wurden in der Nähe von Sinj und Split mehrere hundert Männer, Frauen und Kinder ermordet, in einem einzigen Dorf 150 Personen. In Otok wurden Frauen und Kinder zu je fünf bis 15 Personen in die Häuser getrieben und dort erschossen. Aber auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz sind Kriegsverbrechen von Rumäniendeutschen bekannt, etwa während des Massakers von Malmedy, wo am 17.12.1944 mindestens 72 amerikanische Gefangene erschossen wurden, und der 21-jährige Banater Schwabe, SS-Oberschütze Georg Fleps, den ersten Schuss gefeuert haben soll (Fleps gehörte der 1. SS-Division „Leibstandarte Adolf Hitler“ an).843 Aufgrund dieser Tatsachen ist es unwahrscheinlich, dass die normalerweise gut informierte Gruppe um Roth und Müller nichts von solchen Vorgängen erfahren haben sollte, was Roth ja auch nicht bestritt. Im Vordergrund des allgemeinen Interesses standen in dieser Zeit zwei Fragen: Erstens die Frage nach dem Schicksal der in die Sowjetunion verschleppten Rumäniendeutschen, zum anderen die Frage, ob und in welcher Weise sich die Rumäniendeutschen weiter politisch betätigen konnten. Roth betonte bezüglich des ersten Punktes, dass das Schicksal der Verschleppten – nach allem, was man bisher habe erfahren können – besser sei als man vielfach angenommen habe. Die Leute würden wirklich zur Arbeit verwendet, die Ausmaße dieser Arbeit seien erträglich und ihre Verpflegung und Behandlung menschenwürdig. Für die Zulassung von Korrespondenz seien neue Zusicherungen eingegangen, doch es würde noch einige Zeit dauern, bis der Briefverkehr wieder in Schwung kommen könnte. Am wichtigsten sei, dass man „von sehr maßgeblicher Stelle“844 die neuerliche Zusage erhalten habe, dass die Deportierten nach Ableistung ihrer Arbeitszeit wieder wohlbehalten heimkehren würden. Roth: „Es wäre allerdings naiv anzunehmen, dass der Arbeitsdienst schon in einigen Monaten zu Ende geht. Es wird wohl viel länger dauern, aber es wird zeitlich be Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 259. Im Juli 1944 empfahl Phleps, als Kommandant des V-SS-Gebirgskorps, in einem Brief an Himmler die Einführung der Militärverwaltung in Kroatien und die Ablösung des Gesandten Kasche. Dabei meinte er: „Konzentrationslager, Arbeitskolonnen und die Todesstrafe müssen Hand in Hand die Übeltäter fassen, weil der Balkanmensch die milde Hand nicht verträgt. Er muss die Peitsche spüren!“ Ebd., S. 260. 843 Ebd., S. 260/261. 844 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 841 842
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grenzt sein. Und das ist das Entscheidende.“845 Roth hatte hierbei auch die Beschlüsse der Konferenz von Jalta im Auge, aus denen hervorging, dass die Kriegsentschädigung des Deutschen Reiches auch in Arbeitsstunden abzustatten sei. Roth nahm daher an, dass für diese Arbeitsleistung auf der Friedenskonferenz ein Statut geschaffen werde, das auch für die Rumäniendeutschen gelte, ja er hoffte sogar, dass die Rumäniendeutschen noch früher heimkehren könnten als die Reichsdeutschen. In der Tat durfte die Masse der Rumäniendeutschen 1948/49 die UdSSR wieder verlassen. Schon Ende 1945 wurden die ersten Züge mit meist kranken und arbeitsunfähigen Verschleppten nach Rumänien zurückgeschickt. Die Züge der ab 1947 Entlassenen wurden in die Sowjetische Besatzungszone nach Frankfurt/Oder geleitet. Die letzten Verschleppten kamen aber erst 1955 wieder frei. Etwa 15% kamen um und von den Überlebenden kehrte nur noch die Hälfte nach Rumänien zurück. Die andere Hälfte zog es vor, den sowjetischen Machtbereich sofort zu verlassen und ihren 1944 geflohenen Landsleuten in die Bundesrepublik Deutschland oder Österreich zu folgen.846 Literarisch wurde diese Zeit unter anderem von der Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller mit ihrem Werk „Atemschaukel“ aufgearbeitet. Die öffentliche Betätigung der Rumäniendeutschen wurde indessen noch von keiner Seite gerne gesehen. Die Reserviertheit gegenüber den Deutschen war überall zu spüren.847 Roths strategische Empfehlung: „Erst müssen wir in der Landespolitik halbwegs wieder Fuß fassen, um öffentlich auftreten zu können. Ob und wann das möglich sein wird, kann heute noch gar nicht gesagt werden. Bloss so viel ist sicher: Wir müssen unsere öffentliche Betätigung mit aller Vorsicht einrichten und auch in der äusseren Form der gegenwärtigen Entwicklung im Lande gewissenhaft Rechnung tragen. Lieber zu wenig als zu viel, lautet heute die Parole. Die Zeiten lärmender Kundgebungen sind für uns vorbei.“848
Hierbei erwog Roth auch den Eintritt in rumänische Parteien. Einzelne Personen hatten dies auch schon getan, doch inwieweit der Zusammenhalt der Rumäniendeutschen damit gewährleistet werden konnte, war eine offene Frage. Das Entscheidende bei jedem Schritt war für Roth immer das Interesse der Gesamtheit.
Ebd. Anmerkung: Die Deportierten kamen meist in sowjetische Arbeitslager des Donezbeckens, der Gegend um Krivoi-Rog und Dnjepropetrowsk. Sie wurden vor allem in Kohle- und Erzgruben eingesetzt. Sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Unterbringung und Verpflegung ließen schon auf dem Transport die Zahl der Toten in die Höhe schnellen. Besserung trat erst ab der Jahreswende 1947/48 ein. Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 221. 846 Kolar, Othmar: Rumänien und seine nationalen Minderheiten 1918 bis heute, S. 222. 847 Politischer Nachlass HOR/Quelle 443: 23. Februar 1945: Roths bilanzierender Aufsatz „Nach sechs Monaten.“ 848 Ebd. 845
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Zu diesen Problemen kam jedoch auch noch die Frage der Neuaufstellung der Kirchenführung hinzu. Insbesondere die Nachfolge Bischof Staedels spaltete die Geister. Altbischof Glondys wollte auf jeden Fall wieder Bischof werden. In seinem Tagebuch notierte er am 5. Oktober 1944: „Heute früh faßte ich den plötzlich aufblitzenden Beschluß, beim Landeskonsistorium die Erklärung einzureichen, daß meine Demission vom Dezember 1940 nichtig sei, da ich unter äußerstem Zwang, vor allem unter dem Druck der deutschen Gesandtschaft gehandelt hätte, und daß ich mich nach wie vor als rechtmäßiger Bischof der Landeskirche betrachtete, der durch Terror in der Ausübung seines Amtes gehindert worden sei.“849 Die Idee von Glondys schien zunächst einmal nicht abwegig. Noch am gleichen Nachmittag wurde Glondys bei Ionel Pop vorstellig, der Glondys aufmerksam zuhörte. „Er war äußerst liebenswürdig und wünschte mir viel Erfolg für meinen Schritt und meine bischöfliche Amtstätigkeit.“850 Der „plötzliche Geistesblitz“ des Altbischofs stieß jedoch bei Roth und anderen führenden Siebenbürger Sachsen nicht unbedingt auf Zustimmung.851 Roth favorisierte seinen Freund Bischofsvikar Friedrich Müller. Schon am nächsten Tag musste Glondys in seinem Tagebuch feststellen: „Als ich in das Wartezimmer eintrat, kamen nach kurzer Zeit Dr. Gündisch und Dr. Herzog aus dem Amtszimmer von Dr. Pop. Sie waren nicht angenehm berührt, als sie mich sahen. Mir schien, als wäre Dr. Pop durch diese beiden bereits beeinflußt worden; vielleicht täuschte ich mich, aber gefühlsmäßig schien mir, als sei seine Haltung mir gegenüber seit gestern verändert.“852 Auch die Russen betrachteten Glondys zunächst offenbar als den legitimen Bischof der Siebenbürger Sachsen. „Heute Vormittag, den 6. Oktober, erschien ein russischer Major bei mir und sagte, nachdem er sich vorgestellt hatte, er möchte ... bei mir als dem Bischof Auskünfte erbitten. ... Als ich auf andere Auffassungsmöglichkeiten hinwies, meinte er, die Auffassung sei nicht stichhaltig. Er sei Jurist, allerdings handle es sich hier um einen besonderen Fall. Aber es sei fraglich, ob meine Auffassung ohne weiteres anerkannt werde. Er: ,Von wem sollen sie nicht anerkannt werden?‘ Ich: ,Vielleicht vom Landeskonsistorium.‘ Er: ,Sind Sie ordnungsgemäß gewählt worden?‘ Ich: ,Ja, im Jahr 1932.‘ Er: ,Dann sind Sie der Bischof!‘ ... Er wollte auch wissen, wer für Müller sei. Ich sagte, ich wüßte es ja nicht im einzelnen, aber einflußreiche Leute wie Hans Otto Roth gehörten dazu.“ 853
Letzteres war offensichtlich. Am 8. Oktober 1944 entschloss sich Glondys, den Gemeinden mitzuteilen, dass er die Kirchenleitung übernommen habe. Dazu ver 851 852 853 849 850
Tagebuch Glondys, S. 420 (5. Oktober 1944). Ebd., S. 421 (5. Oktober 1944). Ebd., S. 421 (6. Oktober), 424 (8. Oktober), ff. Ebd., S. 421 (6. Oktober 1944). Ebd., S. 422 (6. Oktober 1944).
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fasste er einen Aufruf, als Dr. Gündisch ihn besuchte. Dieser versuchte vergeblich, Glondys von seinem Vorhaben abzubringen und zu warten, bis Roth käme. Glondys lehnte ab: Roth habe es auch nicht der Mühe wert befunden, ihn aufzusuchen, obwohl er die Bischofsfrage behandelt habe.854 Zwischen beiden Männern begann ein Streit, ob Glondys sein Amt ohne Bestätigung durch Neuwahlen wieder aufnehmen könnte oder nicht. Die Standpunkte waren hierbei klar: Glondys bejahte dies angesichts der besonderen Umstände, Gündisch verneinte unter Hinweis auf das Kirchenrecht. Zuletzt meinte Gündisch, Roth habe sich noch nicht auf einen Bischofskandidaten festgelegt, was Glondys allerdings bestritt: „Wenn Roth es auch nicht expressis verbis getan habe, sei es aus seinen Handlungen ersichtlich.“855 Am 3. Februar 1945 wurde die Frage der Bischofsnachfolge dringender und Roth schrieb einen Brief an Glondys, in dem er ihm rundweg erklärte, dass er kein Bischof mehr werden könnte. Die Verantwortung hierfür schob er nun auf die Russen. Kultusminister Pop habe ihm nämlich eröffnet, dass die rumänische Waffenstillstandkommission angefragt habe, ob man die Evangelische Landeskirche als hitleristische Organisation nicht gleich ganz auflösen sollte. Pop habe das unter Hinweis auf die lange demokratische Tradition der Kirche zwar verneint, eine Genehmigung der Reaktivierung Bischof Glondys’ könnte aber nicht erfolgen, da auch Glondys – trotz seiner Entfernung durch die Hitleristen – früher angeblich Äußerungen getan hätte, die als hitlerfreundlich gewertet werden könnten.856 „Ich sehe nach dem hochoffiziellen Schreiben an die Waffenstillstandskommission keinen Ausweg“, schrieb Roth an Glondys. „Bist du nicht auch dieser Ansicht? Wie schmerzlich es auch ist, wir müssen uns mit der geschaffenen Lage abfinden.“857 Das fiel dem Altbischof indessen ziemlich schwer. „Über mir schwebt die Gefahr wegen der Darstellung meiner Haltung durch das Kultusministerium an die rumänische Waffenstillstandskommission als in gewissem Sinne ,gefährlich‘ verhaftet zu werden“, schrieb er am 7. Februar 1945 in sein Tagebuch. „Heute Nacht hat mich der Gedanke sehr beschäftigt, daß ich offenbar den heimtückischen Machenschaften, die dabei eine Rolle spielten, wie die Anzeige Brandschs und vieles andere, nicht gewachsen war, da ich viel zu unbekümmert und ohne Möglichkeit, solchen Gemeinheiten Beachtung zu schenken, meinen Weg ging. Ich war nicht „klug wie die Schlangen“.858
Ebd., S. 424 (8. Oktober 1944). Ebd., S. 424 (8. Oktober 1944). 856 Politischer Nachlass HOR/Quelle 439: 3. Februar 1945, Bukarest: Roth informiert Bischof Glondys über die Absichten des Kultusministeriums bezüglich der Neuwahl der Kirchenführung. 857 Ebd. 858 Tagebuch Glondys, S. 455 (7. Februar 1945). 854 855
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Das war wohl nicht ganz falsch. Am 23. Februar 1945 sprach Roth nämlich erneut mit Pop. In diesem Gespräch stellte Pop eindeutig fest, dass Bischof Glondys aufgrund des ihm vorliegenden Aktenmaterials im Dezember 1940 mit Gewalt durch die Hitleristen aus seinem Amt entfernt worden war und dass die Haltung von Bischof Glondys während seiner gesamten Amtstätigkeit eine prohitleristische Deutung seiner Wirksamkeit auch für das Jahr 1938 ausschließe. Darüber wollte er auch alle anderen Dienststellen unterrichten.859 Dass Glondys letztendlich nicht erneut Bischof wurde, kann also nicht an einer angeblichen NS-Freundlichkeit gelegen haben, die ihm jetzt unterstellt wurde. Am 21. November 1944 beauftragte Kultusminister Pop den Inspektor Dr. Pavel mit der Untersuchung des Falls Glondys. Dieser kam zu dem Ergebnis: „Dr. Viktor Glondys war nach der schriftlichen Information [nota informativa] des Regionalinspektorates der Polizei Anhänger von Fritz Fabritius und nahm in seiner in der Kronstädter Zeitung vom 23. April 1937 veröffentlichten inkriminierten Rede für den Nazismus Stellung. Obwohl Herr Glondys als Opfer des deutschen nationalsozialistischen Regimes erscheint und unleugbare Verdienste in Kulturfragen und in seinem Widerstand gegen den extremen Nazismus hat, ist er doch nicht ohne jeden Makel.“860
Soweit unterschied sich Glondys aber nicht von irgendeinem anderen rumäniendeutschen Politiker. Auch Hans Otto Roth und Friedrich Müller waren nicht ohne jeden Makel. Bezüglich Hans Otto Roth urteilte Pavel jedoch völlig anders: „Herr Hans Otto Roth, der aus Schässburg stammt, hat in Hermannstadt und noch mehr in Bukarest gelebt, wo er sich auch jetzt noch aufhält und ein Anwaltsbüro hat. Er ist ein alter Demokrat. Unter dem Parteiregime war er einer der Exponenten der deutschen Minderheit. Unter dem Regime Antonescu war er nicht politisch tätig. Herr Hans Otto Roth hat bis zum 31. März 1945 in gesetzlicher Weise das Amt eines Landeskirchenkurators der Evangelischen Landeskirche inne, da die Landeskirchenversammlung bis jetzt nicht mehr getagt und von seiner im Frühjahr 1943 erfolgten Demission nicht Kenntnis genommen hat, einer Demission, die er heute nicht mehr aufrecht erhält.“861
Dass diese formal-juristische Argumentation bezüglich des Ämterrücktritts in erster Linie eine machttaktische Frage war, zeigt das Beispiel Wilhelm Staedels. Dieser stellte sich nämlich am 24. November 1944 auf den gleichen Standpunkt. Aus der Politischer Nachlass HOR/Quelle 444: 23. Februar 1945. „Gespräch mit Kultusminister Gh. Pop vom 23. Februar 1945. Zugegen Landeskirchenkurator Dr. Hans Otto Roth“, Anmerkung Roths über neue Bischofswahlen. 860 ZK. 1576/1947 vom 29. April 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 15. 861 Ebd., S. 15/16. 859
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Internierung heraus schrieb er eine Beschwerde an das Kultusministerium: „Ich habe mich den Pressionen und dem Terror einiger gefügt, mit dem einzigen Ziel der Beruhigung und Pazifizierung der erregten Geister zu dienen, und mich dazu verstanden, indem ich mich beiseite stelle, die endgültige Erledigung meiner durch Zwang unterbrochenen Inaktivität, also die Annahme oder Ablehnung meines Rücktritts durch die einzig kompetente Körperschaft d.i. die Landeskirchenversammlung abzuwarten.“862 Damit war Staedel aber nicht erfolgreich. Mit dem Hinweis auf seine 1940/41 erzwungene Bischofswahl wurde diese Argumentation von Inspektor Pavel abgelehnt.863 Ebenso kritisch sah Pavel jedoch auch die kirchenrechtliche Gültigkeit der Beschlüsse des neuen Landeskonsistoriums, da die Mitglieder zahlenmäßig nicht beschlussfähig waren: Es waren nur 10 der 11 mindestens nötigen Personen anwesend. Folglich resümierte Pavel: „Die Lage der Evangelischen Landeskirche in Rumänien ist derzeit anormal: 1. Ein demissionierter Bischof [Staedel], der sich trotzdem als Bischof ansieht, solange die Landeskirchenversammlung von seiner Demission nicht Kenntnis genommen hat, der aber sein Amt verlassen musste, da seine Schuld erwiesen ist. ... 2. Ein gewesener Bischof [Dr. V. Glondys], der sich auf Grund des Beschlusses eines Landeskonsistoriums als Bischof ansieht, eines Beschlusses, der seine Demission als null und nichtig erklärt hat, weil sie das Ergebnis eines auf ihn ausgeübten Zwanges gewesen sei. ... 3. Das alte Konsistorium d.h. also dasjenige aus der Zeit der Regierung Antonescu ist tatsächlich ausserstande, rechtsgültige Beschlüsse zu fassen, da sich 11 seiner Mitglieder interniert im Lager befinden; 4. Eine klare und gesetzliche Situation haben lediglich Herr Landeskirchenkurator Hans Otto Roth, da die Landeskirchenversammlung von seiner im Frühjahr 1943 angemeldeten Demission, die er heute nicht mehr aufrecht erhält, noch nicht Kenntnis genommen hat. Er vertritt die Kirche im Sinne des § 89 der Kirchenordnung in allen kirchenregimentlichen Angelegenheiten bis zum Ablauf seines Mandates, also bis zum 31. März 1945. Dieselbe Situation hat Dr. Friedrich Müller in seiner Eigenschaft als Bischofsvikar ...“864
Pavel empfahl daher: „7. Als rechtliche und logische Konsequenz der Ausführungen unter Punkt 1 und 2 ergibt sich, dass Herr Dr. Viktor Glondys nicht das Recht hat, sich als Bischof der Evangelischen Landeskirche in Rumänien zu bezeichnen und als solcher zu amtieren, da er diese
862 ZK. 1576/1947 vom 29. April 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 13. 863 Ebd., S. 17/18. 864 Ebd., S. 18/19.
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Eigenschaft durch die von der Landeskirchenversammlung angenommene Demission verloren hat; 8. Da die Situation des Herrn Landeskirchenkurators Hans Otto Roth klar und gesetzlich einwandfrei ist, möge das g. Ministerium bis zur Wahl eines neuen Bischofs den Landeskirchenkurator, Herrn Hans Otto Roth, als gesetzlichen Vertreter der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien anerkennen, der im Sinne des § 89 der Kirchenordnung allein berechtigt ist, die Kirche in kirchenregimentlichen Angelegenheiten zu vertreten, während dem Bischofsvikar Herrn Dr. Friedrich Müller die Vertretung in streng genommene [sic!] Kirchlichen Angelegenheiten zukommt;“865
Kultusminister Pop entschied schließlich, dass das Kultusministerium sich nicht bereit finden könnte, die Wiedereinsetzung des gewesenen Bischofs Glondys anzuerkennen, der – wenn er im Jahre 1940 auch von den „Hitleristen“ beseitigt worden sei – doch einige Male eine Haltung an den Tag gelegt habe, die als Begünstigung des Hitlerismus ausgelegt werden könnte.866 Welche „heimtückischen Machenschaften“, die Glondys erkannt haben wollte, bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben, muss dahingestellt bleiben.867 Da Roth allerdings durch seine langjährige Arbeit in Bukarest beste Kontakte zu allen Ministerien der rumänischen Regierung besaß, waren Glondys Vermutungen über eine Einflussnahme Roths auf dieses Gutachten durchaus nicht unbegründet, da es haargenau den politischen Zukunftsvorstellungen Roths entsprach und dabei jene Äußerungen Roths und Müllers ignorierte, die durchaus auch als „hitleristisch“ hätten gewertet werden können. Roth bestand trotz der Deportationen vieler Gemeindemitglieder auf der Durchführung der Neuwahl der kirchlichen Gremien, und so berief er die Landeskirchenversammlung für den 29. April 1945 ein.868 Besonders wichtig erschien ihm eine demokratische Legitimierung der kirchlichen Repräsentanten, da von der sich formierenden, neuen kommunistischen Staatselite Angriffe zu erwarten waren.869 Die Wahlen konnten auf allen kirchlichen Ebenen durchgeführt werden und gipfelten in der Neuwahl von Bischof, Landeskirchenkurator, ihren Stellvertretern und dem Landeskonsistorium am 29. April 1945870. Im Juni 1945 legte dann der neu gewählte Bischof Friedrich Müller in Sinaia den Treueid vor dem König ab. Am 29. April 1945 wurden denn auch die Beschlüsse des Landeskonsistoriums vom 19. Oktober 1944 Ebd., S. 20. Ebd., S. 23. 867 Zum Rücktritt Glondys’ vom Februar 1945 siehe auch Müller: Erinnerungen, S. 15–16 sowie sein ans Kultusministerium gesandtes Abdankungstelegramm vom 5. Februar 1945, ebd., S. 260. 868 ZK. 1576/1947 vom 29. April 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 26. 869 Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 61. 870 ZK. 1576/1947 vom 29. April 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 1 sowie S. 26/27. 865 866
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einstimmig ratifiziert.871 In Zusammenarbeit mit Bischof Friedrich Müller konnte Roth als wiedergewählter Landeskirchenkurator weiterhin die Interessen der Landeskirche vertreten. Die fortschreitende Entrechtung der Siebenbürger Sachsen stellte die neue Kirchenführung nun vor größere Herausforderungen als jemals zuvor. Auf der Landeskirchenversammlung im April 1945 definierte Roth seine Haltung bezeichnenderweise viel religiöser als zuvor872: Er wolle „männlich und gefaßt den Weg, den mir Gott heute gewiesen hat, weiter [...] gehen bis ans Ende [...]. Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht.“873 Aus diesen Äußerungen Roths zog Ulrich Wien mehrere Schlüsse:874 Die Krise und die Bedrängnis der Landeskirche, ihrer Mitglieder und ihrer Leitung waren so enorm, dass die alten humanistisch geprägten Tugenden neu beschworen werden mussten. Die persönlichen Konsequenzen für die Amtsträger der Kirche waren – anders als bei allen bisherigen Wahlen – diesmal unabsehbar. Diese Herausforderungen wurden von Roth als „Kreuz“ dargestellt. Doch diesem „Kreuz“ auszuweichen war für Roth keine Option. Wien sah diese Entschlossenheit Roths unter anderem in seinem religiösen Glauben begründet: „Er bezeichnete die mit seiner Wahl gegebene Perspektive als von Gott gewiesenen ,Weg.‘ Aus dieser Aussage lässt sich entnehmen, dass Roth – geschichtstheologisch formuliert – sein Handeln im Vertrauen auf die universale sowie persönliche Lenkung menschlicher Geschichte durch Gott begründet sah, mehr noch, sich dafür berufen fühlte. Die ernsten, drohenden Konsequenzen ,bis ans Ende‘ – im kommunistisch regierten Rumänien – waren ihm bewusst.“875
War aber die Wiederaufnahme der Arbeit als Landeskirchenkurator für Hans Otto Roth nur Pflichtbewusstsein oder war es sein Wunsch? An dieser Stelle sei seine Nichte Frau Brigitte Möckel zitiert, die bezüglich der politischen Passion Roths anmerkte: „Das war einfach sein Leben.“876 Auf die Frage nach anderen Betätigungsfeldern (z.B. in seiner Freizeit) antwortete Frau Möckel: „Da gab es keine. Es gab nur seinen Beruf.“ Demnach hätte er 1945 einfach die Chance ergriffen, sich wieder in sein altes Amt einzusetzen. In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die Rede Roths zur Amtseinführung seines Freundes und neuen Bischofs Friedrich Müller zu werfen, bei dessen Amtseinführung am 24. Juni 1945 Roth zum letzten Mal die Rede zur Einführung eines Bischofs hielt. Diese Rede war eine ganz andere als die im Jahre 1941 zur Ebd., S. 29. Vgl. dazu auch Bischof Friedrich Müller: Erinnerungen. Zum Weg der siebenbürgischsächsischen Kirche 1944–1964 (bearbeitet von Hannelore Baier). Bukarest 1995, S. 30. 873 Wien, Ulrich: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 62. 874 Ebd. 875 Ebd. 876 Zeitzeugeninterview mit Frau Brigitte Möckel in Berlin am Montag den 16. Juni 2008. 871 872
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Amtseinführung Wilhelm Staedels. Die Erleichterung und neu gewonnene Zuversicht über den Fortbestand der Landeskirche und der rumäniendeutschen Bevölkerungsgruppe war Roth deutlich anzumerken. Von „deutsch“ oder „Deutschland“ findet man jetzt allerdings kein Wort mehr. Auffallend ist jetzt hingegen die starke religiöse Prägung, womit die Rede der Amtseinführung eines Bischofs sehr viel mehr gerecht wird.877 „Es wird hier wohl eine Kombination aus populärer kantischer Ethikbegründung und (preußisch) humanistischer Tugendlehre vorliegen, die eine Grundlinie seiner politischen Maxime erkennen lässt.“878 Diese „Grundlinie seiner politischen Maxime“ ist in der Tat aus den Quellen eindeutig ersichtlich. Aber auch die Aufgaben der Kirche – gerade in den schweren Zeiten – wurde von Roth jetzt neu formuliert: „Verkünder der Botschaft Christi zu sein, ist gewiss eine schwere, zugleich aber auch ,köstliche‘ Aufgabe. Wieviel Gutes könnt ihr stiften, wieviel Schmerzen könnt ihr lindern, wieviel Trauernde wieder aufrichten!“879 Trotz aller Not gab es aber in dieser Zeit auch gewisse Erfolge für die Rumäniendeutschen zu verzeichnen. Ein großer Erfolg schien – schon kurz vor der Unterzeichnung des Friedensvertrages – die offiziell wiedererlangte Schulträgerschaft der Landeskirche. Am 4. Dezember 1946 – mitten in der Sitzung des Landeskonsistoriums – erreichte die sächsische Führung diese Nachricht. Basierend auf wiederholten Memoranden Bischof Müllers und Hans Otto Roths sollte die Gleichbehandlung der evangelischen Landeskirche mit den ungarischen Konfessionsschulträgern gewährleistet werden. Roth war so begeistert, dass er sogar überzeugt war: „Wir haben mit der Schule das Grundrecht für unseren Fortbestand im Lande erhalten.“880 Allerdings war diese Schulträgerschaft nur bis ins Frühjahr 1948 gültig. Danach wurden alle Schulen von der nunmehr vollständig kommunistischen rumänischen Regierung verstaatlicht. 881 Des Weiteren wurde der gesamte Besitz der deutschen Volksgruppe enteignet und die Gebäude der ehemaligen Nationsuniversität fielen an den Staat. Auch die kirchliche Jugendarbeit konnte nicht wieder aufgenommen werden, da die arbeitsfähigen jungen Männer und Frauen in die UdSSR deportiert waren.
3.2 Hetzkampagne gegen Hans Otto Roth Die Landeskirchenversammlung hatte am 29. April 1945 Friedrich Müller und Hans Otto Roth zum Bischof beziehungsweise zum Kurator der Evangelischen Kirche A.B. Die Rede Roths siehe Anhang 10. Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 62. 879 Politischer Nachlass HOR/Quelle 507: 7. April 1950, Hermannstadt: Abschrift eines Schreibens Roths an Alfred Hermann, Stadtpfarrer von Hermannstadt. 880 Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 60. 881 Ebd., S. 60. 877 878
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in Rumänien gewählt bzw. bestätigt. Beide wurden mit eindeutigen Mehrheiten gewählt. Die Hoffnungen, die die Siebenbürger Sachsen in Bischof Friedrich Müller und Landeskirchenkurator Hans Otto Roth setzten, waren klar: Ihre Aufgabe würde es sein, die siebenbürgisch-sächsische Bevölkerung vor den zu erwartenden Pressionen der neuen kommunistischen Machthaber möglichst zu schützen.882 Müller und Roth wurden von den neuen Machthabern in Rumänien zunächst sogar akzeptiert.883 Auf Druck Moskaus wurde am 6. März 1945 Petru Groza als Ministerpräsident in Bukarest eingesetzt. Fortan dominierten die Kommunisten die Regierung und bis 1947 festigten sie ihre Macht endgültig. Dann aber war ihnen das Sammeln der sächsischen Bevölkerung um die Evangelische Landeskirche A.B. in Rumänien ein Dorn im Auge. Die von den Kommunisten zielstrebig betriebene Zersetzung anderer Gemeinschaften und die Entfremdung von deren traditionellen Werten – gemäß stalinistischer Nationalitätenpolitik – funktionierte in diesem Falle nicht.884 Ein Bericht der Polizei vom 1. Juni 1945 über die Stimmung der deutschen Minderheit besagte: „Die vom ehemaligen Senator Dr. Hans Otto Roth durchgeführte Tätigkeit erweckt mehr Vertrauen. Als Folge trat nur eine kleine Anzahl Intellektueller aus den Reihen der deutschen Minderheit Siebenbürgens der Deutschen Antihitleristischen Organisation (DAO) bei.“885 Als Konsequenz aus diesen Erkenntnissen versuchten die neuen Machthaber, die leitenden Persönlichkeiten der Sachsen gefügig zu machen oder gleich ganz zu beseitigen. Eine Möglichkeit hierbei war, sie zu diskreditieren. Dazu wurde vermutlich schon vor deren Wahl nach kompromittierenden Fakten aus ihren Biographien gesucht. Erleichtert wurde der Securitate dies ausgerechnet durch Angehörige der deutschen Minderheit selbst. So traf schon im November 1944 im rumänischen Kultusministerium die erste Beschwerde gegen Glondys und Roth ein. Adolf Fuß und Rudolf Brandsch verlangten nicht nur die sofortige Entfernung von Glondys und Roth aus ihren „usurpier882 Dies gelang zumindest bis 1949, als unter Aufsicht der Kommunistischen Partei das Antifaschistische Deutsche Komitee gegründet wurde, war die Evangelische Kirche die einzige staatlich anerkannte Institution, der eine Organisierung bzw. Vertretung der Rumäniendeutschen gestattet war. Siehe dazu: Hannelore Baier: Politische Initiativen und Organisationen der Siebenbürger Sachsen in der Zeitspanne 23. August 1944 bis Februar 1949. In: Forschungen 39 (1996), S. 55–79. 883 Bischof Friedrich Müller: Erinnerungen. Zum Weg der siebenbürgisch-sächsischen Kirche 1944–1964. Bearb. Hannelore Baier. Köln, Weimar, Wien 1995 (Schriften 17), S. 15–17, 232–245. Hannelore Baier: Bischof Friedrich Müller als Politiker. In: ZfSL 16 (1993), S. 169. 884 Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 31. 885 Archiv des Rumänischen Nachrichtendienstes, Bukarest, fortan RND, Dokumentarfonds, Dossier 4030, Vol. II, S. 270. (Dieses und die folgenden Zitate aus dem Archiv des RND wurden aus dem Rumänischen übersetzt). Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 32.
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ten“ kirchlichen Ämtern, sondern sogar eine Bestrafung.886 Diese Zwietracht unter den siebenbürgisch-sächsischen Politikern im Augenbick größter Schwierigkeiten und Gefahren bezeichnete Roth als „Dolchstoß aus den eigenen Reihen“887, wie er am 23. Juli 1945 an Karl Gündisch schrieb.888 Die Eingabe von Fuß und Brandsch im November 1944 blieb noch ohne größere Folgen, schließlich war es angesichts der Kriegsereignisse zu dieser Zeit noch völlig unmöglich, eine vollwertige Landeskirchenversammlung abzuhalten. Roth: „Wie klein und hässlich sieht die aus hitleristischen Hintergründen und vielleicht auch aus persönlicher Rachsucht genährte ,Beschwerdeschrift‘ ... neben dem grossen Zug der Ereignisse aus.“889 Hier muss man Hans Otto Roth vorbehaltlos Recht geben. Doch die Eingabe vom November 1944 war erst der Anfang einer langen Reihe von Angriffen und Beschuldigungen gegen Bischof D. Friedrich Müller und Landeskirchenkurator Dr. Hans Otto Roth. Bischof Müller schrieb in seinen Erinnerungen über die zahlreichen Angriffe gegen ihn und andere kirchliche Würdenträger und über die Gefahren, denen die Kirche als Institution sowie die Sachsen als Gemeinschaft ausgesetzt waren. Das Auffinden einer Reihe von Dokumenten und Informanten-Berichten in den rumänischen Archiven und vor allem des „AndreeNachlasses“890 beweisen, dass die Gefahren real waren.891 Auch Roth war als Siehe Anhang 15: Forderung von Fuß und Brandsch nach Bestrafung Roths. Politischer Nachlass HOR/Quelle 463: 23. Juli 1945: Schreiben Roths an Rechtsanwalt Karl Gündisch, Hermannstadt, in dem er zu der gegen ihn beim Ministerpräsidenten eingegangenen Verleumdungsschrift Stellung bezieht und Gündisch ein deutsches und ein rumänisches Exemplar seiner Antwort beigibt. 888 Siehe Anhang 16: Roths Brief an Karl Gündisch. 889 ZK. 1576/1947 vom 29. April 1947. Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 12. 890 Es handelt sich um sechs gebundene Hefte, die Pfarrer Dr. Hans Klein in der Bischofsloge der evangelischen Stadtpfarrkirche von Hermannstadt gefunden hat, ohne dass bekannt ist, wie und wann die Sammlung von Dokumenten, Briefen und Zeitungsausschnitten aus der Zeitspanne 1942–1955 dorthin kam. Das Deckblatt der Hefte trägt als Titel „Agenden betr. die Politik der evang. Landeskirche A.B. während des Episkopats: W. Staedel/D. Dr. V. Glondys/u. Friedr. Müller (1942–1955)“, als Autor (Herausgeber?) wird UNIUNEA DEMOCRATICA SÃSEASCA ANTIFASCISTA/Sächsischer Demokratisch-Antifaschistischer Volksverband angegeben, ein runder Stempel weist die „Dokumentar-Bücherei Dr. Erhard Andree“ als Eigentümerin aus. Hannelore Baier hat für die einzelnen Hefte, die im Hermannstädter evangelischen Stadtpfarramt aufbewahrt werden, ein Inhaltsverzeichnis angelegt; dementsprechend bedeutet „II/18“ z. B. Urkunde Nr. 18 aus Heft II. Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 33. 891 Bei den Berichten und Mitteilungen der Polizeiinspektoren und Informanten der Siguranţa stellt sich die Frage nach dem Wahrheitsgehalt. Da der Inhalt der Informationen den „Berichterstattern“ von den Beobachteten und überwachten Personen selbst oder von Personen aus deren Umfeld meist ohne Wissen, oftmals aber auch wissentlich mitgeteilt wurde, sind diese Berichte und Mittei886 887
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Landeskirchenkurator mehrmals gezwungen, sich schriftlich zu seiner Einstellung zum Nationalsozialismus sowie zu seinem Verhalten während der NS-Zeit zu äußern. Daraus resultierten jene Dokumente, in denen er seine Gründe für die Ablehnung des Nationalsozialismus zusammenfasste.892 Roth benannte dabei zum Ersten das „Führerprinzip“, das er schon begrifflich für verfehlt hielt. Er vertrat die Auffassung, dass es Führer und Führungspersönlichkeiten schon immer gegeben habe. Personen mit Führungsqualitäten könnten sich in allen politischen Systemen durchsetzen, sei es ein demokratisches, kommunistisches oder auch faschistisches System. Als Beispiele führte Hans Otto Roth Churchill, Stalin, Roosevelt, Atatürk und Mussolini an. Führerqualitäten könne man jedoch nicht „durch Handauflegen“893 übertragen, wie es etwa bei Volksgruppenführer Andreas Schmidt geschehen sei. Das „Führertum“ als solches zum Prinzip zu machen sei unmöglich. Roth: „Das Führertum zum Prinzip zu machen ist aber unmöglich und stellt eine contradictio in adjecto dar. Man kann Führerqualitäten nicht durch Handauflegen übertragen. Das haben wir in geradezu lächerlicher Verzerrung an Andreas Schmidt gesehen. Ich bin mir der ungeheueren Vorteile natürlich bewusst, die in einer autoritären Staatsführung liegen, sie haben aber zur Voraussetzung, dass die führenden Männer – historisch gesehen – recht haben und sich in der inneren und vor allem der äusseren Politik taktisch durchsetzen. Ist dies nicht der Fall, so zieht das System eine Katastrophe sondergleichen nach sich. Das Risiko eines solchen [...]894 darf aber in der Geschichte eines großen Volkes meiner tiefsten Überzeugung nach niemals unternommen werden.“895
Hier wird wieder ein Spagat Roths deutlich, mit dem er versuchte, das autoritäre Regime Hitlers zu kritisieren, gleichzeitig aber das autoritäre System Stalins nicht anzutasten, um den neuen Machthabern keine Angriffsfläche zu bieten. Als zweiten wesentlichen Punkt bezüglich der Ablehnung des Nationalsozialismus führte Roth an, dass dessen führende Persönlichkeiten kein menschliches Vertrauen lungen eine wichtige Quelle. „Für Historiker stellen die von der Securitate verfaßten, allerdings nur teilweise zugänglichen Stimmungsberichte eine kostbare geschichtliche Fundgrube dar. Trotz ihrer relativen Exaktheit spiegeln diese Berichte weitgehend die Befindlichkeit der Bevölkerung wider“ schreibt William Totok: Die Deportation in den Baragan. In: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 7 (1995), S. 14. Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 33. 892 Politischer Nachlass HOR/Quelle 471: Roth fasst seine Rezeption des rumäniendeutschen NS zusammen und äußert sein Verständnis von Führertum und politischem Erfolg oder Misserfolg. Roth schrieb dies nach dem 23. August 1944, nicht aber später als 1945. 893 Ebd. 894 Unleserliches Wort. 895 Politischer Nachlass HOR/Quelle 471: Roth fasst seine Rezeption des rumäniendeutschen NS zusammen und äußert sein Verständnis von Führertum und politischem Erfolg oder Misserfolg.
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ausstrahlten, besonders die Person Hitlers (vgl. Kapitel 2.2., Roths Gespräch am 15. Juni 1933 mit Hitler). Zum Dritten, erklärte Roth, habe er den Nationalsozialismus abgelehnt, weil dieser – spätestens nach der Besetzung Prags im Frühjahr 1939 – ganz offensichtlich die Grenzen des Rechtlichen überschritten hatte. Nach über 800 Jahren geschichtlicher Erfahrung der Siebenbürger Sachsen sei ihm klar gewesen, dass die Beziehungen der Völker nur auf gegenseitiger Achtung und Anerkennung aufgebaut werden könnten. Die Politik des Nationalsozialismus hingegen sei leider von ganz anderen Gesichtspunkten ausgegangen. Dadurch habe sich auch zwischen den Siebenbürger Sachsen und den Rumänen eine Kluft gebildet, die sich – so hoffte Hans Otto Roth – allmählich wieder schließen würde.896
3.2.1 Die Anschuldigungen der Zeitung România Viitoare gegen Hans Otto Roth In der Zeitung „România Viitoare“ erschienen am 4., 6. und 8. Dezember 1946 unter dem Titel „Portraits mit zwei Gesichtern“ Aufsätze, die sich in scharfer und kritischer Weise mit Hans Otto Roths politischer Tätigkeit vor 1944 beschäftigen. Es ist interessant, dass der Artikelschreiber von sich aus erklärte, sowohl die Anregung zur Veröffentlichung der Aufsätze als auch das vorhandene Material von einem sächsischen Berufskollegen erhalten zu haben. Bischof Friedrich Müller berichtete in seinen Erinnerungen, die Artikel hätte ein Mann namens Ernst Breitenstein – zu jener Zeit Schriftleiter der Zeitung – unter dem Pseudonym „Cornel Petraru“ geschrieben.897 Der Text der Artikelserie „Portrete cu doua fete“ (Portraits mit zwei Gesichtern) liegt leider nicht mehr vor. Ihren Inhalt kann man allerdings aus der Entgegnung Roths rekonstruieren.898 Demnach wurden Roth in den Artikeln der „România Viitoare“ folgende Vorwürfe gemacht: Erstens sei Hans Otto Roth nach der Machtergreifung bei Hitler gewesen und habe ihn dazu bewogen, einem von ihm vorgelegten politischen Programm seine Zustimmung zu geben. In der „România Viitoare“ wurde dabei weder der Zeitpunkt seiner Unterredung angegeben noch deren Inhalt und Zweck. Das Treffen zwischen Roth und Hitler ist bereits ausführlich behandelt worden. Roth war sinn- und zweckgemäß seiner Vorsprache bei Hitler weder „Kollaboratist“ noch „Opportunist“. Roths Intervention hatte keinen Erfolg und so legte er etwas später sein Amt als Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Volksgruppen in Europa nieder. Ebd. Müller: Erinnerungen, S. 69. 898 Entgegnung Roths (Andree II/130). Weitere Anschuldigungen können aus den Erwiderungen von Erhard Andree (der als erster zeichnende Rudolf Mayer hat sicher weniger als Mit-Autor beigesteuert; Andree II/128) und Rudolf Brandsch (Andree II/129) gezogen werden. 896 897
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Zweitens wurde Roth zum Vorwurf gemacht, Andreas Schmidt sei vor seiner Ernennung zum Volksgruppenführer ein Angestellter von Roth in dessen Bukarester Anwaltsbüro gewesen. Das war falsch. Abgesehen davon, dass der gebildete Hans Otto Roth mit Sicherheit niemals daran dachte, einen so unfähigen Mann wie Andreas Schmidt bei sich anzustellen, wird dies schriftlich von Rechtsanwalt Dr. Harald Keintzel bezeugt: „Unterfertigter Dr. Harald Keintzel, erkläre hiermit, dass ich in der Zeit von August 1939 bis Dezember 1944 Mitarbeiter von Herrn Dr. Hans Otto Roth in rein advokatorischen Angelegenheiten gewesen bin. Ich war daher in der genannten Zeit täglich in seinem Anwaltsbüro in Bukarest, Str. Luterana 19, anwesend. Es ist mir bekannt, dass der gewesene Führer der sog. Deutschen Volksgruppe in Rumänien, Andreas Schmidt, etwa viermal Herrn Dr. Hans Otto Roth in seinem Büro aufgesucht hat, wobei er je eine Unterredung mit ihm hatte, nach deren Beendigung Schmidt das Büro wieder verliess. Es entspricht daher in keiner Weise den Tatsachen, dass Schmidt Angestellter der Advokaturskanzlei Dr. Hans Otto Roth gewesen ist oder Mitarbeiter oder Mitarbeiter in advokatorischen Angelegenheiten. Es bestand auch sonst keinerlei Beziehung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zwischen Herrn Dr. Hans Otto Roth und Andreas Schmidt.“899
In diesem Zusammenhang ist es verwunderlich, dass der Informant der „România Viitoare“ bei seinen Nachforschungen über Roths Beziehungen zu Andreas Schmidt nicht herausfand, dass dieser in seiner bekannten Kampfrede vom 28. September 1943 erklärt hatte, Roths gesamte Politik von 1935 bis 1943 sei nichts als ein „schmutziges Werk“900 und jeder neue Versuch von Roth, gegen den Nationalsozialismus aufzumucken, werde so geahndet werden, wie es Volksverrätern gebührte. Weiterhin hatte Andreas Schmidt in derselben Kampfrede festgestellt, dass Roth zur Regierung Antonescu seiner genauen Kenntnis nach keine politische Verbindung habe, dafür aber offenbar mit der vereinigten Opposition in Fühlung stehe. Auch hatte Andreas Schmidt zum Ausdruck gebracht, dass Roth von Anfang an das Haupt der Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus gewesen sei. Drittens wurde Roth in der „România Viitoare“ zum Vorwurf gemacht, er habe Andreas Schmidt dem einstigen Ministerpräsidenten Gigurtu als „meinen Chef“ vorgestellt. Dieser Vorwurf ist schon als solcher lächerlich. Selbst wenn Roth Schmidt einmal als „meinen Chef“ bezeichnet haben sollte, so sagt eine solche einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Äußerung noch nichts über Hans Otto Roth und sein Verhältnis zu Andreas Schmidt aus. Sie könnte auch zynisch gemeint gewesen sein. Roth bestritt eine solche Aussage aber generell mit der Begründung, dass Schmidt bei der Ernennung zum Volksgruppenführer eher der sächsische „Zwingherr“ aber nie899 Abschrift der Erklärung von Rechtsanwalt Dr. Harald Keintzel. Bukarest 10.11.1947. ASI: B III–11, Bd. 6/43 (Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt). 900 Entgegnung Roths (Andree II/130).
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mals der „Chef“ geworden sei. Im Herbst 1943 forderte ihn Roth nach seiner Rede vom 28. September 1943 sogar zum Duell und prozessierte später – wie bereits in Kapitel 2.6 geschildert – wegen Verleumdung und Ehrenbeleidigung vor Gericht gegen ihn. Dafür wollte Schmidt Roth im Dezember 1943 aus der Volksgruppe ausschließen. Was aber in diesem Fall besonders aufschlussreich ist, ist die Feststellung Andreas Schmidts vom 28. September 1943, in der er wörtlich sagte: „Als Hans Otto Roth unter Gigurtu zum Minderheitenminister ernannt wurde, habe ich alles getan, um die Übernahme des Ministeriums durch Roth zu verhindern.“901 Roth hatte die Mitgliedschaft im Kabinett Gigurtu tatsächlich zwar aus anderen Gründen abgelehnt, der feindselige Ausspruch Schmidts zeigte aber deutlich, dass die beiden Personen alles andere als Freunde oder Arbeitskollegen waren. Viertens wurde Roth vorgeworfen, dass er auch einer derjenigen gewesen sei, die die Entsendung der ersten 1.000 Sachsen in die Waffen-SS gefördert habe. Die Tausend-Mann-Aktion wurde bereits ausführlich behandelt. Es ist naheliegend, dass Roth von der Aktion wusste – gefördert hat er sie jedoch definitiv nicht. Fünftens wurde Hans Otto Roth zum Vorwurf gemacht, dass er eine Reihe von Verwandten unter den Führern des nationalsozialistischen Deutschland gehabt hätte (darunter auch Richard Csaki, den Leiter des Deutschen Auslands-Instituts in Stuttgart) mit deren Hilfe es Roth gelungen sein soll, einen Pakt mit den Nationalsozialisten zustande zu bringen, um den als Vertreter der sächsischen Demokraten (!) anzusehenden Fritz Fabritius zu beseitigen. Bis auf die Tatsache, dass der im Dezember 1943 tödlich verunglückte Richard Csaki Roths Schwager war, ist diese Behauptung aber haltlos. Bezüglich Richard Csaki entgegnete Roth, dass dieser wegen seiner mangelhaften Beziehungen zum Nationalsozialismus bereits im Winter 1941/42 die Leitung des D.A.I. aufgeben musste und mit der Leitung des Stuttgarter Museums betraut wurde.902 Das alles spielt aber letztlich für die Beurteilung der Person Hans Otto Roth keine Rolle. Andere Verwandte oder Freunde in der nationalsozialistischen Führung des Dritten Reiches hatte Roth nicht. So ist zwischen den Nationalsozialisten und Roth auch niemals ein „Pakt“ zustande gekommen. Was die angeblich demokratische Einstellung von Fritz Fabritius anbelangte, so konterte Roth wohl zu Recht, er sei überzeugt, dass „dieser alte Haudegen ... es als gröbliche Beschimpfung ansehen würde, wenn er erführe, dass man ihn mit dem ihm so verhassten Begriff ,Demokrat‘ bedenkt. Wir erinnern uns noch alle, wie Fritz Fabritius in seinen Versammlungen mit dem Bodenweiler [sic!] Marsch empfangen wurde, demselben Marsch, der in Deutschland nur zu Ehren Adolf Hitlers gespielt werden durfte.“903 In diesem Zusammenhang behauptete der Artikelschreiber der „România Viitoare“ außerdem in dem ersten seiner Aufsätze, Roth hätte generell „obskuran-
Ebd. Ebd. 903 Ebd. 901 902
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teste“ Beziehungen gehabt.904 Was genau er damit meinte, blieb aber unklar. Roth war im Herbst 1940 zum letzten Mal in Deutschland, denn später wurde ihm kein Einreisevisum mehr erteilt. Während dieses Aufenthalts besuchte Roth in Leipzig die späteren Widerstandskämpfer Carl Goerdeler905 und Walter Cramer und hatte mit ihnen längere Besprechungen. Beide wurden nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet. Sechstens wurde Roth in der „România Viitoare“ zum Vorwurf gemacht, dass er von Herbst 1940 bis zum 23. August 1944 wohlbestellter Rechtsberater der Deutschen Militärmission in Bukarest gewesen sei. Roth war aber – nach eigener Darstellung – kein Rechtsberater der Deutschen Militärmission in Bukarest.906 Roth will nach eigenen Angaben lediglich im Oktober 1940 für das Bukarester Deutsche Platzkommando fünf Mietverträge abgeschlossen und für das Luftwaffenkommando in einigen Autounfällen als Ortskenner außerprozessuale Vergleiche angestrebt haben. 907 Aber auch diese Beschäftigung durch deutsche Verwaltungsstellen sollen schon nach wenigen Wochen ihr Ende gefunden haben, da die Deutsche Gesandtschaft auf Ersuchen von Andreas Schmidt eingeschritten sei und jeden Auftrag an Hans Otto Roth verboten hätte. Angesichts der Tatsache, dass sich Roths Sohn weigerte, die rumänische armata zu verlassen und deutschen Einheiten beizutreten, ist es aber in der Tat nur schwer vorstellbar, dass Roth zur selben Zeit bei der Deutschen Militärmission in Bukarest eine feste Stellung hätte haben können. Siebtens wurde Hans Otto Roth vorgehalten, sich der Wahl von Wilhelm Staedel zum Bischof der Evangelischen Landeskirche nicht widersetzt zu haben. Dies ist einer der wenigen Vorwürfe, die teilweise zutreffen. Roth selbst behauptete, wiederholt versucht zu haben, auf Andreas Schmidt durch Mittelsmänner eingewirkt und ihm nahe gelegt zu haben, auf die Kandidatur Staedels zu verzichten.908 Als dann von Andreas Schmidts vorgesetzter Amtsstelle aus Berlin der Befehl kam, Staedel zum Bischof zu wählen, sei er im Februar 1941 zum Bukarester Gesandten Manfred von Killinger gegangen und hätte ihn ersucht, in Berlin alles zu unternehmen, um den geplanten kirchenordnungswidrigen Eingriff in die Autonomie der Landeskirche zu verhindern.909 Killinger habe versprochen, Abhilfe zu schaffen und Andreas Schmidt zu veranlassen, in die Bischofswahl nicht einzugreifen. Am Vorabend der Bischofswahl hätten die Beauftragten Schmidts an die Parteimitglieder dann doch Weisung zur Wahl Staedels erteilt. Killinger habe sich entweder nicht durchsetzen können oder aber sein Wort nicht gehalten. Staedel wurde schließlich mit 57% Mehrheit gegen Ebd. Bei den Verschworenen des Attentats setzte sich die Meinung durch, dass Carl Goerdeler für den Fall des Gelingens des Attentates als Reichskanzler vorzusehen sei. Gillmann, Sabine und Mommsen, Hans [Hg.]: Politische Schriften und Briefe Carl Friedrich Goerdelers. Nördlingen 2003, S. LVII. 906 Entgegnung Roths (Andree II/130). 907 Ebd. 908 Ebd. 909 Ebd. 904 905
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Bischofsvikar Friedrich Müller zum Bischof gewählt. Es entstand damals also die Frage, ob man die Wahl Staedels gerichtlich anfechten sollte oder nicht. Roth: „Mit Rücksicht auf gewisse Grundauffassungen der Kirche und mit Rücksicht auf die Tatsache, daß die Hitleristen im Landeskonsistorium die Mehrheit hatten, beschloß die Widerstandsbewegung, von einer Anrufung des Gerichtes abzusehen und den Kampf für die Rechte der Kirche dann aufzunehmen, wenn Staedel durch seine Haltung dazu Anlaß geben sollte. Dieser Anlaß wurde schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit gegeben und der Kampf auf breiter Front begonnen.“910
Was die Konservativen in dieser Frage unternommen hatten, war allerdings tatsächlich zu wenig. „Gewisse Grundauffassungen“ und „Rücksichtnahmen auf NSMehrheiten“ sind eine zu bequeme Haltung, um sich damit später als „Widerstandskämpfer“ profilieren zu können. Als einen weiteren Beweis für seine innere Distanz führte Roth schließlich noch die in der Geschichte der Evangelischen Landeskirche einzigartige Tatsache an, dass sowohl er als auch Bischofsvikar Müller bei der Installation Staedels nicht anwesend gewesen seien, während der aus der Kirche ausgetretene Andreas Schmidt seinem Parteigenossen Staedel in der Hermannstädter Stadtpfarrkirche höchst persönlich den nationalsozialistischen Segen erteilt hätte (dazu mehr unter Kapitel 3.2.3 – Anschuldigungen von Bischof Glondys gegen Hans Otto Roth). Dennoch muss auch diese Argumentation Roths im Angesicht seiner eigenen Begrüßungsworte an Staedel zumindest fragwürdig bleiben, ebenso der Verweis auf seinen Freund Friedrich Müller, da gerade Müller zu dieser Zeit – 1942 – noch „an Hitler und seine Versprechen glaubte“, wie er selbst 1947 zugeben musste.911 Daher ist es durchaus vorstellbar, dass das Fernbleiben bei der Installation Staedels auch andere Ursachen als die Ablehnung des Nationalsozialismus hatte. Achtens wurde Roth vorgeworfen, er hätte den gewesenen Bischof Viktor Glondys 1944/45 aus seinem Amt entfernt, weil dieser sich Roths Botmäßigkeit nicht hätte unterwerfen wollen. Gleichzeitig wurde ihm vorgehalten, dass er Glondys durch seinen Vertrauensmann Friedrich Müller im Amte ersetzt und auch alle übrigen Posten der Kirchenführung seinen persönlichen Vertrauensmännern zugeschanzt hätte. Dass Roth seinen Freund Müller bei der Neuwahl 1945 als Bischofskandidaten favorisierte, war bekannt. Roth bestritt zwar, die Wahl Müllers 1945 veranlasst oder gefördert zu haben912, es kann jedoch keinen Zweifel darüber geben, dass Friedrich Müller sein Wunschkandidat war. An dieser Tatsache gibt es aber auch nichts auszusetzen. Ebd. ZK. 2146/1947 III: Beilage zur Disziplinar-Selbstanzeige von Bischof Friedrich Müller, S. 2, 3 und 6. Als den Beginn seines abweichenden Verhaltens nennt Bischof Müller den 22.11.1941, als die Volksgruppe die Übergabe der Schulen forderte. 912 Entgegnung Roths (Andree II/130). 910 911
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Warum hätte Roth sich bei einer freien Wahl nicht auf Friedrich Müller festlegen sollen? Das Recht, aus welchen Gründen auch immer einen anderen Kandidaten als Glondys zu favorisieren, stand Roth ohne jeden Zweifel zu. Außerdem stand die Wahl Müllers nicht nur für Roth, sondern auch für weite Kreise der Evangelischen Kirche außer Zweifel. Er war von allen Gemeinden der Landeskirche als Kandidat für das Bischofsamt vorgeschlagen worden. Müller war bereits im Jahre 1932 Gegenkandidat von Viktor Glondys, und Müller war auch im Jahre 1941 von 199 Gemeinden als Kandidat nominiert worden, während Wilhelm Staedel trotz des Befehls von Andreas Schmidt bloß von 99 Gemeinden genannt worden war.913 Ohne das Eingreifen Schmidts wäre Müller wohl schon im Jahre 1941 Bischof geworden. Was schließlich die Wahl der übrigen Kirchenleitung, nämlich die des Landeskonsistoriums, anbelangte, so war die Wahl der geistlichen Mitglieder dieser Körperschaft auf Grund des Vorschlages des Pfarrvereins und die Wahl der weltlichen Mitglieder auf Grund der Vorschläge der Vertreter der einzelnen Kirchenbezirke erfolgt.914 Schließlich machte neuntens der Autor dieser Artikel in der „România Viitoare“ Roth zum Vorwurf, dass er seine Stellung im öffentlichen Leben nur durch seine Beziehungen zu den sächsischen Banken und zum sächsischen Großkapital erworben hätte. Dabei wurde seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt eine besondere Bedeutung beigemessen. Roth übte seinen Beruf als Rechtsanwalt aber erst seit dem 11. Juli 1935 aus.915 Da er aber erst seit Februar 1938 Senator von Rechts wegen (senator de drept) war, geht klar hervor, dass er seinen Beruf als Rechtsanwalt von November 1919 bis Januar 1935, also in der Zeit als er gewählter Abgeordneter war, nicht ausübte. Es ist darum abwegig, seine politische Tätigkeit in irgendeiner Weise mit seinem Beruf als Rechtsanwalt in Verbindung zu setzen. Bei den Abgeordnetenwahlen erfolgte seine Kandidatur stets einstimmig. Insgesamt waren die Vorwürfe der „România Viitoare“ nicht wirklich stichhaltig. Dies warf natürlich die Frage auf, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, solche Anschuldigungen vorzubringen. Bei dem sächsischen Informanten der „România Viitoare“ konnte es sich – so mutmaßte Roth – nur um einen seiner bekannten politischen Gegner handeln, die aber zumeist aus dem ehemals nationalsozialistischen Lager stammten916 und damit unglaubwürdig waren. Bezeichnenderweise erwähnte sogar die „România Viitoare“ im letzten ihrer drei Aufsätze selbst, dass ein Teil ihrer Leser von den Mitteilungen der vergangenen Artikel „frappiert“ gewesen sei917 und offenbar Zweifel an der Stichhaltigkeit der geäußerten Vorwürfe hege. Angesichts
Ebd. Ebd. 915 Ebd. 916 Ebd. 917 Ebd. 913 914
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dieser Lage der Dinge galt Roths Entgegnung auf die Vorwürfe auch weniger der „România Viitoare“ als der rumänischen Öffentlichkeit.918
3.2.2 Die Anschuldigungen von Rudolf Brandsch gegen Hans Otto Roth Wenn viele von Roths Anklägern aus dem nationalsozialistischen Lager in der Tat unglaubwürdig sind, so trifft dies doch nicht auf jene Personen zu, die nicht oder nicht eindeutig dem nationalsozialistischen Lager zuzurechnen sind. Hierbei muss besondere Beachtung den Beschuldigungen zwei der bekanntesten und renomiertesten Siebenbürger Sachsen geschenkt werden: Rudolf Brandsch und Altbischof Viktor Glondys. Die Anschuldigungen von Rudolf Brandsch gegen Hans Otto Roth stellen eine Erwiderung auf Roths Selbstverteidigung dar. Brandsch schrieb in der „România Viitoare“ eine Antwort auf Roths Gegendarstellung betreffend der Vorwürfe der Zeitung. Dabei stellte Brandsch Roths Verhalten während der NS-Zeit folgendermaßen dar:919 Roth habe auf allen Wegen versucht, gegen seine Gegner mit Lügen zu intrigieren. Roth habe sich nach dem 23. August 1944 zum „Volksführer“ ohne jeden Auftrag unter dem lügnerischen Vorwand ernannt, dass er im Namen der Mehrheit des Volkes und der Regierung handle. Dabei habe er versucht, als Inhaber der in reichsdeutschem Besitz befindlichen Aktien der „Krafft & Drotleff A.G.“, sich das Geschäft und die Zeitung „Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt“ anzueignen und die dort befindlichen Angestellten und Arbeiter, ohne zu fragen, ob sie Nationalsozialisten oder Demokraten seien, um ihr Brot zu bringen. Brandsch führte weiter aus, dass Roths Ausführungen alle gelogen seien. Nachdem er selbst, Rudolf Brandsch, der Vorsitzende und Gründer des „Verbandes der Deutschen Volksgruppen in Europa“, den Vorsitz nach seiner Ernennung zum Staatssekretär in Rumänien niedergelegt hätte, sei zur Leitung des obigen Verbandes ein dreigliedriges Direktorium gewählt worden, dessen Mitglied auch Hans Otto Roth gewesen sei. Eine Deputation dieses Verbandes, an der auch Hans Otto Roth teilgenommen habe, sollte Hitler bitten, die Funktion des Verbandes weiter zu gestatten und zu subventionieren. Der Zweck sei nicht erreicht worden. Bei dieser Anschuldigung Brandschs scheint die persönliche Eifersucht Brandschs auf Roth, der von Brandsch mehrere Ämter übernommen hatte (unter anderem auch den Vorsitz des „Verbandes der Deutschen Volksgruppen in Europa“), ausschlaggebend gewesen zu sein. Möglicherweise empfand es Brandsch als eine Verdrängung aus seinen Positionen durch Hans Otto Roth. Aber auch diese Ebd. „Porträts mit zwei Gesichtern“. Aufsatzreihe von Ernst Breitenstein, erschienen in der „România Viitoare“ Sibiu. Artikel von Rudolf Brandsch (Andree II/128). 918 919
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Anschuldigung hat mit nationalsozialistischen Verstrickungen Roths nichts zu tun, selbst wenn die in keiner Weise untermauerte Behauptung wahr wäre, dass Roth Hitler nur aufgesucht hätte, um die Erlaubnis zu erbitten, die Funktion des Verbandes weiterhin zu gestatten ein Anliegen, das einen Besuch bei Hitler aber wohl kaum gerechtfertigt hätte. Der Volksgruppenführer Andreas Schmidt indessen sei – so Brandsch – zwar tatsächlich nie im Büro von Hans Otto Roth angestellt gewesen. Der Streit zwischen ihm und Roth sei aber deshalb ausgebrochen, weil Roth seine bisherige Politik mit Schmidt nicht habe fortsetzen können. Der auf Empfehlung von Rudolf Hess ernannte Volksgruppenführer Fritz Fabritius, und nach diesem Dr. Wolfram Bruckner, hätten Roth als ihren politischen Vertreter bei der Regierung beibehalten, so dass Roth, ohne Verantwortung zu tragen, tatsächlich allein bei der Regierung in Bukarest politisch tätig gewesen sei. Dies sei in der Zeit gewesen, in der er sowohl den Nationalsozialisten als auch den Reaktionären zu dienen versuchte habe. Roth hätte mit Schmidt dasselbe tun wollen. Da aber Andreas Schmidt sich nicht habe kommandieren lassen und selbst bei der Regierung die Volksgruppe vertreten habe, habe er den krankhaft ehrgeizigen Roth so sehr verletzt, dass dieser gegen Andreas Schmidt bei der Gesandtschaft zu intrigieren begonnen habe, worauf der Konflikt ausgebrochen sei und Roth seine Stelle als Vertreter von Schmidt bei der Regierung in Bukarest habe aufgeben müssen. Also seien nicht politische Gründe, sondern Rivalitätsmotive die Ursache des Konfliktes zwischen Roth und Andreas Schmidt gewesen. Bis dahin sei Roth tatsächlich der Vertreter oder Gehilfe von Andreas Schmidt gewesen und in dieser Eigenschaft bis zum Ausbruch des Konfliktes stets bei der Regierung und bei Gigurtu gewesen. Die Ernennung zum Minister habe Roth auf Befehl der Deutschen Gesandtschaft abgelehnt920, wobei allerdings Schmidt ebenfalls sein Gegner gewesen sei, weil er die Ambition Roths, ihn aus seiner Stelle als Volksgruppenführer zu verdrängen und sich selbst an seine Stelle zu setzen, gekannt hätte. Diese Ausführungen Brandschs ermangeln jeglicher Untermauerung durch Quellen. Interessant ist immerhin die Feststellung, dass sogar Rudolf Brandsch die Behauptung der „România Viitoare“ als Unsinn ansah, dass Schmidt bei Roth angestellt gewesen sei. Tatsächlich hat Roth in der Mitte der 1930er-Jahre einen Ausgleich mit den „gemäßigten Nationalsozialisten“ gesucht (vgl. Kapitel 2.4). Allerdings reicht auch dieser politische Pragmatismus nicht aus, um Roth zum willfähigen Gehilfen der Nationalsozialisten zu stigmatisieren. Gewiss hätte sich Roth aus heutiger Sicht schon damals schärfer gegen den Nationalsozialismus positionieren können, aber Roth rückblickend dafür Eine Informanten-Note der Siguranţa (vom 9. Juli 1940) besagt: „Die Wahrheit ist, daß er Berlin nicht angenehm ist, da er eine demokratische Politik betrieben hat. Aus diesem Grund empfiehlt die Deutsche Gesandtschaft, nach den aus Berlin erhaltenen Anleitungen, die Ernennung von Waldemar Gust, den Leiter der Nationalsozialisten aus Hermannstadt.“ RND, Dossier 4030, Vol. II, f. 207. – Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 45. 920
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anzuklagen war hochmütig. Um Roth in das nationalsozialistische Lager einzureihen, ist auch dieser Vorwurf zu schwach. Bezüglich der Tausend-Mann-Aktion aus dem Jahre 1940 hatte Brandsch Roth Folgendes vorzuwerfen: Tatsächlich seien die 1.000 jungen Leute auf Roths und Schmidts Intervention nach Deutschland gegangen. Roth habe ganz genau gewusst, dass diese jungen Leute Waffendienst leisten sollten und die „Fachausbildung“ nur eine Tarnung war, um den eigentlichen Zweck zu verheimlichen. Ob Roth mit dem Legationssekretär von Haeften bekannt war, ließe sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, ebenso wenig, was er mit ihm gesprochen habe. In seinen Ausführungen berufe sich Roth stets auf Leute, die tot und nicht mehr zu verhören seien. Roth sei bei allen, die ihn kennen würden, als Lügner bekannt.921 Diese Behauptung kann allerdings mit Quellen widerlegt werden, die Roths Angaben bestätigen und Brandsch selber als Lügner entlarven. In Roths politischem Nachlass in Kronstadt ist nämlich seine Korrespondenz mit den Hinterbliebenen einiger der hingerichteten Widerstandskämpfer erhalten geblieben, etwa mit Frau Barbara von Haeften (Ehefrau von Legationsrat Hans Bernd von Haeften) und Charlotte Cramer (Ehefrau von Walter Cramer922). Charlotte Cramer schrieb an Roth: „Dass auch Sie, sehr verehrter Herr Roth, zu denjenigen gehörten, die ihm freundschaftlich nahestanden, weiss ich durch meine Tochter und aus Berichten meines Mannes über die Gespräche, die er mit ihnen gehabt hat, selbst. ... Aufrichtigst hoffe ich, dass Sie, sehr verehrter Herr Roth, nach allem was Sie durchgemacht haben, wohl befinden mögen und Ihre Familie gesund bei Ihnen lebt. ... Ich würde mich freuen, über Ihr Wohlergehen zu hören und verbleibe mit vielen Grüssen, Ihre Charlotte Cramer.“923
Mit diesem Zeugnis von Charlotte Cramer erübrigt sich selbstverständlich jede weitere Frage nach den Kontakten Hans Otto Roths zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 und somit auch Brandschs haltlose Unterstellung, Roth lüge in dieser Frage. Die nächsten Anschuldigungen Brandschs sind so aus der Luft gegriffen, dass es sich nicht lohnt, genauer auf sie einzugehen: Fritz Fabritius – hier stimmte Brandsch Roth zu – sei zwar tatsächlich kein Demokrat, sondern „Hitlerist“ und der Begründer der „hitleristischen Bewegung“ in Rumänien gewesen. Hans Otto Roth sei aber sein Gehilfe und Vertreter bei der Regierung gewesen. Fabritius sei gegen den Wunsch Roths von Berlin aus beseitigt worden, weil Roth gewusst hätte, dass er selbst nicht 921 „Porträts mit zwei Gesichtern“. Aufsatzreihe von Ernst Breitenstein, erschienen in der „România Viitoare“ Sibiu. Von Rudolf Brandsch (Andree II/128). 922 Wilhelm Bernardo Walter Cramer (*1. Mai 1886 in Leipzig, †14. November 1944 in Berlin) war Unternehmer in Leipzig und einer der Beteiligten am gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944. 923 Politischer Nachlass HOR/Quelle 481: 12. Januar 1947, Leipzig: Abschrift des Antwortbriefes von Charlotte Cramer auf Roths Schreiben vom 24. September 1946.
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sein Nachfolger werden würde. Auch dieser Behauptung Brandschs fehlte jegliche Untermauerung. Dass Roth zum letzten Mal 1940 in Deutschland gewesen sei, schimpfte Brandsch weiter, könne Viktor Glondys als Lüge beweisen. Ebenso sei bestimmt gelogen, dass Roth mit Goerdeler und Cramer in dem Sinn gesprochen hätte, wie es Roth darstellte. Beide seien tot und nicht mehr als Zeugen zu haben.924 Weiterhin sei es eine Tatsache, dass Hans Otto Roth Rechtsberater der Deutschen Luftwaffenmission in Bukarest gewesen sei. Das sei dort allgemein bekannt gewesen. Selbstverständlich sei Roth nicht der einzige gewesen. Es hätte eine Reihe von Advokaten gegeben, die von der Deutschen Militärmission beschäftigt worden seien. Schmidts Einfluss sei bei der Deutschen Wehrmacht nicht groß gewesen, da SS und Wehrmacht – Schmidt gehörte der SS an – in einem Rivalitätsverhältnis gestanden hätten.925 Als nächstes kam Brandsch auf die Bischofswahl Anfang 1941 zu sprechen. Roth habe die Wahl Bischof Staedels als Landeskirchenkurator nicht nur geleitet, sondern den Gewählten auch begrüßt. Dieser Vorwurf ist richtig, allerdings hatte Roth diese Tatsache auch nie bestritten. Roth betonte, dass er bei der Installation Staedels nicht anwesend war und diese Installation fand erst 1942 statt (mehr dazu siehe Kapitel 3.2.3 Anschuldigungen von Viktor Glondys gegen Hans Otto Roth). Über die angeblichen Verhandlungen Roths mit Schmidt und Killinger, so Brandsch weiter, die sicherlich gelogen seien, könne deshalb nichts gesagt werden, weil beide zu diesem Zeitpunkt schon tot waren. Außerdem könne Viktor Glondys bezeugen, dass Roth ihn 1940 im Auftrag des Andreas Schmidt in Wien, als er dort krank lag, aufgesucht und zur Abdankung aufgefordert hätte (siehe dazu auch Kapitel 2.4. sowie Kapitel 3.2.3). Die Wahl Müllers habe Roth dann gefördert, obwohl er dessen Predigt gegen den Bolschewismus gekannt habe, ebenso auch seinen Ausspruch: „der Gruß Heil Hitler wird für uns zum Gebet“926 und seine Ende 1943 schriftlich und protokollarisch festgelegte Vereinbarung927, mit Volksgruppenführer Schmidt zusammenzuarbeiten (jener Burgfrieden nach dem Zwischenfall im Zeidner Wald). 924 „Porträts mit zwei Gesichtern.“ Aufsatzreihe von Ernst Breitenstein, erschienen in der „România Viitoare“ Sibiu. Von Rudolf Brandsch (Andree II/128). 925 Ebd. 926 Ebd. 927 Eine Abschrift der am 18. November 1943 im Beisein von Oberst Lierau und Bischof Heckel zwischen Schmidt sowie Staedel und Müller geschlossenen „Schlichtungsvereinbarung“ ist auch im Andree-Nachlaß (II/127) enthalten. Siehe dazu auch Müller: Erinnerungen, S. 344–398. – ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 40. Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. – Vgl. auch Kunze, Rolf Ulrich: Theodor Heckel. 1894–1967. – Wien, Ulrich A.: Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus. In: Studia Transylvanica. Köln, Weimar, Wien 1998, S. 281–282.
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Indessen sei Roth – so Brandsch weiter – stets der Vertreter der sächsischen Banken und der Großindustrie gewesen. Er sei Präsident der Sparkassa und vor allem der Kronstädter Industrie gewesen. Dies sei allgemein bekannt, so wie er jetzt der Vertreter der „reaktionären Großindustrie“928 sei, von deren Geld er lebe und stets gelebt hätte. Er sei der Typus des Politikers, der Beruf und Geschäft mit Politik stets verknüpft hätte. Spätestens an dieser Stelle muss die Sachlichkeit von Brandschs Anschuldigungen ernsthaft angezweifelt werden. Wenn Brandsch seine Anschuldigungen nun mit kommunistischem Vokabular („reaktionäre Großindustrie“) verknüpft, dann stellt das den Versuch dar, seinen politischen Gegner bei den neuen Machthabern gezielt zu denunzieren. Dafür spricht auch, dass Brandsch hier gezielt auf Roths Tätigkeit in der sächsischen Wirtschaft hinwies, obwohl ihm doch bewusst gewesen sein muss, dass alle Exponenten von Wirtschaft, Handel und Industrie im neuen politischen System akut gefährdet waren. Dass Brandsch mit seinen Anschuldigungen so weit ging, stellt seine Glaubwürdigkeit, seine Intentionen und sogar seine Ehrenhaftigkeit ernsthaft in Frage. Als letztes kam Brandsch noch auf die sogenannte „Einheitsbewegung“ zu sprechen, die Roth 1934 gegründet hatte, und die nach Meinung Brandschs mit Demokratie nichts zu tun gehabt hätte. Die Einheitsbewegung sei von reaktionärer Seite (Dr. Depner in Kronstadt) ausgegangen, um gegen den sozialistischen Einschlag bei Fritz Fabritius anzukämpfen und Roth anstelle von Fritz Fabritius zu setzen. Dass der Versuch Roths missglückt sei, läge daran, dass Fabritius bessere Verbindungen zu Berlin gehabt hätte, wo man Roth den angestrebten Posten als Volksgruppenführer nicht habe geben wollen. Es sei alles ein reiner Rivalitätskampf gewesen, der weder mit Demokratie noch überhaupt etwas mit Politik zu tun gehabt hätte. Roth habe nie gegen den Nationalsozialismus, sondern immer nur für sich und gegen seine Rivalen Stellung genommen, um selbst an deren Stelle zu gelangen. Er habe weder etwas geopfert, noch etwas zu befürchten gehabt. Er hätte es im Gegenteil stets verstanden, aus fremden Taschen und aus gesammelten Geldern unter Führung der „sächsischen Kapitalisten“929 (man beachte hier wieder das neue Vokabular) ohne Arbeit gut zu leben. Was er von Opfern berichtete, sei genauso erlogen, wie wenn Bischof Müller erwähne, die Nazis hätten ihm nach dem Leben getrachtet, während man ihn in Wahrheit nur aus Siebenbürgen und aus seiner Stadtpfarrerstelle entfernen und ihm eine Stelle als Professor in Deutschland habe geben wollen, weil er sich mit seinem Rivalen Staedel nicht vertragen habe.930 „Porträts mit zwei Gesichtern“. Aufsatzreihe von Ernst Breitenstein, erschienen in der „România Viitoare“ Sibiu. Von Rudolf Brandsch (Andree II/128). 929 Ebd. 930 Geschrieben im Januar 1947 zu Hermannstadt. Das Original wurde dem Genossen Ernst Breitenstein, damals Chefredakteur der Zeitung „România Viitoare“ in Hermannstadt-Sibiu übergeben. Für die Gleichstimmung mit dem Original: gez. Andree. „Porträts mit zwei Gesichtern“. Aufsatzreihe von Ernst Breitenstein, erschienen in der „România Viitoare“ Sibiu. Artikel von Rudolf Brandsch (Andree II/128). 928
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Insgesamt muss man bezüglich der Anschuldigungen Brandschs feststellen, dass sie ebensowenig stichhaltig wie die ersten Vorwürfe der Zeitung „România Viitoare waren.“ Auffällig häufig beschuldigte er Roth der Lüge, ohne diese Unterstellungen aber untermauern zu können. Manche dieser Unterstellungen können im Gegenteil konkret als falsch nachgewiesen werden (z.B. die Kontakte Roths zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944). Dabei hätte Brandsch eigentlich nicht so bereitwillig mit dem Finger auf andere zeigen dürfen, da er selbst keine weiße Weste vorzuweisen hatte. So schrieb Brandsch zum Beispiel im Jahre 1942 im Jahrbuch der Deutschen Volksgruppe in Rumänien einen flammenden Aufsatz über die deutsche Vorherrschaft im Südosten: „Die junge Generation wird die schöne, aber auch schwere Aufgabe in nationalsozialistischem Sinne durchzuführen haben“931, war dabei eine von mehreren Aussagen, die Brandsch nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich den Mund hätten versiegeln müssen. Auch der Sinn seiner Anschuldigungen bleibt unverständlich. Wollte er sich bei den neuen Machthabern beliebt machen, um selbst die Führung der Sachsen zu übernehmen, oder wollte er auf diese Weise alte Rechnungen begleichen? Das Verhalten von Rudolf Brandsch ist jedenfalls besonders enttäuschend. Es steht weder mit den Traditionen der großen siebenbürgisch-sächsischen Politiker noch mit allgemein anerkannten Moralvorstellungen in Einklang. Förderlich für ihn waren diese Beschuldigungen auch nicht. Auch er starb 1953 im kommunistischen Gulag.
3.2.3 Die Anschuldigungen von Viktor Glondys gegen Hans Otto Roth Waren die Vorwürfe der „România Viitoare“ und die Rudolf Brandschs gegenüber Hans Ortto Roth eher polemisch und teilweise sehr unsachlich, so war dies bei den Angriffen von Altbischof Viktor Glondys nicht mehr der Fall. Allerdings muss sich auch Glondys die Frage nach dem Sinn seiner Anschuldigungen gefallen lassen, der auch bei ihm nicht klar ersichtlich wird. Auch Glondys erhob Anfang 1947 gegen Hans Otto Roth schwere Vorwürfe.932 Zunächst einmal schrieb er eine Eingabe an das Landeskonsistorium, in dem er zu bedenken gab, ob es nicht richtig sei, gegen Landeskirchenkurator Hans Otto Roth und gegen Bischof Friedrich Müller ein Disziplinarverfahren einzuleiten, weil sie versäumt hätten, den Wahlkörper der am 29. April 1945 zur Vornahme der Bischofswahl versammelten Landeskirchenversammlung darauf aufmerksam zu machen, dass Müller durch die Unterzeichnung des „Gesamtabkommens“ während der NS-Zeit vorbelastet sei. Roth wies in seiner Antwort zunächst einmal darauf hin, dass die Bischofswahl inzwischen zwei Jahre Politischer Nachlass HOR/Quelle 380: Rudolf Brandsch über die deutsche Vorherrschaft im Südosten. 932 ZAEKR 103 – ZK. 809/1947 vom 11. April 1947: Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys gegen Bischof Friedrich Müller und Landeskirchenkurator Dr. Hans Otto Roth. Sowie Z.K.1080/1947 vom 19. Mai 1947: Ergänzung der Eingabe Z.K. 809/1947. 931
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zurückliege und somit alle Anfechtungsfristen längst abgelaufen seien.933 Außerdem, so argumentierte er, wenn Glondys’ Einwand gegen die Wählbarkeit Müllers wirklich so gravierend gewesen sei, dann hätte sich Glondys von niemandem, auch nicht von ihm – Hans Otto Roth –, davon abhalten lassen dürfen, selbst die breite Öffentlichkeit vor der Bischofswahl am 29. April 1945 auf die so schwerwiegenden Gründe gegen die Wahl Müllers aufmerksam zu machen. Sollten diese Gründe jedoch nicht so schwerwiegend gewesen sein, dann sollte Glondys aber nicht jetzt – zwei Jahre später – wieder auf diese Angelegenheit zurückkommen.934 Diese Argumentation ist zweifellos stichhaltig. Wenn die Gründe gegen Müllers Wahl tatsächlich so schwerwiegend waren, dann hätte Glondys sie auch selber vortragen können und müssen. Außerdem sah Roth in Glondys Vorstoß möglicherweise zunächst noch eine der von Glondys zuweilen plötzlichen und unkoordinierten Eingebungen, denn Roths Antwort war von Zurückhaltung geprägt. Zudem erinnerte er in seinem Entgegnungsschreiben daran, wie auch Glondys unter den Nationalsozialisten gelitten hatte. Roths Zurückhaltung gegenüber Altbischof Glondys änderte sich jedoch nach einer zweiten Eingabe von Glondys an das Landeskonsistorium. Nachdem der Altbischof in diesem neuerlichen Schreiben Anspielungen machte, dass auch Roth Äußerungen in der NS-Zeit getan hätte, die die Evangelische Landeskirche belasten würden, riss Roth der Geduldsfaden. In scharfer Weise erwiderte er, dass es ihm unverständlich sei, wie gerade Glondys solche Beschuldigungen aussprechen könnte, nachdem er selbst doch 1937/38 in hohem Maße zur „Verwirrung der Geister beigetragen“935 habe. Dass Roth jetzt so heftig reagierte, ist nicht verwunderlich, denn Glondys traf hier einen wunden Punkt bei Roth: Glondys spielte nicht ganz zu Unrecht auf Roths Äußerungen in den Jahren 1940/41 an, etwa auf seine Rede bei der Wahl Staedels zum Bischof (vgl. Kapitel 2.4). Roth war nunmehr gezwungen, auf seine damaligen Worte einzugehen, die er wahrscheinlich lieber nicht mehr in Erinnerung gerufen hätte. Zunächst einmal antwortete Roth noch einmal auf die unangenehme Frage, warum die konservative Opposition 1940/41 nicht mehr getan hatte, um Wilhelm Staedel als Bischof zu verhindern. Roth erklärte erneut, dass „die Widerstandsbewegung“ damals beschlossen habe, „aus dogmatischen und taktischen Gründen, die ,Bischofswahl‘ bei den staatlichen Behörden nicht anzufechten, sondern abzuwarten, bis Staedel sich in grundsätzlichen Fragen gegen die Interessen der Kirche vergehen werde. Dies geschah bekanntlich sehr bald, so dass der Kampf gegen Staedel und seine Helfershelfer bereits im Herbst 1941 auf ZAEKR 103 – ZK. 1576/1947 vom 29. April 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys (Z.K. 809/1947), S. 30/31. 934 Ebd., S. 34. 935 ZAEKR 103 – ZK. 2146/1947 vom 29. Juni 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 1. 933
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breiter Front begann. Bis dahin aber mussten wir Haltung bewahren und vermeiden, Staedel von uns aus Anlass zum Anbrechen des Kampfes zu bieten.“936
Dieser ausweichenden Erklärung folgten weitere Erläuterungen (siehe Anhang 17) zu seinen anderen Äußerungen in jener Zeit, etwa seiner Rede anlässlich der Wahl Staedels Anfang 1941 (vgl. Kapitel 2.4), sowie auf seine Ansprache bei der Amtseinsetzung Staedels zu sprechen (siehe Anhang 18). Bei letzterer ging Roth leider nur auf Auszüge aus seiner Rede ein. Könnte man vielleicht noch die von Roth hier betonten Passagen als nicht unbedingt „hitleristisch“ akzeptieren, so wird das bei den von Roth nicht angesprochenen Passagen über göttliches Führertum und den einzigen Glauben an den Sieg, der alle durchflutet und ganz Europa Gerechtigkeit bringen wird, doch schon sehr schwierig. Hier muss man feststellen, dass es Roth auch rückblickend nicht gelang, diese Worte zu relativieren oder zu rechtfertigen. Seine Worte zeugen vielmehr davon, dass auch Hans Otto Roth im Frühjahr 1941 im Überschwang des vermeintlich schon errungenen deutschen Sieges und der sich daraus ergebenden deutschen Vormachtstellung in Westeuropa (inklusive Rumäniens) geblendet war. Diese Kritik von Glondys an Hans Otto Roth mag in der Tat zur Unzeit vorgetragen worden sein, im Kern war sie aber berechtigt. Ein weiterer Punkt, den Glondys ansprach, war die bereits erwähnte Frage nach der Anwesenheit Roths bei der Wahl, der Amtseinsetzung und der Installation Bischof Staedels. Roth: „Wie kann Glondys übrigens die kühne Behauptung aufstellen, dass in meiner Verteidigungsschrift ,zu lesen sein soll, ich hätte bei der WAHL Staedel’s durch Abwesenheit geglänzt‘? Er hätte sich nicht auf das Hören-Sagen anderer verlassen, sondern bloss in dem in seinem Besitz befindlichen Exemplar meiner Antwort genau nachlesen sollen, was ich in Wirklichkeit gesagt habe. Dann hätte er schwarz auf weiss feststellen können, dass ich niemals die lächerliche Behauptung aufgestellt habe, bei der Wahl Staedel’s abwesend gewesen zu sein, sondern lediglich erklärt habe, ,dass sowohl ich als Landeskirchenkurator als auch Bischofsvikar Müller bei der Installation937 Staedel’s durch Abwesenheit glänzten‘ [siehe rumänischen Ursprungstext!]. Wenn man schon zitiert, zitiere man richtig!“938
Auf die weiteren Vorwürfe von Glondys und Roths genaue Erwiderungen soll hier nicht noch weiter eingegangen werden, denn Roth wusste im Nachhinein alle seine Worte anders zu interpretieren, als sie zunächst verstanden wurden bzw. verstanden Ebd., S. 2. Diese von Roth betonte feierliche Installation (Einführung) fand am 31. Mai 1942 statt. Z.K. 2146/1947 vom 29. Juni 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 16. 938 Z.K. 2146/1947 vom 29. Juni 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 15. 936 937
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werden konnten. Auch erging sich Roth nun in Gegenvorwürfen, die letzten Endes für die Betrachtung seiner Person ohne Belang sind. Roths deutschnationale Reden ändern allerdings auch nichts an der Unehrlichkeit derjenigen, die die Vorwürfe vorbrachten. Dies gilt ganz besonders für einen bislang weitgehend unbekannten Mann: Erhard Andree.
3.3 Die aktuelle Quellenlage: Der Hintermann der Kampagne und Roths Tod Es ist nicht anzunehmen, dass die Attacken und die Verbissenheit, mit der gegen Hans Otto Roth agiert wurde, ausschließlich auf einen Auftrag von geheimer Stelle zurückzuführen sind. Alte Rechnungen und Machtinteressen dürften eine mindestens ebenso gewichtige Rolle gespielt haben. Erwiesen ist heute jedoch, dass die kommunistischen Geheimdienste den Zwist gezielt geschürt und gesteuert hatten. Der Volkswirt und Historiker Erhard Andree939 war dabei der Mann, der die schwersten Vorwürfe gegen Hans Otto Roth erhob. Er machte sich daran, Roths Gegendarstellungen, die dieser zu der Artikelserie „Portraits mit zwei Gesichtern“ der „România Viitoare“ veröffentlichen ließ, zu diskreditieren. 940 Im Januar 1947941 kritisierte Andree den Umfang der Erwiderung Roths: Hans Otto Roth sei jahrelang als Journalist tätig gewesen und müsste als solcher wissen, dass keine Zeitung eine Erwiderung von elf maschinengeschriebenen Seiten vollinhaltlich abdrucken könnte. Roth sei also von vorneherein daran gelegen gewesen, diese Gelegenheit dazu zu benutzen, mangels einer ihm ausschließlich für Zwecke der Selbstdarstellung zur Verfügung stehenden Presse, wie es das „Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt“ gewesen sei, aus dieser Affäre für sich Stimmung zu machen. Er habe davon auch ausgiebig Gebrauch gemacht und in hunderten von Exemplaren in Stadt und Land verbreitet, um seine Anhänger zu ermutigen und auf „Dr. Hans Otto Roth redivivus“ zu warten. Die „fortschrittlichen Demokraten“ (Kommunisten) hätten daher gegen Senator und Landeskirchenkurator Dr. Hans Otto Roth folgende konkrete Vorwürfe: Zum Ersten dulde Hans Otto Roth keinen Nachwuchs, sondern beseitige stets – aus dem Drang heraus, der Einzige zu sein – mit Hilfe eines Netzwerkes unwürdi939 Erhard Andree (1911–1972): Volkswirt und Historiker, war am Burzenländer Museum tätig. 1957 wurde er nach Agnetheln berufen, um das dortige Museum aufzubauen, das im Mai 1961 eröffnet und von ihm geleitet wurde. In dieser Zeit nahm er Feldforschungen im Harbachtal vor. Viel mehr ist über Erhard Andree leider nicht bekannt. 940 „Vox populi – Vox dei.“ Reminiszenzen „demokratisch-fortschrittlicher“ Sachsen zu der Entgegnung Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth vom 9. Dezember 1946, um die die Artikelserie „Portraits mit zwei Gesichtern“ von Gen[ossen] Ernst Breitenstein, erschienen in der Tageszeitung „România Viitoare“, Hermannstadt, zu widerlegen (Andree II/129). Hier auch die folgenden Zitate. 941 Ebd.
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ger Intriganten alle, welche ihm (wenn auch nur vermeintlich) im Wege stünden. Er kenne kein Fair Play und habe in der Volkstumspolitik die Vetternwirtschaft und das rücksichtslose Ausrotten des Gegners durch Anwendung aller Mittel eingeführt. „Wann log Hansotto [sic!] Roth, damals, oder lügt er heute?“ fragte Andree. Zum Zweiten warfen die „fortschrittlichen Demokraten“ Roth vor, er gefährde diese Institution durch die Verpolitisierung der Kirche und deren restloses Einspannen für seine eigenen Ziele. Damit verhindere er auch die „Gesundung des Volkes.“ Die Kirche solle und dürfe nicht die Plattform seiner Politik, die Kanzel nicht für seine „Verkündigungen“ da sein, noch viel weniger dürften sich die Organe der Kirche als Hans Otto Roths „Vollzugsorgane“ gebärden. Denn, wenn diese sich gegen ihn, den allmächtigen Landeskirchenkurator stellten, so gefährdeten sie ihre Stellung. Es sei ein Hohn, eine „Verballhornung der Demokratie“, wenn man heute die Feststellung machen müsste, dass die sogenannte demokratische Leitung der Kirche nunmehr ein diktatorischeres Regiment führe als der Nazibischof seinerzeit durch seine Kreaturen. Schmidt sei ein Diktator gewesen, Hans Otto Roth sei jedoch ein Tyrann und ein Despot. In der obersten Leitungsstelle der Kirche seien, mit ganz wenigen Ausnahmen, nur noch notorische Roth-Anhänger, chronische Ja-Sager zu allem, was sein „krankhafter Ehrgeiz“ hervorbrächte. Es seien diese „Ewig-Gestrige[n], verkalkte[n] Elementen“, welche der wahren Demokratie kein Verständnis abringen könnten und die Position der Sachsen auf dem Gebiet des konfessionellen Schulwesens nur noch verschlechterten. Zum Dritten beschuldigte Andree Hans Otto Roth, dass er durch seine „geradezu tragische Instinktlosigkeit und politische Kurzsichtigkeit“ den Herrn Bischof in Verkettungen brächte, welche besser vermieden werden sollten. Bischof Friedrich Müller sei weder aus Veranlagung noch aus Überzeugung Nationalsozialist gewesen und „die bedauerlichen Fälle der offenbar gewordenen (da aktenmäßig belegten) Kollaboration mit den Nazis“ seien nur möglich gewesen, indem Roth ihm damals diese Suggestionen als Verhaltensmaßregeln gegeben habe. Als Bischofsvikar habe Müller sicherlich den Landeskirchenkurator und Freund Hans Otto Roth zuerst konsultiert, bevor er den sogenannten Burgfrieden mit Staedel-Schmidt unterzeichnet hätte. Er habe also aus opportunistischen Gründen gegen seine bessere Einsicht, gegen sein Gewissen gehandelt, eine Tatsache, welche ihn heute zum Jonglieren treibe, was die Autorität des Bischofsamtes nicht stärken und seine Position sehr fragwürdig gestalten würde. Die Wellen der Kollaboration des Bischofs seien „gewiss intermittierend“ gewesen. Sicher seien sie die Folge der Ratschläge Roths gewesen und nur dessen Rat habe bewirkt, dass Müller gehandelt habe, was ihm im Grunde seines Wesens gar nicht läge. Hans Otto Roth sei politisch tot. Er rufe die völkische Solidarität auf, den deutschen Einheitsgedanken nehme er als Wall für sich in Anspruch und er gedenke, die Kirche dazu zu benutzen, diesen in die Tat umzusetzen. Die Mauern der Kirche dürften jedoch genauso wenig wie der „militante Geist der protestantischen Glaubensstreiter“ einen „politischen Vabanque-Spieler“ schützen. Die sächsische Volkskirche solle auf den „Schutz, das Nicht-Tangieren kultureller Güter mit Ewigkeitswert sich erstrecken“ und nicht auf „illusorische Faktoren, auf Werte, welche
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erwiesener Maßen eingebildet“ seien. Der Rücktritt Hans Otto Roths von dem Landeskirchenkurator-Posten bedinge „das Ausmisten des Augias-Stalles“ und daran nähmen „alle guten Sachsen gerne teil.“ Die lebendigen Kräfte, welche im sächsischen Volke schlummerten, seien so stark, dass sie in ihrem Hause Ordnung zu schaffen imstande seien. Die fortschrittlichen Sachsen wollten endlich „die Scheuklappen beseitigen helfen“, welche „bis heute das Zusammenleben mit den mitwohnenden Nationalitäten behindert, erschwert“ hätten. Sie wollten den „Zopf eines Klüngels stutzen“ und den „realen Erfordernissen Rechnung tragen“, sie hätten gelernt, „wie man es nicht machen soll“, denn alles was Andreas Schmidt, und vor und nach ihm Hans Otto Roth, getan habe, sei grundfalsch gewesen. Mit dem Abtreten Roths aus der einzigen intakten Institution, die den Sachsen verblieben sei, nämlich der Volkskirche, könnten sie auch die Plattform der Flüsterpropaganda, den größten Herd des Übels, beseitigt haben und es würde dann endlich nicht mehr passive Vaterlandsliebe gepredigt werden. „Und dies ist, glauben wir, auch die Voraussetzung für ein Einschalten in eine Funktion, die uns gebürt [sic!]: ehrlich, arbeitsam, aufrichtig, wie unsere Altvorderen, deren Wert kein Geringerer als Nikolaus Jorga [sic!] sehr eindringlich seinem Volke schon im Jahre 1919 entgegenhielt!“942 Auch bei diesen Vorwürfen fällt die häufige Wiederholung des Wortes Lüge auf. Ebenso befremdet der polemische Stil, wie auch das kommunistische Vokabular. Es ist jedoch nicht nötig, die Vorwürfe Andrees im Einzelnen erschöpfend zu untersuchen. Erhard Andree selbst klärt die Kampagne gegen Hans Otto Roth auf. Die Suche nach den Gründen und Hintergründen der Kampagne gegen Roth muss demnach mit dem Seitenwechsel Rumäniens am 23. August 1944 beginnen. Hans Otto Roth hatte in dem am 1. September 1944 im „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt“ veröffentlichten „Aufruf an alle Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben“ unter anderem mitgeteilt: „Über Drängen weitester Kreise unseres Volkes und im Einverständnis mit der Regierung unseres Landes übernehme ich mit dem heutigen Tage die Führung des deutschen Volkes in Rumänien.“943 Den am 2. September 1944 an gleicher Stelle publizierten Bericht „Von der Volksgemeinschaft der Sachsen und Schwaben“ zeichnete er als „Präsident.“944 Mehrere Informanten-Noten besagten, Roth habe sich selbst zum „Führer“ der deutschen Minderheit in Rumänien ernannt.945 Ebd. Politischer Nachlass HOR/Quelle 401: 1. September 1944: Hans Otto Roths „Aufruf. An die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben.“ Siehe dazu auch Kapitel 3.1: Aufrufe Hans Otto Roths an die Deutschen Rumäniens nach dem Seitenwechsel. 944 Ebd. 945 In einer Note vom 21. September 1944, in der über den Empfang von Roth bei Iuliu Maniu berichtet wird, heißt es über ersteren: „der sich Leiter der Schwaben und Sachsen des Landes betitelt“ (RND, Dossier 4030, Vol. II, f. 236). Vgl. dazu: Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 33. 942 943
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Bis 1949 (und in abgeschwächter Form auch danach), als mit der Einsetzung von Emmerich Stoffel als Generalsekretär des Antifaschistischen Deutschen Komitees die Frage des politisch Verantwortlichen der deutschen Minderheit geklärt wurde, gab es unterschiedlich motivierte, individuelle oder gemeinschaftliche Angriffe, deren Ziel die Beseitigung von Hans Otto Roth aus Führungspositionen946 und die Diskreditierung der Evangelischen Landeskirche als Institution war. Müller berichtete über das Vorgehen von Rudolf Brandsch und Adolf Fuß von November 1944 gegen „unsere Kirche und die für die Neuordnung getroffene Leitung derselben.“947 Um zu verhindern, dass Roth wieder Landeskirchenkurator wurde, hatten Adolf Fuß und Rudolf Brandsch ja im Herbst 1944, wie bereits erwähnt, bei Kultusminister Pop erfolglos interveniert (vgl. Kapitel 3.2 bzw. Anhang 15). Dennoch vermerkte eine InformantenNote vom 16. Dezember 1944: „Die politische Aktion von H. O. Roth erfreut sich nicht der einstimmigen Genehmigung der Rumäniendeutschen, in deren Reihen auch andere politische Strömungen manifest sind.“948 Damit eröffnete sich den neuen Machthabern eine Möglichkeit, die Stellung Roths zu untergraben. In einem am 7. August 1950 datierten Brief an Bischof Müller schilderte Rudolf Brandsch seine Sicht des Geschehens vom November 1944: „Nachdem sich Hans Otto Roth selbst zum Volksgruppenführer ernannt hatte und nach kurzer Zeit gewaltsam entfernt worden war, ersuchte ich den Dir bekannten Adolf Fuß, noch ehe auch er als Volksführer abgesetzt wurde, die Sache gegen Glondys durchzuführen. Der Volksgruppenführer übergab in meinem Beisein dem damaligen Kultusminister Pop eine Eingabe, die ich weder gelesen noch an ihr mitgearbeitet habe.“949
Was Fuß angeht, so berichtete Andree am 27. Januar 1948 an Glondys: „Ew. Hochwürden! [...] Ich war mit Dr. Fuß nie intim, jedoch in ganz angenehmen Beziehungen und seine reiche[n] politische[n] Erfahrungen haben mir viel genützt. Als ich von seiner Rolle in 946 Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 34. 947 Müller: Erinnerungen, S. 11. 948 RND, Dossier 3331, f. 149. Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944 – 1947. Vgl. dazu: Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 34. 949 ZAEKR 103 – Z. 1929/1950. Der Briefwechsel Müller–Brandsch von 1950 ist im BeilagenApparat der Müller-Erinnerungen abgedruckt. Müller: Erinnerungen, S. 457–463. Mit dem „Entfernen“ von Roth bzw. „Absetzen“ von Fuß als „Volksgruppenführer“ meint Brandsch wohl deren Nicht-Anerkennung als Leiter der deutschen Minderheit durch die Staatsmacht. – Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 34/35.
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der Bischofsfrage 1944 erfuhr, hatte ich mich von ihm distanziert und ihm ungeschminkt auch meine Meinung über diesen ,faux pas‘ ausgedrückt. Er antwortet mir nun darauf in Feststellungen, die im Interesse der Sache nicht wesentlich genug eingeschätzt werden können.950 Interessant ist mir die Feststellung Fuß’, daß er Müller vor dessen Wahl auf seine Belastung aufmerksam gemacht hat, seine Angabe über das ,Eine‘ und ,Andere‘ läßt tief blicken. Auch ist die Auffassung, welche er über die Kirchenwahlen vertritt, sehr aufschlußreich und verlohnt ein Verweilen, zumal Fuß, falls Not am Mann, bei seinen besten Beziehungen zur Offizialität bestimmt einzuspannen ist. Und die Notwendigkeit zu irgendeinem Schritt, der nun endlich klare Fronten schafft, ist ihm bei der bekannten – ja geradezu sprichwörtlichen951 Gegnerschaft zu Roth – ist ihm, glaube ich, leicht plausibel zu machen. [...] Ich persönlich bin geneigt, alle logischen und ergo vernünftigen Schlußfolgerungen als Konsequenz meinem zukünftigen Handeln voranzustellen. Es ergiebt [sic!] sich ja dann auch, welche Auswahl Rothschen Materials Fuß zunächst als kleine Blütenlese einzusenden ist. Er macht davon sicherlich Gebrauch dort, wo er vermeint, Roth anschießen zu können, um endlich Satisfaktion für die ihm durch Roth verursachten Leiden und Ärgernisse zu erlangen. [...] Ich bin überzeugt, daß in unserer Auseinandersetzung mit der Reaktion jetzt zum Endspurt angetreten werden muß. Der erste Erfolg wird die Lauen mitreißen. Nach dem Anrollen der Aktion reise ich sofort ins Banat, um der Aktion auch pressemäßig den952 [Erfolg zu sichern], den sie verdient. Es dürfen keine Rücksichten mehr genommen werden, sonst953 [werden] wir an Leib und Seele. [...] gez. Andree“954
Fuß handelte genau so, wie Andree erwartete. Zunächst einmal bezeichnete er die Kirchenwahlen von 1945 als undemokratisch. Müller berichtete in seinen Erinnerungen, Fuß hätte 1948 versucht, das amtierende Landeskonsistorium durch eine Interimskommission zu ersetzen und selbst Landeskirchenkurator zu werden.955 In einer Eingabe an den „Generalsekretär der Rumänischen Arbeiterpartei“956, in der Fuß die Resolution des Zentralkomitees der Rumänischen Arbeiter Partei RAP betreffend die „demokratische Lösung des Problems der deutschen Bevölkerung in Der hier von Andree erwähnte Brief von Fuß ist im Nachlass nicht enthalten. Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Vgl. dazu: Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 35. 951 Ein Wort unleserlich. 952 Drei Worte unleserlich. 953 Ein Wort unleserlich. 954 Andree II/49. 955 Müller: Erinnerungen, S. 77–79. 956 Laut handschriftlichem Vermerk ist die Eingabe am 22. Juni 1948 persönlich überreicht worden. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 35. Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Vgl. dazu: Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. 950
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Siebenbürgen und dem Banat“ begrüßte 957, vertrat dieser die Ansicht, die Entschließung des Zentralkomitees würde nun endlich die Möglichkeit bieten, sich der „alten Leitung einer reaktionären Clique“ zu entledigen, die noch getarnt sei, aber „eigentlich die alte hitleristische Leitung [ist], die uns ins Desaster, Internierung, Verzweiflung und Deportation brachte.” Weiter unten bezichtigte er die „reaktionäre Clique“, sie käme „aus dem Inneren der Kirche (unter deren Ägide sich die alten skrupellosen Politiker tarnen)“.958 Die Kampagne gegen Hans Otto Roth, mit der eindeutigen Absicht, ihn aus dem Amt als Landeskirchenkurator zu drängen, begann im Dezember 1946 in der Hermannstädter Lokalzeitung „România Viitoare.“ Der letzte gegen ihn gerichtete Artikel erschien am 14. Februar 1947. Die Hintergründe der Pressehetze konnte Roth nach deren Abklingen bei „einem leitenden Mann der General-Siguranţa“959 in Erfahrung bringen: „Die General-Siguranţa habe von geheimer Stelle den Auftrag bekommen, die evangelische Kirche zur Auflösung zu bringen, weil sich herausgestellt habe, daß die Siebenbürger Sachsen nicht zerstreut werden könnten, da sie in der Kirche zu fest zusammen hielten; ihre Auflösung könne am besten durch Kompromittierung ihrer führenden Persönlichkeiten herbeigeführt werden; den Auftrag zur Durchführung dieses Planes habe Adolf Fuß, der Hauptinformator der General-Siguranţa gegen uns, erhalten, Erhard Andree sei sein Unteragent, der Informator der General-Siguranţa über uns in Hermannstadt sei Ernst Breitenstein.“960
Eine solche Rollenverteilung würde bei diesem Intrigenspiel durchaus Sinn ergeben. Wie genau die Einzelheiten abliefen, ist aber noch immer undurchsichtig, so etwa die
Es handelt sich um die Resolution der II. Vollversammlung des ZK der RAP vom 11. Juni 1948, in deren Punkt 10 von der Notwendigkeit, „das Problem der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen und dem Banat auf demokratische Weise“ zu lösen, „indem wir zur Schaffung einer Organisation der arbeitenden deutschen Bevölkerung auf der Grundlage der Differenzierung der Klassen helfen“, gesprochen wird. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 36. Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsenwährend der Jahre 1944–1947. Vg. dazu: Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. 958 Andree II/51. 959 Roth sei, so Müller, mit diesem Mann durch Ion Mihalache, den stellvertretenden Vorsitzenden der Bauernpartei, zusammengeführt worden. Der Aussage Müllers, der Siguranţa-Mann habe Roth den Hintergrund der Intrigen mitgeteilt, darf Glauben geschenkt werden, denn noch gab es unter den Siguranţa-Leuten Personen, die keineswegs mit den neuen Machthabern sympathisierten und sich den von den Kommunisten eingekerkerten ehemaligen Würdenträgern gegenüber wohlwollend zeigten. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1, S. 36. Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Vgl. dazu: Neue Quellenfunde. Mitgeteilt von Hannelore Baier. 960 Müller: Erinnerungen, S. 71. 957
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Rolle von Rudolf Brandsch. Dieser rügte 1949 Andree und Fuß dafür, weil sie angeblich nicht zusammenarbeiten würden: „Sehr geehrter u. lieber Herr Andree, ich habe aus mehreren Anzeichen u. zuletzt auch Andeutungen des Dr. Zintz zu meinem großen Bedauern gesehen, daß Sie u. Dr. Fuß, von denen ich glaubte, daß Sie zusammenarbeiteten, gegeneinander stehen. Ich kenne die Art Ihrer Gegensätze nicht. Wenn sie sachlicher Natur sind, ist es natürlich schwer, das Verbindende zu finden. Sollten es aber nur persönliche Mißverständnisse u. Gegensätze sein, so wäre es nicht nur schade, sondern unverantwortlich, wenn ihretwegen vielleicht gemeinsame Ziele leiden müßten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, etwas darüber zu erfahren. Ich schreibe auch an Fuß in demselben Sinn, wie an Sie. [...]“961
Immerhin kann die Rolle Erhard Andrees geklärt werden. Schon Bischof Friedrich Müller berichtete, es habe sich herausgestellt, dass Erhard Andree jener gewesen sei, der das Material zur Verfügung stellte und die Idee hatte, es zu veröffentlichen.962 Diese Behauptung ist richtig, denn dass Andree hinter den Attacken stand, gab er selbst in einem Brief vom 2. März 1949 an Emmerich Stoffel zu. Dabei schilderte er auch seine Vorgangsweise: „Das Material um die Häupter der sächs[ischen] Reaktion in Verbindung mit den Nazifaschisten, welche Hand in Hand getarnt in der Institution Kirche aus den Mauerluken und Schießscharten gegen alles, was sich zum Fortschritt bekennt, schießen, ist umfangreich. Ohne Überhebung wage ich zu sagen, daß ich hier wohl auf weitem Felde allein ,Spezialist‘ bin. Denn es liegt Sammlerleidenschaft dahinter und damit auch die Gefahr, aus reiner Vorfreude (bekanntlich die reine Freude!) Schnitzer zu begehen. Meine diversen Demaskierungsversuche, seit August 1944 mehreremale [sic!] auch in der Presse gestartet, waren Taktik und abgestimmt auf das, was wir erwarten müßten, nicht darauf, was wir erwarten konnten. Und hier ist der Fehler begangen worden, daß in der Bekämpfung des Ehrgeizlings Hansotto [sic!] Roth als Gegengewicht nicht der Ehrgeizling Fuß eingesetzt werden durfte, dem es gleichermaßen um Macht ging. Seine Erwartung, aus der Fülle meines Materials unbeschränkt zu schöpfen, habe ich insoweit enttäuscht, als ich im Unterbewußtsein gewisse Hemmungen hatte, alles auszuliefern und dieses ganz konsequent einer kommenden Bereinigung über eine autorisierte Vertretung vorbehalten habe. Gegner vom Schlage eines Roth zu haben, war für mich ehrend, denn diese Tatsache hat mich alle Stufen der Taktik der Verteidigung kennen lernen lassen. Versuche des Abkaufens, abil [rum.: geschickt] eingeleitete ,arrangierte‘ Verhaftungen, Terroraktionen über gedungene Kreaturen aus der noch nicht purifizierten Hierarchie aller Schattierungen haben noch nicht ihren Abschluß gefunden. Dies geht anhand stichhaltigen authentischen Materials hervor und ist greifbar, wenn mir Genosse Stoffel hierfür den Auftrag Andree II/30, Brief von Brandsch. Müller: Erinnerungen, S. 69.
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erteilen wird. Ich muß bekennen, daß für mich die Klärung der Lage nicht so dringend war, als für Fuß, der zum Beispiel Institutionen mit Personen verwechselt und ich zu meiner Befriedigung gerade in der Behandlung der Kirchenfrage feststellen kann, daß mein Zögern voller Berechtigung war und dann gewiß Früchte tragen wird, wenn eine Lenkung von wahren Interessen getragen einsetzt. Und dieser allein stehe ich restlos zur Verfügung.“963
Anstatt Andree jedoch den Auftrag zu neuen Attacken gegen den ohnehin nicht mehr als Landeskirchenkurator amtierenden Roth und die Kirchenleitung zu erteilen, unterstützte Emmerich Stoffel im Herbst 1949 Müller bei den Kirchenwahlen.964 Also bestanden offensichtlich auch Differenzen in den verantwortlichen kommunistischen Führungsstellen. Andree hatte 1946/1947 jedenfalls – trotz all seiner Bemühungen und Intrigen – mit seinen Attacken keinen Erfolg. In einem Brief, den ein gewisser Udo Falk am 24. Dezember 1946 an Andree schrieb, teilte Falk Andree mit: „Das tatsächliche Erscheinen der Aufsätze im H[ermann]st[ädter] Lokalblatt hat nicht nur den Widerstandswillen und die Gehässigkeit der Leute um Roth gestärkt, sondern auch die theoretischen Gegner des Roth in sentimentaler Weise für ihn & Müller Partei ergreifen lassen, mit dem Schlagwort, eine äußere Gefahr mache innere Solidarität zur Pflicht. [...] Ich bin überzeugt, daß wenn Du die Aufsätze vor dem Druck in die Hände bekommen hättest – sicher wären sie Dir nicht entgangen, wenn Du in Bewegung gewesen wärest – Du sie erst Roth eingeschickt hättest und als Memento hätten sie den Zweck erfüllt und die Phalanxbildung wäre ausgeblieben, und nach außen das Verpuffen der im Kern ins Schwarze treffenden Schüsse vermieden worden. Man kann gespannt sein, ob nun nicht alles beim alten bleibt und nicht nur das Gesicht noch lederner wird.“965 [...]
Roths Freunde standen in dieser Zeit in der Tat zu ihm. Um die Vorwürfe nicht kommentarlos versickern zu lassen, schrieb Roth am 9. Dezember 1946 an das Landeskonsistorium. „Da ich nicht möchte, dass die Landeskirche auch nur vorübergehend unter den Folgen meiner ausserkirchlichen Tätigkeit leide, erstatte ich hiermit aufgrund des § 3 der Disziplinarvorschrift gegen mich die Selbstanzeige und ersuche, die erforderlichen Anordnungen zu treffen.“966 Diese Selbstanzeige wurde vom Landes-konsistorium jedoch schon am 10. April 1947 wieder verworfen.967 Im letzten Aufsatz der Hetzkampagne der România Viitoare wurde geschrieben, dass man nunmehr die Stellungnahme der Behörden erwarte. Im Jahre 1948 wurde 965 966 967 963 964
Andree II/18. Müller: Erinnerungen, S. 89. Andree II/95. ZK. 2146/1947. ZK. 2272/1946.
Der Hintermann der Kampagne und Roths Tod
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Roth zum ersten Mal verhaftet. Nach dieser Verhaftung 1948 ließ sich Hans Otto Roth von seinem Amt als Landeskirchenkurator offiziell beurlauben. Die erfolgreiche Revision des Urteils kam 1950 jedoch zu spät, um einer erneuten Kandidatur Roths für das Amt des Landeskirchenkurators auf der Landeskirchenversammlung 1949 zu ermöglichen. Allerdings strebte es Roth zu dieser Zeit auch nicht mehr an. Er erkannte, dass er unter den neuen politischen Bedingungen wohl eher zu einer Belastung für die Landeskirche geworden wäre. Ungewiss bleibt, ob er überhaupt noch einmal von der Regierung akzeptiert worden wäre oder ob er im Amt besser vor weiteren Schikanen geschützt gewesen wäre.968 Denn obwohl sich Hans Otto Roth aus der offiziellen Politik nach 1949 weitgehend zurückgezogen hatte, wurde er im Jahre 1953 noch einmal verhaftet und als sogenannter „administrativer Häftling“ grundlos für einige Zeit eingesperrt. Offensichtlich betrachteten ihn die kommunistischen Machthaber auch weiterhin als eine Gefahr. Er starb am 1. April 1953 im Gulag Ghencea bei Bukarest, von der Öffentlichkeit unbemerkt. Aufgrund der Abschirmung der Lager erfuhr offiziell selbst die Familie erst später von seinem Tod. Hans Otto Roths Sohn Herbert Roth beschrieb in seinem Buch „Kein Jahr war vergeblich“, was er über den Tod seines Vaters wusste. Es ist indessen nicht viel, aber gerade diese Tatsache verdeutlicht die Grausamkeit der Lebensumstände und die Rechtlosigkeit in der neuen kommunistischen Gesellschaft. Er schrieb: „Mein Vater war am 1. April 1953, vier Wochen vor seinem 63. Geburtstag, in Ghencea gestorben und war auf dem Friedhof des Gefängnisses Jilava in einem Massengrab beerdigt worden. Als Todessache wurde ,Urämie‘969 angegeben, was aber über die eigentliche Krankheit nichts aussagte, da Urämie stets nur Folge einer Krankheit ist, die letztendlich den Exitus herbeiführt. ... Ein Ehemaliger war von der Geschichte hinweggefegt worden, warum darüber unnötige Worte verlieren! So dachten seine Mörder. ... Erst sehr viel später erfuhr ich, daß man meinem Vater die Medikamente, die ihn hätten retten können, nicht verabreicht hatte. Schlimmer noch, die Lagerärztin, eine Jüdin im Hauptmannsrang, hatte alles getan, um ihn zu retten: Sie hatte im Innenministerium nach langen Bemühungen erwirkt, daß man für seine Behandlung das damals so rare und kostspielige Penicillin bewilligte – und ihr Arztgehilfe, ein Mithäftling meines Vaters, hatte das Penicillin unter der Hand gegen Lebensmittel verschachert! In derselben Nacht lag mein Vater im Todeskampf. Er starb morgens gegen fünf Uhr ... In einem Massengrab ohne Kreuz, ohne Grabstein liegen die Gebeine meines Vaters auf dem Gefängnisfriedhof von Jilava. ... Aber auf dem alten, malerischen Bergfriedhof seiner Heimatstadt Schäßburg steht ein Gedenkstein, der von ihm und seinem Opfer Wien, Ulrich A.s: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“ Aufsatz. Das Wort Urämie bezeichnet Vergiftungserscheinungen durch sogenannte Urämietoxine, die bei fortgeschrittener Nierenschwäche, einer sogenannten Niereninsuffizienz, auftreten. Eine Urämie kann akut (5–10 Tage nach akutem Nierenversagen) oder chronisch (über Jahre hinweg sich entwickelnd) auftreten. Die Symptome einer Urämie sind sehr unterschiedlich. Wikipedia. 968 969
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Zusammenbruchsgesellschaft der Rumäniendeutschen 1944–1953
Abb. 19 Der Gedenkstein steht auf dem Waldfriedhof in Schäßburg am Rande des Grabes von Karl Roth, Grabnummer N 4647
kündet. Und in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen, die sich nun nach achthundert Jahren ihrem schmerzlichen Ende zuneigt, wird auch sein Name für immer verzeichnet bleiben.“970
970 Roth, Herbert: Kein Jahr war vergeblich, S. 106–109. – Vgl. dazu: Wien, Ulrich A.: Die politische Dimension der seelsorglichen Predigt. In: Resonanz und Widerspruch, Bd. II. Erlangen 2012.
Zusammenfassung Als der Erste Weltkrieg endete, ging zugleich auch die 700-jährige Geschichte der Siebenbürger Sachsen im Königreich Ungarn (bzw. einem unabhängigen Siebenbürgen) zu Ende. Rumänien erhob Ansprüche auf Siebenbürgen, die nationalstaatlich begründet wurden. Mit diesen Ansprüchen konnten die Siebenbürger Sachsen für sich selbst auch Hoffnungen verbinden. Rudolf Brandsch – Exponent der radikal antiungarischen „grünen“ Richtung der Siebenbürger Sachsen – hatte schon lange gute Kontakte zu den Siebenbürger Rumänen. Die Karlsburger Beschlüsse der siebenbürgischen Rumänen vom 1. Dezember 1918 – in denen den siebenbürgischen Minderheiten in einem Großrumänien umfangreiche Minderheitenrechte versprochen wurden – schienen den Sachsen die Aussicht auf eine bessere Zukunft in einem Großrumänien zu eröffnen, in dem der ewige Streit im Königreich Ungarn um die Minderheitenrechte, Magyarisierung und die Volkstumspolitik endlich zu einem guten Ende kommen konnte. Während gewichtige Stimmen (z.B. Jakob Bleyer) noch immer für einen Verbleib Siebenbürgens im Königreich Ungarn plädierten, erkannte auch Hans Otto Roth die zukunftsweisende – gleichwohl von Roth aber auch teils missverstandene – Bedeutung der Idee des „Selbstbestimmungsrechtes der Völker“, die US-Präsident Wilson in seinen berühmten 14 Punkten am 8. Januar 1918 formuliert hatte (von Roth deswegen missverstanden, weil Wilson mit der von ihm angesprochenen „self determination“ eben gerade nicht Staaten mit kollektiven ethnischen Gruppen vorschwebte, sondern Demokratien, in denen jeder Mann eine eigene Stimme hatte). Roth war zu Recht der Überzeugung, dass Siebenbürgen aufgrund seiner ethnographischen Verhältnisse an Rumänien fallen werde. Als pragmatischer Politiker folgerte er daraus, dass man sich daher nicht gegen etwas Unvermeidliches stemmen sollte. Dementsprechend setzte er sich in seiner Funktion als Sekretär des Deutsch-sächsischen Nationalrates, des neuen politischen Entscheidungsorgans der Siebenbürger Sachsen, gemeinsam mit Brandsch für einen Anschluss Siebenbürgens an Rumänien ein. Das war weniger opportunistisch als vielmehr pragmatisch und im Hinblick auf die seit den 1890er Jahren von den Vertretern der „grünen“ Richtung unter den Siebenbürger Sachsen (z.B. Rudolf Brandsch) artikulierten Forderungen nur konsequent. Die Hoffnungen und Erwartungen, die Brandsch, Roth und viele Siebenbürger Sachsen mit dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien verknüpften, fasste Roth im neuen sächsischen Volksprogramm zusammen. Eigentlich beinhaltete dieses Programm aber nichts wesentlich Neues. Die Grundlagen waren bereits in der bisherigen rechtspolitischen Entwicklung und der
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Geschichte der Siebenbürger Sachsen angelegt. Daher kann Roths Volksprogramm auch kritisch betrachtet werden. Vage zum Beispiel blieben die Aussagen zur rumäniendeutschen Erweiterung des bisherigen „kleinsächsischen“ Rahmens. Ähnliches gilt für die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Bemerkungen zu den traditionellen minderheitspolitischen Themen erscheinen im Vergleich dazu überproportional ausführlich. Dies galt vor allem für die Schul-, Kirchen- und Sprachpolitik. Hier wurden Roths Prioritäten ersichtlich. Diese tragenden Pfeiler der geforderten kulturellen Autonomie formten das Gesicht des Gesamtprogramms. Ergänzt durch Postulate der verwaltungsmäßigen und wahlrechtlichen Garantie der Minderheitenexistenz, konkretisierten sie den Dreh- und Angelpunkt des Volksprogramms: Die umfassende Gleichberechtigung, nationale Identitätssicherung und gesellschaftliche Entfaltungschancen sollten den Rumäniendeutschen nicht nur als individuelle Rechte gewährt werden, sondern als Existenzgrundlage einer Gruppe. In der neuen rumänischen Verfassung des Jahres 1923 wurden die Minderheitenrechte aber nicht berücksichtigt, weil die Verfassung von der falschen Grundvoraussetzung ausging, dass Rumänien ein Nationalstaat mit einer ethnisch homogenen Bevölkerung sei. Dem war nicht so, aber genau deswegen strebten die rumänischen Politiker (wie die ungarischen Politiker vor 1918 ebenfalls) die Schaffung eines solchen an, was zwangsläufig die Auflösung und Zersetzung der nationalen Minderheiten und ihrer Organisationen und damit Konflikte mit den Minderheiten bedeuten musste. Wirtschaftliche Reformen – etwa die Agrarreform 1923 – entzogen der Evangelischen Landeskirche A.B. durch Enteignung zunächst einmal einen großen Teil ihrer bisherigen finanziellen Basis. Versprochene Ausgleichszahlungen des rumänischen Staates blieben weitgehend aus, sie waren politisch von der Regierung nicht gewollt. Dies war fatal, da die Evangelische Landeskirche damit ihrer bisherigen Funktion als Institution, auch zum Zwecke sozialer Absicherung ihrer Mitglieder, nicht mehr gerecht werden konnte und ihre Mitglieder nun vielmehr mit hohen Steuern und Abgaben belasten musste. Der sächsischen Führung waren darüber hinaus keine besonderen Erfolge im Kampf um ihre Minderheitenrechte und ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage beschieden. Dadurch radikalisierte sich die Auseinandersetzung zwischen der rumänischen Regierung und der rumäniendeutschen Minderheit, die sich durch die nicht eingehaltenen rumänischen Versprechungen von Karlsburg zu Recht betrogen fühlte, insbesondere nachdem die Siebenbürger Sachsen als erste nichtrumänische Bewohner Siebenbürgens den Anschluss an Rumänien proklamiert hatten und ganz besonders, nachdem sie sich in der für Rumänien entscheidenden Phase 1919 auch bei den Deutschen im Banat und anderen Gebieten für einen Anschluss an das neue Großrumänien eingesetzt hatten. Hier stand die rumänische Regierung in der Schuld der Siebenbürger Sachsen und hätte sich ihnen gegenüber durch eine wohlwollende Gesetzgebung erkenntlich zeigen müssen. Die Enttäuschung darüber, dass die rumänische Regierung dies nicht tat, sondern der Evangelischen Landeskirche A.B. im Gegenteil auch noch ihre wirtschaftliche Grundlage entzog
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sowie die Versprechungen über Ausgleichszahlungen erneut nicht einhielt, erzeugte in den 1920er Jahren unter den Rumäniendeutschen jene Untergangsstimmung, die sie – als die Not in der Bevölkerung während der Weltwirtschaftskrise am stärksten zutage trat – den Nationalsozialisten geradezu in die Arme trieb. Hier liegt eine direkte Mitverantwortung der rumänischen Politik für den Erfolg des Nationalsozialismus unter den Rumäniendeutschen begründet, da er die entstandene soziale Lücke öffentlichkeitswirksam durch „Selbsthilfe“ (Arbeitslager, Kleiderspenden, Essensausgaben) schließen konnte und später, als die NS-Funktionäre die politischen Führungspositionen erlangt hatten, überdies die Durchsetzung der bislang vorenthaltenen Minderheitenrechte gegen die unwillige rumänische Regierung erzwingen konnten, so wie es der besonders enttäuschte Rudolf Brandsch schon in den 1920er Jahren angedroht hatte. Dass schlichte siebenbürgisch-sächsischen Bürger dies dann als besondere politische Leistungen honorierten, ist nicht verwunderlich. Hans Otto Roth stand in den 1920er-Jahren an der Spitze der sächsischen Politik und somit in der Verantwortung. Eine zentrale Frage zur Bewertung seiner politischen Leistung muss also dahin gehen, ob Roth bei seiner politischen Arbeit gravierende Fehler gegenüber der rumänischen Regierung beging, wie ihm dies die nationalen Kritiker vorwarfen. Diese Frage kann man klar verneinen. Roth besaß in den 1920er Jahren nicht die Macht, Veränderungen zu Gunsten der Rumäniendeutschen zu erzwingen. Insofern muss die zurückhaltende und defensive politische Taktik, die Roth in den 1920er Jahren bevorzugte, als die einzig richtige bezeichnet werden. So wurde dies auch von den offiziellen deutschen Stellen in Rumänien betrachtet. Zornesausbrüche, Drohungen oder ähnliches Gebaren nutzten nichts, wie am Beispiel Rudolf Brandschs gut zu ersehen ist. Insofern muss auch die spätere Kritik der rumäniendeutschen Nationalsozialisten an Roths zuwartender Politik als nicht stichhaltig angesehen werden, im Gegenteil: Die Art, wie die Deutsche Gesandtschaft in Rumänien in den 1920er Jahren über Hans Otto Roth berichtete, klang fast schon wie eine Laudatio auf Roth. Dieser Umstand ist besonders wichtig bei der historischen Einordnung seiner Leistung. Es beweist, dass Roths Politik während der Zeit der Weimarer Republik die uneingeschränkte Zustimmung der offiziellen deutschen Stellen in Rumänien fand. Auch im Dauerstreit mit Rudolf Brandsch um die richtige politische Führung ist dies ein klares Votum zu Gunsten von Roths Politik. Hans Beyer vertritt daher die Meinung, Brandsch sei „das Temperament“, Roth jedoch „die Vernunft“971 gewesen. Das erläutert die charakterlichen Gegensätze und die persönliche Rivalität der politischen Kontrahenten nur ungenau. Karl Kessler hingegen ist überzeugt, dass die geschlossene Vertretung aller Deutschen im Parlament in Bukarest durch Roth ohne die volkstumspolitische Vorarbeit von Brandsch gar nicht möglich gewesen wäre972 und Brandsch überhaupt der „Denker der Nationalitätenkongresse“973 Beyer, Hans: Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth, S. 228. Kessler, Karl: Rudolf Brandsch, S. 87. 973 Ebd., S. 88. 971 972
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gewesen sei. Dazu kann festgestellt werden, dass beide Politiker sich gut ergänzt haben, gerade weil verschiedene Positionen in einer Demokratie nun einmal nötig sind. So verschieden beide Politiker von ihrem Wesen her auch waren, so waren sie beide große Persönlichkeiten, die die Politik ihrer Zeit maßgeblich mitgestalteten und sich daher eine geschichtliche Bedeutung erworben haben. Brandsch war durch seine langjährige Oppositionsarbeit im Ungarischen Reichstag gegen die ungarische Regierung geprägt. Seine Stunde schlug daher 1918/1919, als er klar die Zeichen der Zeit (Selbstbestimmungsrecht der Völker) erkannte und die Siebenbürger Sachsen durch seine guten Kontakte in eine neue Epoche führen konnte, in der dann Hans Otto Roth besser geeignet war, die Interessen der Sachsen zu vertreten. Nicht zu vergessen ist dabei das gemeinsame Schicksal, das beide Kontrahenten 1953 im Gulag erlitten. Erst im Jahre 1928 schienen sich die Zukunftsaussichten für die Siebenbürger Sachsen wieder deutlich zu verbessern, als Rumänien und das Deutsche Reich ihre Weltkriegsstreitigkeiten endgültig beilegten und einen neuen Handelsvertrag schlossen. Roths Euphorie über diese Entwicklung wurde in seinen Reden deutlich. Er sah die Siebenbürger Sachsen bereits als Bindeglied zwischen dem Weimarer Deutschland und Rumänien, vielleicht sogar im Kontext eines friedlich zusammenwachsenden Westeuropas, wie es schon Stresemann und Briand vorschwebte – eine wahrlich zukunftsweisende Vision, die dem Dasein der Rumäniendeutschen eine neue Existenzberechtigung verliehen hätte. Es war eine Vision, die erst nach dem Ende des Kalten Krieges Wirklichkeit werden sollte – da aber hatten die Rumäniendeutschen Rumänien fast alle schon endgültig den Rücken gekehrt und waren in die Bundesrepublik Deutschland ausgewandert. Die Weltwirtschaftskrise 1929–1933 führte die schon schwer angeschlagenen sächsischen Institutionen (Kirche, Banken usw.) endgültig an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruches, ja faktisch in den Bankrott. Nur finanzielle Unterstützungen aus Deutschland hielten die überalterten sächsischen Körperschaften noch künstlich am Leben. Damit verbunden war natürlich der Weg in die finanzielle Abhängigkeit vom Deutschen Reich, wo 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gelangen konnten. Die fehlende Modernisierung in Siebenbürgen, das Festhalten an überkommenen Institutionen und der gewohnten politischen Praxis erwiesen sich in der Wirtschaftskrise als zusätzliche Belastung und müssen als Kritikpunkte an Roths politischer Leistung aufgeführt werden. Neue gesellschaftliche Entwicklungen wurden nicht genügend berücksichtigt und sozialen Fragen, Arbeitslosigkeit und Armut nicht die angemessene Bedeutung geschenkt. Insbesondere die sozialpolitischen Versäumnisse müssen als schwerer Fehler Roths angesehen werden, wodurch diese Themenfelder den Nationalsozialisten überlassen wurden, die damit die verarmten Menschen für sich gewinnen konnten. Damit ähneln die Fehler Roths in dieser Hinsicht den Fehlern der Weimarer Politiker, die die Gefahr der sozialen Sprengkraft hungernder Massen ebenfalls weit unterschätzten.
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Obwohl Hans Otto Roth die Gefahren, die von Faschismus, NS-Ideologie und Hitlers Politik ausgingen, prinzipiell richtig und rechtzeitig erkannt hatte (Roth schon 1924: „Wir erleben heute im Fascismus [sic!] einen Rückschlag der nationalpolitischen Bewegung, die in den letzten Jahren des Weltkrieges zum Schutze des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und der völkischen Minderheiten eingesetzt hat.“974), so unterschätzte er deren Anziehungskraft und deren Ausmaße doch stark. „In dieser Stunde, wo die verhängnisvollen Folgen der Politik der NEDR, vor der wir so oft und eindringlich gewarnt haben, nun eingetreten sind, können wir mit gutem Gewissen bekennen, dass wir die Existenz der NEDR wiederholt mit unserem Leibe gedeckt haben. Wir haben alles aufgeboten, um das nun eingetretene Ereignis zu verhindern“,975 beteuerte Roth nach dem erfolgten Verbot der nationalsozialistischen NEDR 1934. Auch seine Versuche Mitte der 1930er Jahre, mit den vermeintlich „gemäßigten“ Nationalsozialisten um Fritz Fabritius zusammenzuarbeiten, beweisen die Unterschätzung des absoluten Machtanspruches der totalitären Ideologie. Die besondere Anziehungskraft der NS-Ideologie hing mit den von Roth ebenfalls unterschätzten Säkularisierungsbestrebungen in der sächsischen Gesellschaft zusammen, die grundsätzliche Abwendung der Sachsen von ihrem bisherigen Verständnis als „Kirchenvolk.“ Weil Religion und Politik nicht rechtzeitig voneinander getrennt wurden, sondern in der Tradition des 19. Jahrhunderts miteinander verschmolzen blieben, traf die eingangs von Wehler aufgestellte säkularisierungsgeschichtliche These „Nationalismus als Religionsersatz“ in Siebenbürgen teilweise zu. Die NS-Ideologie hatte hier das Potenzial zu einer Art neuen, antichristlichen Religion. Nicht nur NSAnhänger wie Pfarrer Wilhelm Staedel, sondern auch konservative Geistliche waren empfänglich für die Idee der politischen Religion. Am treffendsten brachte dies Bischofsvikar Müller in seiner Predigt zu Trinitatis 1942 zum Ausdruck: „Der Gruß Heil Hitler wird für uns zum Gebet.“976 Roth warnte schon 1933 vor den Gefahren von Hitlers aggressiver Politik. Hier stellt sich die Frage, warum Hans Otto Roth nicht so einfach für die Parolen der NSIdeologie zu begeistern war, wie andere seiner Altersgenossen. Hans Otto Roth besaß zwar den besonderen Erfahrungshorizont des Ersten Weltkrieges, doch er unterschied sich von der großen Masse seiner Altersgenossen in der „Generation Verdun“ dadurch, dass er sich schon im Ersten Weltkrieg nicht kriegsbegeistert an die Front meldete, zu einer Zeit also, als die Erfahrungen mit den fürchterlichen Ausmaßen moderner, industrieller Kriege noch nicht vorlagen. Roth bewies damit bereits in jungem Alter einen außergewöhnlichen Verstand und Weitblick, ein Weitblick, der sich auch immer wieder in den 1920er- und 1930er-Jahren in Warnungen vor Nationalismus und 974 Politischer Nachlass HOR/Quelle 59. Roths Vortragstext von „Die Ideologie und die politischen Tendenzen der deutschen Minderheit.“ Vortrag gehalten im Institutul Social in Bukarest 1924. 975 Politischer Nachlass HOR/Quelle 258: 9. Juli 1934, Mediasch: Protokoll der Sitzung der Einheitsbewegung. Vortrag von Hans Otto Roth. 976 Siehe Anhang 9. ASI. Signatur B III/11. Kopie nach Staatsarchiv Hermannstadt.
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Faschismus ausdrückte. Nur wenige Jahre später sollte sich die Richtigkeit von Roths Bedenken in einem Ausmaß bestätigen, das auch Roth so nicht erwartet hatte und natürlich auch nicht erwarten konnte. Heute ist tatsächlich klar, was Hitler mit seiner Äußerung gegenüber Hans Otto Roth am 15. Juni 1933 gemeint hatte, als er sagte, die im Reich lebenden Juden würden in doppeltem Sinn ein Faustpfand darstellen, sowohl materiell als auch rein physisch, und dass er sich aus diesem doppelten Faustpfand befriedigen könne, wann und wie er wolle. Ebenso ist heute klar, wie richtig die Aussage von Hans Otto Roth war, als er in seiner Rede vor dem Nationalitätenkongress zu den Äußerungen des tschechischen Landtagsabgeord-neten Machat erklärte, dass es keine nationalen Staaten geben könnte und dürfte, die auf dem Untergang und der Vernichtung anderer Volkstümer aufgebaut sind. Ebenso bedeutend ist auch Roths Feststellung, dass diese Grundsätze selbstverständlich auch für die Staaten gelten würden, in denen das deutsche Volkstum führend sei und die Betonung, dass die deutschen Minderheiten entschlossen waren, die Volkstumsrechte nicht nur für sich in Anspruch zu nehmen, sondern sie auch denen zuzuerkennen, die nicht deutschstämmig waren. Diesen Worten von Roth ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Sie gelten auch heute. Den schwachen Ausführungen von Kongresspräsident Wilfan kann man hingegen nur mit Kritik begegnen. Sein Verhalten disqualifizierte ihn als Präsident eines Nationalitätenkongresses, der diesen Namen verdient. Anstatt ebenso klare Worte gegen einen ganz offensichtlichen Rechtsbruch zu finden, der gegen alle Ideale und Ziele des Kongresses verstieß, flüchtete sich der Präsident in sehr allgemeine Ausführungen und wagte es groteskerweise noch nicht einmal, den Nationalsozialismus beim Namen zu nennen und öffentlich zu kritisieren. Das ist für den Präsidenten eines solchen Gremiums zu wenig. Es wäre – neben den Staats- und Kirchenführern – seine Aufgabe gewesen, die beginnenden Verbrechen des Nationalsozialismus zu benennen. Angesichts so leerer Worte wie die von Wilfan konnte es wahrlich nicht verwundern, wenn sich in der Öffentlichkeit zunehmend Verachtung für derartige Institutionen ausbreitete. Wenn der Nationalitätenkongress angesichts so offensichtlichen Unrechts schon nicht konkrete Taten, so doch noch nicht einmal Worte zum Schutz der verfolgten Minderheit zu finden imstande war, hatte er in der Tat keine Existenzberechtigung. Es war daher auch kein Wunder, dass dieser Kongress niemals eine bedeutende Rolle spielte und sich bald ganz auflöste. Wilfan hätte hier differenzieren müssen zwischen der hohen Achtung, die er zu Recht vor den deutschen Kongressteilnehmern empfand, und der entschiedenen Missbilligung der nationalsozialistischen Übergriffe gegen die Juden und die Oppositionellen im Deutschen Reich. Roth hingegen hatte erkannt, dass die jüdischen Kollegen auf dem Nationalitätenkongress von ihm eine eindeutige Stellungnahme gegen die nationalsozialistische Politik erwarteten – eine Stellungnahme, die sie angesichts der Ereignisse im Deutschen Reich auch zu Recht erwarten konnten, sollte sich der Kongress nicht ad absurdum führen. Roth hingegen stellte sich letztendlich relativ offen gegen die Politik seiner Landsleute in Deutschland. Hätte man den jüdischen Vertretern in Bern auch noch mitgeteilt, dass Hans Otto Roth bereits unmittelbar vor dem Kon-gress bei Hitler im Namen der 10
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Millionen Auslandsdeutschen die Einstellung der Judengesetzgebung gefordert hatte, so wären die Juden dem Kongress vielleicht nicht fern geblieben, wenngleich auch dies den Gang der Ereignisse nicht hätte ändern können. Interessant in diesem Zusammenhang ist noch das Urteil des Generalsekretärs des Nationalitätenkongresses, Dr. Ewald Ammende, über Hans Otto Roths Vorsprache bei Hitler. Ammende, der ebenfalls von Sorge um die Folgen der nationalsozialistischen Politik erfüllt war, schrieb Hans Otto Roth am 13. Juli 1933: „Meine in München und Wien empfangenen Eindrücke haben in mir endgültig die Erkenntnis befestigt, dass Deiner Mission in Berlin geradezu historische Bedeutung zukommt.“977 Das deutsch-jüdische Verhältnis in Siebenbürgen war nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Diskussionen.978 Hierbei treten allerdings noch Differenzen zu Tage. Hildrun Glass schrieb: „Auf diese Frage hat die Forschung bisher keine Antwort geliefert, die über die Formulierung der Problematik oder auch einfach deren verwischende Beschönigung hinausgeht. Letzteres gilt vor allem für die Historiker der deutschen, ersteres mehr für die der jüdischen Minderheit. Diese kommen auf das Problem meist direkt im Zusammenhang mit dem Einfluß des deutschen Nationalsozialismus zu sprechen. Repräsentativ für die Bewertung ist diejenige Jean Ancels in seinem Vorwort zu den Memoiren Alexandru Safrans, Oberrabiner in Rumänien von 1940–1947, wonach 1933 der Großteil der deutschen Bevölkerung ,das Dritte Reich und damit impliziert auch seine antisemitische Ideologie‘ unterstützt habe.979 Damit ist eine klare These aufgestellt, die freilich der empirischen Untermauerung ermangelt. Historiker der deutschen Minderheit führen dagegen aus, der Antisemitismus sei den Siebenbürger Sachsen vor 1933 fremd gewesen;980 die nationalsozialistische Rassenideologie habe keinen Anklang bei der deutschen Minderheit gefunden ... Die einzige Ausnahme von dieser Regel sind Literaturhistoriker, denen das Verdienst zukommt, mit interessanten Einzelstudien – das heißt aber auch: nur punktuell – nachgewiesen zu haben, daß das vorherrschende Bild eines unproblematischen deutsch-jüdischen Zusammenlebens981 der historischen Wirklichkeit nicht entspricht.“ 982 977 Politischer Nachlass HOR/Quelle 458: Roths Zusammenstellung „Die Position der Deutschen Minderheiten in der jüdischen Frage im Jahr 1933.“ „Historische Bedeutung“ in der Vorlage unterstrichen. 978 Ein sehr gutes und sehr umfangreiches Werk ist das bereits mehrfach zitierte Buch von Hildrun Glass: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918–1938). 979 Jean Ancel im Vorwort zu Alexandre Safran, Resisting the Storm, România 1940–1947. Jerusalem 1987, S. 21, zitiert nach: Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft, S. 15. 980 Roth, Harald: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919– 1933, S. 218. 981 Annabring, Matthias: Volksgeschichte der Donauschwaben in Rumänien. Geschichte der Donauschwaben, Bd. 3, S. 46. 982 Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft, S. 15.
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Generell darf man zu dieser Problematik wohl feststellen, dass es unter den Siebenbürger Sachsen natürlich ebenso fanatische Anhänger des Nationalsozialismus gab (z.B. Waldemar Gust oder Wilhelm Staedel) wie auch Gegner (z.B. Viktor Glondys, Hans Otto Roth) und mit Sicherheit die zunächst noch unentschlossene Masse der einfachen Bevölkerung, die dann zunehmend mehr und mehr von der NS-Ideologie indoktriniert wurde. Die Siebenbürger Sachsen unterschieden sich damit kaum von den Reichsdeutschen und waren damit genau das, was sie immer sein wollten: typische Deutsche jener Zeit. Im speziellen Fall Hans Otto Roths kann man aber zweifelsfrei feststellen, dass er sich bereits unmittelbar zu Beginn der nationalsozialistischen Zeit gegen den Nationalsozialismus positionierte, ja, dass er bereits in den 1920er Jahren den Faschismus in Italien kritisch beurteilte. Dennoch lag es nicht in Roths Macht, den Nationalsozialismus aus Siebenbürgen fernzuhalten. Alleine schon die finanzielle Unterstützung aus Deutschland für die siebenbürgischen Rechtsextremen stellte ein großes Problem dar. „So konnten wir nur fünf Tage Wahlabende veranstalten und ein einziges Flugblatt heraus geben, während die NEDR sich vier volle Wochen wie ein Bienenschwarm über das Land ergoss, unter den armen Leuten Wäsche und Kleider verschenkte, täglich Flugblätter herausgab und am Schluss der Wahlkampagne – die katholischen Volksgenossen durch den Czernowitzer deutschen Konsul unter schweren Druck stellen ließen.“983 Die anfänglichen Erfolge Hitlers taten ihr Übriges, um Eindruck auf die Siebenbürger Sachsen zu machen, denen die bisherige Erfolglosigkeit ihrer konservativen Führung im Kampf um ihre Minderheitenrechte und um wirtschaftliche Prosperität gegenüberstand. Zwar versuchte Roth mit der „Einheitsbewegung“ eine Bewegung gegen den Nationalsozialismus aufzustellen, doch auch hier drängt sich der Eindruck auf, dass zu viel Wert auf ideelle Ziele gelegt wurde, aber weniger Augenmerk auf die alltäglichen Sorgen der Menschen. Die Beschaffung von Brot und Arbeit wurde zwar als die oberste Aufgabe der praktischen Politik bezeichnet, sie wurde jedoch erst unter Punkt 8 der Ziele der Einheitsbewegung aufgeführt984 und wirkte damit eher beiläufig, wenn man die volksnahen, öffentlichkeitswirksamen Auftritte (Kleiderspenden, Essensausgaben, kameradschaftliche Arbeitslager) der Nationalsozialisten dem gegenüberstellt. Hier muss man feststellen, dass sich die Nationalsozialisten in der Öffentlichkeit viel besser darzustellen verstanden. Roth widersetzte sich trotzdem weiterhin den nationalsozialistischen Zielen. Dass er dabei von allen sächsischen Politikern für die Nationalsozialisten am gefährlichsten war, beweisen die ständigen Titulierungen, mit denen diese Roth bedachten, etwa „Der wahre Schuldige“ oder „Volksfeind Nr. 1.“ Allerdings unterliefen Roth im Kampf gegen die Nationalsozialisten auch teilweise schwere Fehler. Der erste Fehler war Mitte der 1930er-Jahre Roths trügerische Annahme, man könnte mit „gemäßig Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu, S. 32. Siehe Anhang 8.
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ten“ Nationalsozialisten um Fritz Fabritius zusammenarbeiten und gemeinsam praktische Politik machen. Dieser Irrglaube war ein völliges Verkennen des totalitären nationalsozialistischen Machtanspruches und ebnete dem Nationalsozialismus den Weg durch die politischen Institutionen der Siebenbürger Sachsen (Fünfer-Ausschuss, Unterstützung des NS-Volksprogrammes durch die Evangelische Landeskirche gegen schriftliche Garantien der „gemäßigten“ Nationalsozialisten usw.). Mit der Absetzung von Bischof Glondys und der Wahl Wilhelm Staedels zum neuen Bischof war die Evangelische Landeskirche A.B. in Rumänien Anfang 1941 dann endgültig gleichgeschaltet. Ob Hans Otto Roth Viktor Glondys tatsächlich zum Kampf um dessen Amt geraten hat, lässt sich mit letzter Gewissheit heute nicht mehr feststellen, doch wenngleich auch der historische Beweis für die eine oder andere Theorie bezüglich der Rolle der Konservativen und speziell Hans Otto Roths nicht mehr erbracht werden kann, so muss man bezüglich der Verantwortlichkeiten für Glondys’ Rücktritt doch eines anmerken: Bei allen Fehlern und Fehlentscheidungen, die Hans Otto Roth mitzuverantworten hatte: Die Verantwortung für die Absetzung von Bischof Glondys lag – gleichgültig ob Roth ihm zum Rücktritt oder zum Kampf geraten hatte – nicht bei Hans Otto Roth, sondern bei Andreas Schmidt. Angesichts der Machtverhältnisse war es irrelevant, ob Glondys um sein Bischofsamt kämpfen wollte oder nicht. Seine Absetzung war von den neuen Machthabern beschlossen. Es wäre natürlich ein klares Zeichen gegen den Nationalsozialismus gewesen, wenn Glondys sich geweigert hätte zurückzutreten. Die Verantwortung für diese Entscheidung lag jedoch bei ihm selbst und nicht bei seinem Landeskirchenkurator, der ihn in dieser Frage allenfalls beraten konnte. Bischof Glondys war 1932 in das höchste sächsische Kirchenamt gewählt worden, weil er die Führung der sächsischen Gemeinschaft übernehmen sollte. Führung bedeutet jedoch, Entscheidungen zu treffen und diese zu verantworten. Man kann einwenden, dass Bischof Glondys 1940 seine Führungsfähigkeit ganz offensichtlich verloren hatte. Er fungierte nur noch als Marionette, was für das große Erbe der sächsischen Bischöfe beschämender war als ein entschlossener Rücktritt aus Protest gegen eine Politik, die er in seiner besonderen christlichen Überzeugung sowieso nie hätte mittragen dürfen. Gerade falls es stimmen sollte, dass für Bischof Glondys Roths Information in Wien im Herbst 1940 über seine bevorstehende Absetzung „völlig überraschend“ gekommen war, wie es Alice Glondys darstellte, dann zeigt dies nur, dass Glondys 1940 den Kontakt zur Realität verloren hatte. Dieser Schritt war nach Hitlers Sieg über Frankreich und der folgenden Machtübernahme von Andreas Schmidt über die Deutsche Volksgruppe in Rumänien logisch und keineswegs überraschend. Absehbar war auch der Nationalsozialist Staedel als Nachfolger von Glondys (jeder andere wäre eine Überraschung gewesen). Auch Glondys Verhalten Mitte/Ende 1944 bestätigt einen solchen Realitätsverlust oder auch eine Realitätsflucht: Im Chaos des Untergangs, als Rumänien die Seiten wechselte, die Wehrmacht sich aus Siebenbürgen zurückzog, die Russen Siebenbürgen besetzten und die Zukunft der Sachsen völlig ungewiss war, beschäftigte sich der ehemalige Bischof mit theologischen Abhandlungen, wie etwa „dem christlichen
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Element in Goethes Faust“985, anstatt seinem hilflosen Volk Rat und Orientierung zu geben und geistig zur Seite zu stehen. Ob Glondys es wahrhaben wollte oder nicht: 1940 war seine Zeit abgelaufen – zum Glück für ihn selbst. Für Glondys kann es nur von Vorteil gewesen sein, dass er in den nächsten vier Jahren keine Ämter mehr innehatte. Hans Otto Roth hingegen war weiterhin in die Politik involviert. Später musste er sich für sein Handeln und seine Äußerungen in dieser Zeit rechtfertigen. Als Landeskirchenkurator übernahm er nach Glondys Rücktritt nun bis zur Wahl eines neuen Bischofs die Leitung der Evangelischen Landeskirche.986 Besonders seine in dieser Zeit an den Tag gelegte Anpassung an die politischen Verhältnisse (z.B. seine Worte bei der Einführung von Wilhelm Staedel als Bischof ) stehen in Widerspruch zu Roths später artikulierter, vorgeblicher Entschlossenheit, seine Überzeugungen und Ideale auch in schwersten NS-Zeiten verteidigt zu haben. Hier war Roth zu pragmatisch und zu anpassungswillig, hier hätte er deutlich mehr Rückgrat beweisen müssen, um seinen eigenen Ansprüchen in der Nachkriegszeit als oberster „Widerstandskämpfer“ zu genügen. Hierbei ist auch anzumerken, dass alle konservativen Politiker nach dem Krieg gerne von ihrem „Widerstand“ in „der Widerstandsbewegung“ sprachen. Der Begriff „Widerstand“ ist aber nicht treffend für das Verhalten der Konservativen während der NS-Regierungszeit. Er führt zu der irrigen Annahme, die Mitglieder „des Widerstandes“ hätten aktive Maßnahmen gegen das NS-Regime durchgeführt (z.B. Zusammenarbeit mit alliierten Geheimdiensten, Partisanentätigkeit, Beteiligung am Attentat des 20. Juli 1944 oder Ähnliches). Dies war aber nicht der Fall. Der „Widerstand“ beschränkte sich auf Kritik an der Volksgruppenführung, eine Kritik, die außerdem erst angesichts des für das Deutsche Reich negativen Kriegsverlauf ernsthaft laut wurde. Daher muss diese „Widerstandsbewegung“ der historischen Korrektheit halber auf „Opposition“ reduziert werden. Dies gilt es zu beachten, wenn Hans Otto Roth und andere sich über ihren „Widerstand“ äußern. Andererseits verdient diese Oppositionsarbeit Roths und der Konservativen vor und während des Krieges auch Würdigung, wenngleich auch Roth im Angesicht der deutschen Siege 1940/41 im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos war. Bezeichnend ist, dass sein Sohn nicht in die SS eintrat, sondern in der rumänischen armata verblieb. Bezeichnend sind die wutschäumenden Hasstiraden Andreas Schmidts gegen den „Volksfeind Nr. 1.“ Bezeichnend sind die Briefe von den Hinterbliebenen der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 an Roth. Keiner jener Leute, die Roth in den Nachkriegsjahren wegen seines Verhaltens in der NS-Zeit angriffen, hatte selbst eine solche Reputation vorzuweisen. Roths Rücktritt als Landeskirchenkurator 1943 war dann allerdings ein längst überfälliger Schritt. Das viel zu lange Hinauszögern seines Rücktritts – insbesondere, nachdem es schon absolut offensichtlich war, dass er nichts Tagebuch Glondys, S. 413 (2. September 1944). Protokoll der 6. Landeskonsistoriumssitzung vom 21. Dezember 1940, Tagesordnungspunkt 54. Wien Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“, S. 52. 985 986
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Wesentliches mehr gegen die NS-Politik erreichen konnte – steht Hans Otto Roth nicht gut an, da er bis zu seinem Rücktritt formal die NS-Politik mitgetragen hat. Des Weiteren muss seine Rücktrittsentscheidung im Zusammenhang mit der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad und damit im Zeichen des absehbaren Scheiterns des Nationalsozialismus gewertet werden. Falls Hans Otto Roth tatsächlich so kalkuliert haben sollte, wäre dieser Rücktritt nur ein weiterer seiner taktischen Schachzüge gewesen, noch dazu ein besonders raffinierter. Zu Gute halten muss man Roth aber auf jeden Fall, dass er immer bestrebt war, die sächsischen politischen Strukturen gegen den vordringenden Nationalsozialismus zu schützen. Diese Frage nach Schuld und Unschuld des Einzelnen und der Gemeinschaft sollte die Siebenbürger Sachsen noch lange Zeit beschäftigen „Vor allem aber sträuben sich die Menschen dagegen, dass hunderttausende Unschuldiger für die Versäumnisse und Vergehen der eigentlich Verantwortlichen leiden müssen“,987 versuchte Roth seine Landsleute in Schutz zu nehmen. Die Täter seien „verschwunden – oder schweigen ...“.988 Mit dieser Feststellung lag er zwar nicht ganz falsch. Die Hauptverantwortlichen hatten sich abgesetzt.989 Der ehemalige Volksgruppenführer Andreas Schmidt starb am 8. Mai 1948 (oder früher?) im sowjetischen Lager „1 Kapitalnaia“ (Workuta, Sowjetunion) unter ungeklärten Umständen (am wahrscheinlichsten ist, dass einige Häftlinge unter Anleitung der Lagerleitung Schmidt mit Beilen erschlugen). Alt-bischof Wilhelm Staedel wurde zwar im Oktober 1944 in Rumänien verhaftet, 1946 gelang ihm jedoch die Flucht in die Westzonen Deutschlands. In Minden wirkte er bis zu seinem Ruhestand 1959 als Krankenhausseelsorger. Dem ehemaligen Stabschef Andreas Rührig gelang das Absetzen nach Südamerika. Fritz Fabritius kam nach Kriegsende in Deggendorf in Untersuchungshaft. Er wurde rehabilitiert und verbrachte seine letzten Lebensjahre im Siebenbürgerheim in Rimsting beim Chiemsee.990 Trotzdem sind Roths Aussagen nicht ganz korrekt und müssen durchaus kritisch betrachtet werden. Wenngleich die hauptverantwortlichen nationalsozialistischen Spitzenkader relativ wenige waren, so muss man doch feststellen, dass sie letztendlich mit zunehmendem Erfolg Hitlers eine breite Unterstützung der Masse des Volkes für ihre Politik erfuhren. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang auch die Kriegsverbrechen der SS-Division Prinz Eugen, in der zahlreiche Siebenbürger Sachsen dienten, die nicht nur unter großem Zwang – wie Roth angab – in die SS eingetreten waren. In den Kapitulationsjahren 1944/45 blühten Roths politische Fähigkeiten noch einmal auf, doch die Nachkriegszeit sah dann seinen raschen Abstieg. Bereits in seinem Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“ Ebd. 989 Dazu siehe auch Böhm, Johann: Hitlers Vasallen der deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945. 990 Milata, Paul: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Kurzbiographien, S. 331–344. 987 988
274 Zusammenfassung
Aufruf vom 31. August 1944 hatte sich Roth für ein Verbleiben seiner Landsleute in Siebenbürgen und im Banat ausgesprochen, um eine ähnliche Fluchtbewegung zu verhindern, wie sie 1944 in Nordsiebenbürgen und bei anderen Auslandsdeutschen stattfand. Auch im Frühjahr 1945 plädierte Roth auf der Landeskirchenversammlung nochmals vehement für das Verbleiben seiner Landsleute in ihrer angestammten Heimat: „Ich rufe alle auf, sich in die Heimat einzukrallen und entschlossen zu sein, hier zu bleiben, so lange unser Volk nicht mit Gewalt aus diesem Boden herausgerissen wird ...“.991 Es war das letzte Mal, dass ein Kirchenrepräsentant der Siebenbürger Sachsen öffentlich Volks- und Kirchenpolitik als eine Einheit behandelte. Roth hatte damit dem Schicksal der Sachsen eine eindeutige Richtung gegeben, nämlich das Verbleiben in der alten Heimat unter allen Umständen. Wenn man aber im Rückblick den NS-Evakuierungsbefehl 1944 mit Roths dringendem Appell zum Bleiben vergleicht, muss man sich die Frage stellen, ob Roth hier nicht noch einmal den Fehler begangen hat, ein totalitäres Regime zu unterschätzen. Ja, das Ziel wurde erreicht, die Rumäniendeutschen konnten letztlich tatsächlich in ihrer alten Heimat verbleiben, aber um welchen Preis? Die Lebensumstände nach dem Zweiten Weltkrieg waren nicht mehr mit den früheren Lebensumständen zu vergleichen. Zunächst einmal forderte die Deportation der jungen Rumäniendeutschen in die UdSSR abermals einen hohen Blutzoll. Des Weiteren bedeutete das Leben im sowjetischen Machtbereich Enteignung, Verarmung und Freiheitsverlust. Außerdem wurden die alten sächsischen Institutionen weitgehend zerschlagen und die siebenbürgisch-sächsische Kultur litt unter Unterdrückung. Insgesamt waren die Lebensumstände so schlecht, dass nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs 1989–1991 fast alle der noch verbliebenen Rumäniendeutschen die Chance nutzten, um Rumänien fluchtartig zu verlassen. „Die Maßnahmen, die der rumänische Staat in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegen die Deutschen ergriff, störten ihr Verhältnis zu ihm nachhaltig“, urteilte Annemie Schenk 1992. „Auch Ceauşescus Einlassungen, man habe Fehler der deutschen Minderheit gegenüber begangen, konnte das Vertrauen nicht wiederherstellen in Anbetracht seiner späteren Minderheitenpolitik, die auf die Schaffung eines geschlossenen rumänischen Nationalstaates ausgerichtet war.“992 Wolf Oschlies drückte es 1988 noch drastischer aus: „Deutlich wurde, daß hier die überwiegende Mehrheit einer nationalen Minderheit zu erkennen gab, daß sie in diesem Land absolut keine Chance mehr für sich sah: …“993 Im Gegensatz dazu bauten sich die Rumäniendeutschen, die sich mit der abziehenden Wehrmacht rechtzeitig dem sowjetischen Zugriff entzogen hatten, in der aufblühenden Bundesrepublik tatkräftig eine neue Existenz auf, verbrachten ihren Lebensabend in Ruhe und Frieden und konnten in den Zeiten des Kalten Krieges ideologisch sogar den Antikommunismus und das alte Feindbild Sowjetunion ganz offen weiter pflegen. Rede Roths auf der 41. Landeskirchenversammlung. Ebd., S. 24 Schenk, Annemie: Deutsche in Siebenbürgen, S. 177. 993 Oschlies, Wolf: Rumäniendeutsches Schicksal 1918–1988, S. 188/189. 991 992
Zusammenfassung 275
Die Entscheidung, in Rumänien zu verbleiben hatte schließlich auch für Hans Otto Roth selbst tödliche Konsequenzen. Wie die Nationalsozialisten sahen auch die Kommunisten in Hans Otto Roth einen ihrer gefährlichsten Gegenspieler, weil seine Worte glaubhafter waren und er ein geschickter Rhetoriker war. Die Intrigen gegen ihn begannen rasch, indem die kommunistischen Geheimdienste ihn mit der NSPolitik in Verbindung zu bringen suchten. Dass Roth manche Fehler im Kampf gegen den Nationalsozialismus gemacht hatte, vielleicht sogar im Augenblick des Triumphes 1940/41 geblendet war, steht außer Zweifel. Dies jedoch als spezielle Schuld Hans Otto Roths zu werten ist nicht möglich, denn mit wenigen Ausnahmen feierten natürlich alle Deutschen – inklusive der Auslandsdeutschen – Hitlers Erfolge bis 1941. Dass der Nationalsozialismus schließlich doch scheitern würde, erkannte Roth schneller als die meisten seiner Zeitgenossen und brachte sich noch zu Kriegszeiten durch sorgsam abgewogene Opposition für die Nachkriegszeit in Stellung (demonstrativer Rücktritt als Landeskirchenkurator, Provokation der NS-Bürokratie bis zu seinem halbherzigen Ausschluss aus der Volksgruppe), ohne sich jedoch dabei durch aktiven Widerstand in akute Gefahr zu bringen. Dies bestätigt das Bild Roths als eines klugen und weitsichtigen, aber auch vorsichtigen politischen Taktikers, der tatsächlich Opposition gegen die Politik der NS-Regierung geleistet hat, jedoch nicht für sich in Anspruch nehmen kann, auf einer Stufe mit aktiven Widerstandskämpfern zu stehen. Roth betrachtete den Nationalsozialismus tatsächlich immer kritisch. Die Vorwürfe, die ihm nach dem Krieg von anderen Siebenbürger Sachsen zur Last gelegt wurden, er habe den Nationalsozialismus unterstützt, waren haltlos. Heute sind die eigentlichen Beweggründe seiner politischen Gegner, derartige Vorwürfe vorzubringen, schwer nachzuvollziehen. Wahrscheinlich waren sich viele Siebenbürger Sachsen – zum Beispiel Brandsch oder Glondys – nicht bewusst, dass sie mit ihren Anschuldigungen als Instrumente der kommunistischen Geheimdienste agierten, deren Agenten Erhard Andree und Adolf Fuß waren. Sie verkannten dabei das rhetorische Geschick Hans Otto Roths, der besser als sie befähigt war, die Siebenbürger Sachsen gegen die kommunistischen Angriffe zu schützen und schadeten somit den Interessen ihrer sächsischen Landsleute ganz beträchtlich. In seinem Nachlass gab Erhard Andree selbst seine Intrigen und seine Taktik – nämlich die Instrumentalisierung der alten politischen Gegner Roths für seine Zwecke – freimütig und sogar stolz zu. Es geht eindeutig hervor, dass die Vorwürfe gegen Roth gezielter Rufmord waren. Dieser sollte dazu dienen, Roth aus seiner Stellung als Landeskirchenkurator zu verdrängen sowie gleichzeitig mit ihm die Evangelische Kirche in Misskredit zu bringen, also diese jahrhundertealte Gesellschaftsordnung zu zerstören und eine neue kommunistische Gesellschaftsordnung aufzubauen. Heute, zu Beginn des 3. Jahrtausends, ist diese kommunistische Gesellschaftsordnung ebenfalls schon wieder Geschichte. Damit ist es die Geschichte selbst, die Hans Otto Roth posthum seine größte Würdigung verleiht, indem sie seine Visionen
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wenigstens teilweise Wirklichkeit werden ließ und damit deren Richtigkeit im Grundsatz bestätigt. Hans Otto Roths große Hoffnung in den 1920er Jahren waren gute Beziehungen Rumäniens zur zentraleuropäischen Weimarer Republik. 1928 schien dieser Wunsch für einen kurzen Augenblick Wirklichkeit zu werden, bevor die Weltwirtschaftskrise und nachfolgend dann Hitler wieder völlig veränderte Rahmenbedingungen schufen und der Zweite Weltkrieg alles zerstörte. Als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches hatte es auch die Bundesrepublik Deutschland zu Beginn schwer, gute Beziehungen zu den kommunistischen Staaten in Südosteuropa herzustellen. Auch genoss die Westintegration absoluten Vorrang. Die HallsteinDoktrin verlangte den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu allen Staaten, die die DDR anerkannten und Hans Otto Roth erlebte den Wandel in den deutschrumänischen Beziehungen nicht mehr. Erst ab 1969 änderte sich die deutsche Außenpolitik unter Willy Brandt: Der „Wandel durch Annährung“ (Egon Bahr) führte zunächst zu den Ostverträgen. Der Zusammenbruch der UdSSR 1989–91 ermöglichte es Rumänien schließlich, sich aus der kommunistischen Diktatur zu befreien und den Weg nach Westen in EU und NATO zu gehen. Die Teilnahme des rumänischen Präsidenten am EU-Gipfel in Essen 1994, die Ratifizierung des EUAssoziationsabkommens 1995, die Entscheidung des Europäischen Rates in Helsinki 1999, Rumänien in die EU aufzunehmen, und schließlich der tatsächliche EUBeitritt Rumäniens 2007 waren dabei auch wichtige Stationen auf dem Weg der Verbesserung der diplomatischen Beziehungen Rumäniens zu Deutschland. Gerade die Entscheidung von Helsinki 1999, Rumänien in die EU aufzunehmen, wird auf die deutsche Unterstützung zurückgeführt, ebenso wie die visafreie Einreise rumänischer Staatsbürger in die Schengen-Staaten. Gegenseitige Staatsbesuche sind Ausdruck der neuen Freundschaft. Heute sind die deutsch-rumänischen wie auch die deutschmoldawischen Beziehungen gut.994 Diese neuen guten Beziehungen kommen heute auch den noch verbliebenen Deutschen in Rumänien zugute – so wie es sich Hans Otto Roth eigentlich in den 1920er Jahren vorgestellt hatte – doch sind heute in Rumänien von den ehemals rund 800.000 Deutschen nicht einmal mehr 50.000 – überwiegend ältere – Deutsche übrig geblieben. Alle anderen haben Rumänien inzwischen meist freiwillig den Rücken gekehrt und das Land vor allem in den Jahren 1989 bis 1992 fluchtartig verlassen. Zwar hatten es die neuen rumänischen Regierungen nach dem Dezember 1989 nicht an Sympathieerklärungen und geradezu beschwörenden Appellen an die deutsche Minderheit fehlen lassen. Die Rumäniendeutschen kamen nun ebenso wie das rumänische Mehrheitsvolk in den Genuss der neu gewährten Presse- und Versammlungsfreiheit. Den 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportierten Deutschen wurden Entschädigungen gewährt. Das Karl, Josef: Deutschlands Beziehungen zu Südosteuropa, insbesondere zu Ungarn und Rumänien. In: ZfSL 30 (2007), S. 179. 994
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Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) konnte sich als Interessensvertretung der Rumäniendeutschen etablieren und einen Abgeordneten ins rumänische Parlament schicken. Der rumänische Außenminister entschuldigte sich öffentlich für die in kommunistischer Zeit zu Lasten der Deutschen begangenen Verbrechen. Erstmals nimmt ein Vertreter der deutschen Minderheit das Amt eines Staatssekretärs in dem unmittelbar beim Amt des Premierministers angesiedelten Minderheitendepartement wahr. Es wurde ein interministerieller Rat zum Schutz der Minderheiten gegründet, der heute die Interessen der nichtpolitischen Minderheitenorganisationen vertritt. Seit 1989 wurden mehrere Entscheidungen zugunsten der Minderheiten und insbesondere der zwischen 1948 und 1955 diskriminierten Deutschen getroffen: Die Entschädigungen für die Deportierten wurden erhöht und ihre Rechte ausgeweitet; die spezielle Diskriminierung der Deutschen bei der Bodenreform von 1945 wurde bei der Novellierung des 1991 erlassenen Bodengesetzes berücksichtigt; in Ortschaften mit mehr als 20% Minderheitenbevölkerung wurde der Gebrauch der Muttersprache vorgeschrieben und Ortsschilder in der Sprache der Minderheiten verfügt; die deutsche Minderheit erhielt im Vorgriff auf die endgültige Lösung der Restitutionsfrage drei Gebäude zurück. Doch alle Maßnahmen kamen zu spät. Den Rumäniendeutschen boten sich in der Bundesrepublik Deutschland ungleich bessere Lebensbedingungen und Chancen als im vergleichsweise rückständigen Rumänien. Die Geschichte der meisten Rumäniendeutschen geht damit seit 1944 fließend über in die erfolgreiche Integration der Flüchtlinge, der Vertriebenen (was bezüglich der Rumäniendeutschen nur teilweise stimmt), der Aussiedler und Spätaussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Immerhin sind aber noch die Bürgermeister einiger Städte – zum Beispiel Klaus Johannis in Sibiu/Hermannstadt – Angehörige der Rumäniendeutschen. Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Inneren unterstützen die Rumäniendeutschen finanziell. Der 1998 gegründete „Deutsche Wirtschaftsclub Siebenbürgen“ (DWS) fördert die wirtschaftliche Entwicklung zwischen der Bundesrepublik und Rumänien.995 Mittel- und Osteuropa gewinnt heute für die Bundesrepublik Deutschland wieder eine stärkere wirtschaftliche Bedeutung. So berichtete das Handelsblatt im August 2008: „Das extrem stark gewachsene Außenhandelsvolumen mit den Staaten Mittel- und Osteuropas (MOE) rettet die deutsche Wirtschaft vor einem stärkeren Abschwung. Die Ausfuhren Deutschlands in die MOE-Länder stiegen im ersten Halbjahr 2008 um 15,6 Prozent auf 84 Mrd. Euro, wie der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft gestern mitteilte. Damit legten sie deutlich stärker zu als die gesamten deutschen Exporte, die um 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum wuchsen. Die Region MOE ist beim deutschen Außenhandel zudem inzwischen mit einem Gesamtumfang von 153,8 Mrd.
Ebd.
995
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Euro deutlich bedeutsamer als der Handelsaustausch mit den USA (59,2 Mrd. Euro), China (43,6 Mrd.) und Indien (6,7 Mrd.) zusammen. Größter deutscher Handelspartner bleibt weiterhin Polen vor Russland.“996
Die Einreisebedingungen nach Rumänien haben sich erleichtert, obwohl Rumänien gegenwärtig noch nicht Mitglied des Schengen-Abkommens ist – wohl aber Ungarn, was eine problemlose Durchreise mit dem Auto bis zur rumänischen Grenze erlaubt – und was deutschen Touristen wiederum einen Besuch in Siebenbürgen vereinfacht. Erste Siebenbürger Sachsen sind bereits zurückgekehrt und nutzen ihre Kontakte nach Deutschland für den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Der Euro wird dies in Zukunft weiter erleichtern. Dies und viele andere Veränderungen geben Anlass zur Hoffnung auf eine gute Zukunft für Siebenbürgen und den Erhalt seiner alten deutschen Kultur als Bindeglied zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien – ganz im Sinne von Hans Otto Roth.
Brüggmann, Mathias: Osteuropa rettet deutsche Wirtschaft. Handelsblatt, Ausgabe Nr. 163 vom 22./23./24. August 2008, S. 6 (Europa und International). 996
Anhang
Anhang 1: Historischer Rückblick und Statistik Siebenbürgens997 Um die politischen Probleme – mit denen Hans Otto Roth konfrontiert war – richtig einordnen zu können, ist es zunächst einmal unerlässlich, die demographische Situation des von vielen Völkern besiedelten Siebenbürgen zu betrachten, denn die Nationalitätenprobleme waren unter rumänischer Herrschaft – trotz anders lautender Versprechungen 1918/19 – sehr ähnliche wie vor dem Ersten Weltkrieg im Königreich Ungarn. In Siebenbürgen selbst lebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Rumänen, Magyaren und Deutsche. Diese Völker lebten jedoch nie „miteinander“ – sie lebten „nebeneinander“. Insbesondere, da das staatstragende Volk – die Magyaren – selbst in der Minderheit war, waren große Nationalitätenprobleme unvermeidlich. Im Jahre 1870 wurde im Königreich Ungarn eine Volkszählung durchgeführt. Nach dieser Volkszählung lebten in Siebenbürgen 2.101.727 Menschen. Davon waren 31,71% Magyaren, 10,66% Deutsche, 57,47% Rumänen. Dies entspricht 666.458 Ungarn, 224.044 Deutschen, 1.207.862 Rumänen, 210 Slowaken und 3.152 Personen sonstiger Nationalität. 1910 wurde eine weitere Volkszählung in Siebenbürgen durchgeführt. Demnach lebten dort jetzt 1.470.000 Rumänen (55%), 970.000 Magyaren (36,3%) und 234.000 Deutsche (8,7%). Dabei ist jedoch davon auszugehen, dass die Zahl der Magyaren aus politischen Gründen etwas überhöht wurde. Die Rumänen stellten in Siebenbürgen also die absolute Mehrheit der Bevölkerung, im Banat immerhin noch die relative Mehrheit: 850.000 Rumänen gegenüber 1.192.000 Ungarn, Deutschen und Serben. Als Siebenbürgen 1919 zu Rumänien kam, änderte sich die Situation im Land also grundlegend. Staatstragendes Volk waren jetzt nicht mehr die sich in der Minderheit befindlichen Magyaren, sondern die sich in der Mehrheit befindlichen Rumänen – und deren Anteil hatte sich trotz der Magyarisierungspolitik der ungarischen Regierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgrund von Zuzug und höherer Geburtenrate im Gegensatz zu 1870 noch deutlich erhöht. Während sich die Zahl der Rumänen im Zeitraum von 1890 bis 1977 mehr als verdoppelte, stieg die Zahl der Ungarn nur um die Hälfte an. Vor allem aus den ärmeren Gegenden 997 Frühmesser, Thomas: Die Siebenbürger Sachsen und die Nationalitätenfrage im 19. Jahrhundert. Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Akademischen Grades eines Magister Artium. Würzburg 2006.
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Anhang 1
Rumäniens wanderten viele Menschen nach Siebenbürgen ab. Die geringe Zunahme der Magyaren führt man auf kleine Geburtenüberschüsse, Wanderungsverluste, aber auch auf Dissimilation von Gruppen zurück. Die deutsche Bevölkerung nahm in der Zeit von 1880 bis 1941 noch einmal um 13,9% zu (absolut, nicht relativ). Nach dem Zweiten Weltkrieg verzeichnete sie dann jedoch durch Flucht und Vertreibung einen Verlust von 28,1%. Im Jahre 1930 wurde eine erste Volkszählung von der rumänischen Regierung angeordnet. Nach dieser ergibt sich folgendes Bild für die Bevölkerungsverteilung in den ehemals ungarischen Regionen Rumäniens: Landesteil Rumänen Deutsche Madjaren Insgesamt998 1. Kleine Walachei 1.475.265 (97,5%) 3.442 (0,2%) 2.557 (0,2%) 1.513.175 33.806 (0,8%) 4.029.008 2. Grosse Walachei 3.761.527 (93,4%) 20.826 (0,5%) 3. Dobrudscha 360.572 (44,2%) 12.581 (1,5%) 2.194 (0,3%) 815.475 4. Moldau 2.185.632 (89,8%) 8.098 (0,3%) 20.964 (0,9%) 2.433.596 1.610.757 (56,2%) 81.089 (2,8%) 829 2.864.402 5. Bessarabien 379.691 (44,5%) 75.553 (8,9%) 11.881 (1,4%) 853.009 6. Buchenland 7. Siebenbürgen 1.852.719 (57,6%) 253.426 (7,9%) 934.642 (29%) 3.217.988 8. Banat 511.083 (54,4%) 223.167 (23,7%) 97.839 (10,4%) 939.958 844.078 (60,7%) 67.259 (4,8%) 320.795 (23,1%) 1.390.417 9. Kreischgau und Marmarosch ___________________________________________________________________________ 12.981.324 (71,9%) 745.421 (4,1%)999 1.425.507 (7,9%) 18.057.028 Zusammen
Im Vergleich zu früheren Zeiten war die siebenbürgisch-sächsische Bevölkerung absolut gesehen also angestiegen. Relativ gesehen war ihr Anteil jedoch drastisch gesunken. Dieser zahlenmäßige Rückgang der Siebenbürger Sachsen an der Gesamtbevölkerung Siebenbürgens wird besonders auch am Beispiel der früher vollkommen sächsisch dominierten Städte deutlich: 1880 1890 Sachsen (evangelische Konfession) Bistriz 52,6% 52,6% Kronstadt 23,9% 20% Hermannstadt 53,4% 48,4% Schäßburg 54,1% 51,5% Mediasch 50,9% 44,7%
1930 Deutsche Nationalität 31,6% 22% 43,8% 40,2% 38,5%
Auch mit anderen Völkern (Zigeuner, Juden usw.). Noch mehr Menschen sprachen Deutsch als Muttersprache: 760.687 (4,2%).
998 999
Historischer Rückblick und Statistik Siebenbürgens
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Im Vergleich zu den Zahlen bei der Volkszählung von 1870 hatten sich die Mehrheitsverhältnisse 1920/1930 in Siebenbürgen also noch einmal deutlich zu Gunsten der Rumänen verschoben. Deren Ansprüche auf Siebenbürgen konnten 1918/19 somit zweifellos mit dem Nationalstaatsprinzip begründet werden. Nach den Richtlinien des Selbstbestimmungsrechts der Völker und Wilsons 14 Punkten war Siebenbürgen 1918/1919 eindeutig Rumänien zuzusprechen. Auch die Siebenbürger Sachsen erkannten dies an: „Einer der politischen Grundsätze, die als Ergebnisse des Weltkrieges betrachtet werden können, ist das Recht der Völker, die in zahlen-mässiger [sic!] Mehrheit in einem Gebiete leben, auf eigene Staatenbildung. Die Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Romänien müssen wir als die Verwirklichung dieses Rechtes auf staatliche Selbstbestimmung ansehen.“1000
Die Magyaren indessen fühlten sich von der Geschichte betrogen, da ihre Siedler immer wieder von feindlichen Angriffswellen (Tataren, Türken) dezimiert worden waren. Angesichts der absinkenden Tendenz der Siebenbürger Sachsen muss es nicht verwundern, dass ihre kulturelle Behauptung immer schwieriger wurde, zumal in einem Staat, in dem das staatstragende Volk der Rumänen ab 1919 die Mehrheit stellte. Für das Ziel der nationalen Selbsterhaltung musste also immer verbissener gekämpft werden.
Anhang 2: Das sächsische Volksprogramm von 1919 Der in Schäßburg am 6. November 1919 abgehaltene Volkstag der Siebenbürger Sachsen bekräftigt und wiederholt das am 8. Januar 1919 in Mediasch abgelegte feierliche Bekenntnis des sächsischen Volkes zum romänischen Staate. Er spricht beschlußmäßig aus, daß die Siebenbürger Sachsen vereint mit den Deutschen Altromäniens, des Banats, Bessarabiens, der Bukowina sowie aller anderen Gebiete Großromäniens in das politischen Leben des romänischen Staates eintreten und erwartet zuversichtlich, daß die Geschlossenheit für alle Zukunft gewahrt bleibe. Für die Neugestaltung der politischen Verhältnisse in Großromänien stellt der Volkstag der Siebenbürger Sachsen in Übereinstimmung mit dem von der Hauptleitung des Verbandes der Deutschen in Großromänien am 6. September 1919 in Temeswar beschlossenen Wahlprogramm folgende Richtpunkte auf und setzt gleichzeitig auch die Bestimmungen für die neue sächsische Volksorganisation fest: Leitsätze zur Aufklärung der bäuerlichen Bevölkerung, S. 1. Siebenbürgisches Archiv Gundelsheim (6/nicht numeriert). 1000
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Anhang 2
1. Die von der romänischen Nationalversammlung in Karlsburg am 1. Dezember 1918 gefaßten grundlegenden Beschlüsse werden in ihrer Wirkung ausgedehnt auf das gesamte Staatsgebiet. 2. Den Deutschen Großromäniens wird durch die Schaffung eines Staatsgrundgesetzes für alle Zeiten das Recht gewährleistet, sich zur Erfüllung ihrer besonderen kulturellen, nationalen und wirtschaftlichen Aufgaben politisch als einheitliche Nation frei zu organisieren. 3. Der deutschen Nation in Großromänien wird zur Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben das Recht der Besteuerung ihrer Volksgenossen zugestanden. Für die Erhebung dieser Steuern wird die Mitwirkung der staatlichen Behörden zur Verfügung gestellt. 4. Die deutsche Nation in Großromänien erhält, sowohl für sich als Gesamtheit, als auch für ihre einzelnen Glieder (Körperschaften, Vereine und Einzelpersonen), das Recht, Schulen und Bildungsanstalten jeder Art und jeden Grades frei zu errichten und die Lehrkräfte für dieselben selbst auszubilden und zu bestellen. 5. Für die Wahl zu den gesetzgebenden Körperschaften wünschen die Deutschen Großromäniens das durch die Karlsburger Beschlüsse festgelegte allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht nach nationalem Landeskataster. Ebenso wünschen sie für die Gemeinde- und Munizipalvertretung die Einführung des Listenwahlrechts nach nationalem Kataster. 6. Für die allgemeine Verwaltung und zwar für die politische Verwaltung wie auch für die Finanz- und Justizverwaltung und alle übrigen Zweige der Verwaltung wünschen die Deutschen Großromäniens die möglichste nationale Abgrenzung der Verwaltungsgebiete. Für die Munizipal- und Gemeindeverwaltung wünschen sie die Aufrechterhaltung bzw. Gewährung der vollständigen Selbstverwaltung mit dem Rechte der Wahl der Beamten durch die eigenen Vertretungskörper. Die Beamten in den Gemeinden und Munizipien werden entsprechend dem zahlenmäßigen Stärkeverhältnis der verschiedenen Völker deren Angehörigen entnommen. 7. Im Sinne der Beschlüsse von Karlsburg wird den Deutschen Großromäniens das volle Recht auf den Gebrauch ihrer deutschen Muttersprache in allen Zweigen und allen Stufen der Verwaltung und der Rechtsprechung und dementsprechend auch die pflichtgemäße Anwendung der deutschen Sprache durch die Behörden bei der Verhandlung, der Abfassung der Protokolle und der Ausfertigung der Bescheide und Urteile zugestanden. Auch wird die deutsche Muttersprache der Militärdienstleistenden im Interesse der Landesverteidigung bei den militärischen Organisationen volle Berücksichtigung finden. 8. Staatsgrundgesetzlich wird die vollkommene Rechtsgleichheit der Kirchen ausgesprochen und ihnen das Recht eingeräumt, sich auf nationaler, autonomer Grundlage zu organisieren und zwar auch auf dem Gebiete des Schulwesens.
Das neue sächsische Volksprogramm von Hans Otto Roth 1919
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9. Zur Erhaltung der deutschen Lehr- und Bildungsanstalten wird den Schulerhaltern der Steuerleistung der Deutschen Großromäniens an direkten Steuern entsprechende Teil der budgetgemäß zu Schul- und Bildungszwecken verwendeten Staatsausgaben zur Verfügung gestellt. 10. Die besonderen Wirtschaftsinteressen der neuangegliederten Gebiete werden bei der Regelung des Wirtschaftsverhältnisses zu Altromänien und bei der allgemeinen Wirtschaftspolitik des Staates volle Berücksichtigung finden. 11. Im Interesse des allgemeinen sozialen Fortschritts wünschen die Deutschen Großromäniens als Mindestmaß eine moderne soziale Gesetzgebung, die das Gebiet der Kranken-, Unfalls-, Invaliden-, Alters- und Arbeitslosenversicherung usw. zu umschließen hat. 12. Die Deutschen Romäniens wünschen, daß die neuangeschlossenen Landesteile ihre bisherige Rechtsordnung noch für längere Zeit behalten und dass diejenigen dieser Einrichtungen, die sich bewährt haben, dauernd bewahrt werden. 13. Die Deutschen Großromäniens wünschen die staatsgrundgesetzliche Festlegung der vollen Religions-, Presse-, Versammlungs-, Vereinigungs-, Lehrund Lernfreiheit, der uneingeschränkten Freizügigkeit im Besuche ausländischer Hochschulen und anderer Lernanstalten sowie des freien Gesuch- und Beschwerderechts. 14. Die Deutschen Großromäniens wünschen den freien Gebrauch der deutschen Ortsnamen in den Eingaben an alle Behörden und im Post-, Telegraphen- und Eisenbahnverkehr und deren pflichtgemäße Anwendung durch die Behörden in allen deutschen Ausfertigungen sowie bei allen amtlichen Aufschriften in den deutschen Siedlungsgebieten. Ebenso wünschen sie den freien Gebrauch der nationalen Farben, Fahnen und Abzeichen. 15. Die Gemeinschaft der Deutschen Großromäniens wird bestrebt sein, auch die außerhalb des Rahmens dieser allgemeinen Richtpunkte fallenden, besonderen Interessen jedes einzelnen Siedlungsgebietes mit vollem Nachdrucke zu vertreten. 16. Die Vertreter der Deutschen Großromäniens in Kammer und Senat schließen sich zu einem gemeinsamen Verband zusammen. Die Zusammenarbeit mit anderen Parlamentsparteien ist nur dann möglich, wenn diese Parteien auf dem Boden der Karlsburger Beschlüsse stehen. 17. Es ist Pflicht der deutsch-sächsischen Abgeordneten und Senatoren weiterhin der auf dem Boden der hier niedergelegten Richtpunkte stehenden Reichstagswähler und der von ihnen bestellten Kreisausschüsse, sowie überhaupt aller derjenigen, die zu ihrer Verwirklichung im privaten und öffentlichen Leben, insbesondere in Vereinen, in kirchlichen Gemeindeund Munizipalvertretungen berufen sind, die Erreichung dieser Ziele nach Möglichkeit anzustreben und zu fördern.
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Anhang 2
18. Mit der Förderung und Erfüllung der Aufgaben dieser Richtpunkte betrat der Volkstag der Sachsen den „Deutsch-sächsischen Volksrat für Siebenbürgen“ als die höchste Vertretung des sächsischen Volkes. Der Volksrat ist gleichzeitig die in den Satzungen des „Verbandes der Deutschen in Großromänien“ vorgesehene deutsch-sächsische Gauversammlung für Siebenbürgen. 19. Die Mitglieder des Volksrates sind teils gewählte Mitglieder, teils solche von Amtswegen. Die gewählten Mitglieder werden von den Kreisausschüssen entsandt. [Es folgt Vertretungsschlüssel.] Mitglieder von Amtswegen sind die deutsch-sächsischen Abgeordneten und Senatoren, die auf dem Boden dieser Richtpunkte stehen, sowie der Hauptanwalt des Volksrates. [Es folgen Besimmungen über Ersatzmitglieder.] 20. Solange die Frauen das Wahlrecht für die gesetzgebenden Körperschaften nicht haben, ist jeder Kreisausschuß berechtigt, in den Volksrat eine Frau mit beratender Stimme zu entsenden. Gleichzeitig wird in den Volksrat auch eine Frau als beratendes Ersatzmitglied gewählt, die aber nur dann das Recht hat, an den Sitzungen teilzunehmen, wenn das ordentliche Mitglied mit beratender Stimme am Erscheinen verhindert ist. 21. Die Vollmachtsdauer des Volksrates füllt mit der Vollmachtsdauer der gesetzgebenden Körperschaften zusammen, kann aber fünf Jahre nicht übersteigen. Die Abgeordneten und Senatoren jedoch bleiben bis zur Durchführung der Neuwahlen für die gesetzgebenden Körperschaften auch weiter vollberechtigte Mitglieder des neugewählten Volksrates. 22. Der Volksrat wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden, zwei stellvertretende Vorsitzende und einen Zahlmeister. 23. [Bestimmungen zum Zusammentritt des Volksrates.] 24. Die Obliegenheiten des Volksrates sind folgende: a) Stellungnahme und Entscheidung in bedeutenden politischen und allen anderen Volksfragen; b) Sorge für die Bestellung von Kreisausschüssen durch die auf dem Boden dieser Richtpunkte stehenden Reichstagswähler; c) Begutachtung der von irgend einem der Kreisausschüsse beantragten Änderung des Volksprogrammes für den Sachsentag; d) Stellung selbständiger Anträge an den Sachsentag; e) Einberufung des Sachsentages, sobald diese von der Mehrheit der Mitglieder des Volksrates oder von mindestens 3 Kreisausschüssen verlangt wird, f ) Entsendung der gewählten Mitglieder in den Vollzugsausschuß; g) Wahl des Hauptanwaltes (Generalsekretärs) des Volksrates; h)Beschlussfassung über die Beschaffung und Verwendung der zur Führung der Geschäfte des Volksrates notwendigen Geldmittel; i) Überprüfung der Geldgebarung und Beschlussfassung über die Entlastung; j) Festsetzung seiner Geschäftsordnung. 25. Die Kreise werden durch die Kreisausschüsse vertreten, deren Mitglieder von den dem Reichswahlgesetz nach Wahlberechtigten deutsch-sächsischer Volkszugehörigkeit in unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt werden. Die Kreisausschüsse bestimmen die Zahl ihrer Mitglieder selbst und zwar so,
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daß die Vertretung der einzelnen Gemeinden deren deutsch-sächsischer Bevölkerungszahl zu entsprechen hat. […] 26. Die Vollmachtsdauer der Kreisausschüsse fällt mit der Vollmachtsdauer der gesetzgebenden Körperschaften zusammen, kann aber 5 Jahre nicht überschreiten. 27. In jeder Stadt oder Gemeinde mit deutsch-sächsischer Bevölkerung wird ein Ortsausschuß gebildet, dessen Mitglieder von den dem Reichswahlgesetz nach Wahlberechtigten deutsch-sächsischer Volkszugehörigkeit in unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt werden. Die Vollmachtsdauer und Mitgliederzahl der Ortsausschüsse wird von den Gemeinden selbst bestimmt. […] 28. Die politischen Geschäfte des Volksrates führt der Vollzugsausschuß. […] Die Anzahl der gewählten Mitglieder ist 18. Sie werden vom Volksrat aus seiner Mitte entsandt, wobei nach Möglichkeit jeder Kreisausschuß Berücksichtigung finden soll. […] 29. Der Sachsentag tritt zusammen, so oft es der Volksrat1001 für notwendig hält. Er muß auch dann einberufen werden, wenn es von mindestens 3 Kreisausschüssen gewünscht wird. Seine Aufgabe ist die Feststellung und Abänderung des Volksprogrammes. 30. [Bestimmungen zur Beschickung des Sachsentages.] 31. Die Durchführung der Neuorganisation, die bis spätestens 1. Januar 1920 zu erfolgen hat, obliegt dem bisherigen sächsischen Zentralausschuß und den bisherigen Kreisausschüssen. Bis zu diesem Zeitpunkt werden die Geschäfte von der gegenwärtigen Organisation weitergeführt. 32. Die Geldmittel zur Führung der politischen Geschäfte des Volksrates werden durch eine Volkssteuer beschafft, die durch die Kreisausschüsse einzuheben ist.
Anhang 3: Das Bistritzer Programm der Einheitsbewegung „Unser Volk ist in höchster Not. Seine Aussenfront wird von zielbewussten Kräften schonungslos bestürmt, sein Lebensraum von Tag zu Tag mehr eingeengt, in Jahrhunderten geschaffene und ruhmvoll verteidigte Stellungen drohen wankend zu werden. In den eigenen Reihen hat der Parteigedanke hassverzerrt sein Haupt erhoben. Er droht in völliger Verkennung unserer politischen und wirtschaftlichen Daseinsgrundlagen das alterprobte Einheitsbewusstsein unseres Kolonistenvolkes zu zerspalten und unserer völkischen Widerstandskraft allmählich den Rückhalt zu nehmen.
In der Estveröffentlichung von 1919 versehentlich „Volkstag“.
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Anhang 3
In dieser Stunde höchster Verantwortung vor der Geschichte geht ein Erwachen durch unser Volk. Bauern und Bürger lehnen sich gegen die Verirrungen blinder Parteiherrschaft auf. Die Einheitsbewegung für Volkstum, Glauben und Heimat wogt machtvoll durch alle Gaue und ruft die Gewissen zur Abwehr vom Parteitreiben und zur Wiederaufrichtung der ewigen Gesetze unseres völkischen Daseinskampfes. Sie reisst die Schranken nieder, die der Parteigeist zwischen Brüdern und Volksgenossen aufgerichtet hat und schafft, einem leuchtenden Beispiel folgend, die überparteiliche deutsche Front. Das höchste und letzte Ziel der Einheitsbewegung ist die Wiederherstellung der gestörten Einheit unseres Volkes. Ihr gehört jeder Volksgenosse an, der sich in Tat und Gesinnung zum Wahlspruch bekennt: „Ich bin ein Deutscher. Ich reisse mich los von allem, was Partei heisst, und kenne nur noch eine Parole: unser Deutschtum!“ Getreu dem sächsischen Volksprogramm vom 1. Oktober 1933, das die Wahrung von Stammeseigenart und Volksgemeinschaft der Siebenbürger Sachsen als Glied und Unterbau der politischen Einheit aller Deutschen in Rumänien gebietet, werden alle sächsischen Volksgenossen zur Befolgung der nachfolgenden Richtlinien aufgerufen, die eine wahrhafte Erfüllung des neuen Volksprogrammes gewährleisten werden: 1. Die Einheitsbewegung will die Zusammenfassung aller aufbauenden Kräfte unseres Volkes, um die politische und geistige Einheit der siebenbürgisch-sächsischen Volksgemeinschaft wieder aufzurichten. Sie will alles Trennende innerhalb dieser Gemeinschaft überwinden und bekämpft jeden Versuch, Teile dieser Gemeinschaft parteimäßig abzuspalten. Die geschichtlich gewordene Einheit des Sachsenvolkes soll im Rahmen der deutschen Volksgemeinschaft in Rumänien für die geistige und kulturelle Einheit des gesamten deutschen Volkes weiterwirken. 2. Die Einheitsbewegung will die innere Erneuerung der sächsischen Gemeinschaft auf dem Grund geschichtlicher Überlieferung im Geiste der Einheitsbewegung des grossen deutschen Volkes auf nationalem und sozialem Gebiet im Wege friedlicher und überzeugungmäßiger Durchdringung jedes Volksgenossen verwirklichen. Sie bekämpft alle parteimässigen Äusserlichkeiten, die nur scheinbar dem Einheitsgedanken dienen, in Wirklichkeit aber die Einheit gefährden. 3. Die Einheitsbewegung will eine bodenständige, die Gegebenheiten der politischen Umwelt beachtende Volkspolitik, deren oberstes Ziel die Erhaltung und Mehrung des völkischen Lebensraumes ist und bleibt. 4. Die Einheitsbewegung strebt nach Wiederherstellung einer schlagkräftigen Volksorganisation, die eine sinnvolle Arbeitsverteilung gewährleistet, sämtliche Volksgenossen zur Gemeinschaftsarbeit heranzieht, und durch das Recht der freien Meinungsäusserrung in allen Körperschaften die innere Verbundenheit jedes Volksgenossen mit der Gemeinschaft auf die unerschütterliche Grundlage ehrlicher Überzeugung stellt. 5. Die Einheitsbewegung bewertet den Volksgenossen nach seiner Fähigkeit und seinen Leistungen im Dienste der Gemeinschaft. Sie erstrebt die Führerauslese nach
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diesem Grundsatz und bekämpft jede Anmassung von Führerrechten, die auf dem Wege der Agitation und der Volksverhetzung geltend gemacht werden. Die Zusammenfassung der völkischen Körperschaften hat derart zu erfolgen, dass darin alle Volkskreise durch ihre nach Gesinnung und Leistung würdigsten Männer vertreten sind. 6. Die Einheitsbewegung will, dass jeder einzelne Volksgenosse sich für das Wohl seines Volkes und für jede seiner Handlungen verantwortlich fühle. Innerhalb der Volksorganisation wird der Grundsatz der Verantwortlichkeit insbesondere für alle Ehren- und Führerstellen aufgestellt. 7. Die Einheitsbewegung will für die Wiederherstellung der Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit im Gemeinschaftsleben wirken und kämpfen. Sie will aus den öffentlichen Auseinandersetzungen alle parteitaktischen Verdrehungen und Verleumdungen des völkischen Meinungsgegners ausschalten. Sie will das alle Volksgenossen verbindende gemeinsame Gedankengut wieder zu Ehren bringen, die gegenseitige Achtung der Volksgenossen wiederherstellen und jede leichtfertige Untergrabung von Würde und Ansehen bekämpfen, die durch Amt und Leistung erworben wurden. 8. Die Einheitsbewegung sieht als oberste Aufgabe der praktischen Politik die Schaffung von Brot und Arbeit an. Kein ehrenhafter Volksgenosse darf hungern, kein ehrenhafter Volksgenosse darf frieren! Unsere Kirche und unsere überlieferte Kulturrüstung ist um den Preis der letzten und grössten Opfer jedes Einzelnen zu erhalten. Die völkische Gesinnung aller Volksgenossen ist durch ständige und systematische Volkserziehung zu vertiefen und lebendig zu machen. 9. Die Einheitsbewegung betrachtet es als die oberste Pflicht des Volksgenossen, die ihm zufallende Berufsarbeit vorbildlich zu erfüllen und die Sorge für sich und seine Familie nicht der Gemeinschaft aufzubürden. Überdies wird von jedem Volksgenossen die Leistung vollwertiger ehrenamtlicher Arbeit gefordert. 10. Die Einheitsbewegung sieht in dem Bauernstand den ewigen Lebensquell unseres Volkes. Seine Arbeit sowie die Arbeit jedes werktätigen Volksgenossen verdient die volle Achtung der Gemeinschaft. Die völkische Wirtschaftspolitik hat die Aufgabe, dafür zu wirken, dass jeder schaffenden Arbeit der grösstmögliche Ertrag gesichert werde, und dass ein gesunder Gewerbe- und Handelsstand und eine auf dem sächsischen Volksboden ruhende, ausgreifende Industrie den für unser Volk notwendigen Lebensraum erhalte und erweitere. Die gesamte Wirtschaft aber steht in besonderem Maße unter dem eisernen Gebot der Pflichterfüllung gegenüber der Gemeinschaft. 11. Die Einheitsbewegung setzt sich für sorgfältige charakterliche, gesinnungsmäßige und fachliche Erziehung unserer Jugend ein. Der körperlichen Ertüchtigung soll dabei besonders Aufmerksamkeit zugewendet werden. Die Einheitsbewegung will eine strenge Auslese des zu geistigen Berufen geeigneten Nachwuchses herbeiführen und die Vermehrung des geistigen Proletariates unter uns mit aller Entschiedenheit bekämpfen.
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Anhang 4
12. Die Einheitsbewegung will die Verblendung breiter Volksschichten durch gewissenhafte Förderung der im Volksprogramm vorgesehenen sozialen Aufgaben verhindern. Dabei soll die Vermehrung unseres Volkes verständige Förderung erfahren. Insbesondere ist der Stand der sächsischen Arbeiterschaft in jeder Beziehung zu stützen und zu stärken, die Arbeitslosenhilfe, die Armen- und Krankenpflege sowie die Altersversorgung auszubauen. 13. Die Einheitsbewegung setzt sich für den Ausbau des Genossenschaftswesens in Landwirtschaft und Gewerbe ein. 14. Die Einheitsbewegung will die bestehenden Berufsorganisationen ausgestalten und mit neuem Leben erfüllen, dabei aber jede Kräftezersplitterung vermeiden. 15. Die Einheitsbewegung will sich für den Neuaufbau der völkischen Kreditorganisationen einsetzen, der Sparsinn wieder wecken und den Kredit als unentbehrliche Funktion einer wahrhaft völkischen Wirtschaft neu aufrichten. 16. Die Einheitsbewegung sieht die tiefste Kraftquelle unseres Volkes in der Opferbereitschaft aller sächsischen Menschen, in der Vertiefung religiösen Bekenntnisses, in der Wahrung sittlicher Lebenshaltung, in der Neubegründung des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen und privaten Leben und vor allem in dem Bekenntnis zur Gemeinschaft durch Arbeit, Leistung und Tat! So wahr uns Gott helfe!“1002
Anhang 4: Predigt von Bischofsvikar Friedrich Müller, Trinitatis 1942 Wovon und wozu befreit Christus? Textwort: Joh. 8, 31–47 Andächtige Gemeinde! Ich hätte nicht gewagt, die verlesene Textstelle gerade in der heutigen Lage auszuwählen, wenn nicht die Perikopeneinteilung sie mir eben für diesen Sonntag nahegelegt hätte. Denn diese Stelle ist so unerhört aktuell, als wäre, was sie uns zu sagen hat, eben zur Durchleuchtung der gewaltigen Geschehnisse aufgezeichnet worden, die wir heute in atemberaubender Spannung durchleben. Darin zeigt sich der Offenbarungsgehalt der Bibel, dass Worte, die erstmals in scheinbar ganz andere Verhältnisse hinein erklangen, immer wieder solche Wahrheitskraft bewahren, dass sie uns auch in Politischer Nachlass HOR/Quelle 247: 6. April 1934: Das Bistritzer Programm der Einheitsbewegung in SDT Nr. 18293. 1002
Predigt von Bischofsvikar Friedrich Müller, Trinitatis 1942
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dunkelsten Tagen die verhülltesten Wege aufdecken, – sofern wir Gott bitten, durch den Heiligen Geist uns ihren Sinn aufleuchten zu lassen. Dieses unterscheidet die Wahrheit aus Gott von dem, was Menschen von sich aus an Wahrheit finden können, – dass Gottes Wort, möge es auch in noch so brüchigem Gefäss menschlicher Rede zu uns kommen, nie veraltet und nie unwirksam wird, – während Worte menschlichen Wahrheitsfindens ihre Zeit haben und mit ihr vergehen. Mit dieser Ehrfurcht vor der Wahrheit aus Gott müssen wir unseren heutigen Text ansehen, wenn wir in seinem Licht plötzlich und erschüttert das unvorstellbar unheimliche Ereignis des Bolschewismus und seines Zusammenbruchs als das erkennen, was es ist: als die grundsätzliche Abwendung von Gott und die daraus kommenden Folgen eines Gerichtes Gottes in einem in der Geschichte noch niemals erfahrenen Ausmass. Die Tragik zweier Völker erschliesst sich dabei unseren Augen. 1. Das eine ist das jüdische, dessen massgebliche Rolle in den heutigen Weltereignissen, besonders auch in der Gestaltung und im Einsatz des Bolschewismus ja niemandem, der sehen will, noch ein Geheimnis ist. Wo liegt der Grund, dass dieses verhältnismässig kleine Volk so unsäglich viel Unheil heraufbeschwören konnte und kann, trotzdem es dabei selbst immer wieder durch die fürchterlichsten Lagen hindurch muss? Dieser Grund ist in unserer heutigen Textstelle aufgedeckt. Als die Führung der Juden den Entschluss fasste, Jesus zu töten und ihr Volk sich mit einer Art Besessenheit dafür bereit machte, die im Hass gegen alle Christen immer wieder und heute besonders verheerend zutage tritt, – da trennte sich dieses Volk von der Wahrheit aus Gott. Denn Jesus Christus ist die Wahrheit Gottes und wird sie für alle Zeiten bleiben. Mögen sich mit den Juden noch so viele darüber ärgern, es ist so und wird so sein. Wer sich gegen diese Wahrheit stellt, wählt das Verderben; sei er noch so gewaltig und nahe es ihm noch so langsam, es wird ihn einmal stürzen. Wer sich zu dieser Wahrheit hält, findet den Weg zur Hilfe Gottes; möge er durch noch so dunkle Kreuzesgänge hindurchmüssen, er bricht immer wieder hindurch in das Licht eines gottgetragenen Lebens, – eines Lebens voller Segenskräfte, für die auch der Sinnentod keine Grenze setzt, weil sie von der Auferstehungsherrlichkeit immer wieder niedergelegt wird. Was der Einzelne in der Glaubensführung mit Christus erfahren kann, wenn er sich ihm wirklich hingibt, das steigert sich in seinen Wirkungen am Leben jedes Volkes, das sich unter Christus stellt. Denn die Erfahrungen der Einzelnen vergehen mit ihrem kurzen Leben, während die Erfahrungen der Völker sich in die Jahrtausende abschatten. So sollen wir uns auch den Verderbensfluch, der über dem jüdischen Volk lastet und mit ihm durch die Jahrtausende geht, zur Warnung dienen lassen. Warum kam es unter diesen Fluch? Unser Text sagt es uns. Es missdeutete die Verheissungen, die einst sein Urvater Abraham erhalten hatte. Er war Gottes Ruf gefolgt und hatte sich von verderblichen Gottesvorstellungen losgesagt, – darum
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Anhang 4
wurde er der Mann der Verheissung! Sie aber waren neuerdings verderblichen Gottesvorstellungen erlegen. Und als Gott sie durch Jesus daraus herausrief, folgten sie diesem Gottesruf nicht nur nicht, sondern beschlossen, Jesus zu töten, um auf ihrem Wege bleiben zu können. Wodurch unterschied sich dieser ihr Weg vom Weg Abrahams und von dem Weg Jesu? Hier müssen wir gut achten, denn das trifft auch den Kern unserer Lage! In unsere Sprache und Denkvorstellungen übersetzt ist dieses der Unterschied: Jesus und alle seine wahrhaft prophetischen Vorbereiter – von Abraham her – vertrauten sich Gott an, ohne ihm Vorschriften machen zu wollen, wie er sie führen solle; Jesus nahm auch die Verlorenheit am Kreuz in voller Hingabe des Sohnes aus Gott-Vaters Führung an. Die Juden aber legten sich Gottes Verheissungen nach ihren Wünschen zurecht, massten sich an, Gott stehe und falle mit ihnen, da sie das auserwählte Volk seien. Ja, sie waren überzeugt, dass sie ihn zwingen könnten, nach ihren Wünschen zu handeln, wenn sie in ihrem Gesetzesdienst nur genau nach ihrer Auslegung seiner Verheissungen vorgingen. Das meinten sie, wenn sie Jesus entgegen halten: Sie seien Abrahams Nachkommen und darum ein freies, von Gott zum Segen bestimmtes Volk. Da eröffnet ihnen Jesus ihr ganzes kommendes Verderbensschicksaal, das seither in bald zwei Jahrtausenden vor aller Augen abgelaufen ist: Fern von Gott werdet ihr in Unfreiheit über die Erde wandern! So können wir den Satz „Wer Sünde tut, ist der Sünde Knecht“, in unsere Vorstellungen übertragen. Denn Sünde ist Getrenntheit von Gott, und was wir gewöhnlich Sünden nennen, sind die Folgen daraus, die sündigen Handlungen des gegen Gottes Willen ausgerichteten Menschen. So wird uns der ganze Weg der Juden, seit sie Jesus ans Kreuz brachten, zu einer einzigen grossen Warnung. Lassen wir uns auf den Weg Jesu bringen, in seinem Vertrauen, in seine Hingabe, damit wir in die Wahrheit Gottes kommen. Hüten wir uns davor, uns überheblichen Vorstellungen auf Gott oder gar gegen Gott hinzugeben, Gott zwingen oder gar gegen Gott uns, nach unseren Kräften, durchsetzen zu wollen. Denn alles solches führt uns in die Geschiedenheit von Gott, und dann gilt: „Wer Sünde tut ist der Sünde Knecht.“ 2. Wohin eigenwilliges Zwingenwollen Gottes durch die Menschen führt, erfahren wir besonders erschütternd an der Tragik des russischen Volkes. Wodurch ward dieses grosse Volk so leicht zur Beute des jüdischen Marxismus in seiner asiatischen Fortbildung zum Bolschewismus? Denn darüber sollen wir uns klar sein, dass die Religionslehre der Narr nur die äusserste Konsequenz des jüdischen Abweges ist. Wer sich angemasst hat, Gott durch seinen Gesetzesdienst zwingen zu können, kann auch dahin fortschreiten zu sagen: Nun versuche ich es einmal ohne Gott. Von der Selbstüberhöhung und Besessenheit der Juden war das zu erwarten. Aber wie kamen die Russen bis dahin? Zwei entgegengesetzte Wege menschlicher Vermessenheit haben sie dahin gebracht. Den einen ging ihre stärkste geschichtliche Persönlichkeit,
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Peter der Grosse. Er hatte die Ordnungskräfte des Staates mit wahrer Besessenheit aufgegriffen, um sein Volk zu einer geschichtlichen Rolle heraufzuführen, die es nach seiner Zahl und Grösse verdiente. Aber er vertraute nicht, dass Gott reifen lassen könne, was er seinem Volk durch ihn geschenkt hatte. Darum bemächtigte er sich der Kirche und zwang sie in ein sklavisches Dienertum am Staat und Zarentum hinein. So sollte Gott gleichsam genötigt werden, der Schöpfung Peters des Grossen Ewigkeit zu verleihen. In Wirklichkeit hat Peter der Grosse durch diesen Missbrauch der christlichen Kirche sie ihrer wirklichen Aufgabe entfremdet, dem Volk von der Wahrheit Gottes zu zeugen. Von dem Satz Jesus „Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, ward hier der zweite, entscheidende Teil gestrichen. So ging das Zarentum seinen Weg ins sichere Verderben. Das ist im russischen Volk von Anfang an lebhaft empfunden worden. Aber die Träger der christlichen Gegenbewegung fanden den Weg in die Wahrheit aus Gott auch nicht. Sie gerieten ganz in schwarmgeistige Träumereien, wodurch gleichfalls menschliche Wünsche die Hingabe an Gott verdunkelten. Es ist nicht bekannt, dass der russische Kommunismus tiefer verankert ist als im jüdischen Marxismus. Weil man das nicht wusste, hat man weiterhin nicht geahnt, dass seine Widerstandskräfte so gross sein könnten, wie sie sich heute tatsächlich zeigen. Woher kommen sie? Jene religiösen Träumer, die die Gesellschaft gegen Peters zaristische Kirche an sich rissen, verachteten die Ordnungskräfte des Staates. Sie ließen die biblische Sicht vom Menschen, dass er von Natur böse sei, nicht gelten. Darum leugneten sie die Notwendigkeit eines starken Staates, der den Bösen wehre, – verbreiteten vielmehr die glühende Sehnsucht: Man solle die Menschen in freier Glaubensschwärmerei zueinander finden lassen; hier haben die vielfarbige anarchronistischen und liebeskommunistischen [sic!] Strömungen des Russentums ihre Wurzel. Da strich man von dem Satz Jesu: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, den ersten Teil. Es konnte nicht ausbleiben, dass die wahre Natur des Menschen solche Schwärmereien Lügen strafte, dass diese anarchronistischen und liebeskommunistischen [sic!] Träumereien in der russischen Revolution rasch entlarvt wurden, – dass die durch die geweckten Strömungen als Beute des jüdischen Marxismus in seiner asiatischen Form des Bolschewismus endeten. So haben zwei entgegengesetzte Wege, Christus zwingen zu wollen, dass er menschlichen Wünschen dienstbar werde, eben dahin geführt, dass die einmal so lebendige russischen Christlichkeit in Gegenchristlichkeit umschlug. Christus zieht sich zurück, wo man die in ihm zu uns kommende Wahrheit aus Gott durch eine von Menschen ausgehende Wahrheitsfindung ersetzen will. Er lässt sich dann in seinem Rest von getreue Gefolgen neu kreuzigen, wie es in Russland ja in unvorstellbarem Ausmasse geschehen ist. Aber wehe denen, die sich in solche Besessenheit hineinreissen lassen, dass sie den Sohn Gottes auch nur in seinen treuen Gefolgen kreuzigen lassen. Zweierlei tritt in der russischen Passion deutlich zutage, was uns unser Text als Folge solcher Selbstüberschätzung gegen Gottes Offenbarungswillen voraussagt.
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Anhang 4
Das Eine ist die Tatsache der verlorenen Freiheit. Wenn man beim jüdischen Volk noch von einer einmaligen Ausnahme sprechen und damit die Warnung in den Wind schlagen möchte, – die Wiederholung am russischen Volk, das das größte Wohngebiet unter allen Völkern innehat, ist unübersehbar. Die Entchristlichung des russischen Volkes ist mit seiner unvorstellbar vollständigen Versklavung verbunden gewesen, und das in der kurzen Spanne von zwei Jahrzehnten! Wer daran nicht sehen will, dass die Befreiung der europäischen Völker in ihrer christlichen Aera eben eine Folge ihrer allmählich voranschreitenden Verchristlichung war, – ist einfach verblendet und verleugnet die Wirklichkeit. Aber von dieser Verblendung will er nichts wissen wie der besessene bolschewistische Mensch von seiner Besessenheit nichts merkt. Das Zweite, was unser Text an der russischen Passion erschütternd deutlich hervortreten lässt, ist nämlich diese Besessenheit des gottlosen Menschen. Seht die Bilder von typisch bolschewistischen Vertretern der roten Wehrmacht, insbesondere von ihren Kommissaren wie sie jetzt in Bildzeitschriften wiedergegeben werden, an. Lasst euch von Weltkriegssoldaten erzählen, wie der russische Soldat damals war und vergleicht, was die heutigen Kämpfer gegen die rote Wehrmacht über die Art und Haltung der wirklich kommunistischen Rotgardisten zu berichten wissen. Dann erkennt ihr, wie mit denjenigen Menschen, die sich vom Bolschewismus ergreifen ließen, etwas so Unheimliches vor sich gegangen ist, dass man ihren Zustand noch nur als Besessenheit verstehen kann. Was uns das neue Testament über Besessenheit sagt, wird uns dadurch in einem Sinne anschaulich, den man sich im 19. Jahrhundert selbst verstellt hat, indem man die Besessenheit als bloße krankhafte Verrücktheit zu deuten versuchte. In unserem Text sagt uns Jesus, worum es da im Letzten geht. Er nennt die Juden, die den Beschluss zu seiner Tötung gefasst haben, Kinder des Satans. Sie fassen das leiblich-physisch auf und berufen sich auf ihre Abstammung von Abraham. Jesus meint es aber anders: Unabhängig von der natürlichen Erbmasse, die er hier nicht im Auge hat, stehen wir in einem Zusammenhang: entweder mit Gott oder mit widergöttlichen Mächtigkeiten. Wer sich von Gott entfernt, tritt in das Kraftbereich [sic!] dieses seines Gegenlagers; eine neutrale Haltung zwischen den Forderungen Gottes und den listigen Anliegen seines Gegenspielers, wie die „aufgeklärten“ Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts sie anstrebten, ist einfach nicht möglich. Jesus bekräftigt damit übrigens eine Auffassung, die in klarsten Ahnungen gerade bei den Ariern aufgebrochen ist. Aber über das, was sie ahnten, hinaus, bringt er auch die Erlösung aus den Banden dieses Gegenreiches gegen Gottes Reich. Er bringt sie denjenigen, die sich erlösen lassen, die sich durch Jesus in die Wahrheit aus Gott, in die unbedingte, vertrauensvolle Hingabe an den Schöpfer und Herrn alles Lebens bringen lassen, so dass er auch in der neuen Schöpfung, in der Wiedergeburt aus dem Geist, ihr Vater wird. Und er bereitet auch all’ den anderen Bewahrung vor den Anschl…gen der widergöttlichen Macht, die sich an seine Zeugen halten und warten können, bis auch für sie die Erlösungsstunde schlägt. Wer das einmal im Glauben erfährt, der weiss, dass es in der Freiheit und Unfreiheit der Menschen über das hinaus, was die in den Völkern zur Führung Berufenen an Freiheit erstreiten und
Predigt von Bischofsvikar Friedrich Müller, Trinitatis 1942
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durch Ordnung festigen können, noch etwas gibt, was entscheidend, aber dem menschlichen Zugriff entzogen ist. Der lebt dann aus der Gewissheit, dass Christus allein uns wirklich frei machen kann, – zu einer Freiheit, die unzerstörbar bleibt, auch wenn uns besessene Menschen, wie es in Russland geschah, äusserlich die ärgsten Sklavenketten anlegen. Diese von Christus befreiten Glaubenszeugen im bisher bolschewistischen Reich wird man hinter dem Kriegsgeschehen erst dann recht sehen und einschätzen lernen, wenn man nach dem Niederbruch des Bolschewismus die wahrhaft gemeinschaftsfähigen Kräfte suchen wird. Wer dort nicht zu ihnen gehört hat, wusste nichts von Freiheit, und wenn er noch so viel Macht ausüben konnte. Da wurde es klar, dass, wer sich von Gott trennt, auch unter den Menschen in Unfreiheit gerät, weil der der Besessenheit des gottwidrigen Kraftfeldes anheimfällt: „Wer Sünde tut, ist der Sünde Knecht.“ 3. Liebe Brüder und Schwestern! Als deutsche Menschen und Christen stehen wir vor diesem erschütternden Geschehen des gewaltigsten Gottesgerichtes, das auf der Erde sich zugetragen hat. Und das „Heil Hitler“ wird gerade uns Christen in diesen Tagen zum Gebet. Hier handelt der Führer ganz gewiss als Gottes Werkzeug. Aber weil es Gottes Gericht ist, das sich mit um und durch uns vollzieht, müssen wir auch auf Gottes Barmherzigkeit warten können, die immer hinter dem Gericht auf unsere empfänglichen Herzen zukommt. Durchs Gericht hindurch naht sie uns. Für die Dauer aber kommt sie nur zu jenen, die darauf verzichten, Gott zwingen zu wollen, vielmehr in Geduld ausharren können, bis seine Segnungsstunde, durch Standhaftigkeit in seiner Führung hindurch, heranreift. Hier steht das deutsche Volk heute in grossen Versuchungen. Die Bestrebungen gegen die Kirche und das Christentum sind ein klares Zeichen dafür. Auch der deutschen Christenheit bleibt der Kreuzesweg nicht erspart. Sie geht ihn für den Weg der wahren Freiheit in einer besseren Zukunft des deutschen Volkes. Heil ihm, wenn es auch den Versuchungen erliegt, Gott zwingen zu wollen. Wir sind durch das in so deutlichen Geschichtsführungen anschaulich gewordene Wort Jesu gewarnt. Halten wir uns daran: „Wer Sünde tut ist der Sünde Knecht.“1003
1003 Z.K. 809/1947: Beilage 3 zur Disziplinar-Selbstanzeige: Wovon und wozu befreit Christus? Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis 1941 von Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller. Textwort Joh. 8, 31–47.
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Anhang 5
Anhang 5: Hans Otto Roth bei Wilhelm Deppner Ansprache Dr. Hans Otto Roths zum 70. Geburtstag Dr. Wilhelm Depners am 24. Oktober 1943 Lieber Freund! Neben Frau und Kind und neben Deinem ärztlichen Beruf hast du während Deines ganzen Lebens noch eine – ich darf wohl sagen – glückliche Liebe gehabt: die Politik. Warum eigentlich? Bist Du ein zünftiger Politiker wie ich und wie andere „böse Menschen“? Nein! Du bist das, was man einen wahrhaften Volksmann nennt, warmes Herzblut und fleischgewordenes Gewissen unseres Volkes, herausgewachsen aus dem herrlichen Heimatboden des Burzenlandes, wo jeder neue Tag und jeder neue Sonnenstrahl – man sehe nur den leuchtenden Herbsttag draußen – uns zuraunt: Bleib, verweile, – so alles so naturhaft, so schön und so echt ist. „Auf deser Ierd, do äs e Land, si hiesch äs nichen andert; ech sient mich änj no äm zeräck, wä ech de Wält durchwandert!“ Wie schön war es doch, ein Sachs noch zu sein. Erinnerst Du Dich noch daran, lieber Freund? Blau und rot – treu und blutgebunden! Das war „Rasse“ deutschester Prägung und nicht ein Gattungsbegriff wie es der Begriff des „Volksdeutschen“ aus dem Jedermannsland ist. Die Beziehung zum größeren deutschen Volk muss auch durch das Herz gehen, wenn sie groß und stark und echt sein soll. Das Herz aber schlägt zu Hause bei Vater und Mutter, dort, wo die Wiege stand, dort, wo uns Gott dieser Welt übergab. Siebenbürger Sachse sein, mit brennendem, sehnendem, suchendem Herzen nach allem, was wahrhaft deutsch ist, so war es, so muss es sein, und – so wird es wieder sein! Du aber, lieber Freund, bist ein heimatgebundener Siebenbürger Sachse und kein Allerweltsdeutscher, der sich in unbegreiflicher Verblendung selbst des Heimatidioms entäußert. Hinter der rauhen Schale Deines Wesens verbirgt sich ein weiches, gütiges Herz, das wir alle kennen, Deine Kinder, Deine Patienten und Deine Freunde. Ich will nicht lange schöntun, denn das verträg[s]t Du nicht. Aber ich will Dir aus ganzem Herzen Glück wünschen für jetzt und noch für lange Jahre und will Dir im Namen Deiner Freunde und – wenn im Moment auch ohne Auftrag – im Namen unseres ganzen Volkes aus tiefstem Herzen danken für die tapfere und aufrechte Art, mit der Du deutsches Volkstum hier im Burzenland und weit darüber hinaus durch ein Menschenalter geführt hast. Die Geschichte wird Dich einst als historische Gestalt sehen, so wie Du unter Deinen Freunden schon heute als tragende Säule im Zeitgeschehen dastehst. Selbst Deine Gegner von einst haben anerkannt, dass Du ein ganzer Mann bist. Was aber kann über einen Menschen Ehrenderes gesagt werden, als dass jeder Zoll an ihm ein Mann ist? Wenn Deine Gegner Dir manchmal nahegetreten sind, so durftest Du Dich an das Wort des ritterlichen Prinzen Eugen halten,
Rede von Hans Otto Roth zur Einführung Bischof Müllers
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der mit Gleichmut gesagt hat: „Wer seine Pflicht tut, ist erhaben über jede Verfolgung der Kritik, der alle Menschen ausgesetzt sind“. Und nun, liebe Freunde, möchte ich Wünsche für die Gegenwart und für die Zukunft unseres Volkes aussprechen, Wünsche, die zunächst nur meine persönlichen Wünsche und diejenigen meiner nächsten Freunde sind, von denen ich aber überzeugt bin, dass sie zugleich auch die unausgesprochenen Wünsche des größten Teiles unseres Volkes sind. Wir wünschen, dass die Wahrheit bei uns wieder zu ihrem Recht komme; wir wünschen, dass die Ehre wieder geschützt werde; wir wünschen, dass das verantwortungsbewusste Manneswort wieder gehört werde; wir wünschen, dass der Glaube wieder geachtet werde; wir wünschen, dass die Ehrfurcht vor der Vergangenheit, vor Vater und Mutter und vor Gott wieder oberstes Gebot werde; wir wünschen, dass uns wieder die Weisheit der Väter erfülle, neben aller Tapferkeit – auch klug und umsichtig zu sein; wir wünschen, mit dem staatsführenden Volk in Freundschaft und im Verhältnis gegenseitiger Wertschätzung zu leben; wir wünschen, wieder ein einig Volk zu sein, wo „keiner Herr und keiner Knecht“; wir wünschen in tiefster Erregung und in stärkstem Glauben zugleich, dass wir die geliebte siebenbürgische Heimat nicht verlieren; und endlich: wir wünschen mit der ganzen Inbrunst unseres Herzens, dass der menschenmordende Krieg ein heilbringendes Ende für unser geliebtes deutsches Volk finden möge: Was ich gesagt habe, ist Dir aus der Seele gesprochen. Dein Herz ist unser Herz, und Dein heißer Atem ist unser aller Lebensatem. Möge Gott unsere Wünsche erhören und Dir, lieber Freund, und unserem sächsischen Volk und dem großen deutschen Volk eine schöne und lebenswerte Zukunft schenken!1004
Anhang 6: Rede von Hans Otto Roth zur Einführung Bischof Müllers am 24. Juni 1945: „Hochwürdiger Herr Bischof! Evangelische Glaubensgenossen! Sächsische Männer und Frauen! Wir stehen am Ende des unglückseligsten und verhängnisvollsten Krieges der europäischen Geschichte. Wir stehen am Ende einer Tragödie, in der edelste Kraft verschwendet und vergeudet wurde. Schmerz und Leid lassen die Menschen verstummen. Die einen sind betroffen, weil ihre hochgespannten Hoffnungen enttäuscht worden sind, die anderen empfinden es bitter, dass ihre Warnungen vor dem leichtfertigen Beginnen überhört worden sind. Dumpfheit und Verzweiflung lasten vielfach auf den Seelen. Vor allem aber sträuben sich die Menschen dagegen, dass hunderttausende Unschuldiger für die Versäumnisse und Vergehen der eigentlich AHG-Kronstadt: IV F 325 Dr. Wilhelm Depner 1873–1950 von Maja Philippi, S. 17–18.
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Anhang 6
Verantwortlichen leiden müssen. Es gab Männer unter uns, die davon sprachen, dass sie das Volk durch beispielhafte Haltung zu lichten Höhen führen und die Menschen sittlich und geistig erneuern würden. Sie sind verschwunden – oder schweigen. Das unschuldige Volk aber muss leiden. Nebelhafte Vorstellungen beherrschten die letzten zehn Jahre. Der ,leidende Held‘ wurde verachtet und verhöhnt, die Erziehung zu kriegerischem Geist über alles gestellt. Heute aber ist unser Volk ein einziger ,leidender Held‘ und die verspottete Lehre vom ,stellvertretenden Leiden‘ steht in fleischgewordener Gestalt vor uns. Der Mensch ist unfrei, er gehört nicht sich selbst, er gehört der Gemeinschaft, so wurde uns gesagt. Absoluter, widerspruchsloser Gehorsam sollte das deutsche Volk zu ungeahnten Triumphen führen. Die persönliche Freiheit wurde unterbunden, der Gedanke der Selbstverantwortung verdrängt und die Erfurcht vor allem, was vordem war, ertötet. Die Parole trat an Stelle des Gewissens. Und doch ist die Freiheit des Menschen das kostbarste Gut irdischen Strebens. Und doch ist die Selbstverantwortung die hohe Schule, die zur Veredelung des Menschen und damit zur Erhöhung der Gemeinschaft führt. Und doch ist das Gewissen der eherne Regulator menschlicher Gesittung und der Präger wahrhafter Charaktergrösse. Und doch ist die Ehrfurcht vor allem Edlen, Guten und Schönen und vor allen denjenigen, die vor uns waren und deren geistige und leibliche Kinder wir sind, der letzte Beweis höheren Menschentums. Wir waren in den letzten Jahren nicht mehr freie, selbstverantwortliche Menschen, sondern versklavt und genasführt, eingelullt in einen Nebel von Schwärmerei, Unwissenheit, Irrtum und Täuschung, aus dem sich unser Volk auch jetzt nur allmählich herauslöst. Es wird gesagt, dass es uns Sachsen am ,schönsten Glück‘ schon immer gefehlt habe. Wir tragen eine Erbschaft der Schwere in uns. Kaum breiten wir die Schwingen aus, um höhern Flug zu nehmen, zwingt uns das Schicksal mit ehernem Griff zur Erde zurück. Das ist bitter, und doch klammern wir uns mit heisser Liebe an den Boden unserer Heimat. Wir sind alte Kolonisten und wissen, dass unserem Streben enge Grenzen gesetzt sind. Tragisch ist blos [sic!] der Undank, der heute allenthalben um uns lauert. Wir sind so einsam und verlassen, dass die Seele zu erfrieren beginnt. Gewiss hat die Führung der letzten Jahre die grössten Fehler unserer 800-jährigen Geschichte gemacht, gewiss hat der Nationalsozialismus die grundlegende Erkenntnis missachtet, dass das Vaterland bei allem unserem Tun und Lassen im Vordergrund steht, eine Erkenntnis, die Honterus bei der Herausgabe des Reformationsbüchleins in das klassische Wort fasste ,ad ornamentum patriae nostrae comunis‘, das Friedrich Teutsch so trefflich übersetzte ,zur Zierde und zum Rüstzeug des gemeinsamen Vaterlandes.‘ Aber Siebenbürgens Antlitz zeugt doch von uns! Haben wir nicht einem kleinen Teil der Welt – und mag er noch so winzig sein – die Züge unseres eigensten Wesens aufgeprägt? Tragen Städte, Dörfer, Fluren und Wälder in Siebenbürgen nicht weithin sichtbare Zeichen unserer Arbeit und unserer Art? Haben wir Rumänien und Ungarn nicht auch Gutes getan? Haben zwischen Angehörigen unserer Völker nicht auch edle Freundschaften bestanden? Gibt es solche seelischen Bande nicht auch heute? Ich schreie diese Fragen in die Welt hinaus als letzten menschlichen Aufruf in seelischer Bedrängnis. Aber trotz aller
Ansprache bei der Familienfeier am 23. Mai 1953
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Erregtheit bin ich im tiefsten Grunde ruhig und vertraue auf die Zukunft. Warum? Weil ich an eine göttliche Macht glaube, die in uns allen wirkt. Allerdings verpflichtet dieser Glaube. Wir müssen uns mit Klugheit, Würde und Kraft zur Wehr setzen, wir dürfen das Vertrauen in eine bessere Zukunft keinen Augenblick aufgeben. Dann, aber auch nur dann, wird uns auch die Sonne wieder einmal scheinen. Wir stehen heute sichtbar im Gericht und empfinden es alle, dass es eine einzige Hilfe für uns gibt: den Glauben an eine höhere göttliche Ordnung. ,Vor allen Dingen ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feuerigen Pfeile des Bösewichts1005.‘ Evangelische Glaubensgenossen! Sächsische Männer und Frauen! Unser heisses Bemühen galt in den letzten Monaten vor allem der Kirche. Sie zu befreien von glaubensfremden Mächten, sie wieder auf den Grund von Gesetz und Ordnung zu stellen, sie zum Stecken und Stab unseres heimgesuchten, notleidenden Volkes zu machen, war unser höchstes Ziel. Was wir in gemeinsamem Ringen erstrebt haben, ist nun erreicht. Im Sturm dieser Tage steht die Kirche wie der Fels im Meer, unerschütterlich im Geschehen der Zeit, wärmespendend trotz eisigen Zugriffs des Schicksals. Möge sie eine wahrhafte ecclesia Dei saxonicae nationis’ sein, so wie unsere sächsischen Reformatoren es wünschen. Du aber, lieber Freund, trittst heute an das Steuer dieser teuern Kirche, die das Vermächtnis für Vater und Mutter, das Erbe aller guten Geister unseres Volkes ist. Fahr’ aus und führ’ uns mit Kraft, Würde und Mut durch die Fährnisse der Zeit. ,Ich habe euch erwählt und gesetzt, dass Ihr hingeht und Frucht bringt und Euere Frucht bleibe!‘“1006
Anhang 7: Ansprache bei dem Gedenkgottesdienst für die Familie am 23. Mai 1953 in der Sakristei der Schwarzen Kirche im Rahmen einer Abendmahlsfeier / Deutsche Messe / zum Gedächtnis für H.O.R. Weisheit 3, 1–9 Liebe Freunde! Noch können wir es nicht fassen, dass H.O.R. nicht mehr unter uns ist. Zu lebendig stand er mitten unter uns. Zu sehr war er ein Stück unseres eigenen Lebens. Unsere Gedanken können nicht zu ihm hin gehen als zu einem, der einst unter uns gewesen ist. Wiewohl wir von ihm getrennt waren, ist er doch mitten aus dem vollen Leben Epheserbrief Kapitel 6, Vers 16. Evangelium des Johannes, Kapitel 15, Vers 16. Rede Roths aus: Wien, Ulrich A.: „Vor das Kreuz gestellt, gehorche ich den Geboten der Pflicht!“ 1005 1006
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Anhang 7
von uns genommen worden. Menschlich geredet war sein Leben noch nicht erfüllt und vollendet. Noch können wir es nicht fassen, dass er nicht mehr unter uns ist. Und doch müssen wir es ertragen. Und darum suchen wir mit einander diese Stunde der Einkehr, um zu ermessen, was uns eigentlich widerfahren ist. Wir können damit nur an einen Ort gehen: wir müssen vor Gott treten mit diesem Besinnen und Erinnern. Überall sonst in unserem Leben sind wir zu sehr bedroht bei solcher Erinnerung von der Schwermut, von dem Abgrund des Leids und von der Dunkelheit der Verbitterung. Aber vor Gott dürfen wir reden, Gott dürfen wir unser Leid hinhalten, dass Er, der Vater im Himmel, unser Leid verkläre und uns gerade in unserem Leid segne. Vor Gott dürfen wir die schmerzliche Erinnerung lebendig werden lassen an den, der so lebendig gestaltend, führend, prägend am sächsischen Wesen mitgearbeitet hat in diesen hinter uns liegenden Jahrzehnten: H.O.R. Es kann und darf in dieser Stunde nur ein solches Erinnern sein. Die ganze Persönlichkeit würdigen, das ganze Lebenswerk darstellen, das wird einer spätern und – so Gott Gnade schenkt – ruhigern Zeit vorbehalten bleiben. Es wird eine Ehrenpflicht des sächsischen Volkes und unserer Kirche sein, diese Dankesschuld rückblickend abzustatten. In dieser Stunde aber ist es das rein menschliche Erinnern, das uns zu leiten hat. H.O.R. war [mit] einer besondern Begabung und Lebensreife der Ausdruck und Träger des sächsischen Wesens und Lebenswillens. Was in uns an Einsicht und Umsicht, an politischer und menschlicher Erkenntnis [gereift/vorhanden] war, das trug er in seiner Seele in sich. Es war die Reife und Erfahrung von Geschlechtern. Es war die Erfahrung der Siebenbürger Sachsen in unserer Zeit. Es war die Lebenserfahrung unserer kleinen Nation inmitten all der Gefahren und Nöte aber auch inmitten all der schöpferischen Möglichkeiten im östlichen Völkermeer, und wie es uns als sächsischer Gesamtheit bestimmt war, Auslanddeutschtum am klarsten und lautersten zu leben, so war es H.O.R., der weit über das eigene Volkstum hinaus der leuchtende, wegweisende Geist sein sollte im Zusammenspiel der Kräfte deutschen Lebens in der östlichen Völkerwelt. Umhegt von Liebe und Bewunderung und umbrandet von Feindschaft und Missgunst ist er seinen Weg gegangen. Umbrandet war er gerade auch von der Ablehnung derer, die in ihrer Überheblichkeit meinten, mit ihrem völkischen Idealismus eine neue Heilslehre gebracht zu haben. Wir aber wissen es heute nach den furchtbaren Erfahrungen, durch die wir gingen, wie sehr H. O. R. Recht hatte gegen die völkischen Idealisten. Er war der klare, leitende und lautere Geist unseres Volkes, allen seinen Gegnern an Geistesschärfe weit überlegen und der unumstrittene Führer derer, die ihn verstanden und liebten. Aber es war nicht nur die ungewöhnlich bedeutende, hinreißende Rednergabe; es war nicht nur die umfassend politische und rechtskundliche Bildung, die ihm diese Stellung gab. Es war vor allem die tiefe Menschlichkeit, die ihn zu dem machte, was er unter uns war. Es war die starke Liebes- und Leidensfähigkeit verbunden mit einem allezeit auf das Positive, Aufbauende gerichteten Geist. H.O.R. war
Ansprache bei der Familienfeier am 23. Mai 1953
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ein Mensch im vollsten Sinne des Wortes. Er war ganz und gar der Welt zugewandt und erschlossen. Darum ist es so ungeheuer viel, was wir alle mit ihm verloren haben. Das gilt in erster Reihe von denen, die ihm die Nächsten waren und die mit ihm in einer so innigen Weise verbunden waren, wie es bei einem ungeheuer beschäftigten, in so großen Zusammenhängen lebenden Manne durchaus nicht selbstverständlich ist. Dies starke Mensch-sein haben wir an ihm verloren. Darum ist der Verlust so schwer und schmerzlich für alle, in deren Leben er als Freund getreten war, für alle, die das warme und helle Licht seines Geistes und seiner Freundschaft erleben durften. Ja, die große, geistig weite, warme Menschlichkeit ist es, die wir an ihm geliebt und verehrt haben. Sein Urteil, das bei allem Hochflug der Gedanken immer seine Kraft und Sicherheit in der Menschlichkeit hatte. Sein geistvoller Humor. Seine unerreichte Fähigkeit zur scharfen und lebendigen Charakteristik von Menschen, Ereignissen und Zuständen, so dass alles gestaltete Form und leuchtende Farbe war. Und nicht zuletzt: seine lautere und beständige Treue. Das war es, was wir geliebt und verehrt haben an ihm. Und dann war es noch eines, das ihn zum sächsischen Menschen, zum führenden Manne gemacht hat: es hat in unserer Zeit kaum ein Laie so klar und tief erfasst und begriffen, was uns die Kirche zu bedeuten hat, als H.O.R. Begreiflicher Weise war es zunächst der Politiker in ihm, der mit scharfem Verstand Bedeutung und Gewicht der Kirche erkannte im Spiel der Kräfte, die für und wider unsere gesamte Existens [sic!] in Betracht kommen. Aber es war bei weitem nicht nur der Politiker, der der Kirche bejahend gegenüberstand. Es war der Mensch H.O.R. Es war der Mensch, der aus großer Begabung, Lebenserfahrung und echter Menschlichkeit heraus mehr und mehr zur Kirche hinfand, nicht nur zu ihrer äußern, volkspolitisch wichtigen Erscheinungsform, sondern zur Sache der Kirche, zu ihrem innern Leben. Ich denke daran, wie der überaus beschäftigte, von starkem Leben umbrandete politische Führer in seiner Wohnung in der Hauptstadt, wenn ich ihn dort besuchte, schon nach wenigen Sätzen des Gespräches von sich aus mitten in der Erörterung kirchlicher Fragen war. Es geschah nicht nur darum, weil der Besucher ein Pfarrer und er selber der Landeskirchenkurator war. Diese Gespräche kamen nicht nur aus der Amtspflicht, sie kamen aus vollem Herzen. Die Sorgen und die stolze Freude des vielerfahrenen Mannes verdichteten sich um seine Kirche. – Und ich denke an die Aussprachen in den Sitzungen des Landeskonsistoriums, in denen so oft das geistlich reifste, bekenntnistiefe Wort aus den Aufgaben und Problemen des Alltages heraus von dem Kurator und Juristen H.O.R. gefunden wurde. – Und ich denke an so manch ein vertrauliches Gespräch, in dem er, der Weltmensch und Laie mit tiefem Schmerz und einem Urteilsvermögen, das nicht nur geistig, sondern auch geistlich zu unterscheiden vermochte, von den Schwächepunkten und Schäden am Leben der Kirche zu reden verstand. Sein Herz lebte mit, schwang mit den innersten Anliegen des evangelischen Glaubens und unserer Kirche. Es war nicht bloß Kritik, die er übte; es war ein Mit-bauen, Mit-bekennen, Mit-leiden und Mit-schaffen im innersten Leben der Kirche, das wir an ihm besaßen.
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Anhang 7
H.O.R. war einer der reifsten, vielleicht der geistig reifste unter dem heutigen Geschlecht der Sachsen. In ihm vereinigte sich weltlicher Lebens- und Gestaltungswille mit dem Glauben, d.h. mit Ewigkeitserkenntnis und geistlicher Tiefenschau in einer großen Weite und innern Freiheit. Er wusste, was so sehr viele unter uns kaum ahnen, wie sehr und wie tief die letzten schöpferischen Gestaltungskräfte unseres gesamten Daseins aus der Kirche kommen und wieder zur Kirche führen. Sein Wesen war nicht nur verwurzelt im irdischen Leben und Schaffen, im klugen Überschauen der Welt, im Lebensoptimismus und in einem gesunden Humor, sondern auch in einer echten innern Gottverbundenheit, die ihn über die äußern Spannungen des Lebens hinweghob und seinem Wesen Weisheit und Reife gab. – Wenn wir nun heute schmerzgebeugt vom Verlust dieser starken, unersetzlichen Führerpersönlichkeit uns hier versammelt haben, so dürfen wir die tröstliche Gewissheit in uns tragen, dass wir es in seinem Geiste tun. Wir können seinem Wesen und Leben, das wir auf Erden verloren haben nicht näher kommen, es nicht inniger erfassen, als wenn wir mit gesammeltem Ernst vor Gott treten und wenn wir leben in unserer Kirche. Und während unser ganzes Volk in stummer und bedrückender Trauer verharrt, tun wir hier stellvertretend einen Dienst und suchen den Ort, an dem wir das Irdisch-Verlorene finden können. Denn das, was uns an H.O.R. groß war, ist dieses: Lebenshingabe an sein Volk und am Ende für sein Volk. Opfer war sein Weg, den ihm Gott bestimmt hat. Und weil dies unsere letzte, uns heilige Erkenntnis, das tiefste Wort ist, das wir über dies Lebensschicksal finden können, so [ver-]einen wir uns in dieser Stunde an dem Tisch, der das heilige Geheimnis des größten Opfers der Welt trägt, das Christusopfer, das uns nach seinem heiligen Willen gegenwärtig wird in Brot und Wein. Wir treten an diesen Tisch, wir treten in die Brot- und Weingemeinschaft dieses Tisches, um diesem unserem geliebten und verehrten Gatten, Vater, Bruder, Freund so nahe zu sein, als es vor Gottes Ewigkeit zu sein vermag. Und wir bedenken dabei das Wort der Weisheit / Kap. 3,1–9/: Aber der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an. Vor den Unverständigen werden sie angesehen, als stürben sie, und ihr Abschied wird für eine Pein gerechnet, und ihre Hinfahrt für ein Verderben; aber sie sind im Frieden. Ob sie wohl vor den Menschen viel Leidens haben, so sind sie doch gewisser Hoffnung, dass sie nimmermehr sterben. Sie werden ein wenig gestäupt, aber viel Gutes wird ihnen widerfahren; denn Gott versucht sie und findet sie, dass sie Sein wert sind. Er prüft sie wie Gold im Ofen und nimmt sie an wie ein völliges Opfer. Und zu der Zeit, wenn Gott darein sehen wird, werden sie hell scheinen und daher fahren wie Flammen über den Stoppeln. Sie werden die Heiden richten und herrschen über Völker; und der Herr wird ewiglich über sie herrschen. Die Ihm vertrauen, die erfahren, dass Er Treue hält, und die treu sind in der Liebe, die lässt Er sich nicht nehmen. Denn Seine Heiligen sind in Gnaden und Barmherzigkeit und ER hat ein Aufsehen auf seine Auserwählten. Amen.
Stammbaum Hans Otto Roth
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Anhang 8: Stammbaum Hans Otto Roth Karl Roth (* 13.10.1846, † 1901) war verheiratet mit Luise Roth, geb. Hausenblaß (* 15.1.1855, † 18.12.1915?). Zusammen hatten sie sechs Kinder: 1. Luise Roth (* ?, † ?). Keine Kinder. 2. Clara Hoch (geb. Roth, * 1876, † 1967). Clara Hoch hatte zwei nichtadoptierte Ziehkinder: i. Hans Karp (* 190?, † 1945) ii. Anna Pelger (* 1910) 3. Grete Roth (* 1878, † 1899?). Keine Kinder. 4. Irene Roth (* 1881, † 1910). Keine Kinder. 5. Karl Roth (* 1881, † 1956). Professor Karl Roth hatte drei Kinder: iii. Karlheinz Roth (* 1919). Keine Kinder. iv. Grete Barth (geb. Roth, * 1920, † 198?). Grete Barth hatte eine Tochter: a. Helga Dannecker, geb.Wehner (* 1941?, † ?). v. Walter Roth (* 192?, † ?). Keine Kinder 6. Hans Otto Roth (* 1890, † 1953). Hans Otto Roth heiratete Paula Copony (* 1895, † 1976). Sie hatten zusammen zwei Kinder: vi. Herbert Roth (* 1919, † 1982). Herbert Roth hatte zwei Söhne: a. Anselm Roth (* 1957, wohnhaft zurzeit in Hermannstadt) b. Florian Roth (* 1967). Dr. Florian Roth ist heute Politologe und Philosoph. vii. Maria Luise Roth-Höppner (geb. Roth, * 1930, wohnhaft zurzeit in Hermannstadt). Keine Kinder. Hans Otto Roths Ehefrau war Paula Copony. Sie war das jüngste von vier Kindern von Traugott Copony (* 1865, † 1941) und Marie Copony (geb. Myß, * 1867, † 1947): 1. Fritz Copony (* 1890, † 1966). Keine Kinder. 2. Manna Copony (* 1892, † 1960). Keine Kinder. 3. Grete Csaki-Copony (geb. Copony, * 12.10.1893 in Zernescht bei Kronstadt, † 4.12.1990 in Berlin)1007. Grete Copony heiratete Richard Csaki (* 4.4.1886, † 31.12.1943 bei einem Flugzeugabsturz in Italien in den Apennin), der das deutsche Auslandsinstitut in Stuttgart leitete. Sie hatten zwei Kinder: 1007 Literatur zu Grete Csaki-Copony: SOV, München 1/1964 (Hans Wühr); 1/1979 (Alfred Coulin); 4/1983 (Günther Ott). Ägina 1970–1973, Zeichnungen und Gedichte von Grete CsakiCopony. Mihai Nadin: Pictori din Brasov (Künstler aus Kronstadt), Meridiane Verlag, Bukarest 1975. Ausstellungskatalog Siebenbürgisch-sächsische Künstler der Gegenwart, Hannover 1986 (Text: Günther Ott). Ausstellungskatalog Grete Csaki-Copony 1893–1990, Siebenbürgisches Museum Gundelsheim 1994.
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Anhang 9
i. Brigitte Möckel (geb. Csaki, * 16. Juli 1918, † 2010).1008 ii. Joachim Csaki (* 1920, † 1981). Joachim Csaki hatte fünf Kinder: Martin Csaki (* ?) Christine Csaki (* ?) Regine Csaki (* ?) Florina Csaki (* ?) Isabell Csaki (* ?) 4. Paula Roth (geb. Copony, * 1895, † 1976), spätere Ehefrau von Hans Otto Roth.
Anhang 9: Minderheitenbestimmungen im Friedensvertrag von Trianon Im Friedensvertrag von Trianon am 4. Juni 1920 wurde in Teil III/Politische Bestimmungen über Europa auch auf die Minderheitenrechte eingegangen. Folgendes wurde festgelegt:
Teil III. Politische Bestimmungen über Europa. Abschnitt III. Rumänien. Artikel 45. Ungarn verzichtet für sein Teil zugunsten Rumäniens auf alle Rechte und Ansprüche auf die Gebiete der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, die jenseits der Grenzen Ungarns liegen, wie sie im Artikel 27 des II. Teiles (Ungarns Grenzen) bestimmt und durch diesen Vertrag oder durch irgendwelche anderen zur Regelung der gegenwärtigen Angelegenheiten abgeschlossenen Verträge als Teile Rumäniens anerkannt sind. Artikel 46. Ein Ausschuß von sieben Mitgliedern, von denen fünf durch die alliierten und assoziierten Hauptmächte, eines von Rumänien und eines von Ungarn ernannt werden, tritt binnen vierzehn Tagen nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages zusammen, um den Verlauf der im Artikel 27 (3) des II. Teiles (Ungarns Grenzen) beschriebenen Grenzlinie an Ort und Stelle festzulegen. Vgl. auch Brigitte Möckel-Csaki: Versuche des Widerstehens: Stationen meines Lebens. Hermannstadt 2008. 1008
Minderheitenbestimmungen im Friedensvertrag von Trianon
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Artikel 47. Rumänien erkennt an und bestätigt Ungarn gegenüber seine Verbindlichkeit, damit einverstanden zu sein, daß in einem Vertrag mit den alliierten und assoziierten Hauptmächten die Bestimmungen aufgenommen werden, welche diese Mächte zum Schutze der Interessen der Rassen-, sprachlichen oder religiösen Minderheiten in Rumänien sowie zur Sicherung der freien Durchfuhr und einer den Grundsätzen der Gerechtigkeit entsprechenden Art des Handelsverkehres für den Handel mit anderen Staaten für notwendig erachten. Umfang und Art der finanziellen Lasten Ungarns, die Rumänien mit Rücksicht auf das unter seine Souveränität gestellte Gebiet zu übernehmen hat, werden nach Artikel 186, IX. Teil (Finanzielle Bestimmungen) des gegenwärtigen Vertrages festgesetzt. Alle nicht durch den gegenwärtigen Vertrag geregelten Fragen, die sich aus der Abtretung des bezeichneten Gebietes ergeben, werden in späteren Übereinkommen geregelt. Abschnitt VI. Schutz der Minderheiten. Artikel 54. Ungarn verpflichtet sich, daß die im gegenwärtigem Abschnitt enthaltenen Bestimmungen als Grundgesetze anerkannt werden, daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine amtliche Handlung mit diesen Bestimmungen im Widerspruch oder Gegensatz stehe und daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine amtliche Handlung ihnen gegenüber Geltung haben solle. Artikel 55. Ungarn verpflichtet sich, allen Einwohnern Ungarns ohne Unterschied der Geburt, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit zu gewähren. Alle Einwohner Ungarns haben das Recht, öffentlich oder privat jede Art Bekenntnis, Religion oder Glauben frei zu üben, insofern diese Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist. Artikel 56. Ungarn erkennt ipso facto (von Rechts wegen) und ohne irgendeine Förmlichkeit als ungarische Staatsangehörige alle Personen an, die zur Zeit des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages das Heimatrecht auf dem ungarischen Staatsgebiete besitzen und nicht Angehörige eines anderen Staates sind. Artikel 57. Die ungarische Staatsangehörigkeit wird von Rechts wegen durch die bloße Tatsache der Geburt auf ungarischem Staatsgebiete von jeder Person erworben, die nicht vermöge der Geburt eine andere Staatsbürgerschaft erwirbt.
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Artikel 58. Alle ungarischen Staatsangehörigen ohne Unterschied der Rasse, der Sprache oder Religion sind vor dem Gesetze gleich und genießen dieselben bürgerlichen und politischen Rechte. Die Verschiedenheit der Religion, des Glaubens oder Bekenntnisses darf keinem ungarischen Staatsbürger beim Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte und namentlich bei der Zulassung zu öffentlichen Diensten, Ämtern und Würden oder bei der Ausübung irgend eines Gewerbes oder Berufes hinderlich sein. Den ungarischen Staatsbürgern wird keinerlei Beschränkung im freien Gebrauche irgend einer Sprache im Privat- oder Geschäftsverkehr, in Angelegenheiten der Religion, der Presse oder öffentlicher Kundgebungen jedweder Art oder in öffentlichen Versammlungen auferlegt werden. Unbeschadet der Einführung einer offiziellen Sprache durch die ungarische Regierung wird den ungarischen Staatsangehörigen anderer Zunge als der ungarischen angemessene Möglichkeit des mündlichen und schriftlichen Gebrauches ihrer Sprache vor Gericht geboten werden. Die zu ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten gehörigen ungarischen Staatsangehörigen werden rechtlich und faktisch dieselbe Behandlung und die gleichen Bürgschaften genießen wie die übrigen ungarischen Staatsangehörigen. Insbesondere werden sie das gleiche Recht haben, humanitäre, religiöse oder soziale Anstalten, Schulen und andere Erziehungsanstalten auf eigene Kosten zu errichten, zu leiten und zu beaufsichtigen, mit dem Rechte, in denselben ihre Sprache frei zu gebrauchen und ihre Religion frei zu üben. Artikel 59. Was das öffentliche Unterrichtswesen anlangt, wird die ungarische Regierung in den Städten und Bezirken, in denen ein beträchtlicher Bruchteil ungarischer Staatsangehöriger anderer als ungarischer Zunge ansässig ist, angemessene Möglichkeit bieten, um in den Volksschulen den Kindern dieser ungarischen Staatsangehörigen der Unterricht in ihrer eigenen Sprache zu verbürgen. Diese Bestimmung wird jedoch die ungarische Regierung nicht hindern, den Unterricht der ungarischen Sprache in den besagten Schulen zu einem Pflichtgegenstande zu machen. In Städten und Bezirken, in denen ein beträchtlicher Bruchteil ungarischer Staatsangehöriger ansässig sind, die ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören, wird diesen Minderheiten ein angemessener Anteil am Genusse und an der Verwendung der nach dem Staatsvoranschlag und nach Gemeinde- und anderen Voranschlägen aus öffentlichen Fonds für Erziehungs-, religiöse, oder humanitäre Zwecke ausgeworfenen Beträge gewährleistet. Artikel 60. Ungarn stimmt zu, daß, soweit die Bestimmungen der vorstehenden Artikel des gegenwärtigen Abschnittes, soweit sie Angehörige einer Rassen-, religiösen oder sprachlichen
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Minderheit betreffen, Verpflichtungen von internationalem Interesse begründen und unter die Garantie des Völkerbundes gestellt werden. Sie dürfen ohne die Zustimmung der Mehrheit des Rates des Völkerbundes nicht abgeändert werden. Die im Rate vertretenen alliierten und assoziierten Mächte verpflichten sich dagegen, jede für sich, solchen Abänderungen der erwähnten Artikel ihre Zustimmung nicht zu versagen, die durch die Mehrheit des Rates des Völkerbundes in gehöriger Form genehmigt werden sollten. Ungarn stimmt zu, daß jedes Mitglied des Rates des Völkerbundes das Recht haben soll, die Aufmerksamkeit des Rates auf jede begangene oder drohende Verletzung irgend einer dieser Verpflichtungen zu lenken, und daß der Rat in einer Weise vorgehen und solche Weisungen geben könne, die unter den obwaltenden Umständen geeignet und wirksam erscheinen werden. Ungarn stimmt weiter zu, daß jede Meinungsverschiedenheit, die über eine diese Artikel betreffende Rechts- oder Tatfrage zwischen der ungarischen Regierung und irgend einer der alliierten und assoziierten Hauptmächte oder jeder anderen Macht, welche Mitglied des Rates des Völkerbundes ist, entstünde, als ein Streitfall internationalen Charakters im Sinne des Artikels 14 des Völkerbundssatzung anzusehen ist. Die ungarische Regierung stimmt zu, daß jeder derartige Streitfall, wenn es der andere Teil verlangt, dem ständigen internationalen Gerichtshofe unterbreitet werde, dessen Entscheidung endgültig sein und dieselbe Kraft und Wirksamkeit haben wird wie eine Entscheidung auf Grund des Artikels 13 dieser Satzung. Abschnitt VII. Bestimmungen, betreffend die Staatsangehörigkeit. Artikel 61. Alle Personen, die das Heimatrecht in einem Gebiete besitzen, das früher zu den Gebieten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte, erwerben ipso facto (ohne weiteres) und unter Ausschluß der ungarischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit desjenigen Staates, der auf dem genannten Gebiete die Souveränität ausübt. Artikel 62. Ungeachtet der Bestimmung des Artikels 61 erwerben die Personen, welche das Heimatrecht in einem kraft des gegenwärtigen Vertrages dem serbisch-kroatisch-slovenischen Staat oder dem čechoslovakischen Staat übertragenen Gebiete nach dem 1. Jänner 1910 erworben haben, die serbisch-kroatisch-slovenische oder die čechoslovakische Staatsangehörigkeit nur unter der Bedingung, daß sie hierzu die Genehmigung des serbisch-kroatisch-slovenischen Staates oder des čechoslovakischen Staates – je nach dem Falle – erhalten. Wenn die im vorstehenden Absatz erwähnte Genehmigung nicht angesucht oder wenn sie verweigert wird, erwerben die Beteiligten ipso facto die Angehörigkeit des Staates, der die Souveränität auf dem Gebiet ausübt, in dem sie vorher das Heimatrecht besaßen.
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Artikel 63. Personen über 18 Jahre, die ihre ungarische Staatsangehörigkeit verlieren und ipso facto (von Rechts wegen) eine neue Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 61 erwerben, können innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahre vom Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages an für die Zugehörigkeit zu dem Staate optieren, in dem sie heimatberechtigt waren, bevor sie das Heimatrecht in dem übertragenen Gebiet erwarben. Die Option des Ehemanns schließt jene der Ehegattin und die Option der Eltern jene ihrer Kinder unter 18 Jahren in sich. Personen, die von dem oben vorgesehenen Optionsrecht Gebrauch gemacht haben, müssen in den folgenden zwölf Monaten ihren Wohnsitz in den Staat verlegen, für den sie optiert haben; Es steht ihnen frei, das unbewegliche Vermögen zu behalten, das sie in dem Gebiete des anderen Staates besitzen, in dem sie vor der Option wohnten. Sie dürfen ihr gesamtes bewegliches Vermögen mitnehmen. Es wird aus diesem Anlasse keinerlei Zoll oder Gebühr für die Aus- oder Einfuhr von ihnen erhoben. Artikel 64. Personen, die in einem zur ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie gehörigen Gebiet heimatberechtigt und dort nach Rasse und Sprache von der Mehrheit der Bevölkerung verschieden sind, können innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages für Österreich, Ungarn, Italien, Polen, Rumänien, den serbisch-kroatisch-slovenischen Staat oder den čechoslovakischen Staat optieren, je nachdem die Mehrheit der Bevölkerung dort aus Personen besteht, welche die gleiche Sprache sprechen und derselben Rasse zugehören wie sie. Die Bestimmungen des Artikels 63, betreffend die Ausübung des Optionsrechtes, sind auf die Ausübung des durch den gegenwärtigen Artikel zuerkannten Rechtes anwendbar. Artikel 65. Die Hohen vertragschließenden Teile verpflichten sich, in keiner Weise die Ausübung des Optionsrechtes zu behindern, welches durch den gegenwärtigen Vertrag oder durch die zwischen den alliierten und assoziierten Mächten und Deutschland, Österreich oder Rußland oder zwischen den besagten alliierten und assoziierten Staaten selbst abgeschlossenen Verträge vorgesehen ist und den Beteiligten die Erwerbung jeder anderen, sich ihnen bietenden Staatsangehörigkeit gestattet. Artikel 66. Die verheirateten Frauen folgen dem Stande ihrer Gatten und die Kinder unter 18 Jahren dem Stande ihrer Eltern in allem, was die Anwendung der Bestimmungen des gegenwärtigen Abschnittes anlangt.
Forderung von Fuß und Brandsch nach Bestrafung Roths
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Anhang 10: Forderung nach Bestrafung Roths „Durch Gerüchte wie auch durch die Zeitung habe ich erfahren, dass Herr Hans Otto Roth bei Ihnen erschienen ist und sich die Eigenschaft eines Präsidenten der Evangelischen Landeskirche in Rumänien angemasst [sic!] hat. In meinem Namen und im Namen meiner Anhänger bestreite ich dem Herrn Hans Otto Roth durch die gegenwärtige Eingabe im Interesse der Einfügung in die rumänischen Wirklichkeiten diese Eigenschaft, die er sich willkürlich angemasst [sic!] hat. Gleichzeitig protestiere ich dagegen, dass sich der gewesene Bischof Dr. Glondys zum Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche aufwirft, dass er in dieser Eigenschaft bei den Behörden erscheint und sogar das Verlesen eines Hirtenbriefes von der Kanzel über den Wiedereintritt in sein Amt angeordnet hat. ... Nachdem Bischof Staedel am 10. Oktober 1944 von seinem Amt zurückgetreten ist, hat im Sinne der Art. 85 und 86 und der folgenden die Neuwahl des Bischofs stattzufinden. Der neugewählte Bischof ist dann neuerdings zu bestätigen und nach Ablegung des Eides von Seiner Majestät dem König in sein Amt einzusetzen, worauf er das Bischofsamt übernimmt. Die Ausserachtlassung dieser gesetzlichen Vorschriften zieht für die Usurpatoren die allerstrengsten Sanktionen nach sich. In derselben Lage befindet sich auch Herr Hans Otto Roth, der im Sinne des Art. 87 des Statutes der Evangelischen Kirche in Rumänien neugewählt werden muss. Die Vorgangsweise der beiden obengenannten Herren ist nicht nur ungesetzlich, sondern hat als reine Willkürhandlung gesetzliche Folgen nach sich zu ziehen. ... Wenn das Regime eines Andreas Schmidt möglich war, das die ganze friedliche deutsche Bevölkerung terrorisierte, sie schlecht beeinflusste und teilweise sogar von der so gut bekannten Loyalität der in Rumänien wohnenden Sachsen und Schwaben abwendig machte, so ist dies in erster Linie auch den beiden Herren zu verdanken, die sich heute entgegen den Gesetzen, entgegen dem gesunden Menschenverstand und entgegen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung zu Führern aufwerfen.“1009
ZK. 1576/1947 vom 29. April 1947. Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 10/11. 1009
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Anhang 11
Anhang 11: Roths Brief an Karl Gündisch bezüglich der Forderungen nach seiner Bestrafung „Zu dem Unglück mit der Agrarreform und demjenigen mit der Internierung der im September v.J. Jahres gewaltsam nach Westen Verschleppten und der im Januar d.J. nach Russland Verschickten kommt nun auch noch der Dolchstoss aus den eigenen Reihen hinzu! ... Auch dieses Manöver bringt mich nicht aus der Ruhe und macht mich in der Erfüllung meiner Pflicht gegenüber meinem Volke nicht wankend. Es ist ja nicht einmal der erste Fall! Schon am 21. November v.J. konnte ich gemeinsam mit Dr. Kräuter gelegentlich unseres Besuches bei Vladescu-Râcoasa feststellen, dass ,ehrenwerte Volksgenossen‘ gegen uns intrigiert hatten. Nach unseren Eindrücken konnte es sich nur um Fuß, Brandsch oder Scheiner handeln.1010 Sichere Feststellungen konnten wir allerdings nicht machen. Dafür starteten Fuß und Brandsch bereits einige Tage später beim Kultusministerium ihre Angriffe gegen Glondys. Anfang Januar, also während meiner angestrengtesten Bemühungen wegen der Deportierung nach Russland /!/ folgte dann das famose Telegramm der gewissen 13 Volksgenossen an General Radescu, in dem mir zum ersten Mal das Recht ,abgesprochen‘ wurde, im Namen des sächsischen Volkes zu sprechen. Die Begründung scheint dieselbe gewesen zu sein wie jetzt. Difficile est, satyram non scribere! Hinter dem ersten ,Dolchstoss‘ standen erwiesenermassen Brandsch, Fuß und Scheiner. Im Interesse unseres Volkes und aus angeborener Noblesse schlug ich damals nicht zurück. ... Nun aber ist die Lage viel ernster, da der Ministerpräsident mir von der Vorsprache der ,Abordnung‘ selbst Mitteilung hat machen lassen und dabei den Standpunkt vertritt, dass er nicht mit mehreren Stellen zu tun haben will und es uns überlässt, den ,Streit‘ entre nous auszutragen. Das ist einmal nicht möglich, weil ich gar nicht weiss, wer die mysteriöse ,sächsische Abordnung‘ war. Zum anderen kann ich nicht mit Vorschlägen an meine ,Verleumder‘ herantreten. Übrigens weiss ich nicht einmal sicher, wer meine Widersacher sind. Das Schwerwiegendste aber ist, dass es sich bei dem ,Dolchstoss‘ in Wirklichkeit gar nicht um mich, sondern um unser armes, zu Tode gehetztes Volk handelt. ... Was für ein Interesse die Plattners, Fritschs, Brandschs, Scheiners, Jickelis, und andere Leute dieser Couleur daran haben können, ist mir unbegreiflich. ... Es wäre tragisch, wenn die unheilvolle ,deutsche Zwietracht‘ auch unserer 800-jährigen Geschichte ein unschönes Ende bereiten sollte. Soviel steht fest: Wir waren in der ganzen Zeit seit dem 23. August 1944 grosszügig und nobel und haben keinem Volksgenossen auch nur ein Haar gekrümmt. Dafür beginnen nun offenbar gerade diejenigen den Streit, die eine historische Verantwortung tragen und nur zu leicht in die Lage geraten können, auch persönlich alles zu verlieren; es scheint sich Vgl dazu auch Müller: Erinnerungen, S. 218–220.
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Roths Interpretation seiner eigenen Rede 1941
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die alte hitleristische Maxime auch bei uns bewahrheiten zu sollen: ,Entweder wir siegen oder – es geht das ganze Volk unter!‘ oder noch anders ausgedrückt: ,Entweder werden alle gerettet oder – wir ziehen unser ganzes Volk in den Abgrund!‘ Es wird den Intriganten aber nicht gelingen. Dafür ist gesorgt!“1011
Anhang 12: Roths Interpretation seiner eigenen Rede 1941 anlässlich der Wahl Bischof Staedels „Wer immer meine Rede heute mit Aufmerksamkeit nachliesst, wird zugeben müssen, dass sie im Vergleich zum Enthusiasmus jener Tage von auffallender Zurückhaltung getragen war, ja, sie enthielt eine deutliche Warnung an Staedel und Schmidt, wenn ich sagte: ,Ich weiss, dass Du die Einheit der Kirche suchst und den organischen Aufbau. So allein kann wahrhaft Grosses geschaffen werden.‘ Selbstverständlich war dieses ,ich weiss‘ nur eine rhetorische Phrase. Ich konnte und durfte angesichts des Entschlusses der Widerstands-bewegung, den Bruch des kirchlichen Friedens nicht selbst herbei führen, doch wirklich nicht sagen: ,Ich weiss, dass Du die Einheit der Kirche und den organischen Aufbau nicht suchst, sondern Krieg und Vernichtung.‘ Wer Ohren hatte zum hören, hat genau verstanden, was ich meinte. Und zum Schluss meiner kurzen Ansprache rief ich Staedel das Wort aus Lukas Kap. 5, Vers 4 zu: ,Und nun fahret hinaus auf die Höhe und werfet Euere Netze aus!‘ Wer den ganzen Text von ,Petri’s Fischzug‘ kennt, weiss, dass man am Tag im See Genezareth keine Fische fangen konnte und dass Jesus’ göttliche Kraft dazu gehörte, um auch am Tag ,eine grosse Menge Fische‘ einzubringen. Ich forderte also Staedel in meiner Ansprache in Wirklichkeit auf, Wunder im Geiste Jesu zu vollbringen. Konnte man in verhaltener Rede deutlicher werden, als ich es damals gewesen bin? Ist es Staedel vielleicht nicht klar geworden, dass aus meinen Worten nicht wirkliches Vertrauen sprach? Wer daran zweifelt, möge die Antwortrede Staedels nachlesen, in der er ablehnte, ,diese kirchliche Wahlentscheidung ohne weiteres als vocatio divina, als göttliche Berufung anzusehen‘ und in der er zum Ausdruck brachte, ,frei genug zu sein, das Bischofsamt auch wieder abzugeben, wenn das Gewissen oder das Wohl des Volkes ihm es dereinst befehlen sollte.‘ Wenn ich in meiner Ansprache auch die von Glondys zitierten Worte gesagt habe: ,Indem ich Dich auffordere, dem an Dich ergangenen Ruf zu folgen und die Führung der Evang. Landeskirche A.B. in Rumänien zu übernehmen, versichere ich Dich der Bereitschaft aller verantwortungsbewussten Träger der Kirche, Dir zu 1011 Politischer Nachlass HOR/Quelle 463: 23. Juli 1945: Schreiben Roths an Rechtsanwalt Karl Gündisch, Hermannstadt, in dem er zu der gegen ihn beim Ministerpräsidenten eingegangenen Verleumdungsschrift Stellung bezieht und Gündisch ein deutsches und ein rumänisches Exemplar seiner Antwort beigibt.
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Anhang 13
folgen und Dein Wirken zu unterstützen‘, so habe ich im Sinne der in der Rede ausgesprochenen Warnung an Staedel und Schmidt nur eine streng begrenzte und wann immer kündbare Unterstützung seiner Wirksamkeit ausgesprochen. Dass dem so war, beweist nichts überzeugender als die Tatsache, dass schon sieben Monate später zwischen uns der unterdessen historisch gewordene Schul- und Kirchenkampf ausbrach, der erst am 23. August 1944 sein natürliches Ende fand. Wie grotesk wirkt übrigens die Splitterrichterei Glondys’, wenn man in den ,Kirchlichen Blättern‘ vom 4. März 1941 sein Glückwunschschreiben an den „hitleristischen Bischof“ Staedel liest, in dem er wörtlich aussprach: ,Lieber Staedel! Empfange auch meinen Segenswunsch zum Eintritt in das hohe Amt des Bischofs unserer Landeskirche. Gott gebe Dir Kraft zur Erfüllung der Dir gesetzten Pflichten und segne unsere Kirche unter Deiner Führung zu rechter Auferbauung in reformatorisch-biblischem Glauben an das Heil in Jesus Christus, gez. D. Dr. Viktor Glondys.‘“1012
Anhang 13: Roths Erklärungen zu seiner Rede anlässlich der Einsetzung Wilhelm Staedels 1941 zum Bischof der Evangelischen Landeskirche A.B. Teile seiner Rede unterstrich Roth, um sie zu betonen. Andere Teile – hier fett hervorgehoben – ließ er jedoch (bewusst?) außer Acht. „Es ist im Wesen des Menschen beschlossen, dass er ringt und kämpft, solange ihm Tage geschenkt sind, solange seine Sinne wach sind und seine Denkkraft lebendig ist. Darum sind aber auch alle Erkenntnisse des Menschen Stückwerk und es bleibt nur eine einzige Wahrheit, die standhält, und das ist diejenige die aus dem Ewigen kommt. Dieser ewigen Wahrheit müssen alle verhaftet sein, die Fahnenträger, Führer und Befeurer einer lebendigen Gemeinschaft sein wollen. Das letzte Einvierteljahrhundert, das wir durchleben durften und das erfüllt war zunächst mit tiefem Leid und zuletzt mit unendlicher Freude, hat überzeugend bewiesen, dass wahrhaftiges, grosses Führertum immer göttliche Gnade ist und zum geringsten menschlicher Ordnung entspringt. In einer Zeit, wo der Streit der Völker den halben Erdball mit Krieg zu überziehen droht, ist die Frage berechtigt, ob auch der Kirche Kampf beschieden ist oder ob sie auch weiter ausschliesslich dem inneren Frieden zu dienen hat? Dafür gilt als Antwort: 1012 Z.K. 2146/1947 (zu Z.K. 1080/1947). Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys. Hermannstadt, 29. Juni 1947.
Roths Erklärungen zu seiner Rede
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„Solange jemand auch kämpft, so wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe denn recht!“ Der „rechte Kampf“ aber ist für die Kirche nur denkbar, wenn es um die letzten Fragen des Bestandes oder des Gewissens geht. Ist bei uns heute eine solche Nötigung gegeben? Ich glaube nicht. Ein einheitlicher Strom des Fühlens und Denkens flutet durch unsere Seelen. Es ist Krieg und eine einzige Hoffnung und ein einziger Glaube durchglüht uns: Der Sieg, der Sieg unseres Volkes und der Sieg der grossen Sache, die gleichzeitig auch den anderen Völkern in Europa Gerechtigkeit und Frieden bringen wird. In einem so entscheidungsvollen Augenblick sollte unsere Sprache sein: Bruder, Volksgenosse, Kamerad! Das erwartet und ersehnt auch unser Volk. Darum gehört es zu den vornehmsten Aufgaben unserer alten Kirche und ihres neuen Bischofs und Führers, diese Akzente zu finden und alles zusammenzuführen, was stark und echt in uns ist. Lasst uns die Sprache der Liebe finden, die nicht schwächlich ist und nicht feige. Dabei soll unsere Kirche, getreu ihrer grossen Vergangenheit mit ganzer und männlicher Kraft eintreten für die gottgewollte Eigenart unseres Volkes und sein heiliges Recht, und überall lebendig sein, wo es gilt, dem Geist wieder zu seinem Recht zu verhelfen. Der Protestantismus verdankt seine Entstehung einer revolutionären (reformatorischen) Tat, es gehört darum zu ihrem Wesen, die Gewissen immer wieder wach zu rufen und der Erforschung der letzten Erkenntnisse mit Eifer nachzugehen. Ueber allem aber steht die Verpflichtung auf das Ewige, das in hingebungsvollem Dienst an Volk und Mensch seine letzte Erfüllung findet. Und damit, hochwürdiger Herr Bischof, ist der Augenblick gekommen, in dem Du Dein hohes Amt antrittst und indem Du die Führung der evangelischen Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien in Deine Hände übernimmst. Die Bischöfe unserer alten Volkskirche waren immer aufrechte deutsche Männer lutherischer Prägung. Darum soll auch Dein Wirken für Kirche und Volk beseelt und befeuert sein von dem Wort: „Wachet, stehet im Glauben, seid männlich und seid stark!“ Möge Gott unsere alte Volkskirche, unser deutsches Volk und neugewählten Bischof Wilhelm Staedel reich segnen! Evangelische Glaubensgenossen! Deutsche Volksgenossen! Seine königliche Majestät hat geruht, die in der 37. Landeskirchenversammlung vom 16. Februar 1941 in Hermannstadt vollzogene Wahl des hochehrwürdigen Herrn Pfarrers Wilhelm Staedel zum Bischof der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien zu bestätigen. Das königliche Dekret trägt die Zahl 643 und ist im staatlichen Amtsblatt Zahl 61 vom 13. März 1941 ordnungsgemäss verlautbart worden. Der mit der Durchführung des königlichen Dekretes betraute Minister für Unterricht, Erziehung, Kultus und Künste, General Radu Rosetti hat dem hochwürdigen Herrn Bischof Wilhelm Staedel mit Zuschrift Zahl 10189 vom 22. März 1941 von der vollzogenen Bestätigung seiner Wahl amtlich Kenntnis gegeben. Am 13. März hat der hochwürdige Herr Bischof Wilhelm Staedel auch schon den Eid auf die Staatsverfassung in die Hände seiner Majestät des Königs abgelegt.
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Anhang 13
Somit erscheint die von der 37. Landeskirchenversammlung kirchenordnungsmässig vollzogene Bischofswahl auch im Sinne der staatlichen Vorschriften abgeschlossen. So wollen wir zur feierlichen Einsetzung des neugewählten Oberhauptes unserer Kirche schreiten und den in der Kirchenordnung vorgesehenen Amtseid des hochwürdigen Herrn Bischofs entgegen nehmen. ...“1013 Roth folgerte: „Habe ich hitleristisch gesprochen oder waren meine Worte getragen vom Glauben an göttliches Walten und an die Verantwortung im eigenen Gewissen? Die Antwort ergibt sich von selbst.“1014
Politischer Nachlass HOR/Quelle 371: 23. März 1941: Ansprache des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth anlässlich der Einsetzung von Bischof Wilhelm Staedel in Amt und Würden. 1014 ZK. 2146/1947 vom 29. Juni 1947: Äusserung des Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth zu den Anschuldigungen des Altbischofs D. Dr. Viktor Glondys, S. 5. 1013
Quellen- und Literaturverzeichnis Archivbestände: Ungedruckte Quellen: 1. Archiv des Siebenbürgen-Instituts, Gundelsheim/N.: • Zahlreiche Kopien aus anderen Archiven, etwa DSVR oder DSNR. 2. Archiv des Rumänischen Nachrichtendienstes, Bukarest, Dokumentarfonds (RND). 3. Bundesarchiv Koblenz: • Nachlass Bischof Wilhelm Staedel • Archiv des Deutschen Auslands-Instituts 4. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin: • Nationalitätenfragen (Rumänien) • Deutsche Gesandtschaft Bukarest • Evangelische Angelegenheiten (Rumänien) • Nationalsozialismus (Rumänien) 5. Staatsarchiv Hermannstadt: • Bestand „Deutsch-Sächsischer Volksrat für Siebenbürgen“ 1918–1933 (DSVR – zahlreiche Kopien davon auch im Siebenbürgischen Archiv auf Schloss Horneck in Gundelsheim am Neckar). • Bestand Deutsch-Sächsischer Nationalrat für Siebenbürgen (DSNR – zahlreiche Kopien davon auch im Siebenbürgischen Archiv auf Schloß Horneck in Gundelsheim am Neckar). • Bestand „Deutsches Kulturamt in Rumänien“ • Bestand „Brukenthal“ • Fond Landeskonsistorium 6. Zentralarchiv der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Hermannstadt. 7. Staatsarchiv Klausenburg: • Nachlass Valeriu Braniste. • Gerichtsakten.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
8. In Privatbesitz: • Aufzeichnungen von Dr. Hans Otto Roth (aufbewahrt von Dr. Maria-Luise Roth-Höppner, Hermannstadt). • Aufzeichnungen und Erinnerungen von Dr. Wilhelm Klein (aufbewahrt bei den Erben, Kronstadt). • Deutsche Tagung in Temeschwar (Bericht von Friedrich Benedeck, 6.–7. September 1919; Typoskript, aufbewahrt von Dr. Herbert H. Hoffmann, Bukarest). • Gedenkschrift Dr. Wilhelm Depner (mit Korrespondenz und Dokumenten; Typoskript, aufbewahrt von den Erben von Dr. Maja Philippi, Kronstadt/ Hermannstadt). • Schriftliche Zusammenfassung des beruflichen Werdegangs von Brigitte MöckelCsaki (von Frau Möckel-Csaki in Berlin selbst). 9. Nachlass von Erhard Andree: Es handelt sich um sechs gebundene Hefte, die Stadtpfarrer Dr. Hans Klein in der Bischofsloge der evangelischen Stadtpfarrkirche von Hermannstadt gefunden hat, ohne dass bekannt ist, wie und wann die Sammlung von Dokumenten, Briefen und Zeitungsausschnitten aus der Zeitspanne 1942–1955 dorthin kam. Das Deckblatt der Hefte trägt als Titel „Agenden betr. die Politik der evang. Landeskirche A.B. während des Episkopats: W. Staedel/D. Dr. V. Glondys/u. Friedr. Müller (1942– 1955)“, als Autor (Herausgeber?) wird UNIUNEA DEMOCRATICA SÃSEASCA ANTIFASCISTA/Sächsischer Demokratisch-Antifaschistischer Volksverband angegeben, ein runder Stempel weist die „Dokumentar-Bücherei Dr. Erhard Andree“ als Eigentümerin aus. Hannelore Baier hat für die einzelnen Hefte, die im Hermannstädter ev. Stadtpfarramt aufbewahrt werden, ein Inhaltsverzeichnis angelegt; dementsprechend bedeutet „II/18“ z. B. Urkunde Nr. 18 aus Heft II. Auszüge davon in: Baier, Hannelore: Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. ZfSL 20 (1997), Heft 1 (siehe: Gedruckte Quellen).
Gedruckte Quellen • Popa, Klaus [Hg.]: Die Rumäniendeutschen zwischen Demokratie und Diktatur. Der politische Nachlass von Hans Otto Roth 1919–1951 [Politischer Nachlass]. Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main 2003. • Glondys, Viktor & Böhm, Johann [Hg.]: Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933 bis 1949. AKG-Verlag, Dinklage 1997. • Müller, Friedrich: Erinnerungen. 1944–1964. Schriften zur Siebenbürgischen Landeskunde. Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 1995. Bearbeitet von Hannelore Baier.
Quellen- und Literaturverzeichnis
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• „Portraits mit zwei Gesichtern.“ Aufsatzreihe von Ernst Breitenstein. Erschienen in România Viitoare, Hermannstadt. Von Rudolf Brandsch (Andree II/128). In: Baier, Hannelore: Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1. • „Vox populi – Vox dei.“ Reminiszenzen demokratisch-fortschrittlicher Sachsen zu der Entgegnung Landeskirchenkurators Dr. Hans Otto Roth vom 9. Dezember 1946, bestimmt die Artikelserie „Portraits mit zwei Gesichtern“ von Gen[ossen] Ernst Breitenstein, erschienen in der Tageszeitung „România Viitoare“, Hermannstadt, zu widerlegen (Andree II/129). In: Baier, Hannelore: Zur Geschichte der politischen und kirchlichen Vertretung der Siebenbürger Sachsen während der Jahre 1944–1947. Neue Quellenfunde. In: ZfSL 20 (1997), Heft 1. • Resolution der sudetendeutschen Landsmannschaft und des sudetendeutschen Rates zur Schaffung eines internationalen Minderheiten- und Volksgruppenrechtes. Bonn, 1979. • Roth, Herbert: Kein Jahr war vergeblich. Hinter Stacheldraht und Gittern, 1958–1964. Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München 1987. • Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Dokumente. Studien Verlag. Innsbruck 1999. • Wagner, Ernst: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1191–1975. 2. Auflage, Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 1981. • Binder, Hermann: Aufzeichnungen aus Transnistrien (September–Dezember 1942). München 1998.
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Personenverzeichnis Andree, Erhard: 237, 239, 240, 242, 243, 245, 247, 248, 249, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 275, 314, 315 Antonescu, Ion: 111, 112, 113, 114, 165, 174, 178, 179, 186, 187, 188, 189, 191, 192, 193, 194, 196, 197, 198, 199, 200, 207, 215, 225, 227, 231, 232, 240, 270, 273, 320, 323 Averescu, Alexandru: 67, 80, 82, 91 Ammende, Ewald: 70, 123, 269 Berger, Gottlob: 191, 192, 194 Best, Werner: 12 Beyer, Hans: 11, 265 Bismarck, Otto von: 94, 104, 109, 110, 319 Bleyer, Jakob: 50, 102, 103, 104, 121, 263 Bonfert, Alfred: 94, 104, 109, 110 Brandsch, Rudolf: 5, 6, 11, 33, 35, 36, 64, 47, 49, 50, 51, 52, 54, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 84, 93, 100, 115, 152, 221, 230, 236, 237, 239, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 256, 259, 263, 265, 266, 275, 307, 308, 315, 316, 321, 328 Bratianu, Jonel (Ion): 54, 67, 98 Bruckner, Wilhelm: 11, 317 Bruckner, Wolfram: 113, 151, 193, 246 Bürckel, Josef: 174 Calinescu, Armand: 159 Cloos, Friedrich: 138, 139, 140, 141, 154, 191 Connert, Fritz: 44, 88 Connerth, Hans: 73, 184 Copony, Paula: 43, 44, 301 Copony, Traugott: 47, 301 Cramer, Charlotte: 247 Cramer, Walter: 244, 247, 248 Cristea, Miron: 111, 161 Csaki, Richard: 69, 241, 301 Depner, Wilhelm: 199, 218, 249, 294, 295, 314, (6, 294) Duca, Ion: 82, 111 Fabricius, Wilhelm: 160, 161
Fabritius, Fritz: 78, 105, 112, 119, 135, 142, 144, 149, 151, 154, 155, 157, 160, 161, 177, 192, 217, 231, 241, 246, 247, 249, 267, 271, 273, 328 Falk, Udo: 260 Freytag, Hans: 73, 76, 98 Friedrich, Andreas: 184 Fuß, Adolf: 236, 237, 256, 257, 258, 259, 260, 275, 307, 308 Goerdeler, Karl: 244, 248, 319 Groza, Petru: 209, 236 Gündisch, Karl: 6, 205, 206, 208, 229, 230, 237, 308, 309 Filtsch, Eugen: 54 Francu, Amos: 47 Gmeiner, August: 50 Glondys, Irmgard: 169 Glondys, Viktor: 6, 21, 85, 113, 122, 123, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 143, 144, 146, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 177, 180, 183, 184, 199, 212, 213, 221, 229, 230, 231, 232, 233, 236, 237, 243, 244, 245, 248, 250, 251, 252, 256, 270, 271, 272, 275, 307, 308, 309, 310, 312, 314, 327 Goga, Octavian: 107 Graebe, Kurt: 125, 132, 134 Gust, Waldemar: 74, 140, 143, 146, 151, 152, 154, 188, 246, 270 Haeften, Hans Bernd von: 194, 195, 196, 197, 217, 247 Hasselblatt, Werner: 125, 132, 319 Hedrich, Hans: 47, 88, 93, 146, 161 Henlein, Konrad: 119, 135, 191 Herzog, Otto: 150 Hindenburg, Paul von: 84 Himmler, Heinrich: 175, 191, 192, 194, 196, 215, 225, 227, 322
Personenverzeichnis 331
Hitler, Adolf: 9, 13, 14, 15, 68, 94, 102, 103, 106, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 126, 129, 134, 135, 143, 148, 159, 165, 172, 174, 175, 177, 182, 189, 193, 198, 200, 202, 215, 216, 222, 226, 227, 238, 239, 241, 243, 245, 246, 247, 248, 267, 268, 269, 270, 271, 273, 275, 276, 293, 316, 317, 319, 320, 323, 326, 328 Hönig, Alfred: 200 Ionescu, Take: 67, 68 Iorga, Nicolae: 67, 74 Ipsen, Friedrich: 53 Jekeli, Hermann: 122 Jeckeli, Ludwig: 54 Jickeli, Otto Fritz: 52, 53, 105, 119, 120, 121, 138, 150, 185, 308 Joseph, Franz: 37 Jünger, Ernst: 14 Kant, Immanuel: 11, 117, 235 Keintzel, Harald: 240 Kessler, Karl: 11, 69, 265, 321 Killinger, Manfred von: 200, 207, 242, 248 Klein, Fritz: 52 Klein, Karl Kurt: 69 Korodi, Lutz: 36, 37 Kräuter, Franz: 69, 71, 161, 217, 222, 308 Liess, Otto: 202, 203, 204, 205 Niethammer, Lutz: 12, 13, 15 Marghiloman, Alexandru: 67 Maniu, Iuliu: 54, 67, 214, 226, 255 Meyer, Hans: 17, 18, 29, 323 Mândrescu, Simon: 82 Mironescu, Gheorge: 67 Molitoris, Karl: 184 Motzkin, Leo: 125 Möckel, Brigitte: 7, 39, 234, 302, 314 Möckel, Konrad: 78, 139, 158, 323 Mussolini, Benito: 68, 103, 119, 238 Muth, Kaspar: 69 Müller, Friedrich: 6, 27, 121, 122, 135, 136, 137, 138, 144, 153, 157, 159, 164, 167, 169, 172, 176, 181, 182, 183, 185, 186, 199, 201, 205, 212, 227, 229, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 239, 243, 244, 248, 249, 250, 251, 251, 254, 256, 257, 258, 259, 260, 267, , 288, 289, 291, 293, 295, 308, 314, 327 Müller, Herta: 228
Naumann, Eugen: 104, 105 Neugeboren, Emil: 46, 51 Peukert, Detlev: 12 Phleps, Artur: 208, 227 Polony, Arthur: 47, 54 Pomarius, Alfred: 136, 152, 201 Pop, Ionel: 214, 215, 229, 230, 231, 233, 256 Renan, Ernest: 18, 19, 20, 21, 324 Rendtorff, Franz: 86 Radescu, Nicolae: 209, 218, 219, 220, 222, 226, 308 Ribbentrop, Joachim: 195, 197 Rosenauer, Andreas: 150 Roth, Florian: 12, 301 Roth, Herbert: 261,301 Roth, Karl: 40, 262, 301 Roth, Luise: 40, 301 Roth-Höppner, Maria Luise: 7, 39, 301, 314 Rührig, Andreas: 171, 190, 215, 216, 273 Schacht, Hjalmar: 106, 107 Schaser, Julius: 162, 163 Scheiner, Herwart: 140, 154, 188, 308 Schenker, Winfried: 140 Schmidt, Andreas: 113, 161, 165, 166, 167, 168, 170, 171, 180, 183, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 199, 201, 202, 205, 206, 210, 215, 217, 238, 240, 241, 242, 243, 244, 246, 247, 248, 254, 255, 271, 272, 273, 307, 309, 310, 324, 325 Schnell, Carl Ernst: 85, 88, 89 Schöpp, Hermann: 87, 88 Schreiber, Wilhelm: 85 Stoffel, Emmerich: 256, 259, 260 Schuller, Rudolf: 11, 47, 52, 54, 325 Schullerus, Adolf: 46, 47, 50, 51, 54, 98 Seiwerth, Wilhelm: 143, 150 Sima, Horia: 112, 179 Wilhelm Staedel: 6, 33, 113, 136, 138, 140, 143, 156, 164, 170, 172, 173, 180, 181, 183, 185, 186, 201, 212, 213, 229, 231, 232, 235, 237, 242, 243, 244, 248, 249, 251, 252, 254, 267, 270, 271, 272, 273, 307, 309, 310, 311, 312, 313, 314, 318, 327 Stalin, Josef: 20, 173, 236, 238 Steinacker, Edmund: 36, 70 Stresemann, Gustav: 84, 94, 109, 264 Tâtârescu, Gheorghe: 111, 143, 146, 160
332 Personenverzeichnis Teutsch, Friedrich: 27, 32, 45, 84, 85, 135, 172, 296 Teutsch, Oswald: 194, 195, 196 Titulescu, Nicolae: 111 Wenskus, Reinhard: 18, 327 Wilfan, Iosip: 124, 125, 126, 129, 130, 131, 132, 134, 268
Wilson, Woodrow: 51, 59, 263, 281 Wolff, Carl: 36, 37, 46 Wolff, Helmut: 138, 155, 157, 159, 163, 164, 165, 166, 167, 169, 171, 194, 196 Zillich, Heinrich: 14, 34, 69, 101, 102, 135, 328
Schrif ten zur LandeSkunde SiebenbürgenS ergänzungsreiHe zum siebenbürgiscHen arcHiv Herausgegeben von Harald rotH und ulricH a. Wien eine ausWaHl
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scHässburg 1930
2010. XXX, 417 s. 10 s/W-abb. mit cd-
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Siebenbürgen (1807–1997)
gb. | isbn 978-3-412-21025-0
2005. iX, 414 s. gb. isbn 978-3-412-13405-1 bd. 31 | georg soterius »cibinium« EinE BEschrEiBung hErmannstadts vom BEginn dEs 18. JahrhundErts Hrsg. von lore PoelcHau 2006. XX, 284 s. gb.
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