Leonardos Geheimnis: Die Biographie eines Universalgenies 3374057845, 9783374057849

Leonardo da Vinci gilt als das Urbild des Universalgenies der Renaissance, als der große Magier, der erste Naturwissensc

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German Pages 432 [433] Year 2019

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Prolog: Die Entdeckung des Johannes im Bacchus
Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452-1482)
1. Der Erbe in Reserve
2. Milan und Weihe
3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation
4. Ingenium: Die Werkstatt als Tor zur Welt
5. Frühe Werke
6. In der Florentiner Gesellschaft
7. Die Bluttat
8. Ankunft in der Krise
9. Die Flucht
Kapitel 2: Mailand (1482-1499)
10. Bei Hofe
11. Was ist Majestät
12. Die Maske des schwarzen Todes
13. Der Bau des Lebens
14. Der Zauberer
15. Baumeister der Welt
16. Das Ballett der Perspektiven
17. Der Sturz
Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499-1515)
18. Hofkünstler in einer Republik
19. In Diensten eines Monsters?
20. Die Schlacht der Giganten
21. Das Bild der Familie
Epilog: Ich, Johannes
Anhang
Endnoten
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Personenregister
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Leonardos Geheimnis: Die Biographie eines Universalgenies
 3374057845, 9783374057849

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Leonardos Geheimnis

KLAUS-RÜDIGER MAI

Leonardos Geheimnis DIE BIOGRAPHIE EINES UNIVERSALGENIES

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig Printed in Germany Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Weiterverarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt. Cover: Anja Haß, Leipzig Coverbild: © Heritage Images / Fine Art Images / akg-images Innengestaltung und Satz: Friederike Arndt · Formenorm, Leipzig Druck und Binden: BELTZ Bad Langensalza GmbH ISBN 978-3-374-05784-9 www.eva-leipzig.de

Gewidmet Maria Angela Magnani und Matteo Giardini, den italienischen Freunden.

»Beschreibe, wie die Wolken sich bilden und wie sie sich auflösen, was die Wasserdämpfe in die Luft steigen lässt und was die Nebel und die Verdichtung der Luft verursacht und warum diese manchmal blauer oder weniger blau erscheint als ein andres Mal. Beschreibe auch die Luftregionen und die Ursachen des Schnees und des Hagels, warum das Wasser sich zusammenzieht und zu Eis verhärtet …« »Da werden riesige Gebilde in menschlicher Gestalt erscheinen; aber je näher du ihnen kommst, desto mehr werden sie ihre ungeheure Größe verlieren.« »In der Nacht von Sankt Andreas fand ich das Ende der Quadratur des Kreises, und zu Ende waren das Licht und die Nacht und das Papier, auf das ich schrieb, und zu Ende die Stunde.« »Enthülle nicht, wenn dir die Freiheit lieb ist, dass mein Angesicht ein Kerker der Liebe ist.«

Aus den Notizbüchern von Leonardo da Vinci

INHALT

Prolog: Die Entdeckung des Johannes im Bacchus  11

I. VINCI UND FLORENZ (1452–1482) 1. Der Erbe in Reserve  21 2. Milan und Weihe  37 3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation  51 4. Ingenium: Die Werkstatt als Tor zur Welt  65 5. Frühe Werke  84 6. In der Florentiner Gesellschaft  100 7. Die Bluttat  120 8. Ankunft in der Krise  128 9. Die Flucht  149

II. MAILAND (1482–1499) 10. Bei Hofe  171 11. Was ist Majestät?  187 12. Die Maske des schwarzen Todes  201 13. Der Bau des Lebens  216 14. Der Zauberer  238 15. Baumeister der Welt  273 16. Das Ballett der Perspektiven  296 17. Der Sturz  324

III. DIE ZEIT DER WIRREN (1499–1515) 18. Hofkünstler in einer Republik  339 19. In Diensten eines Monsters?  347 20. Die Schlacht der Giganten  354 21. Das Bild der Familie  367 Epilog: Ich, Johannes  377

ANHANG Endnoten  387 Literaturverzeichnis  394 Abbildungsverzeichnis  403 Personenregister  406

PROLOG: DIE ENTDECKUNG DES JOHANNES IM BACCHUS

Prolog: Die Entdeckung des Johannes im Bacchus

Die Bibel beginnt mit dem wuchtigen und doch so lakonischen Satz: »Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe.« Aus dieser tiefen Finsternis erscheint urplötzlich ein Mensch als Verkörperung des göttlichen Befehls: »Es werde Licht« (1. Mose 1,3). Die halbnackte Gestalt, von deren linker Schulter ein Fell herabfließt, das die rechte Schulter und den rechten Arm freigibt, weist unterstützt von der Kraft der Drehung des gesamten Körpers in einer entschiedenen Geste, die durch den ganzen Arm bis in die Spitze des Zeigefingers reicht, himmelwärts (siehe Abb. links und Tafelteil Abb. 16). So, wie Leonardo immer noch und immer wieder aus dem Dunkel der Geschichte hervorleuchtet, markant und doch nicht mit ganzer Kraft – denn die Finsternis gibt eben nicht die ganze Gestalt preis –, wird auch sein »Johannes der Täufer« von einem Geheimnis eingehüllt. Dank einer unendlichen Skala von Schattentönen entschwindet Johannes ins immer Schwärzere, das wohl nie ganz aufgehellt werden kann. Denn die Zeit, die Zeitepochen und nicht zuletzt Leonardo selbst haben an dem einzigartigen »Sfumato« seiner Persönlichkeit gearbeitet. Das Tafelbild Johannes der Täufer verdankt seine expressive Kraft genau dem Sfumato, das von Leonardo in eine einzigartige Perfektion getrieben wurde. Bei dieser Technik, die zugleich auch eine ästhetische Botschaft und Weltanschauung ist, werden immer wieder blasse Lasuren – Lösungen mit wenig Farbe und mit geringem Deckungsvermögen – in exzessiver Folge auf das Bild aufgebracht, die fließende Übergänge zwischen dunklen und hellen Bereichen des Bildes ermöglichen. Die Maltechnik erzeugt eine starke Plastizität der Bildelemente wie Figuren oder Gegenstände, eine Plastizität, die Giorgio Vasari in seiner Leonardo-Vita »Relief« nannte. Vasari war beeindruckt von der Körperlichkeit, der Illusion der Dreidimensionalität, die Leonardo­auf einer Fläche hervorzurufen wusste, so dass ihm hierfür nur der Begriff »Relief« zur Verfügung stand. Leonardo selbst hätte den Vergleich mit den aus der Bildhauerei stam13

Prolog: Die Entdeckung des Johannes im Bacchus

menden Reliefs allerdings abgelehnt und eher von Natürlichkeit gesprochen, von lebendiger Gestaltung oder einer wahren Geschichte, die er zu erzählen beabsichtigte. Sein Johannes, der aus der Dunkelheit kommt, leuchtet nicht selbst, sondern wird angeleuchtet, er reflektiert und verstärkt nur das Licht, das auf ihn fällt. Interessanterweise entsteht nicht der Eindruck, dass mittels des Lichtes etwas aus der Dunkelheit hervorgeholt wird, sondern dass Figur und Licht sich aufeinander zubewegen, sich treffen. Was Leonardo hier glückt, ist die Darstellung der Dialektik. Der Glaube, also das Licht, kommt zum Menschen, erleuchtet ihn, so, wie der Mensch sich zum Glauben, zum Licht bewegt, das er auch sucht. Johannes ist erleuchtet, er hat das Licht gefunden und das Licht ihn. Diese Dialektik, den Weg des Glaubens darzustellen, gelingt Leonardo in einer Bewegung, der ungemein kunstvollen Drehung des Körpers, die das Geschehen dynamisiert. Leonardos Johannes ist ein Bewegter, bewegt, um andere zu bewegen. Beim Evangelisten Johannes heißt es: »Es war ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes. Der kam zum Zeugnis, damit er von dem Licht zeuge, auf dass alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht.« (Joh 1,6–8) Kein Zweifel existiert über die Quelle des Lichts, denn der Zeigefinger des letzten Propheten weist nach oben, zu Gott. Allerdings gehört die Frage, woran und wie er glaubte – wenn er überhaupt an etwas glaubte – zu den großen Geheimnissen des Leonardo da Vinci. Mancher würde ihn gern als Agnostiker, als einen sehr, sehr frühen Freigeist oder als Häretiker ansehen, was einige für dasselbe halten mögen. Wenn der Humor, der neben der Fähigkeit des Mitleids vielleicht als die menschlichste aller menschlichen Eigenschaften gelten darf, ein Geschenk und eine Gnade Gottes ist, dann war Leonardo reich beschenkt und begnadet. Und so verbindet sich die Frage nach Leonardos Religiosität mit der nach seinem Humor. Humor fußt letztlich auf einem fröhlichen Einverständnis mit der Einsicht in die eigene 14

Prolog: Die Entdeckung des Johannes im Bacchus

menschliche Endlichkeit. Zumindest zeugt die Beziehung, die Leonardo zwischen dem Propheten Johannes – dem Täufer – und dem Evangelisten Johannes – Jesu Lieblingsjünger – assoziiert, von einem feinen Humor. Im berühmten »Abendmahl«, worauf zurückzukommen sein wird, hat er sich intensiv mit Johannes Evangelista auseinandergesetzt und es wird zu fragen sein, wie viel Johannes Baptista im Johannes Evangelista des Abendmahls zu finden ist. Im Evangelium des Johannes heißt es, dass der letzte Prophet, Johannes der Täufer, bekannte: »Ich bin nicht der Christus.« (Joh 1,20) Im Tafelbild geht das Licht nicht vom Täufer aus, sondern er reflektiert und verstärkt es. Er macht durch seine ganze beeindruckende Gestalt und durch die Nachdrücklichkeit, mit der die kraftvolle Drehung des Körpers die Botschaft vertritt, erst auf das Licht aufmerksam, das er gleichsam verkündet. Er begreift sich – und wird von Leonardo auch so in Szene gesetzt – als »Prediger in der Wüste« (Joh 1,23), womit vor allem die geistliche Wüste gemeint ist. Mehr noch: Deutlich fordert er alle Menschen auf: »Ebnet den Weg des Herrn!« (Joh 1,23) Aber das alles ist noch die Vorgeschichte, die man kennen muss. Die Aussage des Bildes liegt nicht in ihrem Inhalt, sondern in der Art und Weise, wie der Inhalt erzählt wird. Sie lautet: »Ich taufe mit Wasser; aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der wird nach mir kommen und ich bin nicht wert, dass ich seine Schuhriemen löse.« (Joh 1,26–27) Doch Johannes der Täufer ist so voller Anmut und Würde, so voller Eindeutigkeit und Überzeugungskraft dargestellt, so stark, dass man nur ahnen kann, was da für ein mächtiger und anmutiger, menschlicher und über den Menschen hinausgehender Nachfolger kommen muss, wenn Johannes meint, dass er es nicht einmal wert sei, ihm die »Schuhriemen« zu lösen. Johannes wurde in Leonardos Bild zum »Ecce Homo«, zum Urbild des Menschen, der sich hin zu Jesus bewegt, von Jesus, vom göttlichen Licht ganz erfasst wurde und durchdrungen ist. So sehr, 15

Prolog: Die Entdeckung des Johannes im Bacchus

dass man meint, er strahle selbst. Und in der Tat wurde seine Seele zu einem Spiegel des göttlichen Lichts. Mehr noch: Was das göttliche Licht auf so einzigartige Art verstärkt, dass man versucht sein könnte, von einem Mit-Strahlen zu sprechen, ist der Glaube des Johannes, denn seine linke Hand legt sich in einer einfachen, ungezwungenen und deshalb überzeugenden Geste ans Herz, die zeigt: Dass Christus der Erlöser der Welt ist, der Messias, daran glaubt Johannes von ganzen Herzen. Und Leonardo? Es scheint, dass die Figur des Johannes Baptista für ihn zu einer Art Alter Ego geworden ist. Das »Ecce Homo«, der leidende Mensch, der der Erlösung bedarf, scheint zur tieferen Dimension von Leonardos Glauben zu führen. Ob er dazu der Kirche bedurfte, soll einstweilen nicht erörtert werden. Christus jedoch, den er nie in einem Gemälde als Schmerzensmann, nie als Gekreuzigten malen sollte, wurde für ihn zum Inhalt des Glaubens; Christus, der Messias, dem er sich nur wie Johannes Baptista oder Johannes Evangelista zu nahen vermochte. Aber Gott wird sich nur nahen können, wer den Menschen, die Natur, die Schöpfung versteht. Und so scheint Leo­ nardos Religion nur über die Erkenntnis der Schöpfung, der Werke Gottes begreifbar zu werden. In Leonardos »Felsengrottenmadonna« segnet das Christuskind den Johannesknaben. Johannes ist also ein Gesegneter – und Leonardo hofft es zu sein. Ein weiteres Gemälde steht als das letzte Werk des Meisters in der Diskussion. Es trägt den Titel »Bacchus«. Anhaltend wird darüber disputiert, wie viel von Leonardo eigenhändig und wie viel von einem Mitarbeiter gemalt worden ist, ja, Leonardos Mitarbeit an dem Gemälde wird in Zweifel gezogen. (Bacchus, Tafelteil Abb. 16) Statt einem Kreuz hält Bacchus einen Thyrsos in der Hand, einen Stab, der zu den Attributen des heidnischen Gottes gehört, und trägt einen Efeukranz. Bacchus ist fast nackt, nur um des Decorums Willen liegt über seinen Lenden ein Tigerfell, gerafft, gerade eben die Männlichkeit des griechischen Gottes ver16

Prolog: Die Entdeckung des Johannes im Bacchus

hüllend. Dass dieses Bild wenigstens von Leonardo inspiriert ist, steht außer Frage. Doch weder er noch einer seiner Mitarbeiter noch ein anderer Zeitgenosse haben dem Bild Thyrsos, Tigerfell und Efeukrone hinzugefügt. Die Attribute des Bacchus stammen von einem unbekannten Maler des 17. Jahrhunderts, der Bacchus erst zu Bacchus machte. Nimmt man diese späten Übermalungen weg, kommt man zu der Figur, die sie zu Leonardos Zeiten war: Johannes Baptista. Man macht es sich entschieden zu einfach, wenn man die eigenmächtige Übermalung als grundlos kritisiert, denn Leonardos Bild – nennen wir es im Weiteren so, ohne Spekulationen über die Anteile verschiedener Maler anzustellen – gab selbst Anlass dazu. Dieser kraftvolle Johannes, der zudem unüblicherweise vollkommen nackt war, trägt unverkennbar bacchantische Züge. Was aus heutiger und uninformierter Sicht als Sakrileg wirken muss, besitzt durchaus seinen Zusammenhang mit der Zeit der Renaissance, denn damals wurde Christus sehr wohl mit antiken Figuren verglichen, so mit Orpheus, aber eben auch mit Bacchus. Da mag erstaunen, aber in der Verbindung von Wein und heiliger Trunkenheit sah mancher Zeitgenosse der Renaissance auf beinahe häretische Weise in Bacchus einen Vorläufer von Christus. Man wird also die beiden Bilder Johannes des Täufers nur verstehen, wenn man sich in die längst untergegangene und oft missverstandene Welt der Renaissance versetzt. Der Weg zu Leonardo führt über die Entdeckung des Johannes im Bacchus. Die Reise dorthin stellt ein geistiges Abenteuer dar. Sie führt in das Mysterium, das Leonardo immer noch umfängt, in die verschiedenen Töne der Dunkelheit, wie wir sie aus dem Johannes-Bild kennen.

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KAPITEL 1:

VINCI UND FLORENZ (1452–1482)

1. Der Erbe in Reserve

Als Leonardo da Vinci am 2. Mai 1519, drei Wochen, nachdem er seinen 67. Geburtstag gefeiert und sein Testament aufgesetzt hatte, im Schloss Clos Lucé in Amboise starb, hatte die Legende vom großen Renaissancemagier längst ihren Siegeszug durch die Geschichte angetreten. Mochte Leonardos sterbliche Hülle zerfallen – sein Geist und sein Geheimnis, das ihn nach wie vor umweht, haben die Welt bis auf den heutigen Tag nicht mehr verlassen. Franz I., König von Frankreich, der Leonardo dieses Refugium der letzten Jahre aus wahrer Bewunderung für den göttlichen Künstler und zum Beweis seiner eigenen Ritterlichkeit zur Verfügung stellte, weilte an diesem Tag weit von dem sterbenden Universalgenie entfernt in Saint-Germain-en-Laye. »Il re è lontano« (der König ist weit weg), wie der gutinformierte Carlo Vecce schrieb.1 Dagegen behauptete ein früher Biograph, Giorgio Vasari, dass der alte Meister in den Armen des französischen Königs seinen letzten Seufzer tat.2 Diese Leonardo-Legende gewann im Laufe der Zeit derart an Bedeutung, dass sie schließlich im 19. Jahrhundert geradezu eine sakrale Höhe erklommen hatte. Doch dann erwies sie sich schließlich nicht als Tatsache, sondern als Topos. Aber die Entfernung von 200 Kilometern zwischen Amboise und Saint-Germain-en-Laye stand in keinem Verhältnis zu jener, die den toskanischen Meister von seiner Geburtsstadt Vinci trennte. Über 1 000 Kilometer lagen in der Stunde seines Todes zwischen seinem Alterssitz und seiner Heimat, zwischen Clos Lucé und Florenz, zwischen Amboise und Mailand. Ein außergewöhnliches Leben ging zuende. Man weiß nicht, wann diese Idée fixe von ihm Besitz ergriffen hat, aber Leonardo mühte sich, bei all seinem Tun stets die Nachwelt fest im Blick zu haben. Eine unstillbare Sehnsucht durchdrang ihn, in die Geschichte einzugehen. Nur das Gedächt21

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

nis der Nachwelt vermochte ihn zu retten: vor der Zeit, der »Verzehrerin der Dinge«, vor der »schnelle(n) Rafferin der geschaffenen Dinge«, die »viele Könige«, »viele Völker« »schon vernichtet« hat. Staaten haben, notierte Leonardo, sich gewandelt und »allerlei Zustände sind erfolgt«.3 Schon sehr früh schaute Leonardo mit der Melancholie, die man in der Renaissance als die Gefährdung, zugleich aber auch als die Bedingung für das Genie, genauer für das Ingenium, angesehen hatte, auf das Vergehen seines Lebens, das wie ein Fluss im Meer erstirbt. Bereits das Problem XXX,1 der Problemata, die dem Werk des Aristoteles zugerechnet wurden, behandelte die Frage, warum alle außergewöhnlichen Menschen Melancholiker seien, wie auch Cicero in den Disputationes Tusculanae behauptete. Der Florentiner Philosoph Marsilio Ficino, ein Zeitgenosse Leonardos, vertrat in seinem Buch De vita libri tres die aus der Antike stammende Auffassung, dass die Melancholie vom Übermaß an schwarzer Galle herrühre. Wenn sich die schwarze Galle im Menschen erhitze, dann rufe sie im Menschen kreative Kräfte herkulischen Ausmaßes hervor, erkalte sie jedoch, dann senkten sich auf die menschliche Seele Lust- und Antriebslosigkeit. Ficino galt nicht zuletzt als Autorität in diesen Fragen, weil er auch Medizin studiert hatte. Angetrieben von erhitzter schwarzer Galle erkannte Leonardo in der Zeit auch folgende Kraft: »Du gibst den geraubten Leben, indem du sie in dir verwandelst, neue und verschiedene Behausungen.«4 Ließe sich eine »neue Behausung« in der Zukunft finden, würde es ihm gelingen, mit der Zeit einen Pakt zu schließen? Ging es nicht um ständigen Wandel und Verwandlungen, wie Ovid es in seiner großen Dichtung Metamorphosen nicht müde wurde zu zeigen? Es kam dem Versuch gleich, stets die Welle zu reiten. Manche Geste gewinnt ihre volle Bedeutung erst vor diesem Hintergrund. Man versteht Leonardo nur, wenn man mitbedenkt, dass vieles von dem, was er unternahm, nicht allein für seine Zeitgenossen getan wurde, sondern zugleich auch für die Späteren, für uns und für die, die nach uns kommen. 22

1. Der Erbe in Reserve

In der ersten Ausgabe der Vite von 1550 schrieb Vasari noch schwungvoll über Leonardo: »Dafür hat er in seinem Geist so ketzerische Gedanken entwickelt, die keiner Religion mehr nahekamen, weil er es weit höher schätzte, Philosoph statt Christ zu sein.«5 In der Ausgabe von 1568 hatte der vorsichtiger gewordene Vasari diesen Satz jedoch gestrichen, denn nach dem Konzil von Trient und der einsetzenden katholischen Reform erwiesen sich Sätze dieser Art als gefährlich – für die Bewertung Leonardos, aber auch für den Autor selbst. Zwar hatte Papst Paul III. mit der Bulle Licet ab initio am 4. Juli 1542 die Heilige Römische und Allgemeine Inquisition gegründet, deren Hauptaugenmerk auf der Häresie und auf der Abweichung vom katholischen Glauben lag, doch wusste man erst nach dem Konzil von Trient verbindlich, was katholisch war. Vasari, den Biographen Leonardos und Michelangelos, mahnte zur Vorsicht, dass bereits 1564 durch den Erlass Pictura in Capella Apostolica cooprinatur die Darstellung der Nacktheit in der Bildenden Kunst verboten und Daniele da Volterra damit beauftragt worden war, die anstößigen Stellen in Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtinischen Kapelle zu übermalen. Dem armen Daniele da Volterra brachte dieser unehrenhafte Auftrag den Beinamen Braghettone (Hosenmaler) ein. Bei aller Ambivalenz in seiner Einschätzung Leonardos stand es nicht in Vasaris Absicht, sich selbst oder das Ansehen Leonardos für die Nachwelt zu beschädigen. Dem Menschen des 21. Jahrhunderts, der sich dem Konzept der Nachwelt entfremdet hat und ganz in der Ars vivendi, reduziert auf eine Ars consumendi, aufgeht, mag es schwerfallen, diese Motivation angemessen zu würdigen. Leonardo aber lebte früh schon in zwei Welten: in seiner Gegenwart und in der Zukunft, die aus seiner Perspektive gesehen die Ewigkeit schlechthin bedeutete. Für ihn galt das Konzept der Nachwelt in sogar noch weitaus höherem Maße als für seine Zeitgenossen. Vielleicht war die Nachwelt sogar die Form, wie er sich das Paradies vorstellte, zumindest in der Zeit, bevor er in Amboise lebte. 23

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Georg Wilhelm Hegel kalauerte einmal, Friedrich Schiller zitierend, dass die Weltgeschichte das Weltgerichte6 sei. Vieles spricht dafür, dass sich Leonardo stärker vor der Weltgeschichte als vor dem Jüngsten Gericht fürchtete, zumal die Tiefe seines christlichen Glaubens in Zweifel stand, wofür Vasari einen prominenten, aber nicht den einzigen Beleg lieferte. Es mag als allzu moderner Gedanke erscheinen, aber der Meister des Abendmahls und der Mona Lisa erblickte in der Erinnerung der Menschen das ewige Leben im Paradies, im Vergessen-Werden hingegen die Hölle. Nur zu gut wusste er, dass darüber, ob seine Erdentaten bleiben oder in den nachfolgenden Zeiten verwehen, einzig und allein die Nachwelt entschied. Doch wie konnte man sie beeinflussen, ihr beikommen? Wie ließe sie sich zwingen, seine Taten für immer im Gedächtnis zu bewahren? Wer sich dem Leben Leonardos nähern will, muss stets im Blick haben, dass gelebtes Leben und versuchte Legendenbildung die zwei Seiten seiner Existenz ausmachen, mehr noch, dass Biographie und Legende nicht strikt getrennt voneinander sind, sondern ineinander übergehen. Und selbst wenn seine Biographen in dem einen oder anderen Falle einer von Leonardos Lebensdichtungen, einer seiner Mystifikationen aufsaßen, so schadet das nicht, weil sie einen so innigen Teil seines Lebens bilden. Leonardo jedenfalls befeuerte bewusst und kalkuliert die Legendenbildung um seine Person. Nicht weniger wichtig ist es auch, zu beachten: Es existiert ein Davor und ein Danach. Zwischen Leonardos Zeit und heutiger Gegenwart tut sich ein Abgrund auf, der gewaltige Umbruch vom späten Mittelalter zur Neuzeit. Man könnte die Zäsur symbolisch mit den Jahren 1517 und 1563, mit der Reformation und der katholischen Reform, mit den Orten Wittenberg und Trient in Zusammenhang bringen, denn seither wurden die Moralund Sittennormen zu einer bindenden, auch durchgesetzten Norm für das Leben der Menschen, zu einer Norm, die kontrol24

1. Der Erbe in Reserve

liert wurde und an die man sich zumindest öffentlich zu halten hatte. Das Maß an Sozialkontrolle erhöhte sich in der Neuzeit spürbar. In Rom nahm die Inquisition die Arbeit auf und stellte nach dem Trienter Konzil den Index der verbotenen Bücher zusammen, während die Calvinisten die regelmäßige Inspektion der Haushalte durch die calvinistischen Ortspfarrer verfügten. Moral und Orthodoxie wurden zur gefährlichen Angelegenheit und die Herrschaft des modernen Rechts bedurfte zu ihrer Durchsetzung der Folter. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass Christopher Kolumbus am 12. Oktober 1492 Amerika erreichte und die vierte Globalisierung damit ihren Anfang nahm. Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts aber wurde sexuelle Freizügigkeit öffentlich ausgelebt, und das beileibe nicht nur von den berühmt-berüchtigten Renaissancepäpsten. So hatte, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, der Mainzer Domherr und Stadtkämmerer Graf Johann von Eberstein7 die Wände seiner Wohnung mit den frivolsten Szenen des Wiesbadener Badelebens freskieren lassen, ein Reihung pornographischer Wandbilder in leuchtenden und kräftigen Farben. Stolz präsentierte der Domherr die allerfreizügigsten Darstellungen von Festen, Bacchanalien und Orgien allen Besuchern, so auch Heinrich von Langenstein, der eine Professur an der Universität von Paris innehatte und der darüber unter der Überschrift De voluptate carnali (Über die Fleischeslust) im Kapitel V seines Tractatus berichtete:8 »Sobald man angekommen ist, finden sich Gruppen, die Gesellschaft von Weibern wird gefordert, das Bad betreten, die Körper gereinigt, die Seelen befleckt. Man geht und die Trompeten erschallen, die Flöten singen, Reigen entstehen. Dort werden die Schauspiele der Verderbtheit, die von beiderlei Geschlechtern und in unersättlich unkeuscher Haltung ausgeführt werden, vor den keuschen Augen der Zuschauer verborgen. Bei den Weibern wird die Nacktheit der Brüste beschaut, bei den Männern die Unbedeckt25

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

heit der Hintern und überall werden unschuldiger Sinn und Fruchtbarkeit beleidigt.«9 Die Ausführlichkeit der Schilderung des Pariser Professors lässt nichts zu wünschen übrig. Das späte Mittelalter verfügte über eine erstaunliche Freiheit. Homosexualität galt zwar offiziell als Verbrechen, doch wurde sie nur verfolgt, wenn jemand ein persönliches Interesse daran hatte, demjenigen zu schaden, der sie praktizierte. Ansonsten nahm man sie nicht zur Kenntnis. In gewissen Kreisen wurde sie sogar sehr intensiv gepflegt. So kann man beispielsweise von Baudri, dem Erzbischof von Dol in der Bretagne, lesen: »Ja, man wirft mir wohl vor, ich hätte nach Weise des Jünglings Liebesverse gesandt Mädchen und Knaben zumal. Schrieb ich doch gar manches, worin von Liebe gesagt wird; Meinen Gedichten gefällt ein und ein anderes Geschlecht.«10 Wie man ohnehin an Texten der Kleriker sehen kann, erfreute sich die Knabenliebe im Mittelalter entgegen den Klischees einer hohen Verbreitung und man schämte sich auch nicht, öffentlich darüber zu sprechen oder gar zu schreiben. Sanktionen waren theoretisch möglich, hielten sich aber im Allgemeinen eher an den Grundsatz: wo kein Kläger, da kein Richter. Der italienische Humanist Antonio Beccadelli, genannt Panormita (1394–1471), veröffentlichte 1425 als Hofdichter des Herzogs von Mailand, Filipo Maria Visconti, eine Sammlung von Epigrammen obszönen Inhaltes, die unter den Gebildeten die Runde machte und so manchen Herrscher, Bischof, Kardinal und auch Papst erfreute – und nicht selten umso mehr, je stärker ihre heimlichen Leser sie öffentlich verurteilten. In Parnomitas Werk unter dem sprechenden und vielversprechenden Titel Hermaphrodites finden sich ausnahmslos Verse dieser Art: »Si tot habes scapula penes, quot sorpseris ano,  Et perfers, vincis, Mamuriane, boves. (Trügst du so viele der Schwänze als 26

1. Der Erbe in Reserve

schon du im Hintern gehabt hast Fort auf den Schultern, du wärst stärker fürwahr als ein Ochs.«)11 Als Leonardo geboren wurde, schlummerte der nicht allzu bedeutende Filipo Maria Visconti bereits seit fünf Jahren in Gottes Schoß, während seit zwei Jahren dessen Schwiegersohn Fran­ cesco Sforza über Mailand herrschte. Und Hermaphrodites erfreute sich einer ungebrochenen Lektüre und Verbreitung. Zwar stellte es einen Makel dar, wenn man unehelich auf die Welt kam, doch wog er nicht allzu schwer. Im Gegenteil, der große Renaissanceforscher Jacob Burckhardt beschreibt diese Epoche als goldenes Zeitalter der Bastarde. Leonardos Großvater Antonio da Vinci jedenfalls notierte an einem Frühlingstag in dem bereits von seinem Großvater und seinem Vater ererbten Notizbuch, das sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer Familienchronik in Daten entwickelt hatte, auf der letzten Seite: »1452. Mir ist ein Enkel geboren worden, der Sohn meines Sohnes Ser Piero, am 15. Tag des Aprils, einem Samstag, um die dritte Nachtstunde. Er trägt den Namen Lionardo.«12 Lionardo ist die alte toskanische Form für Leonardo, und der Maler sollte später selbst zwischen beiden Formen alternieren. Doch weil im letzten schriftlichen Zeugnis, dem Testament, Messer Leonardo steht und sich im Laufe der Zeit auch diese Form durchgesetzt hat, soll sie im Folgenden durchweg Verwendung finden. Die dritte Nachtstunde alter florentinischer Zeiteinteilung entspricht übrigens der heutigen Uhrzeit 22.30 Uhr. Leonardo wurde entgegen anderslautender Behauptungen im Haus der Familie geboren. Es lag am südlichen Ende der Burgmauer in der Nähe des Zentrums des Städtchens und es gehörte ein kleiner Garten dazu. Unter Hinweis auf Leonardos uneheliche Geburt wurde darüber spekuliert, ob der Bastard, wie er in der Terminologie der Zeit genannt wurde, statt im Hause Antonio da Vin27

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

cis in einem kleinen Bauernhaus, das an der Straße von Vinci nach Anchiano lag, das Licht der Welt erblickte. Dieses Haus gilt heute als Geburtshaus, es befindet sich ein Museum darin. Dort besaß der mit Antonio befreundete Piero di Malvolto einigen Landbesitz. Er hatte bei Piero di Antonio da Vinci Pate gestanden und sollte nun auch bei dessen Sohn Leonardo einen Tag nach der Geburt Pate stehen. Zudem wohnte Piero di Malvoltos Mutter in der Nähe und könnte sich um das gebärende Bauernmädchen gekümmert haben. Doch diese Argumente überzeugen wenig. Ein dem heutigen Verständnis nahekommendes Argument der Schicklichkeit, es gehöre sich nicht, dass die unverheiratete Mutter das uneheliche Kind im Elternhaus des Vaters zur Welt bringt, hat weitaus mehr mit der Welt nach dem 16. Jahrhundert als mit den vorangegangenen Säkula zu tun und berührt zumindest die Grenze des Anachronismus. Doch vor allem sprechen gegen die These von der diskret gehandhabten Geburt in dem Haus an der Landstraße nach Anchiano der öffentliche Umgang mit dem Kind und die große Feier der Taufe, die als gesellschaftliches Ereignis begangen wurde. Wäre Leonardo heimlich in der Nähe von Anchiano zur Welt gekommen, wäre eine andere Kirche für die Taufe zuständig gewesen, die man dann auch aus Gründen der Diskretion in dieser Entfernung gewählt hätte. Mit der Taufe hatte man es in diesen Zeiten hoher Kindersterblichkeit eilig, denn ungetauften Seelen war die Aufnahme in das Himmelreich verwehrt. Fest steht jedoch, dass Leonardo in eine Juristenfamilie hineingeboren wurde, denn sowohl Urgroßvater und Großvater als auch der Vater hatten sich erfolgreich als Advokaten betätigt, wenngleich der Großvater sich nach Vinci in das Haupthaus der Familie zurückgezogen hatte und als Privatier von den Einkünften aus Landbau und Pacht lebte. Nach dem Studium der Rechte, wahrscheinlich in Pisa, trat Leonardos Vater Ser Piero di Antonio da Vinci in eine Florentiner Kanzlei ein, die ihren Sitz in der Via Ghibellini hatte. Für 28

1. Der Erbe in Reserve

den jungen Notar folgte eine Zeit des Reisens, so vertrat er zum Beispiel Florentiner Kaufleute in Pisa. Zumindest im Sommer des Jahres 1451 weilte er im elterlichen Haus in Vinci und vertrieb sich die Zeit damit, in einem Anfall aus Lust und Verlangen eine Affäre einzugehen, die ihn vorzeitig und ungeplant zum Vater machen sollte. Später notierte Leonardo auf die Rückseite eines Blattes mit anatomischen Zeichnungen, dass Kinder eines Mannes, der den Geschlechtsakt widerstrebend und mit Unlust vollzieht, jähzornig und unzuverlässig werden, während derjenige, der sich dem Akte mit Liebe und auf gegenseitigen Wunsch unterzieht, Nachkommen von großer Intelligenz zeugt, die geistvoll und liebenswert sind.13 Da er sich selbst als geistvoll und liebenswert ansah, ging er selbstverständlich davon aus, dass seine Eltern einander in Liebe zugetan waren, zumindest eine Zeitlang und im Akte. So erweckte der uneheliche Sohn das Bild einer Sommerromanze zwischen seinen Eltern. Von dieser Vorstellung ausgehend entstehen wie von selbst romantische Vorstellungen, die man sich von der Beziehung des jungen Mannes und der jungen Frau machte. Der Vater jedenfalls zählte noch ganze vier Tage lang 25 Jahre, denn er war am 19. April 1426 geboren worden, die Mutter 16 Lenze, eine für diese Zeit nicht unübliche Konstellation. Da die Identität von Leonardos Mutter sehr lange im Dunklen lag, blieben die abenteuerlichsten Hypothesen nicht aus. Das Interesse schuf sich seine eigenen Bilder, die zu dem geheimnisvollen Renaissancemagier scheinbar so vortrefflich passten. Es wurde sogar über eine chinesische oder eine arabische Sklavin spekuliert. Die von Martin Kemp und Giuseppe Parranti entdeckte Wahrheit erwies sich jedoch als schlichter,14 und in ihrer Schlichtheit als interessanter und geheimnisvoller, weil nicht im Fremden, sondern im Bekannten das wahre Mysterium steckt, nämlich die Frage nach dem Grund der Abweichung. Bei dem Kind einer arabischen Sklavin ließe sich phantasiereich über allerlei mögliche exotische Einflüsse räsonieren, 29

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

stattdessen bleibt nur das viel schwierigere Geschäft übrig, Leonardos erstaunliche Originalität in der Gewöhnlichkeit seiner Herkunft zu finden. Die Mutter erblickte 1436 als Caterina Lippi das Licht der Welt. Sie war das Kind armer Bauern. Das Dunkel um ihre Person resultierte schlicht aus ihrer gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit, denn warum sollte ihr jemand größere Aufmerksamkeit zugewendet haben. Über ihre Mutter weiß man nichts, über ihren Vater Bartolomeo Lippi, Meo genannt, wenig. Nach dem frühen Tod des Vaters, der mit etwas mehr als 40 Jahren verstarb, kümmerte sich die Großmutter um die 15-jährige Caterina und um ihren jüngeren Bruder Papo, der 1449 auf die Welt gekommen war. Doch die Großmutter starb bereits im Jahr 1451. Es scheint, dass Orso, der Sohn des Vaterbruders, Papo in seine Familie aufnahm. Er hatte bereits zwei Söhne im Alter von Papo, Giovanni und Antonio. Reich konnte man Orso Lippi nicht nennen, doch arm wohl auch nicht. Papo blieb sein kurzes und klägliches Leben lang auf die Hilfe von Orso und dessen Söhnen Giovanni und Antonio Lippi angewiesen.15 Er starb, kaum dass er sein 30. Lebensjahr hinter sich gelassen hatte. Dass Caterinas älteste Tochter den Namen Sandra von Orsos Ehefrau bekam, kann man als Hinweis darauf verstehen, dass auch Caterina bei Orso und Sandra unterkam, zumal sie in einem Alter war, in dem sie in der Wirtschaft kräftig mitanpacken konnte. Allerdings ließe sich die Namensgebung auch als Dankbarkeit ihrem Cousin und ihrer Cousine gegenüber deuten, denn sie kümmerten sich um ihren Bruder. Plausibler indes scheint es, dass Caterina »in Stellung« zu Antonio di Ser Pietro da Vinci ging, zu Leonardos späteren Großvater, zumal als einzige Frau in dessen Haus nur seine über 50-jährige Ehefrau lebte. So kam wohl die 16-jährige Caterina in das Haus Ser Antonios und traf dort den im Hause des Vaters weilenden Ser Piero, den im toskanischen Frühling der Hafer stach. Jung und uner30

1. Der Erbe in Reserve

fahren mag sie sich Hoffnungen auf eine vorteilhafte Ehe gemacht haben. Ob Liebe im Spiel war, lässt sich trotz der kryptische Andeutung des 55-jährigen Leonardo nicht sagen, wohl eher Wollust, wie man es damals ausdrückte, denn dieser Ser Piero war bei Lichte gesehen ein nüchterner Geselle, der seine Karriere fest im Blick hatte. Unter seinem Stand würde er nicht heiraten, zumal er Verbindungen und eine gute Mitgift benötigte, um sich in Florenz fest zu etablieren. Entweder hatte er sich zum Zeitpunkt der Geburt des Sohnes bereits mit Albiera, der 16-jährigen Tochter des reichen Florentiner Schuhmachers Giovanni Amadori, verlobt, oder er stand zumindest in Eheverhandlungen mit dem gutsituierten Bürger. Doch um das schwangere Mädchen in Vinci kümmerte sich der Familienvorstand, Pieros Vater Antonio, persönlich. Er verheiratete die Kindesmutter nach Niederkunft und Stillzeit mit dem Bauern und Ziegelbrenner Antonio di Piero Butio del Vacca, der den beunruhigenden Beinamen Achattabriga trug, was so viel wie Streithammel, Zänker, Stänkerer heißt. Die Taufe am Weißen Sonntag in der Pfarrkirche Santa Croce richtete Leonardos Großvater als großes gesellschaftliches Ereignis aus. Nicht weniger als zehn angesehene Bürger standen für den unehelichen Sohn Pate. Unter ihnen Arrigo di Giovanni Tedesco, der auch della Magnia genannt wurde und der das große Gut der Ridolfi verwaltete. Der Name des Verwalters weist bereits darauf hin, dass dieser Pate aus Deutschland, genauer, aus der Diözese Mainz stammte.16 Für seine eigenen Kinder hatte Antonio nur vier bis sechs Bürger gebeten, die Patenschaft zu übernehmen. Es fällt auf, dass Leonardo, dessen Namen übrigens aus der Reihe der Antonios und Pieros heraussticht, der erste Enkelsohn, ja überhaupt das erste Enkelkind Antonios war. Natürlich ging der Familienvorstand davon aus, dass seine Söhne noch Nachkommen und vor allem Erben zeugen werden, doch was die Zukunft bringt, wusste man nicht. Zwar war Leonardo ein illegitimer Sohn, 31

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

doch er war eben ein Sohn und, wenn man so will, ein Erbe in Reserve. Um keinen Zweifel an Leonardos Abkunft von Piero und somit auch von Antonio aufkommen zu lassen, wurde der große Aufwand getrieben, den unehelichen Sohn an einem Sonntag in überfüllter Kirche vor dem gesamten Sprengel unter Mitwirkung von fünf Paten und fünf Patinnen, die der gehobenen Gesellschaft angehörten, taufen zu lassen. Damit wurde der Enkel so ehrbar als möglich gemacht und der Makel der Unehelichkeit in den Hintergrund gedrängt. Deshalb stand auch von Anfang an fest, dass der Sohn Pieros nicht bei der Mutter, sondern in Antonios Haus aufwachsen sollte. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb die Taufe in Abwesenheit der Mutter und des Vaters stattfand, wie Carlo Vecce behauptet hat.17 Trotz einer gewissen Laxheit in diesen Dingen hätte deren gemeinsamer Auftritt die etwas überspielte Wahrheit allen Taufgästen im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt. Hinzu kommt, dass die junge Mutter noch im Kindbett lag und der Vater sich mit den Hochzeitsvorbereitungen einer standesgemäßen Ehe beschäftigte. Antonio jedenfalls scheint stolz auf den Jüngsten seiner Sippe gewesen zu sein und eine echte Freude über das Kind empfunden zu haben. Anders der Vater. Blickt man auf die weitere Geschichte, so bleibt fraglich, ob er seinen Sohn zu sich genommen hätte, wenn der Großvater nicht diesen Spross vor aller Welt als Familienmitglied anerkannt hätte. Eine Woche nach der Taufe befand sich Ser Piero bereits wieder in Florenz und beglaubigte in seiner Kanzlei die Urkunden seiner Klienten. Zunächst blieb Leonardo in der Obhut der Mutter, die aber zumindest für die Zeit, in der er gestillt wurde, und bis zu ihrer Hochzeit im Haus am Borgo verblieb. Acht Monate später heiratete Ser Piero di Ser Antonio da Vinci die Florentinerin Albiera,18 während Caterina die Ehe mit Antonio di Piero Butio del Vacca, dem Bauern und Ziegelbrenner, einging und mit ihm ein Haus zwischen Anchora und Vinci bezog. So hatte Leonardos Großvaters alles aufs Treff32

1. Der Erbe in Reserve

lichste arrangiert und sowohl er als auch Piero blieben Caterina und ihrem Mann verbunden, wie aus wechselseitigen Beurkundungen hervorgeht. Sogar noch Jahre später pachtete Piero einen Brennofen für Caterinas Mann. Caterina brachte im Laufe der nächsten Jahre vier Töchter und einen Sohn zur Welt. Kurz nach Leonardos erstem Geburtstag ereignete sich eine Katastrophe für die Christen, die allerdings angekündigt war und dereinst großen Einfluss auf den Lebensweg des Kindes ausüben sollte. Am 29. Mai 1453 vermochte Konstantinopel dem Ansturm der Heerscharen Mehmeds II. nicht mehr standzuhalten. Bald schon mordeten, brandschatzten und plünderten die Truppen des türkischen Sultans die Stadt Konstantins des Großen, der das Christentum nobilitierte. In Konstantinopel hatte das römische Reich noch 1 000 Jahre nach dem Untergang der westlichen Reichshälfte Bestand. Nicht zu Unrecht wurde der Islam als Bedrohung empfunden und einer der klügsten Männer des Zeitalters, Enea Silvio Piccolomini, damals Sekretär Kaiser Friedrichs III., eines achtbaren Mannes, dem aber die Befähigung zum Kaiser recht eigentlich abging, betonte auf dem Reichstag zu Frankfurt am Main am 15. Oktober 1454 in einer Rede, die nach Humanistenbrauch Cicero, dem Ur-Redner schlechthin, und seiner De imperio Cn. Pompei nachempfunden war: »Wenn wir die Wahrheit gestehen wollen, hat die Christenheit seit vielen Jahrhunderten keine größere Schmach erlebt als jetzt. Denn in früheren Zeiten sind wir nur in Asien und Afrika, also in fremden Ländern geschlagen worden, jetzt aber wurden wir in Europa, also in unserem Vaterland, in unserem eigenen Haus, an unserem eigenen Wohnsitz aufs Schwerste getroffen.«19 Übrigens wurde Europa in dieser Rede zum ersten Mal seit der Antike als politischer Begriff benutzt und die Patria mit Europa in Verbindung gebracht. Wie man Eneas Worten nachempfinden kann, saß der Schock tief. Viele Griechen flohen nach Europa, vor allem nach Italien. In der Nähe von Siena, der Heimat Eneas, und 33

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

in Venedig bildeten sich große Kolonien griechischer Emigranten, darunter Gelehrte und Wissenschaftler. Da einige von ihnen Manuskripte und Bücher mitbrachten, gelangten Werke der griechischen Antike nach Italien, die teils noch gar nicht oder allenfalls vom Titel her bekannt waren. Doch parallel zur epochalen Niederlage erlebte Europa in diesen Jahren den größten Triumph. Er gehörte zu den Gründen für Europas Modernitätsschub und ohne ihn wäre die imposante Entwicklung des Kontinents nicht vorstellbar: Johann Gutenberg erfand in Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern. Auch davon erfuhr Enea Silvio Piccolomini und schrieb am 12. März 1455 dem spanischen Kardinal und Freund Juan de Carvajal, dass er von einem vir mirabilis, einem wunderbaren Mann, gehört habe, der zur Herbstmesse 1454 Quinterionen eines Bibeldruckes als Muster mit sich geführt habe. Leider war es Enea nicht gelungen, eine Bibel für den Spanier zu erwerben, weil alle Exemplare bereits durch Subskriptionen vergriffen waren. Der Buchdruck breitete sich aus wie ein Lauffeuer: 1467 entstand die erste Druckerei in Rom, genauer in Subiaco, und 1468 hatte bereits eine Offizin ihre Arbeit in Venedig aufgenommen. Der Humanist Aldus Manutius gründete 1496 eine Druckerei, die nicht nur lateinische, sondern auch griechische Werke druckte, wofür natürlich ein anderer Letternsatz notwendig war. In Mailand ging der Erstdrucker 1469 ans Werk und in Florenz 1471. Nun konnten die vielen Texte, die oft nur als handschriftliche Kopien in begrenzter Anzahl vorhanden gewesen waren, gedruckt werden – und Leonardo, der über eine erstaunlich große Bibliothek verfügte, wurde zum Nutznießer dieser Entwicklung. Im Alter von fünf Jahren wird Leonardo in der Steuerliste des Großvaters genannt. Offiziell hieß der Familienvorstand in der Steuerliste Antonio di Ser Piero di Ser Ghuido da Vinci, also Antonio, der Sohn des Notars Piero, der wiederum der Sohn des No34

1. Der Erbe in Reserve

tars Ghuido aus Vinci war. In dieser Zeit entstanden die Nachnamen, denn es wurde immer dringender – aus Gründen der entstehenden modernen Verwaltung, für das Anlegen von Akten und durch das Bevölkerungswachstum in den Städten –, die vielen Giuseppes, Giovannis, Antonios und Pieros auseinanderzuhalten. So wurden die Nachnamen zunächst als bestimmende Beinamen nach der Abstammung oder dem Beruf oder der Herkunft oder besonderen körperlichen oder geistigen Charakteristika gewählt und gingen dann auf die nachfolgenden Generationen über. Seit 1427 hatten die Florentiner Bürger Steuererklärungen abzugeben.20 Als Vorstand der Familie, als pater famiglia, erstellte Antonio dieses Dokument. Antonio, der 1457 im Stadtteil von Santo Spirito im Gonfalone des Drachen gemeldet war, listete seinen Immobilienbesitz auf, worunter sich auch »con orto apicchato con detta casa«21 befand: »Mein Haus, in dem ich wohne, steht im Pfarrsprengel von Sancta Croce, in der Gemeinde von Vinci, Landbezirk (contado) von Florenz, bei der Burgmauer des genannten Kastells, zu besagtem Haus gehört ein Garten mit 3 Scheffeln Land.«22 Als steuermildernd galten diejenigen Personen, die der Familienvorstand zu versorgen hatte, also alle, die zur »Familie« gehörten, die sogenannten Münder, die Bocche. Pro Person wurden ihm 200 Scudi von der Steuerschuld erlassen. Antonio zählte sechs Personen auf, die in seinem Haushalt lebten: außer ihm, dem 85-Jährigen, seine Frau Monna Lucia mit ihren 65 Jahren – wobei Monna nur die toskanische Kurzform von Madonna ist. Leonardos später gemalte Mona Lisa bezeichnete folglich die Madonna Lisa. Es folgen in der Auflistung der 30-jährige Sohn Ser Piero und der 22-jährige Sohn Francesco. Es fällt auf, dass bei Piero die Berufsbezeichnung des Notars Erwähnung fand, während es von dem jüngeren Sohn nur trocken und sibyllinisch hieß, dass er sich im Haus aufhält und ansonsten nichts tut, sich mit nichts beschäftigt, keiner Arbeit nachgeht: »Francesco mio figliuolo, stassi in villa e non fa nulla, d’anni«. Schließlich folgen Albiera, die Frau des besagten Ser Piero und 35

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Schwiegertochter Antonios, und »Lionardo figliuolo di detto Ser Piero non legiptimo, nato di lui et della Chateri(n)a, al presente donna d’Achattabriga di Piero del Vacca da Vinci.«23 Und damit war über das Kind Leonardo alles gesagt, nämlich, dass er der nicht legitime Sohn besagten Ser Pieros, das natürliche, also uneheliche Kind von ihm und der inzwischen mit Achattabriga von Piero del Vaccha aus Vinci verheiratete Caterina war. In der Familiengeschichte zeichnen sich zwei charakterliche Bestimmungen ab, die sich beide in Leonardo vereinigten: der Fleißige, Ruhelos-Tätige und derjenige, der den kontemplativen und beschaulichen Müßiggang – nicht im Sinne von Faulheit, sondern im Sinne des Lebens in der Muße – genoss. Während Leonardos Großvater Antonio, der sich als Privatier vornehmlich in Vinci von den Einkünften aus der Pacht finanzierte, und Leonardos Onkel Francesco zu den göttlichen Müßiggängern der Familie zählten, hatte Leonardos Vater die Strebsamkeit von seinem Großvater Ser Piero dem Älteren geerbt, dessen Namen er so sinnreich trug. Dass Leonardos Eltern in der Steuererklärung des Großvaters auftauchten, bedeutet nicht zwingend, dass sie in Vinci lebten. Als weitaus wahrscheinlicher darf gelten, dass Piero mit seiner Frau bereits in Florenz wohnte, wo er mit wachsendem Erfolg seiner Tätigkeit als Notar nachging. Im Jahr der Steuerklärung zog er von der Via Ghibellina in den noch zentraler gelegenen Borgo di Greci. Es ging also mit ihm voran. Er hatte sich als Klient des inoffiziellen Herrschers von Florenz, Cosimo de’ Medici des Älteren, etabliert. Als Spross einer Notarsdynastie besaß er zwar eine ausgezeichnete Ausgangsposition, doch die musste er nutzen, denn in dem unruhigen politischen Gebilde Florenz galt es ständig, seinen stato zu sichern, indem man ihn ausbaute. Denn der stato, der gesellschaftliche Status, das Geflecht von Patronen, Verbündeten und Klienten, bot Schutz und sicherte die Existenz. Auf allen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Bereichen fand ein rücksichtslos geführter Konkurrenzkampf statt. Der gelingenden Karriere folgte 36

2. Milan und Weihe

mitnichten der familiäre Erfolg, denn vier Jahre nach der Heirat hatten er und Albiera immer noch kein Kind. Sein einziger Nachkomme war der ungeliebte Knabe in Vinci, den er in einer selbstvergessenen Stunde gezeugt hatte.

2. Milan und Weihe

Früh von der Mutter getrennt, wuchs Leonardo in der Welt des Großvaters und des Onkels auf, in einer erstaunlicherweise milden Männerwelt, in der die stets etwas verbummelte Lebensart des Onkels und des Großvaters vorherrschte. Über die Großmutter, die sich sicher liebevoll um den Erstgeborenen, der lange Zeit auch der einzige Enkel bleiben sollte, kümmerte, erfahren wir nur, dass sie mit Pieros Bruder und Leonardo nach dem Tod ihres Mannes nach Florenz zu Piero di Antonio zog. Überhaupt ist das Bild, das oft von Leonardos Kindheit gezeichnet wird, dass der Vater seinem unehelichen Sohn keine Liebe entgegenbringt, so roman- wie zweifelhaft. Man gewinnt eher den Eindruck, dass die emotionale Entfernung zum Vater von der Liebe des Großvaters, der Großmutter und des Onkels mehr als aufgewogen wurde. Zwar bekommt er nicht den traditionellen Namen Antonio, auch nicht den Namen Piero, dafür aber einen sehr starken Namen: Leonardo. Dieser Name stammt aus dem Althochdeutschen oder aus dem Altfränkischen und bedeutet »stark wie ein Löwe«. Stark wie ein Löwe sollte er werden. Man dürfte es bei Leonardo weniger mit Minderwertigkeitskomplexen zu tun haben als mit dem Drama des begabten Kindes. Später wird er in einer eleganten Spielerei oder spielerisch-melancholischen Meditation seinen Namen etymologisch von blutenden Löwen herleiten. Das nackte Nützlichkeitsdenken des Vaters wurde geachtet, aber nicht geliebt. Um als Notar Karriere zu machen, entwickel37

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

te Leonardos Vater einen beeindruckenden Ehrgeiz und Fleiß, dem wurden auch die Ehen untergeordnet, die er einging, weshalb eine Verbindung mit Leonardos Mutter nicht in Frage gekommen wäre. Sie hätte weder Geld noch gesellschaftliche Beziehungen in den Ehebund eingebracht. Man muss sich den Knaben nicht unbedingt als unglückliches Kind vorstellen, sondern unter den gegebenen Umständen, also weitgehend ohne Mutter und Vater aufgewachsen, vielleicht sogar als glücklich. Die Stunden, die er mit dem mußeliebenden Onkel oder auch allein durch die Umgebung von Vinci streifte, ausgiebig die üppige Natur der hügeligen Landschaft um Vinci beobachtend, prägten ihn grundlegend für das Leben. So hat er sich später als »disscepolo della sperientia«, als Schüler der Erfahrung, bezeichnet und die Erfahrung als Voraussetzung für gutes Schreiben definiert. Doch die Erfahrung wiederum entstand aus seiner Sicht aus der Fülle der Wahrnehmungen, denn »Unser ganzes Wissen beruht auf Wahrnehmung.«24 So schöpfte er aus der Erfahrung seines Lebensweges, und in Erinnerung an das, was ihm seine frühe Kindheit mitgab, notierte er: »Erwirb dir in der Jugend etwas, was dich für den Verlust im Alter entschädigen kann. Und wenn du der Ansicht bist, dass das Alter von der Weisheit zehrt, dann sei schon in der Jugend drauf bedacht, damit es dir im Alter nicht an solcher Zehrung fehlt.«25 Leonardo war tatsächlich darauf bedacht, denn die für uns heute selbstverständliche Vorstellung, dass wissenschaftliche Erkenntnis mit Beobachtung der Realität, mit Analyse von Daten, mit Messungen und Experimenten beginnt, galt zu Leonardos Zeiten mitnichten. Der Siegeszug grundsätzlicher Empirie in der naturwissenschaftlichen Arbeit sollte erst mehr als ein Jahrhundert später mit Galileo Galilei und Johannes Kepler einsetzen. Diese Gedanken, die Leonardo der Nachwelt hinterließ, äußerte sonst niemand in seinem neoneuplatonischen Zeitalter. Diese ursprüngliche Empirie wurde von Bildern hervorgebracht, die ihm die Natur präsentierte. Die Kraft, die seit Kindertagen auf 38

2. Milan und Weihe

ihn wirkte und ihn faszinierte, war die Bildkraft der Natur. Die Natur bildete ihn mittels der Bilder, die sie im sich bildenden Bewusstsein Leonardos erzeugte. Später hat er Fensterflächen im Hintergrund seiner Porträts nicht ungenutzt gelassen, sondern in die blinden Flecken faszinierende Ausblicke hineingezaubert. Der Blick in die Welt, der zuallererst ein Blick in die Natur war, begann beim Fenster. Das Rechteck des Fensters fing wie ein Sucher Bilder ein. Schon als Kind, wenn er stundenlang vor dem Fenster saß und hinausschaute oder später in der Landschaft unterwegs war, trieben ihn die Neugier und die Leidenschaft herauszufinden, was dahinterliegt – in der Ferne und noch über die Ferne hinaus in der Tiefe. Von Anfang an mag er die Welt als ein Rätsel erfahren haben, das sich nur dem enthüllt, der sie mit nie erlahmender Geduld und großer Genauigkeit immer wieder betrachtet. Ob er von seinem Onkel in diesem Beobachten der Natur bestärkt wurde, weiß man nicht. In seinen Bildern, auch später in den Porträts, gingen die Menschen immer ein Spannungsverhältnis mit der Natur ein. Es ist dieselbe Spannung, die er in seiner Kindheit empfand, das Glück, sich ganz in die Anschauung der Natur hineinfallen zu lassen, das bald schon dadurch eingeschränkt wurde, dass Leonardo die Schule zu besuchen hatte. Auf der Rückseite eines Blattes, das sich im Codex Arundel (Ar. 155-r) befindet, äußerte er sich in einem kurzen Text über die Erforschung einer Höhle. Selten erlaubte Leonardo einen Blick in seine Seele wie in diesem Text. Der Maler beschrieb, wie er sich in einer wilden Gegend dem Eingang einer Höhle näherte, umtost von geradezu apokalyptischen Naturgewalten: »Ein so gewaltiges Brausen und Tosen erzeugt nicht einmal das sturmgepeitschte Meer, wenn der rauhe Nordwind es mit schäumenden Wellen zwischen der Szylla und Charybdis hin und her wirft, und auch nicht der Stromboli oder Ätna, wenn die schwefelgelben Flammen, die dort eingeschlossen sind, gewaltsam den mächtigen 39

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Berg durchbrechen und zerreißen, so dass er Steine und Erde zugleich mit den hervorschießenden, ausgespienen Flammen durch die Luft schleudert, oder wenn die Gluthöhlen des Ätna das kaum zu bändigende Element (der Feuers) von sich geben, es wieder ausspeien und in seine Region zurückschleudern, so dass es jedes Hindernis, das sich seiner rasenden Gewalt wiedersetzt, ungestüm überwältigt …«26 Der Text ist raffinierter und vor allem mehrschichtiger, als es auf den ersten Blick scheint, und geht weit über einen Erlebnisbericht hinaus. Es drängt sich die Erinnerung an Petrarcas Text »Die Besteigung des Mont Ventoux« auf, der überwältigt von dem Ausblick, der sich ihm von der Bergesspitze bot, aus den Confessiones des Augustinus zitierte: »Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die breit dahinfließenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne, und vergessen darüber sich selbst.«27 Während jedoch für Petrarca das Erlebnis der Natur zur Mahnung wurde, sich nicht an die Außenwelt zu verlieren, sondern sich im Sinne des »Erkenne dich selbst« auf sich selbst, auf die Seele zu konzentrieren, schlug Leonardo die entgegengesetzte Richtung ein: In der Erkenntnis der Natur lag für ihn der Weg zu sich selbst. Nicht mit dem Pinsel malte er die Naturgewalten, sondern allein mit Worten schuf er dieses Gemälde. Doch durch die Worte hindurch spürt man das Verlangen nach Dreidimensionalität, die er beim Malen suchte. Man kann Leonardos Malerei als eine einzige Flucht vor der Zweidimensionalität des Bildes begreifen. Dann werden die vielen Abbrüche und Fragmente erklärlich. Ein Bild ist begrenzt, wie das Fenster gerahmt ist. Dennoch besitzt der Ausschnitt der Wirklichkeit, der Welt, durch seine 40

2. Milan und Weihe

Tiefe Drei-, vielleicht sogar Vierdimensionalität. Ohne es schon begriffen oder gar verstanden zu haben, teilte sich dem Kind, das vor dem Fenster in dem Haus am Borgo in Vinci saß, die Dimension der Tiefe mit. Alle Bilder Leonardos stellen Expeditionen in die Tiefe und die Suche nach den verborgenen Dimensionen der Natur dar. Aber damit nicht genug: Leonardo beschrieb die Natur in ihrer ständigen Veränderung, in ihren Wandlungen und fügte somit die Dimension der Zeit hinzu, die Immanuel Kant Jahrhunderte später die Form des »inneren Sinns«28 nennen sollte. Leonardo spielte ziemlich kalkuliert auf die UrElemente an, denn Feuer, Luft, Wasser und Erde sind nicht nur vertreten, sondern in Aktion als »Nordwind«, als »schäumende Wellen« und als »Flammen«. Das Feuer nannte er das »kaum zu bändigende Element« und die Elemente wurden nicht isoliert als starre Seinsgegebenheiten, sondern in ihrer Wechselwirkung angerufen als »sturmgepeitschtes Meer«, als »hervorschießende Flammen«, die mit Steinen und Erde durch die Luft geschleudert werden.29 Es ist wie Dante in der Commedia schreibt: »Wie, wer der Meeresbrandung sich entrang, Am Strande, keuchend noch, sich rückwärts wendet Und starrt in des Gewoges wilden Drang«30 In die Naturbeschreibung ist der Mensch eingeschlossen – so, wie der Knabe in Vinci vor dem Fenster oder unterwegs im Umfeld der Stadt –, ist Teil des Ganzen. Schließlich erscheinen durch die persönliche Erinnerung literarische Muster, wie man sie bei Boccaccio, aber auch im Morgante von Luigi Pulci, mit dem Leonardo später Freundschaft schließen sollte, und natürlich in Dantes Commedia findet, die Leonardo sehr gut kannte, wenn auch nicht so gut wie Michel­ angelo. Denn es geht eben nicht nur um die Natur, sondern auch um den Weg des Menschen, der Teil der Natur ist. Bei Dante­ heißt es: 41

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»Mittwegs auf unsres Lebens Reise fand In finstren Waldes Nacht ich mich verschlagen …«31 Leonardo setzte seinen Text auf der Rückseite eines Blattes, auf dem er im Übrigen Muscheln und fossile Funde zeichnete, fort: »Und da ich von unbändigem Verlangen dorthin gezogen wurde, stets begierig, die ungeheure Fülle von allerlei seltsamen Formen zu schauen, welche die findige Natur geschaffen hat, so gelangte ich, nachdem ich eine Weile zwischen den düsteren Klippen umhergewandert war, zum Eingang einer großen Höhle, vor der ich staunend eine Zeitlang stehen blieb, weil ich nichts davon wusste.«32

Sintflut über einer Stadt auf einem Hügel um 1515, Schwarze Kreide

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2. Milan und Weihe

Auch Dante, der Reisende der drei Welten, fand sich vor einer Höhle wieder. Panther, Löwe und Wolf drängten ihn schließlich, die Höhle, die zur Hölle wird, zu betreten. Aber die drei Tiere symbolisieren die Leidenschaften, allerdings als Hervorbringungen von Lastern, denn sie stehen für Sinneslust, Hochmut und Habgier, wobei zum Hochmut auch die Neugier, »mehr wissen zu wollen, als notwendig war«,33 zählte, der Forscherdrang also, der Leonardo antrieb. Leonardo blieb wie der Reisende der drei Welten eine Weile vor dem Eingang der Höhle stehen, weil er nichts von ihr wusste, bevor er von der Leidenschaft, »vom unbändigem Verlangen … stets begierig, die ungeheure Fülle von allerlei seltsamen Formen zu schauen, welche die findige Natur geschaffen hat«, von der Neugier, die Teil des Hochmuts ist, getrieben, die Höhle betrat. Während Dante die jenseitige Welt als Memento mori, als Warnung für das Diesseits und als Darstellung der tatsächlichen, weil ewigen Welten von Hölle, Fegefeuer und Paradies darstellte, sah Leonardo in der diesseitigen Welt die wirkliche Welt, in der sich bereits Hölle, Fegefeuer und Paradies ereigneten, geschaffen von der »findigen Natur«. In Leonardo widerstritten wie bei Dante zwei starke Gefühle, die »Furcht vor der düster drohenden Höhle und (die) Begierde, zu erforschen, ob darin nicht etwas Wunderbares sei.«34 Der Erkenntnisdrang und die Angst vor dem Unbekannten leiteten beide Toskaner. Leonardos kurzer Text paraphrasiert Dante nicht nur, sondern Leonardo stürzte sich geradezu in ein Duell mit der Endlichkeit, denn in der Höhle entdeckte er das Fossil eines Wals. Fasziniert beschrieb er die Kräfte des Tieres, die der Kreatur am Ende doch nicht halfen. »O gewaltiges einst lebendiges Werkzeug der findigen Natur! Auch du musstest also, da deine großen Kräfte dir nichts nützten, das Leben in der Stille lassen und dem Gesetz gehorchen, das Gott und die Zeit der schöpferischen Natur gegeben haben.« Letztlich stieß Leonardo genau wie Dante in der Höhle auf die Gesetze der Welt, nur sahen beide 43

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Männer verschiedene Gesetze. Für Leonardo befähigten sowohl Gott als auch die Zeit die Natur zu ihrer schöpferischen Tätigkeit, es war die allmächtige Zeit, die Leonardo zu überwinden suchte, und die findige Natur – nicht Gott –, die es aus seiner Sicht zu untersuchen galt, mochte Gott auch der erste Anreger und Schöpfer gewesen sein: Das ging ihn – Leonardo – nichts mehr an. Nunmehr kam es ihm darauf an, die Natur zu untersuchen, sie zu verstehen. Im Grunde schied er im naturwissenschaftlichen Sinne Glauben von Wissen. Leonardo notierte diese Zeilen um 1490 herum, 28 Jahre nach seinem erzwungenen Weggang aus Vinci, nach den Katastrophen, die das Leben des Kindes in andere Bahnen lenkten. Doch finden sich in den Streifzügen durch die Umgebung von Vinci, in den Beobachtungen, in der aufbrechenden Leidenschaft zur Erkenntnis dessen, was sich hinter dem verbarg, was er sah, die Anfänge von Leonardos Forscherdrang. Er wollte wissen, warum es so war, wie es war, und wovon das bewirkt wurde, was er beobachtete. Er mochte nicht den üblichen und allzu ausgetretenen Weg der Spekulation und des Philosophierens beschreiten und nicht jene eitle Gelehrtheit bedienen, in der sich die Humanisten nur allzu gern sonnten. Nein, ihm bedeuteten die Beobachtung der Natur, die Wahrnehmung, die Empirie und die Erfahrung alles. Man muss sich den kleinen Leonardo als ein etwas verwildertes Kind vorstellen, das nur widerwillig lernte, was ihm in der Schule vorgesetzt wurde. Wahrscheinlich hat er noch in Vinci die Elementarschule besucht, doch das raubte ihm die Zeit, hinaus ins Freie zu gehen. Vermutlich lernte er von Großvater, Großmutter und Onkel die Kunst des freundlichen Umganges, die Liebenswürdigkeit, die später an ihm gerühmt wurde – zumindest in ihren Urgründen. Aber zugleich genoss er das Alleinsein, den Zustand, auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen, sondern sich ganz auf das zu konzentrieren, was ihn in diesem Augenblick mehr als alles andere interessierte, der immer mit dem 44

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Wunsch übereinging, etwas zu erfahren und zu entdecken. Dieses Verlangen darf man nicht mit dem Wunsch nach Einsamkeit oder mit der Einsamkeit selbst verwechseln. Die Elementarschule, in der Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt wurde, besuchte Leonardo wohl von seinem sechsten bis zu seinem zehnten Lebensjahr, so war es zumindest die Regel. Doch denkbar ist auch, dass er erst mit sieben oder acht Jahren in die Schule ging. An die Elementarschule schloss sich die scuola d’ abaco, die Rechenschule an, in der es vor allem um das Erlernen des Rechnens im kaufmännischen Sinne ging, worin Buchführung eingeschlossen war. Wenn von Schulbildung jener Zeit gesprochen wird, ist die Rede von Bürgersöhnen, den Söhnen von einigen, das heißt wohlhabenden Handwerkern und den Söhnen bestenfalls des niederen Adels, denn adlige Kinder wurden von Hauslehrern unterrichtet und die Kinder von Bauern, armen Handwerkern und Tagelöhnern überhaupt nicht. Zum Lehrplan gehörten auch Religion und Ethik. Zudem wurde in eingeschränktem Maße italienische Literatur gelesen, so mit Sicherheit und allem anderen voran Dantes Divina Commedia, wie es sich eben für Toskaner gehörte, denn die Commedia hatte der große Florentiner, der den größten Teil seines Lebens im Exil zubrachte, in volgare, der toskanischen Volkssprache gedichtet. Es ist möglich, dass auch etwas Latein getrieben wurde. Doch die glückliche Zeit in Vinci fand ein jähes Ende. Ser Piero zog mit Albiera 1462 an die Piazza di parte Guelfa. Im Juni 1463 gebar Albiera ihrem Mann endlich ein Kind, ein Mädchen, das nach dem Großvater Antonia genannt wurde. Wenig später erkrankte die Kleine und starb am 21. Juli 1463.35 Albiera folgte ihrer Tochter ein Jahr später am 15. Juni 1464, als sie ihr zweites Kind zur Welt bringen wollte. Nach dem Tod der Ehefrau und beider Kinder blieb dem aufstrebenden Notar wieder nur der uneheliche Sohn, gegen den er eine immer größere Abneigung empfand, war er doch der fleischgewordene Ausdruck – modern gesprochen – seines Kontrollverlustes. 45

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Mochten den kleinen Leonardo die Florentiner Todesfälle nicht allzu sehr berühren, so wurde er vom Tod des Großvaters im selben Jahr tief getroffen, nicht nur weil dies sein kurzes Leben radikal ändern sollte, sondern weil er zu dem guten Geist seiner Kindheit eine tiefe menschliche Verbindung fühlte. Antonio, der pater famiglia, hatte als Familienvorstand durchgesetzt, dass das uneheliche Kind, Pieros »Fehltritt«, zur Familie gehörte. Nun, nach Antonios Tod stand Ser Piero der Familie vor und trug für alle die Verantwortung vor dem Gesetz, vor der Kirche und dem Staat.

Jungfrau mit Einhorn, um 1481, Feder und Tinte

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Es dürfte so ganz und gar nicht Leonardos Wünschen entsprochen haben, das beschauliche Vinci zu verlassen und nach Florenz umzuziehen. Florenz war zu jener Zeit eine Großstadt mit immerhin 40 000 Einwohnern, halb so bevölkerungsreich wie Venedig zwar, doch in der Anzahl der Bewohner mit der wichtigsten deutschen Stadt, mit Nürnberg, zu vergleichen. Ser Piero fühlte zudem wenig Neigung zum Witwerdasein und nahm 1465 Francesca di Ser Guliano Manfredini zur Frau. Die Heirat erwies sich als günstig, denn Guliano Manfredini war nicht nur ein einflussreicher, sondern auch ein vermögender Notar, der einige Paläste in Santo Spirito besaß. In der Steuererklärung von 1469 gab Ser Piero an, dass die Familie immer noch das Haus in Vinci besaß, dass er aber inzwischen ein halbes Haus in Florenz gemietet hatte. Hier wohnten seine Mutter, die 74-jährige Mona Lucia – Antonios Witwe –, er selbst, seine Frau Francesca, sein Bruder Francesco, der inzwischen geheiratet hatte, und sein illegitimer Sohn Leonardo. Es fällt auf, dass Ser Piero nicht das Geringste unternommen hat, was zur Legitimierung seines Sohnes hätte führen können. Obwohl es nicht einfach zu bewerkstelligen gewesen wäre, hätte zumindest die Möglichkeit dazu bestanden, die sich in Anbetracht von Pieros Beziehungen sogar noch vergrößerte. Aus allen Quellen spricht eine Reserviertheit dem unehelichen Sohn gegenüber, eine gewisse Abneigung sogar. Ser Piero hoffte immer noch auf im Ehebett gezeugte Erben. Was weder der Großvater noch der Onkel Leonardo spüren ließen, war seine Herkunft. Nie hatten sie ihn wie ein Kind, wie ein Familienmitglied zweiter Klasse behandelt, der Vater tat dies sehr wohl. Die einzige Kindheitserinnerung, die sich erhalten hat, notierte Leonardo mit etwa 35 Jahren. Sie wurde bedauerlicherweise immer wieder in der Art eines interpretatorischen Zirkelschlusses gedeutet, so auch von Siegmund Freud. Da Leonardo homosexuell war, hat er Schlüsselworte des Textes entsprechend interpretiert. Andere Biographen versuchten den Text eher zu 47

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

umgehen, doch herausgefordert hat er noch einen jeden, der sich mit Leonardos Leben beschäftigte, zumal die Kindheitserinnerung in ihrer Einmaligkeit nicht zu übergehen ist. Der Maler schrieb: »Dass ich so genau über die Gabelweihe schreibe, muss mir vom Schicksal bestimmt sein, denn in der ersten Erinnerung aus meiner Kindheit schien es mir, als wäre, während ich in der Wiege lag, eine Gabelweihe zu mir gekommen und hätte mir mit ihrem Schwanz den Mund geöffnet und mich mit diesem Schwanz oftmals innen an die Lippen geschlagen.«36 Die erste Schwierigkeit besteht darin, dass zunächst die Frage nach der Textsorte offenbleiben muss, also, ob es sich um einen Bericht, eine Allegorie oder ein Gleichnis handelt. Die zweite Schwierigkeit verwischt die Grenze zwischen Traum und Realität, denn das unentschiedene »schien es mir« lässt die Möglichkeit offen, dass kein Erlebnis, sondern ein Traum geschildert wird. Sich wie Freud und andere sofort auf eine sexuelle, letztlich homoerotische Interpretation festzulegen, hat – zumindest im Falle Freuds – mehr mit dem Psychoanalytiker als mit Leonardo zu tun. Das allerdings geht völlig in die Irre. Zuweilen hilft es, vom Bekannten zum Unbekannten vorzugehen. Der Rotmilan, oder auch Gabelweihe genannt, gehört zu den habichtsartigen Vögeln und ist in Europa häufig anzutreffen. Es gab ihn also auch in Leonardos Kindheit im ländlichen Vinci in Scharen, zumal er ein sehr geselliges Tier ist. Er fliegt und jagt stets im Verbund und lebt zudem eine Neigung zum Schabernack, zum Necken seiner Artgenossen aus. Dem Rotmilan wird ein »spielerisches« Verhalten nachgesagt. Fledermäuse, Krähen, Maulwürfe, Ratten gehören zu seiner Beute. Außerdem verteidigt er sein Revier. Wenn Leonardos Angaben stimmen, dann war er damals etwa zwei Jahre alt und hatte damit eine außergewöhnlich frühe Erinnerung, denn für gewöhnlich setzt die Fähigkeit sich zu erinnern ab drei Jahren ein. Zu jener Zeit ver48

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mochte er schon zu laufen und zu sprechen. Ob er noch in der Wiege lag, lässt sich nicht entscheiden, weil nicht zu bestimmen ist, wie weitgehend der Begriff Wiege gebraucht wurde. Lag Leonardo in der Wiege, so müsste sich das Geschehen im Haus ereignet haben oder man hatte die Wiege ins Freie gestellt. War Letzteres der Fall, dann könnte es sich so zugetragen haben, dass die Wiege mit dem Kind versehentlich in die Nähe eines Milannestes gestellt wurde und der Milan nun versuchte, den Eindringling zu vertreiben. Auf der Ereignisebene könnte sich die Episode so zugetragen haben und somit wäre ein traumatisches Erlebnis als Rohstoff in der Erinnerung zurückgeblieben. Wichtiger ist aber etwas anderes: Leonardo bewunderte die Milane, er beobachtete sie, vor allem ihren faszinierenden Flug, und er zeichnete sie. Er hatte ohnehin ein ausgeprägtes Interesse am Fliegen, und am Vogelflug hoffte er zu lernen, wie er Flugapparate bauen könnte. Leonardos Zeilen finden sich auf einem Blatt, das sich mit dem Flug der Rotmilane und mit ihren Flugmanövern beschäftigt. So kann der Traum absichtlich in die Kindheit verlegt worden sein, um zu dokumentieren, dass er sich schon von Kindesbeinen an immer für diese Vögel interessierte. Der Rotmilan, beziehungsweise die Gabelweihe, behandelt der Maler in diesem kurzen Text fast wie ein Totemtier. Die Beschäftigung mit ihm ist weder zufällig noch stellt sie eine freie Entscheidung dar, sondern sie ist vom Schicksal vorgegeben. Dabei handelt es sich nicht um eine rhetorische Wendung, sondern die Erinnerung wird von Leonardo ernstgenommen als eine unentrinnbare Bestimmung, die ihm bereits in die Wiege gelegt wurde. Jemandem den Mund zu öffnen, kann als Umschreibung dafür gelesen werden, wie jemand zum Sprechen gebracht wird. Es waren also nach dieser Darstellung die Rotmilane, die Leonardos Interesse am Fliegen geweckt haben. Möglich, dass der Knabe lange in den Himmel schaute und die frechen Gabelweihen beobachtete. Rätsel gibt im Grunde nur der Schluss auf. Allzu nahe liegt, das Schlagen als Zeichen passiver Homosexualität zu deu49

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

ten. Es kann aber auch als eine Aufforderung gedeutet werden, nie wieder vom Interesse am Milan und am Vogelflug zu lassen. Die schicksalhafte Bestimmung wurde Leonardo nicht nur in die Wiege gelegt, sondern in der Wiege regelrecht eingebläut. Der Mund, der zum Sprechen geöffnet wurde, soll sich nie wieder schließen und schweigen. Im Blick auf den Kontext von Leonardos Zeilen, nämlich der leidenschaftlichen Beschäftigung mit dem Flug der Vögel, dokumentiert die Geschichte vor allem eines: Ich kann nicht anders. Ich kann meiner Bestimmung nicht entgehen, denn: »dass ich genauso über die Gabelweihe schreibe, muss vom Schicksal bestimmt sein«,37 denn das Erste, woran ich mich in meinem Leben erinnere, ist diese Initiation zum Forscher – die Weihe durch die Gabelweihe. Ein Zweites nahm der junge Leonardo neben der Begeisterung für die Natur aus Vinci mit: die Erinnerung an eine frühe Kindheit an einem Ort, an dem er sich wohlfühlte. Jahre später zeichnete er in Venedig eine Art Emblem, im Grunde ein Wappen, auf dem man ein Flechtmuster mit vielen Knoten und verschlungenen Linien in Kreisform erkennt. In der leeren Mitte, der Achse des Kreises, zieht sich auf einem inneren Kreis der Schriftzug Leonardi Academia hin, während davon eingeschlossen im Zentrum das Wort Vinci zu interpretieren ist. Dieser Verweis hat es nun in sich, denn er gibt nicht nur Leonardo da Vincis Namen wieder, sondern er verweist sogar bildlich auf seinen Geburtsort, seine Herkunft. Die Zeichnung lässt sich neben der ornamentalen Studie, die sie ist, und neben der mathematischen Spielerei, die sie auch ist, motivisch zugleich als Weiden(baum) deuten. Während vincolo im heutigen Italienisch binden, fesseln bedeutet, stand vinco im Altitalienischen für Weide, den Weidenbaum. Deshalb heißt der Fluss Vincio, der durch Vinci fließt, Weidenfluss, also Fluss, an dem Weiden wachsen.38 Das lateinische Wort vinculus bezeichnet das Band und deutet somit hin auf das Flechten der Weidenruten zu Körben, wodurch der Bogen zu dem Begriff vincolo geschlossen wird. Diese graphische 50

3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation

Spielerei, in Venedig angefertigt, verweist mithin auf die Herkunft, denn war Leonardo schon ein illegitimer Sohn, ein Bastard der Familie, wie ihm der Vater immer wieder zu verstehen gab, so war seine Herkunft doch legitim, nämlich aus Vinci in der Toskana, dem Ort, wo er zum Philosophen geweiht wurde durch eine Gabelweihe.

3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation

Wäre das Kind nicht durch äußere Umstände gezwungen gewesen, von Vinci nach Florenz umzuziehen, wäre aus ihm niemals das Universalgenie Leonardo da Vinci geworden. Denn hatte Leonardo in Vinci die Beobachtung der Natur erlernt, so erwarb er in Florenz die Sichtweisen und Fertigkeiten eines Künstlers. Das Refugium der Kindheit wurde ersetzt durch die Hektik der Großstadt, die Langsamkeit und Bedächtigkeit des Ländlichen, das im Einklang stand mit den großen Rhythmen der Natur, mit der Rasanz, der Kunst und Künstlichkeit der Metropole. Leonardos Leben stellt sich als ein einzigartiger Widerstand gegen die Schnelligkeit dar. Dies ist eines seiner Geheimnisse, denn dieser Widerstand bestand in dem täglichen Bemühen, dem eigenen Rhythmus treu zu bleiben. In der städtischen Schnelligkeit, die oft einen Betrieb um des Betriebes willen etablierte, sah Leonardo eine Gefahr, der er sich widersetzte, je älter er wurde. Mit dieser Gefahr konnte er an keinem Ort der Welt direkter konfrontiert werden als in der Arnostadt, jenem einzigartigen Gebilde, das aus lauter Gegensätzlichkeiten bestand. Das Wesen dieser Stadt war reine Bewegung, ein rücksichtsloses Voran im Kreisverkehr der Gier: der Gier nach Macht, der Gier nach Reichtum, der Gier nach Ruhm, der Gier nach sexueller Befriedigung. 51

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Als Leonardo geboren wurde, herrschte in Florenz, zu dessen Gebiet auch Vinci gehörte, noch Cosimo de’ Medici, genannt il Vecchio (der Alte). Dessen informelle Herrschaft trug allerdings sehr spezielle Züge, denn Cosimo hatte zeit seines Lebens kein politisches Amt inne und legte Wert darauf, in der Republik Florenz lediglich als ein Bürger unter Bürgern zu gelten. Nach den heftigen Bürgerkriegen im 14. Jahrhundert, dem Kampf der Ghibellinen gegen die Guelfen und schließlich der weißen gegen die schwarzen Guelfen, nach dem Aderlass durch den Schwarzen Tod 1348/9 – der die kunstvolle Rahmenhandlung des Dekameron von Giovanni Boccaccio bildete –, nach der fortwährenden Ermordung oder Vertreibung politischer Gegner und schließlich nach mehreren Bankenkrächen, die das Finanzsystems der Stadt umgestalteten, beruhigte sich die spannungsreiche Atmosphäre in der Stadt ein wenig. Aus heutiger Sicht ist es außerordentlich interessant und lehrreich, dass die Bankrotte der Banken – wie beispielsweise der Bardi-Bank – mit ihrem Engagement für die Finanzierung des Staates zusammenhingen. Durch erbarmungslos geführten Konkurrenzkampf, doch nicht weniger durch geschickte Kooperationen, Beteiligungen, Bestechungen im großen Stil und Zukäufe, ging schließlich die Medici-Bank als das mächtigste Finanzinstitut der Arnostadt aus den politischen Wirren und wirtschaftlichen Verwerfungen hervor. Der kluge Einsatz seiner beträchtlichen finanziellen Mittel, die beeindruckende Architektur des Bündnisses mit anderen großen Familien der Stadt und eine ausufernde Klientelwirtschaft erlaubten Cosimo il Vecchio, eine so große politische Macht zu erwerben, dass dieser einstmals aus der Stadt gejagte politische Paria zum inoffiziellen Herrscher des Stadtstaates aufstieg. Durch den Friedensschluss und schließlich das Bündnis mit Mailand und durch seine große mäzenatische Tätigkeit schuf er sich ein so hohes Ansehen, dass ihm der Titel pater pa­triae (Vater des Vaterlandes) verliehen wurde. Allerdings 52

3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation

musste diese Macht stets gesichert und erneuert werden. Wichtige politische Entscheidungen konnten nur auf dem Weg des Konsenses getroffen werden. Doch im Spiel der Kräfte erwies sich Cosimo als Virtuose der Macht. Aus der Verfassungskrise von 1455 bis 1458, die auch ein Versuch war, Cosimo de’ Medicis Vorherrschaft zu brechen, ging er schließlich gestärkt hervor. Von Jahr zu Jahr seltener begab er sich in den Palast der Signoria. Stattdessen agierte er von seinem eigenen Palast in der Via Larga aus, der dadurch immer mehr zum Machtzentrum der Arnostadt wurde. Ser Piero di Antonio da Vinci war nicht nur ein Klient der Medici, sondern einer ihrer ausgesprochenen Parteigänger. Er hatte sich für den Patron oder Paten entschieden, der ihm den größten Erfolg ermöglichte. Am 1. August des Jahres, in dem Leonardo mit seiner Familie aus Vinci zum Vater nach Florenz zog, starb Cosimo auf seinem exquisiten Landsitz in der Villa Careggi. Bereits am 2. August wurde er unter großer Beteiligung des Volkes von Florenz in San Lorenzo beigesetzt. Dass Leonardos Vater an der pompösen Beisetzung teilnahm, darf als sicher gelten. Denn ein Fernbleiben wäre ihm als Distanzierung ausgelegt wurden, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem bedingt durch den Wechsel an der Spitze der Medici-Familie ihre Macht angreifbar wurde und die pompöse Beisetzung eine Machtdemonstration der ersten Familie der Stadt darstellte. Ob sich der zwölfjährige Knabe Leonardo an seiner Seite befand, bleibt allerdings zweifelhaft. Niccolo Machiavelli schrieb in seiner »Geschichte von Florenz« über Cosimo: »Überdies glaubte er, die Krankheit, an der er litt, hindere ihn mit früherer Ausdauer sich den öffentlichen und Privatgeschäften zu widmen, so dass die einen wie die anderen darunter litten: denn die Stadt wurde von den Bürgern beraubt, während sein Vermögen durch Söhne und Beamte geschmälert ward. All diese Dinge beunruhigten ihn während seiner letzten Lebenszeit. Dennoch starb er voll Ruhmes und mit großem Namen, und in der Stadt wie auswärts bezeigten alle 53

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Bürger und christlichen Fürsten seinem Sohne Piero ihr Beileid wegen des Verlustes, und mit großem Pomp ward er von der gesamten Einwohnerschaft zur Gruft getragen, in San Lorenzo beigesetzt, und durch öffentliches Dekret auf dem Grabstein ›Vater des Vaterlandes‹ genannt.«39 Die Krankheit, an der Cosimo litt und die Niccolo Machiavelli erwähnte, war das Familienleiden der Medici: die Gicht. Ohne dass es zu Unruhen oder Verwerfungen gekommen wäre, folgte ihm als Chef der Bank und des Familienclans der Medici Piero di Cosimo, der die kluge und durchsetzungsfähige, gleichzeitig musisch interessierte Lucrezia geheiratet hatte, die den Tornabuoni entstammte, einer der großen und einflussreichen Familien der Stadt. In seinem Beinamen il Gottoso (der Gichtige) enthüllt sich das ganze Elend des wackeren Pieros, der zwar tüchtig war, doch durch die Krankheit, an der er weit heftiger als sein Vater zu tragen hatte, in seinem Wirkungskreis stark eingeschränkt blieb. Die Medici förderten im besonderen Maße Philosophie, Literatur, Wissenschaft und Kunst – nicht aus einer sentimentalen Neigung, sondern aus dem Wissen heraus, dass dieses Mäzenatentum ihren Status, den stato, und das Ansehen der Stadt erhöhte und dadurch letztlich wiederum ihren Rang als erste Familie des Vaterlandes. Gerade die Werke der Architektur und der bildenden Kunst galten als Verkörperung und Repräsentation von Macht, während Dichtung und Philosophie als bevorzugte Mittel – von manchen sogar als die einzigen Mittel – angesehen wurden, um den Ruhm der eigenen Taten und die Existenz der Dynastie bis in alle Zukunft zu sichern. Mit ihrer Hilfe eroberte und garantierte man in Form der memoria seinen Platz in der Nachwelt. Um es noch einmal zu betonen: Man versteht diese Zeit nicht, wenn man nicht das Konzept der Nachwelt als ausgesprochen wichtige Handlungsmotivation mit geradezu diktatorischem Zwang und vor allem als stabilisierendes Element in unsicherer Gegenwart versteht. Denn es ging in der memoria 54

3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation

um weit mehr als um Eitelkeiten, es ging um den Fortbestand der Familie oder des Clans. Die Frühe Neuzeit war zum einen wie das ganze Mittelalter eine Epoche, in der das Individuum ungeschützt war. Absicherung erhielt der Einzelne nur durch die Familie oder den Clan. Deshalb kam es darauf an, dass sich der Clan – und nicht nur der Adel – auf einen Platz in der Gesellschaft berufen konnte und seine Zukunft zu sichern vermochte, denn die gesicherte Zukunft lag für die Nachkommen in der sichernden Tradition. Zum anderen erhöhten sich die Anforderungen in der Frühen Neuzeit, weil diese Ära die Gesellschaft antrieb, sich zu ändern und zu transformieren. Das Individuum wurde von Fesseln, aber damit auch von Sicherheiten befreit. Auch die Renaissancegesellschaft lebte in ihrer öffentlichen Kommunikation noch immer sehr stark von Zeichen und Zeichensetzung. Die Schaffung der riesigen Kuppel des Duomo in Florenz, die Leonardo beeindruckte, wie man an Skizzen nachweisen kann, und deren Errichtung er studierte, stellte nicht nur eine herausragende technische Leistung Brunelleschis dar, sondern demonstrierte zugleich die Größe und die Kraft und die Einzigartigkeit der Stadtgesellschaft. Die florentinische Währung, der Florin, galt wegen des hohen Goldanteils und wegen des kräftigen Handels, der die Stadt mit ganz Europa verband – überall auf dem Kontinent fanden sich Niederlassungen – als europäische Leitwährung. Zu jener Zeit arbeiteten in Florenz mehr als 80 Holzschnitzer und Seidenweber, es gab um die 30 Malermeister mit ihren großen Werkstätten und 50 Goldschmiede und Juweliere. 30 Prozent der Florentiner konnten lesen und schreiben, was für diese Zeit als sehr hoher Anteil an der Bevölkerung gelten darf. Obwohl Mailand und Venedig, wie man früher sagte, weit bevölkerungsreicher waren und über 100 000 Einwohner beherbergten, während Florenz nach dem Wüten des Schwarzen Todes 1348/49 auf nicht mehr als 41 000 Bürger kam, wirkten in Florenz weit mehr Philosophen, Dichter und bildende Künstler, wobei Letztere noch zu den Handwerkern gezählt wurden. 55

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In seiner Jugend erlebte Leonardo, dass sich die alte Trennung zwischen der episteme und der techne,40 zwischen den Wis­­senschaften und dem Handwerk, zu dem die bildende Kunst gehörte, zwischen dem Geist und der Hand sich immer schwerer aufrechterhalten ließ. Florenz entwickelte sich durch das Zusammentreffen teilweise zufälliger Umstände zur Hauptstadt der Renaissancephilosophie und des Neoneuplatonismus. Er gab als eine Art Neuplatonismus mit starken aristotelischen Momenten und unter Anreicherung gnostischer und hermetischer Ideen ein äußerst bewegliches Gebilde ab. In dieser Metropole erlebte der Neuplatonismus auf sehr eigene Weise seine europäische Wiedergeburt und wurde mit den Wassern des Arnos christlich getauft, denn Marsilio Ficino interpretierte den Neuplatonismus christlich, wie er auch Platons »Theologie« suchte, christlich zu rekonstruieren. Das spezielle intellektuelle und gesellschaftliche Klima sollte den heranwachsenden Leonardo prägen, und das nicht nur in Harmonie, sondern auch durch Herabsetzungen und Frontstellungen. Der Siegeszug des Neuplatonismus, der von Florenz ausging, gehörte zu den Bedingungen des Modernitätsschubs in Europa, auch wenn eines seiner wesentlichen Resultate darin bestand, das Gegenteil hervorzubringen, nämlich den Empirismus. Im Florenz der Renaissance begegnete Leonardo allem, wogegen er sich später auflehnen sollte. Und es stellt beileibe keinen Zufall dar, dass er mit seinem Weggang nach Mailand auch mit den technischen und naturwissenschaftlichen bzw. naturphilosophischen Studien begann, die wesentlich zu seinem Ruhm und zu seinem Geheimnis beitragen sollten. Demonstrativ stellte er die Empirie gegen die hohe Theorie der neoneuplatonischen Philosophen und Humanisten. Man darf nicht vergessen, dass Leonardos erste literarische Prägung durch Dantes Divina Commedia erfolgte. Leonardos späterer Intimfeind Michelangelo konnte sie sogar auswendig 56

3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation

aufsagen. In Florenz begann Bildung für jeden bei Dante und dessen Commedia. Durch die großen Florentiner Dante und Petrarca, die ihr Leben allerdings im Exil zubrachten, aber auch durch den bedeutenden Dichter Guido Cavalcanti, wurde der Grundstein gelegt für die unverwechselbare Intellektualität, die in der Arnostadt vibrierte. Seit dem 13. Jahrhundert hatte nach anfänglicher Gegenwehr ein spezieller mittelalterlicher oder scholastischer Aristotelismus die Philosophie, aber auch die Theologie, die Medizin und die Rechtswissenschaft erobert. Naturwissenschaftler gab es im Grunde nicht, denn die Empirie wurde stark von der aristotelischen Logik mit ihren ungeheuren gedanklichen Gebäuden beherrscht – den Summen –, die unablässig eine Definition der gesamten Welt mit immer neuen Kategorien, Unterkategorien und Verästelungen betrieb. Im Jahr 1435 geschah rein zufällig etwas, das größte Wirkungen zeitigen sollte, denn in diesem Jahr hielt der Platonismus Einzug in Florenz, als das Unionskonzil von Ferrara hierher verlegt wurde. Dass diese Einschätzung nicht übertrieben ist, belegt die Tatsache, dass dieses Konzil, wäre es bis zum Ende in Ferrara abgehalten worden, nicht eine derart immense geistesgeschichtliche Resonanz erzielt hätte. Nicht Ferrara, sondern Florenz besaß den fruchtbaren Boden, auf dem der Neuplatonismus gedeihen konnte. Bei dem Konzil sollte angesichts der osmanischen Bedrohung das Große Morgenländische Schisma beigelegt werden, das seit 1075 die lateinische Christenheit von der orthodoxen trennte. Die Überwindung des Schismas war die Voraussetzung für ein Verteidigungsbündnis zwischen der lateinischen und der orthodoxen Christenheit gegen die muslimischen Türken. Dass trotz des formalen Erfolgs des Konzils das Bündnis niemals aktiv wurde, hatte viele Ursachen. Eine bestand darin, dass die Ratifizierung der Beschlüsse des Konzils in Konstantinopel von einflussreichen Kräften in der Geistlichkeit blockiert wur57

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

den, die stattdessen die dubiose Losung ausgaben, lieber unter dem Turban des Sultans als unter der Tiara des Papstes leben zu wollen. Unter den Abgeordneten aus Konstantinopel, die zum Konzil nach Florenz kamen, war auch der bedeutendste platonische Philosoph der Christenheit, der greise Grieche Gemistos Plethon, der den erstaunten Florentinern wie eine Inkarnation Platons vorkam und mit dem sie in eine eifrige Diskussion eintraten. Man macht sich kaum zureichende Vorstellungen von der Tiefe und der Nachhaltigkeit der Begegnung, zumal von dem greisen Plethon eine sehr starke persönliche Wirkung ausging. Er philosophierte in bis dahin unerhörter Weise. Hier war Philosophie nicht nur Lektüre, nicht nur Gegenstand bis in die Absurdität getriebener Spekulation, sondern Begegnung, Gespräch, schillernder Vortrag. Tief im Inneren seines Herzens hatte der »Nachfolger Platons« mit dem Christentum abgeschlossen und sich für ein Neuheidentum als Form der Rückkehr zur Antike erwärmt. Damit rührte er an eine verborgene Seite des italienischen Humanismus. In der Folge gelangten immer mehr griechische Texte, vor allem der Neuplatoniker, aber auch Platons nach Florenz und die Griechischstudien reüssierten, denn man wollte die antiken Texte auch lesen können. Der von Cosimo il Vecchio geförderte Philosoph Marsilio Ficino gründete die Platonische Akademie, auch wenn Wikipedia heutzutage behauptet, dass diese Gründung von der neueren Forschung widerlegt worden sei. Dass es sich um keine Akademie im heutigen Sinne handelte, ist banal und die Binsenweisheit schlechthin, denn natürlich waren auch die Universitäten jener Zeit keine Universitäten im heutigen Sinne: Man nennt das einfach historische Entwicklung. Ficinos Platonische Akademie stellte eher einen lockeren Zusammenschluss, einen Gesprächs- und Freundeskreis von Leuten dar, die zuweilen auch die Mediceer genannt wurden, weil sie von den Medici protegiert und unterstützt wurden. Dazu 58

3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation

gehörten übrigens herausragende Männer wie der Humanist Cristofero Landino, der Dichter Angelo Poliziano, Ficino natürlich selbst und der vielleicht interessanteste Philosoph des ausgehenden 15. Jahrhunderts, der nur allzu jung verstorbene Princeps Concordiae, Graf Giovanni Pico della Mirandola. Während der 1454 geborene Angelo Poliziano und der 1463 auf die Welt gekommene Pico der Generation Leonardos angehörten, hätten Ficino und Landino ihre Väter sein können. Häufig traf man sich auf Ficinos Landgut in Careggi, in der Nähe von Cosimos Gut, wo er in seinen letzten Lebensjahren wie in einem Exil lebte. Er hatte es von dem Medici geschenkt bekommen – genau zu diesem Zweck im Übrigen, denn Cosimo förderte mit tiefer Überzeugung die Lektüre Platons. Mit Hilfe der Wiederentdeckung des Denkens der Alten wollte man einen entfremdeten und leblosen Aristotelismus aufsprengen, um wieder zu einem lebendigen Denken und Philosophieren zu gelangen. Man war nicht nur bereit, sondern auch begierig, das Erbe der Alten, und hier vor allem der alten Griechen, zur Gänze anzunehmen. Denn bisher dominierten die römischen Philosophen und Dichter. In diesem Zusammenhang hilft ein Blick auf Pico, der in seiner späten Kindheit und Jugend von den gleichen Diskussionen und Ideen geprägt wurde wie Leonardo, wenngleich der Notarssohn, der weder eine Lateinschule noch die Universität besuchte, eher mittelbar, über Vermittlungen und in populärer Form mit diesem Gedankengut in Berührung kam, während der junge Graf die geistigen Bestrebungen der Mediceer unmittelbar aufnahm. Auf Wunsch Cosimo il Vecchios und mit Unterstützung Cristofero Landinos hatte Marsilio Ficino Griechisch gelernt, um Platon ins Lateinische zu übersetzen. Mit Feuereifer begab er sich an die Arbeit. Damit schuf er die erste lateinische Übersetzung des Philosophen im Abendland, die er nur unterbrach, um den Codex Hermeticum zu übertragen, ebenfalls auf Wunsch Cosimos und mit staunenswerten Fleiß. Cosimo eröffneten sich 59

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in diesen Schriften »alle Regeln des Lebens, alle Prinzipien der Natur, alle heiligen Mysterien des Göttlichen.«41 Zwar konnte man mit Blick auf Platons Höhlengleichnis nur die Ideen als Wirklichkeit anerkennen. Allerdings vermochte man sie nicht zu sehen oder zu erkennen, weil man allen­ falls ihre Schemen, ihre Schatten wahrzunehmen im Stande war. Aber zumindest boten diese Bilder etwas, das sich auf spekulativem Wege erfassen ließ. Pico ging sogar so weit, dass alle Ideen der Menschheit für ihn nur Versuche darstellten, die Geheimnisse Gottes zu schauen. Deshalb schrieb er auch in seinem großartigen Essay »Über die Würde des Menschen«: »Wer wünschte nicht, indem er alles Menschliche hintansetzt, die Gaben des Glücks verschmäht, die seines Körpers missachtet, schon während seines Erdenlebens ein Gast der Götter zu werden und als sterbliches Lebewesen, vom Nektar der Ewigkeit trunken, mit der Gabe der Unsterblichkeit beschenkt zu werden? Wer wollte nicht von jenen sokratischen Verzückungen, die Platon im ›Phaidros‹ preist, so erfasst werden, dass er von hier, das ist aus der Welt, die auf dem Bösen gegründet ist, mit den Schwingen seiner geflügelten Füße eilig davonflöhe und in rasendem Flug zum himmlischen Jerusalem getragen würde?«42 Den Essay begann der junge Schwärmer nicht mit Gott, nicht mit Christus, sondern mit dem Lobpreis des Menschen, wie er ihn in den Schriften der Araber, bei den Persern – ein versteckter Hinweis auf Zoroaster (Zarathustra) –, im Codex Hermeticum vorfand. Er zitierte das Asclepius-Traktat: »Deswegen, Asclepius, ist der Mensch ein großes Wunder, ein Lebewesen, das Verehrung und Anerkennung verdient. Denn der Mensch geht in die Natur Gottes über, als ob er selbst Gott wäre; er kennt die Gattung der Dämonen, weil er weiß, dass er zusammen mit eben diesen entstanden ist; er verachtet in sich den Teil der menschlichen Natur im Vertrauen auf die Göttlichkeit des anderen Teils.«43 Was Pico ausführte, konnte schwerlich als katholisch gelten, denn es mischten sich christliche Vorstellun60

3. Platons Taufe am Arno und Leonardos Initiation

gen mit kabbalistischen Mystifikationen und altem gnostischen Gedankengut. Gott selbst erscheint in seinem Text erst auf der folgenden Seite, nachdem zunächst David und den Engeln, den »seligen Chören des Himmels«, Referenz erwiesen worden war, und zwar als »höchstem Baumeister«, als »architectus«. Interessanterweise empfanden sich die Renaissancearchitekten, ob es die Sangallos waren oder Donato Bramante, selbst als Götter, als Weltenbaumeister.­ Pico beschloss, ergriffen von der Idee der großen Synthese, 1486 auf eigene Kosten einen Kongress europäischer Gelehrter in Rom zu eröffnen, dem er als Ziel setzte, die Meinungsverschiedenheiten der Philosophen und Theologen über die Schöpfung und den Glauben beizulegen und zu einer großen Synthese, zu einer einzigen Religion zu kommen, die alle anderen Religionen einschließen sollte. Der später publizierte Essay war eigentlich als Eröffnungsrede für den Kongress gedacht. Für die Disputation in Rom hatte Pico die gewaltige Anzahl von 900 Thesen verfasst. Die Anzahl der Thesen spielte bewusst mit der Zahl Neun: Sie symbolisierte die anima in se ipsam recurrens (die in sich selbst zurückkehrende Seele), denn sie bestand aus drei mal drei: die Trinität, die in Erscheinung trat und wieder in die Verborgenheit zurückkehrte. Die 402 Thesen des ersten Teils beschäftigten sich mit den Vorstellungen der Scholastik, mit Albertus Magnus und Thomas von Aquin, mit muslimischen Philosophen wie Ibn Sina (Avicenna) und Ibn Ruschd (Averroes) und mit den heidnischen, griechischen Philosophen. Auch die Schriften des Hermes Trismegistos kamen zur Sprache und schließlich die Kabbala selbst. Zur Vorbereitung auf den Kongress hatte Pico fünf Foliobände mit kabbalistischen Schriften ins Lateinische übersetzen lassen. Ein sizilianischer Jude namens Samuel ben Nissim Abulfaradsch, der sich nach seiner Konversion zum Christentum Raimondo Guglielmo de Moncada nannte, fertigte die Übersetzungen für den jungen Gelehrten an. Zudem ließ sich Pico im Hebräischen unterweisen. 61

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Noch nicht diese, sondern die folgenden Thesen erregten Anstoß bei der Kurie. Sie enthielten Picos Interpretationen und Gedanken, besonders zu den Fragen der Kabbala und der Magie – der magia naturalis wohlgemerkt, der weißen Magie. Der Princeps Concordiae zeigte sich überzeugt, dass alle Theologien, die jüdische wie auch die muslimische und ebenso die Konzepte der heidnischen Philosophen letztendlich vom christlichen Gott sprechen, freilich jeweils in ihrer Sprache. Deshalb wünschte er nichts inniger als dies, sie alle anzuhören und keine von ihnen zu verdammen. Pico war vielleicht der letzte Denker, der die Idee der fedeli d’amore von der einen universellen Religion der Liebe des hohen Mittelalters, die Ideen Dantes und Guido Cavalcantis noch einmal aufnahm und wiederbelebte, wie man auch in Picos »Kommentar zu einem Lied der Liebe« nachlesen kann. Obwohl dieser Kongress Pico so sehr am Herzen lag, fand er auf dem Weg nach Rom noch die Zeit zu einem galanten Abenteuer, denn er entführte mit ihrer Zustimmung Margherita de’ Medici, die allerdings schon verheiratet war, und zwar mit Mariotto, einem entfernten Verwandten der Florentiner Medici. Der gehörnte Ehemann nahm die Verfolgung auf, gewann seine Frau zurück, Pico indes gelang die Flucht und er zog weiter nach Rom. Dort allerdings wurde der junge Graf mehrmals vor ein Kardinalskollegium geladen, das seine Thesen prüfte und ihn befragte. Als er spürte, dass die Angelegenheit im wahrsten Sinne des Wortes brenzlig zu werden drohte, floh er aus Rom, ging erst nach Frankreich ins Exil und durfte schließlich nach Florenz zurückkehren, da sich der französische König und Lorenzo de’ Medici für ihn einsetzten. Die Fragen des Verhältnisses von Geist, Körper und Seele, der Psychologie und Physiologie der Wahrnehmung, der Eindrücke und der Gefühle, des Seins und der Beschaffenheit der Seele, die von den Florentiner Philosophen und Dichtern bearbeitet wurden, interessierten auch immer mehr die bildenden Künstler, sie wurden diskutiert und zogen auch Leonardo in ihren Bann. Sie 62

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alle, Leonardo eingeschlossen, gingen von dem Theorem der Einheit der Welt aus, die darin bestand, dass alles analog zueinander sei. Die sublunare Welt entsprach der lunaren, der Mikrokosmos dem Makrokosmus. Die Aussage aus dem Codex Hermeticum: »So wie oben, so auch unten« wurde zum intellektuellen Gassenhauer der Arnostadt, den auch Leonardo zu singen erlernte und nie wieder verlernte. Der wesentliche Unterschied zu den anderen war, dass Leonardo von dort nicht den Weg in die Spekulation, sondern den Weg in die Natur, in die reale Welt wählte. Übrigens, wenn man sich die Himmels- und Atommodelle anschaut, über das Wirken von Kräften wie der Gravitationskraft nachdenkt, dann erscheinen die Vorstellungen der Renaissance nicht mehr gar so fremd – wie auch die Säfte der galenischen Medizin als frühe Vorläufer der Hormone gelten dürfen. Am genauesten kommt dieses Allentsprechungskonzept in folgendem Satz zum Ausdruck, der wie für Leonardo geschrieben scheint: »Betrachte durch mich den Kosmos, wie er vor deinen Augen liegt, und begreife genau seine Schönheit: er ist unversehrter Körper und nichts wird je älter sein als er, und dennoch steht er in allem in der Blüte seiner Kraft, ist jung und blüht über und über.«44 Diese in früher Jugend aufgenommenen Gedanken klingen noch nach in dem schwungvollen Anfang zu einem »Traktat über das Wasser«, den Leonardo wie so vieles zwar ankündigte, dann aber schließlich doch nicht verfasste – falls er nicht später verloren gegangen ist: »Der Mensch wurde von den Alten eine Welt im Kleinen (Mikrokosmos) genannt. Gewiss ist diese Bezeichnung recht treffend, denn da der Mensch aus Erde, Wasser, Luft und Feuer zusammengesetzt ist, gleicht ihm dieser Erdkörper. Wie der Mensch die Knochen als Stützen des Fleisches in sich hat, so hat die Welt das Gestein als Stützen der Erde. Wie der Mensch in sich den Blutsee hat, wo die Lunge beim Atmen zunimmt und abnimmt, so hat der Körper der Erde sein Weltmeer, das auch alle sechs Stunden abnimmt und zunimmt mit dem Atem der Welt. Wie von dem genannten Blutsee 63

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die Adern ausgehen und sich durch den menschlichen Körper verzweigen, so speist das Weltmeer den Körper der Erde durch unzählige Wasseradern. Dem Erdkörper fehlen also nur die Sehnen, die nicht da sind, weil die Sehnen für die Bewegung geschaffen sind. Da die Welt von ewigem Bestand ist, findet dort keine Bewegung statt, und da keine Bewegung stattfindet, sind die Sehnen nicht nötig. Aber in allen anderen Dingen sind sie (der Mensch und die Welt) einander sehr ähnlich.«45 Im Codex Hermeticum heißt es: »Die Körper stammen aus der Materie in unterschiedlicher Weise. Denn sie bestehen teils aus Erde, teils aus Wasser, Luft und Feuer.«46 Auch die Analogie von Wasser und Blut, die Leonardo im Bild vom Blutsee sehr hochschätzte, findet sich im Codex Hermeticum: »Das Wasser dem Blut, die Erde den Knochen und dem Mark, die Luft den Nerven und Adern, das Feuer den Augen.«47 Doch Ficinos Einfluss reichte weiter. Gerade in der Frage der Optik würde Leonardo später einige Gedanken von dem Weisen von Careggi übernehmen. Als sein Hauptwerk sah Ficino jedoch die Platonische Theologie an, eine Theologie, die – von den platonischen Texten, aber auch von den Texten der Neuplatoniker und der Gnostiker inspiriert – zu einer Welteinheitsbetrachtung werden sollte. Hatte er Platon in Florenz mit den Wassern des Arnos christlich getauft oder eigentlich am Ende doch nur das Christentum einer heidnischen Weihe unterzogen? Diese Vorstellungen blieben nicht in den Gelehrtenzimmern, sondern sie drangen in die Gesellschaften der gehobenen Bürger und auch in die Malerwerkstätten ein. Der Historiker Jacob Burckhardt schrieb über die Zeit, in der sich der junge Leonardo heranbildete und deren Kind er war: »Der florentinische Kaufmann und Staatsmann ist oft zugleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen, die berühmtesten Humanisten müssen ihm und seinen Söhnen des Aristoteles Politik und Ethik vortragen; auch die Töchter des Hauses erhalten eine hohe Bildung … 64

4. Ingenium: Die Werkstatt als Tor zur Welt

Der Humanist seinerseits wird zur größten Vielseitigkeit aufgefordert.«48 »Auf der Straße« und in Verrocchios Bottega kam Leonardo mit dem florentinischen Zeitgeist in Berührung. Wie unkompliziert das geschah, wie unmittelbar das tägliche Gespräch und die Marktunterhaltung im Florenz des 14. und 15. Jahrhunderts waren, davon berichtet die reiche Literatur in Anekdoten, Erzählungen, Fazetien und Tagebücher, beispielsweise von Boccaccio, Franco Sacchetti, Poggio Bracciolini, Angelo Poliziano, Antonio Grazzini, um nur einige zu nennen. Das war die Welt, in die der vom Land kommende Leonardo hineingeworfen wurde und die nicht unterschiedlicher zu seinem Geburtsort sein konnte. Es spricht einiges dafür, dass diese schnelle, laute, freche Welt den Knaben zunächst erschreckte.

4. Ingenium: Die Werkstatt als Tor zur Welt

In der Renaissance wird aus dem Mann mit angeborener Klugheit, mit schöpferischer Befähigung und Talent ein Mann, der Charakter, Geist, Begabung und Witz besitzt, schließlich der Kriegsbaumeister, der Erfinder von Kriegsmaschinen und der Konstrukteur von Verteidigungsanlagen. Gerade im politisch zersplitterten Italien, in dem Regionalmächte unablässig um die Hegemonie kämpften, bestand ein hoher Bedarf an militärtechnischen Fachkräften, am ingenere, aus dem im Italienischen der Ingegnier und später im Französischen der noch heute so genannte Ingenieur wurde. Wie sich also aus dem Schutzgeist (Genius) der Talentierte und mit reichen Geistesgaben Versehene, der Humanisten zum Baumeister und schließlich zum Techniker entwickelte, füllt mehr als nur ein Kapitel der Geschichte des 65

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Überganges vom Mittelalter zur Neuzeit. Der Ort, an dem die Veränderung einsetzte, war zweifelsfrei die Werkstatt. Zunächst schloss Leonardo aller Wahrscheinlichkeit nach in Florenz 1464/65 die Rechenschule ab. Hätte er studieren wollen oder sollen, so hätte der Wechsel zur Lateinschule, zur scuola di lettere angestanden. Während die Kenntnisse, die man auf der scuola d’ abaco erwarb, für das Erlernen eines Handwerksberufes oder für eine Tätigkeit als Kaufmann vollständig genügten, war die scuola di lettere als Vorbereitung für ein Universitätsstudium unerlässlich. Man begann mit dem Erlernen der lateinischen Sprache, ging über das Studium der klassischen Literatur von Cicero bis Vergil weiter, um sich schließlich mit den Urgründen des Triviums zu befassen. Das Studium begann für jeden Studenten an der Artistenfakultät, an der als Grundlagenstudium oder Studium generale die sieben freien Künste studiert wurden, die man in Trivium und Quadrivium unterteilte. Zum Trivium zählte man die Fächer Grammatik, Rhetorik und Logik, zum Quadrivium Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Das Trivium schloss der Student mit dem Baccalaureus als unterstem akademischen Grad ab. Das darauf folgende Quadrivium endete mit dem Titel des Magisters Artium. Jetzt erst standen die Türen für ein Fachstudium offen, und zwar für Theologie, Medizin und Recht, worin der Magister promoviert werden konnte. Das Studium des Rechts wurde unterteilt in Kirchenrecht und weltliches Recht und fußte auf dem römischen Recht. Etwa drei Viertel der männlichen Kinder der florentinischen Mittelschicht schlossen ihren Schulbesuch mit der scuola d’ abaco ab, nur ein Viertel besuchte die scuola di lettere und studierte anschließend. Für die in der Rechenschule gepaukte Mathematik hatten die Humanisten nur Verachtung übrig. Sassola di Prato verkündete das Verdikt, dass die Mathematik nur für Handwerker gut sei. Einer der wenigen Humanisten, die das Studium der Mathematik empfahlen, war der bedeutende Pädagoge Vittorino da Feltre, der Lehrer Sassolas.49 66

4. Ingenium: Die Werkstatt als Tor zur Welt

Leonardo gehörte zu den vielen, die ihre schulische Ausbildung mit dem Besuch der Rechenschule beendeten. Immer wieder wollte man darin eine besondere Härte oder Gefühllosigkeit des Vaters seinem unehelichen Sohn gegenüber sehen, doch ist gerade in dieser Angelegenheit Vorsicht geboten. Die florentinische Berufswelt war in Gilden organisiert, in Innungen, die weitreichende Rechte zur Kontrolle ihrer Mitglieder nach innen und zur allgemeinen Vertretung ihrer Interessen nach außen besaßen. Um einen Beruf auszuüben, hatte man Mitglied einer der Gilden zu sein. Unterschieden wurde zwischen edlen Berufen (arti maggiori) und einfachen Handwerken (arti minori), wie beispielsweise Schmiede, Bäcker, Tischler, aber auch Weinhändler und Herbergswirte. Zu den edelsten der edlen Gilden gehörte die Gilde der Richter und Notare (arte di Giudici e Notari), die so exklusiv war, dass uneheliche Kinder nicht aufgenommen wurden, nicht einmal dann, wenn sie durch ihren Vater legitimiert worden waren. Ser Piero musste also davon ausgehen, dass seinem Sohn der Weg in den Juristenstand verwehrt blieb, selbst wenn er mit Erfolg versucht hätte, den Filius zu seinem legitimen Sohn und Erben zu machen. Zudem entdeckte er bei Leonardo keinerlei Talente oder Neigungen zur Juristerei, statt dessen aber einen immensen Hang zum Beobachten und zum Zeichnen. Denn so intensiv der Sohn die Natur und die Menschen beobachtete, so sehr dürfte er sich von klein auf bemüht haben, seine Beobachtungen festzuhalten, wenngleich nicht immer auf Papier. Denn Papier war so teuer, dass die Lehrlinge in den Malerwerkstätten zunächst das Zeichnen mit freischwebender Hand übten, ohne dass sie Linien auf dem Papier hinterließen. Wenn wir der Schilderung Giorgio Vasaris Glauben schenken wollen, trug sich die Geschichte so zu: Ser Piero da Vinci nahm eines Tages die Zeichnungen seines Sohnes, die auf Papier verewigt waren, und legte sie Andrea del Verrocchio vor, um zu erfahren, ob sein obsessiv zeichnender Filius eine Begabung 67

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für die Malerei besaß. Verrocchio war so beeindruckt von den Übungen des Jungen, dass er ihn in seine Werkstatt aufnahm. Es kann Ser Piero nicht entgangen sein, wie sein Patron, erst Cosimo il Vecchio, dann Piero il Gottoso, Andrea del Verrocchio schätzten und wie sehr sie seinem Rat vertrauten. An dieser Stelle lässt sich mit dem Vater schwerlich ins Gericht gehen, denn er wusste, dass der illegitime Sohn nicht in seine Fußstapfen treten konnte und wohl auch nicht wollte. Auch zum Kaufmann schien der verträumte Leonardo nicht recht geschaffen zu sein, zumal dessen Rechenkünste alles andere als überzeugten. Nicht nur, dass Ser Piero für den Sohn eine Ausbildung in dem Beruf ermöglichte, zu dem er auch tatsächlich eine Neigung hatte, sondern der Vater wählte auch noch die bedeutendste Werkstatt – bottega – in Florenz aus. Andrea del Verrocchio konnte sich seine Lehrlinge aussuchen, denn bei ihm ausgebildet worden zu sein, bedeutete eine ausgesprochen förderliche Referenz und versprach einen günstigen Start ins Berufsleben. Dass Leonardo nicht die Lateinschule besuchen durfte, mag aus heutiger Sicht kritikwürdig sein, zumal der Künstler später darunter litt, diesen Grad an Bildung nicht erhalten zu haben. Trotzdem lässt sich Ser Pieros Handlung nachvollziehen. Denn welchen Sinn sollte es haben, den Sohn auf eine Schule zu schicken, die auf das Studium hinführte, wenn er nicht studieren, sondern Handwerker werden würde, nämlich Maler. Die Besonderheit und Bedeutung Leonardos resultiert aus der Spannung, einerseits darunter zu leiden, keine humanistische Ausbildung erhalten zu haben und auf diese Weise von der engeren akademischen Diskussion ausgeschlossen zu sein, und dem Vorteil, andererseits nicht verbildet worden zu sein, sondern sich seinen eigenen, oft beschwerlichen und immer eigensinnigen Weg suchen zu müssen – einen Weg, der ihn aus seiner Zeit heraushob und ihn historisch betrachtet an die Seite Galileo Galileis stellte. 68

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Als Leonardo in Andreas Bottega eintrat, arbeitete Sandro Botticelli dort als frei assoziierter Mitarbeiter. Auch gehörten ihr Lorenzo de Credi, Domenico Ghirlandaio und Pietro Perugini, der spätere Lehrmeister Raffaels, an. Auch Luca Signorelli wurde von Andrea dell Verrocchio beeinflusst, wie später wohl auch Michelangelo. Kein anderer als Andrea schuf die Grabplatte für Cosimo il Vecchio mit der Inschrift »pater patriae«. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass aus Andreas­ Werkstatt die wichtigen Maler der florentinischen Renaissance­ malerei hervorgingen. Auch wenn Maler nicht als Künstler, sondern als Handwerker galten, änderte sich ihr Status und änderten ihn vor allem die Maler selbst, die Gunst der Stunde nutzend. Während das Malerbuch von Cennino Cennini (1370– 1340) – von einem Handwerker für angehende Handwerker geschrieben – rein technische Themen des Werkstattalltags behandelte, wie man beispielsweise die Bildträger (Tafeln), die Pinsel und die Farben herstellte, erschienen nun die kunsttheoretischen Essays von Leon Battista Alberti, die den Standpunkt des Gelehrten mit dem des Künstlers verbanden und sowohl ästhetische als auch kunstpraktische Fragen behandelte. Um 1435/6 erschien das Buch über die Malkunst De pictura, 1435 das Buch über die Bildhauerei De statua und 1443 bis 1452 das Buch über das Bauwesen De re aedifiocatoria, das für Leonardo geradezu zum Brevier wurde. Auch Battista Alberti, der sich später den Vornamen Leon gab, kam als natürlicher, also als unehelicher Sohn zur Welt, und zwar in Genua. Sein Vater, der reiche Kaufmann Lorenzo di Benedetto Alberti, hatte als Verlierer in einem politischen Machtkampf aus Florenz fliehen müssen. Im Gegensatz zu Leonardo studierte Leon Battista Alberti, und zwar Kirchenrecht, beschäftigte sich danach mit Mathematik und Physik und nahm anschließend eine Stelle an der Kurie in Rom an. Die Stadt seines Vaters betrat er im Gefolge Papst Eugens IV., der aus Rom vertrieben nach Florenz ins Exil ging. Hier freundete sich Leon 69

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Battista mit den führenden Künstlern der Stadt an, mit Fillipo Brunelleschi, mit Ghiberti und mit Donatello, dem Lehrmeister Andrea del Verrocchios, aber auch mit dem hochgebildeten, schriftstellernden Buchhändler Vespasiano da Bisticci, mit den Gelehrten Leonardo Bruni, Carlo Marsuppini und Poggio Bracciolini. Giannozzo Manettis De dignitate et excellentia hominis (Über die Würde und Erhabenheit des Menschen), veröffentlicht in Leonardos Geburtsjahr 1452, beschreibt wie ein Vorläufer zu Picos großem Essay den Menschen als im Grunde beinah vollkommenes Wesen, sowohl körperlich, anatomisch als auch seelisch und geistig, das fast wie Gott über die Welt herrscht. »Schließlich ist dem Menschen deswegen alles untertan, damit er selbst Gott, dem Künstler, der ihn geschaffen hat, untertan sei.«50 Nichts ist aus Manettis Sicht dem Menschen verschlossen: »Daher ist der Mensch zu Lebzeiten ein Bewohner der Erde und wird, wenn er fromm stirbt, zu einem Besitzer des Himmels, und so kann er sowohl in diesem gegenwärtigen als auch in seinem künftigen Leben immer und zu aller Zeit als glücklich und selig gelten.«51 Diesen fröhlichen und tatkräftigen Optimismus vertrat auch Leon Battista Alberti, dessen Grundmaxime lautete, dass der Mensch alles vermag, wenn er denn will. Die Grundmaxime teilte sich auch dem jungen Leonardo mit. Schließlich setzte sich Papst Eugen IV. durch und kehrte nach Rom zurück, und mit ihm Alberti, der aber bald schon wieder nach Florenz reiste, um am Unionskonzil mit den Griechen teilzunehmen. Für Leonardo bekam der Künstler, der sich so souverän auf theoretischem Gebiet bewegte, Vorbildcharakter. Selten trat Leon Battista in der Öffentlichkeit allein auf, häufig war er von Freunden umgeben und in ein Disput-Spiel verstrickt, denn er benötigte den Widerspruch als Inspiration und als Provokation im wahrsten Sinn des Wortes: als etwas, das seinen Gedanken erst hervorrief. Er war wie Leonardo – oder Leonardo wie er – geistreich, liebenswürdig im Umgang, ein Genie der Freundschaft. Wie Anthony Grafton schreibt, verfügte 70

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Leon Battista über »die Gabe, mit Männern unterschiedlichster Art Freundschaften zu pflegen, von frommen Mönchen bis zu humanistischen Pornographen.«52 Er verfasste sogar eine Leichenrede für seinen Hund. Es liest sich fast wie ein ausgemaltes und idealisiertes Bild Leonardos, wenn Burckhardt über Alberti schreibt: »Von seinen allseitigen Leibesübungen und Turnkünsten wird Unglaubliches berichtet, wie er mit geschlossenen Füßen den Leuten über die Schulter hinwegsprang, wie er im Dom ein Geldstück emporwarf, bis man es oben in den fernen Gewölben anklingen hörte, wie die wildesten Pferde unter ihm schauderten und zitterten – denn in drei Dingen wollte er den Menschen untadelhaft erscheinen: im Gehen, im Reiten und im Reden. Die Musik lernte er ohne Meister, und doch wurden seine Kompositionen von Leuten des Faches bewundert.«53 Vor allem aber hielt es Alberti für wünschenswert und auch für notwendig, dass Maler und Bildhauer Bildung erhielten, dass man ihnen den Zugang zu den Universitäten öffnete. »Wohl unterrichtet wünsche ich mir den Maler, wenn möglich, in allen Freien Künsten; besonderen Wert jedoch lege ich auf seine Kenntnis der Geometrie.«54 Leonardo kannte Leon Battista Albertis Schriften, insbesondere die grundlegenden zur Proportionslehre und zur Zentralperspektive, den beiden wichtigsten und am intensivsten bearbeiteten Themen der Zeit, weil sie so unmittelbare Auswirkungen auf die Malerei hatten. Nicht umsonst wurde im öffentlichen Lob von Gemälden stets auf die schönen oder die genialen »Verkürzungen« hingewiesen, die dem Maler gelungen seien.55 Wollte man in einem zweidimensionalen Bild die Illusion einer dreidimensionalen Welt erzeugen, kam man an der Frage der Zentralperspektive nicht vorbei. Das Verhältnis zwischen Leonardo und Leon Battista Alberti bringt Jacob Burckhardt auf den Punkt: »Und zu Alberti verhielt sich Lionardo da Vinci wie zum Anfänger der Vollender, wie zum Dilettanten der Meister … Die ungeheuren Umrisse von Lionardos Wesen wird man ewig nur von ferne ahnen können.«56 71

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Kam Leon Battista Alberti von der Theorie zur Praxis, so schlug der Maler Piero della Francesca den umgekehrten Weg ein und versuchte, die praktischen Probleme der Malerei in seinem Hauptwerk »De prospectiva pingendi« auch theoretisch zu durchdringen. Über Pietro Perugino, einen Schüler Pieros, dürfte Leonardo erste Kenntnisse von Vorstellungen Pieros erhalten haben. Gerade in dem Giebelaufsatz des Polyptychons der »Verkündigung an Maria« gelang Piero della Francesca eine mustergültige perspektivische Lösung. Man macht sich nur eine unzutreffende Vorstellung von Andreas Bottega, wenn man sie als reine Malerwerkstatt ansieht. Schon Vasari nannte Andrea in der Vita, die er über ihn verfasste, einen »Goldschmied, Meister der Perspektive, Bildhauer, Steinschneider, Maler und Musiker«.57 Genau genommen beschäftigte sich Verrocchios Werkstatt mit Malerei, Gold- bzw. Feinschmiedekunst, Bildhauerei, Architektur, Bauplanung für verschiedene Projekte, Herstellung von Nippes und auch mit Gegenständen, die man heute unter dem Begriff Kunstgewerbe erfasst. In all diesen Bereichen wurden die Lehrlinge und Gesellen ausgebildet, allerdings nicht systematisch, sondern eher sporadisch immer dann, wenn eine Arbeit anfiel, weil es dafür einen Auftrag gab. So bestimmte der Auftragseingang das Curriculum. Besonders beeindruckte den jungen Leonardo die Herstellung der Laterne – einer Weltkugel, über der sich ein Kreuz erhebt – für den Florentiner Dom, mit der Andrea beauftragt worden war. Fillipo Brunelleschi hatte mit der großen Kuppel ein wahres Meisterwerk geschaffen, zumal nicht nur die Fragen der Konstruktion und der Statik, sondern auch die Probleme der Organisation der Ausführung zu lösen waren. Wie bekam man die Baumaterialien in die große Höhe, wie den Mörtel, ohne dass er hart wurde, wie konnten die Maurer dort arbeiten? Brunelleschi, der als Sohn eines Uhrmachermeisters schon früh mit den Künsten der Mechanik in Berührung kam, erfand 72

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die faszinierendsten Maschinen, vor allem Kräne, die man auch auf die Mauern aufsetzen konnte, so dass sie in großer Höhe zu agieren vermochten. Auf die Anforderungen des Baus konnte Brunelleschi nur als Ingenieur antworten, und gerade das 15. Jahrhundert wurde zu einem Säkulum, in dem große Leistungen auf technischem und technologischem Gebiet erbracht wurden. Nicht nur die Papiermühle wurde erfunden und gebaut, sondern auch der Buchdruck mit beweglichen Lettern revolutionierte die Kommunikation der Gesellschaft und damit sie selbst. In Nürnberg arbeitete eine Konsortium aus Handwerkern und vermögenden Bürgern schließlich erfolgreich daran, eine Wassermühle so umzubauen, dass man die Wasserkraft für das Ziehen von Draht zu nutzen verstand. Wie der Buchdruck mit beweglichen Lettern spiegelte auch die Drahtziehermühle den Drang der Zeit wider, zur seriellen Produktion überzugehen und mit zwar billigeren, aber dafür größeren Mengen von Produkten den Markt zu erobern. Das Zeitalter der Maschinen begann – und diesen Anfang erlebte Leonardo mit. Gerade die Kuppel des Duomo führte ihm anschaulich vor Augen, dass der Mensch alles vermochte, wenn er es denn nur wollte, denn er besaß die Gabe, seine physischen Grenzen mittels der Erfindung von Maschinen und Werkzeugen zu überwinden. Doch die Wahrheit ist konkret und der Teufel liegt im Detail. Die Laterne auf die Kuppel des Duomo zu setzen und das Bauwerk damit zu vollenden, war Meister Filippo nicht vergönnt, der Tod hatte ihm das Werkzeug aus der Hand genommen. Der Auftrag ging an Andrea del Verrocchio, und so wurde der junge Leonardo Zeuge dieser Arbeit, die in Schritten vor sich ging vom Entwurf über Versuche mit der Haltbarkeit von Schweißnähten und Befestigungen. Denn die Laterne musste so verschweißt werden, dass sie Wind und Wetter standhielt, was gleichermaßen für die Verankerung in der Kuppel galt. Die Weltkugel der Laterne bestand aus einer Steinkugel, die mit vergoldeten Kupferblechen verkleidet wurde. Diese Kupferbleche mussten nun verschweißt 73

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Zeichnung einer Tuchschermaschine um 1495, Feder und Tinte

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werden. Allerdings verfügte man noch nicht über Schweißgeräte, so dass man sich mit großen Hohlspiegeln behalf, mit denen die Sonnenstrahlen aufgefangen und gebündelt auf die Kupferbleche geleitet wurden. Mit den hohen Temperaturen, die man so erzeugte, gelang es zu schweißen. Den 19-jährigen Leonardo beeindruckte dieses Verfahren so sehr, dass im Laufe der Jahre ca. 200 Zeichnungen von diesen »Feuerspiegeln« entstanden. Fast 40 Jahre später schrieb er in Rom noch in sein Notizheft: »Denke an die Lötmittel, mit denen die Kugel von Santa Maria del Fiore angelötet wurde.«58 Bevor man an die Herstellung der Laterne ging, näherte man sich in immer neuen Entwürfen ihrer Form und mit immer neuen Modellen ihrer Konsistenz, der Auswahl und Verbindung von Werkstoffen. Ganz Florenz war auf den Beinen, als 1471 die Laterne als Krönung auf der Kuppel befestigt wurde. Leonardo wurde von diesem Werkstattbetrieb tief geprägt. Um die Aufträge zu erfüllen, musste häufig experimentiert werden und nicht selten hatte man Erfindungen zu machen. Andreas Herstellung der Laterne mag Leonardo nachhaltig beeindruckt haben, doch zugleich stieß er in Florenz allerorten auf mechanische Wunderwerke. So hatte Brunelleschi für die Kirche Santa Maria del Carmine eine theatralische Darstellung von Christi Himmelfahrt geschaffen. In der sich öffnenden Himmelssphaera befand sich der aus Sicht des Zuschauers freischwebende Gott im Kreise der Engel. Teils wurden die Engel von Kindern dargestellt, teils handelte es sich um Bilder von Engeln auf rotierenden Tafeln. Eine mit Engeln besetzte Wolke, auch hier mit Kindern und mit bemalten Tafeln als Engeln, senkte sich auf die Darstellung des Ölbergs nieder und zog den segnenden Christus nach oben. Diese Himmelfahrt wurde mit Lichteffekten wirkungsvoll in Szene gesetzt und die Wirkung wurde durch Musik noch enorm gesteigert. In Florenz kamen auch in anderen Kirchen oder zu Huldigungszwecken im Stadttor Maschinen zum Einsatz. Nicht zuletzt wurde die Erfindungskraft für 75

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die Repräsentation, für die Ausgestaltung von Festen genutzt. Denn ohne staunenswerte Effekte, wie sie von solchen Theatermaschinen ausgingen, wollten die Medici kein Fest begehen. Die ständige Konfrontation mit der Mechanik, mit Maschinen, mit der Überwindung der physischen Begrenztheit des Menschen war an sich nicht das Besondere, besonders wirkungsvoll wurde die Begegnung Leonardos mit dieser Welt durch seinen Drang, die menschlichen Fähigkeiten zu steigern. Während andere die Techniken und Maschinen sahen, erblickte Leonardo in seinen Visionen eine mechanisierte und technisierte Welt, in der es dem Menschen gelingen würde, den Himmel und die Tiefe des Meeres mittels Flug- und Tauchmaschinen zu erobern. Für ihn erschöpften sich die Anwendungsfelder von Automaten und Maschinen nicht in Belustigungen und der Herstellung von Illusionen. Das waren nur Äußerlichkeiten, Nettigkeiten, mit denen man Geld verdienen konnte und die sogar noch Spaß bereiteten, doch im Kern ging es darum, dem Menschen alles untertan zu machen. In diesem Denken war Leonardo seiner Zeit weit voraus. Schaut man genauer auf seine spätere Arbeitsweise, auf das oft Zufällige, Unsystematische oder auch Vielfältige und Universale, es ist so weniger der Inspiration des modernen Künstlers zu verdanken, sondern es ist ein Abbild des Werkstattbetriebs. Leonardo hat Verrocchios Werkstattbetrieb sublimiert, konzentriert und sowohl zu seiner künstlerischen als auch zu seiner wissenschaftlichen Methode gemacht. In seiner Person trafen sich theoretischer Ehrgeiz und – im Gegensatz zu den Akademikern – praktische Erfahrung. Er philosophierte nicht nur über die Materie, sondern er wusste auch, wie sie sich anfühlte. Die ersten Lehrjahre verbrachte Leonardo, wie es üblich war, mit dem Abzeichnen von Reliefs oder Skulpturen. Hierzu boten sich die von Donatello oder von Andrea geschaffenen Reliefs geradezu an. Allmählich ging er in die Vorbereitung der Mit76

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arbeit an Bildern über und fertigte zeichnerische Detailstudien an – von Händen, Hand- und Fingerstellungen, Gewandfaltenentwürfen, Gesichtern, kurz: von allem, was auf einem Bild benötigt wurde. Zu den Schätzen einer Werkstatt gehörten die Musterbücher, in denen unterschiedliche Vorlagen, Standardszenen und zeichnerische Lösungen versammelt waren. Sie wurden von den Lehrlingen immer wieder abgezeichnet und der Meister schöpfte aus ihnen wie aus einem Musterkatalog Ideen für neue Bilder. Diese Methode der Ausbildung hat Leonardo als so sinnreich empfunden, dass er sie übernahm, als er selbst Meister war. Paolo Giovo, der Biograph, Humanist, Arzt und Geschichtsschrei-

Zeichnung zweier Profilansichten und Maschinestudien Dez. 1478 recto von 3, Feder und Tinte 77

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ber, der es bis zum Bischof bringen und zu Leonardos ersten Biographen werden sollte, berichtete, dass Leonardo seine Lehrlinge erst mit Farbe und Pinsel arbeiten ließ, wenn sie das 20. Jahr erreicht hatten. Davor hieß es, mit dem Griffel umzugehen und zu zeichnen. Ging es im Übrigen um technische oder architektonische Aufgaben, so blieb es bei den Entwürfen. Die Ausführungen übernahmen Fachhandwerker wie Maurer oder Tischler. Der Entwurf spielte die entscheidende Rolle, denn schließlich lebte man in Florenz, der Stadt des disegno, des gezeichneten Entwurfs. Am Arno galt der schöpferische Entwurf als Höhepunkt der Kunst, der dann nur noch mit Farben auszuführen war. Währenddessen rümpften die Venezianer die Nase über die Florentiner Entwurfssucht, denn sie sahen den Höhepunkt der Kunst in der schrittweisen farblichen Formulierung des Gemäldes. Hinter dem Paragone, dem künstlerischen Streit zwischen den beiden Städten darüber, ob dem Disegno oder dem Colore der Vorrang gebühre, standen sehr konkrete Erfahrungen und Erfordernisse. In Venedig verzichtete man eher auf Fresken, denn das Salz und die Nässe, die von der Lagune in die Wände zogen, würden die aufgemalten Farben und damit das Bild vernichten. Deshalb malte man auf Holztafeln und konnte sich dementsprechend Zeit lassen, das Gemälde schrittweise entstehen zu lassen. Das ließ natürlich viel Raum für eine suchende Kreativität. Die Florentiner, die häufig Fresken malten, hatten sich in der Herstellung des Bildes zu beeilen. Denn um das Fresko haltbar zu machen, mussten die Farben auf dem Putz, mit dem die Wand als Bildträger überzogen wurde, aufgebracht werden, solange diese Schicht noch feucht war, damit sie gemeinsam mit dem Putz trockneten. Demzufolge war es unabdingbar, vorher genau zu wissen, was man mit welchen Farben wann ausführte. Korrekturen verboten sich, wollte man nicht den Putz wieder abmeißeln oder eine neue Putzschicht aufbringen. Vor der Arbeit bestimmte man das Tagespensum, und dafür 78

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ausreichend wurde die Wand mit Putz überzogen. Dazu stellte man, nachdem der Entwurf des Bildes fertiggestellt und die Studien durchgeführt waren, Kartons her, auf die man so viel zeichnete, wie man am Tag auf die Wand zu malen plante. Diese Kartons dienten als Schablonen. Man perforierte sie und hielt sie an die Wand. Mittels Kohlenstaub wurden dann die Umrisse auf die Wand gebracht, die man anschließend kolorierte. Die Arbeit einer Werkstatt vollzog sich als höchst arbeitsteiliger Prozess. Daran nahmen die Gesellen und Lehrlinge ihrem Können und Ausbildungsstand entsprechend teil, entweder in der Gestaltung eines Details im Hintergrund oder sogar einer Figur im Vordergrund. Aus dieser Komplexität der Arbeitsteilung in der Bottega entwickelte sich in der Kunstwissenschaft das Fachgebiet der »Händescheidung«. Doch in einer Zeit, in der es noch kein Urheberrecht gab und der Meister alles verantwortete, bestand keinerlei Notwendigkeit, eine Angabe zu machen, wer welches Detail erstellt hatte. Es kam vor, dass der Meister zu manchem Gemälde, das er »gemalt«, aber nicht einen Pinselstrich hinzugefügt hatte. Darauf kam es auch nicht an, sondern entscheidend war, dass der Meister das Konzept erstellte, die Einteilung der Gesellen und Lehrlinge vornahm und den Schaffensprozess überwachte. Die Grundlage für das Konzept bildeten die oft sehr genauen Vorgaben der Auftraggeber für Sujet und Inhalt des Bildes. Bei großen Gemälden erhielt der Maler ein Bildprogramm, das von humanistischen Gelehrten erarbeitet worden war, die ihren Ehrgeiz in die Vielzahl an Bezügen, Symbolen, Verweisen, Anspielungen und Allegorien einfließen ließen. Für das subtile Spiel mit der antiken Mythologie oder mit dem bildhaften Zitat antiker Dichtung mangelte es den Malern oft an der notwendigen Bildung, weil sie nicht studiert hatten. Es genügt also nicht, sich heute ein Bild aus der Renaissance nur anzuschauen, nein, es will auch gelesen werden. Leonardo, vom schöpferischen Suchen angetrieben, beneidete die Venezianer um die Möglichkeit, langsam zu malen, ohne 79

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vom unerbittlich trocknenden Putz gehetzt zu werden. Er experimentierte deshalb zeitlebens mit Verdünnungen, mit Firnis und Farben, um auf den feuchten Putz zu verzichten und seine Fresken nicht in Eile, sondern in Ruhe, immer wieder durch Pausen des Nachdenkens und erneuter Studien unterbrochen, Pinselstrich für Pinselstrich erfinden zu können. Im Grunde wurde die Malerei für ihn zu einer Methode der Forschung. Aus dem starken Verlangen heraus, die Welt in all ihren Verästelungen, ihren Ursachen und Wirkungen zu erkennen, benutzte er den Metallgriffel oder den Pinsel wie spätere Gelehrte das Mikroskop, um in die Struktur der Wirklichkeit einzudringen. Das erklärt zumindest, weshalb er bestimmte Aufträge nicht ausführte oder die Arbeiten abbrach: Was ihn trieb, was ihn als Maler übrigens auch ausmachte, nämlich das Erkenntnisinteresse, hatte sich erfüllt – oder aber er hatte es an diesem Gegenstand verloren. Je älter Leonardo wurde, desto stärker stieß ihn das bloße Fertigstellen ab. Für den 14-Jährigen bedeutete das Eintauchen in Verrocchios Werkstatt den Wechsel in eine andere Welt, obwohl die Bottega des Meisters sich in der Nähe der Notarkanzlei des Vaters befand. Ser Piero hat übrigens als Notar auch Aufträge für Andrea erledigt, denn der war ein Klient von ihm. Die Bottega des berühmten Meisters, in die Leonardo eintrat, hatte wenig mit einem heutigen Atelier gemein, sondern stellte eine Mischung aus Werkstatt, Architekturbüro, Akademie und Verkaufsladen dar. Es gab unter anderem einen Esstisch, einen Globus und ins Italienische übersetzte Bücher, wie beispielsweise die Gedichte Petrarcas und die Werke Ovids.59 Insbesondere die Metamorphosen des römischen Dichters gehörten in der Renaissance zur Pflichtlektüre eines Künstlers. Im Erdgeschoss befanden sich der Verkaufsraum und die Werkstätten, in denen die Gesellen und Lehrlinge unablässig Kunstgewerbliches herstellten, wenn sie nicht zur Arbeit an einem größeren Werk 80

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herangezogen wurden. In Florenz bestand ein großer Bedarf an allerlei Nippes, aber auch an Porträts jeglicher Größe und Gestalt, mit Metallstift oder mit Farben ausgeführt, je nach Geldbeutel des Auftraggebers. Nicht zu vergessen die Andachtsbilder, die für das häusliche Gebet bestimmt waren und die von den Bürgern bestellt und gekauft wurden. Niemand kann sagen, wie viele dieser Bilder im Laufe der Jahrhunderte verlorengingen, so dass die Kunstgeschichte im Grunde nur recht unsichere Aussagen zu treffen vermag, ausgerichtet an den erhalten gebliebenen Werken, zumeist Spitzenleistungen dieser Zeit. In der Werkstatt, aber auch unmittelbar davor – denn das Leben fand weit stärker als heute auf den Straßen, Gassen und Plätzen statt – kam es häufig zu Diskussionen über philosophische und künstlerische Fragen, zu kleinen, sich zufällig ergebenden Symposien. Auf der einen Seite beglückte es Leonardo, täglich zeichnen zu dürfen, Neues zu lernen, aber auch mit anderen Aufgaben von Schmuckgestaltung über Architektur bis hin zu Baugestaltungen konfrontiert zu werden, die immer ihren Anfang im Entwurf fanden. Auf der anderen Seite dürften den zurückhaltenden Knaben, der als Einzelkind aufgewachsen war, der wilde, zuweilen grobe, auch vulgäre Umgangston in der Bottega, die zotenreichen und spottenden Reden der anderen verstört haben. Auch der offene Umgang mit der Sexualität in allen nur denkbaren Formen mag ihn anfangs eingeschüchtert haben, aber nicht allzu lange. Wann Leonardo seine sexuelle Veranlagung entdeckte, lässt sich zwar nicht feststellen, aber vieles spricht dafür, dass es sich in Andreas Werkstatt zutrug. Die beiden Jugendbilder, die von ihm überliefert sind, und die Beschreibungen legen nahe, dass der junge Leonardo ausgesprochen schön und anmutig gewesen sein muss, fast zu schön und zu anmutig für einen Mann. Paolo Giovo beschrieb Leonardo als von »freundlicher, geistreicher, großzügiger Wesensart«, als »außergewöhnlich schön von Angesicht.«60 Und eine weitere zeitgenössische Quelle pries ebenfalls Leonardos Anmut 81

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und Schönheit: »Er trug stets ein rosafarbenes Gewand, bis zum Knie, während damals lange Gewänder üblich waren. Sein schönes Haar fiel in Locken und bedeckte zur Hälfte die Brust.«61 Man hat vermutet, dass Leonardo für Verrocchios David-Statue Modell gestanden hat. Mehrere Indizien unterstützen diese These, wenn sie auch letztlich keine Beweiskraft erlangen. Alter und vor allem vor allem die Anmut und die fast feminine Schönheit des ephebenhaften Davids passen zur Beschreibung des 14-jährigen Leonardo. Andrea arbeitete so genau, dass sogar die Ader am rechten Arm in ihrer Anspannung hervortritt. Sie erzählt somit bildlich, dass David trotz der lässigen Haltung das kleine Schwert oder lange Messer fest in der Hand hält und auf alles vorbereitet ist, was da kommen könnte: ein jugendlicher David in herausfordernder Pose. Verrocchios Modell posierte nackt, denn der Bildhauer benötigte die Anschauung des Körpers, um dessen Haltung umzusetzen, auch wenn er diesen Körper dann leicht »bekleidete«. Unter den Skizzen der VerrocchioWerkstatt findet sich zudem die Zeichnung des nackten Modells für den David: ein Junge, der durchaus Leonardo gewesen sein könnte. Wäre es so, besäße man zwei Porträts des werdenden Künstlers. Aber es existiert noch ein weiteres Indiz. Im Jahr 1470 begann Andrea mit einer »Taufe Christi«(siehe Innentitel) wahrscheinlich für die Vallombrosaner Kirche von San Salvi, vor den Stadtmauern gelegen, in der Andreas Bruder Mönch war. Möglicherweise handelt es sich bei der 180 x 151,3 cm großen Tafel um eine Gemeinschaftsarbeit des Meisters mit Sandro Botticelli und Leonardo. Leonardo wurden die Landschaft auf dem Gemälde zugeschrieben sowie der rechte, kniende Engel, der dem Betrachter das Profil zuwendet. Da das Gemälde in Öl und in Tempera gemalt worden ist, ging man bei der »Händescheidung« davon aus, dass die in Öl ausgeführten Partien vom jungen Leonardo stammen, und zwar der Engel, die Landschaft und teils in Übermalung auch die Christusfigur. Vasari berichtete: Andrea 82

4. Ingenium: Die Werkstatt als Tor zur Welt

del Verrocchio »arbeitet gerade an einer Tafel, auf der Johannes Christus tauft, und Leonardo malte dort einen Engel, der mehrere Gewänder trägt. Obwohl er noch sehr jung war, führte er ihn in einer Weise aus, die Leonardos Engel viel besser wirken ließ als die Figuren von Andrea. Aus diesem Grund wollte dieser nie wieder Farben anrühren, so beschämt war er, dass ein Junge besser mit ihnen umzugehen verstand als er.«62 Diese Anekdote sollte man allerdings nicht allzu wörtlich nehmen, denn es blitzt hinter Vasaris Geschichte eine Sottise gegen Andrea del Verrocchio auf. Sie kam nicht von ungefähr, denn dass der Autor kein Bewunderer und schon gar kein wohlmeinender Biograph des Malers war, manifestiert sich mehrfach im Text. Allerdings steckt letztlich doch ein Körnchen Wahrheit in Vasaris Sottise, denn Leonardo hatte den Hintergrund übermalt und eine liebliche Landschaft mit Bäumen und Büschen in eine karge mit schroffen Felsen verwandelt, die der Jordan durchfließt. Während rechts der Stab Johannes des Täufers das Spruchband trägt mit der Aufschrift »Ecce Agnius D« (die dann eingerollt und so für den Betrachter nicht mehr sichtbar weitergeht: »ei, ecce tui collit peccatum mundi«, Johannes 1,29: »Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!«) und auf Passion und Tod hinweist, deutet die Palme links auf die Auferstehung und auf das Paradies hin. Über dem Kopf Jesu sieht man die Hände Gottes, die den Heiligen Geist in Form der Taube aussenden, denn: »Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel …«, wie es im Johannes-Evangelium weiter heißt. Die Veränderung des Hintergrunds stellt keine Besserwisserei oder Spielerei des Lehrjungen dar, sondern verleiht dem Bild eine klare Tiefenwirkung, die den »Meister der Perspektiven« Andrea del Verrocchio beeindruckt haben dürfte. Das lange, lockig auf Schulter und Brust fallende Haar des linken Engels und dessen anmutigen Gesichtszüge erinnern an den Leonardo der zeitgenössischen Beschreibungen. Hat der junge Maler in dem Engel, der so gläubig aufschaut zu Christus, 83

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

dessen Gewand er hält, ein Selbstporträt geschaffen? Es war keineswegs unüblich, dass sich die Maler in Bildern in der Menge oder am Rande verewigten. Auffallend ist die Ähnlichkeit des Engels mit der Zeichnung und der Statue des David von Andrea. Wollte man die Spekulation sehr weit treiben, so könnte man sich durchaus das Engelsgesicht der »Taufe Christi« um Jahrzehnte gealtert, gröber geworden vorstellen, und man käme bei dem Turiner Selbstporträt an, das den 61-jährigen Maler zeigt (siehe Seite 20). Zumindest weisen die Nase, die langen Haare und die Augenpartie eine gewisse Ähnlichkeit auf. Leonardo legte übrigens sehr viel Wert auf sein Äußeres, wusch sich täglich und achtete auf die Reinlichkeit seiner Kleidung. Darin war er zu dieser Zeit eine seltene Ausnahme. Nach der Fertigstellung der »Taufe Christi« hatte Leonardo ausgelernt und schrieb sich 1472 in die Malergilde der Compagnia di San Luca ein, was ihn dazu berechtigte, selbständig als Maler zu arbeiten und eine eigene Werkstatt zu eröffnen. Doch damit hatte Leonardo keine Eile, er blieb noch bei Andrea.

5. Frühe Werke

Leonardo arbeitete weiterhin unter dem Dach von Andreas Werkstatt, weil ihm die gleichberechtigte Zusammenarbeit ein angenehmes Leben bescherte, denn die Bottega bot auch die Geselligkeit, derer er inzwischen so sehr bedurfte: die Zusammenarbeit mit Freunden in einem Kreis vorwiegend junger Männer. Aber diese Jeunesse dorée genoss nicht nur das Leben mit allerlei Schabernack und Vergnügungen, philosophierte nicht nur über die Kunst und das Leben, sondern schaute sich auch berühmte Bildwerke an, um die Ausführung zu erörtern. Für die Mitglieder von Andreas Werkstatt dürfte es geradezu Pflicht ge84

5. Frühe Werke

wesen zu sein, sich mit den Bildwerken, den Statuen Donatellos auseinanderzusetzen. Er war Andreas Lehrmeister gewesen und im Dezember 1466 in Florenz verstorben. Man konnte kaum durch die Stadt gehen, ohne wenigstens einmal mit Donatellos Werken konfrontiert zu werden. Giorgio Vasari war von dem Scultore Fiorentino hingerissen: »Er verschrieb sich der Kunst des disegno und wurde nicht nur ein ganz außerordentlicher Bildhauer und herrlicher Bronzebildner, sondern er war auch erfahren in der Stucktechnik, fähig im Konstruieren der Perspektive und sehr geschätzt in der Architektur. Seine Werke waren von einer Anmut und Qualität und besaßen so viel disegno, dass man sie den vortrefflichen Werken der alten Griechen und Römer ähnlicher fand als die von jedem anderen zuvor.«63 In seinem Dante-Kommentar stimmte auch Cristoforo Landino Donatellos Loblied an, indem er ihn als großen Nachahmer der Antiken pries und seine Beherrschung der Perspektive würdigte. In der Ähnlichkeit zwischen dem David von Donatello und dem David von Andrea del Verrocchio wird die Schülerschaft Andreas deutlich, obwohl Andrea seinem David das riesige Haupt Goliaths zu Füßen legte, während sich der Lehrermeister mit einem Zitat begnügte, und zwar mit einem Flügel von Goliaths Helm, der vor Davids Füßen lag. In Santa Croce in Florenz konnte Leonardo im Cavalcanti Tabernakel die Verkündigung Donatellos bewundern, die eine eigenartiges Changieren von Ruhe und Unruhe, von Schrecken und Sicherheit ausstrahlt. Die Malerei des hohen Mittelalters und der Renaissance war beherrscht von feststehenden Motiven. Für diese Standardmotive gab es einen hohen Bedarf und sie wurden von Malern in immer neuen Wendungen bedient, wie beispielsweise die Verkündigung an Maria, die Geburt Jesu, die Anbetung der Könige, Maria mit dem Jesusknaben, häufig auch Jesus und Johannes als Kleinkinder, die Kreuzigung Jesu. Die Sujets stammten zum großen Teil aus der Bibel, was nicht erstaunt, wurden doch die meisten Bilder zu religiösen Zwecken bestellt, von Mönchen, 85

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Klerikern, aber sehr häufig auch von Bürgerfamilien, die das Bild zur Ausgestaltung einer Kapelle oder eines Altars stifteten, um durch diese gute Tat für ihr Seelenheil zu sorgen. Was die Bilder unterschied, waren der Einfallsreichtum und die technische Brillanz der Künstler. So konnte sich der mit seinen Freunden umherschweifende Leonardo in Florenz die unterschiedlichsten Verkündigungen an Maria anschauen, ob es Donatellos vorzüglicher Tabernakel war mit dem knienden Engel und einer Maria, die sich gerade erhoben hatte, was ihren Schrecken wiedergibt und dem Bildwerk Dynamik verleiht, oder die schöne Arbeit des Maler-Mönches Fra Angelico für San Domenico in Fiesole, der die Verkündigung in einer Loggia stattfinden lässt. In der spätmittelalterlichen Ästhetik wurde das sehr beliebte Motiv der Verkündigung an Maria nach der Darstellung im Lukas-Evangelium (1,28–38) in fünf Phasen geteilt, und dem Auftraggeber oder dem Maler blieb die Entscheidung, welche Phase er malen wollte. Entsprechend der Trinität und der Dreiheit des Altars teilte der Maler-Mönch Fra Angelico in der Verkündigung für die Dominikaner in Fiesole das Bild in drei Flächen: Die Mitte füllt der Engel aus, der ein wenig wie ein Eindringling wirkt, ein freundlicher zwar, aber doch mit einer verstörenden Botschaft. Im Grunde ist bereits der Auftritt des Engels verstörende Botschaft genug. Sein Gruß erschreckt die Jungfrau, die den linken Bildbereich einnimmt: »Sei gegrüßt du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte, welch ein Gruß ist das? Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.« (Lk 1,30–33)

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5. Frühe Werke

Diese erste Phase der Verkündigung wurde Conturbatio genannt, nämlich Marias Erschrecken über die Botschaft. Der jungen Ehefrau eines älteren Mannes, die sich noch dazu treu und tugendsam hält, mutet der Engel sehr viel zu. Er verkündet ihr, dass sie schwanger werden wird, unklar, von wem, klar aber, dass es nur mit dem Bruch der Ehe geschehen kann, und dass zudem ihr Sohn der Nachfahre des legendären Davids und König werden wird. Unterm Strich verkündet er ihr, dass sich ihr Leben gründlich verändern wird. Die zweite Phase der Verkündigung wurde Cogitatio genannt: das Nachdenken über den Inhalt der Botschaft, die zur dritten Phase führt, der Interrogatio, der Nachfrage, um das Gehörte zu verstehen: »Wie kann das geschehen, da ich doch von keinem anderen Manne weiß?« (Lk 1,34). Hierauf antwortet ihr der Engel: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.« Zum Beweis für die Verkündung führt der Engel Elisabeth an, die unfruchtbar war und jetzt im hohen Alter im sechsten Monat schwanger ist: »Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.« (Lk 1,37) Es folgt die Humilatio, die Unterwerfung Marias unter Gottes Willen: »Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du gesagt hast.« (Lk 1,38) Daran schließt sich das Lob der Verdienste der Maria an, die Meritatio. Fra Angelico wählte für seine Gestaltung die Humilatio, Marias Unterwerfung unter den Willen Gottes, angezeigt durch die sich verneigende Sitzhaltung, die nicht dem Engel gilt, sondern Gott. Gott ist in der oberen rechten Ecke als aussendende Hände gemalt und schickt auf einem in Gold gemalten Strahl den Heiligen Geist in der Gestalt der Taube. Bemerkenswert ist, dass der Strahl der göttlichen Erkenntnis Maria mitten ins Herz trifft. Engel und Maria befinden sich in der Loggia, die zwei Drittel des Bildes einnimmt. Aber das linke Drittel des Bildes erzählt die Geschichte vom Anfang des Menschengeschlechts, die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden, aus dem Pa87

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radies, mit der die Weltgeschichte einsetzte. »Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.« (1. Mose 3,24). Fra Angelico zeigt, wie Adam und Eva trauernd um den Verlust des Paradieses in der Welt hinaus und aus dem Bild gehen, während der Engel den Rückweg versperrt, im Bild des Maler-Mönches übrigens der gleiche Engel, der nun Gottes Botschaft zu Maria bringt. Dieser Gedanke wurde in einem der populärsten Bücher des Mittelalters ausgeführt, das noch tief in die Neuzeit hineinwirkte, die Legenda aurea des Jakobus de Voragine. Fra Angelico kannte dieses Werk. Darin heißt es: »Die erste ist, dass die Heilsordnung offenbar werde; weil die Ordnung der Erlösung musste übereinkommen mit der Ordnung des Falls; denn wie der böse Engel das Weib versuchte, dass sie in einen Zweifel fiel, und aus dem Zweifel in eine Einwilligung, und zu jüngst in einen Fall: gleicherweise sollte die Verkündigung durch den guten Engel geschehen; denn von der Verkündigung empfing die Jungfrau einen festen Glauben, durch den Glauben einen Gehorsam, und zu jüngst eine Vollbringung, dass sie Gottes Sohn empfing.«64 Das theologische Programm der Legenda aurea, dem sich Fra Angelico verpflichtet fühlte, lässt sich mühelos und eindeutig entziffern: Maria wurde als zweite Eva gesehen, die Evas Frevel durch Jesu Geburt wieder aufhob. Durch die Geburt des Heilands wurde der Weg für den aus dem Paradies vertriebenen, von Gott entfernten Menschen zu Gott wieder geöffnet, indem Gott Mensch wurde und in Gestalt eines Menschen auf die Erde kam. Läse man das Bild wie einen Text, so würde man links beginnen, mit der Vertreibung aus dem Paradies, und mit den Augen hinübergleiten zum neuen Weg ins Paradies, zum Neuen Bund. Die Klammer bildet der Engel, doch über die Zeiten hinweg waltet der Wille Gottes, der größer ist als alle Vernunft und deshalb nicht Marias Kopf, sondern Marias Herz anrührt, nicht das Wissen, sondern den Glauben, der mit dem Vertrauen beginnt. 88

5. Frühe Werke

Eines der frühesten mit einiger Beweiskraft Leonardo zugeschriebenen Gemälde ist nun ebenfalls eine Verkündigung an Maria, das zwischen 1473 und 1475 entstanden sein soll. Dem jungen Maler sind zwei perspektivische Fehler unterlaufen, doch typisch für Leonardo ist, dass er das Motiv in der Ausführung neu definiert hat. Auch er hat die Conturbatio Situation gewählt. Bisher ereignete sich die Verkündigung in Innenräumen oder in einer Loggia, denn der Erzengel Gabriel, der Verkündigungsengel, suchte Maria zu Hause – als Heimsuchung – auf, also zeigte man sie in ihrer Häuslichkeit. Doch der junge Künstler hat das Motiv neu formuliert, indem er das Geschehen vor dem Haus spielen lässt. Das tut der Intimität des Vorganges keinen Abbruch, ja, hebt sie erstaunlicherweise noch hervor, denn man gewinnt den Eindruck eines hortus conclusus. Leonardo konzentriert sich ganz auf die Begegnung – und benötigt weder Adam und Eva wie Fra Angelico, um den theologischen Rahmen zu erstellen, noch die Hände Gottes und die Taube als Heiligen Geist, um den außergewöhnlichen Vorgang darzustellen – geradezu verinnerlicht, in die Situation hineingenommen und nicht als Kommentar nachgeliefert. Das gelingt dem jungen Künstler souverän mittels dreier Elemente. Der Engel unterbricht Maria in der Lektüre der Bibel, und zwar von Jes 7,14: »Darum wird euch der Herr selbst sein Zeichen geben …«. Der Engel wird in Leonardos Bild zum Zeichen des Herrn, denn nur Gott konnte ihn aussenden. »Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.« Immanuel bedeutet: Gott mit uns. Nichts anderes wird ihr der Engel verkünden, nur dass es nicht um irgendeine junge Frau geht, sondern um sie selbst. Damit wird, wie es im Neuen Testament oft heißt, die Schrift erfüllt. Lk 1,26–38 erfüllt Jes 7,14. Der Faltenwurf vor Marias Bauch weist auf die Schwangerschaft hin. Und er hebt sich dadurch ab, dass er von goldener Farbe ist. Was hier gemalt wurde, ist genial. In dem Gold des Faltenwurfs vor dem Bauch der Maria wird die Segnung oder Benedeiung 89

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der Schwangeren vor allen Frauen gezeigt, denn dieses Kind ist vom Heiligen Geist. Gottes Botschaft, die Herabkunft des Heiligen Geistes, die wohl unzählige Male als Strahl vom Himmel, als Diagonale von oben zu Mariens Herz dargestellt worden war, so auch noch bei Fra Angelico, als Segnung der Schwangerschaft darzustellen, ist ganz große Kunst. Noch ein Detail größter Subtilität verdient es, betrachtet zu werden. Der goldene Faltenwurf reflektiert oder absorbiert kein Sonnenlicht, keinen Lichtstrahl, sondern er ist selbst die Lichtquelle. Denn der Tag, den Leonardo malte, war nicht sonnig, sondern zwar freundlich, aber dennoch grau und diesig. Was Leonardo in der Verkündigung gemalt hat, ist der berühmte Logos-Prolog des Johannes-Evangeliums: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.« (Joh 1,1) Im Bild weist Maria mit ihrer rechten Hand auf die Bibel, auf das Wort Gottes. Diese Aussage war Leonardo so wichtig, dass er dafür einen perspektivischen Fehler in Kauf genommen hat: Der Arm der Maria ist zu lang. Doch bei Johannes heißt es weiter: »In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.« (Joh 1,4) In Leonardos Bild leuchtet das Licht vom entstehenden Leben aus. Denn »das Word ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.« (Joh 1,14) Die Prophezeiung des Jesaja verwirklicht sich in der Verkündigung des Engels, indem das Wort Gottes Fleisch wird. Malerisch hat Leonardo diese Verbindung durch ein Detail hergestellt: Über dem Arm der Maria, der zur Bibel führt, liegt ein Faltenwurf, der das Gold des Stoffes über dem Bauch aufnimmt und auf diese Weise eine Brücke zwischen dem Wort und der Schwangerschaft bildet. Drei Farben wurden für Maria verwendet: das Rot des Untergewands, das auf die Passion Jesu und das künftige Leid der Mutter hinweist, auf die sieben Leiden der Maria (1. Simons Vorhersage, 2. Flucht nach Ägypten, 3. Verlust des 12-jährigen Sohnes Jesus, 4. Begegnung auf dem Kreuzweg, 5. Kreuzigung und Kreuzestod Jesus, 6. Abnah90

5. Frühe Werke

me vom Kreuz und 7. Grablegung), das Gold als Zeichen Gottes und schließlich das Blau des Obergewandes, das auf Marias Darstellung und Verehrung als stella maris, als Himmelskönigin, und in einem Wortspiel als Stern des Meeres anspielt. So schrieb der heilige Bernhard in einer weitverbreiteten Homilie: »Erheben sich die Stürme der Versuchung, befindest du dich inmitten der Klippen der Trübsale, blicke auf zum Stern des Meeres, rufe Maria zu Hilfe! Wirst du auf den Wogen des Hochmutes, des Ehrgeizes, der Verleumdung, des Neides hin und her geworfen, blicke auf den Stern, rufe Maria an … Mitten in Gefahren, Nöten und Unsicherheiten denke an Maria … Rufe sie an, dann kannst du nicht verzweifeln, denk an sie, dann irrst du nicht. Hält sie dich fest, kannst du nicht fallen. Schützt sie dich, dann fürchte nichts! Führt sie dich, wirst du nicht müde. Ist sie dir gnädig, dann kommst du sicher ans Ziel!«65 Die Vorstellung vom Meer als einem Bild für die Unwägbarkeit des Lebens ist von Leonardo im verschwimmenden Hintergrund thematisiert worden, in dem Bild einer Hafenstadt, die in einer zerklüfteten Felsenlandschaft an einer Meeresbucht liegt, es ankern dort Schiffe, aber sie liegt weit weg, im Nebel. Die Blumen des Gartens und die Lilie, die der Engel in der Hand hält, stehen für Marias Tugend und für ihr Königtum der Himmel. Außerdem steht die Blume für die Stadt Nazareth, denn »Nazareth ist gesprochen die Blume; davon schreibt der heilige Bernhard ›Die Blume wollte geboren werden von der Blume, in der Blume, in der Zeit der Blumen.‹«66 Vielleicht war es ein Satz in der Legenda aurea, der den mutterlos aufgewachsenen Leonardo besonders anrührte, darin heißt es über Maria: »dass sie in allen Stufen den Fluch vom Geschlecht des Weibes nähme: als Jungfrau, als Frau und Witwe.«67 Denn die Maria des Leonardo ist etwas ganz Besonderes. Auf dem ersten Blick wirkt sie wie ein normales Mädchen, ein Bauernmädchen vielleicht, in dem Alter seiner Mutter Caterina, als sie mit ihm schwanger wurde. Maria leuchtet im Glanz einer einsetzenden Schwangerschaft. In ihrem auf den ersten 91

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Blick teilnahmslosen Gesicht finden sich in höchster Subtilität »Demut, Scham, fester Glaube und Marter des Herzens«.68 Leonardos Maria strahlt eine große innere Gefasstheit aus – und darin unterscheidet sich seine Gottesmutter von den anderen Conturbatio-Szenen. Denn das Göttliche kommt aus dem Menschlichen, ein einfaches Bauernmädchen wird den Erlöser zur Welt bringen, sie allein vermag die große Aufgabe zu lösen. In diesem Bild zeigt sich deutlich, dass Leonardo von Anfang an nicht in Sujets oder Posen oder Allegorien dachte, sondern theatralisch in Szenen. So, wie der Theaterdichter das Leben und die Welt darstellen will, so drängte es Leonardo danach, das Leben konkret und in seiner ganzen Alltäglichkeit zu zeigen, die – im Kern getroffen – über sich hinausweist. Es mag sein, dass zwischen Leonardo und Sandro Botticelli Gespräche über die Malerei und auch über das Motiv der Verkündigung stattfanden. Denn Botticelli, der gelegentlich in Verrocchios Werkstatt arbeitete, ging dieses Motiv ebenfalls sehr innovativ an. Zur selben Zeit entstand in Andreas Werkstatt eine zweite Verkündigung, als deren Schöpfer man Lorenzo de Credi annimmt. Einige Kunstwissenschaftler vermuten, dass Leonardo in irgendeiner Weise zumindest am Konzept beteiligt war oder es anregte, denn die Übereinstimmungen fallen ins Auge. So spielt sich Lorenzos Verkündigung gleichfalls im Freien ab und auch die Konstellation wirkt wie eine Dublette, allerdings mit zwei gewichtigen Ausnahmen. Der Maler hat, wie unschwer an den übereinandergekreuzten Armen und der sich verneigenden Haltung der Maria erkennbar ist, die Humilatio-Phase, die Unterwerfung der Jungfrau unter den göttlichen Willen dargestellt und die Figuren enger zueinander gerückt. Auf einem Blatt von 1478 mit Skizzen von Köpfen, das heute in den Uffizien (Nr. 446v) aufbewahrt wird, notierte Leonardo: »fing ich die zwei Jungfrauen Maria an« (»incomincai le due Virgine Marie«). Drei Madonnen werden mit der Zeit immer wieder mit dieser Notiz in Verbindung gebracht, die Madonna 92

5. Frühe Werke

Dreyfuss, die nach einem früheren Besitzer benannt wurde und heute in der National Gallery of Art in Washington zu sehen ist, die Madonna mit der Nelke, die sich im Besitz der Alten Pinakothek in München befindet, und die Madonna mit dem Kind (Madonna Benois) in der Eremitage in Sankt Petersburg. Gleichfalls erhalten haben sich einige Studien zu Mutter und Kind. Nur bei der zwischen 1478 bis 1480 entstandenen Madonna Benois geht die Kunstwissenschaft mit Sicherheit von Leo-

Studie eines nackten Kindes um 1499 (?), Feder und Tinte über schwarzer Kreide

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nardos Autorenschaft aus. Doch die Madonnenbildnisse weisen stilistische Ähnlichkeiten auf und einige Unterschiede können auch als Entwicklung der handwerklichen Fertigkeiten des Malers gewertet werden. Es war keine sentimentale Motivation, die den ohne Mutter Aufgewachsenen zu diesem Sujet trieb, sondern dies war ein Standardmotiv schlechthin, zählte zu den am häufigsten nachgefragten Motiven, wenn es nicht sogar das am meisten gewünschte Sujet war. Denn es gehörte für jeden gehobenen Privathaushalt zur Pflichtausstattung, weil es die Grundlage der Gesellschaft, die Familie, gerade in der intimen MutterKind-Beziehung heiligte. Nicht das Motiv war entscheidend, sondern die Art und Weise, wie die Mutter-Kind-Beziehung in Szene gesetzt wurde. Bei der um 1470 entstandenen Madonna Dreyfus stand die Passion im Mittelpunkt, Geburt und Tod, wie unschwer an der Melancholie der Maria, die mit dem Griff des Kindes nach dem Granatapfel, der seit alters her als Symbol des Blutsakraments galt, und der Betonung des roten Gewandes der Maria zu erkennen ist, vor dem das Blau der Himmelskönigin deutlich zurücktritt. Bei der Madonna mit der Nelke interessierte sich der Maler für die Plastizität der Figuren, für die Natürlichkeit und Lebendigkeit der Figuren. Der Jesusknabe greift nach der Nelke, die die Mutter dem Kleinkind wie in einem Spiel hinhält. Nicht Schwermut, sondern tiefe mütterliche Liebe drückt Marias Gesicht aus, und das Rot der Passion des Untergewandes tritt in den Hintergrund, weil es vom blauen Obergewand weitgehend verdeckt wird und das Rot selbst heller wirkt, nicht an Blut und Leid erinnert, sondern die Ruhe des Farbtons Altrosé ausstrahlt. Während in der Madonna Dreyfus die Passion das Entscheidende ist und man das göttliche Licht vergebens sucht, wird es im Faltenwurf bei der Madonna mit der Nelke nur allzu deutlich, mehr noch: Der goldene Faltenwurf beginnt an der rechten Schoßgrenze, verschwindet hinter dem Rücken der Maria, um dann über der linken Schulter wieder aufzutauchen und über die Schulter und die Brust hi94

5. Frühe Werke

nunterzufallen, so dass Mutter und Kind von Gott geschützt werden, denn sie sind von seinem Licht eingerahmt. In der Madonna Benois von 1478 fehlt jeglicher Hinweis auf die Passion. Weder das Gewand der Maria noch die Blume weist die Farbe Rot auf. Und auch auf die Himmelskönigin wird kaum hingewiesne, denn das Blau findet sich nur sehr zurückhaltend im unteren Gewandteil. Es geht Leonardo in Fortführung der Madonna mit der Nelke darum, wie herzlich die Mutter mit dem Kind umgeht, wobei die Madonna Benois viel gelöster wirkt. Sie macht den Eindruck viel naiverer Freude im Spiel mit ihrem Kind, ja, wird dabei selbst zum Kind – sie, die so jung ist, dass sie die Schwelle zum Erwachsenwerden selbst erst vor Kurzem überschritten hat. Bemerkenswert sind die Fensterrahmen, die in den drei Bildern dargestellt sind. Fensterrahmen zeigten bereits dem kleinen Leonardo im Haus der Großeltern einen Ausschnitt der Welt und ermöglichten ihm einen Blick in die Welt. Es wär eine lohnenswerte Aufgabe, allein über Leonardos Fenstersichten zu schreiben. In den ersten beiden Bildern erscheinen im Fensterrahmen Landschaften, in der Madonna Dreyfus eine ruhige, sanfte, wie man sie ähnlich aus dem Fenster in Vinci erblickt haben könnte, während bei der Madonna mit der Nelke eine wilde, zerklüftete Alpenlandschaft erscheint, die aber im Mittelgrund in ein ruhiges güldenes Licht getaucht ist und das Gold des Faltenwurfs wieder aufnimmt. Inmitten der wilden Welt werden die Madonna mit der Nelke und ihr Kind von Gott beschützt, der sein Licht zwischen die Madonna mit dem Kind und die Gebirgsformationen gelegt hat. Das Fenster der Madonna Benois scheint bei oberflächlicher Betrachtung leer zu sein, doch das ist es nicht. Der Betrachter schaut von unten zur Madonna und zum Kind auf, und vom Spiel der beiden in den Himmel hinauf, der sich im Fensterrahmen zeigt. Die Weite und Offenheit des Himmels gibt der Szenerie etwas Luftiges, etwas Heiteres.

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Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Die erste Arbeit Leonardos aus seiner Lehrzeit, die sich datieren lässt, ist eine Landschaftszeichnung, Feder und Tinte auf Papier, die Leonardo in seiner Spiegelschrift selbst mit einem Datum versehen hat: »Heute, am Tag von Santa Maria in Schnee, 5. August 1473«. Der junge Maler war im Sommer für ein paar Tage nach Vinci gegangen, hatte Wanderungen unternommen, wahrscheinlich seine Mutter besucht, denn er vermerkte in seinem Notizbuch, dass er zusammen mit Antonio zufrieden sei. Da sein Großvater bereits verstorben war, bietet es sich an, dabei an den Mann seiner Mutter zu denken, Antonio Achattabriga. Sicher ist das aber nicht, Antonio könnte auch ein gleichaltriger junger Mann aus Vinci gewesen sein, mit dem er die Umgebung der

Arnolandschaft 1473, Feder und Tinte 96

5. Frühe Werke

Stadt durchstreifte, oder ein Freund aus Florenz, der ihn begleitete. Noch besaß die Familie das Haus in Vinci. Die Notiz verrät, dass Leonardo zu dieser Zeit in Vinci ausspannte. Nichts spricht jedoch dagegen, dass er das nicht des Öfteren tat, einmal oder mehrmals im Jahr. Schließlich empfand er eine große Verbundenheit mit seiner Geburtsstadt und die beiden Seiten seines Charakters hatten sich inzwischen herausgebildet: Einerseits liebte er das Stadtleben, die Feste und Vergnügungen, die Straßen und Plätze boten ihm eine Bühne. Andererseits verdross ihn immer wieder die Oberflächlichkeit, die derbe Lautheit der Stadt und er sehnte sich nach der Zurückgezogenheit Vincis, nach der Ruhe und Einsamkeit und Beschaulichkeit der Landschaft. Diese Stimmung atmet Leonardos Zeichnung. Eine reine Landschaftszeichnung, nicht als Skizze zu Studienzwecken, sondern als eigenständiges Werk, stellte eine Novität dar. Nicht nur die Menschen, sondern auch Pflanzen, Tiere und die Landschaft interessierten Leonardo in ihrer Eigenständigkeit. Im Mittelgrund links erscheint eine Stadt, die den Blick auf sich zieht, auf die allerdings der Felsen rechts durch seine Rundung hinweist. Er lenkt das Auge, bevor es vom Sog der langgezogenen Stadt, vor allem des Turms angezogen wird. Man hat versucht, das Bild zu lokalisieren, und hat Anklänge an Vinci, an den Monsummano bei Vinci erkennen wollen. Das mag stimmen, doch letztlich fand sich kein Vorbild und die Landschaftszeichnung entpuppte sich als konstruiert, obwohl sie dieses Moment geschickt verbirgt. Leonardo übte sich im Erfinden von Landschaften, indem er reale Formationen und subjektive Eindrücke mischte. Diese Gestaltung und Kombination von Wirklichkeit hat etwas von einer These, sie ist ein Mittel, Wirklichkeit verstehen und erforschen zu können, indem Wirklichkeit modelliert wird. Der Prozess der Modellierung oder Formulierung der Bildidee erweist sich als Verifikation oder Falsifikation. Noch wusste Leonardo nicht, was er suchte, nur so viel, dass sich das Gesuchte unter der sichtbaren Oberfläche befinden musste. 97

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Wie viele Zeichnungen und wie viele Madonnen Leonardo zu dieser Zeit anfertigte, wissen wir nicht. Auch nicht, wovon der Meister lebte, der inzwischen seine eigene Werkstatt eröffnet hatte. Denkbar ist, dass der Vater ihn finanziell unterstütze. Sicher hingegen ist, dass der junge Meister Geld benötigte, denn er eignete sich ein luxuriösen und exquisiten Lebensstil an, liebte Gesellschaften, rosa Tuniken und Brokatwämser. Bald schon sollte sich Leonardo nur allzu wohlfühlen in einem Kreis von arrivierten und werdenden Künstlern, von Goldschmieden und Söhnen reicher Bürger, in der Florentiner Jeunesse dorée. In den Gerichtsakten findet sich unter dem 14. April 1476 eine anonyme Anzeige. Im sogenannten Loch, einem Briefkasten, in den Florentiner anonyme Anzeigen gegen Mitbürger werfen konnten, fand sich eine Denunziation – wie häufig übrigens bei diesen anonymen Anzeigen –, in der es auch um Leonardo und um die Clique ging. Diese Anzeige wurde an die Uffiziali della notte, die Beamten der Nacht, weitergeleitet, in deren Zuständigkeitsbereich alle Fragen der öffentlichen Moral fielen. In der Denunziation hieß es: »Hiermit tue ich kund, dass Iacopo Saltarelli, der leibliche Bruder des Giovanni Saltarelli, mit ihm zusammen in der Goldschmiedewerkstatt in der Via Vaccereccia, dem Loch gegenüber, schwarz gekleidet, etwa 17 Jahre alt, dieser Iacopo abscheuliche Missetaten zulässt und denen zu Willen ist, die diese Missetaten von ihm erbitten, und auf diese Weise es mit mehreren dutzend Leuten trieb. Das heißt, er war Personen zu Diensten, von denen ich es sehr wohl weiß und von denen ich jetzt einige nenne: Bartholomeo di Pasquino, Goldschmied, in der Via Vacchereccia; Lionardo di Ser Piero da Vinci, bei Andrea del Verrocchio; Baccino, Wamsmacher in Orsanmichele, in der Straße, wo zwei große Werkstätten von Tuchscherern sind und die zur Loggia der Cerchi führt, hat er seine neue Werkstatt als Wamsmacher aufgemacht; Lionardo Tournaboni, genannt der Teri, schwarz gekleidet. Die Genannten haben mit Iacopo Sodomie getrieben, das beschwöre ich.«69 Unter Sodomie 98

5. Frühe Werke

wurde Homosexualität verstanden. Eine Anzeige wegen Homosexualität gehörte in Florenz zur Routine und wurde, wenn überhaupt, zumeist mit einer Geldstrafe geahndet. Obwohl die Anzeige der Wahrheit entsprach, bestand ihr Motiv nicht im Bestreben mitzuhelfen, um Ordnung, Sitte und öffentliche Moral aufrechtzuerhalten, sondern es scheint durch den Text doch eher der Neid eines Konkurrenten hervor. Denn der Hauptangriff richtet sich gegen die Goldschmiedewerkstatt. Hinter dem ano­nymen Denunzianten verbarg sich womöglich ein konkurrierender Goldschmied oder ein entlassener Geselle, der auf Rache sann. Man braucht nur in die Erinnerungen von Benvenuto Cellini zu schauen, um sich eine Vorstellung davon zu machen, mit welcher auch körperlichen Rücksichtslosigkeit der Konkurrenzkampf geführt wurde. Es wurde denunziert, man prügelte und duellierte sich, man raubte und verleumdete einander. Gerade Cellini erwies sich in dieser Hinsicht als recht handfest, während Leonardo stets durch Noblesse und Höflichkeit hervorstach. Schmähungen und Gewaltanwendungen waren ihm zuwider. Die Angezeigten wurden im Übrigen freigesprochen, wenngleich »unter dem Vorbehalt einer erneuten Prüfung«. Der Grund für das demonstrative Desinteresse an der Strafverfolgung findet sich in einem Namen: Lionardo Tournaboni. Kein städtischer Beamter in Florenz hatte ein Interesse daran, Ermittlungen gegen einen Angehörigen der mächtigen Tournaboni-Familie zu führen, gegen einen Verwandten von Lorenzo de’ Medici. Er war 1469 seinem verstorbenen Vater Piero ins Amt des Chefs vom Hause Medici und des ungekrönten Herrschers von Florenz gefolgt. Zudem hätte man gerichtlich gegen den Sohn des angesehenen Notars Ser Piero da Vinci vorgehen müssen. Niemand konnte voraussagen, was alles ans Tageslicht kommen köntte, wenn man Ermittlungen einleitet, denn von Lionardo Tournaboni führte die Spur weiter in die Homosexuellenszene der Jeunesse dorée und zu den angesehenen Familien. 99

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Später wurden Leonardos öffentliche Auftritte legendär, denn er erschien stets herausgeputzt und in Begleitung einer Gruppe junger Männer, von denen einige dem Knabenalter kaum entwachsen waren. Er unternahm nicht das Geringste, um seine Homosexualität zu verheimlichen, sondern er lebte sie öffentlich und demonstrativ aus. Sicherlich hätte er immer darauf verweisen können, dass er sich lediglich in Begleitung seiner Werkstatt befand, doch niemand fragte ihn.

6. In der Florentiner Gesellschaft

Seit 1472 hatte sich Leonardo durch seinen Eintritt in die Compagnia di San Luca70 als Meister etabliert, spätestens seit 1477 hatte er seine eigene Werkstatt, aber Andrea del Verrocchio verbunden blieb er trotzdem. Ob auch Andrea homosexuell war, kann nur vermutet werden, wenn man sich die Darstellungen von jungen Männern, Engeln oder die Terrakotta-Figur eines jugendlichen Christus anschaut, die allesamt einen stark femininen Zug aufweisen. Allerdings entsprach dieser Stil auch dem Zeitgeschmack. Leonardos Werkstatt-Freund Lorenzo de Credi war mit Sicherheit homosexuell und Sandro Botticelli wohl auch, zumindest aber bisexuell wie Benvenuto Cellini. Das hielt Botticelli nicht davon ab, in seinen Illustrationen zu Dantes Commedia die Leiden der Homosexuellen im siebten Kreis der Hölle ausgesprochen drastisch darzustellen. In den kulturell tonangebenden Schichten in Florenz ging man recht ungezwungen mit dem Lob der Griechen auf die Knabenliebe um. Von Platon und Sokrates lernten die florentinischen Jünger der griechischen Philosophen, die Liebe zwischen Männern als die höchste Form der Liebe zu betrachten. Doch die Grenzen zwischen einer idealisierten, rein geistigen Liebe, einer subtilen Homoerotik 100

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nach Platon und einer zupackenden Homosexualität verliefen fließend. In den Namen der jungen Männer, die in der Denunziation angezeigt worden waren, bildet sich Leonardos Freundeskreis ab: Maler, Goldschmiede, Handwerker, bis hin zu jungen Männern aus den allerhöchsten Kreisen. Andrea hatte übrigens um 1476 den Auftrag erhalten, in Pistoia, einer Stadt in ungefähr 35 Kilometern Entfernung von Florenz, ein Altarbild zum Gedenken an den verstorbenen Donato de’ Medici zu erstellen, der 1436 Bischof in Pistoia geworden war. Die Ausführung übernahm in der Hauptsache Lorenzo de Credi. Das Bild, heute bekannt als Madonna di Piazza, zeigt die Madonna mit dem Kind auf einem Thron sitzend, rechts und links von ihr stehen Johannes der Täufer und der heilige Donatus, dessen Darstellung auf Donato de’ Medici anspielte. Für den Auftraggeber erfüllte er den politischen Zweck der Memoria der Medici im toskanischen Pistoia. Für die Predella des Altars malte Lorenzo de Credi das Bild Der heilige Donatus und der Steuereintreiber und eine Verkündigung, und zwar ebenjene Verkündigung, bei der Leonardo ihn beraten hatte. Sie wies Übereinstimmungen mit Leonardos Verkündigung auf, die allerdings künstlerisch eindrucksvoller war. Der kenntnisreiche Leonardo-Biograph Charles Nicholl hat vermutet, dass Leonardo 1478 auch an der Konzeption für die Madonna di Piazza beteiligt war.71 In der Nähe von Pistoia liegt auch das Dörfchen Genaro, in dessen romanischer Kirche sich die Figur eines Engels befindet, die als Werk von Leonardo identifiziert wurde. Leonardo, der trotz eigener Werkstatt weiter mit Andrea kooperierte, half dem Kollegen und Freund Lorenzo de Credi und suchte ihn in Pistoia auf. Dort freundete sich Leonardo mit einigen jungen Männern an, wie etwa dem Dichter Antonio Cammelli, der eine sehr eigene und sehr eindrückliche Dichterpersönlichkeit war. In seinen Versen gelang es ihm, das Vulgäre des Alltages zur Dichtung zu erheben. Jahre später sollte 101

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Cammelli auch in Mailand zum Kreis um Leonardo gehören. Auf einer Zeichnung Leonardos mit einer Porträtskizze, entstanden in dieser Zeit, findet sich ein Hinweis auf den Florentiner ­Fioravanti di Domenico, den Leonardo seinen allerliebsten Freund genannt hat, und auf der Rückseite ein Satzfragment: »e chompa in pisstoja«, von Kameraden in Pistoia.72 Das sind Fragmente einer unbeschwerten, zuweilen sehr mutwilligen Zeit. Zu Leonardos erster Werkstatt gehörte auch ein Lehrbursche aus Bologna namens Paolo, um den sich nach dem Tod des Vaters seine Brüder kümmerten, die in Bologna eine geachtete Stellung einnahmen. Ihnen kam – auf welche Art auch immer – zu Ohren, dass ihr jüngerer Bruder in Florenz in »schlechte Gesellschaft« geraten sei und ein lasterhaftes Leben führe. Auf Betreiben des Stadtherrn von Bologna, Giovanni Bentivoglio, ließ Lorenzo de’ Medici den jungen Mann festnehmen und schickte ihn zurück nach Bologna, wo er ein halbes Jahr im Gefängnis zubrachte. Man benötigte diese Zeit, um Paolo »zu erziehen« und auf den rechten Pfad zurückzuführen. Nachdem seine Brüder sicher waren, dass sich Paolo in die Bologneser Bürgergesellschaft einfügen würde, wurde er aus der Haft entlassen und ein angesehener Handwerker, der sich mit Intarsienarbeiten beschäftigte. Paolos erzwungene Rückkehr nach Bologna könnte Leonardo melancholisch gestimmt haben, geschäftlich und gesellschaftlich geschadet hat sie ihm nicht, denn er bekam neben den Madonnen zwei wichtige und prestigereiche Aufträge. Es herrschte ein freies, von Neugier getriebenes geistiges Leben in der Arnostadt. Philosophische Diskussionen oder Vorträge von Gedichten fanden auch auf der Straße, auf den Plätzen, vor den Werkstätten der Maler und Goldschmiede statt. Marsilio Ficinos grundlegendes Werk De amore zur Eroslehre, die alle Philosophen, Dichter und Künstler und diejenigen beschäftigte, die von Platons Symposion (dt. »Das Gastmahl oder Über die Liebe«) ausgingen, hatte Ficino selbst 1474 aus dem Latei102

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nischen ins Italienische übersetzt – ins Volgare, die Volkssprache – und Leonardo dadurch zugänglich gemacht, so dass er dieses Werk kannte. Der Maler Domenico Ghirlandaio hat in seinen Fresken für die Tournaboni Kapelle in der Kirche Santa Maria Novella im Bild Die Verkündigung des Zacharias links im Vordergrund Marsilio Ficino, Cristoforo Landino, Angelo Poliziano und Demetrios Chalkondyles, einen griechischen Gelehrten, porträtiert. Letzterer war ein Lehrer von Angelo Poliziano – aber auch von Johannes Reuchlin – und erwarb sich große Verdienste um die Verbreitung und Qualifizierung des Studiums der griechischen Antike. An diesem Detail besticht, dass sich das Gespräch der vier Humanisten vom Bild verselbständigt und der Eindruck entsteht, sie könnten gerade auf einer Florentiner Straße stehen. Während Marsilio mit Demetrios sicherlich über Platon diskutiert, schaut Angelo verträumt, und Cristoforo wirft einen wehmütigen Blick aus dem Bild heraus zum Betrachter, als möchte er am liebsten weg aus der Situation. Nicht umsonst galt Ghirlandaio, der bei Verrocchio zur gleichen Zeit wie Leonardo gelernt hatte, als guter Porträtist. Er verstand es, das Wesen der Persönlichkeit der Porträtierten in den Bildnissen zu treffen, auch wenn darüber der Bildzusammenhang etwas verloren ging und sich niemand von den porträtierten Zeitgenossen so recht für das biblische Geschehen interessierte. Nachdem er sich 1472 als Meister in der Compagnia di San Luca eingetragen hatte, begann Leonardo, gelegentlich als Bildhauer in Lorenzo de’ Medicis berühmtem Garten von San Marco zu arbeiten, einer faszinierenden Sammlung antiker Kunstwerke, die später von den fanatischen Gefolgsleuten und den Kinderbanden des religiösen Eiferers Girolamo Savonarola zerstört wurde. Diese Bildhauertätigkeit dürfte von Verrocchio vermittelt worden sein. Der Bildhauer Bertoldo di Giovanni, der wie Verrocchio ein Schüler Donatellos gewesen war, leitete diese frühe Kunstakademie. Die Bedeutung der bildhauerischen Ar103

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beit in Leonardos früher Zeit kann kaum überschätzt werden. Sein Gefühl für die Dreidimensionalität, dafür, dass Menschen und Tiere Körper sind, schlägt sich in der Plastizität der Menschen in Leonardos Bildern nieder. Die Maler wetteiferten darum, dass ihre Bilder, selbst wenn sie Phantastisches wiedergaben, so echt wirkten, als wären sie Natur. Um in den beiden Bilddimensionen die Illusion der Räumlichkeit zu erzeugen, untersuchten und erforschten sie mit unnachahmlicher Energie die Gesetze der Perspektive und der Proportionen. Und sie waren nicht unbedingt bereit, das, was sie herausgefunden hatten, zu teilen: Diese Kenntnisse galten als Werkgeheimnisse. Zwei Anekdoten, die Plinius der Ältere in seiner Naturgeschichte erzählt hatte, gaben Sinnbilder für die angestrebte Authentizität ab und waren allen Malern geläufig. Der Maler Parrhasios »soll sich mit Zeuxis in einen Wettstreit eingelassen haben; dieser habe so erfolgreich gemalte Trauben aufgestellt, dass die Vögel zum Schauplatz herbeiflogen; Parrhasios aber habe einen so naturgetreu gemalten leinenen Vorhang aufgestellt, dass der auf das Urteil der Vögel stolze Zeuxis verlangte, man solle doch endlich den Vorhang wegnehmen und das Bild zeigen; als er seinen Irrtum einsah, habe er ihm in aufrichtiger Beschämung den Preis zuerkannt, weil er selbst zwar die Vögel, Parrhasios aber ihn als Künstler habe täuschen können.«73 In der zweiten Anekdote malte Zeuxis einen Knaben, der die Trauben trug. »Als die Vögel hinzuflogen, trat er mit der gleichen Aufrichtigkeit sehr erzürnt vor sein Werk und sagte: ›Die Trauben habe ich besser gemalt als den Knaben, denn hätte ich auch mit ihm Vollkommenes geschaffen, hätten sich die Vögel fürchten müssen.‹«74 Man geht fehl, wenn man für Leonardos bildliche Lösungen allein inhaltliche Vorstellungen heranzieht. Mindestens genauso wichtig war für ihn, eine neue stilistische Lösung zu finden, einen anderen Ausdruck, der trotz aller Erfindung Findung blieb und real wirkte wie das Ungeschaffene, das Natürliche. Die unermüdlichen Übungen und 104

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Studien von Bewegungen der Körper, von Proportionen, von Faltenwürfen zum Beispiel, von Studien, die zu eigenen Kunstwerken wurden, fanden in den Anekdoten des antiken Gelehrten ihr Vorbild. Man wollte durch das Malen eine Welt erschaffen. Das galt auch für den Bildhauer, und so stritten in einem andere Paragone Bildhauer und Maler darüber, welche Kunst höher stehe: die Malerei oder die Bildhauerei? Welche Kunst würde der Schaffensvirtuosität der Natur näher kommen? Als Jahre später der junge Michelangelo sich in Lorenzos Kunstakademie von San Marco weiterbildete, schuf er als eine seiner ersten Arbeiten einen alten Faunskopf. Er ließ ihn lächeln, so dass die Zunge und alle Zähne, die Michelangelo vollständig gestaltet hatte, zu sehen waren. Als Lorenzo de’ Medici den Garten besuchte, präsentierte Michelangelo stolz sein Werk. Il Magnifico, der Prächtige, wie man Lorenzo schon bald nannte, gefiel die Arbeit des Lehrlings, doch er kritisierte scherzend: »Du solltest wissen, dass die Alten niemals alle Zähne haben und ihnen immer der eine oder andere fehlt.« Für den jungen Michelangelo stellte dieser Scherz eine herbe Kritik dar und er schlug sogleich »einen Zahn aus und bohrte das Zahnfleisch so an, dass es wirkte, als sei er ausgefallen.«75 Leonardo im Übrigen, der sich um die Bildhauerei bemüht hatte und es hierin auch weit brachte, schätzte die Malerei weit höher. Auch über die Kunstakademie von San Marco ergaben sich Kontakte zu den Medici. Hinzu kamen die aufwendigen Festumzüge und Turniere, die häufig stattfanden. In ihnen manifestierten die Medici ihre Pracht und ihren Herrschaftsanspruch. Für Künstler wie Verrocchio bedeuteten sie eine Vielzahl an Aufträgen: phantasievolle Kostüme, beeindruckende Masken, Fahnen mit kunstvollen Impresen, Schauwagen mit mythischen Geschichten und Theatermaschinen, um staunenswerte Effekte hervorzubringen, mussten von begabten Künstlern erfunden und hergestellt werden. 105

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An der pompösen Gestaltung der Festzüge wirkte auch Leonardo mit, entwarf Kostüme und Masken für die Mitwirkenden und Theatermaschinen, um bestimmte Bilder herstellen zu können. Unter den Zeichnungen, die später als Maschinen gedeutet wurden, befindet sich so manche Skizze einer Theatermaschine, die er für Lorenzo entwarf. Übrigens förderte il Magnifico auch Marsilio Ficino, setzte sich für Giovanni Pico della Mirandola ein und war dank der sorgfältigen Erziehung durch seine Mutter, Lucrezia Tornabuoni, so bewandert in der Dichtung, dass er sich durchaus mit Dichtern wie Angelo Poliziano messen konnte – und das auch tat. Natürlich war Lorenzo bestens vertraut mit Dantes Dichtung, mit dem Convivo und der Vita nuova, doch vor allem finden sich in seiner Dichtung, in den Sonetten, im Simposio (Gastmahl) und in dem Streitgespräch, in De summo bono, die Liebestheorien Cristoforo Landinos und Marsilio Ficinos wieder, die von der Anschauung der körperlichen Schönheit aufsteigen zur Betrachtung der Schönheit der Seele und über sie zum summum bonum, zur Versenkung in den Anblick der Schönheit des Überguten oder unüberbietbar Guten. Leonardo, der die Scharaden genauso liebte wie die Verkleidungen, war nicht weniger von der Schönheit des Körpers angetan, nur suchte er nicht nach Abstraktionen, nach der Seele­ oder Gott, sondern wollte wissen, woher die Schönheit kam, welch Konkretes im Konkreten lag, was sich unter der Haut befand, was die körperlichen Ursachen waren. Obwohl er für ­Lorenzo arbeitete, dürfte der ihn fremd geblieben sein, auch wenn der Medici zu den gebildetsten Männer sein Zeit zählte und wie alle Großen zwischen der Politik und der Geistigkeit, zwischen der vita activa und der vita contemplativa hin- und hergerissen war: »Von sanften Ideen geführt gelinde war ich dem Sturm des Bürgerstreits entflohn, dass still die Seele ihren Hafen finde.«76

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Oft wurden die bedeutenden Aufträge, die Leonardo in dieser Zeit erhielt – ob es sich um das Porträt der Ginevra de’ Benci oder um die Anbetung der Heiligen drei Könige für die Bernhardskapelle im Palazzo Vecchio handelte –, mit dem stato des Vaters in der Florentinischen Stadtgesellschaft in Verbindung gebracht. Daran ist viel Wahres, doch unterschätzt diese Interpretation die Stellung, die sich der Mittzwanziger inzwischen in Florenz geschaffen hatte, und die Durchlässigkeit, die teils wilde, teils zufällige, oft aus brennender Neugier herrührende Offenheit der Kommunikation. Zudem hat man es mit jungen Leuten zu tun: 1478 zählte Lorenzo de’ Medici 29 Jahre, sein Bruder Giuliano, der ein knappes Jahr jünger als Leonardo war, 25, der Dichter und Humanist Angelo Poliziano 24 Jahre, während Leonardos Freund, der Dichter Luigi Pulci, mit seinen 46, Marsilio Ficino mit seinen 45 und Cristoforo Landino mit seinen 53 Jahren einer älteren Generation angehörten, aber die Jüngeren im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Universität, in öffentlichen Vorträgen und in ihrem Engagement in der Platonischen Akademie sehr förderten. Pulci pflegte zeitweilig einen engen Umgang mit Lorenzo, bis sich ihr Verhältnis später abkühlte, weil sich Lorenzo als Herrscher über die Republik von Florenz zunehmend von der jugendlich-wilden, dreist-skeptischen und bacchantisch-spöttischen Zeit in der brigata laurenziana, seiner Jugendgang, abwendete und sich dem staatstragenden Dichter und Philosophen Matteo Franco und Marsilio Ficino zuwandte. Dabei hegte Lorenzo gegen Marsilio anfänglich ein gewisses Misstrauen, weil der auf gutem Fuß mit Lorenzos Feinden stand. So ließ Marsilio Ficino seinen großen Dialog De amore im Hause von Francesco Bandino stattfinden, dem Bruder von Bernardo Bandino, den Leonardo 1479 in höchst unglücklicher Situation verewigen sollte. In den frühen 1470er-Jahren jedoch hatte der Dichter noch ein geradezu burschikoses Verhältnis zu Lorenzo, so dass Pulcis erbitterter Konkurrent um Lorenzos Gunst, der Geistliche 107

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und Poet Matteo Franco, über Luigi – »Gigi« – Pulci in einen an il Magnifico gerichteten Brief vor Futterneid tobte: »Gigi ist aufdringlich, Gigi hat einen schlechten Ausdruck, Gigi ist verrückt, Gigi ist arrogant, Gigi ist die Seele von Skandalen, Gigi hat tausend schlechte Eigenschaften, wie du selbst sagst, und doch kann man ohne ihn in deinem Haus nicht atmen.« Und dann kommt bei dem Geistlichen die derbe Florentiner Ausdrucksweise doch noch durch, wenn er schreibt: »Gigi é animella delle vostre palle.«77 Das ist eindeutig obszön, denn die palle, die Kugeln, dienten den Medici als Wappen. Und zugleich kann man palle auch als Hoden verstehen, und genau dieser zottige Ausdruck wird aktiviert, denn animella ist das Gekröse und bedeutet in Verbindung mit dem Hoden den Bauchfellüberzug (Gekröse) der Hoden und Nebenhoden: Gigi wird als Gekröse von Lorenzos Hoden dargestellt. Die Anspielung gilt hier weniger Pulcis Homosexualität, sondern seinem Talent »Fische«, wie Pulci sie in einem Brief an il Magnifico nennt – junge Frauen, möglicherweise Prostituierte –, für ausgelassene, jedoch diskrete Stunden mit Lorenzo zu organisieren. Pulcis Hauptwerk, der gereimte Ritterroman Morgante, den der Dichter auf Bitten von Lorenzos Mutter Lucrezia Tornabuoni begonnen hatte, schloss er 1470 ab. In Leonardos Bibliothek befand sich die um fünf Gesänge erweiterte Druckausgabe von 1481 mit insgesamt 28 Gesängen. In Florenz wurde Pulcis Morgante gleich nach der Fertigstellung in handschriftlichen Kopien rezipiert. Im Gegensatz zu dem zu ähnlicher Zeit entstandenen großartigen Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc des Katalanen Joannot Matorell versuchte Pulci nicht, auf dem Papier verlorene Schlachten zu gewinnen, wie die um Konstantinopel, sondern der Florentiner schuf einen einzigartigen satirischen, burlesken Abgesang auf die ritterliche Welt mit stupendem Einfallsreichtum und überbordender Phantasie, der zugleich als der vor keiner Eskamotage zurückschreckende Spott auf die Stadtgesellschaft gelesen werden kann: einer Welt aus Florentinern, die als Ritter, Riesen 108

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und edle Damen verkleidet monströse Abenteuer zu bestehen hatten. Das Gelächter Leonardos oder Lorenzos dürfte bei der Lektüre viel lauter gewesen sein, als es uns je glücken kann, weil uns so manche Anspielung nicht mehr verständlich ist. Schaut man jedoch genauer hin, wird sofort deutlich, was Pulci und Leonardo verbunden hat: die Reserviertheit gegen die Welt der hochscholastischen Philosophie, gegen die hohen Abstraktionen der Liebe, gegen die anämischen Sublimationen, die aus der sinnlichen die übersinnliche Liebe, aus den körperlichen seelische Schwingungen machten. In Pulci – und nicht nur in ihm – fand Leonardo einen angesehenen Dichter, der ihn auf seinem Weg hin zu realen Welt bestätigte und wirksam gegen den Minderwertigkeitskomplex des jungen Malers anging, kein Latein zu können, weder die Lateinschule noch die Universität besucht zu haben, ein uomo senza lettere, ein Ungebildeter, zu sein. Wenn Pulci dichtete: »Jene, die disputierten wie zum Hohne, wie denn die Seele in den Körper kommt, und was dem Kern im Leib des Pfirsichs frommt, studierte an der riesigen Melone …«, werden die Stoßrichtung und der ätzender Spott deutlich, zumal Pulci disputatzione auf melone und auf Platone (Platon) und confusione reimte.78 Der Dichter des Morgante lästerte weiter, dass die Prediger der inneren Seelenruhe einen so großen Lärm verursachten, dass dem Publikum Sehen und Hören verging. Die Vorstellung von der Trennung der Seele vom Leib verglich er mit dem Fehlen der Marmelade im Pfannkuchen oder der Wurst im Brotteig.79 Stattdessen empfahl er den Blick ins Leben und, sich an die Erfahrung zu halten. Das liest sich, als habe der junge Leonardo genau diese Lehre verinnerlicht und als habe sie ihm geholfen, seinen eigenen Weg zu finden, wenn er später, in seinen Kämpfen gegen die Mailänder Gelehrten, auf einem Blatt des Codex Atlanticus vermerkte: »Ich weiß wohl, dass so mancher eitle Fant, zumal ich kein Gelehrter bin, glauben wird, er 109

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könne mich mit Recht tadeln, indem er geltend macht, ich sei ein Mann ohne Gelehrsamkeit. Törichte Leute! Wissen sie denn nicht, dass ich ihnen genau so antworten könnte, wie Marius den römischen Patriziern antwortete, nämlich mit den Worten: ›Diejenigen, die sich mit fremden Leistungen schmücken, wollen die meinigen nicht gelten lassen.‹« Diese Entgegnung entpuppt sich als doppelt genial, denn mit dem Zitat aus dem Bellum Jurguthinum des römischen Schriftstellers Sallust stellte Leonardo klassische Bildung unter Beweis und bezog sich mit Gaius Marius auf den Reformer Roms, der den Popularen nahestand und sich auf die Volksversammlung berief. Leonardo erhob die Erfahrung, die Erforschung des Konkreten statt der immer wieder erneuten Auslegung alter Texte zu seiner Methode und notierte so grimmig wie stolz: »Sie werden sagen, ich könnte mangels Gelehrsamkeit das, was ich behandeln will, nicht richtig sagen. Nun, wissen sie denn nicht, dass meine Lehren nicht so sehr aus den Worten andrer gezogen werden als aus der Erfahrung, die doch die Lehrmeisterin derer war, die gut geschrieben haben.«80 Ebenfalls im Codex Atlanticus fand sich ein Blatt, auf dem er vermerkte: »Wenn ich auch nicht, wie sie, Autoren anzuführen weiß, so ist es doch weit größer und des Lesens würdiger, die Erfahrung, die Lehrmeisterin ihrer Lehrmeister, anzuführen. Aufgeblasen und schwülstig kommen sie daher, bekleidet und geschmückt nicht mit ihren eigenen Werken, sondern mit denen anderer; und meine eigenen Arbeiten gönnen sie mir nicht; und wenn sie mich als Erfinder tadeln, da sie gar nichts erfinden, sondern die Werke anderer herumtrompeten und nachbeten.«81 Leonardo empfand sich in unerhörter Weise als Schüler der Erfahrung, als disscepolo della sperientia. Der Auftrag, Ginevra de’ Benci zu porträtieren, der an Messer (Meister) Leonardo erging, verdeutlicht das kommunikative Geflecht der städtischen Eliten. Dass Leonardo zu dieser Gesellschaft Zugang besaß, wird auch aus einer Notiz über seine Bibliothek deutlich, in der es heißt, dass Giovanni de’ Benci, 110

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der Bruder der jungen Dame, die porträtiert werden sollte, eine Weltkarte von ihm habe und dass er eine Weltkarte Giovanni de’ Bencis besitze.82 Ihm übergab er auch den unfertigen Karton mit der Anbetung der Heiligen drei Könige zur treuen Aufbewahrung. Die Bencis gehörten zur Nobilität der Arnostadt. Ginevras Großvater Giovanni de’ Benci, nach dem ihr Bruder und ihr Vater hießen, hatte eine erstaunliche Karriere gemacht. Aus kleinen Verhältnissen stammend wurde er in den Diensten der Medici zu einem der reichsten Männer der Stadt und schließlich Teilhaber der Medici-Bank. Die Familie bewohnte einen respektablen Palast im Viertel von Santa Croce. Giovanni de’ Benci, der Sohn, trat in die Fußstapfen seines Vaters, doch betätigte er sich auch als Mäzen und unterstützte die Platon-Philologie, vor allem Marsilio Ficino und die Platonische Akademie. Die Vertrautheit zwischen Ficino und Giovanni de’ Benci und die Achtung, die der Philosoph vor dem hochgebildeten Banker empfand, gingen sogar so weit, dass Ficino – nach Cavalcanti, Landino und Marsuppini – Giovanni de’ Benci die Sechste Rede über Platons Symposion, speziell über die Liebeskonzeption des So­ krates, in den Mund legte. Übrigens: Auch in Platons Symposion war Sokrates der sechste Redner. Giovannis Tochter, die 1457 geboren wurde, wuchs beim Va­ ter und mit den Brüdern in der geistigen Welt des Neuplatonismus und des Humanismus auf, erhielt eine erstklassige Erziehung und galt als schön, geistreich und anmutig. Im Jahr 1474 wurde sie im Alter von 16 Jahren mit dem 32-jährigen Tuchhändler und Witwer Luigi di Bernardo Niccolini verheiratet. Allerdings brachte niemand die Ehe zuvörderst mit der Liebe in Zusammenhang, sondern sie galt als geschäftliche Verein­ barung, die der Erhaltung und der Entwicklung der Familie galt. Familienpolitik wurde zu jener Zeit völlig anders verstanden. Vor allem galt es, den stato zu sichern und nach Möglichkeit auszubauen, was freilich die beste Art der Sicherung bedeutete. 111

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Gerade bei Lorenzo de’ Medici kann man beobachten, dass fast lehrbuchartig dreierlei Lieben unterschieden wurden und auch gesellschaftlich akzeptiert waren. Die eheliche Liebe gehörte dem Reich der Politik und des Geschäfts an, für die Lust, die »niederen« Freuden, die Liebe als einer körperlichen An­ gelegenheit hielt man sich Mätressen oder ging zu Prostituierten oder lud sie als »Fische« in den Palast ein. Öffentliche Bäder, die man streng nach Kasten und Einkommensklassen unterschied, galten als Orte dieses bacchantischen Zeitvertreibs. ­Diese Freizügigkeit sollte sich schlagartig ändern, als zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Syphilis nach Europa eingeschleppt wurde. Und schließlich existierte noch eine dritte Liebe, die man im Mitteldeutschen die hohe Minne nannte. Für die Ehre seiner unerreichbaren Dame zog der Ritter auf Âventiure oder in das Turnier, d. h. er musste sich auf einen Abenteuerreise begeben, um nicht faul und träge zu werden, um sich nicht zu »verlegen«. Diese mittelalterliche Form der Liebe, die auf das Rittertum zurückging, erhielt in der Renaissance Einzug in die Galanterie und wurde höfisch sublimiert. Auch in Florenz fanden Turniere statt, in denen mit auffallend großer Anhängerschaft Lorenzo und Giuliano als Sieger hervorgingen. Im Sinne der hohen Liebe durfte ein Mann von Stand die Frau eines anderen verehren – und platonisch lieben. Obwohl mit Clarice Orsini verheiratet, warb Lorenzo in aller Öffentlichkeit um Lucrezia Donati als seine Dame. Mit Ginevra de’ Benci bekam Luigi eine selbstbewusste Ehefrau. Gerade die Renaissance brachte geistig unabhängige Frauen mit beeindruckender Intellektualität hervor, Frauen wie Lucrezia Tornabuoni, wie Cassandra Fedele, über die Poliziano an Lorenzo de’ Medici schrieb, dass sie wunderbar heimisch im Latein sei, Alessandra Masinghi Strozzi, deren Mann den berühmten Palazzo Strozzi in Florenz errichtete, oder die Dichterin Gaspara Stampa. Gedichtet hatte Ginevra de’ Benci auch. Leider 112

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blieb nur eine einzige Zeile von ihr erhalten – aber was für eine: »Ich bitte um Verzeihung, ich bin eine wilde Tigerin.« Der Dichter und Humanist Alessandro Braccesi lobte sie in seinen Gedichten: es gebe in der Stadt keine schönere Frau von größerer Bescheidenheit als sie. Angelo Poliziano hielt in seinem Tagebuch folgende kleine Szene fest, in der wir La Bencina, wie der Dichter sie nannte, erleben: »Wir spielten ein Spiel, bei dem Backenstreiche gegeben wurden, und Piero di Lorenzo de’ Medici, mein Schüler, hatte mir einen zu geben; dann lief er unversehens weg und auf sein Schreibzimmer. Ich fragte ihn, wohin er gehe, und Ginevra de’ Benci, genannt die Bencina, die mit uns spielte, antwortete auf der Stelle: Wohin soll er gehen? Er geht einen von denen löschen, die Ihr ihm gegeben habt.«83 Vieles deutet darauf hin, dass der Humanist Bernardo Bembo das Bild in Auftrag gab. In die frisch verheiratete Schönheit verliebt hat sich der venezianische Botschafter Bembo wahrscheinlich anlässlich des Turniers am 29. Januar 1475, in dem Giuliano de Medici das erste Mal kämpfte und das deshalb besonders prachtvoll ausgestattet worden war. Zu dem Turnier versammelten sich 22 Jünglinge – wie Giuliano aus den feinen Häusern: Söhne der Soderini, der Della Stufa aus Florenz und der Sprössling des Markgrafen zu Mantua, um nur einige zu nennen. Giuliano führte einen Tross von 70 Soldaten an, die allesamt prächtig gekleidet waren. Hinter ihm ritt Lorenzos dreijähriger Sohn Piero und darauf folgten – nicht uninteressant für das, was sich schon drei Jahre später ereignen sollte – Lorenzo und Guglielmo de Pazzi, der mit Lorenzos Schwester Bianca verheiratet war. Die überaus noble Ausstattung, begonnen bei der Kleidung über die Schabracken bis hin zu den Bannern und Standarten, wurde von Künstlern wie Andrea del Verrocchio oder Leonardo da Vinci geschaffen. Giuliano kämpfte übrigens für Simonetta 113

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Cattaneo, die mit Marco Vespucci verheiratet war. Seine heftige Liebe zu ihr demonstrierte Giuliano in schönster Offenheit durch die Imprese auf seiner Standarte, die von der VerrocchioWerkstatt hergestellt worden war. Dieses Ereignis der Nachwelt im Sinne der memoria des Hauses Medici zu überliefern, sollte Angelo Poliziano in Angriff nehmen, der in der Verserzählung Stanze per la Giostra (Strophen auf das Turnier) der Aufgabe klangvoll nachkam. In der Dichtung begegnet Julio, der auf der Suche nach einer Hündin ist, die Venus geschickt hatte, der Nymphe Simonetta. Die allegorische Dichtung feierte in der Manier Petrarcas den Triumph der Liebe. Bernardo Bembo eilte der Ruf voraus, seinem Faible für schöne und kluge Frauen keinerlei Zurückhaltung aufzuerlegen. Der 42-jährige Humanist hatte zwei Dimensionen der Liebe gepflegt, er besaß eine Ehefrau und eine Mätresse, nun fehlte noch das Objekt der Anbetung, wie es dem begeisterten Anhänger der platonischen Liebesidee frommte. Es kann kaum anders gewesen sein, als dass Bembo in der lustberstenden Atmosphäre des Turniers, in der ruhmreichen Pracht, wie Angelo Poliziano in den Stanzen schrieb, geneigt war, »seine Dame« zu finden. Welcher Tag eignete sich besser als der des Turniers für das Motto, das in dieser Zeit sehr beliebt war: Amor vincit omnia – Liebe besiegt alles. Oder, wie Marsilio Ficino in De amore schrieb: »Die Liebe ist frei und entspringt ungezwungen dem freien Willen, welchen nicht einmal Gott zu beugen vermag, weil er seine Freiheit von Anbeginn beschlossen hat. Die Liebe zwingt also jedermann und leidet selbst von niemandem Gewalt.«84 Schaut man auf Ginevras Leben, darauf, dass sie keine Kinder bekam und sich auch gelegentlich ins Kloster zurückzog, um dort in Ruhe ihren intellektuellen Neigungen nachzugehen, dann scheint ihre Ehe mit Niccolini ein Arrangement gewesen zu sein. Dem Witwer wurde offiziell wieder eine Ehefrau an die Seite gestellt, die aber nichts von ihm verlangte – was sie gleichfalls von ihm erwartete. Die These wird davon gestützt, 114

6. In der Florentiner Gesellschaft

dass Niccolini zwar vermögend war, sich aber im Reichtum mit den Bencis nicht messen konnte. Der Stadtklatsch warf Ginevra sogar vor, dass sie es bewusst vermied, schwanger zu werden, was durchaus der Realität entsprochen haben mag. Man kann sich die »wilde Tigerin«, wie sie über sich schrieb, nur schwer als Mutter vorstellen. Was also, wenn Ginevra selbst – und selbstbewusst – das Bild, das sie von sich hatte, dem Geliebten ins Herz stellen wollte? Dass hierfür nur ein Maler in Frage kam, der für diese Aufgabe die nötige Diskretion und die unabdingbare Subtilität mitbrachte, steht außer Diskussion und verweist auf den im Hause Benci bestens bekannten Leonardo. Das Bild selbst sollte sowohl erotisch, als auch vergeistigt wirken. Es wurde zwar vermutet, dass Leonardos Vater, der auch Notar der Bencis war, den Auftrag vermittelte, doch bei Leonardos Beziehungen zum Hause Benci, zu den Medici und zu den geistigen und städtischen Eliten bedurfte es dieser Vermittlung eigentlich nicht. Geschadet hat ihm der Umstand, dass er der natürliche Sohn Ser Pieros war, der weiterhin in den Steuererklärungen des bekannten Mannes vorkam, allerdings auch nicht. Ob Bernardo Bembo oder Ginevra, für die das Werben des berühmten und hochgeschätzten Mannes ein Abenteuer bedeutete, das Porträt in Auftrag gab, wird sich nicht ermitteln lassen, doch wage ich die These, dass die Initiative von Ginevra ausging. Denn das Porträt, das Leonardo malte, war ganz und gar ihr Bild. Hinter ihr erhebt sich machtvoll ein Wachholder, mit dem sie verschmilzt. Das italienische Wort für Wacholder lautet ginepro und spielt so auf ihren Namen an. Des Weiteren stand der Wacholder fürs Gedenken und lässt sich in älterer Zeit schwer von der Zeder oder dem Lebensbaum unterscheiden. Die Wacholderbeeren fanden medizinische Anwendung bei Magenoder Brustschmerzen oder Husten. Der Wacholder beschützt Ginevra, lässt den Eindruck eines natürlichen Heiligenscheins entstehen, gleichzeitig wächst sie auch aus ihm heraus. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ihr Hinterland. Zudem spielt er auf 115

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

die weibliche Tugend an, und Tugend ist nicht mit Moralität zu verwechseln, denn sie bezeichnet ein Vermögen des Menschen, ein Kraft im Menschen, die in ihm eingeschlossen ist und ihn zum richtigen Handeln führt. So wird im Lateinischen unter virtus die Tapferkeit, die Tüchtigkeit verstanden. Selbst in der deutschen Sprache leuchtet diese Bedeutung im Verborgenen der Sprachgeschichte auf: Da leitet sich das Wort Tugend von taugen ab, und noch tiefer in die Sprachgeschichte geschaut trifft man auf das altnordische Wort dyggr, was die Bedeutung von aufrecht und zuverlässig hat. Der in der Renaissance eifrig rezipierte Cicero – selbst Leonardo besaß Texte von ihm, die er sich mangels Lateinkenntnisse im Vorlesen übersetzen ließ – machte aus der Tüchtigkeit die charakterliche Leistung. Im Humanismus fließen der antike und der christliche Begriff der Tugend zusammen. Marsilio Ficino verstand unter Tugenden in Nachfolge Platons die vier Kardinaltugenden: Tapferkeit, Klugheit, Besonnenheit und Gerechtigkeit. Wichtig wurde für Ginevra, deren Aktionsradius als Frau letztlich doch eingeschränkt blieb, die Unterscheidung zwischen sittlichen und geistigen Tugenden, wobei der Philosoph den letzteren vor den ersteren den Vorrang gab. Zu den sittlichen Tugenden zählten: Gerechtigkeit und Mäßigung, also die Tugenden, die in der Welt der vita activa ein Rolle spielten. Als geistige Tugenden sah Marsilio Ficino die Weisheit, die Gelehrsamkeit und die Einsicht an, die der vita contemplativa angehörten. Diese Tugenden standen Ginevra offen. Marsilio ließ im Text Ginevras Vater sagen: »Gedenke, lieber Sokrates, dass dieses einheitliche Licht der einzigen Weisheit die Schönheit des Engels ist, welche Du in höherem Maße, als die Schönheit der Seele verehren sollst.«85 Und genau hier setzt das Porträt an: Ginevra ist der Engel, ihr Haupt wird beleuchtet von dem Licht der Weisheit. Es wurde vermutet, dass die Tafel rechts und unten beschnitten wurde, dass also etwas fehlt. Sollte das stimmen, engt das die Aussagen, die man über das Bild zu machen vermag, beträchtlich ein. 116

6. In der Florentiner Gesellschaft

Vermutlich würden wir die Hände sehen – aber nun weiß man nichts über die Fingerstellungen, die doch bei Leonardo aussagenden Charakter besitzen, weiß nichts darüber, ob Ginevra etwas in den Händen hält. Das Wichtigste beträfe jedoch eine zentrale Aussage: Denkt man sich die fehlenden Stücke hinzu, sähe man rechts vorbei an Ginevra und dem Wacholder mehr von der Landschaft, vor allem aber verlöre Ginevra selbst ihre mittige Position und ihre Augen stünden regelhaft im Goldenen Schnitt. Jetzt aber befindet sich Ginevra mitten im Bild, keine der üblichen Barrieren, die wie ein Bühnenrahmen funktionierten, steht zwischen Ginevra und dem Betrachter, mehr noch: Sie rückt ganz an ihn heran, wirkt vollkommen unmittelbar. Leonardo kam es offensichtlich darauf an, Ginevra als vollkommen real und anwesend erscheinen zu lassen. Und der Maler geht in seiner Aussage noch etwas weiter: Ginevra ist nicht in der Welt, Ginevra ist die Welt, so wie die Geliebte die Welt für den Liebenden ist, sein Ein und Alles. Darin liegt das stille Geheimnis des Porträts, die revolutionäre Gestaltung des Malers: Ginevra schaut den Betrachter direkt an. Traurig wirkt sie, fand der große Leonardo-Kenner Daniel Arasse, und begründete das mit dem Umstand, dass der Geliebte nicht bei ihr sei. Das ist sicherlich nicht falsch. Doch trifft der Begriff melancholisch es besser, denn dem Spiel mit Konventionen kommt Realität zu. Schon, weil für die Zeitgenossen, für den humanistisch-platonischen Kreis in Florenz die hohe Liebe ein philosophisches Konstrukt war, das dennoch gelebt wurde, darf man nicht über die philosophische Aussage des Bildes hinwegsehen, zumal Leonardo mit dem Mediceer-Kreis auf vielfältige Art verbunden war. Bekannt ist, dass Leonardo mit Ficinos Schüler Bernardo di Simone Canigiani näheren Umgang pflegte. Blätter aus dieser Zeit, die sich im Codex Atlanticus befinden, enthalten melancholische Notate, dazu Wortspiele mit dem Namen Bernardo di Simone, liebevolles Spiel mit den Silben des Namens, die neu zusammengesetzt werden, als berühre er den Geliebten da117

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

durch. Leonardos Zeilen sprechen vom Verlust, von Einsamkeit, er scheint in diesen Bernardo verliebt zu sein, der seine Liebe nicht erwidert. Er leidet und er leidet melancholisch, d. h. nach den Regeln der Melancholie, die zum Genie gehört, weil sie das Genie zu außergewöhnlichen Leistungen treibt. Im Dialog De amore lässt Ficino Giovanni de’ Benci sagen: »Die Melancholiker sind wegen der Trägheit des erdartigen Temperaments langsamer zur Liebe. Sind sie aber erst einmal im Netz, so zappeln sie, der Beständigkeit des Temperaments zufolge, sehr lange darin.«86 Die Qual des Melancholikers wird Ficino zufolge nur durch die »Ergötzung durch die Musik und durch die Liebe«87 gelindert. Von der Liebe aus aber kommt der Philosoph auf die Schönheit und auf die Betrachtung der Schönheit zu sprechen, um schließlich zu schlussfolgern: »Das Verlangen der übrigen Sinne ist bald befriedigt; hingegen das Gesicht und das Gehör ergötzen sich lange Zeit an Tönen und an bloßen Bildern.« Dem stimmte Leonardo vollkommen zu. Die Bilder jedoch, an denen sich der Melancholiker ergötzte, die schuf die Natur und die vermochten Maler zu kreieren – wenn sie es denn vermochten. Für Leonardo ergab sich daraus, dass die Malerei eine cosa mentes sei, eine Angelegenheit des Geistes. In dieser Zeit begann sich Leonardo mit der für ihn typischen Leidenschaft für die Musik zu interessieren und brachte sich selbst das Spielen der Lyra bei, worin er schließlich eine Fertigkeit erlangen sollte, die Profi-Musiker in den Schatten zu stellen vermochte. Hatte doch Ficino gelehrt: »Die Genüsse dieser beiden Sinne sind nicht nur anhaltender, sondern auch der menschlichen Gemütslage angemessener.«88 Es ist also nicht Traurigkeit, sondern die hohe Kunst der Melancholie, die Ginevra ausstrahlt. Ihre Augen sind leicht verschattet, und dennoch blicken sie klar. Ihr blasser Teint wurde mit ihrem häufigen Laborieren an Krankheiten in Verbindung gebracht, und das mag auch stimmen, doch wirkt noch bis in unsere Zeit das Wort von der vornehmen Blässe nach. Zu dieser 118

6. In der Florentiner Gesellschaft

Zeit wurden also diejenigen, die nicht im Freien arbeiteten, sondern sich im Haus, in der Bibliothek oder im schattigen Garten aufhielten, wegen ihrer Blässe bewundert, eine möglichst helle Haut galt als schön, eine sonnengebräunte als vulgär. Doch die Blässe als Ideal der Schönheit wird durch die dezenten Rottöne noch betont – durch das Rot des schönen Mundes mit seiner zurückhaltenden, subtilen Sinnlichkeit, und durch das Rot der Wangenknochen, das versteckte Glut andeutet. Die hohe Stirn leuchtet, wie auch das goldbraune Haar, dessen strenge Scheitelung von der Verspieltheit der Korkenzieherlocken aufgelöst wird. Die hohe Stirn, die ungewöhnliche Klugheit und Verstand andeutet, und das Haar leuchten am hellsten im Bild. In De amore schrieb Ficino: »Die Schönheit des Körpers ist sichtbares Licht, die Schönheit der Seele ist unsichtbares Licht.«89 Vielleicht liegt darin das Geheimnis des Bildes, dass es dem Maler gelang, dies unsichtbare Licht erfahrbar, zumindest ahnbar zu machen. Man beginnt etwas von Leonardos erwachender Meisterschaft zu ahnen, die uns das vor Augen stellt, was existiert, ohne von den Augen gesehen zu werden – nicht, indem sie das versucht abzubilden, was zur plumpen Karikatur der Wirklichkeit führen würde, sondern indem sie durch die Behandlung von Licht und Schatten, durch die sanften Übergänge und die optischen Entsprechungen und Widerlager unserem inneren Auge dieses Nicht-Sehbare assoziiert. Hinter Ginevra und dem Wacholder breitet sich ein Fluss aus, der kaum wahrnehmbar in großer Ruhe fließt, ein memento mori, eine Warnung an den Geliebten, eine Erinnerung an das panta rhei, daran, dass alles fließt und verfließt – so, wie die Liebe, so, wie das Leben: eine Aufforderung, die Zeit nicht ungenutzt vergehen zu lassen. Entschlossen, klug, mit versteckter Sinnlichkeit, die nur dem versprochen wird, der ihr auch geistig ebenbürtig ist: So wollte Ginevra gesehen werden, dieses Bild von sich wollte sie dem Geliebten vor Augen führen und dadurch ins Herz setzen. 119

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Diese Botschaft wird durch die Rückseite bestätigt. Ein Palmwedel und ein Lorbeerzweig, die Wappenmotive Bernardo Bembos, umgeben und behüten wie schützende Hände einen Wacholderstrauß. Das lässt sich unter anderem auch sexuell deuten. Und in der Tat wurde in der Florentiner Gesellschaft darüber gemunkelt, welch Körperlichkeit die hohe Minne Ginevras und Bernardos kannte. In einem der sechs Gedichte Landinos, in denen er von Ginevra schrieb, erheiterte er sich an dem Wortspiel, dass man nur zwei Buchstaben ändern müsse und aus La Bencina werde la Bembina. Palmwedel, Lorbeerzweig und Wacholder verbindet ein Spruchband, auf dem steht: »virtutem forma decorat« (Schönheit schmückt Tugend). Das konnte man im Sinne Ficinos verstehen, man musste es aber nicht. Im Mai 1480 verließ Bernardo Bembo Florenz, Ehemann Luigi Niccolini klagte über die Unpässlichkeit seiner Frau, sah es aber mit Erleichterung, dass sich Ginevra in ein Kloster zurückzog, wohl kaum, um ihre Tage im Gebet zu beenden, sondern um in Ruhe ihren geistigen und dichterischen Neigungen nachzugehen. Sie starb 1520, ein Jahr nach ihrem Maler und nach ihrem Geliebten, als kinderlose Witwe. Nichts außer diesem Bild, ein paar Bemerkungen von zeitgenössischen Dichtern und Damen der Gesellschaft und schließlich der Zeile: »Ich bitte um Verzeihung, ich bin eine wilde Tigerin« hat sich von ihr erhalten. Man hätte gern mehr von ihr gelesen, gelegentlich ist der Gott der Überlieferung ein grausamer Gott.

7. Die Bluttat

Was Leonardo am 26. April 1478 und in den darauf folgenden Tagen mit eigenen Augen sah oder berichtet bekam – denn die Gerüchte und Zeugnisse eroberten die Gassen, Straßen und 120

7. Die Bluttat

Plätze, die Herbergen und Wohnhäuser, die Geschäfte und Kirchen –, prägte sein Verhalten zur Politik, zu Lorenzo de’ Medici und ließ sein skeptisches Menschenbild in ein pessimistisches kippen. In den letzten Tagen des Monats April präsentierte sich ihm die Bestie Mensch in unverhüllter Form. Seit nunmehr fast neun Jahren, seit dem frühen Tod ihres Vaters am 2. Dezember 1469, herrschten Giuliano und Lorenzo de’ Medici in der Art ihres Vaters und Großvaters als erste Bürger über die Stadt. Zwischen den Medici und einigen großen Florentiner Familien, allen voran den Pazzis, verschärften sich die Streitigkeiten. Der Konflikt entzündete sich schließlich am hemmungslosen Nepotismus des neuen Papstes, eines della Rovere, der das Städtchen Imola in der Romagna für seine Familie zu erwerben wünschte. Den Machtzuwachs des Papstes an den Grenzen von Florenz wollten Lorenzo und Giuliano nicht fördern und verweigerten dem Papst daher die Kredite, die er daraufhin von der Bank der Pazzis erhielt. Doch damit nicht genug, schwelte ohnehin ein Machtkampf zwischen den Pazzi und den Medici, der sich auf juristischer und politischer Ebene vollzog und in dem die Pazzi derart den Kürzeren zogen, dass sie sich herabgesetzt und beleidigt fühlten. Niccolo Machiavelli berichtete: »Die Pazzi begannen überall mit scharfen und ärgerlichen Worten sich zu beschweren, und mehrten dadurch Verdacht und Widerwillen.« Die Atmosphäre wurde feindseliger und die Auseinandersetzung spitzte sich zu. Laut Machiavelli riet Giuliano de’ Medici seinem Bruder zur Vorsicht, doch Lorenzo, »durch Jugend und Macht angespornt, woll(t)e an alles denken und alle seine Autorität fühlen lassen.« Das erbitterte die Pazzi, die »bei ihrem Reichtum und ihrer Vornehmheit, so viele Beleidigungen nicht mehr zu ertragen vermochten …« und deshalb begannen, »auf Rache zu sinnen.«90 Es ging in diesem Streit nicht um Eitelkeiten, sondern um den stato, den Status der Familie Pazzi, die man sich als Mischung aus Familienfirma und Partei mit eigenen Gefolgsleuten 121

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

und Klienten vorstellen muss, deren Schutz wiederum vom unversehrten stato der Familie abhing. Der stato bürgte dafür, dass alle, die ein Mitglied oder einen Gefolgsmann oder Klienten der Familie angriffen, der harte Gegenschlag der gesamten Familie treffen würde. Der stato schützte vor allem, indem er abschreckte. Verlor er jedoch sein Drohpotential, dann fielen auch die Gefolgsleute und die Klienten ab, wodurch sich die Mobilisierungsmacht der Familie verringerte, was ihre Kraft reduzierte, den stato in Folge erneut sinken ließ und sich zu einem circulus vitiosus entwickeln konnte. Lorenzos Versuch, die Macht der Medici auszubauen, ihren stato zu erhören, zwang die Pazzi zur Verteidigung und schließlich zum Gegenangriff. Giuliano warnte seinen Bruder vor der Verschärfung dieses Konflikts, denn es bestand durchaus die Gefahr, dass die Medici in der unwägbaren Auseinandersetzung schließlich doch unterliegen und alles verlieren würden, »weil sie nach zu vielem strebten.«91 In dieser Situation beschlossen die Verschwörer, die von der Pazzi-Familie angeführt wurden, unter Beteiligung des della Rovere-Papstes Sixtus IV., die Medici-Brüder während des Gottesdienstes im Dom zu ermorden. Da die gedungenen Mörder – die bravi – sich weigerten, in der Kirche ihrem Handwerk nachzugehen, mussten die Verschwörer selbst Hand anlegen. »So waren denn die Mörder bereit, neben Lorenzo die einen, wo sie wegen der Volksmenge ohne Verdacht stehen konnten, die anderen um Giuliano herum.« 92 Als der Neffe des Papstes, der Kardinal von San Giorgio, Raffaele Riario, den Kelch beim Abendmahl erhob, zückten die Verschwörer die Dolche. »Bernardo Bandino durchbohrte mit einer kurzen Waffe die Brust Giulianos, der nach wenigen Schritten niedersank, worauf Francesco de Pazzi sich über ihn hinwarf und mit solcher Wut auf ihn losstach, dass er sich selbst eine schwere Schenkelwunde beibrachte. Auf der anderen Seite griffen Messer Antonio und Stefano den Lorenzo an: von ihren Streichen verwundete nur einer ihn unbedeutend am Halse …«93 Im Dom 122

7. Die Bluttat

herrschten Aufruhr, Panik, Verunsicherung. Lorenzo gelang die Flucht in die Sakristei. Der Dichter Angelo Poliziano, der sich in Lorenzos Nähe aufhielt und ihm in die Sakristei folgte, berichtet: »Dann verschlossen ich, der ich mich nach hier geflüchtet hatte, und einige andere die Türen, die aus Bronze sind. So wehrten wir der Gefahr, die von Bandino drohte. Während wir die Türen bewachten, drängten andere drinnen besorgt darauf, sich um Lorenzos Wunde zu kümmern. Daraufhin saugte Antonio Ridolfi … die Wunde aus. Lorenzo selbst aber dachte nicht an seine Gesundheit, sondern fragte immerzu, ob Giuliano unverletzt geblieben sei, wobei er Drohungen ausstieß und klagte, dass Leute nach seinem Leben trachteten, für die dieses höchst unbillig sei. Sodann versammelte sich eine Schar junger Männer, die Anhänger des Hauses Medici waren, mit Waffen vor den Türen der Sakristei und riefen einstimmig, dass sie Freunde und Verwandte seien; Lorenzo sollte sofort herauskommen, bevor die gegnerische Partei stärker würde.« Angelo Poliziano schildert weiter, dass man sich in der Sakristei höchst unsicher war, ob es sich vor der Tür tatsächlich um Gefolgsleute der Medici oder nur um eine List der Pazzi handelte. »Darauf stieg Sigismondo Della Stufa, ein trefflicher Mann und Lorenzo seit Kindertagen in großer Liebe und Freundschaft zugetan, auf einer Leiter schnell zu einem Guckloch bei den Orgeln hoch und erkannte sofort am Leichnam Giulianos die Schandtat. Er sah, dass die Leute vor den Türen Freunde waren, und befahl aufzumachen. Sie nahmen Lorenzo in ihre Mitte und führten ihn auf einen Umweg nach Hause, damit er nicht auf den Leichnam Giulianos träfe.«94 Denn dieser war voller Blut und arg durch Francesco de Pazzi zugerichtet worden. Währenddessen war der Bischof Francesco de’ Salviati mit Jacopo di Poggio Bracciolini und anderen zum Palazzo della Signoria gegangen, weil sie die Regierung in ihre Gewalt zu bringen hofften, nur schöpfte der Bannerträger (Gonfaloniere di giustizia) Verdacht, weil der Bischof mit großem Gefolge anrückte und sonderbar aufgeregt wirkte. Sofort schloss er 123

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

die Türen im zweiten Stock, in dem sich die Regierung befand, während diese über einen zweiten Ausgang floh. Salviati saß mit seinem Leuten in der Falle und die Regierung verbarrikadierte sich im dritten Stock. Unterdessen »sprengte Messer Jacopo de Pazzi zu Pferd der Piazza de’ Signori zu, indem er ›Poppolo e libertá (Volk und Freiheit)‹ rief, um den Palst einzunehmen«,95 hatte der wackere Tagebuchschreiber Luca Landucci beobachtet. Doch, statt dass dieses alte Motto der Republik Florenz die Bürger auf die Seite der Verschwörer zog, liefen diese in Scharen herbei, um die Medici zu verteidigen. Die Bluttat hatte eine große Empörung, Wut und Verbitterung ausgelöst. Jacopo floh in sein Haus, der Putsch war gescheitert. Die Florentiner stürmten den Palazzo. »Um diese Stunde befand sich die ganze Stadt in Waffen, auf der Piazza und im Hause des Lorenzo de Medici. Und auf der Piazza wurde ein Schar Männer der Verschworenenpartei ermordet und lebendig aus den Fenstern der Signori auf den Marktplatz geworfen, unter den anderen wurde ein Geistlicher des Bischofs auf der Piazza umgebracht und ­gevierteilt und der Kopf ihm weggenommen, und den ganzen­Tag trugen sie besagten Kopf auf einer Lanze durch ganz Florenz, und nachdem man ihm die Beine abgerissen, wurde ein vorderes Viertel mit einem Arm dran auf einem Spieß durch die Stadt getragen, immer mit dem Geschrei: ›Muoino e traditorie‹ (Tod den Verrätern).«96 Leonardo erlebte hautnah das Massaker an den Verschwörern und ihren Anhängern mit, begegnete dem Teufel im Menschen. Möglich, dass er seinen Vater unter ihnen gewahrte. Als Anhänger der Medici griff er sicherlich zu den Waffen, um sich, seine Familie, seinen stato zu verteidigen. Den Bischof Francesco de’ Salviati hatte man kurzerhand an einem Fenster des Palastes erhängt, auch Jacopo di Poggio, auch »Fanceschino de’ Pazzi, nackt, und zirka 20 Männer, teils am Palast der Signori, teils am Palast 124

7. Die Bluttat

des Podestá, teils am Palast des Capitano, alle an den Fenstern.« Doch das Morden ging noch den ganzen 27. und 28. April lang weiter. Die flüchtigen Verschwörer wurden aufgespürt, wie Jacopo de’ Pazzi in Falterona. Immerhin hatte er es noch ins Gebirge geschafft und zwischen sich und Florenz 60 km gebracht, genützt hat es ihm letztlich nichts. Am 28. April wurden Jacopo de’ Pazzi und Renato de’ Pazzi um 23 Uhr an den Fenstern des Palazzi de’ Signorie stranguliert »und viele andere ihrer Knechte, in solcher Menge, dass es an diesen drei Tagen mehr als 70 Männer waren.«97 Den jungen Kardinal Raffaele Riario hielt man in Gewahrsam, krümmte ihm aber kein Haar, denn man benötigte ihn noch als Faustpfand für die Verhandlungen mit dem Papst. Am 29. April wurde zwar kein Blut vergossen, aber es herrschte eine große Unruhe und Gereiztheit in der Stadt. Am darauffolgenden Tag, an Christi Himmelfahrt, fand Giulianos Beisetzung in San Lorenzo statt. Sandro Botticelli wurde beauftragt, Porträts von Giuliano anzufertigen, die er nach der Totenmaske malte. Es entstanden schließlich drei Bilder, die nur geringfügige Unterschiede aufweisen und die einen starken, selbstbewussten Giuliano zeigen, der dennoch durch die fast vollständig geschlossenen Augen konzentriert, eigentlich entrückt wirkt. Nicht nur aus Bruderliebe hat Lorenzo seinen Bruder mehrmals porträtieren und von Bertoldo di Giovanni Medaillen herstellen lassen, die Giuliano und seine Ermordung zeigten, sondern auch als Mittel der Propaganda. Mit den Bildern und Medaillen wurden besonders getreue Gefolgsleute der Medici ausgezeichnet. Höchst professionell begann il Magnifico sofort, sich die Deutungshoheit über den misslungenen Anschlag zu sichern. Während Angelo Poliziano nach dem Anschlag als Dichter für Lorenzo die Propagandatrommel rührte, malte Sandro Botticelli ein Fresko an die Wand über der Tür der Zollbehörde in der Via de’ Gondi zwischen der Seitenfassade des Palazzo de’ Signori und dem Justizpalast – also an einem hochfrequentierten Ort –, auf dem er die Verschwörer als Gehenkte 125

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

zeigte. Dem Fresko wurde ein Schandgedicht auf die Verschwörer von Lorenzo de’ Medici beigefügt. Bernardo di Bandino Baroncelli, dem die Flucht nach Istanbul gelungen war, wurde zunächst an den Füßen aufgehängt dargestellt. Nachdem es Lorenzo gelungen war, den Sultan zur Auslieferung des Mörders seines Bruders zu bewegen, wurde Bernardo di Bandino am 29. Dezember 1479 vor dem Fenster des Justizpalastes zur Warnung und zur Gaudi öffentlich gehängt und das Gemälde korrigiert. Doch nicht nur Botticelli hat Bernardo gemalt, sondern auch Leonardo, der Zeuge der Hinrichtung des Mörders von Giuliano de’ Medici wurde. Die Skizze zeigt, dass Leonardo auf dem Platz gestanden hat. Ob er bei der Hinrichtung dabei gewesen ist, lässt sich daraus nicht schließen. Er kann auch etwas später hinzugekommen sein. Sicher ist nur, dass er näher an den Gehenkten herantrat, um ihn zu zeichnen. Auf der Skizze sieht man einen schmalen, schlanken Mann mit einer Kappe auf dem Kopf. Um den Hals ist ein Strang, der hinter seinem Kopf nach ob führt und sich dann verliert. Die Arme des Exekutierten sind auf dem Rücken zusammengebunden. Neben dem Bild des gehenkten Mörders notierte Leonardo in seiner Spiegelschrift: »ein Käppchen von rotbrauner Farbe ein Wams aus schwarzer chinesischer Seide einen gefütterten schwarzen Rock einen gefütterten blauen Mantel Brustrevers mit Fuchspelz verbrämt Und der Kragen des Rocks Mit schwarz und rotgepünkteltem Samt überzogen Bernardi di Bandino Baroncelli Schwarze Beinkleider« Unter dem Bildnis des Hingerichteten skizzierte er noch einmal das Gesicht Bernardos, das sehr traurig wirkt, wie eine Maske – 126

7. Die Bluttat

Hinrichtung Bernardo di Bandino Baroncelli 29. Dezember 1479, Feder und Tinten

eine Maske, die das Leben verlassen hatte und nur das Verlorensein zurückließ. Leonardo hielt sich stets mit politischen Parteinahmen oder Sympathiebekundungen zurück. Er verachtete die Welt der blutigen Machtkämpfe. Mochte Bernardo Giuliano de’ Medici erschlagen haben, das war vorbei, Geschichte. An dem Strick, der auf der Skizze im Nirgendwo beginnt, hängt nur eine Hülle – eine Hülle, die Sehnsüchte gefühlt hatte und Hoffnungen trug, die geliebt und gelacht hatte, die übermütig, zu übermütig und nun tot war. Es ist ein trauriges, ein einsames Bild, 127

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

das Leonardo da gezeichnet hat, eine Skizze der vanitas, des leeren Wahns der Welt, oder besser: das, was von der vanitas zurückblieb.

8. Ankunft in der Krise

Eigentlich hätte alles ausgesprochen gut sein können. Leonardo hatte seine Werkstatt eröffnet, ihm wurde Beachtung geschenkt. Aufträge gingen ein, Die Verkündigung, das Porträt der Ginevra de’ Benci, die Madonnenbilder fanden Akzeptanz. Er lebte nicht isoliert, sondern in einem ausgelassenen und illustren Kreis von Künstlern, Dichtern, Humanisten, aber auch von Sprösslingen hochangesehener Familien. Zu den Mitgliedern seines Kreises gehörte auch der 1466 geborene Atalante di Manetto Migliorotti, der zum Musiker ausgebildet wurde. Leonardo hat ihn in einer Zeichnung porträtiert. Möglich, dass er dessen musikalisches Talent als Erster erkannt hat, gefördert hat er es sicherlich. Leonardo begeisterte sich für Musik und genoss es, mit Atalante zu musizieren. Seine intensive Auseinandersetzung mit der Musik zeigt sich zudem daran, dass er Instrumente erfand, herstellte oder auch zeichnete. Er baute eine Lira da braccio, worunter man sich einen Vorläufer oder eine Abart der Geige vorzustellen hat. In der Regel hatte sie sieben Saiten, aber Leonardo entwarf auch eine Lira mit 12 Saiten. Die Lira, die er für sich angefertigt hatte, besaß die Form eines Pferdekopfes und war, wie Giorgio Vasari berichtete, fast vollständig aus Silber gefertigt. Es ging ihm jedoch – wie eigentlich immer, wenn er Ins­ trumente, Maschinen, Apparate und Bauwerke entwarf – nicht allein ums Design, sondern vor allem um die Funktion. Wenn er sich mit Musikinstrumenten beschäftigte, suchte er vorrangig, die Klangqualität zu verbessern und die Töne zu verstärken, eine 128

8. Ankunft in der Krise

bessere Resonanz zu ermöglichen. Es verblüfft, wie oft Leo­nardo Fragen der Akustik und der Optik mittels Analogie zusammenbrachte. In manchen Passagen seiner Notizen berührt Leonardo die Wellenlehre: »Das Ohr wird getäuscht durch die Perspektive der Stimme, die sich zu entfernen scheint, aber sich nicht von der Stelle bewegt.«98 Die Analogie zum Sehen wird dadurch deutlich, dass hier der eigentlich für die Optik und für die Malerei reservierte Begriff der Perspektive für das Ohr Verwendung findet. Perspektive bedeutet für Leonardo gehörte oder gesehene Struktur. Die Perspektive des Sehens besitzt für die Komposition des Bildes die gleiche Bedeutung wie die Per­spektive des Hörens für die Komposition des Musikstücks. »Das Ohr empfängt die Bilder der Töne in geraden, krummen und gebrochenen Linien, und keine Windung kann seine Dienstleistung verhindern.«99 Die Physik begreift den Schall als Welle fortschreitender Deformation in der Luft, im Wasser oder in anderen Medien. In Leonardos »Linien« kündigen sich die Wellen und der Wellencharakter des Schalls sehr deutlich an. Über den fliegenden Pfeil oder die Bombarde, so wurden die Geschütze genannt, schrieb Leonardo, dass die »bewegte Luft stärker als die widerstehende Luft« tönt – in heutiger Diktion also eine Deformation. Solche Einsichten gewann Leonardo mit Hilfe der Analogien zwischen seinen Beobachtungen, denn die Beobachtungen des Wassers vermittelten ihm Einsichten, die er auf die Optik oder die Akustik übertrug – beispielsweise den Wellencharakter des Schalls, denn im Zusammenhang mit akustischen Fragen notierte der Forscher: »Lang ist der [Widerhall], wenn er in einer von einem Schlag getroffenen Glocke, in einem Brunnen oder in einem andern Hohlraum umherirrt, oder auch in den Wolken, wo der Ton sich in regelmäßigen Abständen, also in regelmäßigen Zeitintervallen verbreitet und immer schwächer wird, falls das Medium einheitlich ist, und wo er sich ebenso verhält wie die kreisförmige Welle im Wasser.«100 129

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Hier wird deutlich, wie Leonardo seine Beobachtungen des Wassers, seine Vorstellung von Wellen und Strudeln im Wasser, auf den Schall übertrug. Da Leonardo keine universitäre Ausbildung erhalten hatte, war er auch nicht mit der Begriffs- und Kategorienlehre ver-

Mechanismus zum Spannen von Armbrüsten um 1478 (verso von 2), Feder und Tinte 130

8. Ankunft in der Krise

traut, die den Anfang aristotelischer Wissenschaft bildete. Selbst in der Physik ging der griechische Philosoph von den allgemeinen Begriffen der Alten aus und analysierte, ob sie alle Fragen erklären oder in Widerspruch zur Erkenntnis geraten bzw. neue Probleme aufwerfen. »Nun ist es aber das natürliche Schicksal unserer Erkenntnis, dass sie auszugehen hat von dem, was an ihm selbst das Deutlichere oder Einsichtigere wäre. … Dies nun, was für uns im Anfang jeweils klar und deutlich ist, ist in Wahrheit gerade eine ungegliederte Mannigfaltigkeit, und erst der anschließenden Analyse werden die Letztmomente und Prinzipien fassbar. Aus diesem Grund hat das Denken vom Allgemeinen zum Einzelnen fortzugehen.«101 In der Scholastik des hohen Mittelalters wurde daraus das Konzept, dass jedes AnfänglichMannigfaltige in immer neue Einzelheiten aufzulösen sei, dass immer feinere Unterscheidungen zu treffen und immer neue Subkategorien von Subkategorien ad infinitum zu generieren seien. Bei diesem Verfahren verschwand die Realität zunehmend aus dem Gesichtskreis. An Leonardo ging dieses Training des Abstrahierens und des logischen Wegs in die Welt abstrakter Kategorien vollkommen vorbei. Das hatte den Nachteil, dass dem Maler-Philosoph, zu dem er peu à peu wurde, keine Kategorien und keine Begriffssysteme zur Beschreibung und Bearbeitung seiner Beobachtungen und Entdeckungen zur Verfügung standen. Doch das wurde bei Weitem von dem Vorteil aufgewogen, nicht vom Allgemeinen zum Einzelnen zu gehen, sondern vom Konkreten, vom unmittelbar in der Welt Wahrgenommenen aus die Fragen nach den Ursachen und der Wechselwirkung mit anderem zu stellen. Mit seinem Eintritt in die Welt wissenschaftlichen Denkens sah er sich gezwungen, Methoden und Begriffe, ja, im Grunde seine Wissenschaft selbst zu erschaffen. Vollkommen intuitiv bewegte sich Leonardo mühsam und mit unvorstellbarer Energie hin zu einer neuen wissenschaftlichen Methode, die man erst rund 100 Jahre später bei Johannes Kepler und Galileo Galilei finden sollte. Für Leonardo war es hilf131

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

reich und ein Glücksfall, dass sein geistiges Umfeld in Florenz mit dem scholastischen Aristotelismus gebrochen hatte und in einer Art Induktion vom Einzelnen ausging. Natürlich nahm die Beschäftigung mit optischen Fragen für Leonardo einen breiten Raum ein, doch es gingen ihm auch die Fragen der Akustik durch den Kopf, was leider nur allzu häufig übersehen wird. Selbst Bücher, die sich mit dem »Naturwissenschaftler« Leonardo auseinandersetzen, übersehen seine grundlegende Beschäftigung mit der Akustik.102 Da Leonardo hochmusikalisch war und auch eine schöne Stimme besaß, gehörte es zu den Höhepunkten im Freundeskreis, wenn er die Lira nahm und eine Frottole sang, eines jener kleinen, sehr melodiösen, sehr zarten bis etwas burlesken, sehr häufig von großer Sehnsucht getragenen Lieder, die man Bagatellen (frottole) nannte. Es stand eine große Auswahl an Liedern und Genres von unterschiedlichsten Dichtern zur Verfügung. Leonardo trug mit gleicher Freude die derben Reime Antonio Camelli vor – der von Pistoia herüberkam und sich gelegentlich in Florenz aufhielt – oder die immer ein wenig vom Klatsch lebenden Galanterien von Bernardo Bellincioni, die burlesken Lieder von Lorenzo de’ Medici, die zart humanistisch gestimmten und hintersinnigen Verse von Angelo Poliziano. Und natürlich durfte Petrarca nicht fehlen, und wer weiß, welche Dichter des dolce stil novo noch zum Vortrage kamen und welchen florentinischen Gassenhauer eines unbekannten oder vergessenen Liedermachers oder Dichters Leonardo außerdem sang. Die Intensität, mit der sich Leonardo mit Musik beschäftigte, resultierte auch daher, dass Musik nicht nur zur Unterhaltung, zur Kurzweil diente, sondern dass sie denjenigen, die in Analogien dachten, als Konstruktionsprinzip der Welt galt. Die Harmonien in die Musik bildeten lediglich die Harmonie der Welt akustisch ab, wie man es von Pythagoras lernte. Die Anekdote von Pythagoras in der Schmiede aus der späten Kaiserzeit wurde in der Renaissance breit rezipiert: 132

8. Ankunft in der Krise

»Man erzählt, Pythagoras habe, als er an einer Schmiede vorbeiging und die harmonisch abgestimmten Töne der Hämmer vernahm, zuerst die Entdeckung gemacht, dass der Unterschied der Töne von der Größe der Hämmer herrührt und dass die großen tiefe und die kleinen hohe Töne geben. Da sich aber das, was man Proportion nennt, auf Größen bezieht, maß er die Hämmer aus und fand dabei leicht die Proportionen, die harmonische oder dissonante, melodische oder unmelodische Tonintervalle bilden.«103 Das Fach Musik des Quadriviums der septem artes liberales wurde einerseits sehr stark mathematisch verstanden, anderseits übertrugen die Mediceer die Vorstellung von der Harmonie auf die Welt, so, wie sie es in der Politeia und im Timaios bei Platon vorfanden. Einhundert Jahre nach Leonardo schrieb Johannes Kepler in seiner Weltharmonik Gedanken hierzu nieder, die auch Leonardo hätte formulieren können: »Es sind also die Himmelsbewegungen nichts anderes als eine fortwährende mehrstimmige Musik … Es ist daher nicht mehr verwunderlich, dass der Mensch, der Nachahmer seines Schöpfers, endlich die Kunst des mehrstimmigen Gesangs, die den Alten unbekannt war, entdeckt hat.«104 Der Mensch habe »die fortlaufende Dauer der Weltzeit in einem kurzen Teil einer Stunde mit einer kunstvollen Symphonie mehrerer Stimmen spielen und das Wohlgefallen des göttlichen Werkmeisters an seinen Werken so weit wie möglich nachkosten« wollen, »in dem so lieblichen Wonnegefühl, das ihm diese Musik in der Nachahmung Gottes bereitet« habe.105 Johannes Kepler stand noch ganz im Banne der Renaissancephilosophie, wie sie in Florenz betrieben wurde, als er im III. Buch der »Weltharmonik« auf einen zentralen Begriff der Künstler und Mathematiker des 15. und 16. Jahrhundert setzte, und zwar den der Proportion: »Zum Schluss müssten wir die menschliche Musik hinzufügen, indem wir zeigen, wie der menschliche 133

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Geist, das Urteil des Gehöres formend, vermöge eines natürlichen Instinkts den Schöpfer nachahmt, indem er mittels der Stimme die gleichen Proportionen auswählt und anerkennt, nach denen es Gott gefallen hat, die himmlischen Bewegungen aus­zu­glei­chen.«106 Es verwundert nicht, dass es in Dantes Paradiso in der Commedia von kreisendem, sprich sphärischem Gesang nur so widerhallt. Immer deutlicher zeichnet sich in den Quellen aber auch Leonardos Hinwendung zur Mathematik ab, ohne die weder die Proportionen noch die Perspektiven zu erforschen waren. Und er wandte sich immer stärker den Naturwissenschaften zu, hier sind vor allem zu nennen die Optik, die Anatomie, die Geologie und Geographie, die Akustik und die Physik bezüglich der Körper und der Wellentheorie, wenn man an Leonardos lebenslange Beschäftigung mit dem Wasser, den Strömungen und den Wirbeln, aber auch mit der Aerodynamik und der Mechanik denkt. Sein unbedingter Wille zur Dokumentation zeigt sich uns als Voraussetzung der memoria Leonardos. In einer wahren Festhaltewut, stellte er Listen über Listen auf, ob es Worte betraf oder Menschen, Bücher oder Gegenstände, die beim Umzug nicht vergessen werden sollten. Nach vollbrachtem Umzug hätten letztere Listen weggeworfen werden können, schließlich hatten sie ihre Pflicht erfüllt. Doch er bewahrte sie sorgsam auf und schützte sie vor dem Verlorengehen. So findet sich im Codex Atlanticus eine Liste mit Florentinern, die er in diesen Jahren kannte oder kennenzulernen wünschte, und zwar: »quadrante di Carlo Marmocchi, meser Francesco Araldo, ser Benedetto da Cieperello, Benedetto de l’Abaco, maestro Pagolo medico, Domenico di Michelino, el Calvo de li Alberti, meser Giovanni Argiropolo.« Vor allem wirft die Liste ein Licht auf Leonardos Interessen, darauf, was ihn zunehmend bewegte, und das war vor allem die Beschäftigung mit der realen, mit der gegenständlichen Welt, mit der Natur, mit den Menschen. Marmocchi und 134

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Benedetto waren Mathematiker, während Marmocchi zudem noch als Ingenieur im Dienste der Signoria stand.107 Hinter Pagolo medico verbirgt sich der berühmte Florentiner Gelehrte und Arzt Paolo dal Pozzo Toscanelli, der sich unter anderem auch mit der Perspektive beschäftigt hatte. Dessen Aufsatz Della prospectiva wurde zum einflussreichen Lehrtext über die Perspektive. Toscanelli wurde, wie hier auch von Leonardo, nur Paolo dal medico (Paolo der Arzt) genannt, weil er schließlich Medizin studiert hatte. Nach den septem artes liberalis konnte man wählen, ob man Theologie, Jura oder Medizin weiterstudierte. Mit großem Erfolg hatte sich Toscanelli der Erforschung der Mathematik, der Geometrie, der Astronomie, der Kosmologie, der Perspektive und schließlich der Medizin gewidmet. Das waren lauter Themen, mit denen sich auch Leonardo immer stärker beschäftigen sollte. In dem Jahr übrigens, in dem Leonardo Florenz verließ, starb Toscanelli. Eine weitere Verbindung von höchster Wichtigkeit für Leonardo bestand in Toscanellis Freundschaft mit Nicolaus von Kues.108 Man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass die Philosophie des Kusaners mit Toscanelli nach Florenz kam. Sie wurde für Leonardo hinsichtlich der Stellung des Laien, des uomo senza lettere, wie Leonardo schrieb, oder des idiota, wie es Cusanus nannte, und für seine Methode besonders wichtig. Obwohl Eugenio Garin behauptet hat, dass die »cusanische Spekulation« mit Leonardos »Wissenschaft« nicht das Geringste zu tun habe109, sind die Belege doch eindrucksvoll. Überdies fand sich in Toscanelli der ideale Vermittler, dessen Leonardo bedurfte, weil sein Latein, wenn überhaupt vorhanden, rudimentär war. Auch bat Cusanus den Freund, seine mathematischen Studien gegenzulesen, wie etwa das für Leonardo wichtige De transmutationibus geometricis, das der Kusaner dem Freund Toscanelli sogar widmete, ferner das faszinierende De ludo globi. Bei Domenico di Michelino handelte es sich um einen bedeutend älteren Maler, einen Schüler des Maler-Mönches Fra Ange135

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lico, von dem das berühmte Dante-Bildnis in Santa Maria del Fiore stammte. Der Notar Benedetto da Cieperello wurde wegen seiner außergewöhnlich hohen Bildung geschätzt und Francesco diente als Araldo, als Herold, im Grunde als Diplomat der Signoria. Hinter der etwas unbestimmten Bezeichnung el Calvo de li Alberti verbirgt sich ein Verwandter von Leon Battista Alberti. Mit Giovanni Argiropolo rückte der große griechische Humanist Johannes Argyropulos in Leonardos Umfeld. Er war 1415 in Konstantinopel geboren worden und kam 1437 nach Florenz zum Unionskonzil. Anschließend studierte er in Padua, kehrte zwar an den Bosporus zurück und unterrichtete am Katholikon Museion, doch nach dem Fall von Konstantinopel exilierte er schließlich und blieb in Italien. Er unterrichtete zeitweise in Florenz und später in Rom an der von Andreas Laskaris gegründeten griechischen Akademie. Der Florentiner Maler Domenico Ghirlandaio hat das Konterfei des Griechen in der rechten Gruppe der »Berufung der ersten Apostel« in der Sixtinischen Kapelle in Rom freskiert. Cosimo de’ Medici dürfte Argyropulos bereits zur Zeit des Unionskonzils in Florenz getroffen haben, doch holte der Medici den griechischen Gelehrten nach dem Fall von Konstantinopel in die Arnostadt, »um Vorlesungen in Florenz zu halten, zum Nutzen seiner Bürger«.110 Der Verleger und Buchhändler Vespasiano wusste zu berichten, dass Johannes Argyropulos des Öfteren Cosimo in dessen Palast besuchte. An Feiertagen erschien er mit einigen seiner Schüler. »Cosimo fragte ihn stets nach verschiedenen Dingen: etwa über die Unsterblichkeit der Seele, dann über anderes, aus Theologie oder Philosophie; niemals vergeudete man Zeit mit ihm.«111 Argyropulos las über Aristoteles und veröffentlichte die lateinischen Übersetzungen der Werke dieses griechischen Philosophen, so auch die Physik, die in Florenz verfügbar war. Noch heute findet sich eine Handschrift in der Biblioteca Medicea Laurenziana. Dass Leonardo mehr über diese Schrift und über die andere große Schrift des Aristoteles, De anima, zu erfahren 136

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wünschte, lässt sich leicht verstehen, wenn man bedenkt, dass die Physik noch im ausgehenden Mittelalter als Grundlagenwerk der Naturbetrachtung galt, ja, für jegliche Beschäftigung mit der Physik. Gerade für Leonardo besaßen die erörterten Fragen der Forschungsmethode eine hohe Bedeutung und die Grundkategorien Raum, Zeit, Ursache und Bewegung eine hohe Attraktivität. Unter Bewegung – kinesis – verstand Aristoteles jede Art von Veränderung. Als wesentlich für das Werden erachtete der Philosoph – wie man Aristoteles im Mittelalter nur allgemein nannte – das Woraus und Wohin. Leonardos Leidenschaft, Wesen und Ursache und Wirkung zu malen, bekommt eine Richtung. Das lässt sich erforschen, denn bei Aristoteles heißt es beispielsweise: »Wenn dem so ist, so ist es klar, dass die Affekte materiegebundene Begriffe sind.«112 »Zorn ist eine Art Bewegung des so und so beschaffenen Körpers oder Körperteils oder Vermögens unter der und der Einwirkung zu dem und dem Zweck.«113 Für Leonardo konnte das im Umkehrschluss nur heißen, die Beschaffenheit des Körpers zu erforschen. Warum und wodurch erröten Menschen, werden sie blass, spannen sie die Muskeln an, wird die Haut bewegt? Während Aristoteles bei seinem Beispiel – dem Zorn – blieb und über ihn sagte: »der eine wird ihn definieren als Streben nach Vergeltung einer Kränkung oder etwas derartiges, der andere als das Sieden des Blutes, das um das Herz liegt und heiß ist«,114 fragte sich Leonardo: Warum siedet das Blut und wie geschieht das? Diese Kenntnis zu erlangen, würde ihn in den Stand versetzen, einen zornigen Menschen zu malen – nicht nur eine zornige Miene, sondern einen Körper, der als Ganzer vom Zorn erfasst ist. Die auf Leonardos Liste genannten Menschen, die sich in einem neuen Sinn mit den Naturwissenschaften befassten, ergänzten den illustren Kreis, in dem sich Leonardo bewegte. An ihnen können wir die Art von Diskussionen entdecken, an denen Leonardo teilhatte, und erfassen, mit welchen Themen er in Berührung kam. Allmählich nahm in ihm das Vorhaben Gestalt an, 137

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das, was er hörte, auch zu malen und die Malerei als Forschungsmethode zu entwickeln, als eine Form praktischer Philosophie. Ohne es zu ahnen, malte und dachte sich Leonardo in eine Krise hinein. Sein wachsender Erkenntnis- und Darstellungsdrang führte zu einem Ungleichgewicht, das ihm immer deutlicher wurde, weil ihm sowohl das Wissen über die menschliche Anatomie als auch das Wissen über die Natur des Wassers, des Windes, der Tiere und Pflanzen und der Mineralien fehlte. Er verlangte nach solchem Wissen, um Wirklichkeit erschaffen zu können und nicht wie ein Dekorateur Arrangements der Realität herzustellen. Wenn er über den Arm des Geliebten strich und der die Faust ballte, konnte Leonardo die Anspannung der Muskeln sehen und fühlen. Sie zu malen vermochte er jedoch nicht, weil er nicht unter die Haut schauen konnte, nicht die Ursachen für die Wirkung, genauer noch: für die Wirkweisen kannte. Er wollte kein Ausmaler der Oberfläche sein, sondern das Ganze bildnerisch erforschen und wiedergeben. Insofern stellt die Namenliste so etwas wie einen Schlüssel dar, mit dem komplizierte biographische Probleme des Leonardo zu lösen sind. Um Leonardos Biographie aufzuhellen, bedarf es dieses Schlüssels, denn die beiden großen Aufträge, die ihm in der folgenden Zeit erteilt wurden, passen nicht recht mit dem zusammen, was dazu überliefert wurde. Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum er diese Aufträge nicht erfüllte, sondern die Fertigstellung abbrach. Und weshalb verließ er schließlich Florenz und ging in die Fremde? Oft wurden in den Leonardo-Biographien diese Fragen bewusst unscharf behandelt. Wir wollen versuchen, dem frühen Geheimnis näherzukommen, das Leonardos Leben aufwirft. Am 10. Januar 1478 – noch ahnte niemand in Florenz etwas von der Verschwörung der Pazzis – erhielt Meister Leonardo von der Signoria den Auftrag, »eine Tafel für den Altar der Bernhard-Kapelle, der sogenannten Herrschaftskapelle, die im Palast des Volkes von 138

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Florenz befindlich ist, zu malen und neu zu machen, mit einer Verzierung, Eigenschaften, Art und Form und für den Preis und anderem mehr, so wie es erklärt werden wird durch die Behörde des genannten Palastes …«115 Man hat mit diesem Auftrag zuweilen das Fragment des Heiligen Hieronymus in Verbindung gebracht. Es entstand zwar auch in dieser Zeit und wurde gleichermaßen nicht fertiggestellt, nur passt das Hieronymus-Motiv nicht zu diesem Auftrag, denn der lautete ganz klar, dass für die Bernhard-Kapelle – für die Kapelle des heiligen Bernhard von Clairvaux – eine Tafel anzufertigen sei, und zwar »zu malen und neu zu machen« (»ad pingendum et de novo fabricandum tabulam«).116 Statt Hieronymus müsste sich also Bernhard von Clairvaux als Motiv auf dem Fragment finden, denn er war auf der alten Tafel abgebildet, die nun abgenommen worden war und von Leonardo durch eine neue Tafel mit dem gleichen Motiv ersetzt werden sollte. Ziemlich seltsam mutet es an, dass die Signoria nur drei Monate später, am 16. März 1478, beschloss, den Auftrag zu stornieren und dem Maler für seinen Entwurf 25 Gulden zu zahlen. Die Pazzi-Verschwörung und die Ermordung Giuliano de’ Medicis ereigneten sich erst gut einen Monat später, Ende April, so dass hier kein politischer Zusammenhang bestand. Die Vertragsauflösung scheint auf Leonardos Wunsch hin geschehen zu sein, denn drei Monate nach Auftragserteilung konnte auch der schnellste Maler die Tafel unmöglich fertiggestellt haben. Leonardo dürfte also einen anderen, für ihn wichtigeren Auftrag erhalten haben, so dass er es wagte, den städtischen Auftraggeber vor den Kopf zu stoßen. Schaut man genauer auf das Fragment des Heiligen Hieronymus, erkennt man rechts im Hintergrund eine Kirche, und zwar Santa Maria Novella, deren dunkelgrün-weiße Fassade aus Marmor von Leon Battista Alberti im Auftrag von Giovanni di Paolo Rucellai entworfen worden war. Giovannis Sohn, Bernardo Rucellai, der mit Lorenzo de’ Medicis Schwester Nan139

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nina verheiratet war, hatte sich einen Namen als Förderer der Platonischen Akademie, der humanistischen Studien, Marsilio Ficinos und der Kunst gemacht. Zudem diente er seiner Vaterstadt aufgrund seines feinen und liebenswürdigen Wesens, seiner Bildung und Klugheit als Diplomat in besonderen Missionen. In den Kreisen, in denen sich Leonardo bewegte, dürfte er früher oder später auch mit Bernardo Rucellai in Kontakt gekommen sein – und es ist durchaus denkbar, dass Bernardo Rucellai den Hieronymus entweder für eine Kapelle in seinem Palast oder für die Capella Rucellai in Santa Maria Novella in Auftrag gab. Der Blick in die Ferne wirkt fast wie ein Fensterblick, in dem sich statt einer Landschaft die Kirche zeigt. Insofern drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass dieses Bildnis für die Rucellai-Kapelle bestimmt war. Einer der seltsamsten Menschen in einer Zeit, die keinen Mangel an Sonderlingen kannte, war Leonardos gelegentlicher Mitarbeiter Tommaso Masini, der sich mit Metallurgie und wohl auch mit Alchemie beschäftigte. Er wurde zudem von den Rucellais protegiert. 1462 kam er als Sohn eines Gärtners in dem Flecken Peretola, eine Meile – also ungefähr 1,6 Kilometer – von Florenz entfernt, zur Welt und trat um 1477/78 mit 15 oder 16 Jahren als Lehrling in Leonardos Werkstatt ein. In Florenz und später auch in Mailand gehörte er zu der kleinen Schar gutaussehender Jünglinge, die Leonardo oft in der Öffentlichkeit begleiteten. Leonardo schwankte extrem zwischen den Polen exzentrischer Geselligkeit und tiefer Einsamkeit, zwischen Unterhaltsamkeit und Melancholie. Tommasos Talente und Interessen lagen nicht in der Malerei, sondern in der Metallurgie, der Mechanik und der Alchemie. Bald schon erwarb er sich den Ruf eines Magiers und Zauberers, der ihm den Namen Zoroasters einbrachte – des Persers, der in der geistigen Welt der Renaissance als Weiser und Magier verehrt wurde. Unter Magier verstand man, wie Pico schrieb, »in der Sprache der Perser dasselbe wie bei uns Deuter und Verehrer des Göttlichen.«117 Pico füg140

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te hinzu, die Magier hätten die »Übereinstimmung der Welt … mit besonderer Gründlichkeit erforscht und die Wechselseitigkeit der Erkenntnisse über die Naturen klar durchschaut«. Der Magier holt laut Pico »die in den Tiefen der Welt, im Schoß der Natur, in den geheimen Speichern Gottes verborgenen Wunder ans Licht hervor.« Er vermählt »die Erde mit dem Himmel, das heißt das Untere mit den Gaben und Kräften des Höheren.«118 Sicher würde Leonardos empirischer und praktischer Verstand dem geistigen und esoterischen Höhenflug des Grafen nicht folgen wollen, doch in dem Hymnus des Princeps Concordiae spiegelt sich all das wider, was man dem Magier zutraute, als dessen Urbild Zoroaster (oder auch: Zarathustra) galt. Die Erkenntnisse des Göttlichen verliehen ihm besondere Kräfte. »Weiser« wäre die beste Übersetzung des Wortes Magier ins Deutsche. Es sind drei Begriffe, die den Komplex des außergewöhnlichen Menschen beschreiben, der in die tiefsten Schichten des Lebens und der Natur eindrang: der Magier, der Weise und das Universalgenie. Allerdings scheinen sich zwei unterschiedliche Typen abzuzeichnen: der Magier der Renaissance, der sich stärker in philosophische und esoterische Spekulationen begab, und derjenige, der sich mit der Erforschung der Natur beschäftigte. Alchemie und Mathematik konnten verbindend zwischen beiden wirken. Für den ersten Typ stehen Marsilio Ficino, Giovanni Pico della Mirandola und später Giordano Bruno, für den zweiten Leonardo da Vinci, Zoroaster alias Tommaso Masini, Albrecht Dürer und später Galileo Galilei. Tommaso oder Zoroaster, der für Leonardo Farben und metallische Geräte herstellte, sollte später im Landhaus der Rucellais in der Nähe der Arnostadt alchemistische Versuche anstellen. Der Drang zur Alchemie, der bis weit ins 18. Jahrhunderte wirkte und in dem sich so viele finanziell ruinierten, resultierte aus zwei Versprechungen, welche die Alchemie ihren Jüngern leichtfertig machte: erstens reich und zweitens unsterblich zu werden. Und zwar mit Hilfe des Steins der Weisen, den man auf 141

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dem Wege der Alchemie herzustellen vermeinte. Er ermöglichte, Gold zu machen und alle Krankheiten und auch den Tod zu besiegen – mächtigere Antriebsfedern als die Aussicht auf ewiges Leben und unbeschränkten Reichtum existierten nicht. Zum Ende seines Lebens hielt sich Zoroaster bei einem Rucellai in Rom auf, um mit ihm ein alchemistisches Labor zu betreiben mit allerlei wunderlichem Kram, wie einer Schlange mit vier Beinen – Kram, den angeblich ein Greif aus Libyen kommend über Rom fallen ließ: Töpfe mit Zähnen von Gehenkten, Erden, Zinnober, Pech. Das Labor hatte Bilder an den Wänden, auf denen furchterregende Fratzen und ein Affe, der Ratten Geschichten erzählte, dargestellt waren. Mächtige Familien beschützten ihn und finanzierten seine Forschungen: die Rucellai und die Ridolfi. Für Leonardo wurde der Jüngling in den frühen Tagen in Florenz und später in Mailand zum Vertrauten, vielleicht sogar zum Bruder im Geiste. Der Epitaph für den 1520 in Rom verstorbenen »Zoroastro Masino« lobt die Rechtschaffenheit des wahren Philosophen, der in das Dunkel der Natur blickte zum Nutzen der Natur. In das Dunkel der Natur zu blicken, um zu ihrer Wahrheit vorzustoßen, das wurde in diesen Tagen am Arno für Leonardo zur wichtigsten Beschäftigung. Er begann den Hieronymus zu malen, um den Menschen zu erforschen. Denn der Hieronymus, den er als Vorzeichnung in Öl auf Holz begann, wurde für ihn zuallererst zu einer Studie der menschlichen Anatomie und der Bewegung. Vor allem zwei Dinge interessierten den Maler: der Körper des Menschen und der Körper des Löwen, wie sie in Bewegung waren. Die Humanisten sahen in dem gelehrten Hieronymus, der Latein, Griechisch und Hebräisch beherrschte und die Vulgata schuf, ihren Heiligen. Die vielen Bilder, deren Motiv der heilige Hieronymus abgab, lassen sich grosso modo in drei Typen einteilen: der Büßer und Asket in der Wüste, der Gelehrte bei der Arbeit an der Vulgata – häufig Hieronymus im Gehäus genannt –, und schließlich der Büßer in der Wüste mit 142

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einem Buch. Auf dem ersten Blick wählte Leonardo den Büßer Hieronymus, der sich mit einem Stein gegen die Brust schlägt, sich also züchtigt und kasteit, um das sexuelle Verlangen abzutöten. So steht es in der Legenda aurea geschrieben, die aus einem Brief des Heiligen an Eustachium zitiert: »Ob ich nun gleich ein Geselle war der Skorpionen und Genosse der wilden Tiere, so war ich im Geiste doch oft im Reigen schöner Jungfrauen, und in dem kalten Leib und in dem halbtoten Fleisch tobte noch das Feuer sündlicher Begier. Also weinte ich alle Zeit und zähmte das widerspenstige Fleisch durch wochenlanges Fasten. Ich weinte oft Tag und Nacht und ließ nicht eher ab, die Brust zu schlagen, bis mir von Gott Ruhe ward verliehen.«119 Diese Beschreibung setzte Leonardo um – mit einem Unterschied: Der Löwe, der Hieronymus anbrüllt, kam erst zu dem Heiligen, als er die Wüste verlassen hatte und in das Kloster nach Bethlehem gegangen war und dort aus den verschiedenen Bibeltexten, begonnen bei den Evangelien, die Vulgata als verbindlichen Text der Heiligen Schrift schuf. Dort in Bethlehem kam ein hinkender Löwe ins Kloster und erschreckte die Mönche, doch Hieronymus ging ihm entgegen und erkannte, dass der Löwe litt, weil er sich einen Dorn in die Tatze getreten hatte. Diesen Dorn zog Hieronymus dem Tier, so dass von Stund an der Löwe bei Hieronymus blieb. Leonardo, der schroffe Felsformationen liebte, weil sie ihm Gelegenheit zu geologischen Studien lieferten, brauchte sich diesbezüglich nur an den schon im Mittelalter berühmten Brief des Hieronymus an Eustachium zu halten, wo es hieß: »Mit mir selber unzufrieden, in meinem Entschlusse unbeugsam, drang ich allein noch tiefer in die Wüste vor. Wo ich eine Talschlucht, einen rauhen Berg, ein zackiges Fels­ gebilde sah, da ließ ich mich nieder zum Gebete, da machte ich daraus einen Kerker für mein sündiges Fleisch.«120 143

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Genau solch ein »zackiges Felsgebilde« malte Leonardo. Der Blick des Hieronymus richtet sich auf ein kaum wahrnehmbares Kreuz, das für Christus steht und noch einmal unterstreicht, dass Christus der Fels ist, an dem alle Sünden zu Schanden werden: »Es ist ja an sich unmöglich, dass die dem Menschen eingeborene, aus seinem Innern kommende Glut seine Sinne unberührt lässt. Deshalb gebührt dem Anerkennung und Lob, der die schlimmen Gedanken gleich im Entstehen ertötet und am Felsen zerschmettert. Der Fels aber ist Christus.«121 Ein Teil des Felsens ist der Stein, mit dem sich Hieronymus schlägt, um die »schlimmen Gedanken gleich im Entstehen am Felsen« zu zerschmettern. Hieronymus, der bei Leonardo entgegen der Tradition ohne Bart auskommen muss, wirkt ausgemergelt, nur aus Haut und Knochen bestehend, asketisch, als fast zahnloser Greis in einer leidenden, sich selbst kasteienden Ekstase. Der Löwe steht im Brief an Eustachium als Sinnbild für die Sünde und für den Teufel selbst, denn er geht umher »wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.« Den Teufel interessieren nicht die Seelen der Ungläubigen, sondern »ihm liegt daran, sich seine Beute aus der Kirche Christi zu holen«.122 Doch bei Leonardo wirkt der Löwe eher wie der Freund und Begleiter des Hieronymus, der sich die Selbstkasteiung nicht mehr mitansehen kann, der mitleidet und ihn bewegen möchte, damit aufzuhören. Das kann man auch als teuflische Verführung sehen – muss man aber nicht. Der Durchblick zur Kirche, zur Stadt, zur Zivilisation wirkt wie ein Fenster, nur in einer umgekehrten Perspektive. In den Madonnenbildern erscheint die Natur – eine Landschaft – im Fenster. In diesem Bild ist der Heilige in der Landschaft, in der Einöde gar, weil er die Zivilisation, die sündige Kirche flieht, um in der Einsamkeit und in schroffer Natur Christus zu finden, der der Fels ist. Mehr aber als für alle gelehrten Bezüge und Anspielungen interessierte sich Leonardo für die Gestalt des sich mit einem Stein schlagenden Büßers, für den verdrehten Körper und die Bewegung. Dieses Bild geriet zu seiner Niederlage. Er 144

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stieß, ja er prallte schmerzhaft an die Grenzen seines Könnens und begriff plötzlich, wie wenig er vom menschlichen Körper wusste. Er merkte, dass er ohne anatomische Kenntnisse im Grunde keine dreidimensionalen Menschen auf zweidimensionaler Grundlage schaffen konnte. Ihm wurde klar, dass er die Hülle zu malen vermochte, nicht aber den Menschen. Der linke Arm ist noch viel zu dick! Da Giovanni Rucellai nicht drängte, legte Leonardo den Entwurf vermutlich erst einmal zur Seite. Und in der Tat sollte er erst im Anschluss an seine anatomischen Studien, nach den Sektionen menschlicher Leichen im Jahr 1510, die Arbeit am Hieronymus wieder aufnehmen.123 Eine Arbeit für die Stadtregierung hatte er abgesagt, in einer weiteren kam er nicht voran. Zudem hatte Leonardos Vater im Jahr 1475 zum dritten Mal geheiratet. Im Jahr darauf kam Ser Pieros erster ehelicher Sohn, Leonardos Halbbruder, zur Welt. Er wurde nach dem Großvater und der Familientradition entsprechend auf den Namen Antonio getauft. Drei Jahre später erblickte der zweite Sohn aus dieser Ehe, Giuliano, das Licht der Welt. Damit war die Erbfolge der Familie gesichert. Leonardo war kein Erbe in Reserve mehr, sondern er hatte nun zu sehen, wo er blieb, denn der Vater kümmerte sich um seine rasch anwachsende Familie. In Ser Pieros Steuerliste des Jahres 1480 kommt Leonardo nicht mehr vor.124 Margherita di Francesco Giuli, die Tochter eines Seidenhändlers, die fünf Jahre jünger als Leonardo und mehr als 30 Jahre jünger als ihr Ehemann war, gebar Ser Piero in den zehn Jahren ihrer Ehe sieben Kinder, vier Jungen und drei Mädchen, von denen ein Mädchen drei Wochen nach der Geburt und ein Junge im Alter von einem halben Jahr verstarb. Dies war für damalige Verhältnisse eine vom Schicksal begünstige Familie, weil die allgemeine Mortalitätsrate von Kindern höher lag. War ein neuer Auftrag, den der Vater vermittelte und aushandelte, ein Abschiedsgeschenk, das sich als Danäergeschenk erwies, eine letzte Fürsorge für den unehelichen Sohn, der als Meister längst auf eigenen Beinen stehen sollte? 145

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In der Tat wirft der Vertrag – vom Vater ausgehandelt, von Leonardo im März 1481 eingegangen – Fragen auf. Das reiche Kloster San Donato in Scopeto beauftragte Leonardo mit der Anfertigung einer Tafel für den Altar, auf der eine Anbetung der Könige darzustellen war. Innerhalb von 30 Monaten sollte das Bild fertig sein, andernfalls falle alles, was er bis dahin gemacht habe, an das Kloster. Zunächst einmal war es nicht ungewöhnlich, dass man Leonardo nicht direkt bezahlte, sondern ihm den dritten Teil eines Landbesitzes überließ, damit er durch das, was der Landbesitz an Profit abwarf, entlohnt wurde. Als unpraktisch und sogar als Falle erwies sich aber, dass Leonardo in Vorlage gehen sollte, denn die Kosten für Farben und Materialien hatte er zu tragen. Als nachteilig und zu Lasten Leonardos gehend erwies sich die Bestimmung, dass er von den erwirtschafteten Geldern insgesamt für die Mitgift der Tochter des Landgut-Verkäufers 300 Gulden zurückzulegen habe. Die Kosten für die Farben, die von den Ordensbrüdern bereits angeschafft worden waren, hatte er ebenfalls zu begleichen. Es bleibt ein Rätsel, warum ein erfahrener Advokat für seinen Sohn einen derart nachteiligen Vertrag aushandelte. In der Folge zeigte sich, dass Leonardo sich vom Kloster Geld leihen musste, um Brennholz, weitere Farben, Weizen und schließlich Wein zu kaufen. Womöglich hatte Ser Piero Leonardo den Auftrag zwar vermittelt, den Vertrag jedoch nicht ausgehandelt, wohl aber dem Sohn eingeschärft, ihn unter allen Umständen einzugehen, weil es nach dem Abbruch der Arbeit für die Stadtregierung mit seinem Ruf als Maler nicht allzu gut bestellt war. Dieser prestigeträchtige Auftrag stellte eine Rehabilitierung und die letzte Chance dar, sich in Florenz als angesehener Meister zu etablieren – in einer Stadt, in der es zu viele ausgezeichnete Maler gab und demzufolge eine sehr harte Konkurrenz. Würde er bei diesem Auftrag versagen, so wäre der Ruf so beschädigt, dass er am Arno keine Chance zu reüssieren mehr besäße.

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Die Anbetung der Könige gehörte ebenfalls zu den Standardsujets, die gern in Auftrag gegeben wurden. Benozzo Gozzoli, der immer mal wieder von Leonardo-Biographen oder Kennern als Dekorateur geschmäht wurde, hatte in den Jahren 1459–1461 in der Capella des Medici-Palastes einen großartigen Freskenzyklus mit dem Zug und der Anbetung der Könige geschaffen, der eine Verherrlichung der Medici gleichkam. Denn es wurden sowohl Cosimo und Piero de’ Medici als auch Lorenzo und Giuliano als Knaben neben anderen Florentinern konterfeit. Ob im König Melchior der byzantinische Kaiser Johannes III. Paleologus porträtiert wurde, steht in der Diskussion. Während also Gozzoli die Florentiner Gesellschaft verherrlichte und verewigte, ein Bild des Prunks und des Luxus, einen Rausch der Farben an die Wände des Palastes zauberte, ging Leonardo in die vollkommen andere Richtung. Sein Entwurf zeigt eine Ruinenlandschaft. Unter einem Baum sitzt Maria wie eine Königin, allerdings wie eine arme Königin, das Kind im Arm. Die heiligen drei Könige liegen oder knien vor ihr. Joseph scheint zu fehlen. Mühelos sind sechs Pferde auf dem Bild zu erkennen. Man hat den Eindruck, Bewegungsstudien von Menschen und Tieren zu sehen, die sich nicht recht ins Bild fügen wollen. Im Gegensatz zu Gozzolis Freskenzyklus lassen Leonardos »Könige« nennenswerten Reichtum vermissen. Adorazione die magi – nicht Anbetung der Könige, sondern Anbetung der Magier – heißt das Bild eigentlich und steht in der Tradition, dass es eben nicht Könige, sondern Magier oder drei Weise aus dem Morgenland waren, die den Stern, das Licht, das von Jesus ausging, entdeckten und zur Huldigung anreisten. Man sieht dem Fragment die geniale Konzeption an, die sich nicht recht fügen will, zumal der Maler unter hohem zeitlichen wie finanziellen Druck stand, denn die Bedingungen, die er eingegangen war, schnürten ihm die Luft ab. Besonders bemerkenswert ist die Figur eines jungen Mannes am rechten Bildrand, in der ein Selbstporträt Leonardos gesehen wird. Dieser junge Mann schaut nicht zur Jungfrau, son147

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dern von ihr weg – weg von dem Geschehen, weg vom Bild, aus dem Bild heraus. Selbstporträt oder nicht: Hier malte Leonardo sein Empfinden und seine Sehnsucht, denn er wollte diese Arbeit hinter sich lassen, die widrigen Lebensumstände, in denen er sich befand, vielleicht sogar Florenz. Ohne tiefere Kenntnisse beispielsweise der Anatomie würde er nicht so malen können, wie er malen wollte. Und so wünschte er auch die Malerei hinter sich zu lassen. Doch wohin sollte er sich wenden, womit konnte er sein Lebensunterhalt verdienen? Leonardo da Vinci war 30 Jahre alt und befand sich in einer veritablen beruflichen, künstlerischen und menschlichen Krise.

Figurenstudien zur Anbetung der Heiligen Drei Könige um 1481, Feder und Tinte 148

9. Die Flucht

Um 1482 hatte Leonardo sich endgültig in eine katastrophale Situation hineingebracht. Auf der einen Seite trug er selbst die ganze Schuld daran, auf der anderen Seite konnte und wollte er aber auch gar nicht anders handeln. Kurz hintereinander stellte er die Arbeit an zwei, zählt man die Bernhardstafel mit, sogar an drei Bildern ein. Mit zwei mächtigen Auftraggebern, der Stadtregierung und den Mönchen des Klosters San Donato in Scopeto, hatte er es sich gründlich verdorben, stattdessen hatte er sich den schlechten Ruf erworben, in Auftrag gegebene Bilder nicht fertigzustellen – und das in einer Stadt, in der mehr als genug talentierte Maler mit allen Mitteln um Aufträge konkurrierten. Statt die übernommenen Aufträge zu erledigen, beschäftigte er sich immer stärker mit den Wissenschaften, mit der Mathematik, der Geometrie, mit der Mechanik. Ihn drängte es beim Malen danach, nicht nur neuartige Arrangements wiederzugeben, sondern vor allem die Standardsujets zu dynamisieren, ein Erstaunen hervorzurufen, weil das Standardsujet plötzlich einzigartig und wertvoll wurde, indem sich dem Betrachter eine vollkommen neue Erzählung des bekannten Geschehens bot. Gleichzeitig – und nicht weniger wichtig – trieb es ihn immer stärker dazu, das Statische der Malerei zu überwinden, indem er Bewegung malte. Weil die Wirklichkeit sich auch in fortwährender Bewegung befand, durfte sie auf einem Bild, das sie wiederzugeben trachtete, auch nicht still stehen. Zumal eine Erzählung nichts anderes als eine Handlung war. Niemand vermochte in der Natur zweimal dasselbe Bild zu sehen, wie man auch nicht zweimal im selben Fluss baden konnte, denn alles floss, wie Heraklit, der Dunkle aus Ephesos, sagte: panta rhei. Und um die Wirklichkeit ging es Leonardo letztlich: sie zu erkennen und darzustellen, sie aufleben zu lassen, und schließlich darum, sie durch die Darstellung zu verstehen. In den we149

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nig später entstandenen Notizen zur Malerei, deren Ideen sich in diesen Jahren herausbildeten, schrieb Leonardo: »Der Geist des Malers muss dem Spiegel ähnlich werden, der ständig wechselnd die Farbe dessen annimmt, das vor ihm steht, und sich mit ebenso viel Abbildern füllt, wie er Gegenstände vor sich hat.«125 Das gelang nur durch Beobachtung und Erfahrung – durch eine Beobachtung, die nicht an der Oberfläche stehenblieb, sondern tiefer blickte, um zu erkennen, »was die Welt im Innersten zusammenhält«, wie es Johann Wolfgang von Goethe in späterer Zeit seinen Renaissancemagier Faust sagen ließ. Dessen war sich Leo­nardo in einem so hohen Maße bewusst, dass er sich ungeachtet äußerer Zwänge zu einer Gründlichkeit veranlasst sah, die keine Abkürzungen duldete. Es klingt beinah wie eine Begründung dafür, warum er die Arbeit am Hieronymus und an der Anbetung abbrach, wenn er gegen diejenigen schimpfte, die es sich leicht machten und den Weg des Verstehens abkürzten: »Die Abkürzer der Werke schmähen Wissen und Liebe, denn die Liebe zu jeglichem ist die Tochter des Wissens, und die Liebe ist um so glühender, je sicherer das Wissen ist; die Sicherheit wiederum entsteht aus der gesamten Kenntnis aller Teile, die, miteinander vereint, die Gesamtheit des geliebten Gegenstandes bilden.«126 Bei der täglichen Arbeit an beiden Aufträgen erfuhr Leonardo, dass er eben noch nicht die »Kenntnis aller Teile« besaß. Jeder Pinselstrich, mochte er auch noch so genial sein, dokumentierte für ihn in Ansehung dessen, worin sein Ziel bestand, eine Niederlage. Er weigerte sich, sich antreiben zu lassen oder sich selbst unter Druck zu setzen, sich mit dem zweitbesten Ergebnis oder mit einer Näherung zufrieden zu geben, denn nichts verachtete er mehr als die Ungeduld. Denn er hielt sie für die »Mutter der Dummheit«, weil sie den Leuten nicht die Zeit ließ, »sich eine umfassende Kenntnis über eine Einzelheit wie etwa den menschlichen Körper zu verschaffen.« In einer typischen Wendung gegen die gelehrte Naturphilosophie, auch gegen den Aristotelismus, spottete er: »und dann wollen sie den Geist Got150

9. Die Flucht

tes erfassen, der das Weltall in sich hat, indem sie ihn abwägen und in unzählige kleine Stücke zerteilen, als müssten sie ihn anatomisch sezieren« – und das, obwohl sie im Vergleich dazu nicht einmal eine Kleinigkeit oder Einzelheit verstünden, wie sie der menschliche Körper darstellt.127 In einer Zeit, in der er in der Wissenschaft noch nicht weit genug vorangekommen war, hätte für ihn eine Abkürzung bedeutet, die beiden Bilder fertigzustellen. Folgte er ihr, hätte er den Weg der göttlichen Wissenschaft des Malers verlassen. Im Codex Urbinas findet sich auf einem Blatt folgende Bestimmung, die Leonardo wenig später notierte: »Das göttliche Wesen der Wissenschaft des Malers bewirkt, dass sich sein Geist in ein Abbild göttlichen Geistes verwandelt, frei schaltend und waltend, schreitet er zur Erschaffung mannigfacher Arten verschiedener Tiere, Pflanzen, Früchte, von Dörfern, Land, herabstürzenden Bergen, angst- und schreckenerregenden Orten, die dem Betrachter Grauen einjagen, und auch von angenehmen, lieblichen und reizenden Wiesen mit bunten Blumen, die von sanften Lüften leicht gewellt dem von ihnen scheidenden Wind nachblicken …«128 Mit diesen Worten drückte Leonardo unumwunden aus, worum es ihm ging: um die »Erschaffung«, nicht also um die bloße Abbildung der Schöpfung, sondern um die Nach-Schöpfung der Schöpfung auf der Holztafel, dem Pergament, dem Papier oder der Wand oder auf welchem Träger auch immer. In diesen Jahren in Florenz fand er zu sich und zu seinem Anspruch, dazu, Schöpfer sein zu wollen. Im gewissen Sinne stand er damit im Einklang mit der Bibel, denn in 1. Moses 3,5 heißt es: »und ihr werdet sein wie Gott.« Leonardos Gedanke war nicht ganz ungewöhnlich, denn bereits Leon Battista Alberti hatte – allerdings mit skeptischem Anklang – geschrieben: »Über ein solches Ansehen also verfügt die Malerei, dass ihre Vertreter angesichts der Bewunderung, die man ihren Werken entgegenbringt, fast schon auf den Gedanken verfallen, sie seien Gott im höchsten Maße ähnlich.«129 151

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Konnte es denn nicht gelingen, Gott ähnlich zu werden, wo doch im Menschen die Gottesebenbildlichkeit angelegt war? Albrecht Dürer, ein Verwandter im Geiste und in der Kunst – das Universalgenie der Deutschen –, schrieb: »Die lebende Natur gibt die Wahrheit dieser Dinge zu erkennen. Darum sieh sie fleißig an, richte dich nach ihr und weiche nicht von ihr in der Meinung, du könntest es von dir selbst besser erfinden; du würdest dann in die Irre geführt. Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie herausreißen kann, der hat sie.« Dürer kam zu der Erkenntnis: »Etwas können ist sehr gut. Denn dadurch werden wir desto ähnlicher dem Bilde Gottes, der alles kann. Wir könnten gerne viel. Denn das ist unserer Natur eingegossen, dass wir gern sehr viel wissen, um dadurch die rechte Wahrheit aller Dinge zu erkennen.«130 Theologisch stimmen sowohl Leon Battista Alberti als auch Leonardo und Albrecht Dürer mit dem Grundsatz der Imitatio Christi des Thomas a Kempis überein, nach der es zur Natur des Menschen gehört, viel wissen zu wollen. Es geht also vollkommen fehl, Leonardo als Atheisten oder – was das Gegenteil davon ist – als Häretiker zu sehen. Nein, Leonardo war ein tiefgläubiger Mensch, was aber nicht heißt, dass er sich wie ein fügsames Schaf der Kirche benahm. In der Natur sah er den lebendigen Anblick Gottes, sie war seine Schöpfung, als ein Teil von ihm. Die Schwierigkeit für einen so tiefblickenden und so unermüdlichen, so kompromisslosen Geist wie Leonardos bestand darin, die Wirklichkeit oder die Natur ohne Abstriche, ohne Künstlichkeit oder Oberflächlichkeit abzubilden. Dabei dürfte er das Wesen der Wirklichkeit oder der Natur in einer komplexen Dialektik von dem, was sie ist, und dem, was über sie hinausweist, geahnt haben – so, wie es 150 Jahre vor ihm der deutsche Philosoph Meister Eckhart formuliert hatte: »Ich nehme ein Becken mit Wasser und lege einen Spiegel hinein. Dann lege ich es unter das Rad der Sonne. Das Widerspiegeln des Spiegels in 152

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der Sonne ist der Sonnen Sonne. Und es ist doch, was es selbst ist. Ebenso ist es mit Gott. Gott ist in der Seele mit seiner Natur, mit seinem Wesen und seiner Gottheit, und doch ist er nicht die Seele. Das Widerspiel der Seele, das ist in Gott Gott, und es ist doch, was es selbst ist.«131 Um es mit einem Satz zu sagen: Die Schwierigkeit für Leonardo bestand darin, der »Sonnen Sonne« gültig zu malen und ihre Wirklichkeit in ihrer Bewegung richtig zu erfassen. Der Grund dafür, die Arbeit am Hieronymus aufzuschieben, wird schnell deutlich. Er liegt in Leonardos unzureichenden Kenntnissen von der menschlichen Anatomie, in seinem mangelnden Wissen darüber, was unter der Haut geschieht. Bei der Anbetung liegen die Dinge nicht so einfach, wenn man nicht bei den ruinösen Vertragsbedingungen als Erklärung verharren will. Als Hochaltarretabel, als Bildwerk für den Hochaltar, sollte das Bild den höchsten Standpunkt einnehmen, den ein Gemälde in der Hierarchie der Standorte in einer Kirche erreichen konnte. Damit kam ihm eine hohe religiöse Bedeutung und seinem Schöpfer eine besonders hohe Ehre und Reputation zu. Man versteht angesichts des zu erwartenden Prestigezuwachses, weshalb der Vater dem Sohn so energisch zuriet, den nachteiligen Vertrag einzugehen. Würde ihm ein beeindruckendes Werk gelingen, so wäre alles vergessen und Leonardo mit einem Schlag einer der wichtigsten Meister der Stadt Florenz. Wie notwendig es war, Leonardos Prestige in Florenz zu heben, zeigt sich auch in folgender Begebenheit: Um sein Verhältnis zum Papst zu verbessern, schickte Lorenzo de’ Medici vier Künstler nach Rom, um die Sixtinische Kapelle zu freskieren. Er entsandte Sandro Botticelli – was nicht weiter verwundert, wenn man sich erinnert, welch gute Dienste der Maler den Medici in der propagandistischen Aufarbeitung der Pazzi-Verschwörung leistete –, Cosimo Rosselli, Domenico Ghirlandaio und Piero Perugino. Leonardo gehörte nicht dazu. 153

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Zum einen sollte das Hochaltarretabel also Eindruck machen und Leonardos Ansehen aufhellen, zum anderen wollte er etwas Besonders bieten – das ist eine Mischung, die selten gelingt. Zwar wird man nie erfahren, wie Leonardo die Kleidung, besonders die der Magier oder der Könige gestalten wollte, doch springt ins Auge, dass entgegen der Tradition die drei Weisen aus dem Morgenland als alte Männer, als Greise im Alter Jo­ sephs­gemalt sind. Der Tradition nach stellte man sie nämlich immer als einen jungen Mann, einen Mann mittleren Alters und einen alten Mann dar, um symbolisch die Lebensalter abzubilden und die Allgemeingültigkeit der Anbetung zu betonen. Eigentlich müsste der italienische Titel L’Adorazione dei Magi nicht mit Die Anbetung der Könige, sondern mit Die Anbetung der Weisen oder Die Anbetung der Magier ins Deutsche übersetzt werden, denn auch die Bibel spricht von den magi ab oriente oder von den mágoi ap anatolôn, was sich eindeutig im Griechischen auf mágos, den Zauberer, oder im Persischen auf die Mager, die in den Wissenschaften ausgebildete Priesterkaste, bezieht. Die Deutung, dass es sich um Chaldäer handelte, ließ auch die Bezeichnung Sterndeuter zu, da Herodes die Sterndeuter zu sich rief und die drei Weisen von einem Stern angelockt und schließlich nach Bethlehem geführt worden waren. So finden sich in dem Wort mágoi oder magi die Bedeutungen Sterndeuter, Zauberer und Weiser – nur König findet sich nicht! Deshalb hat Martin Luther in seiner Bibelübersetzung auch richtig von den drei Weisen aus dem Morgenland gesprochen. Die Legenda aurea stellte sich den drei Bedeutungen und erklärte auf ihre Art, was es damit auf sich habe, denn für sie bedeutete Magus: Betrüger, Zauberer, Weiser. Nach Ansicht des Dominikanermönchs Jacob de Voragine, der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts Legenden- und Heiligenviten zusammenstellte und damit das wirkungsvollste Volksbuch des hohen und späten Mittelalters schuf, umwehte die drei Weisen ein durchaus zweifelhafter Ruf. Den Betrüger 154

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erklärte er – gut mittelalterlich um die Ecke gedacht – damit, dass die drei Weisen Herodes betrogen hätten, weil sie das Versprechen nicht hielten, wieder zu ihm zurückzukehren: »Darum heißt es von Herodes: Da er sah, dass ihn die Weisen betrogen hatten.«132 Doch der Betrüger des Bösen wird dadurch zum Guten. Zauberer hießen die drei Magier laut Jacob de Voragine, weil sie ursprünglich Zauberer, dann aber bekehrt worden waren. Aufgrund der Bekehrung »machte ihnen der Herr seine Geburt offenbar, dass sie zu ihm würden geführt und alle Sünder davon eine gute Zuversicht hätten.«133 Als Drittes übersetzte Jacob das persische Wort Magier auf Hebräisch mit Schreiber, auf Griechisch mit Philosoph und auf Lateinisch mit Weiser (sapiens). Die Anlage der Bildtafel gleicht einem Wimmelbild: Um Maria mit dem Kind, die sich im Freien befindet, gruppieren sich ihr zu Füßen die Magier, hinter ihr Jünglinge, die man als Engel und als Mitglieder von Leonardos jugendlicher Equipe einordnen kann, links unterschiedliche Menschen, im Hintergrund eine Ruine, die gedeutet wird als der Palast Davids, den Jesus als Nachfolger Davids wieder aufrichtet. Auch auf der Treppe des Palasts befinden sich Menschen, Bauleute vielleicht, als Hinweis darauf, dass Jesus den Davidspalast wieder aufbauen wird. Es wurde angemerkt, dass Marias Ehemann Joseph entgegen der Tradition nicht auf dem Bild zu finden sei. Das führte zu freudianisch angehauchten Interpretationen über den fehlenden Vater eines unehelichen Kindes. Allerdings stimmt das nicht, denn bei näherem Hinsehen entdeckt man Joseph in dem alten Mann links hinter Maria. Er öffnet die Schale mit den Goldstücken. Nach der Legenda aurea schenkten die drei Weisen Maria Gold, Weihrauch und Myrrhe. Jacob de Voragine deutete die Geschenke in Anlehnung an den vierfachen Schriftsinn: Das Gold galt als Opfer für die Armut Mariens und stand für die Liebe Gottes, für die edle Gottheit selbst und für die Rute, die in der Bundeslade blühte, für die Auferstehung also; der Weihrauch wirkte 155

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gegen den Gestank des Stalls und galt wegen des Opfers als Verweis auf die Passion Christi, auf die andächtige Seele, in der sich aller Schatz Gottes befand; und Myrrhe stand dafür, des Kindes Glieder zu kräftigen, erinnert an ein Begräbnis, weil Jesus auch ein sterblicher Mensch war, an die Abtötung des Fleisches und verwies auf die Bezeichnung des reinen Leibes, weil sie vor Unreinheit schützt. Joseph schaut also in die Schale und scheint das Geld zu zählen, das Maria geschenkt bekam. Folglich befinden wir uns an der Stelle in der Geschichte, als Maria der Weihrauch überreicht wurde. Mit dem Überreichen des Weihrauchs, der an das Opfer und mithin an die Passion Christi erinnert, wurde die Beziehung zur Eucharistie hergestellt, was für ein Altarbild wünschenswert war. Der Zusammenhang zwischen Altar und Weihrauch reklamiert alle Evidenz für sich. Bedenkt man, dass die Figuren stark typisiert wurden, und achtet man auf verschiedene Zeigegesten – so auf den Stern und auf das göttliche Licht –, dann wird deutlich, dass Leonardo eine Geschichte erzählen will. Ästhetisch gesehen sind Erzählung und Bewegung die Themen des Bildes, genauer das Erzählen mittels Typen und Bewegungen. Für Leonardo wird die Bewegung der Körper zum narrativen Mittel im Bild. Da Figuren im Bild vieles können, sprechen aber nicht, bedürfen sie sprechender Bewegung. Die aussagekräftigste aller Bewegungen ist die Geste, worunter nicht die Tat, sondern das Tun zu verstehen ist. Und wie ein Autor um die beste Wendung und den perfekten Ausdruck ringt und das Manuskript immer wieder überarbeitet, Wörter und Sätze auswechselt, setzte Leonardo beim Malen immer wieder von Neuem an, verbesserte und überarbeitete. Die Besonderheit und Eigentümlichkeit seiner Arbeitsmethode, wie sie sich spätestens seit dem Ringen mit dem Hieronymus und der Anbetung manifestierte und von der er auch nicht mehr ablassen sollte, bestand darin, dass er keinen Entwurf umsetzte, sondern sich in einem Trial-and-Error-Verfahren bis zum gülti156

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Perspektivstudie zum Hintergrund der Anbetung der Heiligen Drei Könige 1481

gen Bild durchmalte. Diese Methode bedingte häufige Unterbrechungen, ständiges Räsonieren und Experimentieren. Einer Flut neuer Details und eine ungeheure Vielfalt an Bewegungen erobern den Bildraum der Anbetung, doch fügen sich die Figuren, die Ensembles, die Einzelheiten noch nicht zu einer einheitlichen Erzählung zusammen, stehen Details noch disparat da. So machen die vielen Pferde und die Reiter den Betrachter ratlos. Sie lassen sich als Gefolge der drei Weisen deuten. Doch ihr teils wildes Auftreten assoziiert den Kampf und wirkt wie ein gedanklicher, d. h. malerischer Vorgriff auf den AnghariKarton. Wenn Leonardo die mittelalterliche Legende kannte, die Frank Zöllner in seinem Leonardo-Buch erwähnt,134 wonach die drei Weisen verfeindet waren, auch gegeneinander kämpften und erst von Gott nach Bethlehem geführt Frieden schlossen, dann könnte das Thema der Anbetung der Frieden sein. Vor dem 157

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

Hintergrund der Pazzi-Verschwörung 1478, der Hinrichtung Bernardo di Bandino Baronicellos, die Leonardo in einer sehr zarten und deshalb so beeindruckenden Skizze gezeichnet hatte, den Gräueltaten in der Stadt, auch eingedenk der Tatsache, dass Bürger in der Verbannung lebten, besitzt der Gedanke, Leonardo habe in der Anbetung des Jesuskindes den Triumph des Lebens, den Triumph des Friedens erzählen wollen, einen eigenen Charme. Zumal das Dreikönigsfest, Epiphanias, in Florenz mit großen Umzügen gefeiert wurde und daher in der Öffentlichkeit sehr präsent war. Doch so sehr er sich auch bemühte, die Erzählung blieb disparat und sperrig, trotz aller Überarbeitung fügten sich die Details nicht zum Bild zusammen. Zudem hatte er nicht die geringste Vorstellung davon, wie lange er noch an dem Bild arbeiten würde. In all dieser Ungewissheit, den ästhetischen, den wissenschaftlichen, den handwerklichen Schwierigkeiten, ging ihm das Geld aus. Er sah sich genötigt, von den Mönchen Geld bzw. Naturalien wie Weizen, Brennholz und Wein zu leihen. Sie werden ihn wohl bei jeder Bitte mit der Forderung, rasch voranzukommen, traktiert und belästigt haben. Doch Leonardo zeigte sich unempfänglich für jeden Druck von außen. Das Kunstwerk musste stimmen, nur darum ging es. Giorgio Vasari, der diese Skrupel in der eigenen Malerei nicht empfand, erkannte das ungleich höhere Talent Leonardos. Denn er beschrieb es treffend: »Es war leicht ersichtlich, dass Leonardo aufgrund seines Verständnisses von Kunst viele Dinge begann und sie niemals zu Ende führte, weil ihm schien, dass er nur mit der Hand niemals die künstlerische Perfektion der Dinge würde erreichen können, die er sich vorstellte. In der Tat schuf er in seiner Vorstellung so feinsinnige und wunderbare Schwierigkeiten, dass seine Hände trotz all ihres Geschicks jene niemals hätten ausdrücken können.«135 158

9. Die Flucht

Die Kunst bestand für Vasari darin, Probleme zu lösen, nicht darin, sie hervorzubringen. Ein Blick auf Leonardos Hang, die Dinge schwierig zu machen, bestärkte den braven Vasari in seiner klugen Selbstbeschränkung. Wer nach dem Unmöglichen greift, wird am Ende nichts in der Hand halten. So urteilte der medio­ kre Künstler über den jungen Leonardo, in dem er einen Wesenszug des Genies erblickte: »Wirklich bewundernswert und göttlich war Leonardo, Sohn des Messer Piero da Vinci, und er hätte großen Gewinn in den lettere und ihren Prinzipien erzielen können, wäre er nicht derart wechselhaft und unbeständig gewesen. Dadurch kam es, dass er viele Dinge zu lernen begann und sie dann wieder aufgab.«136 Auf einem zusammengefalteten Blatt aus dieser Zeit, das leider nicht vollständig erhalten geblieben ist, finden sich aufschlussreiche Notizen. Leonardo hatte es sich ja zur Angewohnheit gemacht, auf Blättern, die er zusammenfaltete oder die er zu Notizbüchern band, Gedanken, Anmerkungen und Notate festzuhalten. Diese Notizen gewähren Einblick in seine Stim­mungslage, die jähe Schwankungen zwischen Fröhlichkeit und Melancholie kannte, und geben zudem Auskunft darüber, womit er sich gedanklich beschäftigte, als er mit der Arbeit an der Anbetung rang. Nicht von ungefähr hielt er ein Zitat aus den Episteln von Luigi Pulcis Bruder Luca fest, die die Liebe zum Thema hatten. Darin heißt es: »He, schätze mich nicht gering, ich bin nicht arm. Arm ist, wer zu viel begehrt. Wo werd ich Ruhe finden, Wo?«137 Diese Zeilen waren gedichtet im Modestil des soave foco, des sanften Feuers der Schwermut, und Leonardo empfand sich in der Tat nicht als arm, weil er viel, aber nicht zu viel begehrte an 159

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Wissen. Anders mochte es mit der Liebe aussehen: Umgeben von Jünglingen wurde nicht alles Schmachten erwidert, begehrte er denn doch hin und wieder zu viel und war so arm, war ruhelos ohnehin aus nicht versiegendem Begehren. Wie könnte es Ruhe im Begehren geben? Aber vornehmlich drücken diese Zeilen den Wunsch nach Wissen aus, dem Wissen von zweierlei: von dem, was die Welt, und von dem, wer er in ihr ist. Vielleicht war Leonardo tief in seiner Seele ein schüchterner Mensch, dessen Exaltationen nur die Schüchternheit verbargen und die Verletzlichkeit versteckten, hochsensibel war er auf alle Fälle und skrupulös, abhold dem Groben, allzu Groben, penibel in Hygiene und Reinlichkeit der Kleidung, eitel und bodenständig zugleich. Zwischen melancholischer Zurücknahme und theatralischen Auftritten schwankend, von den unterschiedlichen Talenten getrieben, verletzt von der Arroganz der Humanisten, wusste er sich dennoch souverän zu behaupten. Manches wirkte sehr leicht, was nur allzu schwer war. Die Leichtigkeit kostete ihn viel Anstrengung, die Anstrengungen führten in die seelische Erschöpfung und die wiederum in die Melancholie, in halbe Tage, die er, statt zu malen, »in Gedanken versunken zubrachte.«138 Stets ging es ihm hierbei um die Behauptung in der Nachwelt. Die Skrupel, denen Giorgio Vasari letztlich nur Unverständnis entgegenbrachte, ergaben sich aus dem Wissen, dass alles, was von ihm in der Welt bleiben würde, nur seine Werke waren. Wollte er als Pfuscher in die Geschichte ein­ gehen? Aber wie behauptet man sich in der Zeit, in Gegenwart und Nachwelt? Davon, dass ihn diese Probleme in einem tieferen existentiellen Sinne philosophisch beschäftigten, gibt dieses Blatt Auskunft mit Zitaten, die von der Zeit und der Vergänglichkeit handeln, auch von der Vergänglichkeit jeglicher Bemühung, von der tiefen Sorge der Vergeblichkeit. Er hatte das 31. Lebensjahr erreicht, ein Alter, in dem man einer florierenden Werkstatt vorzustehen und nicht mit einem 160

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selbstverschuldetem Desaster zu kämpfen hatte, an dem man im höheren Sinne keine Schuld trug. Denn im höheren Sinne stellten sich ihm andere Aufgaben, die von seinen Zeitgenossen nicht nur nicht gewürdigt, sondern als »ausgefallene Interessen« oder gar als Charakterschwäche gewertet wurden. »Er hatte viele ausgefallene Interessen und philosophierte über die natürlichen Phänomene, indem er die Eigenschaften der Pflanzen studierte und die Bewegungen der Himmelskörper, den Lauf des Mondes und der Sonne beobachtete.«139 Unter dem Zitat aus Luca Pulcis Werk Pistole finden sich Verse Petrarcas. Florentiner, der er war, kannte er seinen Dante und seinen Petrarca. Auf diesem Blatt nun – weithin bisher noch übersehen – ereignete sich etwas ganz und gar Sensationelles: die Inszenierung eines Dreiergesprächs auf höchster Ebene. Die nur bei oberflächlicher Sicht unscheinbaren Zeilen stammen aus Francesco Petrarcas Poem Trionfi di amore. In einem sehr viel tieferen Sinne korrespondieren die Trionfi mit Leonardos Scheitern, denn die »Trionfi als Werk« ist »die noch immer eindrucksvolle Ruine eines gescheiterten Projekts, das unter dem Anspruch einer Konstruktion poetischer Kohärenz stand. Zwar blieben die Trionfi in der poetischen Ausarbeitung oft hinter ihrem Anspruch weit zurück, gleichwohl ist ihr konzeptueller Entwurf von höchstem Interesse.«140 Von Leonardos Hieronymus und seiner Anbetung lässt sich Gleiches sagen. Dass Besondere an den Trionfi besteht in ihrer Frontstellung, in der Herausforderung Dantes, denn in dieser Dichtung warf Petrarca Dante den Fehdehandschuh zu. Der Reise durch die drei Welten stellte er den Triumphzug der Liebe entgegen, denn Petrarca begriff die Weltgeschichte nun als »endlose Folge von Liebesgeschichten.«141 Petrarcas Herausforderung ist nicht zu übersehen, er dichtete die Trionfi nicht wie üblich auf Latein, sondern bemühte sich um die toskanische Volkssprache, das Volgare, in dem Dantes Commedia gedichtet war. Und nicht genug damit, übernahm Petrarca für seine Dichtung auch das 161

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Versmaß der Commedia, die Terzine. Eindeutiger ging es nicht mehr, Dante auf seinem ureigenen Feld zu begegnen. Dantes Paradiso kontert Petrarca mit dem Sieg der Liebe über den Tod: »Und weil ich träumte von der Freiheit Leben, Ward meiner Seel, erregt durch groß Begehren, Im Hinblick auf Vergangenes Trost gegeben. Schnee ward in Glut ich, als ich nach so hehren Geistern im grausen Kerker sah zurücke; Ein langes Bild in kurzer Stunde Währen! Denn vorwärts geht der Fuß, rückwärts die Blicke.«142 Auf den Triumph der Liebe folgt der Triumph der Keuschheit, darauf der Triumph des Todes, danach der Triumph des Ruhmes und schließlich der Triumph der Ewigkeit – Leonardos Thema. Für Petrarca, und hierin folgte ihm Leonardo, war es der Ruhm, der den Tod besiegt, denn was bedeutet rechter Ruhm anderes als die Existenz in der Nachwelt, die Taten, von denen Mütter ihren Kindern, Dichtungen ihren Lesern, Gesänge ihren Zuhörern und Kunstwerke ihren Betrachtern künden? Zwar hatte das Fürchterliche, der Tod, triumphiert und der »Schönheit Licht« versiegte, doch wandte Petrarca seinen Blick in eine kleine Ferne, in die Vergangenheit. Und das Wunder geschah, die Kunde vergangener Taten öffnete die Gräber: »Rings sah den Himmel ich so heiter tagen, Dass trotz der Gluten, die mein Herz befingen, Mein Auge wie mit Blindheit war geschlagen. Die Stirn von Mut umstrahlet, viele gingen Der Hochberühmten da, darunter waren Manche, die erst ich sah in Amors Schlingen.«143 Die Liebe erst befähigte zur großen Tat, die wiederum, indem sie gerühmt wurde, den Tod besiegte, weil ihre Kunde sie lebendig hielt. Doch vermag der Ruhm zwar den Tod zu besiegen, so triumphiert aber letztlich die Zeit über den Ruhm. 162

9. Die Flucht

»Lasst von dem Wahn, o Jüngling, euch doch heilen, Die ihr mit breitem Zeitmaß euch betrüget.«144 Leonardo wusste, wie flüchtig der Ruhm war, wie schnell das Gepriesene vergessen und das Neue alt wurde. Auch deshalb zauderte er, denn nur die Wahrheit des Dargestellten, und zwar die zeitlose Wahrheit, hielt das Werk ewig jung. Nur wenn es diese Wahrheit enthielt, vermochte es zu seiner wie zu allen Zeiten zu sprechen. Man erkennt daran, wie delikat Leonardos Zweifel und Skrupel waren. Petrarca nannte aus gleichem Grunde den Ruhm den zweiten Tod: »Vor ihm kann, wie vorm ersten, nichts bewahren. So siegt die Zeit ob Welt und Ruhmes Gleißen.«145 All die Triumphe, die weltlich sind, vergehen und überdauern nicht, so dass die Vergänglichkeit, die Zeit, ihre Aufhebung erst in der Endlichkeit findet. Denn für Petrarca triumphiert die Ewigkeit über die Zeit und daher kommt er zu der Einsicht: »Eitles Denken! Oft in wenigen Stunden zergeht, was du gehäuft in Jahren. Was unsre Seele drückt und hält gebunden, Früh, Abend, Gestern, Morgen, Eh und Eben, Wie Schatten sind im Nu sie all entschwunden.«146 Die fünf Triumphe auf Erden, der Triumph Amors, der Triumph der Keuschheit, der Triumph des Todes, der Triumph des Ruhmes und der Triumph der Zeit, vergehen und werden durch die Ewigkeit besiegt, deshalb bleibt nur, die Ewigkeit zu schauen: »Wenn glücklich war, der sie gesehn auf Erden, Wie wird er’s sein, sieht er sie dann dort oben.«147 In dieser neuen Welt, in der Ewigkeit, wird das von der Zeit Vernichtete seine Schönheit zurückbekommen. Leonardo seinerseits konnte der Ewigkeit im Sinne Petrarcas nicht viel abgewin163

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nen, für ihn stellte sich die Nachwelt dar als Überwindung der Zeit mittels des wahren Ruhmes, der nur aus der Wahrhaftigkeit des Erkannten und Geschaffenen kommen kann. Wie Dante selbst zum Subjekt seiner Dichtung wurde und als Reisender die Drei-Welten Inferno, Purgatorio und Paradiso erlebte, so machte sich auch Petrarca zum Protagonisten seines Poems, indem er sich in die Triumphzüge einreihte. Und hierin folgte ihm erstaunlicherweise Leonardo, indem er auf diesem Blatt nach Pulcis Versen Petrarca zitierte: »Nicht mehr lang, und du wirst es wissen, erwidere ich, für dich selbst nicht mehr lang.«148 Aber Leonardo zitierte nicht einfach, sondern er trat nun wie Petrarca in den Dialog mit Dante seinerseits ins Gespräch mit Petrarca ein – und dadurch mittelbar mit Dante, denn auch Leonardo war ein Reisender, ein Suchender. Wenn der Dichter der Trionfi mit dem Vers Amor fragt: »›Wer sind die Leute hier doch? Sag es gütig!‹ ›In kurzer Frist wirst du es selbst dir sagen‹«, versetzt er drauf, »und unter ihnen gehen, Und, eh du’s meinst, dieselben Fesseln tragen.«149, so erinnert das an Dante, dem Vergil antwortete: »Drum denk ich und erwäg zu deinem Heil, dass du mir folgst; ich will dein Führer sein, geleiten dich von hier durch ewigen Raum.«150 Der Vers leitet die große Reise ein, eine Reise, die auch Leonardo anzutreten gewillt war, allerdings nicht im Jenseits wie Dante, nicht durch das Reich der Allegorien wie Petrarca, sondern in die Tiefe der Wirklichkeit, um das, was den Sinnen verschlossen scheint, zu erkennen und darzustellen. Bemerkenswert ist, dass Leonardo im Niederschreiben – bewusst oder unbewusst – den Vers veränderte: Er fragt keine andere Person, weder Vergil, 164

9. Die Flucht

noch Amor, sondern nur und einzig sich selbst: »Nicht mehr lang, und du wirst wissen, erwidere ich …« Aus Petrarcas rispose, was sowohl antwortet er oder versetzt er heißt, wurde Leonardos risposi: antworte ich. Leonardo musste für sich entscheiden, selbst die Antworten finden auf Fragen, die ihm niemand beantwortete. Es würde nicht mehr lange dauern, denn er kam den Antworten näher. Für Petrarca bedeutete der Triumph des Amor, dass er die Fesseln der Liebe tragen wird, für Leonardo waren es die Fesseln der Zeit, das Wissen, wie schnell alles vergeht, wie schnell der Tod kommen kann. Dieses Memento mori beschäftigte ihn, wie die Skizze des Gehenkten verrät, wie es in den nachfolgenden Zeilen auf dem Blatt zum Ausdruck kommt. Spielerisch versuchte er ein paar Zeilen aus Ovids Metamorphosen zu übersetzen. Die Lektüre der Metamorphosen war eigentlich für einen Maler unerlässlich, wollte er nicht ganz den Humanisten ausgeliefert sein, die das Bildprogramm des Gemäldes oder des Festumzuges entwarfen. Denn dieses Buch benutzte das Spiel mit der Mythologie, die Wiederentdeckung der Welt der Alten zum Zwecke der Erneuerung und zum Verständnis der eigenen Welt. Für die Benutzung von Verweisen, Zitaten, Anspielungen und Allegorien in der Malerei und bei den Festumzügen und Festen dieser Zeit diente Ovids Werk als bewährte Quelle. In den beiden Übersetzungsversuchen aus dem Dreizehnten und dem Fünfzehnten Buch der Metamorphosen sind wieder die Zeit und die Vergänglichkeit das Thema, Vergänglichkeit aber im Sinne des Laufes des Lebens, dessen, was Leonardo bald zu wissen hofft. Die Zeit siegt über den Ruhm, indem sie alles vergehen lässt, wie Petrarca in den Trionfi dargestellt hatte. Leonardo denkt über Ovids Bild von der Zeit als »Verzehrerin aller Dinge«, vom Alter, das alles »Sichtbare« verzehrt, nach. In dieser Zeit, in der Leonardo die Übersetzungsübungen anstellte und den Versuch startete, näher an Ovids Gedanken heranzu165

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

kommen und sich mit ihm direkt auseinanderzusetzen, malte er den Hieronymus, aber auch die drei Weisen als Greise. Er wütete geradezu gegen das Alter, wenn er schrieb: »O neidisches Alter, du verbrauchst, zerstörst und verdirbst das Sichtbare, und ihr verbraucht alles.« Bei Ovid erfolgt zunächst die Darstellung, wie das Alter auch vor der schönen Helena nicht haltmachte. Bei Leonardo erblickt sie im Spiegel »die welken Falten …, die ihr Gesicht durch das Altern bekommen hatte, [da] weint sie und fragt sich, warum sie zweimal geraubt wurde.«151 Bei Ovid »weint auch Helena, hat sie im Spiegel die Runzeln der Greisin entdeckt und fragt sich warum, sie wohl zweimal geraubt wurde. Zeit, die alle Dinge verzehrt, und du, neidisches Alter, alles zerstört ihr, benagt es mit eurem Zahn und lasst es allmählich in langsamem Tode hinsterben!«152 Während Ovid die Lehre der vergehenden und verzehrenden Zeit aus der Helena-Episode zieht, rahmt Leonardo die Helena-Episode ein mit der Klage darüber. Für ihn ist die verzehrende Zeit kein Resultat, sondern ein Fakt, den er verstehen will. Sein Übersetzungsversuch ist mehr als eine Sprachspielerei, es ist in Wahrheit die Übersetzung des Ovidschen Gedankens in sein Denken. Seltsamerweise leitet Leonardo die Reflexionen über die Vergänglichkeit ein mit Ajax’ Klage über Odysseus: Zwischen Odysseus und Ajax brach der Streit über die Waffen des toten Achill aus, die sowohl Ajax als auch Odysseus für sich beanspruchte. Im Grunde wirft Ajax dem König von Ithaka Feigheit vor, dass Worte und Intrigen seine Taten seien und nicht der Kampf Mann gegen Mann, und fordert ihn zum Zweikampf heraus. »Aber mir liegt das Reden ebenso fern wie ihm das Handeln, und so stark, wie ich im grimmigen Krieg und in der Feldschlacht bin, so stark ist er im Sprechen. Doch glaube ich nicht, dass ich euch meine Taten zu berichten brauche, Pelasger; denn ihr habt sie gesehen. Lasst Ulixes die seinen erzählen, bei denen er keine Zeugen hat und deren Mitwisserin die Nacht ist.«153 Bei Leonardo wird daraus: 166

9. Die Flucht

»O Griechen, ich glaube nicht, dass ich euch meine Taten erzählen muss, denn ihr habt sie gesehen. Odysseus erzähle die seinen, denn er handelte ohne Zeugen, nur die dunkle Nacht weiß, was er tat.«154 Dieser Klage schloss sich das Lamento über die Zeit an. Denn was auch immer geschah – die Zeit nahm es hinweg: Von Ajax und Odysseus bleiben nur Geschichten. Ob man die vita activa oder die vita contemplativa wählte, die Zeit würde alles zerstören. Das konnte man an Helena, dem Grund des Krieges, sehen: Auch sie wurde ein Opfer der Vergänglichkeit. Ganz gleich, wie der Streit um Achills Waffen ausginge, es würde verschlungen von der Zeit. Und Helena, einst von Paris geraubt, würde dem Räuber Zeit, der alle holt, nicht entgehen können. Wie die Zeit in Hieronymus wirkte, so auch in den alten Weisen der Anbetung, alles, alles würde sie hinwegnehmen. Dem Drang des Forschers Leonardo stellte sich immer wieder die Melancholie entgegen, dass alle Mühe am Ende vergeblich sei, ob die Taten wohl von allen gesehen würden oder ob sie heimlich in dunkler Nacht vollbracht wurden. Nur eines stand fest, das sagt dieses Blatt aus: Leonardo begriff das Leben als eine Reise durch die Zeit. So wie Dante, so wie Petrarca bereit zur Wanderschaft waren, so auch Leonardo, wie er es in dem jungen Mann am rechten Rand der Anbetung darstellte. Um in der Malerei weiterzukommen, würde er forschen müssen. In Florenz hatte er alle Unterstützung eingebüßt. In dieser Situation dürfte es ein Glücksfall gewesen sein, dass Bernardo Rucellai die Hieronymus-Tafel in Auftrag gegeben hatte, ein Bild des Hausheiligen der Humanisten für den Humanisten. Im Auftrag Lorenzos rüstete Bernardo Rucellai zu einer Gesandtschaft nach Mailand an den Hof Ludovico Sforzas, um die Bande zwischen Florenz und Mailand, die sich lockerten, wieder fester zu ziehen. Da am Hof il Moros, wie Ludovico genannt 167

Kapitel 1: Vinci und Florenz (1452–1482)

wurde, große Künstler und Humanisten lebten und es auch eine kleine, aber einflussreiche Kolonie der Florentiner gab, zeigte sich die lombardische Metropole als die ideale Alternative für einen Neuanfang. An den beiden Tafeln wollte Leonardo weiterarbeiten. Die Anbetung gab er Giovanni de Benci, dem Bruder Ginevras, in treue Verwahrung, den Hieronymus führte er mit sich. Auch das spricht dafür, dass er sich im Gefolge Bernardo Rucellais befand, denn es hätte wahrlich nicht gut ausgesehen, die Tafel, die von ihm beauftragt worden war, in Florenz zurückzulassen. Leonardo reiste mit großem Gepäck und noch größeren Hoffnungen.

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KAPITEL 2:

MAILAND (1482–1499)

10. Bei Hofe

Für Leonardo stand inzwischen fest, dass die Art seines Arbeitens und die Vielzahl seiner Interessen nicht mit der Florentinischen Auftragsarbeit zusammenpassten. Denn was er benötigte, waren Zeit, eine weitgehende Unabhängigkeit von Lieferterminen und die finanzielle Absicherung seiner zeitraubenden Forschungen. In einem Gedicht, das der Dichter Bernardo Bellincioni Lorenzo de’ Medicis Mutter Lucrezia Tornabuoni widmete, nannte er den Humanisten und Freund Lorenzos Piero da San Miniato, Bernardo Rucellai, Leonardo und sich selbst in einem Atemzug und deutete an, dass sie in Fiesole eine Übereinkunft geschlossen hätten. Es scheint, als habe man für Leonardo nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation gesucht. Dem Künstler und Forscher musste ein neuer Wirkungskreis erschlossen werden, und nach Lage der Dinge benötigte Leonardo eine Anstellung als Hofkünstler an einem glänzenden und reichen Hof mit einem freigiebigen Fürsten als Mäzen, der seinem Künstler die notwendige Freiheit ließ. Man muss sich ins Gedächtnis rufen, dass Lorenzo de’ Medici zwar über Florenz herrschte und dort die Künste und die Wissenschaft förderte. Doch er hielt sich keinen Hof, an dem Künstler mit einem Jahressalär angestellt worden wären, sondern sie wurden nach Beauftragung bezahlt. Das Patronagesystem eines Fürstenhofes gewährte einem Künstler hingegen größere Freiheit, weil er sich relativ unabhängig von der Auftragslage seinem Schaffen widmen durfte. Zur Auswahl standen der Hof des Papstes in Rom, der Hof der Gonzaga in Mantua, der Hof der Este in Ferrara und Ludovico Sforzas Hof in Mailand. Rom kam aus mehreren Gründen nicht in Frage, zumal ja im Vatikan auf Empfehlung Lorenzos gerade eine Gruppe der besten Maler aus Florenz arbeitete. Aber auch in Mantua und in Ferrara würden sich die Dinge 171

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

eher schwierig gestalten. Ganz anders sah es in Mailand aus. Der Hof der Sforzas hatte sich zum Treffpunkt von Künstlern, Philosophen, Schriftstellern und Wissenschaftlern entwickelt und leuchtete weit über die Lombardei hinaus. Als Leonardo in die Stadt einfuhr oder einritt – er galt als hervorragender Reiter –, dienten dort Donato Bramante, der später als Architekt am Neubau des Petersdomes wirken sollte, als erster Baumeister und der Florentiner Ambrogio di Predis als Hofmaler für »il Moro«. Donato stammte aus der kleinen Stadt Fermignano und hatte seine Lehre zum Baumeister und Maler an dem bedeutenden, aber immer ein wenig unterschätzten Renaissancehof in Urbino in den Marken absolviert. Der Herr von Urbino, Federigo da Montefeltro, presste das Geld für seinen prachtvollen Palazzo Ducale und für sein Mäzenatentum nicht seinen Untertanen ab, sondern verdiente es, indem er als Condottiere, als Söldnerführer, tätig war. Zeitweilig stand er in Diensten der Arnostadt, später im Dienst des Papstes. Federigo hatte seine Residenz in Urbino zu einem Musenhof gemacht. Dort erlebte der junge Donato den Niederländer Paolo da Middelburg, der auch Federigos Astrologe war und mit Marsilio Ficino in Verbindung stand, den deutschen Mathematiker Jacob von Speyer, Leon Battista Alberti und Francesco di Giorgio. Bei Piero della Francesca ging er in die Lehre und womöglich lernte er Luca Pacioli hier kennen.155 Ambrogio di Predis entstammte einer Florentiner Malerfamilie und betrieb mit seinem Bruder Evangelista eine gutgehende Bottega im Mailänder Pfarrsprengel San Vincenzo in Prato intus, also innerhalb der Stadtmauern. Obwohl man einen wachsenden Markt bediente, befanden sich die Predis in einem harten Konkurrenzkampf, denn außer Donato Bramante, der auch als Maler tätig war, arbeiteten in Mailand so hervorragende Meister wie Vincenzo Foppa, der aus Padua stammte. Er vertrat eher den venezianischen Stil und erinnerte an Bellini; beeinflusst wurde er immer stärker von Andrea Mantegna. Vincenzo Foppas Vormachtstellung auf dem Mailänder Markt ging 172

10. Bei Hofe

so weit, dass er die Mailänder Schule gründete – den Mailänder Stil, der erst durch Leonardos Wirken an Bedeutung verlor. Er hatte einen wunderschönen und berührenden lesenden Cicero als Kind gemalt: vielleicht ein Kinderporträt von Gian Galleazo Sforza, dem unter Kuratel gehaltenen Neffen von il Moro. Auch Ambrogio di Predis porträtierte Gian Galleazo, dessen Leben kürzer als sein Name sein sollte, denn erverstarb im Alter von 25 Jahren möglicherweise an einer Vergiftung, wie manche glaubten. Doch auch ein Ambrogio da Fossano, genannt il Bergognone, schuf beachtliche Bilder in Mailand, zum Beispiel das Kuppelfresco für die Kirche San Simpliciano und für die Basilika von Sant Ambrogio einen beeindruckenden auferstandenen Christus. Und da war auch Bernardo Zenale, der gemeinsam mit Bernardino Butinone, mit dem er häufig kooperierte, das Leben des heiligen Ambrosius in der Kirche San Pietro in Gessate freskierte. Um sich gegen diese Konkurrenz durchzusetzen, konnten di Predis einen so talentierter Maler wie Leonardo – mit allerdings etwas derangierten Ruf – nur ausgesprochen willkommen gewesen sein. Mit seinen ca. 120 000 Einwohnern war Mailand dreimal so groß wie Florenz. Ludovico il Moro Sforza, der Herr der Lombardei, spürte die Begehrlichkeiten des französischen Königs im Nacken. Letzterer glaubte ein Anrecht auf Mailand zu haben, weil der letzte Visconti-Herrscher seine Tochter mit einem Spross der Orleans verheiratet hatte, einer Seitenlinie des französischen Königshauses. Zudem drohte ein Krieg mit Venedig. Ein außergewöhnlicher und erfindungsreicher Militäringenieur dürfte dem Herrscher mithin willkommen gewesen sein. Auch leistete sich die Geschichte eine ihrer zahllosen Ironien: Leonardos Lehrmeister Andrea del Verrocchio war 1481 nach Venedig gegangen, um für die Serenissima ein großes Reiterstandbild des Heerführers Bartolomeo Colleoni als Machtdemonstration der Lagunenrepublik zu schaffen, und Leonardo hoffte auf einen ähnlichen Auftrag mit gleichem Ziel in Mailand. Als Vor173

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

bild diente sowohl für Leonardo wie auch für Andrea das Reiterstandbild des Gattamala in Padua, das Andreas Lehrer Donatello zwischen 1447 und 1453 geschaffen hatte. Sollten etwa Andrea und Leonardo, Lehrer und Schüler, in einer Art Propagandakrieg die Machtsymbole der verfeindeten Kräfte schaffen? Es war bekannt, dass il Moro, dessen nur allzu junge Dynastie der Reputation bedurfte, sich mit dem Gedanken trug, ein Reiterstandbild zu Ehren seines Vaters Francesco Sforza, der 1450 die Herrschaft über Mailand errungen hatte, in Auftrag zu geben. Nach dem Tod des letzten Visconti-Herrschers, den Francesco Sforza mit seiner vom Vater geerbten Söldnertruppe in einem früheren Krieg gegen Venedig unterstützt hatte, wurde in Mailand die Ambrosianische Republik ausgerufen, die Francesco Sforza jedoch nicht ernst nahm. Am 25. März 1450 zog er im Triumphzug in Mailand ein und versetzte der Republik damit den Todesstoß. Er ging mit Cosimo de’ Medici ein sehr enges Bündnis ein und seine Herrschaft wurde im Frieden von Lodi 1454 von Venedig und anderen Herrschern in Italien anerkannt. Francescos Sohn Galeazzo Maria folgte ihm in der Herrschaft, dessen Bruder Ascanio Sforza wurde Kardinal in Rom und Ludovico wartete noch auf seine Stunde. Die brach an, als Galeazzo Maria bereits 1476 in einem Hagel aus Messerstichen starb. Manche vermuten auch, dass er von seinem Bruder Ludovico vergiftet wurde. Für dessen siebenjährigen Sohn übernahm Ludovico nun die Regentschaft. Leonardo jedenfalls war fest entschlossen, an Ludovicos glanzvollem Hof Karriere zu machen. Wie man es auch betrachtet, Mailand scheint als neue Wirkungsstätte für Leonardo ideal gewesen zu sein. Das alles weist darauf hin, dass jenes Einverständnis – der Plan, auf den Bellincioni in seinem Gedicht anspielte – durchaus darin bestanden haben könnte, Leonardo bei Hof in Mailand einzuführen. Denn schließlich erwies es sich als notwendig, Leonardo einen neuen Wirkungskreis zu erschließen. Der Vierte im Bunde, Bellincioni selbst, sollte übrigens 1485 174

10. Bei Hofe

ebenfalls nach Mailand kommen, nachdem er sich 1483 erst einmal nach Mantua an den Hof der Gonzagas begeben hatte. Die Umstände erwiesen sich als sehr günstig. Nicht nur, dass in Mailand für einen wie Leonardo Bedarf bestand und dass mit der Werkstatt der de Predis ein Ableger der Florentiner Bottega in der lombardischen Metropole Fuß gefasst hatte, sondern am 10. Dezember 1481 wurde auch Bernardo Ruccelai gemeinsam mit Pierfrancesco San Miniato zum Gesandten der Arnostadt ernannt. Mitten im Winter, am 7. Februar 1482, brach Bernardo Ruccelai mit Pierfrancesco von Florenz nach Mailand auf. Höchstwahrscheinlich befand sich Leonardo da Vinci mit dem Musiker Atalante Migliorotti sowie seinem Gehilfen und Freund Tommaso Masini, alias Zoroaster, im Gefolge der Botschafter.156 Drei Wochen dauerte die Reise. Sie war mit Unerquicklichkeiten verbunden, vor allem mit der Übernachtung in Herbergen, die Scharen an Ungeziefern Kost und Logis gewährten. All die Wanzen und Flöhe stürzten sich mit infernalischem Heißhunger auf die Übernachtenden, die sich in den Betten im oft fauligen Stroh wälzten. Manchem machte das nichts aus, doch jemandem wie Leonardo, der peinlich auf Sauberkeit und Hygiene achtete, dürften diese Unterkünfte wie Herbergen des Teufels vorgekommen sein. Aber das Ziel, so hoffte Leonardo, sollte der Anstrengung wert sein. Am 23. Februar erreichte die Gesandtschaft vom Süden her die Hauptstadt der Lombardei und fand sich mitten in den Lustbarkeiten des Ambrosianischen Karnevals wieder. Man hätte also den Zeitpunkt der Ankunft nicht besser wählen können. Inmitten der Ausgelassenheit, der sich Stadt und Hof in lasziven Verkleidungen, Aufzügen und Festen ganz und gar hingaben, präsentierte sich Leonardo erfolgreich als Musiker und spielte mit seiner Lyra bei Hofe auf. So machte er Ludovico il Moro auf sich aufmerksam, der noch nicht wirklich Herzog war, sondern die Stadt für seinen minderjährigen Neffen so regierte, als ob er es schon wäre. 175

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Sie waren eines Alters, der Herr der Lombardei und der toskanische Maler, beide erblickten sie 1452 das Licht der Welt. Der Annonimo Gaddiano berichtete deshalb vollkommen glaubwürdig über Leonardos Auftritt: »Er war redegewandt und Lyraspieler, was damals selten war, und er war darin der Lehrer von Atalante Migliorotti …«157 Dass Leonardo von Lorenzo in diplomatischer Mission gesandt wurde und deshalb il Moro mit seinem Lyraspiel erfreuen sollte, wie Vasari es annahm, ist wenig wahrscheinlich. Denn der ungekrönte Herrscher von Florenz und der Maler aus dem Städtchen Vinci, der zudem seine Auftraggeber bitter enttäuscht hatte, wie jeder am Arno wusste, pflegten ein distanziertes Verhältnis. Warum sollte Leonardo für die Mailänder Mission, die sehr wichtig war, geeigneter sein als für jene nach Rom, für die il Magnifico ihn nicht ausgewählt hatte? Dass er sich einfach im Gefolge Bernardo Rucellais befand, mit dem ihn einiges verband, wirkt um vieles glaubwürdiger. Dass Vasari, wenn er seine Schlussfolgerung auch zu weit trieb, nicht gänzlich fehlging, übersieht nur derjenige, der dem Maler-Biographen ständig einen intriganten Zug in seiner Darstellung unterstellt. Wo Ungenauigkeit aufgrund der Quellenlage waltet, herrscht noch lange keine böse Absicht. Was durch Vasaris Darstellung durchschimmert, ist vielmehr die Kapitulation vor dem Genie, das mangelnde Verständnis. Mit seiner Ratlosigkeit angesichts von Leonardos Weite und Vielfalt der Themen, mit denen er sich beschäftigte, stand Giorgio Vasari in seiner Zeit nicht allein. So schrieb der feingebildete Baldassare Castiglione, der Freund Raffaels – von dem er auch meisterhaft porträtiert wurde – in seinem Furore machenden Il Libro del Cortegiano (Buch vom Hofmann): »Einer unter den ersten Malern der Welt verachtet die Kunst, in der er einzigartig ist, und beginnt, Philosophie zu treiben; in ihr hat er so seltsame Begriffe und neuartige Hirngespinste, dass er sie mit seiner ganzen Malerei nicht darzustellen vermöchte.«158 176

10. Bei Hofe

Der Kollege und Konkurrent Filippino Lippi, der uneheliche Sohn des Maler-Mönches Fra Filippo Lippi – der einstmals als Waise ins Kloster kam und es nicht mehr verließ, außer um Filippino zu zeugen – übernahm nun den Auftrag, für die Mönche von San Donato in Scopeto das Altarbild mit der Anbetung der Könige zu malen. Es wurde ein sehr schönes Bild, doch wenn man Leonardos Entwurf kennt, dann lieferte Filippino im Vergleich dazu eine Arbeit ab, die nicht ohne konventionelle Langeweile war; auch die drei Weisen vertraten wie gewohnt verschiedene Altersstufen. Hin und wieder wurde insinuiert, dass Filippino den Auftrag für die Bernhardstafel ebenfalls übernommen hätte, doch Filippino malte Die Vision des Heiligen Bernhard von Clairvaux im Auftrag des Tuchhändlers Francesco del Pugliese für die Chiesa della Badia und nicht für den Palazzo Vecchio. Auch Pietro Perugino schuf in diesen Jahren eine Vision des Heiligen Bernhard von Clairvaux im Auftrag von Bernardo und Filippo di Luttozzo Nasi für die Familienkapelle in der Kirche Santa Maria Maddalena di Castello. Beide ähnelten Leonardos Arbeiten im Umgang mit der zentralperspektivischen Konstruktion und in den Handgesten, besonders dem Zeigegestus der Maria, wenngleich sie sich nicht aus dem Konventionellen zu befreien vermochten und ihnen Leonardos Virtuosität und halsbrecherische Gewagtheit abgingen. Ob ein Wagen mit den Habseligkeiten des Malers ihm hinterherpolterte oder ob er später folgte, wird wohl nie zu klären sein. Aber eine von den vielen Listen, die Leonardo verfasste und sicher verwahrte, illustriert, was er unter anderem von Florenz nach Mailand mitführte: »Viele nach der Natur gemalte Blumen Ein Lockenkopf von vorne Einige heilige Hieronymusse Die Maße einer Figur Zeichnungen zu Öfchen (unter dem Brennkolben) Ein Kopf des Herzogs 177

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Viele Zeichnungen von Gruppen 4 Zeichnungen der Tafel von Santo Angiolo Eine Geschichte des Hieronymus von Figline Ein Christuskopf, mit der Feder gezeichnet 8 hl. Sebastiane Viele Kompositionen von Engeln Ein Chalcedon Ein Kopf im Profil mit schöner Haartracht Bestimmte Körper perspektivisch Bestimmte Instrumente für Schiffe Bestimmte Wassergeräte Ein Kopf, Portrait des Atalante, der sein Gesicht nach oben wandte Die Hieronymusköpfe aus Figline Der Kopf von Gian Francesco Bosso Viele Brüste von alten Frauen Viele Köpfe von alten Männern Viele ganze Akte Viele Beine, Arme, Füße in bestimmten Haltungen Eine vollendete Madonna Eine andere, fast vollendete, im Profil Der Kopf einer Madonna, die zum Himmel auffährt Der Kopf eines alten Mannes mit langem Kinn Der Kopf einer Zigeunerin Ein Kopf mit Hut Reliefzeichnung einer Passionsgeschichte Ein Mädchenkopf mit zusammengebundenen Zöpfen Ein Kopf mit einer Haartracht«159 Immer wieder steht die Frage im Raum, wovon Leonardo lebte. Der Vater unterstützte ihn spätestens seit der Geburt der Halbgeschwister nicht mehr. Bei den Mönchen von San Donato musste er borgen und Aufträge führte er nicht aus. Es findet sich in der Tat keine befriedigende Antwort auf diese Frage, aber die 178

10. Bei Hofe

Umzugsliste belegt eine bereits geäußerte Annahme: Weder die heiligen Sebastiane noch die Tafel von Sant Angelo tauchen auf. Um die Herausbildung von Leonardos Arbeitsweise zu verstehen, »muss man sich also immer wieder die enorme Verlustrate vor Augen halten. Doch selbst die erhaltenen Blätter sind oft nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt überliefert«, wie Johannes Nathan und Frank Zöllner zu Recht zur Vorsicht mahnen160 und wie auch diese Liste dokumentiert. Selbst wenn es naheliegt, so existiert doch kein Beweis dafür, dass mit der vollendeten Madonna in der Liste die Madonna Benois gemeint war. Leonardo, zumindest seine Werkstatt, dürfte auch Gebrauchsware hergestellt haben, einfache und daher preiswerte Madonnenbilder, Heiligenbilder aller Art, für die ein großer Bedarf bestand, und die Geldbeutel besaßen nun einmal verschiedene Größen. Die Liste weist Leonardo überdies als jemanden aus, der sich für naturwissenschaftliche und technische Fragen interessierte, da er Instrumente und Geräte mitführte. Außerdem beschäftigten ihn weiterhin die Fragen der Perspektive. Es wirkt wie ein Rückblick auf seine jugendliche Suche, wenn er im Malerei-Traktat notierte, als schriebe er über sich: »Der junge Maler muss die Perspektive lernen, dann die Maße aller Dinge, dann muss er bei einem guten Meister in die Lehre gehen, um sich an gute Körperformen zu gewöhnen, dann bei der Natur, um sich die Gründe dessen, was er gelernt hat, einzuprägen, dann eine Zeitlang die Werke aus der Hand verschiedener Meister betrachten, dann sich daran gewöhnen, alles in die Tat umzusetzen und selbst die Kunst auszuüben.«161 Bei der Anbetung, die er in der Obhut von Giovanni di Benci in Florenz zurückließ, war er an seine Grenzen gestoßen, die er nicht zu akzeptierten gedachte. »Denke daran, den Fehler auszubessern, den du in deinem Werk … entdeckst, auf dass du, wenn du das Werk der Öffentlichkeit übergibst, nicht zugleich mit ihm deine Unzulänglichkeit preisgibst. Und suche nicht nach Aus­ 179

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

reden vor dir selbst … Aber wenn du deine Studien treibst und deine Werke fein ausarbeitest und dabei die zwei Perspektiven bedenkst, dann wirst du Werke hinterlassen, die dir mehr Ehre machen werden als das Geld, denn dieses ehrt nur sich selbst, und nicht den, der es besitzt, denn du wirst immer ein Magnet für den Neid und eine gefüllte Truhe für die Diebe sein … Viel größeren Ruhm schenkt den Sterblichen ihre Leistung als ihre Schätze.«162 Er hatte nicht vor, den Hieronymus oder die Anbetung unvollendet zu lassen, aber er wollte sie nur vollendet, also ohne Fehler, der Öffentlichkeit übergeben. So arbeitete er noch weit über die Darstellung der Schlacht von Anghari hinaus an dem perspektivischen Problem der Reiterschlacht, wie er es in der Anbetung aufwarf, und zwar ein Leben lang. An den Studien zu Figurenkonstellationen, die der Arbeit an der Anbetung zugeordnet werden, wird deutlich, wie Leonardo komplizierte Themen in grundsätzlicher Weise formulierte und sie durch immer neue Skizzen zu Idealtypen entwickelte, um so die Sprache der Malerei zu erweitern. Später notierte er im Malerei-Traktat: »Der gute Maler soll zwei wichtige Dinge malen, nämlich den Menschen und die Absicht seines Geistes. Das erste ist leicht, das zweite ist schwer, denn es muss mit der Darstellung der Gesten und Gliedmaßen erreicht werden.«163 Unter den Studien, die mit der Anbetung in Verbindung stehen, findet sich auch eine aufregende Perspektivstudie (siehe Seite 157). Deutlich erkennt man am Gitternetz, womit Leonardo das Bild zur Hälfte überzog und ein Raster schuf, wie sehr er sich mit mathematischen und geometrischen Verfahren beschäftigte. Sobald er mit seinem musikalischen Auftritt im wahrsten Sinne des Wortes das Ohr il Moros gefunden hatte, wollte er sich, die Gunst der Stunde nutzend, dem Herrscher als Militäringenieur empfehlen. Das Bewerbungsschreiben, das nicht von seiner Hand stammte und an dem, wie es der Stil nahelegt, 180

10. Bei Hofe

mit Hilfe höfisch versierter Männer gearbeitet wurde, zeigt, dass Leonardo sich dem Sforza als Militäringenieur, als Erfinder von Kriegsmaschinen, als Architekt und dann erst als Maler andiente. Am Schluss des Schreibens warf er fast beiläufig die Angel aus nach dem Auftrag, ein Reiterdenkmal zu errichten. Doch schrieb er nicht vom Reiterdenkmal, sondern vom »Bronzepferd …, das dem seligen Andenken Eures Herrn Vaters und dem glorreichen Haus Sforza zu unsterblichen Ruhm und immerwährender Ehre gereichen wird«.164 In dieser Formulierung blitzt Leonardos Selbstvertrauen auf, das die Dreistigkeit getrost in Kauf nimmt, denn nicht Francesco Sforza, nicht der Reiter interessiert den Künstler am meisten, sondern das Bronzepferd. Leonardo, der von Pferden besessen war und als hervorragender Reiter galt, versprach il Moro, ein Bronzepferd zu schaffen, das dem Herrscher und seiner Dynastie »unsterblichen Ruhm und immerwährende Ehre« einbringe. Unter den Studien für die Anbetung befinden sich immer neue Versuche, Pferde in Bewegung zu zeigen, so auch auf der erwähnten Proportionsstudie. Vergleicht man die Anbetung mit der erwähnten Proportionsstudie, bekommt man eine Ahnung von Leonardos Gründlichkeit und Besessenheit bezüglich der stimmigen Details. Denn die beiden ins Nichts führenden Treppen der Palastruine, die in der Studie so ausführlich bedacht und so exakt konstruiert werden, sind lediglich für den Hintergrund vorgesehen. Allerdings ist es erzähltechnisch auch der Hintergrund, vor dem sich die Geschichte abspielt und ohne den sie – zumindest für Leonardo – nicht zu verstehen ist. Im Gegensatz zur heutigen Zeit waren die Standardsituationen wie Geburt Jesu, Anbetung, Verkündigung, Kreuzigung, Bethlehemitischer Kindermord, Taufe Jesu, Hinrichtung Johannes des Täufers, aber auch die Viten der wichtigsten Heiligen wie des heiligen Bernhard, des heiligen Sebastian, der heiligen Barbara etc. den Menschen in allen Details bekannt. Sie hörten in der Kirche immer wieder davon und der Zweck der Bilder bestand darin, dieses Wissen bildkräftig zu 181

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

unterstützen. Das Motiv überraschte nicht, die erwünschte Novität bestand in der Darstellungsweise, die bei Leonardo durchaus die Dimension der Darstellung in Richtung einer eigenen Erzählung überschreiten konnte. Dies geschah nicht nur in den Bilderzyklen, die der Öffentlichkeit in den Fresken Geschichten in einer Art Comic ohne Sprechblasen vorführten, wie es Giotto bereits in Assisi mit dem Leben des heiligen Franziskus so eindrucksvoll gelang. Leonardo ging weiter, indem er auch aus einer Standardsituation oder aus einem Porträt eine Erzählung

Sichelwagen um 1483-1485, Feder und Tinte

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10. Bei Hofe

machte, wie in der Madonna Benois oder dem Porträt der Ginevra de Benci. Leonardo setzte die Malerei in seiner Bewerbung aber an die letzte Stelle, denn ihm ging es vor allem und zuallererst darum, als »Meister und Hersteller von Kriegsinstrumenten«, als Erfinder engagiert zu werden. Er stellte »Ew. Exzellenz« in Aussicht, ihm seine »Geheimnisse« anzuvertrauen und »zu gegebener Zeit zur Verfügung« zu stellen »in der Hoffnung, alles, was im folgenden kurz aufgezeichnet ist, möge zur Wirkung kommen«165. Was Leonardo als »Geheimnisse« auflistete und zu konstruieren und zu bauen anbot, hatte es in sich, denn es handelte sich um unbrennbare und unzerstörbare transportable Brücken, um Bombarden, die viele kleine Steine enthalten und den Feind durch eine gigantische Rauchentwicklung erschrecken, unverletzliche Streitwagen, um Wurfmaschinen und Schleudern. Als Kriegsarchitekt versprach er, bei der Belagerung, das Wasser aus den Wehrgräben zu lassen, Brücken, Rammböcke und Leitern herzustellen. Er schlägt Techniken zum Minieren von Wehranlagen vor und Instrumente für Schiffe zum Angriff und zur Verteidigung auf hoher See zu konstruieren. Zwar war Mailand eine Landmacht, doch hatte Leonardo Mailands Feind Venedig im Blick. So beinhalten neun Punkte des Bewerbungsschreibens Vorschläge, als Militäringenieur tätig zu werden, und nur der zehnte spricht von »Friedenszeiten«, für die Leonardo anbietet, als Architekt öffentliche und private Bauten zu errichten und sich um Be- und Entwässerungsprojekte zu kümmern. Schließlich empfiehlt er sich noch als Maler und Bildhauer und bietet an, allen Zweiflern in il Moros Park eine Probe seines Könnens zu geben.166 Da Leonardo auch diesen Text aufbewahrt hat, wurde häufig gerätselt, ob dieses Empfehlungsschreiben seinen Empfänger erreichte. Eines stimmt beim Betrachten nachdenklich: Die Nummer 9 befindet sich zwischen den Punkten 4 und 5, so dass sich 183

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Mechanismus zur Abwehr von Sturmleitern, um 1480, Feder und Tinte über schwarzer Kreide

folgende Reihenfolge der Aufzählung ergibt: 1, 2, 3, 4, 9, 5, 6, 7, 8 und 10. Der Punkt 9 behandelt die Frage der Kriegsschiffe, die aus der Aufzählung, in der es um den Landkrieg geht, herausfällt und so besser erst am Ende angeführt würde. Der Text – auch sein Stil – wirkt nicht wie ein Bewerbungsschreiben, sondern wie eine Bewerbungsrede, die Leonardo auswendig gelernt 184

10. Bei Hofe

und il Moro vorgetragen hat. Die Nummerierung der Aufzählung wurde nachträglich vorgenommen und ordnete die Frage des Seekriegs ans Ende, um so zu einer größeren Geschlossenheit der Vorschläge zu kommen. Im Stil des Textes ist der rhetorische Duktus nicht zu übersehen. Leonardo kannte seine Stärke, im direkten Gespräch Menschen überzeugen und bezaubern zu können. Giorgio Vasari erzählte in seiner Vita Leonardos: »Unter all diesen Modellen und Zeichnungen war ein Entwurf, mit dem er einigen sachverständigen Bürgern, die zu dieser Zeit Florenz regierten, mehrfach sein Vorhaben demonstrierte, die Taufkirche des Heiligen Johannes anzuheben und, ohne sie zu zerstören, auf einen stufigen Unterbau zu setzen. Seine Argumente waren so überzeugend, dass es ihnen tatsächlich möglich schien, auch wenn sie, nachdem er gegangen war, jeder für sich die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens erkannten. Er war sehr angenehm in der Unterhaltung, so dass er die Herzen der Menschen für sich einnahm, und obgleich er, wie man wohl sagen darf, nichts besaß und nur wenig arbeitete, hielt er sich beständig Bedienstete und vor allem Pferde.«167 Unter »wenig arbeitete« verbirgt sich allerdings »wenig fertigstellte«, denn in Ansehung der abertausenden von Skizzen und Zeichnungen kann man davon ausgehen, dass Leonardo extrem fleißig war. Wenn Vasari zu Recht Leonardos Beredsamkeit lobt, so bestätigt das im Nachhinein, dass der Maler die für den Hofmann (Cortegiano) so wichtige Kunst der Beredsamkeit oder Eloquentia beherrschte, wie sie von Baldassare Castiglione in seinem Buch Il Cortegiani als Voraussetzung gerühmt wurde, um bei Hofe sein zu können. Deshalb befand Leonardo sich am Hof zu Mailand am rechten Ort. Genauso richtig war es, dass er sich nicht als Maler vorstellte, sondern als der, der er war: als ein Universalgenie, wie es auch andere für sich in Anspruch nah185

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

men, wie Donato Bramante, der sich ebenfalls als Militäringenieur und Architekt einführte, um von vornherein einen gehobenen stato anzuvisieren. Nicht als Maler-Handwerker, sondern als in die Genie-Künste Eingeweihter trat er auf. Weder prahlte Leonardo noch stapelte er hoch noch agierte er aufgrund eines falschen Selbstbildes, wie häufig unterstellt wurde, sondern er stellte sich in der Rede vor Lodovico il Moro als der vor, der er war. Die Beobachtung der Natur des Lebens besaß für ihn Vorrang, ihre Geheimnisse suchte er zu erkennen, gleichfalls trieb es ihn dazu, wie ein Besessener der Mechanik Erfindungen in den verschiedenen Bereichen hervorzubringen. So blieben auch Skizzen und Konstruktionszeichnungen von Vorrichtungen und Maschinen aus den 1470er-Jahren aus Florenz erhalten. In seiner Bewerbungsrede vor dem Herrscher von Mailand brachte Leonardo da Vinci in schönster Reinheit und Klarheit das universale Prinzip der Bottega Verrocchios zum Ausdruck. Ein Detail ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert. Dass Rucellais Mission Absprachen bezüglich des erwarteten Krieges mit Venedig zum Inhalt hatte, geht auch aus einem Bericht des Gesandten hervor, den er kurz nach seiner Ankunft gleich Anfang März nach Florenz schickte und in dem vom Ausbau der Festung bei Casalmaggiore die Rede ist, einem Städtchen unweit von Cremona, an der Grenze zwischen Venedig und Mailand gelegen. Befand sich Leonardo im Gefolge, dürfte er als Fachmann an den Gesprächen teilgenommen haben. Bernardo Rucellai handelte nicht ganz utilitaristisch, als er Leonardo mitnahm, sondern besaß einen kundigen Ratgeber. Es war immerhin möglich, dass Leonardo aufgrund der Gespräche zu einer Bewerbungsrede aufgefordert werden würde. Von Anfang an könnte so der in Fiesole geschmiedete Plan, das »Einverständnis«, ausgesehen haben. Leonardo jedenfalls war in Mailand angekommen und wurde von il Moro beachtet. Obwohl der vorsichtige Herrscher von Mailand ihn nicht gleich zum Kriegsingenieur und Architekten 186

11. Was ist Majestät

ernannte, denn er verfügte über bewährte Männer wie Donato Bramante, der später der Militäringenieur und Kriegsarchitekt des kriegerischen Papstes Julius II. werden sollte, spielte er dem vielversprechenden Maler aus Florenz doch einen nicht unbedeutenden Auftrag zu, um ihn auf die Probe zu stellen, einen Auftrag, der übrigens noch dazu den überzeugenden Charme besaß, dass andere das Probestück zu bezahlen hatten.

11. Was ist Majestät

Die Kirche San Francesco Grande war nach dem Dom das größte Gotteshaus Mailands, bis man sie schließlich im Jahr 1807 abriss, um der Garibaldi-Kaserne Platz zu machen, die man zu bauen beabsichtigte. In den Städten wurden im Mittelalter religiöse Laienbruderschaften gegründet, deren Ziel darin bestand, »ihre« Kirche zu erhalten, sie auszuschmücken und sich um ein reiches religiöses Leben zu kümmern. Manche dieser Bruderschaften galten als exklusiv, weil ihnen die reichsten Bürger angehörten. Natürlich ging es in den Laienbruderschaften nicht nur um Fragen des Glaubens, sondern man stimmte sich auch in politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht ab, um die eigenen Interessen zu wahren. Man kannte sich, man tat etwas für das Seelenheil und für die Allgemeinheit, ohne darüber sich selbst zu vergessen. In der Chiesa di San Francesco Grande wirkte auch die Confraternita dell’Immacolata Concezione (Bruderschaft von der Unbefleckten Empfängnis) – und ihr gehörten die nobelsten Persönlichkeiten der Mailänder Bürgerschaft an. Die unbefleckte Empfängnis Mariens war eines der Herzensthemen der Franziskaner und zählte zu den immer wiederkehrenden An187

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

lässen heftiger theologischer Auseinandersetzungen mit den Dominikanern. Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte, wie widersprüchlich diese Auseinandersetzungen verliefen, denn beispielsweise hat der Ordensgeneral und Hausheilige der Franziskaner, Bonaventura da Bagnoregio, den 8. Dezember als Ordensfesttag der Unbefleckten Empfängnis (immaculata conceptio) eingeführt, andererseits existieren auch Äußerungen Bonaventuras, die es bei vordergründiger Betrachtung erlauben, ihn in die Reihe der Gegner der immaculata conceptio zu stellen, zu denen auch Thomas von Aquino gehört. Das ging so weit, dass Bonaventura in der dominikanischen Streitschrift Liber recollectorius auctoritatum de veritate conceptionis beate virginis sogar als Kronzeuge gegen die immaculata conceptio aufgerufen wurde. Die theologische Position für die unbefleckte Empfängnis formulierte der franziskanische Gelehrte Ioannes Duns Scotus, den man auch wegen der Feingeistigkeit seiner Argumentation den Doctor subtilis und wegen seines Eintretens für die immaculata conceptio den Doctor marianus nannte. Die große und vor allem ständig weiter wachsende Marienverehrung des hohen und späten Mittelalters warf immer neue Fragen auf. Wenn alle Menschen von der Erbsünde betroffen sind und erst durch Tod und Auferstehung Christi erlöst werden, wie steht es dann um die Sündhaftigkeit der Maria? Duns Scotus bezog sich auf die Praeredemptio (Vorerlösung). Aufgrund der vorausgreifenden Erlösung wurde Maria des Sohnes wegen in die ursprüngliche Gottesgemeinschaft, wie sie vor dem Sündenfall existierte, hineingeboren und vor der Einwirkung der Erbsünde bewahrt. Gegen diese Position machten die Dominikaner Front mit dem Argument, dass Christus die Erlösung für alle brachte, und nähme man nun Maria durch die Praeredemptio von der Erlösungsbedürftigkeit aus, so schmälerte man Christi Heilstat und ließe sie als überflüssig erscheinen, denn was Gott an einem Menschen getan hat, könne er auch für alle tun. Es ist hier nicht 188

11. Was ist Majestät

der Ort, der verwickelten, teils äußerst grob und demagogisch, teils höchst subtil geführten Diskussion nachzugehen, nur wird man kaum die Besonderheit der Beauftragung Leonardos begreifen, wenn man die speziellen, geradezu heftigen Umstände nicht versteht. Die Franziskaner empfanden den 1477 erschienenen Liber recollectorius auctoritatum de veritate conceptionis beate virginis Mariae des Dominikanermönches und Inquisitors Vincenzo Bandello – seines Zeichens Onkel des fürderhin berühmten Novellenautors Matteo Bandello, dem William Shakespeare die Geschichte von Romeo und Julia verdankte – als Angriff auf ihre Lehre von der immaculata conceptio und mithin auf ihre Marienfrömmigkeit, die plötzlich im Licht der Ketzerei erschien. Mit dem Onkel und seinem Neffen sollte Leonardo übrigens noch direkt zu tun bekommen. Um die Wogen des Streites zu glätten, veranstaltete Papst Sixtus IV. in Rom eine öffentliche Disputation zu dieser Frage, in der Vincenzo Bandello für die Dominikanerbrüder und Franciscus Insuber für die Franziskanerbrüder auftrat. Die Disputation ging aus wie das Hornberger Schießen, denn beide Seiten reklamierten den Sieg anschließend für sich. Der Papst selbst befand sich in einer etwas unglücklichen Situation, denn als Franziskaner neigte er der immaculata conceptio zu, doch durfte er als Pontifex nicht den Eindruck der Parteilichkeit erwecken. So rettete er sich auf die Position, dass es sich hierbei um eine noch unentschiedene Frage handele und deshalb die Kontrahenten kein Recht dazu besäßen, den jeweils anderen zum Häretiker zu erklären. Ein wenig nahm der Papst dann doch Partei, denn er approbierte ein Officium und eine Messe zur Ehren Mariä Empfängnis mit der Bulle Cum praecelsa und gewährte einen Ablass. Drei Jahre später wurde mit dem päpstlichen Breve Libenter das Officium des Franziskaners Bernardino de Busti gebilligt. Damit wurde die franziskanische Lehre, ohne dass sie als verbindlich erklärt wurde, doch entscheidend gestützt und die Dominikaner wurden in ihrer Argumentation eingeengt. 189

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Dass Vincenzo im Kloster der Dominikaner in Mailand lebte und seine wirkungsvolle Kampfschrift auch in der lombardischen Metropole erschien, forderte die Franziskaner der Stadt in besonderer Weise heraus. Die Confraternita dell’Immacolata Concezione bekam nun eine Kapelle in der Kirche San Francesco Grande, die sie reich auszugestalten und mit einem höchst kunstvollen Marienaltar zu schmücken gedachte. Man antwortete auf das Wort mit dem Bild. 1477 wurde das Gewölbe der Kapelle freskiert und 1480 begann der Bildschnitzer Giacomo del Maino mit der Anfertigung eines mit reichem Schnitzwerk versehenem Altarretabels, zu dem auch ein Kultbild gehörte, eine Holzskulptur der Maria mit Kind, die spätestens 1482 mit einer sehr wertvollen Perlenkette geschmückt wurde. Der Zeitpunkt der Kapellengestaltung war weder rein zufällig noch ohne vehemente propagandistische Absicht gewählt. Nun benötigte man für das Altarbild einen Maler, der ein außergewöhnliches Bild zu schaffen in der Lage war. In diesen Zeiten gehörte die öffentliche Präsentation eines großen Bildwerkes eines bekannten Malers zu den großen gesellschaftlichen Ereignissen, über die gesprochen und geschrieben wurde. Vor allem, wenn es in einer so aufgeladenen Atmosphäre stattfand. Denn Fragen des Glaubens, stärker noch die des Seelenheils, blieben nicht den Studierstuben der Doctores der Theologie vorbehalten, sondern wurden von Buß- und Volkspredigern auf die Marktplätze gebracht und somit Gegenstand des öffentlichen Streits – auch im Volk. Die streitbaren Predigerbrüder hatten mitnichten vor, den Kampf aufzugeben. Vincenzo Bandello trat 1481 auf einer öffentlichen Disputation zu dieser Frage in Ferrara auf, die der Herzog von Ferrara und Modena Ercole d’ Este nach der Fastenzeit veranstaltete. Gegen den Dominikaner trat der Franziskaner Bartolomeo da Feltre an. Das Volk stand auf Seiten der Franziskaner, auch weil ihre Marienfrömmigkeit letztlich volkstümlicher war. Tumultartige Szenen spielten sich ab unter den Rufen des aufgebrachten Volkes: »Die 190

11. Was ist Majestät

Jungfrau ist vom heiligen Geist empfangen und nicht durch das Blut Christi erlöst worden«, weshalb Ercole sich gezwungen sah, die Disputation schleunigst in den Palast zu verlegen, um die Wut des Volkes nicht noch weiter anzustacheln.168 In dieser Atmosphäre schlossen am 25. April 1483 die Laienbrüder der Confraternita dell’Immacolata Concezione mit »dem Herrn Meister Leonardo da Vinci, Florentiner und Sohn des Herrn Piero, und mit den Brüdern Evangelista und Johannes Ambrosius de Predis, Söhne des verstorbenen Herrn Leonardo, wohnhaft an der Porta Ticinensis« einen Vertrag über die Anfertigung eines dreiteiligen Altarbildes, zudem hatten die Maler den geschnitzten Altarrahmen von Giacomo del Maino zu vergolden. Aus dem Vertrag geht hervor, dass die Laienbrüder Leonardo für die wichtigste Person hielten, der auch das Mittelbild zu malen hatte, während Ambrogio das rechte und linke Seitenbild anfertigten sollte und Evangelista für die Vergoldung der Schnitzereien zuständig war. Als Termin der Fertigstellung wurde der 8. Dezember 1484 festgelegt, eben der franziskanische Feiertag der Unbefleckten Empfängnis.169 Auch dieses Datum belegt die propagandistische Absicht der Confraternita. Es kann also keine Rede davon sein, dass es sich um einen unbedeutenden Auftrag handelte. Hätte das Kultbild nicht in einer Nische über den Mittelbild Platz gefunden, dann wäre Leonardos Madonna dessen Deckelbild, das an allen Tagen des Jahres am Altar zu sehen war, außer am Feiertag der Unbefleckten Empfängnis, dem 8. Dezember, wenn es heruntergefahren wurde, um das Kultbild an diesem einen Tag für jeden sichtbar zu machen. Für ihre Arbeit und für die Farben erhielten die Künstler 800 Lire. Am 1. Mai 1483 wurde ihnen vertragsgemäß ein Abschlag von 100 Lire ausbezahlt und ab Juli 1483 eine monatliche Auszahlung von 40 Lire vorgenommen. Im Dezember 1484 hatten Leonardo, Ambrogio und Evangelista fast das gesamte vereinbarte Honorar erhalten, doch sah der Vertrag noch eine Bonuszahlung vor, deren Höhe 191

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

aber die Bruderschaft allein festzulegen hatte, ohne dass den Malern ein Mitsprachrecht eingeräumt worden wäre. So zahlte die Bruderschafft schließlich 100 Lire, was die Maler als zu gering erachteten und nun ihrerseits 400 Lire forderten. Aus dieser Diskrepanz sollte sich ein Rechtsstreit entwickeln, der sich über 20 Jahre hinzog. Leonardo und die de Predis-Brüder klagten zu Recht darüber, dass die Kosten für die Anfertigung fast das gesamte Honorar verschlangen, so dass ihnen kaum ein Arbeitslohn übrigblieb. Eine Eingabe bei il Moro verlief allerdings ergebnislos. Im Dezember 1484 scheint das Bild – für Leonardo höchst ungewöhnlich – pünktlich fertiggestellt worden zu sein. Doch ab hier beginnen die Rätsel um Leonardos Bild, das unter dem Titel Die Felsengrottenmadonna in die Kunstgeschichte einging. Es existieren nämlich zwei Gemälde, das ältere befindet sich heute im Louvre in Paris und die Kopie, die am 8. August oder am 23. Oktober 1508 an die Laienbrüder geliefert wurde, in der National Gallery in London. An der vom Original in mehrfacher Hinsicht abweichenden Kopie hat Leonardo nicht mitgearbeitet, sondern sie dürfte der Zusammenarbeit von Ambrogio de Predis mit Leonardos Schüler Marco d’Oggiono entstammen. In diesem Zusammenhang ist die Drohung der Künstler interessant, dass ein anderer Kunde sich für das Bild interessiere, der auch eine höhere Kaufsumme biete. Warum sollte das aber die Laienbrüder beeindrucken? Sie besaßen das Altarbild ja bereits. Und warum sollten sie sich damit einverstanden erklärt haben, das Bildes gegen eine Kopie einzutauschen, wenn nicht Ludovico il Moro Sforza der Käufer gewesen wäre? Die Eingabe der Künstler an il Moro erfolgte 1491/92. Über eine Reaktion des Herrschers von Mailand ist nichts bekannt. Aber alles deutet darauf hin, dass il Moro Leonardos Felsengrottenmadonna erhielt, dass Ambrogio und Marco d’Oggiono die Kopie für den Altar der Laienbrüder anfertigten und sich hierbei 192

11. Was ist Majestät

auf einige Wünsche der Auftraggeber einließen, die Leonardo in seiner Fassung ignoriert hatte. Erst in der zweiten Fassung bekamen die Heiligen ihre Glorien, die die Laienbrüder vermutlich schon in der ersten Fassung recht gern gesehen hätten. Vieles war jetzt klarer, eindeutiger und leider auch uninteressanter gemalt.­ Man ging und geht davon aus, dass il Moro das Bild Kaiser Maximilian I. schenkte, als er seine Nichte Bianca Maria am 30. November 1493 mit ihm verheiratete, um sich des Beistands des Kaiserhauses zu versichern. Möglich ist aber auch, dass il Moro sich das Bild, das ihm ausnehmend gut gefiel, um 1485 geben ließ, um es in der Kirche San Gottardo nahe dem Palast aufzustellen, und dass der französische König Ludwig XII. das Bild requirierte, als er 1499 Mailand einnahm, und es mit nach Paris nahm, wo es sich seither befindet.170 Il Moro hatte die Anfertigung des Bildes vermittelt, weil er an dem florentinischen Maler interessiert war und ihn zunächst prüfen wollte – und Leonardo wusste das. Il Moro brachte schließlich das Kunstwerk in seinen Besitz, denn Leonardo war ein Meisterwerk von bestechender Anmut und großer Majestät gelungen. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass der eigensinnige Meister die Vorgaben der Confraternita recht frei auslegte oder einfach ignorierte. So sollte das Kleid der Madonna mit Goldbrokat und Ultramarinblau gemalt werden. Ultramarinblau und Gold aber waren die mit Abstand teuersten Farben – und der Wert eines Bildes bemaß sich eben nicht nur nach ästhetischen Kategorien, sondern auch daran, wie viel an edlen Farben benutzt worden war, denn die Goldfarbe wurde tatsächlich aus Gold und Ultramarinblau aus zerstoßenem Lapislazuli gewonnen. Vom geforderten Rot des Kleides fand sich auf dem Bild nichts, auch Gottvater und Engel im Plural sucht man vergebens. Stattdessen zieht ein unverlangter Johannesknabe die Blicke auf sich. Die vier musizierenden Engel reduzierten sich auf den beiden Seitenbildern von Ambrogio di Predis auf zwei, 193

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Studie einer Hand um 1483, schwarze Kreide gehöht mit Weiß auf dunkelgrau präpariertem Papier

jeweils links und rechts einen. Dennoch dürften die Laienbrüder mehr als zufrieden gewesen sein, denn es wäre für sie ein Leichtes gewesen, im folgenden Rechtsstreit die Nichteinhaltung der Vertragsvorgaben als Ursache für die geringe Bonuszahlung ins Feld zu führen. Sie hatten auch allen Grund dazu, zufrieden zu sein, denn sie erhielten ein Meisterwerk, das sogar ihre Position im Streit um die Immaculata Conceptio aufnahm und sie so wirkungsvoll wie subtil vertrat. Die Geschichte, die Leonardo erzählte, geht von einer Episode aus, die sich nicht im Evangelium findet, sondern im Protoevangelium des Jacobus angedeutet und in mittelalterlichen Legenden ausgemalt und verbreitet wurde und sich einer hohen Beliebtheit erfreute. Auf der Flucht nach Ägypten sollen 194

11. Was ist Majestät

sich der Legende nach Johannes der Täufer und Jesus getroffen haben. Mit der stetig wachsenden Verehrung der Maria im hohen und späten Mittelalter kamen auch die Eltern der Gottesmutter in den Blick der Erzähler, Prediger und Theologen. Maria benötigte eine eigene Biographie, die Legende für Legende, Volkspredigt für Volkspredigt erfunden wurde. Marias Mutter, die heilige Anna, die sich in den Evangelien nicht findet, erlebte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen stupenden Beliebtheitszuwachs. 1481 nahm Papst Sixtus IV. den Gedenktag der heiligen Anna in den römischen Kalender auf. In Mitteldeutschland avancierte die heilige Anna zur Schutzpatronin der Bergleute und zur Lieblingsheiligen Kaiser Maximilians und des jungen Martin Luthers. Mit der heiligen Anna bekam Jesus eine Großmutter und plötzlich ein Familienleben – ein Ausdruck der Verbürgerlichung des Lebens. Ähnlich erging es Johannes. Aus der Legenda aurea erfährt man, dass Joachim Anna zum Weibe nahm, deren Tochter Maria war. Doch Anna besaß eine Schwester namens Hismeria, die zur Mutter Elisabeths wurde, die wiederum Zacharias zum Manne nahm, von dem sie Johannes den Täufer empfing. Mithin wären Maria und Elisabeth Cousinen und Jesus und Johannes der Täufer, die Kinder der Cousinen, wären Cousins zweiten Grades. Und so heißt es in der Legenda: »Hier sollen wir merken, dass die Kirche drei Geburten feiert: die Geburt des Herrn, Marien Geburt und die Geburt Johannis des Täufers. Diese drei bezeichnen uns drei geistliche Geburten: mit Johannes werden wir geboren im Wasser, mit Marien in der Buße, mit Christo in der Glorie.«171 Sieht man vom Engel ab, finden sich genau diese drei Personen auf Leonardos Bild, Jesus, Maria und Johannes, die drei, deren Geburt gefeiert wurde. Leonardos Bild erzählt auf mehreren Ebenen und vielleicht ist es sinnvoll, sie einzeln zu betrachten. Da wäre zunächst die äußere, die propagandistische Ebene in den Blick zu nehmen. Der Johannesknabe betet Jesus im großen, im vollständigen 195

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Glauben an. Die Legenda aurea beginnt die Vita des heiligen Franziskus, des Ordensgründers der Franziskaner, mit dem Hinweis, dass er zuvor Johannes genannt wurde – und in der Tat erfreute sich Johannes der Täufer im Franziskanerorden einer großen Beliebtheit. So wusste jeder zeitgenössische Betrachter, dass der Johannesknabe für den Franziskanerorden stand, der sich in Leonardos Darstellung als treu im Glauben an Christus erwies. Und wahrlich, der Jesusknabe segnet mit einer unverkennbaren Geste seiner kleinen Hand Johannes und somit auch den Orden der Franziskaner. Aber damit ist es längst noch nicht genug. Maria umfasst schützend mit ihrer rechten Hand Johannes an Schulter und Nacken. Maria selbst schützt also den Orden, der in rechter Weise über sie denkt, der die immaculata conceptio und damit die Sündenfreiheit der Gottesmutter vertritt. Doch Leonardo wäre nicht Leonardo, wenn ihm nicht darüber hinaus eine weitere Botschaft von höchster Subtilität gelänge. Denn indem die Hand der Maria Johannes umfängt, fällt auch ein Teil ihres Mantels auf Johannes, berührt ihn und erinnert so an die Schutzmantelmadonna, ein beliebtes Motiv, das oft eine überlebensgroße Maria zeigt, eine Riesin im Vergleich zu den kleinen Menschen, die den Mantel aufschlägt, unter dem sich die Schutzsuchenden versammeln. Eine der schönsten und eindrucksvollsten Schutzmantelmadonnen ist die von Piero della Francesca. Die Bildidee geht auf den mittelalterlichen Rechtsbrauch zurück, nach dem Schutz gewährt werden kann, wenn die betreffende Person mit dem Mantel des Schutzgewährenden bedeckt wird. Die mittelalterliche Rechtspraxis war von hoher Zeichenhaftigkeit, wovon sich noch heute bildhafte Ausdrücke in der Sprache wiederfinden, wie »unter den Mantel flüchten«. Da aber die übergroße Madonna als Mutter auch ein Bild für die Mutter Kirche war, garantierte die Kirche den Schutz. Bei Leonardo wurde die Schutzfunktion der Madonna, die sie bildlich mit ihrem Mantel spendet, auf ein Symbol oder Zitat reduziert, doch sie wurde in der Aussage, dass 196

11. Was ist Majestät

die Kirche den Franziskanerorden und dessen Ansichten über die unbefleckte Empfängnis bestätigt, gutheißt und schützt, nicht verkleinert. Nachdem Leonardo das verdeutlicht und, wenn man so will, den Fakt dargestellt hatte, wandte er sich überdies unmittelbar an den Betrachter, und zwar durch die Gestalt, die schon immer der Mittler zwischen Gott und den Menschen, immer schon Gottes Bote war: den Engel. Denn der Engel auf Leonardos Bild blickt direkt zum Betrachter und weist mit einer Geste seines geradezu botticellihaft überlangen Fingers auf Johannes, als wolle er sagen: Schau dir die Franziskaner an, welch treue Gottesdiener sie sind, wie sehr sie Christus anbeten – und wie sehr das Wohlgefallen und der Schutz Mariens auf ihnen ruht. An dieser Stelle wird einer von mehreren, sogar wesentlichen Unterschieden zur Kopie von Ambrogio de Predis und Marco d’Oggiono deutlich, die unpräziser, allgemeiner, beliebiger ist. Denn der Engel der Kopie bzw. der zweiten Fassung schaut in sich gekehrt vor sich hin und nimmt keinen Kontakt mehr zum Betrachter auf, wodurch die politische Aussage entschärft wurde, die nun nach mehr als anderthalb Jahrzehnten nicht mehr so wichtig war. Fast gewinnt man den Eindruck, dass die Hauptperson des Bildes der kleine Johannes ist. Auf ihm ruht das meiste Licht, das von Maria auf ihn übergeht. Auf theologischer Ebene wird deutlich, dass Maria, die in ihren blauen Mantel gehüllt in der Bildmitte sitzt, die Himmelskönigin ist, die stella maris, die Johannes schützt und Jesus alle Kraft gibt, zu der sie als Mutter fähig ist. Denn die Geste ihrer über Jesus schwebenden Hand erinnert an das Handauflegen als Geste des Segens und der Vollmacht, als wolle sie ihn schützen und bewahren vor dem, was kommen wird, vor der Passion, vor der Geißelung und dem Tod am Kreuz, der von dem aufwallenden roten Mantel des Engels angekündigt wird. Geht man davon aus, dass Leonardo Linkshänder war und von rechts nach links schrieb, so muss man das Altarbild auch 197

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

von rechts nach links lesen. Der kleine Jesus ist auf zweifache Weise bedroht, einmal sitzt er direkt an der Abbruchkante des Felsens, vor der er in die Tiefe stürzen könnte – und auch würde, wie jedes Kind in diesem Alter –, wenn er sich nicht mit der linken Hand abstützte und vom Engel geschützt würde. Zwischen ihm und der sich aufbauschenden Passion steht nur der Engel und die Kraft der segnenden und schützenden und beschwörenden Hand der Mutter, die heilig und heilend ist und deren apotropäische Kraft man in der meisterhaften Zeichnung spüren kann. Man muss sich die Hand einmal im Detail ansehen, um zu verstehen, wie viel geistige Kraft in der Geste dieser Hand steckt, die sich wie eine Schutzhaube über das Jesuskind streckt und in den letzten Fingergliedern beugt. Von ihr geht ein mächtiger Zauber aus, vielleicht der mächtigste der Welt, die ganze Liebe, die ganze Macht, die ganze Kraft der Mutter, die sie für ihr Kind aufbringt. Was sich in der Geste ausdrückt, ist die Liebe der Mutter, Mutterliebe als vielleicht das tiefste Mysterium der Welt, von dem selbst der Engel ergriffen ist. Man vergleiche die Hand Mariens, die von Leonardo gemalt wurde, und die Hand der Gottesmutter in der Kopie, dann wird der Unterschied augenfällig, denn Leonardos Hand ist kräftig und grazil zugleich, sie ist beseelt, voller Mutterliebe. Die Hand in der Kopie ist männlich, grob und will nicht recht zur zarten Gottesmutter passen, die allgemeiner, bereits stärker entrückt wirkt, wie auch der Engel. Zwischen beiden Fassungen der Felsengrottenmadonna wird der Unterschied zwischen Darstellung und Erzählung sichtbar, zwischen dem, was Leonardo unter den beiden Aspekten fasste, die der Maler zusammenbringen muss: das, was er sieht, und das, was er denkt. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass die Grotte auch ein Pendant zu Christi Geburt in einer Grotte, in einer Höhle und nicht im Stall, wie es alternativ erzählt wurde, darstellt, dass die schroffen Felsformationen ein Symbol für Christi Wunden, für die Aufgerissenheit von Haut und Fleisch darstel198

11. Was ist Majestät

len, dass die Blumen am Boden der Grotte sowohl für das Leben und die Auferstehung, aber in Gestalt der Kreuzblumen auch für die Passion stehen. Im Protoevangelium des Jacobus wird von der Höhle gesprochen, zu der die drei Magier kommen, um das Jesuskind anzubeten. Es heißt dort: »Elisabeth aber, als sie hörte, dass Johannes gesucht werde, nahm diesen und stieg hinauf ins Gebirge. Und sie blickte umher, wo sie ihn verbergen könnte, und es gab keinen Ort zum Versteck. Und Elisabeth seufzte und sprach: ›Berg Gottes, nimm mich, die Mutter, mit dem Kind auf.‹ Denn Elisabeth konnte nicht (weiter) hinaufsteigen vor Angst. Und alsbald spaltete sich der Berg und nahm sie auf. Und jener Berg ließ für sie ein Licht durchschimmern; ein Engel des Herrn war nämlich mit ihnen und behütete sie.«172 Auf Leonardos Bild sieht man eine zerklüftete Berglandschaft, einen gespaltenen Berg, Licht, das durch einen Spalt schimmert, und den Engel des Herrn, eine Mutter mit dem Kind und einem zweiten Kind. Die Situation, die Leonardo malte, wäre mit der Beschreibung des Protoevangeliums identisch, wenn nicht statt der Elisabeth Maria und zudem auch Jesus auf dem Bild erscheinen würden. Joseph fehlt, der eigentlich bei der Flucht anwesend ist, und Zacharias, der Mann der Elisabeth und Vater des Johannes. Der floh nicht mit, sondern wurde laut Jacobus von den Häschern des Herodes erschlagen, weil er seinen Sohn nicht verriet. Sicher ist: Die Grotte zeigt sich als Ort der Zuflucht, als Refugium der Ruhe inmitten einer unruhigen Welt, als eine Stätte, an der sich etwas findet, was in der ganzen Welt nicht entdeckt werden kann – das Momentum von Gottes Frieden. In dem gesamten Bild warnen viele Hinweise vor Gefahr, bleibt das Asyl bedroht, doch für den Augenblick existiert dieser Frieden. Wie schon in der Verkündigung wurde der Faltenwurf des Gewandes beim Bauch mit leuchtendem Gold hervorgehoben: der Ort der Mutterschaft. Auf einer sehr persönlichen Ebene schuf Leonardo ein Bild der jungen Mutter, und vielleicht war es ihm auch darum zu tun. Denn Maria schützt beide Kinder, das eigene wie 199

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

das fremde, als Mutter ist sie Elisabeth und Maria zugleich. Wie alle große Kunst ist die Altartafel mehrdeutig, doch ich sehe in ihr vor allem ein Bild mütterlicher Liebe und Fürsorge in einer den Menschen permanent bedrohenden Welt. Auf der persönlichen Ebene hat das Bild nicht Abgeschiedenheit zum Thema, sondern die Liebe der Mutter, wie sie auch nicht am Ende der Welt, hoch oben im kargen Gebirge, endet. Wer vermag schon Auskunft über das Leben zu geben? Die Stunde, in der die Episode spielt, ist Dämmerung, niemand vermag zu sagen, ob Abend- oder Morgendämmerung, Ungewissheit und Übergang zugleich. Im Ungewissen bleiben nur die Liebe und der Segen und die Hoffnung. Im Mittelalter wurde der heilige Franziskus auch als zweiter oder wiedergekehrter Christus verehrt, und somit vermittelt die Szenerie etwas davon, dass der Johannesknabe als Franziskus Jesu Werk weiterträgt und das Evangelium verkündet – dafür gebührt ihm der Segen Jesu und der Schutz der Jungfrau. Ruhe und Gewissheit stehen gegen die Gefährdung, in der wir uns beständig befinden. Natürlich bot die Konzeption Leonardo die Möglichkeit, mit Formen und malerischen Lösungen zu experimentieren. Das Wasser im Hintergrund interessierte ihn, denn er beschäftigte sich intensiv mit der Beobachtung von Wasser mit seinen Wellen und Strudeln als einer der elementaren Naturgewalten. Formal vervollständigte das Wasser im Hintergrund links die Vorstellung von den Klippen der Grotte als Christi geschundenem Körper, in dem das Wasser von Leonardo analog als Blut des Erdkörpers gedacht wurde. So sollte er später in einem schönen Text über das Wasser schreiben: »In immerwährender Bewegung wandeln die Wasser aus den tiefsten Tiefen der Meere zu den höchsten Gipfeln der Berge, wobei sie die Natur des Schweren missachten; und in diesem Fall macht das Wasser das Gleiche wie das Blut der Lebewesen, das sich immer vom Meer des Herzens aus bewegt und zu ihren Köpfen hochfließt … und die Wasseradern ziehen sich in unendlichen Verzweigungen durch 200

12. Die Maske des schwarzen Todes

den Körper der Erde.«173 Letztlich kann man die Hochgebirgsszenerie wiederum als einen Verweis auf die Passion und auf Franziskus deuten, denn auf dem Berg La Verna empfing Franziskus die Wundmale Christi und wurde so für alle sichtbar zum zweiten Christus: »Wohl durchströmte ihn Freude, und noch tiefer beseligte ihn der gütige, liebreiche Blick, womit der unbeschreiblich schöne Seraphim ihn anschaute; aber dass er ihn ans Kreuz geheftet sah, bitterlich leidend, erfüllte ihn mit Entsetzen … Und während er noch voller Ratlosigkeit über das Ganze war und das Neuartige des Gesichtes ihm zu sehr zu schaffen machte, begannen auf einmal an seinen Händen und Füßen die Spuren von Wunden sichtbar zu werden, wie er sie oben erst an dem gekreuzigten Mann über sich gesehen hatte.«174 Was sich aber bei allen Bedeutungen und Deutungen immer wieder als Mittelpunkt des Bildes, als Zentrum des Geschehens erweist, ist die gerade durch ihre schlichte Einfachheit unüberbietbare Majestät der Mutter, des Lebens, der Liebe und des Schutzes. Schon bald nach Fertigstellung des Altarbildes sollte Leonardo erfahren, wie sehr auch er des Schutzes bedurfte, des Schutzes vor Gottes Zorn.

12. Die Maske des schwarzen Todes

Gerade hatte Leonardo mit der Auftragsarbeit der Felsengrottenmadonna in Mailand für Aufsehen gesorgt und die Werkstattgemeinschaft mit den Gebrüdern de Predis bewährte sich so glänzend, dass er sie für seinen gesamten Mailänder Aufenthalt aufrechterhalten sollte (und im gewissen Sinne sogar noch 201

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

darüber hinaus), als eine große Katastrophe ihre Schatten über Norditalien warf. Sie kam – wie derartige Schicksalsschläge immer – zur Unzeit, denn alles entwickelte sich für Leonardo mehr als wünschenswert. Zwischen ihm und dem Herrn des Herzogtums Mailand, Lodovico Sforza, kam es bereits zu ersten Gesprächen über das Reiterdenkmal. Leonardos leidenschaftliches Interesse daran, das Monument des Francesco Sforza für dessen Sohn zu schaffen, wurde nicht nur vom Prestige genährt, das dieser Auftrag dem ausführenden Künstler verlieh, sondern auch von seinem großen Interesse an Pferden angetrieben. Zumindest finden sich in seinen Aufzeichnungen seit 1478 Pferdestudien und im Jahr 1482 ein Reiter auf einem sich aufbäumenden Pferd. Man darf nicht vergessen, dass sich Leonardo seiner Welt durch das Zeichnen näherte, dass sie mit der Beobachtung verschmolz und die Natur wie die Menschen nicht so sehr begriff als viel mehr erzeichnete. Die Welt war ihm nicht Wort, sondern Bild, nicht Begriff, sondern Zeichnung und Zeichen. In einem Wort: Leonardo begriff die Welt nicht, er erzeichnete sie sich. Zudem liebte Leonardo Pferde und das Reiten leidenschaftlich. Mit seinem beträchtlichen Charme kümmerte er sich darum, seine Kontakte zur Hofgesellschaft zu vertiefen, jedoch ohne sich Rückzugsmöglichkeiten zu verstellen und sich von Zeit zu Zeit die dringend benötigte Abgeschiedenheit zu ermöglichen. Die Ambivalenz zwischen Exaltation und Eremitage, zwischen den großen Auftritten in der Gesellschaft und den Rückzügen in die Abgeschiedenheit, bestimmte seinen Charakter und seine Handlungen. In einer beeindruckenden Fabel illustrierte Leonardo den Wert der Einsamkeit: Ein Stein, den das Wasser mitgeführt und auf ein Stück Land neben einem hübschen Wäldchen gesetzt hatte, »hoch über einer steinigen Straße in Gesellschaft von Gräsern und allerlei bunten Blumen … blickte auf die große Menge von Steinen, die sich auf der Straße unten angesammelt hatten. 202

12. Die Maske des schwarzen Todes

Da bekam er Lust, sich auch dort unten niederzulassen, und sagte sich: ›Was tue ich hier bei diesen Gräsern? Ich will mit meinen Brüdern dort zusammenleben.‹« Der Stein rollte herunter und »beendete seinen eigenwilligen Weg bei den erwünschten Gefährten. Aber nachdem er eine Weile dort gelegen hatte, wurde er durch die Wagenräder, die Hufeisen der beschlagenen Pferde und die Füße der Wanderer unaufhörlich geschunden. Die einen rollten über ihn hinweg, die anderen traten ihn. Manchmal, wenn er von Schmutz oder vom Kot irgendeines Tieres bedeckt war, richtete er sich ein wenig auf und blickte vergeblich zu dem Ort zurück, den er verlassen hatte, zu dieser einsamen Stätte des stillen Friedens.« Leonardo kam aus tiefstem Herzen zu dem Schluss: »So geht es denen, die das einsame und beschauliche Leben vertauschen wollen mit dem Aufenthalt in den Städten, unter Leuten von unendlicher Bosheit.«175 Ohne Gesellschaft mochte er jedoch auch nicht sein, sein ganzes Wesen war erfüllt von der Lust, umgeben von jungen Männern und Jünglingen zu leben. Doch die Stadt wiederum verachtete er. Vielleicht träumte er von einem Landgut, auf dem er mit seiner lustigen Entourage des Daseins Fest feiern konnte. Doch wie sollte er das finanzieren, wenn er nicht bei Hofe oder in der Stadt Präsenz zeigte, um Aufträge zu akquirieren? Die Konkurrenz war auch in Mailand groß und nicht weniger skrupellos als in Florenz. Sich und seine Bedürfnisse fest im Blick verallgemeinerte er: »Der Maler braucht die … Abgeschiedenheit von Gefährten, die seinen Studien hinderlich sind«176, wie der Stein nicht Recht daran tat, sein »einsame(s) und beschauliche(s) Leben vertauschen« zu wollen »mit dem Aufenthalt in den Städten, unter Leuten von unendlicher Bosheit.«177 Fast wie ein Stoßgebet klingt, was Leonardo hinzufügte: dass der Maler nicht nur der Einsamkeit bedürfe, sondern auch eines wandelbaren Geistes, »je nach Verschiedenheit der Gegenstände, die er vor sich hat, und zudem frei von Sorgen.«178 Das blieb der lebenslange Traum des Leonardo da Vinci, frei von Sorgen zu arbeiten – und auf eine eigentümliche 203

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Art gelang es ihm über weite Strecken auch, frei von Sorgen zu sein, denn er fand immer einen Gönner, wenn sich unter ihnen auch ein so schauriger Mensch befand wie Cesare Borgia. Hatte Bernardo Rucellai für seinen guten Start in Mailand gesorgt, so kann man davon ausgehen, dass der Chef der Mailänder Niederlassung der Medici-Bank, Benedetto Portinari, Leonardo dabei unterstützte, in der guten Gesellschaft Mailands Fuß zu fassen. »Frei von Sorgen« wünschte er zu sein, doch erst einmal kamen sie in Legion. Am 16. März 1485 beobachtete Meister Leonardo da Vinci eine Sonnenfinsternis. Um seine Augen keiner Gefahr auszusetzen, benutzte er dazu klugerweise ein präpariertes Blatt, in das er mit einer Nadel Löcher gebohrt hatte.179 Im Gegensatz zu ihm genossen seine Mitmenschen diese Sonnenfinsternis nicht und erblickten in ihr nicht wie er ein Naturschauspiel, sondern deuteten die Verdunkelung der Sonne wie von alters her als ein böses Omen. Leonardo verachtete jeglichen Aberglauben, doch sollten diejenigen Recht behalten, die in der vorübergehenden Finsternis ein schlimmes Vorzeichen zu erkennen meinten, denn die Pest brach mit ihrer gesamten Zerstörungsmacht über Norditalien herein. Man fühlt sich an Dürers großen Holzschnitt der Vier apokalyptischen Reiter erinnert, der von der Offenbarung angeregt worden war: »der Tod, und die Hölle zog mit ihm einher. Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit Schwert und Hunger und Pest und durch die wilden Tiere auf Erden.« (Offb 6,8)180 Und mindestens dem vierten, wenn nicht gar dem dritten Teil der Bewohner Mailands entriss der schwarze Tod das Leben. In Venedig raffte die Pest sogar den Dogen dahin; in Florenz hielt sie nur kurz Einzug, um schließlich in Mailand drei Jahre Quartier zu nehmen und zügellos zu wüten. Leonardo erlebte, wie sich die Stadt unter der Herrschaft der Seuche veränderte. Wenn er auf die Straße trat, schritt er an großen brennenden Reisighaufen vorbei, deren bitterer Rauch den 204

12. Die Maske des schwarzen Todes

Gestank von Eiter, Faulgasen, Exkrementen und Arzneien überlagerte. Allerlei Menschen schlichen durch die Gassen, manche atmeten beständig den Duft von frischen Blumen und Kräutern ein, die sie sich vor die Nase hielten, weil sie hofften, dadurch die bösen Ausdünstungen der Erde, die man als Ursache der Pest vermutete, und die Gerüche der verwesenden Menschen zu reinigen, bevor sie in ihre Lungen drangen. Währenddessen jagten Plünderer vollkommen trunken vor Habsucht durch die Straßen, immer auf der Suche nach verlassenen Häusern. Damals glaubte man noch entsprechend der Miasmen-Theorie, dass die Pest von verdorbener Luft, von Erdausdünstungen hervorgerufen wurde, obwohl einige Ärzte, wie z. B. der Genuese Girolamo Fracastoro, über die Ansteckung durch Erreger oder Keime nachdachten, freilich nur ein paar, und das allerdings wenige Jahre später. Ärzte in Stiefeln, langen Mänteln, Hüten und grotesken Vogelmasken kämpften einen vergeblichen Kampf und fielen häufig selbst der Krankheit zum Opfer, zumal ihre Therapien, wie etwa das Aufschneiden der »reifen« Pestbeulen, eher zur Verbreitung der Krankheit beitrugen. Allzu viel hielt Leonardo nicht von den Ärzten. So urteilte er sarkastisch: »Die Menschen werden in so kläglichen Zustand geraten, dass sie zulassen werden, dass andre heimlich frohlocken über ihre Übel oder über den Verlust ihres wahren Reichtums, nämlich der Gesundheit.«181 Ausgehend von der alles beherrschenden Säftelehre suchten die Ärzte, ein Gleichgewicht der Kräfte, was per definitionem unter Gesundheit verstanden wurde, wieder herzustellen, weshalb der Gipfel ihrer Heilkunst im Aderlass, im Blutschröpfen und in Einläufen bestand. Mancher reiche Mann starb einsam und allein, weil Familie und Dienerschaft vor dem Infizierten geflohen war; mancher Frau erging es ebenso. Andere hielten zusammen, bis sie, einer nach dem anderen, den Kampf gegen die Seuche verloren. Tiefe Liebe bis in den Tod, Verrat, Niedertracht, Selbstlosigkeit und Feigheit, Geiz, Gier und unerwartete Großzügigkeit hießen die 205

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Szenen des Dramas, das sich abspielte. Nur unter allergrößten Mühen ließ sich die öffentliche Ordnung aufrechterhalten. Blickte Leonardo gen Himmel, gewahrte er Rauchwölkchen, die wie betrunkene Luftgeister über der Stadt schwankten und den Himmel eintrübten. Zuweilen lagen Tote vor den Häusern, weil der Abtransport der Leichen kaum dem großen Sterben zu folgen vermochte. Der Florentiner Romancier Giovanni Boccaccio schilderte im Dekameron eine Szene, in der ein Schwein in den Kleidern eines an der Pest Verstorbenen wühlt und dabei tot umfällt. Auf den Straßen konnte Leonardo den Zerfall der Körper beobachten, die große Umwandlung. Die Leichen wurden teils in riesige Massengräber geworfen, teils verbrannt. Die Menschen beobachteten akribisch und voller Angst ihren Körper, denn sie waren von der Sorge getrieben, dass sie sich angesteckt haben könnten. Oder sie fürchteten, als von der Pest Befallene zu gelten und dadurch isoliert zu werden. Wer konnte, verließ die Stadt und rettete sich auf ein Landgut. Giovanni Boccaccio hatte bereits mehr als 100 Jahre zuvor diese Flucht vor der Krankheit zur Ausgangssituation und zur dramaturgischen Klammer seines Dekameron erwählt, als er beschrieb, wie eine Gruppe von Adligen und reichen Bürgern das pestgeplagte Florenz in der Zeit des großen Sterbens von 1348/49 verließ und auf ein Landgut floh, um dort zu überleben. Aber auch das verhieß keine absolute Sicherheit, weder zu Boccaccios noch zu Leonardos Zeiten, denn gestorben wurde auch im Umland, in den Dörfern, auf einsamen Gehöften. Nichts, aber auch gar nichts vermochte der Seuche Grenzen zu setzen. Anhand seiner Zeichnungen lässt sich zwar ermitteln, womit Leonardo sich in dieser Zeit beschäftigte, aber nicht, an welchem Ort er das tat. Blieb er die ganze Zeit oder nur mit Unterbrechungen in der geplagten Stadt, er, der besondere Sorgfalt auf die Sauberkeit von Garderobe und Körper legte, sich die Hände mit Rosenwasser wusch, den Menschenmassen abhold 206

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war? Zog er sich auf sein Landhäuschen nach Vinci zurück, in dem er immer wieder ein paar Tage verbracht hatte, als er noch in Florenz wohnte und arbeitete? Ich wage die These, dass der Kontakt nach Vinci, zur Mutter und zu den Paten, auch nach der Übersiedlung nach Mailand nicht abriss. Leonardo liebte es, unterwegs zu sein, genoss die Ausflüge, die Fluchten in die Natur, zu Fuß oder zu Pferde. Andererseits stellten Reisen in Zeiten der Pest ein erhöhtes Risiko dar. Nicht unwesentlich in diesem Zusammenhang ist die Frage: Blieb il Moro in der Stadt? Der Herr Mailands dürfte sich je nach Heftigkeit des Wütens der Epidemie in die Residenz nach Pavia oder auf das Kastell nach Vigevano, wo er geboren worden war, zurückgezogen haben. Und eines Tages, irgendwann gegen Ende 1487, verschwand die Pest so, wie sie gekommen war. Den Ausbau der Trutzburg von Vigevano zu einer Residenz mit Flaniermöglichkeiten auf den Mauern – wie die Mauer der Falconiera, die, wie der Name schon sagt, angelegt wurde, um von dort die Falkenjagd zu beobachten – war von Donato Bramante konzipiert worden. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass unter dem Dach der Falconiera, das von subtilen Rundbögen und schlanken Säulen getragen wurde, auch Leonardo inmitten der Höflinge stand und der Jagd mit dem Falken zuschaute. Allerdings mit ambivalenten Gefühlen, denn er verabscheute die Jagd und hielt die Menschen für Bestien. Für seine Überlegungen über die Abschwächung des Wasserfalls durch ein gestuftes Wehr führte er als Beispiel »jene Treppe an, über welche das Wasser von den Wiesen der Sforzesca bei Vigevano heranfiel.«182 Unter Sforzesca ist das Kastell der Sforza, das Castello Sforzesco, zu verstehen. Was Leonardo in der kurzen Notiz beschrieb, bezog sich auf eine funktionstüchtige Entwässerung, durch die »Wiesenland aus einem ziemlich tiefen Sumpf entstanden« war.183 Er kannte sich also gut aus in Vigevano, schon weil il Moro ihn in seiner Nähe zu haben wünschte, verbrachte er dort viel Zeit. 207

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Hydro­tech­nische Vor­richtungen (archi­me­dische Schrau­be) und andere Stu­dien um 1478-1480, Fe­der und Tin­te

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Leonardo etablierte sich in Mailand zwar als Maler, doch er verfolgte auch das Ansinnen, als Militäringenieur und Baumeister für il Moro tätig zu werden, mit nicht geringer Energie und schließlich mit Erfolg. Lodovico Sforza, der den unterhaltsamen und geistreichen Leonardo gern um sich hatte, machte ihn zu einem seiner Berater in allen Fragen, die das Bauwesen und die Architektur betrafen. Dass Leonardo während der Pest wohl weitgehend in Mailand geblieben war oder zumindest der Stadt nicht ganz den Rücken gekehrt hatte, dürfte dazu beigetragen haben, dass sich ein engeres Verhältnis zwischen dem Künstler und dem Herrscher entwickelte. Nicht von ungefähr erhielt er in diesen Tagen den Auftrag für das Reiterstandbild Francesco Sforzas. Es fällt auf, dass neben den bereits in Florenz angefertigten Zeichnungen und Studien seit seiner Ankunft in Mailand immer mehr technische Zeichnungen entstanden, die sich mit der Konstruktion von Instrumenten, Vorrichtungen, Apparaten und Detailproblemen der Architektur beschäftigten. Aber auch seine wissenschaftlichen Studien zum Vogelflug, zum Wasser und zur Geologie setzten ein. Am Ende seines Lebens werden sich Tausende von Blättern angesammelt haben, die oft mehrere Zeichnungen enthalten. Leider wissen wir wenig darüber, was von seinen Aufzeichnungen alles verloren ging – und selbst das Wenige, was wir wissen, bereitet schon großen Verdruss. Im Zentrum seiner technischen Überlegungen stand die Frage nach der Energie und der Übertragung oder Nutzung von Energie, die möglichst ohne Reibungsverlust vonstatten gehen sollte. In Mailand scheint er noch geglaubt zu haben, ein perpetuum mobile erfinden zu können – eine Vorstellung, die ihn seine weiteren Forschungen zu revidieren zwangen. Es wundert daher nicht, dass er sich mit dem Wasser und der Hydraulik beschäftigte. Noch in Florenz entstand als eine seiner frühesten Zeichnungen eine Studie zum Dampfgebläse und zum Antrieb einer Töpferscheibe, und er arbeitete an Studien zu hydrotech209

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nischen Vorrichtungen – wie die archimedische Schraube, wodurch man Wasser in höhere Lagen transportieren kann, um ihre Kraft zu nutzen. Leonardo versuchte sogar, ein Automobil zu konstruieren, und stellte sich vor, dass es durch Federkraft und mit Hilfe von Zahnrädern angetrieben werden könnte. Dem Betrachter drängt sich die Vorstellung einer großen Uhrenmechanik auf. Diese und andere seiner technischen Lösungen verdeutlichen Leonardos Denkmethodik, die durch zwei Prinzipien geleitet wurde: erstens die genaue Beobachtung und zweitens die Interpretation der Beobachtung durch Analogieschlüsse. So, wie der Körper der Erde – mit dem Wasser als Blut, den Wasserläufen als Adern, der Erde als Haut – dem Körper der Lebewesen entspricht, also die große Welt der kleinen, so ist das Automobil eine Uhr mit Rädern statt Zeigern. Diese Grundidee nutzte er, indem er mechanische Gebilde – wie z. B. einen Löwen – herstellte, die sich allein bewegten und als Theatermaschinen oder als Sensationen bei höfischen Empfängen dienten. So durchdrangen und befruchteten sich die unterschiedlichen Anwendungsgebiete, auf denen er tätig war und die stets mit prinzipiellen Überlegungen verknüpft waren. Doch dem erfindungsreichen Denkvermögen des Universalgenies entsprangen auch Konstruktionen, mit denen man tauchen, oder andere, mit denen man über Wasser laufen konnte. Obwohl die »neuere Forschung« die Nase über den Begriff Universalgenie rümpft, so ist es doch eine unumstößliche Tatsache, dass die »neuere Forschung« von heute schon morgen die von gestern sein wird und Leonardos zuweilen ätzende Kritik am Hochmut der Akademiker nichts an Aktualität eingebüßt hat. Allerdings kam Leonardo in seinen Bemühungen kein Alleinstellungsmerkmal zu: Der Sienese Francesco di Giorgio Martini, dem Leonardo in Mailand begegnete und von dessen Anregungen er profitierte, betätigte sich ähnlich vielseitig als Maler, Techniker und Architekt. 1478 war Francesco di Giorgio nach Urbino gegangen, um anstelle von Donato Bramantes 210

12. Die Maske des schwarzen Todes

Lehrer, Luciano Laurana, den wunderschönen Palazzo Ducale zu vollenden. Der findige Mariano di Jacoppo, der allgemein Taccola genannt wurde, verdiente sein Geld als Beamter von Siena und erlangte als Ingenieur Ruhm, der weit über seinen Tod im Jahr 1453 hinausreichte. Für Leonardo wurden die beiden Bücher des 1381 geborenen Ingenieurs und Zeitgenossen von Filippo Brunelleschi De ingeneis I–IV und De machinis zur wichtigen Quelle der Anregung und Fortbildung. Selbst die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg entsprang dem Wunsch nach serieller Produktion, die durch Mechanik möglich wurde. In dieser Zeit herrschten ein unverwüstlicher Optimismus bezüglich der Erfindung von technischen Geräten und eine Leidenschaft für die Mechanik, die oft die Grenzen des Utopischen mühelos überwand – und gerade diese Lust auf das Unmögliche gestattete es den Erfindern, die Grenzen des Möglichen stetig zu verschieben. Leonardo sprach sogar von den »Wundern der Kunst des mechanischen Getriebes«184 und benutzte damit die Worte Wunder, Kunst und Getriebe mühelos in einem Satz, obwohl sie drei verschiedenen Sphären angehörten: der Religion, der Ästhetik und der Mechanik. Die Mechanik als weiße Magie wurde für ihn zum Ort allen Interesses, denn mittels des Getriebes wird alles bewegt. Oftmals verselbständigte sich sein Drang und erschöpfte sich in den Zeichnungen. Noch ging Leonardo völlig planlos vor und ließ sich von seinem Einfallsreichtum, seiner wilden Erfindungslust und von der verteufelten Analogiefähigkeit zwischen den unterschiedlichen Bereichen hin- und herjagen wie der Hase und der Igel in jenem viel später entstandenen Märchen, weil er in allem die Entsprechung sah, die immer schon da war. Wenn es also möglich war, ein Automobil zu konstruieren, warum dann nicht einen Kampfwagen, einen Panzer? Er versuchte es – doch der Panzer geriet viel zu schwer. Zwischen 1478 und 1503 wuchs ein Konvolut an Zeichnungen und Skizzen heran zu Kampfwagen, Panzern, riesigen 211

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Kanonen, gigantischen Armbrüsten, Orgelgeschützen, Steinschleudern, neuartigen Belagerungsmaschinen und Vorrichtungen an Stadtmauern, welche die Sturmleitern zurückzukippen vermochten, und einer ganzen Reihe von Hieb- und Stichwaffen. Damit konnte Leonardo Eindruck machen, aber offenbarte zugleich auch, dass er nie im Feld gestanden hatte und von praktischer Kriegsführung nichts verstand. Das Problem seiner Erfindungen reichte ein wenig tiefer, denn vieles von dem, was er erfand – wie der Sichelwagen –, hätte durchaus gebaut werden können. Aber die Anwendung bereitete Probleme, denn sie hätte die Reorganisation des Kriegswesens zur Voraussetzung gehabt. Der Einsatz des Sichelwagens beispielsweise wäre nur von Erfolg gekrönt gewesen, wenn gleich eine ganze Abteilung Sichelwagen nach einer gründlichen Artillerievorbereitung angegriffen hätte. Die Struktur des Heeres beruhte zu Leonardos Zeit aber auf Heerhaufen, die aus kleinen Kriegsunternehmern – Landsknechte genannt – gebildet wurden. Zu den Voraussetzungen einer gründlichen Reorganisation der Heeresstruktur hätte es gehört, die Artillerie wesentlich zu verstärken. Doch das konnte sich kein Fürst leisten, denn bereits der Bau von Kanonen verschlang beträchtliche Mittel, und die Kriegsführung auf ein anderes Niveau zu heben, war schlicht unbezahlbar. Ohne es im Einzelnen auszuführen: Leonardos Erfindungen als Militäringenieur scheiterten im Grunde daran, dass sie eine andere Struktur der Armeen, andere Vorstellungen von Strategie und Taktik, vor allem aber ein stehendes Heer verlangt hätten, das in Friedenszeiten den aufeinander abgestimmten Einsatz einzelner Abteilungen des Heerhaufens übte. Das wiederum hätte einen Stand der Nachrichtenübermittlung erfordert, der nicht zu bewerkstelligen war. Dem Feldherrn konnte zu dieser Zeit ja noch nicht einmal ein Fernglas zur Verfügung gestellt werden. Leonardos Kriegsmaschinen, wie einsatzfähig sie auch immer waren, hätte man wie alle Erfindungen testen und immer weiter vervollkommnen müssen, doch sie scheiterten am Stand 212

12. Die Maske des schwarzen Todes

Studie mit Hebevorrichtung für eine Kanone in einer Geschützgießerei um 1487, Feder und Tinte auf bräunlich präpariertem Papier

des Kriegswesens. Sie bedurften einer Heeresstruktur, wie wir Heutigen sie aus dem Ersten Weltkrieg kennen. In der Fixierung auf die Technik, auf die Mechanik, waren seine Kriegsmaschinen eigentlich für den Krieg als Kampf der Maschinen, als Krieg im industriellen Stadium konzipiert. Auch wenn dieser industrielle, dieser serielle Krieg nicht von Leonardo antizipiert werden 213

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

konnte, so führte die konzeptionelle Konsequenz seiner Erfindungen doch genau dorthin. Wie funktionstüchtig seine Erfindungen trotzdem waren, lässt sich an Leonardos Fallschirm besonders gut zeigen: Im Jahr 2000 ließ der Fallschirmspringer Adrian Nicholas einen Fallschirm ganz nach den Angaben des Renaissancemeisters bauen und sprang damit am 26. Juni in 3 000 m Höhe über dem Kruger-Nationalpark aus dem Flugzeug ab. Der Fallschirm funktionierte, er ermöglichte den langsamen Abstieg. Auf 2 200 m Höhe stieß Nicholas sich allerdings von Leonardos Konstruktion ab und benutzte seinen eigenen Fallschirm, denn die an sich richtige Idee des Universalgenies hatte doch einen Fehler: Mit einem Gewicht von annähernd 100 kg hätte die Konstruktion den Springer beim Aufprall wohl erschlagen, weil sie sich nicht zusammenlegte wie ein moderner Fallschirm. Das Prinzip hatte Leonardo richtig erkannt, nur war die Erfindung noch nicht »ausgereift«. »Wenn ein Mensch ein Zeltdach aus abgedichteter Leinwand, das 12 Ellen breit und 12 hoch sein soll, über sich hat, so wird er sich aus jeder noch so großen Höhe herabstürzen können, ohne Schaden zu nehmen.«185 Auch die Vorstellung eines Helikopters ist genial, wenngleich die deutsche Bezeichnung für das Fluggerät, das Leonardo skizziert hat, seine Idee deutlicher macht: Hubschrauber. Die Idee, den Aufstieg nicht mit Vogelschwingen zu bewerk­ stelligen (wie er es auch gezeichnet hatte), sondern sich mittels einer Flugschraube in die Lüfte hochzuschrauben, könnte von dem Traktat De ingeniis des Sienesen Taccola angeregt worden sein. Taccola dachte allerdings an mechanische Apparate für Fest­umzüge. Doch Leonardo unterschied nicht zwischen den Welten. Alles, was er an mechanischem »Spielzeug« erfand, dachte er sich sowohl für die Kriegstechnik als auch für weiterreichende Anwendungsgebiete aus. Denn warum sollte ein Hubschrauber, der en miniature als Spielzeug und Attraktion für einen Festumzug oder für ein Hoffest geplant und konstru214

12. Die Maske des schwarzen Todes

iert worden war, nicht eines Tages auch Menschen in die Lüfte erheben? Dass militärische Laien wie Leonardo gerade in Fragen des Festungsbaus und der Erfindung von Belagerungs- und Verteidigungstechniken herangezogen wurden, war allerdings eher die Regel als die Ausnahme: Auch Donato Bramante musste 1506 als erster Architekt des Papstes an der Seite des kriegerischen Julius II. in den Krieg gegen die Bentivoglios von Bologna ziehen. Doch die Geschichte zeigt, dass oftmals die Kriegstechnik die Entwicklung der Technik für die zivile Wirtschaft eines Landes vorantrieb. Mit der faszinierenden Studie zu einer Kanonen-Hebevorrichtung in einer Geschützgießerei schlug Leonardo im Grunde zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens demonstrierte er, dass er über die Herstellung, den Transport, ja sogar über das bloße Anheben der riesigen Kanone, gegen die Menschen wie Zwerge wirken, nachgedacht und Lösungen gefunden hatte. Zweitens erinnerte er il Moro ganz elegant an seine Eignung, den Auftrag für das Reiterdenkmal zu übernehmen. Denn es sollte aus Bronze gegossen werden und stellte mithin bei der gewünschten Größe erhebliche Anforderungen an die technischen Fähigkeiten des Künstlers: Er musste ausreichende Kenntnisse über den Bronzeguss vorweisen können. In Leonardos Zeit zeigte sich überhaupt ein deutlicher Hang zu Bronzemonumenten. Nicht nur dass Andrea del Verrocchio ein Reitermonument für die Serenissima herstellte, nein, auch Michelangelo schuf 1506 ein monumentales Denkmal für den Papst, das vor dem Dom von Bologna aufgestellt wurde und den Triumph Julius II. über die Stadt und die aufmüpfigen Bentivoglios symbolisieren sollte. Das Denkmal wurde später »in den Mist« geworfen und die Franzosen schmolzen es zu einer K ­ anone um, die sie La Giulia nannten, um Julius II. zu verhöhnen.­ Es lag nicht etwa daran, dass Leonardos Entwürfen zu viel Phantasie vorzuwerfen wäre, dass es ihm nicht gelang, bei il 215

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Moro als Militärarchitekt zu reüssieren. Denn bei so mancher Erfindung lag der Weg, den man zu ihrer Praktikabilität hätte einschlagen müssen, offen zutage. Leonardo war also ständig beschäftigt und die Pest machte einen Bogen um die Werkstatt, die er mit den Gebrüdern de Predis unterhielt. Doch die Seuche rückte zwei weitere Interessen noch stärker in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit: zum einen die Anatomie, zum anderen aber die Konzeption einer idealen Stadt. Denn im Gegensatz zu vielen Ärzten sah Leonardo die Ursache der Epidemie nicht in den Miasmen der Erde, sondern in den Miasmen der Menschen. Es musste doch gelingen, der Pest die Maske vom Gesicht zu reißen!

13. Der Bau des Lebens

Treppen sind wie Adern des Hauses – Adern wie Treppen des Körpers. Auf einem Blatt, das sich heute in der Bibliothek von Windsor befindet, entdeckt man abgesehen von zahlreichen Treppenskizzen rechts oben die etwas flüchtige Zeichnung eines Menschen, bei der es Leonardo auf das Adergeflecht ankam. Dem Zusammenhang haftet nichts Zufälliges an, wenngleich man ihn nicht überbewerten darf, denn es gehörte zu den Charakteristika der Zeit, in Architektur und Medizin Entsprechungen zu sehen – und auch wir sprechen heute noch vom Körperbau. Die Erfahrung mit der Pestepidemie in Mailand hatte Leonardo nicht nur motiviert, seine architektonischen und anatomischen Studien voranzutreiben, sondern sie wirkte sich auch unmittelbar auf seine städtebaulichen Vorstellungen aus. In Ovids Metamorphosen heißt es an einer Stelle, die Leonardo kannte (wobei ich die These wage, dass er kein Buch so gut kannte wie 216

13. Der Bau des Lebens

dieses): »Alles wandelt sich, nichts geht unter; es schweift der Geist und gelangt von dort hierher, von hier wieder dorthin, zieht ein in Glieder aller Art, geht aus tierischen in Menschenleiber über, aus und wieder in Tiere und vergeht nie.«186 Leonardos tiefste Überzeugung, die auch die Grundlage seiner architektonischen, städtebaulichen, mechanischen und anatomischen Überlegungen bildete, bündelt sich in den Begriffen Metamorphose, Rhythmus und Entsprechung: Alles auf der Welt entspricht einander. Und nicht nur das, sondern es wandelt sich auch ineinander um und befindet sich in ständiger Bewegung, die sich zwar verändert, aber letztlich regelmäßig bleibt. Das kann man auch Rhythmus nennen. Über die Weltharmonik sollte später Johannes Kepler in von Leonardo bereits antizipierten Vorstellungen schreiben. Die Ordnung des Bauens muss der Ordnung des Lebens entsprechen. Krankheit ist für Leonardo nur ein anderes Wort für die ins Ungleichgewicht geratenen Säfte. In einem Redeentwurf sprach er sogar von einem »arztähnlichen Architekten«187. Er hegte keinerlei Zweifel daran, dass die Pest sich aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen zumindest derart schnell und heftig verbreiten konnte, wie es geschah. Eine der wichtigsten Ursachen für diese Bedingungen fand er wiederum in der Stadtplanung. Deshalb begann er, eine ideale Stadt zu projektieren. In Italiens Gesellschaft gärte es. Die hohe Dynamik der italienischen Gesellschaft wurde dadurch hervorgerufen, dass die Herrschaft in den Stadtstaaten und Regionen immer wieder von Parvenüs in Frage gestellt wurde und die jeweils Herrschenden sich gezwungen sahen, ihre Macht – , ihren stato – abzusichern, und zwar wirtschaftlich, militärisch und politisch. Dies geschah effizient durch kluge Bündnisse, aber auch legitimatorisch, also mit juristischen, philosophischen, künstlerischen und architektonischen Mitteln. Anders ausgedrückt bestand Herrschaft in einer beweglichen Architektur aus all den genannten Elementen. Daher provozierte die Frage, wie eine ideale Herrschaft und eine 217

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

ideale Stadt gestaltet werden müssten, immer neue Überlegungen. Denn indem die Herrschaft ständig in Frage gestellt wurde, war sie herausgefordert, über sich und über die Bedingungen ihrer Macht nachzudenken. Auf dem Gebiet der bildenden Kunst wurden bereits ein Jahrhundert zuvor von Ambrogio Lorenzetti in Form von Fresken im Palazzo Pubblico in Siena – der Allegoria del Cattivo Governo (Allegorie des schlechten Regiments) und der Allegoria del Buon Governo (Allegorie des guten Regiments) – eindrucksvoll die staatsphilosophischen Bedingungen der Herrschaft versinnbildlicht und die architektonische Organisation der Herrschaft im Trattato d’architettura von Filarete dargestellt. Antonio di Pietro Avelino, der sich Tugendfreund (Filarete) nannte, kam 1451 auf Einladung von Lodovicos Vater, Francesco Sforza, nach Mailand und schloss dort Freundschaft mit dem berühmten Humanisten Francesco Filelfo, den einige für allzu eitel, andere für überaus geschwätzig halten.188 Doch das ändert nichts an seiner überragenden Bedeutung für das geistige Italien des Quattrocento, das dieser 1398 geborene und 1481 verstorbene weitgereiste Mann fast in seiner ganzen Länge durchlebte. Eigentlich sollte er den Mailänder Dom vollenden, doch scheiterte er im Streit mit der Dombauhütte. Der Dom blieb unvollendet und so wurde Leonardo auch in Lodovicos spätere Bemühungen einbezogen, den Dombau abzuschließen. Wichtiger aber als diese »Begegnung« über die Distanz von 30 Jahren hinweg wurden für Leonardo Filaretes Überlegungen zur idealen Stadt. Sofern Leonardo ernsthaft daran dachte, Lodovico il Moro einen Plan zur Erweiterung und städtebaulichen Veränderung Mailands vorzulegen, konnte er an Filaretes Architekturtraktat nicht vorbeigehen, zumal die Sforzas im Traktat unter Pseudonymen auftraten. Filarete hatte nämlich versucht, die theoretischen Grundlagen der Architektur und die Bauregeln – vor allem aber städtebauliche Prinzipien und antike Vorbilder – unterhaltsam dar218

13. Der Bau des Lebens

Architekturstudien für eine Stadt auf mehreren Ebenen um 1478-1490, Feder und Tinte

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

zulegen, so dass er von Platons Kritias ausgehend einen Architekten auftreten ließ, der in Dialogform nach den Prinzipien des Bauens und der Städteplanung befragt wurde. Die Handlung spielte am Mailänder Fürstenhof. Außer Francesco Sforza, dessen Sohn Lodovico, der eine gediegene Ausbildung bei Vittorino da Feltre, dem bedeutendsten Pädagogen der Zeit, genossen hatte, traten der Freund und Ratgeber Filelfo als Hofliterat und Filarete als der allseits befragte Architekt auf. Es ging recht blumig zu in dem nicht enden wollenden Traktat, das ganz im Geiste Filelfischer Langatmigkeit verfasst wurde: Szenen aus dem Hofleben illustrieren die architektonischen Ausführungen. Vor allem aber wird im Buch der Grundstein für den Bau der IdealStadt Sforzinda gelegt, und zwar – wie von einem Astrologen berechnet – am 15. April 1460 um exakt 10.21 Uhr. Es würde zu weit führen, diese architektonische Utopie darzustellen, die weit ins Gesellschaftliche hineingriff und in manchem die 50 Jahre später entstandene Schrift De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia (Vom besten Zustand des Staates und der neuen Insel Utopia) von Thomas Morus vorwegnahm, die einem ganzen Genre den Namen gab. Zumal Filaretes Opus allzu detailreich und ausufernd ist. Vorstellungen über die ideale Bauweise und Stadtplanung findet man im Übrigen auch bei Leon Battista Alberti oder dargestellt auf einem Gemälde, das man unter dem Titel Die ideale Stadt im Palazzo Ducale in Urbino betrachten kann. Früher wurde es Piero della Francesca zugeschrieben, diese Zuschreibung wurde aber nicht aufrechterhalten und ich könnte mir auch vorstellen, dass jenes Gemälde von Donato Bramante stammt, der ja bei Luciano Laurana, dem Erbauer des Palazzo Ducale, gelernt hatte und inzwischen bei il Moro als Hofarchitekt diente. Die Pestepidemie verlieh den Diskussionen um die Mailänder Stadterweiterung eine neue Dynamik, denn in der lombardischen Metropole lebten zu viele Menschen auf allzu engem Raum. Leonardo riet dazu, »eine so riesige Ansammlung von 220

13. Der Bau des Lebens

Menschen auf(zu)lösen, die den Keim von Tod und Pestilenz bilden, da sie wie Ziegen dicht zusammen leben und jedes Viertel mit Gestank verpesten.«189 Er begann also mit Architekturstudien, fertigte Blätter mit Skizzen an, auf denen er auch Erklärungen und Gedanken festhielt. Seine Idealstadt konzipierte er auf zwei Ebenen. Während die obere Ebene der Erholung, der Entspannung und dem Amüsement diente, fand das Gewerbe in der unteren Ebene seinen Platz. Auf der oberen Ebene durfte kein Fuhrwerk fahren, durften sich weder Werkstätten noch Lager ansiedeln. Neben den hygienischen Vorstellungen gehörte Leonardos aristokratische Gesellschaftsvorstellung zu den Grundlagen seines architektonischen Konzepts: Auf den oberen Straßen »dürfen sich weder Fuhrwerke noch andere ähnliche Dinge zum Nutzen und zur Bequemlichkeit des Volkes bewegen, sie sollen eigentlich nur für die Edelleute sein.«190 Dementsprechend sah Leonardo die untere Straße für Fuhrwerke und Karren und die untere Ebene für Gewerbe und Handwerk vor. Von rechts und links neigte sich die Straße zur Mitte, so dass hier eine Rinne gebildet wurde. Dorthin konnten das Regenwasser und der Schmutz ablaufen und von da aus durch Löcher in die untere Ebene gelangen, wo sie zusammen in Kanäle abgeleitet wurden. »In unterirdische Gänge entleere man die Aborte, Ställe und ähnliches stinkendes Zeug.«191 Die ideale Stadt sollte für Leonardo am Meer oder an einem Fluss liegen, damit die Abwässer der Stadt weggeschwemmt würden. Die Verbindung zwischen den beiden Ebenen dachte er sich mittels Treppen. Und nun wird es interessant, denn Leonardo dachte aus seiner eigenen Erfahrung mit dem Stadtleben heraus ausgesprochen praktisch: Er schlug Wendeltreppen vor, um Ecken im Treppenhaus zu vermeiden, weil sonst »in die Ecke gepisst wird.« Gerade die großen, öffentlich zugänglichen Kirchenbauten mit ihrer Vielzahl an Kapellen und Nischen, an dunklen Orten und Ecken luden zu allerlei Missbrauch ein. In 221

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

der Diskussion um den Neubau von Sankt Peter in Rom, die anderthalb Jahrzehnte später sehr intensiv von Donato Bramante geführt wurde, spielte dieser Aspekt keine untergeordnete Rolle, weil die alte baufällige Basilika aus dem 4. Jahrhundert eine Vielzahl an dunkeln Ecken bot, in denen ungeniert Notdurft verrichtet und allerlei Unzucht getrieben wurde. Wollte man im Ton der Spötter dieser Zeit, in der Diktion eines Pietro Aretino schreiben, so käme der Satz, dass in der alten Basilika von Sankt Peter mehr Kinder gezeugt wurden als in den Betten Roms, nicht von ungefähr. Auch dieser Missstand sprach nach Donatos Meinung dafür, den Neubau licht und hell und klar zu konzipieren – und lag damit auf der Linie von Leonardos Argumentation für die ideale Stadt. Doch Leonardo dachte die Fragen der Hygiene weiter, es ging ihm nicht nur ums Verhindern, sondern auch ums Ermöglichen, denn was der Mensch muss, das muss er. Demzufolge empfahl er des Weiteren, dass »bei der ersten Drehung der Treppe« eine Tür sei, »die in allgemeine Aborte und Pissoirs führt.«192 Neu war der Gedanke einer Kanalisation, denn die existierte bisher nicht: Die Einwohner warfen ihren Müll, ihre Abfälle und Exkremente auf die Straße, weshalb der Ausdruck Straßenkot wörtlich zu nehmen ist. In seinem Plan für die Sanierung Mailands nach der Pest und für eine sinnvolle Stadterweiterung schlug er Lodovico il Moro vor, die Wasservorräte hinter den Gemüsegärten »sollen so hoch sein wie das Niveau der Gärten, und sollen mit Hilfe von Hähnen jeden Abend den Gärten Wasser geben, indem jedes Mal, wenn sich das Wasser staut, die Rinne um einen halben braccio gehoben wird, und das soll eine Aufgabe der alten Leute sein.« Unter einem braccio verstand man eine Elle. Er konzipierte einen schiffbaren Kanal, in den hinein nichts »geworfen werden« dürfe, »und jedes Boot soll so viel Schmutz aus dem Kanal wegbringen und dann ans Ufer werfen.«193 Leonardos Stadtplanung erwuchs aus der Kenntnis des Alltagslebens, dem sie Rechnung zu tragen hatte. 222

13. Der Bau des Lebens

Die Staatsvorstellung, die hinter dieser Architekturkonzeption stand, zeigt Leonardo als Höfling an einem gebildeten Renaissancehof: »Alle Bewohner haben zu gehorchen und werden von ihren Obersten angeleitet, und diese Obersten sind mit ihren Herren auf zweierlei Weise eng verbunden, nämlich entweder durch Blutsbande oder durch Gerechtsame.«194 Leonardo schlug il Moro vor, vermögenden Fremden zu gestatten, Häuser in Mailand zu bauen. Denn ihr Eigentum würden sie lieben, somit nach Mailand ziehen und Steuern zahlen. Man könnte reiche Leute anziehen, denn: »wer aber baut, der hat auch ein gewisses Vermögen, und auf solche Weise wird das arme Volk von solchen Einwohnern getrennt werden, und wenn diese (…), so werden die Abgaben und der Ruhm der Größe wachsen.«195 Das klingt nach Gentrifizierung – und so war es auch gemeint. Leo­ nardo wusste, dass il Moro die Errichtung einer idealen Stadt nicht finanzieren konnte, allein schon wegen seiner gewaltigen Militärausgaben, die zwei Drittel des Haushalts auffraßen. Auch solch eine beträchtliche Geldmenge war im Übrigen für Leonardo ein Grund, um auf diesen Haushaltsposten zu schielen und sich als Militärarchitekt anzudienen. Nicht einmal eine halbwegs geplante Stadterweiterung wäre durchführbar, deshalb dachte er über Finanzierungen nach, über Bürger, die selbst nach Vorgaben bauen und Steuern zahlen könnten. Er war realistisch genug zu wissen, dass er die Pläne nicht zeitnah würde realisieren können. Doch er war auch klug genug, solche Pläne vorzulegen und auf diese Weise an den Diskussionen beteiligt zu sein, denn auch Donato Bramante, mit dem er sich anfreundete, sprach über Stadtentwicklungskonzepte. Architektur und Stadtplanung gehörten zu den Themen, die Leonardo und Donato herzlich verbanden, obschon sie Konkurrenten waren. Leonardo beteiligte sich auch an dem Projekt, der Kuppel des Mailänder Doms einen selbsttragenden Vierungsturm (Tiburio) aufzusetzen und mithin den Dom zu vollenden. Der Tiburio sollte mit oktogonaler Kuppel und Laterne 223

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

50 Meter über der Vierung errichtet werden, obwohl die Spitzbögen, die die vier Pfeiler verbanden, zu schwach für solch eine Last waren. Die Dombauhütte befragte hierzu Donato Bramante, auch Francesco di Giorgio und schließlich Leonardo. Spätestens hier kamen Donato und er in engeren Kontakt und lernten sich in fachlicher Diskussion kennen. Mit Feuereifer machte er sich ans Werk. Der Dombauhütte teilte er mit – mündlich, wie ich meine, denn das erhaltene Manuskript könnte durchaus ein Redemanuskript sein –, dass der »kranke Dom« einen »arztähnlichen Architekten, der wohl weiß, was ein Gebäude ist und von welchen Regeln das richtige Bauen abhängt« benötigte.196 Leonardo ließ auch das übliche Holzmodell herstellen, das seinen Vorschlag en miniature in Szene setzte. Das Modell wurde ihm bezahlt, das heißt, er war in die Ideenfindung vollständig integriert. Er wollte vom Bauwerk selbst ausgehen, von der Symmetrie, die ihm innewohnte: So, wie in der Natur vier Elemente existieren, nämlich Feuer, Erde, Luft und Wasser, müssen sich im Menschen die vier Säfte, die mit den Elementen in Verbindung stehen, im Gleichgewicht befinden; genauso kann der »gesunde« Bau nur bestehen, wenn die vier Energien in Harmonie oder Balance zueinander stehen, als da sind: Natur, Gewicht, Bewegung und Kraft. Eine der Hauptaufgaben lautete, eine Form für den Aufbau zu finden, die es ihm ermöglicht, die Kräfte abzuleiten, die andernfalls die Vierung sprengen würden. Leonardos Lösung sah vor, dass ein System von Strebepfeilern dem Tiburio eine breite Basis geben sollte. Vor allem aber konzipierte er die Strebepfeiler so, dass sie die Kräfte unterschiedlich aufnahmen und ableiteten, ohne dabei gesprengt zu werden. Um dieses System zu ersinnen, führte er Experimente durch, die ihm mit Hilfe von Analogieschlüssen die Gesetze der Kraftwirkung und -ableitung offenbarten. Zum Beispiel stellte er einen Assistenten auf eine Wiegevorrichtung, die in einem Brunnenschacht angebracht war, und ließ ihn Hände und Füße gegen die Brunnenwand stemmen. Dabei fand Leonardo heraus, dass er mit desto 224

13. Der Bau des Lebens

mehr Kraft gegen die Wände drücken würde, je mehr Gewichte man ihm auf die Schultern legte. Versuch für Versuch, Skizze für Skizze drang er zur Lösung des Problems der Kraftableitung durch. Doch am Ende wurde nicht sein Vorschlag, sondern der von Francesco di Giorgio angenommen. Aus dieser Zeit stammen auch Entwürfe zu Kuppelbauten, die über einem griechischen, nicht über einem lateinischen Kreuz errichtet werden sollten. Unter einem griechischen Kreuz versteht man ein Kreuz, das vier gleich lange Seiten hat, dessen Grundriss – verbindet man die Enden der Balken – ein Quadrat ergibt. Aus diesem Grundriss lässt sich auch ein Oktogon entwickeln und das Quadrat kann auch von einem Kreis umschlossen werden, wenn der Bogen die acht Ecken der Balken bzw. die beiden Ecken jedes Balkenendes berührt. Über dem Grundriss des griechischen Kreuzes erhebt sich ein Zentralbau, über einem lateinischen Kreuz dagegen, dessen Längsbalken länger als der Querbalken ist, welcher den Längsbalken oberhalb von dessen Mitte kreuzt, und dessen Verbindung der Balkenenden den Grundrisse eines Rechtecks ergibt, erhebt sich ein Langhaus, ein- oder mehrschiffig. Die Frage, ob Zentralbau oder Langhaus, spielte eine entscheidende Rolle. Der Kirchenbau im lateinischen Mittelalter war architektonisch vom Langhaus geprägt, das sich über dem Grundriss eines lateinischen Kreuzes erhob. Der Übergang zum Zentralbau stellte zum einen eine Abwendung von der Tradition, vor allem vom immer noch alles beherrschenden gotischen Stil mit seiner unaufhaltsamen Bewegung in den Himmel und in die höchsten Sphären, von der im Grunde genommen baugewordenen Divina Commedia, von einer sich in den Himmel erhebenden Summa – wie das Münster zu Straßburg oder die Kathedrale von Chartres – dar, und zum anderen stellte er im Gegensatz dazu eine Hinwendung zum weltlichen, vollkommen den Erdenraum zum Ziel habenden Tempel dar. Der Zentralbau besaß mithin in seiner Hinwendung zur Antike, zum römischen Altertum eine pagane oder auch häretische 225

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Note. So stand das Kapitol gegen die Basilika und der Zentralbau stand mit seiner Betonung des Horizontalen gegen die gotische Kathedrale mit ihrer steingewordenen Vertikalität. Leonardo wie auch Donato Bramante favorisierten den Zentralbau. Keine zehn Jahre später sollte Donato Papst Julius II. mit seinem Entwurf für den Neubau des Petersdomes überzeugen. Niemand weiß, ob Donato letztlich ein Langhaus oder einen Zentralbau konzipiert hatte, denn es sind nur Zeichnungen und Pläne für die Vierung überliefert. Möglicherweise sind ja auch gar keine anderen Pläne angefertigt worden. Im Mittelpunkt von Donatos Interesse stand die Herausforderung, eine riesige Kuppel zu erbauen, die sowohl Brunelleschis Kuppel für den Florentiner Dom als auch die für den Mailänder Dom und schließlich sogar die Kuppel des Pantheons übertreffen sollte. Aus den Gesprächen mit Leonardo nahm Donato wertvolle Anregungen mit nach Rom, wie man an Leonardos Skizzen erkennen kann. Oder wurden am Ende Leonardos Skizzen von Donato inspiriert, oder befeuerten sich beide großen Geister gegenseitig? Leonardo ging noch darüber hinaus. Potentielle Auftraggeber interessierten ihn schon nicht mehr, als er begann, Kirchen als Theater zu entwerfen. In seinen Plänen wurden Altar und Kanzel zur Bühne, um die herum sich auf Rängen die Zuschauertraversen erhoben. Damit war der Akzent auf das Verfolgen der Messe und die Wirkung der Predigt gelegt – dem Akt der Transsubstantiation, der mystischen Verwandlung von Brot in den Leib Christi und von Wein in das Blut Christi, wurde damit jegliche geheimnisvolle Anmutung genommen. Es mag sein, dass er in der unvollendet gebliebenen Florentiner Anbetung noch den Bogen von der Anbetung der drei Weisen zur Eucharistie zu schlagen versuchte, doch in seinen Entwürfen zu Kirchen aus den 80er- und 90er-Jahren spielte die Eucharistie keine Rolle mehr, zumindest nicht als Messopfer und als mystische Wesensumwandlung. Leonardos Experimente mit dem 226

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Kirchen­raum könnte man, wäre es kein Anachronismus, als protestantisch bezeichnen. Ihm gelangen auch kleinere Erfindungen und Findungen. Bögen, die Gesimse trugen, die Dach- oder insbesondere Kuppelpfeiler verbanden, die das Gerippe von Kuppeln bildeten, spielten in der Baukunst eine große Rolle, sowohl in der Ästhetik als auch in der Statik. Sie trugen ihren Teil am Kräftefluss des Bauwerkes. So erkannte er, dass der Bogen dort, wo seine schwächste Stelle war, an die Luft grenzte, die ihm keinen Halt bot. Deshalb drehte er einfach den Bogen um, so dass die Rundung nun Halt am Gebäude finden konnte. Zunehmend entdeckte er seine Liebe zum Oktogon, zum Achteck, da es architektonisch etwas Androgynes hatte. Wie auch seine Engelsfiguren jene Sphären von männlich und weiblich hin zu etwas Drittem überschritten, so ist das Achteck – nicht mehr Kreis, doch dem Kreis noch recht nahe – fast ein Intermezzo zwischen Kreis und Viereck. Das andere Bauwerk, das er nach der Pest intensiv zu untersuchen begann, sah er in der Anatomie des Menschen. Wie sehr er sich dabei von den Analogien und dem Entsprechungsdenken leiten ließ, wird in folgender Notiz deutlich: »Hier soll der Gefäßbaum erst allgemein dargestellt werden, so wie Ptolemäus in seiner Kosmographie die Welt dargestellt hat, dann sollen die Gefäße jedes Körperteils für sich von verschiedenen Seiten dargestellt werden …«197. In dieser Sentenz treten uns Leonardos Denken und grundsätzliche Methode in größter Klarheit entgegen. Der Mensch ist für ihn eine Welt im Kleinen – und so, wie man die Welt kartographieren kann, so kann man auch den Körper kartographieren. Anordnung und Verbundenheit der Blutgefäße ergeben einen Baum, genauso, wie ein Baum einen Stamm mit Ästen und Zweigen besitzt. Wie modern diese alte Vorstellung ist, zeigt, dass wir auch heute noch von einem Anatomischen Atlas sprechen. Das Prinzip, nach dem Leonardo vorging, richtete sich vom Ganzen dem Teil zu, vom Teil dem Teilchen. Man darf das nicht mit der Deduktion des Aristoteles 227

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

verwechseln. Leonardo ging nicht von Lehrsätzen oder Definitionen aus, die er in immer neuen Kategorisierungen zu einem beeindruckenden Bau, zu einer Summa ausbaute. Ihn interessierten Definitionen nicht, auch nicht das, was die Autoritäten in Büchern festgelegt hatten: Für ihn begann alles mit der Anschauung der Wirklichkeit – und hier folgte er dem anzuschauenden Objekt bis in die kleinste Verästelung. In einer allgemeinen, geradezu lehrmäßigen Anleitung schrieb Leonardo, dass er »in fünfzehn vollständigen Abbildungen die Kosmographie des Mikrokosmos (minor mondo, d. h. wörtlich ›kleinere Welt‹) in derselben Reihenfolge«, wie Ptolemäus sie vor ihm »in seiner Kosmographie angewandt hat«, zeigen wolle. Zuvor erläuterte er, wie viele Schnitte in den gehäuteten Leichnam vorzunehmen seien, wobei zunächst einiges zerstört werden müsse, bevor es bei einer erneuten Sektion an einer anderen Leiche betrachtet werden könne. Leonardo wusste um den Frevel, der nur durch das wissenschaftliche Interesse, nur aus der Notwendigkeit heraus gerechtfertigt sei, Wissen aus der Realität statt aus der immer neuen Auslegung alter Bücher zu gewinnen. Deshalb stößt man inmitten der praktischen Ratschläge sogar auf ein kurzes Gebet: »Und unser Schöpfer gebe, dass ich auch die Natur der Menschen und ihre Gewohnheiten zu enthüllen vermag, während ich ihre Gestalt enthülle.«198 Er suchte also nicht nur nach der Gestalt, sondern auch nach der Natur des Menschen. Deshalb warnte er sich und andere vor dem Hochmut, vor der Kälte der Routine, vor der Verführung durch die Virtuosität eigenen Könnens, das nur auf das Gelingen der Darstellung schaut und nicht weiter im Zeichnen nach der Natur der Natur sucht. »Der Maler, der mit Routine und nur dem Auge nach malt, aber ohne nachzudenken, ist wie der Spiegel, der alles vor ihm Befindliche abbildet, ohne etwas davon zu wissen.«199 Ausdrücklich schrieb er dem »anatomischen Maler« ins Stammbuch, er solle achtgeben, dass seine »allzu große Kenntnis der Knochen, Sehnen und Muskeln nicht einen hölzernen Maler aus« ihm mache.200 228

13. Der Bau des Lebens

Weil das Wesen des Lebens in seiner Veränderung besteht, riet er, auf die Unterschiede zu schauen, »wie bei alten und mageren Menschen die Knochen von den Muskeln bedeckt oder bekleidet sind, und außerdem schau dir an, auf welche Weise diese Muskeln die Zwischenräume ausfüllen, die zwischen ihnen aufklaffen, und welche Muskeln es sind, deren Ansatz schon bei der geringfügigsten Dickleibigkeit nicht mehr erkennbar ist; und oftmals wird aus mehreren Muskeln ein einziger, wenn jemand dicker wird …«201 Ob er hoffte, die Seele zu finden? Wohl kaum: »Jeder Körper besteht aus den Teilen und Säften, die für seine Erhaltung notwendig sind. Dieses Bedürfnis wird von der Seele, die diese Körperform für einige Zeit als ihre Wohnung gewählt hat, gut erkannt und befriedigt.«202 Für Marsilio Ficino war die Seele bereits das die Natur Treibende, das die Materie Bewegende. Der Mensch war für ihn die Seele, die sich des Körpers bediente, die Seele das Körperlose und somit Unvergängliche, der Körper das Vergängliche, den die Seele verlässt, wenn er entsprechend seiner Vergänglichkeit abstirbt.203 Ähnlich sah es auch Leonardo, nur dass er dann nicht wie der Florentiner Philosoph weiter über das Vermögen der Seele nachdachte, sondern über das Vermögen des Körpers, dem vor allem seine ganze Erforschung galt. Noch heute erregen Leonardos Überlegungen zum Sitz der Seele, den er in den Gehirnventrikeln lokalisierte, und zur Quelle der Lebensgeister, die »von dem linken Herzventrikel herrühren«204, großes Interesse, wenn man sich von der wissenschaftlich unscharfen Ausdrucksweise nicht ins Bockshorn jagen lässt, die oft auch allegorisch oder beschreibend daherkam, weil Leonardo über kein wissenschaftliches Begriffssystem verfügte. Zumindest blieb er nicht in den alten erstarrten Kategorien stecken, sondern ignorierte sie einfach. Leonardo ging sogar noch ein paar Schritte weiter, indem er im Herzen nicht nur die Quelle der Lebensgeister verortete. Er revidierte seine Aussage, dass die Seele sich in den Gehirnventrikeln befinde, und gelang229

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

te nun zu dem Schluss, dass das Herz auch der Sitz der Seele sei, denn das Herz bewege sich von selbst. Die Bewegung aller Muskeln gehe von den Nerven aus, die mit ihren Verzweigungen »tief in diese Muskeln eindringen.«205 Wenn man sich Ultraschallaufnahmen eines Embryos anschaut, wird man sehen, wie nach wenigen Wochen das Herz zu schlagen beginnt. Möglicherweise ist dies der Anfang des Lebens. Und so darf in der großen ethischen Diskussion in den Tagen der Apparatemedizin, wann Leben beginnt und wann es endet, Leonardos grundlegende Erkenntnis zu Rate gezogen werden: »Der ganze Körper nimmt, in seinem Urzustand gesehen, seine Entwicklung aus dem Herzen. Das gilt also auch für das Blut und die Gefäße und die Nerven, obwohl die Nerven doch offenbar alle vom Rückenmark ausgehen, also vom Herzen weit entfernt scheinen, und obwohl das Rückenmark aus derselben Substanz besteht wie das Gehirn, von dem es kommt.«206 Das Leben beginnt laut Leonardo mit dem Schlagen des Herzens. Ob er wusste, dass er damit eine Vermutung des Aristoteles bestätigte, der in der kleinen Schrift »Über Jugend und Alter, Leben und Tod« schrieb: »Was die blutführenden Lebewesen betrifft, so entsteht ihr Herz als Erstes«?207 Einerlei – wer im Ultraschall in einem kleinen Zellhaufen bereits das schnelle und regelmäßige Schlagen des allerersten Organs wahrnimmt, wird Leonardo hierin zustimmen. Leonardo suchte nicht nach den Mysterien der Seele, nicht nach der Sphäre, aus der sie gefallen ist und in die sie zurückzukehren wünscht, sondern nach dem Geheimnis des Lebens, dem Bauplan des menschlichen Körpers, danach, wie das alles, was man Leben oder Lebewesen nennt, funktioniert – und diese Recherche, die ihn sein weiteres Leben lang antrieb, begann er in Mailand mit der Sektion von Leichen. Der Mediziner Ficino wandte sich letztlich vom Körper ab und der unvergänglichen Seele zu, der Maler und Forscher Leonardo hingegen nahm die Seele als unbefragte Voraussetzung und widmete sich dem vergänglichen Körper. Um die notwendigen Kenntnisse und tech230

13. Der Bau des Lebens

nischen Fertigkeiten zu erwerben, ohne dabei durch Ungeschick oder Unwissen Leichen, die nur schwer beschafft werden konnten, zu »vergeuden«, übte er an toten Tieren, an Katzen, Eulen und Fröschen. Deshalb riet er, »auch die Beine von Fröschen« darzustellen, »denn sie haben große Ähnlichkeit mit den Beinen von Menschen, sowohl in Bezug auf die Knochen als auch auf die Muskeln. Du musst ferner die Hinterbeine von Hasen zeich-

Anatomische Zeichnungen des Magens und der Eingeweide um 1506, Feder und braune Tusche über Spuren schwarzer Kreide

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

nen, die sehr muskulös sind und deutliche Muskeln haben, weil diese nirgends von Fett bedeckt sind.«208 Sehr wahrscheinlich fragte er einen Arzt, Barbier oder Feldscher um Rat. Welcher Erkenntnisdrang in ihm wirkte, zeigt die große Überwindung, die es ihn kostete, nachts Leichen aufzuschneiden. Ausgerechnet der heikle Leonardo, der sich doch die Finger mit Rosenwasser wusch, enthäutete Menschen, griff nun mit seinen Händen in die blutigen Eingeweide fahler und stinkender Leichen. Viele Jahre später, als er schon reichlich Übung besaß, schrieb er über die Schwierigkeiten, die Fehlschläge bei seinen Übungen, über den Kampf, den er mit sich, seinen Aversionen und dem Ekel, den es zu überwinden galt, führte, um überhaupt fähig zu dieser Art von Forschung zu sein. Doch sein Erkenntnisinteresse besiegte sein Zurückschaudern und trieb ihn geradezu in wahre Forschungsräusche. Wenn man seine minutiösen Aufzeichnungen liest, sich die detailreichen und zugleich künstlerisch hochwertigen Zeichnungen anschaut und seiner trockenen, präzisen Beschreibung der Anatomie des Menschen, seiner Organe, seiner Knochen, Muskeln, Gewebe, Nerven folgt, trifft man auf einen Menschen, der alles wissen wollte, der vor keiner Erkenntnis zurückschreckte. Er ertrug all das, weil er wissen wollte. Dabei erteilte er sich gelegentlich Anweisungen, notierte, was noch zu tun war. Zu einer Abbildung der rechten Niere schrieb er: »Schneide sie mitten durch und stelle dar, wie die Harnkanäle zusammengepresst werden und wie sie Tropfen für Tropfen ausscheiden.«209 Das Kunstlose seiner Beschreibungen, die trockene Pedanterie der Details geben die Intensität seines Suchens wieder, denn der Drang, in den Bau der Natur einzudringen und ihn vollständig zu beschreiben, ließ keine Zeit für Ästhetik. Er suchte nicht nach Worten, sondern nach der Verbindung der Organe, nach ihrem Zusammenwirken, nach dem, was man Leben nennt, wie Leben im Detail und aus den Details heraus funktioniert. Nicht in Worten, nicht in Aufzeichnungen, die wie Inventarlisten des 232

13. Der Bau des Lebens

Die zum Atmen, Schlucken und Sprechen dienenden »Instrumente« (Zäpfchen, Pharynx, Zunge mit Luftröhre, Kehlkopf und Speiseröhre) um 1509/10, Feder und braune Tusche (drei Schattierungen) laviert über schwarzer Kreide, und rote Kreideskizzen rechts oben

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

menschlichen Körpers wirken, lag die Kunst, sondern in der Zeichnung. Leonardos anatomische Zeichnungen beeindrucken in zweifacher Weise: wissenschaftlich als Report eines Forschers und künstlerisch, indem sie große Kunst sind. Damit die Zeichnungen verständlich blieben, sah er sich gezwungen, auf Details zu verzichten. Die gewinnbringende Reduktion und Vereinfachung, auch Schematisierung, ohne dabei zu verfälschen, setzte die Kenntnis dessen voraus, was reduziert werden musste. Im Spannungsfeld zwischen Naturalismus und Realismus bewegte sich Leonardo mit bewunderungswürdiger Sicherheit auf den Bahnen des Realismus. Nichts schreckte ihn in seinem Erkenntnisdrang zurück, nicht das Banale, nicht das Skurrile. So notierte er über die Zeugung – er, der den Geschlechtsakt auch anatomisch untersucht und Sektionen vorgenommen hatte: »Der Vorgang der Zeugung und die Glieder, die dabei gebraucht werden, sind so abstoßend hässlich, dass die Natur die menschliche Spezies verlieren würde, wenn die Gesichter und die Affekte der Zeugenden und die gebändigte Sinnenlust nicht etwas Schönes an sich hätten.«210 Diese Worte enthüllen so ganz nebenbei Leonardos ambivalente Sexualität, seine widersprüchliche Haltung zum Geschlechtsakt, zu dem er sich, so scheint es, im gleichen Maße getrieben wie von ihm abgestoßen fühlte. Wie ein Pendant in ein Rätsel gekleidet liest sich folgende Prophezeiung Leonardos, die doch vom gleichen Thema spricht: »Die Menschen werden angesichts der schönen Dinge in Raserei geraten und die hässlichen Teile suchen, um sie zu besitzen und zu gebrauchen; doch später, wenn sie durch Schaden und Reue wieder zu Verstand gekommen sind, werden sie sich über sich selbst wundern.«211 Die Lösung des Rätsels: Es handelte sich um die Unzucht. Vielleicht erwuchs sein Interesse am Androgynen auch aus seinem Ekel an der Mechanik des Geschlechtsaktes, der tierischen Ödnis 234

13. Der Bau des Lebens

der Vereinigung von Frau und Mann. »Post coitum omne animal triste praeter gallum, qui cantat.« (Nach dem Koitus sind alle Lebewesen traurig außer dem Hahn, der singt.)212 Die Traurigkeit, das Triste, bezeichnete die Reue, die ihn anscheinend nach der Raserei und der Wollust, nach dem, »was den Florentinern so gut gefällt, das Spiel von hinten«,213 packte. Die Zeichnungen und Skizzen fraßen Leichen. Um eine wirklichkeitsgetreue Kenntnis des Blutkreislaufs, der Adern im Körper eines Menschen zu bekommen, musste er mehr als zehn Menschenleiber zerlegen, um Stück für Stück das Fleisch zu entfernen, das um die »Adern herum war, ohne sie mit Blut zu beflecken«. Wie viel Brechreiz hatte er am Anfang zu überwinden? Wie viel Überwindung kostete es, »zur Nachtzeit in Gesellschaft der zerstückelten, enthäuteten und grausig anzusehenden Toten zu verweilen«, die er ausweidete? Denn in der Nacht musste es geschehen, weil die Sektion von Toten als Frevel, als Häresie galt und nur bestimmten Ärzten und auch denen nur für bestimmte Zwecke vorbehalten blieb. Scharfe Messer besaß er, doch wie stand es mit Handschuhen, mit Schürzen und mit Desinfektionsmitteln? Bei jeder Sektion ging er ein nicht zu unterschätzendes gesundheitliches Risiko ein. Paolo Giovo, Leonardos erster Biograph, schrieb über Leonardos anatomische Studien: »In den Schulen für Medizin hatte er auch gelernt, unter unmenschlichen Mühen und Widerstreben die Leichen der Übeltäter zu sezieren, um dann die verschiedenen Beugungen und Anspannungen der Glieder, Kraft der Sehnen und Gelenke malen zu können, indem er der Ordnung der Natur getreulich folgte. So stellte er in wunderbarer Sorgfalt auf Tafeln die Form der aller­ kleinsten Organe dar, selbst die feinsten Adern und der die verstecktesten Teile des Knochengerüstes …«214 Ein großes Problem stellte die Beschaffung der Leichen dar, denn es galt als unchristlich, jemanden nicht in geweihter Erde zu be235

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

graben. So blieb Leonardo, wie es Paolo Giovo andeutete, auf die Arbeit des Henkers angewiesen, denn zumeist waren es hingerichtete oder eben im Kerker verstorbene »Übeltäter«, deren Leichen er kaufen konnte. Während der Sektionen gewann er eine große Erfahrung in der Darstellung, so dass alles, was er zeichnete, zum einen der Wahrheit entsprach, zum anderen aber noch erkennbar blieb und den Betrachter nicht verwirrte. Deshalb stellte er beispielsweise für das Studium der Muskeln folgende Regel auf: »Ziehe, bevor du die Muskeln darstellst, an ihrer Stelle Fäden, welche die Lage dieser Muskeln an den Knochen angeben und auf die Mitte der Ansatzstelle der Muskeln an den Knochen zulaufen sollen. Dadurch wirst du schneller einen Begriff gewinnen, wenn du die Muskeln übereinander darstellen willst. Machst du es aber anders, so wird deine Darstellung unklar sein.«215 Wollte er sich zur Erkenntnis der Welt vorarbeiten, dann musste er jeden Weg konsequent verfolgen, der dorthin führte. In den Texten zur Malerei, zu den Problemen der Bewegung, findet sich auf einem Blatt, das zum Windsor Codex gehört, folgendes Forschungsprogramm. In dessen Gedankengang und Diktion begegnete man Leonardo am reinsten, so, als stünde er vor uns und spräche über die Jahrhunderte hinweg zu uns: »Stelle dar: woher der Katarrh – die Tränen – das Niesen – das Gähnen – das Zittern – die Fallsucht – der Wahnsinn – der Schlaf – der Hunger – die Wollust – der Zorn, wo er sich im Körper auswirkt – die Angst ebenso – das Fieber – die Krankheit kommt – wo das Gift wirkt … Warum der Blitz den Menschen tötet und ihn nicht verwundet; und wenn sich der Mensch die Nase zuhielte, würde er nicht sterben, weil der Blitz die Lunge angreift. Schreibe, was Seele ist. 236

13. Der Bau des Lebens

Von der Natur, die aus Notwendigkeit die lebens­ wichtigen und tätigen Werkzeuge in der gebotenen und notwendigen Form und Lage hervorbringt. Wie die Notwendigkeit die Gefährtin der Natur ist. Stelle dar, woher das Sperma kommt, woher der Urin, woher die Milch. – Wie sich die Nahrung in den Adern umwandelt – woher die Trunkenheit kommt – woher das Erbrechen – woher die Nierensteine und andere Steine – woher das Steinstechen – woher das Träumen – woher das Irrereden bei den Kranken – woher es kommt, dass der Mensch einschläft, wenn seine Adern abgedrückt werden – woher es kommt, dass der Mensch tot umfällt, wenn er in den Nacken gestochen wird – woher die Tränen kommen – woher die Drehung der Augen, bei der das eine Auge das andere mitnimmt. Vom Schluckauf.«216 Zu dieser Zeit waren seine Forschungen, egal, ob sie sich auf die Mechanik, die Anatomie, die Geologie und Hydraulik, auf die Natur des Wassers oder des Vogelflugs bezogen, noch unsystematisch, mutwillig und sporadisch. Doch nach und nach sollten sie sich immer mehr ordnen, ohne freilich die Systematik eines Kompendiums zu erreichen. Alle seine Studien samt den Entwürfen für den Mailänder Dom füllten ihn eigentlich vollkommen aus. Doch es muss immer noch genügend Zeit geblieben sein, um am Hof zu antichambrieren, denn in diesen Jahren wurde er in Mailand zum perfekten Cortegiano, zum Angehörigen von Lodovicos Hof.

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

14. Der Zauberer

Womit beschäftigte sich Leonardo, wenn er nicht architektonische Entwürfe zeichnete, nach anatomischen Erkenntnissen suchte und il Moro in Fragen der Stadtplanung und des Bauens beriet? Womit also war Leonardo beschäftigt, wenn er nicht Maschinen erfand, Waffen und Kriegsgerät konstruierte? Wenn er sich nicht unermüdlich als Bewerber um den Auftrag für das Sforza-Monument (das Bronzepferd) in Erinnerung brachte? Wenn er nicht des Nachts Leichen aufschnitt und sie immer geübter und fachgerechter sezierte? Wenn er nicht durch die lombardische Landschaft wanderte, um Gesteinsformationen zu untersuchen und den Flug der Vögel zu beobachten, um das Fließen und vor allem das Wirbeln des Wassers, den Wind, das Licht und die Formationen der Wolken zu betrachten? Wenn er nicht Skizzen entwarf, damit die Mitarbeiter daraus Bilder machten, in unterschiedlicher Qualität für unterschiedlich große Geldbeutel? So werden wohl die vier heiligen Sebastiane, die in Leonardos Umzugsliste auftauchten, einerseits als Vorlage für nicht allzu anspruchsvolle Dutzendware gedient haben und andererseits auch als Zeichnungen verkauft worden sein, zumal sie einen erotischen Unterton nicht verhehlten, der allseits geschätzt wurde. Die gewagte Zote gehörte, wie man es an den Facetien des Poggio Bracciolini, sogar des feinsinnigen Angelo Poliziano oder des dionysischen Spötters Luigi Pulci erkennen kann, zum erwünschten Arsenal höfischer und gutbürgerlicher Konversation. Zu Leonardos frühen Mitarbeitern gehörte Tommaso Masini, der aber nicht ständig anwesend war, wie folgende Notiz in einem Dokument von 1492 belegt: »Am Donnerstag, dem 27. September, kam Meister Tommaso zurück: er arbeitete bis zum vorletzten Tag im Februar, am 18. März kam Julio Tedesco zu mir ins Haus.«217 Julius der Deutsche, der so etwas wie ein Schlosser oder Mechaniker war, wie Leonardo ihn für seine technischen 238

14. Der Zauberer

Aktstudie zu einem hl. Sebastian um 1480/81, Feder und Tinte über Metallstift auf präpariertem Papier

Experimente benötigte, gehörte also auch dazu sowie die Maler Marco d’Oggioni und Boltraffio, die bereits eigene Aufgaben übernahmen, wie z. B. das Malen einer Altartafel für die Kapelle des heiligen Leonhard in der Kirche San Giovanni sul Moro. Es ist zu schade, dass kein Rechnungsbuch der Werkstatt existiert, denn es würde vermutlich ausweisen, dass die Werkstatt Bilder und Kunstgewerbliches für den Mailänder Markt produzierte – auch aus Metall, wie Kerzenständer, die Tommaso Masini, genannt Zoroaster, fertigte. Während Zoroaster sechs Leuchter herstellte, arbeitete Julius an Feuerzangen, an einer Hebevorrichtung und an Schlössern. Wenn also gefragt wird, wovon Leonardo seinen aufwändigen Lebensstil unterhielt, lautet die 239

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Bilderrätsel um 1487-1490, Feder und Tinte

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Antwort denkbar einfach, dass die Werkstatt sich trug. Hinzu kamen Geschenke, Dotationen, Einkünfte für Gutachtertätigkeit und Beratung und ein zwar unregelmäßiges, dennoch sicheres Salär von il Moro. Was also unternahm er, wenn er nicht mit all dem beschäftigt war? Er machte sich am Hof unentbehrlich, und zwar als Regisseur, als Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildner, als Musiker, aber auch als Erfinder von Rätseln, die entweder in Prophezeiungen verpackt oder in Form des Rebus, wie auf dem gegenüberliegenden Blatt versammelt, gestellt wurden. Nach einem festlichen Essen bei Hofe am Nachmittag im Schloss oder im Park – entweder bei il Moro oder im Kreise seiner Mätresse Cecilia Gallerani oder später im Zirkel seiner Ehefrau Beatrice d’Este, oder eben bei il Moros Neffen, dem eigentlichen, aber vollkommen machtlosen Herzog von Mailand, Gian Galeazzo – ruhten die Augen der Erlauchten und der Höflinge auf Leonardo, der liebenswürdig, zuweilen mit einer gewagten, immer aber mit einer überraschenden Anspielung die Aufmerksamkeit auf sich zog und schließlich die Anwesenden auf die Probe stellte: »Da werden riesige Gebilde in menschlicher Gestalt erscheinen; aber je näher du ihnen kommst, desto mehr werden sie ihre ungeheure Größe verlieren.«218 Amüsement, Verblüffung und Ratlosigkeit, auch ein wenig gepflegtes Gruseln dürften Leonardos Worten gefolgt sein, bis vielleicht jemand das Rätsel zu lösen vermochte und unter Applaus in die Runde warf: »Es sind die Schatten, die die Menschen nachts mittels des Lichts werfen.« Oder Leonardo rief mit weit aufgerissenen Augen aus: »Weh mir! Was sehe ich! Der Heiland wieder gekreuzigt!«219 Ob jemand auf die verzwickte Lösung kam? Leonardo meinte die Bildwerke, die Kruzifixe und die Kreuzigungstafeln. Er stellte das Rätsel jedenfalls mit theatralischem Talent in gespieltem Schrecken, so, wie er es einem anderen Prophezeiungsrätsel als Regieanweisung angab: »Sag es hastig und irre, als wärest du 241

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nicht gesund im Kopf.« Das Rätsel, das hastig gesprochen werden sollte, lautete: »Viele werden damit beschäftigt sein, von dem etwas wegzunehmen, das umso mehr wächst, je mehr man wegnimmt.«220 Dessen Lösung war die Grube. Die kleine Regieanweisung zur Darbietung des Rätsels weist darauf hin, dass Leonardo seine kleinen Auftritte offensichtlich genau vorbereitete und sie nicht der Inspiration oder dem Zufall überließ. Er kannte die Leute, mit denen er zusammentraf, ihre Stärken und Schwächen, wer wichtig war und wer nicht, welcher Konkurrent eine kleine Sottise oder Bloßstellung verdient hatte. So, wie er zur optimalen Annäherung an das Thema Skizzen und Studien für Bildwerke oder Bauten oder Maschinen schuf, bereitete er auch seine gesellschaftlichen Auftritte minutiös vor. Leonardos viel bewunderte Unberechenbarkeit, seine launigen Einfälle und göttlichen Frechheiten, seine beeindruckenden philosophischen Anwandlungen waren hart erarbeitet, stellten im Grunde ein Kommunikations- oder Konversationskunstwerk dar. Da die Basismethode seines Denkens in den Entsprechungen bestand – in den Analogien und Allegorien, die er als Poetisierung der Analogie verstand –, übertrug er die Vorstellung des sfumato, des »Verrauchens«, des malerischen Gleitens zwischen Hell-Dunkel-Tönen, um die harten Kontraste, die immer etwas Künstliches hatten, aufzulösen, so dass die Umrisse schwammen und das Bild wie hinter einem leichten Schleier wirkte, als Glissando auf die Musik und auf die gesellschaftliche Konversation als Auflösung der Doppeldeutigkeit in die Ambivalenz: auf Bedeutungen, die nicht getrennt voneinander oder aufeinander bezogen waren oder gegengespiegelt wurden, sondern die ineinander verschwammen, weil die Konturen sich auflösten und ineinander flossen. Denn am Ende seines Lebens fährt der Mensch in die Grube. Da hinein kann man fallen, in ihr kann man verschwinden, in sie kann man gelegt werden. Je mehr man vom Tod nimmt und ihn zu verdrängen sucht, indem man lebt, desto 242

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größer wird der Tod. Mit je größerer Kraft man sich gegen das Ende wehrt, mit desto größerer Kraft kommt es. Das hatten Leonardo und ganz Mailand in den Zeiten der Pest erlebt: Am Ende blieben nur noch die ganz großen Gruben, die Massengräber, die sich auftaten. Leonardo war ein Meister der verschatteten Assoziation. Seine gesamte Denkwelt ließe sich anhand der Rätsel entschlüsseln, schon weil sie die Welt in der Nussschale waren, klein und scheinbar unaufwändig, vielleicht zuweilen etwas verschroben, immer aber mehrdeutig – auf der begrifflichen, der sprachlichen und der bildlichen Ebene. Seine Rätsel spielten mit dem, was da ist und was wiederum auch da ist, weil es etwas anderes zu sein scheint und dennoch auch dasselbe ist – so, wie mit Meister Eckharts Sonnen Sonne (siehe Seite 153). Man muss Leonardos öffentliches Auftreten als Gesamtkunstwerk verstehen, an dem der Künstler unermüdlich und präzise arbeitete. Allerdings ließe sich Leonardos Regieanweisung auch anders verstehen, so, wie Theodor Lücke übersetzte: »Führe dies als Beispiel für Wahn, Aberwitz oder Irrsinn an.«221 Beide Varianten widersprechen einander nicht, sondern ergänzen sich, denn Lückes Vorschlag verdeutlicht geradezu, dass ebendas von Leonardo passgenau für seine Zwecke erfundene Prophezeiungsrätsel mehr als nur eine simple Denkaufgabe war: Es sollte auf unkonventionelle Weise Gesprächsthemen provozieren. Der Reiz – auch für Leonardos Publikum – dieser Rätsel im prophetischen Ton bestand in der Doppeldeutigkeit und darin, dass ein Rätsel zur Kurzweil mit dem Schrecken und dem Grauen spielte. In den Rätseln hielt er der Welt, deren Grausamkeit ihm unverständlich blieb, einen gebogenen, zuweilen konvexen, dann wieder konkaven Spiegel vor. Hin und wieder geriet ihm ein Rätsel auch zur Anklage, zur rhetorisch fragenden Philippika: »Man wird Geschöpfe auf Erden sehen, die einander fortwährend bekämpfen werden, und zwar unter sehr großen Verlusten und oft auch Todesfällen auf beiden Seiten. Sie werden 243

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keine Grenze kennen in ihrer Bosheit. Durch die rohen Glieder werden die Bäume in den riesigen Wäldern der Welt größtenteils dem Erdboden gleichgemacht werden, und wenn sie satt sein werden, dann werden sie zur Befriedigung ihrer Gelüste Tod und Leid, Drangsal, Angst und Schrecken unter allen lebendigen Wesen verbreiten. In ihrem maßlosen Übermut werden sie sogar zum Himmel fahren wollen, aber die allzu große Schwere ihrer Glieder wird sie unten halten. Da wird auf der Erde, unter der Erde oder im Wasser nichts übrigbleiben, was sie nicht verfolgen, aufstöbern oder vernichten werden, und auch nichts, was sie nicht aus einem Land ins andere schleppen werden. Ihr Leib aber wird allen lebendigen Körpern, die sie getötet haben, als Grab und Durchgang dienen. O Erde, warum tust du dich nicht auf? Warum stürzest du sie nicht in die tiefen Spalten deiner riesigen Abgründe und Höhlen und bietest dem Himmel nicht mehr den Anblick eines so grausigen und entsetzlichen Unwesens?«222 Wenn Leonardo die beeindruckten Zuhörer fragte, wovon er gesprochen habe, dann lautete die Antwort: von der Grausamkeit des Menschen. Man war – vor allem bei Hofe und in den gebildeten Ständen – sich der Vanitas bewusst, wusste nur zu gut um die Zufälligkeit und Vergänglichkeit. Lorenzo de’ Medici wurde durch den Mordanschlag im Dom zu Florenz vor Augen geführt, wie schnell das Leben enden kann, und il Moros Pracht und Macht hing am seidenen Faden, den ausländische Mächte oder eine Verschwörung mit seinem Neffen an der Spitze oder ein Bündnis beider jederzeit zerschneiden konnte. Deshalb ist auch die große Göttin jener Zeit Fortuna mit ihrem Rad, das sie beständig dreht, und mit der letztlich kein Bund zu knüpfen ist. Zum einen verzichtete Leonardo – Pythagoras folgend – auf den Genuss von Fleisch und lebte bewusst als Vegetarier, kultivierte und propagierte diese Lebensform geradezu, klagte die Boshaftigkeit der Menschen, ihre Grausamkeit mit diesem tiefsitzenden Ekel an, und zum anderen arbeitete er trotzdem – von 244

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niemandem außer von sich selbst dazu angetrieben – mit Lust und Feuereifer an Kriegsgeräten wie einem grausamen Sichelwagen. Die Grausamkeit der Welt lag nicht in seiner Verantwortung, er konnte nichts ändern. Er sah sich nicht als Politiker, nicht als Dichter, nicht als Philosoph, sondern als Forscher und Konstrukteur, der die Geheimnisse der Welt zu entschlüsseln suchte und der ein fast naives Vergnügen an immer neuen Erfindungen empfand. Der Zielpunkt der Erfindungen bestand in einem Zuwachs an Effektivität. Aber daneben gab er auch Witze zum Besten wie: »Ein Maler wurde gefragt, warum er, obwohl er seine Gestalten, die doch tote Dinge seien, so schön mache, seine Kinder so hässlich gemacht habe. Darauf erwiderte der Maler, er mache die Gemälde eben am Tag und die Kinder bei Nacht.«223 Und Schwänke wie: »Jemand erzählte einmal, dass in seiner Heimat die wunderlichsten Dinge vorkämen. Darauf antwortete ein anderer: ›Richtig! Du, der du dort geboren bist, bestätigst ja durch die Wunderlichkeit deines abstoßenden Äußeren, dass das wahr ist.‹«224 Damit erschöpften sich Leonardos Talente als Unterhalter bei Hof, der trefflich für Kurzweil zu sorgen hatte, aber noch längst nicht, denn Messer Leonardo verstand zudem, vorzüglich die Lyra zu spielen und zu singen. Auf ihn konnte und wollte man bei Hofe nicht verzichten, wenngleich er dort auch Feinde und Neider besaß. Zwischen den bildenden Künstlern, deren Selbstwertgefühl, Selbstsicherheit und forderndes Auftreten dank Männern wie Leonardo und Donato Bramante keinerlei Zurückhaltung kannten, und den Humanisten, die sich weit über den Handwerkern zu stehen dünkten, kam es zu harten Auseinandersetzungen um den Wert der eigenen Disziplin und um die Gunst des Fürsten. Es ist verständlich, dass sich die Humanisten und Dichter, die vom Fürsten protegiert und als Höflinge finanziell unterhalten wurden, die neue Konkurrenz mit der größten Abneigung ansahen. 245

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Die Auseinandersetzung drehte sich um das Prestige und um das Salär. Selbst der feinsinnige Poliziano – dessen Porträt man u. a. auf dem großartigen Fresko Die Bestätigung der Ordensregel des heiligen Franziskus im Franziskus-Zyklus von Domenico Ghirlandaio in der Sassetti Kapelle in Santa Trinita Florenz findet – und nicht nur er, sondern auch Matteo Franco, Luigi Pulci und Lorenzo de’ Medicis Söhne – Piero, Giovanni, der einmal Papst Leo X. sein würde, und Giuliano, der fürderhin Leonardos Gönner werden sollte –, zählten die Malerei zum Handwerk, das vom Ansehen her weit unter der Dichtkunst stand. Aus diesem Rangstreit entstand ein Paragone (ein Streit oder Wettkampf), der heftig geführt wurde, denn es ging hierbei nicht nur um allgemein theoretische oder philosophische Fragen, sondern ganz praktisch um den stato der bildenden und der poetischen Kün­ste zwischen techne und episteme, zwischen Handwerk und Wissenschaft, zwischen technischen und dichterischen Fertigkeiten. Oder genauer gesagt darum, dass techne für Leonardo die höchste Form von episteme in einem Wissenschaftsverständnis darstellte, das weder modern noch unmodern war, sondern eine eigene Richtung anbot, die vom nachfolgenden Rationalismus abgedrängt wurde. Man hat es hier weniger mit Entwicklung als mit Verlust, Abbruch und Verdrängung zu tun. Leonardo verachtete diejenigen immer mehr, deren vom Status geschützte und gestützte Gelehrsamkeit aus seiner Sicht darin bestand, »dass sie nicht Erfinder sind, sondern Marktschreier und Nachbeter der Werke anderer.«225 Gelehrte, deren einzige Fähigkeit darin bestand, sich gegenseitig für erhaben zu erklären. Jacob Burckhardt hat über einen dieser Gelehrten, über Francesco Filelfo, geschrieben: »Filelfos meiste Orationen sind ein abscheuliches Durcheinander von klassischen und biblischen Zitaten, aufgereiht an einer Schnur von Gemeinplätzen; dazwischen werden die Persönlichkeiten der zu rühmenden Größe nach irgendeinem Schema, z. B. die Kardinaltugenden, gepriesen …«226 Mit einem Marsilio Ficino oder einem Cristo246

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foro Landino, einem Poliziano oder einem Luigi Pulci konnten die sich am Vormittage ihrer Apotheose dünkenden Humanisten vom Schlage Filelfos sich nicht vergleichen. Leonardo setzte ihrem gelehrten und sicheren Auftreten sein Selbstbewusstsein, sein Forscher- und Schöpfertum als Künstler entgegen. Man kann sich gut vorstellen, dass in den Streitgesprächen bei Hofe von Leonardo Sätze wie dieser gesprochen wurden: »Viele werden freilich glauben, dass sie mir mit Recht zum Vorwurf machen können, meine Beweise stünden im Widerspruch zu der Autorität gewisser Männer, die nach ihrem unerfahrenen Urteil hoch zu achten sind; denn sie werden dabei nicht bedenken, dass meine Lehren auf der einfachen, reinen Erfahrung beruhen, die ja die wahre Lehrmeisterin ist.«227 In den spätscholastischen Wissenschaften galt als höchster Beweis der Autoritätsbeweis. Jede Aussage, die getätigt wurde, hatte sich nicht zuallererst an der Wirklichkeit zu erweisen, sondern musste durch ein Zitat der anerkannten Autoritäten wie Aristoteles, den man schlicht nur den Philosophen nannte, oder wie Thomas von Aquino, den im 14. Jahrhundert heilig gesprochenen und im 16. Jahrhundert zum Kirchenlehrer erhobenen Doctor Angelicus, abgesichert werden. Das ging so weit, dass es als verpönt, als irgendwie häretisch galt, die Bibel zu lesen, denn der Lesende könnte bei seiner Lektüre womöglich auf eigene Gedanken kommen. Deshalb existierten für Pfarrer und auch für Theologen die großen Sentenzenwerke. Das bekannteste und populärste dieser Werke hatte Petrus Lombardus geschrieben, der zu den Themen der Bibel und des Glaubens Lehrsätze der Kirchenväter und der Kirchenlehrer versammelt hatte, mit deren Hilfe dem Leser die orthodoxe Glaubenslehre vermittelt wurde. Denn er sollte nicht durch eigenes Nachdenken über die Bibel auf häretische Gedanken verfallen, die schon mit der fehlenden Demut begannen, mehr wissen zu wollen, als dem Menschen zukam. Genau dagegen stellte Leonardo die Naturbeobachtung, das Experiment und die Analyse. Diese Ausei247

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nandersetzungen bestärkten ihn in der Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. In Donato Bramante, dem Mathematiker Luca Pacioli, der an einem Werk zur Perspektive arbeitete und schon von daher den Austausch mit hervorragenden Malern benötigte, und dem Humanisten, Botschafter und Reisenden Benedetto Dei fand er starke Mitstreiter in Mailand. Ein gemeinsamer Freund Leonardos und Benedettos, der Spötter und Dichter Luigi Pulci, der uns bereits mehrmals begegnete, hatte in einem Sonett an Benedetto Dei frivol und ausgesprochen freigeistig die Schöpfungsgeschichte paraphrasiert und dabei einen Ton angeschlagen, der Leonardo nicht fremd war. Die Beschäftigung mit Luigi Pulci hilft, Leonardos Religiosität auf die Spur zu kommen. Bereits im Morgante hatte der Florentiner Spötter das Credo durch den Halbriesen, den mezzo gigante Margutte paraphrasieren lassen: »… ich glaube nicht mehr ans Schwarz als ans Azur, jedoch an den Kapaun, gekocht, gebraten (…) vor allem glaub’ ich an den guten Wein, glaub’, wer dran glaubt, der wird gerettet sein. (…) »Glaub an Pastete und Pastetelein: Dies ist die Mutter, jenes ist ihr Sohn; Gottvater ist die Leber rund und fein …«228 Wie oft mag Leonardo in den 70er-Jahren, bevor er nach Mailand ging, in Bernardo Rucellais Villa am Arnoufer in Florenz bei Quaracchi Pulcis Dichtung gelauscht, wie oft mögen sie Frottolen oder die frechen Karnevalslieder gesungen haben! Doch in seinem vielleicht berüchtigtsten Sonett, in dem Luigi Benedetto Dei in größter Vertrautheit ansprach, setzte der Dichter in biblischer Diktion mit beißendem Spott ein: »In principio era buio, e buio fia« (Im Anfang war’s dunkel und dunkel bleibt’s).229 248

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Dabei verkürzte er die beiden Verse aus der Vulgata »In principio creavit Deus caelum et terram / terra autem erat inanis et vacua et tenebrae super faciem abyssi / et spiritus Dei ferebatur super aquas.« (Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. / Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; / und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser) zu »In principio erant tenebrae, et tenebrae fiebant« und übertrug sie dichtend ins Italienische: »In principio era buio, e buio fia«. Aus dem Vers fiel sowohl Gott als auch die Schöpfung heraus, die eigentlich nicht stattgefunden hatte. Denn laut Pulci war am Anfang die Finsternis oder die Dunkelheit und die Dunkelheit oder die Finsternis blieb – wobei buio als Dunkelheit wie im Deutschen auch die Nebenbedeutung von Unklarheit, von geistiger Dunkelheit besitzt. Hätte Pulci eher auf die Finsternis gesetzt, hätte er auf tenebre zurückgreifen können. Pulcis »e buio fia« spielte zudem mit dem Imperativ: »Fiat Lux« – »Es werde Licht«, indem es den Sinn verkehrte, Licht mit Dunkelheit vertauschte. In der Anspielung wurde aus dem: »Fiat lux. Et facta est lux« der Bibel Pulcis: »e buio fia«: Es werde dunkel und dunkel wurde es und diese Dunkelheit bleibt. Aber in dem beziehungsreichen Sonett verbarg Luigi Pulci weit mehr Anspielungen, als hier aufgefächert werden können. Denn nicht nur der Anfang der Schöpfungsgeschichte und des Alten Testaments wurde blasphemisch parodiert, sondern auch der Beginn des Johannesevangeliums, das mit dem Logos-Prolog einsetzt: »In principio erat Verbum et Verbum erat apud Deum et Deus erat Verbum« (Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort). Hier stimmen die Verse sogar in der Diktion überein: »In principo erat Verbum« und bei Pulci: »In principio era buio«, wobei der Binnenreim principiobuio recht hübsch ist, bis dass »et Verbum erat apud Deum« parodistisch abgebrochen und verkürzt wird und wie ein Basta nur ein »e buio fia« übrigbleibt. Doch Pulci parodierte nicht nur das Neue Testament, sondern trieb zugleich ein augenzwinkerndes 249

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Spiel mit der eigenen Dichtung, denn ausgerechnet sein Epos Morgante eröffnete er mit dem Logos-Prolog: »In principio era il Verbo apresso a Dio«230 (Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott). Allerdings schien es ihm nur so, dass es im Anfang so gewesen wäre. Dann erbat er Beistand für seine Dichtung. Blasphemisch im höchsten Maße mag es uns vorkommen, dass Pulci in dem Sonett das verbum, oder Italienisch verbo, im religiösen Sinn als Wort Gottes durch buio (Finsternis) ersetzte. Nicht das Wort war am Anfang, sondern die Finsternis, keine Schöpfungstat und keine Erlösung. Und wenn das alles nicht stattgefunden hatte, wenn nur Dunkelheit war, blieb und sein wird, wie lächerlich sind dann die Pilger, denn Pulcis Auftakt, seiner propositio, folgte sofort die Ansprache an Freund Benedetto Dei – und man hört das Lachen förmlich aus dem Vers heraus: »Hast du gesehen, Benedetto Dei, wie diese Frömmler im Knien ihr Ave-Maria herunterhaspeln! Du müsstest lachen oben an der Straße Sähest du der Pilger Horden Suchen nach Rosenkranz und Agnus Dei Zurück den Weg in die nächste Osteria.«231 Das Bild der Dunkelheit findet seine Entsprechung in den Horden der Rom-Pilger, die als Masse düster wirken. Aus diesen düsteren Pilgerschwärmen, aus den Gesellschaften der Heuchler kam die Dunkelheit, die bleiben würde; sie kam von denen, die auch in einer bedeutenden Satire deutscher Humanisten »Dunkelmänner« genannt wurden. Dunkelmänner aber, Obskuranten, diejenigen, die dem Aberglauben frönten, hasste Leonardo. Nicht Gottes Schuld ist es, dass es finster bleibt, es ist die Dunkelheit, die von einem finsteren, geheuchelten Glauben ausging. Nicht der Glaube an Gott stand für Pulci oder auch für Leonardo 250

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im Zweifel, sondern das, was die Frömmler daraus machten, und dass sie Gott viel zu klein fassten, als ließe er sich ins Gehäuse ihrer engen Vorstellungen und Regeln sperren. Aus Gott machten sie den Gott der Regeln, die Puppe ihrer Egozentrik, die sich als pietas und Demut ausgab. Am Ende des Morgante nahm der Spötter den finsteren Bußprediger Girolamo Savonarola ins Visier, der zwar kein Heuchler, dafür aber ein düsterer Fanatiker war, von dem Dunkelheit (buio) ausging und der immer stärker in Florenz sein Unwesen trieb: »Nicht von der Kanzel öffentlicher Weis’ tadle den Sünder, sondern, muss er büßen, geh in die Zelle, tu’s ihm nicht zu Fleiß; steigt dort hinauf mit Blei an euren Füßen.«232 Savonarola hatte in Florenz von der Kanzel gegen Luigi Pulci gepredigt und seine Rechtgläubigkeit in Frage gestellt. Deshalb entgegnete ihm Pulci, dass er vorsichtig sein solle in seinen Äußerungen über den Glauben anderer, zumal, wenn sein Urteil auf den Zuträgereien von Denunzianten beruhte. Nicht nur, dass er den fanatischen Bußprediger davor warnte, sich zu überheben, sondern nun schleuderte ihm der tapfere Spötter auch noch entgegen, dass er nicht besser sei als jeder andere. Auf Savonarolas Anmaßung, über den Glauben anderer zu urteilen, entgegnete Pulci: »Mein Glaube ist so wie der deine weiß und mit zwei Credos werd ich’s dir versüßen: predigt und leget aus das Evangelium, wie es euch aufgetragen von Aurelium.«233 Mit Aurelius spielte Pulci auf Augustinus und die Erbsündenlehre an, nach der jeder sündig ist, und mit dem Weiß des Glaubens auf Dionysios Aeropagita. Weiß galt in der »De coelesti hierarchia« des mystischen Theologen Dionysios Aeropagita, der über das Mittelalter hinweg bis in die Frühe Neuzeit einen gro251

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ßen Einfluss ausübte, als die höchste Form der Reinheit des Glaubens in der Hierarchie der Engel.234 Pulci jedenfalls hielt sich nicht mit Savonarola auf, sondern bezog in seinen Spott die Humanisten und Gelehrten ein, die das Lateinische der Volkssprache, dem Toskanischen, vorzogen und wie Ficino von der Reinigung der Seele träumten, die sich vom Irdischen lösen und die unkörperliche, übersinnliche Schönheit einmal schauen würde, anstatt sich an die irdische Schönheit zu halten. Hätte Leonardo gedichtet, so hätten die Verse aus dem Morgante, in denen er Humanisten wie Filelfo, aber auch Philosophen wie Ficino verspottete, auch von ihm stammen können: »Die Argumente und die Syllogismen von euch Magistern, deren Zahl stets wächst, erreichen nicht mit Logik und Sophismen, dass mein Bitterwurz würd’ süß gehext; man suche nicht bei mir nach Barbarismen, denn ich werd’ finden wohl den klaren Text: Nehmt’s als gesagt für immer, seid so nett, und keine Rede sei mehr vom Sonett.«235 Die muntere Dichtung trug Luigi übrigens, wen wunderts, den galligen Tadel des tugendvernarrten Marsilio Ficino ein, der Lorenzo de’ Medici gegen den Jugendfreund Pulci aufzubringen suchte. Zwei Jahre nachdem Leonardo Florenz verlassen hatte, ging auch Luigi Pulci frustriert aus der Arnostadt weg, nachdem der Morgante im Druck erschienen war, und schloss sich dem Condottiere Roberto di San Severino an. Er starb auf dem Weg nach Venedig im Herbst 1484 in Padua. Ganz im Sinne des Florentiner Bußpredigers wurde ihm in Padua ein kirchliches Begräbnis verweigert, so dass der ruhelose Spötter in ungeweihter Erde seine letzte Ruhe fand. Fast ein Jahrzehnt später ließ Savonarola neben anderen auch den Morgante als Werk der Eitelkeit in Florenz verbrennen. Und Sandro Botticelli, Leonardos 252

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Freund aus Jugendtagen, warf nun, da er dem düsteren Prediger an den Lippen hing, eigene Werke, die er als eitel erkannte, dem Morgante ins Feuer der Eitelkeiten hinterher. Vor diesem sich immer stärker verdüsternden Florenz graute Leonardo, der sich glücklich schätzte, am heiteren Hof il Moros tätig zu sein. Benedetto Dei war zu diesem Zeitpunkt, als Leonardo am Mailänder Hof antichambrierte und seine Gesellschaft suchte, bereits ein alter Mann und hatte ein Leben voller diplomatischer Missionen und Reisen hinter sich, die ihn bis nach England, Frankreich, Deutschland, in den Mittleren Osten und nach Afrika geführt hatten. Er schrieb über Besuche in Timbuktu, Oran, Karthago, Beirut und Jerusalem. Hielt er sich in Mailand auf, lebte er bei den Portinaris, denn er war dann für die MediciBank bzw. in politischer Mission direkt für Lorenzo de’ Medici tätig. Man bekommt eine Ahnung, wie eng sich das Verhältnis zwischen Leonardo und dem alten Botschafter, Humanisten und Kaufmann gestaltete, wenn man den Brief des Malers an Benedetto liest.236 Eigentlich verfasste Leonardo hiermit keinen Brief, sondern eine Geschichte, die in Briefform verpackt wurde. Sie handelt von einem Riesen, der Furcht und Schrecken unter den Menschen verbreitete, die sich nirgendwo vor ihm in Sicherheit zu bringen vermochten, und der wie eine Mischung aus Behemoth und einem Vorgriff auf Gulliver bei den Liliputanern wirkt – eine Burleske, die gekonnt und mit wildem Humor die abenteuerlichen Briefberichte Benedettos von seinen Reisen parodiert. Unübersehbar wurde die kurze Burleske von Pulcis Epos Il Morgante, in dessen Mittelpunkt die Reise des Riesen Morgante steht, und vom Stil der abenteuerlichen Reiseberichte Benedettos inspiriert war. Leonardos spöttischer Text dürfte am Hof von Mailand alle, auch den alten Reiseschriftsteller, der pa­ rodiert wurde, amüsiert haben. Für Leonardo bedeuteten solche kleinen Prosastücke – Bagatellen, Facetien, die er einer Laune folgend mutwillig auf das Papier warf – jedenfalls nichts Ernsthaftes. 253

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Doch so einfach in Schwarz und Weiß eingeteilt, hier die Künstler, dort die Gelehrten, Humanisten und Dichter, stellte sich Leonardos Hofleben nicht dar, denn die Frontlinien verliefen im Zickzack und änderten auch plötzlich ihre Verläufe. Mit den Gelehrten Benedetto Dei und Luca Pacioli verband ihn ­eine sehr produktive Freundschaft, gegen den mediokren, aber einflussreichen Baumeister Giovanni Antonio Amadeo empfand er eine tiefe Abneigung. Es empfiehlt sich also, die Streitschriften und Verallgemeinerungen des »Paragone« nicht undifferenziert auf den Alltag zu beziehen. Am Hofe merkte man schnell, dass der Florentiner Meister ein begnadeter Theatermann war, der aus Florenz reichlich Erfahrungen in der Ausstattung von Festumzügen und Theatervorstellungen mitbrachte. Der Mailänder Hof, und allen voran Lodovico, liebte solche Unterhaltungen. Noch eine zweite Verbindung existierte, die den Weg für den apparatore Leonardo da Vinci, den Festgestalter, Regisseur, Ausgestalter, Impresario und Zeremonienmeister in einer Person, am Hofe ebnete – und zwar über die Musik. War der Hof der Gonzagas in Mantua – sehr zum Ärger il Moros – in Sachen Theater immer eine Nasenlänge voraus, so konnte Mailand unter den Sforzas auf eine reiche musikalische Tradition stolz sein, die ihre besondere Qualität aus der Konkurrenz zwischen der weltlichen Hofkapelle, die bereits Lodovicos Bruder Galeazzo Maria gegründet hatte, und der Capella des Domes bezog. 1485 kam Franchino Gaffurio, ein herausragender Musiker, nach Mailand, übernahm die Capella des Domes und wurde schließlich 1492 auch Chef der Hofkapelle il Moros. Leonardo und Franchino Gaffurio freundeten sich rasch an. Möglicherweise kamen sie über den jungen, hochbegabten Musiker Atalante Migliorotti zusammen, der Leonardos Schützling war und noch bei ihm wohnte. Um 1485 malte Leonardo auch das Porträt eines Musikers, das einzige Männerporträt, das er schuf. Einerseits experimentierte er in dem Porträt mit der sfumato-Technik, also dem 254

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Verschwindenlassen der Konturen mittels Schattenwirkungen, andererseits interessierte er sich in der Musik für das Glissando. Dieses Porträt wird weithin als nicht vollkommen gelungen eingeschätzt, deshalb hält die Diskussion darüber an, ob es von Ambrogio de Predis und Boltraffio stammt. Doch letztlich ist wohl davon auszugehen, dass man es als Produkt einer Zusammenarbeit zwischen Leonardo und Boltraffio werten muss. Leonardo hatte begonnen, es zu malen, dann aber, weil er zu viel zu tun und vielleicht auch die Lust daran verloren hatte, dem Mitarbeiter die Fertigstellung überlassen. Weiterhin gehen die Meinungen darüber auseinander, ob das Porträt Franchino Gaffurio oder Atalante zeigt. Mir scheint es wahrscheinlicher zu sein, dass man auf dem Gemälde Atalantes Gesicht sieht, der gerade als Musiker, Sänger und Schauspieler zum Star am Hof il Moros aufstieg. Aus dieser Zeit stammten übrigens auch Zeichnungen, die dokumentieren, dass Leonardo sich mit der Erfindung neuer Musikinstrumente beschäftigte, die wiederum sein Interesse an der Mechanik verdeutlichen – wie beispielsweise eine viola organista. Mittels einer Mechanik streichen bei der viola organista Bögen über Saiten, die wiederum von einer Tastatur regiert werden, die der Musiker bedient, und die ein Glissando ermöglichen. Leonardos Engagement bei Hofe brachte ihm zwei bedeutende Aufträge ein, einen sehr intimen und einen außerordentlich staatstragenden: Il Moro bat ihn darum, seine Mätresse zu porträtieren, und er entschied sich schließlich, Leonardo den Auftrag für das Reiterdenkmal zu erteilen. Cecilia Gallerani kann mit Recht zu den außergewöhnlichen Frauen in einer an solchen Frauen reichen Zeit gezählt werden. Sie wurde 1473 in eine Familie hineingeboren, die dem gebildeten Bürgertum angehörte. Ihr Vater war Diplomat und diente il Moro auch als Finanzberater. Ihr Großvater mütterlicherseits hatte es zu einer Juraprofessur gebracht. Fazio Gallerani starb 1480. Er hinterließ sechs Söhne – und Cecilia. Sie wurde der 255

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Obhut il Moros übergeben und 1483 förmlich – in verbo – mit Giovanni Stefano Visconti verheiratet, d. h. sie lebte weiterhin unter der Obhut Lodovico Sforzas und die Ehe wurde auch nicht vollzogen. So war es üblich, wenn die Ehepartner noch Kinder waren. Vor dem Gesetz galt eine Ehe erst als rechtmäßig, wenn das Beilager vollzogen war. Dies wurde in fürstlichen Kreisen als Höhepunkt eines Kopulationsfestes zelebriert, denn schließlich musste der Vollzug der Ehe bezeugt oder bewiesen werden. Cecilia, die schreiben gelernt hatte, dichtete und der eine hohe Bildung zuteilwurde, scheint nicht die Absicht gehabt zu haben, das Kopulationsfest mit Giovanni Stefano Visconti zu begehen. Il Moro löste die Ehe 1487 wieder auf. Statt eine Signoria Visconti zu werden, wurde Cecilia Lodovico Sforzas Mätresse. Im Gegensatz zu seinem Bruder verhielt sich il Moro nicht wie ein Wüstling, trat nicht ungehobelt und brutal auf. Entsprechend der hohen Bildung, die er genossen hatte, pflegte er einen Umgang mit dem jungen Mädchen, als empfinde er ihm gegenüber weit mehr als nur ein körperliches Verlangen. Allerdings war il Moro seit 1480 formal mit Beatrice d’Este verheiratet, der Tochter des einflussreichen Herzogs Ercole I. von Ferrara und Modena. Beatrice war zwei Jahre jünger als Cecilia und zum Zeitpunkt der Heirat in verbo sieben Jahre alt. Natürlich lebte sie weiterhin bei ihren Eltern in dem herrlichen Palazzo Schifanoia in Ferrara. Der Name des Palazzos verriet seine Bestimmung, denn schiva la noia bedeutet so viel wie: der Langeweile ausweichen. Und das verstanden die Estes in Ferrara wie die Sforzas in Mailand und die Gonzagas im Mantua mit Hilfe der Vielzahl von Festen, Umzügen und Theateraufführungen ganz ausgezeichnet. Doch Jahr für Jahr wuchs der Druck auf il Moro, die Ehe mit Beatrice nun endlich zu vollziehen. Der Botschafter Ercoles I., Giacomo Trotti, beäugte die Liebe des Herrschers von Mailand ausgesprochen misstrauisch, zumal Cecilia seiner Ansicht nach schön wie eine Blume war. Und in der Tat gingen in ihrer Person 256

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Schönheit und Geist – das, was Leonardo Anmut nannte – eine beeindruckende Verbindung ein. Es war also der intimste Auftrag, den il Moro zu vergeben hatte: seine Geliebte zu malen. Er vergab ihn an Leonardo. Dies war eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für Leonardo, denn wollte er den Wünschen il Moros gerecht werden, musste das Gemälde die Geliebte nicht nur in ihrer Anmut zeigen, sondern es musste auch in seiner Bildsprache neu sein und für Aufsehen sorgen. Es ging nicht nur um Abbildung und Ähnlichkeit, sondern vor allem darum, dass auch das Bild selbst zur Sensation geriet. Denn nicht die Porträtierte sollte das Bild adeln, sondern der künstlerische Ruhm des Bildes hatte das Ansehen der porträtierten Person und des Auftraggebers zu erhöhen. Das Bild sollte Cecilia nicht nur zeigen, sondern sie auch preisen. Insofern stand Leonardo ganz praktisch im »Paragone« mit dem befreundeten Dichter Bernardo Bellincioni, der sich mit seinen Versen auf Cecilia und auf Leonardos Porträt mit der Macht seiner Sprache der Macht des Bildes stellte: »Der Dichter: Natur, wem zürnst Du, wen beneidest Du? Die Natur: Es ist Vinci, der einen seiner Sterne gemalt hat! Cecilia, heute so herrlich anzuschau’n, ist diejenige Neben deren schönen Augen die Sonne nur als dunkler Schatten wirkt.«237 Bellincioni deklinierte im Weiteren den üblichen und schon bei Plinius zu findenden Wettstreit zwischen Kunst und Natur durch, dankte zwischendurch artig Lodovico Sforza, der das Bild erst ermöglichte, welches das »ingegno« und »die Hand des Leonardo« geschaffen haben, und zielte auf die Nachwelt, wo das Werk der Natur durch Leonardo für alle Ewigkeit weiterleben wird: »Jeder, der sie sieht – obgleich zu spät, Sie lebendig zu sehen – wird sagen: das reicht uns Zu verstehen, was Natur ist und was Kunst.«238 257

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Ein Bild, das Ambrogio de Predis zugeschrieben wird, zeigt eine junge Frau, in der man Beatrice d´Este vermutet und das als typisches Brautbild die Braut im Profil darstellt. Doch Leonardo hätte es gelangweilt, ein bloßes Abbild zu schaffen. Für ihn gab sich ein guter Maler darin zu erkennen, dass er den Menschen und seine geistige Verfassung malte und dadurch dem Betrachter eine Geschichte erzählte, nämlich die der Person, die er por­ trätiert hatte. Er machte sich keinerlei Illusionen darüber, dass die geistige Verfassung darzustellen oder im Bild zu erzählen, sich deshalb als so schwierig erwies, weil der Maler das Innere nur durch das Äußere, nur »durch die Gebärden und Bewegungen der Glieder« zu erzählen vermochte.239 So empfahl er den Malern, was er auch selbst tagtäglich und ohne Unterlass unternahm: die Umwelt und andere Menschen in ihren Handlungen und Gesten zu beobachten. Dabei fiel ihm auf, dass er die sprechende Gestik und Mimik »von den Stummen lernen« konnte, »die es besser machen als alle anderen Menschen«, denn auch ihnen standen als Ausdrucksmittel keine Worte zur Verfügung, sondern nur Gebärden.240 Mit dieser Vorstellung kam er dem ganz nahe, was in der Schauspieltheorie des 20. Jahrhunderts das gestische Prinzip genannt wurde. Im Vordergrund stand die Beobachtung der Bewegungen des Körpers, mochten sie auch noch so klein sein, denn: »Die Bewegungen und Gebärden der Figuren sollen den Gemütszustand des sich Bewegenden dergestalt ausdrücken, dass sie nichts anderes bedeuten können.«241 Um aber ständig, wo auch immer er sich aufhielt, das festzuhalten, was er beobachtete und was ihm wichtig und typisch erschien, hatte er damit begonnen, sich Notizbücher anzulegen, die er stets in einem verschließbaren Ledereinband am Gürtel mit sich trug. Seine Einsicht ließ ihn auch in den Fragmenten zu seinem Traktat über die Malerei den Ratschlag formulieren: »Deshalb sieh zu, dass du immer ein kleines Heftchen bei dir hast, dessen Blätter mit Gelatine überzogen sind, damit du mit dem Silberstift kurz diese Bewegungen aufzeichnen kannst.«242 Die Werkstätten sei258

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ner Zeit besaßen Werkstattbücher mit einem großen Fundus an Vorbildern für die Darstellung von Händen, Köpfen, Armen, Fingern, Bewegungen – Standardmotive, aus denen sich der Meister bediente, wenn er ein neues Gemälde begann. Leonardo sah in diesen Vorlagenbüchern etwas Starres, Schematisches und letztendlich Totes, denn sie verstellten den Weg in die Realität, in die Natur. Doch dieser Weg bot als Einziger die Möglichkeit, in den Bildern das Leben zu erzählen, nicht eine Abbildung zu schaffen, sondern Narration. Seine Notizbücher mit Tausenden von Zeichnungen, Skizzen, Erläuterungen, Überlegungen und Bemerkungen entwickeln sich zu Leonardos Kosmos, der in seiner Gänze gar nicht erfassbar ist. Hier findet sich Leonardos Welt, die er immer wieder zu systematisieren versuchte. Doch das war eine Aufgabe, an der er als Erster scheitern sollte und schließlich alle Leonardo-Interpreten, wenn sie sich denn diesem vermessenden Anspruch stellten, genauso. Leonardo begann in seinem Drang, die Welt zu erforschen, in Mailand damit, sich regelmäßig und kontinuierlich Notizen zu machen, ganz gleich ob in Form eines Notats oder einer Skizze. Er schlug aus Zeitgründen vor, sich nicht mit Details aufzuhalten, sondern das Wesentliche festzuhalten. So komme es bei einer Bewegungsskizze, einem verblüffenden Arrangement von Menschen, die in erinnerungswürdiger Art zusammenstehen und sich in ihrer Kommunikation auch bewegen, zuweilen auf die Gliedmaßen an und nicht auf den Kopf, der in Eile schematisch mit einem O wiedergegeben werden könne. Es ging Leonardo immer darum, das Wesentliche, das, was die »geistige Verfassung« ausdrückte, einzufangen: »gleichzeitig zeichne dir auch die Bewegungen und die Verteilung der Umstehenden auf, und bald wirst du dadurch die Komposition der Bilderzählung lernen.«243 In dem körperlichen Verhalten zu seinem Gegenüber drücke sich das Wollen des Menschen aus. Wollte Leonardo also den Gemütszustand der Cecilia Gallerani zeigen, musste er sie in Bewegung setzen, ihr womöglich 259

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Studie eines Mädchenkopfes 1483, Silberstift auf bräunlich präpariertem Papier

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Attribute verleihen und sie auch dynamisieren. Mit Hilfe der Attribute erzählte er auch über die Welt, in der Cecilia lebte. Erst indem er sowohl das Abbild als auch die geistige Verfassung des Menschen darstellte, entstand für Leonardo ein lebendiges Bild – und um nichts Geringeres ging es ihm. Im Streitgespräch zwischen Malerei und Dichtung präzisierte Leonardo in seinem Malereitraktat sein künstlerisches Inte­ resse, seinen Schaffensantrieb und Qualitätsanspruch. Während der Dichter behauptete, dass er die Liebe im Menschen durch seine Dichtung zu entflammen vermöge, entgegnete der Maler Leonardo, dass ihm nicht nur dieses gelinge, sondern dass er sogar den Dichter hierin übertrumpfen könne. Denn der Maler könne dem Liebhaber ein naturgetreues Abbild des geliebten Gegenstandes vor Augen führen, so dass er das Abbild küsse und mit ihm rede, »was er mit der nämlichen Schönheit, wenn sie ihm ein Schriftsteller vorführte, nicht machen würde, und noch mehr geht sie [die Malerei] über den Geist des Menschen hinaus, indem sie ihn verleitet, ein Bild zu lieben und sich in ein Bild zu verlieben, das überhaupt keine lebendige Frau darstellt.«244 Echte Täuschung wird zur täuschenden Echtheit. Wie also wollte Leonardo in dem Porträt den Liebenden verleiten, ein Bild zu lieben? Und weshalb verblieb es bei Cecilia statt im Besitz von il Moro? Zunächst fällt auf, dass eine Ähnlichkeit besteht zwischen der porträtierten Cecilia, einem Mädchenkopf, der als Zeichnung um 1483 entstand, und dem Engel auf dem Bild der Felsengrottenmadonna. In allen drei Zeichnungen versetzte Leonardo den Körper der Porträtierten in eine Spannung, indem er den Kopf nicht in die Richtung blicken ließ, die von der Haltung des Oberkörpers vorgegeben war. Im Traktat zur Malerei warnte Leonardo sogar: »Und mach deine Gestalten immer so, dass der Kopf nicht auf dieselbe Seite gewendet ist wie die Brust, denn die Natur hat uns zu unserer Bequemlichkeit einen Hals gegeben, der mit Leichtigkeit den verschiedenen Gelüsten 261

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der Augen folgen und sich in verschiedene Richtungen dehnen kann.«245 Indem der Kopf den Gelüsten der Augen folgt und die Bewegung des Halses erzählt, dass überhaupt ein Objekt existiert, das Cecilia affiziert, dass sie neugierig macht und ihr Interesse erregt, entsteht eine Spannung, die der Figur Leben einhaucht. Denn solch eine Spannung erzählt von Bewegung und Bewegung wiederum vom Leben. Die Wachheit, die Spannung, auch die Klugheit stellte Leonardo, wie auch schon im Porträt der Ginevra d’ Benci andeutungsweise versucht, mit Hilfe der entgegengesetzten Bewegung von Hals und Brust dar. Leonardos Cecilia Gallerani kommuniziert durch Blicke mit jemandem außerhalb des Bildes, subtil zwar, aber doch entschlossen. Er ist da, deutlich anwesend und spiegelt sich in Cecilias Gesichtsausdruck wider. Gleichzeitig hält Cecilia in der für Leonardo typischen Ambivalenz ein Tier auf dem Arm, ein Hermelin. Die kleine Anspielung, dass ihr Name, nämlich Gallerani phonetisch auf das griechische Wort für Hermelin – galeé – verweist, dürfte ihn amüsiert haben. Wir erinnern uns an den Wacholder im Bild der Ginevra, der schon im Namen der Ginevra – genepro – anklang. Leonardo liebte diese Art Assoziationsspiele. Mit Hermelinfellen kleideten sich aber nur Könige und regierende Fürsten – und so steht dieses Hermelin für die Herrschaft, für den Fürsten und mithin für il Moro, Cecilias Liebhaber. Über das Tier notierte Leonardo zu dieser Zeit: »Das Hermelin … lässt sich eher von den Jägern fangen als in eine schmutzige Höhle zu flüchten, nur um seine Anmut nicht zu beflecken.«246 Bezüglich der Anmut steht das Hermelin für Cecilia, und wir entdecken an seiner Haltung die gleiche Körperspannung im Hinblick auf den Fürsten il Moro. So gewinnt man den Eindruck, dass Cecilia ein Symbol ihrer Verbindung und Liebe in den Armen hält – und beide, Cecilia und das Hermelin, schauen in dieselbe Richtung, als fragten sie: Wie gehst du mit uns um? Können wir uns auf deine Gefühle verlassen? Die linke Hand sichert mit größter Grazie, mit spielerischer Leichtigkeit und zugleich latenter Kraft, 262

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die nicht unterschätzt werden darf, das Wesen auf ihrem Arm, während das Hermelin die linke Pfote wie zum Gruß anhebt, fast wie eine Aufforderung, sie zu küssen. Man hat aus den Accessoires – der Halskette, der strengen Frisur und dem ledernen Haarband – die Schlussfolgerung gezogen, dass Cecilia eine Gefangene sei: abhängig vom Hermelin, von il Moro. Aber das projiziert eine äußerliche Vorstellung, eine Unterstellung in das Bild hinein. Vielleicht muss man im Gegenteil eher die Frage stellen, ob Cecilia nicht ihren Liebhaber foppte und Paroli bot, indem sie diese strenge Frisur wählte und das Hermelin auf den Arm hielt, als wollte sie sagen, dass ihre Liebe ihr anvertraut sei. Es würde zu Leonardos Witz, seiner Lust an der Provokation passen, wenn die Aussage der Cecilia im Bild mitschwänge: Ich habe unsere Liebe in der Hand. Von den Fingern der Cecilia gehen mehrere Botschaften aus: Schutz vor dem Absturz, Zurückhalten des Hermelins, falls es fliehen will, und auch die Möglichkeit, die Finger fest um den Hals des Tieres zu schließen. Wie hatte Leonardo doch zu dieser Zeit notiert: »Enthülle nicht, wenn dir die Freiheit lieb ist, dass mein Angesicht ein Kerker der Liebe ist.«247 Wollten Bilder wirklich Erfolg erzielen, bedurften sie mehrerer Ebenen, Verschlüsslungen, Geheimnisse und Anspielungen. Man schaute Bilder nicht nur an, sondern beschäftigte sich immer wieder mit ihnen, suchte nach dem, was sie verbargen. Führen wir es uns vor Augen: In der Renaissance existierten weder Fernsehen noch Kino, weder Filme noch Video-Clips, und Theatervorstellungen fanden auch nicht an jedem Tag statt. So gewährte die Beschäftigung mit Bildern einen angenehmen Zeitvertreib. Sie hatten deshalb vielschichtig, vieldeutig zu sein, ein Vexierspiel der Andeutungen, ein Rebus der Beziehungen, immer aber auch eine Gratwanderung zwischen gewagt und dreist. Insofern ging das, was Leonardo geschaffen hatte, weit über ein Porträt hinaus. Denn in dem Bildnis Dame mit Hermelin oder Porträt der Cecilia Gallerani wird die Liebe zwischen der 263

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jugendlichen Mätresse und dem Herrscher von Mailand erzählt, ihre Kommunikation, die auch ein Spiel, aber als solches wohl ein Machtspiel ist. Die Subtilität, aber auch der Witz, mit denen Leonardo erzählte, zeigen deutlich, dass er mit den Spielregeln am Hofe Lodovico Sforzas bestens vertraut war. Leonardo gelang es, in Cecilias Augen einen melancholischen Hauch, die wissende Ahnung des Abschieds darzustellen: Nichts wird bleiben. – Und es blieb auch nichts. Schließlich konnte il Moro aus politischen Gründen den Vollzug der Ehe mit Beatrice d’Este nicht mehr länger aufschieben. Es begann für ihn gefährlich zu werden, denn er benötigte als Usurpator den Beistand und das Wohlwollen der anderen Fürsten – und mit jedem Jahr wuchs der Anspruch seines Neffen Gian Galleazo auf die Herrschaft, denn schließlich war er der rechtmäßige Erbe und Herzog von Mailand – und nicht sein Onkel. Cecilia wurde schwanger und zog in ein Stadthaus, dort brachte sie ihren Sohn Cesare zur Welt, der nicht Gallerani, sondern Sforza hieß. Lodovico kümmerte sich um seinen natürlichen Sohn. Er schenkte Cecilia Land nördlich von Mailand und verheiratete sie schließlich mit dem Grafen Lodovico Bergamini. Cecilia machte sich als gebildete und anmutige Frau einen Namen und unterhielt so etwas wie einen Salon. Von ihr eingeladen oder empfangen zu werden, war eine große Ehre. Der Novellist Matteo Bandello, Neffe des Dominikaners und Priors des Klosters Santa Maria delle Grazie, Vinzenco Bandello, berichtete in späteren Jahren über die sehr »anmutige und gebildete Dame Cecilia Gallerani, Gräfin Bergamini«, dass »sie unablässig von vielen edlen Herren und Damen aufgesucht (wird), einerseits, weil sie eben eine angenehme und tugendreiche Dame ist und anderseits, weil die höchsten und feinsten Geister, die in Mailand zu finden sind, sich den ganzen Tag in ihrer Gesellschaft befinden.«248 Auf einem Blatt im Codex Atlanticus fand sich eine Bemerkung, die sich wie eine Antwort auf einen Brief liest: »Meine in264

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nigstgeliebte Göttin, ich habe Deinen süßen Brief gelesen …«249 Diese Zeilen würden überraschen, wären sie von Leonardos Hand geschrieben. Doch das sind sie mitnichten. Leonardo hatte Cecilia nicht nur gemalt, sondern sie hatte ihn beeindruckt und er verehrte sie. Zutritt zu ihrem Haus, zu den Gesellschaften, die sie gab, dürfte er in dieser Zeit und auch bei seinem zweiten Mailandaufenthalt gehabt haben. So ist es durchaus vorstellbar, dass sich einer von Leonardos Geliebten, vielleicht Salai, über seine Verehrung für die Gräfin Bergamini auf diese foppenden Art lustig gemacht hat. Zu seiner Rolle als Magier und Zauberer fand Leonardo gänzlich, wenn er il Moros aufwändige Umzüge, Feste und Theateraufführungen ausstattete und inszenierte. Manches »Intermedium« – ein höfisches Zwischenspiel, oft als Allegorie zwischen den Akten einer antiken Komödie –, das pantomimisch aufgeführt wurde, manch Umzug und gespielte Allegorie, die Leonardo ausstattete, gingen auf Ideen von il Moro zurück. In den Intermedien, aus denen sich schließlich die Oper und das Ballett entwickeln sollten, spielte die Hofgesellschaft einschließlich der Fürsten und Fürstinnen mit. Ob Leonardo bereits 1488 am großen Mailänder Hochzeitstafelschauspiel anlässlich der Vermählung des nominellen Herzogs von Mailand, Gian Galeazzo Sforza, mit der Tochter des Herzogs von Kalabrien, Isabella von Aragon, mitwirkte, bleibt ungewiss. Es wurde in drei Teilen von Bergonzo Botto inszeniert, einem Edelmann aus Tortona. Führt man sich aber vor Augen, wie viele Kostüme für die Legion antiker, mythologischer Figuren benötigt wurden – wie Jason und die Argonauten, Merkur, Diana; Nymphen, die auf einer vergoldeten, mit Laub bedeckten Trage einen Hirsch trugen, der den in diese Gestalt verwandelten Aktäon darstellte; Orpheus, Medea, Kleopatra, Helena und viele, viele andere, rückt die Mitwirkung des erfahrenen Florentiners Leonardo da Vinci ins Wahrscheinliche. In einem der Zwischenballette wurden sogar die Jagd und das Erlegen des Caledonischen Schweins gezeigt. 265

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Die Trauung war per procurationem mit einem Vertreter des Bräutigams in Neapel vollzogen worden. In Tortona, 70 Kilometer südwestlich von Mailand, trafen die Eheleute zum ersten Mal zusammen. In Mailand wurde der Zug von einer großen Menschenmenge begrüßt. Il Moro hatte allerdings Vorsorge getroffen, um den törichten und wohl auch etwas trunksüchtigen Herzog weit von den Regierungsgeschäften wegzuhalten, und quartierte das junge Paar im Schloss zu Pavia ein. Für den Empfang des Herzogspaares im Castello Sforzesco am 13. Januar 1489 beauftragte il Moro Leonardo damit, ein Festspiel auszustatten und zu inszenieren, das aus der Feder von Bernando Bellincioni stammte. Für diese Festa del Paradiso ließ Leonardo eine Drehbühne bauen, die den Himmel darstellte. Den Anfang machte ein Tanz, den Isabella mit drei Hofdamen aufführte. Masken in Kostümen verschiedener Staaten begrüßten die Herzogin. Danach öffnete sich die Bühne. Die Innenseite war vergoldet und mit Lichtern als Sternen versehen, man konnte außerdem die zwölf Tierkreiszeichen und die Planeten als Lichter bewundern. Nachdem ein Engel den Prolog­gesprochen hatte, erwiesen die sieben Planeten der Herzogin ihre Verehrung. Apollo zeigte sich überrascht über die neue Sonne – Isabella –, Jupiter schickte Merkur, damit er der neuen Fürstin Jupiters Huldigung überbrachte, Venus gab sich in puncto Schönheit geschlagen. Apollo, der anfangs eifersüchtig auf die neue Sonne Isabella reagierte, unterwarf sich ihr und stellte der Herzogin die sieben Tugenden vor. Zum Abschluss überreichte er ihr ein Buch mit den Versen der Festa del Paradiso. Das war das Mindeste, was il Moro tun musste, um das junge Paar zu feiern, doch geschah es nicht standesgemäß, weil die Einladungen an die Fürstenhöfe spät oder gar nicht herausgingen, so dass keiner von ihnen kam. Der faktische Herrscher Mailands hatte kein Interesse daran, das Licht des rechtmäßigen Herrschers erstrahlen zu lassen. Dennoch zauberte Leonardo ein beachtliches Fest hervor, mit einem Paradies, »das die Form eines halbierten Eis«250 hatte. 266

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Ungleich prunkvoller ging es zu, als am 24. Januar 1491 eine Doppelhochzeit in Mailand gefeiert wurde. Während Bianca Sforza Alfonso d’Este ehelichte, vollzog Lodovico il Moro endlich die Ehe mit Beatrice d’Este. Il Moros Heerführer Galeazzo da San Severino überraschte ganz Mailand mit einem Umzug wilder Männer, den Leonardo auch ausstattete. »Die Menge der Reiter … hantierte mit knotigen Säbeln, wobei zehn sehr hochtönende Trompeten was weiß ich für fremdartige Töne anstimmten, während Ziegenlederbeutel als Sackpfeifen dienten.«251 Es galt also, den Umzug als Satyrspiel, das Schauspiel und die stets erforderliche Musik zu koordinieren. Die Musiker selbst waren auch verkleidet, so ritt in San Severinos Zug der wilden Männer sogar ein als Elefant verkleideter Bläser auf einem Pferd mit. »Der Bruder Galeazzos lenkte mit seiner außergewöhnlichen Ausrüstung die Aufmerksamkeit aller auf sich. Vor allem das Pferd: Es ist, einem Ungeheuer gleich, mit goldenen Schuppen bedeckt, die wie Pfauenaugen bemalt sind; wo sich diese öffneten, standen da und dort starre Haare und grauenvolle Borsten hervor. Er selbst hatte auf dem Kopf einen goldenen Helm, ganz blond, aber gleichzeitig angsteinjagend, auf dessen Scheitel ein paar gedrechselter Hörner glänzten … Ihm folgte, die Pferde tummelnd, eine Schar von langbärtigen Gefährten … Auch wegen ihrer Tracht hätte man sie für Primitive oder Barbaren halten können, solche, dass man sofort an die Skythen denken musste … «252 Da Beatrice nun endlich il Moros Ehefrau war und sich die Mä­ tresse nicht mehr im Schloss aufhielt, hatte Beatrice natürlich nicht das geringste Interesse daran, ein Porträt der Geliebten ihres Mannes am Hof zu dulden, zumal es viel mehr als ein Konterfei war, nämlich die Geschichte der Liebe zwischen Cecilia und il Moro. So kam es, dass Leonardos Porträt der Cecilia Gallerani in ihre Hände gelangte und sie an eine schöne Zeit erinnerte, in 267

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

der sie die erste Frau Mailands war. Dass sie eine bedeutende und wichtige Frau blieb, verdankte sie ihrem Takt und ihrem Intellekt, von dem sich auch Leonardo tief beeindruckt zeigte. Ein Jahr später schon erhielt Leonardo den Auftrag, ein hochgelobtes Stück über die Liebe mit Atalante in der Titelrolle aufzuführen, nachdem es ärgerlicherweise bereits in Mantua eine rauschende Premiere gefeiert hatte: Angelo Polizianos Favola d’Orfeo. Am Anfang der modernen europäischen Theatergeschichte steht Polizianos Orpheus-Dichtung, die Begeisterung an den Renaissance-Höfen auslöste, weil Angelo Poliziano eines der populärsten Themen dieser Zeit aufgegriffen und in schönen Versen Orpheus’ Leid über den Tod seiner Geliebten Eurydike besungen hatte: »Euridice la ninfa al fiume è morta.« In der mittelalterlichen Tradition wurde Orpheus als Vorgänger Christi behandelt. Ein Theologe unserer Zeit hat das so ausgedrückt: »Der gekreuzigte Christus ist der wahre Orpheus, der die Menschheit als seine Braut aus den Tiefen des dunklen Hades heimholte – der Orpheus Bakchikos.«253 Angelo nun verweltlichte den Stoff, indem er aus Orpheus den Künstler und Liebenden schlechthin machte und dieser sehr irdischen Liebe nichts Metaphysisches mehr anhaftete, eine Interpretation des Stoffes, mit der Leonardo übereinstimmte. Der Text, den Poliziano den eigenen Angaben nach in zwei Tagen gedichtet hat, beeindruckt durch den kraftvollen Kanon aus Komödie, Hirtenspiel und antikem Drama, dessen komische, buccolische und tragische Facetten unvermittelt und kräftig aufblitzen. Eben noch hinkt nach dem Prolog, den der zwielichtige Merkur zum Besten gibt, der alte Hirt Mopsos über die Bühne, als auch schon der junge Hirte Aristeus von seiner Liebe zu Euridike singt, der er folgt und die auf der Flucht vor ihm an einem Schlangenbiss stirbt. »Mir ziemt es, in den Tartarus zu gehen Und zu versuchen Gnade zu erbitten. Vielleicht dass wir das Rad des Schicksals drehen.«254

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So hofft und beschließt Orpheus. Der Sänger erweicht in seinem Schmerz, Eurydike verloren zu haben, durch seinen Gesang sogar Pluto, den Fürsten der Unterwelt. »Wer ist der Mann, der mit so süßen Weisen. Und seiner Leier diese Hölle rührt? (…) Ich geb sie dir; jedoch gebiet ich, höre: Dass sie dir folge auf den blinden Wegen Und dass sich nie dein Auge zu ihr kehre, Bis sich die Erdenlüfte um euch legen. Drum wehre dem Begehren, Orpheus, wehre! Sie stirbt, verstößt du einmal nur dagegen. Mit tut es wohl, dass deine holden Saiten Hier dieses Szepter sanft zur Milde leiten.«255 Bekanntermaßen erfüllte Orpheus – oder Orfeo – die Aufgabe der Götter nicht, sich keinesfalls nach Eurydike (oder Euridice) umzudrehen, bevor sie den Weg aus dem Hades hinter sich gebracht hatten. So verlor Orpheus die Geliebte durch eigenes Verschulden zum zweiten Mal und nun für immer. Ovid hatte hierfür in seinen Metamorphosen, wie eigentlich für alle antiken Stoffe, die Vorlage geliefert. Er dichtete: »Aufwärts steigen sie jetzt durch schweigende Öde den Flußpfad schroff, voll düsteren Grauns und umstarrt vom finsteren Dunkel. Nicht mehr waren sie fern vom Rande der oberen Erde, da, sie verlangend zu sehn und besorgt, dass Kraft ihr gebreche, schaut er liebend sich um, und zurück gleich ist sie gesunken. Sehnlich die Arme gestreckt, auf dass er sie fasse und selber werde gefasst, hascht nichts denn weichende Lüfte der Arme.«256 269

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Was für eine Aufgabe für Leonardo, Hölle und Höllenfürst, Furien und Bestien zu gestalten! In seiner Verzweiflung über den »zwiefachen Tod der Gat­­­ tin«257 beschloss Orpheus, sich nie wieder in eine Frau zu verlieben, und begann der Knabenliebe zu frönen, »sei’s, weil sein Leid sie gewesen / sei’s, weil Treu er gelobt«.258 Gleich, ob Verlangen, Veranlagung oder Selbstkasteiung in Orpheus diesen Entschluss hervorrufen – Polizianos Orfeo singt der Knabenliebe einen Hymnus: »Wie elend, wer nach einer Frau sich sehnt, An ihr sich nur erheitert oder quält, Wer sich für sie die Freiheit abgewöhnt, Wer auf ihr Aussehen, ihre Worte zählt, Die leer wie Wind sind, der im Laube tönt, Weil eine Frau mal dies, mal jenes wählt. Man muss sie fliehen, sich vor ihr verstecken, Mal von ihr gehen und mal sich ihr entdecken. So hat es Jupiter uns vorgemacht, Der, wenn ihn Liebesfesseln süß gebunden, Die schönste Zeit mit Ganymed verbracht, Und Phöbus lies sich Hyazinthus munden«259. Poliziano und Leonardo ließen sich die Möglichkeit nicht entgehen, den Stoff in Dichtung und Inszenierung homoerotisch aufzuladen. Die Mänaden oder Bacchantinen – wilde Begleiterinnen des Dionysos – verübelten Orpheus die Frauenfeindschaft. Mehr noch rasten sie aber, weil er den »thrakischen Stämmen« das Laster der Knabenliebe beibrachte, »dem zarten / Männergeschlechte in Liebe zu nahn und die Blüte der Jugend / und den vergänglichen Lenz vor dem Jünglingsalter zu pflücken«,260 wie es Ovid beschrieb und Poliziano in dem wilden Rachegesang und dem grausamen Tod des Orfeo besang: »O dieser Mann will unserer Liebe lästern! 270

14. Der Zauberer

O Schande, Schande! Ihm gebührt der Tod! Du wirfst den Tyrsos! Ihr, erzürnte Schwestern, Schlagt ihn mit Keulen! Werft die Glut, die loht!«261 Die kraftvolle Musik der Mänaden kann man sich vorstellen, unterbrochen von dem hohen, kunstvoll leidenden Gesang Atalantes als sterbendem Orfeo. »O tötet ihn! Da fließt sein Blut schon rot! O! o! schlagt in die Brust ihm eine Kerbe Und reißt sein Herz heraus! Er sterbe! Sterbe!«262 Zum Tod des Orfeo existiert eine hintergründige Graphik von Albrecht Dürer, der ein Spruchband in den Baum flocht: »der erst Puseran«. Puseran war eine Verballhornung des italienischen buggerone (Päderast). Mit »der erst« kennzeichnete Dürer Orfeo als Ahnherrn der Päderasten. Leonardos Theaterarbeit brachte ihm großen Erfolg ein – und den langersehnten großen Auftrag des Reitermonuments. Danach rissen die Aufträge nicht mehr ab. 1493 wurde il Moros Theater, das er im Castello Sforzesco errichten ließ, mit Mopsus et Daphne von Niccolo da Correggio eingeweiht, 1495 folgte der Innamoramento di Orlando, auch von Niccolo, und 1496 inszenierte Leonardo zu Ehren von Isabella d’Este den Timon seines Freundes Bernardo Bellincioni. Ebenfalls 1496 führte er Baldassare Taccones Komödie Danae auf. Wieder erhielt Leonardo einen Auftrag, der ihm die Chance bot, die Hofgesellschaft zu bezaubern und zu verzaubern. Als Danae, die vom König in einen Turm gesperrt wird, mit klagendem Gesang auf dem Turmumgang erscheint, öffnet sich ein von wie Diamanten strahlenden Lichtern übervoller Himmel, an dem sich Jupiter in der Schar der Götter zeigt. Eilends schickt Jupiter, in Danae verliebt, den notorisch zwielichtigen Merkur als Liebesboten, jedoch ohne Erfolg. Schließlich überwindet Jupiters Danaes Widerstand, indem er in Gestalt eines Goldregens auf sie niedergeht und sie schwängert. 271

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Studie zum Guss des Sforza-Monuments 1491-1493, Feder und Tinte 272

15. Baumeister der Welt

Als nun Danaes Vater sie voller Zorn ins Meer schleudern will, verwandelt Zeus die Geliebte in einen Stern. Es blieb Leonardos Illusionskunst vorbehalten, den Zuschauer miterleben zu lassen, wie Danae als Stern zum Himmel aufsteigt, um von dort zu leuchten – und einer großen Musik, versteht sich. Doch da hatte er schon ein Gemälde geschaffen, das zu seinen berühmtesten wie geheimnisumwittertsten gehört: das Abendmahl.

15. Baumeister der Welt

Unbestreitbar gehörte il Moros Auftrag, ein Reiterdenkmal zu errichten, das Francesco, den ersten Sforza-Herrscher von Mailand, zu Pferde zeigen sollte, zu den größten und zugleich schwierigsten Herausforderungen für einen Künstler. Denn allein der Anspruch, ein Monument in Lebensgröße zu schaffen, setzte so große Kenntnisse über die Bronzegusstechnik voraus, dass man allenfalls in Florenz Spezialisten fand, die es zumindest wagen durften, sich dieser Aufgabe zu stellen. In späteren Jahren hat Leonardo einmal behauptet, dass Lodovico ihn eigens für die Schaffung des gran colosso, wie der Hofpoet Baldassare Taccone das monumentale Reiterstandbild nannte, nach Mailand holte. Doch diese kleine Erfindung diente der Legendenbildung um seine Person, die Leonardo konsequent betrieb. Ihm widersprechen aber nicht nur alle Daten und Quellen, sondern auch er selbst mit seiner Bewerbung von 1482. Denn er hätte sich nicht andienen müssen, das Denkmal zu schaffen, wenn er eigens dafür von Lodovico Sforza nach Mailand geholt worden wäre. Man kann Leonardo nicht absprechen, ein Vermarktungsgenie in eigener Sache gewesen zu sein, immer jedoch mit festem Blick auf das eigene Weiterleben in der Nachwelt, in der Ewigkeit. 273

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Wer auf die verrückte Idee kam, sich nicht mit der Herstellung des Reiterstandbildes in einfacher Lebensgröße zufriedenzugeben, die schon genügend serielle Probleme bereiten würde, sondern das Monument vier Mal so groß, also letztlich über sieben Meter zu projektieren, Leonardo oder il Moro oder im begeisterten Gespräch beide, wird sich wohl niemals ermitteln lassen. Der Anspruch war gewaltig, vielleicht sogar größenwahnsinnig und mit den technischen Möglichkeiten der Zeit nicht zu realisieren. Aber darin lag für Leonarde der Reiz, etwas so vollkommen Neues zu schaffen, dass von der Mechanik bis zur Metallurgie Erfindungen und neue Technologien notwendig wurden. Wie Johann Gutenberg eine Generation zuvor eine ganze Reihe technischer, technologischer, mechanischer und chemischer Innovationen gelingen musste, um Bücher mittels des Buchdrucks mit beweglichen Lettern herstellen zu können, verlangte die Herstellung des gran colosso neue Lösungen in der Metallurgie, ja, das ganze Gussverfahren zu revolutionieren. Das begann schon mit der im Vergleich zu den nachfolgenden Schwierigkeiten banalen Komplikation, dass Leonardo die Grube für den Bronzeguss nicht tief genug ausheben lassen konnte, weil er allzu bald auf Grundwasser stieß. Auch erlaubte der bis dahin übliche Guss mit der verlorenen Form oder dem Wachsausschmelzverfahren nicht, das Pferd in einem Stück zu gießen. Doch den Bronzeguss in Teilen durchzuführen, lehnte Leonardo aus ästhetischen und technologischen sowie aus philosophischen Gründen ab. Es fällt auf, dass die gesamte Diskussion sich um das Pferd drehte und die Frage des Reiters ins Hintertreffen geriet. Das hatte zwei Gründe. Erstens interessierte sich Leonardo stärker für das Pferd als für den Reiter und zweitens entsprach es in der Tat der Wahrheit, wenn er il Moro gegenüber argumentierte, dass zunächst die komplizierte Basis geschaffen werden musste, die anschließend das Abbild Francesco Sforzas tragen würde. Doch wirft man einen Blick auf das Schicksal des Monuments, wird im Nachhinein offenbar, dass der überhöhte Anspruch il 274

15. Baumeister der Welt

Moros nicht nur schwierig, ja, technisch fast unmöglich zu realisieren war, sondern auch auf politischer Ebene eine Bedeutung reklamierte, die im krassen Widerspruch zu Lodovico Sforzas fragiler Herrschaft stand. Das Pferd – il Cavallo – war und blieb letztlich ein faszinierender Traum von Größe und Erhabenheit. Reiterstandbilder besaßen die Funktion der Machtpropaganda. In Ferrara hatten Antonio di Cristoforo und Niccolo da Baroncelli zwischen 1444 und 1451 ein Standbild Niccolos III. d’Este geschaffen, das leider 1796 zerstört wurde. Beide waren übrigens Florentiner. Der Florentiner Donatello stellte in Padua ein Bronzemonument für den Condottiere Gattamelata auf und Andrea del Verrocchio schuf, wie bereits erwähnt, in Venedig im Auftrag der Serenissima das Denkmal für den Condottiere Bartolomeo Colleoni. Die Idee zum Sforzamonument stammte eigentlich nicht von il Moro, sondern von dessen Bruder, dem zur persönlichen Grausamkeit neigenden Galeazzo Maria, dessen Grausamkeit ihm jedoch zum Verhängnis wurde. Drei humanistisch gebildete junge Männer aus den besten Kreisen Mailands, die ein wenig zu heftig und zu oft sich an den Heldentaten des Brutus berauscht hatten, der den Tyrannen Cäsar im Senat abschlachtete, warteten am zweiten Weihnachtstag 1476 gegen Mittag in der faktischen Ironie, zu der die Geschichte in ihrem staubtrockenem Humor zuweilen fähig ist, ausgerechnet vor dem Altar der Unschuldigen Kinder auf Galeazzo Maria Sforza den – wie sie ihn sahen – Tyrannen von Mailand. Als der Herrscher selbstgefällig und selbstsicher durch das Kirchenschiff auf sie zuschritt, stürzten sie sich auf ihn. Einer stieß ihm den Dolch erst in den Bauch, dann in den Hals, der Zweite stach mit dem Stilett zu, während der Dritte mit seinem Rapier von hinten das blutige Werk des Tyrannenmordes vollendete. Die Witwe des »Tyrannen« fühlte keine Veranlassung, für ihren Schwiegervater ein Denkmal errichten zu lassen. Und die fünf Brüder des Ermordeten sahen sich mehr oder weniger gezwungen, Mailand zu 275

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verlassen, denn der Staatsrat unter Führung Cicco Simonettas stand gegen die Brüder des Ermordeten und legte die Staatsgeschäfte in die Hände der mäßig intelligenten Witwe, die offiziell sowohl Regentschaft als auch Vormundschaft für ihren Sohn übernahm. Ansonsten vergnügte sie sich aber mit einem jungen Mann aus Ferrara, der am Hof als Fleischer diente und sich selbst für ein staatspolitisches Genie hielt. Das Ganze ging natürlich nicht gut aus. Lodovico kehrte 1479 nach Mailand zurück und verdrängte mit einer ihm zugeneigten Fraktion im Staatsrat, die in Opposition zu Simonettas Machenschaften stand und die auch dank der Herzogin und ihrem Günstling unablässig stärker wurde, Bona von Savoyen von der Macht. Cicco Simonetta wurde hingerichtet. Allerdings wahrte il Moro das Decorum, die Gesetze der Schicklichkeit, und ließ Gian Galeazzo 1480 im Dom zum Herzog krönen. Es ist begreiflich, dass Leonardo 1482 an dem sich neu bildenden und nicht festgefügten Hof il Moros auf Vakanzen hoffte, die ihm zu besetzen gelingen würde. Seine Rechnung ging auf. Lodovico Sforza nun, der seine Herrschaft zu festigen beabsichtigte, konnte sich die Chance unmöglich entgehen lassen, die Idee seines Bruders wieder aufzunehmen und sich in die Traditions- und mithin auch Herrscherlinie von Francesco und Galeazzo Maria zu stellen. Glückende Herrschaft, beständige Herrschaft bedeutete zu allen Zeiten eine Sinfonie aus Repräsentation, Interessenausgleich, Behauptung des Staatswesens nach außen und Legitimation und Tradition im Inneren. Im Plan des Reiterstandbildes vereinigte sich all dies. Die SforzaHerrschaft repräsentierte die Interessen Mailands und achtete auf den Interessenausgleich zwischen wichtigen Schichten der Gesellschaft des Herzogtums. Denn lässt man alle romantischen Motive der Attentäter beiseite, zeigte die Tat auch, wie unzufrieden die gesellschaftstragenden Schichten mit der selbstherr276

15. Baumeister der Welt

lichen Politik Galeazzo Marias gewesen waren. Im Unterschied zu ihm war Francesco Sforza vorsichtig mit der errungenen Macht umgegangen, wusste er doch um ihre Fragilität, die bisher nur auf einen klugen Schachzug Francescos, nicht aber auf Tradition und Legitimität zurückzuführen war. Tradition und Legitimität musste die Sforza-Familie erst aufbauen, wenn sie dauerhaft Mailands Herrscherdynastie zu werden beabsichtigte. Und natürlich versinnbildlichte der kriegerische Reiter auf dem Pferd seine Fähigkeit, das Herzogtum gegen alle äußeren Feinde zu schützen. Und je länger die Reihe der Nachfolger des beeindruckenden Reiters würde, desto legitimer, durch Gesetz und Tradition beglaubigt, würde auch die durch einen Handstreich erworbene Herrschaft der Sforzas über das Herzogtum. Ob es jedoch zu dieser langen Kette von Sforza-Herrschern käme, lag am Geschick il Moros und an den Launen der Fortuna. Man sieht also, welch symbolische Bedeutung dem Reiterstandbild zukam – denn Politik beruht zu einem Teil, auch wenn der abwertende Begriff »Symbolpolitik« das verschleiert, auf Symbolen und symbolischen Handlungen. Gespräche über das Reiterstandbild führte Leonardo mit il Moro bereits kurz nach seiner Ankunft. Die Beauftragung erfolgte um 1485/86, zumindest nach der Fertigstellung der Felsengrottenmadonna, vielleicht auch während eines Aufenthaltes Leonardos in il Moros Residenz in Vigevana in den Zeiten der Pest. Bis Ende der 80er-Jahre ging er mit Feuereifer an den Auftrag, studierte Statur, Bewegung und Proportionen der Pferde. In Mailand fand er auch insofern reiches Anschauungsmaterial, als die Pferdezucht der Sforza berühmt war. Sie ließen sogar ihre Ställe bemalen, und es ist keineswegs auszuschließen, dass Leo­ nardo sich daran beteiligte, entweder mit einer Zeichnung als Vorlage oder indem er selbst zum Pinsel griff. Zumindest dienten seine Skizzen von Pferden nicht nur, aber eben auch der Vorarbeit zum »Bronzepferd«. 277

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Zunächst entwarf er mit größter Kühnheit ein steigendes Pferd mit Reiter. Sowohl Reiter als auch Pferd beeindruckten durch die ungeheure Kraft der Bewegung. Die Idee dahinter begeisterte, denn nicht nur die Stärke des Pferdes wurde eindrucksvoll in Szene gesetzt, sondern auch die Stärke Francesco Sforzas, der das Pferd zu bezwingen vermochte. Das spielte auf hintergründige Art auf den Namen an: Der Bezwinger des Pferdes war eben der »Sforza«, denn nichts anderes bedeutete der zum Familiennamen gewordene Schlachtruf als eben: »Bezwinger«. Doch dann geriet die Arbeit ins Stocken, denn Leonardo begriff, dass die komplizierte Form, die er ersonnen hatte, aus statischen Gründen bisher nicht zu realisieren war. Leonardo hatte in seinem tollkühnen Entwurf die Momentaufnahme einer Bewegung ausgewählt, in der sich Pferd und Reiter nicht im Gleichgewicht befanden, so dass auch das Monument nicht von allein stehen würde, zumindest nicht, wenn es eine vierfache Lebensgröße erreichen sollte. Wie ohnehin an der Felsengrottenmadonna, am Hieronymus und an der Anbetung und den Porträts zu beobachten ist, legte er außerordentlichen Wert darauf, Mensch und Tier in der Bewegung zu zeigen, weil nur sie erzählt. Die Bilderzählung erfolgte durch Mimik, Gestik, Bewegung, Konstellation und Korrelation. Aus dem Tun des konterfeiten Menschen begreift der Betrachter, was dieser Mensch will, vielleicht sogar fürchtet und ersehnt. Schaut man sich Leonardos Bildwerke aus diesem Blickwinkel an, kann man die Sehnsucht entdecken, nicht nur Bewegung darzustellen, sondern die Bilder selbst zu bewegen, weil auch in der Natur sich alles bewegt, sich alles verändert, nichts bleibt, wie es eben noch war, sondern schon in dem Moment, in dem Leonardo es sieht, etwas anderes wird. Um 1488 erlahmte die Arbeit am Pferd deutlich. Leonardo kam nicht weiter, er benötigte Abstand, eine Atempause. Il Moro schien etwas von der Krise seines Zauberers zu spüren, denn 278

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er ließ am 22. Juli 1489 durch den florentinischen Botschafter Pietro Alamanni anfragen, ob Lorenzo ein oder zwei erfahrene Künstler schicken könne, weil er sich nicht sicher sei, ob Leonardo die Aufgabe bewältigen werde.263 In der Tat hatte il Moros Zauberer viel, möglicherweise zu viel versprochen und drohte nun unter der Last der Ankündigung zusammenzu­brechen. Leonardo haderte: Wieder hatte er sich in eine Krise hineingearbeitet, wie damals in Florenz, als er mit dem Hieronymus und der Anbetung kämpfte. Doch der Auftrag war viel zu groß und es war allzu bekannt, dass er an ihm arbeitete. Er durfte und wollte nicht kapitulieren. Leonardos drohende Niederlage vor der Größe der Aufgabe spielte der Geringschätzung einiger Mailänder Hofhumanisten und Hofdichter Argumente in die Hände, nicht nur gegen Leonardo persönlich, sondern auch gegen das Handwerk der Bildhauer, das sich zu einer der Dichtung ebenbürtigen Kunst aufzuschwingen wagte. Ausgerechnet im Juli 1489 wurde Giovanni Simonettas De rebus gestis Francisci Sphortiae ins Italienische übersetzt. Giovanni war der Bruder von Francisco (Cicco) Simonetta und hatte Francesco Sforza als Sekretär gedient. Nach dem Regierungsintermezzo mit Bona von Savoyen und der Hinrichtung seines Bruders Cicco wurde Giovanni nach Vercelli verband, wo er 1490 starb. Im Vorwort zur italienischen Ausgabe behauptete der in Bologna lehrende, eng mit dem Mailänder Hof verbundene Humanist Francesco Dal Pozzo, genannt Puteolano, dass nicht Bilder und Statuen den Herrschern das Gedächtnis der Nachwelt stiften, sondern Dichtungen und literarische Werke. Er verwies auf Alexander den Großen und Julius Cäsar. Um den Angriff einiger Humanisten abzuwehren, bat Leonardo seinerseits den Humanisten Piattino Piatti, der aus dem Adel stammte und in militärischen Diensten von Federigo da Montefeltro und Trivulzzio gestanden hatte, um eine dichterische Verherrlichung des Monuments, das Leonardo erst zu schaffen vorhatte. Der Idee lässt sich ein gewisser Humor nicht absprechen. Denn den Angriff der Dicht279

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kunst auf die Bildhauerkunst nun ausgerechnet durch eine Dichtung abzuwehren, die ein Werk der Bronzebildhauerei, das erst zu schaffen wäre, verherrlichte oder doch zumindest deren Schöpfer, besaß Originalität und Chuzpe. Da Piattino Piatti in den 70er-Jahren auch eine Weile in Florenz gelebt hatte, könnte ihn Leonardo dort kennengelernt haben. Möglicherweise aber begegnete er ihm in den 80er-Jahren in Mailand oder Pavia. Piatti schrieb ihm das gewünschte, doch etwas hohle Epigramm. Es brachte zum Ausdruck, dass Leonardo zwar kein Apelles, kein Policletus, kein Zeusis, womit Zeuxis gemeint war, sei, also keiner der antiken Maler und Bildhauer von mythischem Rang, doch als Schüler der wunderbaren Alten von ihnen gelernt habe, wie er unter Beweis stellen werde.264 Intrigen und il Moros wachsender Zweifel, der sich sogar nach Ersatz umsah, setzten Leonardo erheblich unter Druck. Aber nicht nur äußere Zwänge brachten ihn dazu, sich wieder mit dem Pferd zu beschäftigen, sondern sicherlich auch Gespräche mit Donato, der ihn geraten haben dürfte, die Konzeption zu ändern. Für Leonardo galt es, sich nicht zu verrennen, wozu er nicht neigte, sondern zu überlegen, ob sich die gleiche Geschichte nicht auch auf anderem Weg erzählen ließ. Im Frühjahr 1490 könnte Donato ihm vom antiken Reiterstandbild in Pavia erzählt haben. Für den 23. April 1490 findet sich jedenfalls folgende Eintragung in Leonardos Tagebuch, deren lakonische Wucht überrascht: »a dì. 23 d’aprile . 1490 chominciaj . questo . libro e richominciaj . il cavallo.« (Am Tag des 23. Aprils 1490 habe ich dieses Buch begonnen und wiederbegonnen das Pferd.) Das klingt danach, dass er nun den sprichwörtlichen Stier bei den Hörnern zu packen gedachte. Offensichtlich hatte Leonardo eine neue Inspiration gefunden. Um zu verstehen, was geschehen war und weshalb il Moro seine Zweifel nicht nur beilegte, sondern sogar einen weiteren Großauftrag für seinen gutbeschäftigten Zauberer besorgte, muss man nach Pavia schauen. Einer von il Moros Brüdern, 280

15. Baumeister der Welt

Ascanio, der es zum Kardinal gebracht hatte, beschloss, in Pavia eine prächtige Bischofskirche zu erbauen. Um seine Bedeutung und seinen Rang aller Welt vor Augen zu führen, wünschte er ein Bauwerk, das durch seine moderne Architektur Eindruck machte. Der beflissene Entwurf des Kunsttischlers Christoforo Rocchi, der die Sophienkirche in Konstantinopel zum Vorbild hatte,265 erschien Ascanio Sforza als zu brav, zu konventionell, zu langweilig, so dass der unvermeidliche in Pavia geborene Giovanni Antonio Amadeo mit der Überarbeitung des Plans beauftragt wurde. Doch Amadeo und Rocchi gerieten in heftigen Streit, so dass Rocchi sich weigerte, ein Modell nach den Vorstellungen des Baumeisters anzufertigen. Die Baukommission lud daraufhin im August 1488 Donato als Gutachter ein, doch der dachte nicht daran, diese Rolle auszufüllen, sondern drängte mit einem außergewöhnlichen und genialen Plan Amadeo zur Seite. Am 22. August beschloss die Baukommission, dass die Kathedrale von Donato, Giovanni Antonio Amadeo und Christoforo Rocchi nach Donatos Entwurf zu errichten sei. Nachdem es so gut für ihn gelaufen war, glaubte Letzterer sich am Ziel. Doch die praktische Bauausführung, für die sich Donato als Architekt noch nie interessiert hatte, lag bei den Bauleitern Amadeo und Dolcebono. Amadeo vermochte der Kühnheit von Donatos Plan nicht zu folgen und schreckte vor den riesigen Pfeilern und der kühnen Kuppelung zurück, auch aus statischen Gründen, so dass er Änderungen vorzunehmen gedachte. Im Juni 1490 wurde von der Baukommission, die anscheinend durch Amadeos und Dolcebonos ständige Bedenken, unterstützt von Horror­szenarien bezüglich der Statik des riesigen Gebäudes, skeptisch geworden war, eine Beratung anberaumt. Man verhandelte, ob Donatos Pläne geändert werden müssten. Il Moro hielt sich zu dieser Zeit in Pavia auf. Die Baukommission drängte darauf, Francesco di Giorgio als externen Gutachter hinzuziehen. Alles deutet darauf hin, dass Donato bei il Moro intervenierte und verlangte, man solle auch Leonardo zu den Besprechungen einladen. In seinen 281

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Notizen bezeichnete il Moros Zauberer den Architekten Donato mit dem Kosenamen mio Donino, was auf eine Vertrautheit, wenn nicht gar Freundschaft zwischen Donato Bramante und Leonardo da Vinci schließen lässt. Jedenfalls ritten auf il Moros Veranlassung Leonardo und Francesco di Giorgio nach Pavia. Eine Zahlungsverfügung des Wirtes Zum Sarazenen vom 21. Juni 1490 für die »Herren Ingenieure Francesco aus Siena und Leonardo aus Florenz mit ihren Begleitern und Pferden, die eigens zur Beratung für den Dombau berufen worden sind«266 verrät, dass sich Leonardo zwischen dem 8. Juni und 21. Juni in Pavia aufgehalten hat. Wieder konnte Donato Bramante zufrieden sein, denn Leonardo und Francesco di Giorgio sprachen sich für die Umsetzung seines Bauplanes aus. Die Kühnheit von Donatos architektonischer Lösung beeindruckte Leonardo. Sie war ein Vorgriff auf Donatos 15 Jahre später erarbeiteten Architekturentwurf für den Neubau von Sankt Peter in Rom. Donato und Leonardo erblickten gleichermaßen im Licht das A und O ihrer künstlerischen Tätigkeit als Maler oder Architekt: Nicht Mauern bilden einen Raum, wie Amadeo zu denken schien, sondern Licht. Vielleicht war die Begegnung mit Donato Bramante die wichtigste neben der mit Luca Pacioli überhaupt, denn »Donino« bestätigte Leonardo und erweiterte sein Wissen. Er stärklose te seine Entschlossenheit auf kongeniale und rücksichts­ Wese, denn: »Bramante begreift, dass Bauen bedeutet, die Kraft zu ­beherrschen, die immer aus Kraft und Gegenkraft, aus Lager und Widerlager besteht. Bauen heißt, den Himmel zu versuchen, und seinen Zorn, der in den waltenden Kräften besteht, durch das Mauerwerk abzuleiten. Das Opus incertum, das Mauerwerk, als Schutz vor den Folgen der Hybris. Im Angesicht des Mailänder Doms kommt ihm die Erkenntnis, dass eine Wölbung oder eine Kuppel leicht sein muss. Eine Wölbung oder eine Kuppel hat sich leicht wie der Himmel über die Welt zu spannen. Die 282

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Pfeiler, Mauern oder die Vierung, auf der das Gewölbe oder die Kuppel ruht, sollen zwei Funktionen erfüllen, erstens haben sie die Kuppel zu tragen, indem sie die gewaltigen Kräfte in einem Ensemble von ­Lagern und Widerlagern, Pfeilern und Konterpfeilern ableiten, und zweitens sollen sie dem Licht die Möglichkeit geben, sich auszubreiten, denn Raum wird niemals durch Mauerwerk geschaffen, sondern immer durch Licht. Ein Raum ohne Licht ist ein Loch, eine Höhle, ein Widersinn. Aber das Licht ist die Wirklichkeit, das hat Donato als Grundprinzip der Architektur begriffen: Nicht mit Mauerwerk, sondern mit Licht baut man Räume. Für ihn steht fest: Wer die Kuppel des Himmels errichtet, der hat die Ewigkeit erreicht und die Endlichkeit der eigenen Existenz überwunden, der ist zu einem Pfeiler der Welt geworden. Dieses Höchste zu verwirklichen, unendlich zu werden und in der Ewigkeit zu sein, dahin drängt Donatos Sehnsucht. Nicht Architekt eines Fürsten, sondern Baumeister der Welt zu werden.«267 In diesem Anspruch glichen der Maler Leonardo und der Architekt Donato einander. Die Aufgabe der Architektur bestand also darin, die Lichtverhältnisse zu ordnen, um die Leichtigkeit des Bauwerkes zu erreichen. Durch einen Kranz von acht Pfeilern, die eine große Kuppel tragen sollten, hob Donato die Teilung von Lang- und Querhaus auf. Die Apsis sollte wie auch das Gesims Fenster erhalten. So sollte der Lichteinfall von mehreren Ebenen dazu führen, dass sich das Licht mischt und das Oktogon zu einem Thronsaal wird. Den sollte eine riesige Kuppel krönen. Donatos genialer Plan verband Immanenz und Transzendenz, war Ort von dieser Welt und auch wieder nicht, in dem das Licht das Irdene des Raums überstieg, ohne ihn aufzuheben. Für das Bauen existierten seit alters her drei Grundelemente: Säulen, Balken und Bögen. Die Veränderungslust der Architekten setzte 283

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Skizze für die Schmelzgrube des Sforza-Pferdes in der Aufsicht (oben) und Seitenansicht (unten) um 1493, Feder und Tinte

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an den Säulen und Bögen an. Gerade über die Frage der Bögen, die den Seitenschub aufzufangen und abzuleiten hatten, ohne unter ihm zusammenzubrechen, diskutierten Leonardo und Donato. Gerade über dieses Problem sollte Leonardo nachdenken und auch versuchen, im engen Gedankenaustausch mit dem Theologen und Mathematiker Luca Pacioli, der eigentlich ein Franziskanermönch war, Musterberechnungen, Modelle und Verallgemeinerungen zu schaffen. Leonardo und Francesco di Giorgio sahen jedenfalls, was Amadeo nicht sah. Allerdings hatte der auch die Bauausführung zu verantworten und mithin Statik und Haltbarkeit des Gebäudes zu gewährleisten. Es verwundert ganz und gar nicht, dass im Zusammensein mit einem geborenen Architekten wie Donato immer auch die Hybris mitschwang, so etwas wie Gott zu sein. Denn wie der höchste Weltenherrscher schuf auch der Architekt Welten – kleine Kosmen aus Licht, Holz und Steinen, aus Balken, Säulen und Bögen. Das Gefühl, so etwas wie Gott oder ein Gott im Kleinen zu sein, entwickelte sich immer stärker zum Grundgefühl der Maler und Architekten der Renaissance. Der mittelalterliche Baumeister arbeitete mithilfe des Achtecks Jahr für Jahr und Stück für Stück an dem Bauwerk – der Architekt der Renaissance lieferte kühne Entwürfe, die von Bauleitern dann praktisch ausgeführt wurden. Leonardo konnte nicht ahnen, als er Mailand gen Pavia verließ, dass er dank Donato auf eine grundsätzliche Lösung seines Problems mit dem Denkmal stoßen würde. In Pavia stand nämlich ein Reiterstandbild aus der Antike, das im Mittelalter von Ravenna hierher gebracht worden war. Es wurde später »Regisole« (Sonnenkönig) genannt. Leonardo schlug die Lösung, die der alte Meister gefunden hatte, um die Statik zu überwinden und Kraft und Bewegung zu zeigen, die eines Herrschers würdig waren, unmittelbar in den Bann. Er skizzierte das Pferd, an dem er die Lösung für sein Problem entdeckt hatte, und notierte auf der Rückseite: 285

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»Bei jenem [Standbild] in Pavia lobt man die Bewegung über alles./ Die Nachahmung antiker Werke ist lobens­ werter als die moderner./ Schönheit kann nicht mit Zweck­­­ mäßigkeit gepaart sein, so wie es bei Festungen und Menschen der Fall zu sein scheint./ Der Trab ist fast so natürlich wie der eines freilaufenden Pferdes. Wo die natürliche ­Lebendigkeit fehlt, da muss man sie künstlich schaffen.«268 Im Nachdenken über die antike Figur begriff er, dass es in der Malerei oder Bildhauerei nicht darum ging, die Natur nachzuahmen und abzumalen, sondern Natur ließ sich nur erzählen, wenn man sie verstehend über die Natur hinausging. Ihre bloße Nachgestaltung lief Gefahr, tot oder statuarisch zu wirken, sofern nicht die sie beseelende Bewegung miterzählt wurde. Die Kraft des Pferdes, die Leonardo ursprünglich im Steigen des Tieres zu zeigen beabsichtigte, ließe sich auch in der kraftvollen Bewegung des schreitenden Rosses zeigen. Und wie der Hermelin auf dem Arm von Cecilia Gallerani zum Symbol für Lodovico il Moro und zur Metapher ihrer Liebe wurde, so versinnbildlichte das Pferd, die leonardeske Adaption des Regisole, den SforzaHerrscher und wurde gleichzeitig zur Metapher der Herrschaft schlechthin, denn bei jeder Herrschaft kam es darauf an, dass der Fürst im Sattel blieb. Mutatis mutandis erging es dem Architekten, dem Maler, dem Bildhauer nicht anders, denn Kunst war auch Krieg, war Kampf, und alles kam auf den stato des Künstlers an, den Leonardo rettete, als es ihm gelang mithilfe von »mio Donino« il Moros Misstrauen zu zerstreuen und zu einer imposanten Lösung vorzudringen. Leonardos Reiterdenkmal sollte eine Höhe von 7,20 m erreichen, das war fast doppelt so hoch wie das seines Meisters Andrea dell Verrochio für Bartolomeo Colleoni in Venedig (4,20 m) und beinah dreimal so hoch wie Donatellos Denkmal für Gattamelata (3,20 m). Um den gran colosso zu gießen, beschäftigte sich Leonardo intensiv mit der Technik des Bronzegusses, verwarf dabei das 286

15. Baumeister der Welt

für die Größendimension ungeeignete Verfahren des Wachsausschmelzverfahrens, das zu dieser Zeit gebräuchlich war. Dabei wird ein Gegenstand als Modell des Wachsmodells modelliert und mit Eingusskanälen versehen wird. Anschließend ummantelt man das Modell mit einem Formstoff, so dass die Grünform hergestellt wird. Durch Ausschmelzung entsteht der Formholraum. Die Bronze wird nun in die Form gegossen. Nachdem sie erstarrt ist, wird die Form zerschlagen und der Rohguss kann bearbeitet werden. Bei diesem Verfahren lässt sich der Guss nur in mehreren Teilen verwirklichen, was zu ästhetischen Risiken und Nachteilen beim Zusammenfügen der Skulptur führt. Bedingt durch die verschiedenen Gussformen kann kein gleichmäßiger Wachsbezug in den Formen garantiert werden. Darum ergibt sich für den Guss die große Gefahr unterschiedlicher Bronzestärken. Und überhaupt kann bei diesem Verfahren die benötigte Bronzemenge nicht berechnet werden. Das aber ist notwendig, um den Guss beginnen zu können. Die Notwendigkeit, die Bronzestärke wegen des zu erwartenden großen Gewichts des gran colosso möglichst gering zu halten, konnte also bei dieser Technologie in keiner Weise berücksichtigt werden. Schließlich bringt bei diesem Verfahren auch noch der Verlust der Form, die ja zerschlagen werden muss, den Nachteil, dass der Guss nicht mehr mit der Form zu vergleichen ist. Auch in diesem Fall zeigt sich wieder, dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt oftmals von militärischen und politischen Bedürfnissen vorangetrieben wird, denn Leonardo, der sich bekanntermaßen bei il Moro auch als Militäringenieur beworben hatte, ließ sich von der Technik des Kanonengießens anregen. Im Jahr 1487 hatte er eine Studie für eine Kanone entworfen mitsamt einer Hebevorrichtung in einer Geschützgießerei (siehe Seite 213), und zwar für eine Riesenkanone, die in Höhe und 287

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Länge die menschliche Durchschnittsgröße bei Weitem übertraf. Angesichts der Ausmaße des Bronzepferdes musste er ja nicht nur den Guss selbst, sondern auch das Heben und Transportieren des Gegossenen und der Gussform zu organisieren. Zum einen brachte er Stunden und Tage damit zu, Pferde in seiner Umgebung zu studieren und nach passenden Vorbildern zu suchen. So finden sich Skizzen von Pferden mit Notizen zu den Vorzügen und zu den Besitzern der Tiere, die ihn auf die eine oder andere Art beeindruckt hatten. Zum anderen beschäftigte er sich immer intensiver mit der Bronzegusstechnologie und führte Experimente durch. Dabei wurde er unterstützt von Zoroaster, aber auch von Julius dem Deutschen. Schließlich gelang es ihm, ein ausgesprochen kompliziertes Verfahren zu entwickeln, das ihm erlaubte, das Pferd in einem Stück herzustellen, und zwar unter Zuhilfenahme von zwei Halbschalen. Leonardo war sogar auf die Idee gekommen, das Pferd liegend und nicht stehend zu gießen, damit die Gussgrube eingedenk des Grundwassers nicht so tief werden musste. Wie geschickt Leonardo Arbeit und Marketing zu verbinden verstand, wird an der Arbeit am Bronzepferd deutlich. Einer der Mailänder Hofdichter, Baldassare Taccone, feierte die Aufstellung des Tonmodells in überschwänglichen Worten: »Im Burghof sieh das ungeheure Pferd, Modell zum Bronzeguss, dem Vater zur Ehre: Ich glaube fest, dass Griechenland und Rom Ein größeres Kunstwerk nie gesehen. Schaue nur, das Pferd so schön, Leonardo allein schufs mit eigenen Händen, Ein guter Bildhauer, Maler, Geometer, Einzig sein Talent, vom Himmel gesandt.«269 Auch wenn man den speziellen Ton der zeittypischen Panegyrik abzieht, wird an Taccones Versen deutlich, welch beachtliche Stellung sich Leonardo am Mailänder Hof geschaffen hatte: an288

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erkannt und verehrt als Maler, aber auch als Geometer, also als Techniker, Ingenieur und Wissenschaftler und nun auch noch als Bildhauer. Es heißt, dass il Moros Zauberer das 7,20 m hohe Tonmodell zu Ehren der Vermählung per procurationem von Bianca Sforza mit König Maximilian im Hof des Castello Sforzesco feierlich aufstellte. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Zu diesem Zeitpunkt hatte Leonardo die Ideen für die Technologie des Gusses des Bronzepferdes im Wesentlichen entwickelt. Um die Gussform herzustellen, musste er die Form vom Tonmodell abnehmen. Das an sich stellte schon angesichts der Dimension des gran colosso eine Herausforderung dar. Weil die Form nur vom stehenden Pferd abgenommen werden konnte, musste das Pferd aufgestellt werden. So ließen sich mehrere Abgüsse herstellen, die Leonardo wegen der Handhabbarkeit aus Gips statt aus Ton anzufertigen plante, weil Gips schneller trocknete. Anschließend wollte er die einzelnen Teile zu zwei Halbformen zusammenfügen. Dazu traf er Vorkehrungen, damit die Formen nicht zerbrachen, wenn sie vom Pferdemodell abgenommen wurden. Er hatte in vorausgehenden Experimenten festgestellt, dass sich die Gussformen am besten von den Rundungen, die das eigentliche Problem bildeten, zu lösen waren, wenn man sie nicht in einem Stück, sondern in drei Stücken produzierte. Um die Arbeit unter öffentlicher Anteilnahme und Bewunderung voranzutreiben und dabei zugleich den Künstler und das Werk als work in progress unter größtmöglicher öffentlicher Beteiligung feiern zu lassen, wurde das technologisch notwendige Tonmodell als Attraktion zur Vermählung von il Moros Nichte mit dem Habsburger Maximilian im Hof der Mailänder Residenz aufgestellt und zugleich als Termin für den Guss der 20. Dezember 1493 anvisiert. Nachdem nun das imposante mehr als 7 m hohe Tonpferd im Hof in der Tat die Bewunderung und das Erstaunen der Betrachter erregt hatte, wollte Leonardo die Halbformen gleich289

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mäßig mit einer formbaren Masse ausfüllen. Ob er die »Dicke«, wie er die Schicht nannte, letztlich aus Ton oder aus Wachs herzustellen gedachte, lässt sich nicht sagen, weil es zum Guss niemals kommen sollte. Mithilfe der »Dicken« ließ sich jedoch ein kompliziertes Problem lösen: die Berechnung der benötigten Menge von Bronze. Denn hier half ihm die Mathematik, weil er ausgehend vom Gewicht der »Dicken« mittels einer Verhältnisrechnung die benötigte Masse von Bronze ermitteln konnte. Die äußere negative Gussform, die Leonardo aus Gips hergestellt hatte, überzog er mit Ton oder Wachs und stellte daraus eine neue positive Form aus feuerfestem Ton her. Nachdem die positive Form gebrannt war, wurden Wachs bzw. Ton entfernt. Da­ raufhin sollte die positive Form in die negative Form eingepasst werden, wobei ein Hohlraum entstand. In diesen Hohlraum konnte nun Wachs gegossen werden, wodurch ein Pendant zum Tonmodell entstand. Nach Entfernung alle Unebenheiten vom Pendant hätte man darangehen können, eine neue negative Form aus feuerfestem Ton zu schaffen. Wichtig war, die negative Form vollkommen zu trocknen, denn da sie beim Guss nur eine Elle vom Grundwasser entfernt sein würde, hätte sie bei der geringsten Feuchtigkeit, die noch in ihr war, platzen können. Die gründlich getrocknete negative äußere Form musste nun auf die positive innere gesetzt werden. Dann endlich konnte der Bronzeguss erfolgen, wobei mittels Kanälen die flüssige Bronze in den Zwischenraum zwischen negativer und positiver Form lief. Für die 158 000 Pfund Bronze, die zu schmelzen waren, bedurfte es mehrerer Brennöfen, die ebenso wie die Gussform eingegraben wurden. Erst mehr als 200 Jahre später durfte sich Leonardos Verfahren einem Praxistest unterziehen, den es glänzend bestand: Francois Girardon schuf nach diesem Verfahren das riesige Reiterdenkmal für den französischen König Ludwig XIV., das 1699 in Paris aufgestellt wurde. 290

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Noch bevor Leonardo Gussformen und Brennöfen hergestellt hatte, schickte Lodovico seinem Schwager Ercole I. von Ferrara die 158 000 Pfund Bronze. Der goss aus ihnen Kanonen, um sich gegen den König von Frankreich zu wehren, der ihn bedrohte. Ironischerweise hatte il Moro selbst Anteil daran, dass Karl VIII. sich nach Norditalien begab. Denn er hoffte, seine Macht stärken zu können, wenn die Franzosen sich gegen Neapel wandten. Darauf erhoben sie nämlich Anspruch, denn sie waren durch das Haus Aragon aus dem Königreich beider Sizilien vertrieben worden, das einst vom französischen Königshaus der Anjou beherrscht worden war. Zu Lodovicos Unglück bedrohten die Franzosen aber zunächst Ferrara und Florenz. Die politische Situation in Norditalien entwickelte sich für il Moro zunehmend schwierig. Die großen Veränderungen ließen auch Leonardo nicht unberührt. Wenn er jemals mit dem Gedanken gespielt hatte, nach Florenz zurückzukehren, so standen die politischen Entwicklungen dagegen. 1492 war Lorenzo de’ Medici, erst 43-jährig, verstorben. Da bis in den März hinein die Toskana tief verschneit war, hatte Lorenzo zur Linderung seiner Schmerzen nicht zu einem Badeaufenthalt aufbrechen können. Doch einen Erfolg sollten ihm das Schicksal und dazu seine eigene Tüchtigkeit noch gönnen: Der Papst hatte seinen Sohn Giovanni de’ Medici, der gerade einmal 16 Jahre alt war, am 10. März zum Kardinal erhoben. Il Magnifico muss geahnt haben, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Denn er schrieb wie zum Vermächtnis seinem Sohn Verhaltensmaßregeln, die ihm helfen sollten, in einer brutalen und missgünstigen Welt nicht zu straucheln, nicht zu fallen, wie es Giovannis Bruder Piero, dem Unglücklichen, widerfahren sollte. Als er sich angesichts immer heftigerer Schmerzen, die ihm das Arbeiten unmöglich machten, auf sein Landgut nach Careggi zurückzog, musste Lorenzo sich eingestehen, dass ihm wohl nicht genügend Zeit bleiben würde, die zwar von ihm stark dominierte, aber immer noch republikanische Regierung der Arnostadt in eine erbliche 291

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Herrschaft der Medici umzuwandeln. Und der Blick auf seinen ältesten Sohn Piero dürfte dabei kaum seine Stimmung gehoben haben. Nach dem Pazzi-Attentat endeten die fröhlichen und mutwilligen Tage von Lorenzos Brigata, wie er seinen frühen Freundeskreis nannte. Er wurde zunehmend ernster und staatsmännischer, und es endeten auch die fröhlichen Tage in Bernardo Rucellais Villa Quarrachi. Luigi Pulci war bereits 1484 außerhalb von Florenz im freiwilligen Exil verstorben. Der vom Volk als Heiliger verehrte Franziskaner Bernadino da Feltre hielt im Dom von Florenz 1488 feurige Bußpredigten, die letztlich dazu führten, dass grausame Kinderbanden die in Florenz lebenden Juden überfielen. Diese Banden hatten sich aus Kindern der niedersten Schichten gebildet, die um ihr Überleben kämpften. Lorenzo schritt dagegen ein und erteilte Bernardino zunächst ein Predigtverbot. Dann drängte er den radikalen Franziskaner aus der Stadt, was seine eigene Beliebtheit beim florentinischen Volk nicht gerade förderte. Als Ersatz holte er den gebildeten Augustiner Fra Mariano da Genazzano an den Arno. Doch so sehr er Lorenzo und die gebildeten Schichten erfreute, so wenig kam er bei den unteren Schichten an. Um das Volk von Florenz vom Umbau der Staatsmacht abzulenken, rief Lorenzo sehr zum Unglück der Stadt den Bußprediger Girolamo Savonarola zurück, der schon einmal Anfang der 80er-Jahre in der Stadt gepredigt hatte. Im Frühjahr 1490 kehrte Savonarola nach Florenz in das von den Medici protegierte Dominikanerkloster San Marco zurück, nahm seine Lehrtätigkeit, aber auch seine öffentlichen Predigten wieder auf und hatte dieses Mal wachsenden Erfolg. Er befeuerte das Gefühl einer Zeitenwende, einer drohenden Apokalypse. Er hielt die Leute an, Buße zu tun, und prangerte den Verfall der Sitten und den argen Zustand der Kirche an. Immer stärker füllte er die Rolle eines Propheten aus, der den Antichrist kommen sah – und nicht nur das ungebildete Volk, sondern auch Männer wie Giovanni Pico della Mirandola und Marsilio Ficino vermochten sich immer weniger seinem 292

15. Baumeister der Welt

Einfluss zu entziehen. Lorenzo bat den Prediger um Mäßigung, doch zu spät. Savonarola fühlte sich durch seine wachsende Anhängerschar gestärkt und Lorenzo konnte es sich nicht leisten, nach Bernardino da Feltre noch einmal einen Bußprediger aus der Stadt zu jagen, der die Herrschenden und Reichen gnadenlos kritisierte. Der drittklassige Dichter von Hexametern, Ugolino di Vieri, genannt il Verino, sandte Savonarola ein denunziatorisches Werk zu, in dem er darzustellen suchte, dass die Werke der antiken Dichter die Jugend verdürben. Savonarola nutzte den Text di Vieris dazu, mit einer Schrift klarzustellen, dass diese Kritik zutreffe, und erweiterte die Verurteilung der antiken Literatur auf alle Literatur. Deren Aufgabe sei es, wenn sie überhaupt zu etwas nützlich sei, die christliche Religion zu stärken. Nun, da Lorenzo in Careggi im Sterben lag und mit wachem Verstand miterleben musste, dass der Körper seine Funktionen aufgab und er Stunde für Stunde abstarb, kamen nicht nur der Freund Angelo Poliziano und ein Arzt, den ihm il Moro schickte, sowie Giovanni Pico della Mirandola zu ihm, sondern auch der schreckliche Prediger Savonarola. Er traf ein, als Pico gerade im Aufbruch begriffen war. Gegen Morgen des 8. April 1492 tat Lorenzo de’ Medici seinen letzten Atemzug. Seinen Tod begleiteten allerlei sogar belegbare Unglücke. So schlug bereits am 5. April ein Blitz in die Kuppel des Domes ein und richtete großen Schaden an. Ganze Marmorblöcke wurden herausgesprengt. Angelo Poliziano meinte, dass sogar eine vergoldete Kugel herabgefallen sei. Dies wurde als Fall der Medici gedeutet, die ja die Kugeln im Wappen führten. Hinzu kam eine Fülle an Visionen von wütenden Stieren mit brennenden Hörnern und finsteren Riesen, die gegeneinander kämpften. Lorenzos Sohn Piero übernahm die Macht und konnte sie nicht halten. Als Karl VIII. mit seinem Heer in Italien erschien, schlug sich Piero aufgrund dynastischer Verbindungen, welche die Orsini, das Haus seiner Mutter, mit Aragon verknüpften, auf die Seite Neapels und kündigte dadurch die traditionelle Ver293

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

bundenheit der Arnostadt mit Frankreich und mit Mailand auf. Als er seines Fehlers gewahr wurde, unterwarf er sich dem französischen König und überließ ihm zwei florentinische Festungen. Eine von ihnen hatte Lorenzo erst vor kurzer Zeit unter hohem Aufwand für Florenz zurückerobert. Neue und alte Feinde der Medici, glühende Verfechter der Republik wie die Soderini verbündeten sich gegen die Medici, und das Volk unterstütze sie nicht mehr. Am 9. November 1494 wurde Piero von der Signoria zum Rebellen erklärt. Ihm wie seinen Brüdern Guiliano und Giovanni blieb nichts weiter übrig als zu fliehen, wollten sie ihr Leben retten. Savonarola übernahm faktisch die Macht in Florenz. Der Palast der Medici wurde geplündert, wertvolle Kunstwerke und Handschriften wurden vernichtet, auch der Garten, in dem sowohl Leonardo als auch Michelangelo gelernt hatten, wurde verwüstet. Savonarolas finsteres und frömmlerisches Regime ging gegen alles vor, was Luxus und Lebensart war, was Kunst und Bildung verriet. Kinderbanden kontrollierten und drangsalierten die Menschen. Im Bestreben, Gott wohlgefällig zu sein, wuchs die Hysterie und schuf ein System allseitiger Kontrolle und gemeinster Denunziation. Savonarola hatte den Tanz ums goldene Kalb beenden wollen und nur den Veitstanz um ein vermeintlich christliches Tugendideal geschaffen. Angelo Poliziano war bereits im September 1494 in Florenz gestorben, manche meinen, an Gift. Der Graf Concordiae, Giovanni Pico della Mirandola, segnete eine Woche nach Pieros Flucht das Zeitliche, sehr wahrscheinlich wurde oder hatte er sich vergiftet. Er war erst 31 Jahre alt. Marsilio Ficino zog sich nach Careggi zurück. In dieses Florenz hätte Leonardo aus mehreren Gründen nicht zurückkehren können. Zum einen wurde seine Kunst alles andere als geschätzt. Zum anderen würde seine Suche nach neuen, verblüffenden Bildlösungen als häretisch denunziert werden. Vor allem aber würde man ihm die ohnehin auch in Mailand fragwürdigen anatomischen Studien verwehren. Und letztlich würde ihm sein Lebensstil, seine ausgelebte Homosexualität, in 294

15. Baumeister der Welt

Savonarolas Moraldiktatur zum Verhängnis gereichen. Mit Savonarolas Machtantritt verlor Leonardo seine Heimat. Dafür erging es ihm in Mailand umso besser. Die Arbeit am Bronzepferd brachte Leonardo eine weitere Annehmlichkeit ein. Die beschriebenen Arbeiten, die sich für das auf Wunsch il Moros monströs große Pferd als notwendig erwiesen, bedurften weitaus größere Räumlichkeiten als ihm bisher zur Verfügung standen. Da Lodovico sehr erpicht auf das Monument war, wurde Leonardo auf dessen Wunsch ein Teil des alten, ein wenig heruntergekommenen Palastes der Visconti zur Verfügung gestellt. In dem anderen Teil wohnte, wenn er sich nicht in Pavia, sondern in Mailand aufhielt, der nominelle Herzog Gian Galeazzo – zumindest bis 1494. Der Palazzo, der den Visconti gehört hatte, stellte früher die Residenz der Herrscher dar, wurde aber in seiner politischen Bedeutung vom Castello Sforzesco verdrängt. Er hieß folglich nur noch der alte Hof, Corte Vecchio, und befand sich in unmittelbarer Nähe zum neuen Hof. Der Palazzo bestand aus mehren von einer Wehrmauer geschützten Gebäuden, die sich um zwei Innenhöfe gruppierten. Charles Nicholl vermutete, dass Leonardos Bottega sich in dem ehemaligen Ballsaal der Visconti befand. In diesem Fall hätte sie einen Raum von 120 m Länge und 20 m Breite eingenommen – ein Hangar, der ganz nach seinem Geschmack gewesen sein dürfte.270 Der bereits erwähnte Dichter Baldassare Taccone berichtet: »Sieh, in der Corte schuf er aus Metall des Vaters gewaltiges Denkmal.«271

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

16. Das Ballett der Perspektiven

Die neue Werkstatt war vermutlich ganz nach Leonardos Gusto. Für sich selbst mag er einen bequemen Ort am Fernster reserviert haben, der ihm eine gewisse Abgeschiedenheit ermöglichte, von dem aus er gleichzeitig die Werkstatt übersah. Nicholl ist zuzustimmen, wenn er annimmt, dass Leonardo am Corte Vecchio überdies schätzte, sich abschirmen zu können. Denn wenn er an seinen Erfindungen wie den Flugmaschinen arbeitete, wollte er nicht beobachtet werden. Nicholl zitierte hierzu eine Notiz auf einem Blatt mit einer Skizze einer Flugmaschine, wo Leonardo festhält, es sei wichtig, dass die Leute ihn nicht beobachten können.272 Leonardos Vorsicht war geboten, denn es existierte weder ein Patentrecht noch ein Urheberrecht, und Ideen und Einfälle, auch Konstruktionen wurden einfach übernommen. Diebstahl kann man das nicht nennen, weil das geistige Eigentum zu jener Zeit noch nicht unter Schutz stand. Im Traktat über die Malerei schrieb Leonardo über eine Werkstatt. Wie ich meine, beschrieb er dabei seine Werkstatt im Corte Vecchio. Stellen wir uns also folgende pittoreske Szene vor, die so stattgefunden haben dürfte: Leonardo »sitzt in höchster Bequemlichkeit und fein gekleidet vor seinem Werk und bewegt den federleichten Pinsel mit den schönen Farben und ist nach seinem Geschmack mit Gewändern geschmückt, wie er Lust hat, und seine Wohnung ist voller schöner Bilder und sauber, und häufig erklingt Musik dort oder es werden mannigfache schöne Werke vorgelesen, was ohne die Begleitung von Hammerschlägen oder sonstigem Lärm aufs Angenehmste zu vernehmen ist.«273 Wir wissen schon, wie sehr er auf seine Kleidung und auf Sauberkeit Wert legte. Womöglich kamen Atalante oder Franchino 296

16. Das Ballett der Perspektiven

Gaffurio vorbei, doch dessen bedurfte es nicht, denn der eine oder andere Lehrling oder Mitarbeiter vermochte zu musizieren. Arbeit und Fröhlichkeit – doch immer benötigte er die Rückzugsmöglichkeiten, die Ambivalenz von Gemeinsamkeit und Einsamkeit. Diese Ambivalenz, der er sich nicht entziehen konnte, versuchte er in Worte zu fassen: »Damit das Wohlsein des Körpers nicht dem Wohlsein des Geistes schade, muss der Maler oder der Zeichner allein bleiben, vor allem, wenn er mit meditierender Betrachtung befasst ist …«274 Diese meditierende Betrachtung als Gegenstück zur Beobachtung auf der Straße oder bei der Sektion von Mensch und Tier wird zum common sense, zum entscheidenden Akt, worin Beobachtung, Erfahrung, Intuition, Gestaltungs- und Erzählwille zusammenfinden und sich im Pinselstrich oder in der Bewegung der Feder und des Stiftes Bewegung verschaffen, die wiederum sich selbst zur Prüfung wird. Man kann sich die wilden Werkstattspäße vorstellen, die Ausgelassenheit der Turba Leonardos, des wilden Haufens, die den Meister erfreuen und zur Verzweiflung treibt: »Und wenn du allein bist, gehörst du dir ganz, und wenn du in Gesellschaft eines einzigen Gefährten bist, gehörst du dir nur zu Hälfte, und umso weniger, je indiskreter dieser Umgang ist … «275 Leonardo klagte, dass es auch nicht helfe, wenn er sich sage, er mache es auf seine Weise und gehe etwas abseits, denn ihr Geschwätz erreiche dennoch sein Ohr. Doch zugleich schätzte er seine Bottega, sein Atelier: »Wenn du aber trotzdem Gesellschaft haben möchtest, suche sie dir in deinem Atelier; das kann dir nützen für einen Vergleich, er sich aus verschiedenen Anschauungen ergeben kann …«276 297

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Schließlich kam er zu dem Schluss, dass es besser sei, in Gesellschaft als allein zu zeichnen, denn das sorge für den nötigen Austausch. Im Gegensatz zu Michelangelo, dem kein Mitarbeiter etwas recht machen konnte und der am liebsten allein arbeitete, ging Leonardo jede Misanthropie ab. Er liebte die Gesellschaft, den Streit der Meinungen und den Vergleich der Anschauungen. In seiner Werkstatt arbeiteten etwa sechs Mitarbeiter und Lehrlinge, unter anderen Marco d’Oggiono und Giovanni Antonio Boltraffio. Am 2. Juli sollte sich Leonardos Leben gründlich ändern, denn da trat Pietro Caprotti in Leonardos Werkstatt, an der Hand einen zehnjährigen Knaben, dessen engelhaftes Äußeres über seinen schwierigen Charakter hinwegtäuschte. Pietro Caprotti zahlte dafür, dass Meister Leonardo seinen Sohn als famiglio aufnahm. Leonardo war ganz vernarrt in das Kind, das sich allerdings bald schon als Teufelchen herausstellen sollte. Doch bei all dem Verdruss, den er Leonardo bereitete, blieb Giacomo di Pietro Caprotti wie Francesco Melzi bis kurz vor seinem Tod bei ihm. Dass Leonardo Einblick in den durchaus eigenwilligen Charakter des Jungen erhielt, ließ nicht lange auf sich warten. Denn unmittelbar unter der Notiz »Jacomo kam zu mir ins Haus am Tag der heiligen Magdalena 1490, 10 Jahre alt«, findet sich die teils erstaunte, teils belustigte Feststellung, dass Giacomo das Geld, das Leonardo zur Seite gelegt hatte, um dem Jungen zwei Hemden, ein paar Strümpfe und einen Wams nähen zu lassen, gestohlen hatte.277 Nachdem er nun nähere Bekanntschaft mit Giacomos Charakter gemacht hatte, vermerkte er untereinander: »Die Lügner Dickschädel Freßsack.«278

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16. Das Ballett der Perspektiven

Bei einem Abendessen mit dem Architekten und Wissenschaftler Giacomo Andrea da Ferrara, zu dem Leonardo den Knaben mitnahm, aß »der bewusste Jacomo … für zwei und stiftete Unheil für vier, denn er zerbrach drei Trinkschalen, verschüttete den Wein, und bei all dem war er zu einem Abendessen gekommen, zu dem ich (eingeladen war)«.279 Sich als Langfinger nützlich zu machen, schien anfangs eine Spezialität des Kindes zu sein, denn er bestahl die anderen Lehrlinge oder Mitarbeiter wie Marco d’Oggiono, aber auch Boltraffio. Während Galeazzo da San Severinos Pagen für die Doppelhochzeit von Lodovico il Moro mit Beatrice d’Este und Anna Sforza mit Alfonso d’Este die Kostüme der wilden Männer anprobierten, stahl ihnen Giacomo unverdrossen Geld. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Giacomo Caprotti besaß zwei sehr auf ihren eigenen Vorteil bedachte Schwestern und die Manieren eines Straßenjungen. Dass der Vater ihn nicht erst mit 14, sondern schon mit zehn Jahren weggab, erweckt den Eindruck, dass er das Kind loswerden wollte. Leonardo jedenfalls liebte ihn, kümmerte sich und verlieh ihm einen mehr als zutreffenden Namen, mit dem er in die Kunstgeschichte einging: Salai. Auf vertrackte Weise steckte in diesem Namen eine melancholische Erinnerung an seinen Freund Luigi Pulci, der nun schon sechs Jahre tot war. Denn Salai ist ein kleiner Teufel, den Pulci nicht nur in seinem Morgante (XXI, 47,7), sondern auch in Briefen erwähnte und der so hübsch rebellisch war. Denn dieses Teufelchen konnte sich über den Höllensturz empören, »wenn er auch nur daran erinnern hörte.«280 Salai seinerseits erregte sich jedenfalls mächtig über den Fall des Engels Luzifer, den Höllensturz desjenigen, der sich gegen Gott auflehnte, wenn er auch nur davon reden hörte. In Pulcis Morgante wird Salai in einer Episode erwähnt, in der Ronaldo und seine Gefährten durch den Zauber der Creonta in ein Kastell eingeschlossen werden, aus dem sie nicht mehr aus eigener Kraft zu entrinnen vermögen. In gleicher Weise erlag Leonardo dem Zauber Giacomos. 299

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Doch nicht nur seine Liebe trat durch die Tür des Corte Vecchio in sein Leben, es scheint ihm auch vergönnt gewesen zu sein, noch ein knappes Jahr mit seiner Mutter zusammenzuleben. Am 16. Juli 1493 notierte Leonardo: »Den 16. Juli, Caterina kam am 16. Juli 1493.«281 Bis heute ist die Diskussion darüber, ob mit der Caterina, die am 16. Juli in sein Haus kam, wirklich die Mutter und nicht irgendeine Haushälterin gemeint war – und da keine neuen Quellenfunde in dieser Angelegenheit zu erwarten sind, wird dieser Streit wohl bis in alle Ewigkeit anhalten. Da er eine kleine Firma – nämlich die Werkstatt – führte, wohnten üblicherweise die Lehrlinge und auch Mitarbeiter bei ihm. Das bedeutete aber, dass für Verpflegung, Unterbringung, Hygiene und Kleidung, in einem Wort: für den großen Haushalt einer Bottega zu sorgen war, was für gewöhnlich neben dem Familienmanagement zu den Aufgaben der Meisterin gehörte. Doch Leonardo hatte nie geheiratet und würde dies auch nie tun, und zuweilen, wie man am Beispiel Salais sieht, wurde auch nicht streng zwischen Arbeit und Privatleben, zwischen Firma und Familie unterschieden. Historisch gesehen sollte sich Privatheit ohnehin erst nach der Reformation entwickeln. Für den Wirkungsbereich der Meisterin stellte Leonardo vermutlich Haushälterinnen an, die allerdings nicht erwähnt werden. Seine Mutter Caterina war inzwischen Witwe und nach den Maßstäben der Zeit mit ihren 66 Jahren eine alte Frau. Leonardos Kontakt nach Vinci war nie abgerissen und möglicherweise fand sich für die alte Frau aus den verschiedensten Gründen bei seinen Halbgeschwistern kein Platz mehr, so dass der Sohn sie zu sich nahm. Doch lange währte das Zusammensein zwischen Mutter und Sohn nicht, denn ein Jahr später richtete Leonardo bereits Caterinas Beerdigung aus. In dieser Zeit stellte Leonardo auch eine Liste mit Büchern auf, von denen sich die meisten in seinem Besitz befanden. Manche allerdings hatte er nur notiert, um sie einmal zu lesen. Notizen über Bücher verraten en passant etwas über den Kreis, 300

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in dem Leonardo verkehrte, und es verwundert nicht, dass sich darunter Mediziner befanden, mit denen er über seine Sektionen und über die Anatomie und die Physis des Menschen lange Gespräche führte. So fiel ihm bei dem Arzt Stefano Caponi, der in der Nähe des öffentlichen Bades wohnte, ein Werk Euklids auf und bei il Moros Chirurgen und Hofarzt Giuliano da Marliano, der gegenüber von dem Schreiner Strami, zu dem Leonardo geschäftliche Beziehungen unterhielt, ein »schönes Herbarium«. In Leonardos Bibliothek fanden sich Lehrbücher über die lateinische Sprache wie der populäre Donatus. Übrigens gehörten die Lateinlehrbücher des Donatus, weil sie in allen Lateinschulen unverzichtbar waren, zu den ersten Büchern, die Johannes Gutenberg druckte, um einen riesigen Markt zu befriedigen. In diesen Jahren am Hof zu Mailand versuchte Leonardo, sich Latein beizubringen – allerdings mit mäßigem Erfolg. Das gleichfalls populäre lateinische Lehrgedicht Doctrinale des Alexander von Villadieu, das in Hexametern gehalten war, baute auf dem Donatus auf und war für fortgeschrittene Schüler gedacht. Mit Leonardos Lateinstudien gingen die Fingerübungen einher, Ovid, dessen Werke er ebenfalls besaß, vom Lateinischen ins Italienische zu übersetzen. Zu seiner Bibliothek gehörten Werke über Medizin, Mineralogie, Mathematik, Philosophie, Geschichte, Reiseberichte und literarische und dichterische Texte. Sowohl Poggios Fazetien als auch Pulcis Morgante besaß er, sowohl den Bericht des Ritters Johann de Mandeville von seiner Reise ins heilige Land als auch die Bibel, sowohl die Werke des Plinius als auch die antike Philosophiegeschichte des Diogenes Laertius in italienischer Sprache, sowohl die Chronik Isidors von Sevilla als auch ein Werk des Albertus Magnus. Unter den literarischen Büchern fallen die Werke der großen Dichter Cecco d’Ascoli und Petrarca sowie die des Florentiner Spaßvogels Bruchiello auf, dessen Name zur Gattungsbezeichnung Florentiner Spottgedichte wurde und den Leonardo persönlich gekannt hat. Zwei Anleitungen über das 301

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formvollendete Verfassen von Briefen benutzte Leonardo, um sich in Fragen des Stils weiterzubilden. Die opulente an Dante erinnernde Dichtung »Il Quadriregio« des Bischofs von Foligno, Federico Frezzi, stand ebenfalls in seiner Bibliothek. Erwähnenswert ist, dass sich auch ein sehr seltenes Buch in seinem Besitz befand, nämlich der Il Manganello, ein Werk, das um 1430 entstanden und durch zwei Drucke aus dem 16. Jahrhundert überliefert ist. Das Poem, das in der misogynen Tradition von Boccaccios »Il Corbacio« und Juvenals 6. Satire stand, riet heftig von der Liebe zu Frauen ab. Die Argumente des Knüppels (Il Manganello) dienten dem Lob der Homosexualität. Doch sollte hier nicht vorschnell geschlossen werden, denn möglicherweise befand sich nicht das Poem selbst in Leonardos Büchersammlung, sondern die Kritik an der Dichtung von dem Ferrareser Tanzlehrer und Hofdichter Antonio Cornazzano, der 1484 in Ferrara verstorben war. Letzteres ist wahrscheinlicher, denkt man an die Nähe der Höfe von Ferrara und Mailand. Leonardo wurde nicht nur offiziell als Hofingenieur geführt, sondern erhielt auch entsprechende Aufträge von il Moro, wie beispielsweise die Neugestaltung von Treppen in Vigevano. Er rang weiter um die Realisierung des Bronzepferdes, auch wenn die 158 000 Pfund Bronze nach Ferrara transportiert worden waren, um zu Kanonen gegossen zu werden. Er beschäftigte sich intensiv mit den verschiedensten Wissenschaften, unternahm dazu Exkursionen in die nähere und weitere Umgebung von Mailand. Er stattete die Feste bei Hofe aus. Leonardo war also alles in allem mehr als gut beschäftigt, als er 1494 von il Moro den Auftrag erhielt, an der bildnerischen Ausgestaltung des Refektoriums im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie mitzuwirken. Der inzwischen verheiratete Lodovico Sforza hatte zum Zwecke der dynastischen Repräsentation beschlossen, die Kirche des in westlicher Richtung unweit des Castello Sforzesco gelegenen Dominikanerklosters zur Grablege seiner Familie zu 302

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machen. Gerade dieses Dominikanerkloster zur dynastischen Propaganda zu nutzen, lag nahe, denn es war Francesco Sforza, der den Bau des 1469 fertiggestellten Klosters in Auftrag gegeben hatte. Die Bauarbeiten an der Kirche hatten allerdings noch bis 1490 gedauert. Aufgrund der Bestimmung, die er der Kirche nun gab, stellte il Moro höhere Ansprüche an die bauliche Gestalt, die der eher biedere Kirchenbau so nicht erfüllte. Auf Bitten des Herrschers legte Donato Bramante in seiner gewohnt genialen wie rücksichtslosen Art – deretwegen man ihn später in Rom auch als Ruinante verspottete – einen Plan vor, der vorsah, die Vierung abzureißen und an ihrer Stelle einen Zentralbau in Form eines Kubus zu errichten, der mit einer schwebend wirkenden Kuppel überdacht wurde. Am 29. März 1492 legte der Mailänder Erzbischof den Grundstein für den Neubau. Auch das nahegelegene Refektorium, in dem il Moro gelegentlich aß, sollte nun mit Fresken ausgestattet werden. Die Südseite des Refektoriums, das circa 35 m lang und 9 m breit war, schmückte Donato di Montorfano im Auftrag des Klosters mit einer volkreichen Kreuzigung. Auf Wunsch Lodovicos sollte Leonardo an der gegenüberliegenden Seite ein herausragendes und einzigartiges Abendmahlsbild schaffen. Um das Projekt zu adeln, wurden in die darüberliegenden Lünetten die Wappen der d’Este, der Sforzas und der Habsburger gemalt, wie um es zu krönen und um auf die Trinität der Macht zu verweisen. In der mittleren Lünette wurden dem Wappen il Moros noch die Worte DVX MEDIOLANI, also Herzog von Mailand hinzugefügt. Leonardo benötigte keinen Fürsprecher für den Auftrag, doch dürfte Donato Bramante il Moro in dieser Entscheidung bestärkt haben. Am 22. Oktober 1494 starb Ludovicos Neffe Gian Galeazzo Sforza, dessen Leben förmlich versiegte, wie der französische König Karl VIII. bemerkte, der ihn am Krankenbett besucht hatte. Des Königs Begleiter, der Diplomat Francois Comynes, äußerte in seinen Memoiren die Ansicht, dass der junge Herzog 303

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vergiftet worden sei – und zwar von seinem Onkel, zu dem er eine furchtsame Anhänglichkeit an den Tag gelegt hatte. Am 23. Oktober wurde Lodovico Sforza mit dem Herzogtum Mailand belehnt. In dieser Zeit erging der Auftrag an Leonardo. Das ist belegt mittels der Forderung, das Bild durch die Herrscherwappen zu krönen. In diesem Jahr, in dem er den bedeutenden Auftrag erhielt, ereignete sich noch etwas anderes: Der berühmte Mathematiker Luca Pacioli kam auf Einladung il Moros nach Mailand. Galeazzo San Severino, der die »wilden Männer« zur Hochzeit Lodovicos und Beatrices angeführt hatte, wurde sein Gönner und Leonardo sein Freund. Schon länger dachte Leonardo über das Erzählen von Geschichten nach, und das Abendmahl bot sich geradezu an, sich konsequent dieser Aufgabe zu stellen. Gerade die Frage der hi­ storia, also das Erzählen einer Geschichte mit den Mitteln der Malerei, gehörte zu den Königsdisziplinen der bildenden Kunst. Leon Battista Alberti hatte bereits postuliert: »Fraglos erreicht das Werk des Malers seinen Gipfel im Vorgang – einen Vorgang freilich, der die ganze Fülle und Erlesenheit der Dinge enthalten muss.« Was in der Übersetzung mit Vorgang wiedergegeben wird, heißt im lateinischen Original historia.282 Alberti forderte, in diesem Vorgang »wechselnde Vielfalt« und die »Fülle der Dinge« zu zeigen. Geschichte begriff er nicht als etwas Statisches, sondern als etwas, das sich vor den Augen des Betrachters vollzog, das belehren und unterhalten sollte. Für Aristoteles bestand der Unterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker darin, dass der Handwerker sich nur auf die Erfahrung verließ, während der Künstler auch die Ursachen des Erfahrenen kennt und sie zu vermitteln hat. Der höhere Rang des Künstlers wurde für den griechischen Philosophen dadurch begründet, dass er einen Zugang zur Wissenschaft hatte und demzufolge auch die Hintergründe – nicht nur das Verursachte, sondern auch das Verursachende – zu erkennen und darzustellen in der Lage war.283 304

16. Das Ballett der Perspektiven

Aber für Alberti blieb die historia letztlich ein Vorgang, die Nutzung aller malerischen Techniken zur Darstellung eines Inhaltes. »Wir können demnach historia hinreichend präzise umschreiben als das große opus des Malers, das den gesamten Bereich der ars enthält, die Umschreibung, Komposition, Lichteinfall und Erfindung umfasst.«284 Alberti blieb in der Vorstellung der Humanisten stecken und schätzte die Komposition, das eigentlich Künstlerische, zu gering, wenn er die historia in der Malerei mit der oratio in der Rhetorik und die gemalten Histo-

Studie für das Abendmahl (Judas) um 1495, Rötel auf rötlich präpariertem Papier

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

rien mit den Gerichtsreden des Quintillian gleichsetzte und dadurch die Malerei nicht zu einer darstellenden, sondern zu einer rhetorischen Kunst erklärte. Das jedoch war Leonardo bei Weitem zu wenig, für den die Malerei zur göttlichen Wissenschaft wurde. Alberti ging es im Sinne der virtu, der Tugend, um Belehrung. Dass die pädagogischen Absicht unterhaltsam, gekonnt, ergreifend und dem Auge gefallend geschehen sollte, widerspricht dem nicht. Die historia hatte dem Betrachter ein Beispiel aus der Geschichte zur moralischen Nutzanwendung zu vermitteln. Leonardo interessierte sich nicht für die didaktische Funktion, nicht für die Geschichte als gelehrte Exempelsammlung, sondern die historia wurde für ihn zum Selbstzweck. Er wollte den Betrachter mit in die Geschichte hineinnehmen, ihn ihre Kraft erfahren lassen in dem Moment, in dem sie sich zutrug. Der narrative Moment war der Moment des Geschehens, der, in dem sich Geschichte ereignete, auch im Betrachter und für den Betrachter. Geschichte sollte nicht belehren, sondern schockieren.­ Während nach Aristoteles’ und so auch nach Albertis Ansicht Geschichte und Zukunft den Moment, den Zeitpunkt begrenzten, begriff sich Leonardo in der Geschichte, indem er interessanterweise von der Geometrie ausging, denn der Zeitpunkt war für ihn eben auch ein Punkt, und eine Linie stellte nichts anderes dar als die Fortsetzung des Punktes, die Bewegung des Punktes. Indem der statische, unteilbare Punkt sich bewegte oder bewegt wurde, entstand eine Linie, die wiederum von den Punkten begrenzt wurde. Die Vorstellung von Zeit gewann er aus der Analogie, denn was der Punkt in der Geometrie bedeutete, bedeutete der Moment in der Zeit. Leonardo begriff den Moment als zeitlos, erst durch die Bewegung des Moments entstand Zeit. Oder anders gesagt: Zeit stellte die Bewegung der Momente dar und wurde durch sie begrenzt. Es galt also, in der historia den Moment zu finden, in dem sie bewegt wurde. Genau 306

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daran war Leonardo in der Anbetung der Könige in Florenz gescheitert, den Moment zu finden, in dem er in Bewegung gesetzt wird, in dem Geschichte passiert. Er hatte versucht, die Dramatik durch äußere Mittel zu erreichen, durch die Bewegung der

Fünf groteske Köpfe um 1494, Feder und Tinte über schwarzer Kreide

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Pferde, der Reiterschlacht womöglich, und erhoffte sich den »Schock«, die Bewegung des Moments im Bild und im Betrachter durch den Gegensatz von Tumult und Ruhe, von dem Chaos der Reiter und der Gelassenheit des Jesuskindes und Marias zu provozieren. So sehr er auch daran arbeitete, fügte es sich nicht, weil auf diesem Bild viele Bewegungen zu finden waren, aber kein gemeinsamer Punkt, von dem sie ausgingen, sondern viele unterschiedliche Punkte wie eben verschiedene Geschichten. Jetzt in Mailand stand er vor der gleichen Herausforderung wie in Florenz, und dass er nun mit dem Abendmahl begann, bedeutete lediglich, dass er die mit der Anbetung erlittene Niederlage nun im Abendmahl in einen Sieg zu wenden beabsichtigte. Wie die Notizbücher und frühe Skizzen zeigen, beschäftigte sich Leonardo mit bestimmten Figurenkonstellationen, die für das Sujet Abendmahl grundlegend sind. Spätestens ab 1490 dachte er immer wieder über das Sujet nach, wobei ihn die Frage der Schuld nicht als individuelle, sondern als anthropologische Konstante interessierte. Jeder Mensch war sündig in seinen Augen, jeder konnte zum Verräter, jeder zum Judas werden. Er stellte nicht wie andere Maler – und wie man wohl von ihm erwartet hatte, die Eucharistie in das Zentrum des Geschehens, sondern die Mitte der Geschichte bildete für ihn der Verrat, der Moment, in dem eine Welt zusammenbrach und in dem auch eine Welt ermöglicht wurde. Obwohl der Verrat eine anthropologische Konstante ist und die Menschen sich nur allzu sehr davor fürchten, hintergangen zu werden – das Deutsche besitzt hierfür den schönen Ausdruck hinterrücks, denn hinterrücks sind wir wehrlos –, so bleibt er gerade im paradigmatischen Falle von Judas letztlich unverständlich. Nicht ein Leben im Palast, sondern der selbstgewählte Tod am Strang folgte für Judas aus dem Verrat. Die Früchte seines Verrates, die 30 Silberlinge, genoss er nicht. Das Ungeheure und Unbegreifliche setzte das Heilsgeschehen in Gang. Ohne Gefahr keine Rettung, ohne Sünde keine Vergebung. 308

16. Das Ballett der Perspektiven

Die gewaltige Aufgabe, diesen Moment in Bewegung zu setzen, ging Leonardo ganz praktisch an: nicht durch Erfindungen wie noch in der Anbetung, nicht durch Effekte, sondern durch Konzentration. Beim Menschen musste er ansetzten, und wenn der Verrat drei Ebenen kannte, den Verratenen, den Verräter und diejenigen, die es betraf und die dessen Zeugen wurden, so drängte das Sujet schon von selbst darauf, Jesus, Judas und die anderen Jünger ins Verhältnis zu setzen. Da der Verrat nie von außen, sondern immer von innen kommt, brach Leonardo mit der florentinischen Tradition, Judas allein, außerhalb des Kreises der Jünger, zumeist auf der anderen Seite des Tisches darzustellen. Cosimo Roselli hatte in seinem Fresko für die Sixtinische Kapelle in Rom Judas sogar ein kleines Teufelchen auf die Schulter gesetzt, damit man so gar nicht fehlgehen konnte. Aber auch in dem schönen Abendmahl des Andrea del Castagno für die Benediktinerabtei Santa Apollonia in Florenz saß Judas allein auf der anderen Seite der Tafel. Und selbst Luca Signorelli ließ in seinem Abendmahl für den Dom zu Cortona Judas abseits der anderen sein. Allerdings existierte in der Lombardei eine lokale Tradition, die den Verräter noch im Kreis der Jünger zeigte. Möglich, dass diese Gestaltung Leonardo inspirierte. Grundsätzlich jedoch führte kein Weg daran vorbei, den Verräter in die Mitte der Gefährten zu setzen, wenn man die Größe des Verrats sichtbar zu machen gedachte. Wie malt man denn einen Verrat? Indem man die Reaktionen darauf darstellt. Leonardo entschloss sich, den Verrat mittels der Reaktionen der Jünger zu erzählen. Also musste er das in seiner äußerlichen Folge den Betrachtern seiner Zeit bekannte Geschehen in den Bewegungen und Gesten der Jünger verdeutlichen in Spannung zu Jesus, der den Verrat veröffentlichte. Er wusste, dass die äußere Bewegung die innere Bewegung des Betroffenen wiedergibt. Immer wieder hatte er mit großem Interesse Ansammlungen von Menschen und die Kommunikation in kleinen Gruppen 309

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

am Kneipentisch, auf der Straße, auf dem Jahrmarkt beobachtet und gezeichnet. Eine Skizze aus dieser Zeit zeigt fünf Figuren, die als Fünf groteske Köpfe bekannt sind, aber eigentlich erzählt sie in extremer Perspektive, in extremer räumlicher Konzentration eine Geschichte von fünf Menschen. Ein älterer Mann, der Lorbeerkranz verweist auf einen Dichter, wird von vier Menschen umgeben, die ihn auslachen, nicht verstehen, bestehlen oder ihn verachten, doch der Dichter ist ganz in seine Welt vertieft und merkt von allem nichts. Nicht die Anekdote fand sich in Leonardos Abendmahl wieder, aber das Üben und Experimentieren mit Gruppen kommunizierender Menschen ging in das Gemälde ein, denn Leonardo kam auf den genialen Einfall, der wirklich neu war, die Jünger in Gruppen anzuordnen. In technischer Hinsicht gilt das Wandgemälde nicht als Fresko, denn es wurde kein feuchter Mörtel aufgetragen und mit einem Öl-Farbe-Gemisch gearbeitet. Entsprechend seiner Methode wollte sich Leonardo zum fertigen Bild durchmalen. Eine Analyse des Bildes ergab, dass es im Prozess immer wieder zu Übermalungen und Überarbeitungen kam und dass Leonardo nicht einfach, wie es für Fresken üblich war, den fertigen Entwurf eines Bildes von Kartons auf die Wand pauschte und anschließend ausmalte, sondern das Bild im Malen verfertigte., So hat es Heinrich von Kleist später einmal in einem schönen Text über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden ausgedrückt. Deshalb benötigte er eine Farbe, die es ihm erlaubte, an der Wand wie auf einer Tafel zu arbeiten. Zum Produktionsprozess für das Abendmahl gehörte auch die Suche nach der entsprechenden Farbzusammensetzung. Man kann sich vorstellen, wie er und Zoroaster mit den verschiedensten Mischungen von Öl und Eiweiß und anderen Stoffen wie geriebenem Muschelkalk experimentierten. Schließlich glaubte er, die richtige Zusammensetzung gefunden zu haben – und sollte sich hierin gründlich täuschen, wie das Abblättern der Farbe bewies, das be310

16. Das Ballett der Perspektiven

reits zu seinen Lebzeiten begann. Nicht weil Leonardo desinteressiert an der Ewigkeit gewesen wäre, ohnehin alles für vergänglich hielt und deshalb bewusst eine Farbe entwickelte, die nicht überdauern würde – wie in Verkennung der Person Leonardos und der Zeit bereits behauptet wurde –, sondern weil der Versuch scheiterte, an der Wand wie auf einer Tafel arbeiten zu können, wurde Leonardos Abendmahl schon bald nach seiner Fertigstellung zum Sanierungsfall. Matteo Bandello, der Neffe des Priors Vinzenco Bandello, der uns schon aus dem Streit mit den Franziskanern über die unbefleckte Empfängnis bekannt ist und der Leonardo als Maler akzeptieren musste, erlebte als Novize im Kloster Leonardos Arbeit mit. Seine Beschreibungen decken sich sowohl mit der Analyse des Gemäldes als auch mit den Notizen Leonardos und anderer über seine Arbeitsweise. Im Gegensatz zu Michel­ angelo, der nicht einmal dem Papst, seinem Auftraggeber, gestatten wollte, das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle während der Arbeit anzuschauen, liebte es Leonardo, öffentlich zu arbeiten und sich die unterschiedlichen Meinungen über das, was schon zu sehen war, anzuhören. So, wie es in seiner Bottega zu langen, ausführlichen und zuweilen auch sehr sarkastischen, spöttischen, rauen Äußerungen kommen konnte. Wenn es ihm jedoch zu viel wurde und er nicht weiterkam, zog er sich zurück. Dann konnte er wie schon als Kind in Vinci stundenlang unterwegs sein und die Natur beobachten: »Über Mailand in Richtung Lago Maggiore sah ich einmal eine Wolke, die war wie ein riesiger Berg mit glühenden Felsen, denn die Strahlen der Sonne, die schon am rötlich leuchtenden Horizont stand, hüllten sie in ihre Farben … die große Wolke rührte sich nicht von der Stelle, auf ihrem Scheitel hielt sich das Sonnenlicht bis halb acht Uhr abends, so unermesslich war ihre Größe; und gegen neun erzeugte sie eine so starken Wind, dass es zum Staunen und unerhört war.«285 311

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Entwurfsskizze zum Abendmahl um 1495, Feder und Tinte

Gern würde man wissen, ab wann Leonardo die Wolke – vielleicht vom Dach seiner Bottega, vom Corte Vecchio aus – beobachtete. Der Text deutet an, dass er eine längere Zeit seiner Sehlust frönte, doch sicher verharrte er im Sehen von halb 8 bis 9 Uhr. 312

16. Das Ballett der Perspektiven

Zuweilen führte er nur ein paar Pinselstriche am Bild aus, dann wieder arbeitete er vom Sonnenaufgang bis zur Abenddämmerung, ohne den Pinsel aus der Hand zu legen, und vergaß sogar Essen und Trinken.286 Auch wenn er einmal mehrere Tage nicht arbeitete, begutachtete er das Bild. »Ich habe auch erlebt, dass er, wenn ihn eine Laune oder Grille ankam, in der glühenden Sommerhitze vom Alten Hof, wo er an dem herrlichen Pferd aus Tonerde arbeitete, weglief und geradewegs hierher kam; und, nachdem er auf das Gerüst gestiegen, den Pinsel zur Hand nahm, an einer jener Gestalten einige Striche malte und dann sofort wieder anderswohin ging.«287 Nichts ist darüber bekannt, ob und in welcher Weise seine Mitarbeiter und Lehrlinge an der Arbeit beteiligt wurden, doch ist es abwegig, sich vorzustellen, dass Leonardo an dem 4,60 m hohen und 8,80 m breiten Gemälde allein gemalt hätte. Wenn er durch die Gegend streifte, dann entdeckte er Vorbilder für Hände, Köpfe, Hälse, Körper, Arme, die er skizzierte oder deren Besitzer er sich notierte, wie »Christus. Giovan Conte, der des Kardinals von Mortaro« oder »Allessandro Carissimo aus Parma für die Hand des Christus«.288 Der Historiker Cristoforo Giraldi aus Ferrara, der Leonardo gekannt hat, erzählte seinem Sohn Giambattista, dass der Maler zunächst das Wesen einer Gestalt bestimmte, die er malen wollte – ob sie plebejisch oder aristokratisch, fröhlich, gelassen, alt oder jung, gut oder böse, zornig oder gleichgültig sein sollte –, um dann an Orte zu gehen, wo er wusste, dass er solchen Menschen begegnete. Dann studierte er ihre Kleidung, ihre Gesichter und ihre Körperbewegungen und skizzierte alles, was er gebrauchen konnte, mit dem Silberstift in das Heft, das er am Gürtel immer bei sich trug.289 Es leuchtet ein, dass diese Arbeitsweise sehr viel Zeit kostete, und der Prior, mit dem Leonardo, wenn nicht im Streit, dann zumindest in großer Abneigung lag, beschwerte sich bei Lodo313

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

vico über den langsamen Fortgang der Arbeit. Giovanni Donato di Montorfano hatte sein Fresko bereits 1495 beendet, allerdings hatte er auch eher begonnen. Christus und die beiden Schächer reichten mit ihren gekreuzigten Körpern bis zur Hälfte über das eigentliche Bild hinweg in die Lünetten, von denen auf der gegenüberliegenden Seite die drei Wappen prangten. Das war nicht ungeschickt und letztlich ein Glück für die Gekreuzigten, denn so hatten sie genügend Abstand zum Massenandrang eher statuarischer Figuren zu ihren Füßen. Rechts und links sah man brav die Stifter des Bildes, die Dominikaner. Aus dieser Zeit stammt die Anekdote, die, ob geschehen oder nicht, sehr gut Leonardos Auftreten wiedergibt. Vinzenzo Bandello hatte sich bei il Moro beschwert, dass Leonardo schon seit einem Jahr nicht mehr am Bild male. Der Herzog ließ den Maler rufen und konfrontierte ihn mit der Aussage des Dominikaners. Leonardo räumte ein, dass er schon lange nicht mehr im Refektorium gewesen sei, aber am Bild arbeite er dennoch intensiv, denn er suche einen Judaskopf. Um diesen großen Verräter zu porträtieren, benötige er ein Vorbild voller Niedertracht. »Und obwohl ich unter denen, die mich anklagen, viele hätte finden können, die dem Judas auf Wunderbarste ähnlich gesehen hätten, gehe ich trotzdem, damit sie sich nicht vor sich selbst schämen müssen, ungefähr seit einem Jahr und vielleicht schon länger jeden Tag, abends und morgens, ins Borghetto, wo gemeines und niedriges Volk wohnt, zum großen Teil abgefeimte Schurken, nur um zu sehen, ob mir nicht ein Gesicht unter die Augen käme, das geeignet wäre, das Bild jenes Bösewichts auszuführen … wenn ich es vielleicht nicht finden werde, dann werde ich das Gesicht des dortigen Priors verwenden, der mich jetzt so belästigt, und es wird aufs Wunderbarste passen.«290 Wie Leonardo Stück für Stück die endgültige Gestalt des Bildes formulierte, zeigt unter vielen anderen eine frühe Entwurfsskiz314

16. Das Ballett der Perspektiven

ze, in der Judas traditionell noch auf der anderen Seite des Tisches sitzt. Genial integrierte er das Bild in den Raum, indem er per­ spektivisch die Illusion hervorrief, dass eben an der Nordwand das Refektorium sich weitete, weil die perspektivische Verzehrung den Raum verlängerte. Die drei Fenster im Hintergrund, durch die man Licht zu sehen meint, das über einer freundlichen Gebirgslandschaft liegt, die anders als bei der Felsengrottenmadonna nicht wild zerklüftet ist, unterstützen die Illusion der Raumverlängerung. Die Jünger selbst sitzen rechts und links in Gruppen neben Christus. Leonardo wählte als Fluchtpunkt Christus, genauer: einen Punkt neben seinem rechten Ohr. Christus ist der Mittelpunkt des Geschehens. Seine Überlegungen zur Zentral- oder zur Linearperspektive führten dahin, dass er drei Perspektiven zu unterscheiden begann: die Linearperspektive, die Perspektive der Farben und die Perspektive der Deutlichkeit. Die Linearperspektive, die spätestens seit Filippo Brunelleschi bekannt war und die mit den Verkürzungen in der Tiefe des Raumes arbeitet, besaß den Nachteil, dass die Perspektive nur vom Standpunkt des Malers aus korrekt funktionierte. Aus Leonardos Sicht wäre das jedoch eine flache Perspektive, bei der die Gegenstände am Rand des Bildes nicht so aussehen, wie sie sich dem Auge des Betrachters darstellen. Eigentlich müssten sie sich nicht vor einer flachen, sondern vor einer kugelförmigen Wand darstellen. Durch mannigfache Konstruktionen, durch Gespräche mit Mathematikern, aber auch durch intensives Nachdenken gelang es Leonardo, die kugelförmige Perspektive zu erfinden, die bei ihm allerdings die natürliche Perspektive heißt. Sie wurde für das Abendmahl entscheidend und macht bis heute eines seiner Geheimnisse aus. Zur natürlichen Perspektive gelangt man, wenn man die Verkürzungen nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der Breite ausführt. Alle vertikalen und horizontalen Linien mit Ausnahme des Horizonts und der Mittelvertikalen müssen abgerundet oder gekrümmt 315

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

werden, je weiter zu den Rändern des Bildes hin, desto mehr. Würde man, wie es Leonardo bei einer Perspektivskizze für die Anbetung (siehe Seite 157) unternahm, ein Gitternetz legen, müssten die Verkürzung nach rechts und links zunehmen. Der Vorteil der natürlichen oder kugelförmigen Perspektive besteht nur darin, dass der Betrachter an jedem beliebigen Platz vor dem Bild stehen oder sich bewegen kann, weil das Bild zum einen seine Lichtquelle und zum anderen seine »Wahrheit« in sich hat. Mit der eigenen Wahrheit des Bildes, die nicht theoretisch behauptet, sondern maltechnisch ermöglicht wurde, war ein großer Schritt erreicht hin zu dem, was man die Autonomie des Kunstwerkes nennen kann, zur Eigenständigkeit des Werkes, zum, wie es Umberto Eco einmal nannte, offenen Kunstwerk hin. Diese eigene Wahrheit des Bildes, die unabhängig vom Stand­punkt des Betrachters ist, verwirklichte Leonardo in der komplizierten und tiefsinnigen Perspektive des Abendmahles. Das Geschehen geschieht und erreicht jeden Betrachter unabhängig von seinem Standort. Doch Leonardo ging noch einen Schritt weiter, denn die leichte Krümmung des Raumes umfasst eine Wand, die er durch drei Fenster unterbrach. Die drei Ausblicke wirken wie ein unterbrochener Horizont und vergrößern den Eindruck von der Tiefe des Raums, der sich in die Natur bis hin zu einer fernen, unscharfen, fließenden Horizontlinie weitet. In seinem Malerei-Traktat schrieb Leonardo: »Und solche Horizonte haben in der Malerei eine Wirkung von großer Schönheit. Freilich muss man zu beiden Seiten einige Gebirge mit abnehmenden Farbstufen machen, wie es die Regel vom Schwächerwerden der Farben bei weiten Entfernungen verlangt.«291 Es entsteht eine Sogwirkung in die freie Natur, ins Freie hinaus. So gesehen wird der Ort des Abendmahls zum Ort des Übergang­ es. Nichts wird bleiben, wie es war, und auch diese Gesellschaft wird den Ort verlassen, ja, verlassen müssen. Alles ändert sich. 316

16. Das Ballett der Perspektiven

Nicht die Einsetzung der Eucharistie wählte Leonardos, sondern genau den Moment, in dem Jesus zu Christus wird, indem er den Satz sagt, der Gestern von Morgen trennt, den Punkt in der Geschichte, der zur Linie wird: »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten« (Joh 13,21). Diese Veränderung, das Christus-Werden, die Metaphysierung Jesu, das Mysterium erzählt Leonardo durch den Abstand, der nun zwischen dem Messias, der allein ist, und den Jüngern herrscht. Entgegen der biblischen Erzählung befindet sich der Lieblingsjünger weit weg von ihm und die große Geste, die Jacobus der Ältere macht, lässt sich auch als Zurückweichen vor dem Göttlichen lesen. Es ist der tiefe, metaphysische Schrecken, dass der Vertraute plötzlich ein anderer ist. Gelegentlich wurde als biblische Quelle für das Abendmahl das Evangelium nach Matthäus angeführt, aber Leonardo richtete sich eindeutig nach Johannes. In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich Leonardos Abendmahl von allen aus der Zeit, die mir bekannt sind: Johannes, der Jünger, den »Jesus lieb hatte«, liegt nicht an seiner Brust. Im Gegenteil: Er befindet sich in auffälliger Entfernung zu ihm. Christus ist allein inmitten der Jünger, die nicht mehr zu ihm vordringen, als wäre eine unsichtbare Wand zwischen ihnen, denn die Passion muss er doch allein annehmen. Christus, der Mensch und Gott ist, ist auf dem Weg zu Gott. In dieser Situation sind die Jünger nicht mehr bei ihm, sondern bei sich, fürchten sich, abtrünnig zu werden, können mit dem grundstürzenden Ereignis nicht umgehen, sind vollkommen überfordert und haben Angst, falsch zu handeln: »Da sahen sich die Jünger untereinander an« (Joh 13,22). Genau diese Situation aus der Geschichte hatte Leonardo ausgewählt, diesen Moment, in dem die Welt auf den Kopf gestellt wird – und es kündet von seiner psychologischen und künstlerischen Meisterschaft, wie es ihm gelang, zu zeigen, wie die unterschiedlichen Menschen darauf reagieren, und in ihrer Reaktion wieder die Dimension des Er317

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

eignisses darzustellen. Während Simon am rechten Bildrand das Ungeheuerliche kaum zu glauben vermag, das er gerade hörte, zeigt Matthäus wie zur Bestätigung mit beiden Händen auf Jesus, als entgegnete er: Der Meister hat es doch gerade gesagt, und Thaddäus fragt, wer so etwas wohl tun könnte. Die Gruppe Matthäus, Thaddäus und Simon wirkt eher vom Schreck getroffen und ringt, wie sie mit der Nachricht umgehen soll. Weitaus ekstatischer in ihrer Reaktion ist die nächste Gruppe. Philippus ist aufgesprungen und stellt ergriffen und von großer Furcht getrieben die klassische Frage des Evangeliums: Bin ich es, Meister? Bin ich der Verräter? Bin ich zu einem Verrat fähig? Die großen, emotionalen Gesten des Philippus sind dem Repertoire des Bußprediger dieser Zeit entnommen, so, wie Leonardo sie auf Jahrmärkten reden hörte, vor allem aber reden sah. Nicht umsonst heißt es in der Legenda aurea über Philippus: »Mund des Lichts heißt er wegen seiner leuchtenden Predigt, Mund der Hände wegen seines strengen Wirkens; Minner der oberen Dinge um seine himmlische Beschaulichkeit.«292 Und Jacobus der Jüngere schließt sich Philippus an: Oder ich? Thomas zweifelt, wie es seine Art ist: Das kann Gott nicht zulassen. Am linken Bildrand aber ist Bartholomäus hochgeschnellt. Seine entschlossene Geste wird in Petrus, der wie durch eine Wellenbewegung hervorgerufen gleichfalls aufsprang, zu einem Crescendo der Tat. Überhaupt verblüfft die linkerhand Christus am nächsten dargestellte Dreiergruppe am stärksten: Petrus und Johannes auf engstem Raum zusammen mit Judas. Der Grund, weshalb der Lieblingsjünger sich in dieser Entfernung zu Christus befindet, wo er doch an seiner Brust liegen sollte, findet sich dennoch in der Bibel und verrät etwas über die darstellerischen Mittel Leonardos. Im Evangelium heißt es, dass Petrus Johannes zuwinkte, damit er Jesus fragen sollte, wer der Verräter sei. Alle Figuren, die Leonardo schuf, erlaubten es, aufgrund ihrer Vielschichtigkeit eine eigene Monographie über sie zu ver318

16. Das Ballett der Perspektiven

fassen. Doch man kommt nicht umhin, Petrus als die faszinierendste Figur des Gemäldes anzusehen, denn er geht in seinem Verhalten über alle anderen Figuren hinaus. An ihm wird ganz deutlich, was an allen anderen Figuren allerdings gleichfalls gezeigt werden könnte: dass sie ihren Ausgangspunkt in den Evangelien, besonders in dem des Johannes, und in der Legenda aurea nehmen. Von dort aus beschäftigten sie die Phantasie Leonardos. Es wäre gut, wenn diejenigen, die kenntnisarm und sensationstrunken über irgendwelche Blutlinien und über das Geschlecht des Johannes spekulieren, einen Blick in Bibel und Legenda aurea würfen, denn die Kunst Leonardos bestand wie die jedes guten Erzählers in der Gestaltung der überlieferten Realität, darin, im Gesicherten zu beginnen und das über alle Zeiten hin Gültige zu erkennen. Petrus nun als Einziger der Jünger räsoniert nicht, fragt nicht danach, ob er der Verräter sei. Petrus’ erste Reaktion treibt sogleich zum Handeln, zur Tat. Fest entschlossen will er den Verräter, bevor er seine Tat vollenden kann, töten. In der Legenda aurea heißt es über Petrus: »Petrus der Apostel war feurig von Liebe unter den anderen Aposteln und über ihnen allen, denn er wollte den Verräter des Herrn wissen; hätte er ihn gewusst, schreibt Augustinus, so hätte er ihn mit seinen Zähnen zerrissen. Darum wollte der Herr seinen Verräter nicht mit Namen nennen; denn hätte er es getan, so wäre Petrus, als Chrysostomus spricht, aufgesprungen und hätte ihn auf der Stelle getötet.«293 Exakt diese Situation stellte Leonardo dar. Er wollte Geschichten erzählen, freilich in der Interpretation, die er für aktuell, ja in ihrer Dimension für akut hielt. Er wollte sie nicht erfinden. Großer Kunst begegnet man in diesem Petrus, dessen körperliche Bewegung nichts an Dramatik vermissen lässt. Mit der linken Hand zieht er Johannes zu sich, um ihn zu drängen, damit er von Christus den Namen des Verräters erfährt, mit der rechten hat er bereits das Messer gepackt, mit der Spitze nach hinten, so dass 319

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

er, wenn er den Arm höbe, zustoßen könnte. Täte er es, würde sein Messer auf Judas niedersausen, der mit Johannes und Petrus zusammen die enge Dreiergruppe auf der linken Seite bildet. Judas also schwebt in akuter Gefahr, ein Wort des Herrn, und er wäre des Todes, und Gottes Heilsplan wäre vertagt. Aber man begreift die ungeheure Dramatik, alles steht hier buchstäblich auf Messers Schneide: Tod und Leben, Heilsplan und Erlösung. Es ist dieser Petrus, der Einzige unter den Jüngern, den zuallererst die Tat antreibt, der handeln will, der einzige, der in der vita activa lebt, während die anderen die vita contemplativa bevorzugen. Er ist nicht umsonst derjenige, auf den Christus seine Kirche stellt, sein Nachfolger im Apostelkollegium, der Einzige, der nicht Gelehrter, nicht Prediger, nicht Theologe ist, sondern Politiker, Handelnder. Und das bei all seinen Mängeln. »Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Ich will mein Leben für dich lassen«, bittet Petrus (Joh 13,37), doch Jesus antwortet: »Du willst dein Leben für mich lassen? Wahrlich, wahrlich ich sage dir: Der Hahn wird nicht krähen, bevor du mich dreimal verleugnet hast.« (Joh 13,38) Mit diesen Worten weist Christus ihn zurück, zeigt, wie menschlich der Verrat ist, weil der Mensch nicht nur stark, sondern auch schwach ist und aus seiner Schwäche seine Stärke erwächst, gerade im Wissen um die eigene Schwachheit. Wegen seiner Schwäche ist Petrus befugt, die Kirche zu leiten – und am Ende seines Lebens wird er aus Rom fliehen und der Herr wird ihm auf der Via Appia begegnen. Da fragte ihn Petrus erneut, wie schon in Gethsemane: »Wohin gehst du Herr?« Und Christus antwortete ihm: »Nach Rom, um mich erneut kreuzigen zu lassen.« Petrus kehrte um, stellte sich den Häschern und bat, als er gekreuzigt werden sollte, dass es mit dem Kopf nach unten geschehe, da er es nicht wert sei, den gleichen Tod wie der Herr zu erleiden. Diese Version vom Tod Petri steht nicht in den Evangelien, wohl aber in den apokryphen Petrusakten, und das sie im 15. Jahrhundert populär war, beweisen die vielen Kreu320

16. Das Ballett der Perspektiven

zigungsbilder, die Petrus mit dem Kopf nach unten zeigen, wie z. B. das eindrucksvolle Bild des Filippino Lippi. Dieser Petrus wird zur stärksten Figur im Abendmahl, doch er wird keine Gelegenheit bekommen, den Verräter zu töten, denn Johannes, auf dessen schönem Gesicht die melancholische Gelassenheit dessen liegt, der das Unvermeidliche erkennt und sich darin fügt, wird nicht fragen, weil er um die Vergeblichkeit weiß. In ihm und in Jesus – und hier zeigt sich die tiefe Verbundenheit des Lieblingsjüngers mit seinem Herrn – ist das Unvermeidliche Realität geworden. »Nicht wie ich will, sondern wie du willst«, wird Jesus später sagen. Mit der linken, geöffneten Hand unterstreicht er die Eröffnung des Verrats, mit der rechten greift er zur gleichen Zeit wie Judas mit der linken nach dem Brot. In diesen beiden Händen, die sich im nächsten Moment berühren würden, liegt eine ungeheure Spannung, der sich Judas nicht entziehen kann. Er schaut gebannt auf Jesus, ein Eingeständnis, eine Verbundenheit, denn jeder der beiden Männer weiß, was gleich geschehen wird, nur Jesus weiß auch, dass es geschehen muss. »Was du tust, das tue bald!«, sagt der Herr (Joh 13,27). Ein weiterer Beleg dafür, dass sein Abendmahl die Vollendung der Anbetung der Könige ist, findet sich in der Tatsache, dass Leonardo Physiognomien benutzte, die er bereits in der Anbetung verwendete. Um die Figuren agieren zu lassen, sammelte er Ideen, womit er sie in Bewegung setzen würde, noch nicht nach Typen, sondern nach Tätigkeiten: »Einer, der trank und den Becher auf seinen Platz stellte und den Kopf dem Sprechenden zuwandte. Einer schiebt seine Finger ineinander und wendet sich mit starren Brauen seinen Nachbarn zu … Ein anderer sagt seinem Nachbarn etwas ins Ohr … Der andere, der ein Messer in der Hand hält, schüttet mit der nämlichen Hand einen Becher auf dem Tisch um.«294

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Dass Leonardo auf das Umwerfen des Bechers verzichtet hat, wird verständlich, wenn man sich vorstellt, dass dieser umgestoßene Becher eine zu große Aufmerksamkeit auf sich gezogen und dadurch die Bilderzählung gestört hätte. Denn ihr Fluss wird reguliert durch die Hierarchie der Attraktionen, durch die Hierarchie dessen, was die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Diese Hierarchie der Attraktionen stellt für jede Erzählung ein ernsthaftes Problem dar, und Leonardo hatte sie beim Malen empirisch ausgelotet, so dass es auch deshalb immer wieder zu Übermalungen kam, um im ihr rechtes Maß zu finden. Anderes sollte wahrscheinlich nie gemalt werden, sondern diente dem Maler dazu, sich zu erklären, aus welcher Situation, aus welchem »Punkt« die Figur kam, von wo sie startete. Aufgrund des ruinösen Zustandes des Bildes lässt sich eine Beobachtung nur unter Vorbehalten äußern, aber es scheint so zu sein, dass eine Dominanz in den Gewändern Christi und der Jünger vorliegt, die besonders die Gruppe Johannes, Petrus und Judas, aber auch Jesus, Matthäus und Bartholomäus betrifft und seltsamerweise mit dem Blau des Himmels und der Berge in der Ferne vor dem Fenster korrespondiert. Dieses Blau könnte den Raum gesprengt haben und mithin die Öffnung des Raumes hin zur Welt verstärkt haben, so dass die Bühne, die Leonardo für seine Figuren und mit ihnen aufgestellt hat, die Welt ist. Das Drama, das uns Leonardo miterleben lässt, ist das Drama des Menschen zwischen Treue und Verrat, zwischen Liebe und Hass, zwischen Verdammung und Erlösung, das Drama, den richtigen Wegen zu finden. Die große Meisterschaft des Malers bestand darin, dass er die natürliche Perspektive sowohl technisch als auch dramaturgisch, sowohl inhaltlich als auch philosophisch in der Konstruktion des Bildes zusammenlaufen ließ – wenn man so will, ein Ballett aus Perspektiven arrangierte. Anders wollte und konnte er die Welt auch nicht verstehen, weil sie für ihn nicht statisch war, sondern sich in fortlaufender Bewegung befand. 322

16. Das Ballett der Perspektiven

Proportionszeichnung nach Vitruv um 1490, Feder, Tinte und Tusche über Metallstift

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

17. Der Sturz

Im Nachhinein wird man sagen dürfen, dass die Mailänder Zeit die glücklichste in Leonardos Lebens war. Noch während er am Abendmahl arbeitete, erbat sich il Moro die Ausmalung zweier Säle im Castello Sforzesco, von denen allerdings nur ein sehr schönes Blattwerk, eine Laube aus Ästen, Zweigen und Blättern erhalten ist. Zudem gab er ein Porträt in Auftrag, das heute unter dem Namen Bildnis einer unbekannten Dame oder auch Porträt der Lucrezia Crivelli oder als Belle Ferroniere geführt wird. Man geht davon aus, dass dieses Bild im appartemaint de bains des französischen Königs in Fontainebleau neben Leonardos Felsengrottenmadonna, der Leda, der Mona Lisa und dem Johannes der Täufer hing. Die Bezeichnung Ferroniere bezog sich auf das Stirnband, das so genannt wurde. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Dame auf dem Porträt Lucrezia Crivelli darstellt, die seit etwa 1495 il Moros Mätresse war. Alternative Theorien besagen, dass Leonardo nach knapp zehn Jahren noch einmal Cecilia Gallerani konterfeite, zu der er gute Beziehungen unterhielt, oder Isabella d’Este, Markgräfin von Mantua und Schwester der Mailänder Herzogin Beatrice. Da die passionierte Kunstsammlerin Isabella d’Este später den Maler bedrängen sollte, sie selbst zu porträtieren, lässt sich die letztgenannte Annahme eigentlich ausschließen. Für Lucrezia Crivelli spricht der simple Umstand, dass ihr Porträt von Leonardos Hand in einem panegyrischen Gedicht des Hofdichters Antonio Teobaldo erwähnt wurde. Sollte es sich aber doch um ein späteres Bildnis Cecilias handeln, müsste das Porträt, das Teobaldo erwähnte, verloren gegangen sein. Gleichviel, dieses Porträt setzte keine neuen Akzente und fällt beinahe hinter das Niveau des Porträts der Cecilia Gallerani zurück. Die porträtierte Frau wird vom Betrachter durch ein Parapett aus Stein getrennt und ferngehalten – aber eben nicht 324

17. Der Sturz

entrückt, was die Entfernung rechtfertigen würde. In der Reihe seiner Arbeiten wirkt es wie eine Pflichtaufgabe, der Leonardo sich anständig entledigte, zumal er ganz in seinen naturwissenschaftlichen und mathematischen Studien aufzugehen und eine gewisse Abneigung gegen das Malen zu entwickeln begann. Oder haben wir es hier mit einem der Bilder zu tun, die seine Werkstatt für vermögende Privatkunden herstellte und von denen kaum eines erhalten blieb? Dokumentiert dieses Bild das normale, eben sehr hohe Niveau der Werkstatt? Als Architekt und Ingenieur wurde Leonardo vom Herzog ebenfalls in Anspruch genommen und errichtete für dessen Ehefrau Beatrice d’Este ein Gartenhäuschen. Für seine Nachbarin, die Witwe Gian Galeazzos, Isabella d’Aragon, die einen anderen Flügel des Corte Vecchio bewohnte, kümmerte er sich um die Warmwasserversorgung, und für reiche Mailänder Familien, wie die des Höflings Mariolo d’ Guiscardi, übernahm er Aufträge als Architekt. Während der Arbeit an den beiden Sälen im herzoglichen Schloss, der sala delle asse und der saletta negra, kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem Herzog, der wie gewohnt meinte, dass der überbeschäftigte Leonardo, der neben allen Aufträgen ja auch seinen Forschungen nachging, zu langsam arbeite. Doch diesen Vorwurf kannte Leonardo schon, und der Herzog auch. Il Moro bemühte sich zwar um Pietro Perugino, der den Auftrag übernehmen sollte, allein schon, um seinem allzu eigensinnigen Zauberer eine Lehre zu erteilen, doch der Versuch scheiterte schlicht an dem Umstand, dass er Perugino nicht zu finden wusste. Und so beendete Leonardo dann doch die Wandmalereien im herzoglichen Schloss. Letztlich wird es Spekulation bleiben, ob die Ankunft des Wandergelehrten Luca Pacioli aus Borgo Sanseplocro, der u. a. in Neapel, Venedig, Pisa und Perugia gelehrt hatte, sich letztlich zum Nutzen oder zum Schaden von Leonardos malerischem Œuvre auswirken sollte. Leonardo freundete sich sehr schnell und sehr 325

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

intensiv mit Pacioli an, denn beide verband die Liebe zur Mathematik und Geometrie. Aber gerade der intensive wissenschaftliche Austausch mit dem Mathematiker bestärke Leonardos Neigung, sich als Wissenschaftler zu sehen. In seinem autodidaktischen Studium der Mathematik und Baukunst hatte er sich mit dem Werk des genialen römischen Baumeisters Vitruv auseinandergesetzt, der bereits Gesetzmäßigkeiten in den Proportionen des Menschen feststellte. 1490 entstand Leonardos berühmte Zeichnung, mit der er versuchte, die Proportionen des menschlichen Körpers anhand von geometrischen Gesetzmäßigkeiten und Zahlenverhältnissen zu beschreiben. Der Autodidakt Leonardo stieß trotz unermüdlichen Forschens und Nachdenkens an seine Grenzen, da kam ihn Pacioli wie gerufen. Überdies stimmten beide darin überein, dass die Architektonik des menschlichen Körpers, der menschlichen Gebäude und Bauten, der Natur, der großen und kleinen Welt, von Makrokosmos und Mikrokosmos, nur ein Teil von Gottes Bauplan der Schöpfung war, den es zu entschlüsseln galt. Gott, der Schöpfer, hatte die Menschen zu Schöpfern geschaffen. So, wie Leonardo und der Franziskaner Pacioli, der nicht nur Mathematiker, sondern auch Theologe war, die Wissenschaft betrieben, wurde sie ihnen zu einer Art praktischen Gottesdienstes. In Gottes Schöpfung in die Lehre zu gehen, darin bestand ihre tiefe Religiosität. Alles entsprach allem, der Bauplan der Welt beruhte auf Analogien. Der Körper des Menschen ließ sich wie ein Palast geometrisch beschreiben. Die Proportionen des Menschen stimmten mit den Proportionen der Welt überein. Den Anfang von allem sah Leonardo in der Bewegung. Die erste Bewegung ging vom Schöpfer selbst aus, aber Leonardo, der diese Erkenntnis voraussetzte, fragte: Wie wirkt die Bewegung in der Welt? Bewegung und Gestalt – letztere ließe sich auch mit dem Begriff Proportion erfassen – bildeten in ihrem Zusammenspiel die Welt. Im Grunde vereinigt Leonardos Zeichnung des Vitruvianischen Menschen genau dieses Denken und stellt es emble326

17. Der Sturz

matisch dar: Der Mensch im Kreis und der Mensch im Quadrat, in vollkommenen Körpern also, werden bewegt. Die Bewegung ruft ein Spiel der Proportionen, die sich der Bewegung anpassen, hervor. Leonardo kam nicht nur zu dem Schluss, dass die Proportionen in den Bewegungen, den Veränderungen der menschlichen Körperhaltung erhalten bleiben, sondern stellte es in der Zeichnung auch unter Beweis. Seine Schlussfolgerung hatte Auswirkungen auf seine Malerei, wie man am Abendmahl beobachten kann. Das Ballett der Perspektiven, der Tanz der Proportionen wäre ohne den Vitruvianischen Menschen unmöglich gewesen. Sucht man also nach Leonardos Religion, dann findet man sie genau hier. Das Weltall ist ein riesiger Körper, wie auch die Erde einen großen Körper darstellt und der Mensch als Körper gedacht wird. Weltenkreis, Erdenquadrat, Mensch – so begegnet man in dieser Zeichnung der Analogie der drei Welten, die möglich ist, weil diese drei das Werk des Schöpfers sind. Er hat sie als Proportionen geschaffen und mit einer Bewegung versehen. Diese Bewegung setzt sich in vielen Bewegungen in der Wirklichkeit fort, bei denen aber, um es noch einmal zu sagen, die Proportionen stabil bleiben. Das ergaben Leonardos zahlreiche Bewegungsstudien. Als Resultat der Bewegung sah er Gewicht, Kraft, Schlag und Stoß. »Gewicht, Kraft, Schlag und Stoß sind die Kinder der Bewegung, denn sie gehen aus ihr hervor.«295 Unter allen »Kindern« der Bewegung faszinierte ihn die Kraft am stärksten. In dem großen naturwissenschaftlichen Analogiedenken der Renaissance wurde für ihn die Kraft zu einer Art Energie und zur physikalischen Möglichkeit bewegter Körper, Bewegungen hervorzurufen. Philosophisch betrachtet wurde die Kraft für ihn aber zugleich auch zu einer »inwendigen Macht der Natur«. »Die Kraft ist nichts anderes als eine geistige Fähigkeit, ein unsichtbares Wirkungsvermögen, das durch einen zufälligen Zwang geschaffen und von den lebendigen (sensibili) 327

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Körpern auf die leblosen (insensibili) übertragen wird und diesen Körpern einen Schein von Leben gibt. Dies Leben ist von wunderbarer Wirkung. Während sie alle geschaffenen Dinge bezwingt und ihre Lage und Form ändert, geht sie mit rasender Eile ihrer Auflösung entgegen und ändert sich selbst mittels der Ursachen. Langsamkeit macht sie stark, Geschwindigkeit macht sie schwach. Sie lebt unter Zwang und stirbt in der Freiheit. Sie bezwingt jeden Körper und zwingt ihn zur Änderung der Lage und Form. Großes Wirkungsvermögen verleiht ihr großen Drang zum Tode. Mit rasender Gewalt vertreibt sie das, was ihrem Vernichtungswillen widerstrebt. Stets lebt sie im Widerstreit mit dem, was sie beherrscht. … Die Kraft ist überall in dem Ganzen, ja, überall in dem ganzen Körper, wo sie erzeugt wird … Ohne sie bewegt sich nichts. Ohne sie ist kein Schall oder Ton zu hören. Ihr wahrer Ursprung (semenza) ist in den lebendigen Körpern.«296 Kraft und Energie werden für ihn eins und in den Wellenbewegungen des Windes und des Wassers sieht er die Kraft nicht nur wirken, sondern auch, wie sie sich überträgt, fortpflanzt, so hätte Leonardo, wäre er allein geblieben, wohl geschrieben. Mit Pacioli zusammen stürzte er sich nun in die objektive, mathematische Beschreibung der Welt. Er suchte nach Kriterien, die nicht der Willkür menschlicher Auslegungskunst und Sophistik unterworfen waren. Einen Abglanz dieser Hoffnung, ein Kalkül des Lebens zu finden, durch das sich alles berechnen und objektiv beweisen lässt, entdecken wir noch bei dem letzten Universalgenie, bei Leibniz (1646–1716): »Wenn man … Zeichen finden könnte, die geeignet wären, all unsere Gedanken ebenso rein und streng auszudrücken, wie die Arithmetik die Zahlen und die Geometrie die Linien ausdrückt, könnte man offenbar bei allen Gegenständen, soweit sie dem 328

17. Der Sturz

vernünftigen Denken unterworfen sind, das tun, was man in der Arithmetik und der Geometrie tut. Denn alle Forschungen … würden durch die Umwandlung dieser Charaktere«, der Zeichen, »und eine Art Kalkül zustande kommen, was die Erfindung schöner Dinge ganz leicht machen würde … Und wenn jemand an dem, was ich vorgebracht haben würde, zweifelte, würde ich zu ihm sagen: ›Rechnen wir, mein Herr!‹, und Feder und Tinte nehmend, würden wir uns bald aus der Verlegenheit ziehen.«297 Mit der Summa Arithmetica Geometria Proportioni et Proportionalità hatte Luca Pacioli ein Kompendium der mathema­tischen Wissenschaften vorgelegt, das sich auf der Höhe der Zeit befand und alle Gebiete der Mathematik und ihrer praktischen Anwendung umfasste, wie z. B. auch die Buchhaltung. Dieses Buch arbeitete Leonardo durch. In jenen Jahren entstand auch Paciolis Buch Divina Proportione. Er beendete es am 14.12.1488 in Mailand und es erschien 1509 in Venedig. Divina Proportione wird gewöhnlich mit Goldener Schnitt übersetzt, ist aber auch wörtlich als Göttliche Proportionen zu verstehen, nämlich als die unveränderlichen Proportionen, die Gott der Welt gegeben hat. In dem Buch, das auch eine Frucht der Diskussionen zwischen dem Maler und dem Mathematiker während dessen Arbeit am Abendmahl war, rühmte Pacioli Leonardo als »allerehrwürdigsten Maler, Perspektivkenner, Architekten, Musiker«, als den »mit allen Fähigkeiten gesegneten Florentiner«.298 Diese Aufzählung macht deutlich, wie man Leonardo in Mailand sah und welches Ansehen er genoss. Von Pacioli stammt nicht nur der Hinweis darauf, dass Leonardo Linkshänder sei und seine Schrift als Spiegelschrift entziffert werden könne, sondern auch der Hinweis auf eine Mailänder Akademie. In dieser Zeit entstand zudem das Emblem der »ACDEMIA LEONARDI VI-CI« mit seinem kunstvollen Knotenmuster. 329

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Sicherlich nicht im Sinne einer heutigen Akademie und möglicherweise lockerer als die Platonische Akademie des Ficino in Florenz entwickelte sich in Mailand um Leonardo und Donato Bramante herum ebenfalls ein Gesprächs- und Freundeskreis, den Luca Pacioli verstärkte und der von Galeazzo San Severino gefördert wurde. Man traf sich bei Hofe, bei Galeazzo und vermutlich auch im Corte Vecchio, um über künstlerische, philosophische, mathematische Fragen zu diskutieren. Was die Philosophie betraf, so schuf Leonardo in diesen Jahren einige Analogien und Impresen (Verbindung eines Sinnbildes mit einem Wahlspruch), die aus Gefälligkeit il Moro als Herrscher und Wahrer der Ordnung priesen, die zugleich aber auch sein pessimistisches Weltbild ausdrückten. In der Allegorie der Freude, der Missgunst und des Kummers zeichnete er einen Mann, aus dessen Körper zwei Köpfe, zwei Hälse und vier Arme herauswachsen. Das jugendliche, fröhliche Gesicht und das Gesicht des alten, griesgrämigen Kopfes blicken dabei in entgegengesetzte Richtungen. In der Überschrift verdeutlichte Leonardo, dass Lust und Leid, Kummer und Freude Zwillinge sind, nie ohneeinander anzutreffen. »Lust und Leid werden als Zwillinge dargestellt, weil das eine nie ohne das andere ist, als hingen sie zusammen, und sie wenden sich die Rücken zu, weil sie Gegensätze sind.« Den Stock in der Hand erklärte Leonardo sarkastisch damit, dass aus dem Rohr in der Toskana Gestelle für Betten gemacht werden. Im Bett sah er die Stätte des Verderbens, weil man in ihm »eitle Träume schmiedet, hier einen großen Teil des Lebens verbringt, hier wertvolle Zeit vergeudet, nämlich am Morgen, da der Geist nüchtern und ausgeruht und der Körper bereit ist, neue Mühen und Arbeit auf sich zu nehmen. Hier hascht man auch nach vielen nichtigen Freuden, sei’s mit dem Geist, indem man sich unmögliche Dinge vorstellt, sei’s mit dem Leib, indem man sich Lüste verschafft, die oft der Grund eines verfehlten Lebens sind.«299 Ein abgeschnittener Baum, der wieder ausschlägt, wurde ihm zum 330

17. Der Sturz

Sinnbild der Hoffnung, die aber nicht euphorisch und unbeschwert, sondern resigniert und ernüchtert klingt: »Ich hoffe noch«, schrieb er, »noch«.300 Zwar diente er seinem Herrn il Moro, aber doch distanziert, ohne Selbstaufgabe und kritisch. Denn zum Tode von Gian Galeazzo schrieb er: »Das Hermlin beschmutzt. Galeazzo zwischen der stillen Zeit und der Flucht des Glücks.«301 Der Tod des jungen Herzogs belastete und beschmutzte die Herrschaft il Moros, ob er den Neffen nun vergiftet hatte oder nicht. Als Hermelin in den Händen der Cecilia Gallerani porträtierte Leonardo einst seinen Herrn il Moro. »Den Ruhm«, schrieb er aus Erfahrung und hellsichtig, »muss man in Gestalt eines Vogels malen, und zwar über und über bedeckt mit Zungen statt mit Federn.«302 Diese geistvollen Anspielungen lockerten die Gespräche in der »Akademie« und auch bei Hofe auf. In der Akademie, in der Leonardo seine Rätsel, Allegorien, Fabeln und Anspielungen, aber auch philosophische Betrachtungen und mathematische Überlegungen zum Besten gab, trug Donato seine schönen Sonette vor. Damit traf er auch Leonardos Fühlen, der selbst nicht das Können besaß, in die Sprache so tief einzudringen, dass sie ihm oder er ihr dienstbar wurde. Was Donato und auch Leonardo vorantrieb, beschrieb Donato in einem Sonett: »Arde il mio petto in si soave foco, Che sol del suo martir vive contento …« (Ein sanftes Feuer brennt in meiner Brust, aus dessen Qual allein mir ein erfülltes Leben glückt …)303 Diese soave foco, dieses sanfte Feuer, das brennt, aber auch verbrennen und ausbrennen lassen kann, quält den Künstler, der ohne dies kein Künstler wäre. »Ma perchè, quanto il ben è più perfetto, Più si convien naturalmente amare: Voglio sperar nel cor doglia o diletto.«

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Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

(Je vollkommener das Werk gelingt, desto inniger vermag ich es zu lieben: Hoffnung lebt in Glück und Leid im Herzen mir.) »Dunque, se ciò ch’ io amo è singolare, Degnamente mi sta fisso nel petto: Che gloria è per virtù sempre stentare.« (Deshalb lieb ich so sehr das Einzigartige, das Würdige, tief in meiner Brust verwahrt. Ruhm will ich stets durch Tugend mir erwerben.) 304 »Ruhm will ich stets durch Tugend mir erwerben« – ein Satz, der auch von Leonardo stammen könnte, eine Vorstellung, die in seinen Aufzeichnungen und Allegorien zu finden ist. Luca Pacioli berichtete in seiner Vorrede zum Buch über die Proportionen, zu denen Leonardo die Zeichnungen der platonischen Körper und menschlichen Proportionen beigesteuert hatte, dass sich am 9. Februar 1498 im Castello Sforzesco in Mailand in Gegenwart il Moros eine Zusammenkunft ereignet habe. Daran nahmen folgende Gelehrte teil: der Hofastrologe Ambrogio da Rosate, die Ärzte Gabriele Pirovano, Andrea da Novara und Niccolo Cusano, die Franziskaner und Theologen Domenico Ponzone und Francesco Busti, der reiche und gebildete Alvise Marliano, der Baumeister Andrea da Ferrara sowie Leonardo. Man diskutierte über die Proportionen, aber auch über das Reiterstandbild. Letzteres Thema war nicht abgeschlossen und il Moro hoffte noch immer, es realisieren zu können. Am 26. April schenkte il Moro seinem Zauberer einen Weingarten im Stadtteil San Vittore vor den Mauern der Stadt, einer Gegend, die sich der Beliebtheit von Mailands Hautevolee erfreute. Dort ließ sie ihre Sommerhäuser errichten. Leonardo liebte den Garten, wo sich auch ein kleines Haus befand. Doch das Glück hielt nicht lange, Fortuna hatte längst ihr Rad gedreht. Die Zeiten wurden rauer. 1497 starb Beatrice d’Este im Kindbett 332

17. Der Sturz

und Lodovico, der sie wirklich geliebt hatte, verfiel in Trauer, zog sich in den schwarzen Raum, den er sich hatte einrichten lassen, zurück und stellte religiöse Überlegungen an. Mit Beatrices Tod lockerte sich auch das Band zwischen Mailand und Ferrara. Karl VIII., der gehoffte hatte, Neapel erobern zu können, musste sich 1495 wieder aus Italien zurückziehen. Doch am 7. April 1498 wollte es il Moros Unglück, dass der König das Schloss von Amboise verließ, um Jeu de paume zu spielen, ein am Hofe beliebter Vorläufer des heutigen Tennisspiels. Doch der König stieß mit seinem Kopf gegen den Torrahmen aus Stein, fiel vom Pferd und starb. Thronfolger wurde der überhebliche Prinz von Orleans, der il Moro bereits 1494 darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er Ansprüche auf den Thron habe. Kaum war er gekrönt, fielen die Truppen des französischen Königs Ludwig XII. in Italien ein. Sie standen unter dem Kommando des Condottiere Gian Giacomo Trivulzio, der Jahre zuvor im Zorn von il Moro geschieden war und sich in der heimatlichen Mailänder Geographie und mit den Verhältnissen in der Stadt bestens auskannte. Im Juli eroberte Trivulzio Asti. Leonardo machte sich keine Illusionen, er sah die Niederlage il Moros voraus, doch er fühlte er sich keinem Machthaber, sondern einzig seiner Kunst und seiner Wissenschaft verpflichtet, so dass er Vorkehrungen traf. Er transferierte einen Teil seines monetären Vermögens nach Florenz, den anderen Teil versteckte er an verschiedenen Stellen im Haus, wobei er es so einrichtete, dass die möglichen Plünderer Geld finden würden, um sie auf diese Weise von der weiteren Suche abzuhalten. Söldner waren keine Soldaten im heutigen Sinne, sondern kleine Kriegsunternehmer, die für ihre Ausrüstung selbst zu sorgen hatten. Ihr Verdienst bestand in der unsicheren Löhnung und in der Beute, die sie machten. Da sie für ihr Alter oder für etwaige Verletzungen, die sie zu Krüppeln machten, Vorsorge zu treffen hatten, waren sie und sogar rational motiviert, Beute zu machen. Am 19. August fiel Alessandria. In 333

Kapitel 2: Mailand (1482–1499)

Mailand brach am 30. August ein Aufstand gegen il Moro aus. Sein Kanzler fiel dem Zorn der Rebellen zum Opfer, er selbst floh nach Innsbruck, um König Maximilian um Hilfe zu bitten. Daraufhin trat der Stadtkommandant zurück und Mailand fiel am 6. September Trivulzio in die Hände. Ein Regiment seines Heeres wurde übrigens von einem jungen Spanier kommandiert, den Leonardo möglicherweise in diesen Tagen kennenlernte: Es war der natürliche Sohn von Papst Alexander VI., Cesare Borgia. Wie immer ging der Machtwechsel mit Mord und Plünderungen einher. Leonardo jedoch blieb unbehelligt. Am 6. Oktober zog Ludwig XII. feierlich in Mailand ein. Leonardo besaß keinen Gönner mehr, und wenn ihn die Erfahrung eines gelehrt hatte, dann dies: Für die Art, wie er Kunst und Wissenschaft betrieb, benötigte er einen Fürsten. Zwischen Ludwig XII. und ihm kam es zu einer Begegnung und er wurde von Ludwigs Favoriten Florimond Robertet d’Alluye mit einer Madonna beauftragt. Doch die Situation war brüchig und unübersichtlich. Der arrogante Ludwig XII. glaubte, il Moro besiegt zu haben, so dass nicht nur er selbst Mailand verließ, sondern auch seine Truppen abzog. Leonardo war ganz klar, dass die gute Zeit in Mailand der Vergangenheit angehörte und es niemals wieder so sein würde, wie es einmal gewesen war. Mochten die Franzosen herrschen oder il Moro zurückkehren, Krieg und Unruhe würden ohnehin die Stadt und das Herzogtum im Griff halten. Siegte il Moro, hätte er bestimmt nicht die Mittel und das Interesse, Leonardo weiter zu unterhalten. Bliebe Mailand unter französischer Herrschaft, würde der Hof fehlen, vom dem er nun einmal lebte. Für Leonardo hieß es Abschied nehmen. Von Isabella d’Este wusste er, dass sie seine Kunst liebte und über ein beträchtliches Vermögen verfügte. Der Hof der Markgräfin von Mantua gehörte zu den großen kunstliebenden Höfen der Renaissance, so lag es nahe, dort sein Glück zu versuchen. Mit seinen Mitarbeitern und Lehrlingen, in Begleitung von Luca Pacioli, verließ 334

17. Der Sturz

er in den letzten Tagen des Jahres 1499 Mailand. Er war nun 47 Jahre alt, war berühmt und sah doch einer ungewissen Zukunft entgegen. In Mailand sollten die Getreuen il Moros für kurze Zeit die Macht zurückerobern und Trivulzio aus der Stadt jagen. Am 4. Februar 1500 kehrte il Moro wieder zurück. Schließlich standen sich in Novara die Heere der Franzosen und der Mailänder, die aber beide aus Schweizer Söldnern bestanden, gegenüber. Durch Verrat wurde Lodovico Sforza an die Franzosen ausgeliefert: Er verbrachte seine letzten acht Lebensjahre inhaftiert in der Burg Loches im Loiretal und verfiel immer stärker dem Wahnsinn. Als Leonardo die Nachricht von der Verhaftung il Moros erhielt, notierte er schnörkellos: »der Herr im Schloss gefangen genommen der Viscomte fortgeschleppt und dann der Sohn ermordet Gan della Rosa hatte ihm das Geld genommen Borgonzio begann und wollte es nicht und es Entging ihm das Vermögen« Der Herr im Schloss dürfte der französische Kommandant gewesen sein, der sich den Mailändern ergab und nach der Rückeroberung durch die Franzosen wegen der Kapitulation verhaftet wurde. Borgonzio war ein Höfling: Gian della Rosa, der Hof­ astrologe. Dann fügte Leonardo gleichsam wie ein Epitaph seiner Zeit mit il Moro hinzu: »Der Herzog verlor die Macht, sein Hab und Gut und die Freiheit und kein Werk für ihn wurde zu Ende geführt.«305 Mit Letzterem spielte er auf das Bronzepferd an, denn nun gab auch er die Hoffnung auf, es jemals zu realisieren. Er wusste bereits, dass Bogenschützen aus der Gascogne Schießübungen auf sein Tonpferd veranstalteten, bis der gran colosso in den Staub des Burghofes sank. 335

KAPITEL 3:

DIE ZEIT DER WIRREN (1499–1515)

18. Hofkünstler in einer Republik

Ein Vergnügen war es wohl eher nicht, um die Jahreswende 1499/1500 von Mailand nach Mantua zu reisen, immerhin lagen gute 170 km zwischen den beiden Städten, so dass Leonardo fünf Tage benötigte, gesetzt den Fall, dass er auf dem Pferd vorausritt, oder eine gute Woche, wenn er mit den Fuhrwerken reiste, auf denen seine Habseligkeiten und die Werkstattutensilien transportiert wurden. Möglich ist auch, dass Leonardo, wie schon mit den 600 Golddukaten geschehen, die er in die Arnostadt überwiesen hatte, die Fracht gleich nach Florenz schickte oder in das Haus nach Vinci, wo sein geliebter Onkel Francesco seine alten Tage verbrachte – verbummelt und heiteren Gemütes wie eh und je. Salai, der nicht nur ein recht passabler Maler geworden war, sondern sich immer mehr wie Leonardos Sekretär benahm, hatte den Weinberg seines Meisters, dessen »Garten«, mit dem Anwesen verpachtet, allerdings an seine eigene Familie, was den Ertrag beträchtlich minderte. Isabella d’Este, die Markgräfin von Mantua, hatte Leonardo bereits 1491 kennengelernt, bei der glanzvollen Mailänder Doppelhochzeit, zu deren Ausstatter und Regisseur er bestellt worden war. Im April 1498 hatte sich Isabella in einem Brief an Cecilia Gallerani gewandt mit der Bitte, ihr das Porträt zu schicken, das Leonardo von ihr angefertigt hatte. Denn es verlangte sie, das Bild mit Werken des von ihr geförderten venezianischen Malers Giovanni Bellini zu vergleichen. Als sie diese Zeilen verfasste, blickte die 24-Jährige bereits auf eine fast zehnjährige Regentschaft über die Markgrafschaft Mantua zurück, die sie für ihren Mann Gianfrancesco II. Gonzaga übernahm, weil er als Condottiere in venezianischen Kriegsdiensten stand. Die immer noch schöne und kluge Cecilia konnte die Bitte der herrischen Markgräfin nicht ablehnen und war ihr nachgekommen, 339

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

hatte dazu aber in einer kalkulierten Bescheidenheitsgeste mitgeteilt, dass dieses Bild ihr insofern nicht ähnlich sei, als es »in so unfertigem Alter gemacht wurde, und dass sich mein Aussehen danach sehr verändert hat, so dass niemand, der jenes und mich zusammen sieht, erkennt, dass ich dargestellt bin.«306 Es ist nur allzu verständlich, dass die Gräfin Bergamini kein Interesse daran hatte, ihre Vergangenheit als Mätresse il Moros erneut in Erinnerung zu rufen. Zumal dieses Verhältnis fast zum Skandal geriet, weil es die Hochzeit zwischen Isabellas Schwester Beatrice und il Moro unschicklich verzögert hatte. Subtil, aber deutlich teilte sie also in ihrem Schreiben vom Ende April 1498 der Markgräfin von Mantua mit, dass sie nicht mehr diejenige sei, die auf dem Porträt zu sehen war, und sich nicht mehr in jenem »unfertigen Alter« befinde. Anderthalb Jahre später traf nun der Schöpfer dieses Por­ träts in Mantua ein. Isabella wünschte sich ein Porträt aus der Hand des Meisters. Leonardo sondierte, ob die Gonzagas seine neuen Gönner werden könnten. Denn er brauchte einen Fürsten und einen Hof, weil er seiner ganzen Veranlagung nach ein Hofkünstler war – allerdings einer, der übermäßigen Freiraum benötigte. Auf dem ersten Blick eignete sich der Hof von Mantua wie kein zweiter. Isabella, die zu jener Zeit landauf, landab als La prima donna del mondo, als Die erste Frau der Welt bezeichnet wurde, war belesen, besaß einen exquisiten Geschmack, liebte die Kunst, galt als exzellente Lautenspielerin und Sängerin und pflegte besonders die Frottole, jene so geistvollen wie frechen, charmanten wie unverstellten Liebeslieder. Nicht in Mailand, sondern in Mantua hatte 1490 die Uraufführung von Angelo Polizianos Favola d’Orfeo mit Atalante Migliorotti als Orfeo stattgefunden. Die Familie Este gehörte zu den ältesten des Reiches. Die Markgrafschaft Mantua reichte bis Modena, Reggio und zur wichtigen Hafenstadt Ancona an der Adria. Doch der selbstbewusste Stil Isabellas, der sich in seinen unerbittlichen Forderungen sehr von il Moros Nachgiebigkeit un340

18. Hofkünstler in einer Republik

terschied, schreckte Leonardo ab. Ihm wurde schnell klar, dass er nach der Pfeife der Markgräfin zu tanzen hatte, wenn er sich in ihre Abhängigkeit begab. Mehr zum Zeichen des guten Willens hatte Leonardo zwei Skizzen mit dem Bildnis der Markgräfin angefertigt. Eine sollte als Vorlage für ein Porträt dienen, die andere im Besitz der Gonzagas verbleiben. Dass die Profilzeichnung im Stil einer oberitalienischen Tradition gestaltet war, ging auf den Vorschlag der Markgräfin zurück. Die leidenschaftliche Sammlerin wünschte zum einen, ein aufsehenerregendes Werk des erfindungsreichen Künstlers ihr eigen zu nennen, zum anderen gedachte sie aber als machtbewusste Regentin, die Gestaltung nicht dem Zufall zu überlassen. Wie die junge Cecilia Gallerani wollte sie sicherlich nicht in die Ewigkeit eingehen. Die delikaten Worte des Briefes der Gräfin Bergamini im Gedächtnis, entschloss sie sich, Vorsorge zu treffen, dass dieses Porträt ihr ähnlich würde, und zwar so, wie selbst sich sah. In solcher Art hatte Isabella zumindest Malern wie Giovanni Bellini und Pietro Perugino die Bildinhalte sehr genau vorgegeben. Diese Zukunftsperspektive vor Augen hielt es Leonardo nicht in Mantua und bereits im März trafen er und Luca Pacioli in Venedig ein. Zudem interessierte er sich immer leidenschaftlicher für Mathematik, Architektur, Ingenieurwesen und mochte von der Kunst der Malerei immer weniger wissen. Allerdings bezog sich sein wachsender Widerwillen nur auf die praktische Malerei, nicht aber auf die schriftstellerische Darstellung dieser Kunst. Der uomo senza lettere verspürte eine große Neigung zum homme de lettres zu werden. Die Notizen für einen Traktat über die Malerei wuchsen an, er projektierte ein Buch über die Geometrie, über das Wasser, über die Anatomie. Vor seinen Augen scheint eine mindestens 20-bändige Gesamtausgabe gestanden zu haben. Auch zeichnete sich zu dieser Zeit allmählich eine Veränderung in seinem Denken ab: Der Schüler der Erfahrung begann sich immer stärker für die theoretische Verarbeitung des Erfahrenen zu interessieren, und er meinte, sie mit 341

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

Hilfe der Skizze leisten zu können. Die gedankliche Durchdringung des Gesehenen oder Erfahrenen nahm er mit Silberstift, Kreide, Rötel oder Kohlestift vor. Ihn faszinierte es nicht, einen schönen Kopf im Gemälde zu verewigen, sondern ihn verlangte danach, eine genaue Zeichnung vom Inneren des menschlichen Kopfes anzufertigen. Der schöne Schein, das hübsche Äußere, war eben nur der schöne Schein und nicht die Wahrheit, die aus Haut, Knochen, Muskeln, Sehnen, Gefäßen, Organen, Nerven und Blut bestand. In Venedig angekommen begab er sich im Auftrag der Serenissima, der Regierung von Venedig, unverzüglich nach Friaul, um Vorschläge für Befestigungsanlagen gegen die Türken zu unterbreiten. Seine Entwürfe wurden entgegengenommen und zumindest ein von ihm geplantes Wehr am Isonzo wurde auch realisiert. Es wird zwar immer wieder unterschätzt und als unbedeutend dargestellt, aber Leonardo hatte einen guten Ruf als Militäringenieur und Architekt. Allerdings erkannte er, dass die knauserigen Venezianer ihm kaum die Hofhaltung finanzieren würden, an die er inzwischen gewöhnt war. Zudem herrschte in Venedig ein harter Konkurrenzkampf und durchaus respektable venezianische Maler wie Jacopo de’Barbari, dem wir das Porträt von Luca Pacioli verdanken, gingen nach Deutschland. In Nürnberg kam es zum Streit zwischen dem jungen Albrecht Dürer und Jacopo de’Barbari, weil Letzterer sein überschaubares Wissen über die Proportionen als Geheimwissen hütete und mächtig damit renommierte, um seinen Marktwert in der Reichsstadt zu steigern. Man macht sich heute nur ein unzureichendes Bild davon, wie fundamental und leidenschaftlich die Fragen der Perspektive und der Proportionen diskutiert wurden. Nicht nur Leo­ nardo plante ein Lehrbuch der Malerei. Albrecht Dürer brachte sogar eines heraus, von dem aber nur wenig überliefert ist, ganz im Unterschied zu den 1525 und 1528 in Nürnberg erschienenen Büchern »Vnderweysung der messung mit dem zirckel vnd 342

18. Hofkünstler in einer Republik

richtscheyt« und »Vier bücher von menschlicher Proportion« dieses deutschen Universalgenies. Während für einige Maler Kenntnisse über Perspektive und Proportionen entweder zu den Werkstattgeheimnissen gehörten oder für eine eigene Veröffentlichung zurückgehalten wurden, diskutierten Leonardo und Albrecht Dürer offensiv und öffentlich darüber. Übrigens könnte es sein, dass die Kenntnisse Jacopo de’Barbaris nicht nur auf die Schrift von Piero della Francesca zurückgingen, sondern dass sie aus dem Umkreis von Leonardo stammten. Zumindest besteht eine Theorie, nach der »Barbari aus dem Kontext der Künstlerwerkstätten am Mailänder Hof der Sforza stammte. (…) Denn Barbari scheint im Tross der Mailänder Hofexilanten zum Augsburger Reichstag mitgeführt worden zu sein, als Bianca Maria dort am 8. April 1500 einzog.«307 Ambrogio de Predi war seit Bianca Sforzas Abreise nach Innsbruck immer wieder an ihrem Hof als Maler beschäftigt. Nach der französischen Eroberung und Besetzung Mailands suchten auch andere Künstler neue Herren, Ambrogio und Jacopo zunächst bei den Habsburgern. Von Leonardos kurzem Aufenthalt in Venedig blieb für die Ewigkeit nur die intensive Unterhaltung mit dem kleinen Georg – Zorzo –, aus dem bald schon ein großer Georg werden sollte, nämlich der berühmte Maler Giorgione, der sehr stark von Leonardos Einsichten in die Techniken der Malerei, des sfumato, profitierte. In Venedig wurde Leonardo mit der neuen Technik der Radierung konfrontiert. Hier wurden nun seine Knotenmuster und das Emblem seiner Akademie gestochen und gedruckt, die vier Jahre später der junge Albrecht Dürer während seines zweiten Venedig-Aufenthaltes kennenlernen sollte. Am 24. April 1500 hielten sich Leonardo, Luca und die Mitarbeiter von Leonardos Bottega in Florenz auf, denn an diesem Tag hob er erstmalig 50 Golddukaten von seinem Konto beim Spital Santa Maria Nuova ab. Nach 18 Jahren kehrte er in die Stadt zurück, die am Anfang seiner Karriere gestanden hatte. Unterkunft fand er mit Luca und der Bottega bei den vermögen343

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den Servitenbrüdern von Santissima Annunnziata. Dass er dort Kost und Logis bekam, hat zu der Vermutung verführt, dass er das Gemälde Anna Selbdritt für die Mönche anfertigte. Die Serviten, deren Rechtsbeistand Leonardos alter Vater Piero di Antonio da Vinci war, der ihn im Laufe der Zeit mit zwölf Halbgeschwistern erfreut hatte, dürften zwar auf ein Werk des berühmten Künstlers gehofft haben, doch um die Anna Selbdritt kann es sich dabei wohl kaum gehandelt haben. Von dem Mailänder Treffen mit dem französischen König Ludwig XII. war Leo­nardo mit zwei Aufträgen zurückgekommen. Zum einen sollte er für Ludwigs Günstling Florimond Robertet d’Alluye eine Madonna anfertigen und zum anderen für den König selbst ein Ex-VotoBild der Heiligen Anna. Das Bildnis der Heiligen Anna war für die zweite Frau des Königs, Anna de Bretagne, gedacht. Beide Aufträge besaßen eine enorme politische Bedeutung, denn sollten sich die Franzosen festsetzen, wäre eine Rückkehr nach Mailand vielleicht doch möglich. Mit dem Norditalien beherrschenden französischen König durfte es sich Leonardo also nicht verderben. Während er die Ausführung des Bildes für Florimond Robertet d’Alluye, das später den Titel Madonna mit der Spindel erhielt, nach seinem Entwurf und mit seiner Hilfestellung weitgehend Salai überließ, hatte er schon in Mailand mit Skizzen und Entwürfen der Anna Selbdritt begonnen. Auffallend ist die Ähnlichkeit der Gebirgsformationen der Madonna mit der Spindel und der Anna Selbdritt. Den sogenannten Burlington House Cartoon, einen frühen Entwurf zum Gemälde hatte Leo­ nardo bereits nach Florenz mitgebracht. Er lässt sich hinsichtlich der Gesichter nahe am fertigen Gemälde verorten, aber unterscheidet sich in der lockeren Anordnung der Figuren noch sehr von ihm. Es gibt verschiedene Skizzen, auf denen Leonardo mit einer stärker horizontalen oder vertikalen, schließlich pyramidalen Anordnung experimentierte und auf denen anfangs noch der Christus- und der Johannesknabe zu sehen sind. Doch schließlich wurde Johannes ikonographisch durch das Lamm er344

18. Hofkünstler in einer Republik

setzt, das in seiner Doppelbedeutung sowohl für Johannes steht als auch auf die Passion hinweist. Die Skizzen belegen, dass Leonardo spätestens seit dem Abendmahl seinen Arbeitsstil konsequent in die allmähliche Verfertigung des Bildes verschob. Sie geschah über das Ausprobieren verschiedener Anordnungen in Skizzen. Leonardo ließ sich Zeit und suchte mit immer neuen Ideen nach der perfekten Lösung. So, wie er in der Mechanik mittels Experimenten nach Resultaten suchte, wie er durch Versuche der Natur ihre Geheimnisse zu entreißen trachtete (dazu gehörten auch die Sektionen, die genau genommen stets eine Versuchsanordnung darstellten), ging er nun mit dem Silberstift vor, um die richtige Bildlösung durch immer neue Skizzen zu finden. Die Skizzen wurden für seine Malerei wichtig, wie die Experimente für seine Erforschung der Natur waren. In Florenz befand er sich in einer komfortablen, aber zugleich unglücklichen Lage. Für den Günstling des Königs hatte er ein Bild zu malen, für den König selbst auch, Isabella d’Este bedrängte ihn, zumal ihr Mann die zweite Porträtzeichnung von ihr unglücklicherweise verschenkt hatte, und auch die Mönche mussten für ihre großzügige Aufnahme mit einem Bildwerk entlohnt werden – und dabei hatte Leonardo nicht die geringste Lust zu malen. Um den Verpflichtungen zu entgehen, gönnte er sich zu Beginn des Jahres 1501 einen kurzen Aufenthalt in Rom und Tivoli, um antike Bauwerke und Statuen zu besichtigen. Isabella, die es nicht gewohnt war, dass ihr etwas versagt wurde, setzte den Karmeliterpater Pietro da Novellara auf Leonardo an. Am 3. April berichtete er der Markgräfin aus Florenz: »Das Leben Leonardos ist wechselhaft und höchst unbeständig, so dass es scheint, er lebe ohne jeden Plan. Seitdem er in Florenz ist, hat er nur eine Skizze auf Karton gemacht. … Sein ganzes Streben gehört der Geometrie, für den Pinsel hat er überhaupt keine Geduld.«308 Der Generalvikar der observanten Karmeliter wusste noch zu berichten, dass zwei seiner Schüler Bildnisse machten, wobei er gelegentlich mit Hand anlegte. Eines die345

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

ser Bildnisse dürfte die Madonna mit der Spindel gewesen sein. Daraufhin entspann sich eine gesellschaftliche Farce, zuweilen hatte sie etwas von einer Komödie, dann wieder zeigte sie sich als Drama: Isabella war inzwischen sogar bereit, Leonardo ohne Vorgaben freie Hand zu lassen, aber sie akzeptiert kein Nein. Der gute Karmeliterpater ging nun höchst diplomatisch vor. Salai wurde ins Vertrauen gezogen. Pietro da Novellara bat ihn, eine Unterredung mit dem Meister zu arrangieren. Salai erwies sich zwar als zuverlässig, aber vermutlich als nicht ganz billig. Kurz und gut, Salai brachte Leonardo zu Pietro da Novellara. Leonardo gab sich freundlich, aber auch als gequälter und gehetzter Mann, und vor allem blockte er erst einmal ab: »seine mathematischen Experimente haben ihn so sehr vom Malen abgelenkt, dass er den Pinsel nicht ertragen kann.«309 Die enge Gemeinschaft mit Luca Paciola mochte sich positiv auf seine Studien auswirken, auf die Fertigstellung seiner Aufträge tat sie es nicht. Im April 1501 stellte er den Karton der Anna Selbdritt öffentlich im Kloster der Serviten aus und ganz Florenz strömte herbei. Die öffentliche Aufmerksamkeit beruhigte die Serviten und sie lockerten den Druck auf Leonardo. Dessen Abneigung gegen die Malerei steigerte sich allerdings weiter und er gab seinem Hang zur Forschung noch stärker nach. Es wurde immer deutlicher, dass ihn nur ein neuer Gönner, ein anderer Fürst aus dieser Malaise erretten konnte. Auch die hartnäckige Isabella, die er mit Versprechungen zu beruhigen versuchte, die er in dem Augenblick, da er sie ausgesprochen hatte, schon wieder vergaß, setzte ihm mit einem persönlichen Brief und durch ihre Agenten weiter zu. Über Francesco Malatesta erhöhte sie sogar den politischen Druck auf Leonardo. Am 15. April 1502 wurde er 50 Jahre alt und sah sich vollkommen in der Defensive. Alles andere als beruhigend war, dass er zwar Geld von seinem Konto abhob, dass aber keine Einzahlungen eintrafen. In dieser Situation blieb ihm nur die Flucht. 346

19. In Diensten eines Monsters?

Leonardo, der Friedensfreund und Vegetarier, der die Gewalt verabscheute und den Menschen für ein grausames Tier hielt, trat ausgerechnet in die Dienste Cesare Borgias, von dem die Geschichte oder doch zumindest die Legende, das Bild eines Monsters zeichnet. Er diente diesem grausamsten aller grausamen Renaissanceherrscher Italiens, und zwar ausgerechnet als Kriegsingenieur, als Handlanger des Kriegstreibers. Noch heute erscheint diese Episode im Leben des Leonardo da Vinci so rätselhaft, dass man sogar geneigt war, in dem Maler am Hofe Cesare Borgias einen Geheimagenten in florentinischen Diensten zu sehen. Bereits bei seinen Zeitgenossen rief Cesare Borgia, der Sohn von Papst Alexander VI., widersprüchliche Gefühle hervor. Sie verachteten den grausamsten aller grausamen Parvenüs und zollten ihm zugleich Respekt gerade wegen seiner kompromisslosen Grausamkeit. Das Fehlen jeglicher Skrupel, die Schnelligkeit des Entschlusses, der beinahe schon ausgeführt, bevor er gefasst worden war, und die konsequente Politik, die er betrieb, die ohne jede Verhüllung nichts weiter und nichts anderes war als reine, nackte Machtpolitik, bildeten eine Ausnahme, obwohl in seiner Zeit eigentlich sogar in diesen Maßstäben politisch gedacht und gehandelt wurde. Schiebt man allerdings die Berichte über Cesares Gräueltaten für einen kurzen Moment beiseite, wird man erkennen, dass er gar keine andere Chance besaß, um zu einer Herrschaft, zu einem Königreich zu kommen. Die Borgias stammten aus Spanien, sie hatten in Italien keine Besitztümer. Politik war immer auch Familienpolitik und ihr Ziel bestand im Gedeihen der Dynastie. Starb ein Fürst, vererbte er seinem Sohn die Herrschaft. Doch starb ein Papst, wurde ein neuer Stellvertreter Christi gewählt. So oblag es jedem Papst, während seines Pontifikates die Existenz seiner Familie zu sichern. Rodrigo de Borgia, der sich als Papst Alexander VI. 347

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

nannte, hatte mit Vanozza de Cattanei eine Familie mit natürlichen Kindern gegründet, die er unterzubringen und deren Existenz er zu sichern trachtete. Obwohl er, wie berichtet wird, seine Tochter Lucrezia liebte, verheiratete er sie dennoch dreimal aus machtpolitischen Gründen, das erste Mal im Alter von elf Jahren. Nach zähen Verhandlungen mit den Katholischen Königen Spaniens, Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon, erreichte er, dass sein Lieblingssohn Giovanni Borgia eine Verwandte Ferdinands zur Frau bekam und zum reichen und mächtigen Herzog von Gandia aufstieg. Jofré, ein weiterer Sohn des Papstes, heiratete die Tochter des Königs von Neapel und kam damit in den Genuss von Besitztümern im Königreich. Die Könige von Neapel waren verwandt mit dem König von Aragon, sie entstammten der gleichen Familie. Für die spanischen Könige sollte sich der Coup des Borgiapapstes noch als sehr nützlich erweisen: Als nämlich der Konflikt zwischen den Portugiesen und Spaniern über den Besitz der neuen Länder, die ihre kühnen Seefahrer in Übersee entdeckt hatten, auf einen Krieg hinauslief, vermittelte Alexander VI. zwischen den beiden katholischen Staaten den Vertrag von Tordesillas. Im Jahr 1494 wurde in dem kleinen spanischen Ort die Aufteilung der Welt zwischen Portugal und Spanien entlang eines vom Papst festgelegten Längengrades beschlossen. Doch Cesare fühlte sich zurückgesetzt. Er hatte vom Vater eine Stellung erhalten, die ihm gar nicht lag, nämlich ein Kardinalsamt. Zu nichts eignete sich dieser Cesare Borgia weniger als zum Priester. Aber sein Bruder Giovanni, den der Vater ihm vorzog, stand ihm im Wege. Nach oder vor einem Gelage mit Cesare und anderen Freunden und Anhängern der Borgia hatte sich Giovanni mit seinem Reitknecht und einer vermummten Gestalt von Cesare verabschiedet, weil er noch ein Geschäft zu seiner Lust erledigen wollte. Giovanni, der Liebling der Götter, schwelgte in Affären, vor allem mit verheirateten Frauen, und war so der bestgehasste Feind der Ehemänner. Tage später, nach348

19. In Diensten eines Monsters?

dem er bereits vermisst worden war, fischte man seinen misshandelten und von Messerstichen verunstalteten Körper aus dem Tiber. Sein Mörder wurde nie entdeckt. Von den Sforza über die Orsini bis hin zu Cesare besaßen viele ein starkes Motiv – von den zahlreichen gehörnten Ehemännern ganz zu schweigen. Doch es scheint nach allem die wahrscheinlichste Erklärung zu sein, dass Cesare seinen eigenen Bruder tötete, denn nun begann sein kometenhafter Aufstieg. Der Tod des Lieblingssohnes warf den Papst nicht nur in Schwermut und Verzweiflung, sondern machte ihn zum Werkzeug Cesares, den er nun bedingungslos unterstützte. Alexander berief in heuchlerischer Absicht eine Kommission, die Pläne für die dringend erforderliche Kirchenreform erarbeiten sollte. Ämterkauf und Bestechlichkeit sollten geahndet werden. Interessant nur, dass Alexander selbst das Papstamt der Simonie verdankte. Den Priestern, Bischöfen und Kardinälen sollten eheähnliche Gemeinschaften und das Halten von Mätressen verboten werden. Alexander selbst hatte nicht im Mindesten vor, sich von Vanozza de Cattanei zu trennen. Schauspielern sollte in Zukunft der Zutritt zu den Palästen der Kirchenfürsten verwehrt und Orgien sollten untersagt werden. Doch Alexander veranstaltete im Vatikan weiterhin wilde Feste und ließ Komödianten ihren zügellosen Witz verbreiten. Verborgen hinter dem Schauspiel seiner Erschütterung über den Tod des Lieblingssohnes und der Komödie seiner Reformbemühungen ging er tatkräftig daran, in der Romagna ein Königreich für Cesare zu schaffen. Dazu nahm er den Kardinalshut von seinem Sohn zurück, was bis dahin undenkbar gewesen war: Ein Kardinal tritt nicht zurück, sondern stirbt als Purpurträger, wenn Gott den Zeitpunkt für gekommen hält. Stattdessen machte er Cesare zum Generalkapitän der Kirche, d. h. zum Oberbefehlshaber der päpstlichen Truppen. Zwar unterstand die Romagna offiziell dem Papst und gehörte zum Kirchenstaat, doch hatten lokale Machthaber die Herrschaft an sich gerissen. Gegen diese lokalen Despoten zog Cesare nun zu Felde. Er wur349

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de zum Fürsten in der Romagna und zum Würgeengel seiner Gegner, aber auch derjenigen, die gar nicht seine Feinde waren, sondern nur seinen undurchschaubaren Plänen im Weg standen. Doch Cesare, der obendrein das Wohlwollen des französischen Königs genoss, weil er ihm noch vor Kurzem bei der Annexion des Herzogtums Mailand gedient hatte, wollte Größeres: Er griff nach dem Herzogtum Urbino. Hätten seine treuen Diener nicht den als Kunstliebhaber und Förderer der Künste gerühmten Herzog von Urbino, der bewegungsunfähig an der Gicht litt, aus dem Palast getragen, versteckt und dann außer Landes gebracht, so hätte er die Einnahme seiner Stadt nicht überlebt. Cesare Borgia hatte ihn in eindeutiger Absicht, doch letzten Endes vergeblich, suchen lassen. Im Jahre 1502 war auch die Toskana vor den Ambitionen Cesare Borgias nicht mehr ­sicher. Er unterstütze eine Unruhe in Arezzo, um sich in den Besitz der Stadt zu bringen, und bedrohte dann Bologna. Der Fall Bolognas wäre nur die Ouvertüre für die Tragödie gewesen, die anschließend Florenz drohte. In dieser Situation schickte Pietro Soderini, der Gonfaloniere der Republik Florenz, seinen Sekretär Niccolo Machiavelli in diplomatischer Mission nach Urbino, um die Absichten Cesares und die diplomatischen Spielräume für Florenz zu erkunden. All das war Leonardo bekannt, so dass man vermutete, dass er sich im halboffiziellen Auftrag zu Cesare, dem Monster, begab. Jacob Burckhardt deutete Leonardo Entschluss, in Cesares Dienste zu treten, fast psychoanalytisch, indem er schrieb: »Die Welt stand ihm offen, wie vielleicht überhaupt keinem von allen damaligen Sterblichen, und wenn irgend etwas dafür spricht, dass in Lodovico Moro ein höheres Element lebendig gewesen, so ist es dieser lange Aufenthalt des rätselhaften Meisters in seiner Umgebung. Wenn Leonardo später dem Cesare Borgia und Franz I. gedient hat, so mag er auch an diesen das außergewöhnliche Naturell geschätzt haben.«310 350

19. In Diensten eines Monsters?

Die Erklärung für Leonardos Entschluss ist vielleicht viel einfacher und leuchtet auch ein in Bezug auf die Frage, weshalb er Cesare auf dem Höhepunkt seiner Macht wieder verließ – und sagt viel aus über Leonardos Welt. Diese Erklärung besteht darin, dass Leonardo nicht malen musste. Denn eines verlangte Cesare Borgia nicht von ihm: ein Bild. Noch handelte es sich bei seinem Tun nicht um Propaganda für seine Dynastie, sondern es ging erst einmal um die Schaffung seiner Dynastie. Was er benötigte waren Truppen, Söldner – und Kriegsingenieure. Und das kam Leonardo entgegen, der förmlich aus Florenz vor denen floh, die ihn bedrängten, Bilder für sie zu malen – Isabella oder die Serviten –, und schließlich vor seinem Konto, auf dem die Einnahmen ausblieben. Schaut man sich die Lage aus dem Blickwinkel der Zeitgenossen an, mit Leonardos Augen, aber auch aus der Sicht von Politikern wie Soderini oder Machiavelli, so zweifelte niemand daran, dass es Cesare Borgia gelingen würde, sein Königreich in der Romagna zu errichten und seine Dynastie zu gründen. Dass es schließlich anders kommen sollte, konnte niemand wissen. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt, als Cesare kam, sah und siegte – ein Mann, der sich nahm, was er wollte, und der Fürst sein würde. Von diesem aufgehenden Stern am Herrscherhimmel Italiens fühlten sich auch andere angezogen. Bei ihm gewann der florentinische Gesandte Niccolo Machiavelli wesentliche Einblicke in das Handwerk der Macht, die ihn befähigen sollten, das Buch vom Fürsten »Il Prinicipe« zu verfassen. Cesare Borgia bot Leonardo, was Leonardo sich am innigsten wünschte, eine Anstellung als Ingenieur, als Baumeister, und er eröffnete ihm die Chance, an seinem Hofe Hofarchitekt zu sein. Denn sollte sich der Papstsohn so durchsetzen, wie es 1502 den Anschein besaß, dann würde dieser Hof vielleicht sogar zum mächtigsten in Italien werden. Bedrängt, wie Leonardo war, versprach dieser Abenteurer ihm eine glänzende Zukunft. Im Sommer 1502 packte Leonardo einige Kleidung und Utensilien zusammen, doch die Werkstatt und viele seiner Hab351

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

seligkeiten blieben in Florenz. Er fuhr nach Urbino, um in den Dienst Cesares zu treten, den er, wie schon erwähnt, möglicherweise 1499 in Mailand persönlich kennengelernt hatte. Doch er nutzte die Reise auch, um das nördliche Mittelitalien kennenzulernen. Vor allem wollte er einen Eindruck bekommen von Cesares Reich, das sich da gerade bildete, um als Ingenieur und Baumeister sofort Vorschläge unterbreiten zu können. Nichts hasste Leonardo mehr, als unvorbereitet zu sein. Über Livorno reiste er zunächst in die kürzlich von Cesare eroberte Hafenstadt Piombino, in der er sich mit den Befestigungs- und Hafenanlage vertraut machte. Von dort ging es quer durch Italien nach Arezzo und dann über den Appenin nach Urbino. In Urbino entwarf er nebenbei einen Taubenschlag und kümmerte sich um die Sicherheit der Treppen. Nach einem Treffen mit Cesare reiste er nach Pesaro, von dort nach Rimini und schließlich nach Cesena. Danach stieß er wieder zu Cesare und begleitete ihm auf seinen Feldzügen. Hautnah erlebte er die Eroberung von Fossombrone, Perugia und Siena mit. Luca Pacioli, der ebenfalls zu Cesare Borgia kam – vielleicht zusammen mit Leonardo, vielleicht etwa später –, gewährt uns in einer Notiz Einblick in Leonardos Alltag in diesen Monaten: »Ceasar Valentino, Herzog von Romagna und gegenwärtiger Herr von Piombino, kam mit seinem Heer in den vergangenen Tagen an einen Fluss von ungefähr 24 Schritten Breite, und als es keine Brücke gab und auch kein anderes Verfahren, ihn sofort zu überqueren, als Holzscheite, alle von derselben Größe, das heißt 16 Schritt, da machte sein edler Ingenieur, ohne andere Mittel zu verwenden, weder Eisen noch Taue, aus diesen Holzscheiten eine Brücke, die vollkommen ausreichte, um das ganze Heer über den Fluss zu bringen.«311 Der edle Ingenieur war Leonardo. Leonardos Ansehen als Baumeister und Ingenieur, das er bei il Moro, bei Cesare Borgia, beim französischen König und auch in Florenz genoss, wird zu Unrecht immer wieder für viel zu unbedeutend gehalten. 352

19. In Diensten eines Monsters?

Den Herbst erlebte er in Imola. Künstlerische Frucht dieser Zeit sind Landkarten, auf denen er versuchte die Landschaft nicht schematisch, sondern in ihrer Morphologie, in ihrer Struktur wiederzugeben. Er stellte die Gegenden um Perugia, Siena und Arezzo aus der Vogelperspektive dar. Diese Zeichnungen sind Kunstwerke, aber zugleich für ihn selbst Vorarbeiten. Er erstellte einen Stadtplan von Imola und dachte mit Feder und Tinte über die Burg und die Befestigungsanlagen der Stadt nach. Aber er erlebte auch die Grausamkeit des Krieges und die persönliche Grausamkeit Cesare Borgias mit: Eine seiner Kreaturen ließ er, weil sie sein Missfallen erregt hatte, ohne Zögern in zwei Teile schneiden und als Warnung auf der Piazza von Cesena liegen, daneben ein Messer und einen Keil, wie sie die Metzger verwenden, um ein Schwein aufzubrechen. Im Frühjahr 1503 reiste Cesare auf dem Höhepunkt seines Ruhmes nach Rom, um mit seinem Vater zu sprechen, Leonardo jedoch kehrte nach Florenz zurück. Lange hatte er die Augen verschlossen vor der alltäglichen Bestialität und hatte sich in seine Arbeit vertieft. Doch irgendwann dürfte er begriffen haben, dass Gewalt für Cesare nicht mehr nur Mittel zum Zweck, sondern der Zweck selbst war. Dieser Glücksritter würde bestimmt keinen Musenhof begründen. So schied er vom Herzog von Romagna, wahrscheinlich ohne ihm Valet zu sagen, denn spätestens Anfang März war er wieder in der Arnostadt. Er brach wohl von Imola auf, als Cesare sich im Vatikan befand. Leonardo bewies damit einen guten Instinkt, denn stand Cesare Borgia gerade auf dem Zenit seiner Macht, so überschritt er ihn auch. Als Alexander, den das Fieber fraß, am 18. August 1503 starb, da brach Cesares Machtbasis weg. Er verlor seine Länder, musste zunächst aus Rom, dann aus Italien fliehen und fiel am 11. März 1507 in einem Gefecht, das er im Dienst eines Edelmannes am Fuße der Pyrenäen führte. Lucrezia Borgia wurde übrigens dem Herzog d’Este eine gute Ehefrau und Mutter seiner Kinder, eine Mäzenatin der Künste und Helferin der Ar353

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men. Bis zu ihrem frühen Tod 1519 – sie starb mit 39 Jahren im Kindbett – führte sie ein untadeliges Leben. Sie war wohl eher ein Opfer und Objekt der Familienpolitik von Vater und Bruder gewesen war als Mittäterin und Handelnde. Nach dem Kurzzeitpapst Pius III., einem Neffen des Humanistenpapstes Enea Silvio Piccolomini, wählten die Kardinäle den Todfeind der Borgias, Giuliano della Rovere. Er war aus dem französischen Exil zurückgekehrt und nannte sich nun Julius II. (1503–1513). Nach dem Eroberer »Alexander« spielte Giuliano della Rovere mit seiner Wahl des Namens auf Julius Cäsar an – die Zeiten blieben kriegerisch. Doch Julius wurde zum Mäzen von Donato Bramante und von Michelangelo, mit dem Leonardo allzu bald schon in das faszinierendste Duell der Kunstgeschichte eintreten sollte.

20. Die Schlacht der Giganten

Die Rückkehr nach Florenz konfrontierte Leonardo noch stärker mit der Tristesse seiner Existenz. Die Hoffnung, die er auf Cesare Borgia gesetzt hatte, war eine Illusion gewesen. Und in Florenz hatte sich nichts geändert: die Mönche drängten auf ein Bild, Isabella d’Este ließ nicht locker und auch das Gemälde der Anna Selbdritt für den französischen König harrte seiner Vollendung – obwohl Vollendung einem Euphemismus gleichkam, denn mehr als ein paar Skizzen und ein freilich vielfach umjubelter Karton, der ihn selbst aber nicht zufriedenstellte, existierten nicht. Die große Welt von Florenz war auch eine kleine. Unweit vom Haus des Vaters, von Ser Piero di Antonio da Vinci, wuchs Lisa Gheradini auf. Die Gheradini stammten aus dem ChiantiGebiet und lebten von der Pacht ihres nicht allzu großen Land354

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besitzes. Antonmaria, Lisas Vater, legte bei ihrer Geburt 1479 ein Konto beim Spital von Santa Maria Nuovo an, wo auch Leonardo ein Konto besaß. Der Vater wollte für Lisa eine Aussteuer zusammensparen, um sie gut verheiraten zu können. Sie wuchs zwar nicht in reichen Verhältnissen auf, besaß aber eine klare Vorstellung vom Leben und schien eines möglichst vermögenden Kaufmanns Frau werden zu wollen. Francesco del Giocondo wurde am 19. März 1465 als Spross einer reichen, auf sehr verschiedenen Gebieten – so auch im Sklavenhandel – erfolgreich agierenden Kaufmannsfamilie geboren, die eng mit den mächtigen Strozzis verbunden war. Francesco erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen, betätigte sich ebenfalls erfolgreich als Kaufmann und engagierte sich zu eigenem Nutzen in der Politik der Arnorepublik. 1495 ging der 30-jährige Kaufmann mit der 16-jährigen Lisa seine zweite Ehe ein, nachdem seine erste Frau, Camillia Rucellai, ein knappes Jahr zuvor verstorben war und ihm einen Sohn hinterlassen hatte. Lisa füllte ihre Rolle als Ehefrau eines erfolgreichen und vermögenden Kaufmanns umsichtig, klug, konsequent und durchsetzungsstark aus. Sie schenkte ihrem Mann sechs Kinder, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten: zwei Töchter, die ins Kloster gingen und Nonnen wurden, und zwei Söhne. Eine vorbildliche Florentiner Familie. Nach acht Jahren Ehe beschloss Francesco, für das neue Haus, in das die Familie zog, ein Porträt seiner Frau anfertigen zu lassen. Drei Monate zuvor war sie mit einem Sohn niedergekommen. Für Francesco standen neben anderen Florentiner Malern die jungen aufstrebenden Künstler Michelangelo und Raffael, der alte Botticelli und Leonardo zur Auswahl. Weshalb Francesco Leonardo beauftragte, darüber lässt sich nur spekulieren. Nicht nur Leonardos Ruf als großer Künstler, sondern auch der Karton der Anna Selbdritt, den Leonardo im Servitenkloster vor seinem kurzen Intermezzo bei Cesare Borgia ausgestellt hatte, beeindruckten Francesco wie ganz Florenz. In dem Moment, in dem Francesco del Giocondo sich anlässlich des Umzugs dazu 355

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

entschlossen hatte, ein Porträt seiner Frau anfertigen zu lassen, machte in Florenz die Nachricht die Runde, dass Messer Leonardo wieder in der Stadt sei. Außerdem kannte Francesco del Giocondo Leonardos Vater, der immer noch als Notar tätig war. So viele Überlegungen, so viele große angebliche Entdeckungen wurden geraunt und beschworen, wer alles in Wahrheit die Mona Lisa sein sollte: beispielsweise Caterina Sforza, die Nichte Lodovicos, die als selbstbewusste Herrscherin auch Cesare Borgia widerstand, oder Isabella d’Este. Allen romantischen Bemühungen zum Trotz bleibt es sicher, dass Francesco del Giocondo Leonardo damit beauftragt hat, seine Frau zu porträtierten. Doch genauso sicher ist es, dass heute nicht Mona Lisa del Giocondo auf dem berühmten Gemälde im Pariser Louvre zu sehen ist. Bestätigt wird das auch durch eine Randnotiz, die vor nicht allzu langer Zeit in einer Cicero-Ausgabe in Heidelberg entdeckt wurde, in der Machiavellis Sekretär Agostino Vespucci von Francescos Auftrag an Leonardo spricht. Von Raffael existiert eine Zeichnung, auf der mit hoher Wahrscheinlichkeit die wirkliche Mona Lisa, so wie sie 1503 ausgesehen hat, in Augenschein zu nehmen ist. Von diesem jungen Mädchen, das man auf Raffaels Skizze besichtigen kann, nahm Leonardos vielleicht berühmtestes Gemälde seinen Anfang. Doch im Laufe der Jahre veränderte es sich, denn Leonardo malte bis ans Ende seines Lebens an diesem Bild, einem Porträt, das sich ihm bis zum letzten Pinselstrich entziehen sollte: das Porträt eines Porträts, der Wunsch, sich durch das Abbild hindurch zum Bild, durch das Porträt zum Menschen an sich durchzumalen. Will man dieses Bild begreifen, so sollte man es nicht vorschnell in die Reihe der Porträts stellen und es nicht gleich mit dem Bild der Ginevra de’Benci oder dem der Cecilia Gallerani vergleichen. Stattdessen wird man dem Geheimnis der Mona Lisa auf die Spur kommen, wenn man voraussetzt, dass es ohne die Anna Selbdritt wohl keine Mona Lisa, zumindest nicht diese gegeben hätte. Die Mona Lisa ist das Pendant zur Anna Selbdritt. Doch dazu später, denn über Skiz356

20. Die Schlacht der Giganten

Unbekannter Künstler/Peter Paul Rubens Kopie nach Leonardos Angharischlacht, vor 1550 und um 1603

zen und eine erste Fassung kam Leonardo in diesen Wochen und Monaten nicht hinaus. Im Sommer waren wieder einmal seine Fähigkeiten als Kriegsingenieur gefragt, die er nur zu bereitwillig zur Verfügung stellte. Piero de’Medici hatte 1494 Pisa den Franzosen übergeben, und nachdem Karl VIII. sich 1495 aus Norditalien zurückziehen musste, proklamierten die Pisaner ihre Freiheit. Nun versuchten die Florentiner, Pisa zurückzuerobern. Am 19. Juni gelang es ihnen, die Festung Verrucola einzunehmen. Auf Betreiben Niccolo Machiavellis wurde Leonardo zu den Beratungen über die 357

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weitere Kriegsführung hinzugezogen und reiste auch zweimal ins Kriegsgebiet. Leonardos Pläne, den Flusslauf des Arnos zu verlegen, um den Pisanern die Versorgung im Falle einer Belagerung der Stadt abzuschneiden, und einen Kanal zu bauen, wurden von der Signoria gutgeheißen und in Angriff genommen. Doch die praktischen Schwierigkeiten des kostspieligen Projekts häuften sich, und als schließlich im Oktober 1504 ein heftiges Unwetter 80 Menschen das Leben kostete und es zu einer großen Überschwemmung kam, die von den aufgestauten Wassermassen verursacht wurde, stellte man das ehrgeizige Projekt wieder ein. 1509 musste sich die Pisaner am Ende aber doch ergeben. Als Piero Soderini, ein Mann mit einem sehr spröden Wesen, zum Gonfaloniere der Republik auf Lebenszeit – dem Dogen von Venedig vergleichbar – gewählt wurde, brach nach dem Sturz der Medici und den Wirren der Theokratie unter dem selbsternannten Propheten Savonarola für die Arnostadt eine Zeit der Prosperität und der politischen Stabilität an. Im Herbst 1503 erhielt Leonardo den Auftrag, ein großes Wandbild im Festsaal des Palazzo Vecchio zu schaffen. Soderini wollte aus dem Festsaal den Saal der Republik machen. Am 4. Mai 1504 wurde der Vertrag besiegelt. Um in Ruhe arbeiten zu können, verfügte die Signoria, dass Leonardo und seiner Werkstatt in dem herrlichen Kloster Santa Maria Novella (das ein Kruzifix von Giotto, Bilder von Agnolo Bronzino, die Dreifaltigkeit von Masaccio, die Ruccelai Madonna und Fresken von Domenico Ghirlandaio besaß) die Sala del Papa zur Verfügung gestellt wurde. Damit entkam Leonardo dem Druck der Servitenbrüder. Soderini und Machiavelli planten für die Ausgestaltung des Festsaals zunächst einen großen Altar mit einem Bild der Anna Selbdritt und gegenüber dem Altar den Sitz des Gonfaloniere unter einem Baldachin und einer Christusfigur – ein republikanischer Thron für den republikanischen Diktator. Rechts und links wollte Soderini das siegreiche Florenz verherrlichen, in358

20. Die Schlacht der Giganten

dem er gedachte, zwei Schlachten, die von der Republik in der Vergangenheit gewonnen worden waren, als große Wandbilder gestalten zu lassen: zum einen die Schlacht gegen Mailand, zum anderen die Schlacht gegen Pisa. In der Nähe des Dörfchens Anghari hatten 1440 die verbündeten florentinischen und päpstlichen Truppen die Mailänder unter dem berühmten Condottiere Niccolo Piccinio geschlagen. Um Leonardo eine genaue Vorstellung von dem zu vermitteln, was man von ihm erwartete, übersetzte Machiavellis Sekretär Agostino Vespucci die Darstellung der Schlacht durch den Dominikanergeneral und Humanisten Leonardo Dati aus den »Trophaeum Anglaricum«. Wie schon beim Abendmahl bildete Leonardo verschiedene Gruppen. Zwar existieren Skizzen und Kopien vom Karton, aber keine Gesamtdarstellung des Gemäldes. Doch zumindest lässt sich so viel rekonstruieren, dass sich rechts und links um die zentrale Szene Episoden aus der Schlacht, kämpfende Reiter und Fußsoldaten und die Ankunft einer Reiterabteilung gruppierten. Das trifft sich mit der Darstellung, die Machiavelli später in seiner »Geschichte von Florenz« wiedergab: »Der Kampf währte zwei Stunden, während derer bald die Florentiner, bald die Feinde Herren über die Brücke waren. Und obgleich bei diesem Kampfe die beiden Truppenmassen einander das Gleichgewicht hielten, so ward doch diesseits und jenseits der Brücke zum großen Nachteil Niccolós gestritten. Denn kamen seine Leute über die Brücke, so fanden sie den Feind in bedeutender Zahl: Er konnte sich dort auf dem geebneten Boden halten und die ermüdeten Truppen durch frische ersetzen. Gewannen aber die Florentiner die Brücke, so konnte Niccoló seine Streitkräfte nicht gehörig entwickeln noch benutzen, weil jenseits die Gräben und Dämme an der Straße ihn hinderten.«312

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Doch all das ist Beiwerk, sind Szenen, die die unnormale Normalität des Krieges, seine Grausamkeit und seinen Irrsinn zeigen und die zum eindrucksvollen Sinnbild zusammengefasst erst in der Gruppe um das zentrale Geschehen dargestellt werden: dem Kampf um das Banner. Dass der Titel des Regierungschefs der Republik Florenz Gonfaloniere lautet, also Bannerträger, stellte einen erwünschten Nebeneffekt dar. Denn derjenige, der schräg gegenüber vom Wandgemälde auf dem Thron der Republik sitzen würde, hätte das Banner der Republik gewonnen und es zu verteidigen, eingedenk des Sieges bei Anghari, einer Gegend übrigens, durch die Leonardo gezogen war, als er sich von Piombino zu Cesare Borgia begab. Noch viel konsequenter als in den seitlichen Gruppen, mit einer Zielstrebigkeit, die sich beinahe selbst zerstörte, konzentrierte Leonardo die Schlacht in der Reitergruppe, die um das Banner kämpfte. In diesen in den Kampf verstrickten Leibern von Pferden und Reitern war die gesamte Schlacht aufgehoben: Hier entschied sich Sieg oder Niederlage. Im Grunde geht man fehl, wenn man von einer Reitergruppe spricht, denn verbissen in den Kampf auf Leben und Tod stellen die Kämpfenden einen einzigen Körper dar, den Körper des Krieges, wie ein vielköpfiger Drache, der sich selbst bekämpft. Leonardo hatte den Punkt gefunden oder – wenn das denn überhaupt geht – sogar noch akzentuiert und konzentriert, aus dem die Linie, die Geschichte birst. Wilde Leidenschaft, tierische Instinkte, kaum noch etwas Menschliches, keinerlei Reflexion beherrschen die Kämpfenden, die von Lust, Schmerz, Zorn und dem Rausch des Blutes angetrieben werden. Das sind keine Überhöhungen, denn diese Zustände stellten sich ein in der Unübersichtlichkeit der Schlacht, in der man überlebte, sofern man tötete – denjenigen nämlich, der einen ebenfalls zu erschlagen trachtete. Psychische und physische Anstrengungen setzten bei den Kämpfenden, deren Kriegstätigkeit in Handarbeit bestand – Männer gegen Männer, in ein unübersichtliches Knäuel verwickelt –, große Mengen an Adrenalin frei. 360

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Aufrecht stehender Vogelschwingapparat 1487-1490, Feder und Tinte

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Hätte Leonardo dieses Gemälde fertiggestellt, es wäre große und erschütternde Kunst geworden. Und wäre der Saal so ausgemalt worden, wie es sich die Florentiner vorgestellt hatten, er wäre wohl einzigartig in der Welt. Nicht nur wegen der Größe von Leonardos Bild, denn die vorgesehene Höhe betrug 7 m und die Breite 17 m, sondern auch wegen des Malers, der die Schlacht von Cascina darstellen sollte: Michelangelo. Er hatte den Marmor, den Piero Soderini ihn angeboten hatte, angenommen und die berühmte Statue des Davids daraus gehauen. Unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit transportierte man den Koloss durch Florenz zum Palazzo della Signoria (Palazzo Vecchio). Durch diese Meisterleistung ging der Stern des jungen Michelangelo am Kunsthimmel von Florenz auf, so dass die Signoria beschloss, Michelangelo mit dem zweiten Fresko zu beauftragen. Man versprach sich nicht zu Unrecht davon den großartigen Wettstreit zweier außergewöhnlicher Künstler. Doch die beiden Genies mochten sich persönlich nicht nur nicht, sondern sie verabscheuten einander so heftig, wie es solche gegensätzlichen und zugleich unverträglichen Charaktere nur tun können. Eine Anekdote veranschaulicht das: Nicht unüblich für Florenz hatte sich bei der Kirche Santa Trinita eine Gruppe von Bürgern versammelt und diskutierte über die Auslegung einer Stelle in Dantes Divina Commedia. Die Erklärung der Dichtung war in Florenz Bürgersport und Michelangelo wurde gerühmt für seine Kenntnis der Commedia, die er auswendig konnte. Als Leonardo vorbeikam, bat man ihn um seine Meinung. Er hatte sich noch nicht geäußert, als Michelangelo gesichtet und von anderen aus der Gruppe gleichfalls um seine Meinung gebeten wurde. Leonardo erklärte daraufhin: »Michelangolo wird es euch erklären. Da es Michel­ agnolo nun so schien, als hätte er das gesagt, um ihn zu verhöhnen, erwiderte er erzürnt: ›Erkläre es nur du selbst, du hast doch ein Pferd gezeichnet und wolltest es in Bronze gießen, aber das brachtest du 362

20. Die Schlacht der Giganten

nicht zustande, und weil du dich schämtest, hast du’s dann sein lassen.‹ Nach diesen Worten wandte er sich um und ging weg. Lionardo blieb dort und wurde wegen dieser Worte rot.«313 In Lebensart und Kunstauffassung trennte sie alles: auf der einen Seite Leonardo, fein, auf sein Äußeres achtend, immer von Jünglingen umgeben, der niemals nur in die Öffentlichkeit ging, sondern stets einen Auftritt in der Öffentlichkeit inszenierte – auf der anderen Seite der mürrische, immer ein wenig zerzaust wirkende, auf sein Äußeres und auf die Sauberkeit seiner Kleidung keinen Wert legende Misanthrop Michelangelo, der am liebsten allein arbeitete – war er doch der einzige, der es ihm recht machen konnte. Leonardo hatte der Baukommission empfohlen, den David in eine Ecke der Loggia di Lanzi zu stellen, damit »die öffentlichen Zeremonien nicht gestört werden«,314 ihn also mehr oder weniger zu verstecken. Aber Michelangelo gelang es, dass man die riesige Statue vor dem Palazzo della Signoria postierte. Doch nun stellte der junge, sehr eigenwillige Künstler seinen Karton der Schlacht von Cascina fertig und verfügte sich sodann spornstreichs nach Rom, ohne auch nur einen Pinselstrich an der Saalwand auszuführen, weil Papst Julius II. der bessere Auftraggeber zu sein dünkte. Am 9. Juni notierte Leonardo auf zwei verschiedenen Blättern in der merkwürdigen Art karger Wiederholung, die ihm stets dann unterlief, wenn er ein Ereignis wegzuschieben und zu verdrängen trachtete, das ihn schwer traf: »Am Mittwoch um 7 Uhr starb Ser Piero da Vinci, am 9. Juli 1504, Mittwoch gegen sieben Uhr.« Und: »Am 9. Juli 1504, Mittwoch starb Ser Piero da Vinci, Notar beim Palast der Podestà. Mein Vater, um sieben Uhr. Er war 80 Jahre alt und ließ 10 Söhne und zwei Töchter zurück.«315

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Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

Einer von den zehn Söhnen war er – und der einzige, der in Ser Pieros Testament nicht bedacht wurde. Leonardos Zeilen wurden mehr als genug psychoanalytisch ausgelegt, so dass hier darauf verzichtet werden soll, denn man weiß so gut wie nichts über das Verhältnis des Malers zu seinem Vater. Außer mit dem großen Wandbild beschäftigte sich Leonardo mit der Planung von Befestigungsbauten in Piombino und vertiefte sich in die Studien zum Vogelflug, die ihn immer mehr faszinierten. Immer wieder begab er sich zu seinen Naturstudien in die Landschaft und beschäftigte sich zu dieser Zeit insbesondere mit dem Wasser und eben mit dem Vogelflug, wie Bemerkungen auf Skizzen belegen. »Wenn ein Vogel eine sehr große Flügelweite und einen kurzen Schwanz hat und in die Höhe steigen will, dann wird er seine Flügel ziemlich hochheben und wird, Bögen beschreibend, den Wind unter seine Flügel bekommen. Dieser Wind wird, einen Keil bildend, den Vogel schnell hochtreiben, wie den cortone, den Raubvogel, den ich über dem Landgut des Barbiga gesehen habe, als ich am 14. März im Jahr 5 nach Fiesole ging.«316 Angeregt von den Studien arbeitete er an der Konstruktion von Flugapparaten. Allerdings scheiterte der Flugversuch am Monte Ceceri, dem Berg, der sich über Fiesole erhebt. Darüber hinaus trieb Leonardo am Spital Maria Nova seine Anatomiestudien weiter. Der Freitag im Juni, der kein 13. war, sondern der 6., wurde dennoch zum Unglückstag für Leonardo und für das gesamte Projekt der Angharischlacht, dessen er überdrüssig wurde. Man spürt aus seinen Notizen, wie er nach Gründen suchte, um sich aus dem Projekt zurückzuziehen. Denn alles, was nur an Ungemach und bösem Omen eintreten konnte, hatte sich ausgerechnet am 6. Juni zugetragen: »Schlag 13 Uhr begann ich im Palazzo zu malen. In dem Moment, als ich den Pinsel ansetzte, wurde das Wetter schlecht und die Glocke des Gerichts erklang, um die Leute zu den Verhandlungen zu rufen. Der Karton zerriss, das 364

20. Die Schlacht der Giganten

Wasser wurde verschüttet, und das Gefäß, in dem Wasser gebracht wurde, zerbrach. Und sogleich wurde das Wetter schlecht, und es regnete bis zum Abend in Strömen und es blieb so dunkel wie in der Nacht.«317 Das klingt sehr nach den Theaterinszenierungen, nach den Effekten, die von ihm konstruierte Theatermaschinen hervorzurufen vermochten. Soderini, mit dem er sich nicht verstand, dessen grobschlächtige und allzu nüchterne Art er verabscheute, zahlte ihm 15 Dukaten im Monat, weil er ihm misstraute, ob er die Arbeit fertigstellte. Währenddessen hatte Michelangelo bereits eine Summe für die Fertigstellung bekommen, nur war der Schöpfer des David nicht mehr in der Arnostadt, sondern hatte die Arbeit an dem Gemälde, die nicht über Entwürfe und einen Karton hinausgekommen war, abgebrochen. Leonardo, der treu und brav arbeitete, durfte sich verhöhnt vorkommen, mehr noch durfte er sich diese Behandlung nicht gefallen lassen, wenn er nicht seinen stato mindern wollte. So kam ihm die Einladung des französischen Statthalters von Mailand, Charles d’Amboise, gerade recht. Im Mai erteilte Piero Soderini – äußerst ungern – Leonardo die Erlaubnis, für drei Monate nach Mailand zu gehen. Charles d’Amboise liebte Leonardos Arbeiten und bewunderte den Künstler aufrichtig. Besser hätte es Leonardo nicht treffen können. Zunächst kam er im Schloss unter und wurde als Architekt und Autor, Organisator und Ausstatter von Festen in den Dienst des Gouverneurs genommen. Charles d’Amboise verstand es zu leben, er sprach mit großem Genuss dem Wein wie der Liebe zu. Der Gouverneur beauftragte Leonardo damit, ein Sommerschloss für ihn vor den Toren der Stadt zu errichten, auch ein Oratorium wurde in Auftrag gegeben. Feste und Theateraufführungen fielen wieder in seinen Tätigkeitsbereich. Außerdem trat der junge Adlige Francesco Melzi in seine Werkstatt ein, derjenige, der ihm bis zum Ende seines Lebens als Mitarbeiter, als Sekretär, als Famulus treu dienen sollte und sich schließ365

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

lich nach dem Ableben des verehrten Meisters unschätzbare Verdienste um die Sicherung des Nachlasses erwarb. Im Oktober beschwerte sich Soderini bei Charles d’Amboise, dass Leonardo nicht wie versprochen innerhalb von drei Monaten zurückgekehrt sei. Amboise nahm Leonardo nicht nur in Schutz, sondern führte in einer eleganten Wendung Soderini vor Augen, dass er seinem genialen Landsmann nicht den nötigen und wohlverdienten Respekt entgegenbrachte. Leonardo hegte nicht die Absicht, nach Florenz zurückzugehen, und Amboise wollte den genialen Mann auch nicht verlieren. Im Jahr 1507 musste er dann doch zumindest für eine überschaubare Zeit an den Arno zurückkehren, weil sein geliebter Onkel Francesco verstarb. Er hatte dem Onkel Geld geliehen und dieser hatte ihn in seinem Testament bedacht, das nun die Halbbrüder anfochten. Der langwierige Prozess darüber ging letztlich zum Nachteil von Leonardo aus, der damit von seinen Halbbrüdern vollends um sein Erbe geprellt wurde. Die Fortsetzung der Arbeit an der Angharischlacht hatte sich mittlerweile erledigt, da sich aufgrund einer falschen Mischung oder verdorbenen Leinsamenöls die Farbe von der Wand löste. Wieder in Mailand zurück trieb Leonardo weiterhin Anatomiestudien gemeinsam mit Marcantonio della Torre, dem Medizinprofessor an der Universität Pavia. Die meisten seiner Zeichnungen zur Anatomie entstanden zwischen 1506 und 1510. Das Jahr 1508 sah ihn noch einmal für kurze Zeit in Florenz, letztmalig, um den Bildhauer Giovanfrancesco Rustici bei der Herstellung der Bronzefiguren für das Baptisterium zu unterstützen und seinem lahmenden Prozess um das Erbe aufzuhelfen. In all den Jahren zwischen 1505 und 1512 arbeitete er intensiv weiter an der Anna Selbdritt, der Mona Lisa und an Leda mit dem Schwan. Mindestens den Fortgang der Gemälde Anna Selbdritt und Mona Lisa wird man in ihrer Parallelität begreifen müssen, auf zwei Staffeleien stehend, vielleicht sogar einander zugewandt. 366

21. Das Bild der Familie

Leonardo besaß keine Familie, er heiratete nicht und zeugte keine Kinder, doch bei näherem Hinsehen lebte er nicht allein, sondern in der Familie seiner Werkstatt, der Bottega. Die widersprüchlichste Beziehung unterhielt er zu Salai, zuweilen war es eine Hassliebe und ein Liebeshass, doch von seiner Liebe zu diesem Schüler, der schließlich auch sein Mitarbeiter wurde, kam er nicht los. In mehrfacher Weise stand Salai mit den letzten Werken Leonardos in Verbindung. So könnten die Mona Lisa und die Anna Selbdritt noch kurz vor Leonardos Tod nach Mailand gelangt sein und von dort etwas später wiederum zum französischen König; oder Salai profitierte vielleicht schon 1518 von dem Verkauf an Franz I., den König von Frankreich. Das verschollene Gemälde Leda mit dem Schwan fand sich jedenfalls erwähnt in Salais Inventar von 1525. Leonardos Bottega ging mit ihm auf Reisen, er pflegte ein inniges Verhältnis zu seinen Schülern, und Salai und Francesco Melzi blieben bei ihm. Andere, wie Tommaso Masini, genannt Zoroaster, fanden sich mit schöner Regelmäßigkeit ein. Im Jahr 1504 war sein Vater, im Jahr 1507 sein Onkel verstorben, mit den Halbbrüdern lebte er seither in Erbstreitigkeiten. Eine Notiz verrät, dass er mindestens einmal eine Kurtisane bestellte, wohl als Modell für die Leda. Es war nicht unüblich, dass bildende Künstler Prostituierte als Modelle beschäftigten: für Gewagtes und sehr Gewagtes. Sicher hat er auch heterosexuelle Praktiken ausprobiert, er, der sich heiß und innig wünschte, alles zu wissen. Als Zeichnender stellte er die Geschlechtsorgane im Gebrauch dar und erklärte sich in seinen Notizen die sexuelle Lust dadurch, dass sie wohl darüber hinwegtäuschen solle, dass die Körperorgane, die sie verursachen, so hässlich sind. Die Leda, die in drei Versionen von unterschiedlichen Malern überliefert ist – zwei davon direkt nach Entwürfen Leonar367

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

dos –, spielte mit einem antiken Thema, das zu dieser Zeit en vogue war. Malte Leonardo das Bild für sich selbst oder ging die Idee noch aus der letzten Zeit mit il Moro hervor? Oder hatte es der begeisterte Florentiner Kunstsammler und Bankier Antonio Segni bestellt, für den Leonardo eine Studie von Neptun mit zwei Seepferden angefertigt hatte und der ein großer Liebhaber der Antike war? Über die Landschaften, die in allen Bildversionen von Leonardo wenn nicht selbst skizziert, so doch inspiriert sind, lässt sich trefflich räsonieren, auch über die runden, sehr weiblichen, sehr venushaften Körperformen, doch ins Auge fallen die Kinder: Klytämnestra, Helena, Castor und Pollux, die entsprechend der Mythologie aus Eiern schlüpfen. Die Figuren – die junge Frau in mütterlicher Körperlichkeit, die Eier, die Kinder – spielen auf das Thema der Fruchtbarkeit an. Für Leo­nardo und seine Zeitgenossen bedeuteten Kinder soziale und gesellschaftliche Absicherung. Dürer beispielsweise war zwar verheiratet, doch besaß er keine Erben. Alles, was man über seinen Venedig-Aufenthalt weiß, erfuhr man durch die Briefe, die er dem Freund Pirckheimer nach Nürnberg schrieb. Sie gingen in den Nachlass der Familie ein und kamen so auf uns. Die vielen Mitteilungen hingegen, die er an seine Frau Agnes schrieb, gingen alle verloren. Wenn sich für Leonardo die Frage nach der Ewigkeit stellte, so lebte er eben nicht in seinen Kindern und Kindeskindern weiter, sondern nur in dem Gedächtnis der Nachwelt, das er selbst sich schuf. An der Anna Selbdritt arbeitete er von 1500 bis 1508/1510. Diejenigen, die für eine Spätdatierung plädieren, meinen sogar, dass er noch 1515 an diesem Bild gearbeitet habe. Was bewegte ihn und warum schloss er es über so lange Zeit nicht ab? Die zweite Frage ist leicht beantwortet: weil das Bild aus seiner Sicht perfekt sein musste, um Leonardo das Gedächtnis der Nachwelt zu verschaffen. Andernfalls wäre es leicht gewesen, es zu verkaufen an gutzahlende Kaufinteressenten wie Isabelle d’Este, der französische König oder Charles d’Amboise. Doch was heißt 368

21. Das Bild der Familie

perfekt? Sollte nur die Landschaft perfekt gelingen? Oder etwa nur die Anlage des Bildes? Die revolutionierende Pyramidalkonstruktion war jedenfalls nun gefunden. Raffael sah sie in Florenz bei Leonardo und profitierte davon. Auf dem Burlington House Cartoon, einer von Leonardos Vorstudien zur Anna Selbdritt, dem zweiten Bild, an dem Leonardo zu dieser Zeit arbeitete, sieht man Anna und Maria noch nebeneinandersitzen. Maria hält das Jesuskind auf dem Schoß, das den vor ihm auf einem grasbewachsenen Stein sitzenden Johannes anschaut. Die Anordnung ist schön, hat aber nichts Zwingendes. Auf Leonardos Gemälde aber sitzt Maria auf dem Oberschenkel ihrer Mutter Anna. Sie beugt sich vor, um den Jesusknaben festzuhalten, der ein Lamm zärtlich umarmt. Mit der wachsenden Beliebtheit der Anna im ausgehenden 15. Jahrhundert nahm auch das Motiv der Anna Selbdritt an Häufigkeit zu. Anna war zu einer Art Modeheiligen geworden, die man um Fruchtbarkeit bat. Sie war aber auch die Schutzheilige der Bergleute, zu ihr hatte Martin Luther bei Stotterheim gefleht und der Heiligen Anna in seinem Gebet versprochen, Mönch zu werden, falls er das Gewitter überleben sollte. Den Johannes der Vorstudie ersetzte Leonardo im Gemälde durch das Lamm. Es verwies sowohl auf den Täufer als auch auf die Passion Christi, doch darüber hinaus auch auf die Kindheit schlechthin. Das wird häufig übersehen, wenn man zu sehr auf die theologischen Konnotationen des Motivs fixiert ist. Das Lamm ist Kind wie der kleine Jesus. Noch eines fällt ins Auge: Die wunderbare Bewegung in dem Bild wird von dem kleinen Jesus verursacht. Weil er auf die Welt kam, weil er sich zum Lamm hin bewegt, ist Maria gezwungen, ihren Sohn zu halten und vor dem Sturz zu bewahren. Gott ist Fleisch geworden und kam als das Schwächste, nämlich in Gestalt eines wehrlosen Kindes auf die Welt. So, wie Anna um Maria bemüht ist, ist Maria um Jesus bemüht, und doch schaut auch Anna auf Christus. Mit jeder Geburt, mit jedem Kind, das auf die Welt kommt, beginnt die Erlösung von Neuem. 369

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

Was jedoch schon am Burlington House Cartoon überrascht, ist die Gleichartigkeit von Maria und Anna. Sie wirken eher wie Schwestern, wie Cousinen oder Freundinnen statt Mutter und Tochter. Natürlich kann man einwenden, dass Michelangelo in seiner wundervollen Pietà ja auch die Gleichartigkeit von Mutter und Sohn dargestellt habe. Die Maria seiner Pietà wirkt nicht älter als der Sohn, obwohl doch Maria, als sie die Leiche des 30-jährigen Sohnes auf ihren Knien beweint, mindestens 46 Jahre alt sein müsste. Das Argument, es handele sich um eine damalige ästhetische Konvention, geht in die Irre, denn Michel­ angelos Pietà hatte gerade deshalb einen handfesten Skandal ausgelöst, der nur mit sehr gewagten theologischen Konstruktionen beigelegt werden konnte. Maria habe die Tugend jung gehalten, mit diesem Argument suchten einige Theologen aus verständlichen Gründen Michelangelos Häresie freizusprechen und das Kunstwerk zu retten. Unübersehbar in Leonardos Gemälde ist das durch das sfumato erreichte Uneindeutige, Androgyne beider Figuren. Die Mundpartie der Anna ist ausgesprochen männlich. Hätte man ein Familienbildnis vor sich, dann nähme Anna die Rolle des Vaters ein und Maria die der Mutter. Ist dies also ein Familienbildnis? Anna als Stütze, als die wohl kräftigste Figur im Bild, Anna als Beschützer, Anna als Erhalter der Familie. Wie eine liebende Frau sitzt Maria auf Annas Oberschenkel und beide schauen liebevoll auf den Knaben, der sich über ein Tierkind freut. Unschuld, Idealität erzählt das Bild – und Ursprünglichkeit: Die Natur hinter der Dreiergruppe ist Natur und nicht Landschaft, denn an ihrer Gestalt hat der Mensch keinen Anteil. Was wir vor uns sehen, ist Gottes Schöpfung in reiner Gestalt. Der Erlöser betritt die Welt: »Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.« (Joh 1,14)

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21. Das Bild der Familie

An die Trinität ließe sich ebenfalls denken: Vater, Sohn und Heiliger Geist. In dieser Interpretation wäre Anna Gottvater und Maria der Heilige Geist, denn der heißt im Evangelium nach Johannes der Helfer, der Paraklet. Dies Evangelium hat Leonardo wohl am meisten geschätzt, man denke nur an das Abendmahl oder an den Johannes, den er malte. Auch wenn nicht der Evangelist Johannes, sondern Johannes der Täufer gemeint war, sind die Bezüge zum Evangelium nach Johannes unübersehbar. Und wie die Mutter Maria ihrem Kind hilft, so hilft der Paraklet den Menschen: »Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen.« (Joh 15,26) Die lockigen Haare des Jesuskindes erinnern an die kunstvollen Knoten, die Leonardo einmal für das Emblem seiner Akademie gemalt hat und die Donato Bramante einst beschrieb. Bei allem aber erzählt dieses Bild eines: Familie. Eine Familie, die sich Leonardo gewünscht haben mag. Eine Familie, die eine Idealität besitzt und die so natürlich wirkt, wie die zerklüftete Felslandschaft hinter ihr kraftvoll und ursprünglich ist, aus alter Zeit kommend und immer seiend. Leonardo malte eine ideale Welt, in der er die Unterscheidungen von Frau und Mann mit Hilfe des sfumato aufhob. Spitzfindige Theologen, der Bisexualität nicht abgeneigt, liebten die Auslegung des Satzes »Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn und schuf sie als Mann und Frau.« (1. Mose 1,27), wonach Gott Mann und Frau in eins ist. Wenn er Mann und Frau nach seinem Bild schuf, dann werden Mann und Frau in Gott wieder vereint und verlieren alle Geschlechtlichkeit. Diese Geschlechtlichkeit, zumindest ihre starren Grenzen, stellte Leonardo mit dem sfumato in Frage. Man vergleiche nur einmal die Füße von Anna und Maria, die Leonardo mittels ihrer sich kreuzenden Beine nebeneinandermalte. Diese Vorstellung schloss an eine ältere an, die Leonardo auch kannte: Platon ließ den Komödiendichter Aristo371

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

phanes den Mythos vom autarken Menschen erzählen, um Eros zu würdigen, der für ihn der »menschenfreundlichste unter den Göttern« ist.318 Aus seiner Sicht gab es »drei Geschlechter von Menschen, nicht wie jetzt nur zwei, männliches und weibliches, sondern es gab noch ein drittes dazu, welches das gemeinschaftliche war von diesen beiden, dessen Name auch noch übrig ist, es selbst aber ist verschwunden. Mannweiblich nämlich war das eine, Gestalt und Benennung zusammengesetzt aus jenen beiden, dem männlichen und den weiblichen, jetzt aber ist es nur noch ein Name, der zum Schimpf gebraucht wird.«319 Platons Vorstellung liegt Leonardos Anna in sublimer Form zugrunde. Doch diese mannweiblichen kugelförmigen Wesen mit ihren runden Rücken und der runden Brust besaßen vier Hände, vier Füße und zwei Gesichter – zwei Gesichter, die Leonardo mit Hilfe des sfumato in eins schob. Nach Platon existierten die drei Geschlechter, weil die Männer von der Sonne stammten, die Frauen von der Erde und das dritte Geschlecht vom Mond, der Anteil an Erde und Sonne hat. Doch dieser autarke Mensch erschien Zeus als zu mächtig, und so schnitt er ihn in der Mitte durch und ließ die Teile von Apollon in eine gute Form bringen. Seitdem suchen sich beide, Frau und Mann, und versuchen in der Umarmung wieder so vollkommen zu werden, wie sie es vor der Teilung waren. Damit sie nicht aussterben, verlegte Zeus die Geschlechtsorgane nach vorn. Mannweibliche wurden im Griechischen nun andrógynoi genannt. Marsilio Ficino begründete in seinem Werk »Über die Liebe oder Platons Gastmahl« seine Seelenlehre mit der Rede des Aristophanes über den Eros und die Androgynität, die er Landino referieren ließ.320 Und auch in den Überlegungen des Pico della Mirandola spielte diese Vorstellung im »Kommentar zu einem Lied der Liebe« eine Rolle.321 Die Liste der Beispiele könnte beliebig verlängert werden, aber hiermit soll es ein Bewenden haben. Was uns heute befremden mag, war den Philosophen, den Humanisten und auch Leonardo geläufig. In der zerstörten 372

21. Das Bild der Familie

Androgynität wurde auch in höchst sublimer und hoch konzentrierter Theorie die Trennung der Seele von Gott gesehen, die kein anderes Verlangen kennt, als sich wiederzufinden. In der Anna Selbdritt ereignet sich diese Wiedervereinigung, Mensch und Natur werden eins und die Trennung wird durch das sfumato überwunden. Die Natur, urwüchsig zwar, lieblich und rau zugleich, wirkt nicht mehr bedrohlich wie in der Felsengrottenmadonna. Das Porträt der Mona Lisa entstand parallel zur Anna Selbdritt, zwar mit einer leichten Phasenverschiebung zumindest am Anfang, doch näherten sich die Themen aneinander an. Sicher kann man, wie oft klug und gelehrt geschehen, dieses Porträt in den Kontext, in die Folge der Porträtgemälde Leonardos stellen, und so viel ist richtig daran, dass die Werke eine Künstlers immer im Zusammenhang seiner eigenen Biographie stehen. Die Mona Lisa unterscheidet sich aber grundsätzlich von dem Bildnis der Ginevra de’Benci, die den Betrachter direkt anblickt und mit ihm kommunizieren möchte. Mona Lisa will nur insofern mit uns kommunizieren, als sie uns verunsichern möchte. Sie unterscheidet sich von dem Porträt der Cecilia Gallerani, die mit einer Person in doppelter Weise kommuniziert, nämlich mit il Moro, und zwar mit ihrem Blick und mit ihren Händen, die den Hermelin halten. Mona Lisa setzt sich nicht in eine Beziehung, es geht ihr nicht um Liebe, nicht um Abhängigkeit, sie ist völlig autark. Die Natur hinter ihr ist Landschaft, von Menschen bearbeitet, ein Weg und eine Brücke lassen sich trotz aller Rauheit erkennen. In den Schleier, den sie trägt, wurde viel hineingeheimnisst, doch ist er lediglich Decorum und signalisiert, dass die Frau auf dem Bild verheiratet ist. Ihre Kleidung ist edel. Als Leonardo den Pinsel sinken ließ, leuchtete das ganze Bild stärker in aufhellenden Blautönen, die heutige Farbwirkung führt ein wenig in die Irre. Die Farbabstufungen in ihrem Fließen hatten eine ganz andere Kraft und wirkten nicht so dumpf wie heute, was am Firnis liegt. Man kann an dem Gemälde die unglaubli373

Kapitel 3: Die Zeit der Wirren (1499–1515)

che Raffinesse preisen, die vielen Firnisschichten erwähnen, mit denen Leonardo diese unendlich abgestuften, fließenden Übergängen erreichte, die unglaubliche Perfektion des Inkarnats. Zu den großen, ja schwierigsten Herausforderungen für die Maler der Renaissance gehörte es in der Tat, die vielfältigen Nuancen des Fleisches, der menschlichen Haut wiederzugeben. Ein genauer Blick auf den eigenen Arm oder die Hände vermittelt uns eine Vorstellung davon, wie viele Farbabstufungen in jedem Quadratzentimeter Haut stecken. Vielleicht hatte Leonardo gehofft, wenn sie vollkommen lebensecht gemalt wäre, stiege sie aus dem Bild von der Staffelei herunter. Vielleicht hatte er in Wachträumen gehofft, Menschen machen zu können. Aber was kann der Mensch, wenn er sich selbst fremd ist und sich nicht versteht? Einen genialen Trick hatte Leonardo zumindest angewandt: Der Blick von Mona Lisas Augen und von den Pupillen darin geht nicht in die gleiche Richtung. Während die Iris links an uns vorbeischaut, sind die Pupillen fest auf uns gerichtet. Es wurde behauptet, Leonardo habe bei jeder Überarbeitung die Mona Lisa hin zu sich gemalt, und darin liegt keine platte, sondern wohl eine tiefere Wahrheit. Leonardo startete einen einzigartigen Versuch, männliche und weibliche Schönheit zu vereinen. Viel wurde über das geheimnisvolle Lächeln der Mona Lisa geschrieben. Aber lächelt sie wirklich oder lässt sie uns nur glauben, dass sie lächelt? Der Ausdruck ihres Mundes wirkt an der provokanten Unentschiedenheit, ihrer habituellen Androgynität mit, denn Lächeln, Spott, Resignation, Melancholie und Distanz, ja, eine ungeheure Distanz sind in ihm vermalt. Diese Frau will uns nichts sagen, sie will nicht mit uns diskutieren, stattdessen befragt sie uns. Sie hat uns im Blick. Daran liegt es, dass wir uns ihr nicht zu entziehen vermögen. Aber zuallererst stellt sie ihre sanfte und deshalb so unerbittliche Frage nicht an uns, sondern an Leonardo. In der Mona Lisa hat Leonardo seine Lebensfrage gemalt. Deshalb ließ sie auch ihn nicht los. Im Traktat zur Malerei schrieb er, 374

21. Das Bild der Familie

»dass die Seele, die jeden Körper beherrscht und regiert, unser Urteil bildet, bevor es noch zu unserem eigenen geworden ist … Und ihr Urteil ist so mächtig, dass es dem Maler den Arm führt und ihn ein Abbild seiner selbst machen lässt, denn diese Seele glaubt, dies sei die einzig wahre Art, einen Menschen darzustellen, und wer es glaubt, dies sei die einzig wahre Art, einen Menschen darzustellen, und es nicht so macht wie sie, der macht einen Fehler.«322 Dem Anspruch will Leonardo entkommen, er will nicht ein Bild nach dem Empfinden seiner Seele malen, sondern sie selbst, sie, die ihn anblickt und beherrscht. Mit jedem Pinselstrich kommt er sich selbst näher, vermag er – für den das Malen Mittel zur Erkenntnis ist – sich immer stärker zu erkennen. Denn nach den alten Philosophen ist die Selbsterkenntnis die höchste Form der Erkenntnis. Deshalb wird er an diesem Bild bis zum Ende seines Lebens malen, wieder und immer wieder. Die Frage in den Augen der Mona Lisa lautet: »Wer bist du?«

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EPILOG: ICH, JOHANNES

Ein alter Mann im rechtsseitigen Profil, der auf einer vorstehenden Felskante sitzt, ferner Wasserstudien um 1510–1513, Feder und Tinte

Epilog: Ich, Johannes

Am 10. März 1511 starb Charles d’Amboise und mit ihm der vielleicht beste Gönner, den Leonardo je besessen hatte. Er wurde nur 37 oder 38 Jahre alt. Unter seinem Nachfolger im Amt des französischen Statthalters, Gaston de Foix, ließ es sich zumindest ganz passabel aushalten. Leonardo beschäftigte sich intensiv mit Flussläufen und kartographischen Studien. Der kriegerische Papst Julius II. – er war der Mäzen Michelangelos und auch Donato Bramantes, der für ihn durch den Abriss mittelalterlicher Stadtviertel die Via Giulia vom Vatikan zum Lateran schuf, was ihm den Beinamen Ruinante einbrachte, und der zudem den Neubau des Petersdoms nach Kassenlage vorantrieb – hatte die Heilige Liga mit Aragon und Venedig geschlossen, um die Franzosen aus Italien zu vertreiben. Am Ostersonntag 1512 unterlagen die Franzosen in der Schlacht von Ravenna, in der auch der junge Chevalier Gaston de Foix ums Leben kam. Leonardo fand in dieser Zeit der Wirren Unterschlupf im Landhaus von Francesco Melzis Vater Girolamo an den Ufern der Adda oberhalb des Dorfes Vaprio. Auch hier setzte er seine Wasserstudien fort. Verewigte sich Leonardo in der Zeichnung eines alten Mannes, der auf einer Felskante sitzt? Unterdessen zog Massimiliano Sforza, der Sohn von il Moro und Beatrice d’Este, in Mailand ein und nahm das Herzogtum wieder für die Sforzas in Besitz. An seiner Seite: Cesare, sein Halbbruder, der Sohn von il Moro und Cecilia Gallerani. Doch Leonardos Tage in Mailand waren gezählt. Im Gefolge des spanischen Generals Ramón de Cardona, der im Dienst der Heiligen Liga stand, zogen die beiden Söhne Lorenzos des Prächtigen, Kardinal Giovanni de’ Medici und sein Bruder Giuliano, zusammen mit ihrem Vetter Giulio, einem natürlicher Sohn ihres 1478 ermordeten Onkels Giuliano de’Medici, gen Florenz. Zwölf Tag gestattete der christliche General seinen Truppen, die christliche Stadt Prato, die zu Florenz gehörte, zu brandschatzen, nachdem er Machiavellis Milizen aufgerieben hatte. Das Bild, das sich den Medici bot, die keine 379

Epilog: Ich, Johannes

Möglichkeit hatten, einzugreifen und der grausamen Soldateska Einhalt zu gebieten, sollten sie nicht vergessen. Die Männer wurden geschändet und massakariert, die Frauen und Kinder, die sich in die Kirchen geflüchtet hatten, wurden von den Landsknechten aus den Gotteshäusern geschleift oder an Ort und Stelle vergewaltigt. Auch die Nonnen wurden nicht verschont und mussten den abartigsten Gelüsten der Söldner zu Willen sein. Schließlich öffneten die Medici den Frauen ihre Quartiere, aber viel zu spät. Als die Kunde von dem Massaker, dem Toben des »spanischen Furors«, Florenz erreichte, ließ sie die Stadt erschaudern. Die Bürger setzten Piero Soderini ab, um dieses Schicksal abzuwehren, und öffneten den Medici die Tore. Am 12. September 1512, nach 18 Jahren im Exil, zog Giuliano im vollen Ornat zusammen mit seinem Neffen Lorenzo wieder in seine Vaterstadt ein und wurde sofort von den führenden Familien als primus inter pares begrüßt, während Soderini bereits am 1. September ins dalmatinische Ragusa geflohen war. 14 Tage später zog auch Giovanni de’Medici unter großem Gepränge in seine Vaterstadt ein. Am 21. Februar 1513 starb Guiliano della Rovere, Papst Julius II., und Giovanni eilte nach Rom zum Konklave, das er am 11. März 1513 als Papst Leo X. verließ. Seinen Bruder Giuliano, einen liebenswürdigen, den Wissenschaften, aber auch der Alchemie und dem Okkulten zugeneigten Charakter mit mystischen Neigungen, der andererseits auch Wein, Weib und Gesang liebte, holte er nach Rom und machte ihn zum Generalkapitän der Kirche. Zwar war Giuliano alles andere als ein Kriegsmann, aber Leo X. wollte seinen Bruder bei sich haben. Um Florenz kümmerten sich derweil vor Ort Lorenzo und Giulio – und Leo X., der letztlich das Familienoberhaupt war und die Geschicke der Medici von Rom aus bestimmte. Giuliano, dem unter diesen Umständen im Grunde nur übrigblieb, seinen privaten Interessen nachzugehen, rief Leonardo zu sich nach Rom – und Leonardo, für den in Mailand kein Bleiben war, folgte der Einladung. 380

Epilog: Ich, Johannes

»Am 24. September 1513 verließ ich Mailand in Richtung Rom mit Giovanfrancesco de Melzi, Salai, Lorenzo und dem Fan­ foia«,323 so leitete Leonardo seine Aufzeichnungen über die letzte Etappe seines Lebens ein. Als er in Rom eintraf, hatte Michelangelo gerade die Fresken in der Sixtinischen Kapelle fertiggestellt. Leonardos Unterbringung sollte fürstlich sein, nämlich im Belvedere. In Rom beschäftigte er sich wieder mit der Anatomie und wurde deshalb sogar angezeigt. Er bastelte an allerlei grotesken Schauerlichkeiten, reiste mit Giuliano de’Medici, dem Oberbefehlshaber der päpstlichen Truppen, durch den Kirchenstaat, um die Befestigungsanlagen zu besichtigen und, wo es nottat, sie zu verbessern oder zu erneuern. Wieder war er als Architekt und Kriegsingenieur tätig. Aufträge zu Kunstwerken, zu Gemälden erhielt er entweder nicht oder er nahm sie nicht an. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich und seine Schaffenskraft ließ nach. In Rom zählte man ihn zu den Alten, geachtet zwar, aber zum Gestern, nicht mehr zum Heute gehörend. Michelangelo und Raffael wiederum gehörten zu den aufsteigenden Künstlern, die Leo X. protegierte. Donato, sein alter Freund, starb bereits am 11. April 1514 und folgte damit seinem Gönner Julius II. nach guter Jahresfrist. Der so begabte wie liebenswürdige Raffael hatte beide Künstler in seiner »Schule von Athen« porträtiert, Leonardo als Platon und Donato als Euklid. Schon einmal fanden sie sich konterfeit, als Donato in Mailand sich selbst als lachenden Philosophen und Leonardo als weinenden Philosophen gestaltet hatte: sich selbst als den Optimisten Demokrit und Leonardo als den Pessimisten Heraklit. Denn es hieß, während Demokrit über die Narreteien der Menschen lachte, soll Heraklit über sie geweint haben. Ein großes Projekt kam auf Leonardo zu, die Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe, doch daraus sollte nichts mehr werden, denn sein Gönner Giuliano de’Medici starb im Frühjahr 1516 in Florenz. Leonardo hatte aber im Dezember 1515 den französischen König Franz I. kennengelernt. Der lud nun den 381

Epilog: Ich, Johannes

alternden Künstler ein, nach Amboise zu kommen, um dort auf dem Landgut Clos Lucé nahe dem Schloss von Amboise als des Königs Maler und Architekt Quartier zu nehmen. Zu Christi Himmelfahrt 1517 traf er in Clos Lucé ein, nachdem er seinen Haushalt in Rom aufgelöst hatte. Eine Lähmung der rechten Hand deutet darauf hin, dass Leonardo wohl einen Schlaganfall erlitten hatte. Noch einmal versuchte er als Architekt, ein ideales und modernes bauliches Ensemble zu errichten. Er wollte so gern für den König ein Schloss schaffen, wie es noch nie eines gab, mit einem Park voller überraschender Wasserspiele. Indes, auch dazu kam es nicht mehr. Zwei Feste richtete er noch aus. Ein anderes, allerletztes Projekt konfrontierte ihn jedoch mit der größten Niederlage seines Lebens. Die Bücher, die er über die Malerei, die Architektur, die Anatomie, über den Flug der Vögel, über das Wasser und die Wolken, über die Mineralogie schreiben wollte, kurz: das Buch der Welt, das er in mehreren Bänden zu publizieren beabsichtigte, lag vor ihm in tausenden ungeordneten Fragmenten, in Notizen und Notizbüchern. Dass sich auf den einzelnen Blättern Skizzen und Texte zu unterschiedlichen Themen und Wissensgebieten befanden, machte die Angelegenheit keineswegs einfacher. Diesem großen, anarchischen Werk eine Ordnung zu geben, überstieg seine Kräfte. Leonardo scheiterte an der Systematik. Aber in diesem Scheitern verbirgt sich ein Teil des Rufes, den er in der Nachwelt hat. Die Unordnung in seinen Aufzeichnungen wurde für die Nachfolgenden zur Projektionsfläche, zur Möglichkeit, sich selbst teils unbemerkt in das Konstrukt einzubringen, das wir Leonardo nennen. Leo­ nardo ist übermenschlich, weil schon zu seinen Lebzeiten und noch bis auf den heutigen Tag so viele Generationen am Bilde Leonardos mitwirkten, diesem Bild Leben verliehen, darin eingingen. Leonardo ist also zugleich Person und Metapher für die Kreativität der Menschen. Als er am 2. Mai 1519 starb, war er bereits ein Mythos. Daran änderte sich bis heute nichts – und das wird es auch nicht, so lange jedenfalls nicht, solange eine eu382

Epilog: Ich, Johannes

ropäische Kultur existiert, die auf dem Christentum und auf der Aufklärung beruht. Leonardos Grab befand sich in der Kirche Saint Florentin in Amboise, bis es in den Religionskriegen im Ausgang des Jahrhunderts zerstört wurde. Es trug das Epitaph: »Im Kreuzgang dieser Kirche wurde beigesetzt: Meister Lionard de Vincy, Edler aus Mailand, erster Maler, Ingenieur und Architekt des Königs, Staatlicher Experte der Mechanik und ehemaliger Direktor der Malerei beim Herzog von Mailand. Ausgeführt am 12. Tag im August 1519.«324 Zu seinem Haupterben und alleinigen Testamentsvollstrecker bestimmte er Francesco Melzi – eine kluge Entscheidung. Salai, der nicht mehr bei ihm war und in Mailand geheiratet hatte, bekam die Hälfte des Grundstückes, das Leonardo in Mailand besaß, die andere Hälfte sein Diener. Auch seine Magd bedachte Leonardo in seinem Testament. Natürlich gingen die Armen und die Kirche nicht leer aus. Sehr genau schrieb er die Form seiner Beisetzung und seines Gedenkens vor. Er bat die Franziskaner, für ihn zu beten. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Leonardo als Christ gelebt hat und gestorben ist. Ein Freigeist war er nie, sah er doch in Gott den Schöpfer der Welt, der das Buch des Lebens verfasst hatte, das Leonardo zu entziffern suchte. Am Ende blieb nur ein Johannes, vielleicht sein letztes Gemälde? Aber was heißt »nur«, denn wenn er nur diesen geschaffen hätte, wäre es schon überreichlich: Ein junger Mann, selbstbewusst in die Welt schauend, Gottes Beistands gewiss, was seine Geste himmelwärts verkündet. Wenn Salai den Bacchus gemalt haben sollte, so wäre das ein entzückendes Spiel, Johannes und Bacchus, Leonardo und Salai. Eine Erinnerung an bessere Tage. Während Leonardo einen friedlichen Tod fand, so fand der »kleine Teufel« Salai einen gewaltsamen Tod. Er wurde am 29. Januar 1524 in Mailand erschlagen. 383

Epilog: Ich, Johannes

Eines noch: Immer wieder wurde und wird Leonardo dafür gerühmt, dass er spätere wissenschaftliche Entdeckungen und technische Lösungen antizipiert habe. Das ist nicht falsch, doch im geringeren Umfange richtig, als gemeinhin gedacht. Denn Leonardos metaphorische, unscharfe, zuweilen poetische Ausdrucksweise verleitet dazu, sie mit heutigem Wissen anzureichern oder zu konkretisieren. Noch immer wird das Erbe der Renaissance verkannt, wenn man eine gerade Linie unter der Überschrift Moderne bis in die Gegenwart zieht. Denn diese gerade Linie findet ihren Ausgangspunkt in der Zeit nach der Reformation, weil der Rationalismus die Universalität der Renaissance, ihr Analogiedenken, ihren großen Drang zu Synthesen beiseite schiebt und sie durch kalte Analytik ersetzt. Mit seiner Leidenschaft für die Geometrie und die Mathematik als Sprache der Wissenschaft befand Leonardo sich allerdings doch beinah schon in der Gesellschaft von Galilei und Kepler und träumte vom ordo geometrico eines René Descartes und Baruch de Spinoza. Leonardo hat einmal geschrieben: »Wenn ich glauben werde, das Leben zu lernen, dann werde ich das Sterben lernen.«325 Er hat beides vermocht. Wer also war Leonardo? Wenn wir es nur wüssten. Aber wüssten wir es, wäre er nicht mehr. Er bleibt das Rätsel, das wir durch unser Nachdenken über ihn und durch unsere Bücher nur weiter vergrößern. Er hat es klug angestellt.

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Carlo Vecce, 1998, S. 437. Giorgio Vasari, 2006, S. 45 f. Leonardo da Vinci, 1952, S. 917. Leonardo da Vinci, 1952, S. 917. Le vite, ed. Barocchi/Bettarini, S. 19. G. W. F. Hegel, 1981, S. 378 und S. 555. Henricus de Langenstein, Epistola de contemptu mundi ad Iohannem de Eberstein, http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_02653.html, 201605-27, 11.8.2016. Vgl. Glatz, 1981, S. 276 f. Zit. n. Alexander Heising, »Großbürgerliches Wohnen im mittelalterlichen Bingen – Die Stadtgrabung am Carl-Puricelli-Platz 1999/2000« (Übersetzung: S. Beissler, Universität Frankfurt a. M.), in: Dorfey, Stadt und Burg, 2008, S. 88 f. Zit. n. Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, Tübingen und Basel 1993, S. 125. Panormita, 1908, S. 18 f. Emil Möller, 1939, S. 71–73. Schlossmuseum Weimar, PC Band 2, o. J., S. 110, recto. Vgl. Martin Kemp und Giuseppe Pallanti, 2017, S. 87. Vgl. Martin Kemp und Giuseppe Pallanti, 2017, S. 85–99. Emil Möller, 1939, S. 74. Carlo Vecce, 1998, S. 25. Carlos Vecce sieht in Albiera die Tochter des Giovanni Amadori: »ser Piero, in quegli stessi mesi, doveva prepararsi al matrimonio con Albiera, di Giovanni Amadori, e cancellare del tutto l’avventura estiva dell’anno precedente.« A. a. O., S. 25. Rolf Helmut Förster, 1963, S. 40. Volker Reinhardt, 2018, S. 20. Beltrami, 1919, S. 1 f. Beltrami, 1919, S. 1 f. Beltrami, 1919, S. 2. Leonardo da Vinci, 1952, S. 23. Leonardo da Vinci, 1952, S. 22. Leonardo da Vinci, 1952, S. 916. Petrarca, 1995, S. 25. Immanuel Kant, 1979, S. 106. Leonardo da Vinci, 1952, S. 916, Dante 1974, S.15. Dante 1974, S. 15. Leonardo da Vinci, 1952, S. 916. Vgl. Kurt Flasch: 2010, S. 317−321; Kurt Ruh: 1989, S. 184−187; Josef Quint (Hrsg.): 1963, S. 449 f. Leonardo da Vinci, 1952, S. 916. Martin Kemp und Giuseppe Pallanti, 2017, S. 62–65. Leonardo da Vinci, 2002, S. 49, im Original: »Questo scriver si distintamente del nibbio par che sia mio destino, perché ne la prima ricordazione della mia infanzia e’mi pare che essendo io in culla, che un nibbio venissi a me 387

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e mi aprissi la bocca colla su coda, e molte volte mi percotessi con tal coda dentro alle labbra«. Leonardo da Vinci, 2002, S.49 Charles Nicholl, 2006, S. 64 f. Niccolo Machiavelli, 1984, S. 378. Daniel Arasse, 2005, S. 38 f. Zit. n. Paul Richard Blum: Einleitung, in: Marsilio Ficino, 2004, S. XVII. Giovanni Pico della Mirandola, 1990, S. 25. Codex Hermeticum, 1997, Teil I, S. 259 f. Codex Hermeticum, 1997, Teil I, S. 127. Leonardo da Vinci, 1952, S. 507. Codex Hermeticum, 1997, Teil I, S. 88. Codex Hermeticum, 1997, Teil II, S. 349. Jacob Burckhardt, o. J., S. 94. Paul F. Grendler, 1989, S. 310 f. Giannozzo Manetti, 1990, S. 93. Giannozzo Manetti, 1990, S. 95. Anthony Grafton, 2002, S. 19. Jacob Burckhardt, o. J., S. 95. Leon Battista Alberti, 2000, S. 293. Vgl. u. a. Leonardo da Vinci, 2011, S. 217–270. Jacob Burckhardt, o. J., S. 96. Giorgio Vasari, 2012, S. 11. Leonardo da Vinci, 1952, S. 914, Walter Isaacson, 2017, S. 33. Paula Barocchi, 1971, 1. Bd., S 7–9. Carlo Vecce, 1998, S. 361. Giorgio Vasari, 2006, S. 22. Giorgio Vasari, 2013, S. 21. Legenda Aurea, 2004, S. 192 f. Bernhard von Clairvaux, 1993, Bd. 4, S. 13 ff. Legenda Aurea, 2004, S. 193. Legenda Aurea, 2004, S. 193. Legenda Aurea, 2004, S. 194. Beltrami, 1919, S. 7. Beltrami, 1919, S. 3, Nr. 5. Charles Nicholl, 2006, S. 167 f. Charles Nicholl, 2006, S. 168. Plinius der Ältere, 1997, Nr. 65 f. Plinius der Ältere, 1997, Nr. 66. Giorgio Vasari, 2009, S. 37. Lorenzo de Medici, 1998, S. 97. Matteo Franco, 1990, S. 73, Nr. II. Carlo Pellegrini, 1912, S. 36, Luigi Pulci, 2008, S. XXXI f. Luigi Pulci, 2008, S. XXXII. Übersetzung zitiert nach: Daniel Arasse, 2005, S. 36. Leonardo da Vinci, 2002, S. 54. Leonardo da Vinci, 1952, S. 899. Angelo Poliziano, 1929, S. 167, Nr. 319. Marsilio Ficino, 2004, S. 167. Marsilio Ficino, 2004, S. 297.

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Marsilio Ficino, 2004, S. 229. Marsilio Ficino, 2004, S. 229. Marsilio Ficino, 2004, S. 229. Marsilio Ficino, 2004, S. 293. Niccolo Machiavelli, 1984, S. 421. Niccolo Machiavelli, 1984, S. 421. Niccolo Machiavelli, 1984, S. 429. Niccolo Machiavelli, 1984, S. 429. Zit. n. Ingeborg Walter, 2003, S. 158 Luca Landucci, 1912, S. 32. Luca Landucci, 1912, S. 32 f. Luca Landucci, 1912, S. 33. Leonardo da Vinci, 1952, S. 174. Leonardo da Vinci, 1952, S. 177. Leonardo da Vinci, 1952, S. 173. Aristoteles, 1983, S. 5, Nr. 184 a. So auch in dem schönen Buch von Stefan Klein, dessen Leonardos »Erfindung der Welt« ohne Töne auskommen muss. Johannes Kepler, 2006, S. 88. Johannes Kepler, 2006, S. 315. Johannes Kepler, 2006, S. 315. Johannes Kepler, 2006, S. 87. Carlo Vecce, 1998, S. 60. Vgl. hierzu u. a. Edmond Vansteenberghe, 1920, S. 237.250 ff.256–258.260. Eugenio Garin, 1961, S. 395. Vespasiano da Bisticci, 1995, S. 338. Vespasiano da Bisticci, 1995, S. 338. Aristoteles, 1986, S. 7, Nr. 403 a. Aristoteles, 1986, S. 7, Nr. 403 a. Aristoteles, 1986, S. 7, Nr. 403 a. Leonardo da Vinci, 2002, S. 59. Beltrami, 1919, S. 5, Nr. 10. Giovanni Pico della Mirandola, 1990, S. 53. Giovanni Pico della Mirandola, 1990, S. 55ff. Legenda aurea, 2004, S. 582. Hieronymus: An Eustachium, 1936, S. 37. Hieronymus: An Eustachium, 1936, S. 37. Hieronymus: An Eustachium, 1936, S. 37. Walter Isaacson, 2017, S. 84. Beltrami, 1919, S. 7, Nr. 15. Leonardo da Vinci, 2011, S. 164. Leonardo da Vinci, 2011, S. 122. Leonardo da Vinci, 2011, S. 122. Leonardo da Vinci, 2011, S. 165 f. Leon Baptista Alberti, 2000, S. 237. Rupprich, Dürer II, S. 106. Meister Eckhart, 1979, S. 273. Legenda aurea, 2004, S. 80. Legenda aurea, 2004, S. 80. Frank Zöllner, 2007, S. 59. Giorgio Vasari, 2006, S. 22. 389

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Giorgio Vasari, 2006, S. 17. Leonardo da Vinci, 2002, S. 65. Giorgio Vasari, 2006, S. 29. Giorgio Vasari, 2006, S. 22. Karlheinz Stierle, 2003, S. 663. Karlheinz Stierle, 2003, S. 668. Petrarca, 2002, S. 585. Petrarca, 2002, S. 627. Petrarca, 2002, S. 657. Petrarca, 2002, S. 661. Petrarca, 2002, S. 667. Petrarca, 2002, S. 673. Leonardo da Vinci, 2002, S. 65. Petrarca, 2002, S. 549. Dante, 1963, S. 51, Inferno Terzine 112. Leonardo da Vinci, 2002, S. 66. Ovid, 2010, S. 823. Ovid, 2010, S. 677. Leonardo da Vinci, 2002, S. 65. Vgl. Klaus-Rüdiger Mai, 2014, Lettre International S. 54-58. Carlo Vecce, 1998 S. 75 f. Leonardo da Vinci, 2002, S. 73. Baldassare Castiglione, 1986, S. 163. Leonardo da Vinci, 2002, 73 f. Frank Zöllner, 2007, S. 254. Leonardo da Vinci, 2011, S. 375. Leonardo da Vinci, 2011, S. 380. Leonardo da Vinci, 2011, S. 305. Leonardo da Vinci, 2002, S. 77. Leonardo da Vinci, 2002, S. 76. Leonardo da Vinci, 2002, S. 76 f. Giorgio Vasari, 2006, S. 21. Ulrich Horst, 2008, S. 53–76. Beltrami, 1919, S. 13, Nr. 26. Leonardo da Vinci, 2007, S. 223 f. Legenda aurea, 2004, S. 525. Neutestamentliche Apokryphen, 1990, Bd. I, S. 348. Leonardo da Vinci, 2011, S. 52. Franz von Assisi, 1999, S. 122. Leonardo da Vinci, 1952, S. 833 f. Leonardo da Vinci, 1952, S. 704. Leonardo da Vinci, 1952, S. 834, Leonardo da Vinci, 1952, S. 704 f. Leonardo da Vinci, 1952, S. 154. So noch in der Lutherbibel von 1999, in der Lutherbibel 2017 wurde Pest durch Tod ersetzt. Leonardo da Vinci, 1952, S. 866. Leonardo da Vinci, 1952, S. 614 f. Leonardo da Vinci, 1952, S. 615. Leonardo da Vinci, 1952, S. 480. Leonardo da Vinci, 1952, S. 373. Ovid, Metamorphosen, Fünfzehntes Buch, S. 817.

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Leonardo da Vinci, 2002, S. 84. Jacob Burckhardt, o. J., S. 159. Leonardo da Vinci, 1952, S. 803 f. Leonardo da Vinci, 2002, S. 81. Leonardo da Vinci, 2002, S. 82. Leonardo da Vinci, 2002, S. 82. Leonardo da Vinci, 2002, S. 78. Leonardo da Vinci, 1952, S. 803. Leonardo da Vinci, 1952, S. 804. Leonardo da Vinci, 2002, S. 84. Leonardo da Vinci, 1952, S. 204. Leonardo da Vinci, 1952, S. 86 f. Leonardo da Vinci, 2011, S. 165. Leonardo da Vinci, 2011, S. 287. Leonardo da Vinci, 2011, S. 287. Leonardo da Vinci, 1952, S. 121. Vgl. u. a. Marsilio Ficino, 2004, S. 105 ff. Leonardo da Vinci, 1952, S. 98 f. Leonardo da Vinci, 1952, S. 98. Leonardo da Vinci, 1952, S. 58. Aristoteles, 1997, S. 150. Leonardo da Vinci, 1952, S. 114 f. Leonardo da Vinci, 1952, S. 52. Leonardo da Vinci, 1952, S. 32. Leonardo da Vinci, 1952, S. 857. Niemand weiß, wer der Autor dieses Satzes ist, auch wenn er wahlweise Galen, Theophrast oder Aristoteles zugeschrieben wurde. Vielleicht wollte sich der Autor über das Kapitel »Was den Geschlechtsverkehr betrifft« in den Problemata des Aristoteles lustig machen: Aristoteles, 1962, IV. Buch, S. 48-58. Leonardo da Vinci, 2002, S. 95. Leonardo da Vinci, 2002, S. 230. Leonardo da Vinci, 1952, S. 32. Leonardo da Vinci, 2011, S. 296 ff. Leonardo da Vinci, 2002, S. 101. Leonardo da Vinci, 1952 ,S. 867. Leonardo da Vinci, 1952, S. 866. Leonardo da Vinci, 2002, S. 99. Leonardo da Vinci, 1952, S. 858. Leonardo da Vinci, 1952, S. 862 f. Leonardo da Vinci, 1952, S. 824. Leonardo da Vinci, 1952, S. 822. Leonardo da Vinci, 1952, S. XXI. Jacob Burckhardt, o. J., S. 159. Leonardo da Vinci, 1952, S. XXII. Luigi Pulci, 2008, 2. Bd., S. 468. Luigi Pulci, 1759, S. 144. Luigi Pulci, 2008, 1. Bd., S. 3 f. Luigi Pulci, 1759, S. 144. Luigi Pulci, 2008, 4. Bd., S. 432. Luigi Pulci, 2008, 4. Bd., S. 432.

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»Oder, was ein noch stärkerer Beweis als dieser für die schöne Stufenordnung der Engel ist, daß die Cherubim das Feuer in die Hände jenes legen, der mit dem weißen Kleide angetan ist.« Dionysios Aeropagita, 1911, S. 49. Luigi Pulci, 2008, 4. Bd., S. 432. Leonardo da Vinci, 1952, S. 819ff. Zit. n. Frank Zöllner, 2007, S. 98. Zit. n. Frank Zöllner, 2007, S. 98. Leonardo da Vinci, 2011, S. 305. Leonardo da Vinci, 2011, S. 305. Leonardo da Vinci, 2011, S. 305. Leonardo da Vinci, 2011, S. 304. Leonardo da Vinci, 2011, S. 304 f. Leonardo da Vinci, 2011, S. 303. Leonardo da Vinci, 2011, S. 329. Leonardo da Vinci, 1952, S. 841. Leonardo da Vinci, 2002, S. 86. Leonardo da Vinci, 2002, S. 88. Leonardo da Vinci, 2002, S. 89. Leonardo da Vinci, 2002, S. 89. Zit. n. Daniel Arasse 2005, S. 227. Leonardo da Vinci, 2002, S. 98. Hugo Rahner, 1992, S. 65. Dichtung der italienischen Renaissance, 1949, S. 60. Dichtung der italienischen Renaissance, 1949, S. 63 f. Ovid, Metamorphosen, Zehntes Buch, S. 242. Ovid, Metamorphosen, Zehntes Buch, S. 242. Ovid, Metamorphosen, Zehntes Buch, S. 244. Dichtung der italienischen Renaissance, 1949, S. 65 f. Ovid, Metamorphosen, Zehntes Buch, S. 244. Dichtung der italienischen Renaissance, 1949, S. 66. Dichtung der italienischen Renaissance, 1949, S. 66. Luca Beltrami, 1919, S. 25, Nr. 36. Luca Beltrami, 1919, S. 27 f., Nr. 37. Otto H. Förster, 1956, S. 104–111. Leonardo da Vinci, 2002, S. 92. Klaus-Rüdiger Mai, 2014, S. 56. Daniel Arasse, 2005, S. 247. Zit n. Frank Zöllner, 2007, S. 90. Charles Nicholl, 2006, S. 323 f. »Vedi che in Corte fa ar di metallo/Per la memoria di padre un gran colosso«, zit n. Charles Nicholl, 2006, S. 325 f. Charles Nicoll, 2006, S. 324. Leonardo da Vinci, 2011, S. 147. Leonardo da Vinci, 2011, S. 382. Leonardo da Vinci, 2011, S. 382. Leonardo da Vinci, 2011, S. 382. Leonardo da Vinci, 2002, S. 93. Leonardo da Vinci, 2002, S. 93. Leonardo da Vinci, 2002, S. 93 f. Luigi Pulci, 2008, Bd. 3, S. 184. Leonardo da Vinci, 2002, S. 107. Leon Battista Alberti, 2000, S. 306 f.

Endnoten

283 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325

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393

Anhang

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 Dante Alighieri: Das neue Leben, Zürich 1987
 Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie, Zürich 1963
 Dante Alighieri: Monarchia, lat. – dt., Einleitung, Übersetzung und Kommentar v. Ruedi Imbach, Stuttgart 1989
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 Mai, Klaus-Rüdiger: Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte, Berlin 2016 Mai, Klaus-Rüdiger: Martin Luther. Prophet der Freiheit, Freiburg i. Br. 2014 Mai, Klaus-Rüdiger: Unsterblichkeit Bauen. Die Lust an der Welt – Donato Bramantes Architektur des Lebens, in: Lettre International 107, Berlin 2014, S. 54–58 Manetti, Giannozzo: Über die Würde und Erhabenheit des Menschen, Hamburg 1990

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400

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401

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 Tiemann, Barbara (Hrsg.): Die Buchkultur im 15. und 16. Jahrhundert, Hamburg 1995
 Traeger, Jörg: Renaissance und Religion. Die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels, München 1997 Vansteenberghe, Edmond: Le Cardinal Nicolas de Cues: lʼaction – la pensée, Paris 1920
 Vasari, Giorgio: Das Leben des Bramante und Peruzzi, Berlin 2007 Vasari, Giorgio: Das Leben des Donatello und Michelozzo, Berlin 2013 Vasari, Giorgio: Das Leben des Leonardo da Vinci, Berlin 2006 Vasari, Giorgio: Das Leben des Michelangelo, Berlin 2009 Vasari, Giorgio: Das Leben des Raffael, Berlin 2004 Vasari, Giorgio: Das Leben des Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Cosimo Rosseli und Alesso Baldovinetti, Berlin 2010 Vasari, Giorgio: Das Leben des Verrochio und der Gebrüder Pollaioulo, Berlin 2012 Vasari, Giorgio: Le vite de’ piu eccellenti pittori, scultori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, hrsg. v. Rosanna Bettarini und Paola Barocchi, 6 Bde., Bd. 4, Florenz 1966–1988 Vecce, Carlo: Leonardo, Salerno 1998 Vergil: Bucolica. Hirtengedichte, Frankfurt a. M. und Leipzig 1999
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 Versiero, Marco: Leonardo da Vinci, Florenz 2016 Vespasiano da Bisticci: Große Männer und Frauen der Renaissance, München 1995 Vespasiano da Bisticci: Le vite. Edizione critica con introduzione e commento di Aulo Greco, 2 Bde., Florenz 1970–1976
 Virdis, Caterina und Pietrogiovanna, Mari: Flügelaltäre. Bemalte Polyptychen der Gotik und Renaissance, München 2002
 Visual Culture and Mathematics in the Early Modern Period, hrsg. v. Ingrid Alexander-Skipnes, New York 2017 Vitruv: Zehn Bücher über Architektur, Darmstadt 2008
 Vossler, Karl: Romanische Dichter, München 1946
 Wachtel, Alois: Beiträge zur Geschichtstheologie des Aurelius Augustinus, Bonn 1960
 Wattenbach, Wilhelm: Das Schriftwesen im Mittelalter, Graz 1958 Weitmann, Pascal: Technik als Kunst, Berlin 2011 White, Michael: Leonardo. The first Scientist, London 2000 Wind, Edgar: Heidnische Mysterien in der Renaissance, Frankfurt a. M. 1981 Wittstock, Anna: Melancholia translata. Marsilio Ficinos Melancholiebegriff im deutschsprachigen Raum des 16. Jahrhunderts, Göttingen 2011
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 Wuttke, Dieter: Dazwischen. Kulturwissenschaft auf Warburgs Spuren, 2 Bde., Baden-Baden 1996
 Zahnd, Ueli: Wirksame Zeichen? Sakramentenlehre und Semiotik in der Scholastik des ausgehenden Mittelalters, Tübingen 2014
 Zöllner, Frank: Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen, Köln 2007

402

Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis Abbildungen Innenteil S. 2: Taufe Christi um 1473/78, Andrea del Verrocchio unter Mitarbeit seines Schülers Leonardo da Vinci, Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv. Nr. 8358 © akg-images / Erich Lessing S. 12: Johannes der Täufer, Paris, Musée du Louvre, Inv. 775 (MR 318) S. 20: Kopf eines bärtigen Mannes (sog. Selbstbildnis), um 1510–1515, Rötel, Turin, Bibliotecca Reale, Inv. 15571 © akg-Images S. 42: Sintflut über einer Stadt auf einem Hügel um 1515 Schwarze Kreide, Windsor Castle, Library RL 12385r, Windsor Castle, Library RL 19002, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 46: Jungfrau mit Einhorn, um 1478–90, Feder und Tinte über Metallstift auf präpariertem Papier, London, British Museum, Inv. 1860-6-16-98 S. 74: Zeichnung einer Tuchschermaschine um 1495, Feder und Tinte, Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Codex Atlanticus, fol. 1105r/397r-a S. 77: Zeichnung zweier Profilansichten und Maschinestudien Dez. 1478 recto von 3, Feder und Tinte, Florenz, Galleria degli Uffizi, Gabinetto die Disegni e delle Stampe, Inv. 446 Ev. S. 93: Studie eines nackten Kindes um 1499 (?), Feder und Tinte über schwarzer Kreide, Windsor Castle, Library RL 12562r, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 96: Arnolandschaft 1473, Feder und Tinte, Florenz Uffizien Inv. 436E, © Studio Fotografico Paolo Tosi, Florenz S. 127: Hinrichtung Bernardo di Bandino Baroncelli 29. Dezember 1479, Feder und Tinten, Bayonne, Musée Bonnat, Inv 659 S. 130: Mechanismus zum Spannen von Armbrüsten um 1478 (verso von 2), Feder und Tinte, Florenz, Galleria degli Uffizi, Gabinetto die Disegni e delle Stampe, Inv. 446 Ev. S. 148: Figurenstudien zur Anbetung der Heiligen Drei Könige um 1481, Feder und Tinte, Paris, École nationale supérieure des Beaux-Arts S. 157: Perspektivstudie zum Hintergrund der Anbetung der Heiligen Drei Könige 1481, Florenz, Galleria degli Uffizi, Gabinetto die Disegni e delle Stampe, Inv. 436E recto S. 182: Sichelwagen um1483–1485, Feder und Tinte, Turin Biblioteca Reale, Inv. 15583r S. 184: Mechanismus zur Abwehr von Sturmleitern, um 1480, Feder und Tinte über schwarzer Kreide, Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Codex Atlanticus, fol. 139r/495v-b S. 194: Studie einer Hand um 1483, schwarze Kreide gehöht mit Weiß auf dunkelgrau präpariertem Papier, Windsor Castle, Library (RL 12520r), Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 208: Hydrotechnische Vorrichtungen (archimedische Schraube) und andere Studien um 1478–1480, Feder und Tinte, Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Codex Atlanticus, fol. 1069r/386r-b S. 213: Studie mit Hebevorrichtung für eine Kanone in einer Geschützgießerei 403

Anhang um 1487, Feder und Tinte auf bräunlich präpariertem Papier, Windsor Castle, Library RL 12647r, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 219: Architekturstudien für eine Stadt auf mehreren Ebenen um 1478–1490, Feder und Tinte, Paris, Bibliothèque de l’Institut de France, Ms. B 2173, fol. 16r S. 231: Anatomische Zeichnungen des Magens und der Eingeweide um 1506, Feder und braune Tusche über Spuren schwarzer Kreide, Windsor Castle, Library RL 19031v, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 233: Die zum Atmen, Schlucken und Sprechen dienenden »Instrumente« (Zäpfchen, Pharynx, Zunge mit Luftröhre, Kehlkopf und Speiseröhre) um 1509/10, Feder und braune Tusche (drei Schattierungen) laviert über schwarzer Kreide, und rote Kreideskizzen rechts oben, Windsor Castle, Library RL 19002, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 239: Aktstudie zu einem hl. Sebastian um 1480/81, Feder und Tinte über Metallstift auf präpariertem Papier, Hamburg, Hamburger Kunsthalle S. 240: Bilderrätsel um 1487–1490, Feder und Tinte, Windsor Castle, Library ERL 12692v, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 260: Studie eines Mädchenkopfes 1483, Silberstift auf bräunlich präpariertem Papier, Turin Biblioteca Reale, Inv. 15572r S. 272: Studie zum Guss des Sforza-Monuments 1491–1493, Feder und Tinte, Windsor Castle, Library RL 12355r, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 284: Skizze für die Schmelzgrube des Sforza-Pferdes in der Aufsicht (oben) und Seitenansicht (unten) um 1493, Feder und Tinte, Codex Madrid II, (Ms 8936) fol. 149r S. 305: Studie für das Abendmahl (Judas) um 1495, Rötel auf rötlich präpariertem Papier Windsor Castle Library RL 12547r, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 307: Fünf groteske Köpfe um 1494, Feder und Tinte über schwarzer Kreide, Windsor Castle, Library RL 12495r, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 312: Entwurfsskizze zum Abendmahl um 1495, Feder und Tinte Windsor Castle Library RL 12542r, Windsor Castle, The Royal Collection © 2003, Her Majesty Queen Elizabeth II S. 323: Proportionszeichnung nach Vitruv um 1490, Feder, Tinte und Tusche über Metallstift, Gallerie dell´Accademia, Inv. 228r S. 357: Unbekannter Künstler/Peter Paul Rubens, Kopie nach Leonardos Anghiarischlacht, vor 1550 und um 1630 S. 361: Aufrechtstehender Vogelschwingapparat 1487–1490, Feder und Tinte, Paris, Bibliothèque de l’Institut de France, Ms. B 2173, fol. 80r S. 376: Bacchus, Paris, Musée du Louvre, Inv. 780, akg-images / Erich Lessing S. 378: Ein alter Mann im rechtsseitigen Profil, der auf einer vorstehenden Felskante sitzt, ferner Wasserstudien um 1510–1513, Feder und Tinte

404

Abbildungsverzeichnis

Abbildungen Tafelteil Madonna mit der Nelke, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv. 7779 (1493), akg-images / Album / Prisma 2 Verkündigung an Maria, Paris, Musée du Louvre, Inv. 1602A (1265) 3 Porträt der Ginevra d´Benci, Washington DC, National Gallery of Art, Ailsa Mellon Bruce Fund, 1967, Inv. 2326 3a Porträt der Ginevra d´Benci, Rückseite 4 Madonna Benois, St. Petersburg, Ermitage, akg-images 5 Der heilige Hieronymus, Rom, Pinacoteca Vaticana, Inv. 40337, akg-images / Album / Oronoz 6 Anbetung der Heiligen drei Könige, Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv. 1594, bpk / Alinari Archives / Lorusso, Nicola for Alinari 7 Die Felsengrottenmadonna, Paris, Musée du Louvre, Inv. 777 (MR 320), akg-images / Erich Lessing 8 Porträt eines Musikers, Mailand, Pinacoteca Ambrosiana, Inv. 99, akgimages 9 Porträt der Cecilia Gallerani, Krakau, Muzeum Narodowe, Sammlung Czartoryski, Inv. 134, akg-images / Erich Lessing 10 Bildnis einer unbekannten Dame, Paris, Musée du Louvre, Inv. 778, Heritage Images / Fine Art Images / akg-images 11 Das Abendmahl, Mailand, Santa Maria delle Grazie, Nordwand des Refektoriums, akg-images / Pietro Aguzzi 12 Anna Selbdritt, Paris, Musée du Louvre, Inv. 776 (319), akg-images 12a Porträt einer jungen Frau, Paris, Musée du Louvre, Inv. 753 13 Porträt der Lisa del Giocondo, Paris, Musée du Louvre, Inv. 779, akg-images 14 Angharischlacht, Kopie nach Leonardos Wandgemälde, Heritage Images / Fine Art Images / akg-images 15 Giampietrino nach Entwurf Leonardos: Leda mit ihren Kindern, Kassel, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Schloss Wilhelmshöhe, Inv. 966 15a Nachfolger Leonardos (nach Entwurf Leonardos): Leda mit dem Schwan, Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv. 1890 (9953r) 15b Nachfolger Leonardos: Leda mit dem Schwan, Salisbury, Wilton House Trust, Sammlung des Earl of Pembroke, akg-images / Rabatti & Domingue 16 Bacchus, Paris, Musée du Louvre, Inv. 780, akg-images / Erich Lessing 16a Johannes der Täufer, Paris, Musée du Louvre, Inv. 775 (MR 318), akgimages / Erich Lessing 1

405

Anhang

Personenregister A

Alamanni, Pietro  279 Alberti, el Calvo de li  134, 136 Alberti, Leon Battista  69–72, 136, 139, 151f., 172, 220, 304 Alberti, Lorenzo di Benedetto  69 Alexander VI., Papst (Rodrigo Borgia)  334, 347f., 353 Amadeo, Giovanni Antonio  254, 281f., 285 Amadori, Albiera  31 Amadori, Giovanni  31 Ambrogio (Johannes Ambrosius) di Predis  172f., 193 Ambrogio da Fossano, (genannt il Bergognone) 173 Ambrogio da Rosate  332 Ambrosius von Mailand  173 Andrea da Ferrara  299, 332 Andrea da Novara  332 Andrea del Castagno  309 Andrea del Verrocchio (eigentlich Andrea di Michele Cioni)  67f., 73, 82f., 85, 98, 100, 113, 173, 215, 275 Antonio di Cristoforo  275 Antonio di Piero Butio del Vacca, (genannt Achattabriga)  31f. Araldo, Francesco  134, 136 Arasse, Daniel  117 Aretino, Pietro  222 Argiropolo, Giovanni (Johannes Argyropulos)  134, 136 Aristoteles  22, 64, 136f., 227, 230, 247, 304, 306 Arundel, Thomas Howard, Earl of  39 Asclepius 60 Augustinus  40, 251, 319 Avelino, Antonio di Pietro  218 Averroes (Ibn Ruschd)  61 Avicenna (Ibn Sina)  61 B

Bandello, Matteo  189, 264, 311 Bandello, Vincenzo  189f. Bandino, Francesco  107, 122f., 126f., 158

406

di Bandino Baroncelli, Bernardo 107, 122f., 126f., 158 Bartholomeo di Pasquino  98 Bartolomeo da Feltre  190 Baruch de Spinoza  384 Baudri, Erzbischof von Dol  26 Beccadelli, Antonio (genannt Panormita) 26 Bellincioni, Bernardo  132, 171, 174, 257, 266, 271 Bellini, Giovanni  172, 339, 341 Bembo, Bernardo  113–115, 120 de’ Benci, Ginevra  107, 110, 112f., 128 de’ Benci, Giovanni  110f., 118 Benedetto da Cieperello  134, 136 Benedetto de l’Abaco  134 Bentivoglio, Giovanni  102 Bergamini, Cecilia (siehe Gallerani, Cecilia) Bergamini, Lodovico  264 Bernhard von Clairvaux  139, 177 Bernadino da Feltre  292 Bernardino de Busti  189 Bernhard von Clairvaux  139, 177 Bertoldo di Giovanni  103, 125 Boccaccio, Giovanni  41, 52, 65, 206 Boltraffio, Giovanni Antonio  239, 255, 298f. Bona von Savoyen  276, 279 Bonaventura da Bagnoregio  188 Borgia, Cesare  204, 334, 347f., 350– 356, 360 Borgia, Giovanni  348 Borgia, Jofré  348 Borgia, Lucrezia  353 Borgia, Rodrigo (siehe Alexander VI.) Borgonzio (Gian della Rosa)  335 Botticelli, Sandro  69, 82, 92, 100, 125f., 153, 252, 355 Botto, Bergonzo  265 Braccesi, Alessandro  113 Bracciolini, Poggio  65, 70, 123, 238 Bramante, Donato  61, 172, 186f., 207, 215, 220, 222–224, 226, 245, 248, 282, 303, 330, 354, 371 Bronzino, Agnolo  358 Bruchiello 301

Personenregister Brunelleschi, Filippo  70, 72f., 75, 211, 315 Bruni, Leonardo  70 Burckhardt, Jacob  27, 64, 71, 246, 350 Busti, Francesco  189, 332 Butinone, Bernardino  173 C

Cammelli, Antonio  101f. Canigiani, Bernardo di Simone  117 Caponi, Stefano  301 Carvajal, Juan de  34 Castiglione, Baldassare  176, 185 Cattanei, Vanozza de’  348f. Cattaneo, Simonetta  114 Cavalcanti, Guido  57, 85, 111 Cecco d’Ascoli  301 Cellini, Benvenuto  99f. Cennini, Cennino (Cennino d‘Andrea Cennini) 69 Chalkondyles, Demetrios  103 Charles d’Amboise  365f., 368, 379 Chiesa della Badia  177 Cicero, Marcus Tullius  22, 33, 66, 116, 173, 356 Colleoni, Bartolomeo  173, 275, 286 Comynes, Francois  303 Condulmer, Gabriele (siehe Eugen IV.) Cornazzano, Antonio  302 Crivelli, Lucrezia  324 Cusano, Niccolo  332 D

Daniele da Volterra  23 Dante Alighieri  41, 43, 57, 85, 136, 161f., 164, 167, 302 Dati, Leonardo  359 Dei, Benedetto  248–250, 253f. Descartes, René  384 Diogenes Laertius  301 Dionysios Areopagita (PseudoDionysios) 251 Dolcebono, Gian Giacomo  281 Domenico di Michelino  134f. Donatello (eigentlich Donato di Niccolò di Betto Bardi)  70, 76, 85, 174, 275 Donati, Lucrezia  112 Donato di Montorfano  303, 314 Duns Scotus, Ioannes  188

Dürer, Albrecht  141, 152, 271, 342f., 368 E

Eberstein, Graf Johann von  25 d’Este, Beatrice  241, 256, 264, 267, 299, 325, 332, 379 d’Este, Ercole I.  190f., 256, 291 d’Este, Isabella  271, 324, 334, 339– 341, 345f., 354, 356 d’Este, Niccolo III.  275 Eugen IV., Papst (Gabriele Condulmer) 69f. Eustachius (Placidus)  143f. Evangelista di Predis  191 F

Farnese, Alessandro(siehe Paul III.) Fedele, Cassandra  112 Federigo da Montefeltro  172, 279 Ferdinand II., König von Aragon  348 Ficino, Marsilio  22, 56, 58f., 64, 102f., 106f., 111, 114, 116, 118f., 141, 172, 229f., 246, 252, 292, 294, 330, 372 Filarete (Antonio di Pietro Averlino)  218, 220 Filelfo, Francesco  218, 220, 246, 252 Fioravanti di Domenico  102 Florimond Robertet d’Alluye  334, 344 Foppa, Vincenzo  172 Fra Angelico  86–90, 135 Fra Mariano da Genazzano  292 Fracastoro, Girolamo  205 Francesca di Guliano Manfredini  47 della Francesca, Piero  72, 172, 196, 220, 343 Francesco Dal Pozzo (genannt Puteolano) 279 Francesco del Giocondo  355f. Francesco del Pugliese  177 Francesco di Giorgio  172, 210, 224f., 281f., 285 Franco, Matteo  65, 107f., 246 Franz I., französischer König (genannt der Ritterkönig)  21, 367, 381 Franziskus (Franz von Assisi)  182, 196, 200f., 246 Freud, Siegmund  47f. Friedrich III., Kaiser  33 407

Anhang G

J

Gaffurio, Franchino  254f., 297 Galeazzo San Severino  304, 330 Galilei, Galileo  38, 131, 141, 384 Gallerani, Cecilia (später Gräfin Bergamini)  241, 255, 259, 262– 264, 267, 286, 324, 331, 339, 341, 356, 373, 379, 405 Gallerani, Fazio  241, 255, 259, 262– 264, 267, 286, 324, 331, 339, 341, 356, 373, 379 Garin, Eugenio  135 Gaston de Foix  379 Gheradini, Antonmaria  354 Gheradini, Lisa  354 Ghiberti, Lorenzo  70 Ghirlandaio, Domenico  69, 103, 136, 153, 246, 358 Giacomo Andrea da Ferrara  299 Giacomo del Maino  190f. Giorgione (Giorgio da Castelfranco, auch Zorzo da Castelfranco)  343 Giotto di Bondone  182, 358 Giovo, Paolo  77, 81, 235f. Giraldi, Cristoforo  313 Girardon, Francois  290 Giuli, Margherita di Francesco  145 Giuliano da Marliano  301 Goethe, Johann Wolfgang von  150 Gonzaga (italienisches Adelsgeschlecht)  171, 339 Gonzaga, Gianfrancesco II.  171, 339 Gozzoli, Benozzo  147 Grafton, Anthony  70 Grazzini, Antonio  65 Gutenberg, Johann  34, 211, 274, 301

Jacob de Voragine  154f. Jacob von Speyer  172 Jacopo de’Barbari  342 Johann de Mandeville  301 Johannes III. Paleologus, byzantinischer Kaiser  147 Julius II., Papst (Giuliano della Rovere)  187, 215, 226, 354, 363, 379f. Julius der Deutsche  238

H

Hegel, Georg Wilhelm  24 Heraklit von Ephesos  149, 381 Hermes Trismegistos  61 Hieronymus (Sophronius Eusebius Hieronymus)  139f., 142–145, 150, 153, 156, 161, 166–168, 178, 180, 278f. I

Insuber, Franciscus  189 Isabella von Aragon  265f., 325 Isabella I., Königin von Kastilien  348 Isidor von Sevilla  301

408

K

Kant, Immanuel  41 Karl VIII., französischer König (genannt der Freundliche)  291, 293, 303, 333, 357 Kemp, Martin  29 Kepler, Johannes  38, 131, 133, 217, 384 Kleist, Heinrich von  310 Kolumbus, Christopher  25 Konstantin I., römischer Kaiser (genannt der Große)  33 Kues, Nicolaus von (Cusanus)  135 L

Landino, Cristofero  59, 85, 103, 107, 111, 247, 372 Landucci, Luca  124 Langenstein, Heinrich von  25 Laskaris, Andreas  136 Laurana, Luciano  211, 220 Leibniz, Gottfried Wilhelm  328 Leo X., Papst (Giovanni de’ Medici)  246, 291, 294, 379–381 Lippi, Antonio  30 Lippi, Bartolomeo (genannt Meo)  30 Lippi, Caterina  30 Lippi, Fra Filippino  177, 321 Lippi, Giovanni  30 Lippi, Orso  30 Lippi, Papo  30 Lippi, Sandra  30 Lombardus, Petrus  247 Lorenzetti, Ambrogio  218 Lorenzo di Credi (Lorenzo di Andrea d’Oderigo)  69, 92, 100f. Lorenzo il Fanfoia  381 Lücke, Theodor  243

Personenregister Ludwig XII., französischer König (genannt Vater des Volkes)  193, 333f., 344 Ludwig XIV. französischer König (genannt der Sonnenkönig)  290 Luther, Martin  154, 369 M

Machiavelli, Niccolo  53f., 121, 350f., 358f. Magnus, Albertus (Albert von Lauingen, auch Albertus Theutonicus, Albert der Große, Albert der Deutsche)  61, 301 Malatesta, Francesco  346 Manetti, Giannozzo  70 Manfredini, Guliano  47 Mantegna, Andrea  172 Manutius, Aldus  34 Marcantonio della Torre  366 Marco d’Oggiono  192, 197, 298f. Margutte (mezzo gigante)  248 Mariano di Jacoppo (genannt Taccola) 211 Mariolo d’ Guiscardi  325 Marius, Gaius  110 Marliano, Alvise  301, 332 Marmocchi, Carlo  134f. Marsuppini, Carlo  70, 111 Martini, Francesco di Giorgio  210 Masaccio (Tommaso di Ser Giovanni di Mone Cassai)  358 Masini, Tommaso(genannt Zoroaster, Zarathustra)  140f., 175, 238f., 367 Matorell, Joannot  108 Maximilian I., Kaiser  193 de’ Medici, Cosimo (genannt il Vecchio)  36, 52f., 55, 58f., 68f., 136, 147, 174 de’ Medici, Donato  101 de’ Medici, Giovanni (siehe Leo X.) de’ Medici, Giuliano di Piero  107, 112–114, 121–123, 125–127, 139, 147, 379 de’ Medici, Lorenzo (genannt il Magnifico)  62, 99, 102f., 105– 109, 112f., 121–126, 132, 139, 147, 153, 167, 171, 176, 244, 246, 252f., 279, 291–294, 379 de’ Medici, Margherita  62 de’ Medici, Nannina  139

de’ Medici, Piero di Cosimo (genannt il Gottoso)  54, 68, 99, 147 de’ Medici, Piero di Lorenzo (genannt der Unglückliche)  246, 291–294, 357 Mehmed II.  33 Melzi, Francesco  298, 365, 367, 381, 383 Melzi, Girolamo  379 Michelangelo (vollständiger Name Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni)  41, 56, 69, 105, 215, 294, 298, 311, 354f., 362f., 365, 370, 381 Migliorotti, Atalante di Manetto  128, 175f., 254, 340 della Mirandola, Graf Giovanni Pico  59, 106, 141, 292–294, 372 Mona Lisa del Giocondo  356 Mona Lucia  47 N

Nasi, Bernardo di Luttozzo  177 Nasi, Filippo di Luttozzo  177 Nathan, Johannes  179 Niccolini, Luigi di Bernardo  111, 114f., 120 Niccolo da Baroncelli  275 Niccolo da Correggio  271 Nicholas, Adrian (Fallschirmspringer) 214 Nicholl, Charles  101, 295f. O

Orpheus(Orfeo)  17, 265, 268–270 Orsini, Clarice  112, 293, 349 Ovid (Publius Ovidius Naso)  22, 166, 269f., 301 P

Pacioli, Luca  172, 248, 254, 282, 285, 304, 325f., 328–330, 332, 334, 341f., 352 Panormita (Antonio Beccadelli)  26 Paolo da Middelburg  172 Parranti, Giuseppe  29 Parrhasios 104 Paul III., Papst (Alessandro Farnese) 23 de’ Pazzi, Francesco  122f. de’ Pazzi, Guglielmo  113 de’ Pazzi, Jacopo  124f. 409

Anhang de’ Pazzi, Renato  125 Perugino, Pietro  72, 153, 177, 325, 341 Petrarca, Francesco  40, 57, 132, 161– 165, 167, 301 Piatti, Piattino  279f. Piccinio, Niccolo  359 Piccolomini, Enea Silvio (siehe Pius II.) Piccolomini, Francesco Todeschini  33f., 354 Pico della Mirandola  59, 106, 141, 292–294, 372 Pierfrancesco San Miniato  175 Piero da San Miniato  171 Piero della Francesca  72, 172, 196, 220, 343 Piero di Malvolto  28 Pietro da Novellara  345f. Pirckheimer, Willibald  368 Pirovano, Gabriele  332 Pius II., Papst (Enea Silvio Piccolomini)  33f., 354 Pius III., Papst (Francesco Todeschini Piccolomini) 354 Platon  59f., 64, 100f., 103, 109, 111, 133, 371f., 381 Plethon, Gemistos  58 Plinius der Ältere  104 Poliziano, Angelo  59, 65, 103, 106f., 112–114, 123, 125, 132, 238, 246f., 268, 270, 293f. Ponzone, Domenico  332 Portinari, Benedetto  204 Ptolemäus, Claudius  227f. Pulci, Luca  159, 161, 164 Pulci, Luigi (genannt Gigi)  41, 107– 109, 238, 246–253, 292, 299, 301 Pythagoras von Samos  132f., 244 R

Raffael (Raffaello Sanzio da Urbino, Raffael da Urbino, Raffaello Santi)  355f., 369, 381 Ramón de Cardona  379 Reuchlin, Johannes  103 Riario, Raffaele, Kardinal von San Giorgio  122, 125 Ridolfi, Antonio  31, 123, 142 Rocchi, Christoforo  281 Rosselli, Cosimo  153

410

della Rovere, Francesco (siehe Sixtus IV.) della Rovere, Giuliano (siehe Julius II.) Rucellai, Bernardo  139f., 167, 171, 186, 204 Rucellai, Camillia  355 Rucellai, Giovanni di Paolo  139 Rustici, Giovanfrancesco  366 S

Sacchetti, Franco  65 Salai (Gian Giacomo Caprotti)  265, 299, 339, 344, 346, 367, 381, 383 Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 110 Saltarelli, Giovanni  98 Saltarelli, Iacopo  98 de’ Salviati, Francesco  123f. Samuel ben Nissim Abulfaradsch (Raimondo Guglielmo de Moncada) 61 Sangallo (italienischen Architektenfamilie) 61 San Severino, Roberto  252, 267, 304, 330 Sassola di Prato  66 Savonarola, Girolamo  103, 251f., 292–294, 358 Schiller, Friedrich  24 Segni, Antonio  368 Sforza, Ascanio  174, 2819 Sforza, Bianca Maria  193, 267, 289, 343 Sforza, Caterina  356 Sforza, Cesare  264 Sforza, Francesco  27, 174, 181, 202, 218, 220, 277, 279, 303 Sforza, Gian Galeazzo  276, 303 Sforza, Gian Galeazzo Maria  173, 241, 265f., 295, 303, 331 Sforza, Ludovico (genannt il Moro)  167, 172–176, 180f., 183, 185f., 192f., 202, 207, 209, 215, 218f., 220f., 223, 237f., 241, 244, 253–257, 261–267, 271, 273–283, 286f., 289, 291, 293, 295, 299, 302–304, 314, 324f., 330–335, 340, 350, 352, 368, 373, 379 Sforza, Massimiliano  379 Signorelli, Luca  69, 309 Simonetta, Cicco (Francisco)  276

Personenregister Simonetta, Giovanni  279 Sixtus IV., Papst (Francesco della Rovere)  122, 189, 195 Soderini, Piero  358, 362, 365, 380 Stampa, Gaspara  112 Strozzi, Alessandra Masinghi  112 della Stufa, Sigismondo  122

Z

Zenale, Bernardo  173 Zeuxis  104, 280 Zöllner, Frank  157, 179

T

Taccones, Baldassare  271, 288 Tedesco, Arrigo di Giovanni  31, 238 Teobaldo, Antonio  324 Thomas a Kempis (Thomas von Kempen, Thomas Hemerken) 152 Thomas von Aquino (Doctor Angelicus)  188, 247 Tornabuoni, Lucrezia  54, 106, 108, 112, 171 Toscanelli, Paolo dal Pozzo (Pagolo medico) 135 Tournaboni, Lionardo  98f., 103 Trivulzio, Gian Giacomo  333–335 Trotti, Giacomo  256 U

Ugolino di Vieri, (genannt il Verino) 293 V

Vasari, Giorgio  13, 21, 23f., 72, 82, 85, 128, 158–160, 176, 185 Vecce, Carlo  21, 32 Vergil (Publius Vergilius Maro)  66, 164 Vespasiano da Bisticci  70 Vespucci, Agostino  356, 359 Vespucci, Marco  114 da Vinci, Antonio 27f., 30–32, 34, 36, 46, 96 da Vinci, Giuliano  145 da Vinci, Piero di Antonio  27f., 30–33, 35–37, 45–47, 53, 67f., 80, 98f., 115, 145f., 159, 191, 344, 354, 363f. Visconti, Filipo Maria, Herzog von Mailand  26f., 173f., 256, 295 Visconti, Giovanni Stefano  26f., 173f., 256, 295 Vitruv (Marcus Vitruvius Pollio)  323, 326 Vittorino da Feltre  66, 220 411

1  Madonna mit der Nelke

2  Verkündigung an Maria

3  Porträt der Ginevra d´Benci 3a Rückseite des Porträts der Ginevra d´Benci

4  Madonna Benois

5  Der heilige Hieronymus

6  Anbetung der Heiligen drei Könige

7  Die Felsengrottenmadonna

8  Porträt eines Musikers

9  Porträt der Cecilia Gallerani

10  Bildnis einer unbekannten Dame / Portrait der Lucrezia Crivelli

11  Das Abendmahl

12  Anna Selbdritt 12a Porträt einer jungen Frau

13  Porträt der Lisa del Giocondo / Mona Lisa

14  Angharischlacht, Kopie nach Leonardos Wandgemälde

15  Giampietrino nach Entwurf Leonardos: Leda mit ihren Kindern 15a Nachfolger Leonardos (nach Entwurf Leonardos): Leda mit dem Schwan 15b Nachfolger Leonardos: Leda mit dem Schwan

16 Bacchus 16a Johannes der Täufer

Joachim Köhler Luther! Biographie eines Befreiten 408 Seiten | 13 x 21,5 cm Hardcover | mit farb. Tafelteil ISBN 978-3-374-04420-7 EUR 22,90 [D]

»Christsein heißt, von Tag zu Tag mehr hineingerissen werden in Christus.« Dieses leidenschaftliche Bekenntnis des Reformators steht im Mittelpunkt dieser brillanten Biographie, die Luthers dramatische Entwicklung in drei Stadien – Bedrängnis, Befreiung und Bewahrung – darstellt. Mit Sympathie und beeindruckendem psychologischen Gespür lässt der Autor den Glaubenskämpfer lebendig werden.

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Benjamin Hasselhorn Mirko Gutjahr Tatsache! Die Wahrheit über Luthers Thesenanschlag 156 Seiten | 12 x 19 cm Paperback ISBN 978-3-374-05638-5 EUR 10,00 [D]

Der Thesenanschlag fand tatsächlich statt! Beweise dafür haben die Historiker Mirko Gutjahr und Benjamin Hasselhorn zusammengetragen. Herausgekommen ist ein kleines, aber bemerkenswertes Buch, das mit einigen Mythen der letzten Jahre aufräumt: Angeblich sei Martin Luthers Thesenanschlag bloße »Legende« oder »fragwürdige Überlieferung«. Selbst Experten stellten den Thesenanschlag infrage, obwohl 2007 eine Notiz von Luthers Privatsekretär Georg Rörer als früheste Quelle über die Geschehnisse des 31. Oktober 1517 wiederentdeckt worden war. Was genau wissen wir über Luthers Thesenanschlag? Wieso kam es überhaupt zu der Überzeugung, er habe nicht stattgefunden? Und warum ist der Anschlag überhaupt wichtig? Schließlich wurde nie bestritten, dass Luther seine Thesen am 31. Oktober 1517 verschickt hat. Diesen Fragen gehen die beiden Autoren nach – und finden überraschende Antworten.

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Armin Kohnle Martin Luther Reformator, Ketzer, Ehemann 224 Seiten | 21 x 28 cm Hardcover | mit zahlr. Abb. ISBN 978-3-374-04107-7 EUR 29,95 [D]

Martin Luther ist eine Gestalt der Weltgeschichte. Das heraufziehende Reformationsjubiläum des Jahres 2017 hat Luther wieder stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rücken lassen. Dies gilt für Verehrer und Kritiker des Reformators gleichermaßen. Wer sich auf Luther einlässt, muss Gegensätze aushalten. Das vorliegende Buch ist der Versuch, Luther einem breiteren Publikum aus kirchenhistorischer Perspektive nahezubringen. Unreflektierte Bewunderung und bloße Ablehnung sind dabei gleichermaßen schädlich. Wer Luther verstehen will, muss sich auf seine vielschichtige Persönlichkeit ebenso einlassen wie auf seine Theologie. Biographie und Theologie produktiv zusammenzubringen, ist ein Anliegen dieses Buches. Luthers Theologie trägt bis heute, anderes ist zeitbedingt und damit obsolet.

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Hat die Kirche über ihr weltliches Engagement den Glauben verloren? Verliert sie sich in Politik? Verpasst sie den Aufbruch, der angesichts von Entchristlichung und Orientierungslosigkeit dringend erforderlich ist? Nie war Kirche notwendiger als heute, nie war sie weniger vorhanden als heute. Der bekannte Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai zeigt in seinem leidenschaftlichen Essay Fehlentwicklungen in den evangelischen Kirchen auf, aber auch Chancen von Kirche, und ermuntert zur freien Debatte ohne ideologische Scheuklappen. »Die Welt verändern« – hin zum Guten – ist der Slogan vieler. Aber muss man dafür nicht den Menschen selbst »verbessern« und die Kirche in eine Art »Moralagentur« verwandeln? Geht das überhaupt oder will der Mensch nur Gott spielen? In seiner pointierten Zeitgeistkritik plädiert Mai für die Rückbesinnung auf den Glauben.

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