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German Pages 659 [664] Year 1955
L e h r b ü c h e r und Grundrisse der R e c h t s w i s s e n s c h a f t
Sechster Band
Berlin
1955
W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Gößchen'ßche Verlagshandlung • J. Guttent&g, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner . Veit & Comp.
Handelsrecht und Schiffahrtsrecht
Von
DR. J U L I U S VON GIERKE ord. Professor der Rechte an der Georg-August-Universität zu Göttingen
Siebente, vermehrte und verbesserte Auflage 19.-20.
Tausend
Berlin
1955
W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. •ormala G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Quttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
Arohiv-Nr. 23 05 55/6 Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck: Berliner Buchdruckerei „Union" G.m.b.H., Berlin SW 29 Alle Hechte, einschließlich des Hechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten
DEM
ANDENKEN
OTTO
MEINES
VON
GEB. AM 11. JANUAR GEST.
AM 10. OKTOBER
VATERS
GIERKE 1841 ZU 1921 ZU
STETTIN BERLIN
Vorwort Die siebente Auflage hält an den Grundlagen der sechsten Auflage fest: Darstellung des Handels- und Schiffahrtsrechts als einer in sich geschlossenen Einheit. Ich habe sie als vermehrte und verbesserte Auflage bezeichnet. Die Verbesserungen kann ich hier nicht alle aufführen. Sie beziehen sich, abgesehen von der Entfernung störender Druckfehler, auf manche Richtigstellung in betriebswirtschaftlicher, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht; sie betreffen z. B. die kaufmännische Buchführung, eine noch größere Klarstellung des Handelsunternehmens, den Austritt und den Ausschluß aus einer GmbH, das Kartellrecht, die Einreihung der Geschäftsbedingungen unter die Rechtsgrundlagen in der Einleitung, das Pfandrecht, den Handelskauf, das Kontokorrent, das Vorkommen der Bodmerei im Wirtschaftsleben. Die Vermehrungen und Ergänzungen der neuen Auflage sind sehr zahlreich. Zunächst ist das neue, sehr wertvolle Schrifttum des Inlandes und Auslandes, die neue deutsche und ausländische Gesetzgebung sowie die neue Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofes, voll verwertet. Erleichtert wurde mir vieles dadurch, daß ich mein Buch „Das Recht der Wertpapiere" (1954) zur Verweisung heranziehen konnte. Von größeren, teilweise sehr umfassenden Ergänzungen nenne ich hier: die Darstellung des neuen Rechts der Handelsvertreter, die eingehende Behandlung des Börsenrechts (die in der vorigen Auflage ganz fehlte), die Grundzüge des neuen, großen Sondergebietes der Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen (sehr verwickelt, aber höchst interessant durch einen Vergleich mit dem Eisenbahnfrachtrecht; in den Vorlesungen sehr vernachlässigt), und einige Ausführungen über den Luftbeförderungsvertrag, der unbedingt im Handelsrecht Aufnahme finden muß. Neue Bemerkungen habe ich schließlich auch machen müssen in bezug auf die sog. Dekartellierungsgesetzgebung, durch die uns fremdes Privatrecht eingeimpft worden ist.
VIII
Vorwort
Vielen schulde ich Dank, die mich durch Belehrung und Auskünfte unterstützt haben (insbesondere auch der Göttinger Industrie- und Handelskammer). Besonders herzlich sei auch an dieser Stelle Herrn Referendar Dr. Uwe Haasen gedankt, der mir bei der Ausarbeitung wertvolle Dienste, namentlich durch das Lesen der Korrekturen und die Revision des Sachregisters geleistet hat. Ja, auch diese neue Auflage hat mich viel Zeit und Mühe gekostet. Und so möchte auch das Vorwort für sie wieder mit den Worten eines mittelalterlichen Schreibers schließen, die ich bei der Durchforschung der mittelalterlichen Handschriften der deutschen Rechtsbücher gefunden habe, und die lauten: ,,Libro completo Saltut scriptor pede laeto." Göttingen, im Januar 1955 Julius von Gierke
Inhaltsverzeichnis Einleitung
Seite
§ 1 Die Aufgabe: Begriff und Eigenart des Handelsrechts — Das Schiffahrtsrecht — Plan der Darstellung 1 Anhang: Wirtschaftsrecht 8 § 2 Geschichte des Handelsrechts 8 § 3 Rechtsgrundlagen des deutschen Handelsrechts (Gesetze, Gewohnheitsrecht, Handelssitte, Verkehrssitte und Geschäftsbedingungen) . . . . 21 § 4 Schrifttum zum deutschen Handelsrecht 29 § 6 Quellen und Schrifttum des internationalen und ausländischen Handelsrechts 32 Erster Abschnitt
Der Kaufmann und sein Handelsunternehmen Erstes Kapitel: Die Kaufmannseigenschaft § 6 Allgemeines § 7 Der Mußkaufmann § 8 Weiteres zum Begriff des Mußkaufmanns § 9 Sollkaufleute § 10 Land- und Forstwirte: Kanrikaufleute § 11 Voll- und Minderkaufleute
39 40 47 50 52 56
Zweites Kapitel: Das Handelsregister und seine Ergänzung des Verkehrsschutzes — Der Scheinkaulmann § 12 Das Handelsregister und seine Ergänzungen des Verkehrsschutzes im allgemeinen 57 § 13 Der Scheinkaufmann 66 Drittes Kapitel: Das Handelsgeschäft (Handelsunternehmen im engeren Sinn) § 14 Begriff, rechtliche Natur, Rechtssätze. Das Ausland § 15 Die Zweigniederlassung § 16 Das Handelsgeschäft als Gegenstand des Rechtsverkehrs § 17 Die Firma § 18 Das Warenzeichen § 19 Der unlautere Wettbewerb § 20 Die kaufmännische Buchführung
71 81 84 94 104 112 119
X
Inhaltsverzeichnis Seite
V i e r t e s K a p i t e l : Die besondere Stellvertretung des Kaufmanns § 21 Die Prokura § 22 Die Handlungsvollmacht
129 134
F ü n f t e s K a p i t e l : Unselbständige Hilfspersonen des Kaufmanns: Das kaufmännische Personal § 23 Allgemeines 139 § 24 Die Handlungsgehilfen 140 § 25 Die Handlungslehrlinge 147 Anhang: zu §§ 23—25: Der Handelsvolontär 149 S e c h s t e s K a p i t e l : Selbständige Hilfspersonen des Kaufmanns: Die Handelsvertreter und Handelsmakler § 26 Die Handelsvertreter § 27 Der Handelsmakler
150 160
Zweiter Abschnitt
Die Gesellschaften des Handelsrechts Einleitung § 28 Begriff und Arten der „Gesellschaften" § 29 Die Eigenart des Gesellschaftsrechts § 30 Die besonderen Gesellschaftsformen des Handelsrechts
167 170 174
Erstes K a p i t e l : Die Personalgesellschaften im engeren Sinn des Handelsrechte I. Die offene Handelsgesellschaft (oHG) § 31 Begriff, rechtliche Natur, Geschichte, gesetzliche Regelung und Eigenart 183 § 32 Errichtimg und Firma 186 § 33 Rechtsverhältnisse nach innen 193 § 34 Rechtsverhältnisse zu Dritten 205 § 35 Beendigung, „Fortsetzung" 211 § 36 Ausscheiden und Eintritt von Gesellschaftern — Die zweigliedrige Gesellschaft 219 II. Die Kommanditgesellschaft (KG) § 37 Begriff, Geschichte, wirtschaftliche Bedeutung, Rechtssätze
224
m . Die stille Gesellschaft (stG) § 38 Begriff, Geschichte, wirtschaftliche Bedeutung, Rechtssätze
237
Zweites K a p i t e l : Die Kapitalgesellschaften des Handelsrechts I. Die Aktiengesellschaft § 39 Begriff, Geschichte, die heutige gesetzliche Regelung in Deutschland, das Ausland, wirtschaftliche Bedeutung 246 § 40 Die Grundlagen 259 Anhang: Die Staatsaufsicht 270
XI
Inhaltsverzeichnis
Seite
§ 41 § 42 § 43 § 44 § 45 § 46
Gründung Die Firma Organisation Mitgliedschaft Rechtsverhältnisse zu Dritten Jahresabschluß (Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung) und Geschäftsbericht § 47 Satzungsänderung, Kapitalerhöhung. Sonstige Maßnahme der Kapitalbeschaffung, Kapitalherabsetzung § 48 Beendigung, „Fortsetzung", Sonderfälle (Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, Verstaatlichung, Umwandlung)
270 290 292 322 342 344 359 374
n. § 49 Die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)
396
m. § 50 Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
405
Drittes Kapitel: Soziale Wirtschaftsgenossenschalten § 61 Die eingetragene Genossenschaft § 52 Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG)
426 438
Viertes K a p i t e l : § 53 Die neuen freiwilligen wirtschaftlichen Zusammenschlüsse
. . . .
442
Dritter Abschnitt
Die Handelsgeschäfte E r s t e s K a p i t e l : Allgemeine Lehren § 54 Begriff und Arten der Handelsgeschäfte. Übersicht über die gesetzliche Regelung 452 § 65 Abschluß und Inhalt 455 § 56 Der Eigentumserwerb 461 § 67 Das Pfandrecht 464 § 58 Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht 466 Zweites K a p i t e l : Einzelne Handelsgeschäfte § 59 Einleitung
472
Erster Titel: Der Handelskauf § 60 Allgemeine Regeln § 61 Besondere Arten des Handelskaufs
473 483
Z w e i t e r Titel: Die Bankgeschäfte § 62 Einleitung: § 63 Kreditgeschäfte § 64 Zahlungsgeschäfte § 65 Bankverwahrungsgeschäfte
486 491 499 506
Inhaltsverzeichnis
XII
Seite D r i t t e r T i t e l : Börsengeschäfte § 66 Börse und Börsenrecht § 67 Begriff, Arten, Behandlung der Börsengeschäfte
512 517
V i e r t e r T i t e l : Das Kommissionsgeschäft § 68 Begriff, rechtliche Natur, Ausland, Geschichte § 69 Rechtssätze
. 520 522
F ü n f t e r T i t e l : Beförderungsgeschäfte (Transportgeschäfte) § 70 Begriff, Sonderrecht, Einteilung und Plan, Geschichte § 71 Das Frachtgeschäft des H G B § 72 Das Eisenbahnfrachtgeschäft § 73 Sonstige besondere Landfrachtgeschäfte § 74 Personenbeförderung zu Lande mit der Eisenbahn, mit Kraftfahrzeugen und Straßenbahn § 75 Der Luftbeförderungsvertrag § 76 Das Speditionsgeschäft S e c h s t e r T i t e l : Das Lagergeschäft § 77 Begriff, wirtschaftliche Bedeutung, Geschichte, Arten § 78 Das gewöhnliche Lagergeschäft und das Orderlagerscheingeschäft
530 533 540 547 550 552 553
561 . . 563
Vierter Abschnitt
Das Schiffahrtsrecht § 79 Einleitung
569
E r s t e s K a p i t e l : Die Schilfe, der Reeder (Schiffseigner) und die Schiffsbesatzung § 80 Die Schiffe 575 § 81 Reeder und Schiffseigner 584 § 82 Die Reederei (Partenreederei) 588 § 83 Die Schiffsbesatzung des Seerechts 592 § 84 Die Schiffsbesatzung des Binnenschiffahrtsrechtes 597 Zweites § 85 § 86 § 87
K a p i t e l : Beförderungsgeschäfte des Schiffahrterechtes Das Seefrachtgeschäft Die Personenbeförderung zur See Das Flußfrachtgeschäft
598 612 612
D r i t t e s K a p i t e l : Hayerei und Hilfsleistung in Schilfahrtsnot § 88 Haverei und Schiffszusammenstoß § 89 Hilfsleistung in Schiffahrtsnot
614 618
V i e r t e s K a p i t e l : Bodmerei, Schiffs- und Ladungsgläubiger § 90 Bodmerei § 91 Schiffs- und Ladungsgläubiger
620 621
Sachverzeichnis
625
Abkürzungen ADHGB ADSp AG AGB Aktienges.
= = = = =
ALR
=
ArchZivPr u. AcP AusfVO BankArch Bankg Baumbach-Duden BGH BinnSchG
= = = = = = =
BörsG Cosack DepotG DGWR DüringerHachenburg DurchfVO eG
= = =
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861. Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen. Aktiengesellschaft. Allgemeine Geschäftsbedingungen. Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten vom 6. Februar 1794. Archiv für zivilistische Praxis. Ausführungsverordnung. Bankarchiv. Bankgesetz. Baumbach-Duden, Kurzkommentar zum HGB, 10. Auflage 1953. Bundesgerichtshof, Entscheidungen. Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt. Börsengesetz. Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts. Depotgesetz. Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht.
= Düringer-Hachenburg, Kommentar zum HGB 3 . = Durchführungsverordnung. = eingetragene Genossenschaft (Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft). EG = Einführungsgesetz. FGG = Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Flad Kommentar = Flad im Kommentar zum Handelsgesetzbuch1, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsgerichts. FlagG = Flaggengesetz. Gadow-Kommentar = Gadow im Kommentar zum Handelsgesetzbuch1, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsgerichts. GenG = Gesetz betr. Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Geßler-Hefermehl = Komm, von Schlegelberger, 2. Aufl. GewO oder GO = Gewerbeordnung.
XIV GmbH GmbHG
Abkürzungen
= Gesellschaft mit beschränkter Haftung. = Gesetz betr. d. Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. Mai 1898. 0 . v. Gierke = 0. v. Gierke, Grundzüge des Handelsrechts in der Enzyklopädie von Holtzendorff-Kohler4 1913. Grachot = Gruchots Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts. HansRGZ = Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitung. Heinichen Komm. = Heinichen im Kommentar zum HGB 1 , herausgegeben von Mitgliedern des Reichsgerichts. HGB = Deutsches Handelsgesetzbuch. HWRechtsW = Handwörterbuch der Rechtswissenschaft. HRR = Höchstrichterliche Rechtsprechung HypBG = Hypothekenbankgesetz IÜG = Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtver= kehr. IÜP = Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnpersonenverkehr. JheringsJ = Jherings Jahrbücher. JR = Juristische Rundschau. JW = Juristische Wochenschrift. JZ = Juristen-Zeitung. KartVO = Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2. November 1923 (Kartellverordnung). KG = Kommanditgesellschaft. KGaA = Kommanditgesellschaft auf Aktien. KO = Konkursordnung. Könige-TeichmannKöhler = Handausgabe des HGB von Könige-Teichmann-Köhler. Lehmann K. = Karl Lehmann, Lehrbuch des Handelsrechts, 2. Aufl., bzw. z.T. 3. Aufl. (Höniger). LeipzZ = Leipziger Zeitschrift. MDR = Monatsschrift für deutsches Recht. Müller-Erzbach = Müller-Erzbach, Deutsches Handelsrecht 3. u. 2. Aufl. NJW = Neue Juristische Wochenschrift. NotVO — Notverordnung. oHG = offene Handelsgesellschaft. p.h.G. = persönlich haftender Gesellschafter. RAO, RAbgO = Reichsabgabenordnung. RdA = Recht der Arbeit, Blätter für Wissenschaft und Praxis des gesamten Arbeitsrechts. Herausgeber H. C. Nipperdey. Ritter = C. Ritter, Kommentar zum HGB, 2. Aufl. RG = Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. Riv. dir. comm. = Rivista del diritto commerciale.
Abkürzungen RvglHW
XV
= Rechtsvergleichendes Handwörterbuch. Herausg. von F. Schlegelberger. SchiffsG = Gesetz betr. die Rechtsverhältnisse an eingetragenen Schiffen. SchiffsRO = Schiffsregisterordnung. Schlegelberger = Handelsgesetzbuch1, herausgegeben von Schlegelberger, erläutert von Geßler, Hefermehl, Herbig, Hildebrandt, Schröder. SeemO = Seemannsordnung. SJZ = Süddeutsche Juristenzeitung. Staubs-Komment. = Staubs-Kommentar zum HGB 1 2 3 . stG = stille Gesellschaft. VAG = Ges. betr. die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen. VerglO = Vergleichsordnung. VVaG = Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. VVG = Gesetz über den Versicherungsvertrag. Wieland = C. Wieland, Handelsrecht I und II. Würdinger = Komm, hersg. von Mitgliedern des RG und BGH 2 . WZG = Warenzeichengesetz. ZAkDR = Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht. ZAuslR = Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht. ZBH = Zentralblatt für Handelsrecht. ZfSchweizerR = Zeitschrift für Schweizerisches Recht. ZHR = Zeitschrift für das gesamte Handleisrecht und Konkursrecht. ZRechtsgesch. = Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (G. bzw. R.) (Germanistische bzw. Romanistische Abteilung).
Einleitung Die Aufgabe: Begriff und Eigenart des Handelsrechts — Das Schiffahrtsrecht — Plan der Darstellung 0 . v. Gierke §§ 1 u. 2 — Ehrenberg in seinem Handb. S. 3 — Wieland §§ 8, 15 — Heck ArchZivPrax 92, 348 — K. Lehmann ZHR 62, lff. — N u ß b a u m ebenda 76, 325 — E. H e y m a n n , Die Beziehungen des Handelsrechts zum Zivilrecht (Sonderausgabe aus den Sitzungsberichten der Pr.Ak.d.Wiss. — Phil-Hist. Klasse 1932 (V). — J. v. Gierke, Das Handelsunternehmen ZHR 111, l f f . — H u b m a n n , Das Recht am Unternehmen ZHR 117, 41ff. mit weiteren Angaben des Schrifttums — Über ausländisches Recht vgl. § 6.
I. Der Begriff des d e u t s c h e n H a n d e l s r e c h t s H a n d e l s r e c h t ist das b e s o n d e r e P r i v a t r e c h t des H a n d e l s . 1. Es bezieht sich auf den H a n d e l . Zu unterscheiden ist der Handel im wirtschaftlichen Sinn und der Handel im Rechtssinn. a) H a n d e l im w i r t s c h a f t l i c h e n Sinn ist eine Tätigkeit, die auf den U m s a t z v o n W a r e n gerichtet ist (Kaufhandel). Es muß sich um Anschaffung (Einkauf) und Weiterveräußerung (Verkauf) von „Waren" (oder Wertpapieren) handeln. Der Umsatz von Grundstücken gehört nach deutscher Auffassung nicht zum Handel. Man spricht auch vom Grundstückshandel. Doch ist dieses besser zu vermeiden. „Waren" sind bewegliche Sachen, die für einen Umsatz geeignet sind.
Wer diesen Umsatz betätigt, vermittelt zwischen Erzeuger (Produzent), der den Absatz will, und Verbraucher, der den Einkauf will. Wer ihn g e w e r b s m ä ß i g als U n t e r n e h m e r betreibt, betreibt ein H a n d e l s g e w e r b e ( H a n d e l s u n t e r n e h m e n ) im w i r t s c h a f t l i c h e n Sinn, er ist K a u f m a n n im w i r t s c h a f t l i c h e n Sinn. Oft wird in den Begriff des Handels bereits das Gewerbsmäßige hineingelegt. Dann würde in dem Ausdruck „Handelsgewerbe" das Gewerbsmäßige doppelt enthalten sein.
N i c h t ist Kaufmann im wirtschaftlichen Sinn: «) der Urerzeuger (Urproduzent), z. B. der Landwirt, Forstwirt, Bergbautreibende; 1
v. G i e r k e , Handels- und Schiffahrtsrecht, 7. Aufl.
2
§ 1. Begriff und Eigenart des Handelsrechts
ß ) der Fabrikant und Handwerker (Formproduzent); auch dann nicht, wenn sie das Rohmaterial selbst anschaffen, verarbeiten und weiterveräußern (Umsatzindustrie, Umsatzhandwerk); y) eine Verbrauchergenossenschaft (Konsumverein); denn sie betätigt sich nicht gewerbsmäßig; Ö) der beruflich, aber in abhängiger Stellung an der Umsatztätigkeit eines Unternehmens beteiligt ist; z. B. als Handlungsgehilfe. Im täglichen lieben bezeichnen sich solche auch als „Kaufleute". E i n t e i l u n g des Handels Bei dem Handel im wirtschaftlichen Sinn ist bedeutungsvoll die Unterscheidung von G r o ß h a n d e l und Einzelhandel. Beim Großhandel geschieht der Verkauf an Weiterverkäufer oder sonstige Unternehmer, beim Einzelhandel geschieht er unmittelbar an den Verbraucher. Der Einzelhandel wird am besten als Letzthandel bezeichnet (unrichtig ist die Bezeichnung Kleinhandel oder Detailhandel). Der Begriff des Einzelhandels ist seit 1924 auch in die Gesetzessprache übergegangen. Wichtige Gesetze enthalten Sonderregeln für ihn. Besondere Arten des Einzelhandels sind der Handel von Warenhäusern, Einheitspreisgeschäften, sowie der Automatenhandel, mit denen sich die Gesetzgebung gleichfalls besonders befaßt hat. Eine andere Einteilung ist die in Binnen-, Ausfuhr- und Einfuhrhandel, femer die in Waren-, Wertpapier-, Geldhandel. Handel im offenen Laden heißt auch Kramhandel, Handel im Umherziehen Hausierhandel, Handel mit den gewöhnlichsten Lebensmitteln Hökerhandel, Handel mit gebrauchten Sachen Trödelhandel; Kleinhandel weist auf den Handel, der in kleinen Mengen erfolgte (kann auch „Großhandel" sein). b) H a n d e l im R e c h t s s i n n . Er weist eine Erweiterung des Handels im wirtschaftlichen Sinn auf. Diese Erweiterung ist aber weder in den einzelnen Staaten, noch auf den einzelnen Rechtsgebieten in Deutschland gleichmäßig vollzogen worden. Wir legen die Abgrenzung zugrunde, die das d e u t s c h e H a n d e l s g e s e t z b u c h vorgenommen hat. Nach ihm werden a n d e r e G e w e r b e i m e n g e r e n Sinn hereingezogen, d. h. Tätigkeiten, die innerhalb des eigentlichen Wirtschaftsprozesses auf Erwerb gerichtet sind, abgesehen von der Landund Forstwirtschaft. Liegt eine Tätigkeit außerhalb des eigentlichen Wirtschaftsprozesses vor, so ist überhaupt keine gewerbliche Tätigkeit, also nicht einmal ein Gewerbe im weiteren Sinn vorhanden. Es scheidet daher aus jede Tätigkeit, die unmittelbar und persönlich der Wissenschaft, der Kunst, der ärztlichen Heilkunde, der Rechtswahrung gewidmet ist. Gelehrte, Schriftsteller, Dichter, Maler, Bildhauer, Musiker, Ärzte, Rechtsanwälte betreiben kein Gewerbe und kein „Erwerbsgeschäft" im Sinn des HGB. Unrichtig RG 144 1, zutreffend RG 158 280. — Die Begründung für die Stellung dieser Berufe außerhalb des „Gewerbes" ist vielfach noch fehlsam. Ganz verkehrt und unsozial ist es, sie als „höhere Berufe" anzusprechen. Die Gründe für ihre Sondergruppierung sind darin zu suchen, daß sie außerhalb des Wirtschaftsprozesses stehen und — auch nach ihrer ganzen geschichtlichen Entwicklung — berufsständisch ein besonders individuelles Gepräge haben. — Die Ausscheidung der Land- und Forstwirtschaft aus dem Gewerbe im engeren Sinn (zum Gewerbe im
§ 1; I. Begriff des Handelsrechts
3
weiteren Sinn gehört sie) beruht auf ihrer Eigenart kraft ihrer dauernden Verbindung mit dem deutschen Heimat- und Nährboden.
Alle Gewerbe im engeren Sinn, welche das deutsche Handelsgesetzbuch umspannt, werden als H a n d e l s g e w e r b e im R e c h t s s i n n ( H a n d e l s u n t e r n e h men) bezeichnet. Und wer eines von ihnen als Unternehmer betreibt, ist K a u f m a n n im R e c h t s s i n n . Als solche Handelsgewerbe aber kommen in Betracht (das Nähere siehe unten §§ 6 ff.): a) Zunächst ebenfalls das U m s a t z g e w e r b e in bezug auf Waren (und Wertpapiere). Aber es ist die gesamte Umsatzindustrie und das Umsatzhandwerk einbezogen. Ferner ist der Umsatzindustrie die reine Verarbeitungs- und Bearbeitungsindustrie in bezug auf Waren (Lohnfabrikation) gleichgestellt. ß) Die wichtigsten H i l f s g e w e r b e des U m s a t z e s . Dies sind diejenigen Gewerbe, die nur m i t t e l b a r an dem Umsatz beteiligt sind, indem sie ihn vorbereiten, fördern und sichern: Vermittlergewerbe (Makler, Handelsvertreter [Handlungsagenten], Kommissionäre) — Beförderungsgewerbe (Frachtführer, Personenbeförderungsanstalten, Reeder, Spediteure, Lagerhalter) — Bankiergewerbe — Versicherungsgewerbe. y) Alle solche Gewerbe, die infolge ihrer „ k a u f m ä n n i s c h e n " Ausgestaltung (Notwendigkeit kaufmännischer Buchführung!) eine gleiche Behandlung fordern wie das Umsatzgewerbe (z. B. ein großes Auskunftsbüro, ein gewerbsmäßig ausgestattetes Theaterunternehmen). A u s g e n o m m e n ist nur die L a n d - und F o r s t w i r t s c h a f t . Doch ist zu beachten, daß die positive Gesetzgebung einige Unternehmer dem Handelsrecht unterstellt hat, obschon ein Gewerbebetrieb nicht vorliegt oder vorzuliegen braucht (z. B. jede Aktiengesellschaft, jede Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft). Wie ist diese Erweiterung zu erkläre«? Es sind v e r s c h i e d e n e , geschichtliche und wirtschaftliche Gesichtspunkte, die eingewirkt haben. Es handelt sich teils um die Einbeziehung einer etwas abgewandelten Tätigkeit (Umsatzindustrie und Umsatzhandwerk), teils um Gewerbe, die früher vielfach mit dem Umsatz verbunden waren und sich dann als selbständige Gewerbe unter der Mitgift kaufmännischer Betriebsweise abgespalten haben (Hilfsgewerbe), teils um Tätigkeiten oder Gebilde, bei denen wegen ihrer Betriebsausgestaltung als Organisationsform eine Übernahme großkaufmännischer Grundsätze stattgefunden hatte oder notwendig erschien. Es ist daher ein vergebliches Bemühen, nach einer e i n h e i t l i c h e n Formel für diesen Handel im Rechtssinn zu suchen. Hier wird sich immer der Spruch bewähren „Grau ist alle Theorie". Auch die Ausführungen Wielands (§ 15) sind daher abzulehnen. Bei der Bestimmung der H a n d e l s s a c h e n im p r o z e s s u a l e n Sinn, d. h. der Tatbestände, für welche die bei den Landgerichten gebildeten Kammern für Handelssachen zuständig sind, hat das Gerichtsverfassüngsgesetz (§95) an das i*
4
§ 1. Begriff und Eigenart des Handelsrechts Handelsgesetzbuch angeknüpft. Doch sind die Tatbestände teils etwas enger, teils erheblich erweitert. In ausländischen Rechten ist die Abgrenzung des Handelsrechts in bezug auf den Bereich des P r i v a t r e c h t s , insbesondere durch die Handelsgesetzbücher vielfach etwas anders ausgestaltet worden als in Deutschland. Stets wird vom Umsatz ausgegangen. Allgemein sind auch die Industrie und die wichtigsten Hilfsgewerbe des Umsatzes einbezogen. Die Stellungnahme zu Handwerk und Kleingewerbe ist verschieden. — Vom systematischen Standpunkt aus ist zu bemerken, daß im Gegensatz zu dem deutschen System des HGB, welches von dem kaufmännischen Beruf und dem Kaufmann ausgeht (subjektives System), das System des französischen Handelsgesetzbuches steht. Hier bilden die Grundlage des Handelsrechts bestimmte Arten von Rechtsgeschäften (Handelsgeschäfte, actes de commerce). Einige von ihnen kommen sogar als Handelsgeschäfte in Betracht, wenn sie ganz vereinzelt von einem Nichtkaufmann vorgenommen werden (z. B. die Anschaffung von Waren in der Absicht, sie wieder zu verkaufen). In den so objektiv abgegrenzten Kreis der Handelsgeschäfte wird auch der Kaufmann hereingezogen als derjenige, der sie gewerbsmäßig betreibt (sog. objektives System, aber ersichtlich nicht rein durchgeführt). Über das Konkursrecht siehe unten. — Das neue polnische Handelsgesetzbuch baut das Handelsrecht auf jedem gewerblichen Unternehmen auf (Art. 2); nicht beifallswert.
2. Das Handelsrecht (mit dem wir uns befassen) ist das Privatrecht des Handels. (Handelsprivatrech't.) Für den Handel im Ganzen gelten nicht bloß privatrechtliche, sondern auch öffentlichrechtliche Normen. Das öffentliche Recht des Handels gehört dem Staats-, Verwaltungs-, Völker-, Straf-, Prozeßrecht an. Es scheidet grundsätzlich von der Betrachtung aus. 3. Das Handelsrecht ist das besondere Privatrecht des Handels. Es umfaßt diejenigen privatrechtlichen ßechtssätze, welche dem Handel e i g e n t ü m l i c h sind und nur für ihn gelten. Grundsätzlich scheidet daher das sonstige Privatrecht „das bürgerliche Recht", soweit es ergänzend für den Handel in Betracht kommt, aus. Endlich hat die Wissenschaft eine Reihe privatrechtlicher Gebiete, die vorzugsweise im Handel eine Rolle spielen, in die Darstellung des Handelsrechts einbezogen (Handelsrecht im weiteren Sinn). Hierher gehören z. B. das Recht der Warenzeichen und das Verbot des unlauteren Wettbewerbs, welche nicht allein für Kaufleute, sondern für alle Gewerbetreibende gesetzlich geregelt sind. — Auch wir ziehen diese Gebiete in den Kreis unserer Betrachtungen hinein. 4. Unsere Darstellung hat es grundsätzlich mit dem D e u t s c h e n Handelsrecht zu tun. Es wird aber auf die besonders wichtigen Ausgestaltungen des ausländischen Handelsrechts hingewiesen werden. II. D i e E i g e n a r t des d e u t s c h e n H a n d e l s r e c h t s Es ist ein S o n d e r r e c h t für K a u f l e u t e , namentlich für größere Kaufleutq. Es enthält einerseits Begünstigungen, andererseits faßt es sie strenger
§ 1. II. Eigenart des Handelsrechts
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an. Da in seinem Mittelpunkt der Güterverkehr steht, ist ihm ein i n t e r n a t i o n a l e r Zug eigen. Seine enge Verbindung mit dem pulsierenden Leben verleiht ihm einen r a s c h v o r w ä r t s s t r e b e n d e n Charakter. Vieles wird von ihm zuerst ausgebildet und dann von dem schwerfälligen bürgerlichen Recht übernommen. Das Handelsrecht ist der „ P i o n i e r " der Rechtsentwicklung. Es ist aber Vorsicht geboten. Eine zu weitgehende „Kommerzialisierung" ist schädlich. — In Deutschland war eine Übernahme handelsrechtlicher Rechtsätze in das bürgerliche Recht (vgl. S. 16) deshalb vielfach erfreulich, weil das Handelsrecht deutschrechtlich ausgestaltet war.
Vor allem beruht aber die E i g e n a r t des deutschen Handelsrechts auf zweierlei. 1. Auf einer z w e c k m ä ß i g e n A u s g e s t a l t u n g des H a n d e l s u n t e r nehmens. 2. Auf e i g e n a r t i g e n F o r m e n der G e s e l l s c h a f t s b i l d u n g . Beides ist noch näher zu betrachten. A. Zu 1.: Hier entsteht zunächst die Frage: Was i s t ein H a n d e l s u n t e r nehmen? Über den Begriff des Unternehmens und des Handelsunternehmens herrscht seit langem ein ungeschlichteter Streit. Ich habe in ZHR 111 S. lff. dazu Stellung genommen. (Vgl. jetzt Hubmann a. a. 0.)
Handelsunternehmen ist eine W i r t s c h a f t s e i n h e i t f ü r den H a n d e l im Rechtssinn. Der Begriff des Unternehmens und des Handelsunternehmens ist aus der Volkswirtschaft in die Rechtsordnung übernommen und kommt in ihr eigenartig — infolge der verschiedenen Art der Begriffsbildung in beiden Gebieten — zur Entfaltung.
Es ist als solches ein e i n h e i t l i c h e s G e d a n k e n g e b i l d e , das dem gesamten Handelsrecht zugrunde liegt. Besondere Rechtssätze für es sind freilich selten. Grundsätzlich gehört zu ihmein U n t e r n e h m e r . Außerdem werden rechtlich herausgestellt (entsprechend der funktionellen Betrachtungsweise des Rechts) drei A u s s t r a h l u n g e n dieser Wirtschaftseinheit: Die B e t r i e b s t ä t i g k e i t , das B e t r i e b s g e s c h ä f t und die B e t r i e b s g e m e i n s c h a f t . Über sie sei noch folgendes ausgeführt: a) Die B e t r i e b s t ä t i g k e i t , d. h. das B e t r e i b e n des H a n d e l s g e w e r b e s . Nach ihr richtet sich die Frage, ob ein Kaufmann vorhanden ist und welcher Art die Kaufmannseigenschaft ist (unten § 6). Sie führt dann weiter zu den Rechtsakten, die der Kaufmar.n vornimmt, d. h. zu den verschiedenen H a n d e l s g e s c h ä f t e n . Für diese Betätigung aber kommt eine Reihe e i g e n a r t i g e r K e n n z e i c h e n in Betracht. tx) Sie ist vielfach auf M a s s e n b e t r i e b zugeschnitten. Dieser wird von einer gleichmäßig schablonenhaften Behandlung der Kunden beherrscht. Sie findet
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§ 1. Begriff und Eigenart des Handelsrechts
ihren Ausdruck in der ausgearbeiteten Anwendung von G e s c h ä f t s b e d i n g u n gen, Geschäftsformularen, Geschäftsklauseln. Verfehlt war es, wenn Heck hierin allein das Charakteristische des Handelsrechts erblickte. Über die Geschäftsbedingungen siehe unten § 3, IV.
ß) E s werden e r h ö h t e Anforderungen an den Kaufmann in bezug auf U m s i c h t i g k e i t , S o r g f a l t und P ü n k t l i c h k e i t gestellt. Vgl. z. B. § 347 HGB, § 377 HGB (Rügepflicht), § 352 HGB (Schweigen), §§ 348 bis 351 (Freiheit von Formvorschriften), Aufbewahrung von Wertpapieren, Anmeldungen zum Handelsregister. y ) Der Kaufmann genießt V o r t e i l e aus seiner g e n a u e n von Zeit und Geld.
Berechnung
Vgl. § 354 HGB (Entgelt für Dienstleistungen), §§ 352ff. (Zinsrecht, aber auch Zinsnachteile). ö) E s werden ihm besondere Sicherheitsmittel zur Verfügung gestellt. Vgl. §§ 369 ff. (Zurückbehaltungsrecht. •— Besondere gesetzliche Pfandrechte), e)
Seine Rechtsgeschäfte
werden
erleichtert
durch
den
Schutz
des
P u b l i k u m s im Hinblick auf dessen V e r t r a u e n a u f ä u ß e r e T a t b e s t ä n d e . Vgl. § 15 HGB (Handelsregister), § 5 (Scheinkaufmann, mit weitgehendem Gewohnheitsrecht), typische Vollmachten, gutgläubiger sachenrechtlicher Erwerb (§ 366 HGB). b) Das B e t r i e b s g e s c h ä f t , d a s H a n d e l s g e s c h ä f t . E s ist das H a n d e l s u n t e r n e h m e n i m e n g e r e n S i n n . E s ist der durch die Betriebstätigkeit geschaffene Tätigkeitsbereich. Dieses Handelsunternehmen ist ausgestattet als ein e i g e n a r t i g e s S o n d e r v e r m ö g e n . E s ist kaufmännisch abgetrennt vom sonstigen Vermögen, unterliegt besonderer Buchführung. E s hat eigenartige Bestandteile (Firma, Warenzeichen), genießt besonderen Schutz, ist Gegenstand des Rechtsverkehrs. Die Rechtsordnung hat die Tendenz, seinen Wert nach Möglichkeit zu erhalten und vor Auflösung zu bewahren. Vgl. unten §§ 14ff. Dieses Handelsunternehmen im engeren Sinn wird überschattet von einem Persönlichkeitsrecht des Unternehmers, das aus seiner Betriebstätigkeit fließt (richtige Gedanken bei H u b m a n n a.a.O.). c) Die B e t r i e b s g e m e i n s c h a f t . E s ist die p e r s o n e n r e c h t l i c h e G e m e i n s c h a f t des Kaufmanns mit seinen Angestellten und Arbeitern. Sie hat in bezug auf das sog. kaufmännische Personal (Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge) ihre eigenartige handelsrechtliche Ausprägung erfahren (§§ 59ff. H G B ) . B . Zu 2. G e s e l l s c h a f t s b i l d u n g . Das Handelsrecht hat eigenartige Formen menschlicher Vereinigungen ausgebildet, die den besonderen, mit ihnen verfolgten Zwecken angepaßt sind. Als solche kommen namentlich in Betracht die gemeinsame Erwerbsbetätigung, die Erwerbsanteilnahme, die gewinnbringende Verwertung aufgebrachten K a -
§ 1. IV. Plan der Darstellung
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pitals, die Steigerung der wirtschaftlichen Kräfte durch persönliche Verhaftungen, die Beeinflussung der Wirtschafts- und Marktlage. Vgl. unten Abschnitt II. III. D a s S c h i f f a h r t s r e c h t Zu den N e b e n g e b i e t e n des Handelsrechts, die weitgehend mit ihm verquickt sind, gehört vor allem das S c h i f f a h r t s r e c h t . Es geht nicht voll in ihm auf, hat vielmehr eine selbständige Bedeutung. Es weist teilweise einen nicht gewerblichen Charakter auf. Es zerfällt in das S e e r e c h t und das B i n n e n s c h i f f a h r t s r e c h t . — Es empfiehlt sich eine Angliederung an das Handelsrecht und soll in dieser Form von uns dargestellt werden. Wenn manche Lehrbücher eine Eingliederung in die Schilderung des Handelsrechts vorgenommen haben, so ist das fehlsam, da hierdurch eine richtige Wertung verloren geht und eine große Unübersichtlichkeit hervorgerufen wird. Man beachte übrigens, daß die Rechtsverhältnisse der See- und Binnenschiffahrt Handelssachen im prozessualen Sinn sind (vgl. § 96 GVG oben S. 3). Dagegen werden zwei andere Nebengebiete des Handelsrechts von der folgenden Darstellung ausgeschieden: 1. Das Versicherungsrecht (Privatversicherungsrecht). Es birgt eine Fülle eigenartiger und schwieriger Probleme. So empfiehlt sich eine volle Sonderbetrachtung. Aus dem Schrifttum: J. v. Gierke Versicherungsrecht I (1937), II (1949). 2. Das Wechsel- und Scheckrecht. Es wird am besten mit dem umfassenden „Recht der Wertpapiere" zur Darstellung gebracht. Vgl. J. v. G i e r k e Recht der Wertpapiere (1954). IV. P l a n der D a r s t e l l u n g Wir gliedern in folgende Abschnitte I. Abschnitt: D e r K a u f m a n n u n d s e i n H a n d e l s u n t e r n e h m e n i m allgemeinen. II. Abschnitt: D i e G e s e l l s c h a f t e n des H a n d e l s v e r k e h r s . III. Abschnitt: D i e H a n d e l s g e s c h ä f t e . IV. Abschnitt: D a s S c h i f f a h r t s r e c h t . Der e r s t e A b s c h n i t t geht dem deutschen System entsprechend von den Personen des Handelsrechts, den Kaufleuten aus. Er führt auf die Betriebstätigkeit, ihr registerliches Hervortreten (Handelsregister), den durch sie geschaffenen Tätigkeitsbereich (Handelsunternehmen im engeren Sinn), die Vertretung des Kaufmanns und die Betriebsgemeinschaft (kaufmännisches Personal). Ausgeschieden werden die allgemeinen Lehren über geschäftliche Handlungen (Handelsgeschäft), welche als erster Teil des d r i t t e n Abschnitts den wichtigsten Typen einzelner Handelsgeschäfte vorangestellt werden sollen. Es ist aber zweckmäßig, einige Hilfsgeschäfte des Kaufmanns schon in den ersten Abschnitt hineinzuziehen (Handelsvertreter und Handelsmakler). Der zweite Abschnitt behandelt die Gesellschaften im weiteren Sinn, d. h. die Vereine und Gesellschaften im engeren Sinn, welche sich im Handelsrecht eigenartig entwickelt haben. Die Gliederung, welche nicht völlig schematisch ist, hat den Vorzug, daß sie mit dem Aufbau des deutschen Handelsgesetzbuchs harmoniert.
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§ 2. Geschichte des Handelsrechts Anhang Wirtschaftsrecht Schon seit längerer Zeit hatte man eine Zusammenfassung zu einem sog. W i r t s c h a f t s r e c h t gefordert mit dem mehr oder weniger betonten Verlangen, das Handelsrecht in ihm aufgehen zu lassen. Dabei sind zunächst eine Unmasse verschiedener Ansichten über dessen Abgrenzung hervorgetreten. Die weiteste Ausdehnung hat der Begriff wohl durch die Heranziehung dea Hypothekenrechts, des Landwirtschaftsrechts und der Wohnungsmieten erfahren. Eine — freilich sehr langweilig wirkende Zusammenstellung der verschiedenen Meinungen bis 1931 findet sich bei K l a u s i n g (Beiträge zum Wirtschaftsrecht I S. lff.). Seit 1933 hat man gemeinwirtschaftliche Gedanken in den Vordergrund gerückt. H e d e m a n n hat es in seinem großen anregenden Werk „Deutsches Wirtschaftsrecht" (1939) auf eine „wirtschaftliche Gesamtschau" abgestellt. Das Richtigste dürfte es sein, das Wirtschaftsrecht auf das Recht der Wirtschaftslenkung und der besonderen Organisationsformen zu beschränken (vgl. H . K r a u s e , Deutsche Rechtswissenschaft 1937, S. 28ff., vieles dort Gesagte ist heute überholt). — Aber niemals darf sich das Wirtschaftsrecht anmaßen, das Handelsrecht zu verdrängen. Zur Zeit kann das Wichtigste überhaupt ins Handelsrecht eingeflochten werden Geschichte des Handelsrechts R e h m e in Ehrenbergs Handbuch I (1913) 28ff. (Geschichte des Handelsrechts). — Für die Geschichte des Handelsrechts im Altertum und im Mittelalter ist gmudlegend L. G o l d s c h m i d t , Universalgeschichte des Handelsrechts 1891, unvollendet. —• Im übrigen ist auf die Werke über Rechts- und Wirtschaftsgeschichte zu verweisen. I. D a s A l t e r t u m
Dem A l t e r t u m ist ein umfassendes, besonderes Handelsrecht fremd. E s gibt nur e i n z e l n e , besondere handelsrechtliche Regeln und Rechtsbildungen, die aus dem Rahmen des allgemeinen Privatrechts herausfallen. Der Grund ist der, daß das bürgerliche Recht auch für den reich entwickelten Handel im wesentlichen genügte. So war es in B a b y l o n i e n , in G r i e c h e n l a n d , in R o m . Insbesondere paßte sich das klassische römische Schuldrecht infolge seiner freiheitlichen Entwicklung auch den besonderen Bedürfnissen des Handelsverkehrs an. Sonderregeln für den Handel finden sich z. B. in dem Gesetzbuch des großen babylonischen Königs Hammurabi (1958—1916 v. Chr.). In Griechenland gab es eigene Normen für das Bankwesen und den Seehandel, ebenso im römischen Recht meist infolge ihrer Aufnahme aus Griechenland. — Übrigens weisen bereits Rechte von Natur- und Halbkulturvölkern einige besondere handelsrechtliche Institute auf (z. B. Makler, Kommissionäre, die gleichzeitig als Dolmetscher dienen). Gekennzeichnet ist das gesamte Wirtschaftsleben und damit auch Handel und Gewerbe durch S k l a v e n w i r t s c h a f t (Unfreie und Freigelassene). II. G e r m a n i s c h e U r z e i t u n d f r ä n k i s c h e Z e i t Es ist die Zeit völliger oder doch überwiegender N a t u r a l w i r t s c h a f t .
§ 2. III. Das Mittelalter
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Die G e r m a n e n waren Bauern und Krieger. Der Handel (Umsatz) spielte nur als Tauschhandel eine bescheidene Rolle. Bearbeitung und Verarbeitung wurde in den Hausgemeinschaften selbst vorgenommen (sog. Hausgewerbe), waren aber, wie die Gräberfunde zeigen, bereits durch eine eigene Kunstfertigkeit ausgezeichnet. Besondere Rechtssätze für Handel und Gewerbe waren daher entbehrlich. In der f r ä n k i s c h e n Zeit war ein lebhafter Handel vorhanden, aber meistens wurde er von Volksfremden (Juden, Syrern) betrieben. Sie wurden in den Königsschutz aufgenommen und erhielten wichtige Privilegien, auch für Geldgeschäfte. Noch immer überwog weitgehend die Naturalwirtschaft. Das allgemeine Privatrecht reichte aus. Jedoch enthalten die Verordnungen der fränkischen Könige (Kapitularien) wichtige marktpolizeiliche Vorschriften. H. Planitz, Handelsverkehr und Kaufmannsrecht im fränkischen Reich (in der Festschrift für E. Heymann I S. 175ff.) 1940. III. D a s M i t t e l a l t e r (bis zum 15./16. Jahrhundert) Erst im Mittelalter erwuchs allmählich seit dem Emporblühen der S t ä d t e ein besonderes Handelsrecht. Zuerst in I t a l i e n und den romanischen Ländern, später auch in D e u t s c h l a n d . In I t a l i e n waren bereits seit dem 9. Jahrhundert die Städte zu neuem Aufschwung gelangt. Das sich entwickelnde Handelsrecht beeinflußte die romanischen Länder des Mittelmeeres (Spanien, Frankreich). In D e u t s c h l a n d beginnt auf der Grundlage der Städtegründungen langsam seit dem 13. Jahrhundert die Geldwirtschaft neben die Naturalwirtschaft zu treten. Es entwickeln sich in den Städten, die zu ständigen Märkten geworden waren, ein reicher deutscher Handel und deutscher Handwerksbetrieb. Die Juden, welche bisher den Großhandel beherrschten, wurden auf den Geldverkehr beschränkt. Deutscher Handel dehnte sich weitgehend ins Ausland aus und erlangte durch die Deutsche Hanse eine Zeitlang die Führung in Europa. Seit dem 15. Jahrhundert betreiben deutsche Kaufleute auch das Bankgewerbe. Allgemein: A. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs I. Bd. 1900. In die weitreichenden deutsch-europäischen Handelsbeziehungen (insbesondere auch der oberdeutschen Kaufleute) gibt einen guten Einblick F. Rörig, Das Einkaufsbüchlein der Nürnberg-Lübecker Mulich's auf der Frankfurter Fastenmesse des Jahres 1495 (Veröffentl. der Schlesw.-Holst. Univers.Ges. 36); eine Ergänzung dazu bietet E. Nordmann, Nürnberger Großhändler im spätmittelalterlichen Lübeck (Nürnberger Beiträge, Heft 37/38) 1933. In anderen germanischen Ländern (Niederlande, Nordfrankreich, England, Skandinavien) entsteht gleichfalls in den Städten ein besonderes Handels- und Gewerberecht. 1. G r ü n d e für die Entwicklung des Sonderrechts a) Das b ü r g e r l i c h e Recht erwies sich für den Handel als u n z u r e i c h e n d . Dieses gilt für das römische, das germanische, das kanonische Recht.
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§ 2. Geschichte des Handelsrechts Das römische Recht, das in den romanischen Ländern galt, war nicht mehr das klassische, sondern das spätrömische, das eine dem Handel ungünstige Richtung eingeschlagen hatte. Das germanische Recht aber, das sowohl für die germanischen Länder wie die romanischen (in Italien das langobardische, in Spanien das westgotische, in Südfrankreich das westgotische und burgundische Recht) in Betracht kam, beruhte auf der Naturwissenschaft und einem strengen Formalismus. — Das kanonische Recht schließlich war teilweise geradezu handelsfeindlich (die reine Spekulationstätigkeit ist sündhaft; das Zinsennehmen ist verboten).
b) In den S t ä d t e n erwuchs ein kraftvoller K a u f m a n n s s t a n d . Durch seine genossenschaftlichen Organisationen, die K a u f m a n n s g i l d e n , sowie durch ihren Einfluß auf das Stadtregiment vermochten sie ein eigenes, für sie passendes Handelsrecht durchzusetzen. Unter den Kaufleuten nahmen die Großhändler die beherrschende Stellung ein, die Kleinhändler (Krämer) wurden vielfach zu den Handwerkern gerechnet. An der politischen Führung sind seit dem 14. Jahrhundert auch die Handwerker (Zünfte) beteiligt. 2. I n h a l t Seinem Inhalt nach gehört das Sonderrecht dem Privatrecht, dem Verwaltungsrecht, dem Strafrecht und dem Prozeßrecht an. Besonders geregelt war der Marktverkehr, denn die Städte waren ja zu ständigen Märkten geworden. Allgemeine Grundlage ist die g e b u n d e n e g e n o s s e n s c h a f t l i c h e W i r t s c h a f t s o r d n u n g : Nur der der Genossenschaft Angehörige hat das Recht des Handels- oder Gewerbebetriebes (Gildezwang, Z u n f t z w a n g ) , er ist in seiner gesamten Tätigkeit den Anordnungen und der Aufsicht der Gemeinschaft unterworfen. Allein der Gilde- und Zunftzwang beruhten nur auf dem Gedanken berufsständischer Erfassung und Ordnung zum gemeinen Nutzen. Sie sind nicht abgestellt auf eine andere ausschließende, eigennützige Berechtigung. Das Recht auf den Gewerbebetrieb war ein ö f f e n t l i c h e s A m t . Im allgemeinen vergleiche die Schilderungen von 0 . v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht I (1868) §§ 33ff., die in Einzelheiten ergänzt worden sind, aber im ganzen unübertroffen dastehen.
3. C h a r a k t e r a) Die Hauptmasse des neuen Sonderrechts war G e w o h n h e i t s r e c h t , vor allem auf dem Gebiet des Privatrechts. Mancherlei Normen wurden aber in den Satzungen der Kaufmannsgilden (statuta mercatorum) oder in den Stadtrechten sowie in den Willküren der Kaufmannsvereine im Auslande festgelegt. Privataufzeichnungen (Rechtsbücher) betreffen vornehmlich das Seerecht. Unserer Erkenntnis des Gewohnheitsrechts dienen auch Notariatsurkunden (romanische Länder), Stadtbucheintragungen (Deutschland), Handelsbücher von Kaufleuten.
b) Die neuen Sonderrechte waren S t a n d e s r e c h t e , das Handelsrecht war Standesrecht der Kaufleute. Grundsätzlich kam es nur unter den Standesangehörigen zur Anwendung.
§ 2. IV. Das 16./17. und 18. Jahrhundert
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Durch die Handelsgerichtsbarkeit wurde es aber auch auf fremde Kaufleute erstreckt.
c) Das Handelsrecht war im wesentlichen l o k a l e s Recht. Es war Gilderecht (Innungsrecht, Zunftrecht), Stadtrecht. Doch zeigen diese Einzelrechte in den romanischen Gebieten einerseits, in den germanischen Gebieten andererseits eine weitgehende t a t s ä c h l i c h e Übereinstimmung. Ja, es gibt auch, namentlich auf dem Gebiet des Handelsrechts, manche Gesamtübereinstimmung. Mitgewirkt haben dabei die Messen, d. h. die auf kirchliche Festtage gelegten großen Märkte, die von den Kaisern und Landesherren mit mannigfachen Privilegien ausgestattet wurden, und auf denen sich ein internationaler Warenund Wechselverkehr abspielte. Bis in das 14. Jahrhundert nahmen die Messen in der Champagne die erste Stelle ein, später kamen andere Meßplätze, auch deutsche, auf. Der Name „Messe" rührt von dem kirchlichen Ein- und Ausläuten her. — In den romanischen Gebieten zeigt sich germanischer Einfluß namentlich im Gesellschaftsrecht. — Über das eigenartige Handelsrecht der Kreuzfahrer in Jerusalem, Armenien und Griechenland (Assisenrecht) vgl. H. Mitteis, Beiträge z.Wirtschaftsrecht (Heymannsche Abh. Nr. 62, 1931, I, S. 229 ff.).
Eine Art g e m e i n s a m e s d e u t s c h e s H a n d e l s r e c h t schuf für ihren Bereich die d e u t s c h e H a n s e . Dieser große Handelsverein norddeutscher Städte hatte sich auf den deutschen Kaufmannsvereinen im Auslande, die insbesondere zu Nowgorod (Rußland), Brügge und London ihren Mittelpunkt hatten, aufgebaut. Vgl. J. v. Gierlce, Die deutsche Hanse 1918. Das hansische Handelsrecht weist manche Besonderheit auf und ist zum Teil niedergelegt in „Ordinanzien", die in die Hanserezesse aufgenommen wurden. Vgl. H. P l a n i t z in den Hansischen Geschichtsblättern 3, lff.
IV. Das 16./17. und 18. J a h r h u n d e r t Die Zeit ist gekennzeichnet durch die immer mehr vordringende S t a a t s w i r t s c h a f t und die s t a a t l i c h e n Gesetze f ü r das H a n d e l s r e c h t . I. Die S t a a t s w i r t s c h a f t tritt an die Stelle der selbstherrlichen, mittelalterlichen Genossenschaften. Diese sind teils entwertet, teils in engherzigen Kleinigkeiten befangen. Der Polizeistaat verwandelt sie in von ihm abhängige Anstalten und stempelt den Gewerbebetrieb zu einem von ihm verliehenen Privileg. Hinzu kommen die Privilegierungen außerhalb der Verbände und der eigenstaatliche Monopolbetrieb nebst einer staatlichen Fürsorge für alle Handelsinteressen (Bankverkehr, Schiffahrtsverkehr, Versicherungsverkehr usw.). Es darf aber nicht übersehen werden, daß es den großen Kaufmannsgilden und den letzten Wirksamkeiten der Hanse zu danken ist, daß in Deutschland sich das Handelsrecht auf d e u t s c h r e c h t l i c h e r Grundlage in großem Umfange gegenüber dem römischen Recht behaupten könnt«.
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§ 2. Geschichte des Handelsrechts
2. D i e s t a a t l i c h e n G e s e t z e f ü r den H a n d e l . Die Folge war, daß an Stelle des Gewohnheitsrechts und der begrenzten lokalen Regelung eine M a s s e s t a a t l i c h e r G e s e t z e für den Handel treten. Aber der Umfang erschöpfte sich nicht in Gildeordnungen und staatlichen Privilegien, sondern ging weit darüber hinaus. a) Die erste u m f a s s e n d e gesetzliche Regelung des H a n d e l s r e c h t s im w e i t e r e n S i n n erfolgte in F r a n k r e i c h unter Ludwig X I V . Im Jahre 1673 ergeht die Ordonnance sur le commerce, welche sich mit den wichtigsten Rechtsnormen für den Kaufmann, sowohl privatrechtlichen, wie öffentlichrechtlichen Inhalts, befaßte. Von besonderem Interesse ist, daß sie nicht einseitig auf Großkaufleute abgestellt war, sondern auch Kleinkaufleute berücksichtigte. Dem Umsatzkaufmann wurde der Bankier gleichgestellt, Buchführungsptlicht, Wechselrecht, Konkurs, Handelsgerichtsbarkeit werden ausführlich behandelt, auch dem Recht der Gesellschaft, der Bankagenten und Makler besondere Abschnitte gewidmet. — Eine Ergänzung erfuhr die Ordonnance im Jahre 1681 durch die Ordonnance de la marine, welche unter dem Einfluß Colberts erlassen wurde und privates und öffentliches Seerecht enthielt. b) In D e u t s c h l a n d kamen zunächst nur einzelne Sondergesetze über verschiedene Gegenstände des Handelsrechts in Betracht, welche z . B . das Makler-, das Firmen-, Wechsel-, Versicherung?-, Schiffahrtsrecht betreffen. Einzig in seiner Art dastehend ist die Regelung des g e s a m t e n H a n d e l s u n d G e w e r b e r e c h t s in dem A l l g e m e i n e n L a n d r e c h t f ü r d i e p r e u ß i s c h e n S t a a t e n vom 5. Februar 1794. E s normiert dieses unter dem Gesichtspunkt des S t ä n d e r e c h t s und daher gemäß seinem System im I I . Teil beim Bürgerstande (Titel 8). Das Kaufmannsrecht hat einen starken d e u t s c h r e c h t l i c h e n Einschlag. E s behandelt zunächst die Rechtsstellung der Handwerker, der Künstler und Fabrikanten, der Brauer, Gastwirte und Apotheker. E s geht dann auf die Kaufleute über und schließt an sie das Wechselrecht, das Seerecht und das Versicherungsrecht an. Jeder Gewerbebetrieb bedarf o b r i g k e i t l i c h e r E r l a u b n i s . Die Zünfte und Kaufmannsgilden wurden als Staatsanstalten geregelt. Von besonderem Interesse ist die Abgrenzung des Kaufmannsbegriffes. Die Kaufmannseigenschaft ist zunächst sehr eng festgelegt. Kaufmann ist derjenige, der den Handel mit Waren und Wechseln als sein Hauptgeschäft treibt (§ 475). E s wird ihm aber gleichgestellt der Unternehmer einer Fabrik, welcher mit denjenigen, die für ihn arbeiten (Fabrikanten), außerhalb der Zünfte steht, sowie der Schiffsreeder gleichgestellt (§§ 483, 484). Eine Fabrik ist eine Anstalt, in welcher die Verarbeitung oder Verfeinerung gewisser Naturerzeugnisse im großen betrieben wird (§ 407). Der Umsatzhandwerker untersteht nicht dem Kaufmannsrecht, ebensowenig der Krämer des platten Landes, der Hausierer, der Trödler, der Viehhändler.
§ 2. V. Das 19. Jahrhundert und der Anfang des 20."Jahrhunderts
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Die Apotheker haben eine eigene Standesordnung. Die besonderen Vorschriften für Kaufleute betreffen die Handelsfrau, den Handlungsvorstand (Prokura), die Handlungsdiener und Handlungslehrlinge, die kaufmännische Buchführung, die Handelsgesellschaft unter gemeinschaftlicher Firma, besondere Zins- und Provisionsregeln und Auskunftshaftungen. Grundsätzlich ist nur der Kaufmann wechselfähig. Das ALR beruht meistens auf der früheren brandenburgisch-preußischen Gesetzgebung. Doch waren auch eingehende Äußerungen hanseatischer Sachverständiger unter Führung von Johann Georg Büseh von Einfluß. Vgl. E. Heymann, Das Friederizianische Handelsrecht (Sitzungsberichte d. pr. Ak.d. Wiss., Phil.-hist. Klasse 1929 I). — Rühmenswert ist die leicht faßliche Ausdrucksweise des Gesetzes. c) Auch in dieser Zeitepoche haben sich die Handelsrechte der einzelnen Länder b e r ü h r t und g e g e n s e i t i g b e f r u c h t e t . Groß war bis in das 17. Jahrhundert hinein der Einfluß des italienischen Handelsrechts, auch in Deutschland (einzelne italienische Institute, die namentlich das Bank-, Kredit-, Versicherungswesen betrafen, wurden aufgenommen). Seit dem Aufschwung des niederländischen Handels zum Welthandel (vollendet im 17. Jahrhundert; Untergang der deutschen Hanse) dringt niederländisches Handelsrecht namentlich in die germanischen Länder ein, während seit der ordonnance du commerce französisches Handelsrecht die romanischen Länder beeinflußt. Auch bildeten sich auf den großen Messen und sonstigen Zusammenkünften internationale Handelsgebräuche heraus. V. D a s 19. J a h r h u n d e r t u n d der A n f a n g des 20. J a h r h u n d e r t s Es ist zunächst die Zeit der auf der Gewerbefreiheit aufbauenden m o d e r n e n H a n d e l s g e s e t z b ü c h e r , später die Zeit des B e g i n n s eines auf internationalen Verträgen beruhenden Welthandelsrechts. Außerdem setzt eine starke Entwicklung des l e b e n d e n R e c h t s ein, das in den Geschäftsgebräuchen, den Geschäftsbedingungen und Geschäftsformularen Niederschlag fand. I n D e u t s c h l a n d ist es außerdem die Zeit der n a t i o n a l e n V e r e i n h e i t l i c h u n g des Handelsrechts und Gewerberechts. Auch gelangte die H a n d e l s r e c h t s w i s s e n s c h a f t zu hoher Blüte. Den Auftakt bildete die Verkündung der G e w e r b e f r e i h e i t in der französischen Revolution (1791). In Deutschland ergingen die entsprechenden Gewerbeordnungen im 19. Jahrhundert, abschließend mit der R e i c h s g e w e r b e o r d n u n g vom 21. Juni 1869. Von den Nebengesetzen der Gewerbeordnung interessieren das Handelsrecht, besonders die Landesgesetze über Handels- und Gewerbekammern, Handelskammern, Korporationen der Kaufmannschaft. In bezug auf die H a n d e l s g e s e t z b ü c h e r unterscheiden wir F r a n k r e i c h und D e u t s c h l a n d , da sich hiernach die Handelsgesetzbücher der meisten anderen Länder gruppieren.
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§ 2. Geschichte des Handelsrechts
1. F r a n k r e i c h Der Code de commerce vom 15. September 1807 behandelt das Handelsrecht nicht mehr als Standesrecht, sondern als sachliches Sonderrecht des Handels ( o b j e k t i v e s System). Dies geht auf den Einfluß der französischen Revolution zurück, welche die mittelalterlichen Stände vernichten wollte. Infolgedessen wird das Handelsrecht objektiv abgestellt auf eine Reihe besonders aufgezählter Rechtsgeschäfte (Art. 631 ff. „actes de commerce" „Handelsgeschäfte"). Sie bildeten in ausschließlicher Weise die Grundlage des Handelsrechts und insbesondere der Handelsgerichtsbarkeit. Daneben wurde auch der Kaufmann als derjenige, welcher sie gewerbsmäßig betreibt (Art. 1), zum Träger einiger Rechte und Pflichten (z.B. Buchführungspflicht) gestempelt. Inhaltlich beruht der Code de commerce zu einem großen Teil auf den alten Ordonnancen von 1673 und 1681 (oben IV 2a). Er zerfällt in vier Bücher (I. Buch: Handels- und Wechselrecht, II. Buch: Seehandel, III. Buch: Konkurs, IV. Buch: Handelsgerichtsbarkeit).
Seine Sätze sind knapp und klar gefaßt, gerade hierdurch ist sein Inhalt freilich außerordentlich dürftig. Besonders gering sind die privatrechtlichen Rechtssätze. Hier haben erst die französische Wissenschaft und Rechtsprechung für den erforderlichen Ausbau gesorgt. Bemerkenswert ist, daß als Kaufmann behandelt wird der Fabrikant und der Umsatzhandwerker. Es werden ferner zahlreiche Hilfsgewerbe des Umsatzes hereingezogen. Dagegen ist der Lohnhandwerker, der Kleinhändler, der Trödler und Hausierer nicht Kaufmann. Wichtig ist, daß das Gesetz die erste gesetzliche Regelung des Aktienrechts enthält, allerdings nur in 13 Artikeln. Der Code erlangte eine weite Verbreitung außerhalb Frankreichs. In vielen Ländern zunächst infolge der Eroberungen Napoleons. In größerem Umfang fand er eine friedliche Verbreitung, indem zahlreiche Staaten ihn ihrer Handelsgesetzgebung zugrunde legten (siehe unten § 5 B II 2). In Deutschland blieb der Code nach den Freiheitskriegen in den Ländern des französischen Rechts in Kraft, in Baden wurde er mit dem badischen Landrecht in einer Übersetzung als „Anhang von den Handelsgesetzen" eingeführt (seit 1. Januar 1810).
2. D e u t s c h l a n d a) I n D e u t s c h l a n d w u r d e der p a r t i k u l ä r e n Z e r r i s s e n h e i t d u r c h die S c h a f f u n g des A l l g e m e i n e n D e u t s c h e n H a n d e l s g e s e t z b u c h s (ADHGB) ein E n d e b e r e i t e t . Die erste Anregung gab Württemberg auf der Zollvereinskonferenz 1836. Sie und andere spätere Versuche scheiterten. Nur die allgemeine deutsche Wechselordnung kam im Jahre 1848 zustande. Erfolg war erst beschieden, als im Jahre 1856 der Bundestag auf Antrag Bayerns die Einsetzung einer Kommission zwecks Entwurfs eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für die deut-
§ 2. V. Das 19. Jahrhundert und der Anfang des 20. Jahrhunderts
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sehen Bundesstaaten beschloß. Die Kommission, welche aus Juristen und Kaufleuten bestand, tagte in N ü r n b e r g (1857—1861, nur die Beratung des Seerechts erfolgte in Hamburg). Zugrunde gelegt wurde namentlich ein preußischer Entwurf. Der Entwurf der Kommission wurde 1860 veröffentlicht, kritisiert und im Jahre 1861 endgültig abgeschlossen. Der Bundestag, der bekanntlich selbst keine gesetzgebende Gewalt hatte, empfahl den E i n z e l s t a a t e n die Einführung (Beschluß vom 31. Mai 1861). Die allermeisten Einzelstaaten sind dem in den Jahren 1861—1867 durch Einführungsgesetze nachgekommen. — Dieses „allgemeine" deutsche Handelsgesetzbuch wurde 1869 zum Gesetz des Norddeutschen Bundes und später zum R e i c h s g e s e t z erhoben. Hiermit wurde es „gemeines" Reichsrecht und war der Abänderung durch die Einzelstaaten grundsätzlich entzogen („ergänzende" Landesgesetze waren zugelassen). Das ADHGB zerfällt in einleitende „Allgemeine Bestimmungen" (Art. 1—3) und 5 Bücher (I.Buch: „Vom Handelsstande"; II. Buch: „Von den Handelsgesellschaften"; III. Buch: „Von der stillen Gesellschaft und von der Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften für gemeinschaftliche Rechnung"; IV. Buch: „Von den Handelsgeschäften"; V. Buch: „Vom Seehandel").
Das Gesetzbuch beruht auf einem sog. gemischten System. Es geht von dem Begriff des Kaufmanns aus (Art. 4) und normiert ein besonderes Recht für ihn und seine Tätigkeit (subjektives System). Allein es verbindet damit auch das französische, objektive System: Es kennt bestimmte Rechtsgeschäfte, auf welche das Handelsrecht Anwendung findet, selbst wenn nur Nichtkaufleute beteiligt sind (Art. 271, sog. absolute oder objektive Handelsgeschäfte; z. B. die Anschaffung von Waren in Spekulationsabsicht). Auch sonst zieht es den Nichtkaufmann in seinen Bereich und stellt allgemeine Rechtssätze auf (vgl. Art. 307). So schuf es nicht allein ein vortreffliches Kaufmannsrecht, sondern wies auch in ausgezeichneter Weise dem allgemeinen Verkehrsrecht die Wege. Dabei ist es stark deutschrechtlich ausgestaltet, und eine klare, verständliche Sprache ist ihm eigen. Seine umfangreiche Einstellung auf das Privatrecht stempelt es zu dem ersten großen Gesetzbuch der Welt über das Handelsprivatrecht. Die Abgrenzung des Kaufmanns im Rechtssinne entspricht im wesentlichen dem Code de commerce. Insbesondere werden also Fabrikanten und die Inhaber von Hilfsgewerben hereingezogen, ebenso der Umsatzhandwerker. Im Gegensatz zum Code kennt es aber die Unterscheidung von Vollkaufleuten und Minderkaufleuten und rechnet zu letzteren stets den Handwerker. Eine mustergültige Anwendung wurde dem Gesetz durch die Praxis des (Bundes-)Reichs-Oberhandelsgerichts zu Leipzig (Bundesgesetz vom 12. Juni 1869), an dessen Stelle seit dem 1. Oktober 1879 das R e i c h s g e r i c h t getreten ist, zuteil. Auf der Grundlage des Handelsgesetzbuches, aber in vielfach erweiterter Ausprägung wurde dann der prozessuale Begriff der H a n d e l s s a c h e n durch das
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§ 2. Geschichte des Handelsrechts Gerichtsverfassungsgesetz v. 21. Januar 1877 geprägt, für welche die Kammern für Handelssachen zuständig sind (§ 95). Vgl. oben S. 3. Das ADHGB ist in späterer Zeit durch einige Reichsgesetze abgeändert worden (z.B. im Recht der Aktiengesellschaften). Es ergingen ferner zahlreiche Reichsgesetze, welche besondere handelsrechtliche Materien regelten — sog. handelsrechtliche N e b e n g e s e t z e (z. B. Bankgesetz vom 14. März 1875 mit späteren Abänderungen, Ges. betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889, betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892, Börsengesetz vom 22. Juni 1896).
Das so geschaffene deutsche Handelsrecht diente verschiedenen ausländischen Handelsgesetzgebungen als Grundlage (siehe unten S. 33f.). b) Die Herstellung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich machte eine R e v i s i o n d e s A D H G B notwendig. Der Plan, den gesamten Handelsrechtsstoff unter Einschluß der besonderen Gesetze zu einem großen Gesetzbuch zusammenzufassen, scheiterte vornehmlich an einer durch die Arbeiten an dem BGB hervorgerufenen Müdigkeit des Gesetzgebers. Andererseits wurde der vereinzelt, insbesondere von H e i n r i c h D e r n b u r g , geäußerte Wunsch, das Handelsrecht in dem BGB aufgehen zu lassen, mit Recht zurückgewiesen, (das Handelsgesetzbuch hatte sich vortrefflich bewährt, der Kaufmannsstand hatte sich deren gewöhnt, der Zusammenhang mit dem ausländischen Handelsrecht blieb durch ein Spezialgesetz besser gewahrt). Ein im Reichsjustizamt ausgearbeiteter Entwurf wurde 1895 von einer Kommission durchberaten und wurde mit geringen Änderungen Gesetz: H a n d e l s g e s e t z b u c h f ü r d a s D e u t s c h e R e i c h vom 10. Mai 1897 (HGB). Das HGB zerfällt in 4 Bücher (I.Buch: „Handelsstand", II. Buch: „Handelsgesellschaften und stille Gesellschaft", III. Buch: „Handelsgeschäfte", IV. Buch: „Seehajidel"), es zählt nach Paragraphen. D i e A u f g a b e der R e v i s i o n bestand darin, das Handelsgesetzbuch mit dem BGB in Einklang zu bringen und die der Neuzeit entsprechenden handelsrechtlichen Neuregelungen vorzunehmen. Ein Teil der Vorschriften des ADHGB konnte einfach fortgelassen werden, da sie vom BGB als allgemeines Verkehrsrecht aufgenommen waren (hierher gehören insbesondere Vorschriften über „Handelsgeschäfte" und Gesellschaften). In Zusammenhang hiermit steht es, daß das neue Handelsgesetzbuch — wenn von den Besonderheiten des Seerechts abgesehen wird — als ein S o n d e r r e c h t der K a u f l e u t e erscheint (Gegensatz zum ADHGB): Zwar wird auch der Nichtkaufmann im geschäftlichen Verkehr mit dem Kaufmann vielfach in das Handelsrecht einbezogen, aber allgemeine verkehrsrechtliche Rechtsätze gibt es nicht mehr, und das Handelsrecht kommt nie zur Anwendung, wenn lediglich Nichtkaufleute beteiligt sind (Streichung der objektiven oder absoluten Handelsgeschäfte des ADHGB — oben unter 2. — Sieg des „subjektiven" Prinzips).
§ 2. VI. Die Zeit nach dem Weltkriege bis 1933
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Charakteristisch für das HGB ist ferner die dem Aufschwung von Handel und Industrie Rechnung tragende, erhebliche Erweiterung des Kreises der „Kaufleute", so daß der Inhaber eines jeden Gewerbebetriebes, das eine kaufmännische Einrichtung erforderlich macht, zum Erwerb der Kaufmannseigenschaft verpflichtet wurde (§ 2 HGB; abgesehen von der Land- und Forstwirtschaft und dem Großhandwerker). Vgl. oben S. 3ff. Auf das HGB folgten zahlreiche andere handelsrechtliche Reichsgesetze. Auch wurde das Handelsrecht erneut schriftstellerisch bearbeitet.
D e r B e g i n n eines W e l t h a n d e l s r e c h t s zeigte sich im E i s e n b a h n f r a c h t v e r k e h r (Internationales Übereinkommen vom 14. Oktober 1890 mit späteren Zusatzvereinbarungen) und teilweise im S e e r e c h t . VI. Die Zeit n a c h dem W e l t k r i e g e bis 1933 Während des Weltkrieges gingen Handel und Gewerbe ganz im Kriegs- und Hilfsdienst auf. Beschlagnahmen, Zwangswirtschaft, Kriegsgesellschaften waren die maßgebenden Faktoren, die Börsen waren geschlossen. In der Zeit nach dem Weltkriege können wir in Deutschland drei Abschnitte bis zum Jahre 1933 unterscheiden. 1. Die Zeit der I n f l a t i o n u n d M i ß w i r t s c h a f t — bis 1 9 2 4 Handel, Wandel und Gewerbe waren völlig zerrüttet. In den weitesten Kreisen war die Moral aufs tiefste gesunken. Eine Geldentwertung von einem Umfange, wie ihn niemand für denkbar gehalten hatte, untergrub das Wirtschaftleben. Kleine Kinder in der Volksschule rechneten mit Billionen, Erwachsene frönten in überfüllten Bankräumen täglichen Börsenspekulationen und suchten nach Börsentips, um ihr klägliches Dasein zu fristen. Der Gesetzgeber wollte durch zahlreiche Beschränkungen im Waren-, Devisenund Bankverkehr helfen. Daneben suchte man das sozialistische Programm durch Sozialisierungsgesetze und arbeitsrechtliche Gesetze zu verwirklichen. Hervorzuheben sind die Zwangssyndikate für Kohle und Kali, die Kartellverordnung, die soziale Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, die genossenschaftliche Struktur der Arbeitsverfassung und die Arbeitsgerichte. 2. Die Zeit der A b w e r t u n g - b i s 1929 Der volle Ruin wurde aufgehalten durch die G o l d b i l a n z v e r o r d n u n g vom 28. D e z e m b e r 1923. Sie nötigte den Kaufmann und in besonderer Ausgestaltung namentlich die Aktiengesellschaften zur Aufgabe der sinnlosen Papiermarkrechnung und Umstellung ihrer Betriebe auf Goldmark und Reichsmark. Leider war die Regelung sehr verwickelt, und die Übersicht wurde durch die sieben Durchführungsverordnungen erschwert. Hieran schlössen sich ein neues Münzgesetz, neue Regelungen der Reichsbank und Reichsbahn. Hinzu kam dann die sog. Aufwertungsgesetzgebung, die man besser als eine Abwer2
v. G i e r k c , Handels- und Schiffahrtarecht, 7. Aufl.
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§ 2. Geschichte des Handeslrechts
tungsgesetzgebung bezeichnet, und die namentlich in bezug auf Staats- und Gemeindeanleihen, aber auch in bezug auf Sparkassenbücher und Lebensversicherungen zu einer schweren Schädigung deutschen Rechtsbewußtseins führte. Vielfach hoffte man das Schwerste überwunden zu haben und schritt zu einer Aufhebung der Beschränkungen des Waren-, Devisen- und Bankverkehrs. Nur langsam setzen wieder internationale Verständigungen ein, sie äußerten sich auf den Gebieten des Seerechts, des Warenzeichenrechts, des Eisenbahnverkehrs, des Wechsel- und Scheckrechts, des Kaufrechts. — Bedeutungsvoll war die Gründung des Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom und die Tätigkeit der schon 1920 gegründeten Internationalen Handelskammer in Paris. Vgl. unten § 5. 3. D i e Z e i t e r n e u t e r N o t . Ein Rückschlag trat ein infolge des YoungPlans und der sich an ihn anschließenden Haager Abkommen von 1929—1930. Die Regelung der Reparationen, die Deutschland aufgenötigt wurden, führte infolge der weltwirtschaftlichen Beziehungen in den meisten Ländern zu einer Erschütterung der Wirtschaft. In D e u t s c h l a n d begann eine neue Notzeit, die durch eine Fülle von N o t v e r o r d n u n g e n gekennzeichnet wird. Die Parole ist Sicherung der Wirtschaft und Finanzen. Die Verordnungen befassen sich mit einer Überwachung der Preise, der Devisenwirtschaft, der Aufsicht über Bank- und Sparkassenwesen, der Zinssenkung, dem Aktienrecht, dem Beförderungs- und Lagerhaltergewerbe. Eine genaue Übersicht habe ich in der 4. Auflage des Lehrbuches S. 15 und 16 gegeben. — Auf verschiedenen VO hat man später weiter aufgebaut. In allen drei Zeitabschnitten entwickelte sich das „lebende Recht" weiter (vgl. oben S. 8ff.). VII. D i e E n t w i c k l u n g s e i t 1 9 3 3 b i s z u m Z u s a m m e n b r u c h 1 9 4 5 1. Als der Nationalsozialismus zur Macht gelangt war, wurde die staatliche Wirtschaftsführung immer schärfer gehandhabt und fand ihre höchste Steigerung im Vierjahresplan. In der Gesetzgebung und bei den einzelnen Vorschriften, welche das Handelsrecht betreffen, muß man z w e i S c h i c h t e n scharf unterscheiden. a) Bei der e i n e n Schicht handelt es sich um die Auswirkung der dem N a t i o n a l s o z i a l i s m u s e i g e n t ü m l i c h e n G r u n d p r i n z i p i e n . Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem F ü h r e r p r i n z i p und dem R a s s e p r i n z i p . Es ist hier nicht zu schildern, wie durch sie unter Vernichtung des Rechtsstaates und der Menschenwürde, unter Aufrichtung einer verbrecherischen Diktatur und einer skrupellos gehorchenden Gefolgschaft der deutsche Staat zerbrochen und das deutsche Volk dem Verderben preisgegeben wurde. Es ist aber darauf hinzuweisen, wie verhängnisvoll sich das Führerprinzip und das Rasseprinzip auf dem Gebiet des Handelsrechts ausgewirkt haben. Das F ü h r e r p r i n z i p
§ 2 VII. Die Entwicklung seit 1933 bis 1945
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führte, indem es sich auch nach unten in einer abgeleiteten, in Wirklichkeit freilich meistens unselbständigen Art fortsetzte, zu einer vollen Vernichtung genossenschaftlicher Freiheit in Handel und Wandel, im Vereinswesen, in öffentlichen und privaten Verbänden, Gesellschaften, Betriebsgemeinschaften, Kollegien, und es wurde jeder Funke von Gewerbefreiheit erstickt. Das R a s s e p r i n z i p aber, von dem nach anfänglichen Zusicherungen in der Wirtschaft abgesehen werden sollte, wurde in unmenschlicher Art gegen Gewerbetreibende und hochangesehene Firmeninhaber angewendet unter verbrecherischem Zugriff auf ihr Leben, ihre Freiheit, ihr Vermögen. b) Bei der a n d e r e n Schicht handelt es sich um Gesetze oder Vorschriften, die sich als Fortführung von älteren, dem Nationalsozialismus nicht speziell eigentümlichen Ansichten oder Reformanläufen darstellen oder in internationalen Abkommen wurzeln. Sie stellen sich vielfach als eine erfreuliche Bereicherung des Handelsrechts im weiteren Sinn dar. Und es ergibt sich, daß sie mit den Vorschriften der ersten Schicht nicht zusammengeworfen Werden dürfen. 2. Ein Ü b e r b l i c k über die Fülle der Gesetze läßt sich durch folgende Gruppierung gewinnen. Eine Übersicht aus der ersten Zeit habe ich im ZHR103 S. 66ff. gegeben. Siehe auch ZHR 107 S. 243ff. a) W i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e Gesetze. Hierher gehört die Masse der Gesetze und Verordnungen, welche sich mit dem s t ä n d i s c h e n A u f b a u der W i r t s c h a f t befassen. Wenn hier auch manches zweckentsprechend war, z. B. die Verbindung von Landhandel und Landwirtschaft, so litt doch das Ganze an einer verwirrenden Überorganisation und den Auswüchsen des Führerprinzips. Es reihen sich hier an die Markt- und Preisregelung, die Gesetze über die Kartelle, die Reichsbank, die Reichsbahn, die Börse, das Kreditwesen. b) A r b e i t s r e c h t l i c h e Gesetze. Grundlage bildete das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit v. 29. Januar 1934 mit seinen vielfachen Ergänzungsverordnungen. Man legte zwar richtig die Betriebsgemeinschaft zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer zu gründe — allerdings nicht infolge eigener Entdeckung —, verhinderte jedoch ihre lebensvolle Auswirkung durch Zerschlagung und völlige Mißachtung genossenschaftlicher Betätigungen. c) G e s e l l s c h a f t s r e c h t . Abgesehen von dem allgemeinen wirtschaftspolitischen Zwang und der polizeilichen Einschnürung ist hervorzuheben: Unter dem Schlagwort des Kampfes gegen die „Anonymität" wurde gegen die Kapitalgesellschaften vorgegangen (Umwandlungsgesetz vom 5. Juli 1934). — Die Erkenntnis ihrer Gefahren war freilich auch nicht eine Entdeckung des Nationalsozialismus. Es wurde ferner im Anschluß an umfangreiche, frühere Vorarbeiten das Aktiengesetz vom 30. Januar 1937 erlassen, das vielfach zweckentsprechend 2*
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§ 2. Geschichte des Handelsrechts
war, es aber nicht lassen konnte, die Stellung der Generalversammlung durch das Führerprinzip zu verpanschen. Auch die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften wurden zutreffenden Änderungen unterzogen, aber der Haß gegen die Konsumvereine und ihre reichen Vermögensbestände führten in fehlsamer Weise zu ihrer Vernichtung. Die seit Jahrzehnten gewünschte Reform der GmbH kam über unfruchtbares Geplänkel nicht hinaus. d) W e l t h a n d e l s r e c h t . In Ausführung des internationalen Konnossementsabkommens von 1924 wurde das S e e f r a c h t g e s c h ä f t des HGB durch Gesetz vom 10. August 1937 erheblich geändert. — Auf Grund der Genfer Abkommen von 1931 wurde das neue Wechselgesetz v. 21. Juni 1933 und das neue Scheckgesetz vom 14. August 1934 in Kraft gesetzt. — In dem neuen Warenzeichengesetz vom 5. Mai 1936 wurde eine erhebliche internationale Angleichung vorgenommen. e) Das Aktiengesetz und das deutsche HGB wurden in Deutsch-Österreich und dem Sudetenland eingeführt. VIII. Die Zeit n a c h dem Z u s a m m e n b r u c h 1945: Durch allgemeine Anordnungen der alliierten Mächte sowie durch besondere Maßnahmen in den einzelnen Zonen sind grundsätzliche Wandlungen eingetreten Das Rechtsleben wurde von den verwerflichen Grundsätzen des Nationaisozialismus gereinigt, insbesondere wurden das Rasseprinzip und das Führerprinzip abgeschafft. Zunächst waren vielfach maßgebend Verordnungen und Gesetze des Kontrollrates und der Militärregierung. Im übrigen ist zu unterscheiden : 1. In der Sowjetzone fand eine sehr eigene Entwicklung des Handelsrechts statt, die sich von der der Westzone erheblich entfernte. Sie kann daher keine volle Berücksichtigung erfahren. Vgl. im allgemeinen Würdinger Komm. Einleitung; v. L ü b t o w Bericht über die Handelsgesetzgebung der Sowjetzone ZHR 115, 112; und Berichte des Oste u r o p a - I n s t i t u t s an der Freien Universität Berlin.
2. Für die Westzonen als Bundesrepublik Deutschland ist folgendes hervorzuheben: Gründung der „Bank Deutscher Länder" und der Landeszentralbanken, Währungsreform, Beschränkung einer Konzentration deutscher Wirtschaftskraft und der Devisenwirtschaft, Wiederherstellung der Konsumvereine, arbeitsrechtliche Gesetze (Betriebsrat, Mitbestimmungsrecht), Neuordnung der Bundesbahn und der Beförderung mit Kraftfahrzeugen. Bereinigungsgesetz zum HGB, ferner einige Abänderungen der HGB (Regelung der Handelsvertreter). Auf dem Gebiet des Seerechts sind internationale Verständigungen in Erscheinung getreten.
§ 3. Rechtsgrundlagen des deutschen Handelsrechts
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Rechtsgrundlagen des deutschen Handelsrechts § 3 (Gesetze, G e w o h n h e i t s r e c h t , H a n d e l s s i t t e , V e r k e h r s s i t t e und G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n ) I. Gesetze 1. Reichsgesetze und Bundesgesetze a) in vorderster Linie stehen das H a n d e l s g e s e t z b u c h (HGB) v. 10. Mai 1897 nebst E i n f ü h r u n g s g e s e t z (EG) von demselben Tage. Über seine Entstehungsgeschichte siehe oben § 2 Y 2. Nach Art. 1. EG ist das HGB am 1. Januar 1900 in Kraft getreten (einige Vorschriften schon früher). Mit ihm trat das ADHGB außer Kraft. Bedeutungsvoll für die Auslegung sind die M a t e r i a l i e n (Vorarbeiten) zum HGB; Denkschrift zum Entwurf des Reichsjustizamtes, Guttentag 1896; Denkschrift zur Reichstagsvorlage, Guttentag 1897 (auch in den Stenographischen Berichten des Reichstages. 9. Legislaturperiode 4. Session, Anlageband 6, Aktenstück Nr. 632). — Wertvoll sind auch heute noch die Nürnberger Protokolle des ADHGB herausgegeben von L u t z , 9 Teile, 1858ff.).
Die im HGB und EG besonders geregelten privatrechtlichen Tatbestände werden in Art. 2 EG als „ H a n d e l s s a c h e n " bezeichnet. In Handelssachen sollen zuerst das HGB und EG zur Anwendung kommen, subsidiär das BGB. Von diesem m a t e r i e l l e n Begriff der Handelssachen zu unterscheiden ist der p r o z e s s u a l e Begriff der Handelssachen. Dieser umfaßt alle Rechtsverhältnisse, für welche die Kammern für Handelssachen zuständig sind. Siehe unten.
S p ä t e r e Gesetze haben das HGB unmittelbar geändert. Die umfassendste Änderung ist in neuester Zeit durch das Gesetz über die Aktiengesells c h a f t e n und K o m m a n d i t g e s e l l s c h a f t e n auf A k t i e n v. 30. Januar 1937 vorgenommen worden. Durch dieses Sondergesetz, das am 1. Oktober 1937 in Kraft getreten ist, sind die engeren Vorschriften des HGB §§ 178—334 fortgefallen. Andere Änderungen beziehen sich namentlich auf das Wettbewerbsverbot der Handlungsgehilfen (Ges. v. 10. Juni 1914), die Zweigniederlassung (Ges. v. 10. August 1937) und das Seerecht (Ges. v. 10. August 1937), Gesetz über die Kaufmannseigenschaft der Handwerker vom 31. März 1953 sowie das Gesetz über die Handelsvertreter vom 6. August 1953. Andere Änderungen sind ¡in der Ausgabe der „Deutschen Gesetze" von Schönfelder unter Nr. 50 angeführt sowie in der Beckschen Textausgabe.
b) Nebengesetze Das EG hatte die bestehenden Nebengesetze grundsätzlich aufrechterhalten (Art. 2 II EG), einige wieder aufgehoben, andere abgeändert (Art. 8 ff.). In späterer Zeit, vor allem in neuester Zeit, wurden die alten Nebengesetze z. T. abgeändert (z. B. das Ges. über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, das Genossenschaftsgesetz, das Börsengesetz), z.T. ganz neu gefaßt
§ 3. Rechtsgrundlagen des deutschen Handelsrechts
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( z . B . das Warenzeichengesetz, das Bankverwahrungsgesetz), schließlich sind völlig neue Nebengesetze hinzugekommen (z.B. die Verordnung über die Orderlagerscheine). Die zahlreichen Sammlungen der früheren Zeit sind veraltet. Spätere Sammlungen: 0 . Lerz, Handelsrechtliche Gesetze 1939 — W. Hurn, Deutsches Handelsrecht 2 Bd. 1941. c) E r g ä n z e n d e G e s e t z e sind zahlreich. Hierher gehört z . B . die Gewerbeordnung (mit ihren vielen Änderungen). Wir erwähnen ferner das Reichsgesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit v. 17. Mai 1898 (mit späteren Änderungen), das Gerichtsverfassungsgesetz (Handelssachen § 93 ff.), die Konkursordnung, die Vergleichsordnung v. 26. Februar 1935, die Steuergesetze. 2. L a n d e s g e s e t z e . Die alten Vorbehalte der Art. 16ff. E G sind durch die spätere Reichsgesetzgebung beseitigt worden. Wichtig ist dagegen die Landesgesetzgebung noch für die Industrie- und Handelskammern. Dagegen gelten für die Handwerkskammern die Gewerbeordnung und reichsrechtliche VO. — Für das Bergrecht, das sich im Gesellschaftsrecht mit dem Handelsrecht berührt, gilt Landesrecht (Art. 67 EG z. BGB). II.
Gewohnheitsrecht
Dem Gewohnheitsrecht kommt heute im Handelsrecht nur eine geringe Bedeutung zu. E s ist jedoch zulässig als R e i c h s g e w o h n h e i t s r e c h t mit gleicher Kraft wie das Gesetzesrecht und wird praktisch insbesondere durch eine gleichförmige Rechtsprechung des Reichsgerichts erzielt. Beispiel: Kraft Reichs-Handelsgewohnheitsrecht steht fest, daß derjenige, der eine öffentliche Erklärung in handelsüblicher Weise abgibt, einem gutgläubigen Dritten nach Maßgabe dieser Erklärung haften muß (siehe unten § 12). III. H a n d e l s s i t t e und sonstige
Verkehrssitte
Aus dem besonderen Schrifttum: Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte 1914; 0 . Schreiber, Handelsgebräuche 1922; Klausing, ZHR 87 S. 193; J W 1924 S. 814. Neuerdings ausführlich mit weiteren Schrifttumsangaben: von Godin Großkommentar2 §346 Anm. lff. 1. Die H a n d e l s s i t t e ist die Verkehrssitte unter Kaufleuten, die k a u f m ä n n i s c h e V e r k e h r s s i t t e . Das H G B nennt sie technisch „Handelsgebrauch" ( z . B . § 359); auch spricht es von den im „Handelsverkehr geltenden Gebräuchen und Gewohnheiten" (§ 346). Im Schrifttum und im Leben wurde auch von „Handelsusancen" oder „Usancen" schlechtweg geredet, die unbedingt verschwinden müssen. Eher geht „Geschäftsgebrauch". Sie ist von der a l l e r g r ö ß t e n B e d e u t u n g . Da sie eine bestimmte Art der V e r k e h r s s i t t e ist (§ 157 B G B ) , ist sie r e i n t a t s ä c h l i c h e Ü b u n g . Die Rechtsordnung bestimmt aber, daß sie als A u s -
§ 3 III. Handelssitte und sonstige Verkehrssitte
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l e g u n g s m i t t e l f ü r die W i l l e n s e r k l ä r u n g e n und als Ergänzung ihres Inhalts zu verwenden ist. Ebenso wird sie von den zahlreichen Schiedsgerichten in der kaufmännischen Praxis verwertet. Vom Gewohnheitsrecht unterscheidet sie sich dadurch, daß sie keine echte Rechtsquelle ist (doch ist dies streitig). Von den Geschäftsbedingungen und Geschäftsformularen (sog. F o r m u l a r r e c h t ) unterscheidet sie sich dadurch, daß diese Aufstellungen einer Partei sind, die als Bestandteile für künftige Verträge dienen sollen. Allein sehr häufig enthalten diese bereits Ausdrücke, die durch die Handelssitte geprägt sind (vgl. unten S. 27), auch kann ihr Inhalt zu neuer Handelssitte sich allmählich verdichten. Über die Geschäftsbedingungen siehe unten IV. Von der gewöhnlichen Verkehrssitte unterscheidet sie sich dadurch, daß sie im Verkehr zwischen Kaufleuten wurzelt. Die wichtigsten Sätze, welche sich für die Handelssitte ergeben, sind folgende: a) Eine Handelssitte kann sich nie g e g e n ü b e r z w i n g e n d e n Vorschriften bilden. Denn die Willenserklärungen der Parteien sind ja gerade durch diese gebunden. Vgl. RG135 345 Unterschied gegenüber dem Gewohnheitsrecht. b) Auf U n k e n n t n i s einer Handelssitte kann sich eine Partei nicht berufen (RG 95 243). Das Verkehrsübliche muß man ohne weiteres gelten lassen. Es bedarf keines Hinweises auf sie, geschweige denn eines Einverständnisses mit ihr. c) Der Richter darf die Handelssitte grundsätzlich nur unter Kaufleuten zur Anwendung bringen (§ 346 HGB). In besonderen Fällen greift die Handelssitte aber auch im Verkehr zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann ein. Einmal kraft gesetzlicher Vorschrift (siehe § 359 HGB in Verbindung mit §345), sodann kraft einer „Verkehrssitte"; hierzu siehe unten 2.
d) Oft ist das Verhältnis zwischen Handelssitte und n a c h g i e b i g e n R e c h t s s ä t z e n erörtert worden. Bestehen für die Handelssitte Schranken auch durch die nachgiebigen Rechtssätze? S c h r e i b e r (a.a.O. S. 48ff.) bejahte dies mit der Formulierung, daß der „Gerechtigkeitsgedanke" des Gesetzes durch den Handelsgebrauch nicht durchkreuzt werden dürfe. Mit dieser Formulierung läßt sich wenig anfangen. M. E. wird man am besten so sagen: Eine Schranke besteht in einer doppelten Hinsicht: «) Einer ganz u n g e w ö h n l i c h e n H a n d e l s s i t t e gegenüber kann sich der Gegner auf Nichtkenntnis berufen (§§ 157, 242 BGB). Beispiel: Es soll im Berliner Weinhandel die Handelssitte bestanden haben, daß den Käufer, auch wenn er Nichtkaufmann ist, eine Rügepflicht innerhalb einer Woche trifft (vgl. Schreiber, a. a. 0 . S. 25). — Nun aber ist die Rügepflicht ihrem eigentlichen Zweck nach auf den Kaufmann abgestellt (vgl. unten Abschnitt III). Es wird daher genau zu prüfen sein, ob überhaupt sich wirklich eine hiermit im Widerspruch stehende Übung im Berliner Weinhandel gebildet hat. Bejahendenfalls
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§ 3. Rechtsgrundlagen des deutschen Handelsrechts aber dürfte der Richter wegen der ungewöhnlichen Art des Brauches unter Wertung von Treu und Glauben einen Verstoß hiergegen dem nichtwissenden Nichtkaufmann nicht anrechnen.
ß ) Stellt sich die Handelssitte geradezu als „ M i ß b r a u c h " dar, so muß ihr der deutsche Richter v o n A m t s w e g e n die Anerkennung versagen (vgl. hierzu R G 1 0 3 146,112 3 2 , 1 2 5 79). Ein Mißbrauch aber liegt vor, wenn eine G e m e i n s c h a f t s w i d r i g k e i t erhellt. Hiergegen enthält die Rechtsordnung eine ihr von selbst innewohnende Schranke. Die nachgiebigen Vorschriften geben keinen völligen Freibrief. Die gleichen Schranken werden wir später auch bei den Geschäftsbedingungen feststellen. Siehe unten Abschnitt III. e) Das G e r i c h t kann aus e i g e n e r Sachkunde das Bestehen einer Handelssitte feststellen (besonders ausgesprochen für die Kammern für Handelssachen § 114 GVG). Es kann aber auch z. B. G u t a c h t e n (sog. Pareres, stammt aus dem Italienischen parere = meinen) einholen. Hierfür kommen vor allem die I n d u s t r i e - u n d H a n d e l s k a m m e r n in Betracht. Die Industrie- und Handelskammern (früher Handelskammern, kaufmännische Korporationen) sind öffentlichrechtliche Körperschaften zur Wahrung der Gesamtinteressen der Handel- und Gewerbetreibenden eines bestimmten Bezirks. Sie sind landesgesetzlich seit längerer Zeit geregelt. Der nationalsozialistische Staat hatte sie in den Aufbau der Wirtschaft mit übernommen. Nach dem Zusammenbruch 1945 sind sie als Bezirkseinrichtungen bestehen geblieben. Mitglieder sind Vollkaufleute, Bergbaubetriebe, Minderkaufleute, soweit sie nicht in der Handwerksrolle eingetragen sind. Außer der Gutachtertätigkeit haben die Industrie- und Handelskammern insbesondere auch eine Mitwirkung beim Handelsregister (unten S. 60), Erkennungsrechte, Aufsichtsrechte, Beitragserhebungsrechte. Schrifttum: 0 . v. G i e r k e , Das deutsche Genossenschaftsrecht (1807) I S. 961ff. — B u s c h , Die Handelskammer zu Hamburg (1665—1915) 2 Bde. — Die Korporation der Kaufmannschaft zu Berlin, Festschrift 1925. — Die Handelskammer zu Frankfurt a. M„ Frankfurt 1928. — Preuß. Ges. vom 24. Februar 1870 in der Fassung vom 1. April 1924 mit späteren Änderungen. — VO des Reiches vom 20. August 1933. Von den Gutachten sind zahlreiche Sammlungen erschienen: z. B. Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin über Gebräuche des Handelsverkehrs I 1907, II 1910, III 1914; Gutachten der Berliner Handelskammer, 4 Bde. 1907—1930 (reicht bis Ende 1926); Breslauer Handelsgebräuche 1911; Breslauer Handelsgebräuche 1929. Man nennt die durch Veröffentlichungen festgestellten Handelsbräuche von Handelskammern und anderen Verbänden : K o d i f i z i e r t e H a n d e l s g e b r ä u c h e . Auch die Schiedsgerichte urteilen nach der ihnen bekannten oder von ihnen erforschten Handelssitte. f) Die Handelssitte ist auch maßgebend für die Erklärung k u r z e r g e b r ä u c h l i c h e r A u s d r ü c k e u n d K l a u s e l n , die in den Geschäftsformularen verwendet werden. Beispiele: „Franko" (frachtfrei) bedeutet lediglich „spesenfrei" ; „netto Kassa gegen Verladedokumente", d. h. der Käufer muß bei Aushändigung der Verladedokumente zahlen ohne Rücksicht auf denEmpfang der Waren.
§ 3. IV. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen
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Die Klauseln „Ere ship", „free on board" (Fobklausel), „Cif" (cost, insurance, freight) haben zu drei besonderen Typen des Überseekaufs geführt. Vgl. G r o ß m a n n D o e r t h , Das Recht des Überseekaufs 1 1930 (Überseestudien, herausgegeben von Wüstendörfer, Heft 11) S. 146ff., W ü s t e n d ö r f e r ZHR 104 S. 225ff. und S t ö d t e r , Geschichte der Konnossementsklauseln, Überseestudien Heft 21 (1953), s. A b r a h a m ZHR 116, 194. Vgl. unten beim Handelskauf. 2. D i e s o n s t i g e V e r k e h r s s i t t e ist die n i c h t k a u f m ä n n i s c h e V e r k e h r s s i t t e . Das HGB kennzeichnet sie auch mit den Ausdrücken „Ortsgebrauch" oder „ortsüblich" (z. B. § 95 II). Sie ist ebenfalls für das Handelsrecht von der größten Bedeutung. Sie kommt im Verkehr zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann zur Anwendung. Es gelten für sie entsprechende Regeln wie für die Handelssitte. Wichtig ist, daß die Verkehrssitte in zahlreichen Fällen auch die Anwendung von Handelssitte im Verkehr zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann herbeiführt (vgl. bereits oben 1 c). Das einfachste Beispiel ergeben die technischen Ausdrücke und Klauseln (oben l f ) . Diese sind grundsätzlich auch im Verkehr zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann nach H a n d e l s s i t t e auszulegen. IV. D i e a l l g e m e i n e n G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n L. Rais er, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen 1935.— H. Hilde b r a n d t , Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen in ArchZivPr. 143 S. 326ff. — Michel, Die allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Rechtsprechung 1932. — H a m e l b e c k , Begriff und Arten der allgemeinen Geschäftsbedingungen 1930. — W. H i l d e b r a n d t Anm. 25 zu §346 HGB. — W ü r d i n g e r , Komm. Einl. vor §346 HGB. — D e l o u k a s , Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1952; vgL dazu W ü r d i n g e r , ZHR 115176. — W ü r d i n g e r , MDR52, 129 (zum Dekartellisierungsgesetz). Dazu kommt das Schrifttum für einzelne Gebiete (z. B. Versicherung, Bank-, Transportwesen u. a.). Manches ist stark überholt, ebenso die vielfachen Reformvorschläge. 1. B e g r i f f u n d r e c h t l i c h e N a t u r Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sind B e s t i m m u n g e n , di& außerhalb von Gesetzen und S a t z u n g e n a u f g e s t e l l t werden, um t y p i s c h e B e s t a n d t e i l e der k ü n f t i g e n V e r t r ä g e e i n e s U n t e r n e h m e n s : zu b i l d e n . Sie sind eigentümliche rechtliche Erscheinungen. Sie sind keine Vorverträge, sie sind auch keine einfachen Mitteilungen (Anzeigen). Das Entscheidende ist vielmehr, daß sie auf M a s s e n v e r t r ä g e abgestellt sind, und m ö g l i c h s t a u t o m a t i s c h ihren Inhalt bilden sollen. Erreicht wird dieses durch ihren t y p i s c h e n Zuschnitt. Er bewirkt, daß sie sich in die späteren Verträge hinein8chlängeln können. Sie unterscheiden sich von „besonderen Bedingungen" dadurch, daß diese Abweichungen vom Normalen enthalten, während die AGB gerade normal sein sollen. Sie unterscheiden sich von den „Klauseln" dadurch, daß diese zwar auch „typisiert" sind, aber erst durch besondere Vereinbarung (nicht automatisch) wirken sollen..
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§ 3. Rechtsgrundlagen des deutschen Handelsrechts
Eine wichtige — meistens noch nicht genügend gewürdigte Wirkung des T y p i s c h e n ist die, daß die AGB in mancher Hinsicht prozeßrechtlich lind materiellrechtlich ä h n l i c h w i e G e s e t z e zu behandeln sind. Methodisch wird man sie nicht als Normen (so BGH: „normative Vertragsordnung" oder „Vertragsnormen") bezeichnen, sondern nur sagen, daß sie weitgehend wie Normen wirken, (vgl unten § 74 II und § 7). Der Normen-Charakter tritt nur stärker hervor, wenn sie für „allgemein verbindlich" erklärt werden. 2. G e s c h i c h t e Geschichtlich haben sich die AGB anfangs in v o l l e r F r e i h e i t entwickelt. Wir finden sie zuerst im Seetransport und im Versicherungsverkehr. Sie tauchen dann an den Börsen auf. Eine größere Verbreitung erfahren sie im Verkehrsgewerbe (Beförderung zu Lande, in der Luft und auf Binnengewässern). Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dringen sie in das Bankgewerbe ein, sie werden auch in der Industrie, in den sog. Versorgungsbetrieben (Gas, Wasser, Elektrizität), bald auch im Warenverkehr aufgenommen. Die Aufstellung erfolgt von Unternehmern oder Untern ehmerverbänden; auch die Kartelle bedienen sich ihrer. Allmählich regt sich s t a a t l i c h e r - E i n f l u ß . Er äußert sich in Genehmigungszwang, Eingriffsmöglichkeit bei Mißständen (§ 10 KartellVO), staatlicher Festsetzung in den Zwangskartellen und außerhalb solcher. Mit dem Zusammenbruch 1945 sind viele AGB zusammengebrochen. 3. A u f s t e l l u n g Während sie früher durch einen Einzelunternehmer erfolgte, vollzieht sie sich zu späterer Zeit durch Verbände, sie bedarf vielfach behördlicher Genehmigung. Meistens werden auch weitere Kreise (insbesondere die Kundschaft und Vermittler). Für viele Betriebe besteht eine öffentliche Pflicht zur Aufstellung, ferner auch zur Bekanntmachung. 4. D i e Ü b e r n a h m e in d e n E i n z e l v e r t r a g Es ist Aufgabe der AGB, in den Einzelvertrag hineinzugleiten. Viel erörtert ist die Frage, wie dieses erfolgt. Die ältere Dogmatik ging von einem besonderen „Unterwerfungsvertrag" aus und konstruierte mit stillschweigender Unterwerfung. Auch heute können sich manche Schriftsteller nicht davon losmachen. Die Lehre von einem besonderen Vertrage ist heute noch namentlich im französischen Schrifttum ausgeprägt. Man nennt hier den Vertrag, durch den man sich mit einem festgelegten Vertragsinhalt einverstanden erklärt: „contrat d'adhésion". Wir müssen in ganz anderer Weise das Problem zu meistern suchen, und uns von allen Künsteleien frei machen. Die Schwierigkeit liegt in der Vielgestaltigkeit der Erscheinungen. a) Ohne weiteres gelten die AGB, wenn sie für a l l g e m e i n v e r b i n d l i c h durch die Staatsgewalt erklärt sind.
§ 3 IV. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen
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b) Sehr häufig werden die AGB Bestandteil der Einzelverträge k r a f t Verk e h r s s i t t e (Handelssitte). Dabei sind folgende Fälle hervorzuheben: a) Bei gewissen großen U n t e r n e h m u n g e n ist dieses ohne weiteres der Fall. Und zwar hat es sich im Versicherungsrecht durchgesetzt. Es gilt bei den großen V e r s i c h e r u n g s g e s e l l s c h a f t e n des B i n n e n v e r s i c h e r u n g s r e c h t s und in der Seeversicherung. Der Grund ist der, daß hier jedermann mit AVB rechnen muß, und daß die Gefahr einer Übervorteilung teils durch die behördliche Genehmigung der AVB, teils durch die weitgehende Beteiligung aller Interessenten bei ihrem Zustandekommen erheblich abgeschwächt ist. Letzteres ist bei den Allg SeeVersB von 1919 der Fall. — Immerhin ist auch bei diesen großen Unternehmungen eine besondere Verweisung auf sie üblich. Vgl. dazu unten c).
Es trifft ferner zu bei den B ö r s e n b e d i n g u n g e n für die B ö r s e n g e s c h ä f t e . Weiter ist es anzunehmen für die sog. V e r s o r g u n g s b e t r i e b e (Gas, Wasser, Elektrizität), auch bei den ö f f e n t l i c h e n K r e d i t a n s t a l t e n (öffentlichen Banken und Sparkassen für den Sparverkehr), ferner bei den großen Beförderungsunternehmen (Kraftverkehrsordnung, vgl. unten § 73, Möbelbeförderungsbedingungen unten § 73 und Spediteurbedingungen unten § 76). ß) Bei manchen Unternehmungen ist die Übernahme in die Einzelverträge von einer gehörigen V e r ö f f e n t l i c h u n g abhängig. Der Gedanke ist hier der, dem Publikum die Gelegenheit zur Kenntnisnahme zu geben. Ist dem Erfordernis genügt, so vollzieht sich die Übernahme ohne weiteres durch Verkehrssitte. Hierher gehören die Beförderungsbedingungen der Klein- und Straßenbahnen, Schiffahrtsunternehmen, Luftfahrtunternehmen, welche durch gehörige Anschläge in ihren Betriebsräumen für die nötige Offenkundigkeit sorgen. Vgl. KG 103 84,109 304. c) Die Verweisung auf die AGB im beiderseitigen Einverständnis. Sie vollzieht sich in unmittelbarer Verquickung mit dem Abschluß eines Einzelvertrages. Dabei genügt im allgemeinen die Aushändigung, da nach der Verkehrssitte der Empfänger den Inhalt kennen muß. So verhält es sich z. B. bei Versicherungsverträgen, Transportverträgen, bei einem vereinzelten Bankauftrage, oder einem Sparkassenvertrag. Im praktischen Leben gestaltet sich die Verweisung sehr verschieden. So ist sie bei Versicherungsverträgen im Versicherungsvertrag oder Versicherungsschein enthalten, beim Sparkassenvertrag ergibt sie sich aus dem Abdruck im Sparkassenbuch, beim Lagergeschäft genügt Aushändigung. Anderswo vollzieht sie sich durch eine Bestätigung des Empfängers der AGB („gesehen", „Kenntnis genommen").
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§ 3. Rechtsgrundlagen des deutschen Handelsrechts Solche Verweisungen werden auch da angewendet, wo bereits verbandsmäßig oder verkehrsmäßig die AGB ohnehin wirken. — Nie wird der Einwand gestattet, daß die Bedingungen nicht empfangen oder nicht gelesen sind. — Andererseits genügt nicht die einfache Zusendung der Bedingungen.
Die Verweisung ist kein selbständiger Vertrag, sondern Bestandteil des Einzelvertrages. Vgl. oben b. Man lehnt daher auch am besten die Bezeichnung „Unterwerfungsvertrag" ab. Selbstverständlich ist ein besonderer Vertrag, daß die Bedingungen gelten sollen denkbar, allein er ist nicht die Regel.
d) Besonders geartet ist die Rechtslage im allgemeinen im B a n k v e r k e h r mit Privatbanken. Die AGB der Banken sind nämlich typisch auf die Herstellung einer B a n k v e r b i n d u n g gerichtet, aus der sich dann die verschiedensten einzelnen Bankgeschäfte des Kunden entwickeln sollen, die gleichzeitig bereits ihre Regelung im voraus erfahren ( B a n k v e r k e h r s v e r t r a g , vgl. unten Bankgeschäft). 5. Auslegung. Sie hat wegen] des typischen Gehalts in g e s e t z e s ä h n l i c h e r Weise zu erfolgen, also nicht rein individuell. Entscheidend ist nicht, wie sie der einzelne Kunde verstehen durfte, sondern es ist ein allgemeiner Maßstab zu gewinnen. Dieser läßt sich aber nicht absolut angeben, sondern es kommt auf den Kundenkreis und die Zweckrichtung der AGB an. Meistens wird man sich fragen müssen, wie ein verständiger Mensch sie verstehen durfte. Die Auslegung ist also nicht rein objektiv wie bei Gesetzen, daher nur „gesetzesähnlich". RG 155 133 spricht von einer „typischen Auslegung1'.
Abzulehnen ist die sehr verbreitete Annahme, daß der Richter bei der Auslegung den Kunden (Dritten) zu bevorzugen habe („in dubio contra stipulatorem"), daß „Unklarheiten" zu Lasten des Unternehmers gingen, weil er die AGB aufgestellt habe. Eine solche — freilich bequeme — Formel ist methodisch und praktisch verfehlt. Ich verweise des näheren auf die Ausführungen in meinem Versichcrungsrecht I 65 f.
6. S c h u t z gegen die G e f a h r e n a) Die a l l g e m e i n e g e s e t z l i c h e S c h r a n k e der AGB. Kommt der Richter zu dem Ergebnis, daß eine Bestimmung in den AGB völlig ung e r e c h t f e r t i g t ist, so liegt eine G e m e i n s c h a f t s w i d r i g k e i t vor, die in einem M i ß b r a u c h der V e r t r a g s f r e i h e i t w u r z e l t , und er hat ihr von A m t s wegen die Anerkennung zu versagen. In dieser Weise ist § 138 BGB auszulegen. Als gemeinschaftswidrig ist z. B. der Ausschluß jeder Mängelhaftung bei einem Warenkauf anzusehen. Vgl. RG 142, 363. — Beispiele aus dem Versicherungsrecht bei J. v. Gierke, Versicherungsrecht I S.67f. Siehe ferner Raiser a. a. O. S.277ff. (der aber nicht weit genug geht); H. H i l d e b r a n d t , ArchZivPr. 143 S. 345; W. H i l d e b r a n d t , Kommentar Anm. 31 zu §346.
§ 4. Schrifttum zum deutschen Handelsrecht
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Wo Genehmigungszwang besteht, werden solche Auswüchse selten sein. Aber auch eine Genehmigung bildet für den Richter keine Schranke. Selbst eine allgemeine Verbindlichkeitserklärung ist für ihn nicht unbedingt maßgebend. b) B e s o n d e r e g e s e t z l i c h e V o r s c h r i f t e n . Abgesehen von dem vielfachen Genehmigungszwang, der Geschäftsaufsicht und dem behördlichen Abänderungsrecht ist noch folgendes zu beachten: et) Oft kommt es dem Gesetzgeber darauf an, daß die Wichtigkeit einer Abrede nicht dadurch völlig verloren geht, daß diese in den AGB aufgenommen wird, die meistens nicht gelesen werden. Er verlangt daher, daß die betreffende Vereinbarung außerhalb der AGB getroffen werden muß. Hierher gehört die Einräumung des Stimmrechts an die Bank bei Depotaktien (siehe § 114 IV Aktienges. und oben § 43 IV 4), ferner verschiedene Verwahrungsgeschäfte nach dem Depotgesetz (vgl. unten § 65). Siehe auch § 1027 ZPO. ß) Infolge des Vorgehens der Militärregierungen gegen übermäßige Konzentration in der Wirtschaft (oben § 2 VIII) werden mißbräuchliche Geschäftsbedingungen großer Unternehmungen erledigt sein. 7. R e v i s i o n . Durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts ist anerkannt, daß AGB der Revision gemäß §§ 549, 550 ZPO unterliegen. Sie weisen ja einen gesetzesähnlichen Charakter auf durch ihren typischen Inhalt. Das Gericht hat daher in eine Würdigung des gesamten Inhalts der Bedingungen einzutreten. Die Revision greift nicht Platz, wenn die AGB keine Verbreitung über einen Oberlandesgerichtsbezirk hinaus haben. Vgl. J. v . G i e r k e , Versicherungsrecht I S. 70 f. Schrifttum zum deutschen Handelsrecht I. Ä l t e r e s S c h r i f t t u m v o r dem A D H G B 1. Schon die Glossatoren und Postglossatoren (z.B. Bertolus und Baldus) haben sich mit einigen handelsrechtlichen Fragen beschäftigt. Eindringender befaßten sich die t h e o l o g i s c h - k a n o n i s t i s c h e n Schriftsteller aller Länder mit dem Handelsverkehr und suchten die Erlaubtheit der Handelsgeschäfte des praktischen Lebens gegenüber der kanonischen Wucherlehre (nach welcher der reine Handel unproduktiv und daher sündhaft war) abzugrenzen. Durch sie war der Boden bereitet für die Entstehung einer s e l b s t ä n d i g e n H a n d e l s w i s s e n s c h a f t , die einen europäischen Charakter trug. Beginn: Mitte des 16. Jahrhunderts in Italien. Grundlegend das Werk von Benevenutus Stracca aus Ancona: Tractatus de mercatura seu mercatore 1663. Von deutschen Schriftstellern, die erst später auf dem Plan erscheinen, gehört hierher der Lübecker Johann Marquard „Tractatus politico-juridicus de jure mercatorum et comnierciorum singulari", Frankfurt 1662 (Berücksichtigung fast aller Gesetze Büropas).
§ 4
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§4. Schrifttum zum deutschen Handelsrecht
2. Die e r s t e j u r i s t i s c h e Darstellung des d e u t s c h e n Handelsrechts erfolgte zu Ende des 18. Jahrhunderts (F. v. M a r t e n s , 1797, stark naturrechtlich). Die Lehrbücher der Folgezeit (positivrechtlicher ausgestaltet) stehen zum Teil unter Einfluß des französischen, insbesondere aber des römischen Rechts. Hervorragend war die Wirksamkeit von Heinrich T h ö l in Göttingen (1. Auflage des Handelsrechts 1841). Doch verfuhr er einseitig romanistisch und konstruktiv. — Auch in den Lehrbüchern des deutschen Privatrechts wurde das Handelsrecht dargestellt, vor allem von G e o r g B e s e l e r (1. Auflage 1847). Über Thöl siehe Friedrich Gercke, Heinrich Thöl (Göttinger Diss.) 1931. II. S c h r i f t t u m u n t e r der H e r r s c h a f t des A D H G B Mit dem ADHGB setzen die Hand- und Lehrbücher, sowie die Kommentare in stattlicher Anzahl ein, von denen einige großen Erfolg erzielten. W. Endemann, Handbuch des Handels-, See- und Wechselrechts, 4 Bde. 1878—1881 (Beiträge verschiedener Verfasser). — H. Thöl 6 , Handelsrecht 1879. — Lehrbücher von Cosack 4 1898, Gareis 6 1896. Kommentare von F. v . H a h n , 2 Bde. 1877ff. (gehaltvoll). — A. Anschütz und 0. v. Völderndorff, 3 Bde. 1867ff. — H. Staub 5 1897 (eine geschickte, übersichtliche Anordnung des Stoffes mit allgemeinen Andeutungen, ganz für die Praxis bestimmt) — alle ohne das Seerecht. Die Gedanken der historischen Rechtsschule wurden zuerst für das Handelsrecht in größerem Maßstabe von L. G o l d s c h m i d t verwertet: Handbuch des gesamten Handelsrechts (Bd. I 2 1895, Bd. II 2 1883, teilweise in 3. Auflage 1891). Das Werk ist unvollendet; es enthält die „Universalgeschichte des Handelsrechts", welche aber nur das Altertum und die romanischen Länder des Mittelmeeres umfaßt, und einige Grundbegriffe. Über Goldschmidt siehe Pappenheim in ZHR 47, lff. und J. v. Gierke Große deutsche Juristen in Reimsprüchen (1949) S. 20. Dem deutschrechtlichen Gehalt des Handelsrechts wurde durch Darstellung in den Lehrbüchern des deutschen Privatrechts und durch wertvolle Einzelunterßuchungen Rechnung getragen. Der germanische Grundgehalt der Handelsgesellschaften wurde dargelegt von 0. Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung 1887. Im Jahre 1858 wurde die Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht von Goldschmidt begründet, welche viele wertvolle Abhandlungen brachte. Vortrefflich war die Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts, die vom Reichsgericht fortgesetzt wurde: Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts 26 Bde. (1871—1879), Entscheidungen des Reichsgerichts (seit 1880). — SeuffertsArchiv seit 1847. III. S c h r i f t t u m u n t e r der H e r r s c h a f t des H G B Aus der Mitteilung der Jahreszahl ergibt sich, inwieweit die angeführten Werke zum Teil überholt sind. Besondere Angaben beim Gesellschafts- und Schiffahrtsrecht.
§ 4 III. Schrifttum unter der Herrschaft des HGB
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1. H a n d b ü c h e r Handbuch des gesamten Handelsrechts (Beiträge verschiedener Verfasser), herausgegeben von V. E h r e n b e r g 1913ff. Karl W i e l a n d , Handelsrecht in Bindings Handbuch der Rechtswissenschaft. Es enthält nur einen Teil des Handelsrechts Bd. 11921 (Das kaufmännische Unternehmen und die Personalgesellschaften), Bd. II 1931 (Die Kapitalgesellschaften). 2. L e h r b ü c h e r K. Gareis 8 (1909), K. L e h m a n n 2 (1912); in 3. Auflage nur Halbband 1, herausgegeben von H o e n i g e r (1921), M ü l l e r - E r z b a c h 3 und 2 (1928), K. Cosack 1 2 (1930), J. v. Gierke Bd. I 5 (1938), Bd. II 5 (1941). 3. Grundrisse 0 . v. Gierke in der Enzyklopädie von Holtzendorff-Kohler4 (1913) — K. 0 . L e h m a n n in Birkmeyers Enzyklopädie (1912) — H e i n s h e i m e r Geiler 8 in der Enzyklopädie von Kohlrausch-Kaskel (1930, ohne Schiffahrtsrecht) - E. H e y m a n n 2 (1943). T e i l - G r u n d r i s s e : R. R e i n h a r d t , Handel und Gewerbe (1938, behandelt nur Buch I HGB), H. L e h m a n n , Handel und Gewerbe (1938, behandelt nur Buch I HGB und einige Handelsgeschäfte), C a p e l l e , Handelsrecht3 (1954, behandelt nur die Vorschriften von HGB Buch I und III), S c h u m a n n . Handelsrecht I. Teil Handelsstand — Handelsgesellschaften, II. Teil Handelsgeschäfte, Wertpapiere, Neuauflage als Sonderdruck, 1954. — Siehe auch Schrifttum beim Gesellschaftsrecht. Das Handelsrecht ist auch weitgehend berücksichtigt in H . D e r n b u r g , Bürgerliches Recht 3 und 4 (1906) und in 0 . v . G i e r k e , Deutsches Privatrecht 3 Bde.. 1894ff. Eine mehr populäre Darstellung erstrebten S e h l i n g (1924), E l z b a c h e r (1925), L o c h e r (in Das gesamte deutsche Recht, herausgegeben von R. Stammler I 118 ff. (1930) ohne Literaturzitate). 4. E r l ä u t e r u n g s w e r k e : Ä l t e r e : S t a u b s Kommentar14, nach dem Tode von Staub von verschiedenen Praktikern herausgegeben, 1935 — D ü r i n g e r - H a c h e n b u r g 3 , 1930ff., unter Mitwirkung verschiedener Praktiker — R i t t e r , Komm.2, 1932; undandere N e u e r e : G r o ß k o m m e n t a r , früher von Reichsgerichtsräten, jetzt in 2. Auflage (Würdinger, W e i p e r t , v. Godin) — G e ß l e r - H e f e r m e h l - H i l d e b r a n d t - S c h r ö d e r , 2. Aufl. (1953), nebst Ergänzungsband „Handelsvertreter" ( S c h r ö d e r , 1954) — B a u m b a c h - D u d e n , Kurzkommentar10 (1954).
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§ 6. Quellen und Schrifttum des ausländischen Handelsrechts
5. Z e i t s c h r i f t e n Z e i t s c h r i f t f ü r das g e s a m t e H a n d e l s r e c h t und K o n k u r s r e c h t ; sie ist 1858 von L. Goldschmidt begründet worden (oben § 2). Sie wird jetzt herausgegeben von mir, A b r a h a m , v. Caemmerer, F e h r , K r a u s e , Ulmer, W a h l unter Mitwirkung zahlreicher ausländischer Gelehrter. — Über ältere handelsrechtliche Zeitschriften siehe die vorige Auflage. — Von Bedeutung sind auch neuere Zeitschriften, bei denen das bürgerliche Recht im Vordergrund steht. 6. S a m m l u n g e n von A b h a n d l u n g e n Es gibt Abhandlungen aus dem gesamten Handelsrecht, Bürgerlichen Recht und Konkursrecht seit 1934 — Überseestudien, herausgegeben von W ü s t e n dörfer und Bruck seit 1924. Früher auch: Abhandlungen zum Handels-, Gewerbe* und Landwirtschaftsrecht, herausgegeben von E. H e y m a n n seit 1908 — Verkehrsrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von R. S e n k p i e h l — Gesellschaftsrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von N u ß b a u m . 7. P r a k t i k a Heck (1910), Berg (mit Lösungen, 1952); siehe J. v. Gierke, ZHR115,183. 8. H a n d w ö r t e r b ü c h e r Handwörterbuch der Rechtswissenschaft Bd. VIII 1934 (oben S. 31) — Rechtsvergleichendes Handwörterbuch (unten § 5 B). § 5
Quellen und Schrifttum des internationalen und ausländischen Handelsrechts A Internationales Handelsrecht Internationales Handelsrecht im engeren Sinn ist das internationale Privatrecht, welches den Handelsverkehr betrifft. Besondere gesetzliche Bestimmungen finden sich in einigen Nebengesetzen (WZG; UnlWG; BörsG), vor allem aber in den S t a a t s v e r t r ä g e n für gewerblichen Rechtsschutz (siehe unten §§ 17,18). S c h r i f t t u m : L. Raape in dem Staudingerschen Kommentar zum BGB, BdVI, Lieferung 3 und 4. Für das Internationale Handelsrecht ist besonders hervorzuheben: v . B a r in Ehrenbergs Handbuch I, S. 327 ff., ferner die Z. für ausländisches und internationales Privatrecht. Im Jahre 1920 ist eine Internationale Handelskammer in Paris gegründet worden. Diese hat im Jahre 1923 einen Schiedsgerichtshof zur Beilegung internationaler Handelsstreitigkeiten ins Leben gerufen. Uber das Verfahren bei ihm siehe Simon BankArch. 1937 S. 424ff. Jahrbuch für Schiedsgerichtswesen Bd. I—IV 1920ff.
§ 5 B. Ausländisches Recht
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Von der Internationalen Handelskammer ist eine Zusammenstellung der „Handelsüblichen Vertragsformeln" herausgegeben worden (2. Auflage 1928, Drucksachen Nr. 68) sowie Vorschläge zu ihrer einheitlichen Auslegung (1936, Broschüre Nr. 92). Sie befaßt sich auch mit Vorarbeiten zur Vereinheitlichung des Handelsrechts.
Für die Herstellung einheitlicher Rechtsregeln hat seit langem Bedeutendes geleistet die „International Law Association", eine spätere Gründung ist das Internationale Institut für Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom. Der zweite Weltkrieg hat wieder zerstörend eingegriffen. B Ausländisches Recht Die G r u n d l a g e unserer Erkenntnis bildet noch immer das monumentale Werk: „Die H a n d e l s g e s e t z e des E r d b a l l e s " , begründet 1871 von 0. B o r c h a r d t , in 3. Auflage 1906—1914 herausgegeben von K o h l e r , D o v e , E. Meyer und T r u m p l e r in 14 Bänden. Hier sind die ausländischen Gesetze handels-(konkurs-)rechtlichen Inhalts in der Landessprache und einer deutschen Übersetzung mitgeteilt und Übersichten über das Schrifttum gegeben; auch enthält das Werk eine kurze Darstellung des Handelsrechts derjenigen Länder, welche keine Kodifikation besitzen. — Eine umfassende Übersicht über Quellen und Schrifttum des ausländischen Handelsrechts bis 1913 bietet P. R e h m e in Ehrenbergs Handbuch I, S. 286ff. — In der folgenden Zeit haben viele Neuerungen und Verschiebungen stattgefunden. Es sind ganz neue Handelsgesetzbücher entstanden. Sehr zahlreich waren ferner neue Einzelgesetze handelsrechtlichen Inhalts, sie betrafen insbesondere das Warenzeichenrecht, das Handelsgesellschaftsrecht (Aktienrecht, Gesellschaft mit beschränkter Haftung), das Bank- und Geldwesen, das Bilanzrecht, das Handelsregister, das Lagergeschäft und das Seerecht. Fast überall machte sich auch das weitgehende E i n g r e i f e n des S t a a t e s in der W i r t s c h a f t geltend (Planwirtschaft im weiteren Sinn) und einschneidende Gesetze mit Wirkungen auf das bisherige sich selbst überlassene JVirtschaftsrecht wurden erlassen. Es kamen dann die Kriegsmaßnahmen. Wir beschränken uns im folgenden auf das Handelsprivatrecht. Der Erkenntnis der n e u e r e n E n t w i c k l u n g des ausländischen Handelsrechts dienen: Die Z e i t s c h r i f t f ü r das g e s a m t e H a n d e l s r e c h t u n d K o n k u r s r e c h t (oben § 4). — Die Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 1927, jetzt herausgegeben von E . H e y m a n n u.a. (früher „Auslandsrecht" 1920—1926). — R e c h t s v e r g l e i c h e n d e s H a n d w ö r t e r b u c h , herausgegeben von Fr. S c h l e g e l b e r g e r , Bd. I (1927 und 1929); Länderberichte; Bd. II (1928ff.). — K a d e n , Bibliographie der rechtsvgl. Literatur des zivil- und Handelsrechts 1930. — G e s e t z g e b u n g u n d R e c h t s p r a x i s des A u s l a n d e s , Organ des Hansabundes, 1925—1933. — Internationale Kongresse für Rechtsvergleichung. 3
v. G i e r k e , Handels- und Schiffahrtsrecht, 7. Aufl.
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§ 5. Quellen und Schrifttum des ausländischen Handelsrechts
Wir unterscheiden folgende Gruppen: I. D e u t s c h e r R e c h t s k r e i s 1. Ö s t e r r e i c h , a) Hier wurde das ADHGB (EG vom 17. Dezember 1862), mit Ausnahme des Seerechts, eingeführt. Der Kaufmannsbegriff war durch die Novelle vom 16. Februar 1928 im Anschluß an das Deutsche Reich bestimmt. Es waren zahlreiche Nebengesetze ergangen. S c h r i f t t u m : Das allgemeine HGB und die handelsrechtlichen Nebengesetze in 23. Auflage bearbeitet von H. D e m e l i u s , Wien 1937. — Pisko, Lehrbuch des österreichischen Handelsrechts 1923. — P i s k o - S c h l e s i n g e r , Das ADHGB 22 1926. •— Gerichtszeitung, herausgegeben von Kellmer und Ratzenhofer (Wien). — Juristische Blätter, herausgegeben von Klang und Zimbler (Wien). — Entwurf eines neuen HGB in Angleichung an das deutsche, ausgearbeitet von 0. Pisko (siehe J. v. Gierke in ZHR 85, 232ff.).
b) Im Jahre 1938 ergingen 4 VO, durch welche das HGB (mit Ausnahme des 6. und 7. Abschnittes des V. Buches) und das A k t i e n g e s e t z eingeführt wurden. Auch nach 1945 hat sich hieran nichts geändert. T s c h a d e s t , ZHR 106, 137; 107,214. — Adolf E h r e n z w e i g , ArchZivPr 160, 170.
2. U n g a r n . HGB vom 16. Mai 1875. - Vorbild für die HGB von Bosnien und Herzegowina 1883 (vgl. auch noch unten IV 6). T. L o w , Das ungarische Handelsgesetz4 1924 (in deutscher Übersetzung). — Neuere Entwicklung: Kuncz, ZHR 101 S.344; 102 S. 33ff.; 104 S. 290ff.; 108 S. 63ff.
3. Schweiz. Das Handelsrecht ist auf deutscher Grundlage in dem Oblig a t i o n e n r e c h t geregelt. Das Obligationenrecht stammt aus dem Jahre 1881 und ist im Jahre 1911 revidiert worden. Neuerdings ist eine R e v i s i o n der b e s o n d e r e n h a n d e l s r e c h t l i c h e n Titel 24—33 zustande gekommen und mit dem 1. Juli 1937 in Kraft getreten. Diese Titel befassen sich mit den Handelsgesellschaften und der Genossenschaft, dem Handelsregister, den Geschäftsfirmen und der kaufmännischen Buchführung sowie den Wertpapieren. S c h r i f t t u m : S c h n e i d e r - F i c k , Kommentar4 1914. — W. S t a u f f a c h e r , Schweizerisches Obligationsrecht mit Anmerkungen, Zürich 1937. — Bericht von H . F e h r , ZHR 104 S. 31ff., S. 275ff. — Zeitschrift für schweizerisches Recht seit 1832, Schweizerische Juristenzeitung. Vgl. auch Wieland, Handelsrecht §6.
4. L i e c h t e n s t e i n . Das Personen- und Gesellschaftsrecht des Handelsrechts ist eingearbeitet in das Zivilgesetzbuch dritter Teil: Das Personen- und Gesellschaftrecht vom 20. Januar 1926. 5. Polen. Die Entwicklung bis 1939 gestaltete sich so (vgl. ZAuslR 12. Jahrg. 1939 S. 850ff.): Zunächst galten in dem neuen Staatsgebilde die bisherigen Handelsgesetzbücher fort (das deutsche, das österreichische, das französische, das russische). Es wurden aber bald wichtige Einzelgesetze für den ganzen Staat
§ 5 II. Französischer Rechtskreis
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erlassen. Unter dem 27. Juni 1934 erging ein e i n h e i t l i c h e s HGB nebst Einführungsgesetz. Das HGB zerfällt in zwei Teile. Der erste Teil behandelt den Kaufmann und die Handelsgeschäfte, der zweite Teil das Seerecht. Der erste Teil ist in deutscher Ubersetzung erschienen, herausgegeben von Lex, Spolku, Posen. Ausgabe in polnischer Sprache: Allerhand, Lemberg 1935 (Kommentar). Das HGB weist starken deutschrechtlichen Gehalt auf. Es geht vom Begriff des Kaufmanns aus, den es aber zu sehr erweitert. Kaufmann soll jeder sein, der im eigenen Namen ein gewerbliches Unternehmen betreibt. Die freien Berufe sind ausgeschieden, die Landwirtschaft ebenfalls, aber es können diejenigen, die die Landwirtschaft in größerem Ausmaße betreiben, Registerkaufleute werden (Art. 2, Art. 7).
6. T ü r k e i . Neues Landhandelsgesetzbuch vom 29. Mai 1926. Aufnahme des deutschen (z. T. des italienischen) Handelsrechts. (Vgl. unten II 2.) Das neue HGB ist in französischer Übersetzung erschienen. Konstantinopel 1926. S c h r i f t t u m : P r i t s c h i m Rechtsvgl. Handwörterbuch I, 274; Friese JW 1929, 3444; Hirsch ZHR 116, 201.
7. J a p a n . Das japanische Handelsrecht ist zuerst im Jahre 1880 kodifiziert worden. Es hat dann durch Gesetze von 1899 und 1911 einen starken deutschrechtlichen Einschlag erhalten. Unter dem 4. April 1938 sind Neuerungen eingeführt worden. Ubersetzt von K. Vogt, 3. Auflage, Tokio 1940. Siehe hierzu Bünger ZAuslR 1940 S. 144ff. Neues HGB von 1951. (In französischer Übersetzung) herausgegeben von Kom a c h i y a (1954); vgl. J. v. Gierke ZHR 117; 131.
8. China. Bis vor kurzem beruhte das chinesische Handelsrecht auf Gewohnheitsrecht und einzelnen Gesetzen. Jetzt ist ein großer Teil in dem neuen BGB von 1929 und dem Gesetz über die Handelsgesellschaften vom 26. Dezember 1929 unter starker Anlehnung an das deutsche Recht geregelt worden. Eine Übersetzung des Gesetzes über die Handelsgesellschaften von Bünger in ZHR 98 S. 285ff. und S. 343ff. — Eine Übersetzung des HGB von Bünger in Heft 73 der Heymannschen Abhandlung 1924. -
9. P e r s i e n . HGB von 1925 (ZAuslR 1. Jahrg. S. 449ff.), starke Anlehnung an schweizerisches Recht. — Neuerungen 1932 (a.a.O. 7. Jahrg. S. 963) betreffen namentlich das Aktienrecht. II. F r a n z ö s i s c h e r R e c h t s k r e i s 1. F r a n k r e i c h . Es gilt auch heute noch der Code de commerce von 1807. Er ist aber durch zahlreiche neuere Gesetze ergänzt und abgeändert worden. Hervorzuheben ist insbesondere das Gesellschaftsgesetz vom 24. Juni 1867, das Gesetz über das Handelsregister vom 18. März 1919, das Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 17..März 1925, und die neueste Gesetzgebung aus dem Jahre 1936 (Aktienrecht, Handelsunternehmen; vgl. 3*
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§ 5. Quellen und Schrifttum des ausländischen Handelsrechts
ZAuslR 1936 S. 832 ff.) und 1937 (Aktienrecht). 1941 (Gewinne bei AG und GmbH.).
Gesetz vom 28. Februar
Das französische Handelsrecht hat das objektive System zur Grundlage, starke Erweiterung durch Wissenschaft und Rechtsprechung. Verbindung mit dem Konkursrecht. Siehe oben § 2 V 1. Durch Gesetz vom 1. Juli 1924 wurde in E l s a ß - L o t h r i n g e n das französische Handelsrecht eingeführt. Es bestanden jedoch weitgehende Ausnahmen, und viele deutsche Rechtssätze waren in Kraft geblieben. Sie betrafen insbesondere Handelsbücher, Prokura, Handlungsgehilfen, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die eingetragenen Genossenschaften, die Hypothekenbanken, auch die Aktiengesellschaften (vgl. Coulon im Auslandsrecht, 6. Jahrg. Nr. 2; S c h w a l b e in JW 1925 S. 4; N i b o y e t e t Goulé, Recueil de Textes Usuels de Droit International, Paris 1929. Aus der Literatur: P. Lescol-R. R o b l o t , „Les effets de commerce", Paris 1953 2 Bde. — L y o n - C a e n , R e n a u l t et A m i a n d , Traité de droit commercial, 8 Bde.5 1921ff. — L y o n - C a e n e t R e n a u l t , Manuel de droit commercial15 1928 (mit Seerecht). — T h a l l e r - P e r c e r o u , Traité élémentaire de droit commercial7 1925 (ohne Seerecht). — L a c o u r - B o u t e r o n , Précis de droit commercial9 4 Bde. 1950; Supplément aux 4 volumes 1928. — Alb, W a h l , Précis de droit commercial 1922. — Siehe ferner ZAuslR IV, 150,971 ; V, 483; X, 832ff. — Vgl. auch R o u s s e a u , Commerçant et actes de commerce in der Festgabe für Wieland 1934. 2. Der Code hat in anderen Ländern weite V e r b r e i t u n g gefunden. Kraft Eroberung war er eingeführt worden in Luxemburg, in dem früheren Königreich Polen (über die spätere Zeit siehe oben 15), ferner in Belgien (hier wurde er 1867—1879 z.T. deutschrechtlich abgewandelt). Übernommen wurde er in Griechenland (1835), in Serbien (1860), der Türkei (1850; über das heutige Recht siehe oben 17), Ägypten (1875). — Als Grundlage für die neuere Gesetzgebung diente er in den Niederlanden (1838), Spanien (1829; 1885 deutschrechtlich beeinflußte Revision), Portugal (1833, 1888), den mittel- und südamerikanischen Staaten, Belgien (1867 ff.). Über G r i e c h e n l a n d siehe A n a s t a s s i a d i s . ZHR 106 S. 322, D e l o u k a s , Bericht von 1945 ab ZHR 115,171. — Schrifttum: A n a s t a s s i a d i s , Griechisches Handelsrecht, Athen 1937 (Selbstanzeige ZHR 104, 219). Über die N i e d e r l a n d e siehe den eingehenden Bericht nebst Literaturangaben von C l e v e r i n g a in ZHR 101 S. 315, ferner S t e i n ZHR 116, 53. In S p a n i e n wurde 1826 ein neuer Entwurf zum II. Buch des HGB angefertigt, der wiederum vieles aus dem deutschen Recht übernahm (siehe Gesetzgebung und Rechtspraxis des Auslandes II, 119, 178ff.; und L l o r e n s in ZAuslR III, 932. Vor allem aber den eingehenden Bericht von A n t o n i o Polo über die spanische Gesetzgebung seit 1885 in ZHR104S.308ff, ferner T e n a ZHR117,118. — Eine kurze Darstellung des spanischen Handelsrechts gibt G a b r i e l Avilés, Manual de Dereto Mercantil, Madrid 1933. B e l g i e n : Zahlreiche spätere Gesetze. Über die Gesetzgebung 1936, 1937 siehe ZAuslR 1939 S. 822ff.
§ 5 III. Rußland
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I t a l i e n : das HGB von 1865 beruhte ganz auf französischer Grundlage. Der Codice di commercio von 1882 steht unter starkem Einfluß des deutschen Rechts. Unter Mussolini setzte eine umfangreiche Gesetzgebung auf den Gebieten des bürgerlichen, des Handels-, Wirtschafts-, Arbeits- und Schiffahrtsrechts ein. Unter Verwertung einer neuartigen Systematik wurden verschiedene, zunächst selbständige Bücher gebildet, die dann durch Kgl. Dekret v. 16. März 1942 zu einer Einheit mit fortlaufenden Artikeln zusammengefaßt wurden. Literatur (sehr reich): V i d a r i , Corso di diritto commerciale 5 1900ff. — V i v a n t e , Tratatto di diritto commerciale 5 1925. V i v a n t e , Instituzionidi diritto commerciale 42 1931. — R o c c o , Principii di diritto commerciale I, 1928. — B o l a f f i o , La legislazione commerciale italiana 1929. — L o r e n z o M o s s a , Diritto commerciale I, II 1937. — Zeitschrift: Rivista di diritto commerciale diritta da V i v a n t e e S t r a f f a , 1903ff. — Wichtig auch die Rivista di diritto privato, herausgegeben von M. R o t o n d i . — Siehe auch M o l i t o r in ZHR 89, 181ff., und über das Gesetzbuch Mussolinis, L u t h e r ZAuslR 13 S. 638ff., S i m o n im Auslandsrecht 1926, 213ff„ M a r t i n W o l f f in ZAuslR 1, 609ff. und L o r e n z o M o s s a , Saggio per il nuove Codice di Commercio. — Ferner ZAuslR IV, 598, 603; V, 1021ff., VI, 988 und den Bericht von L o r e n z o M o s s a in ZHR 103 S. 59ff. Über B u l g a r i e n siehe D i k o f f ZHR 101 S. 399. Schrifttum: K o r o t , K a t g a r o f t , System des bulg. Handelsrechts, Sofia 1939 (siehe ZHR 108 S. 249). R u m ä n i e n : Älteres HGB von 1887 (beruhte auf dem italienischen von 1882). — Neues HGB vom 10. Dezember 1938. Siehe V o l l w e i l e r , ZHR 107, 137, K l ü t e r HansRGZ 1940, 155 und J. L. G e o r g e s c u ZAuslR 1940, S. 351ff.
III. R u ß l a n d . Das Handelsrecht war in dem Reichsgesetzbuch (Swod) von 1835 geregelt gewesen, vervollständigt 1857, neu herausgegeben 1903; ein neuer Entwurf von 1913 ist nicht mehr zu Ende beraten worden. — Nach der Revolution wurde zunächst 1917—1921 (Zeit des Kriegskommunismus) das gesamte Privatrecht abgeschafft. Seit 1921 (Zeit des Staatskapitalismus) ging man wieder zur Herstellung des Privatrechts über, es sollte auf breitester sozialer Grundlage aufgebaut werden. Man fertigte ein Zivilgesetzbuch an, welches am 1. Januar 1923 in Kraft trat. Es sollte auch für den Handelsverkehr gelten. Da es für den Handel ganz unvollständig war, wurden neue Entwürfe für einzelne handelsrechtliche Regeln aufgestellt. Im Jahre 1923 wurde beschlossen, die handelsrechtlichen Besonderheiten zusammenzufassen als Swod zur Aufnahme in das Zivilgesetzbuch. Ein solcher Entwurf eines HGB ist Oktober 1923 veröffentlicht worden. Er ist aber infolge entgegenstehender Strömungen nicht Gesetz geworden, es sind vielmehr nur einzelne, für den Handel wichtige E i n z e l g e s e t z e erlassen worden. Da in Rußland ein Kaufmannsstand fehlt, so gibt es jedenfalls kein Handelsrecht im Sinne eines Standesrechts, sondern nur ein Recht des Handelsverkehrs. Die Reglementierung des Handels- und Wirtschaftsverkehrs und das Streben nach einer planmäßigen Warenverteilung haben aber immer mehr zu einem Zurückdrängen handelsrechtlicher Besonderheiten geführt.
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§ 5. Quellen und Schrifttum des ausländischen Handelsrechts Literatur: F r e u n d , Das Zivilrecht Sowjet-Rußlands 1924 (mit Nachtrag 1925); Maska in Auslandsrecht, 6. Jahrg. Nr. 3. — E. K e i m a n n u. H . F r e u n d , Die juristische Literatur der Sojwetunion 1926 (hierzu J. v. Gierke, ZHR 90, 475). —• W. M. Gordon, System des sowjetischen Handelsrechts 1927; M. J. Mitilino, Handelsrecht 1928; W. Schroeter, Sowjetisches Wirtschaftsrecht, Handels- und Industrierecht 1928 (hierzu E. K e i m a n n in ZHR 93, 472). — Scheuerle, Die Organisation des sowjetrussischen innerstaatlichen Handels ZHR 115, 91 ff. IV. L ä n d e r ohne K o d i f i k a t i o n des H a n d e l s r e c h t s
1. G r o ß b r i t a n n i e n . Es gibt ein Gewohnheitsrecht für den Handel, außerdem eine Reihe von Sondergesetzen (statutes), insbesondere für Kaufverträge, Transportverträge, Gesellschaftsrecht (vor allem das neue Aktiengesetz von 1929). S c h r i f t t u m : L. Goldschmidt in Handelsges. des Erdballs IX, 1. •— E. Heym a n n in H o l t z e n d o r f f - K o h l e r s Enzyklopädie II, 281 (1924). — A. Curti, Englands Privat- und Handelsrecht II, 1927. — Siebel, Bericht ZHR 115, 32. S m i t h - W a t t s , A Compendium of Mercantile Law in 13. Aufl. 1931 neu bearbeitet von H. 0. Gutteridge. 2. V e r e i n i g t e S t a a t e n v o n N o r d a m e r i k a (auf englischer Grundlage beruhendes Gewohnheitsrecht und einzelne Gesetze der Einzelstaaten). Vgl. Atkinson in Rechtsvergl. Handwörterbuch II, 672ff. — Bericht über die Nachkriegszeit von J a d e s o h n ZHR 116,226. 3. D i e S k a n d i n a v i s c h e n L ä n d e r ( D ä n e m a r k , S c h w e d e n , N o r w e g e n ) . Nur einzelne, zum Teil gemeinsame Gesetze, deutschrechtlich beeinflußt (siehe Handelsgesetze des Erdballes X ; für Schweden R i t t e r im Auslandsrecht, Jahrg. 5, Nr. 6/8). In S c h w e d e n bildet noch heute die Grundlage der „Handelsabschnitt" in dem Reichsgesetz von 1734, welches Schuldrecht und Fahrnispfandrecht einheitlich regelt. In ihm sind die späteren Gesetze eingefügt. Bedeutungsvoll aus neuerer Zeit namentlich das Buchführungsgesetz v. 31. Mai 1929, durch welches der Begriff des Kaufmanns abgegrenzt wird (jetzt ausführlich F i s c h l e r , Schwedisches Handels- und Verfahrensrecht (1953) [siehe J. v. Gierke, ZHR 117,131]). Ein großes gemeinsames Gesetz, welches bürgerlichen und Handelskauf regelt, ist das Ges. v. 20. Juni 1906 (Tore Alm6n, Ein Kommentar zu den schwedischen Kaufgesetzen, deutsche Ausgabe von Neubecker, 3 Bde., 1922). Eine eingehende Übersicht über die neuere Gesetzgebung und das Schrifttum gibt Munktell ZHR 102 S. 99ff.; für Dänemark vgl. Marcus ZHR 115, 28; 116, 61.
Erster Abschnitt
Der Kaufmann und sein Handelsunternehmen Erstes Kapitel
Die Kaufmannseigenschaft Allgemeines I. A r t e n der K a u f l e u t e Die Kaufmannseigenschaft des HGB, welche sich aus der Betriebstätigkeit (Handelsgewerbe) ableitet (vgl. oben § 1, II), ist nicht an durchweg einheitliche Voraussetzungen geknüpft. Nach der Verschiedenheit der Voraussetzungen ergeben sich A r t e n von Kaufleuten im Rechtssinn. (Über den Kaufmann im wirtschaftlichen Sinn siehe oben § 1 1 la). Im allgemeinen sind drei Arten zu unterscheiden: 1. Kaufleute kraft Gewerbebetriebes: M u ß k a u f l e u t e , über sie unten in §§ 7, 8. 2. Kaufleute kraft (obligatorischer) Eintragung: S o l l k a u f l e u t e , über sie unten in § 9. 3. Land- und Forstwirte (Kaufleute kraft fakultativer Eintragung): K a n n k a u f l e u t e , über sie unten in § 10. Eine vierte Art der Kaufleute, die F o r m k a u f l e u t e , werden wir bei den besonderen Vereinen des Handelsrechts kennenlernen. Siehe Abschnitt II. Uberhaupt werden in dem I. Abschnitt alle Besonderheiten der eigentümlichen Vereine und Gesellschaften des Handelsrechts ausgeschieden und für den II. Abschnitt aufgespart werden. Pas Gesetz unterscheidet gelegentlich auch zwischen Einzelkaufleuten, 1 Meine Verwendung der Ausdrücke: Mußkaufleute, Sollkaufleute, Kannkaufleute hat bei einigen keinen Anklang gefunden. Andere haben sie aufgenommen (z. B. Gadow, T e i c h m a n n - K ö h l e r , Baumbach-Duden 1 0 Überl. § 1, Becksche T e x t a u s g a b e . Es ist zuzugeben, daß sie sprachlich nicht besonders schön sind, aber sie sind als kurze Schlagworte praktisch und pädagogisch brauchbar. Auch der allgemein verwendete Ausdruck „Vollkaufmann" ist sicherlich nicht schön. Im übrigen ist die ganze Frage ziemlich gleichgültig.
§ 6
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§ 7. Der Mußkaufmann Juristischen Personen und Handelsgesellschaften (vgl. § 13 b der Novelle v. 10. August 1937). Das ist ungenau, da eine Reihe von Handelsgesellschaften sogen, juristische Personen (besser Verbandspersonen) sind. (Vgl. Abschnitt II). Der Ausdruck „Einzelkaufmann" ist aber wertvoll. Der Kaufmannsbegriff des HGB ist an sich nur für dieses Gesetz maßgebend, kommt im Zweifel aber auch für andere Gesetze, die von Kaufleuten sprechen, in Betracht. II. U n g l e i c h e B e h a n d l u n g der K a u f l e u t e
Die Kaufleute werden vom Gesetz n i c h t g l e i c h m ä ß i g behandelt. Eine Reihe wichtiger Vorschriften findet auf bestimmt gekennzeichnete Kaufleute keine Anwendung; man nennt diese M i n d e r k a u f l e u t e und stellt ihnen die anderen als V o l l k a u f l e u t e gegenüber. Dieser Gegensatz wird uns unten in § 11 beschäftigen. III. K a u f m a n n s e i g e n s c h a f t u n d H a n d e l s r e g i s t e r Die Grundregeln für die Kaufmannseigenschaft erfahren ihre praktisch bedeutsame Ergänzung durch den Einfluß des H a n d e l s r e g i s t e r s und seine Ergänzungen durch Gewohnheitsrecht und Verkehrstreue: Lehre vom S c h e i n k a u f m a n n (unten § 13). IV. R e f o r m v o r s c h l ä g e , den Begriff des Kaufmanns zu ändern, sind in den letzten Jahrzehnten vielfach gemacht worden. Sie hängen z. T. mit den Fragen „Unternehmensrecht" und „Wirtschaftsrecht" (oben § 1, Anhang) zusammen. Aus letzter Zeit vgl. H . K r a u s e ZHR 105, 69ff. und H . A . S c h u l t z e von L a s a u l x , Schriften der AkfDR Gruppe Handels- und Wirtschaftsrecht Nr. 2 (1939) und ArchZivPr. 145, 127. M. E. ist die Abgrenzung des geltenden Rechts im wesentlichen zutreffend. Es ist von Neuerungen abzusehen, nachdem jetzt die Stellung der Großhandwerker geändert worden ist. Der Mußkaufmann M u ß k a u f m a n n i s t d e r j e n i g e , der ein r i c h t i g e s b e t r e i b t (§ 1 HGB).
Handelsgewerbe
I. E r s t e s Erfordernis ist ein G e w e r b e . Und zwar muß ein G e w e r b e im e n g e r e n S i n n vorliegen. Dieses ist von uns schon früher allgemein gekennzeichnet worden. Wir heben hervor unter teilweiser Zusammenfassung des früher Gesagten (vgl. oben § 1 I I b ) : Vorliegen muß eine T ä t i g k e i t b e s t i m m t e r Art: 1. Nötig ist eine D a u e r a b s i c h t . Die Tätigkeit muß auf eine gewisse Dauer angelegt sein. Gegensatz ist die gelegentliche, vereinzelte Tätigkeit (z. B. wiederholtes Spekulieren). Entscheidend ist die Verkehrsanschauung. Regelmäßig handelt es sich um eine unbestimmte Zeit. Es genügt aber sogar eine verhältnismäßig kurze Zeit (z. B. Gastwirtschaftsbetrieb während einer Ausstellung, nicht z. B. Kantinenbetrieb für einen Volksfesttag). Die Tätigkeit kann zu gewissen Zeiten brach liegen (RG 130 235).
§ 7 II. Handelsgewerbe
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2. Nötig ist eine E r w e r b s a b s i c h t . Die Tätigkeit muß auf E r w e r b gerichtet sein (Gewerbe!). Es muß der W i l l e , G e w i n n zu erzielen, vorhanden sein. Gleichgültig ist, ob wirklich Gewinn gemacht wird und wem er zufließen soll. Ein Gewerbe ist auch vorhanden, wenn bei einem gemeinnützigen Unternehmen daneben Gewinn erzielt werden soll. Vgl. unten § 8 1. 3. Die Tätigkeit muß n a c h a u ß e n e r k e n n b a r h e r v o r t r e t e n . Grund: Die soziale Auffassung verlangt für einen Geschäftsmann ein Auftreten nach außen. Wer heimlich an der Börse spekuliert, betreibt kein Gewerbe. 4. Die Tätigkeit darf n i c h t dem Bereich der K u n s t oder W i s s e n s c h a f t angehören. Das haben wir früher dargelegt (siehe oben § 1 I I b ) . 5. Die Tätigkeit muß p r i v a t r e c h t l i c h r e c h t s g ü l t i g sein (streitig; zutreffend W ü r d i n g e r im Großkommentar Anm. 8 zu § 1, abweichend H i l d e b r a n d t § 1 Anm. 26; B a u m b a c h - D u d e n , § 1 Anm 2C, die auch einen unsittlichen Gewerbebetrieb als „Gewerbe" ansehen. Siehe dagegen J. v. G i e r k e , Z H R 1 1 5 , 1 3 0 ) . Es handelt sich ja um ein Gewerbe i m R e c h t s s i n n . Kein Gewerbe liegt daher z. B. vor bei gewerbsmäßigem Schmuggel, bei eigener Tätigkeit eines Geschäftsunfähigen; femer dann, wenn das Fehlen einer vorgeschriebenen Handelserlaubnis Nichtigkeit der einzelnen Geschäfte nach sich zieht. Vgl. hierzu unten § 8 unter 6. II. Z w e i t e s Erfordernis ist ein H a n d e l s g e w e r b e Wann ein richtiges H a n d e l s g e w e r b e gegeben ist, bestimmt § 1 I I H G B . Maßgebend ist der G e g e n s t a n d des Gewerbebetriebs: Ein Gewerbe, das eine von den § 1 II aufgeführten A r t e n von Rechtsgeschäften zum Gegenstand hat, ist ein richtiges Handelsgewerbe. Man nennt die Geschäfte, die wegen ihrer Art einen Mußkaufmann erzeugen, G r u n d h a n d e l s g e s c h ä f t e . Das Gesetz bietet uns einen Katalog von n e u n Nummern. Seinen Ausgangspunkt nimmt es vom Handel im wirtschaftlichen Sinn, es zieht dann die wichtigsten Hilfsgewerbe des Handels und solche Gewerbe, bei denen sich typisch eine „kaufmännische" Betriebsweise entwickelt hat, mit herein (vgl. oben § 1 I lb). 1. Das U m s a t z g e s c h ä f t . Ziffer 1. Nötig ist für diesen Begriff: a) A n s c h a f f u n g u n d W e i t e r v e r ä u ß e r u n g tx) A n s c h a f f u n g ist an sich jedes unentgeltliche Rechtsgeschäft unter Lebenden, das auf abgeleiteten Eigentumserwerb gerichtet ist (vgl. R G 3 1 , 1 8 ) . Der Ausdruck ist ungenau; denn es ist nicht nötig ein dingliches Rechtsgeschäft, das das Eigentum verschafft, sondern es genügt der Schuldvertrag, der das Recht auf den Eigentumserwerb verleiht.
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§ 7. Der Mußkaufmann
H a u p t f a l l ist der K a u f ; außerdem kommen in Betracht Tausch, Werklieferungsvertrag (§ 651 BGB), uneigentliche Verwahrung (§ 700 BGB). Keine Anschaffung ist vor allem der ursprüngliche E r w e r b (es liegt weder Rechtsgeschäft noch abgeleiteter Erwerb vor), also die A n e i g n u n g (Jagd, Fischerei) und die S e l b s t e r z e u g u n g (Urproduktion): Gewinnung von Früchten, Bodenbestandteilen aus Grundstücken, Molkerei aus eigenem Viehbestand. Zur Selbsterzeugung wird man auch zu rechnen haben die Gewinnung von Hühnern vermittelst einer Brutmaschine. Keine Anschaffung liegt vor bei Erwerb zu Miet-, Pfand-, Verwahrungsbesitz, Wechselinkasso (es fehlt am Eigentumserwerb); doch scheiden diese Geschäfte praktisch aus, weil sie mit einer Weiterveräußerung nicht vereinbar sind. — Keine Anschaffung ist ein Erwerb von Todes wegen oder eine Schenkung.
ß) W e i t e r v e r ä u ß e r u n g (das Gegenstück zur Anschaffung) ist an sich jedes entgeltliche Rechtsgeschäft unter Lebenden, das auf Übertragung von Eigentum gerichtet ist. Auch hier ist der Ausdruck „Weiterveräußerung" ungenau und untechnisch, es genügt der Schuldvertrag.
H a u p t f a l l ist der V e r k a u f ; daneben kommen, wie bei der Anschaffung, in Betracht: Tausch, Werklieferungsvertrag, uneigentliche Verwahrung. Keine Weiterveräußerung liegt daher vor bei Hingabe zum Pfand, zur Miete, zur Verwahrung. Infolgedessen nimmt z.B. keine Weiterveräußerung vor ein Leihbibliothekar. Keine Weiterveräußerung ist die einseitige Aufgabe des Eigentums (Dereliktion), die unentgeldliche Zuwendung.
y) Anschaffung u n d Weiterveräußerung müssen miteinander v e r b u n d e n sein, in einem i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g stehen. Gleichgültig ist die Reihenfolge. Man muß anschaffen, um weiterzuveräußern, oder weiterveräußern, um anzuschaffen. Mußkaufmann ist daher nicht der Leihbibliothekar, obschon er anschafft, der Produzent, obschon er seine Erzeugnisse veräußert. Mußkaufmann ist ferner nicht derjenige, welcher für sich eine Kunstsammlung anlegt, sie aber später auflöst und veräußert.