Handbuch für den Religionsunterricht in den oberen Klassen: Teil 2 Heilige Geschichte [2., umgearb. und erw. Aufl. Reprint 2020] 9783112378069, 9783112378052


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German Pages 620 [624] Year 1897

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Handbuch für den Religionsunterricht in den oberen Klassen: Teil 2 Heilige Geschichte [2., umgearb. und erw. Aufl. Reprint 2020]
 9783112378069, 9783112378052

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Kcrndbuch für den

Religionsunterricht in den oberen Alaffen. Zweiter Teil:

KeiLige Geschichte. Von

Professor R. Heidrich, Direktor deS Königlichen Gymnasiums zu Rakel.

Zweite, untgeavbeiieie imb erweiterte Airfiase.

Aerki«. I. I. Heines Verlag. 1897.

Vorwort zur ersten Auflage. Mrmutigt durch die freundliche Aufnahme, welche der erste Teil meines Handbuchs für den Religionsunterricht (Kirchengeschichte) gefunden hat, erlaube ich mir, nunmehr den zweiten Teil des Werkes, die Heilige Geschichte enthaltend, vorzulegen. Welche Aufgabe ich mir in diesem Bande gestellt und wie ich dieselbe zu lösen versucht habe, darüber erlaube ich mir folgendes zu bemerken. Die hiermit vorgelegte „Heilige Geschichte" ist ebensowenig, wie meine „Kirchengeschichte", ein Kompendium, welches alles in Kürze enthält, was ein Lehrbuch ausführlich darstellt. An Kompendien haben wir auch auf diesem Gebiete keinen Mangel. Ich habe mir vielmehr auch hier die Aufgabe gestellt, dem Lehrer vornehmlich das darzubieten, was in den oberen Klassen der höheren Schulen dem Schüler vorzuführen ist. Dabei habe ich auch in diesem Bande nicht nach kompendienartiger Gleichmäßigkeit gestrebt, sondern die weniger wichtigen Dinge kurz, die wichtigen sehr ausführlich behandelt, mit Rücksicht auf die Zeit, welche auf die betreffenden Abschnitte nach meiner Meinung in den oberen Klassen verwandt werden kann. Wie im einzelnen der Stoff auf die zwei Jahre der Sekunda zu verteilen und zu behandeln ist, ist auch in diesem Bande in einem besonderen Abschnitte des Buches (S. 1—7)1) angegeben. Dem Unterricht in der Heiligen Geschichte wird in den oberen Klassen die Heilige Schrift zu Grunde gelegt, und den Schüler in die Bibel tiefer einzuführen, ist die Aufgabe des Unterrichts. Mein Handbuch zeigt nun dem Lehrer, wie er die Bibel in der Schule zu behandeln hat. Zunächst bezeichnet es dem Lehrer den Stoff, welchen er aus der Bibel für die oberen Klassen (im Unterschiede von den ftüheren Unterrichts­ stufen) auszuwählen hat. Sodann zeigt es dem Lehrer, wie die aus­ gewählten Stoffe zu größeren Ganzen zu verbinden find, welche vom Schüler leichter überschaut und festgehalten werden können, als lauter unverbundene Einzelheiten. Endlich wird der ausgewählte und zu größeren Gruppen verbundene Stoff in einer für die Schule angemeffenen Weise dargestellt, und zwar, wo die Lektüre möglich ist, so, daß das Ergebnis der (vorangegangenen!) BibelleMre für den Schüler kurz und übersichtlich zusammengefaßt wird. Der Lehrer findet also in meinem Buche eine zusammen­ hängende Darstellung der heiligen Geschichte des Alten und

-) 2. Aufl.: S. 23—29.

IV

Vorwort zur ersten Auflage.

Neuen Testaments, welche darauf hinzielt, den Schüler in den „Inhalt und Zusammenhang der heiligen Schrift" einzuführen, wie das von der Prüfungsordnung als Ziel für den Unterricht in der heiligen Geschichte bezeichnet wird. Den Inhalt der Heiligen Schrift muß aber der Schüler der oberen Klassen in umfassenderer Weise kennen lernen, als dies in den unteren und mittleren Klassen geschehen sonn; auch das mosaische Gesetz, die Weis­ sagung und die Dichtung des Alten Testaments, wie die Predigt Jesu und die Briefe der Apostel müssen dem Schüler der oberen Klassen nahe­ gebracht werden. Ich habe mich bemüht, auch für diese schwierigen Ab­ schnitte eine Form der Darstellung zu finden, wie sie für den Schüler an­ gemessen ist. Eine „Bibelkunde" ist in meinem Buche zwar für den Lehrer zu finden, aber, wie int ersten Abschnitt des Buches dargelegt ist (S. 4—5)*), für den Schüler als besonderer Unterrichtsgegenstand nicht vorhanden. Der Lehrer findet also für den Bibel-Unterricht in den oberen Klassen in meinem Buche, wie ich hoffe, das zusammen­ gefaßt und schulmäßig bearbeitet, was er aus der Bibel dem Schüler vornehmlich vorführen wird. Auch der Religionslehrer der höheren Schulen wird nun natürlich zur Vorbereitung auf seinen Unterricht noch eines Bibelkommentars be­ dürfen. Einen solchen für die Neligionslehrer der höheren Schulen zu schreiben, hat der schon verstorbene Mezger (Ephorus in Schönthal in Würtemberg) in dem trefflichen „Hilfsbuch zum Verständnis der Bibel" (Gotha, Perthes, 4 Hefte) begonnen, welches leider nur bis zur Richterzeit reicht. Mein Handbuch wandelt in den Bahnen des verstor­ benen Verfassers, und es bietet in derjenigen Beschränkung, welche für ein Handbuch für den Unterricht geboten ist, den Haupt­ inhalt der Bibel vollständig dar, welchen dem Lehrer zu seinem Privatstudium in größerem Umfange darzubieten der verstorbene Mezger beabsichtigte. Bei dem Gegenstände, den das Buch behandelt (Heilige Geschichte), schien es mir nun nötig, dem Lehrer manche Darstellungen und Aus­ führungen darzubieten *), welche zwar beim Unterricht weder vorzutragen noch einzuprägen sind, aber mir dazu erforderlich erschienen, um dem Lehrer ein für den Unterricht in der Schule nötiges tieferes und wissenschaftlich begründetes Wiffen zu vermitteln, welches ihn einigermaßen befähigt, „bereit zu sein zur Verantwortung gegen jedermann (besonders den Schüler), der Grund fordert der Hoffnung (und des Glaubens), die in ihm ist." Diese Erweiterung und Verttefung des Buches dürfte nach meiner Meinung das Buch auch für den reiferen Schüler und für den Gebildeten, wie auch für den angehenden Religionslehrer (zur Vorbereitung auf fein Examen) geeignet machen, um aus ihm über die Hauptpunkte der Heiligen Geschichte und die wichtigeren Fragen der Bibelwiffenschast eine noch gründlichere Belehrung zu gewinnen, als sie dem Schüler geboten werden kann. ') 2. Stuft.: S. 27-28. s) Welche Abschnitte nur für den Lehrer bestimmt sind, darauf ist immer hingewlesen.

Der Unterricht in der Heiligen Geschichte ist nämlich in unserer Zeit ein besonders wichtiger, aber auch besonders schwieriger Unterricht. Es gilt den Schüler beim Glauben an die Bibel festzuhalten in einem Zeit­ alter, welches vielfach der Bibel gleichgültig oder gar feindlich gegenüber­ steht, und in einem Lebensalter, wo die erwachende Selbständigkeit des Geistes auch der Bibel gegenüber sich geltend macht. Hier gilt es also, den Schüler in der Bibel das wertvollste Buch erkennen zu lassen, aber ohne der Wissenschaft feindlich gegenüberzutreten, die ihm in der Schule mit Recht als ein hohes Gut dargestellt wird. Die Lösung dieser Aufgabe wäre nun viel leichter, wenn die Theologie unserer Zeit eine größere Übereinstimmung in ihren Behauptungeu zeigte. Aber davon sind wir bekanntlich noch ziemlich weit entfernt, obwohl ja in der Neuzeit eine Übereinstimmung der verschiedenen Richtungen in der

Anerkennung vieler Behauptungen eingetreten ist, über welche noch vor kurzer Zeit die Meinungen weit auseinandergingen. Ich habe mich nach Kräften bemüht, diese schwierige Aufgabe zu lösen; ich weiß ebenso wie Mezger, daß man bei der Lösung derselben „leicht nach rechts und links anstößt". In welchem Sinne ich die Lösung dieser Aufgabe ver­ sucht habe, zeigt besonders auch der Abschnitt des Buches: „Die Kritik im Verhältnis zur Bibel und zur Offenbarung" (Nr. 11—15).') Was nun diese „Heilige Geschichte" dem Lehrer darbietet, beruht seinem Inhalte nach ebenso, wie die Darstellungen in meiner „Kirchen­ geschichte", vornehmlich auf den wissenschaftlichen Handbüchern der be­ treffenden Gebiete, vornehmlich also der Heiligen Geschichte, der biblischen Einleitung und der biblischen Theologie, wie auch auf den wissenschaft­ lichen Kommentaren der biblischen Bücher und auf Spezialschriften über die wichtigeren Abschnitte der Bibelwissenschaften; eigentliche Schulbücher habe ich fast gar nicht benützt. Dagegen beruht die Gestaltung des Ganzen und der einzelnen Abschnitte, wie sie für den Unterricht dar­ geboten wird, zwar ebenfalls zum Teil auf Anregungen, welche ich durch wiffenschaftliche Bücher erhalten habe; aber die Gestaltung des Einzelnen ist doch vornehmlich eine Frucht meines langjährigen Religionsunterrichts. Denn das erfährt ja jeder Lehrer immer aufs neue an sich selber, was Geibel von sich bekennt:^)

„Das ist die Wirkung edler Geister: Des Schülers Kraft entzündet sich am Meister; Doch schürt sein jugendlicher Hauch Zum Dank des Meisters Feuer auch."

Auch für dieses Buch verdanke ich außerordentlich viel dem Unter­ richt; die angemessene Darstellung der Sache und die angemessene Grup­ pierung der Gedanken ist oft nur durch den Unterricht gewonnen, denn die wiffenschaftliche Darstellung bedarf für die Schule oft einer gänzlichen Umgestaltung, und diese hat sich mir an vielen Stellen erst aus dem oft wiederholten Unterricht ergeben. Daß der Religionslehrer für seinen Unterricht jetzt eine große För­ derung erhält durch die unlängst ins Leben gerufene für den Religions') 2. Aufl.: Nr. I. ’) Grs. Werke IV, 88.

VI

Vorwort zur zweiten Auflage.

lehrer sehr wertvolle und beachtenswerte „Zeitschrift für den Religions­ unterricht" '), wie auch durch den „Jahresbericht für die höheren Schulen'" welcher seit dem Jahre 1888 auch einen Bericht über den Religions­ unterricht enthält, darf ich auch hinsichtlich meines Buches nicht uner­ wähnt lassen. Mit dem dritten Bande (Glaubenslehre) soll mein „Handbuch für den Religionsunterricht" hoffentlich im nächsten Jahre seinen Abschluß erhaltens; ein für den Schüler bestimmtes Hilfsbuch soll, wie ich hoffe, dem vollendeten Werke alsbald nachfolgen?) Rakel, den 10. August 1890.

Prof. R. Heidrich.

Vorwort zur zweiten Auflage ^Mie die neue Auflage der Kirchengeschichte, so ist auch die neue Auflage dieses Bandes in der Anlage im ganzen unverändert ge­ blieben; ich habe nur, weil mir das für den Lehrer angemeffener schien, die Frömmigkeit nach dem Gesetz mit der Weissagung und den lyrisch­ didaktischen Büchern zu einem großen Abschnitt verbunden, so daß nun­ mehr Glaube und Frömmigkeit des Alten Bundes in einem Abschnitte im Zusammenhänge dargestellt sind — eine Änderung, die für den Unter­ richt keine Bedeutung hat, da sie ja dem Lehrer freie Hand läßt, wie er die Stoffe gruppieren will. Dagegen ist allerdings im einzelnen überall nicht bloß die bessernde Hand angelegt, sondern es sind auch manche Ab­ schnitte erheblich umgestaltet worden — aber nicht um den Lehrstoff zu erweitern, sondern um den Lehrer noch tiefer in das Verständnis der Sache cinzuführen und ihn noch mehr zu befähigen „zur Verantwortung gegen jedermann, der Grund fordert der Hoffnung und des Glaubens, die in ihm sind." Dazu habe ich natürlich die seit dem Erscheinen der ersten Auslage erschienene neue Litteratur zu Rate gezogen, und ich hoffe, nichts Wesentliches übersehen zu haben. So übergebe ich denn auch dieses Buch aufs neue der Öffentlichkeit, einerseits mit dem herzlichen Danke für die freundliche Aufnahme, die meine Schriften gefunden haben, und andererseits mit dem Wunsche, daß es mir beschieden sein möge, dieselben auch noch weiter vervoll­ kommnen zu können.

Rakel, den 10. August 1896.

Prof. 9 Ich führe dieselbe an mit dem Zeichen: ZRU. 2) Erschienen 1891. 3) Erschienen 1893.

R. Heidrich

VI

Vorwort zur zweiten Auflage.

lehrer sehr wertvolle und beachtenswerte „Zeitschrift für den Religions­ unterricht" '), wie auch durch den „Jahresbericht für die höheren Schulen'" welcher seit dem Jahre 1888 auch einen Bericht über den Religions­ unterricht enthält, darf ich auch hinsichtlich meines Buches nicht uner­ wähnt lassen. Mit dem dritten Bande (Glaubenslehre) soll mein „Handbuch für den Religionsunterricht" hoffentlich im nächsten Jahre seinen Abschluß erhaltens; ein für den Schüler bestimmtes Hilfsbuch soll, wie ich hoffe, dem vollendeten Werke alsbald nachfolgen?) Rakel, den 10. August 1890.

Prof. R. Heidrich.

Vorwort zur zweiten Auflage ^Mie die neue Auflage der Kirchengeschichte, so ist auch die neue Auflage dieses Bandes in der Anlage im ganzen unverändert ge­ blieben; ich habe nur, weil mir das für den Lehrer angemeffener schien, die Frömmigkeit nach dem Gesetz mit der Weissagung und den lyrisch­ didaktischen Büchern zu einem großen Abschnitt verbunden, so daß nun­ mehr Glaube und Frömmigkeit des Alten Bundes in einem Abschnitte im Zusammenhänge dargestellt sind — eine Änderung, die für den Unter­ richt keine Bedeutung hat, da sie ja dem Lehrer freie Hand läßt, wie er die Stoffe gruppieren will. Dagegen ist allerdings im einzelnen überall nicht bloß die bessernde Hand angelegt, sondern es sind auch manche Ab­ schnitte erheblich umgestaltet worden — aber nicht um den Lehrstoff zu erweitern, sondern um den Lehrer noch tiefer in das Verständnis der Sache cinzuführen und ihn noch mehr zu befähigen „zur Verantwortung gegen jedermann, der Grund fordert der Hoffnung und des Glaubens, die in ihm sind." Dazu habe ich natürlich die seit dem Erscheinen der ersten Auslage erschienene neue Litteratur zu Rate gezogen, und ich hoffe, nichts Wesentliches übersehen zu haben. So übergebe ich denn auch dieses Buch aufs neue der Öffentlichkeit, einerseits mit dem herzlichen Danke für die freundliche Aufnahme, die meine Schriften gefunden haben, und andererseits mit dem Wunsche, daß es mir beschieden sein möge, dieselben auch noch weiter vervoll­ kommnen zu können.

Rakel, den 10. August 1896.

Prof. 9 Ich führe dieselbe an mit dem Zeichen: ZRU. 2) Erschienen 1891. 3) Erschienen 1893.

R. Heidrich

Inhaltsverzeichnis? Sette

Vorwort.................................................................................................................................. DI Druckfehler undBerichtigungen....................................................................................... XV Register................................................................................................................................ 600

I. Die Betrachtung der Bibel in der neuere« Theologie. A. (11.)*) Die alte Lehrevon der Inspiration der heiligen Schrift ... 1 B. Die Bibel und die Kritik...................................................................................... 4 C. (12.) Das Recht der Kritik............................................................................ 7 D. (12.) Die Kritik der Bibel in der Schule................................................... 9 E. (13 und 14.) Maß und Schranke der Kritik in der Schule........................ 11 n. Die Darstellung der heiligen Geschichte inder neueren Zeit... 21 in. (1. Aust.: S. 1—7.)Der Unterricht in derheiligenGeschichte . . 23 IV. Der Bücherschatz des ReligionSlehrerS für den Unterricht in der heiligen Geschichte...................................................................................................... 29 V. (1. Aust.: S. 7-8.) Zahlentavelle zur heiligen Geschichte .... 32

Keitige Heschichte. Erster HauptteU. Die Geschichte des Alten Dnndrs. Einleitung. 1.

Die Geschichtschreibung im Dolke Israel.

A. (16.) Die Entstehung der Geschichtschreibung des Alten Testaments . . 34 B. (17.) Der Charakter der Geschichtschreibung des Alten Testaments . . 39 C. (18.) Der Charakter der einzelnen Geschichtsbücher des Alten Testaments 42 *) Die den einzelnen Abschnitten des Buches beigegebenen Stundenzahlen (im ganzen c. 120—160 Stunden) zeigen, wie der Lehrstoff der heiligen Geschichte in zwei Jahren (Sekunda) durchgenommen werden kann. Wie derselbe grupviert werden kann, ist in meinem „Lehrplan für den evang. Religionsunterricht" (Rakel 1892, Progr. Nr. 158) dargelegt. Wenn nun für das A. T. mit seinen 1093 Kapiteln (einschl. der Apokryphen) 62—82 Stunden, für das N. T. mit seinen 260 Kapiteln 66—84 Stunden angesetzt sind, so ist also für das A. T., obwohl dasselbe viermal so groß ist, als das N. T., nur dieselbe Zeit beanspmcht, wie für das N. T. Wenn also die Darstellung meines Buches ein anderes Verhältnis des A. T. zum N. T. zeigt (drei Fünftel gegen zwei Fünftel), so hat das einen anderen Grund. Während nämlich beim A. T. dem Schüler vieles vom Lehrer dargeboten wird, was in der Bibel zu lesen nicht möglich ist, soll und kann beim N. T. die Lektüre der Bibel viel stärker hervortreten; aus diesem Grunde konnte die Darstellung des N. T. in meinem Buche kürzer gefaßt werden. *) Die in Parenthese beigefügte Nummer bezeichnet die Nummer des ent­ sprechenden Abschnitts in der ersten Auflage dieses Buches.

Inhaltsverzeichnis.

VIII

Seite

L. Aie Stellung der neueren Theologie ;um Alten Testament................................44 3. Pie Wissenschaftliche Aearbeitung der Geschichte deo Kolkes Israel ... 45 4. Die Wellhausen'sche Hypothese............................................................................... 46 5. Das Alte Testament in der Schule..................................................................... 52

Erster Abschnitt. Die Geschichte des Kolkes Israel von Woses bis Esra. Vorbemerkung................................................................................................................ 55

Erste Periode. Kas Kolk Israel in der Urzeit und im Zeitalter des Woses. Wie Gott die Israeliten aus Ägypten geführt und durch Moses zu ihnen geredet hat. Vorbemerkung für den Lehrer.................................................................................. 56 I.

6.

7.

8.

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

DaS Volk der Offenbarung; die Religion der Offenbarung; die heilige Schrift, die Urkunde der Offenbarung.

A. Das Volk der Offenbarung. (2.) Abstammung und Sprache des Volkes Israel.................................. 57 B. Die Religion der Offenbarung. (3.) Die Religion des Volkes Israel und die weltgeschichtliche Bedeutung Israels........................................................................................ 59 (4.) Die israelitische Religion im Verhältnis zu den andern Religionen des Altertums..................................................................... 61 (5.) Die Offenbarung Gottes in der Geschichte der Menschheit ... 62 (1.) „Inhalt und Zusammenhang der heiligen Geschichte"................ 65 (6.) Die Entwickelung der israelitischen Religion............................... 66 (7.) Die Vollendung der israelitischen Religion imChristentum... 67

C. Die heilige Schrift, die Urkunde der Offenbarung. (8.) Unsere Bibel.............................................................................................. 69 (9 und 10.) Die Entstehung der heiligen Schrift....................................... 71 Die heilige Schrift als die Urkunde der Offenbarung............................. 80 Nr. 6—15: 6 Stunden.')

n. Die Geschichte des vormosaischeu und des mosaischen Zeitalters. 16. (19.) Urgeschichte des Volkes Israel; das allbabylonische Reich; Abraham in der Weltgeschichte.................................................................83 17. (20.) Ägypten im Altertum; das Volk Israel in Ägypten ....

88

18. 19.

(21.) Moses' Gebürt und Berufung...........................................................90 (22.) Die Erlösung des Volkes Israel aus Ägypten c. 1320 ... 92

20.

(23.) Der Zug zum Sinai; die Sinai-Halbinsel; die Bundschließung am Sinai................................................................................ 97 (24.) Vom Sinai zum heiligen Lande; Moses' Tod.................................. 99 (25.) Moses' Bedeutung und Charakter.................................................... 101 (26.) Die Eroberung Kanaans durch Josua.......................................... 102 Nr. 16—23: 4-6 Stunden.

21. 22. 23.

*) Die angegebene Stundenzahl ist natürlich nicht bloß für den Bortrag, sondern auch für die Wiederholung bestimmt.

Inhaltsverzeichnis.

IX Sette

24.

(27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten;

25. 26. 27. 28.

die Nachbarvölker............................................................................................ 103 Nr. 24: 2—4 Stunden. III. Die Geschichtsbücher des mosaischen Zeitalters. (42.) Der Pentateuch und das Buch Josua............................................... 112 (43.) Die Frage nach der Entstehung des Pentateuchs.............................. 114 (44.) Die Quellenschriften des Pentateuchs ..... ...............................................117 Die Geschichtserzählung der Quellenschriften des Pentateuchs; das Buch Josua................................................................................................120 (46.) Das Ergebnis der Kritik über die Entstehung des Pentateuchs und des Buches Josua...............................................................122

29.

Zweite Periode. Fas Folk Israel im Zeitalter -es Königtums, -er Untergang -er -ei-rn Keiche un- die Wie-erherstellung -es Kelches Iu-a.

Wie Gott das Königtum in Israel begründet und manchmal und mancherlei Weise durch die Propheten zu seinem Volke geredet hat. Vorbemerkung für den Lehrer....................................................................................... 125 A. Bon den Richtern bi- zum Untergange der beiden Reiche. 30. (47, 49, 52 und 55.) Die Geschichtsbücher vom Zeitalter der Richter bis zum Untergange der beiden Reiche: die Bücher der Richter, Ruth, Samuels und der Könige..........................................................126 31. (48.) Die Zeit der Richter................................................................................. 130 32. (50.) Der Prophet Samuel; dasKönigtum imVolke Israel ... 131 33. (51.) Der König Saul c. 1050 ...................................................................... 135 34. (53.) Die Könige David c. 1025 undSalomo c. 980 .............................. 136 35. (54.) Jerusalem und der Tempel..................................................................... 143 36. (56.) Bon der Teilung des Reiches bis zur Berührung der beiden Reiche mit der assyrischen Weltmacht c. 980—738; der Bilderdienst

37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44.

45. 46. 47. 48. 49.

und der Götzendienst.............................................................. 146 (57.) Assyrien als Weltmacht.............................................................................. 149 (58.) Das Reich Israel von der ersten Berührung mit der assyrischen Weltmacht bis zu seinem Untergänge 738—722 ........ 150 (59.) Das Reich Juda vom Tode der Athalja bis zum Tode des Königs Hiskia c. 850-697 ............................................................... 152 (60.) Die Propheten der assyrischen Zeit; der ProphetJesaias ... 154 (61.) Der König Josia und die Reform des Gottesdienstes.... 156 (62.) Das neu-babylonische Reich....................................................... 159 (63.) Der Untergang des Reiches Juda 586 ..................................... 160 (64.) Der Prophet Jeremias..................................................................161 B. DaS Exil un- -ie Rückkehr. (65.) DieGeschichtsbücher der Zeit nachdem Exil........................................ 164 (66.) Die Juden im Exil..................................................................................... 169 (67.) Die Weissagung des zweiten Jesaias..................................................... 171 (68.) Das persische Weltreich................................................................................ 173 (69.) Die Rückkehr aus dem Exil (538) und das neue Gottesreich; Esra und Nehemia; der Prophet Maleachi........................................... 174 Nr. 30—49 : 8—12 Stunden.

Inhaltsverzeichnis.

X

Zweiter Abschnitt. Glaube und Frömmigkett des Kolkes Israel nach „dem Gesetz, den Propheten und den Schriften." Einleitung...............................................................................................................179

50.

L Die Gesetzesreligion nach ihrer Begründung und in ihrem Wesen. Vorbemerkung für den Lehrer.......................................................................................181

A. Die Begründung und Entwickelung der Gesetzesreligion. (28, 33 und 42.) Die Person des Moses; das Gesetz Mosis; die Bücher Mosis und das Buch Josua....................................................182 52. (28.) Moses' Bedeutung für die israelitische Religion............................... 184 53. (45.) Die Entstehung und Entwickelung des mosaischen Gesetzes . . 187 54. (45 A.) Die älteste Gesetzgebung des Volkes Israel.................................... 189 55. (45 C.) Die Gesetzgebung des Deuteronomiums........................................ 192 56. (45 B.) Das Priestergesetz................................................................................... 195 BCD. 57. Das Wesen der Gesetzesreligion .... 198 51.

58. 59. 60. 61.

62. 63. 64. 65.

B. Die Begründung der Gemeinschaft mit Gott. (29.) Der Gott Israels und sein Name........................................................... 199 (30.) Der Bund Gottes mit dem VolkeIsrael............................................. 202 (31.) Das Gesetz Gottes.................................................................................... 205 (32.) Der Dekalog, das Grundgesetz desVolkes Israel........................... 207

C. Die Gemeinschaft Gottes mit dem Volke Israel. (34.) Gottes Gegenwart im Volke Israel...................................................211 (35.) Die Bundeslade, die Stistshütte und der Tempel........................212 (36.) Der Höhendienst, der Bilderdienst und der Götzendienst; Jerusalem und der Tempel......................................................................... 216 (37.) Die heiligen Zeilen................................................................................... 220

D. Die Gemeinschaft des Kolkes mit Gott. 66. (38.) Die Heiligkeit des Volkes Gottes........................................................ 229 67. (39.) Das Priestertum im Volke Gottes........................................................ 231 68. (40.) Das Opfer im Volke Gottes...................................................................235 E. 69. (41.) Frömmigkeit und Gottesdienst des Alten Bundes im Ver­ hältnis zum Christentum.........................................................242 Nr. 50—69: 8—12 Stunden.

II. Die Hoffnung der Frommen deS Alten Bundes; die Propheten und die Weissagung. Wie Gott vor Zeiten manchmal und mancherlei Weise zu den Israeliten durch die Propheten geredet hat/

Vorbemerkung für den Lehrer...................................................................................... 244 70. Einleitung.............................................................................................................. 245 71. (70.) Die Weissagung im Volke Israel..........................................................246 72. (71.) Die Propheten des Volkes Israel........................................................ 249 73. (72.) Die prophetischen Bücher des Alten Testamentes............................. 252 74—77. (73—75.) Die messianische Weissagung (die Weissagung von dem

74. 75.

vollkommenen Gottesreich). (73.) Die Entstehung und Entwickelung der messianischen Weissagung 254 (74.) Weissagung und Erfüllung................................................................... 262

XI

Inhaltsverzeichnis.

Seite

76. 77.

Die Bedeutung der nlessianischen Weissagung für die israelitische Religiotl 266 (75.) Der Inhalt der messianischen Weissagung. 1. Einleitung...............................................................................................267 2. Übersicht für die Lektüre und zum Auswendiglernen.... 269

3.

Die messianische Weissagung. A. Das Reich Gottes im Volke Israel..........................................271 B. Die Hoffnung auf die Gründung eines vollkommenen Gottesreiches........................................................................... 274 C. Die Erfüllung der Weissagung.................................................... 287 Nr. 70-77: 14-18 Stunden. UL Glaube und Frömmigkeit deS Alten Bundes nach den Psalmen, den Sprüchen Salomos und dem Buche Hiob. Vorbemerkung für den Lehrer...................................................................................... 290 78. Einleitung.................................... 291 79. (77.) Die hebräische Poesie; dielyrischeirDichtungen des Alten Testa­ mentes 292 80. (78.) Der Psalter...................................................................................... 294 81. (79.) Die Weisheit im Volke Israel utid die didaktischen Bücher des Alten Testamentes......................................................... 300 82. (80.) Der Glaube der Frommen desAlten Bundesnachden Psalmen 305 83. (80 6.) Der Wandel des Frommen nach den Sprüchen Salomos . . 309 84. (80 D.) Der Kampf um den Glauben; das Buch Hiob............................. 311 85. (80 E.) Der Glaube an eine Seligkeit im Himmel................................... 322 Nr. 78-85: 12—16 Stunden.

Dritter Abschnitt. Aas jüdische Dotk von der Wiederherstellung bis zum Untergänge des Staates. 432 vor Ehr. bis 70 nach Ehr. Wie die aus dem Exil zurückgekehrten Juden um Gott eifern, aber mit Unverstand. I. Äußere Geschichte des spateren Judentums.

Vorbemerkung für den Lehrer •...................................................................................... 324 86. (81.) Die Geschichtsbücher des späteren Judentums...................................324 87. (82.) Das • Judentum in der Zeit von Esra bis zu der Religions­ verfolgung unter Antiochus Epiphanes. 432—168 .... 326 88. (83.) Das jüdische Volk unter den Makkabäern, das Eingreifen der Römer, der Untergang der Makkabäer. 168—40 vor Chr. . . 328 89.. (84.). Der König Herodes der Große. 40—4 vor Chr.............................. 335 90. (85.) Die Söhne des Herodes und die römischen Statthalter. 4 vor Chr. bis 66 nach Chr.............................................................................................. 339 91. (86.) Der Ausbruch des Krieges gegen Rom 66 ................................... 345 92. (87.) Der Krieg in Galiläa 67 ................................................................... 347 93. (88.) .Der Krieg in Judäa 70 ............................. 350 II. Die Frömmigkeit des jüdischen Volkes in der Zeit nach dem Exil. Sie eisern um Gott, aber mit Unverstand. Vorbemerkung für den Lehrer ...................................................................................... 356 94. (89.) Die geistigen Führer der Juden in der Zeit nach dem Exil: Priester und Schriftgelehrle, Pharisäer und Sadducäer. Die Essener. . 357

Inhaltsverzeichnis.

XII

Seite

(90.) Die Frömmigkeit des nachexilischen Judentums............................. 361 (91.) Die Apokalyptik und die messianische Hoffnung in der Zeit nach dem Exil.................................................................................... 363 (92.) Der Abschluß des Judentums im Talmud....................................... 368

95. 96. 97.

III.

Die Stellung des Judentums in der Welt von der Zeit des Exils bis zur Gegenwart.

(93.) Das Judentum in der Zeit nach dem Exil; Judentum und Heiden­ tum; die Oberen des jüdischen Volkes............................. 370 99. (94.) Das Judentum in der Zerstreuung (Diaspora) und die Proselyten 100. (95.) Das Judentum von der Zerstörung Jerusalems bis zur Gegenwart Nr. 86—100: 6 Stunden für I und III und 2 Stunden für II--- 8 Stunden.

98.

372 374

Zweiter Hauptteil. Die Geschichte des Ueue» Kundes. Vierter Abschnitt. Jesus Ehristus. Wie Gott, als die Zeit erfüllet war, durch seinen Sohn zu den Menschen geredet hat. Vorbemerkung für den Lehrer ......................................................................................376

I.

Eiuleituug. Das Christentum in der Weltgeschichte; die Über­ lieferung vom Leben Jesu; die Überlieferung und die Kritik.

(96.) „Inhalt und Zusammenhang der heiligen Schrift;" Christentum und Judentum; das Christentum in der Weltgeschichte ... 377 102. (97.) Die Überlieferung vom Leben Jesu.

101.

I. Darstellung für die Schule........................................................ 386 II. Ausführungen für den Lehrer................................................... 382 103—105. (98—100.) Die Überlieferung und die Kritik. A. 103. (98.) Die Glaubwürdigkeit der Überlieferung vom Leben Jesu . 392

B. C. 106.

I. Darstellung für die Schule........................................................ 392 II. Ausführungen für den Lehrer................................................... 393 104. (99.) Die Wunder im Leben Jesu................................................... 397 105. (100.) Das Wunder der Person Jesu............................................. 399 Die wissenschaftliche Darstellung des Lebens Jesu in der neueren Zeit 402 Nr. 101-106: 4-6 Stunden.

IL Der Verlauf deS Lebens Jesu bis zum Bekenntnis des Petrus. Vorbemerkung für den Lehrer...................................................................................... 405 A. Das Leben Jesu bis zu feinem öffentlichen Auftreten. 107. (101.) Die Geburt und die Jugend Jesu................................................... 406 108. (102.) Jesu Leben im stillen Haufe von Nazareth...................................410 109. Das Weihnachtsfest und der 6. Januar; Jahr und Tag der Geburt des Herrn........................................................................... 411 B. Das Auftreten Jesu. 110. (103.) „Der Anfang des Evangeliums von Jesu Christo" (Mark. 1, 1): Johannes der Täufer.................................................... 422 111. (104.) Die Taufe Jesu................................................................................... 425 112. (105.) Der Beruf Jesu und die Versuchung............................................. 427

Inhaltsverzeichnis.

XIII Sette

C. Das Leben und Wirken Jesu bis zum Bekenntnis des Petrus. 113. (106.) Überblick über das öffentliche Leben Jesu................................. 114. (107.) Der Beginn der Wirksamkeit Jesu (um Ostern 29) ... . 115. (108.) Jesu Wirksamkeit in Galiläa bis zum Bekenntnis des Petrus (Ostern 29 bis Herbst 30)........................................... 435 Nr. 107-115: 6-8 Stunden.

429 434

III. Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit. Vorbemerkung sür den Lehrer...................................................................................... 441 116. (110.) Die Predigt Jesu..................................................................................... 442 117. (111.) Jesu Predigt von der Gnade Gottes gegen die Sünder ... 445 118. (112.) Jesu Predigt vomReiche Gottes........................................................ 447 119. (113.) Jesu Predigt von derGerechtigkeit...................................................... 452 120. (114.) Das Vaterunser..................................................................................... 471 Nr. 116—120: 16-20 Stunden.

IV. Die Person Jesu. 121. (115.) Die Predigt Jesu und die Person Jesu.................................. 477 122. (116.) Hoheit und Niedrigkeit im Leben und in derPerson Jesu. . 478 123. (118.) Jesus als der Messias; der Menschensohn und Gottessohn . 479 124. Jesu Liebe zu den Leidenden, den Armen undden Kindern . . . 484 125. Jesus ein Vorbild für seine Jünger ......................................................... 488 Nr. 121-125: 4 Stunden. V. Der Ausgang des Lebens Jesu. Vorbemerkung für den Lehrer...................................................................................... 492 126. (119.) Jesu Predigt von seinem Ausgang; die Verklärung .... 492 127. (120.) Jesus und seine Gegner; die Tempelreinigung............................... 497 128. (109 und 121.) Jesu letzte Wirksamkeit in Jerusalem (Herbst 30) und in Peräa (Frühjahr 31)............................................... 499 129. (122.) Die letzte Wirksamkeit Jesu vor seinem Einzuge in Jerusalem; die Salbung Jesu in Bethanien und sein Einzug in Jerusalem (Sonntag vor Ostern 31)......................................................................503 130. (123.) Jesu letzte Wirksamkeit in Jemsalem (Montag, Dienstag und Mittwoch); der Verrat des Judas (Mittwoch)......... 506 131. (124.) Der letzte Tag vor dem Tode (Donnerstag).................................. 508 132. (125.) Der Tod Jesu (Freitag). a. Der Todestag Jesu.......................................................................... 513 b. Die jüdischen und die heidnischen Oberen des jüdischen Volkes

133. 134. 135.

beim Tode Jesu........................................................................... 514 c. Die Gefangennehmung Jesu......................................................... 514 d. Jesus vor der jüdischen Obrigkeit.............................................. 515 e. Die Verleugnung des Petrusund das Ende des Judas . 516 f. Jesus vor der heidnischen Obrigkeit...............................................517 g. Die Strafe der Kreuzigung......................................................... 519 h. Der Gang nach Golgatha............................................... 520 i. Jesus am Kreuze............................................................................... 521 k. Das Begräbnis Jesu.................................................................... 522 (126.) Das heilige Grab..................................................................................... 523 (127.) Das Leiden des Herm in der Sage................................................. 525 (128.) Der Eindruck des Todes Jesu auf seine Jünger........................... 529

XIV

Inhaltsverzeichnis. Sette

136. 137. 138.

(129.) Die Thatsächlichkeit der Auferstehung Jesu.................................. 530 (130.) Die Erscheinungen des Auferstandenen; die Himmelfahrt . . 534 Osten: und Pfingsten........................................................................................ 535 Nr. 126—138: 8—10 Stunden.

Fünfter Abschnitt. Fas tzhristentum im Zeitalter der Apostel.

Wie die Apostel hingegangen sind in alle Welt, um alle Menschen zu Jüngern Jesu Christi zu machen. Vorbemerkung für den Lehrer...................................................................................... 539 Einleitung. 139. (131.) Die zwölf Apostel................................................................................... 539 140. (145.) Die Apostelgeschichte.............................................................................. 541 141. Die neuere Darstellung der Entwickelung des apostolischen Zeitalters und der Entstehung der altkatholischen Kirche......... 544 I. Äußere Geschichte des Christentums im apostolischen Zeitalter.

A.

142. (132.) Die Begründung des Christentums unter den Juden durch den Apostel Petrus; die Verfolgung der Gemeinde; die Aus­ breitung des Christentums.................................... 547 Nr. 139—142: 6 Stunden. B. 143—147. (133—137.) Die Verbreitung des Christentums unter den Heiden durch den Apostel Paulus. 143. (133.) Die Bekehrung des Saulus, die Christengemeinde in Antiochia und die erste Missionsreise des Paulus.................... 550 144. (134.) Judenchristen und Heidenchristen; die Vereinigung von Jerusalem (das Apostelconcil) und der Streit in Antiochia; der Galaterbrief 554 145. (135.) Die zweite und dritte Missionsreise des Paulus........................ 559 146. (136.) Rückblick und Ausblick; die Briefe des Paulus............................. 563 147. (137.) Paulus in Jerusalem und in Cäsarea; Paulus und Petrus in Rom 570 C. 148. (138.) Das Judenchristentum in der späteren Zeit; Jakobus, Petrus und Judas und ihre Briese.................................... 573 D. 149. (139.) Das Zeitalter des Johannes; die Schriften des Johannes. 578 E. 150. (145.) Die Sagen von den andern Aposteln; die Apostelfeste im Kalender 582 Nr. 143-150: 14—18 Stunden.

151. 152. 153. 154. 155. Schluß

II. Das innere Leben der Kirche im apostolischen Zeitalter. (140.) Der heilige Geist und die Gnadenmittel..........................................583 (141.) Die Gemeinde des Herm.................................................................... 584 (142.) Die Verfassung der Kirche im apostolischen Zeitalter .... 585 (143.) Glaube, Gottesdienst und Leben der ersten Christen .... 587 (144.) Die Hoffnung der Gemeinde............................................................... 595 .

Nr. 151—155: 8-12 Stunden. .................................................................................................................

.

599

Druckfehler und Berichtigungen. S. 44, Anm. 1: Der hier unrichtig angegebene Titel des betr. Buches ist richtig angegeben aus S. 52, Anm. 2. S. 61, Anm. 2, Z. 1, lies: Der in Nr. 7 S. 112, Anm. 1, lies: Nr. 6 b und 98 b und 113 e. S. 162, Z. 10-9 von unten, lies: Jeremia, abgesehen von Micha als der erste, S. 162, Anm. 2, lies: S- 234; aber auch S. 225, Anm. 1 (Micha ein Vorgänger von Jeremias; vgl. Jerem. 26, 18—19). S. 201, Z. 11, lies: daß dieselbe S. 214, letzte Zeile des Textes, lies: sei; daß S. 212 und 216: Ein Teil der Bibelstellen von Nr. 63 (Ps. 27, 4 — Offenb. 21, 2—4) gehört zu Nr. 64. S. 234, f, lies: Die Darlegung W. S. 250, Anm. 4, lies: Genaueres über das Zeitalter dieser Pr. S. 251, Z. 3, lies: verkündete Micha (als ein Vorläuser von Jeremias) S. 295 Text, Z. 13—12 von unten, lies: der Gottesname Jehovah S- 309 Text, Z. 6 von unten, lies: von Salomo S- 310, c, Z. 5, lies: 4 und 5 und 7 S. 313, 2, Z. 3, lies: (bes. Ps. 37 . . . S. 326, Anm. 2, lies: Vgl. Nr. 98 b. S. 351, Absatz 4, Z. 9, lies: den letzten Bissen S. 358, vorletzter Absatz, vorletzte Zeile, lies: sie verwarfen S. 365, Anm. 3, lies: Vgl. Nr. 6b und 98b und 113e. S. 429, Abs. 3, Z. 4, lies : vorzeichnete S. 442, Z. 9 von unten, lies: hat Jesu S. 492, Nr. 126: Von den Bibelstellen der Überschrist sind die ersten (2. Mose

S. S. S. S. S.

24, 508, 541, 541, 542, 583,

7 — Röm. 4, 25) und die dazu gehörige Anmerkung 4 zu streichen. Absatz 2, Z. 10, lies: so stets im Z. 3, lies: b. Wenn nun Jesus zweiter Absatz, lies: c. Aber nicht so sehr zweiter Absatz, letzte Zeile, lies: Die oben genannten Z. 4 von unten, lies: Nr. 153 kann in der Kirchengeschichte

I. Me Betrachtung der Miöet in der neueren Theologie.') A. (LI.) 2) Die alte Lehre von der Inspiration der heiligen Schrift. a. Wie Gott vor Zeiten manchmal und mancherlei Weise zu den Israeliten durch die Propheten und wie er zuletzt zu den Menschen durch den Sohn geredet hat, das ist in der hei­ ligen Schrift ausgezeichnet; die heilige Schrift ist die Urkunde der göttlichen Offenbarung — darin stimmen alle Theologen mitein­ ander überein. Nun haben aber von jeher die Menschen den Wunsch gehabt, die für sie so wichtige Offenbarung wo möglich in einer ganz authentischen, alle Zweifel und Bedenken ausschließenden Form, die von Gott selbst herstammte und von ihm verbürgt wäre, zu besitzen. Dieser Wunsch findet seine Erfüllung am besten in der katholischen Kirche. Hier wird für den Katholiken eine Garantie für die richtige Überlieferung der

Offenbarung, ja, noch obendrein für ihre richtige Auslegung dargeboten in der Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche und des Papstes. Ja, diese Lehre läßt sogar den Zweifel an der Wahrheit der Bibel als we­ niger bedeutend erscheinen; wenn man nur die Lehre der Kirche für wahr hält, so ist es eigentlich gleichgültig, wie man sich zur Bibel verhält. Aber wer bietet uns nun die Garantie für die Wahrheit dieser Garantie? „Da gehört auch Glaube zu",^) ja, nach unserer Meinung ein solcher Glaube, den der evangelische Christ aufs entschiedenste verwerfen muß. b. Den Glauben an die Unfehlbarkeit der Concilien und der Kirche hat ja nun Luther schon auf dem Leipziger Religionsgespräch preisgegeben, und an die Unfehlbarkeit des Papstes glaubte man damals überhaupt noch nicht. So stützte denn Luther seinen Glauben auf die Bibel, aber freilich in einer freieren, die Kritik nicht ausschließenden Weise, so daß er danach fragen konnte, ob ein Buch auch in die Bibel gehöre (Brief Jakobi), und ob sein Inhalt mich glaubwürdig sei (Offenb. Joh.). Dagegen haben die lutherische und die reformierte Kirche der nachreformatorischen Zeit (im 17. Jahrh.) wiederum nach einer sicheren Stütze für ihren Glauben *) Eine Zusammenfassung der folgenden Darlegungen für den Schüler findet der Lehrer unten, Nr. 15. 2) Die in Parenthese beigefügte Nummer bezeichnet die Nummer des ent­ sprechenden Abschnitts in der ersten Auflage dieses Buches. 3) Walther v. d. Bog. (In einen zwivellichen wän.)

Heidrich, Heilige Geschichte.

1

2

I. Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

gesucht, und dieselbe nicht in seiner beseligenden Kraft und einleuchtenden Wahrheit gefunden, sondern in einer Lehre von der heiligen Schrift, welche in der heiligen Schrift selber nicht begründet ist. Man erfand damals oder nahm aus älteren Kirchenlehrern auf die Lehre von der buchstäblichen Inspiration der heiligen Schrift. Wer aber erst einen Irrtum annimmt, der wird allmählich in immer größere Irr­ tümer hineingeführt, bis die Unwahrheit seiner Behauptungen so stark und offenbar wird, daß die Irrtümlichkeit der zu Grunde liegenden Lehre ein­ gesehen wird. Das einfachste wäre gewesen, wenn man die Lutherbibel für inspiriert angesehen hätte, wie ja die Vulgata für den Katholiken als die unzweifelhaft richtige Bibelübersetzung gilt. Da das nun aber doch nicht anging, so wurde wenigstens der Grundtext für buchstäblich inspiriert angesehen. Diese Annahme schien damals um so eher möglich zu sein, als ja von Textkritik im 17. Jahrhundert noch keine Rede war; als die­ selbe aber aufkam, wurde sie verketzert, denn sie brachte ja den Glauben an den Buchstaben ins Wanken. Nun sind aber in der hebräischen Bibel doch nur die Konsonanten von alters her überliefert; die Vokale sind erst später (c. 600 nach Chr.) hinzugefügt worden. Wie verschieden kann aber der Grundtext bei verschiedener Vokalisation gelesen werden! Dann schwand also doch die Sicherheit der Glaubensstütze für das A. T. dahin; folglich mußte man, wenn man diese Sicherheit nicht preisgeben wollte, der Wahrheit entgegen behaupten, daß auch die hebräischen Vokale von Gott eingegeben seien. Und für die ganze Bibel mußte man annehmen, daß Gott sie auch durch die Jahrtausende hindurch ganz unverfälscht erhalten habe, damit man wirklich den von Gott diktterten Bibeltext buchstäblich vor sich habe! Aber welche der vielen Handschriften enthält denn den ursprünglichen von Gott diktierten Bibeltext? Und damit nun nicht die von Gott wörtlich diktierte und bis auf den Buchstaben erhaltene Bibel anders ausgelegt würde, als man sie damals auslegte, legte man sie nach den Bekenntnisschriften aus, statt die Bekenntnisse nach der Bibel auszulegen und nötigenfalls zu berichtigen. c. Wenn man nun jedes Wort der Bibel als von Gott diktiert be­ trachtete, so konnte natürlich die Darstellung der in der h. Schrift ent­ haltenen heiligen Geschichte den Anforderungen der Wissenschaft nicht entsprechen. Verschiedene Berichte über dieselbe Sache konnte es natürlich in der Bibel nicht geben; so entstand die berüchtigte Harmonistik, welche es ver­ stand, die Fünf auch gerade sein zu lassen, und dem Wahrheitssinn oft geradezu ins Gesicht schlug, um nur jeden Widerspruch in den Berichten zu beseitigen. Ja, nicht bloß was in der Bibel geschrieben war, daß z. B. Paulus den Römerbrief geschrieben hat, sondern auch was gar nicht dasteht, z. B. daß Moses den Pentateuch geschrieben hat, glaubte man vielfach festhalten zu müssen, teils aus Gründen, die wir nicht mehr für ausreichend halten, teils bloß aus Rücksicht auf die Überlieferung. Was aber geschrieben steht, das behandelte man mit einem Scharf­ sinn, der, in der Weise der Scholastik geübt, zu den seltsamsten Schlüssen gelangte, und mit einer Phantasie, welche allen ihren Launen folgte. Da Adams Name der hebräischen Sprache angehört, so war das Hebräische die Ursprache der Menschen; da in der Bibel von der Schöpfung berichtet

ist, so hat Adam vielleicht schon selber Bücher geschrieben.^) Zu Noahs Zeit lebten 11,055 Mill. Menschen; Noah, der Chemie sehr kundig, erfand einen Likör, von dem wenige Tropfen genügten, um die Tiere in der Arche zu nähren und zu stärken. Der Satan, der den David zur Volks­ zählung reizte, war ein Geheimrat.*2)3 4 Bei solchen Deutungen der Bibel ist natürlich alles in der Bibel zu finden; eine wissenschaftliche Auslegung der Bibel war nicht vorhanden. d. So war auch die evangelische Kirche in den katholischen Wahn verfallen, ihren Glauben durch eine Lehre stützen zu wollen, die doch ebenso, wie die Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche und des Papstes, nur ein „Menschenfündlein" ist. Aber der Glaube muß sich als wahr erweisen durch seine beseligende Kraft und durch seine einleuch­ tende Wahrheit; wenn er das nicht vermag, so ist er falsch, und trotz aller Stützen geht er zu Grunde. Die alte Lehre von der buchstäb­ lichen Inspiration der Bibel ist heute gefallen und auch von den orthodoxesten Theologen aufgegeben worden;^) trotzdem ist die neuere Theologie des Glaubens, daß die Bibel nicht ein bloß menschliches, sondern ein göttliches Buch sei. Aber aller­ dings nicht jeder Buchstabe der Bibel ist von Gott diktiert, sondern Wort Gottes ist die in der Bibel uns verkündete Offenbarung. „Es ist aber eine anbetungswürdige Führung Gottes, daß er durch die Entwickelung der biblischen Kritik uns alle falschen Krücken mit Ge­ walt wegnimmt, mit denen wir unsern Glauben stützen wollen, und uns nur den einen königlichen Weg freiläßt, nämlich den der Glaubens­ erfahrung. Wenn jemand, der schwimmen lernen soll, zuerst von der tragenden Angel losgelassen wird, so ist es ihm, als müßte er nun un­ fehlbar versinken und ertrinken. Aber der Meister, der ihn lehrt, weiß, was er thut und wann er es zu thun hat. Ähnlich ist es auch uns oft zu Sinn, wenn die Stützen unter uns fortgezogen werden, auf die wir bisher unser ganzes Christentum gebaut meinten. Auch wir haben das Gefühl, als müßten wir dabei versinken und ertrinken. Und doch gilt auch hier in seiner Weise das große Wort: „„Ob auch der irdische Bau dieser Hütte zerbrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott gebaut."" Die Gotteskraft, die von dem Evangelium ausgeht, die ist stärker und stützt besser."^) e. An die Offenbarung Gottes, deren Urkunden uns in der heiligen Schrift vorliegen, glauben also die Theologen unserer Zeit, nicht *) So noch im 1.1863 Wimmer: „Die Erzählungen von der Schöpfung u. s. w. sind keine Traditionen, sondern die schriftlichen Auszeichnungen der Urväter." Vgl. Diestel, Das A. T. in der christl. Kirche, S. 738. *) Diese Beispiele stammen aus Diestel, Das A. T. in der christl. Kirche (S. 489, 496, 498, 499 und 522). 3) Sogar in Mecklenburg, dessen Kirchenregiment doch gewiß als orthodox gelten dars. Daselbst hat unlängst ein Pastor (Brauer zu Dargun, 1889) sein Amt niedergelegt und seinen Austritt aus der Landeskirche erklärt, weil innerhalb der letzteren nicht mehr an der (aus der buchstäblichen Inspiration bemhenden) Untrüglichkeit der heiligen Schrift sestgehalten werde. — Der Vorwurf des Pastors (gegen Prof. Dieckhoff in Rostock) ist ganz richtig; nur hat nicht ein einzelner Professor diese Lehre ausgegeben, sondern die ganze neuere Theologie. 4) Haupt, Die Bedeutung der heiligen Schrift (1891), S. 48.

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I. Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

an jeden Buchstaben der Urkunden dieser Offenbarung. Ja, es darf sogar mit gutem Gewissen behauptet werden, daß „die neuere Theologie wieder in höherem Grade zur Bibelwissenschaft geworden ist, als sie es unter dem Einfluß der altorthodoxen Theologie und selbst noch Schleierrttachers gewesen war. Unsere Theologie hat aber allerdings zu den biblischen Schriften eine gesundere, der evangelischen Freiheit und dem Geiste Luthers mehr, als dies bei der älteren Theologie der Fall war, ent­ sprechende Stellung eingenommen, obwohl kein bedeutender Theologe heute noch an der alten, aber durchaus nicht auf der Bibeh selbst beruhenden buchstäblichen Jnspirationslehre festhält." ’)

B. Die Bibel und die Kritik. a. So lange die alte Jnspirationslehre als richtig galt, konnte man zu einer wahrhaft wissenschaftlichen Behandlung sowohl der biblischen Bücher als auch des Inhalts der Bibel nicht gelangen. Die Bücher der Bibel waren von Gott diktiert — da hatte es kein großes Jnteresie, noch nach der menschlichen Entstehung der Bücher zu fragen. Auch der Inhalt dieser Bücher stammte direkt von Gott her; damit schien sich eine ge­ schichtliche Entwickelung der Offenbarung nicht zu vertragen; schon Adam glaubte an die Dreieinigkeit, und schon aus dem A. T. wollte man die Artikel der Augsb. Confession beweisen.-) Allmählich aber erkannte man doch wenigstens, daß eine geschichtliche Entwickelung der Offenbarung auch durch die buchstäbliche Inspiration der Bibel nicht ausgeschloffen sei, da ja Gott, als ein guter Lehrer, den Menschen nicht alles auf einmal geoffenbart haben werde. So gelangte man allmählich zu einer unbe­ fangeneren Auffassung der Bibel, namentlich des Alten Testaments, und heute gilt es als selbstverständlich, daß auch der Offenbarung Gottes eine geschichtliche Entwickelung zukommt. b. Aber wenn nun eine geschichtliche Betrachtung der Offenbarung heute wohl überall für berechtigt gehalten wird, so gilt es doch noch viel­ fach für bedenklich, die Bibel in wissenschaftlicher Weise, wie jede andere Geschichtsurkunde, zu behandeln. 316er3*)* „wissenschaftliche Schrift­ betrachtung und Glaube an die Bibel schließen sich nicht aus. Es handelt sich bei aller Wiffenschaft lediglich um die Steigerung und Ausbildung der natürlichen Kräfte, die uns allen gegeben sind. Wie der Naturforscher in höherem Maße, als wir, ein Sehender ist, so gewährt uns die histo­ rische Wissenschaft eine methodische Schärfung und Erweiterung des Hörens. Was die uns überlieferten Berichte enthalten, wie sie entstanden sind, und in welchem Verhältnis sie zum Lauf der Ereignisse stehen, dafür wird uns durch die wissenschaftliche Unterweisung und Übung das Ohr geschärft. Was könnte oder wollte die historische Bearbeitung der Bibel anders sein, als ein intensives Hören auf das, was die Bibel enthält! Darum kann es auf normale Weise zwischen der historischen Schriftforschung und dem Glauben an die Schrift zu keiner Reibung kommen. Dürfen wir ') Vgl. Mezger, Hilfsbuch I, S. 21—22. *) Vgl. Diestel, Das A. T. in der christl. Kirche, S. 492 und 477. 3) Schlatter, Der Glaube an die Bibel (1893; M. 0,40), S. 19.

denn das Hören und das Glauben gegen einander setzen? Ist denn nicht gerade das Hören der den Glauben erzeugende Akt? So muß folgerichtig in der Kräftigung des Hörens auch ein gesteigerter Impuls zum Glauben enthalten sein, wie wiederum jedes Wachstum des Glaubens den starken Antrieb zu erneutem und vertieftem Hören in sich hat. Was bei der wiffenschaftlichen Bearbeitung der Bibel ein methodisch entwickeltes und gekräftigtes Hören ist, das steht mit „„dem Gesetz des Glaubens"" im schönsten Frieden und reicht ihm dienend die Hand." Wenn also die Bibel die Norm für unser Glauben und Leben bleiben soll, namentlich auch für die Gebildeten in der Gemeinde, so darf sie nicht in unwissenschaftlicher Weise ausgelegt werden; Wissenschaft und Glaube stehen nicht notwendig im Widerspruch mit einander; die wissenschaftliche Behandlung der biblischen Bücher und des Inhalts der Bibel, d. h. die Kritik der Bibel, ist durchaus berechtigt. Es ist heute unmöglich, wissenschaftlich zu arbeiten ohne Kritik, und auch eine wissenschaftliche Theologie ist undenkbar ohne Kritik. c. Was ist denn überhaupt die Aufgabe der Kritik? Unsere Kenntnis der geschichtlichen Ereignisse der Vergangenheit beruht auf den Dokumenten, welche über dieselben vorhanden sind. Die Doku­ mente sind aber entweder Urkunden der Ereignisse (z. B. Inschriften, Münzen, Aktenstücke) oder Erzählungen über dieselben. Bei den Ur­ kunden muß der Kritiker fragen, ob dieselben authentisch sind, oder wenig­ stens von wem und aus welcher Zeit sie herstammen; dies zu untersuchen, ist die Aufgabe der litterarischen Kritik. Bei den Geschichtserzäh­ lungen mnß ebenso gefragt werden nach Ursprung und Alter, also litte­ rarische Kritik geübt werden, aber außerdem unterliegen sie noch der historischen Kritik, indem der Kritiker nach ihrer Glaubwürdigkeit, oder richtiger nach dem Verhältnis des Erzählers zu den von ihm dar­ gestellten Thatsachen fragt. Wenn aber die litterarische und die historische Kritik nicht zum Ziel führen, dann sucht der Kritiker durch eine Hypo­ these das richtige Bild von der Vergangenheit zu gewinnen, und die Richtigkeit seiner Hypothese erkennt er daraus, daß dieselbe sich als ge­ eignet erweist, den Inhalt und die Art der Dokumente zu erklären. Da es nun natürlich möglich ist, daß die vorhandenen Dokumente durch ver­ schiedene Hypothesen (wenn auch mehr oder weniger gut) erklärt werden, so ist es begreiflich, daß die Resultate der Kritik nicht sofort dieselben sind, sondern sich im Laufe der Zeit ändern können. Daraus folgt aber natürlich nicht, daß wir von der Kritik absehen müssen, sondern nur, daß dieselbe nicht unfehlbar ist — was ja auch noch niemals ein Kritiker be­ hauptet hat. Aber es läßt sich nicht verkennen, daß eine immer größere Übereinstimmung der Kritiker, ja, oft eine völlige Übereinstimmung in wichtigen Fragen bereits erzielt ist. d. Was nun von der Kritik im allgemeinen gesagt ist, das gilt auch von der biblischen Kritik. Auch hier gilt es, durch litterarische und historische Kritik die Thatsachen in ihrer WirMchkeit zu erkennen. Die litterarische Kritik prüft die Urkunden der Geschichte, z. B. das Zehn­ gebot, das Vaterunser, den Römerbrief, hinsichtlich ihrer Authentie, ihres Alters und Ursprungs. Die historische Kritik untersucht das Verhältnis

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I. Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

der verschiedenen Berichterstatter z. B. über das Leben Davids im Ver­ hältnis zur WirMchkeit. Das Ziel dieser zweifachen Kritik ist die Er­ kenntnis der Wirklichkeit. e. Aber ist denn die Kritik der Bibel notwendig? Wenn eine frühere Zeit diese Frage mit „Nein" beantwortet hat, so lag das zunächst an dem mangelnden Verständnis der Aufgabe des Historikers; später allerdings lehnte man die Kritik mit Bewußtsein ab, weil man durch dieselbe den Inhalt der Bibel gefährdet glaubte. Aber auch der­ jenige, welcher die Kritik zunächst ablehnt, kann sich derselben dennoch nicht völlig entschlagen; die Kritik der Bibel ist für den Bibel­ forscher geradezu unentbehrlich. a. Der Christ übt ja Kritik, wenn er die Bibel anerkennt, aber den Koran verwirft. Der Christ übt Kritik, wenn er fragt, welche Bücher zur Bibel gehören, und welche nicht; weder die Synagoge, noch die Kirche ist unfehlbar, so daß ihre Festsetzungen über den Umfang des Alten und des Neuen Testaments für uns unbedingt maßgebend wären. Mit Recht hat Luther die von der Kirche des Mittelalters den Büchern der hebräischen Bibel gleichgestellten Apokryphen vom A. T. wieder abge­ sondert. Ebenso war Luther durchaus int Rechte, als er fragte, ob das Buch Esther den ATlichen Schriften, ob der Brief des Jakobus den NTlichen Schriften zuzurechnen sei. Wenn also in der Neuzeit nicht bloß katholische Theologen (bei denen dies eher zu entschuldigen ist), sondern auch evangelische Gelehrtes behauptet haben, daß Angriffe auf den ge­ schichtlichen, moralischen und religiösen Inhalt der biblischen Bücher erst von den rationalistischen Forschern des 18. Jahrhunderts gemacht worden seien, so ist das eine ganz unbegründete Behauptung; das hat schon Luther gethan, und wer es heute thut, ist darum noch kein Rationalist und kein Feind der Bibel. Wenn heute Luthers freiere Ansichten über manche biblische Bücher von evangelischen Forschern entschuldigt, aber nicht ange­ nommen werden, so kann dies seinen Grund haben entweder in einer richtigeren Erkenntnis oder auch^) in einer Befangenheit des Urteils, von welcher Luther frei war. ß. Aber auch bei der Erforschung des Inhalts der biblischen Bücher kann der Bibelforscher die Kritik nicht entbehren. Zunächst giebt es in den mehrfach vorkommenden Stellen der h. Schrift Abweichungen, welche nur als Schreibfehler angesehen werden können — das wird wohl von niemandem bezweifelt werden; hier muß also die Kritik entscheiden, an welcher Stelle sich die richtige Lesart findet. Aber es finden sich doch auch sachliche Differenzen, welche nur als verschiedene Überlieferungen erklärt werden können. Wenn 1. Sam.

17, 55—58 vorausgesetzt wird, daß Saul den Sieger über Goliath noch nicht gekannt hat, so ist diese Überlieferung nicht zu vereinigen mit der Überlieferung in 1. Sam. 16, 14—27 und 17, 3s, daß Saul den David schon vor dem Siege über Goliath gekannt habe. Dieser Widerspruch ist nur dadurch zu erklären, daß die Bücher Samuels, wie die ganze ADliche Geschichtschreibung, in dem Bestrebm, von dem Überlieferten nichts un*) Z. B. Keil, Einl. in das A. T. 2) So z. B. bei Hengstenberg: vgl. König, ATliche Kritik und Christen­ glaube (1893), S. 41, Anm. 2.

beachtet zu lassen, die verschiedenen Überlieferungen einfach neben einander stellten, und es dem Leser überließen, dieselben zu einem einigen Ganzen zu gestalten. Das ist aber die Aufgabe der historischen Kritik, welche das Verhältnis der verschiedenen Berichte zur Wirklichkeit untersucht. Auch über die Offenbarungen Gottes giebt es verschiedene Berichte, und Gott hat nicht durch ein Wunder die Berichte über seine Offen­ barungen vor jeder menschlichen Umgestaltung bewahrt. Das widerspricht ja auch geradezu den Thatsachen! Gott hat den Israeliten den Dekalog gegeben, aber er hat nicht dafür gesorgt, daß wir denselben in seiner Urform besitzen. Dasselbe gilt vom Vaterunser und von den Abendmahls­ worten. Und was von den Reden dev Gottesmänner gilt, das gilt ebenso von ihrem Leben; auch hier fehlt es, wie oben gezeigt, nicht an Umgestaltungen der WirMchkeit, welche zur Kritik nötigen; die Entschei­ dung über die Richtigkeit der einen oder der andern Darstellung in der Bibel kann nur mit Hilfe der historischen Kritik gegeben werden. 7. Aber auch Anfänge der litterarischen Kritik liegen schon bei Luther vor, und dieselbe ist durchaus berechtigt, und auch von neueren anerkannt orthodoxen Theologen lz. B. Delitzsch) ist dieselbe als berechtigt anerkannt und geübt worden. Es ist doch eine durchaus berechtigte Frage, ob der Römerbrief auch wirklich von Paulus herstamme, und eine solche Frage kann nur von der Kritik beantwortet werden. Zwar kommt es ja in der Regel nur auf den Inhalt des Gotteswortes an, das wir in der Bibel vernehmen; aber es ist doch jedenfalls auch nicht gleichgültig, zu untersuchen, von wem die einzelnen Schriften der Bibel herstammen; jedenfalls verstehen wir ihren Inhalt und ihre Bedeutung besser zu wür­ digen, wenn wir ihren Verfasser oder wenigstens die Zeit ihrer Entstehung kennen; über diese Fragen aber belehrt uns die litterarische Kritik. Die litterarische Kritik hat sich nun in der Neuzeit aufs eifrigste und mit Erfolg bemüht, das Zeitalter der Entstehung der einzelnen bibli­ schen Schriften zu erkennen und auch dadurch das richtige Verständnis derselben zu sichern. f. Heute giebt es keinen einzigen Theologen mehr, der die Kritik der Bibel völlig verwirft; ja, es giebt heute schon viele Resultate der Kritik, welche von allen Theologen anerkannt werden. Wir dürfen also wohl hoffen, daß es allmählich gelingen wird, zu einer allgemeinen Anerkennung der Notwendigkeit der Kritik auch auf dem Gebiete der Bibelforschung und zu einer immer größeren Übereinstimmung hinsichtlich der Ergebnisse

der Kritik auch auf dem Gebiete der Bibelwissenschaft zu gelangen.

(X (12.) Das Recht der Kritik. a. Das Verfahren und die Ergebnisse der modernen Kritik haben nun aber in den kirchlichen Kreisen eine große Beunruhigung hervor­ gerufen, und Glaube und Wissenschaft erscheinen vielen gläubigen Christen als unvereinbare Gegensätze. Und dennoch dürfen Glaube und Wissenschaft nicht auf die Dauer auseinandergehen; „das für die Zukunft der Kirche entscheidungsvolle Strebeziel muß es sein, das Gleichgewicht zwischen den unveräußerlichen Fundamenten der Offenbarungsreligion und den unleug­ baren Befunden litterarischer und historischer Kritik herzustellen" — das

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I. Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

ist eine Forderung eines gläubigen Professors der Theologie (Delitzsch). Wie kann nun das Gleichgewicht zwischen Glaube und Wissenschaft her­ gestellt werden? Natürlich nicht dadurch, daß die kirchliche Oberbehörde den Männern der Wissenschaft vorschreibt, was sie lehren dürfen — dann wäre die Wissenschaft nicht mehr frei, und nur eine freie Wissenschaft ist überhaupt Wissenschaft. Allerdings darf ja auch die Wissenschaft nicht vergessen, daß es ihre Aufgabe ist, die Religion nicht zu zerstören, sondern zu begreifen. b. Aber wenn nun Bibel und Religion der Kritik unterworfen werden, wird dann nicht aus beiden eine rein menschliche Sache, eine Religion, welche sich von selbst entwickelt, ohne daß es einer Offenbarung bedarf, eine Bibel, welche nur noch ein menschliches Buch ist, nicht mehr ein göttliches? Beides ist durchaus nicht der Fall. Die Bibel ist ja allerdings nicht buchstäblich von Gott diktiert, wie die ältere Theologie fälschlich meinte, aber sie ist dennoch ein göttliches Buch um ihres Inhaltes willen, denn sie enthält auch nach der Meinung der neueren Forscher die Urkunden der göttlichen Offenbarung. Wenn auch heute das A. T. vielfach anders betrachtet wird, als ftüher, so ist doch durch die Kritik des A. T-, welche diese andere Be­ trachtung der ATlichen Geschichte zur Folge hat, der Kern des A. T. nicht geschädigt worden; in der Geschichte des Volkes Israel eine Offen­ barung Gottes zum Heil der Menschheit zu erkennen, deren Abschluß im Christentum vorliegt — diese Stellung des Christen zum A. T. ist von der Kritik nicht erschüttert, sondern festgehalten worden.^ Ob das Lied „Jesus meine Zuversicht" von der Kurfürstin Luise Hen­ riette von Brandenburg herrührt oder nicht, das ist für diejenigen, die sich in diesem Liede Glaubenskraft und Sterbenskraft von Gott erbitten, gleichgültig. Ebenso verliert kein wertvolles Stück des A. T. das Ge­ ringste von seinem Werte für den, der es gläubig aufnimmt, auch wenn die Bestimmung der Abfassungszeit und die geschichtliche Einordnung des­ selben sich jetzt anders gestaltet haben als früher?) Sodann bleibt ja die in der Bibel enthaltene Offenbarung eine gött­ liche Offenbarung, auch wenn es immer mehr erstrebt und erreicht wird, zu begreifen, wie Gott zu den Menschen geredet hat, und in welcher Stufenfolge die göttliche Offenbarung sich allmählich entwickelt hat. Daß Gott zu den Menschen geredet hat, bleibt anerkannt; wie er zu ihnen geredet hat, ob er z. B. das Gesetz ihnen zuerst oder zuletzt ge­ geben hat, das zu erforschen, ist eine Sache der Wissenschaft, die mit dem Glauben an die Wirklichkeit der Offenbarung gar nichts zu thun hat. Auch dadurch wird der Glaube an die in der h. Schrift verkündete Offenbarung nicht umgestoßen, daß wir zugeben, daß die biblischen Schrift­ steller nicht von menschlichen Irrtümern frei sind. Nur „was in keines *) Vgl. z. B. Kautzsch, Beilagen zum A. T., S. 160: „Die Inspiration der Propheten ist das Herz der ATlichen Offenbarung, ihre ganze Erscheinung überhaupt die mächtigste Bürgschaft für die Erwählung und Erziehung Israels als eine besondere Veranstaltung sd. h. Offenücinrng] Gottes." 2) Flöring, Das A. T. im Religionsunterricht (1895), S. 25—26.

Menschen Herz gekommen ist", ist der Gegenstand der Offenbarung; was aber der Mensch durch eigenes Forschen lernen kann und lernen soll, und was er von anderen Menschen erfährt, das ist nicht ein Gegenstand der Offenbarung; auf diesen Gebieten des menschlichen Wissens und Forschens sind die biblischen Schriftsteller irrtumsfähige Menschen gewesen und ge­ blieben; was sie über diese Dinge geschrieben haben, beruht nicht auf göttlicher Offenbarung, sondern auf menschlichem Wissen, und darum ist es dem Irrtum unterworfen. Ja, selbst das, was die Propheten und die biblischen Schriftsteller über die ihnen selber gewordene Offenbarung sagen, ist dann als eine menschliche Zuthat zu der göttlichen Offen­ barung anzusehen, wenn sie die göttliche Offenbarung erklären oder an­ wenden. Die Propheten schauen in die Zukunft — das beruht auf göttlicher Offenbarung; was sie geschaut haben, wird von ihnen aus­ gelegt — das ist ein Produkt menschlichen Nachdenkens. Die Gesetz­ gebung Mosis beruhte auf göttlicher Offenbarung; die Anwendung des Gesetzes zur Beurteilung der geschichtlichen Personen, wie sie uns in den biblischen Geschichtsbüchern überall entgegentritt, ist die menschliche An­ wendung des göttlichen Gesetzes^) c. So wird also der Glaube an die in der Bibel enthaltene Offen­ barung durch die Kritik nicht umgestoßen, sondern vielmehr vor Irrtümern bewahrt und zu größerer Klarheit erhoben.

D. (12.) Die Kritik der Bibel in der Schule. Aber ist denn die Kritik, die in den Hörsälen der Universität be­ rechtigt ist, auch in der Schule berechtigt? Die Antwort auf diese Frage gebe ich mit den Worten eines Religionslehrers aus der evangelischen Kirche Württembergs, welche bekanntlich in gleicher Weise durch ihren frommen Glauben wie durch ernste Wissenschaftlichkeit hervorragt. 2) a. „Wenn der Lehrer keine andere Aufgabe hat, als die bei Kindern der Volksschule, so mag er immerhin sich von der mühsamen Arbeit kritischer Studien über die Entstehung der biblischen Bücher dispensieren, und er kann abwarten, bis die Forscher zu allgemein anerkannten und bequemer mitteilbaren Resultaten gekommen sind, als dies heutzutage der Fall ist. Aber die Keckheit der Selbstüberhebung darf der Lehrer nicht begehen, daß er, wenn er Jünglinge, die dem Universitätsstudium entgegen­ gehen, zu unterrichten hat, die treue und gewissenhafte Arbeit aller der­ jenigen Männer, welche die Erforschung der Bibel und die Lösung ihrer Rätsel zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, einfach ignoriert, und sich selbst von allem Zusammenhänge mit aller theologischen Arbeit seiner Zeit losreißt. Wenn die Thatsachen, die er durch das Studium dieser Arbeiten findet, mit der traditionellen Meinung vom Gange der heiligen Ge­ schichte und von der litterarischen Entstehung der heiligen Schriften im Widerspruch stehen, so korrigiert er nicht die Bibel durch die traditio­ nelle Meinung, sondern er korrigiert umgekehrt die traditionelle Meinung *) Vgl. Nathusius, Die Inspiration der h. Schrift und die historische Kritik (1895), S. 30 s. 2) R. Schmid, der alttestamentliche Religionsunterricht, seine Schwierigkeiten und der Weg zu ihrer Überwindung. Programm von Schönthal, 1888, Nr. 549.

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I. Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

durch die Bibel. Delitzsch sagt mit vollem Rechte (Neuer Kommentar über die Genesis S. 35): Wahrheitsliebe, Beugung unter den Zwang der Wahrheit, Darangabe traditioneller Ansichten, welche die Wahrheitsprobe nicht bestehen, ist eine heilige Pflicht, ein Stück der Gottesfurcht. b. Allerdings könnte auch der Lehrer der höheren Schulen die ganze Bibelkritik ignorieren, wenn er sie selbst durchstudiert hat und da­ durch zu der Überzeugung gekommen ist, daß sich alle Kritiker irren. Er muß dann also im stände sein, das entweder selbst zu beweisen, oder er muß auf eine Litteratur Hinweisen können, welche die Resultate der Bibel­ kritik als irrig erweist. Das kann aber heute niemand mehr. Je mehr sich ein Theologe besonders mit den Alttestamentlichen Fragen be­ schäftigt, desto mehr kommt er, wie die Erfahrung (vergleiche Delitzsch!) zeigt, von der traditionellen Meinung ab- Um die traditionelle Meinung zu behaupten, müßte man, wenn man sich an Meister auf dem Alt­ testamentlichen Gebiete halten will, ausschließlich die Schriften älterer, heute nicht mehr lebender Theologen lesen, oder man müßte sich an die Schriften von Dilettanten halten, welche die Fragen, um die es sich handelt, und ihre Tragweite gar nicht zu bewältigen wissen. Eine Schrift eines Meisters, welche noch den traditionellen Standpunkt in der ATlichen Kritik vertritt, giebt es auf dem Gebiete der neueren deutschen Theologie nicht. Die Umwandlung der kritischen Ansichten über das Alte Testament in der Theologie der Neuzeit läßt sich besonders deutlich in den Schriften von Delitzsch, bekanntlich einem Theologen allerposittvster Richtung, erkennen. Derselbe hatte noch im Jahre 1860 geschrieben: „Der Pentateuch ist ein einheitliches Geschichtswerk aus dem 16. Jahrhundert vor Christus; die nach­ mosaische Litteratur legt für die Priorität des Pentateuchs ein viel­ stimmiges Zeugnis ab; die neuere Kritik hat sich kaum durch etwas schwerer an der Wahrheit versündigt, als durch die Geschichtsverdrehung, daß der Pentateuch oder wenigstens das Deuteronomium erst um das Jahr 600 an das Licht der Öffentlichkeit getreten sei." Und im Jahre 1887 erklärte derselbe Delitzsch, sich beugend unter den Zwang der Wahr­ heit und die traditionellen Ansichten darangebend, daß das Deutero­ nomium kurz vor dem Jahre 621 geschrieben und daß es älter sei als das Priestergesetz (d. h. das Gesetz der mittleren Bücher des Pentateuchs) und daß die legislatorische Arbeit bis über das Exil hinaus fortgedauert habe. — Das hatte derselbe Delitzsch früher eine Geschichtsverdrehung und eine Versündigung an der Wahrheit genannt." „Wir dürfen wohl als ausgemacht ansehen, daß es weitaus der Mehrzahl der Religionslehrer am Obergymnasium feststeht, daß der Penta­ teuch nicht von Moses, Jesaias 40—66 nicht von Jesaias, das Buch Daniel nicht von Daniel herstammen,"') womit Delitzsch ebenfalls über­ einstimmt. Trotzdem aber ist heute der Streit über das Alte Testament heftiger entbrannt, als in früherer Zeit. Einfacher liegt heute die Sache beim Neuen Testament, wo der Gegensatz der Meinungen geringer ge­ worden ist, als er vor etwa 30 Jahren gewesen ist. *) Mezger, Hilssbuch I, 47.

c. In jedem Falle muß der Religionslehrer der oberen Klaffen sich mit den kritischen Fragen bekannt machen, und er kann auch beim Unter­ richt an ihnen nicht ganz vorübergehen — das ist eine Forderung der Wahrheit, welcher sich der Religionslehrer unter keinem Vorwande ent­ ziehen darf.

E. (13 und 14.) Matz rmd Schranke -er Kritik in der Schale. a. „Wenn so allerdings der Lehrer die älteren Ansichten über die Bibel vielfach nicht mehr festhalten kann, nachdem alle Meister der Forschung dieselben preisgegeben haben, so kommt es doch für die Schule nicht darauf an, die Entwickelung und die Resultate der Kritik den Schülern vorzulegen oder gar zu beweisen, sondern für den Schüler ist die Hauptsache die positive Dar­ stellung des Inhalts der heiligen Schrift, wie sich derselbe auf Grund der positiven Ergebnisse der Bibelkritik ergiebt; der Lehrer soll aufbauen, nicht zerstören; die Kritik ist nur eine Voraussetzung des Unterrichts, welcher dem Schüler in positiver Darstellung zu zeigen hat, daß im Volke Israel eine göttliche Offenbarung vorhanden ist, welche in Jesus Christus zu ihrem Ziel gekommen ist"1)2 Wenn also ein wissenschaftliches Lehrbuch der Geschichte bei jedem Abschnitte^) seine Darstellung durch kritische Bezugnahme auf die Quellen rechtfertigt, so wird die Darstellung in der Schule sich meist auf die ein­ fache Darlegung der geschichtlichen Ereignisie beschränken, ohne den Schüler alle Schwierigkeiten der Kritik erkennen zu lassen und ohne auf die kritische Untersuchung jedesmal einzugehen. „Der Kritik darf im Religionsunter­ richt nur Raum gegönnt werden, wenn und soweit sie als Mittel zum llaren Verständnis des Sprachlichen und Sachlichen notwendig und schlechter­ dings unentbehrlich ist. Die Kritik hat zu schweigen, wo ihr Sprechen zum Verständnis der Bibel nicht als durchaus notwendig sich aufdrängt."3) Das ist aber in großem Umfange der Fall. Der Unterricht kann sich ja nur auf eine Auswahl des biblischen Stoffes beschränken; mit dem betreffenden Stoffe fällt also auch die be­ treffende Kritik weg. Aus wie vielen Teilen das Buch des Propheten Sacharja besteht, ob das Hohelied von Salomo, ob einer der nicht ge­ lesenen NTlichen Briefe von dem durch die Tradition genannten Berfaffer herstammt, das kommt für den Schüler kaum in Betracht; auch im Religionsunterrichte soll der Schüler nicht über Dinge reden lernen, von denen er nichts hört und versteht. Aber selbst bei dem ihm dargebotenen biblischen Stoffe soll die Kritik nicht immer mitsprechen. Ob ein bestimmter Psalm von David herrührt oder nicht, das ist für die Wiffenschaft nicht gleichgiltig, aber für die Schule kommt es kaum in Betracht; der Inhalt des Psalms ist für die Schule die Hauptsache, nicht der Verfasser; mag der Schüler die Über­ schrift buchstäblich festhalten, ein Schade wird daraus kaum erwachsen können. *) R. Schmid, Programm von Schönthal, 1888. 2) Vgl. z. B. Ihnes römische Geschichte und Kittels Geschichte der Hebräer. 3) Mezger, Hilfsbuch zum Verständnis der Bibel I, 53—54.

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Sodann darf der Lehrer dem Schüler nur sichere Resultate dar­ bieten. Hier wird ja nun unzweifelhaft die Subjektivität des Lehrers sich geltend machen; der eine hält für ausgemacht, was der andere noch nicht für entschieden ansieht; ich bin nicht geneigt, über ein von meiner Darstellung abweichendes Verfahren mich zum Richter aufzuwerfen. So wird nun freilich manches dem Schüler in der traditionellen Form geboten, gegen welche der Lehrer vielleicht selber Bedenken auf dem Herzen hat; aber die traditionelle Form hat ja doch ebenfalls ihren Wert, und bei gar vielen Dingen bleibt aller Unterricht bewußt oder unbewußt bei der Tradition, ohne jedesmal die Kritik zu ihrem Rechte kommen zu lassen. b. Wann ist nun aber die Kritik für die Schule notwendig? Dem Unterricht in der heiligen Geschichte liegt in den oberen Klassen der höheren Schulen nicht, wie auf der Universität, der Grundtext der heiligen Schrift, auf den doch nur im Neuen Testament zum Teil zurück­ gegangen werden kann, sondern die Lutherbibel zu Grunde, und zwar nunmehr die revidierte Lutherbibel. Schon aus dieser Grundlage des Unterrichts ergiebt sich bisweilen die Notwendigkeit der Kritik. Es darf wohl heute als allgemein zugestanden gelten, daß der Lehrer nicht ver­ pflichtet ist, bei jeder Übersetzung einer Stelle der Lutherbibel, auch nicht der revidierten Bibel, stehen zu bleiben, sondern daß es ihm gestattet ist (und dazu wird sich allerdings fast nur in den Oberklassm der Anlaß finden), auf den Grundtext hinzuweisen, wenn die Lutherbibel (auch die revidierte) von demselben erheblich abweicht. Es wird wohl kaum ein Lehrer bei der Besprechung von Hiob 19 sich auf die Lutherbibel be­ schränken, sondern er wird auf den Grundtext zurückgehen, und auf die Möglichkeit oder Gewißheit Hinweisen, daß der Grundtext einen anderen Sinn der berühmten Stelle ergebe als die Lutherbibel. Und das wird gewiß an mancher Stelle der dichterischen und prophetischen, ja, selbst der geschichtlichen Bücher dem Lehrer notwendig scheinen. Aber auch der Grundtext selbst nötigt zur Kritik auch in der Schule. Es giebt ja verschiedene Lesarten, und bisweilen ist denn doch der Unter­ schied derselben sehr bedeutend; auch hier darf unzweifelhaft der Lehrer Kritik üben. Wenn Ps. 22, 17 gelesen wird, so wird der Lehrer darauf Hinweisen dürfen, daß Luthers Übersetzung: „Sie haben meine Hände und

Füße durchgraben" nicht unzweifelhaft richtig ist, weil bekanntlich die Lesart schwankt. Ebenso wird bei der Lektüre der Schöpfungsgeschichte darauf hinzuweisen sein, daß in 1. Mose 2, 4 auch im Grundtext die Kapitel- und Bers-Einteilung (die ja bekanntlich erst ein Werk der späteren Zeit ist) verfehlt ist. Ja, der Schüler wird sogar aus seinem griechischen Neuen Testament selbst erkennen, daß die Stelle 1. Joh. 5, 7 nicht als Beweis für die Dreieinigkeit angeführt werden darf — eine Stelle, welche sogar in der echten Lutherbibel nicht vorhanden war, sondern erst später ausgenommen worden ist. Aber die Kritik wird auch noch weiter gehen dürfen und muffen. Der Schüler kann nicht wohl übersehen, daß der Dekalog wie das Vater­ unser in zweifacher, die Abendmahlsworte sogar in vierfacher Form über­ liefert sind. An diese Beobachtung knüpft sich der Schluß, daß wir also .eine buchstäbliche Überlieferung selbst der wichtigeren Worte der Männer Gottes nicht besitzen.

Was aber für die Reden gilt, gilt auch für die Ereignisse. Auch hier sieht der Schüler selbst, daß es vielfach eine mehrfache Überlieferung über die Ereignisse im Leben Jesu wie auch in der Alttestamentlichen Geschichte giebt, und daß es uns nicht immer möglich ist, die verschiedenen Berichte zu vereinigen. Und bei diesem Ergebnis wird sich der Schüler durchaus beruhigen; es stört ihn durchaus nicht in seinem Glauben, wenn er einsieht, daß nicht alle Darstellungen eines Ereignisses buchstäblich richtig sein können; die Advokatenkünste mancher Apologeten werden ihm dagegen geradezu schaden, da er ja leicht von der schlechten Verteidigung auf eine schlechte Sache schließen wird. Aber noch weiter wird die Kritik auch in der Schule gehen dürfen und müssen. Daß die Schöpfungsgeschichte in zwei Darstellungen vorliegt, kann dem Schüler der oberen Klassen nicht verheimlicht werden. Daß das nun nicht zwei Überlieferungen (dann wäre die Sache vielleicht noch einfacher), sondern zwei ganz verschiedene selbständige Darstellungen sind, ergiebt sich bei genauerer Betrachtung. So wird der Schüler auf die beiden Quellen der Genesis geführt, aber alsbald auch noch darüber hinaus zu der Frage, woher diese Darstellungen stammen und welchen Wert sie für uns habeil. Hier wird also der Schüler lernen, daß die Bibel nicht ein Lehrbuch der Naturgeschichte ist; es stört ihn durchaus nicht in seinem Glauben, wenn er einsieht, daß die biblische Schöpfungs­ geschichte mit der naturwissenschaftlichen nicht ganz übereinstimmt. Ja, er sieht hier auch noch selber, daß die Bibel auch nicht ein Lehrbuch der Religion ist (denn dann müßte sie, wie die Wissenschaft das thut, beide Darstellungen in einer höheren Betrachtung vereinigen), sondern daß sie nur die Ürkunden unseres Glaubens enthält. Dasselbe erkennt der

Schüler bei der Lektüre des Römerbriefs, der zwar eine höchst wichtige Urkunde des Glaubens ist, aber nicht ein Kompendium der Dog­ matik. Damit hängt auch die Erkenntnis zusammen, die der Schüler bei der Lektüre von Gal. 4, 21—31 und bei der Vergleichung der Neutestamentlichen Citate aus dem Alten Testament gewinnt, daß wir zu unter­ scheiden haben zwischen dem Glauben der Gottesmänner und der lehr­ haften Darstellung ihres Glaubens; nur ihr Glaube ist für uns maßgebend, nicht die Darstellung ihres Glaubens. Und wenn nun der Schüler auf die Frage nach den Verfassern der heiligen Schriften geführt wird, so wird auch hier die Kritik berechtigt sein. Daß die Bücher Mosis dem Moses nicht im strengsten Sinne zu­ geschrieben werden können, zeigt ihm schon der Schluß des letzten Buches; daß überhaupt hier nur eine alte Annahme vorliegt, nicht eine Be­ hauptung der Bibel selber, wird er leicht erkennen. Daß aber in Ps. 51 die Überschrift „Von David" nicht für den ganzen Psalm passe, erkennt er selbst, wenn er auf den Unterschied der beiden (nachexilischen) Schlußverse vom Vorhergehenden hingewiesen wird. Daß zwar alle dreizehn Paulinischen Briefe dem Paulus zugeschrieben werden, sieht der Schüler selbst; daß manche derselben von den Kritikern dem Paulus ab­ gesprochen werden, wird ihn umsoweniger beunruhigen, wenn er erfährt, daß die vier Hauptbriefe, deren Kapitelzahl (51) allein schon die der andern (42) überragt, unzweifelhaft echt sind. Daß aber auch ein Brief eines Apostelschülers in der Bibel stehen darf, wird er leicht einsehen.

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L Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

Ja, selbst auf die Frage nach dem Umfange der Bibel muß die Kritik eingehen. Darauf führt ja schon das Dasein der Apokryphen; aber ebenso die Vergleichung der Rechtfertigungslehre bei Paulus und bei Jakobus. Hat die „stroherne Epistel" ein Recht darauf, in der Bibel zu stehen? Luther würde sie gern aus derselben hinausgewiesen haben; wir teilen nicht mehr seine Meinung; aber allerdings ist die Bibel ein Buch, deffen Umfang nicht Gott, sondern die Kirche, aber nicht eine unfehl­ bare Kirche, festgestellt hat; auch gegenüber dieser Festsetzung der Kirche ist natürlich die Kritik berechtigt. So ist also die Kritik der Bibel in weitem Umfange auch in der Schule berechtigt. c. Aber wenn die Kritik der Bibel als eines von Menschen ge­ schriebenen Buches in der Schule berechtigt ist, ist dann die Kritik der Bibel nicht doch wiederum deshalb auszuschließen, weil die Bibel nicht bloß ein menschliches, sondern ebenso sehr ein göttliches, von Gott eingegebenes Buch ist? Und ist denn auch die Kritik des Inhalts der Bibel, besonders der Offenbarung, in der Schule berechtigt? Ja, wird nicht der Schüler von selbst durch die Kritik des Buches zur Kritik auch des Inhalts des Buches hingeführt? Und ist nicht der Glaube ge­ fährdet, wenn die Kritik sich auch auf den Inhalt der Bibel, nament­ lich auf ihren Hauptinhalt, die Offenbarung Gottes in der Menschheit, erstreckt? Auf diese berechtigte Frage soll das Folgende die Antwort zu geben suchen. a. „Die heilige Schrift und Gottes Offenbarung sind nicht ein und dasselbe";') Gegenstand unseres Glaubens ist zunächst und vornehmlich die Offenbarung Gottes in der Menschheit; die heilige Schrift ist nur die Urkunde der Offenbarung. Die Kritik ist aber zunächst nur auf die Urkunde der Offenbarung gerichtet, nicht auf die Offenbarung selbst, und der Verfaffer des vorliegenden Buches glaubt mit dem Ver­ fasser des immer wieder zitierten trefflichen Hilfsbuches zum Verständnis der Bibel, dem leider schon verstorbenen Ephorus Mezger zu Schönthal, auch von seinem Buche sagen zu dürfen: „Der Verfaffer steht auf dem Boden des Glaubens an die Offenbarung, will aber ebenso der mensch­ lichen Seite der heiligen Schrift gerecht werden; er verfährt mit voller Pietät gegen das Wort Gottes in der Bibel, wie zugleich mit gebührender Achtung vor der Wissenschaft. Es gehört freilich zu den schwierigsten Aufgaben, den Anforderungen des kindlichen Glaubens wie der gesunden Wissenschaft zu entsprechen, Göttliches und Menschliches, Kern und Schale in der Bibel richtig zu scheiden" (Bd. IV, S. III—VH). Die Bibel, als die Urkunde der Offenbarung, ist ein gött­ liches Buch, in der Bibel ist Gottes Wort enthalten — das muß also die Kritik in der Schule festhalten, in diesem Sinne ist der Unter­ richt zu erteilen. Eine Kritik, für welche die Bibel kein göttliches Buch ist, ist in der Schule nicht berechtigt. So stimmt denn der Verfasser überein mit dem schönen Worte eines angesehenen Geistlichen,^) *) Mezger, Hilfsbuch I, 54. 2) Generalsuperintendent Baur (Predigt beim 5. evangel. Schulkongreß 1888).

welcher sich die Frage vorlegte: „Was geben wir unsern Kindern, daß sie Gottesmenschen werden?" Und die Antwort auf diese Frage lautete: „In der Bibel geben wir unsern Kindern 1) das beste Buch, welches Gottes Weisheit in der Erziehung des Menschengeschlechtes darlegt; zwar keine Naturwisienschaft bietet, aber den Schöpfer der Natur preisen lehrt; auch nicht die Weltgeschichte erzählt, aber Gottes Gericht in der Geschichte nachweist; 2) das herrlichste Bild, nämlich das Jesu Christi, welches den Kindern in allen Stufen seiner Entwickelung als vollkommenes Ideal des Lebens, Leidens, Sterbens und Siegens tief ins Herz gegraben werden muß; 3) den kräftigsten Mut: den Glauben, damit die Jugend in unsrer glaubenslosen Zeit vom Sinnlichen zum Unsichtbaren erhoben, im Entbehren und Ertragen geübt werde und zu evangelischer Mannhaftigkeit heranwachse; 4) das fröhlichste Leben: die Seligkeit, daß die Jugend sich der gegenwärtigen wie der zukünftigen Güter herzlich zu freuen vermöge. ß. Sodann aber hat auch diejenige Kritik in der Schule keine berechtigte Stätte, welche die Leugnung der Möglichkeit aller Wunder und Weissagungen zur Grundlage macht.') Wenn von der Weissagung an andrer Stelle gehandelt werden soff,*2) so scheint doch „die crux der Theologen, der Schule und Kirche, und darum so häufig das noli me tangere für die meisten Lehrer, Sprecher und Schriftsteller in Sachen der Kirche und Schule, die Erzählung von Wundern im Neuen Testamente und besonders im Alten Testamente, dem Lehrer unauflösliche Schwierigkeiten zu bieten."3) Unsere Zeit ist eine Zeit der Wunderleugnung oder wenigstens der Wunderscheu, und wer dürfte glauben, daß das sich so bald ändern werde! Unsre heutige Naturwissenschaft sucht die Wunder der Natur zu begreifen und zu erklären, und je mehr die Naturgesetze erkannt werden, desto mehr schwindet, wie es scheint, die Möglichkeit der Wunder. Und hat nicht auch nach der Bibel Gott selbst gesagt: „Solange die Erde stehet, soll nicht aufhören Same und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht?" Gott ist also auch nach der Bibel ein Gott, der nach Ordnung und Gesetz in der Welt waltet. Unsere Geschichtschreibung erklärt: „Die zahlreichen Wunder, welche in einer Geschichtsperiode ge­ schehen sein sollen, schließen von selbst eine Auffaffung derselben als wahre Geschichte aus." Und wo giebt es heute noch einen strenggläubigen Theologen, welcher alle Wunder der heiligen Schrift oder auch nur des Neuen Testaments wirklich buchstäblich glaubte? Und der Religionslehrer in der Schule und der gebildete Vater im Hause stehen doch ebenfalls mitten in ihrer Zeit, welche den Wundern mindestens zweifelnd gegenübersteht. So besteht auch für die Schule in dieser Frage eine Schwierigkeit, welche jedem Lehrer entgegentritt, selbst wenn nicht für ihn selber, dann mindestens von feiten der Schüler. Zwar in den unteren Klassen ist diese Schwierigkeit kaum zu bemerken; die Jugend lebt in der Welt der Phan­ tasie, und ihr ist das Wunder eigentlich ganz sympathisch. Aber mit dem ’) Merger, Hilssbuch I, 30. 2) Vgl. Nr. 71. 3) Mezger I, 49.

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L Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

Erwachen des Verstandes, in den mittleren Klassen, beginnt der Zweifel, und derselbe steigert sich in den obersten Klassen, wo nun die Resultate der Kritik in den Geschichtsstunden und die beginnende Kenntnis der Naturgesetze im naturwissenschaftlichen Unterricht einen Einfluß auch auf des Schülers Verhältnis zum Religionsunterricht gewinnen. Hier hat der Pastor im Konfirmanden-Unterricht und der Lehrer im Religions­ unterricht oft einen schweren Stand. Es ist natürlich das leichteste, die ganze Wunderfrage einfach abzu­ weisen, indem der Lehrer erklärt, zwar in der Weltgeschichte und in der Naturwissenschaft gebe es keine Wunder, aber in der heiligen Geschichte müßten dieselben anerkannt werden, und nun sucht er dieselben als wahr­ scheinlich und möglich und notwendig hinzustellen. Aber wenn man das Gebiet der biblischen Geschichte in dieser Weise von dem andern Leben gänzlich scheidet, dann kümmert sich eben auch kein Mensch mehr um die Ansichten der Theologen, wie es ja leider heute bei den Gebildeten vielfach der Fall ist. Es giebt heute eine theologische Geschichtschreibung der Bibel und eine wissenschaftliche Geschichtsdarstellung Israels und des Christentums. Soll dieser Zwiespalt ewig bestehen? Aber wie soll eine Vermittelung gefunden werden? Es ist natürlich nicht die Sache der Schule, eine solche zu finden — damit ist die theo­ logische Wissenschaft beschäftigt, und man kann von keinem Religions­ lehrer verlangen, daß er ein Problem gelöst habe, welches die Wissenschaft noch fortwährend erst zu lösen sucht. Aber wie soll sich nun der Reli­ gionslehrer der Sache gegenüber verhalten? — Eine zusammenfassende, systematische Behandlung dieser Frage halte ich beim Unterricht in der heiligen Geschichte kaum für nötig; sie wird bei Gelegenheit immer aufs neue wieder einmal mehr oder weniger vollständig besprochen; es gilt aber folgende Gedanken dem Schüler darzulegen, und zwar teils theoretisch, teils bei der Besprechung der Hauptwunder der heiligen Geschichte, auf welche die Schule genauer einzugehen verpflichtet ist.') Die heutige Geschichtswissenschaft beruht auf der Kritik, und die Kritik bestreitet allerdings die Wunder. — Aber die christliche Kirche steht ja der Kritik nicht etwa durchaus feindlich gegenüber. Die evangelische Kirche leugnet die meisten oder alle angeblichen Wunder der katholischen Heiligen; das ist Kritik; denn welcher Nichtkatholik glaubt es z. B. noch heute, daß der heilige Franciscus beim Gebet sich manchmal nicht bloß mit seinem Geiste (wie die andern Menschen), sondern auch mit seinem Leibe gen Himmel erhoben habe, manchmal so hoch, daß er nur noch so groß war, wie eine Lerche, die in der Lust schwebt? Die alte christliche Kirche hat die Wunder Jesu, welche in den apokryphischen Evangelien von ihm erzählt werden, geleugnet und diese Evangelien nicht in die heilige Schrift ausgenommen; das ist Kritik. Nun beginnt allerdings die Schwierigkeit. Aber die Wunder in der Bibel, besonders in den in sie aufgenommenen Evangelien? Früher erklärte man einfach, alle Wunder der Bibel müßten geglaubt werden. Aber selbst die orthodoxesten Theo­ logen (Hengstenberg u. s. w.) haben diesen Glauben an alle biblischen Wunder aufgegeben. Sie können ihr Verhalten rechtfertigen, indem sie ’) Eine genauere Behandlung dieser Frage findet der Leser unten, Nr. 104.

darauf Hinweisen, daß ja doch die Evangelien nicht deshalb von der alten Kirche teils verworfen, teils angenommen worden sind, weil dort unglaub­ würdige, hier glaubwürdige Wunder erzählt worden sind, sondern weil der Jesus, den die Apokryphen predigen, nicht der Jesus des Kirchen­ glaubens ist, sondern weil nur die Predigt von Jesu in unsern Evan­ gelien dem kirchlichen Glauben entsprach.') Nicht um historische Kritik der Wunder handelte es sich bei der Sonderung der Evangelien in falsche und rechte, sondern um den Unterschied in der Predigt von Jesu, wobei die Wunder keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Unsre Evangelien wurden in den Kanon der heiligen Schrift ausgenommen, nicht um damit alle ihre Wunder für buchstäblich geschehen zu erklären, sondern um den von ihnen verkündeten Glauben für den rechten Glauben der Kirche zu erklären. Und wenn so der Sage in den Evangelien ein gewisier Raum zugewiesen wird, wie viel mehr darf das im Alten Testament geschehen? „Begebenheiten, die erst viele Jahrhunderte, nach­ dem ihre Überlieferung durch Mund und Hand einer Reihe von Gene­ rationen gegangen war, noch dazu oft in mehrfachen Berichten, der Bibel einverleibt wurden, erlauben doch wahrlich, nein, sie verlangen eine prü­ fende Scheidung von Inhalt und Form, von dem, was wir als Gottes That darin zu erkennen haben, und von demjenigen Schmuck, welchen die menschliche Fassung dem göttlichen Werke gegeben hat. Was der Christ, kraft seines an der Hand der Schrift und seines christlichen Bewußtseins gebildeten Begriffes vom Wesen und Wirken Gottes, als damit vereinbar erkennt, das gehört dem Gebiete der Geschichte, was damit nicht ver­ einbar ist, dem Gebiete der Sage an."2) Wenn allerdings der heutige Religionslehrer nicht mehr alle Ge­ schichtserzählungen des A. T. für wirkliche Geschichten hält, so ist doch diese Schwierigkeit nicht so groß, wie sie oft dargestellt wird. Die gött­ liche Führung des Volkes Israel im ganzen ist der Gegenstand des Religionsunterrichts, nicht die Einzelthatsachen in ihrer Besonderung. Und ist denn etwa eine Erzählung wertlos darum, weil sie nicht eine wirkliche Geschichte ist? Sind nicht die Geschichte Hiobs und das Gleichnis vom armen Lazarus wertvoller als viele wirkliche Geschichten? Wie der Religionslehrer das A. T. vornehmlich ansehen soll, das zeigt ihm der Hebräerbrief (Kap. 11 und 12), wenn er die Frommen des A. T. als Vorbilder des Glaubens darstellt; das können sie aber auch für denjenigen sein, der in ihnen nicht mehr geschichtliche Personen erkennt. Auf diese positive Seite des Unterrichts ist also das Hauptgewicht zu legen; die Frage nach der Geschichtlichkeit des Erzählten ist eine Frage des Verstandes, nicht der Religion. Bei dieser Darstellung der Sache kommt die allgemein anerkannte historische Kritik auch hier zum Recht, und es schwindet die höchst bedenkliche Verwerfung der Kritik für die Bibel, während die Kritik doch sonst allgemein anerkannt wird. Wenn die Bibel keine Kritik vertrüge, dann hätte auch die alte Kirche keine solche üben dürfen, und sie hat sie geübt, *) Weiß, Leben 2>e[u31, 133: „Es ist kein Zweifel, daß die Auswahl unserer drei älteren Evangelien eben darum getroffen ward, weil ihre Auffassung der evangelischen Geschichte dem Gesamtbewußtsein der Gemeinde entsprach." -) Mezger, Hilfsbuch III, 44—45 und 53-55.

Heidrich, Heilige Geschichte.

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I. Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

indem sie den Kanon zusammengestellt hat. Es ist also der Wissenschaft nicht zu verwehren, daß sie auch der Bibel gegenüber Kritik übt; wer das nicht zugiebt, gefährdet das Ansehen der Bibel viel mehr, als es zunächst scheint; diese Absonderung der Bibel von aller anderen historischen Litteratur bewirkt nämlich notwendig, daß die Bibel für den Gebildeten nicht mehr existiert; seine Weltanschauung gewinnt er anderswoher, nicht aus der Bibel. Das ist die traurige Konsequenz der Absonderung der Bibel von der anderen Litteratur. So suche ich also für den Schüler die Einheit des Denkens zu erhalten; es giebt keine doppelte Wahrheit, wie die Scholastik des späteren Mittelalters in ihrer Verzweiflung lehrte, und wie noch heute mancher Theologe glaubt lehren zu müssen; dann ist unsere Sache verloren. Aber wenn nun der Historiker alle Wunder der Bibel, besonders des Lebens Jesu bestreitet, und der Naturforscher ihm recht giebt, indem er alle Wunder für natürlich geschehend ansieht? — Dann weise ich den Schüler darauf hin, daß die Naturwissenschaft doch selber manches Wunder noch heute und wohl für immer stehen läßt. Woher der Stoff, woher die Ordnung in der Welt, woher das Leben, woher der Menschengeist? Diese Fragen hat noch kein Naturforscher beantwortet. Das Dasein des Stoffes und der Ordnung in der Welt, das Dasein des Lebens und des Geistes sind Wunder, die wir nicht zu leugnen vermögen; der Materialist sucht über diese Wunder uns vergeblich hinwegzuheben. *) Und wenn nun auch in der bestehenden Welt alles nach Gesetz und Ordnung zugeht, ist denn das Naturgesetz nicht Gottes Ordnung? Und ist denn dieses Walten Gottes in der Natur nicht weniger wunderbar, wenn es in gesetz­ mäßiger Ordnung sich vollzieht? Sind wir nicht doch berechtigt zu sagen, daß Gott die Israeliten vor Pharao, die Engländer vor Philipp II., die neueren Völker vor Napoleon I. in gleicher Weise durch Wunder ge­ rettet hat, obwohl dabei kein Naturgesetz verletzt worden ist? Und erlebt nicht auch der gewöhnliche Mensch in seinem Leben gar manches, was zunächst bloß als ein Zufall erscheint und doch für ihn später von großer Bedeutung wird? Erkennt er darin nicht mit Recht den Finger Gottes? Ja, sind denn die Wunder Jesu, welche die Kritik anerkennt, nur darum Wunder, weil sie gegen die Naturordnung geschehen? Sind sie nicht vielmehr Thaten einer höheren Macht, welche den Naturverlauf nur anders gestaltet als gewöhnlich, aber ohne die Naturgesetze aufzuheben? Das gilt doch wohl für die Krankenheilungen Jesu unbedingt, vielleicht auch noch für manches andere seiner Wunder. Ja, gerade dadurch unter­ scheiden sich die biblischen Wunder von den oft gar zu seltsamen Mirakeln der katholischen Heiligen, daß in diesen der Naturordnung geradezu ins Gesicht geschlagen wird. Jesus hat keine gebratenen Hühner vom Tische lebendig davonfliegen lassen, wie ein katholischer Heiliger, den Pius IX. heilig gesprochen hat. Jesus hat nicht, wie Mohammed, den Mond herabsteigen und auf der Spitze der Kaaba ruhen lassen. Und wann geschehen denn nun nach der Bibel Wunder? Nicht so beliebig, wie in der katholischen Legende und in *) Vgl. Du Bois-Reymond, Die Grenzen des Raturerkennens. Welträtsel.

Die sieben

der gewöhnlichen Sage. Sie geschehen fast nur dann, wenn große Männer auftreten oder Ereignisse sich vollziehen, welche für die ganze Welt von Bedeutung sind; dann werden durch Gottes wunderbares Walten Hinder­ nisse beseitigt oder Wirkungen hervorgebracht, auf welche im gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht zu rechnen war. Als durch den Tod Jesu der Glaube der Jünger an ihn zu erlöschen drohte, da mußte Jesus als der von den Toten Auferstandene den Jüngern erscheinen, damit sie den Glauben an ihn nicht aufgäben. Und die Auferweckung Jesu ist für die Jünger zugleich ein Zeichen dessen, was die Zukunft einst dem Menschen bringen soll: ein Leben frei vom Tode, in der Gemeinschaft mit Gott. Durch die Wunder wird also die Ordnung der Schöpfung durchaus nicht gestört, sondern sie dienen gerade dazu, die Schöpfung zu vollenden; sie stammen von demselben Gotte her, der die Welt geschaffen hat, und sie dienen demselben Zwecke, den die Schöpfung erstrebt. Und daß die wunderbaren Thatsachen selten sind oder gar nur einmal in der Welt sich finden (wie die Person Jesu) — dadurch wird doch die Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Welt nicht gestört. Große Männer sind ebenfalls selten, und auch große Ereignisse geschehen selten in der Welt; darum sind sie aber doch vorhanden und verstoßen nicht gegen die Ordnung. Und geschehen denn nicht seit alter Zeit und heute wieder mehr als früher auch vor unsern Augen wunderbare Dinge, welche die Wissenschaft als Thatsachen anerkennt, auch wenn sie zunächst nicht zu erklären wären? Aus diesem dunklen, noch wenig erforschten, aber darum doch nicht ganz dem Aberglauben angehörenden Gebiete der Natur wird nach meiner Meinung noch manche Thatsache sich als richtig erweisen und als brauchbar zur Erklärung manches biblischen Wunders. Und wenn nun auch manches Wunder uns nicht so unbegreiflich erscheint, wie den damaligen Menschen, ist es denn darum wertlos? Die Bibel nennt die Wunder Jesu Zeichen, und sind sie das nicht auch dann, wenn sie uns zum Teil nicht so unbegreiflich erscheinen? Der Gedanke, welcher in ihnen enthalten ist, ist ja sogar für uns doch eigentlich die Hauptsache. Wenn heute der Pastor von dem Wunder der Speisung predigt, so predigt er ja nicht davon, daß aus dem einen Brote durch ein Wunder noch heute tausend Brote werden können, sondern davon, daß Gottes Gnade uns noch heute ernährt und Jesus noch heute die Speise für die Seele aller Menschen ist. Und hat nicht Jesus selber seine Jünger von den Wundern abgelenkt auf seine Predigt und seine Person? Das Zeichen des Jonas, d. h. seine Predigt in Niniveh und dieser Leute Glauben, stellt er dem Un­ glauben und der Wundersucht der Pharisäer gegenüber. Und auf seine Person weist er besonders bei Johannes immer wieder hin, mehr als auf seine Wunder. Und seine Person ist und bleibt ein Wunder, ja, ein Wunder, welches auch die historische Kritik anerkennt; keine Wissenschaft hat die weltgeschichtliche Bedeutung dieser Person bestritten, und so bleibt denn schließlich auch für den Schüler die Person Jesu als das Wunder aller Wunder bestehen, auch wenn ihm manches einzelne Wunder zweifelhaft wird. Das nämlich ist schließlich nach meiner Meinung die Hauptaufgabe des Religionslehrers, den Schüler bei der Ver­ ehrung der Person Jesu festzuhalten; wenn der Schüler Liebe zu

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I. Die Betrachtung der Bibel in der neueren Theologie.

Jesu gewinnt und behält, dann hat er die Hauptsache im Christentum gewonnen und bewahrt, dann wird der Zweifel im einzelnen ihn doch nicht von der Hauptsache abziehen. „Wenn aber dem Lehrer das Haupt­ wunder Gottes, das Wunder der Erlösung der Menschheit durch Jesus Christus, feststeht, so wird er reiche Gelegenheit haben, seinen Schülern zu zeigen, daß Gott auch ein Gott der Wunder ist. Dagegen wird der Lehrer bei den einzelnen Wundern nicht viel verweilen, weder um ihre Geschichtlichkeit zu beweisen, noch um sie zu bestreiten; er wird mehr bei denjenigen Wundern Gottes verweilen, welche sich in der Führung der einzelnen Menschen und der Völker offenbaren; damit folgt der Lehrer der Anleitung der Bibel selber, welche alles zu den Wundern rechnet, wodurch Gott sein Walten in Natur und Geschichte offenbart."') Zum Schluffe lasse ich noch einmal das treffliche Buch von Mez ger reden: „Wenn der Religionslehrer aus falscher Ängstlichkeit oder aus Bequemlichkeit alle Bedenken der Schüler einfach ignoriert, was werden bei den Schülern die unausbleiblichen Früchte solchen Verfahrens sein? Kann der Schüler es doch dem Lehrer selbst unmöglich zutrauen, daß er selbst die redende Schlange im Paradies, einen Stillstand der Sonne, einen Satan, der sinnlich erschienen und die Macht gehabt hat, dem Herrn alle Reiche der Welt zu zeigen, für bare, derbe Wirklichkeit halte! Aber daß Wunder Gottes auf dem Boden der Bibel geschehen sind, steht mir fest; nur ob und inwieweit jedesmal die Erzählung davon der thatsächlichen Wirklichkeit entspricht, ist eine weitere Frage, deren Beant­ wortung auch noch durch andere Faktoren (als den Glauben an Wunder überhaupt, nämlich durch die Untersuchung des historischen Wertes der Überlieferung) bestimmt wird. Wenn man sich so bemüht, die Mittellinie zwischen ängstlichem Buchstabenglauben und übergroßer Scheu vor Wunderglauben zu finden und einzuhalten, so kann es natürlich ohne Mißgriffe nicht abgehen. "^) Die Mißgriffe auch des vorliegenden Buches mag der Leser freundlich berichttgen! y. Aber wenn derjenige, welcher in der Bibel auch nur ein menschliches Buch sieht, und an vielen Wundern zweifelt, doch noch aus diesem Buche seinen Schülern viel Schönes und Wertvolles darbieten kann, noch viel mehr, als aus Schiller und Goethe, so ist dagegen eine Kritik mit dem Religionsunterricht völlig unverträglich, welche von keiner Offenbarung Gottes in der Welt etwas weiß und wissen will. Das war aber der Standpuntt des Rationalismus, der in der wissenschaftlichen Theologie heute keine Vertreter mehr hat; das ist der Standpunkt vieler Christen noch heutiges Tages. Wer mit dem Rationalismus nur einen Gott kennt, der zwar die Welt geschaffen hat, aber ihr nunmehr fern steht, wie der Maschinenbauer der von ihm ge­ schaffenen Maschine, dessen Religion steht, wie Schiller mit Recht Hogt3), hinter der der alten Griechen trotz ihres Polytheismus in der That zurück. Wenn auch die alten Rationalisten durchweg brave und fromme Menschen *) Schmid, Progr. von Schönthal 1888, Nr. 549, S. 31. s) Mezger, I, 19 u. 51. III, S. V. ’) „Die Götter Griechenlands" — der deutsche Unterricht wird dies Gedicht dem Schüler nahebringen.

II. Die Darstellung der heiligen Geschichte in der neueren Zeit.

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gewesen sind, so war doch ihr Glaube nicht der Glaube der Bibel, wie heute allgemein anerkannt ist; für diesen Glauben giebt es keine Offen­ barung im Sinne der Bibel. Aber als nun der Deismus der Rationalisten vom Pantheismus abgelöst wurde, da war ja allerdings die Möglichkeit einer Offenbarung gegeben; es war nur leider der verschwunden, der sich offenbaren sollte, denn eine werdende Gottheit ist im Sinne der Bibel keine Gottheit. So hat denn die Neuzeit, oder wenigstens die neuere Theologie, den Deismus wie den Pantheismus zu vereinigen gesucht im Theismus, und von diesem Standpunkte aus ist erst eine wirkliche Offen­ barung Gottes in der Welt möglich. Aber ist eine Offenbarung auch wirklich vorhanden? Das geben nun wohl alle Forscher zu, welche einen theisttschen Gottesbegriff haben, für diejenige Offenbarung Gottes, welche in der Welt in Natur und Geschichte, wie beim einzelnen Menschen int Gewissen sich vollzieht. Aber wer nur diese allgemeine Offenbarung Gottes anerkennt, der wird der Bibel nicht gerecht; die Bibel spricht von einer besonderen Offenbarung Gottes, deren Stätte das Volk Israel war, deren Vollendung in Jesus Christus geschehen ist: „Nachdem vor Zeiten Gott manchmal und mancherlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn." Diese Offenbarung Gottes beruht, wie die Bibel unzweifelhaft sagt, nicht auf dem natürlichen Zu­ sammenhänge der menschlichen Verhältnisse, sondern ist nur aus einem unmittelbaren und außerordentlichen Wirken Gottes zu erklären. Wie das Volk Israel im Alten Testament, so steht Jesus Christus im Neuen Testament als ein Wunder Gottes unter den Menschen. Von dieser Offen­ barung Gottes zeugen die geschichtlichen Bücher der ganzen Bibel, von Gott erleuchtet und erfüllt reden die Propheten, Gott selber wohnte in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber; von Gottes Geist er­ leuchtet haben die Dichter des Alten Testamentes und die Verfaffer der Briefe des Neuen Testamentes ihre Schriften geschrieben. Nur wer an diese unmittelbare Offenbarung Gottes in den Propheten Israels und in Jesus Christus, dem Sohne Gottes, glaubt, der kann als Lehrer der Predigt der Bibel in seinem Unter­ richt gerecht werden.

II. Me Darstellung der -eiligen Heschichte in der neueren Zett. Nachdem sich die Stellung der Theologie zur heiligen Schrift in der neueren Zeit wesentlich geändert hatte, konnte auch die Darstellung der heiligen Geschichte nicht dieselbe bleiben, wie sie ftüher gewesen war. Wenn nun im einzelnen erst unten gezeigt werden soll, wie die Dar­ stellung der ATlichen Geschichte, des Lebens Jesu und des apostolischen Zeitalters in der neueren Zeit umgestaltet worden ist1), so soll hier nur im allgemeinen dargelegt werden, wie sich infolge der neueren, wiffen') Vgl. Nr. 3—4 und 106 und 141.

II. Die Darstellung der heiligen Geschichte in der neueren Zeit.

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gewesen sind, so war doch ihr Glaube nicht der Glaube der Bibel, wie heute allgemein anerkannt ist; für diesen Glauben giebt es keine Offen­ barung im Sinne der Bibel. Aber als nun der Deismus der Rationalisten vom Pantheismus abgelöst wurde, da war ja allerdings die Möglichkeit einer Offenbarung gegeben; es war nur leider der verschwunden, der sich offenbaren sollte, denn eine werdende Gottheit ist im Sinne der Bibel keine Gottheit. So hat denn die Neuzeit, oder wenigstens die neuere Theologie, den Deismus wie den Pantheismus zu vereinigen gesucht im Theismus, und von diesem Standpunkte aus ist erst eine wirkliche Offen­ barung Gottes in der Welt möglich. Aber ist eine Offenbarung auch wirklich vorhanden? Das geben nun wohl alle Forscher zu, welche einen theisttschen Gottesbegriff haben, für diejenige Offenbarung Gottes, welche in der Welt in Natur und Geschichte, wie beim einzelnen Menschen int Gewissen sich vollzieht. Aber wer nur diese allgemeine Offenbarung Gottes anerkennt, der wird der Bibel nicht gerecht; die Bibel spricht von einer besonderen Offenbarung Gottes, deren Stätte das Volk Israel war, deren Vollendung in Jesus Christus geschehen ist: „Nachdem vor Zeiten Gott manchmal und mancherlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn." Diese Offenbarung Gottes beruht, wie die Bibel unzweifelhaft sagt, nicht auf dem natürlichen Zu­ sammenhänge der menschlichen Verhältnisse, sondern ist nur aus einem unmittelbaren und außerordentlichen Wirken Gottes zu erklären. Wie das Volk Israel im Alten Testament, so steht Jesus Christus im Neuen Testament als ein Wunder Gottes unter den Menschen. Von dieser Offen­ barung Gottes zeugen die geschichtlichen Bücher der ganzen Bibel, von Gott erleuchtet und erfüllt reden die Propheten, Gott selber wohnte in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber; von Gottes Geist er­ leuchtet haben die Dichter des Alten Testamentes und die Verfaffer der Briefe des Neuen Testamentes ihre Schriften geschrieben. Nur wer an diese unmittelbare Offenbarung Gottes in den Propheten Israels und in Jesus Christus, dem Sohne Gottes, glaubt, der kann als Lehrer der Predigt der Bibel in seinem Unter­ richt gerecht werden.

II. Me Darstellung der -eiligen Heschichte in der neueren Zett. Nachdem sich die Stellung der Theologie zur heiligen Schrift in der neueren Zeit wesentlich geändert hatte, konnte auch die Darstellung der heiligen Geschichte nicht dieselbe bleiben, wie sie ftüher gewesen war. Wenn nun im einzelnen erst unten gezeigt werden soll, wie die Dar­ stellung der ATlichen Geschichte, des Lebens Jesu und des apostolischen Zeitalters in der neueren Zeit umgestaltet worden ist1), so soll hier nur im allgemeinen dargelegt werden, wie sich infolge der neueren, wiffen') Vgl. Nr. 3—4 und 106 und 141.

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II. Die Darstellung der heiligen Geschichte in der neueren Zeit.

schaftlichen Betrachtung der heiligen Schrift die Darstellung der heiligen Geschichte geändert hat. a. Nicht auf dem Streben, eine freiere Auslegung der heiligen Schrift zu gewinnen und die Entwickelung der biblischen Religion besser zu verstehen, wie man bisweilen gemeint hat, beruhte die Reformation, sondern was Luther in seinem Leben an sich erfahren hatte, daß der Mensch nicht gerecht werde auf dem von der katholischen Kirche des Mittelalters gewiesenen Wege, das fand er in der Bibel bestätigt. So war es denn kein Wunder, daß man in der evangelischen Kirche die heilige Schrift zunächst vornehmlich von dem Standpunkte aus las, daß in ihr der Ratschluß Gottes zu unserer Seligkeit geoffenbart sei. Das ist ja nun auch für den gewöhnlichen Christen überhaupt der richtige Standpunkt bei der Lektüre der Bibel: die Bibel soll für ihn ein Buch sein, welches ihm den Weg zum Himmel weist, und in dieser Weise lesen wir alle noch heute die heilige Schrift, wenn wir sie zu unserer Erbauung lesen. b. Aber in der heiligen Schrift ist ja doch gar vieles enthalten, was nicht bloß oder gar nicht der Erbauung dient (z. B. die Geschlechts­ register, das Kultusgesetz der Israeliten, viele einzelne Geschichtsthatsachen), aber trotzdem wertvoll und wichtig ist. Mit diesen Dingen beschäftigt sich nun die Wissenschaft, und wenn dieselbe sich mit der Bibel beschäftigt, so zieht sie natürlich die ganze Bibel in den Kreis ihrer Forschung. Das ist nun auch schon in der Reformationszeit geschehen; aber hier zeigte sich mehr und mehr die Schranke der Reformation, welche noch nicht dazu gelangt ist, von ihren Grundsätzen aus auch die theologische Wissenschaft umzugestalten. Zwar an Ansätzen dazu hat es im Reforma­ tionszeitalter nicht gefehlt, und Luther hatte bereits im Prinzip die richtige, seinen Grundsätzen entsprechende freiere Stellung zur Bibel gewonnen; aber seine Nachfolger folgten nicht den von ihm gegebenen Andeutungen, sondern glaubten, im Interesse der Festigkeit des Glaubens auch am Buchstaben der h. Schrift mit aller Strenge festhalten zu müssen. So kam man zu der alten Jnspirationslehre, und von hier aus zu einer gar zu buchstäblichen, oft ganz verkehrten Auslegung der heiligen Schrift, und ein richtiges Verständnis der heiligen Geschichte konnte von diesem Standpunkte aus nicht gewonnen werden. c. Als nun die Orthodoxie dem Pietismus und dem Rationalismus Platz machte, da kam auch für die Erforschung und das Verständnis der Bibel eine neue Zeit, aber noch nicht eine bessere. Wenn der Pie­ tismus nur für dasjenige in der Bibel Interesse hatte, was der Erbau­ ung diente, so betrachtete der Rationalismus die Bibel als ein Lehr­ buch seiner Verstandesreligion, und was der Aufklärung nicht entsprach — und dessen war in der Bibel gar viel — das wurde durch Umdeutung beseitigt. Die Religion und die Sittlichkeit wollte man festhalten, aber Wunder und Weissagungen und eine eigentliche Offenbarung wurden durch die Auslegung der Bibel beseitigt. Auch der Rationalismus hat nicht, noch viel weniger als die Reformation, zu einer unbefangenen Auslegung der heiligen Schrift und zu einem tieferen Verständnis der heiligen Geschichte geführt. d. Da kam im 19. Jahrhundert eine Zeit des neu erwachenden Glaubens, und damit auch ein Zeitalter neuer Bibelforschung und eines

tieferen Verständnisses der heiligen Geschichte. Es war nun kein Wunder, daß auch in der neueren Zeit nicht sofort allgemein die richtige Stellung zur Helligen Schrift gefunden wurde; aber dieselbe ist doch allmählich gefunden worden, und wenigstens die Theologen sind mehr und mehr zur Klarheit darüber gelangt, wie vom wissenschaftlichen Standpunkte aus die heilige Schrift anzusehen und die in der Bibel enthaltene heilige Geschichte dar­ zustellen sei. Wenn die frühere Orthodoxie eine buchstäbliche Inspiration der Bibel behauptet hatte, so ist diese Lehre zwar von allen Theologen, die in Betracht kommen, heute aufgegeben; aber der Kern dieser Lehre, daß die Bibel nicht ein Buch menschlicher Weisheit, sondern gött­ lichen Inhalts sei, wird auch heute von allen Theologen festgehalten. Wenn der Rationalismus die menschliche Seite der Bibel betont hatte, und zwar so sehr, daß für ihn die Bibel zu einem bloß menschlichen Buche wurde, so ist der Kern dieser Behandlungsweise auch heute in Geltung geblieben, daß an der Bibel auch eine menschliche Seite wahr­ zunehmen sei, und daß die Wissenschaft der Bibel und die Darstellung der in ihr enthaltenen heiligen Geschichte der Kritik nicht entbehren könne. e. Infolge dieser heute allgemein als berechtigt anerkannten wissen­ schaftlichen Erforschung der Bibel wird allerdings heute manches anders aufgefaßt und dargestellt als früher; aber ein wesentlich anderes Bild von dem Inhalt der Bibel ist dadurch nicht gewonnen worden. Den Hauptinhalt der Bibel bildet, wie heute allgemein anerkannt ist, die Geschichte der Offenbarung. Daß nämlich die Religion der Bibel auf Offenbarung beruhe, und daß unsere Kunde von der Offenbarung vornehmlich auf der Bibel beruhe, ist allgemein anerkannt. Aber erst die neuere Theologie hat deutlicher erkannt, daß in der Offenbarung eine allmähliche, geschichtliche Entwickelung stattgefunden habe, und in welcher Weise diese Entwickelung sich vollzogen habe. Wenn aber über den Gang der Offenbarung, namentlich hinsichtlich des Alten Testaments, in der neueren Zeit schwierige Fragen zur Erörterung gekommen sind, welche noch heute nicht übereinstimmend beantwortet werden, so ist doch diese Verschiedenheit in der Betrachtung des A. T. zwar für die Wissenschaft von großer Bedeutung, aber nicht so sehr für den Glauben; für den Glauben kommt es ja nicht auf die Entwickelungsstufen der Offen­ barung an, sondern auf ihre Vollendung; daß aber die Vollendung der Offenbarung im Christentum zu finden sei, das ist allseitig aner­ kannt. So wird die Geschichte der in der Bibel enthaltenen Offenbarung zwar von den verschiedenen Forschern der Gegenwart im einzelnen sehr verschieden dargestellt, aber die Verschiedenheit der Darstellung ist wichtiger für die Wissenschaft, als für den Glauben.

III. Aer Unterricht in der -eiligen Kefchichte. (1. Aufl.: S. 1—7.)

Die Ordnung der Entlaffungsprüfung vom Jahre 1892 verlangt in Übereinstimmung mit der früheren Prüfungsordnung von dem Gymnasial-

tieferen Verständnisses der heiligen Geschichte. Es war nun kein Wunder, daß auch in der neueren Zeit nicht sofort allgemein die richtige Stellung zur Helligen Schrift gefunden wurde; aber dieselbe ist doch allmählich gefunden worden, und wenigstens die Theologen sind mehr und mehr zur Klarheit darüber gelangt, wie vom wissenschaftlichen Standpunkte aus die heilige Schrift anzusehen und die in der Bibel enthaltene heilige Geschichte dar­ zustellen sei. Wenn die frühere Orthodoxie eine buchstäbliche Inspiration der Bibel behauptet hatte, so ist diese Lehre zwar von allen Theologen, die in Betracht kommen, heute aufgegeben; aber der Kern dieser Lehre, daß die Bibel nicht ein Buch menschlicher Weisheit, sondern gött­ lichen Inhalts sei, wird auch heute von allen Theologen festgehalten. Wenn der Rationalismus die menschliche Seite der Bibel betont hatte, und zwar so sehr, daß für ihn die Bibel zu einem bloß menschlichen Buche wurde, so ist der Kern dieser Behandlungsweise auch heute in Geltung geblieben, daß an der Bibel auch eine menschliche Seite wahr­ zunehmen sei, und daß die Wissenschaft der Bibel und die Darstellung der in ihr enthaltenen heiligen Geschichte der Kritik nicht entbehren könne. e. Infolge dieser heute allgemein als berechtigt anerkannten wissen­ schaftlichen Erforschung der Bibel wird allerdings heute manches anders aufgefaßt und dargestellt als früher; aber ein wesentlich anderes Bild von dem Inhalt der Bibel ist dadurch nicht gewonnen worden. Den Hauptinhalt der Bibel bildet, wie heute allgemein anerkannt ist, die Geschichte der Offenbarung. Daß nämlich die Religion der Bibel auf Offenbarung beruhe, und daß unsere Kunde von der Offenbarung vornehmlich auf der Bibel beruhe, ist allgemein anerkannt. Aber erst die neuere Theologie hat deutlicher erkannt, daß in der Offenbarung eine allmähliche, geschichtliche Entwickelung stattgefunden habe, und in welcher Weise diese Entwickelung sich vollzogen habe. Wenn aber über den Gang der Offenbarung, namentlich hinsichtlich des Alten Testaments, in der neueren Zeit schwierige Fragen zur Erörterung gekommen sind, welche noch heute nicht übereinstimmend beantwortet werden, so ist doch diese Verschiedenheit in der Betrachtung des A. T. zwar für die Wissenschaft von großer Bedeutung, aber nicht so sehr für den Glauben; für den Glauben kommt es ja nicht auf die Entwickelungsstufen der Offen­ barung an, sondern auf ihre Vollendung; daß aber die Vollendung der Offenbarung im Christentum zu finden sei, das ist allseitig aner­ kannt. So wird die Geschichte der in der Bibel enthaltenen Offenbarung zwar von den verschiedenen Forschern der Gegenwart im einzelnen sehr verschieden dargestellt, aber die Verschiedenheit der Darstellung ist wichtiger für die Wissenschaft, als für den Glauben.

III. Aer Unterricht in der -eiligen Kefchichte. (1. Aufl.: S. 1—7.)

Die Ordnung der Entlaffungsprüfung vom Jahre 1892 verlangt in Übereinstimmung mit der früheren Prüfungsordnung von dem Gymnasial-

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III. Der Unterricht in der heiligen Geschichte.

Abiturienten, daß derselbe „von dem Inhalt und Zusammenhang der heiligen Schrift eine genügende Kenntnis erlangt habe." Der Verfasser dieses Buches hat stets die Abiturienten-Zeugnisse in diesen Worten abgefaßt, und er thut dies noch heute, und zwar ohne jedes Bedenken.^) Welchen Sinn hat denn diese Forderung? Doch natürlich nicht den, daß der Schüler alles wissen soll, was in der Bibel steht; das weiß nicht einmal der Religionslehrer. Es kann also nur der Haupt­ inhalt der Bibel gemeint sein; derselbe muß also für den Schüler von den Nebensachen gesondert und in angemessener Weise ihm vorgetragen und eingeprägt werden. Und wenn das geschieht, dann ist auch schon der Zusammenhang der heiligen Schrift fast von selbst gewonnen und er­ kannt. Ich betrachte es also als die Aufgabe dieses Buches, diesen Hauptinhalt der Bibel in seinem Zusammenhänge für die Schule, und zwar für die oberen Klassen, darzustellen; diesem Zwecke dient schon die kurze Zusammenfassung der heiligen Geschichte, die ich der Dar­ stellung der heiligen Geschichte vorausschicke,*2) welche jedem Abschnitte vorausgeschickt werden mag;3)4 diesen Zweck faßt überall die Darstellung des Buches ins Auge. Was nun der Unterricht in der heiligen Geschichte im einzelnen zu leisten hat, soll im folgenden gezeigt werden. a. Die erste Aufgabe des Buches ist es, die Geschichte des Volkes Israel und des Christentums für den Unterricht in den oberen Klassen der höheren Schulen darzustellen. Hierfür haben ja nun die unteren und die mittleren Klassen bereits eine Grundlage geliefert, welche in den oberen Klassen als vorhanden vorauszusetzen ist. Die unteren Klassen werden mehr die einzelnen Geschichten der heiligen Schrift ins Auge fassen; in den mittleren Klassen wird auf den Zusammenhang der heiligen Geschichte und auf die innere Seite der biblischen Geschichte schon etwas mehr eingegangen werden können, als dies in den unteren Klaffen möglich ist. Die obere Unterrichtsstufe hat nun nicht etwa bloß zu wiederholen, was früher dagewesen ist; eine bloße Wiederholung ertötet notwendig das Interesse; dem Schüler muß etwas Neues geboten werden, etwas, was seinem gereifteren Alter entspricht und seine religiöse Bildung fördert. „Förderlich kann aber der Religionsunterricht in der Oberstufe nur dann werden, wenn die allgemeine Wiederaufnahme der früheren geschichtlichen Pensen unterbleibt, und dafür eine Beschränkung auf wenige Hauptpartieen des biblischen Lehrstoffes stattfindet, welche der erlangten größeren Reife der Schüler entsprechen."^) Es wird also nicht jede einzelne biblische Geschichte wieder zur Be­ sprechung kommen, sondern die Hauptmomente der heiligen Geschichte werden hier zu tieferem Verständnis gebracht werden müssen. Mit dieser Hervorhebung der Hauptthatsachen aus der Ge­ schichte Israels und des Christentums ist nun nach meiner Meinung noch ein Vorteil verbunden, der nicht gering anzuschlagen ist. Ein Unter* *) Wie ein solches ausgesprochen ist von Hollenberg, Zur Methode des bibl. Unterrichts in den oberen Gymnasial-Klassen. Bielefeld 1889 (Progr. Nr. 332), S. 4. 2) Vgl. Nr. 10. •) Dem Leben Jesu ist sie noch besonders vorangestellt, vgl. Nr. 101. 4) Programm von Waren 1883, Nr. 587: Niemann, die Mosaische Gesetz­ gebung in der Sekunda.

richt, der immer wieder auf die Hauptsache sich einschränkt, die Offen­ barung Gottes im Alten und Neuen Bunde, lenkt den Lehrer und den Schüler von einer Gefahr ab, die nach meiner Meinung nicht gering anzuschlagen ist. Der Schüler ist, wie der gemeine Mann, nur allzu sehr geneigt, an Einzelheiten, auch an die unwichtigsten, sich zu hängen und darüber das Ganze und die Hauptsache aus dem Auge zu verlieren. Bei der Bibel sind es namentlich die einzelnen Wunder, die ost dem Schüler als so wichtig erscheinen, daß von ihrer Auffassung und Erklärung ihm sehr viel 'abzuhängen scheint. Nun ist es ja leicht, mit manchen Apologeten alles Mögliche über jedes Wunder zu sagen; aber gelingt es denn dem Lehrer auch immer, den Schüler zu überzeugen? Und glaubt denn jeder Lehrer selber an jedes Wunder? Hier heißt es für Lehrer und Schüler: „Eins ist not." Die Apologeten „wissen zwar viele Künste," aber nur allzuoft „führen sie weiter von dem Ziel." Wenn der Lehrer in der Weise unterrichtet, daß er vor allem die Hauptsachen hervorhebt, dann wird der Schüler, auch wo ihm einzelne Zweifel nicht genommen werden können, doch erkennen, daß von solchen Zweifeln die Hauptsache, der Glaube an die Offenbarung Gottes im Alten und im Neuen Bunde, nicht berührt wird. So treten nun in dieser heiligen Geschichte vornehmlich Moses, David, die Weissagung und der Glaube des Volkes Israel, Jesus Christus und die Apostel Petrus und Paulus vor das geistige Auge des Schülers; die anderen Personen und viele einzelne Ereignisse treten ihnen gegenüber zurück, auch wenn sie genannt werden. Diese Hauptpersonen und Haupt­ sachen der heiligen Geschichte dürfen nun aber nicht vereinzelt, in unver­ bundenen Darstellungen, dem Schüler vorgeführt werden, sondern als die Hauptträger der im Zusammenhänge vorgeführten heiligen Geschichte, welche mit Moses beginnt und mit den Aposteln schließt. Ja, gerade das Ganze der heiligen Geschichte muß auf dieser Unterrichtsstufe dem Schüler dargeboten werden, während auf der unteren und mittleren Stufe mit Recht mehr die einzelnen Personen und Ereigniffe hervortreten; hier soll eben nicht bloß der Inhalt, sondern auch der Zusammen­ hang der heiligen Geschichte erfaßt werden; in der ganzen heiligen Geschichte den Schüler eine zusammenhängende Offenbarung Gottes erkennen zu lassen, das ist hier die Aufgabe und das Ziel des Unterrichts. b. Aber in die Geschichte Israels und des Christentums soll ja nun der Schüler nicht deshalb eingeführt werden, damit sein geschichtliches Wissen sich vervollständige, oder damit er die weltlichen AlteMmer des Volkes Israel kennen lerne, sondern der Schüler soll vornehmlich in das hineingeführt werden, was der Kern und Mittelpunkt dieser Geschichte ist, in die Religion des Volkes Gottes. „Die Aufgabe meines Buches,') das ja nur ein bescheidener Beitrag zum Verständnis der biblischen Religionsgeschichte sein will, gestattet, ja fordert vielmehr, dasjenige, was ganz und gar dem rein politischen und profanen Gebiet angehört, bloß kurz zu erwähnen, eingehend aber nur diejenigen Partieen der Geschichte zu besprechen, welche zur eigentlichen *) So sage ich mit Mezger, Hilssbuch zum Verständnis der Bibel (IV, 83s.).

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III. Der Unterricht in der heiligen Geschichte.

Religionswelt in Beziehung stehen. Zwar ist dessen mehr, als in irgend welcher andern Bolksgeschichte, weil, wie die Gesetzgebung, das öffentliche und das Privatleben in Israel, so auch die Litteratur und die Geschicht­ schreibung von religiösen Adern durchzogen ist. Allein so wenig als selbst das frömmste Menschenleben einer weltlichen Seite ganz entbehrt, so ist auch besonders in der ATlichen Geschichte nicht weniges, was lediglich zum profanen Lebensgebiet gerechnet werden muß. Man hat freilich bis auf unsere Tage mit Allegorisieren und Symbolisieren in diesem Stücke Großes geleistet, indem alles und jedes, weil es eben in der Bibel steht, Stoff zu angeblich tiefsinnigen frommen Betrachtungen liefern mußte; das sind aber doch nur Ausgeburten unwahrer und mißbräuchlicher Benützung des Bibelworts." So bietet denn nun das vorliegende Buch im Anschluß an die Haupt­ perioden der heiligen Geschichte eine ausführliche Darstellung der Religion des betreffenden Zeitalters; der Lehrer findet also die Gesetzesreligion, die messianische Weissagung, die Frömmigkeit der Psalmen und des Buches Hiob, die wichtigsten Reden Jesu und das innere Leben der apostolischen Kirche dargestellt. Auf diese Darstellung der Offenbarungs-Religion in den verschiedenen Momenten ihrer Entwickelung ist nach meiner Meinung in den oberen Klaffen das Hauptgewicht zu legen. Damit ist für diesen Unterricht das Neue gewonnen, das er dem Schüler bieten muß, wenn derselbe in diesem Unterrichte nicht bloß eine ihm vielleicht entbehrlich scheinende Wiederholung der ihm von Jugend an bekannten „biblischen Geschichte" sehen soll. Wenn nun auch hier ja zunächst der Inhalt der heiligen Schrift dem Schüler entgegentritt, so wird sich ihm doch auch hier, und fast noch leichter als bei der äußeren Geschichte, der Zusammenhang der heiligen Schrift ohne große Mühe erschließen. „Das Ziel des Re­ ligionsunterrichtes ist es/) zu Christus zu führen; das Alte Testament ist Offenbarung Gottes an uns, lveil und insofern es mit der Person Jesu im Zusammenhänge steht; die Person Jesu giebt uns auch die Fähig­ keit, das Ewig-Bleibende im Alten Testamente von dem VergänglichPartikularistischen zu scheiden." Wenn der Lehrer in diesem Sinne unter­ richtet, so wird auck hier dem Schüler „der Inhalt und Zusammenhang der heiligen Schrift" verständlich werden.

Für diese Einführung in die Religionswelt der Bibel wird nun vornehmlich die Lektüre der Bibel in den oberen Klassen berechnet sein müssen. Schon bei der Geschichtsdarstellung ist nach diesem Gesichtspunkte die Lektüre auszuwählen, soweit sie überhaupt bei der Kürze der Zeit möglich ist; bei der Darstellung der Religionswelt der Bibel aber muß die Zeit reichen, um in die betreffenden Abschnitte der heiligen Schrift selbst einzuführen, ja, mit einer Ausnahme (bei der Darstellung des Mosaismus), den Unterricht auf die Lektüre zu gründen und aus dieser den betreffenden Gegenstand zu erkennen und zusammenzufassen. Hier lernt also der Schüler die Psalmen und das Buch Hiob (beides in Aus­ wahl) kennen; in einer Auswahl der messianischen Weissagungen erschließt sich ihm der Hauptinhalt der prophetischen Predigt; die wichtigsten Reden

!) Hollenberg, Progr. von Bielefeld 1889, Nr. 332, S. 6—7.

Jesu und die bedeutendsten Abschnitte der wichtigsten Briefe der Apostel lernt er durch eigene Lektüre kennen. Auf diese Lektüre der heiligen Schrift und die daraus sich ergebende Kenntnis der Religionswelt des Volkes Gottes wird der Unterricht in den oberen Klassen besondere Sorgfalt verwenden müssen; ihm ist um seiner Schwierigkeit und um seiner Bedeutung willen ein großer Teil des Buches zugewiesen. Für diese Abschnitte bildet natürlich die Grundlage die Wissenschaft der „biblischen Theologie"; hoffentlich habe ich von dieser Wissenschaft etwas gelernt; aber ich wünsche sehr, daß es mir gelungen wäre, unter Berücksichtigung der Wissenschaft die Schüler in den Inhalt der heiligen Schrift so einzuführen, daß, wie die Erläuterungen zu den Lehrplänen der höheren Schulen vom I. 1882 (S. 17) mit Recht fordern, auch bei der Einführung in die Religionswelt der Bibel „die Schule nicht Theologie lehrt, sondern Religionsunterricht erteilt." c. Neben der Darstellung des Entwickelungsganges der heiligen Ge­ schichte und der Hauptmomente der biblischen Religion bedarf es für den Schüler zwar noch einer Belehrung über die Bibel als Ganzes, aber nicht einer besonderen vollständigen Bibelkunde oder biblischen Ein­ leitung für die einzelnen Bücher. Was der Schüler von den einzelnen biblischen Büchern zu wissen braucht, lernt er durch eigene Lektüre oder durch kurze Bemerkungen bei den betreffenden Perioden der heiligen Ge­ schichte; die längeren Ausführungen über die einzelnen biblischen Bücher, welche den einzelnen Abschnitten des Buches beigegeben sind, sind nur für den Lehrer bestimmt, nicht für den Schüler. Und so stimme ich denn auch für die oberen Klassen der höheren Schulen mit der zunächst für Volksschulen erlassenen Ministerialverfügung vom 24. März 1888 überein: „Die Kinder müssen allerdings lernen, aus welchen einzelnen Büchern die heilige Schrift besteht, und wie sie auf einander folgen; aber kurze Inhaltsangaben der einzelnen biblischen Bücher auswendig­ lernen zu lassen, ist frucht- und darum wertlos. Es kommt vielmehr darauf an, die Kinder durch Bibellesen in den Reichtum der heiligen Schrift einzuführen. Was aus der Bibelkunde etwa bemerkens­ wert ist, das läßt sich hierbei ohne weitere Zurüstung leicht anführen. Es ist daher der Unterricht in der Bibelkunde als besonderer Lehrgegenstand aus dem Lehr- und Lektionsplane zu entfernen." „Der Gebrauch, die Schüler Inhaltsangaben der einzelnen biblischen Bücher, die sie zum größten Teil gar nicht gelesen haben, lernen zu lassen, ist noch weit verbreitet, wie eine ganze. Anzahl von Schulbüchern zeigt, welche ausdrücklich auf einen solchen Betrieb des Unterrichts eingerichtet sind, und doch ist dies Verfahren gänzlich unfruchtbar, ja, geradezu ver­ werflich."^) „Eine Bibelkunde, als Unterrichtsgegenstand für Sekunda, hat notwendig den encyklopädischen Charakter, der der Tod des wirklichen Interesses ist." 2) Der Schüler braucht also im ganzen nichts zu wissen „von der Entstehung und Zusammensetzung der historischen Bücher des Alten Testamentes, nichts von der Lebenszeit und der speziellen Wirksam*) Hollenberg, Progr. von Bielefeld 1889, Nr. 332, S. 4. Leuchtenberger, Zeitschr. für das Gymn.-Wesen, 1889, 4. 2) GoNschick, Der evang. Religions-Unterricht. 1886. S. 56.

Vgl. auch

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III. Der Unterricht in der heiligen Geschichte.

feit der einzelnen Propheten" '), nichts von der Entstehungszeit und dem Inhalt der von ihm nicht gelesenen Briefe. Zwar manche Fragen der biblischen Einleitungswiffenschaft treten auch an den Schüler heran; so die Frage nach der Entstehung der Bücher Mosis (bei der Betrachtung des Gesetzes2) und bei der Erläuterung der Schöpfungsgeschichte^), ebenso die Frage nach dem Verhältnis der Evangelien zu einander, und einzelnes andere. Dann gebe der Lehrer im einzelnen Falle, ohne auf Vollständig­ keit bedacht zu sein, den nötigen Bescheid; aber auf diese Fragen ist in der Schule nur da einzugehen, wo das Verständnis des Inhalts der Schrift und die Abwehr von Zweifeln eine Besprechung dieser Fragen nötig macht. Die Abschnitte, welche ich über solche Fragen für den Schüler beigegeben habe, betrachte ich als das Maximum des ihm Darzubietenden. Der Lehrer soll die Fragen der Einleitungs­ wissenschaft kennen und studieren; der Schüler soll vor allem in die Gottesgedanken der heiligen Schrift eingeführt werden; eine vollständige „Bibelkunde" dem Schüler einzuprägen, daraüf muß die Schule verzichten. d. Wenn der Schüler in dieser Weise in die heilige Schrift einge­ führt wird, dann wird ihm allerdings vieles Einzelne unbekannt bleiben und gar manches kurz Erwähnte dem Gedächtnis bald wieder entschwinden; viele einzelne Ereignisse und Personen der Bibel sind ihm fremd geblieben, und gar manches schöne Bibelwort hat er nicht gelesen; gar manches biblische Buch weiß er zwar in der Bibel zu finden, aber er hat noch niemals darin gelesen. Aber wenn er auch vieles Einzelne nicht kennt, der Hauptinhalt der Bibel ist ihm bekannt geworden: wie Gott zu den Israeliten durch Moses und die Propheten und zuletzt zu den Menschen durch Jesus Christus geredet hat. Wenn die Schule diesen Hauptinhalt der heiligen Schrift dem Schüler nahegebracht hat, dann hat sie ihre Schuldigkeit gethan; das Weitere liegt nicht mehr in des Lehrers Hand, sondern in der Hand Gottes, der in seinem Worte sich wirksam erweist. Das nämlich ist ja das Ziel des Wortes Gottes in der Schule, wie in der Kirche, daß es den Menschen zum Glauben führe an die auch für ihn geschehene Offenbarung Gottes in Moses, in den Pro­ pheten und in Jesus Christus; aus der Predigt kommt der Glaube. Dieser selbstwirkenden Kraft (Sauerteig!) des Wortes Gottes muß der Lehrer vertrauen; nicht des Menschen, sondern Gottes Werk ist der Glaube, und Gott wird sich auch in der Schule nicht unbezeugt laffen. Daß dies in der Schule geschehe, dazu trägt ja natürlich auch der Lehrer bei, wie der Pastor in der Kirche, aber doch bei weitem nicht so viel, wie mancher Unkundige glaubt und mancher ängstliche Gläubige fürchtet; der Lehrer soll jedenfalls in Lehre und Leben gewiffenhast alles vermeiden, was die Wirksamkeit des Wortes Gottes hindern könnte, aber den Glauben wirkt Gott, nicht der Lehrer. e. So mag nun auch das vorliegende Buch als ein Versuch betrachtet und ausgenommen werden, dazu zu helfen, daß auch in der Schule mehr ') Hollenberg 1. c. S. 9. -> Vgl. Nr. 51. 3) Vgl. meine Glaubenslehre, Nr. 21.

IV. Der Bücherschatz des Religionslehrers für d. Unterricht in d. heilig. Geschichte. 29

und mehr die Schätze der Weisheit und Erkenntnis gehoben werden, welche in der Bibel enthalten sind. Wie der Unterricht in der heiligen Geschichte nach dem neuen Lehrplan für Preußen in den einzelnen Klassen zu gestalten ist, habe ich in meinem „Lehrplan^ ') dargelegt, welcher in den späteren Jahren ausführ­ licher dargestellt worden ist, bez. werden soll.*2)3 4

IV. Aer McherfchaH des Keligionslehrers für bett Unterricht in der -eiligen Heschichte?) Um sein Wissen in der heiligen Geschichte zu verliefen und gründlicher in die heilige Schrift einzudringen, bedarf der Religionslehrer einer Anzahl Bücher, welche aus der hier fast unübersehbaren Litteratur auszuwählen eine besonders schwierige Aufgabe ist. Diese Ausgabe wird aber noch erschwert durch die Verschiedenheit des theologischen Standpunktes, welche sich bei der Betrachtung der Bibel natürlich viel mehr gellend macht, als bei der Kirchengeschichte. Ich will nunmehr versuchen, unter Berücksichtigung der verschiedenen theologischen Standpunkte, eine Auswahl von empfehlenswerten Schriften für den Religionslehrer zusammenzustellen, von der Meinung ausgehend, daß der Religionslehrer der oberen Klassen nicht umhin kann, von den verschiedenen Standpunkten Kenntnis zu nehmen, auch nachdem er selber einen bestimmten Standpunkt gewonnen hat. Obwohl wir nunmehr eine revidierte Bibel erhallen haben, so wird doch der­ jenige, welcher auf den Grundtext überhaupt nicht oder nicht immer zurückgehen kann, nach einer Bibel-Übersetzung verlangen, welche ihm den Grundtext einiger­

maßen ersetzen kann. Eine solche ist vorhanden in den folgenden Werken: Kautzsch, Die heilige Schrift des Alten Testaments übersetzt. Weizsäcker, Das Neue Testament übersetzt. Daß der Lehrer eine Bibelauslegung für die ganze Bibel bedarf, versteht sich von selbst; er wird je nach Verlangen eine Mrzere oder längere und je nach seinem theologischen Standpunkt die eine oder die andere der vielen Auslegungen sich anschaffen. Das neueste größere Bibelwerk ist das von Strack und Zöckler; ein kleineres ist z. B. die Calw er Bibel/) Kommentare zu einzelnen Büchern anzugeben, halte ich nicht für erforderlich. Sodann wird der Lehrer aber auch für die Bibel ein Nachschlagebuch nicht entbehren können, welches ihm über sachliche Dinge vollständigen Bescheid giebt; ein solches ist z. B. das biblische Handwörterbuch von Riehm, in 2. Aust. *) Beilage zum Programm von Nakel, 1892, Nr. 158. 2) Sexta (Progr. von Nakel, 1894, Nr. 160), Quinta (1895, Nr. 162); für die anderen Klassen wird diese Ausgabe hoffentlich in den nächsten Jahren gelöst werden. 3) Eine Übersicht über die allgemeinen Hilfsbücher für den Reliaionslehrer ist im ersten Bande des Handbuchs (Kirchengesch., 2. Aust., S. 8-9) ent­ halten, eine Übersicht über die eingeführten Schulbücher im dritten Bande (S. 25-27). 4) Eine Art von Kommentar zur heiligen Schrift ist auch die Illustrierte Bibel (Berlin, Pfeilstücker) durch die Abbildungen der Altertümer, welche sie darbietet.

IV. Der Bücherschatz des Religionslehrers für d. Unterricht in d. heilig. Geschichte. 29

und mehr die Schätze der Weisheit und Erkenntnis gehoben werden, welche in der Bibel enthalten sind. Wie der Unterricht in der heiligen Geschichte nach dem neuen Lehrplan für Preußen in den einzelnen Klassen zu gestalten ist, habe ich in meinem „Lehrplan^ ') dargelegt, welcher in den späteren Jahren ausführ­ licher dargestellt worden ist, bez. werden soll.*2)3 4

IV. Aer McherfchaH des Keligionslehrers für bett Unterricht in der -eiligen Heschichte?) Um sein Wissen in der heiligen Geschichte zu verliefen und gründlicher in die heilige Schrift einzudringen, bedarf der Religionslehrer einer Anzahl Bücher, welche aus der hier fast unübersehbaren Litteratur auszuwählen eine besonders schwierige Aufgabe ist. Diese Ausgabe wird aber noch erschwert durch die Verschiedenheit des theologischen Standpunktes, welche sich bei der Betrachtung der Bibel natürlich viel mehr gellend macht, als bei der Kirchengeschichte. Ich will nunmehr versuchen, unter Berücksichtigung der verschiedenen theologischen Standpunkte, eine Auswahl von empfehlenswerten Schriften für den Religionslehrer zusammenzustellen, von der Meinung ausgehend, daß der Religionslehrer der oberen Klassen nicht umhin kann, von den verschiedenen Standpunkten Kenntnis zu nehmen, auch nachdem er selber einen bestimmten Standpunkt gewonnen hat. Obwohl wir nunmehr eine revidierte Bibel erhallen haben, so wird doch der­ jenige, welcher auf den Grundtext überhaupt nicht oder nicht immer zurückgehen kann, nach einer Bibel-Übersetzung verlangen, welche ihm den Grundtext einiger­

maßen ersetzen kann. Eine solche ist vorhanden in den folgenden Werken: Kautzsch, Die heilige Schrift des Alten Testaments übersetzt. Weizsäcker, Das Neue Testament übersetzt. Daß der Lehrer eine Bibelauslegung für die ganze Bibel bedarf, versteht sich von selbst; er wird je nach Verlangen eine Mrzere oder längere und je nach seinem theologischen Standpunkt die eine oder die andere der vielen Auslegungen sich anschaffen. Das neueste größere Bibelwerk ist das von Strack und Zöckler; ein kleineres ist z. B. die Calw er Bibel/) Kommentare zu einzelnen Büchern anzugeben, halte ich nicht für erforderlich. Sodann wird der Lehrer aber auch für die Bibel ein Nachschlagebuch nicht entbehren können, welches ihm über sachliche Dinge vollständigen Bescheid giebt; ein solches ist z. B. das biblische Handwörterbuch von Riehm, in 2. Aust. *) Beilage zum Programm von Nakel, 1892, Nr. 158. 2) Sexta (Progr. von Nakel, 1894, Nr. 160), Quinta (1895, Nr. 162); für die anderen Klassen wird diese Ausgabe hoffentlich in den nächsten Jahren gelöst werden. 3) Eine Übersicht über die allgemeinen Hilfsbücher für den Reliaionslehrer ist im ersten Bande des Handbuchs (Kirchengesch., 2. Aust., S. 8-9) ent­ halten, eine Übersicht über die eingeführten Schulbücher im dritten Bande (S. 25-27). 4) Eine Art von Kommentar zur heiligen Schrift ist auch die Illustrierte Bibel (Berlin, Pfeilstücker) durch die Abbildungen der Altertümer, welche sie darbietet.

30 IV. Der Bücherschatz des Religionslehrers für d. Unterricht in d. heilig. Geschichte. herausgegeben von Bath gen. In den Gedankeninhalt des N. T. wird der Lehrer hineingeführt durch Cremers biblisch-theologisches Wörterbuch der NTlichen Gräcität. Übersetzung, Auslegungsbuch und Handwörterbuch der Bibel sollen nun den

Lehrer befähigen, die Bibel selber gründlich zu studieren, und sich dadurch zum Unterricht in der heiligen Geschichte tüchtig zu machen. Aber der Lehrer ist ebenso wenig, wie der Theologiestudierende und der Pastor, in der glücklichen Lage, die ganze Bibel erst gründlich durchstudieren zu können, um auf Grund eines solchen Studiums in den oberen Klassen unterrichten zu können. Schon aus diesem Grunde muß also der Lehrer weitere Führer für den Unterricht in der heiligen Geschichte suchen, da er nach meiner Meinung sich mit dem „Hanbbuch für den Unterricht in der Heiligen Geschichte" nicht begnügen darf. Für diesen Zweck, um den Unterrichtsstoff gründlicher und tiefer zu erfassen, als er ihm im Handbuch geboten wird, bedarf er nun der im folgenden genannten Lehrbücher, welche ihm den ganzen Stoff vorführen. Zunächst braucht der Lehrer wissenschaftliche Handbücher der heiligen Geschichte, sodann der biblischen Einleitung und der biblischen Theologie sowohl für das Alte wie für das Neue Testament. Für das Alte Testament bietet dem Lehrer eine Zusammenfassung der verschiedenen Gebiete das Buch von Reuß, Geschichte der heiligen Schriften des A. T. (2. Ausl., 15 Mark). Über die Hauptfragen der heutigen ATlichen Forschung wird

sich der Lehrer orientieren aus der Schrift von Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels (8 Mark). Von den neueren Darstellungen der ATlichen Ge­ schichte kommen namentlich in Betracht: Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte. Kittel, Geschichte der Hebräer. Klostermann, Geschichte des Volkes Israel. Nachdem die uralten Zusammenhänge der westsemitischen Massen mit denr assyrisch-babylonischen Bölkerstrom erkannt worden sind, kann das Verständnis des hebräischen Altertums von keiner Seite her eine so große Förderung erfahren als von der assyriologischen Wissenschaft. Um so dankenswerter ist der Versuch Fr. Hommels, die Resultate der assyriologischeu Forschung in die Darstellung des Semitismus einzufügen;') demselben verdanken wir auch einen trefflichen Gesamt­ überblick über die ganze Geschichte des alten Orients?) Wer sich über diesen Teil der Weltgeschichte genauer unterrichten will, der sei hingewiesen auf das Buch von Ed. Meyers) in welchem eine Leistung von seltener Vollendung vorliegt. Wenn der Lehrer seine Studien noch weiter zurück ausdehnen will, so wird ihm zur ersten Orientierung gute Dienste leisten: Hoernes, Urgeschichte der Menschheit. Stuttg., Göschen. 1895. M. 0,80. Endlich über den Schauplatz der orientalischen und besonders der israelitischen Geschichte wird der Lehrer orientiert in zusammenfassender kurzer Darstellung durch den betr. Abschnitt (§ 4) in Hommels Geschichte des alten Morgenlandes (Stuttg., Göschen: Der Schauplatz der morgenländischen Geschichte), wozu neuere Bücher 3) Fritz Hommel, Die Semiten und ihre Bedeutung für die Kulturgeschichte. M. 2,00. 2) Fritz Hommel, Abriß der Geschichte des alten Orients (1887; M. 1,80), zunächst erschienen in I. Müllers Handbuch der Altertumswissenschaft, Bd. III, jetzt auch in kürzerer Fassung (Stuttgart, Göschen) erschienen (Geschichte des alten Morgenlandes, 1895; M. 0,80). 3) Ed. Meyer, Geschichte des Altertums. 2 Bde. 1881.

IV. Der Bücherschatz des Religionslehrers für d. Unterricht in d heilig. Geschichte. 31 über das Land Kanaan und die anderen Länder des Morgenlandes hinzuzurechnen sind, z. B.-. Schneller, Kennst du das Land? Meyer, Syrien und Palästina. Bädeker, Syrien und Palästina. Von den Einleitungen in das A. T. seien hier genannt die Werke von Strack, König, Cornill, Kautzsch („Abritz der ATlichen Litteratur" in den Beigaben zur Bibelübersetzung) und Wildeboer (Die Litteratur des Alten Testaments). Namentlich aber muß der Lehrer auch die ATliche Theologie kennen lernen durch das Studium der betr. Werke von Dillmann, H. Schultz und Smend. Von Schristen, welche einzelne Teile des A. T. genauer behandeln, seien genannt: Mezger, Hilssbuch für den Unterricht in der heiligen Geschichte (nur bis zur Richlerzeit reichend). Brugsch, Steininschrist und Bibelwort (5 Mark). Holtzmann, NTliche Zeitgeschichte (5 Mark). Schürer, Gesch. Israels im Zeitalter Jesu Christi. 2 Bde (36 Mark). Benzinger, Hebräische Archäologie. Nowack, Lehrbuch der hebräischen Archäologie. Die Propheten und die messianische Weissagung lernt der Lehrer genauer kennen aus Delitzsch, Mess. Weissagung. Riehm, Mess. Weissagung. Cornill, Der israelitische Prophetismus. Für dasNeueTestament sei der Lehrer hingewiesen auf die Darstellungen des Lebens Jesu von Beyschlag und von Weiß und des apostolischen Zeitalters von Weizsäcker, auf die Einleitungen von Reuß und von Weiß, wie aus die Werke über NTliche Theologie von Weiß, Beyschlag und Holtz­

mann. Die Predigt Jesu und die Hauptbriefe der Apostel mag der Lehrer genauer kennen lernen durch

das Studium wissenschaftlicher Kommentare zu

den betr.

Schriften. Um sich nun auch über die verschiedenen Standpunkte der neueren Theologie gegenüber der heiligen Schrift im allgemeinen zu orientieren, sei der Lehrer hinge­ wiesen auf folgende Schristen: Meuß, Unsere Stellung zur Schrift. 1887. M. 0,60. Haupt, Die Bedeutung der heiligen Schrift. M. 0,80. Arndt, Die Probleme des A. T. und ihre neueste Lösung. M. 0,30. Schmid. Der ATliche Religionsunterricht im Obergymnasium. Progr. von Schönthal 1888, Nr. 549. König, Die ATliche Kritik und der Christenglaube. M. 2,00. Weiß, Das Evangelium und die Evangelien. M. 0,60. Beyschlag, Leben Jesu, Bd. I (Vorfragen des Lebens Jesu). Reuß, Geschichte der heiligen Schrift des N. T. (Fünfter Abschnitt: Geschichte der Exegese der (ganzen^ heiligen Schrift.) Pfleiderer, Die Entwickelung der protestantischen Theologie seit Kant, 1891

(III, 1 und: NTliche und ATliche Kritik und Exegese).

V. Zahlentabelle zur heiligen Geschichte.

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V. Zahlentaöelle zur heiligen Hefchichte?) (1. Aufl.: S. 7—8.)

1320 Moses führt die Israeliten aus Ägypten; sein Nachfolger Josua erobert das Westjordanland. 1050 Saul, der erste König der Israeliten. 1025 David, der Stammvater des Königsgeschlechtes vom Reiche Juda, erobert Jerusalem. 980 Salomo, Davids Sohn, baut den ersten Tempel. 950 (K. 933) Das Reich zerfällt in die Reiche Israel (Hauptstadt Samaria) und Juda (Hauptstadt Jerusalem).^ 851 Ahab, König von Israel, Gemahl der Jsebel, Vater der Athalja. Der Prophet Elias. 738 und 734 Israel und Juda werden den Assyrern Unterthan. 9 Die Tabelle giebt eine Übersicht über die heilige Geschichte; lernen und behalten aber mag der Schüler nur die fett gedruckten Zahlen und Thatsachen, welche ich auch schon der Zahlentabelle der Kirchengeschichte vorausgestellt habe. Die Zahlen sind nach der weit verbreiteten Geschichtstabelle von Cauer gegeben; in Parenthese stehen bei den wichtigeren Zahlen die von Kautzsch (K.) angenommenen Zahlen. Eine ausführliche Übersicht der israelitischen Geschichte mit den dazu ge­ hörenden Zahlen findet der Lehrer in der Übersetzung des A. T. von Kautzsch (Beilagen S. 110—135). — „Die Chronologie des ersten vorchristlichen Jahr­ tausends ist jetzt fast bis in alle Einzelheiten festgestellt. Nicht so gut verhält es sich mit dem zweiten Jahrtausend. Für das dritte Jahrtausend sind dagegen bis jetzt nur ungefähre Zeitangaben zu machen. Daß aber die Anfänge oer babylonisch-ägyptischen Civilisation in eine noch frühere, über das Jahr 4000 weit zurückreichende Zeit fallen, darf als sicher angenommen werden." Hommel, Ge­ schichte des alten Morgenlandes (1895, Stuttgart, Göschen; M. 0,80), § 6. 2) Übersicht über die (je 19) Könige der Reiche Israel und Juda (Zahlen nach Kautzsch; die Dynastieen im Reiche Israel sind durch römische Ziffem be­ zeichnet). Israel: Juda: I.

II. III. IV. •

V.

VI. VII.

VIII. H

933—912 Jerobeam I. 933—917 Rehabeam. 912—911 Nadab. 916-914 Abia. 911-888 Baesa. 913-873 Asa. 888-887 Ela. 873-849 Josaphat. 887 Simri (nur 7 Tage König). 849—842 Joram. 887—877 Omri. 842 Ahasja. 876-854 Ahab. 842-836 Athalja (nicht mitgezählt). 854—853 Ahasja. 836-797 Joas. 853—842 Joram. 797—779 Amazja. 842- 815 Jehu. 779—740 Asarja (Usta). 814—798 Joahas. 740-736 Jotham. 798-783 Joas. 736-728 Ahas. 783—743 Jerobeam II. 727-699 Hiskia. 743 Sacharja. 698-643 Manasse. 743 Sallum. 643—641 Amon. 743-737 Menahem. 640-609 Sofia. 737-736 Pekachja. 609 Joas. 736-730 Pekach. 608—597 Jojakim. 730-722 Hosea. 597 Jojachin. 597-586 Zedekia.

V. Zahlentabelle zur heiligen Geschichte.

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722 Salmanassar, König der Assyrer, vernichtet das Reich Israel.') 701 Jerusalem von dem Assyrcrkönig Sanherib vergeblich belagert. Der Prophet Jesaias. 621 (K. 623) Reform des Gottesdienstes nach dem Deuteronomium durch den König Josia. 609 Josia fällt im Kampfe gegen den König Necho von Ägypten. 606 Niniveh, die Hauptstadt des assyrischen Reiches, wird durch die verbündeten Meder und Babylonier zerstört und das assyrische Reich unter die Sieger geteilt. 586 Nebukadnezar, König von Babylon, vernichtet das Reich Juda. Der Prophet Jeremias. Die Juden im Exil. Der zweite Jesaias. 588 Kyros, König der Perser, erobert Babylon und entläßt die Juden aus der Gefangenschaft. 444 Die Juden verpflichten sich auf Esras Aufforderung, das Gesetz Mosis zu halten: Anerkennung des Pentateuchs. c. 300 Die Juden kommen unter die Herrschaft der Ptolemäer in Ägypten. 198 Die Juden werden dem Syrerkönig Unterthan. 167 Die Juden gewinnen durch die Makkabäer ihre Unabhängigkeit von den Syrern. 143 Der Makkabäer Simon wird Hoherpriester und Feldherr der Juden. 63 Die Juden werden durch Pompejus den Römern zinspflichtig. 40—4 vor Chr. König Herodes der Große; gegen Ende seiner Regierung wird Jesus Christus geboren. 4 vor Chr. Archelaus (bis 6 nach Chr.), Philippus (bis 34 nach Chr.), Antipas (bis 39 nack Chr.), die Söhne des Herodes. 26—36 nach Chr. Pontius Pilatus, Prokurator in Judäa, Samaria und Jdumäa. 37—41 Herodes Agrippa I, König des jüdischen Landes. 66 Beginn des Krieges mit den Römern. 70 Jerusalem wird durch Titus zerstört. *) Über diese Fassung des Ausdrucks („Salmanassar," nicht „Sargon") vgl. Nr. 38.

Heidrich, Heilige Geschichte.

3

Heilige Geschichte. Erster Hcruptteil. Die Geschichte des Alten Kundes. Einleitung.') 1. Die Geschichtschreibung im Bolle Israel. A. (16.)

Die Entstehung der Geschichtschreibung des Alten

Testaments. a. Während man früher die Geschichte eines Volkes nur so weit zurückzuverfolgen wußte, als die schriftlichen Aufzeichnungen und Denk­ mäler reichten, hat man in der neueren Zeit gelernt, über die ältesten Überlieferungen der Vorzeit hinauszugehen, indem man neue Hilfsmittel zur Erforschung der Urzeit eines Volkes entdeckte. Das sind zunächst die Denkmäler eines Volkes (z. B. die Pyramiden, auch abgesehen von etwaigen Inschriften, die Grabesurnen, die Geräte), welche dem Betrachter gestatten, auch ohne Überlieferung Schlüsse auf die geschichtlichen Zustände zur Zeit der Errichtung des Denkmals zu ziehen. Solche Schlüsse ziehen die Geschichtsforscher aus den Resten der uralten Städte Amerikas, für welche uns jede Überlieferung fehlt; dagegen werden die Funde in Niniveh und Troja nicht bloß für sich, sondern auch im Lichte der vorhandenen Überlieferung betrachtet, aber vielleicht anders erklärt, als die Überlieferung es thut. Für das Alte Testament ist die aus dem 9. Jahrhundert vor Christus stammende Denksäule des Königs Mesa von 3Roab2) von großer Bedeutung, da sie fast die einzige vorexilische Inschrift für die israelitische Geschichte enthält. Aber für die israelitische Geschichte sind auch die assyrisch-babylonischen Denkmäler mit ihren Inschriften von großem Werte; weniger ergebnisreich sind die ägyptischen Inschriften. Noch mehr aber lassen die noch in der historischen Zeit bestehenden oder auch die verschwundenen Gebräuche und Sitten und die ganze *) Dieser Abschnitt (Nr. 1—5) ist nur für den Lehrer bestimmt. «) Vgl. Nr. 36.

Lebensweise eines Volkes den Forscher auf die Urgeschichte und die Urzustände eines Volkes schließen. Die Sitten unserer christlichen Feste und der noch heute bestehende Bolksaberglaube lassen die frühere Religion und die frühere Festfeier unseres Volkes noch deutlich erkennen, als unsere Vorfahren noch Heiden waren. Aus dem spartanischen Doppelkönigtum zieht der Forscher seine Schlüsse auf die Urgeschichte von Sparta. Die von den Israeliten in der alten Zeit erreichte Kulturstufe betrachtet ein neuerer Geschichtschreiber dieses Volkes (Stade), „um aus seinen socialen Einrichtungen wie aus seiner Kultur Schlüsse auf seinen Gottesglauben gewinnen zu können" (I, S. 360). Namentlich aber hat man erst in der Neuzeit gelernt, aus der Sprache eines Volkes Schlüsse auf seine Abstammung und seine Ur­ geschichte zu ziehen. Solche Betrachtungen enthalten heute alle Geschichts­ werke über die Urzeit eines Volkes; für die Geschichte der Urzeit Israels ist z. B. auf Hommel hinzuweisen. *) Da die Israeliten eine semitische Sprache sprechen, so sind sie (bis das Gegenteil erwiesen würde) auch als ein semitisches Volk zu betrachten. Aus den Eigennamen dieses Volkes kann man erkennen, daß sie den Namen Jehovah in der ältesten Zeit noch nicht für Gott gebraucht habend) Die Namen mancher Tiere und Pflanzen, mancher Geräte oder Thätigkeiten lassen durch Vergleichung mit den entsprechenden Wörtern anderer Sprachen auf einen Zusammenhang oder eine Absonderung von anderen Völkern schließen. Das alles sagt die Sprachforschung dem Geschichtsforscher. b. Aber aus der Sprache, den Sitten und selbst den Denkmälern eines Volkes, wenn sie keine Inschriften enthalten, lernt man doch mehr die Zustände des Volkes als seine Geschichte erkennen; diese erkennt man erst, wenn es eine mündliche Überlieferung darüber giebt. Zunächst wird nämlich die Kunde von der Vergangenheit mündlich erhalten und fortgepflanzt, und von Geschlecht zu Geschlecht pflanzt sich die Kunde der geschichtlichen Ereignisse fort. Noch heute bewahrt auch bei uns manche Familie eine mündliche Überlieferung von irgend einem bedeutsamen Ereignis in ihrem Geschlecht; noch heute, giebt es Völker, in denen alle Kunde der Vorzeit nur auf mündlicher Überlieferung beruht. Aber wie leicht erlischt die mündliche Überlieferung, wie bald wird sie umgestaltet, wie wenig vermag sie Sage und Geschichte von einander zu trennen! Dieser fortwährenden Verringerung des überlieferten Stoffes, wie auch seiner Umgestaltung, macht im ganzen die schriftliche Aufzeichnung der Überlieferung ein Ende. c. Wenn nun aber die mündliche Überlieferung eines Volkes aus­ geschrieben werden soll, so muß das Volk im Besitze der Schreibkunst sein, und im Gebrauche derselben schon etwas mehr geübt sein. Die semitischen Völker haben aber bereits vor der Zeit des Moses eine Buch’) Hommel, Die Semiten. 1881. 2) In der vormosaischen Zeit findet sich in den Eigennamen noch nicht der Name Jahveh. Die Mutter Mosis Jochebed (2. Mose 6,20) ist die erste, deren Name von der Verehrung Jahvehs zeugt, und den Namen seines tapfersten Streiters Hosea hat erst Moses m Josua (Jehovah hilft) umgewandelt. Seitdem ist der Gebrauch des neuen Gottesnamens in den Eigennamen unendlich häufig; etwa 190 Personennamen des Alten Testamentes sind mit diesem Gottesnamen zusammen­ gesetzt. Vgl. Ewald hebr. Gramms § 274.

36

1. Die Geschichtschreibung im Volke Israel.

stabenschrift gehabt; ob dieselbe als eigentliche Erfindung der Semiten (Phönicier oder Aramäer) anzusehen ist, oder ob sie eine Weiterentwicklung der ägyptischen Hieroglyphenschrift ist, ist schwer zu entscheiden; jedenfalls ist nicht von Ägypten, sondern von Phönicien aus die Buchstabenschrift

zu den Völkern des Abendlandes gebracht worden. Die hebräischen Buch­ staben hatten aber bis zum Exil eine andere Gestalt als später und Heutes; aber schon damals, wie heute, schrieb, man von rechts nach links, wie bei allen morgenländischen Schriften außer der Keilschrift und der äthiopischen Schrift. Dagegen hatte die alte hebräische Schrift noch keine Vokal- und Interpunktionszeichen; dieselben sind erst später entstanden; etwa seit dem Jahre 600 nach Christus werden in den gewöhnlichen Handschriften und später in den Drucken (aber nicht in den Synagogen­ rollen) alle Vokale mit einer Genauigkeit, welche unser Alphabet weit übertrifft, wie auch die Interpunktion, durch kleine Zeichen über oder unter den Konsonanten bezeichnet. Als Schreibmaterial haben die Israeliten in der älteren Zeit, wie die Ägypter, Papier (aus der in Ägypten wachsenden Papyrusstaude), erst später Pergament (aus Schaf- und Ziegenfellen) benützt, auf welches sie die Buchstaben zuerst mit dem Pinsel, dann mit dem nach Art unserer Federn gespaltenen Rohr mit Tinte auf­ trugen. Eine Anzahl Pergamentblätter wurde zu einem Buche zusammen­ gefügt und auf einen Stab gerollt; ein solches Buch wurde also nicht aufgeschlagen, sondern aufgerollt.-) So ist nun allmählich auch im Volke Israel die mündliche Über­ lieferung in Schriften fixiert worden. d.3* )2 Ehe es aber bei den Israeliten eine historische Litteratur gab, hat es auch bei ihnen, wie bei anderen Völkern, Lieder gegeben, in welchen die großen Thaten der Vergangenheit gepriesen wurden. Das älteste Lied dieser Art, vielleicht das älteste Stück des ganzen jetzigen A. T., ist das Lied der Debora (Richt. 5); wenn dasselbe auch nicht ihr selber zugeschrieben werden darf (V. 12 gegen V. 7), so ist doch in dem­ selben eine mit den Ereignissen fast gleichzeitige Dichtung von unschätzbarem Werte erhalten (c. 1250). Bon änderen Liedern sind in den Geschichts­ büchern Bruchstücke erhalten, welche zum Teil als aus einem „Buch der Kriege Jehovahs" oder aus einem „Buch der (des) Rechtschaffenen" ent­ nommen bezeichnet werden. Sodann hat es vor unseren Geschichtsbüchern mündlich über­ lieferte Geschichtserzählungen gegeben, welche später, allerdings in mehr oder weniger bedeutender Umgestaltung, in unsere Geschichtsbücher ausgenommen worden sind. Daß aber von den Aufzeichnungen des Moses, die ihm an einigen Stellen des Pentateuch zugeschrieben werden, eine dem Wortlaute nach genaue Überlieferung vorhanden sei — diese Behauptung der älteren

Zeit kann bei der Beschaffenheit der dem Moses beigelegten Stücke nicht aufrechterhalten werden; nicht einmal der genaue Wortlaut der zehn 0 Vgl. die Schrifttafel der hebr. Grammatik! 2) Vgl. Lukas 4, 17 und 20 (von Luther ungenau übersetzt, statt: aufrollen und zusammenrollen^. 3) Kautzsch, Anhang zur Bibelübers., S. 136s., und Übersicht über die Ent­ stehung der israel. Litteraturdenkmäler, S. 110s.

Gebote ist unS bekanntlich erhalten, da ja die beiden Formen derselben in 2. Mose 20 und 5. Mose 5 nicht unerheblich von einander abweichen. e. Daß nun die biblischen Geschichtsbücher des Alten Testamentes auf mündliche oder schriftliche Überlieferungen zurückzuführen sind, wird

heute ohne Ausnahme für richtig gehalten; es giebt heute keinen Mann der Wissenschaft mehr, der die biblischen Geschichtsbücher als ohne Be­ nützung mündlicher oder schriftlicher Quellen einfach von Moses und andern Männern niedergeschrieben betrachtete. Wenn aber von den biblischen Schriftstellern Quellen und Überlieferungen ebenso benutzt worden sind, wie von den nichtbiblischen Historikern, so versteht es sich von selbst, daß wir die biblischen Schriftsteller zwar als wahrheitsliebende und besonnene Erzähler ansehen, aber sie sind lveder durch ihre Wahrheits­ liebe noch durch ihre Frömmigkeit zu kritischen Historikern geworden, und die Schranke ihrer Zeit hinsichtlich des menschlichen Wissens ist von ihnen nicht überschritten worden. So fehlt es denn, wenn man die Bibel nur als ein geschichtliches Buch ansieht, nicht an Lücken, die ihre Berichte lassen, an Ungenauigkeiten des Ausdrucks und an Widersprüchen der Berichte, die wir nicht lösen können. Auch das geben heute alle bedeutenden Forscher zu; ich verweise z. B. auf die Darstellung von Delitzsch.') „Die Bibel ist nicht ein vom Himmel gefallenes Buch, sondern eine Offenbarungsurkunde des Willens und der Wege Gottes, welche von Menschenhänden geschrieben, also nicht frei von allen Affektionen des Menschlichen ist. Ein großer Teil der in der Bibel sich findenden Widersprüche ver­ liert das Anstößige, wenn man willig einräumt und rückhaltlos bekennt, daß es zu den Eigentümlichkeiten der biblischen Geschichtschreiber gehört, ihre Quellen treu zu excerpieren, und da, wo sich über dieses oder jenes Ereignis in den Quellen verschiedene Überlieferungen fanden, diese ohne gewaltsames Eingreifen neben einander zu stellen, die Ausgleichung oder auch die Bevorzugung der einen Überlieferungsgestalt vor der andern forschenden Lesern überlassend. Aber auch das muß zugestanden werden, daß sich im Texte der heiligen Schrift, wie er vorliegt, Irrungen finden. Fehler, welche auf Rechnung irriger Textüberlieferung kommen, sind gewiß unanstößig; aber auch das ist zuzugeben, daß der inspirierende Geist seine Organe nicht infallibel macht, wie er sie auch in natürlichen Dingen über die Bil­ dungsstufe ihrer Gegenwart nicht hinaushebt?) Man kann willig zugeben, daß die biblische Geschichtschreibung nicht frei von den Affektionen menschlicher Produktivität und Sammelarbeit ist; zugeben, daß die mosaische Thora eine Entwicklungsgeschichte durchge­ macht hat, daß die Festfeiern und die Opfergesetze eine wechselvolle Ge­ schichte durchlaufen haben, daß nachmosaische Institutionen sich auf die sinaitische Gesetzgebung als ihren Urquell zurückführen. Wenn das Bild, das wir auf kritischem Wege von der ATlichen und auch NTlichen Ge*) Delitzsch, Anhang zu Johannsson, Die heilige Schrift und die negative Kritik, 1889. 2) Die Bibel ist also kein Lehrbuch der Naturgeschichte und anderer Wissen­ schaften.

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1. Die Geschichtschreibung im Volke Israel.

schichte gewinnen, noch so verschieden sein sollte von dem traditionellen — immer bleiben es die Wege Gottes zum Heil der Menschheit, welche auf Jesum den Christ und von ihm aus auf die Vollendung durch ihn ab­ zielen; der soteriologische Inhalt der heiligen Schrift bleibt unabhängig von allen Resultaten der litterarischen und historischen Kritik." f.1) Was also die Geschichtschreiber des A. T. über die oft weit hinter ihnen liegende Vergangenheit erzählen, das hat ihnen nicht etwa Gott in die Feder diktiert; das haben sie auch nicht selber erdichtet; viel­ mehr haben sie geschrieben auf Grund der vorhandenen Lieder und Volkserzählungen, später auch schon nach ihnen vorliegenden zusammenhängenden Darstellungen größerer Geschichtsabschnitte, aus deren großem Schatze sie das ihnen Wichtige auswählten und von ihrem Standpunkte aus darstellten. Auch von den ATlichen Geschichtschreibern gilt, was Lukas von seinem Geschichtswerke sagt (Luk. 1, 1—4), daß sie nach den vorhandenen mündlichen und schriftlichen Überlieferungen (Luk. 1, 2) auf Grund eigener Forschung und eigenen Nachdenkens mit allem Fleiße ihre Schriften an­ gefertigt haben (Luk. 1, 3), und zwar ebenso, wie Lukas, nicht deshalb, um die weltliche Wißbegierde ihrer Leser zu befriedigen, sondern um sie durch diese Belehrung in der Frömmigkeit zu fördern (Luk. 1, 4). So haben nun die biblischen Geschichtschreiber erzählt von der im Volke Israel geschehenen Offenbarung; aber diese Schriften sind nicht die Aufzeichnungen einer den Verfassern in wunderbarer Weise geoffenbarten Geschichte; die Offenbarung Gottes ist eine Geschichtsthatsache; aber Geschichtsthatsachen sind nicht der Gegenstand göttlicher Offenbarung. Ob und wie weit nun die ihnen überlieferten Volkserzählungen über die Offenbarung im Volke Israel buchstäbliche Geschichten seien oder nicht — das zu prüfen, waren die ATlichen Geschichtschreiber nicht im stände; das ist die Aufgabe, welche die neuere wissenschaftliche Geschichtschreibung zu lösen sucht. Diesem Ansprüche zu genügen, brauchten aber auch die alten Geschichtschreiber nicht, da sie ihre Bücher ja nicht zu wissenschaft­ lichen Zwecken geschrieben haben, sondern um ihre Zeitgenossen zur Frömmigkeit zu führen. Für diesen Zweck aber ist es gleichgültig, ob eine Erzählung eine wirkliche Geschichte oder z. B. ein Gleichnis ist; die wenigen Gleichnisse Jesu sind ja viel mehr wert als sehr viele wirkliche Geschichten. Diese Frage nach der Geschichtlichkeit des Erzählten zu untersuchen, ist die Sache der historischen Kritik; historische Kritik zu üben ist aber die Aufgabe der wissenschaftlichen Geschichtschreibung, nicht der zur Unterweisung in der Frömmigkeit geschriebenen Geschichtsbücher der heiligen Schrift. Aber dadurch, daß sie die geschichtlichen Ereignisse auf Gott zurückführen und nach dem Gesetz Gottes beurteilen, stehen die israelitischen Geschichtschreiber über ihrer Zeit und haben auch für uns eine unvergängliche Bedeutung; „in der israelitischen Geschichtschreibung, welche in der Vielheit der Erscheinungen die Einheit entdeckt, finden wir den ersten Anfang der Weltgeschichte und der Philosophie der Geschichte, welche die Aufzählung von Ereignissen erst in Wahrheit zur Geschichte macht."2) i) Wildeboer, Die Litteratur des A. T. 2) Wildeboer, § 5, Anm. 2.

1895, § 4—6.

g. Die Chronologie der israelitischen Geschichte wird in der Bibel selber so berechnet, daß die Geschichte Israels in zwei gleiche Perioden von je 480 Jahren zerlegt ist: die erste vom Auszuge aus Ägypten bis zur Vollendung des Salomonischen Tempels, die zweite von da bis zum Ende des babylonischen Exils. Da nun diese Zahlen aber als runde Zahlen (12x40) erscheinen können, so ist es nötig, die Zahlenangaben der Bibel mit denen anderer gleichzeitiger Völker zu vergleichen, um ihre Genauigkeit zu erkennen. Dazu sind nun vornehmlich die assyrischen und auch die ägyptischen Inschriften geeignet, welche für manche Ereignisse der israelitischen Geschichte ebenfalls Zahlenangaben gewähren. Dadurch ist die Zeit der Eroberung von Samaria als das Jahr 722 festgestellt worden, und von diesem festen Punkte an suchen nun die Chronologen die Jahre der früheren und der späteren Ereignisse zu bestimmen, ohne daß sie bis jetzt zu ganz übereinstimmenden Ergebnissen gelangt sind. Für die spätere Zeit bis zur Zerstörung Jerusalems durch Titus werden natürlich die chronologischen Angaben der anderen Völker beachtet.^)

B. (17.)

Der Charakter der Geschichtschreibung des Alten Testaments.

a. Die Geschichtsbücher des Alten Testaments beruhen zunächst auf mündlichen oder schriftlichen Überlieferungen, welche dem Schriftsteller zu­ gekommen sind. Diese Überlieferungen haben ihren Ursprung teils im Volke, wo sie, mündlich oder auch schriftlich, verbreitet waren, teils be­ ruhen sie auf bestimmten einzelnen Personen, namentlich auf denjenigen Männern, welche, vom König damit beauftragt, dieselben in den Reichs­ jahrbüchern aufzeichneten. Seit der Zeit des Königs David nämlich wurden dieselben von dem Reichsannalisten geführt und dem Staatsarchiv einverleibt. Das Staatsarchiv beider Reiche ist gewiß beim Untergang der Reiche zu Grunde gegangen; aber Abschriften und Auszüge aus seinen Urkunden und Darstellungen nach denselben, welche schon lange vorher gemacht worden waren (wie die Citate in unsern biblischen Geschichts­ büchern zeigen), haben sich noch lange erhalten (für uns nur in den biblischen Geschichtsbüchern). Diese Annalisten waren nun weder Priester noch Propheten, sondern Staatsbeamte, welche die äußeren Ereignisse auf­ zeichneten; ihre Geschichtschreibung war im Gegensatze zur Geschichtschreibung der Priester und Propheten mehr weltlich als geistlich, mehr volksge­ schichtlich als heilsgeschichtlich. Auf der volkstümlichen oder annalistischen Überlieferung beruhen z. B. die Geschlechtsregister, die Verzeichnisse von Orten oder Helden, die Erzählungen weltlicher Begebenheiten, welche in den biblischen Geschichtsbüchern dargestellt sind. Aber bei der Wiedergabe der volkstümlichen oder annalistischen Über­ lieferung tritt doch vielfach auch der Charakter des Schriftstellers hervor, welcher die Überlieferung bearbeitet. Derselbe tritt zunächst hervor in der Auswahl, welche der Schriftsteller aus dem Schatze der Überlieferung trifft; der Priester erzählt besonders von priesterlichen Dingen; der Krieger ') Vgl. Riehm Handw. s. v. Zeitrechnung, und die Geschichtslabelle im Anhang zu Kautzsch, Übersetzung des A. T.

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1. Die Geschichtschreibung im Volke Israel.

hebt die Heldenthaten hervor. Sodann aber läßt oft auch die Art der Darstellung den Verfasser erkennen; ein Staatsbeamter schreibt anders als ein Priester oder ein Prophet. So enthält also auch die Bibel einzelne Erzählungen in den Ge­ schichtsbüchern, welche mehr oder ganz volkstümlicher und weltlicher Art sind, und diese Erzählungen sind sehr wichtig, um das weltliche Leben des Volkes Israel zu erkennen. Dagegen sind diejenigen ganzen Geschichts­ werke, welche die Geschichte Israels int bloß nationalen Interesse dar­ stellten, z. B. die Reichsjahrbücher und die darauf beruhenden Einzel­ geschichten im Reiche Israel und Juda, nicht mehr vorhanden; nur die­ jenigen Geschichtsbücher sind in unsere Bibel ausgenommen worden, welche die Geschichte Israels im Lichte der göttlichen Offenbarung darstellten. b. Die Geschichte Israels nämlich, welche in den ATlichen Geschichts­ büchern erzählt wird, ist nicht die politische Geschichte eines mehr oder weniger bedeutenden Volkes, sondern die Geschichte von der Gründung des Reiches Gottes im Volke Israel. Wie Gott sich das Volk Israel zu seinem Volke erwählt und erzogen, und wie er in demselben das Gottesreich begründet und erhalten hat, das ist es, was vornehmlich die israelitischen Geschichtsbücher darstellen. Diese Darstellung beruht natürlich auf dem Glauben der Schriftsteller an die Offenbarung Gottes in Israel, und von diesem Glauben ist die ganze Darstellung der Geschicht­ schreiber getragen und durchdrungen. c. Aber auch bei der Darstellung der Offenbarung tritt uns nun eine Verschiedenheit der Darstellung entgegen, insofern nämlich die ATliche Offenbarungsreligion entweder einfach nach ihrem Wesen und in ihrer Eigentümlichkeit dargestellt wird, oder insofern die Bedeutung der Gesetzesreligion im Hinblick auf die vollkommene Religion ins Auge gefaßt wird. Jenes geschieht von den Priestern, dies von den Pro­ pheten, und so ist eine priesterliche von einer prophetischen Dar­ stellung der Gesetzesreligion zu unterscheiden. Der Priester spricht mit großer Vorliebe und Genauigkeit von den einzelnen Gesetzen und Ein­ richtungen der mosaischen Religion; sein Ideal ist in dem von ihm ge­ zeichneten Gottesreiche der mosaischen Zeit verwirklicht. Der Prophet dagegen weist nicht sowohl auf die vielen einzelnen und äußerlichen Ge­ setze hin, sondern auf das eine Gebot des Herzens, Gott über alle Dinge zu lieben und den Nächsten als sich selbst; Barmherzigkeit ist nach seiner Meinung besser als Opfer; das vollkommene Gottesreich betrachtet der Prophet als noch zukünftig. Die Priester sind die Vertreter des Mosaismus, die Propheten richten ihren Blick über den Mosaismus hinaus auf das erst in der Zukunft zu erwartende vollkommene Gottesreich. Wenn nun die Geschichte vom prophetischen Standpunkte aus, nach dem sogenannten theokratischen Pragmatismus dargestellt wird, so wird dieselbe als die Ausführung eines Ratschlusses Gottes betrachtet, im Volke Israel ein Gottesreich zu begründen; alle Ereignisse werden, ohne die Mittelursachen zu beachten, auf Gott zurückgeführt und als im Dienste der Vergeltungsgerechtigkeit Gottes stehend betrachtet. Und eine solche Geschichtsdarstellung ist hier durchaus berechtigt; wer nicht in der Geschichte Israels die Ausführung eines göttlichen Ratschlusses erkennt, der wird

1. Die Geschichtschreibung im Volke Israel.

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überhaupt keine Offenbarung Gottes erkennen; ja, nur von diesem Standpunkte aus kann die Geschichte Israels wahr dargestellt werden. d. Von diesem prophetisch-theokratischen Pragmatismus ist nun die Geschichtsdarstellung der Bibel zum großen Teil beherrscht. Nach dem Maßstabe des Gesetzes werden die Zustände des Volkes, namentlich das Leben und Wirken der Könige beurteilt; in ihren Geschicken wird die Wahr­ heit der göttlichen Verheißungen und Drohungen nachgewiesen, und durch dies alles wird den kommenden Geschlechtern zur Warnung und zum Troste in der Geschichte ihrer Väter ein Spiegel vorgehalten. Ja, wenn sogar die Geschichtschreiber Israels, von diesem theokratischen Pragmatismus beherrscht, nach unserer Meinung manchmal gar zu strenge Anforderungen stellen und nach allzu strengem Maßstabe ihre Vorfahren beurteilen, wenn das Richterbuch und das Königsbuch in den klassischen Stellen, welche diesen Standpunkt besonders deutlich aussprechen,die Vorzeit durchweg als eine Zeit des Abfalls vom Gesetz betrachten und nach den Forderungen der späteren Gesetzlichkeit, wie sie erst seit Josia (durch das Deuteronomium) und seit Esra (durch das Priestergesetz) aufgestellt oder wenigstens durch­ geführt wurde, auch die früheren Zeiten beurteilen: so scheint das allerdings eine unbillige Beurteilung zu sein, und einem wissenschaftlichen Geschichtsbuche der Gegenwart würde eine solche Beurteilung nicht gestattet sein. Aber die israelitischen Geschichtsbücher sind eben nicht bloße Ge­ schichtsbücher und sind zunächst nicht als wissenschaftliche Werke zu betrachten, geschrieben dazu, um uns eine Kenntnis des Volkes Israel zu verschaffen, sondern diese Bücher waren zunächst für die Zeitgenossen ge­ schrieben, und diesen wird der Spiegel der Vergangenheit vorgehalten, damit sie lernen, sich vor den Verirrungen der Vorfahren zu hüten und dem Gerichte zu entrinnen, das auch sie treffen werde, wenn sie das Ge­ setz Gottes nicht halten. Diese Mahnung und Warnung ist kein Beiwerk der Geschichtsbücher, sondern der Hauptgedanke in denselben, und dieser Hauptgedanke, daß die Sünde der Leute Verderben ist und nur die Gott­ seligkeit die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens hat, macht auch noch für uns diese Bücher zu Büchern des ewigen Lebens, zu heiligen Schriften von ewiger Bedeutung. e. Wenn nun die ATlichen Schriftsteller immer wieder darauf Hin­ weisen, daß die Frömmigkeit belohnt und die Gottlosigkeit bestraft werde, und wenn sie diesen Nachweis, wie der Verf. des Buches Hiob und fast das ganze A. T., schon in diesem Weltlauf finden zu können glauben, so wissen wir als Christen, daß auf Erden die Gerechtigkeit Gottes noch nicht vollkommen zur Geltung kommt; wir werden darum nicht jedes Urteil der ATlichen Geschichtschreiber unterschreiben. Wenn sodann die ATlichen Geschichtschreiber bei ihrem Urteil über Personen und Ereignisse der alten Zeit den sittlich-religiösen Maßstab ihrer Zeit zu Grunde legen, entweder des älteren, freieren, oder des späteren, strengeren Judentums, je nachdem sie nur das Gesetz des Deu­ teronomiums oder das Priestergesetz zu Grunde legen, so werden wir Christen auch in dieser Beziehung uns ein eigenes Urteil über die ATlichen Personen und Ereignisse bilden, indem wir dieselben zunächst

l) Richter 2, 6—3, 6.

2. Kön. 17, 7-23 u. 34-41.

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1. Die Geschichtschreibung im Volke Israel.

an dem sittlichen Maßstabe ihrer (nicht einer späteren) Zeit messen, aber dann doch den höheren Standpunkt der späteren Zeit, aber weder des Deuteronomiums noch des Priestergesetzes, sondern des Christentums zur Geltung bringen. So werden wir z. B. die Könige Judas nach Salomo nicht deshalb tadeln, weil sie Jehovah auch auf den Höhen angebetet haben — das war ja damals noch nicht verboten, und das betrachten auch wir nicht als eine Sünde. Dagegen werden wir nicht bloß mit dem Propheten Nathan den König David darum schelten, weil er dem Uria sein Weib mit Gewalt weggenommen hat, sondern auch darum, weil er überhaupt viele Weiber genommen hat, obwohl dies doch der Sitte seiner Zeit entsprach und von dem Propheten nicht getadelt wird. Wenn der Lehrer die ATliche Geschichte von diesem, dem christ­ lichen Standpunkte aus behandelt, dann werden viele Bedenken beseitigt, die man gerade jetzt wieder gegen das A. T. als Lehrbuch für die christ­ liche Jugend erhebt.

C. (18.)

Der Charakter der einzelnen Geschichtsbücher des Alten Testaments.

a. In der Geschichtschreibung des Alten Testaments finden wir also zwar auch volkstümliche oder annalistische Abschnitte, aber doch hauptsächlich Darstellungen der Offenbarungen Gottes im Volke Israel; die Dar­ stellung der Offenbarung trägt aber entweder priesterlichen oder prophetischen Charakter. Auf einen solchen Unterschied in der Darstellung führt nun nicht bloß die Untersuchung der Bücher, sondern schon die Bibel selber macht einen Unterschied zwischen prophetischen und nichtprophetischen Ge­ schichtsbüchern. Die Geschichtsbücher des A. T. dürfen nämlich, indem man sie zusammenfassend betrachtet, als zwei größere Geschichtswerke be­ trachtet werden, ein älteres, vorexilisches, und ein jüngeres, nachexilisches. Die auf den Pentateuch folgenden älteren Geschichtsbücher (Josua, Richter, Samuelsbücher, Königsbücher) werden in der hebräischen Bibel als „(vordere) Propheten" bezeichnet, während die späteren Geschichtsbücher (Chronik, Esra, Nehemia) durch die Einreihung in den dritten Teil der hebräischen Bibel, die „Schriften", als nichtprophetische Bücher bezeichnet werden. Diese Unterscheidung einer prophetischen und einer nichtprophetischen Dar­ stellung muß nun allerdings auch noch in den einzelnen Geschichtsbüchern wieder gemacht werden, indem auch in einem prophetischen Buche ein nichtprophetischer Abschnitt stehen kann, und in einem nichtprophetischen Buche ein prophetischer Abschnitt; aber im ganzen ist es doch richtig, daß die Darstellung der älteren Geschichtsbücher prophetischen, die der jüngeren nichtprophetischen Charakter trägt. Mit den einzelnen Büchern verhält es sich aber also. b. Die Geschichtserzählung des Pentateuchs ist vorwiegend vom pro­ phetischen Standpunkt aus geschrieben, und bei der Verbindung der ver­ schiedenen Quellenschriften zu einem Ganzen war der prophetische Gesichts­ punkt maßgebend. Die Gesetzgebung der mittleren Bücher ist vom priesterlichen, die des Deuteronomiums vom prophetischen Standpunkt aus dargestellt.

Der Hauptinhalt des (teils von priesterlichem teils von prophetischem Standpunkte aus geschriebenen) Pentateuchs ist aber die durch Moses dem Volke Israel zu teil gewordene Offenbarung. Den einzelnen Teilen des Pentateuchs kommt jedoch der Charakter von Offenbarungs-Urkunden in verschiedenem Sinne zu. Die vornehmste Urkunde der Offenbarung Gottes ist nämlich der von Moses selbst herstammende Dekalog (nebst den verwandten Gesetzen), das Grundgesetz des Reiches Gottes im Alten Bunde wie auch noch im Christentum. Auch die speziellen Gesetze, welche Moses seinem Volke für das damalige Leben gab, ohne sie aufzuschreiben, beruhten auf Offenbarung, und die von Moses herstammenden Einrichtungen des Gottesreichs waren, auch ohne ausgeschrieben zu sein, ebenfalls Urkunden der göttlichen Offenbarung. Die Einrichtungen des Gottesreiches und die nur mündlich von Moses gegebenen Gesetze sind aber später ebenfalls ausgezeichnet worden (und zwar in einer Darstellung mit priesterlichem Charakter), natürlich nur auf Grund der bis dahin erhaltenen Übung und mündlichen Über­ lieferung und nicht auf Grund einer Offenbarung an die Schriftsteller über die früher stattgehabte Offenbarung durch Moses. So dürfen auch die Gesetze der mittleren Bücher des Pentateuchs als Urkunden der Offen­ barung gelten. Wenn nun das Reich Gottes im Alten Bunde zunächst auf eine Menge äußerer Satzungen gegründet war, welche zwar ebenfalls für die Religion ihren Wert hatten, aber doch nicht für immer bestehen sollten, so lag die Gefahr nahe, daß über der Menge der äußeren Gebote das eine Hauptgebot der inneren Frömmigkeit vergessen wurde. Dies eine Gebot der Liebe zu Gott hervorzuheben, war die Aufgabe der Prophetie, und diese Aufgabe hat derjenige Prophet gelöst, welcher das Deutero­ nomium verfaßt hat; dasselbe ist also besonders die Urkunde der prophe­ tischen Deutung der Gottesoffenbarung im Gesetz Mosis und im propheti­ schen Geiste abgefaßt. Wie dem Pentateuch, der Urkunde der grundlegenden Offenbarung in Israel, so kommt auch den Geschichtsbüchern der späteren, namentlich der vorexilischen Zeit, der Charakter von Offenbarungsurkunden zu. Auch diese Bücher (Josua, Richter, Samuelsbücher, Königsbücher) erzählen nämlich die Geschichte des Volkes Gottes, welches Gott aus den Völkern ausgewählt hat, um es zum Träger der Offenbarung zu machen. Durch Moses hatte Israel das Gesetz Gottes erhalten; die Folgezeit hat das durch Moses errichtete Gottesreich zu erhalten und die vollständige Ver­ wirklichung seines Reichsplans vorzubereiten; von dieser fortgehenden Offen­ barung Gottes berichten die geschichtlichen Bücher der nachmosaischen Zeit, und darum sind sie Urkunden der Offenbarung. Auch die Darstellung dieser Bücher ist nicht durch das allgemein-historische oder das national­ historische, sondern durch das prophetische Interesse an dem Entwickelungs­ gänge des Reiches Gottes beherrscht; auch ihre Darstellung trägt vor­ wiegend prophetischen Charakter. c. Den Grundtypus nichtprophetischer Geschichtschreibung finden wir dagegen in den der Priesterschrift entstammenden Stücken des Penta­ teuchs im Unterschiede von den jehovistisch-deuteronomischen. Diese zwei Geschichtschreibungsweisen setzen sich im Buche Josua neben einander fort.

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2. Die Stellung der neueren Theologie zum Alten Testament.

Dagegen ist, wie schon oben bemerkt, dem Buche der Richter der Stempel prophetischer Geschichtschreibung aufgedrückt, und ebenso sind die Bücher Samuels und der Könige im ganzen prophetische Geschichtswerke. Werke nichtprophetischen Charakters sind wiederum die späteren Geschichtsbücher (Chronik, Esra, Nehemia). Der Chronist, welcher nach verschiedenen Quellen sein Geschichtswerk gearbeitet hat, war ebensowenig ein Prophet wie Esra und Nehemia. d. Die Gesetzesreligion ist die Grundlage des Christen­ tums, und so ist zunächst der Pentateuch auch noch für das Christentum von Bedeutung. Das Gesetz hatte allerdings nur den Schatten der zu­ künftigen Güter, aber es hat doch auf die wahren Güter hingewiesen. Das Gesetz ist ferner ein Zuchtmeister auf Christum geworden, indem es Erkenntnis der Sünde weckte. So beginnt denn Luthers Katechismus mit Recht mit dem Gesetz, und der Unterricht der Jugend in der biblischen Geschichte mit Recht mit dem Alten Bunde, um alsdann erst zu Christus und dem Neuen Bunde emporzusteigen; auch den Christen sollen die reichen Schätze der Weisheit im Gesetz des Alten Bundes erhalten bleiben. Auch die auf den Pentateuch folgenden Geschichtsbücher haben für das Christentum eine nicht geringe Bedeutung. Das NTliche Gottes­ reich ist ja aus dem des A. T. hervorgewachsen, und so lernen wir aus diesen Büchern das Walten Gottes in der Entwickelung seines Reiches erkennen; dadurch lernen wir aber auch die Weltgeschichte und die Gegen­ wart richtig betrachten und beurteilen, und wer ein richtiges geschichtliches Urteil besitzt, der wird auch leichter erkennen, wie er sich den Bewegungen seiner Zeit gegenüber zu verhalten hat; „Gottes Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserm Wege" — auch das Wort Gottes im Alten Testament. Daß auch die lyrisch-didaktischen Bücher des A. T., welche uns zeigen, wie die göttliche Offenbarung in das menschliche Geistesleben eingegangen ist und in demselben sich wirksam erwiesen hat, und vollends die prophetischen Bücher des A. T., in welchen die Offenbarung des N. T. vorbereitet worden ist, auch noch für den Christen von Bedeutung sind, versteht sich von selbst. e. Auch für den Christen ist also das A. T. noch von Bedeutung. Aber nur als eine Vorstufe des Christentums ist die Religion des A.T. der christlichen Gemeinde vorzuführen, nicht als die vollkommene Offenbarung, um die von dieser falschen Auffassung des A. T. unzertrenn­ lichen Gefahren von der Gemeinde fernzuhalten. Aber das A. T. der christlichen Gemeinde darum ganz fernzuhalten, weil es noch nicht die vollkommene Religion enthält, das ist eine ebenso unrichtige Gering­ schätzung desselben, welche auch für das Verständnis des Christentums nachteilig wirken würde.')

2. Dte Stellung der neuerm Theologie zum Alten Testaments) a. Die auf der Lehre von der buchstäblichen Inspiration der Bibel beruhende ältere Auffassung des A. T., welche heute unter den Männern ’) Vgl. die von diesem Standpunkte aus geschriebene Schrift: Das Judentum in der christlichen Kirche. 2) Vgl. Diestel, Geschichte des A. T. in der christlichen Kirche, 1869.

3. Die wissenschaftliche Bearbeitung der Geschichte des Volkes Israel.

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der Wissenschaft keinen Vertreter mehr besitzt, ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich aufgegeben worden; vor der unbefangenen Prüfung der Bibel konnte die alte Jnspirationslehre sich nicht behaupten. Daß auch die hebräischen Vokale von Gott eingegeben seien, war eine willkürliche Behauptung; nicht einmal die Konsonanten des A. T. sind uns unversehrt überliefert, und es würde uns darum nichts nützen, wenn sie direkt von Gott her stammten, da ja Gott nicht für ihre unversehrte Erhaltung gesorgt hat. Daß der menschliche Verfasser eines biblischen Buches hinter dem göttlichen Inhalt desselben nicht ganz zurücktrete, sondern mit seiner Eigentümlichkeit oft ganz deutlich hervortrete, ließ sich nicht mehr leugnen. Daß der Kanon des A. T. nicht von Gott zusammen­ gestellt worden sei, konnte man nicht verkennen. b. So war es natürlich, daß im Gegensatz zu der älteren Theologie, welche nur die göttliche Seite des A. T. hervorgehoben hatte, zunächst die menschliche Seite desselben betont wurde. Die menschliche Entstehung der ATlichen Bücher wurde immer genauer erforscht; die weltliche Ge­ schichte des Volkes Israel wurde immer genauer dargestellt; die Religion des A. T. wurde den andern Religionen der alten Zeit als gleichartig zur Seite gestellt. Diesem Extrem gegenüber war es berechtigt, wenn eine neuere Richtung (Hengstenberg und andere) zur alten Anschauung vom A. T. zurückzukehren versuchten; aber der Versuch, die Ergebnisse der neueren Wissenschaft völlig zu ignorieren, konnte nicht gelingen. Es mußte also versucht werden, unter Anerkennung der menschlichen Seite des A. T. doch die göttliche Seite desselben ebenfalls in der rechten Weise zur Anerkennung zu bringen. Mit der Lösung dieser Aufgabe ist die neuere Theologie beschäftigt. c. Von diesem Standpunkte aus erscheint das A. T. zwar nicht mehr als buchstäblich von Gott eingegeben, wie die ältere Theologie meinte, aber als die Urkunde der dem Volke Israel vor Christus zu teil ge­ wordenen Offenbarung, auf welcher die Religion des Volkes Israel beruht. Die im A. T. enthaltene Offenbarung ist aber noch nicht die voll­ kommene Offenbarung, wie die ältere Theologie meinte, indem sie das Christentum auch schon im A. T. nachweisen zu können glaubte, sondern die Vorstufe der vollkommenen Offenbarung. Auch die ATliche Religion selber ist nicht, wie die ältere Theologie meinte, eine zu allen Zeiten gleichartige, sondern sie hat ver­ schiedene Entwickelungsstufen durchgemacht, welche in ihrer Auf­ einanderfolge dem Christentum zur Vorbereitung gedient haben. Diese verschiedenen Stufen richtig zu unterscheiden und ihre Aufeinanderfolge richtig zu erkennen, ist die Aufgabe der ATlichen Wissenschaft.

3. Die wiffeuschaftliche Bearbeitung der Geschichte des Bölkes Israel.') Eine umfassende kritisch angelegte Geschichte Israels im großen Stile hat zuerst Ewald geliefert.*2) Auf seinem Werke beruht das Werk von *) Vgl. Kittel, Geschichte der Hebräer (1888s.). 2) Geschichte des Volkes Israel. 3. Aufl., 1864s.

7 Bde.

4. Die Wellhausen'sche Hypothese.

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Weber und Holtzmann, welches auch die Entstehung des Christentums behandelt, l) Den älteren Standpunkt der Betrachtung der Geschichte Israels, welchen früher Hengstenberg, Hofmann und Kurtz vertraten, haben in der Neuzeit noch Köhler in seinem umfassenden Werkes) und Klostermann in seiner kürzeren „Geschichte des Volkes Israel" (1896) vertreten. Welcher Umschwung in der Betrachtung der Geschichte Israels in der neuesten Zeit eingetreten ist (Wellhausen), wird unten genauer dargelegt werdens) als Werke, welche diesen Standpunkt vertreten, dürften für den Lehrer namentlich die betreffenden Schriften von Reuß^), Kuenenö) und Wellhausens zu nennen sein. Ein vom Lehrer besonders beachtenswertes Buch über die israelitische Geschichte haben wir in der neuesten Zeit von Kittel erhalten, welcher dem Lehrer zunächst die grundlegende kritische Untersuchung und danach auch das geschichtliche Ergebnis der Kritik darbietet?) Andere Werke, durch welche der Lehrer eine Vertiefung und Er­ weiterung des hierher gehörigen Wissens erlangen kann, sind oben genannt worden?)

4. Die Wellhausm'sche Hypothese. A.

Der Gegenstand des Streites.

In dem historisch-kritischen Prozeß, dem seit länger als einem Jahrhundert die heilige Schrift unterworfen ist, steht seit einem Menschenalter das Alte Testament im Vordergründe, und die kritische Erforschung desselben hat zu wesentlich anderen Ansichten geführt, als sie bisher herrschend waren. Es ist nun ganz natürlich, daß die alte Ansicht nicht sofort von allen Theologen aufgegeben, und die neue nicht sofort allgemein angenommen wird, und ebenso natürlich, daß die neueren Ansichten

im Laufe der Jahre immer wieder modificiert werden. Es giebt daher heute noch nicht eine allgemein anerkannte Meinung über die Entstehung des A. T. und über die Entwickelung der ATlichen Geschichte. Welches ist nun der Unterschied der alten und der neuen Vorstellung von der Entwickelung des Schrifttums des A. T. und der Geschichte des Volkes Israel? ä. Nach der älteren Vorstellung vom A. T. gehört das Gesetz, wie es in den fünf Büchern Mosis vorliegt, der Stistungszeit des Alten Bundes an; der größte Teil der poetischen Schriften gehört den Tagen Davids und Salomos an; die prophetischen Schriften gehören dem letzten Zeitalter der vorexilischen Geschichte und der nächsten Zeit nach der Rückkehr, an. Gesetz, Dichtung, Prophetie — das ist nach der älteren Vorstellung die Stufen­ folge in den Schriften des A. T. und in der Entwickelung des Volkes Israel. *) 2) 3) 4) 5) 6) jüdische 7) 8)

Geschichte des Volkes Israel und der Entstehung des Christentums. 1867. Lehrbuch der biblischen Geschichte des Alten Bundes. Vgl. Nr. 4. Geschichte der heiligen Schriften des A. T. Volksreligion und Weltreligion. 1883. Prolegomena zur Geschichte Israels. 4. Ausl. 1895. Israelitische und Geschichte. 2. Aust. 1895. Kittel, Geschichte der Hebräer. 1888s. Vgl. Nr. IV.

Das Gesetz — und zwar einschließlich des in den mittleren Büchern des Pentateuchs vorliegenden Kultusgesetzes — ist also nach der älteren Darstellung die älteste Schöpfung des Volkes Israel; gegen diese Behauptung ist nun folgendes bemerkt worden. Von der Zeit der Richter an bis zum Untergange des Reiches Juda ist das in den mittleren Büchern des Pentateuchs enthaltene Kultusgesetz nicht beachtet worden, weder vom Volke, noch von seinen Führern und großen Männern. Wenn nun die ältere Anschauung lund zwar in Übereinstimmung mit dem Urteil der

biblischen Geschichtschreiber; Richt. 2, 6—3, 6 und 2. Kön. 17) das als einen Abfall vom Gesetz ansah, so erklärt die neuere Anschauung diesen Zustand daraus, daß dies Gesetz noch gar nicht vorhanden war, zumal da der Prophet Jeremias ausdrücklich sage (K. 7, 22): „Ich habe euren Vätern, als ich sie aus Ägypten

wegführte, nichts gesagt und nichts geboten in betreff von Brandopfern und Schlachtopfern." b. In demselben Jahre nämlich, in welchem das Leben Jesu von Strauß erschien, im Jahre 1835, erschien auch ein Buch von Balke, „Die Religion des Alten Testaments," dazu bestimmt, in der Theologie eine große Umwälzung anzubahnen. Aber während das Buch von Strauß sofort das größte Aussehen er­ regte, heute aber in der Wissenschaft als überholt angesehen wird, sind die Ansichten von Balke erst spät und langsam beachtet worden, um heute mehr und mehr zur Geltung zu kommen, und noch kann von einer Überwindung derselben in der Theologie nicht die Rede sein. Was nämlich Balke zuerst behauptet hatte, das ist dann durch die mühsame und eifrige Arbeit anderer Forscher weilergeführt worden, aber nur sehr langsam, und daher erst in der Gegenwart wirksam geworden. Erst im Jahre 1866 wurde Batkes Ansicht von Graf ausgenommen und weiter geführt,') der dazu von Reuß angeregt worden war, während dieser seine Ansichten erst barlegte (1881),*2) als bereits ein neuer Forscher ausgetreten war, Wellhausen (1878),3)4 der 5 6 7dieselben 8 in so durchschlagender Weise darlegte, daß diese Auffassung der ATlichen Geschichte seitdem die Wellhause nasche Hypothese genannt wurde. Die bedeutendsten neueren Vertreter derselben sind neben dem Holländer Kuenen^) und dem Eng­ länder Robertson Smith3) von den deutschen Theologen z. B. Srade,3) Smend,^) Kautzsch,3) und überhaupt die meisten ATlichen Forscher. c. Welches ist nun die neue Auffassung von der Entwickelung der Geschichte Israels? Wenn der ganze Pentateuch wirklich, wie die ältere Theologie annahm, ein Werk des Moses wäre, dann wäre das Gesetz wirklich der Anfang der ATlichen Geschichte. Wenn aber, wie im Jahre 1753 zuerst erkannt worden ist,9) der Penta-

') Graf, Die geschichtlichen Bücher des A. T. 1866. 2) Reuß, Geschichte der heiligen Schriften des A. T. 1881. 3) Wellhausen, Geschichte Israels. 1878. Die neueren Auflagen mit dem Titel: Prolegomena zur Geschichte Israels. 4) Kuenen, Godsdienst van Israel. 1869 und 1870. Bal. die deutsche Schrift desselben Verfassers: Volksreligion und Weltreligion. 1883. 5) R. Smith, Das A. T. 1894. 6) Stade, Geschichte des Volkes Israel. 1887s. 7) Smend, ATliche Religionsgeschichte. 1893. 8) Kautzsch, Übersetzung des A. T., mit Anhang. 9) Von dem Leibarzt Ludwigs XV. von Frankreich, Jean Astruc — vgl. Nr. 27.

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4. Die Wellhausen'sche Hypothese.

leuch aus verschiedenen Quellen beruht, wenn im Pentateuch sich offenbar Nichtmosaisches findet, so war es möglich — und das ist durch Balke im Jahre 1835 zuerst geschehen — zu behaupten, daß das in den mittleren Büchern des Pentateuchs enthaltene Cerimonialgesetz, welches erst durch Esra zur Geltung gebracht worden ist (444), auch erst in der Zeit des Esra entstanden ist. d. Wenn diese Behauptung richtig wäre — und daß sie nicht ganz unrichtig ist, wird heute von allen Forschern zugestanden — dann ergießt sich ein anderes Bild von der Entwickelung der ATlichen Geschichte, als wir es bisher gehabt haben, ja auch abweichend von dem Bilde, welches die biblischen Geschichtschreiber selber von der Entwickelung ihres Volkes gehabt haben?) Es bleibt auch jetzt dabei, daß mit dem Austreten Moses' die Geschichte des Volkes Israel beginnt; aber Moses war zwar der Führer seines Volkes, aber nicht der Urheber des nach ihm genannten Gesetzes. Er har Jchovah zum Gotte seines Volkes gemacht, aber das Cerimonialgesetz stammt nicht von Moses her; die Israeliten verehrten Jehovah, aber nicht in der vom Cerimonialgesetz ge­ botenen Weise; eine Bundeslade gab es, aber wenigstens die im Pentateuch ge­ zeichnete Stistshütte ist eine historische Fiktion, eine Nachzeichnung des späteren Tempels; alle großen Helden und frommen Männer Israels verehrten Gott in einer vom Gesetz Moses' verpönten Weise. Ja, die Israeliten sind sogar allmählich nicht etwa bloß vom Cerimonialgesetz, wie die ältere Darstellung mit Unrecht an­ nahm, sondern sogar von Jehovah abgesallen, und es war das Verdienst der Propheten, das Volk Israel beim Glauben an Jehovah festzuhalten oder zu dem­ selben zurückzusühren, und den Gott ihres Volkes mehr und mehr auch als den Gott aller Völker erkennen zu lassen, nicht aber ihre Aufgabe, das Volk zum Cerimonialgesetz zurückzusühren. e. Als nun das Reich Israel zu Grunde ging, da schien es den Propheten nötig, um den Rest des Volkes, das Reich Juda, vor dem Untergange zu bewahren, eine Reformation des Kultus vorzunehmen, der bisher nach der Väter Sitte, aber nirgends und niemals nach dem sogen. Gesetz Mosis, gehalten worden war. Diese Reformatton des Kultus wurde gefordert in dem von einem Propheten ver­ faßten sogenannten fünften Buch Mosis, und verwirklicht von dem König Josia im I. 621. Aber als nun trotzdem auch das Reich Juda seinen Untergang fand, da meinten spätere Propheten (namentlich der Prophet Ezechiel), ihr Volk beim

Glauben an Jehovah nur dadurch erhalten zu können, daß sie es durch eine hohe Scheidewand von der ganzen Welt absouderten und zu einem ganz besonderen Volke machten. Das ist erstrebt und erreicht worden durch das Cerimonialgesetz der mittleren Bücher Mosis, welches in der Zeit des babylonischen Exils entstanden und durch Esra im I. 444 zu allgemeiner Anerkennung gebracht worden ist. Wie ist dasselbe entstanden? P). Nach der früher herrschenden Ansicht war die Zeit des Exils eine Zeit des Todesschlafes für das Volk Israel; in Wahrheit hat jedoch in dieser Zeit nicht nur eine große litterarische Regsamkeit geherrscht, sondern es fehlt auch nicht an grundlegenden Neuschöpfungen, sowohl der Prophetie als auch der Gesetzgebung. Ja, in dem Propheten Hesekiel, dem Bindegliede zwischen der vorexilischen und der exilischen Zeit, welcher bereits im I. 597 ins Exil abgeführt worden war, stellt *) Das wäre aber kein ausreichender Einwand gegen die Richtigkeit dieser Annahme, da ja die Bibel kein wissenschaftliches Geschichtsbuch ist, und die Offenbarung nicht geschichtliche Kenntnisse mitteilt. 2) Nach Kautzsch, Abriß der ATlichen Litteratur (Anhang zur Bibelübers.).

4. Die Wellhausen'sche Hypothese.

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sich uns die merkwürdige Erscheinung eines Prophetismus dar, der gesetzgeberisch auftritt und dadurch für die Neugründung des jüdischen Staates als einer „Theo­ kratie" von unermeßlicher Bedeutung wird. Wenn derjenige Teil seines Buches, welcher hier in Betracht kommt (K. 40—48: die große Vision von der Neugestaltung des Gottesstaates in der messianischen Zeit) dadurch Verwunderung erregte, daß man nicht begreifen konnte, wie er — ein Priester — daraus verfallen konnte, das als bereits vorhanden angenommene Priestergesetz in ganz andere Formen zu gießen, so gelangt man zu einem ganz anderen Urteil, wenn man, mit Wellhausen das Priestergesetz als noch nicht vorhanden betrachtend, in diesem Abschnitt des prophetischen Buches, nicht eine Umbildung eines vorhandenen Gesetzes, sondern den Grundriß einer erst zu schaffenden Gesetzgebung erblickt. Der vermeintliche Stubengelehrte wird dann zum Bahnbrecher für eine neue Ordnung der Dinge, wie sie allerdings nicht durch ihn, aber in seinem Geiste vom Priestergesetz begründet worden ist. Auch das jüdische Volk ist, wie der Prophet voraussagt, dem Untergänge verfallen, weil es trotz des im I. 621 erhaltenen Gesetzes in die schwersten Sünden verfallen ist. Die Wiederherstellung des Staates muß in Formen erfolgen, welche die Wiederkehr solcher Greuel für immer ausschließen; „Heiligkeit" muß der Charakter des neuen Gottesstaates werden, damit er nicht aufs neue zu Grunde gehe. Diese Heiligkeit ist zu sichern durch eine Reihe von neuen Ordnungen für das neue Gottesreich, durch ein Cerimonialgesetz, wie es bis dahin noch nicht vorhanden war. Die Grundlinien zu einer solchen neuen Gesetzgebung liegen in K. 40 - 48 des Hesekielschen Buches vor. Was Hesekiel erstrebt hat, ist nachmals verwirklicht worden, zuerst in dem sogen. H e i l i g k ei 1 s g e s e tz (3. Mose 17—26), dann in umfassender Weise im P r i estergesetz; die Geistesverwandtschaft des Heiligkeitsgesetzes mit der Predigt Hesekiels ist eine derartige, daß dieser Prophet von namhaften Kritikern geradezu für den Verfasser des Heiligkeitsgesetzes gehalten worden ist; andrerseits ist dasselbe mit dem Priestergesetz so verwandt, daß es nicht mit Unrecht zu demselben gerechnet wird. Jedenfalls sind im Priestergesetz die Gmndgedanken Hesekiel's bis zu ihren letzten Konsequenzen verfolgt und ausgebaut worden. g. Daß nun das Priestergesetz schon seit alter Zeit existiert habe, könnte nur behauptet werden, wenn man die Annahme nicht scheute, daß kein Mensch, auch nicht die geistlichen Leiter des Volkes, in der älteren Zeit etwas von ihm gewußt habe; daß auch der König Josia dasselbe nicht gekannt habe — denn sonst hätte er Loch nicht das Deuteronomium, sondern das Priestergesetz eingefühtt; daß auch Hese­ kiel dasselbe nicht gekannt habe — denn sonst hätte er doch nicht ein neues Ge­ setz entworfen. Dagegen stellt sich uns alles in bester Ordnung und wie selbstver­ ständlich dar, wenn wir die Kodifikationen des Gesetzes in der Reihenfolge: Deutero­ nomium, Hesekiel K. 40—48, Heiligkeitsgesetz, Priestergesetz, entstanden denken; das Priestergesetz war in der schriftlichen Ausgestaltung der Lebensordnungen für das Volk Israel das letzte Wort. Nunmehr war erst die eigentlich jüdische Religion, wie sie wesentlich noch heute besteht, entstanden, beruhend auf einem bald als von Gott diktiert angesehenen Buche, aufrechterhalten durch die Priester und Schriftgelehrten. h. So ist also nach der neueren Darstellung der Geschichte des Volkes Israel das Gesetz nicht der Anfang, sondern das Ende der Wege Gottes mit diesem Volke; das Gesetz ist, wie der Apostel Paulus sagt, „zwischeneingekommen" zwischen Lie Weissagung der Propheten und die Erfüllung in Christus. Wenn die ältere Heidrich, Heilige Geschichte. 4

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4. Die Wellhausen'sche Hypothese.

Darstellung den Gang der Entwickelung bezeichnete durch die Stufenfolge „Gesetz und Propheten", so heißt es in der neueren Darstellung „Propheten und Gesetz". i. Der Gegensatz der neueren Anschauung von der Entwickelung der ATlichen Geschichte zu der älteren Anschauung zeigt sich also vornehmlich in folgenden Punkten. Nach der älteren Anschauung ist Moses der Gesetzgeber Israels, und die ganze Gesetzgebung, wie sie in den Büchern Mosis vorliegt, ist (wenigstens wesentlich) als sein Werk anzusehen. Nach der neueren Anschauung ist das Gesetz, wie es uns in den Büchern Mosis vorliegt, nur allmählich entstanden, und in seiner jetzigen Gestalt ist das Gesetz ein Produkt des Ausgangs der israeli­ tischen Geschichte. Nach der älteren Anschauung ist MoseS im Volke Israel der Begründer des Monotheismus d. h. der Verehrung eines als allein existierend gedachten Gottes. Nach der neueren Anschauung ist Moses zwar der Begründer der israeli­ tischen Religion, aber der von Moses verkündete Gott ist zwar der einzige Gott für das Volk Israel, aber nicht der einzige Gott für die ganze Welt; die anderen Völker haben auch andere Götter, welche nicht Gebilde ihrer Phantasie sind, sondern in Wirklichkeit existieren. Nach der älteren Anschauung liegt die Hauptbedeutung derPropheten in der Verkündigung des vollkommenen Gottesreiches. Nach der neueren Anschauung, welche ihnen diese Bedeutung nicht abspricht, ist als das Werk der Propheten vornehmlich die Vergeistigung und strenge Durchführung des Monotheismus anzusehen; erst durch die Propheten ist Jehovah als der wirklich einzige Gott für alle Völker erkannt worden.

B. Wellhausen und seine Gegner. „Wenn man beim ersten Auftreten dieser Hypothese, aber auch noch bei ihrer Wiederaufnahme durch Graf und Wellhausen, in derselben nur ein haltloses Luftgebilde leichtfertiger Hyperkritik gesehen hat, so ist dieses Urteil heute nicht mehr möglich. Nach der vielfach glänzenden Verteidigung, immer aber eingehenden Be­ gründung, welche sie besonders durch Wellhausen und Kuenen erfahren hat, wird ein besonnenes Urteil zugeben müssen, daß es wirkliche und teilweise schwer­ wiegende Gründe sind, welche für jene Anschauung ins Feld geführt werden. Vor allem ist es die Geschlossenheit und Rundung des Bildes von der israelitischen Religionsgeschichte, wie sie hier gewonnen zu werden scheint, welche einen bestechenden Einfluß auszuüben im stände ist. Die strenge Scheidung der Perioden, welche durch diese Hypothese ermöglicht wird; die ebenmäßig fortschreitende Entwickelung des Geschichtsverlaufs, wie sie unter diesem Gesichtswinkel vor uns austaucht; die ein­ fache Erklärung der künstlichen Systematik und des vielfach gewiß nicht streng ge­ schichtlichen Idealbildes in der Priesterschrift, wie sie durch jene Annahme dargeboten wird — das alles giebt in der That zu denken/") „Nicht bloß eine mehr oder minder geistvoll erfundene Hypothese, sondern eine auf wissenschaftlichen Forschungen begründete, nach einheitlichem Gesichtspunkt geord­ nete, streng gegliederte, systematisch aufgebaute, mit bewunderungswürdiger Konse­ quenz durchgeführte Geschichtskonstruktion ist es, die uns Wellhausen darbietet, die von seinen Schülern und Anhängern weiter ausgebaut wird. In drei von einander gesonderten Entwickelungsschichten verläuft nach dieser Theorie die Geschichte

>) Kittel, Gesch. der Hebr.

I, S. 90.

4. Die Wellhausen'sche Hypothese.

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des vorexilischen Israels, welche einerseits in den Gesetzen und Institutionen, andrerseits in den Geschichtsdarstellungen der Bibel nachzuweisen sind/") Wie in der That in den Gesetzen und Institutionen sich eine Entwickelung und in den Ge­ schichtsbüchern sich ein verschiedener gesetzlicher Standpunkt erkennen läßt, wird sür die einzelnen Gesetze unten dargelegt werden. b. Wenn nun die Wellhausen'sche Hypothese allmählich immer mehr Anklang gefunden hat, so daß heute die meisten ATlichen Forscher auf dieser Seite stehen und selbst entschiedene Gegner derselben (Delitzsch) wenigstens das Hauptergebnis dieser Hypothese (die Entstehung des Priestergesetzes nach dem Deuteronomium) als richtig anerkannt haben, so stehen doch auch noch neuere Forscher dieser Hypo­ these entweder gänzlich (z. B. Klostermann)^) oder wenigstens in wesentlichen Punkten ablehnend (z. B. Oettli)^) oder zweifelnd (z. B. Kittel) gegenüber, welcher „es dem Leser überläßt, sich ein abschließendes Urteil über diese noch ungelöste Streitfrage zu bilden."^» c. Es wird nun sür die weitere ATliche Forschung, wenn wir hier von den principiellen Fragen absehen, namentlich darauf ankommen, zu allgemeiner An­ erkennung zu bringen, was vom Gesetz, speciell vom Kultusgesetz, schon vor dem Exil in Übung gewesen und schriftlich fixiert gewesen ist, und wie und wann

sich das Gesetz zu der abschließenden Gestalt entwickelt hat, in welcher es seit dem Jahre 444 durch Esra zur Anerkennung gebracht worden ist. Erst nachdem dies geschehen ist, wird sür die wissenschaftliche Darstellung der ganzen ATlichen Geschichte wieder ein fester, allgemein anerkannter Boden gewonnen sein, der heute vermißt wird.

C. Wellhausens Hypothese und die Schule. Wenn gegenwärtig das A. T. in der Wissenschaft sehr verschieden angesehen wird, so wird diese Verschiedenheit der wissenschaftlichen Darstellung auch sür den Unterricht nicht ganz einflußlos sein. Aber so lange auf die wissenschaftliche Frage (besonders auf die Wellhausen'sche) nicht eine allgemein anerkannte Antwort gegeben ist, darf und soll nach meiner Meinung die Schule bei der älteren Darstellung bleiben, welche das Gesetz den Propheten voranstellt. Ja, selbst wenn Wellhausens Ansicht einmal allgemein als richtig anerkannt würde, darf und kann die Schule nicht, wie man gefordert hat, die einzelnen Gesetzesgruppen da behandeln, wo sie geschichtlich hingehören.^) Die Schule hat es mit dem vorhandenen, die Wissen­ schaft mit dem entstehenden Gesetz zu thun; daß das Gesetz vor Esra noch nicht in voller Geltung gewesen ist, in dieser Hauptsache stimmen alle Forscher überein; ob aber die Frommen der älteren Zeit vom Gesetz mehr oder weniger ab­ gewichen sind — das war zwar sür die biblischen Darsteller der israelitischen Ge­ schichte eine sehr wichtige Frage, welche ihren Zeitgenossen einen Spiegel der Vergangenheit vorhielten, um sie zur Befolgung-des Gesetzes zu ermahnen, aber nicht mehr in demselben Grade für uns, namentlich nicht für die Schule, die wir ja durch die Lektüre der ATlichen Schriften nicht mehr zur Befolgung des Gesetzes *) Pfeiffer, Voraussetzungen der Wellhausensche Theorie. 1896. 2) Geschichte des Volkes Israel. 1896. 3) Der gegenwärtige Kampf um das A. T. 1896. 4) Kittel, Gesch. der Hebr. I. S. 90—120. 5) Gegen Schmid, Der ATliche Religionsunterricht im Obergymnasium Progr. von Schönthal, 1888; mit Hollenberg, Progr. von Bielefeld, 1889. 4*

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5. Das Alte Testament in der Schule.

Mosis ermahnt werden, sondern in der Entwickelung der ATlichen Geschichte die Vorbereitung des Neuen Bundes erblicken, so daß für uns im A. T. die Propheten

eine größere Bedeutung haben, als das Gesetz. Der Lehrer mag daher das Gesetz entweder, wie hier nach der älteren Darstellung geschieht,') vor den Propheten, oder, wie die neuere Darstellung fordert, nach den Propheten behandeln — für den Schüler tritt dasselbe jedenfalls zurück hinter den Propheten, an welche Christus unmittelbar angeknüpft hat.

5. Das Alte Testament in der Schule. a. Das Alte Testament hat zunächst eine Bedeutung für sich selber, und es ist die Aufgabe der Wissenschaft, zunächst diese Bedeutung dar­ zulegen. Aber für die christliche Gemeinde und besonders auch für die Schule ist doch das A. T. nicht um seiner selbst willen von Bedeutung, sondern als Grundlage des Neuen Testaments, welches ohne das A. T. nicht richtig verstanden werden kann. Denn wenn schon unendlich viele Einzelheiten des N. T. die Kenntnis des A. T. voraussetzen, so ist es völlig unmöglich, den Entwickelungsgang der Offenbarung zu erfassen ohne die Kenntnis des A. was Christus gebracht hat, ist ja nur die Vollendung dessen, was Moses und die Propheten be­ gründet haben; Christus ist, wie er selber gesagt hat, gekommen, um „das Gesetz und die Propheten zu erfüllen," d. h. um die Religion des A. T. zur Vollendung zu führen. Es ist also eine arge Übertreibung,^) wenn man in der neueren Zeit das A. T. aus Kirche und Schule fast zu verdrängen gesucht hat; das ist sowohl unmöglich, wie auch, wenn es möglich wäre, schädlich, da ohne das A. T. ein richtiges Verständnis des N. T. unmöglich ist. Nur das ist an dieser Behauptung richtig, daß die Hauptsache für den Christen das N. T. ist, und daß das A. T. in der Schule stets im Zusammen­ hänge mit dem N. T. zu betrachten ist. Wenn der Unterricht diesen Forderungen nicht immer ganz gerecht geworden ist, so entsteht dadurch weniger Schaden, als wenn das A. T. der Schule (und damit ja auch der Gemeinde) ganz fern gehalten würde. b. Welches ist denn der Wert des A. T. für den Christen?^) Wenn es auch nicht unmöglich ist, Christum zu verstehen und zu verkündigen, ohne viel vom A. T. zu kennen, so entgeht doch demjenigen, der das A. T. nicht kennt, gar manches, was auch für das Christentum von Wichtigkeit ist. Zunächst leitet das Studium des A. T. an zur Erkenntnis der Wege Gottes in der Geschichte, so daß das Christentum als das Ziel der Wege Gottes mit der Menschheit erkannt wird. Nicht unvermittelt ist das Christentum der Menschheit zu teil geworden, sondern durch eine lange und oft verschlungene Geschichte ist die Menschheit, vor allem aber •) Daß der Lehrer an diese Darstellung nicht gebunden ist, versteht sich von selbst; wie der Lehrer die Unterrichtsstoffe gruppiert, ist seine Sache. 2) Vgl.: Das Judenchristentum in der religiösen Volkserziehung des deutschen Protestantismus. 1893. Dazu vgl. der Lehrer das Programm von Boehm, Das A. T. im evang. Religiousunterncht. Berlin 1895, Nr. 115. 3) Valeto«, Vergängliches und Ewiges im A. T. 1895.

das Volk Israel hindurchgegangen, ehe ihm die vollkommene Offen­ barung Gottes in Christus zu teil geworden ist. Wer diese Wege in der Geschichte Israels begreifen lernt, der wird aus dem A. T. einen Blick für die geschichtliche Entwickelung der Menschheit zunächst in der Vergangenheit gewinnen, aber er lernt dadurch auch auf die geschicht­ liche Entwickelung der Christenheit achten und die Wege Gottes in der Gegenwart würdigen und verstehen. Aber auch die Predigt Christi lernt man erst tiefer verstehen ausdem A. T.; Jesu eigene Frömmigkeit wurzelte ja im A. T., und was er über das A. T. hinaus gelehrt hat, das hat er doch an geknüpft an das A. T. Wenn er die Menschensatzungen der Pharisäer bekämpft, so thut er das im Anschlusse an das A. T. Wenn er die im A. T. gestattete Ehescheidung bekämpft, so thut er das im Anschluß an die Schöpfungs­ geschichte des A. T. Alle Begriffe und Lehren des N. T. haben ihre Grundlage im A. T.; Christus hat die im A. T. selbst vorhandene Ent­ wickelung der Frömmigkeit zu der im A. T. selbst ersehnten Vollendung geführt. Und was für eine Bereicherung unserer Menschenkenntnis gewährt uns das A. T.! Eine solche gewinnt man nicht bloß aus der Betrachtung der geschichtlichen Personen des A. T. (wobei es ganz gleichgültig ist, ob dieselben wirklich geschichtliche Personen sind oder vielleicht nicht), sondern ebenso aus der Betrachtung der namenlosen Dichter und Pro­ pheten des A. T., in deren Herz uns ihre Schriften hineinblicken lassen. Gerade an diesen Männern, welche doch zum Teil noch nicht viel von Gott gewußt haben, kann man lernen Gott suchen und auf ihn harren und an ihm festhalten, auch wenn man die Wege Gottes nicht versteht, und so wird auch der Christ durch das Studium der Führungen und der Reden der frommen Männer des A. T. in seiner Frömmigkeit gefördert. Aber auch für die Beurteilung der anderen Menschen kann man aus dem A. T. viel lernen. Wenn der Pastor das A. T. kennt, dann wird er manches Glied seiner Gemeinde milder beurteilen, wenn demselben noch vieles im Glauben und Leben mangelt. Wenn der Lehrer das A. T. kennt, dann wird er von seinen Schülern nicht verlangen, daß sie durch seinen Unterricht vollkommene Christen werden, sondern auch über einen schwachen Anfang des Glaubens sich freuen. So hat das A. T. für Kirche und Schule noch heute eine große Bedeutung, und wir wären thöricht, wenn wir dasselbe unbeachtet ließen. c. Wenn so das A. T. der Schule und der Gemeinde erhalten bleiben muß, so ist dagegen zuzugeben, daß der Lehrstoff der Schule hin­ sichtlich des A. T. vielleicht noch besser ausgewähll lverden kann, als dies bisher in der Regel geschehen ist. Von den Geschichtserzählungen des A. T. kann allerdings manche entbehrt werden; dagegen wäre es wünschens­ wert, daß die prophetischen und die dichterischen Bücher des A. T. der Schule und der Gemeinde etwas nähergebracht würden, als dies bisher in der Regel geschehen ist. Diese Forderungen werden einerseits zu einer Revision der sogen, „biblischen Geschichten" führen, andrerseits für die Gestaltung der „Schulbibel" maßgebend sein müssen. Daß in dem vor­ liegenden Buche auf diese Forderungen Rücksicht genommen ist, wird der aufmerksame Leser desselben (wie des demselben entsprechenden „Hilfs­ buchs") erkennen.

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5. Das Alte Testament in der Schule.

d. Wenn aber der Religionslehrer dem Schüler die Frommen des A. T. vorführt, so soll er dieselben nicht als Christen darstellen, sondern — so weit die Schule sie überhaupt barfteHtx) — in derjenigen Gestalt, welche sie wirklich haben. Wenn sich nun bei der Betrachtung derselben zeigt, daß sie den Anforderungen des Christentums vielfach noch nicht entsprechen, so wird das den Schüler nur um so dankbarer dafür machen, daß ihm eine höhere Erkenntnis beschieden ist, als den Frommen des -A. T.; daß ihm dadurch diese Frommen verleidet werden sollten, ist bei einem vernünftigen Unterricht ebenso wenig zu befürchten, als wenn ihm an anderen großen Männern (z. B. Luther oder Friedrich dem Großen) menschliche Schwächen aufgewiesen werden; diese Schwächen werden ihn an der Größe der ihm vorgeführten Männer nicht irre machen. e. Auf welchen Stufen nun das A. T. dem Schüler vorzuführen sei, das ist eine Frage der Methodik, welche verschieden beantwortet worden ist. Ich glaube, daß das A. T. auf jeder der drei Stufen des Gym­ nasiums dem Schüler nahezubringen ist. Das allerdings halte auch ich nicht für richtig, daß auf der Unterstufe (ober sonstwo in der Schule) das A. T. als solches, d. h. losgelöst vom N. T. (ob die Verbindung mit dem N. T. äußerlich oder innerlich hergestellt wird, kommt hier nicht in Betracht), dem Schüler vorgeführt werde, so daß das Christenkind (wie man gesagt hat) erst ..die ATliche Kulturstufe durchleben müsse", um erst danach in die Welt des Christentums eingeführt zu werden; das Christen­ kind soll im Unterricht sofort in den christlichen Gedankenkreis einge­ führt werden. Wenn aber auch der Christ (wie Paulus: Röm. 7) erst vom Gesetz zu Christus gelangt, so soll doch der Unterricht nirgends das Gesetz, d. h. das A. T., allein vorführen, sondern stets in seiner Verbindung mit Christus, da doch der Christ nicht beim Gesetz stehen bleiben soll.*2)3 Wie nun nach diesen Grundsätzen auf Grund des neuen Lehrplans für die preußischen höheren Schulen der Unterricht im A. T. zu gestalten ist, ist schon oben dargelegt worden. $) ’) Es ist schon oben bemerkt worden, datz der Unterricht im A. T. sich noch mehr, als bisher geschehen ist, auf die Hauptsachen beschränken mutz. 2) Flöring, Das A. T. im Religionsunterricht (1895), S. 37s. 3) Vgl. Nr. IIL

Erster Abschnitt. Die Heschichte des Wotkes Israel von Moses öis Gsra. Vorbemerkung. „Es wird im folgenden nicht beabsichtigt^) eine vollständige Ge­ schichte des Volkes Israel zu geben, sondern es sollen nur die Haupt­ momente der Geschichte, welche für die Entstehung und Ausbildung der Offenbarungsreligion, die religiöse Erziehung des Volkes und die Bildung seiner religiösen Erkenntnisse von Wichtigkeit wurden, entwickelt und erläutert werden. Wir brauchen uns deshalb auf das gesamte Detail des biblischen Erzählungsstoffes nicht einzulassen; es genügt, die wichtigsten und geschichtlich sicheren Thatsachen nach ihrem Zusammenhänge und nach ihrer Bedeutung für die Religion zu überschauen." Dagegen ist es erst die Aufgabe des folgenden Abschnittes, welcher die Religion Israels im Zusammenhänge darstellt, die großen Glaubens­ wahrheiten, welche sich als Ergebnis der geschichtlichen Entwickelung herausgestellt haben, vorzuführen und zu erklären. Durch die Scheidung der Geschichtsdarstellung von dem Lehrabschnitt wird für den Lehrer, wie ich glaube, eine bessere Übersicht gewonnen, die ihm aber bei der Gruppierung des Stoffes für den Unterricht durchaus freie Hand läßt. *) In Übereinstimmung mit Dillmann, ATliche Theologie (1895), S. 75. 2) In der neuen Bearbeitung ist — ebenfalls in Übereinstimmung mit Dill­ mann — die Darstellung der Gesetzesreligion mit der Religion der Propheten und der Dichter verbunden worden.

Erste Periode.

Kas Wolk Israel in der Urzeit und im Zeit­ alter des Moses. ) Wie Gott die JSraelite« aus Ägypten geführt «nd durch Moses zu ihum geredet hat. Vorbemerkung für den Lehrer. „Die Geschichte der Alttestamentlichen Religion beginnt in den Oberklassen nicht mit der Geschichte der Schöpfung (wie in den Unterklassen in der „biblischen Geschichte" des Schülers): die Lehre von der Schöpfung gehört für die Oberklassen in die Glaubenslehre (wo sie auch vom Verfasser dieses Buches behandelt worden ist). Hier beginnt der Lehrer mit einer Einleitung, welche dem Schüler das Volk der Offenbarung, die Religion der Offenbarung und die heilige Schrift, die Urkunde der Offenbarung, vorführt. Darauf folgt, als zweiter Abschnitt, nach einer kurzen Hinweisung auf die Stammväter Israels, die Darstellung der Geschichte des Zeit­ alters Mosis."2) Dagegen ist die Darstellung der Religion im mosaischen Zeit­ alter in der neuen Bearbeitung des Buches mit der Darstellung der Predigt der Propheten und der „Schriften" zu einem Ganzen verbunden worden. In einem dritten Abschnitte findet der Lehrer zu seiner Orientierung und zur Verwertung beim Unterricht eine genauere Darlegung über die Geschichtsquellen dieses Zeitalters (Pentateuch und Josua). Dieser Abschnitt ist also nicht dem Schüler vorzuführen, sondern nur für den Unterricht zu verwerten; der Lehrer wird ihn also vor der Darstellung des mosaischen Zeitalters lesen müssen. Was der Schüler von diesen Dingen zu wissen braucht, erfährt er beiläufig *); alles für den Schüler nötige Wissen über die einzelnen ATlichen Bücher dient nur dem rich­ tigen Verständnis der Bücher und der Abwehr von falschen Voraussetzungen bei der Lektüre der Bücher. l) Für diese Periode (und auch noch für die Richterzeit) besitzt die höhere Schule ein treffliches Hilfsmittel in dem Buche: Hilfsbuch zum Verständnis der Bibel, von Mezger. Gotha, Perthes. 2) Schmid, ATlicher Religionsunterricht, Programm von Schönthal, 1888, Nr. 549. 3) Eine Gelegenheit, diese Frage zu behandeln, findet sich unten bei der Be­ sprechung der Gesetzesreligion; vgl. Nr. 51.

6.

(2.) Abstammung und Sprache des Volkes Israel.

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I. Das Volk der Offenbarung; dir Religion der Offen­ barung; die heilige Schrift, dir Urkunde der Offenbarung. A. Das Dolk der Gffenbaruvg.

6. (2.) Abstammung und Sprache -es Boltes Israel. a. Unsere Religion verdanken wir nicht unseren Vorfahren — die alte Religion der Germanen ist vor dem Christentum verschwunden; auch nicht einem andern Volksstamme der Jndogermanen, zu denen ja auch das deutsche Volk gehört,^) sondern dem kleinen, aber darum nicht unbedeutenden Volke Israel, welches nicht zu dem Volksstamme der Jndogermanen, sondern zu dem der Semiten gehört. Unter den acht Stämmen, in welche man heute die Völker nach ihrer Sprache ein* teilt,2) stehen nämlich nicht bloß in der Sprache, sondern auch in der Geschichte diese beiden Stämme, Jndogermanen und Semiten, als die bedeutendsten aller Völker da, auf denen vornehmlich die Bewegung der Weltgeschichte und die Entwickelung der Kultur beruht3* ); 2 die anderen sechs Sprachstämme gehören den weniger bedeutenden Völkern an. Das israelitische Volk gehört also einem der beiden bedeutendsten Bolksstämme an, dem der Semiten. Die Semiten waren aber in der Urzeit, ebenso wie die Jndogermanen, ein einiger Stamm, wie die Verwandtschaft aller semitischen Sprachen unter einander deutlich zeigt, und erst allmählich haben sie sich, gleich den Jndogermanen, in verschiedene Völker zerteilt, als sie ihre ursprünglichen Wohnsitze verließen und einen Teil von Vorder­ asien einnahmen (vom Tigris bis zum Mittelmeere, und die Halbinsel Arabien — vielleicht etwa um 2000 v. Chr.). Man spricht aber zu­ nächst von Ostsemiten und Westsemiten, indem man annimmt, daß der Urstamm sich zunächst in zwei Teile geteilt habe; aus diesen beiden Teilen sind dann allmählich die einzelnen semitischen Völker entstanden.4) Zu den Ostsemiten gehören die Babylonier und die Assyrer, von denen in vorhistorischer Zeit die Ägypter ausgegangen sind. Zu den Westsemiten gehören die Kanaaniter (Phönicier, Hebräer, Moabiter), die Araber und die Aramäer. Bon diesen Völkern sind im Altertum die Babylonier, Assyrer und Phönicier von Bedeutung gewesen; das Volk Israel gewinnt eine Bedeutung für die Welt erst im Christentum; 600 Jahre nachher wird durch Mohammed das Volk der Araber zum welt­ geschichtlich bedeutenden Volke, und der Islam, obwohl jetzt nicht mehr bloß die Religion semitischer Völker (die Türken z. B. sind keine Semiten), hat neben dem Christentum seine Bedeutung bis auf den heutigen Tag 0 Inder, Perser — Griechen, Italer, Kellen — Germanen, Slawen. 2) Vgl. Guthe, Geogr. I, § 35. 3) Vgl. Nr. 7. 4) Bisher teilte man die Semiten in Nordsemiten (Assyrer, Aramäer, Hebräer und Phönicier) und Südsemilen (Araber und Älhiopen).

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6. (2.) Abstammung und Sprache des Volkes Israel.

behalten'). Für uns kommt hier nur das Volk Israel in Betracht, andere (sowohl semitische, als auch nicht semitische) Völker nur insoweit, als sie in Israels Geschichte eingreifen. b. Das Volk Israel spricht nun natürlich eine semitische, die soge­ nannte hebräische Sprache, mit welcher die unlängst bekannt gewordene moabitische *) fast ganz übereinstimmt, und von welcher die phönicische sich nur wenig unterscheidet. Alle Semiten haben natürlich in der Urzeit eine gemeinsame Sprache gesprochen, von der wir keine Denkmäler besitzen (ebensowenig, wie von der indogermanischen Ursprache). Von den heutigen semitischen Sprachen hat das Arabische, infolge der langen Abgeschlossenheit des Volkes (ebenso wie das Litauische unter den indogermanischen Sprachen), sich die größte Altertümlichkeit erhalten; der Ursprache am fernsten steht das Aramäische; in der Mitte zwischen beiden steht das Hebräische^), welches zwar an Formenreichtum dem Arabischen schon nachsteht, aber das Aramäische weit übertrifft.^) Wenn wir aber nach dem Alter der in ihnen vorhandenen Litteratur diese drei semitischen Sprachen gruppieren, so steht, abgesehen von den anderen semitischen Sprachen 5), an erster Stelle das Hebräische, das Aramäische an zweiter und das Arabische an dritter Stelle. Das Hebräische ist nun, nur gesprochen vom Volke Israel, stets auf einen kleinen Raum beschränkt gewesen; ja, nach dem babylonischen Exil hat es sogar allmählich aufgehört, eine lebende Sprache zu sein, da seitdem im Munde des israelitischen Volkes und auch in der Litteratur (Esra und Daniel) das Aramäische herrschend wurde, welches im persischen Reiche die offizielle Verkehrssprache war; Aramäisch haben deshalb auch Jesus und die Apostel gesprochen. Seit sich der Islam ausgebreitet hat, hat sich das ursprünglich kleine Gebiet der semitischen Sprachen auch über die Nilländer und den Nordrand von Afrika ausgebreitet. Aber in allen semitischen Ländern wird heute fast nur noch eine semitische Sprache ge­ sprochen, das Arabische, neben welchem sich in Asien das Syrische nur noch in dürftigen Resten behauptet, aber in Afrika das Abessinische in mehreren Tochtersprachen weiterlebt.

c. Daß die hebräische Schrift (wie die der meisten Semiten) von rechts nach links geschrieben wird, und das hebräische Buch nach unserer Meinung am Ende anfängt, ist bekannt. Die hebräische Schrift hat aber ein Alphabet, welches nur aus Konsonanten besteht; die Vokale wurden ursprünglich nur zum Teil durch bestimmte Konsonanten angedeutet; seit etwa 600 nach Christus werden aber in den gewöhnlichen Handschriften und Drucken (nicht in den Synagogenrollen) alle Vokale mit einer Ge0 Vgl. Nr. 7. 2) Siegessäule des Königs Mesa von Moab, vgl. Nr. 36 e. s) Arab.: katala — Hebr.: katal — Aram.: k’tal. — Ewald hielt das Aramäische für die älteste Sprachform, heute gilt die reichste Sprache für die älteste. 4) Dem Arabischen wäre in dieser Beziehung das Gotische, dem Hebräischen das Deutsche, dem Aramäischen das Englische zur Seite zu stellen. 5) Die ältesten semitischen Schriftstücke liegen in den babylonisch-assyrischen Keilinschriften vor, von denen die assyrischen bis zum Jahre 1800 vor Chr., die babylonischen noch lausend Jahre weiter zurückreichen.

nauigkeit, welche unser Alphabet weit übertrifft, durch kleine Zeichen über oder unter den Konsonanten bezeichnet.')

B. Die Religion der Gffenbarung.

7. (3.) Die Religion des Bottes Israel «ud die weltgeschichtliche Bedeutung Israels. 5. Mose 4, 5—14 u. 32—40.

Ps. 42 u. 43.

Hebr. 11.2)

a.3*)2 Alle Kulturvölker Europas stammen von einem Urvolke ab, den Ariern oder Jndogermanen, dessen Heimat die Vorfahren der einzelnen Völker in grauer Vorzeit verlassen haben, um fortan getrennte Pfade zu wandeln. Bei ihrem ersten Auftreten in der Geschichte unterscheiden sich die einzelnen europäischen Völker schon so sehr von einander, daß nur noch die vergleichende Sprachforschung ihre ursprüngliche Einheit zu er­ weisen vermag. Diese Wissenschaft zeigt uns nun auch, was schon das Urvolk an. Kulturgütern besaß, und was sich erst die abgetrennten Zweige derselben auf ihrer Wanderung oder in ihren späteren Wohnsitzen erworben haben. Das Urvolk der Arier oder Jndogermanen lebte in einem von Ge­ birgen umschlossenen Binnenlande, fern vom Meere, als ein Hirtenvolk, unbekannt mit dem Ackerbau, mit den Metallen, mit dem städtischen Leben, kurz, mit der höheren Kultur. Während nun dieses Volk noch auf dieser niedrigen Kulturstufe ver­ harrte, hatte ein anderes Volk in einem günstiger gelegenen Erdraume schon gewaltige Fortschritte in der Kultur gemacht. In der Ebene zwischen Euphrat und Tigris hat nämlich ein turanischer Stamm, im Norden Ak kodier, im Süden Sumerier genannt, als der Erstgeborene des vorderasiatisch-europäischen Kulturkreises, eine höhere Kultur begründet, welche von ihnen auf die Babylonier, von diesen einerseits auf die Ägypter, andrerseits auf die Westsemiten und die Europäer übertragen worden ist. Dem akkadisch-sumerischen Volke verdankte zunächst das Volk der Babylonier, das sich zuerst die Kultur desselben angeeignet hat, den Ackerbau, den Gebrauch der Metalle, den Städtebau, die Schiffahrt und den Handel, wie auch Schrift, Maß und Gewicht. Ehe Babylon unterging, ward für die Menschheit gerettet, was bleibend Wertvolles in seinen Mauern ge­ schaffen worden war. Schon im 4. Jahrtausend vor Chr. muß ein Ver­ kehr zwischen Babylon und Ägypten bestanden haben, durch welchen die babylonische Kultur nach Ägypten gebracht, wurde; aber der wahre Erbe der babylonischen Kultur ist der Jndogermane geworden. Die Baby­ lonier haben im Anschluß an die Akkadier und Sumerier die höhere *) Für die Frage nach der Entstehung und dem Alter der hebräischen Schrift vergleiche der Lehrer außer der hebräischen Grammatik auch z. B. Kittel, Geschichte der Hebr. II, S. 85—86. 2) Auf die Lektüre dieser Abschnitte wird der Lehrer nur dann eingehen, wenn die Zeit es gestaltet. 3) Vgl. Hörnes, Urgeschichte der Menschheit (Stuttgart, Göschen, 1895; M. 0,80), S. 60 s.

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7. (3.) Die Religion des Volkes Israel rc.

Kultur geschaffen, die Phönicier haben dieselbe den Jndoqermanen über­ mittelt; die Jndogermanen aber haben dieselbe in einem so hohen Grade weiter entwickelt, daß sie die eigentlichen Träger der weltlichen Kultur geworden sind und in dieser Beziehung die Semiten weit über­ flügelt haben. b. Zu den semitischen Völkern, welchen die Jndogermanen ihre höhere Kultur verdanken, gehört nun auch das Volk Israel. Dasselbe spielt unter den Semiten, wie überhaupt unter den Völkern des Alter­ tums, äußerlich angesehen, nur eine unbedeutende Rolle; im Staate haben die Israeliten es niemals zu einer der athenischen oder römischen auch nur im entferntesten ähnlichen Verfassung gebracht; eine Weltherrschaft haben sie niemals geübt, in Kunst und Wissenschaft stehen sie hinter den andern Völkern des Altertums zurück. Aber was die heutige Menschheit dem Genius von Griechenland und Rom verdankt, das ist — wie hoch wir es auch mit Recht schätzen — doch für die ganze Menschheit weniger wichtig, als das, was sie dem Volke Israel verdankt; denn der mächtigste Hebel der Kultur, wenigstens derjenige, welcher die Menschheit am sichersten vorwärtsbringt und ihr den höchsten Gewinn schafft, ist die Religion, und unsere Religion verdanken wir dem Volke Israel. Während die andern Völker dem Polytheismus verfallen und ihre Religionen schließlich zu Grunde gegangen sind, hat das Volk Israel den Glauben an den einen Gott festgehalten, obwohl es damit Jahrtausende allein stand in der ganzen Welt. Und aus diesem Volke ist nun, als die Zeit erfüllet war, das Christentum hervorgegangen, die eine der drei Weltreligionen, welche nach unserer Meinung schließlich nicht bloß die anderen weniger bedeutenden Religionen, sondern auch die beiden anderen Weltreligionen überwinden wird. Die eine derselben, der Buddhismus, ist eine Schöpfung eines indogermanischen Volkes, der Inder; die andere, der Islam, ist eine Schöpfung eines den Israeliten verwandten Stammes, der Arabers. Unter den drei Weltreligionen sind also zwei, darunter das Christentum, Schöpfungen der Semiten, nur eine ist die Schöpfung der Jndogermanen. So gleicht sich also der Mangel reichlich aus, den die Semiten gegenüber den Jndogermanen hinsichtlich ihrer weltgeschichtlichen Leistungen zunächst aufweisen. Der Glaube an den einen Gott — das ist das große Gut, welches Israel vor den anderen Völkern voraushatte; „mit dem Volke Israel kann sich kein anderes Volk vergleichen" — so klingt es durch die ganze Bibel hindurch (5. Mose 4, 5—14 u. 32—40); nach Gott „dürstet des Israeliten Seele" (Ps. 42 u. 43); der Israelit bekennt (Ps. 73, 25): „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde". Es war ein echt semitisches Wort, als Augustinus, ein Jndogermane, be­ kannte: „Du hast uns zu dir geschaffen, o Herr, und unser Herz ist un­ ruhig, bis es Ruhe findet in dir." So ist Israel ein Volk des Glaubens (Hebr. 11); der Glaube ist aber „eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht siehet." „In Gott 0 Es ist wohl eine richtige Bemerkung (Renanb daß bei den Semiten über­ haupt (nicht bloß bei den Israeliten) der religiöse Geist sich kräftiger entwickelt hat, als bei den Jndogermanen; das ganze Leben ist bei ihnen der Religion unter­ geordnet.

8. (4.) Die israelitische Religion im Verhältnis rc.

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lebt und webt und ist" der Israelit; Beweise für das Dasein Gottes braucht er nicht, und die Bibel kennt sie nicht. Wenn die Jndogermanen die Philosophie hervorbringen, welche Gott aus der Natur und der Geschichte zu erkennen sucht, so ist die Schöpfung Israels die Prophetie, welche Gottes Walten in der Welt unmittelbar schaut; Israel ist das Volk des Glaubens. c. Jahrtausende hatte Israel den anderen Völkern fremd gegenüber­ gestanden; da kam das Christentum, und nun begann die segensreiche Verbindung der Völker einzutreten, durch welche der Glaube an den' wahren Gott zum Eigentum aller Völker werden sollte und wurde; das Heil für die Welt kam durch Christus von den Juden. Aber auch die Geistesschöpfungen der anderen Völker gingen nicht verloren; sie wurden ein Eigentum auch der Christenheit. Und so haben wir denn heute eine Kultur, welche die Schöpfung Israels mit denen der anderen Völker ver­ bindet, und daß diese christliche Kultur unserem Volke erhalten bleibe, das muß in unserem eigenen Interesse unser Wunsch und unser Streben sein; ein Volk ohne Bildung fällt der Barbarei anheim, und ein Volk ohne Religion geht sittlich und äußerlich zu Grunde.')

8. (4.) Die israelitische Religio» im Verhältnis zu de« ander« Religionen des Altertums.^) a. Das eigentümliche Wesen der israelitischen Religion besteht zunächst im Glauben an einen Gott, der von der Welt verschieden ist und von dem die Welt abhängig ist. Zwar findet sich auch im Heidentum dieser Glaube, aber nur der Monotheismus Israels (allerdings erst in der späteren Zeit) schließt alle Untergötter entschieden aus und betrachtet Gott als unbedingten Herrn der Welt. Die andern Religionen des Altertums verkünden viele Gotter, indem in ihnen die verschiedenen Draturkräfte zu besonderen Gottern geworden sind. Zwar streben ja auch diese Religionen vielfach einem Monotheismus oder wenigstens Henotheismus^) zu, aber -die Gottheit bleibt auch dann eine Naturmacht, nicht eine sittliche Macht. Allerdings ist in der Religion der Perser der gute Gott eine sittliche Macht, aber ihm steht ein böser Gott gegenüber. Da nun die Gottheit int Volke Israel nur •eine ist und die ganze Welt ihr unterthänig gedacht wird, so hat die israelische Religion bereits die Anlage in sich, zur Weltreligion zu werden, obwohl sie zunächst nur Volksreligion ist. Und der eine Gott, an den das Volk Israel glaubt, ist nun auch ein hei­ liger Gott, welcher vom Menschen fordert, daß er ebenfalls heilig werde, und so *) Diese Gedanken über die Bedeutung des Volkes Israel gewinnen wir heute zunächst aus der Betrachtung der Weltgeschichte; aber dieselben sind auch der Bibel nicht fremd, sondern in der Erzählung von Noahs Söhnen enthalten (1. Mose 9, 26—27). Diese Stelle ist unten in anderem Zusammenhänge erklärt )

e. „Da kam ein neuer König auf in Ägyptenland, der von Joseph nichts wußte"*2)3 4 — und nun begann der Druck des Volkes^), der schließ­ lich zum Auszuge aus Ägypten führte. Von diesem Auszuge erzählen zwar, wie schon oben bemerkt, die ägyptischen Denkmäler nichts, aber wohl das Geschichtsbuch eines ägyptischen Oberpriesters Manetho, der um das Jahr 250 eine ägyptische Geschichte geschrieben hat, von welcher uns noch Auszüge erhalten sind. Die von ihm gegebene Erzählung^) stellt vom ägyptischen Standpunkte aus den Auszug Israels natürlich anders dar, als die Bibel, aber die Grundzüge dieser wohl von der Bibel beeinflußten Darstellung stimmen mit der Bibel überein. Wenn nun in dem Berichte Manethos eine selbständige Erinnerung von ägyptischer Seite an den Auszug der Israeliten vorliegen sollte, so würde sich daraus ergeben, daß als der Pharao der Bedrückung der Israeliten der berühmte Ramses IL5)6 anzusehen, und daß der Auszug unter seinem Nachfolger Mevenptah b) um das Jahr 1270 erfolgt wäre; doch wird die Richtigkeit dieser An­ nahme von anderen Forschern bestritten. ?)

18. (21.) Moses" Geburt und Berufung. 2. Mose 2—4. a. Als das Volk Israel in Ägypten schwer bedrückt wurde, da wurde ihnen in Moses der Befreier aus der Knechtschaft in Ägypten und der Begründer des israelitischen Gottesstaates geschenkt. In trüber Zeit von Eltern aus dem Stamme Levi geboren, welche bereits zwei Kinder hatten, Aaron und Mirjam (= Maria), sollte er als Kind nach des Königs Befehl im Nil ertränkt werden; als die Mutter das Kind nach drei Monaten aussetzen mußte, wurde das schwimmende Schilfkästchen von einer Tochter des Königs bemerkt, und das Kind wurde aus Mitleid von ihr 0 Vgl. Brugsch, Steinmschrift und Bibelwort, Abschn. I und VI—VIII. 2) Ramses II., wie Brugsch und andere glauben. 3) Vgl. das oft (z. B. auch in Riehms Handwörterbuch s. v. Ägypten) wiedergegebene Äild aus dem Grabe eines ägyptischen Beamten: Arbeitende Israeliten oder andere Semiten. 4) Die von den Ägyptern in den Osten des Landes gewiesenen Aussätzigen und Unreinen setzten sich einen Anführer, Osarsiph, später Moses genannt, ver­ banden sich mit den vertriebenen, Hyksos, und nun besiegten sie die Äaypter; nach dreizehnjähriger Herrschaft über Ägypten wurden sie aber aus dem Lande vertrieben. 5) Die Mumie dieses Königs, des Bedrückers der Hebräer, ist unlängst auf­ gefunden worden; siehe ihre Abbildung (wie auch einer Porträtstatue dieses Königs) z. B. in Riehms Handwörterbuch des bibl. Altertums s. v. Ägypten. 6) Ein diesen König darstellendes Basrelief (in Berlin aufbewahrt) siehe in Riehms Handwörterbuch s. v. Ägypten. ?) Vgl. Kittel, Gesch. der Hebräer I, § 25. ®) Vgl. Brugsch, Steininschrift, Abschn. V.

gerettet, l) Der Mordbefehl des Tyrannen wurde durch die Hand des alles leitenden Gottes das Mittel, um den künftigen Retter Israels an den ägyptischen Hof zu bringen und ihn für seine künftige Bestimmung vorzubereiten. Denn nachdem zuerst die eigene Mutter auf der Königs­ tochter Befehl den Knaben gepflegt hatte, nahm die Königstochter ihn selber als Kind an, und nun wurde er natürlich in aller Weisheit der Ägypter unterrichtet (Apg. 7, 22), wie sie im Besitze der Priester war. b. Der Befreier Israels aus der Knechtschaft in Ägypten und der

Begründer des israelitischen Gottesstaates trägt den Namen Moses. Dieser Name ist ein ägyptisches Wort, und daher hat kein anderer Israelit diesen Namen getragen. Die Israeliten deuteten sich aber denselben aus ihrer Sprache als den aus dem Wasser gezogenen (2. Mose 2, 10); daher auch die griechische Form Marijas der LXX. Aber die hebräische Namensform ist nicht ein Participium des Passivs, sondern des Aktivs (der Herausziehende), und das zu Grunde liegende Wort ist nach allen neueren Forschern ein anderes als die LXX angenommen haben, nämlich das Wort mesu d. h. Kind. Aus diesem Worte ist dann wohl durch die Volksetymologie das hebräische moscheh geworden, d. h. der Heraus­ ziehende, der Erretter seines Volkes (vgl. Jes. 63, 11), wobei man aber zugleich an des Erretters Herausgezogensein aus dem Wasser dachte (2. Mose 2, 10). c. Aber „durch den Glauben wollte Moses, da er groß ward, nicht mehr ein Sohn heißen der Tochter Pharaos, und erwählte viel lieber mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden" (Hebr. 11, 24—25). Aber als er nun sogar eigenmächtig seinem unterdrückten Volke helfen wollte, da mußte er vor des Königs Zorn aus Ägypten fliehen. Moses begab sich nach der benachbarten Sinaihalbinsel, wo er bei einem Priester der Midianiter (Reguel, K. 2, 18, oder Jethro, K. 3, 1) Aufnahme fand; er heiratete dessen Tochter Zippora, und es wurden ihm zwei Söhne geboren. Es schien so, als hätte Moses darauf verzichtet, seinem Volke helfen zu wollen, nachdem ihm der erste Versuch mißlungen war. Aber als er nun schon alt geworden war, da fühlte er sich von Gott berufen, sein Volk aus der Knechtschaft zu erlösens. Jehovah ist

der Gott, der ihn dazu beruft, der Gott der Väter Israels, der Ewige3*),2 und der ihm seinen Beistand zu dem schweren Werke verheißt. Aber der früher so mutig eingreifende Moses weigert sich zunächst durchaus, diesem an ihn ergangenen Ruf Gottes Folge zu leisten; er hat allerlei Gründe für seine Weigerung, der Stimme Gottes zu gehorchen. Werden denn t)ie Israeliten auf ihn hören? Fehlt ihm nicht die natürliche Gabe der Beredsamkeit, die doch ein Führer des Volkes so nötig braucht? Aber endlich heißt es auch bei ihm: „Ich kann nicht anders, Gott helfe'mir, Amen!" 0 Ramses II., der ein sehr hohes Alter erreicht hat, hatte 32 Töchter, von denen die jüngste Mern hieß; eine christliche Sage bezeichnet diese als die Retterin des Moses. Vgl. Brugsch, S. 1438. 2) „Statt oarüber zu grübeln, wie das Einzelne des Vorgangs (Dornbusch), das Reden oder gar die sichtbare Gestalt des unsichtbaren Gottes hiernach zu denken seien, hat der Nachdenksame nach der Bedeutung des Vorgangs zu fragen." Mezger. 3) Vgl. Nr. 58.

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19. (22.) Die Erlösung des Volkes Israel aus Ägypten,

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So hatte Gott in Moses ein Werkzeug für die Befreiung der Israe­ liten aus Ägypten gefunden; es kam nun darauf an, daß Moses die Israeliten für seine Absicht gewann und den Widerstand des Königs über­ wand; beides ist ihm mit Gottes Hilfe gelungen.

19.(22.) Die Erlösung des Bölkes Israel aus Ägypten, c. 1320.1) 2. Mose 14, 30—15, 21.

a. Als Moses, dem Rufe Gottes folgend, nach Ägypten zurückkehrte, jetzt nicht bloß ein Volksheld, wie bei seiner Flucht aus Ägypten, sondern ein Prophet des Gottes seiner Väter, der sich ihm am Sinai geoffenbart hatte — da fand er einen Gehilfen für seine Absichten in seinem Bruder Aaron, und seine Landsleute freuten sich, als sie von der ihnen zuge­ dachten Erlösung aus Ägypten hörten. Als aber der König das Ver­ langen Moses', daß das Volk einmal in der Wüste ein Fest feiern dürfe (der König sollte zunächst nur etwas Geringeres bewilligen, nicht sofort den Auszug) entschieden zurückwies,2) ja das Volk nun noch mehr be­ drückte, da wollten sie von Moses nichts mehr wissen; doch Moses gab darum seinen Plan nicht auf.3)4 5 Hatte der König der Bitte des Moses nicht nachgegeben, so mußte er vor den Schrecken Gottes, die nun über sein Land kamen, sich beugen, und endlich doch Israel ziehen lassen. „Alle Plagen (zehn an der Zahl), die nun über das Land kamen, sind eigentümlich ägyptische Naturereignisse; der Sinn dieser Wunder ist also nicht der, daß sie etwas der Natur des Landes und der Verhältnisse völlig Fremdes auf jenem Boden hervorzaubern, sondern die Stärke dieser dort wohlbekannten Plagen, ihr rasches Folgen aufeinander, daß sie auf Moses Wort eintreten und aufhören — das ist es, was Jehovahs Wort: Die ganze Erde ist mein, auch den Ägyptern erweisen sollte."^) Durch diese Plagen endlich zum

Nachgeben gezwungen, läßt der König das Volk ziehen, und von den ge­ ängsteten Ägyptern gedrängt, ja sogar noch beschentt (allerdings auf der Israeliten Verlangen — eine Art Ersatz für die umsonst geleistete Arbeit3)), ziehen die Israeliten aus dem Lande. Das Passahfest, dessen Einsetzung beim Auszuge erfolgt war, erinnerte fortan das Volk an die Erlösung aus Ägypten, als an die herrlichste Gottesthat, die es bis dahin erfahren

hatte. Sein Gott, den es seitdem unter dem Namen Jehovah verehrte, hatte sich schon hiermit mächtiger erwiesen, als die Götter Ägyptens. Aber die herrlichste That Gottes stand erst noch bevor. Den König reute es bald, daß er die Israeliten hatte ziehen lassen; er setzte ihnen mit einem starken Heere nach, und im Westen der Nord') Bal. Brugsch, Steininschrist und Bibelwort, Abschn. IV und V. -) Vgl. Brugsch, S. 196—197. 3) 2. Mose 6, 2—7, 7 erzählt scheinbar von einem neuen Ruf Gottes an Moses, ist aber nur ein zweiter Bericht über das im Vorhergehenden Erzählte. 4) O. v. Gerlach zu 2. Mose 7. — Hinsichtlich der einzelnen Plagen (aus welche der Lehrer in der Schule wohl nicht wird eingehen können) erlaube ich mir hier wieder aus das treffliche Buch von Mezger (leider nur bis zum Ende der Richterzeit reichend) hinzuweisen: Hilfsbuch zum Verständnis der Bibel, und aus Riehms Handwörterbuch b. v. Plagen, ägyptische. 5) 2. Mose 12, 35—36 nach der revidierten Bibel.

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spitze des damals noch weiter nach Norden hinaufreichenden Meerbusens von Suez kam er in ihre Nähe.1) In diesem Meerbusen ist der Wechsel von Ebbe und Flut oft sehr stark und plötzlich, namentlich wenn der Wind denselben steigert, was besonders im Frühling der Fall ist — und der Auszug Israels geschah im Frühling. Als nun Israel verzweifelt an seiner Rettung verzagte, da führte sie Moses, die Ebbe benützend, glücklich durch das Meer; die ihnen nachsetzenden Ägypter aber wurden

von der zurückkehrenden Flut überrascht und vernichtet. Mit Recht er­ blickten die Israeliten in ihrer Rettung und der Vernichtung der Ägypter den Finger Gottes; das einzige Volk, welches damals den einen Gott verehrte, sollte nicht zu Grunde gehen; dazu mußten auch Wind und Wellen mitwirken. Denn nicht durch ein zauberisches Thun Gottes ist Israels Rettung und der Ägypter Vernichtung erfolgt, sondern, wie die

Bibel selber sagt (2. Mose 14, 21), durch einen Ostwind (Nordostwind), der zuerst die (jedenfalls als mitwirkend zu denkende) Ebbe verstärkte und verlängerte, dann aber umschlug und die Flut beschleunigte. Trotzdem ist diese Rettung ein Wunder Gottes, der die Naturereignisse so lenkt, daß sie seinen Absichten mit den Menschen, namentlich auch dem Reiche Gottes, dienen müssen.2)3 In einem herrlichen Liede (2. Mose 15, 1—18) wird die Wunderthat Gottes am Schilfmeer gepriesen; dieser Tag war der Tag, an welchem Israel eigentlich zum Volke Gottes geworden ist; all­ jährlich wurde das Volk durch die Feier des Passahfestes an seine Erlösung aus Ägypten erinnert. b. Der Weg der Israeliten?) Da das Ziel der Israeliten bei ihrem Auszuge aus Ägypten das Land

Kanaan war, so wäre zu erwarten gewesen, daß sie den nächsten Weg dahin, an der Nordküste hinziehend, eingeschlagen hätten. Aber wenn der König von Ägypten sie auch entlassen hätte, so daß sie die diesen Weg sperrenden Befestigungen unan­ gefochten durchschreiten konnten, so wären sie doch in Kanaan noch immer Unter­ thanen des Königs von Ägypten geblieben, da der Süden von Kanaan damals den Ägyptern Unterthan war. Moses beschloß deshalb, die Israeliten zunächst nicht

nach Kanaan, sondern nach der Sinaihalbinsel zu sühren. Als nun das Volk an das Rote Meer kam, da geriet es durch die ihm nachsetzenden Ägypter in große

Not; aus dieser Not wurde es gerettet durch den von Moses gewagten Durchzug durch das Meer. Wo ist derselbe erfolgt? Während man früher meist annahm, daß die Israeliten südlich von dem heutigen Suez an einer noch heute bei der Ebbe passierbaren Stelle das Rote Meer durchschritten haben, ist man in der neueren Zeit infolge neuerer Ausgrabungen und Forschungen zu einer anderen Ansicht gekommen. Das Rote Meer erstreckte sich früher mit seinen beiden Meerbusen viel weiter nach Norden hinauf, als heute; der für uns hier in Betracht kommende Golf von Suez reichte nämlich früher noch über die im Norden von ihm liegenden Büterseeen

x) Siehe unten b! 2) Vgl. den Untergang der Armada Philipps II. und den strengen Winter, der Napoleon I. verdarb; auch dort hieß es: „Afflavit Dominus et dissipati sunt.“ 3) Vgl. Brugsch, Steinmschrist und Bibelwort, Abschn. V, und Riehm, Handwört. s. v. Rotes Meer, Lagerstätten, Pithom, Sukkoth, Hahiroth, Ramses.

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hinaus bis zu dem von diesen wiederum nördlich liegenden Timsahsee, dessen Nord­ spitze das Ende des Roten Meeres bildete. Am Nordufer dieses Seees liegt heute die Stadt Jsmaelia, ein wenig westlich von demselben lag die (neuerdings auf­ gegrabene) Stadt Pithom (das biblische Sukkoth), neben Ramses das zweite der von der Bibel genannten „Vorratshäuser", welche der König von Ägypten durch die Israeliten bauen ließ. *) Da nun die Bibel erzählt, daß die ausziehenden Israeliten von Ramses gen Sukkoth zogen (2. Mose 12, 37), Sukkoth aber die Stadt Pithom ist, so nimmt man heute an, daß sie, um den Ägyptern zu entrinnen, durch den heute ausgetrockneten

(also flacheren) Meeresteil zwischen dem Timsahsee und den Bitterseeen hindurch­ gezogen seien. Da sich nördlich und südlich von dieser heute trockenen Stelle tiefere (und darum noch heute vorhandene) Wasserschichten befanden, so blieb an diesen Stellen auch bei der Ebbe das Wasser stehen, und somit stand das Wasser, wie die Bibel sagt (2. Mose 14, 22), den durchziehenden Israeliten wie eine Mauer zur Rechten und zur Linken (im Süden die heutigen Bitterseeen, im Norden der heutige Timsahsee). Die Differenz zwischen Ebbe und Flut beträgt aber im Gols von Suez, besonders im Frühjahr bis über 3 Meter, und im Frühjahr sind ja die Israeliten aus Ägypten ausgezogen. Als die Israeliten das Meer durchschritten hatten, waren sie den Ägyptern entronnen, denn das ägyptische Heer war vernichtet, und keine Befestigung sperrte ihnen an dieser Stelle den Weg nach dem Sinai.

c. Das Wunder am Schilfmeer und die Kritik. Zur Orientierung für den Lehrer. ?)

„Wäre Israel frank und frei aus Ägypten gezogen, so würden bei der Schwäche des Anknüpfungspunktes, den die bisherigen wunderbaren Erweisungen Gottes in ihrem Innern noch hatten, diese bald vergessen worden sein; damit die frühere Not und die frühere Hilfe ihren Zweck erreiche, mußten gerade beim Auszug sich Not und Hilse noch einmal zur höchsten Höhe steigern. Gleichwie an Gott, so mußten die Israeliten aber auch an Moses, durch den sie ihr Gesetz empfangen sollten, noch fester gebunden werden, damit sie diesem Manne Gottes zu gläubiger Hingabe und rückhaltlosem Gehorsam verbunden würden. Das ist nun durch die wunderbare Gotteshilfe beim Auszug aus Ägypten geschehen. Je mehr nun die Wunderscheu

den Hergang aus natürlichen Ursachen begreiflich zu machen sucht, desto unbegreif­ licher wird er bei der Erwägung aller einzelnen Umstände; die ganze Erzählung ruht nun einmal auf dem Boden des Wunders. Darum sind beim Unterricht alle derartigen Versuche, das Wunder zu erklären, zu unterlassen, und die Gedanken der Schüler vielmehr aus das hinzurichten, was Luther mit der Frage andeutet: „„Was ist unser Leben aus Erden anders, als ein Zug durchs Rote Meer?"" Auch für uns heißt es: „„Nur frisch hinein, es wird so tief nicht sein, das Rote Meer wird dir schon Platz vergönnen. Was wimmerst du? ©oüf der nicht Helsen können der nach dem Blitz giebt heitern Sonnenschein? Nur frisch hinein!"" Der Weg durch das Meer ist sicher, sobald Gott uns auf diesem Wege sehen toitt."3*)2 x) Brugsch, S. 228 und 213. 2) Vgl. den früheren allgemeinen Abschnitt über die Kritik, Nr. I. Einc Anwendung davon aus den einzelnen Fall wird bei dieser Erzählung zu machen sein 3) Dächsel, Die heilige Geschichte, 1886. I, 487-493.

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Diese Mahnung an den Lehrer ist gewiß berechtigt; aber sie setzt voraus, daß der Schüler noch auf einem Standpunkt steht, der für die oberen Klassen der höheren Schulen nicht durchweg oder wohl sogar meist nicht mehr vorhanden ist. In diesem Alter regt sich der Zweifel, und so wird der Lehrer es doch für nötig halten können, auch aus das Wunder selbst einzugehen. Wer das thun will oder vielmehr thun muß, der muß zunächst wissen, wie sich die heutige Bibelauslegung zu dieser Frage stellt. Als Repräsentanten derselben lasse ich Dillmann redend) „Die vier Darstellungen, in denen das hier erzählte Ereignis vorliegt, stimmen darin überein, daß Israel, als es eben von der nachsetzenden ägyptischen Heeresmacht eingeholt und zwischen diese und einen Meeresarm eingeengt war, an einer sonst vom Wasser bedeckten, damals aber wegsam gewordenen Stelle aus dem Bereich seiner Verfolger entkam, während die Ägypter in den rückkehrenden Wassern

ihren Untergang fanden. Auch der Eindruck der Wunderbarkeit, den das Ereignis auf das Volk machte, spiegelt sich in allen diesen Darstellungen wieder. Aber in der Beschreibung des Hergangs selbst weichen die einzelnen Darstellungen von einander ab. Daß bei dem Ereignis die Nalurursachen gewirkt haben, wird in dem Siegesliede (2. Mose 15) nicht geleugnet, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt; gepriesen wird, daß Gott sie in Bewegung setzte, der durch einfache Mittel ein ganzes Kriegsheer vertilgt und seinem Volke den Sieg schafft. Daß dem Volke, welches sein Führer Moses immer auf die Hilfe seines Gottes hingewiesen und im Vertrauen auf ihn aus Ägypten ausgesührt hatte, im Augenblick äußerster Gefahr ohne eigenes Zuthun diese Rettung kam, darin lag das eigentlich Wunderbare, und daran knüpfte sich auch die ungemeine Bedeutung, welche dieses Ereignis für die ganze Bildungsgeschichte der Gemeinde gewann. Diesen Grundgedanken von der ausschließlichen Ursächlichkeit Gottes drücken auch die Erzähler der Geschichte (2. Moje 13, 17—14, 31) aus, aber bei ihnen erscheint das Ereignis weniger ver­ mittelt und natürlich als bei dem Dichter (2. Mose 15). Es wäre nun aber ungerechtfertigt, um solcher Differenzen willen die Thatsächlichkeit des Ereignisses selbst zu leugnen; aber noch thörichter wäre es, die strenge Geschichtlichkeit des Hergangs in allen Einzelheiten der verschiedenen Darstellungen behaupten zu wollen, zumal wenn man bedenkt, daß sogar die späteren Dichter und Schriftsteller der Bibel selber dies Wunder mit neuen dichterischen Zügen bereichert haben (Ps. 74, 13: „Du zertrennest das Meer durch deine Kraft, und zerbrichst die Köpfe der Drachen im Wasser;" Ps. 77, 17—21 läßt in V. 18 ein Gewitter hinzukommen); das Wunderbare des Vorgangs liegt nicht in seiner Nalurwidrigkeil." Der Lehrer wird nun unter Beachtung der Mahnung von Dächsel, das Wunder nicht wegzuerklären, aber doch ebenso unter Beachtung der heutigen Theologie und Weltanschauung, als deren Repräsentant hier Dillmann gelten darf, dem Schüler die Sache darzustellen haben, um den Glauben nicht zu stören, aber doch auch den Zweifel nicht zu verstärken durch Abweisung aller Fragen des Schülers, die ja doch zunächst als dem durch die Schule selbst erweckten und geförderten Wahr­ heilssinne und Forschungstriebe entstammend anzusehen und zu behandeln sind. Wie das geschehen kann, zeige ich an der Darstellung des Buches von Mezger;^) dabei ist auch aus die Wunder vor dem Auszuge Rücksicht genommen. „Treten wir mit dem richtigen Maßstab an die Wunder heran, von denen das 2. Buch Mose berichtet, so erhalten wir auf die Frage, ob hier thatsächlich

*) Dillmann, Exegel. Handbuch zum Penlaleuch 1880 (Band II, S. 131—134). 2) Über die Quellen des Pentateuchs siehe Nr. 27. 3) Mezger, Hilfsbuch zum Verständnis der Bibel, 1879 (zu 2. Mose 7 u. 14).

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erfolgte Wunderthätigkeit Gottes vorliege, eine doppelte Antwort. Einerseits ist unzweifelhaft vieles, was dazumal dem Volk Israel widerfahren ist, aus dem gewöhnlichen Zusammenhänge der Dinge nicht erklärbar; wir können uns unmöglich des Eindrucks erwehren, daß wir hier einem mit außerordentlichen Mitteln Herbei­ ges ührten Wendepunkt der Weltgeschichte gegenüberstehen. Scheinbare Zufälligkeiten und alltägliche Dinge sind in entscheidenden Augenblicken derart zusammengetroffen, daß die größten Wirkungen sich daran knüpften. Andrerseits aber sind diese Wirkungen erfolgt in merkwürdigem Anschluß an Naturerscheinungen des ägyptischen Landes. Ferner ist nicht zu verkennen, daß höhere Zwecke dadurch erreicht worden sind, daß ein göttlicher Ratschluß sich mittelst jener Wunder erfüllt hat. Aber ebensowenig ist zu verkennen, daß in diesen biblischen Erzählungen sich ein an die großen Wunderthaten Gottes angereihter Sagenkreis darstellt, der erst im Lause von Jahrhunderten sich gebildet hat. Es giebt freilich noch immer Leute, die sich und andern einreden möchten, wir hätten in den biblischen Erzählungen ein photographisch getreues Bild der wirklichen Thatsachen vor uns, und wer das nicht glaube, verleugne die Anerkennung göttlicher Offenbarung und der höheren Eingebung der heiligen Schrift. Aber wo steht in der Bibel, daß eine derartige Inspiration zum rechten Glauben gehöre? Und wie ist es denkbar, daß diese Berichte vollkommen getreue Abdrücke dessen seien, was vor Jahrtausenden geschehen ist? Das wäre ein größeres Wunder als die zehn Plagen Ägyptens allzumal. Thatsachen und Berichte über die That­ sachen sind (auch in der Bibel) auseinanderzuhatten. Begebenheiten, die offenbar erst viele Jahrhunderte später, noch dazu in mehreren Berichten, dem Pentateuch einverleibt wurden, verlangen eine prüfende Scheidung von Inhalt und Form, von dem, was wir als Gottes That darin zu erkennen haben, und demjenigen Schmuck, welchen die menschliche Fassung dem göttlichen Werke gegeben hat. Sowie Josuas Sieg (Josua 10), zunächst dichterisch besungen und von der Phantasie aus­ geschmückt, vom „Heldenbuch" aus (wie die Bibel selber angiebt) in den Bericht -es Geschichtswerks übergegangen ist, so verhält es sich auch mit dem, was vorher in Ägypten sich begeben hat; auch hier zeigt der Bericht in seinen zum Teil von

einander abweichenden, sichtlich sich steigernden Darstellungen, daß verschiedene Stimmen (auch dichterische) das Eine in mancherlei Tonarten geschildert haben. So gewiß also die erste Erleuchtung Moses' als eine wunderbare Thatsache anzusehen ist, und so gewiß viele Züge bei der Erlösung Israels als unmittelbare Gottesthat anzusehen sind, ebenso gewiß haben die großen geschichtlichen That­ sachen durch die Überlieferung manchen Schmuck erhalten, in welchem sie uns jetzt vorliegen. Es ist oft nicht auszumachen, wie es sich mit den Einzel­ heiten thatsächlich verhallen habe; wir haben vor allem auf den Zweck der berichteten Gottesthaten zu achten: die Umwandlung Israels in ein gläubiges und gehorsames Volk. Nach welchem Grundsatz ist nun die Sage von der Geschichte zu scheiden? — Was der Christ krast seines an der Hand der heiligen Schrift und des christlichen Bewußtseins gebildeten Gottesbegriffs als mit demselben vereinbar erkennt, das gehört dem Gebiete der Geschichte, was damit nicht vereinbar ist, dem Gebiete der Sage an. Wer dagegen die für das kindliche Gemüt äußerst an­ sprechenden und wirksamen Bilder dem Glauben des Mannes oder auch des reifenden Jünglings als thatsächliche Wirklichkeiten hinzunehmen zumutet, der bietet diesen einen Skorpion statt eines Ei's, einen Stein statt nährenden Brotes — und das einzig dem selbsterwähtten hyperbiblischen Jnspirationsbegriff zu liebe,

20. (23.) Der Zug zum Sinai; die Sinai-Halbinsel-rc.

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der eben nur nach dem bequemen Grundsatz verfährt: Es muß so sein, darum ist es so. Trotz dieser Einschränkungen bleibt aber des Wunderbaren an diesen Ereig­ nissen genug bestehen. Was dazumal am Roten Meere geschehen ist, bleibt eine aus bloß natürlichen Ursachen und geschichtlichen Zusammenhängen nicht erklärbare Gottesthat. Zunächst ist damals bei Moses und bei vielen Israeliten zweifellos nicht bloß ein ganz ungewöhnlicher Aufschwung der Gedanken und Besttebungen, sondern auch eine außerordentliche Vertiefung und Erhebung des sittlich-religiösen Lebens bewirkt worden; der wie durch unsichtbare Waffen bereitete Sieg mußte die Ge­ müter desto mächtiger zu dem Gott erheben, den Moses verkündete. Sodann hat Gott sein auserwähltes Volk erlöst und gerettet, indem er eine Menge günstiger Umstände und natürlicher Mittel im entscheidenden Augenblick eintreten und zu­ sammenwirken ließ. Endlich hat Gott, der den Moses erweckt und berufen hat, auch die außerordentlichen Thaten durch das von ihm erwählte Rüstzeug, als das Organ der göttlichen Wirksamkeit, zur Ausführung gebracht, so daß also Moses von seinen Zeitgenossen wie von uns mit Recht für einen Gesandten Gottes ge­ halten wird." Der Lehrer wird aus dieser Darlegung eines zugleich gläubigen und auch wissenschaftlich gebildeten Theologen erkennen, wie er der Wissenschaft ihr Recht geben kann, ohne den Glauben zu schädigen.

20. (23.) Der Zug zum Sinai; die Sinai-Halbinsel; die Bundschlietzung am Sinais) a. Zunächst nicht nach Kanaan hatte Moses sein Volk aus Ägypten zu führen beschlossen; dann wären sie noch immer, da dieses Land damals zum größten Teil zu Ägypten gehörte, in der Macht der ägyptischen Be­ amten und Besatzungen gewesen und würden von denselben nach Ägypten zurückgedrängt worden fein.*2) So führte denn Moses die Israeliten, nachdem sie das Rote Meer glücklich durchschritten hatten, auf die Halb­ insel Sinai zu; das Ziel ihrer weiteren Wanderung war der „Berg Gottes" (schon damals als solcher geltend), der Sinai. Unter manchen Schwierig­ keiten, die Moses mit Gottes Hilfe glücklich überwand (Mannaspendung3),4 5 * * Wasserspendung ^), Kampf mit den Amalekitern) gelangten sie glücklich an den Sinai (im dritten Monat nach dem Auszuge). *) *) Vgl. Brugsch, Steininschrift und Bibelwort, Abschn. IX. 2) Brugsch,'S. 151-152. 3) Das Manna ist (in dieser Gegend) das wohlschmeckende weißliche Harz des Tarsa-Baumes, aus welchem es nach regenreichen Wintern vom Mai bis zum Juli des Nachts auströpfelt, vielleicht infolge des Stiches einer Schildlaus Es wird von den Beduinen noch heute gesammelt, zu Kuchen geknetet und wie Honig aufs Brot gestrichen. 4) Diese Geschichte erzählten später heidnische Schriftsteller so, daß Waldesel dem Moses den Weg zu Quellen gewiesen hätten; deshalb hätten auch die Juden später ein Eselsbild in ihrem Heiligtum aufgestellt. 5) „Es ist weit wichtiger, die Stationen der inneren Führungen Gottes, die guten und schlimmen Seiten des Volkslebens, Charakter und Verdienste der hervorragendsten Männer dieser Geschichte ins rechte Licht zu stellen, als die so unsicheren äußeren Stationen der Wüstenwandemng" (Mezger zu 2. Mose 15). — Der Lehrer kann den Artikel „Lagerstätten" in Riehms bibl. Hand­ wörterbuch vergleichen. Heidrich, Heilige Geschichte.

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20. (23.) Der Zug zum Sinai; die Sinai-Halbinsel 2C.

b. Das Rote Meer läuft im Norden in die beiden schmalen Meerbusen von Suez (Westen) und Akaba (Osten) aus, welche eine dreieckige Halbinsel, die Sinai­ halbinsel, umschließen. Dieselbe ist jetzt im Westen durch den Suezkanal von Ägypten, im Osten von Arabien getrennt durch die Fortsetzung des Ghor (des Jordanthales), welches vom Toten Meere bis nach Akaba reicht (im Norden empor­ steigend, im südlichen Teil sich wieder senkend). Den Norden der Halbinsel bildet die Wüste El-Tih, welche tiefer liegt als das an sie stoßende Hochland von Judäa. Den Süden der Halbinsel bildet ein wildes Felsenmassiv mit steilen Spitzen, von zahlreichen trockenen Flußbetten durchfurcht, heute ein Bild vegetationsloser Lde.

Bon den verschiedenen Bergspitzen, welche sich hier erheben, gilt heute meist der von der Tradition als solcher bezeichnete Dschebel-Musa, 2244 m hoch, für den Berg der Gesetzgebung, den Sinai; ein niederes Stockwerk des Sinai ist der Horeb (1994 m hoch)?) Am Sinai liegt (1528 m hoch) das Kaiharinenkloster, in welchem Prof. Tischendorf den codex Sinaiticus gefunden hat.?) Auf dem Gipfel befinden sich eine Kapelle und eine Moschee, aber beide in Trümmern.

c. Am Sinai wurde nun ein längerer Aufenthalt gemacht (von fast einem Jahre, vgl. 4. Mose 10, 11); hier sollte der Bund Gottes mit dem Volke Israel geschlossen werden, durch welchen dasselbe noch fester an Gott geknüpft wurde, als seine Stammväter. Und zu so ernstem Beginnen paßte der dazu gewählte Ort! Die erhabene Gebirgswelt, die Stille der Wüsteneinsamkeit ladet von selbst zur Andacht ein, majestätische Natur­ erscheinungen verstärkten diesen Eindruck. Hier hielt nun Moses dem Volke die hohe Aufgabe vor Augen, die Gott ihm stelle: „Ihr sollt mir ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein" (2. Mose 19, 6); „ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein" (3. Mose 26, 12). Aber das Volk Gottes konnten sie nur werden, wenn sie seiner Stimme gehorchen und seinen Bund halten wollten; und das Volk erklärte sich auf Moses^ Anfrage bereit, alles, was der Herr gesagt habe, zu thun. Nachdem nun das Volk durch Reinigungen für den feierlichen Akt der Bundschließung vorbereitet worden war, erfolgte die Bekanntmachung des Grundgesetzes des Bundes, der zehn Gebote, und darauf die feierliche Bundschließung zwischen Gott und dem Volke, durch welche Israel zum Volke Gottes wurdet) Die Gemeinschaft Israels mit Gott, die bisher nur in dem halb bewußtlosen Gewohnheitsleben der einzelnen Stämme zum Ausdruck kam, sollte nun zur bewußten treibenden Kraft eines or­ ganisierten Volkslebens werden. Das ist durch die Gesetzgebung erreicht worden. d. Aber während Moses noch auf dem Sinai verweilte, beging sein Volk eine schwere Sünde, indem es Moses^ Bruder Aaron nötigte, ihm ein Bild Gottes zu machen. Die Israeliten wollten nicht etwa von Gott abfallen, um etwa den ägyptischen Apis anzubeten, sondern sie wollten nur ein Bild des unsichtbaren Gottes besitzen. So wurde denn ein „goldenes Kalb" angefertigt, d. h. ein kleines Stierbild, wohl aus Holz gefertigt und mit Goldblech überzogen; der Stier ist aber ein Sinnbild der Stärke; 9 Die verschiedenen Erzähler des Pentateuchs stimmen im Gebrauch der Namen nicht überein. Der Gesetzgebungsberg heißt in der Regel Sinai, dagegen im 5. Buch Mosis: Horeb (abgesehen von Kap. 33, 2). -) Vgl. Nr. 14 B. 3) Vgl. Nr. 59, wo aus diese Thatsachen genauer eingegangen wird.

21. (24.) Vom Sinai zum heiligen Lande; Moses' Tod.

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der allmächtige Gott war also in diesem Bilde dargestellt. Aber der Bilderdienst war dem Volke kurz vorher verboten worden, und so erging über das Volk durch die Leviten, Moses^ Stammgenossen, ein strenges Strafgericht. Moses aber betete zu Gott, daß er das Volk trotz seines Abfalls doch nicht verstoße, und gab dem Volke, da er die ersten Tafeln beim Anblick des goldenen Kalbes zerbrochen hatte, zwei neue Tafeln mit den zehn Geboten; auch empfing das Volk in dieser Zeit eine Gottesdienst­ ordnung und den Grundstock der Gesetzgebung. ^) e. Aber wenn durch die Gesetzgebung eine äußere Satzung für die Religion aufgestellt wurde, wurde dann nicht die Religion, die doch ein inneres Eigentum der Menschen sein sollte, veräußerlicht? Das ist allerdings die Gefahr, welche der israelitischen Religion durch die Gesetzgebung drohte, und dieser Gefahr ist diese Religion später im Pharisäismus erlegen. Aber zunächst machte dadurch die Religion einen unermeßlichen Fortschtttt. Nunmehr war das Gottesreich, wenn auch noch äußerlich und erst werdend, unver­ tilgbar in die Geschichte der Menschheit eingetreten; das sittliche Ziel des Menschen und die Gnade Gottes, welche den Menschen diesem Ziel zuführt, konnten jetzt nicht mehr aus dem Bewußtsein der Menschen verschwinden, bis Israels Volksglaube reif war, zum Glauben der Menschheit zu werden. Das konnte aber nur durch eine Gesetzgebung erreicht werden, welche den göttlichen Kern im Volke durch Zwang erhielt, bis er des Zwanges nicht mehr bedurfte, weil er im Herzen der Menschen fest genug Wurzel gefaßt hatte. Wäre die Religion von vorn herein nur aus das innere Leben gegründet gewesen, so wäre sie in der noch unreifen Menschheit zu Grunde gegangen; auch auf dem Gebiete der Religion gilt es, daß man nur durch die Autorität zur Freiheit gelangen kann.

21. (24.) Vom Sinai zum heiligen Lande; Moses' Tod. 5. Mose 29. 31, 1—8. 32, 48—52.

K. 34.

a. Nachdem Israel etwa ein Jahr lang am Sinai verweilt hatte, brach es unter Moses^ Führung auf, um nach dem Lande Kanaan zu ziehen; es gelangte auch bald an die Südgrenze dieses Landes, zur Stadt Kades Barnea. Von hier aus wurden nun Kundschafter in das Land geschickt; als diese aber bei ihrer Rückkehr von den starken Bewohnern und festen Städten Kanaans erzählten, da wurden die Israeliten mutlos, und bald darauf wurden sie auch bei einem Angriff auf die Amalekiter zurückgeschlagen. So erkannte Moses, daß die lebende Generation nicht geeignet sei, die neuen Wohnsitze zu erobern; ein neues, befferes und tüch­ tigeres Geschlecht mußte erst heranwachsen, ehe an die Eroberung Kanaans ’) Daß sie nun aber Gott unter dem Bilde eines Stiers darstellten, hatte wohl seinen Grund zunächst darin, daß der Stier ein altsemitisches (einem Hirten­ volke naheliegendes) religiöses Symbol war; der Stier war nämlich das Sinnbild der männlichen Gottheit bei den Semiten; er stellt die vemichtende, aber auch die zeugende Allgewalt der als Baal verehrten Sonne dar. Daher auch die gttechische Sage von der Entführung der Europa durch Zeus in Stiergestalt —- eine Gräcisierung der Wanderung des Baal und der Astarle (--- Europa) nach Kreta. Aber die Wahl gerade dieses Sinnbildes für die Gottheit hat wohl nicht ohne ägyptischen Einsiuß stattgefunden; vgl. Brugsch, Steininschristund Bibelwort, S. 203—206. — Über oen Ausdruck „Kalb" vgl. Nr. 64 c. 2) Über dieselbe wird unten genauer gesprochen werden; vgl. Nr. 50—69. 7*

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21. (24.) Vom Sinai zum heiligen Lande; Moses' Tod.

zu denken war; zunächst zog Israel, wie es scheint, zurück nach der Halb­ insel Sinai, wo es am Busen von Akaba anlangte. Nach langer Zeit finden wir die Israeliten wieder (zuerst 4. Mose 13, 26, dann 4. Mose 20,1) in Kades, um das Land Kanaan nunmehr zu erobern; die Zwischenzeit zwischen dem ersten und dem zweiten Eroberungsversuch war eine Zeit des Umherziehens ohne feste Wohnsitze; sie ist in der Erzählung der Bibel fast übergangen, und für uns ohne Bedeutung. b. Als nun Moses das Volk für tüchtig genug hielt, um aufs neue die Eroberung Kanaans zu versuchen, gedachte er von Kades aus durch das Gebiet der Edomiter zu ziehen, um von Osten her in Kanaan einzu­ dringen. Da aber die Edomiter den Durchzug nicht gestatteten, so mußte das Volk bis zum Golf von Akaba zurückziehen, und nunmehr zog es im Osten von den Edomitern und darauf ebenso an der Grenze des Moabiter­ landes hin bis zum Flusse Arnon, welcher, in das Tote Meer mündend, die Südgrenze des Landes der Amoriter bildete. Der König dieses Volkes, Sihon, welcher ihnen feindlich entgegentrat, um ihnen den Durchzug durch sein Gebiet zu verwehren, und bald darauf auch der König des weiter nördlich gelegenen Landes Basan, Namens Og, wurden besiegt, und so war das Ostjordanland in die Hände der Israeliten gefallen — eigentlich wider ihren Willen, nur infolge der Feindseligkeit seiner Bewohner; denn die Israeliten hatten es zunächst nur auf das Land im Westen des Jordan abgesehen. Da sie aber das Ostjordanland einmal eingenommen hatten, so haben sie es auch behalten, und die Stämme Ruben, Gab und halb Manasse haben sich daselbst angesiedelt. c. Manche Schwierigkeiten hatte Moses auch in dieser Zeit zu über­ winden; so den Aufruhr der Rotte Korah; so die Not mit den giftigen Schlangen, welche zur Aufrichtung eines Schlangenbildes den Anlaß gab, dessen gläubiges Anschauen den Gebissenen Heilung brachte; endlich noch die drohende Beschwörung des berühmten Zauberers Bileam. Aus weiter Ferne, aus Mesopotamien, ließen die gegen Israel argwöhnischen Moabiter und Midianiter diesen Propheten kommen, damit er Israel verderbe. Aber seine Weissagung lautete für Israel günstig; dagegen schadete er durch einen klugen Rat an die Midianiter und Moabiter den Israeliten, indem dieselben auf seinen Rat zum Götzendienste verführt wurden (4. Mose 31, 8 u. 16). d. Alle diese Schwierigkeiten hatte Moses glücklich überwunden, und er schien nun dem von ihm ins Auge gefaßten Ziel, der Eroberung des eigentlichen Landes Kanaan, ganz nahegekommen zu sein; aber es war ihm nicht beschieden, sein Volk ins Land Kanaan einzuführen; erst seinem Nachfolger Josua ist es gelungen, das Werk des Moses zu vollenden; Moses ist vor der Vollendung seines Werkes gestorben. e. Wenn es Moses auch nicht beschieden war, selber das Land Kanaan zu betreten (er erblickte darin eine Strafe für eine Sünde, die 0 Über die Geschichte von Bileam vgl. Riehms Handwörterbuch 8. v. Bileam: „Eine kritische Geschichtsbetrachtung wird' sich der Annahme nicht entschlagen können, daß der geschichtliche Sachverhalt in der Gestalt milgeteilt ist, die er nachmals im Munde des israelitischen Volkes erhielt. Sie wird demgemäß auch das wunderbare Reden der Eselin Bileams zusammenstellen dürfen mit dem, was auch sonst im Altertum von redenden Tieren erzählt wird."

er in seinem Amte einst begangen, vgl. 4. Mose 20, 1—13), so durste er doch das verheißene Land wenigstens noch überschauen (vom Berge Nebo aus, der einen freien Blick über ganz Kanaan bis zum Karmel gewährt). Darauf starb Moses auf dem Berge Nebo, im Alter von 120 Jahren, fern von den Menschen, und niemand hat sein Grab erfahrm (gewiß nach seinem Wunsche, damit es nicht in unrechter Weise zum Gegen­ stände der Verehrung werde); seine Geschwister Aaron und Mirjam waren ihm im Tode bereits vorangegangen. Die Sage hat, wie sein Leben, so auch noch seinen Tod verherrlicht (Judasbrief V. 9, nach einer apokryphischen Schrift), indem der Engel Michael mit dem Teufel um den Leichnam Moses' gestritten haben soll; aber viel herrlicher, als in der Sage, erscheint Moses in der Geschichte. ’)

22. (25.) Moses' Bedeutung und Charakter. 5. Mose

34,

10—12. 4. Mose 12, 1—15. 11, 16—29. 32, 25—35. 4. Mose 14, 1—38.

2. Mose

Moses wäre schon dann als ein großer Mann anzusehen, wenn er auch nur der Retter und Führer seines Volkes gewesen wäre. Es war keine geringe Aufgabe, seine geknechteten Landsleute zur Auswanderung willig zu machen, alle Hindernisie des Unternehmens zu überwinden, und die Auswanderer zum Siege über alle ihnen entgegentretenden Feinde zu führen. Aber noch größer erscheint uns Moses, wenn wir ihn als den Ge­ setzgeber seines Volkes betrachten. Er ragt in dieser Beziehung weit über die ihm ähnlichen Männer der andern Völker empor; seine Gesetz­ gebung hat das ganze Leben des Volkes in der trefflichsten Weise geordnet (5. Mose 4, 5—10) und das ganze Leben des Volkes in Beziehung zu Gott gesetzt, so daß ihm eine feste Grundlage und Stütze gegeben war. Aber das Größte an diesem großen Manne war, daß er ein Prophet Gottes war. Das Bewußtsein, welches er selber von seiner Stellung zu Gott, und welches seine Zeitgenossen darüber hattm, war wohlbegründet. Obwohl er ja den Glauben an den einen Gott schon von Abraham her in seinem Volke vorhanden fand, so hat er doch Gott noch tiefer erkannt, als die Patriarchen, wie schon der neue Name Gottes bezeugt, der durch ihn in Israel aufgekommen ist.2) Auf seinen Schultern stehen die Pro­ pheten, die nach ihm im Volke Israel aufgetreten sind, und noch Christus erklärte, er wolle das Gesetz Mosis nicht auflösen, sondern erfüllen. So war also Moses, nach seinen Thaten und seinen Erfolgen beurteilt, ein großer Mann; aber groß erscheint er uns auch in seinem Charakter. Boll von inniger Liebe zu seinem Volke (Hebr. 11, 24—26), hat er schon in seiner Jugend seiner Landsleute sich angenommen; aber erst als Gottes Stunde gekommen war, hat er das Volk Israel aus Ägypten herausführen können. Zwar auch ihm ist es nicht leicht geworden, *) Die Darstellung des Moses mit Hörnern aus dem Haupte beruht auf der falschen Übersetzung der lateinischen Bibel von 2. Mose 34, 29, wo es heißt, daß das Ilntlitz des Moses, nachdem er mit Gott geredet hatte, „geglänzt habe"; das Wort „glänzen" ist in der lateinischen Bibel falsch übersetzt mit „gehörnt sein." -) Vgl. Nr. 58.

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23. (26.) Die Eroberung Kanaans durch Josua.

sich in Gottes Wege zu finden (2. Mose 4, bes. V. 13), ja, er hat noch später in seinem Amte sich versündigt (4. Mose 20) — aber trotzdem darf von ihm gerühmt werden, daß sein Leben aufgegangen ist im Dienste Gottes und in der Liebe zu seinem Volke (2. Mose 32, 31—34; 4. Mose 14, 11—20). Aber wie schwer hat ihm sein Volk oft sein Werk gemacht (Aufstand des Korah, 4. Mose 16), selbst die ©einigen haben sich gegen ihn erhoben (2. Mose 32, 21; 4. Mose 12); aber er blieb der sanftmüttgste (Luther unrichtig: ein sehr geplagter) von allen Menschen (4. Mose 12, 3); er war frei von allem Ehrgeiz; er wünschte, daß alles Volk des Herrn weissage und der Herr seinen Geist über alle gebe (4. Mose 11, 29). Nur wo es Gottes Gesetz und seine Ehre galt, da brauchte er Strenge (2. Mose 32, 25—28), obwohl doch eine stärkere äußere Macht ihm nicht zur Seite stand; aber „Gott war seine Zuflucht für und für, und der Herr hat das Werk seiner Hände ge­ fördert" (Pf. 90).

23. (26.) Die Eroberung Kanaans -nrch Josua?) Josua 1, 1—9.

21, 43—45.

K. 23 u. 24.

Zu seinem Nachfolger, der sein Werk durch die Eroberung Kanaans vollenden sollte, hatte noch Moses selber den Josuas ernannt, einen der beiden Kundschafter, welche der Entmutigung des Volkes entgegengetreten waren. Nach Moses' Tode begann Josua alsbald zu unternehmen, was dem Werke des Moses erst seinen Abschluß geben sollte, die Eroberung des Landes Kanaan. Die Kanaaniter waren sittlich verfallen (5. Mose 9,4) und waren zum Untergange reif, wie später die Römer gegenüber den Germanen; ein höher stehendes Volk schafft sich aber immer Raum aus Kosten niederer Völker. Die in der Zeit des Moses noch bestehende Ober­ herrschaft der Ägypter und der Hethiter über Kanaan war durch fremde Völker beseitigt worden, so daß es für die Israeliten nicht mehr so schwer war, Kanaan zu erobern. Nachdem die Israeliten den Jordan über­ schritten und die nächstgelegene feste Stadt Jericho erobert hatten, unter« warf der Stamm Juda (mit welchem der Stamm Simeon verschmolz) den Süden des Landes; die andern Stämme zogen unter Josuas Führung nach der Mitte und dem Norden des Landes. Hierbei kam es zu zwei großen Schlachten, in welchen das Schicksal Kanaans entschieden wurde. Die Könige des mittleren Landes schlossen nämlich, um dem weiteren Vordringen Josuas zu wehren, ein Bündnis, wurden aber bei Gibeon aufs Haupt geschlagen in einer Schlacht, von der es im Buche Josua heißt, daß Gott auf Josuas Gebet Sonne und Mond habe stillstehen lassen, um ihm einen vollständigen Sieg über die Kanaaniter zu ver­ schaffen?) I« einer zweiten Schlacht am See Merom wurden auch die verbündeten Könige des Nordens besiegt. ') Dieser Abschnitt kann nur kurz besprochen werden. *) Der Name „Jehoschua" (Gotthilf) ist später zu „Jeschua" (Jesus, d. h. Hilfe, Heiland) veMrzt worden. ’) Vgl. Riehms Handwörterbuch s. v. Josua: „Volk und Führer erkannten in diesem großen Erfolge dankbar die Hand Gottes, denn mit seiner Hilfe hatte Israel Zeit gehabt „„an den Feinden Rache zu nehmen"" (Jos. 10, 13). Wenn

24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten rc. 103

So waren nunmehr die Kanaaniter besiegt, aber noch lange nicht unterworfen, selbst abgesehen davon, daß es den Israeliten niemals ge­ lungen ist, bis ans Mittelmeer vorzudringen und die an der Küste wohnenden Philister und Phönicier zu unterwerfen. Viele Städte des Landes und ganze Gebiete blieben noch lange in den Händen der alten Bewohner und sind erst später unter die Herrschaft der Israeliten ge­ kommen. Welche Folgen dieser Zustand für das Volk Israel gehabt hat, wird die spätere Geschichte zeigen. Trotzdem aber wurde das Land alsbald unter die einzelnen Stämme verteilt; Ruben, Gad und halb Manasic blieben im Osten vom Jordan, der Stamm Levi erhielt als Priesterstamm kein zusammenhängendes Gebiet, die andern Stämme wurden im Westen vom Jordan angesiedelt. Nun war das Werk des Moses durch Josua zum Abschluß gebracht, indem das Volk Israel jetzt auch in den Besitz des ihm zugedachten Landes gekommen war; Josua konnte nun mit Ruhe seinem Tode entgegensehen; er ist gestorben, nachdem er noch das Volk ermahnt hatte, Gott treu zu bleiben, mit dem Bekenntnis: „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen."

24. (27.) Land uvd Leute vo« Kanaan; die Ansiedelung der Jsruelite«; die Nachbarvölker.') a. Zwischen dem Mittelmeer im Westen und der syrischen Wüste im Osten erstreckt sich vom 31.—37. Breitengrade die Landschaft Syrien (mit Kanaan), im Norden durch Zweige des Taurus von Kleinasien ge­ schieden, im Süden teils (im Westen) in die Sinaihalbinsel, teils (im Osten) in die Halbinsel Arabien übergehend. Syrim ist eine Hochebene, zuni Teil mit hohen Bergketten besetzt, etwa 90 Meilen — 650 km lang und 10—15 Meilen — 100—150 km breit. Diese schmale Hochebene ist durch eine von Norden nach Süden gehende Spalte in eine östliche und eine westliche Hälfte geteilt. Der Norden der ganzen Landschaft ist das eigentliche Syrien, der kleinere Süden das Land Kanaan. In Syrien ist die Spalte von den Flüsien Orontes (der nach Norden fließt und im Westen von Antiochia mündet) und Leontes (der nach Süden fließt und bei Tyrus mündet) ausgefüllt. Im südlichen Teile des eigentlichen Syriens erheben sich zu beiden Seiten der Spalte zwei Bergketten, im Westen der Libanon, im Osten der Antilibanon. Der Libanon ist etwa 20 Meilen — 150 km lang und endet bei Sidon; seine Kammhöhe beträgt 2000 m, die höchsten Gipfel gehen etwas über 3000 m hinaus; fast das ganze Jahr hindurch ist das Gebirge mit Schnee bedeckt (daher auch sein Name: weißer Berg); von den Cedernwäldern im Libanon haben die Türken nicht viel übrig gelassen. Der dem Libanon im Osten parallel laufende Antiin einem alten Liede dies so dargestellt war, daß Gott dem Rufe Josuas: „„Sonne zu Gibeon, stehe still, und Mond im Thäte Ajalon"" Folge gegeben habe, so hat dies Dichterwort von einem wiMchen Stillstand von Sonne und Mond, den späterer Wunderglaube in den Worten sand, nicht berichten wollen." ’) Auf die Geographie des heiligen Landes wird der Lehrer hier nur im allgemeinen eingehen; die einzelnen denkwürdigen Orte (außer Jerusalem) lernt der Schüler bei den betr. Ereignissen genauer kennen.

104 24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten rc.

libanon ist nur 1500 m hoch, erhebt sich aber im Süden zu dem 2860 m hohen Hermon, mit welchem er an der Grenze von Kanaan endet. Syrien (wie auch Kanaan) ist heute Eigentum der Türken, aber die Landessprache ist (abgesehen vom nördlichsten Teile von Syrien, wo türkisch gesprochen wird) das Arabische. Die Bewohner von Syrien (c. 2 Mill.) sind teils Mohammedaner, teils Christen (c. 600,000) ver­ schiedener Parteien, teils Juden (c. 30,000); eine eigentümliche Religion besitzen die Drusen (c. 80,000). Die bedeutendsten Städte in Syrien sind heute Aleppo (im Norden) und Damaskus (im Süden), beide im Osten der Spalte gelegen; Antiochia, früher die dritte Stadt im römischen Reiche, ist heute gänzlich verfallen; die an der Küste gelegenen Phönicier­ städte Sidon und Tyrus sind heute gleichfalls unbedeutende Orte, da ihre Häfen durch den an der Küste von Asien hinaufgetriebenen Nilschlamm verdorben sind; der Haupthafen für Syrien ist heute Beirut, im Westen von Damaskus. Die im Libanon heute wohnenden Maroniten (griechische Christen, aber dem Papste Unterthan) und Drusen (mit einer Mischreligion aus Islam und Christentum) haben den Türken gegenüber einigermaßen ihre Unabhängigkeit behauptet. b. Der Süden des Landes Syrien ist das Land Kanaan oder Palästina *). Dasselbe ist also im Norden vom Libanon und Antilibanon, im Westen durch das Mittelmeer (welches aber die Israeliten nicht er­ reicht haben, da sie die Philister an der Küste nicht zu überwältigen ver­ mochten), im Osten von der syrischen Wüste begrenzt, und geht im Süden allmählich in die Halbinsel Sinai (im Westen) und in die Halbinsel Arabien (int Osten) über. Kanaan reicht vom 31.—33. Breitengrade, und ist etwa 530 Quadratmeilen groß (wovon ein Drittel im Osten des Jordan). Auch in Palästina setzt sich die von Norden nach Süden gehende syrische Spalte fort; aber während dieselbe in Syrien etwa 1000 m hoch ist, senkt sich dieselbe in Palästina, vom Jordan durchflossen, endlich so tief unter den Meeresspiegel hinab, daß das Tote Meer, dessen Spiegel 394 m unter dem des Mittelmeeres liegt, die tiefste Stelle der ganzen Erde ist. Südlich vom Toten Meere setzt sich die Spalte, aber wieder emporsteigend (nur im Süden zum Meerbusen abfallend), bis zum Busen von Akaba fort; die Wasserscheide in dieser Fortsetzung der Spalte liegt 240 m über dem Mittelmeer. Diese Spalte im Lande Kanaan, heute das Ghor genannt, ist nur bis zum Toten Meer von dem Hauptflusse des Landes, dem Jordan, durchflossen. Derselbe entspringt in drei Quellen auf dem Hermon, der Südspitze des Antilibanon, welche sich in einem Seebecken, dem Chulesee (oder Meromsee, wie man gewöhnlich sagt*2)) sammeln, der nach Norden in einen Sumpf von wechselndem Umfang ausgeht; dieser See liegt noch 83 m über dem Meeresspiegel. Aus diesem See fließt der Jordan in 0 Der Name Palästina bezeichnete ursprünglich nur das Land der Philister, dann das ganze Land westlich vom Jordan, erst später das Land an beiden Usern des Jordan. Der Name Kanaan bezeichnete ursprünglich ebenfalls nur das Westjordanland im Gegensatze zu Gilead oder Gilead und Basan im Osten vom Jordan, erst später das Land an beiden Ufern des Jordan. 2) Es ist aber zweifelhaft, ob dem heutigen Chulesee wirklich der alte Meromsee entspricht.

24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten rc. 105

vierstündigem Laufe mit starker Strömung in den See von Genezareth (oder das Galiläische Meer), welcher bereits 208 m unter dem Meeres­ spiegel liegt. Und immer mehr senkt sich nun das Ghor, so daß der Jordan in raschem Laufe in das Tote Meer gelangt, dessen Spiegel jetzt 394 m unter dem Meere liegt'); in das Rote Meer ist der Jordan aber niemals abgeflossen. Das Tote Meer zerfällt in einen größeren nördlichen und einen kleineren, durch eine von der Ostseite vorspringende Landzunge abgetrennten südlichen Teil, welcher bedeutend flacher ist als der nördliche und durch die Katastrophe von Sodom und Gomorrha ent­ standen sein dürfte; der nördliche Teil ist bis zu 399 m tief, der südliche nur etwa 3 m. Infolge seiner tiefen Lage ist über dem Meere eine tropische Hitze, durch welche mehr Waffer verdunstet, als ihm zugeführt wird, so daß der Wasserspiegel noch immer mehr sinkt. Das Wasser enthält sechsmal soviel Salz als der Ozean, so daß kein Meerfisch darin leben kann; sein spezifisches Gewicht ist schwerer als das des Menschen, so daß derselbe darin nicht untergeht. Auf beiden Seiten der vom Jordan durchflossenen Spalte erheben sich nun Hochländer, welche im Süden in Wüste und Steppe auslaufen. Das Ostjordanland, früher Gilead, später Peräa genannt, ist wasser­ reicher als das Land im Westen, und hat deshalb prächtige Wälder und reichen Graswuchs und eignet sich trefflich für Ackerbau und Viehzucht; nach Osten geht das Land allmählich in die syrische Wüste über. Das Westjordanland zerfällt in drei Landschaften, Galiläa, Samaria und Judäa. Es fällt steil zum Jordan ab (wie auch das Ostjordanland), aber sanfter nach Westen, wo ihm ein flacher Küstensaum, das Land der Philister, vorliegt. Galiläa im Norden ist eine Hochebene, zur Vieh­ zucht geeignet, von einzelnen Bergen überragt (Tabor 615 m, angeblich der Berg der Verklärung Christi). In Galiläa liegt Nazareth (Nasra)2); dagegen sind von Kapernaum die Trümmer nicht sicher nachzuweisen (am Galiläischen Meer). $) Die größten Städte waren früher Cäsarea und Tiberias. Galiläa ist im Süden durch die Tiefebene Jesreel begrenzt, in welcher der Kison zum Mittelmeer fließt; diese Ebene war in alter und neuer Zeit sehr oft der Kampfplatz der feindlichen Heere. Südlich von der Ebene zieht ein Höhenzug ans Meer, welcher mit dem Vorgebirge Karmel endigt (180 m). Dasselbe bildet die Grenze zwischen den Gebieten der Phönizier (im N.) und der Philister (im S.). Südlich von Galiläa erheben sich die Hochländer von Samaria (Gebirge Ephraim) und Judäa (Gebirge Juda), der eigentliche Schauplatz der Geschichte Israels; beide Hochländer sind jetzt unbewaldet und bieten den Herden nur spärlichen Graswuchs. In Samaria war zuerst die Hauptstadt Sichem (das heutige Nabulus), wo noch jetzt ein kleiner Rest der Re­ ligionsgemeinde der Samariter zu finden ist (etwa 150 Seelen); die spätere Hauptstadt war Samaria. In Judäa zieht sich durch das Land von N. nach S. noch ein höheres Plateau, auf welchem die größeren Orte

*) Früher war derselbe über 100 m höher; auch der Jordan füllt jetzt sein altes Flußbett nicht mehr aus. s) Vgl. Nr. 107 e. 3) Vgl. Nr. 113 d.

106 24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten rc.

liegen, namentlich Jerusalems) Eine Meile südlich von Jerusalem liegt Bethlehem, wo noch heute die Geburtsgrotte Jesu in der von KaiserJustinian I. (527—565) erbauten Kirche gezeigt wird.*2)3 Südlich davon liegt Hebron mit der Grabeshöhle Abrahams (1. Mose 23), über welcher sich heute eine Moschee befindet. Der Hafen für Jerusalem ist Joppe oder Jafa, 60 km von Jerusalem entfernt. Nördlich von Joppe lag Cäsarea, die Hauptstadt von Palästina in der römischen Zeit, jetzt ein kleines Dorf. In der Nähe des Toten Meeres lag Jericho, früher durch seine Palmengärten berübmt, ein irdisches Paradies, heute ein arm­ seliges Dorf in öder Umgebung, wie ja überhaupt das ganze Land Palästina unter der Herrschaft der Türken und ihrer Vorgänger zurück­ gekommen ist. c. Die Hauptstadt des Landes ist heute, wie früher, Jerusalem.^) Die Stadt liegt 760 m über dem Mittelmeer, aber 1160 m über dem Toten Meer, von jenem 12 Stunden, von diesem 8 Stunden entfernt.4)5 Man wird sie erst gewahr, wenn man ihr ziemlich nahe ist, da sie rings von Bergen umgeben ist; von W. hxr muß man erst bis auf 10 Min. herankommen, von O. her erst den Ölberg ersteigen, von N. her erst bis auf 30 Min. herankommen, um die Stadt zu erblicken. Rings um die Stadt ziehen sich Thäler, welche sie im Altertum gegen feindliche Angriffe und Wurfmaschinen sicherten; nur im Nordwesten hängt die Stadt mit dem Hochlande ungetrennt zusammen, auf welchem sie liegt, und reicht von dort nach Süden wie eine vorgestreckte Hand zwischen die umgebenden Thäler hinein. Da nun die Thäler auch in die Stadt hineinziehen (oder doch früher hineinzogen, da manche von ihnen jetzt durch Schuttmassen der öfters zerstörten Stadt ausgefüllt sind), so zerfiel die Stadt in vier Teile: den südöstlichen, Zion oder später die Stadt Davids,^) den nordöst­ lichen mit dem Tempel, nur in der Chronik Moria genannt, den süd­ westlichen mit der Oberstadt, den nordwestlichen, die Bezetha.6) Als David die noch immer in den Händen der Ureinwohner ge­ bliebene Stadt Zebus eroberte, deren Stärke auf dem Berge Zion be­ ruhte, da machte er sie zu seiner Residenz, und seitdem hieß sie (wie schon in der ältesten Zeit) Jerusalem, i) Er baute sich auf dem Zion einen Palast und brachte in einem Zelte bei demselben die Bundeslade

0 Genaueres über Jerusalem siehe unten c. 2) Vgl. Nr. 107 d. 3) Vgl. Riehms Handwörterbuch s. v. Jerusalem und Zion. 4) Der Hasen der Stadt ist Jasa (das alte Joppe), heute mit Jerusalem durch eine Kunststraße und durch eine Eisenbahn verbunden. 5) Der Name Zion bezeichnet in der Sprache der Psalmen und Propheten öfters den nördlich von Zion gelegenen Tempelberg (Moria) oder auch das ganze Jerusalem, beide als die Wohnstätte Gottes. Da nun häufig mit Zion die Stadt Jerusalem als bewohnte Stadt gemeint ist, so bezeichnet Zion auch die Einwohner­ schaft von Jerusalem oder die ganze Gemeinde Israels. Die hebräische Sprache betrachtet aber die Stadt und ihre Einwohnerschaft als weibliche Wesen, und deshalb sagt man statt „Zion" auch „Tochter Zion" (nicht „Zions"); die christliche Dichtung veyteht unter Zion die neutestamentliche Heilsgemeinde. 6) So nach den neueren Forschungen, während früher der Zion im Westen angesetzt wurde, an welchem dieser Name heute hastet. 0 Vgl. Nr. 34 B.

24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten rc. 107 unter, so daß nunmehr Jerusalem der politische und der religiöse Mittel­ punkt des Landes war; aber erst Salomo baute auf dem Tempelberge (Moria) den Tempel. Auf dem Südabhange des Tempelberges baute aber Salomo auch noch einen neuen Königspalast, der seitdem die Resi­ denz der jüdischen Könige war. An diese beiden östlichen Teile schloß sich später im Norden die Bezetha an, welche sich später auch nach Westen hin ausdehnte, wo heute die Grabeskirche steht. Die ganze Stadt wurde nach und nach befestigt, und zu der ältesten Mauer kamen später eine umfassendere zweite und dritte hinzu, so daß jeder Teil der Stadt eigentlich eine besondere Festung war, weshalb Titus bei der Erstürmung der Stadt immer aufs neue belagern und stürmen mußte. Auch heute ist die Stadt ummauert, aber das heutige Jerusalem ist nicht ganz das alte, sondern teils darüber hinausgreifend (Grabeskirche), teils dahinter zurückbleibend. Auf den Trümmern des zerstörten Jerusalem erbaute Kaiser Hadrian (117—138) eine.neue Stadt, Aelia Capitolina, zu welcher den Juden der Zutritt bei Todesstrafe verboten war; an der Stelle des jüdischen Tempels wurde ein Tempel des Jupiter errichtet. Der Kaiser Constantin baute in der Stadt, welche nun wieder Jerusalem hieß, im Nordwesten die heilige Grabeskirche; später wurde die Stadt der Sitz eines Patriarchen, der freilich nur einen sehr kleinen Sprengel hatte. Da wurde im Jahr 637 Jerusalem von den Mohammedanern erobert, und sie nannten die Stadt, die ihnen nächst Mekka als der heiligste Ort der Welt galt, el Kods d. h. das Heiligtum. Auf dem alten Tempelplatze steht heute eine Moschee, der sogen. Felsendom, zu welchem der Zutritt den Christen bis in die Neuzeit verboten war. Noch heute herrschen in Jerusalem die Türken, aber die Mehrzahl der Bewohner bilden die 28,000 (oder noch mehr, vielleicht jetzt 40,000) Juden, neben denen c. 7000 Christen (darunter 4000 Anhänger der morgenländischen Kirche) und 7000 Mohammedaner in Jerusalem wohnen. Die Juden haben sich seit Constantin wieder in Jerusalem an­ gesiedelt, und sie haben eine Anzahl Synagogen in der Stadt; jeden Freitag Nachmittags 4 Uhr versammeln sie sich an einem noch heute stehenden Reste der alten Tempelmauer, um zu beten und zu klagen. Unter den Christen spielen die Griechen die erste Rolle, die hier einen Patriarchen und viele Klöster haben, welche sich in Jerusalem durchweg die Aufnahme der Pilger zur Aufgabe gemacht haben; besonders haben auch die Rusien eine stattliche Kirche in Jerusalem erbaut. Auch die von der griechischen Kirche getrennten Kirchen, Nestorianer (Armenier) und Monophysiten, haben eigene Heiligtümer. Die Lateiner (etwa 1500 Seelen) haben jetzt gleichfalls einen besonderen Patriarchen und mehrere Kirchen und Klöster. Die Zahl der Evangelischen ist nur klein; sie standen in der Zeit von 1841 bis 1887 unter einem von England und Preußen gemeinsam errichteten Bistum; doch ist dieser Vertrag unlängst aufgehoben worden, und der Bischof wird nur von englischer Seite ernannt. Die Evangelischen haben neben vier Kirchen und mehreren Schulen auch eine Diakoniffenstation (mit etwa 40 Diakonissen aus Kaiserswerth) und mehrere Wohlthätigkeitsanstalten. Als gemeinsames Heiligtum aller Christen gilt die Kirche des heiligen

108 24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten rc.

Grabes (den Griechen und Lateinern gehörig), welche in unregelmäßigem Bau alle Stätten des Leidens und der Auferstehung Christi einschließt: im Osten die Schädelstätte (Golgatha), im Westen das heilige Grab (eine Grotte, nur so groß, daß immer drei Pilger hineinkönnen). Alle christ­ lichen Parteien halten in dieser Kirche abwechselnd Gottesdienst, so daß derselbe eigentlich niemals aufhört. In Jerusalem und seiner Umgebung ist fast jeder Stein und jeder Weg, jedes Haus und jeder Platz von der christlichen Sage umrankt; die neuere Wissenschaft ist bemüht, Licht in dies Dunkel der Sage und Ge­ schichte zu bringen, und mancher schöne Fund hat die auf diese Arbeit gewendete Mühe reichlich belohnt.*2) d.3) Das Klima von Kanaan ist, der Lage des Landes entsprechend, sub­ tropisch, an der Küste und auf dem Gebirge mehr gemäßigt, im Jordanthal und namentlich am Toten Meer fast tropisch. Jahreszeiten giebt es in Palästina nur zwei: Sommer und Winter, d. h. eine regenlose und eine regnerische Zeit. Die Regenzeit beginnt im Oktober, wo der „Frühregen", wie ihn die Lutherbibel nennt, das Land zur Bestellung tauglich macht. Eigentliche Wintermonate sind nur Januar und Februar, wo aber auch nur auf den Höhen Schneefall eintritt. Im März und April treten die für das Gedeihen des Getreides unentbehrlichen „Spätregen" ein. Mit dem Mai beginnt der fast regenlose Sommer; in diesem Monat, zum Teil schon früher, wird das Getreide reif. Pflanzen und Tiere in Palästina stimmen im ganzen mit denen der Mittelmeerländer überein. Von den Getreidearten hat der Weizen die größte Be­ deutung. Weinstock, Olbaum und Feigenbaum werden unter den fruchttragenden

Bäumen besonders hervorgehoben. Die Ceder war der schönste Waldbaum. Unter den Haustieren spielten Schaf und Rind die größte Rolle, daneben Ziege und Esel; das Pferd hat sich erst seit der Königszeit in Israel eingebürgert, aber mehr in den vornehmen Kreisen als im Volke; das Kamel wurde wenig benutzt. Unter den wilden Tieren war der Löwe besonders bedeutend, der heute aus Palästina ver­ schwunden ist. Gegen früher hat Palästina heute mehr verloren als gewonnen; wo der Türke herrscht, da wächst kein Gras; eine bessere Regierung würde das Land bald bedeutend emporbringen. 6. Kanaan vor der Einwanderung der Israeliten. In der Zeit vor der Einwanderung der Israeliten war das Land Kanaan von einer Bevölkerung bewohnt, welche in alten Denkmälern und in den von ihnen bewohnten Höhlen, ja, sogar in einer unlängst ausgesundenen unterirdischen Stadt (bei dem alten Edrei) Spuren ihres Daseins hinterlassen haben, ohne daß es aber möglich ist, ihre Abstammung zu erkennen. Auf diese uns unbekannte Urbevölkerung von Kanaan folgten als zweite Schicht der Bevölkerung die Kanaaniter, Phönicier, Philister, Aramäer und Hethiter — sämtlich Semiten, wohl mit Ausnahme der Hethiter, deren zahlreiche Inschriften

») Vgl. Nr. 126. 2) So wurde im Sommer 1880 in der Ausmündung. eines Tunnels eine althebräische Inschrift entdeckt. 3) Auf die weltlichen Altertümer des Volkes Israel genauer einzugeben, wird in der Schule nicht möglich sein; hier muß alle irgend verfügbare Zeit für die Darstellung der Religion Israels verwandt werden.

24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten re. 109 noch nicht sicher entziffert sind. Die Hethiter, welche einst das mächtigste Volk in Borderasien waren (die Hauptstadt ihres Reiches war Kadesch am Orontes), herrschten zur Zeit des Auszugs der Israeliten über den Norden von Palästina, die Ägypter

über den Süden.') Als aber die Israeliten in Kanaan einwandertcn, da war die Herrschaft der Ägypter und der Hethiter über Kanaan bereits erschüttert oder vielleicht schon gänzlich beseitigt, indem verschiedene Völker vom Mittelmeer her sowohl in Ägypten einfielen, als auch in Kanaan vordrangen (hier namentlich die

Philister); „in der Eroberungszeit und in der Richterzeit sind auch nicht die geringsten Spuren von ägypttscher Herrschaft über Palästina in den biblischen Urkunden wahr­ zunehmen."") Durch diesen Umstand wurde es den Israeliten wesentlich erleichtert, Kanaan zu erobern.

f. In das Land Kanaan sind also (im 14. Jahrh, vor Christus) aus Ägypten her unter Moses' und Josuas Führung die Israeliten eingewandert. Die Völker Kanaans bildeten zu Moses' Zeit zwar lauter einzelne Gemeinwesen, waren aber trotzdem für die Israeliten nicht ver­ ächtliche Feinde, da sie den einwandernden Nomadenscharen der Israeliten hinsichtlich der Kultur weit überlegen waren. Aber ihre Sittenlosigkeit war so weit vorgeschritten, daß die Israeliten mit Recht glauben durften, an ihnen ein Gericht Gottes zu vollziehen, wenn sie sie bekämpften und ausrotteten. Aber die Israeliten haben diese gänzliche Ausrottung der Kanaaniter zunächst nicht vollzogen, sondern in vielen Gebieten haben sich dieselben lange erhalten; ja, im Norden des Landes blieben sie zahlreicher als die Israeliten, so daß diese Gegend der Kreis der Heiden (Galiläa — G'lil Haggojim, vgl. Jes. 8, 23) genannt wurde. Die Kämpfe der Richterzeit galten vornehmlich den Kanaanitern und den Philistern; erst David und Salomo haben die Unterwerfung beider Völker vollendet, aber ohne sie gänzlich auszurotten; ein Teil derselben hat im Lande der Phö­ nizier Aufnahme gefunden. Daß die Israeliten sich mit den ihnen stammverwandten Kanaanitern nicht zu einem Volke und Staate verschmolzen haben, hatte vornehmlich seinen Grund in der besonderen Religion, durch welche die Israeliten sich von den Kanaanitern unterschieden; als Verehrer des einen Gottes ver­ abscheuten sie den Götzendienst, wie die Sittenlosigkeit ihrer Stammgenoffen; aber die Kultur der von ihnen besiegten Völker haben sie sich allmählich angeeignet (5. Mose 6, 10 s.). Später haben die benachbarten oder sie beherrschenden Völker auf das äußere und innere Leben der Israeliten einen teils heilsamen, teils verderblichen Einfluß gewonnen, aber ihre eigentümliche Religion haben die Israeliten nicht aufgegeben. g. Im Lande der Kanaaniter haben sich nun im Zeitalter des Moses und Josua die Israeliten in folgender Weise angesiedelt. Den Osten des Landes haben schon zu Moses' Zeit die Stämme Ruben (deffen Gebiet im Süden an das Land der Moabiter stieß), Gad und der halbe Stamm Manaffe eingenommen, im Norden und im Süden in stetem Kampfe mit den Nachbarn begriffen; im Osten von Ruben und Gad wohnten die Ammoniter.

') In diese Zeit führen uns die Funde von Tell Amarna; vgl. Hommel, Geschichte des alten Morgenlandes (1895), § 21. s) Kittel, Geschichte der Hebr. II, S. 56.

110 24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten rc.

Vom Westjordanlande haben den Süden des Landes die Stämme Simeon, Juda und Benjamin eingenommen. Der im äußersten Süden wohnende (int Süden an die Edomiter und Amalekiter anstoßende) Stamm Simeon ist allmählich in dem großen Stamme Juda fast ver­ schwunden. Auch der Stamm Benjamin, im Norden von Juda angesiedelt, obwohl längere Zeit Juda feindlich gesinnt (aus Benjamin stammte Saul, aus Juda David), hat sich doch später enger an Juda angeschlossen, namentlich seitdem der König David die im Stamme Benjamin liegende Stadt Jerusalem den Ureinwohnern, die sie noch immer besaßen, abge­ nommen und zur Hauptstadt des ganzen Landes gemacht hatte. Die Hauptmasse des Südens aber, im Osten vom Toten Meere, im Weste» von dem Gebiete der Philister begrenzt, gehörte dem Stamme Juda, der schon beim Auszuge aus Ägypten an der Spitze des Volkes erscheint, be­

sonders aber seit dem Königtum seines Stammgenossen David hervortritt. Später bildete der Stamm (nebst den Stämmen Simeon und Benjamin) das Reich Juda; das nachexilische Reich erstand vornehmlich aus diesem Stamme, und so wurde seitdem der Name „Juden" herrschend statt des früheren „Israeliten"; aus diesem Stamme ist der Messias, „der Löwe aus dem Stamme Juda" (Off. 5, 5), hervorgegangen. Die Mitte des Westjordanlandes bewohnten die Stämme Dan, Ephraim und die Hälfte von Manaffe, alle drei im Westen wohnend, im Osten Jsaschar, an den Jordan anstoßend. Der unbedeutende Stamm Dan hat später noch ein kleines Gebiet im äußersten Norden des Landes auf dem Ostufer des Jordans erobert nnd behauptet. Auch Jsaschar ist trotz seines größeren Stammgebietes unbedeutend geblieben. Das Haupt­ gebiet der Mitte aber gehörte dem „Hause Josephs", d. h. dm Stämmen Ephraim und Manaffe (der Hälfte des letzteren); namentlich der Stamm Ephraim war einer der mächtigsten Stämme; aus ihm ist später Jerobeam hervorgegangen, der Gründer des Zehnstämmereichs; in späterer Zeit war dies Land der Sitz der Samariter. Den Norden des Westjordanlandes haben, abgesehen von der oben erwähnten Ansiedelung eines Teils der Daniter, die Stämme Ässer (im Westen) und Sebulon und Naphthali (im Osten) eingenommen. Diese drei Stämme haben keine Bedeutung für die Geschichte des Gesamtvolkes gewonnen, vielmehr hat in ihren Gebieten das Heidentum bald wieder die Oberhand erhalten, so daß der Norden des Landes bald den Namen „Kreis der Heiden" (Galiläa) erhalten hat. Aber dies verachtete Heiden­ land ist der Hauptschauplatz der Thätigkeit Jesu gewesen: in Nazareth hat er zuerst gewohnt, in Kapernaum und der Umgegend vornehmlich ge­ predigt; nur Jesu Geburtsort (Bethlehem) und der Ort seines Todes und der Auferstehung (Jerusalem) gehörten dem Stamme Juda an. Daß der Stamm Levi kein zusammenhängendes Gebiet im heiligen Lande erhalten hat, ist bekannt. h. Die Kultur der von den Israeliten unterworfenen Kanaaniter war zwar auch beeinflußt worden durch die Kultur der Ägypter, welche um das Jahr 1400 den Süden von Kanaan beherrschten; aber noch einflußreicher war die babylonisch­ assyrische Kultur gewesen, welche sich schon im 16. Jahrhundert vor Christus in Kanaan verbreitet hatte, so daß die babylonische Sprache mit ihrer eigentümlichen Schrift (der Keilschrift) die Verkehrssprache in Kanaan war, deren sich sogar die

24. (27.) Land und Leute von Kanaan; die Ansiedelung der Israeliten rc. m ägyptischen Statthalter in Kanaan im Verkehr mit ihrem König bedienten. Unter diesen Einflüssen hatte die Kultur der älteren Bevölkerung von Kanaan bereits eine Höhe erreicht, welche weit über die Kultur der einwandernden Israeliten emporragte. Als nämlich das Volk Israel in Kanaan einzog, bildete noch die Viehzucht die Grundlage des Hausstandes: die Herde gab mit geringer Mühe das beste Teil der Nahrung und Kleidung her. Die Wohnung, aller Geräte bar, deren Fortfchaffung lästig gewesen wäre, und zunächst noch ein leicht bewegliches notdürftiges Obdach, konnte, bei Ärmeren vielleicht oft Menschen und Tiere zugleich beherbergend,

kein Muster von Reinlichkeit sein. Jede Haushaltung mußte sich selbst genügen in allem, was die Beschaffung der Lebensbedürfnisse betraf oder die Verfertigung der nötigen Kleider und der sonst etwa nötigen Dinge. Mühlstein und Backtrog waren die wichtigsten Hausgeräte, erst später auch der Webstuhl. Kunst und Handwerk waren allgemein, aber darum auch überall noch in ihrer Kindheit. Die unvorsorg­ liche Wirtschaft konnte, so kümmerlich und roh die Nahrung war, niemals vor Hungersnot schützen. Durch die Einwanderung in Kanaan und den damit gegebenen Übergang vom Nomadenleben zum Ackerbau wurde natürlich das ganze Leben der Israeliten umgestaltet. An die Stelle des Zeltes trat das Haus, aus dem wandernden Herden­ besitzer wurde ein ansässiger Landmann und Ackerbürger, und das alte Israel war ein echtes Bauernvolk?) Auch aus geistigem Gebiete machte sich der Einfluß der in Kanaan vorhandenen höheren Kultur unter den Israeliten geltend, indem die Schrift wohl erst jetzt unter ihnen mehr verbreitet wurde und die ersten Aufzeichnungen von Ereignissen aus der alten Zeit gemacht wurden. Daß durch die Berührung mit den Kanaanitern auch die Religion Israels beeinflußt wurde, ist anderwärts dargelegt. i. Den Israeliten standen unter ihren Nachbarvölkern am nächsten die Moabiter, die Ammoniter und die Edomiter. Die Moabiter standen den Israeliten wohl am nächsten unter diesen drei Völkern; sie verehrten als ihren Gott (oder Hauptgott) Kemosch, ihre Sprache steht der Hebräischen ganz nahe?) Ihr Gebiet grenzte im Westen an das Tote Meer, im Süden an das Land der Edomiter, im Osten an die syrische Wüste, im Norden war die Grenze wechselnd, den ins Tote Meer sich ergießenden Arnon bald überschreitend, bald nur erreichend. Gegen die heranziehenden Israeliten sollte ihnen Bileam helfen (4. Mose 22); in der Richterzeit hatten sie sogar den Jordan überschritten; David unterwarf sie seinem Scepter (Psalm 60, 10); nach der Teilung des Davidischen Reiches gewannen sie ihre Selb-

’) Vgl. Hommel, Geschichte des alten Morgenlandes (1895), § 21. 2) Es ist ausfallend, daß es 1. Mose 4, 2 heißt: „Abel (der jüngere Sohn) ward ein Schäfer, Kain aber (der ältere Sohn) ward ein Ackermann", da bekannt­ lich der Ackerbau jünger ist als die Viehzucht. Wenn die biblische Überlieferung das natürliche Verhältnis umkehrt, indem sie dem älteren Sohne den Ackerbau, dem jüngeren die Viehzucht zuweist, so erscheint dies als ein Ausdruck des hohen Atters des Ackerbaus bei den Semiten; nur semitische Tradition kann den Ackerbau schon mit den Anfänaen unseres Geschlechts verbinden; die Semiten waren schon längst zum Ackerbau ubergegangen, als die Arier noch Hirten waren. — Richtiger, als die römische Sage, welche.den Hirten Romulus zum Städtegründer macht, läßt aber dann die semitische Überlieferung den Ackerbauer Kain als Städtegründer erscheinen. — Vgl. Hörnes, Urgeschichte der Menschheit (1895, Göschen; M. 0,80), S. 64-65. 3) Das zeigt die Inschrift des Königs Mesa, welche in der Neuzeit gefunden worden ist, ein Dokument für die Geschichte des 9. Jahrhunderts vor Christus, vgl. 2. Könige 3.

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25. (42.) Der Pentateuch und das Buch Josua.

ständigkeit wieder, und König Mesa behauptete dieselbe glücklich (2. Kön. 3); später wurden sie von den Assyrem und Babyloniern unterworfen. In der späteren Zeit verschwindet ihr Name aus der Geschichte, da ihr Land, wie das der Edomiter, von arabischen Stämmen besetzt wurde, welche hier das nabatäische Reich gründeten. Östlich von den Moabitern und den eingewanderten Israeliten wohnten die Ammoniter; ihre Hauptstadt war Rabbath Ammon; ihr Gott hieß Moloch. Auch sie wurden von David unterworfen; später wurden sie den Assyrern und den Babyloniern Unterthan. Am meisten haben sick aber die Israeliten mit den Edo mite rn berührt. Ihr Gebiet erstreckte sich vom Ost- und Westjordanlande nach dem Süden hinunter, zu beiden Seiten der Arabah, der Fortsetzung des Ghor vom Toten Meer bis zum Meerbusen von Akaba; an demselben besaßen sie die Hafenstädte Elath und Ezjongeber, zu welchen die Karawanen aus Arabien und Indien ihre Waren brachten; dieser Handelsverkehr machte Edom reich und mächtig. Dieses Land wurde von David unterworfen, und auch nach der Teilung des Reiches blieb Edom dem Reiche Juda Unterthan. Aber um das Jahr 850 wurde Edom wieder selbständig und behauptete seine Selbständigkeit bis zum Vordringen der Assyrer (c. 720), wo es diesem mächtigen Volke, ebenso wie seine Nachbaren, Unterthan wurde. Als an die Stelle der Assyrer die Babylonier traten (c. 600), wurden die Edomiter diesen Unterthan. In der nachexilischen Zeit wurden die Edomiter durch die Nabatäer aus ihrem Lande verdrängt, und seitdem wohnten sie im Süden von Judäa, dem nach ihnen benannten Jdumäa. Ihr Gebiet wurde von den Makkabäern unter­ worfen, und die Bewohner zur Annahme der Beschneidung und des jüdischen Glaubens gezwungen. Aus diesem erst spät judaisierteir Edomitervolke stammle der König Herodes, der den Juden schon darum niemals als rechter Jude gegolten hat. Nicht so nahe, wie die genannten Völker, stehen den Israeliten ihre anderen Nachbarn. Den Küstensaum nördlich vom Karmel bewohnten die Phönicier, zu denen die Israeliten stets in einem freundlichen Verhältnis gestanden haben; König Hiram von Tyrus war Salomos Freund. Feindlich standen den Israeliten lange Zeit die Philister gegenüber, welche das Küstenland südlich vom Karmel innehatten und lange Zeit auch einen Teil des Westjordanlandes beherrschten; erst unter David ist es den Israeliten gelungen, das Joch der Philister abzuschütteln. Von Norden her drangen allmählich die Aramäer oder Syrer gegen die Israeliten vor (Hauptstadt Damaskus), bis sie selbst von den Assyrern unterworfen wurden. Trotz­ dem drang ihre Sprache (das Aramäische oder Chaldäische) noch immer weiter vor und hatte um die Zeit Christi alle andern semitischen Sprachen aus Palästina verdrängt; später ist das Aramäische von dem Arabischen verdrängt worden und wird heute in Syrien nur noch in drei Dörfern des Antilibanon gesprochen.^)

III. Dir Geschichtsbücher des mosaischen Zeitalters?)

25. (42.) Der Pentateuch und das Buch Josua. a. Die schriftlichen Urkunden, aus welchen wir fast ausschließlich unsere Kenntnis des mosaischen Zeitalters und der israelitischen Gesetz­ gebung gewinnen, sind der Pentateuch und das Buch Josua, welches den -) Vgl. Nr. 6 und 87. 2) Vgl. die Vorbemerkung zur ersten Periode.

Abschluß des Pentateuchs bildet, und darum werden beide Schriften, zumal da sie auch einen gleichartigen Ursprung haben und in derselben Zeit ent­ standen sind, von dm Gelehrten unter dem Namen des Hexateuchs zu­ sammengefaßt. Der Name des Pentateuchs ist int Hebräischen nnin, im Griechischen 6 v6fio$ oder -q nevzarev%o$ (seil. ßißXo; d. h. das Buch aus fünf Rollen), im Lateinischen pentateuchus (masc.) oder pentateuchum. •) Das Buch Josua hat seinen Namen von dem Helden, dessen Werk in ihm beschrieben wird. Die Nnteilung des Pentateuchs ist uralt-), und die einzelnen Bücher erscheinen so, wie sie uns vorliegen, bereits als selbständige Bücher; die Abtrennung des Buches Josua vom Pentateuch war bereits erfolgt, als die Samaritaner von den Juden den Pentateuch (nicht aber das Buch Josua) übernahmen; dieselbe ist also wohl erfolgt, als der Pentateuch einschließlich des Priestergesetzes unter Esra zum Gesetzbuch der Ge­ meinde wurde; ein Gesetzbuch ist aber das Buch Josua nicht. Ihre Namen beruhen im Hebräischen auf den ersten Wörtern, womit sie anfangen (vgl. die hebräische Bibel), im Griechischen und Lateinischen auf dem Inhalt oder dem Anfang ihres Inhalts (Genesis d. h. Schöpfung, Exodus d. h. Auszug, Leviticus d. h. Gesetze über den von den Priestern und Leviten abzuhaltenden Kultus3), Numeri d. h. Volkszählungen, Deu­ teronomium d. h. Wiederholung des Gesetzes). Der Inhalt des Pentateuchs ist teils Geschichtscrzählung, welche mit der Schöpfung der Welt beginnt und mit dem Tode Moses' schließt, teils Gesetzgebung. Der Pentateuch stellt also dar, wie Gott sich das Volk Israel zu seinem Eigentum erwählt und gemacht und durch die Gesetz­ gebung in diesem Volke das Reich Gottes begründet hat. Das Buch Josua zeigt, den Pentateuch abschließend, wie Gott seinem Volke das Land Kanaan gegeben und in demselben das Gottesreich errichtet hat. Diese Bücher sollten also dem Volke Israel zeigen, wie es zum Volke Gottes geworden ist, und wie es sich verhalten müsse, um ein Volk Gottes zu sein. b. Der Inhalt der einzelnen Bücher des Pentateuchs ist aber folgender. Die Genesis enthält die Vorgeschichte des von Gott erwählten Volkes; die Darstellung schreitet vom Allgemeinen zum Besonderen und zu immer engeren Kreisen fort, bis sie bei den Stammvätern des Volkes Israel an­ gelangt ist. Der erste Teil des Buches enthält die allgemeine Urgeschichte der Menschheit (K. 1—11), der zweite die Vorgeschichte Israels (K. 12—50), und zwar in drei Abschnitten die Geschichte Abrahams (K. 12—25, 18), Isaaks (K. 25, 19 —K. 36) und Jakobs (K. 37—50). Die Genesis schließt, indem sie zeigt, wie die Nachkommen Jakobs in Ägypten zum ') Pentateuch d. h. Fünfbuch, von teü/oc, welches im späteren Griechisch auch in der Bedeutung „Futteral" (für eine in denselben steckende Pergamentrolle) gebraucht wird, so daß also Pentateuch ein aus fünf Rollen bestehendes Werk bezeichnet. 2) Aber nicht ursprünglich, jedoch älter als die LXX. 3) Wenn der Bischof im Mittelalter seine Geistlichen um sich versammelte, so erklärte er ihnen wohl einen Abschnitt dieses Buches, da sein Inhalt angeblich auch für den christlichen Priester gelten sollte, und an seine Besprechung des Leviticus schloß er dann die Rügen, die er zu erteilen hatte; daher heißt es noch heute „jemandem die Leviten lesen."

Heidrich, Heilige Geschichte.

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26. (43.) Die Frage nach der Entstehung des Pentateuchs.

Volke werden, welches der Ausführung aus Ägypten, der Gesetzgebung und der Besitznahme des Landes Kanaan entgegengeführt werden soll. An die Genesis schließen sich die drei mittleren Bücher des Penta­ teuchs an. Das Buch Exodus zerfällt, wie die Genesis, in zwei Teile, von denen der erste (K. 1—18) die Geschichte Israels bis zur Ankunft am Sinai erzählt, der zweite (K. 19—40) über die Vorgänge am Sinai berichtet, durch welche Israel zum Volke Gottes geworden ist. Nachdem Israel zum Volke Gottes geworden ist, wird das Gottes­ reich durch eine neue Reihe von Offenbarungen ausgestaltet, und die Lebens­ ordnungen des Volkes Israel werden festgestellt; den Bericht über diese Gottesoffenbarungen enthält das Buch Leviticus. Das Buch Numeri enthält teils Nachträge zur Gesetzgebung, teils führt es die Geschichte des Wüstenzuges weiter fort bis nahe zu ihrem Ende. Das letzte Buch des Pentateuchs ist das Deuteronomium. Nach der Vollendung seines Werkes kann Moses nicht vom Schauplatze abtreten, ohne das Volk noch einmal an das erinnert zu haben, was Gott für dasselbe gethan habe, und an die Lebensordnungen, welche es beobachten müsse, um im Lande Kanaan glücklich zu leben. Darauf wird der Tod des Moses berichtet, und mit einer Lobrede auf diesen großen Propheten schließt das Deuteronomium, und damit der ganze Pentateuch. c. An den Pentateuch schließt sich nach seinem Inhalt wie nach seiner Entstehungsart das Buch Josua an, der Abschluß des Pentateuchs. Nachdem der Pentateuch gezeigt hat, wie Israel zum großen Volk und zum Volk Gottes geworden ist, zeigt das Buch Josua, wie das Volk Israel das Land Kanaan gewinnt, und wie in demselben der Gottesstaat aufge­ richtet wird.

26. (43.) Die Frage nach der Entstehung des Pentateuchs?) Nach der Annahme der allen Juden und Christen sollten die fünf Bücher Mosis von Moses selber geschrieben sein, höchstens mit Ausnahme der letzten acht Verse, die seinen Tod erzählen (obwohl auch diese Verse noch manche dem Moses zuschrieben).*2) Aber nach vereinzelten Vorgängern in der alten Kirche wurde schon in der Reformationszeit von Ge­ lehrten beider Kirchen behauptet, daß Moses nicht den ganzen Pentateuch geschrieben haben könne. Diese Behauptung ist in der neueren Zeit von fast allen Gelehrten als richtig anerkannt worden, und heute giebt es in Deutschland keinen Forscher mehr, der den ganzen Penta­ teuch als ein Werk Moses' betrachtete. Die einstimmige Verwerfung dieser alten Annahme (aber sie war nur eine Annahme) beruht auf folgenden Gründen. a. In der Genesis ist nirgends ein Verfasser des Buches angegeben. In den drei mittleren Büchern wird zwar gesagt (2. Mose 17, 14s.; 24, ls.; 34, 28; 4. Mose 33, 2), daß Moses einzelne Punkte seines Lebens ‘) Vgl. das Programm von Schönthal, 1883, Nr. 549: Schmid, Der altlestamenlliche Religionsunterricht; eine kurze Übersicht über die Entwickelung der Hexateuchfrage findet der Lehrer in Kautzsch' Bibelübersetzung, Beilagen S. 151, Anm. 2) Vgl. unten Nr. 95.

26. (43.) Die Frage nach der Entstehung des Pentateuchs.

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und Wirkens selber in ein Buch geschrieben habe; aber das gilt eben nur von einzelnen Abschnitten, nicht von den drei Büchern; aber es ist nicht selbstverständlich, daß uns diese Aufzeichnung des Moses noch buchstäblich vorliegt. Überdies ist in diesen Büchern als ältere Schrift ein „Buch der Kriege Jehovahs" (4. Mose 21, 14s.) angeführt, welches kurz vor dem Tode Moses' geschrieben sein müßte. Moses hätte danach ein anderes Buch als Grundlage für die Darstellung seines eigenen Werkes benutzt; das ist aber undenkbar. So führen also die eigenen Angaben der drei mittleren Bücher zu der Erkenntnis, daß diese Bücher als Ganzes nicht von Moses herstammen können. Im Deuteronomium wird nun allerdings Moses als Verfasser „dieses Gesetzes" bezeichnet; aber dieser Ausdruck ist nicht auf den ganzen Pen­ tateuch, sondern nur auf das Deuteronomium zu beziehen (vgl. 4,8 und 27,1). Und zwar ergiebt sich bei näherer Betrachtung, daß ein späterer Schrift­ steller die von Moses hergeleiteten (aber nicht ausgezeichneten) Gesetze, das Deuteronomium, seinen Zeitgenossen in freier Fassung darbietet; einen Vers wie 5. Mose 33, 4 („Moses hat uns das Gesetz geboten") kann doch Moses nicht geschrieben haben.') Daß vollends die letzten acht Verse nicht von Moses herstammen können, ist für jeden klar, der nicht durch Vorurteile beherrscht ist. So enthalten also alle fünf Bücher kein einziges Zeugnis für die mosaische Abfassung des ganzen Pentateuchs. b. Wenn man nun den Pentateuch selbst betrachtet, um seinen Ur­ sprung aus ihm selber zu erkennen, so behaupteten früher allerdings manche Forscher, daß derselbe offenbar Spuren der mosaischen Abfassung an sich trage. Im Pentateuch finden sich manche Spuren einer altertümlichen Sprache;^) aber daraus folgt nicht die Abfassung des Pentateuchs durch Moses. Da die vier ersten Bücher auf älteren Quellenschriften beruhen, wie alsbald dargelegt werden toirb3* ), 2 und da die Gesetzessprache auch anderwärts (z. B. im Lateinischen und Deutschen) Altertümliches gern festhält, so braucht zur Erklärung der alten Sprache nicht auf Moses hin­ gewiesen zu werden, wenn ihn sonst nichts als Verfasser verrät; namentlich aber für das Deuteronomium mit seiner von den andern Büchern völlig verschiedenen Sprache kann diese Behauptung unmöglich richtig sein, wenn auch die älteren Bücher von Moses herstammen sollten. Gerade aus der Sprache des Pentateuchs kann man vielmehr erkennen, daß derselbe nicht aus der mosaischen Zeit herstammen, sondern erst in Kanaan geschrieben sein kann. Wenn der Westen durch das Wort Meer bezeichnet wird, so kann diese Bezeichnung erst in Kanaan aufgekommen sein; wenn die Familie durch das Wort Haus (nicht, wie bei den Arabern durch das Wort Zelt), wenn die Speise durch das Wort Brot bezeichnet wird, so weist das ebenfalls auf die bereits vollzogene Ansiedelung des Volkes in Kanaan hin; für Moses waren solche Ausdrucksweisen nicht möglich. Im Pentateuch zeigt sich sodann eine genaue Kenntnis der ägyptischen *) Vgl. König, Einl. § 41 fln. 2) Am bekanntesten ist der Gebrauch von «m auch für «r, welches nur selten vorkommt, und von auch für r>lVJ. 3) Vgl. Nr. 27.

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26. (43.) Die Frage nach der Entstehung des Pentateuchs.

Sitte und Sprache. Aber auch diese Wahrnehmung beweist nichts für Moses als Verfaffer des Pentateuchs; der Prophet Jesaias und das Buch Hiob zeigen eine ebenso genaue Kenntnis Ägyptens; diese kann im Penta­

teuch ebensowohl auf die zu Grunde liegenden alten Quellenschriften wie auf den in späterer Zeit lebenden Verfaffer zurückgeführt werden; für Moses als Verfasser des Pentateuchs ist sie nicht beweisend.

Sodann enthält der Pentateuch allerdings Gesetze, welche nur für die mosaische Zeit paßten; aber die Gesetze stammen vielleicht aus dieser Zeit her, doch nicht ihre Aufzeichnung, welche aus verschiedenen Gründen auch von einem späteren Verfaffer erfolgt sein kann, obwohl sie für seine Zeit nicht mehr paßten.

Auch die im Pentateuch vorhandene genaue Kenntnis der Geschichte der mosaischen Zeit ist, soweit diese Behauptung überhaupt richtig ist, nicht ein Beweis für die mosaische Abfassung des Pentateuchs.

Alle angeblich aus dem Pentateuch selbst gewonnenen Be­ weise für die Abfassung desselben durch Moses sind für die­ selbe nicht beweisend. c. Dagegen ergiebt sich für jeden Unbefangenen ganz un­ zweifelhaft, daß der Pentateuch und namentlich das Deutero­ nomium erst nach der Eroberung Kanaans, also nach Moses' Tode, geschrieben sind, da sie in vielen einzelnen Stellen die Eroberung Kanaans durch die Israeliten voraussetzen. So heißt es 1. Mose 12, 6 und 13, 7: „Die Kanaaniter waren damals im Lande" — also offenbar zur Zeit des Schriftstellers nicht mehr. 1. Mose 36, 31 heißt es von den Edomitem, daß sie Könige gehabt haben, „bevor ein König herrschte über die Kinder Israels" — hiermit ist offenbar das Königtum in Israel als bestehend vorausgesetzt. 1. Mose 40, 15 sagt Joseph: „Ich bin gestohlen aus dem Lande der Hebräer" — so kann Joseph nicht gesprochen und Moses nicht geschrieben haben. „Bis auf diesen Tag" (5. Mose 3, 14) heißen die Dörfer Jairsdörfer, welche kurz vorher erobert worden waren — das kann doch nicht nach ein paar Monaten geschrieben sein, nachdem Moses sie erobert hatte (was übrigens auch erst kurz vor seinem Tode geschehen ist). Und in ähnlicher Weise besteht etwas „bis auf diesen Tag" noch an 10 Stellen des Pentateuchs und an 12 Stellen des Buches Josua, was eben erst geschehen oder gethan worden wäre, wenn die betreffenden Bücher aus der mosaischen Zeit stammten. Der Tod des Moses und vollends die Lobrede auf ihn (5. Mose 34) kann nicht von Moses selbst, ja nicht einmal bald nach Moses' Tode geschrieben worden sein. d. Dagegen hat die genauere Betrachtung des Pentateuchs und auch des Buches Josua zu der heute von allen Forschern anerkannten Wahrnehmung geführt, daß diese Bücher auf ver­ schiedenen Quellenschriften beruhen; wenn Moses als Schriftsteller aufgetreten wäre (er ist aber nur als der Führer und Gesetzgeber seines Volkes anzusehen), so würden wir von ihm wohl ein selbständiges Werk erhalten haben, nicht aber ein solches, welches aus verschiedenen Quellenschriften zusammengearbeitet ist; jedenfalls hätte er doch seine Erlebniffe und Thaten selbständig erzählt. Das Resultat dieser Unter-

27. (44.) Die Quellenschriften des Pentateuchs.

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suchungen über die Quellenschriften des Hexateuchs wird unten dargelegt werden. *) e. Die obigen Betrachtungen zeigen also einerseits, daß der Penta­ teuch als Ganzes nicht von Moses herrührt, aber auch überhaupt nicht von einem einzigen Verfasser, sondern daß derselbe auf verschiedenen Quellen beruht. Zunächst scheidet sich deutlich von den andern Büchern das Deuteronomium ab, von ihnen so verschieden sowohl in Sprache als Inhalt, wie etwa das Evangelium Johannis von den drei anderen Evan­ gelien. Für die Hauptmasse der vier ersten Bücher sind mindestens drei Quellenschriften anzunehmen. Beide Resultate der Forschung, die Ablehnung der mosaischen Urheberschaft und die Annahme mehrerer Quellenschriften für den Pentateuch, aus welchen derselbe allmählich zusammengestellt worden ist (wie eine Evangelienharmanie aus den Evangelien), werden heute in Deutschland von allen Forschern ohne Ausnahme als richtig anerkannt.

37. (44.) Die Ovellmschriften -es Pentateuchs. a. Der Pentateuch, ja sogar der Hexateuch (d. h. Pentateuch und Buch Josua) beruht, wenn man von den wenigen einzelstehenden Stücken desselben absieht, wie alle Forscher heute anerkennen, auf verschiedenen Quellenschriften, welche man noch ziemlich sicher von einander trennen kann. Die hebräischen Geschichtschreiber pflegen nämlich die Quellenschristen so zu benutzen, daß sie ganze Stücke wörtlich oder nur wenig geändert an einander reihen und zur Herstellung der Übereinstimmung und des Zusammenhanges nur weniges Eigene einschieben. Dadurch ist es möglich geworden, eine Sonderung der aus verschiedenen Quellen entnommenen Bestandteile des Pentateuchs vorzunehmen, wie sie jetzt auch für weitere Kreise in einer neuen Übersetzung des Alten Testamentes vorliegt?) Die Notwendigkeit einer Unterscheidung verschiedener Quellen im Pentateuch und Buch Josua ergiebt sich aber aus folgenden Wahrnehmungen. «. Das ergiebt sich zunächst aus der Sprache der Bücherund ihrer Verschiedenheit in den einzelnen Erzählungen. Der Gottesname Jehovah gehört nach 2. Mose 6 der älteren Zeit noch nicht an, welche dafür Elohim, El und El Schaddaj gebrauchte?) Von 2. Mose 6 an ist nun in der That der Name Jehovah der gewöhnliche. Aber er findet sich doch auch schon vorher. Man hat nämlich bis 2. Mose 6 einen auffallenden Wechsel der Gottesnamen wahrgenommen, der nur daraus zu erklären ist, daß mindestens zwei Quellenschriften angenommen werden, in deren einer Jehovah, in der andern Elohim der übliche Gottesname ist; die erstere nennt man den Jehovisten, die andere den Elohisten?)

Da nun diese Eigentümlichkeit im Gebrauch der Gottesnamen auch mit anderen Verschiedenheiten der Sprache wie auch der Geschichtsdarstellung verbunden ist, so hat man den Unterschied des Jehovisten und des Elohisten auch über 2. Mose 6 hinaus bis zum Ende des 4. Buches verfolgen können, obwohl nun fast stets der Gottesname Jehovah gebraucht wird. Auch hat man später unter den Abschnitten

’) 2) 3) 4) erkannt.

Vgl. Nr. 27. Kautzsch, Die heilige Schrift des Alten Testaments. 1894. Vgl. Nr. 58. Das hat zuerst der Leibarzt Ludwigs XV., Jean Astruc, im Jahre 1753

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27. (44.) Die Quellenschriften des Pentateuchs.

des Elohisten eine Verschiedenheit wahrgenommen, welche zur Annahme zweier Elohisten geführt hat, von denen der eine heute als die Priesterschrift bezeichnet wird. Dagegen weicht das Deuteronomium von den anderen Büchern in der Sprache so sehr ab, daß es einem besonderen Verfasser zugeschrieben werden muß. Während in diesen der Berg der Gesetzgebung „Sinai" heißt, heißt er im Deuteronomium fast stets „Horeb": die Stistshütte wird im Deuteronomium fast niemals erwähnt, und viele Besonderheiten der Sprache sind dem Deuteronomium eigen. ß. Das ergießt sich ebenso aus dem geschichtlichen Inhalt der Bücher. Die Doppelberichte, welche wir vielfach über dasselbe Ereignis haben, weisen auf eine doppelte Quelle der Erzählungen hin; so z. B. die beiden Schöpfungs­ geschichten 1. Mose 1 und 2, die beiden Berichte über Sarahs Wegnahme durch einen fremden König 1. Mose 12 und 20, die beiden Berusungsgeschichten des Moses 2. Mose 3—5 und 6—7. Auch haben manche Abschnitte eine Stellung, welche nur begreiflich wird, wenn der Schriftsteller verschiedene Quellen zusammengearbeitet hat. Die Genealogie des Moses in 2. Mose 6, 14—27 unterbricht in störender Weise die geschichtliche Er­ zählung. 2. Mose 19, 25 und der darauf folgende Vers 20, 1 passen nicht zu einander. Ferner finden sich chronologische Widersprüche und Unklarheiten, welche an Moses oder auch nur an einen jüngeren Zeitgenossen desselben als Erzähler zu denken nicht gestalten. Das Vorhandensein der Stiftshütte wird 2. Mose 33, 7 s. vorausgesetzt, aber erst in K. 40 wird sie errichtet. Von Priestern ist schon 2. Mose 19, 22 und 24 die Rede, obwohl ihre Erwählung erst 2. Mose 28 und ihre Ein­ weihung erst 3. Mose 8 berichtet wird. Über die mittleren 38 Jahre des Wüsten­ zuges ist aus den verschiedenen Berichten keine Klarheit zu gewinnen. Auch sonst finden sich in den Erzählungen Widersprüche, welche sich nur durch die Annahnre verschiedener Quellen erklären. Die Stistshütte steht nach den meisten Stellen in der Mitte des Lagers, nach 2. Mose 33, 7 s. und 4. Mose 11, 26 und 30 steht sie außerhalb desselben. Der Schwiegervater des Moses heißt bald Reguel, bald Jether oder Jithro. Aaron stirbt auf dem Berge Hör, aber nach 5. Mose 10, 6—9 schon in Moserah vor dem Berge Hör. Die Edomiter stehen nach 4. Mose 20 in feindlichem, nach 5. Mose 2 in freundlichem Verhältnis zu Israel. Alle diese Wahrnehmungen sind nur zu erklären durch die Annahme verschiedener Quellenschriften, welche erst allmählich zu einem Buche vereinigt worden sind. /. Noch viel zahlreicher und bedeutender sind aber die Wider­ sprüche in der Gesetzgebung, sowohl innerhalb der mittleren Bücher selbst, als besonders zwischen diesen und dem Deuteronomium. Nach 2. Mose 20, 20 s. darf an mehr als einem Orte geopfert werden, was 3. Mose 17 und im Deuteronomium durchaus verboten wird. Die Gesetze über die Erstgeburten der Tiere im 2. Mose 13 und 34 sind mit denen in 3. Mose 27 und 4. Mose 18 und 5. Mose 15 nicht zu vereinigen. In den Gesetzen über den Zehnten und über die Freilassung hebräischer Knechte finden sich ebenfalls unlösbare Widersprüche. Diese Widersprüche sind nur zu erklären durch die Annahme, daß die Gesetze weder von einem Verfasser noch zu derselben Zeit niedergeschrieben worden sind. Auch diese Wahrnehmungen nötigen wiederum zu der Annahme, daß im Pentateuch verschiedene Quellenschriften zu einem Ganzen vereinigt worden sind. b.1) Wenn man nun vom Deuteronomium und den ihm verwandten einzelnen *) Kittel, Geschichte der Hebr. I, § 8.

Stücken des Hexateuchs absieht, so scheidet sich der übrig bleibende Teil des Hexateuchs zunächst in zwei große Teile, die man als eine prophetische und eine priester­ liche Schrift von einander unterscheiden darf. «. Die prophetische Schrift ist nun nicht eine geschlossene Einheit, sondern besteht selber wieder aus zwei Teilen. Der eine derlelben, welcher in der Urgeschichte nur den Gottesnamen El oh im gebraucht und auch in der mosaischen Zeit noch vielfach gebraucht, wird der Elohist genannt (früher der jüngere Elohist, im Gegensatz zum älteren Elohisten, der heute sogenannten Priesterschrift). Der andere Teil dieser Schrift, welcher von Anfang an den Gottesnamen Jehovah gebraucht, wird der Jehovist genannt?) Der Elohist ist sicher nachzuweisen von 1. Mose 20 — Jos. 24, der Jehovist von 1. Mose 2, 4d —Richter 2; da diese

beiden Schriften einander ähnlich sind, so ist es nicht immer möglich, sie genau von einander zu sondern; dagegen ist es leichter, dieselben vom Deuteronomiker und von der Priesterschrift zu unterscheiden. Daß dieser Teil des Hexateuchs in seinen beiden Grundschriften (JE) vom Deuteronomium (D) nicht abhängig, sondern älter als dieses ist, ist heute allgemein zugestanden. Aber ob nun der elohistische Teil oder der jehovistische Teil dieser Schrift der ältere sei?) und wann die Vereinigung dieser Schriften zu einem Ganzen erfolgt sei (ob vor ihrer Verbindung mit dem Deutero­ nomium oder zugleich mit derselben), darüber ist noch keine Einigung erzielt. Beide Schriften waren jedenfalls um das Jahr 800 vorhanden, und wenn der Elohist älter ist als der Jehovist, so darf die ältere Schrift als um das Jahr 850 entstanden betrachtet werden?) Daß beide Schriften nach älteren Quellen gearbeitet sind, versteht sich von selbst; von dem Elohisten wird dies sogar durch mehrfache Ausjagen in seiner Schrift ausdrücklich ausgesprochen; die wichtigste der in ihr enthaltenen Quellenschriften ist das sogenannte Bundesbuch mit dem Dekalog (2. Mose 19, 1—24, 11), von welchem anderwärts Genaueres gesagt wird?) „Wenn man aber in der neueren Zeit auch noch versucht hat, eine allmähliche Erweiterung und Umformung dieser Quellenschriften nachzuweisen (so daß man einen J1, J2, J3 4und 5 6 einen E1 und E2 zu unterscheiden suchte), so unternimmt man etwas, wozu unsere Mittel nicht ausreichen."3) ß. Als einen jüngeren Bestandteil des Pentateuchs betrachtet man mit Recht das Deuteronomium, ebenfalls eine Schrift von prophetischem Charakter, versaßt nicht lange vor der Resorm des Gottesdienstes unter dem König Josia (621). Bon dem Verfasser des Hauptteils dieses Buches (Kap. 5—26), dem Deuteronomiker, glauben viele Kritiker noch einen Bearbeiter (den sogenannten Deuteronomisten) unterscheiden zu müssen, welchem der Anfang (K. 1, 1—4, 43) und der Schluß des Buches (K. 27 und 29—34) zugehören. /. Als die jüngste Quellenschrift des Pentateuchs betrachten heute die meisten Forscher (im Gegensatz zu den älteren Forschern, welche dieselbe wenigstens für älter hielten, als das Deuteronomium)°) die sogenannte Priesterschrift, weniger ein ') In den wissenschaftlichen Büchern wird der Kürze halber das Deuteronomium mit D bezeichnet, die Priesterschrist meist mit? (Dillmann: A), die dritte Hauptschrist mit JE (Wellhausen) oder gesondert mit J (Dillmann: C) und E (Dillmann: B). 2) Wellhausen und Kautzsch halten J für älter, Kittel und Dillmann E. 3) So für E auch Dillmann, welcher aber J um 750 ansetzt. — König (Einl. in das A. T., 1893) setzt E in die Richlerzeit, J unter Salomo; Kautzsch setzt J um 850, E um 750. 4) Bal. Nr. 54. 5) Drllmann, Anhang zum Hexateuch III, S. 632. 6) Genaueres über diese Frage siehe oben Nr. 4.

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28. Die Geschichtserzählung der Quellenschriften des Pentateuchs re.

Geschichtsbuch als ein Gesetzbuch, in welcher vornehmlich das Cerimonialgesetz des jüdischen Volkes verzeichnet ist. Diese Schrift ist nicht eine prophetische Schrift, sondern, von einem Priester verfaßt, trägt sie einen entschieden priesterlichen Charakter. c. So ist also nach der Meinung aller gegenwärtigen Forscher der Pentateuch nicht ein Werk des Moses, sondern ein aus der Verbindung früher getrennter Quellenschriften entstandenes, aber trotzdem nach seinem Inhalte einiges Werk.

28. Die Geschichtserzähluug -er Ouellmschristen des Pentateuchs; das Buch Josua.') Wenn für den Israeliten der Pentateuch vorwiegend ein Gesetzbuch war, wie ja derselbe in der hebräischen Bibel auch als das Gesetz bezeichnet wird, so sind doch für uns mindestens ebenso interessant die im Pentateuch und im Buche Josua erzählten Geschichten, welche uns die Ursprungsgeschichte des Volkes Israel erkennen lassen. Für den geschichtlichen Inhalt des Hexateuchs haben aber die Quellenschriften, welche dem großen Buche zu Grunde liegen, nicht die gleiche Bedeutung. Sehr gering ist der geschichtliche Inhalt des Deuteronomiums; viel bedeutender ist derselbe in der Priesterschrist, für welche derselbe allerdings hinter der Gesetzgebung zurücktritt; dagegen sind der Jehovist und der Elohist vorwiegend geschichtliche Schriften. Wenn man nun annehmen darf, daß diesen Quellenschriften selber wieder ältere Überlieferungen zu Grunde liegen, so wird

man namentlich auf die Frage geführt, wie weit sich auch für die GeschichIser­ zählung des Pentateuchs mosaische Überlieferungen nachweisen lassen. Auch hier ist nun, wie bei der Überlieferung der Gesetze, zuzugestehen, daß zwar an sich der Annahme schriftlicher Aufzeichnungen des Moses nichts im Wege steht, daß wir aber darauf verzichten müssen, von dem uns Erhaltenen irgend etwas seinem Wortlaute nach mit Sicherheit als von Moses selbst herstammend zu bezeichnen. Die von Moses selbst und die aus noch älterer Zeit herstammenden Überlieferungen über die vormosaische Zeit sind uns nur in den erst längere Zeit nach Moses entstandenen Quellenschriften des Pentateuchs erhalten. Von denselben, als Geschick)tsquellen, soll nun im folgenden etwas genauer gesprochen werden.*2) a. Die beiden im Hexateuch benutzten Quellenschriften des Jehovisten und des Elohisten sind fast nur geschichtlichen Inhalts, und sie haben viele Stoffe mit einander gemeinsam. Die Darstellung der Geschichte ist in beiden Schriften prophetischer, nicht priesterlicher 9(1,1.3)4 Die Darstellung des Jehovisten beginnt mit der (zweiten) Schöpfungsge­ schichte (1. Mose 2, 4 b) und schließt im 1. Buch Mose mit Kap. 50 (Jakobs Be­ gräbnis). Die Erzählung geht dann über auf Moses, dessen Leben und Wirken im 2—4. Buch Mose dargestellt wird; vom 5. Buch Mose gehören ihm nur einige Abschnitte aus den letzten Kapiteln an; dagegen ist dieser Bericht im Buche Josua wieder stärker vertreten. Die mit dem Elohisten oder mit der Priesterschrift gemeinsamen Stücke hat der Jehovist zum Teil in eigentümlicher Gestalt (z. B. die Schöpfungsgeschichte)^),

’) Nach Dillmann, Kommentar zum Hexateuch III. 2) Von den in den verschiedenen Quellenschriften des Pentateuchs enthaltenen Gesetzgebungen wird anderwärts gesprochen; vgl. Nr. 53—56. §) Vgl. Nr. 1 B unb C. 4) Vgl. meine Glaubenslehre Nr. 21.

28. Die Geschichlserzählung der Quellenschriften des Pentateuchs rc.

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teils aber auch in einer von der Darstellung des Elohisten so wenig verschiedenen Fassung, daß der Redaktor des Pentateuchs beide Berichte oft so verschmolzen hat, daß es kaum noch möglich ist, beide Berichte von einander zu sondern. Die Kunst der Darstellung ist bei dem Jehovisten besonders entwickelt. Die überlieferten Volkserzählungen weiß er nicht nur trefflich wiederzugeben, sondern er versteht es auch, an dieselben Lehren und Mahnungen in geschickter Weise an­ zuknüpfen. b. Die Darstellung des Elohisten ist erst von 1. Mose 20 an sicher nach­ zuweisen, und sie reicht von da bis Kap. 50. Im 2. Buch Mose stammt von diesem Erzähler neben vielem Geschichtlichen die älteste Gesetzgebung, das Bundes­ buch (K. 19, 1—24, 11). Auch das dritte Buch Mose enthält manche Berichte, die von ihm herstammen; dagegen ist dieser Schriftsteller im 4. Buch Mose gar nicht und im 5. Buch fast gar nicht wahrzunehmen. Im Buche Josua sind die Berichte des Elohisten und des Jehovisten so sehr mit einander verschmolzen, daß eine Sonderung meistens nicht mehr möglich ist. Obwohl wir das Werk dieses Erzählers nur in Bruchstücken und vielfach nur in Überarbeitungen besitzen, so ist doch so viel zu erkennen, daß es von der

ältesten Sagengeschichte an (vielleicht von Abraham an, mit dem die Erzählung des Jehovisten beginnt: 1. Mose 20) einefortlaufende, anschauliche Zusammenstellung dessen gab, was man über das Altertum Israels und seine Erlebnisse bis zur Festsetzung in Kanaan wußte und erzählte. Namentlich diesem Berichte verdanken wir die beste Darstellung der ägyptischen Verhältnisse; auch für die Lokalsagen ist dieser Bericht ergebnisreich. Die Darstellung des Elohisten ist, noch mehr als die des Jehovisten, von prophetischem Geiste getragen. c. Auch die Priesterschrift enthält nicht bloß Gesetze, sondern hat auch ge­ schichtlichen Inhalt. Wenn auch den größten Teil dieser Schrift die Beschreibung der Gesetze und Einrichtungen der Gemeinde entnimmt, so sind doch einerseits die Ge­ setze und Einrichtungen in der Regel nach ihrer Entstehung geschichtlich angeknüpft, ’) und andrerseits sind viele Erzählungsstoffe ausgenommen, welche mit jenen nur in loserem Zusammenhänge stehen, aber zur Fortführung des geschichtlichen Fadens dienen, an welchem die allmähliche Herausbildung Israels zu dem in Kanaan angesiedelten Gottesvolke nachgewiesen wird. Des Verfassers Absicht war es also, von der Entstehung und von den Ordnungen des israelitischen Gottesstaates eine Darstellung zu geben. Die Gründung desselben ist ihm wesentlich das Werk der Mose-Josua-Zeil, und darum ist ihm die Beschreibung dieser Zeit die Hauptsache. Aber da nach der Überlieferung diese Gründung schon durch die Vorgänge in der

Patriarchenzeit angebahnt war, und das Wesen der Patriarchen ohne Eingehen auf ihre Stellung zur übrigen Bölkerwelt nicht gezeichnet werden konnte, so er­ forderte es der geschichtliche Zweck des Verfassers, auch diese Vorgeschichte in seinen Abriß aufzunehmen. So beginnt denn diese Schrift mit 1. Mose 1 und giebt bis K. 50 einen Abriß der Geschichte von der Schöpfung bis zur Übersiedelung

des Jakobhauses nach Ägypten.

In den drei nächsten Büchern ist das Leben und

das Werk des Moses dargestellt. Im Deuteronomium gehört der Priesterschrift fast nur der Bericht über Moses' Tod an (5. Mose 34, 88.). Vom Buche Josua gehört ihm die Hauptmasse des zweiten Teils an (K. 13—24). Vieles, was die Priesterschrift heute nicht erzählt, ist früher gewiß in ihr enthalten gewesen, aber

a) Z. B. der Sabbath an die Schöpfungsgeschichte.

122 29. (46.) Das Ergebnis der Kritik über die Entstehung des Pentateuchs rc. weggelassen worden, weil der Nedaktor des Pentateuchs dafür die Berichte der anderen Quellenschriften eingesetzt hat. Wenn nun die Priesterschrift in der geschichtlichen Darstellung von den andem Quellenschriften ergänzt wird, so das; alle diese Darstellungen sich zu einem Ganzen verbinden, so ist doch die Darstellung der Geschichte in dieser Schrift sehr ver­ schieden von der der andern Pentateuchquellen. Die Geschichtserzählung ist für ihn nicht die Hauptsache, sondern die Darstellung der Gesetze und Sitten des Gottes­ volkes. Darum giebt er nicht, wie der Jehovist und Elohist, ausführliche geschicht­ liche Erzählungen, wie sie der Sagenschatz des Volkes den andern Erzählern in reicher Fülle dargeboten hat, sondern er beschränkt sich auf den Keim der Geschichte, und statt einer ausführlichen Erzählung giebt er einen Geschichtsabriß, den er auch chronologisch zu fundamentieren sucht; für ihn sind die in der Geschichte enthaltenen Gedanken wichtiger, als die Plastik der Erzählung. d. Da das Deuteronomium es sich zur Aufgabe gemacht hat, der in Ka­ naan einziehenden neuen Generation das Gesetz darzulegen und einzuschärfen, so ist der geschichtliche Inhalt dieses Buches sehr gering. Nachdem in K. 1—4 dem Volke die wichtigsten Erlebnisse seit der Gesetzgebung am Horeb (wie in diesenl Buche fast stets gesagt wird statt Sinai) ins Gedächtnis zurmckgerusen worden sind, folgt der Hauptabschnitt (K. 5—26), enthaltend die Erklärung des Gesetzes, woran sich mahnende Reden anschließen (K. 27—30). Dagegen ist der Schlußteil (K. 31—34) geschichtlichen Inhalts, indem er Moses' letzte Anordnungen und seinen Tod darstellt. e. Dagegen ist nun wieder das Buch Josua, wie die Schriften des Jehvvisten und des Elohisten, ein vorwiegend geschichtliches Buch. Obwohl dasselbe, seitdem der Pentateuch durch Esra zum Gesetzbuch der Gemeinde geworden war, von demselben geschiedetl (und daher auch von den Samaritanern nicht mit über­ nommen wurde), ja sogar der zweiten dlbteilung der heiliget: Schriften (den sogerr. Propheten) zugewiesen wurde, so wird dieses Buch doch von der Wissenschaft mit dem Pentateuch verbunden und als der sechste Teil des ersten Hauptteils der Bibel (des Hexateuchs, wie die Wissenschaft sagt) angesehen. Dieses Buch hängt nämlich nicht bloß sachlich mit dem Pentateuch zusammen, indem es erzählt, wie Josua ausgeführt hat, was Moses begonnen hat (Eroberung und Verteilung des heiligen Landes), sondern auch in seiner Entstehung stimmt es mit dem Pentateuch überein, indem auch im Buche Josua dieselben Quellenschriften zu Grunde liegen, wie in den andern Büchern des Hexateuchs, vornehmlich der Jeho­ vist und der Elohist, weniger die Priesterschrift, mehr dagegen der Deuteronvmist, dessen Darstellung dem Buche seine letzte Gestalt gegeben hat. Den geschichtlichen Inhalt des Buches bildet, wie schon oben bemerkt, die Eroberung (K. 1—12) und Verteilung des heiligen Landes, nebst den letzten Maß­ nahmen Josuas zur Sichenmg der Bundestreue des Volkes (K. 13—24); das Buch schließt mit dem Tode Josuas.

39. (46.) Das Ergebnis der Kritik über die Entsteh««- des Pmtate«chs ««d des Buches Jos««. a. „Es sind nur wenige Stücke des Pentateuchs, welche dem Moses und seiner Zeit zugeschrieben werden. Versetzt man sich aber in die Ver­ hältnisse jener Zeit und in die Lage des Moses, so wird es uns auch gar nicht wahrscheinlich sein, daß er viele Schriftstücke versaßt habe. War

29. (46.) Das Ergebnis der Kritik über die Entstehung des Pentateuchs re. 123 auch der Schriftgebrauch zu Moses' Zeit bei den Israeliten schon ziemlich gewöhnlich, so war doch das Wanderleben in der Wüste keine günstige Zeit für Schriststellerei. Besonders aber ist Moses, der vielbeschäftigte Führer des Volkes, nicht in der Lage gewesen, viel zu schreiben. Über­ haupt war Moses ein Mann der That; ein solcher pflegt nur dann zum Griffel zu greifen, wenn es schlechterdings notwendig ist. Darin ist er Samuel und Elias ähnlich, auch Christus hat uns deshalb nichts Schrift­ liches hinterlassen. Nicht mit Worten, sondern nur durch Thaten konnte Moses seine Aufgabe lösen. Namentlich aber ist es von vorn herein nicht wahrscheinlich, daß Moses die Geschichte seiner Zeit, d. h. also vornehmlich seines eigenen Lebens und Wirkens, selber ausgezeichnet haben sollte. Die Aufzeichnung gleichzeitiger Begebenheiten kommt überhaupt nur in Zeiten der entwickeltsten litterarischen Thätigkeit vor; sonst giebt man höchstens chronikartige Angaben über Personen und Orte mit kurzen Notizen über einzelne wichtige Vorfälle, wie die vielleicht von Moses selbst herstammende (aber später überarbeitete) Darstellung des Wüstenzuges in 4. Mose 33. Daß auch von der Gesetzgebung nur wenig (Dekalog und Bundesbuch) von Moses selbst ausgezeichnet (aber auch nicht in der ursprünglichen Form erhalten) sein dürfte, ist oben bemerkt worden."') b. „Der gegenwärtige Stand der Pentateuchkritik ist nun dieser, daß alle Krittler der neueren Zeit einstimmig das Vorhandensein mehrerer Quellenschriften anerkennen, welche von mehreren Berfaffern herrühren. Auch werden die einzelnen Bestandteile, zumal in der Genesis, von den verschiedenen Forschern vielfach in gleicher Weise von einander gesondert. Es darf als anerkannt gelten, daß sich im Pentateuch mindestens vier ver­ schiedenartige Bestandteile finden: diejenige Schrift, zu welcher die Priester­ gesetzgebung gehört; die jehovistische Schrift; die elohistische Schrift; die deuteronomischen Bestandteile. Mehr und mehr wird ferner anerkannt, daß die einzelnen Quellenschriften ursprünglich selbständige Urkunden waren; ferner, daß von dem Deuteronomiker noch ein deuteronomischer Überarbeiter des Deuteronomiums, ja des ganzen Hexateuchs, der Deute­

ronomist, zu unterscheiden ist. Anerkannt ist endlich die Priorität des Bundesbuchs im Vergleich zu allen andern Gesetzesschriften, wie auch die Priorität des jehovistische« und des elohistische» Werkes im Vergleich mit dem Deuteronomium. Die Hauptstreitftage ist gegenwärtig die über das Alter der Priesterschrift mit der Priestergesetzgebung, ob sie nachdeuteronomisch und nachexilisch sei, oder vordeuteronomisch."2) c. Als im Jahre 444 das aus dem Exil zurückgekehrte Volk durch Esra auf das Gesetz verpflichtet wurde (Nehem. 8—10), da galt diese Verpflichtung dem Priestergesetz oder dem ganzen Gesetz, wie es uns heute im Pentateuch vorliegt, wie es aber dem jüdischen Volke bis dahin nicht bekannt war; denn im Jahre 621 war das Volk nur auf das Deuteronomium verpflichtet worden; jetzt erstreckte sich diese Verpflichtung auch auf das Priestergesetz, welches Esra, wie es ausdrücklich heißt (Esra 7, 14), aus Babylonien mitgebracht hatte. Wie sind nun die ver­ schiedenen Quellenschriften zu dem einen Gesetzbuch vereinigt worden? Riehm, Einteilung, § 19. Riehm, Einleitung, 1, S. 163.

124 29. (46.) Das Ergebnis der Kritik über die Entstehung des Pentateuchs rc.

d. Wenn das Deuteronomium als der jüngste Bestandteil des Penta­ teuchs angesehen wird, wie man früher meinte, so fragt es sich, wann und wie die drei anderen Bestandteile, der Jehovist, der Elohist und die Priesterschrift mit einander verbunden worden sind. Wenn manche Forscher meinten, daß zuerst der Jehovist und der Elohist mit einander verbunden worden seien und erst dann mit dieser Gesamtschrift die Priesterschrist verbunden worden sei, so lassen andere (z. B. Dillmann) die drei Schriften zugleich mit einander verbunden werden. Den Abschluß hat dann der Pentateuch durch die Verbindung des Deuteronomiums mit den drei anderen, bereits mit einander verbundenen Schriften gefunden, was wohl während des Exils geschehen ist. e. Wenn dagegen die Priesterschrift als die jüngste Quellenschrift des Pentateuchs angesehen wird, so nimmt man an, daß zuerst der Elohist mit dem Jehovisten verbunden worden sei, dann mit dieser Schrift das Deuteronomium, und zuletzt mit dem aus den drei anderen Quellenschriften zusammengesetzten Buche auch noch die Priesterschrift. Auch diese Ver­ bindung wird in die Zeit des Exils gesetzt.') f. Die jedenfalls nicht vor dem Exil zusammengestellte Schrift galt seit dieser Zeit als das Gesetzbuch der Juden. Da nun das Volk nur auf das Gesetz verpflichtet wurde, so kam das mit den anderen fünf Büchern zugleich entstandene Buch Josua hierbei nicht in Betracht, und es wurde nunmehr zu einem besonderen Buche, welches sogar dem zweiten Teil der heiligen Schrift, den sogen. Propheten, zugewiesen wurde. Wenn nun auch nach dem Abschluß des Pentateuchs neue Gesetze in denselben nicht mehr ausgenommen worden sind, so hat doch die Gestaltung und Revision des Textes auch später noch fortgedauert, was sich daraus ergiebt, daß die griechische Übersetzung und der samaritanische Text des Pentateuchs vielfach andere Lesarten darbieten, als wir heute im hebräischen Texte finden. g. Wenn so allerdings der Pentateuch nicht in dem Sinne eine ein­ heitliche Schrift ist, wie man das früher glaubte, wo man ihn von Moses Wort für Wort geschrieben sein ließ, so ist er trotzdem ein einheitliches Werk in sachlicher Hinsicht, da über die grundlegenden Momente der israelitischen Religion und Geschichte in diesem zusammengesetzten Buche dennoch eine unverkennbare Übereinstimmung vorhanden ist. Der Penta­ teuch ist „die Evangelienharmonie des Alten Bundes", wie wir eine solche für den Neuen Bund gewinnen, wenn wir uns für den Gebrauch in Kirche und Schule die vier Evangelien zu einem einheitlichen Leben Jesu zusammenstellen.

’) So mit Wellhausen auch König, Einleitung in das A. T. (1893).

Zweite Periode. Aas WotK Israel im Jettatter des Königtums, der Nntergang der Seiden Weiche und die Wieder­ herstellung des Weiches Juda. Wie Gott das Königtum in Israel begründet und manchmal and mancherlei Weise durch die Propheten zu seinem Bolle geredet hat. Vorbemerkung für den Lehrer. Dieser Abschnitt stellt die Geschichte des Volkes Israel in der Zeit von den Richtern bis zum Exil und der Wiederherstellung Judas dar. Auch hier muß sich der Unterricht in der Sekunda, eine gewisse Bekanntschaft mit der Sache voraus­ setzend, auf die Hauptpersonen und die Hauptthalsachen der Geschichte beschränken. Namentlich aber muß die Geschichte der getrennten Reiche auf die Hervorhebung der Epoche machenden, besonders der für die Religion wichtigen Momente be­ schränkt werden. Auch zum Verständnis dieser späteren Zeit gehört einige Kennt­ nis der gleichzeitigen orientalischen Geschichte; ich habe deshalb auch hier einige hierher gehörige Darlegungen eingeschoben, welche der Lehrer, soweit sie ihm nötig scheinen, verwerten mag.

Für die Lektüre wird auch bei diesem Abschnitt wenig Zeit bleiben; ich habe, absehend von den rein geschichtlichen Abschnitten, auf einige besonders wichtige Abschnitte hingewiesen; dagegen wäre es wünschenswert, für die Lektüre der Propheten, besonders Jesaias, Jeremias und des zweiten Jesaias, etwas Zeit zu gewinnen; die Betrachtung der messianischen Weissagung im Zusanlmenhange, wie auch der israelitischen Frömmigkeit, wie sie uns in den „Schriften" entgegentritt, bleibt zwei besonderen Abschnitten Vorbehalten, welche in der neuen Auflage dieses Buches mit der Darstellung der Gesetzesfrömnligkeit zu einem Ganzen verbunden worden sind.

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30. (47, 52 u. 55.) Die Geschichtsbücher vom Zeitalter der Richter :c.

A. Don den Achtem bis zum Untergange der beiden Reiche.

30. (47, 52 und 55.) Die Geschichtsbücher vom Zeitalter -er Richter bis znm Untergange -er beiden Reiche: -ie Bücher -er Richter, Ruth, Samaels an- -er Könige. a. Wie die Geschichte des mosaischen Zeitalters in einem zusammen­ hängenden Gcschichtswerke dargestellt ist (Pentateuch und Josua), so ist auch die Geschichte der Zeit von den Richtern bis zum Untergange der beiden Reiche zusammenhängend dargestellt, nämlich in den Büchern der Richter (zu welchem das Buch Ruth als eine Ergänzung anzusehen ist), Samuels und der Könige, welche ebenso, wie der Pentateuch und das Buch Josua, ein Ganzes bilden. Die Darstellung beginnt im Buche der Richter, anknüpfend an das Buch Josua, mit der Darstellung der Zeit der Richter, als deren letzter Simson dargestellt ist. Aber das folgende Buch, die Bücher Samuels, führt in Wahrheit erst den letzten Richter vor, nämlich Samuel, mit welchem die Zeit der Richter endet und eine neue Zeit beginnt, die Zeit des Königtums; die Geschichte der beiden ersten Könige, Sauls und Davids, der Nachfolger Samuels, wird ebenfalls noch in den beiden Büchern Samuels dargestellt. Das letzte Buch, welches die Geschichte dieses Zeitalters darstellt, die Bücher der Könige, beginnt mit der Geschichte Salomos und stellt dann neben einander die Geschichte der beiden getrennten Reiche bis zu ihrem Untergänge dar. Alle diese Bücher sind nun zwar allerdings zunächst Geschichts­ bücher, aber in der hebräischen Bibel werden dieselben nicht mit Unrecht als prophetische Bücher bezeichnet; diejenigen Männer, welche diese Bücher geschrieben haben, haben ihre Zeitgenoffen nicht vor allem über die Geschichte ihres Volkes belehren wollen, sondern sie haben ihnen die Geschichte als einen Spiegel für ihr Leben vorgehalten, damit sie aus derselben lernen sollen, daß „die Furcht Gottes der Weisheit Anfang, aber die Sünde der Leute Verderben ist." Daß die Überschrift dieser Bücher nicht ihre Verfasser, sondern ihren

Inhalt angiebt, versteht sich von selbst. Auch diese Bücher sind, wie alle Geschichtsbücher der Bibel, auf Grund älterer Urkunden und Darstellungen von Männern verfaßt worden, deren Namen uns nicht bekannt sind. Ihre heutige Gestalt haben diese Bücher erst in der Zeit des Exils erhalten. b?) Nachdem in einer doppelten Einleitung (K. 1, 1—2, 5 u. 2, 6—3, 6) der Zustand des Volkes nach Josuas Tode geschildert worden ist, stellt der Hauptteil des Buches der Richter (K. 3, 7—16, 31) die Wirksamkeit der rinzelnen Richter dar, deren zwölf-) (aber nur füns von größerer Bedeutung: Ehud, Barak, Gideon, Jephtha, Simson) vorgeführt werden: Othniel, Ehud, Debora und Barak, Gideon, Abimelech, Thola, Jair, Jephtha, Jbzan, Elon, Abdon, Simson.

*) Die folgenden Abschnitte sind nur für den Lehrer bestimmt. ’) Dabei ist S a in gar, der nur nebenbei (K. 3, 31 und 5, 6) erwähnt wird, nicht mitgezählt.

30. (47, 52 u. 55.) Die Geschichtsbücher vom Zeitalter der Richter 2C.

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Ein zweifacher Anhang des Buches (K. 17—18 und K. 19—21) erzählt zwei Einzelgeschichten als Belege für den Verfall des Volkes in der Richterzeit. Auch dieses Buch ist nicht das Werk eines Verfassers, sondern beruht auf verschiedenen Ilrkunden, welche oft einfach neben einander gestellt sind. Daher ist auch die zweifache Einleitung zu begreifen; beide knüpfen an das Buch Josua an, stammen aber gewiß nicht von demselben Verfasser her. Der Hauptteil des Buches, welchem auch die zweite Einleitung angehvrt (K. 2, 6—16, 31), rührt von einem Verfasser her, beruht aber ebenfalls auf älteren Urkunden (darunter das jedenfalls sehr alte Siegeslied der Debora), welche die Geschichte einzelner Stämme und Stammeshelden darstellten. Auf Grund solcher Erzählungen hatte zunächst ein älterer Geschichtschreiber ein Richlerbuch geschrieben, aus welchem die erste Einleitung (K. 1, 1—2, 5) und der Schluß des heutigen Buches (K. 17—21) stammen. Erst aus der Zeit nach Josia (621) kann die zweite Einleitung, der Hauptteil unseres Richterbuches und das ganze Buch in seiner heutigen Gestalt herstammen, da der Verfasser des heutigen Buches offenbar das Deuteronomium und das Buch Josua kennt. So hat denn das Buch der Richter wohl erst in der Zeit des Exils seine heutige Gestalt erhalten. Der Schluß des Buches bildet einen Übergang von der Richterzeit zur Königszeit, in welcher nicht mehr galt, was hier von der Richterzeit gesagt wird, daß „jeder that, was ihm recht deuchte" (Richter 21, 25). So hängt dies Buch mit den darauf folgenden Büchern Samuels zusammen. Daß auch in der Zeit des Abfalls von Gott und der Unterdrückung durch die Feinde das Volk Israel von Gott nicht verlassen und das Gottesreich nicht ganz unterdrückt wurde — das will der Verfasser des Buches dem Leser zeigen. Wenn nun, wie man annimmt, dies Buch im Exil geschrieben oder lvenigstens vollendet worden ist, so wurde dasselbe als Trostbuch für die Exulanten geschrieben, und auch dieser Schriftsteller gehörte zu denjenigen Propheten, denen Gott im Exil im Herzen zurief: „Tröstet, tröstet mein Volk!" (Jes. 40, 1.) Und seine trostreiche Geschichtspredigt hat sich in der Rückkehr aus dem Exil als richtig er­ wiesen. c. In der griechischen und in der Lutherbibel steht hinter dem Buche der Richter als eine Art von Anhang zu demselben das Buch Ruth, dessen Geschichte in der Richterzeit spielt. Dasselbe steht in der hebräischen Bibel zwar unter den „Schriften", dem jüngsten Teil der Bibel, gehört aber wohl seiner Entstehung nach noch in die vorexilische Zeit, wo das Judentum dem Heidentum noch nicht so feind­ selig gegenüberstand, wie nach dem Exil?) Das Haus Davids, an welches sich für die Juden so große Hoffnungen knüpften, wird in diesem Buche in seiner Vor­ geschichte vorgeführt; eine Moabitin Ruth, welche edler handelt als viele Kinder des Volkes Gottes gehandelt hätten, ist die Urgroßmutter des Königs David, und dadurch auch Jesu Christi geworden — eine Predigt von der Aufnahme auch der Heiden in das Reich Gottes. d. An das Buch der Richter, wenn auch nicht genau anschließend, knüpft das Buch Samuels an, erst später in zwei Bücher geteilt, indem es zunächst die Geschichte von Samuel erzählt; Samuel ist aber der Begriinder des Königtums im Volke Israel; so war es denn angemessen, daß in demselben Buche auch noch die Geschichte von Saul und von David dargestellt wurde. Daß der Verfasser des

\) Neuere Forscher weisen dasselbe aber der nachexilischen Zeit zu (z. B. Kautzsch, Anhang zur Bibelübersetzung, S. 199s.).

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30. (47, 52 u. 55.) Die Geschichtsbücher vom Zeitalter der Richter rc.

Buches nicht Samuel sein kann, versteht sich von selbst, da die Erzählung des Buches weit über seinen Tod hinausreicht. Nus zwei Quellenschriften schöpfend, namentlich auch aus den seit Davids Königtum geführten Reichsjahrbüchern, und wohl auch mündliche Überlieferungen benützend, haben zunächst zwei Schriftsteller

die im Samuelsbuche erzählte Geschichte behandelt, und auf diesen beiden Schriften beruht das heutige Samuelsbuch, welches wesentlich (abgesehen von einigen Zusätzen aus exilischer Zeit) der Zeit vor Hiskia angehört, da der Gottesdienst an mehreren Opferstätten noch nicht für verboten gilt, wie das seit Hiskias und Josias Refor­ mation der Fall war?) Das Buch ist eine Geschichtsurkunde von hohem Wertewenn auch öfters hier, wie in allen biblischen Geschichtsbüchern^), die Quellen un­ vermittelt neben einander gestellt sind, so thut das seinem Werte keinen Eintrag. Da dies Buch die Einsetzung des Königtums berichtet^) und namentlich Davids Königtum ausführlich darstellt, so stellt es diejenige Periode in der Geschichte des Volkes Israel dar, in welcher das NTliche Gottesreich seinen Höhepunkt erreicht hat. Aber indem nun an David die messianische Hoffnung geknüpft ist, weist das Buch über diesen Höhepunkt der israelitischen Geschichte hinaus auf ein noch vollkommneres Gottesreich der Zukunft, von welchem dann die Propheten genauer gepredigt haben, und welches durch Jesus Christus begnindet worden ist. So ist auch dies Buch noch für den Christen von Bedeutung. 6. DieBücher der Könige, in welchen die Geschichte der Zeit von Salomo bis zum Untergänge der beiden Reiche dargestellt ist, bildeten früher (wie die Bücher Samuels) nur ein Buch, das Königsbuch; dasselbe zerfällt in drei Hauptteile, welche die Geschichte des Gottesreiches unter Salomo, alsdann bis zum Untergänge Israels, endlich bis zum Untergänge Judas darstellen. Das Buch will nicht die Königsgeschichte oder die politische Geschichte Israels darstellen, sondern vornehmlich die Geschichte des Gottesreiches. Daher wird der Tenrpelbau ausführlich behandelt, dann der Abfall von Gott zum Bilder- und Götzendienst und die Ausrottung des letzteren, sodann die Reformen Hiskias und Josias ge­ nauer dargesteltt, und von jedem Könige wird sein Verhältnis zum Gesetz Gottes

angegeben — bisweilen fast das einzige, was von einem Könige gesagt wird; das Buch ist eben eine Geschichte des Gottesreiches. Für die Geschichte der Könige gab es nun in beiden Reichen Reichsjahrbücher, welche ein besonderer Beamter zu führen hatte. Aus diesen Jahrbüchern hat, mit Benutzung anderer Quellen, ein späterer Schriftsteller das in der Chronik stets citierte „Buch der Könige Israels und Judas" zusammengestellt, und auf diesen: Buche beruht sowohl dies Königsbuch als auch die Chronik; die letztere hat aber neben dem von ihr citierten „Buch der Könige" auch schon unser heutiges Königs­ buch benutzt. Dasselbe ist aber offenbar im Exil verfaßt, und zwar vor dein I. 536, da sich über die Rückkehr gar keine dtndeutung findet. Wenn in einzelnen Stellen Dinge als „bis auf diesen Tag" bestehend angeführt werden, welche im Exil nicht mehr vorhanden waren, so erklärt sich dies daraus, daß auch dieser Schriftsteller ältere Quellen buchstäblich aufnimmt, ohne sie nach dem Zusammen­ hänge umzugestalten?) Der Verfasser des Königsbuches unterscheidet sich deutlich von dem des Samuelbuches, indem er den Höhendienst als verboten betrachtet i) Vgl. 2) Vgl. 3) Daß erzählt ist, ist 4) Vgl.

Nr. 39 und 41. Nr. 1 A. die Einsetzung des Königtums ebenfalls nach zwei verschiedenen Quellen unten dargelegt, vgl. Nr. 32. Nr. 1 A.

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und nach diesem späteren Maßstabe die Könige beurteilt, auch diejenigen, welche vor Hiskia gelebt haben. Der Verfasser will in seinem Buche zeigen, daß Israel nur durch treues Festhalten an Gott und an der Einheit des Gottesdienstes glücklich gewesen, daß es um seines Ungehorsams willen verworfen worden, aber um Davids willen nicht für immer verworfen ist. Und diese Hoffnung hat sich erfüllt. f?) Die Bücher der Richter, Samuels und der Könige werden mit Recht als Werke der deuleronomischen Geschichtschreibung bezeichnet^), weil ihre Verfasser oder letzten Bearbeiter als Gesetz nur das Deuteronomium, nicht das Priestergesetz, kennen; die wenigen Stellen, welche eine Kenntnis des Priestergesetzes verraten, sind offenbar nachträgliche Einschaltungen. Daß nun die Geschichtschreibung auch dieser Bücher nicht unsere Wißbegierde befriedigen soll, ist schon anderwärts bemerkt worden; die Geschichte seiner Ver­ gangenheit soll für das Volk eine Lehrmeisterin für die Gegenwart und ein War­ nungsspiegel für die Zukunft sein. Am Ende der nationalen Selbständigkeit Is­ raels verfaßt, enthalten diese Bücher eine Beurteilung der ganzen Vergangenheit des Volkes im heiligen Lande, und zwar geschieht diese Beurteilung nach dem Maßstabe des deuteronomischen Gesetzes, und wird dadurch zu einer Verurteilung der Vergangenheit des Volkes. Der Untergang des Volkes ist, wie diese Schrift­ steller immer aufs neue betonen, eine Folge seines Ungehorsams gegen das Ge­ setz Gottes. Als die vornehmste Sünde erscheint ihnen aber die Sünde Jerobeams, d. h. der Höhendienst. Zwar so lange es keinen Tempel gab, war derselbe noch nicht verboten; aber seit dem Tempelbau war der Höhendienst eine offenbare Sünde (1 Kön. 3, 2; 2. Kön. 17, 7—18); um seines Ungehorsams willen gegen das Gesetz ist das Volk zu Grunde gegangen. g. Wenn nun, wie die Geschichtsbücher zeigen, im alten Israel die Religion eine große Rolle gespielt hat, wie ist es dann zu begreifen, daß die Geschichtschreiber, namentlich Richt. 2, 6^-3, 6 und 2. Kön. 17, 7—23 und 34—41, so sehr ungünstig über das alte Israel urteilen, als wenn die Israeliten eigentlich nur ausnahms­ weise Jehovah verehrt hätten? Diese ungünstige Beurteilung ihrer Vorfahren ist einerseits daraus zu er­ klären, daß diese Geschichtschreiber bei ihrem Urteil sich auf den Standpunkt ihrer Zeit stellten, für welche nicht bloß das ältere Gesetz des Bundesbuches, sondern -auch schon das des Deuteronomiums oder sogar, wie in der Chronik, schon auch das Priestergesetz maßgebend war. Nach diesen Maßstäben beurteilt, war allerdings die ganze Frömmigkeit der älteren Zeit keine wahre Frömmigkeit, und da diese Schriftsteller nicht auf dem Standpunkt der wissenschaftlichen Geschichtschreibung standen, so betrachteten sie die ältere Frömmigkeit als einen tadelnswerten und strafwürdigen Abfall vom Gesetz, und als die Strafe für diesen Abfall betrachteten

ste den Untergang der beiden Reiche. Aber diese Betrachtung, welche bei einem modernen Geschichtschreiber als un­ gerechtfertigt gelten würde, darf bei den biblischen Schriftstellern für berechtigt erklärt werden. Ihnen kam es ja nicht darauf an, ihre Zeitgenossen wissenschaft­ lich zu belehren, sondern sie wollten ihre Zeitgenossen in der Frömmigkeit -fördern und erhallen; dieselben sollten sich hüten, das Gesetz Gottes zu übertreten, damit nicht auch sie von der Strafe Gottes ereilt würden.

*) Wildeboer, Einleitung (1895), S. 241 s. 2) Vgl. Nr. 1 B und C. Heidrich, Heilige Geschichte.

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31. (48.) Die Zeit der Richter.

Zur Mahnung und zur Warnung sind auch die Geschichtsbücher des A. T. geschrieben, nicht zu wissenschaftlicher Belehrung, und darum darf der Standpunkt, den sie bei der Beurteilung der Geschichte ihres Volkes einnehmen, für berechtigt erklärt werden.

31. (48.) Die Zeit der Richter.') Richter 2, 6—3, 6. a. Als die einzelnen Stämme des Volkes Israel ihre Wohnsitze im Lande Kanaan eingenommen hatten, da waren sie zwar einig im Glauben, aber nicht in politischer Beziehung; jeder Stamm lebte für sich und kümmerte sich nicht um den andern; erst durch die Bedrängnis seitens der feindlichen Nachbarn, namentlich der Philister, ist das Nationalbewußtsein im Volke Israel erweckt worden, und vorübergehend unter einzelnen Richtern, dauernd durch das Königtum ist die politische Einheit des Volkes Israel errungen worden. b. Als das Land Kanaan erobert und verteilt war, da hatten die einzelnen Stämme die Aufgabe überkommen, die Kanaaniter, jeder in seinem Gebiete, vollends zu unterwerfen. Das ist nun nicht genügend ausgeführt worden, und an manchen Orten gewannen deshalb die Kanaaniter wieder die Oberhand über die Israeliten; dazu kamen feindliche Einfälle der Nachbarvölker, namentlich der Philister. In solchen Zeiten des Druckes, der auf einzelnen Stämmen lastete, erhoben sich, von Gott erweckt, Männer, welche sich an die Spitze Israels stellten und die Feinde bekämpften; dies waren die sogenannten Richter 2), nicht bestimmt, um in Streitsachen das Recht zu finden, sondern um dem Volke gegen seine Feinde sein Recht zu schaffen, da ja die Kanaaniter von Gott zum Untergange, die Israeliten zur Herrschaft bestimmt waren. Von den zwölf Richtern, welche das Richterbuch vorführt, sind nur wenige bedeutend, namentlich die Heldin Debora und der ihr zu Seite stehende Feldherr Baraks) die Richter Gideon und Jephtha; Simson hat trotz seiner großen Stärke seinem Volke wenig Nutzen gebracht. In die Zeit der Richter gehört auch die Geschichte von Ruth, einer Heidin, welche in das Volk Gottes eingetreten und zur Stammmutter des Königs David geworden ist4* )2 3 c. 5) Nur wenn man den Erinnerungen Israels jeden Wert abspricht und statt der Eroberung der ältesten Stammsitze in Kanaan durch das einheitliche, aus Ägypten kommende Volk ein allmähliches friedliches Besiedeln des kanaanitischen

Berglandes durch die einzelnen israelitischen Stämme annimmt, die sich zunächst im Grunde in gar keinem Gegensatz gegen die Urbewohner gefühlt, geschweige denn 0 Diese Zeit muß, wie die Zeit der Patriarchen, ganz kurz behandelt werden, um Zeit für die Königszeit zu gewinnen. 2) Sie heißen im Hebr. Schophtim, was dem karthagischen Suffelen entspricht; aber nur die letzteren waren eigentliche Staatsbeamte, etwa Konsuln, die ersteren höchstens Diktatoren, aber nicht des ganzen Volkes, sondern höchstens mehrerer Stämme. 3) D. h. Blitz, vgl. Hamilkar Barkas. 4) Vgl. Riehms Handwörterbuch s. v. Ruth. 5) H. Schultz, ATliche Theologie S. 94—95.

32. (50.) Der Prophet Samuel; das Königtum im Volke Israel.

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den Stolz höherer religiöser Würde ihnen gegenüber besessen hätten *), kann man, statt an einen Aufschwung in der Zeit von Moses und Josua mit einer in der Richlerzeit eintretenden Erschlaffung zu denkeir, in der Richterzeit eine langsame, aber stetige Erhebung ails den niedrigsten Anfärigen wahrnehmen. Dieser Anschauung gegenüber ist die ältere, auf der Bibel beruhende An­ schauung durchaus berechtigt. In der Zeit von Moses und Josua erblickt die Bibel mit Recht die Zeit eines Aufschwungs. Israel hat sich damals wirklich als das Volk seines Gottes gefühlt im Gegensatze zu den Völker:: Kanaans; nur vor einem solchen Aufschwünge des Volkes konnte die überlegene Kultur vor: Kanaan zusammenbrechen; nur so ist es begreiflich, wie sich im Volke Israel diejenigen religiösen Kräfte bilden konnten, welche die Zeit Sainuels und Davids offenbart. Die Zeit der Richter ist dagegen in der Bibel mit Recht als eine Zeit des Verfalls dargestellt. Wenn nämlich auch einige Richter bedeutende Thaten vollsührt haben, ja, Gideon eigentlich schon zum König über ein größeres Gebiet ge­ worden ist, so ist doch von ihnen kein dauernder Einfluß auf ganz Israel ausgeübt worden; das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit war den einzelnen Stämmen fast abhanden gekommen; „ein jeglicher that, was ihm recht deuchte" (Richt. 21, 25). Daß in einer solchen Zeit bei der nahen Berührung der Israeliten mit dem kanaanitischen Heidentum auch Glaube und Gottesdienst in Verfall ge­ rieten, ist kein Wunder; aber auch in dieser Zeit hat das Volk die durch Moses begründete Verehrung Jehovahs nicht ausgegeben.*2)3 „In dieser Zeit waren allerdings die hohen und höchsten Grundsätze des Mosaismus vom Volke noch nicht innerlich verarbeitet, noch nicht ins Bewußtsein, in Fleisch und Blut desselben übergegangen, die neuen Einrichtungen noch nicht ordentlich gehandhabt; noch machte sich der alte Naturtrieb des Volkes allenthalben auf Kosten der Mosereligion gellend; die Not des Lebens und die verführende Macht des Heidentums drohte zu Zeilen und in einzelnen Volksteilen dieselbe völlig zu überwältigen; der Gedanke der reinen Gottesherrschaft erwies sich zu schwach, um die auseinanderstrebenden und ins Heidentum hineinstrebenden Volksteile beisammenzuhallen zur Verwirklichung eines von allem Heidentum abgeson­ derten Gottesreichs. Und doch zeigen sich auch schon tiefere Wirkungen dieser Religion auf das Volk, und doch wurde das Volk im ganzen bei seinem Gott und bei seiner (wenn auch mangelhaft aufgefaßten und noch wenig verinnerlichten) Religion erhalten, und doch brechen am Ende aus diesem Richlerzeitalter wie aus einem im Winterschlaf gelegenen Saatfeld auf einmal die herrlichsten Früchte her­ vor; dieselben müssen also auch ihre Vorbereitungen gehabt haben, und an diesen hat es auch in der Richterzeit nicht gefehlt"^).

32. (50.) Der Prophet Samuel; das Königtum im Bolle Israel. 1. Sam. 8.

10, 17—11, 15.

K. 12.

1. Sam. 9, 1—10, 16.

a. Der Wendepunkt der Richterzeit liegt in dem Auftreten des Pro­ pheten Samuel und in der Begründung des Königtums in Israel. Zwar die Kanaaniter waren allmählich den Israeliten Unterthan ge­ worden oder waren mit ihnen verschniolzen, aber um so schwerer lastete *) So Stade. 2) Genaueres findet der Lehrer bei Kittel, Geschichte der Hebr. II, S. 86—90. 3) Dillmann, ATliche Theologie S. 138—139.

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32. (50.) Der Prophet Samuel; das Königtum im Volke Israel.

jetzt auf den Israeliten das Joch der Philister. Der erste Versuch des Volkes, dasselbe zu brechen, endete mit einer furchtbaren Niederlage, bei welcher sogar die Bundeslade in die Hände der Feinde fiel; nun konnten die Philister das Volk sogar entwaffnen, nicht einmal Schmiede haben sie im Lande geduldet. 9 Der Schreck über die Wegnahme der Bundes­ lade hatte den greisen Eli, der damals Priester zu Siloh war, getötet, und auch auf das Volk machte dies Unglück einen großen Eindruck. Zwar erhielten ja die Israeliten die Bundeslade zurück, aber dieselbe trat fortan im religiösen Leben des Volkes mehr in den Hintergrund; auch wurde dieselbe nicht wieder nach Siloh gebracht, wo sie sich bisher befunden hatte, sondern das alte Heiligtum des Volkes stand seitdem unbeachtet (die Stifts­ hütte war von den Philistern vernichtet worden) in Kirjathjearim, bis David dasselbe nach dem von ihm zur Hauptstadt des ganzen Landes er­ hobenen Jerusalem brachte. Das Volk fand jetzt seinen Mittelpunkt nicht im Hohenpriester, sondern in dem in dieser Zeit auftretenden Propheten Samuel, welcher als Prophet und als Priester und als Richter in Israel waltete. Seit Moses hatte niemand eine so hohe Stellung in Israel eingenommen wie Samuel; seine bedeutendste That aber war die Begründung des Königtums im Volke Israel. b. Das Volk Israel bestand aus zwölf Stämmen; jeder Stamm zerfiel in eine Anzahl von Geschlechtern, jedes Geschlecht in eine Anzahl von Vater­ häusern, jedes Vaterhaus in eine Anzahl von Familien. An der Spitze jedes Stammes stand ein Stammfürst, an der Spitze jedes Geschlechts ein Geschlechtsfürst, an der Spitze jedes Vaterhauses ein Haupt; alle diese Würden erbten sich fort im Erstgeborenen der Familie; alle diese Vorsteher zusammen wurden Älteste genannt. Dieselben waren in ihren Kreisen die Leiter und Ordner der gemeinsamen Angelegenheiten, konnten aber wichtigere Dinge nicht ohne die Zu­ stimmung ihrer Untergebenen entscheiden. Diese Einteilung des Volkes nach der Abstammung hat sich auch später nicht ganz verloren, als viele fremde Elemente in die Stämme eindrangen, und als durch das Königtum eine größere Einheit des Volkes hergestellt wurde; sogar nach der Rückkehr aus dem Exil spielte die Geschlechtsordnung noch eine nicht geringe Rolle.

c. Wenn so das Volk Israel einer Obrigkeit nicht entbehrte, so gab es doch zunächst kein menschliches Königtum über das ganze Volk Israel; Jehovah selber galt als der König seines Volkes, welcher allerdings durch menschliche Organe (Moses, Josua, Richter) sein Volk leitete; aber die­ selben hatten keine selbständige Gewalt und kein königliches Recht über das Volk; darum war ihre Würde auch nicht erblich, und manchmal stand niemand an der Spitze des ganzen Volkes. In der Errichtung eines menschlichen Königtums in Israel lag also ein Herabsteigen von der idealen Höhe des mosaischen Gottesreiches; statt durch die Geistesmacht der Idee sollte das Volk fortan durch ein ständiges menschliches Regiment geleitet werden.*2) Darin lag allerdings die Gefahr, daß durch den menschlichen König die Idee der Oberherrschaft Gottes in Israel verdunkelt oder gar beseitigt wurde; und das ist ja später oft *) Vgl. Porsena und die Römer nach der Geschichte, nicht nach der Sage. 2) Wre die katholische Kirche durch den Papst, während die evangelische Kirche sich mit der Herrschaft Christi begnügt.

32. (50.) Der Prophet Samuel; das Königtum im Volke Israel.

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genug geschehen. Aber andrerseits war doch die Begründung eines mensch­ lichen Königtums in Israel nicht unberechtigt; dasselbe ist aber im Volke Israel in folgender Weise begründet worden. d. Durch die Drangsale der Richterzeit war dem Volke das Bedürfnis eines festen staatlichen Verbandes zum Bewußtsein gebracht worden; den­ selben glaubte es nur durch ein menschliches Königtum gewinnen zu können. Noch stärker äußerte sich das Verlangen nach einem Königtum, „wie es alle Völker haben" (1. Sam. 8, 5 und 20), als das Volk unter Samuel die Vorteile der nationalen Einigung in den Kämpfen mit den feindlichen Nachbaren erfahren hatte. Samuels Verhalten gegenüber dieser Forderung des Volkes ist nun in zwei Berichten dargestellt; der erste ist enthalten in 1. Sam. 8. 10, 17—11, 15 u. K. 12, der zweite in K. 9, 1—10, 16. In dem Sinne, in welchem das Volk seine Forderung nach einem Könige stellte, war sie eine Verleugnung der Königsherrschaft Jehovahs, indem das Volk seine Zuversicht nicht auf die Treue und Hilfe Gottes, sondern auf eine irdische Verfassung setzte; mit Recht heißt es deshalb von Israel, mit dieser Forderung hätten sie Gott als König über Israel verworfen (K. 8, 7). Es ist daher kein Wunder, daß nach dem ersten Berichte Samuel von der Einsetzung eines menschlichen Königs nichts wissen will. Aber andrerseits stand ein irdisches Königtum nicht notwendig im Wider­ sprüche mit der Königsherrschaft Gottes, wenn nur der König im Namen und nach dem Willen Gottes seine Herrschaft führte. So ist es also kein Widerspruch, wenn Samuel nach dem zweiten Bericht von Gott sich ge­ trieben fühlt, der Forderung des Volkes zu willfahren. Wie in Israel die Idee des allgemeinen Priestertums nicht verwirklicht, sondern schon von Moses ein besonderes Priestertum eingesetzt worden war, O so durfte auch ein besonderes menschliches Königtum in Israel eingesetzt werden, natürlich nur unter der Voraussetzung, daß der König sich nur als Stell­ vertreter Gottes betrachtete und erwies. Ein menschliches Königtum konnte ja auch erst das in zwölf Stämme gespaltene Volk wirklich zusammen­ fassen und die Existenz des Volkes gegen die feindlichen Nachbaren besser sichern. Die beiden Berichte über die Einsetzung des Königtums stimmen also ganz gut mit einander überein, indem sie die beiden Gedanken dar­ stellen, von welchen Samuel ganz naturgemäß bei der Entstehung des Königtums ergriffen werden konnte, ja, ergriffen werden mußte. e.*2) Die bittere Not hatte das Königtum heworgerufen — damit ist die Hauptaufgabe des Königtums deutlich gegeben: die Hilfe gegen die Feinde nach außen war es, was man vom Könige in erster Linie erwartete. Im Grunde genommen war also der König zunächst nichts anderes als der Heer­ führer im Kriege, und von den früheren „Richtern" unterschied er sich zunächst nur in dem einen Stücke, daß unter seinem Heerbann sich das ganze Israel vereinigte, wenn er sie zu den Waffeir rief. Der wichtigste Fortschritt gegen die Zeit der „Richter" bestand aber darin, daß dem Könige auch nach beendigtem Feldzuge das Regiment im Frieden blieb (und auch in seiner Familie sich fort erb le), und so — aber erst allmählich *) Auch hier entspricht die evangelische Kirche ohne Priester der Idee des Volkes Gottes, welche die katholische Kirche durch die Einsetzung des Priestertums aufgegeben hat. 2) Nur für den Lehrer. — Nach Benzinger, hebr. Archäologie (1894', §42,

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32. (50.) Der Prophet Samuel; das Königtum im Volke Israel.

— eine geordnete Regieruug des Landes sich entwickelte. Die Kommunalverwallung behielt zwar stets cijxe große Selbständigkeit; der König war zufrieden, wenn die Abgaben und Steuern eingingen; sonst mischte er sich wenig in die An­ gelegenheiten der Gemeinden. 9tber freilich konnte numnehr jeder vom Richter seines Ortes an den König sich wenden, denn der König war fortan der oberste Richter. Aber der König war nicht berechtigt, neue Gesetze zu geben, sondern er war an die bestehenden Gesetze gebunden; aber oft genug hat der König, und noch häufiger haben seine Beamten das Gesetz übertreten. Daß dem Könige auch priesterliche Rechte zukamen, fand die alte Zeit selbstverständlich, mit) wenn auch der König selten priesterliche Funktionen ausübte, sondern dieselben den dazu eingesetzten Priestern überließ, so wurden doch auch die Priester zu Untergebenen des Königs, welche vom Könige nach Belieben ein­ und abgesctzt wurden. So war also auch in der Hand des israelitischen Königs die ganze Macht des Gebieters vereinigt; er war der oberste Heerführer, der oberste Richterund der Herr auch der Priester. f. Das Königtum war zunächst dazu gegründet worden, um dem Volke Schutz gegen äußere Feinde zu gewähren, wie auch Ordnung und Sicherheit im Innern herzustellen. Aber auch für die ?)teligion ist das Königtum von großer Bedeutung geworden. Erst als man einen menschlichen König hatte, lernte man auch Jehovah als König betrachten, der nicht bloß bisweilen, sondern beständig sein Volk regiere. Wie der Hauptmann von Kapernaum an der römischen Disciplin lernte, daß alle menschlichen Dinge einem göttlichen Willen Unterthan sein müßten, so wurden auch die Israeliten durch den Gehorsam gegen den menschlichen König zum Gehorsam gegen den göttlichen König geführt. Auch für den Kultus wurde das Königtum von Bedeutung, indem die Könige die Reichsheiligtümer zu Jerusalem und zu Bethel bauten und damit die Einheit des Kultus vorbereiteten, wie sie später in Juda durch Josia gefordert und allmählich durchgesetzt worden ist. Endlich aber ist das Königtum auch für die Predigt der Propheten von der Zukunft bedeutsam geworden, indem das ideale Israel der Zukunft als ein Königreich gedacht wurde, an dessen Spitze der Messias, d. h. der gesalbte König, stehen sollte. So hat das zunächst zu weltlichem Zwecke gegründete Königtum auch für die Religion eine große Bedeutung gewonnen.

g. Es gelang nun aber nicht sofort, einen für Israel passenden König zu finden; Saul geriet bald mit den beiden anderen gottbegründeten In­ stitutionen in Israel, mit dem Priestertum und dem Prophetentum, in Konflikt; erst in David war „der Mann nach dem Herzen Gottes" ge­ funden (1. Sam. 13, 14), und nun wurde auch erst (2. Sam. 7) von dem Propheten die Erblichkeit seines Hauses proklamiert. Seitdem galt der Davidische Herrscher als der Stellvertreter Gottes, des eigentlichen Königs in Israel (Ps. 2. 45. 110); Gott ist des Königs Vater, der König ist Gottes Sohn (Ps. 2, 7); seine Herrschaft ist unbegrenzt (Ps. 2, 8) und ewig (Ps. 45, 7). Das war allerdings die Idee des israelitischen Königs, aber nur wenige wirkliche Könige haben dieser Idee einigermaßen entsprochen; daher hat sich im Anschluß an das israeli­ tische Königtum (wie im Anschluß an den Bund Gottes mit Israel) die

33. (51.) Der König Saul c. 1050.

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Weissagung von dem vollkommenen Könige der Zukunft, vom Messias, entwickelt.')

38. (51.) Der König Saul e. 1050. 2. Sam. 1, 17—27.

a. Durch den Propheten Samuel ist, wie die Bibel erzählt, Saul, ein Mann aus dem kleinen Stamme Benjamin, um eines Hauptes Länge alles Volk überragend (1. Sam. 9, 2; 10, 23), zum König von Israel bestimmt worden. Ein zufälliges Ereignis (Verlust der Eselinnen) hatte Saul zu Samuel geführt (1. Sam. 9), und bei dieser Begegnung wurde Saul von Samuel insgeheim zum König bestimmt; ein allgemeiner Land­ tag ernannte ihn öffentlich zum König (10, 17—11,15); aber erst durch eine große That wurde Saul wirklich zum König. Die Bewohner der Stadt Jabes in Gilead waren nämlich von dm Ammonitern schwer be­ drängt, und wandten sich in ihrer Not nach Gibea, dem Geburtsorte Sauls, um Hilfe. In der Weise der Richter seine Landsleute zum Kampfe aufbietend, schlug Saul die Ammoniter, und nunmehr wurde, indem Samuel sein Richteramt öffentlich niederlegte, Saul allgemein als König anerkannt. b. Sauls ganze Regierungszeit war von Kriegen ausgefüllt, besonders gegen die Philister; auch Saul hat trotz aller Kämpfe die Vollendung des Sieges über dieses Volk noch seinem Nachfolger als eine zu lösende Aufgabe hinterlaffen. Als nun Saul sein Heer versammelt hatte, da wurde Samuels Ankunft zur Darbringung des Opfers vergeblich erwartet; endlich opferte Saul selber, mußte aber dafür von dem später ankommen­ den Samuel eine strenge Rüge wegen Überschreitung seiner Befugnisse vemehmen. Der Krieg aber führte zum Siege über die Philister. Ein neuer Kampf brach nunmehr gegen die Amalekiter aus; auch sie wurden besiegt, aber wiederum kam es zum Konflikt zwischen Saul und Samuel, und der König mußte vernehmen, daß Gott ihn verworfen und das König­ tum einem andern bestimmt habe; aber Samuel hat den König weder in den Bann gethan noch abgesetzt, wie es die Päpste im Mittelalter gethan haben, sondern Samuel hat den König fortan nur sich selbst überlassen. Auch noch andere Kriege hat Saul geführt, von denen wir keine genauere Kunde haben; er war ein kraftvoller Herrscher, aber es gelang ihm nicht, sich in die Schranken zu finden, welche dem Königtum in Israel gezogen waren; bei allem Eifer für die Größe seines Volkes scheint ihm das tiefere Verständnis für die religiöse Bedeutung seines Volkes gefehlt zu haben, und deshalb mußte es zur Entfremdung zwischen ihm und Samuel kommen. c. Sauls Seele war in der Folgezeit von Schwermut verdüstert; als sich nun wieder der Krieg mit den Philistern erneuerte, da wandte sich der König an eine Totenbeschwörerin, um von dem heraufbeschworenen Samuel die Zukunft zu erfahren. Aber die Kunde, die er erhielt, erregte ihn so heftig, daß er wie tot zur Erde fiel. Und die Schlacht fiel in der That unglücklich aus. Die Israeliten wurde» geschlagen, drei Söhne

') Vgl. Nr. 74.

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34. (53.) Die Könige David c. 1025 und Salomo c. 980.

Sauls waren bereits gefallen; als nun die Bogenschützen der Philister auf den König stießen, wollte sich dieser durch seinen Waffenträger töten lassen, um nicht in die Hände der Feinde zu fallen; da aber der Waffen­ träger ihm den erbetenen Dienst verweigerte, so stürzte er sich selber in sein Schwert. Zwar seinen Leichnam konnten die Philister noch miß­ handeln, aber auch diesen entzogen der ihm angethanen Schmach die dank­ baren Bewohner von Jabes, denen er einst gegen drohende Schmach von feiten der Ammoniter Hilfe gebracht hatte. Als David hörte, daß Saul gefallen sei wie auch dessen Sohn Jonathan, sein treuer Freund, da be­ klagte er beider Tod in einem ergreifenden Liede (2. Sam. 1, 17—27). d.1) „Saul ist die erste tragische Gestalt in der Welthistorie."2) In der That wenn es zum Wesen wahrer Tragik gehört, daß der tragische Held nicht als ein absolut Unberechtigter oder gar als ein vollendeter Bösewicht schließlich dem Unter­ gänge anheimfällt, sondern daß er auch durch edle Eigenschaften unsere Teilnahme gewinnt und ein relatives Recht vertritt, durch dessen einseitige Vertretung er nur mit einem höheren Rechte in Widerspruch gerät und sich so selbst das Verderben bereitet, so ist Saul eine wahrhaft tragische Gestalt. Der schöne und stattliche, aufrichtige und bescheidene, wo es zu handeln gilt, ki'chne und energische Held, der auch im Bewußtsein der großen Sache, tvelcher er dient, und des Dankes, den er Gott für seine Erhebung und seinen Sieg schuldig ist, persönliche Kränkungen zu vergeben und zu vergessen weiß, gewinnt unsere volle Teilnahme. Auch für die besonderen Forderungen der Israel gewordenen Offenbarung ist er keineswegs unempfänglich. Dennoch aber fehlt ihm, was den theokratischen König eigentlich macht: die volle Hingabe an den Gedanken, daß er nur den Willen Gottes, des eigentlichen Königs von Israel, auszuführen hat, als dessen Organ Samuel dasteht und von Saul selbst anerkannt wird. Bei ruhiger und eingehender Erwägung der Sachlage wird man also Samuel nicht einer eifersüchtigen oder selbstsüchtig hierarchischen Härte anklagen wollen, sondern wird anerkennen müssen, daß er in seinem Rechte war, wenn er Saul, als seiner hohen Aufgabe nicht gewachsen, verwarf. Gerade bei der Gründung des israelitischen Königtums kam es darauf an, dem theokratischen Princip auch nicht das Geringste zu vergeben, auf welchem doch im Grunde auch die politische Selbständigkeit und Macht Israels ruhte. Daß in dem Festhalten an der den Vätern geoffenbarten Religion auch die beste Politik für Israel lag, wurde sogleich durch Davids Regierung glänzend bestätigt. Gleich­ wohl begleitet man seinen unglücklichen Vorgänger auch noch nach seiner Verlvestung mit herzlicher Teilnahme bis zu seinem Tode im Kampfe mit der: Philistern. Daß auch sein Volk ihn nicht vergessen hat, zeigt die Bestattung seines Leichnams durch die Bewohner von Jabes, und das zeigt noch deutlicher das Klagelied Davids über den gefallenen König.

34. (53.) Die Könige David c. 1025 und Salomo c. 980. A. David und Saul. 1. Sam. 16, 14—23.

18, 1—9.

19, 9—17.

Ps. 22.

a. Wie David, der jüngste Sohn des Jsai in Bethlehem (im Stamme Juda), der Sohn eines niederen Mannes, der seines Vaters Schafe hütete x) Riehm, Handwörterbuch s. v. Saul. — Nur für den Lehrer. 2) Ranke, Weltgeschichte I, 59.

(rötlich, entweder von Haaren — was im Morgenlande bei seiner Selten­ heit als schön gilt — oder von Gesichtsfarbe — gegenüber der dort ge­ wöhnlichen dunklen Gesichtsfarbe — und mit schönen Augen), an Sauls Hof gekommen ist, wird in drei Erzählungen begründet, welche teils an sich, teils in ihrer Verbindung dem Historiker manche schwer zu lösende Frage darbieten.') Der König Saul war schwermütig geworden; da schlugen ihm seine Diener vor, sich einen Mann zu suchen, der es verstehe, die Zither zu spielen und durch sein Spiel den Tiefsinn des Königs zu verscheuchen. Als Saul auf diesen Rat eingeht, da erinnert sich einer seiner Diener eines Bethlehemiten David, eines Sohnes des Jsai, der sich auf das Saitenspiel Wohl verstehe, dazu ein tüchtiger Kriegsmann sei, der Rede kundig und von schöner Gestalt. Saul läßt infolgedessen den Jsai bitten, ihm seinen Sohn David zuzusenden. Mit Geschenken, wie jeder Unterthan sie dem König aus Gehorsam geben muß, sandte Jsai seinen Sohn an den Hof, und Saul fand Gefallen an David, behielt ihn bei sich und machte ihn zu seinem Waffenträger. Wenn der böse Geist über Saul kam, so spielte David vor dem König, und der böse Geist wich von ihm. Durch einen Zufall war nach dieser Erzählung David an Sauls Hof gekommen; später erzählte man sich, daß der Sieg über Goliath, den David erfochten habe, ihn mit Saul zusammengeführt habe.^) Was aber, menschlich angesehen, ein Zufall war, das war, vom Stand­ punkte des Glaubens aus betrachtet, eine Fügung Gottes. Von diesem Standpunkte aus erzählt die Bibel, daß schon vor der ersten Berührung Davids mit Saul Gott den David zum König über Israel bestimmt habe, und zwar habe ihn Samuel in der Stille in seines Vaters Hause dazu auserwählt und gesalbt (1. Sam. 16, 1—13). b. Wenn also auch nicht recht zu erkennen ist, wie David an Sauls Hof gekommen ist, so erkennt man doch, daß David durch seine Tüchtigkeit allmählich eine angesehene Stellung am Hofe des Königs gewonnen hat. Saul machte ihn bald zum Befehlshaber der Kriegsleute, und David zog aus, wohin ihn Saul sandte, und hielt sich klüglich und gefiel wohl allem Volk (18, 5). Bald war des Königs tüchtiger Sohn Jonathan sein innigster Freund, so daß wir noch heute David und Jonathan unter die berühmtesten Freundespaare rechnen. Ja, David wurde sogar des Königs Schwiegersohn. Wer der schwermütige König geriet allmählich auf den Gedanken, sein Sohn und sein Schwiegersohn beabsichtigten ihn vom Throne zu stoßen, und so sah sich David genötigt, um sich den Nachstellungen Sauls zu entziehen, den Hof zu verlassen und sich in der Einsamkeit zu verbergen. ’) „1. Sam. 17, 55—58, wo Saul sich nach dem Siege über Goliath nach dem ihm unbekannten David erst erkundigt, läßt sich mit dem in 1. Sam. 16, 14—23 über den Aufenthalt Davids an Sauls Hof Erzählten nicht ver­ einigen. Die verschiedenen Erzählungen über die Jugendgeschichte Davids lassen auch nach ihrer Zusammensetzung die Fugen zwischen ihnen noch erkennen." Orelli (Herzogs Encykl. s. v. David). 2) In Sauls Philisterkämpfen hat David einen philistäischen Riesen erschlagen; denselben hat die Sage mit dem Riesen Goliath verwechselt, der nach 2. Sam. 21,19 von einem der Helden Davids, Elchanan aus Bethlehem, erlegt worden ist." Kittel, Geschichte der Hebr. II, S. 105.

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Hier sammelten sich um ihn bald seine Angehörigen und andere Leute, und David begann an der Grenze des Stammes Juda, dem er angehörte, sich eine eigene Herrschaft zu gründen. Er hatte nicht die Absicht gehabt den König zu verdrängen, aber die ungerechtfertigte Verfolgung durch den König machte ihn zu dessen Gegner, wobei er allerdings zunächst nur an die Sicherung seines Lebens dachte. An der Spitze einer Schar von etwa 600 Mann zog David im Süden von Juda umher; Saul verfolgte ihn, aber er konnte seiner nicht habhaft werden; ja, David fand Gelegenheit, dem Könige zu zeigen, daß er ihn hätte töten können, wenn er gewollt hätte. Saul mußte diese Rechtfertigung Davids anerkennen, aber seine Schwermut erweckte in ihm bald wieder das alte Mißtrauen. c. Als sich David auch im Stamme Juda nicht mehr halten konnte, begab er sich zu den Philistern, wo er, als der Feind Sauls, vom Könige derselben ausgenommen wurde; der König Achis von Gath gab ihm die Stadt Ziklag zum Wohnsitz, und von hier aus gewann nun David durch Raubzüge seinen Unterhalt. Als der Philisterkönig gegen Saul den Krieg begann, der dem Saul das Leben kostete, wollte er sogar David und seine Schar seinem Heere einreihen; aber das Mißtrauen der anderen Philister­ fürsten bewahrte David vor der üblen Wahl zwischen dem Kampfe gegen Saul oder Verrat an den Philistern. Als David von Sauls und Jonathans Tode hörte, da dachte er nicht daran, daß er nun König werden könne, sondern in rührenden Worten gab er dem Schmerze über den Tod seines Freundes und des Königs Ausdruck, dem er einst im Leben so nahe gestanden hatte (2. Sam. 1, 17—27). B. David als König.

Ps. 18 (= 2. Sam. 22). a. Nachdem Saul und alle seine älteren Söhne im Kampfe umge­ kommen waren, wurde durch das Betreiben von Sauls Oheim, dem Feld­ hauptmann Abner, Sauls einziger noch lebender Sohn, Jsbosethy, zunächst vom Ostjordanlande als König anerkannt. Bald gelang es, auch den Norden des Westjordanlandes für Jsboseth zu gewinnen. Dagegen hatte David im Stamme Juda (wo er in Hebron seinen Wohnsitz auf­ schlug) in Abhängigkeit von den Philistern, deren Gebiet er nach Sauls Tode verlaffen hatte, eine eigene Herrschaft gegründet, und bald kam es zum Kampfe zwischen den beiden israelitischen Königen. In diesem Kampfe erlag Jsboseth, der sich mit Abner verfeindet hatte; Abner wurde zwar selber von Davids Feldhauptmann Joab ermordet; aber bald darauf fiel auch Jsboseth durch Meuchelmord. Nunmehr wurde David auch von den andern Stämmen als ihr König anerkannt, und so war die Spaltung *) Jschboscheth hieß eigentlich Eschbaal (so nach 1. Chron. 8, 33 u. 9, 39); da aber die spätere Zeit an dem Worte „Baal" Anstoß nahm (welches ursprünglich auch von dem Gotte Israels gebraucht wurde), so änderte man den Namen in Jsboseth (Boscheth =• Schande d. i. Baal), wie Mephiboseth früher Meribbaal hieß (1. Chron. 9, 40). Wie nämlich die Juden später statt Jehovah Adonaj lasen, so lasen sie in den mit Baal zusammengesetzten israelitischen Eigennamen statt Baal stets Boscheth (= Schande); vgl. Kittel, Geschichte der Hebr. II, S. 87—88. Etwas Ähnliches ist es, wenn wir den Namen des Teufels meiden und dafür „Gottseibeiuns" sagen.

Israels nach einer Dauer von 7J/2 Jahre glücklich beseitigt; darauf hat David noch 33 Jahre über ganz Israel geherrscht. b. Was David als König von Juda notgedrungen gewesen war, ein Lehnsmann der Philister, das wollte er als König Gesamtisraels nicht mehr bleiben; auch die Philister faßten die Lage ebenso auf, wie aus­ drücklich in der Bibel gesagt wird (2. Sam. 5,17): „Und da die Philister hörten, daß man David zum Könige Israels gesalbet hatte, zogen sie alle herauf, David zu suchen." Und nun kam es zu Kämpfen, die wir im einzelnen nicht verfolgen können, deren Ergebnis aber deutlich vorliegt: David besiegte die Philister so gründlich, daß ihre Oberherrschaft über (einen Teil von) Israel seitdem für immer zu Ende war (2. Sam. 8, 1); seitdem war ihre Herrschaft auf die Küstenebene beschränkt, und sie traten mit den Israeliten in friedlichen Handelsverkehr. Ein Freundschaftsbund verband auch das Handelsvolk der Phönicier mit den Israeliten. Wie die Philister im Westen, so wurden auch die benachbarten Völker im Norden und im Osten von David besiegt und unterthänig gemacht; so die Moabiter und die Ammoniter im Ostjordanlande, der syrische König von Damaskus, die Edomiter und die (seitdem ganz verschwundenen) Amalekitcr im Süden des jüdischen Landes. Das Reich Davids umfaßte zuletzt das Gebiet vom Libanon bis zum Roten Meer, und im Osten reichte es bis an die syrische Wüste. So hatte David für Israel die Freiheit errungen und seine Herrschaft auch über die Nachbarvölker ausgebreitet; so mächtig, wie unter ihm, ist das Volk Israel niemals vorher oder nachher gewesen; in seinem Sieges­ dankliede Ps. 18 (— 2. Sam. 22) gab der König Gott die Ehre, die ihm gebührt; dankbar bekannte er: „Herr, wer bin ich und mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast!" (2. Sam. 7, 18.) c. So hatte David durch siegreiche Kämpfe sein Reich befestigt und erweitert, und er stand in hohem Ansehen unter seinem Volke und unter dessen Nachbaren. Daß er sich auch eine neue Hauptstadt geschaffen und dieselbe zum politischen und religiösen Mittelpunkte des Landes gemacht hat, wird unten genauer dargelegt werden. •) Die Verwaltung des Staates und die Ordnung und Kräftigung des Kriegswesens betrachtete der König als seine wichtigste Aufgabe. Daß er gegen sein ganzes Volk Recht und Gerechtigkeit übte, wird ausdrücklich von ihm gerühmt (2. Sam. 8, 15). Wie er selber Gesang und Musik liebte, so fand auch an seinem Hofe die Kunst eine Stätte; von seiner dichterischen Thätigkeit wird unten genauer gesprochen werdend)

C. Davids Sünde und Unglück. 1. Sam. 13, 14.

2. Sam. 12, 1-14. 17, 23. Ps. 51.

16, 5—14. Ps. 32.

15, 12.

16, 23.

a. „Ein Mann nach dem Herzen Gottes" (1. Sam. 13, 14) ist der König David gewesen; aber auch er blieb nicht frei von Sünde und Schuld, und auch ihm blieben Leid und Trübsal nicht erspart, freilich zumeist hervorgerufen durch eigene Schuld. >) Vgl. Nr. 35. 2) Vgl. Nr. 80.

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34. (53.) Die Könige David c. 1025 und Salomo c. 980.

Als nämlich David einst ein schönes Weib vom Dache seines hoch gelegenen Hauses erblickte, Bathseba, die Frau des eben im Feldzuge ab­ wesenden Uria, da unterdrückte er seine sündliche Leidenschaft nicht, sondern verband sich heimlich mit dem Weibe, welches allerdings wohl ebenfalls von Schuld nicht ganz freizusprechen ist. Um die Sünde zu verbergen, sollte Uria zu seinem Weibe heimkehren. Als aber der pflichttreue Mann jede Berührung mit seinem Weibe mied, da er es nicht besser haben wollte als seine Kampfgenossen, da ließ ihn Davids durch den Oberfeldherrn an einen verlorenen Posten stellen, und bald war er gefallen. Nunmehr nahm David des Gefallenen Witwe zur Frau (er hatte deren schon mehrere), und sie gebar ihm einen Sohn. Aber die That wurde ruchbar, und der Prophet Nathan brachte den König zum Bewußtsein seiner Sünde und zum Bekenntnis seiner Schuld; in einem herrlichen Bußpsalm (Ps. 51) hat er seine Sünde bekannt zur Warnung für sein Volk und für uns. Aber freilich blieb trotz seiner Buße die Strafe nicht aus; das Kind der Bathseba starb, und erst ihr zweiter Sohn, Salomo, ist am Leben geblieben. Bald sollte der König noch schwerer für seine Sünde büßen. b. Das böse Beispiel des Vaters wirkte fort unter seinen Söhnen. David hatte nach der Sitte seiner Zeit mehrere Frauen, und die Viel­ weiberei erweckt ja sehr leicht in der Familie Zwietracht und Streit. Des Königs ältester Sohn schändete eine seiner Stiefschwestern, und deren Bruder Absalom^) hielt es, da der Vater den Frevel nicht bestrafte, für seine Pflicht, den Stiefbruder zu ermorden. Um sich der Strafe des Vaters zu entziehen, floh er zum Vater seiner Mutter; als er endlich zurückkehren durfte (er war jetzt vielleicht der älteste Sohn Davids), lohnte er dem Vater mit dem Versuche, ihn vom Throne zu stoßen. Dabei fand er viele Anhänger, namentlich trat auch Davids kluger Rat Ahitophel auf seine Seite. Freilich dessen kluger Ratschlag, David sofort zu bekämpfen, wurde durch einen treuen Freund Davids, der bei Absalom nur als Spion zurückgeblieben war, vereitelt; deshalb ging Ahitophel in sein Haus und, ein Vorbild des Verräters Judas, erhängte er sich in seinem Hause, da er den üblen Ausgang der Cache Absaloms voraussah. David aber erblickte mit Recht in dieser Empörung seines Sohnes ein Strafgericht Gottes wegen seiner Sünde an Uria, und ließ sich von Simeis) einem Manne aus dem Hause Sauls, ruhig schelten und verfluchen. Bald war es mit Absaloms Königtum vorbei: er wurde von Joab besiegt und getötet. Ein neuer Aufstand, der alsbald infolge der Eifersucht der andern Stämme gegen den von David bevorzugten Stamm Juda ausbrach, wurde gleichfalls glücklich niedergeschlagen. c. So war David wiederum allgemein als König anerkannt; aber auch später traf ihn noch manches Herzeleid. Es war ihm schmerzlich gewesen, daß sein Sohn Absalom, wie er meinte, durch seine Schuld sein Leben verloren hatte. Sein Feldhauptmann Joab, ein Sohn seiner Schwester Zeruja, hatte manchen Frevel begangen, und der König wagte nicht, den mächtigen Mann zur Rechenschaft zu ziehen. Eine Zählung des 2) 2) „Besen" 3)

Durch einen ihm selber übergebenen Brief, den ersten „Uriasbrief." Nicht am Ende mit n zu sprechen, wozu der Deutsche neigt (vgl. das heutige mit Luthers: „Besern"). Dreisilbig zu sprechen, die hebr. Sprache hat keine Diphthongen.

Volkes endete mit einer Pest, welche viele Leute hinwegraffte. Ein anderer Sohn versuchte, als der König alt und schwach geworden war, sich den Thron zu verschaffen, den der Vater dem.Salomo zugedacht hatte.') Das waren Erfahrungen, die des Königs Alter trübten, um so mehr, als er sich nicht frei wußte von Sünde und Schuld.

D.

Davids Charakter und Bedeutung.

a. Als David vor Absalom floh, da fluchte ihm Simei, ein Mann aus dem Hause Sauls: „Du Bluthund, du loser Mann, der Herr hat dir vergolten alles Blut des Hauses Sauls." Und als einer seiner Ge­ noffen dem Simei entgegentreten wollte, da sagte David: „Laßt ihn fluchen, denn der Herr hat's ihn geheißen!" David selber sah in Simeis fluchenden Worten eine nicht unverdiente Strafe für seine Sünde. Zwar an Saul hatte er sich nicht versündigt; er hatte demselben nicht nach dem Leben getrachtet, er hatte ihm das Königreich nicht weggenommen; er hatte sogar Sauls lahmen Enkel Mephiboseth, den Sohn Jonathans, an seinen Hof gezogen. Zwar hatte David den Bewohnern von Gibea auf ihr Verlangen sieben Nachkommen des Saul zur Tötung preisgegeben, welche sie dem Herrn als Sühnopfer für einen Frevel Sauls gegen ihre Stadt aufhängten (2. Sam. 21); aber das hat David sicher nicht aus Rachsucht gethan, sondern aus religiöser Gewiffenhaftigkeit, welche seine Zeitgenoffen billigten. Dagegen hat er allerdings infolge seines Ehebruchs eine Blutschuld auf sich geladen durch die von ihm veranlaßte Tötung des Uria. Aber viele Menschen vorher und nachher haben mit David gesündigt, doch nur wenige haben mit David Buße gethan. b. Buße und Glaube und Frömmigkeit, das sind die Tugenden, welche uns in David trotz seiner Sünde „einen Mann nach dem Herzen Gottes" (1. Sam. 13, 14) erkennen lassen. Lebendige Gottesfurcht war die Grundstimmung seines Wesens; was ihm widerfuhr, das führte er auf Gott zurück; was er that, das wollte er thun im Namen Gottes; er war ein Heiliger im Sinne der Bibel. Und nicht bloß seine persönliche Frömmigkeit ist anzuerkennen; er hat auch eine große Bedeutung für das Reich Gottes gewonnen; nach Moses war etwa nur Samuel dem David zu vergleichen. Durch ihn ist Jerusalem zum geistlichen Mttelpuntte des Volkes Israel geworden; durch seine Psalmen hat er die Grundlage für das Gesangbuch Israels und der Christenheit gelegt, und wie hoch z. B. Luther den Psalter gestellt hat, ist ja jedem bekannt.^) c. Von Davids politischer Bedeutung ist schon oben die Rede gewesen; sein Volk groß zu machen, das hat er erstrebt und erreicht; hier muß nur noch darauf hingewiesen werden, daß dieser König eine Bedeutung für Israel gewonnen hat, wie kein anderer König Israels. Trotz seiner Mängel und Fehler ist nämlich David, und zwar mit Recht, für seine besseren Nachfolger ein Vorbild gewesen, dem sie gleichzuwerden trachteten. Nach der Wiederkehr des David oder eines ihm gleichen Königs begehrten immer mehr, je trüber die Zeiten wurden, die Israeliten. An Davids •) Vgl. unten E. s) Mehr über den Psalter siehe Nr. 80.

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Vorbild und an David als Stammvater schloß sich die Idee des Messias im Volke Gottes vorzugsweise an, und so hat denn die Predigt Jesu an die Hoffnung auf den Davidssohn sich angeschlossen; in Jesus Christus sind alle Hoffnungen, welche die Propheten an David knüpften, erfüllt, ja übertroffen worden.')

E.

Der König Salomo.

1. Kön. 3, 5—45.

4, 25—34.

10, 23—29.

a. Als David, etwa 70 Jahre alt, schon sehr schwach geworden war, da versuchte sein ältester Sohn Adonia, sich noch bei Lebzeiten des Vaters die Krone aufs Haupt zu setzen, und mächtige Freunde, wie der Feld­ hauptmann Joab und der Priester Abjathar, standen auf seiner Seite; bei einem Opferschmause in der Nähe der Hauptstadt wurde Adonia zum König ausgerufen.*2) Aber Bathseba erreichte es mit Unterstützung des Propheten Nathan, welchem der Hauptmann der Leibwache Benaja und der Priester Zadok zur Seite standen, daß David, wie zur Sühne für sein Unrecht gegen Uria, den Sohn der Bathseba, Salomo, als König ausrufen ließ. Als Adonia das hörte, gab er seine Sache verloren und unterwarf sich seinem jüngeren Bruder; später wurde er, wie auch Joab, getötet, der Priester Abjathar abgesetzt und vom Hofe verbannt. Bald nach Salomos Einsetzung ist David gestorben und in den von ihm er­ richteten Königsgräbern auf dem Zion bestattet worden. b. Salomo hatte von seinem Vater ein großes Reich überkommen, aber er hat die Grenzen desselben nicht erweitert, ja, nicht einmal die Herrschaft über alle unterworfenen Völker zu behaupten vermocht; im Süden machten sich die Edomiter, im Norden die Syrer (Aramäer) in Damaskus wieder unabhängig. Dagegen hat er die Kanaaniter vollends unterthänig gemacht und seine Herrschaft durch Anlegung fester Plätze im Lande gesichert. Nicht als Kriegsfürst, sondern als Friedensfürst ist Salomo groß gewesen, und wie nach dem Bilde der davidischen, so wird auch nach dem der salomonischen Zeit das' ideale Gottesreich der Zukunft von den späteren Dichtern und Propheten gezeichnet. Zunächst gewann Salomo großen Reichtum für sich und seine Unter­ thanen, indem er sich an dem Handel beteiligte, den seine Nachbarn, Ägypten und Phönicien, betrieben, dessen Straßen durch sein Land führten. Auch zur See wurde vom Roten Meere aus Handel mit dem Goldlande Ophir (in Südarabien, oder in Indien oder in Afrika?) getrieben, „und des Silbers war damals zu Jerusalem soviel wie die Steine" (1. Kön. 10,27). Der Palast, den der König sich baute, war ein Meisterwerk der Baukunst, und seine Schatzkammer war reich an Silber und Gold. Aber Salomo war nicht bloß reich an irdischen Gütern, sondern auch reich an Weisheit. Dieselbe bewährte er sowohl als Richter (vgl. den *) Ausführliches hierüber siehe Nr. 74—77. 2) Stade I, 294: So spielt zum brittenmale ein Opferschmaus eine be­ deutsame Rolle in Davids Leben (der erste bei feiner Salbung, der zweite bei Absaloms Aufstand).

Streit der beiden Weiber über das Anrecht an ein Kind), als auch im Gespräch und Rätselkampf (vgl. die Erzählung von der Königin von Saba in Südarabien) und durch Lieder und Sprüche, die von ihm herstammten; wie an David die Psalmendichtung, so hat sich an Salomo die Weisheits­ dichtung angeschlossen.') Die größte Bedeutung für Israel aber gewann Salomo durch den Bau des Tempels in Jerusalem, von welchem alsbald genauer ge­ sprochen werden wird.-) c. Aber die Pracht an Salomos Hofe und die Kosten seiner Bauten konnten nur bestritten werden durch eine starke Besteuerung der Unterthanen, welche trotz des einträglichen Handels im Lande schwer empfunden wurde. Noch mehr aber als der Steuerdruck schadete dem Ansehen des Königs der von ihm gestattete Götzendienst seiner vielen Frauen, deren er gegen tausend besessen haben soll. Wenn auch Salomo selber nur Jehovah an­ betete, so erlaubte er doch seinen ausländischen Frauen, daß sie im Lande Jehovahs ihren fremden Göttern Altäre errichteten und Verehrung er­ wiesen. Diese falsche Nachsicht gegen seine Frauen mußte dem Könige die Propheten entfremden, und so hat ihm denn auch ein Prophet das Schick­ sal seines Reiches unter seinem Sohne drohend vorherverkündigt; ja, schon bei Lebzeiten versuchte ein Empörer, der spätere König Jerobeam, ihm die Herrschaft zu entreißen; aber Salomo hat seine Herrschaft bis zu seinem Tode gegen seine Gegner behauptet.

35. (54.) Jerusalem and der Tempel. 2. Sam. 7.

1. Kön. 8, bes. V. 12—30 u. 41—43.

a. Solange David nur König von Juda war, hatte er in der alten Patriarchenstadt Hebron gewohnt; Jsboseth wohnte in Mahanaim im Ostjordanlande. Als nun David König über ganz Israel wurde, da konnte er nicht mehr in dem entlegenen Hebron bleiben, sondern er mußte sich eine neue Hauptstadt suchen. Und mit genialem Scharfblick hat er sie gefunden. Mitten im heiligen Lande, wo die Straßen von Süden und Norden, wie vom Meer zum Jordan sich schneiden, lag zwischen den Stämmen Juda und Benjamin, noch immer den Kanaanitern gehörig, die feste Stadt Zebus, das spätere Jerusalem?) Sie gehörte noch keinem der israelitischen Stämme an, war also zur Hauptstadt von ganz Israel auch darum besonders geeignet, weil durch ihre Wahl kein Stamm sich als zurückgesetzt ansehen durste. Und doch lag sie wieder dem Stamme Juda so nahe, daß sie als Stadt Judas gelten konnte, desjenigen Stammes, welchem David seiner Geburt nach angehörte. Mit dieser Stadt, die er eroberte, gewann David für sein Reich einen festen Platz, welcher kaum jemals in die Hände der Feinde fallen konnte. Auf dem Berge Zion baute sich nun David auch einen Königspalast, und die Stadt wurde durch starke Bauten noch mehr befestigt, als sie es schon von Natur war. ') Genaueres siehe Nr. 81. =) Vgl. Nr. 35. 3) Genaueres über die Stadt siehe Nr. 24 c.

b. War nun der Berg Zion und die Stadt Jerusalem für das Volk Israel schon darum ein bedeutender Ort, weil hier fortan der politische Mittelpunkt des Landes und die Wohnung des Königs David und seiner Nachfolger war, so gewann Jerusalem und der Berg Zion für den Israeliten bald noch eine größere Bedeutung; Jerusalem wurde nämlich auch der geistliche Mittelpunkt des Reiches Gottes, an welchen fortan die Weitereniwickelung des Reiches Gottes gebunden war. David brachte nämlich auf den Berg Zion das alte Nationalheiligtum der Israeliten, die Bundeslade, welche, von den Philistern zurückgebracht, in einem kleinen Städtchen geblieben war. Dieselbe wurde zunächst in einem Zelte unter­ gebracht; aber schon David dachte daran, für sie ein festes Haus, einen Tempel, zu bauen, wie schon in Siloh für die Lade ein festes Haus gebaut worden war, welches aber die Philister zerstört hatten. Der Prophet Nathan billigte zunächst Davids Borhaben; aber am andern Tage ver­ kündete er David als göttliche Weisung, die ihm in der Nacht zu teil ge­ worden sei, 9 David solle Gott kein Haus bauen, sondern der Herr werde ihm selber ein Haus bauen, indem sein Geschlecht fortan auf dem Throne Israels sitzen werdet) Wenn auch David den Tempelbau seinem Nachfolger überlassen hat, so hat doch schon er selber für den Ausbau des Gottes­ dienstes im Heiligtum Sorge getragen, wozu er ja als Dichter besonders geeignet war. c. Die Aufgabe, einen Tempel zu bauen, welche Salomo von seinem Vater überkommen hatte, hat er glänzend gelöst. Freilich sein eigenes Volk war dazu noch nicht geschickt, einen großen Bau kunstmäßig auszu­ führen; dazu bedurfte er fremder Hilfe, und er fand sie bei den Phö­ niciern. Salomo schloß nämlich mit dem schon seinem Vater befreundeten König Hiram von Tyrus, dessen große Bauwerke die Bewunderung seiner Zeitgenossen erregt hatten, einen Vertrag, wonach derselbe versprach, durch seine Leute unter Beihilfe von Israeliten und Kanaanitern (welche Salomo zu diesen Frondiensten besonders heranzog) in Jerusalem einen Tempel bauen zu lassen. Derselbe wurde auf einer durch alte Erinnerungen ge­ weihten Anhöhe nordöstlich vom Berge Zion, auf dem Moria, dem höchsten Punkte der Stadt, errichtet^); da aber der Platz nicht ganz ausreichte, so wurde durch Aufschüttung gewaltiger Erdmassen und Errichtung mächtiger Unterbauten der Berg künstlich vergrößert. Das Holz zum Bau (Cedern und Cypressen) wurde im Libanon gefällt und von da ans Meer gebracht; auf Flößen wurden dann die Stämme nach Joppe (der Hafen ist allerdings in der Bibel nicht genannt) gebracht und von da nach Jerusalem geschafft. Die Steine wurden teils ebenfalls vom Libanon gebracht, teils von den Bergen bei Jerusalem gewonnen. Nachdem in drei Jahren diese Vor­ arbeiten für den Bau vollendet worden waren, wurde der eigentliche ‘) Das ist ebensowenig ein Widerspruch, wie zwischen Samuels zweifachem Bescheide wegen der Einsetzung eines Königs. 2) Über die Bedeutung dieses Wortes siehe Nr. 77, 3 B. 3) Der Tempel stieß an den neuen Palast, den sich Salomo gebaut hatte, und an diesen wieder die anderen von ihm errichteten Bauten. Daß Zion und Moria in der Ost hälfte der Stadt lagen (nicht, wie man, durch den heutigen Sprachgebrauch verführt, früher annahm, auf der Westseite), ist schon oben dargelegt worden; vgl. Nr. 24 c.

Tempelbau in einer Zeit von etwa 4% Jahre vollendet >). Darauf ver­ anstaltete Salomo eine glänzende Einweihungsfeier, und in einem schönen Gebete rief der König den Herrn, den weder der Himmel noch dieser Tempel fassen könne, an, die Gebete, welche die Israeliten und auch die andern Völker in diesem Hause an ihn richten wurden, zu erhören. Die innere Einrichtung des Tempels wird unten dargestellt »erben.*2)3 4 Welche Bedeutung der Salomonische Tempel gegenüber den bisherigen Heiligtümern gewonnen hat, wird gleichfalls unten dargelegt werden.2) Unseren Ansprüchen an ein Kirchengebäude hätte der Tempel Salomos freilich nicht entsprochen, auch war er viel kleiner als unsere größeren Kirchen; aber der Tempel war ja auch nicht dazu bestimmt, eine feiernde Gemeinde aufzunehmen (dazu diente der Vorhof), sondern er war (wie bei den Griechen und Römern) die Wohnstätte Gottes.

d. So war nun Jerusalem wie der politische so auch der geistliche Mittelpunkt des Volkes Israel. Aber es hat lange gedauert, ehe der Tempel zu Jerusalem zu dem geworden ist, was die spätere Zeit in ihm erblickte, zu dem einzig berechtigten Heiligtum des Volkes Gottes. Das prachtvolle Gotteshaus entsprach nicht dem Sinne des alten Israel, in welchem die Erinnerung lebte, daß Jehovah von Anfang an im Zelte gewohnt habe, und daß seine Lade nicht in die Pracht eines phönicischen Bauwerks, sondern in ein Hirtenzelt gehöre (2. Sam. 7). Die heilige Sage feiert nur die alten heiligen Orte, weiß aber nichts von Jerusalem und seinem Tempel. Propheten unterstützen den Abfall Israels von Juda; auch Elias bekämpft zwar den Baal, aber er fordert nicht die Verehrung des rechten Gottes in Jerusalem. Erst viel später ist der Tempel zu Jerusalem zu dem Ansehen gelangt, welches er nach dem Exil allerdings beseffen hat. Auch wir erkennen die Bedeutung von Jerusalem an, aber freilich nicht mehr in dem Sinne, wie die Israeliten und ihre Propheten, nach deren Meinung Jerusalem für alle Zeit der bleibende Mittelpunkt des Reiches Gottes sein sollte.^) Jesus hat zwar gesagt, daß das Heil von den Juden komme, und damit die geschichtliche Bedeutung Jerusalems anerkannt, aber der bleibende Mittelpunkt des Reiches Gottes ist weder der Sinai noch Jerusalem, weder der Garizim (der Samariter) noch Jerusalem (die Stadt der Juden), weder Rom noch Wittenberg oder Genf; wo Gottes Wort gerade am lautersten und am kräftigsten gepredigt wird, da ist für diese Zeit der Mittelpunkt des Reiches Gottes.

*) In den Tempel wurde nun die Bundeslade mit den Gesetzestafeln aus dem für sie von David errichteten Zelte herausgebracht und im Allerheiligsten zwischen zwei Cherubsgestalten ausgestellt. -) Vgl. Nr. 63. 3) Vgl. Nr. 63. 4) Vgl. Nr. 75.

Heidrich, Heilige Geschichte.

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146 36. (56.) Von der Teilung des Reiches bis zur Berührung der beiden Reiche rc.

36. (56.) Bou der Teilung des Reiches bis zur Berührung der beiden Reiche mit der affyrischen Weltmacht c. 980—738; der Bilderdienst und der Götzendienst. 1. Kön. 12,

26—33.

16, 29—33. 18, 17—19, 18—29. 11, 18.

18.

2. Kön.

10,

a. Als Salomo starb, folgte ihm zwar alsbald, da das Königtum in Davids Haus bereits erblich war, sein Sohn Rehabeam auf dem Throne; aber die meisten Stämme fielen bald von demselben ab, weil er sich weigerte, die von ihnen geforderte Erleichterung der durch den kost­ baren Hofhalt und die vielen Bauten seines Vaters gesteigerten Lasten zuzugestehen, und nur der Stamm Juda (nebst dem mit demselben bereits verschmolzenen Stamme Simeon und einem Teile der Stämme Benjamin und Dan), aus dem das Königshaus herstammte, blieb ihm Unterthan. So gab es also fortan ein kleineres Reich, nach dem Stamme Juda genannt, mit der Hauptstadt Jerusalem, in welchem Davids Dynastie weiter herrschte (neunzehn Könige [eyd. Athalja^ wie in Israel, aber in weit längerer Zeit), und ein größeres Reich, welches den Namen Israel für sich in Anspruch nahm, mit der Hauptstadt Samaria (nachdem die Könige zuerst in anderen Städten gewohnt hatten), unter verschiedenen Herrscher­ häusern (neunzehn Könige aus neun Herrscherhäusern).l) Beide Reiche standen einander meistens feindlich gegenüber; nunmehr waren die Israeliten den feindlichen Nachbarstaaten auf die Dauer nicht mehr gewachsen. Der mächtigste derselben war aber damals der syrische Staat mit der Haupt­ stadt Damaskus; mit ihm hatten die beiden israelitischen Reiche zunächst immer aufs neue zu kämpfen. V) Das kleine Reich Juda stand dem großen Reiche Israel allerdings ziemlich machtlos gegenüber; aber sein Fortbestand, ja, seine immer zunehmende Bedeutung war durch Vorzüge gesichert, die dem mächtigeren Israel gänzlich ab­ gingen. Dreierlei nämlich hatte Juda vor Israel voraus: die Stadt Jerusaleru, den salomonischen Tempel und die fortdauernde Herrschaft der davidischen Dynastie. Die größten und ruhmreichsten Erinnerungen des Volkes knüpften sich eben doch an die Zeit, da David nach Niederwerfung aller Feinde in Jerusalem gethront und die Huldigungen ferner Könige entgegengenommen hatte. Und der salomo­ nische Tempel war eben doch das prächtigste Heiligtum, das dem Gotte Is­ raels jemals errichtet worden war. Und was die Stetigkeit der davidischen Dynastie anlangt, so genügt es auf die eine Thatsache hinzuweisen, daß den neunzehn Davididen im Reiche Juda fcxcl. Athaljaj bis zum I. 586 im Reiche Israel neunzehn Könige aus neun Dynastieen bis zum I. 722 gegenüberstehen. Daß aus dieser Stetigkeit der Dynastie im Reiche Juda große Vorteile für die äußere Wohlfahrt, wie für die geistige Kultur des Volkes erwuchsen, versteht sich von selbst. Namentlich aber konnte nur Juda der Mutterboden der Idee werden, die in der Religion Israels die stärkste Triebkraft entwickelt hat — der Erwartung des messianischen Reiches, welches ja zunächst als eine Wiederkehr des davidischen 0 Die beiden Königsreihen siehe oben Nr. V. 2) Kautzsch, A. T. II, S. 144s.

36. (56.) Bon derTeilung des Reiches bis zurBerührung der beiden Reiche rc. 147 Reiches unter dem Scepter eines in besonderem Maße von Gott ausgerüsteten Davididen gedacht wurde; die Fortdauer der davidischen Dynastie war natürlich die unumgängliche Voraussetzung für die Hoffnung auf den Messias und sein Reich.

c. Als sich Israel von Juda trennte, wurde auf den Thron des ersteren ein Mann, Namens Jerobeam, erhoben, der schon gegen Salomo eine Empörung angestiftet hatte, aber von ihm vertrieben worden war. Jerobeam hielt es für vorteilhaft, um den Bestand seines Reiches zu sichern, seine Unterthanen von dem Tempel in Jerusalem fernzuhalten, und deshalb errichtete (oder erneuerte) er zwei heilige Stätten in seinem Lande, Dan int Norden und Bethel im Süden, und ließ daselbst Bilder der Gottheit aufstellen, Stierbilder, wie einst schon Aaron ein solches auf­ gestellt hatte'). Der seit alter Zeit in Juda wie in Israel übliche Höhendienst*2) wurde hier zum Bilderdienst, aber noch nicht zum Götzendienst, denn die Bilder sollten ja nicht einen heidnischen, sondern den israelitischen Gott darstellen. Aber im Gesetz Mosis war auch der Bilderdienst untersagt. Es hat nicht lange gedauert, so wurde auch der Götzendienst in Israel heimisch. d. Jerobeams Dynastie, wie auch die folgende, fanden schon int zweiten Gliede einen gewaltsamen Untergang; dagegen hat das dritte Herrscherhaus, das des Omri, es auf vier, und das vierte, das des Jehu, es sogar auf fünf Glieder gebracht, während aus bett andern sieben Dynastieen zusammen nur zehn Könige regiert haben. Die dritte Dynastie wurde nämlich, nachdem noch zwei andere Thronbewerber ausgetreten waren, von Omri begründet, unter welchem erst Samaria, eine infolge ihrer Sage leicht zu verteidigende Stadt, die Hauptstadt des Reiches Israel wurde (daneben war Jesreel im Norden des Reiches eine zweite Residenz). Dies Herrscherhaus hat aber für das Reich Israel eine größere Bedeutung gewonnen, indem durch dasselbe in Israel, wo bereits der Bilderdienst bestand, sogar der Götzendienst eingeführt wurde. Omris Sohn nämlich, der König Ahab, heiratete eine Tochter des Königs vou Tyras Ethbaal, Namens Jsebel, und durch diese Königin kam nun auch die Verehrung des phönikischen Hauptgottes, des Baal,3) nach dem Reiche Israel, und dieselbe fand allmählich auch int Volke Beifall. Mit dieser Einführung einer fremden Gottheit verletzte Ahab in viel schlimmerer Weise, als Jerobeam durch den Bilderdienst, das Grundgesetz der israelitischen Religion. So ist es begreiflich, daß sein Thun int Volke Wider­ spruch fand; die Vertreter der wahren Frömmigkeit waren aber die Propheten; diese haben schließlich sogar den Sturz des götzendienerischen und überdies gewaltthätigen Königshauses herbeigeführt. Als sich nämlich der Götzendienst immer mehr verbreitete, da trat ein Prophet, Namens Elias, der schon vorher eine eintretende Dürre verkündet hatte, ans der Verborgenheit, in die er sich vor des Königs Verfolgung geflüchtet hatte, dem König Ahab entgegen, und forderte ihn auf, durch ein Gottesgericht auf dem Berge Karmel entscheiden zu lassen, ') Vgl. Nr. 20. -) Vgl. Nr. 64. 3) 3um Tempel des Baal gehörten auch eine Säule und ein Baumpfahl; durch ein Mißverständnis ist aus dem letzteren (Aschera) ein Bild der Astarte ge­ worden; vgl. Nr. 64 d.

148 36. (56.) Von der Teilung des Reiches bis zur Berührung der beiden Reiche rc.

ob Baal oder Jehovah der mächtigere Gott sei. Jede der beiden Parteien brachte einen Stier herzu, aber keine sollte das Opfer anzünden, sondern ihr Gott selber sollte durch Feuer vom Himmel sich als den mächtigeren Gott erweisen. Und Elias blieb Sieger in dem Gottesgericht; dadurch gewann das Volk den Mut, die vom Könige beschützten Baalspriester dem mosaischen Gesetze gemäß zu töten, und so schien der Götzendienst aus­ gerottet zu sein. Aber bald mußte Elias vor der energischen Königin doch wieder fliehen, und der Götzendienst bestand weiter; ja, es scheint, daß Elias selber am Berge Horeb durch eine ihm zu teil gewordene Offenbarung Gottes noch dessen inne geworden sei, daß der Sieg des wahren Gottes nicht durch Gewalt, sondern auf dem Wege des sanft­ mütigsten unter den Menschenkindern erfochten werden müsse. Elias war ein Prophet Gottes wie Moses und Samuel; einen Mann wie Elias erwartete später der Prophet Maleachi (3, 14) als Vorläufer des Messias; in Johannes ist ein solcher Mann dem Messias wirklich vorangegangen (Matth. 17, 10 u. 11, 14); aber Jesus war größer als Johannes und Elias. e. Der König Ahab, der auch bei einer anderen Gelegenheit (Naboths Weinberg) die Strafpredigt des Elias vernommen hatte, fand in einem Kriege mit dem Nachbarreiche Syrien seinen Tod. Auf ihn folgten nach einander seine beiden Söhne Ahasja und Joram; der letztere hat einen Kriegszug gegen die Moabiter unternommen, der infolge des vom feind­ lichen Könige an seinen Gott dargebrachten Kindesopfers mit dem Rück­ züge der Israeliten endete.T) Das Haus Ahabs aber wurde durch Jehu, den Oberfeldherrn, den der Prophet Elisa, der Nachfolger des Elias, dazu aufforderte, gestürzt und ausgerottet, iinb Jehu begründete in Israel eine neue Dynastie, aus welcher fünf Könige geherrscht haben, so viele, wie aus keiner andern. f. Aber das Geschlecht Ahabs bestand, nachdem es in Israel gestürzt worden war, noch eine Zeit lang in Juda. Hier hatten die ersten Könige in beständiger Feindschaft mit den Königen Israels gestanden; seitdem Ahab in Israel regierte, waren die Königshäuser einander befreundet; ja, Ahabs Tochter, Athalja, hatte sogar der König von Juda, Joram, geheiratet. Als ihr Mann gestorben war, regierte in Juda ihr Sohn, Ahasja; derselbe fand seinen Untergang, als Jehu das Geschlecht Ahabs ausrottete, da er sich gerade damals bei seinem Verwandten, dem Könige von Israel, aufhielt. Da machte sich Athalja selber zur Königin von Juda und rottete das ganze Geschlecht Davids aus; nur ein kleiner Sohn des letzten Königs entging ihrem Wüten. Nach sechs Jahren gelang es aber dem Hohenpriester, die Königin zu stürzen, und den rechtmäßigen König auf den Thron seiner Väter zu setzen. Wie in Israel durch Jehu, so wurde auch in Juda der durch Athalja eingeführte Baalsdienst wieder ausgerottet.*2) g. Als Jehu das Haus Omris in Israel ausgerottet und den Königs­ thron bestiegen hatte, rottete er auch den Baalsdienst in Israel aus; aber der Bilderdienst, den Jerobeam eingeführt hatte, blieb bestehen. Auch *) Von diesen Kämpfen berichtet bekanntlich nicht bloß die Bibel, sondern auch die noch erhaltene Denksäule des Moabiterkönigs Mesa. 2) Vgl. Racine, Athalie.

sonst entsprach seine Regierung nicht den Erwartungen, mit welchen der Prophet Elisa ihn auf den Thron gebracht hatte. Erst unter seinem Enkel und namentlich unter dessen Sohn J erobeam II. (c. 770) begann wenigstens äußerlich wieder eine bessere Zeit für das Reich Israel, indem dieser König wieder die Nachbarvölker demütigte und die unter den früheren Königen verloren gegangenen Gebiete wiedergewann. Aber der Prophet Amos, ein Judäer, der in dieser Zeit im Reiche Israel auftrat, übersah über dem äußeren Glanze, womit der große Eroberer seine Herrschaft um­ geben hatte, die innere Hohlheit der damaligen Zustände nicht, und un­ erschrocken verkündigte er dem Volke den Untergangs) Sein Wort, um dessentwillen er aus dem Reiche Israel vertrieben wurde, ist schnell in Erfüllung gegangen. 2) Der Sohn Jerobeams II. wurde nämlich nach einer kurzen Regierung gestürzt, und sein Nachfolger glaubte nicht anders seine Herrschaft behaupten zu können, als wenn er eine Stütze für dieselbe in einer fremden Macht gewinne. Diese fremde Macht aber war Assyrien; sie sollte dem Könige von Israel Hilfe bringen, aber sie brachte dem Volke Israel den Untergang.

37. (57.) Assyrien als Weltmacht. Die Gründung des assyrischen Reiches fällt etwa in die Zeit von 2000 v. Chr.; die Assyrer sind aber Semiten, tvie die Babylonier; ihr Land lag nördlich von Babylonien, östlich vom Tigris. Die Residenz der assyrischen Könige war ursprünglich Assllr (im Westen vom Tigris), erst später Niniveh (im Osten vom Tigris), welches allerdings schon um das Jahr 3000 gegründet, aber erst spätererweitert worden ist. Die assyrischen Könige, welche in der älteren Zeit den Baby­ loniern Unterthan waren, gelangten allmählich zur Selbständigkeit, und Babylonien wurde ihnen sogar zeitweise Unterthan; ein vorher noch nicht erreichter Aufschwung ihrer Macht wurde durch König Tiglatpilesar I. herbeigeführt (c. 1100), welcher bereits bis zum Libanon vordrang; aber bald wurde Assyrien (bis c. 900) wieder unbedeutend. Ein neuer Abschnitt in der Geschichte Assyriens, ja des ganzen Orients, beginnt um das Jahr 880 mit dem Könige Assur-naßir-pal, dem ersten der großen Eroberer, die sich von jetzt an fast in ununterbrochener Reihenfolge bis zum Untergänge Ninivehs ablösen. Der zweite Herrscher dieses Reiches war Salmanassar, der das Gebiet seines Vaters noch weiter ausdehnte und auch, wie schon mehrere seiner Vorfahren in der Zeit vor David und Salomo, vom Reiche Israel Tribut empfing?) Nach mehreren weniger bedeutenden Königen kam im Jahre 745 Tiglatpilesar in. (in der Bibel mit seinem ursprünglichen Namen Phul, assyrisch Pulu, genannt)^) zur Regierung, welcher die unter seinen Vor­

gängern verlorenen Gebiete wiedergewann, und auch noch durch neue Eroberungen sein Reich vergrößerte; erst durch Tiglatpilesar III. ist Assyrien zu einem Weltreich 0 Diese Weissagung hat unseres Wissens Amos zuerst ausgesprochen. 2) Wenn der Lehrer Zeit findet, so mag er hier lesen die Strafpredigten des Amos gegen Israel: K. 2, 6—6, 14. 3) Val. das Bild dieser Tributleistung bei Stade I, 564 s. 4) „Er ist der dritte, nicht wie bis vor kurzem allgemein angenommen wurde, der zweite seines Namens"; vgl. Kittel, Geschichte der Hebr. II, S. 284, Anm. 3.

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38. (58.) Das Reich Israel von der ersten Berührung rc.

geworden. Diesem Könige hat der König Menahem von Israel Tribut gezahlt (738), und ihn hat Ah ab von Juda um Schutz gegen die wider ihn verbündeten Syrer und Israeliten angerufen (734); dadurch wurde auch Juda den Assyrern Unterthan. Auch das babylonische Reich wurde jetzt den Assyrern Unterthan. Tiglatpilesars Nachfolger Salmanassar IV. hat im Jahre 722 dem Reiche Is­ rael ein Ende gemacht; Samaria ist allerdings erst erobert worden, als bereits sein Nachfolger Sargon regiertes, der die Herrschaft des assyrischen Königs auch über ganz Syrien und das südöstliche Kleinasien ausdehnte. Auf Sargon folgte sein Sohn Senacherib (Sanherib, 704—681), der im Jahre 701 gegen Ägypten und Juda zog. Das Heer der Ägypter wurde geschlagen, aber Jerusalem wurde nicht erobert, da das assyrische Heer durch eine Pest und im Kampfe mit den Feinden so sehr geschwächt wurde, daß es sich zurückziehen mußte; Hiskia aber hatte durch Tribut sich vor der Erneuerung des Krieges gesichert?) Als Sanherib er­ mordet wurde, folgte ihm sein Sohn Asarhaddon (680—669), und diesem folgte Assurbanipal (668—626, der Sardanapal der Griechen, aber nicht der schwel­ gerische Despot, den sie uns darstellen), welcher im Jahre 663 Ägypten unterwarf,

so daß die Teilsürsten, die dasselbe damals beherrschten (darunter Pjammetich), assyrische Vasallen waren. Zwar Ägypten hat schon um das Jahr 650 wieder seine Freiheit errungen, aber Babylonien und sogar Lydien waren ihm, dem sieg­ reichen Kämpfer in vielen Feldzügen, Unterthan. Diesem Könige verdanken unsere heutigen Forscher außerordentlich viel, denn er hat eine Bibliothek angelegt (aus Thontafeln bestehend), für welche viele altbabylonische Litteraturdenkmäler kopiert lvurden; gerade durch die Auffindung und Entzifferung dieser Bibliothek ist uns die älteste Kultur der Welt (im allbabylonischen Reiche) erschlossen worden. Dagegen sind wir über die letzte Zeit des assyrischen Reiches (625—606) wenig unterrichtet. Schon im Jahre 626 machte sich Babylonien unter Nabopolassar von Assyrien unabhängig. Sodann wurde Assyrien, wie auch die Nachbarstaaten, von den damals einbrechenden Skythenschwärmen heimgesucht. Endlich gelang es im Jahre 606 den Medern, die sich schon vorher vergeblich gegen die Assyrer empört hatten, unter ihrem Könige Kyaxares,^) der sich mit Nabopolassar von Babylon verbündet hatte, ihre Freiheit zu erringen. Niniveh wurde zerstört und das Reich Assyrien wurde vernichtet, 606 v. Chr. An seine Stelle traten die Reiche Babylonien, Medien und Lydien, welche bis dahin den Assyrern unterworfen gewesen waren. Bon diesen Reichen besaß Babylonien die größte Macht, so daß es nunmehr an die Stelle von Assyrien trat.

38. (58.) Tas Reich Israel vo« -er ersten Berührung mit -er assyrische« Weltmacht bis zn seinem Untergänge 738—722. a. Hatten die bisherigen Könige Israels viele Kämpfe mit ihren Nachbaren im Norden, den Königen des Landes Syrien (mit der Haupt­ stadt Damaskus), zu bestehen gehabt, so begann nunmehr eine andere, viel bedeutendere Macht, Assyrien, für Israel, wie auch für Juda gefährlich zu werden. Den Eindruck, den das Erscheinen der Assyrer in Palästina hervorrief, können wir uns nicht leicht zu groß vorstellen. Der letzte ') Bgl. Nr. 38. 2) Vgl. jedoch Hommel, Geschichte des Morgenlandes (1895), § 30. *) Vgl. jedoch Hommel, § 32.

Einfall eines mächtigen

ausländischen Feindes, der der Ägypter unter

Sisak, gehörte schon einer fernen Vergangenheit an (928); seit dieser Zeit waren die Israeliten und ihre Nachbaren sich selbst überlassen geblieben. Da erschienen im 8. Jahrhundert die Assyrer, welche ihre Herrschaft all­ mählich immer weiter nach Westen ausgedehnt hatten, und warfen mit unwiderstehlicher Gewalt alles vor sich nieder; es war nur eine Frage der Zeit, wann das Volk Israel das Schicksal der andern Völker teilen würde. Den Beistand des Königs von Assyrien, Phul oder Tiglatpilesar, erkaufte sich nun der König Israels, Menahem, der den Sohn Jerobeams II. vom Throne gestürzt hatte, durch einen jährlichen Tribut, den er dem assyrischen Könige zu zahlen versprach; damit war bereits die Selbständigkeit des Reiches preisgegeben. Schon der Sohn Menahems wurde durch einen Empörer, Pekah, gestürzt. Als nun dieser, statt mit seinen Nachbarn, den Reichen Juda und Syrien, vereint den Assyrern entgegenzutretcn, sich mit Syrien gegen Juda verbündete, da wandte sich der König von Juda, Ahas, an den König von Affyrien (Tiglatpilesar), wie das früher der König Menahem von Israel gethan hatte, und dieser erschien sofort mit einem gewaltigen Heere, eroberte Damaskus und führte die Einwohner von Syrien als Gefangene in sein Reich; dem Könige von Israel wurde die Hälfte seines Landes genommen und die Bewohner dieser Gegenden ebenfalls als Gefangene abgeführt; über den Rest des Landes herrschte Pekah nur noch kurze Zeit als zinspflichtiger Unterkönig des Königs von Affyrien.^) b. Als Pekah nämlich durch Hosea vom Throne gestürzt war, wollte dieser letzte König des Reiches Israel, im Vertrauen auf Ägypten, welches

das weitere Vordringen der Assyrer fürchten mußte, seine Freiheit wieder­ erringen. Aber Salmanaffar, der Nachfolger von Tiglatpilesar, rückte sofort mit einem Heere gegen Israel, und der König mußte sich ihm ergeben. Doch die feste Stadt Samaria widerstand noch drei Jahre dem assyrischen Heere, welches sie umlagerte, und erst, als bereits Salmanaffars Nachfolger Sargon auf den Thron gekommen war, ist Samaria im Jahre 722 erobert worden.-) Die Einwohner wurden in das affyrische Reich als Gefangene weggeführt, und neue Änsiedler wurden in das Land gebracht. c. Aus der Vermischung dieser nicht sehr zahlreichen heidnischen An­ siedler mit den im Lande gebliebenen Israeliten ist das Mischvolk der Samariter entstanden, welches zwar mit Überwindung des Heidentums

der neuen Völker später nur den einen Gott Israels anbetete, aber von den Juden doch nicht als rechtgläubig angesehen wurde. Ein geringer Rest dieses Volkes (etwa 100 Seelen) hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten b). Dagegen sind die in die Gefangenschaft weggeführten Israeliten ') In dieser Zeit ist im Reiche Israel der Prophet Hosea aufgetreten. 2) „Trotzdem oars Salmanassar auch dem Geschichtsurteil (wie der Bibel) als derjenige gelten, der Israel ein Ende bereitet hat, und nicht Sargon, dem diese Frucht reif in den Schoß fiel, und der es auch nicht nötig hat, diese Lorbeeren noch seinem Ruhmeskranze zusügen zu lassen." Hommel in Müllers Handb. der klass. Altertumswiss., Bd. III, S. 71 (Abriß der Geschichte des Orients). 3) Vgl. meine Kirchengesch., Nr. 80 A b (2. Aust.: Nr. 90).

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. 39. (59.) Das Reich Juda vom Tode der Athalja rc.

unter den andern Völkern verschwunden'); in das heilige Land sind später nur weggeführte Bewohner des Reiches Juda zurückgekehrt.

39. (59.) Das Reich Juda vom Tode der Athalja bis zum Tode des Königs Hiskia e. 850-697.*2) a. Nach der Ermordung der Athalja bestieg das Haus Davids wieder den Königsthron von Juda, und unter dem dritten Könige nach Athalja, Usia (c. 770), gelangte das Reich Juda zu großer Blüte, wie sie auch dem Nachbarreiche in derselben Zeit unter Jerobeam II. zu teil wurde. Doch auch in Juda hatten die Propheten über zunehmende Gottlosigkeit zu klagen. Aber unter Usias zweitem Nachfolger, Ahas (c. 730), schien sogar, wie schon oben gezeigt, Judas Untergang nahe zu sein. Israel und Syrien verbündeten sich, um Juda zu erobern, und die andern Nachbarn schlossen sich den Scharen der Verbündeten an. In dieser Zeit der äußersten Not verlor der König Ahas alles Vertrauen auf den Gott seines Volkes und wandte sich den Göttern der mächtigen Sieger zu; er opferte sogar seinen eigenen Sohn dem Moloch. Als das aber auch nichts half, da wandte er sich, wie schon oben bemerkt, an den damals mächtigen König von Assyrien, und versprach, ihm Unterthan zu sein, wenn er ihm gegen seine Feinde beistehe. Tiplatpilesar kam ihm zu Hilfe, vernichtete Syrien und schwächte Israel; aber Ahas war nunmehr den Assyrern Unterthan. Als das Reich Israel durch den Anschluß an Ägypten das

assyrische Joch abzuschütteln suchte, fand es (722) seinen Untergang; das Reich Juda aber blieb den Assyrern Unterthan, und dadurch entging es dem Schicksal des Nachbarreiches. b. In dieser Zeit starb der König Ahas, und ein besserer König, sein Sohn Hiskia, der den von seinem Vater eingeführten Götzendienst wieder abschaffte, ja, sogar schon, wenn auch ohne rechten Erfolg, eine (später von Josia durchgesetzte) Reform des bisherigen Gottesdienstes erstrebte, wurde König von Juda. Als der König Salmanassar von Assyrien und auch sein Sohn Sargon gestorben waren und ihr Nachfolger Sanherib die Eroberungszüge der Assyrer nach Westen fortsetzte, da beschloß auch Hiskia, ebenfalls auf Ägypten vertrauend (wie der König Israels), von Assyrien abzufallen und seine Freiheit wiederzuerringen. Da trat nun dem Könige der Prophet Jesaias entgegen, sein großer Zeitgenosse, der größte aller Propheten, von welchem uns Schriften hinter­ blieben finb.3) Derselbe war schon früher dem König Ahas entgegengetreten; jetzt trat er auch dem Hiskia warnend und drohend entgegen: „Pharaos Schutz wird euch zur Schande, und die Zuversicht auf Ägyptens Schatten zur Schmach" (Jes. 30, 3). Als Sanherib von Hiskias Abfall hörte, schickte er sofort (701) ein großes Heer nach Juda, welches das Land verwüstete und die Städte eroberte. Da suchte Hiskia den Zorn des assyrischen Königs zu versöhnen; er zahlte die verlangte Buße; aber das *) Vgl. dagegen die Erdichtung der Mormonen, Kirchengesch., Nr. 55 d (2. Aufl.: Nr. 59). -) Vgl. Nr. 40. 3) Vgl. Nr. 40.

assyrische Heer zog nicht ab, sondern rückte vielmehr gegen Ägypten vor, und damit er nicht im Mcken angegriffen werden könne, forderte Sanherib die Übergabe von Jerusalem. Eine Unterredung der Gesandten von Hiskia mit dem assyrischen Gesandten blieb erfolglos. Durch Jesaias ermutigt, weigerte sich der König, die Stadt Jerusalem zu übergeben. Im Ver­ trauen auf Gottes Hilfe ermahnte Jesaias den König, standhaft zu bleiben. „Der König von Assyrien wird nicht in diese Stadt kommen; den Weg, darauf er kommt, wird er wieder umkehren" — so lautete die Verheißung des Propheten (37, 33—34). Und das Verheißungswort des Propheten ging bald in Erfüllung; Sanheribs Heer war durch die Kämpfe mit den syrischen Staaten und mit Ägypten, die sich gegen ihn erhoben hatten, so geschwächt und zugleich durch das heranziehende Heer des Königs von Äthiopien so bedroht, daß der König nach der Heimat zurückkehren mußte. Die Juden wie die Ägypter, welche Sanherib unterwerfen wollte, schrieben

beide diese wunderbare Errettung dem Eingreifen einer höheren Macht zu. Die Ägypter erzählten, Feldmäuse hätten dem affyrischen Heere die Waffen zernagt, so daß es in die Heimat zurückkehren mußte; die Maus ist aber ein Sinnbild der Pest (vgl. 1. Sam. 6, 4—5). Die Juden erzählten, ein Engel habe alle Kriegshelden und Fürsten und Obersten im Heere des Königs von Affyrien vertilgt, so daß der König in sein Land zurückkehren mußte (2. Chron. 32, 21). Diese Umkehr des affyrischen Königs, ohne daß er Jerusalem erobert hatte, berichten nun auch die assy­ rischen Inschriften, aber ohne den Grund dafür anzugeben. Jedenfalls hat eine ausbrechende Pest das Heer Sanheribs zur Rückkehr genötigt; das darf man um so mehr annehmen, weil in dieser Zeit, wie die Bibel berichtet, die Pest auch in Jerusalem ausgebrochen ist; auch der ägyptische Bericht weist sinnbildlich auf die Pest hin. Trotz des Abzugs blieb aber Hiskia den Assyrern Unterthan. >) Bon den Affyrern ist zwar seit San­ heribs Rückzug gegen das Reich Juda kein Krieg mehr unternommen worden; aber die Macht derselben hat unter Sanheribs Nachfolger Asarhaddon (680—669) noch weiter zugenommen, indem dieser König auch dir Nilländer eroberte. c. Obwohl das Reich Juda von Assyrien abhängig blieb, so machte doch die

Rettung Jenlsalems einen außerordentlichen Eindruck auf die Zeitgenossen, und dieser Eindruck, welcher durch die prophetische Voraussagung des Ereignisses noch erhöht lvurde, ging nicht mit dem Augenblicke vorüber, sondern hatte sehr nach­ haltige Folgen. Seitdem gewann nämlich der Tempel in Jerusalem, der bisher nur ein wenn auch hervorragendes Heiligtum neben den andern heiligen Stätten der beiden Reiche war, ein so einziges Ansehen, daß sich die Meinung bildete, derselbe werde, wie diesmal, auch später stets von Jehovah erhalten werden und könne niemals zu Grunde gehen. Ja, als der erste Tempel zerstört worden war, glaubte man trotzdenr lvieder vom zweiten Tempel, daß derselbe nicht zerstört werden könne. Daß es ein Reich Gottes geben könne ohne einen Tempel in Jeru­ salem — das haben erst die Christen infolge der Zerstömng des zlveiten Tempels als möglich erkannt.

') In die Zeit des Hiskia gehört vielleicht die im Jahre 1880 gefundene (leider später zerstörte) Inschrift in dem unterirdischen Kanal, welcher die Stadt Jerusalem von der Gihonquelle her mit Wasser versorgen sollte.

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40. (60.) Die Propheten der assyrischen Zeit; der Prophet Jesaias.

40. (60.)

Die Propheten der affyrischm Zeit; der Prophet Jesaias.

a. Als dem Volke Israel der Untergang drohte, da sanden sich zu seinem Glücke Männer, welche in dieser schlimmen Zeit im Widerspruche oder in Überein­

stimmung mit den Herrschern die geistige Führung des Volkes übernahmen, und indem sie dem drohenden Unheil kühn ins Auge sahen, den Glauben an Gott und an sein Volk nicht verloren. Diese Männer waren die Propheten. Wenn zu Samuels Zeit diese Männer als ekstatische Schwänner das Land durchzogen, wenn sie in der Zeit des Elias als Genossenschaften für die Sache Got­ tes wirkten, so traten jetzt mehr einzelne Männer auf, welche, vom Geiste Gottes getrieben und erleuchtet, den Geist ihres Volkes reiner und tiefer erfaßten, als ihre Zeitgenossen, und das, was sie erkannt hatten, ihrem Volke ohne Menschenfurcht verkündigten. Wenn es für das Volk ein unbegreifliches Rätsel war, wie Gott sein auserwähltes Volk einem fremden Volke preisgeben könne, so verstanden die Propheten dies Rätsel zu losen. Für die Propheten war Jehovah nicht bloß der Gott Is­ raels, wie das Volk meinte, sondern der Gott der ganzen Welt, auch der Assyrer. Wenn die Assyrer das Volk Israel unterwerfen oder gar vernichten, so sind sie Knechte Jehovahs, gesandt zur Bestrafung der von Jehovah abgesallenen Israeliten, und auch die Assyrer, wie alle fremden Volker, werden dereinst zu Anbetern des Gottes Israels werden (Micha 4, 1—2; Jes. 2, 2—3; Zephanja 3, 9). Dies neue Gottesreich wird aber gegründet werden durch einen König der Zukunft, den Messias, unter welchem Israel und die Heiden in gleicher Weise Jehovah anbeten und in tvahrer Frömmigkeit verehren werden. b. Wenn man nun die Propheten, deren Predigten uns in der Bibel er­ halten sind, überblickt, so gliedern sich dieselben nach dem Zeitalter ihres Auftretens in mehrere Gruppen. Die älteste dieser Gruppen ist diejenige, welche die Pro­ pheten derjenigen Zeit umfaßt, in welcher die Assyrer mit dem Volke Israel in Berührung kommen und dem Reiche Israel den Untergang bringen, das Reich Juda zwar unterthänig machen, aber doch nicht vernichten, sondern im I. 606 selber ihren Untergang finden. Zu dieser Gruppe gehören die Propheten Amos, Hosea, Jesaias, Micha, Zephanja, Nahum und Habakuk. Bon diesen Propheten soll im folgenden nur über den Propheten Jesaias, den bedeutendsterr derselben, Genaueres gesagt werden. c. Der Prophet Jesaias. K. 6. 1. 2-4. 5. K. 36—37. 29—33. K. 6, 23—9, 6. 10, 5—12, 6. 19, 16—25. a. Nach der glaubwürdigen Angabe in seiner Schrift (Jes. 6, 1) ist Jesaias im Todesjahre des Königs Usia (736) zuerst ausgetreten; seine Berufung hat er in K. 6 seines Buches selber dargestellt. Wir können aber seine Wirksamkeit bis zum Jahre 701 (Sanheribs Feldzug gegen Juda) verfolgen. Auf die Sage, daß er unter dem König Manasse mit einem Baume, in dem er sich verborgen hatte (indem sich der Baum für den vor dem König Manasse fliehenden Propheten von selber geöffnet hatte), zersägt worden sei, wird vielleicht schon Hebr. 11, 37 angespielt; eine sichere Nachricht über sein Lebensende ist nicht vorhanden. ß. Die Predigt des Jesaias ist zunächst, wie die Predigt der meisten Propheten, eine Strafpredigt wider die Sünden des Volkes. Solche Reden sind enthalten in den Reden K. 1 und 2—4 und 5; trotz aller äußerlichen Frömmigkeit ist auch Juba

40. (60.) Die Propheten der asiyrischen Zeit; der Prophet Jesaias.

in Gottlosigkeit verfallen.

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Darum wird nun die Predigt des Propheten, wie

die Predigt aller Propheten, zur Predigt vom Gericht Gottes über die Sünder; auch das Reich Juda wird diesem Gerichte nicht entgehen. Aber die Predigt vom Gericht über das Volk Israel ist nicht der Schluß seiner Predigt, sonderm auch Jesaias predigt,wie alle Propheten, von einem vo llkommenenGottesreiche, welches nach dem Gericht aufgerichtet werden wird. Wie diese Predigt aller Propheten vom Gericht und vom vollkommenen Gottesreiche sich in der Predigt des Jesaias gestaltet hat, das soll nunmehr genauer gezeigt werden. /. Über ein Menschenalter hindurch hat Jesaias alle Ereignisse in der Ge­

schichte seines Volkes mit seiner prophetischen Rede begleitet; er hat den syrischephraimitischen Krieg, den Fall Samariens, die Bedrohung Jerusalems durch Sanherib miterlebt, und in allen diesen Wendungen des Geschicks die Stimme Jehovahs an sein Volk vertreten. Gegen das kleine Reich Juda zogen das größere Reich Israel und dessen nördlicher Nachbar, Syrien, heran, um Juda unter sich zu teilen. Da beschloß der König Ahas von Juda, bei den Assyrern, welche bereits in Israel eingegriffen hatten, gegen seine Feinde Beistand zu suchen. Vergeblich warnte ihn Jesaias vor dem Bündnis mit dem mächtigen Assyrien; Syrien wurde zerstört, Israel geplündert und von Assyrien abhängig, aber auch Juda wurde tributpflichtig. Als nun das Reich Israel wieder nach Unabhängigkeit strebte, da wurde es von den Assyrern vernichtet (722); Juda blieb unangetastet, da es den Tribut weiterzahlte. Als aber Ahas' Nachfolger, sein von ihm ganz verschiedener Sohn Hiskia, von Assyrien im Vertrauen auf Gottes Hilfe abzufallen gedachte, da war nach menschlichem Ermessen auch das Reich Juda verloren. Als aber das Heer der Assyrer, über welche jetzt Sanherib herrschte, in Juda einrückte, da verMndete der Prophet Jesaias dem Könige Hiskia, daß es den Assyrern nicht gelingen werde, die Stadt Jerusalem zu erobern; Gott werde dem auf ihn vertrauenden Könige helfen, indem er das assyrische Heer nicht durch Menschenschwert vernichte; San­ herib werde in seiner Heimat getötet werden. „Das schlagendste Beispiel dafür, daß die Propheten Dinge vorausgesagt haben, die außer aller menschlichen Be­ rechnung liegen, ist die Weissagung des Jesaias von der Vernichtung des assyrischen Heeres durch das Schwert eines Nichtmannes, d. h. durch unmittelbar göttliches Einschreiten, und ihre glänzende Erfüllung/") Wie des Propheten Verheißung sich erfüllt hat, ist oben dargelegt worden?) Dieser Tag der Rettung Jerusa­ lems aus der Hand der Assyrer war der Ehrentag im Leben des Propheten Jesaias. ck. Aus großer Drangsal hatte Gott sein Volk wunderbar errettet; aber über Assyrien soll nun, wie der Prophet erwartet, das verdiente Strafgericht kommen. Jesaias hat dasselbe nicht erlebt, erst fast hundert Jahre nach seinem Tode (606) ist Niniveh zerstört worden. Nach dem von ihm vorausgesagten Gericht über Assyrien sollte nun, wie er hoffte, alsbald das vollkommene Gottesreich aufgerichtel werden; daß noch neue Perioden der Geschichte zwischen dem Untergange Assyriens und der Aufrichtung des Gottesreiches liegen würden, hat Jesaias kaum geahnt (ebensowenig wie die andern Propheten); auch er hat dies Heil ganz nahe ge­ glaubt. Der dilrch die Strafgerichte Gottes geläuterte Rest des Volkes Juda sollte alsdann unter einem wunderbaren Könige aus Davids Geschlecht Fneden haben und in Frömmigkeit wandeln; auch heidnische Völker würden an diesem Gottes*) Riehm, ATliche Theologie S. 219. 2) Vgl. 9k. 39.

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41. (61.) Der König Josia und die Reform des Gottesdienstes.

reiche Anteil haben; auch die Natur werde verklärt und verherrlicht werden. Jesaias hat den Anbruch des von ihm verkündeteten Gottesreiches nicht erlebt: er ist um das Jahr 700 gestorben; das vollkommene Gottesreich ist gegründet worden, aber in anderer Weise, als Jesaias und alle Propheten gedacht haben. 8. „Was Jesaias gepredigt hat, ist nicht durchweg etwas Neues; seine Predigt beruht auf der Predigt seiner Vorgänger Amos und Hosea; aber er ist viel be­ deutender, als seine Vorgänger. Er gehört, wie Moses und Elias, zu den reli­ giösen Heroen seines Volkes, in denen das eigentliche Wesen des Volkes Israel und seine weltgeschichtliche Mission an die Völkerwelt zum vollendetsten dtusdruck gekommen ist. Ja, er gehört zu den Leuchten, die weit über die Grenzen dieses einen Volkes hinaus ihr Licht ausstrahlen."*) „In dem Propheten Jesaias tritt uns nämlich ein Mann vor: so überwälti­ gender Größe entgegen, das; man im Bereich des ?t. T. lveder vorher noch nachher seinesgleichen zu nennen vermag. Es ist eine Zeit endloser Käinpfe und schwerster Gefahren, in die Jesaias mitten hineingestellt ist, aber er kennt allezeit nur einen Maßstab, die Zeiche;; der Zeit zu deuten, nur einen Weg, der zur Eri'ettung und zum Frieden führt, nämlich das felsenfeste Vertrauen auf seinen Gott und den unverbrüchlichen Ge­ horsam gegen seinen heiligen Willen. Wenn alles um ihn her verzagt vor der Macht der Assyrer — sein Glaube behält den Sieg; das assyrische Heer lvird durch die Pest aufgerieben, und die Prophetie feiert ihren höchsten Triumph. s?(6er das Verhältnis Judas zu Assur ist nur ein Bruchteil der Gedankenwelt, in der sich der Prophet bewegt. Daneben umfaßt sein Adlerblick ebensowohl die gegenwärtigen verrotteten Zustände des Volkes, wie die ferne Zukunft, wo „„Jehovah die Menschen in die Ferne geschickt hat und die Verödung groß gelvorden ist inmitten des Landes,"" wo auch das gerettete Zehntel abermals der Vertilgung anheimfällt, bis endlich von der gefällten Eiche nur ein Stunrpf ge­ blieben ist — der heilige Same des neuen Israel. Und in welchen hinreißenden Worten werden die hohen Gedanken ausgeführt! Aber über all dem mächtigen Stürmen und Wogen, den mannigfach wechselnden Formen der jesajanischen Rede verläßt uns keinen Augenblick das Gefühl, daß hinter dem allen ein zwar, innig mitfühlender und mittrauernder, aber keinen; Schwarrken und keiner Unruhe unterworfener, lveil seines Gottes gewisser und in seinem Gotte seliger Geist steht, hinsichtlich dessen wir es nur aufs tiefste beklagen müssen, daß uns über seine Person und sein Leben so wenig überliefert ist."*2)3 ?. Daß in dem dem Propheten Jesaias beigelegten Buche nicht alles von ihn; selber Herstamme, sondern teils aus älterer Zeit (z. B. K. 15—16), teils aus jüngerer Zeit stamme (namentlich K. 40—66), aber auch einzelne Abschnitte von K. 1—39 (z. B. K. 13, 1—14, 23), ist heute allgemein anerkannt, und wird namentlich für den Abschnitt K. 40—66 unten genauer dargelegt werden.2)

41. (61.) Der König Jofia und die Reform -es Gottesdienstes. 2. Kön. 22, 1—23, 29. a. Auf den frommen Hiskia folgte der König Manasse, welcher die gottesdienstliche Reform seines Vaters wieder beseitigte, ja, den assy9 Kittel, Geschichte der Hebr. § 68. 2) Kautzsch, Bibelübersetzung II, S. 162s. 3) Vgl. Nr. 47.

rischen Gestirndienst einführte und die Bilder dieser Götter sogar in den Tempel zu Jerusalem setzte, und im Thale Hinnom bei Jerusalem die schon unter Ahas eingerichtete Feuerstätte des Moloch für die Kinderopfer erneuerte. Die Mehrzahl des Volkes folgte dem Beispiel des Hofes, die Frommen und besonders die Propheten wurden grausam verfolgt. Diese Zeit des herrschenden Heidentums nahm ein Ende, als nach der kurzen Regierung eines Sohnes Manasses der König Josia im Jahre 640 den Thron bestieg. Als unter diesem Könige im Jahre 621 das etwas vor­ her abgefaßte Deuteronomium^) im Tempel gefunden und dem Könige überreicht wurde, da beschloß derselbe, diesem Gesetzbuche entsprechend den Götzendienst auszurotten und den Gottesdienst genau nach dem Buchstaben des Gesetzes zu ordnen, und das vom Könige zusammenberufene Volk verpflichtete sich, diesem Gesetzbuch zu gehorchen. Der Tempel wurde nun von allem heidnischen Wesen gereinigt, und alle heiligen Orte des Götzen­ dienstes wurden zerstört. Ja, jetzt wurde auch der seit alter Zeit übliche Höhendienst untersagt und alle Heiligtümer der Höhen zerstört.^) Da da­ mals das affyrische Reich bereits im Verfall war, so konnte Josia es sogar wagen, auch in dem zum assyrischen Reiche gehörigen Gebiete der Samariter die Heiligtümer der Höhen zu zerstören. Nunmehr kam erst zur Geltung die Forderung des Deuteronomiums, daß Gott nur an einem Orte angebetet werde, was vorher niemals der Fall gewesen war; nun­ mehr wurde erst der Tempel zu Jerusalem zu dem, wofür er den späteren Juden galt: das einzige wahre Heiligtum Jehovahs. So heißt es denn von Josia nicht mit Unrecht, seinesgleichen sei kein König in Juda gewesen, weder vorher noch nachher (2. Kön. 23, 25); dieser König ist der eigent­ liche Begründer des späteren (und heutigen) gesetzestreuen Judentums. b. Doch der fromme König fand nur zu bald einen traurigen Tod. Zu seiner Zeit war Assyrien seinem Untergange nahe, und die Ägypter begannen ihre Herrschaft über Syrien auszudehnen, um ein Vordringen einer asiatischen Macht nach Ägypten unmöglich zu machen. Diesem Vor­ dringen der Ägypter, welchem kein assyrisches Heer entgegentrat, da dies

Reich feinem Untergang entgegenging, glaubte Josia entgegentreten zu müssen; aber als er nun dem Könige der Ägypter, Necho, bei Megiddo

in Galiläa^) gegenübertrat, da wurde er besiegt und verwundet, und nur seine Leiche konnte nach Jerusalem zürückgebracht werden (608). Das war der traurige Ausgang des frommen Königs; da war es kein Wunder, daß die Israeliten traurigen Herzens die Frage aufwarfen: „Wo ist nun unser Gott?" (Ps. 41, 4. Jer. 14, 19.) Gottes Gesetz war vom Volke als Reichsgesetz anerkannt worden; durfte da nicht das Volk nach der damaligen Anschauung von der schon auf Erden sich vollkommen offenbarenden Gerechtigkeit Gottes erwarten, unter dem be­ sonderen Schutze Jehovahs zu stehen? Gott schien aber die Frommen zu vergessen und die Gottlosen zu segnen. Zwar der ägyptische König sollte sich dieses Sieges nicht lange erfreuen, denn er wurde bald darauf (606) aus Asien verdrängt durch die neue Weltmacht, welche an die Stelle von Assyrien trat, durch den König von Babel; doch die neue Weltmacht -) Vgl. Nr. 27 und 55. -) Vgl. Nr. 64. 3) Vgl. jedoch Hommel (1895), § 32.

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41. (61.) Der König Sofia und die Reform des Gottesdienstes.

brachte den Juden keine Rettung; im Gegenteil, durch Babel fand das jüdische Reich sogar seinen Untergang. c.1) Die Reformation des Königs Josia gründete sich auf ein Buch, das Deuteronomium, ein Buch, welches einen Kompromiß darstellt zwischen Prophetie und Priestertum, welches das von den Propheten verheißene Gottesreich verwirk­ lichen will, und dasselbe zu verwirklichen hofft durch eine Reformation des Kultus. Worin hat dieselbe bestanden? Während bisher Jehovah an vielen Orten verehrt wurde, namentlich auf den sogen. Höhen, sollte er fortan nur in Jerusalem verehrt werden. Das hatte aller­ dings den Nutzen, daß der Gottesdienst leichter rein erhalten werden konnte; aber damit war doch auch der Israelit gezwungen, das gewöhnliche Leben so einzurichten, daß er ohne Gott fertig wurde; der Gottesdienst, der früher sein ganzes Leben durchdrungen hatte, schrumpfte jetzt zusammen auf die Verehrung Gottes an den drei großen Festen, an welchen er nach Jerusalem kam. Da war es ein Glück, daß später (aber erst nach dem Exil) der Gottesdienst in den Synagogen auskam: aber erst Jesus hat darauf hingewiesen, daß der Gottesdienst nicht an Jerusalem gebunden sei, und daß man im vollkommenen Gottesreiche keinen Tempel mehr brauche. Mit der Centralisation des Gottesdienstes in Jerusalem hing es aber zu­ sammen, daß fortan der Gottesdienst viel mehr, als bisher, in die Hände einer Priesterschaft kam, und daß das Opfer eine andere und größere Bedeutung gewann. Während in der älteren Zeit der Hausvater selber opferte, konnte jetzt ein rechtes Opfer nur durch den Priester gebracht werden; und während früher das Opfer mehr ein Zeichen der bestehenden Gemeinschaft mit Gott gewesen war, wurde es jetzt vornehmlich ein Mittel, um die gestörte Gemeinschaft mit Gott wiederherzustellen. Wenn so durch Josias Reformation Priestertum und Opferwesen eine größere Bedeutung gewonnen haben als früher, ja, in dem späteren Priestergesetz eine noch viel größere Bedeutung erlangt haben, so hat erst Christus darauf hingewiesen, daß die rechte Stellung des Menschen zu Gott nicht durch menschliche Priester und Opfer vermittelt werde. Endlich aber wurde jetzt zum erstenmale ein Buch die Grundlage der Religion; nur wer das that, was in diesem Buche stand, war ein frommer Mensch. Diesen Gedanken hat das Christentum festgehalten, und wenn es mit Recht sich an die heilige Schrift gehalten hat, und wenn gerade auch die Reformation des Christen­ tums von einem Buche, der heiligen Scbrift, ausgegangen ist, so ist es doch auch für das Christentum verhängnisvoll geworden, wie für das Judentum, daß all­ mählich der Buchstabe eines Buches zum Maßstab der Frömmigkeit gemacht worden ist, während doch der Buchstabe tötet, und nur der Geist lebendig macht?) *) 6—6 sind nur für den Lehrer bestimmt. 2) „Indem das Volk Israel die Ausgabe erhält, ein heiliges Volk Jehovahs zu sein, wird in der Menschheit der Grund zur Bildung einer Kirche (im Gegen­ satze zum Staate) gelegt. Indem ein Buch als für das ganze Volk verbindliches Regulativ der Frömmigkeit eingesetzt wird, entsteht der Begriff der heiligen Schrift. (Stade I, S. 666-667.) „Was die christliche Kirche, vor allem die der Reformation, der heiligen Schrift verdantt, hat hier, wo der Begriff der heiligen Schrift uns zum erstenmal entgegen­ tritt, seine Wurzel. Aber auf der andern Seite gehen von diesem Ereignis — als Schatten neben dem Lichte — auch alle die Übel aus, die im Judentum und im Christentum aus äußerem Pochen auf das geschriebene Wort und geistlosem Hasten am anerkannten Buchstaben geflossen sind." (Kittel, Geschichte der Hebr. II, § 73 fin.)

So hat die Reformation des Josia, welche auf einem Buche, dem Deutero­ nomium, beruhte, für das jüdische Volk, wie für die spätere Zeit, eine große, aber

nur zum Teil segensreiche Bedeutung gewonnen. d. Das neue Gesetz, welches im Deuteronomium dem Volke Israel dargeboten und durch Josias Eifer zur Anerkennung gebracht wurde, war eine heilsame Neuerung; es war damals in der Ordnung, daß der eine Gott nur an einem Orte und durch einen Priesterstand verehrt wurde. Aber auch wenn das erreicht wurde, so war doch damit der Forderung dieses Gesetzes noch nicht Genüge gethan; das Gesetz forderte nicht bloß eine bestimmte Art einer äußeren Frömmigkeit, sondern eine Frömmigkeit des Herzens, und eine solche konnte auch der beste König nicht erzwingen. So war es denn kein Wunder, daß der Prophet Jeremias in dieser Zeit darauf hinwies, daß auch das Reich Juda zu Grunde gehen werde, und daß durch einen neuen Bund das Herz des Volkes für Gott gewonnen werden müsse, wenn es zu wahrer Frömmigkeit gelangen wolle (Jerem. 31). 6. Aber der ganze Erfolg der Reformation des Josia wurde in Frage gestellt, als der fromme König im Jahre 606 im Kampfe gegen die Ägypter den Tod fand. Die eine Partei glaubte mit seinem Tode die Möglichkeit gegeben, das neue Gesetz wieder beseitigen zu können; die andere Partei, welche an demselben festhielt, glaubte im Festhalten am Gesetz und in der Anerkennung des wahren Heiligtums die Garantie zu besitzen, daß der Staat gegen alle Gefahren von außen gesichert sein werde; ihnen erschien es als eine gottlose Predigt, daß Jeremias darauf hin­ wies, daß der Tempel zerstört werden könne. Und der Tempel wurde zerstört — aber die Religion des jüdischen Volkes ging nicht zu Grunde; jedoch zu der Erkenntnis, daß es eine wahre Religion ohne einen Tempel geben könne, hat sich das Judentum nicht erhoben — nach dem Exil wurde der Tempel und der ganze äußere Gottesdienst wiederhergestellt, und zwar mit größerer Strenge aber auch äußerlicher, als vorher; erst im Christentum wurde eine Religion gegründet, welche keinen Tempel mehr bedarf und kein Opfer und kein Priestertum, und welche eine Religion nicht des äußeren Gottesdienstes, sondern

der inneren Frömmigkeit ist.

42. (62.) Das ueubabylonische Reich. ) Als das assyrische Reich seinem Untergänge entgegenging, hatte der König Necho von Ägypten seine Herrschaft über Syrien auszubreiten begonnen, und dabei war ihm der König Josia von Juda vergeblich entgegengetreten. Als nun das assyrische Reich im Jahre 606 durch die verbündeten Meder und Babylonier zerstört worden war, da konnten, als die Haupterben der assyrischen Macht, die Babylonier es nicht dulden, daß Syrien in den Händen der Ägypter blieb, und so sandte der bereits kranke König Nabopolassar seinen Sohn Nebukadrezar (mit r in der babylonischen Sprache, nicht mit n1 2)) gegen Necho; in der Schlacht bei Karchemisch am westlichen Ufer des Euphrat wurde Necho geschlagen (605), und Syrien wurde dem babylonischen Könige Unterthan. Als nun Nebnkadnezar selber den Königs­ thron bestieg (604—562), wurde Babel eine der glänzendsten und größten Städte der Welt, bis zur Mongolenherrschaft die größte Stadt von Asien. Wie dieser König in die Geschichte des Reiches Juda eingegriffen hat, wird unten erzählt

1) Die Geschichte des altbabylonischen Reiches siehe oben Nr. 16 g. 2J Die Schule mag bei dem Namen Nebnkadnezar bleiben; so auch noch Webers Stade und andere.

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43. (63.) Der Untergang des Reiches Juda 586.

werden.

Auch Ägypten wurde nach der Vernichtung des Reiches Juda gedemütigt.

Unter Nebukadnezars unfähigen Nachfolgern (561—539; der letzte hieß Nabonid) verfiel das babylonische Reich, und wurde mit leichter Mühe durch die Perser vernichtet.

43. (63.) Der Untergang des Reiches Inda 586?) 2. Kön. 17, 7—23 u. 84—41. a. Als der König Josia gestorben war, folgte ihm zunächst sein jüngerer Sohn als Herrscher. Aber der ägyptische König nahm denselben gefangen und führte ihn mit sich nach Ägypten, und setzte den älteren

Sohn Josias auf den Thron von Juda, und derselbe mußte nun an Ägypten Tribut zahlen. Die Reformation des Josia wurde zwar nicht

ganz umgestoßen, aber das Heidentum wurde doch wieder geduldet; ja, die Propheten wurden vielfach wieder verfolgt, und die Sittenlosigkeit griff immer mehr um sich. Als nun der babylonische Königssohn Nebukadnezar die Ägypter aus Asien verdrängte, da schien auch bereits das Reich Juda in die Hände der Babylonier geraten zu sollen; aber Nebukadnezar sah sich durch die Verhältnisse in der Heimat zur Rückkehr genötigt, und erst vier Jahre später (602) zog er, nunmehr König von Babylon, aufs neue nach Westen, um seine Herrschaft daselbst auszudehnen und zu befestigen. Nunmehr wurde Juda den Babyloniern Unterthan. Als aber nach drei Jahren der Kampf zwischen Ägypten und Babylonien aufs neue begann, da zog Nebukadnezar alsbald gegen Ägypten und besiegte dasselbe. Da aber der König von Juda auf Ägyptens Seite getreten war, so wurde auch Juda bekämpft und bezwungen. Als der jüdische König in dieser Zeit starb, hielt es sein Nachfolger Jojachin für das beste, sich dem König von Babylon zn ergeben, und derselbe führte ihn mit vielen Vornehmen^) gefangen nach Babel, der Tempel und der Königspalast wurden geplündert und das Volk entwaffnet (597). Darauf setzte Nebukadnezar einen jüngeren Sohn Josias, Zedekia, als König in Jerusalem ein, und derselbe war ihm natürlich Unterthan. b. Je drückender aber das babylonische Joch war, desto mehr sannen König und Volk darauf, sich desselben zu entledigen, und natürlich richtete sich ihre Hoffnung wieder auf Ägypten; vergeblich warnte der Prophet Jeremias, der schon seit längerer Zeit im Reiche Juda predigte, den König und die Vornehmen vor dem Abfall von Babel; sein Wort wurde nicht beachtet, ja, er selbst wurde bedroht und verfolgt?) Seine Gegner wiesen darauf hin, daß Gott es unmöglich zulassen könne, daß Jerusalem und der Tempel in die Hände der Heiden fielen. Als nun der König Zedekia auf Abfall .sann, da zog Nebukadnezar mit einem großen Heere gegen Juda, ehe die Ägypter herankamen, eroberte n Vgl. Nr. 44. 2) Zu denselben gehörte auch der Prophet Hesekiel oder Ezechiel, der seitdem in Babylon als Prophet der Juden predigte. s) Das Leben des Jeremias ist im folgenden Abschnitt im Zusammenhänge besprochen, und auch auf seine Weissagung wird dort genauer eingegangen.

das Land und belagerte Jerusalem. Zwar erschien das ägyptische Hilfs­ heer in Juda, aber es wurde geschlagen. So wurde denn Jerusalem nach zweijähriger Belagerung erobert; der König entrann zwar zunächst im Getümmel des Kampfes, aber. bald wurde er eingeholt und vor Nebukadnezar geführt. Derselbe ließ vor seinen Augen seine mitgefangenen Söhne hinrichten; darauf wurde er selber geblendet und in Ketten nach Babel geführt, wo er im Gefängnis gestorben ist. Die Stadt wurde geplündert und zerstört, wobei namentlich auch die Edomiter sich eifrig beteiligten (Pf. 137); der Tempel wurde vernichtet, viele Nnwohner wurden auch jetzt wieder ins Exil abgeführt. Über den Rest der Be­ wohner wurde ein Jude, Gedalja, als Statthalter des babylonischen Königs gesetzt. Als derselbe aber bald ermordet wurde von einem ihm feindlichen Juden, den der Ammoniterkönig zu dieser That überredet hatte (welcher durch Gedalja sich gehindert sah, sein Gebiet auf Kosten Judas weiter auszudehnen), da flohen viele Juden vor Nebukadnezars Rache nach Ägypten. Auch eine spätere Empörung der Juden schlug nur zu ihrem Verderben aus. c. So hatte auch das Reich Juda seinen Untergang gefunden, Je­ rusalem war zerstört, der Tempel war vernichtet; aber das Reich Gottes ist nicht zu Grunde gegangen. Im Anschluß an die Predigt der Pro­ pheten hofften die frommen Juden in Babylon, Gott werde sein Volk nach Jerusalem zurückführen und den Tempel wiederherstellen; denn auch nach der Zerstörung der heiligen Stadt und des Heiligtums hielten die Juden an der Meinung fest, daß das Reich Gottes für immer geknüpft sei an das heilige Land und die Stadt Jerusalem und den Tempel; erst das Christentum hat diese Schranke des jüdischen Glaubens überwunden. *)

44. (64.) Der Prophet Jeremias. a. Die Zeit des Propheten Jeremias. Als im Jahre 621 der König Josia das Gesetz des Deuteronomiums zur Grundlage seiner Reformation des Gottesdienstes im Reiche Juda gemacht hatte, da erwarteten die frommen Israeliten, daß nun eine neue Periode des Glückes für Israel anbrechen werde; aber Josia fiel im Kampfe gegen den Ägypterkönig Necho,

welchen er daran hindern wollte, in Asien vorzudringen; damit waren alle schönen Zukunftshoffnungen für das Reich Juda vernichtet; vielmehr ging das Reich jetzt mit schnellen Schritten seinem Untergänge entgegen. Josias Nachfolger hatten es ihrer Verbindung mit Ägypten zu verdanken, daß der babylonische König Nebukadnezar gegen Juda heranzog und hier einen neuen König einsetzte, Zedekia, der ihm Unterthan sein mußte. Als derselbe aber von Nebukadnezar abfiel, wurde das Reich Juda zerstört, und die Juden wanderten in das babylonische Exil.

b. Die Berufung des Jeremias. Jer. 1.

16, 1—9.

20, 14—18 und 7—13.

Auch in dieser Zeit, wo Assyriens Macht sank und unterging, wo Babel emporkam und Juda unterging, sind unter den Juden Propheten ausgetreten; 9 Vgl. Nr. 75.

Heidrich, Heilige Geschichte.

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44. (64.) Der Prophet Jeremias.

zunächst Nahum, Zephanja und Habakuk, vornehmlich aber, der größte unter den Propheten dieser Zeit, Jeremias. Kurz vor der Reformation des Josia (621) ist Jeremias, eines Priesters Sohn aus der Stadt Anathot bei Jerusalem, als Prophet ausgetreten. Seine Berufung hat er in Kap. 1 seines Buches dargestellt. Nicht aus eigenem Belieben, sondern einem göttlichen Ruse folgend, ist Jeremias als Prophet ausgetreten, in einer Zeit, wo das Unheil über sein Volk hereinbricht, und obwohl er weiß, daß seine Predigt bei allen Ständen des Volkes Widerspruch erfahren wird. Er hat seinem Berufe so gänzlich angehört, daß er sich (gegen die allgemeine Sitte) nicht einmal verheiratet hat (16, 1—9). Zwar auch er hat einmal, wie Hiob, den Tag. seiner Geburt verflucht (20, 14—18); aber er hat sich trotz aller inneren und äußeren Anfechtung von seinem Beruf nicht abbringen lassen (20, 7—13). Seine Predigt^ die sich über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren erstreckte, war aber, wie die der meisten Propheten, zunächst eine Strafpredigt, dann aber auch eine Predigt von dem zukünftigen Heil; dieselbe soll im folgenden kurz zusammengesaßt werden?) c. Die Strafpredigt des Jeremias. Götzendienst: 2, 1-3, 5. 10,1-6. 5,21-24. 17,5-10. Sittenlosigkeit: 5, 1—13. 9, 1-16. 14, 7-12. Falsche Propheten: 14, 13-18. 23, 9-40. K. 7. Des Volkes Untergang: 27. 28. 21. Verfolgung des Propheten: 11,18- 23. 19,14—20,6. 26. 28. 37. 38. 36. Nur ein Gott sollte im Volke Israel verehrt werden; aber als Jeremias austrat, war auch im Reiche Juda der Götzendienst weit verbreitet, und so tritt denn Jeremias zunächst dem Götzendienst in strafenden und drohenden Reden entgegen (2, 1—3, 5. 10, 1—16. 5, 21—24); in thörichter Weise wendet sich das Volk den heidnischen Nachbaren zu, die ihm doch nur Verderben bringen (17, 5—10). Und mit dem Abfall von Gott ist die ärgste Sittenlosigkeit verbunden (5, 1—13. 9, 1-16. 14, 7-12). Jeremias erklärt es für eine eitle Hoffnung, welche falsche Propheten unter ihnen erwecken, daß es der Stadt Jerusalem und dem Volke Gottes, das eben durch Josia zum Gesetz Gottes zurückgeführt worden sei, um seiner angeblichen Frömmigkeit willen nicht schlecht gehen könne; Gott begnüge sich nicht mit dieseräußeren Reformation, er verlange eine wahre Frömmigkeit des Herzens; da diese fehle, so werde auch das Reich Juda mit Jerusalem und dem Tempel zerstört werden (14, 13—18. 23, 9-40. K. 7). Während Jesaias im Jahre 701 dem Volke verheißen hatte, daß Jerusalem erhalten bleiben solle, verkündete Jeremia als der erste2), daß auch das Reich Juda seinen Untergang finden werdet) Und Jeremias weiß auch beretts, durch welches Volk das Reich Juda seinen Untergang finden wird; es sind die Babylonier, welche, mit den Medern ver­ bündet, im Jahre 606 Niniveh zerstört hatten, und nun, ihre Herrschaft nach Westen ausdehnend, das wohlverdiente Strafgericht an Juda vollziehen werden (K. 27. 28). Als die Babylonier Jerusalem nun wirklich belagerten, da weiß er keinen andern Rat, als sich denselben zu ergeben (K. 21). Diese Predigt des Propheten gefiel freilich niemandem, und so wurde er von seinen Landsleuten in Anathot geschmäht (11, 18—23), von dem Obersten des

') Der Schüler lernt dieselbe natürlich durch die Lektüre des Propheten kennen. s) Vgl. Smend, ATliche Religionsgeschichte S. 234. 3) Für das Reich Israel hatte das Amos zuerst verkündigt.

44. (64.) Der Prophet Jeremias.

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Tempels geschlagen und gefangen gesetzt (19, 14—20, 6), von den falschen Propheten bekämpst (K. 26 und 28), als schlechter Patriot, der die Bewaffneten entmutige und zur Übergabe der Stadt ermahne, in eine Schlammgrube geworfen, aus der er nur durch die Verwendung eines königlichen Kämmerers noch bei Zeilen wieder heraus­ gezogen wurde (K. 37 und 38); er blieb aber gefangen. Seine Reden, die er ausgeschrieben hatte, waren schon von einem Vorgänger des Zedekia verbrannt worden (K. 36); er hat sie später selber aufs neue zusammengestellt (36, 2), und eine spätere noch vollständigere Sammlung derselben, von Jeremias^ Schüler Baruch und noch später lebenden Männern zusammengestellr, hat sich bis auf unsre Zeit erhalten. Die Klagelieder, welche in der jetzigen hebräischen Bibel dem dritten Teil der Bibel einverleibt sind (um die fünf Bücher beisammen zu haben, welche an bestimmten Festen in der Synagoge vorgelesen werden i)), standen früher hinter dem Weissagungsbuche (wie in der Lutherbibel); es sind fünf einzelne ergreifende Klage­ lieder über den Untergang des Reiches Juda, getragen von dem Gefühl der Ergebung in die Hand Gottes und des Vertrauens aus seine spätere Gnade. Die neueren Kritikers betrachten aber dieses Buch nicht als ein Werk des Jeremias, sondern als die Dichtung eines jüngeren Zeitgenossen des Jeremias. Das Buch Baruch (eines Schülers des Jeremias) nebst dem ihm angehängten Brief des Jeremias (K. 6)3*)2 sind Schriften aus späterer Zeit, welche mit Recht unter den Apokryphen stehen.

d. Jeremias' Schicksal nach der Zerstörung Jerusalems.

Jer. 39, 1—2 und 11-14.

40, 1-6.

K. 42-43.

Als Jerusalem erobert wurde, da wurde Jeremias aus dem Gefängnis befreit, in welches er durch die Feindschaft der Ratgeber des Königs Zedekia geworfen worden war. Als er nun aber in die Gefangenschaft abgesührt werden sollte, da wurde er infolge der Verwendung irgend eines Fürsprechers freigelassen, und es wurde ihm freigestellt, ob er nach Babel auswandern oder im jüdischen Lande bleiben wolle. Jeremias blieb in seiner Heimat, wo als babylonischer Statthalter ein Jude, Namens Gedalja, waltete, der sich seiner Landsleute nach Kräften an­ nahm. Als aber bald darauf Gedalja von einem fanatischen Juden ermordet wurde, flohen die noch übrigen Juden gegen Jeremias' Rat vor der Rache der Babylonier nach Ägypten, und zwangen auch den Propheten mit ihnen zu ziehen; dort ist er wahrscheinlich gestorben. Sein Gedächtnis lebte nicht bloß in seinen Schriften, sondern auch in der Sage des Volkes weiter; man erzählte sich von ihm später, er habe die Bundeslade und andere Heiligtümer des Volkes bei der Verbrennung des Tempels gerettet und in einer Höhle des Berges Horeb ver­ borgen, wo sie bis zu der messianischen Zeit verborgen bleiben würden (2. Makk. 2), während doch Jeremias selber von einem Gottesreiche ohne Bundeslade predigt (vgl. Jer. 3, 14—17); wie des Elias, so wurde auch des Jeremias Wiederkunft vor dem Auftreten des Messias erwartet (Matth. 16, 14).

9 Vgl. Nr. 14 A. 2) Auch König (Einl. § 86). 3) Derselbe will für den wirklich von Jeremias (vgl. K. 29, 1) an die Exulanten in Babylon gerichteten Bries gelten.

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45. (65.) Die Geschichtsbücher der Zeit nach dem Exil. e. Die Hoffnung des Jeremias.

Jer.50, 1-3. 30, 1-3und 18-22. 23,1-8. 31,31-34. 3,14-17. 33,14-18. Als Jerusalem zerstört worden war, da klagte Jeremias (oder ein jüngerer Zeitgenosse desselben) in seinen „Klageliedern" über den Fall der Stadt Gottes^ aber er wußte doch nicht bloß zu klagen, sondern auch zu trösten, denn er war erfüllt von der Hoffnung auf ein neues besseres Gottesreich, als durch die Babylonier zerstört worden war. Das mächtige Babel wird — das weiß der Prophet — später selber zerstört werden') (Jer. 50, 1—3), und nach 70 Jahren (25, 11; eine runde Zahl — das Exil hat nicht ganz so lange gedauert) kehrt dann Juda, mit welchem Israel wieder vereinigt wird, nach der Heimat zurück, und dann wird alsbald, wie Jeremias gleich allen andern Propheten erwartet (ohne die neuen Ent­ wickelungsstufen des Gottesreiches zu kennen), das vollkommene Gottesreich aufgerichtet werden (30, 1—3 und 18—22), beherrscht von einem König aus dem Hause Davids, der das sein wird, was Zedekia nur hieß: ein gerechter König, der aufs

innigste mit Gott verbunden ist (23, 1—8). Und dieses Gottesreich soll nun — und hiermit gewinnt Jeremias von allen Propheten die am meisten Neutestamentliche Anschauung vom neuen Gottesreiche — nicht mehr der alte Bund sein, sondern ein neuer Bund sür alle Menschen, ohne Bundeslade, in wahrer Gemeinschaft des Herzens mit Gott (31, 31—34. 3, 14—17); aber trotzdem spricht auch Jeremias anderwärts noch von Opfern und Leviten und einem Tempel in diesem Gottesreiche; auch e r hat die Schranke der ATlichen Erkenntnis nicht ganz überschritten (33,14—18).

Die Hoffnung des Jeremias hat sich erfüllt, aber nicht so schnell, wie er erwartete, jedoch noch viel herrlicher, als er dachte; aber das vollkommene Gottes­ reich ist noch heute ein Gegenstand der Hoffnung.

B. Das Exil und die Rückkehr. 45. (65.) Die Geschichtsbücher der Zeit nach dem Exil. 1. Die Bücher der Chronik, Esra nnd Rehemia. a. Dem großen Geschichtswerke der vorexilischen Zeit, welches einer­ seits die Bücher Mosis und Josua, andrerseits die Bücher der Richter, Samuels und der Könige umfaßt, und die Geschichte des Bölkes Gottes vom Anfang der Welt bis zum Untergange Judas darstellt, steht ein zweites, nachexilisches Geschichtswerk von geringerem Umfange zur Seite, die Bücher der Chronik, Esra und Nehemia umfassend, welches ebenfalls mit der Schöpfung beginnt, aber nur einige Hauptepochen der Geschichte des Bölkes Gottes genauer behandelt, dagegen die Geschichte desselben bis zur Wiederherstellung des Gottesreiches nach der Rückkehr aus Babel darstellt. Dieses Geschichtswerk zerfällt heute in vier Bücher, die zwei Bücher der Chronik, welche aber ursprünglich nur ein Buch bildeten, und die Bücher Esra und Nehemia, welche aber ursprünglich ebenfalls nur ein Buch bildeten, und erst später in zwei Bücher geteilt worden sind, welche früher als erstes und zweites Buch Esra^), erst später als Bücher *) Durch wen (Cyrus) — das weiß er noch nicht. 2) Das in der griechischen Bibel enthaltene sogenannte dritte Buch Esra ist eine freie, erweiterte Bearbeitung des kanonischen ersten Buches in griechischer Sprache; das vierte Buch Esra ist eine Apokalypse.

Esra und Nehemia bezeichnet wurden. Daß alle diese Bücher ursprünglich ein Ganzes bildeten, zeigt der Schluß der Chronik, welche mit demselben (aber hier unvollendeten) Satze schließt, mit welchem das Buch Esra anfängt. In dieser Weise deuten nämlich in der alten Zeit die Abschreiber eines Buches öfters auf die Fortsetzung desselben hin. Das Buch der Chronik!) beginnt mit Geschlechtsregistern und Listen, in welchen die Geschichte des Volkes Gottes von Adam bis auf David dargestellt wird. Darauf folgt die Geschichte von David und Salomo. Den Schluß bildet die Geschichte des Reiches Juda. Der Verfasser erzählt also nichts von der älteren Geschichte des Volkes vor David, auch nichts von Saul und nichts vom Reiche Israel, und er spricht vornehmlich vom Gottesdienste und seinen Einrichtungen; er will offenbar zeigen, wie die frommen Könige (daher werden Saul und die Könige des Reiches Israel nicht besprochen) den rechten Gottesdienst eingerichtet und aufrechterhalten haben.*2)3 Die Bücher Esra und Nehemia zeigen, wie nach dem Exil das Gottesreich durch Josua und Serubabel zunächst wieder aufgerichtet, dann durch Esra und Nehemia aufs neue geordnet worden ist. Die Geschichte der an den Tempel in Jerusalem geknüpften Religion ist also in diesem nachexilischen Geschichtswerk dargestellt, und dankbar blickt der Verfasser dieses Buches auf diejenigen Männer hin, welche um die Einrichtung und Gestaltung des rechten Gottesdienstes sich verdient gemacht haben. Das ganze Geschichtswerk ist also eine Geschichte der Religion des Volkes Gottes; darum läßt der Schriftsteller vieles Persönliche unbeachtet, Gutes und Böses, was die Könige gethan haben; ihm ist die Darstellung der Geschichte des Gottesdienstes die Hauptsache. b. Was der Verfasser dieses großen Geschichtswerkes erzählt, beruht allerdings zum Teil auf dem vorexilischen Geschichtswerke, welches in dem ersten und zweiten Teil der hebräischen Bibel enthalten ist, aber auch auf anderen Quellen, die dem Verfasser außerdem zu Gebote standen, für die Geschichte von Esra und Nehemia zum Teil sogar auf eigenhändigen Aufzeichnungen dieser beiden großen Männer. Diese Quellen hat der Verfasser des Werkes in derselben Weise verwertet, wie das in den Ge­ schichtsbüchern der Bibel überall geschieht, teils buchstäblich sie ausnehmend,^) teils sie freier bearbeitend; jedenfalls ist seine Darstellung eine beachtens­ werte Ergänzung und Fortführung des vorexilischen Geschichtsbuchs; aber die Überlieferung war im Laufe der Zeit teils bereits umgestaltet worden,

teils hat der Erzähler selber dieselbe im Geiste seiner Zeit umgestaltet, welche auf den äußeren Gottesdienst ein allzu großes Gewicht legte. Dies nachexilische Geschichtsbuch führt uns aber bis weit in die persische Zeit hinab, so daß seine Entstehung um das Jahr 300 anzusetzen ist; der letzte Hohepriester, der genannt ist, ist ein Zeitgenosse Alexanders

0 Diesen Namen hat Luther von H ieronymus übernommen; in der griechischen Bibel heißt dieses Buch „Paraleipomena" (d. h. in den früheren Büchern „Über­ gangenes"), in der hebräischen Bibel „Zeitgeschichte." 2) Ein Zusatz zu 2. Chron. 33,11—13 ist das apokryphijche Gebet Manasses. 3) Daher sind im Buche Esra manche Abschnitte in aramäischer Sprache ge­ schrieben.

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des Großen. Wahrscheinlich ist dasselbe von einem Leviten geschrieben, da es besonders vom Gottesdienste handelt und ganz besonders von den Leviten, noch mehr als von den Priestern, spricht; aber der Name des Verfassers (oder des letzten Bearbeiters) der vier Bücher ist uns nicht bekannt. c.1)* 3Im Gegensatze zu den älteren Geschichtsbüchern, welche vorwiegend vom prophetischen Standpunkte ausgeschrieben sind, trägt dies nachexilische Geschichts­ werk einen priesterlich-levitischen Charakter, wie das ja von einem Leviten zu erwarten ist. „Die Bücher der Könige und der Chronik repräsentieren besonders deutlich die zwei Arten der Geschichtschreibung der Bibeln) Während das Königs­ buch ein provhetisches Geschichtswerk ist, trägt die Chronik priesterlichannalistischen Charakter. Der Verfasser des Königsbuchs, der sich am Deutero­ nomium und an der prophetischen Litteratur gebildet hat, will zeigen, wie das Israel der beiden Reiche durch Verachtung des göttlichen, von den Propheten getragenen Wortes und besonders durch die Grundsünde des Götzendienstes von Stufe zu Stufe inneren und äußeren Verderbens bis in den Abgrund des Exils hinabstürzt — Juda jedoch mit seinem Davidischen Königtum nicht ohne die Hoffnung der Wiedererhebung aus diesem Abgrund, wenn es solcher prophetischen Predigt der Geschichte seiner Vergangenheit nicht das Herz verschließt. Der Chronist dagegen, dem man schon an den seinem Werke vorausgeschickten annalistischen Über­ sichten seine Liebe zu dem gotterwählten Königtum und Priestertum aus den Stämmen Juda und Levi absühlt, eilt, indem er gleich mit dem traurigen Ende Sauls beginnt und über Davids Leidensgang zum Throne kein Wort verliert, den freudenreichen Anfängen seines Königtums zu, die er uns in der volkstümlichen, kriegerisch-priesterlichen Darstellungsweise der Annalen vorführt; er schildert uns dann, fast gänzlich abgewandt von der Geschichte des nördlichen Reiches, die Ge­ schichte Judas und Jerusalems unter der Herrschaft des Hauses Davids, besonders ausführlich da, wo er die Sorge des Königtums für Tempel und Kultus und das Zusammenwirken desselben mit Leviten und Priesterschaft zu rühmen weiß."^) „Das levitisch-priesterliche Kultusinteresse ist hier zum religiösen Hauptinteresse geworden; der Maßstab, nach welchem der Chronist die Könige mißt, ist nicht der deuteronomische Maßstab des Buches der Könige, sondern der Eifer für den gesetzlichen Gottesdienst, und dies Werllegen auf den Tempeldienst und damit die Veräußer­ lichung der Religion hat später immer mehr zugenommen."4) d. Aus der späten Entstehung der Chronik erklärt sich die in diesem Buche vielfach wahrzunehmende, auf der Umbildung der mündlichen Tradition beruhende Umgestaltung von äußeren Momenten der älteren Geschichte; aus der Umgestaltung des religiösen Standpunktes (welcher inzwischen der strenggesetzliche Standpunkt des Priestergesetzes geworden war) erklärt sich die strenggesetzliche religiöse und sittliche Beurteilung der erzählten Ereignisse. Diese zweifache Abweichung der Chronik von den älteren Geschichtsbüchern ist also nicht als eine beabsichtigte Fälschung der Geschichte, sondern als unwillkürliche Umgestaltung derselben anzusehen.5)

9 Das Folgende ist nur für den Lehrer bestimmt. 9 Vgl. Rr. 1 B und C. 3) Delitzsch, Jesaia4, S. 9. 4) Riehm, ATliche Theologie S. 395—396. 5) König, Einleitung in das A. T. § 54, 3, übereinstimmend mit Kautzsch, Abriß des ATlichen Schrifttums (Beilagen zur Übersetzung des A. T., S. 198a.).

45. (65.) Die Geschichtsbücher der Zeit nach dem Exil.

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Infolge dieser Umgestaltung und eigentümlichen Beurteilung der älteren Geschichte ist die Chronik allerdings mehr geeignet, uns einen Blick in den Zustand der Zeit des Verfassers (c. 300 vor Chr.) thun zu lassen, als über die von ihr berichteten Ereignisse zu belehren; aber es würde von Einseitigkeit zeugen, alles, was die Chronik mehr enthält als die älteren historischen Bücher, als unglaub­ würdig zu bezeichnend) e.^) Wenn schon die deuteronomistische Redaktion der älteren Geschichts­ bücher fast die ganze Vergangenheit des Volkes Israel verurteilt, so wird dieses Verdammungsurteil von der Chronik zum Teil allerdings noch gesteigert, indem sie an die alte Geschichte den Maßstab des Priestergesetzes anlegt und darum noch schärfer urteilt. Aber auch der Vergeltungspragmatismus wird in der Chronik noch gesteigert, indem sie überlieferte Thatsachen als Sünde und Strafe in einen kausalen Zusammenhang setzt, den wir nicht für richtig halten, oder auch in der älteren Geschichtserzählung nicht überlieferte Thatsachen berichtet, aus welchen das von ihr erzählte Schicksal der geschichtlichen Personen als dem Vergeltungspragmatismus entsprechend dargestellt werden soll. Aber andrerseits wird die Vergangenheit des Volkes in der Chronik auch idealisiert, indem sie manche in der älteren Überlieferung berichteten Thatsachen nicht erzählt, weil dieselben zu dem Jdealbilde, das sie entwerfen will, nicht passen. Als solche Ideale betrachtet der Chronist die Könige David und Salomo, ja über­ haupt das Volk des alten Reiches Juda im Gegensatz zum Volke Israel. Wenn man also die Chronik nur als Geschichtsbuch betrachten dürfte, so würde dieses Verfahren Tadel verdienen; aber bei einem Lehrbuche, wie dies Buch angesehen sein will, ist dieser Standpunkt als berechtigt anzusehen. f. „Wenn nun auch diese Bücher bereits den Übergang von der echten Religion des Alten Bundes in das werkgerechte Judentum zeigen, so weisen sie doch auch noch die Nachwirkung der ATlichen Offenbarung auf das nachexilische Judentum auf. Der Eifer für die äußerliche Gesetzesbeobachtung erscheint noch nicht in pharisäischer Verzerrung, sondern ist noch mit aufrichtiger Frömmigkeit verbunden, und dieser Eifer für das Gesetz hatte ja zunächst seine geschichtliche Berechtigung. Gerade durch die Konstituierung des nachexilischen Judentums auf der Grundlage des mosaischen Gesetzes konnte das Gesetz erst seine Aufgabe erfüllen, ein Zuchtmeister auf Christus zu werden. So stehen diese Bücher zwar auf der Grenze des Kanonischen, wie die von ihnen dargestellte Zeit an der Grenze der Offenbamng Gottes im Volke Israel; aber wie die Wiederherstellung des Gottesreiches noch als eine thatsächliche Offenbarung Gottes zu betrachten ist, so haben auch diese Bücher, welche diese Offenbarung darstellen, ein Recht auf eine Stelle tpi Kanon

der heiligen Schrift."^)

2. Die Bücher Esther, Tobias und Judith. In das Leben der Juden im Exil führen uns namentlich drei Bücher ein: Esther, Tobias und Judith.^) a. Das Buch Esther erzählt, wie eine Jüdin, welche zur Gemahlin des Perserkönigs Ahasverus (d. h. Xerxes) erhoben worden ist, ihr Volk *) Wildeboer, Die Litteratur des A. T. (1895), § 25. 2) Smend, ATliche Religionsgesch. (1893), S. 424 und 425, Anm. 3) Riehm, Eint. II, § 111. 4) Daß von neueren Forschern auch das Buck Ruth der nachexilischen Zeit zugewiesen wird, ist oben bemerkt worden.

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45. (65.) Die Geschichtsbücher der Zeit nach dem Exil.

vor den Nachstellungen eines Judenfeindes, Haman, errettet hat — eine Geschichte, welche den Anlaß zur Feier des Purimfestes gegeben hat, des mit der Heilsgeschichte nicht zusammenhängenden sondern specifisch jüdischen Festes, welches noch heute von den Juden als Freudenfest gefeiert wird. *) Schon die alten Juden und auch Luther haben Bedenken dagegen aus­ gesprochen, daß dies Buch als kanonisches Buch betrachtet werde?) während manche Juden es dagegen besonders hochschätzten. Es ist ja allerdings auffallend, daß in dem ganzen Buche der Name Gottes gar nicht vor­ kommt, während der persische König 190 mal erwähnt und sein Name Ahasverus 29 mal genannt wird; aber man darf nicht sagen, daß das Buch der Religion ganz fernsteht; es ist auch nach der Darstellung dieses Buches offenbar Gottes Gnade, der die Rettung des Bölkes aus großer Gefahr zugeschrieben wird. Daß der Verfasser den Namen Gottes ab­ sichtlich nicht gebraucht, hat vielleicht darin seinen Grund, daß er sein Buch für die Vorlesung bei den Festgelagen des Purimfestes bestimmt hatte, wobei der Name Gottes im Taumel des Festes leicht entweiht werden konnte. Diesem scheinbaren Mangel des Buches wurde später abgeholfen durch die der griechischen Übersetzung beigefügten das Buch erweiternden Zusätze, welche Luther als „Stücke in Esther" (revidierte Bibel: „Zusätze zum B. E.") unter die Apokryphen gestellt hat. Ob der Inhalt des Buches geschichtlich sei, ist vielfach bezweifelt worden?) im ganzen stellt es das persische Leben richtig dar, und Xerxes war vielleicht im stände, solche Dinge zu thun, wie sie in diesem Buche erzählt werden. Jedenfalls steht das Buch den Apokryphen nahe, und als Ürkunde der Offenbarung oder als bedeutsam für die heilige Geschichte kann es nicht betrachtet werden, wie ja auch das Purimfest keine That der Offenbarung Gottes feiert, wie die älteren Feste des israelitischen Volkes. Der Verfasser des Buches ist unbekannt, und hinsichtlich der Zeit seiner Entstehung kann man nur das aussagen, daß es wohl unter den israelitischen Geschichtsbüchern das zuletzt entstandene ist. „Der Geist des Fanatismus und der Rachsucht, der sich in dem Buche kundgiebt, weist auf die Zeit der Ptolemäer und Seleuciden hin, in welcher Palästina unter fremder Herrschaft ftanb."4*)2 3 b. In die Zeit des Exils, aber nach Affyrien, weist uns auch das apokryphische BuchTobias. Dasselbe erzählt die Geschichte eines Mannes, Namens Tobias, der angeblich im affyrischen Exil gelebt und sich durch seine Frömmigkeit hervorgethan hat. Dies Buch, welches etwa in der Makkabäischen Zeit geschrieben sein mag, ist aber eigentlich kein Geschichtsbuch (denn die darin enthaltene Erzählung kann nicht für geschichtlich gehalten werden), sondern ein Lehrbuch, welches zu wahrer, allerdings streng gesetzlicher Frömmigkeit ermahnt. Das Buch erfreut sich unter den ») Vgl. Nr. 65. 2) Vgl Delitzsch, Jesaia S. 2: „Das Buch Esther ist durch seine ver­ äußerlichte Religiosität von prophetischer Geschichtschreibungsweise so entfernt als möglich." 3) Auch von Riehm wird die Erzählung, wie sie vorliegt, für ungeschichtlich erklärt. 4) Riehm, Einl. II, § 110. — Kautzsch setzt dasselbe in die Zeit nach den makkabäischen Kämpfen, c. 135.

Apokryphen einer gleichen Beliebtheit, wie Jesus Sirach; die Mängel beider Bücher, deren Frömmigkeit bereits dem Pharisäismus zugewandt ist, treten für den Leser gegenüber ihren Vorzügen so zurück, daß der Leser sie übersieht oder stillschweigend berichtigt. c. Eine angebliche Geschichte aus der nächsten Zeit nach dem Exil berichtet auch das apokryphische Buch Judith. Dasselbe ist nun aber durchaus ungeschichtlich, da es den babylonischen König Nebukadnezar zum Könige von Assyrien macht und denselben in der Zeit nach der Rückkehr aus dem Exil leben läßt. Das Buch gehört wahrscheinlich der Makkabäischen Zeit an und sollte wohl die Zeitgenossen des Verfassers im Kampfe gegen ihre Dränger ermutigen durch die Hinweisung auf die Hilfe Gottes, welche den Frommen sicherlich zu teil wird. Das Buch ist also nicht als Geschichtsbuch, sondern als Lehrbuch anzusehen; aber die Frömmigkeit, welche es empfiehlt, ist bereits die Frömmigkeit des werk­ gerechten Judentums.

3. Zusätze zu den kanonischen Büchern. Wie zu den älteren Geschichtsbüchern später noch andere hinzugekommen sind, welche nicht mehr in die hebräische Bibel ausgenommen worden sind (Tobias, Judith, Makkabäerbücher), so sind später auch die kanonischen Bücher vielfach durch Zusätze erweitert worden, so daß manches hebräische Buch in der griechischen Bibel in einer erweiterten Gestalt vorliegt; diese Zusätze hat Luther von dem ursprünglichen Texte getrennt und unter die Apokryphen gestellt. Solche Zusätze giebt es zu Esther („Stücke in E." d. h. Zusätze zum Buch E.), zu Daniel (Susanna und D., Bel zu Babel, Drachen zu B., Gebet Asariä, Gesang der drei Männer im Feuerofen) und zur Chronik (Gebet Manasse). Dagegen hat das griechische Esrabuch (das sogen, dritte Esrabuch, eine Erweiterung des hebräischen Buches — das erste ist das kanonische Esrabuch, das zweite das Buch Nehemia) keine Aufnahme in der Lutherbibel gefunden, in der Vulgata nur als Anhang zur Bibel. Ein sogen, viertes Esrabuch, eine Apokalypse, hat zwar als Anhang in der Vulgata, aber nicht in der Lutherbibel Aufnahme gefunden.

46. (66.) Die Juden im Exil.l) Klagel. 1 und 5.

Pf. 137.

Jes. 13, 1—14, 23.

Jes. 40, 1—11.2)

a. Seit den Jahren 597 und 586 lebten die von dem König Nebukad­ nezar weggeführten Juden in dem babylonischen Reiche im Exil; dieselben bildeten zwar (abgesehen von den zehn Stämmen) nur einen Teil des jüdischen Volkes, während die beiden anderen Teile desselben in Juda (dieser ebenfalls unter babylonischer Herrschaft) und in Ägypten lebten; aber nur die weitere Geschichte der babylonischen Verbannten ist für die 0 Auf die Geschichten von Tobias, Judith und Esther genauer einzugehen, darauf wird der Unterricht aus Mangel an Zeit verzichten mühen. 2) Vgl. Nr. 47.

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46. (66.) Die Juden im Exil.

Geschichte des Reiches Gottes von großer Bedeutung^), während die beiden andern Teile des Volkes weniger in Betracht kommen. Die Verbannten waren natürlich dem babylonischen Könige Unterthan, und einen eigenen König haben die Juden bis zu der Herrschaft der Makkabäer nicht besessen-); aber sie bildeten doch, den Verhältnissen der alten Staaten entsprechend, auch im Exil ein nationales Gemeinwesen, von ihren nun wieder selbständigeren Geschlechtshäuptern in den bürger­ lichen Angelegenheiten nach nationalem Recht regiert; sie waren weder Gefangene, noch gar Sklaven der Babylonier. Ihren Glauben hielten sie auch im Exil fest, obwohl ja der Kultus fast ganz aufhörte, da er zum großen Teil an den Tempel gebunden war, und obwohl doch ihr ganzes Leben in der Fremde ein Zustand der gesetzlichen Unreinheit war. Gerade diese Gebundenheit an den Tempel und an Jerusalem war es nun, welche die Juden im fremden Lande nicht heimisch werden ließ. Ihre Gedanken waren daher stets auf die Rückkehr nach dem heiligen Lande gerichtet, und ihre Hoffnung ging dahin, daß alsdann in der wieder­ gewonnenen Heimat ein neues, und zwar, wie sie hofften, das vollkommene Gottesreich gegründet werden solle. Dieses Festhalten an Jerusalem und dem Tempel war aber die Folge der Reformation des Königs Josia (621); derselbe ist also als der Baler des späteren Judentums anzusehen. b. Wenn man die Stimmung der Verbannten kennen lernen will, so braucht man nur die Klagelieder des Jeremias und Psalm 137 zu lesen; das Unglück Jerusalems beschäftigt ihre Gedanken unaufhörlich, im fremden Lande können sie niemals froh werden. Aber auch ihre Hoffnung auf Erlösung fand ihren Ausdruck, zunächst durch den Propheten Hesekiel (oder Ezechiel)^), sodann aber besonders in den Weissagungen eines unbekannten Propheten, welche dem Buche des Jesaias angehängt sind (Jes. 40—66), und welche dessen würdig waren, daß sie an die Reden dieses großen Propheten angeschlossen wurden.^) Und ein gleich­ falls exilischer Prophet, dessen Weissagung dem Buche des Jesaias ein­ gefügt ist (Jes. 13, 1—14, 23), singt dem Könige von Babel bereits das Totenlied. Die Erlösung aus Babel kam aber durch die Perser und ihren König Cyrus. c.5) Die wirkliche und vermeintliche Bedrückung und Verfolgung, die die Juden seitens der Heiden erfuhren, erzeugte bei ihnen eine vielfach grenzenlose Verbitterung. Besonders abstoßend tritt diese Verbitterung uns da entgegen, wo dieselbe, wie im Buche Esther, ein ganz profanes Gesicht zeigt. Nm gerecht zu sein, muß man freilich beachten, daß diese Legende in der Diaspora spielt. Die Juden in der

0 „War die Sinai-Wüste der Geburtsort Israels, so ist die babylonische Steppe der Geburtsort des Judentums." Weber, Allg. Weltgesch. I*2,3 S. 4 5 771. 2) Jojachin, der im Jahre 597 weggeführte vorletzte König, wurde zwar später aus dem Gefängnis entlassen, mußte aber im Exil bleiben: Zedekia ist im Gefängnis gestorben. 3) Vgl. Nr. 4 und 56, wo die Bedeutung dieses Propheten für die Weiter­ bildung der Gesetzgebung genauer dargelegt ist. 4) Vgl. Nr. 47. 5) Smend, ATliche Neligionsgesch. (1893), S. 4068. — Nur für den Lehrer.

Diaspora bekamen nämlich den Haß und die Verachtung der Heiden viel mehr zu spüren, als die Juden im jüdischen Lande, und so war es kein Wunder, daß sie diesem Hasse mit allen, auch verwerflichen Mitteln gegenübertraten, wie das im Buche Esther mit Genugthuung berichtet wird. Auch das Buch Jona steht nicht viel höher, als das Buch Esther, indem hier ein Prophet vorgeführt wird, der auf Gott unmutig ist, weil derselbe den von ihm begehrten Gerichtstag über die Heidenwelt nicht herbeiführen will. ’) Dagegen kommt im Buche Ruth eine viel mildere Stimmung gegen die Heiden zum Ausdruck. Der Wert des Menschen beruht nicht aus der Abstammung von Abraham, sondern auch der Heide kann ein Kind Gottes werden; ja, die Moabiterin Ruth wird nicht bloß in das Volk Gottes ausgenommen, sondern sie wird sogar zur Stammmutter des großen Königs David.*2)3

47. (67.) Die Weissagung des zweite» Jesaias. 1. Das Zeitalter und der Verfasser des Weissagungsduches.^) a. Als etwa 40—50 Jahre seit der Zerstörung Jerusalems vergangen waren, waren viele Juden in der Fremde so heimisch geworden, daß sie gar nicht mehr an eine Rückkehr nach der Heimat dachten; sie waren vielfach Götzendiener geworden und kümmerten sich nicht um die Vorschriften ihres Gesetzes. Aber es gab doch auch noch eine große Anzahl frommer Juden, welche an Gott und seinem Gesetz festhielten, und welche deshalb von den Heiden und von ihren abtrünnigen Volks­ genossen viel zu leiden hatten; nicht alle von ihnen fanden dafür Trost in der schon von den früheren Propheten verheißenen Erlösung aus dem Exil. An alle seine Volksgenossen in Babel, sowohl an die gottlosen, als auch an die frommen, an die hoffenden wie an die verzagten, wendete sich nun ein uns unbekannter Prophet, der Verfasser von Jes. 40—66, strafend und tröstend und verheißend, in der Zeit, als Cyrus auftrat, und wies darauf hin, daß durch Cyrus Babel zerstört werden und dadurch für die Exulanten die Erlösung kommen werde. Diese Er­ lösung ist in der That gekommen; aber das vollkommene Gottesreich, welches der Prophet bald nach der Rückkehr aus dem Exil erwartete, ist noch heute ein Gegenstand der Hoffnung. b. Dieses Weissagungsbuch (Jes. 40—66) ist nämlich zwar dem Buche des Propheten Jesaias angefügt; aber es wird heute fast von allen Forschern angenomnren, daß diese Abschnitte nicht von dem um 150 Jahre vor der Rückkehr aus Babel lebenden Propheten Jesaias, sondern von einem gleich Hesekiel (aber erst nach diesem) int Exil lebenden uns unbekannten Propheten verfaßt sind. Dieses exilische Weissagungsbuch ist aber dem vorexilischen Buche des Jesaias entweder absichtlich angefügt worden, weil es einen ähnlichen Inhalt hat: Jesaias predigt

*) Ein anderes Urteil über Jonas siehe bei Cornill, Prophetismus (1894), S. 168-172. 2) Vgl. die Heidinnen im Stammbaum Jesu (Matth. 1): Thamar, Rahab, Ruth und Bathseba. 3) Mezger, Hilfsbuch I, 47: „Wir dürfen wohl als ausgemacht ansehen, daß es weitaus der Mehrzahl der Religionslehrer am Obergymnasium seststeht, daß Jes. 40-66 nicht von Jesaias herstammt." Für den Schüler wird demgemäß das Resultat der Kritik als feststehend angenommen; ihm wird einfach gesagt, sowie den Davidischen andere Psalmen und den Salomonischen andere Sprüche, so seien auch den Jesaianijchen Weissagungen andere beigesügt worden. Die obige Dar­ legung der kritischen Frage ist nur für den Lehrer bestimmt.

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47. (67.) Die Weissagung des zweiten Jesaias.

gegen Assyrien, dieser Prophet gegen Babylonien; beide verkünden ihrem Volke Rettung von den Feinden, und beider Predigt hat sich herrlich erfüllt; oder diese namenlose Schrift, welche ursprünglich als selbständige Schrift hinter dem Buche des Jesaias stand, ist mit demselben später irrtümlicherweise zu einem Ganzen verbunden worden. c. Daß aber beide Bücher nicht denselben Verfasser haben, ergiebt sich aus der Verschiedenheit der Sprache und der messianischen Predigt (von einem messiani­ schen Könige predigt Jesaias, nicht aber Jes. 40—66), wie auch daraus, daß der Verfasser immer wieder darauf hinweist, daß durch die Rückkehr aus Babel die früheren Weissagungen (also z. B. des Jeremias — die ihm also bekannt sind, was bei Jesaias natürlich nicht der Fall war) in Erfüllung gehen. Aber vornehmlich ergiebt sich das Exil als das Zeitalter des Verfassers, wenn man danach fragt, welchen Standpunkt der in diesem Buche Redende ein­ nimmt. „Dieser Prophet hat durch sein ganzes Buch hindurch das Exil zum festen Standpunkt; vom Standpunkt des Exils aus blickt er rückwärts, nirgends von vorexilischem Standpunkt vorwärts; wo er Vorexilisches schildert, geschieht es rück­ blickend. Seine Anrede richtet sich überall an das Volk des Exils, und da die prophetische Zukunftsschau überall sonst im Bodeir der Gegenwart wurzelt und aus diesem herauswächst, so giebt er sich als dem Volke des Exils angehörig. Und, was die Hauptsache, Cyrus wird genannt, und der Prophet weiß, daß dieser Er­ oberer kommt, und er weissagt seine Erobernng Babels."') So ist also nicht Jesaias, als seiner Gegenwart vollständig entrückt nnd in die Verhältnisse einer etwa 150 Jahre späteren Zeit versetzt, der Verfasser dieses Buches, sondern ein gegen Ende des Exils lebender unbekannter Prophet, und diesem oder einem andern exilischen Propheten sind auch die in dem ersten Teil des Jesaiabuches eingeschobenen Abschnitte (namentlich K. 11,11—12, 6. 13,1—14, 23. 24—27. 32. 33. 35) zuzuschreiben. Endlich sind K. 36—39 (nach 2. Kön. 18—20) dem Buche des Jesaias als historischer Anhang beigefügt worden, so daß also durch diese Kapitel der ursprüngliche Schluß des Buches deutlich bezeichnet ist.

2. Der Inhalt von Jes. 40—66.*2) Jes. 40, 1 — 11. 42, 1—9. 43, 1 — 7. 44,6 — 23. 44,24 — 45,8. 13, 1—14, 23. b. Jes. 52, 1—12. (52, 13—53, 12). 54. 57, 15—21. c. Jes. 63, 7—64, 12. 65 und 66. a. Das Buch Jes. 40—66 gliedert sich, wie es scheint, in drei Abschnitte (von je neun Kapiteln), welche mit wesentlich demselben Worte schließen: „Keinen Frieden, spricht Jehovah, giebtts für die Gottlosen" (K. 40 und 48), oder voller: „Ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht verlöschen, und sie werden sein ein Scheusal allem Fleisch" (K. 66). „Das Buch beginnt mit einer Weissagung, welche Johannes dem Täufer das Thema seiner Predigt in den Mund legt3); es schließt mit der Weissagung von der Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, wie die Off. Joh., und in der Mitte wird das Leiden und die Erhöhung des Knechtes Gottes so deutlich verkündigt, als ob der Prophet unter dem Kreuze gestanden hätte. An a.

J) Delitzsch, Jesaias Einleitung zu K. 40—66. 2) Über oie Frage der Gliederung dieser Schrift siehe z. B. Wildeboer § 17. 3) Mit diesem Worte beginnt Händels „Messias."

die Stelle des Sohnes Davids, der bei andern Propheten nur König ist, tritt hier der Knecht Jehovahs, welcher Prophet und Priester und König in einer Person ist. Läßt sich von einem prophetischen Buche sagen, daß es gewiß das Lieblingsbuch unsers Herrn gewesen, so ist es dieses Buch, in welchem Jesus das Ideal fand, dessen Verwirklichung seine Berufsaufgabe war."') b. Die drei Teile des Buches behandeln dasselbe Thema: Trost und Auf­ forderung zur Umkehr unter Hinweisung auf die nahe Erlösung; jeder Teil aber enthält eine besondere Variation dieses Themas. Der erste Teil (K. 40—48) weist darauf hin, daß Jehovah bald die Erlösung herbeiführt, indem er die alten Ver­ heißungen erfüllt, den Götzen und ihren Verehrern zur Beschämung und zum Verderben. Der zweite Teil (K. 49—57) weist auf den Weg hin, den Israel gehen muß, den Weg durch Leiden zur Herrlichkeit, um auf die Höhe seines welt­ geschichtlichen Berufs gestellt zu werden?) Der dritte Teil (K. 58—66) weist darauf hin, daß nicht äußerlicher Gottesdienst und eigenes Thun, sondern die Gnade Gottes die Erlösung und das herrliche Gottesreich herbeiführt. Obwohl es nun für die Schule unmöglich ist, dies schöne Ganze dem Schüler vorzuführen, so mögen doch einige Hauptgedanken aus demselben dem Schüler vorgesiihrt werden, wozu oben die Anweisung gegeben ist. Die Lektüre führt aber dem Schüler drei Haupt­ gedanken vor: Babels Untergang und Israels Erlösung, die Erniedrigung des Knechtes Gottes als den Weg zu seiner Verherrlichung, und die Vollendung des Gottesreichs. c. Den Abschluß der Lektüre (des ersten Teils) von Jes. 40—66 mag aber die interessante Weissagung Jes. 13, 1—14, 23 bilden, „hinsichtlich der dichterischen Kunst eine der großartigsten Schöpfungen innerhalb des Alten Testaments."^ „Dieselbe (den Untergang Babels verkündend) war dem Redaktor des Buches Jesaia als jesajanisch überliefert, oder er hatte doch Gründe sie für jesajanisch zu hatten (13, 1). Jedoch hat diese Weissagung über Babel keinen zeitgeschicht­ lichen Halt in der Gegenwart Jesaias. Daß Jehovah sein Volk an Babel durch das persische Weltreich rächen und die Exulanten erlösen werde, das ist eine tröst­ liche Hoffnung, deren Organ zu werden ein Prophet des babylonischen Exils sich besser eignet, als Jesaia, für den Babel als Wettherrin das Äußerste des Hori­ zontes bildete, und der noch nicht einmal den Fall Ninivehs vorhersagte,"") ge­ schweige denn von Babels Untergang, welches zu Jesaias Zeit noch den Assyrern Unterthan war, und von dem Auftreten des Cyrus predigen konnte.

48. (68.) Das persische Weltreich. Um das Jahr 600 gründete ein nicht semitischer, sondern indogernranischer Fürst, Achämenes (nach griechischer Aussprache des Namens), ein Jranier (wie die Meder), im Lande Persien, nördlich von Elam, eine Herrschaft, aus welcher nach vier Generationen das persische Weltreich hervorging. Der Sohn des Gründers dieser Herrschaft gewann auch die Herrschaft über Elam. Nach dem Tode desselben erhielt der eine Sohn (Ariaramna) Persien, der andere (Kurasch) Elam; der Enkel von jenem war Hystaspes, der Vater des Darius, der Enkel von diesem war Kurasch II. d. h. Cyrus, in der Bibel Koresch (vielleicht — Hirte, vgl. Jes. 44, 28: „Der ich spreche zu Koresch: der ist mein Hirte"). Cyrus II. (558—530), der ') 2) 3) 4)

Delitzsch, Jesaia", S. 400—401. Jes. 53 ist unten erklärt, vgl. Nr. 77, 3, B. Kautzsch, Bibelübers. II, S. 185. Delitzsch, Jesaia" Einl. zu K. 13.

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49. (69.) Die Rückkehr aus dem Exil (538) und das neue Gottesreich rc.

Herrscher von Elam, welchem auch Persien sich unterworfen hatte, unterwarf im Jahre 550 Medien, als die Truppen des Mederkönigs Nstyages sich gegen ihren König empörten und ihn dem Cyrus gefangen auslieferten. Im Jahre 546 wurde von ihm auch Lydien unterworfen und der König Krösus gefangen ge­ nommen. Des Krösus Verbündete waren aber Babylonien und Ägypten gewesen;

so begann denn Cynls den Krieg gegen Babylonien. Die Babylonier wurden besiegt, und Babel öffnete dem Sieger von selbst seine Thore (539)?) Auch noch durch weitere Eroberungen vergrößerte Cyrus sein Reich; aber Ägypten vermochte er für die Teilnahme am lydischen Kriege nicht zu züchtigen;

das blieb seinem Sohne Kambyses (529—522) vorbehalten. Auf diesen folgte, da er keinen Sohn hatte, der der andern Linie der Achämeniden angehörende Darius (Darjavusch, 521—486). So war nunmehr an die Stelle der bisher semitischen Weltmächte das indogermanische Volk der Perser getreten. Dieses Volk machte es sich zur Aufgabe, auch Europa seiner Herrschaft zu unterwerfen; aber an dieser Aufgabe sind die Perser gescheitert, die von den Persern bekämpften Griechen haben sogar später ihrerseits das persische Weltreich zerstört.

49. (69.) Die Rückkehr aus dem Exil (538) und das neue Gottesretch; Esra «ud Rehemia; der Prophet Maleachi.

Nehem. 8. 9, 1—8 u. 32—37. 10, 1 u. 29-30. Ps. 126. Mal. 3, 1—4. 3, 19—24. a.*2) Das Volk Israel war durch die Zerstörung Jerusalems politisch ver­ nichtet; nicht glücklicher und nicht unrühmlicher, als so manche andere Völker, welche ihrem Geschicke verfielen, hatte es den Wendepunkt seiner Entwickelung erreicht, wo sonst kleinere Staaten in größeren auszugehen pflegen oder in andere nationale Verbindungen zu treten, um eine neue Stufe gesellschaftlicher Bildung zu erstreben; seine besondere Geschichte konnte hier ihr Ende gefunden haben. Aber diesem Volke war ein anderes, in der Völkergeschichte unerhörtes und einziges Los vorbehalten. Nicht nur überlebte es seinen äußeren Untergang, lvas anderwärts wohl auch Vorkommen mag, sondern der Lebenskeim, den es int Schoße trug, kanr durch den Tod der Form, gegen welche er so mühsam gerungen hatte, erst recht zur Freiheit und Auferstehung, und erwies sich bald als ein solcher, welcher aus den Trümmern, die ihn zu begraben gedroht, ein selbständig neues Gebilde zu schaffen, ja, die zerbrochene Form selbst zuletzt, aber nunmehr als eine ihm dienstbare, hervorgehen zu lassen fähig war. Ja, dieser Zeitraum der jüdischen Geschichte dünkt uns der wichtigste von allen zu sein; nicht als ob er edlere und heiligere Bestrebungen noch zur Erscheinung gebracht hätte, als die vorhergehenden, oder ihnen ein höheres Ziel angewiesen, sondern weil erst in ihm das Volk Israel zu dem geworden ist, was es nun schon durch zwei Jahrtausende fast unverändert geblieben ist, und weil so offenbar ward, daß dieser Zeit eine Kraft des Bildungstriebes, eine Zähigkeit des geistigen Wollens muß innegewohnt haben, über dessen Wert gestritten werden mag, dessen Wirken aber immerhin eine der großartigsten Thatsachen der Weltgeschichte ist.

') Herodot verwechselt die Einnahme Babels unter Cyrus mit der unter Darius. — Über die Eroberung von Babel vgl. Hommel (1895), § 34. 2) Reuß § 321 und 322. — a ist nur für den Lehrer bestimmt.

49. (69.) Die Rückkehr aus dem Exil (538) und das neue Gottesreich :c.

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b. Als Cyrus das babylonische Reich erobert hatte, gab er alsbald den Juden die Erlaubnis, in ihre Heimat zurückzukehren und den Tempel wieder aufzubauen (538); wenn er an der Pforte von Ägypten ein ihm ergebenes Volk besaß, so konnte der noch ausstehende Feldzug gegen Ägypten, den Bundesgenossen der ihm feindlichen Babylonier, besser unter­

nommen werden. Unter Anführung des Davididen Serubabel, des Stammfürsten von Juda, eines Enkels des Königs Jojachin, und des Hohenpriesters Jesua, eines Enkels des letzten Hohenpriesters in Jerusalem, zogen (48 Jahre nach der Zerstörung Jerusalems) über 40 000 Juden nach Kanaan zurück und siedelten sich in Jerusalem und einer Anzahl benachbarter Städte an. Der Zurückbleibenden waren aber noch so viele, daß in Babylonien später eine zahlreiche Judenschaft existierte. c. Nur ein Teil der ins Exil geführten Bewohner des Reiches Juda war nach Jerusalem zurückgekehrt; daher war es natürlich, daß das neu­ gegründete Reich den Namen dieses Reiches annahm, und seitdem sprach man nicht mehr von Israeliten, sondern von Juden, und zwar um so mehr mit Recht, als ja auch die neue Niederlassung sich zunächst auf die Stadt Jerusalem und die Umgegend beschränkte und erst später sich weiter ausdehnte. Da die Zurückgekehrten ein einziges Reich bildeten, so verschwanden allmählich die Stammesunterschiede, und nur der Stamm Levi erhielt sich als solcher, da der Dienst am Tempel an diesen Stamm gebunden blieb. Die später übliche Einteilung des Landes sah deshalb auch von den früheren Stammgebieten ganz ab, und faßte die Hauptteile des Landes nach geographischen und Bevölkerungs-Verhältnissen zusammen (Judäa, Samaria, Galiläa, Peräa); ja, das ganze Land erhielt jetzt einen Namen, Palästina, der es als das Land der Philister, der alten Feinde des jüdischen Volkes, bezeichnete. Auch die Sprache der in ihr Vaterland zurückgekehrten Juden ist allmählich eine andere geworden, indem an die Stelle des Hebräischen das Aramäische trat, nicht etwa die Sprache der Babylonier, wo die Verbannten gewohnt hatten (wie man früher meinte), sondern die Sprache der Syrer, welche sich, obwohl das syrische Reich noch vor dem Reiche Israel zerstört worden war, noch immer weiter ausbreitete und mehr und mehr zur allgemeinen Verkehrssprache der Länder westlich vom Euphrat wurdet) d. Als die weggeführten Juden nach Babylon kamen, da mußte die Pracht und Großartigkeit dieser Stadt auf sie einen überwältigenden Eindruck machen. Was war Jerusalem gegen Babel, was ihr Tempel gegenüber den Tempeln der Babylonier, was ihr Volk gegenüber diesem Volke! Wenn nun das jüdische Volk auch in Babylonien seinen Glauben festhielt — was sich durchaus nicht von selbst verstand — so konnte es doch auf dem fremden Boden Gott nicht opfern; der Gottesdienst war ja seit der Reformation Josias an Jerusalem gebunden, und der Tempel von Jerusalem war zerstört! Da blieben nun von der jüdischen Religion fast nur der Sabbath und von den Cerimonialgesetzen namentlich die Be­ schneidung übrig, um den Juden vom Heiden zu sondern; aber an diesen *) Vgl. Nr. 6.

17 6

49. (69.) Die Rückkehr aus dem Exil (538) und das neue Gottesreich rc.

Dingen hielt man um so fester, und so hat sich die jüdische Religion auch im Exil erhalten. Als nun die Verbannten in ihr Vaterland zurückgekehrt waren, da begannen sie alsbald in Jerusalem auch mit dem Tempelbau. Aber als die Zurückgekehrten die im Lande zurückgebliebenen Juden zu dem neuen Tempel nicht zulassen wollten, da verleumdeten dieselben die Zurückgekehrten bei Cyrus, und so wurde der Weiterbau des Tempels untersagt; erst Darius erlaubte die Fortführung des Baues, und der neue Tempel wurde im Jahre 516 eingeweiht. Die ausgeschlossenen Juden haben sich später zu einer besonderen Gemeinde, der der Samariter, vereinigt und einen besonderen Tempel auf dem Berge Garizim (bei Sichem — Samaria wurde mehr und mehr eine heidnische Stadt) erbaut. 6. Die Lage der Juden war in der ersten Zeit nach der Rückkehr aus dem Exil, wo sie natürlich unter persischer Oberherrschaft standen, äußerlich und innerlich wenig befriedigend (Ps. 126). Zu mancher äußeren Drangsal kam ein innerer Verfall, der sich in der Annäherung an das Heidentum zeigte. Diesem Verfall wurde abermals gewehrt von Babylon her, dem Mutterlande des neuen Judentums, durch einen Priester und Schristgelehrten') Namens Esra, welcher im Jahre 458 mit einer zweiten Schar von Exulanten aus Babylon heimkehrte, und durch einen Mund­ schenk des Königs Artaxerxes Longimanus, Namens Nehemia, welcher zweimal (445—433 und 432) nach Jerusalem kam. Durch Nehemia wurde die Befestigung Jerusalems vollendet, durch Esra wurde eine innere Reformation vollzogen. Durch des letzteren Einfluß wurden nämlich zunächst die Mischehen der Juden mit den Heiden gelöst und sodann das kurze Zeit vorher entstandene Priestergesetz, eine Fortentwickelung des deuteronomischen Gesetzes'^), zur strengen Norm für das Leben des Volkes gemacht, indem er nach dem Vorbilde des Josia das ganze Volk feierlich auf dies Gesetz verpflichtete (444). f. Nunmehr war aufs neue ein Volk Gottes im heiligen Lande vor­ handen, gesammelt um die heilige Stadt und den Tempel, welches sich verpflichtet hatte, das Gesetz Mosis, wie es ihm von Esra übergeben worden war, zu halten.3*)2 Zwar ein nationaler Staat war nicht wiedssrhergestellt worden, da das jüdische Volk den Persern Unterthan war; aber eine Religionsgemeinde war wieder hergestellt, welche Jehovah anbetete und sein Gesetz beobachtete. Wenn nun das neue Volk auch das Gesetz zu halten gelobt hatte, so war es allerdings darum sittlich noch nicht vollkommen; aber wenigstens sein Gottesdienst entsprach seitdem dem mosaischen Gesetz, und um seines rechten Gottesdienstes willen betrachtete sich seitdem das Volk mehr, als recht war, als das Volk Gottes. g. Die Verpflichtung des Volkes auf das Gesetz Mosis durch Esra ist der Abschluß der Geschichte des alten Israel; aber mit der Herrschaft des Gesetzes war doch nur die Grundlage für das vollkommene Gottes­ reich gewonnen, das vollkommene Gottesreich selbst war damit noch nicht begründet. Diesen Unterschied zwischen dem Zustande, in welchem sich y Er ist der erste, welcher diesen Titel führt; über diesen Stand siehe Nr. 94. 2) Vgl. Nr. 56. 3) In derselben Zeit, wo das nachexilische Judentum entstand, sind auch die Religionen des Zoroaster (in Persien) und des Buddha (in Indien) entstanden.

49. (69.) Die Rückkehr aus dem Exil (588) und das neue Gottesreich -c.

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das Volk Gottes wirklich befand, und demjenigen, welchen man nach der Verheißung erwartete und bald nach der Rückkehr aus Babel zu erleben gehofft hatte, konnten die Juden nicht verkennen. So richtete sich denn auch jetzt wieder die Hoffnung der Juden auf die Zukunft; der Prophet Maleachi, der, wie auch die Propheten Haggai und Sacharja,^) in dieser Zeit lebte, wies deshalb auf die Zukunft hin, wo das vollkommene Gottesreich gegründet werden solle; aber seine Hoffnung hat sich erst in Jesus Christus, nach einem Zeitraum von vierhundert Jahren, erfüllt, und zwar auch nur dem Anfänge nach erfüllt; auch wir Christen warten ja noch des vollkommenen Goltesreiches, wo alle Gottes-Verheißungen erfüllt sein werdm, wo alle Menschen Gott anbeten und alle voll­ kommen fromm sein werden. h.*2) Für die israelitische, besonders aber für die nachexilische Gemeinde be­ deutete der Gedanke an die Vollendung des Gottesreiches einen Glauben und eine Hoffnung, welche das Volk unter der Last der Weltlage aufrechterhielt und der gesamten Frömmigkeit ihr charakteristisches Gepräge aufdrückte. Dieser Glaube be­ deutete die feste Zuversicht, daß Gott in aller Kürze auf den Wolken des Himmels erscheinen, die Völker richten, die gestörte moralische Wellordnung wiederherstellen, aller nationalen und sozialen Not ein Ende bereiten und ein neues Weltalter heraufsühren werde, in welchem der Wille Gottes herrschen werde und die Schick­ sale der Nation wie des Einzelnen sich in Harmonie mit den Postulaten des Glaubens an den allmächtigen und gerechten Gott befinden werden. Die Nation wie der Einzelne werden alsdann — wie man hofft — den Lohn ihrer Gesetzestreue empfangen; das von den Heiden mit Schmach und Schimpf beladene Volk Gottes wird über die Heiden herrschen und in dem durch Gottes Gnade wunder­ bar gesegneten heiligen Lande eine Fülle irdischer Güter genießen. Der Glaube, daß dieses im Himmel vorbereitete Reich Gottes in Bälde auf Erden erscheinen werde, erhält das Volk geduldig unter dem Joche des Gesetzes; er macht es ihm möglich, den Konflikt seines Glaubens mit der Wirklichkeit der Dinge zu ertragen. Die Erwartung einer baldigen Weltkatastrophe, welche alle Verhältnisse auf einen neuen Fuß stellen und die vermißte genaue Vergeltung des menschlichen Thuns bringen wird, beherrscht das religiöse Interesse völlig, und sie giebt der Frömmigkeit, namentlich der nachexilischen Zeit, ihre charakteristische jensei­ tige Stimmung. i. Wenn nun auch von den Heiden durch ihr Gesetz streng geschieden, so treten doch die Juden in dieser Zeit den Heiden eher näher als ferner. Die jüdische Weisheit, obwohl durchaus religiös, hat doch den universalistischen Grundzug an sich, welcher der Reflexion natürlich ist; im Buche Hiob wird die schwierigste reli­ giöse Frage, an der die Juden sich quälten, von Ausländern diskutiert — diese Frage erscheint also als eine allgemein menschliche Angelegenheit. Als Muster der Frömmigkeit stellt die Priesterschrift Männer auf, welche das Priestergesetz, ja, das mosaische Gesetz überhaupt gar nicht kennen: Abraham, Melchisedek, Noah. Für das jüdische Volk war das Priestergesetz gegeben, und die Juden von den Heiden strenge zu scheiden, war seine Absicht; aber sogar dieses Gesetz selber hat doch diese Scheidung nicht ganz streng festgehalten, indem es den Ausländer

*) Von seinem Buche gehören in diese Zeit aber nur K. 1-8. 2) Stade, Die messianische Hoffnung im Psalter (Zeitschr. für Theologie und Kirche, Bd. 2). Heidrich, Heilige Geschichte. 12

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49. (69.) Die Rückkehr aus dem Exil (538) und das neue Gotlesreich re.

in mancher Beziehung demJuden näherbringt oder sogar gleichstellt. Ja, diePropheten und die Psalmen der nachexilischen Zeit erwarten im Geiste des älteren Judentums, daß diese Scheidung dereinst überwunden werde, indem alle Völker den Gott Is­ raels anbeten werden. Einen Anfang zur ErMung dieser Weissagung bildete das jüdische Proselytentum, von welchem anderwärts Genaueres gesagt ist'); die wirk­ liche Erfüllung dieser Hoffnung ist erst durch das Christentum gekommen. k. Von diesem Standpunkte aus ist es auch bedeutsam, daß die Juden der nachexilischen Zeit begannen, auf den ihnen eigentümlichen Gottesnamen (Jehovah) zu verzichten und statt desselben (angeblich aus Scheu, denselben zu entweihen) allgemeinere Gottesnamen in Gebrauch zu nehmen, welche auch die anderen semitischen Völker gebrauchten; Gott erschien ihnen nicht mehr als der Gott Is­ raels, sondern als der Gott aller Völker. 1. Obwohl durch ihr Gesetz von den andern Völkern geschieden, waren die Juden also dennoch allmählich den andern Völkern nähergetreten; die Volks­ religion näherte sich der Universalreligion; im Christentum hat dieses Streben des Judentuuls seine Erfüllung gefunden.

') Vgl. Nr. 99.

Zweiter Abschnitt.

Htauöe und Arömmigkeit des Wolkes Israel nach „dem Hefetz, den Uroptzeten und den Schriften." 50. Einleitung. a. Wie die Geschichte des Volkes Israel von Moses bis Esra sich entwickelt hat, ist in dem vorhergehenden Abschnitte dargestellt worden; der nun folgende Abschnitt wird darlegen, wie sich Glaube und Frömmigkeit im Volke Israel entwickelt und gestaltet haben. Wenn im „Hilfsbuch" das Gesetz an andrer Stelle behandelt wird, so dürfte es vielleicht für den Lehrer bequemer und fruchtbringender sein, die Frömmigkeit des Volkes Israel im Zusammenhänge überblicken zu können, und darum ist die Darstellung der gesetzlichen Frömmigkeit in der neuen Bearbeitung des Buches mit der Darstellung der Frömmigkeit nach den Propheten und den „Schriften" verbunden worden. b. So wird denn im folgenden zunächst die Frömmigkeit nach dem Gesetz dargestellt, und zwar nach dem ganzen Gesetz (wie auch im „Hilssbuch"), nicht nach den einzelnen Stufen seiner Entwickelung (worauf in der geschichtlichen Darstellung hingewiesen worden ist, und bei den einzelnen Punkten auch hier hingewiesen wird), und der Schüler lernt die gesetzliche Frömmigkeit jedenfalls nur in ihrer Endgestalt kennen. An diese Darstellung schließen sich dann (sachlich, aber nicht in diesem Buche) die Darstellung des Pharisäismus^) und der Gesetzes­ auslegung gefu2) an, und so entsteht für den Schüler ein Ganzes, welches er über­ schauen kann. c. Aber durch die Frömmigkeit nach dem Gesetz wurde das vollkommene Gottesreich doch nicht erreicht; darum war es naturgemäß, daß die Predigt der Propheten auf die Zukunft hinwies, in welcher das vollkommene Gottesreich gegründet werden solle. Von der Predigt der Propheten von dem voll­ kommenen Gottesreiche handelt darum der zweite Teil dieses Abschnitts, den der Schüler ebenfalls kennen lernen muß, um die Frömmigkeit des Volkes Israel zu verstehen. An diese Darstellung (für welche der Lehrer noch eine Ergänzung findet in der unten folgenden Darstellung der jüdischen Apokalyptiks)) schließt sich sachlich die Darstellung der Wirksamkeit Jesu und der christlichen Hoffnung an, in *) Vgl. Nr. 95. -) Vgl. Nr. 119. 3) Vgl. Nr. 96.

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Zweiter Abschnitt.

Glaube und Frömmigkeit des Volkes Israel rc.

welcher einerseits die Hoffnung der Propheten zur (teilweisen) Erfüllung gebracht worden ist, und andrerseits auch im Christentum noch nicht erfüllt ist, aber dereinst erfüllt werden wird. d. Wenn nun das Volk Israel in der Gegenwart das von Gott ihm geoffenbarte Gesetz besaß, und für die Zukunft durch die ihm immer aufs neue zu teil gewordene Offenbarung der Propheten der Hoffnung aus ein vollkommenes Gottesreich sich erfreute, so entsprach diesem zweifachen Worte Gottes an das Volk auch eine Antwort des Volkes, in welcher es sich im Glauben und im Gehorsam und in der Hoffnung zu den hohen Gütern bekannte, welche Gott ihm

geschenkt hatte. Dieser Glaube des Volkes an die ihm zu teil gewordene Offenbarung in Gesetz und Weissagung und seinen Gehorsam und seine Hoffnung lernt der Schüler aus dem dritten Teil der hebräischen Bibel, den sogenannten „Schriften", namentlich aus den Psalmen und den Sprüchen Salomos kennen — Schriften, die auch für den Christen noch von der größten Bedeutung sind, und zwar aus dem Psalter namentlich Israels Glauben und seine Hoffnung, aus den Sprüchen Salomos seine innere Aneignung des ihm gegebenen Gesetzes. Aber aus diesem Glauben erwächst nun ein Problem, welches den frommen Israeliten peinigt, weil er nur ein Fortleben des Volkes auf Erden, nicht aber ein Fortleben des Einzelnen im Jenseits kennt — das Problem, wie sich Gottes Gerechtigkeit vertrage mit dem Glücke der Gottlosen und dem Unglück der Frommen. Dieses Problem wird namentlich im Buche Hiob verhandelt, und der Schüler muß auch dieses Buch kennen lernen, um nicht bloß die jüdische, sondern auch die christliche Frömmigkeit zu verstehen. e. So wird also in diesen drei Abschnitten die Frömmigkeit des jüdischen Volkes dargestellt, zwar zunächst für sich selber, aber doch stets in ihrer Verknüpfung mit dem Christentum, und so ist denn die Darstellung der israelitischen Frömmigkeit auch für das Verständnis des Christentums von großer Bedeutung, und die Kenntnis der israelitischen Frömmigkeit kann in der höheren Schule fast noch weniger entbehrt werden, als die Darstellung der Geschichte des Volkes Israel. In welcher Weise und auf welchen Stufen diese Abschnitte in der Schule zu behandeln sind, ist anderwärts dargelegt worden.') f. Daß aber die Betrachtung der israelitischen Religion in der Schule sich nicht die Aufgabe stellen kann, dieselbe streng in ihrer geschichtlichen Entwickelung darzustellen, das versteht sich schon bei dem heutigen Stande der Kritik von selbst. Aber selbst wenn dies möglich wäre, so ist es für die Schule doch wohl praktischer, die Darstellung der Religion Israels im Anschluß an die Hauptgruppen der biblischen Bücher (Gesetz, Propheten und Schriften) anzuschließen"), da ja doch die Kenntnis der israelitischen Religion in der Schule möglichst durch die Lektüre der biblischen Bücher gewonnen werden soll. Die geschichtliche Entwickelung der israe­ lischen Religion kann auch bei dieser Betrachtung — soweit das nötig und vor allem sicher ist — zur Darstellung gebracht werden, indem bei jedem wichtigeren Punkte — wie das unten geschieht — auf die geschichtliche Entwickelung (soweit eine solche wahrzunehmen ist) — wenigstens für den Lehrer — hingewiesen toirb.3*)2 Aber die Hauptsache für den Schüler ist nicht die — oft noch fo verschieden aufgefaßte —

') Vgl. meinen Lehrplan tProgr. von Rakel 1892, Nr. 158). 2) So Oehler in seiner ATlichen Theologie. 3) So Dillmann in seiner ATlichen Theologie § 2 (S. 12—13).

I. Die Gesetzesreligion nach ihrer Begründung und in ihrem Wesen.

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geschichtliche Entwickelung im einzelnen, sondern im ganzen; die Frömmigkeit des A. T. in ihrer Bedeutung für das Christentum zu erkennen — wenn der Schüler so weit geführt wird, dann hat die Schule zu der für Glauben und Leben ihrer Zöglinge erforderlichen Kenntnis des A. T. hingeführt.

I. Dir Grsrhrsreligion nach ihrer Begründung und in ihrem Wesen. Vorbemerkung für den Lehrer. a. Auf diesen Abschnitt, welcher die Religion Israels nach dem Gesetz darstellt, ist in den Oberklassen ein größeres Gewicht zu legen, als auf die bereits als bekannt vorauszusetzende Geschichte dieses Zeitalters. Obwohl es bei diesem Abschnitt meist nicht möglich ist, die Lektüre voranzustellen und den Unterricht auf die Lektüre zu gründen, so braucht doch dieselbe nicht ganz vernachlässigt zu werden; die Anweisung dazu ist bei den einzelnen Abschnitten gegeben. Während aber bei anderen Abschnitten des Buches gewisse Bibelabschnitte unter allen Umständen gelesen werden müssen, wird der Lehrer hier den Umfang der Lettüre von der ihm zu Gebote stehenden Zeit abhängig machen müssens, da hi.er die Entwickelung der Sache aus der Bibel viel Zeit erfordert, und der Gegenstand des Unterrichts nicht wesentlich verkürzt werden darf, weil die Kenntnis der Gesetzesreligion die unentbehrliche Grundlage für das Verständnis des Prophetismus und des Christen­ tums ist. Wenn der Lehrer nach der Durchsprechung der Sache noch Zeit übrig hat, so kann er ja auch im Anschluß an die Wiederholung einige Bibelabschnitte in der Schule lesen. b. Dieser Abschnitt zerfällt aber in zwei Hauptteile. Im ersten Teil wird die Begründung und das Wesen der Gesetzesreligion dargestellt; Moses als der Begründer des Glaubens an Jehovah, als Mittler des Bundes mit Gott, als Urheber des Gesetzes, ist hier darzustellen. Im zweiten Teil wird die durch Moses begründete Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch in ihrer Eigentümlichkeit dargestellt. Der erste Abschnitt dieses Teils zeigt, wie Gott mit dem Volke Israel in Gemeinschaft tritt, indem er in diesem Volke herrscht als sein König, wie er sich gegenwärtig zeigt in seinem Heiligtum und dem Volke nahe­ kommt an den von ihm eingesetzten Festen. Der zweite Abschnitt zeigt, wie das Volk mit seinem Gott in Gemeinschaft tritt. Israel ist ein heiliges Volk; aber es tritt mit seinem Gott nicht in unmittelbare, sondern in eine durch Priester und Opfer vermittelte Gemeinschaft. Drei Hauptgedanken sind es also, die in jedem der drei Abschnitte dem Schüler entgegengebracht werden (die dazu kommenden Abschnitte sind Nebengedanken); zuerst: Name Gottes, Bund Gottes, Gesetz Gottes; sodann: Gottes Gegenwart in Israel, das Heiligtum Gottes, die Feste des Herrn; endlich: die Heiligkeit Israels, das Priestertum, das Opfer. Durch diese Vereinfachung und Gruppierung des Stoffes dürfte, wie mir scheint, ein für die Schule überschaubares Ganze ge­ wonnen sein. Daß die Gesetzesreligion über sich selbst hinausweist und erst im Christentum ihre Vollendung erlangt hat, daraus wird überall bei der Darstellung hingewiesen. ’) „Die äußeren Einrichtungen Israels, Kultus und Feste, soweit sie nötig sind, prägt man am besten durch dirette Belehrung, ohne besondere Lektüre ein". Hollenberg, Methodik des bibl. Unterrichts. Progr. von Bielefeld 1889, Nr. 332.

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51. (28, 33 und 42.) Die Person des Moses; das Gesetz Mosis rc.

Mit dieser Darstellung der Gesetzesreligion in ihrem ganzen Umsange (soweit er für die Schule in Betracht kommt) und in ihrer weiteren Entwickelung in der Königszeit (Tempelbau, Beseitigung des Höhendienstes) und in der Zeit nach dem Exil ist ein überschaubares Ganze gewonnen, wie es für den Schüler wünschenswert ist; ein wissenschaftliches Buch würde die verschiedenen Zeiten scharf unter­ scheiden, ein Schulbuch darf und soll mehr die Sache als Ganzes erscheinen lassen, und davon absehen „die einzelnen Gesetzesgruppen an denjenigen Stellen vorzuführen, in welche sie nach der Überzeugung des Lehrers gehören."^ „Ich halte es für unmöglich und unzuträglich, die Versuche unserer Theologie, in den Entwickelungsgang der Religion Israels einzudringen, in die Schule einzusühren. Jeder Theologe weiß, wie schwere Probleme hier noch der Lösung harren. Die Schule hat also alle Ursache, ihre Hand davon zu lassen und um so mächtiger durch Vorführung des Ganzen zu wirken."*2)3 4 c. Wenn der Lehrer es jedoch für angemessen halten sollte, das Gesetz nicht als ein Ganzes dem Schüler darzubieten (wie in diesem Buche geschieht), sondern dasselbe nach seiner Entwickelung bei den verschiedenen Perioden darzustellen, oder wenigstens in der Geschichtsdarstellung auf diese Punkte hinzuweisen^), so dürfte es sich doch auch bei dieser Darstellung empfehlen, nicht z. B. dreimal vom Orte des Gottesdienstes zu sprechen, sondern die betr. Frage an einer Stelle im Zu­ sammenhänge zu besprechen. Dann könnte der Stoff etwa in folgender Weise gegliedert werden: Mosaische Zeit: Name Gottes, Bund Gottes, Gesetz Gottes; Josia: Gottes Gegenwart im Volte Israel, das Heiligtum, die Feste; Esra: Heiligkeit des Volkes, das Priestertum, das Opfer. Damit wäre der neueren Darstellung einigermaßen Rechnung getragen, indem bei Moses das Gesetz Gottes, bei Josia die Frage nach dem heiligen Orte, bei Esra die Heiligkeit des Volkes besprochen würde — die Hauptgedanken, auf welche es in der betr. Zeit ankam, und auf deren Zusammenhang mit anderen Gedanken der Lehrer ja dann auch noch Hinweisen könnte. Mir scheint es aber angemessener, in der Schule das Gesetz und die gesetz­ liche Frömmigkeit als Ganzes vorzuführen.

A. Die Begründung und Entwickelung der Gesetzesreligion.

51. (28, 33 und 42.) Die Person des Moses; -as Gesetz Mofis; -ie Bücher Mofis «»- das Buch Josua. Darstellung für die Schulet)

a. Die Religion des Volkes Israel ist im Anschluß an die Religion seiner Stammväter durch Moses begründet worden. Daß nun ein Mann, namens Moses, wirklich gelebt hat und daß derselbe auch wirklich für die Religion des israelitischen Volkes eine große Bedeutung gehabt hat, unter« *) Gegen Schmid, Progr. von Schönthal 1888 Nr. 549, S. 28. 2) Hollenberg, Progr. von Bielefeld 1889 Nr. 332, S. 8. 3) Was unten (allerdings nur für den Lehrer) geschehen ist, vgl. Nr. 54—56. 4) Die weitere Ausführung dieses Abschnittes für den Lehrer ist enthalten in den folgenden Abschnitten Nr. 52—56.

51. (28, 33 und 42.) Die Person des Moses; das Gesetz Mosis rc.

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liegt keinem Zweifel.. Aber Moses war nicht bloß ein großer Mann, wie die Gesetzgeber der anderen Völker, sondern er war ein Prophet Gottes; was er seinem Volke gegeben hat, beruhte nicht auf menschlicher Weisheit, sondern auf göttlicher Offenbarung. Als Moses zuerst in Ägyp­ ten versuchte, seinem Volke zu helfen, da war dies ein Werk menschlicher Weisheit — und es ist ihm mißlungen; als er vom Sinai nach Ägyp­

ten zurückkehrte, da begann er ein Werk, zu welchem er sich berufen fühlte infolge der ihm zu teil gewordenen Offenbarung Gottes — und dies Werk ist ihm mit Gottes Hilfe gelungen. Nunmehr führte er sein Volk glücklich aus Ägypten, stiftete am Sinai den Bund zwischen Gott und dem Volke, gab dem Volke ein Gesetz und verschaffte ihm noch den Besitz des Ostjordanlandes — die Bürgschaft für die weitere Eroberung des Landes; als er starb, durfte er glauben, sein Ziel erreicht zu haben.

b. Daß nun Moses nicht bloß dem Volke Israel Gott unter einem neuen Namen verkündigt und den Bund Israels mit Gott geschloffen hat, sondern auch der Urheber des Gesetzes in Israel ist, unterliegt keinem Zweifel. Aber daß nun alle Gesetze, welche uns jetzt in den so­ genannten Büchern Mosis gesammelt vorliegen, auch im strengsten Sinne des Wortes von Moses herstammen und von ihm selber ausgeschrieben worden sind, das wird heute von keinem Forscher mehr behauptet. Daß nämlich das Zehngebot nebst einigen anderen Gesetzen, nament­ lich das sogenannte Bundesbuch (2. Mose 19, 1—24, 11) wirklich von Moses herstammt, und daß wenigstens das Zehngebot auch von ihm selber ausgeschrieben worden ist, darf als sicher angenommen werden; aber diese Aufzeichnung ist uns nicht buchstäblich erhalten, wie die doppelte Über­ lieferung des Dekalogs erkennen läßt.

Neben diesem ältesten Gesetzbuch sind nun zwei Schichten aus ver­ schiedenen Zeiten herstammender Gesetze zu unterscheiden. Die eine Schicht liegt im 5. Buche Mosis vor, verfaßt von einem Propheten etwa um das Jahr 650, vornehmlich dazu bestimmt, dem gewöhnlichen Men­ schen zu zeigen, was Gott von ihm fordere und was die Hauptsache im Gesetz sei. Die andere Schicht ist enthalten in den mittleren Büchern des Pentateuchs (2. Mose 25—4. Mose 36), erst um die Zeit des baby­ lonischen Exils, aber auf älterer Grundlage, von einem Priester ausge­ schrieben, hauptsächlich darauf berechnet, die Obliegenheit der Priester genau darzustellen, und daher das Priestergesetz genannt.

So haben an der Weiterentwickelung und Aufzeichnung des Gesetzes vornehmlich ein Prophet und ein Priester gearbeitet, jeder von seinem Standpunkte aus das Gesetz Mosis ausgestaltend und darstellend, etwa wie im Neuen Testamente das Leben Jesu ebenfalls von einem zweifachen Standpunkte aus (Synoptiker und Johannes) dargestellt worden ist. Daß die späteren Juden die ganze Gesetzgebung, wie sie uns heute in den sogen, fünf Büchern Mosis vorliegt, als ein Werk des Moses be­ trachteten, spricht für den gewaltigen Eindruck, den die Größe dieses Mannes und seines Werkes auf das Volk Israel gemacht hatte; auch ist ja die spätere Gesetzgebung eine Weiterentwickelung der älteren, echtmosa­ ischen; aber sie stammt nicht in allen einzelnen Gesetzesbestimmungen und nicht in ihrer wörtlichen Äufzeichnung von Moses selber her.

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52. (28.) Moses' Bedeutung für die israelitische Religion.

c. Ebenso, wie mit dem Gesetz, verhält es sich auch mit dem Ge­ setzbuch Israels, dem Pentateuch, d. h. den fünf Büchern Mosis?) Wie alle Geschichtsbücher des A. T., so ist auch der Pentateuch nicht nach seinem Verfasser, sondern nach seinem Inhalt benannt: er stellt vornehmlich das Werk des Moses dar. Dies große Geschichtswerk enthält nun zwar, wie einige von Moses selber herstammende Gesetze, so auch einige von ihm herrührende Geschichtsdarstellungen, aber auch die Haupt­ masse der in ihm erzählten Geschichte ist nicht auf Moses zurückzuführen. In diesem großen Werke sind nämlich, wie man noch heute erkennt, mehrere Quellenschriften zu einem zusammenhängenden Ganzen verbunden worden. Den Abschluß des ganzen Werkes bildet aber erst das Buch Josua, welches aus denselben Quellenschriften zusammengesetzt ist, wie die Bücher Mosis?) d. Wie die Gesetzgebung des Pentateuchs sich allmählich entwickelt hat, so ist das Gesetz auch nur allmählich zur Anerkennung gelangt; die älteste Zeit kannte vornehmlich nur das Bundesbuch; erst durch Josia (621) ist das Deuteronomium, und erst durch Esra (444) auch das Prie­ stergesetz als Gesetz zur Anerkennung gebracht worden. e. Der Pentateuch und das Buch Josua werden aber um ihres Inhalts willen als Urkunden der göttlichen Offenbarung betrachtet; die durch Moses geschehene Offenbarung Gottes an das Volk Israel ist nämlich in diesen Büchern sowohl nach ihrer geschichtlichen Seite (Er­ wählung Israels, Erlösung aus Ägypten, Eroberung Kanaans), tvie nach ihrem religiösen und sittlichen Inhalt (Gesetzgebung) ausgezeichnet worden. Da nun die Gesetzesreligion die Grundlage des Christentums ist, so sind die Urkunden der Gesetzesrellgion auch noch für den Christen von Bedeutung; doch müssen sie, um auch noch für uns gelten zu können, int Lichte des Neuen Testaments ausgelegt werden.

52. (28.) Moses' Bedeutung für die israelitische Religion.') a. Daß das Volk Israel schon vor Mojes eine Religion, und zwar eine monotheistische Religion, gehabt habe, wird allgemein angenommen und wird ja auch in der Bibel ausdrücklich angegeben. Aber welcher Art diese Religion gewesen sei, ist aus der Bibel allein nicht zu erkennen. Wenn man nämlich selbst davon absieht, daß die Historiker in der Patriarchengeschichte nicht wirkliche Geschichte finden, so zeigt schon die Verschiedenheit der Darstellung in den verschiedenen Quellen­ schriften des Pentateuchs, daß man in der späteren Zeit nicht mehr eine genaue Kenntnis der vormosaischen Religion des Volkes Israel besessen hat. Es weichen nämlich besonders der Jehovist und die Priesterschrift in der Darstellung der Religion der Patriarchen sehr von einander ab. Während der Jehovist den Namen Jehovah (der doch nach der Erzählung des Elohisten erst dem Moses geoffenbart !) Pentateuch = Fünfbuch, von tfv/og, welches im späteren Griechisch auch in der Bedeutung „Futteral" (für eine in demselben steckende Pergamentrolle) gebraucht wird, so daß also Pentateuch ein aus sünf Rollen bestehendes Werk bezeichnet. 2) Die Darstellung dieses Abschnitts für den Lehrer ist oben gegeben, Nr. 26-29. 3) Die folgenden Abschnitte, Nr. 52—56, eine weitere Ausführung des vorher­ gehenden Abschnittes, sind nur für den Lehrer bestimmt.

52. (28.) Moses' Bedeutung für die israelitische Religion.

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worden ist, 2. Mose 6, 8), Opfer und Altar, den Unterschied der reinen und der unreinen Tiere, wie auch levitische Priester schon vor der Offenbamng am Sinai vorhanden sein läßt (womit er wohl die mosaische Religion als die Urreligion der Menschheit bezeichnen will), läßt dagegen der Verfasser der Priesterschrift von seinem mehr geschichtlichen Standpunkte aus die Religion der Patriarchen als einfacher erscheinen, als noch nicht der späteren Religion entsprechend. Aber auch aus dieser Quellenschrift allein kann ein geschichtliches Bild der vormosaischen Religion nicht gewonnen werden, da die Erzählungen dieser Quellenschrift doch ebenfalls nicht als streng geschichtlich betrachtet werden können. Um nun eine wissenschaftlich begründete Erkenntnis der vormosaischen Religion zu gewinnen, haben die Forscher die Religion der anderen semitischen Völker unter­ sucht, und durch Vergleichung der verschiedenen semitischen Religionen suchen sie die Urreligion der Semiten zu erkennen. Derselben steht, wie man heute meint, die Religion der Araber vor Mohammed am nächsten, und vornehmlich nach dieser Religion wird heute von den Forschern ein Bild der Urreligion der Semiten ent­ worfen. b. Aus der Urreligion der Semiten beruht nun allerdings die Religion der Stammväter des Volkes Israel; wie aber aus der semitischen Religion die hebräische geworden ist, das läßt sich nicht anders erklären, als es die Bibel thut, wenn sie Abraham, den Stammvater des Volkes, mit dem sich ihm offenbarenden Gotte einen Bund schließen läßt. Die Religion Israels beruht nämlich zwar aus der Religion der Semiten, aber zur Religion Israels ist sie geworden durch Gottes Offenbarung an Männer, welche für die Offenbarung Gottes empfänglich waren. Durch solche Männer ist das Volk Israel einerseits davor bewahrt worden, mit den andern Semiten dem Heidentum anheimzufallen, und andrerseits emporgesührt worden zu einer höheren Stufe der Religion, welche zunächst das Eigentum einer Familie, dann eines Stammes wurde. Das uransängliche nationale Selbstbewußtsein Israels zeigt nun neben der Gewißheit, daß das Volk durch Moses zur verfaßten Gemeinde des wahren Gottes geworden sei, immer zugleich die andere, daß die religiöse Würde der Väter, als der Repräsentanten einer deutlich davon zu unterscheidenden Vorzeit, der ausreichende Grund gewesen sei, weswegen gerade das Volk ihrer Nachkommenschaft und nicht ein anderes zur Gemeinde des wahren Gottes geworden sei. Die Gestalten der Patriarchen sind also nicht Phantasiebilder, beruhend auf den Naturvorgängen oder den Himmelserscheinungen (wie Zeus u. s. w.), oder in Menschen verwandelte ursprüngliche Götter (wie z. B- Siegfried) oder Projektionen des Selbstbewußtseins des späteren Volkes Israel als des monotheistischen Volkes in den leeren Raum der Vorzeit, sondern als die geschichtlichen Begründer der von Moses zur Volks­ religion gemachten Religion Israels anzusehen. Nur die Macht der geschichtlichen Überlieferung konnte die Geschichtschreibung Israels bewegen, über Moses, den Begründer der Gemeinde des Monotheismus, zurückzuweisen auf die Stammväter des Volkes, als die ersten Begründer des Monotheismus, und es entspricht aller geschichtlichen Erfahrung, wenn die Begründung der eigentümlichen Religion Israels auf einen bestimmten einzelnen Mann, auf Abraham, zurückgeführt wird. Wenn der Gott Israels als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bezeichnet wird, so bezeichnet dagegen Abraham Gott niemals als den Gott seiner Väter, sondern als den Gott, der zu ihm geredet habe, und bekundet damit die Thatsache einer religiösen Differenz zwischen ihm und seinen Vätern, das Bewußtsein, daß seine Trennung von seinen Verwandten der Ursprung einer neuen Religion geworden sei.

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52. (28.) Moses' Bedeutung für die israelitische Religion.

Diese Religion Abrahams, welche also wesentlich als das Erzeugnis der durch innere und äußere Erlebnisse bewirkten Umgestaltung der überkommenen Religion seiner Vorfahren anzusehen ist, ist natürlich nicht gänzlich verschieden von der Religion der andern Semiten und der nächsten Verwandten Abrahams, und sie zeigt auch den Einfluß der kanaanäischen Kreise, mit denen er und seine Nachkommen in Berührung gekommen sind (Beschneidung und Kindesopfer), aber sie ist doch wesentlich verschieden von der Religion sowohl dieser als aller anderen Völker, und auf dieser Verschiedenheit beruht ihre Bedeutung für die Weltgeschichte.^) c. Die nach Ägypten wandernden Nachkommen Abrahams waren aber kaum im stände, den Glauben ihrer Stammväter festzuhalten, sondern neigten sich mehr und mehr dem Heidentum zu. Da beginnt nun mit der Erlösung aus Ägypten

ein neues Stadium der Offenbarung im Volke Israel, in welchem es sich darum handelte, aus dem alten Grunde fortbauend, das ganze Volk aus Grund der von ihm erfahrenen Gottesthaten zum gläubigen Anschluß an den einen, mächtigen und heiligen Gott emporzuheben, so daß es freiwillig die Aufgabe übernehme, sein ganzes Leben nach dem Willen Gottes zu gestalten, oder, um mit dem A. T. zu sprechen, in den Bund mit Gott einzutreten. Damit nun aber das Bewußtsein der wunderbaren Thaten Gottes und des mit Gott in dieser großen Zeit geschloffenen Bundes nicht allmählich immer schwächer und zuletzt ganz vergessen würde, mußte dasselbe in gewissen Einrichtungen und Ordnungen verkörpert werden. Solche Einrichtungen zu treffen, war die Sache des großen Propheten, der an der Spitze des Volkes stand. Auf Moses' Wort hin verpflichtete sich das Volk, das Eigentum des Gottes zu werden, dem es seine Erlösung aus Ägypten verdankte (damit wurde der Bund zwischen Gott und dem Volke geschlossen), und auf Grund der Bundschließung nach bestimmten, dem neuen Verhältnis zu Gott entsprechenden Ordnungen sein ganzes Leben zu gestalten. d.*2) Das Werk der Befreiung Israels aus Ägypten und seine religiöse Er­ neuerung führt nämlich die Überlieferung auf einen einzelnen Mann, auf Moses, zurück. Stehen wir damit auf geschichtlichem Boden oder hat die dichtende Sage diese Gestalt frei gebildet? Wenn die Ereignisse jener Zeit im allgemeinen geschichtlich feststehen, so fordern sie zu ihrem Verständnis eine Persönlichkeit ähnlicher Art, wie die Quellen sie uns in Moses vorführen. Das Volk Israel war in Ägypten nichts weniger als eine

Nation; gerade eine solche mußte erst geschaffen werden; den unterdrückten und geknechteten Massen, die in Gefahr waren, das eigene Selbst zu verlieren, mußte erst der Geist der Zusammengehörigkeit und der Selbstbehauptung wieder eingehaucht werden. Aber ein solches Werk vollzieht sich nicht von selbst; es wird nur vollbracht, wenn als treibende Kraft eine die andern überragende, den Gedanken des Volkstums mit heiliger Begeisterung in ihnen zur Flamme entfachende Persönlichkeit hinter der großen Masse steht. Beim Auszuge aus Ägypten ist nun Israel ein Volk geworden; dazu hat es sich sicherlich nicht selber gemacht; dazu ist es von Moses gemacht worden. Sodann setzen die Ereignisse jener Zeit, der Auszug und die Kämpfe mit den Feinden, eine feste einheitliche Leitung voraus; der ungeordnete Volkshause, welcher geknechtet in Ägypten lebte, bedurfte eines Führers, der im stände war, die

Menge zu beherrschen und den Feinden entgegenzutreten, eines umsichtigen Führers

*) Klostermann, Geschichte Israels, S. 28—36. 2) Kittel, Geschichte der Hebräer I, § 24.

53. (45.) Die Entstehung und Entwickelung des mosaischen Gesetzes.

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und tüchtigen Feldherrn, wie ihn die Überliefemng in Moses an die Spitze des Volkes stellt. Endlich läßt sich auch die religiöse und sociale Neubildung im Volke Israel, wie sie dem Volke am Sinai zu teil geworden ist, nicht loslösen von einer historischen Persönlichkeit. Bahnbrechend neue Gebilde auf dem Gebiete der Religion und Sitte

vollziehen sich nicht spontan aus den Tiefen des Volkslebens heraus; sie schlummern hier, aber sie steigen nicht aus, ohne daß ein von ihnen in seinem innersten Wesen erfaßter Geist sie in sich vorfindet, ergreift, erkennt und verMndet und so zum religiösen und moralischen Heros, zum Propheten seines Volkes wird. Als der Begründer der religiösen und socialerr Erneuerung seines Volkes wird aber Moses von der Überlieferung bezeichnet, und so darf derselbe mit Recht als eine geschicht­

liche Person betrachtet werden. e. *) Da heute als erwiesen angesehen werden darf, daß die israelitische Religion nicht anderswoher entlehnt ist, so bleibt nichts übrig, als daß der von Moses ge­ predigte Glaube im Innern der Seele des Moses selbst entstanden ist. Angeregt von außen her, teils abgestoßen, teils angezogen von einzelnen Jdeeen der ägyptischen und der semitischen Religion, mag er wohl in der Einsamkeit der Wüste das wahre Wesen Gottes gesucht und gefunden haben. Hier muß durch seine Seele ein Gedanke davon geblitzt sein, daß das Größte, was er seinem Volke geben könne, die Erkenntnis der Gottheit sei. Damit trat er für sein Volk (und für die Menschheit) in einen Kampf ein, wie er, seitdem die Welt steht, auf dem Gebiete des Geistes und der Gesittung gewaltiger nicht gekämpft worden ist. Die Nalurreligion mit ihrer die Menschen knechtenden, ihre natürliche Freiheit wie ihre sittliche Würde verachtenden Tendenz mußte den Völkern mehr und mehr das Erbgut der Gesittung und Mensch­ lichkeit rauben; Moses hat mit seiner Stiftung für sein Volk und die Welt den Weg zur Freiheit und Menschenwürde und zur Entfaltung reiner Menschlichkeit erkämpft. Wie aber in Moses^ Seele jenes neue und erhabene Wissen von Gott entstand — das bleibt das Geheimnis seines großen Geistes; aus der Zeitgeschichte läßt sich eine geniale Neubildung, vollends auf religiösem Gebiete, nicht erklären. Der Historiker steht hier vor einem Geheimnis, für welches sich eine Lösung nur zeigt, wenn in diese Lücke unsers Wissens ein Fattor eingesetzt wird, dessen Recht streng historisch nicht mehr zu erweisen ist. Nur eine unmittelbare Berührung Gottes selbst mit dem Menschen kann die wahre Gotteserkenntnis erzeugen oder den Menschen ihr näherbringen; denn in sich selbst findet der Mensch nur die Welt und sein eigenes Ich; aus beidem entsteht nur das Heidentum. Leuchtete aber in Moses der Gedanke auf, daß Gott weder die Welt noch das idealisierte Bild des Menschen sei, sondern daß er der Herr des Lebens und der Schöpfer der sittlichen Gebote sei: so hatte er dieses Wissen nicht aus seiner Zeit und nicht aus sich selbst, sondern er hatte es aus unmittelbarer Offenbarung dieses Gottes in seinem Gemüte.

53. (45.) Die Entstehung und Entwickelung -es mosaische» Gesetzes. a. Nach der Annahme des israelitischen Volkes ist das ganze mosaische Gesetz auf einmal, und zwar schon bei der Begründung des Goltesstaales, durch Moses gegeben worden, und zwar der Dekalog auf dem Sinai (nach späterer Überlieferung 9 Nach Kittel, Geschichte der Hebräer I, S. 226-228.

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53. (45.) Die Entstehung und Entwickelung des mosaischen Gesetzes.

sieben Wochen nach dem Auszuge — also am Pfingstfest), das übrige Gesetz teil­ weise noch am Sinai, teilweise auf der weiteren Wüstenwanderung, teilweise auch erst in der letzten großen Rede, welche Moses im Gefilde Moabs an das Volk gehalten hat. Der Gedanke an eine im Lause der Jahrhunderte erfolgte Fortbildung und Umgestaltung des Gesetzes lag also den Israeliten fern; der geschichtliche Sach­ verhalt steht aber mit diesem Glauben nicht im Einklang; die heutige Wissenschaft fragt mit Recht danach, wie das Gesetz Mosis nach der Geschichte entstanden ist, und wie sich dasselbe weiter entwickelt hat. b. Nicht wenige Bestimmungen des mosaischen Gesetzes (z. B. die Beschneidung) beruhen auf Sitten und Satzungen der vormosaischen Zeit. Andere Gesetzes­ bestimmungen sind offenbar erst in der nach mosaischen Zeit entstanden, da sie Einrichtungen (z. B. das Königtum) betreffen, welche in der mosaischen Zeit noch gar nicht vorhanden waren. Die spätere Entstehung mancher Gesetze ergiebt sich auch daraus, daß über manche Gegenstände verschiedene, sich widersprechende Gesetze vorhanden sind, welche offenbar nicht in derselben Zeit, sondern nach einander entstanden sind und gegolten haben. Auch durch die Geschichte wird die Annahme bestätigt, daß das mosaische Gesetz nicht aus einmal entstanden ist. Zwar kennt auch schon die ältere Zeit ein Gesetz, aber noch viele Jahrhunderte nach Moses hat es offenbar kein Buch gegeben, welches als die Urkunde des durch Moses gegebenen Gesetzes anerkannt gewesen wäre. Das Gesetz Gottes war vornehmlich ein Gegenstand mündlicher Über­ lieferung, und infolge dessen konnte auch das Gesetz — zu seinem Vorteil — all­ mählich weiter entwickelt und unmerklich umgestaltet und dadurch lebendig erhallen werden; die spätere Zeit lebte in dem Glauben, daß sie das alte Gesetz unverändert vor sich habe, und dieser Glaube war nicht unberechtigt, da sich ja das spätere Gesetz aus dem älteren normal entwickelt hatte. Aber die Wissenschaft ist nun natürlich auch berechtigt zu fragen, wie und wann sich diese Entwickelung vollzogen habe. Wenn man nun, mit Beiseitelassung der geschichtlichen Teile des Pentateuchs, nach der Entstehung und Entwickelung der im Pentateuch enthaltenen Gesetz­ gebung fragt, so ergiebt sich folgendes. c. Auf die Frage nach der Entstehung und Entwickelung des Gesetzes giebt nun die Wissenschaft heute die übereinstimmende Antwort, daß im Gesetz drei Teile zu unterscheiden seien, die Gesetzgebung des sogen. Bundesbuches (2. Mose 19, 1—23, 19 oder 24, 11), die des Deuteronomiums (im 5. Buch Mosis) und die des Priestergesetzes (in den mittleren Büchern Mosis enthalten), und daß diese drei Gesetzgebungen verschiedenen Zeitaltern angehören. Übereinstimmung herrscht sodann auch noch darüber, daß als die älteste Gesetzgebung die des sogen. Bundes­ buches anzusehen sei. Dagegen ist heute streitig, welche von den beiden anderen Gesetzgebungen die ältere sei, die des Deuteronomiums oder des Priestergesetzes; während nämlich von der älteren Theologie (z. B. Riehm, Dillmann) das Priestergesetz als älter betrachtet wurde, wird in der neueren Zeit von vielen, ja, jetzt wohl von den meisten ATlichen Forschern (seit Balke, Reuß, Wellhausen) das Deuteronomium für älter als das Priestergesetz angesehen. So viel steht jeden­ falls fest, daß das Gesetz des Deuteronomiums eher zur öffentlichen Anerkennung gelangt ist (im Jahre 621), als das Priestergesetz (im Jahre 444). Über diese

Streitfrage ist oben Genaueres gesagt worden.^) So hat also das durch Moses gegebene Gesetz, als eine lebendige Macht sich weilereniwickelnd, von der einfachsten Form, im Bundesbuch, ausgehend, im

') Vgl. Nr. 4.

54. (45 A.) Die älteste Gesetzgebung des Volkes Israel.

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Laufe der Jahrhunderte sich im Volke Israel weiterentwickelt — einerseits zu dem von prophetischem Geiste erfüllten Gesetz des Deuteronomiums, andrerseits zu dem von priesterlichem Geiste erfüllten Priestergesetz. d. Mit dieser Entwickelung des Gesetzes hängt es natürlich zusammen, daß auch die israelitische Frömmigkeit erst allmählich diejenige Gestalt gewonnen hat, in welcher sie uns nach dem Exil entgegentritt, wo ja erst das ganze Gesetz zur Herrschaft gekommen ist; in den früheren Zeiten hat die israelitische Frömmigkeit eine weniger entwickelte Gestalt gehabt. Man darf sich also nicht darüber wundern, daß die ältere Zeit in so vielen Punkten dem Priestergesetz nicht entsprochen hat; die ältere Zeit kannte ja zunächst nur das Bundesbuch, und erst seit der Zeit des Königs Josia auch das Deuteronomium; aber die Forderungen beider Gesetz­ gebungen gingen lange nicht so weit als die des Priestergesetzes. Wenn man nun auch annehmen darf, daß außer den ausgeschriebenen Satzungen noch manches andere Gebot bestanden hat und beobachtet worden ist, welches nur in der Über­ lieferung lebte, so hat doch jedenfalls die ältere Frömmigkeit eine andere Gestalt gehabt, als die der späteren Zeit. Ja selbst, als im Jahre 621 das Deuteronomium anerkannt worden war, und manche neue Forderungen aufgestellt und durchgesetzt wurden (namentlich die Einheit des gottesdienstlichen Ortes), sind doch bei weitem noch nicht alle Forderungen des Priestergesetzes aufgestellt worden; erst durch das Priestergesetz ist die eigentümlich-jüdische Frömmigkeit zur Entfaltung ge­ kommen, wie sie uns nach dem Exil entgegentritt. e. Mit dem Priestergesetz, welches im oder nach dem Exil mit der ältesten Gesetzgebung und dem mit derselben bereits verbundenen Deuteronomium vereinigt worden ist, war für den Juden sein „Gesetz", wie es im Pentateuch enthalten ist, abgeschlossen — und doch nicht abgeschlossen, denn auch nach dem Abschluß des Gesetzes sind einerseits doch noch neue gesetzliche Einrichtungen getroffen worden (z. B. das Purimfest und die anderen späteren Feste), teils haben die Schriftgelehrten durch ihre Auslegung des vorhandenen Gesetzes neue Forderungen aufgestellt, welche kaum noch als im Gesetz selbst begründet angesehen werden können.

54. (45 A.) Die älteste Gesetzgebung des Bölkes Israel. a. Als die älteste Gesetzgebung betrachtet man heute allgemein die des nach 2. Mose 24, 45 benannten „Bundesbuchs" (2. Mose 19, 1—23, 19 oder 24, 11), welches vornehmlich den Dekalog (2. Mose 20} und in einem zweiten Abschnitt (2. Mose 20, 22—23, 19) sogen. „Rechte" d. h. einzelne gesetzliche Bestimmungen für Gottesdienst und Leben enthält. Diese Gesetzgebung gehört, wie man heute allgemein annimntt, der ältesten Quellenschrift des Pentateuchs an, dem aus dem Jehovisten und dem (älteren) Elohisten entstandenen Geschichtswerke (JE), und zwar gehört diese Gesetzsammlung dem Elohisten an?) Daß dieselbe in unserer Überlieferung nicht in der ältesten Form vorliegt, wird alsbald gezeigt werden; aber daß sie jedenfalls viel älter ist, als das Geschichtswerk, in welchem sie enthalten ist, kann nicht bezweifelt werden. b. Der Erzähler von 2. Mose 24, 45 muß eine Überlieferung gekannt haben,

daß Moses selbst ein „Buch des Bundesgesetzes" geschrieben habe. Es ist nun heute allgemein anerkannt, daß unter dem von Moses geschriebenen Büche nicht der ganze Pentateuch, ja, nicht einmal auch nur die eigentliche Gesetzgebung x) Vgl. Nr. 27.

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54. (45 A.) Die älteste Gesetzgebung des Volkes Israel.

desselben gemeint sein kann, daß das Gesetz des Deuteronomiums und das Priester­ gesetz mindestens in der Form, in welcher uns beide vorliegen, aber gewiß auch nicht nach ihrem ganzen Inhalt, nicht von Moses selber herstammen. Dagegen wird allgemein anerkannt, daß unter dem dem Moses zugeschriebenen „Bundes­ buche" ein Abschnitt des 2. Buches Mose gemeint sei, nämlich 2. Mose 19, 1—

23, 19 oder 24, 11.') Dieser Abschnitt zerfällt aber nach K. 23, 3 in zwei Teile: „Die Worte Je­ hovahs" (— Zehngebot) und „die Rechte". Der Dekalog stammt nach der (aller­ dings jetzt vielfach bezweifelten) Überlieferung von Moses her;2) die Zusätze bei den Geboten, welche in den beiden Überlieferungen (2. Mose 20 und 5. Mose 5) von einander abweichen, werden allerdings auf den Steintafeln nicht gestanden haben, wofür die abweichende Fonn dieser Zusätze in den beiden Überlieferungen

spricht, wie auch der Umstand, daß einzelne Zusätze bereits den Aufenthalt im heiligen Lande voraussetzen (der Fremdling in deinen Thoren). Im Text der Gebote selber ist nur die Abweichung in der Ordnung des letzten Gebotes beim Deuteronomiker beachtenswert, welcher, das Gesetz Moses' seiner Zeit anpassend, das „Weib" dem „Hause" voranstellt; bei ihm wird also das Weib nicht mehr zum Eigentum gerechnet, sondern hat bereits eine höhere Stellung gewonnen. Die Form des Zehngebots im Exodus ist also älter, als die im Deuteronomimn. Über den Inhalt des Dekalogs wird unten genauer gesprochen werden?) Der zweite Teil des Bundesbuchs (2. Mose 20, 22—23, 19 oder 24, 11) umfaßt die sogen. „Rechte" und gehört ebenfalls unzweifelhaft zu den ältesten Gesetzsammlungen des Pentateuchs. Das zeigt sich namentlich in der hier offenbar gestalteten Mehrheit von Opferstätten (20, 24s.), während das spätere Gesetz die Einheit derselben fordert. In seiner jetzigen Form rührt dieser zweite Teil des Bundesbuchs, wie eine genauere Betrachtung zeigt, ebenfalls nicht von Moses her, sondern das ursprüngliche mosaische Rechtsbuch ist ebenfalls in späterer Zeit frei bearbeitet worden. c. Es ist also fraglich, wieviel von dem Wortlaute dieses von Moses selbst verfaßten Bundesbuches in unserer Überlieferung erhalten geblieben ist; daß aber dem Erzähler für das Bundesbuch jedenfalls eine schriftliche Vorlage zur Verfügung stand, und daß die uns heute vorliegende Form des Bundesbuchs — abgesehen von einzelnen Spuren späterer Überarbeitung — erheblich über die Zeit des

Königtums hinaufreichen kann, läßt sich nicht verkennen. Nur die Frage läßt sich erheben, ob das Bundesbuch den Wüstenaufenthalt oder die Ansässigkeit im Lande Kanaan voraussetzt. Da nun in der Darstellung des Bundesbuchs die Ansässig­ keit in Kanaan nicht als eine Thatsache der Zukunft sondern als bereits vorhanden angenommen wird, so muß als Zeit der Abfassung die Zeit der Ansässigkeit in Kanaan angenommen werden. „Jedenfalls dürfte also das Bundesbuch in der uns vorliegenden Gestalt nicht von Moses herrühren; aber wahrscheinlich liegen demselben die von Moses festgestellten Rechtsordnungen zu Grunde, haben aber später eine Umarbeitung erfahren; für dieselbe aber bis zur Königszeit herab­

zugehen (Wellhausen), liegt kein Grund vor/")

') Die Meinungen über die Abgrenzung dieses Abschnittes gehen aus­ einander. 2) Gegen Wellhausen. 3) Vgl. Nr. 61. 4) Vgl. Wildeboer, Einl. (1895) § 7, 3.

54. (45 A.) Die älteste Gesetzgebung des Volkes Israel.

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d. Daß unser Dekalog wirklich unmittelbar auf Moses zurückzuführen sei und von Anfang an das Grundgesetz Israels gewesen sei, das ist eine so tief mit der überkommenen Auffasstmg vom A. T. zusammenhängende Vorstellung, daß man sich nur schwer und ungern von ihr trennt. Trotzdem haben neuere Forscher geglaubt, diese Meinung aufgeben zu müssen?) Es wird nämlich vor allem immer unerklärlich bleiben, wie die im ganzen Israel vor Salomo und im Nordreiche bis zu seinem Ende stets unangefochten (auch von Elias und anderen Propheten) bestehende Verehrung Gottes im Bilde bei dem Vorhandensein eines jede bildliche Darstellung des Volksgottes verbietenden Ge­ setzes möglich gewesen sei. Die Frage liegt nahe, ob nicht die Zusammenfassung der Grundgedanken der ATlichen Sittlichkeit in dieser Form erst das Ergebnis einer Zeit ist, in welcher der bildlose Dienst Gottes im Nationalheiligtum den Kampf gegen die Unbefangenheit der alten Volkssitte aufnahm. Das wird man aber um so eher für möglich Hallen, wenn man bedenkt, daß das Sabbathgebot von 2. Mose 20 sicher schon in einer durch das Priestergesetz beeinflußten Gestalt vorliegt. Man könnte daher, da die Form des Zehngebots auch sonst im Gesetz beab­ sichtigt scheint, annehmen, daß die älteste Zusammenfassung der Volkssille etwa in der Art von 2. Mose 34, 10—28*2)3 (wo freilich Gußbilder ebenfalls schon ver­ boten sind) mehr auf Einzelheiten der heiligen Sitte gerichtet gewesen sei, und daß erst eine Zeit bewußterer und innerlicherer Religiosität an die Stelle der unvollkommneren Fornr diese mustergiltige gestellt habe. Jedenfalls aber giebt unser Zehngebot den sittlichen Gedanken der mosaischen. Religion einen eben so kurzen, wie erschöpfenden Ausdruck, und seine Hauptgedanken entsprechen gewiß dem, was Israel auch in dieser Zeit als Jehovahs Willen an­ zusehen gewohnt war, und so ist es kein Wunder, daß auch neuere Forscher immer wieder zu der alten Überlieferung zurückkehren, daß das Zehngebot (allerdings-

nur in seiner ursprünglichen Form) auf Moses zurückzuführen sei?) e.4) Selbst wenn nun die Gesetzsammlung des Bundesbuchs erst einer späteren Zeit entstammen sollte, so sind wir durch dieselbe dennoch in den Stand, gesetzt, einen Einblick in die ältesten israelitischen Rechtsverhältnisse zu ge­ winnen. Der soziale Zustand, welcher in demselben geregelt wird, ist ein solcher, wie wir ihn auf Grund der historischen Berichte für das alte Israel voraussetzen müssen. Das Nomadenvolk ist bereits großenteils zum Ackerbau übergegangen, aber Vieh­ zucht und Biehbesitz bleiben ein Hauptbestandteil der Volkswohlfahrt. Der Zustand, dieser Gesellschaft ist sehr primitiv, der Begriff „Kapital" ist völlig unbekannt, danlm auch das Zinsnehmen verboten (2. Mose 22, 24), und sowohl was die Rechtsgrundsätze angeht, als auch was die Ausführung der Strafen betrifft, steht diese Gesellschaft noch auf dem Standpunkte der Wüstenbewohner. Die Besttmmungen über den Kultus sind nicht zahlreich und sehr einfach. Bon den Festen sind nur der Sabbath, die drei großen Feste und das Sabbathjahr genannt;, die Einheit des gottesdienstlichen Ortes wird nicht gefordert; auch der Laie darf opfern; die Priester stammen (vorwiegend) aus dem Stamme Levi.

») 2) 3) 4)

H. Schultz, ATliche Theologie S. 1538. Schon von Goethe als Zehngebot erkannt. Wildeboer, Einl. § 1. Wildeboer, Einl. § 7.

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55. (45 C.) Die Gesetzgebung des Deuteronomiums.

Aber wenn nun auch der Zustand der Gesellschaft, welchen diese Gesetzgebung regelt, noch auf einer niedrigen Entwickelungsstufe steht, so muß man dagegen vor­ dem Geiste, der den Gesetzgeber beseelt, die höchste Ehrerbietung haben. In ernsten Fällen will er strenges Recht, aber Billigkeit in der Strafe oder Schaden­ ersatz in Sachen von geringerer Bedeutung. Für die Witwen und Waisen, für Frauen und Mädchen, für Arme und Fremdlinge, ja, für Sklaven und Sklavinnen, kurz für die Rechtlosen in der alten Gesellschaft ergreift er Partei, und erinnert daran, daß hinter dem Gesetze Jehovah, der gerechte Richter, steht, der sich nicht verspotten lasse. f. Wenn nun auch diese Gesetzgebung nicht eine vollkommene, für alle Zeilen gültige genannt werden kann, so muß man doch anerkennen, daß dieselbe hohen ethischen Principien, wie sie im Zehngebot ihren Ausdruck gefunden haben, im praktischen Leben Achtung zu verschaffen gesucht hat. In der auf das Bundesbuch folgenden zweiten Gesetzgebung, der des Deuteronomiums, sehen wir deutlich die fortdauernde fund das Volk tiefer umfassende und durchdringendes Wirksamkeit des Geistes Gottes, und so sehen wir in der Geschichte Israels die Werkstätte der Vorbereitung für die volle Offenbarung der göttlichen Liebe in Jesus Christus.

55. (45 C.) Die Gesetzgebung -es Deuteronomiums. a. Der Dekalog und das Bundesbuch waren im Volke Israel schon seit alter Zeit vorhanden, und sie wurden auch beobachtet; aber trotzdem war allmählich in den Glauben und den Gottesdienst des Volkes so viel vom Heidentum der alten Kanaaniter und der benachbarten heidnischen Völker eingedrungen, daß eine Refor­ mation dringend erforderlich war. Ein Programm zu einer solchen hatte ein uns unbekannter Prophet unter dem gottlosen Könige Manasse (698—643) entworfen und im Tempel deponiert in der Hoffnung, daß feine Mahnung in einer besseren Zeit beachtet werden würde. Eine solche bessere Zeit kam unter Manasses zweitem Nachfolger Josia. Als im 18. Jahre dieses Königs (621) dies Buch zufällig gefunden und dem Könige überbracht wurde, da machte dasselbe auf ihn einen solchen Eindruck, daß er beschloß, nach der Anweisung desselben den Gottesdienst zu reformieren. Sein Vorhaben führte er aus, und seitdem galt im Volke Israel nicht mehr bloß das Bundesbuch, sondern auch das Deuteronomium als ein von Moses dem Volke Israel gegebenes Gesetz. b. Dasjenige Gesetz nämlich, welches der Reformation des Königs Josia im I. 621 zu Grunde gelegt wurde, ist, wie man heute allgemein annimmt, das Deuteronomium — abgesehen von dem wenig umfangreichen Bundesbuche die erste umfassende Aufzeichnung des an Moses' Namen geknüpften Gesetzes. Wenn man früher glaubte, daß das von Moses selber 800 Jahre vorher ausgezeichnete Gesetz (das ganze Gesetz, wie es im Pentateuch enthalten ist), welches durch unglückliche Zufälle als verloren galt, jetzt wieder in einem der Vernichtung entgangenen Exemplare zum Vorschein gekommen sei, so darf diese Meinung heute als aufge­ geben betrachtet werden; das gefundene Buch war ja für den König und das ganze Volk ein neues Buch, das noch niemals jemand gesehen hatte, und welches wohl erst kurze Zeit vorher entstanden war. Der Verfasser des Buches legt die Satzungen und Rechte, welche nach seiner Ansicht im Volke Israel gelten sollen, dem sein Volk verlassenden Moses in den Mund, welcher noch einmal seine Stimme erhebt, um mit der ganzen Wärme und

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Innigkeit eines scheidenden Lehrers dem Volke seine Bundespflichten vorzuhalten und es zu treuem Festhalten an seinem Gott zu ermahnen. Daß diese Darstellung aber nur eine schriftstellerische Form ist, daß das Buch dem Moses nur in den Mund gelegt ist, ist heute allgemein zugestanden. c. Das Deuteronomium ist nämlich von den andern Büchern des Pentateuchs überhaupt, wie auch seine Gesetzgebung von der der andern Bücher, namentlich von der des Priestergesetzes, wesentlich verschieden.^) Die eigentliche Gesetzgebung dieses Buches, welche in K. 5—26 enthalten ist, ist (im Gegensatz zu der für die Priester bestimmten der mittleren Bücher) be­ rechnet für ein Volk, welches längst im Lande Kanaan seßhaft ist. Das ergiebt sich namentlich aus dem hier vorhandenen Königsgesetz (17, 14—20), welches erst nach der Entstehung des Königtums gegeben sein kann. Ja, der Verfasser blickt schon auf eine Zeit hin, wo das Königtum durch Üppigkeit und Habsucht ver­ weltlicht war. Was das Geschichtsbuch (1. Kön. 10, 23—29) rühmend von Salomo erzählt, wird hier dem Könige verboten: viele Pferde zu halten, viel Silber und Gold aufzuhäufen und viele Weiber zu nehmen. Diese Dinge erscheinen dem Gesetzgeber nicht als ein Gnadengeschenk Gottes, wie dem Geschichtschreiber (1. Kön. 10, 23. 3, 13), sondern als eine tadelnswerte Üppigkeit. Ja, es wird sogar

schon dem Könige angedroht, daß er mit seinem Volke ins Exil geführt werden solle (5. Mose 28, 36). Auch andere Dinge lassen auf ein späteres Zeitalter dieses Buches schließen. Darauf weist aber namentlich die mft der prophetischen Predigt übereinstimmende Verinnerlichung der Gesetzesforderungen hin; die äußere Beschneidung soll zur inneren werden; Gott soll man von Herzen dienen; die Liebe Gottes und die Liebe zum Nächsten werden immer aufs neue für die Hauptsache erklärt. Auch die Sprache des Buches führt auf eine spätere Zeit. Der Verfasser dieses Buches kennt die frühere Gesetzgebung und auch schon prophetische Schriften. Er selber ist ein Prophet, der eine Reformation in Israel herbeisühren will, wie sie Josia herbeigesührt hat. Er selber hat übrigens in seiner Gesetzespredigt sein Werk nicht dem Moses zugeschrieben, aber wohl geschieht das in den Anfangs. (K. 1, 1—4, 43) und in den Schluß-Kapiteln (K. 27 und 29—34), welche ein anderer Verfasser (der Deuteronomist) geschrieben oder wenigstens ein Redaktor überarbeitet hat. Diese Berufung auf Moses, als Urheber auch dieses Gesetzes, darf als berechtigt gelten, da das Deuteronomium ja nur die Gesetzgebung Mosis erneuern und streng durchführen wollte; aber daß dasselbe nicht buchstäblich von Moses herstammen kann, das zeigt schon der eine Vers K. 33, 4: „Moses hat

uns das Gesetz geboten." So hat denn wohl ein Prophet, welcher nicht lange vor Josia gelebt hat, dieses Gesetzbuch geschrieben und dasselbe im Tempel niedergelegt, wo es dann zu

Josias Zeit gefunden wurde. d. Unter den in diesem Buche aufgestellten Gesetzen befinden sich nun ohne Zweifel manche, welche von ihm zum erstenmal aufgestellt worden sind (Einheit des gottesdienstlichen Ortes); aber auch mit diesen neuen Forderungen glaubt der Urheber dieses Gesetzes nicht Neues zu fordern, sondern nur alte Forderungen aus­ zubauen. Andere Forderungen sind zwar in diesem Gesetzbuch zuerst ausgezeichnet worden, waren aber schon vorher aus älteren Gesetzen entwickelt worden. Endlich aber sind im Deuteronomium auch ältere Gesetze enthalten, welche schon vorher auf-

*) So König (Einl. § 47 fin.) mit Wellhausen gegen Dillmann Kom­ mentar zum Pentateuch Bd. III, S. 605 s. Heidrich, Heilige Geschichte. 13

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55. (45 C.) Die Gesetzgebung des Deuteronomiums.

gezeichnet worden waren; namentlich ist die Gesetzgebung des Bundesbuchs dem Verfasser des Deuteronomiums offenbar bekannt und von ihm als Muster und als Quelle benutzt worden. e. Wenn die Predigt der Propheten in Übereinstimmung mit dem Dekalog stets gelautet hatte „Gerechtigkeit, nicht Opfer," so ist zwar diese prophetische Predigt auch dem Deuteronomium eigen; aber wenn die Gerechtigkeit im Volke Wurzel schlagen sollte, so schien es doch nötig, einen Kultus zu fordern, welcher das Volt zur Gerechtigkeit führen sollte und konnte. Daher wurde auch in dieser von einem Propheten verfaßten Gesetzgebung ein Kultus gefordert, aber allerdings eine Reformation des bestehenden Kultus für nötig gehalten. Die hauptsächlichste Forderung des neuen Gesetzes, durch welche der bestehende Kultus wesentlich umgestaltet wurde, war die, daß es fortan im ganzen Reiche Juda für den einen Gott auch nur ein einziges Heiligtum geben sollte, nämlich den Tempel zu Jerusalem. Nach der älteren Gesetzgebung war es gestattet, Gott an jedem Orte anzubeten, und so gab es seit alter Zeit überall Altäre Gottes, namentlich auf den Höhen, als den natürlichen Altären. Aber der zunächst unver­ fängliche Höhendienst war allmählich mit so vielen heidnischen Bräuchen verbunden worden, daß er vom Götzendienst kaum noch zu unterscheiden war. Dem gegenüber konnte nur eins helfen: die Beseitigung der Höhen und die Conceniration des Gottesdienstes auf den Tempel zu Jerusalem. Beides ist von Josia unternommen und allmählich durchgesetzt worden. Daß mit dieser Concentrierung des Gottes­ dienstes auch manches andere ältere Gesetz geändert werden mußte, versteht sich von selbst. Die bisherigen Höhenpriester sollten anderweitig versorgt werden, so daß nunmehr für den einen Tempel auch nur ein Priesterstand vorhanden war. Jedes Opfer sollte fortan nur in Jerusalem dargebracht werden; daher wurde fortan die Schlachtung im Hause, ohne daß man zugleich, wie bisher, ein Opfer dar­ brachte, freigegeben. Ebenso sind, der weiter fortgeschrittenen Kultur des Volkes entsprechend, die sittlichen Forderungen und die staatlichen Gesetze erweitert und umgestaltet worden?) f. Durch dieses Gesetzbuch wurde fortan die Religion Israels vornehmlich bestimmt, und durch die Befolgung dieses Gesetzes ist das Judentum vor dem Untergänge bewahrt worden. Die im Jahre 722 nach dem Exil weggeführten Israe­ liten sind dort verschollen und im Heidentum unlergegangen; die Exulanten des Jahre 586 haben unter den Heiden ihre Nationalität und ihre Religion behauptet; das verdankten sie dem erst nach dem Jahre 722 und nur in Juda durch den König Josia im Jahre 621 zur Herrschaft gebrachten Gesetz und der durch dasselbe be­ gründeten Sitte und Frömmigkeit. g. Aber nicht bloß für die Religion, sondern auch für die Litteratur des jüdischen Volkes hat das Deuteronomium eine große Bedeutung gewonnen. Wenn es vor demselben nur Geschichtsbücher gab, welche die ältere Geschichte Israels er­ zählten (Jehovist und Elohist), in denen allerdings auch das Bundesbuch Platz gefunden hatte, so wurden nunmehr (vor oder zugleich mit dem Erscheinen des Deuteronomiums) diese beiden Geschichtsbücher mit dem Deuteronomium zu einem Ganzen verbunden, welches für das Volk Israel der Anfang feiner heiligen Schrift wurde. Aber dabei wurden nun die älteren Erzählungen nicht bloß zusammengestellt,

*) Eine ausführliche Darstellung dieser neuen Gesetzgebung findet der Lehrer bei Wildeboer, Die Litteratur des A. T. (1895) § 11, 3.

sondern auch zum Teil im Geiste des Deuteronomiums umgestaltet, so daß man den Geist dieses Buches auch in anderen Teilen des Hexateuchs wahrnehmen kann. Wenn aber im Hexateuch auch noch eine andere Überarbeitung der alten Ge­ schichten (int Geiste der Priesterschrist) wahrzunchmen ist, so sind dagegen die Bücher der Richter, Samuels und der Könige säst ausschließlich im Geiste des Deute­ ronomiums gehalten oder überarbeitet?) Daß nun die historischen Bücher int Sinne des Deuteronomiums umgestaltet oder alsbald geschrieben wurden, ist gar wohl zu begreifen. Da die Geschichtsbücher des Volkes Israel nicht wissenschaftlichen Zwecken dienten, sondern dazu geschrieben wurden, um das Volk in der Frömmigkeit zu fördern, so wurde in denselben nach dem Maßstabe des Deuteronomiums die Vergangenheit des Volkes beurteilt. Nach diesem Gesetz mußte aber des Volkes Thun verurteilt, mußte sein Untergang als eine Folge seiner Sünde dargestellt werden, durfte ihm eine Hoffnung aus eine bessere Zukunst nur dann in Aussicht gestellt werden, wenn es das Gesetz Gottes halte. Inwieweit diese Geschichtsbetrachtung berechtigt ist, ist anderwärts gezeigt worden?)

56. (45 B.) Das Priestergesetz. a.3* )2 Wenn man nun das Gesetz des Bundesbuchs und das des Deuterono­ miums aus dem Pentateuch ausscheidet, so bleibt noch eine Gesetzgebung übrig, welche sich nach Inhalt und Ausdruck deutlich von den anderen Gesetzgebungen des Pentateuchs sondert, das Priestergesetz. Dasselbe ist enthalten in der sog. Priesterschrist, über deren Umfang gegenüber den andern Quellen des Penta­ teuchs unter den Gelehrten eine fast vollständige Übereinstimmung herrscht. Diese

Gesetzgebung umfaßt 2. Mose 12, K. 25—31, K. 35—40, sodann 3. Mose ganz und die meisten Gesetze im 4. Buch. Der Name „Priesterschrift" ist durchaus treffend, da vornehmlich in dieser Schrift das Ceremonialgesetz enthalten ist, und da auch die in ihr enthaltene Geschichte wesentlich vom priesterlichen Standpunkte aus dargestellt ist. b. Wenn man nun in der älteren Zeit die Priesterschrist, mit welcher ja die Bibel beginnt (erste Schöpfungsgeschichte) und welche den Nahmen für die ganze Geschichtserzählung des Pentateuchs bildet, für die älteste Quellenschrift des Pentateuchs erklärte, so hat sich in der neueren Zeit das Urteil so sehr geändert, daß fast alle ATlichen Forscher, auch wenn sie sonst von Wellhausen abweichen, diese Schrift, namentlich auch die in ihr enthaltene Gesetzgebung, für den jüngsten Teil des Pentateuchs halten. Die Frage nach dem Alter der Priesterschrift und der Priestergesetzgebung ist nun bekanntlich in der neueren Zeit in den Vordergrund gerückt und zur brennenden Frage der Geschichtschreibung Israels, ja, der ganzen ATlichen Wissen­ schaft erhoben worden. Eine endgültige oder wenigstens allseitig anerkannte Lösung hat diese Frage aber noch nicht gefunden. Nach Balke, Graf, Wellhausen u. s. w. ist nämlich diese Schrift nicht, wie man früher annahm, die älteste Quellenschrift des Pentateuchs, sondern die jüngste, und ihr Ursprung datiert in ihren ersten Anfängen aus der exilischen, ‘) Dagegen repräsentieren die Bücher der Chronik, Esra und Nehemia die priesterliche Gesckichtschreibutm. 2) Vgl. oben Nr. 1 und Nr. 30. 3) Vgl. Kittel, Geschichte der Hebr. I, § 9b.

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56. (45B.) Das Priestergesetz.

in der Hauptsache aber aus der nachexilischen Zeit; Esra hat diese früher nicht vorhandene, sonder-n eben erst entstandene Schrift aus Babylonien milgebracht mrd zur Grundlage seiner Reformation gemacht, durch welche erst die eigentümliche, angeblich schon in der mosaischen Zeit vorhandene Frömmigkeit begründet worden ist. Wenn diese sogen. Wellhausensche Hypothese zuerst gar keinen Beifall gefunden hat, so ist dieselbe heute fast allgemein verbreitet. Trotzdem unterliegt dieselbe vielfachen Bedenken, welche ihr von anderen Forschern gegenübergestellt worden sind. Über diese Streitfrage der heutigen ATlichen Wissenschaft ist oben genauer

gehandelt worden;') hier soll nur das, was für die folgende Darstellung erforder­ lich ist, dargelegt werden. c. Wenn in der alten Zeit allerdings als geschriebenes Gesetz zuerst nur das Bundesbuch und dann das des Deuteronomiums vorhanden gewesen sind (wie Wellhausen mit Recht annimmt), nicht auch das Priestergesetz (wie die Theologen der älteren Zeit glaubten), und wenn die Priester ihre Funktionen ge­ wiß nicht aus einem Gesetzbuch sondern durch Überlieferung eileniten, die sich um

so leichter vererbte, als sie ja in der Regel vom Vater auf den Sohn überging, so ist damit doch nicht ausgeschlossen, daß nicht allmählich im Kreise der Priesterschast einzelne Aufzeichnungen über bestimmte Gesetzesgruppen entstanden, welche, auf dem Grunde der alten Überlieferung ruhend, doch naturgemäß dieselbe nicht in ihrer ursprünglichen, sondern in der im Lause der Zeit modificierten Gestalt darboten. Eine solche besondere Gesetzesgruppe ist vielleicht das sogen. Heiligkeits­ gesetz (3. Mose 17—26), welches den Israeliten zeigt, wie durch die Fordemng, daß sie heilig sein sollen, wie Jehovah, ihr Thun gestaltet lverden müsse. Auf Grund solcher einzelnen Aufzeichnungen ist, wie man glaubt, allmählich eine umfassende schriftliche Darstellung des Priestergesetzes entstanden, deren Abschluß zwar nicht erst nach dem Exil erfolgt ist (wie Wellhausen behauptet), aber doch erst nach dem Deuteronomium, während des babylonischen Exils?) „Ein dunkles Bewußtsein von dem Zeugnis der Geschichte, daß das Priestergesetz in der Zeit von Josua bis zum Exil nicht bekannt gewesen und nicht beob­ achtet worden ist, hat sich in der phantastischen Überlieferung erhalten, das Gesetz Mosis sei verloren gewesen und von Esra wiederhergestellt worden: in Wahrheit hat das Priestergesetz in der älteren Zeit nicht bestanden, sondern erst kurz vor Esra ist es entfamben, und erst durch Esra ist es zur Anerkennung gebracht worden"?) d. Daß nun diese ganze Gesetzgebung, obwohl sie doch nicht buchstäblich von Moses herstammt, dennoch im Pentateuch dem Moses zugeschrieben wird, ist nicht als eine unberechtigte Behauptung anzusehen. Auch die gottesdienstliche Gesetz­ gebung wurde im Volke Israel — und gewiß mit Recht — in ihrer Grundlage auf Moses zurückgeführt; daß aber eine Weiterentwickelung derselben ausgeschlossen gewesen wäre, oder daß dieselbe vom Schriftsteller als solche hätte bezeichnet werden müssen — das ist eine unberechtigte Forderung, welche das Wesen der biblischen wie aller alten Geschichtschreibung verkennt; dieselbe bezweckt nicht, wie schon oben dargelegt ist, eine wissenschaftliche Belehrung (die sie ja auch gar nicht hätte geben können), sondern eine „Unterweisung zur Gottseligkeit", auch hier, wo sie von den äußerlichen Forderungen des Gottesdienstes handelt.

') Vgl. Nr. 4. 2) So König; Kittel: c. 900—600; Dillmann: c. 800. 3) Smith-Rothstein, Das Alte Testament (1894), S. 259.

e.1) Welches ist nun der Inhalt dieser Gesetzgebung? Um seiner Sünde willen war das Volk Israel dem Untergänge anheimgesallen; das Volk war politisch vernichtet, aber das heilige Land und der heilige Gottesberg, auf welchem der Tempel gestanden hatte, waren nicht vernichtet; da erwachte nun die Hoffnung auf eine Wiederherstellung des Volkes in seinem Lande und auf eine Wiederherstellung des Kultus auf feinem heiligen Berge. Wenn nun trotz der Rückkehr des Volkes in das heilige Land ein natio­ naler Staat nicht hergestellt wurde, da das jüdische Volk den fremden Herrschern politisch Unterthan blieb, so wurde dagegen der Kultus Jehovahs wiederherge­ stellt, und so wurde die Wiederherstellung des Kultus die Hauptfrage der zurück­ kehrenden Exulanten. Der Kultus der nachexilischen Gemeinde wurde aber hauptsächlich eine Anstalt zur Sühne der Sünde, von welcher man sich seit dem Exil viel mehr als früher bedrückt fühlte; daher die vielen Opfer, die vom Priestergesetz gefordert und von den Juden mit großem Eifer dargebracht wurden. Aber noch wichtiger als der Gottesdienst ist für das Leben die cerimoniale Sitte, und hier machte nun das Priestergesetz das alltägliche Leben des Juden zu einer unablässigen Übung im Gehorsam gegen den Willen Gottes.

Auf Schritt und Tritt hat der Jude Cerimonialgebote zu erfüllen; ja, im fremden Lande, wo die Teilnahme am Kultus von Jerusalem unmöglich war, unterschied sich der Jude vom Heiden vornehmlich durch die cerimoniale Sitte. Unter den Cerimonialgesetzen spielen aber die größte Rolle das Sabbathgebot und die Beschneidung, welche in der späteren Zeit als die Hauptkennzeichen des Juden­ tums angesehen wurden. Das ganze Priestergesetz zielte also vornehmlich darauf hin, daß das jüdische Volk ein heiliges Volk werde; das ist es geworden durch strenge Absonderung von den Heiden und durch strenge Beobachtung der vielen Gesetze, welche ihm eine — freilich zunächst äußerliche — Heiligkeit sicherten. Heilig aber wird das Volk, indem es Jehovah als den Herrn alles Raums, aller Zeit, alles Besitzes und alles Lebens anerkennt. Da dies aber unmöglich ist, so begnügt sich Jehovah damit, daß ein Teil des Raumes und der Zeit, des Besitzes und des Lebens ihm zugewiesen wird. So ist denn, obwohl alles Land Jehovahs Eigentum ist, doch ein Ort sein besonderes Eigentum, die Stiftshütte mit der Bundeslade. Obwohl alle Zeit Gott heilig ist, so sind ihm doch besonders geweiht der Sabbath und die Feste. Obwohl aller Besitz Gottes Eigentum ist, so sind doch besonders ihm und seinen Stellvertretern, den Priestern, die Opfer und andere Gaben geheiligt. Obwohl alle Personen Jehovah angehören, so werden doch als sein besonderes Eigentum angesehen die Erstgeborenen, die Leviten und die Priester. So war also das ganze Leben des jüdischen Volkes getragen von dem Ge­ danken, daß es Gott geweiht sei, daß das Volk ein heiliges Volk sei. f.2)3 Wenn nun in der That, wie man gesagt hat, der Kultus das Interesse des priesterlichen Gesetzgebers so sehr in Anspruch nimmt, daß bei ihm die sittlichen Gebote hinter den cerimoniellen zurücktreten, so ist es doch zu viel gesagt, „daß ihm die Reinheit der Schüsseln mehr gegolten habe als die des Herzens."2) Er *) Vgl. Smend, ATliche Religionsgeschichte (1893), § 19; Kautzsch, Abriß der ATlichen Litteraturgesch. S. 178 e. 2) Wildeboer, Einl. S. 325e. 3) Reuß § 379.

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BCD.

57. Das Wesen der Gesetzesreligion.

verkennt durchaus nicht den selben noch etwas anderes Reinheit vor Gott bewahren Mittel, um von den täglichen

Wert der sittlichen Gebote, aber er will neben den­ geben, ein Opfersystem, welches das Volk in seiner sollte, als das von Gott in seiner Gnade verordnete (nicht mutwilligen) Übertretungen gereinigt zu werden.

Dagegen wird allerdings die große Frage „Wie wird der Sünder vor Gott gerecht?" in diesem Gesetz nicht beantwortet. Die Antwort auf diese Frage sucht der fromme Israelit, wie die Psalmen bezeugen, in dem prophetischen Worte, aus welchem er erkennt, daß es Gottes Gnade allein ist, welche die Sünde tilgt, und daß man allein durch Gottes gnädigen Ratschluß zum Volke Gottes über­

haupt gehört. g. Wenn sodann die Propheten, und gerade auch während des Exils der zweite Jesaias, immer wieder darauf hingewiesen hatten, daß der Gott Israels auch der Gott der Heiden werden solle, so ist diese Hoffnung zunächst nicht er­ füllt worden; zunächst nach dem Exil hat sich Israel vielmehr — und zwar wesent­ lich infolge des Priestergesetzes — gerade von den Völkern schärfer abgesondert, als jemals vorher; durch die von diesem Gesetz geforderte Heiligkeit des Volkes mußte ja die Kluft zwischen dem jüdischen Volke und den Heiden noch erweitert werden. Aber diese Absonderung von den andern Völkern war notwendig, wenn die Religion Israels rein erhalten werden sollte. h. Die durch das Priestergesetz eingeführte Ordnung des Lebens ging mm den Juden so sehr in Fleisch und Blut über, das; das spätere Judentum völlig unzugänglich war für die Versuchungen zum Heidentunr abzufallen, welche für die Vorfahren so verlockend gewesen waren. Das war eine Folge des Priestergesetzes, ohne welches sich die zurückgekehrten Juden in der Völkerwelt ebenso verloren haben würden, wie die zehn Stämme im Exil verschwunden sind. Ohlre das Judentum aber auch kein Christentum — so war also das Priestergesetz von großer Bedeutung auch für die Entstehung des Christentums.

BCD. 57. Das Wesen der Gesetzesreligion.') Nicht um seiner äußeren Geschichte, sondem um seiner Religion willen ist das Volk Israel für uns von Bedeutung^ seine Religion ist nämlich, nachdem sie durch Moses begründet und durch die Propheten weiterentwickelt worden ist, die Grundlage des Christentums geworden. Im folgenden soll nun diese Religion in derjenigen Form, welche sie durch Moses erhalten hat, dargestellt werden. Dieser Abschnitt, welcher die Religion Israels in ihrer durch Moses begründeten gesetzlichen Form, die Gesetzesreligion, darstellt, zerfällt aber in drei Hauptteile. Im ersten Teil wird die Begründung der Gemeinschaft mit Gott dargestellt; Moses, als der Begründer des Glaubens an Jehovah, als Mittler des Bundes mit Gott, als Urheber des Gesetzes, wird hier dargestellt. Der zweite Teil zeigt, wie Gott mit dem Volke Israel in Gemeinschaft tritt, indem er in diesem Volke herrscht als sein König, wie er sich gegenwärtig zeigt in seinem Heiligtum, und wie er dem Volke nahekommt an den von ihm einge­ setzten Festen. Der dritte Teil zeigt, wie das Volk mit seinem Gott *) Zusammenfassung der folgenden Abschnitte für den Schüler; derselbe wird sich aber diesen Überblick erst dann einprägen können, nachdem der ganze Abschnitt durchgenommen worden ist.

in Gemeinschaft tritt. Israel ist ein heiliges Volk; aber es tritt mit seinem Gott nicht in eine unmittelbare, sondern in eine durch Priester und durch Opfer vermittelte Gemeinschaft. Drei Hauptgedanken sind es also, die uns in jedem der drei Hauptteile dieses Abschnitts entgegentreten, zuerst: Name Gottes, Bund Gottes, Gesetz Gottes; sodann: Gottes Gegenwart in Israel, das Heiligtum Gottes, die Feste des Herrn; endlich: die Heiligkeit Israels, das Priestertum, das Opfer. Im folgenden soll nun die Gesetzesreligion nach der hier gegebenen Gliederung dargestellt werden.

B. Die Degründung der Gemeinschaft mit Gott.

58. (29.) Der Gott Israels und sein Name. „Ich bin erschienen Abraham, Isaak und Jakob, daß ich ihr allmächtiger Gott sein wollte; aber mein Name Herr (Jehovah) ist ihnen nicht geoffenbaret worden." 2. Mose 6, 3. 2. Mose 3, 13—15. 6, 2—8. 33, 11—23. 34, 1—7 u. V. 29—35. 5. Mose 4, 15 — 19. a. Da schon die Stammväter des Volkes Israel nur einen Gott angebetet hatten, so hat die Bedeutung Moses' für den Glauben Israels nicht darin bestanden, daß er sein Volk von der bis auf seine Zeit be­ stehenden Verehrung vieler Götter zu der Verehrung eines Gottes ge­ führt hat; die „anderen Götter", denen zu dienen er seinem Volke ver­ bietet, sind zunächst und vornehmlich die Götter der Ägypter, zu denen

Israel abzufallen in Gefahr war, aber im ganzen doch nicht abgefallen war. Moses hat seinem Volke auch nicht einen neuen Gott anstatt des bisher von ihren Stammvätern verehrten Gottes veMndigt, sondern er hat den alten Gott der Stammväter des Volkes Cntf --- der all­ mächtige Gott), dem viele untreu geworden waren, aufs neue gepredigt, allerdings unter einem neuen Namen (mm). Dem neuen Namen entsprach nun freilich auch ein neuer und tieferer Inhalt des Gottes­ begriffs, und dieser neue Inhalt seines Gottesglaubens macht Moses zum Religionsstister; der Gott der Patriarchen war vornehmlich der all­ mächtige Gott; der Gott des Moses ist auch der heilige Gott.') Trotzdem aber war es der Gott der Väter, in deffen Auftrage er auf­ trat, d. h. der Gott, der auch schon vor Moses der Gott Israels ge­ wesen war. Bon diesem Gotte sind allerdings viele Israeliten in allen Zeitaltern seiner Geschichte immer wieder abgefallen, aber das war eben ein Abfall von ®ott,*2) gegen den die frommen Propheten und Könige immer aufs neue gepredigt und gewirkt haben. Dagegen war nach der Rückkehr aus dem Exil die Neigung zum Götzendienst aus dem Volke für immer verschwunden — wohl gerade auch infolge seiner nahen Berührung mit dem Götzendienst seiner Dränger; seit dem Exil wird nur noch der eine Gott von den Juden verehrt; „sie eifern um Gott, wenn *) Aber in dem Namen „Jehovah" ist der Begriff der Heiligkeit nicht enthalten. 2) Vgl. den Abfall von Gott zu den Heiligen in der kath. Kirche!

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58. (29.) Der Gott Israels und sein Name.

auch mit Unverstand" (Röm. 10, 2) — so sagt der Apostel Paulus von Israel in demselben Briefe, in welchem er (K. 2 und 3) die Sünde des Volkes so ernst gerügt hatte. b. Als den Ewigen (Jehovah) hatte Gott sich dem Moses geoffenbart, freilich auch nicht in sichtbarer Gestalt, denn „Gottes Angesicht kann man nicht sehen" (2. Mose 33, 23), aber doch so „wie ein Mann mit seinem Freunde redet" (33, 11), und eine neue Gotteserkenntnis hat sich aus dieser Offenbarung entwickelt. Mit dem Namen Jehovah (Jahveh) tritt der Gott Israels nicht bloß den Göttern der heidnischen Völker, sondern der ganzen Welt gegenüber. Die Welt ist wandelbar und abhängig, Gott ist unveränderlich und unabhängig; er allein kann mit Recht von sich sagen: „Ich bin, der ich bin." Dieser Gott ist nun ein lebendiger Gott, der sich nicht bloß als Naturkraft (wie die heidnischen Götter), sondern auch als in der Geschichte waltend (durch die Erlösung Israels aus Ägypten) geoffenbart hat. Und der lebendige Gott ist der Bund esgott Israels; aber erst seit Moses besteht dieser Bund Gottes mit Israel; daher heißt es, daß sein Name Jehovah erst durch Moses den Israeliten bekannt geworden sei (2. Mose 6, 2—9). Eine Offenbarung Gottes in der Geschichte setzt aber sittliche Zwecke voraus, zeigt also Gott als eine sittliche Macht (nicht als bloße Naturkraft), welcher sich gegen die Frommen anders verhält als gegen die Gottlosen (2. Mose 20, 5 s. und 34, 6 s.); für jene hat er Liebe, gegen diese Eifer. Der Gott Israels ist also eine sittliche Macht, ein heiliger Gott. Wenn aber Jehovah schon darum ein heiliger Gott ist, weil er von allen andern Wesen ge­ schieden ist, so ist er doch besonders darum heilig, weil er im Gegensatz steht zu den sündigen Menschen, gegen die sich sein Eifer strafend wendet (2. Mose 20, 5). Und als der Heilige giebt er nun seinem Volke ein Gesetz, durch welches dasselbe heilig werden soll, wie sein Gott heilig ist. So ist also der Gott Israels von den Göttern der Heiden wesent­ lich verschieden, und der Israelit darf keinen andern Gott anbeten, als Jehovah. c.1) Wenn die israelitische Religion von der Religion der andern Völker so sehr verschieden ist, so muß natürlich auch der Gottesbegriff des israelitischen Volkes von dem der andern Völker verschieden sein. Worauf beruht diese Verschiedenheit des Gottesbegriffs der Israeliten von dem der andern Völker? Auch das israelitische Volk hat, wie man annehmen darf, nicht von vornherein denjenigen Gottesbegriff gehabt, den wir später bei ihm finden; auch in dieser Religion ist eine Entwickelung des Gottesbegriffs wahrzunehmen. Auch im Volke Israel oder vielleicht richtiger in dem Urvolke der Semiten waren es zunächst imponierende Naturerscheinungen, welche die Ahnung des Gött­ lichen Hervorriesen, besonders auch das im Morgenlande noch viel mehr, als bei uns, majestätisch austretende Gewitter. Auch Jehovah, der noch später so oft mit dem Gewitter in Verbindung gebracht wird, könnte ursprünglich (wie der Zeus der Griechen) ein Gewittergott gewesen fein.2) Aus diesem Ursprünge der Gottesidee wäre es zu erklären, daß die alte Zeit auch bei den Israeliten Gott vomehmlich als den Allmächtigen betrachtet hat.

*) Nur für den Lehrer. 2) Die 2. Mose 3 gegebene Etymologie dieses Gottesnamens wäre dann aller­ dings wissenschaftlich nicht ausrechtzuerhalten, sondern als Volksetymologie anzusehen.

Wenn man nun aber fragt, woher es gekommen sei, daß dieser Gott (von dem man, wie bei allen andern Völkern, natürlich zunächst irdische Güter erwartete) allmählich zu einem heiligen Gotte geworden sei (der dem Menschen nicht bloß irdische Güter giebt, sondern auch sittliche Forderungen an ihn stellt), und zwar in einem so hohen Grade, wie bei keinem andern Volke (und auch so hohe sittliche Forderungen stellt, wie bei keinem andern Volke), so wird diese Frage von den heutigen Forschern noch in zweifacher Weise beantwortet. Während die einen glauben (Wellhausen), daß diese Vertiefung des Gottesbegriffs erst allmählich unter dem Einfluß besonders beanlagter Persönlichkeiten, und zwar wesentlich erst durch die Propheten des 8. Jahrhunderts, belvirkt worden sei, glauben andere (und wohl mit Recht), daß dieselben wesentlich bereits durch Moses auf Grund der ihm zu teil gewordenen Offenbamng bewirkt worden sei.0

d. Wenn nun auch der Gott Israels von vornherein höher steht, als die Götter der Heiden, so steht doch, wie die ganze Offenbarung des A. T., auch die Predigt des A. T. von Gott noch nicht auf der Höhe des N. T. Zwar nur einen Gott betet der Israelit an, aber daß es auch wirklich nur einen Gott giebt, das haben erst die Propheten allmählich erkannt; das Volk sah zunächst in den anderen Göttern ebenfalls exi­ stierende Wesen, und nur für Israel hatten dieselben keine Bedeutung; die Einzigkeit Gottes ist zuerst ausgesprochen 5. Mose 6, 4: „Jehovah, unser Gott, ist ein einziger Jehovah", und diese Stelle ist das eigent­ liche Glaubensbekenntnis des späteren Judentums geworden. Daß Gott über der Welt stehe, war auch dem Israeliten unzweifel­ haft; aber das Volk dachte doch Gott in vieler Hinsicht noch recht mensch­ lich, und erst allmählich sind diese Schranken der Gotteserkenntnis über­ wunden worden. Gott ist zwar dem Menschen nicht ferne, aber , doch eigentlich nicht allgegenwärtig; er ist im Paradiese, er thront auf dem Sinai, er wohnt in der Stiftshütte, im Tempel, in Jerusalem; daß man weder nach Jerusalem noch nach Garizim zu gehen brauche, um recht zu beten, hat das A. T. noch nicht deutlich verkündigt. Daß Gott gerecht sei, weiß auch das A. T.; aber daß der gerechte Gott sogar das Volk Israel vertilgen könne, nicht bloß die Heiden, haben erst die Propheten*2) zum großen Ärger des Volkes gepredigt, und die Erfahrung hat ihre Predigt bestättgt. Daß der gerechte Gott auf Erden nicht jedem vergilt nach seinem Thun, sondern daß der Fromme unglücklich und der Gottlose glücklich sein könne — dies Problem des Buches Hiob war so lange nicht zu lösen, als der Glaube an die Auferstehung fehlte. Daß Gott nicht bloß gerecht, sondern auch gütig sei, war auch dem A. T. bekannt; aber daß Gott ein Vater sei nicht bloß des ganzen Volkes, sondern auch jedes einzelnen Menschen, das ist erst im N. T. deutlich verkündigt worden. So stand Israels Glaube an Gott zwar hoch über dem Glauben der Heiden, aber erst im Neuen Testament ist eine auch unser Denken befriedigende Predigt von Gott zu finden. *) Vgl. über diese Frage: Sellin, Beiträge zur israelitischen und jüdischen Religionsgeschichte, Heft I, 1896. 2) Die ältere Zeit hatte zu dieser Predigt allerdings auch noch keinen Anlaß.

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59. (30.) Der Bund Gottes mit dem Volke Israel.

e.0 Für seinen Gott hat nun das Volk Israel auch einen besonderen Namen; während andere Gottesnamen auch von anderen Göttern gebraucht werden, kommt dieser besondere Name nur dem Gotte Israels zu. Dieser Name wird aber von den Christen seit dem 16. Jahrhunderts Jehovah^) ausgesprochen, von den Gelehrten Jahveh, von den Juden gar nicht, sondern dafür ein anderer Gottesname ausgesprochen, da sie schon in der nachexilischen Zeit (auf Grund der mißverstandenen Stelle 3. Mose 24, 16) zu der Meinung kamen, dieser heilige Gottesname dürfe, um ihn vor Entweihung zu schützen, nicht ausgesprochen werden. So kennen wir denn zwar die Konsonanten dieses Gottesnamens: (IHv h), aber nicht die Aussprache desselben.") Die Juden sprechen dasür meist Adonaj (^*in) und setzen infolgedessen beim Schreiben die Vokale dieses Wortes unter die Konsonanten des ersteren Wortes (abgesehen von dem ersten Vokal), sodaß es scheinbar m rn (Jehovah) lautet, wie die Christen fälschlich (aber erst seit dem 16. Jahrhundert) sprechen. Wenn aber Adonaj in demselben Satze dabei steht, so fprechen sie dasür QinbN (Elohim) und nun wird nirp (Jehovih) geschrieben, aber (hoffentlich, da es eine Unsorm ist) nicht gesprochen. Die Gelehrten nehmen heute an, daß dieser Name m n? (Jahveh) zu sprechen sei (Jmperf. Kal von dem alten Verbum nm — mn sein). Als nämlich Mose (2. Mose 3, 13) Gott nach seinem Namen fragt, da sagt dieser rnnx Ity’N nyiN (Ich bin der ich bin — vgl. Off. Joh. 1, 4 u. 4, 8: 6 ^Partie, fehltxal 6 fyzoftevog), und du sollst sagen: .t>Hn hat mich zu euch gesandt; indem Moses dann die 1. Person in die 3. Person'umsetzt, sagt er: miT hat mich zu euch gesandt. Gewöhnlich deutet man den Namen als „der Seiende", wofür in gelehrten Schriften meist „der Ewige" gesagt toirb.5) Nach 2. Mose 6, 3 hat die vormosaische Zeit diesen Gottesnamen noch nicht gekannt (oder wenigstens nicht gebraucht); der Gott der Patriarchen heißt, wie oben bemerkt '•'W btt. Woher nun aber dieser neue Gottesname stammt, und wie Moses auf diesen Namen gekommen ist, das ist noch unsicher.o)

59. (30.) Der Bund Gottes mit dem Bölke Israel. „Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein." 3. Mose 26,12. 2. Mose 19, 1—20 und 24, 1—8. 5. Mose 4, 23—40. K. 29. 3. Mose 26. Josua 1, 1—9. 24, 1—28. Richter 2, 6—13.

a. Durch Moses ist nicht nur die Religion der Patriarchen in ihrer Reinheit wieder hergestellt und von allem Einfluß der ägyptischen Religion 0 Über die hebräischen Gottesnamen vgl. Dillmann, ATliche Theologie § 23, H. Schultz, ATliche Theologie § 27. 2) Der italienische Beichtvater Papst Leos X., Galatin, hat die Form „Jehovah" zum echenmal gewagt; Luther sagt in der Bibel stets „Herr", wie schon in der griechischen Bibel „xvqloq“ (Herr) als Übersetzung dieses Namens gebraucht wird. 3) Ich schreibe (gegen Kuenen, Volksrel. und Weltrel. S. 307, Anm. 1) durchgehends Jehovah uno Jahveh (mit h am Ende), obwohl das h am Ende nicht ausgesprochen wird noch werden darf, um dem Worte die Vierzahl der Konsonanten zu erhalten, und um bei „Jahveh" das e nicht (für den des Hebräischen Unkundigen) zu einem tonlosen deutschen e werden zu lassen. Auch ist diese Schreibung vorzuziehen, um der in gelehrten Büchern vorkommenden Schreibweise „Jhvh" näher zu bleiben. 4) Das Hebräische wird in der alten Zeit ohne Vokale geschrieben; vgl. Nr. 6. 5) Erne dichterische Verkürzung dieses Gottesnamens ist h-1 (Jah), z. B. Hallelujah d. .h. Lodet den Herm. T 6) Im Ägyptischen giebt es eine entsprechende Bezeichnung Gottes: anuk pa anuk = Ich bin Ich; was aber Schiller in seiner „Sendung Mosis" sagt, ist falsch.

befreit worden, sondern Moses hat auch den Grund zu einer neuen Ge­ stalt dieser Religion (der Gesetzesreligion) gelegt. Man würde aber seine Religionsstiftung falsch auffassen, wenn man glaubte, daß er diese Religion vornehmlich, wie die späteren Propheten, durch die Predigt, durch die Verkündung neuer Religionswahrheiten gestiftet habe. Moses war zwar ein großer Prophet; dies Bewußtsein, welches er selber von seiner Stellung zu Gott, und welches seine Zeitgenossen darüber hatten, war wohlbegründet; aber nicht durch die Predigt hat Moses seine Religion gestiftet, sondern vornehmlich durch die großen Thaten, die er vollbracht hat: einerseits durch die Erlösung Israels aus Ägypten und seine Führung nach Kanaan, andrerseits durch die Bundschließung und die Gesetzgebung am Berge Sinai. b. Mit dem Volke Israel, welches sich Jehovah durch die Erlösung aus Ägypten zum Eigentum erworben hatte (2. Mose 19, 5), hat nämlich

Gott am Berge Sinai durch Moses einen Bund geschlossen. Durch die Erlösung aus Ägypten war der Glaube des Volkes gestärkt und die Willigkeit zum Gehorsam gegen Gott erhöht worden. Moses legte nun dem aus Ägypten erlösten Volke die Forderungen Gottes vor, welche es erfüllen müsse, um mit Gott in einen Bund zu treten, und das Volk ver­ sprach, denselben nachzukommen. Der Bund beruht also zunächst auf Gottes Entgegenkommen, aber allerdings auch auf Israels freiem Willen; er ist vor allem eine That Gottes, aber Israel muß „in den Bund ein­ treten" (3. Mose 29, 12). Die Bundschließung erfolgte nun, wie über­ haupt im Altertum (nicht bloß bei den Israeliten) unter der Darbringung eines Opfers (2. Mose 24, 4—5), durch welches Gott zum Zeugen des Bundes gemacht wurde; an das Opfer schloß sich oft auch eine Mahlzeit, welche ein Zeichen der Gemeinschaft zwischen den Bundschließenden war (so auch hier, natürlich ohne persönliche Teilnahme Gottes — 2.Mose 24,11). Eine ganz besondere Handlung bekräftigte außerdem den am Sinai geschlossenen Bund. Nachdem nämlich Dankopfer geschlachtet worden waren, wurde das aufgefangene Blut zur Hälfte in Becken gethan, zur Hälfte an den Altar gesprengt. Nachdem sich darauf das Volk verpflichtet hatte, den Bund mit Gott zu halten, wurde es aus den Becken mit der zweiten Hälfte des Blutes besprengt mit den Worten: „Das ist das Blut des Bundes, den der Herr mit euch macht auf Grund aller dieser (im Bundes­ buche ausgezeichneten) Worte." Das Blut war in zwei Hälften geteilt worden, um auf die beiden bundschließenden Teile hinzuweisen; das Volk wird mit dem Blute besprengt, um dadurch seine Gemeinschaft mit Gott anzudeuten, denn die Verwandtschaft unter den Menschen beruht ja auf der Gemeinschaft des Blutes. Diese Form der Bundschließung ist sonst im A. T. nicht angewandt worden; daß sie wiederkehrt im N. T. (beim heiligen Abendmahl, der Erinnerungsfeier an die Stiftung des Neuen Bundes), ist bekannt. c. Die Idee der Bundesgemeinschaft zwischen Gott und Israel ist nun die Hauptidee der Alttestamentlichen Religion. Durch die Berufung Abrahams und die Lebensführung der Patriarchen vorbe­ reitet, wird der Bund Gottes mit dem Volke Israel auf Grund der Er­ lösung aus Ägypten in der Gesetzgebung am Berge Sinai geschloffen, als

ein Bund, dessen Wesen am einfachsten und

deutlichsten bestimmt wird

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59. (30.) Der Bund Gottes mit dem Volke Israel.

durch das Wort: „Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein" (3. Mose 26, 12). Als seinen Gott hat nämlich Israel Gott kennen gelernt vor allem in der Ausführung aus Ägypten; diese Erlösung ist die grundlegende Offenbarung seiner Gottheit für Israel; daher heißt es im Zehngebot mit Recht: „Ich, der Herr, bin dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, dem Diensthause, geführt habe" (2. Mose 20, 2); diese Erlösungsthat Gottes nimmt für den Israeliten dieselbe Stellung ein, welche für den Christen das Erlösungswerk Christi einnimmt. *) Dem erlösten Volke hat nun Gott am Berge Sinai sein Gesetz gegeben, er hat ihm das Land Kanaan zum Wohnsitz gegeben, und er waltet fortan als König in seiner Mitte, der durch auserwählte Organe sein Volk regiert. Israel ist aber als Gottes Eigentum ein Königreich von Priestern (Luther: ein priesterlich König­ reich) und ein heiliges Volk (2. Mose 19, 4—5). Das Volk sollte nicht bloß äußerlich und innerlich makellos, sondern auch heilig sein, wie Gott heilig ist (3. Mose 19, 2), und sein ganzes Leben sollte in allen Be­ ziehungen, in Religion und Sittlichkeit, im Familien- und im Staatsleben von Gottes Gesetz bestimmt werden. Gottes Volk ist aber Israel nur, wenn es Gottes Gebote hält; wenn es gottlos ist, so hat es die strengsten Strafen von Gott zu erwarten. Gott wird allerdings sein Volk nicht für immer verstoßen (3. Mose 26, 44s); er wird es nur züchtigen, damit es sich bekehre, und dann ist die Bundesgemeinschaft wieder hergestellt. d. Aber die Wirklichkeit hat der Idee zunächst und für lange Zeit nicht entsprochen; die Grundgedanken der Bundesgemein­ schaft sind doch nicht sofort vom ganzen Volke, sondern nur von einzelnen Männern völlig erfaßt worden. Aber doch schon Moses selbst hat es erreicht 2), daß die Grundgedanken seiner Religionsstistung in der Ordnung eines Gottesdienstes, welcher an die Bundeslade und die Stiftshütte sich anschloß, in der Einführung des Aaronitischen Priestertums und in der Sabbathfeier zur Geltung kamen. Ms Josua das heilige Land erobert hatte, wurde das Nationalheiligtum, die Stiftshütte, in Silo aufgestellt (Jos. 18,1); aber neben demselben gab es von alter Zeit her noch viele andere heilige Stätten, an welchen die Kanaaniter ihren Gott Baal ver­ ehrten, wo nunmehr die Israeliten Jehovah anbeteten. Aber als nun auch Josua tot war und alle seine älteren Zeitgenoffen, die noch die großen Werke des Herrn an Israel gesehen hatten, da kam ein anderes Geschlecht auf, das den Herrn nicht kannte, und nun verließen viele Israeliten den Gott ihrer Väter und dienten den Göttern der Kanaaniter (Mchter 2, 6—12). Zwar immer wieder fand die wahre Religion Ver­ treter, besonders in den Richtern, welche Gott gegen die Kanaaniter unter den Israeliten erweckte; aber selbst unter den damaligen Frommen wurde der Bilderdienst üblich und manche andere altüberlieferte, aber vom Gesetz verbotene Übung wieder ausgenommen; lesen wir doch sogar von einem Menschenopfer (Richt. 11, 31)!

') Wir lassen deshalb in unserm Katechismus mit Recht die Worte von der Erlösung aus Ägypten weg; wir müßten dafür von dem Erlösungswerke Christi sprechen. 2) Gegen Gras, Reuß und Wellhausen.

60. (31.) Das Gesetz GotteS.

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e. So ist also das Gesetz Mosis, soweit es damals überhaupt schon vorhanden war, in der nächstfolgenden Zeit zwar nicht ganz vergessen, aber auch nicht allgemein beobachtet worden; die mosaischen Überlieferungen wurden vornehmlich in dem Heiligtum in Silo bewahrt, und auf der Grundlage der altmosaischen Ordnungen hat sich dann in der späteren Zeit die Gesetzgebung weiter entwickelt, und diese weiter entwickelte Ord­ nung hat später (zuerst im Gesetz des Deuteronomiums, dann im Priester­ gesetz) ihre Aufzeichnung und unter Josia (621, das Deuteronomium) und unter Esra (444, das Priestergesetz) ihre Anerkennung gefunden. Erst seit Esra war das ganze mosaische Gesetz bekannt und anerkannt.

60. (31.) Das Gesetz Gottes. „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig, der Herr, euer Gott." 3. Mose 19, 2. 5. Mose 4, 5-14 und 32-40. 2. Sam. 7, 23—24. Ps. 19. Röm. 2, 17-29. Röm. 7, 7-25. Matth. 23, 4. 11,28—30. Gal. 4, 4 - 5. 3, 24.

a. „Ich bin heilig, der Herr (Jehovah), euer Gott" — als solchen Gott hatte sich der Herr durch Moses in Israel offenbart (3. Mose 19, 2), und das war und blieb seitdem der Glaube Israels. Wenn nun Israel mit diesem Gotte in eine Bundesgemeinschaft trat, so mußte es eben­ falls heilig werden. Aber wenn das Volk Israel heilig sein sollte, wie Gott heilig ist, so mußte ihm auch gesagt werden, was es zu thun und zu lassen habe; das geschah im Gesetz, welches dem Volke Israel durch Moses gegeben wurde. Was nun Israel an seinem Gesetz hatte, das hat die Bibel selbst immer aufs neue ausgesprochen; ein göttliches Licht hat in der That dem Volke Israel in seinem Gesetze geleuchtet, herrlicher als alle Gesetzgebungen der Heiden, erst übertroffen von der Predigt dessen, der da gekommen war, um dies Gesetz auch nicht aufzuheben, sondern zu erfüllen. Das wahre Wesen Gottes wie auch die wahre Frömmigkeit und Sittlichkeit des Menschen war im Gesetz Mosis im Princip verkündet, wenn auch freilich noch nicht alle Grundsätze des Gesetzes schon damals sofort zur Geltung und Ausführung gebracht werden konnten.

b. Aber das Gesetz und die Frömmigkeit nach dem Gesetz haben allerdings auch noch ihre Schranken.

So wendet sich das Gesetz zunächst nur an das eine Volk Israel, um dies Volk zu wahrer Frömmigkeit zu führen; aber schon das Gesetz, noch deutlicher aber die an das Gesetz sich anschließende Predigt der Pro­ pheten, läßt allmählich immer deutlicher erkenne«, daß das Gesetz Gottes für alle Völker bestimmt sei. Der Bund Gottes war sodann im Gesetz ein Verhältnis des ganzen Volkes zu Gott, wogegen das Verhältnis des einzelnen Menschen zu Gott noch zurücktrat; erst im Prophetismus tritt dieser Gedanke mehr hervor. Obwohl sodann schon das Gesetz Furcht und Liebe gegen Gott als das Princip der Frömmigkeit betrachtet, so

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60. (31.) Das Gesetz Gottes.

stehen doch im Gesetz die einzelnen Gebote noch unvermittelt neben ein­ ander, ohne dem höchsten Gebote der Liebe zu Gott und den Brüdern untergeordnet zu sein. Eine Unterscheidung von Sitten-, Ceremonial- und Staatsgesetzen wird nämlich zwar von uns gemacht, um zu bestimmen, was vom mosaischen Gesetze bleibende Bedeutung habe; aber in der Gesetzgebung selber wird diese Unterscheidung nicht gemacht; hier werden die verschiedensten Gebote neben einander und die ungleichwertigsten (Ceremonialgesetze und Sittengesetze) einander gleichgestellt und ihre Übertretung mit gleich strengen Strafen bedroht. Erst auf einem höheren Standpunkte, der aber schon im Gesetz angedeutet (5. Mose 30, 11 — 14) und in den Propheten deutlich ausgesprochen ist (Jer. 31, 33), wird anerkannt, daß vor allem das Herz des Menschen für Gott gewonnen werden, und daß aus diesem die wahre innere Frömmigkeit ohne Zwang hervorgehen müsse. Ferner hat das Gesetz für den Gottesdienst viele äußere Gebräuche und Ordnungen vorgeschrieben, so daß das Volk leicht in totem Werkdienste die wahre Frömmigkeit erblicken konnte. Aber ohne äußeren Gottesdienst kann eine Volksreligion, auch das Christentum, nicht bestehen.

Um nun die Befolgung des Gesetzes zu sichern, waren schwere Strafen für den Gesetzesübertreter festgesetzt; aber trotzdem waltet doch im mosai­ schen Gesetz eine unverkennbare Humanität. Daß im Gesetz für nach unserer Meinung staatliche Dinge religiöse Strafen festgesetzt sind, weil Staat und Religion nicht von einander getrennt sind, ist richtig; die Be­ einflussung der Staatsgesetzgebung durch die äußere Kirchengewalt (in Is­ rael, wie in der katholischen Kirche) ist zwar vom Übel; aber auch unser Staat will ein christlicher Staat sein, indem er seinen Ünterthanen mehr als Gerechtigkeit sichert (vgl. die neuere Socialgesetzgebung). c. So hat das Gesetz Mosis schon die höchsten Jdeeen ausgesprochen oder wenigstens angedeutet, aber noch nicht verwirklicht; das ist die Aufgabe des Christentums, allerdings auch noch heute seine noch nicht gelöste Aufgabe. Zur wahren Frömmigkeit konnte nämlich das Gesetz die Menschen noch nicht führen, teils wegen seiner eigenen Unvollkommen­ heit, teils wegen der für das Gesetz unüberwindlichen Macht der Sünde im Menschen (Röm. 7, 7—25); schließlich war sogar durch die Pharisäer aus dem Gesetz Gottes ein schweres Joch und eine unerträgliche Bürde geworden (Matth. 23, 4. 11, 28—30), weil sie sich nur an den Buch­ staben, nicht an den Geist des Gesetzes hielten. Aber als nun die Zeit erfüllet war, da sandte Gott seinen Sohn, auf daß er die, so unter dem Gesetz waren, erlösete, daß sie die Kindschast empfingen (Gal. 4, 4—5); aber es war für Paulus nicht leicht, die Christen zur Freiheit vom Gesetz zu führen. Der Erzieher (Zuchtmeister) aber zur Freiheit in Christus war das Gesetz (Gal. 3, 24), wie noch heute der Mensch nur durch die Unterwerfung unter die Autorität zur Freiheit sich entwickeln kann?)

*) Diesen Gedanken findet der Lehrer der Prima (für den Unterricht in der Philos. Propädeutik) trefflich entwickelt in der für die Schule sehr brauchbaren Ab­ handlung von Deinhardt: „Von der Entwickelung des Menschen zur Willenssreiheit" (Festprogramm von Bromberg 1867, wieder abgedruckt in Deinhardts kleinen Schriften 1869).

61. (32.)

Der Dekalog, das Grundgesetz des Bölkes Israel.')

2. Mose 20, 1—17. 5. Mose 5, 6—21. 3. Mose 19, 1—18 u. V. 30—37. 5. Mose 6. 7. 11. 22, 1—12. 23, 19—25. K. 24. 25, 1—4 u. V. 5—10 u. B. 13—16.

Das ganze Gesetz war Israels Freude und Stolz; aber als sein größtes Heiligtum galten die beiden Gesetzestafeln, welche in der Bundes­ lade aufbewahrt waren; auf diesen beiden Tafeln war nämlich das Grund­ gesetz des Reiches Gottes verzeichnet, welchem zu gehorchen Israel ver­ sprochen hatte. Die beiden Tafeln enthielten zehn Gebote (2. Mose 34, 28), den Dekalog; dieselben sind (nachdem die zerschlagenen Tafeln von Moses selbst erneuert worden waren) mit dem ersten Tempel zu Grunde gegangen; aber ihr Inhalt ist uns durch die Überlieferung erhalten worden. Da aber zwei Berichte den Dekalog wiedergeben (2. Mose 20 u. 5. Mose 5), welche nicht genau mit einander übereinstimmen, so ist es nicht möglich, die buchstäbliche Fassung des Dekalogs zu erkennen^); doch sind die Unter­ schiede sachlich unbedeutend und fast nur in den (wahrscheinlich nicht als ursprünglich anzusehenden) Erläuterungen der Gebote enthalten; der Haupt­ unterschied ist der, daß es im 5. Buch Mose nicht an erster Stelle heißt: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus", sondern „Weib", so daß also das 5. Buch Mose gegenüber dem 2. Buch Mose einen höheren Standpunkt in der Schätzung des Weibes einnimmt, welches nicht mehr einfach zum Eigentum des Mannes gerechnet, sondern demselben gegen­ übergestellt wird. Wie nun die zehn Gebote auf die beiden. Tafeln verteilt gewesen sind, ist nicht überliefert; weder die Katholiken und Lutheraner mit ihrer Teilung von drei und sieben, noch die Griechen und Reformierten mit ihrer Teilung von fünf und fünf Geboten können ihre Behauptung beweisen; aber wahrscheinlich ist die griechisch-reformierte Teilung des Dekalogs sachlich die richtige, ohne daß damit als sicher gelten darf, ddß die beiden Tafeln äußerlich diese Teilung gehabt haben. Nach der griechisch-reformierten Zählung zerfällt nämlich das Zehngebot in zwei Fünfgebote, von welchen das erste die Pflichten gegen Gott, das zweite die gegen den Nächsten enthält. Dagegen haben die Katholiken und die Lutheraner auf der ersten Tafel nur drei Gebote, indem sie das Verbot der Abgötterei und des Bilderdienstes in eins zusammenziehen, oder vielmehr das letztere weglassen, und das Elterngebot der zweiten Tafel zuweisen. Für die zweite Tafel gewinnen sie dann doch noch sieben Gebote, indem sie das zehnte Gebot in zwei Gebote zerlegen?) *) Der Lehrer vergleiche Dillmann, ATliche Theologie § 50 und 51, und H. Schultz, ATliche Theologie § 22. ’) Ebenso wenig wie beim Vaterunser und bei den Abendmahlsworten. 3) Aber Paulus (Röm. 13, 9) hat wohl von dieser Teilung nichts gewußt. — Die Katholiken folgen aber hierbei der Form von 5. Mose 5, indem sie als neuntes Gebot hinstellen: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib", während Luther, sich an 2. Mose 20 anschließend, als neuntes Gebot ausstellt: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus." — „Nur bei der Annahme des Textes von 5. Mose 5 hätte die Zweiteilung des Begehrverbotes einen Sinn." (Dillmann, Kommeniar zu 2. Mose 20.)

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61.

(32.) Der Dekalog, das Gmndgesetz des Volkes Israel.

Der Dekalog enthält also die Grundordnungen des religiösen und des sittlichen Lebens, und zwar in der Weise, daß (ebenso wie im Vater­ unser) die Religion der Sittlichkeit vorangestellt und dadurch als ihre Grundlage bezeichnet wird. Den zwei Geboten (Feiertag und Eltern) stehen aber acht Verbote gegenüber, da der natürliche Wille des Menschen dem Bösen zugeneigt ist und durch Gottes Gebote bekämpft werden muß. Die Gebote aber gebieten und verbieten fast sämtlich zunächst nur die äußere That, aber das letzte (vom Begehren) doch auch schon die böse Begierde; auch in der Gesetzesreligion gilt also doch schon die böse Begierde als sündlich und strafbar. b. Das Fünfgebot der ersten Tafel enthält aber folgende Gebote: 1. Auf die Anrede („Ich bin . . . habe*)') folgt das erste Gebot (2. Mose 20, 3), welches alle Abgötterei verbietet?) 2. Das zweite Gebot verbietet den Bilderdienst (2. Mose 20, 4—5a). An diese Gebote ist das angeschlossen, waS Luther nicht mit Unrecht als Schluß aller Gebote hingestellt hat. Diese Änderung Luthers hängt wohl auch damit zusammen, daß das Bilderverbot im katholischen und im luthe­ rischen Katechismus fehlt; die Katholiken konnten dasselbe nicht mehr brauchen, seitdem in der Kirche der Bilderdienst aufgekommen war; die Reformierten haben dasselbe wieder ausgenommen. 3. Das dritte Gebot verbietet den Mißbrauch des Namens Gottes zu schlechtem Zwecke.

4. Das vierte Gebot fordert die Feier des Sabbaths als den dem Volke Israel obliegenden Gottesdienst?) Moses hat also bereits eine gottesdienstliche Einrichtung für das Reich Gottes für nötig gehalten, aber bestimmte Kultushandlungen, z. B. Opfer, werden int Grundgesetz Is­ raels noch nicht gefordert. Wenn also später die Propheten den äußer­ lichen Kultus ihrer Zeitgenoffen bekämpften, und wenn im Christentum derselbe ganz weggefallen ist, so wird damit das Grundgesetz des Mosaismus nicht umgestoßen. 5. Das fünfte Gebot fordert Achtung und Ehre für die in der menschlichen Gesellschaft bestehenden Autoritäten, zunächst für die Eltern. Dieses Gebot ist der ersten Tafel zuzurechnen, die Eltern sind die Re­ präsentanten Gottes auf Erden, und die Pflicht sie zu ehren ist eine religiöse Pflicht; die Pflichten gegen Gott und die Eltern (wie auch gegen den König) sind im A. T. oft neben einander gestellt. c. Das Fünfgebot der zweiten Tafel wahrt die Heiligkeit des Lebens, der Ehe, des Eigentums und der Ehre des Nächsten, und verbietet endlich sogar das Begehren des Herzens nach dem Gute des Nächsten; aber man darf nicht übersehen, daß als Nächster damals doch nur der Volksgenosse galt, noch nicht jeder Mensch — das ist erst im Christentum gefordert und erreicht worden. *) Dieselbe betrachten die Juden als das erste Gebot, und das Verbot der Abgötterei und des Bilderdienstes werden dann als zweites Gebot zusammengefaßt. 2) Der Urtext ist vielleicht richtiger zu übersetzen: „Du sollst keinen anderen Gott haben neben mir" (Kautzschl. — Dab andere Götter überhaupt nicht existieren, ist hiermit noch nicht behauptet. 3) Über dies Gebot vgl. unten Nr. 65.

6. Das sechste Gebot sichert zunächst die Heiligkeit des menschlichen Lebens gegen Mord und Totschlag. Der Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen, und darum ist sein Leben und seine Freiheit heilig zu achten; das gilt vornehmlich für den Israeliten, aber in gewisser Be­ schränkung auch für den Ausländer. Zwar wird die Leibeigenschaft eines Israeliten nicht gänzlich verboten, aber durch das Gebot der Freilassung im Sabbath- oder im Jubel-Jahr^) eingeschränkt. Auch der fremde Sklave steht unter dem Schutze des Gesetzes, auch dem Kriegsfeinde gegenüber gelten Vorschriften der Menschlichkeit. 7. Das siebente Gebot sichert die Heiligkeit der Ehe und des auf ihr beruhenden Familienlebens. Zwar wird im mosaischen Gesetz die Poly­ gamie und die Auflösung der Ehe durch den Mann (wenn auch ein Ent­ lassungsschein für das Weib gefordert wird) noch nicht beseittgt; aber es wird doch der Willkür gesteuert. Der Ehebrecher wird mit dem Tode bestraft, die Ehe unter nahen Verwandten wird verboten, den Frauen und Jungfrauen gegen Frevel des Mannes Schutz zugesichert, die Mutter dem Vater gleichgestellt. 8. Das achte Gebot sichert das Eigentum; das Gesetz sucht sogar der Familie das Eigentum dauernd zu erhalten, indem es nur den Ver­ kauf der Ernten bis zum Jubeljahrs gestattet; dann soll der Besitz wieder der ftüheren Familie zufallen. 9. Das neunte Gebot verbietet, durch falsches Zeugnis des Nächsten Leben und Eigentum zu gefährden.

10. Das zehnte Gebot verbietet nicht bloß, Pläne zu fassen, um sich mit einem Schein des Rechtes das Eigentum des Nächsten anzueignen, sondern auch die auf diese Güter gerichtete böse Lust, als die innere und letzte Quelle des bösen Thuns?) d. Im Dekalog ist das Grundgesetz des Volkes Israel enthalten; die andern Gesetze können teils als eine Ausführung des Sittengesetzes im Dekalog betrachtet werden, teils sind sie die Staatsgesetze, welche die Beobachtung des Dekalogs erzwingen sollen, teils sind sie Religions­ gesetze, also eine Ergänzung und Weiterentwickelung des Sabbathgebots. Bon den letzteren kommt in den betreffenden Abschnitten des Buches das Wichtigste zur Darstellung; von den Sittengesetzen und den Staatsgesetzen sind unten (e) einige zusammengestellt zur Lektüre und Besprechung, soweit die Zeit dies gestattet.

Hier soll nur noch etwas genauer darauf hingewiesen werden, wie das ATliche Gesetz für die Armen gesorgt hat. Das mosaische Gesetz jeder Israelit einen Acker Es sollte nun möglichst einigung mehrerer Güter

geht (wie das des Lykurgus in Spatta) davon aus, daß besitzen soll, von ,dem er seinen Lebensunterhalt gewinnt. der Besitz in der Familie erhalten bleiben und die Ber­ in einer Hand verhindert werden. Wer aus Not sein

0 Vgl. Nr. 65. 2) Vgl. Nr. 65 und unten d. 3) „Die bloße Begierde als solche ist vielleicht im Deuteronomium verboten, nicht aber im Grundtext"; so H. Schultz, ATliche Theologie § 22, 1 fin.; da­ gegen, wie im Text, Dillmann, ATliche Theologie § 50a, welcher als eigentlichen Gegenstand dieses Verbotes das Begehren betrachtet. Heidrich, Heilige Geschichte. 14

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61. (32.) Der Dekalog, das Grundgesetz des Volkes Israel.

Erbgut verkaufen mußte, der sollte es doch im Jubeljahre,') welches alle 50 Jahre gefeiert wurde, wieder zurückerhalten,^) so daß sich also der Kaufpreis nach dem Werte der bis zum nächsten Jubeljahr noch zu erwartenden Ernten richtete. Um das Gut der Familie zu erhallen, ging dasselbe, wie es scheint, ungeteilt aus den Erstgeborenen über, neben welchem allerdings die anderen unversorgten Kinder als Mitbesitzer standen, die vom Ertrage des Gutes unterhalten wurden. Wenn der Besitzer starb, ohne einen Erben zu hinterlassen, so galt es als Pflicht des nächsten Verwandten des Verstorbenen, die Witwe zu heiraten, und sein ältester Sohn galt dann als Sohn des verstorbenen Mannes und wurde sein Erbe?) Durch alle diese Bestimmungen sollte verhindert werden, daß der Besitz sich in wenigen Händen concentrierte; jeder Mann sollte im Besitze eines Gutes sein. Daß trotz dieser Bestimmungen doch auch mancher Israelit sein Eigentum verlor und nicht wieder­ erhielt, versteht sich von selbst.

Für diese besitzlosen Leute sorgte nun das Gesetz dadurch, daß es jedem ge­ stattete vom Acker oder Weinberg des andern zu essen (aber nicht mitzunehmen), so viel er wollte, bei der Ernte die Nachlese zu halten, im Sabbathjahr (dem je siebenten Jahr), wo der Acker nicht bestellt werden durste, das dann von selber Wachsende zu nehmen. So war es denn im Volke Israel in der alten Zeit eine Ausnahme, daß man einen Bettler traf; Barmherzigkeit gegen den Notleidenden, besonders auch gegen Witwen und Waisen, galt als jedermanns Pflicht.- Die spätere pharisäische Frömmigkeit betrachtete sogar das von ihr sehr empfohlene Almosengeben als ein Mittel, sich Vergebung der Sünden zu verschaffen (Tob. 4, 11; 12, 9; Sirach 3, 33; Dan. 4, 24). Daß Christus dieser pharisäischen Lehre entgegentrat, ist bekannt; die christliche (wenigstens die evangelische) Frömmigkeit erweist den Armen Gutes, nicht um sich selber den Himmel zu verdienen, sondern aus Liebe zu den Brüdern. Sv hat schon das ATliche Gesetz nach Kräften für die Armen gesorgt,

e. Ausgewählte Gesetze, geordnet nach dem Dekalog?)

1 w Tafel. 1. und 2. Gebot. 3. Mose 19, 1—2. 3. Mose 24, 15—16. 2. Mose 22, 19. 5. Mose 4,15—19. 5. Mose 17, 2—7. 2. Mose 23, 32—33. 34, 11—16. 3. Gebot. 5. Mose 18, 9—14. 4. Mose 6, 22—27. 4. Mose 15, 37—41. 2. Mose 13, 8—16. 4. Gebot. 2. Mose 31, 12—17. 5. Gebot. 2. Mose 21, 15 u. 17. 3. Mose 19, 32. 5. Mose 21,18—21. 5. Mose 15, 12—18. 3. Mose 25, 39—55. 2. Mose 22, 27. ' 5. Mose 17, 14—20.

*) Vgl. Nr. 65. s) Vgl. das englische Gesetz, wonach verkaufter Grund und Bodm nach 99 Jahren wieder an den ursprünglichen Besitzer zurücksällt. 3) Schwagerehe (lerir — Schwager; daher Leviratsehe). 4) 3. Mose 19 ist gleichsam eine Umschreibung des ganzen Zehngebots; die Verse 19—29 mögen aber in der Schule nicht gelesen werden.

H Zweite Tafel. 2. Mose 21, 12—14. 16. 18—21. 26—27. 28—32. 5. Mose 22, 8. 4. Mose 35, 9—34. 7. Gebot. 5. Mose 24, 1—4. 8. Gebot. 2. Mose 22, 1—13. 23, 4—5. 5. Mose 25, 13—16. S. Gebot. 1. Mose 23, 1—3. 6—8. 5. Mose 24,17—18. 5. Mose 19, 15—21. 25, 1—3. 17, 8—11. 10. Gebot. (Liebe gefordert). 3. Mose 19, 18. 2. Mose 22, 21—23. 3. Mose 19, 33—34. 5. Mose 24, 19—22. 23, 25—26. 2. Mose 22, 24—26. 5. Mose 24, 14-15. 20, 10—20. 25, 4. 3. Mose 22, 28. 2. Mose 23, 19b. 5. Mose 23, 6—7. Schluß der Gebote. 3. Mose 26. 5. Mose 28. 6. Gebot.

C. Die Gemeinschaft Gottes mit dem Dolde Israel. 62. (34.) Gottes Gegenwart im Volke Israel. „Ich

will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein." 11—12. Ezech. 37, 27. Off. 21, 3.

3. Mose 26,

a. Der Gott, der sich dem Volke Israel unter einem neuen Namen geoffenbart, der mit ihm einen Bund geschloffen und ihm ein Gesetz gegeben hat, ist nun auch mit seinem Volke in eine dauernde Gemein­ schaft getreten. Zwar wird ja Gott auch bei den Israeliten als im Himmel wohnend gedacht, aber damit ist schon in der alten Zeit nur der Gedanke der Erhabenheit Gottes über die Welt ausgesprochen, und der Gott des Himmels offenbart sich auf Erden. Gott ist nun aber ein Geist und darf nach dem Gesetze nicht unter einem Silbe dargestellt werden; aber darum ist er dem Volke nicht ferne, sondern er wird als in seinem Volke wohnend gedacht, zwar noch nicht, wie die Propheten und Christus lehren, im Herzen der Gläubigen, aber wohl in der Bundes­ lade, in der Stiftshütte und im Tempel, also im Nationalheiligtum. b. Der im Volke Israel wohnende Gott ist nun der König dieses Volkes (2. Mose 15, 18), aber zunächst nur der König Israels, erst nach der Predigt der Propheten auch der König aller Völker (Irr. 10, 7). Der König ist aber nach der israelitischen Anschauung einerseits der Richter, andrerseits der Kriegsherr seines Volkes (aber nicht der Ober­ priester, wie z. B. bei den Römern). So wird denn Jehovah als der oberste Richter und als der oberste Kriegsherr Israels betrachtet (vgl. Ps. 5, 3); Recht wird in seinem Namen gesprochen (5. Mose 1, 17), Israels Kriege sind Kriege Jehovahs (2. Mose 17, 8s.). Aber es giebt in Israel zunächst kein ständiges Amt, welches der Träger der Königs­ gewalt Gottes wäre; bisweilen giebt es gar keine einheitliche Leitung des Volkes; wenn es eine solche giebt, so find die Träger derselben nur Stell­ vertreter Gottes; ein erbliches Königtum ist eigentlich ein Widerspruch gegen das Königtum Gottes.^) So ist Israel eine Theokratie, aber

') Vgl. Nr. 32.

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63. (35.) Die Bundeslade, die Stiftshütte und der Teuchel.

nicht ein hierarchischer Staat; das Priestertum hat den Kultus zu leiten, aber nicht das Volk zu regieren; eine Hierarchie dagegen stellt einen besonderen heiligen Stand, den Priesterstand, an die Spitze des Bolles (tote der Papst und die katholische Priesterschaft an der Spitze der Christen­ heit zu stehen verlangen); im Volke Israel hat fast niemals ein Priester die höchste Gewalt besessen. c. Das Königtum Jehovahs ist nun zwar im Mosaismus auf das Volk Israel beschränkt, aber dadurch ist der Verkehr mit andern Völkern nicht ausgeschlossen; es gilt jedoch noch nicht als Israels Aufgabe, die andern Völker dem Gotte Israels zu unterwerfen; dieselben haben und verehren ihre eigenen Götter; nur im Volke Israel wird das Reich Gottes aufgerichtet. Dagegen wird im Auftrage Gottes alles gebannt d. h. vernichtet, was dem Reiche Gottes in Israel widerstrebt, sowohl die Kanaaniter, welche die Aufrichtung des Gottesreiches in Kanaan verhindern wollen, als auch alle Frevler gegen die Grundordnungen des Reiches Gottes; denn das Reich Gottes ist ein Reich des Guten und der Heiligkeit.

63. (35.) Die Bundeslade, die Stistshütte und der Tempel. „Von dem Gnadenstuhl, der auf der Lade des Zeugnisses ist, will ich mich dir bezeugen und mit dir reden." 2. Mose 25, 22. „In der Hütte des Stifts will ich mich den Kindern Israel bezeugen, und will unter den Kindern Israel wohnen und ihr Gott sein." 2. Mose 29, 43 u. 45. 2. Mose 25, 10-22. Ps. 24. Jer. 3, 16—17. (2. Matt. 2, 1—8.) Röm. 3, 24—26. Ps. 27, 4. 84, 11. Mal. 3, 1. 1. Kön. 8, 27. Apg. 7, 47—50. Joh. 4, 19—25. Matth. 23, 37—24, 2. 1. Kor. 3, 16. 2. Kor. 6, 16. Gal. 4, 25 s. Offenb. 21, 2—4. a. Wenn auch Gott unsichtbar ist und durch kein Bild dargestellt werden darf, so will er doch im Volke Israel wohnen. Als der sinn­ bildliche Ort der Gegenwart Gottes gilt aber dem Volke Israel vor­ nehmlich die Bundesla-de. Für die beiden Gesetzestafeln hatte nämlich Moses auf Gottes Befehl eine Lade angefertigt, in welcher dieselben ver­ wahrt wurden. Diese Lade, die Bundeslade, befand sich bis zu Samuels Zeit in der Sttstshütte, von welcher alsbald die Rede sein wird; später war sie von derselben getrennt, und David brachte sie nach Jerusalem (Ps. 24), wo sie dann durch Salomo im Tempel aufgestellt wurde. Mit dem Tempel ist auch die Bundeslade zu Grunde gegangen, und der neue Tempel hatte keine Bundeslade mehr, wie schon Jeremias (3, 16—17) darauf hingewiesen hatte, daß man im vollkommenen Gottesreiche keiner Bundeslade mehr bedürfen werde.') Die Bundeslade (die für sie errichtete Stiftshütte nur um der Bundes­ lade willen) gilt nun den Israeliten als der sinnbildliche Ort der besonderen >) Vgl. dagegen die spätere Sage und Hoffnung: 2. Makk. 2, 1—8.

Gegenwart Gottes; in ihr sind nämlich die beiden Gesetzestafeln enthalten; im Gesetz aber hat Gott sich dem Volke Israel geoffenbart, und in dieser Offenbarung ist Gott im Volke gegenwärtig. Der im Gesetze sich offen­ barende heilige Gott ist aber, wie es scheint, in der Bundeslade auch dargestellt als der allmächtige Gott in den Sinnbildern der über dem Deckel schwebenden beiden Cherubsgestalten, welche vielleicht Sinn­ bilder der die Erscheinung Gottes herbeiführenden Gewitterwolke sind, da sich bekanntlich nach der Naturanschauung der alten Völker Gott besonders im Gewitter offenbart.') Unter Donner und Blitz hat Gott sich auch am Sinai geoffenbart; als Nachbild dieser Offenbarung ist auch die Wolkensäule anzusehen, in welcher Gott sich offenbarend gedacht wird; immer wieder erscheint die Wetterwolke als Sinnbild der Gegenwart Gottes auch noch in der Predigt der Propheten. Aber da Israel seinen Bundespflichten nicht vollständig nachkommt, so kann Gott in Israel nur wohnen, wenn er dem Volke als gnädiger Gott seine Sünde vergiebt. Und auch dieser Gedanke, daß der im Gesetz sich offenbarende Gott ein gnädiger Gott ist, ist an der Bundeslade sinnbildlich ausgedrückt, nämlich in dem Deckel der Bundeslade; derselbe heißt vielleicht „Sühngerät", und bei dem größten Feste Israels, am großen Bersöhnungstage, wird gerade dieser Deckel vom Hohenpriester mit Opferblut besprengt, um dem ganzen Volke Vergebung seiner noch ungesühnten Sünden zu verschaffen. Auf diesen Deckel als Sühngerät (bei Luther: „Gnadenstuhl") weist auch noch das N. T. hin (Röm. 3, 25); aber Paulus findet mit Recht erst in Christus die vollkommene Ver­ söhnung unserer Sünden.^) b. Für die Bundeslade wurde nun die Stiftshütte angefertigt, welche dem Israeliten (aber nur um der in ihr aufbewahrten Bundes­ lade willen) als Stätte der Offenbarung Gottes galt; sie heißt deshalb in der Bibel „das Zelt der Zusammenkunft", nämlich Gottes mit seinem Volke; „Stistshütte" heißt sie bei Luther, wie eine Kirche eine „Sttstskirche" heißen kann, als eine zu gottesdienstlichem Zwecke gestiftete Hütte. Die Stiftshütte war aber nicht dazu gestiftet, daß das Volk Israel bei ihr zusammenkomme, sondern sie sollte das Volk Israel, welches kein Bild Gottes besitzen durste, dennoch in sinnenfälliger Weise der Gegen­ wart seines Gottes versichern — ein niederer Standpunkt des Glaubens, der im Christentum natürlich überwunden ist. Dieses Zelt (oder bewegliche Haus) war aber in folgender Weise gebaut.3*)* In einem Hofe, dem sogenannten Vorhof, der nur nach Osten einen Eingang hatte, stand das Zelt der Stiftshütte. Vor derselben stand im Vorhof der Brandopferaltar, an welchem die von den Israeliten in den Borhof gebrachten Tiere Gott geopfert wurden. Die Stifts­ hütte, deren Wände aus hölzernen Bohlen bestanden (nur die Ostseite war durch einen Vorhang gebildet), zerfiel in zwei Teile, das Heilige -) Vgl. s) Vgl. 3) Auf Schule fern; wörterbuch.

Ps. 18, 11 (und die griechische Ägis). über diese Stelle die Glaubenslehre, Nr. 43 und 56. das Bauwerk und seine Symbolik im einzelnen einzugehen, liegt der der Lehrer vergleiche den Artikel „Stiftshütte" in Riehms Hand­

63. (35.) Die Bundeslade, die Stiftshütte und der Tempel.

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und das Allerheiligste. Im Heiligen standen der Räucheraltar, auf welchem durch die Priester die Rauchopfer dargebracht wurden (Sinn­ bilder des Gebetes), der Schaubrottisch, auf welchen an jedem Sabbath zwölf Brote als Dank für das von Gott geschenkte tägliche Brot gelegt wurden, und der siebenarmige Leuchter (das Volk Israel ist ein von Gott erleuchtetes Volk, die Heiden wandeln in Finsternis). Im Aller­ heiligsten befand sich nur die Bundeslade. Die Kostbarkeit der zur Stiftshütte verwendeten Stoffe und die Kunst ihrer Bearbeitung machte sie zu einer würdigen Wohnung Gottes. Aber jeder Israelit durfte Gott nur soweit nahen, als ihm Gottes Gnade dies gestattete. Das Volk durfte zwar in den Vorhof eintreten, aber der Priester brachte das Opfertter zum Altar; nur die Priester durften das Heilige betreten; das Allerheiligste durfte nur der Hohepriester, und auch nur einmal im Jahre, betreten. Für das Volk gab es also noch keine vollkommene Gemeinschaft mit Gott; so wies die Stiftshütte sinn­ bildlich auf die Zeit hin, wo Gott mit den Menschen in eine vollkommene Gemeinschaft treten werde (Offenb. 21, 3). c.1)* 3Wenn 45 nun die ältere Zeit die im Priestergesetz beschriebene Stistshütte als wirklich vorhanden betrachtete, so kamen neuere Forscher zu dem Ergebnis^), daß diese Stistshütte nicht als das Urbild, sondern als das Nachbild des jerusalemischen Tempels anzusehen sei, welches in Wirklichkeit gar nicht existiert habe. Was das Deuteronomium fordere, daß der Kultus an einen einzigen Ort gebunden sei, das setze das Priestergesetz als vorhanden voraus, indem es als das einzigerechte Heiligtum der alten Zeit die in der alten Zeit gar nicht vorhandene Stistshütte betrachte. Aber wenn es auch eine solche Stistshütte nicht gegeben habe, wie das Priestergesetz sie zeichnet, so habe es doch, wie auch Wellhausen zugiebt,2) ein Zelt für die Bundeslade gegeben, nur einfacher, wie dasselbe in den älteren Quellenschriften des Pentateuchs und in den älteren Geschichtsbüchern vorausge­ setzt werde — das ist z. B. die Meinung von Riehms und Kittels) welche in dieser Beziehung mit Wellhausen übereinstimmen. Die von Moses für die Bundeslade errichtete einfache Stistshütte war in der Zeit Josuas in Silo ausge­ stellt; aus der späteren Zeit fehlt uns jede sichere Kunde über den Ort, wo die Sttstshütte sich befunden habe; die Bundeslade war bekanntlich von den Philistern erbeutet und nicht mehr in die Stiftshütte zurückgebracht worden; die Stistshütte scheint in dieser Zeit bald hier bald da gestanden zu haben, vielleicht auch im Kriege zerstört und neu errichtet worden zu sein. Als David die Bundeslade nach Jerusalem brachte, stellte er sie zwar in einem Zelte auf, aber, wie es scheint, in einem von ihm selbst neu errichteten Zelte, so daß wir annehmen müssen, daß die alte (bez. auch die an deren Stelle getretene neue) Stiftshütte nicht mehr vorhanden war. Wenn nun David in einer Zeit, wo die Israeliten nicht mehr in Zelten wohnten, für die Bundeslade wieder ein Zelt (nicht ein Haus) errichtet hat, so muß man wohl annehmen, daß dieselbe nach der Überlieferung auch früher in einem Zelte untergebracht gewesen sei, daß aber David das von ihm errichtete Zelt ') a) 3) 4) 5)

Nur für den Lehrer. Vgl. Wellhausen, Proleg. A, 1. Prolegomena* S. 40, oben. Handwörterbuch s. v. Geschichte der Hebräer I, S. 215.

möglichst kostbar eingerichtet hat, wie es für das Heiligtum Gottes sich ziemte, versteht sich von selbst. Wenn nun die Berichte über die mosaische Stistshütte an Schwierigkeiten leiden, welche die Forscher nicht beseitigen können, so kann es nicht für unwahrscheinlich gehalten werden, daß die int 2. Buch Mose gegebene Beschreibung zwar in den für die religiöse Anschauung wesentlichen Punkten der mosaischen Stistshütte entspricht, aber in anderer Beziehung nach der davidischeu Stistshütte entworfen ist. Das ist um so wahrscheinlicher, als ja dies davidische Zelt später im salomonischen Tempel aufbewahrt war, so daß der Erzähler von 2. Mose 25 s. auf dieses Bauwerk seine Beschreibung gründen konnte,') welches er vielleicht für die mosaische Stistshütte hielt. So hat es also allerdings schon in der alten Zeit eine Stistshütte gegeben, aber nicht eine so kostbare, wie das Priestergesetz sie zeichnet, sondern eine viel ein­ fachere, welche im Laufe der Zeit wohl mehrmals erneuert worden ist, und welche in Wirklichkeit nicht, wie daS Priestergesetz fordert und die Chronik annimmt, das einzige Heiligtum des Volkes Israel gewesen ist.

d. Als Salomo in Jernsalem statt der bisherigen Stiftshütte für die Bundeslade einen Tempel baute, nahm er für diesen Bau die Stifts­ hütte zum Vorbildes) nur wurde der Tempel noch einmal so groß und mit größerer Pracht gebaut; unseren Kirchen gegenüber blieb freilich auch der Tempel ein kleines Gebäude, etwa einer Dorflirche entsprechend (15 m hoch, 10 m breit und 30 m lang). Auch der Tempel bestand aus dem Allerheiligsten (von gleicher Länge, Breite und Höhe, wie bei der Stiftshütte, nur mit zweifacher Ausdehnung der Maße) und dem Heiligen. Nebenbauten umgaben den Tempel von drei Seiten; an der Ostseite, wo der Eingang war, befand sich eine Vorhalle, an deren Front zwei mächtige Säulen standen. Im Allerheiligsten stand auch hier die Bundeslade zwischen zwei Cherubsgestalten; im Heiligen ebenso der Rauch­ opferaltar, der Schaubrottisch und (statt des einen siebenarmigen) zehn goldene Leuchter. Um den Tempel zog sich ein doppelter Borhof; im innern Borhof stand der Brandopferaltar und das eherne Meer, ein großes Becken mit Wasser, welches die Priester gebrauchten, um sich vor dem Beginn der Dienstleistungen Hände und Füße zu waschen; der äußere Borhof war noch von allerlei Nebengebäuden umgeben. Die alte Stifts­ hütte wurde in den Obergemächern des Tempels untergebracht. e. Der Tempel Salomos hatte über 400 Jahre bestanden, als er bei der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar vernichtet wurde. Nach dem Exil wurde wieder ein Tempel gebaut, aber viel dürftiger als der Salomonische, wie es den Mitteln der ärmlichen jüdischen Kolonie ent­ sprach. Ein dritter Tempel wurde später durch Herodes d. Gr. gebaut, viel größer und schöner als der Salomonische gewesen war, und mit ver­ schwenderischer Pracht ausgestattet. Diesen Tempel hat Jesus Christus betteten, und von ihm hat er geweissagt, daß kein Stein auf dem andern bleiben werde; diese Weissagung ist im Jahre 70 n. Chr. in Erfüllung gegangen. Auf der Stätte des zerstörten Tempels wurde im Jahre 136 vom Kaiser Hadrian ein Jupitertempel errichtet. Jetzt steht auf dem ') Das ist nach Wellhausen unmöglich, da der Verf. des Priestergesetzes den salomonischen Tempel nicht mehr gekannt hat. *) Vgl. Brugsch, Steininschrist S. 284s., wo aus die Übereinstimmung des salomonischen Tempels mit den ägyptischen Tempeln hingewiesen ist.

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64. (36.) Der Höhendienst, der Bilderdienst und der Götzendienst rc.

eigentlichen Tempelplatze eine große Moschee (der sogen. Felsendom) und südlich davon noch eine zweite Moschee. Das jüdische Volk besitzt seit dem Jahre 70 keinen Tempel mehr, und deshalb kann es auch keine Opfer mehr darbringen, die ja in der späteren Zeit nur noch im Tempel dar­ gebracht werden durften; der heutige jüdische Gottesdienst vollzieht sich in den Synagogen, den Versammlungshäusern der Gemeinde, welche nach dem Exil allmählich aufgekommen sind. Den Synagogen, nicht dem Tempel, entsprechen unsere heutigen Kirchen, in welchen sich die feiernde Gemeinde zum Gottesdienste versammelt; ein äußeres Haus Gottes, welches als Gottes Wohnstätte betrachtet würde, besitzt die Christenheit nicht.')

64. (36.) Der Höhendienst, -er Bilderdienst und der Götzendienst; Jerusalem und der Tempel. 2. Mose 20, 24. 1. Kön. 3, 2. 3. Mose 17, 3—9. 2. Mose 20, 4—5a. 5. Mose 4, 15—18. 2. Mose 20, 3. Jes. 44, 6—20. Ps. 115. Jer. 2, 4—28. 2. Kön. 23, 1—20. a. Stiftshütte und Tempel waren das Nationalheiligtum des Volkes Israel, aber der Gottesdienst war in der alten Zeit nicht an das Heilig­ tum des Volkes gebunden, denn die ältere Gesetzgebung weiß ja noch nichts von dem Gebote der Einheit der Kultusstätte, da es 2. Mose 20, 24 heißt: „An jeglichem Orte, woselbst ich meines Namens Ge­ dächtnis stiften werde, will ich zu dir kommen und dich segnen." Und so haben die Israeliten von der Zeit der Patriarchen an bis zu den Königen Hiskia und Josia unbefangen auf den „Höhen" ihren Gottes­ dienst gehalten, auf denen ja alle Völker, als auf natürlichen Altären, ihre Götter verehrten"). Josua opferte auf dem Berge Ebal, Samuel zu Ramah, David zu Bethlehem, zu Hebron und auf Zion, Elia auf dem Karmel. Auch als Salomo den Tempel gebaut hatte, wurde in dieser Beziehung nichts geändert; der Tempel wurde allmählich das vornehmste Heiligtum des Volkes Israel, aber er war nicht das einzige Heiligtum, nicht einmal in dem späteren Reiche Juda. Erst Hiskia begann damit, und Josia setzte es durch, daß der Höhmdienst gänzlich beseitigt und der Tempel die einzige Kultusstätte nicht bloß für den National-, sondern für jeglichen Gottesdienst wurde. Damit kam erst zur Geltung, was die spätere, nachmosaische Gesetzgebung (3. Mose 17, 3—9. 5. Mose 12, 11s.) forderte, daß der eine Gott Israels auch nur an einem Orte verehrt werde?) Daß man später den früher allgemein geübten und als nicht ver­ boten betrachteten Höhendienst sowohl in der Gesetzgebung verbot als auch mit Gewalt ausrottete, das hatte in der vielfachen Ausartung dieses ’) Das gilt allerdings nur von der evangelischen Kirche; die Katholiken lassen wieder, wie Juden und Heiden, angeblich in ihren Kirchen die Gottheit (in der Hostie) leibhaftig wohnen. 2) Barna (hebr.) Höhe und ßatfiög Altar gelten auch manchen Sprachforschern als mit einander verwandt. 3) Mezger, Hilssbuch III, S. 13, Anm. 5: „Es wäre wahrlich an der Zeit, daß solche Zeugnisse der Bibel (über die Berechtigung des Höhendienstes) mit voller Unumwundenheit in höheren Schulen vorgelegt und die Folgerungen daraus gezogen mürben."

64. (36.) Der Höhendienst, der Bilderdienst und der Götzendienst re.

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Dienstes zum Bilderdienste, ja, zum Götzendienste, aus welchem ja auch bei den Israeliten die Gottesverehrung auf den Höhen herstammte,') seinen Grund, und durch Josia wurde der Höhendienst wirklich unterdrückt, und nach dem Exil ist er nicht wieder aufgelebt. Aber das berechtigte Verlangen des Menschen nach Verehrung Gottes nicht bloß an einem, sondern an jedem Orte fand in anderer Weise seine Befriedigung. Vielleicht schon im Exil, wo es keinen Tempel gab, waren als Orte des Gottesdienstes (abgesehen vom Opfer) die Syna­ gogen entstanden, und nach der Rückkehr sind neben dem Tempel an allen Orten, sogar in der Heidenwelt, für die Juden Synagogen errichtet worden; damit war der alte Höhendienst in besserer Weise wieder erstanden. Seit der Zerstörung des Zehnstämmereiches und seit der Unterdrückung des Höhenkultus durch Josia galt nun den frommen Israeliten, auch den Propheten des Volkes, Jerusalem mit dem Tempel als der eigentliche und alleinige Wohnsitz Jehovahs, und dies Ansehen Jerusalems war seitdem für die Dauer befestigt; seitdem galt Jerusalem allein als der Ort, den der Herr sich erwählt habe.") Wie das Gottesreich, so könne auch Jerusalem und der Tempel nicht zerstört werden, das war fortan der Glaube Israels, selbst der Propheten; Jesus und seine Jünger haben es erfahren, was es heiße, von der Zerstörung des Tempels zu sprechen (Matth. 26, 61. Apg. 6, 13s. 21, 28s.). Daher klagen die Frommen, wenn sie von Jerusalem und dem Tempel fern sind, über ihre Entfernung von Gott (Pf. 27, 4. 84, 11. 42, 2s. 43, 3s.). Auch die Zerstörung Jerusalems hat diesen Glauben nicht zerstört; sehnsüchtig dachten die Verbannten an Jerusalem (Ps. 137), und sie glaubten an die Wiederherstellung der heiligen Stadt und des Tempels. Aber als nun beides erfüllt und das voll­ kommene Gottesreich doch noch nicht erschienen war, da hoffte man von der Zukunft, daß der Herr in vollkommener Offenbarung zu seinem Tempel kommen und alle Weissagungen erfüllen werde (Mal. 3, 1). Die Christenheit besitzt kein äußeres Haus Gottes, welches als Gottes Wohnstätte betrachtet würde, und sie ist damit erst dem Worte Salomos vollkommen gerecht geworden, welches dieser König bei der Tempelweihe gesprochen hat: „Der Himmel und aller Himmel Himmel mögen dich nicht fassen; wie sollte es denn dies Haus thun, das ich gebaut habe?" (1. Kön. 8, 27; vgl. Apg. 7, 47—50.) Die Christenheit betet weder ausschließlich in Jerusalem noch in Garizim, sondern aller Orten betet sie zu Gott in Geist und Wahrheit (Joh. 4, 19—25). Mochte auch Jerusalem mit dem Tempel zerstört werden (Matth. 23, 37—24, 2), der wahre Tempel Gottes bestand weiter, denn der wahre Tempel Gottes ist die Christenheit: „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid, und (weil) der Geist Gottes in euch wohnet?" (1. Kvr. 3, 16, vgl. 2. Kor. 6, 16.) Die Christenheit ist schon jetzt — oder sie soll es wenigstens sein, und sie wird es dereinst vollkommen sein — „die heilige Stadt, das neue Jeru­ salem, von Gott aus dem Himmel herabgefahren, die (wahre) Hütte (Süstshütte) Gottes bei den Menschen, und (denn) bei ihnen wird Gott sein, und sie werden sein Volk sein, und er wird ihr Gott sein" (Off. Joh. 21, 2—4; vgl. Gal. 4, 25s.). ') Vgl. Kittel, Geschichte der Hebr. II, S. 88—90. 2) So hatte das Deuteronomium sich ausgedrückt, ohne Jerusalem zu nennen.

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b.1) Das nachexilische Judentum war davon überzeugt, daß Gott nur an einem Orte, nämlich in Jerusalem, in rechter Weise angebetet werden könne und dürfe. Aber diese Einheit des gottesdienstlichen Ortes hat weder thatsächlich noch rechtlich von Anfang an bestanden, sondern sie hat sich erst im Laufe der Zeit herausgebildet. Wie das geschehen ist, zeigt einerseits die historische Überlieferung, und andererseits die drei Schichten der im Pentateuch enthaltenen Gesetzgebung. «. In der älteren Zeit haben nicht bloß die gewöhnlichen Jsraeltten, son­ dern auch die Vertreter des Volkes an den verschiedensten Orten Opfer dargebracht und Gottesdienst abgehalten, und nirgends wird das als eine Sünde bezeichnet?) Als der Tempel gebaut war, galt es zwar später als ein Unrecht, daß auch noch an anderen Orten Gottesdienst gehalten wurde, aber fattisch war weder im Reiche Israel, noch auch nur im Reiche Juda der Tempel der einzige Ort des Gottes­ dienstes; von allen späteren Königen wird in den geschichtlichen Büchern tadelnd bemerkt, daß sie die Höhen nicht abgeschafft haben. Aber dieser Tadel entspricht erst dem späteren Standpunkt der Verfasser der betreffenden Geschichtsbücher, nicht aber der Auffassung der älteren Zeit, welche keine Sünde zu thun glaubte, wenn sie auch an anderen Orten Gott verehrte; zwar im fremden Lande könne man Gott nicht verehren, wie man damals meinte, aber in Kanaan durfte Gott, wie man meinte, überall verehrt werden (2. Kön. 5, 17). Diesem geschichtlichen Standpunkte entspricht die jehovistische Gesetzgebung (2. Most 20, 24-26), wenn sie erklärt: „An jedem Orte, wo ich meinen Namen ehren lasse, will ich zu dir kommen und dich segnen." ß. Wenn nun schon früher der Tempel in Jerusalem (obwohl nicht das einzige Heiligtum des Volkes) die anderen Heiligtümer an Ansehen überstrahlt hatte, so stieg sein Ansehen erst recht, als das Reich Israel im Jahre 722 zer­ stört wurde, und noch mehr, als Sanheribs Angriff auf Jerusalem vereitelt wurde; seitdem glaubte man sogar, Jerusalem und der Tempel könnten niemals zerstört werden. Aber die anderen Heiligtümer bestanden auch damals weiter neben dem Tempel von Jerusalem. Wenn nun schon von Hiskia berichtet wird, daß er ver­ sucht habe, die anderen Heiligtümer zu beseitigen, so ist doch von einem Erfolge dieser Maßregel in der Wirklichkeit nichts zu spüren; erst unter dem König Josia ist wirklich die Beseitigung der anderen Heiligtümer ernstlich gefordert und erstrebt worden (621). Zwar ihre Beseitigung ist auch damals noch nicht völlig gelungen, aber es stand doch seitdem als Forderung fest, daß der Tempel zu Jerusalem das einzig berechtigte Heiligtum des jüdischen Volkes sei. Diesem Standpunkte entspricht die Gesetzgebung des 5. Buches Mose (z. B. Kap. 12), welche immer aufs neue fordert, daß Jehova nur an einem Orte angebetet werde. /. Daß nun die anderen Heiligtümer auch wirklich beseitigt wurden, das ist erreicht worden durch den im Jahre 586 erfolgten Untergang des Reiches Juda und das darauf folgende babylonische Exil. Der Heimat völlig entfremdet, kehrte aus dem Exil ein Volk zurück, welchem es völlig in Fleisch und Blut übergegangen war, daß der wiederhergestellte Tempel in Jerusalem das einzige rechte Heiligtum des jüdischen Volkes sei. Diesem Standpunkte der nachexilischen Zeit, welche es als selbstverständ­ lich betrachtet, daß es nur ein einziges Heiligtum geben könne, entspricht ') Wellhausen, Proleaomena A, I. — Nur für den Lehrer. *) Vgl. 1. Kön. 3, 2: Das Volk opferte auf den Höhen, denn bis dahin war noch kein Haus dem Namen des Herrn gebaut.

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das Priestergesetz, wenn es voraus setzt, daß nur an einem Orte, nämlich in der Stiftshütte, Gott von jeher angebetet worden sei, und natürlich auch nur an­ gebetet werden dürfe. Die Richtigkeit der hier angegebenen Thatsachen wird allgemein aner­ kannt; nur über den aus denselben gezogenen Schluß, daß das Priestergesetz als die jüngste Gesetzgebung anzusehen sei, sind die Gelehrten nicht einig, wie ander­ wärts dargelegt ist?)

c. Dagegen war schon rm Zehngebot der Bilderdienst untersagt; der geistige Gott sollte nicht unter einem Bilde verehrt werden, damit nicht das Bild an die Stelle Gottes trete.*2)3 Ein solches Verbot erschien dem Gesetzgeber nötig, da die Hebräer aus ihrer Urheimat den Mlderdienst (2. Mose 19) mitgebracht hatten und sogar bis zu Davids Zeit beibehielten (1. Sam. 19,13); erst durch Josia wurden alle Bilder ver­ nichtet (2. Kön. 23, 24). Zu diesen nationalen Gottesbildern kam nun (durch die Berührung mit Ägypten, wie man gewöhnlich glaubt ^)) noch die Verehrung Gottes unter dem Bilde des Stiers, vorübergehend schon zu Mosis Zeit, dauernd durch Jerobeam, welcher in den beiden von ihm errichteten Heiligtümern Jehovah unter dem Bilde eines Stiers verehren Itefc.4)5 Dieser Bilderdienst, die „Sünde Jerobeams", hat sich im Reiche Israel bis zum Untergange des Staates, ja, noch darüber hinaus, er* halten, b) d. Bor allem aber war im Zehngebot der Götzendienst untersagt, und auch dies Gebot war für die Israeliten sehr notwendig. Wenn sich auch einst ihre Stammväter von den andern Semiten gerade deshalb ab­ gesondert hatten, weil sie nicht mit ihnen Heiden werden, sondern den Glauben an den einen Gott festhalten wollten (Jos. 24, 2—3), so sind sie doch immer wieder, durch die Berührung mit den andern Völkern dazu verführt, in Götzendienst verfallen. Am nächsten lag den Israeliten die Verehrung des von den Kanaa­ nitern, in deren Lande sie sich ja ansässig gemacht hatten, verehrten Ba al, mit welchem Namen (= Herr) alle Nordsemiten die von ihnen verehrte Gottheit bezeichneten. Baal ist aber der Sonnengott, und als solcher sowohl segenspendend b) wie auch verderbenbringend, indem er mit der Glut seiner Strahlen alles Leben ertötet. Um seinen Zorn zu versöhnen, brachte man ihm und den ihm entsprechenden andern Göttern sogar Kinder­ opfer, ^) die gewöhnlichen Opfer waren natürlich Tieropfer; die haupt9 Über die Fraqe nach dem Alter des Pnesteraesetzes vgl. Nr. 56. 2) Vgl. die Praxis des katholischen Bilderdienstes, namentlich in den streng katholischen Ländern. 3) Vgl. jedoch Nr. 20. 4) Daß wir von einem goldenen Kalbe sprechen, beruht auf einem Wotte des Propheten Hosea (K. 8, 6), welcher das Gottesbild, den Stier, spottend ein Kalb nennt. 5) Etwas den Bildern Ähnliches sind die auch im israelitischen Kultus üblichen Steinsäulen und Baumpfähle (letztere bei Luther: „Hain"), Nachbildungen der früher als Sitz der Gottheit bettachteten heiligen Steine und Bäume. °) Vgl. die phönicischen Eigennamen „Hannibal" d. h. Baal ist gnädig (entsprechend dem hebräischen Namen Johannes d. h. Jehovah ist gnädig) und Hasdrubal d. h. Hilfe des Baal (entsprechend dem hebräischen Namen Elieser). t) Z. B. in Katthago dem dem Baal entsprechenden Moloch (d. i. König) noch kurz vor oer Zerstörung der Stadt (146 vor Chr.); in Afnka hat erst der Kaiser

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65. (37.) Die heiligen Zeiten.

sächlichsten Orte seiner Verehrung waren die Höhen, als natürliche Altäre für den Gottesdienst. Da das Wort Baal ursprünglich ein Appellativum ist, welches „Herr", „Besitzer" (nämlich des Landes) bedeutet, so begreift es sich leicht, daß der Gott je nach dem Orte seiner Verehrung und nach der ihm zu­ geschriebenen Bedeutung verschiedene Beinamen erhielt, so daß von ver­ schiedenen Göttern dieses Namens die Rede ist. Als ein solcher wird im A. T. namentlich der in Ekron verehrte Fliegenbaal erwähnt (2. Kön. I)1), der als „Baal Sebub" (Belzebub) in der späteren Zeit (wie das N. T. zeigt) als ein böser Gott, ja, als das Haupt der bösen Mächte be­ trachtet wurde. Diese verschiedenen Gestalten des Baal sind unter den „Baalim" (Plural von Baal) der Lutherbibel zu verstehen. Als Gemahlin des Baal wurde Astarte verehrt; da Baal der Sonnengott ist, so ist Astarte als die Mondgöttin zu betrachten. Die Verehrung von Baal und Astarte war im Reiche Israel be­ sonders durch Jsebel gefördert worden; auch als das Königshaus des Ahab ausgerottet wurde, bestand dieser Götzendienst weiter. Erst nach dem Exil hat das jüdische Volk diesen Götzendienst, wie den Götzendienst überhaupt, aufgegeben. e. Gegen den Götzendienst vor allem, aber auch gegen den Bilder­ dienst und in der späteren Zeit auch gegen den zum Bilder- und Götzen­ dienst entarteten Höhendienst richten sich nun die Strafandrohungen nament­ lich des späteren Gesetzes und die Predigt der Propheten. Im Volke Israel soll Gott wohnen, aber nicht die Götzen; die Gemeinde soll die Braut oder Gattin ihres Gottes sein, nicht als Ehebrecherin einem andern Gotte sich zuwenden — unter diesem Bilde wird das Verhältnis zwischen Gott und Israel im A. wie im N. T. besonders oft dargestellt. Aber es hat lange gedauert, ehe die Mahnung der Propheten gefruchtet hat; erst durch die Berührung mit den Heiden im Exil ist die Neigung zum Götzendienste wie zum Bilderdienste im Volke Israel völlig unterdrückt worden; nach dem Exil „eifern die Juden um den einen Gott, wenn auch mit Unverstand", und gerade ihr früher oft preisgegebener Glaube an den einen Gott, der unter keinem Bilde dargestellt sei, war die den Heiden in der griechisch-römischen Zeit seltsam erscheinende Eigentüm­ lichkeit der Juden, für welche diese selbst den Tod zu erleiden bereit waren.

65. (37.) Die heiligm Zeiten. ') 2. Mose 20, 8—11. 5. Mose 5, 12—15. 2. Mose 31,12—17. Ps. 92. 2. Mose 23, 14—17. 3. Mose 23. 25, 1-7 und 18—22. 25, 8—17 und 39—46. 3. Mose 16. Wenn Gott in seinem Volke wohnen will, so soll ja das ganze Leben des Volkes ihm geweiht sein, und dieser Gedanke ist auch schon im Tiberius das Kinderopfer unterdrückt. — Wenn Abraham, wie die Kanaaniter, unter denen er wohnte, seinen Sohn ebenfalls opfern wollte, so hat er es doch nicht gethan; dagegen hat Jephtha allerdings seine Tochter geopfert. *) Weil er die Fliegenplage entweder herbeiführt oder beendet. 2) Die Feiertage sind bei dieser Stellung des Abschnittes als Tage betrachtet, an denen Gott mit dem Menschen in Gemeinschaft tritt; es wäre natürlich auch

Judentum erfaßt worden. Abtt wie es für Gott trotz seiner Allgegenwart einen besonderen Ort giebt, wo er in Israel wohnt, das National­ heiligtum, so giebt es auch, obwohl das ganze Leben des Menschen ihm geweiht sein soll, in der Woche einen besonderen Tag, den Sabbath, an welchen sich die Feier des siebenten Jahres und des fünfzigsten Jahres anschließen, und im Jahre ebenfalls besondere Feste, welche Gott beson­ ders geweiht sind. Diese besonderen heiligen Zeiten des Volkes Israel sollen im folgenden dargestellt werden. a. Schon bei ihrer Trennung von ihren Stammgenossen, den andern Semiten, haben die Israeliten, wie andere Überlieferungen der Vorzeit, so vielleicht auch die siebentägige Woche und vielleicht auch schon eine Auszeichnung des siebenten Tages als eines Ruhetages in die neue Heimat mitgenommen; aber von einer Sabbathfeier im Sinne der Juden haben diese Völker trotzdem nichts gewußt. Aber auch die Israeliten haben vor Moses den Sabbath noch nicht gefeiert,*2)3 wie schon die alten Lehrer der Kirche bemerkt haben mit dem Hinweis darauf, daß also der Sabbath nicht als eine unabänderliche Einrichtung auch noch für die Kirche gelten dürfe. Erst durch Moses ist die Sabbathfeier für das Volk Israel zum Gesetz geworden. Seitdem war der Sabbath ein dem Herrn angehöriger, also heiliger Tag, an welchem das Volk sich aller Arbeit enthalten sollte, um Gott zu Ehren zu ruhen. „Der Stillstand der Geschäfte wird aber nicht, wie man gewöhnlich meint, gefordert, damit Zeit gewonnen werde für religiöse Erbauung und Gottesdienst; nicht Gottesdienst wird gefordert, sondern Ruhe für Gott oder Gott zu Ehren. Israel soll seine Gottangehörigkeit wie in andern Dingen so auch in der Sphäre der Zeit zum Ausdruck bringen; die anderen Tage gehören der Arbeit, der Sabbath gehört Gott. Insofern ist die Sabbathfeier ein Symbol, aber das geistigste Symbol dieser Religion, und mehr als Symbol, denn diese äußere Darstellung der Gottangehörigkeit der Gemeinde durch Ruhe für Gott ist zugleich ein sich zu Gemüte führen dieser Gott­ angehörigkeit, und durch seine regelmäßige Wiederkehr eine beständige Er­ innerung des Israeliten an feine Bestimmung, Gott ganz anzugehören; daher recht eigentlich ein Zeichen des Grundgedankens des mosaischen Bundes b)," und darum wird auch die Entheiligung des Sabbaths mit dem Tode bestraft. Die Sabbathfeier wird aber in der älteren Fassung des Dekalogs (2. Mose 20) damit begründet, daß auch Gott, wie die Schöpfungs­ geschichte es darstellt, am siebenten Tage von seinem Schaffen geruht habe. Wenn das nun auch nicht buchstäblich zu verstehen ist, so ist doch in dieser Darstellung der richttge Gedanke enthalten, daß es für Gott nicht bloß ein Leben in der Welt giebt (wie der Pantheismus glaubt), sondern auch ein Leben in sich selber; so soll auch der Mensch nicht bloß in der berechtigt, dieselben als Tage zu betrachten, an denen der Mensch mit Gott in Gemeinschaft tritt. Ich habe die erstere Betrachtung vorgezogen, um die heiligen Zeiten neben die heiligen Orte stellen zu können. *) Vgl. jedoch Riehm, Handwörterbuchs s. v. Sabbath, Nr. 1. 2) Für das Hirtenleben paßt auch das Sabbathgesetz nicht, da dasselbe keinen derartigen Ruhetag gestattet. 3) Dillmann, Kommentar zu 2. Mose 20.

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65. (37.) Die heiligen Zeiten.

Welt leben, sondern auch in Gott. Die jüngere Fassung des Dekalogs (5. Mose 5) begründet die Sabbathfeier durch die Hinweisung auf die Ausführung Israels aus Ägypten; durch dieselbe hat sich nämlich Gott

das Volk Israel zum besonderen Eigentum erwählt, und die Sabbathfeier ist nun dazu bestimmt, daß das Volk sich Gott zum Eigentum ergebe. Zur Sabbathfeier vereinigte sich aber das Volk am Nationalheiligtum, oder es nahm, wer davon fern war, wenigstens im Geiste an dieser Feier Anteil; als die Synagogen entstanden, konnte sich jeder Israelit an der gemeinsamen Sabbathfeier beteiligen, wie das ja noch heute bei den Juden mit lobenswertem Eifer geschieht. So hatten die Juden an ihrem Sabbath einen Tag der Freude, und der 92. Psalm, der nach der Überschrift für den Sabbath gedichtet ist, rühmt mit Recht, wie köstlich es sei, den Herrn zu preisen, was ja be­ sonders am Sabbath geschehen soll. Aber aus diesem Tag der Freude haben später die Pharisäer einen Tag der Qual gemacht, indem sie mit ihren peinlichen Gesetzesvorschristen jede Arbeit, auch die geringste und unschuldigste, verboten; gegen diese Gesetzesauslcgung hat Jesus immer aufs neue gekämpft. Die christliche Kirche hat an die Stelle des Sabbaths den Sonntag gesetzt, und diesen Freudentag hat zwar die Kirche Englands sich wieder zu einem Tage der Qual gemacht, das deutsche Volk ist aber auf diese engherzige Anschauung nicht eingegangen. Für den Christen ist der Sonntag aber nicht bloß ein Tag der Ruhe und der Gemeinschaft mit Gott in einem Leben der Arbeit mitten in der Welt, sondern auch ein Hinweis auf die ewige Ruhe, die für das Volk Gottes im Himmel vorhanden ist (Hebr. 4, 9—11). b. An die Feier des siebenten Wochentages schließen sich die Feier des siebenten und des fünfzigsten Jahres, des Sabbathjahres und des Jubeljahres, an. Nachdem das Land sechs Jahre getragen hatte, sollte es im siebenten Jahre brach liegen, und was von selber wuchs, sollte den Armen und den Tieren des Feldes gehören; auch sollte den Armen das geliehene Geld im Sabbathjahr nicht abgefordert werden. Nachdem aber das Sabbathjahr siebenmal gefeiert worden war, sollte am Schluß der ganzen Periode das fünfzigste Jahr, das Jubeljahr oder Halljahr, gefeiert werden. Auch im Jubeljahr sollte der Acker nicht bestellt werden; außerdem aber sollten die Leibeigenen freigelassen und jedes verkaufte Grundstück an die Familie des ursprünglichen Besitzers zurückgegeben werden. In diesen Festen war also der Gedanke, welcher der Sabbathfeier zu Grunde lag, noch stärker ausgesprochen: es ist eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes, welche dasselbe zur Gemeinschaft mit Gott führt. Außer­ dem aber sollte sogar (im Jubeljahr) alle Not vom Volke genommen und alles wieder in den gottgemäßen Zustand zurückgeführt werden. Daß nun diese idealen Forderungen des Gesetzes nicht wirklich durch­ geführt worden sind, ist kein Wunder; vor dem Exil hat die Feier des Sabbathjahres selten, die Feier des Jubeljahres allerdings (abgesehen von dem Brachliegen des Ackers) stattgefunden; nach dem Exil ist das Jubel­ jahr ganz in Wegfall gekommen, aber dafür das Sabbathjahr regelmäßig gefeiert worden. Heute betrachten sich die Juden, auch wenn sie Ländereien besitzen, an diese Gesetze nicht mehr gebunden, da dieselben nur für das

Land Kanaan gegeben feien, da es 3. Mose 25, 2 ausdrücklich heiße: „Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch geben werde, so soll das Land seinen Sabbath dem Herrn feiern." c. Diesen Festen des siebenten Tages und des siebenten und fünfzigsten Jahres stehen nun die Jahresfeste gegenüber, ursprünglich nur Ernte­ feste, welche später daneben zu Festen geschichtlicher Vorgänge geworden sind: das Passah-, das Pfingst und das Laubhütten-Fest. An diesen drei Festen sollten alle männlichen Glieder des Volkes Israel znm National­ heiligtum kommen und an dem gemeinsamen Gottesdienste teilnehmen. Wenn nun auch eine streng gesetzliche Feier dieser Feste, wie die strenge Beobachtung des Gesetzes überhaupt, erst für die spätere Zeit nachzuweifen ist, so gehört doch die Gesetzgebung auch für diese Feste der älteren Zeit an. Die drei Feste haben aber folgende Bedeutung. a. Das erste der drei Jahresfeste, das Passahfest, ist aus der Verbindung des eigentlichen Pafsahfestes (des ersten Festtages) mit dem siebentägigen Fest der ungesäuerten Brote entstanden. Das eigentliche Passahfe st war ursprünglich vielleicht ein Frühlingsfest, an welchem die Erstgeburt der Herde Gott geopfert wurde. Aber dieser Gedanke trat später mehr und mehr zurück gegenüber der historischen Bedeutung des Festes, als des Gedächtnisfestes zu Ehren der Erlösung aus Ägypten. Am 14. Nisan (int Frühlingsmonat) sollte daher jeder Israelit für sein Hans gegen Abend ein fehlerfreies einjähriges Lamm (oder eine Ziege) schlachten und dasselbe (ohne ihm ein Bein zu zerbrechen) braten und mit ungesäuertem Brot und bitteren Kräutern verzehren. Dieses Lamm galt nunmehr nicht mehr als ein Dankopfer für den Besitz der Herde, sondern (2. Mose 12, 27) als ein Opfer des Vorübergehens, d. h. der Verschonung (Pesach) des Herrn, der an den Kindern Israels in Ägypten vorüberging, als er die Ägypter plagte; daher der Name Passah (nhdb aramäisch, mit Artikel

ant Ende des Wortes). Das Blut des Tieres sollte den Israeliten mit Gott versöhnen; die Sitte, das Blut an die Thürpfosten zu streichen, ist aber bei den Juden abgekommen, dagegen noch heute ein Rest derselben bei den Samaritanern erhalten. Das Passahmahl ist ein Opfermahl, in welchem Gott mit jedem israelitischen Hause aufs neue in Gemeinschaft tritt, weshalb eben diese Mahlzeit nicht von einzelnen, sondern von der ganzen Familie genossen wird. Später durfte das Paffahlamm nur in Jerusalem geschlachtet werden, weshalb gerade zu diesem Feste besonders viele Juden nach Jerusalem kamen; die Festfeier fand aber später in folgender Weise statt. Bei der Mahlzeit wurde, nachdem der erste und der zweite Becher getrunken war, d. h. ant Anfänge der Mahlzeit, die Festgeschichte erzählt oder vorgelesen. Darauf folgte der Gesang von Psalm 113 und 114, und es begann die eigentliche Festmahlzeit. Darauf folgte der dritte Becher; das ist wohl derjenige, an welchen Jesus die Stiftung des Abendmahls anknüpfte (Luk. 22, 20). Dabei wurden Psalm 114—118 gesungen (Matth. 26, 30) und nun der letzte Becher getrunken; damit war das Festmahl zu Ende.') Im Neuen Bunde ist das Passahlamm zum Borbilde Jesu Christi geworden (1. Kor. 4, 7), durch dessen ant Passahfest erfolgten Opfertod ’) Vgl. Nr. 131b.

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6?. (37.) Die heiligen Zeiten.

den Menschen Versöhnung zu teil geworden ist, so daß wir nunmehr der wahren Gemeinschaft mit Gott teilhaftig werden, welche durch die Blut­ besprengung bei der Stiftung des Alten Bundes nur im Sinnbilde gewährt werden konnte. Das Essen des Passahlammes an dem eigentlichen Passahfeste eröff­ nete aber das sich daran anschließende siebentägige (heute achttägige) Fest der ungesäuerten Brote — ursprünglich wohl ein Dankfest für das neu geschenkte Brot, weshalb die Erstlingsgarbe der zuerst von den Getreide­ arten reifenden Gerste geopfert und das neue Brot in der einfachsten Form (ungesäuert) genoffen wurde. Nach der späteren geschichtlichen Deutung wurde diese Sitte mit dem Auszug aus Ägypten in Verbindung gebracht, wo die Israeliten den Brotteig ungesäuert mit sich nahmen. Diese Sitte des Genusses ungesäuerter Brote hat sich bis auf den heutigen Tag er­ halten, während das Passahmahl seit der Zerstörung des Tempels nicht mehr gefeiert werden kann. ß. Mit dem Pfingstfeste wurde die durch das Passahfest eröffnete Getreideernte abgeschloffen. Dies Fest fiel auf den 50. Tag nach Ostern und wurde früher an einem, später an zwei Tagen') gefeiert; an ihm wurden zwei Weizenbrote, als Erstlingsgaben der nunmehr vollendeten Ernte, dem Herrn dargebracht. Eine historische Bedeutung haben diesem Feste die Juden erst nach der Zerstörung Jerusalems gegeben, indem sie es als Fest der Gesetzgebung betrachteten, da ja Israel (2. Mose 19, 1) im dritten Monat nach dem Auszuge an den Sinai gekommen war. Daß am jüdischen Pfingstfeste durch die Ausgießung des heiligen Geistes die christliche Kirche begründet worden ist, ist bekannt. /. Das letzte der drei Jahresfeste ist das Laubhütten fest. Dasselbe wurde im 7. Monat sieben (später acht, heute sogar neun) Tage lang ge­ feiert; es war zunächst ebenfalls ein Erntefest, das Fest der nunmehr vollendeten ganzen Ernte, auch der Obst- und Weinernte, wobei man im Weinberge im Freien in Zelten wohnte; dann aber wurde es ebenfalls danebm ein historisches Fest, gefeiert zum Gedächtnis daran, daß Gott die Kinder Israels während ihres Wüstenaufenthalts in Hütten wohnen ließ, und darum wurde es nun auch von denen, die an der Weinernte nicht beteiligt waren, durch das Wohnen in zu diesem Zwecke errichteten Hütten gefeiert?) Diesem Feste entspricht kein christliches Fest. d. Eine besondere Stelle unter den jüdischen Festen nimmt der Bersöhnungstag ein, am zehnten Tage des siebenten Monats gefeiert, der einzige Tag, an welchem das Fasten geboten war, was auf die besondere Würde dieses Tages hinweist. An diesem Tage wurde nämlich durch den Hohenpriester alle noch ungesühnte Sünde des Volkes vom letzten Jahre gesühnt. Zu diesem Zwecke mußte der Hohepriester erst seine eigene Sünde sühnen, dann erst konnte er die Sünde des Volkes sühnen. Zuerst ging er deshalb mit dem Blute des für ihn selber, dann mit dem Blute des für das Volk geschlachteten Tieres in das Allerheiligste und besprengte

*) Vgl. unten e. 2) Über den bei diesem Feste üblich gewordenen Fackeltanz siehe Riehms Handwörterbuch*2 s. v. Laubhüttensest Nr. 3.

damit den Deckel der Bundeslade und das Allerheiligste. Dann wurde auch das Heilige und der Rauchopferaltar durch Besprengung mit Opfer­ blut entsühnt, da sie ebenfalls durch die Sünde Israels befleckt waren. Endlich aber fand noch eine ganz besondere Handlung statt. Für das Volk waren nämlich zwei Ziegenböcke zur Sühne gestellt worden; aber nur der eine wurde geopfert, der andere wurde vom Hohenpriester, indem er seine Hand auf ihn legte und dabei ein Sündenbekenntnis ablegte, in sinnbild­ licher Weise mit der Sünde des ganzen Volkes vom letzten Jahre beladens und nach der Wüste geführt. Durch den ersten Bock wurde die Sünde gesühnt, durch den zweiten hinweggeschafft — beides wurde sonst durch eine einzige Handlung, das Opfer, ausgedrückt; hier sind beide Mo­ mente besonders dargestellt.^) Der zweite Bock wurde aber dem Wüsten­ dämon Asasel zugeschickt, einem bösen Geiste, der in der Weise des späteren Satan als ein Gott feindliches Wesen betrachtet wurde?) Dieses Fest nimmt also unter den Festen eine besondere Stelle ein, indem der Hohepriester dabei fungiert, indem das Allerheiligste von ihm betreten wird, und indem das Volk Gottes mit seinem Heiligtum und seiner Priesterschaft von der Sünde des ganzen Jahres entsündigt wird. Aber auch diese Sühne war doch nur eine sinnbildliche Sühne; die wirkliche und dauernde Versöhnung ist, wie der Hebräerbrief zeigt (K. 9), erst durch Jesus Christus den Menschen zu teil geworden. e. Zu den im mosaischen Gesetz verordneten Festen sind später noch einige neue hinzugekommen. So wurde nach dem Exil der siebente Neu­ mond des im Frühjahr beginnenden festlichen Jahres zum bürgerlichen Neujahrsfeste gemacht, wie es noch heute von den Juden gefeiert wird, und zwar an zwei Tagen, damit alle Juden, auch wenn der Kalender, wie das damals leicht vorkam, nicht überall derselbe war, doch wenigstens einen Tag gemeinsam feierten?) Die im Buche Esther berichtete Er­ rettung der Juden gab Veranlassung zum Pur im feste, welches einen Monat vor dem Passah an zwei Tagen noch heute gefeiert wird. Der makkabäischen Zeit gehört das Fest der Tempelweihe an, von Judas Makkabäus gestiftet zum Andenken an die nach der Entweihung durch Antiochus Epiphanes erfolgte neue Einweihung des Tempels. Dasselbe wurde acht Tage lang gefeiert; es heißt auch das Lichterfest, weil es be­ sonders durch Beleuchtung der Synagogen und Häuser gefeiert wurde; am ersten Tage wurde aber ein Licht angezündet, an jedem folgenden Tage eins mehr; diese Sitte erinnerte wohl an das Wiederanzünden der heiligen Lichter im Tempel. Die Sage „erzählte, daß bei der neuen Einweihung des Tempels noch ein wenig Öl in einem Gefäße gefunden worden sei, welches, obwohl scheinbar nur für einen Tag genügend, dennoch für acht Tage ausgereicht habe — ein Vorbild der Sage von Chlodwigs Salbung. Daß man auch (aber mit Unrecht) geglaubt hat, das christliche Weihnachts') Von ihm stammt unser deutsches „Sündenbock". 2) Vgl. die Bitten: „Bergieb uns unsere Schuld" und „Bewahre uns vor dem Bösen!" 3) Vgl. Riehms Handwörterbuch s. v. und H. Schultz, ATliche Theologie^, S. 283—284. 4) An die heutige Datumsgrenze, für welche diese Einrichtung ebenfalls paßt, ist natürlich bei dieser Einrichtung nicht gedacht worden (vgl. Guthe, Geogr. I, § 3).

Heidrich, Heilige Geschichte.

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fest mit seinem Lichterschmuck des Christbaums an das Tempelweihfest ankuüpfen zu dürfen, ist anderwärts gezeigt worden.^) Die Zerstörung Jerusalems und des Tempels ließ noch zwei neue Feste entstehen; die Zerstörung Jerusalems durch die Römer fiel aber angeblich auf den Tag der ersten Zerstörung durch Nebukadnezar, der angeblich auch der Tag war, an welchem Moses wegen des goldenen Kalbes die ersten Opfer­ tafeln zerbrochen hatte. Auch der Tempel ist beidemal angeblich an dem­ selben Tage zerstört worden. f. So ergab sich für das jüdische Volk folgender Festkalender. Im Monate Nisan, dem ersten des kirchlichen Jahres (also im Frühjahr), wird das Passah fest acht Tage lang gefeiert. Im dritten Monat wird das Pfingstfest zwei Tage lang gefeiert. In den vierten und fünften Monat fallen die Feste der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels. Der eigentliche Festmonat ist der siebente Monat (im Herbst); auf den ersten und zweiten Tag desselben fällt das Neujahrsfest, auf den zehnten Tag das Bersöhnungsfest, auf den 15. bis 22. Tag das Laubhütten­ fest. In den neunten Monat fällt das Tempelweihfest, in den zwölf­ ten das Purimfest. Da die späteren Juden die eintägigen Feste (ausgenommen den Ver­ söhnungstag) und die Anfangs- und Schlußtage der mehrtägigen Feste doppelt feierten, um es zu erreichen, wie schon oben bemerkt, daß auch bei Kalender-Differenzen alle Juden wenigstens einen Tag gemeinsam feiern, so ist die Zahl der Feiertage größer geworden, als sie in der alten Zeit war; sie werden aber alle auch noch von den heutigen Juden streng gefeiert. g. An den jüdischen Festkalender hat sich nun, wie anderwärts ge­ zeigt ist*2), das christliche Kirchenjahr mit seinem Festcyklus angeschlossen, wie das schon durch die evangelische Geschichte bedingt war, deren Haupt­ ereignisse bekanntlich auf das jüdische Oster- und Pfingstfest fielen. Die alten Christen fühlten sich an die jüdischen Feste nicht mehr gebunden (Gal. 4, 9—11), und sie wiesen mit Recht darauf hin, daß für den Christen jeder Tag ein Festtag sei; doch hat das Bedürfnis der gemein­ samen Feier auch bei den Christen die Feier besonderer Tage veran­ laßt, zunächst des Sonntags, dann auch der christlichen Feste; wie sich dieses christliche Kirchenjahr im einzelnen entwickelt hat, ist in der Kirchen­ geschichte dargelegt. h.3) Wenn oben die Festgesetzgebung des Volkes Israel in derjenigen Gestalt dargestellt worden ist, wie sie im Priestergesetz vorliegt, so ist doch auch in diesem Punkte der Gesetzgebung — wie bei der Gesetzgebung über das Heiligtum — eine Entwickelung wahrzunehmen, wie von allen Forschern zugestanden wird. Ob aber diese Entwickelung von Wellhausen richtig gezeichnet, und daß der von ihm daraus gezogene Schluß auf das Alter des Priestergesetzes richtig sei, wird von anderen Forschern bestritten. Was der hier folgenden Darstellung Wellhausens von Kittel entgegengehalten wird, wird unten angegeben werden. ’) Vgl. Kirchengerichte' Nr. 68 A, h; diese Darlegung ist bei der zweiten Auflage des Handbuchs in die heilige Geschichte ausgenommen worden; vgl. daher unten Nr. 109. 2) Vgl. meine Kirchengeschichte Nr. 67 (2. Aust.: Nr. 74). 3) Vgl. Wellhausen, Proleg. A, 3. — Nur für den Lehrer.

a. Die Mondfeste. Bei der Bedeutung, welche die Neumondsfeier im alten israelitischen Volks­ leben gehabt Ijdt *), ist es auffallend, daß dieselbe in der Festordnung fast unbe­ rücksichtigt geblieben ist, indem nur für die Feier des Neumonds am National­ heiligtum Sorge getragen ist. Dagegen ist — aber erst im Priestergesetz — der Neu­ mond des siebenten Monats als gesetzlicher Feiertag angeordnet, und seit der nachexilischen Zeit wird derselbe sogar als Jahresanfang betrachtet; erst seit dieser Zeit exfftiert nämlich das noch heute (sogar an zwei Tagen) gefeierte jüdische Neu­ jahrsfest. Auf dem Mondlauf beruht auch der Sabbath, der ursprünglich nach dem Eintritt des Neumonds am 7., 14., 21. u. 28. Tage jedes Monats gefeiert wurde. Allmählich machte sich der Sabbath (und die so entstandene siebentägige Woche) vom Neumond unabhängig, und infolgedessen trat der Neumond allmählich hinter dem Sabbath zurück, so daß später die Neumondsfeier, wie oben bemerkt, nur noch im siebenten Monat eine Rolle spielte. An den Sabbath schließt sich — aber erst nach dem Priestergesetz — das der älteren Gesetzgebung unbekannte Sabbathjahr an. Während nämlich in dem älteren Gesetz nur gefordert war, daß der Acker jedes einzelnen Besitzers in dem je siebenten Jahre brach liege — nicht im ganzen Lande zu gleicher Zeit, sondern zu verschiedener Zeit, so daß die Armen in jedem Jahre brachliegendes Land fanden, dessen von selbst gewachsene Früchte sie sich aneignen durften — so wird im Priester­ gesetz diese Ruhe des Ackers für das ganze Land auf dasselbe Jahr verlegt, so daß dem Sabbathgesetz jetzt auch der Acker unterworfen ist. Daß aber beim Jubeljahr, welches ebenfalls erst im Priestergesetz angeordnet wird, der Acker nicht nur im 49. Jahre, einem Sabbathjahr, sondern auch int 50. Jahre, also zwei Jahre hinter einander wirklich brach gelegen habe, ist undenkbar; das Gesetz von 3. Mose 25 ist in dieser Beziehung wohl niemals ins Leben getreten.

ß. Die Jahresfeste. Nach der jehovistischen und der deuteronomischen Gesetzgebung giebt es drei große Jahresfeste, welche sämtlich auf dem Ackerbau beruhen, der Gmndlage des Lebens wie auch der Religion: das Fest des Anfangs der Ernte, bei dem man das frisch gewonnene, zuerst reisende Getreide (die Gerste) in ungesäuerten Kuchen, d. h. so, wie es aus der Hand der Natur kommt, genoß (mit diesem Feste hat sich das Passahfest, das Fest der Erstlingsopfer der Herde, erst später verbunden); sodann das Fest des Abschlusses der Getreideernte (mit der Weizenernte), und zuletzt das Fest des Abschlusses der ganzen Ernte, wo nun auch die Obst- und die Weinemte beendet war. Diese Nalurfeste haben erst allmählich auch eine geschichtliche Bedeutung gewonnen, welche sich anschließt an die Führung des Volkes aus Ägypten nach Kanaan. Da aber die Führung nach Kanaan zusammenfällt mit der Ge­ währung eines Landes, in welchem das Volk von Gott die jährliche Ernte erhält, so führt die geschichtliche Deutung doch wieder zurück zu der natürlichen Deutung der Feste. So ist das Passahfest, das Fest der Erstlingsopfer der Herde, in Verbindung gesetzt worden mit der Tötung der Erstgeburt in Ägypten; das Fest der ungesäuerten

Brote, das Danksest für den Anfang der Ernte, wurde in Verbindung gebracht mit dem eiligen Auszuge aus Ägypten, der es nicht gestattete, den Teig zu säuern. J) Der Neumond war in der älteren Zeit als Feiertag dem Sabbath gleich­ gestellt und wurde auch als weltlicher Festtag gefeiert.

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65. (37.) Die heiligen Zeiten.

Das Pfingstfest, das Fest der Vollendung der Getreideernte, ist erst später mit der Gesetzgebung am Berge Sinai in Verbindung gebracht worden. Das Laubhüttensest, an dem man in Zellen im Weinberg weilte, um die Weinlese zu haltens, wurde in Verbindung gebracht mit dem Aufenthalte des aus Ägypten ausgewanderten

Volkes in der Wüste, wo sie natürlich unter Zellen wohnten. Wenn die drei großen Feste auf dem Ackerbau bemhen, so können dieselben erst in Kanaan entstanden sein; nur das Passahsest, als ein Fest des Opfers der Erstlinge der Herde, weist auf das frühere Hirtenleben zurück; aber gerade dieses Fest tritt am wenigsten und am spätesten in der geschichtlichen Überlieferung hervor, was wohl daraus zu erklären ist, daß das Hirtenleben gegen den Ackerbau zurück­

getreten war. Am frühesten scheint das Fest der vollendeten Ernte zum allgemeinen Volksfeste geworden zu sein, hinter dem die anderen beiden Feste zunächst zurück­ traten ; erst in der späteren Zeit sind dieselben dem dritten Feste gleichgestellt worden. Während nun die Feste ursprünglich, wie der ganze Gottesdienst in der alten Zeit, in der Heimat gefeiert wurden, forderte das Deuteronomium und besonders das Priestergesetz, daß die Feste in Jerusalem gefeiert würden. Damit ergab sich von selbst, daß die Zeit der Festfeier sich nicht mehr nach der Ernte richtete, die ja in den verschiedenen Gegenden zu verschiedener Zeit eintral, sondern auf einen bestimmten Tag gelegt werden mußte. Wenn aber die Feste sich von ihrer natür­ lichen Grundlage loslösten, so mußte die geschichtliche Deutung derselben immer stärker hervortreten; das ist beim Passahseste und beim Laubhüttenfeste schon in der älteren Zeit, beim Pfingstfeste aber erst nach der Zerstörung Jerusalems geschehen. Daß auch die Art und Weise, wie die Feste gefeiert wurden, durch die Verlegung der Festfeier nach Jerusalem, umgestaltet werden mußte, versteht sich von selbst.

/. Die neuen Feste. Aber nicht bloß umgestaltet, sondern auch erweitert wurde der ältere Kalender durch das Priestergesetz, indem ganz neue Feste aufkamen. Das ist oben schon vom Neujahrsfeste bemerkt worden; hier ist zunächst noch der Bersöhnungstag zu nennen. Ein der älteren Gesetzgebung ganz unbekanntes Fest ist nämlich auch der erst vom Priestergesetz angeordnete Bersöhnungstag, welcher bald an die Spitze aller Feste getreten ist. Derselbe entsprach der Stimmung, welche im Exil im Volke Israel herrschend geworden war, der Stimmung des Druckes der menschlichen Sünde und des göttlichen Zorns, welche auch nach dem Exil noch lange die herrschende Stimmung des jüdischen Volkes blieb. Noch jünger, als die auf dem Priestergesetz beruhenden Feste (Neujahr und Bersöhnungstag), sind andere Feste, welche oben genannt worden sind. i. Dieser Darlegung Wellhausens wird von Kittel folgendes entgegen­ gestellt.-) Wenn Wellhausen aus dem Mangel an Nachrichten über vorexilische Festfeiern, welche dem Priestergefetz entsprochen haben, den Schluß zieht, daß dieses Gesetz vor dem Exil nicht vorhanden gewesen sei, so zeigt sich hier besonders deutlich die Mangelhaftigkeit des argumentum e silentio. Daß die Festgesetze des Bundesbuchs und des Deuteronomiums vor dem Exil vorhanden waren, ist unbestritten — und doch wie wenige Festfeiem weist uns die Geschichte auf, die ihnen entsprochen hätten! Nach

') Wie heute der Obstpächter im fremden Garten oder an der Chaussee. 2) Geschichte der Hebräer I, S. 103 8.

den Andeutungen der geschichtlichen und prophetischen Bücher wäre eigentlich nur das Laubhüttensest wirklich gefeiert worden. Was will es also besagen, daß von einer Feier des Bersöhnungstages weder vor noch nach dem Exil berichtet wird! Auch das ist nicht richtig, daß erst im Priestergesetz den bis dahin rein agrarischen Festen eine historische Bedeutung beigelegt worden sei. Eine historische Bedeutung ist dem Passahfest auch schon im Bundesgesetz beigelegt (2. Mose 23 und 34); andrerseits ist der agrarische Charakter der Feste auch im Priestergesetz meist noch festgehalten (3. Mose 23; anders allerdings 4. Mose 28—29). So ist auch in der Festfeier eine Entwickelung wahrzunehmen; aber über den Gang derselben stimmen die Forscher noch nicht überein, und ebensowenig darüber, ob die Gesetzgebung des Priestergesetzes als erst nach dem Exil entstanden anzu­

sehen sei.

D. Die Gemeinschaft des DolKes mit Gott.

66. (38.) Die Heiligkeit des Bottes Gottes.-) „Ihr sollt mir ein heiliges Volk sein." 2. Mose 19, 5. „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr euer Gott." 3. Mose 19,2.

Wenn nun zunächst Gott mit dem Volke Israel in Gemeinschaft tritt, so muß doch auch das Volk mit Gott in Gemeinschaft treten; das geschieht aber dadurch, daß Israel ein heiliges Volk wird. Wie ge­ schieht das? a. Gott hat sich das Volk Israel zu seinem Eigentum erwählt, aber eben das Volk als Ganzes, nicht die einzelnen Israeliten; deshalb wird man durch die Geburt ein Glied des Reiches Gottes, nicht durch eine Bekehrung. Zwar können auch Fremdlinge in das Reich Gottes aus­ genommen werden, aber nur durch Aufnahme in den israelitischen Bolksverband; daß auch andere Völker, ohne Israeliten zu werden, den Gott Israels anbeten und Glieder des Reiches Gottes werden, ist ein dem Mosaismus noch fremder Gedanke. Aber zu der Aufnahme in das Reich Gottes wird doch für den einzelnen Israeliten noch ein besonderer Weihe­ akt erfordert, nämlich die am achten Tage nach der Geburt an jedem Knaben zu vollziehende Beschneidung. Dieselbe wird vom mosaischen Gesetz als bereits vorhanden vorausgesetzt (3. Mose 12, 3), und da die Israeliten sie mit den Arabern gemein haben, so wird in der That ihre Entstehung in die Zeit der Patriarchen zurückreichen, wie 1. Mose 17 berichtet wird. Durch die Beschneidung, einen sinnbildlichen Reinigungs­ akt, wurde also der einzelne Israelit dem Volke Gottes persönlich einverleibt, und erst durch die Beschneidung gewann er persönlichen Anteil an dem Bunde Jehovahs mit seinem Volke — eine Hindeutung auf das vollkommene Gottesreich, in welches der Mensch nicht durch die leibliche Geburt, sondern erst durch die Wiedergeburt eintritt. b. Das Volk Gottes sollte aber „ein heiliges Volk" sein (2. Mose 19, 5—6). Israel ist zwar schon als Gottes auserwähltes Volk ein ') Vgl. Riehms Handwörterbuch s. v. Reinigkeit, wo der Lehrer Genaueres findet; die Schule kann hier aus alles Einzelne nicht eingehen; einiges davon ist unten besprochen, vgl. Nr. 119.

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66. (38.) Die Heiligkeit des Volkes Gottes.

heiliges Volk, aber es hat doch auch noch die Aufgabe ein heiliges Volk zu werden, indem es seine Heiligkeit in seinem Leben bethätigt. Heilig ist aber nur, wer von jedem sittlichen Makel frei ist; indes im Volke Israel galten auch gewisse äußerliche Verunreinigungen als sittlich be­ fleckend, aber allerdings erst dann, wenn man die im Gesetze gebotene Reinigung unterließ. Eine solche Verunreinigung zieht sich der Israelit zu durch den Genuß des Fleisches der unreinen Tiere oder auch der reinen Tiere, wenn sie nicht regelrecht geschlachtet, sondern umgekommen waren. Ebenso verunreinigt die Berührung eines Leichnams, ja, auch schon der Aufenthalt in seiner Nähe; endlich auch der Aussatz. Wer aber unrein geworden ist, der muß sich bestimmten Anordnungen unterziehen, um nicht seine Unreinheit auf andere zu übertragen, und um selber wieder rein zu werden; aber diese Reinigung wird bewirkt durch äußerliche Handlungen, nicht durch eine Reinigung des Herzens. c. So steht also auch in dieser Beziehung die Gesetzesreligion noch auf dem Standpunkte einer äußerlichen Frömmigkeit, welcher erst im Christentum überwunden worden ist; „wir dürfen aber diese vergänglichen Dinge nicht verachten, sondern müssen darin eine göttliche Ordnung er­ kennen, welche ein wichtiges Hilfsmittel zur Herbeiführung der vollendeten Gottesoffenbarung bildete." *) d.*2) Wo aber die letzten Ursprünge des israelitischen Cerimonialgesetzes liegen, das ist für uns mit einem unzerreißbaren Schleier bedeckt; doch werden wir gewiß nicht irren, wenn wir den Stoff, aus welchem dieses Gesetz gebildet ist, für uralt halten, für viel älter, als die ATliche Religion. Die alten Sitten, welche demselben zu Grunde liegen, haben sich der Gesetzgebung als Stoff gefügt, wenn auch oft als widerwilliger und schwer anzueignender. Wenn wir diese Entstehung des im Cerimonialgesetz enthaltenen Stoffes vor­ aussetzen, so zeigt sich uns um so großartiger und solgenchtiger seine Entfaltung im Gesetz. In allen Lebenszuständen soll sich der Charatter eines heiligen Volkes Ausdruck schaffen; darum tritt das Cerimonialgesetz bis in seine kleinsten Einzelheiten mit dem Ansprüche einer religiösen Forderung auf, ganz wie das Sittengesetz; die Satzungen, welche das äußere Leben regeln, sind gleichsam das heilige Gewand, in welchem allein das Volk seinem Gotte geziemend nahen kann. In der ältesten Zeit hat Israel auf diese Lebensformen ein großes Gewicht gelegt, allerdings nicht im Gehorsam gegen ein geschriebenes Gesetz, sondern in religiösem Hängen an den volkstümlichen Überlieferungen der Väter. Die Propheten

haben auf das Cerimonialgesetz ein sehr geringes Gewicht gelegt, und auch das Deuteronomium betont vornehmlich die sittliche Seite des Gesetzes. Aber schon Ezechiel legt auf das Cerimonialgesetz ein großes Gewicht, und im Exil würde, als der Kultus aufhörte, die Beobachtung der in der Fremde allein noch möglichen heiligen Satzungen, namentlich der Speisegesetze und des Sabbathgebots, zum Kennzeichen der frommen Israeliten. Nach dem Exil erschien das Cerimonialgesetz den Juden sehr wichtig, ja, schließlich noch wichtiger als das Sittengesetz, und diese Denkweise tritt uns später verkörpert im Pharisäismus entgegen. Daß nun aber, wenn nicht die Entstehung (wie Wellhausen annimmt), so doch wenigstens die genauere Ausführung des Gesetzes über die Heiligkeit des

0 Riehm, Handwötterbuch s. v. Reinigkeit. 2) H. Schultz, ATliche Theologie§ 23.

Volkes Israel, das Cerimonialgesetz, erst der exilischen Zeit angehöre, wird von den neueren Forschern allgemein behauptet. e.') Wer aber eine deutlichere Vorstellung von dem gewinnen will, was in Israel für das Thun eines Frommen und Gerechten gegolten hat, der muß sich nicht zuerst an die Gesetzgebung halten, sondern auf die vorbildlichen Gestalten der Väter und der Helden Israels und auf diejenigen Züge achten, welche in Liedern und Sprüchen besonders heworgehoben sind. Wenn die neuere Geschichtsforschung in den Gestalten der ältesten israelitischen Geschichte nicht streng historische Gestalten, sondern Gestalten der Sage erblickt, so ist damit der Bibel nichts von ihrem Werte für die Frömmigkeit genommen; die Sage ist vielmehr in höherem Grade, als die Geschichte, geeignet, eine Trägerin des heiligen Geistes zu werden. In der Geschichte drückt nämlich jebe Gestalt nur annähernd und unvollkommen das aus, was der in einem Volke wirkende Geist will; in der Sage aber ist es dieser Geist selbst, der die Gestalten ausprägt zu Jdealgestalten, welche vom Geiste Gottes durchdrungen und getragen sind. So ist die Besonderheit Israels als des Volkes der Religion in keiner geschichtlichen Gestalt so wahr und lebensvoll ausgedrückt, wie in den Gestalten der Vätersage. Abraham ist lehrreicher für die ATliche Offenbarung, als alle Könige von Saul bis Zedekia. In Jakob ist der Israelit wahrer gezeichnet, als in irgend einer Gestalt der Königsbücher oder der Chronik. Aus ihrer Idealität, nicht auf ihrer Geschichtlichkeit beruht der besondere Wert der Patriarchengeschichte. Außer den Patriarchen tritt uns besonders David als eine ideale Gestalt entgegen, hinter welchem die späteren Könige, auch die frömmsten, zurückstehen. Ideale Persönlichkeiten sind dagegen in größerer Zahl unter den Propheten zu finden, auch unter denen, deren Name uns nicht bekannt ist. Das Musterbild der Hausfrau ist gezeichnet in den Sprüchen Sal. (K. 31, 10—31); das Bild eines Gerechten ist in der Person Hiobs gezeichnet. Daß aber alle diese idealen Personen nicht ohne Mängel gewesen sind, ja. daß sogar die israelitische Sittlichkeit selber noch nicht frei von Mängeln war, ver­ steht sich von selbst; auch in sittlicher Beziehung wird das Judentum vom Christen­ tum übertroffen.

67. (39.) Das Priestertum im Botte Gottes. „Der Herr hat den Priester erwählt, daß er stehe am Dienst im Namen des Herrn." 5. Mose 18, 5. 2. Mose 19, 5—6. 4. Mose 16, 5b. 2. Mose 28, 1. 4. Mose 6, 22 — 27.

a. Bor der Gesetzgebung am Sinai gab es noch kein besonderes Priestertum im Volke Israel, der Hausvater opferte und betete für die Seinigen, der Fürst für den Stamm; auch später sehen wir noch vielfach die Könige und andere Israeliten ohne Vermittelung eines Priesters opfern. Aber schon in der mosaischen Zeit ist der Stamm Levi mit dem besonderen Dienste Gottes betraut, und aus Aarons Nachkommenschaft ein besonderer Priesterstand mit einem Hohenpriester eingesetzt worden. Aber wenn auch schon früher der Gottesdienst am Nationalheiligtum in den Händen der Aaronitischen Priesterschaft gewesen ist, so ist doch *) H. Schultz, ATliche Theologie^, S. 15 und 150s.

erst allmählich der ganze Gottesdienst in ihre Hände gekommen, namentlich seitdem der Tempel Salomos zum Nationalheiligtum Israels geworden, und besonders seitdem der Höhendienst beseitigt und der Tempel zur alleinigen Stätte des öffentlichen Gottesdienstes geworden war. b. Als Gottes erwähltes und als heiliges Volk war aber ganz Is­ rael ein Volk von Priestern, ein „priesterlich Königreich"^, welches seinem Gott nahen durfte und sollte. Aber beim Gottesdienste am National­ heiligtum durfte der gewöhnliche Israelit doch nur den Vorhof betreten^ um zu beten und zu opfern; die Opfer durfte nur der Priester an den Altar bringen, und das Heilige durfte nur der Priester, das Allerheiligste sogar nur der Hohepriester, und zwar nur einmal im Jahre, betreten. Durch diese Anordnungen wurde dem Volke zum Bewußtsein gebracht, daß seine Heiligkeit noch mangelhaft und daß sein Priestertum noch un­ vollkommen sei. Wenn so das allgemeine Priestertum den Israeliten um seiner Sünde willen noch nicht zur vollen Gemeinschaft mit Gott führte, so bedurfte es für ihn noch eines besonderen Priestertums. Wie das Volk durch Gottes Erwählung zum allgemeinen Priestertum gelangt, so beruht das besondere Priestertum ebenfalls auf Gottes Erwählung (4. Mose 16, 5b). Zwar nimmt schon der ganze Stamm Levi eine gewisse Mittelstellung zwischen Gott und dem Volke ein, aber das be­ sondere Priestertum ist doch nur auf die Nachkommen Aarons über­ tragen. Ihr besonderes Priestertum beruht aber freilich nicht auf einer besonderen inneren Heiligkeit, die sie doch eigentlich haben sollten (die doch aber stets nur ein persönliches, nicht ein erbliches Gut ist), sondern auf einer größeren äußeren Heiligkeit, die von ihnen gefordert wird, und auf einer äußeren Weihe, die ihnen zu teil wird. Die strengsten Anforderungen dieser Art werden an den Hohenpriester gestellt. Die Vermittelung des Priesters wird aber nur für den Gottesdienst gefordert, um das Opfer Gott darzubringen und um das Volk zu segnen. Außer­ dem haben die Priester (und auch die Leviten) die Gesetzesüberlieferung zu wahren und die richtige Erklärung und Beobachtung desselben zu über­ wachen. Aber eine Predigt hat es im Gottesdienste Israels nicht gegeben 2), dieselbe ist erst im Synagogen-Gottesdienste aufgekommen, und von der Synagoge ist sie in die christliche Kirche gekommen. c. Die Vorrechte des Stammes Levi und der Priesterschaft waren, obwohl sie kein besonderes Stammgebiet besaßen, nicht gering. Als Wohnsitz wurden ihnen in 48 Städten Häuser und Viehtriften zugewiesen; außerdem wurde ihnen der Zehnte und die Erstlinge nebst manchen an­ deren Einkünften, namentlich auch bei den Opfern, überwiesen. Die niedrigste Stellung nahmen die Leviten ein, welche nur die geringeren Dienste beim Tempel zu besorgen hatten. Der eigentliche Opferdienst lag in den Händen der Priester. Das Haupt der Priester­ schaft war der Hohepriester, der allein berechtigt war, einmal im Jahre das Allerheiligste zu betreten, um das ganze Volk mit Gott zu versöhnen. *) Wörtlich: ein Königreich von Priestem, oder (nach Schlottmann, bibl. Theol. 1889, § 49): ein Königsgeschlecht von Priestern. 2) Noch weniger natürlich vorher; 1. Mose 4, 26 u. 12, 8 u. 26, 25 sind bei Luther unrichtig übersetzt.

Aber weder der Hohepriester, noch die Priesterschaft überhaupt hat in Israel jemals eine große politische Rolle gespielt; Israel war zwar eine Theokratie, aber keine Hierarchie. Nach dem Exil haben die Priester ihr Ansehen sogar bald an die Schriftgelehrten abtreten müssen, und seitdem der Tempel zerstört ist, giebt es im jüdischen Volke überhaupt kein Priestertum mehr. d. Dieser gewöhnlichen Darstellung von der Entstehung und Bedeutung des Priestertums stellt Wellhausen folgende Darlegung gegenüber.') Daß in der vormosaischen Zeit das Volk Israel noch kein Priestertum gekannt hat, wird all­ gemein zngestanden. Aber daß nun durch Moses, wie es im Priestergesetz dar­ gestellt wird, sofort das Priestertum in seiner Gliederung (Leviten, Priester, Hoherpriester) eingesetzt worden sei, das wird von ihm (und anderen Forschern) bestritten, indem sie auf folgendes Hinweisen. a. Wie nach dem ältesten Gesetz überall ein Altar errichtet werden durste, so durfte auch jeder Israelit selber opsern; dazu bedurfte es keines Priesters. Da­ gegen bedurfte ein Gotteshaus eines Priesters, damit derselbe das darin aus­ gestellte Gottesbild bewache und das von der Gottheit in irgend einer Weise gegebene Orakel verkünde. Zwar war dieses Priesteramt nicht an eine bestimmte Abstammung geknüpft, aber es war doch natürlich, daß sich bald ein erbliches Priesteramt bildete. Daher finden wir in der älteren Zeit an den heiligen Orten der Israeliten zwar Priester aus verschiedenen Stämmen, aber doch auch schon ein erbliches Priestertum, z. B. das Priestertum des Hauses Eli. Eine höhere Stellung errang das Priestertum, als der Tempel gebaut wurde. Zwar war ja die Priesterschaft des Tempels vom Könige abhängig, aber sie gewann doch mit dem steigenden Ansehen des Tempels auch selber an Ansehen. Daß sie den Tempel bewachte, war nicht mehr nötig, da diese Aufgabe niederen Aufsehern zufiel; dafür wurde es ihre Aufgabe, das Opfer darzubringen, während früher jeder Israelit selber opfern durfte. An die Stelle des früher begehrten Losorakels (durch Urim und Thummim) *) trat die Belehrung über sittliche Fragen, die man vom Priester in zweifelhaften Fällen forderte. Der ganze Stand schloß sich allmählich, indem sich das Amt meist in der Familie vererbte, zu einem be­ sonderen Stamme zusammen, der nach alter Sitte sich auch eine gemeinsame Ab­ stammung zuschrieb, und da Moses dem Stamme Levi angehört hatte, so galt Jakobs Sohn Levi als der Ahnherr der Priesterschaft. Der Stamm Levi war aber in den Kämpfen mit den Kanaanitern zu Grunde gegangen und hatte deshalb auch kein Stammgebiet erhalten; die Priesterschast nannte sich also nur nach Levi,

ohne in Wirklichkeit von Levi herzustammen. /. Wenn gegenüber dieser Ansicht Wellhausens von der Entstehung des Priestertums Dillmann bei der älteren Auffassung geblieben ist3*),2 4 so wird von H. Schultz^) folgende (mit der Überlieferung mehr übereinstimmende) Ansicht von der Entstehung des Priestertums ausgestellt. Es ist eine harte Zumutung (Wellhausens), daß man sich überreden soll, die priesterlichen Leviten, durch keinerlei wirklichen Verwandtschastszusammenhang ver­ bundene Berufspriester, seien lediglich durch Irrtum mit dem untergegangenen Stamme Levi der Volkssage in Verbindung gebracht worden, weil sie durch ihren ') 2) 3) 4)

Vtzl. Wellhausen, Prolegomena A, 4 und 5. — Nur für den Lehrer. Siehe Riehms Handwörterbuch s. v. Dillmann, ATliche Theologie § 16, S. 127—129. H. Schultz, ATliche Theologie3, S. 136s.

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67. (39.) Das Priestertum im Volke Israel.

Beruf zu einer Art von künstlichem Stamme zusammengewachsen waren. Viel wahrscheinlicher erscheint die Annahme, daß Levi, der Stamm des Moses, einer der ältesten Führerstämme Israels, durch ihn zugleich, wie die Überlieferung angiebt,

als heiliger Stamm mit den Vorrechten des öffentlichen Priestertums ausgestattet worden ist. Als politisch sührender Stamm ist Levi in den Kämpfen mit den Kanaanitern bis zur Bedeutungslosigkeit und zum Verluste selbständiger Existenz abgeschwächt worden (so daß er kein besonderes Stammgebiet erhalten hat), wie Ruben in den Kämpfen mit Moab, Simeon wohl im Kampfe mit den Wüsten­ völkern. In seinen Resten sah sich nun Levi darauf angewiesen, den von Moses ihm zugeteilten Anspruch auf den Dienst Jehovahs gellend zu machen; er hat seinen Anspruch durchgesetzt und ist dadurch schließlich der geistige Herrscherstamm in Israel geworden. ö. Die Priester haben aber eine größere Bedeutung namentlich infolge der Verlegung der Bundeslade an den Königssitz gewonnen, und besonders der glänzende Tempel, den Salomo baute, bot ihnen einen natürlichen Mittelpunkt und günstige Daseinsbedingungen. Bald gewann nun die Priesterschaft in Jerusalem eine höhere Stellung, als die der andern Heiligtümer. Als nämlich vom Deuteronomium ge­ fordert und von Josia durchgesetzt wurde, daß der Tempel in Jerusalem als die einzig-berechtigte Kultusstätte galt, da sollten die nach der Zerstörung der anderen Heiligtümer brotlos gewordenen Priester der Priesterschaft von Jerusalem ein­ gegliedert werden und an ihren Einkünsten teilnehmen. Diese Forderung des Deuteronomiums konnte aber in Wirklichkeit nicht durchgesührt werden, fonbem es bildete sich jetzt das (später als ursprünglich angesehene) Verhältnis heraus, daß das eigentliche Priestertum in den Händen der Priesterschaft von Jerusalem blieb, während die Priester der anderen Heiligtümer nur sür die niederen Dienste am Tempel verwandt wurden, welche bisher von Sklaven und Fremden ausgeführt worden waren. Für diese niederen Tempeldiener kam jetzt der Name Leviten auf, welcher früher alle Priester bezeichnete. Wie der Unterschied der Leviten und der Priester, so ist auch der der Priester von dem Hohenpriester erst später entstanden; wenigstens einen solchen Hohen­ priester, wie das Priestergesetz ihn zeichnet, hat es vor dem Exil nicht gegeben. f.1) Diese Darlegung Wellhausens wird nun, wie man glaubt, durch die Geschichte bestätigt; während nämlich nach der Priesterschrift der nach dem Exil bestehende Priesterstaat schon als in der Wüste von Moses eingerichtet dargestellt wird, so zeigt die Geschichte ein anderes Bild. Bon dem im Priestergesetz er­ wähnten Heere von 22 OOO Leviten und von vielen Priestern ist weder in der Wüste noch später etwas zu finden; der Priester der Lade ist Moses (nicht Aaron), und ihm dienen nicht 22 000 Leviten, sondern der einzige Knabe Josua. Auch später ist selten von einem Priester die Rede. Neben Eli sind Priester seine beiden Söhne, und ihnen dient ein Knecht. Zu denselben kommt später der Knabe Samuel, kein Levit, und derselbe schläft — im vollsten Widerspruche gegen das Priestergesetz — jede Nacht bei der Bundeslade. Auch die Könige haben nur wenige Priester gehabt, und nicht immer aus dem Stamme Levi, und dieselben standen als Beamte unter dem Könige, nicht unter dem Hohenpriester, von dem in der alten Zeit nichts zu hören ist. In der alten Zeit hat nämlich das Priesterrecht der Leviten nicht als ein ausschließliches Recht auf alle Opfer und sonstigen heiligen Handlungen ge*) Smend, ATliche Religionsgeschichte (1893), § 4.

gölten, sondern nur als ein Privileg für die öffentlichen Opfer, die eine bestimmte Technik voraussetzten; dem Hausvater, dem Stammhaupte, dem prophetischen Führer und dem Könige war eine priesterliche Thätigkeit beim Opfer durchaus nicht ver­ boten. Erst seitdem das Volk aus dem Exil zurückgekehrt war aber keinen König an seiner Spitze hatte, gab es eine wirklich so mächtige und zahlreiche Priesterschaft, wie das Priestergesetz schon für die alte Zeit annimmt, bestehend aus dem Hohen­ priester, den Priestern und den Leviten, und das Oberhaupt des eines weltlichen Herrschers entbehrenden nachexilischen Volkes war wirklich der Hohepriester. Aber nicht lange hat die Priesterschaft sich dieses großen Ansehens erfreut; an die Stelle der Priester traten allmählich die Schriftgelehrten, und zur Zeit Jesu stehen den meist sadducäischen Priestern die pharisäischen Schriftgelehrten gegenüber als die wirklichen Führer und Herren des jüdischen Volkes. e. Was sich erst allmählich entwickelt hatte, wurde also vom Priestergesetz, wie die neueren Forscher glauben, als ursprünglich geltende und durchgesührte Ordnung dargestellt. Auch hier glaubt Wellhausen die drei Perioden der israelitischen Geschichte nachweisen zu können, die er auch in anderen Beziehungen gefunden zu haben glaubt. Die älteste Zeit (vertreten im jehovistischen Gesetz) weiß noch nichts von der Notwendigkeit eines besonderen Priestertums; die spätere Zeit (vertreten im Deuteronomium) hält das Priestertum für notwendig, aber kennt noch nicht den Unterschied von Priestenr und Leviten und Hohenpriester, welcher erst in der nachexilischen Zeit (durch das Priestergesetz) zur Geltung gebracht worden ist. Auch hier versteht es sich von selbst, daß nicht alle Forscher mit Wellhausen übereinstimmen.

68. (40.) Das Opfer im Volke Gottes. „Es soll niemand leer vor dem Herrn erscheinen." 5. Mose 16, 16. „Die Seele (das Leben) des Fleisches ist im Blute, und ich habe es euch gegeben an den Altar, um eure Seelen zn versöhnen; denn das Blut versöhnt mittels der Seele." 3. Mose 17, 11. „ Ohne Blutvergießen geschieht nach dem Gesetz keine Vergebung." Hebr. 9,22.

a. Die Gemeinschaft des Volkes Israel mit Gott beruht, wie die Gemeinschaft mit Gott in der Religion überhaupt, auf dem Glauben an den sich ihm offenbarenden Gott; Gott aber hatte sich den Israeliten besonders durch die Erlösung aus Ägypten, durch die Bundschließung und

die Gesetzgebung am Sinai geoffenbart. Die Gemeinschaft mit Gott bethätigt sich in der Sittlichkeit, und die Grundforderungen der Sittlich­ keit enthält der Dekalog. Die Gemeinschaft mit Gott spricht sich aus im Gebet; auch Israels Gemeinschaft mit Gott spricht sich aus im Gebet. Für den Gebetsverkehr mit Gott giebt nun das Gesetz keine Bestimmungen; der Israelit betet in seinem Hause und braucht dazu keinen Priester. Aber zum Gebet, als dem Ausdruck der Gemeinschaft mit Gott, kommt nun für den Israeliten noch das Opfer hinzu, in welchem ebenfalls seine Gemeinschaft mit Gott zur Darstellung kommt; ja, der Israelit darf über­ haupt nicht, wenn er betet, „leer vor dem Herrn erscheinen", d. h. der Betende soll zugleich ein Opfer bringen (5. Mose 16,16) oder wenigstens, wenn er nicht im Heiligtum betet, ein solches geloben. Wenn nun

in der älteren Zeit vornehmlich private Opfer dargebracht werden, so hat das Opfer in der späteren Zeit vornehmlich eine Bedeutung für den Gottesdienst des ganzen Volkes gewonnen. Die ununterbrochene Gemeinschaft Gottes mit seinem Volke beruht auf dem ununterbrochenen Opferdienst; dieser Dienst ist an das Nationalheiligtum und an die priester­ liche Vermittelung gebunden. Der einzelne Israelit bethätigt seine Teil­ nahme an diesem Gottesdienste seines Volkes durch seine Anwesenheit beim Opfer im Vorhof des Heiligtums, denn wenigstens an den drei großen Festen ist es seine Pflicht, beim Opfer des Volkes zugegen zu sein. b. Das Opfer der Israeliten ist aber nicht eine Eigentümlichkeit der mosaischen Religion, sondern beruht auf älterer Überlieferung und findet sich auch in fast allen heidnischen Religionen. Auf dem niederen heid­ nischen Standpunkte nimmt aber der Mensch an, daß die Gottheit der menschlichen Gaben bedürftig ist, oder wenigstens, daß sie durch die äußer­ lichen Gaben erfreut wird. Dagegen glaubten (mit den höher stehenden Heiden) die Israeliten, daß das Opfer der Gottheit darum gefalle, weil der Mensch ihr durch das Opfer seine Huldigung beweise. Gott bedarf nicht der Nahrung (Pf. 50, 8 s.), wie die Heiden und natürlich auch die Israeliten in der alten Zeit und manche gewiß auch noch später glaubten, sondern der Mensch opfert, weil Gott an der Gesinnung des Opfernden Wohlgefallen hat. Damit das geschehen könne, muß auch das Opfertier makellos sein; ein schlechtes Opfertier würde eine Geringschätzung Gottes bekunden; aber ein Menschenopfer will Gott auch nicht haben, das hatte schon Abraham erkannt; gegen das Gesetz hat Jephtha ein solches dargebracht. c. Die Opferung findet aber im allgemeinen in der Weise statt, daß der Opfernde das Tier oder eine andere Gabe in die Nähe des Altars bringt, womit er erklärt, daß er diese Gabe Gott darbringen wolle. Dem Tiere legt er aber seine Hand auf, um dasselbe sinnbildlich zum Träger seiner religiösen Gesinnung zu machen, welche darauf gerichtet ist, Gott für etwas zu danken oder ihn um etwas zu bitten. Diese Absicht bringt aber der Opfernde zur Ausführung durch die Schlachtung des Tieres, wodurch dasselbe Gott übergeben wird, indem es ganz oder zum Teil an den Altar gebracht wird. Diesem Thun des Menschen entspricht nun als Thun Gottes die Annahme des Opfers, welche sich am deutlichsten dadurch vollzieht, daß dasselbe von dem als heilig geltenden Opferfeuer verzehrt wird und im Rauche zum Himmel, dem Wohnsitz Gottes, emporsteigt. In dem Empor­ steigen des Opferrauches zum Himmel fand der Mensch eine Gewähr für die Annahme seines Opfers seitens der Gottheit. d. Die Opfer entspringen aber entweder dem Bewußtsein, der Sünden­ vergebung und Heiligung noch zu bedürfen (meist blutige Opfer), oder dem Bewußtsein, schon geheiligt zu sein (meist unblutige Opfer). Unter den blutigen Opfern werden Brandopfer und Friedensopfer (— Dankopfer) unterschieden. Auf Grund dieser Opfer werden dann erst unblutige Opfer seitens der nunmehr als geheiligt geltenden Gemeinde dargebracht. Solche Opfer sind die Speiseopfer der einzelnen Israeliten, und seitens der Gemeinde die durch die Priesterschaft im Heiligen dargebrachten Rauch­ opfer und auch die im Heiligen beständig aufgelegten Schaubrote.

e. Durch sittliche wie auch durch körperliche Verunreinigung wird nämlich, wie oben bemerkt •), der Mensch ein Sünder. Der Sünder aber hat Schuld auf sich geladen und hat Strafe zu erwarten, bei äußerlicher Verunreinigung allerdings erst dann, wenn er die im Gesetz gebotene Reinigung unterläßt. Um nun die Gemeinschaft zwischen dem Sünder und dem heiligen Gott wieder herzustellen, bedarf es der Sühne^), welche aber nur möglich ist bei Sünden, welche nicht „mit erhobener Hand* (d. h. in geflissentlicher Widersetzlichkeit gegen Gott), sondern „in Ver­ irrung" begangen worden sind. Durch die Sühne wird nicht etwa die für ein Unrecht gesetzlich feststehende Strafe aufgehoben, sondern nur die Gemeinschaft mit Gott für den Sünder wieder hergestellt. Das Mittel der Sühne ist aber für das Volk Israel das Opfer. Während nun durch das Brandopfer und das Friedensopfer beim nationalen Gottesdienst die Sünde im allgemeinen gesühnt werden soll, geschieht die Sühnung der einzelnen Sünden durch das Sündopfer und die der Rechtsverlchungen überhaupt (die ja stets von einzelnen ausgehen, nicht vom Volke) durch das Schuldopfer. Das Blut des Tieres wird aber beim Sündopfer entweder nur an den im Vorhof stehenden Brandopferaltar gesprengt (beim Opfer des gemeinen Mannes und des Stammesfürsten) oder an die Hörner des Räucheraltars im Heiligen und an den Vorhang des Allerheiligsten (beim Sündopfer der Gemeinde und des Hohenpriesters); bei jenen wird das Fleisch des Tieres von den Priestern verzehrt, bei diesen außerhalb des Lagers verbrannt. Auch zur Entsündigung des ganzen Volkes wurden nämlich Sünd­ opfer dargebracht, und zwar zunächst an jedem Neumond und an den drei großen Jahresfesten. Die umfassendste Entsündigung des ganzen Volkes aber fand am großen Bersöhnungstage statt. Wie das Paffahfest die jährliche Erneuerung der Bundesgemeinschaft für den einzelnen Israeliten ist, so ist der Bersöhnungstag die jährliche Sühnung des ganzen Volkes. ^) Diese Sühnung durch Opfer kann aber nur vom Priester bewirkt werden, und Opfern und Sühnen ist gerade die Hauptaufgabe des Priestertums.

f.4*)* 3Wie wird nun aber der Sünder durch das Opfer mit Gott versöhnt? a. Daß Gott nicht bloß dem Frommen, sondern auch dem Sünder gnädig sein will, das ist eine der Grundvoraussetzungen des Alten Bundes; aber freilich nur gegen denjenigen kann Gott gnädig sein, welcher auch das ernstliche Verlangen hat, von der ihn drückenden Schuld der Sünde frei zu werden. Gottes Gnade und des Menschen Reue sind also die Voraussetzungen der Sündenvergebung im Alten, wie auch noch im Neuen Bunde. Aber dem Wesen des Men Bundes entsprechend, muß diesem inneren Vorgänge zwischen Gott und Mensch auch eine äußere Realität ent-

') Vgl. Nr. 66. s) Nicht aber die Vergänglichkeit des Menschen, sondern die Sünde (Riehm gegen Ritschl), und weniger die Sünde überhaupt, als bestimmte einzelne Sünden fordern Sühne. 3) Vgl. Nr. 65. 4) Dillmann, ATliche Theologie § 56.

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68. (40.) Das Opfer im Volke Gottes.

sprechen, durch welche derselbe nicht bloß versinnbildlicht, sondern auch, wie das Alte Testament annimmt, verbürgt wird. Daß Gott gnädig ist, wird verbürgt durch den heiligen Ort, den Altar, den er als Stätte der Gnade eingesetzt hat, und durch das zu diesem Zwecke geordnete Priestertum; nur am Altar und durch den Priester wird dem Sünder die Gnade Gottes zu teil. Daß der Sünder bußfertig ist, dokumentiert er durch eine äußere Gabe, ein Opfer, welches er Gott darbringt. Zu einer solchen Gabe gilt aber als am meisten geeignet ein Tier; „das Blut des Tieres ist von Gott dem Menschen gegeben, seine Seele zu sühnen" (3. Mose 17, 11). Ohne Opfer, Altar und Priester giebt es also im Alten Bunde keine Vergebung der Sünde. Daß nun aber Gott auch dem Opfernden wirklich vergiebt, das erkennt derselbe aus der Annahme des Opfers durch Gott: das Blut wird an den Altar gesprengt; der Rauch der verbrannten Fleischstücke steigt gen Himmel, zu Gott, empor; das übrige Fleisch wird, als eine heilige Sache, von den von Gott eingesetzten Priestern verzehrt. Ohne diese äußeren Zeichen der Annahme des Opfers seitens Gottes wird im Alten Bunde der Sünder der Gnade Gottes nicht gewiß. Aber die Gnade Gottes kann nur demjenigen zu teil werden, welcher sich nicht mit Absicht gegen Gott vergangen hat; für einen mut­ willigen Sünder giebt es im Alten Bunde keine Vergebung; seine Seele wird ausgerottet aus der Mitte des Volkes. Daß aber etwa das ganze Volk Israel einmal, weil es sich mut­ willig gegen Gott versündigt hat, von Gott verstoßen werden könnte, unb wie es dann wieder zu Gnaden angenommen werden sollte — davon ist im eigentlichen Gesetz nirgends die Rede. ß. Wie erlangt nun der Mensch durch das Opfer Vergebung: der Sünde? Das Opfer im allgemeinen ist eine Gabe des Menschen an Gott,, durch welche er den ihn bewegenden frommen Gefühlen und Wünschen einen sinnlichen Ausdruck giebt, und durch deren Annahme an seinem Altar ihn Gott seiner Gnade versichert. Seine Gefühle und Wünsche spricht aber der Mensch beim Opfern aus und giebt sie dem Tiere mit, indem er seine Hand auf dasselbe legt. Damit ist aber nicht gesagt, wie die ältere Theologie annahm, daß das Tier stellvertretend die Sünde auf sich nimmt und für den Menschen die von ihm verdiente Strafe, den Tod, erleide (satisfactio vicaria); die Notwendigkeit des Opfers beruht nicht auf dem Zorn Gottes (wie die ältere Theologie lehrte), sondern auf der Heiligkeit Gottes, welcher mit dem Sünder nicht ohne weiteres in Gemeinschaft treten kann. Vielmehr ist die ATliche Anschauung die, daß durch das Blut des Tieropfers die Sünde oder der Sünder vor Gott bedeckt wird. Wenn aber der Sünder durch das Blut des geopferten Tieres vor Gott bedeckt wird, so wird er dadurch vor Gott gereinigt und geweiht. Daß diese Weihe durch Blut bewirkt wird, hat mit Sühne oder Strafe gar nichts zu thun, sondern beruht auf der alten Vorstellung, daß. durch die Gemeinschaft des Blutes die Gemeinschaft des Lebens — hier nicht der Menschen unter einander, sondern der Menschen mit Gott — begründet, bez. erneuert wird. Wenn diese Gemeinschaft bei der Bund-

schließung begründet worden ist, so wird sie bei jedem Opfer erneuert. Dieser ursprüngliche Gedanke, auf welchem die Heiligkeit des Opferblutes beruht, ist allerdings im Gesetz nicht mehr ausgesprochen; in demselben wird einfach vorausgesetzt, daß das Opferblut die Unreinheit des Sünders wegnimmt und in die Gemeinschaft mit Gott versetzt. Wenn der Sünder vor dem heiligen Gott erscheinen soll, so bedarf es eines Priesters, der ihn zu Gott führt, und einer Weihung, damit Gott seine Unwürdigkeit nicht ansieht. Dieses „hochzeitliche Kleid", in welchem er vor Gott erscheinen kann, verleiht ihm die Gabe, die er Gott darbringt (denn „es soll niemand leer vor dem Herrn erscheinen" [5. Mose 16,16] — ebensowenig wie vor dem König), besonders aber das Blut des von ihm dargebrachten Opfers.') Zwar ist ja nun das Tierblut, wenn man es recht betrachtet, nicht geeignet, des Menschen Sünde zu bedecken, wie der Hebräerbrief mit Recht sagt (K. 9, 9 u. 14; K. 10, 1—4); aber die durch dasselbe im A. T. bewirkte Vergebung der Sünden beruht ja auch nicht auf der inneren Kraft des Tierblutes, sondern aus der göttlichen Gnade, welche das Opfer als Sühnmittel eingesetzt hat, und auf der vom Menschen zu erfüllenden Bedingung, daß er seine Sünde bereut. Daß aber des Menschen Reue und sein Vertrauen auf Gottes Gnade auch ohne Opfer genügen, um Vergebung der Sünden zu erlangen — das wird im Gesetz des Alten Bundes nicht angenommen. y. Wenn nun im Gesetz des Alten Bundes natürlich vor allem der äußere Vorgang der Versöhnung betont wird, so wird dagegen in den Propheten und in den „Schriften" vornehmlich der innere Vorgang derselben betont; von ihnen wird immer wieder darauf hingewiesen, daß das bloße äußere Opfer dem Menschen noch nicht Vergebung der Sünden verschaffe. Aber aus dieser Erkenntnis haben diese Frommen nicht etwa den Schluß gezogen (den wir ziehen), daß das äußere Opfer unnötig sei 2), daß dasselbe wenigstens in dem messianischen Reiche aufhören werde; nur gegen die Überschätzung des äußeren Opfers ist ihre Predigt gerichtet,

und damit stimmen sie ja sogar mit dem Geiste des Gesetzes selber überein (Hos. 11, 8; Jes. 43, 25; Mich. 7, 20). Wenn von den Propheten und in den „Schriften" int Gegensatz zu dem äußeren Opfer die innere Umkehr des Sünders betont wird, die sich in einem frommen Wandel äußert, so hat sich allerdings später an diese Predigt der Irrtum angeschloffen, daß durch gute Werke (z. B. Al­ mosengeben) die Sündenvergebung verdient werde; aber das ist erst die Meinung des nachexilischen Judentums. d. Wenn in dieser Betonung des inneren Momentes beim Opfer die Propheten mit dem Gesetz übereinstimmen, so sind sie doch in anderer Hinsicht über das Gesetz entschieden hinausgeschritten. Zuvörderst predigen die Propheten auch von Vergebung der mut­ willigen Sünde, für welche es im Gesetz kein Opfer giebt, sondern *) H. Schultz, ATliche Theologie °, S. 265 e. 2) Dieser Erkenntnis kommen am nächsten Ps. 32 und 51; aber auch in Psalm 51 ist das Opfer (nach den Schlußversen, die dieser nachexilische Dichter hina nur so lange als entbehrlich betrachtet, bis der zerstörte Tempel wieder her­ ist.

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68. (40.) Das Opfer im Volke Gottes.

welche daselbst mit Ausrottung aus der Gemeinde bedroht ist1) Aber jedenfalls giebt es für das Volk als Ganzes eine Vergebung auch der mutwilligen Sünde, und zwar ohne Opfer (welches ja auch im Gesetz für diesen Fall gar nicht vorgesehen war), aus bloßer göttlicher Barm­ herzigkeit (Jes. 43, 22—25). Mit dieser Predigt näherten sich die Pro­ pheten der Predigt des N. T. vom verlorenen Sohne, welcher von Gott aus reiner Gnade wieder zum Sohne angenommen wird (am meisten Jes. 54, 6—10). s. Aber diese Erkenntnis der Propheten ist trotz der Zerstörung des Tempels, welche dazu führen konnte (und im neueren Judentum wirklich dazu geführt hat) im Judentum zunächst nicht herrschend geworden. Schon der Prophet Ezechiel konnte sich das neue Gottesreich nicht ohne Priester und Opfer denken; vollends das nach dem Exil zur Anerkennung gebrachte Priestergesetz hat den äußeren Kultus mehr betont, als das jemals früher geschehen war. So war denn dem nachexilischen Judentum die Predigt der Propheten von der Wertlosigkeit des äußeren Kultus wieder ferner getreten, erst im Christentum ist dieselbe zur Anerkennung gekommen. Aber selbst im Christentum ist das Opfer nicht ganz verschwunden; die katholische Kirche legt ja noch heute auf das Meßopfer das größte Gewicht; erst die evangelische Kirche hat sich zu der Erkenntnis erhoben, daß es seitens des Christen keines anderen Opfers bedürfe als des Opfers der Selbsthingabe an Gott. g.2)3 Über die Entstehung und allmähliche Ausbildung des Opfers haben neuere Forscher folgende Ansicht aufgestellt. et. Wenn nach dem Priestergesetz das Opser bei den Israeliten erst durch das mosaische Gesetz eingeführt worden ist, so zeigen die geschichtlichen Bücher des A. T., daß das Opser auch schon in der vormosaischen Zeit bei den Israeliten ebenso üblich war, wie es ja auch fast überall in der heidnischen Welt üblich ist. Das Opfer ist aber seiner Bedeutung nach eine Gabe des Menschen an die Gottheit, durch welche er derselben Ehre erweist und wodurch er ihre Gnade zu gewinnen hofft. So ist also das Opfer dem Gebete ähnlich, durch welches ja der Mensch ebenfalls Gott Ehre erweist und etwas von ihm zu erlangen sucht. Wenn nun der Mensch opfert, so giebt er Gott, was er hat, natürlich das Beste von dem, was er hat; aber es kommt nicht darauf an, was er giebt und wie er dasselbe giebt (wie im Priestergesetz), sondern auf die Gesinnung, in welcher er die Gabe darbringt.^) Die nächstliegenden Gaben waren Nahrungsmittel, die ja nach der alten Vorstellung der Gottheit ebenso notwendig und angenehm waren, wie den Menschen. So wurde der Gottheit Brot dargebracht; dieses Brotopfer hat sich in den sogen. Schaubroten im Volke Israel stets erhalten. Daß man am Anfang der Ernte nngesäuertes Brot opferte (und später wenigstens noch am Passahfeste aß), hatte seinen Grund in der Eile, mit der man neues Brot essen und opfern wollte, oder vielleicht auch in der Sitte der ältesten Zeit, welche das Brot überhaupt noch un-

0 Das wird allerdings mehr nur angedeutet als ausgeführt Ezech. 18 und 33. 2) Vgl. Wellhausen, Prolegomena A, 2. — Nur für den Lehrer. 3) Daher sagt mit Recht Jeremias (K. 7, 22), daß beim Auszug aus Ägypten keine Vorschriften über die Opfer gegeben worden seien.

gesäuert aß. Aber da das Volk Israel ursprünglich nicht ein ackerbauendes Volk, sondern ein Hirtenvolk war, so waren älter, als das Brotopfer, die Tieropfer. Dagegen haben die Israeliten das Menschenopfer wohl erst in Kanaan kennen und verwerfen gelernt (1. Mose 22: Abraham, vgl. dagegen Jephthas Opfer).') Wenn man aber der Gottheit etwas opferte, so wurde dasselbe in der älteren Zeit einfach hingestellt (so die Schaubrote), indem man hoffte, daß die Gottheit die Gabe selber genießen werde; erst in späterer Zeit verbrannte man die Gabe, in der Meinung, daß der „liebliche Geruch" des Opfers für die Gottheit ein angenehmer Genuß sei; der Geruch ist die am wenigsten materielle Form des Genießend. Während man früher das Tier nur schlachtete und sein Blut auf einen heiligen Stein laufen ließ-), wurde dasselbe später ganz oder meist nur zum Teil verbrannt; von dem Überreste wurde ein Opsermahl veranstaltet. Wenn man also ein Tier

schlachtete — der Fleischgenuß war aber in der alten Zeit bei den Israeliten nur eine Ausnahme — so erhielt stets die Gottheit ihren Anteil; das Übrige verzehrte

man beim Opfermahl, bei welcher sich die Teilnehmer mit der Gottheit zur Gemein­ schaft verbunden glaubten. $) So war das Opfer in der alten Zeit eine das ganze häusliche Leben durch­ ziehende Handlung, bei welcher man sich der Gemeinschaft mit Gott freute — nicht vornehmlich, wie später, ein Mittel, um den zürnenden Gott zu versöhnen. ß. So lange nun jeder Israelit sein Opfer darbrachte, wann und wo und wie er wollte, konnte sich ein einheitliches Opferritual nicht bilden; nur daß die Gabe der Gottheit gegeben wurde, daraus kam es beim Opfer an. Als nun aber nach der Forderung des Deuteronomiums das Opfer nicht mehr zu Hause, sondern nur noch in Jerusalem dargebracht werden sollte, da wurde aus der freien, häuslichen Feier eine cerimonielle Volksfeier, bei welcher der einzelne Mensch hinter dem ganzen Volke zurücktrat. Da kam es nun natürlich darauf an, daß der Priester das Opfer in der rechten Weise darbrachte; das Opferritual wurde nunmehr eine Sache von der größten Bedeutung. War aber früher das Opfer mit allen Wechselfällen des Lebens verbunden, so wurde es jetzt hauptsächlich ein Mittel der Sühne für die Sünde, von der man sich in der späteren Zeit, als das Volk seinen Untergang gefunden, und denselben, wie es glaubte, durch seine Sünde verschuldet hatte, viel mehr bedrückt fühlte, als dies früher der Fall gewesen war. So gewann nun das Opfer in der Priestergesetzgebung eine bestimmte Gestalt, die es früher nicht gehabt hatte. Da als Zweck des Opfers jetzt vornehm­ lich die Sühne erschien, Sühne aber nur, wie man jetzt meinte (3. Mose 17, 11), durch Blut gewonnen werden konnte, so traten die früher allgemein üblichen un­ blutigen Opfer zurück hinter den jetzt bevorzugten blutigen Opfern, unter denen fortan das erst jetzt hervortretende Schuldopfer und das Sündopfer die Hauptrolle hielten. /. Daß auch im Volke Israel, wie bei den anderen Völkern, das Opfer­ wesen eine Entwickelung durchgemacht hat, und daß die spätere Opfergesetzgebung nicht buchstäblich von Moses herstammt — das geben alle Forscher zu. Aber über die Frage, wie diese Entwickelung sich vollzogen hat, und wann die Opfergesetz^ebung des Priestergesetzes entstanden sei — darüber gehen die Meinungen der verschiedenen Forscher noch heute auseinander. ') Anders H. Schultz, ATliche Theologie^, S. 131 s. 2) Aus dem heiligen Stein ist später der Altar geworden. 3) So ist auch für den Christen das heilige Abendmahl ein Mahl der Gemein­ schaft Christi mit den Seinen. Heidrich, Heilige Geschichte. 16

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E. 69. (41.) Frömmigkeit und Gottesdienst des Alten Bundes :c.

E. 69. (41.)

Frömmigkeit und Gottesdienst des Atte« Bundes im BerhAtnis zum Christentum?)

Sirach 50, 1—21. Ps. 122. 48. 27, 4. 84, 11. Hebr. 10, 1—4. 1. Petr. 2, 9. Röm. 12, 1. Ps. 50, 13. Ps. 15. 24. Jes. 1. Jer. 7. Ps. 51, 18—19 und 20—21. Jer. 30, 18. Jes. 66, 21—23. Joh. 4, 21. Off. 21, 22.

a. Aus dem Glauben an Gott, der das Volk Israel aus Ägypten

geführt hatte, hat sich der Gottesdienst im Volke Israel entwickelt. Wenn sich aber der israelitische Gottesdienst in der älteren Zeit in freierer Weise gestaltet hatte, so hat er dagegen in der späteren Gesetz­ gebung eine fest bestimmte und reich entwickelte Gestalt erhalten. Neben den Sabbath, der im Dekalog allein genannt ist, treten die anderen Feste. Die im Bundesbuch schon genannten, aber noch nicht geordneten Opfer werden genau festgesetzt und gesetzlich geordnet. Das Priestertum über­ nimmt das ganze öffentliche, später auch das häusliche Opferwesen. Zu­ nächst neben den Gottesdienst an den verschiedenen heiligen Stätken, dann an seine Stelle tritt der Gottesdienst im Bolksheiligtum, zuerst in der Stiftshütte, dann im Tempel. Seit dem Tempelbau gewinnt der Gottes­ dienst eine noch mehr entwickelte Gestalt, indem zum Opfer auch Gebet und Gesang in kunstmäßiger Weise hinzutreten. Zwar erst in den Syna­ gogen, wo der Opferdienst fehlte, hat die Predigt eine Stelle im Gottes­ dienste erhalten; aber nicht mit Unrecht rühmen die Frommen des Alten Testaments ihre schönen Gottesdienste (Sir. 50, 1—21. Ps. 122. 48. 27, 4), und ein Tag in den Vorhöfen des Herrn erschien ihnen besser, denn sonst tausend Tage (Ps. 84, 11). b. Äls die Juden nun im Exil waren und keinen Tempel mehr

hatten, da bildeten sich die Synagogen, und dieselben bestanden weiter, auch als der Tempel wieder aufgebaut worden war. Der Gottesdienst in der Synagoge wurde aber in folgender Weise gehalten. Er begann mit Gebet, welches von einem Erwachsenen auf die Aufforderung des Synagogenvorstehers (stehend, das Gesicht nach Jerusalem gewandt) ge­ sprochen wurde, wobei die Gemeinde öfters, namentlich auch mit Amen, respondierte. Die auf das Gebet folgenden Bibellektionen (aus dem Pentateuch und den „Propheten", vgl. Apg. 13, 15) konnten ebenfalls von jedem Gemeindegliede (stehend, vgl. Luk. 4, 16) vorgetragen werden. Da nun aber die hebräische Sprache den Juden fremd gewordm war, so wurde der Schriftabschnitt (im jüdischen Lande) in die aramäische Landes­ sprache übertragen. An die Bibellektionen schloß sich ein erbaulicher Bortrag, eine Predigt, an, von dem Prediger (im Sitzen, vgl. Luk. 4, 20) gehalten, wozu gleichfalls jeder Jude berechtigt war. Den Schluß des Gottesdienstes bildete der durch ein priesterliches Gemeindeglied der Ge­ meinde erteilte Segen, den die Gemeinde mit Amen beantwortete; war kein Priester vorhanden, so wurde der Segen nicht erteilt, sondern erbeten. ’) Den ganzen Abschnitt von der Gesetzesreligion wird nun der Lehrer noch einmal zusammensassen, und dabei wird der Lehrer, soweit die Zeit es gestattet, noch einige Bibelabschnitte lesen und besprechen, und immer auss neue mag er dabei auf den Unterschied zwischen Judentum und Christentum Hinweisen.

E. 69. (41.) Frömmigkeit und Gottesdienst des Alten Bundes rc.

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c. Der Gottesdienst in der Synagoge hat aber auch neben dem Tempelgottesdienste eine besondere Bedeutung gewonnen; während der Gottesdienst im Tempel nur gar zu bald ein äußeres Werk wurde, wurde durch den Gottesdienst in der Synagoge eine neue, über den sinnbildlichen Gottesdienst des Tempels hinausgehende, geistigere Form des Gottesdienstes geschaffen, welche auch die tieferen Bedürfnisse des frommen Herzens mehr befriedigte, als der sinnbildliche Gottesdienst des Tempels, über welchen das Volk allmählich hinausgewachsen war. In den Synagogen fand das Gebet eine Stelle, und wenn dasselbe ebenfalls wieder veräußerlicht wurde, so war es doch für Jesus leicht, in seiner Predigt die rechte Weise des Gebets der falschen gegenüberzustellen. In den Synagogen wurde die heilige Schrift vorgelesen und darüber gepredigt, und wenn auch die Schriftgelehrten das Wort Gottes verkehrt deuteten, so konnten doch Jesus und die Apostel an die Schrifworlesung der Synagoge die rechte Auslegung des Gotteswortes anknüpfen. So hat sich nicht an den Gottesdienst im Tempel, sondern an den in der Synagoge der christliche Gottesdienst angeschloffen, die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit. d. Es war ja nun auch den Frommen des Alten Bundes nicht verborgen, daß der äußere Gottesdienst nicht die Hauptsache sei; Psalmen und Propheten weisen immer aufs neue darauf hin, daß nur die innere Hingabe an Gott den Menschen vor Gott wohlgefällig mache (Ps. 50. 51. 15. 24. Jes. 1. Jer. 7). Aber die große Mmge hielt sich (wie ja auch vielfach in der Christenheit) für fromm, wenn sie die äußeren Ceremonieen des Gottesdienstes beobachtete. Und in der späteren Zeit hat diese äußere Frömmigkeit sich noch immer mehr veräußerlicht; ja, selbst die Propheten, welche den inneren Gottesdienst vor dem äußeren priesen, haben doch nicht erkannt, daß im vollendeten Reiche Gottes Opfer und Priester, Sabbath und Tempel aufhören werden. Während David spricht (Ps. 51, 18): „Du hast nicht Lust zum Opfer, und Brandopfer gefallen dir nicht", hat ein späterer Dichter (wie die Kritiker wohl mit Recht annehmen) diesem berühmten Bußpsalm Davids die Worte angefügt (B. 20—21): „Baue die (zerstörten) Mauern zu Jerusalem (wieder auf); dann werden dir gefallen die Opfer der Gerechtigkeit; dann wird man Farren auf deinem Altar opfern." •) Und derselbe Jeremias, der von dem neuen Bunde predigt, der nicht wie der Bund sei, den Gott mit den Vätern machte (31, 31—33), sagt dennoch (30, 18): „Die Stadt (Jerusalem) soll wieder auf ihre Hügel gebaut werden, und der Tempel soll stehen nach seiner Weise." Und aus den zurückgeführten Juden wird, wie der zweite Jesaias sagt (66, 21—23), „Gott Priester und Leviten nehmen, und alles Fleisch wird einen Sabbath nach dem andern kommen anzubeten vor Gott." Es war dem Christentum Vorbehalten, zu verkündigen, daß man im vollkommenen Gottesreiche weder bloß in Jerusalem noch auf dem Garizim Gott anbeten werde, und daß es im neuen Jerusalem keinen Tempel mehr geben werde (Off. 21, 22); mit dem Tempel fallen natürlich auch das Priestertum und das Opferwesen; von dieser *) Vgl. Riehm, ATliche Theologie § 62. — Neuere Theologen betrachten allerdings oen ganzen Psalm als nachexilisch.

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II. Die Hoffnung der Frommen des Alten Bundes :c.

neuen Gestalt des zukünftigen Gottesreiches haben auch die Frommen und die Propheten des Alten Bundes noch nichts gewußt. e. „Das Gesetz hat nur den Schatten von den zukünftigen Gütern, nicht das Wesen der Güter selbst" (Hebr. 10, 1); die wahre Gemeinschaft mit Gott ist dem Menschen erst im Christentum zu teil geworden; nur einen Borschmack und ein Sinnbild derselben hat das Volk Israel besessen; das gilt von seiner ganzen Religion. Gott hat sich diesem Volke in einem neuen Namen (Jehovah) als den Heiligen geoffenbart; aber auch Moses hat Gott noch nicht vollkommen erkannt; erst der Sohn Gottes hat uns in dem allmächtigen Gott, von dem schon die Heiden wußten, und in dem heiligen Gott, von dem die Israeliten wußten, auch den Gott der Liebe erkennen laffen (Joh. 1, 18). Gott hat mit dem Volke Israel einen Bund geschloffen, aber erst der Neue Bund ist der Bund Gottes mit allen Völkern. Gott hat den Israeliten ein Gesetz gegeben, aber erst die von Christus gepredigte Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. Gott wohnte im Volke Israel, und zwar in der Bundeslade, in der Stiftshütte und im Tempel; aber das waren nur die sinnbildlichen Stätten der Gegenwart Gottes; die wirk­ liche Stätte der Gegenwart Gottes ist die Gemeinde. Der Sabbath und die Feste Israels waren Gott gehnligte Tage; aber der Christ unter­ scheidet nicht mehr „Tage und Monden und Feste und Jahreszeiten" (Gal. 4, 10), sondern betrachtet alle Tage als Gott geweiht (Röm. 14, 5). Israel sollte ein heiliges Volk sein, aber erst die Christenheit ist das wahrhaft heilige Volk (1. Petr. 2, 9), nicht bloß äußerlich geheiligt, sondern inwendig (Röm. 2, 25—29). Die Priesterschaft sollte das ge­ heiligte Israel sein, aber sie war nur ein Sinnbild desselben; das wahre priesterliche Königreich ist die Christenheit (1. Petr. 2, 9). Nur eine sinnbildliche Hingabe des Mmschen an Gott fand bei den Israeliten im Opfer statt, bei uns eine wirkliche Hingabe an Gott ohne äußere Opfer, und erst das ist „der vernünftige Gottesdienst" (Röm. 12, 1). So ist erst im Christentum die Vollendung der Gesetzesreligion erschienen.

II. Dir Hoffnung der Frommen des Alten Bundes; dir Propheten und dir Weissagung. „Wie Gott vor Zeiten manchmal und mancherlei Weise zu den

Israeliten durch die Propheten geredet hat." Vorbemerkung für den Lehrer.') Die Propheten und die Weissagung des Alten Testamentes lernt der Schüler vor allem durch die Lektüre der messianischen Weissagungen (welche der Schüler zu lernen hat)?), kennen. Die zunächst dargebotenen betrachtenden Abschnitte über die Propheten und die Weissagung (Nr. 70—76) sollen dem Lehrer für die *) Vgl. die Einleitung zu diesem ganzen Abschnitt, Nr. 50. -) Vgl. Nr. 77, 2.

Erklärung der Weissagung gute Dienste thun; sie sind dem Schüler nicht vorzuiragen; wie dem Schüler eine Einleitung in diesen Abschnitt darzubieten ist, wird unten (Nr. 77, 1) gezeigt. Wenn der Lehrer nach der Besprechung der messianischen Weissagungen noch Zeit übrig hat, dann mag er, namentlich wenn dies bei der Durchnahme der Geschichte Israels nicht geschehen ist, dem Schüler noch einen oder mehrere der bedeutenderen Propheten (Jesaias, Jeremias und zweiter Jesaias oder Joel, Nahum und Maleachi) oder einige Abschnitte der prophetischen Predigt, wie sie unten (Nr. 77, 3, B, f) zusammengestellt sind, vorführen, um demselben die Predigt der Propheten auch noch mehr im Zusammenhänge vorzuführen.

70. Einleitung. *) a. Vor dem 8. Jahrhundert waren die Gedanken des Volkes Israel vor­ nehmlich auf die Gegenwart gerichtet. Infolgedessen trat nicht bloß für den Einzelnen das Dasein nach dem Tode noch völlig zurück hinter dem Erdenleben mit seinen Freuden und Leiden, seinen Rechten und Pflichten, sondern auch dem Volke ließen die Sorgen und Freuden der Gegenwart schwerlich die Stimmung, an Ideale der Zukunft zu denken. Allerdings ganz ohne Gedanken der Hoffnung ist Israel niemals gewesen. Es war der Grundgedanke des Mosaismus, daß Israel Gottes Eigentum sein sollte vor allen Völkern, ein priesterlich Königreich, in dem Jehovah regiere (2. Mose 19, 5—6); aber die hohe Idee verwirklichte sich im gelobten Lande nur Mmmerlich und äußerlich, und selbst ihre schattenhafte Verwirklichung zerbrach mit dem Unter­ gänge des israelitischen Staates. Um so höher lebte diese Idee auf in den An­ schauungen der Propheten als Idealbild der Zukunft; denn der wahre Gott mußte auf Erden doch endlich den Sieg behalten und seinen Triumph feiern in der Her­ stellung eines Gemeinwesens, über das er alle seine Segnungen ausgösse und von dem er alle Mängel hinwegnähme, in welchem das Wort volle Wahrheit wäre: „Ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein." Dies Idealbild eines herrlichen und seligen Gottesreiches in Israel und von Israel aus über alle Wett war der eigentliche Grundgedanke der meffianischen Hoffnung. Die im engeren Sinne so genannte messianische Idee, das Hoffnungs­ bild eines persönlichen Messias, ordnete sich diesem Grundgedanken durchaus unter; dasselbe konnte schwanken und verblassen, das Ideal des Gottesknechts oder die bloße Theophanie konnte an seine Stelle treten, und infolgedessen ein Gewirr sich widersprechender messianischer Vorstellungen im Volke entstehen: das Gottesreich blieb die unwandelbare Erwartung aller Frommen des Volkes Israel.-) b.3*)2 Wenn nun mit der Weissagung von der Gründung eines vollkommenen Gottesreiches dem Volke Israel etwas Neues dargeboten worden ist, so scheint es selbstverständlich zu sein, daß die Predigt der Propheten erst dem Gesetz nachgefolgt sei; erst mußte doch das Gottesreich gegründet werden (und das ist durch die Gesetzgebung geschehen), ehe an die Vervollkommnung desselben ge­ dacht werden konnte (von welcher die Propheten sprechen). *) Nr. 70—76 sind nur für den Lehrer bestimmt. 2) Beyschlag, NTliche Theologie I, S. 42s. 3) Vgl. Baleion, Vergängliches und Ewiges im A. T. 1895.

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71. (70.) Die Weissagung im Volke Israel.

Wenn trotzdem die neuere Theologie (Wellhausen) nicht von „Gesetz und Propheten" spricht (wie die ältere Theologie), sondern von „Propheten und Gesetz" — wie ist das zu verstehen? Wenn Jesus spricht von „Gesetz und Propheten" (z. B. Mtth. 5, 17)'), so bezeichnet er damit die beiden Teile der heiligen Schrift des A. T., wie sie in dieser Folge als Norm der israelitischen Frömmigkeit anerkannt worden waren. Zuerst nämlich ist ja das Gesetz (das Deuteronomium schon durch Josia, das Priestergesetz und das ganze Gesetz in der Zeit des Esra) als heilige Schrift an­ erkannt worden, und erst nach dem Gesetz sind auch die Propheten im Sinne der hebräischen Bibel als solche anerkannt worden. Wenn also von den Büchern gesprochen wird, so ist unzweifelhaft (so auch Wellhausen) von „Gesetz und Propheten" zu sprechen; wenn aber nicht von den Büchern, sondern von den Erscheinungen (der gesetzgebenden und der prophe­ tischen) die Rede ist, so darf man sprechen Don „Propheten und Gesetz", um damit zwei Perioden der israelitischen Geschichte nach demjenigen Momente zu unter­ scheiden, welches in jeder derselben vorherrschend ist, aber nicht alleinherrschend. Niemand behauptet, daß Gesetz sei erst entstanden und einflußreich geworden, als die prophetische Entwickelung bereits abgeschlossen war; die Existenz des Deu­ teronomiums im 7. Jahrhundert und die des Bundesbuchs in noch früherer Zeit würde eine solche Behauptung sofort widerlegen. Aber andrerseits leugnet auch niemand, daß auch die Prophetie auf die Entstehung und Entwickelung des Ge­ setzes und auf die ganze Geschichte Israels Einfluß gehabt habe. Ein Prophet ist ja Moses offenbar gewesen (vgl. 5. Mose 34,10), und der prophetische Charakter des Deuteronomiums im Gegensatz zum Priestergesetz ist doch nicht zu verkenneil. Aber nicht bloß der Gründer der israelitischen Religion war ein Prophet, sondenr bei jedem großen Ereignis in der Geschichte Israels spielt die Prophetie eine be­ deutende Rolle; das Königtum wurde durch einen Propheten gegründet; die Haupt­ momente der späteren Geschichte sind durch die Wirksamkeit von Propheten bestimmt (Jesaias und Jeremias); die Rückkehr und die Wiederherstellung des Volkes erfolgt unter dem Einfluß der Predigt der Propheten (Jesaias II., Ezechiel, Maleachi). Erst als die Predigt der Propheten verstummt, da ist die Religion Israels erstatt zur Gesetzesreligion, und erst durch einen neuen Propheten, den größten von allen, ist die Religion Israels zur Vollendung geführt worden. Wenn so die Prophetie als die Hauptmacht in der Entwickelung des Volkes Israel anzusehen ist, welche erst verstummt, als das Gesetz die vorherrschende Macht wird, so ist es nicht unangemessen, von „Propheten und Gesetz" zu sprechen, um die Reihenfolge der geschichtlichen Erscheinungen im Volke Israel zu bezeichnen. c. Beide Ausdrucksweisen, sowohl „Gesetz und Propheten", als auch „Pro­ pheten und Gesetz" sind also wissenschaftlich berechtigt; durch die erstere wird die chronologische Reihenfolge der Bücher, durch die zweite die Reihenfolge der ge­ schichtlichen Erscheinungen im Volke Israel treffend bezeichnet.

71. (70.) Die Weissagung im Volke Israel. a. Des Menschen Handeln wird im allgemeinen durch Gesetz und Sitte und Gewissen bestimmt, und je besser die Gesetze des Staates sind, je menschlicher die Sitten des Volkes, je mehr das Gewissen des einzelnen Menschen geschärft ist, x) Aber Paulus sagt in demselben Sinne „die Propheten und Moses" (Apg. 26, 22).

desto besser wird der Mensch in jedem einzelnen Falle wissen, was er zu thun und zil lassen hat. Aber wie oft fühlt sich nicht dennoch der Mensch in wichtigen Dingen ratlos; wie oft ist er nicht zweifelhaft, ob er den rechten Entschluß gefaßt habe; wie wenig kann er den Erfolg und vollends die Folgen seines Thuns im voraus erkennen! Da entspringt denn im Menschen der Wunsch nach göttlicher Belehrung, und aus dem Wunsche entspringt der Glaube, daß die gütige Gottheit ihm ein Zeichen geben werde. So ist bei allen Völkern der Glaube an gottgesandte Zeichen und an die Kunst sie zu deuten und ein besonderer Stand von Zeichendeutern und besonderen Deulungsstätten entstanden; auch beim Volke Israel war dieser Glaube vorhanden, und auch in der Christenheit ist er noch heute nicht verschwunden. Und nicht garrz verwerflich ist dieser Glaube. Wenn der Mensch trotz alles Nachdenkens nicht erkennen kann, wie er handeln soll, dann mag er das Los werfen, wie die Apostel thaten, als sie aus den zwei zum Apostelamt geeigneten Männern den Gott wohlgefälligen nicht herauszufinden vermochten. Aber der Mensch darf fteilich dabei nicht vergessen, daß er ja bestimmt hat, welches die Deutung des Loses sein solle; Gott hat ihm nicht gesagt, welches die Deutung ist. Lug und Trug und mancherlei verwerfliches Thun knüpfen sich aber nur gar zu leicht an die Zeichendeutung an, und wie bei allen Naturvölkern, so spielte auch beim Volke Israel die Wahrsagung eine große Rolle. Aus Vorgängen in der Natur und aus Vorgängen im Menschen, wo derselbe durch Bewußtlosigkeit (im Traum oder in der Ekstase) zum Naturwesen wird, suchte auch der Israelit die Zukunft zu erfahren. Und an die Wahrsagung schloß sich auch im Volke Israel die Zauberei an, welche nicht auf dem rechten Wege (durch Gebet und Ergebung in Gottes Willen), sondern mit Gewalt den Willen Gottes sich unterthänig machen will. Zwar hat ja nun Moses die heidnische Wahrsagung und Zauberei verboten, aber so weit verbreitete Dinge lassen sich nicht auf einmal beseitigen; wenn der Israelit in Not geriet, ging er, ebenso wie der Heide, zum Wahrsager (z. B. Saul, um zu erfahren, wo die verlorenen Eselinnen seien) oder zum Zauberer (auch wieder Saul, dem die Zauberin den verstorbenen Sanmel heraufbring eil soll). Ja, selbst mancher Christ geht noch heute zur Zigeunerin, um sich wahrsagen zu lassen, und zum Wunderdoktor, der das behexte Vieh gesund machen soll. b. Wenn so die Wahrsagung in Israel zwar ebenfalls vorhanden, aber vom Gesetz eingeschränkt war, so besitzt dagegen das Volk Israel in der Weis­ sagung eine göttliche Gabe und einen wertvollen Schatz; statt der heidnischen Wahrsager giebt es wenigstens in Israel wirklich gotterleuchtete Propheten. Zur Verwaltung des Gottesdienstes, namentlich am Nationalheiligtum, war das Priestertum im Volke Israel eingesetzt worden; dasselbe war ein erbliches, stets vorhandenes Amt im mosaischen Gottesstaate. Das Prophetentum ist nicht ein erbliches Amt, sondern ein persönlicher Beruf, dessen Aufgabe es nicht ist, Opfer darzubringen oder die Gesetze auszulegen, sondern zur Frömmigkeit und zum rechten Handeln zu ermahnen, sowohl im allgemeinen, als auch in einzelnen Fällen; so verMndet der Prophet Nathan dem König David den Willen Gottes hinsichtlich des Tempelbaus; Jesaias warnt den König Ahas vor dem Bunde mit Assyrien; Jeremias rät, Jerusalem den Chaldäern zu übergeben. Die Propheten haben nicht, wie die Wahrsager, die Ausgabe, den Menschen auf beliebige rechte oder unrechte Fragen Antwort zu geben; der Prophet und die Weissagung haben eine höhere Aufgabe. Durch einen Propheten, Moses, hat Gott den Alten Bund gegründet; Männer, wie Samuel, Nathan, Elias, haben durch Wort und That

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71. (70.) Die Weissagung im Volke Israel.

den Bund Golles aufrechterhallen, und auf die Erhaltung des Gottesreiches im Alten Bunde ist zunächst die Thätigkeit der israelitischen Propheten gerichtet. Aber die Propheten haben nicht bloß das Gottesreich aufrechterhalten, sondern sie haben dasselbe auch vervollkommnet, indem sie neue Einrichtungen für dasselbe schufen (z. B. Samuel das Königtum, Josia und Esra die neuen Gesetz­ gebungen) oder auf die wahre Frömmigkeit hinwiesen (Samuel: Gehorsam ist besser denn Opfer). Endlich aber haben die Propheten, als der Bund Gottes mit Israel dem Untergänge nahezukommen schien, gepredigt von der Aufrichtung eines neuen Bundes und von der Vollendung des israelitischen Gottesreiches. Und als der Neue Bund gegründet war, da haben Jesus und seine Apostel, wiederum als Propheten, von der Vollendung des noch heute nicht vollendeten Reiches Gottes gepredigt. So hat es die Weissagung der Propheten nicht mit den einzelnen Fragen zweifelnder Menschen zu thun, sondern mit der großen Frage des Volkes Israel und der Menschheit nach dem Reiche Gottes. Da nun aber das Reich Gottes nicht unter den Heiden, sondern im Volke Israel begründet worden ist, so giebt es auch nur im Volke Israel wahre Weissagung und rechte Propheten, und nur in schwachen Abbildenr findet sich auch unter den Heiden eine Art von Weissagung von einem Reiche Gottes. c. Wie nun der Glaube an Gott auf Offenbarung beruht, so ist auch die Weissagung nicht aus menschlichem Nachdenken hervorgegangen, sondern auch sie beruht auf göttlicher Offenbarung; ja, „die Inspiration der Propheten ist das Herz der ATlichen Offenbarung, ihre ganze Erscheinung überhaupt die mächtigste Bürgschaft für die Erwählung und Erziehung des Volkes Israel als eine besondere Veranstaltung Gottes zum Heil der Menschheit."') Zwar auch die Propheten haben über die Wege Gottes nachgedacht, und als Menschen ihre klugen und gu4en Gedanken ihren Mitmenschen milgeteilt (wie wenn der Prophet Nathan zunächst Davids Absicht billigt, Gott einen Tempel zu bauen); aber sie haben als Pro­ pheten sich nur dann gefühlt und als Worte Gottes ihre Gedanken nur dann bezeichnet, wenn sie durch Offenbarung, die ihnen (in verschiedener Weise) zu teil wurde, dessen inne wurden, daß Gott ihnen einen Aufschluß gegeben habe, der nicht auf bloß menschlicher Klugheit beruhte. Zwar auch bei der Offenbarung selber ist ja der Prophet nicht ganz passiv-) (was wenigstens nur selten vorkommt), sondern der menschliche Geist wird von Gott innerlich erleuchtet und über die ihm gewöhnlich gezogenen Schranken emporgehoben, so daß er „eine Frage frei hat an das Schicksal", und in die Wege Gottes einen Blick zu thun vermag, der ihm für gewöhnlich versagt ist. Aber auch der Prophet wird nicht über alle Schranken des menschlichen Wissens emporgehoben, so daß er allwissend würde wie Gott. Zeit und Stunde der Erfüllung seines Wortes weiß der Prophet nicht anzugeben; die ganze Zukunft schauen die Propheten stets in einem Bilde. Wie der Wanderer die Landschaft von dem Gipfel eines Berges als ein Bild vor sich schaut, ohne nach diesem Anblick angeben zu können, ob die seinem Auge sich dar­ bielenden Gegenstände neben oder hinter einander und wie weit sie hinter einander liegen: so kann auch der Prophet nicht sagen, ob das von ihm geschaute Bild vom ') Kautzsch, Bibelübers. II, S. 160. a) Der regelmäßige Zustand der prophetischen Begeisterung ist nicht die Ekstase, und die regelmäßige Form der Offenbarung ist nicht die Vision (gegen Hengstenberg); das Gegenteil ist richtiger; aber vollends ein leibliches Sehen und Hören Gottes ist bei oer Offenbarung Gottes an die Propheten keinesfalls an­ zunehmen (gegen König, Offenbarungsbegriff des A. T. 1882).

vollkommenen Gottesreiche auf einmal oder in einzelnen Abschnitten und in welchen Zeiträumen nach einander verwirklicht werden wird. Der Prophet weiß, was kommen wird, aber nicht wie und wann es kommen wird; er kennt seine Gegen­ wart als ein Stück des Weges zum Ende, und er kennt auch das Ende, aber die Länge des Zeitraums und die Zahl der Zeitperioden bis zum Ende ist ihm nicht bekannt. Andere Schranken des Wissens der Propheten werden unten genauer angegeben werden. Göttliche Offenbarung in menschlicher Hülle ist auch die Weis­ sagung, wie all unser Wissen von Gott, wie alle Offenbarung Gottes an die Menschen; „Gottheit und Menschheit in einem vereint" — das ist der Charakter aller Offenbarung, auch der Weissagung. Und auch nach einer erhaltenen Offenbarung hört das eigene Denken des Propheten nicht auf, sondern auch für ihn selber wird nun das, was Gott ihm gegeben hat, zum Gegenstand menschlichen Nachdenkens, so wie wir über die Offenbarung Gottes nachdenken; und die christ­ liche Theologie hat ja eben die Aufgabe, die Offenbarung Gottes immer tiefer zu erfassen und immer besser zu verstehen. So soll nun im folgenden die von Gott gegebene Weissagung der Gegenstand unseres Nachdenkens werden.

72. (71.)

Die Propheten des Lottes Israel.

a. Durch Moses war das Gottesreich im Volke Israel beAründet worden; Josua hatte das Volk in das Land Kanaan geführt, und hier sollte nun das Volk Gottes dem Gesetz Gottes gemäß leben. Aber die Zeit der Richter war zunächst eine Zeit des Abfalls von Gott, und erst mit Samuel beginnt eine Rückkehr zu Gott, und zugleich ist er der Begründer von neuen Jnstilulionen im Volke Gottes; er begründet nämlich in Israel einerseits das Königtum, andrerseits das Prophetentum. Als Richter hatte Samuel keinen Nachfolger, sondern er war der letzte Richter, und sein Nachfolger war ein König: aber wenn auch Samuel aufhörte Richter zu sein, als Saul zum König erhoben wurde, so blieb er doch ein Prophet, als der er ebenfalls im Volke Israel gewirkt hatte, und als Prophet hat er viele Nachfolger gehabt. Denn mit der Begründung des Königtums war die Aufgabe des Prophetentums im Volke Israel nicht erschöpft, sondern immer wieder sind Propheten ausgetreten, um das Volk auf dem rechten Wege zu erhalten oder auf den rechten Weg zurückzuführen, und bei diesem Streben sind die Propheten oft nicht bloß dem Volke, sondern auch den Königen, wie auch den Priestern entgegengetreten. Das hat bekanntlich schon Samuel gethan, indem er dem von ihm selber eingesetzten Könige Saul den Verlust des Thrones anMndigte; Ähnliches ist auch in der späteren Geschichte des Volkes öfters geschehen. b. Wenn nun die älteren Propheten mit Recht als Männer der That be­ zeichnet werden (die Gründung des Gottesreiches durch Moses, die Begründung des Königtums durch Samuel, der Kampf gegen den Götzendienst durch Elias sind vornehmlich Thaten dieser gottbegeisterten Männer), neben welcher ihre Predigt weniger in Betracht kommt, so sind die Propheten seit dem 8. Jahrhundert vorwiegend Männer des Wortes, für welche die mündliche Predigt die Haupt­ sache ist, durch welche sie auf ihre Zeitgenossen wirken wollen. Daß ihre Predigt auch ausgezeichnet wurde, ist meist erst nachträglich geschehen, und diese ausge­ zeichnete Predigt sollte nur ihre mündliche Predigt unterstützen. Dagegen sind die exilischen Propheten (Ezechiel, Haggai, Sacharja, Meleachi) weder Männer der That, noch des Wortes, sondern als Propheten der Schrift'anzusehen,

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72. (71.) Die Propheten des Volkes Israel.

indem sie von vornherein hauptsächlich durch ihre Schriften zu wirken suchen, neben denen ihre Predigt weniger in Betracht kommt. c. Wir besitzen nun in der hebräischen Bibel zunächst drei Bücher von Jesaias, Jeremias und Hesekiel, sodann die Bücher zwölf anderer Männer (kleine Propheten, so genannt wegen des geringeren Umfangs ihrer Bücher); alle diese Schriften gehören dem zweiten Teile der hebräischen Bibel an (den sogenannten Propheten im weiteren Sinn — der erste Teil der hebräischen Bibel ist das Gesetz, d. h. die fünf Bücher Mosis); dagegen gehört erst dem dritten Teile der hebräischen Bibel (den sogenannten Schriften) der Prophet Daniel an?) Im folgenden soll nun eine chronologische Übersicht über die im Alten Testament enthaltenen Propheten­ bücher und ihreir Hauptinhalt gegeben werden?) d. Die älteste prophetische Schrift des Alten Testaments ist vielleicht die des Joel, welche noch der Zeit vor der Machtausbreitung der Assyrer angehört. Joel predigt um das Jahr 825 int Reiche Juda, und verkündet, als nach einer schreck­ lichen Heuschreckenplage und Dürre seine Zeitgenossen sich bußfertig zeigten, den herannahenden Tag des Herrn, an welchem das Reich Gottes vollendet werden würde, indem alle Israeliten vom Geiste Gottes erleuchtet würden. Von einem Messias und einer Bekehrung der Heiden enthält seine Predigt noch nichts?) In die Zeit der Ausbreitung der assyrischen Macht gehören Amos, Hosea, Sacharja K. 9—11, Jesaias und Micha?) Die Propheten Amos und Hosea verkündigen nach dem Jahre 800 (c. 775 und c. 750) dem Reiche Israel den Untergang durch das damals mächtiger werdende Reich der Assyrer; aber Juda soll verschont bleiben, und durch den Anschluß der wiederbefreiten Unterthaneir Israels an Juda wird unter der Da vidi sch en Dynastie (aber noch nicht unter einem persönlichen Messias) die Einheit des Reiches wiederhergestellt und das Reich Gottes, auch über einige heidnische Nachbaren sich erstreckend, welche dem Davidischen Reiche unterworfen werden, gegründet. Der unbekannte Verfasser des dem nachexilischen Sacharjabuche angefügten ersten Anhanges, Sacharja K. 9—11 (K. 12—14 gehören einer etwas späteren Zeit an)5*), 6 * 3 predigt 4 zuerst unter den Propheten von einem messianischen Könige, welcher die ganze Erde, obwohl fried­ lich waltend, sich Unterthan machen werde?) Die Hauptpropheten der assyrischen Zeit aber sind Micha und besonders sein Zeitgenosse Jesaias; beide verkünden, ') Daß dem Buche des Jesaias die Weissagung eines zweiten Propheten (oder mehrerer), und dem Buche des Sacharja die Weissagung zweier anderer Propheten angesügt ist (so daß uns also Schriften von mehr als sechzehn Propheten erhallen sind), ist an andern Stellen dargelegt. *) Das Folgende ist nach Riehm gegeben; auf wichtigere abweichende An­ sichten der neueren Zeit ist in den Anmerkungen hingewiesen. 3) König, (Eml. § 66) setzt Joel in die letzte Zeit des Josia (c. 600), Kautzsch (II, S. 202) um 400, also nach Maleachi. — Als älteste prophetische Schrift betrachtet Kautzsch die von Jesaias (K. 15, 1—16, 12) aufgenommene Weissagung eines älteren Propheten. 4) Genaueres über diese Propheten siehe oben Nr. 40. 5) Kautzsch (II, S. 203) weist Sach. 9—14 in die Zeit von Maleachi (c. 400) oder noch später; König (§ 73) setzt Sach. 9—11 in die Zeit von c. 732 (Zeit des Jesaias), Sach. 12—14 in die Zeit des Todes des Josia (c. 600). 6) Dieser Prophet könnte vielleicht ebenfalls Sacharja geheißen haben, so daß es zu begreifen wäre, warum dies vorexilische Buch dem nachexilischen beigefügt worden ist. Der Redaktor des Buches könnte ja auch die beiden gleichnamigen Männer für einen Mann gehalten haben; das wäre ebensowenig auffallend, als die Verwechselung unseres Sacharja mit einem andern (2. Chron. 24, 20) in der Stelle Matth. 23, 35.

nachdem das Reich Israel durch die Assyrer zerstört worden war (722), zwar dem bald darauf von den Assyrern gleichfalls bedrohten Juda zunächst eine wunderbare Rettung; aber als nun doch auch Juda gottlos wurde, verMndeten sie auch Juda den Untergang, und nur aus einem Reste Judas werde das Gottesreich hervor­ gehen. Doch das assyrische Weltreich wird zu Grunde gehen, und dann kommt das vollkommene Gottesreich, gegründet von dem messianischen Könige, der nament­ lich bei Micha und Jesaias erst deutlicher hervortritt; an diesem Reiche werden auch die Heiden teilhaben.') Als nun die Macht Assyriens allmählich sank und im Jahre 606 ganz zu­ sammenbrach (Zerstörung von Niniveh 606) und neben Medien namentlich Baby­ lonien an Assyriens Stelle trat, da traten im Reiche Juda Nahum, Zephanja, Habakuk und vornehmlich Jeremias, unter den bereits vor der Zerstörung Jeru­ salems ins Exil abgeführten Juden der Prophet Ezechiel (Hesekiel) auf. Nahum und Zephanja verkündeten (c. 650 und 630) den Untergang von Niniveh; das Buch des Jona (ein Lehrbuch, kein prophetisches Buch) setzt den Untergang von Niniveh (606) bereits als geschehen voraus; Habakuk (c. 600) verkündete den Untergang auch den Babyloniern, welche Niniveh eben (606) zerstört hatten. Der Hauptprophet dieser Zeit aber ist Jeremias, welcher dem Volke Juda, unbeirrt durch Verfolgungen und Gefahren, welche ihn bedrohen und treffen, den Untergang durch die Babylonier, aber auch die Zerstörung Babels, die Rückkehr ins heilige Land und die alsdann erfolgende Ausrichtung des vollendeten Gottesreiches verkündet.^) An das Buch des Jeremias schließt sich das Buch der Klage­ lieder über den Untergang Jerusalems (also nicht ein prophetisches, sondern ein dichterisches Buch)^), und unter den Apokryphen das angebliche Buch des Baruch, des treuen Schülers des Jeremias (das einzige prophetische Buch unter den Apo­ kryphen unserer Bibe?) — es giebt nämlich auch noch andere angeblich prophe­ tische Bücher unter den Apottchphen, welche aber in unserer Bibel keine Aufnahme gefunden haben). Ein jüngerer Zeitgenosse des Jeremias, Ezechiel (Hesekiel), wirkte, zu den bereits im Jahre 599, noch vor der Zerstörung Jerusalems ins Exil geführten Juden gehörend, als Prophet unter seinen Leidensgenossen und suchte sie beim Glauben festzuhatten und verkündete ihnen gleichfalls die dereinsttge Aufrichtung des vollendeten Gottesreiches; aber, von Hause aus Priester, bewährte er auch als Prophet seine priesterliche Auffassung von der Gestaltung des neuen Gottesreiches?) Als Jerusalem (im Jahre 586) durch die Babylonier zerstört und das Volk ins Exil geführt worden war, verMndete Obadja (ein älteres Propheten­ wort seiner Predigt zu Grunde legend) den feindlichen Edomitern gleichfalls den Untergang. Im Exil aber verMndete ein unbekannter Prophet, dessen Mnstvoll ausgearbeitete Schrift wir dem Buche des um 150 Jahre älteren Propheten Jesaias, als zweiten Teil (Jes. 40—66), angehttngt finden, den Untergang Babels durch

J) Bon dem Propheten Jesaias werden die Schüler aus der Darstellung der Geschichte des Reiches Juda und durch die Lektüre ausgewählter Abschnitte eine anschaulichere Kenntnis gewinnen können; vgl. Nr. 40. *) Auch von Jeremias (wie von Jesaias) wird der Schüler durch die Dar­ stellung der Geschichte Judas und durch die Lettüre ausgew. Abschnitte eine anschaulichere Kenntnis gewinnen können; vgl. Nr. 44. 3) Diese Schrift wird von König (§ 86) und von Kautzsch (II, S. 181) einem etwas späteren Schriftsteller zugeschrieben. 4) Kap. 6 dieses Buches ist der in manchen Handschriften der griechischen Bibel als.ein besonderes Buch betrachtete Brief des Jeremias (vgl. Jerem. 29,1). 5) Über die Bedeutung Ezechiels für die Gesetzgebung vgl. Nr. 4.

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73. (72.) Die prophetischen Bücher des Alten Testaments.

den Perser Cyrus, die Rückkehr des Volkes ins heilige Land und die alsdann erfolgende Aufrichtung des vollendeten Gottesreiches, an welchem auch die Heiden teilnehmen werden. Dies Bilch verkiindet bereits (K. 65, 17), wie später die Offenbarung Johannis (K. 21, 1), einen neuen Himmel und eine neue Erde; noch bedeutender für den Christen ist aber die vornehmlich von diesem unbekannten Propheten hervorgehobene Bedeutung des Leidens des Knechtes Gottes, worin das Neue Testament nicht mit Unrecht eine VorherverMndigung des Leidens unseres Erlösers gefunden hat.') Auch in dem (allerdings unter persischer Oberhoheit bleibenden) neugegründeten jüdischen Reiche, welches so wenig von dem vollkommenen Gottesreiche an sich hatte (das doch die Propheten als bald nach der Rückkehr aus Babel einrretend verkündet hatten) traten wiederum Propheten auf: Haggai, Sacharja (K. 1—8) und der etwas spätere Male ach i (Haggai und Sacharja etwa um das Jahr 520, Maleachi vor Esras Reform 444), welche durch ihre Predigt zum Tempelbau zu ermutigen, die eingetretenen Mißstände zu beseitigen und die Zurückgekehrten über die Dürftigkeit des neuen Gottesreiches zu trösten suchten durch die Verheißung einer herrlicheren Zukunft. Als nun später das jüdische Volk unter die Herrschast der Syrer kam unb ein König derselben, Antiochus Epiphanes, mit grausamer Rücksichtslosigkeit den Plan verfolgte, die Juden zu Heiden zu machen, da erwachte unter den Juden mit dem alten Heldenmute noch einmal eine glühende Begeisterung für ihren Glauben; das Heldengeschlecht der Makkabäer trat dem heidnischen König (im Jahre 167) mit dem Schwerte entgegen, und in Anlehnung an einen älteren Propheten aus der Zeit des babylonischen Exils, Namens Daniel, trat (wie man heute fast allgemein annhnmt)2) ein Zeitgenosse der Makkabäer als Prophet auf3), um seine leidenden Glaubensgenossen zu stärken durch das ihnen vorgehaltene Vor­ bild des alten Sehers, nach welchem sein Buch genannt ist, und sie zu ermutigen durch die Predigt von dem bald zu erwartenden Untergänge des heidnischen Tyrannen und von dem die Weltreiche überdauernden Reiche Gottes, welches in kurzem zu erwarten sei. Und sein Wort hat sich erfüllt: der Tyrann wurde ge­ stürzt, und das Reich Gottes ist gekommen. e. So haben die Propheten von Joel bis Daniel (von 850 bis 150 vor Chr.) unablässig gepredigt von einem vollkommenen Gottesreiche, welches aus dem alten Gottesreiche sich entwickeln werde; und ihre Hoffnung hat sich erfüllt. Aber freilich noch nicht ganz ist ihre Hoffnung erfüllt, und darum hat auch das Christentum noch eine besondere prophetische Schrift hervorgebracht, die Offenbarung Johannisauch diese predigt, wie die Schriften der alten Propheten, von dem vollkommenen Gottesreiche, auf welches auch unsere Hoffnung gerichtet ist.

73. (72.) Die prophetischen Bücher des Alten Testaments.') a. Während die älteren Propheten nur mündlich gepredigt haben, haben die späteren ihre Predigten und Weissagungen ausgeschrieben, und die prophetischen

') Auch von dem Buche des zweiten Jesaias wird der Schüler durch die Lektüre einiger Abschnitte eine genauere Kenntnis gewinnen können; vgl. Nr. 47. ») So auch Delitzsch, Mess. Weiss. S. 158: Wie Jes. 40-66 ein Trostbuch für die Exulanten Babyloniens ist, so ist das Buch Daniel ein Trostbuch für die Seleucidenzeit. — Daß zum Buche Daniel in der griechischen Bibel noch fünf Zusätze gemacht worden sind, ist bekannt. 5) Die Form seiner Weissagung ist die Apokalypse; vgl. Nr. 96. 4) Vgl. Nr. 96.

73. (72.) Die prophetischen Bücher des Alten Testaments.

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Schriften sind nun im vollsten Sinne des Wortes Urkunden der göttlichen Offenbarung; was Gott ihnen eingegeben hat, haben sie einerseits gepredigt, andrer­ seits aber auch selber ausgezeichnet. Wie sie aber mündlich in mancherlei Weise gepredigt haben, so haben sie auch in mancherlei Weise geschrieben; einzelnes haben sie wortgetreu ausgeschrieben, anderes entweder nur kurz zusammengesaßt oderkunstvoller ausgeführt; ja manche prophetische Schrift ist überhaupt nur, wie schon oben bemerkt, als eine schriftliche Predigt anzusehen, ohne daß eine mündliche Predigt vorangegangen ist (so wohl besonders die Schriften der nachexilischen Propheten und auch schon Jes. 40—66). Auch die Schriften der Propheten sind

zwar menschliche Schriften, aber trotzdem sind sie Gotteswort (Jes. 34, 16); sie be­ ruhen nicht auf menschlicher Weisheit, sondern auf göttlicher Offenbarung, ebenso wie ihre mündliche Predigt. b. Die Schriften der Propheten waren ja nun zunächst für ihre Zeitgenossen und für deren nächste Nachfolger bestimmt, aber sie haben doch auch sür uns noch eine große Bedeutung. a. Das Gottesreich im A. T. war ja zunächst eine Gesetzesreligion, und mancher Israelit hielt sich für fromm, wenn er alle äußeren Ceremonien pünttlich beobach­ tete; ja, die ganze Frömmigkeit der Pharisäer war schließlich ein solcher äußerer Werkdienst geworden. Und hat nicht Spener dasselbe von seinen evangelischen Zeitgenossen gesagt? Diesem äußeren Werkdienst traten nun die Propheten gegen­ über mit der Predigt von der Frömmigkeit des Herzens, als der Voraussetzung der wahren Frömmigkeit, und wenn sie auch schließlich dabei stehen geblieben sind, daß die Frömmigkeit des Herzens die Grundlage für die Gesetzesfrömmigkeit des A. B. fei, ohne die letztere abzuschaffen, so war doch eben durch ihre Predigt die Beseitigung des äußeren Ceremoniendienstes vorbereitet, und derselbe ist später von selber gefallen, ohne daß die Frömmigkeit zugleich mit zu Grunde ging. Die Propheten waren Reformatoren wie Luther, welche den Kern der Frömmigkeit auf­ wiesen, so daß die Schale später von selber und ohne Schaden abfallen konnte. So kann auch der Christ noch von den Propheten des A. T. lernen, und besonders der evangelische Christ lernt aus ihrer Predigt auch im Christentum den Kern der Religion herausfinden und von der Schale sondem, welche als eine äußerliche Kirchlichkeit um den Kern sich immer wieder herumlegt. ß. Und der Christ lernt ferner aus den Schriften der Propheten, wie die Offenbarung in Christus im Alten Bunde eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch vorbereitet worden ist, und wer an der Göttlichkeit der ATlichen Schriften noch zweifelt, der wird, wenn er den wunderbaren Zusammenhang der ATlichen Weissagung und ihre zwar nicht buchstäbliche aber doch wirkliche Erfüllung in Christus betrachtet, durch die Betrachtung der prophetischen Predigt wohl leichter zur Anerkennung des göttlichen Charatters der ATlichen Offenbarung gelangen, als durch die Betrachtung des Mosaismus. /. Endlich aber wird der Christ durch das allerdings nicht leichte Studium der prophetischen Bücher zu einer tieferen Erkenntnis der Gesetze des göttlichen Weltregiments geführt, wie es sich in der Geschichte Israels und der ganzen Welt offenbart, und er lernt die Bestrebungen der Gegenwart im Hinblick auf das End­ ziel der Wege Gottes verstehen und beurteilen, und die Zeichen der Zeit beachten und deuten. Das dürfen wir freilich nur in der Weise thun, daß wir die Grund­ gedanken der Weissagung erfassen und sie dann auf unsere Zeitverhältnisse an­ wenden; dann werden wir unsere Zeitgeschichte als ein Stück des Weges zum Endziel der Wege Gottes betrachten und verstehen lernen.

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74. (73.) Die Entstehung und Entwickelung der messianischen Weissagung.

d. Die prophetischen Bücher mahnen ja endlich auch dazu, an die VollendunA des Reiches Gottes zu denken und sich bereit zu machen zum Empfange des^ wiederkommenden Herrn: aber es war auch den Propheten nicht bekannt, wie viele Entwicklungsperioden des Reiches Gottes noch bevorständen, und das ist auch uns noch verborgen. f. Darum ist es eine unrichtige Verwendung der prophetischen Schristen des A. und N. T., wenn man aus denselben bestimmte einzelne Ereignisse Voraus­ sagen und die Zeit der Wiederkunft Jesu berechnen will, wie das immer aufK neue geschieht. Zeit und Stunde der Vollendung des Gottesreiches hat nicht ein­ mal Jesus gewußt, geschweige denn die Propheten; es ist ein falscher Gebrauch der prophetischen Bücher, wenn wir mit ihren Zahlen äußerlich rechnen wollen; dabei kommt notwendig etwas Falsches heraus, nicht, weil sich die Ausleger verrechnet haben, womit dieselben immer sich selber und ihre Anhänger trösten, sondern weil sie sinnbildliche Zahlen und Namen als arithmetische Zahlen und geschicht­ liche Personen betrachten. Weder von Luther noch von Napoleon ist in der Offenbarung Johannis die Rede, sondern von der letzten Vollendung des Gottes­ reiches; damit wollen wir uns begnügen, und infolge ihrer Predigt uns rüsten, daß wir stets vorbereitet sind, sei es zu Gott durch den Tod abgerufen zu werden, oder in das vollkommene Gottesreich des wiederkommenden Heilandes einzutreten. Auf diese Weise wollen wir achten auf das Wort der Propheten (2. Petr. 1, 19).

74—77, (73—75.) Die messianische Weissagung (die Weissagung von dem vollkommenen Gottrsreich). 74. (73.) Die E«tsteh«ng und Entwickelung -er mesfinnische« Weissagung. Der ganze Alte Bund war darauf angelegt, dereinst im Neuen Bunde seine Erfüllung zu finden, und die ganze Entwickelung der ATlichen Religion strebt aus das Christentum zu. Dieses Hinstreben zum Christentum ist aber zunächst schon ausgesprochen in vielen Einrichtungen des Alten Bundes, welche als Vorbilder (Typen) des Neuen Bundes gelten können; sodann aber ist dasselbe noch deutlicher in der Weissagung zu erkennen, welche das ganze Alte Testament von seinen ersten Blättern an durchzieht. Alle Weissagung der wahren Propheten Gottes ist aber nicht ein Produkt bloß menschlichen Nachdenkens, sondern beruht aus göttliche^ Offenbarung, als deren Träger die Propheten sich darstellen. Freilich darf man diese Offenbarung nicht äußerlich und mechanisch den Propheten gegeben denken, sondern die Hoffnung der Propheten entwickelt sich unter göttlicher Erleuchtung ausdem Glauben, den sie haben (und darum auch nur bei gläubigen Israeliten, nicht bei gottlosen und ungläubigen), im Anschluß an das Bundesverhältnis zwischen Gott und Israel, wie in Anknüpfung an das Reich Gottes in Israel und an dessen König David, und die Hoffnung Israels richtet sich auf die Vollendung

dieses Bundes und dieses Reiches. Es soll nun im folgenden gezeigt werden, wie sich die Weissagung von dem vollkommenen Gottesreiche, die sogenannte messianische Weissagung (im weiteren Sinne), aus dem Glauben Israels unter Vermittelung der von Gott er­ leuchteten Propheten vollzogen hat. a. Die Idee der Bundesgemeinschast zwischen Gott und Israel ist die Hauptidee der Alttestamentlichen Religion. Durch die Berufung

74. (73.) Die Entstehung und Entwickelung der melsianijchen Weissagung.

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Abrahams und durch die Lebensführung der Patriarchen vorbereitet, wird der Bund Gottes mit Israel auf Grund der Erlösung aus Ägypten in der Gesetzgebung am Berge Sinai geschlossen, als ein Bund, dessen Wesen am einfachsten und deut­ lichsten bestimmt wird durch das Wort: „Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein" (3. Mose 26, 12). Als seinen Gott hat nämlich Israel Gott kennen gelernt vor allem in der Ausführung aus Ägypten; diese Erlösung ist die grundlegende Offenbarung seiner

Gottheit sür Israel; daher heißt es im Zehngebot mit Recht: „Ich, der Herr, bin dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, dem Diensthause, geführt habe" (2. Mose 20, 2); diese Erlösungsthat Gottes nimmt für den Israeliten dieselbe Stellung ein, welche für den Christen das Erlösungswerk Christi einnimmt?) Dem erlösten Volke hat nun Gott am Sinai sein Gesetz gegeben, hat ihm das Land Kanaan zum Wohnsitz gegeben und waltet fortan als König in seiner Mitte, der durch auser­ wählte Organe sein Volk regiert und leitet. Israel ist aber als Gottes Eigentum ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk (2. Mose 19, 4s.); darum mußte es von den andern Völkern streng gesondert sein, und sein Ziel ist, nicht bloß äußer­ lich und innerlich makellos, sondern auch heilig zu sein, wie Gott heilig ist (3. Mose 19, 2). Gottes Volk ist also Israel nur, wenn es Gottes Gebote hält; wenn es gottlos ist, so hat es die strengsten Strafen von Gott zu erwarten. Gott wirb allerdings sein Volk nicht sür immer verstoßen (3. Mose 26, 45s.); er wird es nur züchtigen, damit es sich bekehre, und dann ist die Bundesgemeinschaft wieder her­ gestellt. Aus dieser Idee der Bundesgemeinschast zwischen Gott und Israel hat sich nun zunächst die messianische Weissagung entwickelt, und zwar in folgender Weise. cc. Israel sollte Gottes Volk sein, aber wie oft hat der Idee des Volkes die Wirklichkeit nicht entsprochen! In den Zeiten des Abfalls von Gott mußten die Blicke der Frommen und namentlich der Propheten Israels sich auf die Zukunft richten, wo endlich die Gottlosigkeit überwunden und ein wirklich frommes Gottesvolk existieren werde. ß. Aber auch die Religion Israels selbst war doch noch nicht die vollkommene Religion — das mußte mit der Entwickelung und Vertiefung der religiösen Erkenntnis den erleuchteten Israeliten immer mehr zum Bewußtsein kommen. Das Volk Israel war ja allerdings das Volk Gottes; in dies Volk trat man aber durch die Abstammung und die Geburt ein; nicht jeder geborene Is­ raelit war deshalb auch ein rechter Israelit. Ferner sollte jeder Israelit selber ein Priester Gottes sein, und doch gab es noch ein besonderes Priestertum, ohne welches der einzelne Israelit sich Gott nicht immer nahen durfte. Und sodann erkannten die Frommen auch mehr und mehr, daß das äußere Opfer zur Ver­ gebung der Sünden nicht hinreiche, und sie sehnten sich nach dex Zeit, wo durch eine neue Offenbarung Gottes ihnen die Sünden vergebende Gnade Gottes wirklich verbürgt würde. In der Gegenwart gab es auch stets nur wenige Männer, welche^ von Gott erleuchtet, als Propheten in Israel auftraten; die Zukunft sollte es dahin bringen, daß alle Israeliten Propheten, daß alle vom Gottesgeiste erfüllt sind (Joel 3). y. Und endlich muß doch der Gott Israels auch von den Heiden als ihr Gott anerkannt werden; erst dann ist die Idee des Bundes Gottes mit Israel erfüllt. ') Wir lassen. deshalb in unserm Katechismus mit Recht die Worte von der Erlösung aus Ägypten weg — wir könnten hier nur von dem Erlösungswerk Christi sprechen.

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74. (73.) Die Entstehung und Entwickelung der messianischen Weissagung.

b. In dem von Moses begründeten Gottesstaate gab es noch kein menschliches Königtum; Jehovah selber galt als der König seines Volkes, welcher allerdings durch menschliche Organe (Moses, Josua, Richter) sein Volk leitete. Aber dieselben hatten keine selbständige Gewalt und kein königliches Recht über das Volk; darum war ihre Würde auch nicht erblich, und manchmal stand niemand an der Spitze des ganzen Volkes. In der Errichtung eines menschlichen Königtums in Israel lag also ein Herabsteigen von der idealen Höhe des mosaischen Gottesreiches; statt durch die Geistesmacht der Idee mußte das Volk später durch ein ständiges menschliches Regiment geleitet werdend) Darin lag allerdings die Gefahr, daß durch den mensch­ lichen König die Idee der Oberherrschaft Gottes in Israel verdunkelt oder gar be­ seitigt wurde; und das ist ja später oft genug geschehen. Es ist daher kein Wunder, daß nach dem einen der beiden Berichte, die wir über die Entstehung des Königtums haben (1. Sam. 8. 10, 17—11, 15; K. 12), Samuel von der Einsetzung eines menschlichen Königs nichts wissen will. Aber wie in Israel die Idee des allge­ meinen Priestertums nicht verwirklicht, sondern schon von Moses ein besonderes Priestertum eingesetzt worden nmr*2),3 so durfte auch ein besonderes menschliches Königtum in Israel eingesetzt werden, natürlich nur unter der Voraussetzung, daß der König sich nur als Stellvertreter Gottes betrachtete und erwies. Ein mensch­ liches Königtum konnte ja auch erst das in zwölf Stämme gespaltene Volk wirklich zusammenfassen und die Existenz des Volkes gegen die feindlichen Nachbaren besser sichern. Diese Anschauung liegt dem zweiten Bericht über die Entstehung des Königtums zu Grunde (1. Sam. 9—10, 16), wonach Samuel, als von Gott damit beauftragter Prophet, das Königtum begründet hat. Diese beiden Berichte stimmen -also ganz gut mit einander überein, indem sie die beiden Gedanken darstellen, von welchen Samuel ganz naturgemäß bei der Entstehung des Königtums ergriffen werden konnte, ja, ergriffen werden mußte. Aber es gelang nicht sofort, einen für Israel passenden König zu finden; Saul geriet bald mit den beiden andern gottbegründeten Institutionen in Israel, mit dem Priestertum und dem Prophetentum, in Konflikt. Erst in David war „der Mann nach dem Herzen Gottes" gesunden (1. Sam. 13, 14), und nun wird ■erst (2. Sam. 7) von dem Propheten die Erblichkeit seines Hauses proklamiert. Seitdem gilt der Davidische Herrscher als der Stellvertreter Gottes, des eigentlichen Königs in Israel; Gott und der König werden jetzt neben einander genannt (Ps. 2, 2); der König sitzt auf Gottes Thron (Ps. 45, 7. 110, 1); Gott wird des Königs Vater und der König Gottes Sohn genannt (Ps. 2, 7); so heißt kein -anderer einzelner Israelit, aber wohl das ganze Volk, als dessen Repräsentant der König also hiermit bezeichnet wird. Wenn der König gegen Gott sündigt, so wird er zwar bestraft,, aber nicht verworfen (2. Sam. 7, 14s.). Gott legt dem Könige, seinem Sohne, alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße (Ps. 110, 1. 2, 8s.

45, 5s.); als Stellvertreter Gottes ist der König Israels der erste unter den Königen der Erde (Ps. 89, 28), und seine Herrschaft ist unbegrenzt^) (Ps. 2, 8) And ewig (Ps. 45, 7); wenn auch der einzelne Herrscher stirbt, so ist doch das Königtum des Davidischen Hauses unvergänglich (2. Sam. 7, 12—16 und 29.

') Wie die kath. Kirche durch den Papst, während die evang. Kirche sich mit -er Herrschaft Christi begnügt. 2) Auch hier entspricht die evang. Kirche ohne Priester der Idee des Volkes Gottes, welche die kath. Kirche durch die Einsetzung des Priestertums ausgegeben hat. 3) Dies Bild entspricht der Idee des mittelalterlichen Kaisertums.

74. (73.) Die Entstehung und Entwickelung der messianischen Weissagung.

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Ps. 89, 29s. u. 37s.). Da das Volk nun aber ein priesterliches Königreich ist, so ist der König, als Repräsentant des Volkes, auch ein Priesterkönig, und David und Salomo haben vielfach priesterliche Rechte geübt und Hohepriester ab- und eingesetzt. So heißt denn der König Israels auch „Priester nach der Weise Melchisedeks"

gehe zur Ruhe, du aber sollst ohne Ruhe fortan wandern, bis ich wiederkomme!" Alsbald fuhr ein Geist der Unruhe in Ahasverus; nachdem er die Kreuzigung mit angesehen, zog er, ohne noch einmal zu Weib und Kind zurückzukehren, in die Weite, aus einem Lande ins andre; als er vierzig Jahre später wieder nach Jerusalem kam, fand er alles in Trümmern. Endlich war er hundert Jahr alt geworden; da wurde er so schwach, daß er glaubte, er werde sterben; aber er erwachte wieder, wie aus einer Ohnmacht, und war wieder so kräftig, wie er mit dreißig Jahren gewesen war, als er Jesum von seinem Hause trieb. Wiederum durchlebte er siebzig Jahre und wurde schwächer und schwächer, bis er nach einer Ohnmacht sich wieder neu gekräftigt fühlte. So lebt er noch heute und wandert noch immerdar umher, als ein alter Mann von hoher Gestalt mit langen über die Schultem herab­ hängenden Haaren, mit einem einfachen Rocke bekleidet, ohne Schuhe; Speise und Trank nimmt er nur sehr wenig an; Geld, das man ihm schenkt, verteilt er bald wieder unter die Armen; er kennt aller Länder Sprache und weiß von allem zu er­ zählen, was seit Jesu Tode geschehen ist; bei der Wiederkunft des Herrn hofft aucher Gnade zu erlangen. Im 16. und 17. Jahrhundert glaubten die Leute vielfach, diesen seltsamen Fremdling, den „ewigen Juden," gesehen zu haben. b. In ansprechender Weise hat das deutsche Volk einige Pflanzen und Tiere mit dem Leiden Jesu in Verbindung gebracht. Tief zur Erde herab läßt die Trauerweide ihre Zweige hängen: von ihr sind nach der Sage die Ruten ge­ nommen worden, mit denen die Kriegsknechte den Herrn Jesus vor der Kreuzigung, gegeißelt haben. Hoch zum Himmel empor streckt dagegen die Tanne ihre Äste^

aus: an ihr hat der Erlöser den Tod erlitten, darauf ist sie stolz, und immerdar grünt sie, weil Jesu Blut an ihr herabgeflossen ist. Unter dem Kreuze stand ein blühender Rosenstrauch; damals gab es aber nur weiße Rosen; da floß das Blut des Herrn auf sie herab, und seitdem giebt es auch rote Rosen. Als der Herr nun am Kreuze hing, da hatten die Juden kein Mitleid mit ihm; aber die Sonne verbarg ihr Antlitz, um sein Leiden nicht mit ansehen zu müssen, und die Bögel des Himmels betrauerten den frommen Dulder. Das Rotkehlchen flog immer um seine Nägelwunden her, und bemühte sich, ihn los­ zumachen — vergebens; davon ist sein Gefieder um die Brust so rot geworden^ das gute Vöglein legt auf jede Leiche, die unbestattet daliegt, ein Zweiglein, um ') Aber diese Erzählung ist vor dem Jahre 1602, wo sie in Deutschlandgedruckt erscheint, in keiner Handschrift nachzuweisen.

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134. (127.) Das Leiden des Herrn in der Sage.

sie nach Kräften zu bedecken. Und der Kreuzschnabel flog immer hin und her am Kreuze, und versuchte mit seinem Schnabel die starken Nägel herauszuziehen — umsonst; sein Schnabel ist davon krumm geworden. Dies zarte Vöglein nährt in derselben Zeit seine Jungen, wo Maria ihr Söhnlein in Bethlehems Stall gepflegt hat, in der Weihnachtszeit; wo dieser Vogel nistet, da schlägt kein Blitz ein. Zwei andere Tiere, den Pelikan und den Wundervogel Phönix, hat schon die alte Kirche mit Jesu Tod und Auferstehung in Verbindung gebracht, und in der christlichen Kunst spielen beide noch heute eine Rolle. Vom Pelikan erzählte man früher, daß er, wenn seine Jungen von der Schlange getötet würden, sich mit dem Schnabel die Brust aufritze und durch sein Blut dieselben wieder lebendig mache. Die durch die Schlange zur Sünde verführten Menschen werden durch Christi vergossenes Blut vom Tode befreit — diesen Gedanken sanden die Christen in dem von ihnen gebrauchten Sinnbilde des Pelikans. Dagegen ist der Phönix das Sinnbild der Auferstehung geworden; dieser Wundervogel, den alten Ägyptern

ein Sinnbild einer astronomischen Periode'), sollte nach der Sage nach einer be­ stimmten Zeit in seinem Neste immer verbrennen und aus der Asche wieder verjüngt hervorgehen — so ist er zum Sinnbild der Auferstehung geworden. c. Der Kaiser Tiberius war, wie die Sage erzählt, schwer erkrankt, und fein Arzt vermochte ihn zu heilen. Da vernahm er, im jüdischen Lande sei ein großer Arzt zu finden, der alle Kranken durch sein bloßes Wort gesund mache. Sofort schickte er einen Gesandten dahin, um diesen Mann nach Rom zu holen. In Jerusalem erfuhr derselbe alsbald, daß dieser Wundermann!von Pilatus ge­ kreuzigt worden sei; als er den Pilatus fragte, wie er denselben habe ohne des Kaisers Genehmigung kreuzigen dürfen, warf dieser alle Schuld aus die Juden, die so ungestüm seinen Tod gefordert hätten. Da vernahm der Gesandte des Kaisers, der Gekreuzigte solle auferstanden sein, und alsbald ließ er den Joseph von Arimathia, der ihn begraben hatte, zu sich rufen, um darüber Gewisses zu erfahren. Derselbe erzählte, Jesus sei allerdings am dritten Tage vom Tode auferstanden, aber am vierzigsten Tage danach sei er gen Himmel gefahren. Nun befahl der Gesandte, den Pilatus zu fesseln und mit nach Rom zu nehmen, damit der Kaiser selbst über ihn um seines Frevels willen das Urteil spräche. Ehe nun aber der Gesandte die Rückreise anirat, suchte er von dem gekreuzigten Jesus noch mehr zu erfahren. Da hörte er von dem Bilde Jesu, das die fromme Veronika besaßt); er­ ließ dieselbe vor sich kommen, und sie zeigte ihm das Bild; auch sie mußte mit ihm nach Rom fahren. Als er nach Rom kam, erzählte er dem Kaiser alles, was er erfahren hatte; da befahl Tiberius, den Pilatus ins Gefängnis zu werfen, Veronika aber mit dem Bilde mußte vor ihn kommen. Als er das Bild ansah, wurde er, weil er an Jesum glaubte, gesund; fortan stellte er dasselbe in seiner Hauskapelle aus und wurde ein Christ; Veronika und der Gesandte wurden reich beschentt. Die Geschichte weiß von dem allen nichts. d. Tiberius hatte nach der Sage den Pilatus, weil er Jesum unschuldig ans Kreuz geschlagen, zunächst ins Gefängnis werfen lassen; nach einiger Zeit ließ er ihn vor sich führen, um das Todesurteil über ihn zu sprechen. Als aber Pilatus *) Dieser Wundervogel wird wohl auch in der Bibel erwähnt, nämlich Hiob 29, 18: „Und ich dachte, in meinem Nest werde ich sterben und gleich dem Phönix meine Jahre mehren." 2) Vgl. meine Kirchengerichte Nr. 65 (2. Ausl.: Nr. 76).

Dor ihn trat, war auf einmal aller Zorn des Kaisers verschwunden; er begrüßte ihn freundlich, und kein Wort des Unwillens kam über seine Lippen. Als Pilatus aber kaum hinausgegangen war, da war Tiberius noch zorniger als zuvor, und er schalt sich selber, daß er diesen Frevler so freundlich behandelt hätte. Pilatus wurde wiederum vor den Kaiser geführt, und wieder vermochte der Kaiser nicht anders als freundlich mit ihm zu sprechen; kaum hatte er ihn entlassen, so war er wieder entschlossen, ihn zum Tode zu verurteilen. Lange forschte man vergebens danach, woher es komme, daß Pilatus eine so wunderbare Macht über den Kaiser ausübe; endlich entdeckte man, daß der Statthalter unter seinem Gewände ein fremdländisches Kleid trüge; es war der ungenähte Rock des Heilandes. Einer der Soldaten, die Jesum gekreuzigt, hatte denselben durchs Los erhalten; Pilatus hatte ihm den Rock ubgekaust, weil er ahnte, daß dem Kleide Wunderkräfte beiwohnen möchten. Diesen Rock mußte Pilatus jetzt ablegen, und nun wurde er aufs neue vor den Kaiser geführt. Diesmal schützte ihn nichts vor dem Zorn des Tiberius; derselbe ver­ urteilte ihn zum schändlichsten Tode, den man ersinnen könne. Pilatus aber kam dem Henker zuvor, indem er sich selbst im Gefängnis tötete. Als das der Kaiser erfuhr, sagte er, er sei in Wahrheit des schändlichsten Todes gestorben, da er sich ja mit eigener Hand umgebracht habe. Sein Leichnam soll zuerst in die Tiber, dann in die Rhone und endlich in den See auf dem Pilatusberge in der Schweiz geworfen worden sein; überall soll derselbe Unwetter und Überschwemmung erregt haben; an jedem Karfreitag schleppt nach der Sage der Teufel denselben aus dem See aus einen Thron, wo er sich die Hände wäscht. Die Frau des Pilatus, in der Sage Claudia Procula genannt, soll später Christin geworden sein und wird sogar in der griechischen Kirche als Heilige verehrt?) e. Besonders viel, nur leider gar zu viel, wußte die Kirche von dem heiligen Rocke des Heilandes zu erzählen. Die eine von den vielen Erzählungen, die ganz Widersprechendes berichten, lautet also. Ein frommer Bischof in Trier hatte schon immer gehört, daß in einer in der Kirche befindlichen niemals geöffneten Kiste besonders merkwürdige Reliquien sein sollten; einige meinten, der ungenähte Rock,

sie in der Markuskirche beigesetzt wurden. Markus wurde bald der Schutzpatron von Venedig, und als solcher verschaffte er einst den Venetianern Brot vom Himmel,, und diesem Brote des Markus (Marei panis) hat angeblich ein bekanntes Gebäck seinen Namen zu verdanken (Marzipan). Vgl. jedoch Weigand, Deutsches Wörterbuch s. v. 2) Vgl. Nr. 148.

des Paulus Gefangenschaft ist von Petrus in Rom eine Spur zu ent­ decken. So konnte er am ehesten nach des Paulus Tode nach Rom ge­ kommen und dort gestorben sein. Und das bezeugt vielleicht der oben genannte Clemensbrief; doch ist Rom als Todesort des Petrus in diesem Briefe nicht ausdrücklich genannt. Alle anderen Erzählungen von Petrus Ausgang gehören jedenfalls nur der Sage an. d. Als Paulus in Rom gefangen war, soll nämlich nach der Sage auch Petrus, der gerade in dieser Zeit wieder von einer Missionsreise in Rom anlangte, ins Gefängnis geworfen worden sein. Es gelang ihm zu entfliehen; schon hatte er glücklich das Thor durchschritten, da erblickte er Jesum, der ihm entgegenkam. Staunend fragte Petrus: „Herr, wohin gehst du?" Jesus erwiderte: „Nach Rom, um mich noch einmal kreuzigen zu lassen." Da schämte sich der Jünger seiner Flucht und sagte: „Dann will ich umkehren, um mit dir gekreuzigt zu werden." Alsbald verschwand der Herr; Petrus aber kehrte bitterlich weinend ins Gefängnis zurück; mutig sah er jetzt dem Tode entgegen. Am Tage der Hinrichtung wurde vor ihm seine Frau, die ihn auf seinen Reisen stets begleitet hatte, zum Tode abgeführt; als sie bei ihm vorüberging, forderte er sie noch auf, des Herrn Jesu eingedenk zu bleiben; bald darauf wurde auch er getötet. Paulus war nach der Sage, weil er ja römischer Bürger war, mit dem Schwerte hingerichtet worden; Petrus mußte, so heißt es, am Kreuze sterben. Eine spätere Sage fügt noch hinzu, er habe sich mit dem Kopfe nach unten ans Kreuz hängen lassen, da er sich nicht für würdig gehalten habe, ebenso zu sterben wie sein Herr und Meistert) Über der Stätte, wo Petrus nebst anderen Märtyrern vom Kaiser Nero umgebracht worden sein soll, hat später der Kaiser Constantin eine christliche Kirche erbaut*2); 3 in derselben hat im Jahre 800 am 25. De­ zember sich Karl d. Gr. die Kaiserkrone aufs Haupt setzen lassen, und auch die späteren Kaiser sind in derselben gekrönt worden. Seit dem 15. Jahrhundert ist an der Stelle dieser alten eine neue Peterskirche er­ richtet worden, die größte Kirche der Welt, in welcher angeblich die Ge­ beine des Apostels Petrus und der mit ihm zugleich getöteten Christen beigesetzt sind. Es ist bekannt, daß gerade an diese neue Peterskirche, die zur Verherrlichung des Papsttums dienen sollte, der Anfang der Re­ formation geknüpft ist. I

C. 148. (138.) Das Judenchristentum in der spateren Zeit; Jakobus, Petrus und Judas uud ihre Briefe?) a. Auch nach dem Apostelconcil hielten die Judenchristen noch fest am mosaischen Gesetze, und wenn auch die Apostel das nicht forderten, so verlangten doch andere eifrige Judenchristen, daß auch die Heiden0 Vgl. Klnkel's Gedicht „Petrus." 2) Die Gebeine des Paulus sind angeblich in der außerhalb der Stadt Ronl stehenden Paulskirche beigeseyt. 3) Bei diesem und dem folgenden Abschnitte wird sich der Lehrer hinsichtlich der Lektüre nach der ihm zu Gebote stehenden Zeit richten müssen; in erster Linie sind von diesen Briesen der Jakobusbrief, der erste Petrusbries und der erste Johannesvrief zu lesen; vgl. Nr. 154.

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C. 148. (138.) Das Judenchristentum in der späteren Zeit ?c.

christen doch noch das mosaische Gesetz auf sich nehmen müßten, und in allen von Paulus gegründeten Gemeinden stellten sich Judenchristen ein, welche von Paulus geringschätzig sprachen und den Heidenchristen die Not­ wendigkeit des mosaischen Gesetzes zu beweisen suchten (vgl. namentlich den Galaterbrief). Diesen Eiferern gab Petrus in Antiochia nach, als sie ihm darüber Vorwürfe machten, daß er, als Jude, mit den Heiden heidnisch lebend, das Gesetz übertrete, und ihnen war es gewiß sehr er­ freulich, daß Paulus, als er mit der seinem Versprechen gemäß unter den Heidenchristen für die Judenchristen gesammelten Kollekte nach Je­ rusalem kam, daselbst in Gefangenschaft geriet und nach Rom geführt wurde. Aber zu den Anhängern dieser strengen Gesetzeseiferer, welche von Paulus bekämpft wurden, dürfen weder Petrus (trotz des Vorfalls in Antiochia), noch Jakobus (trotz seines Briefes) gerechnet werden; ja, nicht einmal die ganze Gemeinde von Jerusalem stand auf ihrer Seite, sondern nur ein Teil derselben. Allerdings eine Vereinigung mit Petrus über die Gesetzesfrage hat Paulus offenbar nicht erreicht, sonst hätte er das im Galaterbriefe gewiß den Galatern vorgehalten; beide Teile gingen seitdem ihre eigenen Wege, ihre Missionen gingen neben einander her. Aber Paulus wollte nicht eine besondere heidenchristliche Kirche gründen, sondern seine Gedanken gingen stets darauf, Judenchristen und Heiden­ christen in der einen Kirche Christi zu vereinigen. Das ist ihm nun freilich nicht gelungen; als er nach Jerusalem kam, hat die Gemeinde ihn offenbar nicht als rechten Christen anerkannt, und noch die Briefe aus seiner Gefangenschaft zeigen, daß sein Werk den weiteren Anfechtungen der jüdischen Gesetzeseiferer ausgesetzt war; erst die Zerstörung des Tempels hat Judenchristen und Heidenchristen für immer zu einer Gemeinde zu­ sammengeführt. Als nämlich im Jahre 66 der Krieg der Juden gegen die Römer begann, da wanderte die Christengemeinde von Jerusalem aus und begab sich nach Pella im Ostjordanlande, wo sie die schlimme Kriegszeit glücklich überstand. Als nun nach der Zerstörung des Tempels eine vollständige Beobachtung des Gesetzes nicht mehr möglich war, da schwand auch unter den meisten Judenchristen die Beobachtung des Gesetzes; dagegen blieb ein kleiner Teil der Judenchristen bei ihrem Gesetzeschriflentum und wurde später, als die Kirche vorliegend heidenchristlich geworden war, von der­ selben als Sekte der Ebioniten bezeichnet; dieselbe hat noch mehrere Jahrhunderte bestanden, ist aber später gänzlich und für immer ver­ schwunden. So stand ja allerdings das Judenchristentum dem Heidenchristentum gegenüber in seiner Bedeutung für die christliche Kirche offenbar zurück, und Paulus durfte mit Recht von sich rühmen, daß er mehr geleistet habe als die andern Apostel (1. Kor. 15, 10). Aber man darf auch das Ver­ dienst dieser judenchristlichen Gemeinde nicht zu gering schätzen. Tie Heidenchristen sind zunächst nicht so verfolgt worden wie die Judenchristen, und doch haben die letzteren ihren Glauberr festgehalten. Und in dieser Gemeinde hat sich ja doch nun die Überlieferung von Jesus zunächst er­ halten, und ihr verdanken wir die historische Grundlage unserer Evan­ gelien, vornehmlich der Synoptiker. Denn in ihr wurde ja die Lehre Jesu und die Kunde von seinem Leben immer aufs neue mündlich dar-

gestellt; nach Jesu Worten regelte sich daS Leben der Gemeinde; in seinem Leben sah man die Erfüllung der Weissagung, und in seinem Tode und seiner Auferstehung fand man den Grund des Heils. Aus dieser münd­ lichen Überlieferung von Jesu Reden und Thaten, welche in der Ur­

gemeinde sich erhalten hat, sind die drei ersten Evangelien hervorgegangen, aber doch nicht als Evangelien für die jüdischen Gesetzeseiferer (ein solches Evangelium hat sich die ebionitische Gemeinde erst später geschaffen), sondern im Sinne btr Anerkennung auch des Heidenchristentums. Und aus dem Judenchristentum stammen außer den Synoptikern und der Apostelgeschichte') auch mehrere Briefe des N. T., nämlich der Brief des Jakobus, die beiden Briefe des Petrus und der Brief des Judas, von welchen im folgenden Genaueres gesagt werden soll. b. Nächst Petrus, Paulus und Johannes tritt in der Geschichte der alten Kirche besonders noch Jakobus hervor. Drei Männer dieses Namens werden uns im Neuen Testamente aus dem nächsten Kreise, der Jesum umgab, namhaft gemacht. Am wenigsten wissen wir von Jakobus, dein Sohn des Alphäus, einem der zwölf Apostel, dessen späteres Leben uns ganz unbekannt ist. Etwas mehr ist uns von Jakobus, dem Sohn deK Zebedäus, gleich­ falls einem der zwölf Apostel, überliefert, der immer mit seinem Bruder Johannes zusammen genannt wird (die „Donnerskinder", Mark. 3, 17) — beide nebst Petrus Jesu am nächsten stehend. Der König Herodes Agrippa ließ ihn im Jahre 44, um sich die Juden zu Freunden zu machen, mit dem Schwerte hinrichten (Apg. 12, 1). Ihn verehren die Spanier als ihren Schutzheiligen. In einem kleinen, dichten Gebüsch soll man nämlich int 9. Jahrhundert jede Nacht ein hellbrenncndes Licht bemerkt haben. Als der Bischof Theodomir von dem Wunder hörte, ließ er den Platz untersuchen, und so entdeckte man eine Einsiedelei mit einem Grabe, in welchem der Leichnam des Jakobus enthalten war. Daselbst wurde eine Kirche erbaut, aus der allmählich der Ort St. Jago di Compostella ent­ standen ist; es ist der bedeutendste Wallfahrtsort in Spanien, einer der vornehmsten Wallfahrtsorte der katholischen Kirche. Viel bedeutender als diese beiden ist nun aber der dritte Jakobus des Neuen Testamentes; er ist einer von den Brüdern Jesu (auch Schwestern hat Jesus gehabt), Joses, Simon, Judas und Jakobus, die lange an Jesum nicht glauben wollten (Joh. 7, 2); nach der Auferstehung war das anders geworden (Apg. 1, 14). Sehr bald war sogar JakobuS neben Petrus und Johannes der angesehenste Gemeindevorsteher in Jerusalem (Galat. 2, 9); daß er die Berechtigung der Heidenchristen, das Gesetz nicht zu halten, anerkannt hat (Apg. 15), aber im Streite über die Ver­ pflichtung der Judenchristen, dasselbe weiter zu beobachten, auf des Petrus, nicht des Paulus, Seite gestanden hat, ist oben bemerkt worden.'^) Bon diesem Jakobus stammt der. schöne Brief im Neuen Testamente. Die Sage erzählt von ihm, auch die Juden hätten ihn, obwohl er schon an Jesum glaubte, immer noch für einen sehr frommen Mann gehalten, auch bei ihnen habe er der Gerechte geheißen; er allein von den Christen durfte *) Ihrem Gedankeninhalte nach gehört hierher auch die Offenbarung Johannis. 2) Vgl. Nr. 144.

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angeblich noch den Tempel betreten, und dort fand man ihn täglich betend für des Volkes Bekehrung. Als aber immer mehr Juden an Jesum glaubten, da sollen die Obersten des Volkes von Jakobus gefordert haben, daß er vor dem Volke gegen Jesus predige. Als Jakobus nun vom Heiland sagte, daß er Gottes Sohn sei, da sollen ihn, wie es heißt, die Obersten vom Dache des Tempels, von wo er predigte, herabgestürzt und das Volk ihn gesteinigt haben; ein Walker soll ihn nach der Sage mit seinem Holze vollends tot geschlagen haben. Als bald nachher Jerusalem von den Römern zerstört wurde, da sollen viele Juden das als ein Straf­ gericht für die Ermordung des gerechten Jakobus erklärt haben. c. Von Jakobus, einem „Knechte Jesu Christi", wahrscheinlich doch wohl von diesem dritten Jakobus, dem Bruder Jesu, dem angesehenen Haupte der Gemeinde in Jerusalem, stammt nun der Brief des N. T-, der an „das Zwölsstämmevolk in der Zerstreuung", d. h. an alle Juden^ christen gerichtet ist, und bei dieser allgemeinen Bestimmung freilich nur noch der Form nach ein Brief ist, in Wahrheit eine ermahnende und be­ lehrende Schrift, welche aller persönlichen Beziehungen entbehrt. Der Verfasser klagt bereits über Verweltlichung der Kirche und Äußerlichkeit des Glaubens, der die guten Werke vermissen lasse; diesem Verfall der Frömmigkeit tritt der Verfassex in seinem Briefe entgegen. Da der Brief schon einen Verfall der Frömmigkeit voraussetzt, so ist er schwerlich eine der ältesten Schriften des N. I.1), sondern wohl, wofür auch seine nachher zu erwähnende Lehre vom Glauben spricht, einer etwas späteren Zeit (etwa der Zeit der Ne­ ronischen Verfolgung, wie auch der erste Petrusbrief) zuzuweisen.2) Der Brief des Jakobus enthält so viel Lehre von Jesus, wie außer den Evangelien keine andere Schrift des N. T., aber daneben so wenig Lehre über Jesus, wie ebenfalls keine andere; Jesus ist für Jakobus allerdings der gottgesandte Prophet und König, aber für Jakobus, wie für die ältesten Christen überhaupt, hat der Tod Jesu noch keine Heilsbedeutung, und er spricht von demselben überhaupt nicht. Dieser Mangel wird einigermaßen ausgeglichen durch die reichen Belehrungen über das christliche Leben, welche wir im Jakobusbriese finden — allerdings ein christliches Leben, welches sich noch in den Schranken des jüdischen Gesetzes bewegt, aber durchdrungen vom Geiste der Bergpredigt; für Jakobus ist das Christentum die Erfüllung des mosaischen Gesetzes im Sinne der Bergpredigt; er fordert, daß der Christ nicht bloß Glauben habe, sondern auch in Werken seinen Glauben bewähre. Daß diese Mahnung der Predigt des Paulus trotz des Anscheins vom Gegenteil (vgl. Röm. 3, 28 mit Jakob. 2, 24) dennoch nicht widerspricht, ist in meiner Glaubenslehre dargelegt?) Den Schluß seiner Predigt bildet der in der ältesten Kirche allgemein verbreitete Gedanke an die baldige Wiederkunft Jesu zur Ausrichtung des vollkommenen Gottesreiches. Daß dieser Brief echt ist, wird heute fast weniger beztveifelt als in der alten Kirche, die ihn erst spät in den Kanon des N. T. ausgenommen hat. Man nahm schon in der alten Zeit an seiner Lehre vom Glauben Anstoß, wie ja auch Luther denselben bekanntlich für eine „stroherne Epistel" erklärte, die er für keines Apostels

’) So z. B. Beyschlag und Weiß. 2) So Reuß. 3) Vgl. daselbst Nr. 56 d.

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Werk achten könne, da sie stracks wider St. Paulum und alle andere Schrift den Werken die Gerechtigkeit zuschreibe. Aber in dem Briefe des Jakobus „stellt sich nicht System gegen System, wie dies in jüngerer Zeit notwendig der Fall wäre, sondern schlichtes ftommes Wesen gegen Theorieen und Räsonnements, welche ihm anstößig sind, weil ungewohnt; der Verfasser ist nicht sowohl als Parteimann zu betrachten, eher als einer, der das Parieiwesen perhorresciert/") „Dieser Brief hat im N. T. auch dazu seine vorsehungsvolle Stelle, uns zu veranschaulichen, mit wie elementaren dogmatischen Erkenntnissen die Vollkraft des christlichen Lebens verbunden sein kann, und zu erinnern, daß neben einem paulinisch gerichteten Christentum auch einem nach der Weise des Jakobus gearteten in der christlichen Kirche volles Bürgerrecht zukommt."*2)

d. Petrus hat aus Babylon (I, 5, 13) einen Brief, den ersten, an die Fremdlinge der Zerstreuung von Kleinasien (1, 1) geschrieben, d. h. an die Christengemeinden Kleinasiens, wesentlich aus Heiden bestehend, die, wie wir wissen, von Paulus gegründet worden waren. Er hat also wohl in einer Zeit an sie geschrieben, wo Paulus sich ihrer nicht mehr an­ nehmen konnte; also ist wohl hier der Tod des Paulus vorausgesetzt. Und zwar hat er von Babylon aus an diese Gemeinden geschrieben, d. h. schwerlich von dem verwüsteten und nicht mehr wieder aufgebauten Babylon aus, sondern wohl von Rom aus, welches damals unter Juden und Christen sinnbildlich also genannt wurde. Die Predigt des Petrus, wie sie uns in seinem ersten Briefe vorliegt, ist bereits mehr entwickelt als die Predigt des Jakobus. Die Grundlage des Glaubens bildet für Petrus (wie für alle Apostel) die Auferstehung Jesu; auf Grund dieser Thatsache erwartet auch er die baldige Aufrichtung des messianischen Reiches, und darum ist sein Christentum vornehmlich ein Christentum der Hoffnung (1, 3), hinter welcher der Glaube zurücktritt. Die Hoffnung auf das bald kommende Gottesreich ist aber ein kräftiger Antrieb zur Heiligung, von welcher Petrus besonders ausführlich spricht (1, 13—15). Mehr als bei Jakobus ist bei Petrus bereits die Lehre von Christus ent­ wickelt. Wenn Petrus in seinen Reden in der Apostelgeschichte das Rätsel des Todes Jesu nur auf einen uns dunklen Ratschluß Gottes zurückführte und sich über den Tod Jesu nur um der Auferstehung willen hinwegsetzte, so weiß er in seinem Briefe vom Tode Jesu doch viel mehr zu sagen. Zunächst betrachtet er den Tod Jesu als ein Vorbild, dem wir im Leiden ähnlich werden sollen (2, 21—23; 3, 17; 4, 1). Sodann betrachtet er den Tod Jesu, indem er ihn als ein Lösegeld bezeichnet, als das Mittel, um uns von der Herrschaft der Sünde zu befreien (1, 18—19 und 28; 2, 24), indem das Leiden und Sterben Jesu auf den Sünder einen solchen Eindruck macht, daß er sich von der Sünde abwendet. Endlich weist Petrus (1, 2) noch (allerdings nur kurz und nur einmal) daraus hin, daß die Besprengung mit dem Blute Christi den Christen ebenso von der Schuld der Sünde frei mache, wie einst bei der Stiftung des Alten Bundes das Volk Israel durch eine Besprengung mit Opferblut von der Sünde befreit worden sei (2. Mose 24). Der Apostel erblickt also bei dieser letzten Betrachtung, indem er den Tod Jesu als ein Opfer betrachtet, im Tode Jesu ein Unterpfand der göttlichen Gnade, welche den Menschen die Sünde vergiebt. ’) Reuß, heilige Schrift des N. T. § 201. 2) Beyschlag, NTliche Theol. I, S. 368.

Heidrich, Heilige Geschichte.

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D. 149. (139.) Das Zeitalter des Johannes; die Schriften des Johannes.

Der Apostel führt also des Menschen Befreiung von der Sünde sowohl hin­ sichtlich der Schuld, wie auch der Macht derselben, aus den Tod Jesu zurück; den kräftigsten Antrieb zur Frömmigkeit aber findet Petrus, wie oben bemerkt, in der Hoffnung aus die baldige Wiederkunft Christi. Wenn dieser Brief, wie man annimmt, Kenntnis des Jakobusbriefes, wie des Römer- und Epheserbriefs verrät, so ist dies kein Grund, um seine Echtheit zu bezweifeln; er ist dann für jünger zu hallen als diese Briefe; andere Forscher kehren aber das Verhältnis um und halten den Petrusbrief für älter. Seine Echtheit ist von der alten Kirche gut bezeugt. Dagegen hat schon die alte Kirche aus verschiedenen Gründen angenommen (und die neueren Forscher sind meist zu demselben Resultat gekommen), daß der zweite Brief des Petrus nicht von diesem Apostel, sondern von einem späteren Schriftsteller herstamme, welcher (in der Weise seiner Zeit) das Erbe der Apostel am besten zu verteidigen glaubte, wenn er diese Verteidigung einem Apostel in den Mund lege. In der Art und Weise, wie dies durchgeführt wird, zeigt der Brief eine Denkart, die von den übrigen Schriften des N. T. sich nicht wesentlich unter­ scheidet, und derselbe hat es wohl verdient, in das N. T. ausgenommen zu werdend)

e. Dieser Brief lehnt sich aber in seinem zweiten Kapitel an den Brief des Judas an, indem er nach dessen Vorgänge aufgetretene Jrrlehrer bekämpft. Auch der Judasbries wird von manchen Forschern nicht als ein Brief des Judas, des Bruders des Jakobus (jedenfalls des bekannten Gemeindevorstehers von Jerusalem), betrachtet; doch ist er vom Altertum besser bezeugt, als der zweite Petrusbrief.

D. 149. (139.) Das Zeitalter des Johannes; die Schristm des Johannes. a. Der erste Abschnitt des apostolischen Zeitalters hat uns vornehm­ lich den Apostel Petrus als den Begründer des Christentums unter den Juden gezeigt. Der zweite Abschnitt ist die Zeit des Paulus und der durch ihn bewirkten Begründung einer großen Kirche unter den Heiden. Als nun Paulus und Petrus gestorben waren, und als durch ein großes, für die Christen hochbedeutsames Ereignis, die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, die völlige Loslösung der Christenheit vom Judentum be­ fördert wurde, da begann auch für die Kirche eine neue Zeit, und in dieser Zeit tritt nun besonders der Apostel Johannes hervor. War zunächst Jerusalem der Mittelpunkt der Christenheit gewesen, auch für die Heidenchristen, so hörte das auf mit der Zerstörung Jerusa­ lems und mit der immer größeren Verbreitung des Christentums unter den Heiden. Seitdem das Judenchristentum hinter der Heidenkirche zu­ rücktrat, gab es nur noch eine Kirche, welche, frei vom Gesetz Mosis, *) Weiß, Eint. § 41: „Die Echtheilsfrage darf nicht für definitiv erledigt erklärt werden." Beyschlag, NTliche Theologie I, 869 und II, 487: „Der zweite Petrusbrief läßt sich nach allen Anzeichen nur als eine untergeschobene Schrift betrachten; aber das Zeitalter der Epigonen [ber Nachfolger der Apostels, welches ganz im Andenken der alten Apostel lebte und deren Erbe wirksamer zu vertreten hoffte, wenn die Verteidigung desselben ihnen selbst in den Mund gelegt würde, rechnete sich eine solche Verkleidung nicht als Täuschung an."

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aber das Alte Testament festhaltend, jedoch in geistiger Deutung, ihr Leben regelte nach den Worten ihres Meisters, welche, zuerst mündlich überliefert, später schriftlich ausgezeichnet, für Glauben und Leben den Gläubigen zur Richtschnur und Regel dienten und noch heute dienen. An der Spitze dieser einigen Kirche stand nunmehr der Apostel Jo­ hannes. Derselbe war natürlich zuerst in Jerusalem thätig gewesen, und beim Apostelconcil rechnet ihn Paulus (Gal. 2, 9) neben Petrus und Jakobus zu den Ersten (den Säulen) der Gemeinde. Später hat er Jerusalem verlassen, und zunächst können wir die Spuren seiner Wirksam­ keit nicht verfolgen. Dagegen finden wir ihn nun nach denr Tode des Apostels Paulus in Ephesus, von wo er, aber nur nach der Sage, eine Zeit lang weichen mußte, als er durch einen römischen Herrscher nach der Insel Patmos verbannt wurde (Off. Joh. 1, 9)J)- Doch ist er bald nach Ephesus zurückgekehrt und daselbst in hohem Alter gestorben. In Ephesus und in Kleinasien hatte Paulus das Christentum begründet; als er nun tot war, da trat, wie alte Zeugnisse glaubwürdig bekunden, der Apostel Johannes in dies Arbeitsfeld des Paulus ein, und durch seine lang­ dauernde Wirksamkeit (70 bis 100 n. Chr.) ist in Kleinasien eine Kirche erblüht, deren Geschichte wir freilich nicht erzählen können (weil uns für sie eine „Apostelgeschichte" fehlt), von deren Bedeutung aber das uns ge­ nauer, als die Zeit des Johannes, bekannte zweite Jahrhundert Zeug­ nis giebt. Mit dem Zeitalter des Apostels Johannes schließt das Zeitalter der Apostel, und die Schriften des Johannes sind die jüngsten unserer Bibel; die meisten anderen Apostel (außer den dreien) haben von ihrer Wirk­ samkeit keine sichtbaren Spuren und keine Schriften hinterlassen. Auf die Zeit der Schöpfung folgt auch hier eine Zeit der Erhaltung; die Schriften, welche der nachjohanneischen Zeit angehören, hat die Kirche nicht in den Kanon ausgenommen; die Männer, welche diese Schriften geschrieben haben, stehen weit zurück hinter den Aposteln. b. Von dem Leben des Johannes in Ephesus weiß nun die Sage manches Liebliche zu erzählen. Als Johannes einst von Ephesus aus der Sage nach eine kleinere Stadt besuchte, um auch hier die Christen im Worte Gottes zu unterweisen, lernte er daselbst einen schönen und sehr begabten Jüngling kennen und einpfahl denselben der besonderen Obhut des Bischofs. Unter der Fürsorge desselben ward aus dem Jüngling bald ein eifriger Christ; der Bischof glaubte endlich, sich des­ selben nicht mehr besonders annehmen zu müssen. Aber der Jüngling geriet in schlechte Gesellschaft; aus dem leichtfertigen Schwelger wurde endlich ein Dieb, ja, gar bald der gefürchtete Anführer einer Räuberbande. Wiederum kam Johannes in diese Stadt und fragte nach dem Jüngling. „Er ist gestorben," sagte der Bischof mit Thränen in den Augen. „Welches Todes?" fragte der Apostel. „Gotte ist er gestorben," sagte der Bischof, „er ist jetzt das Haupt einer Räuberschar." Sofort machte sich Johannes aus, um den Jüngling aufzusuchen; als die Räuber ihn ergriffen, bat er, ihn vor den Hauptmann zu *) Diese Stelle spricht aber nicht von einer Verbannung, sondern nur von einem Aufenthalt des Johannes auf Patmos. Die an diese Sage angeknüpsten Sagen von dem siedenden ßl, in welches der Apostel in Patmos geworfen worden, und von dem Giftbecher, den er habe trinken müssen, beruhen auf einem Worte Jesu zu den Zebedaiden: Mark. 10, 35—40.

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führen. Als dieser ihn erblickte, wandte er sich vor Scham eiligst zur Flucht; aber der Apostel eilte ihm nach: „Fürchte dich nicht, auch jetzt noch kannst du gerettet werden; glaube mir, Christus hat mich zu dir gesandt!" Der Jüngling blieb stehen, warf die Waffe weg und weinte bitterlich; Johannes ergriff ihn bei der Hand und führte ihn zu der Gemeinde zurück; der Jüngling war gerettet.1) Eine andere schöne Sage von diesem Jünger lautet also: Lange Jahre hatte Johannes in Ephesus die Gemeinde im Worte Gottes unterwiesen, endlich (er soll im Alter von 98 Jahren gestorben sein) konnte er sich in die Gemeindeversammlung nur noch tragen lassen; immer kürzer wurde die Mahnung, die er an die Gläubigen richtete; zuletzt vermochte er nur noch zu sagen: „Kindlein, liebet euch unter einander!" Es dauerte nicht lange, so fand man es seltsam, daß der Apostel nur immer diese Worte wiederholte, und so fragten ihn denn einst seine Schüler: „Aber Meister, wozu immer aufs neue diese Ermahnung?" Johannes erwiderte: „Die Brüder zu lieben ist das hauptsächlichste Gebot; wohl dem, der dies Gebot erfüllt; schon das allein macht ihn zum Nachfolger unseres Herrn." Die christliche Kirche hat den Jünger der Liebe nicht vergessen.

c. Aber wichtiger, als was die Sage von seiner Wirksamkeit berichtet, ist das, was seine Schriften von derselben erkennen lassen. Wie Geschichte und Sage, so weisen nämlich auch die Schriften des Johannes auf Ephesus und die nachpaulinische Zeit. So zunächst die Offenbarung Johannis, die älteste derselben. Die kleinasiatische Kirche tritt uns hier sinnbildlich in den sieben Gemeinden entgegen, an welche der Seher seine Mahnungen richtet; zu diesen Gemeinden gehört auch Ephesus.2) Der Christenheit stehen gegenüber das ungläubige Juden­ tum und das Heidentum, repräsentiert durch Rom und seinen Kaiser. Aber wie das ungläubige Judentum zerstört werden wird, so auch das heidnische Weltreich, und an seine Stelle tritt zunächst das tausendjährige Reich; erst nach einem letzten Kampfe kommt das vollendete Gottesreich, und damit ist alle Hoffnung der Christen erfüllt?) Das ist die Zukunftspredigt des Johannes, und sie stimmt gar wohl zu dem sonstigen Bilde des Apostels, der in Ephesus nach dem Tode des Paulus gewirkt hat. Dieses Buch, in der ältesten Zeit dem Apostel zu­ geschrieben, wurde ihm später vielfach abgesprochen, und der Streit hat sich bis in unsere Zeit fortgesetzt. Zwar wird heute von vielen Forschern der Ursprung dieses Buches in der apostolischen Zeit zugegeben (und der­ selbe teils in die Zeit nach Nero's Tod, teils in die Domitian's verlegt), aber der Apostel Johannes nicht als ihr Urheber angesehen, wenn das Evangelium dem Johannes zugeschrieben werde, da beide Schriften un­ möglich von einem Verfasser herrühren könnten; dagegen betrachten andere Forscher die Offenbarung als ein Werk des Apostels, das Evangelium dagegen und die Briefe als Schriften eines Apostelschülers. Die zweite Schrift des Johannes ist nämlich sein Evangelium; 0 Vgl. Herder, Der gerettete Jüngling. 2) Auch Pergamon, von dem es bekanntlich heißt (Offenb. 2, 13), daß dort „des Satans Thron" sei. Ob damit der uns jetzt wohlbekannte im Jahre 1860 nach Berlin gebrachte Altar des Zens von Pergamon gemeint ist, muß dahingestellt bleiben. 3) Genaueres siehe Nr. 155 und in der Glaubenslehre, Nr. 70.

D. 149. (139.) Das Zeitalter des Johannes; die Schriften des Johannes.

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von demselben ist aber hier nicht ausführlich zu redend) Hier sei nur darauf hingewiesen, daß auch dies Evangelium entschieden auf eine spätere Zeit hinweist, wie es die Zeit der Wirksamkeit des Johannes in Ephesus ist. Die Juden sind dem Verfasser offenbar schon von den Christen ge­ sondert, die Heiden in die Kirche eingetreten, und wenn die Offenb. Joh. Jesum nur schlechtweg als das „Wort Gottes", bezeichnet, so ist hier, wenigstens im Prolog, die dem Heidentum entstammende Lehre vom „Worte Gottes" ausführlich zur Erklärung der Herrlichkeit Jesu verwendet*2)3 —alles Dinge, die nur für die Wirksamkeit des Apostels in Ephesus passen und eine frühere Zeit ausschließen. Dem Evang. Joh. steht in seiner ganzen Art der erste Brief Joh. so nahe, daß er nach fast allgemeiner Meinung denselben Verfasser haben muß, wie das Evangelium, obwohl der Verfasser desselben sich in der Überschrift nicht genannt hat. Der erste Brief des Johannes (neben welchem die beiden anderen für uns zurücktreten) ist vor allem ein Mahnwort zur Heiligung. Diese Ermahnung geschieht in bemerkenswert zweifacher, aber schließlich in eins zusammengehender Weise, religiös und moralisch. Der Apostel erinnert seine „Kindlein" einmal an den Heilsbesitz, den sie erlangt haben, und mahnt sie, denselben festzuhalten. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint die Heiligung als eine immanente Entwickelung aus dem im Glauben ergriffenen Heilsgut, welche, wenn die Leser nur die Gotteskräfte in sich walten lassen, wie von selbst zur Vollendung gedeihen müsse. Aber mit dieser seiner Anschauung besonders entsprechenden Darstellung verbindet Johannes doch auch eine eillfachere und praktischere, die uns an Jakobus, Petrus und vor allem an Jesu eigene Lehrweise erinnert. Als wollte er mit Jakobus den falschen, trägen Verlaß auf einen toten Glauben und dessen vermeintlich rechtfertigende Kraft bekämpfen, ruft er K. 3, 7 seinen Lesern zu: „Wer Gerechtigkeit thut, der ist gerecht, wie Gott gerecht ist; wer die Sünde thut, der ist vom Teufel." Das ist eine Wiederholung des Jesuswortes: „Nicht alle, welche zu mir „„Herr, Herr"" sagen, werden ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel." Als die Summa dieses Thuns hebt Johannes immer wieder die Liebe zu Gott und zu den Brüdern hervor, und so erkennen wir in ihm den Schüler der Bergpredigt und der Lehre vom größten Gebot; es ist die Gesetzes­ auslegung und Gesetzesvollendung Jesu, die hier widerhallt, ebenso wie in den Briefen des Petms und des Jakobus?)

Während dieser Brief mit Recht ein katholischer Brief genannt wird, d. h. ein nicht für eine einzelne Gemeinde, sondern für die ganze Christenheit bestimmter, wie auch die Briefe des Petrus, Jakobus und Judas, so sind der zweite und der dritte Brief Joh. an bestimmte Personen gerichtet, der zweite an eine Frau, Namens Kyria, der dritte an einen Mann, Namens Gajus, die uns beide unbekannt sind. Beide Schriften sind in ihrer Art ebenfalls dem Evang. und dem ersten Briefe gleichartig, und sie werden deshalb ebenfalls gewöhnlich dem Apostel Jo­ hannes beigelegt; aber auch hier hat fich der Verfasser nicht genannt. Da aber der Verfasser sich als „der Älteste" (Presbyter) bezeichnet, so ’) Vgl. Nr. 102 II d. 2) Vgl. Nr. 123 und die Glaubenslehre, Nr. 34. 3) Beyschlag, NTliche Theologie II, S. 457—462.

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E. 150. (145.) Die Sagen von den andern Aposteln:c.

haben manche Forscher diese beiden Schriftchen einem im 2. Jahrhundert lebenden Presbyter Johannes beigelegt. Die Schriften des Johannes sind also die jüngsten Schriften des Neuen Testaments, die des Paulus die ältesten, die anderen Schriften stehen wohl in der Mitte zwischen beiden.

E. 15(L (145.) Die Sagen von -eu andern Aposteln; die Apostel­ feste im Kalender. a. Wenn die Apostelgeschichte selbst von den Hauptaposteln nicht alles erzählt, was wir zu wissen wünschten, so erfahren wir aus ihr noch weniger oder gar nichts über die anderen Apostel; über das weitere Schicksal dieser und ihrer nächsten Schüler giebt es viele, aber nur ganz unverbürgte Sagen. So sott Matthäus als Märtyrer in Äthiopien, Lukas, angeblich nicht blos;

9h*At sondern auch Maler, der zuerst das Bild Jesu und der Maria gemalt haben soll, in Kleinasien, Markus in Alexandrien gestorben sein, von wo seine Gebeine später nach Venedig gebracht wurden.') Bartholomäus ist angeblich in Armenien, Philippus in Phrygiell, Matthias in Kolchis am Schwarzen Meer, Simon der Eiferer in Persien oder gar in Britannien gestorben. Judas, des Jakobus Sohn, soll dem Fürsten Abgarus von Edessa Heilung vom Aussatz, eine Botschaft und das erste Bild von Jesus überbracht haben und in Syrien gestorben sein. Andreas, der unter den Scythen gepredigt haben und in Griechenland gestorben sein soll, ist der vielgefeierte Patron von Rußland und Polen geworden?) Thomas hat nach der Sage zuerst in Syrien und Parthien gepredigt und ist dann in Indien ge­ storben; alle Christen im östlichen Asien, iuo er besonders gepredigt haben soll, wurden später Thomaschristen genannt.

Dürftig und ungewiß ist unsre Kunde von den meisten der ersten Anhänger Jesu; aber die ersten Anfänge der Dinge hüllen sich überall in ein geheimnisvolles Dunkel. b. Das Andenken an die Apostel und die ersten Anhänger des Herrn erhalten auch die ihnen im Kalender gewidmeten Tage und die zu ihren Ehren von der alten Kirche gefeierten Feste, die freilich heute in der evangelischen Kirche hinter den Hauptfesten der Christenheit völlig zurück­ getreten sind. Allen Aposteln zu Ehren wurde früher das Fest der Apostelteilung am 15. Juli gefeiert, zur Erinnerung an die von den Aposteln vor ihrem Weggange von Jerusalem angeblich vorgenommene Verteilung der Missionsgebiete3); jetzt feiert die katholische Kirche dafür die durch den Papst Sylvester vorgenommene Teilung der Reliquien des Petrus und des Paulus aus dem gemeinsamen Grabe unter die

!) Vgl. Nr. 147 c, Anm. 2) Von den Deutschen ist der heilige Andreas schon früh als „der gütiaste der Heiligen" verehrt worden; ihn verehrten sie als Christen statt des heidnischen 'Gottes Freyr, „des gütigsten der Götter;" dieser Gott wurde als Schahspender verehrt, deshalb bekommen noch heute in manchen Gegenden die Kinder am Andreasabend (am Abend vor dem 30. November, der ihm geweiht ist) allerlei Geschenke; der Heilige tritt damit an die Seite des Ruprecht. Vgl. oben Nr. 109. 3) Bei dieser Trennung der Apostel von einander ist angeblich das apostolische Glaubensbekenntnis entstanden; vgl. Kirchengeschichte Nr. 16 (2. Aust.: Nr. 66).

151. (140.) Der heilige Geist und die Gnadenmiitel.

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Kirchen des Petrus und des Paulus in Rom. Als Todestag der beiden Apostel gilt der 29. Juni, ein großer Festtag für die Katholiken. Dem Petrus allein gilt das zweifache Fest der Stuhlseier: am 22. Februar, wo er in Antiochia, am 18. Januar'), wo er hi Rom nach der Sage den Bischofsstuhl eingenommen hat. Dem Petrus gilt endlich auch das Fest der Kettenfeier am 1. August. Man glaubte nämlich später in Jerusalem die Kette gefunden zu haben, mit der Petrus von Herodes (Apg. 12, 6) gefesselt worden war, und brachte sie nach Rom. Hier besaß man angeblich bereits die Kette, mit der Nero den Apostel gefesselt hatte, dtls man beide Ketten einander nahebrachte, schlossen sie sich plötzlich zu einer einzigen unauflöslich zusammen. Viele Wunder sollen seitdem durch diese Kette vollbracht worden sein. Auch die anderen Apostel haben ihre Festtage erhalten. Des Paulus Be­ kehrung wird am 25. Januar gefeiert. Den 25. Juli feiert die römische Kirche als den Tag, an dem der Leichnam des älteren Jakobus (Apg. 12, 2) nach Spanien gebracht worden sei. Des Apostels Johannes Gedäcktnistag ist der 27. Dezember, des Andreas der 30. November, des Bartholomäus der 24. August, des Thomas der 21. Dezember (die dunkelste Zett des Jahres schien am besten an die Zweifels­ nacht des Apostels nach dem Tode des Herrn zu erinnern), des Matthäus der 21. September; dem Philippus und Jakobus wird zusammen der 1. Mai, dem Simon und Judas der 28. Oktober gefeiert; der Tag des Matthias ist der 24. Februar (im Schaltjahr der 25. Februar), der Schalttag des alten Kalenders (passend für den eingeschalteten Apostel). Auch andere biblische Personen sind nicht vergessen worden; des Markus wird am 25. April gedacht, des Lukas am 18. Oktober, des Stephanus am 26. Dezember, Johannes des Täufers am 24. Juni, der unschuldigen Kinder von Bethlehem am 28. Dezember.

c. Die Tage der Apostel feiert die evangelische Kirche nicht mehr mit der katholischen Kirche; aber ihre Predigt in der Bibel wird von unserer Kirche mehr gewürdigt als von der katholischen, und ihre Predigt ist wichtiger, als die Geschichte oder Sage von ihrem Leben; durch ihre Predigt ist die christliche Kirche gegründet worden.

II. Das innere Leben der Kirche im apostolischen Zeitalter. 2)

151. (145.) Der heilige Geist ««d die Gnadeumittel?) a. Joh. 14, 16—17 und B. 26. 16, 13—15. b. Röm. 10, 17. Matth. 7, 28—29. Mark. 16, 15. c. Matth. 28, 16—20. Apg. 2, 37—41. 10, 44—48. Mark. 14, 22-25. 1. Kor. 10, 16. 2. Kor. 13, 13. a. Als Jesus seinen Jüngern seinen Tod vorausverkündete, da tröstete er sie über seinen Weggang einerseits damit, daß er ihnen seine Wieder0 Ein bedeutsamer Tag auch für die Geschichte von Preußen und Deutschland! 2) Ich habe versucht, diesem Abschnitte eine gewisse Abrundung zu verleihen; wenn es an Zeit fehlt, so wird der Lehrer auf Nr. 151, 152 und 153 einfach veren; Nr. 152 kann in der Kirchengeschichte und Nr. 155 mag in der Glaubens­ besprochen werden; dagegen ist Nr. 154 unentbehrlich; vgl. aber daselbst Anm. 1. 3) Dieser und der folgende Abschnitt können hier nur kurz behandelt werden, da sie in die Glaubenslehre gehören.

152. (141.) Die Gemeinde des Herrn.

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tunst verhieß, andrerseits damit, daß er ihnen sagte, sie würden auch nach seinem Weggange doch nicht verwaist sein, denn dann werde als sein Stellvertreter der Geist Gottes bei ihnen sein und sie in alle Wahrheit leiten, und durch die Wirksamkeit des Geistes Gottes in der Kirche werde das Reich Gottes dereinst zur Vollendung geführt werden. b. Wenn aber der heilige Geist, an Christi Stelle tretend, das Werk Jesu, die Gründung und Vollendung des Gottesreiches auf Erden, fortsetzt, so geschieht das nicht in unmittelbarer Weise, sondern durch die Vermitte­ lung der Gnadenmittel, der Predigt und der Sakramente. „Der Glaube kommt aus der Predigt," wie Paulus mit Recht sagt (Röm. 10, 17), und so hat Jesus vor allem gepredigt, und als Prediger hat er zunächst auf das Volk einen großen Eindruck gemacht (Matth. 7, 28—29). Aber auch schon bei seinen Lebzeiten hat Jesus auch seine Jünger ausgesandt zum Predigen; vornehmlich aber bei seinem Scheiden hat er ihnen geboten: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur" (Mark. 16, 15), und durch ihre Predigt ist das Gottesreich unter Juden und Heiden begründet worden. Aber als Jesus ihnen nach seiner Auferstehung die Predigt vom Himmelreich auftrug, da hat er auch die Taufe eingesetzt (Matth. 28, 16—20): „Machet zu meinen Jüngern alle Völker, indem ihr sie taufet in den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes." Und schon am ersten Pfingstfeste handelt Petrus nach diesem Befehl, indem er die 3000 bekehrten Juden durch die Taufe in die Gemeinschaft der Jünger Jesu aufnimmt (Apg. 2, 37—41), und ebenso wurden die ersten Heiden durch die Taufe in die Kirche ausgenommen (Apg. 10, 44—48). Endlich aber hat Jesus, als er das letzte Mahl mit seinen Jüngern genoß, einen Tag vor dem israelitischen Passahmahl, für seine Gläubigen ein anderes, neues Passahmahl eingesetzt, das heilige Abendmahl, ein Mahl, durch dessen Feier die Gemeinschaft zwischen Jesus und den Seinen bethätigt und erhalten werden soll (Mark. 14, 22—25. 1. Kor. 10, 16). c. So steht der Christ durch den heiligen Geist und die Gnaden­ mittel in Gemeinschaft mit Jesu Christo und durch Christus mit Gott, und das Ziel seines ganzen Lebens ist der Eintritt in die Gemeinschaft des heiligen Geistes und die Gnade des Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes (2. Kor. 13, 13).

152. (141.) Matth. 16, 18.

Die Gemeinde des Herrn.

Mark. 10, 42—45.

Apg. 2, 13—21 (Joel 3, 1b.).

a. Nach Gottes Absicht sollte das Judentum durch Jesus Christus umgestaltet werden zum Christentum; dann wäre heute kein besonderes Judentum mehr vorhanden. Aber diese Absicht ist ebenso wenig erfüllt worden, wie später die Absicht Luthers, die ganze Kirche zu reformieren. Wie seit dem 16. Jahrhundert der evangelischen Kirche die von dem Gottes­ werke der Reformation sich ausschließende katholische Kirche gegenübersteht, so steht seit der Zeit der Apostel dem Christentum das dem Christen­ tum fremd gebliebene Judentum gegenüber, welches, aus dem nachexilischen Judentum hervorgegangen, zu einer besonderen Religion geworden ist.

153. (142.) Die Verfassung der Kirche im apostolischen Zeitalter.

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b. Daß das so kommen werde, hat schon Jesus selber erkannt, und darum begann er, seitdem er das erkannt hatte, von seiner Gemeinde zu sprechen (Matth. 16, 18. 18, 15—20); auf den Glauben an ihn, als Messias, den Petrus in ihm zuerst erkannt hat, ist diese Gemeinde ge­ gründet, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Diese Gemeinde hat sich nun immer weiter verbreitet und weiter entwickelt; wie beides geschehen ist, zeigt für die erste Zeit der Kirche die „Apostel­ geschichte", und für die folgende Zeit die Kirchengeschichte. c. Eine Volksreligion, wie (außer dem Buddishmus und dem Islam) alle andern Religionen sind, war das Judentum; eine Welt­ religion ivollte Jesus stiften, und er hat sie gestiftet. Aber seine Stif­ tung ist nicht ein weltliches Reich, wie das römische Reich es in seiner Zeit war, auch nicht eine äußere Kirche, wie die römische Kirche des Mittelalters und der Neuzeit, mit festbestimmten, von Jesus selbst an­ geblich gestifteten Ordnungen (Papsttum, Bischofsanit, Priestertum u. s. w.), nicht ein Reich dieser Welt, sondern ein Reich des Geistes, die Gemeinde der Gläubigen, bestehend aus Menschen, welche sämtlich irren können und oft genug geirrt haben, aber dennoch geleitet und getragen vom heiligen Geiste, der das, was Jesus einst in der kurzen Spanne seines Erdenlebens in einem kleinen Kreise begründet hat, für die ganze Welt zur herrschen­ den Macht erheben wird. Zwar heute ist das Christentum noch nicht die Religion aller Menschen, aber daß es dieselbe einst sein werde, das ist der Gegenstand unserer Hoffnung.')

153. (142.) Die Verfassung der Kirche im apostolischm Zeitatter. a. Die christliche Kirche war begründet worden durch die Predigt der Apostel, und so war es denn natürlich, daß dieselben in der Kirche das höchste Ansehen genossen. Aber sie haben damals kein anderes An­ sehen genossen als heute; auch wir „bleiben bei ihrer Lehre" (Apg. 2, 42), die wir in ihren Schriften vernehmen, wie damals die Christen auf ihre Predigt und ihre Lehre gehört haben. Den Aposteln standen aber damals Propheten und Lehrer zur Seite (1. Kor. 12, 28). Durch den Dienst bey Apostel war die Kirche gegründet worden; durch die Prophetie erhielt sie den Mut des Glaubens an ihre Zukunft; der Unterricht des Lehrers war die Fortsetzung des apostolischen Missions­ unterrichts. Auch der Apostel konnte natürlich als Prophet und als Lehrer thätig sein, und der Lehrer Prophet sein; ja, selbst der Apostel­ name ist damals den Gründern und Häuptern der Gemeinden beigelegt worden, auch ohne daß sie zu den Zwölfen gehörten, wie dem Jakobus und Barnabas. Für uns aber sind nun Lehrer und Geistliche, Missionare und Universitätslehrer, als Prediger und Begründer des Glaubens, die Nachfolger der Apostel — natürlich nicht unfehlbare Päpste, sondern nur Führer zu Jesus Christus. Dagegen sind die Apostel nicht die Regierungsbehörde der ganzen Christenheit gewesen (auch Propheten und Lehrer waren keine Beamten der Kirche), wie jetzt der Papst in der römischen, die Bischöfe in der

') Vgl. Nr. 155.

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153. (142.) Die Verfassung der Kirche im apostolischen Zeitalter.

griechischen und in der anglikanischen Kirche, die Konsistorien und Synoden in der evangelischen Kirche, oder die sogen. Apostel bei den Jrvingianern. Ein äußeres Band der Verfassung hat die Kirche des apostolischen Zeit­ alters noch nicht zusammengefaßt. Die Gemeinde jedes Ortes lebte zunächst als selbständiger Verein für sich, nur durch geistige Gemeinschaft mit den andern Gemeinden zu einem Gottesreiche verbunden. Aber schon damals betrachteten die Judenchristen Jerusalem als den Mittelpunkt ihres Glaubens, wie sie das von früher her gewohnt waren. Des Paulus Streben aber ging gleichfalls dahin, die von ihm gegründeten Heidenkirchen, welche er in mehreren Provinzen des römischen Reiches gegründet hatte (also als Provinzialkirchen), mit der Kirche in Jerusalem in Verbindung zu setzen, und dadurch die Einheit der ganzen Kirche herzustellen. Wenn jetzt die Gemeinden meist ebenfalls nicht vereinzelt dastehcu, so ist das geschehen infolge derselben Entwickelung, wie sie auch in der alten Kirche erfolgt ist. Wenn aber der ganzen Kirche eine allgemein anerkannte Obrigkeit noch heute fehlt, so wollen wir nicht vergessen, daß auch im Zeitalter der Apostel kein Haupt der ganzen Kirche außer Christus vorhanden gewesen ist; wenn es damals ohne einen Papst und ohne Bischöfe doch eine rechte Kirche gegeben hat, so ist die evangelische Kirche auch heute eine rechte Kirche, auch ohne Papst und ohne Bischöfe. b. Wenn nun auch die Gründung der einzelnen Gemeinden (aber doch nicht aller Gemeinden) damals vielfach (aber nicht immer) durch die Apostel erfolgte, so war doch die Regierung der einzelnen Gemeinde, wie auch die Regierung der ganzen Kirche, nicht die Sache der Apostel, sondern jede einzelne Gemeinde regierte sich selbst. Dle Angelegenheiten der Gemeinde wurden in der Gemeindeversammlung beraten und durch Abstimmung erledigt. Aber freilich nicht alles konnte durch die ganze Gemeinde besorgt werden; dann traten zunächst einzelne Christen freiwillig mit den von Gott ihnen verliehenen Gaben in den Dienst der Gemeinde (1. Kor. 12). Aber allmählich traten in jeder christlichen Gemeinde an ihre Spitze eine Anzahl von ihr selbst gewählter Ältester oder Aufseher, welche Presbyter oder Bischöfe hießen, welche für die Ordnung in der Gemeinde sorgten und die Versammlungen leiteten. Zur Armenpflege wurden später besondere Diakonen (und auch Diakonissen) eingesetzt — eine Erneuerung des Amtes der nach kurzer Zeit wieder verschwundenen „Siebenmänner". Priester gab es in der Christenheit nicht, da alle als Priester galten, indem sie sich selber in frommeni Wandel Gott als Opfer darstellten. c. Aus diesen Zuständen der ältesten Christenheit haben sich, bei den verschiedenen Kirchen verschieden, allmählich die späteren und heutigen Ein­ richtungen entwickelt. Die sehr früh verschwundenen Diakonissen sind in der katholischen Kirche in verschiedenen Nonnen-Orden, in der evan­ gelischen Kirche mit ihrem alten Namen in unserer Zeit aufs neue her­ vorgetreten. Ein Diakonenamt zur Armenpflege ist heute fast nirgends vorhanden, die Armenpflege ist heute anders oder gar nicht geordnet. Aus den Gemeindevorstehern (Presbytern oder Bischöfen) hat sich allmählich ein einziger mit dem Titel „Bischof" als Haupt der anderen Vorsteher, welche nun zu Presbytern wurden, und als Haupt der ganzen Gemeinde emporgehoben; die gewöhnlichen Gemeindeglieder standen seitdem

154. (143.) Glaube, Gottesdienst und Leben der ersten Christen.

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als „Laien" den Presbytern, als „Priestern", gegenüber. Während aber, seitdem dies geschehen war, zunächst jede einzelne Gemeinde ihren Bischof hatte, hat später die größte Zahl der Gemeinden den Bischof ver­ loren, und nur an der Spitze der Hauptstädte stand ein Bischof, welchem zugleich die kleineren Gemeinden untergeordnet waren. So ist es noch heute in der römischen und griechischen und in denjenigen evangelischen Kirchen, welche Bischöfe haben (England und Skandinavien). In der römischen Kirche hat sich dann über die Bischöfe noch der Papst erhoben, als das Haupt der gallzen römischen Kirche. Und diese Verfassung der Kirche mit Papst, Bischöfen und Priestern erklärt die katholische Kirche für eine göttliche Ordnung. Dagegen wird von der evangelischen Kirche mit Recht behauptet, daß das Bischofsamt zwar eine nicht unangemessene menschliche Ordnung sei, aber nicht die ursprüngliche Ordnung der apostolischen Kirche. Nach dem Neuen Testament hat jede Gemeinde mehrere Vorsteher, welche Presbyter oder Bischöfe genannt werden (beide Namen bezeichnen das­ selbe Amt), an ihrer Spitze gehabt; dieselben entsprechen etwa unserm Gemeindekirchenrat mit dem Pastor. Was bei uns der Pastor thut, durste teils jeder thun (z. B. predigen), teils wurde es von den Vorstehern besorgt (Sakramentsverwaltung). Ja, selbst wenn die Bischöfe schon in der ältesten Zeit von den Presbytern zu unterscheiden wären (wie neuere Forscher meinen), so bliebe immer noch richtig, daß jede Gemeinde meh­ rere Bischöfe als Vorsteher an ihrer Spitze hatte — der Katholik aber fordert als Bischof nur einen Vorsteher. Daß die evangelische Kirche heute Pastoren und Gemeindekirchenräte, Konsistorien und Synoden hat, ist ganz angemessen, obwohl es weder von Christus noch von den Aposteln für die Kirche angeordnet ist; die Verfassung der Kirche ist nur eine menschliche, wandelbare Ordnung.

154. (143.) Glaube, Gottesdienst nud Leben der ersten Christens) 1. Kor. 12 u. 14. Apg. 2, 42—47. 4, 32—5, 16. 6, 1—7. 1. Kor. 13. Philemonbrief. Jakobusbrief. 1. Petrusbrief. 1. Johannesbrief. 2)

Apg. 2, 42.

„Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet" — so ’) Bei der systematischen Darstellung und bei der Wiederholung mag dieser nicht zu entbehrende Abschnitt, wie hier, erst später folgen; bei der Lektüre des Neuen Testaments habe ich ost (namentlich in der Tertla) vorgezogen, ihn schon vor dem Apostel Paulus durchzunehmen, obwohl hierbei nicht bloß die Apostel­ geschichte, sondern auch die Briefe der Apostel zu Grunde gelegt sind. Ich habe aber das Material dieses Abschnittes, um es für den Schüler behaltbar zu machen, nach Apostelgeschichte 2, 42 zusammengesaßt: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet." — Im Anschluß an diesen Abschnitt kann der Lehrer, wenn Zeit bleibt, Gottesdienst und Gesangbuch der evang. Kirche besprechen, bez. wiederholen. 2) Der Lehrer legt natürlich auch bei diesem Abschnitt die Bibel zu Grunde, und durch die Lektüre gewinnt der Schüler die oben dargelegten Gedanken. Für die zuletzt genannten drei Briefe vgl. Nr. 148 und 149.

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154. (143.) Glaube, Gottesdienst und Leben der ersten Christen.

charakterisiert die Apostelgeschichte die Zustände der ersten christlichen Ge­ meinde; das Folgende soll diese Charakteristik etwas weiter ausführen. a.1) Die Apostel hatten in Jesus den Messias erkannt, obwohl er ihren Erwartungen hinsichtlich der Aufrichtung eines messianischen Reiches nicht entsprach (Matth. 16); aber sein Tod schien alle ihre Hoffnungen zu nichte zu machen. Zwar wurden sie durch seine Auferstehung von ihrem Zweifel an der Messianität Jesu befreit, aber ihre Gedanken blieben doch zunächst im Kreise der damaligen jüdischen Hoffnung befangen, daß Jesus bald wiederkehren müsse, um das von ihm zu gründende Gottes­ reich aufzurichten; daß dasselbe bereits vorhanden war, war ihnen noch verborgen. Auch als sie sich am Pfingstfeste in wunderbarer Weise vom Geiste Gottes ergriffen fühlten, glaubten sie doch nur den von dem Pro­ pheten Joel (3, 1—5) verheißenen Anfang des messianischen Reiches zu erleben, noch nicht das neue Gottesreich selber. So war der neue Glaube der Apostel noch eingehüllt in die alten Gedanken des Judentums; Jesus war für sie der Messias — dadurch unterschieden sie sich von den Juden; aber sein Reich dachten sie sich noch in der Weise der Juden, und darum erwarteten sie seine baldige Wiederkunft. Was daher die Apostel ihren Zeitgenossen predigen, das ist kurz zusammenzufassen in dem Worte: Jesus ist der Christus, der Messias (Apg. 2, 38), und so bildet sich erst seit dieser Zeit der uns ge­ läufige Name „Jesus Christus". Wenn nun die Apostel von Jesus predigen, so wird von ihnen zunächst vornehmlich sein prophetisches Amt vorgeführt (vgl. z. B. die Predigt des Petrus vor Cornelius: Apg. 10). Daß die Juden diesen ff^opheten getötet haben, ist ein großes Unrecht; aber als ein Mittel des Heils wird der Tod Jesu nicht einmal da betrachtet, wo der Redner das 53. Kap. des Propheten Jesaias auslegt (Apg. 8, 26 s.), das Rätsel des Todes Jesu war für die älteste Christenheit gelöst durch Jesu Auferstehung; die Auferstehung Jesu bildete, wie den Ausgangspunkt des Glaubens der Jünger, so auch der ganzen Predigt in der apostolischen Zeit. Durch eine einzige Predigt des Petrus waren nun am Pfingstfeste dreitausend Juden bekehrt »vorden; das konnte so schnell gehen, weil der Jude, welcher Christ wurde, sich von seinen bisherigen Glaubensgenossen nur dadurch unterschied, daß er in Jesus den Messias sah. Nicht so schnell ging es mit der Bekehrung der Heiden; für sie hatte die MessiaSwürde Jesu keine Bedeutung, da sie ja das A. T. nicht kannten; für sie mußte der Grund zum Christentum tiefer gelegt werden. Das sehen wir deutlich in den Predigten der Apostelgeschichte, welche vor Heiden gehalten werden. Da kommt zu der Predigt von Jesus, der ihnen als der Sohn Gottes und ihr Herr verkündet wird (2. Artikel) auch die Predigt von dem einen Gott, von der Sünde, vom Reiche Gottes u. s. w., wie wir diese Predigt später im ersten und dritten Glaubensartikel zusammen­ gestellt finden; erst in diesen Predigten vor den Heiden finden wir eine Zusammenfassung des ganzen christlichen Glaubens. b. Die Apostel hatten mit ihrer Predigt den Grund gelegt zu der neuen Gemeinde, und die Christen blieben nun auch, wie die Apostel') Dieser Abschnitt ist mehr für den Lehrer, als für den Schüler bestimmt.

geschichte sagt, beständig in der Apostel Lehre, und auch wir müssen, wenn wir rechte Christen sein wollen, bei ihrer Lehre bleiben. Zwar Apostel selber können wir nicht mehr haben (wie die Jrvingianer sie zu haben vorgebcn), aber ihre Lehre besitzen wir in ihren Schriften, und diese Lehre wird fortwährend in der Gemeinde verkündigt, und die evangelische Kirche fordert ja ausdrücklich, daß die Predigt ihrer Lehrer sich allein stütze auf die heiligen Schriften vornehmlich der Apostel, als der allein glaubwürdigen Verkündiger der Lehre unseres Erlösers; Luthers und der anderen Reformatoren ganze Wirksamkeit zielte darauf hin, die Mrche wieder zurückzuführen zur Lehre der Apostel, von welcher dieselbe allmählich immer weiter abgekommen war. Diese Lehre ist aber sicher zu erkennen nur aus der heiligen Schrift (nicht aus der Tradition), und so ist denn unsere Kirche eine rechte Kirche, weil sie fich hält an die in der heiligen Schrift überlieferte „Lehre der Apostel". c. Die Christen „blieben sodann auch beständig im Gebet." Die Christen nahmen zunächst noch am Gottesdienste der Juden teil, wie sie ja auch das mosaische Gesetz zuerst noch hielten; aber es bildete sich doch bald neben und statt desselben ein besonderer christlicher Gottesdienst. Derselbe wurde zunächst in Privathäusern gehalten, so daß in jeder Stadt mehrere Bersammlungshäuser sein konnten, wenn ein Privathaus nicht ausreichte (wie heute mehrere Kirchen), und zwar toiitbe der Gottesdienst schon in der ältesten Zeit am Sonntage gehalten, als am Tage der Auf­ erstehung des Herrn (Off. 2, 10. 2. Kor. 16, 1). Die Christen hatten aber zweierlei Versammlungen: die eine zum Gottesdienst, die andere zum Liebesmahl und Abendmahl; auf die erstere ist hier hingedeutet, wenn es heißt: „Sie blieben aber beständig im Gebet." Der christliche Gottesdienst, welcher sich zunächst aus dem Gottes­ dienste der jüdischen Synagoge') entwickelt hat, bestand aber aus folgenden Teilen (die wir namentlich aus dem 1. Kor.-Briefe K. 12 und 14 kennen lernen): Gebet, Predigt, Zungenreden und Schriftvorlesung. Daß das Gebet im Gottesdienste nicht gefehlt hat, versteht sich von selbst; das Vaterunser ist wohl schon in der ältesten Zeit im Gottesdienste gebetet worden; die demselben angehängte Doxologie („Denn dein ist... Amen") ist wohl sogar gerade durch den Gebrauch dieses Gebetes im Gottesdienste erst hinzugekommen. Daß die alten Christen beim Gebet so gern „Abba" statt in griechischer Sprache „Vater" oder etwa auch „Abba, Vater" sagten, beruhte auf der Festhaltung des von Jesus her überlieferten ara­ mäischen Wortes, womit er seine Gebete zu beginnen pflegte, und welches für sein Beten charakteristisch war. An das Gebet schloß sich die Predigt an, welche (in verschiedener Art) von allen geübt wurde und allen zustand; doch mußte sich jeder auch die Kritik seines Predigens gefallen lassen. Dazu kam dann das sogen. Zungenreden, nicht ein Reden in fremden Sprachen, sondern eine Art von Gebet, aber in zusammenhangsloser und abgerissener Rede, welche für den Zuhörer zunächst unverständlich war, aber durch den Redner selber oder durch einen Ausleger erklärt werden konnte; Paulus empfiehlt dasselbe zu unterlassen, wenn es nicht ausgelegt werden könne, da die Gemeinde dann davon keinen Nutzen habe; er hält ') Der Tempel-Gottesdienst war an den Tenipel zu Jerusalem gebunden.

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154. (143.) Glaube, Gottesdienst und Leben der ersten Christen.

es also nicht für notwendig, wie die Jrvingianer. An seine Stelle sind bei uns die kirchliche Dichtung und die Kirchenmusik getreten — Lieder mit und ohne Worte, von denen die letzteren dem Zungenreden nicht allzufern stehen. Endlich wurde auch im Gottesdienste die heilige Schrift vor­ gelesen; als solche galt aber damals nur erst das Alte Testament; erst später sind andere Schriften zu demselben hinzugekommen, aus welchen allmählich das Neue Testament zusammengestellt worden ist. So haben die alten Christen ihren Gottesdienst in etwas anderer Weise gestiert, als wir ihn heute feiern, und doch stimmt unser Gottes­ dienst in den Grundzügen mit dem Gottesdienste der alten Christen überein. Auch wir haben in unserm Gottesdienste das Gebet, und unsre Liturgie, unser Kirchengebet, unser Kirchengesang sind ja nur die schön und reich ausgebildeten Formen des Gemeindegebetes, neben welchen das einfache, aber köstliche Vaterunser ebenfalls noch im Gottesdienste seine Stelle hat. Ebenso ist erhalten die Predigt, welche an die Schriftvorlesung an­ geknüpft ist. Geschwunden ist allerdings das Zungenreden; aber das­ selbe ist nicht so wichtig für die Gemeinde, wie die Jrvingianer glauben, und jedenfalls nicht willkürlich zu erneuern, wie sie es gefordert und zu erneuern versucht haben. Alles hat eben auch in der Kirche seine Zeit; auch in der Kirche giebt es vergangene Dinge, und Dinge, welche bleiben. Das Zungenreden war gewiß ein Beweis für die Macht des neuen Glaubens, aber nur für das eigene Leben des Redenden von Bedeutung; für die Gemeinde war es ohne Auslegung wertlos. Auch Paulus zieht die allen verständliche Predigt dem Zungenreden vor; was hätte uns ein Luther genützt, der nur im Zungenreden groß gewesen wäre! Unser heutiger evangelischer Gottesdienst stimmt also in der Haupt­ sache mit dem altchristlichen Gottesdienste überein. Dagegen gab es bei den alten Christen keinen Opfergottesdienst, welchen Judentum und Heiden­ tum so hoch stellten; auch keine Messe zur Wiederholung des Opfers Christi, denn „mit einem Opfer hat Christus in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden" (Hebr. 10, 14); die Christen wollten in ihrem Gottes­ dienste nicht ein Opfer bringen, sondern sie bekannten sich zu dem Opfer, welches ein für allemal für sie gebracht worden ist. So gab es unter den Christen auch keine besonderen Priester mehr, sondern alle Christen galten als Priester Gottes (1. Petr. 2, 9), die sich selber Gotte als Opfer darstellen sollten (Röm. 12, 1), im eigentlichen Gottesdienste, wie in ihrem ganzen Leben; nicht einmal besondere Prediger haben die alten Christen gehabt, sondern alle haben damals gebetet und gepredigt, geweissagt und mit Zungen geredet. d.’) Durch den Geist Gottes, welcher der Gemeinde Christi eine Fülle be­ sonderer Gaben verleiht, wird die Gemeinde auf dem gelegten Grunde „erbaut," d. h. weilergefördert. Es ist besonders das 12. Kap. des 1. Korintherbriess, in welchem sich der Apostel über diese geistliche Ausstattung der Christenheit ausspricht, die wie der Apostel sie am liebsten nennt, d. h. geheiligte Talente, der Gemeinde zu dienen. Es ist das für uns zum fernen Ideale gewordene Bild der lebendigen, in allen ihren Gliedern mitthätigen Gemeinde, das er uns zeichnet. 0 Beyschlag, NTliche Theologie II, 240s. — Diese Darlegung wird für den Lehrer bei der Lektüre von 1. Kor. 12 und 14 von Nutzen sein; sie ist nicht für den Schüler berechnet.

154. (143.) Glaube, Gottesdienst und Leben der ersten Christen.

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Vor allen Gaben schätzt Paulus um der Erbauunq der Gemeinde willen die „Weissagung," d. h. die Gabe, aus unmittelbarem Antrieb des Geistes, also ohne Zweifel aus augenblicklicher Eingebung (1. Kor. 14, 30) zur Gemeinde zu reden. Neben der „Weissagung" stehen die „Lehrrede" und das „Zungenreden". Jene (vgl. 1. Kor. 12, 8) ist die Gabe der Lehre im engeren Sinne, durch des Lehrers Nachdenken vermittelt; das „Zungenreden" dagegen war ein an stürmischer Unmittel­ barkeit die Prophetie noch überbietender ekstatischer Herzenserguß, der nicht lehrte oder predigte, sondern nur frohlockte und anbetete, für die Gemeinde unverständlich, wenn kein „Dolmetscher" es auslegte?) Dienten diese Gaben vornehmlich der öffentlichen Erbauung der Gemeinde, so dienten andere den häuslichen und socialen Notständen, wie die Gabe der wunderthätigen Krankenheilung, oder die Gabe des Hilfeleistens an Arme und Fremdlinge, oder die Gabe der Leitung der Gemeinde-Versammlungen und An­ gelegenheiten. Sehen wir ab von der außerordentlichen, teilweise wunderhaften Form, wie sie den Erstlingszeiten des Christentums eigentümlich ist, so erkennen wir hierin die wesentlichen Gaben, deren die Kirche allezeit zu ihrer Erhaltung und Fortentwickelung bedarf: die Gaben der Predigt, der liturgischen Hervorbringung, der wissenschaftlichen und katechetischen Lehre, der Armen- und Krankenpflege, der Leitung und Regierung. Auch in der apostolischen Zeit sind diese Gaben ebensowenig vom Himmel gefallen, als sie in ihrer gegenwärtigen Form ohne Zuthun des heiligen Geistes entstehen: sie haben alle eine natürliche Anlage des Menschen zur Wurzel, die aber erst durch den eigentümlich-christlichen Lebensgeist zu einer der Gemeinde dienlichen Entfaltung gebracht wird. In dem neuen Geistesleben der Gemeinde durchdringt der göttliche Geist heiligend den menschlichen, aber er wird auch durch denselben getrübt und beschränkt, so daß Paulus die Thessalonicher ermahnt (1. Thess. 5, 19—20), den Geist nicht zu dämpfen, aber doch alle Predigt der Propheten und Lehrer zu prüfen. Wenn das geschieht — und es soll auch von uns geschehen — so wird die Wahrheit erhalten, oder wenigstens immer wieder gefunden und allseitiger er­ kannt werden.

x) „Die Gabe des Zungenredens kann nicht darin bestanden haben, in fremden, unerlernten Sprachen zu reden; die Erscheinung gab sich denen, die sie verstanden, kund als ein Reden in ihrer Sprache, ohne doch darüber einen Zweifel zu lassen, daß nicht wirklich ihre Muttersprache geredet würde; sie erkannten, daß ein Wunder vorlag," dessen Art wir namentlich aus 1. Kor. 12 erkennen. Cremer, Wörter­ buch der NTlichen Gräcität s. v. „Der Apostel Paulus, der die Gabe des Zungenredens aus eigenem Besitz kennt (1. Kor. 14, 18), bezeichnet dieselbe als ein „Beten oder Lobsingen int Geiste," und wenn er diesem Beten ein Beten „mit dem Sinne," d. h. mittelst des klaren vernünftigen Bewußtseins, entgegensetzt (1. Kor. 14, 15—19), so ist klar, daß das Zungenreden ein Reden in unbewußtem, die klare Besinnung ausschließendem Zustande war, ein Beten und Anbeten im Zustande der Ekstase oder Verzückung, in welchem bei zurücktretendem Selbstbewußtlein nur das unbewußte Geistesleben des Menschen thätig ist. Daß mithin eine besondere Gabe, die Gabe eines sym­ pathetischen Verständnisses, dazu gehörte, solchen Herzensergüssen zu folgen und sie in verständlicher Rede auszulegen, versteht sich leicht. Ebenso begreift sich, daß das Zungenreden sich wesentlich im Gebiete der Anbetung bewegte, auch beim Pfingst­ fest war das Zungenreden kein Predigen (die Predigt des Petrus folgt erst dem Zungenreden), sondern ein „Preisen der großen Thaten Gottes" (Apg. 2, 11; vgl. K. 10, 46). Diese Gabe haben wir uns am Pfingsttag als die erste überwältigende Wirkung des heiligen Geistes zu denken, welche später auch bei anderen Neubekehrten hervortrat, aber schon frühzeitig verschwand." Riehm, Handwörterbuchs s. v.

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e. Als Genossen desselben Glaubens bildeten die Christen eine Ge­ meinschaft, „und sie blieben beständig im Brotbrechen und in der Gemeinschaft." Wie hat sich nun ihr Leben in der neuen Gemeinschaft gestaltet? Außer der Versammlung zum Gottesdienste hielten die Christen noch eine zweite Versammlung, nämlich zur Feier des Liebesmahls und des heiligen Abendmahls. Wie Jesus mit seinen Jüngern zu­ sammen gegessen und getrunken hatte, so hielten auch die Christen ge­ meinsame Mahlzeiten und sie blieben beständig im Brotbrechen. Bei diesen gemeinsamen (Abend-) Mahlzeiten, den sogen. Liebesmahlen, aßen und tranken Arme und Reiche gemeinsam von den Speisen, welche die Wohlhabenden mitgebracht hatten. An das tägliche Liebesmahl schloß sich dann aber auch die Feier des heiligen Abendmahls, welches ja auch Jesus im Anschluß an ein gemeinsames Mahl mit seinen Jüngern (das Passahmahl) eingesetzt hatte. Auch von dieser zweiten christlichen Versammlung ist nur die Haupt­ sache geblieben, das heilige Abendmahl; dasselbe hat sich später mit der gottesdienstlichen Versammlung verbunden, ist aber bei uns wieder eine besondere Feier geworden, die sich aber nicht mehr an jeden Gottes­ dienst anschließt; nur der katholische Geistliche genießt noch jeden Tag bei der von ihm abgehaltenen Messe das heilige Abendmahl. Dagegen hat die gemeinsame Mahlzeit der Gemeinde aufgehört, und sie mußte auf­ hören, als die Gemeinden größer wurden. Heute ist ein gemeinsames Liebesmahl der Christen unmöglich, und selbst die kleinen Herrnhuter-Ge­ meinden haben nur ein schwaches Abbild davon herzustellen vermocht. Aber noch mehr will Lukas von der ersten Christengemeinde sagen, wenn er von ihnen rühmend sagt: „Sie blieben beständig in der Gemeinschaft." Wie Jesus und die Apostel eine gemeinsame Kasse gehabt und in einer Art von Familiengemeinschaft gelebt hatten, so „hielten auch die ersten Christen alle Dinge gemein", und mancher Reiche verkaufte Hab' und Gut, gab den Erlös den Aposteln, und „diese teilten aus unter alle, je nachdem es jeder bedurfte". So „war unter den Christen keiner, der Mangel hatte, und die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele". Aber diese Gütergemeinschaft war nicht erzwungen, sondern freiwillig; es durfte ebenso jeder behalten, was er hatte, wie die Geschichte von Ananias und Sapphira deutlich zeigt, und gewiß behielten die meisten ihr Eigentum. Diese Gemeinschaft der Güter war also niemals gesetzlich eingeführt und wirklich durchgeführt, und in andern Gemeinden ist sie wohl überhaupt nicht eingeführt worden. Diese Einrichtung war zwar ein schönes Zeichen der allgemeinen Bruderliebe, aber praktisch war sie nicht; die Gemeinde von Jerusalem ist dabei vielleicht noch mehr verarmt, als sie es schon früher war, so daß sie von den andern Gemeinden unter­ stützt werden mußte. Es ist deshalb ebenso falsch wie thöricht, wenn neuere Bestrebungen sich auf das Vorbild der ersten Christengemeinde berufen, um eine erzwungene und allgemeine Gütergemeinschaft als eine wahrhaft christliche Forderung hinzustellen; nur eine freiwillige und teil­ weise Gemeinschaft der Güter, oder richtiger, eine opferwillige Unterstützung der Armen durch die Reichen, hat es bei den alten Christen gegeben, und auch diese nur in Jerusalem, und wohl auch da nur in den Tagen „der

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ersten Liebe". Diese Einrichtung führte aber in Jerusalem znr Einsetzung von sieben Almosenpflegern^), von welchen der bekannteste Stephanus ist, der erste Märtyrer des christlichen Glaubens. Welche Versuchungen aus dieser Einrichtung entsprangen, zeigt die Geschichte von Ananias und Sapphira. Aber auch ohne diese Gütergemeinschaft haben die christlichen Ge­ meinden dem Namen der „Heiligen", wie die Christen damals genannt wurden, ebenso wenig Schande gemacht, wie später die ersten Anhänger Spener's dem Namen „Pietisten", der ja dasselbe bedeutet. Das damalige Leben der Heiden bot ja ein Bild des tiefsten Verfalls; wie tief die Heidenwelt gesunken war, zeigt Paulus im Römerbrief (Kap. 1), und auch das jüdische Volk war von der Frömmigkeit der Väter, wenn auch in andrer Weise, weit abgekommen. Da brachte nun Christus der Welt ein neues Leben in Heiligkeit und Liebe, und er vermochte es die Seinen wirklich innerlich umzugestalten; die neue Gemeinde leuchtete in der Welt mit einer Frömmigkeit, wie sie die Frommen des Heidentums höchstens ersehnt, aber nirgends erreicht haben. Wie sich das Leben der Christen im einzelnen gestaltet hat, zeigen namentlich die Briefe der Apostel; hin­ sichtlich der Frömmigkeit der ersten Christen soll hier nur Folgendes be­ merkt werden. f. Daß der Christ auch in seinem Leben sich von den Heiden und Juden unterscheiden müsse, war die Forderung aller Apostel. Das galt nun vornehmlich für die Heiden, deren Leben damals durch die schreck­ lichsten Laster entstellt war, wie z. B. Paulus im Römerbriefe darlegt (K. 1\ Die Heidenchristen verweist nun Paulus auf ihr Gewissen, welches auch unter den Heiden trotz aller Laster nicht ganz erstorben sei, und er fordert von ihnen einen Wandel, wie sie ihn selbst als recht und sittlich erkennen. Für die Judenchristen blieb das mosaische Gesetz — was sie, als geborene Juden, als selbstverständlich betrachteten — die Regel und Richtschnur des Lebens, und sogar das Ritualgesetz haben die Christen zunächst noch beobachtet, wie das Verhalten des Paulus in Jerusalem bezeugt (Apg. 21, 23—27: Gelübde); aber als Mittel zur Erwerbung des Heils betrachteten sie das Gesetz nicht mehr; die Seligkeit erwarteten auch sie von der Gnade Gottes, die sich in Christus ge­ offenbart hat. 2) Die Frömmigkeit der Judenchristen zeigte sich nun in einem Wandel, wie ihn die Bergpredigt fordert; der Christ sollte das Gesetz besser halten als der Jude. 9 Die Apg. nennt dieselben nirgends „Diakonen", sondern „die Sieben", wie die Apostel „die Zwölf." 2) Es ist eine durch nichts gerechtfertigte Voraussetzung, welche durch F. Chr. Baur der Betrachtung der ältesten Kirchengeschichte zum Ausgangspunkt gegeben worden ist, als seien zu Jesu Zeit alle frommen Israeliten und oarum auch die ältesten Christen der Meinung gewesen, das Wohlgefallen Gottes durch ihre gesetzersüllenden Werke sich zu verdienen. Hören wir die Apostelgeschichte, so haben die Glieder der Urgemeinde ihre Gerechtigkeit vor Gott nicht in ihrer Gesetzesersüllung, sondern in Gottes Gnade gesucht, obwohl sie das mosaische Gesetz, sogar das Ritualgesetz, streng beobachtet haben. Nur das ist jenem Trugschluß zuzuaeben, daß in der Urgemeinde über diese Fragen des Gesetzes und der Gerechtig­ keit keine Reflexion stattgefunden haben wird, sondern ein ganz naives Gefaßtseln

Heidrich, Heilige Geschichte.

'

ZZ

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Diesen Forderungen und Mahnungen der Apostel entsprach nun der alten Christen Leben so sehr, wie nur wenige Zeiten in der späteren Kirche. Die Judenchristen waren frommer als die Juden, und auch unter den Heidenchristen hat das Evangelium eine erfreuliche Sittlichkeit hervor­ gerufen; Paulus kann in vielen seiner Briese Gott dafür danken, daß seine Predigt auch einen Erfolg für die Sittlichkeit der von ihm bekehrten Heiden gehabt hat. Allerdings hat Paulus, wie ja auch die andern Apostel, immer noch vieles an dem Wandel der Bekehrten auszusetzen, denn es war ja für die Christen sehr schwer, sich von ihren alten Lebensgewohnheiten gänzlich loszumachen; ja, die Briefe der Apostel zeigen unter den Christen nicht bloß kleine Mängel, sondern auch schwere Schäden. So sah sich Paulus in Korinth zu den strengsten Maßregeln der Zucht wegen groben Ehe­ bruchs genötigt (1. Kor. 5). Ja, aus dem christlichen Glauben und Leben entsprangen neue und eigentümliche Versuchungen, wie zur Heuchelei (Ananias und Sapphira) und zur Einstellung der Arbeit wegen der Nähe der Wiederkunft Christi (2. Thess. 3). Dazu kamen schwierige Fragen für den Christen hinsichtlich der Ehe (ob er die Ehe mit dem heidnischen Teile aufrechterhalten solle) und der Opfermahlzeiten (ob der Christ an diesen teilnehmen dürfe); dazu die Neigung, aus überspannter Frömmig­ keit die Ehe ganz zu meiden, auf Fleisch und Wein ganz zu verzichten — Neigungen, die doch auch mit großen Gefahren verknüpft sind. Paulus fordert das Zusammenbleiben auch mit dem heidnischen Gatten, soweit es ohne Gefahr für den eigenen Glauben möglich ist; er gestattet den Genuß des Opferfleisches, wenn man ihn selber für erlaubt halte und den schwachen Brüdern dadurch keinen Anstoß gebe; er bekämpft die überspannte Enthaltsamkeit. Auch den Unterschied der Stände hat das Christentum nicht beseitigt, aber freilich innerlich überwunden und dadurch äußerlich gemildert. Der Arme bleibt arm auch als Christ, aber er findet Unterstützung; der Sklave bleibt Sklave auch als Christ, aber er wird als Bruder behandelt (Philemon-Brief); die Frau bleibt auch als Christin dem Manne Unterthan. g.1) Wenn der Apostel Paulus vom Leben des Christen spricht, so wallet bei ihm durchweg die Anerkennung und Bestätigung der natürlichen Ordnungen Gottes, aber zugleich deren Weihung und Verklärung durch den Geist der Liebe und der heiligenden Zucht. Das gilt auch für des Apostels Stellung zur Sklaverei. Ohne Frage stellte die im weitesten Umfange den Untergrund der antiken Gesellschaft bildende Sklaverei dem jungen Christentum ein besonderes Problem, und dem Apostel drängle dasselbe sich ganz persönlich aus, als der entlaufene Sklave des christlichen Heilsglaubens in die Lebensordnung des Alten Bundes. Ohne Zweifel war dieser Standpunkt naiver Unbewußtheit auf die Dauer nicht ohne Gefahr; aber erst als die mächtigen Geistesanlriebe der Erstlingszeil ermatteten, konnte ein Standpunkt Raum gewinnen, dem die Gerechtigkeit im Glauben an Jesum nur eine Ergänzung der Gerechtigkeit durch Gesetzeswerke war — der Standpunkt jener Gegner des Paulus, zu welchen die Urapostel und die ältesten Christen nicht gehörten. Beyschlag, NTliche Theologie I, S. 317—319; vgl. dazu noch S. 326—329. *) Beyschlag, NTliche Theologie II, 2208. — Diese nur für den Lehrer bestimmte Darlegung dürfte demselben für die Lektüre des Philemonbriefes von Nutzen sein.

des kolossischen Christen Philemon, Namens Onesimus, «sich zu ihm flüchtete und von ihm zum Christentum sich weisen ließ. Er hat ihn doch angehalten, zu seinem Herrn zurückzukehren und hat in dem ihm mitgegebenen Briese an Philemon nicht die Freilassung als Gebot des Evangeliums aufgestellt; nur daran hat er den Philemon erinnert, daß dieser Onesimus als Bruder in Christo zu ihm zurückkehre, und er hat das zarte Vertrauen ausgedrückt, daß der christliche Herr demselben noch mehr gewähren werde, als die erbetene Verzeihung (B. 16 und 21). Die ganze sriedsame Weisheit des heiligen Geistes redet hier aus den: Apostel. So gewiß es in den Folgerungen des Evangeliums liegt, die Sklavenkelten zu lösen, so gewiß soll jeder Verwechselung religiöser und socialer Fragen vorgebeugt und die ethische Frage nur aus ethischem Wege gelöst werden, das fremde Feuer eines socialen Bcsreiuugsdranges soll nicht in das religiös-sittliche Befreiungswerk des Evangeliums eingemischt werden. Wenn in Christo zwischen Knecht und Herr kein Unterschied bestehen sollte, dann mußte die Aufhebung der Sklaverei allmählich von selbst erfolgen.

h. So hat das Christentum eine neue Sittlichkeit geschaffen, und die mancherlei Mängel, welche auch noch den Christen anhafteten, waren doch nur einzelne Schattenseiten neben den hellleuchtenden Tugenden, welche die Christen zierten; es war kein eitles Loblied, welches Paulus im ersten Korintherbriefe (K. 13) von der Liebe anstimmt; das apostolische Zeitalter war in der That eine Zeit der ersten Siebe.1)

155. (144.) Die Hoffnung der Gemeinde. Mark. 13. Matth. 24 - 25. Luk. 21. Joh. 13, 31—16, 33. Off. Joh. 1—3. 19—20. 21—22, 5.

22, 6-21.

a. Wie das von Moses gegründete Gottesreich dereinst vervollkommnet werden solle, das hatten die Propheten des Alten Bundes in immer neuen Darstellungen verkündet, und die oben gegebene Zusammenfassung der messianischen Weissagung hat uns mit den Hauptgedanken der prophetischen Predigt von der Vollendung des Gottesreiches bekannt gemacht. b. Da war nun in Jesus von Nazareth der verheißene Messias erschienen, und er hatte das vollkommene Gottesreich auf Erden gegründet. Aber so groß auch und in sich vollkommen die in Jesus Christus einge­ tretene Erfüllung der göttlichen Verheißung war, sie hatte dennoch das Auge von neuem auf die Zukunft lenken müssen; das vollkommene Heil war in der Welt doch eben nur begründet, noch nicht durchge0 Wie sich das christliche Leben im einzelnen gestaltet hat und gestalten soll, das mag der Schüler nun noch aus einigen Briefen der Apostel erkennen, die als eine willkommene Ergänzung der früher vom Schüler gelesenen Bergpredigt zur Seite treten mögen, nämlich aus den Briefen des Jakobus, dem ersten Briefe des Petrus und dem ersten Briefe des Johannes. Die erforderlichen Vor­ bemerkungen über diese Briefe sind oben gegeben (Nr. 148 und 149); eine schöne Anregung für diese Lektüre bieten dem Lehrer die betreffenden Abschnitte in Beyschlags NTlicher Theologie (I, 329-368 und 369-410 und II, 457-462). 2) Eine weitere Ausführung dieses Abschnittes findet der Lehrer in meiner Glaubenslehre, Nr. 70.

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155. (144.) Die Hoffnung der Gemeinde.

führt und noch nicht vollendet. So wies denn Jesus selbst und nach ihm auch die Predigt seiner Jünger darauf hin, daß die Vollendung auch des christlichen Gottesreiches erst von der Zukunft zu erwarten sei. Das ist der Inhalt der Reden Jesu in den Evangelien, mit denen er seine Jünger vor seinem Tode tröstete und beruhigte (Mark. 13; Matth. 24—25; Luk. 21; Joh. 13, 31—16, 33); das ist aber sogar der Inhalt eines ganzen Buches des Neuen Testaments, der Offenbarung Johannis; auf den Inhalt dieses Buches soll im folgenden etwas genauer eingegangen werden.')

c.

Die Weissagung des Johannes von Reiches Gottes.^)

der Vollendung des

a. Die blutige Verfolgung der Christen durch den Kaiser Nero und der allmählich herannahende Untergang des jüdischen Staates belebten aufs neue in den Gemütern der Christen, namentlich der Judenchristen, die messianischen Hoffnungen, mit denen sie sich von Jugend auf getragen hatten, nach welcheu Rom zerstört, Jerusalem geläutert und das voll­ kommene Gottesreich aufgerichtet werden sollte, und zwar sollte das alles nicht etwa nach Jahrtausenden und durch eine allmähliche Entwickelung, sondern bald und plötzlich geschehen. Diese Hoffnungen der Christen fanden ihren Ausdruck in der Offen­ barung Johannis, jedenfalls einem echten Erzeugnisse der apostolischen Zeit und des urchristlichen Geistes, welches nicht geschrieben ist, um eitle Neugier durch Offenbarungen über ferne Jahrhunderte zu befriedigen, sondern um den Mut einer unter dem Beile des Henkers seufzenden Ge­ meinde zu beleben, indem es ihr das baldige Ende ihrer Leiden und die baldige Erfüllung ihrer Hoffnungen verhieß. ß. Daß dieses Buch von dem Apostel Johannes herstamme, obwohl sich derselbe in dem Buche nicht als solchen bezeichnet, sondern nur einen Knecht Christi (1, 1) und einen Bruder und Mitgenossen an der Trübsal seiner Leser (1, 9), zeigt die ganze Art, wie er sich seinen Lesern gegen­ überstellt, und das stimmt zu der alten Überlieferung, daß nach dem Tode

des Paulus (und des Petrus) Johannes in Kleinasien gelebt und gewirkt habe. Wenn die Verschiedenheit dieser Schrift von dem Evangelium und den Briefen und ihre Predigt von beut tausendjährigen Reiche, welcher sich die spätere Zeit entfremdete, bewirkt haben, daß man das Buch .schon in der alten Zeit nicht als apostolisch ansehen und nicht in den Kanon aufnehmen wollte —. eine Meinung, der auch Luther beitrat — so ist man in der Neuzeit zu der Meinung der ältesten Zeit zurückgekehrt, daß diese Schrift jedenfalls eine Schrift der ältesten Christenheit, und daß sie wohl auch eine Schrift des Apostels Johannes sei. Allerdings wird die letztere Meinung vielfach bestritten, indem man diese Schrift einem zweiten, 9 Auch der Off. Joh., wie den andern Schriften des N. T., stehen apokryphische Schriften zur Seite, den Namen eines Apostels oder eines ATlichen Propheten oder auch einen heidnischen Namen tragend (Sibyllinische Bücher), welche angeblich die Zukunft enthüllen sollten; auch diese apokryphischen Schrijten sind nur für den Gelehrten von Bedeutung. 2) Dieser Abschnitt ist vornehmlich für den Lehrer bestimmt; der Schüler lernt den Inhalt desselben durch die Lektüre der oben bezeichneten Abschnitte kennen.-

damals lebenden Johannes, einem Presbyter, zuschreibt, und sodann wird die Entstehungszeit verschieden angesetzt, indem man diese Schrift entweder in der Zeit Neros oder erst später geschrieben sein läßt. Aber jedenfalls wird diese Schrift heute von einer größeren Zahl von Forschern dem Apostel Johannes beigelegt, als das Evangelium und die Briefe; in der Offenbarung Johannis ist der Charakter der ältesten Christenheit besonders deutlich ausgeprägt. Die Off. Joh. ist der Form nach eine Apokalypse, wie namentlich auch das Buch Daniel.^ Die Gesichte, welche der Prophet auf Patmos geschaut hat, hat er später in freier und kunstvoller Weise ausgezeichnet. Was der Prophet gesehen und ausgezeichnet hat, ist aber in der Form des Symbols gesehen und ausgezeichnet; die symbolischen Gestalten des Buches bezeichnen irdische und überirdische Wesen und Mächte. Diese Bilder und Gestalten verdankt die Apokalyptik überhaupt und auch die Off. Joh. dem Alten Testament; so schildert Johannes z. B. die letzte Errettung der Christenheit mit Farben, welche der Darstellung der Errettung Israels aus Ägypten entnommen sind (ebenso wie die exilischen Propheten das mit der von ihnen geweissagten Errettung aus dem Exil gethan hatten); das vollendete Gottesreich erscheint als ein himmlisches Jerusalem, als die wahre Stiftshütte, als das wiedergewonnene Paradies. Die Zahlen in der Off. Joh. sind nicht als arithmetische Faktoren für ein Rechenexempel zur Berechnung des jüngsten Tages zu verwerten, sondern sinnbildliche Zahlen. ö. Wenn die alte Kirche zuerst in der Offenbarung Johannis (mit Recht) den Untergang des römischen Reiches gelveissagt gesunden hatte, so meinte man, als die römischen Kaiser Christen geworden lvaren, daß mit Christi Geburt das tausend­ jährige Reich seinen Anfang genommen habe, und deshalb erwartete man seit dem Jahre 1000 das Auftreten des Antichrist und das Ende der Welt. Das spätere Mittelalter fand nun in diesem Buche eine Weissagung vom Untergänge des verlveltlichten Papsttums und die Hoffnung auf die Erneuerung der Kirche durch das „ewige Evangeliilin" (Off. 14, 6). Diese Auslegung eigneten sich die mit dem Papsttum kämpfenden Fürsten (z. B. Kaiser Friedrich II. und Ludwig der Bayer) und später die Resormatorcn an; aber Luther wollte von der Off. Joh. nicht viel wissen; er konnte nicht spüren, „daß das Buch vom heiligen Geiste gesteNt sei;" ja, in der Augsburger Kousessiou stlrt. 17) wurde der von den Wiedertäufern gepredigte Chiliasmus (die auf der Off. Joh. beruhende Hoffnung auf ein tausendjähriges Reich) verworfen; das tausendjährige Reich sei bereits vorüber, unb nur noch das Ende der Welt sei zu erwarten. Gegenüber der Orthodoxie, die diesem Buche stets etwas kühl gegenüberstand, versenkte sich der Pietismus in dasselbe mit besonderer Vorliebe und suchte (allerdings in unwissenschaftlicher Weise) seine Siegel zu lösen; der berühmte Schriftsorscher Bengel berechnete nach demselben als Tag des Welt­ untergangs den 18. Juni 1836, und obwohl sich diese Rechnung als irrig erwies, so hielt man doch, namentlich in pietistischen und sektiererischen Kreisen, und zwar noch bis in die neueste Zeit, an dem Irrtum fest, aus den sinnbildlichen Zahlen der Off. Joh. ein mathematisches Exempel zu machen. Diesem Mißverständnis gegenüber war schon seit dem Anfänge des 17. Jahr­ hunderts, namentlich aber seit denr Ende des 18. Jahrhunderts, die Erkenntnis durchgedrungen, daß das Buch aus den Zuständen seiner Zeit heraus verstanden

l) Vgl. Nr. 96.

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werden müsse, und seitdem erschien das frühere Rätselbuch, von dem Luther nichts wissen wollte, als eine sehr wertvolle Urkunde des Urchristentums. Allerdings trat dieser wissenschaftlichen Auslegung auch in der Neuzeit wiederum die ältere Auslegung in verschiedener Gestalt entgegen. Die kirchen­ geschichtliche Deutung, welche die einzelnen Ereignisse der Zukunft in der Off. Joh. geweissagt glaubt, wurde z. B. vertreten durch Hengstenberg, der das tausendjährige Reich in die Zeit vom Jahre 800—1800 setzte (also Papsttum und Luthertum im Frieden vereinigend). Dieser Auslegung gegenüber ist die re ich sgeschichtliche Auslegung (z. B. Auberlen) der Meinung, daß nicht einzelne Ereignisse der Zukunft, sondern nur die entscheidenden Epochen und treibenden Faktoren der Entwickelung des Christentums getveissagt seien. Eine dritte Aus­ legung, die endgeschichtliche (z. B. Kliefoth), fand in diesem Buche von Kap. 4 an nur die Ereignisse der letzten Zeit geweissagt. Diesen an die ältere Auslegung sich anschließenden Deutungsversuchen der Nellzeit steht die zeitgeschichtliche Auslegung als die allein berechtigte gegenüber, indem sie allein anerkennt, was Johannes immer aufs neue behauptet, daß die von ihm geweissagten Ereignisse der nächsten Zukunft angehören (K. 1, 1 und 3; 22, 6 und 10); aus den Verhältnissen ihrer Zeit ist die Off. Joh. zu verstehen und zu deuten.

€. Die Off. Joh. ist offenbar vor der im Jahre 70 erfolgten Zer­ störung Jerusalems geschrieben (K. 11); wenn nun die Christenheit bis dahin an den Untergang Jerusalems das Ende der Welt geknüpft glaubte (Matth. 24, 29), so erlvartet Johannes dasselbe erst dann, wenn auch die Stadt Rom („Babel") zerstört ist. Der Vollendung des Gottes­ reiches gehen nämlich viele Plagen für die Erdbewohner voraus, auch die Zerstörung von Jerusalem und von „Babel" (Rom). Darauf folgt das tausendjährige Reich (tausend ist natürlich eine sinnbildliche Zahl), in welchem Israel zu seinem Ziel gelangt und Jerusalem die Hauptstadt des Gottesreiches ist; schon an diesem Reiche werden auch die Heiden­ völker teilhaben. Aber der in dieser Zeit gebundene Satan wird noch einmal befreit'), und von ihm angetrieben, empören sich die noch unbe­ kehrten Heiden gegen das Gottesreich; aber vergebens; die Heiden und der Teufel werden besiegt, und nunmehr kommt das vollendete, ewige Gottesreich. Dieses ewige Gottesreich stellt der letzte Abschnitt der Offenbarung Johannis (K. 21 und 22) dar; nach dem Weltgericht steigt das von Ewigkeit her vorhandene himmlische Jerusalem vom Himmel auf die Erde herab, dessen Herrlichkeit in sinnbildlicher Weise beschrieben wird. Die vollendete Gemeinde ist das wahre Israel, aber sie umfaßt nicht bloß Israeliten, sondern auch Heiden, natürlich nur die Frommen, und die­ selben stehen nun in ewiger Gemeinschaft mit Gott. Hiermit ist das Ziel des Volkes Israel, wie das Ziel der Menschheit erreicht; der Seher schließt mit der Hoffnung, daß dies vollendete Gottesreich bald kommen werde. Das war nämlich die Hoffnung aller Christen in der damaligen Zeit, daß der Herr bald kommen werde zur Aufrichtung des verheißenen vollkommenen Gottesreiches. ' Dieser Glaube war ein Mangel ihrer Er0 Dann „ist der Teufel los" — davon stammt die bekannte Redensart des Volkes.

kenntnis; aber gerade dieser Mangel gab den ersten Christen den unge­ heuren Mut, welcher dazu gehörte, der ganzen Welt entgegenzutreten; als die Kirche diesen Glauben aufgab, da akkommodierte sie sich auch dieser Welt, und die apostolische wurde zur katholischen Kirche, in welcher das Christentum zwar noch vorhanden war, aber vielfach getrübt durch unchristliche Elemente, deren Ausscheidung sich die evangelische Kirche zur Aufgabe gemacht hat. Auch wir hoffen auf das vollkommene Gottesreich, aber wir haben aus der von Gott gelenkten Geschichte gelernt, daß das Gottesreich nicht so schnell kommt, wie Johannes gedacht hat, da nicht von Gottes alleiniger Wirksamkeit sein Kommen abhängt, sondern auch hier der Menschen Mitwirkung gefordert wird. Auch wir wollen deshalb beten: Dein Reich komme; aber wir wollen auch durch unser Thun dafür sorgen, daß das Reich Gottes komme.

Schluß. Indem die Apostel, dem Worte Jesu gehorchend, hinge­ gangen sind in alle Welt und gepredigt haben, wie vor Zeiten Gott manchmal und auf mancherlei Weise zu den Israeliten durch die Propheten und zuletzt zu allen Menschen durch Jesus Christus geredet hat, haben sie den Grund gelegt zu dem allgemeinen und vollkommenen Gottesreiche, dessen weitere Entwickelung wir aus der Kirchengeschichte erkennen, dessen Vollendung aber noch heute derGegenstandunsererHoffnung ist.

—«am*

Register.) Abrahams 318 Knechte S. 359, A. 5.

Magdalena, büßende . S.

Ahasverus Nr 93 h und 134 a. Andreas . S. 582, A. 2. Aramäisch. Nr. 6b 98 b und 113 e. Assumptio Mosis . S. 341, A. 2. Astarte . . Nr. 64 d. Vaal . . Nr. 64 d. Belzebub .... . . Nr. 64 d. Bethlehem . . . . . .Nr. 107 d. Blindekuhspiel . . . S. 415, A. 1. Gpiphanienfest . . . . . Nr. 109.

Marzipan S. 572, A. 1. Mesa-Säule 148, A. 1. Moses, bildl. Darstellung S. 101, A. 1. Nazareth Nr. !O7e. Osterfest Nr. 138. Pelikan Nr. 134 b.

Fackeltanz.... .

.

Golgatha . . Grabeskirche . Gral, heiliger. Hain

. . .

Gehenna .

.

S. 224, A. 2.

.

. S. 367, A. 1. Nr. 133 und 134 f. . . . . Nr. 133. . . . Nr. 134 f.

Hannibal . . . . Hasdmbal. . . . Henochbuch . . . Hiob, Kap. 3 . . 18. Januar . . .

S. S. S. S. S.

219, 219, 219, 364, 315,

A. A. A. A. A.

5. 6. 6. 1. 1.

. . . Nr. 150 b. Jehovah, Aussprache Nr. 49 k und 58 e. Johannisfest . . . S. 426, A. 3. Josephus . . . . Nr. 86, 2 und 92. Julklapp . . . . . . S. 415. Kain und Abel . . S. 111, A. 2. „Kalb", goldenes . S. 219, A. 4. Kapernaum . . . . . Nr. 113 ä. Karaiten oder Karäer S. 369, A. 1. Kreuzesholz . . . . . Nr. 134 f. Kreuzesworte, sieben . . Nr. 132 i. . Nr. 132 g. Kreuzigung . . . Kreuzschnabel. . . . Nr. 134 b. Lanze, heilige . . . . Nr. 134 f.

Die Leviten jemandem lesen S. 113, A. 3. Longinus . . . . Nr. 134 f. Luthers Vorrede auf den Psalter Nr. 80 C.

446, A. 8.

Pfingstfest Nr. 138. Phönix Nr. 134 b. Pilatus. . Nr. 90, 132 und 134cd. Pilatus, Frau des. . . Nr. 134 d. Pompejus" Tod Nr. 88g u. S. 295, A. 2. Ouirinius' Schatzung. . . S. 3418. Rock, heiliger . . . . . Nr. 134o. Rose . Nr. 134 b. Rotkehlchen . . . . . Nr. 134 b. Ruprecht . . S. 414. Salomonische Psalmen S. 333, A. 3 und Nr. 80 c. S. 359, A. 5. S. 353, A. 2. . . S. 365. . S. 99, A. 1. . . Nr. 106. S. 225, A. 1.

Schöpfungstag . 2. September. . Sibyllinische Bücher Stierbild . . . Strauß.... Sündenbock . . Tanne ....

. Nr. 134 b. Tell-Amarna-Funde S. 109, A. 1 und Nr. 24 h. „Der Teufel ist los" S. 598, A. 1. Tiberius .... . . .Nr. 134 c. Trauerweide . . . . . Nr. 134 b. Tübinger Schule . . . . Nr. 141. Veronika .... . . Nr. 134 c. Weihnachtssest .

. . . . Nr. 109. Wellhausen . . . . . . . Nr. 4. Werken, Überschuß an guten S. 362 fin. Zeloten .... . S. 365, A. 1.

Zeus und Europa .

.

. S. 99, A. 1.

’) Nur diejenigen Dinge sind hier ausgenommen, welche nicht mit Hilfe des Inhaltsverzeichnisses leicht gesunden werden können.

Bon demselben Verfasser sind in demselben Verlage ferner erschienen:

Handbuch für den Religionsunterricht in den oberen Klaffen: Erster Teil, Kircheugeschichte.

Zweite, zum Teil umgearbeitete Anftage. 1894. Mk. 6,60; gebunden Mk. 7,80. Dritter Geil, Glaubenslehre.

1891.

Mk. 5,20; gebunden Mk. 6,—.

Mkfsöuch für den Wetigionsunterricht in den oberen Klaffen.

1893.

Gebunden Mk. 3,—.

Lie Einfiihrung des Hilfsbuchs ist durch Erlab »es «Suigl. Ministeriums der geistliche« Angelegenheiten gestaltet worden.

Der Sonntags-Gottesdienst in der preuhischen Landeskirche.

1896.

Mk. 0,40. Außerdem sind von demselben Verfasser erschienen die folgenden den Religions­

unterricht betreffenden Programm-Abhandlungen:

Pehrstla« für den evang. Religionsunterricht in den höheren Schulen. Nake! 1892, Nr. 158.

löehrstlan für den evang. Religionsunterricht in Sexta.

Nakel 1894,

Nr. 160.

Lthrpla« für den evang. Religionsunterricht in Quinta. Nakel 1895, Nr. 162.

Nachstehend folgen einige Stimme« der Kritik über die genannten Schriften: Theologische Littera1m;ei1ung.

1893, Ur. 5.

Das jetzt vollständig vorliegende ßeidrich'sche Handbuch für den Keligions-

unterricht bezeichnet einen bedeutsamen Fortschritt in der auf de» Keltgionsunterricht bezüglichen Httteratur. Huf Jahre — und men« es mit derselben Sorgfalt uad Umsicht auch in zukünftigen Auflagen bearbeitet und zeitgemäß gestaltet «ird ml» in der vorliegenden ersten Auflage, vielleicht auf Jahrzehnt» — wird ihm rin ehrenvoller Platz gesichert sein. Angehenden Theologiestudierenden kann man daS Studium aller drei Bände nur empfehlen, ebenso denjenigen, die sich ein Oberlehrer zeugnis im Religionsfache erwerben wollen; zur Orientierung und Repetition wird

Kritiken.

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ihnen das Buch gute Dienste leisten. Vor allem aber wird fortan das Heidrich'sche Wert in der Bibliothek des Lehrers, der in den oberen Klassen höherer Schulen Religionsunterricht zu erteilen hat, nicht fehlen dürfen; ich kenne kein anderes Werk, das ihm als zweckmäßiges Mittel zur Vorbereitung gleichkäme. Es ist die reife und gediegene Frucht langjähriger, vielseitiger receptiver Arbeit in der wissenschaft­ lichen Theologie und gewissenhafter, bewährter Thätigkeit und Erfahrung im Religions­ unterricht. Seine Vorzüge sind zahlreich und in dieser Vereinigung selten. Eine umfassende Gelehrsamkeit und gründliche Belesenheit zeigt sich fast bei jeder behandelten Frage, daneben tteffende Sicherheit in der Auswahl und Abgrenzung des Stoffes, Geschick in der Verwendung passender Citate und Winke; Weilherzigkeit und Ruhe gegenüber den verschiedenen Richtungen und Ansichten; Milde des Utteils; Wärme des Gemüts. Die Sprache ist klar und schlicht, die Darstellung sachgemäß, nur zuweilen etwas breit und hier und da nicht frei von Wiederholungen; die Gliederung meist zweckmäßig und überall übersichtlich, die Erzählung — zumal in der Kirchengeschichte — musterhaft. Die Ausgaben, Fragen und Grenzen des Unterrichts sind überall im Auge behalten, auch wertvolle Winke für die Verteilung des Lehrstoffs beigefügt. Die befolgten Grundsätze dürfen fast durchweg als gesund und prakttsch bezeichnet werden. Bei den schwierigen Problemen theoretischer und praktischer Art ist, wenn nicht eine sichere Lösung, so doch eine Übersicht über die hauptsächlichen Lösungsversuche gegeben. Man wird in dem Werke Heidrichs kaum irgend etwas vermissen, was im Religionsunterricht auf der Oberstufe vorkommen kann. Allen Fachgenossen möchte ich hiermit dringend das ganze Werk empfehlen.

Halte was du hast. XVI, Ur. 5. Heidrich's Handbuch für den Religionsunterricht richtet sich ganz be­ sonders an die Lehrer, die, ohne Theologen zu sein, den Religionsunterricht erteilen müssen, und giebt ihnen aus der reichen eigenen Erfahrung des Verfassers Winke zur Auswahl und Behandlung der Stoffe, und bietet nach solcher Vorbereitung dann den Stoff selbst in der Form, wie ihn der Lehrer etwa darbieten kann; reichlich genug, um auch da noch eine Auswahl zuzulassen, und doch auch so ein­ dringend, so aus dem Bollen und Ganzen, daß das Interesse geweckt und ein in sich abgeschlossenes Wissen dargeboten wird. Dabei handelt es sich nirgends um Vollständigkeit, sondern überall um Brauchbarkeit zur Weckung des Interesses, zur Anregung des eigenen Nachdenkens und zur Erwärmung des Willens zur That des Glaubens. Man folgt überall mit Vergnügen und fast immer mit Zustimmung den Ausjührungen des Verfassers, der das Gute nimmt, wo er es findet, und sich nirgends gegen die Fortschritte der Theologie verschließt, ohne sich dabei doch in die Hände der Theologen zu begeben. Er ist und bleibt Lehrer und hat das Auge stets aus den praktischen Zweck, den Unterricht der oberen Klassen, gerichtet. Aber als Lehrer ist er überzeugter Christ, der in den Bekenntnissen der Kirche und in der heiligen Schrift lebt und feine Kraft sucht. Wir danken dem Verfasser für sein Buch, und wir hoffen, daß es in vieler Lehrer und entlassener Schüler Hände

kommt und reichen Segen stiftet.

Monatsblatt des evangel. Lehrerbundes. Die erste Auflage dieses vorzüglichen Lehrbuches der Kirchengeschichte ist bei ihrem Erscheinen von uns eingehend besprochen und warm empfohlen worden. Die gesamte Kritik hat sich über das Werk lobend und anerkennend ausgesprochen, was zur Folge gehabt hat, daß bald eine neue Auflage nötig geworden ist. Bei der Neubearbeitung ist das Buch seiner ganzen Anlage nach unverändert geblieben; allein im einzelnen hat der fleißige Verfasser überall unter Beachtung der Be­ merkungen der Kritiker die bessernde Hand angelegt; auch sind einzelne Abschnitte ganz neugestaltet worden, um den Lehrer noch tiefer in das Verständnis der Sache einzuführen. Eine Erweiterung des Inhalts ist nur in einer einzigen Beziehung eingetreten, indem nämlich die Liebesthätigkeit der christlichen Kirche jetzt in drei Abschnitten (alte Kirche, Mittelalter, Neuzeit) statt (wie in der ersten Auflage) nur für die Neuzeit dargestellt worden ist. Obgleich der Verfasser mit der Herausgabe dieses Buches in erster Linie den Lehrern, die den Religionsunterricht in den oberen Klassen höherer Schulen erteilen, hat dienen wollen, so ist doch auch das Studium desselben für den Volksschullehrer von großem Segen und reichem Gewinn. Jungen, strebsamen Lehrern, die das Mittelschullehrer-Examen in Religion zu machen beabsichtigen — das betonen wir auch diesmal wieder — wüßten wir be­ treffs der Kirchengeschichte kein besseres Buch zu empfehlen.

Uordd. Allg. Zeitung.

1891, Ur. 581.

Mit dem warmen Interesse, welches die beiden ersten Teile des Handbuchs in uns angeregt hatten, haben wir nun auch den letzten, die Glaubenslehre enthaltend, einer Durchsicht unterzogen. Die schwierige Aufgabe, eine Glaubens­ lehre zu schreiben, die nicht zu viel und nicht zu wenig bringt, und die noch andere Klippen glücklich vermeidet, ist hier trefflich gelöst. Alle, welche mit dem Verfasser im Sinne der bibelgläubigen Theologie unserer Zeit in den Reformatoren ihre Führer zu Christus erkennen, auch wenn sie sich nicht mehr auf den Buchstaben der alten Dogmatik verpflichten lassen, werden in dem vorliegenden dritten Teil, wie in dem ganzen Werk, ein brauchbares Hilfsmittel für den Unterricht erkennen.

Kitt. Kericht für Theologie. 1891, Ur. 16. Dem ersten Teile seines Handbuchs für den Religionsunterricht hat der Verf. rasch den zweiten folgen lassen, die heilige Geschichte. Wir wissen ihm dafür aufrichtigen Dank. Alle Vorzüge, welche den ersten Teil in so reichem Maße aus­ zeichnen, sind auch in diesem vereinigt. Die Behandlung und Anordnung des Stoffes ist eine durchaus sachgemäße und ganz vorzügliche. Die wichtigeren Ab­ schnitte erfahren mit Recht eine eingehende Berücksichtigung, und auch das Schwie­ rigere weiß der Vers, in anregender und faßlicher Weife dem Verständnis der Schüler nahezubringen, überhaupt erkennt man durchgehends, daß das Buch aus

dem Unterrichte herausgewachsen ist, und daß hier ein Mann redet, der ihn mit voller Liebe und Hingabe an seinen Gegenstand erteilt. Bei aller innigen, warmen Frömmigkeit ist der Vers, frei von jeglicher dogmatischen Voreingenommenheit und läßt der Kritik ihr Recht widerfahren, ohne je die Grenzen der Besonnenheit zu

Kritiken,

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überschreiten. Wohl kann ich nicht in allem mit dem Vers, übereinstimmen, auch mit manchen Einzelheiten mich nicht befreunden, aber dies vermag mich nicht ab­ zuhallen, die hohen Vorzüge des Buches rückhaltlos anzuerkennen und dasselbe alS eine wertvolle Bereicherung der Hilfsmittel für den Unterricht in den oberen Gymnasialklassen anzusehen und zu empfehlen.

Deutsche rvangel. Kirchenzeitung.

1893, Ar. 4.

Des Verfassers großes dreibändiges Handbuch sür den Religionsunterricht in den oberen Klassen der höheren Schulen hat den Lehrern ein unschätzbares Hilfs­ mittel in die Hand gegeben. Nun folgt ein Hilfsbuch für die Schüler, wel­ ches dieselben günstigen Erwartungen heworruft und große pädagogische Teilnahme erweckt. Alles ist auf das praktische Bedürfnis bemessen und zugeschnitten, so daß man den geübten Pädagogen herausmerkt.

Die Dost.

18. September 1896.

Die kleine Schrist von R. Heidrich, Der Sonntags-Gottesdienst in der preußischen Landeskirche (Berlin, I. I. Heiners Verlag, Mk. 0,40) darf als eine treffliche Anleitung zum Verständnis der Gottesdienstordnung in der neuen Agende der preußischen Landeskirche bezeichnet werden, und jeder Geistliche sollte sich ihre Verbreitung in seiner Gemeinde angelegen sein lassen.

Evaugel. Gemeindeblatt in Königsberg.

1896, Ur. 16.

Wer das kleine, nur 15 Druckseiten umfassende Büchlein (Der SonntagsGottesdienst in der preußischen Landeskirche) liest, wird erstaunen über die Fülle des dargebotenen Stoffes. Hier sind keine Räsonnements, sondern hier hat man es zu thun mit den Ergebnissen einer außerordentlich gründlichen Forschung, welche sich ebenso auf das Gebiet der Kirchengeschichte wie auf das der Liturgik erstteckt. Gebildete Laien und junge Theologen könnten viel Nutzen aus dieser Lektüre ziehen. Solch eine Unterstützung der Arbeit der Behörden und Synoden seitens eines Gliedes der Landeskirche hat etwas ungemein Erfreuendes und Er­ quickendes. Möge diese Schrift den Weg in weite Kreise von Gebildeten finden

und vielen Segen stiften!

Druck von Greßner & Schramm, Leipzig.