Handbuch für den Religionsunterricht in den oberen Klassen: Teil 1 Kirchengeschichte [Zweite, zum Teil umgearbeitete Auflage., Reprint 2021] 9783112604045, 9783112604038


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Handbuch für den Religionsunterricht in den oberen Klassen: Teil 1 Kirchengeschichte [Zweite, zum Teil umgearbeitete Auflage., Reprint 2021]
 9783112604045, 9783112604038

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Hcrnöbrrch für den

AeLigionsunterricht in den oberen Klaffen.

Erster Teil:

Kirrhengesrhirhte. Don Professor

HL. Keidrich,

Direktor des Äöniglichen Gymnasiums ;n Hakel.

Zweite, zum Teil umgearbeitete Auflage.

Wertin 1894. 3. 3. Heines Verlag.

Vorwort zur ersten Auflage. „Immer noch berechtigen so manche Wahrnehmungen und Erfahrungen zu dem Urteile, daß man es vielfach noch für wichtiger hält, die einzelnen Disciplinen vom Anfang bis zum Ende regelrecht, vermeintlich wissenschaftlich, mit der größten Gründlichkeit im Detail durchzuarbeiten und mitzuteilen, als das den Kräften und Fähigkeiten der Lernenden Entsprechende klar und bündig zu geben und Sorge zu tragen, daß diese durch eine tüchtige Ver­ arbeitung desselben und einen gesunden Verdauungsprozeß an geistiger Sub­ stanz gewinnen und etwas werden." (Pädag. Encykl. von Schmid s. V. „Konzentration des Unterrichts in den Gymnasien".) Wer von uns Lehrern hätte nicht als Anfänger gegen diesen Grundsatz der Pädagogik verstoßen, dazu verleitet durch die wissenschaftlichen Handbücher, aus denen man sich auf den Unterricht vorbereitete, und oft genug auch durch die in der Schule einge­ führten Hülfsbücher, die doch gar oft nur ein kurzer Auszug des wissen­ schaftlichen Handbuchs waren. Das galt früher besonders auch für allen geschichtlichen Unterricht, auch für den in der Kirchengeschichte; es ist heute anders geworden, und von diesem Standpunkte aus sind ja namentlich die Geschichtsbücher von Herbst bahnbrechend geworden. Ich habe die Herbstschen Bücher erst kennen gelernt, als ich mir für meinen Unterricht in der Kirchengeschichte meinen Vortrag im wesentlichen bereits schriftlich fixiert hatte, und habe mich sehr gefreut, als ich wahrnahm, daß ich bei der Auswahl und Anordnung des Stoffes je mehr und mehr nach den von Herbst aufgestellten Grundsätzen gearbeitet hatte. Freilich ist ja nun das vorliegende Buch kein „Hülfsbuch" (ein solches würde vielleicht dem „Handbuche" nach­ folgen können), sondern ein „Handbuch" für den Lehrer und, wie ich hoffe, ein geeignetes Wiederholungsbuch auch für den Schüler, welches etwa in der Weise von D. M ü l l e r s größerer deutscher Geschichte gearbeitet ist (wenigstens war es des Verf. Wunsch, in dieser Weise zu schreiben). Aber für den SBcrf, war es doch die Hauptaufgabe, bei der Abfaffung seines Buches für die Auswahl und Anordnung des Stoffes bestimmte Grundsätze zu gewinnen (die Darstellung ist wohl weniger schwer), und deshalb er­ laube ich mir, diese Grundsätze zu einer Bearbeitung der Kirchengeschichte im folgenden darzulegen. Ich glaube dies am besten im Anschluß an Herbst („Zur Frage über den Geschichtsunterricht") thun zu können. 1. „Viel Lehrstoff, den andere Schulbücher bringen,

IV fehlt hier — mit voller Absicht. Auch hier strenge Sichtung und der Versuch, was an Breite abgeht, nach der Tiefe hin durch reichere Detailierung der gegebenen Hauptstücke zu ersetzen" (Herbst S. 49). In meinem Buche ist kein einziges System der Gnostiker vorgeführt, Paschasius Radbertus und Anselm von Canterbury sind nicht besprochen, Calixt und Jansen sind nicht erwähnt, nicht einmal Schleiermacher und Neander habe ich genannt. Was für den Theologen sehr wichtig ist, kann für den Religionsunterricht ganz fern liegen. Diesen Mangel in der Breite habe ich durch um so gründlicheres Eindringen in die Tiefe zu ersetzen gesucht. Für diesen Zweck haben mich nun freilich die gewöhnlichen Handbücher der Kirchengeschichte, auch die größeren, sehr oft im Stiche gelassen, und ich verdanke das Beste, was ich nach meiner Meinung in meinem Buche vorbringe, den vielen Biographieen und Monographieen, welche ich in großer Zahl, soweit ich sie kennen gelernt habe, für mein Buch verwertet habe; auch ich bin, wie D. Müller (Vorrede zur deutschen Ge­ schichte) von sich sagt, „den großen Meistern unserer Wissenschaft gefolgt, wie der Ährenleser folgt dem Schnitter". Einen Abschnitt, wie ich ihn über den Katechismus gegeben habe, konnte ich nicht geben, ohne v. Zezschwitz' Katechetik zu benützen; für Luther ist natürlich das große Werk von Köstlin benützt; für die deutsche Missionsgeschichte neben anderen auch das neue Buch von Hauck u. s. w. Durch die Benutzung solcher Bücher habe ich für meinen Unterricht das zu gewinnen gesucht, was die Pädagogik für allen Unterricht fordert: möglichste Anschaulichkeit. Wenn der Schüler so aller­ dings manche Dinge gar nicht kennen lernt, die vielleicht sogar in seinem Hülfsbuch stehen, so halte ich das für kein Unglück; lieber wenig, aber das wenige gründlich wissen, darauf kommt es doch wohl an. 2. Die Auswahl nun aus dem großen Stoffgebiete habe ich getroffen im Sinne eines mir bekannt gewordenen Wortes von Thiersch: „D i e Geschichte soll die ganze Vergangenheit auf die Gegenwart b ez i e h e n, um das Verständnis der Gegenwart zu begründen und divinatorische Blicke in die Zukunft der Kirche zu eröffnen", womit ja ein Wort von Dahlmann übereinstimmt: „Die Geschichte soll nur solchen Bewegungen nachgehen, welche in die Gegenwart münden." Wenn das von diesen Männern für die wissenschaftliche Dar­ stellung gefordert wird, so gilt es um so mehr für ein Schulbuch. Für den Gelehrten haben viele Dinge Interesse, aber für den Schüler nur dasjenige, mit dem sein Leben und Denken noch direkt oder indirekt in Berührung kommt. Von diesem Gesichts­ punkte aus ist in meinem Buche nur das besprochen, was für die Gegenwart noch irgend von Bedeutung ist. (Vergl. auch die Vorbemerkungen zu Ab­ schnitt II.) 3. „Die Stoffmassen sind aufgelöst in faßliche und über­ sichtliche Gruppierungen" (Herbst S. 52), und jede Gruppe ist dargestellt „auf dem Höhepunkte, wo sie volle Gestalt ge­ winnt" (Herbst S. 50 m.). „Das etwaige Bedenken, daß einzelne Ereig­ nisse an einer andern Stelle, als wo man sie zunächst und nach chronologischer Ordnung sucht, und in anderem Zusammenhänge vorkommen, wird schwinden, wenn man die triftigen Gründe erwägt, die sie im Interesse des Verständ­ nisses in solche Zusammenhänge gebracht haben". (Herbst S. 49—50.) Es

versteht sich beim Geschichtsunterricht von selbst, daß man nicht das Letzte zuerst erzählen wird; aber die Beachtung der Chronologie ist nicht die Haupt­ sache, sonst wäre eine Geschichtstabelle oder eine Chronik das beste Geschichts­ buch. Ich habe von diesem Standpunkte aus in dem Abschnitte über den evangelischen Gottesdienst nicht bloß das Kirchenlied in seiner ganzen Ent­ wickelung (auch vor Luther) besprochen, sondern sogar hier erst das christ­ liche Kirchenjahr besprochen, das doch seiner Entstehung nach durchaus der älteren Kirche angehört. Ebenso habe ich die Reformation in Brandenburg mit dem Übertritt von Johann Sigismund und sogar mit Friedrich Wil­ helm III. zu einer einzigen Gruppe verbunden. Auch ist das Einsiedler­ leben erst im Mittelaller dargestellt, als Vorläufer des Mönchtums. Durch diese Gruppierung bekommt das Einzelne für den Schüler einen ganz anderen Halt, als wenn es unverbunden an verschiedenen Stellen des Buches neben einander steht. Wo eine solche Zusammenfassung unthunlich war (Glaube der kath. und der evang. Kirche re.), da ist wenigstens durch Hinweisung auf den betreffenden Abschnitt vorher oder nachher eine Zusammenfaffung im Geiste des Schülers als wünschenswert bezeichnet worden.

Nach diesen Grundsätzen ist das vorliegende Buch gearbeitet. Es ist zunächst ein Buch für den Religionsunterricht, wie der Titel besagt, also für den Religionslehrer gearbeitet. An den Lehrer habe ich natürlich zuerst gedacht, wenn ich den einzelnen Perioden und auch mehreren einzelnen Paragraphen eine Vorbemerkung vorausgeschickt habe, die mir für den Lehrer wichtig schien. Auch habe ich deshalb einen besonderen Abschnitt über den Unterricht in der Kirchengeschichte, nebst einer zweifachen Übersicht über die Stoffauswahl für mittlere wie für obere Klaffen beigegeben, um dem Lehrer zu zeigen, wie er den im Buche gebotenen Stoff für seinen Zweck benutzen kann — aber nicht muß, und ich habe sogar die Zeit angegeben, die etwa dazu nötig ist, um den An­ fänger vor dem Nichtfertigwerden zu bewahren. Wenn ich so bei meinem Buche zunächst an den Religionslehrer gedacht habe, so könnte dasselbe doch vielleicht auch noch in anderer Beziehung brauch­ bar sein. „Die Frage, wo der Philologe oder der Mathema­ tiker sich die für seinen Zweck nötige religiöse Bildung er­ werben können, ist leider nicht völlig zureichend zu beant­ worten. An Schriften, welche nach diesem Gesichtspunkte die theologischen Wissenschaften für Nichttheologen er­ läuterten und zusammenfatzten, fehlt es meines Wissens noch" — so heißt es in einem bekannten Buche eines hochangesehenen Schul­ mannes (Schrader, Verfassung der höheren Schulen § 28). Vielleicht wäre mein Buch auch in dieser Beziehung zu brauchen; dafür fehlt mir freilich die Erfahrung, denn ich habe bisher nur Gelegenheit gehabt, Gymnasiasten zu unterrichten, nicht aber angehende Lehrer für ihre Prüfung in der Religion vorzubereiten; ich kann aber nicht annehmen, daß mein Buch für diesen Zweck zu wenig bieten sollte; auch wäre ja diesem Mangel durch andere Bücher leicht abzuhelfen, wenn es nur in seiner Darstellung für den Studieren­ den zu seiner Vorbereitung auf das Examen in der Religionslehre brauch­ bar wäre.

VI Sodann aber dürfte diese Kirchengeschichte vielleicht auch dazu geeignet sein, die Teilnahme und das Verständ­ nis des christlichen Hauses für die Geschichte und das Leben der Kirche, besonders der evangelischen Kirche, zu wecken und zu fördern, da der Verfasser nicht bloß den Verlauf der kirchen­ geschichtlichen Entwickelung darstellt, sondern auch das innere Leben der Kirche, Glaube und Gottesdienst, Verfassung und Liebeswerke, in ausführlicher Dar­ stellung eingehend hehandelt. Endlich könnte das Buch auch ein Lesebuch und Wieder­ holungsbuch für den Schüler der oberen Klassen sein, der neben seinem Hülfsbuche auch noch ein größeres Buch zur Wiederholung und Befestigung seines Wissens brauchen kann. Mein Buch ist nicht ausschließlich am Schreibtisch entstanden, sondern ebenso sehr in der Schule und durch den Unterricht; was ich hier ausge­ zeichnet habe, habe ich selber beim Unterricht schon lange benützt, und sehr oft vorgetragen und durchgesprochen, und darnach immer aufs neue erprobt und gefeilt. Ich habe durch das besondere Wohlwollen meines damaligen Vorgesetzten, des jetzigen Geh. Regierungsrathes, Herrn Provinzial-Schulrath Professor Dr. Sommerbrodt in Breslau, damals Gymnasial-Direktor in Posen, den Religionsunterricht in Prima schon vor mehr als 25 Jahren er­ halten und seitdem immerfort erteilt; da habe ich mich denn ununterbrochen praktisch und wissenschaftlich mit Kirchengeschichte beschäftigt, und wage es nunmehr, weiterenKreisendas vorzulegen, was ich zunächst für m e i n e n Unterricht ausgearbeitet habe. Sollte das Buch einigen Anklang finden, so würde ich mich dazu er­ mutigt fühlen, auch für die andern Gebiete des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen der höheren Schulen entsprechende Handbücher herauszugeben, also vor allem „Heilige Geschichte" und „Glaubenslehre"; zunächst kann ich nur die „Kirchengeschichte" vorlegen. Rakel, den 9. Januar 1888.

Hkrof. Hl. Ketdrich.

Vorwort zur zweiten Auflage. Was der neue Lehrplan hinsichtlich des Unterrichts in der Kirchenge­ schichte fordert, daß derselbe auf die für die kirchlich-religiöse Bildung der evangelischen Jugend unmittelbar bedeutsamen Stoffe beschränkt werde, da­ zu den Lehrer anzuleiten, habe ich mich schon in der ersten Auflage dieses Buches bemüht. Wenn nun dieselbe, wie das ganze Werk, eine mich fast beschämende freundliche Aufnahme seitens der Kritik gefunden hat, so habe ich es um so mehr für meine Pflicht gehalten, das Buch nach Kräften zu

VI Sodann aber dürfte diese Kirchengeschichte vielleicht auch dazu geeignet sein, die Teilnahme und das Verständ­ nis des christlichen Hauses für die Geschichte und das Leben der Kirche, besonders der evangelischen Kirche, zu wecken und zu fördern, da der Verfasser nicht bloß den Verlauf der kirchen­ geschichtlichen Entwickelung darstellt, sondern auch das innere Leben der Kirche, Glaube und Gottesdienst, Verfassung und Liebeswerke, in ausführlicher Dar­ stellung eingehend hehandelt. Endlich könnte das Buch auch ein Lesebuch und Wieder­ holungsbuch für den Schüler der oberen Klassen sein, der neben seinem Hülfsbuche auch noch ein größeres Buch zur Wiederholung und Befestigung seines Wissens brauchen kann. Mein Buch ist nicht ausschließlich am Schreibtisch entstanden, sondern ebenso sehr in der Schule und durch den Unterricht; was ich hier ausge­ zeichnet habe, habe ich selber beim Unterricht schon lange benützt, und sehr oft vorgetragen und durchgesprochen, und darnach immer aufs neue erprobt und gefeilt. Ich habe durch das besondere Wohlwollen meines damaligen Vorgesetzten, des jetzigen Geh. Regierungsrathes, Herrn Provinzial-Schulrath Professor Dr. Sommerbrodt in Breslau, damals Gymnasial-Direktor in Posen, den Religionsunterricht in Prima schon vor mehr als 25 Jahren er­ halten und seitdem immerfort erteilt; da habe ich mich denn ununterbrochen praktisch und wissenschaftlich mit Kirchengeschichte beschäftigt, und wage es nunmehr, weiterenKreisendas vorzulegen, was ich zunächst für m e i n e n Unterricht ausgearbeitet habe. Sollte das Buch einigen Anklang finden, so würde ich mich dazu er­ mutigt fühlen, auch für die andern Gebiete des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen der höheren Schulen entsprechende Handbücher herauszugeben, also vor allem „Heilige Geschichte" und „Glaubenslehre"; zunächst kann ich nur die „Kirchengeschichte" vorlegen. Rakel, den 9. Januar 1888.

Hkrof. Hl. Ketdrich.

Vorwort zur zweiten Auflage. Was der neue Lehrplan hinsichtlich des Unterrichts in der Kirchenge­ schichte fordert, daß derselbe auf die für die kirchlich-religiöse Bildung der evangelischen Jugend unmittelbar bedeutsamen Stoffe beschränkt werde, da­ zu den Lehrer anzuleiten, habe ich mich schon in der ersten Auflage dieses Buches bemüht. Wenn nun dieselbe, wie das ganze Werk, eine mich fast beschämende freundliche Aufnahme seitens der Kritik gefunden hat, so habe ich es um so mehr für meine Pflicht gehalten, das Buch nach Kräften zu



VII



vervollkommnen. Zwar seiner ganzen Anlage nach ist das Buch unverändert geblieben; aber nicht bloß im einzelnen ist überall unter Beachtung der Be­ merkungen meiner Kritiker die bessernde Hand angelegt, sondern einzelne Ab­ schnitte sind ganz neu gestaltet worden, um den Lehrer noch tiefer in das Verständnis der Sache einzuführen. Eine Erweiterung des Inhalts ist nur in einer einzigen Beziehung eingetreten, indem nämlich die Liebes­ thätigkeit der christlichen Kirche jetzt in drei Abschnitten (alte Kirche, Mittelalter, Neuzeit), statt (wie in der ersten Auflage) nur für die Neuzeit, dargestellt worden ist — was nach der Intention des neuen Lehrplans beim Unterricht in der Kirchengeschichte gefordert werden muß. Diese Erweiterung beruht natürlich auf dem köstlichen Buche von Uhlhorn (Liebesthätigkeit der christlichen Kirche, 3 Bde), dessen inzwischen erfolgtes Erscheinen erst eine solche Darstellung in der Schule ermöglicht hat. Ich habe natürlich auch die sonstige neuere Litteratur für die Kirchen­ geschichte für die neue Auflage meines Buches, soweit es mir möglich war, benutzt, und hoffe Wesentliches nicht übersehen zu haben. Die meisten Än­ derungen der neuen Auflage sind auch meinem inzwischen erschienenen „Hülfsbuch für den Religionsunterricht" schon zu statten gekommen, nur weniges wird in demselben noch nachzutragen sein. So übergebe ich denn das Buch aufs neue der Öffentlichkeit, mit dem herzlichsten Danke für die so überaus freundliche Aufnahme, die es gefunden hat, und mit der Bitte um eine wohlwollende Hinweisung auf die ihm noch anhaftenden Mängel; dieselben abzustellen werde ich mich auch weiter nach Kräften bemühen. Rakel, den 9. Januar 1894.

Arof. A. Keidrich.

Inhaltsverzeichnis?) Seite

Borwort..............................................................................................................................TII Druckfehlerverzeichnis.................................................................................................... XII I. Die Entwickelung der Kirchengeschichte als Wissenschaft............................. 1 II. Der Unterricht in der Kirchengeschichte........................................................... 3 III. Der Bücherschatz des Religio,islehrers für den Unterricht in der Kirchen­ geschichte .............................................................................................................. 7 IV. Zahlentabelle zur Kirchengeschichte...................................................................... 14

Kirchengerichte.*2) Einleitung.

1. (1). Heidentum und Judentum um die Zeit von Christi Geburt.................... 17 2. (1). Das Christentum.................................................................................................21 3. Die Geschichte der christlichen Kirche........................................................................ 21

Erster Abschnitt.

Das Christentum unter den alten Völkern. Vorbemerkung für den Lehrer............................................................................. 23

I. Die Begründung des Christentums unter den alten Völkern: der Sieg des Christentums; der Untergang des Heidentums. 4. (2.) Die Begründung des Christentums unter den Juden durch den Apostel Petrus; die Verfolgung der Gemeinde; die Ausbreitung des Christentums 23 5. (3.) Die Verbreitung des Christentums unter den Heiden durch den Apostel Paulus.....................................................................................................................25 6. (4.) Paulus in Jerusalem und in Cäsarea; Paulus und Petrus in Rom 27 7. (8.) Das Christentum im Verhältnis zum Judentum: Judenchristen und Heiden­ christen; die Vereinigung in Jerusalem (das Apostelconcil) und der Streit in Antiochia; das Judenchristentum in der späteren Zeit; die Zerstörung Jerusalems und das Judentum in der späteren Zeit..................................... 30 8. (5. u. 6.) Der Apostel Johannes und die Einheit der Kirche; die andern Apostel; die Feste der Apostel im kirchlichen Kalender..................................... 32 9. (9.) Die weitere Ausbreitung des Christentums unter den Heiden .... 35 10. (10.) Die Verfolgung des Christentums...................................................................36 11. (11.) Aus der Märtyrer-Geschichte und Sage......................................................... 40 12. (12.) Der Sieg des Christentums und der Untergang des Heidentums . . 48 Nr. 1—12: 5 Stunden. ^)

II. Die innere Gestaltung und Entwickelung der alten Kirche.

A. 13. (13.) die Verfassung der alten Kirche: die Apostel; die Gemeindevor­ steher; die Entstehung des Bischofsamts; die Synoden; der Kaiser . . .

51

*) Die in Parenthese beigefügte Nummer bezeichnet die Nummer des entsprechen­ den Abschnitts in der ersten Ausgabe. 2) Für den Unterricht in der KG. werden in Prima etwa 70 Stunden erforderlich sein: 20 für die alte Kirche, 20 für das Mittelalter und 30 für die Neuzeit; für die alte Kirche würde weniger Zeit nötig sein, wenn der Lehrer auf die im Buche da­ mit verbundene Zeit der Apostel verzichtete; für die Kirche der N e u z e i t müßte mehr Zeit zur Verfügung stehen, wenn der Lehrer bei derselben nicht vieles aus dem früheren Unterricht und aus der Weltgeschichte als bekannt voraussetzen könnte. ’) Die angegebenen Stunden find natürlich nicht bloß für den Vortrag, sondern auch für die Wiederholung bestimmt.



IX

— Seite

B. 14. (14.) Der altchristliche Gottesdienst................................................................... 63 C. Der Glaube der alten Kirche. 15. (15.) Der Glaube der alten Kirche; die Jrrlehrer............................................... 55 16. (16.) Die Autoritäten für die Wahrheit des Christentums: der Bischof; die heilige Schrift; das apostolische Glaubensbekenntnis..................................... 58 Nr. 13—16: 3 Stunden. 17. (17.) Der Streit um die Person Christi; Arius und Athanasius; Nestorius und Eutyches............................................................................................................60 Nr. 17: 4 Stunden. 18. (18.) Augustinus und Pelagius; der Bischof Ambrosius von Mailand . . 68 Nr. 18: 3 Stunden. D. Das Leben der alten Christen. 19. (7. u. 19.) Das Leben der Christen.........................................................................74 20. Die Liebesthätigkeit der alten Kirche........................................................................ 78 21. Die „Gemeinde der Heiligen"...................................................................................83 22. (20.) Der Verfall der Christenheit............................................................................. 87 III. Die Auflösung der Reichskirche; die innere Entwickelung der morgenländischen Kirche; der Verfall der morgen ländischen Kirche.

23. Die Auflösung der Reichskirche und die Trennung der morgenländischen von der römischen Kirche........................................................................................89 24. (20.) Die innere Entwickelung der morgenländischen Kirche; der Bilderstreit; die Spaltung der morgenländischen Kirche......................................................... 92 25. (21.) Die Zertrümmerung der griechischen Kirche durch den Islam ... 95 Nr. 19—25: 5 Stunden. Zweiter Abschnitt.

Die katholische Kirche des Mittelalters. Vorbemerkung für den Lehrer.............................................................................................97 I.

Die Ausbreitung des Christentums im Mittelalter.

26. (22.) Die Begründung des Christentums unter den Deutschen........................... 97 Nr. 26: 6 Stunden. 27. (23.) Das Christentum unter den Germanen des Nordens; Ansgar, der „Apostel des Nordens"........................................................................................... 116 28. (24.) Die Begründung einer deutschen Kirche auf slawischem Boden; das Christentum in Ungarn......................................................................................117 29. (25.) Das Christentum unter denSlawen............................................................ 123 30. (26.) Das Gebiet der römisch-katholischenKirche im Mittelalter .... 131 Nr. 27—30: 3 Stunden (oder mehr, vgl. die Bemerkung zu Nr. 28). II.

D ie Verfassung der katholischen Kirche des Mittelalters (und der Neuzeit).

31. (27.) Die Entstehung des Papsttums.......................................................................133 32. (28.) Die steigende Macht des Papsttums; der Kirchenstaat; die Trennung der griechischen Kirche von der römischen....................................................... 136 33. (29.) Das Papsttum auf der Höhe seiner Macht.................................................. 143 Nr. 31—33: 3 Stunden.

III. Katholischer Glaube und katholische Frömmigkeit. 34. (30. 31. 36.) Die Kirche in ihrer Bedeutung für den katholischen Christen. Einleitung................................................................................................................. 150 A. Die Kirche als Herrscherin über die Völker; das Kirchenregiment in der katholischen Kirche..............................................................................151 B. Die Kirche als Lehrerin der Völker; die Kirchenlehre des Mittel­ alters ................................................................................................................. 154 C. Die Kirche als Heilsmittlerin für die Völker........................................... 158 35. (32.) Das Gebet des katholischen Christen; die Verehrung der Maria und der Heiligen, der Reliquien und der Bilder.................................................... 165

X Seite

36. (33.) Die Frömmigkeit und Sittlichkeit des katholischen Christen .... 170 37. (34.) Das Einsiedlerleben........................................................................................173 38. (35.) Das Mönchtum..................................................................................................175 39. Die Liebesthätigkeit der Kirche des Mittelalters............................................... 185 Nr. 34—39: 5 Stunden. IV. Der Verfall der Kirche und dieVersuche einer Reformation.

40. (37.) Der Verfall des Papsttums und der Kirche in den Jahrhunderten vor der Reformation.............................................. 190 41. (38.) Die reformatorischen Concilien des Mittelalters..................................... 195 42. (39.) Reformatoren vor der Reformation...............................................................197 Nr. 40—42: 3 Stunden. Dritter Abschnitt. Die Begründung der evangelischen Kirche im Zeitalter der Reformation und der Kampf um den Bestand des evangelischen Glaubens von der Reformation bis zur Gegenwart.

Vorbemerkung für den Lehrer.................................................................................. 207 43. Einleitung.................................................................................................................207 I. Die Begründung d er evangelischen Kirche in Deutschland. (40.) Martin Luther, 1483-1517 .................................................................. 209 (41.) Johann Tetzel und der Ablaß........................................................................ 215 (42.) Der Anfang der Reformation 1517—1519............................................... 219 (43.) Der Fortgang der Reformation 1519—1521 ......................................... 223 (44.) Luther auf der Wartburg; Luther und die Schwärmer; die Um­ gestaltung des Kirchenwesens; der Bauernkrieg und das Reich der Wieder­ täufer in Münster..................................................................................................229 49. (45.) Die Reformation im Kampfe mit Kaiser und Reich vom Wormser Edikt bis zum Augsburger Religionsfrieden 1521—1555 ..................... 235 50. (46.) Luther in seinem persönlichen und häuslichen Leben; Katharina von Bora; Luther's Tod.............................................................................................247 51. (47.) Philipp Melanchthon und Luther's andere Freunde und Mitarbeiter 251 Nr. 43—51: 6 Stunden.

44. 45. 46. 47. 48.

II. Die Begründ ung der reformierten Kirche in der Schweiz. 52. (48.) Ulrich (Huldreich) Zwingli (1484—1531) und das Religionsgespräch in Marburg (1529)............................................. 53. (49.) Johannes Calvin 1509—1564 ...».........................

256 261

III. Die Begründung evangelischer Landeskirchen und der Kampf um den Glauben in Deutschland und in den anderen Ländern. 54. (60.) Die Begründung evangelischer (lutherischer und reformierter) LandesTeile von Deutschland; der dreißigjährige Krieg: Verfolgungen der Evangelischen in neuerer Zeit.............................................................................. 272 56. (52.) Die Begründung evangelischer Kirchen unter den andern germanischen Völkern von Europa; die evangelische Kirche in Amerika. A. Die Niederlande................................................................................................ 283 B. Dänemark,Norwegen und Schweden............................................................285 C. England und Irland.................... •.........................................................286 D. Schottland.......................................................................................................290 E. Amerika.............................................................................................................291 57. (63.) Die Unterdrückung der Reformation unter den romanischen Völkern

XI Seite

A. Spanien.......................................................................................................... 292 B. Italien...........................................................................................................293 C. Die Reformation in Frankreich..................................................................294 58. (54.) Die Unterdrückung der Reformation unter den slawischen Völkern von Europa. A. Die Reformation in Böhmen.................................................................. 303 B. Die evangelische Kirche in Polen............................................................. 306 C. (Die Russen und die griechische Kirche)................................................... 309 59. (55.) Kleinere evangelische Kirchenparteien........................................................ 310 Nr. 52—59: 6 (oder mehr) Stunden. Vierter Abschnitt. Die innere Gestaltung und Entwickelung der evangelischen Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart.

Vorbemerkung für den Lehrer...................................................................................... 314

60. 61. 62.

63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71.

72. 73. 74. 75. 76. 77.

I. Der Glaube der evangelischen Kirche in seinem Unter­ schiede vom Glauben der anderen Kirchen. Einleitung.................................................................................................................... 314 Die Entwickelung des Glaubens in der christlichen Kirche; die Verschieden­ heit der Confessionskirchen................................................................................. 316 (58.) Der Glaube der evangelischen Kirche im Unterschiede vom katholischen Glauben............................................................................................................... 317 Die Sittlichkeit des evangelischen Christen........................................ 321 (56.) Die Bekenntnisschriften der christlichenKirche 323 Die Glaubensbekenntnisse der alten Kirche............................................. 327 (16.) Das apostolische Glaubensbekenntnis.........................................................330 Das nicänisch-konstantinopolitanische Bekenntnis...............................................333 Die Bekenntnisschriften der katholischen Kirche....................................................335 (57.) Der Katechismus............................................................................................337 Die Augsburger Confession ..................................................................................345 (59.) Die heilige Schrift; Entstehung, Übersetzung und Verbreitung der Bibel.....................................................................................................................346 Nr. 60—71: 4 Stunden (wenn Nr. 71 als bekannt vorausgesetzt werden darf und der Abschnitt in der bei Nr. 62 und 65 angegebenen Weise beschränkt wird).

(62.) (63.) (67.) (64.) (65.) (66.)

II. Der Gottesdienst der evangelischen Kirche. Der evangelische Sonntags-Gottesdienst.................................................. 359 Gesangbuch und Choralbuch...................................................................... 363 Das christliche Kirchenjahr...........................................................................370 Das christliche Gotteshaus........................................................................... 374 Die Bilder in der Kirche........................................................................... 379 Die Katakomben und der Kirchhof............................................................383 Nr. 72—77: 3 (oder mehr) Stunden.

III. 78. (60 u. der 79. (60 u. und und

Die innere Entwickelung der evangelischen Kirche. 70.) Streit und Spaltung in der evangelischen Kirche; das Zeitalter Orthodoxie..................................................................................................... 385 61.) Die innere Entwickelung der evangelischen Kirche: Pietismus Methodismus; die Brüdergemeinde; das Zeitalter der Aufklärung die Erneuerung des christlichen Glaubens................................................. 388

IV. Die Einigung der evangelischen Kirche. 80. (70.) Die Reformation in Brandenburg; die Union und die evangelische Allianz.................................................................................................................. 398 A. Die Reformation in Brandenburg............................................................ 398 B. Johann Sigismund 1613.......................................................................... 401 C. Der große Kurfürst und PaulGerhardt................................................... 404 D. Die Union in Preußen 1817......................................................................405 E. Die evangelische Allianz 1846 ................................................................. 409



XII

— Seite

81.

V. Die Verfassung der evangelischen Kirche. (69.) Die Verfassung der evangelischen Kirche.....................................................409 Nr. 78—81: 4 Stunden. Fünfter Abschnitt. Die katholische Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart; die Liebes­ thätigkeit der christlichen Kirche seit der Reformation; die Mission der Neuzeit; Übersicht über die Kirchen und Religionen der Gegenwart.

I. Die katholische Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart.

Vorbemerkung für den Lehrer ......................................................................419 82. (71.) Die katholische Kirche im Verhältnis zur Reformation (Tridentiner Concil, Jesuitenorden und Inquisition)........................................................................... 420 83. (72.) Die katholische Kirche im Beginn der neueren Zeit................................... 429 84. (73.) Die Unfehlbarkeit des Papstes......................................................................432 85. (74. u. 75.) Das Ende des Kirchenstaates und der Altkatholicismus; die katholische Kirche und der Staat...................................................................... 436 Nr. 82—85: 3 Stunden. II. Die Liebesthätigkei t der christ lichen Kirche seit derReformation; die Mission der Neuzeit.

86. 87. 88. 89.

Vorbemerkung für den Lehrer...........................................................................447 (76.) Die Liebesthätigkeit der christlichen Kirche seit der Reformation . . 448 (77.) Die Mission in der neueren Zeit............................................................... 461 (78.) Die katholische Heidenmission..........................................................................465 (79.) Die evangelische Heidenmission.....................................................................467 HI. 90. (80.)

Die verschiedenen Religionen und Kirchen­ parteien in der Gegenwart................................... 476

Nr. 86—90: 4 Stunden (oder mehr). Schluß.................................................................................................................................. 484 Register . •...................................................................................................................485

Druckfehler-Verzeichnis. 5, Z. 4 v. u. lies: Kirche. 39, Anm. 1 Z. 7—8 lies: Aurelius Diogenes, Sohn des Satabus, 72 Jahre alt 74, Überschrift, lies: 19. (7 u. 19.) 90. Die Anm. gehört auf S. 89 zu b als Anm. 2 (nicht 1). 151, Z. 4 v. u. (Text) lies: 1054. 310, Z. 3 v. u. lies: wovon in N. 314, Z. 2 (Text) v. u. lies: Kirche. 343, letzte Z. vor e lies: hervorgetretenen. 355, Z. 4 v. u. lies: Luther's. 377, Z. 6 lies: Der Hauptteil. 377 c, Z. 9 lies: byzantinische. 407, Z. 15 lies: Ausruf. 409, Z. 10 v. u. lies: ihres Landes. 416, letzte Zeile (Text): Am Anfang fehlt das Anführungszeichen. 428, Z. 3 v. u. lies: Wemdingen. 442, Absatz 3, Z. 7 lies: den mir. 475, Z. 4 v. u. lies: 430 Mill. Zusatz zu S. 475 Anm. 2: Die eben erschienene „Karte der Verbrertungsgebiete der Religionen, von Hickmann" (Wien, Freytag und Berndt; M. 2,00) konnte leider nicht mehr benutzt werden. S. 481 Z. 1 lies: lich statt sich.

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XII

— Seite

81.

V. Die Verfassung der evangelischen Kirche. (69.) Die Verfassung der evangelischen Kirche.....................................................409 Nr. 78—81: 4 Stunden. Fünfter Abschnitt. Die katholische Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart; die Liebes­ thätigkeit der christlichen Kirche seit der Reformation; die Mission der Neuzeit; Übersicht über die Kirchen und Religionen der Gegenwart.

I. Die katholische Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart.

Vorbemerkung für den Lehrer ......................................................................419 82. (71.) Die katholische Kirche im Verhältnis zur Reformation (Tridentiner Concil, Jesuitenorden und Inquisition)........................................................................... 420 83. (72.) Die katholische Kirche im Beginn der neueren Zeit................................... 429 84. (73.) Die Unfehlbarkeit des Papstes......................................................................432 85. (74. u. 75.) Das Ende des Kirchenstaates und der Altkatholicismus; die katholische Kirche und der Staat...................................................................... 436 Nr. 82—85: 3 Stunden. II. Die Liebesthätigkei t der christ lichen Kirche seit derReformation; die Mission der Neuzeit.

86. 87. 88. 89.

Vorbemerkung für den Lehrer...........................................................................447 (76.) Die Liebesthätigkeit der christlichen Kirche seit der Reformation . . 448 (77.) Die Mission in der neueren Zeit............................................................... 461 (78.) Die katholische Heidenmission..........................................................................465 (79.) Die evangelische Heidenmission.....................................................................467 HI. 90. (80.)

Die verschiedenen Religionen und Kirchen­ parteien in der Gegenwart................................... 476

Nr. 86—90: 4 Stunden (oder mehr). Schluß.................................................................................................................................. 484 Register . •...................................................................................................................485

Druckfehler-Verzeichnis. 5, Z. 4 v. u. lies: Kirche. 39, Anm. 1 Z. 7—8 lies: Aurelius Diogenes, Sohn des Satabus, 72 Jahre alt 74, Überschrift, lies: 19. (7 u. 19.) 90. Die Anm. gehört auf S. 89 zu b als Anm. 2 (nicht 1). 151, Z. 4 v. u. (Text) lies: 1054. 310, Z. 3 v. u. lies: wovon in N. 314, Z. 2 (Text) v. u. lies: Kirche. 343, letzte Z. vor e lies: hervorgetretenen. 355, Z. 4 v. u. lies: Luther's. 377, Z. 6 lies: Der Hauptteil. 377 c, Z. 9 lies: byzantinische. 407, Z. 15 lies: Ausruf. 409, Z. 10 v. u. lies: ihres Landes. 416, letzte Zeile (Text): Am Anfang fehlt das Anführungszeichen. 428, Z. 3 v. u. lies: Wemdingen. 442, Absatz 3, Z. 7 lies: den mir. 475, Z. 4 v. u. lies: 430 Mill. Zusatz zu S. 475 Anm. 2: Die eben erschienene „Karte der Verbrertungsgebiete der Religionen, von Hickmann" (Wien, Freytag und Berndt; M. 2,00) konnte leider nicht mehr benutzt werden. S. 481 Z. 1 lies: lich statt sich.

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I. Die Entwickelung der Kivchengefchichte als Wissenschaft. a. Wenn man gewöhnlich einen Zeitgenossen des Kaisers Constantin, den Bischof Eusebius von Cäsarea, als den „Vater der Kirchen­ geschichte^ bezeichnet und daher eine Darstellung der Kirchengeschichte schon in der alten Kirche vorhanden sein läßt, so ist es doch wohl richtiger, seine Schriften und die seiner Nachfolger als Quellen der Kirchengeschichte zu betrachten, nicht aber als Darstellungen derselben; eigentliche Darstellungen der Kirchengeschichte giebt es erst seit der Reformation und infolge der Reformation. Wenn nämlich die Reformatoren den damaligen Glauben der katholischen Kirche als durch Neuerungen entstellt betrachteten und ihren Glauben als den Gauben der a l t en Kirche ansahen, so sahen sich beide Parteien vor die Aufgabe gestellt, ihren Glauben als den rechten Glauben aus der Geschichte der Kirche zu erweisen. Soentstand die Kirchengeschichte, zwar zunächst nicht aus wissenschaftlichem, sondern aus praktischem Interesse, aber die Darstellung der Kirchengeschichte konnte doch nur dann ihren Zweck erreichen, wenn sie den Anforderungen aller Geschichtswisienschaft gerecht wurde. Diesen Forderungen immer mehr zu entsprechen — das war die Aufgabe der Kirchengeschichtschreiber in den Jahrhunderten nach der Refor­ mation. Die katholische Theologie kann diese Aufgabe nicht lösen, da sie für ihre Forschung an ein bestimmtes Resultat gebunden ist; sie muß z. B. zu dem Resultat kommen, daß alle Päpste von jeher unfehlbar gewesen sind, obwohl doch ein Papst von seinen Nachfolgern immer aufs neue als Ketzer verflucht worden ist.2) Die Aufgabe der Kirchengeschichte kann nur von der evangelischen Theologie gelöst werden, welche bei ihrer Forschung und Darstellung, wie alle Wissenschaft, nur an das Gesetz der Wahrheit gebunden ist, und welche deshalb z. B. in der neueren Zeit ruhig zugegeben hat, daß auch schon die alte Kirche viel mehr vom katholischen Aberglauben erfüllt gewesen ist, als die Reformatoren meinten. Die Aufgabe, die Geschichte der Kirche darzustellen, ist nun in folgender Weise gelöst worden. b. Da die Reformatoren im 16. Jahrhundert die angreifende Partei waren, so war es natürlich, daß sie auch in der Darstellung der Kirchen-

*) Vgl. unten Nr. 17 f und 83 e. Heidrich, KircheiMjchtchte.

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I.

Die Entwickelung der Kirchengeschichte als Wissenschaft.

geschichte vorangingen. Das ist nun geschehen durch einen Lieblingsschüler von Luther, Matthias Flacius Illyriens (Flach aus Ambona in Illyrien), welcher in 13 Bänden mit großer Gelehrsamkeit die Geschichte der ersten 13 Jahrhunderte der christlichen Kirche dargestellt hat (der 14. Band liegt als Handschrift in Wolfenbüttel); da jeder Band immer ein Jahrhundert behandelt, so wurde das Werk die Centurien genannt, und zwar die Magdeburger Centurien, weil es zunächst in Magdeburg entstand?) Dies Werk hat natürlich die Geschichte der Kirche vom damaligen pro­ testantischen Standpunkte aus dargestellt: von einem richtigen Anfänge aus, der etwa bis zum Jahre 600 reicht, ist nach der Darstellung dieses Buches die Kirche, namentlich durch das Papsttum, in immer größere Irrtümer ge­ raten; der Papst ist der Antichrist. Das Gegenstück zu diesem Werke hat, auch noch im 16. Jahrhundert, der Katholik Cäsar Baronius geschrieben; sein Werk,2) welches nur die ersten zwölf Jahrhunderte umfaßte, hat durch andere Gelehrte noch Fort­ setzungen bis zum Jahre 1585 erhalten. c. Wenn Gelehrte der katholischen Kirche in Frankreich im 17. Jahrh, die Kirchengeschichte auch in etwas freierer Weise dargestellt haben als Baronius, so ist doch erst in der evangelischen Kirche Deutschlands dieselbe zur freien Wissenschaft fortgebildet worden. Der Professor in Helmstädt Calixtus gelangte zu einer unbefangeneren Auffassung von der Entwicke­ lung der Kirche, weil er im Streite der Konfessionen das beiden Gemeinsame nicht übersah. Ein Gesinnungsgenosse der Pietisten, Arnold, zeigte in seiner „Unparteiischen Kirchen- und Ketzer-Historia" (1699), daß die herr­ schende Kirche, auch die evangelische, die Ketzer meist mit Unrecht geschmäht habe; sein Blick richtete sich sehnsüchtig nach „der Zeit der ersten Liebe/" In demselben Sinne, wie Calixtus und Arnold, aber in gewandterer Dar­ stellung und mit größerer historischer Kunst, stellte Mosheim (Profesior in Helmstädt, zuletzt Kanzler der Universität Göttingen, -j- 1755) die Geschichte der Kirche dar. Mit selbständiger Kritik hat Semler (f 1791) die Ent­ stehung und Entwickelung der Kirche dargestellt. Eine Zusammenfasiung der damaligen Forschungen bietet das große Werk von Schröckh (45 Bände 1768—1810). Wenn der Rationalismus dem Christentum zu fremd gegenüberstand, um seine Geschichte darstellen zu können, so mußte es als ein Fortschritt er­ scheinen, wenn man die Quellen selber zum Worte kommen ließ; das ist nach weniger bedeutenden Vorgängen in dem Werke von Gieseler geleistet worden (Lehrb. der KG. 1824 s, 3 Bände, jeder in mehreren Abteilungen). Vom Standpunkte des am Anfänge des 19. Jahrhunderts neu erwachten Glaubens aus hat Neander (Profesior in Berlin, f 1650) die Geschichte der Kirche (bis zur Reformation) ausführlich dargestellt, ein unsterbliches Werk, in gläubigem Sinne geschrieben, aber mild gegen Andersdenkende. Von derHegelschen Philosophie ausgehend, hat Ferdinand Christian Baur (Profesior in Tübingen, f 1860, der Begründer der Tübinger Schule) die Geschichte der Kirche dargestellt. Unabhängig von der Zeit­ philosophie hat Hase (Profesior in Jena, f 1890) ein langes Leben der

l) Ecclesiastica historia etc. 1569—1574. a) Annales ecclesiastici 1588—1607.

I.

Die Entwickelung der Kirchengeschichte als Wissenschaft.

3

Darstellung der Kirchengeschichte gewidmet (Lehrbuch der KG. für Studierende in einem Bande; KG. auf der Grundlage akademischer Vorlesungen, von ihm selber im I. 1885 begonnen, nach seinem Tode von seinen Schülern vollendet). Die evangelischen Kirchengeschichtschreiber der Neuzeit (Hagenbach, Kurtz, Herzog) sind teils Nachfolger der letzten großen Forscher (Neander, Baur und Hase), teils selbständige Forscher (Reuter, Zahn, Harnack); eine durchaus selbständige, neue Bahnen einschlagende Gesamtdarstellung der KG. bietet das im Erscheinen begriffene Werk (Bd. I, bis zum I. 1300 reichend, 1892, Freiburg, Mohr) von K. Müller, welches für den An­ fänger wohl zu schwer sein dürfte, aber für tiefere Studien unentbehrlich ist1) d. Von katholischer Seite sind in der neueren Zeit Kirchengeschichten er­ schienen, namentlich von Alzog, Kraus und Hergenrother^ zuerst noch in etwas freierem Geiste, dann immer mehr geknechtet (und sogar korrigiert) von dem in der Neuzeit herrschend gewordenen Jesuitismus, welcher die Wahrheit beugt unter das Joch des unfehlbaren Papstes; wenn die That­ sachen der Geschichte festgestellt werden von der Dogmatik, dann ist eine wirkliche Geschichte der Kirche zu schreiben unmöglich und eigentlich auch nicht nötig.

II.

Dev Mntewicht irr öer Kirchengeschichte.

Wenn die höheren Schulen mit ihrem neunjährigen Kursus in drei Stufen geteilt werden, wie das gewöhnlich der Fall ist (VI und V, dann IV und III, endlich II und I), so ist die Kirchengeschichte in jeder dieser drei Stufen zu behandeln; die Behandlung in der unteren und der mittleren Stufe würde auch für die Volksschule gelten dürfen, die Behandlung auf der oberen Stufe nur für die höheren Schulen. a. Auf der unteren Stufe wird sich der Unterricht in der Kirchen­ geschichte darauf beschränken, im Anschluß an die Apostelgeschichte, vielleicht mit kurzer Erwähnung von Bonifatius und Karl d. Gr., als den Begründern des geistlich-weltlichen römisch-deutschen Reiches im Mittelalter, eine Ge­ schichte der Begründung der evangelischen Kirche in Deutschland zu geben, wobei Luther der Mittelpunkt ist, wenn auch nicht der Endpunkt, der durch­ aus erst 1555 (oder vielleicht mit geringer Erweiterung 1648) zu finden ist2) b. Auf der mittleren Stufe wird sich der Unterricht von Luther nach beiden Seiten hin erweitern; einerseits wird hier, wieder im Anschluß an die Apostelgeschichte, unter kurzem Hinblick auf die Kirche des römischen Reiches (bes. die Zeit der Märtyrer) eine genauere Darstellung der Mission >) Vgl. Theol. Jahresbericht für 1892, S. 302-304. 2) So Gott will, gedenke ich bei der erweiterten Ausgabe meines im 1.1892 herausgegebenen Lehrplans für den Religionsunterricht, von welcher jetzt (1894) der erste Teil (Sexta) erscheinen soll, etwas genauer darzulegen, wie diese Aufgabe gelöst werden kann. F

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Die Entwickelung der Kirchengeschichte als Wissenschaft.

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Darstellung der Kirchengeschichte gewidmet (Lehrbuch der KG. für Studierende in einem Bande; KG. auf der Grundlage akademischer Vorlesungen, von ihm selber im I. 1885 begonnen, nach seinem Tode von seinen Schülern vollendet). Die evangelischen Kirchengeschichtschreiber der Neuzeit (Hagenbach, Kurtz, Herzog) sind teils Nachfolger der letzten großen Forscher (Neander, Baur und Hase), teils selbständige Forscher (Reuter, Zahn, Harnack); eine durchaus selbständige, neue Bahnen einschlagende Gesamtdarstellung der KG. bietet das im Erscheinen begriffene Werk (Bd. I, bis zum I. 1300 reichend, 1892, Freiburg, Mohr) von K. Müller, welches für den An­ fänger wohl zu schwer sein dürfte, aber für tiefere Studien unentbehrlich ist1) d. Von katholischer Seite sind in der neueren Zeit Kirchengeschichten er­ schienen, namentlich von Alzog, Kraus und Hergenrother^ zuerst noch in etwas freierem Geiste, dann immer mehr geknechtet (und sogar korrigiert) von dem in der Neuzeit herrschend gewordenen Jesuitismus, welcher die Wahrheit beugt unter das Joch des unfehlbaren Papstes; wenn die That­ sachen der Geschichte festgestellt werden von der Dogmatik, dann ist eine wirkliche Geschichte der Kirche zu schreiben unmöglich und eigentlich auch nicht nötig.

II.

Dev Mntewicht irr öer Kirchengeschichte.

Wenn die höheren Schulen mit ihrem neunjährigen Kursus in drei Stufen geteilt werden, wie das gewöhnlich der Fall ist (VI und V, dann IV und III, endlich II und I), so ist die Kirchengeschichte in jeder dieser drei Stufen zu behandeln; die Behandlung in der unteren und der mittleren Stufe würde auch für die Volksschule gelten dürfen, die Behandlung auf der oberen Stufe nur für die höheren Schulen. a. Auf der unteren Stufe wird sich der Unterricht in der Kirchen­ geschichte darauf beschränken, im Anschluß an die Apostelgeschichte, vielleicht mit kurzer Erwähnung von Bonifatius und Karl d. Gr., als den Begründern des geistlich-weltlichen römisch-deutschen Reiches im Mittelalter, eine Ge­ schichte der Begründung der evangelischen Kirche in Deutschland zu geben, wobei Luther der Mittelpunkt ist, wenn auch nicht der Endpunkt, der durch­ aus erst 1555 (oder vielleicht mit geringer Erweiterung 1648) zu finden ist2) b. Auf der mittleren Stufe wird sich der Unterricht von Luther nach beiden Seiten hin erweitern; einerseits wird hier, wieder im Anschluß an die Apostelgeschichte, unter kurzem Hinblick auf die Kirche des römischen Reiches (bes. die Zeit der Märtyrer) eine genauere Darstellung der Mission >) Vgl. Theol. Jahresbericht für 1892, S. 302-304. 2) So Gott will, gedenke ich bei der erweiterten Ausgabe meines im 1.1892 herausgegebenen Lehrplans für den Religionsunterricht, von welcher jetzt (1894) der erste Teil (Sexta) erscheinen soll, etwas genauer darzulegen, wie diese Aufgabe gelöst werden kann. F

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II.

Der Unterricht in der Kirchengeschichte.

unter den Deutschen zu geben sein, so daß der Schüler erfährt, wie seine Vorfahren Christen geworden sind. Andererseits ist dem Schüler außer der Geschichte der Gründung der evangelischen Kirche auch der Glaube und Gottesdienst der evangelischen Kirche klar zu machen, und sodann zu zeigen, wie durch das Wirken der Hohenzollern (die Union) eine evangelische Landes­ kirche begründet worden ist, der er angehört, und an deren Aufgaben (Mission und andere Liebeswerke) auch er selber dereinst sich beteiligen soll. So soll also die Kirchengeschichte den Schüler der mittleren Klassen vornehmlich drei Dinge erkennen lasten: wie seine Vorfahren Christen geworden, wie sie evangelisch geworden, und wie die früher getrennten evangelischen Kirchen zu einer einigen evangelischen Kirche geworden sind, an deren Aufgaben er der­ einst selber mitzuwirken hat?) Bis hierher könnte und sollte meines Erachtens auch die Volksschule, wenigstens die mehr als einklassige, ihre Zöglinge führen; zur Bibel und dem Katechismus kann und muß die Kirchengeschichte hinzutreten, wie ja auch die Weltgeschichte, wenn auch ebenfalls nur im engeren Sinne, als Landesgeschichte, der Volksschule nicht fernbleibt; der Bürger des Landes muß die Geschichte des Vaterlandes, das Glied der Kirche die Geschichte seiner Kirche einigermaßen kennen, um Kirche und Vaterland lieben zu können. Die folgende Übersicht giebt die Überschriften für eine Behandlung auf der mittleren Stufe an, nebst der dazu nötigen Zeit; ich habe immer das letzte Halbjahr der Obertertia für diesen Unterricht verwandt, der sich dann an die im Sommer vorher durchgenommene Apostelgeschichte anschloß?)

c.

Überschriften zur Airchengeschichte für die mittlere Stufe.3)

28 Stunden (10 bis zur Reformation4), 18 von der Reformation an6).

1. Das Christentum unter den alten Völkern: Ausbreitung und Ver­ folgung des Christentums (die Märtyrer): der Kaiser Constantin d. Gr. und der Unter­ gang des Heidentums; das Leben der Christen; der Verfall des Christentums und die Einschränkung der griechischen Kirche durch den Islam. 2 Stunden. 2. Das Christentum unter den Deutschen: a) Griechisches (arianisches) Christentum unter den Goten und andern deutschen Stämmen, b) Übertritt des Franken­

königs Chlodwig zum katholischen Christentum (496). c) Die keltische Kirche in Eng­ land, Irland und Schottland; römisch-katholisches Christentum unter den Angelsachsen in England c. 600, und die Unterwerfung der keltischen Kirche unter den Papst, d) Unterwerfung der deutsch en Kirchen unter den Pap st durch den römischkatholischen Angelsachsen Winfrid oder Bonifatius, den „Apostel derDeutschen"^ 755. e) Bekehrung der Sachsen durch Karl den Großen 772—804; x) Vgl. das Programm der Oberrealschule von Köln 1893, Nr. 494(Lüngen Behandlung, der neueren Kirchengesch., bes. Seite 13 m— 14). 9) In Übereinstimmung mit War neck. Die Mission in der Schule, Eml. Nr. 2. s) Die angegebenen Stunden müssen natürlich nicht bloß für den Vortrag, son­ dern auch für die Wiederholung benutzt werden. *) Voran(4 St.): Apostelgesch. Kap. 15—28 (vgl. meinen Lehrplan, S. 6 u. 10). ö) Dazu (6 St.): Gottesdienst, Gesangbuch und Katech. III (vgl. meinen Lehr­ plan, S. 6 u. 10).

II.

Der Unterricht in der Kirchengeschichte.

5

dierömisch-katholische Kirche und das heilige römische Reich deutscher Nation. 5 Stunden. 3. Weitere Ausbreitung des Christentums in Europa: a) Das Christentum in den nordischen Ländern; Ansgar, der „Apostel des Nordens" 831. b) Begründung einer deutschen Kirche auf slawischem Boden, c) Das Christentum unter den andern Slawen. 1 Stunde. 4. Die katholische Kirche des Mittelalters: a) Das Papsttum und die Bischöfe, b) Priester und Messe, c) Das Gebet des Katholiken; die Frömmigkeit des katholischen Christen; Einsiedlerleben und Mönchtum. 1 Stunde. 5. Der Verfall der Kirche und die Versuche einer Reformation: a) Das Papsttum von 1309 — 1414. b) Das Concil von Konstanz 1414—1418 und das Concil zu Basel 1431—1448. c) Die Waldenser 1170; John Wiclif in Oxford y 1384; Johann Hust in Prag y 1415. 1 Stunde. 6. Die Begründung der evangelischen Kirche in Deutschland: a) Dr. Martin Luther von 1483 1517. b) Tetzel und der Ablaß; Luthers Thesen 1517 ; Luther in Augsburg vor Cajetan 1518 und in Altenburg vor Miltitz 1519. c) Die Disputation in Leipzig 1519 und die Bannbulle des Papstes 1520; Luther in Worms ] 521 und auf der Wartburg 1521—22. Die Zwickauer Schwärmer und Luthers Rückkehr 1522; der Bauernkrieg 1525 und die Wiedertäufer in Münster 1535. d) Die Reichstage zu Speyer 1526 und 1529 („Protestanten") und zu Augsburg 1530 (Augsb. Confession); der Schmalkaldische Bund 1531 und der Nürnberger Religions­ friede 1532. 6) Der Schmalkaldische Krieg 1546—47 und das Interim; der Passauer Vertrag 1552 und der Augsburger Religionsfriede 1555. 5) Luther in seinem persön­ lichen und häuslichen Leben; Luthers Tod 1546. §) Philipp Melanchthon 1497—1560 und Luthers andere Freunde und Mitarbeiter (Das Bild des Luther-Jubiläums). 8—10 Stunden. 7. Die Begründung der reformierten Kirche in der Schweiz durch Zwingli in Zürich (1484—1531) und Calvin in Genf (1509—1564). Gründung von evangelischen Landeskirchen in Deutschland und in dem übrigen Europa. Unterdrückung der Reformation in einem Teile von Deutschland und von Europa. 1 Stunde. 8. Streit und Friede in der evangelischen Kirche; die Union. Streit und Spaltung in der evangelischen Kirche; Joachim II. 1539 und Johann Sigismund 1613; der große Kurfürst und Paul Gerhard; die Union 1817. — Die Verfassung unserer Landeskirche. 4 Stunden. 9. A. Der Glaube der evang. Kirche: a. Entstehung, Übersetzung und Verbreitung der Bibel.

b. Luthers Katechismus; der evang. Glaube im Unterschiede vom kath. Glauben, a und b werden zu anderer Zeit durchgenommen (vergl. meinen Lehrplan für III B und III AI). B. Der Gotte dienst der evang. Kirch a. Der Sonntags-Gottesdienst. b. Das Gesangbuch. a und b: 3 Stunden.

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II.

Der Unterricht in der Kirchengeschichte.

c. Das Kirchenjahr (zu anderer Zeit durchgenommen: III B, Winter). C. Liebeswerke der evangelischen Kirche: Gustav-Adolfs-Verein 1842; das Hallische Waisenhaus 1698; das Rauhe Haus bei Hamburg 1833; das Diakonissen­ haus in Kaiserswerth 1836; die innere Mission. Die Mission der Neuzeit; die Religionen der Gegenwart. 3 Stunden (bez. mehr, besonders für die Mission). 10. Die katholische Kirche seit der Reformation: Das Tridentinische Concil 1545— 63; die Inquisition; der Jesuitenorden. Papst Pius IX., 1846—78; die Unfehlbarkeit des Papstes und das Ende des Kirchenstaates 1870. 1 Stunde.')

d. Der Unterricht auf der oberen Stufe der höheren Schulen (nach dem neuen Lehrplan in Unterprima) wird nun bei seiner längeren Dauer (ein ganzes Jahr) im stände sein, das Wissen der Schüler von der Ent­ wickelung seiner Kirche so zu erweitern, daß es hinter seinem sonstigen ge­ schichtlichen Wisien nicht zurücksteht. So fordert denn auch der neue Lehr­ plan, daß dem Schüler die für seine kirchlich-religiöse Bildung bedeutsamen Stoffe aus der Geschichte der alten, der katholischen und der evangelischen Kirche vorgeführt werden. Wenn nun in der Weltgeschichte die höheren Schulen das Altertum auch noch nach dem neuen Lehrplan etwas ausführ­ licher behandeln, so tritt hier die alte Kirche für den Schüler nicht so stark hervor (vgl. meine Vorbemerkung zum ersten Abschnitt des Buches). Aber dafür tritt, eher noch mehr als in der Weltgeschichte, das Mittelalter vor seine Augen; die Kirche des Mittelalters ist für den evangelischen Schüler die alte Kirche; daher lernt er nicht bloß ihre Begründung, sondern auch ihre Verfassung, ihren Glauben, ihr Beten und ihr Leben genauer kennen; alle diese Dinge find ja noch heute lebendig, und er muß sie kennen, um sie weder zu verachten noch zu hoch zu schätzen. Auf das Mittelaller folgt die Gründung der evangelischen Kirche und ihr Kampf ums Dasein, wobei sich des Schülers Blick nun nicht mehr bloß auf Deutschland richtet, sondern auch auf die Schweiz und die anderen Länder von Europa, wie ja auch in der Weltgeschichte in der Neuzeit die anderen Länder in den Gesichts­ kreis des Schülers einrücken. Aber wenn der Schüler schon bei der katho­ lischen Kirche ihr inneres Leben kennen lernen muß, so ist das bei der evan­ gelischen Kirche noch viel nötiger. In dies innere Leben der Kirche, ihren Glauben und ihre Liebesthätigkeit, ihren Gottesdienst und ihre Verfaffung wird also der Schüler ebenfalls eingeführt, um ihm zu zeigen, auf welche Aufgaben das Thun seiner Kirche (und später sein eigenes) vornehmlich ge­ richtet ist. Wenn nun der neue Lehrplan mit Recht fordert, daß sich der Unter­ richt in der Kirchengeschichte auf die für die religiös-kirchliche Bildung der evangelischen Jugend bedeutsamen Stoffe beschränkt, so glaube ich sagen zu dürfen, ?) daß eben dieses Verlangen, die Theologie auch diesem Unter­ richte fernzuhalten und dem Schüler nur das zu bieten, was für die R e -

’) Über den Gang des Unterrichts in Prima ist unten (d) das Nötige bemerkt worden. a) Das Vorwort der ersten Auflage (auch hier wieder abgedruckt) giebt davon Zeugnis.

II.

Der Unterricht in der Kirchengeschichte.

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ligion von Interesse ist, für die ganze Gestaltung meines Buches bestimmend gewesen ist. Wenn manche Ausführungen (namentlich auch der neuen Aus­ gabe) beigegeben sind, welche nur für den Lehrer bestimmt sind, so sind die­ selben doch nur dazu beigegeben, um das Wissen des Lehrers zu vertiefen, aber nicht um den Stoff zu erweitern; eine Erweiterung des Stoffes ist auch in der neuen Auflage nicht erfolgt trotz mancher dahin gehender Wünsche einiger Beurteiler meines Buches. Von diesem Standpunkte aus ist zunächst die Geschichte der alten Kirche behandelt; es ist in derselben alles übergangen, was für die Gegen­ wart gar keine Bedeutung mehr hat, z. B. die Systeme der Gnostiker. Die Kirche des Mittelalters und die katholische Kirche der Neuzeit lernt der Schüler nicht bloß in ihrer Entstehung, sondern auch in ihrer eigentümlichen Frömmigkeit und Sittlichkeit kennen, da er ohne diese Kenntnis die Not­ wendigkeit der Reformation und das Wesen der evan g e lisch en Frömmig­ keit und Sittlichkeit nicht verstehen kann. Auch hier ist aber nichts mit­ geteilt, was für die Religion keine Bedeutung hat. Am schwierigsten war es, bei der Darstellung der evangelischen Kirche und der Kirche der Neuzeit überhaupt sich auf das Notwendige und Wichtige zu beschränken; Männer wie Calixtus, Seniler, Neander und viele andere, die jeder Theologe kennen muß, auch bedeutsame Ereignisse der Neuzeit, z. B. die Streitigkeiten in Vreußen mit der katholischen Kirche vor dem Jahre 1840, kann trotzdem die Schule nicht behandeln; hier gilt es erst recht, nicht alles mögliche Interessante und Bedeutsame dem Schüler darzubieten, sondern sich auf das zu beschränken, was „für die kirchlich-religiöse Bildung der evangelischen Jugend von Be­ deutung ist." Von diesem Standpunkte aus ist mein Buch geschrieben und der Unter­ richt in der Kirchengerichte (wie der Religionsunterricht überhaupt) zu erteilen. Welchen Gang nun der Unterricht in der Kirchengeschichte in Unter­ prima nehmen kann, ersieht der Lehrer aus der Darstellung dieses Buches und aus der Darstellung in meinem Hülfsbuch; ich erlaube mir auch auf meinen Lehrplan (S. 12) und auf die „Vorbemerkungen für den Lehrer" in diesem Buche hinzuweisen. Der Inhaltsangabe dieses Buches ist in der neuen Auflage auch die Zeit beigefügt, die für den betr. Abschnitt etwa erforderlich ist. e. Die unten folgende Zahlentabelle ist nur für den Schüler be­ rechnet; sie giebt die Zahlen an, welche derselbe bei diesem Unterrichte (ich habe die Zahlen für den Unterricht in der Geschichte des Reiches Gottes vor Christus damit verbunden) auswendig lernen soll.

HI. Der Mücher schätz des Wetigionst'ehrers für den Unterricht in der Kirchengeschichte. Den angehenden Religionslehrer auf diejenigen Bücher hinzuweisen, welche nach seiner Erfahrung, oder, soweit er sie etwa nicht kennt, nach dem

II.

Der Unterricht in der Kirchengeschichte.

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ligion von Interesse ist, für die ganze Gestaltung meines Buches bestimmend gewesen ist. Wenn manche Ausführungen (namentlich auch der neuen Aus­ gabe) beigegeben sind, welche nur für den Lehrer bestimmt sind, so sind die­ selben doch nur dazu beigegeben, um das Wissen des Lehrers zu vertiefen, aber nicht um den Stoff zu erweitern; eine Erweiterung des Stoffes ist auch in der neuen Auflage nicht erfolgt trotz mancher dahin gehender Wünsche einiger Beurteiler meines Buches. Von diesem Standpunkte aus ist zunächst die Geschichte der alten Kirche behandelt; es ist in derselben alles übergangen, was für die Gegen­ wart gar keine Bedeutung mehr hat, z. B. die Systeme der Gnostiker. Die Kirche des Mittelalters und die katholische Kirche der Neuzeit lernt der Schüler nicht bloß in ihrer Entstehung, sondern auch in ihrer eigentümlichen Frömmigkeit und Sittlichkeit kennen, da er ohne diese Kenntnis die Not­ wendigkeit der Reformation und das Wesen der evan g e lisch en Frömmig­ keit und Sittlichkeit nicht verstehen kann. Auch hier ist aber nichts mit­ geteilt, was für die Religion keine Bedeutung hat. Am schwierigsten war es, bei der Darstellung der evangelischen Kirche und der Kirche der Neuzeit überhaupt sich auf das Notwendige und Wichtige zu beschränken; Männer wie Calixtus, Seniler, Neander und viele andere, die jeder Theologe kennen muß, auch bedeutsame Ereignisse der Neuzeit, z. B. die Streitigkeiten in Vreußen mit der katholischen Kirche vor dem Jahre 1840, kann trotzdem die Schule nicht behandeln; hier gilt es erst recht, nicht alles mögliche Interessante und Bedeutsame dem Schüler darzubieten, sondern sich auf das zu beschränken, was „für die kirchlich-religiöse Bildung der evangelischen Jugend von Be­ deutung ist." Von diesem Standpunkte aus ist mein Buch geschrieben und der Unter­ richt in der Kirchengerichte (wie der Religionsunterricht überhaupt) zu erteilen. Welchen Gang nun der Unterricht in der Kirchengeschichte in Unter­ prima nehmen kann, ersieht der Lehrer aus der Darstellung dieses Buches und aus der Darstellung in meinem Hülfsbuch; ich erlaube mir auch auf meinen Lehrplan (S. 12) und auf die „Vorbemerkungen für den Lehrer" in diesem Buche hinzuweisen. Der Inhaltsangabe dieses Buches ist in der neuen Auflage auch die Zeit beigefügt, die für den betr. Abschnitt etwa erforderlich ist. e. Die unten folgende Zahlentabelle ist nur für den Schüler be­ rechnet; sie giebt die Zahlen an, welche derselbe bei diesem Unterrichte (ich habe die Zahlen für den Unterricht in der Geschichte des Reiches Gottes vor Christus damit verbunden) auswendig lernen soll.

HI. Der Mücher schätz des Wetigionst'ehrers für den Unterricht in der Kirchengeschichte. Den angehenden Religionslehrer auf diejenigen Bücher hinzuweisen, welche nach seiner Erfahrung, oder, soweit er sie etwa nicht kennt, nach dem

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III.

Der Bücherschatz des Religionslehrers für den Unterricht rc.

Urteil von Autoritäten*2)* dem Religionslehrer für seine Aufgabe gute Dienste leisten können — diese Aufgabe, welche der Verfasser dieses Buches für den gesamten Religionsunterricht in den oberen Klassen im dritten Bande seines Werkes zu lösen gesucht hat, soll in der neuen Ausgabe des Werkes zur Bequemlichkeit des Lehrers für jedes Gebiet des Religionsunterrichts besonders, und deshalb in diesem Bande nur für die Kirchengeschichte gelöst werden. Die Lösung dieser Aufgabe für die andern Gebiete des Unterrichts bleibt in der neuen Ausgabe den andern Bänden dieses Werkes vorbehalten. Auf die streng wissenschaftliche Litteratur hinzuweisen halte ich nicht für nötig, da deren Kenntnis für denjenigen weniger in Betracht kommt, der nicht speziell Theologe ist. Auch nicht diejenigen Bücher will ich nennen, welche der Schüler für die Religionsstunde braucht und besitzt; diese findet der Lehrer in einem Hefte des Centralblattes vollständig zusammengestellt -) und im dritten Bande meines Handbuchs in einer Übersicht zusammengefaßt.-') Ich will auch nicht auf solche Bücher Hinweisen, welche für den Lehrer denjenigen Stoff vollständig darbieten, den er für den Unterricht braucht, also Handbücher im Gegensatz zu den Schulbüchern; auf solche Bücher (und auf die Schulbücher) wird der Religionslehrer in der Zeitschrift für den Religionsunterricht immer wieder hingewiesen, und im Anhänge zu dem Jahresbericht über das höhere Schulwesen von Rethwitsch (Evang. Religions­ lehre) werden diese Bücher in dankenswerter Weise zusammengestellt und be­ sprochen. Die Aufgabe, die ich mir hier stelle, ist nur die, auf diejenigen Bücher hinzuweisen, welche dem Lehrer (abgesehen von seinen streng wissenschastlichen Privatstudien) gute Dienste thun können, um sich teils für die Prüfung in der Religion vorzubereiten, teils den ihm in seinem Handbuche dargebotenen Stoff noch gründlicher kennen zu lernen und noch tiefer zu ersassen. Einen solchen Bücherschatz braucht jeder Lehrer für jeden Unter­ richt, besonders auch der Religionslehrer, wenn sein Unterricht nicht trocken und dürftig werden soll; wer als Lehrer ausstudiert hat, der hätte beffer gethan, überhaupt nicht zu studieren. „Sowohl der Prediger als der Katechet muß mehr besitzen, als er von sich giebt; im Hintergründe ihres öffentlichen praktischen Wirkens müffen klare Einsicht und wissenschaftlich begründete Prinzipien vorhanden sein."4) a. Ich stelle zunächst einige allgemeine Hülfsbücher für den Religionslehrer zusammen, welche für den gesamten Religionsunterricht in den oberen Klassen zu brauchen sind. Eine Zusammenfassung einerseits des theologischen, andrerseits des pädagogischen Wissens, welches ihm für seinen Unterricht gute Dienste thun kann, findet der Lehrer in zwei großen Werken, welche ihm die Schulbibliothek (wenn er sie nicht selber be­ sitzt) zur Verfügung stellen mag: Herzog, Real-Encyklopädie für die Protestant. Theologie und Kirche, 2. Aust. 18 Bde; Meine Verweisungen beschränken sich aber auf den Theolog. Jahresbericht, da es mir hier nicht möglich ist, andere Zeitschriften zu Rate zu ziehen; da ich aber die meisten Bücher selbst kenne, so war die Benützung von anderen Zeitschriften nicht un­ bedingt erforderlich. e) Vgl. Centralblatt 1890, Juni. ’) Vgl. Bd. III, S. 25-27. 4) Nitzsch, Lehrbuch der ev. Dogmatik (1889) § 2.

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Der Bücherschatz des Religionslehrers für den Unterricht rc.

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Schmid, Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens, 2. Aufl. 10 Bde. Für seine Privatbibliothek wird der Religionslehrer wenigstens ein kleineres Hand­ buch des gesamten theologischen Wissens nicht entbehren können; das neueste dieser Werke ist: Perthes Handlexikon für evang. Theologen, 3 Bde. 30 M. Eine zusammenfassende Übersicht über die neu erschienene theologische Litteratrr jedes Jahres bietet der Theologische Jahresbericht (jährlich erscheinend, 14 N.). Von besonderen Werken über den Religionsunterricht sind zu beachten: Kehr, Geschichte der Methodik des evang. Religionsunterrichts in der Volksschule; Palmer, Katechetik; v. Zezschwitz, System der Katechetik (das große Hauptwerk über diesen Gegen­ stand), von welchem besonders zu beachten sind: Der Katechismus (Bd. II, 1) 2. Aufl. 1872; Der Bibelunterricht (Bd. II, 2, 1) 2. Aufl. 1874. Für höhere Schulen kommen noch besonders in Betracht: Höhne, Der Religionsunterricht an höheren Schulen. M. 4,80. Tro sien, Über den Religionsunterricht in evang. Gymnasien. 1889. Gottschick, Der evang. Religionsunterricht in den oberen Klassen höherer Schulen. 1886. Diese, Der evang. Religionsunterricht im Lehrplan der höheren Schulen. 1890. Der neue Lehrplan für den Religionsunterricht ist behandelt auch von dem Verfasser dieses Buches in der Beilage des Programms von Rakel 1892, Nr. 158 (Lehrplan für den ev. Religionsunterricht in den höheren Schulen). Überhaupt sind die Programme zu beachten, welche oft wertvolle Beiträge

auch für den Religionsunterricht enthalten; sodann namentlich die Zeitschrift für den ev. Religionsunterricht von Fauth und Köster; endlich der Abschnitt über den Religionsunterricht in Nethwitsch' Jahresberichten für die höheren Schulen. b. Um sich für das Studium der Kirchengeschichte im allgemeinen vorzubereiten, dazr giebt es bis jetzt noch kein geeignetes Hülfsmittel; der Lehrer wird sich bis jetzt für dieses Studium mit einem allgemeineren Buche begnügen müssen; ich empfehle dazu das anregende Buch von Bernheim (Lehrbuch der historischen Me­ thode), welches bereits (1893) in zweiter Auflage erschienen ist. Zur allgemeinen Orientierung auf dem Gebiete der Geschichte werden dem Lehrer die Weltgeschichten von W e b e r (15 Bde., 2. Aufl.), Ranke und O n ck e n gute Dienste leisten; als Hülfsmittel zu denselben sind anzusehen die historischen Atlanten von Putzger (2 Mark), Droysen (25 M.) und Spruner-Menke (in neuer Bearbeitung eben erscheinend). Ein besonderer historischer Atlas für die KG. ist Wiltzsch, Atlas sacer, 1843. c.

Von allgemeinen Werken zur KG. (— Kirchengeschichte) nenne ich vor

allen folgende: Weingarten, Zeittafeln und Überblicke zur KG. 1890.

M. 4,80.

Hase, Lehrbuch der KG. 10 M. Hase, KG auf der Grundlage akademischer Vorlesungen, 3 Teile, 49 M. (der ein­ bändigen KG desselben Verfaffers vorzuziehen; als das theologische Seitenstück

zu Ranke's „Weltgeschichte" bezeichnet im Theol. Jahresbericht 1891, S. 218). Ein altbeliebtes Studentenbuch ist:

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Der Bücherschatz des Religionslehrers für den Unterricht rc.

Kurtz, Lehrbuch der KG für Studierende, 2 Bde. 16 M. (lutherischer Standpunkt.) Ein ähnliches Buch ist Herzogs Abriß der gesamten KG (neu bearbeitet von Koffmane, 2 Bde. 28 M., reformierter Standpunkt). Wohlgeeignet, Kurtz zu ersetzen, ist: Möller, KG Bd. 1—3 (Bd. 4, die Neuzeit, ist noch nicht erschienen); „dies Hand­ buch spiegelt am besten den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung wieder." (Theol. Jahresb. 1891, S. 184). Ein sehr empfehlenswertes Buch für den Lehrer sind auch die Vorlesungen über KG. von Hagenbach, leider 7 Bde. 41 M. (besonders wertvoll Bd. 6 und 7, das 18. und 19. Jahrh, behandelnd, welche auch einzeln zu haben sind, 10 M., jetzt in neuer Aufl. mit Zusätzen von Nipp old). Die (400) Biographieen des früher erschienenen „Evangelischen Kalenders" findet der Lehrer zusammengefaßt in: Piper, Die Zeugen der Wahrheit, 4 Bde. 6 M. Eine KG. mit Illustrationen hat Baum herausgegeben, 2. Aufl. M. 11,50. Für einzelne Gebiete der KG., welche besonderer Beachtung wert sind, sei vor allem hingewiesen auf Uhlhorn, die christl. Liebesthätigkeit, 3 Bde, ein ganz vor­ treffliches Buch, welches auf diesem Gebiete einzig dasteht. Über die Entwickelung des christlichen Glaubens wird sich der Lehrer orientieren

durch die Dogmengeschichten von Thomasius (2 Bde, neu bearbeitet von Seebeck, 22 M.), Harnack (Grundriß) und Loofs, wozu für die neuere Zeit hinzukommen mögen Land er er, Dogmengeschichte der neuesten Zeit. (Theol. Jahresb. 1881, S. 185: „Ein herrliches, reiches und tiefes Buch, das kein Theolog ungelesen lassen sollte") und Pfleiderer, Entwickelung der Protest. Theologie seit Kant, 10 M. (Theol. Jahresb. 1891, S. 252: „Der Anfänger kann sich keine bessere Einführung in den

Stoff wünschen"). Über den Glauben der einzelnen Konfessionen wird sich der Lehrer orientieren durch die Benutzung folgender Werke: Winer-Ewald, Komparative Darstellung des Lehrbegriffs der versch. chr. Kirchen­

parteien, 1882; H. Schmidt, Symbolik, 1890; Kattenbusch, Vergleichende Konfessionskunde (zunächst nur Bd. 1 erschienen: Die morgenländische Kirche — ein Werk, welches in seiner Art einzig dasteht). Endlich sei der Lehrer zur Orientierung über Verfassung und Verwaltung der Kirche hingewiesen auf das treffliche, in seiner Art einzig dastehende Buch von M ej er, Rechts­ leben der deutschen ev. Landeskirchen, 1889, M. 2,40, an welches sich dann das Studium etwa von Hin sch ins, Staat und Kirche, und eines Handbuchs des Kirchenrechts (Richter, Zorn, Friedberg — von dem neusten großen Werk von So hm ist Bd. 1 erschienen, die historische Grundlegung enthaltend anschließen mag.

d. Für die Geschichte der alten Kirche findet der Lehrer einige Abschnitte weiter ausgeführt in den oben genannten Werken von Uhlhorn und Kattenbusch und in folgenden Werken: Bäßler, Altchristliche Geschichten und Sagen, 1864; Wiseman, Fabiola oder die Kirche der Katakomben (interessante romanhafte Darstellung auf katholischem Standpunkte); Uhlhorn, Kampf des Christentums mit dem Heidentum, 3 M.; V. S chu ltz e,Gesch.des Untergangs des griechisch-römischen Heidentums. 2 Bde. 21 M. Schmidt, Umgestaltung der Gesellschaft der alten Welt durch das Christen­ tum. 1857. Von nicht-theologischen Schriften sind hier besonders Ranke, Weltgeschichte

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Bd. 3, und Mommsen, Röm. Geschichte, Bd. 6, als für den Kirchenhistoriker be­ deutend zu nennen. e. Für die KG. des Mittelaltersund der Neuzeit sind vom Lehrer von allgemei­

neren Werken besonders zu beachten: Freytag, Bilder aus der Vergangenheit; Junge, Quellen und Hülfsmittel zur deutschen Geschichte 1893, M. 0,60. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 2 Bde (Zusammenfassung der neu­ eren Forschungen). Für die eigentliche Kirchengeschichte des Mittelalters ist besonders zu empfehlen: Hau ck, KG. Deutschlands, Bd. I, bis zu Bonifatius' Tod reichend, 10,50 M., Bd. II, die Zeit der Karolinger umfassend, 16 M., Bd. III, eben erscheinend (1893). (Theol. Jahresb. VII, 162: „Eine vortreffliche Arbeit, die auf eindringlichem Quellenstudium und einer gesunden Kritik beruht.") Wer den mittelalterlichen und heutigen Katholicismus in seinen Bräuchen und Anschauungen im einzelnen kennen lernen will, der könnte sich einige populäre katholische Schriften anschaffen, die oft sehr interessante Dinge enthalten, von denen die meisten Evangelischen keine Ahnung haben. Eine zusammenfassende Schrift ist die des bekannten Altkatholiken Neu sch. Die deutschen Bischöfe und der Aberglaube, 1879. Das Hauptwerk ist Hase's Polemik. Dazu dienen als Ergänzungen das be­ kannte klassische Werk gegen die Jesuiten: Pascal, Provinzialbriefe, und außerdem Döllinger-Friedrich, Das Papsttum, 8 M. (Das erste Erscheinen dieses Buches unter dem Titel: „Janus, der Papst und das Concil" war ein Welt­ ereignis"; Theol. Jahresb. 1891, S. 286; die neue Bearbeitung ist durch wertvolle Quellenbeläge bereichert.) Außerdem sei hingewiesen auf Reuter, Geschichte der Aufklärung im Mittelalter. f. Am besten ist, wie es ja begreiflich ist, von evangelischer Seite die Refor­ mationszeit mit geeigneten Schriften für den Neligionslehrer bedacht; hier ist die Fülle so groß, daß man kaum weiß, was man empfehlen soll. Ich nenne nur einige der vielen guten Schriften; der Lehrer vergleiche besonders auch für diesen Abschnitt Junge, Quellen u. Hilfsmittel zur deutschen Geschichte. Zuerst einige allgemeine Werke: Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalterder Reformation (vgl. Junge, S. 22—23 und Hase KG. III, 1, S. 7-8). Henke, Vorlesungen über neuere KG., das Politische überall voranschickend und gut orientierend. (Bd. 1 der drei Bände des Werkes). Bezold, Ref.-Gesch. (in Oncken's Geschichtswerk — eben vollendetes „ausgezeich­ netes Werk"; vgl. Jahresb. 1889, S. 202). Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation (Cottasche Ge­ schichtsbibliothek). Hier sind auch die Schriften des Vereins für Ref.-Gesch. zu beachten, welche viele wertvolle Beiträge zur Ref.-Gesch. enthalten; ebenso die Sammlung: Für die Feste und Freunde des Gustav-Adolf-Vereins (Barmen, Klein). Alsdann Biographieen von Luther: Köstlin, Luthers Leben (große Ausg. in 2 Bdn., 18 M., das Hauptwerk über Luther; kleinere Ausg. in 1 Bde. 8 M.). Kolde, M. Luther, 1893, 2 Bde. 16 M. (zweites Hauptwerk über Luther.) Meurer, Luthers Leben aus den Quellen erzählt. Größere Ausg., 1870. — Außerdem die kürzeren Schriften von

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Plitt, Thoma und besonders Martin (Rade), Luthers Leben, Thaten und Mei­ nungen (mit Auszügen aus L. Schriften), 3 Bde 10,50 M. Strack, Reformationsgeschichte (alle vier Reformatoren), 1864 (populäres Buch). Das Gegenstück zu diesen Darstellungen bietet bekanntlich Janssen, Gesch. des deutschen Volkes. Gegen diese und andere katholische Entstellungen der Wahrheit') richtet sich Walther, Luther im neuesten röm. Gericht (Heft 7, 13, 31 u. 35 der Schriften des Vereins für Ref.-Gesch.). Hier sei auch hingewiesen auf einige billige,gute Abbildungen zu Luthers Leben: Luther-Nummer der Leipziger Jllustr. Zeitung. 1/20 Mk. Bilder aus der Lutherzeit. München, Hirt. 2 M. Das den evang. Volksschulen von Kaiser Wilhelm geschenkte Lutherbild für die Schule ist erklärt und besprochen von Kannegießer, Das Jubiläumsgeschenk K. W. für die Volksschule. Endlich sei hier noch auf die verschiedenen Lutherfest spiele hingewiesen, welche bereits eine zusammenfassende Schrift hervorgerufen haben: Erdmann, Lutherfestspiele. 2,40 M. Von Ausgaben der Schriften Luthers nenne ich aus der großen Fülle eben­ falls nur einige, die für den Lehrer besonders in Betracht kommen: Salkowski, Quellen zur Ref.-Gesch. aus L. Werken. Zwei Programme von Memel. (Theol. Jahresb. III, 161: „Ein praktischer und fruchtbarer Gedanke.") Grosse, Auswahl aus L. Schriften. 1886. Lut her's Werke für das christl. Haus. 4 Bde. Braunschw., Schwetschke. M. Luther, ausgew. von Neubauer. 2 Teile, Halle, Waisenhaus. Vademecum aus Luther's Schriften. 1 M. Perthes. Eine schöne Ausgabe von L. Brief an sein Söhnlein Hänschen, mit Holzschnitten von L. Richter, ist bei Dürr in Leipzig erschienen. Zu den drei besonderen Schätzen, welche unsere Kirche Luther verdankt, Bibel, Katechismus und Gesangbuch,verweise ich auf folgende, in wissenschaftlicher Hinsicht orientierende Schriften. Für die Bibel kommen in Betracht: Grosse, Luthers Sendbrief vom Dolmetschen. Progr. von Memel, 1878, Nr 20. (Im Buchhandel leider vergriffen.) Grimm, Geschichte der L. Bibelübersetzung. 1884. Vorrede der Probebibel und der „durchgesehenen Bibel." L. V o r r e d e n zur heil. Schrift. 1,20 M. (Berlin, Verein für Erbauungsschriften.) Für den Katechismus sind zu nennen: v. Zezschwitz, Der Katechismus (Katechetik II, 1). 2. Aufl. 1872. 9 Mark. Genzken, Zur Jubelfeier des kl. K. L. 0,90 M. Calinich, L. kleiner Kat. (Textreviston) 1882. Angenommener Text. Stuttgart, Grüninger, 1885. Ebeling, L. kl. Katech., Urtext mit Angaben der Abweichungen nebst Vorschlägen zu Änderungen. 1890. 1,20 M. Rebe, Der kleine Kat. Luthers, ausgelegt aus Luthers Werken. 1891. 6 M. Göpfert, Wörterbuch zu L. Katechismus. Außerdem weise ich hier hin auf: l) Über die neueste Erfindung, daß Luther als Selbstmörder geendet habe, vgl. Kolde und den Theol. Jahresbericht Bd. 10, 200—201.

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Der Bücherschatz des Religionslehrers für den Unterricht rc.

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Müller, Die symbol. Bücher der evang.-luth. Kirche, deutsch und lat. 8 M. Rinn, Die Entstehung der Augsb. Konf. 0,10. Halle, Niemeyer. Köstlin, Die Glaubensartikel der A. C. erläutert (Sehr gut). 0,20. Beide Schristchen gehören zu den „Schriften für das deutsche Volk", herausgegeben vom Verein für Reformationsgeschichte. Für das Gesangbuch kommen in Betracht: Goedeke, Luthers Dichtungen. Brockhaus. Fischer, Bunsens Gesangbuch neu bearbeitet. 6 M. 1881. („Ein Handbuch für tiefer forschende Freunde des Kirchenliedes." — Im Anhang „eine ausgezeichnete Übersicht des Entwicklungsganges des ev. Kirchenliedes." Th. Jahresb. II, 352.)

Baßler, Auswahl chr. Lieder aus allen Jahrhunderten. Sperber, Eo. Schulliederschatz (Lieder und Geschichte). 1877. Lauxmann, Die Kernlieder unserer Kirche im Schmucke ihrer Geschichte. 1876. 7,50 M. Dorsch, Das ev. Kirchenlied auf seinem Segensgange durch die Gemeinde. 2 M. Der christliche Gottesdienst wird in folgenden Schriften erläutert: Caspari, die gesch. Grundlage des evang. Gemeindelebens. 1894. M. 2,50. W. Schulze, Mothes und Prüfer, Das evang. Kirchengebäude. 3 M. Lübke, Vorschule zum Studium der kirchl. Kunst des Mittelalters. 1866. g. Für die neuere Kirchengeschichte sind als allgemeine Werke zu em­ pfehlen: Hagenbach, Vorlesungen Bd. 6 und 7. 10 M. (Hier besonders zu empfehlen.) Henke, Vorlesungen über neuere KG., Bd. 2 und 3. Hase, KG. auf der Grundlage akad. Vorlesungen, Bd. III, 2. Außerdem weise ich hier hin auf die Schrift: Baur, Geschichts- und Lebensbilder aus der Zeit der Freiheitskriege. 1893. Über das kirchliche Leben und Streben der Gegenwart wird sich der Lehrer am leichtesten orientieren durch die Lektüre einer Kirchenzeitung und eines Missionsblattes. Über die kirchlichen Ereignisse jedes

Jahres orientiert die jährlich erscheinende Kirchl. Chronik von Matthes und dessen Fortsetzern, wie auch die Zeitschrift „Chronik der christlichen Welt." Für die Missionsgeschichte sei noch besonders hingewiesen auf Gundert, Die ev. Mission. War neck. Die Mission in der Schule. 2 M. Missionskarte der Erde von Heilmann. (1 M., auch dem Buche von Warneck beigegeben; als Wandkarte für die Schule 6 M., aufgezogen 15 M.). Daß der Lehrer die Lokal- und Provinzial-Geschichte auch bei der KG. zu beachten hat, brauche ich wohl kaum zu bemerken; die Litteratur dafür wird jeder Lehrer sich selber zu verschaffen wissen.

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IV.

Zahlentabelle zur Kirchengeschichte.

IV. IaHkentabelke zuv Kivcherrgesctzictzte?) A.

1320 Moses führt die Israeliten aus Ägypten. 1025 David, König der Israeliten. 950 Das Reich zerfällt in die Reiche Israel (Hauptst. Samaria) und Juda (Hauptst. Jerusalem). 722 Salmanassar, König der Assyrer, vernichtet das Reich Israel. 2) — Der Prophet Jesaias in Juda. 586 Nebukadnezar, König von Babylon, vernichtet das Reich Juda. — Der Prophet Jeremias. 538 Kyros, der König der Perser, entläßt die „Juden" aus dem baby­ lonischen Exil. 167 Die Juden gewinnen durch die Makkabäer ihre Unabhängigkeit von den Syrern. 63 Die Juden werden durch Pompejus den Römern zinspflichtig. 40—4 vor Chr. König Herodes der Große; gegen Ende seiner Regierung wird Jesus Christus geboren. 70 nach Chr. Jerusalem wird durch Titus zerstört. B.

325 Constantinus der Große, der erste christliche Kaiser, beruft das erste allgemeine Concil zu Nicäa (in Bithynien); Arius und Athanasius, c. 350 Erste deutsche Bibel durch den Arianer Wulfila, Bischof der Westgoten. e. 450 Der römische Bischof Leo I., der Große (viertes Concil zu Chaleedon 451, Attila in Italien 452). 496 Chlodwig, der König der Franken, bekennt sich zum katholischen Christentum. 529 Der Untergang des Heidentums (Schließung der letzten heidnischen Schule zu Athen durch Kaiser Justinianus I.). — Benediktus von Nursia, der Begründer des Mönchtums im Abendlande. e. 600 Die Angelsachsen in Britannien durch den römischen Bischof Gregor L, den Großen, der römischen Kirche unterworfen. 755 f Winfrid oder Bonifatius, der „Apostel der Deutschen", der Be­ gründer der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. — Gründung des Kirchenstaates durch die Schenkung Pippins, des Königs der Franken. 800 Karl d. Gr. zum römischen Kaiser gekrönt; Bekehrung der Sachsen. 831 Ansgar, der „Apostel des Nordens". 863 Methodius und Cyrillus, die „Apostel der Slawen". 1054 Trennung der griechischen von der römischen Kirche.

0 In Tertia werden nur die wichtigsten der hier angegebenen Zahlen gelernt, ’) Genauer: Sargon, König der Assyrer, vernichtet das schon von Salmanassar angegriffene Reich Israel. — Vgl. zur Heil. Gesch. Nr. 58, Anm. 1.

IV. Zahlentabelle zur Kirchengeschichte.

15

1077 Kaiser Heinrich IV. erscheint als Büßer zu Canossa vor Papst Gregor VH. e. 1170 Die Waldenser. c. 1200 Jnnoeenz III., der weltherrschende Papst. c. 1300 Papst Bonifatius VHI. 1309—1377 Die Päpste in Avignon. — John Wielif, Professor zu Oxford (t 1384). 1409 Concil zu Pisa, drei Päpste. 1414 — 1418 Concil zu Konstanz, Ende der Kirchenspaltung; Johann HuS aus Prag wird als Ketzer verbrannt 1415; Hussitenkrieg 1419—1436. 1431—1448 Concil zu Basel. 1453 Konstantinopel von den Türken erobert, Ende des griechischen Reiches.

C. 1517 den 31. Okt. Dr. Martin Luther, geb. zu Eisleben den 10. Nov. 1483, schlägt 95 Thesen gegen den Ablaßhandel an der Schloßkirche zu Wittenberg an. 1518 Luther in Augsburg vor dem Kardinal Cajetan. — Philipp Melanchthon (1497—1560), Professor in Wittenberg. 1519 Luther in Altenburg vor Miltitz. — Luthers Disputation zu Leipzig mit Dr. Eck. 1520 Die Bannbulle gegen Luther und seine Anhänger. 1521 Luther vor dem Reichstage zu Worms und auf der Wartburg; das Wormser Edikt. 1522—1534 Luthers Bibel. 1524 Reformation in Zürich durch Huldreich Zwingli (1484—1531). 1526 Reichstag zu Speyer; jeder Reichsstand soll sich in Religionssachen verhallen, wie er es gegen Gott und Kaiser!. Majestät zu verantworten sich getraut. 1529 Reichstag zu Speyer; die Evangelischen protestieren gegen die Beschlüsse der kath. Mehrheit: „Protestanten". — Religionsgespräch zu Marburg zwischen den Wittenbergern und den Schweizern. — Luthers großer und kleiner Katechismus. 1530 Reichstag zu Augsburg, die Augsburgische Konfession. 1531 Schmalkaldischer Bund der Protestanten. 1532 Nürnberger Neligionsfriede. 1539 Kurfürst Joachim II. führt in Brandenburg die Reformation ein. 1540 Der Jesuitenorden, gestiftet von dem Spanier Ignatius Loyola. — Erneuerung der im I. 1215 gestifteten Inquisition. 1541 Johann Calvin (1509—1564) als Reformator in Genf. 1545— 1563 Das Tridentiner Concil. 1546 den 18. Februar, Luther stirbt zu Eisleben. 1546— 1547 Schmalkaldischer Krieg, das Interim. 1552 Passauer Vertrag. 1555 Augsburger Religionsfriede: die Gleichberechtigung der Bekenner der Augsb. Konfession mit den Katholiken wird anerkannt. 1563 Der Heidelberger Katechismus. 1598 Das Edikt von Nantes, aufgehoben 1685.

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IV.

Zahlentabelle zur Kirchengeschichte.

1613 Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg tritt von der luthe­ rischen zur reformierten Kirche über. 1648 Westfälischer Friede: die Bestimmungen des Augsb. Religionsfriedens werden erneuert, ergänzt und ausdrücklich auf die Reformierten aus­ gedehnt. 1675 Spener, der Begründer des Pietismus. 1710 Cansteinsche Bibelanstalt in Halle, im Anschluß an das im I. 1698 von A. H. Francke gegründete Hallische Waisenhaus. 1804 Britische und ausländische Bibelgesellschaft in London. 1817 Union der Lutheraner und Reformierten in Preußen (und in einigen anderen deutschen Ländern). 1869—1870 Vatikanisches Concil, Unfehlbarkeit des Papstes, Ende des Kirchenstaates. 1881 den 17. Nov. Botschaft Kaiser Wilhelms I. an den Deutschen Reichs­ tag hinsichtlich der Fürsorge für die Arbeiter.

Airch engeschichte. Einleitung.

1. (1.)') Heidentum und Judentum um die Zeit von Christi Geburt. A. Das Heidentum. a. Das griechische und das römische Volk haben unvergängliche Schöpfungen hervorgebracht, welche diese Völker über die andern Völker des Altertums (außer den Israeliten) hoch emporheben, die Griechen die Meisterwerke der Kunst und die Anfänge der Wissenschaft, die Römer die Grundlage für Rechtsprechung und Staatsverwaltung. Aber nur in diesen Schöpfungen leben diese Völker noch heute; fie selber sind zuerst sittlich und dann auch äußerlich zu Grunde gegangen, und eine unvergängliche Religion haben sie nicht geschaffen; die unvergängliche Religion ist aus dem Volke Israel her­ vorgegangen. Wenn es noch im ersten Buche der Makkabäer (Kap. 8) von den Römern hieß, daß sie Treue und Glauben hielten und keine Hoffart, Neid oder Zwietracht bei ihnen war, so hat dagegen Paulus im Römerbriefe (Kap. 1) ein Bild des sittlichen Verfalls seiner römischen Mitbürger gezeichnet, widerwärtig und abstoßend und doch eher noch hinter der Wahr­ heit zurückbleibend: „Gott hat sie hingegeben in schändliche Lüste, voll aller Laster, die alle Schändlichkeiten nicht allein thun, sondern auch Gefallen haben an denen, die sie thun." Und mit den Römern waren auch alle anderen Völker sittlich verfallen. Wie ist nun die Heidenwelt für die Auf­ nahme des Christentums vorbereitet worden? b. Der Sieg des Christentums über das Heidentum des römischen Reiches ist mit Recht von den Christen als ein herrlicher Beweis für die Macht ihres Glaubens gefeiert worden. Wie ist derselbe möglich geworden? Einerseits dadurch, daß im Laufe der Weltgeschichte alle Hindernisse beseitigt wurden, welche der Bekehrung der Völker im Wege standen, und anderseits dadurch, daß die Heiden in ihrem Denken und Leben für die Annahme eines neuen Glaubens empfänglich gemacht wurden — beides durch Gottes Fügung, der. ’) Die in Parenthese beigefügte Nummer bezeichnet die Nummer des betr. Ab­ schnitts in der ersten Auflage des Buches.

Heidrich, Ktrchengeschichte.

2

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1. (1.)

Heidentum und Judentum um die Zeit von Christi Geburt,

als die Zeit für daS Heidentum (wie für das Judentum) erfüllet war, die Völker aus dem Dunkel zum Licht geführt hat. c. Das ganze Leben der alten Völker war von der Religion beherrscht und durchdrungen; im staatlichen und im häuslichen Leben, in Sitte und Knnst war die Religion die herrschende Macht. Es wäre auch für eine bessere Religion kaum möglich gewesen, die heidnische Religion zu verdrängen, wenn dieselbe noch in voller Kraft die Völker beherrscht hätte. Das war nun aber um die Zeit von Christi Geburt nicht mehr der Fall. Alle Völker waren von den Römern unterworfen worden; daher schienen ihnen ihre alten Götter weniger mächtig zu sein, als die Götter der Römer, und so ver­ breitete sich die Anbetung der römischen Götter (und dazu trat bald auch die göttliche Verehrung der Stadt Rom und des Kaisers) im ganzen römischen Reiche. Die Gebildeten aber waren durch das Studium der Philosophie an der Wahrheit des Götterglaubens irre geworden; ja, ein Zeitgenosse Christi fragte (und nicht Pilatus allein, sondern auch viele andere ebenso): „Was ist Wahrheit?" Für ihn gab es nur noch Zweifel, aber keine Wahr­ heit. Aber da nun der Mensch ohne Glauben nicht leben kann, so suchte man nach einem besseren Glauben, als man ihn hatte, und die verschiedensten Gottheiten der verschiedensten Völker fanden im römischen Reiche ihre Ver­ ehrer. Aus der Mischung der Religionen entwickelte sich aber mehr und mehr die Erkenntnis von der wesentlichen Einheit aller Religionen und die Ahnung von der Einheit der Gottheit, welche zwar überall verschiedene Namen habe, aber doch überall dieselbe sei. Auf diesen einen Gott wies auch die Philosophie in ihren verbreitetsten Schulen hin, wenn auch die Philosophen darauf verzichteten, ihre tiefere Gotteserkenntnis zu einem Gemeingut des Volkes zu machen. Und einen einzigen Gott verehrte ja überdies ein zwar an Zahl geringes, aber im römischen Reiche weit verbreitetes Volk, das jüdische, dessen Synagogen in vielen Heidenstädten bestanden und auch den Heiden offenstanden; Tausende derselben nahmen, ohne ganz Juden zu werden, doch den Glauben an den einen Gott an, und so war die Predigt der Jünger Jesu von dem einen Gotte auch für die Heiden nicht mehr eine so fremde Sache, wie sie es einige Jahrhunderte vor­ her gewesen wäre. So waren in religiöser Beziehung die Völker auf den neuen Glauben wohl vorbereitet. d. Eine zweite Macht, welche das Leben der Völker beherrscht, ist die Sitte; auch hier wäre es dem Christentum schwer geworden, den Sieg davonzutragen, wenn die heidnische Sitte noch in alter Macht die Völker beherrscht hätte. Doch auch hier hatte die Philosophie dem Christentum vor­ gearbeitet, indem sie die ganze alte Lebensanschauung erschüttert und um­ gestaltet hatte. Reichtum und Ehre, Familie und Staat hatten einst dem Griechen und Römer als die höchsten Güter gegolten; der Philosoph ver­ achtete die irdischen Güter, fragte nichts nach weltlicher Ehre, hielt nichts von der Ehe und war gleichgültig gegen den Staat; der Philosoph strebte nach der Tugend, und sein Ideal war der Weise; der Staat, den er begehrte, war auf Erden so wenig zu finden, wie der Weise, den er verherrlichte — das waren Ideale, denen auf Erden nichts entsprach. Und die Tugend, die der Philosoph lehrte, war eine Forderung für alle Menschen, die von ihm geforderte Liebe sollte alle Menschen umfassen. So war es kein

1. (1.)

Heidentum und Judentum um die Zeit von Christi Geburt.

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Wunder, daß den alten Christen die Philosophen vielfach als Christen er­ schienen, daß andere sie wenigstens den Propheten der Juden als Vorläufer und Wegbereiter für Christus gleichstellten; sie haben in der That, auch auf dem Gebiete der Sitte (wie auf dem der Religion), dem Christentum den Weg bereitet.

6. Die dritte Macht aber, welche die Völker beherrschte, und welche Glauben und Sitte selber stützte und von diesen wieder gestützt wurde, war der Staat. Das Christentum hätte einen schweren Stand gehabt, wenn es noch hätte mit den einzelnen Völkern ringen müssen, welche vor dem Römerreich bestanden; das war nicht mehr nötig. Als Christus auftrat, war die alte Völkerwelt geeinigt im römischen Reiche, und in diesem herrschte damals der erste Kaiser, Augustus. Was Alexander der Große im Westen angebahnt hatte, war nun für den Westen und Osten der Länder ums Mtttelmeer erreicht: sie gehorchten insgesamt dem Worte eines einzigen Herrschers. Mehrere Jahrhunderte empfanden die Völker diese Vereinigung unter einem Scepter als eine große Wohlthat; Friede und Ruhe waren nun gesichert, nur an den Grenzen gab es noch Kriege; die materiellen Interessen wurden gefördert, Verkehr und Handel konnten ungehindert ge­ deihen; eine oder zwei Sprachen, Latein und Griechisch, genügten, um sich überall verständlich zu machen; schöne Straßen, zunächst für die Soldaten gebaut, kamen ebenso dem Kaufmann und dem Reisenden zu gute; die Meere waren von Seeräubern gereinigt und die Schiffahrt verband leicht die entlegensten Länder und Städte. So war es damals nicht mehr so schwer, wie einstmals, zu allen Völkern zu gehen und ihnen das Evan­ gelium zu verkündigen, und wenn das Christentum ein Gottesreich gründen wollte, so war dieser Gedanke der Einigung aller Völker im römischen Weltreiche ja bereits in äußerer Weise (wenn auch nicht für alle Völker) verwirklicht. So war auch in staatlicher Beziehung die Welt wohl vorbereitet für die Gründung des Gottesreiches. Das einige römische Weltreich wurde nach Gottes Ratschluß ein Mittel für die Gründung des einigen Gottes­ reiches, durch welches den Völkern eine neue Religion und Sittlichkeit ge­ bracht wurde. B. Das Judentum.

a. Das Heil kommt von den Juden — dieses Wort Christi wird von der Weltgeschichte bestätigt. Mitten unter den Heiden mit ihrer Viel­ götterei lebte ein zwar nur kleines, aber mehr und mehr sich auch unter den Heiden ausbreitendes Volk, welches nur einen Gott anbetete und noch dazu, zum großen Staunen der Heiden, ohne ein Bild seines Gottes zu be­ sitzen. Aber dieses Volk hatte seine politische Selbständigkeit verloren und mußte sich das Joch der herrschenden Weltvölker, zuletzt der Römer, gefallen laffen. Doch mit der Freiheit verlor es nicht seinen Glauben, ja die nähere Berührung mit dem Götzendienste befestigte die Juden erst recht in ihrer Religion. Diese Richtung auf strenges Festhalten am alten Glauben und an der alten Lebensweise war nicht bloß die des niederen Volkes, sondern auch der Gelehrten, die in den nach dem Exil entstandenen Synagogen die heilige Schrift auslegten; die Anhänger dieses strengen Judentums bekamen seit der Zeit der Makkabäer den Namen Pharisäer, und die meisten Schrift­ SA

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Heidentum und Judentum um die Zeit von Christi Geburt.

gelehrten waren Pharisäer; auf ihrem Standpunkte steht der in den nächsten Jahrhunderten nach Chr. entstandene Talmud, an den sich noch heute die strengen Juden halten. Gegenüber den Pharisäern standen als freisinnige Partei die Sadducäer, welche sich nur an die Bibel hielten und die Satzungen der Pharisäer verwarfen. Eine dritte, wenig zahlreiche Partei, die Essener, lebte in einer Art von Klosterleben, für sich abgesondert, ohne doch mit dem Wesen des Judentums gebrochen zu haben. Dagegen galten die Samariter dem Juden für schlimmer als die Heiden. Aber wie sehr auch die Masie des Volkes an dem alten Glauben festhielt, so war doch auch unter ihnen wahre Frömmigkeit wenig zu finden, und der Apostel Paulus ruft, nachdem er die Sittenlosigkeit der Heiden dargelegt hat, auch dem Volk Israel zu: „Du rühmst dich des Gesetzes und schändest Gott durch Übertretung des Gesetzes; Juden und Heiden, sie sind beide unter der Sünde." b. Seit dem Untergange der beiden Reiche waren die Juden über die ganze Welt zerstreut, und nur ein Teil von ihnen war wieder in die Heimat zurückgekehrt. Im ganzen römischen Reiche gab es zur Zeit Jesu kaum eine bedeutendere Stadt, wo es nicht eine jüdische Gemeinde und eine oder mehrere Synagogen gegeben hätte; denn mitten unter den Heiden hielten die Juden zähe an ihrem Glauben fest, und während andere aus­ ländische Religionen verboten waren, wurde von Julius Cäsar den Juden freie Religionsübung gewährt. Je länger nun die Juden unter den Heiden lebten, desto mehr wurden sie auch von der griechischen Bildung berührt, und die großen Dichter und Weisen der Griechen mußten auch auf die Juden einen gewaltigen Eindruck machen. Aber wie verhielt sich nun die griechische Weisheit zum A. T.? Diese Frage beschäftigte mehr und mehr die forschenden Israeliten, und bald bildete sich in Alexandria, einem Mittel­ punkte griechischer Bildung und einem Wohnsitz vieler Juden, eine Richtung des Judentums, welche griechische Philosophie und biblischen Glauben zu vereinigen suchte. Dieses Streben begann damit, daß man die h. Schrift in das damalige Griechisch übersetzte, und indem dasselbe zu diesem Zwecke vielfach umgestaltet werden mußte, entstand der hellenistische Dialekt, dessen sich die Apostel später bedienten und mit dem sie überall verstanden wurden, namentlich da, wo mit dem Judentum auch schon die griechische Bibel Verbreitung gefunden hatte. Sodann aber führte dieses Streben dazu, die h. Schrift nicht in buchstäblicher, sondern in allegorischer Weise auszulegen, da man ja sonst im A. T. die griechische Weisheit nicht nach­ weisen konnte. Diese Auslegungsart hat Jahrhunderte lang unter Juden und Christen geherrscht, und erst die neuere Zeit ist zur buchstäblichen Aus­ legung der h. Schrift zurückgekehrt (ein Beispiel jener Auslegung: Ga­ later 4, 21-31). c. Aber noch wichtiger war es, daß auch die Heiden vom Judentum berührt wurden. Zwar die große Menge fühlte sich von den Juden ab­ gestoßen, aber bei der allgemeinen Neigung zu fremdem Götterdienste und bei dem allgemeinen Elend der niederen Klaffen in dieser Zeit fühlten sich doch viele Heiden, namentlich Handwerker, Sklaven und Frauen, zum jüdischen Glauben hingezogen. Und wenn auch nur wenige Heiden geradezu über­ traten, so besuchten doch andere regelmäßig die Synagogen, entsagten dem Götzendienst und unterwarfen sich einigen jüdischen Satzungen, welche ihnen auferlegt wurden, um für den Juden Verkehr und Gemeinschaft mit ihnen

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Heidentum und Judentum um die Zeit von Christi Geburt.

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möglich zu machen. Aber auch diejenigen Heiden, welche von den Juden nichts wissen wollten, staunten doch die merkwürdige Religion dieses Volkes an und vernahmen von der auch von den damaligen Juden festgehaltenen messianischen Weissagung, welche auch unter den Heiden bekannt geworden war, daß aus Judäa ein neues Weltreich erstehen und ein Herr der ganzen Welt ausgehen solle. Und das war keine eitle Hoffnung!

2. (1.) Das Christentum. a. Um die Zeit von Christi Geburt waren alle Völker ums Mittel­ meer unter dem Kaiser Augustus vereint im römischen Reiche und die ver­ schiedensten Völker waren mit einander verbunden durch die sie umschlingende römische Herrschaft und die sie immer mehr durchdringende griechisch-römische Bildung. Diese äußere Vereinigung der Völker erleichterte dem Christentum äußerlich die allgemeine Verbreitung im ganzen römischen Reiche. Und auch innerlich war die heidnische Welt für die Aufnahme des Christen­ tums vorbereitet; der alte Glaube genügte den Völkern nicht mehr, und ihr Verlangen war auf eine neue Offenbarung gerichtet, darum haben sich die Heiden so schnell dem Christentum zugewandt. Aber aus den: Heidentum hat sich das Christentum nicht entwickelt; das Heidentum beruht auf der natürlichen Entwickelung der menschlichen Anlage zur Religion, diese natürliche Entwickelung hat aber die Menschen nicht zum Christentum geführt. b. Dem Heidentum steht gegenüber das Judentum, und nicht einmal das Judentum hat sich aus dem Heidentum von selbst entwickelt, sondern dasselbe ist durch eine besondere Wirksamkeit Gottes in einem Volke, durch Offenbarung, begründet worden. Die heilige Geschichte zeigt, wie sich Gott in diesem Volke immer vollkommener geoffenbart hat. Aber nicht einmal aus dem Judentum hat sich das Christentum von selbst entwickelt; die ohne Offenbarung eingetretene bloß menschliche Weiterentwickelung des Judentums hat zum Pharisäismus geführt, auf welchem das heutige Judentum beruht. c. Das Christentum beruht also auf dem Judentum, aber es ist nicht die menschliche Weiterentwickelung des Judentums, sondern es ist die Voll­ endung der Offenbarung. Nachdem vor Zeiten Gott manchmal und mancherlei Weise zu den Juden durch Moses und die Propheten geredet hat, hat er zuletzt zu allen Menschen durch seinen Sohn geredet, der nicht bloß ein Knecht Gottes war, wie die Propheten, sondern ein Sohn Gottes, der von sich sagen durfte: „Wer mich siehet, der siehet den Vater", in welchem sich Gott aufs vollkommenste geoffenbart hat. Die Vollendung der Offen­ barung sehen wir mit Recht im Christentum, und keine andere Religion wird jemals über das Christentum hinauskommen.

3.

Die Geschichte der christlichen Kirche.

Die persönliche Wirksamkeit Jesu hatte sich auf das jüdische Volk be­ schränkt, aber sein Augenmerk war auf die ganze Welt gerichtet; so ist denn das Christentum nicht eine Volksreligion, sondern eine Weltreligion ge­ worden. Wie sich nun das Christentum geschichtlich entwickelt hat, zeigt die

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Die Geschichte der christlichen Kirche.

Kirchengeschichte, indem sie die Geschichte des Christentums von der Zeit seiner Gründung bis zur Gegenwart darstellt. Die Kirchengeschichte zerfällt aber, wie alle Geschichte, in Perioden, und zwar in drei Zeitabschnitte. Die erste Periode umfaßt das Christen­ tum unter den alten Völkern; die zweite Periode stellt das Christen­ tum (besonders die katholische Kirche) des Mittelalters dar; die dritte Periode umfaßt die Kirchengeschichte von der Reforma­ tion bis zur Gegenwart. Diese letzte Periode ist in diesem Buche zeitlich zusammengefaßt, aber bei ihrem größern Umfange sachlich in drei Abschnitte zerlegt, indem zunächst dargelegt wird, die Begründung der evangelischen Kirche im Zeitalter der Reformation und der Kampf um den Bestand des evangelischen Glaubens von der Reformation bis zur Gegenwart; sodann die innere Ge­ staltung und Entwickelung der evangelischen Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart; endlich die Entwickelung der katholischen Kirche und der christlichen Kirche im allgemeinen von der Reformation bis zur Gegenwart. Alle drei Abschnitte umfasien stets die Zeit von der Reformation bis zur Gegenwart und bilden also zusammen ein Ganzes, die dritte Periode der Kirchengeschichte, die Geschichte der Kirche von der Reformation bis zur Gegen­ wart.

Erster Abschnitt. Aas Kbristentum unser den alten Möskern, Vorbemerkung für den Lehrer. Der Unterricht in der Kirchengeschichte schließt sich in der Schule am besten an die Lektüre der Apostelgeschichte an. Wenn nun die erste Auflage dieses Buches zu diesem Zwecke den Inhalt der Apostelgeschichte in einem besonderen Abschnitte zu­ sammenfassend dargelegt hat, so ist in dieser zweiten Auslage (da eine besondere Darstellung des Inhalts der Apostelgeschichte nunmehr in des Verfassers „heiliger Geschichte" vorliegt) die Zeit der Apostel mit der Folgezeit zusammengefaht worden zu einem Bilde der Geschichte des Christentums unter den alten Völkern. Dieser Abschnitt der Kirchengeschichte zeigt nun zunächst, wie unter den Juden und den Heiden (den alten Völkern) eine christliche Kirche begründet worden ist; sodann, wie sich dieselbe in den Hauptbeziehungen ihres Lebens gestaltet und ent­ wickelt hat, und endlich, wie weit diese alte Kirche in der morgenländischen Kirche noch heute besteht. Der ganze Abschnitt hat für die Schule hauptsächlich die Bedeutung, den Schüler die alte Kirche als den Ausgangspunkt für das Christentum in unserm Volke und zu unserer Zeit erkennen zu lassen; es ist deshalb alles übergangen, was für die Gegenwart gar keine Bedeutung mehr hat.

L Aie Wegründung des Khristeuturus unter den asten Möskern; der Sieg des KHristentums; der Untergang des Keidentums. 4. (2.) Die Begründung des Christentums unter den Juden durch den Apostel Petrus; die Verfolgung der Gemeinde; die Aus­ breitung des Christentums. ». Als Jesus nach der Himmelfahrt von seinen Jüngern für immer geschieden war, da warteten dieselben, gehorchend seinem Gebote, nicht nach ihrer Heimat zurückzukehren, sondern in Jerusalem zu bleiben, daselbst auf die Erfüllung der Verheißung, mit welcher er sie über seinen Weggang getröstet hatte. Als nun das jüdische Pfingstfest herannahte, da waren die zwölf Apostel (an des Judas Stelle war inzwischen Matthias getreten) nebst den andern Anhängern Jesu, etwa 120 Seelen, einmütig bei einander, und unter

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Die Begründung des Christentums unter den Juden re.

wunderbaren Zeichen wurden sie voll des heiligen Geistes, der ihnen Mut und Kraft verlieh, aus der Verborgenheit, in der sie sich bisher gehalten hatten, herauszutreten vor die jüdische Festversammlung, und Petrus, der bedeutendste unter den Zwölfen, trat vor die Juden mit der furchtlosen Predigt: Jesus von Nazareth, den ihr ans Kreuz geschlagen habt, ist von Gott auferweckt und dadurch als der verheißene Messias erwiesen worden, und es hat sich erfüllt, was der Prophet Joel von der Ausgießung des heiligen Geistes über ganz Israel geweissagt hat. Und trotz manchen Spottes glaubten 3000 Israeliten der Predigt des Petrus, und sie ließen sich taufen auf den Namen Jesu Christi, und so war durch Petrus die erste größere Christengemeinde in der Welt, die Gemeinde zu Jerusalem, begründet worden, und „die eigentliche Kirchengeschichte hebt an mit dem Moment, als die von Jesus gegründete Gemeinschaft sich erkennt und öffentlich verkündet." *) b. Da sich nun die ersten Christen, obwohl sie an Jesum als den von Gott gesandten Messias glaubten, von dem alten Gottesvolke doch nicht gänzlich trennten und noch bei allen Sitten und Satzungen des Judentums blieben, so wurden sie von den Juden zunächst wenig beachtet und deshalb geduldet. Bald aber erregte die Predigt von dem gekreuzigten und auf­ erstandenen Jesus doch Aufsehen, und die jüdische Obrigkeit wollte diese Predigt unterdrücken, da sie mit einem schweren Vorwurf für die Führer des Volkes verbunden war. Aber Petrus und Johannes predigten auch den Obersten des Volkes furchtlos von dem Messias, den sie in Jesus von Nazareth erkannt hatten, und erklärten: „Man muß Gott mehr gehorche:: denn den Menschen." Aber wenn die Apostel aus dem Gefängnis, in welches sie geworfen worden waren, bald wieder entlaffen wurden, so wurde doch bald darauf Stephanus als Lästerer wider den Tempel Gottes und das Gesetz Mosis als der erste Märtyrer gesteinigt (um das Jahr 35), und nach einigen Jahren (44) durch den damaligen Landesherrn Herodes Agrippa einer der Apostel, Jakobus, der Bruder des Johannes, enthauptet, während es Petrus gelang, aus dem Gefängnis zu entfliehen. Als nach Agrippa's Tode wieder römische Statthalter das heilige Land regierten, hatten die Christen Ruhe, und die Gemeinde in Jerusalem entwickelte sich weiter unter der Leitung der Apostel, und als diese Jerusalem verließen, unter der Leitung eines Bruders des Herrn, Namens Jakobus (den wir aus seinem Briefe kennen), der später allerdings von den Juden gesteinigt worden ist (63). c. Aber die Verfolgung, welche über die Gemeinde kam, hat nur dazu beigetragen, den neuen Glauben um so weiter zu verbreiten. Schon nach dem Tode des Stephanus flohen viele Christen aus Jerusalem und verkündigten an anderen jüdischen Orten ihren Glauben; doch ist schließlich nur ein geringer Teil des jüdischen Volkes zum Christentum übergetreten. Ja, gar bald begann die neue Religion die Schranken des Judentums zu überschreiten; die Samariter, von den Juden als schlimmer denn die Heiden angesehen, nahmen dieselbe an*2), und Petrus, der Begründer des *) Hase, Kirchengesch. auf der Grundlage akademischer Vorlesungen I, g 8 fin. 2) Unter den Samaritern ist der Zauberer Simon bekannt geworden durch seine Bitte an Petrus, ihm für Geld die Macht zu geben, den heil. Geist nach Art der Apostel in wunderbarer Weise verleihen zu können. Von ihm hat das Mittelalter den Namen Simonie entlehnt; vgl. Nr. 33 b.

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Die Begründung des Christentums unter den Juden rc.

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Christentums unter den Juden, wurde auch der Begründer desselben unter den Heiden, indem er einen Heiden mit seinem ganzen Hause, den römischen Hauptmann Cornelius in Cäsarea, zu taufen wagte und diesen auffallenden Schritt vor der Gemeinde von Jerusalem zu rechtfertigen wußte. Doch galt das nur als eine Ausnahme; daß nun alle Heiden Christen werden dürften, das glaubten damals weder die anderen Christen, noch die anderen Apostel, noch auch Petrus selber; dies Werk zu beginnen, blieb einem anderen Manne vorbehalten.

5. (3.) Die Verbreitung des Christentums unter den Heiden durch den Apostel Paulus. a. Wenn auch das Christentum aus dem Judentum hervorgegangen war, und die ersten Christen sich von den Juden nur durch den Glauben an Jesum als den Messias unterschieden, so war es doch die Auf­ gabe des neuen Glaubens, diese Schranke zu durchbrechen und zur Re­ ligion all er Völker zu werden, und auch diese Aufgabe ist schon dem aposto­ lischen Zeitalter zugefallen. Jede geistige Bewegung aber, wenn sie zum Siege durchdringen soll, erfordert einen Mann, der es sich zur Lebensaufgabe macht dieselbe durchzuführen, und ebenso braucht sie einen Ort, wo sie zu­ nächst Fuß fassen und von wo aus sie sich ausbreiten kann. Der Mann, der diesen Gedanken der Erhebung des Christentums über die Schranken des Judentums erfaßt und durchgeführt hat, ist der Apostel Paulus; der Ort seiner Wirksamkeit ist die große Stadt Antiochia in Syrien, nächst Rom und Alexandria die größte Stadt des römischen Weltreichs. Was Petrus in Jerusalem begonnen, das hat Paulus in Antiochia weitergeführt. Als Stephanus gesteinigt wurde, legten nämlich die Zeugen ihre Kleider ab zu den Füßen eines Jünglings, Namens Saulus, und Saulus hatte Wohlgefallen an des Stephanus Tode. Dieser Jüngling stammte aus der Stadt Tarsus in Cilicien, hatte sich in Jerusalem zum Gesetzeskundigen ausgebildet und war ein eifriger Pharisäer geworden. Obwohl sein Lehrer Gamaliel von den Christen zu seinen Genossen gesagt hatte: „Ist der Rat oder das Werk aus den Menschen, so wird es untergehen; ist es aber aus Gott, so könnt ihr es nicht dämpfen; darum laßt ab von diesen Menschen, auf daß ihr nicht erfunden werdet als die wider Gott streiten" — so be­ gann dennoch sein Schüler nach des Stephanus Steinigung, von Glaubens­ eifer beseelt, die Christen zu verfolgen und Männer und Weiber ins Ge­ fängnis zu führen. Ja, er ließ sich sogar vom Hohenpriester nach Damaskus schicken, um mit Hülfe eines dort herrschenden judenfreundlichen Fürsten auch die dortige Christengemeinde zu verfolgen. Da wurde durch eine wunderbare Bekehrung aus dem Verfolger der Christen plötzlich ein begeisterter Anhänger Christi und ein feuriger Prediger des neuen Glaubens, der zum Staunen der Juden von Jesu als dem Messias predigte, und da er sich mit Recht als von Christus selbst berufen betrachtete, sich als Apostel ansah. Der Wut der Juden über seinen Abfall von ihrem Glauben sich durch eine gefährliche Flucht (im Korbe über die Stadtmauer) entziehend, begab er sich nach Jerusalem, von wo er aber gleichfalls bald fliehen mußte; in seiner Heimat, in Tarsus, hoffte er Ruhe und Sicherheit zu finden. Und schon war für dieses auserwählte Rüstzeug Gottes, der das

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Die Verbreitung des Christentums unter den Heiden rc.

Christentum unter die Heiden tragen sollte, die Stätte seiner Wirksamkeit bereitet. Als Stephanus getötet und die Gemeinde verfolgt wurde, flohen einige Christen nach Antiochia und predigten daselbst von Jesus nicht bloß unter den Juden, sondern auch unter den Heiden, und eine große Zahl der­ selben ward gläubig, und so entstand hier die erste Christengemeinde aus den Heiden. Da lernten nun auch die Heiden den neuen Glauben von dem der Juden unterscheiden, und fie gaben seinen Anhängern den Namen Christianer, d. h. Anhänger Christi, während die Juden dieselben Nazarener, die Christen selber sich Brüder oder Gläubige nannten. Aber die Ge­ meinde in Jerusalem hörte mit Staunen, daß in Antiochia sich eine Christen­ gemeinde aus Heiden gebildet hatte, welche natürlich das mosaische Gesetz nicht hielten, und beschloß deshalb, einen angesehenen Mann aus ihrer Mitte, Namens Barnabas, nach Antiochia zu senden, der untersuchen sollte, ob man die neuen Christen als Glaubensbrüder betrachten dürfe. Barnabas war freisinnig genug zu erkennen, daß es für den Christen nicht darauf ankomme, ob er das mosaische Gesetz halte, und er erklärte die neuen Christen für rechtgläubige Brüder, und blieb sogar selber in Antiochia, weil er erkannte, daß sich hier für das Christentum eine große Thür aufthue. Als er nun bald dem Werke der Predigt allein nicht mehr genügen konnte, so sah er sich nach einem Gehülfen um, der ihm bei diesem Werke zur Seite stände. Da er nun in Jerusalem den Paulus kennen gelernt hatte und von ihm erwartete, daß er für die Aufgabe, unter den Heiden zu predigen, geschickt und geneigt sein werde, so begab er sich nach Tarsus, um Paulus nach Antiochia zu holen. Paulus folgte seiner Aufforderung, und beide Männer predigten fortan in Antiochia, und immer größer wurde die erste Christengemeinde unter den Heiden. b. Nach einiger Zeit aber wurden Barnabas und Saulus, der sich seitdem nicht mehr mit dem jüdischen Namen „Saulus", sondern mit dem heidnischen Namen „Paulus" nannte (nach damaliger Sitte nahmen die Juden für den Verkehr mit den Heiden meist noch einen heidnischen Namen an), von der Gemeinde ausgesandt, um auch unter den anderen Heiden das Evangelium zu predigen. Von Johannes Marcus (der später das Evangelium geschrieben hat) begleitet, begaben sie sich zunächst nach Cypern, der Heimat des Barnabas; als sie sich aber von hier aus nach den südöstlichen Landschaften Kleinasiens (Pamphylien, Pisidien und Lykaonien) begaben, ließ Marcus sie im Stich, und sie reisten allein weiter. Sie predigten immer zuerst in den Synagogen, um die Juden für den neuen Glauben zu gewinnen; da diese aber in der Mehrzahl ihre Predigt abwiesen, so wandten sie sich alsdann zu den Heiden, und es gelang ihnen, trotz mancher Verfolgung durch Juden und Heiden mehrere Gemeinden zu gründen (Antiochia in Pisidien, Jkonium, Lystra und Derbe), welche sie bei ihrer Rückkehr auf demselben Wege zu treuem Festhalten am Glauben ermunterten. Ohne Cypern zu berühren, kehrten sie alsdann von dieser er st en Missionsreise nach Antiochia in Syrien zurück. c. Nach einiger Zeit*) unternahm Paulus eine zweite Missions­ reise; da Barnabas auf der Mitnahme des Johannes Marcus bestand, so trennte sich Paulus von ihnen und reiste in Begleitung eines anderen Ge*) In diese Zwischenzeit fällt das Apostelconcil; vgl. unten Nr. 7 a.

5. (3.)

Die Verbreitung des Christentums unter den Heiden rc.

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hülfen, Silas aus Jerusalem, dem sich später noch Timotheus aus Lystra und Lucas, der Verfasser der beiden bekannten Schriften des N. T., an­ schlossen, zunächst zu seinen alten Gemeinden; dann aber ging er nach Europa, wo er in Macedonien und Achaja mehrere neue Gemeinden gründete (na­ mentlich Philippi, Thessalonich und Korinth); nach einem längeren Aufent­ halte in Korinth kehrte er alsdann nach Antiochia zurück. So war auf der zweiten Missionsreise das Christentum auch in Europa begründet worden. Auf einer drittenMissionsreise, die Paulus später noch unternahm, hat er wieder seine alten Gemeinden in Asien und Europa besucht und neue gegründet, namentlich hat er sich auf dieser Reise in Ephesus lange Zeit aufgehalten, und damit auch Kleinasien (die damalige römische Provinz Asien) dem Christentum erschlosien.

6. (4.) Paulus in Jerusalem und in Cäsarea; Paulus und Petrus in Rom. a. Nachdem Paulus (wohl im Jahre 35) bekehrt worden war, hat er zunächst siebzehn Jahre lang (bis zum Jahre 52) nur in einem engeren Kreise gewirkt, in Antiochia und in dem südöstlichen Kleinasien; seit dem Religions­ gespräch von Jerusalem (52) dehnt sich seine Wirksamkeit in einer viel kürzeren Zeit, in etwa sieben Jahren, über ein viel größeres Gebiet aus, so daß er am Ende dieser Zeit (im Jahre 59) die römischen Provinzen Galatien, Macedonien (Philippi und Thessalonich), Achaja (Korinth) und Asien (Ephesus) als in ihren Hauptorten mit dem Christenglauben bekannt betrachten darf. Aber während er daran gedacht hatte, nunmehr seine Wirksamkeit noch weiter nach Westen auszudehnen und über Rom, wo ihm sein dahin geschriebener Brief eine freundliche Aufnahme verschaffen sollte, nach Spanien zu gehen, fügte es Gott, daß er in Jerusalem gefangen genommen und nur als Gefangener nach Rom gebracht wurde: es war ihm nicht beschieden, das zu werden, wozu er sich berufen fühlte, zum Apostel für alle Heiden — diese Aufgabe konnte ja auch ein einzelner Mann nicht lösen. b. Als nämlich Paulus auf der Rückkehr von seiner dritten Missions­ reise nach Jerusalem kam, wurde er von den Juden, die ihn im Tempel er­ blickten, beschuldigt, er habe Heidenchristen, mit denen er in der Stadt ge­ sehen worden war, in den Tempel geführt und so denselben entweiht. Des­ halb erhob sich im Tempel ein Tumult, in welchem Paulus von den erbitterten Juden totgeschlagen worden wäre, wenn ihn nicht die römische Wache gerettet hätte. Seiner Sicherheit wegen wurde er von dem Befehls­ haber der Wache nach Cäsarea geschickt, damit der Statthalter Felix in dieser eigentümlichen Sache entscheide. Zwei Jahre aber vergingen, ohne daß es zur Entscheidung kam; ja, der Statthalter hinterließ bei seinem Abgang den Gefangenen für seinen Nachfolger Festus zur Aburteilung. Als sich vor diesem nun Paulus, der das römische Bürgerrecht besaß, seinem Rechte ge­ mäß auf die Entscheidung des kaiserlichen Gerichtes berief, wurde er nach Nom geschickt, wo er endlich nach einer langen, gefährlichen Seereise anlangte. Hier durfte er sich bis zur Entscheidung seiner Sache, die sich zwei Jahre hinzog, unter Aufsicht eines römischen Soldaten frei bewegen und mit Freunden und Gemeinden mündlich und schriftlich frei verkehren, und er

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Puulus in Jerusalem und in Cäsarea; Paulus rc.

„predigte auch in Rom vom Reiche Gottes und lehrte von dem Herrn Jesu mit aller Freudigkeit unverboten." 6. Die Apostelgeschichte schließt nun mit der Bemerkung, daß Paulus als Gefangener in Rom zwei Jahre lang daselbst ungehindert das Evangelium verkündigt habe; was darauf geschehen sei, berichtet sie nicht. Über den Aus­ gang des Lebens des Apostels giebt es aber seit alter Zeit zwei verschiedene Meinungen. Einige sagen, Paulus sei nach den zwei Jahren wieder frei gelassen worden, habe darauf noch größere Reisen gemacht, auf denen er seine alten Gemeinden besucht und neue gegründet, habe noch mehrere Briefe geschrieben und sei endlich, zum zweiten Male gefangen genommen, in Rom als Märtyrer gestorben. Andere dagegen glauben, und vielleicht mit mehr Recht, Paulus sei nach den zwei Jahren ums Leben gekommen, entweder vom kaiserlichen Gericht zum Tode verurteilt, oder zugleich mit den vielen anderen Christen, die der Kaiser Nero nach dem großen Brande von Rom als angebliche Brand­ stifter töten ließ. Im Jahre 64 nämlich, unter der Regierung des durch seine Grau­ samkeit berüchtigten Kaisers Nero, brach einst plötzlich in Rom Feuer aus, und verbreitete sich mit rasender Schnelligkeit bald über mehrere Stadtteile, und da es sechs Tage und sieben Nächte hindurch wütete, so wurden drei Viertel der Stadt vernichtet. Als das Volk den Kaiser beschuldigte, den Brand selber angestiftet zu haben (seine Schuld läßt sich nicht erweisen), so wälzte er die Schuld auf die Christen, deren sonderbares Wesen sie dein Volke bereits verdächtig gemacht hatte. Nunmehr wurden dieselben aufgespürt und ergriffen; ihre Schuld konnte freilich nicht erwiesen werden, aber sie waren angeblich Feinde aller Menschen, und das genügte, um sie zu töten. Viele wurden gekreuzigt, andere wurden in die Felle wilder Tiere genäht, um von Hunden, die man auf sie hetzte, zerrissen zu werden; andere wurden am ganzen Körper mit Pech und Teer be­ strichen, in den Gärten des Kaisers an Pfähle gebunden und mußten dann als Fackeln die Gärten erleuchten. Zur Feier dieser Schandthaten gab der Kaiser noch dem Volke ein großes Schauspiel in seinen Gärten; aber sogar das wilde und rohe römische Volk empfand Mitleid mit den unschuldig ge­ opferten Christen. Der Kaiser starb nach vier Jahren; aber die Christen sagten, er sei nicht gestorben, sondern er habe sich über den Euphrat zurück­ gezogen und werde als der Antichrist wiederkommen. d. Zu den Opfern der Neronischen Verfolgung gehörte vielleicht auch der damals gefangene Paulus; die katholische Kirche zählt dazu auch den Petrus, obwohl sie ihn erst im Jahre 67 gestorben sein läßt. Über dessen spätere Wirksamkeit erzählen nämlich spätere, aber ganz unbegründete Sagen folgendes: Als Petrus aus dem Gefängnis in Jerusalem (Ap. Gesch. 12) befreit worden war, ging er zunächst nach Antiochia, wo zwar schon längst eine Christengemeinde bestand, aber noch ohne einen Bischof an ihrer Spitze zu haben; das wurde Petrus auf einige . Zeit; bei seinem Weggange setzte er einen Nachfolger ein, der natürlich des Apostels Untergebener blieb; aber als Nachfolger des Petrus war doch der Bischof von Antiochia seitdem der erste Bischof in ganz Asien, und er führte deshalb den Titel eines Patriarchen.

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Paulus in Jerusalem und in Cäsarea; Paulus rc.

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Für Afrika gründete Petrus später von Nom aus den Patriarchenstuhl von Alexandria, wohin er seinen Schüler Marcus als Herrscher über die Kirche geschickt hatte. Petrus selbst war nämlich nach Rom gegangen, wo er vom Jahre 42 bis 67, also 25 Jahre lang, Bischof der ganzen Kirche in Europa, Asien und Afrika gewesen ist. Doch hat er von Rom aus auch noch manche Reisen unternommen, in welcher Zeit dann ein Stellvertreter des Petrus die Kirche regierte. Als er im Jahre 67 starb, hinterließ er seinem Nach­ folger die Würde des Oberhirten der ganzen Kirche, und so hat es denn seit Petrus der Kirche niemals an einem Papste gefehlt. Diese ganze Darstellung von der späteren Wirksamkeit des Petrus er­ scheint aber den Evangelischen als völlig ungeschichtlich; wir haben höchstens Kunde von einem kürzeren Aufenthalt des Petrus in Rom; etwas besser ist es bezeugt, daß er daselbst gestorben ist. e. Als Paulus in Nom gefangen war, soll nämlich nach der Sage auch Petrus, der gerade in dieser Zeit wieder von einer Missionsreise in Rom anlangte, ins Gefängnis geworfen worden sein. Es gelang ihm zu ent­ fliehen; schon hatte er glücklich das Thor durchschritten, da erblickte er Jesum, der ihm entgegenkam. Staunend fragte Petrus: „Herr, wohin gehst ®u?" Jesus erwiderte: „Nach Rom, um mich noch einmal kreuzigen zu lassen." Da schämte sich der Jünger seiner Flucht und sagte: „Dann will ich um­ kehren, um mit Dir gekreuzigt zu werden." Alsbald verschwand der Herr; Petrus aber kehrte bitterlich weinend ins Gefängnis zurück; mutig sah er jetzt dem Tode entgegen. Am Tage der Hinrichtung wurde vor ihm seine Frau, die ihn auf seinen Reisen stets begleitet hatte, zum Tode abgeführt; als sie bei ihm vorüberging, forderte er sie noch auf, des Herrn Jesu ein­ gedenk zu bleiben; bald darauf wurde auch er getötet. Paulus war nach der Sage, weil er ja römischer Bürger war, mit dem Schwerte hingerichtet worden; Petrus mußte, so heißt es, am Kreuze sterben. Eine spätere Sage fügt noch hinzu, er habe sich mit dem Kopfe nach unten ans Kreuz hängen lassen, da er sich nicht für würdig gehalten habe, ebenso zu sterben wie sein Herr und Meister?) Über der Stätte, wo Petrus vom Kaiser Nero umgebracht sein soll, hat später der Kaiser Constantin eine christliche Kirche erbaut; in derselben hat im Jahre 800 am 25. December sich Karl d. Gr. die Kaiserkrone aufs Haupt setzen lassen. Seit dem 15. Jahrhundert steht an der Stelle dieser alten eine neue Peterskirche, die größte der Welt, in welcher angeblich auch die Gebeine des Apostels Petrus und der mit ihm zugleich getöteten Christen beigesetzt sind. Es ist bekannt, daß gerade an diese neue Peterskirche, die zur Verherrlichung des Papsttums dienen sollte, der Anfang der Reformation geknüpft ist.

’) Vgl. Kinkel's Gedicht: Petrus.

so

7.(8.) Das Christentum im Verhältnis zum Judentum: Judenchristen und Heidenchristen; die Vereinigung in Jerusalem (das Apostel­ concil) und der Streit in Antiochia; das Judenchristentum in der späteren Zeit; die Zerstörung Jerusalems und das Judentum in der späteren Zeit. a. In Jerusalem war die christliche Kirche gegründet worden, und die ersten Christen, aus den Juden gewonnen, hielten auch weiter das mosaische Gesetz. Als sich nun zuerst in Antiochia, und von da aus bald auch an anderen Orten unter den Heiden Gemeinden bildeten, welche das mosaische Gesetz nicht hielten, da erhob sich unter den Judenchristen immer wieder das Bedenken, ob denn diese Christen auch wahre Christen seien, da sie ja das mosaische Gesetz uicht hielten. Und wenn die Heidenchristen daZ Gesetz nicht hielten, mußte es dann nicht dahin kommen, daß auch die Judenchristen das mosaische Gesetz nicht mehr hielten? Wie sollten denn die damals üblichen Liebesmahle der Christen in einer heidenchristlichen Gemeinde gehalten werden, um für den gesetzestreuen Judenchristen gestattet zu sein? War es da nicht doch nötig, um die Judenchristen beim Gesetz festzuhalten, auch den Heiden­ christen das mosaische Gesetz aufzuerlegen? Judenchristen von dieser Ge­ sinnung kamen denn auch bald nach der ersten Missionsreise des Barnabas und Paulus nach Antiochia und brachten durch ihr Auftreten die Gemeinde in Verwirrung. Wegen der deshalb entstandenen Spaltung zogen auf den Beschluß der Gemeinde Paulus und Barnabas nach Jerusalem, um mit den Aposteln und den Vorstehern der Mutiergemeinde der Christenheit sich über diese Frage zu verständigen. Als nun hier in einer Gemeindeversammlung, die man später das Apostelconcil genannt hat, diese Frage verhandelt wurde, drang schließlich die Meinung durch, daß die Heiden das mosaische Gesetz nicht zu halten brauchten; nur sollten sie einige Verpflichtungen auf sich nehmen, wie auch die Juden sie ihren Proselyten auflegten, um den Verkehr zwischen Juden­ christen und Heidenchristen zu erleichtern; sie sollten sich des Götzenopferfleisches enthalten, welches die Heiden beim Opfermahl verzehrten oder auf dem Markte zu kaufen bekamen; sodann sollten sie kein Blut genießen und kein ersticktes Tier, von welchem also das Blut nicht abgelasien ist, esien; endlich sollten sie sich des Ehebruchs enthalten, der ja durch den Götzendienst be­ fördert und bei den Heiden allgemein geduldet wurde. Dieser Beschluß wurde in Antiochia mit großer Befriedigung ausgenommen. Gilt nun diese Fest­ setzung auch noch für uns? Auch noch später haben die Christen geglaubt, sich des Götzenopferfleisches enthalten zu müsien; noch heute verbietet die griechische Kirche den Genuß des Blutes. Dagegen hat die Kirche des Abendlandes diese Festsetzung von Jerusalem nicht mehr beachtet, da es ja heute keine Judenchristen mehr giebt, und nur um ihretwillen war ja dieser Beschluß gefaßt worden; nur das Verbot des Ehebruchs bleibt natürlich für immer in Geltung. b. Als mit diesem Beschlusse die Urapostel den Paulus als ihresgleichen anerkannten und ihm das Recht zugestanden, unter den Heiden weiter zu predigen, ohne daß er ihnen die Verpflichtung auferlege, das mosaische Gesetz zu halten: da wurde aus der bisher getrennten Judenkirche und Heidenkirche

7. (8.)

Das Christentum im Verhältnis zum Judentum: Judenchrifien re.

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die einige, allgemeine christliche Kirche. Doch hat eS auch schon in der nächsten Zeit nicht an Kämpfen um die Einheit der Kirche gefehlt. Durch den Vertrag in Jerusalem waren doch nur die Heidenchristen vom Gehorsam gegen das mosaische Gesetz entbunden worden, für die Judenchristen sollte es in Geltung bleiben; darüber aber, wie es gehalten werden sollte, wenn beiderlei Christen in einer Gemeinde neben einander lebten, war nichts festgesetzt worden; auch das mußte natürlich zur Sprache und zur Ent­ scheidung kommen. In Antiochia, dem Missionsgebiete des Paulus, bildeten nun frühere Juden und Heiden eine Gemeinde, und da die Heidenchristen das mosaische Gesetz nicht hielten, so hielten auch die Judenchristen dasselbe nicht mehr, und Paulus war damit ganz einverstanden. So führte also die weitere Entwickelung von selbst zur Beseitigung des Gesetzes auch für den Judenchristen, und heute finden wir es ja ganz selbstverständlich, daß der Christ werdende Jude sein Gesetz fortan nicht mehr zu halten braucht; nicht so die Zeitgenossen des Paulus. Als nämlich Paulus von Jerusalem wieder nach Antiochia zurückgekehrt war, erschien Petrus daselbst, vermutlich, um die dortige Gemeinde selber kennen zu lernen, und er billigte des Paulus Ver­ fahren zunächst durchaus, und aß gleichfalls mit den Heidenchristen, ohne das mosaische Gesetz noch zu beachten. Als aber bald andere, strengere Juden­ christen aus Jerusalem in Antiochia erschienen und ihm seinen Abfall vom Gesetz zum Vorwurf machten, da wurde Petrus irre an der Berechtigung seines Verhaltens und weigerte sich fortan, mit den Heidenchristen in Tisch­ gemeinschaft zu treten. Da trat ihm Paulus entgegen und wies ihn auf den Widerspruch in seinem Verhallen hin: durch den Glauben an Christus werde der Christ gerecht, nicht durch die Werke des Gesetzes; es genüge also für den Christen, auch für den Judenchristen, der Glaube an Christus, um ein Christ zu sein; das könne auch Petrus nicht bestreiten. Aber Paulus kann (in seinem Briefe an die Galater K. 2) nicht berichten, daß Petrus seiner Mahnung Gehör geschenkt habe; derselbe blieb zunächst bei der Meinung, welche dem Beschluß in Jerusalem zu Grunde lag, daß die Judenchristen das Gesetz nicht aufgeben dürften; dem Heidenchristen sollte dasselbe freilich nicht auferlegt werden. c. In der folgenden Zeit finden wir in Jerusalem an der Spitze der Gemeinde Jakobus, einen leiblichen Bruder Jesu, der im Jahre 62 von den Juden getötet wurde.2) Diese Gemeinde aber hielt nach wie vor fest am mosaischen Gesetze, und wenn auch die Apostel das nicht forderten, so ver­ langten doch andere eifrige Judenchristen, daß auch die Heidenchristen doch noch das mosaische Gesetz auf sich nehmen müßten, und in allen von Paulus gegründeten Gemeinden stellten sich Judenchristen ein, welche von Paulus geringschätzig sprachen und den Heidenchristen die Notwendigkeit des mosaischen Gesetzes zu beweisen suchten (vgl. namentlich den Galaterbrief). Diesen Eiferern war es gewiß sehr erfreulich, daß Paulus, als er mit der seinem Versprechen gemäß (Gal. 2) unter den Heiden für die Judenchristen ge­ sammelten Kollekte nach Jerusalem kam, daselbst in Gefangenschaft geriet und nach Rom geführt wurde. d. Als Jerusalem im I. 70 durch Titus zerstört wurde, bestand die Christengemeinde weiter; nicht einmal die Gemeinde von Jerusalem war l) Vgl. Nr. 8.

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7. (8.)

Das Christentum im Verhältnis zum Judentum: Judenchristen:c.

dabei zu Grunde gegangen, da sie beim Beginn des Krieges Jerusalem verlasien und sich nach Pella im nördlichen Jordanthal begeben hatte. „Was Jesus als Weissagung ausgesprochen: Nicht auf diesem Berge, noch in Jerusalem werdet ihr den Vater verehren — was Paulus in scharfen Schluß­ folgen erwiesen hatte: das war jetzt durch eine erschütternde Thatsache dargethan: das Heiligtum Jehovahs lag in Trümmern. Dem Christen­ tum war jetzt die Wahl gestellt, in kläglicher Hoffnung sauf den kommenden Messias^ fortzuleben mit den Juden, oder statt einer jüdischen Sekte die Religion der Menschheit zu werden."T) Die christliche Kirche hat diese Mahnung verstanden. Zwar hielten auch nach der Zerstörung Jerusalems noch manche Christen am jüdischen Gesetz fest, sei es nur für sich als Juden, oder sei es als Vorschrift auch für die Heidenchristen; die letzteren aber galten später, als die Kirche vorwiegend heidenchristlich geworden war, unter den Christen als eine halbjüdische Sekte, welche man Ebioniten nannte; dieselbe hat noch mehrere Jahrhunderte bestanden, ist aber später gänzlich und für immer verschwunden. Seitdem das Judenchristentum hinter dem Heidenchristentum zurücktrat, gab es nur noch eine Kirche, welche, vom Judentum völlig gelöst, zwar im Alten Testament eine Offenbarung Gottes erkannte, aber das mosaische Gesetz für den Christen nicht mehr als Norm des Lebens betrachtete, sondern ihr Leben regelte nach den Worten ihres Meisters, welche, zuerst mündlich überliefert, später auch schriftlich ausgezeichnet, für Glauben und Leben dem Christen zur Regel und Richtschnur dienten und noch heute dienen. e. Mit dem Untergange Jerusalems ist jedoch das Judentum nicht untergegangen, sondern die Juden hielten auch weiter an ihrem Glauben fest, und dieses Volk mit seiner Religion hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten; aber eine Bedeutung für die christliche Kirche hat das spätere Juden­ tum nicht mehr; das Christentum ist zur Weltreligion geworden, das Juden­ tum lebt nur weiter als Religion eines einzigen Volkes, welches kein Vater­ land mehr hat und einer gemeinsamen Sprache entbehrt, aber zusammen­ gehalten wird durch das Band der Religion. Die jüdische Religion aber ist die menschliche Weiterentwickelung der durch Moses und die Propheten dem alten Gottesvolke zu teil gewordenen Offenbarung; das Christentum dagegen ist die Vollendung der Offenbarung.

8. (5 u. 6.) Der Apostel Johannes und die Einheit der Kirche; die andern Apostel; die Feste der Apostel im kirchlichen Kalender, a. Nachdem Paulus und Petrus vom Schauplatz ihrer Wirksamkeit abgetreten waren, trat an ihre Stelle der Apostel Johannes, welcher nach dem Tode des Apostels Paulus in das Arbeitsfeld desselben in Ephesus eingetreten ist, und durch deffen langdauernde Wirksamkeit (70—100 nach Chr.) in Kleinasien eine Kirche erblüht ist, deren Entstehungsgeschichte wir zwar nicht erzählen können, aber von deren Bedeutung das zweite Jahr­ hundert ein mächtiges Zeugnis ablegt. Mit der Wirksamkeit des Johannes, der in hohem Alter in Ephesus gestorben ist, schließt das Zeitalter der Apostel. Zu seiner Zeit verschwand immer mehr der Gegensatz des Juden­ christentums und des Heidenchristentums, und es bildete sich die eine J) Hase, Kircheng. nach den Vorlesungen I, S. 201.

8. (5. u. 6.)

Der Apostel Johannes und die Einheit der Kirche.

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Kirche, welche zwar auch Judenchristen umfaßte, aber immer mehr eine Kirche der Heidenchristen wurde; welche zwar das Alte Testament als gött­ liche Offenbarung ansah, aber das mosaische Gesetz nicht mehr beobachtete, b. Drei Zeitalter der ältesten Kirche sind uns in der Wirksamkeit des Petrus, Paulus und Johannes entgegengetreten: die Zeit des Judenchristentums, des Kampfes zwischen Heidenchristentum und Judenchristentum, und der geeinigten Kirche; die andern Apostel haben für die innere Entwickelung der Kirche nur eine geringe Bedeutung. Am meisten tritt nächst Petrus, Paulus und Johannes in der Geschichte der alten Kirche noch Jakobus hervor. Drei Männer dieses Namens werden uns im Neuen Testamente aus dem nächsten Kreise, der Jesum umgab, namhaft gemacht. Am wenigsten wissen wir von Jakobus, dem Sohn des Alphäus, einem der zwölf Apostel, befielt späteres Leben uns ganz unbekannt ist. Etwas mehr ist uns von Jakobus, dem Sohn des Zebedäus, auch einem der zwölf Apostel, überliefert. Der König Herodes Agrippa ließ ihn im I. 44, um sich die Juden zu Freunden zu machen, mit dem Schwerte hinrichten (Apostelg. 12, 1). Ihn verehren die Spanier als ihren Schutzheiligen. In einem kleinen, dichten Ge­ büsch soll man nämlich im 9. Jahrhundert jede Nacht ein hellbrennendes Licht be­ merkt haben. Als der Bischof Theodomir von dem Wunder hörte, ließ er den Platz untersuchen, und so entdeckte man eine Einsiedelei mit einem Grabe, in welchem der Leichnam des Jakobus enthalten war. Daselbst wurde eine Kirche erbaut, aus der all­ mählich der Ort St. Jago di Compostella entstanden ist; es ist der bedeutendste Wall­ fahrtsort in Spanien, einer der vornehmsten Wallfahrtsorte der katholischen Kirche. Viel bedeutender als diese beiden ist nun aber der dritte Jakobus des N. T.; er ist einer von den Brüdern Jesu (auch Schwestern hat Jesus gehabt): Joses, Simon, Judas und Jakobus, die lange an Jesum nicht glauben wollten (Joh. 7, 2); nach der Auferstehung war das anders geworden (Apostelg. 1, 14). Sehr bald war sogar Jakobus neben Petrus und Johannes der angesehenste Gemeindevorsteher in Jerusalem (Galat. 2, 9), und er war das Haupt des Judenchristentums. Daß seine Predigt von der des Paulus zwar verschieden, aber ihr nicht entgegengesetzt war, zeigt der von ihm herstammende schöne Brief im Neuen Testament.*) Die Sage erzählt von ihm, auch die Juden hätten ihn, obwohl er schon an Jesum glaubte, immer noch für einen sehr frommen Mann gehalten, auch bei ihnen habe er der Gerechte geheißen; er allein von den Christen durfte angeblich noch den Tempel betreten, und dort sand man ihn täglich betend für des Volkes Bekehrung. Als aber immer mehr Juden an Jesum glaubten, da sollen die Obersten des Volkes von Jakobus gefordert haben, daß er vor dem Volke gegen Jesus predige. Als Jakobus nun vom Heiland sagte, daß er Gottes Sohn sei, da sollen ihn, wie es heißt, die Obersten vom Dache des Tempels, von wo er predigte, herabgestürzt und das Volk ihn gesteinigt haben; ein Walker soll ihn nach der Sage mit seinem Holze vollends tot geschlagen haben. Als bald nachher Jerusalem von den Römern zerstört wurde, da sollen viele Juden das als ein Strafgericht für die Ermordung des gerechten Jakobus erklärt haben. Auch über das weitere Schicksal der andern Apostel und ihrer nächsten Schüler giebt es viele, aber nur ganz unverbürgte Sagen. So soll Matthäus als Märtyrer in Äthiopien, Lucas, angeblich Arzt und Maler, der zuerst das Bild Jesu und der Maria gemalt haben foH, in Kleinasien, Marcus in Alexandrien gestorben sein, von wo seine Gebeine später nach Venedig gebracht wurden. Bartholomäus ist angeblich in Arme-

*) Vgl. Glaubensl. Nr. 56 d. Heidrich, Kirchengeschichte.

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8. (5. u. 6.)

Der Apostel Johannes und die Einheit der Kirche.

nien, Philippus in Phrygien, Matthias in Kolchis am schwarzen Meer, Simon der Eiferer in Persien oder gar in Britannien gestorben. Judas, des Jakobus Sohn, soll dem Fürsten Abgarus von Edessa Heilung vom Aussatz, eine Botschaft und das erste Bild von Jesus überbracht haben und in Syrien gestorben sein. Andreas, der unter den Scythen gepredigt haben und in Griechenland gestorben sein soll, ist der vielgefeierte Patron von Rußland und Polen geworden?) Thomas hat nach der Sage zuerst in Syrien und Parthien gepredigt und ist dann in Indien gestorben; alle Christen im östlichen Asien, wo er besonders gepredigt haben soll, wurden später Thomaschristen genannt. Dürftig und ungewiß ist unsre Kunde von den meisten der ersten Anhänger Jesu; aber die ersten Anfänge der Dinge hüllen sich überall in ein geheimnisvolles Dunkel. c. Das Andenken an die Apostel und die ersten Anhänger des Herrn erhalten auch die ihnen im Kalender gewidmeten Tage und die zu ihren Ehren von der alten Kirche gefeierten Feste, die freilich heute in der evangelischen Kirche hinter den Haupt­ festen der Christenheit völlig zurückgetreten sind. Allen Aposteln zu Ehren wurde früher das Fest der Apostelteilung am 15. Juli gefeiert, zur Erinnerung an die von den Aposteln vor ihrem Weggange von Jerusalem angeblich vorgenommene Verteilung der Missionsgebiete;*2) jetzt feiert die katholische Kirche dafür die durch den Papst Sylvester vorgenommene Teilung der Reliquien des Petrus und des Paulus aus dem gemeinsamen Grabe unter die Kirchen des Petrus und des Paulus in Rom. Als Todestag der beiden Apostel gilt der 29. Juni, ein großer Festtag für die Katholiken. Dem Petrus allein gilt das zweifache Fest der Stuhlfeier: am 22. Februar, wo er in Antiochia, am 18. Januar,3) wo er in Nom nach oer Sage den Bischofsstuhl eingenommen hat. Dem Petrus gilt endlich auch das Fest der Kettenfeier am 1. August. Man glaubte nämlich später in Je­ rusalem die Kette gefunden zu haben, mit der Petrus von Herodes (Apostelg. 12, 6) gefesselt worden war, und brachte sie nach Nom. Hier besaß man angeblich bereits die Kette, mit der Nero den Apostel gefesselt hatte. Als man beide Ketten einander nahe brachte, schlossen sie sich plötzlich zu einer einzigen unauflöslich zusammen Viele Wunder sollen seitdem durch diese Kette vollbracht worden sein. Auch die anderen Apostel haben ihre Festtage erhalten. Des Paulus Bekehrung wird am 25. Januar gefeiert. Den 25. Juli feiert die römische Kirche als den Tag, an dem der Leichnam des älteren Jakobus (Apostelg. 12,2) nach Spanien gebracht worden sei. Des Apostels Johannes Gedächtnistag ist der 27. December, des Andreas der 30. November, des Bartholomäus der 24. August, des Thomas der 21. December (der dunkelste Tag des Jahres schien am besten an die Zweifelsnacht des Apostels nach dem Tode des Herrn zu erinnern), des Matthäus der 21. September; dem Philippus und Jakobus wird zusammen der 1. Mai, dem Simon und Judas der 28. Oktober gefeiert; der Tag des Matthias ist der 24. Februar (im Schaltjahr der 25. Februar), der Schalttag des alten Kalenders (passend für den eingeschalteten Apostel). *) Von den Deutschen ist der h. Andreas schon früh als „der gütigste der Heiligen" verehrt worden; ihn verehrten sie als Christen statt des heidnischen Gottes Freyr, „des gütigsten der Götter"; dieser Gott wurde als Schatzspender verehrt, deshalb be­ kommen noch heute in manchen Gegenden die Kinder am Andreasabend (am Abend vor dem 30. Nov., der ihm geweiht ist) allerlei Geschenke; der Heilige tritt damit an die Seite des Ruprecht, von dem beim Weihnachtsfeste das Nötige gesagt wird. 2) Bei dieser Trennung der Apostel von einander ist angeblich das apostolische Glaubensbekenntnis entstanden; vgl. Nr. 16. 8) Ein bedeutsamer Tag in der Geschichte der Neuzeit (1701 und 1871).

8. (5. u. 6.)

Der Apostel Johannes und die Einheit der Kirche.

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Auch andere biblische Personen sind nicht vergessen worden; des Marcus wird am 25. April gedacht, des Lucas am 18. Oktober, des Stephanus am 26. December, Johannes des Täufers am 24. Juni, der unschuldigen Kinder von Bethlehem am 28. December. Die Tage der Apostel feiert die evangelische Kirche nicht mehr mit der katholischen Kirche; aber ihre Predigt in der Bibel wird von unserer Kirche mehr gewürdigt, als von der katholischen, und ihre Predigt ist wichtiger, als die Geschichte oder Sage von ihrem Leben.

9. (9.)

Die weitere Ausbreitung des Christentums unter den Heiden.

a. Von Jerusalem bis Nom war schon vor der Zerstörung der heiligen Stadt, wie die Apostelgeschichte erzählt, der neue Glaube vorgedrungen, und immer weiter hat er sich in den nächsten Jahrhunderten verbreitet, freilich nicht mehr unter den Juden (sie blieben meist bei ihrem alten Glauben), desto mehr unter den Heiden, vornehmlich innerhalb des römischen Reiches, aber auch noch über seine Grenzen hinaus. Nachdem schon durch den Apostel Paulus das Christentum in Syrien und Kleinasien verbreitet worden war, wurde dasselbe allmählich auch nach den anderen Ländern von Vorderasien, Mesopotamien, Armenien, Persien, Arabien und, wie es scheint, auch nach Indien und China gebracht. In Afrika entstanden Gemeinden in den Nilländern, Ägypten, Nubien und Äthiopien, desgleichen am ganzen Nordrande des Erdteils entlang. In Europa, und zwar in den römischen Provinzen Macedonien und Achaja (Griechenland), hatte schon Paulus gepredigt, in Italien hatte sich das Christentum noch früher fast von selbst verbreitet, nach Gallien ist der christ­ liche Glaube von Kleinasien aus gebracht worden, bald auch nach Spanien und Britannien. Den Rhein und die Donau hat der neue Glaube in den drei ersten Jahrhunderten kaum überschritten. Das Gebiet des römischen Reiches war um das Jahr 300 bereits vom Christentum erfüllt, doch war das Heidentum noch lange nicht überwunden. Die Hauptorte des Christen­ tums waren in dieser Zeit: Jerusalem, Antiochia und Ephesus, Alexandria und Karthago, Korinth, Rom und Lyon. b. Von diesen und anderen großen Städten aus, wo das Christentum durch die Apostel und ihre Nachfolger zunächst begründet wurde, verbreitete sich dann der neue Glaube durch den allgemeinen Verkehr in die kleineren Städte und Dörfer; das Heidentum war verfallen und befriedigte die tieferen Gemüter nicht mehr; die Glaubensfreudigkeit und der Todesmut der Christen wie ihre opferwillige Liebe zu allen Menschen wirkte oft noch mehr als die Predigt; das Blut der Märtyrer war, wie man mit Recht gesagt hat, die Aussaat der Kirche. Und dabei kam nun ja dem Christentum gar sehr zu statten, daß alle Völker um das Mittelmeer in dem einen römischen Reiche verbunden waren, und daß in diesem Reiche zwei Sprachen, die griechische und die römische, genügten, um in allen Gegenden desselben verstanden zu werden. Durch alle diese Verhältnisse wurde die Ausbreitung des neuen Glaubens ungemein gefördert, so daß er gewiß auch ohne den Übertritt der römischen Kaiser, wenn auch etwas später, das Heidentum gänzlich überwunden und verdrängt haben würde.

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9. (9.)

Die weitere Ausbreitung des Christentums unter den Heiden.

c. Wer sich nun zum Übertritt meldete, der

wurde

erst in den Lehren des

Christentums unterwiesen und sein Wandel beobachtet, damit kein Unwürdiger in die Kirche eintrete. Diese Zöglinge der Kirche nannte man Katechumenen; sie zerfielen wieder in mehrere A bteilungen. Die erste derselben durfte die Predigt mit anhören, die zweite auch beim Gebete knieend zugegen sein, die dritte auch bei der Feier des heiligen Mahles anwesend sein, aber ohne es zu empfangen. Unmittelbar vor der Taufe wurde dem Täufling das Glaubensbekenntnis der Kirche mitgeteilt, das man damals vor den Heiden geheim hielt, und das der Täufling nicht zu verraten versprach. Die Taufe wurde meist durch Untertauchen vollzogen. Die Kindertaufe wurde von einigen gebilligt, von anderen verworfen. Viele verschoben in abergläubischer Weise die Taufe bis zur Todesstunde, als gingen sie dann um so sicherer in den Himmel ein, da sie glaubten, daß sie durch die Taufe Vergebung nur für die bis dahin be­ gangenen Sünden erhielten; nach der Taufe sollte der Christ ein heiliges Leben führen; daß der Christ auch dann noch der Vergebung bedürfe, bedachte man nicht; grobe Sünder wurden aus der Kirche ausgeschlossen.^)

10. (10) Die Verfolgung des Christentums. a. Hatten in der ersten Zeit die Juden den neuen Glauben ange­ feindet, so begannen nunmehr die Heiden die Christen zu verfolgen; denn seit sich die Christen schärfer von den Juden sonderten, galt für sie nicht mehr die den Juden gewährte Religionsfreiheit; wer aber kein Jude war, der mußte nach dem Staatsgesetz den Göttern und dem Kaiser bei bestimmten Gelegenheiten Verehrung erweisen und Opfer darbringen; das konnten die Christen nicht, und so erschienen sie als Feinde der Götter und des Kaisers. Dazu kamen andere Vorwürfe, welche fälschlich gegen sie erhoben wurden. So haben denn die römischen Kaiser zwei Jahrhunderte lang die Christeu verfolgt, angeblich nicht um ihres Glaubens willen, sondern als Feinde des Staates; aber daß sie als solche erschienen (denn in der That waren sie es nicht), das hing freilich mit ihrem Glauben zusammen, der ihnen die Ver­ ehrung der Götter und des Kaisers, die der Staat von seinen Unterthanen forderte, nicht gestattete. Die Zahl der Christenverfolgungen hat man später auf zehn festgestellt in Erinnerung an die zehn Plagen Ägyptens: es sind deren aber nicht so viele, wenigstens nicht so viele größere und allgemeinere gewesen; die Haupt­ verfolger des Christentums waren nämlich nach Nero (54—68) die Kaiser Trajan (98—117), Decius (249—251) und der Kaiser Diocletian (284—305) und seine Mitregenten. b. Hatte der Kaiser Nero die Christen nur verfolgt, um den Haß des Volkes von sich selber abzuwälzen,*2) so verfolgte dagegen der edle Kaiser Trajan (98—117) die Christen, weil er meinte, wenn der alte Glaube falle, so gehe auch das römische Reich zu Grunde. Besonders in Kleinasien kam schwere Drangsal über die christlichen Gemeinden. Als nämlich der Statthalter Plinius die ihm vom Kaiser Trajan übertragene Provinz Bithynien betrat, da wurde ihm alsbald und immer wieder berichtet, es sei unlängst eine neue Religionspartei aufgetreten, die sich bereits überallhin verbreitet habe. Da nun im römischen Reiche außer der Staatsreligion nur das Judentum

0 Vgl. Nr. 10 e, 12 a und besonders Nr. 21. 2) Vgl. Nr. 6 c.

10. (10.)

Die Verfolgung des Christentums.

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geduldet werden sollte, so war der neue Glaube eine verbotene Sache; schon waren aber der Christen allzu viele, um alle zu töten; auch schienen sie dem Plinius un­ schuldige und unschädliche Leute zu sein. Um nun in dieser Sache nichts Ungerechtes zu thun, wandte sich Plinius an den Kaiser; sein noch erhaltener Brief lautet,

wie folgt: .,Jn allen zweifelhaften Fällen pflege ich, o Herr, an Dich zu berichten; denn wer kann besser mich leiten, wo ich zögere, mich unterrichten, wo ich irre. Den (ge­ richtlichen) Untersuchungen über die Christen habe ich nie beigewohnt; daher weiß ich nicht, was man an ihnen und wie weit man sie zu strafen pflegt. Auch bin ich nicht in geringer Verlegenheit, ob man nicht einen Unterschied des Alters bei ihnen machen solle, oder ob die von zarter Jugend gleichmäßig wie die von kräftigem Alter zu be­ handeln seien; ob der Neue Vergebung zu gewähren sei, und ob es ehemaligen Christen nicht zu gute kommen solle, wenn sie aufhören es zu sein; ob schon der Name allein, wenn auch keine Verbrechen daran haften, oder ob nur die mit dem Namen zusammen­ hängenden Berbrechen strafbar seien. Inzwischen habe ich bei denen, die mir als Christen angezeigt wurden, folgendes Berfahren beobachtet. Ich habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Wenn sie es be­ kannten, so habe ich sie zum zweiten und dritten Mal gefragt, und ihnen mit der Todesstrafe gedroht: beharrten sie darauf, so habe ich sie zum Tode bringen lassen; denn worin auch immer ihr Verbrechen mochte bestanden haben, das war mir aus­ gemacht, daß ihr Eigensinn und ihr unbeugsamer Starrsinn in alle Wege geahndet werden müsse. Andere aber dieser Wahnsinnigen habe ich, weil sie römische Bürger waren, nach Rom vor Gericht zu führen befohlen. Da im Verlaufe dieses Prozesses, wie das zu geschehen pflegt, das Verbrechen sich weiter ausbreitete, so haben sich auch nachgerade verschiedene Arten desselben gezeigt. Es wurde eine namenlose Klageschrift vorgelegt, woraus viele Namen von Personen standen, welche (auf meine Frage) leugneten, daß sie Christen seien oder gewesen seien. Als diese nach meinem Vorgang die Götter anriefen, und Deinem Bildnis, das ich zu diesem Behuf nebst den Götterbildern herbeischaffen ließ, Wein und Weihrauch opferten und überdies Christo fluchten, wozu sich die nie sollen zwingen laffen, die wirklich Christen sind, so glaubte ich sie entlassen zu müssen. Andere, die von einem Angeber waren angezeigt worden, sagten, sie seien Christen, und leugneten es nachher wieder ab: sie seien es zwar gewesen, aber sie seien wieder zurückgetreten, einige vor drei, andere vor mehr, einer sogar schon vor 20 Jahren. Diese alle beteten Dein Bild und die Bilder der Götter an und ver­ wünschten Christum. Sie gestanden aber, ihr größtes Verbrechen oder ihr größter Irrtum habe darin bestanden, daß sie an einem bestimmten Xage1) vor Sonnenauf­ gang zusammengekommen und ein Lied auf Christus als auf einen Golt wechselweise gesungen hätten; sodann hätten sie sich durch einen Eid2) verbunden, nicht zu irgend einer Übelthat, sondern daß sie keinen Diebstahl, keinen Raub, keinen Ehebruch begehen,

ihr Wort nicht brechen und anvertrautes Gut nicht verleugnen wollten, wenn es von ihnen zurückgefordert würde. Danach wären sie gewöhnlich auseinander gegangen, bald aber wieder zusammengekommen, um gewöhnliche und unschuldige Speisen zu genießen. Das hätten sie aber auf meine Verordnung hin unterlassen, in welcher ich Dein Verbot der geheimen Verbindungen kundmachte.

3) Sonntag. 2) Mißverständnis des Wortes sacramentum. *) Liebesmahl.

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10. (10.)

Die Verfolgung des Christentums.

Für desto notweniger hielt ich es, von zwei Mägden, welche Dienerinnen') genannt wurden, durch die Folter zu erfahren, was Wahres an der Sache sei. Aber ich habe nichts gefunden, als einen verkehrten, ausschweifenden Aberglauben. Deshalb habe ich die Untersuchung aufgeschoben und mich bei Dir Rats zu er­ holen beflissen; denn die Sache schien mir allerdings der Überlegung wert, besonders

wegen der Menge derer, die dabei in Gefahr kommen. Denn viele, von jedem Alter, von jedem Stand und Geschlecht, kommen in diese Gefahr oder werden noch darein kommen; denn nicht nur in die Städte, sondern auch in Flecken und Dörfer hat sich die Ansteckung dieses Aberglaubens verbreitet, von der es jedoch den Anschein hat, daß ihr könne Einhalt gethan und mit Heilmitteln begegnet werden. Wenigstens ist es Thatsache, daß die beinahe verlassenen Tempel wieder anfangen besucht zu werden, daß die längst unterlassenen Ceremonien wieder gefeiert und hier und da auch wieder Opfertiere verkauft werden, die bis dahin selten einen Käufer gefunden hatten. Hieraus läßt sich leicht annehmen, welche Menge von Menschen noch gebessert werden könne, wenn man ihnen Gelegenheit dazu giebt." Hierauf erwiderte Trajan: „Du hast, mein Lieber, in Ansehung der Christen, die bei Dir verklagt wurden, den rechten Weg eingeschlagen; denn es läßt sich darüber nichts im allgemeinen, was in ollen Fällen maßgebend wäre, bestimmen. Aufsuchen soll man sie nicht; wenn sie aber angeklagt und überwiesen werden, soll man sie strafen, doch so, daß, wenn einer leugnet, er sei Christ gewesen, und das durch die That beweist, indem er unsere Götter anbetet, er der Reue wegen Verzei­ hung verlangt, auch wenn noch ein Verdacht aus früherer Zeit her auf ihm lasten sollte. Namenlose Klageschriften aber dürfen bei keinem Criminalproceß etwas gelten; denn das giebt ein schlechtes Beispiel und ist für unser Jahrhundert unangemessen." So waren also die Christen strafbar schon darum, weil sie Christen waren, und 250 Jahre hindurch sind sie bloß für ihr Christentum bestraft worden. e. Unter Trajans Nachfolgern hörte die Verfolgung so ziemlich auf, und bis zum Jahre 250 hat eine planmäßige Verfolgung der christlichen Kirche durch den römischen Staat nicht stattgefunden; eine solche begann erst im Interesse des Staates und der allrömischen Religion der Kaiser Decius (249—251). Bald nach seiner Thronbe­ steigung erließ nämlich Decius ein Edikt des Inhalts, daß alle Christen am Gottes­ dienste des Staates teilnehmen müßten; überall wurde ein Termin angesetzt, bis zu welchem alle Christen des Ortes vor der Obrigkeit erscheinen und den Göttern opfern sollten. Viele Christen zwar verleugneten in dieser Drangsal ihren Glauben, aber die meisten blieben doch standhaft und ließen alle Marter geduldig über sich ergehen; besonders erlitten viele Geistliche, auf die es der Kaiser besonders abgesehen hatte, den Märtyrertod. Aber nicht lange dauerte die schlimme Zeit, da Decius bald starb

und seine nächsten Nachfolger, welche die Christenverfolgung fortsetzten, nicht lange regierten. Da wurde Gallienus Kaiser (260— 268), und dieser hörte nicht nur auf, die Christen zu verfolgen, sondern er gewährte ihnen sogar freie Neligionsübung, während die anderen Kaiser, welche die Christen nicht verfolgten, sie doch eben nur stillschweigend geduldet hatten. Und nunmehr erfreute sich die Kirche einer fast vier­ zigjährigen Ruhe, und das Heidentum schien für immer auf den Gedanken verzichtet zu haben, die neue Religion mit Gewalt zu unterdrücken. d. Aber noch einmal, zum letztenmal, betrat das Heidentum den Weg der Gewalt, ’) Diakonissinnen.

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Die Verfolgung des Christentums.

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indem der Kaiser Diocletianus (284—305) die Christen zu verfolgen begann;, während aber die früheren Christenverfolgungen mehr der Feindschaft der Volksmasse gegen die neue Religion entsprungen waren, war die letzte Verfolgung ein Werk der staatlichen Herrscher. Nachdem nämlich Diocletianus lange das Christentum geduldet, ließ er sich von der heidnischen Partei überreden, den neuen Glauben mit Gewalt zu verfolgen. Die Verfolgung begann im Jahre 303 mit der Zerstörung der prächtigen Kirche in Nikomedien, wo Diocletianus residierte. Strenge Edikte verboten nunmehr den christlichen Gottesdienst und geboten die Zerstörung der Kirchen und die Ver­ brennung der Bibelhandschriften, entsetzten alle Christen ihrer Ämter und Würden, befahlen die Einkerkerung der Geistlichen und forderten die Obrigkeiten auf, alle Christen durch Anwendung der Folter zum Opfern und zur Abschwörung ihres Glaubens zu zwingen. Nunmehr wurden die Christengemeinden des ganzen römischen Reiches in der grausamsten Weise verfolgt; wenn es auch nicht an Abtrünnigen fehlte, so blieben doch die meisten Christen ihrem Glauben treu, und viele von ihnen er­ duldeten standhaft die ausgesuchtesten Qualen der Folter und einen schrecklichen Tod; die einfache Enthauptung wurde als eine besondere Gnade gewährt. So wütete die Verfolgung auch über Diocletians Negierung hinaus bis zum Jahre 311, wo endlich sein Nachfolger Galerius derselben ein Ende machte. Nach seinem Tode gewährten im Jahre 312 seine Nachfolger, Constantinas im Abendlande und Licinius im Morgenlande, den Christen, wie schon Gallienus gethan, wieder Religionsfreiheit, und nunmehr war die Zeit der Christenverfolgungen im römischen Reiche für immer zu Ende. e. Wenn aber eine Verfolgung über die Kirche hereinbrach, so war kein Christ seines Lebens mehr sicher; wer seinen Glauben bekannte, mußte froh sein, wenn er nach mancherlei leiblicher Strafe mit dem Leben davonkam; ein solcher hieß fortan in der Kirche ein „Bekenner" (confessor), und er stand in hohem Ansehen. Noch mehr gefeiert war der Name der „Märtyrer" (martyres), die um des Glaubens willen den Tod erlitten hatten. Ja, es drängten sich oft die Christen freiwillig zum Märtyrertode; die „Bluttaufe" wurde der „Wassertaufe" gleichgestellt; statt für die Märtyrer zu beten, wie es in den ersten Jahrhunderten geschah, haben die Christen gar bald zu den Märtyrern gebetet. Aber es hat auch nicht an Abtrünnigen gefehlt, die lieber den heidnischen Göttern opferten oder wenigstens sich für Geld einen Opferzettel verschafften oder die heiligen Bücher zum Verbrennen auslieferten. Diese Abtrünnigen (lapsi)1) schloß die Kirche, ebenso wie alle groben Sünder, aus ihrer Gemeinschaft aus; doch war es in der spätern Kirche möglich, wieder ausgenommen zu werden, aber nur für den, der sich ’) Die Abtrünnigen hatten z. B. den Göttern oder dem Kaiser geopfert (sacrificati) oder wenigstens Weihrauch verbrannt (thurificati) oder sich wenigstens durch Be­ stechung einen Schein (libellus) verschafft, daß sie geopfert hätten (libellatici), oder die heiligen Bücher ausgeliefert (traditores). — Einen solchen libellus vom 26. Juni 250 über eine (vielleicht nur angebliche) Teilnahme am heidnischen Opfer hat man unlängst in Ägypten gefunden; derselbe lautet folgendermaßen: „Den Opferkommissaren des Dorfes Alexanderinsel von Aurelius Satabus, Sohn des Diogenes, 72 Jahre alt, mit einer Narbe an der rechten Augenbraue. Ich habe immer den Göttern geopfert, und so auch jetzt in eurer Gegenwart gemäß dem Edikt; auch an der Weihung der Opfertiere habe ich teilgenommen, und bitte, daß ihr solches bescheinigt. Möge es euch wohlgehen. Ich Aurelius Diogenes habe diese Eingabe gemacht." „Aurelius .... ich sah ihn opfern. Mystharion (?), Sohn ... beglaubigt. Im ersten Jahre des Selbstherrschers und Kaisers Gajus Messius Quintus Trajanus Decius Pius Felix Augustus, am 2. Epiph."

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Die Verfolgung des Christentums.

der Kirchenzucht unterwarf?) Dann mußte derselbe eine Zeit lang als „Büßer" in besonderem Gewände an der Kirchthür stehen und die eintretenden Gläubigen um Wiederaufnahme bitten. Nach einiger Zeit durfte er wieder dem Gottesdienste bis zum Ende der Predigt beiwohnen; später durfte er auch beim Kirchengebet zugegen sein, aber knieend, nicht stehend, wie die anderen; danach auch bei der Feier des heiligen Mahles, aber ohne es zu empfangen; endlich wurde die Absolution über ihn ge­ sprochen, ihm der Friedenskuß gegeben und das heilige Mahl wieder gereicht. Nur sterbende Christen wurden ohne Kirchenbuße sofort wieder ausgenommen?)

11.

(11.) Aus der Märtyrer-Geschichte und Sage.3*)4*

Von den vielen Erzählungen und Sagen (denn viele der im folgenden erzählten Geschichten sind zwar schön und ergreifend, aber natürlich nicht wirklich geschehen) über die Märtyrer des christlichen Glaubens in der alten Kirche sollen im folgenden einige besonders bekannte und interessante vorgesührt werden?) a. Als bei der Verfolgung, die über die Christen in Smyrna im Jahre 166 (oder 155) hereinbrach, die Gläubigen durch keine Folterqual zum Abfall gebracht werden konnten, da rief das Volk, vor dessen Augen die Christen gefoltert wurden, in seiner Wut dem Richter zu: „Hinweg mit diesen Gottesleugnern, man hole den Polykarpus!" Dieser war seit langen Jahren der treue Hirte der Gemeinde; um den Greis in dieser schweren Zeit vor dem Äußersten zu bewahren, hatten ihn seine

Freunde unlängst bewogen, die Stadt zu verlassen und auf dem Lande eine Zufluchts­ stätte zu suchen. Aber die Folter zwang einen Christen zum Verrat, und alsbald eilten die Diener der Obrigkeit, ihn zu ergreifen. Er hätte vielleicht noch entfliehen können, aber er wollte nicht; mit den Worten: „Des Herrn Will: geschehe," über­ lieferte er sich den Feinden; er erbat sich nur noch eine Frist zum Gebet, den Häschern wurde unterdessen auf seinen Befehl Speise und Trank gereicht. Auf dem Wege zur Stadt begegnete ihm ein Richter; derselbe nahm ihn auf seinen Wagen und ermahnte ihn, durch Verleugnung seines Glaubens sein Leben zu retten — vergebens; den hartnäckigen Christen warf er endlich vom Wagen hinab, wobei sich Polykarpus schwer verletzte. Endlich war er auf dem Marktplatz angelangt, die Menge jauchzte bei seinem Anblick. Der Statthalter hatte Mitleid mit dem alten Manne: „Schone deines Alters! Schwöre bei dem Schutzgeist des Kaisers! Verfluche die Gottesleugner!" Polykarpus wandte sich zu dem heidnischen Volkshaufen, der ihn dichtgedrängt umgab, und sagte: „Weg mit den Gottesleugnern!" Der Richter fuhr fort: „Lästere Christum!" Der Bischof erwiderte: „Sechsundachtzig Jahre habe ich ihm gedient, und niemals hat er mir ein Leid gethan; wie kann ich meinen König lästern, der mich erlöst hat!" Als der Richter ihn drängte, sich vor dem Volke zu verteidigen, erwiderte Polykarpus: „Dich zwar würdige ich, dir Rede und Antwort

- ') Doch war das nicht die Meinung der ältesten Kirche und auch später nicht die allgemeine Meinung; vgl. Nr. 21. *) Genaueres über die Kirchenzucht siehe in Nr. 21. 3) Diesen Abschnitt wird der Lehrer auf der mittleren Stufe des Unterrichts recht ausführlich behandeln (einprägen wird er sich fast von selbst, ohne eine Wieder­ holung zu erfordern), so daß derselbe zum Mittelpunkte der ganzen Periode wird ; auf der oberen Stufe wird der Abschnitt gegen die Darlegung des inneren Lebens der Kirche zurücktreten müssen, und wenn er früher durchgenommen worden, auch ohne Schaden zurücktreten können. 4) Vgl. Bäßler, Legenden, altchristliche Sagen und Erzählungen (auch aus der neueren Zeit).

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zu geben, denn Gott hat uns geboten, der Obrigkeit Unterthan zu sein, die Gewalt über uns hat; das Volk aber achte ich nicht würdig, mich vor ihm zu verantworten." Da sagte der Richter unwillig: „Ich habe wilde Tiere, ihnen werde ich dich vor­ werfen." „Hole sie," erwiderte Polykarpus, „ich ändere meinen Sinn nicht." Da drohte ihm der Richter mit dem Scheiterhaufen. „Du drohst mir mit einem Feuer, welches nur eine kleine Weile brennt und bald erlischt; du weißt aber nichts von dem ewigen Feuer, das den Gottlosen bereitet ist." Der Richter staunte über die Zuversicht und Freudigkeit des Greises; das Volk aber forderte, daß der Feind der Götter den Löwen vorgeworfen werde. Als der Statthalter das verweigerte, weil die Zeit der Tierkämpfe bereits vorüber sei, verlangte das Volk, daß er verbrannt würde. Mit großem Eifer brachten Heiden und auch Juden das nötige Holz herbei, und Polykarpus wurde an den Pfahl gebunden; er dankte Gott dafür, daß er ihn dieser Stunde gewürdigt habe, und alsbald wurde der Scheiterhaufen angezündet. Als das Feuer den frommen Mann nicht verzehren wollte, durchbohrte ihn ein Henkers­ knecht mit dem Spieße. So endete der fromme Bischof von Smyrna; seine Gebeine wurden von den Christen bestattet. b. Die Stadt Autun (in Frankreich) feierte im August des Jahres 173 das große Fest der Göttermutter Kybele mit gewaltigem Pomp und Prunk; die Bildsäule der Göttin wurde auf dem heiligen Wagen durch die Stadt geführt, von einer unzähligen Menschenmenge begleitet. Da ging ein Mann an dem Götterbilde vorüber, ohne dasselbe zu begrüßen; er wurde sofort verhaftet und vor den Richter geführt. Von diesem nach Namen und Herkunft gefragt, antwortete er: „Symphorianus heiße ich, und bin ein Christ." „Warum hast du der Göttermutter die Anbetung verweigert?" „Ich bin ein Christ," erwiderte der Angeklagte, „ich bete den lebendigen Gott an, der im Himmel wohnt; dein Götzenbild verehre ich nicht; reiche mir es her, so will ich es mit dem Hammer zerschlagen." „Was? Du bist nicht nur ein Verächter der Götter, sondern du wagst es auch, als Rebell dich der Obrigkeit zu widersetzen? Kennst du die Gesetze nicht? Vertraust du etwa darauf, daß du aus vornehmer Familie herstammst?" „Niemals," erwiderte Symphorianus, „werde ich diese Bild­ säule für etwas anderes als für ein Bild eines falschen Glaubens halten." Da ließ der Richter ihn peitschen und ins Gefängnis führen. Ein zweites Verhör richtete ebenso wenig aus. „Opfere den Göttern," sagte der Richter, „so wirst du vom Kaiser zu hohen Ehren erhoben werden." „Eure Gaben sind für die Seele nur verzehrendes Gift, wir Christen haben unvergängliche Schätze; unser Gott macht uns selig, wenn ihr uns das Leben nehmt." Nun fällte der Richter das Urteil: „Da Symphorianus unsere heilige Göttin mit ruchlosen Schmähreden entehrt hat, so soll er mit dem Schwerte hingerichtet werden." Der Richtplatz war außerhalb der Stadt, auf der Stadtmauer stand des Märtyrers fromme Mutter. „Mein Sohn," rief sie ihm ent­ gegen, „beharre standhaft bis ans Ende, der Tod führt dich zum Leben; blicke auf zu dem, der im Himmel wohnt!" Die Leiche des enthaupteten Gläubigen wurde von den Christen vor der Stadt beigesetzt, und gern kamen sie an seinem Grabe zum Gottesdienste zusammen. e. Als unter dem Kaiser Marcus Aurelius die Christen in Lyon im Jahre 176 aufs heftigste verfolgt wurden, wurde auch eine Sklavin, Namens Blandina, um ihres christlichen Glaubens willen ins Gefängnis geworfen. Sie sollte gleich den andern mit ihr zugleich verhafteten Christen auf die Folter gebracht werden; alle zitterten für das schwache Mädchen, das unter den Qualen der Folter wohl den Glauben verleugnen würde. Aber siehe — ein Henker nach dem andern versuchte an ihr seine Künste, vom Morgen bis zum Abend wurde sie gemißhandelt; sie blieb

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standhaft, und die Henker erklärten endlich, nunmehr wären alle Mittel ihrer Kunst erschöpft; sie begriffen nicht, wie die Sklavin dies alles habe aushalten können; nach ihrer Meinung hätte schon die erste Folterung dem schwachen Weibe das Leben rauben müssen. „Ich bin eine Christin", hatte Blandina während der Peinigung zu wiederholten Malen ausgerufen; damit hatte sie erklärt, woher sie ihre Stand­ haftigkeit empfangen. Nach einigen Tagen wurde sie aus dem Gefängnis in das Amphitheater geführt und an einem Pfahl befestigt; die wilden Tiere, die man aus ihren Käfigen heraus­ lassen wollte, sollten sie zerreißen; aber kein Tier tastete sie an, sie wurde deshalb ins Gefängnis zurückgesührt. Am letzten Tage der öffentlichen Spiele führte man sie wiederum dem Volke vor, mit ihr einen Knaben von fünfzehn Jahren, Namens Ponticus. Beide wurden aufgefordert, bei den Götzenbildern zu schwören — sie verweigerten dies; da wurde der Knabe auf die Folter gespannt, und bald war er tot. Blandina wurde nunmehr gepeitscht und darauf den wilden Tieren vorgeworfen ; aber diese verletzten sie zwar, löteten sie jedoch nicht; da wurde sie auf einen eisernen Stuhl gesetzt, den man glühend gemacht hatte, alsdann wurde sie in ein Netz gewickelt und einem wütenden Stiere vorgeworfen; derselbe warf sie zwar in die Luft, aber sie war immer noch nicht tot; nun wurde sie endlich erwürgt. Die Heiden selber bekannten, daß niemals ein Weib so viele Martern mit solchem Mute ertragen habe. d. Als unter dem Kaiser Septimius Severus im Jahre 202 die christliche Ge­ meinde in Carthago verfolgt wurde, wurden auch zwei Frauen ins Gefängnis ge­ worfen: Perpetua, eine junge Frau von vornehmer Herkunft, und Felicitas, eine unlängst verheiratete Sklavin. Schon vor der Festnahme, und dann wieder im Gefängnis, bestürmte der Vater der Perpetua, der noch Heide war, seine innig geliebte Tochter mit den dringendsten Bitten, sie möchte ihm doch den Schmerz ersparen, sie leiden und sterben zu sehen. „Habe Mitleid mit meinen grauen Haaren, denke an deine Mutter und Geschwister, sorge für dein zartes Kindlein, das ohne dich nicht am Leben bleiben kann!" Er küßte ihr die Hände, warf sich ihr zu Füßen und nannte sie nicht seine Tochter, sondern seine Herrin. Die Tochter suchte den geliebten Vater zu trösten: „Wenn ich vor dem Richter stehen werde, wird geschehen, was Gott will; wir stehen ja in Gottes Hand." , Bald wurde sie vor den Richter geführt; vergebens mahnte dieser, und bat der Vater, sie möchte doch für das Wohl des Kaisers opfern. „Das thue ich nicht, ich bin eine Christin", war ihre Antwort. Als der Vater sie nun mit Gewalt wegzuführen suchte, wurde er von den Häschern vor den Augen der Tochter gemißhandelt; diese aber wurde dazu verurteilt, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden; an dem Tage, an welchem vor mehreren Jahren der Kaiser seinen Sohn durch einen hohen Titel geehrt hatte, sollte das Urteil voll­ streckt werden. In der Zwischenzeit gebar Felicitas im Kerker ein Kindlein, eine Schwester übernahm die Pflege desselben. Noch einmal versuchte der Vater der Perpetua seine Tochter zum Abfall vom Glauben zu bewegen; sie blieb standhaft. Am bestimmten Tage wurden die beiden Frauen mit mehreren andern Christen dem Volke vorgesührt; eine wilde Kuh sollte die Frauen töten. Perpetua wurde zuerst emporge­ schleudert; nicht tödlich verletzt, siel sie zu Boden; sie raffte ihr Gewand zusammen und half ihrer Leidensgefährtin auf, die das wilde Tier nur noch wenig verletzt hatteDas Volk empfand Mitleid mit den beiden Frauen, und es befahl, ihren Leiden durch das Schwert ein Ende zu machen. Die Märtyrerinnen küßten sich zum letzten Male und empfingen den Todesstreich; aber der noch ungeübte Henker machte seine Sache schlecht, und Perpetua führte selbst das Schwert nach ihrer Kehle; nun erst

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wurde sie zum Tode verwundet. Die Gemeinde zu Carthago begrub die Gebeine der beiden Frauen in der Hauptkirche der Stadt und feierte seitdem ihren Todestag, den 7. März, als einen Festtag. e. Als im Jahre 258 der römische Bischof Sixtus II. ins Gefängnis abgcführt wurde, übergab er dem ersten seiner sieben Diakonen, dem Laurentius, die Sorge für den Schatz der Kirche;') dieser hielt es in der schlimmen Zeit für das Beste, denselben sofort unter die armen Christen zu verteilen. Als der Richter von einem Schatze der Kirche Kunde erhielt, ließ er den Laurentius vor sich führen und sagte zu ihm: „Gieb heraus, was du mit dem Zauber deiner Rede der thörichten Menge abgelockt hast; wir wissen es besser zu verwenden. Euer Christus hat ja gesagt: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und des Kaisers Bild steht auf euren Silber­ lingen! Arm ist euer Herr vom Himmel gekommen, und die Armen hat er selig gepriesen; so haltet euch denn an die Lehre eures Meisters und macht euch los von den Dingen dieser Welt!" Laurentius erwiderte auf die spöttische Rede: „Fürwahr, unsere Kirche hat einen reichen Schatz, sie besitzt Gefäße der Ehre in Menge; aber dieselben sind zerstreut in allen Straßen des großen Rom; ich bitte dich um drei Tage Frist, um alles zusammenzubringen." Das wurde ihm bewilligt, und Laurentius bestellte alle Armen und Krüppel für den dritten Tag in die Kirche; sie stellte er alsdann dem habgierigen Heiden als die Schätze der Kirche vor, in Gottes Augen seien sie sehr wert gehalten. Da fährt der Richter auf: „Wie, du wagst es, zum Betrüge noch den Hohn hinzuzufügen!. Nur zu lange sind wir gegen euch großmütig gewesen. Wir wissen es wohl, daß ihr den Tod nicht fürchtet; aber ich will dich so peinigen, daß du verzweifeln sollst, weil der Tod so langsam kommt." Nun wurde ein großer Rost herbeigebracht, glühende Kohlen darunter gebreitet und der Märtyrer darauf gelegt; ruhig ertrug er die furchtbare Pein. Die Sage der alten Zeit, die das Schreckliche und Grausige gerne häuft, 'läfct ihn nach einiger Zeit die Worte sagen: „Wendet mich jetzt um, die Seite ist nun gar genug." Andre erzählen von einem Engel, der seine Wunden gekühlt habe. Als er merkte, daß es mit ihm zu Ende gehe, erhob er seine Augen zum Himmel und betete für die Bekehrung der heidnischen Stadt. Den Leichnam des Märtyrers bestatteten die Christen; der Heilige mit dem Roste in der Hand, der noch heute von den Katholiken eifrig verehrt wird, ist der heilige Laurentius. f. Als der Kaiser Decius um das Jahr 250 nach Ephesus kam, wurden auch hier, wie die Sage berichtet, auf seinen Befehl die Christen aufs grausamste verfolgt. Eines Tages wurden ihm sieben Brüder vorgeführt, die freudig ihren Glauben an Christum bekannten. Dem Kaiser gefielen die Jünglinge, und er sagte zu ihnen: „Ich gebe euch Zeit, euch zu bedenken; wenn ich wiederkomme, so müßt ihr entweder den Göttern opfern, oder ihr werdet für eure Gottlosigkeit mit dem Tode bestraft." Die Brüder entflohen alsbald aus der Stadt und verbargen sich in einer Höhle in der Nähe von Ephesus. Bei seiner Rückkehr fragte der Kaiser nach den Jünglingen; ein Heide hatte ihr Versteck aufgespürt und führte den Decius zu der Höhle. „Sie haben sich ihre Grabstätte selbst ausgesucht," sagte der Kaiser; er ließ jsofort Arbeiter kommen und den Zugang zur Höhle mit großen Steinen vermauern. Gegen zweihundert Jahre waren vorübergegangen, ein christlicher Kaiser, Theo­ dosius (379—95), herrschte über das römische Reich: da fiel einem Bürger von Ephe­ sus das Mauerwerk in die Augen; er vermutete, daß eine Höhle dahinter sein werde, die er als Schafstall benutzen könnte. Als der erste Sonnenstrahl in die geöffnete

J) Vgl. hierzu Uhlhorn, Liebesthätigkeit I, S. 156.

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Höhle fiel, erwachten die sieben Schläfer; sie glaubten, eine gewöhnliche Nacht durchschlafen zu haben. Der jüngste macht sich wieder auf den Weg, um in der Stadt Speise einzukausen. Die Gegend scheint ihm ganz anders auszusehen, die Menschen arbeiten ruhig auf dem Felde, niemand blickt ihn, den Christen, argwöhnisch an. Er kommt ans Thor; darüber erblickt er ein Kreuz, auf allen Tempeln sieht er das­ selbe Zeichen, aus einem derselben tönt ihm ein christliches Lied entgegen. Er weiß nicht, ob er wacht oder träumt, ob er im Himmel oder auf der Erde ist. Endlich geht er zum Bäcker, er erhält ein Brot und rei ht ihm das Geldstück hin. „Das gilt nicht mehr," sagt der Bäcker. „Aber es hat ja gestern noch gegolten," versetzt der Jüngling. Der Bäcker sieht sich die Münze noch einmal an: „Das ist ja eine Münze, die vor 200 Jahren geprägt worden ist; des Kaisers Decius Name steht dar­ auf." Der Jüngling erwidert: „Decius ist ja unser Kaiser!" „Behüte Gott," ent­ gegnet der Bäcker, „bist du wahnsinnig? Oder hast du einen Schatz gefunden?" Der Jüngling giebt verworrenen Bescheid, eine Menge Volks hat sich unterdes um ihn gesammelt; man beschließt, ihn vor die Obrigkeit zu führen. Der Jüngling zittert bei dem Gedanken, daß er vor Decius geführt werde; wie staunt er, als er einen Bischof als Richter vor sich sieht. Dem freundlichen Greise erzählt er, so viel er zu erzählen weiß; der Bischof erklärt ihm endlich, er verstehe nicht recht, was er sage, und fordert ihn auf, ihn zu der Höhle zu führen. Hier fand man seine Brüder, und diese erzählten dasselbe, was der Bischof von dem jüngsten vernommen; auch fand sich ein Täfelchen in der Höhle, welches die Aussage der Jünglinge bestätigte; ein Christ hatte nämlich, als die Höhle zugemauert wurde, die Namen der Jünglinge und den Anlaß ihres Schicksals ausgeschrieben und das Täfelchen noch rasch durch die letzte offene Luke hin­ eingeworfen. Im Triumphe führte man die Brüder in die Stadt, und der Kaiser selbst eilte herbei, um sie zu sehen. Als es Abend ward, kehrten die Jünglinge in die Höhle zurück, wo sie so lange geschlafen hatten; am andern Morgen waren sie für immer entschlafen; über der Höhle wurde später eine Kirche gebaut.

g. Am Eingänge der Kirchen findet man vielfach ein Bild, welches eine riesige Mannesgestalt zeigt, die ein Kindlein mit der Weltkugel auf der Schulter trägt, und, mit gebeugtem Körper auf einen mächtigen Baumstamm sich lehnend, einen reißenden Strom durchwatet; dieser Niese ist der der christlichen Sage angehörige Christo­ phorus, der als Heide Reprobus hieß. Reprobus, ein Niese von übermenschlicher Größe und Körperkraft, freute sich eine Zeit lang seiner alles überwältigenden Stärke; bald war er es überdrüssig, immer nur zu siegen; er begehrte zu wissen, wie es wäre, einen Herrn zu haben und jemanden fürchten zu müssen. Endlich fand er einen König, der auf Erden nicht seinesgleichen haben sollte, und ward sein Diener. Lange gefiel es ihm hier sehr wohl, bis ihm einst folgendes auffiel. Der König war ein Christ; als der Spielmann ihm ein Lied vorsang, in welchem des Teufels gedacht wurde, da machte der König nach der Weise der alten Christen ein Kreuz über sich. „Warum machst du die beiden Striche vor dich hin in der Luft?" fragte der Riese. Der König erwiderte: „Ich mache das Kreuzes­ zeichen, damit der Teufel nicht über mich Gewalt gewinne." Da versetzte der Riese: „Dann giebt es also einen, der noch mächtiger ist, als du; ihn will ich jetzt aufsuchen, um sein Diener zu werden." Reprobus durchzog nun zum zweiten Male die ganze Welt, um den Teufel zu finden. Eines Tages hatte er sich im Waldesdickicht verirrt, und es war bereits Nacht geworden über seinem Herumirren; da begegnete er einer Schar gewaltiger Reiter, aus deren Mitte eine schwarze Gestalt hoch emporragte. Zum ersten Male in seinem Leben erfaßte ihn ein kalter Schauer; auf die Frage des schwarzen Reiters, wen er

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suche, erwiderte er: „Den Teufel, ich will sein Knecht sein.'" Der Teufel nahm ihn als solchen an, und der neue Herr gefiel dem Riesen — schien es doch wirklich, als sei auf Erden nicht seinesgleichen. Aber da kamen sie einst bei ihrer Wanderung an eine Stelle, wo ein Kreuz stand; der Teufel bog vom Wege ab, jagte über Stock und Stein und zitterte noch lange an allen Gliedern. „Warum bist du so verstört beim Anblick dieses Dinges?" fragte der Riese. Der Teufel erwiderte: „Dort stand ein Kreuz am Wege, daran ward Christus von den Juden erhängt; vor diesem Zeichen kann ich nicht vorüber." „Fürchtest du dieses Zeichen," erwiderte Reprobus, „so ist Christus gewaltiger als du; sein Diener will ich also jetzt werden." Zum dritten Male durchzog er nun die Welt und fragte jeden, den er traf, wo Christus zu finden wäre. Jeder glaubte es zu wissen, und keiner konnte ihn doch zum Herrn führen. Endlich gelangte er vor die Hütte eines Einsiedlers im Walde; auch ihn fragte er nach dem Wege zu Christo. „Durch Fasten und Beten wirst du zu ihm kommen," sagte der Einsiedler. Aber der Riese erwiderte: „Schau doch meinen großen Leib an, der kann ans Fasten sich nimmer gewöhnen; und wenn ich kraftlos würde, wie könnte ich dann noch dem Herrn Dienste leisten? Beten kann ich auch nicht, in Worten habe ich mich nie versucht. Sage mir einen anderen Weg, der für Leute meines Schlages passend ist." Der fromme Mann entsetzte sich zuerst ob der Antwort des Riesen, doch endlich hub er an: „Da drüben fließt ein wildes Wasser, Brücke und Steg führen nicht hinüber; die frommen Pilger, die dieses Weges ziehen, müssen da hindurch, und schon mancher ist dabei ertrunken. Du bist von hoher Ge­ stalt und gewaltiger Kraft; willst du um Gottes willen die Pilger hinübertragen, so wirst du Christi Diener sein, und er wird sich dir gewiß zu seiner Zeit offenbaren." Das gefiel dem Heiden; am Wasser baute er sich eine Hütte, ein junger Baum aus dem Walde ward sein Stab, auf den er sich in dem brausenden Wasser lehnte, und um Gottes Lohn trug er Jahre lang die frommen Wanderer über den Gießbach. Müde und matt von der Arbeit des Tages lag er eines Abends auf seinem Lager. Da weckte ihn eine Kinderstimme aus seinem Schlafe. Er ging hinaus, um das Kindlein hinüberzutragen; aber es war kein Kind zu sehen. Er glaubte, es habe ihm geträumt, und legte sich wieder schlafen. Kaum war er eingeschlafen, da rief es zum zweiten Male: „Hol' über!" Er geht wieder vergeblich hinaus; endlich beim dritten Hinausgehen sieht er ein Knäblein vor sich, das über das Wasser getragen zu werden wünscht. Das Knäblein auf dem Nacken, schreitet er leicht in den Strom; da be­ ginnt das Wasser, obwohl es ganz windstill ist, zu brausen und zu schwellen, und das Kindlein auf seinen Schultern wird immer schwerer; er kann nicht mehr vorwärts, kaum kann er sich noch an seinem Stabe aufrecht halten. „Wie bist du so schwer, mein Kind, ist mir's doch, als trüge ich die ganze Welt auf meinen Schultern!" Das wunderbare Kind erwidert, indem es ihm freundlich in sein zurückgewandtes Antlitz schaut: „Du trägst nicht nur die ganze Welt, sondern den, durch den der Vater Himmel und Erde geschaffen hat; ich bin Christus, dem du so lange treu gedient hast; fortan sollst du Christophorus heißen (d. i. Christusträger). Und damit du erkennst, daß es wirklich der Sohn Gottes ist, den du getragen hast, so sollst du deinen Stab in die Erde pflanzen, und am andern Tage wird er Blüten und Früchte tragen." Nach diesen Worten legte ihm das Kind seine Händlein auf das Haupt, tauchte ihn unter und taufte ihn auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Alsbald war das Kind verschwunden, der Bach floß wieder ruhig dahin, und Christo­ phorus kehrte auf sein Lager zurück. Als er am andern Tage erwachte, erblickte er vor seiner Hütte einen seltsamen Baum mit Blüten und Früchten: es war sein Stab, den er am Abend in die Erde gestoßen hatte. So erkannte er, daß das kein Traum

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gewesen, was ihm in der vorigen Nacht widerfahren war. Jetzt trieb es ihn aus der Einsamkeit hinaus; er mußte den Menschen predigen von dem Christus, der ihm er­ schienen war, und viele glaubten seiner Predigt. Als er ein Greis geworden war, begann eine grausame Christenverfolgung; auch Christophorus fiel ihr zum Opfer, ein treuer Bekenner des Herrn, den er nach langem Suchen gefunden.

h. Als dritten Hauptpatron des Soldatenstandes verehrt die katholische Kirche neben Mauritius und Sebastian den aus Cappadocien (in Kleinasten) stammenden Helden Georg; viele Kirchen und Kapellen sind ihm geweiht; sie zeigen den Heiligen in der Regel hoch zu Roß, im Kampf mit dem Drachen; in dieser Gestalt schwebte er angeblich auch über den Kreuzfahrern unter Richard Löwenherz, und führte sie, wie sie meinten, selber zum Siege. Von ihm erzählt die Sage folgendes. Ein ungeheurer Drache hatte in der sumpfigen Umgegend einer Stadt in Libyen seinen Aufenthalt genommen; es gelang den Bürgern nicht, das Ungeheuer zu erlegen; wer sich aus dem Thore hinauswagte, ward des Untiers Beute. Da beschlossen die Bürger, dem Drachen täglich zwei Schafe zu überliefern, in der Hoffnung, daß er dann der Menschen schonen würde. Als nun die Schafe zu Ende waren, entschlossen sie sich, ihm alle Tage einen Menschen, wen das Los träfe, zu überlassen. Als das nun schon längere Zeit geschehen war, da traf das Los des Königs ein­ zige Tochter. Der König bot den Bürgern viel Silber und Gold, ja das halbe König­ reich, wenn sie ihm sein liebes Kind ließen. Aber die Bürger erwiderten ihm: „Du selbst hast dies Gesetz gegeben; ist nicht jedem von uns sein Kind so lieb, wie dir das deine? Wir mußten unsere Kinder dem Drachen überlassen; da nun das Los jetzt deine Tochter getroffen hat, so darfst du sie nicht zurückhalten." Nur noch acht Tage Frist bewilligten sie ihm auf seine Bitte; als diese Zeit um war, entließ der König sein Kind mit vielen Küssen und Thränen. Man führte sie vor die Stadt hinaus, und sie erwartete ihr baldiges Ende. Da kam der römische Hauptmann Georg in die Nähe der Stadt; verwundert fragte er die Jungfrau, warum sie klage und weine; sie ermahnte ihn, schleunigst diesen Ort zu verlassen, damit er nicht mit ihr sterben müsse; er aber forderte sie auf, um seinetwillen sich nicht zu sorgen, und wiederholte seine Frage. Sie erzählte ihm nun, welcher Tod ihr bestimmt sei. Während sie noch redete, rauschte auch schon das Wasser, und der Rachen des Ungeheuers tauchte aus der Tiefe empor. Nochmals bat sie den Helden, sein Leben zu retten; aber er sprang schnell auf sein Roß, segnete sich mit dem Kreuzeszeichen, wie das die alten Christen zu thun pflegten, dann sprengte er auf den Drachen los und stieß ihm seinen Spieß so tief in den Leib, daß er als­ bald zur Erde sank; mit seinem breiten Schwerte tötete er darauf vollends das Ungeheuer. Das Volk, das die mutige That von der Mauer aus mit angesehen hatte, eilte nun aus der Stadt heraus und pries den tapfern Helden. Er aber erwiderte: „In Gottes Namen habe ich dies Werk gethan, und seine Kraft ist in dem Schwachen mächtig; glaubet an Christum, so werdet ihr noch größere Thaten thun". Da ent­ sagten die Leute ihren ohnmächtigen Götzen und ließen sich taufen auf den Namen Jesu Christi; der König aber bot ihm Gold und Silber zum Lohne an. Georg nahm keine Belohnung an, sondern ritt alsbald von dannen. Unter dem Kaiser Diocletian soll der Held als Märtyrer gestorben sein. i. Zwei vornehme Christen in Rom waren im Jahre 304 in das Haus eines hohen Beamten um ihres Glaubens willen als Gefangene gebracht worden; ihre heid­ nischen Verwandten bemühten sich eifrig, sie zum Abfall zu bewegen; da trat ein Hauptmann der kaiserlichen Leibwache aus den sie umstehenden Freunden hervor.

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bekannte sich zum großen Staunen der Anwesenden gleichfalls als einen Christen und sprach seinen gefangenen Glaubensgenossen Mut ein. Sebastianus, so hieß der­ selbe, war ein trefflicher Mann, vom Kaiser Diocletian hoch geschätzt; freilich wußte dieser nichts von dem Christenglauben seines Günstlings. Die Gefangenen wurden bald einem andern Beamten übergeben, denn der erste sollte sich gleichfalls haben zum Glauben der Christen verführen lassen. Bald war auch der zweite Aufseher, der Oberbefehlshaber der Stadt Nom, Chromatius, des Christenglaubens verdächtig; er mußte sein Amt niederlegen, und er zog sich nun auf sein Landgut in Campanien zurück, wohin er viele Christen mitnahm. Nicht lange nachher erfuhr der Kaiser, daß Sebastianus ein Christ sei. Da sagte er zu ihm: „Ich habe dich immer vor andern hoch gehalten, und du hast mir das so vergolten?" Der Hauptmann entgegnete: „Fürchte nicht, o Kaiser, daß dir aus meinem Christenglauben ein Nachteil erwachse; wir beten für dein Heil, deine Götter können dir ja nicht helfen!" Auf des Kaisers Befehl banden alsbald die Bogenschützen den Hauptmann an einen Baum, und zahl­ lose Geschosse durchbohrten seinen Körper, der ihnen zur Scheibe diente. Der Leich­ nam wurde endlich in die große Kloake geworfen, bei Nacht brachte ihn aber eine Christin in die Katakomben, die unterirdischen Grabstätten bei Rom, die den Christen damals vielfach als Bergungsort dienten; dort wird sein Grab noch heute gezeigt, und sein Gedächtnis wird noch heute in der Kirche gefeiert; er, der den Soldaten zur Schießscheibe diente, ist im Mittelalter zum Patron der Schützengilden ge­ macht worden. k. Als Maximianus, des Kaisers Diocletianus Mitregent im Abendlande, einer von seinen Legionen, der thebäischen (so benannt von der berühmten Riesenstadt Theben in Ägypten), im Jahre 302 den Befehl zukommen ließ, bei der von den

Herrschern des Reiches neu begonnenen Verfolgung der Christen mitzuwirken, da soll nach der Sage die ganze thebäische Legion, 6000 Mann, die aus lauter Christen bestand, den Gehorsam verweigert haben. Der Kaiser befahl sofort, von der wider­ spenstigen Legion immer den zehnten Mann niederzuhauen; es geschah, aber die Christen blieben ihrem Glauben treu. Zum zweiten Male kam derselbe Befehl — die Soldaten blieben fest. Da befahl der Kaiser, die ganze Legion niederzuhauen, die sechstausend Mann samt ihrem Obersten Mauritius starben als Märtyrer. Noch in demselben Jahrhundert soll an der Stelle, wo sich die auf dem Marsche aus dem Morgenlande nach Frankreich befindende Legion gerade gelagert hatte, ein Kloster gebaut worden sein, das sich allmählich zur Stadt erweiterte; es ist das heutige St. Moritz im Canton Wallis, von Wallfahrern seit alter Zeit besucht, durch Wunderge­ schichten viel verherrlicht. Da nun aber gern auch andere Städte einige von den Wunder wirkenden Gebeinen der thebäischen Märtyrer zu besitzen wünschten, so wurde allmählich die Sage dahin erweitert, daß es hieß, einzelne Abteilungen der Legion hätten gerade anderswo gestanden, und auch sie seien als Märtyrer gestorben; die Kirche des heiligen Gereon in Köln, die des heiligen Victor in Xanten und noch an­ dere Kirchen rühmen sich, Gebeine dieser Märtyrer zu besitzen. Auch im Morgen­ lande, wo vielleicht die ganze Sage entsprungen ist, wird der heilige Mauritius in der syrischen Kirche als Märtyrer gefeiert1). ') Giesebrecht, D. Geschichte I4, 235: „König Rudolf von Burgund gewann sich König Heinrichs I. Freundschaft durch die Schenkung der heil. Lanze (des h. Mauri­ tius), in deren Schaft Nägel vom Kreuze des Herrn waren, und die seitdem zu den Reichskleinodien gezählt wurde." Vgl. Uhland, E. v. Schwaben, V. 1957, mit der Er­ läuterung von Weismann (Stuttgart 1880, Cotta). — Mit dieser h. Lanze des Mauri­ tius darf aber nicht verwechselt werden die h. Lanze des römischen Hauptmanns

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Aus der Märtyrer-Geschichte und Lage.

1. Über die Erbauung der Ursulakirche in Köln berichtet eine Sage, die viel­

leicht ganz, oder mindestens zum größten Teile erfunden ist, folgendes. In Bri­ tannien soll einst ein König gelebt haben, dessen einziges Kind eine Tochter, Namens Ursula, war. Holofernes, der Sohn eines benachbarten Fürsten, begehrte dieselbe zur Ehe. Ursula wollte ihn nicht heiraten, aber der Vater wagte dem mächtigen Manne sein Gesuch nicht abzuschlagen. Da bat Ursula, durch ein Traumgesicht dazu aufgefordert, ihren Vater, ihr noch drei Jahre Frist zu einer Wallfahrt nach Rom zu gewähren. Als der Vater ihr das gestaltete, da verabredete sie mit ihren zehn Ge­ spielinnen, daß sie ihr folgen sollten, und jede derselben sollte noch tausend Gefähr­ tinnen mit sich nehmen. Aus allen Teilen der Erde, namentlich auch aus Constantinopel und aus Sicilicn, wo eine Schwester von Ursulas Mutter Königin war, kamen Jungfrauen herbei, um sich an der Wallfahrt zu beteiligen. Nachdem sich die 10011 Jungfrauen (man sagt um der Kürze willen stets 11000 Jungfrauen) im Rudern und Steuern hinlänglich geübt hatten, fuhren sie über das Meer an die Küste des heutigen Holland, fuhren alsdann den Rhein hinauf bis Basel, von hier gingen sie zu Fuß über die Alpen nach Italien. Nachdem sie in Rom ihre Andacht verrichtet hatten, kehrten sie auf demselben Wege zurück, vom Papste und vom Bischof von Basel begleitet. Sie kamen aber nur bis zu der Stadt Köln; hier wurden sie von den Hunnen, die sich eben daselbst gelagert hatten, getötet; Ursula, die zuletzt nur noch allein am Leben war, begehrte der Anführer der Hunnen, Namens Ezzel, von ihrer Schönheit geblendet, zum Weibe; als sie den Antrag ver­ schmähte, schoß er sie alsbald nieder. Gleich nach dem Blutbade wurden die Hunnen durch eine himmlische Erscheinung aus der Gegend verscheucht. Da eilten die Bürger von Köln an den Ort des Schreckens, um die Leichname zu beerdigen; ein Bischof aus ihrer Begleitung, der dem Blutbade entgangen war, gab die Namen der einzelnen Jungfrauen an, und so wurden die Gräber mit Denksteinen bezeichnet. Ein Pilger aus dem Morgenlande, der gerade herzukam, begann sogleich den Bau einer Kirche zu Ehren der erschlagenen Jungfrauen, und viele Kirchen sind ihnen seitdem geweiht worden.

12. (12.) a.

Der Sieg des Christentums und der Untergang des Heidentums.

Über 200 Jahre waren die Christen um ihres Glaubens willen immer

aufs neue verfolgt worden; das hörte endlich auf, als Constantin der Große im römischen Reiche mächtig geworden war. Schon von seinen Eltern her hatte Constantin eine Abneigung gegen das Heidentum und eine Vorliebe für das Christentum überkommen; in der letzten Christenverfolgung hatte er die Standhaftigkeit der Gläubigen wahrgenommen und die Ohn­ macht des Heidentums erkannt; so entschied er sich dafür, sich auf die Seite des bisher verfolgten Glaubens zu stellen. In dem nach Diocletians Abdankung beginnenden Kampfe um die Herrschaft im Reiche geriet er in Kampf mit einem Nebenbuhler, Maxentius; als er ihm entgegenzog, hatte er des Nachmittags ein Gesicht; am Himmel sah er nämlich ein aus Wolken gebildetes Kreuz und darin die Worte: „Hiermit sollst du siegen." 2) Nach

Longinus, mit welcher Christus in die Seite gestoßen worden war; die letztere wurde angeblich beim ersten Kreuzzuge in Antiochien gefunden; vgl. H. Gesch. Nr. 127 f. 1) Toutco vixa. In hoc signo vinces. — Daß der Kern dieser Geschichte wahr ist, kann nicht bezweifelt werden, da sie auf Constantin's eigener (aber freilich mehrfacher und verschieden lautender) Erzählung beruht.

12. (12.)

Der Sieg des Christentums und der Untergang des Heidentums.

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dem Siege ließ er einem zweiten nächtlichen Gesichte gemäß dem Heere eine Fahne mit dem Zeichen Christi vorantragen; an einer Stange hing oben eine Querstange, so daß also das Kreuzeszeichen entstand; an der Querstange hing die ebenso lange als breite Fahne mit dem Bilde des Kaisers; an der Spitze befand sich der Namenszug Christi (die beiden griechischen Buchstaben Ch und R in einander geschrieben — die katholischen Kirchenfahnen zeigen noch heute dieselbe Gestalt). Als Constantin seinen Gegner Maxentius im Jahre 312 besiegt und dadurch die Herrschaft über das Morgenland gewonnen hatte, und als er im Jahre 324 ]) durch einen neuen Sieg über Licinius, seinen bisherigen Mit­ regenten im römischen Reiche, sogar zum Herrn des ganzen Römerreichs geworden war, da begann er das Christentum offen zu begünstigen, ohne jedoch das Heidentum geradezu zu verfolgen; erst seine Nachfolger haben dasselbe grausam verfolgt und endlich mit Gemalt ausgerottet — nicht zum Vorteil für die christliche Kirche, in die nunmehr jeder eintreten mußte, wenn er im Herzen auch noch Heide war. Constantin's Ziel, welches er zwar klar ins Auge faßte, aber nur langsam und möglichst schonend verwirklichte, war allerdings nicht bloß die Duldung, sondern die Herrschaft des Christen­ tums im römischen Reiche, aber so, daß die Kirche, ebenso wie der Staat, vom Kaiser geleitet würde; seine Nachfolger haben diesen Gedanken vollends und mit Unterdrückung des Heidentums verwirklicht. Auch die Heiden haben diesen Kaiser hochgehalten, noch viel höher freilich die Christen; war er ja doch der erste christliche Kaiser, der den Christen­ verfolgungen für immer ein Ende gemacht und dem Christentum sogar schon manche Vergünstigung gewährt hatte. Wie allgemein, ja wie übermäßig dieser Kaiser verehrt wurde, zeigte sich namentlich auch bei seinem Tode, welchen Heiden und Christen gleichmäßig betrauerten. Als nämlich der Kaiser alt und kränklich wurde, ließ er sich endlich in die Zahl der zu unterrichtenden Täuflinge (der Katechumenen) aufnehmen, und empfing bald darauf in Nicomedia die Taufe. Die Christen verschoben damals nämlich, wie schon oben bemerkt,*2)3 die Taufe vielfach, bis es zum Sterben ging, in der abergläubischen Meinung, alsdann infolge der eben erhaltenen Sündenvergebung um so sicherer in den Himmel einzugehen. Gerne hätte er noch eine Wallfahrt nach dem heiligen Lande unternommen, um sich im Jordan taufen zu lassen, aber er war dazu schon zu schwach. Nach der Taufe lag Constantin in dem damals üblichen weißen Taufgewande auf dem Bette, nur noch mit geistlichen Dingen sich beschäftigend; bald darauf starb er. All­ gemeines Wehklagen erfüllte bei seinem Tode die Stadt, war er doch, trotz mancher Verbrechen, die er begangen, ein so tüchtiger Herrscher gewesen, wie das Reich ihn lange nicht mehr gehabt hattet) Die Leiche wurde in einen goldenen Sarg gelegt, den man mit Purpurtuch um­ wickelte, und nach Constantinopel gebracht. Im Palaste wurde der Sarg, mit Purpur und Krone verziert, feierlich ausgestellt; zahlreich drängte sich das Volk herzu, um den Kaiser noch einmal zu sehen, Bäder, Märkte und Schauspiele waren geschlossen; ein Gemälde, das den Kaiser im Himmel thronend vorstellte, wurde öffentlich ausgestellt. Als einer seiner Söhne angelangt war, wurde die Leiche in die Kirche gebracht. ‘) Nicht 323, sondern erst 324; vgl. K. Müller KG. (1892) I, § 49, Anm. 1. 2) Vgl. Nr. 9 c. 3) So die Geschichte; die Sage von der Taufe Constantin's siehe Nr. 32d. Heidrich, Kirchengeschichte. 4

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12. (12.)

Der Sieg des Christentums und der Untergang des Heidentums,

die Priester beteten für den Kaiser, und eine Lobrede aus ihn wurde gehalten. Eine Denkmünze zeigte den gen Himmel fahrenden Kaiser. Die Heiden versetzten ihn (wie alle Kaiser) unter ihre Götter; dagegen rechnet ihn nur die griechische, nicht die römische Kirche unter ihre Heiligen, in deren Reihe doch so mancher andere einen Platz gefunden hat, der ihn nicht mehr als Constantin verdient hat.

b. Schon Constantin hatte das Christentum begünstigt, doch ohne die Heiden zu verfolgen; seine Söhne begannen das Heidentum geradezu zu ver­ folgen. Da kam noch einmal (361—363) ein heidnischer Kaiser auf den Thron, Julianus, den die Christen den Abtrünnigen (Apostata) nannten. Er war nämlich als Christ erzogen worden; aber das Christentum, das er an Constantin und seinen Söhnen wahrnahm, durch deren Schändlichkeit alle seine Verwandten umgebracht worden und er selbst mit dem Tode bedroht morden war, wollte ihm nicht so herrlich erscheinen, als es ihm seine christ­ lichen Lehrer darstellten; er trat zum Heidentum zurück. Aber Julianus war zu klug, um die Christen geradezu verfolgen zu wollen; er begünstigte nur das Heidentum und das Judentum, die Feinde des Christentums. Doch nur zwei Jahre regierte er, zu kurze Zeit, um dem Christentum viel zu schaden, lange genug, um einzusehen, daß das Heidentum trotz aller Gunst des Kaisers doch zu Grunde gehe, weil es längst in sich selbst allen Halt und alle Macht über die Menschen verloren hatte. Mit den Worten: „Du hast gesiegt, Galiläer," soll er nach der christlichen Sage gestorben sein, als er in dem von ihm begonnenen Perserkriege von einem feindlichen Geschoß tödlich getroffen wurde. Unter den Nachfolgern des Julianus ist das Heiden­ tum durch die Maßregeln der wieder christlichen Kaiser immer mehr unter­ drückt und eingeschränkt worden; auch das Heidentum hat in dieser Zeit seine Märtyrer erhalten, indem die Christen gar bald vergaßen, wie sehr sie einst für die Religion Freiheit begehrt hatten; Kaiser Justinian in Constantinopel, der dasselbe fast schon vernichtet vorfand, besiegelte seinen Untergang durch die Auflösung der letzten heidnischen Schule in Athen (529), deren Lehrer (die letzten sieben Weisen) von ihm aus dem römischen Reiche vertrieben wurden. Seitdem lebte das Heidentum nur noch im Dunkel der Dörfer als „Bauernreligion" (pagani) fort, bis es auch hier im 7. Jahr­ hundert allmählich dem Namen nach verschwand — um sich im christlichen Volksleben und Volksglauben von Griechenland und Italien mit seinen viel­ fach halb heidnischen Sitten und Bräuchen in mancher Beziehung bis auf den heutigen Tag zu erhalten. c. Das römische Reich war also, wenigstens äußerlich, ein christliches Reich ge­ worden und damit von einer niederen zu einer höheren Religion übergegangen; aber wie wenig entsprach doch die äußere Lage des christlich gewordenen Reiches der inneren Erhebung! Schien es nicht, als wenn mit dem Abfall von den heidnischen Göttern auch das Glück vom Nömerreiche gewichen wäre? Das war eine Behauptung, welche gegen das Christentum von den Heiden, wie es schien, mit Recht erhoben wurde, und die Weltgeschichte hat die Ahnung der Heiden, daß es mit dem römischen Reiche zu Ende gehe, in der That bestätigt. Da haben nun die Schriftsteller der Christen *) gegen diese Behauptung, daß das Christentum schuld sei an dem Verfall des römischen Reiches, darauf hingewiesen, daß das römische Reich nicht seinen Göttern, sondern

’) So besonders Augustinus (Oe civitate Dei), 5D r o f i u 5 (Historiarum libri VII) und Salvianus von Massilia (De gubernatione Dei).

12. (12.)

Der Sieg des Christentums und der Untergang des Heidentums.

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seinen Tugenden seine Größe zu verdanken habe; daß der Verfall des Römer­ reiches mit dem Verfall der alten Römertugenden Zusammenhänge; daß sich gegen­ über dem verfallenden Römerreich das Gottesreich erhebe, und neue Völker, die Ger­ manen, zwar ungebildet aber sittenrein, und dadurch den Römern überlegen, *) den Römern als eine gottgesandte Zuchtrute entgegenträten. Aber daß mit dem Auf­ treten der Germanen und ihrer Bekehrung zum Christentum eine neue Periode der Weltgeschichte beginne, und daß das römische Reich zu Grunde gehen könne — davon haben weder die Heiden noch die Christen damals etwas geahnt; haben doch selbst die Geschichtschreiber des Mittelalters in der deutschen Geschichte ihrer Zeit nur eine Fortsetzung der römischen Geschichte gesehen! Das heilige römische Reich deutscher Nation war nach ihrer Meinung nur eine Fortsetzung des alten römischen Reiches.

II. Die innere Kestctktnng und Kntwicketnng der aCten Kirche.

A. 13. (13.) Die Verfassung der alten Kirche: die Apostel; die Gemeindevorsteher; die Entstehung des Bischofs­ amts; die Synoden; der Kaiser. a. Die christliche Kirche war begründet worden durch die Predigt der Apostel, und so war es denn natürlich, daß dieselben in der Kirche das höchste Ansehen genossen. Aber sie haben damals kein anderes Ansehen ge­ nossen als heute; auch wir „bleiben bei ihrer Lehre" (Apg. 2, 42), die wir in ihren Schriften vernehmen, wie damals die Christen auf ihre Predigt und ihre Lehre gehört haben. Dagegen sind die Apostel nicht die Regierungs­ behörde der ganzen Christenheit gewesen, wie jetzt der Papst in der römischen, die Bischöfe in der griechischen Kirche und die sogen. Apostel bei den Jrvingianern. Ein äußeres Band der Verfassung hat die Kirche des apostolischen Zeitalters noch nicht zusammengefaßt; die Gemeinde jedes Ortes lebte zunächst als selbständiger Verein für sich, nur durch geistige Gemeinschaft mit den andern Gemeinden zu einem Gottesreiche verbunden. Aber schon damals betrachteten die Judenchristen Jerusalem als den Mittelpunkt ihres Glaubens, wie sie das von früher her gewohnt waren, und des Paulus Streben ging gleichfalls dahin, die von ihm gegründeten Heidenkirchen mit der Kirche in Jerusalem zu verbinden und so die Einheit der Kirche herzustellen. Wenn jetzt die Gemeinden meist ebenfalls nicht vereinzelt dastehen, so ist das ge­ schehen infolge derselben Entwickelung, wie sie auch in der alten Kirche er­ folgt ist. Wenn aber der ganzen Kirche eine allgemein anerkannte Obrigkeit noch heute fehlt, so wollen wir nicht vergessen, daß auch im Zeitalter der Apostel kein Haupt der ganzen Kirche außer Christus vorhanden gewesen ist; wenn es damals ohne einen Papst und ohne Bischöfe doch eine rechte Kirche gegeben hat, so ist die evangelische Kirche auch heute eine rechte Kirche auch ohne Papst und ohne Bischöfe. b. Dagegen war nun jede einzelne Gemeinde ein wohlgeordnetes Ganze. Nach dem Vorbilde der jüdischen Gemeinde hatte jede christliche Gemeinde, seitdem sich eine gewisse Gemeindeordnung gebildet hatte *2), an ihrer Spitze *) Schon Tacitus hatte in seiner Germania den Römern die Germanen in dieser Weise gegenübergestellt. 2) In der ersten Zeit wurden die Gemeinden von den in ihnen hervorragenden 4*

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A. 13. (13.)

Die Verfassung der alten Kirche; die :c.

eine Anzahl von ihr selbst gewählter Ältester oder Aufseher (welche Presbyter oder Bischöfe hießen), welche für die Ordnung in der Gemeinde sorgten und die Versammlungen leiteten. Zur Unterstützung derselben wurden beim Dienst an der Gemeinde Diakonen eingesetzt. Besondere Priester gab es in der Christenheit nicht, da alle als Priester galten, indem sie sich selber in frommem Wandel Gott als Opfer darstellten. c. Aus diesen ältesten Zuständen haben sich die späteren Einrichtungen allmählich entwickelt. Aus den Gemeindevorstehern hat sich allmählich ein einziger mit dem Titel „Bischof" als Haupt der anderen Vorsteher, welche seitdem „Presbyter" hießen und allmählich zu Priestern wurden, und der ganzen Gemeinde emporgehoben; während er zuerst nur der erwählte Ver­ treter der Gemeinde war, galt er später als der gottgeordnete Vorsteher der Gemeinde; die Zugehörigkeit zur Kirche hing später nicht mehr, wie früher, bloß von der Annahme des christlichen Glaubens, sondern auch von der Unterwerfung unter den Bischof ab. Während aber, seitdem dies geschehen war (schon vor dem Jahre 150), zunächst jede Gemeinde ihren Bischof hatte, hat später die größte Zahl der Gemeinden den Bischof verloren, und nur an der Spitze der Hauptstädte stand ein Bischof, welchem zugleich die benachbarten kleineren Gemeinden untergeordnet waren. So ist es noch heute in der römischen und griechischen und in denjenigen evangelischen Kirchen, welche Bischöfe haben (England und Scandinavien). In der römischen Kirche hat sich über die Bischöfe dann später noch der Papst er­ hoben als das Haupt der ganzen römischenKirche, und diese Verfassung der Kirche mit Papst, Bischöfen und Priesternerklärt die katholische Kirche für eine göttliche Ordnung. Dagegen wird von der evangelischen Kirche mit Recht behauptet, daß das Bischofsamt zwar eine nicht unangemessene mensch­ liche Ordnung sei, aber nicht die ursprüngliche Ordnung der apostolischen Kirche; nach dem N. T. hat jede Gemeinde eine Anzahl Vorsteher, welche Presbyter oder Bischöfe genannt werden (beide Namen bezeichnen wahr­ scheinlich dasselbe Amt), an ihrer Spitze gehabt; dieselben entsprechen etwa unserem Gemeindekirchenrat nebst dem Pastor; was bei uns der Pastor thut, durfte teils jeder thun (z. B. predigen), teils wurde es von den Presbytern besorgt (Sakramentsverwaltung). Ja selbst, wenn die Bischöfe schon in der ältesten Zeit über den Presbytern gestanden hätten, wie neuere Forscher meinen, so bliebe immer noch richtig, daß jede Gemeinde mehrere Bischöfe als Vorsteher an ihrer Spitze hatte — der Katholik fordert aber als Bischof nur einen Vorsteher.

d. In der alten Kirche stand nun rechtlich jeder Bischof dem andern gleich, und eine eigentliche Oberherrschaft eines Bischofs über andere Bischöfe wurde nicht anerkannt. Eine Verbindung der bischöflichen Sprengel unter einander wurde aber allmählich hergestellt durch die schon vor dem Jahre 200 aufgekommenen Synoden der einzelnen Provinzen des Reiches, auf denen die Bischöfe unter dem Vorsitz des Bischofs der Provinzialhauptstadt (der Metropole), dem allmählich an Ansehen immer mehr gewinnenden Metro­ politen (oder Erzbischof, wie man später sagte), über gemeinsame An­ gelegenheiten berieten. Christen geleitet, welche weder von den Aposteln eingesetzt, noch von der Gemeinde als Beamte gewählt waren.

A. 13. (18.)

Die Verfassung der alten Kirche: die rc.

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Die benachbarten Provinzialkirchen schlossen sich sodann im Anschluß an die politische Einteilung des römischen Reiches seit Diokletians allmählich zu größeren kirchlichen Gebieten zusammen, an deren Spitze die Bischöfe der Hauptstädte der politischen Diöcesen, die „Exarchen" standen, über welche sich bald die sogen. „Patriarchen" erhoben (im Osten: Antiochia, Alexan­ dria, Konstantinopel und Jerusalem, im Westen namentlich Karthago und Rom). Dagegen ist der Bischof von Rom, der schon in älterer Zeit eine Obergewalt über alle Bischöfe in Anspruch nahm, mit diesem Ansprüche zunächst nicht durchgedrungen; ein äußerliches Band der Einheit für die ganze Kirche hat es in der alten Zeit noch nicht gegeben. e. Dagegen wurde nun die äußere Einheit der Kirche wirklich her­ gestellt, als sich der Kaiser Constantin dem Christentum zuwandte. Seitdem wurden nämlich allgemeine Synoden gehalten, und dieselben waren nunmehr eine zwar nicht eigentlich regierende, aber doch die in Streitfällen entscheidende Institution der ganzen Kirche. Diese Synoden wurden aber vom Kaiser berufen und mehr oder weniger in ihren Beschlüssen bestimmt, und namentlich die Ausführung ihrer Beschlüsse lag in der Hand des Kaisers, der mit seinem weltlichen Arm die kirchlichen Beschlüsse gegen alle Wider­ strebenden zur Geltung brachte. So kann man denn mit Recht sagen, daß es seit Constantin nunmehr wirklich eine einige Kirche (allerdings nur soweit das römische Reich sich er­ streckte 2)) mit einem einzigen Oberhaupte gab; ihr Oberhaupt war aber nicht der Papst, wie die Katholiken behaupten, sondern der Kaiser, der zwar zunächst durch die Reichssynode, bald aber auch selbständig die Kirche regierte, und vor dem sich damals die römischen Bischöfe ebenso beugten wie die Bischöfe von Konstantinopel und von allen anderen Städten, und der fortan nur die als orthodox angesehene Kirche im Reiche duldete, die als staatliche Verbrecher angesehenen Ketzer aber verfolgte und unterdrückte.

B. 14, (14.)

Der altchristliche Gottesdienst.

a. Nach der Meinung der Katholiken haben Christus und die Apostel die Kirche sowohl mit einer unabänderlichen Verfasiung, als auch mit einer feststehenden Gottesdienstordnung ausgestattet; wir Evangelischen sind der Meinung, daß sowohl die Verfassung als auch der Gottesdienst der Kirche freie und darum veränderliche Schöpfungen des kirchlichen Geistes sind; nur daß gebetet und gepredigt, daß Taufe und Abendmahl gefeiert werden, ist von Christus angeordnet; wie aber diese heiligen Handlungen gefeiert werden sollen, das ist von Christus nicht bestimmt worden. Einen Priesterstand und ein Meßopfer hat Christus nun vollends nicht eingesetzt, und die älteste Kirche hat auch von beiden nichts gewußt; ihr Gottesdienst ist Sache der Gemeinde, ihr Opfer ist die Hingabe des Herzens an Gott. b. Als sich die Christengemeinde vom Judentum zu lösen begann, gewann ’) Das römische Reich zerfiel seitdem in mehr als hundert Provinzen, welche in zwölf Diöcesen, und diese wieder in vier Präfekturen zusammengefaßt waren. 9) Also eine Reichskirche neben den von ihr unabhängigen Kirchen der anderen Länder — wie heute die verschiedenen evangelischen Landeskirchen neben einander be­ stehen, ohne daß eine von der anderen abhängig ist.

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B. 14. (14.)

Der altchristliche Gottesdienst.

auch ihr Gottesdienst allmählich eine festere eigentümliche Gestalt, natürlich im Anschluß an den Gottesdienst der jüdischen Synagoge, wie er sich nach der Rückkehr aus dem Exil im Unterschiede vom Tempel-Gottesdienst entwickelt hatte. Derselbe wurde zunächst in Privathäusern gehalten, in den größeren Städten wohl meist in mehreren Privathäusern, da ein Haus oft nicht ausreichte (wie heute in mehreren Kirchen), und zwar wurde derselbe schon in der apostolischen Zeit am Sonntage gehalten (Off. 2,10. 2. Kor. 16,1). Die Christen hielten aber zweierlei Versammlungen ab, die eine zum Gottesdienst, die andere zum Liebesmahl und Abendmahl. Der eigentliche Gottesdienst bestand aus folgenden Teilen: Gebet, Zungenreden, Predigt und Schriftvorlesung. Daß das Gebet im christlichen Gottesdienste nicht fehlen durfte, versteht sich von selbst: das Vaterunser ist wohl schon im ältesten Gottesdienste gebetet worden; die demselben angehängte Doxologie (der Schluß des Vaterunsers) ist wohl gerade durch den Gebrauch dieses Gebetes im Gottesdienste erst hinzugekommen. An das Gebet schloß sich das sogen. Zungenreden an, nicht ein Reden in fremden Sprachen, sondern eine Art von Gebet, aber in Lauten, welche nicht ohne weiteres verständlich waren — „Gebete ohne Worte", welche erst eines Auslegers bedurften; an seine Stelle ist bei uns die kirchliche Dichtung und die kirch­ liche Musik getreten — Lieder mit und ohne Worte, von denen die letzteren dem Zungenreden nicht allzu fernstehen. Sodann gehörte zum Gottesdienste die Predigt, welche (in verschiedener Form) von allen geübt wurde und allen zustand. Endlich wurde auch die heilige Schrift vorgelesen, zunächst natürlich nur das Alte Testament, an welches sich erst allmählich das Neue Testament anschloß. Die in einer besonderen Versammlung abgehaltene Abendmahlsfeier schloß sich in der ältesten Zeit an die Feier des sogen. Liebesmahls an, bei welchem alle Glieder der Gemeinde von den zu derselben mitgebrachten Gaben gemeinsam aßen und tranken — eine gemeinsame Mahlzeit zur Erinnerung an die gemeinsamen Mahlzeiten Jesu und seiner Jünger, be­ sonders an die letzte derselben, das Passahmahl. An das Liebesmahl schloß sich dann jeden Tag die Feier des heiligen Abendmahls an, welches ja Jesus im Anschluß an sein letztes Mahl mit seinen Jüngern gefeiert hatte. Als das apostolische Zeitalter zu Ende ging, gewann manches eine andere Gestalt; das Zungenreden und das Liebesmahl hörten auf; die all­ gemeine Beteiligung am Predigen und Beten schwand dahin, und nun wurde die Sache bestimmter Personen, was früher alle gethan hatten; auch wurde, was früher Schöpfung des augenblicklich wirkenden Geistes war, jetzt in be­ stimmte Formen eingeschloffen. Aber das war eine natürliche Änderung, wie sie zu allen Zeiten (auch z. B. in der Reformationszeit) sich vollzieht: ein schöpferisches, mehr freies Zeitalter macht schließlich einem mehr gebundenen, nur erhaltenden Zeitalter Platz. Darum ist es verkehrt, daß die Jrvingianer verlangen, daß das Zungenreden noch heute vorhanden fei;1) auch ist es unnötig, daß die Herrnhuter noch heute, wenn auch nur einmal im Jahre, ein Liebesmahl feiern;2) auch ist es unbegründet, wenn streng Reformierte den ganzen Gottesdienst durchaus nach dem Vorbilde der apostolischen Kirche x) Vgl. Nr. 59. 2) Vgl. Nr. 69.

B. 14. (14.)

Der altchristliche Gottesdienst.

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gestalten wollten. In dieser Hinsicht sind die Katholiken nicht im Unrecht, wenn sie es zugeben wollten (was sie aber bestreiten), daß ihr Gottesdienst eine Weiterentwickelung des altchristlichen Gottesdienstes sei. Auch wir Evan­ gelischen sind natürlich nicht durchaus an die gottesdienstlichen Ordnungen der Reformationszeit gebunden; auch im Gottesdienste darf und soll die Kirche sich immer vollkommener gestalten. c. Der Sonntags-Gottesdienst der nachapostolischen Zeit, der in den ver­ schiedenen Gegenden allerdings in Kleinigkeiten verschieden war, wurde aber in folgender Weise gehalten. Wenn sich die Christen am Sonntag-Morgen im Bethause versammelt hatten, so sangen sie zunächst eine Anzahl Psalmen, worauf zuerst eine, später mehrere biblische Lektionen und dann die Predigt folgten. Nach derselben wurden die Heiden aufgefordert das Gotteshaus zu verlassen, denn bei den nun folgenden Gebeten für die Katechumenen und die Büßenden *) sollten sie nicht zugegen sein. Wenn diese Gebete vollendet waren, so wurden auch die Kate­ chumenen und die Büßenden entlassen, und nunmehr war der erste Teil des Gottesdienstes, die sogenannte Messe der Katechumenen, beendet, und es be­ gann darauf, da sich nunmehr die Abendmahlsfeier mit dem eigentlichen Gottes­ dienste zusammengeschlossen hatte, der zweite Teil des Gottesdienstes, die Messe der Gläubigen. Dieselbe begann mit dem allgemeinen Kirchengebet2); darauf sammelte der Diakon die von den Gläubigen mitgebrachten Gaben an Brot und Wein zur Abendmahlsfeier, und nach langen, die Feier einleitenden Ge­ beten fand die Abendmahlsfeier selber statt, wobei natürlich alle Gläubigen Brot und Wein 3) empfingen, sogar die Kinder4). Mit Gebeten und dem Segens­ wunsche „Gehet hin in Frieden!" schloß die Feier und der ganze Gottesdienst. An diese altchristliche Form des Gottesdienstes hat sich die griechische Kirche auch später im ganzen gehalten, und noch heute verrät der Gottesdienst dieser Kirche deutlich (mehr als der der römischen Kirche) seinen Ursprung aus dem altchristlichen Gottesdienste. Aber derselbe hatte bereits im 3. Jahrhundert eine wesentliche Umgestaltung erfahren, indem aus dem Abendmahl, in welchem die alten Christen ein Dankopfer für die Erlösung sahen, ein Opfer geworden war, welches auf Gott wirken und seine Gnade auf die Christen herabbringen sollte, und in dem dieses Opfer nicht mehr als ein Opfer der Gemeinde, sondern als ein Opfer des für einen Priester gehaltenen Bischofs ange­ sehen wurde; diese katholische Anschauung vom Abendmahl hat sich also schon in der alten Kirche entwickelt; sie war aber der ältesten Kirche fremd, und von den Reformatoren ist sie mit Recht verworfen worden.

C.

15. (15.)

Der Glaube der alten Kirche.

Der Glaube der alten Kirche; die Jrrlehrer.

a. Die Apostel hatten in Jesus den Messias erkannt, obwohl er ihren Erwartungen hinsichtlich der Aufrichtung eines messianischen Reiches nicht ^gHr. 9 und 10.

2) Dasselbe schloß mit dem Friedenskuß (der von einander getrennt sitzenden Geschlechter) als der thatsächlichen Bekräftigung der brüderlichen Gemeinschaft. 3) Also beides — nicht bloß Brot ohne Wein — und zwar gewöhnliches Brot und mit Wasser gemischten Wein. 4) Nach dieser alten Sitte giebt die griechische Kirche noch heute auch den Kindern, sogar schon den Täuflingen, das heilige Abendmahl.

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15. (15.)

Der Glaube der alten Kirche; die Jrrlehrer.

entsprach; da schien sein Tod alle ihre Hoffnungen zu nichte zu machen. Zwar wurden sie durch seine Auferstehung von ihrem Zweifel an der Messianität Jesu befreit, aber ihre Gedanken blieben doch zunächst im Kreise der damaligen jüdischen Hoffnung befangen, daß Jesus bald wiederkehren müsse, um das von ihm zu gründende Gottesreich aufzurichten; daß dasselbe bereits vorhanden war, war ihnen noch verborgen. Auch als sie fich am Pfingstfeste in wunderbarer Weise vom Geiste Gottes ergriffen fühlten, glaubten sie doch nur den vom Propheten Joel (3, 1—5) verheißenen Anfang des messia­ nischen Reiches zu erleben, noch nicht das neue Gottesreich selber. So war der neue Glaube der Apostel noch eingehüllt in die alten Gedanken des Judentums; Jesus war für sie der Messias — dadurch unter­ schieden sie sich von den Juden; aber sein Reich dachten sie sich noch in der Weise der Juden, und darum erwarteten sie seine baldige Wiederkunft. Was daher die Apostel ihren Zeitgenossen predigen, das ist kurz zusammenzufasien in die Worte: Jesus ist der Christus, der Messias (Apg. 2, 38), und so bildet sich erst seit dieser Zeit der uns geläufige Name „Jesus Christus", und sein Leben und Wirken, also sein prophetisches Amt, wird in den Predigten der Apostel vornehmlich vorgesührt (Apg. 10). Daß die Juden diesen Propheten getötet haben, ist ein großes Unrecht; aber als ein Mittel des Heils wird der Tod Jesu nicht einmal da betrachtet, wo der Redner das 53. Kapitel des Propheten Jesaias auslegt (Apg. 8, 26 s)2), das Rätsel des Todes Jesu war für sie gelöst durch Jesu Auferstehung; die Auferstehung Jesu bildete, wie den Ausgangspunkt des Glaubens der Jünger, so auch der ganzen Predigt in der apostolischen Zeit; durch die Auferstehung war ja Jesus als der Messias erwiesen, und daß Jesus der Messias sei, das war ja der Hauptpunkt ihres Glaubens. b. Durch eine einzige Predigt des Petrus waren nun am Pfingstfeste dreitausend Juden zu dem Glauben bekehrt worden, daß Jesus der Messias sei; das konnte so schnell gehen, weil der Jude, welcher Christ wurde, sich von seinen bisherigen Glaubensgenossen nur dadurch unterschied, daß er in Jesus den Messias sah. Nicht so schnell ging es mit der Bekehrung der Heiden; für sie hatte die Messiaswürde Jesu keine Bedeutung, da sie ja das A. T. nicht kannten: für sie mußte der Grund zum Christentum tiefer gelegt werden. Das sehen wir deutlich in den Predigten der Apostelgeschichte, welche vor Heiden gehalten werden. Da kommt zu der Predigt von Jesus, der ihnen als der Sohn Gottes und ihr Herr verkündet wird (2. Artikel), auch die Predigt von dem einen Gotte, von der Sünde, vom Reiche Gottes u. s. w., wie wir diese Predigt später im ersten und dritten Glaubensartikel zusammengestellt finden; erst in diesen Predigten vor den Heiden finden wir eine Zusammenfassung des ganzen christlichen Glaubens. c. Wer zum christlichen Glauben übertrat, der bekannte also, wenn er bis dahin Jude war, daß Jesus von Nazareth der verheißene Messias sei; der Heide bekannte, daß Jesus der Sohn Gottes und der Heiland der Welt sei; aus diesem einfachen Glauben entwickelte sich allmählich eine zusammen­ hängende christliche Lehre, wie wir sie in den Predigten und Lehrschriften der alten Kirche dargelegt finden. Die Grundzüge dieser altchristlichen Lehre sind aber folgende.

*) Vgl. meine Glaubensl. Nr. 42.

15. (15.)

Der Glaube der alten Kirche; die Jrrlehrer.

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Gegenüber der Vielgötterei des Heidentums wies der neue Glaube auf die Einheit Gottes hin, der in jedes Menschen Herzen wohne und rede. Daß die Welt von Gott herstamme und der Mensch von Gott nach seinem Bilde erschaffen worden sei, stand allen Kirchenlehrern fest, wenn auch über manche Punkte dieser Lehren verschiedene Ansichten aufgestellt wurden. Daß der Mensch ein Sünder sei und daß die Sünde von Adam herstamme, stand gleich­ falls fest; doch betonte man zuerst mehr als später die Freiheit des Menschen, weil manche Jrrlehrer dieselbe gänzlich leugneten, und legte mehr Gewicht auf die Lehre vom Teufel und den Dämonen, die man im Heidentum wirk­ sam glaubte, als wir das heute thun. Daß der unsichtbare Gott in Christo sich menschlich geoffenbart habe und nun im Geiste in jedem Gläubigen wohne, wurde von allen Christen gelehrt, obwohl diese schwierigen Lehren auf sehr verschiedene Weise dargestellt wurden. Daß Christus uns von der Sünde erlöst habe, stand allen fest; wie das aber zu verstehen sei, das wurde in sehr verschiedener Weise dargestellt. Daß man durch Buße und Glaube das Heil sich aneignen müsse, wurde allgemein gelehrt; doch wurde auch hier die Frei­ heit des Menschen vielfach mehr betont, als dies später geschehen ist; die guten Werke, namentlich das Märtyrertum, und als dasselbe aushörte, eine strenge Enthaltsamkeit von manchen an sich erlaubten Dingen, wie Ehe und Eigentum, wurde vielfach gar zu sehr gepriesen. Am wenigsten gab es viel­ leicht eine klare Lehre von den Sakramenten, so daß mit Recht alle späteren Parteien sich für ihre Abendmahlslehre auf die Kirche der alten Zeiten be­ rufen konnten. In der Lehre von den letzten Dingen spielte die Hoffnung auf die baldige Wiederkunft Christi eine große Nolle, und das tausendjährige Reich hofften viele damalige Christen noch zu erleben. d. Aus dem einfachen Bekenntnisse des die Taufe empfangenden Juden oder Heiden, daß er an den Vater, den Sohn und den heiligen Geist glaube, aus welchem sich allmählich das apostolische Glaubensbekenntnis entwickelt hat, hat sich also schon in der alten christlichen Kirche eine zusammenhängende christliche Lehre entwickelt, wie wir sie in den Predigten und Lehrschriften der alten Kirche dargelegt finden. Der Kern des christlichen Glaubens war der Glaube an das Heil in Christus; aber über die Fragen, wie man zu diesem Heil gelange, und wie sich des Christen Leben gestalten müsse, dachten die alten Christen sehr verschieden, und manche Lehre der alten Christen ist von der späteren Kirche wesentlich umgestaltet oder ganz aufgegeben worden. So war also die Lehre der alten Kirche noch wenig entwickelt; aber um so lebendiger war damals der Glaube, und dieser wenig entwickelte Glaube hat beffere Früchte getragen als der Glaube späterer Zeiten, wo es oft viele Glaubenssätze aber wenig Glaubensfrüchte gab, wo jeder vom Glauben redete aber nicht danach lebte, wo man um den Glauben stritt, wie um eine weltliche Sache. o. Doch hat es auch in der alten Kirche nicht an Streit über den Glauben gefehlt; war es ja doch kein Wunder, daß die neubekehrten Christen an den jüdischen und heidnischen Gedanken, die sie bis dahin gehabt hatten, noch vielfach festhielten. So bildeten sich Irrlehren der verschiedensten Art, und die Kirche hatte Mühe genug, sich ihrer zu erwehren. Für die Gegen­ wart hat der Kampf der Parteien, der die Kirche vor dem Nicänischen Concil (325) erfüllt und noch Jahrhunderte nachher schwächer fortgedauert hat, keine große Bedeutung mehr.

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15. (15.)

Der Glaube der alten Kirche; die Jrrlehrer.

Es ist oben auf den Gegensatz zwischen Judenchristentum und Heidenchristen­ tum hingewiesen worden, der im Leben des Paulus eine große Rolle gespielt hat. Auch in der späteren Zeit hat sich das Judenchristentum erhalten unter dem Namen Ebionitismus') und am mosaischen Gesetz noch längere Zeit festgehalten — eine Partei nur für ihr eigenes Leben, eine andere auch als Forderung für die Heidenchristen; beide Parteien sind im siebenten Jahrhundert untergegangen. Aber bei den koptischen Christen in Ägypten und Abessinien hat sich bis heute die Beschneidung und manches Alttestamentliche erhalten, ?) obwohl das Christentum in Abessinien erst im vierten Jahrhundert begründet worden ist; hier zeigt sich ein Ein­ fluß des Judentums auf das Christentum, welcher, vom alten Judenchristentum un­ abhängig, auch sonst in der Kirche wahrzunehmen ist. Den Ebioniten standen in der nachapostolischen Zeit in verschiedenen Richtungen die sogenannten Gnostiker gegenüber, welche die verschiedenen Religionen, Juden­ tum, Heidentum und Christentum, in phantastischen Gedankensystemen zu verbinden suchten und gegenüber dem einfachen Glauben der Kirche eine höhere Erkenntnis (Gnosis — in griechischer Sprache) zu besitzen vorgaben. Auch die Gnostiker sind seit dem sechsten Jahrhundert verschwunden. Auf einer Verbindung der persischen und anderer morgenländischer Religionen mit der christlichen Religion beruhte der Manichäismus (angeblich von dem Perser Mani, einem christlichen Priester, um das Jahr 242 gestiftet), der sich über Asien, Afrika und Europa verbreitet hat und erst im 7. Jahrhundert dem Hasse des Parsismus, des Islam und der Kirche erlegen ist; im Mittelalter tauchte er immer wieder auf, und die Kirche fand in ihm einen ihr so verhaßten Gegner, daß der Name „Manichäer" noch heute einen verhaßten Menschen bezeichnet — freilich nur noch im Deutsch der Studenten. Der leitende Gedanke dieser Religion war (wie im Christentum) der Gedanke der Erlösung; das (mehr materiell als sittlich gefaßte) Reich des Lichtes soll im Laufe der Weltentwickelung den Sieg über das (ebenso gefaßte) Reich der Finsternis davon­ tragen. Daß zu dieser Partei einst ein später gefeierter Kirchenlehrer gehört hat Augustinus), wird unten erzählt werden.-*)

16. (16.) Die Autoritäten für die Wahrheit des Christentums: der Bischof, die heilige Schrift, das apostolische Glaubensbekenntnis. Die Apostel hatten mit ihrer Predigt den Grund gelegt zum christlichen Glauben, und die Christen blieben nun auch, wie die Apostelgeschichte sagt, beständig in der Apostel Lehre. Aber nicht allzu lange blieben alle Christen in der Apostel Lehre, sondern schon frühzeitig traten Jrrlehrer der verschiedensten Art auf, deren Lehren auf den heidnischen und jüdischen Gedanken beruhten, welche sie gehabt hatten, ehe sie Christen wurden. Welches war denn nun der rechte christliche Glaube? a. Zur Entscheidung der Frage, wo denn das wahre Christentum zu finden sei, berief man sich zunächst darauf, daß man den rechten Glauben finde in der allgemeinen, der „katholischen" Kirche, wie sie bereits am Anfang des 2. Jahrhunderts genannt wurde, nicht bei den sogen. „Häre­ tikern", d. h. Ketzern, und zwar sei derselbe besonders da zu finden, wo die Apostel selber gepredigt und ihren Glauben ihren Nachfolgern hinterlassen ') Vgl. Nr. 7 d. a) Vgl. Nr. 89. 8) Vgl. Nr. 18.

16. (16.)

Die Autoritäten für die Wahrheit des Christentums: der Bischof, rc.

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hätten; an die von den Aposteln gegründeten Gemeinden müsse man sich halten, um das wahre Christentum kennen zu lernen; deren Glaube sei älter als der Glaube der Jrrlehrer, und er sei auch überall verbreitet, während die Irrlehren erst vor kurzem entstanden und wenig verbreitet seien. Diese Behauptung war damals im ganzen richtig, aber es war bereits eine katho­ lische, unrichtige Behauptung, daß der wahre Glaube gerade von den Bi­ schöfen der apostolischen Gemeinden zu erfahren sei, und daß, wie man bald meinte, die Bischöfe überhaupt die unfehlbaren Lehrer des rechten Glaubens seien, denen sich der Christ unbedingt unterordnen müsse. Auch die apostolischen Gemeinden und ihre Bischöfe, wie die Bischöfe überhaupt, waren irrtumsfähige Menschen und sind immer mehr vom Christentum der Apostel abgekommen; Luther sand auch in den von den Aposteln gegründeten Gemeinden, und ebenso bei den anderen Bischöfen keine lautere Predigt des Christentums mehr vor; er mußte auf die in der heiligen Schrift ausgezeich­ nete Lehre der Apostel zurückgehen, um das wahre Christentum zu erkennen. b. Sodann berief sich auch schon die alte Kirche (wie später Luther) auf die Schriften der Apostel, welche man seit dem zweiten Jahr­ hundert dem bis dahin allein für Gottes Wort gehaltenen A. T. zur Seite zu stellen begann. Und diese Behauptung ist ja eine richtige Behauptung. Die Lehre der Apostel besitzen wir in der That in ihren Schriften, und die evangelische Kirche fordert mit Recht, daß die Predigt ihrer Lehrer sich stütze auf die heiligen Schriften vornehmlich der Apostel, als der allein glaubwürdigen Verkündigerder Lehre unseres Erlösers; Luther's und der andern Reformatoren ganze Wirksamkeit zielte darauf hin, die Kirche wieder zurück­ zuführen zur Lehre der Apostel, von welcher die Kirche allmählich immer weiter abgekommen war. Diese Lehre ist in der That nur aus der heiligen Schrift sicher zu erkennen (nicht aus der Tradition), und so ist denn unsere Kirche eine rechte Kirche, weil sie sich hält an die in der heiligen Schrift überlieferte „Lehre der Apostel". c. Endlich aber berief man sich gegenüber den Jrrlehrern für die Wahr­ heit der kirchlichen Lehre auch auf ein kurzes Glaubensbekenntnis, welches man ebenso wie die Schriften des R. T. auf die Apostel zurückführte. Der Inbegriff der apostolischen Predigt, wie sie in der alten Kirche verkündet wurde, wurde nämlich schon in sehr früher Zeit in eine Formel gefaßt, welche dem Täuflinge vor der Taufe mündlich überliefert und er­ klärt und bei der Taufe von ihm als sein Glaube bekannt wurde. Dagegen wurde dies Bekenntnis zunächst nicht ausgeschrieben, weil die Kirche vom Jahre 150 an ihre Sakramente (und das Glaubensbekenntnis gehörte zur Taufe) vier Jahrhunderte lang vor den Ungetauften geheimhielt; erst als die Kindertaufe allgemein wurde und das Heidentum gänzlich verschwunden war, hörte dies Geheimhalten auf. Daher kommt es, daß wir den Wortlaut des ältesten Taufbekenntnisses, welches für die Christen den Jrrlehrern gegen­ über zur „Glaubensregel" wurde (während es doch zunächst nur ein Be­ kenntnis und nicht eine Regel des Glaubens war) nur aus Andeutungen der Schriftsteller bis zu einer gewissen Zeit zurückverfolgen können, wobei wir sehen, daß sich aus einem früher viel einfacheren Bekenntnisse allmählich das heutige sogen, „apostolische Glaubensbekenntnis" entwickelt hat. Daß dasselbe nicht von den Aposteln zusammengestellt ist, wie es die Sage darstellt, ist heute allgemein anerkannt. Aus der ältesten Form desselben, in

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welcher wir es um das Jahr 120 in Rom nachweisen können, hat sich die­ jenige Gestalt desselben allmählich entwickelt, welche (nicht aus Rom stammend) um das Jahr 500 in Rom ausgenommen und von Rom aus seit dem I. 800 in der ganzen abendländischen Kirche verbreitet worden ist. In diesem Wortlaut wird es noch heute auch in der evangelischen Kirche gebraucht?)

17. (17.) Der Streit um die Person Christi; Arius und Athanasius, Nestorius und Eutyches. a. Daß Jesus von Nazareth, wie es in der Bibel heißt, Menschensohn und zugleich Gottessohn gewesen sei, das halte die christliche Kirche von Anfang an den Juden und den Heiden gepredigt. Aber wie es zu begreifen und beim wissenschaftlichen Unterrichte darzustellen sei, daß Gottheit und Menschheit in dem einen Jesus vereinigt sei, das zeigte sich von Anfang an als mit großen Schwierigkeiten verbunden. Während die einen in Jesus den von Gott zum Messias erwählten und mit dem Geiste gesalbten und nach dem Tode zu gött­ licher Herrlichkeit erhobenen Menschen sahen, erblickten andere in ihm ein göttliches oder das göttliche Wesen, welches in Jesus im Fleische erschienen sei. Und wenn nun in dem Menschen Jesus die Gottheit als sich offenbarend dargestellt wurde, konnte es nicht dem Juden und dem Heiden scheinen, daß die Christen die Einheit Gottes preisgaben, da sie von einem zweiten Gotte zu predigen schienen? Wenn man dagegen die Einheit Gottes vor allem predigte, war dann nicht die Offenbarung der Gottheit in Jesus ausgeschlossen? Uber diese Fragen hatten immer aufs neue die Lehrer der Kirche nachgedacht und verhandelt, aber trotz ihrer verschiedenen Darstellungen war doch die Ruhe und Einheit der Kirche durch diese Frage nicht gestört worden. Das geschah erst im vierten Jahrhundert, als der Kampf gegen das Heidentum aufhörte und die menschliche Streitsucht innerhalb der Kirche sich geltend machte; denn es ist leider nur zu wahr, daß auch damals, wie zu allen Zeiten und auf allen Gebieten, die Liebe zur Wahrheit nur allzu oft zurücktrat gegen die Liebe zum Streite und gegen Eigennutz und Herrschsucht. Daß um die Sache gestritten wurde, war in der Regel angemessen; aber wie darum gestritten wurde, das war gar oft zu beklagen. b. Der Presbyter Arius 2) in Alexandria, ein gelehrter und frommer Mann, der ebenso an Christus glauben wollte wie seine späteren Gegner und Christum ebenfalls für den Sohn Gottes erklärte, war allmählich über die Gottheit Jesu zu folgender Ansicht gekommen. Er ging aus von der Lehre von der Einheit Gottes, die man nicht preisgeben dürfe, und meinte dem vor­ beugen zu müssen, daß dem Vater ein zweiter Gott zur Seite gestellt würde. Das schien ihm aber nur dann möglich zu sein, wenn man lehre, daß Christus zwar über den Menschen und der ganzen Welt stehe und auch vor den Menschen und der Welt geschaffen sei, aber dem Vater nicht völlig gleich sei, und da er Gottes Sohn sei, auch nicht ewig sei wie der Vater; es habe einst eine Zeit gegeben, da er noch nicht gewesen sei.8) Aber diese Lehre des Arius schien doch anderen recht bedenklich zu sein; dann wäre Christus eine Art von Unter*

*) Genaueres findet der Lehrer unten Nr. 66. 2) Das i ist lang zu sprechen und zu betonen. 3) Griechisch: qv tiote ots ow. rtv.

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gott gegenüber dem rechten Gott, *) und die Lehre von der Einheit Gottes schien so erst recht gefährdet zu sein. Gegen diese Lehre des ihm untergebenen Presbyters glaubte der Bischof von Alexandria, Namens Alexander, einschreiten zu muffen. Als Arius seine Lehre nicht widerrufen wollte, schloß ihn Alexander im Jahre 321 von der Kirchengemeinschaft aus, und eine Synode seiner Diöcese billigte sein Ver­ fahren. Aber jeder Bischof war damals nur Herr seiner Diöcese; darum war also Arius aus der allgemeinen Kirche nicht ausgeschloffen; es kam darauf an, wie sich die anderen Bischöfe verhielten. Und eine große Zahl derselben war, wenn sie auch seine Lehre vielleicht nicht billigten, doch der Meinung, daß er um derselben willen nicht hätte aus der Kirche ausgeschlossen werden sollen; Christus sage, wer an ihn glaube, der habe das ewige Leben, nicht wer da wisse, wie er vom Vater erzeugt sei. Aber der Streit wurde immer ärger, und es kam in Alexandria sogar zu Unruhen, bei denen das Bild des Kaisers beschimpft wurde. Als der Kaiser Constantin von diesen Streitigkeiten hörte, mahnte er zunächst brieflich beide Parteien zum Frieden; nach seiner Meinung stritten sie um zu unwichtige Dinge. Da aber seine Mahnung nichts fruchtete, so glaubte er das Seine thun zu müssen, um den Streit beizulegen. Er war seit kurzem alleiniger Herr im römischen Reiche, und die mühsam gewonnene Einheit des Reiches wollte er nicht durch eine Spaltung der Kirche gefährdet wissen; nur von diesem politischen Standpunkte aus griff er in den Streit der Parteien ein, und da er nur von diesem Standpunkte ausging, so ist auch sein Schwanken in der Entscheidung zu begreifen; eine selbständige Einsicht in die religiöse Bedeutung des Streites hat er nicht gehabt. c. Schon früher waren in einzelnen Teilen der Kirche Synoden gehalten worden, um über schwierige Fragen zu beraten; jetzt beschloß Constantin eine Synode aller Bischöfe des ganzen Reiches nach Nicäa in Bithynien (in Klein­ asien) zu berufen; es ist dies die erste allgemeine (ökumenische) Synode der Christenheit, gehalten im Jahre 325. Aus allen Provinzen des Reiches ließ der Kaiser die Bischöfe zusammen­ kommen, auch Bischöfe von Kirchen außerhalb des Reiches erschienen in Nicäa; etwa 300 Bischöfe waren versammelt, das Concil dauerte wahrscheinlich vom Frühsommer bis tief in den August hinein; ein Kaiserpalast war das Sitzungs­ lokal. Der römische Bischof war wegen Altersschwäche nicht selbst erschienen, sondern hatte einige Presbyter als seine Stellvertreter geschickt; der Katholik kann es sich nun nicht anders denken, als daß diese bei der Synode den Vor­ sitz geführt haben; die Geschichte weiß davon nichts, sondern zeigt, daß der Kaiser die Synode berufen, eröffnet und ihre Beschlüsse bestätigt und ausge­ führt hat, wie ja seit Constantin immer mehr der Kaiser der Herr der Kirche wurde.*2) Besonders feierlich war der erste Zusammentritt und die Eröffnung des Concils; eine feierliche Stille herrschte im Versammlungssaale, man wartete auf das Erscheinen des Kaisers. Zuerst erschienen nun die kaiserlichen Räte und Trabanten; als dann das Zeichen gegeben wurde, daß der Kaiser nahe, *) Umgekehrt bei Zinzendorf: „Unser eigentlicher Vater ist der Herr Jesus, und Gott der Vater ist nicht unser direkter Vater, sondern was man in der Welt einen Groß- oder Schwiegervater nennt." Vgl. Hase, KG. nach den Vorlesungen III, 2, S. 96. 2) Vgl. Nr. 13.

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erhoben sich alle von ihren Sitzen. Der Kaiser trat ein und bestieg den Thron, der für ihn bereit stand und begrüßte die Versammlung. Auf den Wink der Bischöfe setzte er sich zuerst, dann thaten dies auch die Bischöfe. Nun erhob sich ein Bischof, der zur Rechten des Kaisers Platz genommen, Eusebius von Cäsarea (der erste Geschichtschreiber der christlichen Kirche), und hielt eine Anrede an den Kaiser. Darauf nahm der Kaiser das Wort und mahnte in einer lateinischen Rede die Bischöfe, die Einheit der Kirche wieder­ herzustellen, die ihm so sehr am Herzen liege. Nunmehr begannen die Ver­ handlungen der Synode. Nachdem durch die Verhandlungen die Sache und der Stand der Parteien zur Klarheit gebracht worden war, zeigte es sich, daß es in der Synode drei Parteien gab. Nur eine kleine Anzahl von Bischöfen wollte dem Arius ge­ radezu beistimmen; aber auch Alexander fand nur wenige, die ihm in seiner Lehre und in dem Verfahren gegen Arius beistimmten; die große Mehrzahl der Bischöfe wünschte zwischen Arius und Alexander zu vermitteln, und es schien, als wenn diese Partei den Sieg davontragen sollte.

Da gelang es einem Manne, der noch gar nicht Bischof, sondern nur Diakonus des Bischofs Alexander war (auch niedere Geistliche und Laien waren in großer Zahl bei der Synode gegenwärtig), die Aufmerksamkeit der Ver­ sammlung auf sich zu lenken, und durch seinen Einfluß wurde ein Glaubens­ bekenntnis aufgestellt und von der Mehrzahl genehmigt, welches der Lehre des Arius durchaus entgegengesetzt war; dieser Mann heißt Athanasius. Athanasius war um das Jahr 300 von christlichen Eltern geboren und führte von Jugend auf, wie das damals bei den Christen aufkam, ein streng enthaltsames Leben, welches selbst auf unschuldige Freuden und Genüsse ver­ zichtete; *) schon als Diakonus stand er bei seinem Bischof in großem Ansehen. Athanasius ging nicht, wie Arius bei seiner Lehre, von der Einheit Gottes aus, sondern von der Gottheit Jesu, die in der Bibel bezeugt ist, und wies darauf hin, daß der Gott, der in Jesus Mensch geworden sei, in seinem Wesen gleich 2) sein müsse dem Vater im Himmel, sonst sei eben nicht Gott Mensch geworden; der Sohn Gottes sei gleich herrlich und gleich ewig mit dem Vater, wenn er auch vom Vater herstamme; man müsse unterscheiden zwischen der von Gott aus nichts geschaffenen Welt und dem vom Vater aus seinem Wesen erzeugten Sohne; wie das Licht aus einer ewigen Sonne ewig her­ vorgehe und ihr im Wesen gleich sei, so sei der Sohn seit Ewigkeit aus dem Vater hervorgegangen und ihm im Wesen gleich. Die entscheidende Frage im Streite zwischen Arius und Athanasius war die, ob das Göttliche, welches aus Erden in Jesus erschienen ist, identisch sei mit dem höchsten Gott, oder ob es nur ein Halbgöttliches sei. Athanasius lehrte nun mit Recht: Gott selbst ist in die Menschheit einge­ gangen, und nur Gott konnte uns in der That zu Gott zurückführen. Die Anschauung des Arius wurde dem wahren Wesen der Religion nicht gerecht; er suchte in der Religion nur Belehrung, und diese fand er auch bei einem von Gott verschiedenen Gesandten Gottes; in der Religion aber sucht der Mensch Gemeinschaft mit Gott, und zu dieser konnte die Menschen nur

l) Vgl. Nr. 21. ') Griechisch: öuoovaios.

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derjenige führen, der selber in vollkommener Gemeinschaft mit Gott stand; Christus ist aber die vollkommene Offenbarung Gottes in der Welt. Des Athanasius Lehre fand ihren Ausdruck in einem Bekenntnisse, welches an den hohen Festtagen noch heute hier und da in den Kirchen des Abend­ landes und im ganzen Gottesdienste der Kirche des Morgenlandes sogar stets statt des apostolischen Glaubensbekenntnisses gebraucht wird, und weil es auf der Kirchenversammlung zu Nicäa festgestellt worden ist, das nicänische Be­ kenntnis genannt wird; dasselbe schloß sich an eins der damals üblichen (dem apostolischen ähnlichen) Bekenntnisse an, und lautet also:1)2 * „Wir glauben an Einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren. Und an Einen Herrn Jesum Christum, Gottes Sohn, vom Vater gezeugt als der Eingeborene, d. h. aus dem Wesen des Vaters, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott, gezeugt, nicht geschaffen, mit dem Vater gleichen Wesens; ^) durch welchen alles geschaffen ist, was im Himmel und auf Erden ist; welcher für uns Menschen und um unserer Seligkeit willen vom Himmel gekommen ist und Fleisch geworden und Mensch geworden, gelitten und am dritten Tage auferstanden und gen Himmel auf­ gefahren ist und kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Und an den heiligen Geist fden Herrn, der da lebendig macht, der vom Vater (und vom Sohnes) ausgeht, der mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und geehrt werden soll, der durch die Propheten geredet hat. Und an Eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Wir bekennen Eine Taufe zur Vergebung der Sünden und warten auf eine Auferstehung der Toten und ein Leben der zukünftigen Welt. Shncn."]4) Zum Schluffe fügte die Synode diesem Bekenntnis, als sie es ange­ nommen hatte, noch hinzu: „Die aber, welche sagen, es war einst eine Zeit, da der Sohn nicht war,5)6 oder er war nicht, ehe er geworden, oder er ist aus dem Nichts oder aus einer anderen Substanz oder Wesen geworden, oder der Sohn Gottes ist geschaffen oder wandelbar oder veränderlich — die verdammt die katholische Kirche." Es gelang nun, den Kaiser für die in diesem Bekenntnis ausgesprochene Lehre zu gewinnen, und aus Liebe zum Frieden oder aus Ehrfurcht vor dem Kaiser nahmen die meisten Bischöfe, obwohl sie dem Bekenntnis nicht bei­ stimmten, oder wenigstens das Verfahren gegen Arius nicht billigten, doch diese Formel an und stimmten der Ausschließung des Arius aus der Kirche bei. Zu dieser kirchlichen Strafe trat aber nun, da der Kaiser der Herr der Kirche geworden war und die Kirche seitdem zu einer Staatssache wurde, auch eine weltliche Strafe hinzu — nicht im Sinne der alten und der evangelischen, aber wohl der katholischen Kirche: Arius wurde vom Kaiser nach *) Die gegen Arius gerichteten Sätze sind gesperrt gedruckt. 2) Griechisch: o^oovaios. 8) Zusatz der lateinischen Kirche (filioque), vgl. unten e. 4) Die Klammer enthält den späteren Zusatz (angeblich des Concils von Constantinopel vom Jahre 381); vgl. die weitere Darlegung! 6) Griechisch: r^v ttote öte ovx

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Illyrien ins Exil geschickt, und vier Bischöfe, welche standhaft bei ihrer Meinung blieben, oder wenigstens den Arius nicht verdammen wollten, teilten sein Schicksal; auch befahl der Kaiser alle Schriften des Arius zu verbrennen und seine Anhänger als Feinde des Christentums anzusehen. d. Der Kaiser Constantin hatte dem Athanasius Recht gegeben gegen den Arius; aber Constantin hatte das aus politischen Rücksichten gethan, um die Einheit der Kirche zu erhalten, nicht aus Überzeugung. Da gewannen die Anhänger des Arius die Schwester des Kaisers für ihre Sache, und bald ließ sich der Kaiser bewegen, den Arius aus dem Exil zurückzurufen, und Atha­ nasius, der im Jahre 328 nach des Alexander Tode Bischof von Alexandria geworden war, sollte ihn in sein Amt wieder einsetzen. Als dieser sich weigerte das zu thun, wurde er im Jahre 335 von Constantin nach Trier in die Ver­ bannung geschickt. Nach Constantin's Tode (im Jahre 337) gestatteten ihm dessen Söhne die Rückkehr; aber da er sich in Alexandria nicht halten konnte und der Kaiser Constantinus dem Arius geneigt war, so ging er bald darauf nach Rom, wo er, wie in Trier, die ehrenvollste Aufnahme fand. Im Jahre 346 wurde er wieder in sein Amt eingesetzt; im Jahre 356 mußte er von neuem Alexandria verlassen, ja, nur mit Mühe rettete er diesmal vor den Soldaten des Constantinus sein Leben; er floh in die ägyptische Wüstes) Als im Jahre 361 der Kaiser Julianus zur Regierung kam, durfte Athanasius zurückkehren; bald aber erschien der fromme Bischof dem heidnischen Kaiser als ein gar zu gefährlicher Feind des Heidentums, und er schickte ihn wieder in die Verbannung. Als Julianus im Jahre 363 starb, durfte der Bischof wieder zurückkehren; doch wurde er im Jahre 367 aufs neue verbannt, durfte aber bald zurückkehren und bis zu seinem Tode im Jahre 373 ungestört sein Amt verwalten. Fünf Mal ist er in der Verbannung gewesen, 20 Jahre von den 45 Jahren seiner bischöflichen Wirksamkeit hat er in der Fremde als Ver­ triebener zugebracht; er ist seiner Überzeugung standhaft treu geblieben. Sein Gegner Arius war schon im Jahre 336 gestorben. Auf des Constantin Befehl hatte ihn, als Athanasius es nicht that, der Bischof von Constantinopel in die Kirchengemeinschaft wieder aufnehmen sollen; aber Arius starb, ehe er noch wiederaufgenommen wurde — nach der Meinung seiner Feinde von Gott gerichtet, nach der der Freunde durch magische Künste vergiftet. e. Der Streit über den Glauben hatte bei der wechselnden Gesinnung der auf einander folgenden Kaiser zu den ärgsten Streitigkeiten geführt, welche die ganze Kirche zerrütteten und sie öfters sogar in zwei Hälften, den arianischen Osten und den athanasianischen Westen, spalteten. Da brachte im Jahre 381 ein neuer Kaiser der Sache des Athanasius den dauernden Sieg. Als nämlich im Jahre 379 Theodosius im Morgenlande den Kaiserthron bestieg, hatte im Morgenlande der arianische, im Äbendlande der nicänische

Glaube die Oberhand; da nun Theodosius selber dem nicänischen Glauben anhing, so hielt er es für seine Pflicht, diesen Glauben in seinem Reiche zur Herrschaft zu bringen und die Arianer mit weltlichen Strafen zu bedrohen. Als er in Konstantinopel einzog, ließ er den Arianern, welche alle Kirchen inne hatten, dieselben wegnehmen und übergab sie den Nicänern. Um die *) Als in dieser Zeit auch die andern Gegner der Arianer vom Kaiser verfolgt wurden, hat endlich auch der römische Bischof Liberius trotz seiner Unfehlbarkeit ein arianisches Glaubensbekenntniß unterschrieben.

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ganze Kirche seines Reiches vom Arianismus abzuziehen, hielt er im Jahre 381 in Constantinopel eine Synode, welche später als die zweite allgemeine Synode betrachtet wurde, obwohl nur 150 nicänische Bischöfe des Morgenlandes an ihr teilnahmen; der römische Bischof hatte bei dieser Synode nicht einmal, wie doch in Nicäa, Stellvertreter. Von dieser Synode wurde nun das nicänische Bekenntnis bestätigt und noch erweitert, *) indem auch vom heiligen Geiste gelehrt wurde, daß er gleich ewig und herrlich sei wie Vater und Sohn. Der nunmehr geltende Glaube an Vater und Sohn und Geist als gleich ewige und gleich göttliche Personen in der einen Gottheit fand schließlich noch seinen Ausdruck in einem um das Jahr 800 zu allgemeiner Anerkennung gelangten Bekenntnis, welches man fälschlich das Athanasianische Bekenntnis genannt hat; dasselbe ist mehrere Jahrhunderte nach dem Tode des Athanasius entstanden, und zwar nicht in der griechischen Kirche, welcher Athanasius an­ gehörte, sondern in der lateinischen Kirche, und ist von den Griechen niemals angenommen, sondern geradezu zurückgewiesen worden, so daß es mit Unrecht den allgemeinen Bekenntnisien zugezählt wird. Dasselbe ist ja auch eigentlich kein Glaubensbekenntnis, sondern ein Kirchengesetz; während die beiden andern alten Bekenntnisie mit den Worten beginnen: „Ich glaube", „Wir glauben", beginnt dieses Bekenntnis mit den Worten: „Wer da will selig werden, der muß glauben", und schließt mit der unevangelischen Verdammung aller derjenigen, welche seine Glaubensformeln nicht anerkennen wollen. Auch haben die Griechen es den Lateinern zum Vorwurf gemacht, daß sie, zuerst auf einer Synode in Toledo im Jahre 589, dem erweiterten nicänischen (dem sogenannten constantinopolitanischen) Bekenntnis noch einen Zusatz beigefügt haben, der ursprünglich nicht darin stand; in dem ursprünglichen Bekenntnis hieß es nämlich, der heilige Geist gehe vom Vater aus; dazu machte man im Abendlande später den Zusatz: „und vom Sohne" (filioque), um den Sohn dem Vater auch in dieser Beziehung gleichzustellen; darin haben die Griechen eine Verfälschung des nicänischen Bekenntnisses und eine Unter­ ordnung des heiligen Geistes unter den Sohn gefunden, und bis auf den heutigen Tag haben sich die beiden Kirchen über diese Lehre nicht geeinigt. Wie in Constantinopel, so wurde alsbald im ganzen Morgenlande der arianische Gottesdienst verboten und die Kirchen den nicänischen Bischöfen und Presbytern übergeben. Im Abendlande geschah dasselbe durch Kaiser Dalentinianus II. im Jahre 388, der vorher ein eifriger Arianer gewesen war. So ging der Arianismus im römischen Reiche im Laufe des fünften Jahr­ hunderts zu Grunde; aber derselbe hatte bereits neue Anhänger gefunden in den eben damals in die Kirche eintretenden Germanen, über welche die römischen Kaiser keine Macht hatten; dieselben wurden zunächst fast sämtlich arianische *) Oben ist die erweiterte Formel mitgeteilt; doch hat man in der neuesten Zeit erkannt, daß dies erweiterte Bekenntnis (ein Bekenntnis der Provinzialkirche von Jerusalem) einerseits älter sei als die Synode von Constantinopel, andrerseits erst um das Jahr 500 als allgemeines Bekenntnis angenommen worden sei, und zwar zugleich mit der erst um diese Zeit erfolgten Anerkennung der Synode von 381 als der zweiten ökumenischen (allgemeinen), wofür sie bis dahin nicht gegolten hat; diese Synode hat kein neues Bekenntnis aufgestellt, sondern nur die Formel von Nicäg als rechtgläubig anerkannt, aber dieselbe durch eine Erklärung über die Wesensgleichheit des heiligen Geistes mit Vater und Sohn vervollständigt (aber durch eine andere als die in dem angeblichen Bekenntnis von Constantinopel enthaltene Fornrel; aber diese Formel ist uns nicht überliefert). Genaueres siehe unten Nr. 67. 5 Heidrich, Kirchengeschichte.

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Christen und haben erst später den nicänischen Glauben angenommen; *) seit ihrem Übertritt war der arianische Glaube gänzlich verschwunden, so daß es heute keine Arianer mehr giebt. f. Daß Christus Gottes Sohn und dem Vater im Wesen gleich sei, hatten die Synoden von Nieäa und Constantinopel gegen die Arianer festgestellt. Aber damit sollte doch nun die Menschheit Christi nicht geleugnet werden; die Frage nach der Gottheit Christi war nur die Voraussetzung für die Frage nach der Verbindung des Göttlichen und Menschlichen in Christus, wie es das in der heil. Schrift dargestellte Leben Jesu vereinigt zeigte. Wie war nun beides, Gottheit und Menschheit, in der einen Person Jesu Christi vereinigt zu denken? Darüber kam es zum Streite auf Grund des Namens „Mutter Gottes" (#€ordxo$), den man schon damals der Maria beilegte. Gegen diesen Namen trat Nestorius, der Patriarch von Constantinopel, auf mit der Erklärung, Maria habe nicht Gott sondern Christum geboren. Der Patriarch von Alexandria, Cyrillus, verteidigte den Namen, und bei der Eifersucht, welche zwischen den beiden Patriarchen waltete, entspann sich bald zwischen ihnen ein heftiger Streit, der auf der dritten allgemeinen Synode von Ephesus im Jahre 431 geschlichtet werden sollte. Doch die Synode spaltete sich in zwei Synoden, von denen jede das Haupt der andern für ketzerisch erklärte und absetzte. Der Kaiser bestätigte beide Absetzungsurteile; aber Cyrillus wußte bald sein Amt wiederzuerlangen, während Nestorius abgesetzt blieb und in der Ver­ bannung starb. Seine Anhänger verließen das Gebiet des römischen Reiches und haben in Persien unter dem Namen „Nestorianer" (in Syrien „chaldäische Christen" und in Indien „Thomaschristen" genannt) sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Was man dem Nestorius vorwarf, war, daß er den einen Christus in zwei Personen, einen göttlichen im Himmel und einen mensch­ lichen auf Erden, geteilt habe, ja sogar, daß er die Gottheit Christi leugne, also ein Arianer sei — daran hatte aber Nestorius bei seiner Verwerfung des Muttergottes-Namens nicht gedacht, sondern nur auf den Unterschied der beiden Naturen in Christus hatte er hingewiesen, und die schon damals auf­ gekommene Marienverehrung hatte er bekämpft. Aber seine Lehre von Christus wurde verworfen, und „in derselben Stadt, in der das Volk einst geschrieen: „„Groß ist die Diana der Epheser"", fiel jetzt die ganze Menge vor der Kirche jauchzend ein: „„Der Feind der heiligen Jungfrau ist besiegt; Ehre der großen, erhabenen, ruhmreichen Gottesmutter"".2) Bald trat nun ein Anhänger des inzwischen verstorbenen Cyrillus, der Abt Eutyches in einem Kloster bei Constantinopel, mit der Lehre auf, in Christus gebe es nach der Menschwerdung nur eine gottmenschliche Natur, da die menschliche Natur in der göttlichen bei der Menschwerdung verschwinde wie der Tropfen Wasser im Eimer. Als diese Lehre von dem Patriarchen von Konstantinopel und einer Synode daselbst verdammt wurde, nahm sich der neue Patriarch von Alexandria, Dioskurus, ein gewaltthätiger und herrschsüchtiger Mann, des Eutyches an. Im Einverständnis mit demselben berief der Kaiser Theodosius II. im Jahre 449 nach Ephesus ein allgemeines Concil, welches den aufs heftigste entJ) Vgl. Nr. 26 A. -) K. Müller, Kirchengesch. (1892) I, § 73, 2.

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brannten Glaubensstreit beenden sollte. DioskuruS wollte natürlich seine Meinung durchsetzen, und er scheute vor Gewaltmitteln nicht zurück, zumal da er den Kaiser auf seiner Seite hatte. So wurde denn die Lehre des Eutyches, daß es in Christus nach der Menschwerdung nur noch eine gottmenschliche Natur gebe, für rechtgläubig erklärt, und der Pattiarch von Constantinopel wurde als Ketzer seines Amtes entsetzt. Aber als nun bald darauf ein neuer Kaiser den Thron bestieg, wurde diese Synode für ungültig erklärt, und sie hieß seitdem wegen des dabei geübten gewaltthätigen Verfahrens gegen die andere Partei die „Räubersynode". Nunmehr wurde, besonders auf das Be­ treiben des römischen Bischofs £eo’§ I., des ersten römischen Bischofs von größerem Ansehen/) eine neue, die vierte allgemeine Synode, zu Chalcedon (am Marmara-Meer in Kleinasien gelegen) im Jahre 451 abgehalten, natürlich wieder vom Kaiser berufen und geleitet, aber allerdings in ihren Beschlüssen vornehmlich durch einen Brief 2eo’§ bestimmt, den seine Gesandten der Synode überbrachten.*2) Auf dieser Synode wurde sowohl der angebliche Irrtum des Nestorius wie der wirkliche des Eutyches verworfen, und dagegen von Christo gelehrt, daßindereinenPersonzweiNaturen unvermischt und ungetrennt mit einander verbunden seien. Der Patriarch Dioskurus wurde abgesetzt. Aber wie früher die Anhänger des Nestorius sich von der Kirche getrennt hatten, so sonderten sich jetzt die Anhänger des Eutyches von der allgemeinen Kirche ab, und in Ägypten und Abessinien, Armenien und Syrien bildeten dieselben unter dem Namen „Monophysiten" (d. h. Bekenner nur einer Natur in Christus — in Syrien und Mesopotamien nach einem ihrer Be­ gründer „Jakobiten" genannt) eine besondere Kirche, welche sich ebenfalls bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Als später ein Kaiser, um diese Spaltung zu beseitigen, die Lehre billigte, daß in Christo zwar zwei Naturen aber nur e i n W i l l e vorhanden sei, womit nur die Monophysiten übereinstimmten, begann aufs neue der heftigste Streit die Kirche zu zerrütten, und dabei ist sogar der römische Bischof Honorius (634) auf die Seite der Monophysiten getreten und dafür von einer Synode (der sechsten allgemeinen, im Jahre 680) und auch von seinen eigenen Nachfolgern für einen Ketzer erklärt worden.3) Dieser römische Bischof ist also nicht für unfehlbar gehalten worden, oder es müßten seine Nachfolger, die seine Unfehlbarkeit nicht anerkannt haben, nicht unfehlbar gewesen sein — beides gleich unangenehm für die jetzige Lehre von der Unfehlbarkeit der Päpste. Als die Lehre von dem einen Willen in Christo durch das sechste allgemeine Concil von Constantinopel im Jahre 680 ver­ worfen wurde, sonderte sich wieder eine kleine Gemeinde von Anhängern dieser Lehre, die sogenannten Monotheleten, von der Reichskirche ab, deren Überreste sich im Libanon, nach dem angeblichen ersten (nur sagenhaften) Patri­ archen ihrer Gemeinschaft Maroniten genannt, bis auf den heutigen Tag als besondere Partei (etwa 200 000 Seelen) erhalten haben; doch haben sie sich im Jahre 1182 an die römische Kirche angeschlosien und die Lehre von dem ’) Vgl. Nr. 32. 2) Nach der Sage (die von der Unfehlbarkeitslehre noch nichts weiß) hatte der Papst diesen Brief, ehe er ihn absandte, auf das Grab des Petrus gelegt mit der Bitte, Petrus möge einen etwaigen Irrtum berichtigen — und am andern Morgen fand sich wirklich eine Berichtigung des Petrus. s) Bis ins zehnte Jahrhundert rief jeder Papst bei seiner Weihe: „Honorio haeretico anathema!“ „Verflucht sei der Ketzer Honorius!" — Vgl. auch oben d, Anm. 1.

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einen Willen in Christo aufgegeben; die meisten ihrer altkirchlichen Sitten und Bräuche haben sie aber bis auf den heutigen Tag beibehalten. g. So war denn durch lange Verhandlungen und nur zu oft allzuheftig und unchristlich geführte Streitigkeiten eine Lehre von der Person Christi fest­ gestellt worden, welche der Anschauung der heiligen Schrift von Jesus Christus gerecht zu werden suchte. Man hatte zunächst die Hoheit Christi gegenüber den gewöhnlichen Menschen behauptet und dann in dem Gottessöhne doch auch den Menschensohn festzuhalten sich bemüht. Wenn man nun bei diesen Be­ strebungen oft mehr Behauptungen aufgestellt, als Erklärungen ge­ geben hat, so ist das nicht zu verwundern; es ist eben leichter ein Geheimnis zu erkennen, als es zu erklären; darum versteht es sich aber auch von selber, daß die Kirche das Recht und die Pflicht hat, mit dieser Lehre wie mit allen Lehren sich immer aufs neue zu beschäftigen, in der Hoffnung, daß es ihr immer mehr gelingen werde, die Schätze von Weisheit und Erkenntnis zu heben, welche in den Offenbarungen Gottes verborgen sind; niemals hat auch des Frommen Geist vollständig die Tiefen der Gottheit erforscht.

18. (18 ) Augustinus und Pelagius; der Bischof Ambrosius von MailandUnter den alten Kirchenlehrern steht nach der Meinung Luthers am höchsten Augustinus; nicht weniger hoch wird aber Augustinus auch in der katholischen Kirche geschätzt; beide Kirchen können sich mit Recht für eigentümliche Lehren, welche sie aufstellen, auf ihn berufen, denn neben einer evangelischen Gesinnung zeigt doch Augustinus oft eine ganz und gar katholische Denkweise. Für die Kirchengeschichte ist nun dieser Mann besonders wichtig, weil an ihn der zweite große Lehrstreit der alten Kirche sich anknüpft, der Streit um die Lehre von des Menschen Sünde und Bekehrung. Das Morgenland hatte erkannt, daß sich in Jesus Christus der wahre Gott geoffenbart habe; aber den Grund und den Zweck dieser Offenbarung hat erst das Abendland deutlicher erkannt, in­ dem es eine bestimmtere Lehre über die Sünde als den Grund der Offenbarung, und über die Bekehrung des Menschen, als das Ziel der Offenbarung, aufstellte. Das ist aber das Verdienst des Augustinus; sein Leben und seine Lehre über die Sünde und die Bekehrung des Menschen im Gegensatze zu Pelagius sollen im folgenden dargestellt werden. A. Augustinus' Leben; der Bischof Ambrosius von Mailand,

a. Aurelius Augustinus wurde im Jahre 354 zu Tagaste, einer kleinen Stadt in Numidien (in Afrika), geboren. Sein Vater, Patricius, war noch Heide; die Mutter, Moniea, stammte aus einer christlichen Familie der Stadt. Die Kirche sah zwar solche Mischehen nicht gern, aber sie ließen sich nicht verhindern. Monica lebte übrigens mit ihrem Gatten in glücklicher Ehe; er gab es zu, daß die Kinder im christlichen Glauben unterrichtet wurden, und vor seinem Tode ließ er sich auch selber noch taufen. Als Patricius gestorben war, lebte Moniea nur noch für ihre Kinder, die sie gut zu erziehen und zum Glauben zu führen sich bemühte. Aber das war ihrem ältesten Sohne gegen­ über, Aurelius Augustinus, sehr schwer; derselbe war damals etwa 17 Jahr alt und war zwar sehr begabt, aber durch sein zuchtloses Leben hatte er den Eltern schon längst schwere Sorge gemacht. Dazu kam noch, daß er, der nach

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damaliger Sitte noch nicht getauft war und der Kirche noch nicht angehörte, sich für eine damals ziemlich verbreitete Sekte, die Manichäer, gewinnen ließ. Der Glaube der Manichäer, einer von dem persischen Magier Mani (t um 242) gestifteten Religionspartei, war, wie schon oben dargelegt worden ist,1) ein Gemisch von persischem und anderem morgenländischem mit christ­ lichem Glauben, welcher sich in Asien weit verbreitete und auch nach Afrika und Europa vordrang und erst im siebenten Jahrhundert den vereinten An­ griffen der Kirche und des Islam erlag. Für diesen Glauben ließ sich Augustinus durch die Verheißung gewinnen, daß er in demselben die Lösung aller seiner Fragen und Zweifel finden werde. Alle Mahnungen und Thränen der Mutter, welche ihren Sohn in der Sünde und in der Irrlehre umher­ irren sah, schienen vergeblich zu sein; schon wollte sie sich gänzlich von dem verlorenen Sohne abwenden, da wurde sie einst von einem frommen Bischof, dem sie ihre Not klagte, mit dem Worte getröstet: „Ein Sohn so vieler Thränen kann nicht verloren gehen." Zunächst freilich sollte es noch schlimmer werden. Augustinus hatte sich nach Vollendung seiner Studien im Jahre 375 in seiner Vaterstadt als Lehrer der Beredsamkeit niedergelassen, bald aber war er nach Carthago gegangen, und nach einiger Zeit beschloß er, sich nach Nom zu begeben. Die Mutter fürchtete, daß er in Rom sittlich vollends zu Grunde gehe, und sie wollte ihn entweder zurückhallen oder nach Nom be­ gleiten; aber Augustinus täuschte die Mutier und war plötzlich abgereist. Doch er verweilte nicht lange in Rom, sondern ging bald, im Jahre 384, nach Mailand, wo er als Lehrer der Beredsamkeit angestellt wurde. Dort­ hin eilte ihm nun Monica nach, und hier sollten ihre Gebete um den ver­ lorenen Sohn in Erfüllung gehen. b. In Mailand war damals ein trefflicher Bischof, Namens Ambrosius. Derselbe war zuerst Statthalter von Oberitalien gewesen, aber im Jahre 374, als der Bischof starb, durch den Willen des Volkes genötigt worden, die bischöfliche Würde zu übernehmen. Ambrosius, der zwar schon Christ, aber noch nicht getauft war, wurde in einer Zeit von acht Tagen getauft und zum Bischof geweiht; mit großem Eifer hat er 23 Jahre lang das Bischofs­ amt verwaltet, und durch seine Anordnungen und Schriften hat er für die ganze Kirche eine dauernde Bedeutung gewonnen. Er hat zunächst den Gottesdienst dadurch erweitert, daß er zuerst in Italien die Predigt an jedem Sonntage eingeführt hat; bis dahin wurde nur selten gepredigt. Er hat sodann nach dem Vorbilde der griechischen Kirche, als der erste im Abend­ lande, Lieder gedichtet und beim Gottesdienste singen lassen.") Das soge­ nannte Tedeum (Te Deum laudamus, d. i. Herr Gott, dich loben wir) soll er mit Augustinus zusammen bei deffen Taufe gedichtet haben, indem immer jeder eine Zeile dieses Wechselgesanges anstimmte — das ist aber nur eine unglaubwürdige Sage, da dies Lied wahrscheinlich erst im sechsten Jahr­ hundert entstanden ist. Als im Jahre 390 in Theffalonich ein Volksaufruhr ausgebrochen war, ließ der Kaiser Theodosius 7000 Bewohner der Stadt von den Soldaten niederhauen. Da bald darauf der Kaiser nach Mailand kam, so zog sich *) Vgl. Nr. 15. 2) Vgl. Nr. 73.

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Ambrosius aufs Land zurück und schrieb dem Theodosius, er habe eine so schwere Schuld auf sich geladen, daß in seiner Gegenwart das heilige Abend­ mahl nicht gefeiert werden könne; er müsse sich erst durch Kirchenbuße von der Blutschuld reinigen. Als der Kaiser dennoch in die Kirche kommen wollte, trat er ihm mit Freimut entgegen. Der Kaiser achtete auf das mutige Wort des frommen Bischofs; acht Monate hielt er sich vom Gottes­ dienste fern; als aber das Weihnachtsfest herannahte, ließ ihn Ambrosius wieder am heiligen Abendmahl teilnehmen; er mußte aber geloben, daß ein Todes­ urteil künftig erst nach dreißig Tagen vollstreckt werden solle; dann blieb noch Zeit, dasselbe zurückzunehmen, wenn es im Jähzorn gesprochen worden war. Doch nicht in allen Dingen hat der fromme Bischof das Rechte getroffen. Kurz vor dem Osterfeste des Jahres 385 stellte die Kaiserin Justins, welche noch arianisch gesinnt war, während im Morgenlande der Arianismus bereits überwältigt rocn*1)), an Ambrosius die Forderung, daß er eine Kirche dicht bei Mailand den Arianern einräume. In einer Predigt an seine Ge­ meinde sagte Ambrosius hinsichtlich dieser Forderung: „Man befiehlt mir, eine Kirche herauszugeben. Ich antworte: Mir ist es nicht erlaubt, sie herauszugeben, und der Kaiserin frommt es nicht, sie in Empfang zu nehmen. Das Haus eines Privatmannes kannst du mit keinem Rechte an dich reißen, und du glaubst das Haus Gottes wegnehmen zu dürfen? Dem Kaiser, behauptet man, sei alles erlaubt. Ich aber antworte: Belade dich nicht damit, daß du glaubest, auch auf das, was göttlich ist, habest du ein kaiserliches Recht. Was Gottes ist, gehört Gotte; was des Kaisers, dem Kaiser. Dem Kaiser gehören die Paläste, dem Priester die Kirchen. Aber, sagst du, ich muß auch eine Kirche haben. Ich antworte: Jene nicht, die den Rechtgläubigen gehört. Was hast du mit der Ehebrecherin gemein, der Kirche der Arianer?" — Das Volk war fest entschlossen, dem Bischof zur Seite zu stehen, und die Kaiserin wagte zunächst nichts zu thun. Im folgenden Jahre wurde die Forderung aufs neue gestellt. Ambrosius erwiderte: „Naboth wollte das Erbe seiner Väter nicht herausgeben, und ich sollte das Erbe Christi übergeben?" Als er den Befehl erhielt, Mailand zu verlassen, ging er in die Hauptkirche der Stadt, das Volk in großen Scharen ihm nach. Da wurde die Kirche von Soldaten umstellt, die zwar jeden hinein-, aber keinen herausließen. Mehrere Tage und Nächte war der Bischof mit seiner Gemeinde in der Kirche eingeschlossen. Da ließ nun Ambrosius Wechselgesänge zwischen Chor und Gemeinde singen, wie er sie in der lateinischen Kirche eingeführt hatte, und damit hielt er den Mut der Gemeinde aufrecht; stimmten doch selbst die christlichen Soldaten vor der Kirche in die ihnen bekannten Lieder mit ein. Die Kaiserin gab endlich nach, und der mutige Bischof setzte in dieser Sache, in der er schwerlich das Recht auf seiner Seite hatte, dennoch seinen Willen durch. Als Ambrosius im Jahre 397 gestorben und schon längst begraben war, da kam eines Tages eine deutsche Fürstin bis aus Böhmen her nach Mailand, um den frommen Mann, von dem sie gehört hatte, auch selber kennen zu lernen; so weit war sein Ruhm gedrungen. c. Augustinus und seine Mutter waren mit in der Kirche eingeschlossen, als die Kaiserin die Herausgabe des Gotteshauses von Ambrosius erzwingen Vgl. Nr. 17 e.

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wollte, und es konnte nicht fehlen, daß der Glaubenseifer dieses Mannes auf Augustinus Eindruck machte. Doch nur das geschah zunächst, daß er sich von den Manichäern abwandte; der Kirche und dem Glauben stand er nach wie vor zweifelnd gegenüber; auch die weltlichen Lüste machten ihm noch immer viel zu schaffen. Als er wieder einmal von den heftigsten inneren Kämpfen erschüttert wurde, die schon oft seine zwischen Glauben und Unglauben wie zwischen Weltlust und Frömmigkeit schwebende Seele durchbebt hatten, und im Garten betend auf- und abging, da glaubte er vom Nachbarhause her eine Stimme (wie er glaubte, eines Kindes) zu hören: „Nimm und lies" (tolle, lege), und er erblickte in diesem Worte eine göttliche Mahnung, das Buch, das er bei sich hatte, die Paulinischen Briefe, aufzuschlagen und nach dem Worte zu thun, das er zuerst finden würde (ein abergläubischer Brauch alter wie neuer Zeit). Seine Augen fielen auf das Wort des Römer­ briefes K. 13, 13: „Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern ziehet an den Herrn Jesum Christum, und wartet des Leibes, doch also daß er nicht geil werde." Fortan stand sein Entschluß fest ein neues Leben zu beginnen; seine Zweifel über­ wand er, indem er sich der Autorität der Kirche unterordnete; nunmehr wurde er von Ambrosius, Ostern 387, getauft. Er gab jetzt sein Lehramt auf, und meinte nach Röm. 13, 13 auch auf die Ehe verzichten zu müffen — schon war die Kirche zu der falschen Meinung gekommen, daß die Ehe sich mit der wahren Frömmigkeit nicht vertrage?) Ein Jahr lebte Augustinus nun noch mit seiner Mutter und einigen gleichgesinnten Freunden auf einem Landgute bei Mailand; im folgenden Jahre wollten sie nach Afrika heim­ kehren ; aber in Ostia, an der Tibermündung, starb die Mutter, voll Freude darüber, daß sie noch die Bekehrung ihres Sohnes erlebt hatte. Mit dem Tode der Mutter schließt Augustinus das berühmte Buch, in dem er selbst sein Leben beschrieben (Confessiones, Bekenntnisse) und streng und treu seine Verirrungen dargestellt hat; nach seinem Vorgänge haben später andere Männer ihre „Bekenntnisse" geschrieben. Nun hatte er gefunden, um was er so oft gebetet hatte, die Ruhe der Seele in Gott, auf die sein be­ rühmtes Wort hinweist: Fecisti nos ad te, Domine , et cor nostrum inquietum est, donec requiescat in te (Zu dir hast du uns geschaffen, o Herr, und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir). Im Jahre 388 kehrte nun Augustinus wirklich nach Afrika zurück und lebte zunächst bei Tagaste mit seinen Freunden in einer Art von Klosterleben. Nach drei Jahren siedelte er nach der Stadt Hippo Regius (dem heutigen Bona) über; dort wurde er zuerst Presbyter, dann Gehülfe des greisen Bischofs, und im Jahre 395 selber Bischof der Stadt; als solcher hat er da­ selbst bis zum Jahre 430 gelebt; er starb, während die Vandalen, welche in Afrika eingedrungen waren, Hippo belagerten, 76 Jahre alt. B.

Augustinus und Pelagius.

d. In seinen Schriften wie in seiner persönlichen Wirksamkeit hat Augustinus vornehmlich drei Parteien bekämpft: die Manichäer, die Donatisten und die Pelagianer. Da sein Streit mit den Manichäern für uns kein Inter­ esse mehr hat, so brauchen wir auf denselben nicht einzugehen. Von den

k) Vgl. Nr. 21.

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Donatisten wird unten gesprochen werden. *) Für uns ist vornehmlich von Wichtigkeit derjenige Kampf, in welchen Augustinus mit Pelagius verwickelt wurde, der pelagianische Streit, in welchem es sich vornehmlich um die Lehren von Sünde und Gnade handelte. Daß alle Menschen Sünder seien und der Gnade Gottes bedürfen, war in der Kirche allgemein anerkannt; ob nun aber durch die Sünde alle Freiheit des Menschen und mit der Bekehrung durch Gott alles eigene Wirken des Menschen aufgehoben sei, darüber kam es erst jetzt zum Streite. Zwei fromme Mönche nämlich, Pelagius und Cälestius, welche aus ihrer Heimat Britannien2) durch die Stürme der Völkerwanderung nach Rom und bald darauf nach Afrika verschlagen wurden (410), erregten durch ihre Lehre von Sünde und Gnade in der afrikanischen Kirche solches Aufsehen, daß ihre Lehren von mehreren in Afrika und in Gallien veranstalteten Synoden verworfen wurden; zur Verurteilung derselben hatte namentlich auch Augustinus beigetragen; doch ist es zu keiner allgemeinen Synode gekommen, welche über diese Lehre all­ gemein anerkannte Festsetzungen getroffen hätte. Pelagius und Cälestius — nach dem ersteren heißt aber dieser Streit der pelagianische — lehrten nämlich über Sünde und Gnade folgendes. Der erste Mensch ist sterblich von Gott geschaffen, so wie wir es jetzt find, und er wäre gestorben, auch wenn er nicht gesündigt hätte. Seine Sünde hat nur ihm selber die Strafe zugezogen, daß er aus dem Paradiese verbannt wurde; eine Veränderung seines Wesens ist durch diese eine That nicht be­ wirkt worden, er besitzt nach wie vor Freiheit zum Guten wie zum Bösen. Auch seine Nachkommen haben durch Adams Sündenfall keinen Schaden er­ litten ; alle neugeborenen Kinder befinden sich in demselben Zustande, in welchem Adam vor und nach dem Sündenfalle war; auch sie haben Freiheit zum Guten wie zum Bösen. Während nun allerdings die meisten Menschen Sünder werden, so giebt es doch auch Menschen, die sich von der Sünde frei­ halten und also auch keiner Erlösung bedürfen. Die Erlösung der Sünder wird aber dadurch bewirkt, daß die Heiden durch die auch ihnen innewohnende Freiheit des Willens und durch ihr Gewissen, die Juden außerdem durch das Gesetz Mosis und die Christen durch das Vorbild Christi zum Guten an­ getrieben werden. Die Erlösung wird keinem zuteil ohne Mitwirkung seiner Freiheit; wer nicht erlöst wird, ist selbst daran schuld. Diesen Sätzen trat Augustinus mit folgender Lehre entgegen. Der erste Mensch wäre nicht gestorben, wenn er nicht gesündigt hätte; es hing aber von seiner Freiheit ab, ob er sündigte oder nicht; erst durch die Sünde ist der Tod in die Welt gekommen. Die Thatsünde Adams hat nun nicht bloß ihm selber geschadet, indem sie ihm den Tod brachte, sondern sie hat auch in ihm die Neigung zur Sünde hervorgerufen, und diese ist als Erbsünde, d. h. als angeborene Neigung zur Sünde, welche in Gottes Augen schon den Menschen mit Schuld belastet, auf alle seine Nachkommen fort­ gepflanzt worden. Alle Menschen sind deshalb Sünder, der in Sünde ge­ borene Mensch besitzt keine andere Freiheit als die Freiheit zur Sünde und zu sittlich gleichgültigen Dingen, nicht die Freiheit zur Bekehrung und *) Vgl. Nr. 21, c, y. 2) Da nichts an die britische Kirche erinnert, so ist wohl an die Bretagne in Frank­ reich zu denken.

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Frömmigkeit; auch die edelsten Tugenden der Heiden sind nur glänzende Laster. Die Bekehrung geschieht, da der sündige Mensch ja nur Böses will, nicht durch den Menschen, sondern durch Christus und die Kirche, und sie ist nach Anfang, Fortgang und Ende ein Werk Gottes im Menschen, nicht des Menschen selber; Gott macht dabei aus dem sündigen Menschen einen heiligen Menschen, indem er seinen Willen umgestaltet; aus dem Sünder wird durch Gottes Geist ein Gerechter. Da nun die Bekehrung Gottes Werk ist, Gott aber nur einige bekehrt, andere dagegen unbekehrt läßt, so behauptet Augustinus, daß der Grund der unterbleibenden Bekehrung nicht im Menschen, sondern in Gott zu suchen sei; Gott bekehre nur, wen er wolle, und lasse die andern in der Sünde bleiben und ewig verloren gehen; wenn Gott wollte, könnte er alle bekehren, denn seine Gnade wirke ja allein und unwiderstehlich; aber nach dem uns verborgenen Ratschlüsse der Gnadenwahl will Gott nicht alle Menschen bekehren. Gott wollte nach Augustin's Lehre zwar nicht, wie später Calvin konsequenter lehrte, daß Adam sündigte, durch ihn alle Menschen Sünder und nur einige errettet würden; aber er wollte doch, daß von den Menschen, die durch Adam's Schuld zu Sündern geworden sind, nicht alle gerettet werden. e. Augustinus und Pelagius stimmen darin überein, daß sie lehren, daß Gott den ersten Menschen frei geschaffen habe, und daß der Mensch durch eigene Schuld ein Sünder geworden sei. Aber nach Pelagius hat der Sünden­ fall weder für den ersten Menschen noch für seine Nachkommen eine erhebliche Bedeutung; mit der einen Sünde hört die Freiheit und die Neigung zum Guten beim ersten Menschen nicht auf, und auch seine Nachkommen haben davon keinen Schaden; sie sündigen wie ihr Stammvater, indem sie ihre Freiheit mißbrauchen, ohne doch darum nur Sünde zu thun oder gar thun zu müssen. Dagegen hat nach Augustinus der Sündenfall des ersten Menschen eine sehr große Bedeutung für ihn selber wie für seine Nachkommen. Die Thatsünde bewirkte im Menschen die Neigung zur Sünde, und diese Neigung zur Sünde, die Erbsünde, vererbt sich auf seine Nachkommen. Wer geboren wird, kommt zur Welt mit der Neigung zur Sünde, und wird notwendig, wenn er heranwächst, ein Sünder, während es nach Pelagius auch sündlose Menschen giebt. Augustinus kennt nur einen einzigen sündlosen Menschen, Jesum Christum (doch ist er auch schon bedenklich, die Maria eine Sünderin zu nennen). Weiter lehrt nun Angustinus, daß durch die Sünde unser ganzer innerer Mensch vergiftet worden sei, so daß alles Gute im Menschen von der Sünde durchdrungen ist; auch die glänzendsten Tugenden der Heiden seien nur glänzende Laster. Das klingt nun zwar sehr hart, und ist doch nicht gerade­ zu falsch. Die edelste Tugend der alten Römer war vielleicht ihre Vater­ landsliebe, und zu welcher Härte gegen Fremde und Angehörige hat sie doch die Römer verleitet! Aber dabei hat freilich Augustinus zu wenig beachtet, daß doch noch ein Unterschied auch zwischen den Heiden besteht, indem die einen fromm und sittlich, die andern gottlos und schlecht sind, und daß doch auch noch im Sünder das Gewissen nicht gänzlich erstorben ist, wenn es auch freilich nur zeugen kann von der Macht der Sünde, ohne doch den Menschen fromm machen zu können. Wenn Pelagius von der Erlösung spricht, so denkt er vornehmlich daran, daß dem Heiden von seinem Gewissen, dem Juden vom Gesetz Mosis, dem Christen durch das Vorbild Christi gezeigt wird, wie er selber werden soll;

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Augustinus und Pelagius; der Bischof Ambrosius rc.

Pelagius ist der Meinung, wer auf das Gute hingewiesen werde, werde es auch thun. Dagegen weist Augustinus mit Recht darauf hin, daß es noch nicht genüge, das Gute zu erkennen, sondern daß der Wille des Menschen für das Gute gewonnen werden müsse, und das geschehe nur durch die Gnade Gottes, die das böse Herz des Menschen umgestaltet. Daran, daß Gott uns vor allem unsere Sünde vergiebt und erst dann uns heilig macht, wie es die evangelische Kirche nach dem Römerbriefe lehrt, hat Augustinus kaum gedacht; auch er denkt mit der ganzen alten Kirche mehr an die Macht als an die Schuld der Sünde: auch für ihn ist die Hauptsache die Heiligung, und insofern stimmt seine Lehre von der Gnade mehr mit der der katholischen Kirche überein, als mit der evangelischen Lehre. Wenn Pelagius bei der Erlösung, wie auch bei der Sünde, den Menschen ganz frei handeln läßt, indem er von freien Stücken sich für das Böse wie für das Gute entscheide, so sieht Augustinus in der Bekehrung des Menschen dagegen ein Werk Gottes. Aber dabei übersieht nun Augustinus, daß auch bei diesem Werke Gottes des Menschen Mitwirkung nicht auszuschließen ist. Gott ernährt uns, aber nicht ohne unsere Arbeit; Gott erhält uns, aber nicht ohne unsere Mitwirkung; so bekehrt uns auch Gott nicht ohne unsere Mitwirkung; wer ihm widerstrebt, bleibt unbekehrt; wer sich ihm hingiebt, wird mehr und mehr zum Guten geführt. Darum war Augustinus im Irrtum mit seiner Lehre von der Gnadenwahl; Gottes Thun schließt des Menschen Freiheit nicht aus, und „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen." f. Es ist deshalb nicht wunderbar, wenn schon zu Augustinas Lebzeiten und später immer aufs neue versucht worden ist, die Lehre des Augustinus von der Sünde und von der Bekehrung des Menschen so zu berichtigen, daß sowohl des Menschen Freiheit als auch die allgemeine Gnade Gottes zu ihrem Rechte kommen. Im ganzen wurden seine Lehren von Sünde und Gnade von der Folgezeit beibehalten, aber man verwarf seine Lehren von der alleinigen Wirksamkeit der Gnade Gottes bei der Bekehrung und von der Gnadenwahl; ja, im Mittelalter galt die letztere Lehre sogar als ketzerisch. Als vollends die Kirche mehr und mehr auf die guten Werke Gewicht legte, da vergaß man immer mehr Augustinas Lehre von Sünde und Gnade, und obwohl Augustinas Name immer hochgehalten wurde, so wandte sich doch die Kirche, ohne es zu wissen, mehr und mehr der pelagianischen Lehre zu; erst die Reformatoren haben die reine Lehre des berühmten Kirchenvaters wieder ans Licht gezogen und derselben sich mehr oder weniger angeschloffen. Aber noch heute ist die evangelische Kirche damit beschäftigt, die wichtigen Lehren von Sünde und Gnade, wie die anderen Glaubenssätze ja ebenfalls, immer tiefer zu erfassen und nach der heiligen Schrift und der Erfahrung des Christen immer richtiger darzustellen.

D. Das Leben der alten Christen.

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Das Leben der alten Christen.

a. Daß der Christ auch in seinem Leben sich von den Heiden und Juden unterscheiden müffe, war die Forderung aller Apostel. Das galt vor­ nehmlich für die Heiden, deren Leben damals durch die schrecklichsten Laster entstellt war, wie z. B. Paulus im Römerbriefe darlegt (Kap. 1). Die

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Heidenchristen verweist nun Paulus auf ihr Gewissen, welches auch unter den Heiden trotz aller Laster nicht ganz und gar erstorben sei, und er fordert von ihnen einen Wandel, wie sie ihn selbst als recht und sittlich er­ kennen. Für den Judenchristen blieb das mosaische Gesetz — was sie, als geborene Juden, als selbstverständlich betrachteten — die Regel und Richtschnur des Lebens, und sogar das Ritualgesetz haben die Christen zu­ nächst noch beobachtet, wie das Verhalten des Paulus in Jerusalem bezeugt (Apostelg. 21, 23—27: Gelübde); aber als Mittel zur Erwerburg des Heils betrachteten sie das Gesetz nicht mehr; die Seligkeit erwarteten auch sie von der Gnade Gottes, die sich in Christus geoffenbart hatte. Die Frömmigkeit der Judenchristen sollte sich in einem Wandel zeigen, wie ihn die Bergpredigt fordert; der Christ sollte das Gesetz besser halten als der Jude. Diesen Forderungen und Mahnungen der Apostel entsprach nun der alten Christen Leben so sehr, wie nur wenige Zeiten in der späteren Kirche. Die Judenchristen waren frommer als die Juden, und auch unter den Heiden­ christen hat das Evangelium eine erfreuliche Sittlichkeit hervorgerufen; Paulus kann in vielen seiner Briefe Gott dafür danken, daß seine Predigt auch einen Erfolg für die Sittlichkeit der von ihm bekehrten Heiden ge­ habt hat. b. Aber noch etwas Besonderes rühmt die Apostelgeschichte wenigstens von der Gemeinde in Jerusalem. Die ersten Christen schlossen sich eng an die Apostel und die ersten galiläischen Anhänger Jesu an, und sie „blieben beständig in der Gemeinschaft", wie die Apostelgeschichte sagt (2, 42). Wie Jesus und die Apostel eine gemeinsame Kaffe gehabt und in einer Art von Familiengemeinschaft gelebt hatten, so „hielten auch die Anhänger Jesu alle Dinge gemein'', und mancher Reiche verkaufte Hab' und Gut, gab den Erlös den Aposteln, und „diese teilten aus unter alle, je nachdem es jeder bedurfte/' So „war unter den Christen keiner, der Mangel hatte, und die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele." Aber diese Güter­ gemeinschaft war nicht eine gezwungene, sondern eine freiwillige; es durfte ebenso jeder behalten, was er hatte, wie die Geschichte von Anamas und Sapphira deutlich zeigt, und gewiß behielten die meisten ihr Eigentum. Diese Gemeinschaft der Güter war also niemals eigentlich eingeführt und durchgeführt, und in anderen Gemeinden ist sie überhaupt nicht eingeführt worden. Diese Einrichtung war zwar ein schönes Zeichen der Bruderliebe, aber praktisch war sie nicht; die Gemeinde von Jerusalem ist dabei gänzlich verarmt, so daß sie von den anderen Gemeinden unterstützt werden mußte. Es ist deshalb ebenso falsch wie thöricht, wenn neuere Bestrebungen sich auf das Vorbild der ersten Christengemeinde berufen, um eine erzwungene und allgemeine Gütergemeinschaft als eine wahrhaft christliche Forderung hinzu­ stellen; nur eine freiwillige und teilweise Gemeinschaft der Güter, oder rich­ tiger, eine opferwillige Unterstützung der Armen durch die Reichen, hat es bei den alten Christen gegeben; in der angegebenen Weise aber nur in Jeru­ salem, und auch da wohl nur in den Tagen „der ersten Liebe." Diese Einrichtung führte aber in Jerusalem zur Einsetzung von sieben Männern, deren Aufgabe es war, die Apostel bei der Verteilung der Gaben zu unterstützen?) Von diesen Männern ist der bekannteste Stephanus, *) Die Apostelgesch. nennt dieselben nirgends Diakonen, sondern stets nur die

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Das Leben der alten Christen.

der erste Märyrer des christlichen Glaubens. Welche Versuchungen aus dieser Einrichtung entsprangen, zeigt die Geschichte von Ananias und Sapphira. Aber auch ohne diese Gütergemeinschaft haben die christlichen Gemeinden dem Namen der „Heiligen", wie die Christen damals genannt wurden, ebenso wenig Schande gemacht, wie später die ersten Anhänger Spener's dem Namen „Pietisten", der ja dasselbe bedeutet. Das damalige Leben der Heiden bot ja ein Bild des tiefsten Verfalls, und auch das jüdische Volk war von der Frömmigkeit der Väter, wenn auch in anderer Weise, weit abgekommen. Da brachte nun Christus der Welt ein neues Leben in Heiligkeit und Liebe, und er vermochte es, die Seinen wirklich innerlich umzugestalten; die neue Gemeinde leuchtete in der Welt mit einer Frömmigkeit, wie sie die Frommen des Heidentums höchstens ersehnt, aber nirgends erreicht hatten. c. Aber freilich ohne Fehler und Mängel ist auch das Leben der ersten Christen nicht gewesen; Paulus und die andern Apostel haben in ihren Briefen immer noch vieles an dem Wandel der Bekehrten auszusetzen, denn es war ja für die Christen sehr schwer, sich von ihren alten Lebensgewohn­ heiten gänzlich loszumachen; ja, selbst schwere Vergehungen werden an den Christen gerügt (1. Kor. 5: Ehebruch). Aus dem christlichen Glauben und Leben entsprangen sogar neue und eigentümliche Versuchungen, wie zur Heuchelei (Ananias und Sapphira) und zur Einstellung der Arbeit wegen der Nähe der Wiederkunft Christi (2. Thess. 6). Dazu kamen schwierige Fragen für den Christen hinsichtlich der Ehe (ob er die Ehe mit dem heidnischen Teile aufrechterhalten solle) und der Opfermahlzeiten (ob der Christ an diesen teilnehmen dürfe); dazu die Neigung, aus überspannter Frömmigkeit die Ehe ganz zu meiden, auf Fleisch und Wein ganz zu verzichten — Neigungen, die doch auch mit großen Gefahren verknüpft sind. Am gefährlichsten war die Neigung, sich gegen die heidnische Obrigkeit aufzulehnen. Paulus fordert Gehorsam auch für die heidnische Obrigkeit (Röm. 13), und Zusammen­ bleiben auch mit dem heidnischen Gatten, soweit das ohne Gefahr für den eigenen Glauben möglich ist; er gestattet den Genuß des Opferfleisches, wenn man ihn selber für erlaubt halte und den schwachen Brüdern dadurch keinen Anstoß gebe; er bekämpft die überspannte Enthaltsamkeit. Auch den Unterschied der Stände hat das Christenthum nicht beseitigt, aber freilich überwunden und dadurch äußerlich gemildert. Der Arme bleibt arm auch als Christ, aber er findet Unterstützung; der Sklave bleibt Sklave auch als Christ, aber er wird als Bruder behandelt (Philemon-Brief); die Frau bleibt auch als Christin dem Manne Unterthan. So hat zwar die Sittlichkeit der Christen noch manche Mängel gehabt, aber diese Mängel waren doch nur einzelne Schattenseiten neben den hell­ leuchtenden Tugenden, welche die Christen zierten. d. Als sich nun das Christentum in der nachapostolischen Zeit immer weiter ausbreitete, da mußten die Heiden, wie sehr sie auch den neuen Glauben Siebenmänner: aber an andern Stellen des N. T. werden allerdings Diakonen erwähnt. Aber dieselben sind niemals selbständige Almosenpfleger der Gemeinde gewesen, sondern auch die Armenpflege lag in der Hand der Presbyter, später des Bischofs, und die Diakonen waren auch hierbei, wie in anderer Hinsicht, nur die Gehülfen der Presbyter, bez. des Bischofs. — Vgl. Uhlhorn, Liebesthätigkeit I, S. 154—156.

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haßten und verfolgten, dennoch anerkennen, daß die Christen edle Menschen und besser als andere seien. „Sehet, wie sie einander lieben und sogar be­ reit sind für einander zu sterben," mußte eine Heide bekennen; „sehet, welche Frauen sich unter den Christen finden," mußte ein andererer gestehen. Und von den Verfolgungen der Christen konnte ein christlicher Lehrer sagen: „Das Blut der Christen ist die Saat der Kirche." Allem Haffe der Heiden stellten die Christen eine unwandelbare Liebe entgegen, und die Heiden selber mußten bekennen: „Diese Galiläer ernähren nicht allein ihre Armen, sondern auch die unsrigen." Vor allem zeigte sich natürlich die Liebe der Christen in ihrem Verhältnis zu einander; in der Kirche gab es nicht Arme und Reiche, Niedere und Hohe, Sklaven und Freie, sondern alle betrachteten einander als Brüder, wie sie auch einander nannten; die heidnische Wiedervergeltung wurde von der Kirche verboten, selbst Processe und Notwehr galten für bedenklich; der fremde Christ fand durch einen Empfehlungsbrief seiner Gemeinde überall Aufnahme, auch wenn es bei Todesstrafe verboten war, einen Christen in seinem Hause aufzunehmen. e. Besonders kam nun der neue Grundsatz der Liebe denen zu gute, welche im heidnischen Staate als rechtlos und verachtet dagestanden hatten: den Frauen, den Sklaven, den Armen und Unglücklichen. Erst durch das Christentum hat die Frau diejenige Stellung im Hause erhalten, welche ihr gebührt; jetzt war sie nicht mehr des Mannes rechtlose Dienerin, sondern seine treue Gehülfin und ebenbürtige Schwester. Die Ehe galt für heilig und für beide Teile bindend, während bei den Heiden dieselbe nur allzuleicht vom Manne gelöst werden konnte. Als einziger Scheidungs­ grund galt der Ehebruch, aber selbst dann schien eine neue Ehe auch für den unschuldigen Teil unerlaubt, um die Wiedervereinigung nicht unmöglich zu machen. Daß in der christlichen Ehe von Aussetzung der Kinder keine Rede mehr sein konnte, verstand sich von selbst, und auch für die Erziehung der Kinder sorgten Haus und Kirche in befferer Weise, als es bei den Heiden geschah. Die Sklaverei wurde zwar in der christlichen Kirche nicht sofort auf­ gehoben, sondern auch fromme Christen und Geistliche, ja, Kirchen und Klöster besaßen und behielten vielfach ihre Sklaven; aber der Grund zur Aufhebung der Sklaverei war damit gelegt, daß die Herren fortan ihre Sklaven als Brüder behandeln sollten, wie das schon Paulus von Phile­ mon verlangt hatte; da konnten die Christen ihre Sklaven auch weiter be­ halten, und erst später ist die Aufhebung der Sklaverei erfolgt. Heute be­ trachtet es allerdings die christliche Kirche als ihre Aufgabe, die Sklaverei zu unterdrücken, und in den christlichen Ländern ist dieselbe seit dem ameri­ kanischen Kriege (1861—65) auch völlig beseitigt. Wenn nun bisher die Arbeit und das Handwerk als Sache der Sklaven für unehrenhaft gegolten hatte, so wurde das jetzt natürlich anders; alle Arbeit, auch die niedrigste, galt fortan für ehrend; „wer nicht arbeitet, soll auch nicht effen" — wurde der Grundsatz der Kirche; außerdem aber wurde die Arbeit als Mittel der Wohlthätigkeit gepriesen. Der Arme wurde in der Kirche dem Reichen gleichgestellt, aber ohne das Eigentum des Reichen anzutasten; Witwen und Waisen, Gefangene und Verfolgte standen unter dem besonderen Schutze der Kirche; namentlich auch der durch Wucherer oft schrecklich bedrängten Schuldner nahm sich die Kirche an;

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Das Leben der alten Christen.

ja, das Zinsennehmen galt den frommen Christen überhaupt als verboten. Kriegsgefangene wurden losgekauft, oft selbst für die goldenen oder silbernen Kirchengeräte. f. Wenn nun trotz ihres frommen Lebens und ihrer Liebe auch gegen die Heiden immer aufs neue Verfolgungen über die Christen verhängt wurden, so änderte das nichts im Leben der Christen. Wenn sie auch den Kaiser nicht göttlich verehrten, so beteten sie doch für den Kaiser und die Obrigkeit, und auch später, wo sie schon sehr zahlreich geworden waren, haben sie doch nie­ mals an eine Empörung gegen ihre Verfolger und an einen weltlichen Um­ sturz des heidnischen Reiches gedacht. Mancher Christ glaubte zwar, in dem heidnischen Staate weder Richter noch Soldat sein zu dürfen, um nicht in die Ungerechtigkeiten der Heiden verwickelt zu werden; aber wer diese Bedenken nicht teilte, diente dem Staate als Christ so treu, wie damals kein Heide es that. g. Wenn so im Christentum dem Heidentum eine neue Lebensmacht gegenübertrat, so mußte dieselbe allmählich auch auf den heidnischen Staat und das römische Recht Einfluß gewinnen, und so sehen wir denn auch, wie zuerst die heidnischen Philosophen und allmählich auch die Rechtslehrer Grundsätze und Forderungen für das Leben aufstellten, welche nicht mehr dem Boden des alten Heidentums entstammten. Gleichstellung aller Menschen und Liebe zu allen, Milderung der Gesetzgebung hinsichtlich der Frauen und Kinder, Schutz für die Sklaven, Sorge für die Armen — solche Gedanken waren dem alten Heidentum fremd; die römische Kaiserzeit hat dieselben mehr und mehr ausgenommen, und von diesemmenschlicherenStandpunkte aus ist unter dem Kaiser Justinian im 6. Jahrh, das römischeRecht zusammengestellt und fixiert worden. Dies in christlichem Sinne umgestaltete heidnische Recht hat dann das ganze Mittel­ alter hindurch geherrscht und liegt bekanntlich noch heute unserer Rechtsbildung zu Grunde. So wurde also auch der heidnische Staat allmählich von dem Sauerteige des Christentums durchdrungen, und es ist nicht unrichtig, wenn man seitdem von einem christlichen Staate redet.

20. Die Liebesthätigkeit der alten Kirche. a. Eine Welt ohne Liebe war die heidnischeWelt, und mit Staunen nahmen die Heiden an den Christen in der Liebe zu allen Menschen eine Tugend wahr, die unter ihnen nicht zu finden war. Diese Tugend fehlte aber dem Heidentum darum, weil in ihm der hohe und ewige Wert jedes einzelnen Menschen noch nicht erkannt war; der Bürger galt etwas, nicht der Mensch; für das Diesseits sorgte der Heide, nicht für das Jen­ seits; zu seiner Ehre gaben der Bürger und der Staat etwas von seinem Vermögen her zu milden Stiftungen, aber nicht aus Liebe zu den Armen. Aber in der Zeit des Christentums war doch im Heidentum bereits eine geistige Strömung aufgekommen, welche dem Christentum entgegenkam. Das eine römische Reich hatte die verschiedenen Völker mit einander in einem Staate vereinigt, und so kam denn der Gedanke auf, daß alle Menschen trotz der Verschiedenheit der Abstammung Brüder seien. Diesem humanen Sinne entsprach es auch, daß Stiftungen zur Unterhaltung armer Kinder

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Die Liebesthätigkeii der alten Kirche.

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gemacht wurden; eine Abbildung des Kaisers Trajan zeigt uns denselben inmitten der von ihm versorgten Kinder — „ein bedeutsames Symptom einer dem Christentum entgegenkommenden Strömung in der Heidenwelt." *) Namentlich aber zeigte sich in den zahlreichen Vereinigungen (Collegien), welche in immer größerer Zahl entstanden, bereits ein Vorbild der christlichen Ge­ meinden, indem diese Vereinigungen freie Verbindungen der verschiedensten Menschen, namentlich der ärmeren Leute, waren, welche durch Beiträge ihrer Mitglieder für das Wohlergehen ihrer Angehörigen sorgten und sich unter einander Brüder und Schwestern nannten. Auch gab es Collegia von Aus­ ländern zur Verehrung der heimischen Götter — wiederum Vorbilder der Christengemeinden der späteren Zeit.2) Aber das Christentum hat doch noch mehr gethan, als die freien Ver­ einigungen der Heiden; diese sorgten nur für ihre Glieder, die Christen sorgten auch für solche, die nicht zu ihnen gehörten, und sie sorgten na­ mentlich für die Armen. Die von den Christen geübte Liebe zu allen Menschen, besonders auch zu den Armen, war aber keine heidnische Tugend, sondern dieselbe beruhte auf dem neuen Gebote, welches Jesus seinen Jüngern gegeben hatte (Joh. 13, 34): „Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch unter einander liebet, wie ich euch geliebet habe." Diesem Gebote ihres Meisters entsprach das Leben der Christen. Während der heidnische Philosoph sagte: „Von allem Löblichen teilt der Treffliche sich selbst das Beste zu," hieß es bei den Christen: „Die Liebe suchet nicht das Jhre."o) Eine wirkliche Liebesthätigkeit hat das Heidentum aus sich selber nicht erzeugt; dasselbe streckte sich auch in diesem Stücke dem Christentum entgegen; aber erst aus dem Christentum ist eine alle Menschen umfasiende Liebesthätigkeit hervorgegangen. b. Zwar war ja im Volke Israel die Barmherzigkeit bereits geboten, aber die dem Christentum verwandten Keime des Alten Testaments waren im späteren Judentum nicht entwickelt worden, sondern vielmehr verkümmert. Zu dem Gebote des A. T.: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" hatte der Pharisäismus hinzugefügt: „Und deinen Feind Haffen" (Matth. 5, 43); den wichtigen Gedanken, daß jedes Menschen Nächster jeder Mensch sei, auch der Heide, hat erst Jesus zur Geltung gebracht. Sodann hatte das Judentum aus der im Gesetz geforderten Liebe zum Nächsten eine Reihe gebotener Einzelwerke gemacht, und von denselben, namentlich von den Almosen, heißt es in den Apokryphen des A. T.: „Almosen erlösen vom Tode, tilgen die Sünden, erhalten beim Leben" (Tob. 12, 8). Erst Jesus hat den Juden gezeigt, wie man in rechter Weise Almosen geben könne (Matth. 6, 1—4), und er sagt nichts davon, daß man sich durch Almosen­ geben den Himmel verdiene; die Liebe ist nämlich ein freies Erzeugnis des Glaubens, und sie suchet nicht das Ihre, auch nicht ihr eigenes Heil, sondern das Wohl des Nächsten. c. Nicht mit Naturnotwendigkeit führte nun der Weg vom Alten *) Vgl. Uhlhorn, christl. Liebesthätigkeit* I, 18. a) Über die collegia findet der Lehrer das Nötige z. B. bei Uhlhorn I, S. 18-25. a) Aristoteles (Nikomach. Ethik IX, 8) und Paulus (1. Kor. 13, 5); vgl. Uhl­ horn I, S. 31.

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Testament zum Neuen; derselbe hat vielmehr zum Pharisäismus gesührt; auch dem Judentum gegenüber ist das Christentum etwas Neues, eine neue Offenbarung, sowohl in seinem Glauben wie in seiner Liebe. Liebe hat aber Jesus nicht bloß gelehrt und geboten, sondern er hat sie vor allem selber geübt, indem sein ganzes Leben vom Anfang bis zum Ende ein Leben der Liebe war; er war nicht gekommen, daß er ihm dienen lasse, sondern daß er gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele (Matth. 30, 28). Seine Jünger aber sind nur diejenigen, welche ihm nachfolgen in der Liebesübung an den Brüdern, und zwar an allen Menschen ohne Unterschied, wie das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt, und ohne irgend eine Schranke in der Erweisung der Liebe, wie ja Jesus sogar sein Leben für die Menschen hingegeben hat. d. Dem Vorbilde ihres Meisters folgend, ist nun die christliche Kirche zu keiner Zeit ohne Liebesthätigkeit gewesen. Wenn aber die erste Gemeinde in Jerusalem zunächst noch den Charakter des Familienlebens festgehalten hat und darum nicht bloß gemeinsame Mahlzeiten und sogar eine gewisse Güter­ gemeinschaft gehabt hat, so hat doch auch in der ältesten Christenheit der Unterschied von Armen und Neichen bestanden; aber es wurde in der christ­ lichen Gemeinde allen Hilfsbedürftigen eine Liebe erwiesen, wie sie der alten Welt fremd war, und wenn auch die christliche Liebe im Laufe der Zeit manche Trübung erfahren hat, so ist sie doch niemals wieder verschwunden. Die Liebesthätigkeit der Christen aber erfuhren zunächst die Notleidenden, indem man ihnen Unterhalt gewährte; sodann die Arbeitslosen, indem man ihnen Arbeit verschaffte; Witwen und Waisen, indem man ihnen den ver­ lorenen Galten und Vater zu ersetzen suchte; die Kranken und Fremden, in­ dem man ihnen Pflege und Herberge verschaffte; die Gefangenen, indem man ihr Los erleichterte od.er sie loskaufte. Dagegen betrachtete es die christliche Kirche zunächst noch nicht als ihre Aufgabe, die Sklaven loszukaufen, da ja in der Kirche zwischen Sklaven und Freien kein Unterschied gemacht wurde. Es war nun ein Glück für die Kirche, daß sie ihre Liebesthätigkeit zu einer Zeit begann, als das römische Reich sich in wirtschaftlicher Beziehung noch leidlicher Zustände erfreute, so daß die Leistungsfähigkeit der kirchlichen Liebesthätigkeit allmählich erstarken konnte, um der später immer größer werdenden Not des Zeitalters gewachsen zu sein. e. Die christliche Wohlthätigkeit war aber in der alten Zeit, wo die Gemeinden noch so klein waren, daß jeder Christ alle Gemeindegenossen per­ sönlich kannte, vorwiegend eine Thätigkeit der Gemeinde; in der Ge­ meindeversammlung wurden die Gaben zusammengebracht, und durch die Ge­ meindebeamten wurden dieselben verteilt. Die Mittel zu dieser Wohlthätigkeit wurden aber aufgebracht in zweierlei Weiset) Indem die Gemeinde sich als ein „Collegium" betrachtete, wie sie damals unter den Heiden bestanden, wurde von jedem Christen (aber nach Belieben) monatlich (wie es bei den Collegien vorgeschrieben war) ein Bei­ trag in die Gemeindekasse gezahlt, aus welcher die Armen unterstützt wurden. Aber noch bedeutsamer für die christliche Liebesthätigkeit wurden die frei’) Von den auch schon damals vorkommenden Kollekten zu außerordentlichen Zwecken kann hier abgesehen werden; ein Kirchengut, dessen Ertrag für die Armen verwendet werden konnte, war in der älteren Zeit natürlich noch nicht vor­ handen.

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willigen Gaben (Oblationen, Opfer), welche zu den in der alten Kirche üblichen Liebesmahlen und der damit verbundenen Abendmahlsfeier (zuerst täglich, später sonntäglich) dargebracht wurden als Dankopfer für die von Gott den Menschen erwiesene Gnade. Der Reiche gab Gott, was er brachte, und der Arme empfing von Gott, was er erhielt, und so fühlten sich Arme und Reiche mit einander verbunden in einer Gemeinschaft, welche den Unterschied der Stände in der Kirche beseitigte. f. Aber gerade an diese Opfer hat sich schon früh das Mißverständnis angeschlossen, daß aus dem ursprünglichen Dankopfer der Gemeinde für die von Gott empfangenen Gnadengaben einerseits ein auf die Erlangung der Gnade Gottes gerichtetes Werk der Gemeinde wurde, indem die Liebesgaben (wie im späteren Judentum die Almosen) als Mittel der Sündentilgung angesehen wurden, und daß andererseits als das eigentliche Opfer die Darbringung des Leibes und Blutes Christi durch den Priester im Abendmahl angesehen wurde, welcher ja die Liebesgaben der Gemeinde zur Feier des h. Abendmahls verwendete. Mit dieser Umgestaltung in der Auffassung der altchristlichen Dankopfer der Gemeinde zu Sühnopfern des Priesters, die schon dem dritten Jahrhundert angehört, beginnt eigentlich schon die Kirche des Mittelalters, in welcher dieser Gedanke, nach allen Seiten hin ausgebildet, zu einer gänzlichen Entstellung des Christentums geführt hat.A)

!>•. Die Liebesthätigkeit der Gemeinde wurde aber ausgeübt durch die Gemeindevorsteher, in der älteren Zeit also durch die Presbyter, später durch den Bischof. Als Gehülfen derselben für die Ausübung der Liebesthätigkeii, wie auch für die andern Geschäfte derselben, wurden schon in alter Zeit die Diakonen eingesetzt, welchen beim Dienst an den Frauen die Witwen, als besonderer Stand in der Gemeinde, zur Seite standen; nur im Morgen­ lande traten zuerst neben, dann an die Stelle der Witwen die Dia­ konissen; beide Ämter von Frauen sind in beiden alten Kirchen, der grie­ chischen wie der altrömischen, allmählich verschwunden, als die Meinung auf­ kam, daß der Stand der Jungfrau heiliger sei als der der Witwe, und daß der Gemeindevorsteher ein Priester sei, der für die Gemeinde zu opfern habe, da es ja unmöglich schien, das Priesteramt einer Frau zu übertragen. Das Amt der Diakonen hat sich zwar dem Namen nach erhalten, aber nur in dem Sinne einer niederen Stufe der Geistlichkeit, welche mit der Armen­ pflege nicht besonders betraut ist. h. Als nun aber für die Massenarmut und das Massenelend der großen Gemeinden, welche nach dem Untergange des Heidentums überall entstanden und nach wie vor von dem einen Bischof geleitet wurden, eine Versorgung der Hülfsbedürftigen durch die Gemeinde immer mehr zur Unmöglichkeit wurde, da trat an die Stelle der organisierten Gemeinde pflege einerseits die ungeordnete PrivatWohlthätigkeit, gefördert durch den Glauben, daß durch Almosengeben Vergebung der läßlichen Sünden und Erleichterung der Pein des Fegfeuers gewonnen werde, und andrerseits die seitdem aufkommen­ den Wohlthätigkeits-An st alt en, das Hospital und das Kloster, beide *) Uhlhorn, Liebesthätigkeit I, 114—115: „Bei Cyprian sind bereits die Züge wenigstens als werdende zu erkennen, die der nachconstantinischen Kirche ihr Gepräge gegeben haben, ja, die im Grunde das ganze Mittelalter bis zur Reformatton hin be­ stimmen." Heidrich, Ktrchesgeschichte.

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schon der alten Kirche angehörend, aber namentlich im Mittelalter zur höchsten Blüte entwickelt, wo die Gemeindearmenpflege gänzlich verschwand.

i. Die wohlgeordnete Gemeindepflege wurde zunächst zu einer mecha­ nischen Almosenverteilung durch die Beamten des Bischofs, wie früher durch den Kaiser und heute bei der Privatwohlthätigkeit, weil der Bischof und seine Beamten die einzelnen Armen jetzt nicht mehr kennen konnten, und man es versäumte, die großen Gemeinden in übersichtliche Einzelgemeinden zu trennen;*) man gab dem, der es besonders laut begehrte, und übersah viel­ fach die wahrhaft Bedürftigen. Nunmehr hörten in den Kirchen allmählich die freiwilligen Dankopfer auf, welche bisher jeder Christ am Sonntage in die Kirche mitgebracht hatte, und Vermächtnisie an Geld und Gut traten an deren Stelle, und zwar bald in so großem Umfange, daß die Kirche allmählich zum größten Reichtum gelangte. Aber an diesen Schenkungen klebte schon damals vielfach der Makel, daß sie gegeben wurden nicht aus Liebe zu den Armen, sondern in der Absicht, sich selber damit den Himmel zu ver­ dienen, und der Vorwurf der Erbschleicherei seitens der Geistlichkeit. Der erstere Vorwurf traf auch die jetzt immer mehr geforderte und reich­ lich geübte Privatwohlthätigkeit, welche dem Wohlthäter Vergebung der läßlichen Sünden und Erleichterung der Pein des Fegfeuers verschaffen sollte. Aber wenn wir von diesen Mängeln ihrer Liebesthätigkeit absehen, so hat doch die Kirche auch in dieser Zeit viel für die Armen gethan, und der arme Römer wie der arme Germane segnete den frommen Bischof, der sich seiner Not annahm, während seine Landsleute ihn infolge der damaligen Gesetzgebung zum Bettler machten. k. Der Privat Wohlthätigkeit trat aber bald auch eine Liebesthätigkeit durch Wohlthätigkeitsanstalten zur Seite. Nach heidnischen Vorbildern, welche allerdings nur eine geringe Nolle spielten, sind — zuerst nachweislich im vierten Jahrhundert — allmählich in den christlichen Gemeinden, zuerst des Morgenlandes, Anstalten gestiftet worden, die man etwa Hospitäler nennen darf, dazu bestimmt, allen Armen und Unglücklichen Aufnahme, Unterhalt und Pflege zu gewähren; erst allmählich haben sich nach der Verschiedenheit der Aufgabe aus der einen Anstalt verschiedene Anstalten entwickelt, und die neuere Zeit hat ja gerade durch die Sonderung der Anstalten um so Größeres zu leisten vermocht. Auch diese Anstalten standen unter der Aufsicht des Bischofs, und die Kosten für ihre Unterhaltung wurden aus dem Gemeindevermögen be­ stritten, wenn nicht etwa ein genügendes Stiftungskapital vorhanden war. So war die Armenpflege auch äußerlich aus einer Gemeindesache zu einer Anstaltssache geworden. Neben das Hospital trat aber schon in der alten Kirche als zweite Anstalt der Liebesthätigkeit das Kloster. Zwar ursprünglich war das Klosterleben entstanden,2) um von der vom Christentum gar zu wenig be­ rührten Welt eine Stätte des wahren Christentums abzusondern; aber das zunächst von der Welt gesonderte Mönchtum hat allmählich doch wieder eine Bedeutung für die Welt gewonnen. Der im Kloster zunächst vornehmlich geübten Betrachtung trat nämlich bald die Arbeit zur Seite, ’) Diese Aufgabe hat unsere Zeit wieder in die Hand zu nehmen begonnen. 3) Über das Klosterleben wird unten ausführlich gesprochen werden, vgl. Nr. 38.

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und die Arbeit ist ja die gottgeordnete Grundlage der Wohlthätigkeit; so wurde denn das Kloster neben dem Hospital zur zweiten Wohlthätig­ keitsanstalt, an dessen Pforten kein Armer und Unglücklicher vergeblich anklopfte. 1. Die spätere Kirche des Altertums wie die ganze Kirche des Mittelalters kennt also keine vom Bischof geleitete Liebesthätigkeit der Gemeinde, sondern nur einerseits die P r i v a t Wohlthätigkeit und andererseits Hospital und Kloster als Anstalten der christlichen Wohlthätigkeit; aber auch in dieser neuen Form der Liebesthätigkeit hat die alte Kirche für die Armen und Unglücklichen Großes geleistet.

21. Die „Gemeinde der Heiligen". „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel voll­ kommen ist" — das hatte Jesus von seinen Jüngern gefordert (Matth. 5, 48), und damit ist allerdings das Ziel des christlichen Lebens richtig bezeichnet. Wie hat nun die Christenheit dies Ziel zu erreichen gesucht? a. Eine „Gemeinde der Heiligen" sollte, wie die alte Kirche mit Recht sorderte, jede christliche Gemeinde sein. Daher forderte man, daß die Christen nach der Taufe, durch welche sie, wie man in der älteren Zeit fälschlich meinte, nur Vergebung der bis dahin begangenen Sünden erhielten, frei seien von gröberen Sünden; wer solcher sich schuldig machte, der wurde von der Gemeinde ausgeschlossen und nicht wieder ausgenommen, da die Gemeinde kein Recht habe, dem Urteil Gottes vorzugreifen, von dem man nicht wisse, ob er diese Sünden vergeben werde. Aber es gab keine feste Bestimmung darüber, welches die besonders schweren Sünden seien, und es war natürlich, daß bei dieser Ansicht die leichteren Sünden um so weniger beachtet wurden, zumal da man bald auf die Meinung kam, daß man dieselben durch gute Werke, besonders durch Almosen, sühnen könne. Daß auch der Christ der Vergebung der Sünden fortdauernd bedürfe, und daß er dieselbe auch durch den Glauben fortwährend erhalten könne — das war der alten Kirche noch verborgen. Daher kam es, daß die alten Christen die Taufe gern erst auf dem Totenbette empfingen, weil sie nur dann Vergebung aller Sünden zu empfangen hoffen durften. Dieselbe Wirkung schrieb man aber auch dem Märtyrer-Leiden oder Tode zu, wodurch sogar der Mangel der Taufe ersetzt werde. Aber als nun die Zahl der Christen immer größer wurde, da sah man sich genötigt, den Begriff der schweren Sünden immer mehr einzuschränken, und schließlich erschienen als solche nur noch Abfall vom Glauben, Mord und Unzucht, und selbst für diese gewährte die Kirche allmählich wenigstens noch eine einmalige Vergebung, aber nur dann, wenn die Gemeinde dessen gewiß zu sein glaubte, daß Gott diese Sünden vergeben habe. Eine solche Gewißheit glaubte man aber vornehmlich dann zu haben, wenn die Mär­ tyrer den Sünder der Vergebung seiner Sünde versicherten; sonst blieb der Sünder im Stande der Büßenden, *) und es blieb Gott überlassen, ihm seine Sünde zu vergeben. Später wurden auch Abfall und Unzucht als ver­ gebbare Sünden angesehen; aber freilich nur eine einmalige Vergebung konnte der schwere Sünder erhalten, und zwar durch den Bischof, welcher :) Vgl. unten b.

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zunächst an die Seite, später aber an die Stelle der Märtyrer trat, als der Träger des Geistes Gottes, den man früher in der Gemeinde und dann in den Märtyrern wirksam geglaubt hatte; damit war aus dem Bischof ein Richter geworden, aber die „Gemeinde der Heiligen" wiederherzustellen war auch der Bischof nicht imstande. b. Während man also in der älteren Kirche den aus der Kirche aus­ geschlossenen Sünder gar nicht oder selten wieder aufnahm, so wurde später derjenige, welcher eine Todsünde begangen hatte, der Kirchenzucht unter­ worfen, welche durch den Bischof (im Verein mit seinem Klerus) geübt wurde, um ihn wieder in die Kirche aufnehmen zu können. Die Strafe des Schuldigen war die Ausschließung aus der Gemeinde, und diese Aus­ schließung galt auch als Ausschließung vom Heil; aber es galt in der späteren Zeit als für jeden Sünder möglich, wieder in die Kirche ausgenommen zu werden, und dadurch war die Möglichkeit der Heilserlangung wiedergewonnen. Es gab aber vier Stufen der Ausschließung und eine verschiedene Dauer derselben, je nach der Schwere der Sünde. Die erste, die schwerste Stufe der Ausschließung bestand darin, daß der Betreffende die Kirche überhaupt nicht betreten, sondern nur, an der Kirchthür stehend, die Gläubigen um ihre Fürbitte behufs seiner Wiederaufnahme bitten durfte. Die zweite Stufe gestattete die Anwesenheit in der Kirche bei der Schristvorlesung und bei der Predigt, aber nicht beim Gebet. Die dritte Stufe gestattete auch die Anwesenheit beim Gebet, aber der Betreffende durfte nicht stehend, sondern knieend mitbeten. *) Die vierte Stufe gestattete zwar die Anwesenheit, aber nicht die Teilnahme am h. Abendmahl. Der Bischof hatte nun zu bestimmen, wie weit der Sünder der Bußdisciplin zu unterwerfen sei. Da aber die Kirchenstrafe als Erziehungsmittel angesehen wurde, so konnte der Bischof auch, um Verzweifelung und Ver­ weigerung der öffentlichen Kirchenbuße aus Scham zu vermeiden, eine ge­ heime Kirchenbuße gestatten, wobei natürlich die erste und dritte Stufe weg­ fielen, während die zweite und vierte aufrechterhalten werden konnten, da in der späteren Zeit nicht mehr alle Christen beim Gebet und beim h. Abend­ mahl zugegen waren. Wer sich nun der Kirchenzucht unterwarf, der durfte darauf rechnen, daß er früher oder später (nach dem Ermeffen des Bischofs), jedenfalls aber wenigstens in der Todesstunde, in die Kirche wieder ausgenommen wurde, so daß ihm die Möglichkeit geboten war, des Heils teilhaftig zu werden; wer dagegen einer Todsünde sich schuldig gemacht hatte, ohne sich der Kirchen­ buße zu unterwerfen, der war nach damaliger Meinung unzweifelhaft ver­ loren. Diese Kirchenzucht der älteren Kirche, welche verlangte, daß alle Tod­ sünden freiwillig bekannt und der Kirchenzucht unterworfen würden, wurde in der späteren Kirche, als das Christentum die herrschende Religion ge­ worden war, dahin abgeändert, daß nur öffentlich begangene Todsünden der öffentlichen Kirchenzucht verfielen, geheim begangene und geheim bleibende Sünden aber nur im geheimen und nach freier Entschließung zu büßen seien, indem sich jeder selber nach seinem Ermessen eine Buße auf*) Die alten Christen beteten überhaupt nicht knieend, sondern stehend; das Knieen war an den Sonntagen und in der Zeit von Ostern bis Pfingsten sogar verboten.

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lege. Aber diese Buße sollte doch nicht ohne Beratung mit dem Geistlichen stattfinden, und so hat sich allmählich aus der öffentlichen Kirchenbuße die geheime Beichte vor dem Priester und Absolution durch denselben im Mysterium (Sakrament) der Buße entwickelt; aber nur im Abendlande ist der Gedanke wirklich scharf ausgeprägt worden, daß die priesterliche Vergebung wirklich auch die göttliche Vergebung in sich schließe, und daß die göttliche Vergebung ohne den Priester nicht erlangt werden könne. c. Die Aufgabe mm, die „Gemeinde der Heiligen", welche sie zu ihrer Zeit nicht mehr vorhanden sahen (und welche auch durch die später aufkommende Kirchenbuße nicht wieder hergestellt werden konnte), wirklich wiederherzustellen, haben sich drei Parteien in der alten Kirche gestellt, welche in derselben aufgetreten sind, der Montanismus, der Novatianismus und der Donatismus; von ihnen soll im folgenden einiges Nähere gesagt werden. Von einem phrygischen Schwärmer Montanus um das Jahr 120 gestiftet, der sich für den von Jesus verheißenen „Tröster" ausgab, entwickelte sich der Montanismus um das Jahr 200 zu einer Richtung, als deren Forderung hauptsächlich eine größere Strenge in der Gestaltung des christlichen Lebens hervortrat. Der Montanismus verbot die zweite Ehe, untersagte die Flucht bei der Verfolgung, verbot jede Wieder­ aufnahme eines Todsünders, die Christenheit sollte wieder eine „Gemeinde der Heiligen" werden. Aber diese strengen Forderungen erschienen den Christen des dritten Jahr­ hunderts bereits als ein Joch, welches man sich nicht mehr auflegen lassen wollte; die Verweltlichung der Kirche wurde durch den Gegensatz gegen den Montanismus eher befördert, und der Montanismus ist im dritten Jahrhundert verschwunden, um bald in anderer Form wieder aufzuleben. ,3. Als der römische Bischof Cornelius (251—253), der bereits milder gewordenen Sitte der damaligen Zeit entsprechend/) den in der Verfolgung abgefallenen Christen die Wiederaufnahme nicht verweigerte, da wurde ihm von den Vertretern der strengeren (älteren) Richtung ein Gegenbischof Novatianus entgegengestellt, und der Novatianismus hat sich von Rom aus weiterverbreitet, und wie den Abgefallenen, so wurde in dieser Gemeinde (nach älterer Sitte) auch den Mördern und den Unzüchtigen die Wiederaufnahme in die Gemeinde verweigert. Der Novatianismus hat sich bis in das 7. Jahrhundert erhalten. /. Die dritte derartige Partei ist der in Afrika entstandene Donatismus. Als nämlich im Jahre 311 in Carthago ein neuer Bischof gewählt wurde, kam es daselbst zu einer Spaltung, die aus einer zunächst persönlichen bald zu einer sachlichen Trennung wurde. Es standen sich nämlich auch in Afrika seit längerer Zeit in der Kirche zwei Parteien gegenüber, eine strengere und eine mildere, getrennt durch die Anforderungen an die Sittlichkeit der Christen. Die strengere Partei schloß in Übereinstimmung mit der ganzen alten Kirche grobe Sünder von ihrer Gemeinschaft aus, und forderte, daß namentlich der Klerus den strengeren sittlichen Anforderungen entspreche. An die Spitze dieser Partei trat im Jahre 313 ein Mann, Namens Donatus, der von den Seinen zum Bischof von Carthago gewählt worden war, und von ihm hat die Partei den Namen der Donatisten erhalten. Noch ehe Constantin in den arianischen Streit eingriff, hatte er diesen Streit, der seiner Entscheidung unterbreitet wurde (im Jahre 313), entscheiden sollen, und dem Rate des römischen Bischofs ge­ mäß hatte er sich gegen die Donatisten entschieden und dieselben mit Gewalt zu unterdrücken versucht. Aber dadurch erstarkte die Partei erst recht, und sie warfen *) Vgl. oben a.

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(als die ersten) die Frage auf, was denn der Kaiser mit der Kirche zu schaffem habe. Bald schloffen sich an sie allerlei unruhige Volkselemente an, so daß es zu einer ähnlichen Bewegung in Afrika kam, wie im 16. Jahrhundert in Deutschland der Bauernkrieg gewesen ist. Die donatistische Spaltung und die unruhige Volksbewegumg dauerte fort bis zu Augustinus' Zeit und darüber hinaus. Auf des Kaisers Honorims Befehl hielt Augustinus im Jahre 411 mit ihnen in Carthago ein Religionsgespräch, bei welchem 286 katholische und 279 donatistische Bischöfe gegenwärtig waren, vom denen auf jeder Seite sieben zu Sprechern gewählt wurden. Die Donatisten blieben dabei, die Kirche müsse rein und heilig sein: wer das nicht sei, müsse von der Kirche ausgeschlossen werden; Augustinus forderte auch für die schwachen Christen Duldumg in der Kirche, da dieselbe ja eben die Aufgabe und die Fähigkeit habe, die Sünder

zu bekehren; er hatte erkannt, daß durch die Gnade Gottes dem Menschen alle Sünden immer aufs neue vergeben werden. In dieser Weise stehen einander noch heute zwei Richtungen in der Kirche gegenüber: die eine will die großen Landes­ kirchen aufrecht erhalten, auch wenn viele schwache Christen darin sind: die andere will am liebsten lauter kleine, aber wahrhaft fromme Kirchen herstellen. Augustinuts vermochte seine Gegner nicht zu überzeugen; aber der kaiserliche Statthalter erklärte sie für besiegt, und nun sollten sie wieder mit Gewalt unterdrückt werden. Da hat denn Augustinus diese gewaltsame Bekehrung in gut katholischer, aber nicht evange­ lischer Weise verteidigt durch den Hinweis auf das Bibelwort: „Nötiget sie herein­ zukommen," in welchem doch davon gar keine Rede ist, daß äußerer Zwang gegen Andersgläubige angewendet werden dürfe. Da kamen die Vandalen nach Afrika, und an diese arianischen Christen sich anschließend, rächten sich die Donatisten an den Katholiken für die erlittenen Verfolgungen; als das Vandalenreich zu Grunde ging (534), wurden die Donatisten von den oströmischn Kaisern aufs neue verfolgt; im 7. Jahrhundert sind Katholiken wie Donatisten in gleicher Weise von dem in Afrika vor­ dringenden Islam vernichtet worden. Seitdem giebt es keine Donatisten mehr; aber ihre Grundsätze sind immer aufs neue in der Kirche aufgetaucht und von den einen verteidigt, von den andern bekämpft worden.

d. Da die Kirche schon um das Jahr 200 zu verweltlichen begann, so war eine Reaktion gegen diese Verweltlichung berechtigt. Hätten aber die strengeren Richtungen, welche eine wirkliche „Gemeinde der Heiligen" herzu­ stellen versuchten, den Sieg davongetragen, so hätte die Kirche nicht, wozu sie doch berufen war, eine weltgeschichtliche Macht werden können; eine Ge­ meinde der Heiligen, welche sich gegen die sie umgebende Welt schroff ab­ schließt, ist keine weltgeschichtliche Macht. Es war vielmehr ein richtiger Ge­ danke, daß die Kirche auf das Volksleben einging und dasselbe in christlichem Sinne umzugestalten suchte; es war auch richtig, daß sie das Ideal des christlichen Lebens etwas herabsetzte, um ein solches Leben für alle möglich zu machen; es war ebenfalls richtig, daß sie den Sündern gegenüber ihre Zucht ermäßigte und dieselben nicht mehr so streng aus der Kirche hinaus­ wies. Aber es war nun ein Fehler, daß die Kirche sich allmählich mit einem Christentum zufrieden gab, welches nur in der Anerkennung der Glaubenssätze und in der Teilnahme an den kirchlichen Ceremonien bestand, so daß nach der Sittlichkeit wenig gefragt wurde. Und es war ebenfalls ein Fehler, daß die Kirche das, was sie im ganzen nicht mehr erreichen konnte, an ein­ zelnen zu erreichen sich bestrebte und begnügte. So entstand ein zweifaches Christentum, eins für die gewöhnlichen, eins für die angeblich wahren Christen. Und es war nun vollends ein Fehler, wenn man als das wahre Christentum

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ansah die Verzichtleistung auf einige Güter und Genüsse, welche für den ge­ wöhnlichen Christen als erlaubt gelten, namentlich die Ehe und das Eigentum. 6. Aus dieser falschen Wertschätzung der Ehelosigkeit und der frei­ willigen Armut, wie sie zunächst von einzelnen Christen in der Askese geübt wurde, entstand aber schon in der alten Kirche (nach heidnischem Vor­ gänge) ein besonderer Stand, der der Einsiedler und der Mönche. In der Welt, so meinte man, könne man nicht wirklich fromm werden; da­ her müsse man die Welt verlassen, um, außerhalb der Welt lebend, das Ideal der christlichen Frömmigkeit zu erreichen. Von diesem Standpunkte aus ist schon in der alten Kirche das Einsiedlertum und das Mönchtum entstanden, und dasselbe hat sich im Mittelalter zur höchsten Blüte ent­ faltet, ist aber in der Neuzeit etwas zurückgetreten; aber noch heute sieht die katholische Kirche das Ideal des Christen im Mönch und in der Nonne, und erst durch die Reformation ist die Erkenntnis gewonnen worden, daß es nicht die Aufgabe des Christen ist, sich aus der Welt zurückzuziehen, um fromm leben zu können, da auch Mönch und Nonne zur vollkommenen Frömmigkeit nicht gelangen, sondern daß der Christ in der Welt fromm leben soll, aber freilich ohne auf Erden zur vollkommenen Frömmigkeit zu gelangen; eine wirkliche „Gemeinde der Heiligen" wird es dereinst im ,v)immel geben, aber niemals auf der Erde. Wie sich das Einsiedlerleben und das Mönchtum geschichtlich entwickelt haben, das wird in der Kirchengeschichte des Mittelalters dargelegt werden, wo sich das Mönchtum zur höchsten Blüte entwickelt hat?)

22. Der Verfall der Christenheit. a. Wie hoch das Christentum über dem Heidentum stand, wenn man das Leben beider Parteien verglich, das konnte auch dem blödesten Auge nicht verborgen bleiben; freilich ist auch in dieser Zeit die christliche Kirche nicht ohne Fehler und Mängel gewesen, und je mehr das Heidentum in der christlichen Kirche aufging, desto mehr machte sich auch in der Kirche der Einfluß des Heidentums geltend. Der äußere Sieg der Kirche über den heidnischen Staat bedeutete leider nicht den Sieg der christlichen Grundsätze im Leben aller Menschen, sondern führte im Gegenteil zum Verfall der Christenheit. Wer nur den Vorteil suchend oder der Notwendigkeit gehor­ chend sich taufen ließ, der brachte natürlich den alten heidnischen Sinn in die Kirche mit, und nur zu groß war die Zahl derer, welche in dieser Weise aus Heiden Christen wurden. Gar bald war die erste Liebe erkaltet, und nicht einmal die schrecklichen Schicksale des untergehenden Reiches vermochten die verdorbenen Christen zur Besinnung zu bringen. Wenn die heran­ dringenden Feinde eine Stadt belagerten, so saßen die Belagerten im Theater, und wenn die Stadt erstürmt war, so begehrte man neue Spiele; jeder eilte noch das Leben möglichst zu genießen, ehe alles zu Grunde gehe; „Rom stirbt und lacht" (populus Romanus moritur et ridet) — so klagte mit Recht ein Schriftsteller der damaligen Zeit (Salvianus, de gubernatione Bei VII, 24). b. Und nicht bloß das Leben der Christen war verfallen, sondern auch der christliche Glaube war von heidnischen Gedanken überwuchert und entl) Vgl. Nr. 37 u. 38.

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stellt. Das Heidentum lebte in der Kirche in etwas veränderter Gestalt weiter, und es hat sich vielfach bis auf den heutigen Tag erhalten. „Das Christentum der nachkonstantinischen Zeit ist eine Mischgestalt, deren Wurzeln einerseits in Bethlehem und Golgatha, andererseits in Athen und Rom liegen. Ja, die Züge, die dieser Zeit ihr Gepräge gegeben haben, und die im Grunde das ganze Mittelalter bestimmen, sind als werdende bereits um die Mitte des dritten Jahrhunderts (bei Cyprian) zu erfernten."1) So ist die heidnische Vielgötterei auch in die christliche Kirche eingezogen. Zwar wurde die Einheit Gottes äußerlich aufrecht erhalten, aber neben den einen Gott traten andere Gestalten, welche im Wesen den heidnischen Göttern entsprachen. Hatte man früher für die gestorbenen Märtyrer gebetet (namentlich an ihrem Todestage), damit sie Gott in den Himmel aufnehme, und hatten die am Leben gebliebenen Märtyrer in der Kirche das Vorrecht gewonnen, gefallenen Christen nach der Kirchenbuße wieder die Aufnahme in die Ge­ meinde zu verschaffen, so wurden nunmehr die Märtyrer angerufen als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Neben die Heiligen, als welche die Märtyrer verehrt wurden, trat aber schon frühzeitig die Jungfrau Maria, als die Mutter Gottes, wie sie vom Volke genannt wurde, und diese Verehrung der Maria ist immer mehr gesteigert worden, so daß Maria schließlich neben, ja über Christus gestellt wurde. Von den Heiligen aber kamen Bilder auf und wurden Reliquien gezeigt, von deren Wunder­ kraft man sich Großes erzählte; in ihnen hatte man das Göttliche in sinn­ lich-greifbarer Gestalt vor sich, wie das Heidentum es begehrt. Feste und Bräuche der alten Religion wurden auch auf das Christentum übertragen, und hinter der christlichen Hülle ist noch heute leicht der heidnische Brauch zu erkennen. Zwar hat es auch damals nicht ganz an echt christlicher Mahnung und Warnung gegen den Verfall der Kirche gefehlt; aber der Schaden mußte erst noch größer werden, ehe es zu einer Reformation der Kirche kommen konnte.^) c. So war allerdings mit dem Christentum ein neues Leben in der Menschheit begründet worden, aber weder das jüdische Volk noch die alten Griechen und Römer sind die Träger des neuen Lebens geworden; neue Völker mußten auf den Schauplatz der Geschichte treten, um eine neue Periode für die Menschheit herbeizuführen; die Germanen, deren Tugenden ein christlicher Schriftsteller, der Presbyter Salvianus in Massilia (Marseille, c. 450), den Römern (als ein anderer Tacitus) vorhielt, sollten die Nach­ folger der verkommenen alten Völker werden; mit ihrer Bekehrung beginnt eine neue Periode für die Geschichte der Kirche und der Welt. Aber daß das römische Reich zu Grunde gehen könne, und daß die Germanen an Stelle der Römer treten könnten, davon haben weder die Heiden noch die Christen damals eine Ahnung gehabt; ja, noch im Mittelalter erscheint den Geschicht­ schreibern die deutsche Geschichte nur als eine Fortsetzung der alten Ge­ schichte; das heilige römische Reich deutscher Nation erschien ihnen nur als eine Fortsetzung des alten römischen Reiches. d. „In einem Elend, wie es selten vorkommt, ging die alte Welt unter; 2) Vgl. Uhlhorn, Liebesthätigkeit 1, S. 296 u. 114—115. 2) Beim Unterricht mag hier alsbald Nr. 24b (DerBilderstreit) angeschloffen werden, da der Lehrer in der Schule auf Nr. 24 a und c verzichten kann.

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auch die neue christlich-germanische Welt wurde mit tausend Schmerzen ge­ boren. Aber in der Mitte dieses Elends steht die Kirche als die einzige den Untergang überdauernde Macht, und sie waltete ihres Amtes als die Zu­ flucht aller Bedrückten und Notleidenden. Die Kirche bot ihnen leibliche Hilfe und geistliche Gaben; der Arme bekam zum Brote auch noch Lehre und Trost, und wenn die Menschen damals nicht ganz verzagten, so verdankten sie es der Kirche. Zwar retten konnte auch die Kirche die alte Welt nicht mehr — dazu war der Verfall derselben schon zu groß geworden; aber sie hat helfend und tröstend am Sterbebette der alten Welt gesesien und ihre Todesstunde durch das Abendrot einer Liebe erklärt, wie sie die alte Welt in ihrer Blütezeit bei all ihrer Herrlichkeit nie gekannt hat."')

III. Die Auflösung ber WeichskircHe; die innere Knt Wickelung der morgenlündiscHen Kirche; der Hlerfcrll der morgenländischen Kirche.

23. Die Auflösung der Reichskirche und die Trennung der morgen­ ländischen von der römischen Kirche. 1054. a. Eine einige Kirche in dem einigen römischen Reiche zu begründen und zu erhalten, das hatte der Kaiser Constantin unternommen und durch­ geführt; der Kaiser war seitdem das Haupt des Staates wie der Kirche; unter seinem Einfluß standen auch die Reichssynoden, welche die ganze Kirche repräsentierten, und die Bischöfe, welche die Kirche regierten. Als nun aber das römische Reich seit dem I. 395 in zwei getrennte Reiche zerfiel, und als der Westen immer mehr in die Hände der Germanen geriet, da war auch die auf der Einheit des Kaisertums beruhende Einheit der Kirche gefährdet. Dazu kamen nun noch die großen Glaubensstreitigkeiten des 4. und 5. Jahrhunderts, in welchen sich die Kirche öfters in Parteien zu spalten drohte, und zwar bereits mehrfach in eine Kirche des Westens und eine Kirche des Ostens, jene geleitet vom Kaiser, diese vom römischen Bischof. Zwar versuchte der tüchtige Kaiser des Ostreiches Justinianus I. (527—565) wie das Reich so auch die Kirche noch einmal zu vereinigen; aber seine Ab­ sicht wurde sowohl in staatlicher wie auch in kirchlicher Hinsicht ver­ eitelt. In staatlich er Hinsicht wurde dieselbe vereitelt durch das Auftreten der Longobarden, welche Italien für immer dem Ostreiche entfremdeten (568), und durch die weitere Entwickelung der im Westen gegründeten germanischen Reiche und ihre Vereinigung unter dem Herrscher der Franken zu einem be­ sonderen Kaiserreich (800). In kirchlicher Hinsicht wurde sein Streben vereitelt durch die immer größer werdende Macht des römischen Bischofs, welcher in dem vom Morgenlande politisch getrennten und zunächst eines Kaisers entbehrenden Abendlande, an des Kaisers Stelle tretend, durch den Zauber des römischen Namens die an Roms Herrschaft gewöhnten Völker als ihr Oberherr zu beherrschen begann. b.1) Mit den seit dem 4. Jahrhundert so heftig geführten Streitigkeiten um den rechten Glauben hing nämlich noch eine andere Frage zusammen, welche zugleich mit

*) Uhlhorn, Liebesthätigkeit 1, 386—388.

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Die Auflösung der Reichskirche und die Trennung der rc.

der Frage nach dem rechten Glauben zur Entscheidung kam: die Frage nach der höchsten Stellung in der Kirche. Der Bischof von Alexandria, Athanasius, nicht der von Rom, war im arianischen Streite das geistige Haupt und der Retter der Kirche — kein Wunder, daß des Atha­ nasius Nachfolger die Stellung ihres Vorgängers, als des geistigen Hauptes der Kirche, auch äußerlich zu behaupten suchten. Das ist ihnen aber nicht gelungen, da ihnen schon durch das zweite allgemeine Concil von Constantinopel (381) unter dem Einfluß des Kaisers der Bischof von Constantinopel entgegengestellt wurde, welchem nach der Bestimmung des Concils, als dem Bischof des neuen Rom, neben dem Bischof von Rom, als dem ersten Bischof, die zweite Stelle in der Kirche gebühren sollte. Damit sollte der Bischof von Alexandria aus der zweiten Stelle, die er bisher neben Rom besessen hatte, verdrängt werden, und es war natürlich, daß derselbe seitdem dem Patriarchen von Constantinopel feindlich gegenüberstand. Aber auch der Bischof von Rom fühlte sich durch die Gegenüberstellung eines ihm gleichen Bischofs verletzt, da er für sich die Herrschaft über die ganze Kirche in Anspruch nahm. Es kam darauf an, wer in dem Kampfe, der über diese Frage über kurz oder lang entbrennen mußte, den Sieg davontragen würde. Als nun der Patriarch von Constantinopel, Nestorius, an dem Worte „Mutter Gottes" als Bezeichnung der Maria, Anstoß nahm, trat für dasselbe der Patriarch von Alexandria, Cyrillus, als Verteidiger auf, in der Meinung, daß es die Sache des Patriarchen von Alexandria, des Nachfolgers des großen Athanasius, sei, den rechten Glauben gegen jede Anfechtung zu verteidigen, und der Bischof von Nom trat auf seine Seite, da cs ja schien, als wenn Nestorius die Gottheit Christi bestreite. Aus dem zur Entscheidung dieser Frage zusammenberufenen dritten allgemeinen Concil von Ephesus (431) vermochte der Kaiser, der für den Patriarchen von Constantinopel eintrat, gegen die vereinigte Macht der Patriarchen von Alexandria und Rom nichts auszurichten; zwar wurden zunächst beide Patriarchen abgesetzt, aber bald gelang es dem Cyrillus sein Amt zurückzuerhalten, während Nestorius abgesetzt blieb. So war auch aus diesem Streite der Patriarch von Alexandria als Sieger hervorgegangen, der Patriarch von Alexandria war und blieb zunächst der kirchliche Oberherr des Morgenlandes, nicht der Patriarch von Constantinopel. Diesen Anspruch suchte nun der Nachfolger des Cyrillus, Dioskurus, völlig zu verwirklichen, und er vermochte bereits Bischöfe des Morgenlandes, die gar nicht ihm, sondern dem Patriarchen von Antiochia Unterthan waren, abzusetzen, so daß also der Patriarch von Alexandria der Herr der ganzen orientalischen Kirche zu werden schien, unter Beseitigung der Patriarchen von Antiochia und Constantinopel. Und bald fand sich Gelegenheit, den Patriarchen von Constantinopel völlig zu demütigen. Als der­ selbe nämlich einen Anhänger der Lehre des Cyrillus, daß in Christus nach der Mensch­ werdung nur noch eine einzige Natur anzunehmen sei, den Abt Eutyches, als ketzerisch, absetzte, da erklärte Dioskurus denselben für rechtgläubig und verlangte seine Wieder­

einsetzung. Um den Streit zwischen den beiden Patriarchen zu schlichten, berief der Kaiser wiederum ein Concil nach Ephesus (449). Der Patriarch von Constantinopel wurde durch das von dem Patriarchen von Alexandria geleitete Concil abgesetzt, und ein ihm er­ gebener Mann wurde durch diesen auf den Patriarchenstuhl von Constantinopel er­ hoben; die Patriarchen von Antiochia und von Jerusalem fügten sich dem Patriarchen von Alexandria, dem ja auch der Kaiser mit seinen Beamten und Soldaten sich Unterthan x) Nur für den Lehrer bestimmt. Diese Darlegung beruht auf Rohrbach's Zus ammenfassung der Resultate Harnack's in den Preu ß. Jahrbüchern 1892, Heft 1.

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Die Auflösung der Reichskirche und die Trennung der rc.

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machte. Der Patriarch von Alexandria schien am Ziele seines Strebens angelangt zu sein: er war der Herr der ganzen Kirche des Morgen­ landes. Aber kaum war der Sieg errungen, so erfolgte auch schon der Sturz des Patriarchen von Alexandria. Der Bischof von Rom nämlich ver­ weigerte dem Beschluß dieser sogen. „Räubersynode" seine Anerkennung, da Eutyches offenbar Monophysit war, während der römische Bischof, Leo I., mit Recht daran fest­ hielt, daß in Christus auch nach der Menschwerdung die menschliche Natur noch vor­ handen sei. Da sprach der allzu kühne Patriarch von Alexandria über den Bischof von Rom den Bann aus, und dieser erklärte den Patriarchen von Alexandria für einen Ketzer. Nunmehr wünschte der Bischof von Rom, daß der Kaiser den Patriarchen von Alexandria und seine Anhänger absetze, weil sie vom römischen Bischof für Ketzer er­ klärt worden seien; der Kaiser aber wollte nicht ein Diener des römischen Bischofs sein, sondern nach seinem eigenen Willen handeln, und das glaubte er besser thun zu können, wenn er eine Synode berufe. So wurde nunmehr die (vierte allgemeine) Synode von Chalcedon berufen (451). Auf der neuen Synode, welche vom Kaiser geleitet und vom römischen Bischof in ihren Beschlüssen bestimmt wurde, wurde der Patriarch von Alexandria für einen Ketzer erklärt und abgesetzt. Damit war der Wille des römischen Bischofs durchgesetzt. Aber nunmehr wurde von derselben Synode festgestellt, daß der Patriarch von Constantinopel zwar im Range (er wurde für den zweiten Patriarchen erklärt, indem die erste Stelle dem Patriarchen des alten Rom gelassen wurde), aber nicht an Autorität dem römischen Bischof nachstehe. Damit war die Macht des Patriarchen von Alexan­ dria durch den Kaiser mit Rom's Hülfe für immer vernichtet, aber zugleich der Anspruch des Bischofs von Rom, der einzige Herr der Kirche zu sein, für immer zurückgewiesen. Fortan hattedie Kirche zwei Oberhäupter, im Westen denBischofvon Rom, im Osten den Bischofvon Constantinopel; damit war die Kirche für imnrerin zw ei Teilegespalten, welche noch heute einander fremd gegenüberstehen: die Kirche des Westens, die römische Kirche, und die Kirche des Ostens, die morgenländische Kirche.

c. So zerfiel die Reichskirche seit dem 6. Jahrhundert in zwei ge­ trennte Kirchen, eine Kirche des Ostens, welche von dem unter dem Kaiser stehenden Patriarchen von Constantinopel, und eine Kirche des Westens, welche vom Papst regiert wurde. Diese faktisch bereits seit län­ gerer Zeit bestehende Trennung beider Kirchen wurde endlich auch äußerlich besiegelt, als im 9. und im 11. Jahrhundert neue Streitigkeiten zwischen beiden Kirchen ausbrachen. Im 9. Jahrhundert suchte nämlich der tüchtige Papst Nicolaus I. seine Macht auch im Osten zu begründen, indem er einer­ seits dem Kaiser bei der ungerechtfertigten Absetzung des Patriarchen von Constantinopel entgegentrat, und andrerseits die damals sich zum Christentum bekehrenden Bulgaren für die römische Kirche zu gewinnen suchte. In den über diese Frage entbrennenden Kämpfen kam es im I. 867 dahin, daß beide Kirchen über einander den Bann aussprachen; aber der Papst vermochte seine Ansprüche auf Beherrschung der ganzen Kirche nicht durchzusetzen. Zwar wurde die Trennung der beiden Kirchen bald darauf noch einmal be­ seitigt, aber als es im I. 1054 aufs neue zu Streitigkeiten zwischen dem Papste und dem griechischen Kaiser kam, wurde der Bann zwischen beiden Kirchen erneuert, und seitdem sind die beiden Kirchen von einander getrennt, und alle Vereinigungsversuche, welche später von der einen oder der andern Seite ge-

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23.

Die Auflösung der Reichskirche und die Trennung der rc.

macht worden sind, haben diese Trennung beider Kirchen nicht mehr be­ seitigen können. d. Seit dem Jahre 1054 giebt es eine römische und eine morgenländischeKirche,welche einander fremd gegenüberstehen. Beide Kirchen haben allmählich im Mittelalter ihr Gebiet bedeutend vergrößert; die römische Kirche hat alle Germanen, die morgenländische die meisten Slawen gewonnen (die Ostslawen sämtlich und die Südslawen zum größten Teil — nur die Westslawen sind römische Christen geworden); aber die morgenlän­ dische Kirche hat an Macht und Ausdehnung bedeutend verloren durch den besonders im Osten siegreich und dauernd vordringenden Islam; dagegen be­ stand die römische Kirche in ihrer Ausdehnung auch über die Germanen (und einen Teil der Slawen) fast ungeschmälert weiter bis zur Reformation; erst infolge der Reformation hat auch die römische Kirche einen Teil ihrer An­ hänger eingebüßt. 6. Während nun in der römischen Kirche der Papst zum Herrn der ganzen Kirche geworden ist, stand an der Spitze der morgenländischen Kirche in der älteren Zeit der Kaiser, welcher die Kirche durch die Reichs­ synode, als das unfehlbare Organ der göttlichen Offenbarung, leitete. Seit dem Verfall des Kaisertums und der Bildung der einzelnen Landeskirchen fehlt aber der griechischen Kirche die Möglichkeit, eine allgemeine Synode zu berufen, und so ist denn die letzte der von beiden Kirchen anerkannten Sy­ noden die Synode von Nicäa gewesen (787), durch welche der Bilderdienst für rechtgläubig erklärt worden ist; die letzte Synode der morgenlän­ dischen Kirche war die vom Abendlande nicht anerkannte Synode von Constantinopel (879). Bei der von ihren allgemeinen Synoden aufgestellten Lehre ist die morgenländische Kirche geblieben; daß diese Lehre mit der Lehre der Apostel nicht übereinstimmt, hat die morgenländische Kirche bis auf den heutigen Tag nicht erkannt.

24. *) (20.) Die innere Entwickelung der morgenländischen Kirche; der Bilderstreit; die Spaltung der morgenländischen Kirche. a. Die Hauptleistung der griechischen Theologie liegt auf dem Gebiete der Lehre von Christus; mit der Erfassung der Offenbarung des wahren Gottes in Jesus Christus, wie dieselbe im nicänischen Bekenntnis zum Aus­ druck kommt, hatte die griechische Theologie aber auch ihre Aufgabe gelöst; die weiteren Aufgaben der Theologie sind ohne ihre Mitwirkung gelöst worden, oder sie werden, wie es scheint, ebenfalls ohne ihre Mitwirkung gelöst werden. Ein Verständnis des menschlichen Lebens Jesu und die Erkenntnis der Bedeutung des Todes Jesu ist in der griechischen Theologie nicht gewonnen worden; die letztere Aufgabe zu lösen hat schon die römische Kirche des Mittel­ alters versucht; die erstere Aufgabe zu lösen, ist der Gegenwart vorbehalten geblieben. Völlig fremd ist der griechischen Kirche die Lehre des Augustinus von Sünde und Gnade geblieben; in der griechischen Kirche wird zwar die Macht der Sünde erkannt, aber viel weniger die Schuld der Sünde.

*) Von diesem Abschnitt wird dem Schüler (im Anschluß an Nr. 22) nur b dar­ geboten : Der Bilder st reit; vgl. die letzte Anm. zu Nr. 22; auf den Hauptinhalt von a ist der Schüler schon in Nr. 18 (Einleitung) hingewiesen worden; das Wichtigste von c ist dem Schüler schon in Nr. 17 dargeboten.

24.

(20.)

Die innere Entwickelung der morgenländischen Kirche; der rc.

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Eine Lehre von der Rechtfertigung ist vollends in der griechischen Kirche nicht zu finden; dieselbe ist ja auch der Kirche des Mittelalters noch fremd geblieben und erst durch die Reformation gewonnen worden. Zwar spricht auch die griechische Kirche von der Notwendigkeit des Glaubens; aber sie versteht unter dem Glauben nicht den Glauben an die Gnade Gottes in Christus, sondern den Glauben an die Wahrheit des nieänisch-constantinopolitanischen Bekenntnisses. Die Werke aber, welche die griechische Kirche fordert, finden ihren Höhepunkt, ebenso wie in der römischen Kirche des Mittelalters, in den Werken der Askese und im Einsiedlerleben und Mönch­ tum, in welchem sich der Christ von der Sinnlichkeit möglichst frei macht; erst die evangelische Kirche hat an die Stelle der Weltflucht die Welt­ beherrschung als das Ziel des christlichen Lebens gesetzt. Der Gottesdienst der griechischen Kirche hat die Aufgabe, dem Gläubigen die Offenbarung Gottes in ihrem Gesamtverlauf, wie sie in der Menschwerdung Gottes ihren Höhepunkt erreicht, zur Darstellung zu bringen, damit er dieselbe erkenne und anbete. Der Priester spielt im griechischen Gottesdienst nicht eine solche Rolle wie in der katholischen Kirche; die Auf­ gabe des Gottesdienstes ist nur die Darstellung der Menschwerdung Gottes in Christus, aber nicht die (den Priester viel höher stellende) Wiederholung des Opfers Jesu Christi. Zwar spricht ja auch die griechische Kirche beim h. Abendmahl von einer Wandelung, aber dieser Gedanke ist nicht so weit ausgebildet worden, wie in der römischen Kirche; die Abendmahlsfeier ist nicht zu einer unblutigen Wiederholung des blutigen Opfers Jesu am Kreuze geworden, sondern sie gilt als ein Mittel, um den Gläubigen mit dem menschgewordenen (nicht mit dem für uns gestorbenen) Jesus in Verbindung zu setzen. Wie die griechische Kirche in der Entwickelung der Lehre sich darauf beschränkt, die Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus zur Anerkennung zu bringen, so ist auch bei der griechischen Abend­ mahlsfeier die Hauptsache die Gemeinschaft mit dem menschgewordenen Gottessohn. b. „Das Bedürfnis der kirchlichen Frömmigkeit des Volkes, das Göttliche in sinnlicher Form zu besitzen, hatte mehr und mehr die Verehrung der Bilder Christi und der Heiligen zum Mittelpunkte der ganzen Frömmigkeit gemacht; hier kam die Fortsetzung der heidnischen Religion in der christlichen zum schärfsten Ausdruck. Die Pflege und Leitung der volkstümlichen Frömmig­ keit und somit auch dieses Zweiges derselben lag aber in den Händen des Mönchtums; im Mönchtum waren aber in den kirchlichen Kämpfen die Kräfte hervorgetreten, die fast allein in der Kirche dem Kaiser zu widerstehen wagten und vermochten." 2) Indem nun die Kaiser den in der Kirche seit längerer Zeit eingerisienen Bilderdienst, welchen Juden und Mohammedaner nicht mit Unrecht für Götzendienst erklärten, zu beseitigen suchten, suchten sie vielleicht mit den Bildern zugleich das Mönchtum zu treffen und so den Gefahren zu begegnen, welche dem Kirchenregiment der Kaiser seitens der Mönche drohten. Zunächst wurde nur die Verehrung der Bilder verboten, und dadurch, daß man sie in den Kirchen höher hängte, das Küssen derselben unmöglich gemacht (726); bald darauf wurden sie aus den Kirchen entfernt oder übertüncht, und auch aus den Häusern sollten sie entfernt werden. Endlich verbot eine *) Nach Ä. Müller, Kirchengeschichte (1892) I. § 101.

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Die innere Entwickelung der morgenländischen Kirche; der :c.

Synode in Constantinopel den Bilderdienst gänzlich (754); die Bilderfreunde, zu denen namentlich die Mönche gehörten, wurden grausam verfolgt. Als aber eine bilderfreundliche Kaiserin, Irene, auf den Thron kam, wurde von einer Synode in Nicäa im I. 787, die als die siebente allgemeine Synode gilt, der Bilderdienst wieder gestattet. Nochmals wurden die Bilder im Jahre 814 verboten, aber wieder führte eine Kaiserin, Theodora, im Jahre 842 den Bilderdienst in die Kirche zurück, und ein besonderes Fest der Recht­ gläubigkeit (Orthodoxie) verherrlicht seitdem in der griechischen Kirche den Sieg der Bilder.*2)* Der römische Bischof war mit der Bilderverehrung ein­ verstanden, dagegen wollte Karl d. Gr. von derselben nichts wissen; er ließ im Jahre 794 in Frankfurt eine Synode abhalten, auf welcher die Beschlüsse von Nicäa (787) verworfen wurden, und nötigte sogar den Papst zur An­ erkennung dieser Beschlüsse; aber schließlich ist doch die Bilderverehrung auch in der abendländischen Kirche herrschend geworden. c. Die großen Glaubensstreitigkeiten des 4. und 5. Jahrhunderts, welche die ganze Kirche vielfach schon vorübergehend gespalten hatten, hatten in der grie­ chischen Kirche eine dauernde Spaltung zur Folge, indem sich von der Staatskirche mehrere besondere Kirchen loslösten, welche bis auf den heutigen Tag ihre Selbstän­ digkeit behauptet haben. Arianer giebt es allerdings heute nicht mehr, da die zum Arianismus über­ getretenen Griechen sämtlich bald wieder katholisch geworden sind, und die deutschen Stämme, welche denselben zunächst angenommen hatten, später ebenfalls zur katho­ lischen Kirche übertraten. Aber dagegen giebt es noch heute drei andere von der großen griechischen Kirche getrennte kleinere Kirchen. Als im I. 431 durch das Concil zu Ephesus die Lehre des Nestorius von Christus verdammt wurde, da organisierten sich im I. 498 die Anhänger des Nestorius außerhalb des römischen Reiches im Perserreiche, und seitdem bildet die unter dem Patriarchen von Seleucia stehende Kirche der Nestorianer oder, wie sie sich selber nennen, Chaldäer (d. h. Syrer) eine besondere Kirche, welche sich allmählich in Asien immer weiter verbreitet hat und noch heute besteht.2) Eine zweite besondere Kirche hat sich gebildet, als im I. 451 durch das Concil zu Chalcedon die Lehre der Monophysiten verdammt und später der letzte monophy­ sitische Patriarch von Alexandria abgesetzt wurde. Dieser Patriarch, Theodosius, und sein Schüler Jakob Baradai sammelten die Monophysiten in Vorderasien und in den Nilländern zu einer besonderen Kirche, deren Anhänger in Syrien Jakobiten, in Ägypten Kopten genannt werden; auch diese Kirche besteht bis auf den heutigen Tag.^) Eine dritte von der Reichskirche getrennte Kirche ist die seit dem I. 631 be­ stehende gleichfalls monophysitische Kirche von Armenien, welche sich ebenfalls bis heute in ihrer Sonderstellung erhalten hat.4)5 Dagegen haben sich die Monotheleten im I. 1182 an die römische Kirche angeschlossen und ihren eigentümlichen Glauben aufgegeben. B) Drei von ihr getrennte Sonderkirchen stehen also noch heute der morgenländischen

’) Die morgenländische Kirche hat aber den ursprünglichen Gegensatz des Christen­ tums gegen die Götterbilder des Heidentums wenigstens darin sestgehalten, daß sie keine Bildsäulen in der Kirche zuläßt (wie die abendländische Kirche), sondern nur Bilder; deshalb kennt sie auch das Crucifix nicht, sondern nur das einfache Kreuz. 2) Vgl. Nr. 90. -) Vgl. Nr. 90. 4) Vgl. Nr. 90. 5) Vgl. Nr. 17 f.

24. (20.)

Die innere Entwickelung der morgenländischen Kirche; der :c.

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Kirche gegenüber, ohne daß sie jedoch für die Kirche überhaupt oder auch nur für die morgenländische Kirche eine größere Bedeutung haben; auch diese Sonderkirchen sind ebenso starr und tot, wie die große morgenländische Kirche.

25. (21.) Die Zertrümmerung der griechischen Kirche durch den Islam. a. Gegen die verweltlichte und vielfach ins Heidentum zurückgefallene Kirche sandte nun Gott von Arabien her als Zuchtrute den durch Mohammed im Jahre 622 gestifteten Islam, der doch wenigstens das eine wußte, was die Bibel predigt: „Der Herr unser Gott ist ein einiger Herr" — das andere freilich war ihm verborgen: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber." Aus Arabien, das noch Mohammed selber kurz vor seinem Tode 632 dem einen Gotte unterworfen hatte, drangen seine Nach­ folger gegen die Christenheit siegreich vor. Jerusalem ergab sich 638; auf der Stätte des alten Tempels wurde eine Moschee erbaut, die Kreuze auf den Kirchen und die Glocken in den Kirchen mußten entfernt werden. Im Jahre 638 war ganz Syrien und Palästina in den Händen der Araber. Ägypten wurde schon 640 erobert, mit Ausnahme von Alexandria, das erst 642 eingenommen wurde; im Jahre 709 war ganz Nordafrika erobert. Die Kreuzzüge haben den Mohammedanern in Asien und Afrika ihre Besitzungen nicht entreißen können. In Spanien entschied 711 die Schlacht bei Leres de la Frontera den Untergang des Westgotenreiches; das weitere Vordringen des Islam im Abendlande hemmte Karl Martell durch den Sieg bei Tours und Poitiers, 732; aber erst kurz vor der Reformation (1492) wurden die Mohammedaner völlig aus Spanien verdrängt. In diesen Kämpfen hat sich besonders der Cid, der Nationalheld des spanischen Volkes, hervorgethan (t 1099). b. So war die griechische Kirche in Asien und Afrika zwar nicht ausgerottet, aber doch dem Islam unterworfen, und viele Christen nahmen den Glauben der Sieger an; in Europa hielt sich das griechische Reich unter fortdauernden Kämpfen gegen die andrängenden Mohammedaner noch bis zum Jahre 1453, wo endlich doch, nachdem alles andere schon in ihre Hände gefallen war, Constantinopel von den Türken erobert wurde. Seit­ dem herrschte der Islam auch in der Heimat der alten Griechen und ver­ suchte immer aufs neue in das Herz von Europa vorzudringen. Nur noch ein kleiner Teil der griechischen Kirche hat sich unter dem Islam dauernd erhalten; am wenigsten wurden die von der Staatskirche getrennten Kirchen geschädigt; dagegen bestand die Staatskirche fast nur noch in Kleinasien und in Griechenland. c. Doch die Herrschaft der Türken in Constantinopel soll — nach einer Sage des griechischen Volkes *) — nicht ewig dauern. Als die Türken in J) Vgl. das folgende Gedicht von Bube: Der alte Bischof. Zu Stambul in Sophia's Tempel*) Verschließet Mauerwerk ein Thor; Es trägt des Altertumes Stempel, Und steht so fest noch wie zuvor.

*) Die Kirche war der göttlichen Weisheit (Sophia), d. i. dem Sohne Gottes, geweiht.

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25. (21.)

Die Zertrümmerung der griechischen Kirche rc.

die Stadt eindrangen, so heißt es, da wurde in der Hauptkirche, der Sophienkirche, gerade Gottesdienst gehalten. Als der Bischof, der eben mit der Monstranz vor dem Altare stand, die traurige Kunde vernahm, betete er zu Gott, daß er die geweihte Hostie vor dem Spotte der Ungläubigen schützen möge. Da stieg plötzlich eine dicke Mauer vor dem Altar empor und ver­ barg den Bischof vor den in die Kirche eindringenden Türken. Diese Mauer steht noch heute; einst wird sie fallen, denn das Christentum wird in Constantinopel wieder zur Herrschaft kommen; dann wird der alte Bischof, den Gott bis dahin am Leben erhalten wird, wieder hervortreten, und der alte Gottesdienst wird aufs neue gefeiert werden. So die Sage der Griechen; auch wir Evangelischen glauben an den Sieg des Christentums über den Islam, und die Gegenwart zeigt ja den unaufhaltsam fortschreitenden Verfall des Türkenreiches; aber wir hoffen und wünschen, daß später das griechische Volk zu einem reineren Glauben und zu einer besseren Frömmigkeit gelange, als der Glaube und die Fröm­ migkeit waren, die es in der alten Zeit besessen hat. Ein breiter Rahmen faßt es ein Aus blendend weißem Marmorstein.

Und hinter dem verschloßnen Thore, Da hält ein alter Bischof Wacht, Die hohe Mitra auf dem Ohre, In seines Amtes voller Pracht. Sein Auge ruht aus der Monstranz Und spiegelt sich in ihrem Glanz. So sitzt er, mit dem Herrn im Bunde, Seit Stambul in der Türken Hand; Es drang davon zu ihm die Kunde, Als er am Hochaltare stand. Da fleht' er brünstig: „Schütz', o Gott, Des Sohnes Leib vor Schmach und Spott!"

Und plötzlich stieg empor die Mauer, Die stärker, als der stärkste Schutz; Sie beut in unversehrter Dauer Dem ganzen Türkenvolke Trutz, Bis seine Herrschaft einst vergeht. Und Christi Fahne vor sich weht. Dann stürzt sie ein mit lautem Schalle, Und weit geöffnet steht das Thor, Es hebt in seiner dunklen Halle Vom Sitz der Bischof sich empor; Er trägt den Leib des Herrn heraus Und schreitet durch das Gotteshaus.

Er steigt hinauf, ein hehres Wesen, Die Stufen zu dem Hochaltar, Beginnt die Messe dort zu lesen Und reicht das heil'ge Opfer dar, Spricht: „Amen, jetzt und allezeit!" — Das Bolk stimmt ein: „In Ewigkeit!"

Zweiter Abschnitt. Die katkokiscHe Kirche des Mittetcrtters Vorbemerkung für den Lehrer. Dieser Abschnitt zeigt zunächst, wie das Christentum unter den Germanen und Slawen begründet worden ist, und der Lehrer wird dies recht gründlich durchzusprechen haben. Hier „lerne jede Stadt, jede Gegend, jedes Land neben den großen, leuchtenden, allgemein geliebten Zeugen Gottes diejenigen kennen und ehren, welche bei ihnen gelebt, im Segen gewirkt und ihre Ruhestätte bis zum Tage der Auferstehung gesunden haben." (Löhe, Kirchenbuch II, 51.) Aus dem hier gebotenen Stoffe wird der Lehrer je nach der Gegend, in der er unterrichtet, manches, als für seine Schüler weniger bedeutend, ausscheiden; der Verfasser, im Osten wirkend, hat den Osten ausführlicher behandelt, als wohl anderwärts nötig scheinen dürste. — Was für ein Christentum Liesen Völkern gebracht worden ist, und daß das später erwachende Verlangen nach einer Reformation der Kirche begündet war, muß der Schüler gleichfalls, wenn auch nur in den Grundzügen, erkennen, wenn er für den folgenden Abschnitt des Buches (Reformation) das rechte Verständnis gewinnen soll. — Der Abschnitt schließt mit dem Verfall der Kirche und mit den Reformationsversuchen vor der Reformation.

I.

Die Ausbreitung des KHristentums im Mittetcrtter.

26. (22.) Die Begründung des Christentums unter den Deutschen. Arianisch es (griechisches) Christentum unter den Deutschen.

a. Nachdem das Christentum zuerst unter den alten Völkern ver­ breitet worden war, ist dasselbe auch zu den Deutschen gekommen, und zwar nach alten Sagen und Erzählungen schon vor der Zeit der Völker­ wanderung, namentlich in die Gegenden am Rhein und an der Donau, wo die Deutschen die Nachbarn der mehr und mehr christlich gewordenen Römer waren. So rühmt sich die Stadt Köln eines uralten (ihres ersten) Bischofs, Maternus mit Namen, der freilich auch von Trier und Tongern (in Belgien) als ihr (erster) Bischof betrachtet wird; derselbe war angeblich der von Jesu auferweckte Jüngling zu Nain. Als dieser Bischof einst (so er­ zählt die Sage) wieder gepredigt hatte (und zwar über das Evangelium vom Jüngling zu Nain), da starb er plötzlich; Petrus aber, der von seinem Tode Kunde erhielt, schickte von Rom einen Boten mit seinem Bischofsstäbe nach Heidrich, Kirchengerichte.

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26. (22.)

Die Begründung des Christentums unter den Deutschen.

Köln, mit dem Auftrage, mit demselben den Leichnam zu berühren; der zum zweiten Male ins Leben zurückgerufene Maternus soll dann noch lange sein Bischofsamt verwaltet haben. Die ganze Erzählung ist natürlich nur eine Sage ohne geschichtlichen Inhalt. Weniger sagenhaft scheint eine Geschichte zu sein, die sich in der Donau­ gegend zugetragen haben soll. Auch in dieser Gegend war das Christentum um das Jahr 300 bereits verbreitet. Der römische Statthalter daselbst hatte in der Stadt Laureacum, dem heutigen Lorch in Oberöstreich, vierzig Christen um ihres Glaubens willen in den Kerker geworfen. Kaum hatte dies Florianus, ein römischer Offizier, vernommen, so eilte er aus seinem Standorte nach Laureacum, um seine bedrängten Glaubensgenoffen zur Festig­ keit zu ermahnen. Aber der Statthalter verhaftete auch ihn, und er wurde mit einem schweren Stein am Halse von der Brücke in die Enns gestürzt. Wo jetzt das Kloster St. Florian steht, soll der ans Land gekommene Leich­ nam begraben worden sein; später sollen seine Gebeine nach Krakau gebracht worden sein, und seitdem gilt er als der Schutzpatron von Polen. Da er im Wasser seinen Tod gefunden hat, so ist es erklärlich/) daß er als Helfer bei Feuersgefahr angerufen wird; der seltsame Vers: „Heiliger St. Florian, beschütz' mein Haus, zünd' ein anderes an!" ist in Östreich an manchem katholischen Hause zu lesen. Aber wenn auch christliche Gemeinden am Rhein und an der Donau schon vor der Völkerwanderung existiert haben, so bestanden dieselben doch gewiß mehr aus Römern und Angehörigen anderer Nationen des Römerreiches (Griechen, Orientalen), als aus Deutschen, und in das innere, freie Ger­ manien war vor der Völkerwanderung das Christentum wohl kaum vorge­ drungen. b. Diese sagenhaften wie auch die geschichtlichen Anfänge des Christen­ tums an den deutschen Grenzen, welches namentlich seit dem Kaiser Con­ stantin sich auch hier weiter ausgebreitet hatte, haben jedoch die Stürme der Völkerwanderung nicht überdauert; erst in dieser Zeit beginnt nicht die Be­ kehrung einzelner Deutschen, aber wohl die Bekehrung ganzer deutscher Stämme zum christlichen Glauben. Schon im Jahre 348 zog nämlich aus dem südlichen Rußland, wo sie bisher gewohnt hatten, unter der Führung ihres Bischofs Wulfila ein Teil der Westgoten, unter denen sich das Christentum schon vorher verbreitet hatte (schon am Concil von Nicäa 325 hat ein gotischer Bischof, Namens Theophilus, teilgenommen) mit Geneh­ migung des römischen Kaisers über die Donau nach Mösien (dem heutigen Bulgarien). Dieselben bekannten sich aber zum arianischen Christentum, dem damals die Griechen anhingen, während die Römer die Lehre des Athanasius von Christo billigten?); der Bischof Wulfila (ein Arianer) hat seinem Volle auch alsbald die Bibel in seine Sprache übertragen?) Mit den Westgoten kam dann dieser Glaubenach Spanien; andere deutsche Stämme folgten bald dem Beispiele der Westgoten und wurden gleichfalls (arianische) Christen: die Ostgoten und die Longobarden in Italien, die Vandalen in Afrika und andere Stämme; sie alle standen als Arianer der katholischen Kirche der') Vgl. Nr. 35. *) Vgl. Nr. 17. ') Vgl. Nr. 71.

26. (22.)

Die Begründung des Christentums unter den Deutschen.

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jenigen Länder, in welche sie als Eroberer eindrangen, fremd > ja vielfach feindlich gegenüber. Don diesem ältesten Christentum der Deutschen, dem arianischen, hat sich aber nichts erhalten; diese Stämme sind teils in den Stürmen der Völkerwanderung untergegangen (Goten, Vandalen), teils (in der Zeit vom 6.-7. Jahrhundert) zur katholischen Kirche übergetreten (Longobarden); heute giebt es keine Arianer mehr, weder unter den Deutschen, noch in einem anderen Landes)

B. Katholisches Christentum unter den Franken. a. Während die zuerst bekehrten deutschen Stämme von der griechischen Kirche aus bekehrt worden sind und zunächst den damaligen Glauben der­ selben, den arianischen, angenommen haben, haben sich dagegen die F r a n k e n gleich von vornherein zum katholischen Glauben bekehrt. Das ist aber in folgender Weise geschehen. Das von Julius Cäsar eroberte Land Gallien (58—50 vor Chr.) war eine römische Provinz geworden, und die ursprünglichen Bewohner desselben, die Kelten, wurden im Laufe der Jahrhunderte (aber wohl erst nach dem Untergänge des römischen Reiches in allen Gegenden) zu Römern, so daß es endlich in Gallien keine keltische Nation und keltische Sprache mehr gab; die heutigen Kelten in der Bretagne sind nicht Nachkommen der alten Be­ wohner von Gallien, sondern der Flüchtlinge aus England, welche von den einwandernden Angelsachsen verdrängt wurden. Als nun Gallien noch römisch war, wurde das Christentum schon frühzeitig auch in diesem Lande verbreitet, zunächst unter den Römern, dann aber auch unter den Kelten, die es auf dem Lande noch lange gab, und schon im zweiten und dritten Jahr­ hundert wissen wir von blühenden Christengemeinden in Gallien. Aber vor dem Eindringen der deutschen Stämme in Gallien war weder ganz Gallien ein christliches Land geworden, noch war die christliche Kirche in ihrer Ver­ fassung zu einem gewissen Abschluß gelangt; Bischöfe gab es, aber dieselben standen noch jeder für sich und waren noch nicht unter Erzbischöfen oder Metropoliten zu einer Landeskirche von Gallien verbunden, wie das in den älteren christlichen Ländern damals bereits geschehen war.

b. Gegen das bereits wohl mehr christliche, als heidnische Gallien drangen nun allmählich die Deutschen immer weiter vor. Schon vor dem Beginn der Völkerwanderung halten die Allemannen den Römern ihre Besitzungen jenseits des Rheins und der Donau weggenommen, und dieses Ge­ biet, aus welchem mit den Römern auch das dort spärlich vorhandene Christen­ tum wieder verschwand, war nun wieder im Besitz eines ganz heidnischen Volkes, welches erst später bekehrt worden ist. Aber auch überden Rhein kamen die Deutschen, schon vor der Völkerwanderung die Franken in all­ mählichem Vorrücken, seit der Völkerwanderung auch die Burgunden und die Westgoten. Die Westgoten, welche den Süden von Gallien einnahmen, waren bereits Christen und zwar Arianer; die Burgunden wurden Christen, nnd zwar katholische Christen, als sie die Gegend um Worms besetzten (c. 413 — die Helden des Nibelungenliedes sind also mit Recht als Christen

J) Vgl. Nr. 17 und 24.

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dargestellt); ihre Stammesgenossen östlich vom Rhein bekehrten sich nicht lange nachher gleichfalls zum katholischen Christentum; es sind also die Bur­ gunder: der erste deutsche Stamm gewesen, der nicht den arianischen Glauben angenommen hat — sie wurden eben nicht durch die griechische, sondern durch die katholische Kirche zum Christentum bekehrt. Aber viel wichtiger für die Geschichte der Kirche und der Welt wurde die Bekehrung des mächtigen Volkes der Franken zum katholischen Glauben. Diejenigen Germanen, welche als Arianer römisches Gebiet eroberten, standen als Deutsche und als Arianer den alten Bewohnern derjenigen Länder, in welche sie als Eroberer ein­ drangen, als Römern und katholischen Christen, fremd, ja vielfach feindselig gegenüber; viel leichter konnte eine Verschmelzung der beiden Nationalitäten eintreten, wenn sie in der Religion übereinstimmten. Das erkannten Chlodwig und schon seine Vorgänger, und so ist denn der Übertritt des Frankenkönigs zum katholischen Glauben ein Schritt von ähnlicher Bedeutung, wie der Über­ tritt Constantin's zum Christentum — das haben schon die Zeitgenossen richtig erkannt. Wie ist es nun zur Bekehrung Chlodwigs und der Franken gekommen?

c. Als Heiden waren die Franken in das wohl zum größeren Teil christliche Gallien eingedrungen, und zunächst blieben sie noch Heiden, und wenn auch bereits Chlodwigs Vater, Childerich, sich den Christen freundlich erwies, so ist er doch Heide geblieben. Auch Chlodwig (Chlodowech) bestieg als Heide den Thron, aber auch er zeigte sich sofort den Christen freundlich gesinnt. Als er heiratete, heiratete er eine christliche Frau, Chlotilde (Hrotehild), eine burgundische Prinzessin (eine katholische Christin), und als sie ihm einen Sohn gebar, ließ er ihn taufen; obwohl der Knabe bald nach der Taufe starb, wurde doch auch der zweite Sohn wieder getauft. Vielleicht hat Chlodwig zunächst selber noch bei seinem alten Glauben bleiben wollen, aber sein Nachfolger sollte ein Christ sein — es ist anders gekommen; auch er selber ist noch Christ geworden. Wie das gekommen ist, wird verschieden erzählt. Wahrscheinlich ist Chlodwig, ohne daß ein äußeres Ereignis dazu den Anlaß gegeben hat, Christ geworden; der Einfluß seiner christlichen Gemahlin und eigene Überzeugung haben ihn wahrscheinlich zum Übertritt bewogen. Ein so wichtiges Ereignis aber, wie seine Bekehrung, hat, wie in der Regel, die Sage umsponnen, und die Sage stellt diese That dar als schließlich hervor­ gerufen durch einen äußeren Anlaß, wie er dem Volksgemüte faßlich und verständlich ist. Diese sagenhafte Erzählung lautet aber also. Schon längst hatte Chlotilde ihren Gatten zu ihrem Glauben zu be­ kehren versucht; aber der König glaubte seinen alten Göttern treu bleiben zu müssen. Da zog er wieder einmal in den Krieg; schon neigte sich der Sieg auf die Seite seiner Feinde, der Allemannen. Da gedachte Chlodwig deffen, was ihm seine Gemahlin von dem mächtigen Christengotte erzählt hatte, und er entschloß sich, diesen Gott um Hülfe anzurufen, mit dem Gelübde, ihm fortan dienen zu wollen, wenn er ihm den Sieg verleihe. Gott schenkte ihm wirk­ lich den Sieg, und Chlodwig wurde nunmehr ein Christ. So die Sage. Chlod­ wig ließ sich zunächst von dem Bischof Remigius von Reims im Christenglauben unterweisen.1) Am Weihnachtsfeste des Jahres 496 wurde er getauft. Die

*) Dabei sagte er einmal: „Wäre ich mit meinen Franken dagewesen, so hätten die Juden Christum nicht kreuzigen dürfen."

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Kirche war mit bemalten Tüchern behängt, Weihrauchdüfte erfüllten dieselbe, auf den Altären brannten viele Kerzen; der Bischof führte den König aus seinem Palaste zur Kirche unter dem Gesänge geistlicher Lieder und dem Jubelruf der Bürger. Während der Prozession fragte der König den Bischof, ob das nun schon das Reich Gottes sei, von dem er ihm gepredigt hatte — er hatte vom christlichen Glauben noch nicht viel erfaßt. Bei der Taufe sagte der Bischof zum Könige: „Beuge dein Haupt in Demut und verehre von nun an, was du bisher verbranntest, und verbrenne, was du bisher ver­ ehrtest!" Als im dichten Gedränge des Volkes dem Bischöfe das ©al6ölx) nicht gereicht werden konnte, da soll, wie die Sage 350 Jahre später be­ richtet, auf des Remigius Gebet eine Taube im Schnabel ein Ölfläschchen vom Himmel gebracht haben; bis zur Revolution, wo die Flasche zerbrochen wurde (sie kam aber 1824 wieder zum Vorschein), wurden daraus die fran­ zösischen Könige gesalbt.-) Der Papst war sehr erfreut über die erste Be­ kehrung eines deutschen Königs zur katholischen Kirche; „der älteste Sohn der Kirche/" hieß fortan der König der Franken und später „der allerchrist­ lichste König"" der Herrscher der Franzosen. Chlodwigs Bekehrung war nicht ein Schritt der Politik, sondern der Überzeugung; sie war nicht Heuchelei, aber freilich hat seine neue Überzeugung ihn noch nicht zu einem neuen Menschen gemacht; seine Taufe bildet keinen Abschnitt in seinem Leben; die schändlichsten Thaten, die er gethan hat, hat er vielleicht als Christ vollbracht. Trotzdem war seine Taufe von der größten Bedeutung, mehr freilich für die Welt, als für ihn selber. Nachdem der König übergetreten war, folgten ihm allmählich auch seine Unterthanen, aber Chlodwig ließ jedem seinen Glauben; doch auch seine Nachfolger haben es später, wie die Nachfolger Constantinas, für ihre Auf­ gabe gehalten, das Heidentum mit Gewalt auszurotten, und so ist denn im 7. Jahrhundert das Heidentum unter den Franken zu Grunde gegangen. Als Chlodwig und seine Nachfolger die fränkische Herrschaft auch über den Süden von Gallien ausdehnten, indem sie die Westgoten und die Burgunden unterwarfen, wurde auch die Einheit des Glaubens in ganz Gallien her­ gestellt; die Burgunden waren zwar zum Teil, durch ihre westgotischen Nachbarn veranlaßt, Arianer geworden; aber als nun die Westgoten von Chlodwig unterworfen wurden und später auch sie selber, da verschwand bald der arianische Glaube aus ganz Gallien, und das ganze Land bekannte sich nunmehr zum katholischen Glauben, und noch heute ist Frankreich ein fast ganz katholisches Land. In ziemlich kurzer Zeit war das Christentum unter den Franken die herrschende Religion geworden; sie haben ihre alte Religion leicht verlassen, kein Märtyrer ist für sie gestorben; aber sie haben auch das Christentum an­ genommen, ohne daß sie in Religion und Sittlichkeit sofort oder auch nur später von dem neuen Glauben tiefer erfaßt und erneuert worden sind; wie Chlodwig, so sind auch seine Nachfolger, und wie die Herren, so sind auch die Unterthanen durch die neue Religion in ihrer Sittlichkeit wenig gefördert und geläutert worden. ’) Mit der Taufe war damals auch eine Salbung verbunden. 2) Vgl. die Sage vom heil. Öl bei der Makkabäischen Tempelweihe in meiner heil. Gesch. Nr. 37 e.

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C. Die keltische Kirche in England und ihre Ausbreitung über Irland und Schottland. Die Bekehrung der Angel­ sachsen zum römisch-katholischen Glauben und die Unter­ werfung der keltischen Kirche unter den Papst. a. Nach dem damals von Kelten bewohnten Britannien war das Christen­ tum schon vor der Zeit des Kaisers Constantin gekommen; nachdem die römische Herrschaft im Jahre 409 aufgegeben worden war, kamen um das Jahr 450 die heidnischen Angelsachsen in dieses Land und beschränkten die Christen auf den Westen des Landes (Wales).x) Hier hatten die Christen schon seit längerer Zeit von den heidnischen Iren (gleichfalls Kelten) zu leiden^ die in England einfielen und die Gefangenen als Sklaven mitschleppten. Dieses Schicksal hatte auch, wie man erzählt, ein Mann, Namens Patrik, geb. um das Jahr 400; das harte Joch der sechsjährigen Sklaverei, in dem er schmachtete, führte ihn, der bisher nur äußerlich ein Christ gewesen war, zu wahrer Frömmigkeit. Als er endlich seine Freiheit wiedererlangte, beschloß er, um das Jahr 430, an seinen Peinigern sich in christlicher Weise zu rächen, indem er ihnen das Evangelium predigte. Das gelang ihm wunder­ bar schnell, Irland war hundert Jahre später ein ganz christliches Land. Ob dasselbe aber wirklich sein Christentum ausschließlich dem heiligen Patrik ver­ dankt, muß dahingestellt bleiben, da dessen Leben uns zu wenig sicher bekannt ist. Von Irland wurde seit dem Jahre 570 durch Columba *2) das Christen­ tum auch nach Schottland und dem nördlichen England gebracht. Der Glaube aber, den diese Missionare predigten und bald auch auf dem Festlande von Europa verbreiteten, war zwar der katholische (nicht der arianische) Glaube, aber derselbe enthielt noch nicht, was damals schon vielfach und später immer mehr gepredigt ward, daß man dem Papste Unterthan sein müsse, und daß die Geistlichen nicht heiraten dürften; auch feierte man Ostern nach älterer Fest­ setzung zu einer anderen Zeit, als die römische Kirche; das keltische Christentum war auf dem Standpunkt der älteren Kirche stehen geblieben, aber ohne darum ein reineres, mehr evangelisches Christentum zu sein. b. Während die keltischen Missionare in Irland und Schottland mit Erfolg predigten, gelang es ihnen dagegen nicht, unter den Angelsachsen, den heidnischen Oberherren von England, ihren Glauben zur Herrschaft zu bringen; zu feindselig standen die Angelsachsen den alten Einwohnern, den Kelten, gegenüber, als daß sie von diesen sich hätten für den christlichen Glauben gewinnen lassen. So war es der römischen Kirche vorbehalten, unter den Angelsachsen die Herrschaft Christi (und auch des Papstes) zu begründen. Die Bekehrung der Angelsachsen war aber das Werk Gregor's des Großen,3) der von 590—604 die päpstliche Würde bekleidet hat. Er schickte 40 Bene­ diktiner^) unter dem Abte Augustinus nach England, wo sie im Jahre 596 ankamen. Langsam schritt das Bekehrungswerk vor, aber im Laufe von hundert Jahren waren alle angelsächsischen Reiche in England für das \) Der König dieses unterdrückten Volkes ist der bekannte König Artus der mittel­ alterlichen Sage. 3) Derselbe ist nicht zu verwechseln mit dem in Gallien wirkenden ebenfalls kel­ tischen Columba — vgl. Nr. 38b. 3) Vgl. Nr. 32. *) Vgl. Nr. 38.

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Christentum gewonnen und dem Papste unterworfen. Der römischen Kirche der Angelsachsen ist es nun im Laufe der Jahrhunderte auch gelungen, die Kirche in Wales, Schottland und Irland gleichfalls unter das Joch des Papstes zu beugen, so daß um das Jahr 1300 alle drei Jnselreiche dem Papste Unterthan waren. Die Irländer haben freilich ihren heiligen Patrik noch heute nicht vergessen, und ihre katholischen Priester werden sich hüten, ihnen diesen Nationalheiligen zu nehmen; aber für den heutigen Irländer ist sein heiliger Patrik ein Gesandter und treuer Anhänger des Papstes gewesen; die wahre Geschichte hat auch hier wie anderwärts *') durch die katholischen

Priester eine Umwandlung erfahren, welche klarzulegen erst der neuesten Zeit gelungen ist.

D. -) Fränkische und keltische (irische) Missionare unter den deutschen Stämmen. Der heil. Willibrord unter den Friesen, a. Von den Franken her ist das Christentum durch Missio­ nare allmählich auch zu den im Norden und Osten ihnen be­ nachbarten deutschen Stämmen gekommen, und dabei haben ihnen auch keltische Missionare zur Seite gestanden. Als die germanischen Völker das weströmische Reich zertrümmert hatten, ging die alte griechisch-römische Bildung im Abendlande allmählich zu Grunde, und nur in Spanien und Irland konnte sich dieselbe behaupten. Das von Kelten bewohnte Irland war aber, wie oben gezeigt, in dieser Zeit bereits ein christ­ liches Land; aber sein Christentum hatte sich auf dem Standpunkte der ganzen älteren Kirche erhalten, die von einer Oberherrschaft des Papstes in der Kirche nichts wußte und auch nicht in allen Punkten mit den Einrichtungen der römischen Kirche übereinstimmte. In den Klöstern Irlands lernte man neben dem Lateinischen auch das Griechische, welches im Abendlande damals bereits fast vergessen war, und konnte deshalb auch das Christentum besser kennen lernen, da ja das Neue Testament und die ältesten Schriften der Kirche in griechischer Sprache geschrieben sind. Seit dem Jahre 500 erfaßte nun die christlichen Iren (Kelten) eine gewaltige Wanderlust, und seitdem zogen zahl­ reiche keltische Glaubensboten in das Frankenreich und zu den anderen Ger­ manen, um ihnen den christlichen Glauben zu predigen, der bei denselben noch wenig verbreitet oder wenigstens noch nicht sehr wirksam geworden war. Anderwärts ist darauf hingewiesen worden, daß unter den Franken in Gallien der keltische Mönch Columba in Segen gewirkt hat.3) Als er Gallien ver­ ließ, begab er sich um das Jahr 610 in das Land der Allemannen und später zu den Longobarden, wo er das Kloster Bobbio gestiftet hat, welches im ganzen Mittelalter eine Pflegestätte der Bildung gewesen ist. Ein Ge­ nosse von ihm war Gallus, der Stifter von St. Gallen, von welchem unten (b) die Rede sein wird. Am Ende des 7. und am Anfang des 8. Jahr­ hunderts waren viele andere Iren als Missionare zu beiden Seiten des Rheins von seiner Mündung bis zu den Alpen thätig; auch in Bayern und in Thüringen sind irische Missionare thätig gewesen; Bonifatius fand überall, wo er hinkam, irische Missionare oder wenigstens ein von ihnen herrührendes

’) 2) mein ’)

Vgl. die Geschichte von dem heiligen Nepomuk — Nr. 29 B. Dieser Abschnitt ist in der Schule mit dem folgenden (E) zu verbinden (vgl. Hülfsbuch), da nur Weniges davon für die Schule in Betracht kommt. Vgl. Nr. 38 b.

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Christentum. Andrerseits zogen viele Jünglinge und Männer, namentlich Angelsachsen, im 7. Jahrhundert nach Irland, um sich dort eine umfassendere und tiefere Bildung zu holen, als sie in ihrer Heimat zu finden war. Als daher Karl der Große und ferne Nachfolger unter ihren Völkern Bildung verbreiten und Schulen errichten wollten, fanden sie die besten Lehrer für dieselben in Irland, und seitdem strömten aufs neue Kelten in die deutschen Länder. Der größte Gelehrte und selbständigste Denker des 9. Jahrhunderts, Johannes Scotus Erigena, war ein Irländer. Ein Irländer, der Bischof Virgilius von Salzburg, wurde von Bonifatius beim Papste als Ketzer ver­ klagt, weil er lehrte, daß Sonne und Mond unter der Erde durchgingen und auf der anderen Seite auch Menschen seien (er hielt also wohl die Erde für eine Kugel). Wie durch Gelehrsamkeit, so glänzten die Iren auch durch ihre Fertigkeit in der Kunst, Handschriften anzufertigen und mit Bildern zu schmücken, und durch ihre Leistungen in der Bildhauerkunst und in der Musik. So haben die Kelten zuerst als Prediger des Christentums, dann als Inhaber und Träger einer höheren Bildung, wie sie damals fast nur bei ihnen zu finden war, unter den Germanen lange Zeit segensreich gewirkt. Aber wenn nun auch die Predigt der Kelten, wie auch der Franken, in Deutschland nicht vergeblich gewesen ist, so hat doch die deutsche Kirche ihre (bis zur Reformation) dauernde Gestalt nicht durch die Thätigkeit der fränkischen und keltischen, sondern der angelsächsischen Missionare er­ halten, welche als Anhänger des Papstes nach Deutschland kamen und es für ihre Aufgabe hielten, die Deutschen nicht bloß, wie die Franken und die Kelten wollten, zu Christen, sondern auch zu Unterthanen des Papstes zu machen — und das ist den Angelsachsen für die Jahrhunderte des Mittel­ alters gelungen. b. ]).

Die nächsten Nachbaren der Franken waren die Allemannen.

Die­

selben waren zwar im Jahre 496 zum Teil, im Jahre 536 sämtlich den Franken

Unterthan geworden, aber ihrem heidnischen Glauben blieben sie zunächst noch

treu.

Unter ihnen hat namentlich ein Schüler des oben (D, a) genannten Kelten Columba,") ebenfalls ein keltischer Mönch aus Irland, Gallus, der Gründer des Klosters St. Gallen in der Schweiz, gewirkt.

Gallus war zunächst als Begleiter des Columba,

als derselbe das Frankenreich verließ, um das Jahr 610 in diese Gegend gekommen; als Columba nach Italien zog, wo er als Stifter des Klosters Bobbio ein anderes

Arbeitsfeld gewann, blieb Gallus unter den Allemannen, und er hat unter ihnen in

Segen gewirkt; durch ihn und seine Nachfolger waren die Allemannen um das Jahr 700 sämtlich wenigstens äußerlich für das Christentum gewonnen.

Aus der Nieder-

laffung des heiligen Gallus, der um das Jahr 640 im Alter von 90 Jahren gestorben

ist, ist zunächst das Kloster St. Gallen geworden, bald eine berühmte Pflanzstätte des Glaubens wie der Wissenschaft und der Kunst für nah und fern; um das Kloster

ist später die gleichnamige Stadt entstanden.^) In der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts wurden auch die Baiern der

fränkischen Herrschaft unterworfen.

Bis an die Donau waren hier die Römer vor-

l) b und c sind Ausführungen für den Lehrer, für die Lokalgeschichte zu verwerten. *) Vgl. Nr. 38 b. Derselbe ist nicht zu verwechseln mit dem in C,a genannten Columba. s) Dgl. Scheffel's Ekkehard; Lied von Walther und Hildegunde.

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gedrungen, und in ihrer Zeit war hier auch die christliche Kirche verbreitet und mehrere Bistümer gegründet worden; die oben erzählte Geschichte von dem heiligen Florians spielt in dieser Gegend; im 5. Jahrhundert war wohl die ganze Gegend südlich von der Donau ein christliches Land. Da wurde durch die Völkerwanderung die römische Herrschaft und zugleich das Christentum beseitigt, nur geringe Reste des Romanen­ tums und des Christentums konnten sich hier behaupten. Als die Baiern dies Land besetzten, waren sie wohl meist noch Heiden; doch dürfte es unter ihnen auch schon Christen, und zwar sowohl arianische als katholische Christen, gegeben haben. Als die Franken ihre Herrschaft auch über die Baiern ausdehnten und einen Franken, gewiß einen Christen, aus dem Geschlechte der Agilulfinger als Herzog über den Stamm setzten, wurde auch das Christentum, und zwar das katholische, die herrschende Religion, und um das Jahr 700 waren Heidentum und Arianismus verschwunden. Verschiedene Männer sind seitdem in Baiern thätig gewesen, um die Kirche des Landes zu ordnen und zu heben : keltische Missionare haben auch hier gewirkt, wie Columba unter den Franken; schon im Jahre 716 versuchte der bairische Herzog eine Verbindung mit der römischen Kirche herzustellen; aber erst später ist die Organisierung und die Unterwerfung der bairischen Kirche unter Rom erreicht worden. Auch die Thüringer kamen schon frühzeitig mit dem Christentum in Berührung, sowohl mit dem arianischen, als mit dem katholischen. Als das Land im Jahre 530 den Franken Unterthan wurde, gewann auch das katholische Christentum eine größere Verbreitung im Lande; neben den fränkischen wirkten hier ebenfalls keltische Missionare, und um das Jahr 700 galt Thüringen äußerlich für ein christliches Land, ohne daß freilich das Heidentum schon gänzlich verschwunden war. c. Schon am Anfänge des 7. Jahrhunderts hatten fränkische Missionare begonnen, unter den Friesen, die den Frankenkönigen zum Teil Unterthan waren, das Christen­ tum zu verbreiten: aber später ging mit der fränkischen Herrschaft auch das Christen­ tum hier wieder unter, und der Friesenkönig Radbod sah in den christlichen Missionaren, auch wenn sie keine Franken waren, doch nur Vorkämpfer der fränkischen Herrschaft über die Friesen. In dieser Gesinnung wurde der König erst recht bestärkt, als die Franken um das Jahr 690 aufs neue das linksrheinische Friesland eroberten. Als in dieser Zeit der Angelsachse Willibrord, der eigentliche Begründer der Kirche in Friesland (ein angelsächsischer Bischof, der im Kloster herangewachsen war — ein eifriger Anhänger des Papstes, wie alle Angelsachsen), nach dem Festlande kam, um als Missionar unter den Friesen zu wirken, erkannte er sofort, daß er nur im Gebiete der unterworfenen Friesen eine Stätte für seine Wirksamkeit finden könne, und für seine Thätigkeit erbat er sich nun zunächst den Schutz Pippin's von Heristal,*2) der natürlich auf das Gesuch des Missionars mit Freuden einging; wenn die Friesen Christen wurden, so wurde ihre Verbindung mit dem Frankenreiche um so inniger. Aber Willibrord wollte zu seinem Werke auch die Zustimmung des Papstes haben, in welchem er das Haupt der ganzen Kirche erblickte, wovon man in der fränkischen Reichskirche nichts wußte. Deshalb begab sich Willibrord alsbald auch nach Rom, und mit Willibrord's Reise nach Rom (690) beginnt nun die engere Verbindung der deutschen Kirche mit dem Papste, welche in Bonifatius ihren Hauptvertreter gefunden hat. Als nun die Mission unter den Friesen bald größere Erfolge aufwies, wurde, wie es scheint, einer der ältesten Missionare, Suidbert, zum Bischof der Friesen ge*) Vgl. Nr. 26 A. 2) Derselbe hatte unlängst (687) durch den Sieg bei Tefiri die Würde des Major­ domus für das ganze Frankenreich gewonnen.

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weiht; aber derselbe konnte sich in Friesland nicht behaupten, wahrscheinlich, weil Pippin es nicht dulden wollte, daß ohne seine Mitwirkung ein Bischof in seinem Ge­ biete eingesetzt würde. Als nun die Wirksamkeit der Missionare sich bald noch weiter unter den Friesen ausdehnte (infolge der Ausdehnung der fränkischen Herrschaft), so beschloß nunmehr Pippin, seinerseits die Organisation der Kirche Frieslands zu veranlassen. Auf seinen Wunsch begab sich Willibrord nach Nom, und auf sein Ver­ langen wurde derselbe im Jahre 695 vom Papste zum Erzbischof von Friesland ge­ weiht, und als Erzbischof hatte Willibrord das Recht, Bistümer in Friesland zu er­ richten (natürlich mit Genehmigung Pippin's) und Bischöfe einzusetzen, wozu er aber nicht gekommen ist. Zum Sitze des Erzbistums wurde von Pippin Utrecht aus­ ersehen; die dort schon früher gebaute, später wieder zerstörte Kirche wurde jetzt aufs neue gebaut und dem heiligen Martin geweiht; Pippin sorgte für den Unterhalt der Kirche und des Erzbischofs. Bald wurden auch anderswo Kirchen gebaut und auch Klöster gegründet, und der Ruf von Willibrords Erfolgen schaffte ihnen reiche Ver­ mächtnisse und Schenkungen. Bald versuchte Willibrord, seine Thätigkeit auch über das Gebiet des Königs Nadbod, ja bis nach Dänemark auszudehnen; aber das war vergeblich, da namentlich Nadbod für die christliche Predigt unzugänglich blieb. Ja, als der kühne Willibrord, von Dänemark zurückfahrend, nach Helgoland, welches den Friesen gehörte, verschlagen wurde und aus einen: heiligen Quell einige Bekehrte taufte, wurde er von den Heiden ergriffen und vor Nadbod geführt; derselbe ließ an drei Tagen je drei Mal das Los über ihn werfen, um zu erkunden, ob die Götter seinen Tod verlangten: aber nicht Willibrord, sondern einer seiner Gefährten wurde vom Lose getroffen und infolge dessen hingerichtet. So kehrte Willibrord in das fränkische Friesland zurück und nahm seine Thätigkeit dort wieder auf; aber der Bestand seiner Thätigkeit beruhte auf dem Bestände der fränkischen Herrschaft; diese aber war keineswegs gesichert. Als nämlich Pippin von Heristal im Jahre 714 starb, gelang es Nadbod infolge der Zwistigkeiten im Hause der Karolinger, wieder ganz Friesland an sich zu bringen; infolgedessen mußten Willibrord und die christlichen Geistlichen das Land verlaffen, und die Kirchen wurden zum Teil wieder zerstört. Als aber Karl Martell seine Gegner besiegt^hatte, überwältigte er auch Nadbod, der übrigens schon das Jahr dar­ auf starb (719); schon sein Nachfolger suchte mit den Franken in Frieden zu leben. In diesen unruhigen Jahren ist Winfrid, der „Apostel der Deutschen", in Friesland gewesen, aber bald wieder nach England zurückgekehrt. Als Nadbod gestorben war, kehrten Willibrord und die vertriebenen Priester nach dem fränkischen Friesland zu­ rück, und es gelang ihnen, das ganze Gebiet bald zu einem gänzlich und dauernd christlichen Lande zu machen. Dabei hat Winfrid, der jetzt wieder nach Friesland zurückkehrte, ihm drei Jahre lang zur Seite gestanden. Willibrord starb im Jahre 739; er verdient es, der Apostel von Friesland genannt zu werden ; er hat die Kirche in Friesland begründet, wenn es ihm auch noch nicht gelungen ist, den christlichen Glauben unter den freien Friesen zu begründen; das ist aber nicht lange danach gleichfalls geschehen; ehe das achte Jahrhundert zu Ende ging, war ganz Friesland

ein christliches Land geworden.

E. Die Unterwerfung der deutschen Kirchen unter den Bischof von Rom durch Winfrid (Wynfrith) oder Bonifatius, den „Apostel der Deutschen". a. Obwohl um das Jahr 700 das Christentum unter den meisten deutschen Stämmen bereits verbreitet oder sogar schon herrschend geworden war, so war

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doch das Heidentum noch nicht gänzlich überwältigt, und das Christentum war doch vielfach nur äußerlich angenommen worden und hatte das Leben der Völker noch wenig umgestaltet. Und wie war doch die Kirche auch im Frankenreiche verfallen! Mit dem Verfall des Staates unter der Königs­ familie der Merowinger war auch ein allgemeiner Verfall der fränkischen Kirche eingetreten. In den Streit der Großen gegen den König, in die Kämpfe der Großen unter einander um Macht und Besitz wurden auch die Bischöfe hineingezogen, die sich mehr als weltliche Große fühlten und zeigten, denn als Bischöfe. Auch die mächtig werdenden Karolinger haben zunächst in den Bischöfen nur weltliche Helfer oder Gegner gesehen und gefunden. Ebenso verweltlicht waren die niederen Geistlichen und die Mönche. Das Kirchengut wurde als gute Beute für die Großen angesehen und von den Herrschern und den Mächtigen an ihre Günstlinge überwiesen und der Kirche entzogen. Auch unter den Laien war wenig von christlicher Frömmigkeit zu finden. So bedurfte die Kirch e im Frankenreiche wie auch dies­ seits des Rheins einer Reformation, und diese Aufgabe hat der Angelsachse Bonifatius in Gemeinschaft mit dem Papste und mit den Karolingern auf sich genommen und zu lösen v e r st a n d e n. Aber Bonifatius hat sich auch noch eine zweite Aufgabe gestellt und gelöst: die deutschen Kirchen dem Papste Unter­ than zu machen. Wenn nämlich die Franken im Jahre 496 den katholischen, nicht den arianischen Glauben angenommen haben, so ist damit nicht gesagt, daß sie kirchlich sofort auch dem römischen Bischof Unterthan wurden; die Franken sind Christen geworden ohne Mitwirkung des Papstes, und fränkische Missionare brachten das Christentum anderen deutschen Stämmen, ohne sie damit zu Untergebenen des Papstes zu machen. Die fränkische Kirche war nämlich eine selbständige Landeskirche, nicht ein Glied der römischen Kirche; ihr Haupt war der König, nicht der Papst. Zwar ehrten die Frankenkönige in dem Papste, als dem Nachfolger des Petrus, das Oberhaupt der Kirche; aber das war nur eine moralische Anerkennung der pästlichen Würde; wie Rom noch immer das Haupt der Welt hieß, ohne daß es doch noch etwas zu befehlen hatte, so galt nach dem Sturze des römischen Kaisertums der römische Bischof als das Haupt der Kirche; aber befehlen ließen sich die Frankenkönige von ihm auch in kirchlichen Dingen gar nichts; der Papst mußte die Könige bitten und ermahnen, wenn er etwas erreichen wollte, und oft genug sind seine Bitten und Ermahnungen vergeblich gewesen; die fränkische Kirche wurde vom Könige geleitet, und auch die andern deutschen Kirchen standen zunächst nicht unter dem Papste. Das ist anders geworden durch das Auftreten der angelsächsischen Missionare auf dem Festlande; dieselben kamen zwar zunächst nur als Missio­ nare zu den Deutschen, nicht als Gesandte des Papstes; aber bei ihrem Wirken waren sie stets darauf bedacht, die Bekehrten alsbald in Verbindung mit Rom zu bringen, sowie ihre Heimatskirche mit Rom verbunden war. Durch die Wirksamkeit der Angelsachsen, vornehmlich des Bonifatius, bildeten sich zunächst im fränkischen Reiche Pro­ vinzialkirchen, welche mit Rom verbunden waren; daß auch die fränkische Reichskirche mit Rom in Verbindung trat, ist

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rben falls zunächst ein Werk der angelsächsischen Missionare, aber ebenso sehr der emporkommenden Karolinger, namentlich Karlmann's und Pippin's, welche ihr Emporkommen doch auch der Gunst der Päpste verdankten.J) b. Von der durch den Papst Gregor (c. 600) bekehrten und darum auch von vorn herein dem Papste unterworfenen Kirche der Angelsachsen, welche später auch die Kirche in Wales, Schottland und Irland dem Papste unter­ worfen hat, ist nämlich um das Jahr 700 ein Mann ausgegangen, der in Deutschland den christlichen Glauben gepredigt, aber zugleich in unserm Vater­ lande die Herrschaft des Papstes aufgerichtet hat: es ist dies Winfrid (Wynfrith) oder Bonifatius, der sogenannte „Apostel der Deutschen". Der Angelsachse Winfrid (Wynfrith), später meist Bonifatius genannt,2) der aus einem vornehmen sächsischen Geschlechte herstammte, war etwa um das Jahr 675 in einem uns unbekannten Orte im südwestlichen England (dem damaligen Reiche Wessex) geboren. Schon als Knabe wurde er einem Kloster übergeben, zuerst in Adescancastre (heute Exeter), dann in Nhutscelle (heute Nutshalling); an beiden Orten hat er fleißig gelernt und nicht bloß in der Bibel, sondern auch in den weltlichen Wissenschaften sich bedeutende Kenntnisse erworben; bald hat er auch selber unterrichtet. Da sich der Mönch auch als Prediger tüchtig zeigte, so wurde er nach einiger Zeit zum Priester geweiht. Als Vertreter seines Klosters nahm er nun häufig an kirchlichen Versammlungen teil, und bald stand er mitten in den leitenden Kreisen der angelsächsischen Kirche, welche schon damals eifrig damit beschäftigt war, ihren Glauben auf der ganzen Insel zum herrschenden zu machen. Eine Versammlung angelsächsischer Priester hatte es im Jahre 692 ausdrücklich ausgesprochen, daß es zur Seligkeit nicht ausreiche, ein Christ zu sein, Petrus werde nur die Anhänger des Papstes in den Himmel einlassen. Das war auch Winfrid's Meinung. Doch nicht in seinem Vaterlande wollte Winfrid in diesem Sinne den christlichen Glauben predigen, sondern in der Fremde wollte er arbeiten, um dem Worte Christi buchstäblich zu gehorchen, daß der Christ auch die Eltern und das Vaterland zu verlasien bereit sein müsse. Winfrid hörte nämlich, daß in Friesland, wo Willibrord unter dem heidnischen Volke seit längerer Zeit gepredigt hatte, ^) die christliche Predigt wieder unterdrückt und der Missionar vertrieben worden war, und er beschloß (im Jahre 716) als Missionar nach Friesland zu gehen. Aber da er bei der Feindschaft des Königs Radbod gegen das Christentum mit seiner Predigt nichts ausrichtete, so kehrte er bald wieder nach England in sein Kloster zurück, wo er mit Freuden ausgenommen und trotz seiner Jugend zum Nachfolger des unlängst verstorbenen Abtes gewählt wurde. Aber Winfrid

’) Vgl. Nr. 32. *) Bisher Bonifacius (d. h. Wohlthäter) geschrieben; jetzt gilt es für richtiger Bonifatius zu schreiben, und dies Wort von bonum fatum herzuleiten (gutes Geschick), fo daß dieser Name dem angelsächsischen „Wynfrith" d. i. Gewinner des Glückes ent­ sprechen würde (vgl. den Namen Bonaventura — bona Ventura d. h. gutes Geschicks von Ventura kommt adventura her, welches im Deutschen zu „Abenteuer" geworden ist). — Der Papst Gregor II.. der ihm wohl im Jahre 719 den neuen Namen ge­ geben hat, hat denselben vielleicht (sprachlich falsch) im Anschluß an Römerbr. 10, 15 als „Verkünder ((fari) des Guten (bonum)" verstanden oder wenigstens gedeutet. a) Vgl. oben D.

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hatte den Gedanken nicht aufgegeben, der ihn bereits nach Friesland geführt hatte. Nicht lange litt es ihn deshalb in der Heimat, schon im Jahre 718 verließ er abermals sein Vaterland — jetzt für immer. Zunächst begab er sich nach Rom, um in Verbindung mit dem Papste, der ihm als das Ober­ haupt der ganzen Kirche galt (was der Papst damals in Wahrheit noch durchaus nicht war), seine Missionsthätigkeit wieder aufzunehmen. Mit Freuden empfing der Papst den eifrigen Priester und gab ihm gern die Voll­ macht, in seinem Namen in Deutschland zu predigen; vom Papste hat er wohl auch, wie oben bemerkt, den römischen Namen Bonifatius empfangen. Mit des Papstes Segen und mit mancherlei Reliquien versehen, auf welche die Christen schon damals ein großes Vertrauen setzten, trat er im Jahre 719 die Reise nach Deutschland an; er brauchte einen kräftigen Schutz gegen die Heiden und noch mehr gegen die von ihm zu bekämpfenden fränkischen und keltischen Missionare, denen er in Deutschland entgegentretcn wollte, und diesen Schutz fand er in dem Namen des römischen Bischofs. Bonifatius begab sich zunächst nach Thüringen, wohin er vom Papste gewiesen wurde, um diese Kirche in römischem Sinne zu organisieren; Thü­ ringen war ja, wie oben gezeigt, in dieser Zeit bereits wesentlich ein christ­ liches Land; freilich war diese Kirche dem Papste noch nicht unterworfen und nicht in römischer Weise organisiert; auch wirkten hier keltische Missionare, die den Anschluß an den Papst nicht suchten. Als nun aber Winfrid hörte, daß der König Radbod gestorben sei, so begab er sich wieder nach Friesland, wo inzwischen Willibrord in das verlassene Arbeitsfeld wieder eingetreten war; drei Jahre wirkte Winfrid an dessen Seite, aber im Jahre 722 kehrte er in das innere Deutschland zurück, und zwar begab er sich in das zwar den Franken unterworfene, aber noch zum Teil heidnische Hessen, das Nachbar­ land von Thüringen. Mit einem Genossen, den er unterwegs in einem Kloster gewonnen, be­ gann nun Winfrid im Jahre 722 seine Wirksamkeit in Amanaburg in Hessen (dem heutigen Städtchen Amöneburg, unweit von Marburg), und es gelang ihm, die hier noch zahlreicher vorhandenen Heiden für den christlichen Glauben zu gewinnen. Aber um die Kirche in Hessen organisieren zu können, bedurfte er der Mitwirkung des fränkischen Herrschers, Karl Martell, und des Papstes. Des­ halb begab er sich abermals nach Rom (im Jahre 722). Hier wurde er vom Papste zum Bischof von Hessen und Thüringen geweiht und versprach dem­ selben gehorsam zu sein, den römischen Glauben zu predigen und fremde Geist­ liche zu vertreiben; die von ihm zu gründende deutsche Kirche sollte also eine Provinz der römischen Kirche werden, was doch die fränkische Kirche damals noch nicht war (sie stand unter dem Herrscher des Frankenreiches); deshalb gab ihm der Papst auch einen Empfehlungsbrief an Karl Martell mit, den Majordomus des fränkischen Reiches, ohne dessen Anerkennung es ihm nicht gelingen konnte, die Kirche in Hessen und Thüringen zu organisieren. So erschien denn Winfrid im Jahre 723 aufs neue in Deutschland. Als er nun Karl Martell, der im Gegensatze zum Papste sich selber das Recht zuerkannte, die Bischöfe in seinem Gebiete einzusetzen, den päpstlichen Empfehlungsbrief überreichte, wurde er von ihm als Bischof anerkannt und unter den Schutz seiner Beamten gestellt; nunmehr begab er sich zunächst

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wieder nach Hessen, und der päpstliche Bischofstitel wie Karl's Schutzbwief erleichterten ihm seine Wirksamkeit als Missionar unter den Heiden, wie als Bischof unter den Christen. Bei dem Dorfe Geismar in Hessen (es giiebt aber mehrere Dörfer dieses Namens in Hessen) stand eine alte, dem Gwtte Thor geweihte Eiche; Bonifatius hieb sie um, ohne den Zorn der hier noch wohnenden Heiden und ihrer Götter zu fürchten, und baute nach der Sage aus ihrem Holze eine Kapelle des heiligen Petrus. Solche Thaten wirkten auf die einfachen Gemüter der Deutschen mehr als viele Worte. Von Hessen zog Bonifatius im Jahre 725 nach Thüringen und gründete daselbst idas Kloster Ohrdruff, von wo aus er an vielen Orten der Umgegend das Christen­ tum begründet haben soll. In diesen Jahren der Wirksamkeit in dem mittleren Deutschland, ettwa zwischen den Flüssen Lahn, Main, Unstrut und Gera, wo wir den Bonifatius nicht auf Schritt und Tritt verfolgen können, hören wir immer aufs neue von Schwierigkeiten, die ihm weniger die Heiden als die „falschen Christen" be­ reiteten. Und das war sehr natürlich. Er sah die keltischen Missionare unb Priester (das sind die falschen Christen) so an, wie der Papst heute die 93to' testanten *); wer der römischen Kirche nicht angehört oder gar ihr entgegen­ tritt, ist ein beklagenswerter Mensch, ja ein strafwürdiger Sünder: ohne die katholische Kirche kann man nicht zu Christus kommen, nur durch den Papst kommt man in den Himmel. Zu seiner Unterstützung kamen auf des Bonifatius Bitte immer neueScharen angelsächsischer Mönche und Nonnen aus England nach Deutschland, so daß immer mehr Klöster gegründet und umgestaltet und geistliche Stellen in immer größerer Zahl mit treuen Anhängern besetzt werden konnten. In dieser Zeit, wo er in Hessen und Thüringen eifrig wirkte, ist Boni­ fatius im Jahre 732 vom Papste zum Erzbischof ernannt worden, womit er die Befugnis und den Auftrag erhielt, für die von ihm bekehrten und dem Papste unterworfenen Gebiete Bischofssitze auszuwählen und Bischöfe einzu­ setzen, da er nicht das ganze Gebiet allein als Bischof verwalten konnte. Im Jahre 738 war Bonifatius auch nochmals (das letzte Mal) in Rom und erhielt vom Papste die Aufforderung, auch die Kirche von Süddeutschland in päpst­ lichem Sinne zu ordnen und zu organisieren. Und es gelang ihm auch, schon im Jahre 739, da der Baiernherzog Odilo seinen Plänen zustimmte, die Kirche von Baiern, welche vornehmlich durch keltische Missionare gegründet worden war, nach den römischen Anschauungen und Sitten zu ordnen und dem Papste zu unterwerfen; zu Bischofssitzen wurden Salzburg, Freising, Regensburg und Pasiau bestimmt. Dagegen gelang es Bonifatius erst im Jahre 741, mit Genehmigung Karl Martellas auch für die Kirche von Hessen und Thüringen Bischofssitze zu bestimmen (Erfurt und Würzburg für Thüringen, und Buraburg bei Fritzlar für Hessen) und Bischöfe einzusetzen, e. Zwei Provinzialkirchen, die von Hessen-Thüringen und die von Baiern, waren bereits in römischem Sinne durch Bonifatius geordnet; es galt nun, die noch von Rom freie fränkische Kirche dem Papste zu unterwerfen. So lange Karl Martell lebte, konnte Bonifatius in dieser Kirche nichts aus*) So sind des Bonifatius Gegner auch in Freytag's bekanntem Roman ,,Jngraban" gezeichnet, der ja im übrigen die Wirksamkeit des Bonifatius so trefflich und anschaulich schildert.

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richten; obwohl Karl Martell sich um die abendländische Kirche und Welt durch seinen Sieg über die Mohammedaner das größte Verdienst erworben hatte (Sieg bei Poitiers 732), so hat er doch dem Papste keinen Einfluß auf die fränkische Kirche und seine Politik verstattet. Da starb Karl Martell im Jahre 741, und seine Söhne, Karlmann und Pippin, teilten sich in die Regierung des Landes, und zwar erhielt Karlmann den Osten, Pippin den Westen des Frankenreiches, beide natürlich in der Würde eines Majordomus für den merovingischen Cchattenkönig. Beide Brüder, namentlich aber Karl­ mann, hatten ein reges Interesse für kirchliche Dinge, und Karlmann forderte nun sofort den Bonifatius auf, in seinem Gebiete eine Synode zu ver­ sammeln zur Reformation der ostfränkischen Kirche. Die Synode wurde im Jahre 742 abgehalten; Karlmann war natürlich der Berufende, und ohne ihn konnte kein Beschluß der Synode ausgeführt werden; bei der Synode waren, wie immer, auch weltliche Große zugegen; von den Bischöfen waren viele, die Gegner einer Reformation der Kirche, nicht erschienen; um so leichter konnten energische Neformbeschlüsse gefaßt werden. Karlmann bestimmte, den Beschlüssen gemäß, aber als Oberherr der ostfränkischen Kirche, nicht im Namen des Papstes, daß Bonifatius der Erzbischof der ostfränkischen Kirche sein solle (nicht bloß von Hessen-Thüringen), und unter ihm sollten die von dem Landesherrn ernannten Bischöfe ihre Diöcesen verwalten. Unwürdige Geistliche sollten abgesetzt und alle Geistlichen, auch die keltischen, ihren: Bischof unterworfen sein. Den Bischöfen und Geistlichen wurde die Teil­ nahme am Kriegshandwerk und an der Jagd untersagt; die Priesterehe wurde aufs neue verboten; die Klöster sollten sich nach der Benediktinerregel richten; die heidnischen Gebräuche und Sitten sollten vollends unterdrückt werden. So war also eine Reform der ostfränkischen Kirche beschlossen, aber da­ mit war diese Kirche dem Papste nicht unterworfen, sondern der Landesherr war nach wie vor Herr der Kirche; ja, nunmehr galt auch die hessisch-thü­ ringische Kirche als Teil der ostfränkischen Kirche, und als solche stand sie unter dem Landesherrn, nicht unter dem Papste; des Papstes Wort war für Karlmann eine moralische Autorität, aber in der Kirche befehlen konnte nur der Landesherr. Daß Bonifatius, der ergebene Unterthan des Papstes, an der Spitze der Kirche stehen sollte, stärkte zwar die moralische Autorität des Papstes in der fränkischen Kirche, aber die Oberherrlichkeit des Landes­ herrn auch über die Kirche war damit nicht beseitigt. Aber obwohl nun öfter Synoden gehalten wurden, war es doch nicht leicht, die Beschlüsse durchzuführen, so lange es Bischöfe gab, welche Gegner der Reform waren, und diese Bischöfe sind erst nach längerer Zeit abgesetzt worden oder gestorben. Die bairische Kirche wurde dem Bonifatius als Erzbischof erst untergeordnet, als Herzog Odilo, der sich gegen Karl Martellas Söhne erhoben hatte, besiegt worden war?) 2) Odilo hatte in diesem Kampfe sogar den Beistand des Papstes erhalten: in Deutschland der erste, aber mißlungene Versuch des Papstes in rein weltliche Angelegenheiten einzugrerfen (im Jahre 743). Als nämlich die Franken den Baiern gegenüberstanden, gebot der pästliche Legat den Franken, aus Baiern abzuziehen. Aber die Franken kämpften und siegten, und der Legat geriet in ihre Hände. Da erklärte Pippin, um den offenen Bruch mit dem Papste zu vermeiden, den Legaten für einen Betrüger, und der Papst selber verleugnete seinen Legaten.

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Die westfränkische Kirche wurde von Pippin in derselben Weise reorga­ nisiert, wie die von Ostfranken durch Karlmann; doch war hier Bonifatius zwar der Ratgeber des Fürsten, aber er war und wurde nicht das Oberhaupt dieser Kirche, indem drei andere Bischöfe zu Erzbischöfen gemacht wurden; auch Pippin betrachtete sich nach wie vor als den Oberherrn der Kirche. So war nunmehr die ganze Kirche des Frankenreiches durch Bonifatius, aber im Auftrage der fränkischen Herrscher, reorganisiert worden; eine Mit­ wirkung des Papstes war dabei nicht in Anspruch genommen worden; wenn auch Bonifatius päpstlicher Legat war, so hat er doch als solcher nichts zu befehlen und anzuordnen vermocht, sondern, wie der Papst, nur eine mora­ lische Macht in der Kirche besessen. d. Nachdem Bonifatius seine Aufgabe, soweit er es vermochte, gelöst hatte, wurde ihm auch ein bischöflicher Sitz übertragen. Er war zwar schon lange Bischof und sogar Erzbischof, stand aber keiner Diöcese vor. Da wurde ihm endlich im Jahre 746, nachdem zuerst an Köln gedacht worden war, das Bistum Mainz übertragen. Der dortige Bischof wurde abgesetzt, weil er im Kriege gegen die Sachsen denjenigen, der seinen Vater im Kampfe getötet hatte, durch eine List überfallen und getötet hatte. Aber obwohl nun Bonifatius Erzbischof und Vikar des Papstes in Ostfranken blieb, so wurde doch Mainz nicht zum Erzbistum erhoben (das ist erst im Jahre 780 geschehen — des Bonifatius Nachfolger ist nur Bischof ge­ wesen). Auch in Westfranken verschwanden die Erzbischöfe bald wieder. Das ist wohl daraus zu erklären, daß die Landesherren zur Leitung der Kirche keiner Erzbischöfe bedurften; sie selber waren ja die Herren der Bischöfe und der Kirche ihres Landes. Aber wenn so auch der Papst rechtlich nicht das Oberhaupt der fränkischen Kirche war, so war er es doch moralisch; das haben auch die fränkischen Herrscher anerkannt; auch ihnen galt der römische Bischof als das Oberhaupt der gesamten Kirche. Wie die Macht des Papstes später immer größer geworden ist, wird anderswo dargelegt werden. *) e. Die letzten Jahre seines Lebens hat Bonifatius in größerer Ruhe vornehmlich in Mainz zugebracht, er hat noch Großes erlebt, aber er hat dabei wenig mitgewirkt. Nachdem Pippin im Jahre 747 Alleinherrscher des Frankenreichs geworden war, machte er sich im Jahre 751, vom Papste unter­ stützt, zum König der Franken und beseitigte die Merowinger. Das ist ge­ schehen, ohne daß Bonifatius bei den Verhandlungen zwischen Pippin und dem Papste beteiligt war; nur die Salbung Pippins zum Könige wird viel­ leicht durch ihn, als den Stellvertreter des Papstes, geschehen sein. Papst Stephanus II. ist im Winter 753 — 754 über die Alpen ins Frankenreich zu Pippin gekommen, desien Schutz er gegen die Longobarden bedurfte — der erste Papst, der die Alpen überschritten hat; Bonifatius aber ist mit dem Papste nicht in Berührung gekommen; ein Staatsmann ist Bonifatius nie gewesen, die weltlichen Dinge lagen ihm fern. Er hatte sogar schon für die Verwaltung seines Bischofsamtes mit Genehmigung Pippin's und des Papstes sich gegen die Kirchengesetze einen Gehülfen und Nachfolger geben lassen, seinen Freund Lullus (Sui), gleichfalls einen Angelsachsen, der auch nach seinem Tode Bischof von Mainz geworden ist (aber nicht Erzbischof und ’) Vgl. Nr. 32.

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nicht Legat des Papstes). Ihn zog es zu dem Missionswerke seiner Jugend, nach Friesland zurück. In Friesland waren nämlich seit Willibrords Tode die Fortschritte des Christentums ins Stocken geraten, die bischöfliche Stelle blieb längere Zeit unbesetzt, und sie war auch jetzt nicht besetzt. Da machte sich nun Bonifatius im Frühjahr 754 nach Friesland auf, und alsbald nach seiner Ankunft setzte er in Utrecht einen neuen Bischof ein, und darauf be­ gann er östlich vom Zuidersee in fränkischem aber heidnischem Gebiete seine Missionsthätigkeit. Nachdem er sich im Winter nach Mainz zurückbegeben hatte, zog er im Frühjahr 755 von neuem nach Friesland, und da ist er nun am 5. Juni 755 von heidnischen Friesen am Flusse Borne (bei der späteren Stadt Dockum) erschlagen worden, wohin er die Neubekehrten bestellt hatte, um ihnen die Firmelung zu erteilen. Als einer der Heiden das Schwert gegen ihn zückte, hat er angeblich das Evangelienbuch schützend über sein Haupt gehalten; auch die meisten seiner Gefährten nebst dem neuen Bischof fanden dabei den Tod. Die Leiche wurde zunächst nach Utrecht gebracht; aber Lullus, der bereits zum Nachfolger im Mainzer Bischofsamt ernannte Schüler des Bonifatius, setzte es durch, daß dieselbe nach Mainz ausgeliefert wurde. Doch auch hier wurde sie nicht bestattet. Ein anderer Schüler des Bonifatius, Sturm mit Namen, der noch bei Lebzeiten seines Meisters in seinem Auftrage das später so berühmt gewordene Kloster Fulda gestiftet hatte, erreichte es mit Berufung auf des Verstorbenen eigene Bestimmung, daß die kostbare Reliquie nach Fulda gebracht wurde. Seitdem ist Fulda für den Katholiken ein heiliger Ort, und es ist begreiflich, daß die deutschen Bischöfe in neuerer Zeit öfters in Fulda zusammenkamen, wenn es galt zu beraten, wie das Werk des Bonifatius, die Unterwerfung der Deutschen unter Rom, heute wieder aufzunehmen sei. f. Bonifatius ist ein frommer Mann gewesen, der viel gearbeitet hat, nicht zu seinem Vorteil, sondern zur Ehre Christi und des Papstes; das nämlich hat er sich nicht denken können, daß man Christo dienen könne, ohne dem Papste Unterthan zu sein; das war ein Irrtum, den er mit vielen Männern seiner Zeit und der folgenden Jahrhunderte geteilt hat. Aber man darf es nicht beklagen, daß es im Mittelalter eine einige Kirche im Abend­ lande gegeben hat; der einigen Kirche verdanken wir auch die einige Kultur des Abendlandes. Diese Meinung des von den Katholiken natürlich besonders gefeierten „Apostels der Deutschen" hat ja freilich unser Volk später als irrig erkannt, und ein anderer Mann, Martin Luther, der rechte „Prophet des deutschen Volkes", hat das römische Joch, das Bonifatius auf den Nacken unseres Volkes gelegt hatte, nach hartem Kampfe für immer zerbrochen; Bonifatius bleibt ein großer Mann trotz dieses Irrtums. F. Der Abschluß des Missionswerkes in Deutschland durch die Bekehrung der Sachsen; Karl der Große; die römischkatholische Kirche und das römische Reich deutscher Nation, a. Mehrere Jahrhunderte waren vergangen, seit die Goten zuerst unter den Deutschen das Christentum angenommen hatten; seitdem hatten sich auch die übrigen deutschen Stämme dem Kreuze unterworfen; nur die mächtigen Sachsen, zwischen Rhein und Elbe wohnend, wollten von ihren alten Göttern noch nicht lassen. Als der Kaiser Karl zur Herrschaft kam, kam es zu immer neuen Kämpfen gegen die Sachsen; über dreißig Jahre tobte der furchtbare Heidrich, Kirchengeschichte.

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Krieg (772—804); immer wieder erneuerte namentlich Widukind, einer der angesehensten und reichsten Männer im Stamme der Westfalen, den Kampf. Da erkannte der Kaiser, daß er die Sachsen nicht bezwingen könne, so lange Widukind an ihrer Spitze stehe; er versuchte deshalb, diesen durch Freundlichkeit zu gewinnen. Karl schickte also einen Boten an ihn mit der Aufforderung, er möge sein Volk nicht ins Verderben führen, sondern vom Kampfe ablassen und selber Christ werden; er solle geehrt werden wie es einem tapfern Manne gezieme. Widukind überdachte zuerst, wie großen Schaden er dem Kaiser gethan habe; sollte Karl ihm das auch wirklich ver­ geben? Aber er bedachte auch, wie viele der Seinen bereits gefallen seien, wie überall die alten Götter verlassen und der neue Glaube angenommen werde. Und als Karl durch einen zweiten Boten ihm feierlich versprechen ließ, daß ihm kein Leid geschehen solle, da ging er mit einem anderen Heer­ führer zusammen nach der Stadt Attigny im Frankenreiche; hier wurde er im Jahre 785 getauft. Auch sein Volt hat im Laufe der nächsten Jahr­ zehnte das vorher oft angenommene und ebenso oft wieder verlassene Christen­ tum dauernd angenommen. Im Jahre 804 konnte der Sachfenkrieg, der im Jahre 772 seinen Anfang genommen hatte, als beendet gelten; nun galt es, die Sachsen, die bis dahin vornehmlich mit dem Schwerte bekehrt worden waren, durch die Predigt zum Glauben zu führen. Das ist gleichfalls durch Karl d. Gr. geschehen, und dazu wurden von ihm und seinem Sohne im Lande der Sachsen eine Anzahl Bistümer gegründet: Münster, Paderborn, Osnabrück, Bremen, Minden, Verden, Hildesheim und Halberstadt. Daß die Sachsen bald auch im Herzen gute Christen geworden sind, zeigt der unter Ludwig dem Frommen von einem Sachsen gedichtete „Heliand", ein Leben Jesu in der Sprache und Anschauungsweise der alten Sachsen, ein für die deutsche Literatur sehr interessantes Werk eines uns dem Namen nach leider nicht bekannten sächsischen Dichters. Nunmehr war das Werk der Mission in Deutschland vollendet, äußerlich war das Heidentum verschwunden oder unterdrückt, alle Deutschen bekannten sich zum christlichen Glauben. b. Aber nicht bloß die Sachsen hat Karl der Große zum Christentum bekehrt. Als Karl im Jahre 768 zur Negierung kam, war im westlichen Europa das Christentum noch durchaus nicht überall der herrschende Glaube. Abgesehen von den Sachsen, wohnten im Norden die Dänen und Normannen, im Osten die Wenden und die anderen Slawenstämme, in Ungarn die Avaren, lauter heidnische Völker; Spanien hatten die Mohammedaner erobert. So war die Christenheit rings von mächtigen Feinden umgeben; sogar im fränki­ schen Reiche gab es noch Heiden, nämlich in Friesland und in Oberfranken, wo die dort wohnenden Slawen noch Heiden waren. Karl der Große hat nicht bloß die Heiden im Frankenreiche bekehrt, sondern auch die heidnischen Nachbarvölker mit Erfolg bekämpft, und in allen besiegten Ländern ertönte seitdem christliche Predigt, überall wurden Bischöfe eingesetzt und Klöster ge­ gründet, Schulen angelegt und Kirchen gebaut. Karl war nämlich ein treuer Sohn der Kirche, dreimal an jedem Tage besuchte er das Gotteshaus; er war sogar in gewisser Hinsicht ein selb­ ständiger Christ geworden; die Bilderverehrung mißbilligte er zum Verdruß des Papstes/) Gottesurteile und Reliquien galten freilich auch ihm gar zu

r) Vgl. Nr. 24.

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viel. Trotz seiner Verehrung gegen den Papst betrachtete aber auch Karl, wie alle Frankenherrscher von Chlodwig an, sich selber als das Oberhaupt der Kirche; waren aber seine Vor­ gänger, als Herren des fränkischen Reiches, auch nur Herren der fränkischen Landeskirche gewesen, so war Karl, als Herr des abendländischen Weltreichs, auch der Herr der ganzen abendländischen Kirche. Auch der Papst war dem Kaiser Unterthan; ehe Karl den von den Römern vertriebenen Papst Leo III. wieder einsetzte, mußte sich derselbe vor allem Volke durch einen Eid von den ihm vorgeworfenen Verbrechen reinigen. Auch dadurch, daß der Papst im Jahre 800 den Frankenherrscher zum Kaiser krönte, hörte er nicht auf, des Kaisers Unterthan zu sein; nach der Krönung huldigte der Papst dem Kaiser als seinem Oberherrn; die Ehre, die der Kaiser dem Papste erwies, beruhte nur darauf, daß er denselben als treuen Zeugen der aposto­ lischen Überlieferung betrachtete. Den Geistlichen untersagte Karl die Krieg­ führung und die Jagd, auch die weltliche Kleidung und allen Luxus. Geist­ liche Ämter wurden von ihm besetzt und Beschlüsse der Geistlichen galten nichts ohne seine Bestätigung. Einem Bischof, der kampffertig bei ihm vor­ überritt, nahm er sein Amt und steckte ihn ins Heer; ein anderer verlor dasselbe, weil er sich betrunken und die Frühmesse verschlafen hatte. Die deutschen Priester ermahnte er, deutsch zu predigen, jeder Laie sollte wenigstens das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser deutsch hersagen können;x) auch sollten die Geistlichen überall Volksschulen errichten. Für den Kirchengesang ließ Karl Lehrer aus Italien kommen, und Orgeln wurden in den Kirchen aufgestellt; die Kirche in Aachen, wo er am liebsten die hohen Feste feierte, rvurde mit kostbaren Säulen und Kunstwerken geschmückt. c. Durch diese umfassende Thätigkeit auch auf dem kirchlichen Gebiete (ebenso umfassend wie seine Thätigkeit auf weltlichem Gebiete) hat Karl der Große, das Werk des Bonifatius abschließend, es erreicht, daß eine einige christliche Kirche in seinem ganzen Reiche, ja sogar darüber hinaus, begründet wurde, zunächst zwar zum Teil nur äußer­ lich begründet, aber durch die Verbindung mit den anderen Kirchen, nament­ lich auch mit Rom, gesichert gegen Abfall und Zerstörung. Wie Ein Kaiserreich, so w ar auch Eine Kirche imAnschluß an des Boni­ fatius Wirksamkeit durch Karl den Großen in Mitteleuropa begründet worden; aber die Einheit der Kirche war bester begründet als die des Staates; Karl's Weltreich hat seinen Schöpfer nur wenigeJahre überlebt, die EineKirche des Abendlandes hat bis zum Jahre 1517 bestanden. Die Kirche stand aber im Frankenreiche zunächst unter dem Kaiser, welchemder Papst untergeordnet war; es hat jedoch nicht lange gedauert, so war der Papst der Oberherr der Kirche, ja auch des Kaisers. Als nämlich nach Karl's d. Gr. Tode sein Reich zerfiel, und die getrennten Völker ihre Einheit nur noch in der Kirche fanden, da trat der Papst an die Stelle des Kaisers, und vergeblich haben später die deutschen Kaiser ver­ sucht, die Herrschaft der Welt zurückzugewinnen.2) Daß der Dekalog damals zu diesen Lernstücken noch nicht gehörte, ist ander­ wärts dargelegt, vgl. Nr. 69 A. 3) Vgl. Nr. 33.

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27. (23.) Das Christentum unter den Germanen des Nordens; Ansgar, der „Apostel des Nordens." Der Norden von Europa war zur Zeit Karl's des Großen, wie noch heute, von drei Zweigen des nordgermanischen Stammes (Normannen) be­ wohnt: Dänen, Schweden und Norwegern, die in ihrer Religion mit den Germanen in Deutschland im ganzen übereinstimmten; ihre Bekehrung zum Christentum ist von Deutschland aus bewirkt worden. Die Dänen lernten das Christentum auf ihren Seefahrten schon vor Karlas des Großen Zeit kennen, und bald gingen auch zu ihnen Missionare; doch erst unter Ludwig dem Frommen hat die Predigt des Christentums in diesem Lande durch Ansgar (heute: Oskar = Gottes Speer) begonnen; er hat fich, da er auch in Schweden den christlichen Glauben gepredigt hat, den Ehrennamen „der Apostel des Nordens" erworben. Im Jahre 801 geboren, war Ansgar, vielleicht aus einer angesehenen fränkischen Familie stammend, in dem berühmten Kloster Corbie (bei Amiens in Frankreich) erzogen worden; schon mit 13 Jahren legte der stille, fleißige Knabe das Mönchsgelübde ab; 20 Jahre alt, wurde er zum Lehrer der be­ rühmten Klosterschule ernannt, welche fast nur Adelige aufnahm, um sie für die höheren Ämter in Kirche und Staat vorzubereiten. Im Jahre 823 ging er als Lehrer der Klosterschule und Prediger der Klosterkirche von seinem Kloster nach dem im Jahre vorher von Corbie aus gegründeten Kloster Corvey in Westfalen, welches bald ebenso berühmt wurde wie St. Gallen und Fulda. Nach einiger Zeit kehrte aber Ansgar wieder nach Corbie zurück. Von hier machte er sich im Jahre 826 auf Ludwig's Wunsch mit einem andern Mönche, Namens Autbert, nach Dänemark auf, als Begleiter dem Dänenkönige Heriold folgend, der sich in Mainz hatte taufen lassen und Ludwig's Lehns­ mann geworden war, und er scheint in der Nähe von Schleswig gepredigt zu haben. Autbert zog sich nach zwei Jahren wegen körperlicher Schwäche wieder ins Kloster zurück, wo er bald darauf starb. Als im Jahre 829 von Schweden Gesandte zu Ludwig dem Frommen kamen und um christliche Missionare baten, da forderte Ludwig den Ansgar auf, nach Schweden zu gehen und auch dort das Evangelium zu predigen. Derselbe machte sich alsbald auf die Reise; von Seeräubern völlig ausgeplttndert, kam er zum Könige, der am Mälarsee residierte, und predigte nicht ohne Erfolg, kehrte aber nach anderthalb Jahren wieder nach Deutschland zurück. Inzwischen hatte Ludwig beschloffen, als Mittelpunkt für die zu be> gründende Kirche des deutschen Nordens das Erzbistum Hamburg einzu­ richten (831), und alsbald wurde Ansgar mit diesem Amte bekleidet und vom Papste in seiner Würde bestätigt. In Hamburg ließ Ansgar die Kirche ausbauen und gründete ein Kloster; aber im Jahre 845 wurde die Stadt von den Normannen verwüstet, und Ansgar verlor dabei alles mit Ausnahme seiner Reliquien. Auch aus Schweden kam in demselben Jahre üble Kunde; durch einen Volksaufstand waren die Christen aus dem Lande vertrieben worden. Um dem Ansgar einen neuen Wirkungskreis zu schaffen, wurde ihm das Bistum Bremen übertragen, da der dortige Bischof unlängst ge­ storben war, und im Jahre 864 wurde mit dem Bistum Bremen das Erz­ bistum Hamburg vereinigt; Ansgar hielt sich seitdem meist in Bremen auf. Von Bremen aus hat Ansgar bald auch unter den Dänen wieder ge-

27. (23.)

Das Christentum unter den Germanen re.

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predigt; die älteste Kirche jenseits der Eider hat er dort gebaut, wo jetzt die Dorfkirche von Haddebye bei Schleswig oder wo die Domkirche von Schleswig steht. Nachdem er zunächst einen Einsiedler Andgar nach Schweden geschickt hatte, verweilte er in den Jahren 850—853 wiederum selber in Schweden. In der Volksversammlung entschied das Los für die Zulassung der christlichen Predigt; bald aber wurde dieselbe wieder verboten, und Ansgar kehrte im Jahre 854 nach Bremen zurück. Hier hat er die letzten Jahre seines Lebens meist zugebracht, und hier ist er im Jahre 865 gestorben. Ansgar war ein sehr frommer und sehr gelehrter Mann; er liebte die heilige Schrift, aber er war auch dem Papste von Herzen zugethan. Als Bischof hat er wie ein Einsiedler gelebt; auf dem bloßen Leibe trug er bei Nacht und bei Tage ein härenes Bußkleid, auf der Brust nach der Sitte der Zeit eine goldene Kapsel mit Reliquien. Auch er unterzog sich oft der unter den Mönchen gewöhnlichen Handarbeit; die Kranken in dem von ihm gestifteten großen Hospital in Bremen verpflegte er selbst, soviel er konnte. Brot und Wasser wog und maß er sich oft zu; ehe er sich zu Tische setzte, reichte er den Armen Speise und Trank dar. Wunder, die man ihm beilegte, lehnte er ab; nur das eine Wunder wünschte er sich, daß Gott ihn zu einem guten Menschen mache. Sein besonderes Vorbild war der gefeierte Martin von Tours.2) Daß ihm der Märtyrertod nicht beschieden war, den ihm doch ein Traumgesicht in seiner Jugend verheißen, hat er schmerzlich bedauert. Was Ansgar erstrebt hat, den deutschen Norden für die christliche Kirche zu gewinnen, das ist in den nächsten Jahrhunderten erreicht worden; Däne­ mark, Schweden und Norwegen, ja sogar Island und Grönland, sind allmählich um das Jahr 1000 christliche Länder geworden. Seitdem waren die deutschen Stämme sämtlich für den christlichen Glauben (und zwar für die römisch-katholische Kirche) gewonnen; das deutsche Heidentum ging allmählich zu Grunde, aber nicht ohne daß seine Götterlieder (auf Island in der Edda) ausgezeichnet worden waren; doch lebt noch heute in Sagen und Sitten des Volkes mancher Rest des Heidentums fort, teils mit seinem alten etwas geänderten Namen (das wütende Heer = Wodans Heer), teils unter christlicher Hülle, wie das anderwärts dargelegt wird (Ruprecht u. s. w.).2)

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Die Begründung einer deutschen Kirche auf slawischem Boden; das Christentum in Ungarn.3)

a. Als Karl der Große die deutschen Stämme in seinem großen Reiche einigte, da schien es ihm auch notwendig, die Grenzen seines Reiches, welches von der Elbe, entlang der Saale, dem Böhmer Wald und der Raab, bis zum adriatischen Meere reichte, zu sichern, und die Gebiete im Osten, welche vor der Völkerwanderung von Deutschen besetzt gewesen, dann aber von ihnen ganz oder zum Teil verlassen und von den Slawen besetzt worden waren, unterthänig zu machen. Was Karl der Große begonnen hatte, setzten Heinrich I. und Otto I. und ihre Nachfolger fort, zunächst ohne den Gedanken an Er*) Vgl. Nr. 38. 3) Vgl. den Abschnitt über das Weihnachtsfest, welcher der neuen Auflage der heil. Geschichte beigegeben werden wird. 3) Auf die beiden Abschnitte Nr. 28 u. 29 wird der Lehrer nur soweit eingehen, als es die Zeit gestattet, und genauer nur da, wo es die Rücksicht auf die Heimat erfordert.

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28. (24.)

Die Begründung einer deutschen Kirche auf slawischem rc.

oberung der slawischen Gebiete; dagegen haben, seit den Zeiten des Kaisers Lothar von Sachsen, Heinrich der Löwe und Albrecht der Bär und andere Fürsten allerdings die Eroberung dieser Länder ins Auge gefaßt. Seitdem fand gleichsam eine neue, rückwärts gekehrte Wanderung der Deutschen nach Osten statt, und viele schöne Länder sind durch dieselbe auf Kosten der Slawen für das deutsche Volk wiedergewonnen worden. Wie die deutsche Kolonisation im Norden auf die von Karl dem Großen begründeten Wendenmarken zurück­ geht, so knüpft sich die Kolonisation im Süden gleichfalls an Karl den Großen/) der ja hier den Grund zur Mark Östreich und zu anderen Marken gelegt hat, und wie im Norden namentlich die Askanier in Brandenburg (seit 1134), so haben im Süden namentlich die Babenberger Herzöge (seit 983) dies Werk von Wien aus weitergeführt. Über die Weichsel hinaus haben im Norden, und weit in die Alpen und Karpathen hinein, im ganzen mittleren Donaugebiet, haben im Süden die Deutschen festen Fuß gefaßt; doch ist die Kolonisation im Süden nicht so erfolgreich gewesen wie die im Norden; im Süden sind viele fremde Volkselemente, namentlich Slawen und Magyaren, neben den Deutschen erhalten geblieben, während im Norden die slawischen Völker aus den kolonisierten Gebieten fast ganz verschwunden sind. Seit Karl dem Großen war aber Deutschland im ganzen ein christliches Land. Von Deutschland aus wurde nun auch das Christentum zu den Nachbar­ völkern gebracht und unter denselben eine deutsche Kirche begründet, so daß diese Völker allmählich zu Christen (und die meisten allmählich auch zu Deutschen) gemacht wurden. Holstein und Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen, Schlesien, Pommern, Preußen und die jetzt russischen Ostseeprovinzen sind im Norden, Östreich, Ungarn und Siebenbürgen sind im Süden in dieser Weise für das Christentum gewonnen worden. Die Begründung des Christentums in den bedeutendsten dieser Länder hat aber in folgender Weise stattgefunden. b. In dem Lande zwischen Elbe und Oder saßen ursprünglich deutsche Stämme; als dieselben in der Zeit der Völkerwanderung ihre Wohnsitze verließen, rückten sla­ wische Stämme, die man unter dem Namen der Wenden zusammenfaßt, in die leer gewordene Gegend; dieselben waren natürlich noch Heiden wie damals noch alle Slawen. Was Karl der Große begonnen, der seit dem Jahre 789 die Wenden zu bekriegen und durch Anlegung von Grenzmarken zu unterwerfen anfing, und Hein­ rich I. wieder ausgenommen, der im Jahre 928 aufs neue an die Unterwerfung der in der Zwischenzeit wieder frei gewordenen Wenden ging, das setzte Otto d. Gr. mit Erfolg fort, dessen Markgrafen Hermann Billing und Gero die Wenden mit gewaltiger Hand im Zaume hielten. Um aber die Wenden noch fester an das deutsche Reich zu knüpfen, war es nötig sie zum Christentum zu begehren. Dazu legte Otto sechs Bis­ tümer an: Oldenburg in Holstein 946 (für das heutige Mecklenburg und das west­ liche Pommern), Havelberg 946 und Brandenburg 949, Meißen, Zeitz und Merseburg, alle drei im Jahre 968 gegründet; in demselben Jahre gründete er außerdem das Erzbistum Magdeburg, welchem diese Bistümer untergeordnet wurden, und welches der Mittelpunkt für die gesamte Missionsthätigkeit unter den Wenden und unter den Slawen überhaupt sein sollte. Aber es hat viele Jahrhunderte gedauert, ehe die Wenden Christen geworden

’) Karl der Große ist also der Begründer der beiden Großstaaten Preußen und Östreich.

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Die Begründung einer deutschen Kirche auf slawischem rc.

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sind; immer wieder erhoben sie sich, namentlich im Jahre 983, als Otto II. in Unter­ italien von den Sarazenen besiegt worden war, gegen das ihnen aufgedrungene Christentum und gegen ihre deutschen Herren. Da schien der neue Glaube ihnen in anderer Weise gebracht werden zu sollen. Nachdem schon sein Großvater Christ geworden war, wandte sich auch Godschalk, ein wendischer Fürstensohn, dem christlichen Glauben zu. Zuerst freilich hatte er, um den Tod seines Vaters an den Deutschen zu rächen, mit seinen Landsleuten gegen die Deutschen und gegen das Christentum gekämpft. Aber nach einiger Zeit wandte er sich doch wieder dem Glauben zu, in welchem er auch schon erzogen worden war, und als es ihm im Jahre 1047 gelang, ein großes wendisches Reich zu stiften, da konnte man glauben, es werde dem Wendenvolke ge­ lingen, was den Polen auf lange Zeit gelungen ist, seine Selbständigkeit gegenüber den Deutschen zu behaupten und sich durch die Annahme des Christentums auf eine höhere Stufe der Kultur emporzuschwingen. Aber der noch heidnische Teil des Volkes war über die Änderung des Glaubens so erbittert, daß der König Godschalk

im Jahre 1066 in der Kirche zu Lenzen erschlagen und das Christentum aufs neue ausgerottet wurde. Godschalks Geschlecht behauptete zwar noch einige Zeit den Thron, starb aber bald aus, und das wendische Reich wurde eine Beute seiner deutschen Nach­ barn. Markgraf Albrecht der Bär und Herzog Heinrich der Löwe und ihre Nachfolger, die späteren Herren des Wendenlandes, haben in diesen (legenden (Holstein, Mecklen­ burg und Brandenburg) das Christentum zur Herrschaft gebracht; aber mit dem Christentum wurde unter den Wenden auch das Deutschtum begründet, so daß es heute im Norden von Deutschland keine Wenden mehr giebt. Bei der Bekehrung dieses Stammes der Wenden, besonders der Abodriten (in Holstein und Mecklenburg), hat namentlich ein Domherr von Bremen, Namens Vicelin, sich thätig und tüchtig erwiesen, so daß man ihm den Ehrennamen „der Apostel der Wenden" gegeben hat; derselbe hat seit dem Jahre 1126 in Neumünster, damals einem wendischen Grenz­ dorfe, und seit dem Jahre 1148 in Oldenburg (in Holstein) als Bischof bis zu seinem Tode (1154) in aufopfernder Weise unter dem Volke der Wenden für das Christentum gewirkt; andere Männer haben sein Werk fortgesetzt, und so wurde denn endlich unter den Wenden in Holstein und Mecklenburg die christliche Kirche für die Dauer begründet. Arkona auf Rügen, das letzte Bollwerk des wendischen Heidentums, wurde im Jahre 1168 von den Dänen zerstört. c. Kaiser Otto der Große hatte im Jahre 965 das im Süden von der Billunger Mark gelegene Grenzgebiet gegen die wendischen Stämme der Milzen und Sorben, welches längere Zeit von dem einzigen Markgrafen Gero verwaltet worden war, wieder in mehrere Marken zerlegt: die Nordmark, die Ostmark und die Mark Meißen, die Grundlage der späteren Länder Brandenburg, Anhalt und Sachsen. Wie in den Wendenländern über­ haupt, so ist auch in Brandenburg durch die deutschen Herrscher das Christentum und mit ihm das Deutschtum zur Herrschaft gebracht worden. Das ist aber in Brandenburg, wo ebenfalls im Jahre 983 die Herrschaft der Deutschen und des Christentums wieder beseitigt wurde, erst wieder durch Markgraf Albrecht den Bär (1134—1170) bewirkt worden; unter seinen Nachfolgern wurde Brandenburg allmählich ein christliches und ein deutsches Land. Außer den Kolonisten, die ins Land gerufen wurden, um dasselbe anzubauen, kamen auch viele Mönche, namentlich Cistercienser und Prämonstratenser *), nach Branden­ burg. Ihre Besitzungen wurden Musterwirtschaften für weit und breit; die Mönche ver­ standen den Acker besser zu bebauen, als die Landleute, sie pflanzten Obstbäume und Weinstöcke an, sie brachten besseres Vieh ins Land, sie lichteten die Wälder und trockneten

*) Vgl. Nr. 38.

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Die Begründung einer deutschen Kirche auf slawischem rc.

die Sümpfe aus, Handwerk und Kunst wurden durch sie befördert, ihre geistige Bildung verbreiteten sie unter groß und klein in der Kirche und in der Schule. So viel verdankt Brandenburg (wie ganz Deutschland und die anderen Länder Europa's) den Mönchen; später kam freilich eine Zeit, wo dieselben der Welt nicht mehr so viel nützten; seitdem 16. Jahrhundert sind andere Männer in ihre Stelle eingerückt. Die bedeutendsten Klöster in der Mark waren die Cistercienser-Klöster Lehnin (gestiftet 1180) und Chorin (gestiftet 1254). Ein berühmter Wallfahrtsort in der Mark war das Kloster Wilsnack (blutende Hostien). *) Die Mittelpunkte für die Bekehrung der Wenden waren aber in Brandenburg die Bis­ tümer Brandenburg und Havelberg (zu dem Erzbistum Magdeburg gehörend), die nach län­ gerer Zerstörung erst jetzt aufs neue wieder hergestellt wurden; dazu kam (seit etwa 1133) das (unter dem Erzbistum Gnesen) stehende Bistum Lebus, während andere Teile der Mark noch zu anderen Bistümern gehörten (die Uckermark zu Kammin, die Lausitz zu Meißen). So war Brandenburg seit Albrecht dem Bären ein christliches (und ein deutsches) Land geworden: die Hohenzollern haben in dieser Beziehung, als sie im Jahre 1415 in Brandenburg zur Herrschaft kamen, nichts mehr zu thun vorgefunden; ihre Aufgabe wurde es später, ihr Land der evangelischen Kirche zuzuführen; das hat Kurfürst Joachim II. im Jahre 1539 gethan, wie später erzählt werden wird. d. Schon längere Zeit wünschte der Herzog von Polen, Boleslaw III., welchem das von einem slawischen, den Polen naheverwandten Stamme bewohnte Pommern unterthänig war, das Christentum daselbst zu begründen, aber es fand sich nicht der rechte Mann für das schwere Werk; ein deutscher Bischof, Otto von Bamberg, hat endlich im Auftrage des polnischen Fürsten und mit seiner Unterstützung dies Land im Jahre 1124 für den christlichen Glauben gewonnen. Im Jahre 1124 reiste Otto durch Böhmen, Schlesien und Polen nach Pommern, dessen Grenze er bei Uszcz an der Netze überschritt. Nachdem er an mehreren Orten, zuerst in Pyritz, wo noch heute der Ottobrunnen an ihn erinnert, nicht ohne Erfolg ge­ predigt hatte, begab er sich in die Hauptstadt des Landes, Stettin; daselbst blieb er fünf Monate und taufte viele Einwohner, die Götzentempel wurden zerstört und eine christliche Kirche gebaut. Nachdem er noch in Julin, Kolberg und Belgard gepredigt hatte, kehrte er nach Bamberg zurück, von wo er etwa ein Jahr entfernt gewesen war. Im Jahre 1128 reiste Otto abermals nach Pommern, wo das Heidentum natürlich noch nicht überwunden und das Christentum doch vielfach nur durch den Einfluß des Polenherzogs angenommen worden war; diesmal reiste er durch Sachsen und Branden­ burg und kam zuerst nach Demmin. Der polnische Herzog, den er hier traf, bewirkte, daß ein pommerscher Landtag in Usedom dem Bischof die Erlaubnis gab, den christ­ lichen Glauben überall frei und ungehindert zu predigen. Auf die Pommern hatte nament­ lich auch das Eindruck gemacht, daß Otto nicht so ärmlich zu ihnen gekommen war wie andere Missionare vor ihm, sondern mit allem Lebensunterhalt wohl versehen und mit schönen Geschenken für die Bekehrten; man sah daraus, daß die Christen nicht zu ihnen kämen um irdischen Vorteils willen, sondern aus Liebe und Frömmigkeit. Nachdem Otto nun wieder noch an mehreren Orten, auch wieder in Stettin, gepredigt hatte, kehrte er noch in demselben Jahre nach Bamberg zurück, wo er im Jahre 1139 gestorben ist. Er hat mit Recht den Namen „der Apostel der Pommern" erhalten. Ein Bistum für Pommern war schon früher in Kolberg durch einen Polenherzog2) gegründet worden, das wohl aber bald wieder eingegangen ist; infolge von Otto's Wirksamkeit wurde im Jahre 1140 in Julin (dem heutigen Wollin) ein Bistum gegründet, welches im Jahre ») Vgl^Nr. 40.

2) Vgl. Nr. 29 C.

28. (24.)

Die Begründung einer deutschen Kirche auf slawischem rc.

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1176 nach Kammin verlegt wurde. Auch Pommern ist in der Folge, namentlich durch die Thätigkeit Heinrichs des Löwen, aus einem slawischen zu einem deutschen Lande geworden. 6. Lange Zeit widerstanden die Lett en an der Ostsee kü sie von der MündungderWeichselbiszurNewa und die dem finnischen Volksstamme angehörenden Esthen2) dem vordringenden Christentum, und nicht von ihren Landsleuten, den Polen oder den Russen, ist ihnen (so wenig wie den Wenden) der neue Glaube gebracht worden, sondern ebenfalls von den Deutschen; infolgedessen sind diese Länder ebenso wie die Länder der Wenden gleichfalls zu deutschen Ländern geworden. Zuerst aber wurde hier das Christentum in Livland begründet; deutsche Kauf­ leute aus Lübeck hatten dies Land dem Handel erschlossen, und bald begann die Mission. Ein Mönch aus dem holsteinschen Kloster Segeberg, Namens Meinhard, zog im Gefolge Bremischer Kaufleute in dies Land und gründete im Jahre 1186 die Marienkirche in Riga; nach seinem Tode (er starb 1196 als Bischof von Livland) wurde ein Domherr von Bremen, Albert von Stade, zum Bischof von Livland ernannt, und derselbe gründete nach dem Vorbilde der Templer einen Ritterorden, die Schwertbrüder, zur Bekehrung des Landes, und in kurzer Zeit (seit dem Jahre 1224) wurde Livland ein christliches und ein deutsches Land. Bischof Albert starb im Jahre 1229; der Bischof von Riga wurde später zum Erzbischof über die Bischöfe in sämtlichen Ostseeprovinzen erhoben; derselbe war aber (seit dem I. 1207) ein Lehnsmann des deutschen Kaisers.3) Nach einiger Zeit wurden auch die Esthen und die Kuren für den christlichen Glauben gewonnen. Alle diese Länder fielen später an den deutschen Orden in Preußen, mit welchem der Orden der Schwertbrüder sich vereinigte, als er allein sich zu schwach fühlte, um seine Erobe­ rungen zu behaupten; doch blieb Riga das Erzbistum für alle diese neu bekehrten Länder. In Preußen aber ist das Christentum in folgender Weise begründet worden. Schon Adalbert, Bischof von Prag, hatte versucht, das Volk der Preußen, welches gleichfalls zum Volksstamme der Letten gehörte, zu bekehren; er war aber bei diesem Versuche getötet worden (997).4) Ebenso ging es bald darauf (1009) dem Mönche Bruno von Querfurt, welcher in derselben Absicht nach Preußen gekommen war. Seitdem vergingen zwei Jahrhunderte, ehe die Bekehrungsversuche bei diesem Volke wieder aus­ genommen wurden. Dies geschah im 1.1209 durch den Bernhardiner Mönch Christian aus dem im Jahre 1170 gestifteten Kloster Oliva (bei Danzig, damals zu Pommern gehörig). Als es diesem gelang, mit größerem Erfolge unter den Preußen zu wirken, ernannte ihn der Papst im Jahre 1215 zum Bischof von Preußen. Als aber die heid­ nischen Preußen bald wieder die christlichen Prediger aus dem Lande verjagten, gründete Christian nach dem Vorbilde des Ordens der Schwertbrüder, welche Livland bekehrt hatten, einen besonderen Ritterorden, die Ritterbrüder von Dobrin, zur Bekehrung der Preußen. Aber der Orden war zu schwach gegen die Macht der Preußen, und vereinigte sich im Jahre 1237 mit dem deutschen Ritterorden, der an seine Stelle trat.

5) Die Letten sind ein kleinerer Stamm des indogermanischen Volksstammes (3 Millionen); ein Zweig von ihnen find die Littauer und waren die alten Preußen. 2) Die finnischen Esthen bilden noch heute den Grundstock der Landbevölkerung in Esthland und der nördlichen Hälfte von Livland, während im südlichen Livland und in Kurland die Landbevölkerung aus Letten besteht. Die Stadtbewohner sind in allen drei Ländern Deutsche. Diese drei im Mittelalter von Deutschen besetzten und be­ kehrten, allerdings nicht völlig germanisierten Länder (Esthland, Livland, Kurland) werden bekanntlich seit längerer Zeit von den Russen in nationaler und in religiöser Hinsicht schwer bedrängt. 3) Dagegen gehörte Preußen nicht zu Deutschland. 4) Vgl. Nr. 29 C.

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28. (24.)

Die Begründung einer deutschen Kirche auf slawischem :c.

An den deutschen Ritterorden nämlich, der im Jahre 1190 gestiftet worden war, wandte sich Christian jetzt mit der Bitte um Hülse gegen die heidnischen Preußen, die ohne das Schwert sich nicht bekehren lassen wollten. Der Orden ging auf die Bitte ein, sandte mehr und mehr Ritter nach Preußen, legte daselbst Burgen und Städte an, und eroberte in einem mehr als fünfzigjährigen Kampfe (1230—1283) die ganze Ostseeküste von der Weichsel bis zur Memel, und aus dem heidnischen Preußenlande wurde ein christliches Land. Dasselbe wurde vom Papste in vier bischöfliche Diöcesen eingeteilt: Kulm, Pomesanien, Ermland und Samland mit den Bischofssitzen Löbau, Riesenburg, Braunsberg (später Frauenburg) und Fischhausen; die Bischöfe standen unter dein Erz­ bischof von Riga, waren aber nicht Landesherren; nur dem Bischof von Ermland gelang es, dem Orden und dem Erzbischof gegenüber seine Selbständigkeit zu behaupten, indem er zum Landesherrn wurde und in kirchlicher Beziehung direkt unter dem Papste stand. Auch hier ist mit der deutschen Kirche auch das deutsche Volkstum begründet worden, und das alte Preußenvolk mit seiner Sprache ist seit dem 17. Jahrhundert gänzlich ausgestorben.') f. Auch Schlesien, welches früher zu Polen gehörte, hat zugleich mit diesem Lande, im Jahre 966, das Christentum angenommen.2) Als sich im Jahre 1163 Schlesien unter drei Söhnen des vertriebenen polnischen Herzogs Wladislaw von Polen trennte und selbständig wurde, wurde das Land mehr und mehr ein deutsches Land. Schon in älterer Zeit war für Schlesien ein besonderes Bistum gegründet worden, zuerst in Schmograu, acht Meilen von Breslau, wo noch heute die älteste Kirche von Schlesien steht; im Jahre 1040 war dasselbe nach Ritschen, im Jahre 1052 nach Breslau verlegt worden, wo der Bischof von Schlesien noch heute seinen Sitz hat. g. Auch nach den östlichen Donauländern, über Baiern hinaus, ist schon seitKarl's des Großen Zeiten das Christentum gebracht worden, und obwohl auch hier das Deutschtum sich zugleich mit dem Christentum verbreitet hat, so ist doch hier das Deutschtum nicht so zur Herrschaft gekommen, wie im Norden. Seitdem Karl der Große in dem Lande von der Enns bis zur Raab die avarische Mark gegründet hatte, dehnten sich die deutschen Ansiedelungen immer weiter die Donau abwärts nach Osten und nach Süden hin aus, namentlich seit die Babenberger in der Markgrafschaft Östreich als Herrscher walteten (983), und mit dem Deutschtum wurde auch hier das Christentum begründet; doch sind die Donauländer bis auf den heutigen Tag nicht ganz deutsch geworden, sondern zum Teil slawisch geblieben. Auch nach Ungarn8) wurde zuerst (wie auch nach Polen) von Deutschland aus das Christentum gebracht/) und schon König Geysa I. (972—995) hatte dem neuen Glauben Duldung gewährt; aber erst sein Sohn, Stephan der Heilige (995—1038), hat, nachdem er selber Christ geworden, nicht ohne schwere Kämpfe das Christentum in Ungarn zur Herrschaft gebracht, wofür ihn der Papst durch die Königskrone und den Titel eines „apostolischen Königs" belohnte. Zwar sind nun auch nach Ungarn (ja bis nach Sieben­ bürgen hin) Deutsche in größerer Zahl als Kolonisten gekommen, aber eine deutsche Kirche ist in diesem Lande (wie auch in Polen) nicht begründet worden, sondern durch die Gründung des Erzbistums Gran, das für Ungarn gestiftet wurde, wurde dieses Land und seine Kirche unabhängig vom deutschen Reiche und der deutschen Kirche, mit denen es zunächst in Verbindung gestanden hatte. ’) Dgl. Freylag, Marcus König. 2) Vgl. Nr. 29 C. 3) Die Ungarn sind keine Slawen, sondern ein mongolischer Volksstamm. 4) Das war das Werk des Bischofs Piligrim von Passau (der im Nibelungen­ liede vorkommt als Oheim der Kriemhild).

29. (25.) A.

Das Christentum unter den Slawen. )

Griechisches Christentum unter den Slawen.

a. Die 316 Millionen Einwohner von Europa (1880) gehören vor­ nehmlich drei großen Volksstämmen an, dem germanischen (101 Mill., darunter 53 Mill. Deutsche), dem romanischen (103 Mill., darunter 42 Mill. Franzosen) und dem slawischen (86 Mill.). Die Slawen zerfallen aber in drei Gruppen: die Südslawen (1012 Mill.), die Ostslawen (Russen 59 Mill, und Ruthenen) und die Westslawen (19 Mill.). Unter den Westslawen ist der bedeutendste Stamm der der Polen (11 Mill.); auch die Mähren und die Tschechen (zu­ sammen 5 Mill.) und die Slovaken (2 Mill.) gehören zu dem Zweige der Westslawen. Während sich nun die Romanen und Germanen im Mittelalter sämtlich der römischen Kirche zugewandt haben, der die Romanen noch heute angehören — die Germanen sind im 16. Jahrh, zum größten Teil evangelisch geworden — haben sich die Slawen, da sie der griechischen Kirche näher lagen und deshalb auch vornehmlich von ihr den neuen Glauben empfangen haben, zum größten Teile der griechischen Kirche zugewandt, und nur ein kleinerer Teil hat sich sogleich oder später der römischen Kirche angeschlossen. b. Das mächtige Volk der Russen, der bedeutendste Stamm unter den Ostslawen und der zahlreichste aller Slawenstämme überhaupt, will noch heute vom Papste nichts wissen; es hält fest an dem griechischen Christen­ tum, das ihm unter Wladimir dem Großen um das Jahr 1000 von Griechen­ land aus gebracht worden ist. Der Patriarch von Constantinopel, der Oberherr der griechischen Kirche, war zunächst auch der russischen Kirche Oberherr ge­ worden, und so hatte er einigen Ersatz gefunden für das, was er durch die Mohammedaner verloren hatte. Aber im I. 1589 machte der russische Groß­ fürst die Kirche seines Landes unabhängig von dem Patriarchen von Con­ stantinopel, indem sie mit der Genehmigung desselben in Moskau einen besonderen Patriarchen erhielt. Durch Peter den Großen wurde aber das Patriarchat aufgehoben, und seitdem ist die russische Kirche eine besondere, selbständige Abteilung der griechisch-katholischen Kirche, von Bischöfen regiert, die weder dem Papste, noch dem Patriarchen von Constantinopel Unterthan sind, sondern der im Jahre 1721 eingesetzten „heiligsten Synode", deren Mitglieder durch den Kaiser ernannt werden. Vergeblich haben die Päpste sich immer aufs neue bemüht, die russische Kirche zur Anerkennung der päpst­ lichen Oberherrschaft zu bewegen; diese Kirche, wie die griechische Kirche über­ haupt, hat sich die alte Unabhängigkeit von Rom bis auf den heutigen Tag bewahrt. Die Evangelischen sind also auch in diesem Punkte keine Neuerer; die alte Kirche hat von der Notwendigkeit, an den Papst sich zu halten, als den Nachfolger Christi, um den rechten Glauben zu haben und in Gemein­ schaft mit Christo zu stehen, durchaus nichts gewußt. Auch die Südslawen, die in Östreich (3 Mill.) und auf der Balkan­ halbinsel ihre Wohnsitze haben (Serben und Bosnier 4 Mill., Slowenen P/6 Mill., Kroaten und Slawonier 2 Mill., Bulgaren 3 Mill, und einige andere kleinere Stämme), haben sich zum größten Teil (namentlich auf der Balkanhalbinsel) der griechischen Kirche zugewandt; doch ist ein Teil von ihnen *) Vgl. die Bemerkung zu Nr. 28.

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29. (25.)

Das Christentum unter den Slawen.

(Slowenen und Kroaten) römisch-katholisch, und i;i2 Mill. Bosnier sind Mo­ hammedaner geworden. B. Methodius und Cyrillus, die „Apostel der Slawen"; römisches Christentum in Mähren und Böhmen. Der heilige Nepomuk.

a. Von den Westslawen ist derjenige Stamm, der im Mittelalter den Deutschen zunächst wohnte und die Länder östlich von der Elbe innehatte, die Wenden, aus Deutschland fast ganz verschwunden; nur wenige Reste dieses Volkes haben sich, rings von Deutschen umgeben und deshalb immer mehr unter ihnen verschwindend, mit ihrer alten Sprache und Sitte bis auf den heutigen Tag erhalten (die Wenden in der Lausitzx) und die Kassuben in Pommern und Preußen, jene zum Teil evangelisch, diese katholisch); die früher wendischen Gebiete von Holstein, Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen, deren Christianisierung schon oben dargestellt worden ist,*2) sind jetzt fast ganz deutsche (und auch evangelische) Länder geworden. Die anderen westslawischen Stämme haben zwar nicht vermocht, sich politisch selbständig zu erhalten, aber sie bestehen (in Preußen, Österreich und Rußland) doch noch bis auf den heutigen Tag. Ihre Bekehrung zum Christen­ tum ist in folgender Weise vor sich gegangen. b. Zunächst wurde der Stamm der Mähren bekehrt. Hier hatte sich um das Jahr 855 ein großes Reich gebildet, das außer Mähren auch Böhmen und einen Teil von Ungarn umfaßte; dasselbe machte sich unter Ludwig dem Deutschen (843 — 876) unabhängig von dem deutschen Reiche, zu dem es bisher gehört hatte; auch in kirchlicher Beziehung wollte das neue Reich von den Deutschen nicht mehr abhängen. Der Herzog Rastislaw wandte sich deshalb an den griechischen Kaiser mit Bitte, ihm einen Geistlichen zu schicken, der der slawischen Sprache kundig wäre. Derselbe schickte ihm im Jahre 863 (oder 865) zwei Mönche zu, die Brüder Methodius und Cyrillus, die sich bereits als Missionare bewährt hatten; sie werden als die „Apostel der Slawen" verehrt. Durch die eifrige Thätigkeit der Brüder erblühte bald eine slawische Kirche im Mährenreiche; das Volk strömte ihnen in Scharen zu, weil sie den ganzen Gottesdienst in der Landessprache hielten, während die deutschen Priester, die hier seit längerer Zeit predigten, den Gottesdienst lateinisch ab­ hielten. Als die Deutschen ihre Gegner deshalb beim Papste verklagten, gingen die Brüder im Jahre 869 selber nach Rom. Cyrillus ist in Rom gestorben; Methodius aber kehrte, vom Papste zum Erzbischof von Mähren und Pannonien (d. h. Ungarn) geweiht, in die Heimat zurück. Nunmehr stand also die Kirche des Mährenreiches nicht mehr unter dem deutschen Bischof von Salzburg, dem sie bisher unterthänig war, sondern unter einem eigenen Erzbischöfe. Die neue Kirche feierte aber auch ferner den Gottes­ dienst nicht in der lateinischen Sprache, sondern in der Landessprache, und *) Im Königreich Sachsen 59,000, in Preußen 115,000. — Diese Wenden sind die Reste der Sorben, welche seit Otto's I. Zeit das Christentum festgehalten hatten und darum von den Deutschen auch nicht verdrängt wurden. Die andern Wenden waren im I. 983 vom deutschen Reiche und vom Christentum wieder abgefallen und sind später (seit Lothar's Regierung) zugleich zu Christen und zu Deutschen geworden. 2) Vgl. Nr. 28.

29. (25.)

Das Christentum unter den Slawen.

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der Papst ließ das zunächst geschehen, bis die Slawen sich an seine Ober­ herrschaft gewöhnt hätten. Als Methodius im Jahre 885 starb, wurde er in der Hauptkirche der Residenz, zu Welehrad (dem heutigen Hradisch), feier­ lich beigesetzt. Seit dem Jahre 1380 wurde das Fest der Slawenapostel Methodius und Cyrillus jährlich am 9. März begangen^), und im Jahre 1863 wurde in einer uralten Kirche in Welehrad bei Hradisch (an der March) das 1000jährige Jubiläum der Mission unter den Slawen in groß­ artiger Weise gefeiert. Aber das mährische Reich wurde im Jahre 908 von den Ungarn zerstört, und die slawische Kirche, welche die frommen Mönche begründet hatten, ist dabei ebenfalls zu Grunde gegangen; der Papst und die späteren deutschen Bischöfe haben nach dem Untergange des mährischen Reiches die slawischen Priester verjagt, die slawische Bibel verboten und den Gottesdienst in der slawischen Sprache beseitigt; die mährische Kirche wurde in jeder Hinsicht ein Glied der römisch-katholischen Kirche. c. Von Mähren kam das Christentum nach dem benachbarten Böhmen, dessen Herzog Borziwoy, wenn die Überlieferung richtig ist, im Jahre 871 in Mähren von Methodius bekehrt und getauft wurde. Als Begründer des Christentums in ihrem Lande wird von den Böhmen namentlich Borziwoy's Enkel, der heilige Wenzel, der von 928 — 936 regiert hat und durch seinen eigenen Bruder ermordet worden ist, gefeiert; derselbe hat, dem deutschen Kaiser Unterthan, sich bereits dem römischen Christentum zugewandt. Aber erst um das Jahr 973 ist nach vielen Kämpfen zwischen Heiden und Christen das Heidentum völlig aus Böhmen verschwunden und mit der Gründung des Bistums in Prag das Christentum dauernd begründet worden. Zwar schloß sich die böhmische Kirche der römischen an, aber auch sie hatte, von ihrem Ursprünge her, bis in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts Gottesdienst und heilige Schrift vielfach noch in der Landessprache, die Priesterehe und den Kelch beim heiligen Abendmahl; und kaum war es dem Papste gelungen, die römische Weise und Ordnung auch hier durchzusetzen, als auch schon die Hussitische Bewegung ihren Anfang nahm, durch welche die Herrschaft der römischen Kirche in Böhmen bedenklich erschüttert wurde. Der National-Heilige der Böhmen ist Johannes von Nepomuk geworden, dessen jetzt allgemeine Verehrung freilich erst sehr spät durchgesetzt worden ist. Als die Böhmen noch Heiden waren, verehrten sie als ihren Hauptgott Swjatowit, von dem ein Bild mit vier Häuptern im Tempel zu Arkon auf der Insel Rügen stand. Als sie Christen wurden, trat an dessen Stelle der heilige Vitus oder Veit, dessen Name an den alten Heidengott erinnerte. Da trat im 15. Jahrhundert Johannes Hus an die Spitze des böhmischen Volkes als Kämpfer gegen den Papst und die Deutschen; zwei Jahrhunderte galt dieser Johannes als der Heilige des böhmischen Volkes, der 16. Mai wurde ihm zu Ehren gefeiert, sein Bild war überall aufgestellt. Durch die Bemühungen der Jesuiten wurde im 17. Jahrhundert, als Böhmen (seit 1620) mit Gewalt wieder katholisch gemacht wurde, dieser Johannes verdrängt und ein andrer an seine Stelle gesetzt, dessen Geschichte nach der Sage also lautet. Johannes von Nepomuk war der Beichtvater der frommen Gemahlin des grau­ samen Kaisers Wenzel, der im Jahre 1400 wegen seiner Schlechtigkeit seiner Würde entsetzt worden ist. Einst rief der argwöhnische Tyrann den Nepomuk vor sich und 0 Jetzt als allgemeines Kirchenfest am 5. Juli; früher wurde ihr Gedächtnis nur in den slawischen Kirchen gefeiert.

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29. (25.)

Das Christentum unter den Slawen.

forderte ihn auf, ihm mitzuteilen, was ihm die Kaiserin gebeichtet habe. Der Priester erwiderte: „Mein Herr König, es ist mir nicht erlaubt, euch das mitzuteilen, und für euch geziemt es sich nicht, mich danach zu fragen". Der König ließ ihn sofort in ein unterirdisches Gefängnis werfen; als auch die Folterknechte ihm kein Geständnis ab­ pressen konnten, ließ ihn der König des Nachts in die Moldau stürzen. Aber der Frevel blieb nicht unentdeckt. Der Leichnam glitt langsam den Strom hinab, wunderbare Lichter schwammen ihm zur Seite, bald trieb die Leiche ans Ufer. Da erkannte man den frommen Nepomuk, und in feierlicher Prozession wurde er nach der Veitskirche getragen und daselbst in einem kostbar verzierten Grabe beigesetzt. Der von der Brücke herabgestürzte Märtyrer ziert seitdem in kostbarem Standbilde die Prager Moldaubrücke, und Nepomuk ist überhaupt zum Heiligen der Brücken geworden; allerwärts ist auf diesen seine Bildsäule zu sehen. Diese von den Jesuiten zum Teil erfundene Geschichte beruht aber auf einem geschichtlichen Ereignis des Jahres 1393. Der böhmische König Wenzel (deutscher Kaiser von 1378 bis 1400) geriet im Jahre 1393 mit dem Erzbischof von Prag in Streit wegen mehrerer vom Erzbischof eingezogenen Güter, welche Wenzel für sein Eigentum erklärte. In seinem Jähzorn ließ der König, da der Erzbischof entflohen war, dessen Generalvikar, Namens Johann von Pomuk, welchen er für den ihm feindlichen Ratgeber des Erzbischofs hielt, foltern und in die Moldau werfen, nachdem ihm die Hände auf den Rücken und die Füße mit dem Kopfe wie zu einem Rade zusammengebunden und in den geöffneten Mund ein Stück Holz gesteckt worden war. Diese geschichtliche Erzählung gestalteten die Jesuiten, als Böhmen im Jahre 1620 wieder katholisch gemacht wurde, so um, daß der Priester als ein Märtyrer für das Beichtgeheimnis erschien; er sollte für die Ohrenbeichte sein Leben verloren haben; dieselbe ist aber eins der Hauptmittel, wodurch die katholische Kirche ihre Gläubigen der Geistlichkeit Unterthan gemacht hat, und es kam den Jesuiten eben darauf an, die seit der Hussitenzeit abgekommene Ohrenbeichte wieder emporzubringen. Durch diesen Heiligen verdrängten sie den seit dem Jahre 1415 verehrten Heiligen des böhmischen Volkes, Johannes Hus; die überall aufgestellten Bilder des Hus ver­ wandelten sie in Bilder des Nepomuk, indem sie den Kelch und die Bibel, mit denen Hus abgebildet war, durch das Crucifix ersetzten und um das Haupt des neuen Heiligen fünf Sterne setzten. Den Todestag des Johann Pomuk verlegten sie vom 3. Mai (wo er gestorben sein soll) auf den 16. Mai, den Gedenktag des Johann Hus, und aus dem wirklichen Beichtvater der Königin Sophia, Johann Hus, machten sie einen ersonnenen Beichtvater der Königin Johanna, indem sie die Geschichte vom Jahre 1393, wo Pomuk getötet worden ist, ins Jahr 1383 verlegten, wo Wenzel noch nicht mit Sophia, der Freundin des Hus, sondern noch mit Johanna vermählt war. So steckt denn auch hier wieder hinter dem Heiligen der katholischen Kirche eine ganz andere Gestalt, als die Legende sie erkennen läßt, wie das so oft der Fall und an anderen katholischen Heiligen (Patrik, Stanislaus) anderwärts dargelegt ist.1)

C.

Das Christentum in Polen und in Sittauen; der heilige Adalbert und der heilige Stanislaus.

a. Von Böhmen und Mähren her ist nun der christliche Glaube nach Polen gekommen. Böhmen und Mähren waren aber von Griechenland -) Vgl. Nr. 26 C und 29 C c.

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Das Christentum unter den Slawen.

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aus bekehrt worden; das polnische Christentum hat also für den römischen Katholiken eigentlich einen nicht ganz lauteren Ursprung; die griechische Kirche wollte ja vom Papste nichts wissen; noch lange Zeit haben sich daher auch manche griechische Sitten und Bräuche von dem Ursprünge dieser Kirche her in Polen erhallen. Die späteren katholischen Schriftsteller haben diesen Ur­ sprung der polnischen Kirche möglichst zu verdecken gesucht, die neueren Ge­ schichtsforscher haben sich aber durch ihre Fabeleien nicht täuschen lassen. Die Begründung des Christentums in Polen hat nun aber in folgender Weise stattgefunden. Schon vor dem Jahre 966 war vielleicht von Böhmen und Mähren aus die Kunde von dem neuen Glauben nach Polen gedrungen; aber erst das Jahr 966 brachte den christlichen Glauben in diesem Lande zur Herrschaft. Der Herzog Mieczyslaw, der damals in Polen regierte, war, wie die Sage erzählt, schon in früher Jugend durch ein Wunder als ein Herrscher von besonderer Bedeutung dargestellt worden. Bis zu seinem siebenten Jahre soll er nämlich blind gewesen sein; da wurde er, während sein Vater gerade den Großen des Reiches ein Gastmahl gab, plötzlich sehend. Man deutete dies Wunder dahin, dies Kind werde, wie es selber in wunder­ barer Weise sehend geworden sei, so auch das polnische Volk von seiner bisherigen Blindheit heilen und über alle Nachbarvölker erheben. So die Sage; die Geschichte weiß nur das Folgende zu berichten. Mieczyslaw wurde um das Jahr 963 dem deutschen Kaiser Otto I. unterthänig; für das Christentum wurde er gewonnen, als er sich zwei Jahre darauf, im Jahre 965, mit Dubrawka, der Tochter des Böhmenherzogs Boleslaw, einer Christin, vermählte; schon ein Jahr nach der Hochzeit, im Jahre 966, ließ er sich taufen, und viele seiner Unterthanen folgten seinem Beispiel. Die Sage erweitert diesen dürftigen Bericht der Geschichte von des Herzogs Be­ kehrung, indem sie sagt, daß Mieczyslaw erst seine sieben heidnischen Weiber habe verstoßen müssen, ehe er die Dubrawka erhalten, daß der Herzog bis dahin keine Kinder gehabt, daß ein Traumgesicht die heidnischen Ratgeber des Königs geneigt gemacht habe, diese Vermählung gutzuheißen, daß bis zum 7. März auf des Herzogs Befehl alle Götzenbilder im ganzen Lande ver­ nichtet worden seien. Die beglaubigte Geschichte weiß von diesen Einzel­ heiten nichts. Nach der späteren katholischen Sage hat nun Mieczyslaw sofort nach seiner Bekehrung sich an den Papst gewandt mit der Bitte um christliche Prediger; derselbe habe einen Legaten mit vielen Priestern nach Polen ge­ schickt, der die polnische Kirche begründet und geordnet habe; zwei Erzbistümer (Gnesen und Krakau) und sieben Bistümer, viele Kirchen und Klöster seien alsbald gegründet worden. Die Geschichte stellt die Sache wesentlich anders dar. Zwei Jahre nach seiner Bekehrung, im Jahre 968, gründete Mieczyslaw unter Kaiser Otto's I. Mitwirkung, dessen Lehnsmann der Polenherzog war, das Bistum Posen, das erste und längere Zeit einzige Bistum in Polen. Der Kaiser ordnete das Bistum Posens zuerst dem Erzbistum Mainz, aber schon im Jahre 970 dem um eben diese Zeit gerade

') Jordanus, ein Deutscher, ist der erste Posener Bischof gewesen; seine nächsten Nachfolger sind Italiener gewesen. — Erzbischof von Stablewski ist, wenn die ge­ wöhnliche Zählung richtig ist, der 88. Bischof von Posen, der 76. Bischof von Gnesen, der 7. von Gnesen-Posen; seit 1821 ist nämlich der Bischof von Posen zugleich Erz­ bischof von Gnesen.

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zur Förderung der Mission unter den Slawen gegründeten Erzbistum Magdeburg unter. So schloß sich also die polnische Kirche zunächst der deutschen Kirche an, die damals noch mehr vom Kaiser als vom Papste regiert wurde. ’) Auf Mieczyslaw, den Begründer des Christentums in Polen, folgte im Jahre 992 sein Sohn Boleslaw Chrobry. Als dieser seine Eroberungszüge bis nach Preußen ausdehnte, zog der böhmische Bischof Adalbert in dieses Land und fand daselbst im Jahre 997 den Märtyrertod; sein Leichnam wurde von dem Polenherzoge nach Gnesen gebracht. Der Märtyrer wurde bald vom Papste heilig gesprochen, und schon im Jahre 1000 unternahm Kaiser Otto III. eine Wallfahrt zu der Leiche des ihm befreundet gewesenen Adalbert. Der Kaiser stiftete auch mit Boleslaw, ohne sich um den Wider­ spruch des Erzbischofs von Magdeburg und des Bischofs von Posens zu kümmern, das Erzbistum Gnesen, dem er die Bistümer Kolberg, Breslau und Krakau?) die ebenfalls jetzt erst gegründet wurden, unterordnete; der Bischof von Posen blieb zwar auf sein Verlangen noch unter Magdeburg, aber die polnische Kirche war doch jetzt, wie auch die Kirche von Ungarn/) durch die Gründung eines Erzbistums eine selbständige Landeskirche geworden. Als nach einiger Zeit (1024) Polen vom deutschen Reiche sich politisch los­ zumachen versuchte und später wirklich ein unabhängiges Reich wurde (seit etwa 1250), wurde auch der Bischof von Posen dem Erzbischof von Gnesen untergeordnet (1035). Als Boleslaw's Nachfolger, Mieczyslaw II., im Jahre 1034 starb, ge­ riet Polen in arge Zerrüttung; das Christentum wurde wieder vom Heiden­ tum bedrängt, das noch immer seine Anhänger hatte; die Stadt Gnesen wurde im Jahre 1039 durch den Herzog von Böhmen, der in Polen ein­ fiel, zerstört und die Gebeine des heiligen Adalbert angeblich nach Prag übertragen?) Noch Schlimmeres geschah im Jahre 1079; der Bischof Sta­ nislaus von Krakau wurde vom Könige Boleslaw am Altare totgeschlagen.") Seit dieser Zeit ist eigentlich bis zur Reformationszeit Staat und Kirche in Polen nicht mehr recht zur Ruhe gekommen: Fürsten und Bischöfe, Fürsten und Päpste, Päpste und Geistliche haben stets mit einander im Streite gelegen. Ein Bischof von Posen wagte es, den Bann, den der Erz­ bischof von Gnesen über den Landesherrn verhängt hatte, in seinem Sprengel unbeachtet zu lassen. Noch im Jahre 1219 klagte eine Synode in Gnesen darüber, daß die (von der griechischen Kirche gestattete und darum seit alter Zeit in Polen übliche) Priesterehe noch immer verbreitet sei. Die Laien halten einst zum Teil nur gezwungen ihre Götzenbilder verbrannt oder ins Wasser geworfen, im Herzen gedachten sie noch immer ihrer alten Götter. Von diesen Christen sagt ein alter Chronist: „Die Unterthanen müssen gehütet werden *) Dagegen verdanken die polnischen Könige jedenfalls dem Papste ihren Ehren­ titel „der orthodoxe", wie der König von Frankreich „„der allerchristlichste," der von Portugal „der allergläubigste," und der Kaiser von Östreich als König von Ungarn, einem Lehnsreiche des apostolischen Stuhles, „apostolische Majestät" genannt wird. 2) Derselbe hieß Unger, könnte also wohl ein Deutscher gewesen sein. 3) Nach der späteren Sage auch noch die drei anderen, wohl erst später gegründeten: Wladislaw, Lebus, Plock. 4) Vgl. Nr. 28. 6) Vgl. unten b. 6) Vgl. unten c.

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wie eine Herde Rinder und gezüchtigt wie störrische Esel", und er findet es ganz in der Ordnung, daß christlicher Glaube und kirchliche Sitten durch die strengsten Strafen aufrecht erhalten werden, z. B. das Fastengebot durch die Androhung des Zähne-Ausschlagens für den Fall der Übertretung. Besonders auch der von den Geistlichen geforderte Zehnte war den Polen verhaßt; die heidnischen Priester hatten viel geringere Ansprüche gemacht. Kaum war endlich der Papst als Oberherr auch der polnischen Kirche wirklich anerkannt und die Herrschaft der Bischöfe und der Geistlichkeit über die Laien ziemlich festgestellt, da traten auch schon neue Feinde dem Papste und der Geistlichkeit in Polen, wie auch anderwärts, entgegen, durch welche die Herrschaft des Papstes erschüttert wurde. b. Die Stadt Gnesen verdankt ihren Ruhm dem heiligen Adalbert, von dessen Leben und Tod uns Folgendes überliefert ist. Als im Jahre 982 in Prag ein neuer Bischof gewählt wurde, fiel die Wahl auf einen jungen Geistlichen, Woytech, mit dem Beinamen Adalbert, einen Böhmen aus vornehmem Geschlecht, der ein Jahr vorher aus Magdeburg zurückgekehrt war, wo er sich neun Jahre lang auf den geistlichen Stand vorbereitet hatte. Kaiser Otto II. belehnte ihn im folgenden Jahre mit Ring und Stab, und der Erzbischof Willegis von Mainz erteilte ihm die geistliche Weihe. Im schlichten Gewände und barfuß zog der neue Bischof in Prag ein. Adalbert teilte seine Einkünfte nach der damaligen Sitte frommer Bischöfe in vier Teile: den einen Teil verwandte er, um Kirchen zu bauen und zu schmücken, den zweiten für die Geistlichen, den dritten zu Werken der Barmherzigkeit, den vierten für sich selbst. Mit allem Eifer predigte der Bischof in seinem Sprengel und auch in den Nach­ barländern, aber er sah keinen Erfolg. Mißmutig zog er im Jahre 989 nach Rom, um sich von seinem Amte entbinden zu lassen, und trat hier in ein Kloster ein. Nach einigen Jahren wurde er aufgefordert nach Prag zurückzukehren, aber die dort herrschende Sittenlosigkeit trieb ihn schon im Jahre darauf, 995, in sein Kloster in Rom zurück. Zum dritten Male sollte er auf des Papstes Wunsch nach Prag zurückkehren, aber der ihm feindlich gesinnte Herzog machte ihm die Rückkehr unmöglich. Er legte nun­ mehr mit des Papstes Bewilligung sein Amt nieder, um fortan unter die Heiden zu gehen. Nachdem er den Winter 996—97 in Polen zugebracht hatte, dessen König die Preußen bekehren und sich unterwerfen wollte, fuhr er die Weichsel hinab, predigte eine Zeit lang bei Danzig, dann fuhr er in die Ostsee und landete endlich auf einer Insel des frischen Haffs. Als die Heiden ihn von hier vertrieben, setzte er nach dem Festlande über. Bald wieder vertrieben, gelangte er an einen, wie es scheint, in Samland gelegenen Ort Cholinun. Hier traten Adalbert und seine beiden Begleiter gegen Mittag aus einem Walde auf ein Feld, feierten das heilige Abendmahl, nahmen dann Speise zu sich und legten sich ermüdet in das Gras zur Ruhe. Kaum waren sie eingeschlafen, so wurden sie von einer Reiterschar umzingelt und gefesselt; Adal­ bert tröstete seine wehklagenden Gefährten; bald war er von sieben Speeren durch­ bohrt; seine Gefährten dursten nach Polen zurückziehen; der eine derselben, Adalberts Stiefbruder Gaudentius, wurde der erste Erzbischof von Gnesen. Als der König von Polen Adalberts Tod erfuhr, schickte er alsbald Gesandte zu den Preußen, mit der Bitte, ihm den Leichnam des frommen Mannes zu überliefern. Da forderten nun — wie die Sage erzählt — die Preußen so viele Pfund Gold, als der Leichnam wiege. Der König sandte, soviel sie forderten. Als man aber den Leichnam auf die eine Wagschale legte, das Gold auf die andere, da fehlte noch etwas Heidrich, Kirchengeschtchte.

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Gold. Die Gesandten warfen hinzu, soviel sie selbst noch besaßen; aber es reichte nicht aus; Christen in der Nähe spendeten freudig, soviel sie hatten —es fehlte noch immer etwas. Da kam endlich ein armes altes Mütterchen herzu und warf das wenige Gold, das sie hatte, auf die Wagschale, und alsbald sank diese so sehr dar­ nieder, daß die Gesandten ein Stück nach dem andern hinwegnehmen konnten; endlich lag nur noch des Mütterchens Scherflein auf der Wagschale, es wog allein den Leichnam auf. Den Apostel der Preußen hat man den heiligen Adalbert genannt, weil er zu­ erst versucht hat, das heidnische Preußenvolk zu bekehren. Noch lange haben die Preußen ihren alten Glauben festgehalten, obwohl auch hier immer wieder neue Missionare erschienen und nicht ohne Erfolg predigten; erst der deutsche Ritterorden hat (1230—1283) das Land mit dem Schwerte für das Christentum dauernd ge­ wonnen, freilich erst, nachdem der Kern des Volkes vernichtet worden war. *) Gnesen, wohin der Leichnam des heiligen Adalbert gebracht worden war, sollte sich übrigens nicht lange desselben in Ruhe erfreuen. Im Jahre 1039 fielen die Böhmen in Polen ein, auch Gnesen fiel in ihre Hände, und nun forderten sie den Heiligen als ihren früheren Bischof für Prag zurück. Als sie die Gruft mit Gewalt öffnen wollten, fühlten sie sich, nach der Sage, wie betäubt und mußten zurückweichen; erst nach feierlichen Gebeten und Gelübden gelang ihr Vornehmen. Als man den Sarg öffnete, verbreitete sich daraus ein so süßer Wohlgeruch, daß die Anwesenden drei Tage aller Speisen vergaßen; auch wurden viele Kranke, die in der Nähe waren, gesund.") Unversehrt lag Adalbert im Sarge. Nebst mehreren anderen Heiligen wurde er von den Böhmen nach Prag gebracht, wo er noch heute gezeigt und verehrt wird. Aber auch in Gnesen wird noch immer der heilige Adalbert gezeigt und ver­ ehrt; die Gnesener behaupten nämlich, die Böhmen hätten einen anderen Körper mitfortgenommen, den rechten habe man glücklicherweise noch zur rechten Zeit ver­ bergen können. c. Als der deutsche Kaiser Heinrich IV. über die Alpen zog, um sich vor dem Papste Gregor VII. zu demütigen, da glaubte der damals regierende polnische Herzog Boleslaw der Kühne die Zeit gekommen, um sich von der Oberhoheit des deutschen Reiches loszu­ machen und ein selbständiges Königreich zu begründen. Der gewaltige Herrscher ver­ suchte im folgenden Jahre auch Rußland sich zu unterwerfen; aber den polnischen Edel­ leuten behagte der unabsehbare Krieg nicht, sie machten kehrt, und so mußte denn der König auf seine Pläne verzichten. Kaum war er wieder in der Heimat, so begann er die treulosen Edelleute aufs furchtbarste zu bestrafen. Als nun alles vor dem Könige zitterte, da trat — nach der kirchlichen Sage — Stanislaus Szezepanowski, seit 1071 Bischof von Krakau, dem Wüterich entgegen und verhängte nach vergeblichen Mahnungen über den König den Kirchenbann. Als nun am 8. Mai8*)* 1079 der Bischof in der Michaelskapelle an einem Michaelstage vor den Thoren Krakau's die Messe las, schickte der König nach einander mehrere Abteilungen Soldaten ab mit dem Befehl, den Bischof daselbst niederzuhauen; aber die Soldaten wurden drei­ mal von unsichtbarer Hand zu Boden geschlagen. Da stürzte der König selbst in die Kirche und spaltete dem Bischof vor dem Altare mit einem Schwertstreich das Haupt, so daß Blut und Gehirn an den Altar spritzten; die Begleiter des Königs zerfetzten

*) Vgl. Nr. 28. -) Vgl. Nr. 35 B. 8) Die Kirche feierte ursprünglich zwei Michaelisfeste, den 15. März und den 8. Mai, seit 813 dazu noch den 29. September, der allmählich die beiden andern Tage verdrängt hat.

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darauf den Leichnam. Infolge dieser Gewaltthat verlor der König das Reich, er starb in der Fremde. Stanislaus wnrde im Jahre 1253 vom Papste unter die Heiligen ver­ setzt; er wird seitdem als der Schutzpatron von Polen verehrt; der 8. Mai, sein Todes­ tag, ist für Polen noch heute ein großer Feiertag. — Nach der ältesten Chronik erscheint aber der Konflikt in einem ganz anderen Lichte; Stanislaus wurde vom Könige als Verräter hingerichtet, weil er sich mit den dem Könige feindlichen Edelleuten verbunden hatte. Die kirchliche Sage hat den ungerechten Bischof auf Kosten des Königs ver­ herrlicht.

d. Vor dem Beginn der Reformation wurde endlich auch noch das letzte heidnische Volk in Europa, der Stamm der Littauer,^) in folgender Weise für den katholischen Glauben gewonnen. In Polen war im Jahre 1370 das Herrschergeschlecht der Piasten ausgestorben. Nachdem erst noch ein Verwandter des alten Hauses die Regierung geführt hatte, wurde nach dessen Tode (1382) die polnische Prinzessin Hedwig im Jahre 1386 mit dem Großfürsten Jagiello von Littauen vermählt. Derselbe war zwar noch Heide, aber er hatte sich bereit erklärt Christ zu werden; auch erwuchs aus dieser Vermählung dem Lande eine bedeutende Vergrößerung durch den Anschluß von Littauen an Polen. So fand denn zur großen Freude des polnischen Volkes und der römischen Kirche im Jahre 1386 die Taufe des Königs (und bald auch seiner Unterthanen) und die Vermählung mit der Polenfürstin statt. Nunmehr gab es in Europa kein heidnisches Volk mehr.

30. (26.) Das Gebiet der römisch-katholischen Kirche im Mittelalter?) a. Nachdem in Europa fast alle Heiden zum Christentum bekehrt worden waren, gehörte unser Erdteil teils der römischen teils der griechischen katholischen Kirche an; freilich waren ungefähr in derselben Zeit, in welcher die Mohammedaner aus Spanien vertrieben worden waren, ihre Glaubensgenossen zu Herren der Balkanhalbinsel geworden und hatten die griechische Kirche auch dort (wie schon früher in Asien und Afrika) er­ niedrigt und eingeschränkt, und noch heute schmachtet die griechische Kirche zum großen Teil unter dem Joche des Islam?) Die römische Kirche, welche den Westen von Europa beherrschte, besaß in den andern damals bekannten Erdteilen (Asien und Afrika), nachdem die Kreuzzüge zu Ende gegangen waren und damit auch die Herrschaft der römischen Kirche in den betreffenden Gebieten aufgehört hatte, nur noch wenige An­ hänger; hier haben allmählich die Griechen das an die Mohammedaner (und eine Zeit lang an die Lateiner) verloren gegangene Kirchengebiet zum Teil wieder für ihre Kirche zu gewinnen angefangen. Um so fester und für immer begründet schien die Herrschaft der römischen Kirche im Abendlands, wo es dem Papste immer wieder gelungen war, die hier und da hervortretenden Ketzer zu unterwerfen oder zu vertilgen. Als Luther auftrat, umfaßte aber die Herrschaft des Papstes in Europa folgende Gebiete. Zunächst war dem Papste Italien mit seinen verhältnismäßig vielen Bischöfen und Erzbischöfen Unterthan, sodann Spanien, Portugal, Frankreich, England, Schott­ land, Irland, Dänemark, Schweden, Norwegen; dagegen hatte Grönland im Jahre 1406 ') Die Littauer gehören (wie die alten Preußen) zu dem Volksstamme der Letten, einem der kleineren Stämme des indogermanischen Volksstammes; die Letten sind, heute nur noch 3 Millionen Köpfe stark (in Rußland und Preußen), in starkem Abnehmen. 2) Die Ausdehnung der griechischen Kirche und der kleineren Kirchenparteien, die sich seit dem Jahre 1517 kaum geändert hat, wird später (am Schluffe der neueren Kirchengeschichte) dargelegt werden; vgl. Nr. 90. 3) Vgl. Nr. 25.

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seinen letzten römischen Bischof erhalten — die große Pest des Jahres 1348 hatte auch nach Grönland sich verbreitet und einen großen Teil der Bevölkerung weggerafft; seit­ dem hörte allmählich die Verbindung mit Norwegen auf, und allmählich ging die ganze christliche Kolonie daselbst zu Grunde.') Alle diese Länder standen unter Bischöfen und Erzbischöfen, welche dem Papste Unterthan waren; überall gab es Klöster und Wall­ fahrtsorte; auch die Schulen, die Universitäten wie die niederen Schulen, standen unter der Aufsicht der Kirche. b. Auch das mittlere Europa, Deutschland und die Nebenländer, war natürlich dem Papste Unterthan. Die deutsche Kirche war aber um das Jahr 1517 folgender­ maßen organisiert. An ihrer Spitze standen die Erzbischöfe von Trier, Mainz, Köln, Bremen, Magdeburg, Salzburg und Prag (die Schweiz stand unter dem Erzbischof von Besan^on, Ungarn unter den Erzbischöfen von Gran und Colocza). Der Erzbischof von Trier hatte früher für den ersten Geistlichen von ganz Deutschland gegolten, später kam diese Ehre an Mainz; der Erzbischof von Trier war zugleich Kurfürst und Erzkanzler von Gallien (d. h. Burgund); unter ihm standen die Bischöfe von Metz, Toul und Verdun. Als der erste Erzbischof von ganz Deutschland galt im späteren Mittelalter der Erzbischof von Mainz, gleichfalls Kurfürst, Erzkanzler von Deutsch­ land, der Nachfolger des heiligen Bonifatius, im Besitz der größten Kirchenprovinz von Deutschland, mit dem Vorrechte begabt, dem von den Kurfürsten gewählten Herscher die Kaiserkrone aufs Haupt zu setzen. Unter diesem Erzbischof standen die Bischöfe von Augsburg, Konstanz, Eichstädt, Würzburg, Halberstadt, Hildesheim, Paderborn, Straßburg, Speyer, Verden und Worms. Der Bischof von Bamberg, der früher ihm unterthänig gewesen war, war seit mehreren Jahrhunderten eximiert, d. h. nur dem Papste Unterthan, nicht mehr seinem Erzbischöfe. Als dritter stand den Erzbischöfen von Trier und von Mainz der von Köln zur Seite, gleichfalls Kurfürst, Erzkanzler von Italien, dem die Bischöfe von Utrecht, Osnabrück, Minden, Lüttich und Münster untergeordnet waren. Dem Erzbischof von Bremen, der an die Stelle von Hamburg getreten war,*2) waren die Bischöfe von Lübeck, Natzeburg und Schwerin untergeordnet. Der Bischof von Kammin in Pommern, früher dem Erzbischof von Gnesen unterworfen, war jetzt eximiert; desgleichen der Bischof von Meißen, früher Magdeburg unterworfen. Dem Erzbischof von Magdeburg waren die Bistümer Brandenburg, Havelberg, Merseburg und Naumburg unterworfen. Dem Erzbischof von Salzburg, der schon seit älterer Zeit durch den Titel eines päpstlichen Legaten geehrt war, waren die Bischöfe von Freising, Regensburg, Passau, Brixen, Chiemsee, Seckau, St. Andree, Gurk und Wien unterworfen. Dem Erzbischof von Prag waren die Bischöfe von Olmütz, Leutomischl und Leitmeritz unterworfen. Heute giebt es in den Ländern der genannten Erzbischöfe und Bischöfe, und zwar zunächst in Deutschland, 30 kirchliche Würdenträger, und zwar 5 Erzbischöfe, 20 Bischöfe, 3 Vikare und 2 Präfekten. In Preußen giebt es zwei Erzbischöfe und neun Bischöfe, Erzbischöfe in Posen und Köln, Bischöfe in Paderborn, Münster, Trier, Frauenburg, Kulm, Breslau, Fulda, Hildesheim und Osnabrück; die Grafschaft Glatz steht unter dem Erzbischof von Prag, Hohenzollern unter dem Erzbischof von Freiburg. Für Sachsen giebt es einen apostolischen Vikar in Dresden. In Baiern giebt es zwei Erz­ bischöfe und sechs Bischöfe: jene in München-Freising und Bamberg, diese in Augs­ burg, Regensburg, Passau, Eichstädt, Würzburg und Speyer; in Würtemberg ein Bistum in Rottenburg, in Baden ein Erzbistum in Freiburg, in Hessen ein Bistum in Mainz, in Elsaß-Lothringen zwei Bistümer, Straßburg und Metz.

') Vgl. Nr. 89. 2) Vgl. Nr. 27.

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In Östreich-Ungarn giebt es 12 römische und 3 orientalische (unierte) Erz­

bistümer, 43 römische und 8 orientalische (unierte) Bistümer, in der Schweiz 5 Bistümer, in Belgien ein Erzbistum und 5 Bistümer, in Holland ein Erzbistum und 4 Bistümer. c. So war um das Jahr 1517 die Herrschaft des Papstes über die Kirche im westlichen Europa noch immer fest begründet und allgemein anerkannt, während das römische Reich Karl's des Großen längst zerfallen und das deutsche Reich trotz des Kaisers eigentlich schon in viele Staaten gespalten war. Aber die Einheit der Kirche im westlichen Europa hat doch ebenfalls ihr Ende gefunden; durch die Reformation ist dem Papste ein großer Teil seines Gebietes entzogen worden.

II. Die Verfassung der katholischen Kirche des Mittelalters (und der Weuzeit). 31. (27.) Die Entstehung des Papsttums. An die Spitze größerer kirchlicher Bezirke waren bald nach der aposto­ lischen Zeit, wie oben gezeigt/) als Häupter die Bischöfe getreten, über welche sich allmählich die Metropoliten, die Bischöfe der Provinzial­ hauptstädte, erhoben. Über die Metropoliten erhoben sich wieder die Exarchen, die Bischöfe der Hauptstädte der ,,®iöcefen'z (in welche seit Diokletian die „Provinzen" zusammengefaßt waren), und über diese die Bischöfe der größten Städte des römischen Reiches, die Patriarchen, im Osten die Bischöfe von Alexandria, Antiochia, Jerusalem und Constantinopel, im Westen der Bischof von Rom. Unter diesen höchsten Kirchenfürsten begann allmählich im Osten zuerst der Patriarch von Alexandria, später statt seiner der Patriarch von Con­ stantinopel-), besonders hervorzuragen; dem Bischof von Rom stand im Westen von vorn herein kein Bischof von gleichem Ansehen zur Seite, und es bildete sich mehr und mehr die Überzeugung aus, daß derselbe als das Haupt der ganzen Kirche anzusehen sei. a. Um nun dem römischen Bischof einen Vorzug vor den andern Bischöfen zuerkennen zu können, berief man sich auf des Petrus Aufenthalt, Bischofsamt und Märtyrertum in Rom, als desien Nachfolger der römische Bischof anzusehen sei. Aber von einem Aufenthalte des Petrus in Rom weiß das N. T. nicht nur nichts, sondern jedes Mal, wo Petrus uns im N. T. entgegentritt, ist er nicht in Rom, und es ist eine leere Ausrede, daß er zu den andern Zeiten, wo wir seinen Aufenthaltsort nicht kennen, in Rom gewesen sei. Ja, selbst wenn man die Möglichkeit eines Aufenthalts des Petrus in Rom zugiebt3), so weiß doch von Petrus als erstem Bischof von Rom nicht einmal die älteste Überlieferung, welche als ersten Bischof von Rom diesen oder jenen Mann, aber nicht den Petrus nennt, und selbst des Petrus Tod in Rom ist nicht genug bezeugt, um als unbedingt sichere geschichtliche Thatsache gelten zu dürfen/) Der Katholik aber muß an dieser Behauptung vom Bischofsamt des Petrus in Rom festhalten, um die Macht des Papstes begründen zu 1) 2) ’) 4)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Nr. 13. Nr. 23. Heil. Gesch. Nr. 137. Nr. 6.

31. (27.)

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können; wenn Petrus nicht Bischof in Rom war, so kann der römische Bischof nicht sein Nachfolger sein; denn darauf, daß Petrus vielleicht als Märtyrer in Rom gestorben ist, was neuere Forscher nicht durchaus bestreiten, läßt sich das Papsttum nicht gründen. Wenn nun Petrus keinesfalls Bischof von Rom gewesen ist, so nützt es dem Papste nichts, wenn man zugiebt, daß Petrus unter den Aposteln allerdings in gewisser Weise hervortrete. Das erste Glaubensbekenntnis hat Petrus ausgesprochen (Matth. 16); die erste Gemeinde hat Petrus ge­ gründet; den ersten Heiden hat Petrus bekehrt. Aber dem Petrus ist später Paulus zur Seite getreten und hat ihn sogar überflügelt; später hat Johannes in der Kirche das größte Ansehen genossen; von einem Nach­ folger des Petrus, auf welchen sich des Petrus Ansehen vererben solle, ist in der Bibel nirgends etwas zu finden; die Sage, welche ihn zum Bischof von Antiochia, Alexandria und Rom, d. h. zum Oberherrn der ganzen Welt macht, ist für den Evangelischen natürlich wertlos. *) b. Wenn es nun allerdings, auch nach der Meinung der Evangelischen, dem Papste zu statten gekommen ist, daß Petrus in Rom gepredigt haben soll und vielleicht sogar wirklich in Rom gestorben ist, und daß Paulus wirk­ lich daselbst gepredigt hat und wahrscheinlich auch gestorben ist, da bekanntlich die alte Kirche den rechten Glauben vornehmlich da zu finden hoffte, wo die Apostel gepredigt haben,2) so ruht doch das Ansehen des römischen Bischofs nach unserer Meinung noch mehr auf einem and er en Fundamente, welches die Synode von Chalcedon im Jahre 451 ganz richtig also bezeichnet: „Dem Stuhle des alten Rom haben die Väter mit Recht Vorzüge erteilt wegen des Herrschersitzes jener Stadt/' So viele Jahrhunderte war Rom die Herrin der Welt gewesen; da war es kein Wunder, daß die Herrschaft in der Kirche an den römischen Bischof kam. Als der letzte weströmische Kaiser im Jahre 476 abgesetzt wurde, trat wie von selbst der römische Bischof an seine Stelle, und wenn auch in den ersten Jahrhunderten die Bischöfe von Rom in der Kirche wenig hervorgetreten sind, so hat es doch nicht an tüchtigen Männern unter ihnen gefehlt, die wenigstens für ihren Glauben zu sterben wußten. Aber mehr und mehr haben auch wahrhaft große Männer auf dem Stuhle Petri gesessen, und sie konnten um so mehr zu Ansehen kommen, als sie nicht mehr, wie der Bischof von Constantinopel, einen Kaiser zur Seite hatten; seit dem Jahre 326 residierte nämlich der Kaiser des Gesamtreichs in Con­ stantinopel, oder wenn das Reich geteilt war, der weströmische Kaiser (seit 404) in Ravenna. Überdies war im ganzen Abendlande Rom die einzige Gemeinde, die sich einer direkten Beziehung zu den Aposteln rühmen konnte, und darauf gab die alte Kirche nicht mit Unrecht mehr als wir?) Und den Ruf der reinen apostolischen Überlieferung wußte die römische Gemeinde gut zu bewahren und geschickt geltend zu machen, so daß schon um das Jahr 400 ein römischer Bischof behaupten durfte, daß in der ganzen Kirche ohne den römischen Stuhl nichts entschieden werden dürfe. Freilich wurden ebenso oft schon in der alten Zeit die Anmaßungen der römischen Bischöfe bekämpft und ihre Be-

*) Vgl. Nr. 6 d. 2) Vgl. Nr. 16. 2) Vgl. Nr. 16.

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Hauptungen bestritten; aber selbst die Gegner versagten dem römischen Stuhle niemals imganzendie Anerkennung, sondern stets nur in einem einzelnen, bestimmten Falle. Zu einer wirklichen Herrschaft über die ganze Kirche haben es jedoch die Päpste niemals gebracht; die griechische Kirche ist ihnen seit der alten Zeit, wie die evangelische in der neuen, niemals wirklich Unter­ than gewesen; jede einzelne Kirche verwaltete in der alten Zeit ihre Ange­ legenheiten selbständig, ohne daß der Papst irgendwie in dieselben eingegriffen hätte; der Papst besaß in der alten Kirche weder die gesetzgebende, noch die regierende, noch die oberrichterliche Gewalt; eine päpstliche Kirchenbehörde für die ganze Kirche, die spätere „Curie", war vollends nicht vorhanden; allgemeine, für die ganze Kirche bindende Bestimmungen konnten nur von einer allge­ meinen Synode erlassen werden. c. So kann denn freilich der evangelische Christ nicht zugeben, daß das Papsttunl eine unmittelbar göttliche Stiftung und für die Kirche durchaus notwendig sei; die römische Kirche hat nicht immer, die griechische und die evangelische Kirche haben niemals einen Papst über sich gehabt, und dieser Mangel hat ihrem Glauben nichts geschadet. Im Gegenteil, der römischen Kirche hat es vielfach geschadet, und es schadet ihr noch, daß sie einen Papst an ihrer Spitze hat; die wahre Frömmigkeit ist in der alten wie in der neuen Zeit vielfach vom Papste vermöge seiner Macht unterdrückt worden, und eine Reformation der katholischen Kirche wird, so lange die Katholiken am Papste festhalten, wohl niemals zu stände kommen. Trotzdem werden wir nicht mehr mit Luther und seinen Zeitgenoffen (denen man diese Behauptung freilich nicht verdenken kann, zumal wenn man an die vielen Fälschungen denkt, mit welchen man die Rechtmäßigkeit der Gewalt des Papstes zu beweisen suchte) *) das «Papsttum für eine Stiftung des Teufels erklären. Eine Einrichtung, welche so viele Jahrhunderte kräftig bestanden und vielfach auch segensreich gewirkt hat, ist doch nicht ohne göttliche Zulassung entstanden; doch kann natürlich, was im Laufe der Ge­ schichte entstanden ist, auch ebenso wieder zu Grunde gehen. Aber wenn auch sogar eine alte katholische Weissagung das Ende des Papsttums in eine nicht ferne Zukunft verlegt, wo mit Petrus II. das Reich des Papstes dem Reiche Gottes Platz machen werde, *2) so dürfte wohl die Zeit des Papsttums doch noch nicht so bald zu Ende sein. Aber notwendig für die Einheit der Kirche ist das Pasttum nicht. Im Mittelalter hatte ja freilich die Kirche am Papste ein gemeinsames Oberhaupt, um welches sich die Völker wie um ihren Vater scharten, und das hatte da­ mals allerdings für das Leben der Völker manches Gute. Aber schon damals wollten die Griechen vom Papste nichts wissen, und die evangelische Kirche ist gerade durch den Papst zur selbständigen Stellung genötigt worden. Trotz­ dem giebt es nach evangelischer Meinung eine einige Kirche, aber diese Ein­ heit beruht nicht auf eines einzigen Menschen Oberherrschaft in der Kirche, sondern auf der Herrschaft Christi und seines Wortes in der Kirche; es ist falsch, wenn der Katholik sagt: „Ohne den Papst keine Kirche"; wir sagen dafür: „Ohne Christus keine Kirche." ’) Vgl. Nr. 32 u. 33. 2) Auf Leo XIII. sollen nach derselben nur noch zehn Päpste folgen, der letzte derselben Petrus romanus; vgl. Hase, KG. nach den Vorl. III, 1, § 240.

136 32. (28.) Die steigende Macht des Papsttums; der Kirchenstaat; die Trennung der griechischen Kirche von der römischen. Nach katholischer Meinung ist, nachdem zuerst Petrus die ganze Kirche regiert hatte, des Petrus Nachfolger in Rom stets als das sichtbare Ober­ haupt der Kirche überall und allezeit anerkannt worden; niemals ist eine all­ gemeine Kirchenversammlung gehalten worden, ohne daß der Papst oder seine Abgeordneten dabei den Vorsitz hatten; nie hat eine kirchliche Entscheidung allgemeine Geltung erlangt, bevor sie vom Papste bestätigt war. Damit der Papst in der Ausübung seiner geistlichen Gewalt um so freier sei, hat Gott ihn im Laufe der Zeit in den Besitz einer weltlichen Herrschaft gelangen lasten. Die Nachfolger der andern Apostel sind die Bischöfe, wenn sie recht­ mäßig geweiht und vom Papste anerkannt sind; sie verwalten als Stellver­ treter des Papstes das ihnen übertragene Bistum durch die von ihnen in ihr Amt eingesetzten Priester. Die Laien haben den Priestern, diese den Bischöfen, diese dem Papste unbedingt zu gehorchen. Nach evangelischer Meinung sind alle diese Behauptungen falsch; das Papsttum hat sich in der Kirche erst allmählich zu dem Ansehen empor­ geschwungen und diejenige Macht gewonnen, die es nach katholischer Meinung von jeher gehabt haben soll. Wie das geschehen ist, wird im folgenden gezeigt werden. a. Einer der ersten römischen Bischöfe, dem es einigermaßen gelungen ist, in der ganzen Kirche zu hohem Ansehen zu gelangen und den man mit vollem Recht den ersten „Papst" nennen tonnte,3) ist Leo I., der Große (440—461). Wie derselbe auf der Synode von Chalcedon (451) sein An­ sehen zur Geltung gebracht fyit, ist oben erzählt worden;2) diese Synode hat wirklich ihre Entscheidung nach dem Urteil des Papstes getroffen. Doch hat dieselbe Synode den Bischof von Constantinopel dem Bischof von Rom gleich­ gestellt, und vergeblich hat Leo gegen diesen Beschluß protestiert; die Kirche des Ostens blieb unter dem Patriarchen von Constantinopel, der selber wieder unter dem Einfluß des Kaisers stand. Noch höher stieg Leo's Ruhm im folgenden Jahre (452). Der wilde Hunnenkönig Attila brach in Italien ein und drohte Rom zu plündern. Da zog eine römische Gesandtschaft, Leo selber an ihrer Spitze, dem Hunnenkönig entgegen, um Schonung bittend, und der Welteroberer wandte sein Heer und verließ Italien. Attila mochte wohl seine Gründe haben, nicht weiter zu ziehen; aber die Rettung Italiens schien so wunderbar, daß sich später das Volk erzählte, Petrus und Paulus hätten ihrem Nachfolger mit drohendem Schwerte in den Wolken zur Seite gestanden, und dadurch erschreckt, sei Attila zurückgezogen. Diese Rettung Rom's haftete im Gedächtnis des Volkes, obwohl im Jahre 455 trotz Leo's Bitten die wilden Scharen des Vandalenkönigs Geiserich von Afrika her die Stadt Rom vierzehn Tage lang aufs furchtbarste plünderten; Leo bewahrte die Stadt jedoch vor Mord und Brand, und das rechneten ihm die Römer hoch an; die Plünderung erschien ihm als eine wohlverdiente Züchtigung Gottes für die verfallene Christenheit. Die römischen Christen waren nämlich schon damals fast ebenso schlecht wie die Heiden, und es ist später nicht

*) So Möller KG. I, S. 364 und K. Müller KG. I, § 80, 2. e) Vgl. Nr. 17 u. 23.

32. (28.)

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besser geworden; trotzdem verlangte Leo für diese Gemeinde und ihren Bischof die erste Stelle in der Kirche, und überall suchte und wußte er sein An­ sehen zur Geltung zu bringen; sogar der römische Kaiser Valentinian III. ließ sich im Jahre 445 zur Anerkennung der päpstlichen Oberherrschaft in der Kirche bewegen. b. Der nächste bedeutende römische Bischof war Gregor I-, der Große (590—604). Aus einer vornehmen römischen Familie stammend, war Gregor um das Jahr 570 vom Kaiser in Constantinopel zu einem hohen Amte in Nom befördert worden (er war Prätor geworden); da beschloß er der Welt zu entsagen. Er gründete von seinem Vermögen sechs Klöster in ©teilten und eins in Rom in seinem eigenen Hause; in dieses trat er selber ein, und er hat sich als Mönch so sehr kasteit, daß er nie wieder die volle Gesundheit erlangte. Doch schon nach wenigen Jahren des ihm so sehr zu­ sagenden Klosterlebens ernannte ihn der römische Bischof zum Diakonus, und bald darnach schickte er ihn als Gesandten zum Kaiser nach Constantinopel. Nach der Rückkehr von da trat er wieder ins Kloster ein, und die Mönche wählten ihn zum Abt; jetzt wäre er am liebsten nach Britannien als Missionar zu den Angelsachsen gezogen, aber der Bischof rief ihn wieder in seine Nähe. Als im Jahre 589 der römische Bischof starb, wurde Gregor im Jahre 590 zu seinem Nachfolger erwählt. Die abendländische Kirche erblickte bereits in dem römischen Bischöfe als dem Nachfolger des Petrus den Herrn der ganzen Kirche, und Gregor selber hat sich als solchen betrachtet; mit großem Eifer hat er in diesem Sinne sein Amt verwaltet; aber daß der Papst (wie das Vatikanische Concil behauptet hat) der eigentliche Bischof jeder Diöcese sei, so daß der Bischof derselben nur sein Stellvertreter sei, dem keine eigene Macht zustehe, dagegen hat Gregor geradezu protestiert. Als sich nämlich der Bischof von Constan­ tinopel den Titel eines ökumenischen d. h. (wie der römische Bischof es nicht richtig deutete) allgemeinen Bischofs beilegte, der etwa hundert Jahre vorher für diesen Patriarchen aufgekommen war (ohne daß derselbe von dem Patri­ archen selber gebraucht wurde), da kündigte ihm Gregor deshalb die Kirchen­ gemeinschaft auf; niemand dürfe sich diesen Titel beilegen; Gregor nannte sich nach einem Worte von Augustinus den Knecht der Knechte Gottes. Dem gegenüber hatte er die Freude, daß die Angelsachsen in Britannien, die durch von ihm gesandte Mönche eben bekehrt wurden/) dem römischen Stuhle sich willig unterwarfen; die meisten andern deutschen Stämme gehörten noch der von der katholischen Kirche ausgeschlossenen Partei der Arianer an, haben sich aber nicht lange nachher der katholischen Kirche angeschlossen und allmählich auch, wie oben dargelegt worden ist, namentlich durch des Bonifatius Thätig­ keit, der Herrschaft des Papstes unterworfen?) Die Kirche des Mittelalters hat den Bischof Gregor sehr gefeiert. Den Kirchengesang, der nach der Zeit des Ambrosius verweltlicht war, hat er zur alten Würde und Einfachheit zurückgeführt?) Die Lehre vom Fegfeuer und vom Meßopfer hat er besonders ausgebildet und festgestellt. Das Mittelalter hat ihn den drei Kirchenlehrern Ambrosius, Augustinus und Hieronymus

’) Vgl. Nr. 26 C. 2) Vgl. Nr. 26 E. ’) Vgl. Nr. 73.

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als vierten der sogenannten alten Lehrer (im Gegensatz zu den neueren Lehrern des Mittelalters) zur Seite gestellt — mit Unrecht, er war als Kirchenlehrer wenig bedeutend, viel bedeutender als Lenker und Fürst der Kirche. Von der Nachwelt ist er der Große genannt worden; Großes hat er erstrebt, und nicht Weniges in schwerer Zeit geleistet und erreicht. c. Es ist oben ausführlicher dargelegt worden, wie die Herrschaft des Papstes, welche in der Kirche der Angelsachsen zur Geltung gekommen war, auch unter den andern deutschen Stämmen namentlich durch die Thätigkeit des Bonifatius zur Anerkennung gekommen ist. Des Bonifatius Streben war mit Erfolg darauf gerichtet, eine unter dem Papste geeinigte Kirche im Abend­ lande herzustellen. Freilich ist ihm dies nur im Anschluß an die Herrscher des Frankenreichs gelungen, und namentlich Karl der Große hat ja sein großes Reich nicht bloß politisch, sondern auch religiös geeinigt; es sollte die ganze Christenheit des Westens umfassen. Nach seiner Meinung war nun aber der Kaiser in seinem Reiche wie auch in der Kirche der erste, und der Papst stand unter ihm. Die Kaiserwürde war nach seiner Meinung ganz unabhängig vom Papste, wenn derselbe ihn auch im Jahre 800 zum Kaiser gekrönt hatte; deshalb erteilte er auch selber seinem Sohne Ludwig die Kaiserwürde, und der Papst erteilte ihm nur nach­ träglich die kirchliche Weihe. Der Papst und bald auch das Volk sahen frei­ lich die Sache so an, daß Karl seine Krone und seine Würde vom Papste er­ halten habe; der Papst sei also größer als der Kaiser. Bald kam die Zeit, wo es sich zeigen sollte, wer von beiden mächtiger sei. d. Nicht geringen Zuwachs erhielt die Macht des Papsttums durch die Gründung des Kirchenstaates im Jahre 755. Pippin der Kleine nämlich, der für den unfähigen Frankenkönig Childerich die Herrschaft führte, beschloß endlich den König abzusetzen und sich zu der Macht des Königs auch den Namen desselben zu erwerben. Die weltlichen und geistlichen Großen des Landes billigten sein Vorhaben; da schickte erden Abt von St. Denis an den Papst Zacharias mit der Frage, ob der König heißen solle, der sorglos daheim sitze, oder der, der die Last der Regierung trage. Zacharias antwortete: „Wer den Staat lenkt, verdient auch König zu heißen." Da berief Pippin im Jahre 751 eine Neichsversammlung nach Soissons, teilte ihr den Ausspruch des Papstes mit, und mit ihrer Billigung steckte er den Childerich ins Kloster; sein Sohn Karl der Große nannte sich infolgedessen: „Von Gottes Gnaden (d. h. also von des Papstes Gnaden) König der Franken." *) Nicht ohne Grund hatte der Papst sich gegen Pippin willfährig gezeigt; er selbst war nämlich in Italien schwer bedrängt, einerseits durch den grie­ chischen Kaiser, dem das römische Gebiet gehörte, und andrerseits durch die Longobarden, die immer weiter nach Süden vorzudringen trachteten. Schon Gregor III. war darauf bedacht (739), das römische Gebiet von dem grie­ chischen Kaiser unabhängig zu machen, und er erklärte dasselbe für ein selb­ ständiges Besitztum des heiligen Petrus; das nützte ihm aber wenig, denn *) Dagegen war nach dem heutigen Sprachgebrauch gerade Childerich der König „von Gottes Gnaden." — Über den ganzen Vorgang vgl. Hauck, KG Deutschlands II, S. 22—24: „Nur den Wert hatte das päpstliche Urteil für Pippin, daß es den Platz für erledigt erklärte, den er einnehmen wollte; die Krone wurde ihm nicht vom Papste, sondern von den Franken übertragen."

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bald darauf griffen die Langobarden den Besitz des Papstes an. Stephan II., der Nachfolger des Zacharias, eilte selbst nach Paris, und fußfällig bat er den Pippin um Hülfe. Pippin ließ sich und seine Gemahlin und seine beiden Söhne vom Papste salben und zog nach Rom, im Jahre 754. Die Longobarden wurden besiegt; aber nach Pippins Rückzüge griffen sie Rom abermals an. Da schrieb der Papst an den König einen Brief, worin er ihn auffor­ derte, dem heiligen Petrus sofort zu Hülfe zu kommen, wenn er nicht ewig verdammt sein wolle; ja, er schickte sogar dem Könige einen Brief zu, den Petrus angeblich selber geschrieben und ihm übergeben hatte. Pippin be­ siegte den Longobardenkönig wiederum und gab dem Papste im Jahre 755 einen Teil des eroberten Gebietes als Lehen zu dem Gebiete hinzu, das er bereits besaß; diese sogenannte Pippin'sche Schenkung umfaßte den Küsten­ strich von der Pomündung bis gegen Ancona; damit war der Grund zum Kirchenstaate gelegt?) So war der Papst zum Herrn des sogenannten Kirchen­ staates geworden, aber in politischer Beziehung stand er unter dem Herrscher des Frankenreiches. Der Papst aber sah in dem Gebiete, das er durch Pippin jetzt erhielt, ein früheres Eigentum, das ihm die Langobarden erst unlängst entrissen hätten, indem er sich auf die bereits vorhandene Sage von der Eon st antini schon Schenkung stützte. Die Sage stellt nämlich die Geschichte von der Gründung des Kirchenstaates ganz anders dar. Der Kaiser Constantin hat sich, wie das in alter Zeit viele Christen thaten, erst auf dem Totenbette taufen lassen; er glaubte, nur durch die Taufe die Vergebung aller Sünden erlangen zu können; getauft hat ihn, wie die Geschichte berichtet, der Bischof Eusebius von Nikomedia in Kleinasien.2 3) Die Sage aber, die den ersten christlichen Kaiser von dem vornehmsten Bischof der Kirche getauft wissen wollte, erzählt die ganze Sache fälsch­ lich in ganz andrer Weise, nämlich wie folgt. Als Constantin die Christen verfolgte, da wurde er zur Strafe dafür von Gott mit dem Aussatz geschlagen. Dem kranken Kaiser sagten nun die heidnischen Priester, er werde genesen, wenn er sich im Blute unschuldiger Kinder bade.8) Die Kinder wurden zusammengebracht, und der Kaiser fuhr nach dem Orte, wo sie getötet werden sollten. Da warfen sich ihm die Mütter bittend und flehend in den Weg, und der Kaiser wurde durch ihre Bitten gerührt und gab ihnen die Kinder zurück. In der folgenden Nacht erschienen ihm Petrus und Paulus im Traum und sagten ihm, er werde vom Aussatz genesen, wenn er sich vom römischen Bischof Sylvester taufen lasse. Der Bischof wurde herzugeholt (er hatte sich aber während der Verfolgung ins Gebirge geflüchtet), und er taufte den Kaiser, der sofort gesund wurde. Alsbald befahl Constantin, alle Heiden sollten Christen werden; er ließ überall Kirchen erbauen, und dem Papste schenkte er einen Teil von Italien, den ersten Anfang des späteren Kirchenstaates. Damit aber der Papst wirklich in Rom Herr sei, gründete sich Constantin eine neue Residenz, in­ dem er die alte Stadt Byzanz erweiterte und vergrößerte; sie heißt seitdem Constantinopel.

2) „Der Entschluß Pippins, auf die Aufforderung Stephans einzugehen, war epoche­ machend im vollen Sinne des Wortes; er hat der Geschichte der nächsten Jahrhunderte ihre Richtung gegeben; denn durch ihn ist jene enge Verbindung zwischen dem fränkischen Reiche und dem Papsttum begründet worden, welche dem mittelalterlichen Staat und der mittelalterlichen Kirche ihr eigentümliches Gepräge verliehen hat." Hauck- KG Deutschlands II, S. 28. 2) Vgl. Nr. 12 b. 3) Vgl. die deutsche Erzählung vom „armen Heinrich."

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So die Sage, die den römischen Bischof Sylvester verherrlicht*) — die Ge­ schichte weiß von dem allen nichts; das freilich ist an der Sage richtig, daß die Verlegung der Residenz von Rom nach Constantinopel dem Papste von Nutzen ge­ wesen ist; infolge dessen hatte er keinen Kaiser neben sich, und er selber trat in den Augen des Volkes mehr und mehr, wie oben bemerkt worden ist, an die Stelle des römischen Kaisers. Diese Erzählung von der Schenkung des Kirchenstaates an den Papst durch den Kaiser Constantin ist eine bewußte Entstellung der geschichtlichen Wahrheit, wie sie vom sechsten Jahrhundert an aufgekommen und bis ins Mittelalter durch Erdichtung immer neuer Dokumente und Fälschung vorhandener Urkunden weiter ausgeführt worden ist?)

e. Eine Steigerung ihrer Macht verdanken die Päpste auch einem ge­ fälschten Buche, welches um das Jahr 850 in der Kirche auftauchte und bald zu Ansehen gelangte, den sogenannten Pseudo-Jsidorischen Decretalien. Es hatten nämlich allmählich die verschiedenen Kirchen die in ihrem Gebiete geltenden Gesetze in Rechtsbüchern zusammengestellt; für die spanische Kirche war dies durch den Bischof Jsidorus von Hispalis (c. 550) ge­ schehen. Dieses Jsidorische Kirchenrechtsbuch erschien nun um das Jahr 850 in einer erweiterten Form, indem es mit erdichteten Bestimmungen der ältesten Päpste (vom Jahre 91—314), die bis dahin niemand kannte, und mit einigen späteren Stücken vermehrt worden war. Über Zeit und Ort wie überden Urheber und die Absicht der Fälschung sind die Ansichten geteilt; das ist aber heute auch von den meisten Katholiken zugestanden, was schon um das Jahr 1500 erkannt worden ist, daß das Buch in dieser Form eine Fälschung ist. „In diesem Buche hat sich eine Fälscher-Gesellschaft, die in der Geschichte nicht ihresgleichen hat, das Material verschafft, das den Zwecken ihrer Partei dienen sollte. Das Verfassungsbild der Kirche, das dieser Fälschung vorschwebt, ist eine Hierarchie, welche völlig unabhängig und hoch erhaben über dem Laienstande steht, die Inhaberin des göttlichen Rechtes, mit dem sie den Laienstand leitet und erzieht, Richterin über ihn, aber nicht von ihm gerichtet. Das Gerippe dieser Hierarchie bilden die Bischöfe, über denen die Metropoliten stehen mit beschränkter Gewalt, über beiden das Papsttum mit unbeschränkter Gewalt, der Angelpunkt der ganzen Kirche." Die Päpste würden auch ohne die Pseudo-Jsidorischen Decretalien ihre Macht erlangt haben, aber sie haben an diesem Buche doch eine Stütze für ihre Ansprüche gefunden, welche sich als so kräftig erwies, daß selbst die Aufdeckung dieser Fälschung es nicht mehr vermocht hat, das Gebäude der päpstlichen Allgewalt in der Kirche zu erschüttern?) f. Derjenige römische Bischof, der von dem neuen Gesetzbuch, den Pseudo-Jsidorischen Decretalien, zuerst Gebrauch gemacht hat, und dem es auch wirklich gelungen ist, Kirche und Staat in der Weise sich unterthänig

*) Im Kalender steht mit Rücksicht auf diese Sage der Name Sylvester am 31. Dezember: mit ihm endet die alte (heidnische) Zeit, und es folgt die neue (christliche) Zeit, indem der Kaiser von Rom Christ wird. 2) Vgl. Döllinger-Friedrich, das Papsttum (1892) I, § 4. s) K. Müller KGI. §110,4; vgl. auch Döl linger-Friedrich, das Papsttum (1892) II, § 1 u. S. 375, Anm. 6 (Neueste Verfechter der Echtheit dieses Buches). 4) Über spätere Fälschungen zu Gunsten der Macht des Papsttums siehe DöllingerFriedrich, das Papsttum (1892) II, § 12 u. § 14.

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zu machen, wie es nach diesem Gesetzbuch sein soll, wie es aber noch keinem der früheren Päpste gelungen war, ist Nikolaus I. (858—867). Zwar die griechische Kirche vermochte auch er sich nicht zu unterwerfen, wie unten dargelegt werden soll; aber wohl gelang ihm das im Abendlande. In der älteren Zeit stand nämlich, wie früher gezeigt worden ist/) jede Gemeinde selbständig neben der anderen, später wenigstens jeder Bischof selbständig neben dem anderen, noch später aber war wenigstens jeder Metropolit oder Patriarch in seinem Gebiete selbständig. Das suchten die römischen Bischöfe zu ändern, indem sie verlangten, daß alle Bischöfe, Metropoliten und Patriarchen ihnen Unterthan seien. Dem Papste Nikolaus gelang es nun, diese Forderung gegenüber dem mächtigen Metropoliten oder Erzbischof Hinkmar von Rheims zur Geltung zu bringen. Derselbe hatte nach altem Rechte einen Bischof abgesetzt; Nikolaus erklärte, das dürfe nur der Papst, und der Erzbischof mußte es sich gefallen lassen, daß der von ihm abgesetzte Bischof in seinem Amte blieb. Sogar einem weltlichen Fürsten gegenüber blieb der Papst sieg­ reich. König Lothar II. von Lothringen wollte nämlich seine rechtmäßige Gemahlin verstoßen und sich eine andere nehmen, die ihm besser gefiel. Er klagte deshalb seine Gemahlin der Untreue an; aber das Gottesgericht des siedenden Wassers, das ein Diener für sie bestand, fiel zu ihren Gunsten aus. Trotzdem warf Lothar seine Gemahlin ins Gefängnis und ließ sie foltern, um sie zu einem Geständnis der Untreue zu zwingen; auf dasselbe hin wurde sie von zwei Bischöfen für schuldig erklärt. Da wandte sich die unschuldige Frau an den Papst. Derselbe schickte zwei Bischöfe ab, um die Sache zu untersuchen. Als dieselben sich vom König bestechen ließen, sprach Nikolaus über sie den Bann; als er nun die Unschuld der angeklagten Frau erkannte, setzte er die beiden Bischöfe ab und forderte den König auf, seine Gemahlin zu behalten. König und Papst starben aber beide, ehe die Ver­ handlung über diese Sache ihr Ende fand. Erst nach zweihundert Jahren hat es wieder Päpste gegeben, die mächtig genug waren, weltliche Herrscher und Bischöfe in gleicher Weise ihre Über­ macht fühlen zu lassen. g. Zunächst nämlich schien es, als sollte das Papsttum rasch wieder zu Grunde gehen durch äußere Feinde und die eigene Schlechtigkeit der Inhaber des römischen Stuhles. Wie schändlich es im zehnten Jahrhundert am Hofe des römischen Bischofs zugegangen ist, das zeigen nicht bloß die Berichte der Geschicht­ schreiber, das zeigt ebenso die folgende Sage, die, wenn sie auch nicht wahr sein wird, doch einen guten Sinn hat. In männlicher Kleidung, so heißt es, hatte ein kluges Weib, Namens Johanna, viele Reisen gemacht und sich bedeutende Kenntnisse erworben; endlich wurde sie sogar zum Papst gewählt; aber bei einer Procession zwischen der Peterskirche und der Laterankirche fiel sie plötzlich nieder, und nachdem sie einem Kinde das Leben geschenkt hatte, gab sie den Geist auf?) Diese Geschichte von der sogenannten Päpstin Johanna, die man sich im Mittelalter vielfach erzählte und glaubte, ja sogar auf der Bühne darstellte, die man jetzt aber nicht mehr für eine wahre Geschichte hält. ’) Vgl. Nr. 13. 2) Die Sage nennt das Jahr 855 — das Jahr 955 würde zur Geschichte besser paffen.

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zeichnet nicht übel die Zeit, in welcher schändliche Weiber den päpstlichen Stuhl mit ihren Liebhabern und ihren Kindern zu besetzen pflegten, bis Kaiser Otto I. im Jahre 963 dem Unwesen ein Ende machte. Als nämlich der Papst Johann XII., einer dieser verworfenen Päpste, von seinen Feinden schwer bedrängt war, da wandte er sich an den Kaiser Otto I. um Hülfe. Der Kaiser zog nach Italien und besiegte des Papstes Feinde; Johann krönte dafür Otto zum Kaiser in feierlicher Versammlung in der Peterskirche (962), und seitdem sollte das Kaisertum mit dem deutschen Königtum für immer verbunden sein. Aber bald reute es den lasterhaften Papst, der allen seinen Lüsten nachging und sich nicht scheute unschuldiges Blut zu vergießen, daß er Otto zum König gekrönt hatte. Der fromme und ernste Kaiser aber gedachte die Ubelstände abzustellen, die er in der Kirche wahrgenommen hatte. Als sich nun der Papst mit den Feinden des Kaisers verband, da berief Otto die Bischöfe von Deutschland und Italien zusammen, damit sie über des Papstes Frevel das Urteil sprächen. Wegen Meineides, Verräterei und lasterhaften Lebens wurde der angebliche Statthalter Gottes im Jahre 963 abgesetzt und ein neuer Papst gewählt; mitten in seinen Sünden ereilte den abgesetzten Johann bald nachher ein plötzlicher Tod. Otto ließ nun einen neuen Papst wählen, den er gegen alle Angriffe der Feinde beschützte, und die Römer mußten versprechen, künftig keinen Papst ohne des Kaisers Genehmigung zu wählen. So war derKaiseralsder oberste Herr auch der Kirche anerkannt. Bald aber wurde es mit dem Papsttum wieder recht schlimm. Im Jahre 1045 verkaufte der Papst Benedikt IX. seine Würde für lausend Pfund Silber an einen anderen, Gregor VI. Als er aber das Geld hatte, legte er doch seine Würde nicht nieder. Bald gab es neben den beiden noch einen dritten Papst, Sylvester III. Alle drei verfluchten sich nun gegenseitig und die Anhänger ihrer Gegner, so daß jeder Christenmensch im doppelten Bann war; infolge dieser Spaltung schien das Papsttum zu Grunde zu gehen. Da erschien der deutsche Kaiser Heinrich III. in Italien; auf der Synode zu Sutri im Jahre 1046 wurden alle drei Päpste abgesetzt, und der fromme Bischof von Bamberg, Clemens II., wurde als Papst eingesetzt. So haben die deutschen Kaiser immer aufs neue das Papst­ tum geschützt und gefördert; ohne ihr Eingreifen wäre das­ selbe vielleicht zu Grunde gegangen; sie haben dafür von den Päpsten nur Undank geerntet. h.1) Aber wenn nun auch im Abendlande des Papstes Oberherrschaft sich immer mehr befestigte, so gelang es ihm dagegen nicht, die Kirche des Morgenlandes sich unterthänig zu machen. Nachdem schon vielfach die mor­ genländische und die römische Kirche mit einander gestritten hatten, kam es endlich im neunten Jahrhundert zu vorübergehender, im elften zur dauernden Trennung beider Kirchen. Der griechische Kaiser hatte näm­ lich einen neuen Patriarchen von Constantinopel eingesetzt, und er wünschte, daß der Papst die Absetzung des alten für recht erkläre. Aber der damalige Papst Nikolaus I. machte dem Kaiser Vorwürfe darüber, wie er es habe wagen können, ohne Vorwiffen des römischen Stuhles einen Patriarchen ab­ zusetzen. Der Kaiser blieb aber bei seinem Entschluß. *) Vgl. Nr. 23.

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Dazu kam noch ein Streit über einige Unterschiede in Glauben *) und Sitte,2) aber besonders darüber, ob die Bulgaren der griechischen oder der römischen Kirche Unterthan sein sollten. In diesem Streite sprachen beide kirch­ liche Oberherren über einander den Bann (867); es war also die ganze Christenheit im Bann. Nach einiger Zeit aber wurde nach dem Sturze des Patriarchen die Kirchengemeinschaft wiederhergestellt. Als in der Folgezeit die Päpste immer mächtiger wurden, wollten sich die Griechen den Römern erst recht nicht unterwerfen, und im Jahre 1054 wurde von den beiden Kirchenhäuptern aufs neue der Bann gegen die andere Kirche gesprochen, und seitdem waren beide Kirchen für immer von ein­ ander getrennt. Als in der Zeit der Kreuzzüge die Abendländer eine Zeit lang in Constantinopel herrschten (1204—68), wurden die Griechen noch hef­ tigere Feinde der Römer. Zwar versprachen im Jahre 1274 auf dem Concil von Lyon die Griechen, sich dem Papste zu unterwerfen, aber sie versprachen es nur, um von den Abendländern nicht bekämpft zu werden. Ebenso ver­ sprachen sie aufs neue 1439 auf dem Concil von Florenz, sich zu unterwerfen, aber nur, um Hülfe gegen die Türken zu erhalten. Zur wirklichen Wieder­ vereinigung der beiden Kirchen ist es nicht mehr gekommen. Obwohl sich nämlich beide Kirchen in Glaube und Sitte fast gar nicht unterscheiden, so wollen doch einmal die Griechen von der Herrschaft des Papstes bis auf den heutigen Tag nichts wissen, und sie sind ihm überhaupt niemals Unterthan gewesen, indem der Papst in der alten Zeit kaum im Abendlande eine gewisse Herrschaft über die Kirche ausgeübt hat, fast niemals im Morgenlande.

33. (29 ) Das Papsttum auf der Höhe seiner Macht. a. Als Karl der Große vom Papste im Jahre 800 zum römischen Kaiser gekrönt worden war, galt der deutsch-römische Kaiser, als der Nach­ folger der alten Römer-Kaiser, für den obersten Herrn der Erde, der auch über dem Papste, dem Herrn der Kirche, stehe. Die tüchtigen Nachfolger von Karl dem Großen, Otto I. und Heinrich III., hatten diese Oberherrschaft über die Kirche geübt, und in Deutschland war der Kaiser das Haupt auch der Kirche. An die Stelle der allgemeinen vom Kaiser und den Concilien geleiteten Kirche, wie sie im alten römischen Reiche vorhanden gewesen war, waren nämlich im Mittelalter zunächst Nationalkirchen getreten, welche unter einander und mit Rom nur in sehr loser Verbindung standen, und in denen die Fürsten als die Landesherren, und die Grundbesitzer als die Herren des Bodens, auf welchem Kirchen und Klöster standen, eine „große Rolle spielten, indem sie Priester und Bischöfe für ihre Kirchen und Äbte für ihre Klöster selbständig einsetzten, wobei sie mehr auf ihren eignen Nutzen als auf das Wohl der Kirche sahen, und über das Kirchengut frei verfügten. Diesen Zustand, den er vorfand, hatte Otto I. zum Nutzen des Reichs wie der Kirche so geordnet, daß die Übertragung des Kirchengutes seitens des Kaisers durch die Investitur (mit Ring und Stab) an die Geistlichen erfolgte, von denen der Kaiser für die Übertragung des weltlichen Gutes allerdings auch bedeutende Leistungen zum Nutzen des Reiches forderte, wofür aber ihre Besitzer durch

*) Vgl. Nr. 17 e. a) Kinderkommunion, Kelchentziehung und Priesterehe.

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den Schutz des Landesherrn auch gegen die Willkür habgieriger Nachbaren gesichert waren und zu angesehenen Beamten des Kaisers wurden. Durch diese Abhängigkeit der Bischöfe vom Kaiser wurde eine deutsche Nationalkirche gegründet, welche bis zur Zeit Gregor's VII. bestanden hat, vom Kaiser und den von ihm eingesetzten Bischöfen geleitet, fast unabhängig vom Papste. b. Dieser in die Kirche eingedrungenen Macht des Laientums trat nun die namentlich vom Kloster Clugny ausgehende und zunächst das Kloster­ leben betreffende, *) bald aber das ganze kirchliche und staatliche Leben be­ rührende Reformbewegung gegenüber, welche die Kirche zunächst sittlich refor­ mieren, aber dieselbe auch von der Laienwelt wieder unabhängig machen wollte, indem sie das Recht der Grundherren und der Landesherren bekämpfte, Priester und Bischöfe nach ihrem Belieben einzusetzen, und dadurch über das Kirchengut in ihrem Interesse zu verfügen. Dieses Streben der Reform­ partei von Clugny fand eine Stütze auch in den Pseudoisidorischen Dekretalien, welche ja den Bischof und den Papst zu selbständigen Herren gegenüber der Laienwelt und den Fürsten zu machen suchten. Um diesen Gedanken in der Kirche durchzuführen, richtete sich der Kampf der Reformpartei zunächst gegen die sogen. Simonie. Wenn man mit diesem Worte in der früheren Zeit nur den Kauf und Verkauf der geistlichen Weihen bezeichnet hatte,-) so bezeichnete man später damit alle Handlungen, in denen die Eigentümer von Kirchen und Klöstern, Geistliche wie Laien, die aus ihrer Stellung fließenden Rechte (Übertragung geistlicher Stellen oder geistlicher Güter) für Geld ausübten. Mit der Frage der rechten Verwendung des Kirchenguts hing auch die Frage der Priesterehe zusammen, welche nicht bloß deshalb verboten wurde, um den seit alter Zeit geforderten Cölibat der Geistlichen endlich durchzuführen, sondern auch um zu verhüten, daß das Kirchengut dazu benutzt würde, um die Familie des Geistlichen zu versorgen. Der Sicherung des Kirchengutes sollte zunächst auch der von Clugny aus ge­ forderte und im Jahre 1040 in Frankreich durchgesetzte Gottesfriede dienen, durch welchen für bestimmte Tage und Zeilen jegliche Fehde unter­ sagt wurde. . Aber der sittlichen Reform und dem Streben nach Sicherung des Kirchengutes durch die Zurückdrängung der Laienwelt ging auch noch zur Seite das Streben nach Durchführung der päpstlichen Herrschaft über die Kirche im Sinne der Pseudoisidorischen Decretalien; die National­ kirchen sollten zu Provinzen der päpstlichen Kirche werden. c. Als die von Clugny ausgegangene Neformbewegung über die Klöster hinausdrang in die Kirche und in die Welt, und als dieselbe in Kaiser Heinrich III. einen Anhänger und in dem zweiten der von ihm eingesetzten Päpste, Leo IX. (1048—1054), einen Vertreter fand, da begann für die Kirche eine Zeit des Aufschwungs zu einer Macht, welche Staat und Welt für lange Zeit in den Schatten stellte. Als nämlich nach Heinrichs III. Tode sein noch unmündiger Sohn

’) Vgl. Nr. 38. e) Wie der Zauberer Simon (Apg. 8) dem Petrus Geld geboten hatte für die Macht, den h. Geist zu verleihen, so gab und empfing man Geld für die Übertragung und den Empfang geistlicher Ämter.

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Heinrich IV. sein Nachfolger wurde, da bestieg den päpstlichen Thron ein Mann, wie er selten auf dem Stuhle Petri gesessen hat. Hildebrand, ein Mann von niedriger Herkunft, war Geistlicher, später Mönch im Kloster Clugny gewesen und allmählich Cardinal geworden; schon als solcher war er es eigentlich, der die Kirche regierte. Von ihm geleitet, bestimmte Papst Nikolaus II. im Jahre 1059, daß der Papst nicht mehr von den Römern, sondern von dem Cardinalskollegium*) gewählt werden solle; auch die Rechte des Kaisers bei der Papstwahl wurden nur noch in beschränkter Weise anerkannt. Endlich wurde Hildebrand selber Papst (im Jahre 1073) unter dem Namen Gregor VII. Was Gregor im Anschluß an die Reform von Clugny und an die Pseudoisidorischen Decretalien erstrebte, war nun folgendes. Die Kirche, welche bisher vom Papste abhängig war, sollte von der weltlichen Macht ganz un­ abhängig werden (daher schon im Jahre 1059 das neue Gesetz über die Papstwahl, sodann das Verbot der Laieninvestitur und der Simonie und endlich der Kampf gegen die Priesterehe). Während sodann nach dem älteren Kirchenrechte die Bischöfe noch immer ihren Sprengel selbständig regierten, sollte fortan der Papst der unbeschränkte Oberherr der Kirche im strengsten Sinne des Wortes werden?) Endlich aber sollte der Papst sogar der Ober­ herr aller Länder und Fürsten werden, so daß dieselben sämtlich im Papste ihren obersten Landesherrn erblickten (daher der Kampf mit dem Kaiser, welcher sich ebenso wie der Papst als den obersten Landesherrn betrachtete). Diese Gedanken, welche den Gedanken der Clugny'schen Reformbewegung und den Grundsätzen der Pseudoisidorischen Decretalien entsprechen, gingen weit hin­ aus über das, was die früheren Päpste erstrebt und erreicht hatten, und es gehörte ein Mann wie Gregor dazu, um solche Pläne zu fassen und an­ nähernd zu verwirklichen. Bald nach seiner Thronbesteigung ging nun Gregor daran seine Pläne auszusühren. Zunächst erneuerte er im Jahre 1074 das alte Kirchengebot des Cölibats für die Geistlichen?) Noch immer waren viele Geistliche heim­ lich oder öffentlich verheiratet. Um das Kirchengut sicher zu stellen und die Kirche vom Staate unabhängig zu machen, brauchte Gregor, wie er meinte, unverheiratete Geistliche. Es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn er be­ fohlen hätte, fortan nur unverheiratete Geistliche anzustellen; Gregor ver­ langte aber, daß alle Geistlichen sofort ihre Frauen und Kinder verstießen, und dazu ersann er eine neue Lehre, daß die heiligen Handlungen eines ver­ heirateten Geistlichen ungültig, ja sündlich seien. Gegen dieses Gebot erhob sich von feiten der Geistlichkeit der heftigste Widerstand; aber Gregor wußte denselben zu brechen, indem er durch die Mönche das Volk gegen die ver­ heirateten Geistlichen aufhetzte. Da begannen nun furchtbare Verfolgungen der armen Geistlichen, und der Pöbel freute sich, über dieselben herfallen zu können. So hat denn Gregor in der That sein Gebot durchgesetzt; aber trotzdem glaubt heute kein Evangelischer, daß der katholische Geistliche durch ’) Vgl. Nr. 34 A. 2) Daß aber der Papst der Herr der ganzen Kirche wurde, wurde durch die Trennung der griechischen von der römischen Kirche vereitelt; vgl. Nr. 32. 8) Vgl. Nr. 34. Heidrich, Kirchengeschichte.

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den erzwungenen Cölibat bester wird als der verheiratete Geistliche der älteren oder der heutigen griechischen und der evangelischen Kirche. Wenn aber die vom weltlichen Leben losgeriffene Geistlichkeit wirklich von der Laienwelt unabhängig und dem Papste Unterthan sein sollte, so durften die Geistlichen ihre Ämter nicht mehr vom Staate, sondern sie mußten sie nur von der Kirche empfangen. Das erstrebte Gregor, indem er im Jahre 1075 das Verbot der Simonie erließ. Um die Simonie unmöglich zu machen, verbot Gregor, daß ein Geistlicher eine Stelle von einem Weltlichen erhalte; die Geistlichen sollten ihre Stelle von einem Bischof, die Bischöfe durch die Wahl der Geistlichen, die Äbte durch die Wahl der Mönche erhalten; der Laie, der noch weiter einem Geistlichen durch Überreichung von Ning und Stab, die Abzeichen der geistlichen Würde, die Investitur erteile, d. h. eine geistliche Stelle übertrage, wurde mit dem Banne bedroht. Seit Jahr­ hunderten aber war es allgemein in allen Ländern üblich, daß die Landes­ herren die geistlichen Stellen besetzten, denn mit jeder geistlichen Stelle war ja Landbesitz verbunden, und es konnte dem Landesherrn nicht gleichgültig sein, wer durch den Landbesitz sein Lehnsmann würde. Auch war es nicht unbillig, daß der Verleiher einer geistlichen Stelle in einer Zeit, wo die Fürsten fast noch keine Abgaben erhielten, bei Besetzung einer Stelle sich vom Empfänger etwas geben ließ. Der Papst selber thut noch heute ganz das­ selbe, da ja ohne Abgaben auch er nicht die Kirche regieren kann; jeder Bischof zahlt für seine Bestätigung noch heute eine bestimmte Summe an die päpst­ liche Kaste. Ob das Geld an den Papst oder an den Kaiser gezahlt wird, das macht doch wohl keinen solchen Unterschied, daß darum der Kaiser ein Sünder ist und der Papst nicht, wenn er das Geld nimmt. Während nun in anderen Ländern des Papstes Verbot leichter zur Geltung gebracht werden konnte, versuchte Gregor dasselbe in Deutschland zunächst vergeblich zur Geltung zu bringen. Die deutsche Kirche war seit 250 Jahren vom Kaiser und von den Landesherren geleitet und von ihren Bischöfen selbständig regiert worden; es war kein Wunder, daß der Kaiser und die Bischöfe sich nicht sofort von Gregor beherrschen lassen wollten. So kam es denn hinsichtlich der angeblichen Simonie — und andere Streit­ punkte waren noch dazu gekommen — zum Kampfe zwischen Heinrich IV. und Gregor VII.; der Kaiser erklärte in dem jetzt ausbrechenden Kampfe den Papst im Jahre 1076 für abgesetzt, und der Papst that hinsichtlich des Kaisers dasselbe; des Papstes Bannfluch wirkte aber bei den Deutschen mehr als des Kaisers Machtspruch. Bald mußte Heinrich vor Gregor sich demütigen; mitten im Winter zog der Kaiser über die Alpen, und er stand nun in der Tracht der Büßer, barfuß und im wollenen Hemde, drei Tage lang, vom 25. bis 27. Januar 1077 vom Morgen bis zum Abend im Hofe des Schlosses von Canosta, wo Gregor sich damals aufhielt; erst an: vierten Tage ließ der Papst den König vor sich, und derselbe versprach nun alles, was der Papst verlangte, um nur vom Banne losgesprochen zu werden?) Als er das erreicht hatte, erhob er sich gegen die Fürsten, die ihn dennoch

*) über die Bedeutung des Tages von Canossa vgl. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte (1891) 1, S. 315: „Im ganzen wird man Canosta als einen unge­ heuren politischen Erfolg Heinrich's IV. auffassen müssen, erkauft mit einer sachlich indifferenten persönlichen Demütigung."

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absetzen wollten, zu neuem Kampfe, der endlich zwar damit endete, daß Gregor VII., der auf die Seite der dem Kaiser feindlichen Fürsten trat, in Salerno bei den ihm unterthänigen und ergebenen Normannen starb; aber was er erstrebt hat, die Unabhängigkeit der Kirche vom Kaiser, die unbe­ dingte Herrschaft des Papstes in der ganzen Kirche des Abendlandes (die griechische Kirche war bereits seit dem Jahre 1054 von der römischen getrennt), ja, die Oberherrschaft des Papstes auch über Kaiser und Staat, haben des Papstes Nachfolger dennoch — die Herrschaft über den Staat freilich nur auf kurze Zeit — erreicht. Das nämlich hatte ja Gregor erreicht, daß die deutschen Fürsten — und ihrer Treulosigkeit ist dieser Sieg des Papstes über den Kaiser haupt­ sächlich zuzuschreiben — es als recht anerkannten, daß der Kaiser vom Papste nicht nur des Kaisertitels, den doch der Kaiser höchstens dem Papste ver­ dankte, sondern auch der Würde des deutschen Königs beraubt werden dürfe; Karl der Große, Otto der Große und Heinrich III. hatten anders gedacht und gehandelt. *) Das entsprach nun aber ganz den Gedanken des Papstes. Nach Gregorys Meinung beruht nämlich die Macht der Fürsten über ihre Unterthanen auf dem Teufel, der die Fürsten zu dem Hochmut verleitet hat, daß sie ihre Brüder beherrschen wollend) Alle Herrschaft in Kirche und Welt gehört dem Papste; alle Fürsten sind ihm zum Gehorsam verpflichtet und alle Reiche das Eigentum des heiligen Petrus. Deshalb hat der Papst das Recht, Fürsten ein- uud abzusetzen, und alle Fürsten sind verpflichtet ihm den Pantoffel zu küssen. Das waren Gregor's Gedanken; man kann sie bewundern, aber nicht für richtig halten; man muß auch bekennen, daß Gregor für seine Person nichts erstrebt hat; aber man darf es doch auch Luther nicht verargen, wenn er vom Papste sagte, was dieser von den Fürsten sagte, daß der Teufel dem Papste den Hochmut ins Herz gepflanzt hat, „zu herrschen über alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit." In der Bibel ist von dieser Macht des Apostelfürsten und seines Nachfolgers nichts zu lesen. Doch denkt die heutige evangelische Kirche vom Papste nicht mehr wie Luther, und nur noch in wenigen Gesangbüchern findet sich das Luther'sche Lied: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort" in der Lutherischen Faffung, wonach die zweite Zeile hieß: „Und steur' des Papstes und Türken Mord." Wir denken heute, wie schon oben dargelegt worden ist, anders vom Papste?) d. Gregor war gestorben, aber der Jnvestiturstreit dauerte fort, und erst nach mancherlei Schwankungen hat das zwischen Kaiser Heinrich V. und Papst Calixt II. abgeschlossene Concordat von Worms (1122) diesem Streite ein Ende gemacht. Dasselbe bestimmte, daß die Wahlen zu geistlichen Ämtern nur in Anwesenheit von Abgeordneten des Kaisers stattfinden dürften; der Gewählte sollte vom Kaiser durch die Belehnung mit dem Scepter die welt­ lichen Güter empfangen, welche auch weiter das Eigentum des Kaisers blieben, nachdem er diesem den Lehnseid geschworen; die Übertragung des geist­ lichen Amtes sollte fortan nicht mehr dem Kaiser gebühren, sondern der Kirche (und zwar dem Metropoliten oder Erzbischof) überlasten werden; die Investitur mit Ring und Stab fiel seitdem gänzlich weg. rsHl?Nr. 26 F und 32. 2) Vgl. Döllinger-Friedrich, das Papsttum (1892), S. 61. 3) Vgl. Nr. 31.

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Die Päpstlichen freuten sich, daß der Kaiser auf die Einsetzung in das Kirchenamt verzichtet hatte; die Kaiserlichen sagten, der Kaiser habe zu viel preisgegeben; und sie hatten bald noch mehr Recht zu murren, denn bald wurde der Erwählte zuerst in das Kirchenamt eingesetzt und dann erst vom Kaiser belehnt; das war für Deutschland ausdrücklich verboten worden, jenseits der Alpen gestattet; seit dem Jahre 1209 hörte auch in Deutschland der Einfluß des Kaisers auf die Bischofswahl auf?) Damit hatte es also der Papst in der Hand, zu bestimmen, wem die reichen weltlichen Güter der Kirche im deutschen Reiche zufallen sollten; der Kaiser konnte wenig dagegen ausrichten, daß des Reiches Feinde und Fremdlinge in Deutschland die kirchlichen Stellen und damit zugleich die weltlichen Güter und Rechte überkamen. So ist es übrigens in Deutschland bis zum Jahre 1803 geblieben, wo die noch übrigen geistlichen Gebiete durch den Reichsdepu­ tationshauptschluß säkularisiert wurden. Seitdem die Bischöfe keine Landes­ herren mehr sind, ist die Jnvestiturfrage nicht mehr vorhanden; die neueren Streitigkeiten über die Besetzung der geistlichen Stellen haben einen anderen Grund, nämlich den, daß der Staat es sich als sein Recht vorbehält, dem vom Papste eingesetzten Bischof für sein kirchliches Amt die staatliche Aner­ kennung zu gewähren oder zu versagen. e. Im Jnvestiturstreite hatte schließlich zwar der Papst seinen Willen nicht ganz durchgesetzt, aber auch der Kaiser die früheren Rechte nicht behauptet; jedenfalls hatte der Papst an Macht gewonnen. Noch mehr wuchs die Macht der Päpste durch die in dieser Zeit aufkommenden Kreuz­ züge, durch welche des Papstes Herrschaft, nach der Verdrängung des Islam, auch über die griechische Kirche aufgerichtet werden sollte. Auch der mäch­ tige Friedrich Barbarossa mußte sich im Jahre 1177 vor dem Papste Alexander III. zu Venedig beugen, nachdem er selber im Jahre 1155 einen kühnen Gegner des Papsttums, Arnold von Brescia, dem Papste zur Hin­ richtung ausgeliefert hatte. Arnold wollte nämlich den Papst auf das Kirchenregiment beschränken (wie das seit 1870 der Fall ist), und der Kaiser sollte alle weltliche Macht des Reiches besitzen; Friedrich hatte diesen Bundes­ genossen verkannt oder verschmäht; aber die Herrschaft über die deutsche Kirche und Geistlichkeit hatte Friedrich I. gegen den Papst behauptet. Als der Kaiser auf dem Kreuzzuge im Jahre 1190 starb und sein Sohn Heinrich VI., welcher Kirche und Staat mit gleicher Macht beherrscht hatte, seinem Vater schon im Jahre 1197 ins Grab folgte, da war wieder nur ein Kind als Träger der Krone vorhanden, wie zur Zeit Heinriche IV., und wieder bestieg jetzt den päpstlichen Thron ein Mann wie Gregor VII.; es war dies Jnnocenz III., der mächtigste und glücklichste Papst des Mittelalters (1198—1216). In Deutschland war es für ihn am leichtesten, zu Ansehen zu gelangen. Philipp von Schwaben und Otto IV. stritten um die Krone, und des Papstes Beistand war für beide Parteien sehr wichtig; zwar siegte Philipp, des Papstes Gegner, über Otto, aber im Jahre 1208 wurde der­ selbe ermordet, und nun wurde Otto König, des Papstes Schützling. Als dieser aber des Kaisers Rechte gegen die Forderungen des Papstes mehr und mehr geltend machte, stellte ihm Jnnocenz einen Nebenbuhler gegenüber in Friedrich H., dem nun herangewachsenen Königskinde, der nach kurzem

*) Ein Überrest dieses Rechtes der Laien ist noch heute im Patronat erhalten.

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Kampfe gegen Otto in Deutschland allgemeine Anerkennung erlangte. Doch auch Friedrich wäre, gleich wie Otto, mit seinem bisherigen Beschützer, dem Papste, in Streit geraten, wenn nicht Jnnocenz im Jahre darauf gestorben wäre. Mit seinen Nachfolgern hat Friedrich II. die heftigsten Kämpfe zu bestehen gehabt. Nicht anders verhielt sich Jnnocenz zu den andern Fürsten. In der Meinung, daß der Herr der Kirche auch der Herr der Welt sei, forderte er von allen Fürsten die Anerkennung seiner Oberherrlichkeit und einen jähr­ lichen Zins, den Peterspfennig, für den apostolischen Stuhl. Jnnocenz III. war in der That das, wofür Gregor VII. den Papst erklärt hatte, der König aller Könige und der Herr aller Herren. Einen würdigen Abschluß seiner Regierung bildete die große Kirchenver­ sammlung, ein sogenanntes Lateranconcil/) das Jnnocenz III. im Jahre 1225 abhielt, das aber nur vom Martinstage (11. November) bis zum 30. November dauerte, da die Bischöfe bei diesen päpstlichen Concilien nicht mehr zu verhandeln, sondern nur der Vorlage des Papstes zuzustimmen hatten. ^) Gegen 500 Bischöfe — auch aus dem Orient — und 900 Äbte, viele Gesandte von Fürsten und Städten, im ganzen 2282 Personen, nahmen am Concil teil. Bei der Eröffnung desselben war das Gedränge so groß, daß ein Erzbischof im Vorhose der Kirche erdrückt wurde. Zunächst wurde über den Glauben der Kirche verhandelt, und es wurde namentlich die Lehre festgestellt, daß im heiligen Abendmahl Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt werde.") Auch wurde festgestellt, wie es mit den Ketzern gehalten werden sollet) Demnächst wurde über die Sitten verhandelt, itnb namentlich den Geistlichen wurden allerlei ernste Mahnungen gegeben. Auch über den Gottesdienst wurde beraten; namentlich wurde festgesetzt, daß jeder Laie wenigstens einmal im Jahre zur Ohren­ beichte und zum heiligen Abendmahl gehen müsse.5) Wenige Monate nach dem Schluffe des Concils ist Jnnocenz III. gestorben (1216); er war noch größer als Gregor VII.; was dieser zum Teil nur erstrebt hat, hat Jnnocenz III. wirklich erreicht: die Oberherrschakr des Papstes über Kirche und Welt. Seine Nachfolger haben es erreicht, daß das Geschlecht der Hohenstaufen, nachdem Friedrich II. fast sein Leben lang gegen die Päpste gekämpft hatte, in Italien (1268) seinen Untergang gefunden hat; aber des Papstes Über­ macht sollte bald einem gleichen Schicksal erliegen. f. Der letzte große Papst des Mittelalters war nämlich Bonifatius VIII. (1294—1303); 6) als derselbe nach Art von Jnnocenz HI. versuchte, sich als Oberherrn der Fürsten zu zeigen, namentlich auch in einem Streite 0 Im Lateran, dem damaligen Wohnsitz der Päpste, wurde das Concil abgehalten; jetzt wohnen sie im Vatikanischen Palast. 2) „Als aber die Bischöfe Rom verlassen wollten, verbot es ihnen der Papst, bis sie ihm große Geldsummen gezahlt hatten, die sie von den Geldmaklern der päpstlichen Curie mit Wucherzinsen entleihen mußten/' Döllinger-Friedrich, das Papsttum (1892), S. 83. 3) Vgl. Nr. 34 e. 4) Vgl. Nr. 82 c. 6) V^l. Nr. 36. 6) Auch die Päpste dieses Namens sind mit t (nicht mit c) zu schreiben, vgl. Theol. Jahresbericht II, 134.

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zwischen Frankreich und England, da erklärte Philipp August von Frank­ reich, der Papst habe in weltlichen Sachen ihm gar nichts zu befehlen. Als der König den Geistlichen schwere Abgaben auflegte, bedrohte ihn der Papst mit dem Bann. Da verbot der König Geld ins Ausland zu senden, und nun hatte der Papst aus Frankreich keine Einnahme mehr. Da nahm der­ selbe seine Drohung zurück und darauf der König auch sein Verbot. Bald kam es aufs neue zum Streite; eine Bulle, die der Papst an den König erließ, wurde von diesem ins Feuer geworfen?) Als der Papst die französischen Geistlichen nach Rom berief, um mit ihnen zu beraten, wie man den König zum Gehorsam gegen den Papst bringe, verbot Philipp August bei strenger Strafe die Reise nach Rom. Trotzdem langte eine Anzahl französischer Geistlichen in Rom an, und auf dem nunmehr abgehal­ tenen Concil (1302) wurde die berühmte, noch geltende Bulle „Unam sanctam“ festgestellt, worin es heißt, Gott habe der Kirche beide Schwerter, das geist­ liche wie das weltliche, übertragen, jenes müsse von der Kirche, dieses für die Kirche nach dem Winke des Papstes geführt werden; alle Menschen müßten sich bei Verlust ihrer Seligkeit dem Papste unterwerfen. Philipp aber blieb hartnäckig; als nun Bonifatius über ihn den Bann sprach, rief der König die Vornehmen seines Landes zusammen, und es wurde beschlossen, vom Papste an ein allgemeines Concil zu appellieren. Der Papst erklärte eine solche Appellation für unstatthaft. Im Jahre 1303 drang sogar der Kanzler des Königs, Wilhelm von Nogaret, mit Bewaffneten in Anagni ein, wohin sich der Papst begeben hatte. Auf dem Throne sitzend, in vollem Ornate, erwartete dieser die Feinde. Mit Schimpf und Spott wurde er gefangen genommen, bald aber von seinen Freunden befreit. Doch starb er bald darauf, wahrscheinlich infolge der gewaltigen Aufregung jener Tage. Mit ihm war der letzte der mächtigen Päpste des Mittelalters gestorben; er hatte vergeblich versucht, nach der Art von Gregor VII. und Jnnocenz III. den Fürsten zu gebieten; seinem Streben nach Herrschaft auch über den Staat trat bereits das erwachende Bewußtsein vom selbständigen Rechte des Staates entgegen. Bald sollte das Papsttum noch tiefer sinken?) Aber wenn es nun auch den Päpsten nicht gelungen ist, die im Mittelalter geübte Herrschaft über die Staaten und die Fürsten zu behaupten, so haben sie doch die seit Gregor VII. gewonnene Herrschaft über ihre Kirche bis auf den heutigen Tag behauptet.

III. Katholischer: Klaube und katholische Irrörnmigkeit.

34. (30. 31. 36.) Die Kirche in ihrer Bedeutung für den katholischen Christen. Einleitung. Zur weltbeherrschenden Macht war die Kirche durch die eben dargelegte Entwickelung des Papsttums im Mittelalter geworden — da war es denn 0 Aus dieser Bulle hat vielleicht ein königlich gesinnter Schreiber den Auszug veranstaltet, der in kurzen Worten den Gegensatz der beiden Parteien darstellt. Hier­ nach hätte der Papst an den König geschrieben: „Du sollst wissen, daß du in geist­ lichen und weltlichen Dingen uns unterworfen bist; anders Glaubende halten wir für Ketzer." Und der König hätte darauf erwidert: „Deine übergroße Narrheit (so statt der gewöhnlichen Anrede an den Papst „Deine Heiligkeit") soll wissen, daß wir in weltlichen Dingen niemandem Unterthan sind; anders Glaubende halten wir für Narren und Wahnsinnige." — 3) Vgl. Nr. 37.

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kein Wunder, daß dem Katholiken seine Kirche vorzugsweise als H errscherin über die Völker erschien. So betrachtet der Katholik seine Kirche noch heute, und dies ist um so mehr der Fall, als der Katholik, wenn er von der Kirche spricht, vornehmlich an Papst und Bischof und Priester denkt, die Träger der Kirchengewalt, denen gegenüber der Laie keine Bedeutung hat. Zur Herrscherin über die Völker war aber die römische Kirche des Abendlandes geworden zum Teil allerdings als Erbin der römischen Welt­ herrschaft, welche sich in der Herrschaft des in Rom residierenden Papstes in den Augen der Völker fortsetzte; aber es beruhte doch die Macht der Kirche zunächst darauf, daß sie als Lehrerin der Völker austrat, indem sie den im Mittelalter in die Geschichte eintretenden Völkern das Evangelium ver­ kündete und sie zum Christentum führte, wie oben dargelegt worden ist. Aber die Kirche verkündet nicht bloß das Heil, sondern nach katho­ lischer Meinung hat sie das Heil den Menschen auch einerseits zu ver­ bürgen und andererseits zu schaffen, und so erscheint die katholische Kirche auch als eine Heilsmittlerin für die Völker, ohne welche dieselben die Seligkeit nicht erlangen können. Als Herrscherin über die Völker, als Lehrerin der Völker und als Heilsm ittlerin für die Völker erscheint also die katholische Kirche ihren Anhängern; die Bedeutung dieser dreifachen Stellung der Kirche gegenüber ihren Anhängern soll im folgenden genauer dargelegt werden. A. Die Kirche als Herrscherin über die Völker; das Kirchen­ regiment in der katholischen Kirche.

a. Wenn der Papst der Nachfolger Christi und der Stellvertreter Gottes ist, so ist es natürlich, daß er sich als den Herrn der Kirche und der Welt betrachtet, dessen dreifache Krone bezeichnet, daß ihm Himmel und Erde und Unterwelt in gleicher Weise Unterthan seien; Papst Bonifatius VIII. hat im Jahre 1302 ausdrücklich erklärt, daß jede Kreatur bei Verlust der Seligkeit dem Papste Unterthan sein müsse. Da nun auch dieser Papst heute als un­ fehlbar angesehen wird, so versteht es sich von selbst — und Pius IX. hat dies ja auch in seinem Syllabus (1864)1) ausgesprochen — daß diese Lehre noch heute als Lehre der katholischen Kirche anzusehen ist; alle Katholiken müssen dem Papste Unterthan sein. Aber nicht bloß der Katholik ist dem Papste Unterthan, sondern „alles, was getauft ist, gehört dem Papste an" — so hat Pius IX. an Kaiser Wilhelm I. geschrieben,?) und wenn die andern Christen dem Papste heute noch nicht oder nicht mehr Unterthan sind, so ist das wenigstens ein beklagenswerter Zustand, der, wie der Katholik hofft, nicht ewig dauern wird ; es ist die Aufgabe der katholischen Christen, den Papst zum Herrn aller Christen zu machen. Zunächst freilich herrscht der Papst nur über die katholische Kirche — nicht über die morgenländische Kirche, die ihm eigentlich niemals Unterthan gewesen ist und seit dem Jahre 1024 sich ausdrücklich von der Kirche des Papstes losgesagt hat; nicht mehr über die evangelischen Kirchen, welche sich seit ihrer Entstehung vom Papste ebenfalls getrennt haben. Daß aber eine solche Trennung erfolgen konnte, ist die Schuld des *) Vgl. Nr. 84. 9) Vgl. Nr. 85.

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Staates, welcher der Kirche seine Mitwirkung zur Unterwerfung der Ketzer verweigerte. Der Staat hat nämlich nach der katholischen Lehre der Kirche gegenüber die Pflicht, das von ihr Festgesetzte, soweit sie es nicht selber durchzuführen vermag, mit seiner Zwangsgewalt (brachium saeculare) durch­ zuführen ; es war die Pflicht des Staates, über den gebannten Luther ohne nochmaliges Verhör sofort die Acht zu verhängen, da nur durch die darauf folgende weltliche Ächtung der kirchliche Bann die nötige Kraft er­ langen kann; es war die Pflicht des Staates, die Ketzer mit Gewalt zum katholischen Glauben zurückzuführen. Der heutige Staat stellt aber der Kirche seinen Arm nur noch in be­ schränkter Weise zur Verfügung; er zwingt die Glieder der katholischen Kirche, die von derselben ausgeschriebenen Abgaben zu zahlen, aber nur soweit die­ selben von ihm genehmigt sind; dagegen zwingt er nicht mehr seine Unter­ thanen dazy, der katholischen Kirche anzugehören, sondern es steht jedem Unterthanen frei, „nach seiner Fa^on selig zu werden," d. h. nach Belieben seinen Glauben zu wählen, also auch aus der katholischen Kirche auszutreten, ohne daß der über ihn (auch heute noch) verhängte Bann bürgerliche Strafen nach sich zieht. Die katholische Kirche hat gegen diese Anordnung des Staates und alle Konsequenzen derselben protestiert, aber alle diese Proreste haben an der Sache nichts zu ändern vermocht. b. Die große katholische Kirche, die, wie der Katholik mit Unrecht glaubt, dem Papste von je her Unterthan ist, kann nun der Papst ebenso wenig ohne Beamte regieren, wie irgend ein Herrscher sein weltliches Reich. Er hat des­ halb für die ganze Kirche Regierungsbehörden, und diese, zusammen mit seinem persönlichen Hofstaat und früher auch den Regierungsbehörden des Kirchen­ staates, heißen die päpstliche Curie, der römische Hof. Die kirchlichen Re­ gierungsbehörden werden aber aus den sogenannten Cardinälen (nebst unter­ geordneten Beamten) zusammengesetzt, und die verschiedenen Geschäfte werden von ihnen im Auftrage des Papstes besorgt. Die höchste Stelle am pästlichen Hofe ist die des Cardinalstaatssekretärs, dessen Stellung etwa die des Kanzlers neben dem Kaiser ist; das römische Volk nennt ihn den roten Papst (den Papst in Cardinalstracht) gegenüber dem weißen Papste (Rot ist die Farbe der Cardinalskleidung, Weiß die des Papstes). Nächst dem Papste nämlich haben die Cardinäle den höchsten Rang in der katholischen Kirche. Sie haben seit dem Jahre 1059 den Papst zu wählen, wozu sie sich in dem sogenannten Conclave versammeln, während vorher Kaiser und Volk, Adel und Priester bei der Papstwahl mitgewirkt hatten. Vornehmlich die Cardinäle sind des Papstes Ratgeber und Helfer bei der Regierung der Kirche, und nur aus ihrer Mitte pflegt der Papst gewählt zu werden. Meistens sind es Italiener, und von den andern Nationen stets nur wenige. Seit dem Jahre 1586 besteht das Cardinals-Collegium aus 70 Mitgliedern: dem Cardinal-Dekan (dem ältesten der Cardinalbischöfe) und 5 Cardinal-Bischöfen (Bischöfen benachbarter Städte), 50 Cardinal-Priestern und 14 Cardinal-Diakonen — die letzten beiden Klassen gelten als Priester und Diakonen einer Kirche oder einer kirchlichen Anstalt der Stadt Rom. Selten ist das Collegium vollzählig, meist sind einige Stellen unbesetzt, oder der Papst hat sie zwar besetzt, aber die Namen der Gewählten noch in petto2) d. h. für sich behalten, bis er sie später bekannt macht.

*) D. i.: in pectore, in der Brust.

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So beherrscht also der Papst vermittels der Curie (und der Cardinäle) die Kirche im ganzen, und, wie alsbald gezeigt werden wird, durch die von ihm abhängigen Bischöfe jede einzelne Kirchenprovinz im besonderen. Außer­ dem schickt der Papst in alter, wie in neuer Zeit auf kürzere Zeit oder auch dauernd besondere Beamte in die wichtigeren Länder (Legaten oder Nuntien), um als seine direkten Stellvertreter seine Rechte wahrzunehmen und die Kirche eines Landes in seinem Sinne zu leiten und zu beeinflussen. Das alte Deutsche Reich hat auf seinen Reichstagen stets auch Vertreter des Papstes zugelassen, das neue Reich weiß zu seinem Glück nichts von einem derartigen Mitregimente des Papstes im Bundesrat oder Reichstag. Gegen Ketzer und Widerspenstige standen dem Papste vielerlei Mittel zu Gebote; ein einzelner, selbst ein Fürst, wurde durch den Bann, d. h. die Ausschließung aus der Kirchengemeinschaft, meist bald zum Gehorsam gebracht; im äußersten Falle wurde er von der weltlichen Obrigkeit als Ketzer mit dem Tode bestraft?) Ein ganzes Land wurde durch das Interdikt, d. h. die Untersagung alles Gottesdienstes, leicht zum Gehorsam gegen den Papst zurückgeführt, denn ohne Papst und Kirche glaubte man die Gnade Gottes nicht erlangen zu können. Gegen die Ketzer war die Inquisition, von welcher unten die Rede sein wird,-) eine furchtbare Waffe. Erst im späteren Mittelalter haben Bann und Interdikt allmählich ihre Schrecken verloren; nach der Reformation hat zwar die Inquisition und die Ketzerverfolgung noch lange bestanden, aber heute hat auch diese Wirksamkeit der päpstlichen Kirche ihr Ende gefunden, weil die weltlichen Fürsten (auch die katholischen) nicht mehr gestalten, daß ihre Unterthanen wegen einer Ab­ weichung im Glauben von der Kirche bestraft werden. c. Der Oberherr der ganzen katholischen Kirche ist also der Papst, in welchem der Katholik den Nachfolger des Petrus erblickt. Die katholische Kirche zerfällt aber in eine Anzahl von Provinzen, und von diesen hat jede wieder zunächst einen Oberherrn, der nach katholischer Ansicht^) natürlich dem Papste untergeordnet sein muß (wie angeblich die andern Apostel dem Petrus): das ist der Bischof. Derselbe ist geringer als der Papst, denn der Papst regiert die ganze Kirche; aber er steht höher als der Priester, denn diese sind nur die Vorsteher der einzelnen Gemeinden, in welche jede kirchliche Provinz zerfällt, und der Priester ist natürlich dem Bischof Unter­ than. Dem Bischöfe ist aber kraft seines Amtes die Macht verliehen, die Priesterweihe zu erteilen, die Firmung zu spenden und den ihm anvertrauten Sprengel zu regieren. Zu diesen Dingen ist nur ein Bischof berechtigt und befähigt, und der Katholik kann es sich deshalb gar nicht denken, daß es eine Kirche geben könne und gegeben habe ohne Bischöfe — was doch oben als der ursprüngliche Zustand der Kirche dargestellt worden ist?) Jeder Bischof hat also eine Provinz des großen päpstlichen Reiches zu regieren. Vielfach werden auch wieder mehrere bischöfliche Provinzen zu einer größeren Kirchenprovinz zusammengefaßt, an deren Spitze dann ein Erzbischof steht. Wenn der Erzbischof die ganze Kirche eines Landes unter sich hat, *) 2) 3) 4)

Vgl. Nr. 82 0. Vgl. Nr. 82 C. Aber nicht nach der Ansicht der Griechen. Vgl. Nr. 13.

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so heißt er wohl auch Primas oder Patriarch. Neben den wirklichen Bischöfen giebt es auch sogenannte Weihbischöfe (episcopi in partibus infidelium, d. h. Bischöfe in den Gegenden der Ungläubigen), geweiht für Orte, wo der Papst seine Macht verloren hat; auch für solche Orte werden immer noch Bischöfe geweiht, da der Papst das Recht der Oberherrschaft auch über die abtrünnigen Christen nicht aufgiebt; solche Bischöfe stehen dann den wirklichen Bischöfen als Gehülfen zur Seite, namentlich bei den Dingen, die nur der Bischof verrichten darf. In der evangelischen Kirche giebt es zwar zum Teil noch Bischöfe (in der anglikanischen Kirche, wie auch in Dänemark, Schweden und Norwegen), aber da dieselben (außer in der anglikanischen Kirche) ebenso wie die anders­ wo eingesetzten Generalsuperintendenten ihr Amt nicht auf eine göttliche Anordnung zurückführen können, wie die katholischen Bischöfe das von ihrem Amte behaupten, so kann man nur sagen, daß die evangelische Kirche (ab­ gesehen von der anglikanischen Kirche), in Übereinstimmung mit der aposto­ lischen Kirche, das katholische Bischofsamt nicht kennt — ohne Schaden für die Kirche; das Bischofsamt ist ebenso wenig wie das Papsttum eine gött­ liche Ordnung.

B. Die Kirche als Lehrerin der Völker; die Kirchenlehre des Mittelalters. a. Daß die Kirche die Aufgabe hat, „das Evangelium zu predigen, d. h. zu lehren, aller Kreatur", giebt jeder Christ zu. Wenn aber nun der Katholik, und zwar schon in der alten Zeit, forderte, daß eine mensch­ liche Bürgschaft dafür vorhanden sei, daß die Lehre der Kirche auch stets richtig sei, so steht diese Forderung im Widerspruch mit dem Worte Christi, der nur verheißen hat, daß sein Geist seine Jünger in alle Wahrheit leiten werde, aber nicht gesagt hat, daß sein Geist in bestimmten Personen wirksam sein und zu jeder Zeit allen Irrtum von der Kirche fernhalten werde. Beides behauptet aber schon seit alter Zeit*) die katholische Kirche, wenn sie erklärt, daß die Wahrheit der Kirchenlehre zu aller Zeit aufrecht­ erhalten werde durch die Bischöfe, als die Nachfolger der Apostel, zwar nicht durch jeden einzelnen Bischof, der als solcher ein irrender Mensch bleibe, aber wohl durch die auf einem allgemeinen Concil versammelten Bischöfe, dessen Aussprüche als unfehlbar anzusehen seien. Die neuere Zeit hat diese falsche Lehre von der Unfehlbarkeit der Concilien noch ver­ schärft durch die Behauptung, daß auch die Lehren des Papstes unfehl­ bar seien. So besitzt denn der Katholik an seiner Kirche, nämlich an den Fest­ setzungen der Concilien und den Lehren der Päpste, eine untrügliche Norm für das richtige Verständnis des Evangeliums, und der Katholik hat nicht zu prüfen nach der heiligen Schrift, „ob es sich also verhalte", wie seine Kirche sagt (was die alten Christen für recht hielten), sondern die Lehre der Kirche als das untrügliche Wort Gottes anzusehen und anzunehmen. Daß die Kirche jemals in Irrtümer geraten könnte, so daß eine Reformation der Kirche auf dem Gebiete der Lehre jemals notwendig werden könnte, ist ein für den Katholiken unfaßbarer Gedanke.

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b. Die Lehre der katholischen Kirche hat sich aber in folgenderWeise entwickelt. Die morgenländische Kirche hatte erkannt, daß in Jesus Christus der wahre Gott sich geoffenbart habe, und haupt­ sächlich auf Grund dieser Erkenntnis hat sich ihr eigentümliches inneres Leben ausgestaltet. Die Kirche des Abendlandes, wie sie namentlich durch Augustinus begründet und im Mittelalter und in der Neuzeit weiter ausgestaltet worden ist, hat im Anschluß an die Lehre des Morgenlandes von der Offenbarung Gottes in Christus zunächst den Grund und den Zweck der Offenbarung er­ kannt; der Grund der Offenbarung ist des Menschen Sünde, welcher durch eigene Kraft nicht zur Seligkeit gelangt, in welcher das Ziel der Offenbarung erkannt wird. Aber wenn auch die abendländische Kirche namentlich von Augustinus gelernt hat, daß des Menschen Heil auf der Gnade Gottes be­ ruhe, so sollte doch damit, wie man g e g e n Augustinus lehrte, das Verdienst des Menschen bei der Gewinnung der Seligkeit nicht ausgeschloffen sein. Endlich aber hat die Kirche des Abendlandes namentlich von Augustinus gelernt, daß der einzelne Mensch sein Heil nur gewinnen könne durch die Kirche, als die Verkündigerin der Wahrheit und die Trägerin der Erlösungs­ macht. Aus diesen drei Grundgedanken — die Gnade Gottes gegenüber dem Sünder, das Verdienst des Menschen, die Autorität der Kirche — hat sich die Kirchenlehre des Mittelalters entwickelt; dieselbe verkündet auch noch in ihrem Verfall die Gnade Gottes, aber sie hebt diese Predigt eigentlich auf durch die ungebührliche Betonung des Verdienstes des Menschen und der Be­ deutung der Kirche. Für die Weiterentwickelung der kirchlichen Lehre war namentlich Gregor der Große (c. 600) von Bedeutung, durch deffen Umgestaltung der Kirchen­ lehre vornehmlich das Mittelalter, ja, noch die heutige katholische Kirche, be­ herrscht wird. c. Nachdem nun eine christliche Lehre gewonnen war, hielt es das Mittel­ alter nur noch für seine Aufgabe, die in der alten Zeit gewonnene Kirchen­ lehre zu rechtfertigen und zu begründen; daß die Lehre der Kirche richtig sei, das verstand sich im Mittelalter von selbst; sie war ja von den als un­ fehlbar geltenden Concilien aufgestellt oder bestätigt worden; es konnte nur darauf ankommen, sie zu verstehen und zu begründen. Das ist die Aufgabe der Scholastik des Mittelalters wie noch heute die Aufgabe der katholischen Theologie. Da nun die Scholastiker dieser Aufgabe allerdings in trefflicher Weise genügt haben, so ist es kein Wunder, daß Papst Leo XIII. im Jahre 1879 den einen derselben, Thomas von Aquino, als denjenigen Kirchen­ lehrer bezeichnet hat, an den sich die Kirche in der Lehre noch heute halten solle. Anders urteilt die evangelische Kirche. Für sie giebt es keine un­ fehlbaren Concilien, also auch keine für immer geschaffene Kirchenlehre, die sie nur zu rechtfertigen hätte; immer aufs neue und immer tiefer und gründ­ licher versenkt sich die evangelische Theologie in die Geheimnisse der heiligen Schrift, und immer besser hofft sie lehren zu können von den Geheimnissen Gottes. Deshalb war es eine unnütze und auch eine vergebliche Mühe, wenn man früher glaubte nachweisen zu müssen, daß Luther mit den älteren Kirchenlehrern übereinstimme; man darf ohne weiteres zugeben, daß der Katholicismus schon an der Wiege des Christentums stehe; Glaube, Aber­ glaube und Unglaube sind gleich alt — darum sind sie aber doch nicht gleich

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berechtigt; Luther's Lehre ist wahr, auch wenn sie, wie das vielleicht richtiger ist, mit der Lehre keines Kirchenvaters übereinstimmtnur darauf kommt es an, ob sie mit der heiligen Schrift übereinstimmt. So zeigt sich auf dem Gebiete der Lehre derselbe Gegensatz katholischer und evangelischer Anschauung wie auch auf den anderen Gebieten der Kirche, und eine Vermittelung oder Überwindung dieses Gegensatzes ist, wie überall, so auch hier, erst von der Zukunft zu erwarten. d. Neben der Scholastik entwickelte sich im Mittelalter die Mystik. Während die Scholastik nur auf dem Verstände beruht, der die Kirchenlehre betrachtet und zergliedert, was schließlich auch der Ungläubige thun kann, will der Mystiker vor allem zu Gott kommen und in ihn sich versenken; dazu kommt man aber nicht mit dem Verstände, sondern mit dem Gemüt, auf dem ja überhaupt vornehmlich die Religion beruht. Was also der Mystiker lehrt, das ist nicht darauf berechnet, Gott erkennen zu lassen, sondern dem Menschen den Weg zu Gott zu zeigen und ihm zu zeigen, was er an Gott für sein Herz hat. Wenn so die Mystik vor allem auf dem Gemüt des Menschen beruht, so verzichtet sie eigentlich auf die denkende Erkenntnis Gottes, und da das Gemüt der Menschen sehr verschieden geartet ist, so konnten die ver­ schiedenen Mystiker sehr verschieden von Gott denken und lehren, ohne daß es dem einen möglich war, den andern zu widerlegen. Das ist nur möglich mittels des Denkens, und so bedarf die Mystik zu ihrer Ergänzung der Scholastik, welche ja vornehmlich auf dem Denken beruht, und es war ein richtiger Gedanke des Mittelalters, daß nur durch eine Verbindung von Mystik und Scholastik die göttlichen Dinge wirklich erfaßt und gründlich er­ kannt werden könnten. Aber diese Verbindung herzustellen ist dem Mittel­ alter nicht gelungen; Luther hat das erreicht, wenn er vor allem sich mit seinem Herzen in Gottes Heiligkeit und Gnade versenkt und danach von dem heiligen und gnädigen Gotte gelehrt hat, aber im Anschluß nicht an die irre gegangene Kirchenlehre, sondern im Anschluß an die heilige Schrift. e. Im folgenden sollen nun einige der berühmtesten Kirchenlehrer des Mittelalters im einzelnen vorgeführt werden. Noch heute bekannt, aber nur wegen seiner Lebensschicksale, ist einer der gefeiertsten Lehrer seiner Zeit, Abälard. Geboren im Jahre 1079 in der Bretagne, trat er in Paris — damals gab es noch keine Universität — selbständig als Lehrer auf, und durch seine Gelehrsamkeit, Freisinnigkeit und seinen geistreichen Vortrag zog er Tausende von Schülern an sich. Da übergab ihm ein Geistlicher seine Nichte, Heloise, zum Unterricht, und die beiden jungen Leute erglühten in Liebe zu einander; aber Heloise wollte sich mit Abälard nicht öffentlich verheiraten, da derselbe ja dann keine geistliche Stelle er­ halten konnte. Als der Oheim mit diesem Verhältnis unzufrieden war, entführte Abälard seine Geliebte; aber der Oheim setzte ihm nach, überfiel ihn und verstümmelte ihn in grausamer Weise. Abälard trat nunmehr ins Kloster St. Denis bei Paris, kam aber mit den Mönchen und mit der Geistlichkeit in mancherlei Konflikte und gründete endlich selber ein neues Kloster, bei Nogent an der Seine, welches später in ein Nonnenkloster umgewandelt wurde, dem Heloise als Äbtissin vorstand. Abälard war wieder in ein

anderes Kloster eingetreten, hatte aber fortwährend seine Lehrvorträge unter großem Beifall, aber auch unter mancher Verfolgung fortgesetzt. Da trat ihm im Jahre 1140 sein berühmtester, von ihm gänzlich verschiedener Zeitgenosse, der heilige Bernhard/) x) Vgl. Nr. 35.

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wegen seiner freisinnigen Lehren entgegen, und Abälard wurde zu ewiger Klosterhast verurteilt; er erhielt aber bald die Erlaubnis, in das Kloster Clugny ’) sich zu begeben, und starb schon im Jahre 1142. Sein Leichnam wurde in das Nonnenkloster der Heloise (dem Abälard den Namen „Paraklet" d. h. Trösters-Heiliger Geist gegeben hatte) ge­ bracht, und Heloise, die immer mit Abälard in Verbindung geblieben war, wurde später (1164) auf ihren Wunsch in demselben Grabe beigesetzt. Eins der schönsten Kirchenlieder des Mittelalters feiert die Liebe von Abälard und Heloise (Kequiescat a labore), welche seitdem zu den berühmtesten Liebespaaren aller Zeiten gehören; beider Asche wurde im Jahre 1808 nach Paris gebracht und im Jahre 1828 in einem besonderen Grab­ mal auf dem Kirchhof Pere la Chaise beigesetzt, welches noch heute von jedem Fremden aufgesucht wird. Der berühmteste Scholastiker des Mittelalters ist Thomas von Aquino. Aus einer vornehmen neapolitanischen Familie stammend, wurde Thomas in der Nähe von Aquino im I. 1227 geboren und im Kloster Monte Cassino erzogen; im Jahre 1243 trat er in den Orden der Dominikaner. Aber seine Brüder entrissen ihn mit Gewalt dem Kloster; jedoch Thomas, seinem Gelübde treu, legte die Ordenstracht nicht ab und mutzte mit Gewalt im väterlichen Schlosse zurückgehalten werden. Im folgenden Jahre gelang es ihm ins Kloster zurückzukehren, und nun wurde er im Jahre 1245 von seinem Ordensgeneral nach Köln gebracht, in dessen Dominikanerkloster der berühmteste Lehrer der Dominikaner, Albertus Magnus, Unterricht erteilte. Seine Genossen nannten den stillen, anspruchslosen Jüngling den großen stummen sicilianischen Ochsen; bald aber er­ kannte man seine großen Gaben, und sein Lehrer sagte von ihm: „Dieser stumme Ochse wird die ganze Welt von dem Rufe seiner Wissenschaft ertönen lassen." Darauf be­ suchte Thomas noch die älteste Universität, Paris, wo er 1257, als er nach längerer Unterbrechung wieder dahin zurückgekehrt war, zum Doktor der Theologie ernannt wurde. In den folgenden zwanzig Jahren hat Thomas die umfassendsten und gelehrtesten Werke über den christlichen Glauben geschrieben, und außer an anderen Orten an den Universitäten Paris und Neapel unter großem Zulauf gelehrt. Oft hat er umherreisen müssen, da man überall seinen Rat begehrte. Zu allem, was er that, bereitete er sich vor durch Gebet; wenn er sich in einem schwierigen Gegenstände mit seinem Forschen und Denken nicht zurechtfinden konnte, so bat er Gott um Erleuchtung. Als er einst bei dem französischen Könige Ludwig IX. an der Tafel saß, schlug er plötzlich auf den Tisch und rief: „Ich hab's gefunden." Er hatte sich nämlich bei Tische so sehr in eine schwierige Sache versenkt, daß er alles um sich her vergaß. Sein Prior, der neben ihm saß, sagte ihm, er möchte doch bedenken, daß er an der Tafel des Königs sitze; aber Ludwig ließ sofort einen Schreiber kommen, damit Thomas alsbald aufzeichnen lasse, was er gefunden. Von einem Spaziergange zurückkehrend, wurde er von seinem Be­ gleiter einst auf das vor ihm liegende Paris hingewiesen und gefragt, ob er nicht eine solche Stadt besitzen möchte. „Nein," sagte er, „lieber möchte ich die Predigten des Chrysostomus besitzen." — Der gefeierte Lehrer des Mittelalters, der Stolz und die Zierde des Dominikanerordens, geehrt durch den Namen des Doctor angelicus, der vier Schreibern zu gleicher Zeit die verschiedensten Gegenstände zu diktieren vermochte, starb im Jahre 1274 auf der Reise zum Concil von Lyon; Papst Leo XIII. hat ihn im Jahre 1879 zum Normaltheologen der katholischen Kirche erhoben — fortan soll also die katholische Wissenschaft stillstehen. Waren die beiden vorher besprochenen Männer Vertreter der Scholastik, so lernen wir nunmehr den Hauptvertreter der Mystik des Mittelalters kennen: Johannes

') Vgl. Nr. 35.

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Die Kirche in ihrer Bedeutung für rc.

Tauler, den man schon im 14. Jahrhundert den „erleuchteten Lehrer" nannte. Tauler wurde um das Jahr 1300 in Straßburg geboren; noch vor seinem 20. Lebensjahre trat er in den Dominikanerorden und studierte daraus in Köln Theologie. Als er in seiner Vaterstadt Prediger wurde, war über dieselbe vom Papste im Streite mit Kaiser Ludwig dem Bayern das Interdikt verhängt, und demgemäß war fast in allen Kirchen der Gottes­ dienst eingestellt. Einige Prediger aber hatten erklärt, man müsse Gott mehr gehorchen als dem Papste, das arme Volk dürse nicht deshalb ohne Gottesdienst gelassen werden, weil Kaiser und Papst sich entzweit hätten. Diesen Predigern schloß sich wahrschein­ lich auch Tauler an; alles hörte ihn gern, und bald war er weit und breit bekannt und geehrt. Als er nun schon ein berühmter Mann war, kam einst zu ihm ein einfacher Laie, das Haupt eines Vereins frommer Leute in der Schweiz und den Rheingegenden, der sogenannten Gottesfreunde, eines weitverzweigten Geheimbundes mit inniger Mystik und antiklerikalem Sinne. Derselbe hatte von dem trefflichen Straßburger Prediger ge­ hört, und er beschloß denselben noch tiefer in die Wahrheit einzuführen, damit er allein Christo, dem höchsten Lehrer aller Wahrheit, anhange. Der gelehrte Mönch und Priester ließ sich von dem einfachen Laien unterweisen, und auf seine Mahnung enthielt er sich zwei Jahre des Predigens; Volk und Geistliche spotteten über den von Sinnen gekommenen Prediger. Als er aufs neue zu predigen begann, war seine Predigt von der gewaltigsten Wirkung. Später mußte zwar Tauler auf einige Zeit Straßburg verlassen, und in dieser Zeit war er einige Jahre auch in Köln als Prediger; gestorben ist er aber in seiner Vaterstadt im Jahre 1361; der ungenannte Gottesfreund hat ihn vor seinem Tode nochmals besucht und unterwiesen. Wir besitzen von Tauler noch eine Sammlung von Predigten; ein Buch „von der Nachfolgung des armen Lebens Christi", das ihm früher zugeschrieben wurde, gehört nicht zu seinen Schriften. Tauler ist ein Zeuge der Wahr­ heit gewesen, wie sie das Mittelalter nicht in großer Zahl aufzuweisen hat; Luther hat ihn hoch geschätzt, und seine Predigten sind auch von den Evangelischen immer wieder gedruckt worden.

C.

Die Kirche als Heilsmittlerin für die Völker.

Wenn man die Kirche als die unfehlbare Verkünderin der Wahrheit be­ trachtete, nach der man begehrte, so lag es nahe, in ihr auch die Bürgin für die persönliche Heilssicherheit zu sehen. Wenn nun die alte Kirche darauf hingewiesen hatte, daß diese Sicherheit über die Heilser­ langung auf der Zugehörigkeit zu der Gemeinde der Heiligen beruhe/) so wurde, als man darauf verzichtete, in der Kirche auf Erden eine Gemeinde der Heiligen herzustellen, diese Gewißheit über die Heilserlangung gesucht in der Macht des Priesters gegenüber dem Laien, welche immer mehr ein Gegenstand des Glaubens wurde. Der Priester allein hat die Macht, dem Laien die Sakramente in wirkungskräftiger Meise zu spenden; der Priester allein hat darum auch die Macht, dem Laien die Sünden zu vergeben; der Priester allein hat die Macht, das einmalige Opfer Christt fortwährend zu wiederholen, damit dem Menschen nicht bloß die Erbsünde vergeben werde durch das Opfer Christi, sondern auch die Thatsünden auf Grund des vom Priester unablässig wiederholten Opfers Christi. Üm dieser dreifachen Leistung willen erscheint die Kirche dem Katholiken als die Heilsmittlerin für die Völker. 3) Vgl. Nr. 21.

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Da nur die katholische Kirche eine solche Heilsmittlerische Thätig­ keit ausüben kann, so ist sie die allein seligmachende Kirche a. Nur der Priester kann dem Menschen die Sakramente in wirkungskräftiger Weise spenden — so behauptet der Katholik im Gegensatz gegen die alte und gegen die evangelische Kirche. Nach unserer Meinung haben das Wort Gottes und die Sakramente eine Kraft, welche unabhängig ist von dem Menschen, der sie verwaltet, und selbst der Katholik giebt das in gewisser Weise zu, da auch er nicht fordern kann, daß der Priester selber glauben müsse an das Wort, das er predigt, und an die Sakramente, die er verwaltet, und daß er auch innerlich ein frommer Mensch sein müsse, damit Wort und Sakrament wirksam werden können. Trotzdem fordert der Katholik, daß der Priester von einem Bischof geweiht und der Bischof vom Papste anerkannt sei, damit er die Sakramente in wirkungskräftiger Weise verwalten könne, und der Katholik hält es nicht für genügend, was die evangelische Kirche für genügend hält, daß der Geistliche in ordnungsmäßiger Weise zu seinem Amte berufen sei. Alle evangelischen Geistlichen, auch die höchsten und frömmsten, sind in den Augen des Katholiken, wenn er sie freundlich beurteilt, gläubige Laien, welche die eigentliche Thätigkeit des katholischen Priesters nicht wirksam ausüben können. b. Sodann kann nur der Priester dem Katholiken seine Sünden wirklich vergeben. Nach der Anschauung der alten Kirche empfing der Christ durch die Taufe Vergebung aller von ihm begangenen Sünden; als Christ sollte er allerdings von groben Sünden frei sein; wer sich solcher schuldig machte, wurde aus der Kirche ausgeschlossen?) An diesem Standpunkte der alten Kirche haben aber schließlich nur einige kleinere Parteien festgehalten; die katholische Kirche entwickelte sich mit Recht dahin, daß sie den groben Sünder zwar zunächst von ihr Gemeinschaft ausschloß, aber nach geleisteter Kirchenbuße wieder aufnahm. Aber in der späteren Zeit ließ man — nicht mit Unrecht — die For­ derung fallen, daß für grobe Sünden, wenn sie nicht gerade öffentliches Ärgernis gegeben hatten, eine öffentliche Kirchenbuße erforderlich sei, sondern begnügte sich mit einer geheimen, inneren Buße, aber vor dem Priester, als dem Stellvertreter Gottes in der Kirche, und legte dem Priester die Macht bei, an Gottes Stelle dem bußfertigen Sünder seine Sünde zu vergeben. Wenn aber der evangelische Geistliche nur die Ver­ gebung der Sünden durch Gott dem Sünder verkündigt, so ist für den Katholiken die Vergebung Gottes abhängig von dem Worte des Priesters, und nur durch des Priesters Wort erlangt der Mensch auf Erden die Ver­ gebung Gottes. Wer nun aber durch den Priester Vergebung seiner Sünden erlangen will, von dem wird gefordert, um mit den Worten der katholischen Kirchen­ lehrer zu reden, contritio cordis (Reue des Herzens), confessio oris (Beichte des Mundes) und satisfactio operis (Genugthuung des Werkes). Auch wir fordern Reue, betonen aber daneben auch den hier ganz vergessenen Glauben, ohne welchen der Mensch keine Vergebung erlangen kann. Wir verwerfen zwar nicht die Beichte, aber fordern dieselbe nicht, und vollends vor dem Priester, als unbedingte Voraussetzung für die Vergebung der Sünden. *) Vgl. Nr. 21.

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Wir erwarten zwar vom Sünder, daß er zum Danke für die Gnade Gottes gute Werke thue, aber wir betrachten dieselben nicht als Voraussetzung für die Gültigkeit der ihm verkündeten Vergebung der Sünden. c. Wenn nun endlich nach unserer Meinung der Mensch Vergebung der Sünden erhält durch den Glauben an die Gnade Gottes, der in Christus uns das Heil gesandt hat, so glaubt der Katholik zwar ebenfalls an die Gnade Gottes in Christo; aber für ihn ist doch die Kirche auch in dieser Beziehung von viel größerer Bedeutung, als für den evangelischen Christen. Die Kirche erscheint nämlich dem Katholiken nicht bloß als die Verkünderin und die Bürgin des Heils, sondern auch als eine fortgehende und unentbehrliche Schöpferin des Heils; Christus ist nämlich nach der Meinung der Katholiken bloß für die Erbsünde gestorben, nicht für die That­ sünden der Menschen; die Thatsünden kann nach katholischer Lehre nur die Kirche von ihnen nehmen, indem für diese immer aufs neue ein Opfer dar­ gebracht wird, nämlich das im Meßopfer in unblutiger Weise wieder­ holte Opfer Christi am Kreuze. Wenn aber ein Opfer dargebracht werden soll, so bedarf es eines Priesters, und so hat denn die katholische Kirche nicht bloß Prediger, wie die evangelische Kirche, zur Verkündigung des in Christo erschienenen Heils, sondern Priester, und nurderPriester kann das Opfer Christi in wirkungskräftiger Weise in der Messe beständig wiederholen zur Vergebung auch der That­ sünden der Christen. Vom katholischen Opfer und Priestertum soll da­ her im folgenden genauer besprochen werden.

1.

Die katholische Lehre vom heiligen Abendmahl und die Messe; das Fronleichnam sfell; das Fegfeuer.

a. Der Gottesdienst der römischen Kirche ist trotz seiner behaupteten Unveränderlichkeit ebenso wenig, wie der der heutigen griechischen Kirche, der Gottesdienst der alten christlichen Kirche, sondern beide haben sich aus dem Gottesdienste der alten Kirche in besonderer Weise entwickelt. Während nun der griechische Gottesdienst je nach der Gegend in verschiedener Sprache gehalten wird, wird im römischen Gottesdienste in der Landessprache zwar gepredigt, und etwa noch gesungen, wenn die Gemeinde überhaupt singt/) aber die als der Hauptteil des Gottesdienstes betrachtete Messe, welche auf der Abendmahlsfeier beruht, wird überall in lateinischer Sprache gehalten (abgesehen von denjenigen Griechen, welche sich dem Papste unter­ worfen haben), so daß der Laie erst einer Erklärung bedarf, um zu ver­ stehen, was der Priester am Altar spricht oder singt. Die katholische Kirche hat nämlich, die Predigt und den Gemeindegesang zurücksetzend, die Abend­ mahlsfeier zum Mittelpunkte des Gottesdienstes gemacht, aber nicht die Abendmahlsfeier der Gemeinde, sondern des Priesters, und zwar auch nicht als Genuß des heiligen Mahles, sondern auf Grund späterer Lehre als Wiederholung des Opfers Christi. Es ist darum zunächst nötig, die katho­ lische Abendmahlslehre darzustellen. ß. Immer hatte die christliche Kirche das heilige Abendmahl gefeiert; aber wie die Einsetzungsworte des heiligen Mahles zu deuten seien, darüber

L) Vgl. Nr. 73.

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dachten die Gläubigen, wenn sie überhaupt darüber nachdachten, sehr verschie­ den. Schon in der alten Zeit hat gewiß das Volk vielfach so gedacht, wie heute die Katholiken; auch die Lehrer der Kirche haben schon in der alten Zeit vielfach (schon seit dem 2. Jahrh.) von einer Verwandlung im heutigen katholischen Sinne gesprochen; Hostien-Wunder werden schon im 3. Jahrh, berichtet. Aber erst allmählich, und nicht ohne wiederholten Streit um die dunkle Lehre (im 9. und 11. Jahrhundert), ist im Mittelalter (in der grie­ chischen, wie auch in der römisch-katholischen Kirche) die Meinung zur Herr­ schaft gekommen, daß im heiligen Abendmahl durch das Wort des Priesters Brot und Wein verwandelt würden in Leib und Blut Christi (transsubstan* tiatio), so daß also nach der Wandlung von Brot und Wein nur noch ihre Eigenschaften (accidentia), aber nicht mehr ihr Wesen (substantia) vorhan­ den sei, sondern nur noch Christus?) Da nun derselbe unter Brot und Wein gleichmäßig den Menschen zu teil wird, so ist es nach der Meinung des späteren Mittelalters nicht nötig, daß man auch den Kelch beim heiligen Abendmahl bekomme, und allmählich wurde die früher stets und allgemein übliche Darreichung des Kelches Unterlasten — gegen das ausdrückliche Wort Christi: „Trinket alle daraus!" Aber nur römische Sitte ist die Kelchent­ ziehung geworden, nicht Sitte der Griechen, die sogar schon dem Kinde bald nach der Taufe (wie auch später beides) in einem Löffel Brot und Wein des heiligen Mahles zusammen darreichen. Die evangelischen Kirchen verwerfen sämtlich die Transsubstantiation, wie auch die Kelchentziehung und die Kindercomniunion. /. Aber nicht bloß bei der Abendmahlsfeier wird nun nach katho­ lischer Lehre Brot und Wein durch des Priesters Wort in Leib und Blut Christi verwandelt, sondern auch ohne daß von der Gemeinde das heilige Abendmahl gefeiert wird, wird dies Wunder von jedem Priester an jedem Tage in der Messe vollbracht; denn der ganze katholische Gottesdienst gipfelt in der Nieste, d. h. in der auf Grund der Wandlung erfolgenden Wieder­ holung des Opfers Christi zur Vergebung der Thatsünden der Gläubigen. Wenn früher der Gottesdienst aus zwei Teilen bestand, von denen der eine die Predigt, der andere das heilige Abendmahl zum Mittelpunkte hatte, so ist zwar diese Zweiteilung aus dem katholischen Gottes­ dienste nicht ganz verschwunden, aber bei weitem die Hauptsache ist doch für den Katholiken die Messe. Dieselbe besteht aber nicht, wie in der alten Kirche, in der Abendmahlsfeier der Gläubigen, sondern in der durch den Priester auf Grund der Verwandlung der Elemente in Leib und Blut Christi vollbrachten Wiederholung des Opfers Christi zur Vergebung der Thatsünden der Gläubigen. 8. Das Gedächtnis des Opfers auf Golgatha wurde nämlich schon in der alten Kirche durch das heilige Abendmahl beständig erneuert. Behufs Veranstaltung dieser Feier und zugleich des in der alten Kirche üblichen Liebesmahls brachten nun die alten Christen Gaben in die Kirche mit als Dankopfer für die von Gott empfangene Gnadengabe der Erlösung. Schon im dritten Jahrhundert hat sich nun an diese Opfer das Mißverständnis angeschlossen, daß aus dem ursprünglichen Dankopfer der

’) Da nach der katholischen Lehre die geweihte Hostie in den Leib Christi ver­ wandelt ist, so erweisen die Gläubigen derselben göttliche Verehrung: sie beugen vor ihr das Knie, machen das Kreuz, wenn der Priester sie damit segnet, und betrachten sie überhaupt als den gegenwärtigen Christus. Heidrich, Kirchengeschichte.

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Die Kirche in ihrer Bedeutung für rc.

Gemeinde für die von Gott empfangene Gnade einerseits ein auf die Erlangung der Gnade Gottes gerichtetes Werk der Gemeinde wurde, indem die Liebesgaben (wie im späteren Judentum die Almosen) als Mittel der Sündentilgung angesehen wurden, und daß andrerseits als das eigentliche Opfer die Darbringung des Leibes und Blutes Christi durch den Priester im Abendmahl angesehen wurde, welcher ja die Liebesgaben der Gemeinde zur Feier des heiligen Abendmahls verwendete. Mit dieser Umgestaltung in der Auffassung der altchristlichen Dankopfer der Gemeinde zu Sühnopfern des Priesters, die schon dem dritten Jahrhundert angehört, beginnt eigentlich schon die Kirche des Mittelalters, in welcher dieser Gedanke, nach allen Seiten hin ausgebildet, zu einer gänzlichen Entstellung des Christentums geführt hat. Als das christliche Opfer betrachtete man nunmehr nicht bloß das Opfer Christi selber, sondern die stets erneute Darbringung des Leibes und Blutes Christi durch den Priester. Diese Wiederholung des Opfers Christi durch den Priester in der von ihm gefeierten Messe galt aber darum für nölig, weil durch das Opfer Christi auf Golgatha nur die Erbsünde gesühnt worden fei; die Th al fünden der Menschen würden, wie man meinte, nur durch die Wiederholung des Opfers Christi in der Messe gesühnt. Daß aber die Christen zu der Meinung kamen, daß es eines stets wiederholten Opfers bedürfe, ist daraus zu erklären, daß ja das Opfer in den vorchristlichen Reli­ gionen eine so große Nolle spielte; Heiden wie Juden hielten die Opfer für nötig, um die Gunst der Gottheit zu gewinnen; da war es kein Wunder, daß die alten Christen, zu den Gedanken der alten Religionen zurückkehrend, auch ihrerseits ein stets wiederholtes Opfer für nötig hielten. Ein solches Opfer fand man aber in der Messe. e. In der von ihm gefeierten Messe bringt also nach katholischer An­ schauung der Priester täglich aufs neue Christum Gotte zum Opfer für die Sünden der Menschen dar, und so wird in der Messe fortwährend das Opfer Christi am Kreuze in unblutiger Weise wiederholt, damit in diesem Opfer die Früchte des Leidens Christi allen Christen zufließen. Auf der Aner­ kennung der Messe beruht die katholische Kirche, und die römische und die griechische Kirche sind in dieser Lehre einig; wer die Messe verwirft und damit die Notwendigkeit des Priesters zur Vermittelung des Heils für die Gläubigen, der ist nicht mehr katholisch; die Griechen sind katholisch, obwohl sie dem Papste sich nicht unterwerfen; die Altkatholiken würden erst dann aufhören katholisch zu sein, wenn sie die Messe beseitigten; die Evangelischen wären noch nicht katholisch, wenn sie den Papst als ihren Oberherrn aner­ kennten, wenn sie aber nicht die Messe annähmen. An die falsche Lehre vom Meßopfer und vom Priestertum schloß sich nun noch die Lehre vom Fegfeuer (vgl. unten) und von der Allgewalt des Priesters auch über die Unterwelt, und es entstand der Glaube, daß der Priester durch seine Mesie die Seele auch aus dem Fegfeuer erlöse. Auch andere Wünsche glaubt der Katholik von Gott erreichen zu können, wenn er dafür eine Messe lesen läßt. So ist aus dem Meffelesen für die Priester eine sehr ergiebige Einnahme geworden, und viele große Kirchen haben so viele Messen zu lesen, daß ihre Geistlichen es gar nicht mehr allein zu besorgen imstande sind, sondern viele Messen in andern Kirchen lesen lasien oder mit Erlaubnis des Papstes mehrere Messen in einer einzigen abmachen. Was der Katholik von der Messe erwartet, gewinnt der Protestant durch die Predigt, wie auch durch den Genuß des heiligen Abendmahls, indem er die Bürgschaft für die fortdauernde Gnade Gottes in dem ein-

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maligen Opfer Christi am Kreuze findet, welches nach seiner Meinung der katholische Priester zu wiederholen weder braucht noch vermag?) Beide Kirchen sind also darin einig, daß sie das Versöhnungswerk Christi als fort­ dauernd betrachten; aber sie gehen auseinander in der Frage, wie der Gläu­ bige an derselben Anteil erlange, und dieser Unterschied ist so bedeutend, daß er allein schon zu einer Trennung beider Kirchen von einander hinreichen würde; der evangelische Christ hält nur den Glauben an die Gnade Gottes in Christus für nötig; der Katholik bedarf der fortdauernden Mitwirkung des Priesters (durch die Messe), um der Gnade Gottes in Christus teilhaftig zu werden. Das große Wunder der in jeder Messe sich vollziehenden Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi feiert aber die Kirche seit 1264 (nachdem eine Nonne in Lüttich im Monde lange stets eine Lücke wahrgenommen hatte — was eine Offen­ barung ihr dahin ausdeutele, das; der Kirche noch ein Fest fehle) durch ein besonderes Fest, das sogenannte Fronleichnamsfest (d. h. Fest des Leibes des Herrn) am Donnerstage (dem gewöhnlichen Abendmahlstage der alten Kirche) nach Trinitatis (also als letzten Abschluß der Feste des Herrn) und zwar mit allem Pomp und aller Pracht; es ist seit dem 16. Jahrhundert das Triumphfest der katholischen Kirche gegenüber den Ketzern. In feierlicher Procession wird die Hostie durch die Straßen getragen und an den dazu besonders erbauten Altären Gottesdienst gehalten. In den katholischen Ländern ist dasselbe ein wahres Volksfest geworden, an dem hoch und niedrig, alt und jung sich beteiligt. Die Evangelischen haben schon im Jahre 1530 (beim Augsburger Reichs­ tage) die Beteiligung an diesem Feste abgelehnt, da sie die Wandlungslehre verwerfen und die Anbetung der Hostie deshalb nicht für begründet halten. q. Mit der Messe hängt, wie schon oben bemerkt, eng zusammen der Glaube an das Feg feuer, von den; die katholische Kirche Folgendes lehrt.") Obwohl die geringen Sünden den Menschen der Freundschaft Gottes nicht berauben, so beflecken sie doch seine Seele und erfordern eine Reinigung derselben im Fegfeuer, wenn eine solche im Leben noch nicht stattgefunden hat. Auch schwere Sünden, für welche noch nicht genug Bußwerke gethan worden sind, werden daselbst vollends ab­ gebüßt. Durch die Lossprechung in der Beichte werden nämlich dem Sünder nur die Sündenschuld und die Höllenstrafe erlassen, nicht aber die zeitlichen Strafen, die ent­ weder im Leben oder im Fegfeuer abgebüßt werden müssen. Die größte Pein des Fegfeuers ist die, daß die Seelen der Anschauung Gottes beraubt sind; außerdem werden die Seelen aber auch noch durch Feuer, Kälte, Finsternis und andere Dinge gepeinigt; manche Seelen müssen auch, den Lebenden zur Warnung, als Gespenster an dem Orte ihrer Sünde umherwandeln. Nur sehr wenigen Frommen bleibt die Pein des Feg­ feuers erspart, so daß sie alsbald nach dem Tode in den Himmel eingehen; alle anderen Menschen bleiben im Fegfeuer, bis sie ihre Sünden abgebüßt haben, oder bis die Für­ bitten des Priesters in den Seelenmessen und die guten Werke der Lebenden oder der

für sie erworbene Ablaß sie daraus erlösen. Die evangelische Kirche bestreitet nicht, daß die Seelen der Abgeschiedenen noch nach dem Tode einer Reinigung und Läuterung fähig und bedürftig sind, aber sie findet in der heiligen Schrift keine Lehre von einem sinnlichen Feuer und keine Lehre von einer Abkürzung des Fegfeuers durch die guten Werke der Lebenden, durch die Seelenmeffen des Priesters und durch den Ablaß des Papstes. An den Mißbrauch dieser Lehre beim Ablaßhandel hat sich bekanntlich gerade der Beginn der Reformation geknüpft. ^Vgl. Nr. 62. 5) Nach Ackermann, Trost der armen Seelen.

Mit bischöflicher Approbation. 11*

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164 2.

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Der katholische Priester und der Cölibat.

a. Das Meßopfer kann aber nur von einem Priester dargebracht wer­ den, wie die katholische Kirche behauptet, und so sieht denn die katholische Kirche in den Vorstehern ihrer Gemeinden nicht bloß Prediger, sondern Priester. Zum Priester kann aber niemand gemacht werden durch die Beru­ fung der Gemeinde, wie der evangelische Geistliche durch die Gemeinde zu seinem Amte berufen wird, sondern nur durch den Bischof, welchem die Gemeinde Unterthan ist, und der Bischof wäre wieder kein rechter Bischof nach der Lehre der Katholiken, wenn er nicht vom Papste eingesetzt worden wäre. So steht also der Katholik in enger Verbindung mit dem Priester, dem Bischof und dem Papste, und nur durch diese Verbindung glaubt er sein Heil gesichert. Wer nun die Priesterweihe empfangen hat, der ist fortan hoch über seine Mitmenschen erhaben; er besitzt eine Macht, wie kein gewöhnlicher Mensch sie besitzt, die er auch niemals wieder verlieren kann, deren vor­ nehmstes Stück ist, Brot und Wein durch sein Wort zu verwandeln in Leib und Blut Christi und dasselbe Gott in der Messe als ein wohlgefälliges Opfer darzubringen zum Segen für die Lebendigen und die Toten. Über die Erde hinaus bis zum Himmel und in die Hölle reicht des Priesters Macht, auch des gottlosen Priesters; auch der frömmste Laie kann nicht anders, als durch die Hülfe des Priesters zu Gott gelangen. ß. So hoch stellt der Katholik den Priester — das stimmt mit dem Alten Testamente wohl überein, nicht mit dem Neuen, in welchem gerade Petrus allen Christen in seinem ersten Briefe (K. 2, 9i zuruft: „Ihr seid das königliche Priestertum", und jeder Christ soll nach des Petrus Briefe (K. 2,5) „geistliche Opfer opfern, die Gott angenehm sind durch Jesum Christum". Jeder Christ soll und kann nach der Bibel ein Priester sein; die evangelischen Geistlichen sind es nicht mehr, als die Laien; ihnen ist nur um der Ordnung willen von der Gemeinde die Predigt und die Ver­ waltung der Sakramente übertragen/) und wenn im Notfall ein Laie predigt oder die Sakramente verwaltet, so wirkt beides dasselbe, was es in der Hand des Geistlichen wirkt. y. So besitzt die katholische Kirche ein Priestertum, wie das Judentum es früher hatte, einen mehrfach abgestuften Klerus, der die Gemeinde der Laien regiert und zu Gott führt. Auch im Äußeren unterscheidet sich nun der katholische Klerus von den Laien, wie

auch die Kleriker selber von einander nach den verschiedenen Stufen, die sie in der katholischen Hierarchie einnehmen. Im Gottesdienste schmückt den Geistlichen die be­ sondere festliche Kleidung, die er trägt; im gewöhnlichen Leben macht ihn ebenfalls eine besondere Tracht kenntlich, und wenn ihn sonst nichts kenntlich machte, so verrät den Geistlichen doch noch die Tonsur, d. h. die kahl geschorene Stelle des Mittelhauptes — eine Sitte, die von den Büßenden*2) zuerst aus die Mönche, später auch auf die Geist­ lichen übergegangen ist: ihr ganzes Leben soll ein Leben der Buße sein. Auch ist dem katholischen Geistlichen die Ehelosigkeit, der Cölibat, zur Pflicht gemacht. Schon im Jahre 305 ist in Spanien versucht worden, die Ehelosigkeit der Priester zu erzwingen; sie sollten bessere Christen sein, als die ihnen untergebenen Laien, und zum besseren J) Doch nicht von je her — vgl. Nr. 13 a. 2) Vgl. Nr. 21.

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Christentum rechnete inan auch die Ehelosigkeit. *) Als nun im Jahre 325 das allge­ meine Concil zu Nicäa versammelt war, wollten viele der dort anwesenden Geistlichen die Ehelosigkeit der Priester für die ganze Kirche zum Gesetz erheben. Da trat ein ägyptischer Bischof Paphnutius, der niemals verheiratet gewesen war und der wegen seiner Enthaltsamkeit berühmt war, in der Versammlung auf und ermahnte sie, man solle ja nicht den Priestern das schwere Joch der erzwungenen Ehelosigkeit auflegen; auch die Ehe sei ein heiliger Stand, von Gott selber eingesetzt. Die Versammlung nahm des frommen Mannes Mahnung zu Herzen, und so blieb es denn bei dem, was allerdings schon Ordnung in der Kirche geworden war: wer als Laie geheiratet hatte, behielt als Priester seine Frau : als Priester durfte er nicht mehr heiraten. Die griechische Kirche gestattet noch heute den Priestern die einmalige Ehe, in der römischen Kirche hat schon im Jahre 885 der Papst die Priesterehe gänzlich untersagt; aber erst Gregor VII. hat dies Verbot im Jahre 1074 durchgesetzt.") Die evangelische Kirche hat dies will­ kürliche Verbot wieder aufgehoben; im Jahre 1525 hat der Priester und Mönch Martin Luther (und er war nicht der erste evangelische Geistliche, der dies that) die Nonne Katharina von Bora geheiratet, und er hat mit seinem Leben gezeigt, daß ein ver­ heirateter Geistlicher der Kirche wahrlich nicht schlechter dient, als ein eheloser Priester.

35. (32.) Das Gebet des katholischen Christen; die Verehrung der Maria und der Heiligen, der Reliquien und der Bilder. Der Glaube an Gott zeigt sich im Gebet und bewährt sich im frommen Wandel ; auch der katholische Glaube legt auf das Gebet und die Frömmig­ keit ein großes Gewicht; ja, dem Evangelischen scheint auch hier die katho­ lische Kirche mehr -zu thun, als die heilige Schrift fordert und gestattet. Betrachten wir zunächst das Gebet des Katholiken?) Alle Christen kennen und beten das Vaterunser, nicht als ob Jesus befohlen hätte, daß man gerade dieses Gebet beten müsse — es ist von selbst zum täglichen Gebet der Christen geworden um seiner Schönheit und seines liefen Inhalts willen. Aber wenn nun dieses Gebet beginnt mit den Worten: „Vater unser, der du bist im Himmel" — so glauben wir Evangelischen, daß der Katholik zu viel thue, wenn er sein Gebet, nicht bloß an Gott richtet, sondern auch an die Heiligen und besonders an die Maria, ja sogar an die Bilder und Reliquien der heiligen Personen. Darauf erwidert jedoch der Katholik, daß auch er Gott allein an bete, den heiligen Personen erweise er nur Nerehrung, der Maria allerdings eine besondere Verehrung. In den verehrten Heiligen besitze er, sagt der Katholik weiter, nicht bloß Vorbilder des frommen Lebens, welche mehr wirkten als viele Mahnungen und Predigten (und das gilt auch uns für richtig, wenn anders die Vor­ bilder selber stets das Rechte thaten — was wir bestreiten), sondern auch Mittler zwischen Gott und uns, die der Christ anrufen solle, damit sie seine Gebete vor Gott bringen. Aber wir Evangelischen zweifeln mindestens daran, daß der Heilige, der doch nicht allgegenwärtig ist, die an ihn gerichteten Gebete vernehme, und halten überhaupt solche Mittler für entbehrlich, da wir selber uns unmittelbar an Gott betend wenden dürfen. So sind denn dar’) Vgl. Nr. 21 u. 36. 2) Vgl. Nr. 33. 3) Daß das Gebet des Katholiken auch durch den Ablaß verdorben wird, wird unten gezeigt werden; vgl. Nr. 45 a.

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35. (32.)

Das Gebet des katholischen Christen; die rc.

über, daß Maria und die Heiligen und ihre Reliquien und Bilder weder anzubeten noch zu verehren seien, alle Evangelischen den Katholiken gegen­ über einig. Wenn man sich aber auch noch mit der Lehre der katholischen Kirche versöhnen könnte, so ist die gewöhnliche Praxis der katholischen Kirche für den evangelischen Christen völlig unannehmbar; wir können allen diesen heiligen Personen und Dingen keine Verehrung erweisen, da nach unserer Meinung diese Verehrung der nur Gotte gebührenden Anbetung zu nahe steht oder eigentlich ganz gleich steht; für uns bleibt Gott der alleinige Gegenstand der Anbetung und Verehrung?) Im folgenden soll etwas genauer die katholische Lehre und Praxis hin­ sichtlich der Verehrung der Maria und der Heiligen, der Reliquien und der Bilder dargestellt werden.

A.

D ie Verehrung der Maria.

;l Ganz besonders verehrte im Mittelalter, wie noch heute, der Katholik die Maria, die von ihm so hoch gepriesene „Mutter Gottes". Wie hoch dem Katholiken die Maria steht, das zeigt schon ein Blick auf die von der Kirche angeordneten Mari e n feste. Bis auf ihre Eltern ist man zurückgegangen: Joachim und Anna sollen sie angeblich geheißen haben; da giebt es also Feste ihnen zu Ehren, ja der Annentag er Hlerfall der Kirche und die ^ersuche einer Hteformcrtion. 40. (37.)

Der Verfall des Papsttums und der Kirche in den Jahrhunderten vor der Reformation.

a. Bald nach dem Tode des letzten großen Papstes des Mittelalters, Bonifatius VIII.,1) siedelten im Jahre 1309 (mit Clemens V., dem zweiten ') Vgl. Nr. 33.

40. (37.)

Der Verfall des Papsttums und der Kirche rc.

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Nachfolger von Bonifatius), der Übermacht des französischen Königs nach­ gebend, die Päpste nach Avignon über (welches sie im Jahre 1348 als Eigentum erwarben und erst durch die französische Revolution im Jahre 1790 verloren), und da diese Zeit der Entfernung von Nom etwa so lange gedauert hat (1309—1377) wie der Aufenthalt der Juden in Babylon, so hat man diese Zeit das babylonische Exil der Päpste genannt. In dieser Zeit waren die Päpste gänzlich vom Könige von Frankreich abhängig, und mußten sich oft zu Handlungen drängen lassen, die ihren Wünschen und Interessen zu­ wider waren; dafür entschädigten sie sich durch eine um so größere Anmaßung gegen die anderen Staaten, namentlich gegen Deutschland. Zwar ermannten sich endlich die deutschen Fürsten und erklärten auf dem Kurverein zu Reuse (1338), der rechtmäßig gewählte König von Deutschland (damals Ludwig der Bayer 1314—1346) bedürfe nicht erst noch der Anerkennung des Papstes, sondern die Wahl der Fürsten allein mache ihn zum rechtmäßigen König; aber dieselben Fürsten ließen sich wenige Jahre später (1346, vom Papste verleiten, den von ihnen gewählten König (denselben Ludwig den Bayer) abzusetzen und einen anderen zu wählen (Karl IV.), der dem Papste genehm war. Dagegen hatte sich der Kirchenstaat vom Papste losgerissen, und um die dadurch verlorenen Einkünfte zu ersetzen, erfanden die Päpste allerlei Kunstgriffe, um die wohlhabenden geistlichen Stellen zu plündern und die Schätze der reicheren Kirchen sich dienstbar zu machen. Bald aber verlangten die Römer selber und alle, denen das Wohl der Kirche am Herzen lag, nach der Rückkehr des Papstes in seine rechte Hauptstadt, und nachdem schon im Jahre 1367 Urban V. nach Rom gezogen, aber bald wieder zurückgekehrt war, kehrten im Jahre 1377 mit Gregor XI. die Päpste für immer nach Nom zurück. Damit war nun zwar das babylonische Exil der Päpste vorüber, aber besser wurde es in der Kirche nicht, sondern noch schlimmer. Denn als schon ein Jahr nach seiner Rückkehr Gregor XI. starb, wählten im Jahre 1378 gegen den in Nom gewählten Papst Urban VI. die französischen Car­ dinäle einen Gegenpapst, Clemens VII., der wieder in Avignon seinen Sitz aufschlug, und hiermit begann die Zeit der Kirchenspaltung (des päpstlichen Schismas), die vom Jahre 1378 bis zum Jahre 1414 gedauert hat. Es gab nunmehr zwei angebliche Statthalter Gottes, von denen jeder den andern nebst seinen Anhängern in den Bann that, und da die Völker teils dem einen, teils dem anderen anhingen, so war jeder Christ damals im Banne. Das war für viele ernste Christen ein Gegenstand schwerer Sorge; sie starben in großer Unruhe darüber, daß sie vielleicht den unrechten Papst anerkannt und dadurch ihre Seligkeit verscherzt hätten. Anderen dagegen öffnete gerade dieser Zustand des Papsttums die Augen über den Wert desselben und löste die Bande der Ehrfurcht, welche sie bis dahin an Rom gekettet hatten; gar mancher kam auf den Gedanken, es sei das beste, sich um den Papst gar nicht zu kümmen (wie wir Evangelischen seit Luthers Zeit und die Griechen von Alters her), die Kirche brauche gar kein äußeres gemeinsames Ober­ haupt zu haben. b. „Im elften Jahrhundert war eine gewaltige Bewegung durch die ganze Kirche gegangen, um sich des an den Fürsten Höfen getriebenen Pfründenverkaufs zu ent­ ledigen; aber allmählich war durch die päpstliche Curie die Simonie die Gebieterin der ganzen Kirche geworden; der kleine Finger der römischen Curie lastete jetzt schwerer

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auf den Kirchen als ehedem der Arm der Fürsten. Vier Jahrhunderte lang haben sich gegen die päpstliche Herrschaft und ihre Ausbeutung der ganzen Christenheit tausendstimmige Anklagen erhoben, und, was fast noch auffallender ist, in dieser langen Zeit hat eigentlich niemand es gewagt, diese Anklagen zurückzuweisen, sie für Verleumdungen oder auch nur für Übertreibungen zu erklären; die Verteidiger des Papsttums erklärten stets nur, niemand dürfe auch nur dem verworfensten Papste entgegentreten, sondern man müsse alles schweigend und geduldig ertragen." *) Noch trauriger wurde der Zustand der Kirche durch die Spaltung des Papst­ tums. Jeder von den beiden Päpsten hatte sich mit Cardinälen umgeben, und wo ein Bischof starb, wollte jeder Papst einen solchen einsetzen, und so wurde der Streit um den rechten Papst nach allen Orten verpflanzt. Da nun jeder Papst nur einen Teil der päpstlichen Einkünfte bezog und mit denselben seine Hofhaltung nicht be­ streiten konnte, so wurden von beiden immer neue Mittel der Erpressung ersonnen; alles im Himmel und auf Erden war damals für Geld zu haben; Ämter und Stellen, Erlaubnisse und Ablässe waren für mehr oder weniger Geld von dem einen oder dem andern Papste zu erlangen. Überdies schien jetzt das Papsttum erst recht darauf aus­ zugehen, recht viel Geld den Gläubigen abzunehmen. Recht einträglich erwies sich das von Bonifatius VIII. erfundene Jubeljahr; wer im Jahre 1300 nach Nom kam und daselbst eine Gabe opferte, der erhielt vollkommenen Ablas; für alle seine Sünden. Die 200000 Fremden, die dazu nach Nom kamen, haben dem Papste viele Millionen eingebracht. Infolge eines himmlischen Gesichtes bestimmte ein späterer Papst, daß dies Jubel­ jahr nicht alle 100, sondern alle 50, ein anderer wieder, daß es alle 33, endlich ein späterer, daß es alle 25 Jahre gefeiert werde. Am liebsten hätte jeder Papst ein Jubeljahr angeordnet, um die reiche Einnahme aus den Sünden der Christen für sich verwenden zu können. Da nun aber doch nicht alle Leute nach Nom kommen konnten, so bestimmte wieder ein Papst, auch wer zu Hause bleibe, könne den vollkommenen Ablaß erhalten, wenn er den dritten Teil der Reisekosten an die Kirche bezahle. Nun reisten des Papstes Unterhändler in Städten und Dörfern umher und suchten die Ablaßzettel an den Mann zu bringen; sie machten dabei auch für sich recht gute Geschäfte. Außerdem erhielt der Papst von jeder frei gewordenen Bischofsstelle die Einnahme eines Jahres, also oft über 30000 Mark. Eine reiche Einnahme für Papst und Geist­ lichkeit wurden auch die Kirchengesetze, die den Gläubigen auferlegt sind; wer sie nicht halten will, erhält nämlich vom Papste und der Geistlichkeit für Geld Dispens, d. h. die Erlaubnis, gegen ein Gesetz zu verstoßen, z. B. eine nahe Verwandte zu heiraten oder das Fastengebot zu verletzen; beides erklärt die Kirche bei dem, der ihr kein Geld giebt, für Sünde; aus der päpstlichen Kanzleitaxe, welche im I. 1512 sogar im Druck erschien, konnte jedermann ersehen, wie viel in Rom eine Sünde koste?). Noch auf mancherlei andere Weise nahmen die Päpste den Laien ihr Geld ab, und diese „Sünden von Deutschland" (wie einmal ein Papst selber das Geld treffend bezeichnet haben soll) machten es dem Papste und seinen Anhängern möglich, wie ein bekanntes Lied spöttisch bemerkt, „herrlich in der Welt" zu leben. c. „Wie der Herr, so der Knecht," heißt es im Sprichwort; waren die Päpste schlecht, so konnten die niederen Geistlichen nicht besser sein. Wedigo Hans von Putt­ litz, Bischof zu Havelberg (1460—87), war ein Bischof, wie es damals viele gab, noch lange nicht einer der schlechtesten, der sich um das geistliche Wohl seiner Untergebenen *) Döllinger-Friedrich, Das Papsttum S. 106 ff. 2) Döllinger-Friedrich, Das Papsttum S. 188.

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vielleicht auch kümmerte, aber noch viel mehr um weltliche Dinge. Mit dem Herzog Ulrich von Mecklenburg führte er wegen Grenzstreitigkeiten einen erbitterten Krieg; Dörfer und Städte wurden geplündert und verheert, selbst Kirchen und Klöster im Feindesland schonte der Bischof nicht. Dies Treiben verminderte freilich die Scheu vor dem Bischof dermaßen, daß ihn die Bauern eines seiner Dörfer, die ihm gram waren, einst mit Steinen zum Dorfe hinausjagen wollten. Auf seiner Flucht überritt der Bischof eine Frau, und dieselbe verlor dadurch ihr Leben; da nun seitdem der Bischof keine geistlichen Handlungen mehr verrichten durfte, so hielt er sich fortan einen Weihbischof. Mit den Bewohnern seiner Residenz Wittstock geriet er wegen einiger Wassermühlen in Streit, und fast hätten die Bürger sein Schloß erstürmt. Für diesen Frevel gedachte er die Stadt in Brand zu schießen; er unterließ das nur darum, weil dann sein Schloß mitverbrannt wäre. Erst nach einigen Jahren wurde der Streit beigelegt zu Gunsten des Bischofs, wie damals in der Regel beim Streit zwischen Geistlichen und Laien. d. Wie in den meisten Klöstern, so hatten auch im Augustinerkloster zu Salzwedel Reichtum und Schwelgerei die strenge Klosterzucht fast ganz aufgelöst: vergeblich waren alle Mahnungen des Bischofs, zur Ordnung zurückzukehren. Als der Bischof endlich einen Domherrn abschickte, um daä Kloster zu revidieren, verrammelten die Mönche die Thür. Erst als Abgesandte des Kurfürsten von Brandenburg herzukamen, öffneten die Mönche. Nun wurde alles genau untersucht und neu geordnet : vier mitgebrachte Mönche sollten fortan die Ordnung aufrechterhalten. Nachdem am Schluffe der Visitation in der Klosterkirche noch eine Messe gehalten worden war, wurde der Vor­ steher des Klosters in die Sakristei gerufen. Hier mußte er auf einem Teppich niederknieen, zwei Prioren zogen ihm die Kappe vom Kopfe mit den Worten: „Der Herr ziehe dir den alten Menschen aus mit allen seinen Werken!" Darauf setzten sie ihm dieselbe wieder auf mit den Worten: „Der Herr ziehe dir den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit!" Nun ver­ sprach er, das Klostergelübde fortan zu halten, und so wurde er wieder in sein Amt eingesetzt. Ähnlich wurden die Mönche aufs neue zum Gehorsam verpflichtet. — Ob es seitdem im Kloster besser geworden ist, ist leider nicht überliefert. e. Schon lange und überall waren die Dominikaner und die Franziskaner ein­ ander feind. Die ersteren standen zu Bern in großem Ansehen; um ihren Gegnern zu schaden, ersannen sie ein schändliches Bubenstück. Sie suchten einen einfältigen Menschen, der als Novize in ihren: Kloster wohnte, einen Schneider, Namens Jetzer, zu einem Zeugen für die Wahrheit der von ihnen schon damals verteidigten Irrlehre zu machen, daß Maria ohne Sünde geboren worden sei (was die Franciskaner leugneten). Der Propst und einige Mönche begannen vor seinem Zimmer Spuk zu treiben: sie erschienet: ihm vielfach als Geister vermummt und überbrachten ihm Offenbarungen der heiligen Jungfrau; endlich brannten sie ihm sogar mit einem feurigen Eisen eins der angeblichen Wundenmale Christi in die rechte Hand, und eine Salbe hielt die Wunde offen. Zwar erkannte bei einer späteren Erscheinung Jetzer einen der Ver­ mummten und hielt ihn fest; dieser aber erklärte, er freue sich darüber, daß Jetzer ihn erkannt habe; er wisse also eine wahre Geistererscheinung von einer falschen zu unterscheiden. Später brannten die Mönche, nachdem sie dem armen Schneider einen Schlaftrunk eingegeben, ihm noch die vier andern Wundenmale Christi ein. Dies

Wunder schaffte natürlich dem Kloster ein großes Ansehen beim Volke. Da geschah ein neues Wunder: das Marienbild der Dominikaner weinte blutige Thränen. Indes sprang einmal ein Kaplan auf den Altar, belastete das Bild und schrie durch die ganze Kirche: „Es ist ja nur rote Farbe, es ist eitel Betrug!"

Heidrich, Kirchengeschichte.

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Nun begann der Rat der Stadt die ganze Wundersache zu untersuchen. Die Dominikaner versuchten jetzt, den Jetzer durch eine vergiftete Hostie und dann durch vergiftete Suppe zu beseitigen; er war vorsichtig genug, beides nicht zu sich zu nehmen. Da ließen die Mönche wieder Geister erscheinen; Jetzer aber brauchte Messer und Hammer gegen dieselben, schloß sie in seine Zelle und holte den Prior. Bei der Untersuchung der Sache, die bis vor den Papst ging, wurden vier Mönche schuldig befunden, und sie wurden öffentlich enthauptet und verbrannt. f. Das Wunder der Wandlung, das freilich schon in alter Zeit von frommen Christen bezweifelt wurde, hat angeblich manche göttliche Bestätigung erfahren; als solche galt im Mittelalter auch die folgende Geschichte — gleichfalls ein deutlicher Be­ weis von dem Verfall der Kirche. Im I. 1383 wurde das Dorf Wilsnack in der Priegnitz von dem Raubritter Heinrich von Bülow überfallen und in Brand gesteckt. Als zehn Tage danach der Ortsgeistliche, angeblich auf den wiederholten Befehl eines Engels, die Ruine der Kirche untersuchte, fand er den Altar mit seinem Schmucke unversehrt. Drei geweihte Hostien aber, welche in einer Büchse auf dem Altar standen, hatten so stark Blut ge schwitzt, daß sie in eine Masse zusammengeflossen waren. Der Geistliche berichtete über­ dies Wunder sogleich an den Bischof von Havelberg. Derselbe bewilligte einen Ab­ laß für diejenigen, welche zur Verehrung der wunderbaren Offenbarung Christi nach Wilsnack wallfahrten würden. Bald geschahen nun durch die blutigen Hostien angeblich viele Wunder, und von dem Gewinn aus den Wallfahrten wurde eine prächtige Kirche erbaut, und aus dem Dorfe wurde eine Siadt. Um immer mehr Pilger nach Wils­ nack zu locken, wurde der Ablaß für die Wallfahrt vergrößert. Für jede Meile Weges erhielt man 40 Tage Ablaß, ebenso viel für jeden Umgang um die Kirche und für jede Anbetung des Heiligtums. Außerdem aber hatten die Pilger noch folgendes zu thun. Sobald der Pilger anlangte, wurde er zu der sogen. „Sündenwage" geführt, die noch heute in der Kirche zu Wilsnack zu sehen ist. Auf die eine Schale setzte sich der Pilger, auf die andere legte er seine Gaben für die Kirche, und den Ablaß er­ hielt er nur dann, wenn seine Gaben mehr wogen als er selbst. Der Reiche mußte deshalb viel zahlen; beim Armen half man der Wage nach durch einen Draht oder Strick, der unter der einen Wagschale angebracht war und nach einem unterirdischen Gewölbe geführt war. Zuletzt erhielt der Pilger, wieder gegen Geld, ein Stück Blei in Form einer Hostie mit drei roten Flecken, welches er dann an den Hut steckte, um zu zeigen, daß er in Wilsnack gewesen sei. Gegen diesen Unfug ist schon Huß aufgetreten, und schon um das I. 1450 ver­ bot der Papst die Wallfahrten nach Wilsnack. Trotzdem dauerten sie noch bis ins 16. Jahrh, hinein fort. Im I. 1552 aber verbrannte der evangelische Prediger von Wilsnack die berühmten Hostien; die katholischen Domherren setzten ihn dafür ins Gefängnis, und der bereits lutherische Kurfürst Joachim II., der den Geistlichen ein Einschreiten gegen die Hostien verboten hatte, vertrieb ihn aus seinem Lande. g. Wenn so das Leben der Geistlichkeit die größten Mängel und Gebrechen zeigte, so war es natürlich kein Wunder, daß auch das Leben der Laien nicht besser war. Dazu kam nun noch, daß die Lehre der Kirche ebenfalls sehr mangelhaft und vielfach irrig war, so daß viele Mißbräuche und Unsitten gerade durch die Lehre der Kirche hervorgerufen oder begünstigt wurden. Nicht der eine Gott wurde verehrt, sondern Maria und die Heiligen wurden hauptsächlich vom Volke angebetet, und nicht einmal diese wurden als geistige Wesen verehrt, sondern man hielt sich an ihre Reliquien und Bilder, denen noch dazu die unglaublichsten Wunder- und Zauberkräfte zuge­ schrieben wurden. Der Gottesdienst war ein Schaustück für die Augen, die Beichte

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machte den Menschen von der Geistlichkeit ganz abhängig, die wahre Sittlichkeit sollte nur im Kloster möglich sein. Ja, wie oft verleitete der Kirche Gebot zur Übertretung von Gottes Gebot! Die Päpste entbanden die Unterthanen vom Eide der Treue gegen den Fürsten, und den Sohn stachelten sie auf zum Frevel gegen den Vater; gegen den Ketzer hörten alle Pflichten der Menschenliebe auf; die Bettelei wurde durch das Vorbild der Bettelorden gefördert; der Ablaß gefährdete aufs äußerste die Sitt­ lichkeit. So war es kein Wunder, daß die christliche Frömmigkeit und Sittlichkeit manchem Christen nicht besser schien, als die mohammedanische, die man durch die Kreuzzüge kennen gelernt hatte, und daß mancher andere zu der Erkenntnis kam, daß Kirche und Bibel ganz verschiedene Dinge lehrten und forderten.

41. (38.) Die reformatorischen Concilien des Mittelalters. a. Da nun die Kirche eines allgemein anerkannten Oberhauptes ent­ behrte, und da ihr Verfall von niemand bezweifelt wurde, so wurden die Völker zu Schiedsrichtern im Streit der Päpste, und allgemein war das Verlangen nach einer Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern. Das größte Ansehen genoß aber damals in der ganzen Welt die Universität von Paris, an welcher gerade treffliche Männer in freisinnigem Geiste lehrten. Dieselben wiesen darauf hin, wie die Kirchenspaltung beseitigt werden könne. Das könne geschehen durch gleichzeitige freiwillige Abdankung beider Päpste und die Wahl eines neuen von allen Ländern anzuerkennenden Papstes. Als aber beide Päpste das zu thun sich weigerten, wurden sie von ihren Cardinälen verlassen, und nun betrat man einen anderen Weg, die Spal­ tung zu beseitigen, den gleichfalls vornehmlich die Pariser Universität den Völkern vorgezeichnet hatte. Über dem Papste stehe die Kirche, wie sie in einem allgemeinen Concil vertreten sei; ein solches wurde nun von den Car­ dinälen beider Päpste im Jahre 1409 nach Pisa berufen. Eine glänzende Versammlung trat daselbst zusammen: 24 Cardinäle, an 200 Bischöfe oder ihre Stellvertreter, 300 Äbte, über 400 Vertreter der Universitäten und die Gesandten von mehr als 20 Fürsten. Das Concil lud nun alsbald die beiden Päpste vor sich, und als sie nicht erschienen, wurden sie ihrer Würde entsetzt und allen Christen bei Strafe des Bannes untersagt, einem derselben noch weiter zu gehorchen. Nunmehr wurde ein neuer Papst gewählt, Alexander V.; aber die bisherigen Päpste behaupteten sich in manchen Län­ dern, und als das Concil zu Ende war, sah die Christenheit zu ihrem Ent­ setzen die Lage der Kirche noch verschlimmert: nunmehr gab es drei Päpste, von denen jeder die beiden andern und ihre Anhänger in den Bann that; nun war jeder Christ sogar zweimal gebannt, wenn nicht gar dreimal für den Fall, daß er keinem der drei Päpste gehorchen wollte.

b. Diesen Zustand vermochte die Christenheit nicht lange zu ertragen, und wieder ertönte der Ruf nach einem allgemeinen Concil; es ist das Verdienst des Kaisers Sigismund, dasselbe zustande gebracht zu haben; der Nachfolger des in Pisa gewählten rechtmäßigen Papstes, Johann XXIII., der aus dem Kirchenstaate vertrieben worden war und nur vom Kaiser Hülfe erwarten konnte, mußte dasselbe nach des Kaisers Wunsch für das Jahr 1414 nach Constanz berufen. Papst und Kaiser waren bei diesem Concil selber zugegen, und aller Glanz des Abendlandes war hier versammelt: 29 Car­ dinäle, an 180 Bischöfe, viele Äbte und Vertreter der Universitäten, 1600

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weltliche Herren und viele Fremde als Gäste des seltenen Schauspiels. Damit des Papstes Anhänger nicht durch ihre Überzahl das Concil wirkungslos machten, setzten es die Freunde einer Reformation der Kirche mit Hülfe des Kaisers durch, daß nicht nach Köpfen, sondern nach Nationen gestimmt wurde, wobei jede Nation, deren man fünf zählte (Italiener, Franzosen, Eng­ länder, Deutsche und Spanier), nur eine Stimme hatte; über ihre Abstimmung hatte jede Nation in einer Vorversammlung zu entscheiden; damit war das Übergewicht der Italiener beseitigt. Obwohl nun der Papst Johann XXIII. vorschlug, das Urteil des Concils von Pisa einfach anzuerkennen und ihn für den rechten Papst, die andern aber nochmals für abgesetzt zu erklären, so fand doch dieser Vorschlag keinen Beifall. Dagegen beschloß das Concil, daß alle drei Päpste ihre Würde niederlegen sollten; darauf wollte Johann nicht eingehen. Als nun aber gegen ihn schwere Anschuldigungen wegen seines Lebenswandels erhoben wurden, die er nicht hätte widerlegen können, so erklärte er sich zur Abdankung bereit. Bald aber bereute er sein Ver­ sprechen, und als Stallknecht verkleidet entfloh er in das Gebiet des Habs­ burgischen Herzogs Friedrich von Tirol (in die alten Besitzungen der Habs­ burger in der Schweiz), der ihm Schutz zugesichert hatte. Doch der Burg­ graf Friedrich von Nürnberg (der damals die Mark Brandenburg von Sigis­ mund erhielt) brachte den flüchtigen Papst bald nach Constanz zurück. Nunmehr wurde er seiner Würde entsetzt und ins Gefängnis geworfen; später wurde er von seinem Nachfolger für den Rest seines Lebens begnadigt, und er ist im Jahre 1419 als Cardinal gestorben. Der zweite Papst legte sein Amt freiwillig nieder; um den dritten (Benedict XIII.), der sich abzudanken weigerte, kümmerte sich niemand mehr; er blieb Papst des Städtchens Penis­ cola bei Valencia in Spanien, und mit seinen zwei Cardinälen verfluchte er (f 1424) von da aus immer aufs neue die ganze Welt; erst mit seinem freiwillig abdankenden Nachfolger hat dies seltsame Papsttum im Jahre 1429 sein Ende erreicht?) Das Concil von Constanz hatte erklärt: „Jedes rechtmäßig berufene ökumenische, die Kirche repräsentierende Concil hat seine Autorität unmittel­ bar von Christus, und in Sachen des Glaubens, in der Beilegung der Spaltung und der Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern ist jedermann, auch der Papst, ihm unterworfen." Mit diesem Beschluß, welcher einstimmig an­ genommen wurde, ging das Concil auf die Zeit vor der Jsidorischen Fäl-

*) Vgl. das Gedicht von Geibel: Benedict XIII. Auf der Burg zu Peniscola, die vom Fels zur Öde blickt. Am Altar im Kreis der Mönche steht der greise Benedict; Einst zum Pontifex erkoren, nun entsetzt durch Kaiserwort, Barg er, unversöhnlich grollend, wie ein wunder Aar sich dort. „Herr, das Amt der ew'gen Schlüssel, das du deinem Knechte gabst. Wer vermag's mir anzutasten! Laß sie dräu'n, ich bin der Papst. Über Fürstenmacht und Völker hast du mir Gewalt verlieh»; Wagt zu trotzen mir der Erdkreis, dein Gericht herab auf ihn!" Und empor das Auge wendend, das des Himmels Blitze sucht, Spricht er feierlich den Bannfluch, der die ganze Welt verflucht. Unter Grabgeläut die Kerzen löscht er aus am Hochaltar: „Also seid im Buch des Lebens ausgethan für immerdar!" Dumpf erschallt der Chor der Mönche: „Tag des Zornes, brich heran!" — Doch die Sonne wallt wie gestern ruhig lächelnd ihre Bahn.

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schung zurück; die seitdem aufgekommene Macht des Papsttums war als eine Anmaßung zurückgewiesen; das Concil steht über dem Papste; das Episkopalsystem, wonach jeder Bischof seine Macht von Gott und nicht vom Papste hat, hatte über das Papalsystem, wonach der Bischof seine Macht vom Papste hat und von diesem nach Belieben ein- und abgesetzt werden kann, den Sieg davongetragen. Nunmehr schien es möglich, die Kirche an Haupt und Gliedern zu refor­ mieren; aber obwohl nun der Kaiser und die deutsche Nation forderten, daß vor der Wahl eines neuen Papstes die Kirche reformiert werde, da sonst leicht die Reformation wieder vereitelt werden tonne, so beschlossen doch die anderen Nationen zuerst einen neuen Papst zu wählen, damit die Kirche nicht des Hauptes entbehre; aber Martin V., den man wählte, dachte nicht daran, das ins Werk zu setzen, was man begehrte: eine Reformation an Haupt und Gliedern. Unter dem Vorwande, daß dieselbe nicht so schnell zustande ge­ bracht werden könne, wurde das Concil im Jahre 1418 aufgelöst; ein späteres Concil sollte sie vornehmen. Der Papst reiste mit großem Pomp ab: der Kaiser Sigismund und der Kurfürst von Brandenburg führten das Pferd, auf dem er saß, am Zügel; die Herzöge von Bayern und Östreich hielten die Zipfel der Schabracke; vier Grafen trugen den vergoldeten Thronhimmel. Bald darauf verließ Kaiser Sigismund heimlich die Stadt, ohne die Schulden, die er und sein Gefolge gemacht hatten, zu bezahlen, so daß viele Leute in Constanz infolgedessen verarmten. c. Im Jahre 1431 eröffnete nun zwar der Papst Eugen IV. in Basel das dritte und letzte der großen Concilien des Mittelalters, welches versuchen sollte die Kirche zu reformieren. Doch geriet das Concil bald mit dem Papste in Streit; derselbe verlegte dasselbe nun zuerst nach Ferrara (1438), dann nach Florenz. Da aber ein Teil der Mitglieder in Basel blieb, ja sogar einen Gegenpapst aufstellte, so gab es jetzt zwei Concilien neben einander, und auch wieder zwei Papste. Das in Florenz löste sich bald auf, das in Basel erst im Jahre 1449. Eine Reformation der Kirche hatte auch dies Concil nicht zu stände gebracht. Bald hatten die Päpste wieder alle Macht an sich gebracht, und die Völker glaubten nunmehr, Kirche und Papsttum könnten nicht mehr reformiert werden. d. „Da nun solche Mißbräuche" — sagt Luther in seinen Briefen — „so unleidlich viel und groß und nicht geändert wurden durch die, so es billig thun sollten, begannen sie von selbst allenthalben in deutschen Landen zu fallen und die Geistlichen darüber verachtet zu werden. Solches Abfallen und Untergehen der Mißbräuche war bereits im Schwang, ehe des Luthers Lehre kam, denn alle Welt war der Geistlichen Mißbräuche müde und feind, daß zu besorgen war, wo des Luthers Lehre nicht drein kommen wäre, es wäre ein jämmerlich Verderben im deutschen Lande entstanden; es wäre eine unordentliche, stürmische, gefährliche Änderung geworden [roie sie Münzer diifing] und ohne Zweifel die ganze Religion gefallen."

42. (39.) Reformatoren vor der Reformation. „An Haupt und Gliedern" war die Kirche krank und verdorben und bedurfte dringend einer Reformation; darüber war in den letzten Jahrhun­ derten des Mittelalters kein Mensch im Zweifel. Aber wie sollte eine

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Reformatoren vor der Reformation.

Reformation zu stände kommen, wenn Papst und Concil sie nicht zu stände bringen konnten oder wollten? — Schon vor Luther hat es nicht an Männern gefehlt, welche dies schwierige Werk, das Papst und Concil nicht zu stände brachten, in die Hand genommen haben. Vornehmlich drei Länder haben solche Männer hervorgebracht: in Frankreich ist Valdus, in England Wiclif, in Böhmen Hus aufgetreten; Deutschland darf sich rühmen, das Vaterland desjenigen Mannes zu sein, dem dies schwere Werk endlich gelungen ist. a. Schon seit langer Zeit hatte sich die Kirche von der Lehre der Bibel entfernt, und immer weiter entfernte sie sich von dem alten Christen­ tum. Aber auch im Mittelalter hat es in der griechischen wie in der römischen Kirche nicht an Männern gefehlt, welche ein besseres Christentum suchten und kannten, als es in der Kirche ihrer Zeit zu finden war. So wird wohl auch die Kirche der Waldenser, deren Ursprung und Entwickelung im folgenden dargelegt werden soll, nicht ohne Anschluß an frühere Männer und Parteien entstanden sein; es ist aber bisher nicht gelungen, ihre Ge­ schichte über das Jahr 1200 zurückzuverfolgen. Um das Jahr 1170 lebte in Lyon ein reicher Kaufmann, Namens Waldes (lateinisch: Valdus); als derselbe einst die Legende vom h. Alexius erzählen hörte, der, wie der h. Antonius, alles verlassen nnd sein Vermögen den Armen gegeben hatte, da wurde er davon so ergriffen, daß er seine Güter den Armen schenkte und fortan ernstlich an das Heil seiner Seele dachte. Aber nicht bloß seine Seligkeit wollte er schaffen, sondern er begann auch zu predigen von dem Wege zur Gottseligkeit, wie er ihn nicht durch die Kirche, sondern durch die Bibel erkannt hatte. Gleichgesinnte schlossen sich ihm an und predigten, wie Waldes; aber im Jahre 1179 verbot ihnen der Papst das Predigen, und als sie diesem Verbot nicht gehorchten, wurde der Bann über sie ausgesprochen, 1184. Nunmehr entfernten sie sich allmählich immer mehr von der Lehre der Kirche, und auf Grund der heiligen Schrift predigten sie ein reineres Christentum, als die Kirche es verkündete. Da wurden sie von der Kirche verfolgt, und als im Jahre 1209 der Krieg gegen die eben­ falls im südlichen Frankreich weit verbreiteten Albigenser begann, von denen alsbald die Rede sein wird, wurden auch die Genossen des Waldes, die Waldenser, verfolgt — aber nicht unterdrückt. Die verfolgten Waldenser wurden nach allen Richtungen hin zerstreut, und wir können ihre Spuren in Frankreich und Deutschland vielfach ver­ folgen. Namentlich aber siedelten sie sich auch in Italien an, wo ihnen die kottischen Alpen (Piemont) einen Zufluchtsort boten; bald aber wurden sie überall verfolgt und getötet oder vertrieben. Es gelang zwar, diese Ketzer zu vermindern, aber nicht sie zu unterdrücken; sie haben sich bis zur Refor­ mation behauptet. Als die Reformation begann, traten die Waldenser mit den Refor­ matoren (namentlich der Schweiz) in Verbindung, und nun machten sie sich erst völlig von den falschen Lehren und Einrichtungen der katholischen Kirche frei. Damit begann aber auch alsbald die Verfolgung aufs neue, sowohl von Frankreich als auch von Italien her, über die Ketzergemeinden der Alpenthäler hereinzubrechen, und besonders im 17. Jahrhundert wurden die Wal­ denser aufs heftigste verfolgt; in den Jahren 1686—87 wurden sie sogar aus den Alpen vertrieben, aber schon im Jahre 1689 durften sie wieder zurückkehren.

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Die protestantischen Staaten, namentlich England (besonders unter Cromwell 1649—1660) und Brandenburg haben sich der bedrängten Glaubens­ genossen immer aufs neue angenommen. Um das Jahr 1800 erhielten sie von Napoleon Glaubensfreiheit und sogar Unterstützung, aber in den ersten Jahr­ zehnten unseres Jahrhunderts wurden sie durch die Herrscher des Königreichs Sardinien (Hauptstadt Turin — die Vorgänger des jetzigen Königs von Italien) aufs neue verfolgt. Erst das Jahr 1848 brachte den Verfolgten endlich für immer Glaubensfreiheit, und nun durfte sich die seit Jahrhunderten ver­ folgte Waldenserkirche auch weiter in Italien verbreiten, namentlich seit der Ausdehnung der Herrschaft des Königs von Sardinien über ganz Italien. Freilich hat es auch in der Neuzeit noch nicht an Verfolgung der Ketzer gefehlt, z. B. der Eheleute Madiai in Florenzl), ehe Florenz zum König­ reich Italien gehörte; aber das Eingreifen der evangelischen Allianz^) entriß dieselben dem Kerker. Seitdem hat sich die Waldensergemeinde von den Alpenthälern aus in Italien immer weiter verbreitet, und auch in Rom befindet sich seit dem Jahre 1883 eine Waldenserkirche. Leider hat es auch unter den Waldensern nicht an Spaltungen gefehlt, welche ihrem Wirken schadeten, wie ja auch andere evangelische Parteien ihnen zur Seite getreten sind, ohne immer, was doch für den Erfolg der evangelischen Predigt unter dem fast ganz katholischen Volke wichtig wäre, der Einheit der evangelischen Parteien in den Hauptlehren eingedenk zu sein. So ist es kein Wunder, daß das italienische Volk doch im ganzen der Waldenserkirche fernbleibt; wenn nämlich auch die Italiener dem Papste fehl Land genommen haben, so wollen sie doch trotzdem katholisch bleiben. Vor und neben den Waldensern hat es im Mittelalter noch viele andere der katholischen Kirche fremd oder feindlich gegenüberstehende Parteien gegeben, von denen man eine, welche, wahrscheinlich aus dem byzantinischen Reiche stammend,') sich be­ sonders weit verbreitet hatte, mit dem Namen Ketzer (Katharer, ‘/.a&aool d. i. die Reinen, wie sie sich gegenüber der verweltlichten Kirche wohl selber genannt hatten) bezeichnete; da dieselbe sich namentlich im südlichen Frankreich weit verbreitete, so er­ hielt sie von der französischen Landschaft Albigeois auch den Namen der Albigenfer. Hoch und niedrig, Stadt und Land fiel daselbst den Ketzern zu, die katholische Kirche schien in Südfrankreich verschwinden zu sollen. Da wurde im I. 1208 ein gegen die Ketzer gesandter Legat des Papstes erschlagen. Diese That veranlaßt zu haben, wurde der Graf Raymund von Toulouse beschuldigt; als Ketzer war derselbe bereits im Banne; nun entband der Papst die Unterthanen ihres Eides; jedermann erhielt das Recht, den Grafen zu verfolgen und sich seines Eigentums zu bemächtigen; den König von Frankreich forderte er auf, das Land des Ketzers für sich zu erobern, und den Teilnehmern an diesem Kreuzzuge gewährte er vollkommenen Ablaß. Da hielt es der Graf für geraten, sich dem Papste zu unterwerfen. Bis auf den Gürtel entblößt, ging er in den Vorhof einer ihm dazu bestimmten Kirche, wo ein Altar stand mit der Hostie und den Reliquien. Hier schwur er seine Ketzerei ab und versprach vollständige Unterwerfung. Darauf legte der Legat dem Grafen seine Priester­ stola um den Hals, ergriff die Enden derselben, und zog ihn, wie an einer Halfter, ') 2) ’) system

Vgl. Nr. 57. Vgl. Nr. 78 E. Die Katharer hatten sich von der Kirchenlehre weit entfernt; ihr Religions­ ruhte auf einer dualistischen Weltanschauung.

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in die Kirche, während er mit einer Rute seinen Rücken peitschte — alles vor den Augen des zahlreich versammelten Volkes. Gegen 100000 Mann hatten sich um Johannis 1209 zum Kreuzzuge gegen die Ketzer zusammengefunden, ein rotes Kreuz auf der Schulter, als Kreuzfahrer gegen die Ungläubigen; viele Geistliche schlossen sich dem Heere an. Nachdem sie den heiligen Geist um Erleuchtung angerufen, wählten sie den Grafen Simon von Montfort zum Anführer; ihm stand der Abt Arnold von Citeaux zur Seite. Zuerst wurde die Stadt Veziers erstürmt und alles niedergehauen; als man den Abt fragte, ob man nicht die Katholiken der Stadt schonen solle, erwiderte er: „Schlagt sie nur alle nieder, Gott kennt schon die Seinen!" Bald fielen auch die andern Städte in die Hände des Kreuz­ heeres; sogar das Gebiet des Grafen von Toulouse wurde schließlich von den Kreuz­ fahrern erobert. Simon von Montfort ward zum Herrn des eroberten Gebietes er­ nannt; er hat sich des unrechten Gutes nicht lange erfreut, da er im Jahre 1218 in dem aufs neue ausgebrochenen Kriege das Leben verlor; bis zum Jahre 1229 hat der Ketzerkrieg im Lande gewütet. Das ketzerische Land zu säubern und zum Papsttum wiederum zurückzuführen, ward die Aufgabe der Inquisition, die unlängst begründet worden war und sofort daselbst eingeführt wurde, und von der weiter unten ausführlicher gesprochen werden soll. *) Durch dieselbe sind die Albigenser völlig unterdrückt worden, die Waldenser aber haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten.

b. Die Kirche zu reformieren, hatten in Frankreich die Waldenser vergeblich versucht; zweihundert Jahre später hat ein Engländer dies Ziel erstrebt — auch er freilich ohne Erfolg. Schon seit längerer Zeit hatte sich das nationale Selbstbewußtsein des englischen Volkes gegen das von Frankreich abhängige Papsttum von Avignon und seine Habsucht erhoben. Da trat gegen die Forderung des Papstes, den seit 33 Jahren nicht mehr gezahlten Lehnszins, welchen König Johann ohne Land im Jahre 1215 an den Papst zu zahlen versprochen hatte,-) nachzuzahlen, im Jahre 1365 ein gelehrter Professor in Oxford, Johannes Wielif (geb. um 1320), als Verteidiger der Unabhängigkeit des Königs und des Landes auf, und mutig verteidigte er den Beschluß des Parlamentes gegen die Anhänger des Papstes. Staatsmänner und Geistliche wurden auf den kühnen Mann aufmerksam, und im Jahre 1374 schickte ihn der König nach Brügge in Flandern, damit er daselbst mit päpstlichen Gesandten wegen Beseitigung mancher Mißbräuche und Übelstände in der englischen Kirche verhandle. Auf dieser Reise lernte Wielif (wie Luther auf seiner Reise nach Rom) die Mängel und Sünden des damaligen päpstlichen Hofes (der Papst residierte in Avignon) zur Genüge kennen, und seitdem wurde er immer mehr ein Gegner des Papsttums. Bald wurde er nun auch vom Papste als Ketzer verurteilt (1377); aber seine Freunde waren mächtig genug, ihn gegen Papst und Geistlichkeit zu schützen. Noch ärger wurde die Feindschaft gegen ihn, als er nicht bloß das lautere Wort Gottes nach der Bibel predigte und durch seine Schüler als umherziehende Neiseprediger auch in andern Gemeinden predigen ließ, sondern auch im Jahre 1380 eine englische Bibel­ übersetzung (die erste in England) herausgab und im folgenden Jahre sich gegen die katholische Lehre von der Transsubstantiation (der Verwandlung von Z Vgl. Nr. 82. 3) Vgl. Nr. 33.

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Brot und Wein in Leib und Blut Christi) aussprach. Nun wurde er von der Universität Oxford, zu deren Gliedern er gehörte, verdrängt und seine Anhänger vor das kirchliche Gericht gezogen; dagegen wagte man nicht, ihm eine Pfarrstelle, die er zugleich verwaltete, zu entziehen; als Pfarrer von dem Städtchen Lutterworth ist er im Jahre 1384, im Alter von sechzig Jahren, gestorben. Aber noch nach seinem Tode bestrafte die Kirche den Ketzer: wie es das Concil von Constanz') im Jahre 1415 geboten, wurden (aber erst im Jahre 1428) seine Gebeine ausgegraben und verbrannt, und die Asche wurde ins Wasser gestreut. Schon Wiclif hat seine Lehre auf die heilige Schrift gegründet, und diesem Zwecke sollte ja auch seine Bibelübersetzung dienen, die freilich damals nur abgeschrieben werden konnte und doch noch heute in etwa 150 Abschriften vorhanden ist (gedruckt aber erst 1731 das Neue Testament, 1850 die ganze Bibel), und die so viel gelesen wurde, daß seine Anhänger die „Bibelleute" genannt wurden. Freilich die Lehre von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben hat Wiclif trotz seiner Bibelkenntnis noch nicht gefunden — diese verdankt die Kirche erst Luther; dagegen hat er, wie schon oben bemerkt, die Lehre von der Verwandlung der Elemente im heiligen Abendmahl bereits verworfen und damit der Messe die Grundlage entzogen. Der Papst er­ schien ihm in den letzten Jahren seines Lebens als der Antichrist, wie ja auch die Cardinäle des einen Papstes den Papst der Gegenpartei (es war die Zeit der päpstlichen Spaltung, 1378) ebenfalls als Antichrist bezeichneten. — So war Wiclif ein Vorläufer von Luther, der ihn freilich als solchen nicht gekannt hat. Nach Wiclif'sTode predigten die von ihm ausgesandten „armen Priester" das „Gesetz GotteS", das sie durch Wiclif kennen gelernt hatten, im ganzen Lande, und hoch und niedrig hörte und lernte von ihnen den Ratschluß Gottes zu unserer Seligkeit, von dem die Kirche wenig Rechtes zu sagen wußte. Durch heftige Verfolgungen hat die katholische Kirche die Wiclifitische Ketzerei in England zu unterdrücken gesucht; aber dieselbe war noch nicht ganz verschwunden, als die Reformation in England begann, in welcher dann Wiclif's Beginnen seine Vollendung fand. c. Während der von Wiclif ausgestreute Same in England keine große Frucht brachte, ging derselbe in Böhmen mächtig auf, und aus Wiclif's Wirken ging hier eine Bewegung hervor, welche die ganze Christenheit er­ schütterte und dem Werke Luther's am meisten vorarbeitete. Der König Richard II. hatte sich nämlich (1382) mit der böhmischen Prinzessin Anna, einer Tochter Kaiser Karls IV., verheiratet, und seitdem standen die Univer­ sitäten Oxford und Prag mit einander in Verbindung, und böhmische Jünglinge (darunter auch Hieronymus von Prag, Hussens Freund) brachten noch bei Wiclif's Lebzeiten Schriften von Wiclif nach Böhmen. Hier hatten schon vor Hus fromme deutsche Männer auf eine Reformation der Kirche hin­ gearbeitet, aber erst ihrem Nachfolger, dem Böhmen Johann Hus, gelang es, mit seiner reformatorischen Wirksamkeit einen größeren Erfolg zu erzielen. Derselbe war, vielleicht im Jahre 1369, zu Hussinetz in Böhmen von ein­ fachen, aber wohlhabenden böhmischen Landleuten geboren, und nannte sich zuerst nach seinem Geburtsorte Johann Hussinetz, später nur Johann Hus. l) Vgl. Nr. 41.

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Nachdem er in Prag studiert hatte, hielt er seit 1398 selber Vorlesungen und wurde bald ein angesehener Universitätslehrer. Außerdem wurde er (1402) zum Pfarrer an der Bethlehemskapelle in Prag gewählt, welche im Jahre 1391 dazu gestiftet worden war, damit für das Volk in der Mutter­ sprache (böhmisch) gepredigt werde, was sonst wenig oder gar nicht geschah. Obwohl Hus die Schriften von Wiclif bereits kannte, so blieb er doch zunächst ein treuer Anhänger der Kirche, ja, er stand beim Erzbischof in hohem Ansehen, und durch seinen Einfluß wurde die böhmische Geistlichkeit vom Erzbischof zu ernster Zucht und wahrer Frömmigkeit angehalten. Aber die Klagen der Geistlichkeit über seine scharfen Predigten und Mahnungen wegen ihrer Laster brachten es bald dahin, daß der Erzbischof ihm sein Ver­ trauen entzog und ihm alle priesterlichen Handlungen untersagte (1408). Dazu kam nun noch ein Streit an der Universität, der Hus auch mit den Deutschen verfeindete (1409). Auf seinen Antrieb bestimmte nämlich König Wenzel, daß an der Universität nicht mehr wie bisher jede der Nationen, in die sie sich teilte (Bayern, Sachsen, Polen und Böhmen), je eine Stimme haben, sondern die Böhmen drei und die andern Nationen zusammen nur eine Stimme haben sollten. Damit unzufrieden, wanderten die Fremden aus, und so entstand die Universität Leipzig. Hus wurde im Jahre 1409 der erste Rektor der nunmehr rein böhmischen Universität; bei Volk und Adel, bei Wenzel und seiner Gemahlin Sophia *) stand er nunmehr im höchsten Ansehen als Führer des böhmischen Volkes; Wenzel war namentlich des­ wegen ihm zugethan, weil es durch die Umwandlung der Universität erreicht worden war, daß Böhmen sich im Kirchenstreite zwischen den zwei Päpsten^) für neutral erklärte, also keinem Unterthan sein wollte. Als nun aber in Pisa (1409) ein neuer Papst eingesetzt worden war, Alexander V., wandte sich der Erzbischof an denselben mit der Klage, daß in Böhmen Schriften von Wiclif verbreitet würden, und der Papst forderte in einer Bulle (1410) den Widerruf und die Auslieferung der Wiclisitischen Schriften, und verbot auch die Predigt an Orten, wo das nicht altherkömm­ lich sei, damit der Erzbischof die Bethlehemskapelle schließen könne. Hus appellierte gegen diese Bulle sofort an den besser zu unterrichtenden Papst, lieferte aber, ebenso wie die anderen Gelehrten, die verlangten Bücher aus, und trotz des Protestes der Universität ließ der Erzbischof dieselben verbrennen; am 18. Juli wurde sodann über Hus und seine Freunde der Bann gesprochen. Aber Hus und seine Freunde ließen sich nicht einschüchtern; Hus predigte in der Bethlehemskapelle weiter, und König und Volk standen auf seiner Seite. Vergeblich suchte der Erzbischof durch Bann und Interdikt seine Gegner zu schrecken; beides blieb unbeachtet, oder wenn ein Geistlicher keinen Gottes­ dienst hielt, so wurde er verjagt. Endlich wollte der Erzbischof, vom Könige dazu gedrängt, nachgeben; aber er starb (1411), ehe es dazu kam. Als im folgenden Jahre Papst Johann XXIII. auch in Böhmen den Ablaß ausbot, den er ausgeschrieben hatte, um von dem Ertrage desselben den einen Gegenpapst aus Italien zu verdrängen und den König von Neapel zu bekämpfen, traten Hus und seine Freunde den Ablaßpredigern entgegen, und schließlich wurde ein großer Aufzug veranstaltet und die Ablaßbulle *) Vgl. Nr. 29 B. s) Vgl. Nr. 40.

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öffentlich verbrannt (1412). Um weiteren Unruhen vorzubeugen, verließ Hus auf des Königs Wunsch die Stadt Prag und lebte auf den Burgen befreun­ deter Edelleute; dadurch wurde aber seine Sache auch im ganzen Lande noch mehr verbreitet. Da nun gerade in Constanz das allgemeine Concil versammelt war, so beschloß Kaiser Sigismund, die Sache des Hus, welche bereits in der ganzen Christenheit Aufsehen erregt hatte, vor das Concil zu bringen. Vom Kaiser mit freiem Geleit versehen, reiste Hus nach Constanz, wo er aber nach einiger Zeit auf die falsche Beschuldigung, er habe die Stadt eigen­ mächtig verlassen wollen, verhaftet wurde. Bald darauf wurde er vom Concil das erste Mal verhört; er verantwortete sich dabei so geschickt, daß die Feinde nichts ausrichten konnten. Einige Tage darauf fand ein zweites Verhör statt. Vergebens suchten ihn die Feinde der Ketzerei zu überführen; sie machten ihm auch daraus einen Borwurf, daß er sich von dem Urteil des Papstes auf das Urteil Christi berufen habe; als Hus erklärte, es gebe keine bessere Berufung als diese, denn Christus werde ja einst das letzte Urteil überalle sprechen: da brach die Versammlung in Hohngelächter aus. Am folgen­ den Tage schwieg Hus zuletzt auf die Vorwürfe der Gegner, da sie dieselben nicht beweisen konnten. Am 6. Juli 1415 wurde Hus abermals vor die Versammlung geführt, der Kaiser war ebenfalls zugegen. Hus wurde für einen Anhänger von Wiclif erklärt; als er sich dagegen verteidigen wollte, ward ihm zu schweigen befohlen; da siel er auf seine Kniee und berief sich nochmals auf das Urteil Christi. Darauf erinnerte er den Kaiser Sigismund an den Geleitsbrief, den er ihm gegeben, und dieser ward sehr rot, sagte aber nichts. Als Hus sich beharrlich weigerte, die ihm (zum Teil fälschlich) schuld­ gegebenen Irrlehren zu widerrufen (man erklärte ihn hauptsächlich für einen Anhänger von Wiclif, was er eigentlich nicht war), da wurde er vom Concil für einen hartnäckigen Ketzer erklärt und der weltlichen Obrigkeit zur gesetz­ mäßigen Bestrafung übergeben. Alsbald, am 6. Juli 1415, wurde Hus abgeführt, der Scheiterhaufen errichtet und angezündet; singend und betend ist er bald vom Rauche erstickt worden; die Asche wurde in den Rhein geworfen, damit die Böhmen sie nicht aufsammeln könnten; aber die Böhmen gruben die Erde aus auf der Stelle, wo Hus gestanden, und brachten sie nach der Heimat. Das Concil hielt es für nötig, den Kaiser wegen seines Wortbruchs zu rechtfertigen: einem Ketzer brauche man das Wort nicht zu halten. Das Volk erzählte sich später, zu dem Holzstoß, auf dem Hus verbrannt werden sollte, habe noch ein Bäuerlein rasch einige Stücke Holz hinzuge­ worfen, um bei diesem guten Werke mitzuhelfen; Hus aber habe, als er das gesehen, ausgerufen: O heilige Einfalt (0 sancta simplicitas). Sodann soll Hus nach der Sage vom Scheiterhaufen her den Henkern zugerufen haben: „Jetzt bratet ihr eine Gans" (das bedeutet sein Name in der böh­ mischen Sprache) „aber in hundert Jahren wird ein Schwan kommen, den werdet ihr ungebraten lassen" (daher wird Luther vielfach mit dem Schwan zur Seite gemalt). Dies Wort beruht auf einem echten Worte von Hus, der in einem Briefe aus Constanz an seine Anhänger in Böhmen geschrieben hat: „Sie haben der Gans Nachstellungen bereitet; weil aber die Gans, ein friedliches und sanftes Tier, ihren Flug nicht hoch erhebt, hat sie ihre Bande nicht zerreißen können; es werden aber andere Vögel kommen, die

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kraft des göttlichen Wortes höher auffliegen werden, und die werden den Nachstellungen der Feinde ein Ende machen." Als ein Freund von Hus, Hieronymus von Prag (irrtümlich Hieronymus Faulfisch genannt), nach Constanz kam, wurde er, als der Hauptanhänger des Ketzers, gleichfalls verhaftet; nachdem er lange im Gefängnis gesessen, widerrief er alle seine ketzerischen Ansichten. Bald aber nahm er seinen Wider­ ruf zurück, und nun wurde er am 20. Mai 1416 gleichfalls als Ketzer ver­ brannt. Ein Zeuge dieses Vorgangs hat erklärt, daß kein Weltweiser so viel Mut auf dem Sterbebette bewiesen habe, als dieser Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Daß ein Concil, welches die Kirche reformieren wollte und selber drei Päpste abgesetzt hat, diese beiden Männer verbrannt hat, ist zu erklären aus dem Haß der Deutschen, den Hus auf sich geladen hatte, aus der Erbitte­ rung der Geistlichkeit gegen den ernsten Sittenprediger, und aus der Absicht, die Anhänger der beiden Männer in Böhmen durch Schrecken zur Unter­ werfung zu bringen — davon hat aber das Concil gerade das Gegenteil erreicht; von dem bedeutenden Erfolge von HussenS Predigt und dem Schicksal der böhmischen Kirche vor und nach der Reformation soll weiter unten genauer gehandelt werden?) Hier sei nur kurz darauf hingewiesen, daß nach dem Tode von Hus in Böhmen seine Lehre sich erst recht verbreitete, und daß sich schließlich eine besondere böhmische Kirche bildete, welche zwar infolge von Unterhandlungen mit dem Concil von Basel (Prager Compactaten 1433) wieder die Oberherrschaft des Papstes anerkannte, aber sich durch den für Böhmen gestatteten Kelch beim Abendmahl auch für die Laien als eine beson­ dere Abteilung der katholischen Kirche darstellte. So war also ein Anfang mit der Reformation der Kirche in Böhmen gemacht, und das war das Verdienst des Johann Hus und seiner Anhänger; eine größere Verbreitung jedoch hat diese Kirche nicht gewonnen; die Kirche in größerem Umfange zu erneuern, das blieb den Wittenberger und Schweizer Reformatoren vorbehalten. d. Noch sei hier eines frommen Mönches gedacht, der kurz vor dem Beginn der Reformation mehr als strenger Bußprediger, denn als Reformator, aufgetreten und als Feind der Kirche verbrannt morden ist. Als um das Jahr 1490 Lorenzo von Medici, der Herrscher von Florenz, auf dem Sterbebette lag, schickte er nach dem Prior des Dominikanerklosters, Hieronymus Savonarola, der durch seine strengen Buß­ predigten in Florenz allgemeines Aufsehen erregt hatte : ehe derselbe dem Sterbenden die Absolution gab, verlangte er, daß er das unrecht erworbene Gut wieder heraus­ gebe und daß er die alte Freiheit der Stadt wieder herstelle. Als Lorenzo nur das erste versprach, ging Savonarola hinweg, ohne ihm die Absolution zu geben. Der Sohn des Lorenzo wurde bald nachher vertrieben, und Florenz wurde eine freie Stadt, von Savonarola geleitet, in welcher durch des frommen Mönches Einfluß alles Bose und Weltliche mit großem Eifer unterdrückt und ein sittenstrenges Leben eingeführt wurde. Savonarola schonte in seinen Bußpredigten weder hoch noch niedrig; die Fürsten ermahnte er, den damaligen Papst Alexander VI., der nicht einmal ein Christ, noch weniger ein Priester sei, abzusetzen und die Kirche zu reformieren. Da that ihn der Papst in den Bann. Bald erhoben sich nun die Gegner des ernsten Bußpredigers, namentlich die

') Vgl. Nr. 58 A.

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Franciskaner, die den Dominikaner nm seinen großen Einfluß beneideten. Ein Gottes­ urteil sollte den Streit entscheiden, indem ein Anhänger von Savonarola und einer seiner Gegner zwischen zwei brennenden Scheiterhaufen auf schmalem Wege hinter­ einander durchgehen sollten; wer unverletzt hindurchkomme, der sei im Rechte. In ungeheurer Spannung wartete das Volk auf den Ausgang der Sache; da begannen die beiden Mönche darüber zu streiten, in welcher Mönchskutte, ob mit dem Crucifix, ob mit der Hostie durch das Feuer gegangen werden solle; Stunde für Stunde ver­ ging über dem Gezänk, endlich kam ein Platzregen, und zuletzt verbot die Obrigkeit die Feuerprobe. Das neugierige Volk sah sich um ein Schauspiel betrogen und wandte sich nun von dem Propheten ab. Bald wurde Savonarola verhaftet, die Folter er­ preßte ihm das Geständnis, daß er ein falscher Prophet gewesen sei; standhaft ging er mit zweien seiner Freunde am 23. Mai 1498 zum Tode, er wurde gehängt, der Leib am Galgen verbrannt und die Asche in den Arno gestreut. Er hat die Refor­ mation der Kirche, von der er geweissagt, nicht mehr erlebt. Als Vorläufer der Reformatoren kann er nur in weiteren! Sinne betrachtet werden.

e. Den Reformatoren vor der Reformation darf auch ein Mann angereiht werden, der als guter Katholik gelebt hat und gestorben ist. Cs ist dies Thomas Hamerken (d. i. Hämmerlein), der um das Jahr 1380 in dem Städtchen Kempen (Regierungs­ bezirk Düsseldorf) geboren wurde; seine Eltern waren einfache Bürgersleute, seine Mutter eine sehr fromme Frau. Im Alter von dreizehn Jahren verließ er bereits das elterliche Haus, um in Deventer in den Niederlanden eine berühmte Schule zu besuchen. Hiev hatte nämlich um diese Seit eine Anzahl frommer Männer, namentlich Gerhard Groot und Florentius Nadewynzoon, einen Verein von „Brüdern des ge­ meinsamen Lebens" gestiftet, die, ohne sich durch ein Gelübde zu biuden, sich in Bruderhäusern zusammenthaten, um für ihr eignes Seelenheil zu sorgen, der geist­ lichen und leiblichen Förderung des Volkes und namentlich der Jugend sich anzu­ nehmen und die Bibel und gute Bücher unter den Leuten durch Abschriften, die sie anfertigten, zu verbreiten. Dieser Bund hat sich im 15. Jahrhundert trotz der An­ fechtungen der Mönche weit ausgedehnt und hat der Reformation des sechzehnten Jahr­ hunderts vielfach die Wege geebnet; seine Mitglieder wurden meist Anhänger des Wittenberger Mönches. Als Thomas nach Deventer kam, wurde er von Florentius und von einer frommen Frau unterstützt, so daß er trotz seiner Armut in dem fremden Orte seinen Unterhalt gewinnen konnte. Im Jahre 1399 trat er in ein der heiligen Agnes geweihtes Augustiner-Kloster in der Nähe der Stadt Zwolle, wurde im Jahre 1406 daselbst ein­ gekleidet und 1413 zum Priester geweiht. Hier hat er bis zum Jahre 1471 als Mönch, die letzten 25 Jahre als Subprior gelebt, mit Ausnahme der Jahre 1429—32, wo ein Streit mit dem Papste einen Teil der Mönche, unter ihnen auch Thomas, in die Verbannung trieb. Bei der Frühmesse war er immer der erste in der Kirche, darauf begann er die Arbeit, fremde Bücher abschreibend oder seine eigenen Gedanken auf­ zeichnend; Schlaf gönnte er sich sehr wenig. Predigen und Unterrichten waren ihm sehr liebe Beschäftigungen, aber immer wieder zog er sich gern zum Gebet in die Einsamkeit zurück; dann sagte er wohl mitten im Gespräch: „Ich muß gehen, denn es ist einer, mit dem ich mich in der Zelle besprechen muß." Öfters pflegte er auch zu fasten und sich an bestimmten Tagen der Woche nach der Sitte der Zeit zu geißeln. Fast 91 Jahre alt, ist er an der Wassersucht gestorben. Er war ein treuer Sohn seiner Kirche, der niemals gegen ihre Mißbräuche gepredigt und eine Reformation gefordert hat, und doch hat er der Reformation vorgearbeitet. Er hat nämlich unter anderen Schriften ein Büchlein geschrieben „Von der Nachfolge Christi" (De imitatione

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Christi), das in Tausenden von Ausgaben existiert, das in die meisten europäischen Sprachen übersetzt worden ist, das nächst der heiligen Schrift eins der bekanntesten Bücher ist. 0 In diesem Buche ermahnt er, obwohl er die katholischen Lehren und Bräuche festhält, so daß wir Protestanten das Original erst bearbeiten müssen, um es als Erbauungsbuch brauchen zu können, doch vornehmlich zur Nachfolge Christi in frommem Leben; freilich findet Thomas diese Nachfolge als Mönch vornehmlich im Mönchtum; daß man die Welt nicht zu verlassen brauche, um fromm zu werden, das hat Thomas nicht gewußt; daß aus der Liebe zu Gott, die der Verfasser fordert, die Liebe zu den Menschen sich entwickeln und zur Liebesthätigkeit an ihnen führen müsse, das hat Thomas nicht erkannt; die Schranken des Mittelalters sind in diesem Buche nicht durchbrochen; „aber innerhalb dieser Schranken ist dieses Buch ein geradezu klassischer Ausdruck jener Gottesliebe, welche die Welt, d. h. sich selbst, flieht, und welche alles hingiebt für alles, nämlich Gott, das höchste Gut und die ewige Liebe/' -) f. Nicht wenig haben endlich zum Auskommen der Reformation auch die großen Ereignisse des fünfzehnten Jahrhunderts beigetragen. Mit der Eroberung von Constantinopel durch die Türken (1453) begann, durch flüchtige Griechen gefördert, im Abendlande aufs neue das Studium der alten griechischen und auch der römischen Klassiker, und dieses Studium mußte die Geister ausklären und vom damaligen Christen­ tum abführen; die Wiederherstellung der Wissenschaften führte zu einer allgemein menschlichen Bildung und Denkweise, zum Humanismus, welcher der Kirche fremd, ja vielfach feindlich gegenüberstand. An der Spitze dieser Männer stand in Deutschland Erasmus von Rotterdam, welcher in gewandtem Latein und mit unerschöpf­ lichem Witz die Abgeschmacktheiten der Mönche und der Theologen, den Heiligendienst und Ablaß, die Geistlichen und Päpste verspottete, auf die heilige Schrift hinwies und das Neue Testament zuerst im Grundtexte herausgab, aber schließlich doch bei der alten Kirche blieb und von Luther sich abwandte. In den heftigsten Kampf mit den Gegnern geriet der zweite Hauptvertreter des Humanismus, Johann Reuchlin, den die Dominikaner vergeblich als Ketzer beim Papste verklagten, weil er die christen­ feindlichen Schriften der Juden nicht verbrennen lassen wollte. Die ganze deutsche Jugend trat auf seine Seite, und aus ihrem Kreise, namentlich auch unter der Mit­ wirkung des dritten Hauptvertreters dieser Richtung, Ulrich's von Hutten, ging eine Schrift hervor (Epistolae obscurorum virorum 1516, vornehmlich verfaßt von Crotus Rubianus), welche die Bettelmönche und Ketzerverfolger für immer mit dem Fluche der Lächerlichkeit beladen hat. Und auch in anderer Weise wurde der Gesichtskreis der Menschheit erweitert und ihr ganzes Denken umgestaltet, nämlich durch die Entdeckung Amerikas durch Colum­ bus, durch die Aufstellung eines neuen Weltsystems durch Kopernikus, und durch die Erfindungen der damaligen Zeit, vornehmlich die Buchdruckerkunst, ohne welche die neuen Gedanken sich nicht so leicht und schnell hätten verbreiten können. So war die Macht der katholischen Kirche von verschiedenen Seiten her aufs tiefste erschüttert worden, und ohne die Reformation wäre das Christentum im west­ lichen Europa vielleicht zu Grunde gegangen. *) Ob aber dies ihm zugeschriebene Buch auch wirklich von ihm herrührt, ist viel­ fach bezweifelt worden. 2) Möller KG. II, S. 498.

Dritter Abschnitt. Die Megründrrng der evangelischen Kirche int Zeitalter der Weformation nnd der Kampf um den Weftand des evangelischen Klaubens von der Deformation bis zur Gegenwart. Vorbemerkung für den Lehrer. Wie die evangelische Kirche begründet worden ist und in schweren, aber vielfach siegreichen Kämpfen um ihre Existenz gerungen hat, zeigt in ausführlicherer Darlegung dieser Abschnitt. Daß die Schule auf diesen Abschnitt ihr Hauptaugenmerk zu richten habe, versteht sich von selbst. Daß die lokale Kirchengeschichte auch hier nicht fehlen darf, zeigt die Darstellung; aber wichtiger ist doch die Geschichte der Gründung der allgemeinen evangelischen Kirche.

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Einleitung.

a. Mehr als die in totem Glauben erstarrte, sittlich verfallene griechische Kirche des Morgenlandes hat die römische Kirche des Abendlandes die ihr zugewandten Völker gefördert; die Kirche hat Ordnung und Obrigkeit bei ihnen befestigt, ihre rauhe Tapferkeit zur ritterlichen Tugend verklärt, ihnen die Elemente der geistigen Bildung überliefert, ja, sie mit der Idee einer die ganze Menschheit umfassenden Gemeinschaft vertraut gemacht, und durch alle diese Dinge die ihr zugefallenen Völker von der niedrigen Stufe des geistigen Lebens, die sie ursprünglich einnahmen, zu einer höheren, würdigeren, edleren Lebensstufe emporgehoben. b. Aber wie hoch man auch das Verdienst der mittelalterlichen Kirche um die Welt anschlagen mag, doch waren die Güter und Gaben, die sie den Völkern gebracht hat, nicht die Ausflüsse des wahren, unverfälschten Christentums; Frieden mit Gott in unmittelbarer Bereinigung des Herzens mit dem Vater im Himmel hat diese Kirche der Menschheit nicht gebracht; der Kirche soll man sich unterwerfen, um Gott zu haben; die Heiligung des Willens und Lebens wird gefunden in der Unterwerfung unter das Kirchengesetz anstatt unter das Gesetz Gottes; die Wahrheit ist nicht bei Gott zu suchen, sondern bei der Geistlichkeit, dem Concil, dem Papst-. Unterwerfung unter den Papst, das ist schließlich das letzte Wort der mittelalterlichen und noch heute der römischen Kirche, Unterwerfung unter einen Menschen, der von sich behauptet, der unfehlbare Statthalter Gottes über Himmel und Hölle, über Kirche und Staat zu sein. c. Gegen diese Anmaßung nun hat schon das MiUelalter protestiert, und schon die bloße Existenz der griechischen Kirche neben der römischen war ein beständiger

Protest gegen die Anmaßung des Papstes, der Herr der ganzen Kirche sein zu wollen

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43.

Einleitung.

Und da nun noch dazu die mittelalterliche Kirche an Haupt und Gliedern zerfallen und zerrüttet war, wie hätte diese bloß angemaßte Autorität sich auf die Dauer be­ haupten können! Der Mensch kann einmal nicht leben ohne Gott; da die Kirche zu ihm nicht hinführte, so mußte man ihn anderswo suchen. Und es hat ja auch der alten Kirche nicht an Männern gefehlt, welche die un­ mittelbare Gemeinschaft mit Gott wenigstens suchten und, so gut sie es vermochten, den heilsbedürftigen Seelen auch wiesen. Durch die ganze alte Kirche zieht sich eine Richtung hin, welche in der Theologie der deutschen Mystiker ihren Höhepunkt erreicht hat, für die es sich darum handelt, wie der einzelne Gläubige seines Gottes und seines Heils für sich gewiß werden könne. Und immer klarer weist die mystische Theologie auf den persönlichen Glauben an den in Christo geoffenbarten Gott hin. Wenn nun die Kirche von diesem Glauben aus umgestaltet werden sollte, so kam es darauf an, die Berechtigung zu einer Reformation aus der heiligen Schrift zu er­ weisen; das haben die Waldenser, Wiclif und Hus gethan; sie stellten der Autorität der Kirche die der heiligen Schrift entgegen. Und die heilige Schrift verstehen zu lehren, das war die Aufgabe der neu erwachenden wissenschaftlichen Bildung; der Sturz deö griechischen Reiches und die Erfindung der Buchdruckerkunst, sie haben wesentlich dazu beigetragen, die wissenschaftliche Bildung als Grundlage des Ver­ ständnisses der heiligen Schrift hinzustellen. d. So war von mehreren Seiten her vorbereitet, was die reformatorischen Con­ cilien des 15. Jahrhunderts vergeblich erstrebt hatten, was Leo X. noch im Jahre 1517, als er ein von ihm gehaltenes Concil triumphierend schloß, abgewehrt zu haben glaubte: die Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern. Schon war der Mann geboren, der dies große Werk dennoch ausführen, ja bereits das Jahr herangekommen, wo dasselbe beginnen sollte. Ein deutscher Mann, der den Frieden mit Gott für sein Herz begehrte und in der Kirche nicht finden konnte, war es endlich inne geworden, daß der Mensch allein durch den Glauben Vergebung der Sünde erlange. Aber lange Jahre vergingen, ehe er sich der Tragweite dieser Erkenntnis bewußt wurde, und äußere Umstände gaben den Anstoß zu seinem öffentlichen Auftreten. Als nämlich Luther in seinem Amt als Beichtvater die Schändlichkeit des Ablaßhandels erkannte, da trat er gegen den vermeintlichen Mißbrauch des päpstlichen Namens mit seinen 95 Thesen hervor — und mit diesem Tage begann die längst ersehnte Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern. e. Wenn nun ein berühmter katholischer Historiker der Neuzeit, Janssen, in einem großen Werke bewiesen hat, daß nach den Stürmen der Concilszeit des Mittelalters die Kirche auch in Deutschland ihrer Aufgabe in jeder Beziehung mit zum Teil glänzendem Erfolge gerecht geworden sei, und daß Luther diesen Blütezustand der Kirche in unbe­ rechtigter Weise gestört habe — so haben protestantische Historiker gezeigt, daß Jansien,

wenn er auch viele richtige Einzelheiten vorgebracht hat, dennoch aus denselben ein ganz falsches Gesamtbild der damaligen Kirche zusammengestellt hat. Die ganze damalige Zeit hat in der Kirche, ehe noch Luther auftrat, einen beklagenswerten Ver­ fall wahrgenommen, und selbst ein so entschiedener Gegner Luther's, wie Herzog Georg von Sachsen, hat, ebenso wie seine Zeitgenossen, die Verderbnis der Kirche vom Papst­ tum hergeleitet. Ohne Luther wäre die Kirche im Aberglauben verkommen und die Geistlichkeit noch tiefer gesunken; ohne Luther wäre auch die katholische Reformation durch das Tridentiner Concil nicht zu stände gekommen. So bleibt dennLuther trotz der Anfeindungen Janssen's für uns der gottgesandte Begründer des gottgewollten Werkes der Reformation.

I. Die Wegvündrrng der evangelischen Kivche in Deutschland. 44. (40.)

Martin Luther 1483-1517.

a. In einem niederen deutschen Bauern- oder Bürgerhause zu Eisleben wurde am 10. November1) 1483 der große deutsche Reformator Martin Luther geboren.2)* 4 Seine Eltern, Hans Luther und Margarethe, geborene Ziegler/) stammten aus dem Dorfe Möhra, einem Dorfe bei der Stadt Schmalkalden am Abhange des Thüringer Waldes, wo unter den 59 Fami­ lien, die in jener Zeit (im Jahre 1516) dort ansässig waren, fünf Familien Namens Luther sich befanden, alles Bauern mit eigenem Grundbesitz. Die Familie Luther hat sich in diesem Dorfe bis auf unsere Tage erhalten; im Jahre 1880 wohnten noch drei Familien dieses Namens in Möhra, während fast alle andern Geschlechter, welche im 16. Jahrhundert in Möhra wohnten, aus dem Dorfe verschwunden sind. Der Name Luther stammt von Lothar sd. i. im Heere berühmt); die Familie schrieb sich damals Luder, Ludher, Lüder, Leuder; die Namensform, die wir heute gebrauchen, hat der Refor­ mator kurz vor 1517 zu brauchen angefanaen, und von ihm ist sie dann auf das ganze Geschlecht übergegangen und bis auf heute erhalten. Der Refor­ mator sagt von seinen Vorfahren: „Mein Vater, Großvater, Ahnherr sind rechte Bauern gewesen; ich bin eines Bauern Sohn". Luther hat es in seinem Leben bewiesen, daß er einem naturkräftigen Geschlechte entsprossen war. Luthers Vater, Hans Luther, war aber im Jahre 1483 nicht mehr in Möhra, da das Familiengut wohl einem anderen (vielleicht dem jüngsten) Bruder zugefallen war, sondern er hatte sich für kurze Zeit in Eisleben nieder­ gelassen, wo er als Bergmann sich seinen Unterhalt erwarb; doch siedelte er schon ein halbes Jahr später nach Mansfeld über. Vorher aber, noch in Eisleben, wurde Martin Luther, das erste Kind seiner Eltern, am 10. Novem­ ber 1483, Nachts zwischen 11 und 12 Uhr, geboren, und nach damaliger Sitte schon am folgenden Tage in der Peterskirche daselbst getauft und nach dem Heiligen des Tages Martins genannt. In Mansfeld ging es Luthers Eltern zuerst nicht gerade glänzend; später gewann der Vater einiges Ver­ mögen und wurde „Vierherr" (Gemcindevertreter, neben den Ratsherrn); als er starb, hinterließ er seinen Kindern ein Vermögen von 1250 Gulden, eine nicht gerade hohe, aber doch namhafte Summe. Neben Martin wuchsen im Hause wenigstens noch drei Brüder und drei Schwestern auf. Der Vater «ar ernst und streng, ja wohl auch hart, so daß Martin wegen übermäßiger Strafen ihm sogar einmal gram wurde, und der Vater ihn erst wieder an *) An demselben Tage wie Schiller (1759) und Scharnhorst (1756) — freilich ist lei Luther der 10. November nach dem julianischen, bei den beiden anderen Männern nach dem gregorianischen Kalender gemeint; nach diesem Kalender wäre als Luther's Geburtstag der 19. November zu bezeichnen. — In demselben Jahre wie Luther (1483) ist auch Raphael, der größte Meister der neueren Malerei, geboren. 2) Von Luther's Geburtshaus steht nur noch das Erdgeschoß, welches die Auf­ schrift trägt: „Gottes Wort ist Luther's Lehr', Darum vergeht sie nimmermehr." 8) Wie man jetzt weiß, nicht eine geborene Lindemann, wie man bisher sagte; eine geborene Lindemann war die Großmutter. 4) Vgl. Nr. 38. 14 Heidrich, Kirchengeschichte.

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Marlin Luther 1483—1517.

sich gewöhnen mußte. Auch die Mutter hat ihn trotz aller Liebe einmal wegen einer Nuß blutig geschlagen. Auch in der Schule (in Mansfeld), wohin Luther sehr früh geschickt wurde, ging es sehr streng zu; an einem einzigen Vormittage hat er einmal 15 Mal Schläge bekommen, ohne daß er etwas Erhebliches begangen hatte. Im Jahre 1497 wurde er nach Magde­ burg geschickt, um die dortige bessere Schule zu besuchen; schon im Jahre 1498 ging er aber nach Eisenach; an beiden Orten erwarb er sich nach damaliger Sitte, die sich an manchen Orten bis auf den heutigen Tag erhalten hat, seinen Unterhalt, indem er mit anderen Schülern als CurrendeSchüler vor den Häusern herumzog und geistliche Lieder sang, wofür die Bürger den Knaben etwas zu geben pflegten. Bald aber besserte sich seine Lage; eine vornehme Frau, Namens Cotta, die Gattin eines reichen Kauf­ manns aus adeligem Geschlecht italienischen Ursprungs, nahm den armen Knaben, an dem sie Wohlgefallen hatte, in ihr Haus, und er konnte seitdem ungestört lernen, was er um so mehr mit Erfolg that, als die Schule beson­ ders tüchtige Lehrer hatte. In Eisenach blieb Luther bis zum Jahre 1501; seine „liebe Stadt Eisenach" und seine edlen Wohlthäter hat er nie vergessen. Im Jahre 1501 ging nämlich Luther auf die Universität Erfurt, um daselbst nach dem Wunsche seines Vaters Jurisprudenz zu studieren; der Vater war jetzt in der Lage, dem Sohne selber den nötigen Unterhalt zu gewähren. Erfurt war damals eine glänzende, wohlhabende Stadt, und die Universität vielleicht die beste in ganz Deutschland. Der junge Student erwarb sich aber nach damaliger Sitte zuerst eine allgemeinere Bildung, wie sie heute in den oberen Klaffen der Gymnasien erworben wird, und erlangte schnell und mit Auszeichnung die damals üblichen niederen akademischen Würden: im Jahre 1502 wurde er Baccalaureus, 1505 Magister der Philosophie. Eine Bibel hatte Luther bis in sein zwanzigstes Lebensjahr nicht gesehen; noch als Student wußte er nicht, daß sie mehr enthalte als die sonntäglichen Evangelien und Episteln. Zum ersten Male*) erblickte er eine ganze (lateinische) Bibel auf der Universitätsbibliothek und fand darin, in derselben blätternd und die Geschichte von Hanna und Samuel durchlesend, viel mehr als er von der Bibel kannte. Er wünschte sehr, auch selbst einmal eine ganze Bibel zu besitzen, hat sich aber zunächst noch nicht dem Studium der Bibel zugewandt. Er war damals noch ein treuer Anhänger der katholischen Kirche, wie die ganze Stadt und die Universität. Nachdem nun Luther die allgemeineren Studien im Jahre 1505 vollendet hatte, begann er das Studium der Rechtswissenschaft; aber plötzlich trat eine bedeutsame Wendung in seinem Leben ein; im Sommer des Jahres 1505 trat er nämlich in das Augustinerkloster in Erfurt; ein bestimmtes Ereignis hatte ihn diesen Entschluß schnell fassen und ausführen lassen. Am 2. Juli nämlich, als er von einer Reise nach Mansfeld zurückkehrte, wurde er beim Dorfe Stotternheim vor Erfurt von einem furchtbaren Gewitter überfallen. In seiner Angst gelobte er Mönch zu werden, und seinem Gelübde getreu trat er am 17. Juli ins Kloster, nachdem er am Tage vorher seine Freunde noch einmal zu sich eingeladen hatte. Aber nicht bloß dies Gelübde trieb Luther ins Kloster. Luther war zwar, wie sein alter Biograph Matthesius sagt, „von Natur ein hurtiger und fröhlicher junger Geselle"; aber er war ') Ob das wahr ist, ist neuerdings bezweifelt worden.

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-och von Hause aus ernst und streng in seinen Forderungen an sich selber; ihn quälte immer wieder der Gedanke: „Wann willst du einmal fromm werden und genug thun, daß du einen gnädigen Gott kriegst!" Zu dieser Stimmung seines Herzens war im Laufe der Zeit auch mancher äußere Antrieb gekommen. Er selber war in Lebensgefahr geraten, ein Freund von ihm wurde plötzlich erstochen oder starb eines plötzlichen Todes, oft glaubte er sich körperlich leidend und dem Tode nahe; so war der plötzliche Eintritt ins Kloster doch nicht so unvorbereitet, wie er seinen Freunden erschien. Aber am wenigsten war mit diesem Schritte sein Vater zufrieden; derselbe hatte seinen Sohn schon als angesehenen Mann vor sich gesehen und schon an seine Verheiratung gedacht — da wollte der Sohn nun Mönch werden, ohne daß er seinen Vater um Erlaubnis gefragt hatte; der Vater wußte nur zu gut, daß es mit der besonderen Frömmigkeit der Geistlichen und Mönche nicht weit her sei, und nach seiner Meinung sollte man sich vor allem an die Gnade Gottes halten, ohne gerade von der Kirche sich abzuwenden. Er erklärte seinem Sohne, daß er seine Gunst durch diesen Schritt verscherzt habe, und während er denselben als Magister schon mit der damals höflicheren Anrede „Ihr" geehrt hatte (dem späteren „@r" und dem heutigen „Sie"' entsprechend), nannte er ihn jetzt wieder „Du"'. Der Augustinerorden, in welchen Luther eintrat, gehörte zu den Bettel­ orden/) hat aber niemals die Bedeutung des Dominikaner- oder Franciscaner-Ordens gewonnen; doch sagte man damals von ihm, daß in ihm noch besonders viele wahrhaft fromme Mönche sich fänden. An der Spitze der Augustinerklöster in Thüringen und Sachsen stand damals Johann von Staupitz, ein Mann von tiefer und wahrer Frömmigkeit. Dem Erfurter Kloster gehörte ein gefeierter Professor der Universität an, und Luther durfte hoffen, als Mönch auch weiter studieren zu können, freilich nicht die Rechts­ wissenschaft, von welcher er sich nunmehr abwandte, sondern die Gottesgelehr­ samkeit, zu der er sich nach seinem ganzen Sinne überdies mehr hingezogen fühlte. Als Luther in den Orden eintrat, erhielt er die Ordenstracht, und nach der Mönchssitte erhielt er auch einen neuen Namen, Augustinus.-) Der Neuling mußte zuerst — und er that es gerne um Gottes willen — im Kloster die niedrigsten Dienste verrichten, bis er auf die Verwendung der Universität derselben enthoben wurde, da dieselben für den Magister nicht schicklich schienen. Luther mühte sich nun als Mönch, recht fromm und dadurch der göttlichen Gnade gewiß zu werden, so daß er später von sich sagen konnte: „Ist je ein Mönch gen Himmel kommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineingekommen sein". Er hat fleißig gebetet, viel gewacht. Tage lang Hunger und Durst ertragen — alles, um selig zu werden. Im Kloster begann er nun auch eifrig die (lateinische) Bibel zu lesen, freilich er allein unter den Mönchen, welche, wenn sie studierten, lieber die Kirchenlehrer des Mittelalters studierten, die Luther gleichfalls sorgfältig durch­ gearbeitet hat. Aber Luther studierte die heilige Schrift und die Kirchenlehrer nicht, um gelehrt, sondern um fromm zu werden; deshalb war er ja ins 1) Vgl. Nr 38. 2) Die von Luther bewohnte Zelle im Erfurter Kloster ist im Jahre 1872 durch eine Feuersbrunst zerstört worden.

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Kloster gegangen. Ein Mönch konnte ja nach der Lehre der Kirche nicht bloß so fromm sein, daß Gott mit ihm zufrieden war, sondern von ihren überstüssigen guten Werken sollten sie auch noch anderen etwas abgeben können, und mancher Bauer brachte dem Kloster einen Scheffel Getreide und ähn­ liche Gaben, und empfing dafür eine Verschreibung auf den Mitgenuß der Frömmigkeit der Mönche. Aber wie fromm auch Luther war, er konnte doch nie den Glauben gewinnen, daß er mehr gethan habe, als er zu thun schuldig sei; ja nicht einmal seine Schuldigkeit konnte er sich rühmen gethan zu haben; obwohl er von groben Sünden frei blieb, so schienen ihm doch schon die kleinen täg­ lichen Sünden, von denen auch der Fromme nie ganz frei wird, schwer genug,, um die Gnade Gottes zu verscherzen; jedenfalls schien ihm seine Frömmigkeit nicht ausreichend, um durch sie, wie man das im Kloster und in der ganzen Kirche lehrte, die Gnade Gottes und die ewige Seligkeit zu verdienen. So war denn die Zeit des Klosterlebens für Luther eine Zeit der Angst und des Zweifels, ja oft der Verzweifelung, die ihn oft auch körperlich aufs tiefste erschütterte. Aus diesen Nöten vermochte ihn damals das Wort der heiligen Schrift noch nicht herauszureißen; er fand tröstlichen Zuspruch im Kloster, zwar nicht bei den gewöhnlichen Beichtvätern, sondern namentlich bei einem alten Mönche, der ihn auf das tröstliche Wort des Glaubensbekenntnisses von der Vergebung der Sünden hinwies. Und noch mehr fand er Trost bei seinem Vorgesetzten Johann von Staupitz, welcher dem jungen Mönche die liebevollste Theilnahme schenkte, so daß sich ihm Luther Zeit seines Lebens zum Danke verpflichtet fühlte, auch als Staupitz sich von seinem Schüler losgesagt hatte?) Über seine Zweifel und Sorgen kam Luther auch nicht hinaus, als er im Jahre 1507 (2. Mai) zum Priester geweiht wurde; die Hoheit des Priesterberuss erfüllte ihn mit Schrecken, nicht mit Trost. Bei dieser Gelegenheit kam auch sein Vater ins Kloster, der mit dem Sohne sich allmählich wieder versöhnt hatte: freilich wies er auch jetzt noch den Sohn darauf hin, daß ein Sohn seinen Vater ehren und nichts hinter seinem Rücken thun solle, und von der himmlischen Berufung zum Klosterleben sagte er, sie könne auch ein Teufelsgespenst gewesen sein. Dieses Wort seines Vaters tönte ihm immer wieder ins Ohr. So vereinigte sich alles, um ihn seines Mönchtums nicht froh werden zu kaffen. In Erfurt blieb aber Luther bis zum Jahre 1508. b. Der Aufforderung des Kaisers Maximilian I., daß jeder Kurfürst in seinem Lande eine Universität gründen solle, war auch der Kurfürst von Sachsen nachgekommen. Seit dem Jahre 1490 waren nämlich die sächsischen Lande zwischen zwei Linien geteilt; das Land Meißen mit Dresden und der Universität Leipzig war an Herzog Albrecht, den Begründer der albertinischen Linie, gefallen; der Kurkreis nebst Thüringen war an den Kurfürsten Ernst, den Bruder des Herzogs Albrecht, den Begründer der ernestinischen Linie, gefallen; in diesem Gebiet gab es noch keine Universität. Der Sohn vorr Herzog Albrecht war der Herzog Georg, Luther's Gegner, von dem unten die Rede sein wird 2); der Sohn von Kurfürst Ernst war Kurfürst Friedrich der Weise, welcher im Jahre 1486 zur Regierung gekommen war. Friedrich

*) Vql. Nr. 51. 8) Vgl. Nr. 54.

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hatte eine gelehrte Erziehung genossen und verkehrte gern mit gelehrten Männern. Bei der Einrichtung der Universität standen ihm besonders sein gelehrter Leibarzt Pollich und Johann von Staupitz, nunmehr Vorgesetzter (Provinzial) aller Augustinerklöster in Deutschland, mit Rat und That zur Seite. Im Jahre 1502 wurde die neue Universität eröffnet; Pollich wurde der erste Rektor der Universität, Staupitz der erste Dekan der theologischen Fakultät. An diese neue Universität nun, welche zuerst neben Leipzig und Erfurt nicht recht gedeihen wollte, wurde auf Staupitzens Betreiben gegen Ende des Jahres 1508 Martin Luther als Professor berufen. Zu diesem Behuf trat er aus seinem Kloster zu Erfurt in das Augustinerkloster zu Wittenberg über, blieb natürlich auch weiterhin Mönch und lebte im Kloster, von der Universität erhielt er kein Gehalt und auch kein Honorar für Vorlesungen. Zunächst sollte er, da er nur Magister der Philosophie war, nur philo­ sophische Vorlesungen (über Physik und Dialektik) halten. Als Priester hatte übrigens Luther in Wittenberg, wie schon in Erfurt, in der Kloster­ kirche zu predigen. Doch wurde Luther im Jahre 1509 wieder nach Erfurt versetzt als Mönch und Professor, kehrte aber schon im Jahre 1511 wieder nach Wittenberg zurück; warum das geschehen ist, vermögen wir nicht mehr «ruszuklären. Als Luther wieder in Wittenberg war, erhielt er im Jahre 1511 (nach anderen Angaben 1510, wo er noch in Erfurt war) den Auftrag, in Ordens­ angelegenheiten nach Rom zu reisen, und dieser Auftrag erfüllte ihm einen Wunsch, den er schon längst gehegt hatte, die heilige Stadt der katholischen Christenheit besuchen zu können. Wahrscheinlich ist er im Herbste des Jahres 1511 in Italien eingetroffen und im Frühjahr 1512 zurückgekehrt. Mit einem Ordensbruder begab er sich zu Fuß auf die Reise, Unterhalt und Her­ berge fanden reisende Mönche stets in den Klöstern. Während nun Natur und Volk von Italien auf den deutschen Mönch sogleich einen nicht geringen Eindruck machten, hören wir erst in Rom von einer gleichen Einwirkung der alten Kunst und Geschichte, welche schon damals manchen Reisenden nach Italien zogen. Als Luther die Stadt Rom erblickte, warf er sich zur Erde nieder, hob die Hände empor und sprach: „Sei gegrüßt, du heiliges Rom!" Seine Geschäfte scheint er in Rom glücklich vollendet zu haben. Seine freie Zeit benutzte er, um unter den Ruinen des Altertums umherzuwandeln, und noch mehr, um alle heiligen Stätten der Christenheit zu besuchen, wo ja durch Beten und Messelesen für ihn selber und für andere so viel Gnade zu er­ werben war wie nirgends sonst. So besuchte er z. B. auch eine Kapelle, an welcher angeblich die heilige Treppe angebracht ist, welche einst vor dem Richt­ hause des Pilatus in Jerusalem war und auf welcher Jesus emporgestiegen war; wer ihre 28 Stufen auf den Knieen hinaufrutscht, erhält angeblich 252 (9X28) Jahre Ablaß. Fast that es ihm leid, daß seine Eltern noch lebten; wie leicht hätte er sie hier in Rom durch Meffelesen an bestimmten Altären aus dem Fegfeuer herausbringen können! Aber bei allen diesen Frömmigkeitsübungen tönte ihm immer wieder ein Bibelwort ins Ohr, welches ihm schon in Wittenberg wichtig geworden war, das Wort: „Der Gerechte wird feines Glaubens leben" (Habak. 2,4). Dazu fand er in der heiligen Stadt die größte Schändlichkeit der Christen und

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besonders der Priester, vom niedrigsten Geistlichen bis hinauf zum Papste. Handwerksmäßig lasen sie ihre Mesie und trieben ihn, der sie mit Andacht langsam las, zu größerer Eile an. Bei Tische hörte er von Priestern er­ zählen, welche statt der Einsetzungsworte bei der Messe sagten: „Brot bist du und Brot bleibst du, Wein bist du und Wein bleibst du." Oft hat Luther später erklärt, er möchte nicht um schweres Geld darauf verzichten in Nom gewesen zu sein, und er möchte jedem, der Geistlicher werden wolle, dasselbe wünschen. Etwa vier Wochen verweilte Luther in Nom, im Frühling des Jahres 1512 traf er wieder in Wittenberg ein. Bald nach der Rückkehr von Rom wurde er von Staupitz gegen seine Neigung veranlaßt, sich zuerst die Würde eines Licentiaten und bald darauf (18. Oktober 1512) die eines Doktors der Theologie (die höchste akademische Würde) zu erwerben; die Gebühren an die Universität bezahlte für den armen Mönch der Kurfürst. Nunmehr erst begann Luther (wie neuere Forscher meinen, seine Lehrthätigkeit an der Universität über­ haupt, oder, wie man es bisher darstellte) die ihm eigentümliche Lehrthätigkeit an der Universität, indem er fortan nur über die heilige Schrift Vorlesungen hielt. Damit trat er in einen entschiedenen Gegensatz zu den damaligen Pro­ fessoren der Theologie, welche über die Bibel wenige oder keine Vorlesungen hielten, ja oft dieselbe gar nicht kannten; sie lasen über die Schriften der großen Kirchenlehrer des Mittelalters. In diesen Vorlesungen trug nun Luther bereits die Lehre vor, die er allmählich als die wahrhaft christliche erkannt hatte, daß der Mensch nicht durch die Werke sondern durch den Glauben vor Gott gerecht werde, ohne jedoch schon jetzt die katholische Kirchenlehre anzu­ greifen. Hebräisch und Griechisch hatte er feit einiger Zeit zu lernen ange­ fangen, doch legte er seinen Vorlesungen noch die lateinische Bibel zu Grunde, da er selbst in jenen beiden Sprachen noch viel zu wenig bewandert war, und da die Studenten dieselben gar nicht kannten. Für sein Verständnis der Bibel haben ihm aber namentlich die Schriften des berühmten alten la­ teinischen Kirchenlehrers Augustinus T) und der deutschen Mystiker des Mit­ telalters -) wichtige Dienste geleistet. Neben der Thätigkeit Luther'S an der Universität ging auch seine Thä­ tigkeit als Prediger weiter. Nach wie vor predigte Luther in der Kloster­ kirche; nun erhielt er auch noch (vielleicht im Jahre 1515) von feiten der Stadt den Auftrag, für einen anderen kränklichen Geistlichen in der Pfarr­ kirche zu predigen. Und dieser Thätigkeit Luthers entstammt das erste Buch, das er herausgegeben hat: die (deutsch geschriebene) Erklärung der sieben Bußpsalmen (im Frühjahr 1517 erschienen). Auch in seinen Predigten ver­ kündete er schon das, was er aus der heiligen Schrift gelernt hatte, Christum und das Heil in ihm durch den Glauben. Auch erhielt Luther im Jahre 1515 das Amt eines Aufsehers der elf Augustinerklöster in Sachsen und Thüringen, und als solcher unternahm er mehrere Reisen in die ihm anvertrauten Klöster. Aber wie sehr auch Luther mit seinen Vorlesungen und Predigten in Wittenberg und anderwärts schon Aufsehen machte, und wie sehr er sich selber seiner Abweichungen von den gewöhnlichen Lehrern der Kirche bewußt

') Vgl. Nr. 18. 2) Vgl. Nr. 34 B.

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war. daran dachte er nicht entferntesten, von der katholischen Kirche in Lehre oder Brauch sich zu trennen; nur gegen Irrtümer seiner Zeit wollte er kämpfen, die Kirche hielt er noch für unfehlbar, den Papst wollte er nicht angreifen; seine Predigt stimmte ja überein mit dem allgemein anerkannten Kirchenlehrer Augustinus und mit der heiligen Schrift, und wie konnte das unchristlich oder unkirchlich sein, was mit der Bibel und mit Augustinus über­ einstimmte! Von den Ketzern wollte Luther nichts wissen, er wollte ein katho­ lischer Christ sein und bleiben.

45. (41.) Johann £ctjet und der Ablatz. a. Nur von der Sünden schuld und von der ewig en Strafe wird der Gläubige bei der Beichte durch den katholischen Priester losgesprochen; aber es bleiben die z e i t l i ch e n, von Gott und von der Kirche dem Menschen für seine Sünden auferlegten Strafen, durch welche der Sünder seine Sünden entweder auf Erden, oder, wenn das nicht geschehen ist, im Fegfeuer ’) abbüßen muß. Diese zeitlichen Strafen für die Sünde, die den Menschen hier oder dort treffen, kann aber nach dem katholischen Glauben die Kirche den Menschen auch noch erlassen. Christus und die Heiligen haben nämlich so viele über­ flüssige gute Werke gethan, daß sich daraus ein großer Schatz angesammelt hat, aus welchem der Papst den Sündern so viele gute Werke zuteilt, als nötig sind, um dadurch den Erlaß der Sündenstrafen zu verdienen. Diese Zuteilung aus dem Kirchenschatze geschieht aber nun durch den Ablaß, der in verschiedener Weise noch heute ausgeteilt wird, sowohl für die Lebenden, als auch für die Verstorbenen, wenn sich die Lebenden für dieselben Ablaß geben lassen. Durch den sogenannten vollkommenen Ablaß nämlich wird alle bis zum Augenblicke des Empfanges durch Sünden verdiente zeitliche Strafe erlassen, so daß der Mensch für diese Sünden nichts mehr im Fegfeuer abzubüßen hat, sondern, wenn er in diesem Augenblick stürbe, alsbald mit dem Tode in den Himmel einginge. Ein unvollkommener Ablaß dagegen, z. B. von 40 Tagen, gewährt nur so viele Bußwerke, als man in der genannten Zeit hätte thun können, und so viel Erlaß zeitlicher Sündenstrafen, als man da­ mit verdient hätte. Unvollkommene Ablässe dürfen auch die Bischöfe aus­ schreiben, vollkommene nur der Papst. Persönliche Ablässe sind solche, welche einzelnen Menschen oder bestimmten Genossenschaften (Orden, Bruderschaften, Vereinen) gewährt werden; örtliche Ablässe werden an bestimmten Orten (Kirchen, Bildern, Altären), sachliche Ablässe durch den Gebrauch geweihter Gegenstände (Rosenkranz, Crucifix, Medaille) gewonnen. Auch an den Ge­ brauch bestimmter Gebete sind vielfach Ablässe geknüpft;^) ja durch alle Erweisungen der Frömmigkeit verdient sich der Katholik mehr oder weniger Ablaß. Vollkommenen Ablaß gewährten die Päpste für Kreuzfahrten, 1) Vgl. Nr. 34 C. 2) 3- B.: „Jesus, Maria, Joseph, euch schenke ich mein Herz und meine Seele! Jesus, Maria, Joseph, stehet mir bei im letzten Todeskampfe! Jesus, Maria, Joseph, möge meine Seele mit euch in Frieden scheiden!" — Dafür erhält man jedesmal, wenn man es andächtig betet, 300 Tage Ablaß. — Wenn also Jesus sagt: „Bittet, so wird euch gegeben", so sagt die kath. Kirche: „Betet, so wird euch Ablaß gegeben." Damit hat die kath. Kirche zwar einen großen Gebetseifer erweckt, aber das Gebet selbst verdorben.

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Johann Tetzel und der Ablaß.

Ketzerkriege, und ähnliche „heilige Kriege;" auch im Jubeljahrs erhielt man denselben, wenn man entweder selber nach Rom zog, oder an die zur Spen­ dung eines Jubiläumsablaffes in die Länder gesandten Ablaßhändler sich wandte. Alle diese Ablässe erwirbt man aber nur durch bestimmte Leistungen, durch Gebete, Almosen, Wallfahrten u. s. w.; zu Luthers Zeit wurde Geld gefordert zum Bau der Peterskirche und zum Kreuzzuge gegen die Türken. Durch solche gute Werke, an welche der Ablaß geknüpft war, machte man sich also frei von den sonst (bei der Beichte) als kirchliche Strafe für die Sünde auferlegten Bußwerken, die dem einzelnen oft lästig waren, und auch von den von Gott dem Sünder auf Erden oder im Fegfeuer auferlegten zeitlichen Strafen; ja die gewöhnlichen Leute meinten sogar, auch die ewigen Strafen und die Sündenschuld würden ihnen durch den Ablaß erlassen, die doch nur durch die Beichte erlassen werden; die Ablaßprediger haben sie natürlich gern in diesem Glauben gelassen; je mehr die Leute vom Ablaß erwarteten, desto bereitwilliger kauften sie sich Ablaß. Diese Wohlthat der Kirche boten nun im Mittelalter die vom Papste und den Bischöfen vielfach ausgesandten Ablaßhändler den Leuten überall an, indem sie ihnen für Geld Ablaßzettel verkauften. Diese Händler hatten aber den Leuten ihre Ware, die Ablaßzettel, ordentlich anzupreisen und zu den bestimmten Taxen zu verkaufen; der Preis richtete sich nach der Schwere der Sünde 2) und nach dem Stande des Mannes. Von der zeitlichen Strafe für jede Sünde, auch die schwerste, konnte sich also der Reiche mit Geld los­ kaufen; der Arme mußte sie nach wie vor hier oder im Fegfeuer abbüßen. Wenn ein solcher Ablaßhändler sich einer Stadt näherte, so wurde er feierlich von den Einwohnern eingeholt und in die Kirche geleitet; nun predigte er von der Herrlichkeit des Ablasses; darauf begann das Geschäft. Eilig kamen die Leute und kauften sich Ablaß für große und kleine Sünden, nicht bloß für sich selber, sondern auch für ihre verstorbenen Angehörigen, um sie aus dem Fegfeuer rascher herauszubringen. Das Geschäft ging meist sehr gut; wer käme nicht gerne so leicht und so sicher in den Himmel! Und wenn auch ein brandenburgischer Edelmann dem Tetzel in der Nähe von Jüterbog einmal seinen eisernen Kasten abgenommen haben soll — für welche Sünde er sich bereits im voraus gegen 30 Dukaten Ablaß gekauft hatte — so brachten doch Tetzel und seine Gehülfen in Deutschland und den andern Ländern so schöne Summen zusammen, daß dem Papste auf längere Zeit geholfen war. Leider war es das letzte Mal gewesen, daß der „Sündenhandel" so viel Geld einbrachte — seit Luthers Auftreten haben die Päpste nicht mehr gewagt, in der alten Weise den Ablaß auszubieten. Aber der Ablaß selbst, wie er oben dargestellt ist, wird auch noch heute von der katholischen Kirche gegeben, und ein Ablaßfest in einer Kirche vereinigt noch heute Tausende in dieser Kirche. Geld wird allerdings für den Ablaß nicht mehr gefordert, aber für die Ausfertigung der Ablaßprivilegien, welche der Papst gewährt, erhält derselbe noch heute schöne Kanzleigebühren. Ein besonderes umfangreiches Handbuch belehrt den katholischen Geistlichen über die geltenden Ablässe und die Art ihrer Erwerbung. ') Vgl. Nr. 40. 2) So kostete z. B. bei Tetzel Zauberei 2, Vielweiberei 6, Mord 8, Meineid und Kirchenraub 9 Dukaten.

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Johann Tetzel und der Ablaß.

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b. Nachdem dies Geschäft schon vielfach, von den Päpsten in der ganzen Kirche, von den Bischöfen in ihrem Sprengel, mit gutem Erfolge betrieben worden war, wurde auch im Jahre 1506 vom Papste wieder einmal ein Ablaß ausgeschrieben. Papst Julius II. brauchte nämlich Geld, vornehmlich zum Bau der neuen Peterskirche, die an die Stelle der alten treten sollte/) und dachte dasselbe am besten durch einen neuen Ablaß gewinnen zu können. Für einen Teil von Deutschland übertrug im I. 1515 Papst Leo X., der Nachfolger von Julius II., den Verkauf desselben dem Erzbischof Albrecht von Mainz, dem Bruder Joachims I. von Brandenburg. Der Kurfürst Joachim I. von Brandenburg hatte nämlich seinen Bruder Albrecht vermocht, in den geistlichen Stand einzutreten und demselben reiche Domherrnstellen zu Magdeburg und Trier verschafft. Im Jahre 1513 wurde Albrecht zum Erz­ bischof von Magdeburg erwählt und zugleich zum Verweser des Bistums Halberstadt, welches damals von dem Magdeburger Erzbischof mitverwaltet wurde. Im folgenden Jahre wurde er auch Erzbischof und Kurfürst von Mainz, so daß also zwei Hohenzollern unter den Kurfürsten waren. Dafür -aber, daß der Papst ihm die neue geistliche Stelle übertrug, mußte er an die päpstliche Kasse 10 000 Goldgulden (Dukaten) zahlen, und noch waren andere 20 000 Gulden für die Bestätigung seiner beiden Vorgänger, die nur kurze Zeit gelebt hatten, an den Papst zu zahlen. Um diese Summen aufzubringen, borgte er sich von dem reichen Fugger in Augsburg 21000 Gulden; außerdem hatte er sich von seinem Bruder 42 000 Gulden geliehen, um ver­ pfändete Güter des Erzstiftes Mainz einzulösen. Um nun seine Schulden loszuwerden, unterhandelte er mit dem Papste, daß er in seinen Sprengeln (Mainz und Magdeburg) und in Brandenburg, also in fast ganz Nord­ deutschland, den von Papst Julius II. ausgeschriebenen Ablaß aus bieten dürfe, und zwar unter der Bedingung, daß von dessen Ertrage die eine Hälfte nach Nom käme, die andere ihm zufiele. Als Leo X. ihm nun auf acht Jahre den Ablaßverkauf übertrug, suchte Albrecht geschickte Leute, die es ver­ ständen, dem Volke zum Herzen zu sprechen. Einen solchen fand er in dem Dominikanermönche Johann Tetzel, der schon früher Ablaß verkauft hatte. Derselbe erhielt monatlich 130 Gulden für sich, 10 Gulden für einen Diener, dazu freie Kost, und er durfte sich drei Pferde hallen (eine schöne Einnahme, wenn man hört, daß Melanchthon jährlich 200 Gulden Gehalt erhielt). Szog denn nun Tetzel mehrere Jahre in Norddeutschland umher, und es be­ gleitete ihn ein Vertreter des Fugger'schen Hauses, um sofort das geschuldete Geld in Empfang zu nehmen. c. Wie es aber bei dem Ablaßhandel zugegangen ist, soll uns ein Mann erzählen, der mit Tetzel selbst zu thun gehabt hat, Friedrich Mykonius, damals Schüler der lateinischen Schule in Annabera, gestorben als evangelischer Superintendent in Gotha 1546. „Johannes Tetzel von Pirna in Meißen,^) ein Dominikanermönch, war ein gewaltiger Ausschreier des Ablasses des römischen Papstes. Er verharrte mit diesem seinem Vorhaben zwei Jahre in der dazumal neuen Stadt Annaberg und bethorte das Volk so sehr, daß sie alle glaubten, es wäre kein anderer Weg, Vergebung der Sünde und das ewige Leben zu erlangen. Zuletzt, um Pfingsten 1510, dräute er.

Vgl. Nr. 6. -) Nach anderen war Tetzel in Leipzig geboren, eine Zeit lang ist er Prior der Dominikaner in Großglogau in Schlefien gewesen.

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Johann Tetzel und der Ablaß.

er wolle das rote Kreuz niederlegen und die Thür des Himmels zuschließen und die Sonne auslöschen, und es würde nimmermehr wieder dazu kommen, daß man um so ein geringes Geld Vergebung der Sünden und ewiges Leben erlangen könnte. Es wurden auch Briefe angeschlagen, daß man zum Schluß die Ablaßbriefe nicht so teuer wie im Anfang verkaufen würde, und am Ende des Briefes war geschrieben, den Armen würde man sie umsonst geben. Es hatte mir aber mein lieber Vater von den römischen Ablaßbriefen gesagt, das wären nur Netze, womit man den Einfältigen das Geld abfischte, und man könnte gewiß die Vergebung der Sünden mit Geld nicht kaufen; wir hätten alles allein von Gott, und umsonst. Aber die Pfaffen wurden zornig, wenn man solches sagte. Da blieb ich im Zweifel, wem ich mehr glauben sollte, meinem lieben Vater oder den Priestern; doch glaubte ich diesen mehr. Aber das einzige glaubte ich nicht, daß die Vergebung der Sünden nicht könnte erlangt werden außer mit Geld, zumal von den Armen. Des­ halb gefiel mir wunderwohl der Schluß des Briefes: „Den Armen soll man sie um­ sonst geben." Da ging ich nun zu den Commissarien, und bat sie um die Briefe von der Ver­ gebung der Sünden „aus Gnade für die Armen." Da gingen die Priester aus der Stube in die Kammer, die daneben war, zu Tetzel. Sie zeigten ihm mein Begehr an und baten auch für mich, daß er mir die Ablaßbriefe umsonst geben möchte. Endich nach langer Beratschlagung kommen sie wiederund sagen: „In des Papstes Brief steht, daß die gewiß teilhaftig würden der Schätze der Kirche, die Geld gäben. Darum kann dir deine Bitte nicht gewährt werden." Dagegen habe ich auf den angeschlagenen Brief hingemiesen, nach welchem der Ablaß den Armen umsonst gegeben werden sollte. Da gehen sie wieder zu Tetzel hinein, aber er bleibt bei seiner Erklärung. Ich aber bleibe fest und sage, daß sie mir unrecht thäten; den Gott und der Papst nicht aus­ schließen wollten von der Gnade, den verwürfen sie um weniger Pfennige willen. Da sagten sie mir, ich sollte nur einen Groschen geben; ich sagte, ich hätte ihn nicht, ich wäre arm. Zuletzt kam es darauf, ich sollte nur sechs Pfennige geben; da ant­ wortete ich, ich hätte auch nicht einen einzigen Pfennig. Ich hörte aber, daß sie wegen zwei Dingen in Sorge waren, erstlich: man sollte mich in feinem Fall ohne Ablaß­ brief weggehen lassen, denn dies könne ein von andern angelegter Plan sein, und möchte hernach ein böses Spiel daraus entstehen, dieweil in des Papstes Brief klar stünde, den Armen solle man es umsonst geben. Ferner aber, man müßte dennoch etwas von mir nehmen, damit nicht die andern hörten, die Ablaßbriefe würden um­ sonst ausgegeben, und wollte es dann ein jeglicher umsonst haben. Da giebt mir einer der Priester sechs Pfennige, daß ich sie dem Commissarius geben sollte; durch diesen Beitrag würde ich auch ein Aufbauer der Kirche St. Peters zu Rom und ein Erwürger der Türken und würde teilhaftig der Gnade Christi. Aber da sagte ich: wenn ich Ablaß für Geld kaufen wollte, so könnte ich wohl ein Buch verkaufen und ihn um mein eigen Geld kaufen; ich wollte ihn aber haben umsonst, geschenkt, um Gottes Willen, oder sie würden Rechenschaft vor Gott dafür geben, daß sie meiner Seele Seligkeit versäumt und verscherzt hätten wegen sechs Pfennigen.

Rach langem Gespräch fragten mich die Priester, von wem ich geschickt sei, und wer mich abgerichtet habe, solche Sachen mit ihnen zu verhandeln. Ich sagte ihnen, daß ich von keinem Menschen dazu angetrieben worden sei, nur im Vertrauen auf die umsonst geschenkte Vergebung der Sünden hätte ich solche Bitte gestellt. Da boten sie mir abermals die sechs Pfennige an, daß ich dafür die Ablaßbriefe kaufte; ich aber bin darauf beständig geblieben, daß mir die Ablaßbriefe sollten umsonst geschenkt werden; wo nicht, wollte ich die Sache dem lieben Gott befehlen und anheimstellen.

45. (41.)

Johann Tetzel und der Ablaß.

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Da wurde ich von ihnen entlassen. Ich war zum Teil betrübt, daß ich keinen Ab­ laßbrief bekommen hatte, zum Teil erfreut, daß trotzdem noch einer im Himmel wäre, der ohne Geld die Sünden vergeben wolle."

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Der Anfang der Reformation.

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a. Wie nun Tetzel's Ablaßkram den Anlaß zu Luther's erstem öffent­ lichen Auftreten und damit zum Beginne des Reformationswerkes gegeben hat, erzählt Luther selbst in seiner im Jahre 1541 herausgegebenen Schrift „Wider Hans Morst" (er meint damit den der Reformation feindlich ge­ sinnten Herzog Heinrich von Braunschweig), wo er den Anfang des Reformations­ werkes in folgender Weise darstellt. „Es geschah im Jahr, da man 1517 schrieb, daß ein Predigermönch mit Namen Johannes Tetzel, ein großer Clamant sSchreierß welchen zuvor Herzog Friedrich halte zu Jnspruck vom Sacke erlöset, denn Kaiser Maximilian hatte ihn zu ersäufen geurteilt in dem Inn (kannst wohl denken, um seiner großen Tugend willen), und Herzog Friedrich ließ ihn des erinnern, da er uns Wittenberger also ansing zu lästern; er bekannte es auch frei; derselbige Tetzel führte nun den Ablaß umher und verkaufte Gnade ums Geld, so teuer oder wohlfeil er aus allen Kräften vermochte. Zu der Zeit war ich Prediger allhier im Kloster und ein junger Doktor, neulich aus der Esse ge­ kommen, hitzig und lustig in der heiligen Schrift. Als nun viel Volks von Wittenberg lief dem Ablaß nach gen Jüterbog und Zerbst, fing ich säuberlich an zu predigen, man könnte wohl Besseres thun, das gewisser wäre, als Ablaß lösen. Indes kommt vor mich, wie der Tetzel greuliche, schreckliche Artikel gepredigt hätte, der ich diesmal etliche nennen will, nämlich: Das rote Ablaßkreuz mit des Papstes Wappen, in den Kirchen aufgerichtet, wäre ebenso kräftig als das Kreuz Christi. Des­ gleichen, wenn St. Peter jetzt hier wäre, hätte er nicht größere Gnade noch Gewalt, als er hätte. Desgleichen, er hätte mit Ablaß mehr Seelen er­ löset, als St. Peter mit seinem Predigen. Desgleichen, wenn einer Geld in den Kasten legte für eine Seele im Fegfeuer, sobald der Pfennig auf den Boden fiele und klänge, so führe die Seele heraus gen Himmel?) Des­ gleichen, die Ablaßgnade wäre eben die Gnade, dadurch der Mensch mit Gott versöhnt wird. Desgleichen, es wäre nicht not, Reue noch Leid oder Buße für die Sünde zu haben, wenn einer den Ablaß kaufte. Ich wußte aber zu der Zeit nicht, wem solches Geld sollte. Da schrieb ich einen Brief mit den Sätzen an den Bischof zu Magdeburg, vermahnte und bat, er wolle dem Tetzel Einhalt thun und solches ungeschicktes Ding zu predigen wehren; aber mir ward keine Antwort. Desgleichen schrieb ich auch dem Bischof zu Brandenburg, als meinem Vorgesetzten. Darauf er mir antwortete, ich griffe der Kirche Gewalt an und würde mir selbst Mühe machen; er riete mir, ich ließe davon.

*) Das; dieses Wort Tetzel's nicht untergeschoben ist, wie die Katholiken behauptet haben, sondern unzweifelhaft echt ist, ja, im lateinischen Wortlaut bei Tetzel noch stärker dahin lautet, daß die Seelen durch den Ablas; noch eher aus dem Fegfeuer erlöst würden, als das Geld den Boden des Kastens erreicht habe, darüber siehe den Theol. Jahresbericht X, S. 215 u. 274, und Möller-Kawerau KG III, S. 11, Anm. 2.

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Also gingen meine Sätze aus wider des Tetzels Artikel; dieselbigen liefen schier in vierzehn Tagen durch ganz Deutschland; und weil alle Bischöfe und Doktoren still schwiegen, da ward der Luther ein Doktor ge­ rühmt, daß doch einmal einer gekommen wäre, der dreingriffe. Der Ruhm war mir nicht lieb, denn ich wußte selbst nicht, was der Ablaß wäre, und das Lied wollte meiner Stimme zu hoch werden. Dies ist der erste, rechte, gründliche Anfang des Lutherischen Lärms." Als nämlich im Jahre 1517 Tetzel mit seinem Ablaßkram nach Jüterbog fam1), 2 3 vier Meilen von Wittenberg (ins Kurfürstentum Sachsen ließ ihn die Obrigkeit mit seinem Handel nicht kommen), da liefen auch aus Wittenberg viele Leute zu ihm, um sich das ewige Leben mit ihrem Gelde zu erkaufen. Da begann Luther, der nicht bloß in der kleinen Klosterkirche predigte, sondern auch seit einiger Zeit in der städtischen Pfarrkirche den kranken Prediger vertrat, seine Zuhörer und Beichtkinder vor diesem Ablaß zu warnen, indem er ihnen sagte: „Es ist bester, Almosen zu geben, als solche ungewiste Gnade um Geld zu kaufen; wer Buße thut und sich zu Gott bekehrt, der bekommt die Vergebung aller Sünden, die uns der Herr Christus erworben, ohne Geld und umsonst." Als das Tetzel erfuhr, begann er zu fluchen und zu schelten und Luther als einen Erzketzer zu verdammen. Da schlug Luther am 31. Oktober 1517 (vielleicht in der Mittagsstunde) an die Thür der Schloßkirche in Wittenberg 95 Sätze über den rechten Gebrauch und Sinn des Ablasses;-) am folgenden Tage, dem Tage aller Heiligen, denen diese Kirche geweiht war, war nämlich die Kirchweihe dieses Gottes­ hauses ; da konnten die zahlreichen Kirchgänger diese Sätze lesen, über welche Luther in der nächsten Zeit disputieren wollte. Luther wollte sich damit nicht etwa vom Papste lossagen, ja, nicht einmal den Ablaß beseitigen, son­ dern nur den Mißbrauch des Ablasses und den Verkauf desselben für Geld bekämpfte er, und er hoffte, der Papst würde ihm gegen Tetzel recht geben. Doch darin hatte er sich geirrt. b. Luther's Thesen liefen, wie er selber sagt, schier in vierzehn Tagen durch ganz Deutschland, und in vier Wochen, wie ein Zeitgenosse sagt, halten sie schier die ganze Christenheit durchlaufen, als wären die Engel selbst Boten­ läufer. Da sie alsbald auch ins Deutsche übersetzt wurden, so nahmen auch weitere Kreise an der Frage, welche Luther aufgeworfen, teil, und man freute sich, daß endlich jemand es gewagt habe, die schändliche Habsucht und Geld­ gier des Papstes und der Geistlichen zur Sprache zu bringen. Freilich bei seinen nächsten Genossen und Freunden fand Luther keinen Beistand für ') Wo noch heute in der Kirche einer seiner Geldkasten gezeigt wird; ebenso ist sein im Jahre 1500 gebautes Haus in Halberstadt daselbst noch wohl erhalten zu sehen. 2) Die „Instruktion" des Erzbischofs Albrecht für den Ablaßverkauf enthielt (im Originaldruck) 94 Sätze; Luther übertrumpfte dieselben, indem er diesen 94 Sätzen seinerseits 95 Sätze gegenüberstellte; vgl. Theol. Jahresb. für 1889, S. 206. 3) Statt der durch das Bombardement am 31. Oktober 1760 zerstörten ursprüng­ lichen Kirchthüren sind seit 1858, ein Geschenk Friedrich Wilhelm's IV., metallene Thüren eingesetzt, auf welchen Luther's (lateinisch geschriebene) Sätze in erhabenem Bronceguß zu lesen sind. — Die Geschichte der Schloßkirche von Wittenberg, an welche das Gedächtnis dreier bedeutender Fürstenhäuser geknüpft ist, der Askanier, der Wettiner und der Hohenzollern, ist irn Jahre ihrer Erneuerung (31. Okt. 1892) von dem bekannten Lutherforscher Köstlin dargestellt worden (Friedrich der Weise und die Schloßkirche zu Wittenberg).

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seine Sache; sie fürchteten sich noch zu sehr vor der Macht des Papstes; sie ermahnten ihn zur Vorsicht und zum Schweigen. Tetzel hatte bald nachher zu Frankfurt an der Oder Gegenthesen gegen Luther veröffentlicht, in welchen er den Ablaß als eine biblisch und kirchlich gerechtfertigte Einrichtung dar­ stellte; doch mit Luther selbst zu disputieren, konnte er gar nicht wagen, dazu war er viel zu wenig gelehrt. Als der Papst von Luthers Thesen hörte, erklärte er, dieser Streit sei nur ein neidisches Gezänk der verschiedenen Mönchsorden, die einander den Gewinn des Ablasses nicht gönnten. Bald jedoch wurde er anderer Meinung. Zunächst veröffentlichte (1518) ein hochgestellter Geistlicher am päpstlichen Hofe, Silvester Prierias, eine Schrift gegen Luther, in welchem er einen Feind des Papstes und der Kirche erblickte. Ohne sich um dieselbe zu kümmern, widmete Luther eine bald darauf herausgegebene Erklärung seiner Thesen dem Papste, in der Hoffnung, daß der Papst ihn gnädig anhören werde, und im Glauben, daß die Kirche die von ihm gepredigte Lehre der heiligen Schrift nicht verwerfen werbe. Aber darin hatte sich Luther getäuscht; schon war in Nom die Anklage wegen Ketzerei gegen ihn erhoben, und am 7. August 1518 erhielt er die Aufforderung, sich binnen 60 Tagen in Rom zur Verantwortung zu stellen. Luther bat seinen Landesherrn, den Kurfürsten Friedrich den Weisen von Sachsen, beim Papste dahin zu wirken, daß seine Sache in Deutschland unter­ sucht würde, und da gerade damals in Augsburg ein Reichstag abgehalten wurde, welchem ja auch ein Vertreter des Papstes beiwohnte, so erlangte der Kurfürst es wirklich, daß Luther zur Verantwortung nach Augsburg berufen wurde. Trotz aller Warnungen seiner Freunde reiste er nach Augsburg, allerdings mit dem Gedanken: „Nun muß ich sterben; ach wie eine Schande werde ich meinen lieben Eltern sein!" Ende September reiste Luther mit einem Klostergenossen zu Fuß von Wittenberg ab, vom Kurfürsten mit Reisegeld versehen; in Nürnberg borgte er sich von einem Freunde eine beffere Kutte, weil die seine schon gar zu schlecht war. Am 7. Oktober langte er in Augsburg an und wohnte daselbst in einem Kloster, deffen Prior ihm befreundet war. Der Mann, vor dem sich Luther verantworten sollte, war der Cardinal Thomas Vio von Gaeta, nach diesem gewöhnlich Cajetan genannt, ein eifriger und gelehrter Anhänger des Papsttums. Auf den Rat seiner Freunde verschaffte sich Luther vom Kaiser erst freies Geleit für seinen Verkehr mit dem Cardinal, um vor welscher Tücke sicher zu sein; Cajetan war freilich über diesen Beweis des Mißtrauens gegen ihn sehr ärgerlich. Am 12. Oktober erschien nunmehr Luther vor dem Cardinal; derselbe nahm ihn freundlich auf. forderte aber von ihm einen unbedingten Widerruf. Luther aber bat ihn, ihm seine Irr­ tümer anzuzeigen; er selbst sei sich keiner bewußt. Bei der nun an den nächsten Tagen erfolgenden Verhandlung zwischen beiden kam es zu keinem Resultate, und der Cardinal entließ Luther mit der Androhung des Bannes und des Interdiktes, wenn er nicht noch widerrufe. Zu einem Freunde Luther's, mit dem er über die Sache noch weiter verhandelte, äußerte er: „Ich mag nicht weiter mit dieser Bestie reden, denn er hat tiefe Augen und wunder­ same Spekulationen in seinem Kopfe."*) ’) Ob diese Äußerung Cajetan's historisch ist, ist bezweifelt worden.

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Ehe Luther von Augsburg abreiste, ließ er noch dizrch einen Notar eine Appellation von dem nicht gut unterrichteten an den besser zu unter­ richtenden Papst aufsetzen, in welcher er um Vernehmung durch gelehrte und rechtschaffene Kommissarien des Papstes an einem sicheren Ort (nicht in Rom) bat, und übersandte dieselbe dem Cajetan znr Überreichung an den Papst. Am 20. Oktober verließ er, dem Rate seiner Freunde folgend, die Stadt, indem er des Nachts durch eine kleine Pforte in der Stadtmauer davonritt, ohne Stiefeln und Sporen, acht Meilen hinter einander; als er des Abends im Stalle vom Pferde stieg, konnte er nicht stehen und fiel aus die Streu und schlief bald ein. Es war Zeit, daß Luther Augsburg verließ; denn bereits war er in Rom für einen Ketzer erklärt, seine Auslieferung gefordert und sein Aufenthaltsort mit dem Interdikt bedroht worden. Am 31. Oktober 1518 langte Luther wieder in Wittenberg an. Am 19. November erhielt der Kurfürst ein Schreiben von Cajetan mit der Aufforderung, Luther nach Rom zu liefern oder wenigstens aus dem Lande zu jagen. Der Kurfürst verlangte erst noch eine neue Untersuchung von Luthers Sache. Luther selber appellierte am 28. November vom Papste an ein allgemeines christliches Concil. Daß er das that, war damals nichts Auffallendes; der Papst galt damals noch nicht für unfehlbar; Unfehlbarkeit legte man nur den allgemeinen Concilien bei. c. Aber zum Banne griff der Papst doch noch nicht. Zunächst vielmehr schickte er noch einen besonderen Gesandten, seinen Kammerherrn Karl von Miltitz, einen Deutschen, nach Wittenberg, der dem Kurfürsten die im Jahre 1518 geweihte goldene Rose überbringen und ihn dadurch für des Papstes Wünsche günstig stimmen sollte?) Der Papst wünschte aber, daß Miltitz selber den Luther in Wittenberg festnehme und nach Rom bringe. Als Miltitz aber in Deutschland anlangte und erkannte, daß unter fünf Menschen immer kaum noch zwei oder drei auf Seiten des Papstes stünden, da beschloß er zu­ nächst den Weg der gütlichen Verhandlung einzuschlagen. In der ersten Woche des Jahres 1519 kam er mit Luther in Alten­ burg zusammen, und dem Deutschen gegenüber, der die Sache geschickter anzu­ fassen verstand, versprach Luther fortan still zu schweigen, wenn die Gegner gleichfalls schwiegen; auch wollte er selber dem Papste seine Unterwürfigkeit anzeigen und das Volk zum Gehorsam gegen die römische Kirche ermahnen. Darauf entsetzte Miltitz den Tetzel seines Amtes, und derselbe ist noch in demselben Jahre in Leipzig im Kloster gestorben. Die eigentliche Beilegung des Lutherischen Streites sollte durch einen deutschen Bischof erfolgen, dem Miltitz die Untersuchung übertragen wollte. Luther erklärte im März 1519 dem Kurfürsten, er wolle fortan schweigen und sei zufrieden, wenn das Spiel also ein Ende haben solle. Aber das Spiel sollte kein Ende haben; Luthers Gegnern haben wir es zu danken, daß es dennoch zur Reformation der Kirche durch Luther gekommen ist.

') Jedes Jahr wird nämlich am Sonntage Lätare vom Papste eine goldene Rose (ein Sinnbild Christi) geweiht und einem frommen Fürsten zugeschickt; die Königin Isabella von Spanien und die Kaiserin Eugenik von Frankreich haben in der neueren Zeit gleichfalls eine solche erhalten.

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a. Luther's Thesen waren bald nach ihrem Erscheinen auch von dem Professor Eck in Ingolstadt angegriffen und gegen denselben von Luthers Amtsgenosien, dem Professor Andreas Bodenstein von Carlstadt, verteidigt worden. Die beiden Gegner verabredeten endlich, mit einander in Leipzig öffentlich zu disputieren. Dazu stellte nun Eck dreizehn Sätze auf, in welchen er zunächst Carlstadt angriff, aber in Wahrheit auch Luther, als dessen Vor­ kämpfer er Carlstadt bezeichnete; ja, er schrieb sogar an Luther ausdrücklich, da Carlstadt nur sein Vorkämpfer, er aber die Hauptperson sei, welche die falschen Lehren ausgesüt habe, so zieme es sich für ihn gleichfalls zu erscheinen und seine Ansichten zu verteidigen. Nun konnte Luther nicht länger schwei­ gen, seine Gegner hatten das Stillschweigen zuerst gebrochen; so kam es ohne Luther's Willen, aber nach Gottes Willen, zum Fortgänge und zur Vollendung der Reformation. Am 27. Juni 1519 begann das Neligonsgespräch; der Herzog Georg von Sachsen hatte dazu einen Saal seines Schlosses, der Pleißenburg, ein­ richten lassen, weil die Universität keinen großen Saal besaß. Viele Zuhörer nahmen daran teil, auch Hussiten, welche in Luther einen Vorkämpfer ihrer Sache zu finden hofften. Der Herzog Georg war häufig anwesend und folgte der Disputation mit regem Interesse. Zuerst disputierten Eck und Carlstadt mit einander über göttliche Gnade und menschliche Freiheit. Am 4. Juli begannen Luther und Eck über die Macht des Papstes zu disputieren; Luther sah nämlich im Papsttum bereits nicht mehr eine göttliche, sondern nur noch eine menschliche Ordnung, welche sich weder aller Orten noch zu allen Zeiten finde und ohne Schaden für die Kirche auch entbehrt werden könne; das Papst­ tum existiere wie das Kaisertum, ohne in der heil. Schrift gefordert zu sein; trotz­ dem sei man beiden Gehorsam schuldig; aber auch die Griechen und die Hussiten seien Christen, ohne daß sie den Papst anerkennten. Damit hatte, wie Eck ihm mit Recht nachwies, Luther sich gegen das Concil von Constanz aufge­ lehnt, welches diese Lehre verworfen hatte; als der Herzog Georg Luther die Hussiten in Schutz nehmen sah, schüttelte er den Kopf und rief über den ganzen Saal hin: „Das walt' die Sucht!" 3) Mit schwerem Herzen, aber der Wahrheit die Ehre gebend, blieb Luther bei der Ansicht, daß auch ein Concil irren könne, und daß das Constanzer Concil in betreff der Hussiten geirrt habe. Nachdem noch über einige andere Punkte disputiert worden war, wurde das Religionsgespräch am 15. Juli geschlossen. Eck hatte äußer­ lich über Luther den Sieg davongetragen; er hatte Luther zu Behauptungen gedrängt, welche diesem selbst eigentlich neu waren, und zu denen er sich nur bekannte, weil er sie für wahr hielt, obwohl er ahnte, daß er sich damit vom katholischen Glauben lossage. So verdankt auch hier wieder die evan­ gelische Sache ihren Fortgang der Führung Gottes, welcher durch Luther's Gegner diesen selbst mehr und mehr vom Irrtum ablenkte und zur Wahr­ heit hinführte. b. Durch die Leipziger Disputation und die bald darauf folgenden Streitschriften Luthers und seiner Gegner wurde Luther's Name in immer weiteren Kreisen bekannt, und wie sich die Wut seiner Gegner steigerte, so *) Das war sein gewöhnlicher Fluch.

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nahm auch der Beifall immer mehr zu, den seine kühnen Angriffe auf die römische Kirche fanden. Im nächsten Jahre, 1520, gab Luther auch drei größere Schriften heraus, in denen er seine Grundgedanken ausführlicher darlegte: „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung", „Über die babylonische Gefangenschaft der Kirche" und

„Von der Freiheit eines Christenmenschen". In der ersten derselben forderte er den Adel (d. h. die Obrigkeiten der deutschen Länder) auf, die so not­ wendige Reformation der Kirche zustande zu bringen, da der Papst das nicht thun wolle; in der zweiten wies er nach, daß die Kirche tief gefallen und ins höchste Verderben geraten sei; in der dritten wies er darauf hin, daß jeder Christ ein Priester sei und Gotte sich nahen könne ohne menschliche Mittler. Gegen diesen gefährlichen Ketzer erschien nun am 15. Juni 1520 auf Eck's Betreiben, welcher selber nach Rom gereist war, eine Bulle des Papstes, durch welche über Luther der Bann gesprochen wurde; er selber sollte nach Rom ausgeliefert und seine Schriften verbrannt werden. Als die päpstliche Bulle in Deutschland bekannt gemacht wurde, wagte man zwar nur an wenigen Orten sie geradezu abzuweisen oder gar zu ver­ spotten, aber sie wurde doch auch nicht recht befolgt; nur an wenigen Orten wurden Luthers Schriften verbrannt. Luther gab zuerst mehrere Streit­ schriften gegen die Bulle heraus, dann appellierte er aufs neue vom Urteil des Papstes an ein allgemeines Concil, und endlich verbrannte er sogar v) am 10. December 1520 die Bulle nebst den Rechtsbüchern der römischen Kirche, und sagte sich damit vom Gehorsam gegen den Papst und die römische Kirche feierlich los. Durch einen öffentlichen Anschlag hatte er die Studenten aufgefordert dem kühnen Schritte beizuwohnen. Als der Scheiterhaufen errichtet war, legte Luther die kirchlichen Rechtsbücher darauf, ließ das Holz anzünden und warf alsdann die Bulle ins Feuer mit den Worten: „Weil du den Heiligen des Herrn betrübt hast, so verzehre dich das ewige Feuer" (Josua 7,25). Das Feuer wurde von den Studenten noch längere Zeit unterhalten, indem sie Schriften von Gegnern Luther's hineinwarfen. Am nächsten Tage ermahnte nun Luther seine Zuhörer, dem Reiche des Papstes von ganzem Herzen abzusagen. Für sich selbst war er wegen seines mutigen Unternehmens ohne Sorge; es stehe alles in der Hand des allmächtigen Gottes, der ja dieses Werk durch ihn angefangen habe. c. Nach dem damals geltenden Rechte hätte nun Kurfürst Friedrich der Weise den vom Papste verurteilten Ketzer entweder selber verbrennen oder nach Rom ausliefern müssen. Da dies der Kurfürst nicht thun wollte und bei der Stimmung seiner Unterthanen auch nur schwer hätte thun können, so kam es dem Kaiser zu, das päpstliche Urteil zu vollstrecken. Als Kaiser saß aber seit kurzem Karl V. auf dem Throne; derselbe war zwar der Enkel deö Kaisers Maximilian, aber er war kein Deutscher, sondern ein Spanier. Er war im streng katholischen Glauben erzogen und hatte kein Verständnis für Luther's Bestrebungen; im Gegenteil, ihm mußte daran liegen, daß in seinem ohnehin nicht recht einigen Reiche nicht noch eine neue Spaltung über den Glauben zu den schon vorhandenen Gegensätzen hinzukam. Dem Papste *) Vor dem Elsterthore an derjenigen Stelle, welche heute durch die Luthereiche bezeichnet ist.

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freilich wollte er als Staatsmann doch auch nicht so ohne weiteres zu Willen sein, da derselbe der Freund seines Gegners, des Königs von Frankreich, war. Auch durste er sich mit Friedrich dem Weisen, der in Deutschland ein großes Ansehen genoß, und mit den anderen deutschen Fürsten nicht sofort verfeinden; gegen seine Feinde, mit denen schwere Kämpfe bevorstanden, brauchte er die Hülfe des ganzen Reiches. Als nun der neu erwählte Kaiser nach Deutschland kam, um sich in Aachen krönen zu lassen und in Worms seinen ersten Reichstag zu halten, da war man allgemein gespannt darauf, wie er sich zu der Sache Luther's stellen werde; beide Parteien, die des Papstes, wie die Luthers, hofften, ihn für sich zu gewinnen. Der Papst schickte dem Kaiser zwei Gesandte entgegen, Caraccioli und Aleander, von denen besonders der letztere die Aufgabe hatte, den Kaiser zum Einschreiten gegen die Ketzerei zu bewegen. Dieselben trafen mit dem Kaiser noch in den Niederlanden zusammen, und durch geschickte Verhandlungen erreichten sie es, daß der Kaiser ein Edikt erließ, welches die Verbrennung von Luther's Schriften in seinen Erblanden anordnete. Daß für Deutschland Ähnliches bevorstand, durfte man nunmehr erwarten; die Legaten bemühten sich aufs eifrigste, ihren Zweck zu erreichen. Zunächst versuchte Aleander, den Kurfürsten Friedrich dahin zu bringen, daß er in seinem Lande Luthers Schriften verbrennen lasse und ihn selber nach Rom ausliefere; aber der Kurfürst war zwar für Luthers Lehre noch nicht gewonnen, dagegen wollte er sich seinen gefeierten Universitäts-Profeffor nicht nehmen lassen, den ja auch noch kein Anhänger des Papstes aus der heiligen Schrift widerlegt habe. Es kam nun den päpstlichen Gesandten vor allem darauf an, zu ver­ hindern, daß Luther vor den Reichstag beschieden und seine Sache, die ja vom Papste bereits verurteilt war, noch einmal von Kaiser und Reich unter­ sucht würde. Nach mancherlei Schwankungen und vielen Verhandlungen setzten es aber die Fürsten doch durch, daß Luther nach Worms berufen wurde; zwar sollte mit ihm nicht disputiert werden, denn seine Ketzerei stand auch für die Fürsten fest, da er sich ja gegen das Concil von Constanz aufgelehnt hatte; aber vielleicht ließ sich Luther doch zu einem Widerruf bewegen, und dann konnten die Fürsten ihn wohl gebrauchen, um ihre Forderungen für eine äußere Reform der Kirche durchzusetzen, die immer aufs neue dem Papste abverlangt und immer aufs neue von diesem abgeschlagen worden war. Von diesem Standpunkte aus setzten es die Fürsten beim Kaiser durch, daß Luther mit freiem Geleit nach Worms berufen wurde. Was den Deutschen aber bevorsiehe, wenn sie etwa doch auf Luthers Seite sich schlagen wollten, hatte Aleander deutlich ausgesprochen: „Wenn ihr Deutschen, die ihr das wenigste Geld an den Papst bezahlt, das römische Joch abschüttelt, so werden wir dafür sorgen, daß ihr euch gegenseitig totschlagen und in eurem Blute waten sollt." Daß der Papst sich auf diese Kunst versteht, hat die Geschichte nur allzu sehr bestätigt. Am 26. März 1521 erhielt nun Luther durch einen Reichsherold die Vorladung vor den Reichstag nebst der Zusicherung freien Geleites für die Hin- und Rückreise; am 2. April reiste er von Wittenberg ab; mit drei Ge­ nossin, seinem Freunde und Collegen Amsdorf, einem jungen Edelmann, der damals in Wittenberg studierte, und einem Wittenberger Ordensbruder saß er in einem verdeckten Wagen, den ihm der Magistrat der Stadt gestellt Heidrich. Kirchengeschtchte.

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hatte, und fuhr auf Worms zu; der kaiserliche Herold ritt ihnen zur Seite. Auf der Reise wurde er an vielen Orten, namentlich auch in Erfurt, freund­ lich und ehrenvoll empfangen, und der kaiserliche Herold nahm mit Staunen wahr, welch einen Mann er geleite. Die Gegner hofften noch immer, Luther werde nicht wagen nach Worms zu kommen, und sie suchten ihn durch aller­ lei Ränke einzuschüchtern; Luther aber erklärte: „Und wenn so viel Teufel in Worms wären, als Ziegel auf den Dächern, so will ich dennoch kommen." Als ihn seine Freunde an Hussens Schicksal erinnerten, erklärte er: „Wenn gleich Hus zu Feuer verbrannt worden ist, so ist doch die Wahrheit nicht verbrannt worden." Über die Stimmung, in der er damals war, äußerte er noch kurz vor seinem Tode: „Ich war unerschrocken und fürchtete mich nicht; Gott kann einen wohl so toll machen; ich weiß nicht, ob ich jetzt auch so freudig wäre." Am 16. April, Vormittags um 10 Uhr, langte Luther in Worms an, von einer Anzahl von Freunden, die sich unterwegs angeschloffen hatten oder ihm von Worms entgegengekommen waren, zu Pferde begleitet. Als der Wächter auf dem Domturm die Ankunft des Zuges durch Trompetenstoß an­ zeigte, da drängten sich wohl zweitausend Menschen herzu ihn zu sehen. Als er aus dem Wagen stieg, geleiteten ihn zwei Herren des kurfürstlichen Hofes in seine Wohnung, welche in der Nähe von der des Fürsten war. Im Laufe des Tages besuchten ihn viele vornehme Leute und Geistliche. Am nächsten Morgen wurde er aus Nachmittag 4 Uhr vor die Reichsversammlung citiert. Der Reichstagsmarschall und der Herold holten ihn dazu ab, und da das Gedränge der Neugierigen auf den Straßen so groß war, so führten sie ihn auf Seitenwegen zum bischöflichen Palaste, wo die Reichsversammlung statt­ fand. Ehe er in den Saal trat, klopfte ihnJ) der berühmte Feldherr Georg von Frundsberg auf die Schulter und sagte: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst jetzt einen Gang, desgleichen ich und mancher Oberster auch in unsern ernstesten Schlachten nicht gegangen bin; bist du auf rechter Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen fort und sei nur getrost; Gott wird dich nicht verlassen." Um 6 Uhr wurde Luther in den Saal gerufen; ein Jurist stand ihm als Rechtsbeistand zur Seite. Als Luther erschienen war, wurde ihm im Auftrage des Kaisers die Frage vorgelegt, ob er die auf einer Bank vor ihm liegenden Bücher als die seinigen anerkennen, und ob er sie widerrufen wolle. Auf die Forderung seines Rechtsbeistands wurden die Titel der Bücher verlesen. Alsdann gab Luther, zuerst deutsch und dann lateinisch, da ja nicht alle Mitglieder des Reichtages, auch der Kaiser nicht, des Deutschen mächtig waren, zur Antwort: er erkenne jene Bücher als die seinigen an; bei der Frage des Widerrufs handle es sich um den Glauben und das göttliche Wort; da wäre es vermeffen etwas Unbedachtes auszusprechen; deshalb bitte er um Bedenkzeit, damit er ohne Nachteil für das Wort Gottes und ohne Gefahr für seine Seele diese Frage beantworten könne. Auf diese Antwort ließ ihm der Kaiser erklären, er habe zwar genugsam wissen können, wozu er vorgeladen worden; doch wolle er ihm einen Tag Bedenkzeit gewähren. Luther wurde darauf entlaffen; der Kaiser konnte sich gar nicht denken, daß der etwas 0 Ob an diesem oder erst am folgenden Tage, ist unsicher; überhaupt ist die ganze Erzählung nur schwach bezeugt.

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schüchterne und ungelenke Mönch solche Bücher geschrieben haben sollte; auch erklärte er, der werde ihn nicht zum Ketzer machen. Am 18. April ging Luther um 4 Uhr Nachmittags wieder nach dem Bischofspalast; nach 6 Uhr wurde er vor die Reichsversammlung gerufen. Aufs neue wurde ihm nun die Frage vorgelegt, ob er seine Bücher wider­ rufen wolle. Da antwortete Luther in ausführlicher lateinischer Rede, die er nachher auch noch verdeutschte, zwar ehrfurchtsvoll, aber mutig und laut, so daß er im ganzen Saale verstanden wurde. Er wies zuvörderst auf die Verschiedenheit seiner Bücher hin; einige von ihnen handelten einfach vom christlichen Glauben und Leben und hätten sogar die Anerkennung der Gegner gefunden; andere seien gegen das Papsttum gerichtet, und er könne doch nicht die päpstliche Tyrannei durch einen Widerruf befestigen; andere endlich seien Streitschriften gegen einzelne Personen, und da sei er ja oft etwas zu heftig gewesen; aber auch sie könne er nicht widerrufen, ohne der Gottlosigkeit Vor­ schub zu thun. Da er aber ein Mensch sei, der auch irren könne, so bitte er, ihn des Irrtums zu überführen und ihn aus der heiligen Schrift zu widerlegen. Da aber diese Rede Luther's etwas lang geworden war, und die Gegner auf eine Disputation mit Luther, die er forderte, sich nicht ein­ lassen wollten, so wurde er aufgefordert, eine kurze und einfache Antwort auf die Frage wegen des Widerrufs zu geben, namentlich auch zu erklären, ob er das Concil von Constanz anerkenne. Da gab er nun die berühmte Antwort: „Weil denn Eure Kaiserliche Majestät und Eure Gnaden eine schlichte Antwort begehren, so will ich eine Antwort ohne Hörner und Zähne geben dieser Maßen: es sei denn, daß ich durch Zeugnisse der heiligen Schrift oder durch Helle, klare Gründe überwunden werde — denn ich glaube weder dem Papst noch den Concilien allein, dieweil am Tage liegt, daß sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben — so bin ich überwunden durch die heilige Schrift, und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort; widerrufen kann ich nicht und will ich nicht, dieweil es unsicher und gefährlich ist wider das Gewissen zu handeln. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen." Nach dieser Antwort wurde Luther entlassen, und die Versammlung ging auseinander. Als Luther, von zwei Geleitsmännern geführt, durch die Menge hindurchging, verspotteten ihn die Spanier; die Deutschen waren um ihn besorgt, denn sie meinten, man führe ihn ins Gefängnis; sein Auftreten hatte auf viele einen gewaltigen Eindruck gemacht; der gut katholische Herzog Erich von Braunschweig ließ ihm beim Weggehen eine silberne Kanne mit Eimbecker Bier reichen. Etwa um 8 Uhr kam er in seine Herberge; die Freunde, die ihn schon erwarteten, fanden ihn voll Freudigkeit und Zuversicht. Der Kaiser und die Anhänger des Papstes freuten sich, daß Luther so offen auch die Concilien verworfen und sich damit unzweifelhaft als Ketzer dargestellt hatte; der Kaiser wollte ihn ohne weiteres nach Wittenberg zurück­ reisen lassen und nach dem Ablauf des freien Geleites gegen ihn als Ketzer verfahren. Die Reichsstände setzten es aber durch, daß noch weiter mit ihm verhandelt wurde. Da jedoch Luther bei seinen Ansichten verharrte, so wurde er entlassen und ihm vom Kaiser das freie Geleit für die Rückreise aufs neue zugesichert, gegen den Rat mancher Anhänger des Papstes, welche Karl V. 15*

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zu Sigismund's Verfahren gegen Hus zu bewegen suchten. Als Luther am 26. April abgereist war und auch die meisten Reichsstände, namentlich die Gönner Luthers, sich schon entfernt hatten, veröffentlichte der Kaiser unter falschem Datum (8. Mai), als wäre es noch durch die versammelten Reichs­ stände beschloffen worden, ein Edikt, durch welches über Luther, als vom Papste gebannten Ketzer, die Reichsacht ausgesprochen wurde. Bald darauf verließ der Kaiser Deutschland, und es begann der Krieg gegen Frankreich, der den Kaiser lange Jahre in Anspruch nahm, so daß er zunächst nicht dazu kam, an die Ausführung des Wormser Ediktes denken zu könnend) d. Von zwei Punkten hat die Reformation in Deutschland ihren Ausgang ge­ nommen, vom Ablaß (1517) und von der Frage nach der Autorität der Concilien (1519).8) Zuerst (1517) handelte es sich darum: Wie wird der Mensch vor Gott gerecht? Luther beantwortete diese Frage dahin, daß er mit Paulus antwortete: Durch den Glauben an die Gnade Gottes in Christo, nicht durch gute Werke, auch nicht durch den Ablaß. Diese Frage ist zunächst nicht entschieden worden, und es schien längere Zeit, als wenn über dieselbe eine Verständigung zwischen den beiden Parteien erzielt werden könne; diese Hoffnung hat sich aber als trügerisch erwiesen; seit dem Triden­ tiner Concil stehen auch in dieser Frage beide Kirchen einander feindlich gegenüber.31)2 Dagegen handelte es sich im I. 1519 um die Frage: Wie kommt der Mensch zum Glauben? Hier ist nun sofort der Widerspruch der beiden Parteien festgestellt worden, und bis auf den heutigen Tag steht die katholische Lehre der evangeliichen mit der­ selben Schärfe gegenüber.4) Die katholische Kirche beruft sich nämlich für ihren Glauben auf die Autorität der Kirche, wie diese sich in den Beschlüssen der Concilien als Lehrautorität darstellt; Luther aber bestritt die Unfehlbarkeit der Concilien, und gründete seinen Glauben auf die heilige Schrift. In dieser Frage kam es sofort zum Bruche zwischen Luther und der katholischen Kirche. Zwar nicht deshalb wurden über den Wittenberger Mönch Bann und Acht verhängt, weil er den Papst nicht als obersten Schiedrichter und als unfehlbar anerkannte — das wurde damals vom Katholiken noch nicht so gefordert wie heute; aber er hatte die Autorität der allge­ meinen Concilien bestritten, und wer die verwarf, der war unfehlbar ein Ketzer, der verwarf überhaupt jede äußere Autorität in der Kirche; wodurch sollte dann noch die Wahrheit des Glaubens festgestellt werden? Das ist in der That ganz richtig: mit Luther verwirft der evangelische Christ jede äußere unfehlbare Lehrautorität in der Kirche; aber Luther stellte an deren Stelle eine innere Autorität, Schrift und Gewissen, nach denen aller Glaube zu prüfen sei; aber kein Mensch darf von sich be­ haupten, daß er der unfehlbare Erklärer der heiligen Schrift und der Stimme deS Gewissens sei. Es standen also in Worms zwei Weltanschauungen einander gegen­ über, die der Autorität und die der inneren Freiheit, und diese beiden Weltanschau­ ungen stehen einander noch heute unvermittelt gegenüber. So hat also die Reformation in Deutschland ihren Ausgang genommen von den beiden Hauptfragen, welche unser Katechismus beantwortet"): Wie wird der Mensch vor Gott gerecht? (Antwort: Durch den Glauben), und: Wie kommt der Mensch zum

1) Zur Erinnerung an den Vorgang in Worms ist das Lutherdenkmal daselbst errichtet worden. 2) Dagegen ging die Reformation in Zürich von der Frage nach der Notwendig­ keit der kirchlichen Fastengebote aus, vgl. Nr. 52 b. 3) Vgl. Nr. 62. 4) Vgl. Nr. 62. 6) Vgl. Nr. 57 c.

47. (43.)

Der Fortgang der Reformation.

Glauben? (Antwort: Durch das Wort Gottes.) über diese Fragen ist noch heute nicht geschlichtet.

1519—1521.

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Der Streit der beiden Kirchen

48. (44.) Luther auf der Wartburg; Luther und die Schwärmer; die Umgestaltung des Kirchenwesens; der Bauernkrieg und das Reich der Wiedertäufer in Münster. a. Da nicht daran zu zweifeln war, daß der Kaiser, nachdem Luther's freies Geleit abgelausen wäre, zum Äußersten schreiten werde, so beschloß Kurfürst Friedrich, Luther vorläufig in Sicherheit zu bringen, und ließ ihm seinen Plan vor der Abfahrt mitteilen. Am 26. April fuhr Luther von Worms ad; am Abend des 2. Mai langte er in Eisenach an. Hier trennte sich nun Luther von seinen anderen Reisegefährten, welche auf Gotha zufuhren; er selber fuhr mit Amsdorf und dem Wittenberger Ordensbruder auf Möhra zu, wo er bei einem Oheim einkehrte. Am 4. Mai brach er in der Richtung nach Gotha auf. Als er hinter Altenstein war, sprengte ein Haufen be­ waffneter Reiter gegen seinen Wagen an;1) der Ordensbruder sprang aus dem Wagen und lief auf Wallershausen zu. Die Reiter aber zwangen den Fuhrmann zu hallen und fragten ihn, wer int Wagen sitze; als sie das erfahren hatten, riffen sie Luther aus dem Wagen heraus, dagegen ließen sie Amsdorf (der von der Sache wußte) ruhig weilerfahren. Luther mußte, bis er jenen aus dem Auge war, auf Brotterode zu neben ihnen herlaufen; dann setzten sie ihn auf ein Pferd, zogen noch auf Umwegen im Walde mit ihm umher, und brachten ihn endlich in der Nacht auf die Wartburg bei Eisenach, wo der Schloßhauptmann vom Kurfürsten die nötigen Weisungen erhalten hatte. Luther galt hier als Junker Georg, legte ritterliche Kleidung an und ließ sich Bart und Haare wachsen. Wohin er gebracht worden sei, wußte auch Amsdorf nicht. In Worms erregte die Nachricht von seinem Verschwinden alle Gemüter; seine Anhänger fürchteten das Schlimmste, die Gegner ahnten das Richtige; in ganz Deutschland klagte man überden jähen Untergang des mutigen Mannes, der dem Papste so kühn entgegenge­ treten war. An Verkehr fehlte es ihm auf seinem „Pathmos" nicht, wie er die Burg in Briefen nannte; auch verließ er sie bisweilen und suchte nahe Dörfer und Städte auf, natürlich als Ritter gekleidet und sich gebarend, und in Beglei­ tung eines zuverlässigen Genoffen; auch verkehrte er brieflich mit den Witten­ berger Freunden. Aber die veränderte Lebensweise und das Leben in der Einsamkeit wollten ihm doch zuerst gar nicht behagen; schon auf der Reise nach Worms war er nicht ganz gesund gewesen, jetzt wurde es noch schlim­ mer; auch konnte er in der Einsamkeit den trüben Gedanken mehr nach­ hängen, die ihn schon früher so oft wegen seiner Seligkeit gequält hatten. Kein Wunder, daß er manchmal ganz verzagt war und nach dem Glauben seiner Zeit vom Teufel sich angefochten glaubte; die bekannte Erzählung vom Tintenfaß ist freilich erst eine spätere Sage (früher von Koburg er­ zählt, also dem Jahre 1530 zugehörig), aber entspricht ganz dem Sinne ') An der Stelle des Überfalls stand bis jetzt ein Denkmal.

in die neuere Zeit die Lutherbuche,

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48.